Das europäische Konzerninsolvenzrecht nach der reformierten EuInsVO: Dissertationsschrift 9783161575877, 9783161575884, 3161575873

In der ursprünglichen Fassung der EuInsVO setzte der europaische Gesetzgeber in puncto Konzerninsolvenz aus praktischen

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Das europäische Konzerninsolvenzrecht nach der reformierten EuInsVO: Dissertationsschrift
 9783161575877, 9783161575884, 3161575873

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Kapitel 1: Grundlagen
§ 1 Das Phänomen des Konzerns
A. Die Konturierung des Konzernbegriffs
I. Der Konzern in der Betriebswirtschaftslehre
1. Die wirtschaftliche Entscheidungs- und Handlungseinheit
2. Die Verbindung über eine einheitliche unternehmerische Führung
II. Der Konzern im Recht
III. Ursachen einer Konzernierung
IV. Konzernstrukturen
B. Konklusion für den Konzernbegriff dieser Arbeit
§ 2 Das Phänomen der europäischen Konzerninsolvenz
A. Bestandsaufnahme
B. Ursachenforschung
I. Der rechtsträgerbezogene Ansatz in der Konzerninsolvenz
II. Die betriebswirtschaftlichen Ursachen einer Konzerninsolvenz
1. Leistungswirtschaftliche Verflechtungen
2. Finanzwirtschaftliche Verflechtungen
a) Cash-Management-Systeme
b) Wechselseitige Besicherungen
§ 3 Das europäische Konzerninsolvenzrecht
Kapitel 2: Das europäische Konzerninsolvenzrecht vor der Reform
§ 4 Europäisches Recht – EuInsVO a. F.
A. Mangel an Vorschriften zu Konzernsachverhalten
B. Das COMI
I. COMI in der EuInsVO a. F.
1. Ort der strategischen Leitungsentscheidungen (mind of management)
2. Ort der effektiven Hauptverwaltung
3. Hauptort der werbenden Geschäftstätigkeit (business activity)
II. COMI nach der Rechtsprechung des EuGH
C. Kooperationserwägungen
I. Tochterunternehmen als Niederlassungen
II. Im Kontext von Sekundärinsolvenzverfahren
§ 5 Internationale Ansätze
A. UNCITRAL-Modellgesetz
B. Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication in Cross-Border-Cases
C. CoCo-Guidelines der INSOL Europe
D. Cross-Border Insolvency Concordat
§ 6 Nationale Rechtsordnungen
A. Gesellschafts- und vertragsrechtlich begründete Kooperation
I. Im Regelinsolvenzverfahren
II. In der Eigenverwaltung
B. Verfahrensrechtlich begründete Kooperation
I. Einheitliche Verwalterbestellung durch das Gericht am COMI
II. Nationales Konzerninsolvenzrecht
III. Kooperation der Gerichte
IV. Kooperation der Verwalter
§ 7 Zusammenfassung
Kapitel 3: Das Konzerninsolvenzrecht der EuInsVO de lege lata
§ 8 Grundlagen der Reform und zu berücksichtigende Materialien
§ 9 Die Zwecke des Konzerninsolvenzrechts
A. Primärziel der Gewährleistung einer reibungslosen Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes zur Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
B. Effizienz und Effektivität der Verfahren als Mittel und Ziel für einen funktionsfähigen Binnenmarkt
C. Konkrete insolvenzspezifische Ziele
I. Bestmögliche Gläubigerbefriedigung
II. Keine vollständige formale Gläubigergleichbehandlung, sondern bestmögliche Allokation der Haftungsmasse zwischen mehreren Rechtsträgern
III. Förderung des Sanierungsgedankens
1. Sicherung des Unternehmertums, der Arbeitnehmerschaft und der Gesamtwohlfahrt
2. Das Verhältnis des Sanierungsgedankens zum Zweck der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung
IV. Marktbereinigende Kraft des Insolvenzverfahrens
V. Verhinderung von Forum Shopping in Form einer betrügerischen oder rechtsmissbräuchlichen Gerichtsstandsverlagerung
1. Das ambivalente Verständnis von Forum Shopping
2. Verhinderung von Forum Shopping als Zweckkumulation
D. Beschränkung durch Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip
E. Fazit
§ 10 Verfahrenskonzentration
A. Nutz- und Kosteneffekte einer Konzentration
B. Reine Verfahrenskonzentration am gemeinsamen COMI
I. Ausgestaltung in der EuInsVO
II. Bestimmung des COMI
1. Vermutungsregelung für den satzungsmäßigen Sitz
2. Die Widerlegbarkeit der Vermutung
3. Der Missbrauchsvorbehalt bezüglich Gerichtsstandsverlagerungen
a) Betrügerische oder rechtsmissbräuchliche Gerichtsstandsverlagerungen
b) Praktiken der Mitgliedstaaten und Überlegungen im Gesetzgebungsprozess
c) Die Retrospektivfrist – institutionalisiertes Missbrauchsverbot
4. Feststellbarkeit des COMI für Dritte
III. Verfahrensrechtliche Absicherungen
1. Prüfung von Amts wegen
2. Begründungspflicht
3. Rechtsbehelfe
IV. Sekundärinsolvenzverfahren bei einheitlichem COMI
V. Fazit
C. Sinnhaftigkeit anderer Konzentrationsorte
I. Wahlgerichtsstand
II. Gerichtsstand nach dem Prioritätsprinzip
III. Konzern-COMI
IV. Fazit
D. Effizienzsteigerung durch Harmonisierung
I. Harmonisierung der Gläubigerrechte und -schutzvorschriften
II. Harmonisierung der Restrukturierungs- und Sanierungsvorschriften
III. Harmonisierung weiterer Rechtsgebiete zur Vermeidung von Rechtsspaltung
E. Besondere Konzentrationsmethoden
I. Verfahrenskonsolidierung
1. Beschreibung
2. Umsetzungsüberlegungen im Zuge der Reform als strategische Option B
3. Fazit
II. Substantielle Konsolidierung
1. Beschreibung
2. Ablehnung auf europäischer Ebene
3. Mögliche Anwendungsfälle
a) Betrügerische Zwecke
b) Vermögensvermengung
4. Fazit
F. Zusammenfassung
§ 11 Verfahrenskooperation und -koordination
A. Terminologische Abgrenzungen
B. Anwendungsbereich
I. Die Unternehmensgruppe
1. Das Mutterunternehmen
a) Der Rückgriff auf die Bilanzrichtlinie
aa) Tatsächliche Konsolidierung als Tatbestandsvoraussetzung
bb) Das legal-control-Konzept als Basis einer Konsolidierungspflicht nach der EuBilanzRL
cc) Ermessensspielräume der Mitgliedstaaten zur Schaffung einer weiterführenden Konsolidierungspflicht
dd) Ausnahme bei nach IFRS bilanzierenden Unternehmen
b) Das Kontrollkriterium
aa) Kontrolle im Sinne der EuBilanzRL, IFRS und UNCITRAL
bb) Das economic-control-Konzept als Grundlage des Kontrollkriteriums
cc) Der Auffangtatbestand
2. Das Tochterunternehmen
3. Der Unternehmensbegriff
4. Ausschluss ausgewählter regulierter Branchen
II. Territorialer Anwendungsbereich
1. Das grenzüberschreitende Element
2. Drittstaatenberührung
III. Verhältnis zwischen nationalem und europäischem Konzerninsolvenzrecht
IV. Fazit
C. Allgemeine Verfahrenskooperation
I. Grundlagen und spezifischer Anwendungsbereich
1. Der Verwalterbegriff
2. Der funktionelle Gerichtsbegriff
3. Nutzeffekte einer Verfahrenskooperation
4. Kooperationspflichten und deren Notwendigkeit
5. Keine Kooperation mit solventen Unternehmen
6. Kooperation unter Einbeziehung von Sekundär- bzw. Partikularinsolvenzverfahren
II. Zusammenarbeit und Kommunikation der Insolvenzverwalter
1. Kooperationszeitraum
2. Voraussetzungstrias
a) Erleichterung der wirksamen Abwicklung der Verfahren
b) Vorbehalt der nationalen Vorschriften
aa) Inhaltliche Anforderungen
(1) Berücksichtigung nationaler Insolvenzverfahrenszwecke
(2) Postulat der persönlichen Amtsführung
bb) Formerfordernisse
cc) Verfahrensanforderungen, insbesondere Mitwirkungspflichten
c) Keine Interessenkonflikte
3. Modus operandi
a) Kooperationsmedium
b) Abschluss von Vereinbarungen oder Verständigungen
aa) Ursprung aus protocols
bb) Rechtsverbindlichkeit der Absprachen
cc) Berechtigte und Verpflichtete
c) Kommunikationssprache
4. Inhalt der Zusammenarbeit
a) Informationsvermittlung
aa) Informationspflichten
bb) Qualität der Informationspflicht
cc) Gegenstand der Informationspflicht
dd) Vorbehalt geeigneter Vorkehrungen zum Schutz vertraulicher Informationen
b) Überprüfung einer Koordinierungsmöglichkeit und tatsächliche Koordination der Verwaltung
aa) Allgemeine Verfahrensabstimmung
bb) Abstimmung hinsichtlich einer einheitlichen Verwertung oder Übertragung
cc) Auflösung konzerninterner Verflechtungen und Streitigkeiten
c) Überprüfung einer Sanierungsmöglichkeit und Abstimmung bezüglich eines koordinierten Sanierungsplans
aa) Überprüfung einer Sanierungsmöglichkeit
bb) Gestaltungsmöglichkeiten einer Sanierung
cc) Inhalt eines Sanierungsplans
(1) Leistungswirtschaftliche Faktoren
(2) Finanzwirtschaftliche Faktoren
(3) Organisatorische Faktoren
5. Befugnisübertragung an Verwalter aus der Mitte
6. Fazit
III. Zusammenarbeit und Kommunikation der Insolvenzgerichte
1. Kooperationszeitraum
2. Voraussetzungstrias
3. Bestellung eines Intermediärs
4. Modus operandi
5. Inhalt der Zusammenarbeit
a) Koordinierung bei der Bestellung von Verwaltern
b) Informationsvermittlung
aa) Informationspflichten
bb) Qualität und Prozedere der Informationspflicht
cc) Gegenstand der Informationspflicht
c) Koordination der Verwaltung und Überwachung der Insolvenzmasse und Geschäfte der Mitglieder
d) Koordinierung von Verhandlungen
e) Koordinierung der Zustimmung zu einer Verständigung der Verwalter
6. Fazit
IV. Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Insolvenzverwaltern und Gerichten (Art. 58 EuInsVO)
1. Modus operandi
2. Inhalt der Zusammenarbeit
V. Rechte des Verwalters
1. Allgemeines
2. Gewährleistung einer effektiven Verfahrensdurchführung
3. Rechte
a) Recht auf Gehör
b) Antragsrecht auf Aussetzung der Verwertung
aa) Gegenstand der Aussetzung
bb) Voraussetzungen
cc) Gerichtliche Überprüfung
dd) Sicherungsmaßnahmen
ee) Befristung der Aussetzung
c) Recht auf Beantragung eines Gruppen-Koordinationsverfahrens
4. Fazit
VI. Kosten
1. Kostentragung
2. Wertbeanspruchung
3. Konflikt mit nationalen Zwecksetzungen
VII. Durchsetzungs- und Sanktionsmaßnahmen
VIII. Zusammenfassung und Fazit
D. Gruppen-Koordinationsverfahren
I. Verfahrenseinleitung
1. Eröffnungsantrag
a) Antragsbefugnis der Verwalter
b) Gerichtliche Zuständigkeit
aa) Der institutionelle Gerichtsbegriff
bb) Prioritätsgrundsatz
cc) Antragszeitpunkt
dd) Gerichtsstandsvereinbarung
c) Auf den Antrag anwendbares Recht
d) Antragsinhalt
aa) Vorschlag bezüglich der Person des Koordinators
bb) Darlegung eines Gruppen-Koordinationskonzepts
cc) Liste der für die Mitglieder der Gruppe bestellten Verwalter, der zuständigen Gerichte und anderer zuständiger Behörden
dd) Darstellung der geschätzten Kosten und der jeweiligen Anteile für die Gruppenmitglieder
2. Vorprüfung durch das zuständige Gericht
a) Prüfungsmaßstab
b) Prüfungsinhalt
c) Rechtliches Gehör der Verwalter
3. Zwischenverfahren
a) Gerichtliche Mitteilung an die Verwalter
b) Einwände der Verwalter gegen die Einbeziehung oder den Koordinator
c) Sonstige Einwände der Verwalter
d) Abänderbarkeit des Antrags
4. Eröffnungsentscheidung des Gerichts
a) Voraussetzung einer positiven Eröffnungsentscheidung
b) Eröffnungsentscheidung
c) Bekanntmachung
d) Rechtsmittel gegen die Entscheidung
II. Koordinationsverfahren
1. Koordinator
a) Anforderungen
b) Bestellungsverfahren
c) Aufgaben
aa) Festlegen und Darstellen von Empfehlungen für die koordinierte Durchführung der Insolvenzverfahren
bb) Vorschlag eines Gruppen-Koordinationsplans
(1) Verfahren und Voraussetzungen
(2) Inhalt des Plans
d) Rechte
aa) Recht auf Gehör und Mitwirkungsrecht
bb) Informationsrecht
cc) Vermittlungsrecht bei Streitigkeiten
dd) Antragsrecht auf Aussetzung der Verwertung
e) Zusammenarbeit zwischen den Verwaltern und dem Koordinator
f) Sprachenregelung
g) Sanktionssystem
aa) Keine europäische Haftungsnorm
bb) Abberufung
2. Comply-or-Explain-Mechanismus
3. Opt-in und Opt-out nach Eröffnung des Koordinationsverfahrens
a) Nachträgliches Opt-in
b) Nachträgliches Opt-out
4. Kosten
a) Kostenüberwachung
b) Kostenendabrechnung und -aufteilung
aa) Verfahren
bb) Kostenentscheidung
cc) Kostenbestandteile
5. Beendigung des Verfahrens
III. Zusammenfassung und Fazit
Kapitel 4: Résumé: Plädoyer für einen flexiblen Ansatz innerhalb eines europäischen Konzerninsolvenzrechtssystems
Thesen
Fundstellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Sachregister

Citation preview

Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 422 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann

Thomas Himmer

Das europäische Konzerninsolvenzrecht nach der reformierten EuInsVO

Mohr Siebeck

Thomas Himmer, geboren 1988; Studium der Rechtswissenschaften mit wirtschaftswissenschaftlicher Zusatzausbildung an der Universität Bayreuth; 2014 Erstes juristisches Staats­ examen; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, deutsches, europäisches und internationales Unternehmens- und Kapitalmarktrecht der Universität Bayreuth; 2018 Promotion; seit 2018 Rechtsreferendar im OLG-Bezirk Stuttgart.

ISBN 978-3-16-157587-7 / eISBN 978-3-16-157588-4 DOI 10.1628/978-3-16-157588-4 ISSN 0720-1141 / eISSN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­nal­ biblio­graphie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth im Oktober 2018 als Dissertation angenommen. Die Ausarbeitung entstand größtenteils während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, deutsches, europäisches und internationales Unternehmens- und Kapitalmarktrecht an der Universität Bayreuth. Die Auswertung der Rechtsprechung, Gesetzgebung und Literatur befindet sich auf dem Stand von November 2018. An erster Stelle gilt mein besonderer Dank meiner Doktormutter Prof. Dr. Jessica Schmidt, LL.M. (Nottingham), unter deren Betreuung ich die Freiheit genoss, meine Arbeit nach eigenen Konzepten und Vorstellungen zu entwickeln und umzusetzen, sowie Prof. Dr. André Meyer, LL.M. Taxation, der die Aufgabe des Zweitgutachters übernommen hat. Dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht als Herausgeber der Reihe „Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht“ danke ich für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe. Außerdem danke ich Elke Fröba-Jakob sowohl für ihre beständige Unterstützung in allen administrativen Belangen als auch für Bereicherungen kulinarischer Art. Die Wissenschaft per se ist das eine, das Leben darin das andere. Wesentlich bestimmt wurde es in meinem Fall durch Menschen, aufgrund derer jene Zeit in ewiger Erinnerung bleiben wird. Eine besondere Erwähnung gebühren dem Mann der Harmonien Dr. Sebastian Köhler, Freund Dr. Raphael Pompl, dem Genießer Dr. Joachim Rung, dem Architekten des Spiels Dr. Felix Ruppert sowie dem schlagfertigen (bald ebenfalls Dr.) Bernd Galneder. Zu einem außerordentlichen Dank bin ich Dr. Michael F. Müller, LL.M. (Austin) verpflichtet. Der unbedingten Einsatz- und Aufopferungsbereitschaft hinsichtlich dieser Arbeit und darüber hinaus kann nicht genug Wertschätzung entgegengebracht werden. Ein tiefer Dank gilt Dr. Frederik Wilhelm von Essen. Nicht nur die visuellen Streifzüge durch die Welt unter subtropischen Bedingungen, sondern auch sein unermüdlicher Zuspruch für das Leid der Geplagten werden nie vergessen sein.

VI

Vorwort

Aus meiner post-universitären Wissenschaftszeit möchte ich vor allem Holger Nemetz danken, der die Umgewöhnung von der fränkischen Idylle in die schwäbische Metropole intellektuell wie menschlich begleitete und erleichterte. Zuletzt möchte ich die Wichtigkeit des uneingeschränkten Rückhalts meiner Familie – Andrea, Klaus und Sabine – hervorheben und ihnen hierfür bedingungslosen Dank aussprechen. Dies gilt insbesondere meinen Eltern, ohne sie wäre ich nicht hier und die Seiten wären leer. Ihnen möchte ich diese Arbeit widmen. Stuttgart, Mai 2019

Thomas Himmer

Inhaltsübersicht Vorwort ........................................................................................................ V Inhaltsverzeichnis ........................................................................................ IX Abkürzungsverzeichnis .......................................................................... XVIII

Einleitung ................................................................................................... 1 Kapitel 1: Grundlagen ............................................................................ 3 § 1 Das Phänomen des Konzerns ................................................................. 3 § 2 Das Phänomen der europäischen Konzerninsolvenz ........................... 19 § 3 Das europäische Konzerninsolvenzrecht ............................................. 36

Kapitel 2: Das europäische Konzerninsolvenzrecht vor der Reform ....................................................................................... 40 § 4 Europäisches Recht – EuInsVO a. F. ................................................... 40 § 5 Internationale Ansätze ......................................................................... 60 § 6 Nationale Rechtsordnungen ................................................................. 65 § 7 Zusammenfassung ............................................................................... 77

Kapitel 3: Das Konzerninsolvenzrecht der EuInsVO de lege lata .............................................................................................. 78 § 8 Grundlagen der Reform und zu berücksichtigende Materialien ........... 78

VIII

Inhaltsübersicht

§ 9 Die Zwecke des Konzerninsolvenzrechts ............................................ 82 § 10 Verfahrenskonzentration ................................................................... 107 § 11 Verfahrenskooperation und -koordination ......................................... 181

Kapitel 4: Résumé: Plädoyer für einen flexiblen Ansatz innerhalb eines europäischen Konzerninsolvenzrechtssystems ...................................................... 444 Thesen ..................................................................................................... 450 Fundstellenverzeichnis .............................................................................. 455 Literaturverzeichnis ................................................................................... 459 Sachregister ............................................................................................... 481

Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................................................................................ V Inhaltsübersicht .......................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis .......................................................................... XVIII

Einleitung ................................................................................................... 1 Kapitel 1: Grundlagen ............................................................................ 3 § 1 Das Phänomen des Konzerns ................................................................ 3 A.

B.

Die Konturierung des Konzernbegriffs .................................................. 4 I. Der Konzern in der Betriebswirtschaftslehre ................................. 5 1. Die wirtschaftliche Entscheidungs- und Handlungseinheit ...... 5 2. Die Verbindung über eine einheitliche unternehmerische Führung .................................................................................... 5 II. Der Konzern im Recht ................................................................... 7 III. Ursachen einer Konzernierung .................................................... 13 IV. Konzernstrukturen ....................................................................... 14 Konklusion für den Konzernbegriff dieser Arbeit ............................... 17

§ 2 Das Phänomen der europäischen Konzerninsolvenz ........................... 19 A. B.

Bestandsaufnahme ............................................................................... 19 Ursachenforschung .............................................................................. 26 I. Der rechtsträgerbezogene Ansatz in der Konzerninsolvenz ........ 26 II. Die betriebswirtschaftlichen Ursachen einer Konzerninsolvenz .. 28 1. Leistungswirtschaftliche Verflechtungen ............................... 28 2. Finanzwirtschaftliche Verflechtungen ................................... 29 a) Cash-Management-Systeme ............................................. 30 b) Wechselseitige Besicherungen ......................................... 35

§ 3 Das europäische Konzerninsolvenzrecht ............................................. 36

X

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 2: Das europäische Konzerninsolvenzrecht vor der Reform ....................................................................................... 40 § 4 Europäisches Recht – EuInsVO a. F. .................................................. 40 A. B.

C.

Mangel an Vorschriften zu Konzernsachverhalten .............................. 40 Das COMI ........................................................................................... 43 I. COMI in der EuInsVO a. F. ........................................................ 43 1. Ort der strategischen Leitungsentscheidungen (mind of management) ........................................................... 45 2. Ort der effektiven Hauptverwaltung ...................................... 48 3. Hauptort der werbenden Geschäftstätigkeit (business activity) .................................................................. 51 II. COMI nach der Rechtsprechung des EuGH ................................ 52 Kooperationserwägungen .................................................................... 55 I. Tochterunternehmen als Niederlassungen ................................... 55 II. Im Kontext von Sekundärinsolvenzverfahren ............................. 57

§ 5 Internationale Ansätze ......................................................................... 60 A. B. C. D.

UNCITRAL-Modellgesetz .................................................................. 61 Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication in Cross-Border-Cases ............................................................................. 62 CoCo-Guidelines der INSOL Europe .................................................. 63 Cross-Border Insolvency Concordat .................................................... 64

§ 6 Nationale Rechtsordnungen ................................................................ 65 A. B.

Gesellschafts- und vertragsrechtlich begründete Kooperation ............. 66 I. Im Regelinsolvenzverfahren ........................................................ 66 II. In der Eigenverwaltung ............................................................... 69 Verfahrensrechtlich begründete Kooperation ...................................... 70 I. Einheitliche Verwalterbestellung durch das Gericht am COMI ... 71 II. Nationales Konzerninsolvenzrecht .............................................. 72 III. Kooperation der Gerichte ............................................................ 73 IV. Kooperation der Verwalter .......................................................... 75

§ 7 Zusammenfassung ............................................................................... 77

Inhaltsverzeichnis

XI

Kapitel 3: Das Konzerninsolvenzrecht der EuInsVO de lege lata .............................................................................................. 78 § 8 Grundlagen der Reform und zu berücksichtigende Materialien .......... 78 § 9 Die Zwecke des Konzerninsolvenzrechts ............................................. 82 A. B. C.

D. E.

Primärziel der Gewährleistung einer reibungslosen Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes zur Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ............................. 84 Effizienz und Effektivität der Verfahren als Mittel und Ziel für einen funktionsfähigen Binnenmarkt ................................................... 85 Konkrete insolvenzspezifische Ziele ................................................... 88 I. Bestmögliche Gläubigerbefriedigung .......................................... 88 II. Keine vollständige formale Gläubigergleichbehandlung, sondern bestmögliche Allokation der Haftungsmasse zwischen mehreren Rechtsträgern ............................................... 90 III. Förderung des Sanierungsgedankens ........................................... 93 1. Sicherung des Unternehmertums, der Arbeitnehmerschaft und der Gesamtwohlfahrt ...................... 93 2. Das Verhältnis des Sanierungsgedankens zum Zweck der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung ............................. 97 IV. Marktbereinigende Kraft des Insolvenzverfahrens ...................... 98 V. Verhinderung von Forum Shopping in Form einer betrügerischen oder rechtsmissbräuchlichen Gerichtsstandsverlagerung .......................................................... 99 1. Das ambivalente Verständnis von Forum Shopping .............. 99 2. Verhinderung von Forum Shopping als Zweckkumulation ... 102 Beschränkung durch Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip .............................................................. 105 Fazit .................................................................................................. 106

§ 10 Verfahrenskonzentration ................................................................... 107 A. B.

Nutz- und Kosteneffekte einer Konzentration ................................... 107 Reine Verfahrenskonzentration am gemeinsamen COMI .................. 109 I. Ausgestaltung in der EuInsVO .................................................. 110 II. Bestimmung des COMI ............................................................. 111 1. Vermutungsregelung für den satzungsmäßigen Sitz ............ 113 2. Die Widerlegbarkeit der Vermutung .................................... 114 3. Der Missbrauchsvorbehalt bezüglich Gerichtsstandsverlagerungen ............................................... 119

XII

C.

D.

E.

F.

Inhaltsverzeichnis

a) Betrügerische oder rechtsmissbräuchliche Gerichtsstandsverlagerungen .......................................... 120 b) Praktiken der Mitgliedstaaten und Überlegungen im Gesetzgebungsprozess .................................................... 126 c) Die Retrospektivfrist – institutionalisiertes Missbrauchsverbot ......................................................... 131 4. Feststellbarkeit des COMI für Dritte .................................... 134 III. Verfahrensrechtliche Absicherungen ......................................... 137 1. Prüfung von Amts wegen ..................................................... 138 2. Begründungspflicht .............................................................. 140 3. Rechtsbehelfe ....................................................................... 141 IV. Sekundärinsolvenzverfahren bei einheitlichem COMI .............. 143 V. Fazit .......................................................................................... 146 Sinnhaftigkeit anderer Konzentrationsorte ........................................ 146 I. Wahlgerichtsstand ..................................................................... 148 II. Gerichtsstand nach dem Prioritätsprinzip .................................. 150 III. Konzern-COMI ......................................................................... 151 IV. Fazit .......................................................................................... 154 Effizienzsteigerung durch Harmonisierung ....................................... 155 I. Harmonisierung der Gläubigerrechte und -schutzvorschriften ... 156 II. Harmonisierung der Restrukturierungs- und Sanierungsvorschriften .............................................................. 158 III. Harmonisierung weiterer Rechtsgebiete zur Vermeidung von Rechtsspaltung ............................................... 163 Besondere Konzentrationsmethoden ................................................. 164 I. Verfahrenskonsolidierung ......................................................... 164 1. Beschreibung ....................................................................... 164 2. Umsetzungsüberlegungen im Zuge der Reform als strategische Option B ..................................................... 166 3. Fazit ..................................................................................... 168 II. Substantielle Konsolidierung .................................................... 168 1. Beschreibung ....................................................................... 168 2. Ablehnung auf europäischer Ebene ..................................... 170 3. Mögliche Anwendungsfälle ................................................. 172 a) Betrügerische Zwecke .................................................... 175 b) Vermögensvermengung .................................................. 177 4. Fazit ..................................................................................... 179 Zusammenfassung ............................................................................. 180

§ 11 Verfahrenskooperation und -koordination ........................................ 181 A. B.

Terminologische Abgrenzungen ........................................................ 182 Anwendungsbereich .......................................................................... 183

Inhaltsverzeichnis

I.

C.

XIII

Die Unternehmensgruppe .......................................................... 184 1. Das Mutterunternehmen ....................................................... 184 a) Der Rückgriff auf die Bilanzrichtlinie ............................ 186 aa) Tatsächliche Konsolidierung als Tatbestandsvoraussetzung ...................................... 188 bb) Das legal-control-Konzept als Basis einer Konsolidierungspflicht nach der EuBilanzRL ........ 190 cc) Ermessensspielräume der Mitgliedstaaten zur Schaffung einer weiterführenden Konsolidierungspflicht ........................................... 194 dd) Ausnahme bei nach IFRS bilanzierenden Unternehmen .......................................................... 198 b) Das Kontrollkriterium .................................................... 199 aa) Kontrolle im Sinne der EuBilanzRL, IFRS und UNCITRAL ........................................................... 199 bb) Das economic-control-Konzept als Grundlage des Kontrollkriteriums ........................................... 201 cc) Der Auffangtatbestand ........................................... 203 2. Das Tochterunternehmen ..................................................... 206 3. Der Unternehmensbegriff .................................................... 207 4. Ausschluss ausgewählter regulierter Branchen .................... 208 II. Territorialer Anwendungsbereich .............................................. 210 1. Das grenzüberschreitende Element ...................................... 210 2. Drittstaatenberührung .......................................................... 211 III. Verhältnis zwischen nationalem und europäischem Konzerninsolvenzrecht .............................................................. 214 IV. Fazit .......................................................................................... 216 Allgemeine Verfahrenskooperation ................................................... 217 I. Grundlagen und spezifischer Anwendungsbereich .................... 218 1. Der Verwalterbegriff ............................................................ 218 2. Der funktionelle Gerichtsbegriff .......................................... 222 3. Nutzeffekte einer Verfahrenskooperation ............................ 224 4. Kooperationspflichten und deren Notwendigkeit ................. 227 5. Keine Kooperation mit solventen Unternehmen .................. 232 6. Kooperation unter Einbeziehung von Sekundär- bzw. Partikularinsolvenzverfahren ............................................... 234 II. Zusammenarbeit und Kommunikation der Insolvenzverwalter .. 235 1. Kooperationszeitraum .......................................................... 235 2. Voraussetzungstrias ............................................................. 237 a) Erleichterung der wirksamen Abwicklung der Verfahren ................................................................. 237 b) Vorbehalt der nationalen Vorschriften ........................... 238 aa) Inhaltliche Anforderungen ..................................... 240

XIV

Inhaltsverzeichnis

(1) Berücksichtigung nationaler Insolvenzverfahrenszwecke .............................. 240 (2) Postulat der persönlichen Amtsführung ............ 244 bb) Formerfordernisse .................................................. 245 cc) Verfahrensanforderungen, insbesondere Mitwirkungspflichten ............................................. 245 c) Keine Interessenkonflikte ............................................... 247 3. Modus operandi ................................................................... 248 a) Kooperationsmedium ..................................................... 248 b) Abschluss von Vereinbarungen oder Verständigungen ... 250 aa) Ursprung aus protocols .......................................... 251 bb) Rechtsverbindlichkeit der Absprachen ................... 252 cc) Berechtigte und Verpflichtete ................................ 256 c) Kommunikationssprache ................................................ 258 4. Inhalt der Zusammenarbeit .................................................. 259 a) Informationsvermittlung ................................................. 260 aa) Informationspflichten ............................................. 261 bb) Qualität der Informationspflicht ............................. 262 cc) Gegenstand der Informationspflicht ....................... 262 dd) Vorbehalt geeigneter Vorkehrungen zum Schutz vertraulicher Informationen ................ 264 b) Überprüfung einer Koordinierungsmöglichkeit und tatsächliche Koordination der Verwaltung .............. 265 aa) Allgemeine Verfahrensabstimmung ....................... 265 bb) Abstimmung hinsichtlich einer einheitlichen Verwertung oder Übertragung ................................ 266 cc) Auflösung konzerninterner Verflechtungen und Streitigkeiten ................................................... 268 c) Überprüfung einer Sanierungsmöglichkeit und Abstimmung bezüglich eines koordinierten Sanierungsplans .............................................................. 269 aa) Überprüfung einer Sanierungsmöglichkeit ............. 269 bb) Gestaltungsmöglichkeiten einer Sanierung ............ 271 cc) Inhalt eines Sanierungsplans .................................. 272 (1) Leistungswirtschaftliche Faktoren .................... 273 (2) Finanzwirtschaftliche Faktoren ......................... 276 (3) Organisatorische Faktoren ................................ 280 5. Befugnisübertragung an Verwalter aus der Mitte ................ 281 6. Fazit ..................................................................................... 284 III. Zusammenarbeit und Kommunikation der Insolvenzgerichte ... 285 1. Kooperationszeitraum .......................................................... 286 2. Voraussetzungstrias ............................................................. 287 3. Bestellung eines Intermediärs .............................................. 288

Inhaltsverzeichnis

D.

XV

4. Modus operandi ................................................................... 291 5. Inhalt der Zusammenarbeit .................................................. 295 a) Koordinierung bei der Bestellung von Verwaltern ......... 295 b) Informationsvermittlung ................................................. 300 aa) Informationspflichten ............................................. 300 bb) Qualität und Prozedere der Informationspflicht ...... 301 cc) Gegenstand der Informationspflicht ....................... 302 c) Koordination der Verwaltung und Überwachung der Insolvenzmasse und Geschäfte der Mitglieder ............... 304 d) Koordinierung von Verhandlungen ................................ 305 e) Koordinierung der Zustimmung zu einer Verständigung der Verwalter .......................................... 305 6. Fazit ..................................................................................... 308 IV. Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Insolvenzverwaltern und Gerichten (Art. 58 EuInsVO) ............ 308 1. Modus operandi ................................................................... 310 2. Inhalt der Zusammenarbeit .................................................. 310 V. Rechte des Verwalters ............................................................... 312 1. Allgemeines ......................................................................... 312 2. Gewährleistung einer effektiven Verfahrensdurchführung ... 315 3. Rechte .................................................................................. 315 a) Recht auf Gehör ............................................................. 315 b) Antragsrecht auf Aussetzung der Verwertung ................ 318 aa) Gegenstand der Aussetzung ................................... 318 bb) Voraussetzungen .................................................... 320 cc) Gerichtliche Überprüfung ...................................... 323 dd) Sicherungsmaßnahmen ........................................... 326 ee) Befristung der Aussetzung ..................................... 328 c) Recht auf Beantragung eines GruppenKoordinationsverfahrens ................................................ 329 4. Fazit ..................................................................................... 329 VI. Kosten ....................................................................................... 330 1. Kostentragung ...................................................................... 330 2. Wertbeanspruchung ............................................................. 332 3. Konflikt mit nationalen Zwecksetzungen ............................ 333 VII. Durchsetzungs- und Sanktionsmaßnahmen ............................... 334 VIII. Zusammenfassung und Fazit ..................................................... 336 Gruppen-Koordinationsverfahren ...................................................... 337 I. Verfahrenseinleitung ................................................................. 340 1. Eröffnungsantrag ................................................................. 340 a) Antragsbefugnis der Verwalter ....................................... 340 b) Gerichtliche Zuständigkeit ............................................. 343 aa) Der institutionelle Gerichtsbegriff .......................... 344

XVI

Inhaltsverzeichnis

II.

bb) Prioritätsgrundsatz ................................................. 345 cc) Antragszeitpunkt .................................................... 348 dd) Gerichtsstandsvereinbarung ................................... 350 c) Auf den Antrag anwendbares Recht ............................... 355 d) Antragsinhalt .................................................................. 356 aa) Vorschlag bezüglich der Person des Koordinators .. 357 bb) Darlegung eines Gruppen-Koordinationskonzepts .. 358 cc) Liste der für die Mitglieder der Gruppe bestellten Verwalter, der zuständigen Gerichte und anderer zuständiger Behörden ............................................. 360 dd) Darstellung der geschätzten Kosten und der jeweiligen Anteile für die Gruppenmitglieder ........ 362 2. Vorprüfung durch das zuständige Gericht ........................... 364 a) Prüfungsmaßstab ............................................................ 365 b) Prüfungsinhalt ................................................................ 366 c) Rechtliches Gehör der Verwalter ................................... 369 3. Zwischenverfahren ............................................................... 370 a) Gerichtliche Mitteilung an die Verwalter ....................... 370 b) Einwände der Verwalter gegen die Einbeziehung oder den Koordinator ...................................................... 372 c) Sonstige Einwände der Verwalter .................................. 377 d) Abänderbarkeit des Antrags ........................................... 378 4. Eröffnungsentscheidung des Gerichts .................................. 378 a) Voraussetzung einer positiven Eröffnungsentscheidung . 378 b) Eröffnungsentscheidung ................................................. 380 c) Bekanntmachung ............................................................ 381 d) Rechtsmittel gegen die Entscheidung ............................. 382 Koordinationsverfahren ............................................................. 383 1. Koordinator .......................................................................... 383 a) Anforderungen ............................................................... 383 b) Bestellungsverfahren ...................................................... 387 c) Aufgaben ........................................................................ 390 aa) Festlegen und Darstellen von Empfehlungen für die koordinierte Durchführung der Insolvenzverfahren ................................................. 391 bb) Vorschlag eines Gruppen-Koordinationsplans ....... 392 (1) Verfahren und Voraussetzungen ....................... 393 (2) Inhalt des Plans ................................................. 395 d) Rechte ............................................................................ 400 aa) Recht auf Gehör und Mitwirkungsrecht ................. 400 bb) Informationsrecht ................................................... 402 cc) Vermittlungsrecht bei Streitigkeiten ....................... 404 dd) Antragsrecht auf Aussetzung der Verwertung ........ 405

Inhaltsverzeichnis

XVII

e) Zusammenarbeit zwischen den Verwaltern und dem Koordinator ...................................................... 410 f) Sprachenregelung ........................................................... 412 g) Sanktionssystem ............................................................. 414 aa) Keine europäische Haftungsnorm .......................... 414 bb) Abberufung ............................................................ 415 2. Comply-or-Explain-Mechanismus ....................................... 420 3. Opt-in und Opt-out nach Eröffnung des Koordinationsverfahrens ................................................ 424 a) Nachträgliches Opt-in ..................................................... 424 b) Nachträgliches Opt-out ................................................... 430 4. Kosten .................................................................................. 430 a) Kostenüberwachung ....................................................... 430 b) Kostenendabrechnung und -aufteilung ........................... 433 aa) Verfahren ............................................................... 433 bb) Kostenentscheidung ............................................... 435 cc) Kostenbestandteile ................................................. 437 5. Beendigung des Verfahrens ................................................. 440 III. Zusammenfassung und Fazit ..................................................... 440

Kapitel 4: Résumé: Plädoyer für einen flexiblen Ansatz innerhalb eines europäischen Konzerninsolvenzrechtssystems ...................................................... 444 Thesen ..................................................................................................... 450 Fundstellenverzeichnis .............................................................................. 455 Literaturverzeichnis ................................................................................... 459 Sachregister ............................................................................................... 481

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. E. a. F. Abb. ABI L. Rev. ABl. ABlEG ABlEU Abs. ADD AEUV AG AHB AktG ALI Alt. Am. Bankr. L.J. Anm. Art. AStV Aufl. BaFin BAG Bankr. D. Del. Bankr. D.D.C. Bankr. E. D. Tenn. Bankr. S.D.N.Y. BB BCC Bd. BeckBilKomm BeckOK BeckOGK BeckRS Begr. BegrRegE Beschl. BGB

andere Ansicht am Ende alte Fassung Abbildung American Bankruptcy Institute Law Review Amtsblatt Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Addendum Vertrag über die Arbeitsweise der europäischen Union Amtsgericht; Aktiengesellschaft; Die Aktiengesellschaft [Zeitschrift] Anwalts-Handbuch Aktiengesetz American Law Institute Alternative American Bankruptcy Law Journal Anmerkung Artikel Ausschuss der Ständigen Vertreter Auflage Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Bankruptcy Court for the District of Delaware Bankruptcy Court for the District of Columbia Bankruptcy Court for the Eastern District of Tennessee Bankruptcy Court for the Southern District of New York Betriebsberater [Zeitschrift] British Company Law Cases Band Beck'scher Bilanz-Kommentar Beck'scher Online-Kommentar beck-online.GROSSKOMMENTAR Beck-Rechtsprechung Begründer Begründung Regierungsentwurf Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch

Abkürzungsverzeichnis

BGBl. BGH BGHZ BilMoG BMJ BPIR BR Brook. J. Int’l L. BRRD BT BV BVerfG c C. com. CEBS Ch Cir. Co. CoCo COD Colum. J. Eur. L. COM COMI Conn. J. Int'l L. D. d. h. DAV DB D.C. Cir. DE ders. dies. DJT Dok. Dr. DRiZ DRS Drs. DStR dt. DZWIR EBA EBOR EC ECFR ECLI ecolex

XIX

Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Bankruptcy and Personal Insolvency Reports Bundesrat Brooklyn Journal of International Law Bank Recovery and Resolution Directive Bundestag besloten vennootschap [niederländische Kapitalgesellschaft] Bundesverfassungsgericht chapter Code de Commerce Committee of European Banking Supervisors Chancery Division Circuit Cooperation Communication and Cooperation Kodezisionsverfahren [Ordentliches Gesetzgebungsverfahren] Columbia Journal of European Law Commission centre of main interest Connecticut Journal of International Law Recueil Dalloz [Zeitschrift] das heißt Deutscher Anwaltverein Der Betrieb [Zeitschrift] United States Court of Appeals for the District of Columbia Circuit Deutsch derselbe dieselbe; dieselben Deutscher Juristentag Dokument Doktor Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechnungslegungs Standards Drucksache Deutsches Steuerrecht [Zeitschrift] deutsch; deutsches Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht European Banking Authority European Business Organization Law Review European Commission European Company and Financial Law Review European Case Law Identifier Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht

XX Ed. EDV EG EGAktG EGInsO EGV EG-ZustVO Einl. EIOPA EIR EL Emory Bankr. Dev. J. EN EnzEuR EP ERP ErwG ESMA ESUG et al. EU EuBilanzRL EuErbVO EuGH EuGVÜ EuInsÜ EuInsVO EuInsVO-E europ. EuropUR EUV EuZW EWG EWHC EWiR EWS EWSA f.; ff. FK-InsO Fn. FR FS GA GA. L. Rev. gem. GemS-OGB GesRRL

Abkürzungsverzeichnis

Edition elektronische Datenverarbeitung Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Aktiengesetz Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäische Zustellungsverordnung Einleitung European Insurance and Occupational Pensions Authority European Insolvency Regulation Ergänzungslieferung Emory Bankruptcy Developments Journal Englisch Enzyklopädie Europarecht Europäisches Parlament Enterprise-Ressource-Planning Erwägungsgrund; Erwägungsgründe European Securities and Markets Authority Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen et alii Europäische Union Europäische Bilanzrichtlinie Europäische Erbrechtsverordnung Europäischer Gerichtshof Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen Europäisches Übereinkommen über Insolvenzverfahren Europäische Insolvenzverordnung Entwurf zur Europäischen Insolvenzverordnung europäische Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft High Court of England and Wales Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Zeitschrift Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss folgende; fortfolgende Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung Fußnote Französisch Festschrift Generalanwalt; Generalanwältin Georgia Law Review gemäß Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gesellschaftsrechtsrichtlinie

Abkürzungsverzeichnis

GG ggf. GKG GmbH GmbHG GmbHR GmS-OGB GRCh Großkomm. GRP GVG H.L.J. HambK-InsO Hdb HGB HHJ [...] QC HHGH HK-InsO Hrsg. Hs. i. e. S. i. S. d. i. w. S. IAS IBA IDW IEHC IFRS III IILR IL Pr. Inc. InsR InsO InsVV Int. Int. Insolv. Rev. IPR IPRax IT JCP G JNPÖ JPIL JURI jurisPR-InsR JuS JZ

XXI

Grundgesetz gegebenenfalls Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Charta der Grundrechte der Europäischen Union Großkommentar Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union Gerichtsverfassungsgesetz Hastings Law Journal Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht Handbuch Handelsgesetzbuch His/Her Honour Judge […] Queen's Counsel Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung Herausgeber Halbsatz im engeren Sinne im Sinne der/des im weiteren Sinne International Accounting Standards International Bar Association Institut der Wirtschaftsprüfer Irish High Court Judgments International Financial Reporting Standards International Insolvency Institute International Insolvency Law Review International Litigation Procedure Incorporated [Kapitalgesellschaft der Vereinigten Staaten] Insolvenzrecht Insolvenzordnung Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung International/Internationales International Insolvency Review Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts [Zeitschrift] Informationstechnik La Semaine Juridique – Edition générale [Zeitschrift] Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie Journal of Private International Law Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments juris PraxisReport Insolvenzrecht Juristische Schulung [Zeitschrift] JuristenZeitung

XXII Kap. KG KGaA KK-AktG KMU KO KOM KonkursR KonzernbilanzRL KSzW KTS KWG Lfg. LG lit. Lit. LSZ Ltd LugÜ m. w. N. MEP MJ Mrd. MüKoAktG MüKoBGB MüKoBilanzR MüKoHGB MüKoInsO MüKoZPO MwStR n. F. N.J.L.J. NAFTA NIPR NJW NJOZ No. Nov. Nr. NV NZA NZG NZI NZLR OGH

Abkürzungsverzeichnis

Kapitel Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Kölner Kommentar zum Aktiengesetz kleine und mittlere Unternehmen Konkursordnung Kommission Konkursrecht Konzernbilanzrichtlinie Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Insolvenzrecht Gesetz über das Kreditwesen Lieferung Landgericht littera Literatur Österreichische Zeitschrift für Rechts- und Staatswissenschaft Limited [Kapitalgesellschaft vieler Länder des Commonwealth] Lugano-Übereinkommen mit weiterem Nachweis; mit weiteren Nachweisen Member of the European Parliament Maastricht Journal of European and Comparative Law Milliarden Münchener Kommentar zum Aktiengesetz Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Münchener Kommentar zum Bilanzrecht Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung MehrwertSteuerrecht [Zeitschrift] neue Fassung New Jersey Law Journal North American Free Trade Agreement Nederlands Internationaal Privaatrecht [Zeitschrift] Neue Juristische Wochenschrift Die Neue Juristische Online-Zeitschrift Numero November Nummer naamloze vennootschap [niederländische und belgische Kapitalgesellschaft] Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht New Zealand Law Reports Oberster Gerichtshof [Österreich]

Abkürzungsverzeichnis

OHADA OHG ÖJZ OLG para. Pitt. L. Rev plc Prof. RA RabelsZ Ratsdok. RCDIP Rev. proc. coll. RGZ RIW RL Rn. RPflG Rs. Rspr.; st. Rspr. rt. Rz. s S. S. D. N. Y. S.Ct. SA; S.A.

SARL; S.A.R.L. SAS SchlA SE sec. SEV s.r.o. SL Slg. sog. SRM sublit.

XXIII

Organisation pour l’harmonisation en Afrique du droit des affaires Offene Handelsgesellschaft Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht paragraph University of Pittsburgh Law Review public limited company [Kapitalgesellschaft des Vereinigten Königreichs] Professor/Professorin Rechtsanwalt; Rechtsanwältin Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Ratsdokument Revue critique de droit international prive [Zeitschrift] Revue des procédures collectives [Zeitschrift] Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft [Zeitschrift] Richtlinie Randnummer; Randnummern Rechtspflegergesetz Rechtssache Rechtsprechung; ständige Rechtsprechung részvénytársaság [ungarische Kapitalgesellschaft] Randziffer; Randziffern section Seite Southern District of New York Supreme Court Reporter société anonyme [belgische, luxemburgische und französische Kapitalgesellschaft]; sociedade por ações [brasilianische Kapitalgesellschaft]; sociedad anónima [spanische Kapitalgesellschaft] société à responsabilité limitée [französische Kapitalgesellschaft] société par actions simplifiée [französische Kapitalgesellschaft] Schlussantrag Societas Europaea section Sammlung der Europäischen Verträge společnost s ručením omezeným [tschechische Kapitalgesellschaft] sociedad de responsabilidad limitada [spanische Kapitalgesellschaft] Sammlung sogenannte; sogenannten; sogenanntes Single Resolution Mechanismus sublittera

XXIV Sup. Ct. Econ. Rev. SWD Syst. Darst. Tex. Int’l L. J. u. u. a. U. Pitt. L. Rev U.S.C. UAbs. UEAPME UK UN UNCITRAL UntInsRL-E Urt. US; U.S. USA v. v. H. Vand. L. Rev. vgl. VO Vol. Vorb.; Vorbem. VwVfG WM WPg WpHG z. B. ZEuP ZfB ZfRV ZGR ZHR Ziff. ZIK ZInsO ZIP zit. ZPO ZRP ZustVO ZVglRWiss ZZP

Abkürzungsverzeichnis

Supreme Court Economic Review Staff Working Document Systematische Darstellung Texas International Law Journal und unter anderem University of Pittsburgh Law Review United States Code Unterabsatz Union Européenne de l‘Artisanat et des Petites et Moyennes Entreprises United Kingdom United Nations United Nations Commission on International Trade Law Entwurf zur Unternehmensinsolvenzrichtlinie Urteil United States United States of America versus; vom; von von Hundert Vanderbilt Law Review vergleiche Verordnung Volume Vorbemerkung Verwaltungsverfahrensgesetz Wertpapier-Mitteilungen [Zeitschrift] Die Wirtschaftsprüfung [Zeitschrift] Wertpapierhandelsgesetz zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für Europarecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für Wissenschaft und Rechtspraxis des Unternehmensrechts Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer; Ziffern Zeitschrift für Insolvenzrecht und Kreditschutz Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zustellungsverordnung Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess

Einleitung „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der Konzerninsolvenz.“ 1 Wenngleich die Konzerninsolvenz vielfach eine große Kraft der Zerrüttung im Gefolge hat, handelt es sich um keinen Vorboten des europäischen gesamtwirtschaftlichen Niedergangs. Ganz im Gegenteil. Dass die Blüten des Kapitalismus in Gestalt der Konzerne vermehrt im Schatten des wirtschaftlichen Scheiterns verblassen, stellt dem Grunde nach die logische Konsequenz eines funktionierenden marktwirtschaftlichen Systems dar. Infolge der verstärkt voranschreitenden Integration in Europa und der weltweiten Globalisierung entstehen neue Märkte, in welche Unternehmen vordringen und in die sie auf Basis ihres wirtschaftlichen Erfolges ihre Unternehmensstrukturen ausdehnen. Der internationale Konzern erstarkte daher zu einer der am weitverbreitetsten Organisationsformen in Europa. Das freie Spiel der Kräfte fordert jedoch seinen Tribut. Je mehr Konzerne entstehen und je intensiver der Wettbewerb wird, desto mehr Konzerne haben sich wiederum dem Schicksal der Insolvenz zu fügen, um sich im Zuge dieser neu zu strukturieren oder den Markt zu räumen, sodass neue Unternehmensverbindungen entstehen und ihren Platz einnehmen können.2 Die Insolvenz – auch eines ganzen Konzerns – kann demgemäß ein notwendiges Stadium in dem Lebenszyklus des Wirtschaftssubjekts Unternehmen sein und ist essenziell für die Funktionsfähigkeit eines Wirtschaftssystems. Kommt es zur Krise, obliegt es den Verantwortlichen, diese zu identifizieren und alle Maßnahmen zu ergreifen, um die Misere abzuwehren. Wurde die Schieflage nicht erkannt oder wurden alle Mittel zur Krisenbeseitigung erfolglos ausgereizt, ist das Instrument der Insolvenz in Form eines geregelten Verfahrens unverzichtbar. Würde man die Unternehmen in dieser Phase den Kräften des Marktes überlassen, wäre ein geordnetes Verfahren zum Schutze aller Wirtschaftsbeteiligten schwer zu gewährleisten. Die Insolvenz würde sich wahrlich zu einem „Wertvernichter schlimmster Art“3 entfalten. Im Falle einer

1 In Anlehnung an den Eröffnungssatz aus dem Manifest der Kommunistischen Partei von Karl Marx und Friedrich Engels aus dem Jahre 1884. 2 SWD(2012) 416 final (EN), S. 17 f. 3 So eine vielzitierte Wendung zum einstigen deutschen Konkurs von Jaeger, KonkursR, 8. Aufl. 1932, S. 216.

2

Einleitung

Konzerninsolvenz wäre nicht nur Zerrüttung, sondern ein großes Maß an Zerstörung die Folge. Die Insolvenzordnungen der Europäischen Union werden indes von jedem Mitgliedstaat eigenständig vorgegeben. Zur Abstimmung der Insolvenzrechtssysteme innerhalb der Europäischen Union wurde daher – in einem langen politischen Prozess mit vielen Kompromissen – ein Rechtsrahmen in Form der Europäischen Insolvenzverordnung vom 29.5.2000 realisiert. Leider wurde zu diesem Zeitpunkt das Phänomen der Konzerninsolvenz noch vollständig verkannt, sodass dessen Eigenarten in dem geschaffenen Rechtsrahmen keine Berücksichtigung fanden. Aus diesem Grund war es überhaupt erst möglich, dass sich aus der Erscheinung der Konzerninsolvenz ein „Gespenst“ entwickeln konnte, welches im Stande war, im europäischen Umfeld sein Unwesen zu treiben. Die geordnete Insolvenz eines Konzerns birgt besondere insolvenzrechtliche Herausforderungen, da die verbundenen Konzernunternehmen zumeist sukzessive, aber gleichwohl kollektiv in Insolvenzverfahren geraten. Es entstehen aus wirtschaftlicher sowie gesamtgesellschaftlicher Sicht komplizierte Verfahren, repräsentieren sie doch in der Regel sowohl hohe Vermögensmassen als auch eine erhebliche Anzahl von Arbeitsplätzen, deren Erhaltung im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse liegt. Eine besondere wirtschaftliche, politische und soziale Aufmerksamkeit ist garantiert. Es war die Praxis, die sich zunächst Wege bahnte, um dieser Situation Herr zu werden. Ebenso nahm die Wissenschaft Fragen und Lösungen rund um das Konzerninsolvenzrecht in zunehmendem Maß in ihr Portfolio auf. Das europäische Insolvenzrecht hat sich seitdem zu einem der dynamischsten, aber auch zu einem der problembeladensten Gebiete des Zivilverfahrensrechts entwickelt. Daher war es nur eine Frage der Zeit, bis der europäische Gesetzgeber selbst legislative Mechanismen zu entwickeln begann, um die negativ wirkenden Kräfte einer ungeregelten Konzerninsolvenz zu kanalisieren und zu lenken. Als Folge kam es am 20.5.2015 zur Annahme der reformierten Europäischen Insolvenzverordnung. Neben diversen Anpassungen lag ein Hauptaugenmerk der Reform darauf, Vorschriften hinsichtlich europäischer Konzerninsolvenzen in den Verordnungstext zu implementieren. Das europäische Konzerninsolvenzrecht hat es damit innerhalb weniger Jahre vom Schattendasein in das Rampenlicht geschafft. Welche Wirkkraft die nun existierenden europäischen Vorschriften entfalten können, soll in dieser Arbeit herausgearbeitet und analysiert werden.

Kapitel 1

Grundlagen § 1 Das Phänomen des Konzerns § 1 Das Phänomen des Konzerns

Wirtschaftshistorisch stammt das Konstrukt des Konzerns aus einer Zeit, in der sich die Wirtschaft stark von der Eigen- zu einer Fremdbedarfsdeckung wandelte. Die einzelnen Betriebe bezogen Bedarfsgüter über den wachsenden Markt und boten gleichzeitig die eigenen Produkte auf diesem an.1 Damit die Betriebe bei der Produktion nicht in wirtschaftliche Interdependenzen geraten konnten, fingen sie an, die Marktabhängigkeit sowohl bei der Beschaffung als auch beim Absatz über leistungswirtschaftliche Verbindungen zu durchbrechen.2 Zu solchen Zusammenschlüssen waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch nahezu ausschließlich wirtschaftsstarke Unternehmen fähig, sodass Konzernierungen hauptsächlich in Zusammenhang mit Großunternehmen entstanden und in der Unternehmenswelt noch rar gesät waren. Im Laufe des Jahrhunderts entwickelte sich die prosperierende Wirtschaftswelt dahingehend, dass eine Konzernierung aus einer Vielzahl von wirtschaftlichen sowie rechtlichen Gründen an Attraktivität gewann.3 Mit der zunehmenden Kapitalisierung der Unternehmenswelt erhielt der Konzern nunmehr auch Einzug in den Mittelstand und wurde aufgrund seiner Vorzüge schlussendlich charakteristisch für die moderne Wirtschaftsstruktur.4 Der Konzern stellt somit heutzutage die prototypische Betätigungsform5 für wirtschaftliche Unternehmungen dar.6 Gerade in einem einheitlichen europäischen Binnenmarkt, in dem Güter, 1 Diese Zeit war durch einen erheblichen technischen Fortschritt, ein sich rasch ausbreitendes Nachrichtenwesen und umfangreiche Kapitalinvestitionen in Unternehmungen geprägt, Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 61. 2 Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 60. 3 Siehe hierzu S. 13 ff. 4 Mit Blick auf die deutschen Konzernstrukturen wird dies deutlich: Insbesondere die GmbH ist ein beliebter Konzernbaustein, sodass nahezu die Hälfte aller bestehenden GmbH in einen Konzern integriert sind. Vgl. Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 17; Liebscher, GmbH-Konzernrecht, 2006, A Rn. 3 ff.; Meyer, GmbHR 2002, 177, 181 f.; Specovius/Kuske in: Gottwald, Insolvenzhandbuch, 5. Aufl. 2005, § 95 Rn. 3. 5 Wird im Folgenden von Betätigungsform gesprochen, wird dies als Synonym für Organisationsform gebraucht. 6 Mit Bezug auf den deutschen Rechtskreis Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 25; Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 701.

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Kapitel 1: Grundlagen

Personen, Dienstleitungen und Kapital schrankenlos zwischen den Mitgliedstaaten fließen können, ist die Bedeutung des Konzerns als Organisationsform unabdingbar geworden.7 A. Die Konturierung des Konzernbegriffs Der Terminus des Konzerns tritt im allgemeinen Sprachgebrauch in vielfältiger Ausprägung auf, ohne dass eine klare Umschreibung möglich ist.8 Im Volksmund wird er – aufgrund der besonderen Entstehungsgeschichte aus der Praxis des wirtschaftlichen Handelns heraus – zumeist verwandt, um die Faktizität einer wirtschaftlichen Unternehmensverflechtung oder gar einfach nur eines großen Unternehmens zu beschreiben. Eine konkrete Subsumtion des Sachverhaltes unter einen wissenschaftlichen Konzernbegriff wird nicht unternommen. Bei der Beschreibung des Konzerns im akademischen Kontext sollten dessen Attribute jedoch sachbezogen konstatiert werden, um das Untersuchungsobjekt eindeutig zu konkretisieren. Allerdings fällt auch eine wissenschaftliche Bedeutungsinterpretation des Konzernbegriffs im Kontext einer deutschsprachigen Anwendung mannigfaltig aus. Auf der einen Seite beschäftigt sich die Betriebswirtschaft mit dem Konzern als Erkenntnisobjekt jedoch intensiv erst seit den 1990er Jahren.9 Dies mag zunächst verwundern, da der Konzern selbst aus dem Streben nach wirtschaftlichem Handeln entstand und schon lange eine vorherrschende Organisationsform in der Unternehmenspraxis darstellte, ist jedoch darauf zurückzuführen, dass die Wirtschaftswissenschaften hinsichtlich des Konzerns vornehmlich deskriptiv wirkten und demnach keine Hast für ein Tätigwerden bestand. Auf der anderen Seite begann man, sich dem Konzern im juristischen Kontext schon Mitte der 1950er Jahre mit speziellen Rechtsregeln zuzuwenden. Das Konzernrecht entstand dabei weniger aus rechtswissenschaftlicher Expansionsfreude in wirtschaftswissenschaftliche Gefilde, es war vielmehr die Notwendigkeit des Verlangens nach Rechtsregeln, welche die Rechtswissenschaft dazu drängte, proaktiv einzugreifen.

7 Die „Organisationsform des multinationalen Unternehmens ist der Konzern“, Lutter in: FS Stimpel, 1985, 825, 826. 8 Etymologisch stammt der Begriff des „Konzerns“ von dem lateinischen Verb concernere ab, welches mit „unterschiedliches zusammenmischen“ übersetzt werden kann, Drosdowski, Duden Etymologie, 2. Aufl. 1989, S. 376. Die Verwendung im ökonomischen Kontext geht wohl auf den österreichischen Anwalt Landesberger – im Zusammenhang eines Gutachtens Landesberger, 26. DJT 1902, 2. Band, 294, 301 – zurück, vgl. Rehbinder, Konzernaußenrecht, 1969, S. 33. 9 Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 21.

§ 1 Das Phänomen des Konzerns

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I. Der Konzern in der Betriebswirtschaftslehre 1. Die wirtschaftliche Entscheidungs- und Handlungseinheit Auf Basis eines betriebswirtschaftlichen Konzernansatzes handelt es sich bei einem Konzern um eine Wirtschaftseinheit, welcher eine unanime unternehmerische Willensbildung zugrunde liegt, die auf ein einheitliches wirtschaftliches Ziel ausgerichtet ist.10 Im Zentrum der Betrachtung steht somit die Konzernunternehmung11 als Ganzes. Ausgehend von dieser Prämisse ist es Hauptaufgabe der betriebswirtschaftlichen Wissenschaft, im Zuge der Organisationslehre die Organisationsstrukturen der Konzernunternehmungen zu beschreiben. Dass die Organisation stets auf dem Fundament verschiedener rechtlich selbstständiger Unternehmen fußt, ist für die Konzernunternehmung als Organisationsform auf der einen Seite zwar wesensimmanent, die Aufteilung in einzelne Konzernunternehmen ist jedoch auf der anderen Seite kein begriffskonstituierendes Kriterium.12 Dem betriebswirtschaftlichen Konzernansatz geht es weniger darum, rechtliche Strukturmaßnahmen nachzuvollziehen. Er ist mehr darauf fokussiert, eine optimale Organisationsform des Wirtschaftens zu finden, und beschreitet hierzu den Weg einer prozessbezogenen, dynamischen Strukturanalyse der zur Verfügung stehenden organisatorischen Maßnahmen.13 Die Konzernunternehmung der Betriebswirtschaftslehre strebt somit danach, nach innen ein geschlossenes Konstrukt zu formen und mit diesem im Außenverhältnis bestmöglich an der Marktwirtschaft zu partizipieren.14 2. Die Verbindung über eine einheitliche unternehmerische Führung Damit die Konzernunternehmung trotz Aufspaltung auf mehrere rechtlich eigenständige Unternehmen als Entscheidungs- und Handlungseinheit agieren und somit wirtschaftliches Handeln als grundlegend betriebswirtschaftliche Aufgabe bestmöglich vollzogen werden kann, ist eine Form der Unternehmensinteraktion zwischen den Konzernunternehmen vonnöten. Ein zentrales Merkmal der Konzernunternehmung im betriebswirtschaftlichen Forschungsgebiet

10 Albach, ZfB 54 (1984), 773, 773; Bleicher in: Druey, St. Galler Konzernrechtsgespräch, 1988, 55, 56 f.; Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 8 ff.; Kirchner, ZGR 1985, 214, 214; Scheffler in: FS Goerdeler, 1987, 469, 472 f.; ders., Konzernmanagement, 2. Aufl. 2005, S. 1; Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 15 ff. 11 Der Begriff der „Konzernunternehmung“ soll gerade dann verwandt werden, wenn – in Abgrenzung zum rechtlichen Konzernunternehmen – von dem Konzern als wirtschaftliche Einheit im betriebswirtschaftlichen Sinne gesprochen wird, Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 17 f. u. 127. 12 Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 17. 13 Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 18. 14 Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 128.

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Kapitel 1: Grundlagen

liegt in der Ausgestaltung dieser Interaktion zwischen den Einheiten.15 So ist es Aufgabe der Konzernunternehmung, einen Weg zu finden, die auf die einzelnen Unternehmen aufgeteilten Produktionsfaktoren – im Sinne eines optimalen wirtschaftlichen Handelns – wieder zusammenzuführen. Diese Verbindung soll allerdings nicht im marktwirtschaftlichen System von Angebot und Nachfrage begründet liegen, da der Konzern über das Streben nach einer Wirtschaftseinheit eben gerade diese Marktmechanismen ausschalten möchte. Der Nutzen der Unternehmenssegmentierung wäre in solch einem Falle verloren. Die Allokation der Produktionsfaktoren soll so erfolgen, dass trotz der Aufspaltung der größtmögliche Nutzen für die Konzernunternehmung als Ganzes entsteht. Dies kann nur gelingen, wenn die auf unterschiedliche Konzernunternehmen aufgeteilten Produktionsfaktoren im Konzerninnenverhältnis einheitlich gesteuert werden. Die Zusammenführung der Konzernunternehmen erfolgt daher über den Weg der einheitlichen unternehmerischen Führung16, welche für die Ausrichtung der wirtschaftlichen Entscheidungs- und Handlungseinheit zuständig ist.17 Unter einheitlicher Führung im betriebswirtschaftlichen Sinne ist eine Konzernführung im funktionellen Sinne zuverstehen.18 Die konkrete Ausgestaltung dieser einheitlichen Führung kann so vielfältig sein wie die Konzernunternehmungen selbst. Hauptmerkmal ist jedenfalls, dass die unternehmerische Entscheidungsfreiheit an den Spitzen der einzelnen Konzernunternehmen soweit eingeschränkt ist, dass ein einheitlicher konzernweiter Führungsanspruch entsteht, der den geschäftsführenden Organen der einzelnen Konzernunternehmen eine Weisungsabhängigkeit vermittelt. 19 Für das betriebswirtschaftliche Konzernverständnis ist entscheidend, dass die einheit-

15 Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 15 u. 17; grundlegend hierzu Klages, Interaktionen, 1982. 16 Der Begriff der „einheitlichen unternehmerischen Führung“ wird in dieser Arbeit in Abgrenzung zur „einheitlichen Leitung“ verwandt, um das hohe Verwechslungspotenzial zu gleichlautenden rechtswissenschaftlichen Begriffen zu vermeiden. Darüber hinaus wird der Begriff der „Leitung“ der unternehmerischen Führung heutzutage nicht mehr gerecht, da die meisten Entscheidungen innerhalb eines Konzerns konsensuell und demnach nur gemeinsam mit den Leitungen der Tochtergesellschaften getroffen werden. Vgl. Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 8 f. 17 Bleicher in: Druey, St. Galler Konzernrechtsgespräch, 1988, 55, 57 ff.; Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 29; Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 8; Scheffler in: FS Goerdeler, 1987, 469, 471 ff.; ders., Konzernmanagement, 2. Aufl. 2005, S. 2; Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 15. 18 Diejenigen Instanzen, welchen die einheitlichen Handlungs- und Entscheidungsbefugnisse zugeordnet werden, haben die originären Führungsaufgaben wahrzunehmen. Hierunter fallen die Bestimmung der Unternehmenspolitik und der Konzernziele, die Organisation der Konzernstruktur, die Besetzung von Führungspositionen sowie das Konzern-Controlling. Vgl. Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 8 f. 19 Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 8.

§ 1 Das Phänomen des Konzerns

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liche Führung zur Erfüllung ihrer Funktion auch tatsächlich wahrgenommen wird, denn nur so ist ein zielorientiertes einheitliches Entscheiden möglich.20 Dem Konzern-Innenverhältnis können diverse intraorganisatorische Ansatzpunkte zugrunde liegen, die das Fundament der einheitlichen Führung bilden: Die wohl am häufigsten gewählte Verknüpfung entsteht über institutionenverbundene Unternehmen, das heißt die einheitliche Führung wird über eine mehrheitliche Beteiligung und damit eine Herrschaftsmacht des Mutterunternehmens begründet.21 Innerhalb dieser Beziehung lassen sich typische finanzwirtschaftliche Verflechtungen ausmachen, welche tatsächlich über eine einheitliche Leitung gesteuert werden. Zuvorderst zu nennen sind eine zentralisierte organisatorische Vereinheitlichung der Finanzierung über Cash-Management-Systeme sowie wechselseitige Besicherungen im Zuge der Finanzierung.22 Ein weiteres beliebtes Instrument zur Ausgestaltung des Konzern-Innenverhältnisses stellt die Organverflechtung dar, wodurch die Leitungs- und Kontrollfunktionen in den verschiedenen Konzernunternehmen durch die gleichen Personen ausgeübt werden und Führungsentscheidungen zum Wohle des Konzerns als Ganzen einheitlich getroffen werden können.23 Darüber hinaus existieren funktions- und ressourcenverbundene Unternehmen, wie Just-intime-Verbindungen, strategische Allianzen, Unternehmensnetzwerke oder Franchise-Verbindungen.24 Unter den betriebswirtschaftlichen Konzernbegriff fallen diese Unternehmensverbindungen jedoch nur, solange sie tatsächlich unter einer einheitlichen Führung zusammengefasst werden und demnach eine Entscheidungs- und Handlungseinheit darstellen. II. Der Konzern im Recht Der Terminus des Konzerns25 stammt – wie zuvor aufgezeigt – historisch betrachtet aus der wirtschaftlichen Betätigungspraxis und hat sich erst später zu Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 8. Ausführlich Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 138 ff. 22 Auf konzerninsolvenzspezifische Problemstellungen, die mit finanz- und mit leistungswirtschaftlichen Verflechtungen verbunden sind, wird später auf S. 28 ff. eingegangen. Ausführlich zu wirtschaftlichen Verflechtungen innerhalb eines Konzerns im Allgemeinen Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 45 ff. 23 Aschenbeck, NZG 2000, 1015, 1015 ff. Dabei können gesellschafterorientierte, (falls vorhanden) aufsichtsratsorientierte oder geschäftsführungsorientierte Verflechtungen entstehen, vgl. ausführlich Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 128 ff. Bei Interessenkonflikten muss das jeweils einschlägige nationale Recht geeignete Sicherungsmittel bereitstellen. So können in Deutschland gem. § 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AktG die Mitglieder des Aufsichtsrats der Konzernmutter nicht gleichzeitig Vertreter des abhängigen Unternehmens sein, vgl. Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 63. 24 Ausführlich Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 145 ff. 25 Im rechtlichen Kontext werden als Synonyme für Konzerne oftmals „Unternehmenszusammenschlüsse“, „Unternehmensverbünde“ oder „Unternehmensgruppen“ gewählt. In 20

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einem Rechtsbegriff entwickelt.26 Gemein ist dem Konzern in der Rechtswissenschaft, dass ihm keine eigene Rechtssubjektivität zugestanden wird. Er setzt sich aus einer Verbindung mehrerer rechtlich selbstständiger Konzernunternehmen zusammen. Es gilt – trotz der stimmigen wirtschaftlichen Organisation und Struktur des Konzerns auf Basis der einheitlichen Entscheidungs- und Handlungseinheit – nach den nationalen Rechtsordnungen europaweit das Trennungsprinzip, wonach jedes Unternehmen als Rechtsträger juristisch eigenständig ist. 27 Gerade diese Agglomeration selbstständiger Unternehmen stellt den Unterschied zum Einheitsunternehmen dar, welches in einzelne Abteilungen und Betriebsstätten aufgegliedert ist, die für sich keine eigene rechtliche Selbstständigkeit aufweisen. In seiner weiteren Ausgestaltung hat der Konzern jedoch sowohl in den nationalen als auch supranationalen Rechtsordnungen keine rechtlich einheitliche Entfaltung erfahren, sodass er heutzutage nicht als Terminus technicus in Erscheinung tritt. Wenn man es sich – wie im weitreichend beachteten deutschen Aktienkonzernrecht 28 – zur Aufgabe gemacht hat, dieses wirtschaftliche Gebilde mit Rechtsregeln zu versehen, bedeutet dies noch lange nicht, dass der Konzernbegriff der Betriebswirtschaftslehre als rechtliche Organisationsform beschrieben wird. Ähnliches gilt für die Konzernrechtskodifikationen in den Mitgliedstaaten Portugal, Ungarn, Slowenien und der Tschechischen Republik, die eine Vergleichbarkeit mit den deutschen Bestimmungen sowohl in Regelungsziel der englischen Rechtsterminologie wird meist von „Groups of companies“, „Groups of Undertakings“, „Corporate Groups“ oder „Enterprise Groups“ gesprochen (UNCITAL wechselte hinsichtlich der verwendeten Terminologie von „Corporate Groups“ zu „Enterprise Groups“). Im romanischen Rechtskreis ist „Groupes de Sociétés“ bzw. „Grupos de Sociedads“ gebräuchlich. Vgl. K. Schmidt, KTS 2010, 1, 5. Dieser beschreibt den „terminologischen Fahndungserfolg“ jedoch berechtigterweise als „Kalamität“ ohne wirklichen Zugewinn. 26 Oesch, Holdingbesteuerung, 1976, S. 66; Niemann in: Fachinstitut der Steuerberater, Steuerberater-Jahrbuch 1971/72, 1972, S. 233; Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 21. 27 Bayer/Trölitzsch in: Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, 5. Aufl. 2015, Rz. 8.12 m. w. N.; sowie Gutachten von Druey, 59. DJT 1992, Band I, Gutachten H, 5 ff. 28 Der aktienrechtliche Konzernbegriff aus § 18 AktG verlangt als Tatbestandsvoraussetzung eine einheitliche Leitung. Keine einheitliche Leitung jedoch eine Abhängigkeit zwischen den Unternehmen (zumindest bei Unterordnungskonzernen) ist für den aktienrechtlichen Oberbegriff der verbundenen Unternehmen gem. § 15 AktG nötig, sodass oftmals schon bei Unternehmensverbindungen im Sinne der §§ 16, 17 AktG von Konzernen gesprochen wird. Dabei geht dieser Sprachgebrauch über das in § 18 AktG normierte Recht der Konzerne hinaus und umfasst alle Arten von Unternehmensverbindungen. Der Begriff des Konzernrechts i. w. S. ist für die Konstellation des § 15 AktG geeigneter, MüKoAktG/Bayer, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn. 6. Wenn darüber hinaus das Gesetz selbst diese differenzierte Abstufung der Begrifflichkeit in § 97 Abs. 1 S. 1 AktG und § 100 Abs. 2 S. 2 AktG aushebelt und für das Vorliegen eines Konzerns lediglich an die Abhängigkeit anknüpft, ist es nicht verwunderlich, dass auch der allgemeine Sprachgebrauch die Abhängigkeit als ein entscheidendes Kriterium heranzieht und aus verbundenen Unternehmen Konzerne macht.

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als auch -dichte aufweisen.29 In diesen Rechtsquellen werden lediglich die unterschiedlichen Konzernbeziehungen über Konzern-Rechtsverhältnisse im Kontext der jeweiligen Rechtsordnung dargestellt und gewisse Rechtsfolgen an eine bestimmte Konzernierungsdichte geknüpft.30 Der Konzern als Einheit wird gerade nicht definiert.31 Regelungen, welche die Gruppe ausschließlich als Organisationsform betreffen und demnach allein auf die Gründung, Umstrukturierung, Abwicklung, Organisation oder Finanzierung ausgerichtet sind, sind dort nicht zu finden.32 Das zumeist sukzessiv entstandene Konzernrecht – inklusive dem Konzernarbeitsrecht und der Konzernmitbestimmung – stellt sich in den Rechtsordnungen in letzter Konsequenz als Schutzrecht dar, welches Konzernbeteiligte – insbesondere die abhängige Gesellschaft, die Gläubiger sowie die Arbeitnehmer – im Fokus hat. Ohne diese Vorschriften würden die Konzerne danach streben, die wirtschaftliche Ausrichtung des Konzerns ausschließlich an dem Konzerninteresse auszurichten.33 Dies hätte zur Folge, dass die Einzelinteressen der Unternehmen und die Belange der schutzwürdigen Beteiligten zum Wohle des Gesamtinteresses suboptimal verwirklicht werden würden. Wie weit dieses Gesamtinteresse die Einzelinteressen verdrängt und damit die übergeordnete Konzernführung einschränkt, hängt von den einzelnen rechtspolitischen Entscheidungen in den Mitgliedstaaten ab. Die mit dem Schutzgedanken gleichzeitig geregelten Fragen des Konzernorganisations- oder Konzernverfassungsrechts entstehen allein aus der Tatsache, dass das Schutzrecht nur dann verwirklicht werden kann, wenn es in das bestehende

29 MüKoAktG/Altmeppen, 4. Aufl. 2015, Bd. 5 Drittes Buch Einl. Rn. 33; Koppensteiner in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vorb. § 291 Rn. 115 ff. m. w. N.; zum portugiesischen Konzernrecht Lutter/Overrath, ZGR 1991, 394. 30 Ausführlich K. Schmidt in: FS Lutter, 2000, 1167. 31 K. Schmidt, KTS 2010, 1, 10 f. 32 Im Kontext des deutschen Konzernrechts Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 31; K. Schmidt in: FS Lutter, 2000, 1167; ders., KTS 2010, 1, 6; ders., ZGR 2011, 108, 127 ff. Nach dem ersten Weltkrieg wurde in Deutschland vereinzelt die Auffassung vertreten, den Konzern – damals noch ohne die Konzernrechtsvorschriften des AktG – als rechtliche Einheit anzusehen. Siehe hierzu mit weiterführenden Verweisen auf die einschlägige Rechtsprechung Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 10. Aufl. 2013, S. 58. Auch heute wird von der UNCITRAL Working Group V suggeriert, dass gerade das deutsche Aktienrecht verschiedene organisationsrechtliche Beschreibungen der Gruppenkonstruktionen enthält, UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 17 f. Rn. 37; ebenso – im Sinne eines Konzernverfassungsrechts – von dem „Organisationsrecht des Konzerns“ sprechend Lutter in: FS Volhard, 1996, 105, 109 ff.; zuvor schon ausführlich ders. in: FS Stimpel, 1985, 825, 826 ff.; ders. in: Druey, St. Galler Konzernrechtsgespräch, 1988, 225 ff. 33 Oftmals wird die Verfolgung des Konzerninteresses in den Statuten der Einzelunternehmen festgesetzt. So auch bei der insolventen Eurofood IFSC Ltd, welche nach ihrem satzungsmäßigen Hauptzweck für die Beschaffung von Finanzmitteln für den ParmalatKonzern zuständig war.

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gesellschaftsrechtlich ausgestaltete Organisationsrecht eingepasst wird. Eine eigene rechtliche Konzernorganisation wird nicht begründet. Tritt man aus dem nationalen Kontext heraus, ist der Konzern sowohl in der europäischen Rechnungslegung34 als auch im europäischen Kartellrecht35 zu finden. Diese Rechtsbereiche versuchen noch weniger, ein rechtliches Organisationsrecht zu schaffen. Die einzelnen Rechtssubjekte der Konzernunternehmen werden im Rechnungslegungsrecht, welches auf Basis der IFRS-VO36 und der EuBilanzRL37 für die Mitgliedstaaten harmonisiert wurde, im Konzernabschluss gerade konsolidiert, um dem Konzernabschlussadressaten weitestgehend ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild (true and fair view) der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Konzerns zu vermitteln.38 Die rechtliche Selbstständigkeit der Konzernunternehmen wird innerhalb des Konzernabschlusses im Sinne einer wirtschaftlichen Einheitlichkeit der Konzernunternehmung aufgehoben; die eigentliche Struktur des Konzerns tritt in den Hintergrund. Auch im europäischen Kartellrecht werden die Konzerne als wirtschaftliche Einheit betrachtet, um ein gegen die Wettbewerbsregeln verstoßendes Verhalten eines Konzernunternehmens einem anderen Konzernunternehmen zurechnen zu können.39 Der Konzern in seiner konkreten rechtlichen Organisationsgestaltung soll in keiner der genannten Rechtsquellen beschrieben werden. Die Societas Europaea enthält ebenfalls – abgesehen von den Bestimmungen über den Konzernabschluss in Art. 61 f. SE-VO40 und über die Konzernmitbestimmung in der SE-RL 41 – keine Regelungen über ein

34 Im Deutschen wird der Terminus der „Unternehmensgruppe“ im Englischen „group of undertakings“ verwandt. 35 Im Deutschen wird der Terminus der „Unternehmensvereinigung“ im Englischen „association of undertakings“ verwandt. 36 VO (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19.7.2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, ABlEG v. 11.9.2002, L 243/1. 37 Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 6. 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABlEU v. 29.3.2013, L 182/19. 38 ErwG 9 EuBilanzRL. 39 Hoffmann in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, 40. EL. Juni 2016, § 1 Art. 101 und 102 AEUV im Überblick, Rn. 75. 40 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABlEG v. 10.11.2001, L 294/1. 41 Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABlEG v. 10.11.2001, L 294/22.

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Konzernrecht.42 Zwar sind auch aktuell konzernrechtliche Themen Gegenstand europäischer Regelungsbemühungen, diese greifen allerdings nur punktuell konzernrechtliche Aspekte auf und streben nicht danach, eine umfassende Konzernrechtskodifikation umzusetzen. Angegangen werden insbesondere die Bereiche der Konzerntransparenz, Weisungsrechte und Anerkennung des Gruppeninteresses, der wrongful trading-Haftung sowie des Squeeze-outs und Sell-outs.43 Losgelöst von der Dependenz nationaler Vorschriften sowie europäischer Rechtsregeln und deren begriffsbestimmenden Regelungsintentionen, findet der Konzern auch abstrakt in der supranationalen Rechtswissenschaft Beachtung.44 Ausgangspunkt des vielbeachteten UNCITRAL Legislative Guide, der sich in seinem Teil 3 gerade mit dem Konzern im Insolvenzrecht beschäftigt, ist das Leitbild der unabhängigen Konzernunternehmen, wie es in den europäischen Rechtsordnungen vorherrscht. Damit besteht Einstimmigkeit bezüglich der Tatsache, dass es sich bei Konzernen nicht um Einheiten im juristischen Sinne handelt, welche mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet sind. Sie lassen sich eher als eine Vielheit selbstständiger Rechtsträger bezeichnen, welche durch eine bestimmte Art von Verbindung miteinander verknüpft sind – „Einheit in Vielfalt“45. Das zentrale Element einer Konzernbildung ist nicht nur bei der wirtschaftlichen Betrachtung, sondern auch im rechtlichen Kontext die Verknüpfung der Unternehmen. Nach UNCITRAL besteht die Verbindung aus einer (direkten oder indirekten) Herrschaftsmacht („control“) und/oder einem Anteilsbesitz („ownership“).46 In der konkreten Ausgestaltung kann diese Verknüpfung der einzelnen Konzernunternehmen eine erhebliche rechtliche Vielgestaltigkeit erlangen.47 Es erscheint, als ob diese Verbindung das rechtswissenschaftliche Äquivalent zu der einheitlichen Führung aus der Betriebswirtschaft ist. Bei der rechtlichen Verknüpfung der Konzernunternehmen handelt es sich jedoch nicht um eine Konzernführung im funktionellen, sondern Im Zuge der Regelung der europäischen Gesellschaften gab erhebliche Bemühungen um die Angleichung der nationalen Konzernrechte, die allerdings allesamt nicht fruchteten, MüKoAktG/Altmeppen, 4. Aufl. 2015, Bd. 5 Drittes Buch Einl. Rn. 34 f.; Hopt, ZHR 171 (2007), 199, 200 ff. 43 Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 6. Aufl. 2018, 12.19 ff.; J. Schmidt, Der Konzern 2017, 1, 11 f. 44 Sich aufgrund dieser Tatsache stark an dem Definitionsversuch von UNCITRAL orientierend K. Schmidt, ZIP 2012, 1053, 1053. 45 Angelehnt an Bälz in: FS Raiser, 1974, 287 ff. 46 UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 5 Rn. 2 u. S. 12 ff. Rn. 26 ff. 47 Es ist beispielsweise an eine mehrfache Abhängigkeit des beherrschten Unternehmens, die Gleichordnung im Abhängigkeitskonzern, Teilkonzerne oder sogar einen Konzern im Konzern zu denken. Zu alledem, insbesondere im Zusammenhang des deutschen Rechts, K. Schmidt in: FS Lutter, 2000, 1167, 1184 ff. m. w. N.; ders., Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 499 ff. 42

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um eine Konzernführung im institutionellen Sinne.48 Eine tatsächliche Ausübung der Führung muss gerade nicht gewährleistet sein. Es genügt eine tatbestandliche Verquickung der Konzernunternehmen. Wenngleich die UNCITRAL versucht, den Terminus des Konzerns unabhängig eines speziellen Kontextes zu beschreiben, richtet sie sich dennoch stark an dem Konzernrecht als Schutzrecht aus. Dies ist jedoch – wie gezeigt – nur eine Teilaufgabe der Rechtswissenschaft im Zusammenhang mit dem Konzern. Gerade im Insolvenzrecht ergeben sich eigene konzernspezifische Problemstellungen. Entgegen der Versuche von UNCITRAL den Konzern im Allgemeinen zu beschreiben, muss das Phänomen des Konzerns aus jeder Regelungsmaterie selbst heraus bestimmt werden. Sollten hierbei im gleichen Zuge Organisationsfragen angegangen werden, sind diese lediglich eine Folgeerscheinung und nicht Grund der Regelungsbemühung und daher einer Verallgemeinerung nicht zugänglich. Die Notwendigkeit dieser unterschiedlichen, auf den Konzern ausgerichteten Rechtsvorschriften folgt aus der betriebswirtschaftlichen Wirklichkeit, welche die Schaffung von Konzernen im Zuge des wirtschaftlichen Handelns unausweichlich macht und demnach als unvermeidliche Konsequenz das Bedürfnis nach einem regelnden Rechtsrahmen hervorruft. 49 Bei dem Begriff Konzern handelt es sich somit originär um ein betriebswirtschaftliches Konstrukt, welches durch die Notwendigkeit von Rechtsregeln in die Rechtswissenschaft Einzug erhalten hat. Das Konzernrecht resultiert aus den rechtlich gebotenen Schranken zur Einzäunung der freien Konzernbildung und Konzernleitung. Der Konzern entwickelt sich zunächst jedoch nicht in einem rechtsfreien Raum, welcher sich a posteriori mit Rechtsregeln füllt, die das Konzernrecht bilden.50 Die nationalen Gesellschaftsrechte wirken schon jeher nicht nur entfaltend, sondern zugleich einschränkend, sodass der Entwicklung der betriebswirtschaftlichen Organisationsform der Konzernunternehmung schon durch die Ausgestaltung der Gesellschaftsrechte gewisse Grenzen gesetzt werden. Der Konzern entsteht als wirtschaftliches Faktum, allerdings lediglich unter Ausnutzung der im Gesellschaftsrecht bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten.51 Der rechtliche Rahmen fungiert als Demarkationslinie, welche durch die Praxis nicht überschritten werden darf.52 Durch die unterschiedlichen Regelungsintentionen der einzelnen Rechtsbereiche ist ein rechtstechnischer Konzernbegriff jedoch nur im Kontext des jeweiligen Gesetzeszusammenhangs zu Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 9. Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 5. 50 Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 28. 51 Die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten durch ein „fragwürdiges Unternehmensgebilde“ namens Konzern als „missbraucht“ ansehend und den Konzern im Folgenden als etwas „Böses“ betitelnd Mertens, ZGR 1984, 542, 555. 52 Bleicher in: Druey, St. Galler Konzernrechtsgespräch, 1988, 55, 56; Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 5. 48

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sehen und anzuwenden. Die Vornahme einer Rechtstechnisierung des Konzernbegriffs, um ihn einer einheitlichen Anwendung zuzuführen, ist mangels einheitlicher Regeln oder Rechtsprechung dieses Gebilde betreffend nicht möglich.53 Ein einheitlicher konzernrechtlicher Konzernbegriff als Basis für eine Rechtsdogmatik – im Sinne eines Strebens nach Strukturierung und Systembildung im Recht54 – existiert demnach nicht. III. Ursachen einer Konzernierung Nach dem Transaktionskostenansatz nach Coase55 hängt die Entscheidung für eine Konzernierung davon ab, ob die Marktbenutzungskosten höher sind als die Kosten eines Unternehmenszusammenschlusses. Bei der Entscheidung für einen Konzern müssen demnach die Verbundvorteile mit dessen Komplexitätskosten verglichen werden.56 Die verschiedenen Ursachen in concreto sollen im Folgenden überblicksartig illustriert werden, da sie die Wurzel der Konzernbildung und damit auch der spezifischen Probleme des Konzerns in der Insolvenz darstellen. 57 Die Gründe dafür, dass die Konzerne den gesetzlichen Regelfall eines Einzelunternehmens überwinden und komplexe gesellschaftsrechtliche Konstruktionen wählen, liegen zum Großteil in der Attraktivität der Rechtsordnung hinsichtlich einer Konzernierung begründet. So war es gerade in früheren Zeiten das Ziel der Konzerne, einzelne Produkte oder Betriebseinheiten rechtlich auszugliedern, sodass sie im Falle der Insolvenz haftungstechnisch eigenständig behandelt wurden.58 Stand heute kann solch eine Haftungstrennung – unter Vorbehalt etwaiger Konzernhaftungs- oder Durchgriffsansprüchen der nationalen Rechtsordnungen59 – ebenfalls interessant sein, wenn ein Konzernteil sich potenziell größeren Risiken, beispielsweise einer Umwelthaftung oder Produkt-

53 Flöther/Thole, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 2 Rn. 9; UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 6 Rn. 5 u. S. 12 Rn. 26. 54 K. Schmidt in: FS Lutter, 2000, 1167, 1168 m. w. N. auf spezifisch rechtsdogmatische Literatur. 55 Coase, Economica, New Series, Vol. 4, No. 16 (Nov. 1937), 386 ff. 56 Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 60. 57 Ausführlich hinsichtlich der Vorteile der Gründung einer Tochtergesellschaft im Vergleich zu einer Betriebsstätte, Scheffler, Konzernmanagement, 2. Aufl. 2005, S. 18 ff.; Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 99 f.; Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 31 ff. 58 Bekannt sind die Schifffahrtsunternehmen, welche jedes ihrer Schiffe unter der eigenen Flagge einer Single Ship Company in See stechen ließen. Vgl. K. Schmidt, KTS 2010, 1, 7 f. Auch heute ist die Haftungstrennung noch ein wesentlicher Entscheidungsfaktor, Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 35. 59 Nach dem deutschen Recht sind die Haftungsabschottungen im Vertragskonzern gem. §§ 302, 303 AktG von vornherein aufgehoben, Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 26.

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haftung, gegenübersieht.60 Des Weiteren sind, insbesondere im internationalen Kontext, steuerrechtliche Motive anzuführen.61 Durch eine Konzernierung lässt sich darüber hinaus eine individuelle Erfolgsverantwortung und Erfolgszurechnung der einzelnen Unternehmensleitungen schaffen, da verschiedene Organebenen entstehen und demnach eine konzentrierte Organisation mit größerer Marktnähe von Entscheidungsträger geschaffen wird.62 Gerade im internationalen Bereich kann es nützlich sein, – den kulturellen Gegebenheiten folgend – rechtlich selbstständige Einheiten zu formen, welche sich jeweils eine auf die nationalen Märkte ausgerichtete Philosophie zugrunde legen.63 Mit Bezug auf Regulierungsanforderungen kann es ebenso hilfreich sein, den Konzern in eigenständige Konzernunternehmen aufzuteilen. Gerade im internationalen Verkehr – abgesehen vom Binnenmarkt in der Europäischen Union – kann es Voraussetzung sein, dass nur nationalen Unternehmen Zugang zum jeweiligen Markt gewährt wird.64 Entscheidend für eine Konzernierung ist jedoch insbesondere, dass Zu- und Verkäufen weiterer Unternehmen erheblich einfacher zu bewerkstelligen sind, da diese nicht – wie es in einem Einheitsunternehmen der Fall wäre – in das bestehende Unternehmen ein- bzw. aus diesem ausgegliedert werden müssen.65 Der Konzern strebt gerade danach, über vertikale sowie horizontale Expansionen Skaleneffekte (economies of scale) zu erreichen66 und möchte dies durch eine wachstumsorientierte Konzernstruktur fördern. IV. Konzernstrukturen Bei der Konzernunternehmung auf Basis einer einheitlichen Führung handelt es sich nach der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre nicht um will60 Kirchner, ZGR 1985, 214, 225; Flöther/Thole, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 2 Rn. 1; UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 11 Rn. 19. Das differenzierte Finanzierungs- und Ratingsystem kann nicht als Argument für eine Konzernierung angeführt werden. Diese sind nicht Gründe der Haftungsseparierung, sondern lediglich Konsequenz daraus. A. A. Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 17. 61 Auf Basis nationaler deutscher Vorschriften ist es vorteilhaft, nicht allein mit unverbundenen, selbstständigen Unternehmen zu agieren, sondern sich zu einem Konzern zusammenzuschließen, um eine steuerliche Organschaft zu formen. 62 Lutter, ZfB 1984, 781, 781; Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 31; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 35. Darüber hinaus hat die Qualifizierung eines Betriebsstättenleiters als Geschäftsführer eine leistungsfördernde Wirkung, Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 34. 63 Eine Vertriebsgesellschaft kann, beispielsweise durch eine gewisse Namensgestaltung, individuell angepasst werden, was gerade bei grenzüberschreitend und in verschiedenen Sprachräumen agierenden Konzernen förderlich ist, Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 34. 64 UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 12 Rn. 20. 65 UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 11 f. Rn. 19. 66 Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 33 f.

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kürlich angeordnete Unternehmen, sondern um stimmige Organisationen mit konzernspezifischen Finanzierungsregeln und passender Unternehmensstruktur im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ordnungen. Die Konzernunternehmung bedient sich losgelöst von der Art der zwischen den Unternehmen bestehenden Verknüpfungen unterschiedlicher Aufbauorganisationen. Diese können zwar in einer unbegrenzten Vielfalt bestehen,67 allerdings lässt sich bei typisierten Konstellationen exemplifizieren, auf welchem Wege sich ein Konzern herausbilden und anschließend ausgestalten kann. Ist die Leistungsdichte zwischen den einzelnen Konzernunternehmen hoch und wird sie über eine stark ausgeprägte Konzernführungsmacht gesteuert, spricht man von einem zentral organisierten Konzern.68 Dem gegenüber steht ein Konzern mit dezentraler Struktur, welcher aus lediglich lose verknüpften Konzernunternehmen besteht. Das Merkmal der einheitlichen Entscheidungsund Handlungseinheit, welches durch eine einheitliche Konzernführungsmacht vermittelt wird, ist allerdings – selbst wenn manche Konzernunternehmungen den Anschein mehrerer unverbundener Unternehmen erwecken – wesensimmanent, sodass in einer Konzernunternehmung eine vollständige Dezentralisierung ausgeschlossen ist.69 Der zentralisierte Konzern entsteht zumeist als organisch einheitlich gewachsene Konzernunternehmung, die sich aus sich selbst heraus entwickelt hat und demnach eine einheitliche Betriebseinheit (business unit) formt, für ein effizientes Wirtschaften allerdings in einzelne Konzernunternehmen aufgespalten werden musste. Solch ein Konzern ist in der Regel folgendermaßen strukturiert: An der Spitze steht eine operative Holding, welche als konzernführende Einheit alle Funktionen im Sinne eines Stammhauses wahrnimmt.70 Diese Konzernmutter hält eine Vielzahl von Tochterunternehmen, welche sich funktional insbesondere in Vertrieb, Produktion, Forschung und Entwicklung, Besitz und andere Konzernunternehmen unterteilen.71 Resultat ist, dass die betriebsnotwendigen Aktiva des Konzerns auf ein großes Konglomerat von Einzelunternehmen aufgespalten sind. Die Anknüpfung an die Konzernleitung erfolgt – im Sinne eines klassischen Unterordnungskonzerns – über einen beherrschenden Einfluss des Mutterunternehmens, welcher über faktische Beteiligungsverhältnisse, vertragliche Verbindungen und auf einem Anteilsbesitz

67 Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 9 ff.; Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 153. 68 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 30; Flöther/Thole, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 2 Rn. 3. 69 Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 8. 70 Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 14 f. 71 Die Vorteile einer funktionalen Aufteilung sind vielseitig und liegen hauptsächlich in betriebswirtschaftlichen und organisatorischen Motiven begründet. Siehe hierzu ausführlich S. 13 ff.

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basierenden Eingliederungen vermittelt wird.72 Die Konzerne sind dabei zumeist vertikal aufgebaut, sodass mehrere Stufen der Wertschöpfungskette durch Konzernteile ausgeführt werden. 73 Gerade im grenzüberschreitenden Verkehr ist es oftmals notwendig, diese Konzernstruktur noch weiter zu funktionalisieren. In den Staaten, in denen das Produkt abgesetzt wird, werden eigene Vertriebsgesellschaften gegründet, die individuell auf die jeweiligen staatlichen Anforderungen angepasst werden.74 Speziell bei Unternehmen, die auf dem europäischen Markt länderübergreifend agieren, ist solch ein Ansatz oftmals anzutreffen. Durch seine vertikal-zentralisierte Verwobenheit, insbesondere im leistungswirtschaftlichen Bereich, weist der zentralisierte Konzern ein hohes Potenzial auf, im Insolvenzfall konzernspezifische Fragestellungen zutage zu bringen.75 Ein Konzern kann des Weiteren aus strategischen Gründen, wie beispielsweise bei Expansions- oder Diversifikationsbestrebungen, weitere Unternehmen gründen oder hinzuerwerben, die nicht aus dem Ursprungsunternehmen heraus mit Produktionsfaktoren ausgestattet werden. Die Konzerne sind in diesem Fall zumeist horizontal strukturiert. Es entstehen Teilkonzerne in Form von eigenständigen Betriebseinheiten, die auf der gleichen Produktionsstufe nebeneinander agieren, um gegenseitig von Skalen- und Synergieeffekten in den verschiedenen Funktionsbereichen zu profitieren.76 Die Konzernführungsmacht kann über eine auf dem Anteilsbesitz basierende Beherrschung der strategischen Holding an der Konzernspitze ausgeübt77 und über institutionelle wie vertragliche Verbindungen weitertransportiert werden, wodurch ein Unterordnungskonzern mit divisionaler Organisationsstruktur gebildet wird. 78 Auf 72 Die konzernweite Liquidität wird über ein Cash-Pool-System sichergestellt, Humbeck, NZI 2013, 957, 958. 73 Ein gegenteiliges Konzept stellt die Lean Production dar, bei der die Produktion der benötigten Teile nicht selbst erfolgt, sondern sich eigenständiger Zulieferunternehmen bedient wird. Die Gründe für eine vertikale Aufspaltung sind vielgestaltig. Evident erforderlich ist eine solche Aufspaltung, wenn Produktionsarbeiten für gewisse Produktteile in Billiglohnländer verlagert werden, während die Forschung und Entwicklung aufgrund der personellen und technischen Anforderungen in Industrienationen verbleiben. 74 Flöther/Thole, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 2 Rn. 6; mehr zum Konzern als einer funktionalen Wirtschaftseinheit, Bous, Konzernleitungsmacht, 2001, S. 16. 75 Siehe hierzu ausführlich S. 28 ff. 76 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 33; Lutter/Scheffler/Schneider in: dies., Hdb Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 1.8; Scheffler, Konzernmanagement, 2. Aufl. 2005, S. 56 ff.; Flöther/Thole, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 2 Rn. 4 f. 77 Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Holding lediglich die Finanzfunktion im Sinne einer Finanzholding ausübt, Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 15 f. 78 Möglich ist auch eine funktionale Organisation, bei welcher der Konzern in funktionelle Verantwortungsbereiche (Einkauf, Produktion, Vertrieb) aufgegliedert ist. Gerade bei größeren Unternehmen ist es jedoch sinnvoll, die strategische Ausrichtung auf Sparten zu konzentrieren, um eine bessere Marktausrichtung zu erreichen.

§ 1 Das Phänomen des Konzerns

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zweiter Ebene folgen die Mutterunternehmen der jeweiligen Teilkonzerne. Eine funktionelle Überschneidung der Betriebseinheiten, welche gerade in einer Konzerninsolvenz für Probleme sorgt,79 entsteht in solchen Fällen durch zentral organisierte Over-Head-Bereiche, insbesondere im Zusammenhang der Finanzierung, Forschung und Entwicklung, Verwaltung, Steuern sowie des Rechts und Marketings. Darüber hinaus können Teilkonzerne geformt werden, die gleichrangig nebeneinanderstehen. Dieses Verbundsystem nennt man Gleichordnungskonzern.80 Die Konzernverknüpfung erfolgt über eine faktische einheitliche Führung in Form von gemeinsamen Beiräten oder personellen Verflechtungen an der Spitze81, durch welche ein gewisses Maß an Abstimmung ausübt wird, wobei keine weiteren gegenseitigen Abhängigkeiten bestehen.82 Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Verbindung liegt in der Erzielung von Synergieeffekten und der Verbesserung der Stellung im Wettbewerb.83 Diese Art der Konzernunternehmung ist eher dezentral strukturiert und demnach nicht unmittelbar Bezugsobjekt einer konzerninsolvenzrechtlichen Auseinandersetzung. B. Konklusion für den Konzernbegriff dieser Arbeit Ließe sich ein Konzernbegriff bestimmen, dem eine einheitliche Bedeutung zugrunde liegt, wäre es zweckmäßig diesen im Zusammenhang des Konzerninsolvenzrechts nutzbar zu machen. Die Entstehung der Wirtschaftseinheit des Konzerns zeigt jedoch, dass man es mit einem Gebilde zu tun hat, welches seine Charakteristika durch die Kreativität der wirtschaftlichen Praxis verliehen bekommt und in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen von unterschiedlichen Blickwinkeln beschrieben wird. Auf der einen Seite steht die Konzernunternehmung im betriebswirtschaftlichen Sinne, die sich allein an der einheitlichen Entscheidungs- und Handlungseinheit ausrichtet und die einzelnen Konzernunternehmen nur zur Beschreibung der Organisation benötigt. Auf der anderen Seite ist die Rechtswissenschaft auszumachen, welche den Konzern uneinheitlich lediglich im Zusammenhang des verwendeten Kontextes 79 Zwischen den innerhalb des diversifizierten Konzerns recht selbstständig auf eigenen Märkten agierenden Wirtschaftseinheiten bestehen äußerst geringe Interdependenzen, wodurch konzerninsolvenzspezifische Problemstellungen nur begrenzt in Erscheinung treten. 80 Davon Abzugrenzen sind Unternehmensverbindungen, die lediglich von einer Kooperation ohne einer einheitlichen Leitungsmacht geprägt sind. 81 Dabei kann auch die Anteilsmehrheit mehrerer Konzernunternehmen in der Hand einer Privatperson vereinigt sein. 82 Der Gleichordnungskonzern kann ebenfalls über eine unternehmerische Holding organisiert sein, wobei die Teilkonzerne über ein Höchstmaß an unternehmerischer Autonomie verfügen und über geringstmögliche interne Abhängigkeitsbeziehungen verbunden sind, Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 16 u. 20. 83 Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 7.

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Kapitel 1: Grundlagen

gebraucht. Sowohl das rechts- als auch wirtschaftswissenschaftliche Verständnis sind sich demnach in letzter Konsequenz einig, dass eine umfassend gültige Beschreibung des Begriffs des Konzerns bzw. der Konzernunternehmung aufgrund des erheblichen Variantenreichtums von Unternehmenszusammenschlüssen und den unterschiedlichen wissenschaftlichen Anknüpfungspunkten nicht möglich ist.84 Weder eine einheitliche normative Anknüpfung noch ein konkreter disziplinübergreifender Definitionsversuch der Wirtschaftseinheit des Konzerns, welche eine gewisse Rechtssicherheit vermitteln würden, stehen zur Verfügung. Ein Rückgriff auf den wirtschaftswissenschaftlichen Konzernbegriff oder positives Konzernrecht wird in dieser Arbeit demnach lediglich dann – und ausdrücklich mit Verweis auf den der Verwendung zugrunde liegenden Nutzen – genommen, wenn die jeweilige Beschreibung im konkreten Falle dienlich ist. Trotz der Schwierigkeit bei der Bestimmung des Konzernbegriffs würde es realitätsverachtend anmuten, diese Terminologie vollkommen aus einer rechtlichen Auseinandersetzung zu verbannen. Wird der Terminus des Konzerns außerhalb eines rechtlichen Kontextes verwandt, ist er in seiner Faktizität, das heißt in seiner einen betriebswirtschaftlichen Sachverhalt beschreibenden funktionalen Bedeutung, und nicht in einem spezifisch rechtstechnischen Sinne zu verstehen.85 Dieses Konzernverständnis bleibt wandelbar und anpassungsfähig, um den unterschiedlichen Anforderungsprofilen in den jeweiligen Einsatzgebieten gerecht werden zu können.86 Spricht die Arbeit somit von einem 84 Druey in: Lutter, Konzern im Ausland, 1994, 310, 341 f.; Lutter in: FS Volhard, 1996, 105, 105 ff.; Rehbinder, Konzernaußenrecht, 1969, S. 33 ff.; Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 17 ff.; „[b]is heute ist [..] die Stellung des Konzerns im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre nicht geklärt, sein Wesen als selbstständiges Untersuchungsobjekt dieser wissenschaftlichen Disziplin nicht deutlich erkannt“, Pausenberger, Konzernaufbau, 1957, S. 2; „Gesellschafts- und Unternehmensgruppen sind wie Familien, die untereinander durch ganz und gar unterschiedliche Näheverhältnisse teils direkt, teils indirekt, teils eng, teils lose verbunden sind. So wie es Kleinfamilien und Großfamilien, durchorganisierte Clans und freundschaftlich lockere Familienverbünde unter den Menschen gibt, verhält es sich auch mit den Gesellschaften oder Unternehmen.“, K. Schmidt, KTS 2010, 1, 6; ebenso schon Anfang des letzten Jahrhunderts: „Eine genaue Begriffsbestimmung des heute viel gebräuchlichen Wortes Konzern ist nicht möglich, da es auf eine große Zahl verschiedenartiger wirtschaftlicher Gebilde angewandt wird. Ganz allgemein kann man Konzern gleichsetzen mit wirtschaftliche Verknüpfung mehrerer Unternehmungen.“, Bott, Handwörterbuch des Kaufmanns, 1927, S. 458. 85 Die Einheit wird nach diesem Verständnis in ihrer Funktion eines wirtschaftlich tätigen Subjekts beschrieben. Zu dem kartellrechtlichen Unternehmensbegriff Weiß, Unternehmensbegriff im Kartellrecht, 2012, S. 79; ebenso K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 1977, S. 5; allgemein zum funktionellen Unternehmensbegriff Miegel, Unternehmensbegriff, 1970, S. 88 ff. 86 Herkenroth/Hein/Labermeier et al., Konzernsteuerrecht, 2008, S. 24; Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 17 f.

§ 2 Das Phänomen der europäischen Konzerninsolvenz

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Konzern, ohne auf eine konkrete normative Technisierung Bezug zu nehmen, soll damit diese abstrakte Wirtschaftseinheit in Form von irgendwie miteinander verbundenen Unternehmen umschrieben werden, welche das gesamte Spektrum konzernmäßiger Erscheinungsformen abdeckt. 87 Es müssen lediglich mehrere juristische oder natürliche Personen mit gemeinsamer Führung unternehmerisch planend und entscheidend am Wirtschaftsprozess teilnehmen.88 Eine Konkretisierung und Technisierung wird an den betreffenden Stellen mit der geeigneten Terminologie, insbesondere im Zusammenhang des Anwendungsbereichs der Europäischen Insolvenzverordnung, vorgenommen.

§ 2 Das Phänomen der europäischen Konzerninsolvenz § 2 Das Phänomen der europäischen Konzerninsolvenz

A. Bestandsaufnahme Die erhebliche Bedeutung des Konzerns im Wirtschaftsleben führt zwangsläufig dazu, dass Konzernstrukturen immer öfter von Insolvenzfällen betroffen sind. Unter Insolvenz ist ein finanziell existenzbedrohender Zustand zu verstehen.89 Ganz nach dem lateinischen Ursprung des Begriffes wird grundsätzlich ein Sachverhalt bezeichnet, in dem ein Schuldner seine Zahlungsverpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern nicht mehr erfüllen kann.90 Da es sich bei der Insolvenz um ein normatives Merkmal handelt, wird dieses von den jeweiligen Rechtsordnungen unterschiedlich ausgestaltet sein. So kann sich eine Insolvenz über die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hinaus auch bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit oder lediglich bei einer Überschuldung ergeben. Die Kommission hat Ende 2016 zwar einen Legislativvorschlag hinsichtlich Unternehmensinsolvenzen mit Regelungen für frühe Umstrukturierungen und für eine „zweite Chance“ (UntInsRL-E)91 ausgearbeitet. Darin sind allerdings keine weiteren Bestimmungen für eine umfassende materielle Harmonisierung des Insolvenzrechts und im Speziellen der Insolvenzgründe enthalten, obwohl die Kommission im Jahre 2015 eine diesbezügliche Studie92 in Auftrag gegeben hatte. 87 Angelehnt an Hoffmann in: ders., Konzernhandbuch, 1993, S. 8; sowie Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 1 Fn. 2. 88 Dieser weite Konzernbegriff bleibt damit nahe am Konzernverständnis des allgemeinen Sprachgebrauchs. 89 K. Schmidt, Gutachten für 54. DJT 1982, Band 1, D 17. 90 Insolvenz stammt von dem lateinischen insolventia, welches sich wiederum von solvere für „zahlen“ ableitet. 91 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der RL 2012/30/EU, COM(2016) 723. 92 European Commission, Study on substantive insolvency law, 2015/S 064-111780.

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Kapitel 1: Grundlagen

Eine genaue Betrachtung der Konzerninsolvenzwirklichkeit ist für die Analyse eines normativen Konzerninsolvenzrechts evident erforderlich. Nur anhand praxisbezogener Erfahrungen kann beurteilt werden, welche Probleme im Zusammenhang einer Konzerninsolvenz regelungsbedürftig sind, um ein funktionsfähiges und leistungsstarkes Konzerninsolvenzrecht zu schaffen. Die in diesem Teil verwandte Terminologie der Konzerninsolvenz ist demnach nicht rechtstechnisch zu verstehen, sondern beschreibt lediglich die Konstellation, dass Insolvenzverfahren über mehrere Konzernunternehmen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eröffnet werden.93 Eine Konzerninsolvenz hat somit nicht per se eine Insolvenz des ganzen Konzerns oder weitreichender Konzernteile zur Folge. Im Laufe des letzten Jahrhunderts stürzten zunächst nur einzelne Tochterunternehmen eines Konzernkonglomerats in die Insolvenz. Der restliche Konzern wurde hiervon – zumindest insolvenzspezifisch – nicht berührt. Es entstand somit lediglich eine Insolvenz im Konzern. Dies war auf das Charakteristikum der horizontalen Risikoteilung im Zuge der Konzernierung zurückführen. So wurden einzelne Produkte und Betriebsteile rechtlich ausgegliedert, damit man sie bei einem Scheitern gesondert abwickeln konnte, ohne die restlichen Unternehmen des Konzerns zu belasten.94 Eine vertikale Strukturierung von Konzernen, bei welcher die Insolvenz eines Unternehmens unmittelbar auch die anderen belastet, war in der Wirtschaftswelt weniger verbreitet. Unternehmensübergreifende Probleme entstanden daher hauptsächlich in Verbindung mit der Haftungssegmentierung und dem Gläubigerschutz. Insolvenzen mehrerer Konzernunternehmen bildeten in dieser Zeit die Ausnahme. Ein gesondertes Konzerninsolvenzrecht war noch nicht vonnöten, sodass sich die Wissenschaft nur rudimentär mit der damit zusammenhängenden Problematik beschäftigte. Vereinzelt entwickelten sich dennoch Fälle, in denen eine Reihe von Unternehmen eines Konzerns oder sogar ganze Konzernteile in die Insolvenz stürzten. In der Nachkriegsgeschichte zu erwähnen ist dabei die Insolvenz der in der Automobilbranche angesiedelten, vertikal-funktional strukturierten und welt-

93 Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 12; Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 825; Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 3. Von einem noch weiteren Verständnis ausgehend, nach dem es genügt, dass lediglich ein konzernverbundener Rechtsträger in die Insolvenz fällt, Bous, Konzernleitungsmacht, 2001, S. 4; Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 530 Fn. 5. Diese Fälle werden in der vorliegenden Arbeit nur am Rande angesprochen und sollen nicht in den eng gezogenen Bereich der Konzerninsolvenz fallen. Zwar entstehen bei der Insolvenz eines konzernverbundenen Rechtsträgers ebenfalls konzernspezifische Problemstellungen, allerdings sind diese – um etwas vorauszugreifen – nicht von dem Anwendungsbereich der EuInsVO erfasst, sodass allein nationale Instrumente eingreifen können. 94 Mit Beispielen K. Schmidt, KTS 2010, 1, 7 f.

§ 2 Das Phänomen der europäischen Konzerninsolvenz

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weit agierenden Borgward-Gruppe im Jahre 1961.95 Die Öffentlichkeit und das juristische Publikum nahmen solche Insolvenzfälle allerdings noch nicht als Konzerninsolvenzen wahr. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand hauptsächlich das Schicksal des namensgebenden Mutterunternehmens und weniger der damit verknüpften ganzen Gruppe. Darüber hinaus war eine Konzernierung zu dieser Zeit hauptsächlich auf Großunternehmen beschränkt. Diese zeichneten sich durch eine erhebliche Wirtschaftsstärke und einer Einbindung in ein weitgesponnenes Interessengeflecht aus gegenseitigen Beteiligungen aus, in die auch die Banken als Finanzier mit einbezogen waren.96 Es herrschte die Auffassung, dass solche Konzerne – abgesehen von vereinzelten Ausnahmen – gerade aufgrund ihrer Größe und der wirtschaftlichen Verflochtenheit vor dem Risiko einer Insolvenz weitgehend gefeit waren. Diese Sicht erwies sich in den achtziger Jahren als unzutreffend. nachdem es vermehrt zu einigen spektakulären nationalen Fällen kam, die in der Insolvenz sowohl der Mutterunternehmen als auch der Tochterunternehmen resultierten.97 So erregte die Insolvenz der deutschen AEG-Telefunken AG im Jahre 1982 Aufsehen.98 Die beteiligten Unternehmen verfolgten im Zuge der Insolvenzverfahren unterschiedliche Sanierungsstrategien, wodurch es zu keiner einheitlich abgestimmten Abwicklung kam.99 Ein weiterer internationaler Konzern, der in den achtziger Jahren in die Krise rutschte und damit ein gewaltiges Echo auslöste, war die KorfGruppe.100 Es offenbarte sich, dass ein Konzern mehr ist als nur das führende Mutterunternehmen; er besteht aus zahlreichen Unternehmen, welche sich durch viele divergierende Interessen auszeichnen. Konzerninsolvenzen und

95 Am 11. September 1961 wurde über die drei deutschen automobilproduzierenden Unternehmen Carl F. W. Borgward GmbH, Goliath-Werke GmbH und Lloyd-Motoren-Werke GmbH der Konkurs eröffnet. Die Auffanggesellschaft Borgward-Werke AG, unter welcher zum Zwecke der Sanierung kurz vor der Insolvenz die drei Unternehmen zusammengefasst wurden, folgte zwei Wochen später. Vgl. Brandhuber, Insolvenz eines Familienkonzerns, 1988, S. 317 f., 343 ff. 96 Acher, Vertragskonzern und Insolvenz, 1987, S. 3; Brünkmans, Koordination, 2009, S. 18. 97 Lutter, ZIP 1989, 477 ff.; K. Schmidt, KTS 2010, 1, 8 f. 98 Dies lag insbesondere an der Tatsache, dass 75.000 Gläubiger aus 63 Ländern Forderungen in Höhe von sechs Milliarden Euro geltend machten, Mertens, ZGR 1984, 542, 556. 99 Siehe hierzu ausführlich S. 274 f. 100 Mit der Insolvenz der Holding Korf Industrie und Handel GmbH & Co. KG, der Zwischenholding Korf-Stahl AG sowie dem Tochterunternehmen Hamburger Stahlwerke GmbH. Die Holding bündelte darüber hinaus einige amerikanische Beteiligungsgesellschaften. Die Zwischenholding besaß ebenso die Mehrheit an der Badischen Stahlwerke AG, welche sich allerdings vor dem drohenden Konkursverfahren retten konnte, indem sie sich durch die Aufnahme von Massekrediten (sie hatte zuvor ein Vergleichsverfahren eröffnet) und dem Erwerb von Beteiligungen eigenständig aus dem Konzernverbund herauslöste. Vgl. ausführlich Kübler, ZGR 1984, 560, 575 ff.

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Kapitel 1: Grundlagen

deren insolvenzspezifische Problemstellungen rückten vermehrt in den Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung. In den folgenden Jahren erhielt die Konzernierung immer weiter Einzug in den riesigen Fundus an Unternehmen des Mittelstandes, wodurch sich auch statistisch die Anzahl von Konzerninsolvenzen erheblich erhöhte. Eine vorinsolvenzrechtliche Rettung dieser Unternehmen durch die Politik war und ist nicht zu erwarten, da nur bei größeren Einheiten die Sorge vor negativen gesamtwirtschaftlichen Effekten vorherrscht. Zudem bringt nur die Rettung von großen Konzernen – insbesondere aufgrund der hohen wirtschaftlichen Werte sowie der Anzahl betroffener Arbeitsplätze101 – positive mediale Aufmerksamkeit mit sich.102 Die Konzerninsolvenz bildete sich in den letzten Jahren unter anderem aufgrund dieser Entwicklungen vollständig zu dem, was der Name suggeriert: Eine Insolvenz des ganzen Konzerns bzw. wesentlicher Konzernteile.103 Im nationalen Kontext lässt sich beispielsweise an die im Jahre 2002 stattfindenden Konzerninsolvenzen im Zusammenhang mit der Krise des deutschen Baukonzerns Philipp Holzmann, der KirchMedia-Gruppe, des Schreibwarenherstellers Herlitz und des Maschinen- und Anlagenbauers Babcock Borsig, der Insolvenz von Grundig (2003), Arcandor-Quelle (2009), der Baumarktkette Praktiker (2013), der Verlagsgruppe Weltbild (2014) sowie von Solarworld (2017/18) erinnern. In einer globalisierten Welt streben Unternehmungen naturgemäß danach, neue Märkte zu erschließen. Dies führt zwangsläufig zu einer Internationalisierung der Konzerne. Wenngleich die Holding selbst den Anschein einer nationalen Gesellschaftsform vermittelt, wird gerade über die Produktion und den Vertrieb deutlich, dass das Unternehmensgeflecht aus einer Vielzahl an internationalen Unternehmen besteht. Dies zeigten schon die Konzernverbindungen der zuvor erwähnten global agierenden Borgward-Gruppe104 in den 1950iger 101 In Deutschland waren in den Jahren 2008/2009 etwa 53 % der Arbeitnehmer in Konzernen beschäftigt, wobei sich der Umsatz dieser Unternehmen auf 70 % belief, XVIII. Hauptgutachten der Monopolkommission 2008/2009, BT-Drs. 17/2600, S. 80 f. 102 Eine Hilfe durch andere Wirtschaftsunternehmen kommt nur in Betracht, wenn eine starke wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen den Unternehmen besteht, sodass sich die Insolvenz eines Unternehmens für beide Akteure nachteilig auswirken würde, Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 3; Schulz, Treuepflichten unter Insolvenzgläubigern, 2003, Rn. 514. 103 K. Schmidt, KTS 2010, 1, 9. 104 International zu nennen sind dabei Borgward do Brasil, S.A. (Sao Paulo), Borgward Indonesia (Surabaya), Borgward South Africa Ltd (Johannesburg), Dinborg S.A. (Buenos Aires), Borgward Argentinia (Buenos Aires), Borgward Iso Espanola S.A. (Madrid), Borgward Motors Corporation (Bosten); dabei ist die genaue Höhe der Beteiligung der Mutterunternehmen an diesen ausländischen Unternehmen mangels zuverlässigen Zahlenmaterials nicht zu eruieren, Brandhuber, Insolvenz eines Familienkonzerns, 1988, S. 56, 58 Abb. 3; zu der Beteiligungsstruktur eines Teils der ausländischen Konzernunternehmen, Jagla, Borgward-Krise, S. 246 Anlage 32.

§ 2 Das Phänomen der europäischen Konzerninsolvenz

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Jahren. Neuerdings wird es immer schwieriger Konzerne auszumachen, die nicht international verbunden sind. Gerade in einer wirtschaftlich immer weiter zusammenwachsenden Europäischen Union mit dem stark ausgeprägten europäischen Binnenmarkt erstrecken sich die Konzerne marktnotwendig über Grenzen hinweg. Damit wurde zugleich der Weg von einer nationalen hin zu einer internationalen Konzerninsolvenz bereitet, welche im Wirtschaftsleben inzwischen omnipräsent ist.105 Eine diesbezügliche Auswahl soll im Folgenden überblicksartig skizziert werden106: Im Jahre 2002 kam es zur Insolvenz des Telekommunikationsnetzanbieters KPNQwest NV in den Niederlanden sowie aller Tochterunternehmen, welche in den verschiedenen Staaten, über die sich das Kabelnetz erstreckte, für die jeweiligen Angelegenheiten eigenständig zuständig waren. Bei der Crisscross Telecommunications Group handelte es sich um eine europaweit operierende Unternehmensgruppe aus dem Telekommunikationssektor, bestehend aus acht Gesellschaften, welche allesamt im Jahre 2003 in London Insolvenz anmelden mussten. Im Zusammenhang mit Zuständigkeitsfragen des europäischen Insolvenzrechts wurde die Insolvenz des weltweit tätigen Konzerns Daisytek-ISA107 im Bereich Computerzubehör bekannt.108 Der EMTEC-Konzern109 war mit der Vermarktung von Speichermedien betraut und geriet 2003 in die Krise.110 Mit der Herstellung und Zulieferung von Kunststoffkomponenten für die Automobilindustrie beschäftigte sich die Automold-Gruppe, über deren Unternehmen Im internationalen Bereich wurden (zumindest in rechtswissenschaftlichen Kreisen) insbesondere diejenigen Konzerninsolvenzen bekannt, bei denen Gerichte klärend eingreifen mussten. 106 Ausführlich zu einem Teil der dargestellten Fälle Bezelgues, Konzerninsolvenzen in der EU, 2008, S. 146 ff.; Lieder, Grenzüberschreitende Unternehmenssanierung, 2007, S. 99 ff.; Lüer in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, Art. 3 EuInsVO Rn. 18 ff.; Pannen/Pannen, EuInsVO, 2007, Art. 3 Anhang A Rn. 2 ff.; Wyen, Rechtswahlfreiheit, 2014, S. 42 ff. 107 Es schlossen sich weitere Verfahren über die britische Daisytek-ISA Ltd und deren Tochterunternehmen ISA International plc, welche die Funktion der europäischen Zwischenholding innehatte, sowie über drei deutsche (PAR Beteiligungs-GmbH, ISA Deutschland GmbH, Supplies Team GmbH), ein französisches (ISA Daisytek SAS) und zehn englische Konzernunternehmen an. Ausführlich Re Daisytek-ISA I, High Court of Justice Leeds v. 16.5.2003, [2004] BPIR 30 = NZI 2004, 219, 220 ff. 108 Ausgangspunkt der Konzerninsolvenz war das im Jahre 2003 in den USA eröffnete Chapter 11-Verfahren über die Konzernmuttergesellschaft Daisytek International Corporation. 109 Der Konzern wurde aus steuer- und markenrechtlichen Gründen von einer Holding in den Niederlanden geführt, welche Alleingesellschafterin der französischen EMTEC International SAS, der EMTEC France SAS sowie der deutschen MPOTEC GmbH war. 110 Die Insolvenzverfahren wurden zunächst über die französischen Gesellschaften und anschließend Anfang 2006 auch über die deutsche Gesellschaft sowie weitere sieben europäische Tochterunternehmen von EMTEC France SAS (u. a. EMTEC CPS International SAS sowie EMTEC Benelux NV) in Nanterre eröffnet. 105

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im Jahre 2003 Insolvenzverfahren eröffnet wurden.111 Im Jahre 2004 fiel die EMBIC GmbH, die auf den Vertrieb von Garantie-Versicherungen spezialisiert war und sich mit dem Verkauf von Versicherungspolicen für gebrauchte Kraftfahrzeuge beschäftigte, sowie im gleichen Zuge die englische Muttergesellschaft Warranty Holdings International Ltd in die Insolvenz. Über mehrere Gesellschaften des Textilkaufhauskonzerns Hettlage 112 sowie der ZenithGruppe113 und der im Bereich Matratzen und Polstermöbel agierenden HUKLA-Werke114 wurden im Jahre 2004 Insolvenzverfahren eröffnet. Der Zusammenbruch der Parmalat-Gruppe115 führte im Jahre 2004 zur Insolvenz von etlichen Unternehmen des Konzerns.116 Im anschließenden Jahr wurde durch den High Court of Justice in London über alle 24 europäischen Gesellschaften der Collins & Aikman-Gruppe (aus zehn Ländern) die Insolvenzverwaltung eröffnet. 117 Über die Gesellschaften der MG Rover-Gruppe 118 aus England, Deutschland, Holland, Belgien/Luxemburg, Spanien, Italien, Portugal, Frankreich und Irland wurden im gleichen Jahr in England Insolvenzverfahren initiiert. Im Jahre 2006 wurden Verfahren über BenQ Mobile GmbH & Co. OHG sowie die europäische Obergesellschaft BenQ Mobile Holding BV und viele europäische Vertriebsgesellschaften eingeleitet. Ebenfalls im Jahre 2006 mussten aufgrund finanzieller Schwierigkeiten 17 Gesellschaften der Eurotunnel-

Die deutsche Automold GmbH wurde von der Automold Ltd aus Birmingham im operativen, finanziellen und personellen Bereich geleitet. 112 Betroffen waren sowohl die Muttergesellschaft Hettlage KGaA als auch deren österreichische Tochter Hettlage AG & Co. KG, über welche dreizehn Verkaufsstellen in Österreich betrieben wurden. 113 Die Gruppe umfasste insbesondere die deutsche Zenith-Maschinenfabrik GmbH sowie die österreichische Tochter Zenith-Maschinenfabrik Austria GmbH. 114 Bestehend aus der deutschen HUKLA-Werke GmbH sowie der gleichnamigen österreichischen Vertriebsgesellschaft HUKLA-Werke GmbH, die aus Steuer- und Vertriebsgründen nach Wien ausgelagert wurde. 115 Diese bestand aus 250 Beteiligungsgesellschaften und weiteren 200 Unternehmen der Familienholding La Coloniale. 116 Es wurden Insolvenzverfahren in Parma über fünf niederländische und zwei luxemburgische Gesellschaften, die zur niederländischen Zwischenholding Parmalat Nederlands BV gehörten, ein Insolvenzverfahren in Irland über die reine Finanzierungsgesellschaft Eurofood IFSC Ltd sowie die ungarische Parmalat Hungária Rt. und ein weiteres Verfahren in Székesfehérvár über die slowakische Parmalat SK s.r.o. eröffnet. 117 Bei der insolventen Muttergesellschaft Collins & Aikman Corporation handelte es sich um einen weltweit in 17 Staaten agierenden Zulieferer für Innenausstattung in der Automobilbranche mit Hauptsitz in Michigan/USA. Die europäische Holding Collins & Aikman Europe S.A. hatte ihren Sitz in Luxemburg. 118 Die Gruppe bestand aus der MG Rover Group Ltd, der englischen Zwischenholding MG Rover Overseas Holdings Ltd, der MG Rover Exports Ltd sowie weiteren acht Vertriebstöchtern in der Europäischen Union. 111

§ 2 Das Phänomen der europäischen Konzerninsolvenz

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Gruppe119 aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten Antrag auf Eröffnung eines Sicherungsverfahrens in Paris stellen.120 Im Zuge der Insolvenz in den Jahren 2007 und 2008 fielen sowohl die Holding als auch 37 der 91 PIN-Gesellschaften in die Insolvenz.121 Die Maxdata AG – einer der größten europäischen ITProduzenten – und dessen französischen Vertriebsgesellschaft Maxdata S.A.R.L. mussten im Jahre 2008 Insolvenz anmelden. Im Jahre 2009 rutschte die Holding ECKA Granulate GmbH & Co. KG sowie die in Österreich angesiedelte Tochtergesellschaft non ferrum Metallpulver GmbH & Co. KG in die Krise. Identisch erging es im gleichen Jahr den Gesellschaften des deutschschwedischen Automobilzulieferers der Plastal-Gruppe122 sowie des Halbleiterhersteller Qimonda123. Im Jahre 2011 fielen die Unternehmen von Europas führendem Vermieter von IT- und Präsentations-Equipment Livingston124 in die Insolvenz. 2012 erwischte es den niederländisch-deutschen Photovoltaikhersteller Scheuten Solar.125 Für die Gesellschaften des Modulwechselrichters für Solaranlagen der Enecsys-Gruppe126 ließ sich die Insolvenz im Jahre 2015 nicht abwenden. Im anschließenden Jahr holte die Insolvenz den Tierbedarfshersteller Karlie ein.127 Besondere Aufmerksamkeit erregte im Jahre 2017 die Insolvenz der ebenfalls international strukturierten Fluglinie Air Berlin.128 119 Die englische Eurotunnel plc sowie französische Eurotunnel SA waren die Holdinggesellschaften der Eurotunnel-Gruppe mit weiteren Konzerngesellschaften in Spanien, Deutschland, Belgien und den Niederlanden. 120 Bei dem französischen Procédure de sauvegarde handelt es sich um ein besonderes Insolvenzverfahren, welches ohne Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eröffnet werden kann, aber dennoch unter den Anwendungsbereich der EuInsVO fällt. 121 Bei der PIN-Gruppe handelte es sich um ein Netz zahlreicher regionaler deutscher Postunternehmen, die Holding wurde jedoch als PIN Group S.A. nach luxemburgischem Recht gegründet. Die Insolvenz der PIN-Gruppe wurde zwar zu einer rein nationalen Konzerninsolvenz, nachdem das Verfahren über die Holding schlussendlich ebenfalls in Deutschland durchgeführt wurde. Da die Zuständigkeitsbegründung der Holding in Deutschland allerdings auf europäischem Zuständigkeitenrecht basierte, ist das Geschehen rund um die PIN-Gruppe als internationale Konzerninsolvenz zu qualifizieren. 122 Die schwedische Holding Plastal Holding AB und die deutsche Plastal GmbH mussten Insolvenz anmelden. 123 Insolvenzverfahren wurden über die Qimonda AG, die Zwischenholding Qimonda Holding B.V. sowie die Tochter Qimonda Dresden GmbH & Co. OHG eröffnet. 124 Davon umfasst war sowohl die Livingston UK Ltd als auch die Livingston Electronic Services GmbH. 125 In die Insolvenz fielen die Scheuten Solar Solutions BV und die Scheuten Solar Produktions GmbH. 126 Die britische Enecsys UK Ltd sowie der deutsche Enecsys Europe GmbH. 127 Verfahren wurden über die Muttergesellschaft Karlie Group GmbH und das belgische Tochterunternehmen Karlie Flamingo Belgium Holding B. V. B. A. eröffnet. 128 Verfahren wurden sowohl über die englische Muttergesellschaft Air Berlin plc als auch die deutschen und englischen Töchter Air Berlin plc & Co. Luftverkehr KG, topbonus Ltd sowie Air Berlin Technik GmbH eröffnet.

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Kapitel 1: Grundlagen

Dieser Überblick verdeutlicht, dass das Problem der europäischen Konzerninsolvenzen heutzutage realer ist als je zuvor. In einer ökonomisch stark verknüpften Europäischen Union, in welcher die Unternehmen frei auf dem europäischen Markt wirtschaften können, wird die Faktizität der Konzerninsolvenz auch in Zukunft kontinuierlich an Bedeutung gewinnen. B. Ursachenforschung I. Der rechtsträgerbezogene Ansatz in der Konzerninsolvenz Kommt es zur Insolvenz im Zusammenhang eines Konzerns wird in allen Mitgliedstaaten ein streng rechtsträgerbezogener Ansatz gewählt. 129 So stellen Konzerne lediglich einen Verbund von Rechtsträgern dar, woraus sich ein Verbund von Schuldnern in der Insolvenz entwickelt. Diese Trennung ist systemimmanent und wurde auch durch die Einführung nationaler Konzerninsolvenzverfahren nicht angegangen.130 Das Rechtsträgerprinzip und die daraus resultierende Trennung der einzelnen Haftungsmassen, basierend auf der kontinentaleuropäischen Rechtstradition der Haftungsseparierung, stellt die fundamentale Basis der nationalen Insolvenzrechtsordnungen dar. Ein Insolvenzverfahren kann daher grundsätzlich lediglich über das Vermögen natürlicher und juristischer Personen eröffnet werden.131 Konzerne können mangels eigenständiger Rechtspersönlichkeit nicht eigener Anknüpfungspunkt eines Insolvenzverfahrens sein, dies steht lediglich den einzelnen Konzernunternehmen als eigenständigen Rechtsträgern zu.132 Es kommt zum vielzitierten Grundsatz: „Eine Person, ein Vermögen, eine Insolvenz“133. Fraglich ist, was im Insolvenzfalle mit der einheitlichen Konzernführung geschieht. Wenngleich die Insolvenz über jeden Rechtsträger eigenständig hereinbricht, bleiben die institutionellen und organschaftlichen Verflechtungen 129 Ausführlich zu den europäischen Insolvenzrechtsordnungen Schillig zu England und Wales, Bauerreis zu Frankreich, Kindler/Conow zu Italien, Duursma-Kepplinger zu Österreich, Barłowski zu Polen, Fries/Steinmetz zu Spanien, Konopcik zu der Tschechischen Republik sowie Sipos zu Ungarn in: Kindler/Nachmann, Hdb Insolvenzrecht in Europa, 4. EL 2014, 2. Teil Länderberichte. Die deutsche Reformkommission für die InsO hat sich zwar mit anderen Konzeptionen auseinandergesetzt, am strikten Rechtsträgerprinzip sollte dennoch nicht gerüttelt werden. Siehe BMJ, Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1985, S. 292. 130 Der deutsche Gesetzgeber hat dem nationalen Insolvenzrecht einen eigenen konzerninsolvenzspezifischen Teil hinzugefügt, die Trennung der rechtlichen Eigenständigkeit der einzelnen Konzernunternehmen wurde dabei allerdings nicht aufgelöst. 131 Für das deutsche Recht normiert in § 11 Abs. 1 S. 1 InsO. 132 „[A]us Spiegeleiern wird auch in der Insolvenz kein Rührei“, Nerlich/Römermann/Nerlich/Hübler, InsO, 33. EL September 2017, Vorbem. vor Art. 56–77 EuInsVO Rn. 1 Fn. 1. 133 Zurückzuführen auf Uhlenbruck, KTS 1986, 419, 425; zu diesem Prinzip und dessen Durchbrechungen im europäischen Kontext J. Schmidt, KTS 2015, 19 ff.

§ 2 Das Phänomen der europäischen Konzerninsolvenz

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weiterbestehen. Auch die schuldrechtliche Begründung von funktions- und ressourcenverbundenen Unternehmen löst sich im Insolvenzfalle nicht unmittelbar auf. Lediglich der Weiterbestand von Unternehmensverträgen, welche die einheitliche Führung im Unterordnungskonzern konkretisieren und direkten Einfluss vermitteln, kann im Insolvenzfalle – abhängig von dem jeweiligen nationalen Recht – automatisch beendet werden.134 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehen – im Regelfall – die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und damit die faktische Unternehmensführung auf die jeweiligen autonom handelnden Insolvenzverwalter über.135 Diese ziehen ihre Verwaltungskompetenz ausschließlich aus dem Insolvenzrecht und nicht aus dem Gesellschafts- oder Schuldrecht, welches die einheitliche Führung zumeist begründete.136 Wird die Führung über Organverflechtungen vermittelt, löst sie sich ebenfalls durch die Übernahme der Insolvenzverwalter auf. Das die einstige Führung innehabende Konzernunternehmen kann sein Einwirkungsrecht nur noch in den marginalen, ihm verbleibenden Kompetenzen des beschlagfreien Vermögens und der dem Schuldner im Insolvenzverfahren gegenüber dem Insolvenzverwalter und -gericht zustehenden Rechten ausüben.137 Die wirtschaftliche Einheit wird in der Insolvenz somit auch in der Führung auseinandergerissen. Die Führung der einzelnen insolventen Konzernunternehmen wird im Folgenden über Personen in Form der Insolvenzverwalter vermittelt, denen nach der originären Konzernstruktur solch eine Entscheidungsbefugnis nicht zukommt. Die einheitliche Führung, welche die aufgeteilten Produktionsfaktoren im Konzerninteresse wieder verbinden sollte, wird – ohne Rücksicht auf operative, betriebliche oder finanzielle Erfordernisse – aufgelöst und einem Verwalter übertragen, der ausschließlich für die Interessen seines Verfahrens zuständig ist. 138 Das wirtschaftlich einheitliche Gebilde des Konzerns wird als Folge unnatürlich aufgespalten.139 Die konkreten Auswirkungen der Insolvenz eines Konzernunternehmens auf den Konzern hängen allerdings maßgeblich von der individuellen

Siehe hierzu S. 67. Dies wird in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen der Europäischen Union einheitlich praktiziert, Kindler/Nachmann, Hdb InsR in Europa, 4. EL 2014, 2. Teil Länderberichte, Schillig zu England und Wales Rn. 318 ff., Bauerreis zu Frankreich Rn. 70, Kindler/Conow zu Italien Rn. 115, Duursma-Kepplinger zu Österreich Rn. 90 ff., Barłowski zu Polen Rn. 105, Fries/Steinmetz zu Spanien Rn. 47, Konopcik zu Tschechische Republik Rn. 99, Sipos zu Ungarn Rn. 142. 136 Lieder, Grenzüberschreitende Unternehmenssanierung, 2007, S. 135; zum deutschen Recht Acher, Vertragskonzern und Insolvenz, 1987, S. 119 u. 122; Schmiedeknecht, Der Anwendungsbereich der EuInsVO, 2004, S. 208; Tschernig, Haftungsrechtliche Probleme der Konzerninsolvenz, 1995, S. 89. 137 Zum deutschen Recht Acher, Vertragskonzern und Insolvenz, 1987, S. 119; Bous, Konzernleitungsmacht, 2001, S. 292 ff.; Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 76 f. 138 Humbeck, NZI 2013, 957, 959. 139 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 29; Wimmer, DB 2013, 1343, 1343. 134

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Kapitel 1: Grundlagen

Ausgestaltung des Konzerns selbst ab und werden im Folgenden genauer erläutert. II. Die betriebswirtschaftlichen Ursachen einer Konzerninsolvenz Die Praxisrelevanz einer Konzerninsolvenz rührt wirtschaftlich aus der Tatsache, dass durch die Aufteilung der Produktionsfaktoren auf rechtlich getrennte Unternehmen Verflechtungen entstehen, die im Insolvenzfalle eines Konzernunternehmens als Transmitter der Krisensituation dienen. So führen die Verflechtungen zwischen den einzelnen Konzernunternehmen – insbesondere im leistungs- und finanzwirtschaftlichen Bereich – dazu, dass sich Insolvenzgründe von einem Rechtsträger auf andere ausbreiten können.140 Die Probleme beginnen zumeist im leistungswirtschaftlichen Bereich und können sich daraufhin sowohl in die finanzwirtschaftliche Sphäre des gleichen Unternehmens als auch in beide Bereiche der anderen Konzernunternehmen ausdehnen. 1. Leistungswirtschaftliche Verflechtungen Gründe für leistungswirtschaftliche Schieflagen entstehen durch strategische Fehler in dem betroffenen Unternehmen selbst. So können eine mangelnde Innovationsfähigkeit141, eine defizitäre Produktivität142 oder falsche Investitionsentscheidungen143 die Auslöser einer Krise sein. Darüber hinaus können externe Faktoren auf den leistungswirtschaftlichen Bereich einwirken, indem eine gesamtwirtschaftliche Rezession oder andere Krisen die ganze Sparte schwächen oder es zu betrieblichen Kostensteigerungen aufgrund veränderter Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt kommt. 144 Zu Beginn der Insolvenz der Korf-Gruppe im Jahre 1982 stand ein Preisverfall auf dem US-amerikanischen Stahlmarkt, welcher zu Liquiditätsproblemen der Gruppen-Holding Korf Industrie und Handel GmbH & Co. KG führte.145 Ebenso geriet als Folge der Insolvenz des MG Rover-Konzerns im Jahre 2005 die ganze Sparte der Autozulieferer in die Krise, wodurch sich konzernübergreifend ein Dominoeffekt einstellte, der andere Konzerne mit sich riss und mehr als 25.000 Arbeitsplätze kostete.146 140 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 19 f. u. 67 f.; Rotstegge, Konzerninsolvenz, 2007, S. 63 f.; anhand der AEG und Korf-Insolvenz Kübler, ZGR 1984, 560; Wellensiek, ZIP 1984, 541, 543; anhand des Vulkan-Konkurses Wellensiek, ZGR 1999, 234. 141 Wellensiek, ZIP 1984, 541, 541; mehr zu wiederkehrenden Mustern bei Unternehmenskrisen Ley/Crone in: Brühl/Göpfert, Unternehmensrestrukturierung, 2004, 93, 95. 142 Wellensiek, ZGR 1999, 234, 236. 143 Wellensiek, ZIP 1984, 541, 541; im Zusammenhang mit insolvenzauslösenden Immobilieninvestitionen des Herlitz-Konzerns Rattunde, ZIP 2003, 596, 597. 144 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 68 f. 145 Kübler, ZGR 1984, 560, 575 ff. 146 SWD(2012) 416 final (EN), S. 18.

§ 2 Das Phänomen der europäischen Konzerninsolvenz

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Die Auswirkungen von leistungswirtschaftlichen Problemen bergen erhebliche Risiken für funktional-vertikal strukturierte Konzerne. Unabhängig von eventuellen finanzwirtschaftlichen Folgen aufgrund gemeinsamer Finanzierungssysteme können die leistungswirtschaftlichen Probleme insbesondere dazu führen, dass die vertikal nachfolgenden Unternehmen selbst in leistungswirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Zwischen den Unternehmen besteht eine produktionswirtschaftliche oder administrative Abhängigkeit, welche dazu führt, dass benötigte Zwischenprodukte nicht geliefert werden können.147 Tritt solch ein Fall ein, entstehen unmittelbar leistungswirtschaftliche Auswirkungen auf die Wertschöpfungskette innerhalb des Konzerns. Fällt das die Overhead-Leistungen zu erbringende Mutterunternehmen in die Insolvenz, führt dies des Weiteren dazu, dass die Leistungen entweder gar nicht oder nicht mehr zu den zuvor festgelegten Preisen erbracht werden können. Der Beginn einer Kettenreaktion ist entfacht. Die leistungswirtschaftlichen Verflechtungen sowohl bei der Wertschöpfung als auch im Zusammenhang mit Overhead-Leistungen wurden dem Konzern rund um die Babcock Borsig AG zum Verhängnis. Die Gruppe war in Form eines Unterordnungskonzerns strukturiert, wobei die Konzernspitze aus einer Holding bestand, das operative Geschäft jedoch ausschließlich von den Tochterunternehmen durchgeführt wurde.148 Im Außenverhältnis handelte lediglich die Holding, im Innenverhältnis bediente man sich – basierend auf konzerninternen Verträgen – der Tochterunternehmen zur Leistungserfüllung. Vorteile ergaben sich zunächst bei der Qualitätskontrolle, der Sicherstellung der Lieferfähigkeit und der Nutzung von Konzern-Synergien.149 In der Insolvenz führten die Verflechtungen über die Leistungsaustauschverträge zur Ausbreitung des Insolvenzrisikos über den ganzen Konzern. 2. Finanzwirtschaftliche Verflechtungen Ist ein Unternehmen des Konzerns in leistungswirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, ist es möglich, dass dies den finanzwirtschaftlichen Bereich der anderen Konzernunternehmen berührt. Darüber hinaus können eigenständige Verflechtungen in der Finanzierung zu finanzwirtschaftlichen Schwierigkeiten in der ganzen Konzernunternehmung führen. Finanzwirtschaftliche Verknüpfungen entstehen vor allem auf Basis zentraler Konzernfinanzierungsstrategien, die sich mit einer einheitlichen Kapitalbeschaffung oder Kapitalverwaltung beschäftigen.150

Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 69. Rennert-Bergenthal, ZInsO 2008, 1316, 1316. 149 Piepenburg, NZI 2004, 231, 234. 150 Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 439 ff.

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Kapitel 1: Grundlagen

a) Cash-Management-Systeme Ein wesentliches Element in einem konzernweiten Finanzmanagement ist die Implementierung eines umfassenden Cash-Management-Systems151. Die Implementierung solch eines Systems macht den Finanzbereich zum verflochtensten Geschäftsbereich eines Konzerns.152 Für die konzerninterne Finanzplanung stehen dem Cash-Management-System zwei wesentliche Instrumente zur Verfügung: Das Netting und Cash-Pooling. Im Zuge des bilateralen oder multilateralen Nettings werden unternehmensinterne Forderungen und Verbindlichkeiten, resultierend aus Leistungsverflechtungen zweier oder mehrerer Konzernunternehmen innerhalb einer Periode miteinander verrechnet, sodass lediglich eine einheitliche Netto-Forderung gebildet wird, um einen tatsächlichen Zahlungsaustausch und damit verbundene Zahlungs-, Fremdwährungs-, Kredit- und Liquiditätsrisiken zu vermeiden.153 In einem europaweit agierenden Konzern kann der Einsatz eines Netting-Systems – abhängig von den nationalen Vorschriften – von Behördenoder Zentralbankgenehmigungen abhängig gemacht werden.154 Allein der gebildete Netto-Saldo unterliegt der insolvenzrechtlichen Kreditgefährdung. Somit dient das System des Nettings gerade dazu, finanzwirtschaftliche Verflechtungen vorinsolvenzlich aufzulösen. Konzerninsolvenzspezifische Problemstellungen resultieren hieraus nicht. Als weiteres Instrument im Finanzmanagement steht das Cash-Pooling-System bereit. Hierbei werden Überschuss- und Unterdeckungsbeiträge periodisch (meist banktäglich) von den einzelnen Konzerngesellschaften abgeführt, sodass es zu einem Zero-Balancing 155 kommt, das heißt die Unterkonten 156 151 „Gesamtheit aller Aktivitäten, die direkt oder indirekt auf eine zielorientierte Gestaltung des kurzfristigen Finanzpotenzials der Unternehmung ausgerichtet sind.“, Kettern, Cash Management, 1987, S. 19. Ausführlich zum Cash-Management im Konzern Ammelung/Kaeser, DStR 2003, 655 ff.; Larisch in: Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kapitel C Rn. 534 ff.; Schneider in: Lutter/Scheffler/Schneider, Hdb Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 25.1 ff.; Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 452 ff.; Wehlen in: Lutter/Scheffler/Schneider, Hdb Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 23.1 ff. 152 Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 47; Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 442 f. 153 Ausführlich Böhm, Rechtliche Aspekte grenzüberschreitender Nettingvereinbarungen, 2001, S. 22 ff. m. w. N. Im internationalen Finanztransfer können insbesondere Transaktionskosten in Form von Bankgebühren, Umtauschprovisionen und Wechselkurssicherungskosten sowie Zinsen eingespart werden, Vetter/Stadler, Haftungsrisiken beim konzernweiten Cash Pooling, 2003, Rn. 14. 154 Wehlen in: Lutter/Scheffler/Schneider, Hdb Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 23.41. 155 Zur teilweise praktizierten Variante des Conditional- oder Target-Balancing siehe Ammelung/Kaeser, DStR 2003, 655, 657; Oho/Eberbach, DB 2001, 825, 825. 156 Altmeppen, NZG 2010, 361 ff.; Jäger, DStR 2000, 1653, 1653; auch als „Quell“- oder „Ursprungskonten“ bezeichnet, Hellwig in: FS Peltzer, 2001, 163, 164; Oho in:

§ 2 Das Phänomen der europäischen Konzerninsolvenz

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vollständig ausgeglichen werden und auf dem Zielkonto157 ein Netto-Liquiditätssaldo entsteht.158 Zahlungen von Unterkonten auf das Zentralkonto nennt man upstream loans, vom Zentralkonto an Unterkonten downstream loans.159 Das Zielkonto kann an divergierenden Unternehmenspositionen situiert sein. Regelmäßig wird es von der Muttergesellschaft selbst oder einer eigenen Finanzierungsgesellschaft (In-House-Bank oder Treasury) betrieben.160 Die Vorteile, welche dieses System mit sich bringt, sind mannigfaltig.161 Zum einen werden die Gelder nach Liquiditätsbedarf verteilt, wodurch weniger Fremdkapital zum Marktzins aufgenommen werden muss. 162 Des Weiteren weist das Betreiberunternehmen zumeist die beste Bonität der Unternehmen auf, sodass die Zinslast verringert werden kann.163 Darüber hinaus schlagen weniger Verwaltungskosten für das Gesamtunternehmen zu buche, wenn das Finanzmanagement zentralisiert ist.164 Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, 2. Aufl. 2008, § 10 Rn. 103; „Zahlungsverkehrskonten“, Sieger/Hasselbach, BB 1999, 645, 645. 157 Altmeppen, NZG 2010, 361 ff.; MüKoAktG/Altmeppen, 4. Aufl. 2015, § 311 Rn. 225; Ammelung/Kaeser, DStR 2003, 655, 657; Flöther/Specovius, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 3 Rn. 128; „Konzentrationskonto“, Wehlen in: Lutter/Scheffler/Schneider, Hdb Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 23.28; „Haupt-“ oder „Verrechnungskonto“, Ammelung/Kaeser, DStR 2003, 655, 657; „Masterkonto“, Oho in: Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, 2. Aufl. 2008, § 10 Rn. 103; Oho/Eberbach, DB 2001, 825, 825; „Master-Account“, Hellwig in: FS Peltzer, 2001, 163, 164; Jacobs/Endres/Spengel in: Jacobs, Int. Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl. 2016, S. 716; Sieger/Hasselbach, BB 1999, 645, 645; „Zentralkonto“, BGHZ 166, 8, 9 u. 12. 158 Unter vielen Altmeppen, NZG 2010, 361, 361; MüKoAktG/Altmeppen, 4. Aufl. 2015, § 311 Rn. 225 u. 229; Ammelung/Kaeser, DStR 2003, 655, 657; Hellwig in: FS Peltzer, 2001, 163, 164; Oho in: Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, 2. Aufl. 2008, § 10 Rn. 101 u. 103; Oho/Eberbach, DB 2001, 825, 825; Wehlen in: Lutter/Scheffler/Schneider, Hdb Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 23.28. 159 Altmeppen, NZG 2010, 361, 362; MüKoAktG/Altmeppen, 4. Aufl. 2015, § 311 Rn. 227 Fn. 287 f.; Flöther/Specovius, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 3 Rn. 128. Bei den Vermögensverschiebungen, welche im Zusammenhang eines Cash-Poolings durchgeführt werden, handelt es sich zumeist um Darlehen. 160 Das Betreiberunternehmen kann auch eine Zwischenholding sein, Engert, BB 2005, 1951, 1956; Jäger, DStR 2000, 1653, 1653. Die Entscheidung ist jedenfalls bei internationalen Konzernen häufig steuerrechtlich motiviert, vgl. Manz/Mayer/Schröder/Schröder, Die AG, 7. Aufl. 2014, Rn. 1071 Fn. 1680. Bei internationalen Konzernen wird oftmals ein mehrstufiges Pooling umgesetzt, sodass ein vorgeschalteter Liquiditätsausgleich auf nationaler Ebene stattfindet, Vetter/Stadler, Haftungsrisiken beim konzernweiten Cash Pooling, 2003, Rn. 6. 161 Zu den Vorteilen des Cash-Poolings Ammelung/Kaeser, DStR 2003, 655, 657; ausführlich Hormuth, Cash Management, 1998, S. 83 ff. 162 Hormuth, Cash Management, 1998, S. 84 f. 163 Altmeppen, NZG 2010, 361, 361; MüKoAktG/Altmeppen, 4. Aufl. 2015, § 311 Rn. 230; Oho in: Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, 2. Aufl. 2008, § 10 Rn. 102. 164 MüKoAktG/Altmeppen, 4. Aufl. 2015, § 311 Rn. 230.

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Kapitel 1: Grundlagen

In einem internationalen Konzern ist es essenziell alle Jurisdiktionen zu betrachten, in welche das Cash-Pooling ausgedehnt werden soll. Die Beteiligung einer großen Anzahl von Konzernunternehmen aus verschiedenen Rechtsordnungen kann die Komplexität eines konzernweiten Cash-Management-Systems erheblich ansteigen und damit unattraktiv werden lassen. 165 Dabei ist fraglich, ob der grenzüberschreitende automatische Transfer von Liquidität überhaupt erlaubt ist. Im Raum der europäischen Union, in der eine allgemeine Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit herrscht, kann es zwar zu einzelnen gerechtfertigten Einschränkungen auf nationaler Ebene kommen, die Etablierung eines einheitlichen Cash-Management-Systems wird jedoch im Allgemeinen nicht untersagt. Insbesondere durch Einführung des Euro wurde das Cash-Pooling in europaweit agierenden Konzernen vereinfacht. Die einheitliche Währung führte zum Wegfall von Kurssicherungskosten, wodurch die Kosten der Liquiditätssteuerung massiv verringert werden. 166 Ist das Cash-Pooling über die EuroZone hinaus organisiert, agieren die Konzerne somit währungsgebietsübergreifend, sind Mehrwährungs-Cash-Pools erforderlich. Diese können die Form eines Single-Currency-Pooling annehmen, bei welchem mehrere Cash-Pools in unterschiedlichen Landeswährungen betrieben werden, 167 eine Verrechnung jedoch nur in Ausnahmefällen durchgeführt wird.168 Beim Cross-Border-Offsetting ist jedem Tochterunternehmen ein eigenes Fremdwährungskonto zugewiesen, wodurch es an jedem Cash-Pool jeder Währung, in der es Geschäfte abwickelt, teilnimmt.169 Am weitesten geht das Multi-Currency-Pooling, welches alle liquiden Mittel, wie im nationalen Cash-Pooling, auf ein Zielkonto vereint. Dadurch entstehen allerdings Währungsrisiken in Form von schwankenden Wechselkursen und Umrechnungskosten. 170 Gerade aufgrund der 165 Wehlen in: Lutter/Scheffler/Schneider, Hdb Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 23.51, 23.59 u. 23.69; ausführlich Jansen, International Cash Pooling, 2011, S. 1 ff. 166 Ammelung/Kaeser, DStR 2003, 655, 656 u. 658; Oho in: Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, 2. Aufl. 2008, § 10 Rn. 101; Oho/Eberbach, DB 2001, 825, 825. 167 Hormuth, Cash Management, 1998, S. 60; Schmeiser in: von Hagen/von Stein, Geld-, Bank- und Börsenwesen, 2000, S. 662 f.; die Konten können überdies dafür genutzt werden, die in dieser Währung anfallenden Zahlungsströme abzuwickeln (sog. Devisen-Netting), Ammelung/Kaeser, DStR 2003, 655, 658; Zahrte, Finanzierung durch Cash Pooling, 2010, S. 357. 168 Dies geschieht zum Beispiel bei akutem Finanzbedarf in einem Wirtschaftsraum oder bei starker Inflation, Zahrte, Finanzierung durch Cash Pooling, 2010, S. 357; allgemein zum Single-Currency-Pooling vgl. Hormuth, Cash Managements, 1998, S. 60; Kinnear in: McArdle, Cash Management, 1992, 55, 61 f. 169 Hormuth, Cash Management, 1998, S. 61; Zahrte, Finanzierung durch Cash Pooling, 2010, S. 357. 170 Hormuth, Cash Management, 1998, S. 61; Zahrte, Finanzierung durch Cash Pooling, 2010, S. 357 f.; ausführlich zum Finanzmanagement in multinationalen Unternehmungen Glaum/Brunner in: FS Welge, 2003, 307, 310 ff.

§ 2 Das Phänomen der europäischen Konzerninsolvenz

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Währungsrisiken wird ein Notional-Pooling, das heißt der Ausgleich von Banksalden in unterschiedlichen Währungen über ein virtuelles Cash-Pooling,171 dem Multi-Currency-Pooling meist überlegen sein.172 Das Notional-Pooling soll in dieser Arbeit nicht weiterverfolgt werden, da dieses Instrument hauptsächlich der Zinsoptimierung dient und infolgedessen Insolvenzrisiken sogar minimiert werden. Die anderen Formen des Cash-Poolings führen allerdings – gerade im europäischen Raum – zu erheblichen finanzwirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den Konzernunternehmen und damit zu konzerninsolvenzspezifischen Problemstellungen. Diese resultieren insbesondere daraus, dass das Betreiberunternehmen, welches die Tochterunternehmen mit Liquidität versorgt, im Vergleich zu externen Kreditinstituten ein erheblich höheres Bonitätsrisiko besitzt. Kollabiert das Betreiberunternehmen,173 entsteht hieraus fast zwangsläufig ein Dominoeffekt, welcher die anderen in das Cash-Pool-System integrierten Konzernunternehmen mit sich reißt. 174 Nationale Kapitalerhaltungs- und Kapitalaufbringungsvorschriften helfen nur begrenzt. Die Tochterunternehmen müssen als Folge einer Insolvenz des Betreiberunternehmens Wertberichtigungen hinsichtlich ihrer Forderungen vornehmen, mit der Konsequenz der Überschuldung gerade dieser Tochterunternehmen und der Zahlungsunfähigkeit anderer Konzernunternehmen, welche Liquidität bedürfen, aber nicht mehr damit ausgestattet werden können.175 Fällt ein Tochterunternehmen in die Insolvenz, hat das Betreiberunternehmen die Wertberichtigung vorzunehmen. Dieses sollte zwar finanziell besser ausgestattet sein, handelte es sich bei dem insolventen Tochterunternehmen gerade um ein Liquiditätsversorger, könnte dennoch der ganze Konzern schnell in Liquiditätsschwierigkeiten geraten.176 Die Auswirkungen des Cash-Pooling-Systems zeigten sich unter anderem in der Insolvenz der Babcock Borsig-Gruppe. Dieser Konzern setzte sich aus Oho in: Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, 2. Aufl. 2008, § 10 Rn. 104. Jäckle Finanz-Betrieb 2000, 82, 84. 173 Dies kann einerseits daraus resultieren, dass das Betreiberunternehmen selbst in leistungs- oder finanzwirtschaftliche Schwierigkeiten gerät oder die Krise eines Tochterunternehmens dazu führt, dass dieses nicht die für das Cash-Pool-System benötigte Liquidität aufbringen kann und somit ihre Schwierigkeiten an das Betreiberunternehmen weiterreicht, Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 70. 174 Das Cash-Pooling führt zu einer „Liquiditäts-Gefahrengemeinschaft“ im Konzern, Lutter/Scheffler/Schneider in: dies., Hdb Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 1.77; allgemein zu den Risiken eines Cash-Poolings Vetter in: Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, 5. Aufl. 2015, Rz. 11.7 ff. 175 Hinsichtlich eines Cash-Pools nach deutschem Recht Beck, DZWIR 2014, 381, 386. 176 Die Konzernspitze kann ferner durch einen Missbrauch des Cash-Pool-Systems einzelne Unternehmen zur eigenen Finanzierung soweit „aussaugen“, dass diese in eine Existenzgefahr rutscht. So geschehen im deutschen Fall Bremer-Vulkan. Ein ungewollter Dominoeffekt ist hierbei jedoch nicht zu befürchten, da das Tochterunternehmen gerade bewusst in die Insolvenz getrieben wird. 171

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Kapitel 1: Grundlagen

360 Beteiligungsgesellschaften zusammen, welche über Ergebnisabführungsverträge verknüpft waren.177 Die Konzernfinanzierung wurde zentral über die Holding im Wege eines Cash-Poolings gesichert. So wurden die täglichen Liquiditätsüberschüsse der Tochterunternehmen an die Holding abgeführt, wodurch anderen Tochterunternehmen günstig Liquidität zugeführt werden konnte.178 Nachdem die Holding im Jahre 2002 Insolvenz anmelden musste, führte dies zu Wertberichtigungen hinsichtlich der Darlehensforderungen der Tochtergesellschaften gegenüber der Holding.179 Folge war eine Masseninsolvenz einer Vielzahl von Gruppenunternehmen.180 Ebenfalls insolvenzfördernd wirkte sich das Cash-Pooling-System in der Krise des deutschen AEG-Konzerns und der Korf-Gruppe aus. Dabei musste – im Falle AEG – die konzerneigene Neff-Werke GmbH die Vertriebsgesellschaften des Konzerns zur Absetzung der Produkte nutzen, wodurch die Liquidität direkt bei der AEG-Telefunken AG als Muttergesellschaft entstand und die Neff-Werke GmbH ihr gegenüber lediglich Forderungen besaß. Die anderen Tochterunternehmen waren ebenfalls an das Pooling-System der AEG angeschlossen und hatten zum Zeitpunkt der Insolvenz der Muttergesellschaft erhebliche konzerninterne Forderungen. Als die Muttergesellschaft in die Insolvenz fiel, wirkte sich dies mangels Zugriff auf die Liquidität ebenso auf die grundsätzlich gesunden Tochterunternehmen aus.181 Gleichermaßen führten im Zusammenhang der Korf-Gruppe die hohen Verluste sowie die Gewinn- und Verlustabführungsverträge zwischen der Korf-Stahl AG und deren Tochterunternehmen Hamburger Stahlwerke GmbH zu einem Dominoeffekt und damit zu weiteren Insolvenzen.182

Piepenburg, NZI 2004, 231, 232; Rennert-Bergenthal, ZInsO 2008, 1316, 1316. Rennert-Bergenthal, ZInsO 2008, 1316, 1316. 179 Piepenburg, NZI 2004, 231, 232 u. 234; Rennert-Bergenthal, ZInsO 2008, 1316, 1316. 180 Von 70 insolventen Gruppenunternehmen sprechend Piepenburg, NZI 2004, 231, 232; lediglich 60 Gruppenunternehmen als insolvent bezeichnend Rennert-Bergenthal, ZInsO 2008, 1316, 1316. 181 Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 49; Wellensiek, ZIP 1984, 541, 543; Vetter in: Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, 5. Aufl. 2015, Rz. 11.7. 182 Bei der Hamburger Stahlwerke GmbH konnte, wie bei der Korf-Stahl AG, die Mindest-Vergleichsquote von 35 % nicht erreicht werden, Kübler, ZGR 1984, 560, 581. Der gesamte Betrieb der Hamburger Stahlwerke GmbH wurde daraufhin in die zuvor gegründete Auffanggesellschaft Neue Hamburger Stahlwerke GmbH übernommen, um eine übertragende Sanierung zu gewährleisten, Kübler, ZGR 1984, 560, 581 ff. 177

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§ 2 Das Phänomen der europäischen Konzerninsolvenz

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b) Wechselseitige Besicherungen Externe Kreditgeber und damit Großgläubiger183 fordern von den Konzernunternehmen wechselseitige Besicherungen in Form von Upstream-, Downstream- und Sidestream-Besicherungen184. Diese erfolgen insbesondere anknüpfend an die zentrale Finanzierung in einem Cash-Management-System, da die Kreditgeber bei einem Debetsaldo des Zielkontos eine gesamtschuldnerische Mithaftung oder andere Sicherheiten der anderen Konzerngesellschaften fordern, um einen konzernweiten Haftungsverband zu schaffen.185 Die Sicherungen können aus Garantien, Bürgschaften, Verpfändungen oder anderen Sicherheiten, wie der konzernspezifischen Patronatserklärungen, bestehen. 186 Durch die wechselseitigen Besicherungen wird die strukturelle Nachrangigkeit der Kreditgeber zumindest abgemindert. Gerade bei einer Upstream-Besicherung kann der Kreditgeber nicht nur über seine nachrangige Stellung als Gläubiger des Mutterunternehmens, welches ja zumeist Gesellschafterin des Tochterunternehmens ist, gegen das Tochterunternehmen vorgehen, sondern hat durch die vertragliche Absprache in Form der Besicherung einen gleich- oder vorrangigen direkten Zugriff auf das Tochterunternehmen.187 Die wechselseitige Besicherung führt demnach dazu, dass sich der Konzern haftungstechnisch einem Einheitsunternehmen annähert, wodurch die Risiken für eine Konzerninsolvenz bei der Insolvenz eines Konzernunternehmens erheblich gesteigert werden. Allerdings stellen die nationalen Rechtsordnungen zum einen rechtliche Schranken bei der Besicherung von Krediten an Konzerngesellschaften auf, zum anderen werden Rechtsmittel im Insolvenzfalle zur Verfügung gestellt, sodass die rechtliche Selbstständigkeit der Einzelunternehmen durch Konzernbesicherungsverhältnisse nicht vollständig aufgelöst werden kann.188 183 Die kleinen Gläubiger werden hingegen durch die Beteiligung der Konzerngesellschaften am Risiko der Großgläubiger mittelbar negativ in ihren eigenen Befriedigungsaussichten beeinträchtigt, Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 55. 184 Besicherung einer Forderung gegen das Mutterunternehmen durch das Vermögen der Tochterunternehmen (Upstream-Besicherung); Besicherung einer Forderung gegen das Tochterunternehmen durch Vermögen des Mutterunternehmens (Downstream-Besicherung); Besicherung einer Forderung durch Vermögen der Schwesterunternehmen (Sidestream-Besicherung). Vgl. Merkel in: Lutter/Scheffler/Schneider, Hdb Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 17.28. 185 Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 51; Engert, Haftung für drittschädigende Kreditgewährung, 2005, S. 73; Koppensteiner in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, § 311 Rn. 82; Merkel in: Lutter/Scheffler/Schneider, Hdb Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 17.28; Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 682. 186 Ausführlich Merkel in: Lutter/Scheffler/Schneider, Hdb Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 17.62 ff. 187 Hirte in: FS K. Schmidt, 2009, 641, 646; Humbeck, NZI 2013, 957, 959; Merkel in: Lutter/Scheffler/Schneider, Hdb Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 17.15. 188 Zu den rechtlichen Schranken im deutschen Recht Merkel in: Lutter/Scheffler/Schneider, Hdb Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 17.33 ff. Als Rechtsmittel im deutschen Recht

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Kapitel 1: Grundlagen

§ 3 Das europäische Konzerninsolvenzrecht § 3 Das europäische Konzerninsolvenzrecht

Die Insolvenz eines ganzen Konzerns bzw. eines aus mehreren Konzernunternehmen zusammengesetzten Konzernteils muss anderen Regeln unterworfen sein, als die Insolvenz eines Unternehmens, welches allein aus einem Rechtsträger besteht und alle Produktionsfaktoren auf diesen vereint. Die negativen Auswirkungen einer Konzerninsolvenz einer Lösung zuzuführen, ist Aufgabe des Konzerninsolvenzrechts. Heutzutage versteht man unter Konzerninsolvenzrecht daher alle Rechtsvorschriften, die den finanziell existenzbedrohenden Zustand eines oder mehrerer Konzernglieder und die Abwendung oder Abwicklung der finanziellen Krisensituation regeln.189 Der Gegenstand der Regelungen ist demnach von der Frage bestimmt, ob und wie sich der Konzernzusammenhang auf die Insolvenz der einzelnen konzernangehörigen Gesellschaften auszuwirken hat.190 In früherer Zeit spielte das Konzerninsolvenzrecht sowohl in den nationalen Rechtssystemen als auch auf europäischer Ebene keine Rolle. Kam es zur Krise im Zusammenhang eines Konzerns, führte dies – wie zuvor aufgezeigt – bis in die achtziger Jahre nur in Ausnahmefällen zu einer Insolvenz des ganzen Konzerns, sondern mehr zu der Insolvenz einzelner Tochterunternehmen bzw. des namenhaft bekannten Mutterunternehmens. Daher bestand nur eingeschränkt die Notwendigkeit, den Konzern als Ganzes im Insolvenzverfahren besonders zu berücksichtigen. Das Konzerninsolvenzrecht spielte sich höchstens im Gesellschaftsrecht als Konzernhaftungsrecht ab. So wurde danach gefragt, welche solventen Konzernunternehmen bei der Insolvenz anderer Konzernunternehmen in die Haftung genommen werden konnten.191 Die Insolvenz ganzer Konzerne und die damit steigende Komplexität der Verfahren, die sich im Laufe der Zeit einstellte, führte allerdings dazu, dass sich die Wissenschaft zunehmend sowohl mit den insolvenzauslösenden wirtschaftlichen Verflechtungen kommt nach Eintritt des Insolvenzfalles des Tochterunternehmens z. B. eine Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO in Betracht, Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 53 Fn. 147. 189 Angelehnt an die Definition hinsichtlich einer normalen Unternehmensinsolvenz von K. Schmidt, Gutachten für 54. DJT 1982, Band 1, D 17; diese auf eine Konzerninsolvenz übertragend Tschernig, Haftungsrechtliche Probleme der Konzerninsolvenz, 1995, S. 19; ähnlich Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 13; seinen Definitionsversuch zu sehr mit einem Lösungsvorschlag anreichernd Kübler, ZGR 1984, 561, 562. Im Zuge dieser Arbeit wird sich nahezu ausschließlich mit der Situation beschäftigt werden, dass mindestens zwei Konzernunternehmen in die Insolvenz fallen, da nur in diesem Falle die Instrumentarien der EuInsVO Anwendung finden. Damit ist auch ein Gleichlauf mit der Definition zur faktischen Konzerninsolvenz (siehe S. 20) hergestellt. 190 Mertens, ZGR 1984, 542, 547. 191 Im deutschen Recht kam im Zuge dieser Thematiken die Debatte um den qualifiziert faktischen Konzern und die Haftung wegen eines existenzvernichtenden Eingriffs auf, K. Schmidt, KTS 2010, 1, 8.

§ 3 Das europäische Konzerninsolvenzrecht

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eines Konzerns als auch mit potenziell bestehenden bzw. noch zu erschaffenden 192 rechtlichen Ansätzen eines Insolvenzrechts für Konzerne beschäftigte.193 Es wurde gefordert, dass man sich auf Basis der praktischen Erfahrungen194 sukzessive diesem neuen Rechtsgebiet des Konzerninsolvenzrechts zu nähern hat.195 Dabei sollte die Wissenschaft jedoch nicht in „kontemplativer Passivität“196 der Faktizität der Konzerninsolvenzen und all den damit verbundenen rechtlichen und wirtschaftlichen Implikationen hinterherhinken, sondern im Wege des Dialoges zwischen Rechtspraxis und Rechtswissenschaft mit dem Mittel der Rechtsfortbildung eine Dogmatik erarbeiten, welche durch ein kohärentes und damit funktionsfähiges Konzerninsolvenzrechtssystem unmittelbaren Einfluss auf die Praxis ausüben kann.197 Dieser Aufforderung folgend wurde die Thematik eines möglichen Konzerninsolvenzrechts seither immer öfter Begleiter der wissenschaftlichen Literatur und ist – spätestens mit den Insolvenzen großer Konzerne nach der Jahrtausendwende – auch in den zentralen Fokus der Wissenschaft gerückt.198 Aus einem rein wissenschaftlichen Diskurs über die Behandlung einer Konzerninsolvenz im Insolvenzrecht lässt sich allerdings schwer eine allgemeingültige Rechtdogmatik entwickeln, anhand derer die Überprüfung neu erlassener Vorschriften vollzogen werden kann.199 Denn unter der Rechtsdogmatik versteht man eine begrifflich-systematische Erfassung des Rechts in einer konsistenten und kohärenten Ordnung

192 Dies geschah insbesondere im Hinblick auf Kodifizierungsperspektiven hinsichtlich eines Konzerninsolvenzrechts im Zuge einer geplanten Insolvenzrechtsreform, siehe Kübler, ZGR 1984, 560, 561. 193 Diese Thematik wurde wesentlich von Kübler vorangetrieben, welcher auch heute noch in Literaturzitaten omnipräsent ist, vgl. Kübler, ZGR 1984, 560 ff.; ebenso grundlegend K. Schmidt, ZGR 1983, 513 ff.; darauffolgend Mertens, ZGR 1984, 542 ff. 194 Z. B. mit Blick auf die Korf-Gruppe, bei der die Insolvenz der Tochter auch die Muttergesellschaft negativ beeinträchtigte, K. Schmidt, KTS 2010, 1, 8 f. 195 K. Schmidt, ZGR 1983, 513, 513 f. 196 K. Schmidt, ZGR 1983, 513, 514. 197 Eindringlich K. Schmidt, ZGR 1983, 513, 513 f. 198 Im Hinblick auf europaweite Konzerninsolvenzen im Zusammenhang mit der EuInsVO wurde es im Mai 2003 interessant, als der High Court of Justice Leeds unter der Führung des Richters McGonigal in der Rechtssache Daisytek-ISA I über mehrere europäische Unternehmen das Hauptinsolvenzverfahren in England eröffnete, obwohl deren satzungsmäßiger Sitz, Geschäftsführer und Hauptaktivitäten in verschiedenen europäischen Ländern situiert waren. Dieser Auftakt zu Fragen bezüglich der Zuständigkeit bei Konzerninsolvenzen fachte gleichzeitig Bemühungen hinsichtlich eines weiterführenden Konzerninsolvenzrechts an. 199 Die eine Rechtsmaterie überlagernden Rechtsgedanken als Auslegungshilfe und Überprüfungsmaßstab zur Verfügung zu stellen, stellt gerade ein wichtiges Ziel der juristischen Dogmatik dar, Honsell/Mayer-Maly, Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 2015, S. 79.

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Kapitel 1: Grundlagen

übergeordneter Begriffe und Prinzipien.200 Für eine Rechtsdogmatik ist demnach ein System aus geltendem Recht notwendig.201 Daher ist es für eine eigenständige Rechtsdogmatik äußerst fruchtbar bzw. sogar notwendig, dass der Rechtssetzer durch den aus den praktischen Fällen gezogenen „Erfahrungsschatz an Feuersbrünsten zum Zwecke der Brandbekämpfung“202 mehr und mehr auf die Thematik aufmerksam wurde und Entwürfe von Rechtsregeln die Konzerninsolvenzen betreffend Einzug in gesetzgeberische Gedankenspiele erhielten.203 Angetrieben wurde dies insbesondere durch den Legislative Guide on Insolvency Law, welcher sich seit 2005 in seinem Teil 3 mit dem Thema „Treatment of Enterprise Groups in Insolvency“ beschäftigt und im Jahre 2010 durch die Generalversammlung angenommen wurde. Ebenso bot die neu geschaffene Europäische Insolvenzverordnung vom 29.5.2000204 die Möglichkeit, zumindest über Zuständigkeitsfragen in Verbindung mit einer richterlichen Rechtsfortbildung, konzerninsolvenzrechtliche Problemstellungen anzugehen. Darüber hinaus setzten sich nach und nach auch andere internationale sowie nationale Rechtsquellen mit der Thematik auseinander.205 Eine Herausforderung bezüglich einer einheitlichen europäischen Rechtsdogmatik stellt die Tatsache dar, dass das System des Insolvenzrechts und damit auch die Kompetenzverteilung in der Europäischen Union in zwei Ebenen unterteilt ist. Die durch den europäischen Gesetzgeber erlassene europäische Insolvenzverordnung beschäftigt sich ausschließlich mit der Regulierung des internationalen Insolvenzrechts der Mitgliedstaaten. Kommt es demnach zu grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen, ist primär dem europäischen Gesetzgeber die Aufgabe überlassen, diesen Situationen mit den notwendigen Rechtsregeln zu begegnen. Hat der europäische Gesetzgeber allerdings von einer Vollharmonisierung abgesehen, steht dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit zu, in den ausgelassenen Bereich regelnd einzugreifen, sofern hieraus kein Widerspruch mit europäischem Recht resultiert.206 Allerdings ist der Honsell/Mayer-Maly, Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 2015, S. 79. Die Möglichkeit, eine europäische Konzerninsolvenzrechtsdogmatik aus den nationalen Rechtsordnungen zu filtrieren, käme lediglich dann in Betracht, wenn die nationalen Rechtsordnungen methodisch zur Auslegung der europäischen Rechtsordnung heranziehbar wären. In den nationalen Rechtsordnungen lässt sich allerdings keine einheitliche Konzerninsolvenzrechtsdogmatik ausfindig machen, da es den meisten nationalen Rechtsordnungen selbst an einer eigenen diesbezüglichen Dogmatik mangelt. 202 So einst einprägsam Mertens, ZGR 1984, 542, 543. 203 Die Entwicklung und damaligen Bemühungen um ein Konzerninsolvenzrecht darstellend K. Schmidt, KTS 2010, 1, 2 f. 204 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, ABlEG v. 30.6.2000, L 160/1, im Folgenden als „EuInsVO a. F.“ bezeichnet. 205 Siehe hierzu S. 60 ff. 206 Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 8; ders./Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 13. 200

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Regelungsspielraum der Mitgliedstaaten erheblich beschränkt, da eine einseitige Öffnung der Rechtsordnung für grenzüberschreitende Konzerninsolvenzverfahren lediglich dann einen Nutzen mit sich bringt, wenn die anderen nationalen Insolvenzrechte diese Regeln aufgreifen. Dies kann dadurch geschehen, dass eine einseitige Öffnung erwidert wird und eine freiwillige Gegenseitigkeit entsteht oder, dass ein Gegenseitigkeitsvorbehalt in die nationale Rechtsordnung integriert wird. Für eine einheitliche europäische Rechtsdogmatik ist jedoch ein kohärentes System vonnöten, welches sich lediglich entwickeln kann, wenn die Kompetenzwahrnehmung zentral ausgeübt wird. Wenn es zu mehreren Insolvenzverfahren über Konzernunternehmen aus verschiedenen Staaten kommt, reichen die autonomen Regelungen der einzelnen Mitgliedstaaten demnach nicht aus, solch ein System entstehen zu lassen. Um eine europäische Konzerninsolvenzrechtsdogmatik zu erschaffen, ist es Aufgabe des europäischen Gesetzgebers, von seinem Primat in der Regelungskompetenzordnung im Zusammenhang mit internationalen Konzerninsolvenzen Gebrauch zu machen, um diesbezüglich eine europaweit gültige „multilaterale Übereinkunft“ zu schaffen. Im Zuge der Reform der EuInsVO a. F. hat er sich dieser Aufgabe angenommen. Um eine weiterführende Rechtsdogmatik des Konzerninsolvenzrechts für den europäischen Rechtsraum ausfindig zu machen, bedarf es einer Filtrierung übergreifender Rechtsgedanken, die sich auf Basis von verschiedenen Zeiten und unterschiedlichen Problemstellungen entwickelt haben.207 Da es bis zur Reform rechtssystematisch noch keine europäischen Bemühungen gab, ein eigenständiges kohärentes Konzerninsolvenzrecht zu erschaffen, soll diese Arbeit nicht nur dazu dienen, einen Überblick über die Vorschriften und Regelungsbereiche der neuen Bestimmungen der Europäischen Insolvenzverordnung vom 20.5.2015208 die Konzerninsolvenz betreffend zu geben. Es sollen gleichzeitig die übergeordneten Rechtsgedanken, die dem Regelungskomplex zugrunde liegen, herausgefiltert werden, um dem europäischen Konzerninsolvenzrecht – falls vorhanden – eine eigenständige Dogmatik zuzuordnen. Dabei wird insbesondere interessant sein, ob der europäische Gesetzgeber sich der Problematik lediglich verfahrenstechnisch annäherte oder ob er es auch wagte, den wichtigen Grundsatz der Haftungstrennung zu durchbrechen.

207 Im Allgemeinen zur Rechtsdogmatik Honsell/Mayer-Maly, Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 2015, S. 79. 208 Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren, ABlEU v. 5.6.2015, L 141/19, im Folgenden als „EuInsVO“ bezeichnet.

Kapitel 2

Das europäische Konzerninsolvenzrecht vor der Reform Anhand der folgenden Ausführungen soll veranschaulicht werden, welche Instrumente durch das europäische Recht vor dem Geltungsbeginn der EuInsVO am 26.6.2017 (Art. 84 Abs. 2 EuInsVO) im Falle einer Konzerninsolvenz zur Verfügung gestellt wurden und welche Mittel funktional aus den verschiedenen Rechtsquellen gezogen werden konnten, um konzerninsolvenzspezifischen Problemstellungen proaktiv zu begegnen. Es ist zu ermitteln, ob schon vor der Reform ein europäisches Konzerninsolvenzrecht bestand oder ob Regelungslücken existierten, die es durch eine Überarbeitung der EuInsVO a. F. zu schließen galt.1

§ 4 Europäisches Recht – EuInsVO a. F. § 4 Europäisches Recht – EuInsVO a. F.

A. Mangel an Vorschriften zu Konzernsachverhalten Da weltweit gültige verbindliche Regelungen über grenzüberschreitende Insolvenzverfahren mithin über Konzerninsolvenzen nicht existierten und bis heute auch immer noch nicht existieren, hatten es sich supranationale Zusammenschlüsse aus dem europäischen Raum zur Aufgabe gemacht, Vorschriften in Form von multilateralen Verträgen zum internationalen Insolvenzrecht zu erlassen. Allerdings sind sowohl das Istanbuler Übereinkommen des Europarates

1 Dabei beschäftigt sich die vorliegende Arbeit ausschließlich mit Konzepten, welche die Insolvenzphase im Sinne der EuInsVO betreffen, das heißt den Zeitraum ab der Eröffnung mindestens zweier Insolvenzverfahren gem. Art. 1 EuInsVO (sowohl alter als auch neuer Fassung) über Unternehmen eines Konzerns. Soweit vorinsolvenzliche Mechanismen nicht in Anhang A aufgeführt sind, kann es mangels Anwendbarkeit der EuInsVO ohnehin zu keiner durch europäisches Recht beeinflussbaren Konzerninsolvenz kommen, wenngleich auch vor diesem Zeitpunkt die Möglichkeit besteht, über Maßnahmen der Mitgliedstaaten einer Konzerninsolvenz präventiv zu begegnen. Geeignet sind insbesondere außergerichtliche Sanierungsmechanismen, die den Vorteil einer erheblich größeren Flexibilität besitzen, woraus sowohl Zeit- sowie Ressourcen- und damit Kostenersparnisse resultieren (vgl. zu solchen Sanierungsmethoden im deutschen Rechtskreis Eidenmüller, Finanzkrise, 2009, S. 21 ff.).

§ 4 Europäisches Recht – EuInsVO a. F.

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vom 5.6.19902, welches bestimmte internationale Aspekte des Konkurses regeln sollte, als auch das – später der EuInsVO a. F. als Vorbild dienende – Europäische Übereinkommen über Insolvenzverfahren vom 23.11.1995 3 (EuInsÜ) nie in Kraft getreten. Auf Basis der Kompetenzerweiterungen im Zuge des Vertrags von Amsterdam, welcher der Europäischen Gemeinschaft gem. Art. 61 f. und 65 EGV den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zur Aufgabe machte, nahm sich schlussendlich die Europäische Gemeinschaft mit der EuInsVO a. F. vom 29.5.2000 des europäischen Insolvenzrechts an. Das internationale Regelungswerk der EuInsVO a. F. enthielt jedoch kein einheitliches europäisches Insolvenz- oder Sanierungsrecht, sondern umfasste im Wesentlichen die internationale Zuständigkeit für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, das anwendbare Recht und die Anerkennung von Insolvenzverfahren in Europa. Vorschriften bezüglich einer Konzerninsolvenz waren – trotz der zuvor aufgezeigten stark wachsenden Bedeutung von Konzerninsolvenzen innerhalb der Europäischen Union – kein Regelungsgegenstand der EuInsVO a. F.4 Dies ist auf die bei der Aushandlung der EuInsVO a. F. bestehende Verhandlungssituation zurückzuführen. Den Beteiligten war es nicht möglich, einen Konzerntatbestand sachgerecht zu definieren, da der Konzern in den verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich zu bestimmen war oder als Rechtsinstitut überhaupt nicht existierte.5 Regelungsversuche unterblieben, um nicht die ganze Verordnung zu gefährden. Darüber hinaus war das EuInsÜ aus dem Jahre 1995, welches den Ausgangspunkt der nahezu wortgleichen EuInsVO a. F. darstellte, in den 1980er und 1990er Jahren und damit in einer Zeit ausgehandelt worden, in der Konzerninsolvenzverfahren faktisch schon präsent, allerdings sowohl auf nationaler wie europäischer Ebene noch nicht in solch einer Stärke in das Regelungsbewusstsein des Gesetzgebers vorgedrungen waren, als dass eine normative Regelung für notwendig erachtet worden wäre.6 Dies lag vor allem daran, dass zu diesem Zeitpunkt der Restrukturierungs- und Sanierungsgedanke noch in den Kinderschuhen steckte, 2 Abgedruckt in FK-InsO/Wimmer, 7. Aufl. 2013, Anhang 5 nach § 358. Das Übereinkommen erlaubte Vorbehalte seitens der Vertragsstaaten, wodurch es als unzureichend angesehen und eine Ratifizierung – mit Ausnahme von Zypern – verweigert wurde, Bezelgues, Konzerninsolvenzen, 2008, S. 95. 3 Das Übereinkommen ist mangels Ratifizierung durch Großbritannien aufgrund außerinsolvenzrechtlicher Streitigkeiten über Export- und Territorialfragen nicht umgesetzt worden, Duursma in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, 2002, Geschichte Rn. 6; Kemper, ZIP 2001, 1609, 1609; Pannen/Pannen/Riedemann, EuInsVO, 2007, Einl. Rn. 10. 4 Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 76. 5 Freitag/Leible, RIW 2006, 641, 643; Kompat, Die neue EuInsVO, 2006, S. 79; Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 3 Rn. 112. 6 COM(2012) 416 final (EN), S. 16.

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Kapitel 2: Das europäische Konzerninsolvenzrecht vor der Reform

eine Insolvenz demnach zumeist in der Liquidation7 der Unternehmen endete.8 Ein Konzerninsolvenzrecht ist jedoch insbesondere darauf ausgerichtet, eine Konzernstruktur in der Insolvenz und über die Insolvenz hinaus zu erhalten. Letzten Endes obliegt die Entscheidung, inwieweit Konzerne Regelungsgegenstand der EuInsVO sein konnten bzw. auch heute noch sein können, den Mitgliedstaaten. Der Anwendungsbereich der EuInsVO hängt von der Reichweite des Begriffs des Schuldners ab. Dieser wird wiederum von den nationalen Rechtsordnungen über die Aufzählung der von der EuInsVO umfassten Insolvenzverfahren im Anhang A bestimmt.9 Würde sich ein dort aufgeführtes Verfahren nicht an dem Rechtsträgerprinzip ausrichten, sondern darüber hinaus ganze Konzerne als mögliche Schuldner zulassen, würde die EuInsVO dies unreflektiert in ihren Anwendungsbereich übernehmen. 10 Diese Situation würde dazu führen, dass – falls das COMI11 dieses Schuldnerkonzerns in einem Mitgliedstaat angenommen und das Insolvenzverfahren über den Konzern vor den Verfahren der einzelnen Konzernunternehmen eröffnet werden würde – auch ausländische Konzernunternehmen in das eröffnete Verfahren einzubeziehen wären. 12 Mangels Qualifizierung eines Konzerns als Schuldner im Sinne der EuInsVO durch die Mitgliedstaaten ist dieses Gedankenspiel sowohl hinsichtlich der EuInsVO a. F. als auch n. F. letztlich lediglich theoretischer Natur. Es lässt sich feststellen, dass die EuInsVO a. F. als Regelungsziel keine Konzernsachverhalte im Blick hatte. Da die Insolvenz eines Konzerns während dieser Zeit dennoch nicht vollständig unbeachtet blieb, wird im Folgenden dargestellt, wie ein eingeschränktes Konzerninsolvenzrecht aus den allgemeinen Regeln und Prinzipien der EuInsVO a. F., weiteren potenziell bestehenden internationalen Ansätzen oder den nationalen Rechtsordnungen herleitbar ist.

7 Bei einer Liquidation werden die Schuldneraktiva einzeln verwertet, der Konzern somit zerschlagen und die Rechtsträger abgewickelt, Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 59. 8 COM(2012) 416 final (EN), S. 16. 9 Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 4; ders., ZHR 169 (2005), 528, 561. 10 Balz, 70 Am. Bankr. L.J. (1996), 485, 503 f.; Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 4; ders., ZHR 169 (2005), 528, 561. 11 Zum COMI ausführlich im nächsten Abschnitt. 12 Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 561 Fn. 97. Würde solch ein Konzernschuldner existieren, wäre darüber hinaus die Möglichkeit gegeben, Sekundärinsolvenzverfahren für die jeweiligen Konzernunternehmen zu eröffnen und dadurch den Konzern erneut verfahrenstechnisch aufzuspalten. Diese unterschiedlichen Verfahren könnten dann jedoch über die Kooperationsvorschriften zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren abgestimmt werden (solch eine Abstimmungsmöglichkeit hätte sogar schon vor der Reform bestanden).

§ 4 Europäisches Recht – EuInsVO a. F.

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B. Das COMI I. COMI in der EuInsVO a. F. Der europäische Gesetzgeber hatte sich zwar gegen ein eigenständiges Konzerninsolvenzrecht entschieden, allerdings – ganz im Sinne einer einheitlichen Zuständigkeitsordnung für Europa – zumindest die internationale Zuständigkeitsfrage für Insolvenzverfahren im Rahmen ihrer Reichweite ausschließlich und einheitlich geregelt.13 Ohne diese Rechtsvereinheitlichung wäre es dem nationalen Recht oblegen, diesbezüglich Regelungen zu treffen. Als Folge dieser nationalen Autarkie hätten mehrere parallele Hauptinsolvenzverfahren hinsichtlich des gleichen Schuldners initiiert werden können, ohne den Jurisdiktionsanspruch der anderen Staaten zu berücksichtigen; ein positiver Kompetenzkonflikt wäre der Regelfall geworden. Diesem problematischen Umstand begegnete der europäische Gesetzgeber sowohl mit den internationalen Zuständigkeitsregeln aus Art. 3 ff. EuInsVO a. F. als auch – ganz im Sinne des ErwG 22 S. 5 EuInsVO a. F. – mit den Vorschriften über die Anerkennung der Insolvenzverfahren gem. Art. 16 f. EuInsVO a. F.14 Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens waren gem. Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO a. F. die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hatte. Als entscheidendes Kriterium für die internationale Zuständigkeit des Hauptinsolvenzverfahrens wurde damit der Ort des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen (centre of main interest, COMI15) festgelegt.16 Fiel das COMI jedes einzelnen Konzernunternehmens auf den gleichen Ort, war es möglich, einen faktischen Konzerninsolvenzgerichtsstand zu begründen.17 Zur Vereinfachung 13 Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 13; Prager/Keller in: Bork/Hölzle, Hdb Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2014, Kap. 18 Rn. 14. 14 Eine ähnliche Regelung ist aus Art. 17 Nr. 2 lit. a UNCITRAL-Modellgesetz bekannt, in welchem geregelt wurde, dass hinsichtlich eines ausländischen Verfahrens, welches an seinem tatsächlichen COMI eröffnet wurde, eine Anerkennungspflicht besteht, Haga in: Europäisches Insolvenzrecht, 2008, 169, 184 f.; Smid, DZWIR 2004, 397, 401; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 91 f. Das deutsche Recht sieht in Art. 102 § 4 EGInsO die Einstellung des später eröffneten Insolvenzverfahrens zugunsten der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats vor. Dies gilt selbstverständlich nur, sofern das COMI als am gleichen Ort situiert angesehen wird. 15 In den weiteren Ausführungen soll nur noch das in Fachkreisen etablierte Akronym „COMI“ verwendet werden. 16 Der Anknüpfungspunkt ist auf das Istanbuler Übereinkommen des Europarates (abgedruckt in FK-InsO/Wimmer, 8. Aufl. 2015, Anlage 3 zu Anhang I, Art. 102 EGInsO) zurückzuführen, Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 91. 17 Jedoch war für jedes Konzernunternehmen eigenständig das COMI zu bestimmen. Ein einheitliches Konzern-COMI sollte es nicht geben. Vgl. EuGH Urt. v. 2.5.2006, Eurofood IFSC, C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281, Rn. 30; EuGH Urt. v. 15.12.2011, Rastelli Davide e C., C-191/10, ECLI:EU:C:2011:838, 25; ebenso AG Köln NZI 2008, 254, 255.

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der Bestimmung des COMI wurde bei Gesellschaften oder juristischen Personen nach Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO a. F. bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass das COMI am Ort des satzungsmäßigen Sitzes liegt.18 Kam es zur tatsächlichen Bestimmung des COMI, war dieses Tatbestandsmerkmal autonom und einheitlich auszulegen und damit von nationalen Rechtsvorschriften unabhängig zu ermitteln. 19 Damit sollte das COMI, das in dieser Form pro Schuldner nur einmal vorliegen konnte und damit eine ausschließliche Zuständigkeit begründete, grundsätzlich klar und eindeutig zu bestimmen sein. Einigkeit bestand allerdings nur in der Hinsicht, dass unter Interessen allein wirtschaftliche und nicht auch immaterielle Interessen zu fassen sind.20 Aufgrund der verbleibenden Unbestimmtheit des Anknüpfungspunktes war es möglich, für ein Schuldnerunternehmen mehrere COMI ausfindig zu machen, abhängig davon, welche spezifischen Kriterien man ihm zugrunde legte. Zu solch einer uneinheitlichen Interpretation des COMI-Kriteriums kam es in der Praxis insbesondere im Zusammenhang mit Konzerninsolvenzsachverhalten. Aufgrund der daraus resultierenden positiven Kompetenzkonflikte21 zwischen den Gerichten der möglichen COMI entbrannten angeregte Diskussionen in der Literatur.22 Im Folgenden soll überblicksartig dargestellt werden, wodurch sich die 18 Über die in den Fn. 27 ff. ausführlich dargestellten Fälle zu Enron, Crisscross, Daysitek-ISA I wurde solch ein Widerlegung des satzungsmäßigen Sitzes angenommen von AG Hamburg NJW 2003, 2835 f. („Vierländer Bau Union“); mit Bezug zu Drittstaaten Re BRAC Rent-A-Car International, High Court (Ch) v. 7.2.2003, [2003] EWHC (Ch) 128 = ZIP 2003, 813 ff.; High Court Birmingham am 19.12.2003 in der Rs. Automold; AG München NZI 2004, 450 ff. („Hettlage“); ebenfalls mit Bezug zu Drittstaaten, Ci4net, High Court Leeds v. 20.5.2004, ZIP 2004, 1769 ff.; AG Siegen NZI 2004, 673 f. („Zenith“); AG Offenburg NZI 2004, 673 („HUKLA“); Tribunal de Commerce de Nanterre v. 15.2.2006, D. 2006, 793 = [2006] BCC 681 („EMTEC“); Hans Brochier Ltd v Exner, High Court (Ch) v. 15.8.2006, [2006] EWHC 2594 (Ch) = NZI 2007, 187; Tribunale de Civile e Penale di Parma v. 19.2.2004, Re The Insolvency of Eurofood IFSC Limited, [2004] I.L.Pr. 14. 19 EuGH Urt. v. 2.5.2006, Eurofood IFSC, C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281, Rn. 31; EuGH Urt. v. 15.12.2011, Rastelli Davide e C., C-191/10, ECLI:EU:C:2011:838, Rn. 31; EuGH Urt. v. 20.10.2011, Interedil, C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671, Rn. 42 f. 20 AG Hamburg NZI 2006, 120, 121; Carstens, Internationale Zuständigkeit, 2005, S. 47 f.; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 92; erfasst sind neben Handels-, gewerblichen oder beruflichen Tätigkeiten auch die allgemein wirtschaftlichen Tätigkeiten, Prütting in: Breitenbücher/Ehricke, Insolvenzrecht 2003, 2003, 59, 69. 21 Hierzu ist insbesondere auf die vom Tribunal di Parma am 20.2.2004 und vom High Court Dublin am 23.3.2004 gleichzeitig eröffneten Hauptinsolvenzverfahren bezüglich der Eurofood Ltd mit Sitz in Dublin sowie den parallel eröffneten Verfahren vor dem Stadtgericht Prag vom 24.6.2005 und dem AG Hamburg hinzuweisen. 22 Die Ausführungen der Literatur hinsichtlich dieser Thematik erscheinen nahezu unerschöpflich, daher soll eine Auswahl aufgezeigt werden, welche die Thematik ausführlich darstellt: Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 315 ff.; Carstens, Internationale Zuständigkeit, 2005, S. 43 ff.; Deyda, Konzern im europ. int. InsR, 2008, S. 46 ff.; Kammel, NZI 2006, 334, 335 f.; Kübler in: FS Gerhardt, 2004, 527 ff.; Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR,

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jeweiligen Positionen bei der Bestimmung des COMI auszeichneten, bevor sich der EuGH rechtsklärend einschaltete und anhand mehrerer Entscheidungen versuchte, die Konflikte nachhaltig zu lösen. Dabei wird das Hauptaugenmerk auf die drei wichtigsten Ansatzpunkte – den Ort der strategischen Leitentscheidung, den Ort der effektiven Hauptverwaltung sowie den Ort der werbenden Geschäftstätigkeit – gelegt. 1. Ort der strategischen Leitungsentscheidungen (mind of management) Die grundsätzlich schon herausgehobene Rolle des COMI innerhalb des europäischen Konzerninsolvenzrechtsgefüges wurde durch einige nationale Gerichte extensiv wahrgenommen, um das eigene Insolvenzforum im konkreten Falle bei europäischen Konzerninsolvenzsachverhalten für anwendbar zu erklären. Aufgrund der Common Law-Tradition Englands, welche einer praxisorientierten Ausfüllung von Gesetzeslücken grundsätzlich freundlich gegenübersteht,23 handelte gerade England als „Geburtshelfer und Zugpferd“24 dieser Entwicklung. So nutzten die englischen Gerichte als erste die normative Unbestimmtheit des COMI-Begriffs und interpretierten die Zuständigkeit, lediglich gestützt auf das Tatbestandsmerkmal der Interessenverwaltung, sehr großzügig im Sinne einer weiten und flexiblen Auslegung des COMI.25 Nach dem sogenannten mind of management-Ansatz26 wurde zur Begründung des COMI für alle Konzernunternehmen an der Konzernzentrale in England im Wesentlichen auf den Ort abgestellt, an dem die bestimmenden strategischen Entscheidungen (Geschäfts-, Vertriebs-, Personal- sowie Finanzpolitik) getroffen wurden. Wegweisende Eröffnungsentscheidungen ergingen zu der Enron Directo Sociedad Limitada 27 , Crisscross Telecommunications-

6. Aufl. 2018, 17.26; Pannen/Pannen, EuInsVO, 2007, Art. 3 Rn. 15 ff.; Pannen/ Riedemann, NZI 2004, 646 ff.; Tirado, GPR 2005, 39, 44 ff.; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 95 ff.; Wolf, Europäische Gerichtsstand, 2012, S. 112 ff. 23 Ausführlich über das Selbstverständnis der englischen Gerichte bezüglich eines wirtschaftlichen Pragmatismus Geva, EBOR 2007, 605, 606 f. 24 Mit dieser eingängigen Wortwahl Verhoeven, ZInsO 2012, 2369, 2370. 25 Siehe zu dieser Rspr. ausführlich Fn. 27 ff. 26 Ebenfalls als parental control oder meeting of minds betitelt. 27 High Court of Justice Leeds bezüglich dem spanischen Unternehmen Enron Directo SL, High Court (Ch) v. 4.6.2002. Dies war der erste Fall, in dem die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über eine Tochtergesellschaft anhand des mind of management-Ansatzes am Sitz der Muttergesellschaft auf Art. 3 Abs. 1 EuInsVO a. F. begründet wurde. So wurde argumentiert, dass alle strategischen sowie verwaltenden Entscheidungen in England bei der Enron Europe Ltd getroffen wurden. Keine Berücksichtigung fand dabei, dass das operative Geschäft vollständig in Spanien abgewickelt wurde. Vgl. Lüer in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, Art. 3 EuInsVO Rn. 13; Martinez Ferber, EIR, 2004, S. 41 ff.; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 648; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 98 f.

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Gruppe28, Daisytek-ISA Ltd & Ors29, Collins & Aikman-Gruppe30 sowie den MG Rover National Sales Companies31. Basis dieses Ansatzes32 war nicht die normative Anknüpfung an Art. 3 Abs. 1 EuInsVO a. F. Die Gerichte richteten sich stattdessen zielgesteuert an dem Interesse eines einheitlichen Konzern28 Crisscross, High Court (Ch) v. 20.5.2003. Im Falle der Crisscross Telecommunications-Gruppe wurde über acht Konzerngesellschaften das Verfahren ebenso in England aufgrund des mind of management-Ansatzes bezogen auf das Rechnungswesen und die Verwaltung eröffnet, obwohl dort lediglich eine Tochtergesellschaft eingetragen war. Darüber hinaus wurden Geschäftskonten in England geführt und Kundenverträge unter englischem Recht abgeschlossen. Vgl. Martinez Ferber, EIR, 2004, S. 40; Pannen/Pannen, EuInsVO, 2007, Art. 3 Anhang A Rn. 6; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 648; Lüer in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, Art. 3 EuInsVO Rn. 14; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 99. 29 Re Daisytek-ISA I, High Court of Justice Leeds v. 16.5.2003, [2004] BPIR 30 = NZI 2004, 219 ff. Der Großteil des Managements der europäischen Vertriebstöchter saß in England bei der insolventen ISA International plc. Da diese die Funktion der europäischen Zwischenholding innehatte, fand die Hälfte der board meetings dort statt. Ebenso wurden die einzelnen europäischen Tochtergesellschaften in Personal-, Marketing-, und Vertriebsangelegenheiten von England aus gesteuert und kontrolliert. Vgl. Kübler in: FS Gerhardt, 2004, 527, 542 ff.; Lüer in: FS Greiner, 2005, 201, 203 ff.; ders. in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, Art. 3 EuInsVO Rn. 16; Pannen/Pannen, EuInsVO, 2007, Art. 3 Anhang A Rn. 15; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 648 f.; Paulus, EWiR 2003, 709 f.; ders., ZIP 2003, 1725 ff.; Stadler in: Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency, 2011, 13, 19; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 99 f. 30 Re Collins & Aikman Corp Group, High Court (Ch) v. 15.7.2005, [2006] BCC 606 = NZI 2006, 654 ff. Vgl. Lüer in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, Art. 3 EuInsVO Rn. 26; Mankowski, EWiR 2006, 623 f.; Pannen/Pannen, EuInsVO, 2007, Art. 3 Anhang A Rn. 5. 31 MG Rover I, High Court Birmingham v. 18.4.2005, [2005] EWHC 874 (Ch) = NZI 2005, 467 ff. Es wurden in England Insolvenzverfahren über alle in Belgien, Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, Niederlande, Portugal und Spanien ansässigen Vertriebsgesellschaften der MG Rover Group Overseas Holding Ltd, die wiederum Tochter der englischen Konzernmutter MG Rover Group Ltd war, eröffnet. Die Begründung Judge Norris viel zwar überraschend ausführlich aus, allerdings wurden hauptsächlich interne Fakten herangezogen, um die Einbindung der Rechtsträger in den englischen Konzern zu begründen. So wurde darauf abgestellt, dass die Einteilung der Vertragshändlerbezirke oder Budgetzuteilung in England bei der Konzernmutter und nicht bei der Tochter getroffen wurde. Der Vermutung für den Satzungssitz wurde lediglich eine sehr zurückhaltende Entscheidungsrolle beigemessen. Vgl. Lüer in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, Art. 3 EuInsVO Rn. 27; Mankowski, EWiR 2005, 637, 638; Pannen/Pannen, EuInsVO, 2007, Art. 3 Anhang A Rn. 16; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 102 f. 32 Von “command and control test” sprechend Fletcher, Insolvency in Private International Law, 2. Aufl. 2005, Rn. 7.70 u. 7.77. Als Vertreter dieser Ansicht werden oftmals ebenfalls Moss/Smith in: Moss/Fletcher/Isaacs, The EC Regulation on Insolvency Proceedings, 2002, 8.39 hervorgehoben, wobei diese nur davon sprechen, dass die head office functions eines Unternehmens in einem Konzern oftmals nicht eigenständig, sondern am Konzernzentrum ausgeübt werden. Dies widerspricht sich allerdings nicht mit der Ansicht bezüglich der effektiven Hauptverwaltung als Anknüpfungspunkt.

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gerichtsstandes aus, wodurch auch Faktoren herangezogen wurden, die von der Bestimmung der effektiven Hauptverwaltung in Form des effektiven Verwaltungssitzes bekannt und im Einzelfall zur Begründung eines einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstandes dienlich waren. Die Vermutung bezüglich des Satzungssitzes als COMI war lediglich ein (untergeordnetes) Entscheidungskriterium unter vielen. 33 Auf Basis dieser Rechtsprechung konnten die Hauptinsolvenzverfahren über die Vermögen aller ausländischen Konzernunternehmen in England eröffnet werden. Nach einer erfolgreichen Eröffnung der Insolvenzverfahren sollten das Prioritätsprinzip aus Art. 16 Abs. 1 EuInsVO a. F. und der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens34 dafür Sorge tragen, dass der Gerichtsstand für die Gerichte der anderen Mitgliedstaaten eine Bindungswirkung entwickelte, damit keine parallelen Hauptinsolvenzverfahren bezüglich des gleichen Schuldners entstehen konnten; die internationale Zuständigkeit am Konzerninsolvenzgerichtsstand wäre somit zementiert gewesen. Allerdings wurde diese vom Gesetzgeber nicht intendierte Anwendung des COMI-Kriteriums von einigen anderen ausländischen Gerichten nicht akzeptiert, wodurch – zumindest vorübergehend – der eigentlich zu vermeidende Zustand von mehreren parallelen Hauptinsolvenzverfahren eintrat und sich ein regelrechter „Kampf“35 der Gerichte um die Zuständigkeit entwickelte.36 Am dem mind of management-Ansatz wurde im Folgenden erhebliche Kritik geübt.37 Dessen Sichtweise dehnte das COMI über den Wortlaut hinaus zu 33 So z. B. in der Entscheidung MG Rover I, High Court Birmingham v. 18.4.2005, [2005] EWHC 874 (Ch) = NZI 2005, 467, 467 ff. 34 Aus diesem Grundsatz heraus kommt den Gerichten im Falle paralleler Eröffnungsanträgen eigentlich eine Pflicht zur gegenseitigen Information und Abstimmung zu, welche in dieser Form allerdings nicht wahrgenommen wurde, Ehricke in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, 2008, 127, 163 f.; Vallender, IILR 2011, 309, 310 f.; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 290. 35 Von einem „europäischen Insolvenzkrieg“ sprechend Schilling/J. Schmidt, ZInsO 2006, 113, 113 u. 116. 36 Zu solch einem Konflikt kam es in der Rechtssache Daisytek-ISA I, wodurch sie ihre Bekanntheit erlangte. So kam es zeitweise zu parallelen Hauptinsolvenzverfahren in England und Deutschland, wobei sich sowohl der englische administrator als auch der deutsche Insolvenzverwalter zum Hauptinsolvenzverwalter erklärten. Letztendlich wurde jedoch nur ein Sekundärinsolvenzverfahren in Deutschland durchgeführt. Ebenso wurde am 26.5.2003 in Frankreich ein paralleles Hauptinsolvenzverfahren über eines der dort ansässigen Töchterunternehmen eröffnet, nachdem das Tribunal de commerce de Pontoise gem. Art. 16, 17, 18 EuInsVO a. F. dem englischen joint administrator die Anerkennung verweigerte. Diese Entscheidung wurde am 4.9.2003 vom Cour d'appel Versailles wieder revidiert. Zum deutschen Verfahren siehe AG Düsseldorf NZI 2004, 269 ff. („Daisytek-ISA II“). 37 Lüer in: FS Greiner, 2005, 201, 203 ff.; Paulus, NZI 2005, 647, 647; ders., EWiR 2003, 709, 709 f.; „Insolvenz-Imperialismus“, Mankowski, EWiR 2003, 767, 767; ders., EWiR 2003, 1239, 1239; ders., RIW 2004, 587, 597; Sabel, NZI 2004, 126, 126 f.; von einem

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extensiv in Richtung eines fast immer einschlägigen – von der EuInsVO a. F. eigentlich nicht vorgesehenen38 – einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstandes aus.39 2. Ort der effektiven Hauptverwaltung Es blieb indes nicht nur bei der Eröffnung paralleler Hauptinsolvenzverfahren durch kontinentaleuropäische Gerichte als Antwort auf den mind of management-Ansatz. Sie schlossen sich darüber hinaus zum Teil rasch der Praxis hinsichtlich der Begründung eines einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstandes an. Als bestimmendes Kriterium zu Begründung des COMI wurde allerdings – im Unterschied zum mind of management-Ansatz – vornehmlich an den Ort der effektiven Hauptverwaltung40 im Sinne des effektiven Verwaltungssitzes als das ausschlaggebende Kriterium der Sitztheorie im internationalen Gesellschaftsrecht angeknüpft. Der Ort der effektiven Hauptverwaltung sollte den Ort der gewöhnlichen Interessenverwaltung verkörpern und damit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO a. F. als zuständigkeitsbegründend gelten. 41 Die effektive Hauptverwaltung ist der Tätigkeitsort der Geschäftsführung, das heißt der Ort, an dem die tatsächlichen Verwaltungsentscheidungen umgesetzt werden. 42 „europäische[n] Insolvenzkrieg“ sprechend Schilling/J. Schmidt, ZInsO 2006, 113, 113 u. 116. 38 Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 76. 39 Ehricke, EWS 2002, 101, 101 f.; Lüer in: FS Greiner, 2005, 201, 201 f.; Wimmer, ZInsO 2005, 119, 120; es kann nicht erwünscht sein, dass ein Gerichtsstand unabhängig des Ortes des Vermögens, der Gläubiger, der Arbeitnehmer oder der wirtschaftlichen Tätigkeit der Tochterunternehmen begründet wird, Bär/Riedemann, ZIP 2004, 1066, 1067; Weller, ZHR 169 (2005), 570, 581. 40 Da der Terminus der „Hauptverwaltung“ im Gegensatz zum „Verwaltungssitz“ in der reformierten Verordnung in ErwG 30 S. 2 EuInsVO Erwähnung findet und überdies in diesem Verständnis auch ein leitendes Merkmal des Art. 54 AEUV darstellt, soll im Folgenden im Sinne einer unionseinheitlichen Anwendung lediglich von „effektiver Hauptverwaltung“ gesprochen werden. 41 Brünkmans, Koordinierung von Insolvenzverfahren, 2009, S. 318 ff. m. w. N.; Ehricke, DZWIR 1999, 353, 360; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3456 f.; ders. in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, 2004, § 9 Rn. 11; Huber, ZZP 114 (2001), 133, 141; Laukemann, RIW 2005, 104, 107; Mankowski, NZI 2004, 450, 451 f.; Müller, NZG 2003, 414, 415; Prütting in: Breitenbücher/Ehricke, Insolvenzrecht 2003, 2003, 59, 70 u. 77; Virgós, Forum internationale Nr. 25, März 1998, 1, 13. 42 Der Begriff der head office functions soll aufgrund seiner Unbestimmtheit im Folgenden nicht verwandt werden, da dessen Gebrauch in Literatur sowie Rechtsprechung uneinheitlich erfolgt. Oftmals wird er als Synonym für mind of management (u. a. Penzlin/Riedemann, NZI 2005, 469, 469 ff.), dann wiederum als Synonym für den Ort der effektiven Hauptverwaltung gebraucht (AG Köln NZI 2008, 257, 259 („PIN II“); Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 318; wohl auch Paulus, NZI 2008, 1, 1; MüKoInsO/Thole, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 3 a. F. Rn. 29).

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Bedeutsame Fälle aus Deutschland (HUKLA43, Zenith44, Hettlage45)46, Italien47, Frankreich 48 und Ungarn 49 illustrieren dies. Zwar standen die kontinental43 Im Fall HUKLA war die verantwortliche Geschäfts- und Vertriebsleitung, welche die strategische und operative Ausrichtung der Gesellschaft bestimmte, zusammen mit allen wesentlichen Geschäftsbüchern und Unterlagen in der Konzernzentrale angesiedelt, AG Offenburg NZI 2004, 673 („HUKLA“). Vgl. Pannen/Pannen, EuInsVO, 2007, Art. 3 Anhang A Rn. 14. 44 Im deutsch-österreichischen Insolvenzfall Zenith bestand das „Management“ aus einem in Deutschland angesiedelten Geschäftsführer, der sowohl für das Tochter- als auch das Mutterunternehmen zuständig war, AG Siegen NZI 2004, 673 f. („Zenith“). Vgl. Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 319; Pannen/Pannen, EuInsVO, 2007, Art. 3 Anhang A Rn. 19. 45 In der Hettlage-Entscheidung berief sich das AG München zwar auf die Entscheidung zu Daisytek-ISA I allerdings führten die Geschäftsführer des Tochterunternehmens, insbesondere die gesamte Einkaufsleitung, das operative Geschäft von der deutschen Konzernzentrale aus, wobei wesentliche Verwaltungsfunktionen, wie Personalabrechnung, Rechnungswesen, Controlling, Organisation, EDV, Planung, Vertragswesen, Versicherungen, Werbung, Ladenbau sowie Bauten und Technik, von den Mitarbeitern der Muttergesellschaften erbracht wurden. Siehe AG München NZI 2004, 450 ff. („Hettlage“); Mankowski, NZI 2004, 450, 451 f.; Pannen/Pannen, EuInsVO, 2007, Art. 3 Anhang A Rn. 12. 46 Weitere Fälle AG Duisburg NZI 2003, 160, 161; AG Hamburg NZI 2003, 442, 443 („Vierländer Bau Union“); AG Duisburg NZI 2003, 658, 659. Vgl. zu diesen und den zuvor dargestellten deutschen Fällen Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 318 ff.; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3456 f. 47 Im Zuge der Parmalat-Insolvenz wurden über niederländische, luxemburgische, irische und deutsche Gesellschaften italienische Insolvenzverfahren in Form von amministrazione straordinaria eröffnet und in den Entscheidungen zwar darauf verwiesen, dass die Tätigkeiten ausschließlich im Interesse der Mutter vorgenommen wurden. Die Kontrolle erfolgt allerdings komplett durch die italienische Mutter, welche die Weisungen für alle wesentlichen Entscheidungen erließ und sämtliche Geschäftsführer und Angestellte von Gesellschaften der Parmalat-Gruppe bestellte. Bei der Begründung des COMI wurde allerdings entscheidend mit den wesentlichen Verwaltungsaufgaben argumentiert. So wurden ausschließlich den italienischen Geschäftsführern von Eurofood die Rolle von executive directors zugesprochen, die für das alltägliche Verwaltungsgeschäft zuständig waren. Die Erkennbarkeit bezüglich der wesentlichen Finanzierungsfunktionen ergab sich nach Ansicht des Gerichts für die Gläubiger aus den Anleiheprospekten, nachdem die Mutter für die Anleihen garantierte. Vgl. Tribunale de Civile e Penale di Parma v. 19.2.2004, Re The Insolvency of Eurofood IFSC Limited, [2004] I.L.Pr. 14, ZIP 2004, 1220 ff. („Eurofood“); Tribunale de Civile e Penale di Parma v. 15.6.2004, ZIP 2004, 2295 ff. („Deutsche Parmalat GmbH“); in der Literatur Bauer/Schlegel, EWiR 2004, 1181 f.; Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 321 ff.; Lüer in: FS Greiner, 2005, 201, 204; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 650 f.; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 100 f. 48 Den Schwestergesellschafen EMTEC France und EMTEC International kam eine beherrschende Stellung zu, sodass sie unter anderem für das Finanzmanagement, die Warenbelieferung, die Geschäftspolitik und Lieferverträge der Schuldnerin operativ zuständig waren, Tribunal de Commerce de Nanterre v. 15.2.2006, D. 2006, 793 = [2006] BCC 681 („EMTEC“). In der Eurotunnel-Insolvenz wurden die strategische, operative und finanzielle

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europäischen Gerichte in ihrem Begründungseifer den englischen nicht viel nach, wodurch auch der Ort der strategischen Entscheidungen – und damit das wesentliche Kriterium des mind of management-Ansatzes – oftmals eine Erwähnung fand, der zentrale Anknüpfungspunkt war jedoch schlussendlich immer der Ort der operativen Leitung. Diese Vermischung der Kriterien war auf die Tatsache zurückzuführen, dass der Ort der effektiven Hauptverwaltung in den Fällen eines zentral-funktional strukturierten Konzernes nicht selten mit dem Ort der bestimmenden strategischen Entscheidungen zusammenfiel. 50 Dadurch war eine klare Trennung zwischen den beiden Ansätzen nicht gefordert,51 selbst wenn dies im Sinne einer Auslegungskohärenz wünschenswert gewesen wäre. Fand die Umsetzung der Strategieentscheidungen des Mutterunternehmens durch die effektive Hauptverwaltung der Tochterunternehmen in einem anderen Staat statt, konnte nach diesem Ansatz kein einheitlicher Gerichtsstand begründet werden, da allein die strategischen Entscheidungen innerhalb eines Konzerns zentralisiert erging. 52 In diesen Fällen konnte ausschließlich der mind of management-Ansatz einen einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstand begründen. Der Ort der effektiven Hauptverwaltung richtete sich – im Gegensatz zum mind of management-Ansatz – zunächst mehr an den normativen Vorgaben aus. Hinsichtlich beider Ansätze wurde jedoch bemängelt, dass die gesetzliche Vorgabe der Erkennbarkeit des COMI keine Berücksichtigung fand, sondern lediglich auf Unternehmensinterna abgestellt wurde. 53 Die Ansätze führten Leitung durch einen gemeinsamen Rat in Paris wahrgenommen, darüber hinaus war die Mehrheit der Tätigkeiten der Arbeitnehmer und Aktiva in Frankreich belegen, Tribunal de Commerce de Paris v. 2.8.2006, D. 2006, 2329 f. („Eurotunnel“). Der Versammlungsort des Aufsichtsrats, das auf wichtige Verträge anwendbare Recht, die Kundenbeziehungen, die Gläubigerbanken, das Management der Kauf- und Personalpolitik, der Buchführung und des Computersystems, demnach die gesamte operative Kontrolle, waren im Insolvenzfall der Energotech SARL auf Frankreich bezogen, Tribunal de Grande Instance de Lure [2007] BCC 123 („Energotech SARL“). Vgl. Pannen/Pannen, EuInsVO, 2007, Art. 3 Rn. 39 (EMTEC), Anhang A Rn. 11 (Eurotunnel), Anhang B Nr. 91 (Energotech SARL). 49 Die wichtigsten unternehmerischen Entscheidungen wurden in der Rs. Parmalat Hungary in Ungarn getroffen und die Unternehmensfinanzen von Ungarn aus geleitet, Municipal Court Fejer/Székesfehérvár v. 14.6.2004, NZI 2005, 58 ff. („Parmalat Hungary“). Vgl. Pannen/Pannen, EuInsVO, 2007, Art. 3 Anhang B Nr. 53. 50 Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 240. 51 Insbesondere im Fall der Hettlage-Entscheidung wurde in der Literatur (Huber in: FS Heldrich, 2005, 679, 689; Kübler in: FS Gerhardt, 2004, 527, 541 f.; Paulus, EWiR 2004, 493 f.; Weller, ZHR 169 (2005), 570, 579) oftmals angenommen, dass das Gericht dem mind of management-Ansatz folgte. Dies ist vor allem auf den Fakt zurückzuführen, dass sich das AG München in dem Urteil auf die Entscheidung zu Daisytek-ISA I berief. 52 Wolf, Europäische Gerichtsstand, 2012, S. 115 f. 53 Mankowski, EWiR 2005, 175, 176; ders., EWiR 2005, 637, 638; Schilling/J. Schmidt, ZInsO 2006, 113, 116; zumindest hinsichtlich des mind of management-Ansatzes Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3456; die Erwähnung der Vorhersehbarkeit in den Entscheidungen zu

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dazu, dass sich ein Handeln konträr des ausdrücklich in ErwG 4 EuInsVO a. F. aufgeführten Zwecks der Verhinderung von Forum Shopping 54 entwickelte. Nur wenn es klare, nicht manipulierbare und für Dritte objektiv erkennbare Kriterien zur Zuständigkeitsbestimmung gibt, kann Forum Shopping eingedämmt werden.55 3. Hauptort der werbenden Geschäftstätigkeit (business activity) Wenngleich sich die Anwendung des mind of management-Ansatzes und des Ortes der effektiven Hauptverwaltung in den meisten Rechtskreisen der Europäischen Union etabliert hatte, entwickelte sich – insbesondere aufgrund der zuvor dargestellten Kritik – ein spezieller „kontinentaleuropäischer Gegenspieler“ in Form der business activity-Theorie, welche sich bei der Bestimmung des COMI auf den Ort der werbenden Tätigkeit des jeweiligen Rechtsträgers stützte.56 Der Ort der werbenden Tätigkeit wurde anhand der nach außen erkennbaren Handlungen und Vermögenswerten des Schuldners bestimmt. Es war demnach der Ort entscheidend, an dem die Gesellschaft im Markt auftrat. Maßgebliche Faktoren waren der Abschluss von Geschäften mit Dritten, der Mitarbeitereinsatz, der Schwerpunkt der Kundenbeziehungen und des Marktauftrittes, die Bankbeziehungen sowie die maßgeblichen Produktions-

Daisytek-ISA I und MG Rover I waren lediglich „Lippenbekenntnisse“, Eidenmüller, KTS 2009, 137, 158. 54 Zu diesem Zweck siehe ausführlich S. 99 ff. 55 Lüer in: FS Greiner, 2005, 201, 207; Wimmer, ZInsO 2005, 119, 121 f.; diesem Problem zur damaligen Zeit mit der Versagung der Anerkennung aufgrund eines ordre publicVorbehalts begegnen wollend Duursma-Kepplinger in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, 2002, Art. 3 Rn. 17. Hiervon sollte allerdings nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht werden, da sich nach den gesetzgeberischen Vorstellungen die Anerkennung der Entscheidungen der Gerichte der Mitgliedstaaten auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zu stützen hat, vgl. ErwG 65 EuInsVO. 56 BGH DZWIR 2012, 169, 171; AG Hamburg NZI 2006, 120, 121; LG Leipzig ZInsO 2006, 378; sowohl auf Geschäfts- als auch Verwaltungstätigkeit abstellend AG Saarbrücken ZIP 2005, 2027, 2027 („HTB-Orange Ltd“); AG Hamburg ZIP 2005, 2275, 2275 f.; AG Mönchengladbach ZIP 2012, 383, 384; zum Teil die business activity-Theorie verfolgend AG Weilheim ZIP 2005, 1611 f. („AvCraft International Ltd“); LG Duisburg NZI 2007, 475 ff.; High Court of Justice London Chancery Division ZIP 2003, 813 ff. Vgl. zu AvCraft International Ltd Pannen/Pannen, EuInsVO, 2007, Art. 3 Anhang B Nr. 76. Stimmen in der Literatur, die sich für die business activity-Theorie ausgesprochen haben waren Bähr/Riedemann, ZIP 2004, 1066, 1067; Handrup, BB 2012, 927 ff.; Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89, 91; Huber in: FS Heldrich, 2005, 679, 690 f.; Kebekus, EWiR 2004, 705, 706; Kübler in: FS Gerhardt, 2004, 527, 556; Lüer in: FS Greiner, 2005, 201, 207 ff.; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 651; Sahel, NZI 2004, 126, 126 f.; Weller, IPRax 2004, 412, 415 f.; Wimmer, ZInsO 2005, 119, 121 ff.

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stätten.57 Es wurde darauf Wert gelegt, dass das COMI auf Kriterien basierte, welche auch für Dritte feststellbar waren.58 Grund für diese Theorie war, ganz im Sinne des Ziels der Vermeidung von Forum Shopping, dass schon bei Aufnahme der Geschäftsbeziehungen das Insolvenzstatut ermittelt werden können sollte und damit die Insolvenzrisiken zu kalkulieren waren. Im Insolvenzfall sollte genau die Haftungsordnung zum Zuge kommen, auf deren Anwendbarkeit die Gläubiger vertraut hatten.59 Zu einem einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstand kam es nach diesem Ansatz eher selten, da der Schwerpunkt der Tätigkeit des einzelnen Konzernunternehmens zumeist in verschiedenen Märkten gelegen war. Dies war gerade bei Vertriebsgesellschaften, welche oftmals zusammen mit der Mutter in die Insolvenz fielen, evident. Solchen Gesellschaften ist es immanent, dass sie in einem anderen Staat als dem des Mutterunternehmens agieren.60 Auf der einen Seite war die business activity-Theorie zum Schutz der Gläubiger hinsichtlich der Erkennbarkeit des COMI dienlich und setzte damit die Anforderungen des ErwG 13 EuInsVO a. F. um. Auf der anderen Seite hinderte die business activity-Theorie – mehr noch als die Anknüpfung an den Ort der effektiven Hauptverwaltung – die Eröffnung eines einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstandes und löste damit Koordinationsprobleme zwischen den Verfahren aus. II. COMI nach der Rechtsprechung des EuGH Der bisherigen Handhabe des COMI-Kriteriums wurde zunächst durch den EuGH in dem Vorlageverfahren des Supreme Court of Ireland in der Ent57 AG Mönchengladbach NZI 2004, 383, 383 f. („EMBIC I“); Bär/Riedemann, ZIP 2004, 1066, 1067; Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89, 91; Kammel, NZI 2006, 334, 336; Kübler in: FS Gerhardt, 2004, 527, 556; Weller, ZHR 169 (2005), 570, 579; Wimmer, ZInsO 2005, 119, 122 f.; hinsichtlich der Kriterien ausführlich Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 110 m. w. N. 58 Schon aus dem zu Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO a. F. wortgleichen Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsÜ ergibt sich die Relevanz der Erkennbarkeit des COMI für die Gläubiger, Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 106. Darüber hinaus wurde der ErwG 13 EuInsVO a. F. ausdrücklich im Gesetzestext der EuInsVO belassen, obwohl es einen Änderungsvorschlag des Ausschusses für die Freiheit und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten gab, welcher diesen Punkt nicht in die EuInsVO aufnehmen wollte, vgl. Stellungnahme vom 28. Januar 2000, wiedergegeben im Bericht des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt vom 23. Februar 2000, A5-0039/2000 endgültig, S. 13, 18. Kriterien mit internem Charakter, beispielsweise Geschäftsbücher und Personalverwaltung, waren nur eingeschränkt heranzuziehen, Weller, ZHR 169 (2005), 570, 579; zum Teil a. A. AG Weilheim ZIP 2005, 1611 f. („AvCraft International Ltd“). 59 GA Colomer, SchlA v. 6.9.2005, Staubitz-Schreiber, C-1/04, ECLI:EU:C:2005:500, Rn. 64; Bär/Riedemann, ZIP 2004, 1066, 1067; Ehricke, EWS 2002, 101, 103; Kübler in: FS Gerhardt, 2004, 527, 551 ff.; Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht, Rn. 75; Weller, ZHR 169 (2005), 570, 579 u. 582; Wimmer, ZInsO 2005, 119, 121. 
 60 Wolf, Europäische Gerichtsstand, 2012, S. 114.

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scheidung Eurofood IFSC Ltd61 vom 2.5.2006 Einhalt geboten. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt fiel eine selbstständige Tochtergesellschaft, deren satzungsmäßiger Sitz in dem Staat, in welchem auch vollumfänglich ihre wirtschaftlichen Interessen für Dritte erkennbar lagen, in die Insolvenz. Die Geschäftspolitik dieses Unternehmens wurde allerdings von dem insolventen Mutterunternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat auf Basis einer ausreichenden Beteiligung und damit Fähigkeit der Geschäftsleiterbestellung bestimmt.62 Der EuGH stellte zunächst eindeutig klar, dass objektive für Dritte feststellbare Kriterien für die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen unerlässlich seien.63 Darauf basierend führte er aus, dass die Vermutung für den Ort des satzungsmäßigen Sitzes des Tochterunternehmens, wenn die Gesellschaft ihre Tätigkeit in diesem Mitgliedstaat entfaltet, nicht allein durch die Tatsache widerlegt werden könne, dass ihre wirtschaftlichen Entscheidungen von einem Mutterunternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat kontrolliert würden oder kontrolliert werden könnten.64 Der bisherigen Praxis der nationalen Insolvenzgerichte, die sich zur Bestimmung des COMI rein auf das mind of management beriefen und das COMI damit ausschließlich anhand Interna bestimmten, wurde somit der Boden entzogen. Damit war es auch nicht mehr möglich, das COMI rein anhand des objektiv nicht ersichtlichen Ortes der effektiven Hauptverwaltung zu bestimmen. Da dieser jedoch nicht nur auf Interna basierte, sondern objektivierbar war, kam er – im Gegensatz zum mind of management-Ansatz – weiterhin als Anknüpfungspunkt in Betracht. Welche Kriterien im Einzelnen ausschlaggebend sein sollten, blieb indes zu diesem Zeitpunkt noch unklar.65 Die Entscheidung Probud vom 21.1.2010 bestätigte diese Rechtsprechung zwar,66 blieb hinsichtlich der entscheidungsrelevanten Kriterien jedoch genauso nebulös. Der EuGH argumentierte zunächst mit der „Tätigkeit“ der Gesellschaft und knüpfte damit an die Kriterien an, welche im Zuge der business activity-Theorie festgelegt wurden, erwähnten im zweiten Schritt jedoch den Ort der wirtschaftlichen Entscheidungen, der ebenfalls Berücksichtigung finden konnte. Ein Primat der wirtschaftlichen Tätigkeit als ausschlaggebendes Kriterium war in den Entscheidungen hingegen nicht festEuGH Urt. v. 2.5.2006, Eurofood IFSC, C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281. Siehe zum Sachverhalt ebenfalls S. 24. 63 EuGH Urt. v. 2.5.2006, Eurofood IFSC, C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281, Rn. 33. 64 EuGH Urt. v. 2.5.2006, Eurofood IFSC, C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281, Rn. 36. 65 Der EuGH führte als Beispiel, in dem eine Widerlegung des satzungsmäßigen Sitzes möglich ist, lediglich die „Briefkastenfirma“ an, da deren COMI mangels aktiver Tätigkeit nicht im Gebiet des Mitgliedstaats liegt, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, EuGH Urt. v. 2.5.2006, Eurofood IFSC, C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281, Rn. 35; ebenso Group for International and European Studies of the Atonomais University of Barcelona, IILR 2011, 336, 337. 66 EuGH Urt. v. 21.1.2010, MG Probud Gdynia, C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24, Rn. 37. 61

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gelegt.67 Allerdings wurde erneut betont, dass dieser objektiv feststellbare Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht durch den allein auf Interna basierenden Ort der wirtschaftlichen Entscheidungen widerlegt werden können sollte, um das Kriterium der Erkennbarkeit nicht mehr – wie bisher oft geschehen – zu vernachlässigen. Durch die Entscheidungen Interedil68 und Rastelli Davide69 vom 20.10.2011 sowie 15.12.2011 wurde diese Rechtsprechung des EuGH sowohl gestärkt 70 als auch konkretisiert. So sollte – basierend auf ErwG 13 EuInsVO a. F. – dem (objektiven) Ort der effektiven Hauptverwaltung als Zuständigkeitskriterium ein Vorzug eingeräumt werden.71 In diesem Sinne konstatierte der EuGH: In dem Fall, dass sich „die Verwaltungs- und Kontrollorgane einer Gesellschaft am Ort ihres satzungsmäßigen Sitzes befinden und die Verwaltungsentscheidungen der Gesellschaft in für Dritte feststellbarer Weise an diesem Ort getroffen werden, kommt [...] die [...] Vermutung, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Gesellschaft an diesem Ort befindet, in vollem Umfang zum Tragen.“ 72 Eine anderweitige Verortung des COMI hatte in diesem Fall auszuscheiden. 73 Wenn der Ort der effektiven Hauptverwaltung und der satzungsmäßige Sitz auseinanderfielen, konnte die Vermutung für den Sitz jedoch entkräftet werden.74 Zu den zu berücksichtigenden Faktoren gehörten auch alle Orte, an denen die Schuldnergesellschaft eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübte und an denen sie Vermögenswerte besaß, sofern diese Orte für Dritte erkennbar waren.75 Diese Faktoren durften jedoch nur unterstützend herangezogen werden, um zu bekräftigen, dass eine Gesamt67 Mit dieser Tendenz Westphal in: FS Görg, 2010, 567, 583; Eurofood als eine Entscheidung zugunsten der business activity-Theorie interpretierend Kammel, NZI 2006, 334, 336. 68 EuGH Urt. v. 20.10.2011, Interedil, C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671. 69 EuGH Urt. v. 15.12.2011, Rastelli Davide e C., C-191/10, ECLI:EU:C:2011:838. 70 EuGH Urt. v. 20.10.2011, Interedil, C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671, Rn. 49; EuGH Urt. v. 15.12.2011, Rastelli Davide e C., C-191/10, ECLI:EU:C:2011:838, Rn. 33. 71 EuGH Urt. v. 20.10.2011, Interedil, C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671, Rn. 48; EuGH Urt. v. 15.12.2011, Rastelli Davide e C., C-191/10, ECLI:EU:C:2011:838, Rn. 32; in diesem Sinne auch Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 239. 72 EuGH Urt. v. 20.10.2011, Interedil, C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671, Rn. 50; EuGH Urt. v. 15.12.2011, Rastelli Davide e C., C-191/10, ECLI:EU:C:2011:838, Rn. 34. 73 EuGH Urt. v. 20.10.2011, Interedil, C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671, Rn. 50. Dieser Passus wurde in der Entscheidung Rastelli Davide e C. nicht mehr eingefügt. 74 EuGH Urt. v. 20.10.2011, Interedil, C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671, Rn. 51; EuGH Urt. v. 15.12.2011, Rastelli Davide e C., C-191/10, ECLI:EU:C:2011:838, Rn. 35. 75 EuGH Urt. v. 20.10.2011, Interedil, C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671, Rn. 52. Die Entscheidung Rastelli Davide e C. spricht in diesem Fall lediglich davon, dass eine Entkräftung der Vermutung unter einer Gesamtbetrachtung und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist, EuGH Urt. v. 15.12.2011, Rastelli Davide e C., C-191/10, ECLI:EU:C:2011:838, Rn. 36. Die Entscheidung Interedil dahingehend interpretierend, dass hauptsächlich die business activity-Theorie fortentwickelt wurde Cranshaw, DZWIR 2012, 53, 57.

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betrachtung aller relevanten Faktoren die von Dritten überprüfbare Feststellung zulässt, dass sich der Ort der effektiven Hauptverwaltung an einem anderen Ort als dem satzungsmäßigen Sitz befand.76 Der EuGH orientierte sich damit an den Ansatzpunkten vieler Gerichte, die im Sinne der effektiven Hauptverwaltung entschieden hatten, legte dabei allerdings auf eine Objektivierung wert und reicherte den Ansatz noch mit weiteren Kriterien an, indem auch der Ort der tatsächlichen Geschäftstätigkeit nach der business activity-Theorie oder der Belegenheitsort von Vermögenswerten in die Betrachtung mit einzubeziehen waren. Eine Vermischung der Vermögensmassen der Unternehmen allein sollte nach der Rechtssache Rastelli Davide allerdings zur Begründung des COMI an einem anderen Ort als dem Sitzstaat nicht ausreichen.77 Auf Basis der Rechtsprechung des EuGH ließ sich demnach auch weiterhin ein einheitlicher faktischer Konzerninsolvenzgerichtsstand am Sitz der Konzernzentrale begründen, solange sich das COMI aus einer Gesamtbetrachtung der Umstände anhand der effektiven Hauptverwaltung und der tatsächlichen Geschäftstätigkeit ergab.78 C. Kooperationserwägungen I. Tochterunternehmen als Niederlassungen Kam es zu mehreren Verfahren im Zusammenhang einer Konzerninsolvenz, wurde in der Literatur angedacht, um zumindest einen Mindeststandard an Koordination zwischen den Konzernunternehmen zu gewährleisten, die Vorschriften zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren aus Art. 27 ff. EuInsVO a. F. auch zwischen den eigenständigen Insolvenzverfahren heranzuziehen. An eine direkte Anwendung wäre zu denken gewesen, wenn ein Tochterunternehmen de facto als Betriebseinheit eines Mutterunternehmens geführt wurde und man es daher als eine faktische Niederlassung des Hauptunternehmens im Sinne des Art. 2 lit. h EuInsVO a. F. hätte qualifizieren können.79 Begründet wurde dieser Ansatz mit der rechtlichen Durchbrechung der juristischen Selbstständigkeit durch Brüsseler Behörden bei der Rückforderung von EuGH Urt. v. 20.10.2011, Interedil, C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671, Rn. 53. EuGH Urt. v. 15.12.2011, Rastelli Davide e C., C-191/10, ECLI:EU:C:2011:838, Rn. 37 ff.; vgl. auch Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 6. Aufl. 2018, 17.29 m. w. N. 78 Auch der High Court of Justice London hat sich nach der Entscheidung des EuGH in Eurofood ausdrücklich von dem mind of management-Ansatz distanziert, vgl. High Court of Justice London, Urt. v. 3.7.2009 – (2009) EWHC 1441 (CH) 13338 and 13959 („Standford“), ZIP 2009, 1776, 1777; a. A. Moss, (2007) 32 Brook. J. Int’l L., 1005, 1016 f. 79 Paulus, EWS 2002, 497, 500 f.; ders., ZIP 2002, 729, 730; noch zurückhaltend argumentierend ders., NZI 2001, 505, 510; diese Überlegungen darstellend, im Ergebnis jedoch ablehnend Ehricke, EWS 2002, 101, 104 ff.; im Ergebnis, sogar kumulativ mit einem Konzern-COMI annehmend Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, 2014, S. 15 f. Rn. 61. 76

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Beihilfen zur Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Vorgaben sowie mit Eigentumsrechten des Mutter- an dem Tochterunternehmen.80 Allerdings war der Wortlaut des Art. 2 lit. h EuInsVO a. F. bezüglich des Begriffs der Niederlassung eindeutig: So musste „der Schuldner“ an dem Ort der Niederlassung einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen. Zwar war der Niederlassungsbegriff der EuInsVO a. F. weit zu verstehen, 81 zeichnete sich der Schuldner allerdings – nach dem nationalstaatlichen Recht – lediglich durch eine rechtlich selbstständige Einheit aus, konnte das Merkmal einer Niederlassung lediglich eine rechtlich unselbstständige Betriebseinheit dieses Rechtsträgers ausfüllen. 82 Außerdem setzte Art. 27 S. 1 EuInsVO die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens über das Vermögen desselben Schuldners voraus. Wären mehrere Hauptverfahren über das jeweils rechtlich eigenständige Mutter- sowie Tochterunternehmen eröffnet worden, wäre die Erfüllung dieses Merkmals schwerlich zu begründen gewesen.83 Die Bildung einer gemeinsamen Masse über ein gemeinsames Hauptinsolvenzverfahren sollte nur auf Basis einer klaren gesetzgeberischen Anordnung durchgeführt werden, die in der EuInsVO a. F. nicht ersichtlich war.84 Für rechtlich selbstständige Tochterunternehmen konnten demnach nicht die Vorschriften für Sekundärinsolvenzverfahren zur Anwendung gelangen. Eine analoge Anwendung der Art. 27 ff. EuInsVO a. F. zu Koordinationszwecken kam mangels Planwidrigkeit der Regelungslücke ebenfalls nicht in Betracht. Der eindeutige gesetzgeberische Wille sollte nicht durch

80 Paulus, NZI 2001, 505, 518 Fn. 27; ders., EWS 2002, 497, 500; ders., ZIP 2002, 729, 730; diese Thematik ausführlich darstellend Carstens, Internationale Zuständigkeit, 2005, S. 114 f. 81 Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 70. 82 Ausführlich Ehricke, EWS 2002, 101, 105 ff.; des Weiteren Carstens, Internationale Zuständigkeit, 2005, S. 115; Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 4 Fn. 17; ders., ZHR 169 (2005), 528, 562; Pannen in: Runkel, AHB-Insolvenzrecht, 2005, § 16 Rn. 114; Verhoeven, ZInsO 2012, 2369, 2370; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 147. 83 Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 829; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 270. Ohne Personenidentität im Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren hätte Art. 32 Abs. 1 EuInsVO a. F. (Art. 45 Abs. 1 EuInsVO) dazu geführt, dass die Gläubiger Forderungen gegen Rechtssubjekte, gegen die sie vorher keine Ansprüche gehabt haben, hätten anmelden können. Darüber hinaus hätte Art. 27 S. 1 EuInsVO a. F. (Art. 34 S. 2 EuInsVO) eine Prüfung des Insolvenzgrundes entbehrlich gemacht, obwohl die Insolvenz des Tochterunternehmens auf anderen Insolvenzgründen basierte. Vgl. Schmiedeknecht, Der Anwendungsbereich der EuInsVO, 2004, S. 190 ff. 84 Nichts anderes hätte sich ergeben, wenn die Gesellschaftsanteile an der Tochtergesellschaft im Land der Konzerntochter verortet worden wären und man damit bei einer Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens gleichzeitig ein Sekundärinsolvenzverfahren über diese Gesellschaftsanteile eröffnet hätte, da lediglich die Anteile Gegenstand des Sekundärinsolvenzverfahrens gewesen wären und nicht das von ihnen verkörperte Vermögen, Schmiedeknecht, Der Anwendungsbereich der EuInsVO, 2004, S. 193 ff.

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Zweckmäßigkeitsüberlegungen umgangen werden, die den Intentionen der EuInsVO a. F. zuwidergelaufen wären.85 II. Im Kontext von Sekundärinsolvenzverfahren Wurde im Zuge einer europäischen Konzerninsolvenz ein einheitlicher Konzerninsolvenzgerichtsstand am COMI eines Konzernunternehmens begründet, war es seit der Hettlage-Entscheidung86 gängige Praxis, dass das eigentlich als gesetzliche Ausnahme gedachte Sekundärinsolvenzverfahren zum Regelfall avancierte. Dies war auf den Umstand zurückzuführen, dass das Vermögen der Tochterunternehmen größtenteils in deren eigenem Sitzstaat und damit in einer anderen Jurisdiktion als der des Mutterunternehmens belegen war.87 Als Folge wurde der überwiegende Teil des Vermögens der Tochterunternehmen im Zuge von Sekundärinsolvenzverfahren verwaltet. Indem jedem Kleingläubiger die Möglichkeit offenstand, ein Sekundärinsolvenzverfahren – unabhängig einer Sinnhaftigkeit des Insolvenzgerichtsstandes – zu beantragen, konnte es zu einer Vielzahl solcher paralleler Sekundärinsolvenzverfahren kommen, welche den eigentlich gewünschten Nutzeffekt einer Zentralisierung wieder zunichtemachten. Der Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens konnte und wurde ebenfalls dazu genutzt, eine Erpressungssituation zu schaffen. Eine Rücknahme des Antrags sollte nur stattfinden, wenn es zu einer vollständigen Befriedigung der offenen Insolvenzforderungen kam.88 Wurden Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet, waren diese mit dem Hauptverfahren abzustimmen. Zwischen Verwaltern war dies auf Basis des Art. 31 EuInsVO a. F. ohne Weiteres möglich. Hinsichtlich der beteiligten Insolvenzgerichte waren Kooperationsmöglichkeiten jedoch vollständig ungeregelt. 89 Rechtstechnisch war lediglich an eine analoge Anwendung des Art. 31 EuInsVO zu denken.90 Eine direkte Subsumtion des Gerichts unter einen funkSchmiedeknecht, Der Anwendungsbereich der EuInsVO, 2004, S. 193; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 273. 86 AG München NZI 2004, 450 ff. („Hettlage“). 87 Taylor in: Peter/Jeandin/Kilborn, Challenges of Insolvency Law Reform, 2006, 347, 351 ff. u. 356; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 348; ebenso zu ISA-Daisytek I, ISA-Daisytek II und Collins & Aikman Corp Group, Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 240 Fn. 62. 88 Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 241. 89 Paulus, EWS 2002, 497, 505; Vallender in: FS Lüer, 2008, 479, 494 f. 90 Die Entscheidung des OLG Wien, die zwar eine allgemeingültige analoge Anwendung des Art. 31 EuInsVO a. F. mit zusätzlichem Verweis auf das UNCITRAL-Modellgesetz anzunehmen schien, war wohl insbesondere durch die Tatsache bedingt, dass österreichische Konkursgerichte Erwähnung in Anhang C der EuInsVO a. F. fanden und daher unter den Begriff der Verwalter subsumiert werden konnten, wodurch sogar eine direkte Anwendung des Art. 31 EuInsVO a. F. möglich gewesen wäre, vgl. OLG Wien NZI 2005, 56, 61; in diesem Sinne auch Duursma-Kepplinger/Chalupsky in: Duursma-Kepplinger/Duursma/ 85

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tionalen und weit zu verstehenden Verwalterbegriff erschien allerdings nur als gangbar, wenn den Gerichten tatsächlich Verwaltungskompetenzen zukamen und sie zusätzlich in Anhang C EuInsVO a. F. aufgeführt wurden.91 Die Analogie wurde jedoch mangels Planwidrigkeit der Regelungslücke abgelehnt. Eine Erweiterung der Vorschriften auf Gerichte hätte zu Friktionen innerhalb des Regelungsbereichs hinsichtlich Sekundärinsolvenzverfahren geführt.92 Es war anzunehmen, dass der europäische Gesetzgeber die Aufgabe bei der Abwicklung des Insolvenzverfahrens ausschließlich den Verwaltern und nicht den Gerichten zuordnete.93 Unter teleologischen Gesichtspunkten wurde eine Kooperation zwischen den Gerichten von Seiten der Literatur nichtsdestotrotz schon seit jeher als wichtig erachtet und der Mangel an diesbezüglichen Vorschriften beklagt.94 Kam es zu Konflikten zwischen Sekundär- und Hauptinsolvenzverfahren, bargen die Art. 31 ff. EuInsVO a. F. allerdings auch für die beteiligten Verwalter nur verhaltene Abstimmungsmöglichkeiten. Die Vorschriften waren lediglich Ansatzpunkte; Detailfragen und konkrete Rechte waren – abgesehen von Art. 33 Abs. 1 S. 1 EuInsVO a. F. – nur rudimentär festgelegt. 95 Nach Chalupsky, EuInsVO, 2002, Art. 31 Rn. 6; Hrycaj, IILR 2011, 7, 10; Vallender, IILR 2011, 309, 310; mit Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Wien ebenfalls bejahend, aber leider nicht näher begründend Nortel Group, High Court of Justice London in v. 11.2.2009, [2009] EWHC 206 (Ch) = NZI 2009, 450, 450 Rn. 11. 91 Gerichte konnten demnach Verwalter i. S. d. EuInsVO sein, solange ihnen die Aufgabe zukam, die Masse zu verwalten oder zu verwerten oder die Geschäftstätigkeit des Schuldners zu überwachen, Herchen, Das Übereinkommen über Insolvenzverfahren, 1999, S. 147 ff. u. 234; Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 63. Diesbezüglich standen jedoch in den meisten Rechtsordnungen – insbesondere in Deutschland – Vorbehalte. Vgl. zu alledem Ehricke, WM 2005, 397, 401; ders., ZIP 2007, 2395, 2400 f.; Paulus, EuInsVO, 4. Aufl. 2013 (Vorauflage), Art. 31 Rn. 5; Staak, NZI 2004, 480, 483; Vallender, KTS 2005, 283, 321; ders. in: FS Lüer, 2008, 479, 480; ders., KTS 2008, 59, 67; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 288 f. 92 Ehricke, WM 2005, 397, 401; ders., ZIP 2007, 2395, 2401; ders. in: Europäisches Insolvenzrecht, 2008, 127, 163; Staak, NZI 2004, 480, 483; Vallender, KTS 2008, 59, 67; ders., IILR 2011, 309, 310; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 289. Der deutsche § 357 InsO, der wenigstens einseitig eine Koordination hätte anordnen können, war aus denselben Gründen abzulehnen, Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 289. 93 Diese Vermutung wurde bestätigt durch ErwG 20 EuInsVO a. F. in welchem lediglich die Verwalter im Zusammenhang mit einer Koordination erwähnt wurden, Vallender, KTS 2008, 59, 66. 94 Unter anderem Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 569 f.; Paulus, RabelsZ 70 (2006), 458, 464; Rossbach, Europäischer Insolvenzverwalter, 2006, S. 243; Staak, NZI 2004, 480, 482 f.; Vallender, KTS 2005, 283, 322; ders., KTS 2008, 59 ff.; sich generell gegen eine Kooperationspflicht von Gerichten aufgrund der unterschiedlichen Insolvenzordnungen aussprechend Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2399. 95 Staak, NZI 2004, 480, 482 Fn. 24; „fragmentarisch[e]“ Regelung, Beck, NZI 2006, 609, 611; „teilweise“ Lösung, Lüke, ZZP Band 111 (1998), 275, 305; „halbherzige[r]

§ 4 Europäisches Recht – EuInsVO a. F.

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ErwG 20 EuInsVO a. F. sollte das Hauptinsolvenzverfahren zwar eine Leitfunktion besitzen, diese wurde jedoch durch keine harten Eingriffsbefugnisse des Hauptinsolvenzverwalters – insbesondere keinem Weisungsrecht gegenüber dem Sekundärinsolvenzverwalter – konkretisiert.96 Der Hauptinsolvenzverwalter avancierte gegenüber dem Sekundärinsolvenzverwalter zu einem zahnlosen Tiger. Als erheblicher Makel des Sekundärinsolvenzverfahrens wurde es darüber hinaus angesehen, dass dieses gem. Art. 27 S. 2 EuInsVO a. F. als Liquidationsverfahren ausgestaltet sein musste.97 Zwar war eine Sanierung des ganzen Konzerns nach den Erfordernissen des Art. 34 Abs. 1 EuInsVO a. F. möglich, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass das Sekundärverfahren durch einen Sanierungsplan, einen Vergleich oder eine andere vergleichbare Maßnahme beendet werden konnte.98 Waren diese Instrumente im jeweiligen nationalen Recht in eigenständigen separaten Verfahren, welche keine Liquidation vorsahen, geregelt, konnten diese Verfahren gar nicht erst als Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden, da dieses grundsätzlich zwingend als Liquidationsverfahren ausgestaltet sein musste. Ob eine Konzernsanierung möglich war, hing demnach im Einzelfall davon ab, ob die nationalen Rechtsordnungen zufällig ein Liquidationsverfahren mit inbegriffener Sanierungsmöglichkeit anboten. Die Vorschriften der EuInsVO a. F. gingen im Sanierungsfalle an der Praxis vorbei.99 Es zeigt sich, dass Sekundärinsolvenzverfahren über die Tochterunternehmen bei einem faktischen Konzerngerichtsstand zwar sinnvoll sein konnten, um den Gläubigern des Schuldners aus einem anderen Mitgliedstaat hinsichtlich des in ihrer Jurisdiktion belegenen Vermögens einen einfacheren Zugriff nach der ihnen bekannten lex fori concursus zu gewähren. Für die Bewältigung der aus der Eröffnung dieser Verfahren entstehenden Probleme – insbesondere im Zusammenhang einer Restrukturierung, wie im Fall Christianapol 100, in Versuch“, Paulus, NZI 2001, 505, 515; „unspezifisch[e] Vorgaben“, Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 51 f. 96 Ehricke, ZInsO 2004, 633, 635 f.; ders., WM 2005, 397, 400; Verhoeven, ZInsO 2012, 2369, 2373; ausführlich zu den einzelnen Optionen Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 364 ff.; Ehricke, ZIP 2005, 1104, 1108; den Vorschlägen des Hauptinsolvenzverwalters eine gewisse Verbindlichkeit einräumend Herchen, Das Übereinkommen über Insolvenzverfahren, 1999, S. 152 f. 97 Unter vielen MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO 2000 Art. 27 Rn. 21; rückblickend Brinkmann in: K. Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 3 Rn. 29; MüKoBGB/Kinder, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 3 Rn. 64. 98 Solche Möglichkeiten bestanden im deutschen, österreichischen, italienischen, britischen und spanischen Recht, Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 373 m. w. N. 99 MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO 2000 Art. 34 Rn. 2. 100 Das polnische Möbelunternehmen Christianapol war Teil der Cauval IndustriesGruppe mit Hauptsitz in Frankreich. Mehrere Unternehmen der Gruppe inkl. Christianapol strebten eine Procédure de sauvegarde (siehe hierzu Kapitel 1 Fn. 120) an, um unter

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dem eine Sanierung aufgrund gegenläufiger Interessen der Sekundärinsolvenzverfahrensbeteiligten misslang – wurden allerdings keine geeigneten Instrumente zur Verfügung gestellt. Eine interessante Möglichkeit, die sich schon vor der Reform bot – allerdings selten wahrgenommen wurde – bestand darin, das Sekundärinsolvenzverfahren – wie in der Automold-Insolvenz101 geschehen – in Eigenverwaltung durchzuführen.102 Die Hauptinsolvenzverwalter waren damit im Sekundärinsolvenzverfahren faktisch verwaltungs- und verfügungsbefugt, wodurch eine darüber hinausgehende Kooperation zwischen den Verfahren hinfällig wurde.103

§ 5 Internationale Ansätze § 5 Internationale Ansätze

Mangels über die Zuständigkeitskonzentration hinausgehender Regelungen in der EuInsVO lohnte es sich, einen Blick auf die Kodifikationen internationaler Insolvenzrechtsorganisationen bezüglich Konzerninsolvenzkonstellationen zu werfen und zu prüfen, ob diese in Fällen von Konzerninsolvenzen in der Europäischen Union Anwendung finden konnten.104 gerichtlicher Kontrolle schon im vorinsolvenzlichen Bereich eine Sanierung durchführen zu können. Einer der polnischen Gläubiger von Christianapol, die Bank Handlowy, stellte Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens an dem polnischen Produktionsort des Unternehmens. Die Liquidation der Fabrik hätte die erfolgreiche Umsetzung eines Sanierungsplans verhindert. Daraufhin wurde der EuGH angerufen, um zu klären, ob ein Sekundärinsolvenzverfahren in solchen Fällen untersagt werden kann. Wenngleich das grundlegende Problem durch die Generalanwältin nochmals eindeutig hervorgehoben wurde (GA Kokott SchlA v. 24.5.2012, Bank Handlowy und Adamiak, C-116/11, ECLI:EU:C:2012:308, Rn. 55 f.) entschied der EuGH jedoch ganz im Sinne der Systematik der EuInsVO, dass die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens auch dann gestattet ist, wenn das Hauptinsolvenzverfahren – wie das französische sauvegarde-Verfahren – einem Schutzzweck dient und somit lediglich über die Koordinationsvorschriften der EuInsVO und dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit die Zwecke des Hauptinsolvenzverfahrens gewahrt werden können, EuGH Urt. v. 22.11.2012, Bank Handlowy und Adamiak, C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739, Rn. 57 ff. 101 AG Köln ZIP 2004, 471 ff. Es wurde zunächst über das Vermögen der deutschen GmbH als Schuldnerin sowie ihrer englischen Gesellschafterin ein englisches administration-Verfahren mit jeweils demselben Verwalter eingeleitet. Auf Eigenantrag des Geschäftsführers und der administrators wurde weitergehend ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet und für dieses Eigenverwaltung angeordnet. Vgl. Westpfahl in: FS Görg, 2010, 567, 588 Fn. 70. 102 Dies ging selbstverständlich nur, sofern die Eigenverwaltung nach dem jeweiligen nationalen Recht grundsätzlich als Liquidationsverfahren ausgestaltet war. Hierauf mustergültig eingehend AG Köln ZIP 2004, 471, 474. 103 Westpfahl in: FS Görg, 2010, 567, 588. 104 Diese Ansätze sind insbesondere bei der Auslegung der Kooperation- und Koordinationsvorschriften nach der neuen EuInsVO von Interesse. So statuiert ErwG 48 EuInsVO im

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A. UNCITRAL-Modellgesetz Das UNCITRAL-Modellgesetz105 wurde im Jahre 1997 zunächst von der UNCITRAL verabschiedet und anschließend durch die UN-Vollversammlung gebilligt. Es soll weltweit als Muster bei der Schaffung eines internationalen Insolvenzrechts, das den Anforderungen des modernen Welthandels mit seinen zahlreichen Freihandelszonen und multinationalen Konzernen gerecht wird, dienen und über die nationalen Rechtsordnungen umgesetzt werden.106 Auf das Gebot der Gegenseitigkeit wird dabei vollkommen verzichtet. Damit soll gewährleistet werden, dass eine möglichst weitreichende Anwendbarkeit stattfindet.107 Die Regelungen des Modellgesetzes können lediglich über eine Implementierung in das mitgliedstaatliche Recht Anwendung finden. Vorgaben für Konzernkonstellationen sind ausdrücklich nicht erwähnt. Das Modellgesetz enthält in Art. 25–27 lediglich Regelungen, welche sich auf eine grenzüberschreitende Kooperation von Verwaltern und Gerichten in Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren eines Schuldners beziehen.108 Die erhebliche praktische Relevanz des Modellgesetzes ergibt sich aus dem Faktum, dass es schon zur Umsetzung einiger Teile in das nationale Recht Griechenlands, Polens, Rumäniens, Sloweniens, USA 109 und des Vereinigten Königreichs kam. 110 Umso verwunderlicher war es, dass sich die zeitlich später erlassene EuInsVO a. F. nicht an dem Rahmengesetz orientierte, insbesondere da sich die sachlichen Zielrichtungen der Ansätze ähnelten. Das Modellgesetz versteht sich nach der Präambel als Rahmengesetz mit Mindeststandards, wodurch die Auswirkungen auf die Rechtsordnungen in einer Detailtiefe nur begrenzt sein können.111 Es soll als Vorlage und flexibler Ansatz für Saaten dienen, welche den Weg einer Harmonisierung des Insolvenzrechts beschreiten wollen, um den Ablauf von Zusammenhang mit Sekundärinsolvenzverfahren (dies kann jedoch entsprechend auch für Konzerninsolvenzverfahren gelten, vgl. Nerlich/Römermann/Nerlich/Hübler, InsO, 33. EL September 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 2), dass die Verwalter und Gerichte bei der Zusammenarbeit die bewährten Praktiken für grenzüberschreitende Insolvenzfälle berücksichtigen sollten, wie sie in den Kommunikations- und Kooperationsgrundsätzen und -leitlinien, die von europäischen und internationalen Organisationen auf dem Gebiet des Insolvenzrechts ausgearbeitet wurden, niedergelegt sind, insbesondere den einschlägigen Leitlinien der Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht (UNCITRAL). 105 UNCITRAL Model Law on Cross-Border Insolvency v. 15.12.1997. 106 Das Modellgesetz regelt dabei lediglich Verfahrensfragen und lässt das materielle Recht unangetastet, Benning/Wehling, EuZW 1997, 618, 618 f. 107 Benning/Wehling, EuZW 1997, 618, 619. 108 Benning/Wehling, EuZW 1997, 618, 619 f.; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 540. 109 U.S. Bankruptcy Code 11 U.S.C. Chapter 15 („Ancillary and other Cross-border Cases“); hierzu ausführlich Rüfner, ZIP 2005, 1859 ff. 110 COM(2012) 743 final (DE), S. 9; Vallender, KTS 2008, 59, 68 f. 111 Das Modellgesetz legt ausdrücklich in Art. 7 UNCITRAL-Modellgesetz fest, dass weiterreichende Regelungen der nationalen Rechtsordnungen für eine weitergehende Unterstützung ausländischer Verwalter durch das Modellgesetz nicht beeinträchtigt werden sollen.

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Insolvenzen weitergehend problemlos zu gewährleisten.112 Die Leistung des Modellgesetzes besteht daher insbesondere darin, zu verdeutlichen, dass es für ein effektives und faires Verfahren unumgänglich ist, eine funktionsfähige Zusammenarbeit zwischen den Verfahrensbeteiligten sicherzustellen. 113 Daher wurde sowohl von der Literatur als auch der Rechtsprechung oftmals auf das Modellgesetz Rückgriff genommen, um Lücken der EuInsVO a. F. aufzuzeigen bzw. zu schließen.114 Wenngleich das Modellgesetz für das europäische Konzerninsolvenzrecht unerheblich blieb und überdies direkt keine Konzernkonstellationen ansprach, stärkte es dennoch das europäische Bewusstsein hinsichtlich der Zusammenarbeit bei parallelen Verfahren, insbesondere zwischen den beteiligten Gerichten. B. Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication in Cross-BorderCases Regelungen hinsichtlich der Koordination ausschließlich zwischen Gerichten wurden zudem vom American Law Institute im Jahre 2000 mit dem Namen „Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication in Cross-BorderCases“ als Teil des Projektes „Transnationale Insolvenzen“ entwickelt und im darauf folgenden Jahr vom International Insolvency Institute angenommen und empfohlen.115 Dabei handelt es sich um Leitsätze der grenzüberscheitenden Insolvenzverfahren zwischen den NAFTA-Staaten, wodurch als Grundlage selbstverständlich die Rechtstraditionen des anglo-amerikanischen Rechtskreises dienen. Aus dieser Tatsache ergibt sich, dass die Regelungen – im Gegensatz zu kontinentaleuropäischen Regelungen transnationale Insolvenzen betreffend – schon von Grund auf ein gesteigertes Maß an Kooperationsgehalt in sich bergen. Den Richtlinien sollen dabei lediglich eine unverbindlicher und empfehlender Charakter im Sinne von Leitlinien innewohnen.116 Eine Umsetzung kann zu Beginn der Insolvenzverfahren durch eine förmliche Annahme der Justizbehörden beider Seiten erfolgen. 117 Die Leitlinien knüpfen an die 112 Benning/Wehling, EuZW 1997, 618, 619; Bezelgues, Konzerninsolvenz, 2008, S. 97; Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2401; Vallender, KTS 2008, 59, 68. 113 Bürokratische und formalistische Hürden sollen abgebaut werden, Benning/Wehling, EuZW 1997, 622. 114 Im Zusammenhang mit einer fehlenden Kooperationspflicht der Gerichte nach Art. 31 EuInsVO a. F. Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 569 f.; ebenso OLG Wien NZI 2005, 56, 61. 115 Abgedruckt in deutscher Übersetzung in KTS 2005, 121 ff.; vor der Reform der EuInsVO a. F. empfehlend, dass die Grundgedanken der Richtlinien in die EuInsVO übernommen werden sollten, Vallender, KTS 2005, 283, 322. 116 „[U]nofficial best-practice recommendations“, Bezelgues, Konzerninsolvenzen, 2008, S. 98; Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 418 f. 117 Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2402; Vallender, KTS 2005, 283, 322; ders., KTS 2008, 59, 77.

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Kooperationsregeln des UNCITRAL-Modellgesetzes und der EuInsVO a. F. an und entwickelten diese weiter.118 Gerade durch die Annahme der Leitlinien durch das International Insolvency Institute und das International Institute of Canada entwickelte sich der Rechtstext über seinen ursprünglichen Anwendungsbereich der NAFTA-Staaten hinaus. Die Richtlinien wurde in viele Sprachen übersetzt und fand international große Anerkennung, da die Literatur oftmals auf sie rekurrierte und die Gerichte die Leitlinien ihrer eigentlichen Bestimmung in Form der tatsächlichen Rechtsanwendung zuführten.119 Inhaltlich sind in den Leitlinien im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen zwei Regelungen vorgesehen. So sind die abhängigen Unternehmen berechtigt, einen Antrag auf Insolvenzeröffnung im Staat ihrer Muttergesellschaft zu stellen. Darüber hinaus soll die Sanierung des Konzerns aus einer weltweiten Perspektive erfolgen. 120 Damit waren sie zwar Vorreiter im Bereich des Konzerninsolvenzrechts, eine umfassende Regelung des Problems wurde allerdings nicht angegangen. Dennoch wurde schon lange vor der Reform der EuInsVO stark dafür plädiert, die Grundgedanken der Leitlinien in die EuInsVO zu übernehmen bzw. als Anhang in die Verordnung zu implementieren.121 Hinsichtlich Konzerninsolvenzsachverhalten blieb solch ein Einfluss der Leitlinien direkt über die EuInsVO allerdings aus, wodurch sie lediglich im – auf Eigeninitiative basierenden – Austausch zwischen den Insolvenzgerichten Berücksichtigung erlangen konnten. Im Zuge dessen leisteten die Leitlinien allerdings einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung eines europäischen Konzerninsolvenzrechts. C. CoCo-Guidelines der INSOL Europe Die Core Group of the Academic Wing122 von INSOL Europe haben im Jahre 2005 mit den „European Communication and Cooperation Guidelines for Cross-border Insolvency“ (European CoCo-Guidelines) unverbindliche Leitlinien erarbeitet. Diese wurden den Insolvenzverwaltern und Gerichten zur Verfügung gestellt, um Möglichkeiten aufzuzeigen, wie in Insolvenzverfahren, welche sich im Anwendungsbereich der EuInsVO a. F. bewegten, kooperiert und kommuniziert werden kann. Primär sind die Leitlinien an die beteiligten Insolvenzverwalter gerichtet, betonen jedoch auch eine herausgehobene

Darauf deutet das richterliche Vorwort zu den Leitlinien, S. ix hin. Vorwort des Direktors des American Law Institute zu den Leitlinien, S. iii sowie Vorwort des Vorsitzenden des International Insolvency Institute zu den Leitlinien, S. v; ebenso Vallender in: FS Lüer, 2008, 479, 492. 120 Bezelgues, Konzerninsolvenzen, 2008, S. 98 f. 121 Vallender in: FS Lüer, 2008, 479, 494. 122 Die Autoren waren Prof. Bob Wessels und Prof. Miguel Virgós. 118

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Stellung der Gerichte bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren.123 Da das Konzerninsolvenzrecht nicht von dem Anwendungsbereich der EuInsVO a. F. umfasst war, waren die Leitlinien primär auf die Kooperation zwischen Hauptund Sekundärinsolvenzverfahren ausgerichtet. Allerdings trugen die Grundgedanken – ebenso wie die zuvor dargestellten Ansätze – dazu bei, einem europäischen Konzerninsolvenzrecht de lege ferenda zur Entstehung zu verhelfen. D. Cross-Border Insolvency Concordat Das zunehmend verstärkte Auftreten grenzüberschreitender Insolvenzen 124 veranlasste die International Bar Association – unter dem Einfluss der erfolgreichen Ad-hoc-Koordination im Zuge der Insolvenz der Maxwell Communication Corporation plc125, welche ohne gerichtliche Kompetenzkonflikte der Verwalter auskam –, das Cross-Border Insolvency Concordat (sog. Concordat)126 auszuarbeiten.127 Das Concordat mit seinen zehn Prinzipien versteht sich dabei nicht als normative Vorgabe, sondern mehr als Hilfestellung bei der Verfahrenskoordination.128 Das Concordat umfasst Regelungen für Gerichte und Verwalter, um faire, vorhersehbare und effiziente Ergebnisse zu gewährleisten, die den Wert der Unternehmensgruppe sowohl in der Liquidation als auch Reorganisation steigern können.129 Die Prinzipien betreffen dabei nicht nur Sekundär- und Hauptinsolvenzverfahren, sondern nach Prinzip 4 – abgrenzend zu anderen Koordinationsrechtsquellen – auch parallel laufende Hauptinsolvenzverfahren. 130 Prinzip 1 legt darüber hinaus fest, dass ein zentrales

123 “The role of the courts is paramount in insolvency matters and, particularly with view to rescues, consolidations or reorganisations, experience often is that the attitude taken by courts may be determinative of the eventual outcome”, vgl. European CoCo-Guidelines, Explanation of the Guidelines, Rn. 22; die zentrale Bestimmung hinsichtlich der Zusammenarbeit der Gerichte liegt in Leitlinie 16 begründet, Vallender, KTS 2008, 59, 76. 124 Dabei ist insbesondere an die Maxwell-Insolvenz und die Olympia & York-Insolvenz zu denken, Nielsen/Sigal/Wagner, 70 Am. Bankr. L.J. (1996), 533, 537 f. 125 Siehe hierzu S. 251 f. 126 Angenommen durch das Council of the International Bar Association Section on Business Law am 19.9.1995 in Paris und durch das Council of the International Bar Association am 1.6.1996 in Madrid. Ausführliche Kommentierung der Prinzipien in Nielsen/Sigal/Wagner, 70 Am. Bankr. L.J. (1996), 533, 542 ff.; ebenso Culmer, 14 Conn. J. Int'l L. (1999), 563, 572 ff. 127 An der Ausarbeitung beteiligten sich mehrere hunderte Mitglieder des Committee J der IBA Section on Business Law von nahezu 20 Staaten sowohl aus dem Common Law als auch Civil Law-Rechtskreis. Darunter befanden sich neun Staaten der Europäischen Union, Culmer, 14 Conn. J. Int'l L. (1999), 563, 572. 128 Culmer, 14 Conn. J. Int'l L. (1999), 563, 572; Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 28; „framework for harmonizing cross-border insolvency proceedings“, Concordat, Einleitung. 129 Culmer, 14 Conn. J. Int'l L. (1999), 563, 564. 130 Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 28.

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Gericht – am „Nervenzentrum“ des Konzerns131 – bestimmt werden soll, welches die Hauptverantwortlichkeit für die Koordination aller Insolvenzverfahren innehat. Meist ist dieses zentrale Forum in der Jurisdiktion gelegen, in dem das Leitungsgremium des Konzerns angesiedelt ist.132 Als wesentliches Koordinationsinstrument sind in diesen Fällen nach Prinzip 4 lit. a Insolvenzverwaltungsverträge aufgeführt, um ein einheitliches Vorgehen zu gewährleisten.133 Anwendung fand dieses Prinzip unmittelbar nach dem Entstehen des Concordats in dem nordamerikanischen Insolvenzfall des Konzerns um Everfresh Beverages Inc.134 In Abgrenzung zu den anderen zuvor aufgeführten internationalen Ansätzen handelt es sich bei dem Concordat tatsächlich um ein Instrument, das insbesondere auf parallele Hauptinsolvenzverfahren ausgerichtet ist und sich gleichzeitig sowohl an Insolvenzverwalter als auch Gerichte wendet. Allerdings basiert es nur auf unverbindlichen Prinzipien, die im europäischen Kontext lediglich im Rahmen der durch die EuInsVO a. F. vorgegebenen Grenzen greifen konnten. Gerade in Bezug auf den Abschluss von Insolvenzverwaltungsverträgen leistete das Concordat jedoch einen wesentlichen Beitrag, um Konzerninsolvenzverfahren konfliktfrei abwickeln zu können.

§ 6 Nationale Rechtsordnungen § 6 Nationale Rechtsordnungen

Aus der EuInsVO a. F. als supranationaler Rechtsquelle und den weiteren internationalen Ansätzen ergaben sich nur eingeschränkt Handlungshilfen im Zusammenhang einer Konzerninsolvenz. Falls vor der Reform der EuInsVO a. F tatsächlich ein über den faktischen Konzerninsolvenzgerichtsstand am COMI hinausgehendes europäisches Konzerninsolvenzrecht existierte, so war dieses aus den Instrumenten zu ziehen, welche die nationalen Rechtsordnungen zur Verfügung stellten. Mangels Harmonisierung des materiellen Insolvenzrechts durch den europäischen Gesetzgeber mussten diese Instrumente aus jedem nationalen Recht gesondert gezogen werden. 135 Da im Kontext dieser 131 „In most cases, an enterprise will have its nerve centre and many of its assets in one country.“, Concordat, Begründung zu Prinzip 1. Dies als ein sehr “nebulöses” Kriterium bezeichnend Culmer, 14 Conn. J. Int'l L. (1999), 563, 564. 132 Concordat, Begründung zu Prinzip 1. 133 Nielsen/Sigal/Wagner, 70 Am. Bankr. L.J. (1996), 533, 549. 134 Die Koordination erfolgte zwischen dem Canada Court of Justice, Ontario und dem United States Bankruptcy Court for the Southern District of New York, Nielsen/Sigal/Wagner, 70 Am. Bankr. L.J. (1996), 533, 557 f. 135 Anders ist dies bei der Organisation für die Harmonisierung des Wirtschaftsrechts in Afrika („Organisation pour l’harmonisation en Afrique du droit des affaires“ - OHADA), die aus 17 Mitgliedstaaten vorwiegend aus dem französischsprachigen Raum Afrikas besteht und eine Harmonisierung des materiellen Insolvenzrechts in diesen Staaten im Bereich von

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Kapitel 2: Das europäische Konzerninsolvenzrecht vor der Reform

Arbeit – insbesondere in der überblicksartigen Darstellung des Zeitraums vor der Reform – keine umfassende Rechtsvergleichung durchgeführt werden kann, sollen im Folgenden lediglich die Optionen aufgezeigt werden, die in den meisten Rechtsordnungen äquivalent enthalten waren. Anhand dieser nationalen Möglichkeiten ist zu analysiert, welche Leistungsfähigkeit die europäischen Rechtsordnungen besaßen, um Konzerninsolvenzen zu begegnen. A. Gesellschafts- und vertragsrechtlich begründete Kooperation I. Im Regelinsolvenzverfahren Trat ein Insolvenzfall im Zusammenhang mehrerer Konzernunternehmen auf, war daran zu denken, eine Abstimmung zwischen den Insolvenzverfahren auf Basis der einheitlichen Konzernführung zu erreichen. Diese unternehmensübergreifende Konzernführung war der Konzernunternehmung im solventen Stadium als konstitutives Merkmal immanent und demnach – unabhängig von der konkreten Ausgestaltung im Einzelfall – in allen europäischen Rechtsordnungen zugelassen. So konnte gerade in einem Unterordnungskonzern das beherrschende Unternehmen institutionell aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung oder aufgrund einer funktionalen Führung über die Gesellschaftsorgane Einfluss auf die beherrschte Gesellschaft nehmen.136 Des Weiteren wurde – falls nach dem jeweiligen nationalen Recht vorgesehen137 – aus Unternehmensverträgen ein Weisungs- und Kontrollrecht im Sinne einer präventiven Verfahren, Sanierungs- und Liquidationsverfahren sowie insolvenzrechtlichen Strafen vorsieht. Allerdings ähneln sich die Insolvenzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten schon seit jeher, da sie sich an dem französischen Modell ausrichteten. Vgl. Bezelgues, Konzerninsolvenzen, 2008, S. 96 f. 136 Mangels Vereinheitlichung des internationalen Konzernkollisionsrechts war die Anknüpfung der jeweiligen Weisungs- und Kontrollrechte von dem jeweiligen nationalen IPR abhängig. Im deutschen internationalen Gesellschaftsrecht als allseitige Kollisionsnorm war das materielle Konzernrecht der Tochtergesellschaft anwendbar. Vgl. Deyda, Konzern im europ. int. InsR, 2008, S. 102 m. w. N.; Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 564. 137 Außer im deutschen Recht gab es Unternehmensverträge in Form von Beherrschungsverträgen innerhalb der Europäischen Union lediglich im portugiesischen, slowenischen, tschechischen und österreichischen Recht, Deyda, Konzern im europ. int. InsR, 2008, S. 101; Koppensteiner in: KK-AktG, 3. Aufl. 2004, Vor. § 291 Rn. 115 ff.; zum österreichischen Recht Doralt in: Lutter, Konzernrecht im Ausland, 1994, 192, 202 ff. Dem englischen Recht war der Beherrschungsvertrag über Schedule 10 A § 4 (1) Companies Act 1985 als „control contract“ zwar bekannt. Wirkung entfalten konnte das daraus resultierende Weisungsrecht nach sec. 310 Companies Act 1985 jedoch nur gegenüber ausländischen Unternehmen, da die Direktoren einer englischen Gesellschaft ihre Entscheidungsverantwortung nicht abgeben durften, Prentics in: Lutter, Konzernrecht im Ausland, 1994, 93, 96 u. 101 Fn. 27. Darüber hinaus war es fraglich, ob die jeweiligen Verträge auch in grenzüberschreitenden Unternehmensverbindungen zulässig waren. Dies für Beherrschungsverträge nach dem deutschen Recht annehmend MüKoInsO/Ehricke, 1. Aufl. 2003, EGInsO Art. 102 Rn. 412.

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Konzernleitungsmacht des herrschenden gegenüber dem beherrschten Unternehmen vermittelt.138 Hätte diese einheitliche Konzernführung im Insolvenzfalle fortbestanden, hätten sich hieraus Weisungs- und Kontrollrechte zwischen den Konzernunternehmen ergeben können, selbst wenn die Unternehmen im Insolvenzverfahren grundsätzlich wie getrennte Einheiten zu behandeln gewesen wären. Für die Frage nach der fortwährenden Wirksamkeit von Unternehmensverträgen war zunächst das anwendbare Recht festzustellen. Dabei kam es darauf an, ob deren Wirksamkeit im Insolvenzfalle eigenständig insolvenzrechtlich angeknüpft wurde. Insolvenzrechtlich zu qualifizieren war und ist die Fortwirkung der Unternehmensverträge, wenn es sich um ein genuin insolvenzrechtsspezifisches Problem handelt, dieses demnach nur anlässlich der Insolvenz auftritt.139 Art. 4 EuInsVO a. F. hatte einen weiten Anwendungsbereich, um einzelstaatliches Kollisionsrecht im Zusammenhang mit Insolvenzverfahren zurückzudrängen und dadurch einen Entscheidungseinklang zu erreichen.140 Die insolvenzrechtliche Qualifikation stand demnach nicht in Frage.141 Bei einer insolvenzrechtlichen Anknüpfung kam nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO a. F. (inzwischen Art. 7 Abs. 1 EuInsVO) die lex fori concursus zum Tragen.142

138 Umstritten war, ob Unternehmensverträge (zumindest solche des deutschen Rechts) aufgrund ihrer Art als Organisationsverträge, welche die Struktur und Verfassung des beherrschten Unternehmens festlegten, als gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren waren (so Bayer, Der grenzüberschreitende Beherrschungsvertrag, 1988, S. 20 ff. u. 55 ff.; Deyda, Konzern im europ. int. InsR, 2008, S. 102 m. w. N.) oder ob die vertragliche Komponente der Konzerngestaltung – mit der Anwendung der Rom I-VO als Folge – im Vordergrund stand (dies mit guten Argumenten vertretend Renner/Hesselbarth, IPRax 2014, 117 ff.). Mit Blick auf Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO wird allerdings berechtigterweise überwiegend der ersten Ansicht gefolgt. 139 Lieder, Grenzüberschreitende Unternehmenssanierung, 2007, S. 135; Duursma-Kepplinger in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, 2002, Art. 4 Rn. 6; Virgós/Garcimartín, The European Insolvency Legislation, 2004, Nr. 196 f. 140 Duursma-Kepplinger in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, 2002, Art. 4 Rn. 7; Lieder, Grenzüberschreitende Unternehmenssanierung, 2007, S. 135. 141 In diesem Sinne auch Deyda, Konzern im europ. int. InsR, 2008, S. 112. Diese Weichenstellung war für die Bestimmung des anwendbaren Rechts evident. Wäre eine eigenständige insolvenzrechtliche Anknüpfung nicht möglich und die Unternehmensverträge als vertragsrechtlich zu qualifizieren gewesen, wäre nach Art. 3 Rom I-VO der Grundsatz der Rechtswahlfreiheit anwendbar gewesen, sodass die Konzernmutter das anwendbare Recht einheitlich hätte festlegen können. Bei einer gesellschaftsrechtlichen Qualifizierung hätte solch eine Rechtswahl nicht stattfinden können. Siehe Renner/Hesselbarth, IPRax 2014, 117 ff. Die Rechtswahlfreiheit hätte jedoch erhebliches Missbrauchspotenzial mit sich gebracht und wäre mit den Insolvenzrechtzwecken wohl schwer verträglich gewesen. 142 A. A. Lieder, Grenzüberschreitende Unternehmenssanierung, 2007, S. 134 u. 138. Eine Anwendung der Sonderregelungen für bestimmte Vertragstypen nach Art. 10, 11 und 13 Rom I-VO kam hingegen nicht in Betracht.

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Kapitel 2: Das europäische Konzerninsolvenzrecht vor der Reform

Trat nun der Fall ein, dass ein Unternehmensvertrag auch im Insolvenzfalle noch nach allen beteiligten Rechtsordnungen wirksam war143 oder zumindest gesellschaftsrechtlich begründete Weisungs- und Kontrollrechte vermittelt wurden, stellte sich die anschließende Frage, ob diese fortwährende Wirksamkeit der einheitlichen Unternehmensführung nicht diametral zu den Zwecken der Insolvenzverfahren stand. Eine fortbestehende Lenkungsmacht des beherrschenden Unternehmens hätte dazu geführt, dass der für das Tochterunternehmen eingesetzte Insolvenzverwalter lediglich in Abstimmung mit dem für das Mutterunternehmen eingesetzten Insolvenzverwalter hätte agieren können. Im Insolvenzfalle wäre solch ein Ergebnis nicht vorstellbar gewesen, da die einheitliche Konzernführung die autonome Stellung des Insolvenzverwalters und damit die rechtsträgerbezogene Insolvenzabwicklung gefährdet hätte. 144 Die Insolvenzverwalter zogen ihre Verwaltungskompetenz ausschließlich aus dem Insolvenzrecht und gerade nicht aus dem die Konzernführung begründenden Gesellschafts- oder Vertragsrecht.145 Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis waren dem beherrschenden Unternehmen entzogen und dem Insolvenzverwalter übertragen,146 wodurch das beherrschende Unternehmen seine Einwirkungsrechte nur noch in den marginalen ihm verbleibenden Kompetenzen des beschlagsfreien Vermögens und der dem Schuldner im Insolvenzverfahren gegenüber dem Insolvenzverwalter und -gericht zustehenden Rechten ausüben 143 Im deutschen Recht war sich die Rechtsprechung und Literatur einig, dass sich die Unternehmensverknüpfungen im Insolvenzfalle eines der beteiligten Unternehmen aufzulösen haben, BGH NJW 1988, 1326; MüKoAktG/Altmeppen, 4. Aufl. 2015, § 297 Rn. 103 ff.; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 297 Rn. 52 ff.; Koch in: Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 297 Rn. 22a; Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 50 m. w. N. Nach dem neu in die InsO eingeführten Zweck der Unternehmenssanierung wurde in der neueren Rechtsprechung immer öfter dafür plädiert, die Geltung der Konzernverträge auch im Insolvenzfalle aufrechtzuerhalten, jedoch ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund nach § 297 Abs. 1 AktG zu gewähren, Beck, MwStR 2014, 359, 365; ders., DZWIR 2014, 381, 385; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 32.09. 144 Lieder, Grenzüberschreitende Unternehmenssanierung, 2007, S. 142 f.; zum deutschen Recht Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 564; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 32.09; K. Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, 1990, S. 228; Schmiedeknecht, Der Anwendungsbereich der EuInsVO, 2004, S. 216 ff. 145 Lieder, Grenzüberschreitende Unternehmenssanierung, 2007, S. 135; zum deutschen Recht Acher, Vertragskonzern und Insolvenz, 1987, S. 119 u. 122; Schmiedeknecht, Der Anwendungsbereich der EuInsVO, 2004, S. 208; Tschernig, Haftungsrechtliche Probleme der Konzerninsolvenz, 1995, S. 89. 146 Dies wurde in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen der Europäischen Union in dieser Form einheitlich vorgegeben, vgl. Kindler/Nachmann, Hdb InsR in Europa, 4. EL 2014, 2. Teil Länderberichte, Schillig zu England und Wales Rn. 318 ff., Bauerreis zu Frankreich Rn. 70, Kindler/Conow zu Italien Rn. 115, Duursma-Kepplinger zu Österreich Rn. 90 ff., Barłowski zu Polen Rn. 105, Fries/Steinmetz zu Spanien Rn. 47, Konopcik zu Tschechische Republik Rn. 99, Sipos zu Ungarn Rn. 142.

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konnte.147 Die ehemals einheitliche Konzernführung wurde – egal ob gesellschafts- oder vertragsrechtlich begründet – durch die Einsetzung der unabhängig agierenden Insolvenzverwalter auseinandergerissen. Eine Kooperation konnte demnach über die einstige Konzernführung nicht begründet werden. II. In der Eigenverwaltung Anders konnte die Situation bei einer Anordnung der Eigenverwaltung im Verfahren über das Tochterunternehmen gelagert sein, sofern die nationalen Rechtsordnungen dieses Instrument vorsahen.148 Fraglich war allerdings auch in diesem Zusammenhang, ob die autonome Stellung des Eigenverwalters und das rechtsträgerbezogene Eigenverwaltungsverfahren mit den hierarchischen Weisungs- und Kontrollmechanismen vereinbar waren.149 Dies richtete sich im Einzelfall nach der jeweiligen lex fori concursus der beteiligten Unternehmen, da es sich bei der Frage der Fortwirkung von Weisungs- und Kontrollrechten – ebenso im Zuge der Eigenverwaltung – um ein Insolvenzspezifikum handelte. Grundsätzlich sollte eine Eigenverwaltung nur angeordnet werden, wenn der Schuldner als kompetent und zuverlässig erschien, das Unternehmen zu sanieren.150 Einen Zugewinn konnte die Eigenverwaltung im Konzern insbesondere mit sich bringen, wenn die vorinsolvenzlichen Weisungs- und Kontrollrechte des Mutterunternehmens auch im Insolvenzfalle erhalten blieben und weiterhin ihre Wirkung entfalten konnten.151 Es hätte dem Sinn und Zweck der Eigenverwaltung widersprochen, wenn die Geschäftsführung – wie bei einer Regelinsolvenz – lediglich zu einem internen Insolvenzverwalter verkommen wäre.152 Damit konnte eine abgestimmte Sanierung selbst dann durchgeführt werden, wenn das Mutterunternehmen gar nicht in die Insolvenz gefallen war. 153 Wurde solch ein Fortbestand der Geschäftsführung angenommen, 154 hatte die jeweilige lex fori concursus allerdings zumeist die Zwecke des Zum deutschen Recht Acher, Vertragskonzern und Insolvenz, 1987, S. 119; Bous, Konzernleitungsmacht, 2001, S. 292 ff.; Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 76 f. 148 Kindler/Nachsann, Hdb InsR in Europa, 4. EL 2014, 2. Teil Länderberichte, Schillig zu England und Wales Rn. 286, Bauerreis zu Frankreich Rn. 161 ff., Duursma-Kepplinger zu Österreich Rn. 82, Konopcik zu Tschechische Republik Rn. 136; in Deutschland ist die Eigenverwaltung in den §§ 270 ff. InsO geregelt. 149 In diesem Sinne Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 564. 150 Im Zusammenhang mit dem deutschen Recht Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 223. 151 Ausführlich zum deutschen Kontext Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 241 ff.; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 227 ff. 152 Ausführlich zum deutschen Kontext Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 214 ff. 153 Bezüglich einer Insolvenz deutscher Tochterunternehmen Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 232 ff. 154 Der Fortbestand einer Einwirkungsmöglichkeit durch die Muttergesellschaft konnte durch den jeweiligen Insolvenzordnungszweck sogar intendiert sein. 147

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nationalen Insolvenzverfahren als Schranken heranzuziehen und weitere Sicherungsmaßnahmen, wie beispielsweise Sonderinsolvenzverwalter oder Gremien (beispielsweise Gläubigerausschüsse), zur Überwachung der Insolvenzzwecke einzusetzen.155 Eine einheitliche Tendenz der nationalen Rechtsordnungen bezüglich der Mechanismen im Zuge der Eigenverwaltung war jedoch schwerlich auszumachen. Wenngleich vereinzelt eine Abstimmung zwischen den Konzernunternehmen über das Instrument der Eigenverwaltung möglich war, war damit noch lange kein einheitliches Instrument für Konzerninsolvenzverfahren in der Europäischen Union geschaffen. Insbesondere bestanden zu viele Vorbehalte hinsichtlich der Anordnung einer Eigenverwaltung, wenn es zu grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen kam. So existierten Bedenken, der Geschäftsführung einer ausländischen Konzernmutter bzw. dem Verwalter einer ausländischen Konzernmutter die Zügel über ein insolventes inländisches Unternehmen in die Hand zu geben.156 Einer Konzerninsolvenz mit dem Mittel der Eigenverwaltung zu begegnen, war demnach lediglich auf nationaler Ebene erfolgsversprechend, wie die deutschen Insolvenzfälle um die Gesellschaften Philipp Holzmann AG, Babcock Borsig AG, KirchMedia GmbH & Co. KG, Herlitz AG, Grundig AG (zumindest mit Erfolgspotenzial) 157 , AGFA-Photo GmbH, Ihr Platz GmbH & Co. KG oder Sinn Leffers GmbH bestätigten. Auf europäischer Ebene war und ist die Abstimmung zwischen den Hauptinsolvenzverfahren über eine Eigenverwaltung mehr eine theoretische Möglichkeit als ein praktisches Anwendungsfeld. B. Verfahrensrechtlich begründete Kooperation Des Weiteren bestand die Möglichkeit, geeignete Koordinationsmaßnahmen unmittelbar aus dem nationalen Prozessrecht der jeweiligen lex fori concursus zu ziehen, da sich das Prozessrecht immer an gewissen Zwecksetzungen ausrichtet, die auf ein effizientes und faires Verfahren zur bestmöglichen Durchsetzung des materiellen Rechts abzielen.158 Waren Kooperationsmaßnahmen gewinnbringend zur Verwirklichung der nationalen Zwecksetzungen, war es Aufgabe der Verfahrensbeteiligten – allen voran der Gerichte und der Verwalter – dafür Sorge zu tragen, dass die dafür nötigen Handlungen in die Wege 155 Nach dem deutschen § 276a InsO hatten andere Organe des insolventen Unternehmens keine Einflussmöglichkeiten mehr auf die eigene Geschäftsführung, Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 228 ff. 156 Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 235. 157 Es stellte sich heraus, dass wesentliche Sanierungsparameter nicht gegeben waren, weshalb der Antrag auf Eigenverwaltung zurückgenommen wurde, Braun, NZI 2003, 588 ff. (Braun war selbst der im Vorstand eingesetzte Insolvenzfachmann für die zunächst stattfindende Eigenverwaltung bei der Grundig AG). 158 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 418. Rspr. deutscher Gerichte bezüglich des Verfahrensrechts als Zweckmäßigkeitsrecht: GemS-OGB NJW 2000, 2340, 2341; BGH NJW 2005, 291, 293.

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geleitet wurden.159 Trotz des Schweigens der Mehrzahl der nationalen Rechtsordnungen bezüglich einer Kooperation in Konzerninsolvenzkonstellationen, boten sie dennoch – nach der gemeinsamen fori concursus generalis – Anknüpfungspunkt für die meisten Maßnahmen.160 Allerdings bestand in den kontinentaleuropäischen Staaten seit jeher eine gewisse Zurückhaltung gegenüber Instrumenten, die nicht ausdrücklich durch positives Rechts angeordnet wurden. Staaten unter dem Civil Law hatten weniger Probleme Handlungen vorzunehmen, die nicht ausdrücklich gesetzlich vorgegeben waren. 161 Daher stammten viele der in der Praxis angewandten Instrumentarien im Zusammenhang einer Konzerninsolvenz aus Verfahren, an denen Insolvenzgerichte und -verwalter aus dem Vereinigten Königreich beteiligt waren. I. Einheitliche Verwalterbestellung durch das Gericht am COMI Besonders nachdem eine Zuständigkeitskonzentration auf Basis des COMI umgesetzt wurde, war es für das zuständige Gericht attraktiv, die Möglichkeit einer einheitlichen Verwalterbestellung zu nutzen.162 In der Praxis erfolgte dies gerade in England mit der Bestellung eines einheitlichen joint administrator in den Verfahren um Daisytek-ISA Ltd & Ors163, den MG Rover-Konzern164 und die Collins & Aikman-Gruppe 165. Dabei war darauf zu achten, dass die Voraussetzungen des nationalen Rechts – zumeist das Unabhängigkeitskriterium und die Beteiligung der Gläubiger bei der Verwalterbestellung – eingehalten wurden. 166 Eine einheitliche Verwalterbestellung am Konzerninsolvenzgerichts-

Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 291. Deyda, Konzern im europ. int. InsR, 2008, S. 136 f. Dabei ist anzunehmen, dass nahezu alle Insolvenzrechtsordnungen den in Deutschland zu Verfügung stehenden Optionen in nichts nachzustehen haben, Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 563. 161 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 417. 162 Ausführlich Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 126 ff.; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 213 ff. Ob es im deutschen Recht tatsächlich zu einer einheitlichen Bestellung kam, hing primär von dem Nutzen für das deutsche Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung gem. § 1 InsO ab, Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 157 f.; Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 553. 163 Re Daisytek-ISA I, High Court of Justice Leeds v. 16.5.2003, [2004] BPIR 30 = NZI 2004, 219, 219 f. 164 Re MG Rover I, High Court Birmingham v. 18.4.2005, [2005] EWHC 874 (Ch) = NZI 2005, 467 ff. und anschließend zur Klarstellung der Befugnisse englischer Hauptinsolvenzverwalter MG Rover II, High Court Birmingham v. 11.5.2005 = NZI 2005, 515 ff. 165 Re Collins & Aikman Corp Group, High Court (Ch) v. 15.7.2005, [2006] BCC 606 = NZI 2006, 654, 655. 166 Im deutschen Recht konnte nach dem neu eingefügten § 56a Abs. 2 InsO das Gericht einen einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses lediglich aufgrund einer Ungeeignetheit der Person (nicht Unabhängigkeit) ablehnen, Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 217 f. 159

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stand, stellte sicher eines der effizientesten Instrumente dar, einer Konzerninsolvenz zu begegnen. Zwar bestand auch die Möglichkeit einer einheitlichen Verwalterbestellung, wenn die Verfahren an unterschiedlichen Gerichten verschiedener Jurisdiktionen angesiedelt waren. Die Praxis zeigte jedoch, dass die Gerichte hiervon – insbesondere aufgrund der unterschiedlich zur Anwendung gelangenden Rechtsordnungen und der divergierenden Sprachen – keinen Gebrauch machten.167 Darüber hinaus wurden über vorläufige Verwalterbestellungen oftmals vollendete Tatsachen geschaffen, sodass es gar nicht mehr zu einer Abstimmung im Zuge des eigentlich noch stattfindenden Verwalterbestellungsprozesses kommen konnte.168 II. Nationales Konzerninsolvenzrecht Da der europäische Gesetzgeber von einer Vollharmonisierung des europäischen Insolvenzrechts abgesehen hatte, stand dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit offen, im Zuge von grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzkonstellationen regelnd einzugreifen, sofern hieraus kein Widerspruch mit europäischem Recht resultierte. 169 Insbesondere das Schweigen der EuInsVO hinsichtlich Kooperationsvorschriften – mit Ausnahme des Art. 31 EuInsVO a. F. im Zusammenhang mit Sekundärinsolvenzverfahren – konnte nicht als abschließende gesetzliche Anordnung verstanden werden.170 Abstimmungsmöglichkeiten zwischen den Hauptinsolvenzverfahren konnten sich demnach aus den einzelnen nationalen Rechtsordnungen ergeben, wobei als Statut – aufgrund der insolvenzrechtlichen Qualifikation der Koordinierung – die für jedes Verfahren geltende lex fori concursus einschlägig war. In Frankreich bestand die Möglichkeit einer Verfahrenserstreckung und Zusammenfassung der Massen in den Fallgruppen der Vermögensvermischung (confusion de patrimoine) oder Scheingesellschaft (fictivité de la personne morale) bzw. im irischen Recht nach dem pooling of assets.171 In Italien existierte die amministrazione 167 Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 281, 286; Ehricke, EWS 2002, 101, 102; Westpfahl in: FS Görg, 2010, 567, 587 f.; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 216. 168 Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 216. 169 Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 8; ders./Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 13. 170 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 418; Ehricke, WM 2005, 397, 401; Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 26; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 569; Lieder, Grenzüberschreitende Unternehmenssanierung, 2007, S. 139 f.; Pannen/Pannen/Riedemann, EuInsVO, 2007, Art. 31 Rn. 13; Staak, NZI 2004, 480, 482 f.; Vallender, KTS 2008, 59, 66 ff. 171 Das französische Instrument hat sich durch richterliche Rechtsfortbildung entwickelt und ist im Jahre 2005 in Art. L621-2(2) C. com. normiert worden. Das pooling of assets ist inzwischen in s 600 Irish Companies Act 2014 niedergeschrieben (zuvor s 141 Irish Companies Act 1990); hierzu in der Rspr. Laffoy J in Fyffes plc v DCC plc [2005] IEHC 477; in der Lit. Merlini, IILR 2016, 119, 130.

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straordinaria delle grandi imprese in crisi, welche eine verwaltungsbehördliche Zwangsliquidation vorsah und hauptsächlich Auswirkungen im Bereich der gerichtlichen Zuständigkeit sowie bei Anfechtungs- und Haftungsklagen – ohne Einfluss auf grenzüberschreitende Konzernsachverhalte 172 – hatte. 173 Das deutsche Gesetz zu Konzerninsolvenzverfahren trat erst nach der Reform der EuInsVO im Jahre 2018 in Kraft174, hatte allerdings maßgeblichen Einfluss auf die neu entstandenen Regelungen.175 Die Zusammenschau der nationalen Konzerninsolvenzrechten verdeutlicht, dass der international agierende Konzern in den nationalen Insolvenzrechtsordnungen Europas lediglich marginal Berücksichtigung fand. Soweit dennoch ein Konzerninsolvenzrecht ausfindig gemacht werden konnte, war dieses nicht geeignet, grenzüberschreitende Abstimmungsmöglichkeiten bereitzustellen, da es entweder nur für den nationalen Kontext konzipiert war, die durch Art. 3 Abs. 1 EuInsVO a. F. abschließend geklärte internationale Zuständigkeitsfrage betraf176 oder im parallelen ausländischen Verfahren keine Erwiderung fand und daher im grenzüberschreitenden Kontext nicht zur Anwendung gelangen konnte. Das spezifische nationale Konzerninsolvenzrecht bot demnach keine Anknüpfungspunkte für ein europäisches Konzerninsolvenzrecht.177 III. Kooperation der Gerichte Kam es tatsächlich zu einer internationalen Konzerninsolvenz, an welcher mehrere Gerichte aus verschiedenen Mitgliedstaaten beteiligt waren, ließen sich Kooperationsinstrumente aus dem allgemeinen nationalen Prozessrecht herleiten. 178 Die meisten positiven Erfahrungen in dieser Beziehung liefen 172 Das Instrument fand nur für die Sanierung nationaler Großunternehmen Anwendung, Bezelgues, Konzerninsolvenzen, 2008, S. 129. 173 Vanetti, ZGR 1989, 396, 402 ff.; mehr Bezelgues, Konzerninsolvenzen, 2008, S. 36 ff. 174 Nach Art. 10 des Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen am 21.4.2018. 175 Zu diesem Einfluss des deutschen Rechts auf die Reform siehe mehr unter S. 338. Schon früher wurde im deutschen Recht eine beratende Funktion des Mutterunternehmens bei der Aufstellung eines Sanierungsplans im Zuge der Insolvenz eines Tochterunternehmens angedacht (vgl. BMJ, Erster Bericht der Kommission, 1985, S. 166 f. u. 293), vom deutschen Gesetzgeber bei der Schaffung der InsO allerdings nicht aufgegriffen. 176 Zum spanischen Recht Lieder, Grenzüberschreitende Unternehmenssanierung, 2007, S. 215. 177 Im Ergebnis auch Bezelgues, Konzerninsolvenzen, 2008, S. 141 f. 178 Im deutschen Recht gaben diverse gesetzliche Bestimmungen Leitlinien vor. So veranlasste der Amtsermittlungsgrundsatz aus § 5 Abs. 1 S. 1 InsO, dass das Insolvenzgericht aus eigenem Antrieb heraus in eine Kooperation eintreten sollte, wenn dies zur Ermittlung von Umständen, die für das Verfahren von Bedeutung waren, erforderlich war. Nach § 21 Abs. 1 InsO musste das Insolvenzgericht darüber hinaus alle Maßnahmen treffen, um bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens eine für die Gläubiger nachteilige Veränderung des Vermögens zu verhindern. Siehe hierzu Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI

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zwar unter dem Radar und sind daher nicht dokumentiert, vereinzelt traten sie jedoch ans Licht und sollen daher als Anschauungsobjekte und Vorbilder für andere Verfahren dienen. So fand noch vor der Eröffnungsentscheidung zwischen dem deutschen AG Köln und dem luxemburgischen Handelsgericht im Verfahren über das Mutterunternehmen der PIN-Gruppe, einer in Luxemburg registrierten Holding, eine Kooperation statt.179 Es vollzog sich ein Austausch hinsichtlich des jeweiligen Verfahrensstands, um eine gleichzeitige Eröffnung mehrerer Hauptinsolvenzverfahren zu vermeiden.180 Dies bestätigte, dass eine Kooperation insbesondere im Zuge der Verfahrenseröffnung durchführbar und gewinnbringend war.181 Speziell in Jurisdiktionen des Common Laws spielten die aus dem US-amerikanischen Recht stammenden und dort sehr erfolgreichen protocols, welche eine Kooperation der Gerichte voraussetzten, eine wichtige Rolle.182 Bei diesen Vereinbarungen handelte es sich um eine flexible Ad-hoc-Zusammenarbeit, die äußerst erfolgreich die gesetzlichen Lücken bei 2010, 417, 418; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 290 f. Insbesondere wenn es zur Zielerreichung nach § 1 S. 1 InsO dienlich war, mussten die jeweils betroffenen Gerichte in eine Koordination eintreten, Eidenmüller, Finanzkrise, Wirtschaftskrise, 2009, S. 44 Fn. 110. Nach § 348 Abs. 2 InsO hatten deutsche Gerichte das Recht – in Anlehnung an Art. 25 UNCITAL-Modellgesetz – mit dem ausländischen Insolvenzgericht zusammenzuarbeiten und vor allem Informationen weiterzugeben, die für das ausländische Verfahren von Bedeutung waren, Begründung zu Nr. 49 (§ 348) Referentenentwurf für ein „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG), Beilage 1 zu ZIP 6/2011, 1, 44. 179 Nach der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens durch das AG Köln wurde das luxemburgische Gericht hierüber unmittelbar in Kenntnis gesetzt, Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 420; Wimmer, DB 2013, 1343, 1346. Leider musste im weitergehenden PIN-Verfahren mangels einheitlichem Konzerninsolvenzgerichtsstand ein hoher Feststellungsaufwand betrieben werden, um für jedes der beteiligten satzungssitzfernen Tochterunternehmen die örtliche Zuständigkeit am Satzungssitz über aufwändige Sachverständigengutachten zu begründen, was überdies nur teilweise von Erfolg gekrönt war. Hierauf aus eigener Erfahrung als Insolvenzrichter am AG Köln hinweisend Vallender, Der Konzern 2013, 162 u. 163 Fn. 8. 180 Aus dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens heraus kam den Gerichten im Falle paralleler Eröffnungsanträgen eine Pflicht zur gegenseitigen Information und Abstimmung zu. Es ließ sich allerdings keine Pflicht zur Kooperation in der Phase der Durchführung der Verfahren, die es eigentlich zu vermeiden galt, herleiten, Ehricke in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, 2008, 127, 163 f.; Vallender, IILR 2011, 309, 310 f.; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 290. 181 Neuerdings stand den deutschen Gerichten nach § 348 Abs. 2 InsO die Befugnis – jedoch nicht die Pflicht – zu, mit dem ausländischen Gericht direkt zusammenzuarbeiten, Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1. 182 Aus § 21 Abs. 1 InsO konnte sich im deutschen Recht die Kompetenz für Gerichte ergeben, im Eröffnungsverfahren Insolvenzverwaltungsverträge abzuschließen, Eidenmüller, ZZP 114 (2001) 3, 17; ders., ZHR 169 (2005), 528, 554; Paulus, ZIP 1998, 977, 981; diese Befugnis der Gerichte – aufgrund Art. 20 Abs. 3 GG – als äußerst fraglich ansehend Vallender, KTS 2005, 283, 323 f.; ders., KTS 2008, 59, 64.

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Konzerninsolvenzen über eine Teilprivatisierung des Insolvenzrechts auffüllen konnte.183 Allerdings traten immer wieder Fälle auf, in denen eine Kooperation, gerade bei der Durchführung der Verfahren, scheiterte. Illustrativ war dies – wenn man aus dem europäischen Kontext hinauszutreten wagt – in dem Lernout&Hauspie Speech Products-Verfahren184, bei welchem dem US-Instanzgericht durch das Berufungsgericht zwar aufgetragen wurde, eine Kommunikation mit dem befassten belgischen Gericht aufzunehmen, um Konflikte zu vermeiden, allerdings solch eine Kooperation nicht zustande kam.185 Des Weiteren lehnte der englische Royal Court of Justice in London im T&N Ltd-Verfahren186 eine Kommunikation mit dem amerikanischen Bankruptcy Court for the District of Delaware ab,187 obwohl man sich zuvor auf eine inter-court communication verständigt hatte.188 Welche Chancen hierdurch vertan wurden, ist schwerlich auszumachen. Eindrucksvoll bekräftigt wurde eine ablehnende Haltung der Gerichte zu Kooperationsmaßnahmen aus der schwedischen Insolvenzpraxis: „Swedish judges will not communicate with anybody else at all“189. Es zeigte sich, dass eine Abstimmung ohne einheitliche Kooperationspflichten vornehmlich vom guten Willen und der Einsatzbereitschaft der beteiligten Gerichte abhing. Diese Bereitschaft aus eigenem Antrieb zu handeln, war zum Leidwesen der Konzerninsolvenzverfahren oftmals schwach ausgeprägt. Das Potenzial, über eine Abstimmung gewinnbringend auf die Verfahren einzuwirken, wurde leider zu selten ausgeschöpft. IV. Kooperation der Verwalter Durch die Einsetzung unterschiedlicher Insolvenzverwalter für die verschiedenen Verfahren stieß eine funktionsfähige Konzerninsolvenz an ihre Grenzen, da die Verwalter grundsätzlich ausschließlich für ihr eigenes Verfahren verantwortlich waren. 190 Damit es dennoch zu abgestimmten Insolvenzverfahren kommen konnte, waren Wege der Kooperation zwischen den Verwaltern zu Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 35. Lernout&Hauspie Speech Products NV, 310 f. 2d 118 (3d Cir. 2002). 185 Vallender in: FS Lüer, 2008, 479, 484. 186 Royal Court of Justice London, case No. 5798 (and others) of 2001. 187 Verantwortlich war der englische Richter Justice David Richards, vgl. Royal Court of Justice London Urteil v. 8. 12. 2004 - case No. 5798 (and others), Rn. 27. 188 Mehr, u. a. auch der Originalwortlaut des englischen Richters, Vallender in: FS Lüer, 2008, 479, 484. 189 Rechtsanwalt Rolf Abjörssen in Bezug auf schwedische Richter im Zuge seines Referats „Collapse of multinational corporate groups: Lessons to be learned“ auf der Jahrestagung von INSOL International am 20.3.2007 in Kapstadt (Südafrika), vgl. Vallender in: FS Lüer, 2008, 479, 484 f. 190 Vallender, Der Konzern 2013, 162, 163. 183

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finden. Glücklicherweise ließ das allgemeine nationale Insolvenzverfahrensrecht Möglichkeiten einer privatautonom ausgestalteten Kooperation zwischen den Beteiligten – unter dem Vorbehalt des mitgliedstaatlichen Rechts191 und der mitgliedstaatlichen Zwecksetzungen192 – offen.193 Es lag somit an dem Einfallsreichtum der Insolvenzpraxis, die unspezifischen Regelungen des Prozessrechts mit zielgerichteten Lösungsmöglichkeiten zu füllen. Als tragende Kooperationsmaßnahmen stellten sich zum einen Insolvenzverwaltungsverträge zwischen den beteiligten Insolvenzverwaltern und die zuvor erwähnten protocols heraus.194 Die Vereinbarungen zogen ihre Wirkkraft allerdings ausschließlich aus dem übereinstimmenden Willen der Verwalter und kamen daher lediglich dann zur Anwendung, wenn alle Parteien das gleiche Ziel vor Augen hatten. Da der Erfolg dieser Instrumentarien dazu führte, dass die privatauto191 Als besonders bedeutsame Rechtshandlung musste vor dem Abschluss eines Insolvenzverwaltungsvertrags nach deutschem Recht gem. § 160 Abs. 1 InsO die Zustimmung des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung eingeholt werden, Ehricke in: Europäisches Insolvenzrecht, 2001, 127, 147; Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 17 f.; Westpfahl in: FS Görg, 2010, 567, 579; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 255 f. 192 Im deutschen Recht durfte keine Abrede getroffen werden, durch welche die Insolvenzmasse verkürzt wurde, Ehricke in: Aufbruch nach Europa, 2001, 337, 356; ders in: Europäisches Insolvenzrecht, 2001, 127, 145; Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 17; Westpfahl in: FS Görg, 2010, 567, 579; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 256 f. 193 Im deutschen Recht bestand eine Kooperationspflicht gem. § 1 i. V. m. § 60 InsO, wenn eine Kooperation dem Hauptziel der InsO hinsichtlich einer bestmöglichen Gläubigerbefriedigung dienlich war, Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 108 f.; Ehricke in: Aufbruch nach Europa, 2001, 337, 349 f.; ders. in: Europäisches Insolvenzrecht, 2001, 127, 157; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 274. Die Anordnung einer Kooperationspflicht durch die Gerichte gem. § 58 Abs. 1 S. 1 InsO war nicht zulässig, da diese nur eine Rechtsaufsicht innehatten und nicht unzulässig in die Gläubigerrechte aus §§ 157 ff. InsO eingegriffen werden durfte, Ehricke in: Aufbruch nach Europa, 2001, 337, 350 f.; ders. in: Europäisches Insolvenzrecht, 2001, 127, 155 f.; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 274. Überdies kam eine Koordination nach § 357 InsO nicht in Betracht, da diese Zusammenarbeit lediglich für grenzüberschreitende Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren galt (eine analoge Anwendung war mangels planwidriger Regelungslücke ebenfalls nicht möglich), Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 273. Nach § 22 Abs. 1 InsO musste der „starke“ Insolvenzverwalter des Weiteren alle Maßnahmen ergreifen, um bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens eine für die Gläubiger nachteilige Veränderung des Vermögens zu verhindern, Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 418. 194 Siehe ebenfalls S. 251 f. Aus § 21 Abs. 1 InsO ergab sich im deutschen Recht die Kompetenz für Gerichte im Eröffnungsverfahren den vorläufigen Insolvenzverwalter gem. §§ 21 Abs. 1, 22 Abs. 1 S. 2 Ziff. 1 InsO zum Abschluss eines Insolvenzverwaltungsvertrags zu ermächtigen. Sobald das Verfahren eröffnet war, ging diese Ermächtigung gem. § 159 InsO auf den Insolvenzverwalter über. Nach § 22 Abs. 1 InsO bestand diese Kompetenz im Eröffnungsverfahren auch für den „starken“ Insolvenzverwalter. Vgl. Eidenmüller, ZZP 114 (2001) 3, 17; ders., ZHR 169 (2005), 528, 554; Paulus, ZIP 1998, 977, 981; Vallender in: FS Lüer, 2008, 479, 490.

§ 7 Zusammenfassung

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nomen Vereinbarungen auch nach der Reform ein zentrales Element des Konzerninsolvenzrechts darstellen sollten, wird die Funktionsweise und Wirkungen der Insolvenzverwaltungsverträge und protocols im späteren Verlauf en détail erörtert.195

§ 7 Zusammenfassung § 7 Zusammenfassung

In Summe lässt sich demnach feststellen, dass die EuInsVO a. F. selbst zwar keine Konzerninsolvenzmechanismen vorsah, allerdings mit der Zuständigkeitskonzentration am konzerneinheitlichen COMI faktisch ein bedeutsames Mittel zur Begegnung einer Konzerninsolvenz zur Verfügung hatte. Dies gilt insbesondere, da es in der Praxis möglich war, einen einheitlichen Verwalter für alle Verfahren an diesem COMI zu bestellen. Durch die Rechtsprechungstendenzen des EuGH, vor allem mit der Absage an den mind of managementAnsatz und der Stärkung des Erkennbarkeitskriteriums, wurde die Möglichkeit eines Konzerninsolvenzgerichtsstands inzwischen jedoch stark eingeschränkt. Weitere internationale Ansätze bestanden zwar, zielten allerdings nur selten auf Konzerninsolvenzkonstellationen ab und waren überdies eher unverbindlicher Natur, wodurch sie lediglich als Regelungsleitlinien für zukünftige Gesetzgebungsverfahren dienen konnten. Lediglich über die nationalen Verfahrensrechte, die sich zumindest grundsätzlich nicht gegen eine Kooperation der Verfahrensbeteiligten stellten, und die kreative Einsatzbereitschaft der Insolvenzpraxis etablierte sich die Möglichkeit der Abstimmung der Konzerninsolvenzverfahren über privatautonome Vereinbarungen zwischen den Verwaltern, allerdings lediglich unter der Voraussetzung des Einvernehmens und der Vorschriften der jeweiligen nationalen Rechtsordnungen. Diesem Handeln, welches nur unter der Bedingung zustande kam, dass die betroffenen Verfahrensbeteiligten sich aus eigenem Antrieb für außerhalb der positiven gesetzlichen Vorgaben liegenden Kooperationsmechanismen einsetzten, konnte schwerlich eine einheitliche Rechtsdogmatik zugesprochen werden. Das gilt insbesondere, da die Basis der wahrgenommenen Kompetenzen verstreut in den verschiedenen Rechtsordnungen lagen. Daher bestand dringend der Bedarf nach einer Reform der EuInsVO a. F., um ein einheitliches europäisches Konzerninsolvenzrecht zu etablieren und somit den Beteiligten in konfliktträchtigen Konzerninsolvenzsituationen ein funktionsfähiges System bereitzustellen und klar definierte Instrumente zur Konfliktbewältigung an die Hand zu geben.

195

Siehe hierzu ausführlich S. 251 ff.

Kapitel 3

Das Konzerninsolvenzrecht der EuInsVO de lege lata § 8 Grundlagen der Reform und zu berücksichtigende Materialien § 8 Grundlagen der Reform

Die Kommission der Europäischen Union wurde auf Basis des Art. 46 EuInsVO a. F. angewiesen, dem Europäischen Parlament, dem Rat sowie dem Wirtschafts- und Sozialausschuss bis zum 1.6.2012 einen Bericht über die bisherige Anwendung der EuInsVO a. F. vorzulegen. Damit sollte eine umfassende Kontrolle der Wirksamkeit der Verordnung basierend auf den ersten zehn Jahren nach Inkrafttreten am 31.5.2002 stattfinden. Dies war insofern sinnvoll, als durch die EuInsVO a. F. zum ersten Mal ein internationales Insolvenzrecht für Europa geschaffen wurde, welches es auf seine Praxistauglichkeit zu evaluieren galt. Für diese gesetzlich angeordnete Darlegung und möglicherweise daraus resultierende Reform wurden durch die Generaldirektion Justiz mehrere externe Berichte in Auftrag gegeben. Allen voran wurden im März 2012 die Heidelberger Professoren Burkhard Hess und Thomas Pfeiffer sowie der Wiener Professor Paul Oberhammer verpflichtet, eine Studie zur Evaluation der EuInsVO in den Mitgliedstaaten mithilfe eines Netzwerkes von nationalen Berichterstattern zu erarbeiten.1 Als Ergebnis entstand der umfangreiche Heidelberg-Vienna Report 2 , der im Dezember 2012 der Kommission vorgelegt wurde. Der Report enthielt rechtsvergleichende Forschungen, basierend auf Landesberichten aller betroffenen Mitgliedstaaten, und unzählige Interviews von Insolvenzpraktikern hinsichtlich des damaligen Reformbedarfs der EuInsVO a. F., weshalb ihm ein besonderer Stellenwert bei der Überprüfung der Wirksamkeit der EuInsVO a. F. und der ganzen europäischen Insolvenzrechtspraxis zukam. Des Weiteren wurde die Arbeitsgemeinschaft aus GHK Consulting Ltd und Milieu durch die Generaldirektion Justiz beauftragt, eine Studie zur Abschätzung der Folgen, die sich aus einer Änderung der Verordnung hätten ergeben können, durchzuführen. Der daraus entstandene Bericht wurde daraufhin durch einen extra gebildeten Lenkungsausschuss3 sowie Oberhammer, ecolex 2013, 204 f. Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, 2014. 3 Bezüglich der an diesem Ausschuss teilnehmenden Gruppen, die sich an zwei Treffen im Mai und September 2012 zusammenfanden, siehe COM(2012) 416 final (EN), S. 8. 1

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§ 8 Grundlagen der Reform

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den Ausschuss der Kommission für Folgenabschätzung vervollständigt.4 Darüber hinaus fand eine Einbeziehung unterschiedlicher Interessenvertreter in den Evaluierungsprozess statt. So wurde das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen, die Europäische Union des Handwerks und der Klein- und Mittelbetriebe (UEAPME), Business Europe und INSOL Europe zu Rate gezogen5 sowie eine öffentliche Konsultation zu den Problemen der Insolvenzverordnung und möglichen Lösungen durchgeführt. 6 Schlussendlich berief die Generaldirektion Justiz im Mai 2012 ein 20-köpfiges Gremium ein, welches aus Experten auf dem Gebiet der grenzüberschreitenden Insolvenzen bestand, um sich über Probleme und Lösungsmöglichkeiten zu beraten.7 Auf Basis all dieser Materialien wurde letztendlich der nach Art. 46 EuInsVO a. F. geforderte Bericht erstellt und gleichzeitig mit dem Entwurf eines Vorschlages zur Änderung der EuInsVO a. F. durch die Europäische Kommission am 12.12.2012 veröffentlicht.8 Als Befund ergab sich, dass es keiner grundsätzlichen Neuausrichtung der EuInsVO a. F. bedurfte, sondern vielmehr eine Fortentwicklung auf Basis des schon bewährten Fundaments ausgearbeitet und mit einzelnen Regelungskomplexen modifiziert werden sollte.9 Ein wesentliches Augenmerk in diesen Reformbemühungen sollte speziell auf die Inklusion eines europaweiten Konzerninsolvenzverfahrens gelegt werden. Gerade aufgrund der großen Anzahl neuer Mitgliedstaaten, die der Europäischen Union seit Erlass der EuInsVO a. F. beigetreten waren, und dem immer weiterwachsenden Phänomen der Bildung von Konzernen – mit einer sich möglicherweise anschließenden Konzerninsolvenz – war es dringend erforderlich, ein passendes Konzern4 Der Bericht wurde am 3.10.2012 dem Ausschuss vorgestellt. Mehr bezüglich den Vorschlägen des Ausschusses COM(2012) 416 final (EN), S. 8. 5 COM(2012) 416 final (EN), S. 8. 6 Die Konsultation der interessierten Öffentlichkeit, der Mitgliedstaaten sowie von anderen Institutionen und Sachverständigen zu den Problemen der Insolvenzverordnung und möglichen Lösungen wurde am 29.3.2012 durch die Kommission eingeleitet und dauerte bis zum 21.6.2012 an. In diesem Verlauf wurden 136 Beiträge aus allen Mitgliedstaaten mit Ausnahme Bulgariens und Maltas aufgenommen (COM(2012) 743 final (DE), S. 3; COM(2012) 744 final (DE), S. 4; SWD(2012) 416 final (EN), S. 9 spricht von 134 Beiträgen), wovon 126 in die statistische Auswertung eingeflossen sind. Die Konsultationsteilnehmer stammten zu 21 % aus dem Vereinigten Königreich, zu 20 % aus Rumänien und zu 12 % aus Italien, wobei die meisten Antworten von Hochschulen und der Lehre, von Vertretern der Rechtsberufe und von Behörden stammten. Ausführliche Daten ersichtlich in SWD(2012) 416 final (EN), Annex 2, S. 50 ff. 7 Diese berieten sich zwischen Mai und Oktober 2012 in fünf Treffen und halfen damit den Reformvorschlag auszuarbeiten, COM(2012) 416 final (EN), S. 8. 8 Die Projektleiter des Heidelberg-Vienna Reports waren ebenso Mitglieder der Expertenkommission, welche der Europäischen Kommission bei der Gesetzgebungsarbeit zuarbeitete, Oberhammer, ecolex 2013, 204 f. 9 Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 41.

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Kapitel 3: Das Konzerninsolvenzrecht der EuInsVO de lege lata

insolvenzrecht in die EuInsVO a. F. einzufügen, um nicht den Anschluss an die Gegebenheiten der Moderne zu verlieren.10 Der sich anschließende Gesetzgebungsprozess führte aufgrund der Vielzahl von Akteuren, welche an einer Verordnungsgebung mitwirken, zu einem Mosaik an Entstehungsmaterialien. Für die Auslegung11 der Vorschriften über das europäische Konzerninsolvenzrecht sind diese Materialien, welche die Intentionen des Verordnungsgebers widerspiegeln, von zentraler Bedeutung.12 So betonte der EuGH, dass die Vorschriften des Unionsrechts ganz im Sinne einer entstehungszeitlichen Interpretation „nach dem wirklichen Willen ihres Urhebers und dem von diesem verfolgten Zweck“13 auszulegen sind.14 Daher soll im Zuge dieser Arbeit ein wichtiger Augenmerk auf dem von dem Demokratieprinzip und dem Prinzip des institutionellen Gleichgewichts getragenen

Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, ErwG G; von einer bisherigen „Lethargie“ in puncto Konzerninsolvenz sprechend Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 23; im nationalen Zusammenhang konnte die „kleindeutsche Behandlung des Konzerns durch unterschiedliche Entscheidungen der Insolvenzrichter [...] nur abschrecken“, Graeber, NZI 2007, 265, 267. 11 Zwar ist bei der Auslegung der EuInsVO als unionsrechtlicher Verordnung methodisch auf die klassischen Auslegungskanones der grammatikalischen, systematischen, historischen und teleologischen Auslegung zurückzugreifen (in der Rspr. EuGH Urt. v. 5.2.1963, van Gend en Loos / Administratie der Belastingen, C-26/62, ECLI:EU:C:1963:1; EuGH Urt. v. 18.1.1984, Ekro, C-327/82, ECLI:EU:C:1984:11, Rn. 11; EuGH Urt. v. 19.9.2000, Linster, C-287/98, ECLI:EU:C:2000:468, Rn. 43), allerdings muss hierbei auf spezifische Eigenarten des europäischen Systems geachtet werden, wodurch der Stellenwert der verschiedenen Auslegungsmethoden für die Bestimmung des Bedeutungsgehalts der Verordnungsregelungen im Vergleich zu der Handhabe im nationalen Kontext variieren kann. 12 Bezüglich einer am Geltungszeitpunkt ausgerichteten Objektivierung und damit dynamischen Auslegung Deyda, Konzern im europ. int. InsR, 2008, S. 32; Kropholler in: Aufbruch nach Europa, 2001, 583, 593. Aufgrund der zeitlichen Nähe zwischen der Reform der EuInsVO und dem Verfassen dieser Arbeit hat eine Progression der europäischen Integration nur bedingt stattgefunden, wodurch es zu keiner signifikanten Fortentwicklung des Europäischen Rechts kam. Somit ist die Verordnung in ihrem entstehungs- sowie geltungszeitlichen Verständnis nahezu kongruent und eine nähere Auseinandersetzung mit diesen unterschiedlichen Auslegungsmethoden hinfällig. 13 EuGH Urt. v. 12.11.1969, Stauder / Stadt Ulm, Rs. 26/69, ECLI:EU:C:1969:57, Rn. 3; EuGH Urt. v. 7.7.1988, Moksel / BALM, 55/87, ECLI:EU:C:1988:377, Rn. 15; EuGH Urt. 20.11.2001, Jany u.a., C-268/99, ECLI:EU:C:2001:616, Rn. 47; EuGH Urt. v. 27.1.2005, Junk, C-188/03, ECLI:EU:C:2005:59, Rn. 33; noch anders EuGH Urt. v. 7.2.1985, Abels / Bedrijfsvereniging voor de Metaalindustrie en de Electrotechnische Industrie, C-135/83, ECLI:EU:C:1985:55, Rn. 13. 14 In neuerer Zeit wurden daher vermehrt die Gesetzesmaterialien berücksichtigt: EuGH Urt. v. 26.9.2013, ÖBB-Personenverkehr, C-509/11, ECLI:EU:C:2013:613, Rn. 43 ff.; EuGH Urt. v. 7.12.2010, Pammer und Hotel Alpenhof, C-585/08, ECLI:EU:C:2010:740, Rn. 43; EuGH Urt. v. 10.9.2009, Eschig, C-199/08, ECLI:EU:C:2009:538, Rn. 57 f. 10

§ 8 Grundlagen der Reform

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subjektiven (historischen) Gesetzgeberwillen liegen.15 Zu berücksichtigen sind insbesondere der das Gesetzgebungsverfahren einleitende Initiativvorschlag der Kommission vom 12.12.201216 sowie der spätere Standpunkt der Kommission zu Änderungsanträgen des Parlaments in 1. Lesung vom 20.5.2014 und die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament vom 13.4.201517. Gleiches gilt für die legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5.2.201418 sowie 20.5.201519. Flankiert werden diese Materialien durch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15.11.201120, welche noch vor dem eigentlichen Gesetzgebungsverfahren veröffentlicht wurde, aber dennoch einen wichtigen Einblick in die Regelungsintentionen gibt. Darüber hinaus sind die Dokumente des Rates im Laufe des Gesetzgebungsprozesses21 und die Vorlagen der Delegationen und anderer Verfahrensbeteiligter zu beachten. Direkt auf die Reform bezogen und daher von unmittelbarer Hilfe bei der Konkretisierung eines potenziellen Gesetzgeberwillens, können die Stellungnahmen des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 22.5.201322 und des europäischen Datenschutzbeauftragten vom 27.3.201323 herangezogen werden. Über die vom Gesetzgeber stammenden Materialien hinaus ist bei der Auslegung der EuInsVO der Erläuternde Bericht zu dem EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren von Virgós und Schmit, der einst mit dem EuInsÜ im Jahre 1995 veröffentlicht wurde, zu berücksichtigen. Da die EuInsVO a. F. das EuInsÜ – im Bewusstsein der Erläuterungen des Berichts – beinahe wörtlich übernommen hat, ist der Bericht für die Auslegung der EuInsVO im Allgemeinen immer noch von erheblich praktischer Relevanz, obwohl er von keinem Organ der Europäischen Union mit einer Rechtsverbindlichkeit ausgestattet

15 Zu den Grundlagen den Gesetzgeberwillen betreffend Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 44; Neuner in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 12 Rn. 18. 16 COM(2012) 744 final und damit zusammenhängend die Folgenabschätzung in SWD(2012) 416 final sowie SWD(2012) 417 final. 17 COM(2015) 173 final. 18 Legislative Entschließung des EP v. 5.2.2014, P7_TA(2014)0093. 19 Legislative Entschließung des EP v. 20.5.2015, P8_TA(2015)0203. 20 Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484. 21 In chronologischer Reihenfolge: Erörterungen im Rat oder seiner vorbereitenden Dienststellen vom 6.6.2013, 6.12.2013, 6.6.2014 und 9.10.2014; Politische Einigung des Rates v. 4.11.2014 und 4.12.2014; Festlegung des Standpunktes des Rates in 1. Lesung v. 12.3.2015; Erörterungen im Rat oder seiner vorbereitenden Dienststellen v. 17.3.2015. 22 Stellungnahme EWSA zu COM(2012) 744 final. 23 Zusammenfassung der Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zum Vorschlag der Kommission für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, ABlEU v. 7.12.2013, C 358/15.

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Kapitel 3: Das Konzerninsolvenzrecht der EuInsVO de lege lata

wurde.24 Da es sich allerdings bei den Vorschriften zum Konzerninsolvenzrecht um einen neuen Regelungskomplex handelt, der im Zusammenhang mit dem EuInsÜ gerade noch keine Rolle spielte, werden die in dem Bericht getroffenen Aussagen hinsichtlich dieses Themas oftmals überholt sein.

§ 9 Die Zwecke des Konzerninsolvenzrechts § 9 Die Zwecke des Konzerninsolvenzrechts

Dreh- und Angelpunkt der Auslegungsmethodik ist die Interpretation der Vorschriften nach Sinn und Zweck, welche in einem zweistufigen Verfahren erfolgt.25 Zunächst wird das Telos der jeweiligen Norm anhand einer Auslegung ermittelt, wobei insbesondere dem entstehungszeitlichen Gesetzgeberwillen eine entscheidende Bedeutung zukommt. Anschließend werden die möglichen Auslegungsmöglichkeiten im Hinblick auf die dem europäischen Konzerninsolvenzverfahren zugrunde liegenden Zwecke analysiert, wobei im Zuge des Effektivitätsgebots (sog. effet utile) diejenige Auslegung gewählt wird, welche diesen Zwecken zur bestmöglichen Wirksamkeit verhilft.26 Zur Realisierung der zweiten Deutungsstufe ist es unerlässlich, die Zwecke der EuInsVO im Allgemeinen sowie die Zwecke der Konzerninsolvenzverfahrensvorschriften in concreto transparent zu machen.27 Dabei darf nicht der Fehler unterlaufen, die Ermittlung der Zwecksetzungen der EuInsVO an den nationalen Verständnissen auszurichten, da die Auslegung der EuInsVO unionsautonom zu erfolgen hat.28 Eine Anlehnung an die Ziele der nationalen Insolvenzrechte wäre schon insofern schwierig, als es aufgrund der erheblichen Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten 29 kaum möglich 24 Deyda, Konzern im europ. int. InsR, 2008, S. 33; Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 43; Pannen/Pannen/Riedemann, EuInsVO, Einl. Rn. 42; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 651; Vallender, KTS 2005, 283, 288; der Bericht war jedoch nicht abgestimmt mit den Gesetzgebungsorganen bei der Verabschiedung der EuInsVO, wodurch ihm keine Stellung als Gesetzesmaterial zukommt, MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Vorbem. vor Art. 1 Rn. 23. 25 Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 45. 26 Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 45; Riesenhuber in: ders., Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 10 Rn. 45. 27 Zwar äußert sich die EuInsVO im Normtext nicht direkt zu Sachzielen, Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 47. Die Gesetzesmaterialen zur Reform der EuInsVO a. F. zeigen jedoch eindeutig auf, dass sich die Regelungsbemühungen des europäischen Gesetzgebers klar an Sachzielen orientieren, was durch die Erwägungsgründe bestätigt wird. Im Zuge einer Rede der Kommissionsvizepräsidentin Viviane Reding bei der 1. Europäischen Insolvenz- & Restrukturierungskonferenz am 9.2.2012 stellt diese ebenfalls ausdrücklich klar, dass ein modernes europäisches Insolvenzrecht an Sachzielen ausgerichtet sein muss. 28 Siehe im Zusammenhang des COMI S. 44. 29 Es ist nicht zwingend, dass die einzig legitime Zielrichtung diejenige der Gläubigerbefriedigung ist, wie in dem deutschen § 1 InsO normiert. So wurde in England unter dem

§ 9 Die Zwecke des Konzerninsolvenzrechts

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wäre, einheitliche Zwecke herauszuarbeiten, die allgemeingültig für die EuInsVO herangezogen werden könnten.30 Ohne ein gemeinsames Zweckfundament wäre es jedoch unmöglich, einvernehmliche Interpretationslösungen zu finden. Es würde zu Scheingefechten unter Verwendung unterschiedlicher Prämissen kommen, an deren Ende kein wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn stünde.31 Aus dem Normenkonglomerat des Verordnungstexts selbst Zielsetzungen zu filtrieren, fällt schwer, da die einzelnen Normen lediglich die Umsetzungsbemühungen des Gesetzgebers hinsichtlich der zu erreichenden Ziele darstellen und nur selten die ihnen zugrunde liegenden teleologischen Erwägungen durchscheinen lassen. Im Zentrum der unionsautonomen Bestimmung der Zwecke der EuInsVO stehen daher die Erwägungsgründe im Sinne der über das Gesetzgebungsverfahren demokratisch legitimierten Manifestation des gesetzgeberischen Willens. Sie bilden das entscheidende Bindungsglied zwischen der historischen Exegese und der teleologischen Auslegung.32

Enterprise Act 2002 insbesondere Wert auf die Sanierung von Unternehmen und Förderung des Unternehmertums gelegt, vgl. Armour/Hsu/Walters, ECFR 2008, 148 ff.; Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2398; Ehricke/Köster/Müller-Seils, NZI 2003, 409 ff.; Meyer-Löwy/Poertzgen/de Vries, ZInsO 2005, 293, 295. In Frankreich und Spanien steht die Bewahrung von Unternehmen und Arbeitsplätzen traditionell im Vordergrund, vgl. zu Frankreich: Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2397 f.; Flessner in: FS Raiser, 2005, 827, 829 ff.; Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 283; Paulus, NZI 2001, 505, 515; Schütze, Gesetz zur Erhaltung von Unternehmen, 2010, S. 35 ff.; Weber in: Jahn/Sahm, Insolvenzen in Europa, 4. Aufl. 2004, S. 166 (seit der Reform in Jahre 1994 werden allerdings die Interessen der Kreditgeber und Gläubiger immer mehr berücksichtigt, MüKoInsO/Niggemann, 3. Aufl. 2016, Länderberichte/Frankreich Rn. 4); zu Spanien: Lincke, NZI 2004, 69, 70. In Italien ist ein zentraler Zweck die Gewährleistung der weiteren Verfügbarkeit von Krediten und damit Rettung von Unternehmen, vgl. Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2398; Paulus, NZI 2001, 505, 515; ders., EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 1 Rn. 7; zu den unterschiedlichen Zweckrichtungen im Allgemeinen, vgl. Paulus, 42 Tex. Int’l L.J. (2007), 819, 821. 30 Ein allgemeingültiger Zweck, welcher in allen Rechtsordnungen zu finden ist, stellt lediglich der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (conditio creditorum) dar, Geroldinger, Verfahrenskoordination im Europäischen Insolvenzrecht, 2010, S. 143; Leitner, Grenzüberschreitende Konkurs, 1995, S. 6; Wiórek, Prinzip der Gläubigergleichbehandlung, 2005, S. 99 ff. 31 Hinsichtlich der Unterschiedlichkeit der Vorverständnisse Müller, Finanzinstrumente, 2011, S. 34 f. 32 Vgl. zu der Bedeutung der Erwägungsgründe unter vielen Colneric, ZEuP 2005, 225, 227 f.; Deyda, Konzern im europ. int. InsR, 2008, S. 32; Duursma-Kepplinger in: DuursmaKepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, 2002, Vorbem. zur EuInsVO Rn. 21; Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 530; HHGH/Huber, EuInsVO, 1. Aufl. 2005, Einl. Rn. 7; Kübler/Prütting/Bork/Kemper, InsO, 52. Lfg. 2013, Einl. EuInsVO Rn. 22; Lüer in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, Vorbem. EuInsVO Rn. 5; Pannen/Pannen/Riedemann, EuInsVO, 2007, Einl. Rn. 41; Vallender, KTS 2005, 283, 288.

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Kapitel 3: Das Konzerninsolvenzrecht der EuInsVO de lege lata

A. Primärziel der Gewährleistung einer reibungslosen Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes zur Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Die Vorschriften der neuen EuInsVO stützen sich auf Art. 81 Abs. 2 lit. a, c und f AEUV als Kompetenzgrundlage33 und gliedern sich damit in den Politikbereich der „Justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen“ ein, in dessen Rahmen bei grenzüberschreitenden Bezügen gerade Rechtsvorschriften des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts sowie des allgemeinen Zivilprozessrechts erlassen werden können, um den transnationalen Rechtsverkehr zu stärken und dadurch Rechtssicherheit zu schaffen.34 Die justizielle Zusammenarbeit ist damit ein Baustein des primärrechtlich in Art. 3 Abs. 2 EUV verankerten Ziels35 hinsichtlich der Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Mit Regelungen zu vier Politikbereichen – zu dem auch die justizielle Zusammenarbeit zählt – soll im Dritten Teil, Titel V des AEUV dafür Sorge getragen werden, dass mit der Schaffung dieses Raums der europäische Integrationsprozess weiter vorangetrieben wird.36 Die EuInsVO bestätigt ihre Verpflichtung hinsichtlich dieses Zieles ausdrücklich über ErwG 2 EuInsVO. Darüber hinaus zeigt ErwG 3 EuInsVO auf, dass die Verordnung im Regelungsbereich der justiziellen Zusammenarbeit erlassen wurde, um ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes zu garantieren. Die Verfolgung dieses 33 Durch den Vertrag von Lissabon und den neuen Art. 81 AEUV haben sich einige im Rahmen des Art. 61 lit. c i. V. m. Art. 65 EGV bestehenden Kompetenzfragen erübrigt. Siehe zu den einstigen Fragestellungen Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 3 f. 34 Auf diesen verfahrensrechtlichen Bezug rekurriert Art. 67 Abs. 4 AEUV, indem er festlegt, dass die Maßnahmen den „Zugang zum Recht“ erleichtern sollen, Rossi in: Calliess/Ruffert, 5. Aufl. 2016, Art. 81 AEUV Rn. 15. Der „Zugang zum Recht“ muss daher weit verstanden werden und umfasst auch die Durchsetzbarkeit des Rechts, Breitenmoser/Weyeneth in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 64 AEUV Rn. 159. Die Erwähnung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung soll lediglich den zentralen Kern, die Funktion der Gerichtsbarkeit sicherzustellen, hervorheben, Weiß/Satzger in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 67 AEUV Rn. 36. 35 Der Anschein des Wortlautes, dass sich dieses Ziel lediglich auf einen Raum ohne Binnengrenzen, der den freien Personenverkehr gewährleistet, bezieht, ist historisch bedingt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts stark auf das Schengen-Abkommen von 1985 ausgerichtet war. Vgl. Herrnfeld in: Schwarze, EU, 3. Aufl. 2012, Art. 67 AEUV Rn. 10; Terhechte in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 62. EL Juli 2017, Art. 3 EUV Rn. 35. Durch den Lissabonner Vertrag wurden die Regelungen rund um den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts neu strukturiert und im Bedeutungsinhalt soweit erweitert und gestärkt, dass diese Zielbestimmung nun alle die Justiz- und Innenpolitik betreffenden Maßnahmen umfasst, Weiß/Satzger in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 67 AEUV Rn. 1 u. 12. 36 Terhechte in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 62. EL Juli 2017, Art. 3 EUV Rn. 33; Weiß/Satzger in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 67 AEUV Rn. 10.

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Ziels mit den Mitteln des Wachstums („Justiz für Wachstum“) war gleichermaßen der Mittelpunkt der Justizagenda der Kommission, im Zuge welcher die Reform der EuInsVO durchgeführt wurde.37 Umgesetzt wurde diese Agenda im Sinne der Wachstumsstrategie Europa 2020.38 Danach soll eine effiziente Justiz geschaffen werden, welche in nicht unerheblichem Maße dazu beitragen kann, Risiken zu mindern, Rechtsunsicherheit zu beseitigen und Geschäfte, Handel und Investitionen über Landesgrenzen hinweg zu fördern. Fraglich ist, wie das Politikkonzept des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Verhältnis zu dem Leitgedanken des Binnenmarktes steht, da beide jeweils als Ziele in der EuInsVO genannt und systematisch in Art. 3 EUV nebeneinander angeordnet sind. 39 Thematisch besteht allerdings eine erhebliche Schnittmenge zwischen diesen Zielvorstellungen. So wird der europäische Integrationsprozess – auf den gerade der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts abzielt – insbesondere durch die Schaffung eines funktionsfähigen europaweiten Binnenmarktes vorangetrieben. 40 Diese Verknüpfung wird normativ bestätigt, indem nach Art. 81 Abs. 2 AEUV im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit vor allem solche Vorschriften erlassen werden sollen, die für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sind.41 Über die Stärkung des Binnenmarktes werden damit koinzident der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und hierdurch der Integrationsprozess weiter vorangetrieben. Der funktionsfähige Binnenmarkt kann demnach als einer der wesentlichen Bestandteile des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts angesehen werden. Die Ziele sind somit nicht sich gegenseitig ausschließend, sondern einander ergänzend in Art. 3 EUV nebeneinander angeordnet. B. Effizienz und Effektivität der Verfahren als Mittel und Ziel für einen funktionsfähigen Binnenmarkt Wesentliches und oberstes Zweckgebot der Verordnung ist das Primärziel der Schaffung eines funktionsfähigen europaweiten Binnenmarktes,42 um dadurch den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu gewährleisten. Die 37 SWD(2012) 416 final (EN), S. 7; Standpunkt des Rates in erster Lesung, Ratsdok. 16636/5/14, REV 5 ADD 1, S. 3. 38 COM(2012) 744 final (DE), S. 4; SWD(2012) 416 final (EN), S. 7. 39 Röben in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 62. EL Juli 2017, Art. 67 AEUV Rn. 9 f. 40 Breitenmoser/Weyeneth in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 67 AEUV Rn. 7; die zwei Ziele als Komplementärziele positionierend Suhr in: Callies/Ruffert, 5. Aufl. 2016, Art. 67 AEUV Rn. 74. 41 Auf diesen Zusammenhang zwischen justizieller Zusammenarbeit in Zivilsachen und dem Binnenmarktziel ebenfalls hinweisend Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 3 f.; MüllerGraff/Kainer, DRiZ 2000, 350, 354; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 45; Wyen, Rechtswahlfreiheit, 2014, S. 23 Fn. 33. 42 In diesem Sinne u. a. Paulus, NZI 2001, 505, 510.

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Erwägungsgründe geben im gleichen Zuge den Weg zur Zielerreichung vor. So statuiert ErwG 3 EuInsVO, dass ein effizientes und wirksames (vorzugswürdig: effektives) 43 grenzüberschreitendes Insolvenzverfahren für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich ist. 44 Diese Effizienzsteigerung als die Grundlage des Primärziels in Form einer besseren Funktionsweise und höheren Belastbarkeit des Binnenmarktes in Krisenzeiten wird in den Gesetzesmaterialien45 sowie der Rechtsprechung46 vielerorts betont. Die geforderte Effizienz beschreibt demnach mehr als nur eine spezielle Ausprägung der Zweck-Mittel-Relation im Sinne der Erreichung eines Ziels mit möglichst geringem Aufwand, das heißt dem größten Maß an Wirtschaftlichkeit. Sie stellt vielmehr ein eigenständiges Ziel dar, das es zu erreichen gilt.47 Die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes wird gerade dann gewährleistet, wenn das effizienteste der zur Verfügung stehenden Mittel gewählt wird. Die Union nimmt damit ihre Rolle als Förderer nachhaltigen Wachstums und Mahner zur finanziellen Konsolidierung wahr. Die Reform der EuInsVO soll gerade als Maßnahme zur Unterstützung der Wirtschaftstätigkeit beitragen.48 Es hat eine ökonomische Analyse der Regelungen zu erfolgen, um den nach teleologischen Erwägungen ermittelten Anforderungen, das heißt dem wirtschaftlich geprägten Binnenmarktziel, gerecht zu werden.49 Die Auslegung anhand der ökonomischen Effizienz stellt dabei kein eigenständiges Auslegungskriterium dar, sondern ist lediglich ein wichtiger Teil des zweiten Bearbeitungsschrittes im Zuge der teleologischen Auslegung.50 Die ökonomische Analyse verlangt demnach eine Kosten-Nutzen-Prüfung des Rechtsanwenders, 43 Zur Vermeidung sprachlicher Fehldeutungen der deutschen Sprachfassung wird im Folgenden anstelle „wirksam“ das inhaltlich und in multilingualem Kontext zutreffendere „effektiv“ gewählt, vgl. Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 12 Fn. 16. 44 Vgl. Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 12; EnzEuR Bd. 3/Thole, 1. Aufl. 2014, § 24 Rn. 12 ff. In diesem Sinn auch ErwG 1 EuInsVO, nach welchem die neue EuInsVO gewährleisten soll, dass grenzüberschreitende Insolvenzverfahren noch effizienter abgewickelt werden können. 45 SWD(2012) 416 final (EN), S. 30; bezüglich eines neuen europäischen Ansatzes zur Verfahrensweise bei Firmenpleiten und Unternehmensinsolvenzen COM(2012) 742 final (DE), S. 2. Darüber hinaus wurde im Verlauf des Europäischen Semesters im Jahre 2012 eine Empfehlung an einige Mitgliedstaaten gerichtet, wonach die Effizienz ihrer Insolvenzverfahren verbessert werden sollte, SWD(2012) 416 final (EN), S. 7. 46 EuGH Urt. v. 17.1.2006, Staubitz-Schreiber, C-1/04, ECLI:EU:C:2006:39, Rn. 26; EuGH Urt. v. 2.5.2006, Eurofood IFSC, C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281, Rn. 48 u. 52 f.; EuGH Urt. v. 12.2.2009, Seagon, C-339/07, ECLI:EU:C:2009:83, Rn. 22. 47 Die Effizienzsteigerung wird als „allgemeines Ziel“ eigenständig in den Gesetzesmaterialien aufgeführt, vgl. SWD(2012) 416 final (EN), S. 30. 48 SWD(2012) 416 final (EN), S. 7. 49 Siehe hierzu S. 84 ff. 50 Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 532.

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um anhand dieser den wirtschaftlichsten Weg zu diagnostizieren und damit der Effizienz zur Durchsetzung zu verhelfen.51 Da Konzerninsolvenzen primär auf ökonomischen Grundproblemen basieren, welche zum bestmöglichen Wohle des europäischen Wirtschaftsraumes gelöst werden sollten, wird die ökonomische Effizienzanalyse der zentrale Anknüpfungsmoment bei der Suche nach der optimalen Erfüllung des insolvenzspezifischen Effizienzgebots sein. Als wohlfahrtsökonomisches Effizienzkriterium im Zuge der Auslegung sollte damit insbesondere das Kaldor-HicksKriterium Anwendung finden. Die dort durchgeführte Kosten-Nutzen-Analyse sucht nicht nur nach dem effizienztechnisch optimalsten Ergebnis, sondern findet auch in der praktischen Rechtspolitik Zustimmung, da durch die Konzerninsolvenzmaßnahmen eine Vielzahl von Individuen betroffen sein werden und mit dem Kaldor-Hicks-Kriterium nicht – wie im Zusammenhang des ParetoKriteriums – ein Großteil der Handlungsspielräume entfallen.52 Anderes kann sich lediglich aus der Bedeutung einzelner Zwecksetzungen ergeben, wenn diese evident wichtig für gewisse Verfahrensbeteiligte sind und daher ein nur hypothetischer Ausgleich im Sinne des Kaldor-Hicks-Kriterium für die Zweckerreichung nicht ausreicht. Einzug in den Regelungszusammenhang der Konzerninsolvenz erhält das Effizienzkriterium durch ErwG 51 EuInsVO, wonach die Verordnung gewährleisten soll, dass Insolvenzverfahren über das Vermögen verschiedener Gesellschaften, die einer Unternehmensgruppe angehören, wirtschaftlich zu führen sind. Diese Forderung ist unter anderem auf das Resultat der öffentlichen Konsultation im Vorfeld der Reform zurückzuführen, nach dem fast die Hälfte der Befragten (49 %) die EuInsVO a. F. im Umgang mit der Insolvenz multinationaler Unternehmensgruppen für ineffizient hielten.53 Hervorzuheben ist dabei, dass über zwei Drittel der Richter und Wissenschaftler diese Ansicht teilten.54 Lediglich 30 % sahen die Vorschriften der EuInsVO a. F. im Zusammenhang mit Konzerninsolvenzsachverhalten für ausreichend an.55 Es war somit Aufgabe der an der Reform beteiligten Institutionen, die Gründe dieser Ineffizienzen zu identifizieren und anschließend durch neue Vorschriften betreffend das Konzerninsolvenzrecht zu beheben.

51 Ausführlich zur ökonomischen Analyse im Zusammenhang der deutschen InsO Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 359 ff. 52 Siehe hierzu ausführlich und grundlegend Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2005, S. 48 ff. 53 COM(2012) 744 final (DE), S. 5; SWD(2012) 416 final (EN), S. 16 f. u. 52. 54 COM(2012) 743 final (DE), S. 18. 55 SWD(2012) 416 final (EN), S. 16 f. u. 52.

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C. Konkrete insolvenzspezifische Ziele Im Folgenden sollen die Grundlagen für den ersten Bearbeitungsschritt einer teleologischen Auslegung geschaffen werden, indem dargestellt wird, welche möglichen Zwecksetzungen den Normen der EuInsVO zugrunde liegen können. Die Verordnung gibt zur Verwirklichung des Primärziels eines funktionsfähigen europaweiten Binnenmarktes geeignete Mittel in Form von konkreten insolvenzspezifischen Zielen vor, anhand derer die geforderte Effizienzanalyse zu vollziehen ist.56 Diese Ziele richten sich stark an den jeweiligen Interessen der am Insolvenzverfahren partizipierenden Akteure aus, da insbesondere deren Stärkung maßgeblich zur Funktionsfähigkeit des europäischen Binnenmarktes beiträgt. Das Ausmaß der Interessenwahrung stellt demnach einen wesentlichen Gradmesser für die Effizienz eines Insolvenzverfahrens dar. Die Ziele erschöpfen sich allerdings nicht in der Erfüllung subjektiver Bedürfnisse, sondern erstrecken sich ferner auf die Förderung objektiver gesamtwirtschaftlicher Interessen. Dies ist nur folgerichtig, da der Binnenmarkt als Teil des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in letzter Konsequenz zum Ausbau solch eines europäischen Gemeinwohls erschaffen wurde. I. Bestmögliche Gläubigerbefriedigung Kern des Insolvenzverfahrens sind die Gläubiger, an deren Interesse viele Vorschriften der EuInsVO ausgerichtet sind.57 So dürfen nach ErwG 5 EuInsVO durch den Schuldner gewisse Maßnahmen nicht ergriffen werden, „um auf diese Weise eine günstigere Rechtstellung zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger zu erlangen“.58 Unter Gläubigern sind primär Banken als Investoren, Arbeitnehmer in Bezug auf ihren Arbeitslohn, das Finanzamt hinsichtlich der Steuerlast59, Vermieter im Hinblick auf den Mietzins sowie Lieferanten und Dienstleister in Anbetracht ihrer jeweiligen Forderungen zu verstehen. Dies zeigt, dass die Gläubiger in ihrer Gesamtheit keine homogene Gruppe bilden, sondern divergierende Interessen verfolgen, deren Gewichtung jeweils unterschiedlich ausfallen kann. Der Nachteilsbegriff aus ErwG 5 EuInsVO ist demnach auslegungsbedürftig. Ein Bestreben, das im Insolvenzfalle allen Gläubi56 Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 13. Paulus belässt es hingegen bei der übergeordneten Zwecksetzung das Binnenmarktziel betreffend und erkennt der EuInsVO keine weiteren, dieses Ziel ausfüllenden Zwecke zu. Die Effizienz und Effektivität des Binnenmarktes wird über die Erfüllung der Zwecke der nationalen Rechtsordnungen erreicht, denen die Verfahrensbeteiligten unterliegen, Paulus, NZI 2001, 505, 515. 57 SWD(2012) 416 final (EN), S. 17. 58 ErwG 5 EuInsVO bezieht sich auf alle Regelungsbereiche, mithin auch auf das Konzerninsolvenzrecht. 59 Die Finanzämter sehen durch eine Insolvenz auch zukünftige Steuereinkünfte negativ beeinträchtigt, SWD(2012) 416 final (EN), S. 17.

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gern gemein ist, findet sich in ihrem Befriedigungsverlangen hinsichtlich der noch offenen Forderungen gegenüber dem Schuldner. Unter dem „Nachteil“ im Sinne des ErwG 5 EuInsVO, den es zu verhindern gilt, ist demnach vor allem eine reduzierte Haftungsmasse – mit der Folge einer niedrigeren Quote bei der Gläubigerbefriedigung – zu verstehen. Die Gläubigerbefriedigung stellt somit einen wesentlichen Zweck der Regelungsmaterie des Insolvenzrechts und damit ebenfalls des Konzerninsolvenzrechts dar. Diese Sicherung der Gläubigerbefriedigung wird gleich zu Beginn des ErwG 5 EuInsVO in Verbindung mit dem Primärziel des Binnenmarktes gebracht. Zurückzuführen ist dies auf den Umstand, dass es für die Funktionsfähigkeit eines Wirtschaftsraums unerlässlich ist, gerade im Insolvenzfalle die Interessen der Investoren zu sichern. Nur so kann garantiert werden, dass der europäische Wirtschaftsraum auch in Zukunft bei der Distribution von Kapital Berücksichtigung findet.60 Insbesondere für die Gläubigergruppe der Banken als Investoren ist es in der Krise daher vornehmliche Motivation, die Haftungsmasse maximiert zu wissen, um einen Rückfluss der Investitionen zu gewährleisten. Der Großteil der Gläubiger strebt nicht nur danach, den Status quo zu sichern, sondern eine möglichst hohe Insolvenzquote zu realisieren. Ist es einer Insolvenzrechtsordnung somit möglich, die zur Verfügung stehende Insolvenzmasse noch weiter zu erhöhen, um dadurch eine größtmögliche Quote zu gewährleisten, steigt die Attraktivität des Rechtsraums für zukünftige Investoren und damit potenzielle Insolvenzgläubiger erheblich, denn die Situation des Investors in der Krise ist ein wichtiger Faktor für seine Investitionsentscheidung. Nur wenn Rechtssicherheit herrscht und die Interessen der Gläubiger auch im Insolvenzfalle so umfangreich wie möglich geschützt werden, wird der europäische Rechtsraum zu einem guten Umfeld für kreditwürdige Schuldner. 61 Daher wird in den Gesetzesmaterialien die Maximierung des Wertes der Vermögensmasse ausdrücklich als politisches „Einzelziel“ im Zusammenhang mit dem Konzerninsolvenzverfahren aufgeführt.62 Aus dem Streben nach Gläubigerbefriedigung ohne Nachteilszufügung wird somit das spezifische Einzelziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung.63 Im Kontext einer Konzerninsolvenz erfährt der Zweck der Gläubigerbefriedigung allerdings eine gewisse Unbestimmtheit, die sich im Zusammenhang 60 Bezüglich des Zwecks der effizienten Allokation von Kapital im europäischen Raum siehe S. 103 f. 61 Bezüglich der Berechenbarkeit von Kreditrisiken bei der Kreditvergabe Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3456. 62 SWD(2012) 416 final (EN), S. 30. 63 Im Ergebnis auch Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 13; ebenso Ehricke in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, 2008, 127, 135; die bestmögliche Gläubigerbefriedigung sogar als vorrangigen Zweck ansehend Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 23; Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, 2008, S. 53.

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einer einfachen Unternehmensinsolvenz nicht ergibt. Der Zweck kann zum einen so zu verstehen sein, dass die Haftungsmassen aller insolventen Konzerngesellschaften aufgrund der Vorschriften zum Konzerninsolvenzrecht im Sinne des Kaldor-Hicks-Kriteriums kumuliert eine größtmögliche Steigerung erfahren sollen. Zum anderen könnte gefordert sein, dass jeder Gläubiger eines insolventen Konzernunternehmens – im Sinne eines eines Pareto-Optimums – eine Maximierung seiner Rückflüsse zu erlangen hat. ErwG 5 EuInsVO spricht zwar davon, dass die Gesamtheit der Gläubiger keinen Nachteil erleiden soll und stützt sich damit ganz auf eine Kosten-Nutzen-Analyse der Auswirkungen auf die Gesamtgläubigerschaft. Dieser Erwägungsgrund dürfte allerdings nicht auf Konzerninsolvenzen bezogen sein. Hieraus lässt sich schließen, dass die Gläubigerschaft jedes Konzernunternehmens für sich zumindest keinen Nachteil durch die Konzerninsolvenzvorschriften erleiden soll. Die Haftungsmasse jedes Konzernunternehmens sollte sich getreu eines Pareto-Optimums steigern. Das grundsätzlich geltende Effizienzstreben im Sinne des Kaldor-HicksKriteriums wird somit im Zusammenhang der Gläubigerbefriedigung modifiziert. Damit wird nicht nur das Gläubigerinteresse in Form einer Gläubigerbefriedigung, sondern auch der soziale Friede innerhalb der Gläubigerschaft zumindest in seinen Grundfesten gestärkt. II. Keine vollständige formale Gläubigergleichbehandlung, sondern bestmögliche Allokation der Haftungsmasse zwischen mehreren Rechtsträgern Über das Pareto-Optimum hinaus könnte zwischen den Konzernunternehmen – zur Sicherung des sozialen Friedens in der Gläubigerschaft – sogar eine vollständige Gläubigergleichbehandlung gefordert sein. Ein grundlegendes Leitprinzip der EuInsVO – zumindest für die Gläubigerschaft eines Schuldners – stellt die Gläubigergleichbehandlung (par conditio creditorum) dar. Die Bedeutung dieses Prinzips wird durch die ausdrückliche Erwähnung in ErwG 63 S. 4 EuInsVO sowie Art. 23 Abs. 2 EuInsVO hervorgehoben. Käme es nicht zu einem Insolvenzverfahren mit einer gerechten Haftungsordnung, hätte eine privatautonome Befriedigung in Form der Einzelvollstreckung auf Basis des Prioritätsprinzips einen Wettlauf der Gläubiger um die bestmögliche Befriedigung und damit erhebliche Konflikte innerhalb der Gläubigerschaft zur Folge.64 Ein solches Vorgehen kann nur dann probates Mittel sein, wenn die Haftungsmasse zur vollständigen Befriedigung der Gläubiger ausreicht. Kann dies nicht gewährleistet werden, würde das Windhundprinzip greifen und zu unbilligen Ergebnissen führen.65 Damit es zu keiner Rivalität in der Gläubigerschaft kommt, ist daher sicherzustellen, dass jeder Gläubiger eines Unter64

Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 2.01 f.; Uhlenbruck, ZInsO 2005, 505,

505. 65

MüKoInsO/Ganter/Lohmann, 3. Aufl. 2013, § 1 Rn. 51.

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nehmens einen gleichen Anteil an der Insolvenzmasse des Unternehmens erhält.66 Die Gläubigergleichbehandlung im Kontext der EuInsVO ist somit nicht nur als Ordnungsgrundsatz zu verstehen, der eine Zusammenfassung aller Gläubigerinteressen in Bezug auf eine gerechte Verteilung der vorhandenen Insolvenzmasse enthält, wodurch die Chancengleichheit aller Gläubiger hinsichtlich der Rechtsverwirklichung gewährleistet werden soll.67 Es wird darüber hinaus – im Sinne eines Verteilungsgrundsatzes – eine gleichmäßige Befriedigung gefordert, sodass jeder Gläubiger einen prozentual identischen Anteil seiner Forderung aus der Insolvenzmasse des Schuldners erhält und Verteilungsgerechtigkeit entsteht.68 Die Gläubigergleichbehandlung im Zuge des Insolvenzrechts ermöglicht somit ein Gesamtvollstreckungsrecht im Interesse des sozialen Friedens innerhalb der Gläubigerschaft.69 Nur so ist es möglich, die Investitionsbereitschaft neuer potenzieller Gläubiger ex ante zu gewährleisten. Die Gläubigergleichbehandlung ist demnach Voraussetzung für ein investitionsfreundliches Klima und damit einen funktionsfähigen Binnenmarkt. Ein Spannungsverhältnis zwischen einem effizienten Insolvenzverfahren und dem Gleichbehandlungsprinzip in der Form, dass wirtschaftliche Anforderungen und Gerechtigkeitserfordernisse aufeinanderprallen, entsteht demnach nicht, solange sich die Gerechtigkeitserwägungen auf ein übergeordnetes wirtschaftliches Ziel förderlich auswirken.70 Man darf nicht dem Missverständnis unterliegen, dass unter Effizienz lediglich eine Verfahrenseffizienz im Sinne eines schnellen und massemaximierenden Verfahrens zu verstehen ist. Ein effizientes Verfahren entsteht erst dann, wenn das Primärziel bestmöglich ver66 Eingeschränkt ist dieses Prinzip durch die Privilegierung dinglich gesicherter Gläubiger gem. Art. 8 EuInsVO und das Privileg der Aufrechnung in Art. 9 EuInsVO. Nach ErwG 69 EuInsVO bleiben auch dingliche Rechte von Gläubigern oder Dritten im Zusammenhang von Aussetzungsrechten unberührt. 67 Wiórek, Prinzip der Gläubigergleichbehandlung, 2005, S. 196 ff. 68 Weiland, Par condicio creditorum, 2010, S. 10. Die EuInsVO zeigt an anderer Stelle jedoch, dass die Gläubigergleichbehandlung – auch im Zusammenhang nur eines Schuldners – nicht ihr höchst zu schützendes Gut ist. Durch die Tatsache, dass ein Verfahren in Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren getrennt werden kann, kommen Gläubigern aus unterschiedlichen Staaten eine unterschiedliche Stellung zu. Immerhin wird ein eigenes Verfahren geschaffen, durch welches zumindest relativ eine Gläubigergleichbehandlung bestehen bleibt. Die Möglichkeit von Sekundärinsolvenzverfahren ist darauf zurückzuführen, dass die Gefahr von Ungerechtigkeiten infolge der sehr unterschiedlich ausgestalteten einzelstaatlichen Sachrechte gemindert werden soll. Vgl. Wiórek, Prinzip der Gläubigergleichbehandlung, 2005, S. 275 ff. 69 Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 2.01; LSZ-Smid/Leonhardt, InsO, 2. Aufl. 2012, § 1 Rn. 34 f.; Weiland, Par condicio creditorum, 2010, S. 21; Wiórek, Prinzip der Gläubigergleichbehandlung, 2005, S. 73 f. 70 Die Gerechtigkeitserfordernisse nicht in einen übergeordneten wirtschaftlichen Kontext stellend und daher zu einem anderen Ergebnis gelangend Wiórek, Prinzip der Gläubigergleichbehandlung, 2005, S. 69.

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wirklicht wird. Hierfür ist – wie dargestellt – gerade auch eine Gläubigergleichbehandlung in Bezug auf einen Schuldner maßgeblich. Unstrittig ist damit, dass sich die Vorschriften des Konzerninsolvenzrechts – zumindest in Bezug auf jeden Rechtsträger für sich genommen – an diesem Zweck messen lassen müssen. Fraglich bleibt allerdings weiterhin, wie die Verteilung der Haftungsmasse zwischen den einzelnen insolventen Rechtsträgern der Konzernunternehmen ausgestaltet sein muss, da – um das vom europäischen Gesetzgeber gewählte Regelungskonzept etwas vorwegzunehmen – das der EuInsVO immanente Einheitsprinzip in Bezug auf jeden Rechtsträger für sich auch im neu geregelten Konzerninsolvenzverfahren nicht durchbrochen wird. Der daraus resultierende Grundsatz „Ein Konzern, mehrere Schuldner, mehrere Verfahren“ birgt die Gefahr, dass Vermögensverschiebungen zwischen den Gesellschaften vor der Insolvenzeröffnung stattfinden und dazu führen, dass die Gläubiger nicht in der Höhe der ihnen eigentlich jeweils zustehenden Quote befriedigt werden können. Zwar sollten die nationalen Rechtsordnungen Mittel bereitstellen, um diese Vermögensverschiebungen auszugleichen, allerdings ist es auch Aufgabe der EuInsVO, die interrechtsträgerbezogene Haftungstrennung zu gewährleisten, damit sich die Gläubiger schon bei Kreditvergabe an Haftungsstrukturen orientieren können und auf Basis einer klaren Haftungsordnung die Investitionsbereitschaft steigt. 71 Eine rechtsträgerübergreifende und damit konzernweite Gläubigergleichbehandlung in Bezug auf die Haftungsmasse als solche ist demnach gerade nicht gefordert. Die Verteilung soll nur an den jeweiligen Haftungsstrukturen eines jeden Rechtsträgers für sich ausgerichtet werden. Die Gläubiger können lediglich erwarten, dass sie mit den anderen Gläubigern des eigenen Verfahrens gleichgestellt werden. Hinsichtlich der Gläubiger eines anderen Rechtsträgers wurde infolge der Haftungstrennung von Anfang an kein Vertrauenstatbestand in Bezug auf eine potenzielle Gleichbehandlung begründet. 72 Gefordert wird ausschließlich eine bestmögliche Allokation der Haftungsmasse zwischen den Verfahren. Die EuInsVO hat zu gewährleisten, dass den Gläubigern diejenige Haftungsmasse zur Verfügung steht, an welcher sie sich bei der Investitionsentscheidung in Bezug auf den konkreten Rechtsträger orientiert haben. Damit kann die grenzüberschreitende Handels- und Investitionstätigkeit gefördert werden.73

Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 3. Sollen diese Haftungsstrukturen durchbrochen werden, ist dies nicht Aufgabe des Insolvenzrechts, sondern – im Einvernehmen mit den Gläubigern – insbesondere durch wechselseitige Besicherungen im Vorfeld der Insolvenz möglich. Siehe hierzu S. 35. 73 SWD(2012) 416 final (EN), S. 30. 71

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III. Förderung des Sanierungsgedankens 1. Sicherung des Unternehmertums, der Arbeitnehmerschaft und der Gesamtwohlfahrt An dem Primärziel der Funktionsfähigkeit des europäischen Binnenmarktes ist ersichtlich, dass das europäische Insolvenzverfahren nur begrenzt vermögensorientiert ist, sondern in letzter Konsequenz vor allem gesamtwirtschaftliche Ziele im Blick hat. Die Ziele dürfen sich demnach nicht nur an einzelwirtschaftlichen Rentabilitätskalkulationen ausrichten, wenngleich diese für das Individuum effiziente Entscheidungen hervorbringen. Ein Beweis für eine über das Einzelinteresse hinausgehende gesamtwirtschaftliche Effizienz ist damit noch nicht angetreten. Eine gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtssteigerung könnte auf Basis einer Sanierung und damit dem Erhalt eines wettbewerbsfähigen Marktteilnehmers geschaffen werden. 74 Eine Sanierung schließt zwar auch eine vollumfängliche Gläubigerinteressenverwirklichung nicht aus, da die Erträge aus der Fortführung des Unternehmens größer sein können als der Liquidationswert, sodass letztlich auch die Gläubiger profitieren.75 Grundsätzlich stellt die Sanierung jedoch ein selbständiges Mittel dar, welches anzustreben aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive vorteilhaft sein kann. In diesem Sinne taucht die Sanierung in der Folgenabschätzung der Europäischen Kommission zur Reform der EuInsVO als eigenständiges spezifisches Einzelziel auf. Es wurde festgestellt, dass die Freiheit des Schuldners, in der Europäischen Union seiner Geschäftstätigkeit nachzukommen, durch die Ineffizienz der EuInsVO a. F. beeinträchtigt wurde. 76 Diese Unzulänglichkeiten sind darauf zurückzuführen, dass der Sanierungsgedanke sowohl in der Europäischen Union als auch teilweise in den Mitgliedstaaten erst in den letzten Jahren – nach Erlass der EuInsVO a. F. im Jahre 2000 – in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt ist. Das Insolvenzverfahren wurde in früherer Zeit eher als eine marktbereinigende Kraft angesehen, weshalb die Liquidation von

Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 50. Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 235; Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 529, 536. Ein hoher Fortführungswert kommt insbesondere dann zustande, wenn die lex fori concursus anordnet, dass der Schuldner auch nach erfolgreichem Sanierungsverfahren und beendetem Insolvenzverfahren Erlöse an die Gläubiger auszukehren hat. Bei der Berechnung können überdies die Zinsen, welche die Gläubiger aufgrund der Verzögerung nicht generieren konnten, rechnerisch berücksichtigt werden, Dorndorf in: FS Merz, 1992, 31, 36. Die Sanierung wurde im deutschen Insolvenzverfahren bis vor kurzem lediglich im Sinne des Zwecks der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung verstanden, vgl. BAG NZA 2005, 405, 407. Seit Erlass des ESUG dürfte das Ziel des Erhalts des Unternehmens gem. § 1 S. 1 InsO eine wichtige eigenständige Rolle spielen. 76 SWD(2012) 416 final (EN), S. 17. 74

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Unternehmen im Vordergrund stand.77 Heute hat sich dieses Bild stark verändert. Die Insolvenzordnungen scheinen vermehrt die Gesamtwirtschaftslage in den Blick zu nehmen. So gibt es in den Nationalstaaten eine steigende Tendenz, den Erhalt der Unternehmen in der Insolvenz zu fördern. Dies ist unter anderem auf die sehr erfolgreichen US-amerikanischen insolvenzverfahrensspezifischen Mechanismen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Chapter 11Verfahren, zurückzuführen, welche traditionell mehr als die meisten europäischen Rechtsordnungen an Reorganisation und Sanierung ausgerichtet waren. In der Europäischen Union hat ebenfalls ein Paradigmenwechsel stattgefunden, der darauf ausgerichtet ist, die Sanierungskultur nachhaltig zu stärken.78 Bestätigt wurde dies über die EuInsVO hinaus durch die Mitteilung der Kommission für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen, die am 12.12.2012 gleichzeitig mit dem Vorschlag zur Reform der EuInsVO veröffentlicht wurde, 79 und die daraufhin am 13.2.2014 verabschiedete Empfehlung 2014/135/EU 80 dieses Thema betreffend. Gleichermaßen verfolgt der Vorschlag für eine UnternehmensinsolvenzRL, der am 22.11.2016 mangels kohärenter Harmonisierungsbemühungen auf Basis der zuvor erwähnten Empfehlung durch die Kommission vorgelegt wurde,81 diesen Ansatz.82 Ausgerichtet an dieser neuen Prioritätensetzung der Europäischen Union sollte sich die Rettung von Unternehmen in Schwierigkeiten nach dem Gesetzgeberwillen auch in der Reform der EuInsVO widerspiegeln 83 und so einen bedeutsamen Baustein auf dem Weg zu wirt-

77 Zum deutschen Recht: „Gewiß bewundern wir Elefanten in freier Wildbahn; schon mit gemischten Gefühlen sehen wir ihnen als Hochzeiter zu, selbst wenn es ein Minister ist, der sie verheiratet; traurig aber stimmt uns ihr Anblick im staatlich subventionierten Zoo. Besser dann schon, sie zerfallen und ernähren die Würmer, die der Volkswirtschaft den Boden fruchtbar erhalten.“, Mertens, ZGR 1984, 542, 558; „[d]ie schnelle Zerschlagung eines bankrotten Unternehmens und damit die vollständige Kappung aller Verbindungen zum Markt wirkt sich [...] positiv auf den Wirtschaftsverkehr aus“, Ehricke, DZWIR 1999, 353, 355; auch der BGH wies darauf hin, dass es Sinn und Zweck der Konkursantragspflicht sei, “konkursreife Gesellschaften [...] vom Geschäftsverkehr fernzuhalten, damit durch das Auftreten solcher Gebilde nicht Gläubiger geschädigt oder gefährdet werden“, BGHZ 126, 181, 194; die Entwicklung ausführlich nachzeichnend Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 85 ff. 78 COM(2015) 173 final (DE), S. 2. 79 COM(2012) 742 final. 80 Empfehlung 2014/135/EU der Kommission v. 12.3.2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen, ABlEU v. 14.3.2014, L 74/65. 81 COM(2016) 723 final (DE), S. 8 f. 82 COM(2016) 723 final (DE). 83 SWD(2012) 416 final (EN), S. 7; Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, ErwG J; Empfehlung 2014/135/EU, ErwG 5.

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schaftlicher Erholung darstellen.84 In diesem Sinne erhoben die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15.11.2011 und die Empfehlung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 19.9.2013 den Schutz eines jeden Wirtschaftssubjekts, der Steuerzahler und Arbeitgeber vor den Folgen der Insolvenz und dadurch die Stärkung der Wirtschaft zu einem originären Ziel der EuInsVO.85 Dabei ist besonders der rechtspolitische Gedanke der Bewahrung von Arbeitsplätzen hervorzuheben, der meist noch vor dem Schuldnerinteresse den Grund für den Erhalt des Unternehmens darstellt.86 Die Folgenabschätzung zur Reform der EuInsVO untermalt diese Ansicht mit Zahlen. Sie verweist auf die Problematik, dass jedes Jahr 1,7 Millionen Arbeitsplätze in Folge der Insolvenzen von 200.000 Unternehmen verloren gehen.87 Dieser Effekt der Insolvenz auf Arbeitsplätze wird vor allem im Zusammenhang mit internationalen Insolvenzen relevant.88 Zwar ist die Arbeitnehmerschaft ebenso eine Gläubigergruppe hinsichtlich ihres Arbeitslohnes, sie streben allerdings primär nicht nach einer hohen Insolvenzquote im Sinne einer maximalen Gläubigerbefriedigung, sondern nach der Fortführung ihres Beschäftigungsverhältnisses und sind demnach bevorzugt an einer Sanierung interessiert.89 Des Weiteren kann eine Sanierung der Förderung des Unternehmertums dienen. Das Bestreben danach, wirtschaftlich tätig zu werden und Risiken einzugehen, wächst mit der Gewissheit, dass auch im Insolvenzfalle eine Fortführung des kriselnden Unternehmens möglich ist und nicht sofort eine Liquidation droht. Potenzielle Unternehmer erlangen auf diesem Wege ein höheres Vertrauen in die Rechtsordnung. Die Reform soll zu einer stetigen Entwicklung und zum Fortbestand von Unternehmen entsprechend dem Small Business Act90 beitragen und gehört zu den Leitaktionen der Binnenmarktakte II91.92 84 COM(2012) 744 final (DE), S. 4; Standpunkt des Rates in erster Lesung, Ratsdok. 16636/5/14, REV 5 ADD 1, S. 3; bezüglich eines neuen Ansatzes zur Verfahrensweise bei Firmenpleiten und Unternehmensinsolvenzen COM(2012) 742 final (DE), S. 3. 85 Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, ErwG H; Stellungnahme EWSA zu COM(2012) 744 final, 1.1.2 u. 4.1.5. 86 Der Aspekt der Arbeitsplätze wird stark hervorgehoben in Stellungnahme EWSA zu COM(2012) 744 final, 1.1.5, 3.1.1 u. 4.3. 87 Die Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum zwischen 2009 bis 2011. 88 SWD(2012) 416 final (EN), S. 7; bezüglich eines neuen Ansatzes zur Verfahrensweise bei Firmenpleiten und Unternehmensinsolvenzen COM(2012) 742 final (DE), S. 2 f.; Empfehlung 2014/135/EU, ErwG 12. 89 SWD(2012) 416 final (EN), S. 17. Der Arbeitsplatzsicherung räumt auch die Politik einen hohen Stellenwert ein, da es sich dabei um ein Thema handelt, welches die Öffentlichkeit beschäftigt und daher medienwirksam genutzt werden kann. 90 KOM(2008) 394 endg. 91 COM(2012) 573 final (DE). 92 SWD(2012) 416 final (EN), S. 7. Die aufgeführten Rechtsakte weisen direkt auf die Einführung eines Konzerninsolvenzrechts hin, um damit die Chancen für eine Sanierung zu

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Darüber hinaus muss der Europäischen Union auch hinsichtlich der Steuereinkünfte der Nationalstaaten daran gelegen sein, Unternehmen am Leben zu erhalten.93 Das gilt insbesondere, da nicht abzusehen ist, welche Unternehmen die entstehenden Lücken im Geschäftszweig auffüllen werden. Gerade im Kontext einer Konzerninsolvenz ist eine Sanierung evident erforderlich, um positive Nutzeffekte zu generieren. In der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15.11.2011 wurde daher in die Erwägung aufgenommen, dass Insolvenzverfahren über Mitglieder einer Unternehmensgruppe eine Koordinierung erfahren müssen, damit die Gruppe als Gesamtheit neu organisiert werden kann und nicht in ihre Bestandteile aufzubrechen ist, woraus ein Verlust für Gläubiger, Anteilseigner und Arbeitnehmer resultieren würde.94 In der Evaluierung der EuInsVO a. F. wurde ebenso auf Hindernisse bei der Unternehmenssanierung hingewiesen und diese in Verbindung mit den fehlenden Regelungen zu einer Konzerninsolvenz gebracht, da ein Auseinanderbrechen des Konzerns nicht verhindert wurde.95 Insbesondere für das beherrschte Unternehmen in einem Unterordnungskonzern, das nicht nur in rechtlicher, sondern gerade auch in wirtschaftlicher Abhängigkeit zum Mutterunternehmen steht, sind erhebliche Nachteile zu erwarten, falls das Mutterunternehmen in die Krise stürzt. Kommt das Tochterunternehmen ins Straucheln, hat das Mutterunternehmen zumindest massive Wertverluste hinzunehmen und dadurch gegebenenfalls selbst mit dem Überleben zu kämpfen.96 Daher ist es ein vornehmliches Ziel des europäischen Konzerninsolvenzrechts, die Unternehmen und damit die Konzernstruktur zu erhalten. Die Erleichterung einer Unternehmenssanierung ist berechtigterweise in den Materialien ausdrücklich als „politisches Einzelziel“ in Bezug auf die Insolvenz von Mitgliedern einer multinationalen Unternehmensgruppe aufgeführt.97 Das Konzerninsolvenzrecht ist folglich nicht nur ein statisches Gebilde, das sich lediglich mit der Masseanreicherung zur Gläubigerbefriedigung beschäftigt, sondern eine dynamische Materie, die immer mehr gestaltende Komponenten zur Beeinflussung konzernstrategischer Zwecke enthält.98

wahren, vgl. COM(2012) 573 final (DE), S. 13; Standpunkt des Rates in erster Lesung, Ratsdok. 16636/5/14, REV 5 ADD 1, S. 3. 93 SWD(2012) 416 final (EN), S. 17. 94 Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, ErwG P. 95 SWD(2012) 416 final (EN), S. 10 u. 15; COM(2012) 744 final (DE), S. 3 f. 96 MüKoInsO/Eidenmüller, 3. Aufl. 2014, Vorbem. §§ 217 bis 269 Rn. 38; Uhlenbruck, NZI 1999, 41, 41. 97 SWD(2012) 416 final (EN), S. 30; es soll sich mehr auf die Rettung von Unternehmen als auf die Liquidation konzentriert werden, Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, ErwG I. 98 So einst Kübler, ZGR 1984, 561, 561 f. Indem sich viele der nationalen Insolvenzordnungen mit dem Instrument der Eigenverwaltung ausgestattet haben, wurde eine wichtige

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2. Das Verhältnis des Sanierungsgedankens zum Zweck der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung Kommt es zu Sanierungen ist das Verhältnis des Sanierungsgedanken zu den anderen Zwecken des Konzerninsolvenzverfahrens problematisch. Es erscheint, als ob die Folgenabschätzung in den Arbeitsunterlagen der Kommissionsdienststelle dem Verlust der Arbeitsplätze eine höhere Bedeutung beimisst als den Auswirkungen einer Insolvenz auf die Gläubiger.99 Ein Primat der Unternehmensrettung könnte sich ebenfalls aus der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15.11.2011 ergeben, nach welcher das Insolvenzrecht auch – aber eben erst dann – Regeln für die Abwicklung eines Unternehmens konstatieren soll, wenn festgestellt wurde, dass die Unternehmensrettung wahrscheinlich fehlschlagen wird oder bereits fehlgeschlagen ist.100 ErwG 5 EuInsVO legt hingegen fest, dass die Vermeidung von Nachteilen für die Gläubigergesamtheit höchste Priorität hat.101 Diese zwei konträren Ansätze zeigen, dass sich eine abstrakte Hackordnung nicht aufstellen lässt. Die ausdrückliche Betonung des Sanierungsgedankens rührt besonders daher, dass die Rettung der Unternehmen ein eher neuer Aspekt im Verordnungstext ist und ausdrücklich durch die Reformmaterialien hervorgehoben werden soll. Die Bedeutung der Gläubigerinteressen soll damit jedoch nicht herabgesetzt werden. Dies hat vor allem mit Blick auf die Grundrechte der Europäischen Grundrechtecharta zu gelten, wonach dem subjektiven Eigentumsrecht in letzter Konsequenz im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung immer ein hoher Stellenwert einzuräumen ist. Die Gewichtung der einzelnen Ziele richtet sich schlussendlich nach deren Auswirkungen auf die Effizienzbestimmung und damit dem jeweiligen Anteil an der Verwirklichung des Primärziels. Eine abschließende Entscheidung ist im Einzelfall auf Basis einer umfassenden Kosten-Nutzen-Analyse aller betroffenen Ziele zu fällen. So legen potenzielle Investoren starken Wert darauf, dass sie keine Einbußen innerhalb eines Insolvenzverfahrens hinzunehmen haben. Sie fordern ein pareto-optimales Ergebnis. Auf der anderen Seite ist eine Sanierung unter Umständen nur möglich, wenn einzelne Gläubiger einen Nachteil zu erleiden haben. 102 Ein Primat der bestmöglichen GläubigerGestaltungsmöglichkeit für den Schuldner in der Insolvenz geschaffen. Zur Eigenverwaltung im Zusammenhang mit Konzerninsolvenzverfahren siehe S. 69 f. 99 SWD(2012) 416 final (EN), S. 7. 100 Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, ErwG N. Ähnliches lässt zuvor schon ErwG I anklingen. 101 Siehe hierzu zuvor S. 88 ff. 102 Im deutschen Insolvenzrecht greift ein Obstruktionsverbot im Zusammenhang eines Insolvenzplanes gem. §§ 245, 251 InsO nur dann ein, wenn die Angehörigen dieser Gruppe durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne einen Plan stünden.

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befriedigung, wie es in einigen nationalen Rechtsordnungen vorherrscht,103 ist nicht anzunehmen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das europäische Insolvenzrecht inhaltlich nicht als Haftungsrecht, das heißt funktionell auf Haftungsverwirklichung abzielend, ausgestaltet ist.104 Ihm liegt keine ausschließliche Vermögensorientierung oder gar -zentrierung zugrunde; subjektive Vermögensinteressen stellen nur einen Teilaspekt eines auf den Binnenmarkt bezogenen und zu verwirklichenden Gemeinwohlinteresses dar. Damit kommt sowohl der Sanierung als auch der maximalen Gläubigerbefriedigung im Zusammenhang des Konzerninsolvenzverfahrens eine besondere Gewichtung im Zuge der Effizienzbestimmung zu. IV. Marktbereinigende Kraft des Insolvenzverfahrens Ein effizientes Insolvenzverfahren sollte geeignete Unternehmen einer Sanierung zuführen und die nicht überlebensfähigen in Liquidation schicken. Es ist für eine Rechtsordnung wichtig, dass ein Insolvenzrechtssystem existiert, welches tatsächlich als marktbereinigende Kraft wirkt und unrentable Unternehmen vom Markt beseitigt, sodass Platz für neue wirtschaftlicher agierende Akteure entsteht. Dabei besteht das Risiko, dass Unternehmen eine „zweite Chance“ geboten wird, obwohl aus marktwirtschaftlicher Perspektive deren Abwicklung besser wäre, da sie aus eigenem irreversiblen Verschulden in die Krise gerutscht sind. Dadurch würde anderen Unternehmen die Möglichkeit genommen, mit dem nun weiter im Krisenunternehmen gebundenen Kapital zu arbeiten.105 Eine „zweite Chance“ sollte somit nur den Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, die ihre Lehren aus dem Scheitern gezogen haben und

103 So bezüglich dem deutschen Insolvenzrecht Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, 1.11 f.; Paulus, NZI 2008, 705, 706 u. 709; von dem „obersten Gebot der Wirtschaftlichkeit und bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger“ sprechend Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 55. Den Erhalt des Unternehmens lediglich als Mittel zur Gläubigerbefriedigung ansehend Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1338; Landfermann, WM 2012, 821, 822; Paulus, NZI 2008, 705, 706. Die Rettung der Schuldnerexistenz der Haftungsverwirklichung nachordnend Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, 1.12. Im Allgemeinen hinsichtlich des Verhältnisses MüKoInsO/Ganter/Lohmann, 3. Aufl. 2013, § 1 Rn. 85. Anders sieht dies zum Beispiel im französischen Reorganisationsverfahren (redressement judiciaire) aus, nach welchem die gesamtwirtschaftliche Lage in den Blick genommen wird, Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 283. 104 Dem Gläubigerschutz auch auf europäischer Ebene eine Primärstellung vor anderen zwingenden Allgemeininteressen einräumend, da das Insolvenzrecht zur kollektiven Haftungsverwirklichung bei Vermögensinsuffizienz beizutragen hat Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 487 f. 105 Auf diese Problem weisen auch die Gesetzesmaterialien hin, allerdings nicht im Zusammenhang mit der Insolvenz von Unternehmensgruppen, sondern mit der Einbeziehung von Hybriden- und Vorinsolvenzverfahren in den Anwendungsbereich der EuInsVO, SWD(2012) 416 final (EN), S. 39.

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in der Lage sind, auf Grundlage eines überarbeiteten unternehmerischen Konzepts sich rasch zu erholen.106 Oftmals ist es jedoch fraglich, ob eine Sanierung Erfolg verspricht oder ob mangels Erfolgsaussichten eher eine Gesamtliquidation durchgeführt werden sollte. Kommt es zu einer Liquidation, profitieren insbesondere Mitbewerber durch das Freiwerden von Kapazitäten.107 Würde diese entstandene Marktlücke durch ein anderes Unternehmen des Binnenmarktes aufgefüllt werden, wären im gleichen Zuge neue Arbeitsplätze geschaffen. Darüber hinaus könnte sogar ein potenziell höheres Steueraufkommen generiert werden. Lediglich der Wettbewerb innerhalb der Europäischen Union hätte zu leiden, da ein Marktteilnehmer verschwunden wäre. Würde die Marktlücke hingegen durch einen binnenmarktexternen Wettbewerber geschlossen werden, wäre die Wirtschaft des Europäischen Raumes geschwächt, da es zu einem Abzug von Arbeitsplätzen und Steueraufkommen aus dem Binnenmarkt käme. In diesem Fall wäre eine Sanierung – unter der Voraussetzung, dass das sanierte Unternehmen danach wieder auf festen Beinen steht – gesamtwirtschaftlich einer Liquidation vorzuziehen, um kein Einfallstor für binnenmarktexterne Wettbewerber zu bieten. Es ist allerdings schwer zu prognostizieren, welche Unternehmen die potenziellen Lücken im Markt schließen würden. Gleiches gilt hinsichtlich des freigewordenen Kapitals von Investoren. Im Liquidationsfalle könnte dieses an gesündere und wettbewerbsfähigere Unternehmen fließen und dadurch den Binnenmarkt stärken. Dies wäre jedoch nur der Fall, sofern der Investitionsstrom tatsächlich auf andere Unternehmen des Binnenmarktes überginge. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Neugründung eines Unternehmens mit den freigewordenen Ressourcen tendenziell transaktionskostenintensiver ausfällt als die bloße wirtschaftliche Erneuerung eines bereits existierenden Unternehmens. Nach diesen Überlegungen ist eine Sanierung grundsätzlich einer Liquidation vorzuziehen, sofern Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Rettung erfolgsversprechend ist. Es besteht demnach die widerlegbare Vermutung, dass eine Sanierung bei einer Effizienzbestimmung gegenüber einer Liquidation als vorzugswürdig zu bewerten ist. V. Verhinderung von Forum Shopping in Form einer betrügerischen oder rechtsmissbräuchlichen Gerichtsstandsverlagerung 1. Das ambivalente Verständnis von Forum Shopping Dass die Verhinderung von Forum Shopping gemeinhin als spezifisches Einzelziel der EuInsVO eingeordnet wird, ist auf die ausdrücklichen Erwähnungen in ErwG 5 sowie 29 EuInsVO zurückzuführen. Allerdings ist es grundsätzlich 106

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Stellungnahme EWSA zu COM(2012) 744 final, 1.1.3 u. 3.1.6 f. Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 50.

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als kritisch anzusehen, die Verhinderung von Forum Shopping – wie in einem Großteil der Literatur – unreflektiert als einen Zweck der EuInsVO anzunehmen.108 Sie stellt keinen Selbstzweck dar, sondern ist eher eine Paraphrase für eine Kumulation an dahinterliegenden insolvenzspezifischen Einzelzielen, die es auf dem Weg zu einem funktionsfähigen Binnenmarkt zu verwirklichen gilt. 109 Aufgrund der ausdrücklichen Erwähnung in den Erwägungsgründen soll das Forum Shopping dennoch auch in dieser Arbeit im Zusammenhang mit den insolvenzspezifischen Einzelzielen erörtert werden und im weiteren Verlauf dieser Arbeit als Synonym für die sogleich darzustellende Zweckkumulation dienen. Beim Forum Shopping wird die Möglichkeit einer in mehreren Staaten parallel bestehenden internationalen Zuständigkeit systematisch so beansprucht, dass rechtliche oder faktische Vorteile genutzt werden können.110 Um das geflügelte Begriffspaar des Forum Shoppings handhabbar zu machen, muss zunächst zwischen zwei Formen differenziert werden. Zum einen können im Zuge eines Forum Shoppings verschiedene Aspekte eines fixen Lebenssachverhaltes ausgenutzt, das heißt von einer schon bestehenden Wahlmöglichkeit an Gerichtsständen im Zeitpunkt der Antragstellung Gebrauch gemacht werden.111 Zum anderen sind vom Begriff des Forum Shoppings auch Gerichtsstands- oder Zuständigkeitsverlagerungen umfasst. Bei diesen wird der Lebenssachverhalt umgestaltet, um eine gewünschte Zielzuständigkeit überhaupt erst zu begründen.112 Das erste Begriffsverständnis – die Wahl zwischen schon 108 So allerdings Duursma-Kepplinger in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, 2002, Vorb. Rn. 11; Fritz/Bähr, DZWIR 2001, 221, 221; Huber, ZZP 114 (2001), 133, 134; HHGH/Huber, EuInsVO, 1. Aufl. 2005, Einl. Rn. 2; Lehr, KTS 2000, 577, 578; Nerlich/Römermann/Nerlich/Hübler, InsO, 33. EL September 2017, Vorbem. EuInsVO 2000 Rn. 10; Paulus, ZIP 2002, 729, 729 f.; Pannen/Pannen/Riedemann, EuInsVO, 2007, Einl. Rn. 30; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 651; EnzEuR Bd. 3/Thole, 1. Aufl. 2014, § 24 Rn. 15 ff.; Wyen, Rechtswahlfreiheit, 2014, S. 23. 109 Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 13. 110 Rühlemann, Verfahrenskonzentration, 2014, S. 403. 111 Benecke, Gesetzesumgehung, 2004, S. 317; Kropholler in: FS Firsching, 1985, 165, 165 f.; von „ausnutzen“ sprechend Siehr, ZfRV 25 (1984), 124, 125. Dies ist das originäre Begriffsverständnis von Forum Shopping, welches seinen Ursprung im angloamerikanischen Recht hat, Wyen, Rechtswahlfreiheit, 2014, S. 23 Fn. 36. 112 Kegel, IPRax 1996, 309, 311; von „Insolvency Planning“ sprechend Mankowski, NZI 2008, 355, 356; als „forum hopping“ bezeichnend Knof, ZInsO 2005, 1017, 1025; den Begriff „Erschleichung“ verwendend Siehr, ZfRV 25 (1984), 124, 125; Verhoeven, ZInsO 2012, 2369, 2371 Fn. 30. Dieser zuletzt genannte und durchaus negativ konnotierte Terminus der „Zuständigkeitserschleichung“ soll vorliegend ausdrücklich nicht gebraucht werden, da es Zuständigkeitsverlagerungen gibt, die von der Niederlassungsfreiheit gestattet sind (siehe hierzu S. 124 ff.) und demnach nicht als „Erschleichung“ betitelt werden sollten. Den Begriff „Forum Shopping“ zu Unrecht im Allgemeinen als negativ belegt ansehend Knof/Mock, ZInsO 2008, 253, 254.

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bestehenden Gerichtsständen – stellt gerade eine Ausprägung der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 und 54 AEUV dar und ist damit durch das Unionsrecht legitimiert (erlaubtes Forum Shopping).113 Auf Basis prozesstaktischer Erwägungen des Antragstellers kann ein vorteilhafter Gerichtsstand gewählt werden. Eine erlaubte Form des Forum Shoppings war vor der Reform in der EuInsVO a. F. nicht vorgesehen. Dies hat sich durch die Zuständigkeitswahl im Zusammenhang des Gruppen-Koordinationsverfahrens geändert.114 Daher darf nicht mehr vereinfacht davon gesprochen werden, dass Forum Shopping verhindert werden soll. Diese Zweckanordnung bezieht sich lediglich auf die Fälle des Forum Shoppings durch Gerichtsstandsverlagerung. Nur diese Fälle sind adressiert, wenn im weiteren Verlauf dieses Abschnitts von Forum Shopping gesprochen wird.115 Das Verbot des Forum Shoppings spielt insbesondere im Zusammenhang der Zuständigkeitsbegründung auf Basis des COMI eine Rolle. Dort existiert lediglich die Möglichkeit, neben dem Hauptinsolvenzverfahren, welches gem. Art. 19 ff. EuInsVO in den anderen Mitgliedstaaten automatisch anzuerkennen ist, in einem anderen Mitgliedstaat ein Sekundärinsolvenzverfahren gem. Art. 34 ff. EuInsVO zu eröffnen. Bezüglich des Hauptinsolvenzverfahrens besteht indessen keine Wahlmöglichkeit,116 obgleich dies durch die Debatte im Zusammenhang mit dem COMI oft anders suggeriert wird.117 Es kann lediglich ein COMI pro Unternehmen geben, wodurch ein erlaubtes Forum Shopping möglich ist.118 Gerade in Konstellationen der Konzerninsolvenz ist hingegen der Versuch einer Gerichtsstandsverlagerung vorgezeichnet. Ein Konzern setzt sich meist aus vielen Unternehmen zusammen, die in unterschiedlichen Jurisdiktionen angesiedelt sind. Daraus ergeben sich mehrere Anknüpfungspunkte für eine Vielzahl von Gerichtsbarkeiten. Im Gegensatz zu einem einzelnen Unternehmen, welches keinen Bezugspunkt zu einem anderen Staat aus ihrer eigenen Unternehmung heraus vorweisen kann, wird es also Konzernunternehmen aufgrund der Konzernstruktur leichtgemacht, eine Gerichtsstands- und damit Zuständigkeitsverlagerung durchzuführen.

Oberhammer, KTS 2009, 27, 36; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 47. Siehe hierzu S. 345 f. 115 Über diesen Abschnitt hinaus wird im weiteren Verlauf der Arbeit immer konkret darauf hingewiesen, von welcher Art von Forum Shopping in dem jeweiligen Kontext gesprochen wird. 116 Knof, ZInsO 2007, 629, 630. 117 Probleme gab es lediglich im Zusammenhang mit der Bestimmung der Kriterien des COMI. Siehe hierzu ausführlich S. 43 ff. 118 In diesem Kontext handelt es sich demnach immer um Fälle, in denen auf den Sachverhalt so eingewirkt wird, dass ein neuer Zielstaat als mögliches Forum überhaupt erst begründet wird, Rühlemann, Verfahrenskonzentration, 2014, S. 427. 113

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Diese Fälle müssen jedoch nicht per se verhindert werden,119 sondern bergen lediglich ein ihnen immanentes Missbrauchspotenzial. Die Verhinderung des Forum Shoppings kann demnach nicht als ausdrücklich umfassendes Verbot verstanden werden,120 sondern als Aufforderung, die Attraktivität des Forum Shoppings als „Vehikel“ einer betrügerischen oder missbräuchlichen Rechtswahl im europäischen Insolvenzrecht zu verringern.121 Der Verordnungstext selbst sowie die Anwender der EuInsVO – insbesondere die nationalen Insolvenzgerichte und der EuGH – haben zur Aufgabe, diese Vorgabe bestmöglich auszufüllen. Eine vollständige Verhinderung des Forum Shoppings würde in ihrer Absolutheit andere Zwecke der EuInsVO zu weit zurückdrängen und im Ergebnis dem übergeordneten Ziel eines effizienten Binnenmarktes schaden.122 Welche Fälle der Gerichtsstandsverlagerung als betrügerisch oder rechtmissbräuchlich anzusehen sind, muss an dieser Stelle noch nicht ausgeführt werden. Dies betrifft die konkrete Reichweite des Forum Shopping-Verbots als Mittel zur bestmöglichen Verwirklichung des Effizienzziels.123 2. Verhinderung von Forum Shopping als Zweckkumulation Im Folgenden soll geklärt werden, welche Zweckkumulation das Verbot eines insolvenzrechtlichen Forum Shoppings ausfüllt. Nach der Legaldefinition von Forum Shopping in ErwG 5 EuInsVO muss im Interesse eines ordnungsgemäßen Funktionierens des Binnenmarktes verhindert werden, dass es für Beteiligte vorteilhafter ist, Vermögensgegenstände oder Gerichtsverfahren von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlagern, um auf diese Weise eine günstigere Rechtsstellung zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger zu erlangen. Wenngleich der Wortlaut des ErwG 5 EuInsVO im Detail problematisch ist,124 treten die ihm zugrunde liegenden Zwecke klar hervor. So liegt der Sinn des Verbotes eines Forum Shoppings darin, dass der Schuldner durch eine Gerichtsstandsverlagerung nicht die Ziele der EuInsVO, insbesondere das Streben nach bestmöglicher Gläubigerbefriedigung, negativ beeinträchtigen soll.125 Es ist schon im Zeitpunkt der Kreditvergabe für potenzielle Gläubiger von elementarer Bedeutung, dass die Kreditrisiken ex ante richtig berechnet werden können, die Folgen einer Insolvenz für die Gläubiger demnach so weit wie

Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, 2014, S. 109. Thornley International Corporate Rescue 2 (2005), 51, 52; in diesem Sinne jedoch Weller, IPRax 2004, 412, 417. 121 Wyen, Rechtswahlfreiheit, 2014, S. 24 u. 37. 122 Ein „generelles Verbot des forum shopping [kann] nicht zu den erklärten Verordnungszielen“ gehören, Wyen, Rechtswahlfreiheit, 2014, S. 24. 123 Siehe hierzu S. 85 ff. 124 Siehe hierzu S. 88 ff. 125 Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 13. 119

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möglich vorhersehbar sind.126 Dabei ist das potenzielle Insolvenzforum ein wesentlicher Faktor bei der Risikoabwägung. Könnte es nach Kreditvergabe zu einem durch die Insolvenzrechtsordnung gestatteten imponderablen Wechsel der Jurisdiktion und damit auch des anwendbaren Rechts kommen, würde dies zu erheblichen Unsicherheiten für die Gläubigerschaft schon bei Kreditvergabe führen. Es wäre möglich, dass ein nicht vorhersehbarer Wechsel der internationalen Zuständigkeit und damit auch des anwendbaren Rechts dazu führten könnte, dass Kreditsicherheiten unter Vorbehalt des Art. 8 EuInsVO nach dem nun anwendbaren Recht nicht mehr als solche anerkannt würden.127 Diese Unsicherheiten müssten eingepreist bzw. in die Kreditbedingungen – beispielsweise durch entsprechende Sicherheiten – aufgenommen werden, sodass es zu einer suboptimalen Allokation von Krediten und damit einer ineffizienten Allokation von Kapital mit negativen Auswirkungen für den Binnenmarkt kommen würde.128 Potenziell könnte eine Kreditvergabe aufgrund der Unsicherheiten in dem betroffenen Rechtskreis sogar generell unterlassen werden. Der Markt für Kredite ist damit – im Sinne eines Ex-Post-Opportunismus129 – dann negativ beeinflusst, wenn das forum concursus nicht vorhersehbar ist, die Kosten eines etwaigen Insolvenzverfahrens dadurch ex ante unkalkulierbar werden und somit in den Kreditbedingungen nicht berücksichtigt werden können.130 Es muss für die Gläubiger möglich sein, die rechtlichen Risiken, die im Falle einer Insolvenz zu tragen sind, einzukalkulieren.131 Diese Relevanz der Vorhersehbarkeit im Zusammenhang mit dem europäischen Zuständigkeitsrecht wird über ErwG 11 Brüssel Ia-VO132 verdeutlicht. Die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes wird demnach dadurch gestärkt, dass Kreditrisiken kalkulierbarer sind und dadurch die Allokation von Kapital im Sinne einer echten Kapitalmarktunion überhaupt erst ermöglicht wird.133 Damit stehen die durch das Verbot des Forum Shoppings zu schützenden Gläubigerinteressen aus ErwG 5 126 Eidenmüller, KTS 2009, 137, 140 f.; Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 13. 127 Ein Verlust von Sicherheiten droht gem. Art. 8 EuInsVO nur, wenn die Sicherheit im Eröffnungsstaat belegen ist, vgl. Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3456; ausführlich zu dinglichen Sicherheiten insbesondere im Zusammenhang mit dem EuInsÜ Taupitz, ZZP 111 (1998), 315, 329 ff. 128 Klöhn, KTS 2006, 259, 264. 129 Der Begriff stammt aus der Institutionenökonomie, vgl. Williamson, The Economic Institutions of Capitalism, 1985, S. 47 ff. 130 Klöhn, KTS 2006, 259, 263 f. 131 Im Zusammenhang des COMI-Kriteriums Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 75. 132 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. 133 Eidenmüller, KTS 2009, 137, 140; Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 13.

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EuInsVO unmittelbar im Zusammenhang mit dem Primärziel der Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes. Die Verhinderung von Forum Shopping hat jedoch nicht nur eine Auswirkung auf den Markt für Kredite, sondern im gleichen Zuge auch auf den Markt für Insolvenzverfahren,134 welcher bisher in den insolvenzspezifischen Einzelzielen noch keine Erwähnung fand. Wie die Thematik um das COMI in der Praxis zeigte,135 haben nationale Gesetzgeber sowie Gerichte ein Interesse daran, sich für die Eröffnung internationaler Insolvenzen in der eigenen Jurisdiktion einzusetzen. Insolvenzverfahren sind für den Staat, in welchem sie durchgeführt werden, in vielerlei Hinsicht lukrativ. So ist der mit einem Insolvenzverfahren zusammenhängende Geldfluss erheblich. Daher werden zumeist inländische Insolvenzverwalter in den Verfahren eingesetzt, um durch das Verfahren Einnahmen zu generieren. Des Weiteren ist insbesondere auf Seiten der Gläubiger eine zum Insolvenzverfahren akzessorische Dienstleistungsindustrie in Form von Kanzleien, Wirtschaftsprüfern und Unternehmensberatern beteiligt, die ebenfalls erheblich von einem Verfahren im Inland profitieren.136 Aus der Abwicklung einer grenzüberschreitenden Konzerninsolvenz in der eigenen Jurisdiktion resultieren jedoch nicht nur monetäre Vorteile. Solch eine Insolvenz führt ebenso zu einem Bedeutungsgewinn des jeweiligen forum concursus und zu einem „positiven Netzwerkeffekt“ in Bezug auf die zukünftige Rechtspraxis. Dieser Effekt basiert auf den Ergebnissen eines vertieften wissenschaftlichen Diskurses bezüglich der zu behandelnden Rechtsfragen sowie einem erweiterten Rechtsprechungsfundus, woraus eine gesteigerte Kompetenz aufgrund eines ausgedehnten Erfahrungsschatzes der beteiligten inländischen Akteure resultiert.137 Vornehmlich im Zusammenhang mit großen internationalen Konzerninsolvenzen ist mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens unter eigener Federführung ein erheblicher Prestigegewinn für die Gerichte ebenso verbunden wie die Chance, selbst rechtsgestaltend tätig zu werden.138 Zweck der Verhinderung von Forum Shopping ist es demnach auch, durch geeignete Vorschriften zu gewährleisten, dass die soeben aufgeführten Klöhn, KTS 2006, 259, 263. Siehe hierzu S. 45 ff. 136 Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 471; Klöhn, KTS 2006, 259, 264; trotz einer schwierigen Quantifizierbarkeit dieser Effekte spielen sie – anders als direkte finanzielle Anreize durch franchise fees – eine bedeutende Rolle, Eidenmüller in: FS Heldrich, 2005, 581, 584. 137 Klöhn, KTS 2006, 259, 264 m. w. N. 138 Grundsätzlich Posner, Sup. Ct. Econ. Rev. 3 (1993), 1 ff.; ebenso ders., Economic Analysis of Law, 9. Aufl. 2014, S. 741 f. Weiterführend LoPucki, Courting Failure, 2005, S. 19 ff.; auf Basis von Interviews mit US-amerikanischen Konkursrichtern (“Almost all of the judges suggested that there is a level of prestige and satisfaction that attaches to hearing and deciding important cases.“) Cole, 55 Vand. L. Rev. (2002), 1845, 1875 u. 1890 ff.; darüber hinaus Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 3; ders., ZGR 2006, 467, 471; Klöhn, KTS 2006, 259, 264; Verhoeven, ZInsO 2012, 2369, 2371. 134

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Aspekte lediglich die Folge der Anwendung des geeignetsten nationalen Insolvenzrechts sind und nicht als Anreiz verstanden werden, durch gesetzgeberische Maßnahmen oder eine exzessive Zuständigkeitsauslegung der Gerichte ein Forum Shopping erst zu ermöglichen. D. Beschränkung durch Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip Die Grundsätze der Subsidiarität gem. Art. 5 Abs. 3 EUV sowie der Verhältnismäßigkeit gem. Art. 5 Abs. 4 EuInsVO haben einen die insolvenzspezifischen Einzelziele der EuInsVO beschränkenden Charakter.139 Danach darf die Europäische Union erst dann tätig werden, wenn die Ziele der geplanten Maßnahmen wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend erfüllt werden können.140 Dies ist vor allem insofern relevant, als die einzelnen insolvenzspezifischen Ziele im Großteil auch durch die Mitgliedstaaten selbst angestrebt werden und es demnach eines Handelns der Union nicht zwangsläufig bedarf. Daher ist – im Sinne des Subsidiaritätsprinzips – zu fragen, ob ein Tätigwerden der Union in diesem Bereich tatsächlich nötig ist.141 ErwG 4 EuInsVO begründet die Wahrung des Prinzips der Subsidiarität mit der Tatsache, dass die Geschäftstätigkeit von Unternehmen mehr und mehr über die einzelstaatlichen Grenzen hinausgreift und dadurch in zunehmendem Maß den Vorschriften des Unionsrechts unterliegt. Die Insolvenz solcher Unternehmen hat somit nachteilige Auswirkungen auf das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes. Nach ErwG 86 EuInsVO kann demnach das Ziel der Verordnung von den Mitgliedstaaten selbst nicht ausreichend verwirklicht werden, sondern nur auf Unionsebene mit der Schaffung eines rechtlichen Rahmens für die geordnete Abwicklung von grenzüberschreitenden Insolvenzen. Wenngleich die Vorschriften des europäischen Konzerninsolvenzrechts über die zentralen Regelungsgegenstände in Form der internationalen Zuständigkeit, des anwendbaren Rechts und der Anerkennung von Entscheidungen hinausgehen, wird bei grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen durch die Rechtsvereinheitlichung gerade ein komparativer Vorteil zu rein nationalen Regelungen geschaffen. Eine Richtlinie hätte die Mitgliedstaaten zwar weniger beansprucht, eine friktionslose grenzüberschreitende Abwicklung von Insolvenzverfahren wäre auf diesem Wege allerdings nicht erreichbar gewesen, da die Regelungsgefüge der nationalen Rechtsordnungen gerade im Insolvenzrecht zu stark divergieren.142 139 Dies andeutend Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 21. 140 Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 4. 141 Calliess in: Calliess/Ruffert, 5. Aufl. 2016, Art. 5 EUV Rn. 23. 142 Zur Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips in der EuInsVO a. F. Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 4. Zu den Divergenzen der nationalen Rechtsordnungen im Zusammenhang der Zwecksetzungen siehe Fn. 29.

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Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit betrifft die Frage nach dem Wie eines Tätigwerdens der Union. 143 Ob ErwG 86 EuInsVO zugestimmt werden kann, der diesen Grundsatz als gewahrt ansieht, kann demnach erst im Laufe der Arbeit beantwortet werden, wenn die konkreten Vorschriften der EuInsVO analysiert wurden.144 E. Fazit Das europäische Insolvenzrecht dient der Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und ist damit primär binnenmarkt- und im Zuge dessen wirtschaftszentriert. Seine spezifischen Zwecksetzungen offenbaren sich bei der Aufspaltung des Binnenmarktziels in die zur Verwirklichung des Marktes notwendigen Elemente. Das Insolvenz- und somit auch Konzerninsolvenzrecht hat daher als oberste Maxime keine originär vermögensorientierte Schutzrichtung, welche im Sinne einer Ordnungsfunktion danach strebt, einen gerechteren Ausgleich zu schaffen, den Schutz der Schwächeren zu fördern und Frieden zwischen allen Verfahrensbeteiligten zu stiften.145 Der Schutz von Individualinteressen erfolgt lediglich aus einer ökonomischen Rationalität heraus. Die Ordnungsaufgabe des europäischen Insolvenz- und damit auch Konzerninsolvenzrechts richtet sich – ganz im Sinne der Europäischen Union als Wirtschaftsunion – rein an ökonomischen Kriterien aus. Das eigenständig hervorzuhebende Effizienzgebot und die daraus resultierende Notwendigkeit einer ökonomischen Analyse stellen die tragenden Säulen im Zuge der Auslegung der EuInsVO dar. Sie sind zentraler Baustein der europäischen Insolvenzrechtsmethodik und setzen die Prämissen für eine eigene europäische Konzerninsolvenzrechtsdogmatik. Tritt ein Problem bei der Anwendung der Vorschriften zum Konzerninsolvenzrecht auf, ist im ersten Schritt zu prüfen, ob sich dieses unter Berücksichtigung eines insolvenzspezifischen Einzelziels lösen lässt. In einem zweiten Schritt wird sich des Effizienzkriteriums bemüht und dabei im Rahmen einer ökonomischen Analyse untersucht, anhand welcher Zwecke das größtmögliche Maß an Wirtschaftlichkeit erreicht und damit – ganz im Sinne des effet utile – das Binnenmarktziel am bestmöglichen verwirklicht werden kann. Der Wortlaut der Erwägungsgründe und Gesetzesmaterialien, nach welchem die Verfahren effizienter gestaltet werden sollen, darf nicht zu der Schlussfolgerung verleiten, es werde lediglich ein kostengünstigerer und schnellerer Ablauf des Verfahrens gefordert. Im Sinne eines weiten Verständnisses des Effizienzgebots als eigenständiges Ziel soll nicht nur das Verfahren effizient geführt werden, sondern auch den Wirkungen des Verfahrens eine eigene Effizienz zukommen. Calliess in: Calliess/Ruffert, 5. Aufl. 2016, Art. 5 EUV Rn. 43. Siehe hierzu S. 445 f. 145 Zur Ordnungsaufgabe des Insolvenzrechts im deutschen Recht vgl. FK-InsO/Schmerbach, 8. Aufl. 2015, vor §§ 1 ff. Rn. 23 f. 143

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Betrachtet man die erhebliche Wirtschaftsmacht, welche Konzerne in der heutigen Zeit besitzen, und die Auswirkungen, welche eine Insolvenz solcher Konzerne auf die Wirtschaftsordnung haben kann, ist es geradezu apodiktisch, dass ein Konzerninsolvenzrecht Teil einer funktionsfähigen Insolvenzrechtsordnung sein muss. Das Credo sollte demnach lauten: „Ein Konzern, ein Binnenmarkt, ein Konzerninsolvenzrecht“.

§ 10 Verfahrenskonzentration § 10 Verfahrenskonzentration

A. Nutz- und Kosteneffekte einer Konzentration Versucht man ein Modell zu finden, nach welchem eine Konzerninsolvenz durchgeführt werden kann, stößt man neben Koordinations- und Kooperationsmechanismen unweigerlich auf die Option, die europaweit verstreuten Einzelverfahren über das Vermögen der verschiedenen Unternehmen des Konzerns wieder zusammenzuführen, um damit wirtschaftlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Die Vorteile, welche die auf einer Konzentration fußenden Regelungsmodelle ausnahmslos mit sich bringen, liegen in einer erheblichen Minimierung der Transaktionskosten begründet. Die Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den betroffenen Insolvenzgerichten entfallen vollständig.146 Der Informationsfluss wird somit massiv vereinfacht und – abhängig von der gewählten Konzentrationsintensität – das bzw. die Verfahren beschleunigt.147 Durch die Zusammenführung des Vermögens von konzernverbundenen Unternehmen besteht die Möglichkeit, die Verfahrenskosten um einen beachtlichen Anteil zu senken, wodurch die Insolvenzmasse ansteigt und die Gläubiger eine höhere Quote erhalten können.148 Darüber hinaus sind – vorausgesetzt, dass nur ein Gericht mit der Thematik betraut ist – homogene Entscheidungen gewähr-

146 Es ist davon auszugehen, dass es nach den nationalen Rechtsordnungen möglich ist, entweder die Geschäftsverteilungspläne schon grundlegend durch eine Zuständigkeitenregelung oder die Verteilung im Einzelfall durch ökonomische Erwägungen so zu gestalten, dass tatsächlich ein Richter und nicht mehrere Geschäftsbereiche für die Verfahren zuständig sind, sofern mehrere Verfahren eröffnet werden. Das Justizgrundrecht aus Art. 47 GRCh auf einen wirksamen Rechtsschutz ist hierdurch nicht verletzt. Zum deutschen Recht siehe Deyda, Konzern im europ. int. InsR, 2008, S. 144 f.; Prütting, INDAT-Report 2006, 27; Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 196 f. 147 Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 281, 283; Ehricke, DZWIR 1999, 353, 354 f.; ders., ZZP 114 (2001), 3, 8; ders., ZHR 169 (2005), 528, 537; Eidenmüller, MJ 1 (2013), 133, 148; Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 193 ff.; Wolf, Europäische Gerichtsstand, 2012, S. 64 ff. 148 Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 281, 283; Ehricke, DZWIR 1999, 353, 355; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3456; Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 195; Wolf, Europäische Gerichtsstand, 2012, S. 64.

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leistet.149 Es kommt zumindest zu einer einheitlich anwendbaren lex fori concursus, woraus eine erhöhte Wahrscheinlichkeit resultiert, sowohl die Restrukturierungs- und Sanierungschancen des Unternehmensverbundes zu verbessern150 und damit den Haftungserwartungen der Gläubiger gerecht zu werden, als auch das Unternehmertum zu stärken sowie die Beschäftigungsverhältnisse der Arbeitnehmer zu schützen. Leistungsstarke Restrukturierungs- oder Sanierungspläne auf Basis einer einheitlichen lex fori concursus151 einzusetzen stellt einen erheblichen Vorteil einer Verfahrenskonzentration dar.152 Ein paradigmatischer Fall, in dem ein einheitlicher Konzerninsolvenzgerichtsstand und damit eine Konzentration der Verfahren einen Mehrwert gebracht hätte, war die Insolvenz des Konzerns KPNQwest.153 Der Konzern wurde wie eine Betriebseinheit geführt und lediglich aufgrund der internationalen Vertriebsstrukturen in mehrere Einzelunternehmen aufgespalten. Des Weiteren können sich durch eine Zusammenführung der Verfahren spezielle Insolvenzgerichte herausbilden, die eine gesteigerte Expertise entwickeln und damit schneller und effizienter Entscheidungen fällen können. 154 Dieses Argument greift jedoch in seiner Stärke hauptsächlich im nationalen Kontext.155 Eine gesteigerte Sachkompetenz ist zwar für einen reibungslosen Verfahrensablauf von Vorteil, nachhaltig gewinnbringend wäre dies allerdings nur dann, wenn diese Gerichte bewusst aufgrund ihres Fachwissens als Insolvenzgerichte ausgewählt werden könnten. Auf europäischer Ebene hätte solch eine Gerichtswahl in Form eines gesetzlich intendierten und damit erlaubten Forum Shoppings allerdings zur Folge, dass damit auch das anwendbare Insolvenzrecht bestimmt werden könnte.156 Zum Wohle eines guten Investitionsklimas für potenzielle Gläubiger in der Union auf Basis eines vorhersehbaren Gerichtsstandes ist eine Gerichtsstandswahl im Zeitpunkt der Insolvenz nach dem aktuellen Stand der Integration grundsätzlich zu vermeiden. Sollte es in Zukunft trotzdem aufgrund von Harmonisierungen zu der Möglichkeit einer Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 281, 283; Ehricke, DZWIR 1999, 353, 355. Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 281, 283; Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 831; Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 195. 151 Bei Restrukturierungs- und Sanierungsmaßnahmen existieren in den verschiedenen Rechtsordnungen, insbesondere hinsichtlich der Klassenbildung, der Einbeziehung einzelner Gläubiger, den Genehmigungsanforderungen sowie dem Schutzumfang von neuen Finanzierungen und Zwischenfinanzierungen, erhebliche Unterschiede, COM(2016) 723 final (DE), S. 4. 152 Ausführlich zu den sanierungsfreundlichen Insolvenzrechtsordnungen in England, Italien, Frankreich und Spanien siehe Wolf, Europäische Gerichtsstand, 2012, S. 69 ff. 153 Siehe hierzu S. 23. 154 Bufford, 12 Colum. J. Eur. L. (2006), 429, 467 ff.; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3456. 155 Die Thematik im nationalen Zusammenhang behandelnd Ehricke, DZWIR 1999, 353, 355. 156 Siehe hierzu zuvor mehr unter S. 102 f. 149

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weitergehenden Konzentration und der Wahl eines Gerichtsstandes kommen, ist eine Herausbildung von Expertengerichten neben den genannten Vorteilen auch mit gewissen Problemen belastet. Der daraus resultierende Wettbewerb der Insolvenzgerichte um den attraktivsten Insolvenzgerichtsstandort ist nicht immer förderlich für die Ziele der Insolvenzverfahren. So zeigen Erfahrungen der Gerichte des US-amerikanischen Ostküstenstaates Delaware, dass dort durchgeführte Sanierungen eine erhöhte refiling-rate gegenüber anderen Bundesstaaten haben, das heißt eine erneute Reorganisation wahrscheinlicher ist.157 Eine gesteigerte Expertise kann also nicht zwingend den Druck kompensieren, der aufgrund des Wettbewerbs unter den Gerichten entsteht und auf ein immer schnelleres Verfahren gerichtet ist. Dieser Wettbewerb kann vielmehr zu einem gesunkenen Qualitätsniveau führen. Eine Expertisenbildung über das Zuständigkeitenrecht zu steuern, ist daher nicht zielgerichtet anzustreben, um einen ineffizienten Konkurrenzkampf zu vermeiden. Eine gesteigerte Sachkunde und Leistungsfähigkeit der Gerichte als Reflex einer vermehrten Konzentration kann allerdings ohne Weiteres als Vorteil angenommen werden.S B. Reine Verfahrenskonzentration am gemeinsamen COMI Bei einer reinen Verfahrenskonzentration werden die einzelnen Verfahren der in die Insolvenz gefallenen Konzernunternehmen aufgrund ihrer Konzernzugehörigkeit an einem einheitlichen Gericht konzentriert. Im Gegensatz zur substantiellen Konsolidierung sowie der Verfahrenskonsolidierung bleiben die Vermögensmassen ebenso wie die einzelnen Verfahren jedoch voneinander getrennt.158 Der Grundsatz „Ein Konzern, ein Verfahrensort, getrennte Verfahren“ erlangt Geltung. Die Gerichtskosten fallen zwar für jedes Verfahren an, können jedoch – wie zuvor unter den allgemeinen Vorteilen dargestellt – aufgrund innergerichtlicher Kommunikationserleichterungen eine erhebliche Minderung erfahren.159 Indem lediglich ein Gericht für alle Verfahren zuständig ist, wird darüber hinaus die Chance maximiert, dass es zu einer einheitlichen Bestellung eines einzigen Insolvenzverwalters für alle Verfahren kommt.160 Dies ist insbesondere der Fall, wenn derselbe Richter für alle Verwalterbestellungen zuständig ist. Die Wahrscheinlichkeit einer einheitlichen Verwalterbestellung steigt allerdings auch, wenn eine innergerichtliche Geschäftsverteilung die Verfahren an unterschiedliche Richter des gleichen Ortes Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 539 f.; LoPucki/Kalin, 54 Vand. L. Rev. (2001), 231 ff.; LoPucki/Doherty, 55 Vand. L. Rev. (2002), 1933 ff.; wobei die Verfahren in Delaware oftmals kürzer und damit mit weniger Kosten verbunden sind, Ayotte/Skeel, University of Pennsylvania Law School: Faculty Scholarship, Paper 20 (2003). 158 Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 281, 282. 159 Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 281, 283; Ehricke, DZWIR 1999, 353, 355; Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 193 ff. 160 Bezüglich der Vorteile einer einheitlichen Verwalterbestellung siehe S. 295 ff. 157

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überträgt.161 Die beteiligten Richter unterliegen dann zumindest nicht mehr der Barriere, einen ausländischen und damit zumeist unbekannten Verwalter bestellen zu müssen, um eine einheitliche Abwicklung garantieren zu können.162 I. Ausgestaltung in der EuInsVO Die Zuständigkeitsordnung der EuInsVO hält weiterhin – auch im Zusammenhang mit Konzerninsolvenzen – an dem COMI als das beherrschende Zuständigkeitskriterium fest.163 Dabei räumt der europäische Gesetzgeber in ErwG 53 EuInsVO explizit ein, dass eine Verfahrenskonzentration auf Basis eines einheitlichen COMI in Konzerninsolvenzkonstellationen als Instrument angewandt werden kann. Die in dieser Hinsicht schon bestehende Konzerninsolvenzpraxis erfährt somit eine demokratische Legitimation. Dies ist konsequent, nachdem für den Fortbestand einer Verfahrenskonzentration die weit überwiegende Mehrheit von 77 % der Befragten einer öffentlichen Konsultation im Zusammenhang mit den Problemen der Insolvenzverordnung und möglichen Lösungen im Vorfeld des Reformvorschlages plädierten.164 Allerdings nahm der europäische Gesetzgeber ebenfalls die Bedenken von 51 % der Umfrageteilnehmer wahr, nach denen die Auslegung des COMI-Kriteriums in der Praxis durch Gerichte aus Jurisdiktionen, welchen ein Case Law-System zugrunde liegt, Probleme bereitet hatte.165 Diese Schwierigkeiten vor Augen griff der europäische Gesetzgeber die Thematik rund um den COMI-Begriff in der Reform auf und ergänzte bzw. konkretisierte den Normtext des Art. 3 EuInsVO insoweit. Unverändert blieb dabei, dass im Zusammenhang mit einer Konzerninsolvenz die Bestimmung des COMI für jeden Rechtsträger getrennt zu erfolgen hat166 und – nach dem Prinzip der Einheitsanknüpfung – nur ein COMI pro

Siehe hierzu Fn. 146. Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 281, 283; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3456. 163 COM(2012) 744 final (DE), S. 10. Dieses Kriterium stellt auch nach Art. 17 Nr. 2 lit. a UNCITRAL-Modellgesetz die Regelanknüpfung dar, COM(2012) 744 final (DE), S. 7. 164 COM(2012) 743 final (DE), S. 10; COM(2012) 744 final (DE), S. 4; SWD(2012) 416 final (EN), S. 19 u. 52. 165 Dabei wurde allerdings auch vermehrt darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung des EuGH zur Klärung dieser Terminologie hilfreich sein solle, COM(2012) 743 final (DE), S. 10; die dargestellte Meinung teilten 75 % der Banken, 67 % der Privatpersonen, 61 % der Insolvenzverwalter und 58 % der Gerichte, SWD(2012) 416 final (EN), S. 19 u. 52. 166 In Zusammenhang mit der Vermischung der Vermögensmassen zweier Gesellschaften und den damit verbundenen Konsequenzen für das COMI, EuGH Urt. v. 15.12.2011, Rastelli Davide e C., C-191/10, ECLI:EU:C:2011:838, Rn. 22 ff.; Deyda, Konzern im europ. int. InsR, 2008, S. 63 ff. m. w. N.; Stadler in: Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency, 2011, 13, 18; Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 829; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 7 m. w. N.; anders Paulus, ZIP 2005, 1948, 1953 ff. 161

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Konzernunternehmen existieren kann. 167 Die Verfahrenskonzentration wird demnach weiterhin über die allgemeinen Zuständigkeitsregeln und nicht über eine spezielle, eigens normierte Zuständigkeitsanknüpfung begründet. Im Folgenden sollen die für die Begründung eines einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstandes benötigten Bestimmungen des COMI analysiert und deren Effizienzbeitrag in dem europäischen Konzerninsolvenzrechtssystem genauer ermittelt werden. Ein spezieller Fokus wird auf der Frage liegen, wie der europäische Gesetzgeber mit der bisherigen Unsicherheit bei der Kriterienauswahl im Zusammenhang mit der Bestimmung des COMI und der diesbezüglich ergangenen Rechtsprechung des EuGH umgegangen ist. Die unterschiedliche COMI-Auslegung der Gerichte hatte dazu geführt, dass ein unerwünschtes Forum Shopping in Form einer Gerichtsstandswahl bei festgelegtem Sachverhalt entstehen konnte. Dieser Pervertierung des Verordnungstextes war durch den europäischen Gesetzgeber normativ entgegenzuwirken. II. Bestimmung des COMI An die ergangene Rechtsprechung des EuGH, insbesondere in den Rechtssachen Eurofood und Interedil,168 knüpfte die Reform der EuInsVO an und zeichnet diese normativ nach, indem ErwG 13 EuInsVO a. F. direkt in den Normtext eingebettet wurde.169 Eine Konkretisierung der Terminologie des COMI folgt nun direkt aus Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EuInsVO.170 Dieser liegt danach an dem „Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist“.

167 OGH ÖJZ 2007, 325, 327; Re BRAC Rent-A-Car International, High Court (Ch) v. 7.2.2003, [2003] EWHC (Ch) 128 = ZIP 2003, 813, 815; Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 3 Rn. 6; Prütting in: Breitenbücher/Ehricke, Insolvenzrecht 2003, 2003, 59, 74; Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 15; Wimmer, ZInsO 2001, 97, 99; ders., ZInsO 2005, 119, 121. 168 Siehe hierzu ausführlich S. 52 ff. 169 Angeregt wurde dies schon in der Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Anhang Teil 2 2.2; der Gesetzgeber ist damit den Stimmen aus der Praxis gerecht geworden, die sich in der Konsultation im Vorfeld der Reform dafür ausgesprochen hatten, dass die Rechtsprechung des EuGH zur Klarstellung der Kriterien des COMI auch innerhalb des Normtextes dienlich sein sollte. Siehe COM(2012) 743 final (DE), S. 10. Durch die Integration der Rspr. in den Normtext wurden ebenso die Forderungen des Heidelberg-Vienna Reports umgesetzt, Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-LuxembourgVienna Report, 2014, S. 16 Rn. 65 ff. Vgl. in der Literatur Bayer/J. Schmidt, BB 2013, 3, 8, dies., BB 2015, 1731, 1738; Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 6. Aufl. 2018, 17.22; Mock, GPR 2013, 156, 157; Prager/Keller, NZI 2013, 57, 58 f.; Bork/van Zwieten/Ringe, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 3.25; J. Schmidt, KTS 2015, 19, 43; Thole, ZEuP 2014, 39, 52; Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 551. 170 Die Beschreibung des COMI lieber im Rahmen der Definitionen des Art. 2 EuInsVO verorten wollend Reuß, EuZW 2013, 165, 167.

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Durch die ausdrückliche Integration dieser Formulierung in den Normtext soll Rechtssicherheit gewährleistet werden.171 Dies geschieht zum einen, indem die Unsicherheiten bei der Bestimmung des COMI – mit einer zumindest nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EuInsVO klaren Positionierung für den effektiven Hauptverwaltungssitz als maßgebliches Entscheidungskriterium – beseitigt werden. Damit möchte man zukünftige Kompetenzkonflikte zwischen den Insolvenzgerichten abschließend verhindern. Zum anderen wird die Rechtssicherheit dadurch gestärkt, dass der Erkennbarkeit des COMI im Vorfeld eine erhöhte Bedeutung beigemessen wird, da Rechtssicherheit für Dritte eine Vorhersehbarkeit in Form der Feststellbarkeit des COMI für Dritte erfordert. Diese beiden Faktoren sind insbesondere für die Gläubiger von erheblicher Bedeutung, da eine Bestimmtheit der COMI-Kriterien und damit die Vorhersehbarkeit des Gerichtsstandes sowie das aus dem Zuständigkeitsort resultierende anwendbare materielle Recht wesentliche Entscheidungsgrundlagen bei einer Risikoanalyse im Zuge einer Investitionsentscheidung sind.172 Für die Gläubiger ist es elementar, Informationen über das anwendbare Recht zu besitzen, um daraus unter anderem die Rangstellung ihrer Forderungen im Falle einer Insolvenz zu bestimmen. Wäre ein Insolvenzgerichtsstand für die Gläubiger ex-ante unkalkulierbar, würde das daraus entstehende Risiko über erhöhte Kreditkosten und verschärfte Kreditbedingungen bei der Kreditvergabe eingepreist werden.173 Durch erhöhte Vorhersehbarkeit und damit Rechtssicherheit soll gewährleistet werden, dass Gläubiger auch weiterhin im europäischen Raum investieren und es zu einer effizienten Allokation von Kapital und einer echten Kapitalmarktunion kommt.174

Prager/Keller, NZI 2013, 57, 59. EuGH Urt. v. 2.5.2006, Eurofood IFSC, C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281, Rn. 33; EuGH Urt. v. 15.12.2011, Rastelli Davide e C., C-191/10, ECLI:EU:C:2011:838, Rn. 33; von „rechtlichen Risiken” sprechend Re Daisytek-ISA I, High Court of Justice Leeds v. 16.5.2003, [2004] BPIR 30 = NZI 2004, 219, 221 Rn. 15; die Entscheidungen des EuGH umsetzend AG Hamburg EuZW 2006, 287, 288; in der Literatur bezüglich dieser Kriterien Fletcher in: Moss/Fletcher/Isaacs, The EC Regulation on Insolvency Proceedings, 2002, Anm. 3.10.; Jault-Seseke/Robine, RCDIP 95 (2006), 811, 819; Kübler in: FS Gerhardt, 2004, 527, 551 f.; Lüer in: FS Greiner, 2005, 201, 208; Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 3 Rn. 18; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 651; Prager/Keller, NZI 2013, 57, 59; ebenso diese Richtung deutend Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 75. 173 GA Francis G. Jacobs, SchlA v. 27.9.2005, Eurofood IFSC, C-341/04, ECLI:EU:C:2005:579, Rn. 118 u. 124; In der Lit. u. a. Menjucq, JCP G 2006 II, 10089, 1128 ff.; Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 3 Rn. 20. 174 Bezüglich des Zusammenhangs zwischen Rechtssicherheit und der effizienten Allokation von Kapital siehe ausführlich S. 92. 171

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1. Vermutungsregelung für den satzungsmäßigen Sitz Nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 S. 1 EuInsVO wird bei Gesellschaften oder juristischen Personen – unverändert zur EuInsVO a. F. – bis zum Beweis des Gegenteils widerlegbar vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort ihres satzungsmäßigen Sitzes ist.175 Lässt sich kein anderes COMI bestimmen, ist der satzungsmäßige Sitz also zwingend maßgeblich für das forum concurus.176 Es ist anzunehmen, dass sich dort die Mehrzahl der Gläubiger und der größte Teil des Schuldnervermögens befinden.177 Dies gilt sogar dann, wenn zu dem Zeitpunkt, in dem der Insolvenzantrag gestellt wird, bereits eine Löschung der Gesellschaft stattgefunden hat.178 Der Satzungssitz ist ein leicht feststellbarer Umstand, der den Anknüpfungspunkt der internationalen Zuständigkeit vorhersehbar gestalten kann.179 Aus diesem Grund ist es konsequent, an ihm als entscheidendes Merkmal festzuhalten und eine gewisse Grundsicherung der Vorhersehbarkeit des Gerichtsstandes zu gewährleisten.180 Eine unwiderlegbare Vermutung für den Satzungssitz als COMI hätte zwar den Reiz, dass es zu einer Synchronisation zwischen Insolvenz- und Gesellschaftsstatut nach der Gründungstheorie kommen würde und eine Rechtsaufspaltung zwischen anwendbarem Insolvenz- und Gesellschaftsrecht vermieden wäre.181 Eine Anknüpfung ausschließlich an den formal begründeten Satzungssitz hätte 175 Die Group for International & European Studies of the Autonomais University of Barcelona hatten nach dem Urteil des EuGH zu Eurofood empfohlen in den Verordnungstext der EuInsVO aufzunehmen, dass der mind of management-Ansatz allein die Vermutung für den Satzungssitz nicht durchbrechen kann, IILR 2011, 336, 337. Dem wurde richtigerweise nicht gefolgt, da das mind of management grundsätzlich aufgrund seiner mangelnden Vorhersehbarkeit abzulehnen ist und dies durch die Verordnung schon genügend zum Ausdruck gebracht wird. 176 BGH NJW 2012, 936, 936; Huber, ZZP 114 (2001), 133, 141; Prütting in: Breitenbücher/Ehricke, Insolvenzrecht 2003, 2003, 59, 74; Smid, DZWIR 2004, 397, 401. 177 Weller, ZHR 169 (2005), 570, 578; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 91. 178 EuGH Urt. v. 20.10.2011, Interedil, Rs. C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671, Rn. 55 ff. 179 Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 105. 180 Von einer „verfehlten Vermutungsregelung“ sprechend und eine Vermutungswirkung der effektiven Hauptverwaltung vorschlagend, die entkräftet werden könne, wenn eine (nicht näher spezifizierte) Gesamtbetrachtung ergäbe, dass – aus Sicht der Gläubiger – ein anderer Ort das COMI begründe, Thole, ZEuP 2014, 39, 54 f. Bei diesem Vorschlag spielt der Satzungssitz zur Feststellung des COMI nahezu keine Rolle mehr, wodurch für jedes Unternehmen eine aufwendige Prüfung des Ortes der effektiven Hauptverwaltung zu erfolgen hätte. Im Sinne eines effizienten Insolvenzverfahrens sollte allerdings an der Vermutungswirkung des Satzungssitzes festgehalten werden, da sich in der Praxis alle COMI der insolventen Unternehmen über diese Vermutungswirkung bestimmen lassen können. Sofern die effektive Hauptverwaltung allerdings an einem anderen Ort als dem Satzungssitz ausfindig gemacht wird, ist zwangsweise eine Widerlegung zu prüfen. 181 Dies vorschlagend Eidenmüller, KTS 2009, 137, 158 f.

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jedoch ein unbefriedigendes Ergebnis zur Folge. Das COMI würde seinen ihm innewohnenden Charakter, den Ort zu beschreiben, zu dem das Unternehmen seine engste Verbindung hat, verlieren.182 Bei Konzernstrukturen – man denke insbesondere an eine Holdingmatrix, bei welcher das Mutterunternehmen aus steuerlichen Gründen in einem anderen Staat liegt – hat die Vermutung jedoch als unerwünschte Konsequenz, dass die Hauptinsolvenzverfahren der jeweiligen Konzernunternehmen in den unterschiedlichen betroffenen Jurisdiktionen eröffnet werden müssen. Lediglich wenn die Vermutung widerlegt wird, ist die Schaffung eines einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstandes möglich. Daher ist im Folgenden zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen solch eine Widerlegung stattfinden kann. 2. Die Widerlegbarkeit der Vermutung Nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 S. 1 EuInsVO sollte bei Gesellschaften die Annahme, dass der Sitz jeweils der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ist, widerlegbar sein. Konkretisiert wird diese Widerlegungsmöglichkeit über ErwG 30 S. 1 und 2 EuInsVO, wonach das jeweilig angerufene Gericht sorgfältig zu prüfen hat, ob sich das COMI des Schuldners tatsächlich in diesem Staat als Satzungssitzstaat befindet. Eine Widerlegung soll nur dann eingreifen, wenn die (effektive) Hauptverwaltung der Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat angesiedelt ist als in dem Mitgliedstaat, in dem sich der Sitz der Gesellschaft befindet, und wenn eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Faktoren, die von Dritten überprüfbare Feststellung zulässt, dass sich auch der tatsächliche Mittelpunkt der Verwaltung und der Kontrolle der Gesellschaft sowie der Verwaltung ihrer Interessen in diesem anderen Mitgliedstaat befindet. Diese Formulierung entstammt aus dem Interedil-Urteil des EuGH.183 Die Verordnung stellt damit ausdrücklich auf die effektive Hauptverwaltung als ausschlaggebendes Kriterium ab und hält an der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung fest.184 Darüber hinaus wird – in Übereinstimmung mit der vor der vor der Reform bestehenden grundlegenden Kritik – eine objektive Erkennbarkeit für Dritte als Voraussetzung für eine Widerlegung hinzugefügt.185 So wie es der EuGH in Interedil vorgegeben hatte 186 und ErwG 30 S. 2 EuInsVO suggeriert, erscheint es ferner möglich, dass über die effektive Siehe zu diesem Charakter mehr auf S. 117 ff. EuGH Urt. v. 20.10.2011, Interedil, C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671, Rn. 52 ff.; vgl. COM(2012) 744 final (DE), S. 7. 184 Somit wurden beiden Forderungen des Heidelberg-Vienna Reports umgesetzt, um die Rspr. des EuGH besser zu verdeutlichen, Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, 2014, S. 16 Rn. 65 ff. 185 Mock, GPR 2013, 156, 157. 186 EuGH Urt. v. 20.10.2011, Interedil, C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671, Rn. 52. Siehe hierzu ausführlich S. 114 ff. 182

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Hauptverwaltung hinaus noch weitere Kriterien – wie z. B. der Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit nach der business activity-Theorie oder der Belegenheitsort der Vermögenswerte – unterstützend zur Widerlegung des Satzungssitzes herangezogen werden können.187 Andere gehen sogar noch einen Schritt weiter. Die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15.11.2011 sowie der Bericht des Rechtsausschusses zum Kommissionsentwurf erwähnen weitere Faktoren nicht im Zusammenhang mit der Widerlegung des Satzungssitz durch die effektive Hauptverwaltung, sondern lassen glauben, dass diese sogar eigenständig bei der Festlegung des COMI relevant sein können.188 Als Kriterien kommen vor allem die Belegenheit wesentlicher Vermögenswerte, die nach außen erkennbare hauptsächliche Abwicklung der Geschäftstätigkeit, der Mittelpunkt der operativen Tätigkeiten oder der Produktionstätigkeiten sowie der Aufenthaltsort der Arbeitnehmer189 in Betracht. Insbesondere Änderungsantrag 6 der legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5.2.2014 formuliert eindeutig, dass weitere Kriterien nicht nur additiv zur Widerlegung durch die Hauptverwaltung heranzuziehen sind, sondern sogar autonom ein COMI begründen können sollen. Für diese Lesart spricht, dass nach dem Änderungsantrag die „Vermutung [...] insbesondere dann widerlegt werden können [sollte], wenn sich die Hauptverwaltung der Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat befindet als der Sitz“.190 Ebenso wurde in dem Änderungsantrag am Ende des Erwägungsgrundes der Passus gelöscht, nach welchem eine „Widerlegung der Vermutung [...] hingegen nicht möglich sein [sollte], wenn sich die Verwaltungs- und Kontrollorgane einer Gesellschaft am Ort ihres Sitzes befinden und die Verwaltungsentscheidungen der Gesellschaft in für Dritte feststellbarer Weise an diesem Ort getroffen werden“. Diese Textpassage war ein wesentlicher Entscheidungsgrund im Interedil-Urteil.191 Wenn die Rechtsprechung des EuGH hinsichtlich der Bestimmung des COMI hätte unverändert übernommen werden sollen, wäre nicht verständlich, warum dieser Teil gelöscht wurde. Das Motiv 187 Der Bundesrat ist in seiner Stellungnahme zum Kommissionsvorschlag der EuInsVO davon ausgegangen, dass lediglich die Hauptverwaltung das ausschlaggebende Kriterium darstellen soll und begrüßt, dass der Streit hinsichtlich der Bestimmung des COMI damit beendet ist, BR-Drs. 777/12(B), S. 2 Nr. 5. Die Interpretation des damaligen ErwG 13a EuInsVO-E war zu dem Zeitpunkt zwar möglich, geriet allerdings zu kurz. 188 Eindeutig hervorgehoben durch Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Anlage Teil 2 2.2 sowie im Bericht des Rechtsausschusses zum Kommissionsvorschlag, JURI-Bericht, A7-0481/2013, Begründung zu Änderungsantrag 6. 189 Die Arbeitnehmer spielen auch im neuen deutschen nationalen Konzerninsolvenzrecht bei der Begründung eines Gruppen Gerichtsstandes gem. § 3a Abs. 1 S. 2–4 InsO im Zusammenhang des Tatbestandsmerkmals der „nicht nur untergeordnete[n] Bedeutung“ des Schuldners eine maßgebliche Rolle. 190 Legislative Entschließung des EP v. 5.2.2014, P7_TA(2014)0093, Änderungsantrag 6 (Hervorhebungen durch den Autor geändert). 191 EuGH Urt. v. 20.10.2011, Interedil, C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671, Rn. 53.

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dieses Änderungsantrages kann nur darin begründet liegen, Kriterien, die nichts mit der effektiven Hauptverwaltung zu tun haben, zur eigenständigen Begründung des COMI heranziehen zu können, wenngleich sich der satzungsmäßige Sitz sowie die effektive Hauptverwaltung in anderen Staaten befinden. Der Einsetzung des Wortes „insbesondere“ ist der Gesetzgeber in der Endfassung nicht nachgekommen, der Streichung der Textpassage wurde hingegen entsprochen. Grund hierfür konnte sein, die ohnehin ausufernden Erwägungsgründe kurz zu halten, da auch ohne den Zusatz eindeutig klargestellt wurde, dass von der Rechtsprechung des EuGH nicht abgerückt werden sollte. So spielt in der Endfassung nach ErwG 30 S. 3 EuInsVO die Belegenheit des Vermögens als weiteres Kriterium lediglich im Zusammenhang mit natürlichen Personen eine COMI-begründende Rolle.192 Dieser Abschnitt wurde erst nach den Änderungsanträgen der Entschließung des Europäischen Parlaments hinzugefügt und kann als Argument dafür dienen, dass eine Evaluation der Vorschläge des Parlaments ergeben hatte, dass der Belegenheitsort der Vermögensgegenstände nur im Zusammenhang mit natürlichen Personen COMI-begründend wirken kann. Bei der Widerlegung des Satzungssitzes sollen weitere Kriterien hingegen nur unterstützend hinzugezogen werden können. An der Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH lässt allerdings zweifeln, dass sogar die Gesetzesmaterialien der Kommission zum Teil nicht von dem business activity-Ansatz ablassen konnten und diesen weiterhin vereinzelt als maßgeblichen Bezugspunkt zur Bestimmung des COMI heranzogen. So wird in dem Bericht der Kommission ausgeführt, dass die für das COMI relevanten Kriterien an dem Ort erfüllt sind, „an dem der Schuldner seine Geschäftstätigkeit ausübt oder den Sitz seiner Hauptverwaltung hat“.193 Liest man allerdings weiter, äußert sich die Kommission an spätere Stelle im Zusammenhang mit der Insolvenz von Unternehmensgruppen insofern, als zur Bestimmung des COMI die Kriterien der Finanzierung, der Kontrolle und der Lenkungsfunktion als entscheidend herangezogen werden sollen.194 In ihrem 192 Im Zusammenhang mit natürlichen Personen hat auch Generalanwältin Sharpston in den Schlussanträgen zur Rechtssache Smid den Ort des Schuldnervermögens zur Ermittlung des COMI herangezogen, GA Sharpston, SchlA v. 10.9.2013, Schmid, C-328/12, ECLI:EU:C:2013:540, Rn. 30. Daher lassen sich diese Schlussanträge nicht als Begründung dafür nützen, dass das Schuldnervermögen auch im Zusammenhang mit Unternehmensinsolvenzen eine Rolle spielen sollte. So jedoch Kindler, KTS 2014, 25, 31. 193 COM(2012) 743 final (DE), S. 10 (Hervorhebungen durch den Autor); unterstützend auch der Kompromissvorschlag des Ratsvorsitzes v. 3.6.2014, Ratsdok. 10284/14 ADD1 (DE), S. 10 Fn. 19, wobei hiernach die Geschäftstätigkeit nicht COMI-begründend sein muss und der Verweis auf die Adresse der Geschäftstätigkeit mehr in Richtung der effektiven Hauptverwaltung deutet als den Ort der Geschäftsausübung selbst beschreibt. 194 COM(2012) 743 final (DE), S. 18. Das Europäische Parlament spezifizierte ebenfalls seine Kriterien bei der Bestimmung eines einheitlichen Gerichtsstandes im Zusammenhang mit dem Vorschlag zur Verfahrenskonsolidierung von insolventen Unternehmensgruppen vor der Reform insofern, als das Verfahren in dem Mitgliedstaat eröffnet werden sollte, in

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Vorschlag zur Änderung der EuInsVO weist die Kommission überdies darauf hin, dass für die Gerichte bei der Bestimmung des COMI vor allem maßgeblich ist, woher die Finanzierung der Unternehmen stammt und wer die Kontrolle über das operative Geschäft innehat. Es können beispielsweise Genehmigungsvorbehalte bei Anschaffungen ab einem gewissen Schwellenwert bestehen. Des Weiteren kann die Lenkungsfunktion bei Personalentscheidungen oder die Verantwortlichkeit bei der Zentralisierung bestimmter Funktionen im Unternehmen (beispielsweise IT oder Corporate Identitiy) entscheidungsrelevant werden.195 Konkretisierungen bezüglich des Ortes der wirtschaftlichen Tätigkeit finden keine Erwähnung. Die zuvor erwähnte Passage, die für eine Gleichrangigkeit der business activity-Theorie und des Ortes der effektiven Hauptverwaltung spricht, stellt lediglich eine sprachliche Ungenauigkeit dar. Es sollte vermutlich darauf hingewiesen werden, dass beide Ansätze bei der COMI-Bestimmung relevant werden können. Eine eigenständige Fähigkeit zur Begründung des COMI kann der der business activity-Theorie nicht zugeschrieben werden. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber den EuGH dahingehend lenken wollte, in seiner zukünftigen Rechtsprechung einen neuen Weg einzuschlagen. Hätte er die Rechtsprechung tatsächlich modifizieren wollen, wäre dies klarer zum Ausdruck gebracht worden. Ob dieser Weg des Gesetzgebers und der Rechtsprechung vollumfänglich zu begrüßen ist oder weitere Kriterien nicht doch eine Stärkung erfahren sollten, um eigenständig ein COMI zu begründen, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Die EuInsVO richtet sich bei der Bestimmung des COMI ersichtlich an dem Gedanken der engsten Verbindung aus, welcher dem internationalen Privatrecht zugrunde liegt. Es soll auf den Ort abgestellt werden, zu dem der Schuldner tatsächlich einen konkreten Bezug hat, und nicht unreflektiert der Ort des Satzungssitzes herangezogen werden, der zum Zeitpunkt der Gründung oder später durch Verlegung bestimmt wurde.196 Gefordert wird ein lokalisierbarer Schwerpunkt von gewisser Dauer und Beständigkeit.197 Zweck des COMI ist es, dasjenige Gericht für zuständig zu erklären, welches die größte Sachnähe zu dem Verfahren aufweist.198 Nur so kann die Effizienz des dem sich die Hauptverwaltung der Gruppe befindet, Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Anlage Teil 3 1. A. 195 Mit Verweis auf das Urteil des High Court vom 16.5.2003 in der Rechtssache Daisytek-ISA I siehe COM(2012) 744 final (DE), S. 18; SWD(2012) 416 final (EN), S. 16. 196 COM(2012) 744 final (DE), S. 7; SWD(2012) 416 final (EN), S. 19; Duursma/ Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447, 448; Ehricke in: Aufbruch nach Europa, 2001, 337, 340 Fn. 14; ders., EWS 2002, 101, 103; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 543; Mankowski, NZI 2004, 450, 451; Prager/Keller, NZI 2013, 57, 59; Weller, ZHR 169 (2005), 570, 578; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 91. 197 Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 3 Rn. 6; Potthast, Probleme eines Europäischen Konkursübereinkommens, 1995, S. 93. 198 Wimmer, ZInsO 2005, 119, 121.

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Verfahrens gewährleistet werden. Daher ist es zu begrüßen – gar notwendig, weiterhin das COMI als Zuständigkeitskriterium heranzuziehen und nicht nur auf den Satzungssitz abzustellen.199 Anderenfalls wäre es möglich, durch eine gezielte Festlegung des Satzungssitzes eine Justiz anzusteuern, die durch Ineffizienzen im Zusammenhang mit dem Gläubigerschutz bekannt ist, und damit den Gläubigerschutz negativ zu beeinträchtigen.200 Indem der Gesetzgeber und der EuGH im Zusammenhang von Unternehmensinsolvenzen einen Primat der effektiven Hauptverwaltung bei der Bestimmung des COMI erklärt haben und weitere Kriterien, wie die tatsächliche Geschäftstätigkeit oder der Belegenheitsort der Vermögensmassen, nur unterstützend herangezogen werden, wird der Gedanke der engsten Verbindung übergangen.201 Kriterien für die größte Sachnähe sind abstrakt schwer festzusetzen, da jedes Konzernunternehmen aufgrund unterschiedlicher Faktoren einem Ort verbunden ist.202 Entscheidend wird der nach objektiven Kriterien zu bestimmende Ort sein, an dem der vom Rechtssetzer verfolgte Ziele-Mix des Insolvenzverfahrens bestmöglich erreicht wird.203 Sollte sich ergeben, dass der Ort der tatsächlichen Geschäftstätigkeit bzw. der Belegenheitsort der Vermögensmassen das COMI unabhängig von der effektiven Hauptverwaltung und dem Satzungssitz sachnäher begründen kann, sollte das Gesetz einer Zuständigkeitsbegründung an diesem Ort nicht im Wege stehen.204 Nur so kann man dem Verordnungsziel eines effizienten grenzüberschreitenden Insolvenzverfahrens am besten gerecht werden.205 Es könnte sonst der Fall eintreten, dass eine zum Großteil ausländische Gläubigerschaft lediglich über ein dem Hauptinsolvenzverfahren untergeordnetes 199 Für den Satzungssitz als entscheidendes Kriterium Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 480 ff.; ders., MJ 1 (2013), 133, 143, 145 u. 150. 200 Mit Verweis auf die Insolvenzverfahren in Italien, welche je nach OLG-Bezirk zwischen 7 bis 12 Jahre dauern Kindler, KTS 2014, 25, 33. 201 Bei der COMI-Bestimmung geht es um die Auffindung des „Gravitationszentrums“ des Schuldners, Reuß, EuZW 2013, 165, 168; es muss der Ort gefunden werden, „zu dem Schuldner und schuldnerisches Unternehmen/Vermögen einen konkreten Bezug haben“, Albrecht, ZInsO 2013, 1876, 1882; a. A. Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 552, welche bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung noch stärker an „robuste“ Umstände“ anknüpfen wollen. 202 Die Sachnähe wird sich allerdings oft hinsichtlich des Ortes ergeben, an dem der Großteil des Schuldnervermögens belegen ist und an dem die Mehrheit der Gläubiger zu finden sind, Laukemann, RIW 2005, 104, 104; Stadler in: Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency, 2011, 13, 16. 203 Eine Widerlegung der Vermutung für den Satzungssitz konnte im Fall EMBIC I nicht erbracht werden, AG Mönchengladbach NZI 2004, 383, 384 („EMBIC I“), näheres in Anm. Bähr/Riedemann, ZIP 2004, 1067 ff.; Huber in: FS Heldrich 2005, 679, 688; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 93. 204 Kindler, KTS 2014, 25, 31; Reuß, Forum Shopping, 2011, S. 151 ff.; ders., EuZW 2013, 165, 167 f.; andeutend Kindler/Sakka, EuZW 2015, 460, 462. 205 Kindler, KTS 2014, 25, 31.

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Sekundärinsolvenzverfahren einen vereinfachten Zugriff auf die in ihrem Staat belegenen Vermögensmassen bekommen könnte und das Insolvenzgericht des Hauptinsolvenzverfahrens einen für die Gläubiger ausländischen Insolvenzverwalter bestellen würde, nur weil die effektive Hauptverwaltung und der Sitz des Unternehmens im Ausland angesiedelt sind. Die Annahmen, dass der Ort der effektiven Hauptverwaltung das COMI zu bestimmen hat, stellt nur die Vermutung dar, dass sich dort die Mehrzahl der Gläubiger und die Hauptmasse des Schuldnervermögens befinden. 206 Kommt es zu einer Abweichung zwischen dem Ort der engsten Verbindung und dem der effektiven Hauptverwaltung, ist ein Festhalten an dem Ort der effektiven Hauptverwaltung als COMIbegründend sinnwidrig.207 Aus diesem Grund ist es zu begrüßen, dass der europäische Gesetzgeber während des Gesetzgebungsprozesses die Passage aus den Erwägungsgründen gelöscht hat, nach welcher eine Widerlegung der Vermutung für den Satzungssitz nicht möglich ist, wenn das COMI auf Basis der effektiven Hauptverwaltung bestimmt wurde. Wenngleich dies aus anderen Intentionen geschah, wurde damit die Möglichkeit geschaffen, dass der EuGH in Zukunft seine Rechtsprechung – ohne contra legem zu handeln – modifizieren kann und weitere von der effektiven Hauptverwaltung unabhängige Kriterien zur eigenständigen Begründung des COMI herangezogen werden können. Zu bemängeln ist, dass der Gesetzgeber keine ausdrückliche Flexibilität bei der Bestimmung des COMI in Übereinstimmung mit dem eigentlichen Entscheidungskriterium, der engsten Verbindung des Verfahrensortes zu dem Schuldner, normiert hat.208 Gerade im Zusammenhang einer Konzerninsolvenz wäre solch eine Flexibilisierung ganz im Sinne des Effizienzziels. Wenn sich für alle Konzernunternehmen ergibt, dass ihre COMI an einem anderen Ort als dem der effektiven Hauptverwaltung angesiedelt sind, sollten sich die Insolvenzverfahren an diesem Ort konzentrieren können. Es ist zu wünschen, dass sich der europäische Gesetzgeber – im Sinne einer einheitlichen und kohärenten europäischen Rechtsordnung – für klare Kriterien bei der Bestimmung des COMI, ausgerichtet an dem Ort der engsten Verbindung, öffnet. 3. Der Missbrauchsvorbehalt bezüglich Gerichtsstandsverlagerungen Mit der Konkretisierung des COMI-Merkmals durch den EuGH wurde zwar dem Problem begegnet, dass durch eine zu weite COMI-Auslegung die nationalen Gerichte einen faktischen Konzerngerichtsstand begründen konnten, ohne dass die Vorhersehbarkeit des Gerichtsstandes gesichert war. Nach wie 206 Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447, 448; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 3 Rn. 14. 207 Ebenso Kindler, KTS 2014, 25, 31. 208 Dies sogar mit einem Regelungsvorschlag untermalend Reuß, Forum Shopping, 2011, S. 349 f.; ders., EuZW 2013, 165, 168.

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vor unverändert bestand jedoch die Möglichkeit, das COMI vor Insolvenzeröffnung eigens zur COMI-Begründung durch Sachverhaltsveränderungen zu verlegen und sich damit die anwendbare lex fori concursus auszusuchen.209 Im Folgenden ist zu analysieren, in welchen Fällen eine durch das Gesetz missbilligte betrügerische oder missbräuchliche Gerichtsstandsverlagerung vorliegt. Sobald der genaue Anwendungsbereich eines zu missbilligenden Forum Shoppings im Zusammenhang mit der COMI-Verlagerung bestimmt wurde, ist die durch die Reform eingefügte Retrospektivfrist als gesetzliches Mittel zur Verhinderung dieses Forum Shoppings auf ihre Geeignetheit zu überprüfen. a) Betrügerische oder rechtsmissbräuchliche Gerichtsstandsverlagerungen Im Kapitel zum Verordnungszweck wurde bereits festgestellt, dass ein zu missbilligendes Forum Shopping im Sinne des ErwG 29 i. V. m. ErwG 5 EuInsVO dann vorliegt, wenn Vermögensgegenstände oder Gerichtsverfahren durch die Beteiligten von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegt werden, um auf diese Weise eine günstige Rechtsstellung zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger zu erlangen.210 Eine klare Unterscheidung zwischen betrügerischem und missbräuchlichem Forum Shopping gibt das europäische Recht im Allgemeinen nicht vor.211 Daher muss für den Regelungsbereich des europäischen Insolvenzrechts ein autonomes Konzept entwickelt werden. Entgegen der Systematik, nach welcher ein betrügerisches und missbräuchliches Forum Shopping nur Unterfälle des aus der Legaldefinition in ErwG 5 EuInsVO vorgegebenen Anwendungsbereichs darstellen können, sollte ein betrügerisches Forum Shopping in Fällen angenommen werden, in denen durch Täuschung über Tatsachen eine korrekte Sachverhaltsermittlung verhindert wird. 212 Erfolgt eine Verlegung nur zum Schein, sodass das COMI tatsächlich am alten Ort verbleibt, liegt demnach ein betrügerisches Forum Shopping vor. Die EuInsVO braucht hierfür jedoch grundsätzlich kein eigens implementiertes Instrument, da eine scheinbare, aber tatsächlich nicht stattgefundene COMI-Verlegung am neuen Ort keinen Gerichtsstand begründen kann. Das COMI ist weiterhin 209 Die Intensität von Forum Shopping soll auch nach der Eurofood-Entscheidung nicht abgenommen haben, vgl. Eidenmüller, KTS 2009, 137, 140. 210 Die Kommission erweckt in SWD (2012) 416 final (EN), S. 21 f. sowie SWD (2012) 417 final (DE), S. 6 noch den Eindruck, dass allein nach erlaubtem Forum Shopping von Unternehmen und unerlaubtem Forum Shopping von natürlichen Personen unterschieden wird. Diese Feststellung wäre jedoch – wie nachfolgend dargestellt – zu simplifizierend. Siehe hierzu auch Eidenmüller, MJ 1 (2013), 133, 143 f. 211 Eidenmüller, KTS 2009, 137, 143. Selbst der EuGH durchmischt diese Begriffe oftmals, vgl. EuGH Urt. v. 9.3.1999, Centros, C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, Rn. 24 ff. 212 Generell zu betrügerischem Handeln im Zusammenhang einer Gerichtsstandsverlagerung Eidenmüller, KTS 2009, 137, 144; Fleischer, JZ 2003, 865, 870; a. A. Kjellgren, 11 European Business Law Review (2000), 179, 180, der ein betrügerisches Verhalten als einen speziellen Fall eines Rechtsmissbrauchs einordnet.

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objektiv zu bestimmen und liegt somit nach wie vor am alten Ort.213 Lediglich, wenn aufgrund dieser Täuschung fälschlicherweise eine Eröffnungszuständigkeit an einem anderen Gericht begründet wird, ist zu intervenieren. Diese Fälle sind über die nationalen Rechtsschutzmechanismen des Eröffnungsstaates zu lösen. 214 Tatsächlich handelt es sich also per definitionem um kein Forum Shopping, sondern lediglich um einen Betrugsversuch, der auf die Schaffung eines vermeintlich neuen Forums gerichtet ist. Ein bekannter Fall, in dem ein verbotenes betrügerisches Forum Shopping – sogar mit Gläubigerschädigungsabsicht – durchgeführt werden sollte, ereignete sich in der Insolvenz der Hans Brochier Holding Ltd215 im Jahre 2006. Der hierbei scheinbar vorgenommene COMI-Wechsel von Nürnberg nach London wurde anhand unvollständiger und unkorrekter Sachverhaltsdarstellungen nur vorgegeben, 216 um die Haftungsvorschriften des deutschen GmbHG hinsichtlich der Geschäftsführer und Gesellschafter zu umgehen und gewisse Gläubigergruppen zu bevorzugen, da eine Insolvenzanfechtung nach der englischen lex fori concursus nicht zur Anwendung gelangt wäre.217 Der Missbrauchsvorbehalt aus ErwG 5 EuInsVO zielt nach seinem Anwendungsbereich auf echte Fälle der Gerichtsstandsverlagerung und damit primär auf ein missbräuchliches Forum Shopping ab. Bei einem Rechtsmissbrauch handelt es sich um ein Problem der eigentlich gesetzeskonformen Rechtsanwendung, wobei erst eine teleologische Auslegung die der Handlung zugrunde liegende Zweckwidrigkeit offenbart. 218 Diese Konstellationen bedurften im Zuge der Reform Aufmerksamkeit. Die Aufgabe des Gesetzgebers war es, Merkmale eines missbräuchlichen Forum Shoppings auszumachen und diesen mit einer gesonderten gesetzlichen Anknüpfung zu begegnen.

In diesem Sinne ebenso Wyen, Rechtswahlfreiheit, 2014, S. 128 f. In diesen Fällen den zweifelhaften Weg einer Durchbrechung des Anerkennungszwangs gehend Eidenmüller, KTS 2009, 137, 147; ders., ECFR 2009, 1, 8 ff. 215 Die Hans Brochier Holding Ltd war zusammen mit zwei anderen mit ihr verbundenen Unternehmen Anteilseignerin der Hans Brochier GmbH & Co. KG aus Nürnberg. Als die GmbH Insolvenzantrag stellen musste, traten die anderen Anteilseigner der KG aus, wodurch eine Anwachsung der KG-Anteile an die Hans Brochier Holding Ltd stattfand und somit eine Sitzverlegung nach England vollzogen und dort ebenso Insolvenzantrag gestellt wurde. Vgl. Heckschen in: Reul/Heckschen/Wienberg, InsR in der Gestaltungspraxis, 2012, Kap. N Rn. 1114 f. Der positive Kompetenzkonflikt wurde dahingehend gelöst, dass sich das der High Court of Justice London für unzuständig erklärte, vgl. Hans Brochier Ltd v. Exner, High Court (Ch) v. 15.8.2006, [2006] EWHC 2594 (Ch) = NZI 2007, 187 f., da das AG Nürnberg richtig feststellte, dass das operative Geschäft sowie die Personal- und Finanzverwaltung noch vollständig in Deutschland liegen, AG Nürnberg NZI 2007, 186, 186 f. 216 Hans Brochier Ltd v. Exner, High Court (Ch) v. 15.8.2006, [2006] EWHC 2594 (Ch) = NZI 2007, 187 f.; vgl. Eidenmüller, KTS 2009, 137, 144. 217 Ausführlich Andres/Grund, NZI 2007, 137, 138. 218 Eidenmüller, KTS 2009, 137, 143 f. 213

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Nach dem Wortlaut des ErwG 5 EuInsVO sind für ein missbräuchliches Forum Shopping die Motive des Schuldners für die COMI-Verlegung ausschlaggebend.219 Unbestritten ist, dass die Verlagerung zielgerichtet stattfinden muss, um eine günstigere Rechtsstellung zu erlangen. Solange noch keine Harmonisierung der nationalen Insolvenzrechte in der Europäischen Union stattgefunden hat, wird es allerdings immer attraktiv für Schuldner sein, für die Restrukturierung oder Sanierung das passende Recht auszusuchen.220 Eine Verlagerung ohne Nutzgewinn würde jeglichen Sinns entbehren. Darüber hinaus verlangt ErwG 5 EuInsVO für ein missbräuchliches Forum Shopping noch ein weiteres Merkmal. Aus der angestrebten verbesserten Rechtsstellung des Schuldners muss sich ein Nachteil für die Gesamtheit der Gläubiger entwickeln. Kein missbräuchliches Forum Shopping im Sinne der EuInsVO ist damit jedenfalls in den Fällen anzunehmen, in denen die Gerichtsstandsverlagerung zum Zwecke einer Restrukturierung oder Sanierung im gleichen Zuge die Interessen der Gläubiger wahrt, da die Insolvenzquote nach dem neuen Recht höher ausfallen könnte als bei einer Liquidation oder Restrukturierung bzw. Sanierung nach der zuvor anwendbaren lex fori concursus.221 Bezüglich der genauen Anforderungen im Zusammenhang der Nachteilszufügung ist der Wortlaut jedoch nicht eindeutig. Es ist fraglich, ob eine Gläubigerschädigungsabsicht des Schuldners vorliegen muss oder ob ein objektiver Nachteil für die Gläubiger zur Annahme eines missbräuchlichen Forum Shoppings ausreicht.222 Der Wortlaut des ErwG 5 EuInsVO legt eine Gläubigerschädigungsabsicht als Anforderung an ein missbräuchliches Forum Shopping nahe. Allerdings sind subjektive Merkmale als Internum generell schwer der Beweisführung zugänglich. Es müssen durchdringende Anzeichen für die Manifestierung dieses Willens anhand objektiver Kriterien ersichtlich sein.223 Im Falle von natürlichen Eidenmüller, ECFR 2009, 1, 10; ders., MJ 1 (2013), 133, 144. Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, 2014, S. 109. 221 Die meisten Verlagerungen haben in Richtung England stattgefunden. Diese Tendenz wird durch eine Studie (Davydenko/Franks, Do Bankruptcy Codes Matter? A Study of Defaults in France, Germany and the UK, siehe , Stand: November 2018) gerechtfertigt, nach welcher die Befriedigungsquoten (recovery rates) von Banken im Vereinigten Königreich, im Vergleich zu Deutschland und insbesondere Frankreich, am höchsten Ausfallen. Damit sind jedoch noch keine abschließenden Aussagen über die Auswirkungen auf die Gesamtheit der Gläubiger getroffen. Vgl. Eidenmüller, KTS 2009, 137, 142. 222 Aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH hinsichtlich der Annahme eines Rechtsmissbrauchs ist nicht abzulesen, ob ein subjektives Element eine notwendige Voraussetzung für den Nachteil darstellt, Eidenmüller, KTS 2009, 137, 143. 223 So Wyen, wobei er nachfolgend diese Feststellung wieder kritisch einschränkt, nachdem „die äußeren Umstände einer erfolgreichen Verlegung [...] regemäßig keine zuverlässigen Rückschlüsse auf die zugrunde liegenden Motive zu[lassen]. Insbesondere wird man nicht die Frage stellen können, ob die jeweiligen Veränderungen betriebswirtschaftlich veranlasst waren.“ „Die Motive, aus denen eine Verlegung des COMI erfolgt, sind für die Frage 219

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Personen ist solch ein schädigendes Verhalten dann evident, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen Mitgliedstaat verlegen, um dort in Genuss einer verminderten Restschuldbefreiungsfrist zu erlangen, da es hierdurch zwangsläufig zu einer Schädigung der Gläubiger kommt.224 Bei Unternehmen stellt sich die Situation etwas schwieriger dar. Eine Gerichtsstandsverlagerung erfolgt meistens aufgrund eines geeigneteren Restrukturierungs- oder Sanierungsrechts des Zielstaats. Die Vorzüge dieses Rechts haben oftmals keine unmittelbare Auswirkung auf die Gläubigerinteressen. Zielt die Gerichtsstandsverlagerung auf die Nutzung dieser Vorteile ab, handelt es sich um ein berechtigtes und grundsätzlich schützenswertes Eigeninteresse des Schuldners. Es kann nicht von einer Gerichtsstandsverlagerung auf eine Schädigungsabsicht geschlossen werden. Bei einer präsumtiven COMI-Verlegung müsste demnach positiv festgestellt werden, dass das Handeln tatsächlich von einer Gläubigerschädigungsabsicht geleitet ist und nicht nur eine unbeabsichtigte Begleiterscheinung darstellt.225 Fälle in denen eine Gerichtsstandsverlagerung stattfindet und der Schuldner (nur) positiv weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass eine Gläubigerschädigung durch seine Verlagerung entsteht, könnte nicht als missbräuchliches Forum Shopping qualifiziert werden. Würde man demnach eine Gläubigerschädigungsabsicht für ein missbräuchliches und damit verbotenes Forum Shoppings voraussetzen, wäre dessen Anwendungsbereich erheblich eingeschränkt. Dem Binnenmarktziel wäre nicht gedient. Der Wortlaut des ErwG 5 EuInsVO, der solch eine Gläubigerschädigungsabsicht als Voraussetzung nahelegt, ist teleologisch zu reduzieren. Eine Gläubigerschädigungsabsicht ist somit nicht zu fordern. Ein missbräuchliches Forum Shopping könnte allerdings schon dann angenommen werden, wenn der zielgerichteten besseren Rechtsstellung des Schuldners lediglich ein objektiver Nachteil für die Gesamtheit der Gläubiger gegenüberstünde. Dies würde allerdings ebenso zu einer unbefriedigenden Situation führen. Eine Gerichtsstandsverlagerung wäre zu untersagen, wenn die Rechtsstellung des Schuldners erheblich verbessert, dabei allerdings gleichzeitig ein geringer Nachteil für die Gläubiger entstehen würde. Dies kann im Sinne des Effizienzziels mit Blick auf das Kaldor-Hicks-Kriterium nicht gewünscht sein. Dem Unternehmen müssen gewisse strategische Handlungsspielräume erhalten bleiben, um innerhalb dieser die besten wirtschaftlichen Entscheidungen treffen zu können.226 der internationalen Zuständigkeit mithin ohne Bedeutung.“, Wyen, Rechtswahlfreiheit, 2014, S. 38, 130 f., 134; in diesem Sinne auch Thornley, International Corporate Rescue 2 (2005), 51, 53. 224 Zielland des Insolvenztourismus von natürlichen Personen ist zumeist Frankreich, Eidenmüller, MJ 1 (2013), 133, 144. 225 Wyen, Rechtswahlfreiheit, 2014, S. 131 f. 226 In diesem Sinne urteilte auch die englische obergerichtliche Rechtsprechung: „A debtor must be free to choose where he carries on those activities which fall within the concept of „administration of his interests”. He must be free to relocate his home and his

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Das Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung und der bestmöglichen Allokation der Haftungsmasse, welche stark mit dem Ziel der Verhinderung von Forum Shopping verbunden sind, haben in diesem Falle hinter dem Sanierungsziel zurückzustehen. Nur so kann man dem Effizienzziel gerecht werden. Würde der Gesetzgeber jede Gerichtsstandsverlagerung mit einer Nachteilszufügung für die Gläubiger dem Anwendungsbereich des Verbots von Forum Shopping zuordnen, ergäbe sich überdies ein Konflikt mit den Vorgaben der primärrechtlich garantierten Niederlassungsfreiheit. Das Verbot der Gerichtsstandsverlagerung steht dabei dem Interesse des Schuldners, zum Wohle seines Unternehmens noch im vorinsolvenzlichen Stadium eigennützige und wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen zu treffen, diametral gegenüber.227 Dieses Schuldnerinteresse kann primärrechtlich über die Niederlassungsfreiheit geschützt sein. Es wird allerdings nicht unbeschränkt das Recht gewährt, konkret ein bestimmtes Insolvenzrecht wählen zu können.228 Die Frage der Niederlassungsfreiheit wird demnach zum Lackmustest für den Anwendungsbereich eines verbotenen Forum Shoppings. Zu prüfen ist zunächst, ob der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit bei einer Gerichtsstandsverlagerung tatsächlich eröffnet ist. Nachdem der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit aufgrund mehrdeutiger Formulierungen im Urteilstext der Rechtssache VALE noch umstritten war,229 fand durch die Entscheidung in der Rechtssache Polbud230 eine Klarstellung dahingehend statt, dass der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit auch isolierte business. And, if he has altered the place at which he conducts the administration of his interests on a regular basis - by choosing to carry on the relevant activities (in a way which is ascertainable by third parties) at another place - the court must recognise and give effect to that.“, Malcom Brian Shierson v Clive Vlieland-Boddy, Court of Appeal Civil Divison, NZI 2005, 571, 573 Rn. 55. 227 Unternehmen versuchen oftmals einen Gerichtsstand am High Court London zu begründen, um dort im Zuge des Scheme of Arrangements eine finanzielle Restrukturierung durchzuführen, Reinhart, NZI 2012, 304, 306. 228 Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 486. 229 So ging man (basierend auf EuGH Urt. v. 12.7.2012, VALE Építési, C-378/1, ECLI:EU:C:2012:440, Rn. 34) zum Teil von dem realen Niederlassungsbegriff aus, wodurch die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung im Aufnahmemitgliedstaat auf unbestimmte Zeit vorausgesetzt wurde, vgl. Kindler, EuZW 2012, 888, 888; Roth, ZIP 2012, 1744, 1744 f.; Sonnenberger, RCDIP 103 (2013), 101 ff.; diese Äußerung bloß als Ausfluss des für die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit zu fordernden grenzüberschreitenden Bezugs ansehend Leible in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbH-Gesetz, Bd. 1, 3. Aufl. 2017, Syst. Darst. 2 Rn. 41; anders jedoch schon seit jeher Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 5. Aufl. 2012, § 6 Rz. 59; nach VALE grundlegend Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481, 1486 f.; ebenso Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 6. Aufl. 2018, 7.53; J. Schmidt, ZVglRWiss 116 (2017), 313, 330. 230 EuGH Urt. v. 25.10.2017, Polbud, C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804.

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Satzungssitzverlegungen zu umfassen hat.231 Demnach kann noch nicht ausschließlich infolge der Tatsache, dass die Durchführung des Insolvenzverfahrens im Aufnahmestaat allein aufgrund der Verlagerung stattfinden soll, eine missbräuchliche COMI-Verlagerung angenommen werden. Hierfür bedarf es weiterer Anhaltspunkte. Eine reine Sitzverlegung im Vorfeld der Insolvenz zur COMI-Begründung, die das sonstige Wirtschaften nicht berührt und damit keine tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung im Aufnahmemitgliedstaat auf unbestimmte Zeit enthält, reicht somit zunächst aus, um den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit zu eröffnen.232 Der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ist a maiore ad minus auch dann eröffnet, wenn die effektive Hauptverwaltung zur COMIBegründung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wird. Das Unternehmen integriert sich sogar in die neue Rechtsordnung, indem es seinen allgemeinen Geschäftsbetrieb der neuen Jurisdiktion unterwirft. Ein Eingriff in die Niederlassungsfreiheit in Form des Verbots von Forum Shopping könnte allerdings gerechtfertigt sein. So kann ein Mitgliedstaat basierend auf der Entscheidung zu Centros nach ständiger Rechtsprechung Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass sich einige seiner Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch den AEUV geschaffenen Erleichterungen der Anwendung des nationalen Rechts entziehen.233 Eine spezifische Entscheidung im Zusammenhang einer Verlegung des COMI in Insolvenzkonstellationen ist noch nicht ergangen. Der Verhinderung von Forum Shopping liegen – wie zuvor im Zusammenhang der Zwecke der Konzerninsolvenzvorschriften dargestellt – eine Vielzahl von Sachzielen als zwingende Allgemeininteressen zugrunde, welche zur Rechtfertigung herangezogen werden können.234 Demgegenüber steht das Schuldnerinteresse, von wohldurchdachten Restrukturierungs- und Sanierungsmechanismen zu profitieren und damit das Unternehmen und die Unternehmenswerte zu sichern. 235 Dabei ist zu beachten, dass die EuGH Urt. v. 25.10.2017, Polbud, C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, Rn. 38 ff.; ausführlich dazu Bayer/J. Schmidt, ZIP 2017, 2225 ff. 232 In diesem Sinne schon zuvor Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-LuxembourgVienna Report, 2014, S. 109 f.; sich dem anschließend Fritz, DB 2015, 1882, 1885. 233 EuGH Urt. v. 9.3.1999, Centros, C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, Rn. 18, 24. 234 Vgl. u. a. hinsichtlich des Schutzes der Interessen der Gläubiger, der Minderheitsgesellschafter, der Arbeitnehmer oder auch des Fiskus EuGH Urt. v. 5.11.2002, Überseering, C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632, Rn. 92; EuGH Urt. v. 30.9.2003, Inspire Art, C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512, Rn. 132 ff.; EuGH Urt. v. 13.2.2005, SEVIC, C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762, Rn. 28; EuGH Urt. v. 12.7.2012, VALE Építési, C-378/1, ECLI:EU:C:2012:440, Rn. 39; EuGH Urt. v. 23.10.2007, Kommission ./. Deutschland, Rs. C112/05, ECLI:EU:C:2007:623, Rn. 74, 77; EuGH Urt. v. 21.12.2016, AGET Iraklis, Rs. C201/15, ECLI:EU:C:2016:972, Rn. 73; EuGH Urt. v. 25.10.2017, Polbud, C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, Rn. 54, 58. 235 Dabei ist insbesondere an die flexiblen Mechanismen des englischen Insolvenzrechts zu denken, COM(2012) 473 final (DE), S. 11; SWD(2012) 416 final (EN), S. 20. 231

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Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zwar nicht harmonisiert, aber oftmals vergleichbar sind, sodass zumindest das Argument einer Rechtsspaltung nicht pauschal verwendet werden darf, um ein Verbot der Gerichtsstandsverlagerung als gerechtfertigt und damit als missbräuchlich anzusehen. Nur eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall gibt Aufschluss über die Schutzwürdigkeit der jeweiligen Gerichtsstandsverlagerung. Auf den Anwendungsbereich des Verbots des Forum Shoppings aus ErwG 5 EuInsVO übertragen, ist abschließend festzustellen, dass der Erwägungsgrundtext dahingehend teleologisch zu reduzieren ist, dass ein Forum Shopping in den Fällen untersagt werden sollte, in denen eine Gerichtsstandverlagerung nicht von der Niederlassungsfreiheit gewährleistet ist. Dies ist anzunehmen, wenn die Allgemeininteressen die Schuldnerinteressen im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne überwiegen.236 Diese Gewichtung der Interessen entspricht ganz dem Effizienzziel, welches ebenfalls versucht, eine größtmögliche Interessenswahrnehmung zur Förderung des Binnenmarktes zu gewährleisten. Solange eine Verlagerung des COMI von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist, sollte eine gezielte Verlagerung der effektiven Hauptverwaltungstätigkeit oder des Sitzes eines Konzernunternehmens zur Begründung eines einheitlichen Konzerngerichtsstands möglich sein. b) Praktiken der Mitgliedstaaten und Überlegungen im Gesetzgebungsprozess Welche konkreten Fälle und Praktiken als ein missbräuchliches Forum Shopping zu qualifizieren sind, ist nach wie vor höchst umstritten. So hatten viele tatsächliche COMI-Verlagerungen im Vorfeld der Insolvenz – insbesondere nach England – einen faden Beigeschmack, da sie zu einer Zeit geschahen, in welcher eine Insolvenzeröffnung in England aufgrund der exzessiv-kreativen Rechtsprechung der englischen Gerichte kritisch beäugt wurde. Ausdrücklich in den Gesetzesmaterialen im Zusammenhang einer Gerichtsstandsverlagerung fanden die Insolvenzfälle der DNICK Ltd (ehemals Deutsche Nickel AG)237 und 236 Im Fall der tatsächlichen COMI-Verlagerung wägt Eidenmüller in einer vergleichbaren Weise ab. Zwar sieht er als Gläubigerinteresse lediglich eine Maximierung der Haftungsmasse an, er stellt diese jedoch ebenfalls als entscheidendes Kriterium für die Annahme einer missbräuchlichen COMI-Verlagerung dem Schuldnerinteresse gegenüber. Wenn die Verlagerung von Effizienzgründen getragen ist, soll sie nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Vgl. Eigenmüller, KTS 2009, 137, 150. 237 Die Deutsche Nickel AG als 100 %-ige Tochtergesellschaft der Vereinigte Nickel Werke AG wurde zunächst in die DNICK Ltd & Co. KG umgewandelt, die dann durch Austritt der Kommanditisten und Anwachsung zu der DNICK Ltd mit Sitz in London wurde. Das operative Geschäft wurde in die DNICK Holding plc, einer Tochtergesellschaft der DNICK Ltd eingebracht. Am 29.4.2005 wurde in London über das Vermögen der DNICK Ltd ein administration-Verfahren nach englischem Recht eröffnet. Siehe ausführlich Vallender, NZI 2007, 129, 131 f.

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Schefenacker plc Erwähnung.238 Es wurde allerdings hervorgehoben, dass den Entscheidungen rein wirtschaftliche und damit nachvollziehbare Erwägungen zugrunde lagen. Das COMI wurde dauerhaft von Deutschland in das Vereinigte Königreich verlegt, um das englische company voluntary arrangement zu beantragen, welches einen dept for equity swap und eine Freigabe von Sicherheiten erlaubte. Ohne diese Maßnahmen wären die Unternehmen nicht überlebensfähig gewesen. 239 Ebenfalls Erwähnung fand der Insolvenzfall Damovo and Wind Hellas, in welchem das COMI von Luxemburg in das Vereinigte Königreich verschoben wurde, um von der Möglichkeit zu profitieren, einen pre-packaged administration sale vornehmen zu können.240 Durch dieses Instrument ist einem Unternehmen eine besondere Restrukturierungsoption eröffnet, im Zuge welcher Gläubiger aus ihrer bisherigen Position verdrängt werden können und sich das Unternehmen in eine neue Gesellschaft – befreit von alten Verbindlichkeiten – umwandeln kann.241 Es zeigte sich, dass krisengeschüttelte Unternehmen vermehrt ihre COMI gerade nach England verlagerten (sie wussten ja, welche Kriterien hierfür zu berücksichtigen waren), um vor allem in die Vorzüge des englischen Sanierungs- und Insolvenzrechts – insbesondere des zuvor schon erwähnten company voluntary arrangement-Verfahrens – zu gelangen.242 Darüber hinaus ist das englische Recht interessant, da der Anwendungsbereich der EuInsVO dort erheblich ausdehnt ist.243 So gilt die EuInsVO nach Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Anhang A EuInsVO auch für das englische administration-Verfahren. Dieses Verfahren kann durch den Inhaber einer qualified floating charge eingeleitet werden, ohne dass sich das Gericht bei der Eröffnung vergewissern muss, dass das Unternehmen insolvent ist oder zumindest insolvent zu werden droht.244 Weiter unterstützt wurde der Trend hin zum COMI in England in Konzernkonstellationen vor allem aufgrund der schnellen Insolvenzeröffnung auf der 238 SWD(2012) 416 final (EN), S. 20 Fn. 46; zu beiden Fällen Eidenmüller/Frobenius/Prusko, NZI 2010, 545 ff. 239 SWD(2012) 416 final (EN), S. 20 Fn. 46. 240 SWD(2012) 416 final (EN), S. 20 Fn. 46. 241 SWD(2012) 416 final (EN), S. 21. 242 Eidenmüller, KTS 2009, 137, 140; Windsor/Müller-Seils/Burg, NZI 2007, 7 ff. Unter den generellen Vorzügen sind insbesondere Spielräume bei der Gläubigerautonomie (dem englischen Insolvenzgericht obliegt eine Zurückhaltung beim Eingriff in das Verfahren), eine kurze Verfahrensdauer, verminderte Anfechtungsrisiken und höhere Ausschüttungsquoten zu benennen, Vallender, NZI 2007, 129, 131. Darüber hinaus haben die meist in London angesiedelten Finanzinvestoren wenig Vertrauen in ein ausländisches Insolvenzrecht, Kestler/Striegel/Jesch, NZI 2005, 417, 424 Fn. 81. 243 Solch eine Ausdehnung über den eigentlich vorgesehenen Anwendungsbereich hinaus als ein Missbrauch durch die Mitgliedstaaten ansehend Eidenmüller, KTS 2009, 137, 157. 244 Eingefügt durch den Enterprise Act im Jahre 2002 in § 35(2)(a) Schedule B1 Insolvency Act 1986 c 45. Mehr hierzu Eidenmüller, KTS 2009, 137, 156 f.; Knof, ZInsO 2007, 629, 631.

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Insel, wodurch jedes weitere Hauptinsolvenzverfahren blockiert wurde.245 Auf Basis dieses Gerichtsstandes und der anwendbaren lex fori concursus war es den Gerichten möglich, einen einheitlichen Insolvenzverwalter für alle anhängigen Verfahren zu bestellen.246 Aus deutscher Sicht prominent war das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Holding der PIN-Gruppe, welche aus etwa 100 Gesellschaften bestand. Die Zuständigkeit über das Verfahren wurde durch das AG Köln begründet, da das wesentliche operative Geschäft der Gesellschaft objektiv erkennbar247 einheitlich von Köln aus gesteuert wurde.248 Die Leitungszentrale der Konzernholding wurde hierfür von Luxemburg nach Köln verlegt, wodurch nur eine geringe Geschäftstätigkeit in Luxemburg verblieb.249 Dies geschah im Interesse des Konzernerhalts, um eine Sanierung der Gruppe zu realisieren.250 Da auch die anderen Gruppengesellschaften in Deutschland angesiedelt waren, wurde aus einer internationalen, eine rein nationale Konzerninsolvenz.251 Ob die Verlagerungspraktiken, insbesondere der englischen Gerichte, in diesem Ausmaß von dem europäischen Gesetzgeber als legitimes Mittel zur Restrukturierung und Sanierung toleriert werden sollen, war und ist nach wie vor sehr umstritten. Vor der Reform wurde zumeist der tatsächliche Aufwand, der zu betreiben war, um einen Gerichtsstand zu begründen, als ausreichend angesehen, um ein zu missbilligendes Forum Shopping zu verhindern. 252 245 Vallender, NZI 2007, 129, 129. In Deutschland wird hingegen über die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld das Eröffnungsverfahren oftmals auf drei Monate erstreckt, Wimmer, ZInsO 2005, 119, 120. 246 Verhoeven, ZInsO 2012, 2369, 2371. 247 Dies wird begründet mit Investorenverhandlungen, Bankengesprächen, Stundungsverhandlungen sowie Pressemitteilungen von dem Kölner Standort aus, AG Köln NZI 2008, 257, 258 („PIN II“). 248 AG Köln NZI 2008, 257 ff. („PIN II“). Dem zustimmend Knof/Mock, ZInsO 2008, 253 ff.; Mankowski, NZI 2008, 355, 355; der Verlegung des COMI zunächst den fahlen Beigeschmack eines missbräuchlichen Forum Shoppings beimessend, dies allerdings mit Blick auf den im europäischen Recht immer stärker werdenden Sanierungsgedanken einschränkend Paulus, DB 2008, 2523, 2524. 249 Dies soll nach zutreffender Auffassung des AG Köln nicht im Widerspruch zur Eurofood-Entscheidung des EuGH stehen, AG Köln NZI 2008, 257, 260 („PIN II“). Zur Verlagerung wurden maßgebliche sachliche Unterlagen nach Köln verschoben und dort ein zusätzlicher Chief Restructuring Officer (CRO) eingesetzt, wodurch das Luxemburger Büro zu einer leeren Hülse mutierte, Paulus, DB 2008, 2523, 2524. 250 AG Köln NZI 2008, 257, 260 („PIN II“). 251 AG Köln NZI 2008, 254 ff. („PIN I“). Nicht ganz so prominent, dennoch ähnlich gelagert war der Fall des Automobilzulieferers Edscha, vgl. Westpfahl in: FS Görg, 2010, 567, 584 Fn. 50. 252 Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 179; Thornley, International Corporate Rescue 2 (2005), 51, 52; eine faktische COMI-Verlegung wird meist aufgrund des ohnehin bestehenden Liquiditätsengpasses nicht möglich sei, wodurch das Problem des Forum Shoppings ohnehin selten relevant wird, Smid, Dt. und Europ. Int. InsR, 2004, Art. 3 EuInsVO

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Allerdings zeigte sich in der Praxis – wie zuvor dargestellt –, dass der Reiz der Vorteile einer attraktiven lex fori concursus zu groß war, wodurch ein Insolvenztourismus – zumeist in Richtung England – entstand, der immer öfter missbräuchliche Züge annahm. Eine Missbrauchsregelung zur Verhinderung des Forum Shoppings der eigentlich zuständigen Rechtsordnung war generell unanwendbar. Mitgliedstaatliche Sanktionen konnten erst als Konsequenz einer speziellen lex fori herangezogen werden. 253 Es wäre lediglich an das Rechtsinstitut der fraus legis (Gesetzesumgehung) zu denken gewesen, wodurch man einer zu missbilligenden Zuständigkeitsverlagerung mit einer Anerkennungsdurchbrechung gegenübergetreten wäre. Zwar hätte dies effektiv zur Verhinderung eines missbräuchlichen Forum Shoppings beigetragen, allerdings wäre der wesentliche Grundsatz der Anerkennung außer Kraft gesetzt und damit die Wirkkraft der EuInsVO im Allgemeinen geschwächt gewesen. Es war somit Aufgabe des Eröffnungsstaates, dem Missbrauch des Schuldners mit geeigneten Instrumenten zu begegnen. Es zeigte sich jedoch, dass dieser den problematischen Fällen nur unzureichend nachging. Insbesondere war – zu Recht – kein unionsweiter, ungeschriebener Missbrauchsvorbehalt anzunehmen, der von den Mitgliedstaaten hätte ausgefüllt werden können. Die nationalen Gerichte hätten in diesem Fall eine grundfreiheitliche Rechtfertigungs- und damit Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführen müssen, wodurch die Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands für die Gläubiger gelitten hätte254 und überdies ein inkohärentes System entstanden wäre. Daher entschied sich der europäische Gesetzgeber im Zuge der Reform regelungstechnisch einzugreifen und den Missbrauchstendenzen proaktiv mit einem normierten Instrumentarium entgegenzutreten. In verschiedenen Konzepten wurde überlegt, eine tatsächliche COMI-Verlegung im Vorfeld der Insolvenz für einen gewissen Zeitraum als rechtlich für unbeachtlich zu erklären. Eine zeitliche Komponente zur Konkretisierung des Missbrauchsbegriffes ist schon aus mitgliedstaatlichen Insolvenzrechten 255 bekannt und bereits seit

Rn. 14. Damit der für eine Verlagerung des COMI nötige Aufwand tatsächlich ein Forum Shopping unterbinden kann, ist notwendig, dass ein solcher Aufwand überhaupt entsteht. Daher war es wichtig, der mind of management-Theorie eine Absage zu erteilen, da eine Verlagerung unter Anwendung dieser Theorie mit keinem großen Kostenaufwand verbunden wäre. Es könnte anderenfalls allein durch eine faktische Einflussnahme auf die Willensbildung eine neue Zuständigkeit begründet werden. Dies würde vollständig dem Gedanken der Vorhersehbarkeit widersprechen. Vgl. Wimmer, ZInsO 2005, 119, 122. 253 Wyen, Rechtswahlfreiheit, 2014, S. 127 f. 254 Heeder, Fraus legis, 1998, S. 308 f.; im Zusammenhang des EuGVÜ P. Huber, Die forum-non-conveniens-Doktrin, 1994, S. 184 f. 255 Das französische Recht sieht in Art. R600-1(2) C. com. eine Sitzverlegung binnen eines Zeitraumes von sechs Monaten vor Stellung des Eröffnungsantrages als für die internationale Zuständigkeit unbeachtlich an.

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längerem für den europäischen Kontext von der Literatur256 sowie INSOL Europe257 gefordert worden. Darüber hinaus enthielt der einstige Entwurf zum EG-Konkursübereinkommen eine Unbeachtlichkeitsfrist von einem halben Jahr. 258 Während des Gesetzgebungsprozesses im Zuge der Reform der EuInsVO dachte man zunächst – wohl anknüpfend an den Gesetzgebungsvorschlag von INSOL Europe – an die Einführung einer Aussetzungsfrist von ca. einem Jahr nach einer Verlegung des COMI.259 In dieser Zeit sollte das Gericht des neuen COMI kein Insolvenzverfahren eröffnen dürfen. Die Zuständigkeit hätte noch bei den Gerichten des Wegzugsstaates gelegen.260 In den strategischen Optionen wurde dieser Vorschlag richtigerweise unter der Kategorie „verworfen“ eingeordnet, da es als zweifelhaft galt, ob damit das Forum Shopping tatsächlich hätte verhindert werden können. Außerdem wären mit solch einer Frist neue Rechtsunsicherheiten vorprogrammiert, da die Gläubiger herausfinden müssten, ob die Aussetzungsfrist noch läuft oder schon geendet ist und damit andere Gerichte zuständig wären.261 Schon für Gerichte ist die Bestimmung des tatsächlichen COMI mit erheblichem Aufwand verbunden. Für Gläubiger ist dies ungemein schwieriger, selbst wenn das COMI nach der neuen Rechtsprechung nach außen erkennbar sein muss. Bei einer reinen Satzungssitzverlegung wäre die Frist wohl noch unproblematisch zu bestimmen. Käme es allerdings zu einer Verlegung der effektiven Hauptverwaltung von einem Staat in einen anderen, wäre es höchst diffizil bis fast unmöglich festzustellen, wann genau das COMI überspringen würde. Es entstünde eine Rechtsunsicherheit in doppelter Hinsicht. Zum einen die Unwägbarkeiten aus den Kriterien der COMI-Bestimmung selbst, zum anderen der genaue Zeitpunkt der COMI-Verlegung zur Fristbestimmung. Darüber hinaus wäre es sehr fraglich, ob solch eine starre und zwischen den Verlegungsformen nicht differenzierende Regelung mit der Niederlassungsfreiheit konform ginge.262 256 Kindler, KTS 2014, 25, 33; zur missbräuchlichen COMI-Verlagerung im Vorfeld des Insolvenzverfahrens MüKoInsO/Thole, 3. Aufl. 2016, EuInsVO 2000 Art. 3 Rn. 66. 257 Eine Verlegung des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen sollte danach innerhalb einer Jahresfrist unbeachtlich sein, Revision of the European Insolvency Regulation, Proposal by INSOL Europe, S. 38 f. Art. 3 Abs. 1. 258 In Art. 6 Abs. 1 des Entwurfs zum EG-Konkursübereinkommen von 1980 (abgedruckt in Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, 1988, S. 48) ist statuiert: Wenn „der Schuldner weniger als sechs Monate vor dem Zeitpunkt, in dem das Gericht befasst wird, sein Geschäftsbetrieb in das Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaats verlegt, sind die Gerichte dieses Staates und die Gerichte des Staates, in dem sich das Geschäftszentrum vorher befand, für die Konkurseröffnung zuständig“. 259 SWD(2012) 416 final (EN), S. 35. 260 SWD(2012) 416 final (EN), S. 35. 261 SWD(2012) 416 final (EN), S. 35; kritisch ebenso der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Kommissionsvorschlag der EuInsVO, BR-Drs. 777/12(B), S. 2 Nr. 6. 262 Kritisch insoweit Mock, GPR 2013, 156, 159 f.; Weiss, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 192, 202.

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c) Die Retrospektivfrist – institutionalisiertes Missbrauchsverbot Der europäische Gesetzgeber entschied sich für eine andere Lösung in Form einer Retrospektivfrist263. Es wurde eine Dreimonatsregelung in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 EuInsVO aufgenommen, nach welcher die Vermutung für den Ort des Sitzes bei Gesellschaften oder juristischen Personen als COMI nur dann gilt, wenn der Sitz nicht in einem Zeitraum von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wurde. ErwG 31 EuInsVO setzt diese Regelung direkt in den Zusammenhang des Zweckes der EuInsVO hinsichtlich der Verhinderung von missbräuchlichem Forum Shopping. In diesem Dreimonatszeitraum wird demnach unwiderlegbar vermutet, dass eine Sitzverlegung aus den Gründen eines Forum Shoppings in Form der unzulässigen Gerichtsstandsverlagerung stattgefunden hat, weshalb die Vermutung des Satzungssitzes für das COMI nicht greift.264 Damit wird ein Forum Shopping nicht per se ausgeschlossen. Das COMI ist – wie in der Rechtssache Leonmobili265 vom EuGH nochmals ausdrücklich klargestellt266 –, nach wie vor zum Insolvenzzeitpunkt zu bestimmen. Lediglich die Vermutungswirkung des Satzungssitzes wird aufgrund der Missbrauchsanfälligkeit ausgeschaltet, wenn eine Satzungssitzverlegung in den drei Monaten davor stattfand. Das COMI muss ausschließlich anhand weiterer Kriterien, insbesondere der effektiven Hauptverwaltung, bestimmt werden. Macht sich der Schuldner – wie in den zuvor dargestellten Fällen267 – sogar die Mühe, die effektive Hauptverwaltung in den gewünschten Zielstaat zu verlegen, kann er dort weiterhin einen Insolvenzgerichtsstand begründen. Dies gilt vor allem dann, wenn alle Verfahrensbeteiligten – speziell die Gläubiger – mit der COMI-Verlegung einverstanden sind, um in Genuss der Vorteile der neuen Rechtsordnung zu kommen.268 Mit der Niederlassungsfreiheit gerät diese Regelung nicht in Konflikt. Ein anderer Begriff, der in diesem Zusammenhang gebraucht wird, lautet „periode suspect“, vgl. Eidenmüller, KTS 2009, 137, 159. 264 Dieser Zeitpunkt hat keine Auswirkungen auf die Frage, ab welchem Zeitpunkt andere Gerichte auf Basis der Ausschließlichkeit des Hauptinsolvenzverfahrens und der Anerkennungsregeln keine eigenen Hauptinsolvenzverfahren mehr eröffnen können. Hierzu ausführlich Wyen, Rechtswahlfreiheit, 2014, S. 146 ff. 265 EuGH Beschl. v. 24.5.2016, Leonmobili, C-353/15, ECLI:EU:C:2016:374. 266 In der Rs. Leonmobili entschied der EuGH am 24.5.2016, dass das COMI bei einer Sitzverlegung (die Retrospektivfrist bestand zu diesem Zeitpunkt noch nicht) weiterhin ausdrücklich bestimmt werden muss und nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Vermutung des neuen Sitzes ohne Weiteres widerlegt ist. Dies gilt insbesondere, wenn das Unternehmen in dem Ursprungsstaat keine Niederlassung mehr betreibt. Vgl. Bayer/J. Schmidt, BB 2016, 1923, 1932. 267 Siehe hierzu S. 126 ff. 268 COM(2012) 473 final (DE), S. 11; SWD(2012) 416 final (EN), S. 20; Parzinger, NZI 2016, 63, 65. 263

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Fraglich ist allerdings, ob diese Lösung tatsächlich Vorteile in Bezug auf die Rechtssicherheit der Gläubiger mit sich bringt. Die COMI-Bestimmung wird durch die Vermutungsregelung des Sitzortes als Ort des COMI erheblich erleichtert, da der Satzungssitz über entsprechende Registereintragungen objektiv einfach feststellbar ist. Diese Möglichkeit lässt die Retrospektivfrist während der drei Monate entfallen. Der Zeitraum der Frist ist aufgrund der Sitzverlagerung als eintragungspflichtige Tatsache eindeutig feststellbar. Damit entsteht für die Gläubiger lediglich eine Rechtsunsicherheit in einfacher Hinsicht. Die Regelung schafft einen angemessenen Ausgleich zwischen einem ausreichenden Schutzniveau gegen verbotenes Forum Shopping, den Interessen der Unternehmen an der Anwendung alternativer Insolvenzordnungen und den Unsicherheiten, die für die Gläubiger bei einer COMI-Verlagerung entstehen. Die Länge der Frist in Höhe von drei Monaten erscheint als angemessen. Bei dem Eintritt der Insolvenz handelt es sich um einen eher schwer zu planenden Zeitpunkt, sodass eine Sitzverlegung zur Zuständigkeitsbegründung ohnehin nur eingeschränkt im Vorfeld ins Auge gefasst und durchgeführt werden kann.269 Eine längere Frist hätte das Potenzial die Handlungsfähigkeit der Unternehmen zu weit einzuschränken, wobei eine Retrospektivfrist bis zu einem halben Jahr ohne Weiteres als mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar anzusehen wäre.270 Die findige Rechtspraxis hat allerdings jetzt schon Konzepte – wie das Migrationsmodell271 – entwickelt, um den Missbrauchsvorbehalt zu umgehen. In diesen Fällen liegt es an den Gerichten festzustellen, dass es zu einer Umgehung der Retrospektivfrist kommt und daher die Vermutungswirkung des Satzungssitzes nicht greifen kann, obwohl sie noch Bestand hat. Die Retrospektivfrist hat insbesondere zur Aufgabe, in unmittelbarer zeitlicher Nähe vor dem Insolvenzfall, den Fokus allein auf materielle Gesichtspunkte in Form des 269 Zuvor wird meist der Fokus auf die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation gelegt, wodurch ein Satzungssitzwechsel zur Zuständigkeitsverlagerung noch nicht auf der Agenda steht, Wyen, Rechtswahlfreiheit, 2014, S. 124. 270 Die Frist von drei Monaten als zu kurz ansehend, um wirksam ein Forum Shopping einzudämmen Commandeur/Römer, NZG 2015, 988, 989; Kindler/Sakka, EuZW 2015, 460, 463; sich in ihrem eigenen Regelungsvorschlag – jedoch mit anderem Regelungsgehalt – für eine Jahresfrist aussprechend vgl. INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 38 f. Art. 3 Abs. 1. Im Insolvenzfall Hans Brochier Ltd lag der Formwechsel und damit die Sitzverlegung zehn Monate zurück, Piekenbrock, KSzW 2015, 191, 194. 271 Ein deutscher Schuldner wird beispielsweise in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt, wobei der Komplementär der neuen KG eine schon seit drei Monaten in dem Zielstaat registrierte Vorratsgesellschaft ist, hinter welcher jedoch auch der Schuldner steht. Treten danach die Kommanditisten aus, wachsen die Aktiva und Passiva der Vorratsgesellschaft an, wodurch man den Schuldner in Form einer neuen Gesellschaft zum Leben erweckt hat, der Satzungssitz dieser Gesellschaft jedoch schon länger als drei Monate im Zielstaat liegt. Diese Möglichkeit aufzeigend Laroche, ZInsO 2017, 2585, 2587; Parzinger, NZI 2016, 63, 65.

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Ortes der effektiven Hauptverwaltung – weg von dem formellen Kriterium des wenig aussagekräftigen Satzungssitzes – zu lenken. Als zeitliche Grenze, ab welcher eine COMI-Verlegung keine Auswirkungen mehr auf die Zuständigkeitsregelungen haben kann, ist indes der Zeitpunkt der Antragstellung anzusehen. Dies ist in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 EuInsVO ausdrücklich normiert und lässt sich auf das Verdikt des EuGH im Vorlageverfahren Staubitz-Schreiber zurückführen.272 In diesem wurde entschieden, dass ein mitgliedstaatliches Gericht auch dann zuständig bleibt, wenn das COMI nach Antragstellung von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegt wurde.273 Der Antrag entfaltet damit eine absolute Sperrwirkung hinsichtlich des COMI. Als Begründung wurde ausdrücklich der Verordnungszweck der Verhinderung von Forum Shopping und damit die Rechtssicherheit angeführt.274 Durch die Antragstellung ist manifestiert, dass ein Insolvenzverfahren unmittelbar bevorsteht. Eine manipulative Einwirkung auf den Verfahrensort ist ungemein höher. 275 Ein Schuldner könnte sogar die Möglichkeit nutzen, durch eine fortwährende COMI-Verlegung eine wiederkehrende Zuständigkeitsprüfung mit abschließender Ablehnung herbeizuführen, wodurch es zu einer nicht hinzunehmenden Insolvenzverschleppung käme.276 Der Zeitpunkt der Antragstellung ist für alle Beteiligten offenkundig. Daher wird in anderen Normen – wie Art. 32 Abs. 1 UAbs. 3 und Art. 52 EuInsVO im Zusammenhang mit der Massesicherung – ebenso an die Antragstellung angeknüpft. Ein Rückgriff auf mitgliedstaatliches Verfahrensrecht (zum Beispiel den Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzgründe), welches zur Bestimmung erst noch eine Subsumtion erfahren müsste, würde die Gefahr von negativen Kompetenzkonflik272 Vor der Entscheidung des EuGH war diese Frage noch sehr umstritten. In Deutschland war man stark geneigt, den Antrag als maßgeblichen Zeitpunkt anzusehen, AG Celle NZI 2005, 410, 411. In England und den Niederlanden hingegen wurde auf den Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung abgestellt, Geveran Trading Co Ltd v Skjevesland [2003] BPIR 73 und [2003] BCC 391; Martin Vlieland-Boddy v Clive Vlieland-Boddy [2005] EWCA Civ 974 = NZI 2005, 571, 573; Hoge Raad v. 9.1.2004, Zaaknr. R03/091HR. Siehe hierzu auch Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 6. Aufl. 2018, 17.23. 273 EuGH Urt. v. 17.1.2006, Staubitz-Schreiber, C-1/04, ECLI:EU:C:2006:39, Rn. 29; bestätigt durch EuGH Urt. v. 20.10.2011, Interedil, Rs. C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671, Rn. 55; EuGH Urt. v. 16.1.2014, Schmid, C-328/12, ECLI:EU:C:2014:6, Rn. 28. Im Anschluss an den EuGH auf nationaler Ebene bestätigt durch BGH NZI 2006, 297, 297; BGH NZI 2007, 344, 344; BGH BeckRS 2009, 26363 Rn. 3; BGH BeckRS 2008, 24714 Rn. 8; AG Hamburg ZIP 2006, 1105, 1106; AG Hamburg ZIP 2009, 1024, 1024 f.; AG Köln NZI 2008, 257, 259 f. („PIN II“); AG Hildesheim ZIP 2009, 2070, 2071; Official Receiver v Eichler [2007] BPIR 1636; Stanford International Bank Ltd [2010] EWCA Civ 137, Rn. 30; in den Gesetzesmaterialien zur Reform COM(2012) 743 final (DE), S. 11. 274 EuGH Urt. v. 17.1.2006, Staubitz-Schreiber, C-1/04, ECLI:EU:C:2006:39, Rn. 24 ff. 275 Wyen, Rechtswahlfreiheit, 2014, S. 119; Mankowski, EWiR 2004, 229, 230; ders., NZI 2005, 575, 576. 276 Mankowski, NZI 2005, 575, 576; Oberhammer, ZInsO 2004, 761, 763.

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ten bergen.277 Der Zeitpunkt der Antragstellung als maßgebliche Zensur hinsichtlich einer möglichen COMI-Verlagerung ist somit vollumfänglich zu begrüßen. Vom Verordnungsgeber nicht berücksichtigt sind lediglich die Fälle, in denen es keinen Antrag zur Verfahrenseröffnung gibt, da das Verfahren von Amts wegen (ex officio) eröffnet wurde. 278 Es ist nicht erkennbar, warum eine COMI-Verlegung in diesem Zusammenhang anders behandelt werden sollte. Es bestehen die gleichen Bedürfnisse nach Sicherungsmaßnahmen hinsichtlich missbräuchlicher COMI-Verlagerungen sowohl vor als auch nach der Eröffnungsentscheidung. 279 Der Zeitpunkt, ab welchem eine COMI-Verlegung keine Auswirkungen mehr auf die Zuständigkeitsregelungen haben kann, ist in diesem Zusammenhang der Tag, an dem das Eröffnungsverfahren von Amts wegen anhängig wird.280 Nach der Eröffnung des Verfahrens durch ein zuständiges Gericht ist der begründete Gerichtsstand durch eine Änderung von zuständigkeitsbegründenden Tatsachen aufgrund der perpetuatio fori generell nicht mehr abwandelbar.281 4. Feststellbarkeit des COMI für Dritte Durch die Implementierung der Rechtsprechung des EuGH in den Tatbestand des Art. 3 EuInsVO ist die Rechtssicherheit insbesondere insofern gestärkt worden, als die zur Bestimmung des COMI relevanten Kriterien gem. Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EuInsVO auch für Dritte feststellbar sein müssen.282 Bei der Feststellbarkeit des COMI für Dritte handelt es sich um ein normatives Tatbestandsmerkmal.283 Eine empirische Betrachtung kann zwar als Grundlage genommen werden, reicht zur Bestimmung des Merkmals allerdings gerade 277 Hierzu ausführlich Wyen, Rechtswahlfreiheit, 2014, S. 113 ff.; ebenso DuursmaKepplinger, DZWIR 2006, 177, 179 f.; Weller, IPRax 2004, 412, 416. 278 Dies ist z. B. in dem administration-Verfahren aus dem englischen Rechtskreis nach § 12(1)(d) Schedule B1 Insolvency Act 1986 c 45 möglich, das nach Art. 2 Nr. 4 i. V. m. Anhang A EuInsVO in den Anwendungsbereich der EuInsVO fällt. 279 Wyen, Rechtswahlfreiheit, 2014, S. 122. 280 Wyen, Rechtswahlfreiheit, 2014, S. 122 f. 281 Bayer/J. Schmidt, BB 2008, 454, 460; Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 3 Rn. 29. 282 Auf die grammatikalischen Defizite des Gesetzeswortlautes in Form eines fehlenden Subjekts in der deutschen und englischen Sprachfassung hinweisend Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 3 Rn. 18 Fn. 67; Leipold in: FS Lindacher, 2007, 65, 69. 283 Von einer „abstrakten Erkennbarkeit“ sprechend Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 3 Rn. 22; Poertzgen/Adam, ZInsO 2006, 505, 507; die Beurteilung der Feststellbarkeit den Gerichten auftragend Paulus, 42 Tex. Int’l L.J. (2007), 819, 824.

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nicht aus. Zur Ausfüllung gibt der Gesetzgeber über ErwG 28 S. 1 EuInsVO vor, dass bei der Feststellung zu berücksichtigen ist, welchen Ort die Gläubiger als denjenigen wahrnehmen, an dem der Schuldner der Verwaltung seiner Interessen nachgeht. Damit führt der Gesetzgeber die bestehende Rechtsprechung hinsichtlich dieses Merkmals konsequent fort.284 Entscheidend dabei ist, dass unter Gläubigern nicht nur die aktuellen Gläubiger285 eines Konzernunternehmens, die eventuell schon Einblicke in die Konzernstrukturen erlangt haben, zu verstehen sind, sondern auch potenzielle neue Gläubiger, welche bisher mit den beteiligten Konzernunternehmen nichts zu tun hatten.286 Gerade das Vertrauen der zukünftigen Gläubiger auf ein kalkulierbares Insolvenzrisiko ist der entscheidende Zweck des Tatbestandsmerkmals der Feststellbarkeit. 287 Durch Vertrauen entsteht eine Rechtssicherheit der Gläubiger, die zum einen zu vermehrten Investitionsentscheidungen in der Europäischen Union führt288 und zum anderen die Kreditkosten im Allgemeinen senkt.289 Als Bezugsgruppe ist von einer abstrakten Gläubigerschaft auszugehen. Dies ist zum Wohle einer 284 Re Daisytek-ISA I, High Court of Justice Leeds v. 16.5.2003, [2004] BPIR 30 = NZI 2004, 219, 221; High Court Dublin v. 23.3.2004, Re Eurofood IFSC Limited, High Court Dublin v. 23.3.2004 – 33/04 = ZIP 2004, 1223, 1225 („Eurofood/Parmalat II“); AG Mönchengladbach ZIP 2004, 1065, 1066 („WHI“); Tribunale di Parma v. 19.2.2004 = ZIP 2004, 1220, 1222 („Eurofood“); so auch in der Literatur Herchen, ZInsO 2004, 825, 827; Huber in: FS Heldrich, 2005, 679, 690; Knof/Mock, ZIP 2006, 911, 914; Lüer in: FS Greiner, 2005, 201, 208; Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 3 Rn. 23; Mock, GPR 2013, 156, 157; Prütting in: Konecny, Insolvenz-Forum 2004, 2005, 157, 164; Schilling/J. Schmidt, ZInsO 2006, 113, 116 f.; hingegen feststellend, dass die Gerichte auf Basis der ihnen vorliegenden Informationen als „Dritte” anzusehen sind („We may have to conclude that the third persons are the judges.“) Paulus, 42 Tex. Int’l L.J. (2007), 819, 824. Die entscheidende Frage, welche Kriterien die Gerichte bei der vorhandenen Informationslage als entscheidend heranziehen, ist damit von Paulus nicht beantwortet. Es ist lediglich die Normativität des Tatbestandsmerkmals hervorgehoben. 285 Dabei bilden im Falle einer Handelsgesellschaft in der Regel die Finanziers und die Zulieferer die wichtigste Gläubigergruppe, Re Daisytek-ISA I, High Court of Justice Leeds v. 16.5.2003, [2004] BPIR 30 = NZI 2004, 219, 221 Rn. 16. 286 Ausdrücklich von „potenziellen Gläubigern des Schuldners” sprechend, Re DaisytekISA I, High Court of Justice Leeds v. 16.5.2003, [2004] BPIR 30 = NZI 2004, 219, 220 Rn. 15 f.; AG Mönchengladbach ZIP 2004, 1065, 1066 („WHI“); Tribunale di Parma v. 19.2.2004, ZIP 2004, 1220, 1222 („Eurofood“); ebenso in der Literatur Konecny, ZIK 2005/2, 2, 4; Pannen/Rriedemann, NZI 2004, 646, 647 u. 651; Prütting in: Konecny, Insolvenz-Forum 2004, 2005, 157, 164; Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 3 Rn. 23; auch Arbeitnehmer als potenzielle Gläubiger ansehend Menjucq, JCP G 2006 II, 10089, 1128, 1128; Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 75. 287 Herchen, ZInsO 2004, 825, 826; Schilling/J. Schmidt, ZInsO 2006, 113, 117; Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 75. 288 AG Hamburg NZI 2006, 120, 121; Fletcher in: Moss/Fletcher/Isaacs, The EC Regulation on Insolvency Proceedings, 2002, 3.10; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 651; Schilling/J. Schmidt, ZInsO 2006, 113, 117. 289 Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3456.

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schnellen Eröffnungsentscheidung und damit eines effizienten Verfahrens geboten, da nicht erst die konkrete Gläubigerstruktur ermittelt werden muss. Es müssen jedoch auch andere Dritte im Sinne eines objektiven Verkehrskreises in die Betrachtung mit einbezogen werden können, sofern ihnen ein Interesse an der Feststellbarkeit des COMI zukommt.290 Anderenfalls hätte der Wortlaut enger gefasst werden müssen. Im Ergebnis ist daher in letzter Konsequenz von einer abstrakten Gruppe der Dritten auszugehen, bei deren Bestimmung der Gesetzgeber allerdings einen starken Gläubigerbezug vorgibt. Feststellbarkeit bedeutet, dass das tatsächliche COMI für einen Dritten mit einem durchschnittlichen Ressourcenaufwand im Zuge seiner Nachforschung festgestellt werden kann. 291 Gefordert ist nicht, dass eine Feststellung des COMI im Einzelfall tatsächlich stattzufinden hat. Ebenso obliegt den Dritten keine Pflicht, sich um solch eine Feststellung besonders zu bemühen.292 Da das Merkmal der Dritten abstrakt zu bestimmen ist, ist bedeutungslos, dass im Einzelfall divergierende Gläubigergruppen aufgrund eines abweichenden Wissensstandes bzw. unterschiedlicher Informationsquellen die Bedeutung einzelner Merkmale bei der Bestimmung des COMI unterschiedlich gewichten.293 Damit wird man dem Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz am ehesten gerecht.294 Welche Kriterien generell für die Erkennbarkeit herangezogen werden können, stellt ErwG 28 S. 2 EuInsVO heraus. Danach ist erforderlich, dass „die Gläubiger im Falle einer Verlegung des Mittelpunkts der hauptsächlichen

290 Dies anhand eines Beispiels belegend Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 109 f.; ebenso Prütting in: Konecny, Insolvenz-Forum 2004, 2005, 157, 164, welcher nachfolgend die Feststellbarkeit lediglich als Korrektiv heranzieht. Nach Eingliederung dieses Kriteriums in den Normtext muss die Feststellbarkeit jedoch als eigenständiges Merkmal neben die Voraussetzung der objektiven Bestimmung des COMI treten. 291 Das COMI muss damit weder für alle Gläubigergruppen vollumfänglich erkennbar sein, noch genügt es, wenn lediglich ein Gläubiger diesen feststellen kann. Sich im zweiten Sinne positionierend Huber in: FS Heldrich, 2005, 679, 690 f. 292 Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 3 Rn. 19; Keggenhoff, Internationale Zuständigkeit, 2006, S. 172. 293 Gläubiger können z. B. aufgrund der jeweiligen Perspektive auf den Schuldner aus ihrem Staat heraus die Bedeutung dieses Staates für das COMI unterschiedlich einschätzen, Prütting in: Breitenbücher/Ehricke, Insolvenzrecht 2003, 2003, 59, 70; ders. in: Konecny, Insolvenz-Forum 2004, 2005, 157, 164; Schilling/J. Schmidt, ZInsO 2006, 113, 117; Großgläubiger haben grundsätzlich einen besseres Wissensstand über den Schuldner als kleine Gläubiger, die eventuell sogar unfreiwillig in ihre Gläubigerrolle gekommen sind, Knof/Mock, ZIP 2006, 911, 914; Mankowski, NZI 2011, 994, 995; Weller, IPRax 2004, 412, 415 f.; Großgläubiger ziehen ihre Informationen über das Unternehmen aus anderen Quellen als z. B. Lieferanten oder Arbeitnehmer, Huber in: FS Heldrich, 2005, 679, 690; Konecny, ZIK 2005/2, 2, 4; Mankowski, NZI 2011, 994, 995. 294 Schilling/J. Schmidt, ZInsO 2006, 113, 117; Weller, IPrax 2014, 412, 416.

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Interessen zeitnah über den neuen Ort“295 unterrichtet werden, „an dem der Schuldner seine Tätigkeiten ausübt, z. B. durch Hervorhebung der Adressänderung in der Geschäftskorrespondenz, oder indem der neue Ort in einer anderen geeigneten Weise veröffentlicht wird“296. Bei Kapitalgesellschaften ergibt sich dies automatisch aus den auf Art. 16 i. V. m. Art. 4 lit. a GesRRL297 basierenden nationalen Umsetzungsvorschriften, wonach der in der Satzung, dem Errichtungsakt oder einem gesonderten Schriftstück festgeschriebene Satzungssitz zu veröffentlichen ist.298 Zu berücksichtigen sind insbesondere öffentlich zugängliche Quellen, da diese für Dritte unabhängig von ihrer individuellen Stellung verfügbar sind.299 Ist eine Feststellbarkeit des COMI für Dritte nicht möglich, muss die Vermutung für den Satzungssitz mangels Widerlegung eingreifen.300 Die umfängliche Erweiterung und Konkretisierung sowohl des Normtextes des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO als auch der Erwägungsgründe deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber es für nötig empfunden hat, die Rechtsprechung des EuGH normativ zu bestätigen. Die Gerichte sollten sich daher vor der Prüfung des COMI vergewissern, anhand welcher Kriterien die Bestimmung des COMI zu erfolgen hat. Dies nimmt der Zuständigkeitsfeststellung eine oftmals zugrunde liegende Beliebigkeit und stärkt damit nachhaltig die Rechtssicherheit, zum Wohle der Investitionsattraktivität der Europäischen Union. III. Verfahrensrechtliche Absicherungen Eine große Gefahr im Zusammenhang mit der Bestimmung des COMI besteht jedoch in praktischer Hinsicht dadurch, dass die entscheidenden Kriterien durch die Gerichte erst gar nicht berücksichtigt werden. So wurde in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Satzungssitz durch viele Gerichte der Mitgliedstaaten widerlegt wurde,301 allerdings ohne „Zeitnah“ ist dabei ein auslegungsbedürftiger Begriff, der keine starren Fristen vorgibt, Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 3 Rn. 19. 296 Veröffentlicht werden sollte die COMI-Verlegung zumindest in amtlichen Anzeigern am Ort des neuen COMI. Damit eine Feststellbarkeit jedoch gewährleistet ist, ist es ebenso vorteilhaft, die Verlegung auch in amtlichen Anzeigern des alten COMI publik zu machen. Vgl. Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 3 Rn. 19. 297 RL (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABlEU v. 14.6.2017, L 169/46. 298 Weiss, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 192, 200. 299 Prütting in: Konecny, Insolvenz-Forum 2004, 2005, 157, 164; selbstverständlich soll eine Beschränkung allein auf diese Quellen nicht stattfinden, Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 3 Rn. 22. 300 Huber in: FS Heldrich, 2005, 679, 690. 301 Die vollständige Liste findet sich unter COM(2012) 743 final (DE), S. 10. 295

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die erforderliche umfassende Analyse vorzunehmen.302 Unter dieser Prämisse handeln die Gerichte contra legem. Daher ist es unabdingbar, dass die Gerichte hinsichtlich der Kriterien Kenntnis erlangen und diese in einem zweiten Schritt auch zur Anwendung gebracht werden. Was helfen alle gesetzlichen Ausführungen hinsichtlich der Entscheidungskriterien zur Bestimmung des COMI, wenn deren Beachtung in der Praxis vollständig negiert wird? Dieser Appell ist insbesondere an die englischen Gerichte gerichtet, die traditionell die rein dogmatisch strikte Rechtsanwendung durch einen rechtssetzenden und rechtsgestaltenden Habitus ersetzen, wodurch Generalklauseln mit Billigkeitserwägungen angereichert werden, die in dieser Form aus dem klaren Wortlaut der anwendbaren Normen und dem dokumentierten Willen des Gesetzgebers nicht hervortreten.303 Das Ergebnis mag zwar oftmals überzeugen. Sofern sich die Gerichte allerdings in einem Rechtssystem bewegen, welches auf positivem Recht und der damit verbundenen Rechtssicherheit basiert, ist dieses System auch zu beachten. Zwar dürfte sich diese Praxis durch den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union etwas abschwächen. Allerdings sind die Änderungen der EuInsVO im Sinne der Rechtsprechung des EuGH, welche im Zuge der Reform durchgeführt wurden, ein deutlicher Fingerzeig an alle mitgliedstaatlichen Gerichte mit ähnlichen Rechtstraditionen, sich der Auslegungsprärogative des EuGH und dem Willen des Verordnungsgebers hinzugeben und eine rechtsgetreue Subsumtion des normativen Terminus des COMI durchzuführen. 1. Prüfung von Amts wegen Um die gerichtliche Prüfpflicht hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit nachhaltig zu gewährleisten, ist die Implementierung einer verfahrensrechtlichen Absicherung durch eine Prüfung von Amts wegen und neue Rechtsbehelfe zu einem wichtigen operativen Ziel der Reform erklärt worden.304 Eine Prüfung von Amts wegen war insofern notwendig, als sich die jeweiligen Methoden der nationalen Gerichte bei der Feststellung der Zuständigkeit – wie zuvor aufgezeigt – erheblich unterschieden.305 Dies wurde durch die Kritik der Teilnehmer der öffentlichen Konsultation explizit klargestellt.306 Die Prüfung hat nun gem. Art. 4 Abs. 1 S. 1 EuInsVO sowie ErwG 27 EuInsVO vor 302 Unbekannt ist, ob dies auf mangelnde Kenntnis der Rechtsprechung oder auf Schwierigkeiten hinsichtlich einer sachgerechten Methode, die dafür benötigt wird, zurückzuführen ist. Siehe COM(2012) 743 final (DE), S. 10; SWD(2012), 416 final (EN), S. 19. 303 Insbesondere die deutschen Juristen pflegen eher einen „opportunistischen Subsumtionsgehorsam“, Albrecht, ZInsO 2013, 1876, 1879. 304 Fünftes Element der strategischen Option A, SWD(2012) 416 final (EN), S. 30 u. 34. 305 COM(2012) 743 final (DE), S. 11. 306 SWD(2012) 416 final (EN), S. 19. In dem Entwurf der Europäischen Kommission war die Prüfung von Amts wegen noch in Art. 3b Abs. 1 S. 1 EuInsVO-E geregelt.

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Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch das zuständige Gericht zu erfolgen und ist nach ErwG 30 EuInsVO in sorgfältiger Weise durchzuführen. Durch Art. 4 Abs. 2 EuInsVO wird zudem sichergestellt, dass diese Vorgaben auch durch den bestellten Verwalter eingehalten werden, sofern es sich um Insolvenzverfahren handelt, in denen es anderenfalls keine gerichtliche Entscheidung gibt. Eine Prüfung von Amts wegen bedeutet indes nicht automatisch, dass auch eine Ermittlung von Amts wegen zu erfolgen hat.307 So spricht der Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 EuInsVO lediglich von einer Prüfpflicht. 308 Hiervon ging auch das AG Charlottenburg in der Rechtssache NIKI aus.309 Eine Ermittlungspflicht wurde hingegen vom EuGH in den Rechtssachen Eurofood und Probud ohne konkrete Erläuterungen gefordert. Er urteilte, dass die Gerichte zur Gewährleistung des unionsrechtlichen Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens ihre internationale Zuständigkeit zu überprüfen hätten, das heißt untersuchen müssten, ob das COMI tatsächlich in ihrer Jurisdiktion zu finden sei.310 Nach dem in ErwG 32 EuInsVO festgeschriebenen Gesetzgeberwillen wurde den Gerichten zumindest insofern eine Ermittlungspflicht aufgegeben, als sie in allen Fällen, in denen die Umstände Anlass zu Zweifeln an ihrer Zuständigkeit geben, die Schuldner dazu auffordern müssen, zusätzliche Nachweise für ihre Behauptung vorzulegen, und – wenn das für die Insolvenzverfahren geltende Recht dies erlaubt – den Gläubigern der Schuldner Gelegenheit zu geben ist, sich zur Frage der Zuständigkeit zu äußern. 311 Dies ist ganz im Sinne des EuGH, der eine Prüfung unter Beachtung der wesentlichen Verfahrensgarantien, die ein faires Verfahren erfordert, verlangt.312 Teil dieser Verfahrensgarantien sei der Anspruch der Gläubiger oder ihrer Vertreter auf Teilnahme am

307 Lienau in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 256; Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 4 Rn. 8; Vallender, ZIP 2015, 1513, 1515; a. A. MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 4 Rn. 2; unschlüssig MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 4 Rn. 3. 308 Die englische Sprachfassung gebraucht „examine“. Nach Lienau in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 256 soll dies im Gegensatz zu „investigate“ ebenfalls nur auf eine Prüfpflicht hindeuten. Dem englischen Begriff keine solche Tendenz zuschreibend Thole, ZIP 2018, 401, 405. 309 AG Charlottenburg ZInsO 2018, 111, 111. 310 EuGH Urt. v. 2.5.2006, Eurofood IFSC, C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281, Rn. 41; EuGH Urt. v. 21.1.2010, MG Probud Gdynia, C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24, Rn. 29. Der EuGH widersprach damals der Praxis des High Court of Justice Leeds, welcher im Falle Daisytek-ISA I die Beweispflicht der antragstellenden Gesellschaft auferlegte und somit seiner Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen war, Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 93. 311 Dies aufgrund des engen Zeitrahmens bei der Bestimmung des COMI ebenfalls als geboten ansehend AG Charlottenburg ZInsO 2018, 111, 112. 312 EuGH Urt. v. 2.5.2006, Eurofood IFSC, C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281, Rn. 41.

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Verfahren, demnach auf rechtliches Gehör.313 So war es den Gläubigern vor der Reform oftmals nicht möglich, ihren Ansichten im Verfahren Gehör zu verschaffen. 314 Über den ErwG 32 EuInsVO hinaus macht das europäische Recht hingegen keine weiteren Vorgaben hinsichtlich der Ermittlung des COMI. Die Amtsermittlung richtet sich im Übrigen nach den nationalen Vorschriften.315 Es bleibt daher abzuwarten, wie weit einer Amtsermittlung in Zukunft nachgekommen wird und bis zu welchem Grad sich die Gerichte durch die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 EuInsVO leiten lassen,316 nachdem in den Mitgliedstaaten, ausgehend von den unterschiedlichen Rechtstraditionen, unterschiedliche Ermittlungsansätze bestehen.317 So ist die Amtsermittlungspflicht in Common Law-Ländern kein selbstverständliches Prozedere, da die Entscheidungen lediglich aus der mündlichen Verhandlung heraus getroffen werden.318 Zu hoffen ist, dass die Gerichte – im Sinne der gesetzlichen Vorgabe – zumindest die Gläubiger in die COMI-Ermittlung stark genug mit einbeziehen werden, wodurch es einer verantwortungsvollen Gläubigerschaft obliegen würde, auf die entscheidenden Faktoren hinzuweisen. 2. Begründungspflicht Darüber hinaus wurde beispielsweise im Heidelberg-Vienna Report dargelegt, dass nationalen Gerichten die Rechtsprechung des EuGH nicht ausreichend bekannt war.319 Ob die Vorgaben der Verordnung und der Rechtsprechung in Gerichtsentscheidungen tatsächlich umfassend genug berücksichtigt wurden, kann nur anhand einer ausführlichen Begründung ermittelt werden. Solch eine

EuGH Urt. v. 2.5.2006, Eurofood IFSC, C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281, Rn. 66. SWD(2012) 416 final (EN), S. 19 f. 315 Lienau in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 257; Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 4 Rn. 8; Braun/Tashiro, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 4 Rn. 11. 316 In diesem Sinne auch Thole, ZEuP 2014, 39, 57; Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 552; mehr zu der Differenzierung zwischen Amtsermittlung und Amtsprüfung Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 798 f.; nach richtiger Ansicht sollte die Vermutungswirkung der Pflicht der Gerichte zur Ermittlung des COMI keine Grenzen setzen, sondern nur dann eingreifen, wenn die Ermittlungen nicht ergeben haben, dass die effektive Hauptverwaltung nicht an einem anderen Ort zu finden ist, Vallender, ZIP 2015, 1513, 1516; Deyda, Konzern im europ. int. InsR, 2008, S. 48 ff.; hierzu in der deutschen Rechtsprechung BGH ZIP 2012, 139, 140. 317 Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Kommissionsvorschlag der EuInsVO, BRDrs. 777/12(B), S. 4 Nr. 10. 318 Vallender, KTS 2008, 59, 73; so wurde die Eröffnungsentscheidung in England üblicherweise allein auf Basis der Angaben des Schuldners getroffen und mit keiner weiteren Begründung versehen, Piekenbrock, KSzW 2015, 191, 194. 319 SWD(2012) 416 final (EN), S. 19. 313

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Begründung ist nun verpflichtend.320 Gem. Art. 4 Abs. 1 S. 2 EuInsVO hat das Gericht in der Entscheidung zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gründe anzugeben, auf denen die Zuständigkeit des Gerichts beruht. Mit Blick auf die zuvor erwähnte Tatsache, dass eine Widerlegung der Vermutung für den satzungsmäßigen Sitz durch viele Gerichte der Mitgliedstaaten oftmals ohne die erforderliche umfassende Analyse vorgenommen wurde 321 und die Amtsermittlungspflicht in ihrer Reichweite womöglich nicht genug Wirksamkeit besitzt, kann diese neu eingeführte Begründungspflicht in ihrer Wichtigkeit nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ebenso war aus den Eröffnungsentscheidungen der Gerichte in einigen Fällen nicht erkennbar, ob es sich bei dem Verfahren um ein Haupt- oder Sekundärinsolvenzverfahren handelte. 322 Wenn den Gerichten darüber hinaus oftmals gar nicht bekannt ist, dass noch andernorts Verfahren über den gleichen Schuldner durchgeführt werden, erhöht sich das Risiko für parallele Hauptinsolvenzverfahren ungemein.323 Das Bewusstsein der Gerichte für die wesentlichen Kriterien bei der Bestimmung des COMI wird mit Hilfe dieser neuen Regelung hoffentlich gestärkt. 3. Rechtsbehelfe Kommt es zu Streitigkeiten hinsichtlich der Eröffnungsentscheidung des Hauptinsolvenzverfahrens, ist es nun nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO (unterstützt durch ErwG 34 EuInsVO) möglich, durch den Schuldner oder jeden Gläubiger die Entscheidung bezüglich der internationalen Zuständigkeit vor Gericht anzufechten. Damit folgte der Gesetzgeber der Kritik aus der Praxis, nach welcher ausländischen Gläubigern nicht immer das Recht zustand, die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Rechtsmitteln anzugehen. 324 Das Recht der Gläubiger auf wirksame Rechtsmittel und ein faires

Ob solch eine Begründungspflicht auch vor der Reform schon bestand und sich aus Art. 16, 17 EuInsVO a. F. herleiten lies war umstritten. Sich hierfür aussprechend Thole, ZEuP 2014, 39, 57; Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 552; MüKoInsO/Thole, 3. Aufl. 2016, EuInsVO 2000 Art. 16 Rn. 18; a. A. Pannen/Pannen/Riedemann, EulnsVO, 2007, Art. 16 Rn. 20. 321 Siehe hierzu S. 137 f. 322 SWD(2012) 416 final (EN), S. 19. 323 Der Heidelberg-Vienna Report hat ergeben, dass viele Richter in der Europäischen Union, beispielsweise in Polen oder der Tschechischen Republik, ihre internationale Zuständigkeit nicht regemäßig prüfen. So hat eine Recherche der polnischen Richterin Anna Hrycaj ergeben, dass im Bezirksgericht von Poznan lediglich in ca. 1 % der Fälle die internationale Zuständigkeit geprüft wurde, obwohl ca. 60 % einen internationalen Bezug aufwiesen. Aufgeführt in SWD(2012) 416 final (EN), S. 26 f. 324 COM(2012) 743 final (DE), S. 12; SWD(2012) 416 final (EN), S. 19 f. Dem ebenfalls in den Gesetzesmaterialien aufgeführten Einwand, dass ausländische Gläubiger zwar formal zur Anfechtung berechtigt waren, jedoch nicht rechtzeitig von dieser Entscheidung in 320

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Verfahren ist somit gestärkt worden.325 Die genaue Ausgestaltung des Rechtsbehelfs, insbesondere hinsichtlich der Frist, obliegt dabei der lex fori concursus, da das europäische Recht diesbezüglich keine Vorgaben macht und nicht abschließend ist.326 Der europäische Gesetzgeber sieht darin eine Möglichkeit, die Fälle einer künstlichen Verlegung des Interessenmittelpunkts stark zurückzudrängen.327 Den Gläubigern wird durch ein Anfechtungsrecht der gerichtlichen Entscheidung zwar eine gewisse Sicherheit hinsichtlich der richtigen Anwendung des Missbrauchsvorbehalt aus Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 EuInsVO geboten. Der wahre Gehalt der Vorschrift liegt jedoch darin begründet, dass die Einhaltung der Voraussetzungen der Zuständigkeitsbegründung nun im Allgemeinen justiziabel sind und durch eine Überprüfung konkurrierende Hauptinsolvenzverfahren verhindert werden können.328 Die Insolvenzverfahren sind in dem Mitgliedstaat zu eröffnen, welches tatsächlich zuständig ist. Die Gerichte sollen aufgrund der eingefügten verfahrensrechtlichen Kontrollmittel im Wege der Selbstkontrolle dazu angehalten werden, präventiv ihre Eröffnungsentscheidung genauer zu überdenken und zu begründen, da eine repressive Möglichkeit des Schuldners und der Gläubiger besteht, diese Entscheidung einer Überprüfung zu unterziehen. Damit wird der Gefahr begegnet, dass die zur Feststellung des COMI entscheidenden Kriterien von den Gerichten gar nicht berücksichtigt werden. 329 Die tatsächliche Anwendung des Rechtsmittels ist lediglich als ultima ratio vorgesehen, falls der Amtsermittlungsgrundsatz und die Begründungspflicht aus Art. 4 Abs. 1 EuInsVO allein nicht ausreicht, um die Gerichte zu einer hinreichend fundierten rechtsgetreuen Entscheidung zu leiten. Speziell in Konzerninsolvenzkonstellationen ist dieser verfahrensrechtlichen Absicherung ein hoher Stellenwert einzuräumen. So kann die Verfahrenskonzentration am gemeinsamen COMI, die oftmals auf umstrittenen Eröffnungsentscheidungen beruht, sowohl von den Gläubigern als auch den anderen Konzernunternehmen überprüft werden, sofern die Konzernunternehmen selbst Gläubiger des betroffenen Unternehmens sind. Eine erste Bewährungsprobe hat das Rechtsmittel und die deutsche DurchführungsKenntnis gesetzt wurden, um ihre Anfechtungsrecht effektiv ausüben zu können, wurde durch den Gesetzgeber nicht abgeholfen. 325 Dies wurde während des Reformprozesses gefordert, vgl. SWD(2012) 416 final (EN), S. 39. 326 Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550; Vallender, ZIP 2015, 1513, 1516. 327 COM(2012) 744 final (DE), S. 7. Im deutschen Recht steht gem. Art. 102c § 4 EGInsO dem Verwalter eines ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens, dem Schuldner und jedem Gläubiger die sofortige Beschwerde zu. Vgl. Laroche, ZInsO 2017, 2585, 2587; Vallender, ZIP 2015, 1513, 1516; Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1. 328 Vallender, ZIP 2015, 1513, 1516; die Vermeidung von konkurrierenden Hauptinsolvenzverfahren als Ziel aussprechend Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, ErwG B. 329 Siehe hierzu S. 137 f. sowie COM(2012) 743 final (DE), S. 10.

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vorschrift nach Art. 102c § 4 EGInsO im Fall NIKI erfahren,330 wobei der Zuständigkeitskonflikt zwischen den deutschen und österreichischen Gerichten schlussendlich durch die faktischen Entwicklungen aufgelöst wurde, bevor eine höchstrichterliche Entscheidung ergehen konnte.331 IV. Sekundärinsolvenzverfahren bei einheitlichem COMI Das in der EuInsVO gewählte System ermöglicht es, dass kein Konzentrationsmodell realisiert werden kann, bei dem Sekundärinsolvenzverfahren vollständig untersagt sind.332 Verdeutlicht wird dies durch ErwG 40 EuInsVO. In der Praxis hat es sich entwickelt, dass die Gläubiger das Instrument benutzen, um insbesondere bei Konzerninsolvenzen lokale Gläubigerinteressen durchzusetzen. Auf den ersten Blick ist dies einleuchtend. Haben die Gläubiger auf die Rechte in einem Mitgliedstaat vertraut, ist nun allerdings die lex fori concursus eines anderen Staates anwendbar, versuchen sie ihre Rechte über ein Sekundärinsolvenzverfahren zu sichern und in ihrer Sprache und entsprechend den bekannten Vorschriften geltend zu machen.333 Dies läuft jedoch der eigentlichen Konzeption des europäischen Insolvenzrechtssystems zuwider. Danach sind die Gläubigerinteressen – ausgenommen von unfreiwilligen und schlecht anpassbaren Gläubigern (non-adjusting creditors)334 – primär nicht über Sekundärinsolvenzverfahren, sondern über die Vorhersehbarkeit des Gerichtsstandes geschützt. Solange diese Vorhersehbarkeit in der Vergangenheit ihre Schwächen aufwies, war die vermehrte Nutzung der Sekundärinsolvenzverfahren nachvollziehbar. Wird die Vorhersehbarkeit in Zukunft nachhaltiger gewährleistet, sollte sich auf die ursprüngliche Konzeption zurückbesonnen werden, denn Sekundärinsolvenzverfahren obstruieren das Effizienzziel erheblich und sind daher zu vermeiden, sofern sie nicht evident erforderlich sind. 335 Mit 330 Das LG Berlin (ZIP 2018, 140 ff.) hob den Beschluss des AG Berlin-Charlottenburg (ZIP 2018, 41 ff.), welches die internationale Zuständigkeit gem. Art. 3 EuInsVO für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens über die österreichische Gesellschaft angenommen hatte, aufgrund einer sofortigen Beschwerde eines Gläubigers auf. 331 Vgl. hierzu Thole, ZIP 2018, 401, 401. 332 INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 92 f. Rn. V.3; Reinhart, NZI 2012, 304, 311; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Vor Art. 56 Rn. 6; Vallender, ZIP 2015, 1513, 1520. 333 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 359. 334 Unter unfreiwilligen Gläubigern sind insbesondere Deliktsgläubiger zu verstehen. Nicht anpassungsfähige Gläubiger sind solche, die zwar die Möglichkeit hätten, einen individuellen Schutz auszuhandeln, dies aber nicht tun, weil ihnen die Fähigkeiten, die nötigen Informationen oder andere Ressourcen fehlen. Vgl. Eidenmüller, KTS 2009, 137, 141. 335 Daher hat das Sekundärinsolvenzverfahren nach den Einschätzungen der Evaluationsstudie erheblich mehr Nachteile als Vorteile. Unter den Konsultationsteilnehmern waren 36 % der Meinung, dass die Aufteilung in Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren hilfreich ist, 37 % der gegenteiligen Meinung. Siehe COM(2012), 743 final (DE), S. 16.

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jedem zusätzlich eingeleiteten Sekundärinsolvenzverfahren wird der Nutzeffekt einer Konzentration gemindert und schlussendlich sogar ins Negative verkehrt.336 Im Zuge der Reform wurden allerdings keine Sicherungsmaßnahmen eingefügt, um die Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren in der Quantität einzuschränken. Es wurde indes an der Qualität der Verfahren justiert. So ist es nun im Sinne von flexiblen und effektiven Umstrukturierungsmaßnahmen möglich, Sekundärinsolvenzverfahren zu eröffnen, die nicht mehr als reine Liquidationsverfahren ausgestaltet sind, da hierdurch in der Vergangenheit große Hindernisse für eine Restrukturierung entstanden.337 Dem Ruf der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15.11.2011 wurde gefolgt und damit dem Trend entsprochen, dass sich Insolvenzverfahren vermehrt auf die Rettung von Unternehmen als auf eine Abwicklung zu konzentrieren haben.338 Normativ findet sich diese Anpassung in Art. 38 Abs. 4 EuInsVO wieder. Danach kann auf Antrag des Verwalters des Hauptinsolvenzverfahrens das für das Sekundärinsolvenzverfahren zuständige Gericht abweichend von der ursprünglich beantragten Art des Insolvenzverfahrens ein anderes in Anhang A aufgeführtes Insolvenzverfahren eröffnen, sofern die Voraussetzungen für die Eröffnung dieses anderen Verfahrens nach nationalem Recht erfüllt sind und dieses Verfahren im Hinblick auf die Interessen der lokalen Gläubiger und die Kohärenz zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren am geeignetsten ist. Die Attraktivität von Sekundärinsolvenzverfahren wurde mit dieser Entscheidung jedoch noch weiter gesteigert, wodurch sich das Risiko erhöht, dass sich Sekundärinsolvenzverfahren noch mehr von einer Ausnahme zur Regel entwickeln werden und das eigentlich angedachte universalistische Verfahren am COMI des Unternehmens nachhaltig konterkariert wird. Um die Sekundärinsolvenzverfahren zumindest teilweise einzuschränken, ist die Änderung hinsichtlich Art. 36 EuInsVO zu begrüßen. Nach dem dort eingefügte Recht des Hauptinsolvenzverwalters, kann den Gläubigern zugesichert werden, dass alle ihre Vorzugsrechte gewahrt bleiben, welche sie in potenziellen Sekundärverfahren genießen würden, um die antragsberechtigte Stelle davon abzuhalten, tatsächlich Sekundärverfahren einzuleiten.339 Hier336 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 358; Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447, 451; INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 92 f. Rn. V.3; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Vor Art. 56 Rn. 6; Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 826, 831 f.; Weller, ZHR 169 (2005), 570, 583 ff. 337 COM(2012), 743 final (DE), S. 16; dies gilt insbesondere, wenn – wie in einer Konzerninsolvenz – viele Sekundärinsolvenzverfahren in einer Mehrzahl an Staaten eröffnet werden, SWD(2012) 416 final (EN), S. 22. 338 Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, ErwG I. 339 Zwar haben englische Gerichte und Angehörige von Rechtsberufen solche Methoden entwickelt, es ist aber unklar, ob Insolvenzverwalter in allen anderen Mitgliedstaaten befugt sind, im Rahmen ihres jeweiligen nationalen Insolvenzrechts derartige Angebote zu machen, COM(2012), 743 final (DE), S. 16.

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durch wird zwar das Universalitätsprinzips gestärkt, gleichzeitig führt dies allerdings zu der Situation, dass der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung, der durch Sekundärinsolvenzverfahren ohnehin schon eine große Einschränkung erfährt und nur noch relativ für jedes Verfahren besteht, nun auch innerhalb des Hauptinsolvenzverfahrens an Wirkkraft verliert.340 Dies kann erhebliche praktische Probleme mit sich bringen, da die Gläubiger aus einem anderen Mitgliedstaat vorschnell Sekundärinsolvenzverfahren beantragen können, um sich diesen Antrag anschließend durch die Zusicherung „abkaufen“ zu lassen.341 Der anfängliche Beifall weicht damit der Einsicht, dass den vermeintlich gewinnbringenden Maßnahmen zur Stärkung der Qualität von Sekundärinsolvenzverfahren im Einzelfall ein Nachteil für das ganze System gegenübersteht. Könnte die Vorhersehbarkeit des Gerichtsstandes garantiert werden, wäre die Aufspaltung des anwendbaren Rechts im Zuge von Sekundärinsolvenzverfahren nicht notwendig und es bedürfte einer Regelung wie Art. 36 EuInsVO überhaupt nicht. Um das Problem an der Wurzel zu packen, ist danach zu streben, eine Aufspaltung des anwendbaren Rechts und damit Sekundärinsolvenzverfahren im Allgemeinen zu verhindern. Solange Sekundärinsolvenzverfahren weiterhin ohne weitreichend gerichtliche Einschränkungsmöglichkeiten eröffnet werden können, werden Konzerninsolvenzen immer dem Risiko von durch die Sekundärinsolvenzverfahren begründeten Ineffizienzen ausgesetzt sein. Der europäische Gesetzgeber sollte sich überlegen, ob er in Bezug auf die Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren de lege ferenda eine größere Flexibilität der Gerichte zulässt, sodass im Einzelfall noch mehr darauf geschaut werden kann, ob solch ein zusätzliches Verfahren zur Sicherung der Gläubigerinteressen tatsächlich notwendig ist oder ob deren Interessen schon über die Vorhersehbarkeit des Gerichtsstandes genug geschützt sind. Kam es zur Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren, war die Abstimmung mit dem Hauptinsolvenzverfahren bisher verhältnismäßig rudimentär ausgestaltet. Daher wurden die Kooperations- und Kommunikationspflichten zwischen den Insolvenzverwaltern und den Gerichten des Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren konkretisiert und in Art. 41 ff. EuInsVO an die neuen Vorschriften zum Konzerninsolvenzverfahren angepasst.342 Dies ist zu begrüßen, da nur durch eine gute Abstimmung zwischen den Verfahren gewährleistet werden kann, dass die bei einer Verfahrenskonzentration oftmals entstehenden Sekundärinsolvenzverfahren mit dem „Konzerninteresse“ in Einklang gebracht werden können. Eine Lösung des Kernproblems der Aufspaltung einheitlicher Verfahren bedeutet allerdings auch dies nicht. Hinsichtlich des Art. 18 EuInsVO-E Mock, GPR 2013, 156, 162 f. Hinsichtlich des Art. 18 EuInsVO-E Mock, GPR 2013, 156, 162 f. 342 Die Ergebnisse der öffentlichen Konsultation brachten hervor, dass sich 48 % der Auskunftspersonen mit der Koordinierung zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren im Zusammenhang der EuInsVO a. F. unzufrieden zeigten, COM(2012), 743 final (DE), S. 16. 340

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V. Fazit Durch die Reform der EuInsVO wird die bisherige Praxis, die COMI aller Mitglieder des Konzerns an ein- und demselben Ort anzunehmen und die Verfahren demzufolge nur an einem Ort zu eröffnen, nicht unterbunden, sondern intensiviert.343 Daher war es – auch für ein einheitliches europäisches Konzerninsolvenzverfahren – wichtig, die Schwachstelle im Zusammenhang mit der Bestimmung des COMI insoweit zu lösen, als die Vorhersehbarkeit des COMI und damit des Gerichtsstands für die Gläubiger gestärkt wurde. Damit sollte es in Zukunft – abgesichert durch Verfahrensrecht – zwischen den mitgliedstaatlichen Gerichten zu keinen „Insolvenzkriegen“344 aufgrund positiver Kompetenzkonflikte mehr kommen. Die genaue Bestimmung des COMI ist zwar noch nicht abschließend geklärt, der Normtext deutet allerdings – im Zusammenspiel mit dem objektiv kundgetanen Willen des europäischen Gesetzgebers – darauf hin, dass primär an den Ort der effektiven Hauptverwaltung in Gesamtbetrachtung mit dem Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit angeknüpft wird, wobei die wirtschaftliche Tätigkeit bedauerlicherweise nicht autonom zuständigkeitsbegründend herangezogen werden kann. Im Lichte des Effizienzprinzips sollte es jedoch zu keinem starren Festhalten an einer Rangordnung dieser Kriterien kommen, selbst wenn die Verordnung und Gesetzesmaterialien darauf hindeuten. Der objektiv vorhersehbare Ort der engsten Verbindung hat ausschlaggebend zur Zuständigkeitsbegründung zu sein. Damit im unmittelbaren Insolvenzvorfeld kein missbräuchliches Forum Shopping stattfinden kann, hat sich der Gesetzgeber zu einer begrüßenswerten und mit der Niederlassungsfreiheit im Einklang stehenden Retrospektivfrist von drei Monaten entschieden. Leider war der Gesetzgeber im Zusammenhang mit einer Neuregelung des Sekundärinsolvenzverfahrenssystems zu zurückhaltend. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn er die Anwendbarkeit solcher Verfahren weiter eingeschränkt hätte, um einheitliche Restrukturierungen sowie Sanierungen zu stärken. Den wichtigsten Schritt, den Ort des gemeinsamen COMI als offiziell geeignetes Instrument im Zusammenhang mit Konzerninsolvenzverfahren anzuerkennen, hat der europäische Gesetzgeber gewagt. So kann weiterhin ein Mindeststandard an Konzentration und deren Vorzüge gewährleistet werden. Diese Handlungsrichtung lässt hoffen, dass die EuInsVO auch in Zukunft offen für Änderungen und anpassungsfähig für die Gegebenheiten der Zeit ist. C. Sinnhaftigkeit anderer Konzentrationsorte Wenngleich sich die EuInsVO für den Ort des gemeinsamen COMI als aktuelles Leistungssoll hinsichtlich einer reinen Verfahrenskonzentration entschieden hat, ist damit noch nicht bestimmt, dass es keine anderen Orte gibt, die für 343

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COM(2012), 744 final (DE), S. 10. Schilling/J. Schmidt, ZInsO 2006, 113, 113 u. 116.

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eine Konzentration oder als Basis für weitere Konzentrationskonzepte de lege ferenda dienlich sein könnten oder sogar effizienztechnisch besser geeignet wären.345 Soll ein weiterer Konzentrationsort auf Basis des bestehenden Systems festgelegt werden, muss dieser – analog zu den Ausführungen bezüglich des Ortes des gemeinsamen COMI – im Sinne einer bestmöglichen Allokation des Kapitals im Binnenmarkt im Zeitpunkt der Kreditvergabe für zukünftige Gläubiger so weit wie möglich vorhersehbar sein.346 Nur so können die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass ein einheitliches Konzerninsolvenzverfahren nicht durch ein Übermaß an Sekundärinsolvenzverfahren der Effizienz beraubt wird.347 Bei der geeigneten Ortswahl wird daher im internationalen Kontext dem Kriterium der Vorhersehbarkeit die entscheidende Bedeutung eingeräumt.348 Zwar wurde vereinzelt darauf hingewiesen, dass der EuInsVO ohnehin immanent sei, dass das Vertrauen der Gläubiger auf das anwendbare Insolvenzrecht – insbesondere aufgrund der Wandelbarkeit des COMI – enttäuscht werde, sodass ein Vertrauen erst gar nicht entstehen könne.349 Auf Basis der Änderungen im Zuge der Reform, welche auf eine verstärkte Vorhersehbarkeit bestehen, wurde allerdings signalisiert, dass diesem Gläubigervertrauen in Zukunft wieder eine hervorgehobene Bedeutung zuzusprechen ist. In Abgrenzung zu dem Konzerninsolvenzgerichtsstand am Ort des gemeinsamen COMI ist den folgenden Konzentrationsmodellen gemein, dass die Verfahren unabhängig von der eigentlichen Zuständigkeitszuordnung lediglich aufgrund ihrer Konzernzugehörigkeit an einen einheitlichen ausschließlichen Konzerninsolvenzgerichtsstand gezogen werden. Die Schaffung der Gerichts345 Solche Vorschläge werden sowohl im nationalen sowie internationalen Kontext diskutiert. Die Literatur, welche sich mit einem einheitlichen Gerichtsstand auf nationaler Ebene beschäftigt, wird im Folgenden dann berücksichtigt, wenn deren Aussagen auch für den europäischen Kontext verallgemeinerungsfähig herangezogen werden können und werden daher nicht gesondert als im nationalen Zusammenhang getätigte Aussagen gekennzeichnet. Besteht ein Unterschied zwischen dem nationalen und internationalen Kontext wird auf diesen ausdrücklich hingewiesen. 346 Siehe hierzu ausführlich S. 90 ff. 347 Siehe hierzu S. 143 ff. 348 Im nationalen Kontext spielt dieses Kriterium eine weitestgehend untergeordnete Rolle, da an jedem möglichen Konzerninsolvenzgerichtsstand die gleiche lex fori concursus einschlägig ist. Allerdings kann auch dort die Vorhersehbarkeit des Gerichtsstandes relevant werden, da es in der faktischen Handhabung des eigentlich einheitlichen Insolvenzrechts durch die unterschiedlichen Insolvenzgerichte erhebliche Differenzen gibt. Diese unterschiedliche Handhabe ist vornehmlich bekannt aus dem US-amerikanischen Rechtskreises, in dem die Anwendung trotz eines einheitlichen Insolvenzrechts von Bundesstaat zu Bundesstaat erhebliche Divergenzen aufweist. Vgl. hierzu Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 537 f. Fn. 24; LoPucki, Courting Failure, 2005, S. 39 ff. u. 137 ff.; zum internationalen Kontext Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 831. 349 Wolf, Europäische Gerichtsstand, 2012, S. 76 ff.

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stände müsste damit auf einer gesonderten gesetzgeberischen Entscheidung in Form einer normativen Anordnung basieren. Eine reine Verfahrenskonzentration könnte im Zuge einer Reform – im Gegensatz zu einer weitergehenden Konsolidierung – in das bestehende europäische System integrieren werden, ohne die Insolvenzrechtsordnungen der Mitgliedstaaten anzutasten, da die Frage der internationalen Zuständigkeit schon bisher den mitgliedstaatlichen Insolvenzordnungen entzogen war.350 Im Folgenden sollen mögliche Modelle aufgezeigt und bewertet werden. I. Wahlgerichtsstand Bei einem Wahlgerichtsstand351 ist der Schuldner über Eigenanträge des Unternehmens dazu berechtigt, im Insolvenzfalle den Gerichtsstand autonom zu bestimmen. Im Falle einer Konzerninsolvenz müssen die Eigenanträge so weit koordiniert werden, dass die Wahl auf den gleichen Gerichtsstand fällt.352 Alternativ kann man dem herrschenden Mutterunternehmen zugestehen, solch eine Wahl für den ganzen Konzern abschließend zu treffen. Im Sinne einer effektiven Gewährleistung der Niederlassungsfreiheit ist es damit möglich, einen einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstand unabhängig von den einzelnen COMI der Konzernunternehmen zu begründen. Durch einen Wahlgerichtsstand ist ein Forum Shopping des Schuldners allerdings nicht nur vorprogrammiert, sondern gesetzlich gerade indiziert. Eine Gerichtsstandswahl im Zeitpunkt des Insolvenzfalles ist aufgrund einer unmöglichen Vorhersehbarkeit der Gerichtszuständigkeit für die Gläubiger im Investitionszeitpunkt in keiner Weise mit dem Ziel der bestmöglichen Allokation der Haftungsmasse vereinbar und daher strikt abzulehnen. Hinsichtlich der Gläubigerinteressen zielführender wäre es, solch einen einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstand ex Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 13. Hiervon zu unterscheiden ist ein Prorogationsmodell. Solch eines kommt im Zusammenhang eines Konzerninsolvenzgerichtsstandes jedoch nicht in Betracht, da eine Prorogation – wenn überhaupt – nur gemeinsam mit den Gläubigern stattfinden kann. Die Gläubiger stellen allerdings keine homogene Gruppe dar, die sich zur Begründung eines Gerichtsstandes zusammenfassen lässt. Eine Zusicherung des Insolvenzforums gegenüber den Großgläubigern – wie in internationalen Konsortialkreditvereinbarungen (syndicated loan agreements) schon praktiziert – reicht für eine Prorogation nicht aus, da diese nicht auf die anderen Verfahrensbeteiligten übertragen werden kann. Solche Zusicherungen sind lediglich eine Beschreibung des Status quo, eine zukünftige COMI-Verlagerung ist weiterhin möglich. Vgl. Eidenmüller, KTS 2009, 137, 148; K. Schmidt, KTS 2010, 1, 18. Eine Bündelung der Gläubigerinteressen ist erst nach der Auswahl eines Regimes über die jeweiligen dort zur Verfügung gestellten Instrumente (z. B. Gläubigerversammlungen oder -ausschüsse) möglich. 352 Eine einheitliche Wahlzuständigkeit bei Konzerninsolvenzen könnte demnach nur bei zentralisierten und eng geführten Konzernen begründet werden, K. Schmidt, KTS 2010, 1, 19. 350

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ante in Unternehmensverträgen zwischen den Konzernunternehmen festzusetzen. 353 Würde der Wahlgerichtsstand nach außen manifestiert werden und nicht nur ein Internum darstellen, wäre die Vorhersehbarkeit des zuständigen Gerichts für alle Verfahrensbeteiligten vollumfassend gewahrt. Unabhängig von der Frage, ob die Unternehmenspraxis solch einem Schritt mitgehen würde,354 ist eine vertragliche Regelung mangels der Existenz von Unternehmensverträgen in einigen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen355 auf europäischer Ebene nicht umsetzbar.356 Demnach bleibt lediglich die Möglichkeit, den einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstand von Anfang an geschlossen in allen Satzungen oder anderen öffentlich zugänglichen Dokumenten der Konzernunternehmen festzulegen. Es ist allerdings in keiner Weise garantiert, dass im Zuge dieser Wahl objektiv geeignete Gerichtsstände bestimmt werden, an denen sich beispielsweise nennenswerte Massebestandteile oder Gläubiger befinden. Die Wahl wird zumeist von unternehmensstrategischen Entscheidungen geprägt sein.357 Ein Gerichtsstand fernab der engsten Verbindung zu den einzelnen Konzernunternehmen oder gar dem ganzen Konzern kann nicht erwünscht sein. Eine Anwendung der Lehre des forum non conveniens, womit solch einem exorbitanten Gerichtsstand begegnet werden könnte, würde mit einer für ein effizientes Insolvenzverfahren unvereinbaren Verzögerung der Verfahren einhergehen. 358 Damit ein Wahlgerichtsstand tatsächlich eine Chance im europäischen Insolvenzgerichtsstandssystem haben kann, ist unter Effizienzgesichtspunkten notwendig, dass lediglich ein Gerichtsstand mit starkem Konzernbezug wählbar ist, der – zur Wahrung der Vorhersehbarkeit – auch öffentlich einsehbar festgeschrieben werden muss.359 Für den Konzern lässt sich allerdings schwer vorausschauen, welcher Gerichtsstand im Insolvenzfalle am geeignetsten ist. Insbesondere ist schwer zu prognostizieren, auf welchen internen oder externen Gründen eine zukünftige Insolvenz basiert und welche Konzernunternehmen überhaupt davon betroffen sind, sodass die

353 Überarbeitung der Gesetzesvorschläge für ein deutsches Konzerninsolvenzrecht nach dem Treffen vom 14./15.4.2008, S. 3, zitiert nach K. Schmidt, KTS 2010, 1, 18. 354 Kritisch im Zusammenhang eines einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstands im deutschen Recht K. Schmidt, KTS 2010, 1, 18 f. 355 Eine Harmonisierung des Gesellschaftsrechts in dieser Form ist zum heutigen Stand eine Utopie. 356 Selbst wenn eine gesetzgeberische Vorgabe bestimmen würde, dass jeder Konzern solche Klauseln in seinen Unternehmensverträgen vorsehen müsste, blieben die Konzernunternehmen, die aufgrund faktischen Konzernstrukturen mit dem Konzern verbunden sind, von dem Wahlgerichtsstand unberührt. 357 K. Schmidt, KTS 2010, 1, 20. 358 K. Schmidt, KTS 2010, 1, 20. 359 Damit unterscheidet sich dieser Wahlgerichtsstand mit Konzernbezug von einem Konzern-COMI, das einerseits einheitlich durch gesetzliche Anordnung festgelegt wird und andererseits tatsächlich nur am COMI des Konzerns liegen kann.

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präventive Wahl eines Gerichtsstands grundsätzlich schwerfallen wird. Praktikabel erscheint solch ein Wahlgerichtsstand damit nicht. II. Gerichtsstand nach dem Prioritätsprinzip Als weiterer Anknüpfungspunkt kann ein Prioritätsprinzip gewählt werden, nach welchem das zuerst angerufene bzw. eröffnende Gericht360 für alle weiteren darauf folgenden Insolvenzverfahren anderer Konzernunternehmen zentral zuständig ist.361 Als Begründung für dieses Modell wird im nationalen Kontext angeführt, dass solch eine Regelung klar bestimmbare und verlässliche Zuständigkeitsverhältnisse schafft.362 Dies kann jedoch zu der Situation führen, dass ein unbeachtliches Konzernunternehmen als erstes Insolvenz anzumelden hat, wodurch ein Konzerninsolvenzgerichtsstand an einem für den Konzern vollkommen ungeeigneten Ort begründet werden würde.363 Dieses Problem hat das deutsche nationale Konzerninsolvenzrecht, welches inzwischen einen Gruppen-Gerichtsstand kennt, mit einer Erheblichkeitsschwelle gelöst. Nach § 3a Abs. 1 InsO kann nur an dem Gerichtsstand des Schuldners ein Gruppen-Gerichtsstand eröffnet werden, welcher nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung für die gesamte Unternehmensgruppe ist, was anhand von der Bilanzsumme, den Umsatzerlösen und der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer zu ermitteln ist.364 Im supranationalen Bereich wird mit einem Prioritätsprinzip allerdings ein zu missbilligendes Forum Shopping mit verhältnismäßig geringem Aufwand ermöglicht.365 Die Konzernstruktur kann dabei insofern ausgenutzt werden, als der Insolvenzgrund eines Konzernunternehmens an einem ungewünschten Ort beseitigt und auf ein anderes Unternehmen übertragen wird, welches in einer geeigneteren Rechtsordnung situiert ist. Die Gestaltungsmöglichkeit reicht sogar soweit, dass eine Tochtergesellschaft als „Insolvenzvehikel“366 an einem ganz frei wählbaren Ort erworben werden kann, wodurch der Insolvenz360 Auf den Erlass des Eröffnungsbeschlusses abstellend, da zu diesem Zeitpunkt die Rechtswirkungen eintreten, Hirte, ZIP 2008, 444, 445. Dagegen für den Zeitpunkt des Antragseingangs plädierend, da auch im Zeitraum zwischen Antragstellung und Verfahrenseröffnung wesentliche praktische Entscheidungen getroffen werden, Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1852; Rennert-Bergenthal, ZInsO 2008, 1316, 1317 f. 361 Im US-amerikanischen Recht ist solch ein Gerichtsstand in 28 U.S.C. § 1408 geregelt, Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 539. 362 Ehricke, DZWIR 1999, 353, 360; Hirte, ZIP 2008 444, 445. Allerdings muss bei Folgeinsolvenzanträgen von Konzernunternehmen das Bestehen eines Konzernverhältnisses geprüft werden, Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 539. 363 Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1852; K. Schmidt, KTS 2010, 1, 21; Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 832 f. 364 Hierzu ausführlich J. Schmidt, KTS 2018, 1, 17 f. 365 Thole, KTS 2014, 351, 358; Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 832 f. 366 Hirte, ZIP 2008, 444, 445.

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gerichtsstand beliebig bestimmbar ist. Das eigentlich zu vermeidende Forum Shopping in Form der Gerichtsstandserschleichung wird gerade noch befeuert, da durch einen gezielten Erstantrag einer Konzerngesellschaft eine Gesamtzuständigkeit für alle folgenden Insolvenzen des Konzerns geschaffen werden kann.367 Die Wahl des forum concursus ist – wie bei einem Wahlgerichtsstand – der Beliebigkeit ausgesetzt und in höchstem Maße beeinflussbar. Hinter dieser Beliebigkeit liegt das eigentliche Übel versteckt. Da die Muttergesellschaft über ihre Beherrschung das geeignetste Recht einer Tochtergesellschaft faktisch frei wählen kann, ist eine Vorhersehbarkeit des Insolvenzgerichtsstands für Gläubiger nicht möglich.368 Klar bestimmbare und zuverlässige Zuständigkeitsverhältnisse im Sinne der Vorhersehbarkeit für die Gläubiger werden durch das Prioritätsmodell gerade nicht geschaffen. Dem Zweck des Insolvenzverfahrens hinsichtlich der besten Allokation des Kapitals wird damit widersprochen. Das Prioritätsprinzip ist im internationalen Kontext abzulehnen. III. Konzern-COMI Sowohl ein Wahl- als auch ein Prioritätsgerichtsstand sind – wie zuvor festgestellt – praktisch nicht umsetzbar, da es an deren Vorhersehbarkeit mangelt. Ob ein einheitliches Konzern-COMI diese Anforderung erfüllen kann, ist nachfolgend zu prüfen. Hierfür sind zwei stufenförmig angeordnete Voraussetzungen zu erfüllen. Zunächst muss die Zugehörigkeit jedes Unternehmens zum Konzern und daraufhin hin das Konzern-COMI selbst erkennbar sein. In der Wirtschaftsrealität findet – jedenfalls bei integrierten Konzernen – grundsätzlich eine genaue Überprüfung der Verhältnisse des Konzerns statt, da Vermögenswerte und Verbindlichkeiten innerhalb eines Konzerns losgelöst von Marktpreisen kursieren können, sich die Gläubiger daher die konkrete Konzernsituation für eine fundierte Investitionsentscheidung zu vergegenwärtigen haben.369 Gerade bei klassischen Konzernstrukturen, bei denen sich die betriebsnotwendigen Aktiva auf unterschiedliche Konzernunternehmen aufspalten, die Unternehmen jedoch über eine einheitliche Leitung miteinander verbunden sind, über Garantien und Sicherheiten füreinander einstehen und die Liquidität über ein Cash-Pooling-System verteilt wird, muss eine Bewertung des ganzen Konzerns – auf Basis der konsolidierten Jahresabschlüsse – statt-

Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 539; Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 832 f. Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 805; Ehricke, DZWIR 1999, 353, 355; K. Schmidt, KTS 2010, 1, 20 f.; Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 832 f. 369 Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 68 ff.; Hirte, ECFR 2008, 213, 222 f.; ders. in: FS K. Schmidt, 2009, 641, 645; Maier-Reimer in: Lutter/Scheffler/Schneider, Hdb Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 16.3; insbesondere Banken nehmen den Konzern als Einheit war, Wenner/Schuster, ZIP 2008, 1512, 1512. 367

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finden, wenn es zur Kreditvergabe kommt.370 Der Gläubiger weiß daher um die Verbundenheit und Integration des jeweiligen Konzernunternehmens in dem Konzernverbund. Nur auf Basis dieser Kenntnis kann sich ein potenzieller Gläubiger einen Zugriff auf die Kreditlinien der anderen Konzernunternehmen verschaffen.371 Demnach ist davon auszugehen, dass die Konzernstruktur für die Großgläubiger ohnehin bekannt sein dürfte. Für Gläubigergruppen, die keinen vergleichbaren Einblick in die Strukturen der Unternehmen haben, da ihnen die nötigen Mittel nicht zur Verfügung stehen, lässt sich die Vorhersehbarkeit der Konzernzugehörigkeit allerdings garantieren, indem bei der Festlegung des Konzern-COMI an formelle Kriterien, wie der Konsolidierungspflicht oder klar bestimmbaren materiellen Abhängigkeiten, angeknüpft wird. So bestehen die Vorschriften hinsichtlich konsolidierter Abschlüsse gerade, um der Rechtswirklichkeit der Konzerne gerecht zu werden und die Strukturen öffentlich abzubilden. 372 Unsicherheiten entstehen jedoch, wenn es um die Vorhersehbarkeit des Konzern-COMI selbst geht. Als maßgebliches Kriterium zur Bestimmung eines einheitlichen Konzern-COMI kommt zunächst ein Rückgriff auf die COMI der jeweiligen Konzernunternehmen in Betracht. Liegen die COMI der insolventen Unternehmen am gleichen Ort, dann ist eine Regelung deckungsgleich mit der ohnehin schon bestehenden Regelung aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO und damit redundant. Anderes gilt im Zusammenhang eines speziellen KonzernCOMI, das unabhängig von den COMI der Konzernunternehmen zu bestimmen ist. Die Bestimmung dieses Merkmals kann sich – vergleichbar mit der Bestimmung des COMI nach Art. 3 EuInsVO – auf eine Zusammenschau des Ortes der effektiven Hauptverwaltung und den Merkmalen der business activity-Theorie stützen. Diese abstrakte Prüfung fordert allerdings einen hohen Feststellungsaufwand und führt zu erheblichen Unwägbarkeiten, da ein Konzern oftmals kein klares Konzernverwaltungszentrum besitzt.373 In praktischer Hinsicht kommt daher nur eine Anknüpfung an das COMI des Mutterunter-

370 Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 69 f.; im Zusammenhang nationalen Rechts Humbeck, NZI 2013, 957, 958 u. 960. Dabei wird berechtigterweise darauf hingewiesen, dass die deutschen §§ 18 sowie 19 Abs. 2 und 3 KWG dieses Bedürfnis nach einer Analyse der konzernweiten wirtschaftlichen Verhältnisse widerspiegeln. Eine Konzernanalyse ist daher ab einer gewissen Größenordnung des Kredits gerade rechtlich indiziert. 371 Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 69; Maier-Reimer in: Lutter/Scheffler/Schneider, Hdb Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 16.7 ff. 372 Siehe hierzu ausführlich die Ausführungen bezüglich des neu eingefügten Anwendungsbereichs der Verfahrenskooperation und -koordination (S. 184 ff), die aufzeigen, dass die Zugehörigkeit eines Unternehmens zu einem Konzern objektiv einfach feststellbar festgelegt werden kann. 373 Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 833.

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nehmens in Betracht.374 Bei einer verwoben divisionalen Konzernstruktur bei der eine Holding an der Spitze steht, die keine Wirtschaftstätigkeit vollzieht375 sowie ausschließlich als reines Finanzierungsvehikel dient,376 und auf zweiter Ebene eigenständige Konzernsparten horizontal angeordnet sind, wird jedoch auch dieses Merkmal zu keinen eindeutigen und sachgerechten Ergebnissen führen.377 Werden viele Tochterunternehmen im Sinne eines dezentralen Konzerns als eigene Geschäftsbetriebe und nicht lediglich als Betriebsabteilungen geführt, ist die Annahme eines Konzern-COMI grundsätzlich nicht angebracht, sodass die Vermutung des COMI des Mutterunternehmens für das KonzernCOMI nicht greift.378 Für Gläubiger vollständig unübersichtlich wird die Situation, wenn das Mutterunternehmen selbst nicht in die Insolvenz fällt. Solange das Mutterunternehmen solvent ist, erscheint die Annahme eines Konzern-COMI am COMI der Mutter als grundsätzlich sachwidrig, da keine insolvenzspezifische Nähebeziehung zu diesem Ort besteht.379 Allerdings ist es nicht im Sinne der Gläubigerinteressen, ein Konzern-COMI nur dann anzunehmen, wenn auch die Muttergesellschaft die Insolvenz einleitet, da es für Gläubiger im Vorfeld nicht möglich ist, die konkreten Insolvenzkonstellationen vorauszusehen.380 Ebenso diffizil ist die Situation, wenn die Muttergesellschaft erst später die Insolvenz eröffnet. Nach der Empfehlung des Europäischen Parlaments vom 15.11.2011 sollte die Eröffnung des neuen „Hauptinsolvenzverfahrens“ zur Aussetzung der Verfahren der anderen Konzernunternehmen führen.381 Solch eine Aussetzung ist im Falle einer sukzessiven Konzerninsolvenz zwar anzudenken, birgt allerdings erhebliche Ineffizienzen, da die früher eröffneten Verfahren schon einen erheblichen Verfahrensfortschritt erreicht haben werden. Eine Entmachtung der zuständigen Institutionen und eingesetzten Verwalter wird darüber 374 Nur auf den Satzungssitz des Mutterunterunternehmens abstellend Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 281, 282; Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 833. 375 Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 224. 376 Oberhammer, ecolex 2013, 209, 211. 377 Ähnlich K. Schmidt, KTS 2010, 1, 20. 378 Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 281, 283; Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 805; Ehricke, ZInsO 2002, 393, 396 f.; INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 92 Rn. V.3.; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 224. Problematisch ist auch der Fall, dass ein Konzernunternehmen veräußert und übertragen wird. Die Zugehörigkeit zum Konzern-COMI würde sich auflösen und entweder das eigene COMI oder ein anderes Konzern-COMI ausschlaggebend werden. Im Sinne einer Vorhersehbarkeit ist dies nicht. Vgl. hierzu Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 832. 379 Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 281, 284; Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 805; INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 92 Rn. V.3; K. Schmidt, KTS 2010, 1, 20. Man könnte in diesem Fall daran denken, an die ranghöchste insolvente Konzerngesellschaft anzuknüpfen, Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 832. 380 INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 92 Rn. V.3. 381 Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Anlage Teil 3 1. B.

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hinaus sicherlich nicht zu einem Insolvenzfrieden in der Europäischen Union beitragen. Des Weiteren widerspricht eine nachträgliche Zuständigkeitsänderung dem Grundsatz der perpetuatio fori.382 Zusammenfassen lässt sich daher feststellen: Das COMI eines Unternehmens zu ermitteln, stellt eine schwierige, aber zu bewältigende Aufgabe dar. Das COMI eines Konzerns ausfindig zu machen, ist ein für den Gläubiger mit zu großen Unwägbarkeiten verbundenes Unterfangen.383 Es würde in den meisten Fällen eine überraschende oder unangemessene lex fori concursus zur Anwendung gelangen. 384 Aufgrund der unterschiedliche ausgestalteten Rechtsordnungen ist demnach ein Konzern-COMI auf Basis des aktuellen Systems nicht vorstellbar. IV. Fazit Es zeigt sich, dass ein einheitlicher Konzerninsolvenzgerichtsstand auf diversen anderen Wegen als nur über den Ort des einheitlichen COMI umgesetzt werden kann. Das im internationalen Kontext entscheidende Kriterium der Vorherseh- und Kalkulierbarkeit des Konzentrationsortes und damit des anwendbaren Rechts schließt allerdings die Anwendbarkeit all dieser alternativen Konzentrationsmöglichkeiten aus. Zwar hat grundsätzlich ein einheitlicher Konzerninsolvenzgerichtsstand am COMI des Mutterunternehmens Potenzial zu überzeugen, aufgrund der Vielzahl an Konzerninsolvenzkonstellationen ist es allerdings nicht möglich, die Vorhersehbarkeit für Gläubiger zu gewährleisten. Der europäische Gesetzgeber hat demnach gut daran getan, unter der Berücksichtigung des bisherigen Standes der europäischen Integration, keine weiteren Konzentrationsexperimente zu wagen. Politisch gegen die Verfahrenskonzentration wird überdies eingewandt, dass die Konzernzentralen in Europa gesammelt in wenigen westeuropäischen Staaten liegen. Eine Konzentration führt zu einer Verschiebung hin zu diesen Zentren.385 Dies zeigte sich schon im Zusammenhang der Interpretation des COMI-Kriteriums durch Common Law-Gerichte. Aus diesem Grund sprach sich eine kleine Mehrheit der Teilnehmer der nationalen Experten im Zuge des Heidelberg-Vienna Reports eindeutig gegen diese Handhabung aus. Dies Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 832. Diese komplexen Strukturen ist für Gläubiger – insbesondere für Kleingläubiger – im Vorfeld unmöglich aufzudröseln, Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 281, 284; Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 805; Fritz, DB 2015, 1945, 1945; K. Schmidt, KTS 2010, 1, 20; Thole, KTS 2015, 351, 372 f.; ders./Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 224; Vallender, ZIP 2015, 1513, 1520; ders./Deyda, NZI 2009, 825, 831 ff. 384 K. Schmidt, KTS 2010, 1, 24 f.; losgelöst von einem Konzern-COMI zu dieser Thematik vgl. INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 92 Rn. V.3; Wolf, Europäischer Gerichtsstand, 2012, S. 82. 385 Oberhammer, ecolex 2013, 209, 210. 382

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waren vornehmlich Länder, die keine Fälle einer Konzerninsolvenz aus ihrer eigenen Jurisdiktion zu berichten hatten.386 Zwar wurde durch die Rechtsprechung des EuGH eine zu exzessive Anwendung des COMI unterbunden, eine Ausweitung der Konzentration über weitere Anknüpfungspunkte würde die Tendenz hin zu Konzerninsolvenzkonzentrationen in westeuropäischen Mitgliedstaaten allerdings weiter stärken und zu noch mehr Unzufriedenheit in den Jurisdiktionen führen, die bisher aus dem Raster fielen. Somit ist auch auf politischer Ebene noch ein weiter Weg zu gehen, bevor eine ausgedehnte Konzentrationsmöglichkeit geschaffen werden kann. D. Effizienzsteigerung durch Harmonisierung Harmonisierungsgedanken mit Blick auf die nationalen Insolvenzrechte bestehen schon seit einigen Jahren.387 Zwar haben sich diese nicht mit der Schaffung einer vollumfänglichen Insolvenzordnung auf europäischer Ebene konkretisiert, starke Bestrebungen – sowohl durch das Europäische Parlament388 als auch die Kommission389 – richten sich allerdings auf einen bunten Strauß an partiellen Vereinheitlichungen sowohl des Verfahrens- als auch des materiellen Insolvenzrechts.390 Die öffentliche Konsultation im Vorfeld der Reform, in der mehr als die Hälfte der Befragten darauf hinwies, dass die Unterschiede in den nationalen Insolvenzrechten ein wesentliches Hindernis für ein effektives Verfahren – insbesondere im Zusammenhang mit Unternehmensinsolvenzen – 386 Namentlich Litauen, Luxemburg, Malta, Ungarn, Slowenien, Rumänien und Niederlande, SWD(2012), 416 final (EN), S. 19. 387 Siehe hierzu ausführlich Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 6. Aufl. 2018, 17.12. 388 Hierfür hat das Europäische Parlament in den Jahren 2010 und 2011 zwei Studien in Auftrag gegeben: INSOL Europe, Harmonisation of Insolvency Law at EU Level, April 2010, PE 419.633 (Zusammenfassung abgedruckt in IILR 2010, 87 ff.) sowie Pukszto, Harmonisation of insolvency law at EU level with respect to opening of proceedings, claims filing and verification and reorganisation plans, March 2011, PE 432.766. Diese Studien resultierten in der Forderung des Europäischen Parlaments nach einer teilweisen Harmonisierung in Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Erwägungsgründe C u. D. 389 Im Jahre 2016 wurde eine durch die Kommission beauftragte Studie veröffentlicht: McCormack/Keay/Brown/Dahlgreen, Study on a new approach to business failure and insolvency. Comparative legal analysis of the Member States’ relevant provisions and practices, Januar 2016, siehe , Stand: November 2018. 390 Mögliche Bereiche, die dabei angegangen werden könnten, betreffen prozedurale wie materielle Aspekte des Insolvenzverfahrens, insbesondere die Verfahrenseröffnung, die Forderungsanmeldung inklusive der Rangfolge von Forderungen und Vorzugsrechten, die Insolvenzanfechtung, die Anforderungen an Qualifikation und Tätigkeit des Verwalters sowie Restrukturierungspläne. Eine ausführliche Liste an Empfehlungen des Europäischen Parlaments hinsichtlich der zu regelnden Bereiche ist zu finden in der Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Anlage Teil 1.

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Kapitel 3: Das Konzerninsolvenzrecht der EuInsVO de lege lata

sind, unterstützten diese Absichten.391 Wie eine Harmonisierung helfen kann, die Effizienz des europäischen Insolvenzrechtssystems zu steigern, soll im Folgenden dargestellt werden. I. Harmonisierung der Gläubigerrechte und -schutzvorschriften Die ablehnende Haltung gegenüber anderen Konzentrationsorten rührt nicht daraus, dass ihnen kein Potenzial zugesprochen werden kann, das europäische Konzerninsolvenzrechtssystem noch effizienter zu gestalten. Sie basiert allein auf der Tatsache, dass nach dem aktuellen Stand der europäischen Integration jeglicher andere Konzerninsolvenzgerichtsstand zur Unvorhersehbarkeit des Insolvenzforums und damit des anwendbaren Rechts für die Gläubiger führen würde und demnach als einheitlicher Gerichtsstand nicht tragbar wäre. Daher ist zu analysieren, ob das europäische Insolvenzrecht insofern weiterentwickelt werden kann, als andere Konzentrationsmöglichkeiten die Chance haben, in einen Effizienzwettstreit gegeneinander einzutreten. Dies ist nur möglich, wenn die Bedeutung des Kriteriums der Vorhersehbarkeit zurückgedrängt wird. So spielen Konzerninsolvenzgerichtsstände im nationalen Kontext in unterschiedlichen Ausprägungen eine erheblich gewichtigere Rolle, da innerhalb einer Jurisdiktion an jedem möglichen Gerichtsstand das gleiche Recht zur Anwendung gelangt. Die Gerichtsstandsvorhersehbarkeit ist nicht in einem mit dem internationalen Bereich vergleichbaren Ausmaß erforderlich. Ein ähnlicher Zustand könnte auf europäischer Eben nur dann erreicht werden, wenn die Gläubigerrechte und der Gläubigerschutz in der europäischen Union einheitlich ausgestaltet wären. Solche Gedankenspiele waren Teil der Überlegungen im Zuge der Reform der EuInsVO. Eine Harmonisierung begegnete allerdings großen Vorbehalten, da sie naturgemäß nicht ohne einen tiefen Eingriff in die bestehenden Rechtsordnungen erfolgen kann. Die EuInsVO hätte überdies eine grundlegende Überarbeitung erfahren müssen, da in dem Verordnungstext oder in ergänzenden Richtlinien weitgehend das insolvenzrechtliche Verfahrensrecht und größtenteils das materielle Insolvenzrecht eigenständig zu regeln gewesen wäre. Eine Umsetzung der Harmonisierung hätte daher nur auf Basis einer ausführlichen rechtsvergleichenden Analyse durchgeführt werden können.392 Es wäre eine vergleichende Untersuchung der nationalen Insolvenzordnungen nötig gewesen, wodurch eine sofortige Umsetzung nicht hätte stattfinden können.393 Insbesondere aus diesen Gründen hat sich der europäische Gesetzgeber gegen eine Harmonisierung entschieden. Dabei wurde übersehen, dass die Rechtsvergleichung im Bereich des Insolvenzrechts in der vergangenen Zeit schon einen

SWD(2012) 416 final (EN), S. 53. SWD(2012) 416 final (EN), S. 44 u. 46. 393 SWD(2012) 416 final (EN), S. 46.

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erheblichen Fortschritt erfahren hatte.394 Der wirkliche Grund der Zurückweisung einer Harmonisierung lag wohl eher darin begründet, dass eine so weitgehende Angleichung mit erheblichem politischem Widerstand verbunden gewesen wäre. 395 Gerade diese politischen Schwierigkeiten gilt es jedoch zu überwinden, da sie in einem durch unterschiedliche Regelungen geprägten und dadurch ineffizienten europäischen Insolvenzrechtsgefüge resultieren. Bei einer Harmonisierung der materiellen Insolvenzrechte sind vornehmlich die Eigentumsrechte der Gläubiger anzugleichen, sodass die Rangstellung der Gläubiger nicht mehr von der jeweils einschlägigen lex fori concursus abhängt.396 Gerade mangels einer Harmonisierung der Rangfolge der Gläubiger ist eine Konzentration der Gerichtsverfahren für Gläubiger untragbar.397 Insbesondere die Arbeitnehmer, deren Interessen im Restrukturierungs- und Sanierungsfall durch die anwendbare Rechtsordnung zu schützen sind, gewinnen durch eine Harmonisierung erheblich an Rechtssicherheit, da ihre Rechtsstellung durch unterschiedliche nationale Rechtsvorschriften und Praktiken nicht mehr verwässert ist. Darüber hinaus findet eine Integration in eine einheitliche Rangfolge als Gläubigern statt.398 So ist es möglich, ihnen europaweit den Status als vorberechtigte Gläubiger zuzusprechen399 und damit den Schutz der Arbeitnehmer erheblich zu fördern sowie den durch die EuInsVO vorgegebenen Zwecken in hohem Maße zu entsprechen. Dieser Ansatz wird in ErwG 22 EuInsVO bekräftigt, eine Lösung der Problematik jedoch auf die nächste Reform verschoben.400 Bis dahin soll den unterschiedlichen nationalen Rechten über den Weg einer Sonderanknüpfung für Arbeitsverträge begegnet werden.401 Die Materie des Gläubigerschutzes im materiellen Konzerninsolvenzrecht hat jedoch oftmals Zurechnungs- und Haftungsfragen des Konzernrechts zum Thema. Im kontinentaleuropäischen Recht sind diese Fragen tendenziell dem Gesellschaftsrecht zuzurechnen. 402 Im Rechtskreis des Common Law spielt sich diese Materie hingegen vornehmlich im Insolvenzrecht ab. 403 Diese

394 Dies kritisch anmerkend Eidenmüller/Frobenius, ZIP 2013, Beilage 22, 1, 13; Eidenmüller, MJ 1 (2013), 133, 137 f. m. w. N. 395 Eidenmüller, MJ 1 (2013), 133, 138. 396 SWD(2012) 416 final (EN), S. 43. 397 Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, ErwG AB. 398 Stellungnahme EWSA zu COM(2012) 744 final, 4.5.3. 399 Stellungnahme EWSA zu COM(2012) 744 final, 4.3.4. 400 ErwG 22 S. 5 EuInsVO. 401 ErwG 22 S. 6 f. EuInsVO. 402 Im deutschen Recht fallen darunter insbesondere die konzernrechtlichen Verlustausgleichspflichten und Durchgriffsfragen. 403 K. Schmidt, KTS 2010, 1, 4.

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unterschiedlichen dogmatischen Einordnungen404 zeigen, dass die Harmonisierungsbemühungen über das Insolvenzrecht hinauszugehen haben. Eine Vereinheitlichung des Gläubigerschutzes hat demnach sowohl im europäischen Gesellschafts- als auch Insolvenzrecht stattzufinden. Die Gläubigerrechte können auch über eine Vereinheitlichung der Verfahrensrechte gestärkt werden. So sind verfahrensrechtliche Aspekte, wie Voraussetzungen und Abläufe des Eröffnungsverfahrens, Anhörung von Gläubigern oder wirksame Rechtsbehelfe, anzugleichen.405 Insbesondere hinsichtlich des Effizienzziels ist eine Harmonisierung zu fordern. So könnten nicht nur Konzerninsolvenzverfahren vermehrt in einer ökonomisch sinnvollen Weise an einem gemeinsamen Ort eröffnet werden, wodurch der Anwendungsbereich einer Konzentration vergrößert werden würde. Aufgrund der Sicherung der Gläubigerrechte auf Basis eines ausreichenden einheitlichen Schutzstandards wäre auch die Notwendigkeit von Sekundärinsolvenzverfahren, welche ein großes Effizienzdefizit im europäischen Insolvenzrechtssystem verursachen, weitgehend unterbunden.406 II. Harmonisierung der Restrukturierungs- und Sanierungsvorschriften Eine Harmonisierung des Restrukturierungs- und Sanierungsrechts kann des Weiteren dazu führen, ein ineffizientes Forum Shopping zu verhindern. Wie im Zusammenhang mit dem Wahlgerichtsstand aufgezeigt, ist nach dem bisherigen System aus Effizienzgründen nicht zuzulassen, sich einen Konzerninsolvenzgerichtsstand und damit auch die von diesem abhängige lex fori concursus auszusuchen. Aus diesem Grund geht die Praxis den Weg von aufwendigen Verlagerungen der effektiven Hauptverwaltung, um – wie im Fall Deutsche Nickel und Schefenacker407 – zu den Vorzügen eines effizienten Insolvenzrechts zu gelangen. Eine tatsächliche Gerichtsstandsverlagerung ist nicht nur aus Gläubigersicht problematisch, da die Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands verloren geht. Sie stellt auch einen aufwendigen Akt dar, der mit viel Kosten und Zeitaufwand verbunden ist. Einem Forum Shopping durch Gerichtsstandsverlagerung kann jedoch mit dem Instrument der Harmonisierung begegnet werden. Der Auslöser der Verlagerung steckt in dem Wunsch, eine passende lex fori concursus zur Anwendung zu bringen. 408 Es entsteht ein 404 Die Interdependenz zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrechts ist inzwischen allseits anerkannt, Paulus, DB 2008, 2523, 2524 f.; K. Schmidt, KTS 2010, 1, 3. 405 SWD(2012) 416 final (EN), S. 32, 35 u. 44. 406 Siehe hierzu S. 143 ff. 407 Siehe hierzu S. 126 f. 408 Bei einer nationalen Konzerninsolvenz ist an jedem Insolvenzgerichtsstand das gleiche materielle Recht anwendbar, wodurch sich die Folgen eines Forum Shoppings und des Wettbewerbs der Insolvenzgerichte in verträglichem Maße halten würden. Vgl. Frind, Stellungnahme für den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages

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Insolvenztourismus in Richtung von Rechtsordnungen, die in erster Linie für den Schuldner bessere Restrukturierungs- und Sanierungsinstrumente zur Verfügung stellen.409 Wären die Insolvenzrechte in dieser Hinsicht harmonisiert, bestände kein Bedarf, ein anderes Insolvenzrecht wählen zu müssen.410 Allerdings müsste durch die Harmonisierung ein gehobenes Niveau an praxistauglichen Verfahrensmitteln geschaffen werden. Eine Gerichtsstandsverlagerung lässt sich vermeiden, wenn die Kosten der Verlagerung höher zu beziffern sind als der Nutzen, welcher die Anwendung einer anderen Insolvenzrechtsordnung mit sich bringt. Solch eine Entscheidung pro Harmonisierung würde der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15.11.2011411 sowie klaren Positionsbekundungen im Zuge der Reform der EuInsVO412, in denen eine Harmonisierung bestimmter insolvenzrechtlicher Aspekte empfohlen oder zumindest als äußert positiv angesehen wurde, gerecht werden. Der Binnenmarkt profitiert von gleichen Ausgangsbedingungen. Die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Insolvenzordnungen verzerren den Wettbewerb zwischen Unternehmen mit grenzüberschreitenden Geschäftstätigkeiten oder Beteiligungsstrukturen und stellen Hindernisse für eine erfolgreiche Restrukturierung und Sanierung insolventer Unternehmen dar.413 Eine Harmonisierung hat demnach das Potenzial zu Masseerhöhungen beizutragen, woraus sich als Konsequenz ein erhöhter Zuspruch für Sanierungsmittel entwickeln kann. 414 Der grenzüberschreitende Handel erfährt durch harmonisierte Vorschriften einen erheblichen Aufschwung. So hatten Interessenvertreter der Wirtschaft, namentlich der Eurochambers, UEAPME sowie Business Europe, schon oftmals bemängelt, dass nationale Insolvenzrechte Unzulänglichkeiten enthielten. Gerade die unterschiedliche Länge der Entschuldungsfristen in den einzelnen nationalstaatlichen Insolvenzordnungen ist ein wesentlicher Hinderungsgrund, eine erfolgreiche Sanierung durchzuführen.415

zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen v. 25.3.2014, S. 3; Hirte, ZIP 2008 444, 445. 409 Auf die Hindernisse der unterschiedlichen Rechtsordnungen hinsichtlich einer erfolgreichen Restrukturierung insolventer Unternehmen hinweisend Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, ErwG A. 410 Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, ErwG A. 411 Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, ErwG C. 412 Bericht des Rechtsausschusses zum Kommissionsvorschlag, JURI-Bericht, A70481/2013, abschließende Begründung. 413 SWD(2012) 416 final (EN), S. 43 f.; Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, ErwG A. 414 Bezüglich eines neuen Ansatzes zur Verfahrensweise bei Firmenpleiten und Unternehmensinsolvenzen COM(2012) 742 final (DE), S. 4. 415 SWD(2012) 416 final (EN), S. 44; Stellungnahme EWSA zu COM(2012) 744 final, 4.3.3.

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Diese Zielvorstellungen hatte die Empfehlung 2014/135/EU der Kommission vom 12.3.2014416 vor Augen. Daher wurde veranlasst, eine eigenständige „Rettungs- und Sanierungskultur“ in der Europäischen Union mit einem Mindeststandard für präventive Restrukturierungsmaßnahmen und den Schuldenerlass zu etablieren, um dadurch schon im vorinsolvenzlichen Bereich einen präventiven Restrukturierungsrahmen zu schaffen sowie im Insolvenzfalle eine „zweite Chance“ der Schuldner zu ermöglichen.417 Mangels daraus resultierender Harmonisierungsbemühungen der Mitgliedstaaten wurde am 22.11.2016 ein sachlich beschränkter Kompromiss in Form des UntInsRL-E erlassen.418 Gerade hinsichtlich einer Verhinderung von erlaubtem, aber ineffizienten Forum Shopping strebt dieser Vorschlag in die richtige Richtung einer einheitlichen europäischen Sanierungskultur und enthält daher – neben den Regelungsbereichen der Empfehlung – auch Vorschriften zur Verbesserung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Schuldenerlassverfahren. Nach Art. 4 Abs. 1 UntInsRL-E sowie durch ErwG 17 S. 1 UntInsRL-E unterstützt wollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Schuldner in finanziellen Schwierigkeiten bei einer drohenden Insolvenz Zugang zu einem wirksamen präventiven Restrukturierungsrahmen haben. Dieser soll ihnen ermöglicht, ihre Rentabilität wiederherzustellen und eine Insolvenz abzuwenden. Gewährleistet werden soll dies gem. Art. 5 Abs. 1 UntInsRL-E, indem die Schuldner, die präventive Restrukturierungsverfahren in Anspruch nehmen, ganz oder zumindest teilweise die Kontrolle über ihre Vermögenswerte und den täglichen Betrieb des Unternehmens behalten, das heißt die Restrukturierung in Eigenverwaltung durchführen können.419 Es kann ein erheblicher Anteil der insolventen Unternehmen gerettet werden, wenn in allen Mitgliedstaaten, in denen diese Unternehmen Niederlassungen, Vermögenswerte oder Gläubiger haben, präventive Restrukturierungsverfahren bestehen. Daran anknüpfend soll universell sichergestellt werden, dass so früh wie möglich ein Zugang zu Die Empfehlung basierte auf der Mitteilung der Kommission hinsichtlich eines neuen europäischen Ansatzes zur Verfahrensweise bei Firmenpleiten und Unternehmensinsolvenzen (COM(2012) 742), die gemeinsam mit dem Kommissionsvorschlag zur neuen EuInsVO vorgelegt wurde, und dem Aktionsplan Unternehmertum 2020 (COM(2012) 795 final). Vgl. hierzu Bayer/J. Schmidt, BB 2013, 3, 9; Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 6. Aufl. 2018, 17.10. 417 Nach Ziff. 34 sollten die Mitgliedstaaten diese Empfehlung binnen eines Jahres umsetzen. Mehr zum Inhalt Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 6. Aufl. 2018, 17.10 u. 17.107 ff. m. w. N. 418 COM(2016) 723, S. 8. Der Richtlinienentwurf ist Teil des Aktionsplans zur Schaffung einer Kapitalmarktunion (COM(2015) 468 final) und der Mitteilung der Kommission hinsichtlich einer Binnenmarktstrategie (COM(2015) 550), vgl. Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 6. Aufl. 2018, 17.11 u. 17.110 ff. 419 Nach ErwG 18 S. 2 UntInsRL-E gilt dies, um Kosten zu sparen und das vorbeugende Gepräge des Restrukturierungsrahmens zu betonen. In Ausnahmefällen nach Art. 5 Abs. 2, 3 UntInsRL-E kann ein Restrukturierungsverwalter bestellt werden. 416

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präventiven Restrukturierungsmaßnahmen existiert. Es ist untragbar, wenn Schuldner nicht gemeinsam mit ihren Gläubigern in eine Restrukturierung eintreten können, bevor sie tatsächlich zahlungsunfähig sind oder ihnen anderweitig strenge und kostspielige Zugangsbedingungen gegenüberstehen.420 Indem eine Aussetzung einzelner Durchsetzungsmaßnahmen in Bezug auf alle Arten von Gläubigern gem. Art. 6 f. UntInsRL-E angeordnet werden kann, soll gewährleistet werden, dass Schuldner in Zukunft Restrukturierungspläne mit ihren Gläubigern aushandeln können, ohne der Gefahr eines Insolvenzantrag von Gläubigern ausgesetzt zu sein oder einer Insolvenzantragspflicht nachkommen zu müssen.421 Derartige Restrukturierungspläne stellen seit jeher das Zentrum von Restrukturierungsbemühungen dar. Daher ordnet der Richtlinienvorschlag an, dass ein Restrukturierungsplan mit einem in Art. 8 Abs. 1 UntInsRL-E festgeschriebenem Mindestinhalt erlassen werden muss, der nach Annahme durch die Beteiligten422 und einer Bestätigung von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde gem. Art. 14 Abs. 1 UntInsRL-E für die darin genannten Parteien verbindlich ist. Die Restrukturierungspläne stellen damit eine gewisse Qualität im Zusammenhang mit Gläubigerabsprachen bereit. 423 Ein wichtiger Entscheidungsfaktor der Schuldner bei der Wahl einer Rechtsordnung, an der eine Sanierung durchgeführt werden soll, liegt in den jeweiligen Entschuldungsfristen begründet. Der Richtlinienentwurf möchte daher gem. Art. 20 Abs. 1 UntInsRL-E sicherstellen, dass eine Entschuldung in vollem Umfang möglich ist und die Entschuldungsfrist gem. Art. 20 Abs. 1 UntInsRL-E auf maximal 3 Jahre begrenzen.424 Interessant sind ferner die in Art. 16 f. UntInsRL-E enthaltenen Regelungen zum Schutz von neuen Finanzierungen, Zwischenfinanzierungen und sonstigen Transaktionen im Zusammenhang mit der Restrukturierung. Gem. Art. 24 f. UntInsRL-E soll als wichtigstes Mittel zur Effizienzsteigerung von Restrukturierung, Insolvenz und „zweiter Chance“ aus Schuldnersicht eine ausreichende Qualifikation sowohl der Justiz- und Verwaltungsbehörden als auch der betrauten Mediatoren, Insolvenzverwalter und sonstigen Verwalter gewährleistet werden.

COM(2016) 723 final (DE), S. 3 f. Dieses Moratorium gilt gem. Art. 6 Abs. 4, 7 UntInsRL-E zunächst für maximal vier Monate, ist allerdings bis auf 12 Monate verlängerbar. 422 Das Annahmeverfahren kann im Zuge dreier Varianten oder über den Weg eines cram down geschehen. Die genaue Ausgestaltung dieser Verfahren spielt für den in dieser Arbeit zu behandelnden Kontext keine Rolle, wird allerdings genauer beschrieben in Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 6. Aufl. 2018, 17.114. 423 COM(2016) 723 final (DE), S. 4. 424 Gem. Art. 22 UntInsRL-E sollen längere Entschuldungsfristen möglich sein, wenn der Schuldner unredlich oder bösgläubig gegenüber den Gläubigern gehandelt hat, seine Zahlungspflichten nicht einhält oder das Entschuldungsverfahren missbräuchlich oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums wiederholt in Anspruch genommen wurde. 420

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Der Richtlinienentwurf ist darauf ausgerichtet, einen funktionierenden Insolvenzrahmen zu schaffen, der ein wesentlicher Bestandteil eines leistungsfähigen Geschäftsumfelds ist, da er Handel und Investitionen fördert, zur Schaffung und zum Erhalt von Arbeitsplätzen beiträgt und Volkswirtschaften hilft, wirtschaftliche Schocks, die in hohem Maße zu notleidenden Krediten und Arbeitslosigkeit führen, abzufedern.425 Indem ineffiziente und unterschiedliche Insolvenzvorschriften, die eine Bewertung des Kreditrisikos durch die Anleger erschweren,426 aufgehoben werden, zielt der Richtlinienentwurf zwar von seiner Regelungsintention auf den Schutz der Anleger und damit das Ziel einer bestmöglichen Allokation von Kapital im Sinne einer echten Kapitalmarktunion ab. Allerdings werden als Reflex – wie die Regelungsvorschläge zeigen – in gleichem Maße Instrumente zum Schutz der Unternehmer- und Gläubigerschaft bereitgestellt. Damit tendiert der Richtlinienvorschlag in die richtige Richtung, ein einheitliches europäisches Restrukturierungssystem zu verwirklichen. Leider enthält der Entwurf lediglich Mindeststandards, sodass den Mitgliedstaaten ein zu großer Spielraum bestehen bleibt, in welchem es ihnen möglich ist, einen komparativen Vorteil gegenüber anderen Mitgliedstaaten zu schaffen und damit ein Forum Shopping weiterhin attraktiv zu halten. Der erste Eindruck des UntInsRL-E verspricht daher mehr, als der Entwurf bei näherer Betrachtung halten kann. Bis auf die Vereinheitlichung von materiellen Entschuldungsfristen werden die nationalen Sanierungsrechte nicht angegangen. Es ist nicht angezeigt, dass durch die Richtlinie ein grundlegender Wandel in den Restrukturierungsund Sanierungsmentalitäten der Mitgliedstaaten eingeleitet wird. Somit ist auch nicht zu erwarten, dass weitreichende Restrukturierungssysteme implementiert werden und den – sowohl bei Gläubigern als auch bei Schuldnern – sehr beliebten Restrukturierungs- und Sanierungsmechanismen des englischen Rechts der Rang abgelaufen wird. 427 Insbesondere den weiten Spielräumen, welche den Gläubigern und Schuldnern in einem englischen Verfahren zur Verfügung stehen, und der Zurückhaltung der englischen Insolvenzgerichte, in das Verfahren regelnd einzugreifen,428 wird auf Basis der eher unflexiblen und starren kontinentaleuropäischen Verfahrenskultur schwer beizukommen sein. Das in England praktizierte flexible System zeigt, dass sowohl Restrukturierungsmaßnahmen im Vorfeld einer Insolvenz als auch Sanierungsmittel während eines Insolvenzverfahrens von allen Beteiligten getragen werden können und damit eine erhöhte Erfolgsaussicht haben. 429 Die Vorgaben der COM(2016) 723 final (DE), S. 2. COM(2016) 723 final (DE), S. 2 f. 427 Bezüglich der Beliebtheit der englischen Verfahren insbesondere im vorinsolvenzlichen Bereich Eidenmüller, KTS 2009, 137, 140; Windsor/Müller-Seils/Burg, NZI 2007, 7 ff. 428 Vallender, NZI 2007, 129, 131. 429 Dies gilt selbst dann, wenn subjektive Rechte der Gläubiger durch beispielsweise Durchsetzbarkeitssperren verkürzt werden und dadurch Einigungsdruck entsteht. 425

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endgültigen Richtlinie und vor allem die Umsetzungsgesetze der Mitgliedstaaten werden zeigen, welche Wirksamkeit die Harmonisierungsbemühungen schlussendlich mit sich bringen. Zu hoffen bleibt, dass die Mitgliedstaaten die Richtlinie als Stein des Anstoßes nehmen und die Insolvenzrechtsordnungen mit ebenso wirkungsvollen Verfahren ausstatten werden, ohne ein race to the bottom zu provozieren. Mit effizienten Restrukturierungs- und Sanierungsmechanismen ist sowohl den beteiligten Parteien als auch dem europäischen Binnenmarkt geholfen. III. Harmonisierung weiterer Rechtsgebiete zur Vermeidung von Rechtsspaltung Ein gewichtiges Problem des europäischen Konzerninsolvenzrechtssystems ergibt sich aus dem internationalen Kontext, der den Verfahren zugrunde liegt und zu einer unterschiedlichen Anknüpfung von Rechtsbereichen führen kann, wenn man sich für eine weiterführende Konzentration öffnen würde. So richtet sich das anwendbare Insolvenzrecht gem. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO nach dem jeweiligen forum concursus, welches nach dem gegenwärtigen System anhand des COMI bestimmt wird. Bei der Anwendung eines Konzern-COMI würde das jetzige System unweigerlich zu dem Ergebnis führen, dass sich – gerade in Bezug auf ausländische Tochterunternehmen, falls man ein Verfahren am Sitz der Mutter eröffnete – das nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO im Insolvenzverfahren anwendbare Recht vom anwendbaren Gesellschafts-, Arbeits- und Kreditsicherungsrecht unterschiede. 430 Das auf die Tochterunternehmen anwendbare Recht wäre – über die Gläubigerrechte und Gläubigerschutzvorschriften hinaus – gespalten.431 Insbesondere der Insolvenzverwalter würde sich mehreren Rechtsordnungen gegenübersehen, die er in Einklang zu bringen hätte.432 Aufgrund der Tatsache, dass viele Vorschriften des materiellen Konzerninsolvenzrechts in den unterschiedlichen Mitgliedstaaten verschiedenen Rechtsgebieten zugeordnet sind, käme es – beispielsweise im ausdifferenzierten Kapitalschutz des Gesellschaftsrechts – zu Systemwidersprüchen.433 Ein gespaltenes Recht führt unweigerlich zu erhöhten Abwicklungskosten. 434 Eine weitreichende Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 825 f. u. 831; zum Teil Fritz, DB 2015, 1945, 1945. Die Überlegung man solle bei der Bestimmung des COMI nur auf den Satzungssitz des Unternehmens abstellen, um damit eine Einheitlichkeit zwischen Insolvenz- und Gesellschaftsrecht herzustellen und eine Vorhersehbarkeit zu garantieren, ist abzulehnen. Damit würde das angestrebte Ziel eines Insolvenzforums am Ort der engsten Verbindung vollständig verkannt und jegliche Gerichtsstandskonzentration unmöglich gemacht werden. Im Sinne eines effizienten Insolvenzverfahrens wäre dies nicht. 432 Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 831; dies gilt ebenso für die Gläubiger, Wimmer, ZInsO 2005, 119, 121. 433 Hierauf hinweisend Kindler, KTS 2014, 25, 39; ebenso Oberhammer, KTS 2009, 27, 64; rechtsvergleichend Roth/Kindler, The Spirit of Corporate Law (2013), S. 54 ff. 434 Fritz, DB 2015, 1945, 1945 f.; Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 833. 430

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Harmonisierung der maßgeblichen Vorschriften aller durch die Insolvenz betroffener Rechtsgebiete liegt zwar nach dem aktuellen Stand der Integration im Bereich der Utopie, sollte dennoch als längerfristige Zielvorstellung fest im Blick gehalten werden, um dem Effizienzziel eines Tages vollumfänglich gerecht zu werden. E. Besondere Konzentrationsmethoden Kommt es zu einem einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstand auf Basis des bestehenden Systems oder potenzieller zukünftiger Mechanismen, sind weitere besondere Konzentrationsmethoden möglich, welche über eine reine örtliche Verfahrenskonzentration mehrerer Einzelverfahren hinausgehen. Diese sind zwar bisher noch nicht Gegenstand eines gesetzgeberischen Handelns auf europäischer Ebene geworden, in deren Überlegungen im Zuge der Reform sind sie allerdings eingeflossen. Im Folgenden soll erörtert werden, ob diese Distanziertheit gegenüber einer intensivierten Konzentration gerechtfertigt ist oder ob es effizienzbedingt gute Gründe gibt, de lege ferenda eine Systemerweiterung durchzuführen. I. Verfahrenskonsolidierung 1. Beschreibung Bei der Verfahrenskonsolidierung (procedural consolidation) handelt es sich nicht um ein Verfahren, bei dem die Insolvenzmassen von mehreren Unternehmen konsolidiert werden, sondern um eine Konsolidierung auf prozessualer Ebene. Bei einer Verfahrenskonsolidierung ist es möglich, das Einheitsprinzip auf alle Verfahren eines Konzerns auszudehnen. Es entsteht ein einheitliches Verfahren über mehrere Massen an einem Gericht.435 Der Grundsatz „Ein Konzern, ein Verfahren, getrennte Massen“ erlangt Geltung. Bekannt ist dieses Verfahren aus dem US-amerikanischen Recht in Form der joint administration.436 Die Zusammenfassung bei einem Gericht kann aus unterschiedlichen verfahrenstechnischen Zwecken erfolgen, verfolgt jedoch immer das Ziel, ein effizientes Insolvenzverfahren unter Achtung der jeweils zugeordneten Haftungsmassen zu schaffen. Beim Vorbild der US-amerikanischen joint administration ist eine Verfahrenszusammenfassung insbesondere Voraussetzung für die Bestellung eines gemeinsamen trustee, einer gemeinschaftlichen Behand-

435 Eidenmüller/Frobenius, ZIP 2013, Beilage 22, 1, 6 f.; solch eine Verfahrenskonsolidierung für den nationalen Kontext befürwortend Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 7. 436 Basierend auf der Federal Rules of Bankruptcy Procedure 1015(b)(4); in der Rspr. u. a. In re PL Liquidation Corp., 305 B.R. 629 (Bankr. D. Del. 2004); In re Fairfield Sentry Ltd., 440 B.R. 60 (Bankr. S.D.N.Y. 2010); ausführlich Scheel, Konzerninsolvenzrecht, 1995, S. 5 ff.

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lung der Insolvenzverfahren in demselben Gerichtstermin oder einer gemeinschaftlichen Verständigung mit den Gläubigern.437 Gerade wenn das Finanz- und Krisenmanagement der Konzernunternehmen ohnehin weitgehend verflochten ist, liegt es nahe, eine verfahrensmäßig einheitliche Abwicklung durchzuführen.438 Eine Verfahrenskonsolidierung sollte allerdings lediglich bei einem hohen Integrationsniveau des Konzerns vollzogen werden.439 Nur dann rechtfertigt es sich, mehrere Verfahren auf diese Art zu konzentrieren. In stark zentralisierten Konzernen stimmt ein Großteil der Beteiligten der eigentlich getrennten Verfahren sowohl in Person als auch Interesse überein, sodass die Zusammenfassung nur zusammenführt, was ohnehin schon weitgehend einheitlich zusammengehört. Indem lediglich ein Antrag einzureichen ist, Benachrichtigungen nur in einem Verfahren zu ergehen haben, Zeugen nur einmal befragt sowie Gutachter nur einmal bestellt werden müssen und Richter sich nur einmal einzuarbeiten haben, können die knappen Justizressourcen effektiv genutzt und dadurch das Verfahren beschleunigt sowie Kosten gespart werden.440 Der Benefit für das Effizienzziel ist evident, denn jedes zusätzliche Verfahren über ein Konzernunternehmen führt zu einer Kostensteigerung, mit der Folge einer negativen Beeinträchtigung der Haftungsmassen. 441 Eine Verfahrenskonsolidierung hat überdies fast immer zur Konsequenz, dass für alle Mitglieder des Konzerns ein einziger Insolvenzverwalter bestellt wird, wodurch eine kohärente Verwaltung garantiert ist.442 Darüber hinaus kann – solange die Unternehmen die nahezu gleiche Gläubigerschaft besitzen – nur eine einheitliche Gläubigerversammlung geformt werden, welche die Interessen der Gläubigerschaft zu vertreten hat.443 Mit der einheitlichen Behandlung an einem Gericht wird des Weiteren ein Entscheidungseinklang erreicht, der bei parallel laufenden Verfahren so nicht verwirklicht werden kann.444 Eine Verfahrenskonsolidierung kann jedoch erst dann erfolgreich sein, wenn zwischen den Konzerngesellschaften keine Interessenkonflikte vorliegen, die ein einheitliches Verfahren erschweren würden.445 Diese Interessenkonflikte zwischen den Konzernunternehmen bzw. den unterschiedlichen Gläubigern der jeweiligen Vermögensmassen, können über geeignete Vor-

Grau, Konsolidierung, 2007, S. 51; Scheel, Konzerninsolvenzrecht, 1995, S. 25 f. Eidenmüller/Frobenius, ZIP 2013, Beilage 22, 1, 6. 439 Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Anlage Teil 3. 440 Grau, Konsolidierung, 2007, S. 51; Scheel, Konzerninsolvenzrecht, 1995, S. 8 u. 19. 441 Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 14. 442 Zweites Element der strategischen Option B, SWD(2012) 416 final (EN), S. 31, 34 f. u. 42; EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Anlage Teil 3 1. C. 443 Grau, Konsolidierung, 2007, S. 51; Hightower, 38 GA. L. Rev. (2003), 459, 466. 444 Scheel, Konzerninsolvenzrecht, 1995, S. 19 f. 445 Eidenmüller/Frobenius, ZIP 2013, Beilage 22, 1, 6. 437

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kehrungen – insbesondere der Bestellung von Sonderinsolvenzverwaltern446 – aufgelöst werden.447 Nach der substantiellen Konsolidierung ist eine Verfahrenskonsolidierung das Regelungsmodell mit der höchsten Koordinationsintensität. Eine zusätzliche Koordination oder gar ein Koordinationsverfahren wird demzufolge nicht mehr benötigt.448 2. Umsetzungsüberlegungen im Zuge der Reform als strategische Option B Eine Verfahrenskonsolidierung wurde als strategische Option B in den Arbeitsunterlagen der Kommissionsdienststellen unter dem Titel „Teilweise Angleichung der Insolvenzordnungen und -verfahren“ vorgeschlagen. Will man in der EuInsVO eine Verfahrenskonsolidierung umsetzen, muss – vergleichbar zum Regelungsbereich der US-amerikanischen joint administration449 – auch im Zusammenhang der EuInsVO ein einheitliches Gericht bestimmt werden, welches für die konsolidierten Verfahren zuständig ist.450 Nur auf Basis einer örtlichen Konzentration kann eine vertiefte Verfahrenskonsolidierung ausgelöst werden. Nach der im Abschnitt zuvor durchgeführten Analyse kommt dafür – nach dem aktuellen Integrationsstand – lediglich der Ort der gemeinsamen COMI als Basis für eine Verfahrenskonsolidierung in Betracht. Es verwundert daher zunächst, dass im Zuge der Reformüberlegungen – allerdings ohne weiterführende Begründung – der Ort, an dem die Muttergesellschaft ihren Interessenmittelpunkt hat, als Konsolidierungsort angedacht wurde.451 Der

446 Eidenmüller/Frobenius, ZIP 2013, Beilage 22, 1, 11; im Zusammenhang nationalen Rechts Thole, KTS 2014, 351, 354; auch im US-amerikanischen Recht kann neben dem gemeinsamen trustee noch ein Rechtsanwalt oder zusätzlicher trustee bestellt werden, Scheel, Konzerninsolvenzrecht, 1995, S. 31. Zwar ist es richtig, dass häufiger als bei einem Koordinationsverfahren ein Sonderinsolvenzverwalter bestellt werden muss, Thole/Flöther, Hdb Konzerninsolvenzrecht, 2015, S. 25. Allerdings sind diese Zusatzausgaben verhältnismäßig gering im Vergleich zu den Kosten, die entstehen, wenn für jedes Konzernunternehmen ein eigener Verwalter eingesetzt werden muss. 447 Bei der joint administration im US-amerikanischen Recht wird der die Verfahrenszusammenlegung Beantragende durch das Gericht verpflichtet, alle Fakten hinsichtlich möglicher Interessenkonflikte offenzulegen. Geschieht dies nicht, kann für ihn eine persönliche Haftung für den daraus resultierenden Schaden entstehen, Scheel, Konzerninsolvenzrecht, 1995, S. 20. 448 Eidenmüller, MJ 1 (2013), 133, 148 f.; Eidenmüller/Frobenius, ZIP 2013, Beilage 22, 1, 6 f. 449 Für die joint administration wird ein einheitliches Gericht zumeist über 28 U.S.C. § 1408(2) bestimmt, Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 533; Scheel, Konzerninsolvenzrecht, 1995, S. 15 f. 450 Zweites Element der strategischen Option B, SWD(2012) 416 final (EN), S. 31 u. 34 f. 451 Zweites Element der strategischen Option B, SWD(2012) 416 final (EN), S. 31 u. 34 f. Als COMI den Ort der Hauptverwaltung der Gruppe festlegend und damit im Sinne der

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Vorschlag der Kommissionsdienststelle wurde allerdings nicht unter Verkennung des aktuellen Harmonisierungsstands getätigt. Eine Verfahrenskonsolidierung hätte gemeinsam mit einer teilweisen Harmonisierung der materiellen Insolvenzrechte einhergehen müssen, damit die den Gläubigern in einem Mitgliedstaat eingeräumten Rechte eine universelle Wirkung erfahren hätten und somit die Notwendigkeit einer Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands für die Gläubiger weitgehend aufgehoben gewesen wäre. Damit wäre ebenso der Bedarf für Sekundärinsolvenzverfahren zurückgedrängt und dadurch die Voraussetzung für eine Verfahrenskonsolidierung am COMI des Mutterunternehmens geschaffen worden. 452 Nach der Ansicht der Kommissionsdienststelle hätte eine Verfahrenskonsolidierung vollumfänglich wirken sollen. Es hätte nur ein Hauptinsolvenzverfahren mit universeller Wirkung gegeben, das für die Mutter- und alle Töchterunternehmen einheitlich gegolten hätte. 453 Parallellaufende Sekundärinsolvenzverfahren hätten in diesem Zusammenhang abgeschafft gehört.454 Die Konsolidierung der Verfahren wäre auf den Zenit getrieben worden und Transaktionskosten wären nahezu ausgeschaltet gewesen. Eine Verfahrenskonsolidierung wäre entstanden, wie sie in den nationalen Rechtsordnungen Europas bisher nicht existierte hatte.455 Das Europäische Parlament verfolgte in der Entschließung vom 15.11.2011 einen anderen Ansatz. Danach sollten in dem Hauptinsolvenzverfahren, in welchem alle insolventen Verfahren des Konzerns zu konsolidieren gewesen wären, sogenannte „Nebenverfahren“ eröffnet werden, die sich um die lokalen Interessen der Gläubiger- und Arbeiterschaft zu kümmern hätten. Die klassischen Sekundärinsolvenzverfahren wären damit durch ein Äquivalent abgelöst und ein System der modifizierten Universalität in Bezug auf die Verfahrenskonsolidierung geschaffen gewesen. Eine solche modifizierte Universalität im Zuge einer Verfahrenskonsolidierung hätte jedoch einen schwer hinnehmbaren Wertungswiderspruch dargestellt,456 sofern die Verfahrenskonsolidierung tatsächlich mit einer Harmonisierung der Insolvenzrechte einhergegangen wäre. Wenn die Gläubigerrechte und -schutzvorschriften vereinheitlicht gewesen wären, hätte kein Bedarf mehr für Nebenverfahren bestanden. Die strategische Option B aus den Reformüberlegungen erwies sich daher unter Effizienzgesichtspunkten als weitaus konsequenterer Vorschlag. Allerdings entschied sich

Rechtsprechung des EuGH handelnd, vgl. Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Anlage Teil 3 1. A. 452 SWD(2012) 416 final (EN), S. 43. 453 SWD(2012) 416 final (EN), S. 31. 454 Sechstes Element der strategischen Option B SWD(2012) 416 final (EN), S. 32 u. 35. 455 Eidenmüller/Frobenius, ZIP 2013, Beilage 22, 1, 13. 456 In Bezug auf Sekundärinsolvenzverfahren, wobei dieser Gedanke auch auf Nebenverfahren übertragen werden kann Wimmer, JurisPR-InsR 13/2012 Anm. 1; ders., DB 2013, 1343, 1344.

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der europäische Gesetzgeber im Laufe des Reformprozesses vollständig gegen diese besondere Konzentrationsmethode. 3. Fazit Die Möglichkeit einer Verfahrenskonsolidierung auf Basis einer Harmonisierung stellt sicherlich – mit Blick auf das Verfahrensziel der effektiven Verfahrensgestaltung – gemessen am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen für den Binnenmarkt ein äußerst weitreichendes und zielführendes Regelungsmodell dar.457 Mit der Einführung solch einer Verfahrenskonsolidierung würde das europäische Insolvenzrechtssystem in die Nähe des US-amerikanischen Systems des US Insolvency Act rücken.458 Der Vorteil einer Verfahrenskonsolidierung kann zwar dadurch geschmälert werden, dass die verfahrensmäßige Vereinheitlichung durch die weiterhin – zumindest fiktiv – getrennten Massen wieder aufgespalten wird, da aus der materiellen Berechtigung auch Verfahrensrechte folgen. 459 Ein wirklicher Nachteil entsteht hieraus jedoch nicht. Man fällt im Einzelfall nicht tiefer als auf den Stand, der ohne Verfahrenskonsolidierung bestanden hätte. Außerdem würde nach wie vor eine stark reduzierte Anzahl an involvierten Gerichten und Verwaltern zu einer erheblichen Kostenreduktion führen.460 Leider hat sich der europäische Gesetzgeber gegen diese Möglichkeit entschieden. II. Substantielle Konsolidierung 1. Beschreibung Die stärkste Form der Verfahrenszusammenführung stellt die substantielle Konsolidierung461 dar, welche an die durch das Rechtsträgerprinzip bedingte Trennung der einzelnen Haftungsmassen anknüpft und diese im Sinne eines konzernweiten Einheitsprinzips auflöst. Dies geschieht nicht durch einen 457 SWD(2012) 416 final (EN), S. 45. Dies für den europäischen Kontext ebenfalls befürwortend Eidenmüller, MJ 1 (2013), 133, 148 f. 458 SWD(2012) 416 final (EN), S. 45. 459 Thole, KTS 2014, 351, 353; ders./Flöther, Hdb Konzerninsolvenzrecht, 2015, S. 25; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 215. 460 SWD(2012) 416 final (EN), S. 44; Thole, KTS 2014, 351, 353 f.; ders./Flöther, Hdb Konzerninsolvenzrecht, 2015, S. 25; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 215. 461 Die Terminologie der Konsolidierung steht für ein „Zusammenfassen“. Konsolidierung beschreibt damit eine starke Form der Zusammenführung, indem zwei Unternehmen hinsichtlich eines gewissen Bezugsobjekts vollständig zusammengefasst werden, siehe Grau, Konsolidierung, 2007, S. 12. Bei der substantiellen Konsolidierung stellt dieses Bezugsobjekt die Verfahrensmassen dar. Zu unterscheiden ist die tatsächliche Konsolidierung der Haftungsmassen von der handelsrechtlichen Konsolidierung, welche lediglich ein „technisches Mittel zur Darstellung der wirtschaftlichen Einheit“ bietet, Grau, Konsolidierung, 2007, S. 72.

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Eingriff in die Rechtsstrukturen der Rechtssubjekte, indem mehrere rechtlich selbstständige Rechtsträger eines Konzerns zusammengefasst werden und somit ein einziger Rechtsträger geschaffen wird.462 Vielmehr wird eine Vereinigung der Vermögensmassen (pooling of the assets) herbeigeführt, sodass es zu einer faktischen Auflösung der Selbstständigkeit der Rechtsträger in der Insolvenz kommt. 463 Die Insolvenz über diese einheitliche Masse kann nur noch in einem einheitlichen Verfahren durchgeführt werden. Der Grundsatz „Ein Konzern, ein Verfahren, eine Masse“ erlangt Geltung.464 Die Vorteile der substantiellen Konsolidierung liegen darin begründet, dass durch den erheblichen Eingriff in das Gefüge der Unternehmensstruktur potenziell noch höhere Kostenersparnisse, eine Beschleunigung des Verfahrens und eine vereinfachte Reorganisation und Sanierung der Konzernunternehmen erreicht werden können, da nur im Fall der zusammengefassten Massen IntraKonzernforderungen entfallen.465 So gehen durch die einheitliche Haftungsmasse wechselseitige Anfechtungsforderungen verloren. 466 Darüber hinaus führt die Aufhebung des Trennungsprinzips zwischen den Rechtsträgern dazu, dass die Konzernmasse nur noch unter der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis eines einzelnen Konzerninsolvenzverwalters steht, welcher lediglich einen einheitlichen Insolvenzplan entwickelt. Dies führt wiederum dazu, dass nur eine Konzerngläubigerversammlung benötigt wird, die über den Fortgang des Verfahrens und die Zukunft des Konzerns zu entscheiden hat.467 Aus der betriebswirtschaftlichen Sicht der Konzernunternehmung als wirtschaftliche Handlungs- und Entscheidungseinheit ist diese insolvenzrechtliche Behand-

462 In diesem Fall würde es sich um eine umwandungsrechtliche Verschmelzung handeln, bei der eine dauerhafte und umfassende Vereinigung der Rechtsträger und Zusammenführung der Vermögensmassen stattfindet. Nach der Begriffsbestimmung von Konsolidierung ist eine Verschmelzung ein Unterfall der Konsolidierung. Bezugspunkt der Zusammenfassung ist dabei nicht nur die Masse, sondern der ganze Rechtsträger. Vgl. Grau, Konsolidierung, 2007, S. 12 f. 463 Zur Bedeutung des Grundsatzes der selbstständigen Rechtsträger im US-amerikanischen Recht Frost, H.L.J. 44 (1993), 449 ff.; Graulich, ABI L. Rev. 14 (2006), 527 ff. 464 Diese Konstellation mit der sehr negativ konnotierten Bezeichnung „voodoo corporate law“ belegend Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, 2014, S. 156 Rn. 597; van Hoe, ECFR 2014, 200, 211; allgemein zur substantiellen Konsolidierung Amera/Kolod, ABI L. Rev. 14 (2006), 1 ff.; Baird, Boston Coll. L. Rev. 47 (2005), 5, 6; Blasses, Emory Bankr. Dev. J. 24 (2008), 469, 473; Ehricke in: Kölner Schrift, 3. Aufl. 2009, Kap. 32 Rn. 9; Frost, H.L.J. 44 (1993), 449, 449 f.; Graulich, ABI L. Rev. 14 (2006), 527 ff.; Paulus, ZIP 2005, 1984, 1953 ff.; Schmidt, KTS 2010, 1, 13; Westpfahl in: FS Görg, 2010, 567, 571; ders./Janjuah, Beilage zu ZIP 3/2008, 1, 6 f.; Widen, ABI L. Rev. 16 (2008), 1 ff.; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 159. 465 Paulus, ZGR 2010, 270, 292; K. Schmidt, KTS 2010, 1, 13. 466 Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 159. 467 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 92; Humbeck, NZI 2013, 957, 958 f.

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lung des Konzerns als eine eigene Einheit zunächst einleuchtend.468 Im Insolvenzfalle ist eine Systemkohärenz hergestellt, in welcher sich die rechtliche Struktur nach der wirtschaftlichen Einheit richtet.469 2. Ablehnung auf europäischer Ebene In der reformierten EuInsVO wurde eine substantielle Konsolidierung vollständig ausgeklammert. ErwG 54 EuInsVO legt ausdrücklich fest, dass die eingeführte Koordinierung die Effizienz der Verfahren gewährleisten soll, wobei gleichzeitig die eigene Rechtspersönlichkeit jedes einzelnen Gruppenmitglieds zu achten ist. 470 Die Grundsätze der rechtlichen Selbstständigkeit und Haftungstrennung lassen demnach eine Konsolidierungslösung auf materieller Ebene nicht zu. 471 Fraglich ist, ob die Außerachtlassung der substantiellen Konsolidierung und damit der damit verbundenen Vorteile fundiert gerechtfertigt werden kann. Insbesondere in dem Szenario, in welchem eine substantielle Konsolidierung sowohl über insolvente wie solvente Konzernunternehmen durchgeführt werden soll, ist es evident, dass ein Durchgriff auf das Vermögen gesunder Konzernunternehmen dem Leitgedanken der Konzernbildung widerspricht.472 Eine generelle Haftung hat trotz Verflechtung nur für diejenigen Rechtsträger zu greifen, die sich tatsächlich in der Insolvenz befinden. Die Insolvenz einzelner Konzernglieder führt sonst – bedingt durch das Insolvenzverfahren selbst – unweigerlich zur Insolvenz ganzer Konzernsparten bzw. im schlimmsten Fall zur Insolvenz des ganzen Konzerns. Kommt es zu einer substantiellen Konsolidierung ausschließlich insolventer Konzernunternehmen treten die Interessen der Gläubiger in das Zentrum der Betrachtung. Diese haben sich im Zuge ihrer Investitionsentscheidung konkret ein Unternehmen als Schuldner herausgesucht. Daher wird kein Interesse daran bestehen, eine schlechte Insolvenzquote eines anderen Konzernunternehmens 468 Albach, ZfB 54 (1984), 773, 776 u. 778; Humbeck, NZI 2013, 957, 958; mit Bezug auf Konzerne aus dem Bereich der Forschung und Entwicklung, bei welchen Patente und Lizenzen so auf mehrere Unternehmen aufgeteilt sind, dass nur eine einheitliche Verwertung wirtschaftlich Sinn ergibt, Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 347, 349 f. 469 Ausführlich Paulus, ZIP 2005, 1948 ff. 470 Der Entscheidung des europäischen Gesetzgebers ohne weitere Begründung zustimmend DAV Position Paper No. 14/2013. 471 Dies wird auch von den meisten nationalen Rechtsordnungen der europäischen Staaten so gesehen. Vgl. hierzu unter anderem die Entscheidung der Kommission für Insolvenzrecht im Jahre 1985 bezüglich des deutschen Insolvenzrechts, Bundesministerium der Justiz, Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, S. 291 f. Das deutsche nationale Konzerninsolvenzrecht lehnt eine substantielle Konsolidierung ebenfalls ab, BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drs. 18/407, S. 16 f. 472 Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 347, 350; Beck, DZWIR 2014, 381, 384; Uhlenbruck, NZI 1999, 41, 42 f.; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 164.

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– mit der Folge einer niedrigeren Konzerninsolvenzquote – mitzutragen. Kommt es durch eine substantielle Konsolidierung zu einer Gleichbehandlung aller Gläubiger eines Konzerns, entsteht eine dem Prinzip der bestmöglichen Allokation der Haftungsmasse widersprechende Situation.473 Eine konzernunternehmensübergreifende Gläubigergleichbehandlung ist nach den Zielen der EuInsVO jedoch gerade nicht zu gewährleisten. Die Verteilung der Masse der jeweiligen Konzernunternehmen ist nur an den vor der Insolvenz bestehenden Haftungsstrukturen auszurichten. Eine Haftungsdurchbrechung im Insolvenzfalle hätte aufgrund eines unübersehbaren Risikos bei der Kreditvergabe zur Konsequenz, dass viele potenzielle Gläubiger die Anlage von Anfang an überdenken und lieber in einen Rechtsraum investieren würden, der gewährleisten könnte, dass die Gläubiger in der Insolvenz nicht auch für die Schulden anderer Unternehmen einzustehen hätten.474 Zur Ablehnung einer substantiellen Konsolidierung wird daher oftmals recht generalisierend angeführt, dass die Kreditwirtschaft bei der Kreditvergabe ex ante eine Bonitätsbewertung des Gesamtkonzerns durchführen müsste, was für ein investitionsfreundliches Klima unvertretbar wäre.475 Dagegen kann jedoch eingewendet werden, dass im Zuge der Kreditvergabe eine recht umfassende konzernbezogene Bonitätsprüfung durchgeführt wird. Soweit dieses Konzernvertrauen reicht, könnte demnach eine substantielle Konsolidierung grundsätzlich vertretbar sein. Allerdings darf nicht vernachlässigt werden, dass im Zuge einer Risikoanalyse bei Kreditvergabe zwar der ganze Konzern beleuchtet wird, die Investitionsmöglichkeiten jedoch in unterschiedliche Risikoklassen aufgeteilt werden, welche sich wesentlich an den einzelnen 473 Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 347, 350 f.; Baird, Boston Coll. L. Rev. 47 (2005), 5, 6; Beck, DZWIR 2014, 381, 384; Brünkmans, ZIP 2013, 193, 194; Ehricke, DZWIR 1999, 353, 358; Frost, H.L.J. 44 (1993), 449, 451; Schelo, NZI 2005, V, VI; Sester, ZIP 2005, 2099, 2100; Schneider/Höpfer, BB 2012, 87, 88; Westpfahl/Janjuah, Beilage zu ZIP 3/2008, 1, 7; dies anhand eines kleinen Beispiels darstellend Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 162. 474 Es ist zwar möglich, dass die Gläubiger basierend auf einer konsensualen Übereinstimmung im Rahmen eines Sanierungsplans eine substantielle Konsolidierung vereinbaren. Dieser Fall ist allerdings strikt von einer gesetzlichen Anordnung zu unterscheiden. Diese Gestaltungsmöglichkeit aufzeigend UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law, Part three, 2010, S. 60 Rn. 107. 475 BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BTDrs. 18/407, S. 16 f.; Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 798; Ehricke in: Kölner Schrift, 3. Aufl. 2009, Kap. 32 Rn. 12; Lienau, Der Konzern 2013, 157, 158; Ehricke, DZWIR 1999, 353, 359; Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 1, 7; ders., ZHR 169 (2005), 528, 532; ders., MJ 1 (2013), 133, 148; Harder/Lojowsky, NZI 2013, 327, 327; Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 56 Rn. 5; Hirte in: BT-Plenarprotokoll 18/15, S. 1144; Sester, ZIP 2005, 2099, 2100; J. Schmidt, KTS 2015, 19, 35; Thole, KTS 2014, 351, 354; Frost, H.L.J. 44 (1993), 449, 451 f. u. 461 ff.; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 215; Westpfahl in: FS Görg, 2010, 567, 574.

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rechtlich selbstständigen Unternehmen der Konzernstruktur ausrichten. Wird diese Risikostruktur eines Konzerns durch eine substantielle Konsolidierung aufgehoben, wirkt sich dies unmittelbar auf das Rating der massereichen Konzernunternehmen durch steigende Kreditzinsen aus. 476 Die Sicherung dieser Risikostruktur kann über sogenannte Financial und Information Covenants, das heißt vertraglich bindenden Klauseln in Kreditverträgen, sichergestellt werden, welche bei Verstoß des Kreditnehmers unter anderem zu einer veränderten Kreditmarge oder einem außerordentlichen Kündigungsrecht führen.477 Die Haftungssegmentierung ist und bleibt demnach ein wesentliches Entscheidungskriterium bei der Kreditvergabe.478 Die substantielle Konsolidierung darf dieses Vertrauen nicht zerstören. Es erscheint demnach, dass die der substantiellen Konsolidierung entgegengebrachten Bedenken nicht von der Hand zu weisen sind. Dies ist zwar im Ansatz richtig, betrifft jedoch nicht den tatsächlichen Anwendungsbereich, der einer substantiellen Konsolidierung in der Rechtspraxis zukommt.479 So sind sich alle Rechtsordnungen, in denen eine substantielle Konsolidierung angewandt wird, sowie die internationalen Organisationen und Kommissionen, die sich mit dem Thema beschäftigen, einig, dass diese weitreichende Form der Zusammenführung von Konzernunternehmen und deren Massen lediglich in speziellen Ausnahmefällen, in denen die zuvor dargestellten Bedenken gerade nicht gelten, eingreifen darf.480 3. Mögliche Anwendungsfälle Nachfolgend soll herausgearbeitet werden, welche Beweggründe existieren, das Instrument der substantiellen Konsolidierung trotz der grundsätzlichen Bedenken in ein Rechtssystem aufzunehmen. Anhand dieser Erkenntnisse wird zu analysieren sein, ob die Entscheidung des europäischen Gesetzgebers gegen eine substantielle Konsolidierung zu unterstützen ist. Der Gedanke der substantiellen Konsolidierung stammt ursprünglich aus dem US-amerikanischen481 und – wenn auch weniger bekannt – dem argenSester, ZIP 2005, 2099, 2100; Paulus, ZIP 2005, 1948, 1953. Sester, Projektfinanzierungsvereinbarungen, 2004, S. 64 ff. u. 324 ff.; ders., ZIP 2005, 2099, 2101. 478 Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Bilanzrecht ist eine auf bilanzrechtliche Fragen zugeschnittene Auslegungsmethode, die nicht geschaffen wurde, um das Grundprinzip der Haftungsbegrenzung zu durchbrechen, Sester, ZIP 2005, 2099, 2101. 479 Die substantielle Konsolidierung wird hierzulande als „Anathema“ behandelt, Paulus, ZGR 2010, 270, 292. 480 UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law, Part three, 2010, S. 59 f. Rn. 105; Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 347, 351; Mertens, ZGR 1984, 542, 555. 481 Als Ermächtigungsgrundlage für die substantive consolidation wird im US-amerikanischen Recht im Zusammenhang mit Insolvenzplänen auf U.S. Bankruptcy Code 11 U.S.C. § 1123(a)(5)(c) abgestellt. Soweit die substantielle Konsolidierung im Zusammenhang mit 476

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tinischen482 oder neuseeländischen483 Rechtssystem. Darüber hinaus kennt das irische Recht mit dem pooling of assets und auch das französische Recht mit den Fallgruppen der Vermögensvermischung (confusion de patrimoine) oder Scheingesellschaft (fictivité de la personne morale) Instrumente der substantiellen Konsolidierung.484 Zwar gilt in all den genannten Rechtsordnungen das gesellschaftliche Trennungsprinzip der einzelnen Rechtsträger als feste Säule des Gesellschaftsrechts, wodurch sich auch in der Insolvenz ein Primat der Selbstständigkeit der einzelnen Unternehmensträgere ergibt.485 Dennoch haben sich – ausgerichtet an dem Konzern als wirtschaftlich geprägter Einheit – Grundsätze herausgebildet, welche dieses Grundprinzip zu durchbrechen wissen.486 Die substantielle Konsolidierung ist jedoch kein Regelfall; eine generelle Haftungsvereinigung in der Insolvenz würde auch in diesen Ordnungen die Kreditvergabeentscheidung im Vorfeld in gleichem Maße negativ beeinflussen, sodass die Volkswirtschaften massiven Schaden zu erleiden hätte. Aufgegriffen wurde die substantielle Konsolidierung ebenso im UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law487 sowie dem Proposal INSOL Europe bezüglich einer Reform der EuInsVO488. In diesen Vorschlägen wird gleichfalls betont, dass es sich bei der substantiellen Konsolidierung lediglich um eine Ausnahme für Einzelfälle handelt.489 anderen Fällen – insbesondere einer Liquidation – angewandt wird, handelt es sich um Richterrecht, gestützt auf die Generalklausel in U.S. Bankruptcy Code 11 U.S.C. § 105(a), nach welcher das Insolvenzgericht die Befugnis hat, Maßnahmen anzuordnen, die für die Ausführung der Vorschriften notwendig und angemessen sind. Vgl. ausführlich Packman, N.J.L.J. 183 (2006), 1 ff. Höchstrichterlich durch den U.S. Supreme Court anerkannt wurde der Rechtsbehelf der substantive consolidation im Jahre 1941 in dem Fall Sampsell v. Imperial Paper & Color Corporation, 313 U.S. 215, 61 S.Ct. 904. 482 Art. 160 ff. Ley de Concursos y Quiebras. Vgl. dazu Dasso, Derecho concursal comparado, Band 1, 2009, S. 146 f.; ausführlich Miguens, Extensión de la quiebra, 2. Aufl. 2006, S. 65 ff. 483 §§ 271, 271A, 272 und §§ 239AER ff. New Zealand Companies Act 1993. In der Rspr. Re Dalhoff and King Holdings Ltd, NZLR, Vol. 2, 1991, p. 296 (zu den Vorgängervorschriften §§ 315B und 315C New Zealand Companies Act 1955). 484 Das französische Instrument hat sich durch richterliche Rechtsfortbildung entwickelt und ist im Jahre 2005 in Art. L621-2(2) C. com. normiert worden. Das pooling of assets ist inzwischen in s 600 Irish Companies Act 2014 niedergeschrieben (zuvor s 141 Irish Companies Act 1990); in der Rspr. Laffoy J in Fyffes plc v DCC plc [2005] IEHC 477; in der Lit. Merlini, IILR 2016, 119, 130. 485 UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law, Part three, 2010, Empfehlung 219. 486 Baird, Boston Coll. L. Rev. 47 (2005), 5 ff.; Ehricke, DZWIR 1999, 353, 354 Fn. 7; Hirte, ECFR 2008, 213, 221; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzverfahren, 2014, S. 159. 487 UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law, Part three, 2010, S. 59 ff. Rn. 105 ff. mit Empfehlungen 219–231. 488 INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 98 ff., Art. 46. 489 INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 99 Kommentar zu Art. 46, 46.1; UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law, Part three, 2010, S. 59 f. Rn. 105.

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Im US-amerikanischen Recht wurden die aus dem Equity-Recht 490 stammenden enterprise principles, auf welchen die substantielle Konsolidierung basiert, lediglich als Korrektiv zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse entwickelt.491 Entscheidend für die Anwendung einer substantiellen Konsolidierung sind die materiellen Voraussetzungen. Die Gerichte haben im Zuge der Eröffnungsentscheidung eine Einzelfallabwägung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu treffen. 492 Grob zusammengefasst muss zwischen den zu konsolidierenden Unternehmen eine wirtschaftliche Identität (substantive identity) bestehen sowie gewährleistet sein, dass den Gläubigern durch die substantielle Konsolidierung ein Nachteil verhindert oder ein Vorteil gewährt wird.493 Dogmatisch betrachtet ist eine substantielle Konsolidierung genau in den Fällen anzuordnen, in denen in materieller Hinsicht ohnehin eine durch das Gesellschaftsrecht bekannte Durchbrechung der Haftungstrennung in Form eines Haftungsdurchgriffs (piercing the corporate veil) stattfinden könnte. 494 Wird eine substantielle Konsolidierung lediglich unter diesen Prämissen angewandt (und jeder ernsthafte Vorschlag zur Einführung einer solchen Konsolidierung wird Vergleichbares als Vorbedingung setzen), sind die zuvor dargestellten grundsätzlichen Bedenken die Gläubigerinteressen betreffend entkräftet. Damit ist allerdings noch nicht die Frage beantwortet, ob die substantielle Konsolidierung in den speziellen Ausnahmefällen als tragfähiges Regulierungsmodell tauglich ist oder ob es andere Mechanismen gibt, die sich passender in das europäische Gefüge einordnen. Nachfolgend werden die konkreten Konstellationen betrachtet, die in den Anwendungsbereich einer substantiellen Konsolidierung fallen können, wobei es zu untersuchen gilt, ob es effizientere Lösungsmöglichkeiten als eine materielle Vermögenszusammenführung gibt.

490 U.S. Bankruptcy Code 11 U.S.C § 105 gibt vornehmlich das entsprechende Ermessen vor, das von den Gerichten konkretisiert wurde. 491 Konkretisierungen erfuhr diese Rechtsfigur insbesondere durch Entscheidungen des Court of Appeal, speziell des Second Circuits. Siehe u. a. In re Augie/Restivo Baking Co., Ltd., 860 F.2d 515, 518 (2d Cir. 1988); In re Auto-Train Corp., Inc., 810 F.2d 270 (D.C. Cir. 1987); In re Reider, 31 F.3d 1102, 1105 (11th Cir. 1994); In re Owens Corning, 419 F.3d 195 (3d Cir. 2005); grundlegend Sampsell v. Imperial Paper & Color Corp., 313 U. S. 215 (1941); Fish v. East, 114 F.2 d 177 (10th Cir. 1940). 492 Mehr zu den genauen Indikatoren im US-amerikanischen Recht, welche sich durch eine umfangreiche Rechtsprechungspraxis entwickelt haben, ist zu finden in Kors, 59 U. Pitt. L. Rev (1998), 381 ff.; Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 126 f. Im neuseeländischen Recht sind in § 272 (1) u. (2) New Zealand Companies Act 1993 zahlreiche ähnliche Indikatoren aufgeführt. Siehe hierzu Grau, Konsolidierung, 2007, S. 32 ff., 128 ff. u. 273 ff.; Kluver, EBOR 2000, 287, 313 ff. 493 In re Augie/Restivo Banking Co., Ltd., 860 f.2d 515 (2d Cir. 1988); Eastgroup Properties v. Southem Motel Ass'n, Ltd., 935 f.2d 245 (11th Cir. 1991). 494 Hirte, ECFR 2008, 213, 222; ders. in: FS K. Schmidt, 2009, 641, 645.

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a) Betrügerische Zwecke Die substantielle Konsolidierung kann als Rechtsinstrument angewandt werden, um betrügerischen Zwecken der Unternehmen zu begegnen. Betrügerische Zwecke liegen nach der UNCITRAL vor, wenn einzelne Gesellschaften allein aus dem Antrieb gegründet werden, um Vermögenswerte auf sie auszulagern und damit vor dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen.495 In diesen Fällen liegt es beispielsweise im US-amerikanischen Recht in der Entscheidungsbefugnis des Richters, eine substantielle Konsolidierung anzuordnen, um diese missbilligende Situation durch Zusammenlegung der Massen aufzuheben.496 Ähnlich geht das französische Recht im Rahmen der fictivité de la personne morale 497 und das irische Recht mit dem pooling of assets vor.498 Betrügerische Vermögensverschiebungen stellen eine Verhaltenshaftung dar, welcher in den meisten Rechtsordnungen grundsätzlich mit dem gesellschaftsrechtlichen Haftungsrecht begegnet wird. Das US-amerikanische Recht legte daher als Voraussetzung für eine materielle Konsolidierung fest, dass ein Fall des Haftungsdurchgriffs vorliegen muss, um einen Gleichlauf zwischen den Ebenen zu schaffen. Der Haftungsdurchgriff ist in den europäischen Rechtsordnungen allerdings ganz unterschiedlich ausgestaltet und selbst innerhalb der einzelnen Rechtsordnungen in Rechtsprechung und Praxis höchst umstritten.499 Würde man diese Ebenen auch im Zusammenhang der europäischen Insolvenzrechts vermischen, indem eine Haftungsdurchbrechung eine Voraussetzung der materiellen Konsolidierung sein müsste, würde dies zu erheblichen rechtstechnischen Schwierigkeiten führen. Zum einen würden gesellschaftsrechtliche Problemstellungen in den insolvenzrechtlichen Kontext überführt werden und somit auch in diesem Bereich zu einer Unsicherheit führen, die in Insolvenzverfahren gerade zu vermeiden ist. Zum anderen wäre es schwer überhaupt eine gemeinsame Basis der Durchgriffshaftung auf europäischer Ebene sowohl in Methodik als auch in der praktischen Anwendung zu finden. Ein betrügerisches Handeln innerhalb eines Konzerns lässt sich mindestens ebenso erfolgreich lösen, indem beispielsweise die jeweilige Durchgriffshaftung nach dem anwendbaren Gesellschaftsstatut im vorinsolvenzlichen Bereich eingreift oder im Insolvenzfall jede lex fori concursus die ihr zur Verfügung stehenden Mittel zur 495 UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law, Part three, 2010, S. 63 Rn. 114 mit Empfehlung 220 lit. b. 496 Paulus, ZGR 2010, 270, 277. 497 Eine juristische Person wird als fiktiv bezeichnet, wenn sie nicht zur eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit, sondern lediglich im Interesse einer anderen juristischen Person gegründet wird. Die fiktive Gesellschaft stellt eine Deckung oder bloße Fassade der anderen juristischen Person dar und wird daher als ein Missbrauch angesehen. Vgl. Bezelgues, Konzerninsolvenzen, 2008, S. 26 ff.; Pannen in: FS Haarmeyer, 2013, 205, 211. 498 Zu diesen Instrumenten siehe mehr zuvor unter S. 72 u. 173. 499 In Bezug auf die Auseinandersetzungen im deutschen Recht Rühlemann, Verfahrenskonzentration, 2014, S. 62.

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Anwendung bringt. So kann das anerkannte und wirksame Mittel der Insolvenzanfechtung die Betrugsfälle mit nahezu gleich effizienten Ergebnissen lösen, ohne dass das System der getrennten Haftungsmassen durchbrochen wird. Eine Insolvenzanfechtung macht die getätigten betrügerischen Vermögensverschiebungen – im Gegensatz zu der Anwendung eines Haftungsdurchgriffs – sogar mit Wirkung für alle Gläubiger rückgängig.500 Das Vermögen wird bei einer insolvenzrechtlichen Anfechtung an das Konzernunternehmen, dem es ohne das betrügerische Handeln zustehen würde, zurückgeleitet.501 Die jeweiligen nationalen Instrumentarien der Haftungsdurchbrechung und der Insolvenzanfechtung gewährleisten damit einen umfassenden Schutz in Betrugsfällen, wodurch es einer substantiellen Konsolidierung nicht bedarf. Problematisch ist überdies die Situation, in der das für die betrügerischen Zwecke gegründete Unternehmen aufgrund der Liquiditätszuschüsse solvent bleibt. In diesem Szenario ist eine substantielle Konsolidierung nur dann zielführend, wenn auch solvente Unternehmen einer Konsolidierung zugeführt werden können. Das US-amerikanische Recht ermöglicht dies in absoluten Ausnahmefällen.502 Gibt man sich solch einer Form der substantiellen Konsolidierung hin, wird das insolvenzrechtliche Grundprinzip der Haftungstrennung noch weiter ad absurdum geführt. 503 Einzelfallgerechtigkeit hat zwar Vorrang vor dogmatischen Erwägungen, allerdings sollte versucht werden, diese innerhalb eines kohärenten Systems zu gewährleisten und Rechtsvertrauen zu stärken, indem Grundprinzipien nicht außer Kraft gesetzt werden. Dies gilt insbesondere, da die Rechtsordnungen – wie zuvor gezeigt – geeignete Instrumente zur Verfügung stellen. Die meisten europäischen Rechtssysteme würden sich mit solch einer Flexibilität, welche sich weit über die Grenzen der bestehenden Dogmatik hinwegsetzt, zu Recht schwertun. Betrachtet man überdies den primären Nutzen einer substantiellen Konsolidierung, der vor allem in der Einfachheit und damit Schnelligkeit der Abwicklung der Verfahren aufgrund der Zusammenfassung der Massen besteht, zeigt sich, dass betrügerische Zwecke nicht als tauglicher Anwendungsfall für eine substantielle Konsolidierung dienen. Der Nachweis eines betrügerischen Handelns muss durch Gutachten belegt werden, deren Erstellung in komplexeren Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 161 f. Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 161. 502 In re 1438 Meridian Place, N.W., Inc., 15 B.R. 89 (Bankr. D.D.C. 1981); In re Crabtree, 39 B.R. 718, 722 (Bankr. E. D. Tenn. 1984); hierzu in der deutschen Lit. Tschernig, Haftungsrechtliche Probleme der Konzerninsolvenz, 1995, S. 81; Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 129. 503 Jeglicher Dogmatik entbehrt auch die Möglichkeit, in absoluten Ausnahmefällen eine partielle Konsolidierung (partial consolidation) anzuordnen, sodass einzelne Gläubiger aus der zusammengefassten Vermögensmasse ausgenommen und gesondert befriedigt werden können, falls es anderenfalls zu Ungerechtigkeiten kommen würde. Vgl. Kluver, EBOR 2000, 287, 314; Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 128 f. 500

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Konzernstrukturen eine erhebliche Zeit in Anspruch nimmt. Erst wenn diese angefertigt wurden, kann in die eigentliche Insolvenzabwicklung eingestiegen werden. Der Weg über eine gezielte Insolvenzanfechtung einzelner Positionen durch den Insolvenzverwalter im Laufe des Verfahrens erscheint als der schnellere Weg und ist demnach der substantiellen Konsolidierung vorzuziehen.504 b) Vermögensvermengung Eine weitere Fallgruppe der substantiellen Konsolidierung mit breiter Unterstützerbasis lässt sich im Falle der Vermögensvermengung mehrerer Gesellschaften im Laufe des allgemeinen Geschäftsbetriebs ausmachen. In dieser Situation besteht solch eine wirtschaftliche Verbindung, sodass es für die Gläubiger erscheint, als würden sie mit einer Gesellschaft kontrahieren. Dies ist dann der Fall, wenn sich der Schuldner nicht unter seinen Einzelunternehmen präsentiert, sondern als Einheitsunternehmen geriert und dadurch das Vertrauen in die getrennten Glieder zerstört bzw. gar nicht entstehen lässt. Voraussetzung für den einschneidenden Eingriff einer substantiellen Konsolidierung in die haftungsrechtliche Struktur muss demnach – ganz im Sinne des UNCITRAL Vorschlags – sein, dass eine Trennung des Vermögens in der Insolvenz für alle Gläubiger, aufgrund des unverhältnismäßig hohen Zeitaufwands sowie der Kosten (unter anderem für die Identifikation der Eigentümer und jeweiligen Gläubiger), hoffnungslos und praktisch unmöglich ist.505 Praktiziert wird dies im französischen Recht, in welchem bei einer „unentwirrbaren Verschachtelung“ (un état d'imbrication inextricable) eine substantielle Konsolidierung angenommen wird.506 INSOL Europe hat sich unter Art. 46 ihres Vorschlags bezüglich einer reformierten EuInsVO ebenso mit dieser Fallgruppe befasst und eine limitierte Form entwickelt.507 Eine substantielle Konsolidierung ist danach nur dann zulässig, wenn eine Zuordnung der Vermögensmassen – also der Aktiva, Passiva oder Verträge 508 – auf die einzelnen Rechtsträger nicht Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 162. UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 60 Rn. 106 u. S. 62 f. Rn. 113 mit Empfehlung 220 lit. a. 506 Bezelgues, Konzerninsolvenzen, 2008, S. 28 f.; Pannen in: FS Haarmeyer, 2013, 205, 211 f. 507 Allerdings nimmt INSOL Europe auf die internationale Dimension der EuInsVO Rücksicht. So wird es im Zuge einer substantiellen Konsolidierung immer zu einem Verlust der Aufsicht eines mitgliedstaatlichen Gerichtes kommen; das Recht dieses Mitgliedstaates ist in diesem Fall nach Art. 4 EuInsVO nicht mehr anwendbar. Daher schlägt INSOL Europe vor, das Gericht, welches seine Kompetenz verliert, über den Antrag auf substantielle Konsolidierung entscheiden zu lassen. Siehe INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 99 f. Kommentar zu Art. 46, 46.3. 508 Als Kriterien lassen sich die Art und Weise der Verwobenheit von Management und Finanzierung sowie eine undurchsichtige Buchhaltung heranziehen. 504

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mehr ordnungsgemäß möglich ist.509 Im gleichen Stil hatte auch das Europäische Parlament in einer Entschließung vom 15.11.2011 die Möglichkeit einer substantiellen Konsolidierung aufgegriffen und eine Anwendung für denkbar gehalten, wenn man nicht ermitteln kann, welche Vermögenswerte welchem Schuldner gehören oder eine Bewertung der gruppeninternen Forderungen nicht möglich ist.510 Zu keiner substantiellen Konsolidierung kommt man, wenn im Konzern aufgrund der klassischen Konzernstrukturen eine Vermögensvermischung stattfindet. Solch eine kann insbesondere infolge steuerlicher und haftungsrechtlicher Gründe sowie im Wege eines Cash-Poolings, Intercompany-Verflechtungen oder gegenseitiger Abhängigkeiten bei der Unternehmensführung entstehen.511 Die Situationen in denen eine substantielle Konsolidierung lediglich wirtschaftlich sinnvoll erscheint, da zum Beispiel das Auseinanderdividieren mit hohen Kosten verbunden ist, dürfen nicht unter den Anwendungsbereich einer substantiellen Konsolidierung fallen, da die Gläubigerinteressen hinsichtlich eines funktionierenden Haftungssystems höher zu gewichten sind.512 In genau diesen Fällen sind die zuvor dargestellten Bedenken berechtigt, die das Gläubigervertrauen durch eine substantielle Konsolidierung nachhaltig zerstört sehen. Bei einer lediglich kostenintensiven Zuordnung der Vermögensmassen sollte Rückgriff auf eine Vereinbarung zwischen den Insolvenzverwaltern genommen werden. 513 Solche Absprachen können Abgrenzungs- und Verwertungsvereinbarungen enthalten, mit welchen die Vermögensvermengung aufzulösen ist.514 Wenn Teilen der Gläubigerschaft die grundsätzliche Haftungstrennung bewusst ist und auf Basis dieser gehandelt wird, besteht grundsätzlich kein Bedürfnis, diese im Insolvenzfalle aufzulösen und damit ein kohärentes System zu dissoziieren.515 Nur weil der Konzernverbund teilweise als Einheitsunternehmen wahrgenommen wurde, darf das Vertrauen von aktuellen oder zukünftigen Gläubigern, denen die Haftungstrennung womöglich bewusst war oder sein wird, nicht enttäuscht werden.516

INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 98 Kommentar zu Art. 46, Art. 46.1. Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Anlage Teil 3 1. E.; hierzu Taylor IILR 2011, 242, 246. 511 UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, Part three, S. 59 ff. Rn. 105 ff.; Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 347, 350; Humbeck, NZI 2013, 957, 959; an einem eindrücklichen Beispiel darstellend K. Schmidt, KTS 2010, 1, 14 f. 512 INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 99 Kommentar zu Art. 46, 46.1. 513 INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 99 Kommentar zu Art. 46, 46.1; Rennert-Bergenthal, ZInsO 2008, 1316, 1316. 514 Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 798. 515 A. A. im Zusammenhang mit dem nationalen deutschen Recht Humbeck, NZI 2013, 957, 960 ff. 516 UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law, Part three, 2010, S. 61 Rn. 109. 509

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In dem speziellen Ausnahmefall einer unauflösbaren Vermögensvermengung greifen die Bedenken in Bezug auf das Haftungssystem nicht, da eine Haftungstrennung zwischen den einzelnen Rechtsträgern praktisch unmöglich ist. Allerdings stehen auch in diesem Fall Alternativmechanismen zur Verfügung. Anfechtungsmöglichkeiten liegen zwar nicht vor, da die Vermögensvermengung aufgrund eines undurchschaubaren Leistungsaustauschs unmöglich rückabwickelbar ist. Eine nachträgliche Zuordnung der Haftungsmassen schlägt gänzlich fehl. Es ist jedoch daran zu denken, im Einzelfall das richterrechtliche Institut des Rechtsmissbrauchs in Form der Durchgriffshaftung anzuwenden.517 Dies erscheint interessengerecht. Die Ausnahmefälle, in denen eine substantielle Konsolidierung in anderen Rechtsordnungen anwendbar ist, treten in der Praxis meist nur in kleinen und mittelständischen Konzernen auf, da größere Konzerne den Rechnungslegungspflichten unterliegen und es daher zu keiner Vermögensvermengung kommen kann. Dieser sehr begrenzte Anwendungsbereich einer substantiellen Konsolidierung sollte nicht dazu verleiten, das Vertrauen in bestehende Systemgrundsätze über Maß zu belasten, indem die Struktur der juristischen Person mit Haftungsbegrenzung über ein so weitreichendes Instrument wie einer substantiellen Konsolidierung durchbrochen wird.518 Insbesondere infolge der negativen Assoziationen, die mit diesem Instrument aufgrund der kontinentaleuropäischen Debatten verbunden sind, kann schon allein die Existenz einer substantiellen Konsolidierung potenzielle Investoren abschrecken. Eine Durchgriffshaftung im Einzelfall führt zu einem geringfügigeren Bruch im Konzerninsolvenzrechtssystem. Die Wirksamkeit einer Durchgriffshaftung wäre vor allem gewährleistet, wenn man in den Fällen der Vermögensvermischung eine Verfahrenskonsolidierung anordnen könnte. Die Einführung einer solchen ist daher nachdrücklich zu fordern. 4. Fazit Die zuvor dargestellten Ausführungen zeigen, dass in Bezug auf das kontrovers diskutierte Thema der substantiellen Konsolidierung bisher oftmals Scheingefechte geführt wurden. Zwar trifft es unbestritten zu, dass die Haftungserwartungen der Gläubiger durch eine Zusammenlegung der Haftungsmassen und damit Überwindung der Haftungstrennung nachhaltig gestört werden, woraus eine immens nachteilige Wirkung bei der Kapitalbeschaffung der Konzerne entstehen kann. Ernsthafte Überlegungen eine substantielle Konsolidierung betreffend sind jedoch nicht auf solch eine unreflektierte Zusammenführung der Haftungsmassen ausgerichtet, sondern führen sie nur in Fällen durch, in welchen ohnehin kein bzw. ein verminderter Vertrauensschutz bezüglich der 517 Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 347, 350 f.; Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 3; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Vor Art. 56 Rn. 5. 518 Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 3; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Vor Art. 56 Rn. 5; Sester, ZIP 2005, 2099, 2101.

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Haftungsordnung des Konzerns besteht. Bei der substantiellen Konsolidierung handelt es sich demnach um ein Instrument ausschließlich für seltene Ausnahmefälle. Die kontinentaleuropäischen Rechtssysteme würden sich – aufgrund der statischen Anwendung normativer Vorgaben – erheblich schwertun, zu interessengerechten Entscheidungen zu kommen. Die substantielle Konsolidierung zieht ihre Legitimation gerade aus der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des jeweiligen Rechtssystems, um auf die unterschiedlich gelagerten Anwendungsfälle individuell zu reagieren. Die Notwendigkeit einer substantiellen Konsolidierung im US-amerikanischen Recht, ist dogmatisch auch auf die unterschiedliche Regelzuständigkeit für Gesellschafts- und Insolvenzrecht zurückzuführen.519 Über die Konsolidierung werden uneinheitliche bundesstaatliche Instrumentarien des Gesellschaftsrechts einfach in ein einheitliches Insolvenzrecht umgemünzt. Der europäische Gesetzgeber hat hingegen – wie im Heidelberg-Vienna Report empfohlen 520 – das jeweils anwendbare Gesellschaftsrecht respektiert und folgt damit dem nahezu universell geltenden Credo der Haftungstrennung. Um den problematischen Fällen zu begegnen, kann dieses in Ausnahmefällen, vor allem mit den Mitteln der insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechte und der gesellschaftsrechtlichen Durchgriffshaftung, welche mit der notwendigen Adaptivität anzuwenden sind, durchbrochen werden. Dabei wäre es zu begrüßen, wenn diese Instrumente eine Harmonisierung erfahren würden, damit dem europäischen Konzerninsolvenzrecht (bzw. -gesellschaftsrecht) eine Systemkohärenz zukäme, aus welcher sich eine weiterführende Dogmatik entwickeln könnte. F. Zusammenfassung Es bleibt weiter Aufgabe des europäischen Gesetzgebers ein einheitliches und stringentes Konzentrationssystem im europäischen Konzerninsolvenzrecht zu erschaffen. Zwar besteht die Möglichkeit, an den gemeinsamen COMI der Unternehmen die Verfahren räumlich zusammenzuführen. Aufgrund der einschränkenden Voraussetzungen des EuGH wird man jedoch den meisten Fällen einer Konzerninsolvenz nicht ausreichend mit einer Konzentration begegnen können. Primär die Insolvenzpraxis ist sich jedoch einig, dass eine erfolgsversprechende Reorganisation und Sanierung von Konzernen nur bei einer weitreichenden gerichtlichen Konzentration der Verfahren möglich ist.521 Der europäische Gesetzgeber sollte sich an diesen Erfordernissen orientieren und ein ausdifferenzierteres System zur Verfügung stellen, welches bedarfsgerecht angewandt werden kann. Es reicht nicht aus, an der Minimallösung einer Konzentration am Ort der gemeinsamen COMI festzuhalten, da dessen AnwenHirte in: FS Schmidt, 2009, 641, 651 f. Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, 2014, S. 15 Rn. 61. 521 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 311; Graeber, NZI 2007, 265, 266. 519

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dungsbereich zu begrenzt ist und nur evidente Fälle abdeckt.522 Geeignete Mechanismen stehen im Moment nur beschränkt zur Verfügung. Leider schließt es der aktuelle Stand der Integration noch aus, ein komplexes System mit weiteren Konzentrationsorten oder gar einer Verfahrenskonsolidierung zu implementieren und etablieren. Als Vorbedingung eines europaweiten Konzentrationssystems müsste zunächst eine Harmonisierung der Insolvenzrechte durchgeführt werden. Erst unter dieser Voraussetzung könnte das vorhandene Konzentrationspotenzial ausgeschöpft und ineffiziente parallele Sekundärinsolvenzverfahren verhindert werden. Insbesondere eine Bündelung der Verfahren an einem Konzern-COMI oder auf Basis eines Prioritätsprinzips wäre für die große Anzahl an integrierten Konzernen, bei denen sich die COMI der einzelnen Konzernunternehmen in unterschiedlichen Staaten befinden, mit einem hohen Effizienzgewinn verbunden. Solch ein Konzentrationsort im europäischen System würde zwar die Wiederbelebung des mind of management-Ansatzes bedeuten, gerade das Manko der mangelnden Vorhersehbarkeit für die Gläubiger wäre allerdings durch eine Harmonisierung behoben. Die Sorge, dass der Großteil der konzentrierten Verfahren immer an den gleichen Konzerninsolvenzzentren eröffnet werden würde, wäre durch die Angleichung der Verfahrensrechte bezüglich Restrukturierungs- und Sanierungsmechanismen zu beheben. Durch eine Vereinheitlichung würde nicht das „beste“ Restrukturierungs- oder Sanierungsrecht (es gäbe nur noch ein funktional angepasstes Recht), sondern der geeignetste Ort auf Basis des Kriteriums der engsten Verbindung den Ausschlag für eine Konzentration geben. Bei stark zentralisierten und integrierten Konzernen wäre überdies an die Möglichkeit einer Verfahrenskonsolidierung zu denken. Diese stellt sicherlich – mit Blick auf das Verfahrensziel der effektiven Verfahrensgestaltung gemessen am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen für den Binnenmarkt – das am weitestreichende und zielführendste Regelungsmodell dar.

§ 11 Verfahrenskooperation und -koordination § 11 Verfahrenskooperation und -koordination

Der europäische Gesetzgeber hat sich im Zuge der Reform der EuInsVO – abgesehen von der Konzentration am Ort des gemeinsamen COMI – für ein anderes Lösungsmodell bei dem Umgang mit Konzerninsolvenzsachverhalten entschieden. Die gewählten Konzeptionen der Verfahrenskooperation und -koordination sollen im Folgenden dargestellt werden. Zunächst ist dabei auf die verwendeten Termini einzugehen sowie den eigens für diese Vorschriften implementierten Anwendungsbereich einzugrenzen.

522

Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 805 f.

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A. Terminologische Abgrenzungen Im Zusammenhang einer Insolvenz sind die Interaktionen zwischen den Verfahrensbeteiligten zur Abstimmung untereinander mannigfaltig. Damit diese Beziehungen nicht nur inhaltlich richtig beschrieben werden, sondern auch terminologisch eine einheitliche Anwendung erfahren, werden die verwendeten Begriffe im Folgenden einer kurzen Einordnung unterzogen. Überschrieben ist Kapitel V Abschnitt 1 mit „Zusammenarbeit und Kommunikation“. Zusammenarbeit beschreibt ein zweckgerichtetes und gemeinschaftliches Zusammenwirken auf ein gemeinsames Ziel hin ausgerichtet.523 Eine Zusammenarbeit ist ohne einen gemeinsamen Kommunikationsakt – im Sinne einer Verständigung untereinander – nicht möglich. Der Begriff der Zusammenarbeit impliziert insofern den der Kommunikation. Dieses Verständnis stellt auch die Basis für den Regelungskontext der Insolvenzverfahren über das Vermögen von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe dar. Im Abschnitt 1 besteht die Zusammenarbeit der Verfahrensbeteiligten insbesondere in Form eines Informationsaustausches, welchem notwendigerweise ein Kommunikationsakt zugrunde liegt. Dass der europäische Gesetzgeber dennoch beide Termini in der Titulierung dieses Abschnittes verwendet, ist darauf zurückzuführen, dass der Schritt der Kommunikation ein grundlegendes und wesentliches Element auf dem Weg hin zur Erreichung der Zwecke des Konzerninsolvenzverfahrens darstellt. Dies erscheint zwar als selbstverständlich, wurde in der Vergangenheit jedoch stark vernachlässigt. Ohne Kommunikation kann keine weiterführende Zusammenarbeit stattfinden. Demnach ist es nachvollziehbar, diese Grundvoraussetzung neben dem Begriff der Zusammenarbeit in der Überschrift gesondert hervorzuheben und damit der Praxis deren Bedeutung zu vergegenwärtigen. Die Kommunikation als Basis einer funktionierenden Zusammenarbeit wird verdeutlicht. Zweckgerichtetes und gemeinschaftliches Zusammenwirken ist allerdings ein mehrschichtiges Aufgabenfeld, welches mit einem Bündel an Maßnahmen bearbeitet werden kann.524 Ein weiteres Element einer Zusammenarbeit stellt die Koordination dar. Koordination bedeutet – seinem lateinischen Ursprung nach – eine gewisse Art der gemeinsamen Ordnung. Die Verfahrensbeteiligten betreiben nicht nur einen zweckgerichteten Austausch, sie stimmen ihre Vorgehensweisen darüber hinaus aufeinander ab 525 und geben ihnen in den von der Koordination betroffenen Bereichen eine gleiche Zielrichtung, bringen sie demnach mit-

Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 7. Aufl. 2002, S. 1440. Ehricke in: Aufbruch nach Europa, 2001, 337, 353. 525 Ehricke, WM 2005, 397, 399; Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 11. 523

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einander in Einklang.526 Eine Koordination ist somit eine qualifizierte Form der Zusammenarbeit.527 Zur trennschärferen Unterscheidung zwischen Zusammenarbeit und Koordination und zur besseren Einordnung der Termini in den Werkzeugkasten der europäischen Regulierungsmodelle soll im Folgenden anstelle Zusammenarbeit bevorzugt Kooperation verwendet werden.528 Dies ist insofern plausibel, als die Begrifflichkeit der Kooperation in den anderen Sprachfassungen529 der EuInsVO als Synonym für Zusammenarbeit gebraucht wird und somit eine sprachliche Kongruenz entsteht.530 Wird demnach im Weiteren der Terminus Kooperation zum Einsatz gebracht, können davon gleichzeitig auch Elemente einer Koordination umfasst sein. Dass die qualifizierte Kooperation in Form der Koordination in der Überschrift des Abschnittes 1 keine ausdrückliche Erwähnung findet, ist darauf zurückzuführen, dass eine deutliche begriffliche Abgrenzung zwischen den allgemeinen Kooperationsmechanismen aus Abschnitt 1 und dem reinen Koordinationsverfahren des Abschnittes 2 geschaffen werden soll.531 Wird nachfolgend von den Vorschriften zu Verfahrenskooperation und -koordination im Sinne der EuInsVO gesprochen, wird auf den Regelungsbereich des Kapitels V „Insolvenzverfahren über das Vermögen von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe“ Bezug genommen. Allgemeine Verfahrenskooperation steht in diesem Duo für die Vorschriften des Abschnittes 1 „Zusammenarbeit und Kommunikation“, Koordinationsverfahren für diejenigen des Abschnittes 2 „Koordinierung“. B. Anwendungsbereich Der Anwendungsbereich der Kooperations- und Koordinationsvorschriften in Konzernkonstellationen basiert auf einer Konzerndefinition, welche speziell für das Insolvenzrecht maßgeschneidert ist, damit eine Vielzahl von Konzernstrukturen von den zur Verfügung gestellten Instrumentarien profitieren kön526 Die Wortbedeutung betreffend Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 7. Aufl. 2002, S. 1440. „Aus dem Neben- oder gar Gegeneinander der Verfahren wird ein Miteinander“, so eingängig Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 12. 527 Koordination als Zusammenarbeit i. e. S. betitelnd Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, 2008, S. 27. 528 Verfahrenskooperation bzw. verfahrensmäßige Kooperation bedeutet dabei, dass aufgrund der Tatsache, dass lediglich ein Verfahren pro Rechtsträger eröffnet wird, zwischen den Verfahren eine Kooperation der Verfahrensbeteiligten stattzufinden hat. 529 In der englischen Sprachfassung: „Cooperation and communication“; in der französischen Fassung: „Coopération et communication“. 530 Im deutschen Sprachgebrauch wird der Begriff der „Kooperation“ ebenfalls mit „Zusammenarbeit“ gleichgesetzt, vgl. Brockhaus Enzyklopädia, Band 12, 19. Aufl. 1990, S. 329; Duden, Das Bedeutungswörterbuch, 3. Aufl. 2002, S. 550. 531 Um diese Abgrenzung besser zu verdeutlichen, ist es nachvollziehbar, dass der Abschnitt 1 im Normtext mit Zusammenarbeit betitelt wurde.

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nen. Gleichzeitig soll der Anwendungsbereich so handhabbar sein, dass dem Eilcharakter der Insolvenzverfahren gerecht geworden wird. Darüber hinaus sind der territoriale Anwendungsbereich sowie das Verhältnis zwischen nationalem und europäischem Recht darzustellen. I. Die Unternehmensgruppe Als zentraler Rechtsbegriff zur Bestimmung des Anwendungsbereichs der EuInsVO im Zuge einer Konzerninsolvenz hat der Terminus der „Unternehmensgruppe“532 Einzug in den Verordnungstext gehalten. Die Unternehmensgruppe wird in Art. 2 Nr. 13 EuInsVO unionsautonom533 als „ein Mutterunternehmen und alle seine Tochterunternehmen“ definiert. Die Begriffsbeschreibung erinnert nicht nur an die Legaldefinition der „Gruppe“ in Art. 2 Nr. 11 EuBilanzRL, sondern ist mit dieser nahezu deckungsgleich. 534 Schon allein diese Tatsache lässt eine tiefere Verbindung des Anwendungsbereichs der EuInsVO mit den europäischen Regelungen zur Konzernbilanzierung erkennen. Dass die Verknüpfung weit darüber hinausgeht, werden die folgenden Ausführungen zeigen. 1. Das Mutterunternehmen Entscheidend für die Bestimmung der Unternehmensgruppe ist die Annahme eines Mutterunternehmens, welches durch das Verhältnis gegenüber den Tochterunternehmen beschrieben wird. Von einem Mutterunternehmen ist nach Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO dann zu sprechen, wenn ein Unternehmen „ein oder mehrere Tochterunternehmen entweder unmittelbar oder mittelbar kontrolliert“. Als ein Mutterunternehmen wird nach Satz 2 überdies jedes Unternehmen angesehen, das einen konsolidierten Abschluss gemäß der EuBilanzRL erstellt. Die Definition der Unternehmensgruppe löst sich damit von einer rein autonomen Beschreibung des Unternehmensgruppenbegriffs für Konzerninsolvenzfälle, welche noch im ursprünglichen Kommissionentwurf zu finden

532 Im Kontext der Verfahrenskooperation und -koordination der EuInsVO soll im Folgenden der Begriff „Unternehmensgruppe“ als Terminus technicus anstelle des Begriffs „Konzern“ verwendet werden. 533 Der Vorschlag einiger Delegationen einen Verweis auf Konzerndefinitionen der nationalen Rechtsordnungen einzufügen (vgl. Ratsdok. 12087/13, S. 3), wurde glücklicherweise nicht weiterverfolgt. Die EuInsVO bedarf eines einheitlichen Begriffes, der allein durch den europäischen Gesetzgeber geprägt sein sollte und nicht von nationalen Eigenheiten abhängen darf. 534 Nerlich/Römermann/Nerlich/Hübler, InsO, 33. EL September 2017, EuInsVO Art. 2 Rn. 25.

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war.535 Art. 2 lit. i und j EuInsVO-E basierten dem Regelungsinhalt nach zwar ebenfalls auf dem europäischen Bilanzrecht in Form des Art. 1 Abs. 1 KonzernbilanzRL (7. EG-Richtlinie536) und demnach auf dem Vorläufer der EuBilanzRL.537 Die Definition des Begriffs der Unternehmensgruppe sollte allerdings nach ErwG 7 S. 4 EuInsVO-E ausschließlich auf Insolvenzvorgänge beschränkt sein und gesellschaftsrechtliche Aspekte von Unternehmensgruppen unberührt lassen, wodurch eine Abstimmung mit ähnlichen Begriffen aus anderen Rechtsordnungen nicht angezeigt war. Mit dieser Definition der Unternehmensgruppe wäre der Anwendungsbereich der Verordnung jedoch zum einen zu kurz gefasst gewesen,538 zum anderen hätte eine reine insolvenzrechtsautonome Begriffsbestimmung im Widerspruch zu dem Gebot der einheitlichen europäischen Rechtsanwendung im Sinne einer einheitlichen Begriffsbestimmung gestanden, da sich auch andere Rechtsakte der Terminologie der Unternehmensgruppe bedienen und ein mannigfaltiger Bedeutungsgehalt entstanden wäre. Dies ist grundsätzlich zu vermeiden, um ein konsistentes und kohärentes europäisches Rechtssystem zu schaffen.539 Überlegungen im Zuge der Beratungen im Rat540 zur Herstellung einer Verbindung des Anwendungsbereichs der EuInsVO mit Art. 67 GesRRL (zum damaligen Zeitpunkt Art. 28 KapRL541) scheiterten insbesondere an der Unbestimmtheit der dort verwen535 Die Gesetzesmaterialien verwendeten zu diesem Zeitpunkt einen gegenüber dem Normtext vereinfachten, aber ebenfalls auf formellen Kriterien basierenden Ansatz, der allerdings nicht im technischen Sinne zur Beschreibung des Anwendungsbereichs dienen sollte: „Company which owns a majority of shares of its subsidiaries. It may determine the common policy of the group at its headquarters“. Vgl. SWD(2012) 416 final (EN), S. 49. 536 Siebente RL 83/349/EWG des Rates v. 13.6.1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluß, ABlEG v. 18.7.1983, L 193/1. 537 Bei einem direkten Verweis auf die ehemalige KonzernbilanzRL wäre ohnehin problematisch gewesen, dass diese kurz vor einer grundlegenden Reform und Überführung in eine neue Richtlinie stand. Der Verweis in der damals eingesetzten Form hätte kurze Zeit später nur über Art. 52 UAbs. 2 EuBilanzRL seine Wirkung entfalten können. Daher war es konsequent, mit dem Verweis bis zur Verabschiedung der neuen EuBilanzRL am 26.6.2013 zu warten, vgl. J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 73. 538 Vornehmlich Gleichordnungskonzerne wären vollumfänglich nicht in den Anwendungsbereich gefallen. Siehe zur jetzigen Situation bezüglich Gleichordnungskonzernen S. 196 f. u. 205 f. 539 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 73; dies., KTS 2018, 1, 3. 540 Vgl. Ratsdok. 12087/13, S. 3. 541 RL 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (Neufassung), ABlEU v. 14.11.2012, L 315/74.

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deten Rechtsbegriffe.542 Die gewünschte einfache Feststellung der Unternehmensgruppe zur schnellen Einleitung der in einer Konzerninsolvenz nötigen Maßnahmen wäre damit nicht möglich gewesen. Daher wurde beschlossen, sich zum einen – durch einen Verweis auf Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO – in die Sphäre des Konsolidierungskreises des europäischen Bilanzrechts zu begeben 543 und zum anderen – mit dem generalklauselartigen Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO – den geforderten weitgehenden Wirkungsbereich zu garantieren.544 a) Der Rückgriff auf die Bilanzrichtlinie Nach Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO wird ein Unternehmen als Mutterunternehmen angesehen, wenn es einen konsolidierten Abschluss gemäß der Richtlinie 2013/34/EU (EuBilanzRL) erstellt. 545 Für die tatsächliche Feststellung des Konsolidierungskreises sind demnach die jeweiligen Umsetzungsgesetze der EuBilanzRL in den nationalen Rechtsordnungen entscheidend.546 Der Verweis auf die EuBilanzRL scheint pragmatisch, da das Konzernrechtsverständnis im europäischen Bilanzrecht stark ausgeprägt ist und ebenso für andere euro-

542 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 73; ausführlich zu Art. 67 GesRRL vgl. Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 6. Aufl. 2018, 19.165 ff. 543 Vor allem Stimmen aus der Wissenschaft haben eine Anknüpfung an das europäische Bilanzrecht geraten, vgl. J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 73 m. w. N. auf Beck, DZWiR 2014, 381, 388; Kindler, KTS 2014, 25, 40 f. Diese Anpassung an das europäische Bilanzrecht basiert auf einem Vorschlag der deutschen und französischen Ratsdelegationen, der schon in einem frühen Stadium des Gesetzgebungsprozesses an die betreffende Arbeitsgruppe weitergereicht wurde, vgl. Ratsdok. 8108/13 (FR/DE), S. 26 f. 544 Diese zweiteilige Struktur wurde am 22.10.2013 durch den Rat – allerdings noch mit Verweis auf die Vorgängervorschrift der KonzernbilanzRL – eingeführt (vgl. Ratsdok. 14910/13, S. 9) und anschließend durch das Europäische Parlament übernommen (vgl. Legislative Entschließung des EP v. 5.2.2014, P7_TA(2014)0093, Änderungsanträge 25 u. 26 zu Art. 2 lit. i u. j). 545 Dabei handelt es sich bei dem Verweis auf die EuBilanzRL durch die genaue Bezeichnung der Richtlinie in Art. 2 Nr. 14 EuInsVO um einen statischen Verweis, wodurch eine Anpassung des europäischen Rechnungslegungsrechts durch weitergehende Harmonisierungsbemühungen erst durch eine Anpassung der EuInsVO übernommen werden würde, vgl. Eble, NZI 2016, 115, 117 Fn. 31. Einen dynamischen Verweis lehnten insbesondere die französische und deutsche Delegation – allerdings noch während des Reformprozesses der KonzernbilanzRL – ab und bevorzugten eine eigenständige und damit statische Definition des Anwendungsbereichs direkt in der EuInsVO, vgl. Ratsdok. 8108/13 (FR/DE), S. 27. 546 Eble in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung, 2015, 131, 145 ff.; ders., NZI 2016, 115, 116 f.; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 79; a. A. Mock in: BeckOK InsO, 8. Ed. Stand: 31.10.2017, EuInsVO 2017 Art. 2 Rn. 37.

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päische Rechtsakte die maßgeblichen Richtwerte liefert.547 Eine Angleichung der Begrifflichkeiten im europäischen Unternehmensrecht und eine daraus resultierende uniforme Auslegung sind im Sinne einer einheitlichen europäischen Rechtsanwendung erstrebenswert.548 Die Zweckhaftigkeit dieser Vereinheitlichung ergibt sich jedoch erst, wenn die Reichweite der Konsolidierungspflicht den jeweiligen Zielen beider Rechtsakte dienlich ist. Eines Gleichlaufs der Regelungszwecke bedarf es dabei nicht.549 Der Unternehmensgruppenbegriff in der europäischen Bilanzrichtlinie hat zur Aufgabe, den Konzernabschlussadressaten weitestgehend ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Konzerns („true and fair view“) zu vermitteln.550 Daher ist die Einbeziehung aller Gruppenunternehmen notwendig, um die ökonomische Abhängigkeit richtig darzustellen. Durch die konsolidierten Abschlüsse wird eine Rechtseinheit fingiert, welche die wirtschaftliche Einheit der Unternehmensgruppe widerspiegelt. 551 Gerade dieses Charakteristikum einer wirtschaftlichen Einheit unter rechtlicher Selbstständigkeit ist ein starker Indikator für einen Kooperations- und Koordinationsbedarf. Nur unter Achtung der wirtschaftlichen Einheit kann über Kooperations- und Koordinationsmechanismen während der Insolvenzverfahren eine Fortführung der Unternehmensgruppe als Ganzes gewährleistet werden.552 Die Anknüpfung an die EuBilanzRL und die Übernahme des dort gezeichneten Bildes der Unternehmensgruppe fördern demnach unmittelbar den Sanierungsgedanken als wichtigen Zweck der europäischen Konzerninsolvenzvorschriften. Demnach kommt es im Zusammenhang der EuInsVO zu keinem unreflektierten Rückgriff auf die Vorschriften der Bilanzrichtlinie,553 sondern zu einer eigenständigen Betrachtung der Eigen547 Ratsdok. 8108/13 (FR/DE), S. 26; ebenso J. Schmidt, KTS 2015, 19, 36; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 74. 548 Beck, DZWIR 2014, 381, 388; Kindler, KTS 2014, 25, 40; Kindler/Sakka, EuZW 2015, 460, 465. 549 Kindler, KTS 2014, 25, 40; Kindler/Sakka, EuZW 2015, 460, 465; den Unterschied zwischen Tatbestand und Rechtsfolge nicht berücksichtigend Mock, GPR 2013, 156, 164. 550 ErwG 9 EuBilanzRL; so auch umgesetzt in § 297 Abs. 2 Satz 2 HGB. 551 Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzen, 14. Aufl. 2017, S. 40 f.; Rühlemann, Verfahrenskonzentration, 2014, S. 393. 552 In diesem Sinne – allerdings noch bezüglich Art. 1 Abs. 1 KonzernbilanzRL – ebenso Ratsdok. 8108/13 (FR/DE), S. 26. 553 Anders Mock, GPR 2013, 156, 164. Der Hinweis auf die niedrigen Anforderungen bei der Definition nahestehender Personen im deutschen Insolvenzanfechtungsrecht, die zeigen sollen, dass die Schwellen zur Annahme einer Unternehmensgruppe im europäischen Konzerninsolvenzrecht zu hoch angesetzt sind, geht fehl. Das europäische Konzerninsolvenzrecht löst gegenseitige Koordinations- und Kooperationspflichten mit zum Teil weitreichenden Eingriffsbefugnissen aus, welche lediglich durch die der Gruppe zugrunde liegende wirtschaftliche Einheit zu rechtfertigen sind. Bei der Insolvenzanfechtung geht es um eine einseitige Masserückgewähr als Folge einer Benachteiligung der Gläubiger. Es handelt sich

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art des Konzernbegriffes im Lichte des Insolvenzrechts unter Zuhilfenahme der Regelungen zum europäischen Bilanzrecht.554 aa) Tatsächliche Konsolidierung als Tatbestandsvoraussetzung Der Normtext in Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO stellt klar, dass der konsolidierte Konzernabschluss gemäß der EuBilanzRL tatsächlich erstellt worden sein muss, damit ein Konzernunternehmen als Mutterunternehmen im Sinne der EuInsVO angesehen werden kann. Fraglich ist hingegen, ob es für die Annahme eines Mutterunternehmens im Sinne der EuInsVO ausreicht, dass ein konsolidierter Abschluss in Übereinstimmung mit den Anforderungen an die Art und Weise der Aufstellung nach der EuBilanzRL erstellt wurde oder ob zusätzlich auch eine Pflicht zur Erstellung dieses Berichts bestanden haben muss.555 Aus einer grammatikalischen Auslegung des Verordnungstextes lässt sich keine Erkenntnis ziehen.556 Blickt man historisch auslegend auf den einstigen Art. 2 lit. j EuInsVO-E, waren dort nur die materiellen Regelungen einer Konsolidierungspflicht erwähnt, die Vorschriften zur Art und Weise der Aufstellung spielten keine Rolle. Ob sich die Änderung des Anwendungsbereichs im Laufe des Gesetzgebungsprozesses als ein Wechsel zu einer Anknüpfung rein an einen tatsächlich erstellten konsolidierten Abschluss interpretieren lässt, ist nicht zu sagen. Die Begründungen des Rechtsausschusses sprechen lediglich davon, dass der Anwendungsbereich „angepasst“ werden sollte. 557

somit um vollkommen unterschiedliche Sachverhaltskonstellationen, so dass keine Anwendungsbereichsangleichung gerechtfertigt ist. 554 Wimmer, DB 2013, 1343, 1345; von „systematische[r] Kohärenz und Konsistenz im Europäischen Unternehmensrecht“ sprechend Bayer/J. Schmidt, BB 2015, 1731, 1738; Beck, DZWIR 2014, 381, 387; J. Schmidt, KTS 2015, 19, 36; dies., Eurofenix Autumn 2015, 17, 17; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 74; dafür plädierend, dass ausschließlich Bezug auf die EuBilanzRL genommen werden solle, wobei dabei verkannt wird, dass der Anwendungsbereich damit zu kurz geraten würde Weiss, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 192, 198 f. 555 Im zweiten Sinne Eble in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung, 2015, 131, 145; ders., NZI 2016, 115, 116; nur auf die Konsolidierungspflicht abstellend Mock in: BeckOK InsO, 8. Ed. Stand: 31.10.2017, EuInsVO 2017 Art. 2 Rn. 38; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 5. 556 Die Formulierung „gemäß der Richtlinie [...] erstellt“ sowie die anderen Sprachfassungen lassen den Leser im Unklaren, vgl. Eble in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung, 2015, 131, 145 f. 557 Begründungen zu Änderungsanträgen 24 und 25 in dem Bericht des Rechtsausschusses zum Kommissionsvorschlag, JURI-Bericht, A7-0481/2013. Hierin keine Änderung gegenüber dem Verordnungsentwurf sehend Eble in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung, 2015, 131, 146; ders., NZI 2016, 115, 116.

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Entscheidend sind teleologische Erwägungen.558 Bei den Regeln bezüglich der Konsolidierungspflicht handelt es sich um eine komplexe Materie, deren Überprüfung die Insolvenzgerichte – deren Handeln Eile gebietet – vor eine Überforderung stellen kann.559 Bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs der Kooperations- und Koordinationsvorschriften soll den Verfahrensbeteiligten im Sinne einer Verfahrensökonomie so schnell wie möglich Rechtssicherheit gewährleistet werden, ob die Vorschriften zu Konzerninsolvenzen anwendbar sind. Ihnen soll kein hoher Prüfaufwand anhand diverser materieller Kriterien aufgebürdet werden. Dies gilt insbesondere mit Blick auf das ohnehin kurze Zeitfenster, in welchem Sanierungsverfahren erfolgreich durchgeführt werden können. Daher scheint es zweckmäßig, dass der Anwendungsbereich des Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO lediglich anhand der faktischen Abschlusserstellung festgestellt wird.560 Die Vornahme einer vollständigen Konzernrechnungslegungsanalyse ist nicht erforderlich. Der Verweis der EuInsVO auf die EuBilanzRL knüpft damit nur an den Output der Rechtsfolge der Normen in Form eines tatsächlich erstellten konsolidierten Abschlusses an.561 Eine materielle Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschriften der EuBilanzRL wird den Gerichten – im Sinne der Verfahrensökonomie – gerade nicht zugemutet. Einem Konzern, der auch ohne Konsolidierungspflicht einen Konzernabschluss erstellt, werden ohnehin solch weitgehende Verflechtungen zugrunde liegen, dass die Anwendung von Kooperations- und Koordinationsmechanismen angezeigt ist. Eine mögliche Kooperations- und Koordinationsverpflichtung von Konzernen, welche solch einer Abstimmung nicht bedürfen, ist unschädlich, da den Gerichten und Verwaltern im Einzelfall selbst obliegt, Mechanismen nicht anzuwenden. Im Zusammenhang einer Kooperationsverpflichtung in Form des Gruppen-Koordinationsverfahrens steht jedem Verwalter ohnehin der einfache Weg einer einseitigen Opt-out-Möglichkeit zur Verfügung. Die verhaltenen Kooperations- und Kommunikationsvorschriften legitimieren somit den weiten Unternehmensgruppenbegriff.562 Ein gegebenenfalls etwas zu weit geratener Anwendungsbereich führt damit im Einzelfall zu keinen Nachteilen, sorgt jedoch summa summarum für Rechtssicherheit bei den Beteiligten und zu einer Beschleunigung des Verfahrens. 558 Den Sinn und Zweck der Vorschrift lediglich darin zu sehen, die Grenzen der Unternehmensgruppe abzustecken, greift zu kurz. So jedoch Eble in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung, 2015, 131, 146. 559 Seine Besorgnis hinsichtlich der Komplexität der Materie im Zusammenhang einer gerichtlichen Überprüfung der Konsolidierungspflicht im Zuge des insolvenzrechtlichen Antragsverfahrens vorbringend K. Schmidt, KTS 2010, 1, 12. 560 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 544; MüKoBGB/Kinder, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 56 Rn. 4; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 79. 561 In diesem Sinne auch Kindler, KTS 2014, 25, 40. 562 Eble, NZI 2016, 115, 119; J. Schmidt, KTS 2015, 19, 35.

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bb) Das legal-control-Konzept als Basis einer Konsolidierungspflicht nach der EuBilanzRL Im Folgenden ist zu untersuchen, welche Konzerne in den Bereich der Konsolidierungspflicht nach der EuBilanzRL fallen, da auf Basis dieser Pflicht der überwiegende Teil der konsolidierten Abschlüsse erstellt wird. Im Zusammenhang der Regeln zur Feststellung des Konsolidierungskreises werden grundsätzlich zwei Konzepte herangezogen. Zum einen das vornehmlich aus dem ehemaligen deutschen Recht stammende economic-control-Konzept, welches auf materielle Beherrschungstatbestände aufbaut. Entscheidend ist hierbei, dass das Mutterunternehmen die Geschäftsführung des Tochterunternehmens tatsächlich maßgeblich beeinflusst (beherrscht). 563 Formelle Kriterien sind zwar oftmals die Grundlage einer Beherrschung, allerdings nicht der maßgebliche Anknüpfungspunkt dieses Konzepts. Bei dem aus der angelsächsischen Rechnungslegung stammenden Kontrollkonzept bzw. legal-control-Konzept564 muss lediglich eine rechtliche Kontrollmöglichkeit des Mutterunternehmens gegenüber dem Tochterunternehmen bestehen.565 Ausschlaggebend sind demnach rein formelle Kriterien.566 Die unmittelbare Pflicht zur Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses nach der EuBilanzRL knüpft gem. Art. 22 Abs. 1 EuBilanzRL direkt an solche formellen Kriterien an.567 Indem nur die Möglichkeit der Kontrolle ausreicht,568 können sich hieraus allerdings Situationen entwickeln, in denen der Anwendungsbereich der europäischen Kooperations- und Koordinationsvorschriften eröffnet ist, solche Pflichten jedoch nicht indiziert sind, da die tatsächlichen Verflechtungen der Unternehmensgruppen keiner Kooperation oder Koordination bedürfen. Das gleiche Problem ergibt sich im Zusammenhang mit der Konsolidierungspflicht auf Basis eines

Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 569. Im Folgenden wird ausschließlich von dem legal-control-Konzept oder economiccontrol-Konzept gesprochen, um falsche Assoziationen mit den Begriffen der „Kontrolle“ bzw. „Beherrschung“ zu vermeiden. 565 Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und -analyse, 23. Aufl. 2014, S. 615 f. 566 BegrRegE BilMoG, BT-Drs. 16/10067, S. 78; ebenso Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 569. 567 Zur Vorgängervorschrift Art. 1 Abs. 1 KonzernbilanzRL Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 570. Bei der Erarbeitung der ehemaligen KonzernbilanzRL stand sowohl die Anwendung des economic-control-Konzepts als auch des legalcontrol-Konzepts zur Diskussion. Da eine Prüfung von rechtlichen Kriterien einfacher anzuwenden und weniger von subjektiven Elementen geprägt ist als ein wirtschaftliches Verständnis von Kontrolle, wurde letztlich das legal-control-Konzept umgesetzt. Vgl. Niessen, WPg 1983, 653, 654; van Hulle/van der Tas in: Ordelheide/KPMG, Transnational Accounting, 2. Aufl. 2001, S. 893 ff. 568 Mit der Ausnahme des Art. 22 Abs. 1 lit. d Ziff. i EuBilanzRL, vgl. Eble, NZI 2016, 115, 119. 563

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mitgliedstaatlichen Ermessens nach Art. 22 Abs. 2 lit. a EuInsVO.569 Im Sinne von praktikablen und einfach anzuwendenden Kooperations- und Koordinationsmechanismen ist es allerdings – wie im Abschnitt zuvor erläutert – wichtig, dass sich die Gerichte nicht schon bei der Eröffnung des Verfahrens mit Detailfragen hinsichtlich der Gruppenstruktur aufhalten, die auch während des Verfahrens geklärt werden können. 570 Basis der Konsolidierungspflicht und damit auch der Bestimmung des Mutterunternehmens nach Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO ist das legal-control-Konzept. Dem Anwendungsbereich liegt somit in Satz 2 ein institutioneller Unternehmensgruppenbegriff zugrunde, nach welchem das Mutterunternehmen weitgehend anhand starrer rechtlicher Kriterien bestimmt wird.571 Nach Art. 22 Abs. 1 lit. a EuBilanzRL besteht eine Konsolidierungspflicht, wenn von dem Mutterunternehmen die Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter eines Tochterunternehmens gehalten werden. 572 Es kommt nicht auf die Mehrheit der Anteile an.573 Besondere Bedeutung gewinnt diese Tatsache allerdings nur, wenn die Mehrheit der Stimmrechte von der Mehrheit der Anteile abweicht. 574 Die Anknüpfung an die Stimmrechte ist

Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 799. Eble, NZI 2016, 115, 119. Anschließend gibt Eble allerdings den unzutreffenden Hinweis, dass die EuInsVO die Möglichkeit zur Widerlegung der Vermutungsregelung des Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO enthält und daher eine umfangreiche Prüfung der Gruppenstruktur stattzufinden hat. Solch eine Widerlegungsmöglichkeit gibt es allerdings gerade nicht (siehe hierzu ausführlich S. 202 f.). 571 Siehe zur Konzernführung im institutionellen Sinne ausführlich S. 11 f. 572 Zur deutschen Umsetzung in § 290 Abs. 2 Nr. 3 HGB und den dort geltenden Eigenarten: Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, 11. Aufl. 2015, S. 92 f.; MüKoHGB/Busse von Colbe, 3. Aufl. 2013, § 290 Rn. 29 ff.; Grottel/Kreher in: BeckBilKomm, 10. Aufl. 2016, HGB § 290 Rn. 40 ff.; Kindler in: Staub Großkomm. HGB, 5. Aufl. 2011, § 290 Rn. 45 ff.; MüKoBilanzR/Senger/Hoehne, 1. Aufl. 2013, HGB § 290 Rn. 61 ff. 573 Mit dem direkten Verweis auf die EuBilanzRL wurde klargestellt, dass der Bezug auf die Stimmrechte im Entwurf kein Redaktionsversehen darstellte. Diese Thematik aufbringend Prager/Keller, NZI 2013, 57, 63. 574 Bei Unternehmen, auf die deutsches Gesellschaftsrecht Anwendung findet, kann es zu solch einer Konstellation bei der Ausgabe von Vorzugsaktien kommen, da diese gem. § 12 Abs. 1 S. 2 AktG als Aktien ohne Stimmrecht ausgegeben werden können. Dies gilt nicht, wenn gem. § 140 Abs. 2 AktG eine Einberechnung der Vorzugsaktien ohne Stimmrecht als ausnahmsweise stimmberechtigt gilt, Kindler in: Staub Großkomm. HGB, 5. Aufl. 2011, § 290 Rn. 34. Des Weiteren können Stimmrechte und Kapitaleinsatz im Zuge der Begrenzung auf Höchststimmrechte bei nichtbörsennotierten Gesellschaften (§ 134 Abs. 1 S. 2 AktG) sowie als Folge der Nichterfüllung von Mitteilungspflichten bei mitteilungspflichtigen Unternehmen (§ 20 Abs. 7 AktG und § 28 WpHG) auseinanderfallen. Vgl. MüKoAktG/Arnold, 4. Aufl. 2018, § 134 Rn. 7 ff. sowie MüKoAktG/Bayer, 4. Aufl. 2016, § 20 Rn. 42. Umgekehrt kann trotz einer Kapitalbeteiligung unter 50 % eine Stimmrechtsmehrheit aufgrund Mehrstimmrechten nach einem Fortgeltungsbeschluss gem. §§ 12 Abs. 2 569

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darauf zurückzuführen, dass der konsolidierte Abschluss die Unternehmen als wirtschaftliche Einheit betrachtet. Die für eine wirtschaftliche Einheit notwendige einheitliche Leitung wird aber erst über die auf den Stimmrechten basierende Einflussnahme begründet. Bei einer Mehrheitsbeteiligung nach Anteilen wird zwar oftmals eine Konzernierung nach dem jeweiligen Gesellschaftsstatut vorliegen,575 ein einfacher Mehrheitsbesitz der Anteile führt jedoch noch nicht zu dem Umstand, dass das Unternehmen auch zu dem wirtschaftlich einheitlichen „Betrieb“576 des Mutterunternehmens gehört. Es kann nicht vorbehaltlos von einer Unternehmensgruppe ausgegangen werden, die solch eine starke Verbindung aufweist, dass nach den tatsächlichen Verhältnissen ein einheitliches Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage dargestellt werden muss. Damit wird das legal-control-Konzept indirekt mit einem Beherrschungselement versehen. Nach Art. 22 Abs. 1 lit. b EuBilanzRL ist für die Annahme einer Konsolidierungspflicht des Weiteren die Befugnis des Mutterunternehmens entscheidend, über die Bestellung und Abberufung Einfluss auf die Geschäftspolitik zu nehmen.577 Voraussetzung dabei ist, dass das Mutterunternehmen gleichzeitig Aktionär oder Gesellschafter des Tochterunternehmens ist. Über Art. 22 Abs. 1 lit. a EuBilanzRL hinaus entfaltet diese Tatbestandsvariante erst dann ihre Bedeutung, wenn dem Mutterunternehmen aufgrund satzungsmäßiger Entsendungsrechte oder Vereinbarungen mit anderen Gesellschaftern Bestellungsund Abberufungsrechte hinsichtlich der Mehrheit der Mitglieder unabhängig von ihrer Stimmrechtsmehrheit eingeräumt werden.578 Dies gilt ebenso, wenn der Gesellschafter selbst das Leitungsorgan ist, wie beispielweise in einer deutschen Gesellschaft, die sich als ausländische Kapitalgesellschaft & Co. KG strukturiert.579

AktG, 51 EGAktG bestehen, Kindler in: Staub Großkomm. HGB, 5. Aufl. 2011, § 290 Rn. 34. 575 Dies gilt z. B. im deutschen Aktienrecht nach den dort gültigen Regelungen zu „verbundenen Unternehmen“ gem. §§ 15 ff. AktG. 576 Erfasst werden nur die Konzernunternehmen, die als Betriebe oder Betriebseinheiten des Einheitsunternehmens angesehen werden können, Grau, Konsolidierung, 2007, S. 72. 577 Prager/Keller, NZI 2013, 57, 63. Zur deutschen Umsetzung in § 290 Abs. 2 Nr. 2 HGB und den dort geltenden Eigenarten: Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, 11. Aufl. 2015, S. 93 f.; MüKoHGB/Busse von Colbe, 3. Aufl. 2013, § 290 Rn. 38 ff.; Grottel/Kreher in: BeckBilKomm, 10. Aufl. 2016, HGB § 290 Rn. 52 ff.; Kindler in: Staub Großkomm. HGB, 5. Aufl. 2011, § 290 Rn. 40 ff. 578 Kindler, KTS 2014, 25, 40. Zum deutschen Recht: Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, 11. Aufl. 2015, S. 93; Kindler in: Staub Großkomm. HGB, 5. Aufl. 2011, § 290 Rn. 43; MüKoBilanzR/Senger/Hoehne, 1. Aufl. 2013, HGB § 290 Rn. 86. 579 Kindler in: Staub Großkomm. HGB, 5. Aufl. 2011, § 290 Rn. 45; als Beispiel kann die (sich im Zeitpunkt der Arbeitserstellung im Insolvenzverfahren befindende) Air Berlin plc & Co. Luftverkehr KG angeführt werden, vgl. Kindler, KTS 2014, 25, 40 Fn. 97.

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Art. 22 Abs. 1 lit. c EuBilanzRL erfasst die Situation, dass ein beherrschender Einfluss580 des Mutterunternehmens aufgrund eines Vertrages mit oder einer Bestimmung in der Satzung der Tochtergesellschaft begründet wird, 581 wodurch ein Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens gegenüber abhängigen Unternehmen entsteht.582 An dieser Stelle erhalten Elemente des economic-control-Konzepts direkt Einzug in die eigentlich formelle Bestimmung der Konsolidierungspflicht. Dabei muss jedoch zusätzlich eine Beteiligung des herrschenden am beherrschten Unternehmen bestehen, sofern die Mitgliedstaaten gem. Art. 22 Abs. 1 lit. c UAbs. 1 EuBilanzRL keine Ausnahme hiervon erlauben.583 Die Konsolidierungspflicht nach dieser Variante ist jedoch abhängig von der Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Gesellschafts- bzw. Konzernrechte. So ist ein beherrschender Einfluss aufgrund von Beherrschungsverträgen oder Satzungsbestimmungen nur dann relevant, sofern das Recht, dem dieses Tochterunternehmen unterliegt, es zulässt, dass das Tochterunternehmen solchen Verträgen oder Satzungsbestimmungen unterworfen wird, Art. 22 Abs. 1 lit. c UAbs. 1 EuBilanzRL. Als letzter Anknüpfungspunkt kann eine Konsolidierungspflicht nach Art. 22 Abs. 1 lit. d EuBilanzRL dann entstehen, wenn das Mutterunternehmen Aktionär oder Gesellschafter eines anderen Unternehmens ist und tatsächlich allein die Mehrheit des derzeit amtierenden Leitungsorgans bestellt hat (UAbs. 1 Ziff. i) oder aufgrund von Vereinbarungen mit anderen Gesellschaftern – vor allem Stimmbindungsverträgen – allein über die Mehrheit der Stimmrechte verfügt (UAbs. 1 Ziff. ii).584 Welche Vereinbarungen hierfür geschlossen werden können, richtet sich nach der lex fori concursus.585 Im Zuge der Bestimmung des Anwendungsbereichs der Konzerninsolvenzvorschriften sind – durch den Pauschalverweis auf die EuBilanzRL – überdies Art. 22 Abs. 3, 4 und 5 EuBilanzRL relevant. Art. 22 Abs. 3 EuBilanzRL erweitert die Konsolidierungspflicht insofern, als bei der Anwendung von Abs. 1 In diesem Zusammenhang wurde von einer Delegation im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens genauer angefragt, was unter beherrschendem Einfluss in dem damaligen Art. 2 lit. j Ziff. ii sublit. bb EuInsVO zu verstehen sei, Ratsdok. 12087/13, S. 3. 581 Nach den deutschen Regeln begründet die Leitungsmacht des Mutterunternehmens in einem Vertragskonzern gem. §§ 291, 308 AktG einen solch beherrschenden Einfluss, Prager/Keller, NZI 2013, 57, 63; Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 556. 582 Kindler, KTS 2014, 25, 40. Zur deutschen Umsetzung in § 290 Abs. 2 Nr. 3 HGB und den dort geltenden Eigenarten: Baetge/Kirsch/Thiele, Konzernbilanzen, 11. Aufl. 2015, S. 94 f.; MüKoHGB/Busse von Colbe, 3. Aufl. 2013, § 290 Rn. 42 ff.; Grottel/Kreher in: BeckBilKomm, 10. Aufl. 2016, HGB § 290 Rn. 46 ff. 583 Beck, DZWIR 2014, 381, 388. 584 Diese Konsolidierungstatbestände tauchen nicht explizit als typisiertes Regelbeispiel in § 290 Abs. 2 HGB auf, vgl. Kindler in: Staub Großkomm. HGB, 5. Aufl. 2011, § 290 Rn. 3. 585 Zur wortgleichen Vorgängervorschrift Art. 1 Abs. 1 lit. d KonzernbilanzRL vgl. Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 570. 580

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lit. a, b und d den Stimm-, Bestellungs- oder Abberufungsrechten des Mutterunternehmens die Rechte eines anderen Tochterunternehmens oder einer Person, die in eigenem Namen, aber für Rechnung des Mutterunternehmens oder eines anderen Tochterunternehmens handelt, hinzuzurechnen sind. 586 Damit wird insbesondere der Umgehungsmöglichkeit in Form der Zwischenschaltung von Tochterunternehmen begegnet.587 Nach Abs. 3 und 4 sind unter besonderen Voraussetzungen bestimmte Rechte bei der Berechnung der Konsolidierungspflicht abzuziehen, da diese nicht beherrschend wirken können. „Kleine Gruppen“ sind nach Art. 23 Abs. 1 EuBilanzRL inzwischen ganz von einer Konsolidierungspflicht ausgeschlossen. Überdies besteht nach Art. 23 Abs. 3 EuBilanzRL eine allgemeine Befreiungspflicht von Mutterunternehmen eines Teilkonzerns, die in einen übergeordneten Abschluss einbezogen wurden. Dies gilt allerdings nur sofern das übergeordnete Mutterunternehmen dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegt und weitere spezifische Voraussetzungen erfüllt, vor allem selbst einen konsolidierten Abschluss erstellt588 und demnach hinsichtlich aller Tochterunternehmen eine Unternehmensgruppe im Sinne der EuInsVO formt.589 cc) Ermessensspielräume der Mitgliedstaaten zur Schaffung einer weiterführenden Konsolidierungspflicht Die EuBilanzRL räumt den Mitgliedstaaten hinsichtlich ausgewählter Bereiche die Möglichkeit ein, die Reichweite des konsolidierten Abschlusses zu erweitern. Erfolgt solch eine Anordnung der Mitgliedstaaten, wirkt diese konstituierend für eine Konsolidierungspflicht. Aus diesen Ermessensspielräumen resultieren allerdings Inhomogenitäten, da die europäischen Standards zur Rechnungslegung uneinheitlich umgesetzt und demnach auch uneinheitlich angewendet werden.590 So hat ein Unternehmen in einem Mitgliedstaat einen konsolidierten Konzernabschluss zu erstellen, in einem anderen Mitgliedstaat bleibt einem gleich strukturierten Konzernunternehmen solch eine Pflicht

586 Zur deutschen Umsetzung in § 290 Abs. 3 HGB und den dort geltenden Eigenarten: MüKoHGB/Busse von Colbe, 3. Aufl. 2013, § 290 Rn. 60 ff.; Grottel/Kreher in: BeckBilKomm, 10. Aufl. 2016, HGB § 290 Rn. 80 ff.; Kindler in: Staub Großkomm. HGB, 5. Aufl. 2011, § 290 Rn. 56 ff.; MüKoBilanzR/Senger/Hoehne, 1. Aufl. 2013, HGB § 290 Rn. 154 ff. 587 Dies ebenso begrüßend Kindler, KTS 2014, 25, 40 f. 588 Bezüglich des möglichen konsolidierten Abschlusses nach IFRS, der gem. Art. 23 Abs. 4 lit. b EuBilanzRL genügt, siehe S. 198 f. 589 Zum sog. „Tannenbaumprinzips“ im deutschen HGB im Zusammenhang einer Teilkonzernabschlusspflicht: MüKoHGB/Busse von Colbe, 3. Aufl. 2013, § 290 Rn. 4, § 291 Rn. 1 ff., § 292 Rn. 1; Kindler in: Staub Großkomm. HGB, 5. Aufl. 2011, § 290 Rn. Rn. 69, § 291 Rn. 1 u. 3, § 292 Rn. 4 f.; MüKoBilanzR/Senger/Hoehne, 1. Aufl. 2013, HGB § 291 Rn. 2. 590 Dieses Problem aufzeigend MüKoHGB/Busse von Colbe, 3. Aufl. 2013, § 315a Rn. 2.

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erspart.591 Verhindert werden könnte dieses Problem auf Basis des momentanen Harmonisierungsstandes nur, wenn der Verweis der EuInsVO auf die EuBilanzRL entweder erneut durch eine mit dem Kommissionsentwurf vergleichbare, materielle Regelung ersetzt werden würde oder die Ermessensspielräume der Mitgliedstaaten von dem Verweis ausgespart blieben. Der Anwendungsbereich der Konzerninsolvenzrechtsvorschriften wäre in diesen Fällen zwar europaweit einheitlich festlegt, da sich die Voraussetzungen allein aus der EuInsVO selbst bzw. nur aus Art. 22 Abs. 1 EuBilanzRL ergeben würden und die durch die Mitgliedstaaten angeordneten Konsolidierungspflichten, nicht zu berücksichtigen wären. Im gleichen Zuge wäre allerdings der Prüfumfang der Gerichte erheblich erhöht. Von einem erstellten konsolidierten Abschluss könnte nicht auf ein Mutterunternehmen im Sinne der EuInsVO geschlossen werden. Eine Verkomplizierung ist hinsichtlich eines effizienten Verfahrens nicht erwünscht, sodass das von der EuInsVO gewählte Konzept trotz seiner Uneinheitlichkeit als beste Lösung gilt. Nur so können ein schnelles Handeln und die besten Voraussetzungen speziell für Sanierungsbemühungen garantiert werden. Der europäische Gesetzgeber sollte allerdings über eine weitere Harmonisierung der Rechnungslegungsvorschriften nachdenken, um die Ermessensspielräume zu verkleinern und ein einheitlich geltendes Regelungsgefüge zu erschaffen. Im Folgenden werden die wichtigsten Fälle dargestellt, in welchen den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum eingeräumt wird. Nach Art. 22 Abs. 2 lit. a EuInsVO sind diejenigen Unternehmen als Mutterunternehmen im Sinne der EuInsVO anzusehen, welche einen beherrschenden Einfluss auf oder die Kontrolle über ein anderes Unternehmen tatsächlich ausüben oder lediglich ausüben können, 592 sofern die Mitgliedstaaten für diese Unternehmen die

Zwar wird durch diese Diskrepanz die Möglichkeit des Forum Shoppings eröffnet, welche die EuInsVO gerade vermeiden möchte. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass tatsächlich ein Wechsel des Rechnungslegungsstatuts erfolgen wird, nur um die Anwendbarkeit des Konzerninsolvenzrechts der EuInsVO zu vermeiden oder herbeizuführen. Dies gilt insbesondere, da es auf die tatsächliche Erstellung des Abschlussberichts ankommt und zwischen diesem Zeitpunkt und dem Zeitpunkt der Insolvenzverfahrenseröffnung ein oftmals erheblicher Zeitraum liegen kann. Selbst wenn ein konsolidierter Abschluss durch einen Forumswechsel nicht mehr zu erstellen wäre, würde dies nicht davor bewahren, dass nach Art. 2 Nr. 13 S. 1 EuInsVO das Konzerninsolvenzrecht dennoch zur Anwendung gelangen könnte. 592 Das deutsche Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen baut bei der Festlegung der Unternehmensgruppe gem. § 3e Abs. 1 InsO auf die Begrifflichkeit des „beherrschenden Einflusses“ auf (die Möglichkeit der Ausübung genügt auch hier) und knüpft damit an § 290 HGB an. Dieser stellt zwar die deutsche Umsetzung der EuBilanzRL dar, orientiert sich jedoch im Rahmen des Umsetzungsspielraums vornehmlich an dem economic-control-Konzept. 591

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Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses vorschreiben. 593 Ein beherrschender Einfluss kann bei der unmittelbaren oder mittelbaren Bestimmung der Finanz- und Geschäftspolitik eines anderen Unternehmens, das heißt der Fähigkeit zur Durchsetzung der wesentlichen Entscheidungen in bedeutenden Unternehmensbereichen angenommen werden. 594 Eine tatsächliche Beherrschung liegt zum Beispiel in dem wichtigen Fall von sogenannten Zweckgesellschaften vor. Insbesondere in der Finanzdienstleistungsbranche werden bedeutende Vermögensposten oder Liquiditätsrisiken der Mutterunternehmen in sogenannte Special Purpose Entities, Structured Investment Vehicles oder Conduits ausgegliedert, welche sich eigenständig am Kapitalmarkt finanzieren. 595 Um eine Konzernierung zu vermeiden, hat das Mutterunternehmen keine Stimmrechtsmehrheit an diesen Gesellschaften, wirkt aber richtungsweisend über Beratungsleistungen auf diese ein.596 Die wirtschaftlichen Risiken und Chancen der Zweckgesellschaften trägt dabei das Mutterunternehmen. Ein beherrschender Einfluss im Sinne des Art. 22 Abs. 2 lit. a EuBilanzRL ist gegeben. Ohne eine mitgliedstaatliche Implementierung dieser Konsolidierungspflicht können die konsolidierten Abschlüsse von den Risiken, welche diese Zweckgesellschaften tragen, freigehalten werden. Im Kommissionsentwurf war der Anwendungsbereich gem. Art. 2 lit. j EuInsVO-E noch auf Subordinationskonzerne beschränkt.597 Mit Verweis auf die EuBilanzRL und damit Art. 22 Abs. 7 EuBilanzRL besteht inzwischen – abhängig von den Ermessensentscheidungen der Mitgliedstaaten – die Möglichkeit, dass auch Gleichordnungskonzerne in den Anwendungsbereich des europäischen Konzerninsolvenzrechts aufgenommen werden. 598 So haben

593 Im deutschen Recht fand solch eine Regelung in Form des § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB im Zuge des BilMoG Einzug in das HGB. 594 Diese Definition ist angelehnt an den DRS 19.6. 595 Dekuvriert wurden diese Praktiken durch die Insolvenzfälle von Enron und Parmalat sowie den nationalen Krisen der IKB Deutsche Industriebank und Sachsen LB, vgl. Kindler, KTS 2014, 25, 41. 596 Die Stimmrechtsmehrheit hat ein sog. Sponsor inne, der gleichzeitig die Geschäftsführung auf Basis einer management fee ausübt, Kindler, KTS 2014, 25, 41; mehr bezüglich dem diesen Fall betreffenden, deutschen Umsetzungsgesetz in § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB vgl. Kindler in: Staub Großkomm. HGB, 5. Aufl. 2011, § 290 Rn. 51 ff. 597 Dies kritisierend Eidenmüller, MJ 1 (2013), 133, 149; Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 15 Fn. 67; Reuß, EuZW 2013, 165, 168; Reumers, ECFR 2013, 554, 577; J. Schmidt, KTS 2015, 19, 36; dies., Eurofenix Autumn 2015, 17, 17; Thole, ZEuP 2014, 39, 68. 598 J. Schmidt, Eurofenix Autumn 2015, 17, 17; a. A. Eble in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung, 2015, 131, 164 ff.; ders., NZI 2016, 115, 120; Laroche, ZInsO 2017, 2585, 2586; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 2 Rn. 76; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 221 f.; Wenner, ZIP 2017, 1137, 1141. Angeregt wurde eine Einfügung der Gleichordnungskonzerne in den Anwendungsbereich der EuInsVO durch einige

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Unternehmen auch dann einen konsolidierten Abschluss zu erstellen, wenn sie aufgrund eines geschlossenen Vertrags (lit. a Ziff. i) oder einer Satzungsbestimmung (lit. a Ziff. ii) unter einer einheitlichen Leitung stehen oder sich ihre Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane mehrheitlich aus denselben Personen zusammensetzen, die während des Geschäftsjahres und bis zur Aufstellung des konsolidierten Abschlusses im Amt sind (lit. b).599 Im Zusammenhang mit Gleichordnungskonzernen wird der Terminus der Mutterunternehmen durch die EuBilanzRL vermieden. In Art. 22 Abs. 9 EuBilanzRL ist allerdings eine begriffliche Klarstellung eingefügt, sodass Bezugnahmen auf Mutterunternehmen als Bezugnahmen auf alle in Art. 22 Abs. 7 EuBilanzRL bezeichneten Unternehmen zu verstehen sind.600 Dies ist konsequent. Im Zusammenhang der EuInsVO ist solch ein Hinweis nicht vorhanden. Die Einbeziehung von Gleichordnungskonzern in den Anwendungsbereich der Konzerninsolvenzvorschriften der EuInsVO darf allerdings nicht schon allein aufgrund der verwendeten Begrifflichkeiten „Mutter- und Tochterunternehmen“, welche auf eine gewisse Hierarchie zwischen den Unternehmen hindeuten, ausgeschlossen sein.601 Es darf nicht der Fehler begangen werden, das spezielle nationale Verständnis eines Gleichordnungskonzerns, der aus zwei oder mehreren Gesellschaften besteht, die ausschließlich auf gleicher Stufe agieren und sich daher per se nicht in Mutter- und Tochterunternehmen einteilen lassen können, in den europäischen Kontext zu übertragen und die Einbeziehung dieser Konzernform allein aufgrund der verwendeten Terminologien auszuschließen. Gleichordnungskonzerne fallen demnach erst in den Anwendungsbereich des europäischen Konzerninsolvenzrechts, wenn sie tatsächlich einen konsolidierten Abschluss auf Basis eines mitgliedstaatlichen Umsetzungsermessens zu erstellen haben. Darüber hinaus steht den Mitgliedstaaten nach Art. 23 Abs. 2 EuBilanzRL die Möglichkeit zu, „mittlere Gruppen“ im Sinne von Art. 3 Abs. 6 EuBilanzRL von der Konsolidierungspflicht zu befreien, es sei denn, eines der verbundenen Unternehmen ist ein Unternehmen von öffentlichem Interesse. 602 Überdies gibt es nach Art. 23 Abs. 5 und Abs. 8 EuBilanzRL Wahlrechte, die Delegationen im Laufe des Gesetzgebungsprozesses mit Hinweis auf die Vorgängernorm des Art. 12 KonzernbilanzRL, vgl. Ratsdok. 12087/13, S. 2. 599 Der deutsche Gesetzgeber hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, Eble, NZI 2016, 115, 120 Fn. 75. 600 Hierauf hinweisend Eble in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung, 2015, 131, 165; ders., NZI 2016, 115, 120. 601 A. A. Eble in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung, 2015, 131, 165 ff.; ders., NZI 2016, 115, 120; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 221 f. 602 Zur deutschen Umsetzung in § 293 HGB und den dort geltenden Eigenarten: MüKoHGB/Busse von Colbe, 3. Aufl. 2013, § 293 Rn. 1 ff.; Grottel/Kreher in: BeckBilKomm, 10. Aufl. 2016, HGB § 293 Rn. 1 ff.; Kindler in: Staub Großkomm. HGB, 5. Aufl. 2011, § 293 Rn. 1 ff.

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es zu beachten gilt. Unter bestimmten Voraussetzungen können beispielsweise auch Mutterunternehmen von Teilkonzernen von einer Abschlusspflicht befreit werden, sofern deren Mutterunternehmen mit Sitz außerhalb der Europäischen Union, selbst einen konsolidierten Abschluss603 erstellt604 und demnach eine Unternehmensgruppe im Sinne der EuInsVO bildet. Für die Bestimmung des Anwendungsbereichs nach Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO kommt es in letzter Konsequenz allerdings weiterhin darauf an, ob tatsächlich ein konsolidierter Abschluss erstellt wurde, sodass sich die Kooperations- und Koordinationsverpflichteten mit diesen Ermessensfragen bzw. einer möglichen Umsetzung nicht beschäftigen müssen. Die Darstellungen sollen lediglich verdeutlichen, welche Konzernkonstellationen von dem Anwendungsbereich umfasst sein werden. dd) Ausnahme bei nach IFRS bilanzierenden Unternehmen Nach Art. 4 IFRS-VO ist es für kapitalmarktorientierte Unternehmen seit 2005 obligatorisch, ihre Konzernabschlüsse nach den Vorschriften der IFRS aufzustellen. Darüber hinaus ist den Mitgliedstaaten gem. Art. 5 lit. b IFRS-VO ein Wahlrecht eingeräumt, auch nicht kapitalmarktorientierten Gesellschaften die Möglichkeit zu eröffnen, konsolidierte Abschlüsse nach den IFRS zu erstellen. 605 Werden die konsolidierten Abschlusses der Unternehmen nach der IFRS-VO angefertigt, findet gerade keine Bilanzierung nach der EuBilanzRL statt.606 Nach dem Wortlaut des Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO würden diese Unternehmen nicht von dem Anwendungsbereich der europäischen Konzerninsolvenzvorschriften erfasst sein, obwohl das Unternehmen nach wie vor rein faktisch einen konsolidierten Abschluss erstellt. Dies wäre nicht im Sinne des europäischen Gesetzgebers, der durch die unwiderlegbare Vermutung des Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO einen einfach zu bestimmenden und damit verfahrensökonomischen Anwendungsbereich schaffen wollte. Eine Eröffnung des Anwendungsbereichs der Verfahrenskooperation und -koordination wäre nur über den prüfungsintensiveren Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO möglich.607 Allerdings ist zu beachten, dass sich aufgrund der Anordnung der IFRS-VO ledig603 Bezüglich eines möglichen konsolidierten Abschlusses nach IFRS, der gem. Art. 23 Abs. 8 S. 1 lit. b Ziff. ii EuBilanzRL zur Eröffnung des Anwendungsbereichs ausreicht, vgl. hierzu die Ausführungen im nächsten Abschnitt. 604 Zur deutschen Umsetzung in § 292 HGB und den dort geltenden Eigenarten: MüKoHGB/Busse von Colbe, 3. Aufl. 2013, § 292 Rn. 1; Kindler in: Staub Großkomm. HGB, 5. Aufl. 2011, § 292 Rn. 4 f.; MüKoBilanzR/Senger/Hoehne, 1. Aufl. 2013, HGB § 292 Rn. 1 f. 605 Im deutschen Recht erfolgt dies über § 315a HGB. Mehr hierzu Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzen, 14. Aufl. 2017, S. 62 ff. 606 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 80. 607 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 80.

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lich die Referenzquelle für die Bilanzierungsmethodik ändert. Der für Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO relevante Konsolidierungskreis bleibt der gleiche.608 Dies muss auch der europäische Gesetzgeber so gesehen haben. Aufgrund der enormen Relevanz der IFRS in der Bilanzierungspraxis ist es nicht vorstellbar, dass die nach der IFRS bilanzierenden Unternehmen von der Vermutungswirkung des Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO ausgeschlossen sein sollten.609 Damit kann unabhängig von einer Bilanzierung nach der EuBilanzRL oder den IFRS daran festgehalten werden, dass ein tatsächlich erstellter konsolidierter Abschluss unwiderlegbar für eine Eröffnung des Anwendungsbereichs der europäischen Konzerninsolvenzrechtsvorschriften spricht. b) Das Kontrollkriterium Der zweite Anknüpfungspunkt zur Bestimmung des Mutterunternehmens ergibt sich aus Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO. Danach ist zentrales Element die Kontrollbeziehung des Mutterunternehmens zu ihrem Tochterunternehmen. Fraglich ist, was unter Kontrolle610 in diesem Zusammenhang zu verstehen ist. Systematisch muss das Tatbestandsmerkmal der Kontrolle über die Reichweite der Erstellungspflicht eines konsolidierten Abschlusses nach der EuBilanzRL hinausgehen. Ansonsten wäre Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO faktisch obsolet, da ihm kein Anwendungsbereich mehr verbleiben würde. Betrachtet man die Definition aus dem Blickwinkel der unterschiedlichen Konzepte zur Bestimmung des Konsolidierungskreises, scheint die Definition dem economic-controlKonzept zu folgen. Die Voraussetzungen knüpfen nach dem Wortlaut allein an die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit des Mutterunternehmens auf das Tochterunternehmen an; formell-rechtliche Kriterien spielen nach dem Normtext keine Rolle. Zur Verifizierung dieser Vermutung soll überprüft werden, welchen Bedeutungsgehalt andere Regelungsbereiche dem Kontrollkriterium einräumen, um hieraus Schlüsse, insbesondere mit Blick auf eine einheitliche Begriffs- und damit auch Rechtsanwendung, ziehen zu können. aa) Kontrolle im Sinne der EuBilanzRL, IFRS und UNCITRAL Zur Beschreibung des Kontrollkriteriums kann der zu Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO nahezu wortgleiche Unternehmensgruppenbegriff aus Art. 2 Nr. 9 EuBilanzRL dienlich sein.611 Art. 2 Nr. 9 EuBilanzRL umreißt die Unternehmensgruppe als Ganzes und umfasst – entgegen seines Wortlautes – sowohl 608 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 80. 609 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 80. 610 In der englischen Sprachfassung „control“, in der französischen „contrôle“. 611 Die in Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO enthaltene Erweiterung auf mittelbar kontrollierte Tochterunternehmen erfolgt im europäischen Bilanzrecht über Art. 2 Nr. 10 EuBilanzRL.

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die Fallkonstellationen des legal-control-Konzepts als auch des economic-control-Konzepts. Dies ergibt sich aus ErwG 31 EuBilanzRL, der den Begriff „Kontrolle“ im weiten Sinne mit sowohl formellen als auch materiellen Anknüpfungspunkten verwendet. So wird in ErwG 31 S. 3 EuInsVO zunächst das legal-control-Konzept aus Art. 22 Abs. 1 EuBilanzRL beschrieben. Anschließend wird in ErwG 31 S. 4 EuInsVO auf Art. 22 Abs. 2 EuBilanzRL Bezug genommen. Nach Art. 22 Abs. 2 EuBilanzRL obliegt es den Mitgliedstaaten, die Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses auch dann vorzuschreiben, wenn die formellen Voraussetzungen aus Abs. 1 nicht vorliegen, das Mutterunternehmen aber dennoch „einen beherrschenden Einfluss auf oder die Kontrolle über ein anderes Unternehmen“ im Sinne des economic-control-Konzepts ausüben kann oder tatsächlich ausübt.612 Zweck der Vorschrift ist es, den Konsolidierungskreis über die formellen Anknüpfungspunkte hinaus zu erweitern. Dem Begriff der Kontrolle im Sinne des Art. 2 Nr. 9 EuBilanzRL liegen demnach auch materielle Anknüpfungspunkte zugrunde. Dies ist ferner dahingehend stringent, da sich der im internationalen Rechnungslegungswesen bedeutsame IFRS 10613 ebenso an dem economic-controlKonzept ausrichtet,614 indem er zur Bestimmung des Mutterunternehmens und damit der Unternehmensgruppe rein auf ein materiell bestimmtes Beherrschungsmerkmal (englisch „control“) abstellt.615

Das Kontrollmerkmal wurde neben das Merkmal des beherrschenden Einflusses im Zuge der Änderungsrichtlinie 2003/51/EG, welche als Folge der Bilanzskandale aus dem Jahre 2002 erlassen wurde (vgl. Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 571), in den Normtext aufgenommen, hat jedoch keine eigenständige Bedeutung. Es zeigt sich lediglich, dass im Zusammenhang der EuBilanzRL und der EuInsVO keine Begriffsjurisprudenz betrieben werden darf. So wird in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum BilMoG auf das Merkmal der Kontrolle verwiesen und klargestellt, dass dieses hinter den Begriff „beherrschender Einfluss“ zurückfällt und als davon umfasst gilt, Bericht Rechtsausschuss BilMoG, BT-Drs. 16/12407, S. 89. 613 Der IFRS 10 entwickelte sich aus der Vorgängernorm des IAS 27, zeigt sich allerdings in einer ganz neuen Darstellung, welcher ein einheitliches Beherrschungsmodell zugrunde liegt. 614 In den Deutschen Rechnungslegungs Standards (DRS) ist der Begriff der Kontrolle an keine Stelle erwähnt, sodass dieses Merkmal wohl auch in dem dort verwendeten „beherrschenden Einfluss“ aufgeht und damit zumindest einen Teilbereich der Definition für sich in Anspruch nimmt. 615 In dem deutschen Umsetzungsgesetz wird versucht, ein Spagat zwischen den Rechnungslegungsstandards zu schaffen. § 290 Abs. 1 HGB knüpft an die Vorschriften der IFRS und damit das economic-control-Konzept an, Bericht Rechtsausschuss BilMoG, BT-Drs. 16/12407, S. 89; Küting/Seel, Beihefter zu DStR 26 2009, 37, 39. In § 290 Abs. 2 HGB wird auf das formell-rechtliche legal-control-Konzept abgestellt, Kohl/Meyer, NZG 2014, 1361, 1362; Küting/Seel, Beihefter zu DStR 26 2009, 37, 39. Die Konstruktion des § 290 HGB weist damit mit Abs. 1 und 2 eine Ähnlichkeit zu Art. 2 Nr. 14 S. 1 und 2 EuInsVO auf. Somit schafft das HGB den Spagat zwischen den Vorgaben aus der EuBilanzRL und der 612

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Des Weiteren kann sich an der Definition der enterprise group des UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law ausgerichtet werden.616 Hierunter versteht man „two or more enterprises that are interconnected by control or significant ownership“, wobei Kontrolle durch „the capacity to determine, directly or indirectly, the operating and financial policies of an enterprise“ beschrieben617 und mit „decisive influence“ – somit Beherrschung – gleichgesetzt wird.618 Demnach liegen dem Kontrollbegriff des UNCITRAL Legislative Guide gleichfalls materielle Kriterien, flankiert von dem formellen Anknüpfungspunkt des „ownerships“, zugrunde. Es soll gewährleistet werden, dass der Großteil der bestehenden Konzernstrukturen an dem Anwendungsbereich des europäischen Konzerninsolvenzrechts teilhaben kann. bb) Das economic-control-Konzept als Grundlage des Kontrollkriteriums Die zuvor dargestellten Begriffsverständnisse aus anderen Regelungsbereichen oder Rechtsdokumenten zeigen, dass der Kontrollbegriff von einer faktischen Beherrschungsmöglichkeit des Mutterunternehmens gegenüber den Töchterunternehmen geprägt ist. Dieses Verständnis kann auf Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO übertragen werden. Im Sinne der für das europäische Konzerninsolvenzrecht eminenten Zwecke der Sicherung von wirtschaftlichen Verbundwerten zur Massevergrößerung sowie Sanierungsförderung sollte der Anwendungsbereich des Konzerninsolvenzrechts gerade dann eröffnet sein, wenn eine tatsächliche Beherrschung besteht, da die Beherrschung ein Indikator für tatsächliche wirtschaftliche Verknüpfungen, die einen Kooperations- und Koordinationsbedarf auslösen, darstellt. 619 Der reinen Möglichkeit einer Kontrolle kommt hingegen noch kein Bedürfnis nach verfahrensmäßiger Abstimmung zu.620 Der Kontrollbegriff ist zwar rechtsgebietsspezifisch anzupassen und offen zu gestalten, 621 eine Ausrichtung an den zuvor dargestellten Begriffsverständnissen ist dennoch angezeigt. Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO hat gerade den Zweck, auf Basis des economic-control-Konzepts den Anwendungsbereich über Satz 2 hinaus zu erweitern. Ganz in diesem Sinne ist in der Konturierung des Konzernbegriffs aus dem Grundlagenteil dieser Arbeit festgestellt worden, dass aufgrund der Vielgestaltigkeit der Konzernbeziehungen zur Angleichung an die IFRS und kann damit als gutes Vorbild für den Anwendungsbereich der europäischen Konzerninsolvenzvorschriften dienen. 616 Diese Verbindung ebenfalls herstellend Reumers, ECFR 2013, 554, 578 f. 617 UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 2 Rn. 4. 618 UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 15 Rn 29. 619 Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 799. 620 Diesen verengten Anwendungsbereich bemängelnd Reumers, ECFR 2013, 554, 578. 621 Im Ergebnis auch Eble, NZI 2016, 115, 117; zur Notwendigkeit eines rechtsgebietsspezifischen Kontrollbegriffs auf europäischer Ebene Eble, Abschlussprüfer, Unabhängigkeit und Netzwerke, 2015, S. 170 m. w. N.

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Beschreibung des Konzerns ein funktioneller Konzernbegriff erforderlich ist.622 Solch ein funktionelles Konzernverständnis hat auch der Festlegung des Anwendungsbereichs des Konzerninsolvenzrechts zugrunde zu liegen. Ausschließlich starre formelle Kriterien reichen zur Beschreibung dieses Verständnisses nicht aus. Es bedarf einer Orientierung an dem an tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen ausgerichteten economic-control-Konzept. Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO bildet damit ein Auffangtatbestand nach materiellen Gesichtspunkten. Die Feststellung dieser Verbindungen hat einen höheren Prüfungsaufwand zur Folge, als wenn lediglich auf die Möglichkeit einer Beherrschung auf Basis formeller Kriterien abgestellt wird.623 Methodisch handelt es sich nach dem klaren Wortlaut des Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO entweder um eine unwiderlegbare Vermutung oder eine gesetzliche Fiktion der Kontrollbeziehung und damit der Mutterunternehmenseigenschaft, abhängig davon, ob die Mutterunternehmereigenschaft im konkreten Fall schon durch Satz 1 begründet sein kann.624 Eine unwiderlegbare Vermutung der Mutterunternehmereigenschaft liegt insofern vor, als in der Regel bei einem Unternehmen, das einen konsolidierten Abschluss erstellt, auch die Voraussetzungen aus Satz 1 erfüllt sind, aber nicht erfüllt sein müssen625.626 Eine gesetzliche Fiktion ist dann gegeben, wenn ein Mutterunternehmen nach Satz 2 angenommen wird, obwohl dieses nach den Voraussetzungen des Satz 1 gar nicht vorliegen kann. Dies ist – unter der Bedingung, dass die Mitgliedstaaten von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht haben – beispielsweise in den Fällen von Gleichordnungskonzernen gegeben, da diese mangels Kontrollbeziehung niemals unter Satz 1 fallen können. 627 Eine widerlegbare Vermutung liegt

Siehe hierzu S. 6. Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 799. 624 Unzutreffend die ganze Regelung aus Satz 2 als gesetzliche Fiktion beschreibend Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 543; Gottwald InsR-Hdb/Kolmann/Keller, 5. Aufl. 2015, § 131 Rn. 54; Prager/Keller, WM 2015, 805, 809; MüKoInsO/Thole, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 2 Rn. 22; undifferenziert von sowohl Vermutung als auch Fiktion sprechend Eble in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung, 2015, 131, 151; ders., NZI 2016, 115, 117; sich vage äußernd („gilt […] stets als Mutterunternehmen“) Kindler/Sakka, EuZW 2015, 465; ebenso Commandeur/Römer, NZG 2015, 988, 990. 625 Dies könnte insbesondere unter Berücksichtigung einer zeitlichen Komponente der Fall sein, wenn z. B. ein konsolidierter Abschluss erstellt wurde, die Insolvenz allerdings zu einem späteren Zeitpunkt, an dem keine Kontrollbeziehung mehr besteht, eintritt. 626 Aus diesem Grund insgesamt auf eine unwiderlegbare Vermutung abstellend Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 2 Rn. 79; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 79; dies., KTS 2018, 1, 3. 627 Diese Lesart aus systematischen Gründen, die allerdings schwer mit dem zu verfolgenden Zweck eines weiten Anwendungsbereichs und dem Wortlaut zu vereinbaren sind, grundsätzlich ablehnend Eble, NZI 2016, 115, 120. 622

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hingegen nach dem eindeutigen Wortlaut nicht vor.628 Dies ist ebenso aus teleologischen Gründen gerechtfertigt, zumal eine Widerlegung nur in Fällen einschlägig sein könnte, in denen zwar eine Konsolidierungspflicht auf Basis formeller Kriterien besteht, eine tatsächliche Betrachtung allerdings ergibt, dass eine wirtschaftliche Verflechtung nicht stattgefunden hat. Zwar besteht in diesem Falle tatsächlich kein Koordinierungsbedarf,629 allerdings muss weiterhin aus verfahrensökonomischen Gründen von einem tatsächlich erstellten konsolidierten Abschluss auf die Eröffnung des Anwendungsbereichs geschlossen werden können. Dies ist nur machbar, wenn die von Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO umfassten Unternehmen unwiderlegbar als Mutterunternehmen im Sinne der EuInsVO zu qualifizieren sind und erst nachgelagert – nach der Eröffnung des Anwendungsbereichs – eine Kooperations- und Koordinationspflicht als nicht angezeigt abzulehnen630 oder im Kooperationsverfahren ein Opt-out als selbstverständlich anzunehmen ist.631 cc) Der Auffangtatbestand Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO hat zur Aufgabe, den Anwendungsbereich der Konzerninsolvenzvorschriften nach materiellen Gesichtspunkten abzusichern. Eine wichtige Auffangfunktion kommt ihm folglich zu, wenn Gruppenunternehmen aufgrund der alleinigen Anknüpfung an formellen Kriterien, einer unmittelbaren Befreiung oder der Nichtausübung eines mitgliedstaatlichen Ermessens nicht in den konsolidierten Abschluss einbezogen werden. Der Anwendungsbereich der Kooperations- und Koordinationsvorschriften der EuInsVO sollte nicht von dem Ermessen der Mitgliedstaaten abhängen und nicht dadurch verengt sein, dass die EuBilanzRL manche Gruppenkonstellationen ganz von einer Konsolidierungspflicht ausschließt, da man diesen beispielsweise die Konsolidierungslast nicht auferlegen möchte. Die dort implementierten Instrumente und Mechanismen greifen größtenteils zum Wohle der Unternehmens-

628 In diese Richtung deutet auch der klare Wortlaut des Kompromissvorschlags des Ratsvorsitzes v. 3.6.2014 (vgl. Ratsdok. 10284/14 ADD 1 (DE), S. 9) sowie der Wortlaut („gilt als“) des Kompromissvorschlages des Ratsvorsitzes v. 20.11.2014 (vgl. Ratsdok. 15414/14, ADD 1 (DE), S. 34). Sich hingegen für eine widerlegbare Vermutung aussprechend Eble in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung, 2015, 131, 151; ders., NZI 2016, 115, 117; Braun/Tashiro, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 2 Rn. 83; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 5. 629 Bis zu dieser Stelle noch zutreffend Eble, NZI 2016, 115, 117. 630 Das Auswahlermessen ist im Fall von Unternehmen, zwischen denen kein Kooperations- und Koordinationsbedarf besteht, insofern auf Null zu reduzieren, als keine Abstimmung stattzufinden hat. 631 Trotz seiner grundsätzlich anderen Ansicht hierauf zutreffend hinweisend Eble in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung, 2015, 131, 163; ders., NZI 2016, 115, 117 Fn. 38.

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gruppe selbst ein. Die Privilegierungen der EuBilanzRL passen damit nicht in das System des europäischen Konzerninsolvenzrechts. Eine Auffangfunktion kommt Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO beispielsweise im Zusammenhang von Zweckgesellschaften, mittleren Gruppen im Sinne des Art. 3 Abs. 6 EuBilanzRL632, sofern die Mitgliedstaaten nicht von ihrem Ermessen gem. Art. 23 Abs. 2 EuBilanzRL hinsichtlich einer Konsolidierungspflicht Gebrauch gemacht haben, oder kleinen Unternehmen im Sinne des Art. 3 Abs. 5 EuBilanzRL, welche nach Art. 23 Abs. 1 EuBilanzRL von vornherein nicht von einer solchen Konsolidierungspflicht betroffen sind, zu. Ebenfalls nicht von dem legal-control-Konzept erfasst633 ist die Konstellation einer sogenannten Präsenzmehrheit. Von solch einer wird gesprochen, wenn ein Unternehmen nicht die absolute Mehrheit der Stimmrechte besitzt, allerdings aufgrund der Passivität einiger Stimmrechtsbesitzer dennoch auf der Gesellschafterversammlung die Mehrheit der präsenten Stimmrechte innehat und dadurch die Mehrheit der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane faktisch634 bestellen bzw. abberufen kann.635 Darüber hinaus können auf Basis materieller Kriterien Unternehmensgruppen in den Anwendungsbereich einbezogen werden, deren Innenverhältnisse sich durch Organverflechtungen auszeichnen. Dabei werden die Leitungs- und Kontrollfunktionen in den verschiedenen Konzernunternehmen durch die gleichen Personen ausgeübt und Führungsentscheidungen zum Wohle der Gruppe einheitlich getroffen. Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO dient darüber hinaus als Auffangtatbestand für Fälle, in denen Teile der Gruppe aus Drittstaaten stammen. Hat lediglich ein Tochterunternehmen seinen Insolvenzgerichtsstand in einem Drittstaat, ist dieses Unternehmen nach Art. 2 Nr. 13 EuInsVO noch als Teil der Gruppe im Sinne der EuInsVO anzusehen, da keine weiteren Anforderungen an das Tochterunternehmen gestellt werden.636 Würde sich die Bestimmung des Mutterunternehmens jedoch ausschließlich danach richten, dass dieses einen konsolidierten Abschluss nach der EuBilanzRL erstellt hat, wären Drittstaatenunternehmen als Mutterunternehmen ausgeschlossen. Die EuBilanzRL enthält lediglich gegenüber den Unternehmen, die dem Recht eines Mitgliedstaates unterliegen, eine Anordnung hinsichtlich der Konsolidierungspflicht. Ein möglicher konsolidierter Abschluss nach der IFRS wird nur für kapitalmarktorientierte Unternehmen vorgeschrieben. Über Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO und das materielle economic-control-Konzept sind auch Unternehmen aus Drittstaaten Bezüglich mittlerer Gruppen Eble, NZI 2016, 115, 117. Küting/Seel, Beihefter zu DStR 26 2009, 37, 40. 634 Das Unternehmen hat hingegen kein Recht zur Bestellung dieser Organe. Daher sind nicht schon die Voraussetzungen des Art. 22 Abs. 1 lit. b EuBilanzRL erfüllt. 635 Eine auf Dauer bestehende Mehrheit auf der Hauptversammlung begründet im deutschen Recht nach dem economic-control-Konzept einen beherrschenden Einfluss nach § 290 Abs. 1 BGB, vgl. Bericht Rechtsausschuss BilMoG, BT-Drs. 16/12407, S. 89. 636 Siehe hierzu sogleich mehr auf S. 206 f. 632

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als Mutterunternehmen anzusehen, die keinen konsolidierten Abschluss erstellen, wodurch zumindest insolvente Tochterunternehmen, welche ihr Verfahren in der Europäischen Union eröffnen, über die europäischen Konzerninsolvenzvorschriften eine Abstimmung erfahren können.637 Spezielle Unternehmensverbindungen in Form von Konsortien, strategischen Allianzen oder Franchise-Verbindungen fallen indes auch nach dem materiellen Gruppenbegriff aus dem Anwendungsbereich der Kooperations- und Koordinationsvorschriften heraus. Zwar wäre es oftmals sinnvoll, auch für diese Unternehmensverbindungen eine Abstimmung der Insolvenzverfahren zu gewährleisten, da auch zwischen diesen Unternehmen eine große Anzahl an Leistungsbeziehungen bestehen. Allerdings würde der Anwendungsbereich der Konzerninsolvenzvorschriften erheblich an Profil verlieren, wenn irgendeine funktionelle Verbindung zwischen Unternehmen genügen würde, um die Kooperations- und Koordinationsvorschriften auszulösen. Der Anwendungsbereich würde in einen Bereich ausgedehnt werden, in dem die Unternehmensverbindungen zu lose wären, als dass man vor allem die in Art. 60 EuInsVO zur Verfügung gestellten Einwirkungsrechte zur Anwendung bringen sollte. Eine Abstimmung hat in diesen Bereichen nur über konsensuale Vereinbarungen zwischen den Verfahrensbeteiligten außerhalb der Kooperations- und Koordinationspflicht der EuInsVO zu erfolgen. Leider können Gleichordnungskonzerne mangels Beherrschungssituation ebenfalls nicht unter Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO gefasst werden. Die Kooperations- und Koordinationsnotwendigkeit in einem durch Abhängigkeit geprägten Konzern ist zwar augenfälliger,638 im Sinne des Ziels der Reform, einen effizienten Binnenmarkt zu schaffen, sollte jedoch danach gestrebt werden, auch Gleichordnungskonzerne mit in den Gruppenbegriff aufzunehmen, falls dies nicht ohnehin aufgrund mitgliedstaatlicher Ermessensspielräume gem. Art. 22 Abs. 7 EuBilanzRL und somit nach Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO gewährleistet ist.639 Diese Erweiterung des Anwendungsbereichs ist angezeigt, da es sich bei Gleichordnungskonzernen nicht nur um lose Verknüpfungen handelt, sondern regelmäßig um verwobene Unternehmensverbindungen. Es gibt keine schlüssigen Gründe, warum sie von Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO ausgenommen sein sollten. 640 Eine Beschränkung der Auffangklausel des Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO ausschließlich auf Abhängigkeitsverhältnisse verengt den

637 Mehr zum territorialen Anwendungsbereich der EuInsVO im Zusammenhang mit Drittstaaten auf S. 211 ff. 638 So Flöther/Thole, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 2 Rn. 54. 639 Siehe hierzu S. 196 f. 640 Reuß, EuZW 2013, 165, 168; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 221 f.; wohl auch Eidenmüller/Frobenius, Beilage ZIP 2013, 1, 15.

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Anwendungsbereich in diesem Zusammenhang übermäßig.641 An dieser Stelle hat der europäische Gesetzgeber de lege ferenda punktuell nachzubessern. 2. Das Tochterunternehmen Besondere Anforderungen an das Tochterunternehmen werden durch den Verordnungstext nicht gestellt. In dem Ursprungsentwurf der Kommission war in Art. 2 lit. j Ziff. i EuInsVO-E noch von „einer anderen Gesellschaft“ als Tochtergesellschaft die Rede. Diese Wortwahl basierte auf Art. 22 Abs. 1 lit. a EuBilanzRL und somit auf den Begriffsharmonisierungsbemühungen zwischen der EuBilanzRL und EuInsVO. Das Tochterunternehmen konnte und kann jedoch begriffsnotwendig nur eine andere Gesellschaft als die Muttergesellschaft sein.642 Eine relevante Einschränkung des Tochterunternehmensbegriffs erfuhr die Verordnung hierdurch nicht. Mit der Neukreierung des Anwendungsbereichs der EuInsVO ist diese Begriffsbeschreibung herausgefallen und findet lediglich über den Verweis auf die EuBilanzRL mittelbare Anwendung. Ist der von Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO geforderte konsolidierte Abschluss zu erstellen, ist hinsichtlich aller in den Konsolidierungskreis einbezogener Unternehmen unwiderlegbar zu vermuten, dass es sich um Tochterunternehmen handelt.643 Nach Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO sind alle entweder unmittelbar oder mittelbar kontrollierten Unternehmen als Tochterunternehmen zu qualifizieren, wobei diese Abhängigkeit und damit die Tochterunternehmenseigenschaft schon im Zusammenhang mit der Bestimmung des Mutterunternehmens inzident festgestellt wird.644 Über die Nennung der mittelbaren Kontrolle und der Beschreibung „alle seine Tochterunternehmen“645 nach Art. 2 Nr. 13 EuInsVO ergibt sich, dass auch mehrstufige Unternehmensverbindungen von dem Anwendungsbereich des europäischen Konzerninsolvenzrechts umfasst sind. Eine Solch eine Beschränkung als vertretbar ansehend Thole, ZEuP 2014, 39, 68; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 222; die Einbeziehung von Gleichordnungskonzernen in den Unternehmensgruppenbegriff aufgrund eines fraglichen systematischen Zusammenhangs von Art. 2 Nr. 14 S. 1 und S. 2 EuInsVO (hierzu mehr auf S. 196 f.) generell ablehnend Eble in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung, 2015, 131, 165 ff.; ders., NZI 2016, 115, 120. 642 Beck, DZWIR 2014, 381, 387. 643 Hingegen für eine widerlegbare Vermutung plädierend Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 544. 644 An die Tochterunternehmen sind jedoch keine von ihr selbst zu erfüllenden Voraussetzungen gestellt, Beck, DZWIR 2014, 381, 287. 645 In der englischen Sprachfassung ist mit „subsidiary undertaking“ ein weitreichender Begriff gewählt, sodass schon hieran ausgemacht werden kann, dass eine mittelbare Kontrolle zur Begründung der Tochterunternehmenseigenschaft genügt, J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 77; Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 4. 641

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Mindest- oder Höchstanzahl an Tochterunternehmen ist nicht zu verlangen.646 Besondere Aufmerksamkeit ist der Situation zu schenken, in der es lediglich zur Insolvenz von Tochterunternehmen in einer Gruppe kommt. Dabei hat dennoch die Feststellung des (solventen) Mutterunternehmens stattzufinden, um hiervon auf die Unternehmensgruppe zu schließen. Das Mutterunternehmen stellt nach wie vor die prägende Verbindung dar. 3. Der Unternehmensbegriff Der Terminus des Unternehmens stammt aus der Wirtschaftswissenschaft und ist zunächst unreflektiert in den rechtswissenschaftlichen Diskurs übernommen worden, wuchs seitdem allerdings zu einem technischen Rechtsbegriff heran.647 Ein Unternehmen ist demnach ein normativer Rechtsterminus, der jedoch für die unterschiedlichen Rechtsgebiete jeweils eigenständig zu definieren ist.648 Nach dem reinen Wortlaut der Art. 2 Nr. 13 und Nr. 14 EuInsVO ist unter Mutter- und Tochterunternehmen jede Art von Unternehmung zu verstehen. Eine Beschränkung des Unternehmens auf gewisse Unternehmensformen ist nicht erkennbar. Dies gilt allerdings erst, seitdem der Begriff der „Gesellschaft“ aus Art. 2 lit. j EuInsVO-E durch den Unternehmensbegriff ersetzt wurde. Aufgrund des Verweises auf die EuBilanzRL kommen im Zusammenhang mit der Bestimmung des Mutterunternehmens nach Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO allerdings nur diejenigen Unternehmen in Betracht, die einen konsolidierten Abschluss im Sinne der EuBilanzRL zu erstellen haben.649 Nach Art. 21 EuBilanzRL sind dies solche Unternehmen, auf welche die Richtlinie kraft Art. 1 Abs. 1 EuBilanzRL Anwendung findet. 650 Die einschlägigen Rechtsformen sind in Anhang I und II der EuBilanzRL aufgeführt.651 Ausschließlich diese Rechtsformen sind verpflichtet, einen konsolidierten Abschluss zu erstellen

646 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 75 u. 77; Wimmer, DB 2013, 1343, 1344. 647 Ausführlich Miegel, Unternehmensbegriff, 1970, S. 38 ff. 648 Hinsichtlich des Unternehmensbegriffs im deutschen Konzernrecht Miegel, Unternehmensbegriff, 1970, S. 39; K. Schmidt, ZGR 1980, 277, 280; ders., Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 494 u. 935 f. 649 In der Vorgängervorschrift des Art. 4 Abs. 2 KonzernbilanzRL war der Anwendungsbereich hinsichtlich einer konsolidierten Rechnungslegung noch weiter ausgestaltet, wobei mitgliedstaatliche Opt-out-Möglichkeiten bestanden, Kalss/Klampfl, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2005, Rn. 283. 650 Hinsichtlich Tochterunternehmen legt die EuBilanzRL keine Anforderungen fest, Eble, NZI 2016, 115, 120 Fn. 81. 651 Für Deutschland ist dies nach Anhang I die AG, die KGaA und GmbH sowie die europäische Rechtsform der SE. Des Weiteren werden über Anhang II die Rechtsformen der OHG und KG erfasst, solange bei diesen keine natürliche Person unbeschränkt haftet.

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und können daher Unternehmen im Sinne des Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO darstellen.652 Dies bedeutet jedoch nicht, dass Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO ebenfalls eine Beschränkung auf diese Unternehmensformen enthält. Der EuInsVO hat ein unionsautonomer Unternehmensbegriff zugrunde zu liegen, der sich an dem Sinn und Zweck der Konzerninsolvenzrechtsvorschriften ausrichtet. 653 Es muss danach gestrebt werden, ein effizientes Verfahren zu gewährleisten, welches nur garantiert werden kann, wenn der Anwendungsbereich der Vorschriften alle potenziellen Konzernkonstellationen erfasst und alle möglichen Rechtssubjekte einbezieht, damit dem Kooperations- und Koordinationsbedarf umfassend begegnet werden kann. Somit sind über Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO jegliche natürlichen sowie juristischen Personen, die wirtschaftlich Teil der Gruppe sind, in eine Kooperation und Koordination einzubeziehen.654 Der Terminus des Unternehmens könnte mit „wirtschaftlich agierende Rechtsträger“ umschrieben werden, um auf diese Weise zu signalisieren, dass alle möglichen Gruppenformen in den Anwendungsbereich aufzunehmen sind.655 Unterstützt wird diese Auslegung durch die Verwendung des rechtsformneutralen Begriffs „undertakings“ in der englischen Sprachfassung. Der funktionelle betriebswirtschaftliche Konzernbegriff, welcher gerade die Grundlage des Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO bildet, ist somit Ausgangspunkt für den Unternehmensbegriff selbst. Der Terminus des Unternehmens erwächst damit im Zusammenhang des Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO zum funktionellen Rechtsbegriff. 4. Ausschluss ausgewählter regulierter Branchen Bei der Insolvenz von Bank- und Versicherungskonzernen sind spezielle Risiken zu berücksichtigen. Die Eröffnung von Insolvenzverfahren über deren Vermögen kann in besonderem Maße zur Instabilität und zum Kollaps anderer Institute derselben Branche führen, da das System auf Vertrauen basiert und dieses in Insolvenzfällen erschüttert wird, sodass Anleger dazu neigen, schlagartig

652 Eble in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung, 2015, 131, 167 f.; ders., NZI 2016, 115, 120; Braun/Tashiro, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 2 Rn. 81; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 6. 653 Allgemein zum teleologischen Unternehmensbegriff Raiser, ZHR 144 (1980), 206, 219 ff.; speziell zum deutschen Konzernrecht MüKoAktG/Bayer, 4. Aufl. 2016, § 15 Rn. 9; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 936. 654 Für einen weiten Unternehmensbegriff im Konzerninsolvenzrecht plädierend Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 2 Rn. 76; K. Schmidt, KTS 2010, 1, 5 f.; sich für einen rechtsformneutralen Unternehmensbegriff im deutschen Konzerninsolvenzrecht aussprechend Wimmer, DB 2013, 1343, 1347; ebenso Leutheusser-Schnarrenberger, ZIP 2013, 97, 100. 655 Um keine begriffliche Konfusion zu stiften, soll der Verweis darauf genügen, dass der im Folgenden verwendete Begriff des Unternehmens gerade durch seine Rechtsträgerschaft konturiert wird. Grundsätzlich zum Unternehmensbegriff K. Schmidt, KTS 2010, 1, 5 f.

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erhebliche Vermögenswerte abzuziehen.656 Die EuInsVO ist auf diese Konstellation nicht ausgelegt. Systemschutzgesichtspunkte spielen nur am Rande eine Rolle.657 Daher sind Kreditinstitute, Wertpapierfirmen und Organismen für die gemeinsame Anlage von Wertpapieren (sog. Investmentfonds) gem. Art. 1 Abs. 2 EuInsVO vom Anwendungsbereich der EuInsVO ausgeklammert. Stattdessen gilt hinsichtlich Banken die Richtlinie über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten. 658 Konzernsachverhalte sind erst seit den großen Reformprojekten im Zuge der Finanzkrise geregelt. Es wird versucht, der grenzüberschreitenden Abwicklung von Bankengruppen im Zuge der Richtlinie zur Harmonisierung von Sanierungs- und Abwicklungsinstrumenten zur Rettung von notleidenden Kreditinstituten (BRRD)659 sowohl in materieller Hinsicht über harmonisierte Abwicklungsinstrumente als auch in prozessualer Hinsicht über Koordinierungsmaßnahmen zu begegnen. 660 Die zweite Säule einer einheitlichen europäischen Abwicklung für Banken ist der einheitliche europäische Bankenabwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism – SRM), der die institutionellen und finanziellen Voraussetzungen für die Anwendung der BRRD durch die Einrichtung einer europäischen Abwicklungsbehörde und eines europäischen Abwicklungsfonds schafft.661 Für die Sanierung und Liquidation von Versicherungen schreibt das europäische Recht ebenfalls besondere Regeln in Titel IV der Solvabilität II-RL662 Mit dem Verweis auf die Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers, welche die Finanzmärkte weltweit erschütterte, Flöther/Lehmann/Hoffmann, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 9 Rn. 1 f. 657 Diesen Gesichtspunkten keine Relevanz für die EuInsVO zusprechend Flöther/Lehmann/Hoffmann, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 9 Rn. 3. 658 Richtlinie 2001/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten, ABlEG v. 5.5.2001, L 125/15, geändert durch Richtlinie 2014/59/EU, ABlEU v. 12.6.2014, L 173/190. 659 Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABlEU v. 12.6.2014, L 173/190. 660 Gem. Art. 88 BRRD sollen Abwicklungskollegien (resolution colleges) eingerichtet werden, in denen die für die verschiedenen gruppenzugehörigen Banken zuständigen Aufsichtsbehörden vornehmlich zum Informationsaustausch zusammenarbeiten sollen. Des Weiteren ist gem. Art. 12 ff. BRRD ein Gruppenabwicklungskonzept vorgesehen, das von einer nationalen Behörde vorzulegen ist. Vgl. ausführlich Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 6. Aufl. 2018, 14.150. 661 Vgl. ausführlich Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, 6. Aufl. 2018, 14.140. 662 Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), ABlEU v. 17.12.2009, L 335/1. 656

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vor, welche die Richtlinie über die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen663 ersetzte. Vorschriften Versicherungskonzerne betreffend gibt es nicht. Die aufsichtsrechtlichen Vorschriften beziehen sich ausschließlich auf Gruppenkonstellationen im vorinsolvenzlichen Bereich. Der europäische Gesetzgeber sollte in dieser Hinsicht nicht in kontemplativer Passivität verharren, sondern proaktiv eingreifen, bevor Lehren erst wieder a posteriori aus konkreten Negativerfahrungen gezogen werden. II. Territorialer Anwendungsbereich 1. Das grenzüberschreitende Element Betrachtet man allein den Normtext der Konzerninsolvenzrechtsvorschriften, scheint es nicht vonnöten, dass die an der Kooperation bzw. Koordination partizipierenden Mitglieder der Unternehmensgruppe ihre COMI in unterschiedlichen Mitgliedstaaten664 haben und damit die Insolvenzverfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten eröffnet sein müssen. Mit Blick auf die Ermächtigungsgrundlage aus Art. 81 AEUV und das Kompetenzgefüge wird allerdings ein unmittelbar grenzüberschreitender Bezug als Voraussetzung für jeglichen Anwendungsbereich im Zusammenhang mit der EuInsVO deutlich.665 Bestätigt wird dies durch ErwG 1, 3, 8 und 76 S. 1 EuInsVO in Bezug auf die EuInsVO im Ganzen.666 Fraglich ist jedoch, welche Qualität der grenzüberschreitende Bezug besitzen muss.667 Ließe man jeglichen transnationalen Bezug genügen, könnten die europäischen Konzerninsolvenzvorschriften, insbesondere die Eingriffsbefugnisse, schon dann zur Anwendung gelangen, wenn rein nationale Konzerninsolvenzen vorlägen, darüber hinaus jedoch einzelne Gläubiger im Ausland ansässig wären. Dem widerspricht eindeutig ErwG 62 EuInsVO, nach 663 Richtlinie 2001/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. März 2001 über die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen, ABlEG v. 20.4.2001, L 110/28. 664 Die Verordnung gilt in allen Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark. Der räumliche Anwendungsbereich der EuInsVO n. F. hat sich demnach gegenüber seiner Vorgängerversion nicht geändert. Wenngleich Großbritannien und Irland sich grundsätzlich nicht an der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen beteiligen, haben beide von ihrem Optin-Recht gem. Art. 3 des Protokolls Nr. 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irland hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Gebrauch gemacht. Vgl. zum räumlichen Anwendungsbereich ausführlich Garber, in: Nunner-Krautgasser/Garber/Jaufer, Grenzüberschreitende Insolvenzen, 2017, 21, 33 ff. 665 Hess in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 62. EL Juli 2017, Art. 81 AEUV Rn. 26; Lüer in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, Art. 1 EuInsVO Rn. 2; Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 20; Nerlich/Römermann/Nerlich/Hübler, InsO, 33. EL September 2017, Vorbem. vor Art. 56–77 EuInsVO Rn. 4. 666 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 1 Rn. 56. 667 Diese Frage ebenso als klärungsbedürftig ansehend Reumers, ECFR 2013, 554, 577 f.

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dem die Vorschriften der Verordnung über die Zusammenarbeit, Kommunikation und Koordination im Rahmen von Insolvenzverfahren über das Vermögen von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe nur insoweit Anwendung zu finden haben, als Verfahren über das Vermögen verschiedener Mitglieder derselben Unternehmensgruppe in mehr als einem Mitgliedstaat eröffnet wurden.668 Dies erscheint konsequent, da sich die Konzerninsolvenzvorschriften nicht primär mit der Interaktion zwischen Gläubigern und Schuldnern befassen, sondern direkt die Abstimmung zwischen den das Insolvenzverfahren beherrschenden Beteiligten betreffen. In Abwandlung zu dem weitreichenden unmittelbar grenzüberschreitenden Bezug wird ein spezifisch grenzüberschreitender Bezug gefordert, wobei das Spezifikum darin besteht, dass das COMI zumindest eines Gruppenmitgliedes in einem anderen Mitgliedstaat zu liegen hat.669 Ist ein grenzüberschreitendes Element vorhanden, müssen die europäischen Konzerninsolvenzrechtsvorschriften auf alle insolventen Unternehmen der Gruppe angewendet werden, unabhängig davon, ob Insolvenzverfahren über mehrere Gruppenunternehmen in der gleichen Jurisdiktion eröffnet wurden. Nationale Vorschriften bleiben gem. ErwG 61 EuInsVO unberücksichtigt, sofern durch ihre Anwendung die Wirksamkeit der europäischen Vorschriften beeinträchtigt wird.670 2. Drittstaatenberührung Für den europäischen Gesetzgeber ist es generell nicht möglich, sowohl Insolvenzverwalter als auch Gerichte aus Drittstaaten den Regelungen der EuInsVO zu unterwerfen.671 Unklar ist allerdings, ob die den mitgliedstaatlichen Verwaltern und Gerichten auferlegten Pflichten gegenüber Beteiligten aus Drittstaatenverfahren Gültigkeit entfalten können. Eine Öffnungsklausel hin zu Dritt668 Dies hat sich im Vergleich zum Kommissionsentwurf verändert. Ein unmittelbarer Bezug auf das grenzüberschreitende Element war im Normtext des Entwurfs nicht zu finden. Lediglich die Entwurfsbegründung (COM(2012) 744, S. 2) sprach von dem grenzüberschreitenden Element als Anwendungsvoraussetzung. Vgl. Thole, KTS 2014, 351, 371 f. Dies ist wohl auf die Tatsache zurückzuführen, dass man sich als Vorbild der Vorschriften über das Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren bediente, im Zusammenhang dieser der grenzüberschreitende Bezug jedoch unmittelbar impliziert war, Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 806. 669 Braun/⁄Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 5; Thole, KTS 2014, 351, 371 f.; Vallender, ZInsO 2015, 57, 61 f. 670 ErwG 61 EuInsVO beantwortet damit Fragen über das Verhältnis zwischen europäischem und nationalem Recht, welche durch verschiedene Delegation bei Beratungen bezüglich des Kommissionsentwurfes aufgeworfen wurden, vgl. hierzu Ratsdok. 12087/13, S. 2. Mehr zu dem Konkurrenzverhältnis zwischen nationalem und europäischem Recht anschließend auf S. 214 ff. 671 Solche Pflichten könnten sich lediglich aus internationalen Übereinkommen bzw. dem jeweiligen anwendbaren nationalen Insolvenzrecht des Drittstaates ergeben, J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 13.

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staaten ist in der Verordnung nicht inkorporiert. Der Normtext der EuInsVO spricht diese Thematik nicht an. Auf Basis des früher geltenden Credos des qualifizierten Unionsbezugs war solch eine Öffnung nicht denkbar. Danach wurde die EuInsVO lediglich dazu erlassen, einen einheitlichen unionsweiten Insolvenzraum zu schaffen. Drittstaatensachverhalte sollten nicht erfasst sein.672 So lässt der europäische Gesetzgeber ganz in diesem Sinne verkünden, dass Insolvenzverfahren, bei denen der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners außerhalb der Europäischen Union liegt, nicht in den Anwendungsbereich der EuInsVO fallen, eine Verfahrenskooperation und -koordination gegenüber Drittstaatsverfahren in der EuInsVO demnach nicht vorgesehen ist.673 Die hierzu getätigten Aussagen waren zwar noch auf die alte Fassung der EuInsVO bezogen, aus den Reformdokumenten ist jedoch nicht ersichtlich, dass diese Ansicht eine Änderung erfahren hat. Die Evaluationsstudie im Zuge der Reform kam ebenso zu der Schlussfolgerung, dass der Mangel an harmonisierten Bestimmungen zur Koordinierung zwischen Verfahren innerhalb und außerhalb der Europäischen Union in der Praxis keine erheblichen Probleme verursacht hat.674 Allerdings räumte die Kommission im gleichen Zuge ein, dass eine Vielzahl der an der öffentlichen Konsultation teilnehmenden Personen angaben, dass der Mangel an Bestimmungen zur Anerkennung bzw. zur Koordinierung von Unions-externen Insolvenzverfahren zu Problemen geführt habe.675 Diese Probleme können nach Ansicht der Kommission jedoch nicht mittels EU-Instrumentarien geregelt, sondern nur durch internationale Verträge behoben werden.676 Bis zur Verabschiedung dieser Verträge sei es Aufgabe der Mitgliedstaaten, selbst Gesetze zur Regelung der Aspekte grenzüberschreitender Insolvenzen, an denen Nicht-EU-Staaten beteiligt seien, zu initiieren.677 Diese Lösung entspricht jedoch nicht dem Bedürfnis der Insolvenzrealität, in der Konzerne selbstverständlich nicht auf den europäischen Markt beschränkt sind, sondern ihre Arme über die Europäische Union und Kontinente hinaus ausstrecken. Konzernverflechtungen sind somit global 672 Vgl. unter vielen Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 5; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 1 Rn. 58 m. w. N. 673 COM(2012) 743 final (DE), S. 9. 674 COM(2012) 743 final (DE), S. 9. 675 44 % bejahten und 37 % verneinten solche Probleme, wobei in concreto von einigen Schwierigkeiten hinsichtlich der Anerkennung von EU-Entscheidungen oder der Befugnisse eines in der EU bestellten Verwalters in Nichtmitgliedstaaten, wie der Schweiz, berichtet wurde, COM(2012) 743 final (DE), S. 9. 676 COM(2012) 743 final (DE), S. 9; diesen Weg ebenso als vorzugswürdig anzusehend Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 14 u. 17. 677 Solche Gesetze wurden schon von Rumänien, Polen, dem Vereinigte Königreich, Slowenien und Griechenland auf der Grundlage des UNCITRAL-Modellgesetzes erlassen. Belgien, Deutschland und Spanien haben Gesetze zur internationalen Insolvenz verabschiedet, die zwar nicht dem UNCITRAL-Konzept folgen, aber ähnliche Themenbereiche abdecken. Vgl. COM(2012) 743 final (DE), S. 9.

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vorzufinden und sollten auch weltweit eine Kooperation und Koordination erfahren. Bestätigende Fälle waren in den letzten Jahren unter anderem BenQ, Enron oder Lehman Brothers678, wobei dies nur die großen Namen in der internationalen Dimension von Konzerninsolvenzen sind.679 Insbesondere wenn es um Sanierungsbestrebungen geht, darf nicht an den Grenzen Europas haltgemacht werden. Zum Nutzen des europäischen Unternehmertums, der europäischen Arbeitnehmer- und Investorenschaft sowie des Gemeinwohls innerhalb der Union, sollte der Anwendungsbereich der Konzerninsolvenzvorschriften auch gegenüber Drittstaaten – zumindest mit einer Auswahl an geeigneten Instrumentarien – nicht verschlossen sein. Solch eine Erweiterung ist überdies von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 81 AEUV gedeckt680 und hat – mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Schmid681 und H682 – inzwischen sogar höchstrichterliche Rückendeckung683 erfahren. Dem Rechtsanwender steht es damit offen, sich – ganz dem Telos des Konzerninsolvenzrechts hingebend – zumindest einseitig mit den allgemeinen gesetzlichen Kooperations- oder Koordinationsmaßnahmen gegenüber Drittstaaten zu öffnen. Dabei ist es allerdings erforderlich, dass der europäische Gesetzgeber entweder die Anwendung der Konzerninsolvenzrechtsvorschriften gegenüber Drittstaaten von dem Erfordernis der Gegenseitigkeit abhängig macht oder die Vorschriften mit Schutzklauseln zugunsten der Interessen der im europäischen Verfahren Beteiligten684 flankiert.685 Solch eine Sicherung der Interessen hat vornehmlich mit Blick auf die Partizipations- und Interventionsrechte aus Art. 60 EuInsVO und Art. 72 Abs. 2 lit. e EuInsVO sowie der

678 Die Insolvenz von Lehman Brothers war jedoch vom Anwendungsbereich der EuInsVO aufgrund des Art. 1 Abs. 2 lit. b EuInsVO (Art. 1 Abs. 1 EuInsVO a. F.) ausgeklammert. 679 Reuß, EuZW 2013, 165, 168. 680 Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 14 f. 681 EuGH Urt. v. 16.1.2014, Schmid, C-328/12, ECLI:EU:C:2014:6, Rn. 17 ff. 682 EuGH Urt. v. 4.12.2014, H, C-295/13, ECLI:EU:C:2014:2410, Rn. 27 ff. 683 Der EuGH hatte in den Entscheidungen zur Annexzuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO a. F. analog) entschieden, dass eine Annexzuständigkeit auch dann besteht, wenn der Wohnsitz des Beklagten in einem Drittstaat zu finden ist. So Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 2 Rn. 77; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 56.10 u. 61.07; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 13 u. Art. 61 Rn. 9 f.; dies., KTS 2018, 1, 4. 684 Ein Beispiel liefert die eigens ausgearbeitete Musterregelung des Art. 42f von Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 17. 685 Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 14 u. 17; Reuß, EuZW 2013, 165, 168; mit einem diesbezüglichen Regelungsvorschlag Reuß, Forum Shopping, 2011, S. 367; a. A. MüKoBGB/Kinder, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 56 Rn. 5.

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Kostenverteilung stattzufinden.686 Bisher hat der europäische Gesetzgeber leider die Chance verpasst, die Unternehmenswelt im globalen Kontext von Konzerninsolvenzen mit einem dafür zugeschnittenen Rüstzeug auszustatten. Zu hoffen bleibt, dass er das bestehende Manko zumindest mit bi- und multilateralen Vereinbarungen behebt, um auf diesem Wege eine vollwertige gegenseitige Kooperation und Koordination bei Insolvenzverfahren im globalen Kontext zu erreichen, wenngleich dies aufgrund des eigentlich schon bestehenden europäischen Konzerninsolvenzrechts eine unnötige Ressourcenverschwendung an legislativem und administrativem Handeln bedeuten würde. III. Verhältnis zwischen nationalem und europäischem Konzerninsolvenzrecht ErwG 61 EuInsVO stellt klar, dass zusätzliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten zum Konzerninsolvenzrecht grundsätzlich zulässig sind. Jedoch muss sich ihr Geltungsbereich auf die nationalen Rechtsvorschriften beschränken und ihre Anwendung darf nicht die Wirksamkeit der entsprechenden Vorschriften der EuInsVO beeinträchtigen.687 Demnach kommen die Vorschriften der europäischen Konzerninsolvenz auch dann zur Anwendung, wenn über zwei Gruppenunternehmen in dem gleichen Staat Insolvenzverfahren eröffnet wurden, sofern gleichzeitig ein Verfahren über ein weiteres Gruppenunternehmen mit COMI in einem anderen Mitgliedstaat existiert. Dies bedeutet ebenfalls, dass die nationalen Konzerninsolvenzvorschriften nicht als implizite Begrenzung der EuInsVO im Sinne des Vorbehalts der nationalen Vorschriften gem. Art. 56 Abs. 1 S. 1, 57 Abs. 1 S. 1, 58 a. E. EuInsVO angesehen werden können.688 Eine vollständige Verdrängung der nationalen Vorschrift ist nach ErwG 61 EuInsVO vom europäischen Gesetzgeber grundsätzlich nicht gewollt. Das europäische Recht soll keine vollständig abschließenden Regelungen vorgeben. 689 Damit kann nationales sowie europäisches Recht nebeneinander

686 Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs im Verhältnis zu Drittstaaten u. a. aufgrund dieser Problematiken vollständig ablehnend Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 546 u. 554. 687 Im deutschen Recht regelt Art. 102c § 22 EGInsO das Verhältnis der Regeln der EuInsVO zu den durch das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen eingefügten, ab 21.4.2018 anwendbaren §§ 56b, 269a ff. InsO. Siehe hierzu Wimmer, jurisPR-InsR 11/2017 Anm. 1. 688 Vor Einführung des ErwG 61 EuInsVO noch anders Thole, KTS 2014, 351, 372; ders., ZEuP 2014, 39, 73 f.; Flöther/Thole, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 2 Rn. 55. 689 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 555 ff.; Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 807; Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 5.

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anwendbar sein.690 Solange die nationalen Regelungen nicht im Widerspruch zu denen der Europäischen Union stehen und lediglich ein Mehr an Kooperation bieten, sperrt sich die EuInsVO nicht dagegen, diese Verbindung im Verhältnis der nationalen Verfahren zu erlauben. Für nationale Konzerninsolvenzen kann demnach eine eigene Zielrichtung bestimmt werden. Insbesondere bei nationalen Gruppengerichtsständen und personenidentischen Insolvenzverwaltern besteht kein Ausschließlichkeitsverhältnis.691 Ein Mangel an Regelungen auf europäischer Ebene bedeutet nicht, dass diese nicht auf nationaler Ebene eingeführt werden können. Eine diesbezügliche Öffnungsklausel in der Verordnung könnte diese Tatsache noch weiter verdeutlichen. Schwieriger ist das Verhältnis in Konstellationen in denen Koordinationsverfahren eröffnet werden. Wird lediglich auf nationaler Ebene eine Art Koordinationsverfahren ins Leben gerufen, auf Unionsebene jedoch nicht, ergeben sich hieraus zunächst keine Konflikte. Fraglich ist dabei, ob dieses Koordinationsverfahren als eigenständiges Verfahren im Sinne des Art. 1 EuInsVO zu bewerten ist.692 Dies ist zu bejahen. Nur in diesem Falle ist es dem nationalen Koordinationsgericht sowie dem nationalen Koordinationsverwalter grundsätzlich möglich, mit den Gerichten und Verwaltern der ausländischen Gruppenunternehmen zu kooperieren und somit Informationen auszutauschen sowie einen möglichen Koordinationsplan abzusprechen. Für eine Anwendung der Art. 56, 58 und 60 EuInsVO ist überdies notwendig, dass es sich bei dem Koordinationsverwalter um einen Verwalter im Sinne des Art. 2 Nr. 5 EuInsVO handelt. 693 Eine Subsumtion unter eine Ziffer des Art. 2 Nr. 5 UAbs. 1 EuInsVO ist – abhängig von der konkreten Ausgestaltung der Aufgaben des Koordinationsverwalters694 – wohl möglich. Allerdings ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten den jeweiligen Koordinationsverwalter in Anhang B aufzuführen, damit auch die notwendige Bedingung des Art. 2 Nr. 5 UAbs. 2 EuInsVO als erfüllt angesehen werden kann. Tritt allerdings der Fall ein, dass sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene Koordinationsverfahren eröffnet werden, liegt die Vermutung nahe, dass durch mehrere Koordinatoren und Koordinationspläne Kompetenzkonflikte entstehen werden. Dem Koordinationsverfahren nach der EuInsVO ist in diesen Fällen der Vorrang einzuräumen und das nationale Koordinationsverfahren zu unterlassen, da anderenfalls die praktische Wirksamkeit der

Nach Art. 102c § 22 Abs. 1 Nr. 1 EGInsO findet im deutschen Recht allerdings § 269a InsO keine Anwendung, soweit Art. 56 EuInsVO anzuwenden ist. 691 Nach Art. 102c § 22 Abs. 1 Nr. 2 EGInsO finden im deutschen Recht allerdings § 56b Abs. 1 und § 269b InsO keine Anwendung, soweit Art. 57 EuInsVO anzuwenden ist. 692 Thole, ZEuP 2014, 39, 74. 693 Thole, ZEuP 2014, 39, 75. 694 Zumindest eine Überwacherfunktion kann angenommen werden, Thole, ZEuP 2014, 39, 75. 690

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EuInsVO gefährdet ist.695 Die Vorschriften zum europäischen Koordinationsverfahren müssen den nationalen Rechtsvorschriften, welche die gleiche Regelungsmaterie betreffen, vorgehen. Es soll nur ein einheitlicher konfliktfreier Kooperationsrahmen geschaffen werden.696 Sofern keine Beeinträchtigung des europäischen Rechts stattfindet, können allerdings auch beide Koordinationsverfahren parallel laufen.697 IV. Fazit Die Basis für die Festlegung des Anwendungsbereichs der Kooperations- und Koordinationsvorschriften stellt der Verweis auf einen nach der EuBilanzRL erstellten konsolidierten Abschluss dar. Damit wird ein Anknüpfungspunkt gewählt, der auf einfachem und formalem Weg klarstellt, welche Unternehmen als Gruppenunternehmen gelten. Die Eröffnung der Insolvenzverfahren wird nicht durch eine aufwendige materielle Prüfung verzögert; die Verfahrenseffizienz ist gewahrt. Um dem Konzern als funktionalem Zusammenschluss gerecht zu werden, ist in Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO ein Auffangtatbestand geschaffen worden, welcher nicht an formelle, sondern materielle Voraussetzungen auf Basis des economic-control-Konzepts anknüpft und den Anwendungsbereich damit erheblich erweitert. Es werden somit Gruppen umfasst, die auf vertraglicher, gesetzlicher oder faktischer Grundlage beruhen.698 Auf diesem Wege kann insbesondere in den Bereichen eine Einheitlichkeit geschaffen werden, in welchen den Mitgliedstaaten nach der EuBilanzRL hinsichtlich einer Konsolidierungspflicht nur ein Ermessensspielraum zukommt. In Bezug auf Gleichordnungskonzerne besteht jedoch gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Der weite Anwendungsbereich wird des Weiteren darüber gesichert, dass der Unternehmensbegriff alle wirtschaftlich agierenden Rechtsträger umschließt. Lediglich Bank- und Versicherungskonzerne sind nach Art. 1 Abs. 2 EuInsVO aus dem Anwendungsbereich – aufgrund der besonderes zu berücksichtigenden Systemschutzgesichtspunkte – ausgeklammert und gesondert geregelt. Der Anwendungsbereich der Kooperations- und Koordinationsvorschriften ist territorial insodern eingeschränkt, als ein spezifisch grenzüberschreitender Bezug gefordert wird, sodass das COMI zumindest eines Gruppenmitgliedes 695 Thole, KTS 2014, 351, 372 f.; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 223. Es wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Gefahr besteht, dass sich sämtliche nationale Verfahren im Wege eines Opt-out nicht am europäischen Koordinationsverfahren beteiligen könnten, wodurch einem rein nationalen Koordinationsverfahren nichts mehr im Wege stehen würde. 696 MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Vor Art. 56 Rn. 12. 697 Ganz in diesem Sinne schließt der deutsche Gesetzgeber gem. Art. 102c § 22 Abs. 2 EGInsO die Einleitung eines deutschen Koordinationsverfahrens nach §§ 269d bis 269i InsO nur aus, wenn anderenfalls die Wirksamkeit eines Koordinationsverfahrens nach Art. 61–77 EuInsVO beeinträchtigt werden würde. 698 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 56 Rn. 4.

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in einem anderen Mitgliedstaat zu liegen hat. Über eine teleologische Auslegung des Normtexts sollte es – entgegen des vermeintlichen Gesetzgeberwillens – zukünftig auch zu erreichen sein, dass die Vorschriften der Kooperation und Koordination – bis nötige bi- und multilateralen Vereinbarungen geschlossen wurden – über eine einseitige Öffnung der EuInsVO gegenüber Drittstaatenunternehmen Anwendung finden können, damit speziell Sanierungsbemühungen nicht behindert werden. C. Allgemeine Verfahrenskooperation Der europäische Gesetzgeber hat sich im Laufe der Reformbemühungen gegen die Einführung einer Verfahrenskonsolidierung mit gleichzeitigen Harmonisierungsbemühungen und damit gegen die weitreichende strategische Option B der Gesetzesmaterialien entschieden, wodurch der reichhaltige Strauß an möglichen umsetzbaren Regulierungsmodellen stark dezimiert wurde. Die Wahl fiel auf die strategische Option A in Form einer Verfahrenskooperation und -koordination. 699 Entstanden sind lediglich das Verfahrensrecht betreffende Sachnormen. Das materielle Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten bleibt nahezu unangetastet.700 Der europäische Gesetzgeber hat sich in concreto für ein System entschieden, welches aus Kommunikation, Kooperation und Koordination zwischen den insolventen Unternehmen einer Unternehmensgruppe geprägt ist. Die Kooperation zwischen Gerichten, Verwaltern sowie Gerichten und Verwaltern war dabei eines der wichtigsten operativen Ziele der Reform,701 womit sich die hohe Anzahl an neu eingefügten Normen erklärt.702 Der Erlass solcher Vorschriften hatte den großen Vorteil, dass eine Inklusion in das bestehende System ohne größere Schwierigkeiten möglich war.703 In den folgenden Ausführungen werden die Vorschriften aus Kapitel V Abschnitt 1 thematisiert. Inhaltlich wurden die Vorschriften – mit Ausnahme des Art. 60 EuInsVO704 – mit den Regelungen hinsichtlich der Abstimmung zwischen Sekundär- und Hauptinsolvenzverfahren gem. Art. 41–44 EuInsVO syn-

699 Mit weiteren Begründungen SWD(2012) 416 final (EN), S. 45 ff.; SWD (2012) 417 final (DE), S. 15. 700 Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 13. 701 Zweites Element der strategischen Option A, SWD(2012) 416 final (EN), S. 31 ff. 702 Die reformierte EuInsVO gebraucht gegenüber der Ursprungsfassung 19 Mal häufiger die Termini „Kommunikation, Kooperation und Koordination“. Ausfindig gemacht durch Albrecht, ZInsO 2015, 1077, 1082. 703 Dass das bisherige System für Kooperationsmechanismen offenstand, sah man schon an den ehemaligen Kooperationsmöglichkeiten zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren. 704 Die Verwalterrechte, insbesondere hinsichtlich der Aussetzung der Verwertung der Masse und der Vorlage von Sanierungsplänen, werden in Art. 46 f. EuInsVO spezifisch für das Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren geregelt.

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chronisiert.705 Diese Angleichung hebt ErwG 52 EuInsVO ausdrücklich hervor. Im Zuge dessen hat die rudimentäre Regelung des Art. 31 EuInsVO a. F.706, welche sich mit der Kooperation zwischen Sekundär- und Hauptinsolvenzverfahren beschäftigte, ebenfalls einen erheblichen Zugewinn an Regelungsdichte erfahren. Dies war nötig, da die öffentliche Konsultation im Vorfeld der Reform ergab, dass eine Mehrheit der Befragten mit den bestehenden Kooperationsregeln zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren unzufrieden waren.707 Bei der Auslegung des Kapitels V sind daher entsprechend ErwG 48 EuInsVO die bewährten Praktiken für grenzüberschreitende Insolvenzfälle zu berücksichtigen, wie sie in den Kommunikations- und Kooperationsgrundsätzen und -leitlinien der europäischen und internationalen Organisationen auf dem Gebiet des Insolvenzrechts, insbesondere den einschlägigen Leitlinien der UNCITRAL, ausgearbeitet worden sind.708 I. Grundlagen und spezifischer Anwendungsbereich 1. Der Verwalterbegriff Da viele Termini in der EuInsVO in der Anwendung stark durch den jeweiligen mitgliedstaatlichen Kontext beeinflusst werden und daher leichtfertig ein Rückgriff auf nationale Verständnisse genommen werden könnte, wurden in Art. 2 EuInsVO einige autonome Begriffsdefinitionen festgehalten. Um den nationalen Eigenarten und dem Fakt, dass es nicht zu einer Vereinheitlichung des Sachrechts kommen sollte, Rechnung zu tragen, werden diese Definitionen durch nationale Ausbildungen in den Anhängen A und B konkretisiert.709 Der persönliche Anwendungsbereich der allgemeinen Verfahrenskooperation ergibt sich hinsichtlich der Verwalter aus Art. 2 Nr. 5 EuInsVO. Nach Art. 2 705 Brulard, Rev. proc. coll. 2015, no 1, dossier 4 para. 15; J. Schmidt, KTS 2015, 19, 37; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 56.09; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 12; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 2 u. 4; Weiss, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 192, 208. 706 Da es sich um sehr verhaltene Regelungen handelte, lässt sich schwerlich sagen, dass die in Art. 31 ff. EuInsVO a. F. bereits normierten Pflichten als Pate für die Kooperationsvorschriften bezüglich Konzerninsolvenzverfahrens standen. So jedoch Kindler/Sakka, EuZW 2015, 460, 464; abgeschwächt „inspired by“, Garcimartín, ZEuP 2015, 694, 729; oder „angelehnt“, Fritz, DB 2015, 1945, 1946. 707 SWD(2012) 416 final (EN), S. 28 u. 52. 708 ErwG 48 EuInsVO bezieht sich zwar allein auf den Zusammenhang von Sekundärinsolvenzverfahren, der darin enthaltene Gedanke kann jedoch auch für Konzerninsolvenzverfahren herangezogen werden, da die Kooperations- und Koordinationsvorschriften dieser beiden Regelungsbereiche ohnehin weitgehend parallel laufen, vgl. Nerlich/Römermann/Nerlich/Hübler, InsO, 33. EL September 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 2 u. Art. 57 Rn. 2. 709 HHGH/Huber, EuInsVO, 1. Aufl. 2005, Einl. Rn. 7; Pannen/Pannen/Riedemann, EuInsVO, 2007, Einl. Rn. 45.

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Nr. 5 UAbs. 1 EuInsVO ist ein Verwalter jede Person oder Stelle, deren Aufgabe es ist, – auch vorläufig – die in Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen zu prüfen und zuzulassen, die Gesamtinteressen der Gläubiger zu vertreten, die Insolvenzmasse entweder vollständig oder teilweise zu verwalten, die Insolvenzmasse zu verwerten oder die Geschäftstätigkeit des Schuldners zu überwachen. Grundsätzlich liegt der EuInsVO damit ein funktionaler Verwalterbegriff zugrunde. Allerdings nimmt Art. 2 Nr. 5 UAbs. 2 EuInsVO dem Rechtsanwender eine Subsumtion gerichtet auf die Verwalterbestimmung ab und legt unwiderlegbar fest, dass die in Anhang B der EuInsVO aufgeführten Personen und Stellen solche Insolvenzverwalter nach UAbs. 1 sind. Über Art. 76 EuInsVO wird darüber hinaus bestimmt, dass die gemäß Kapitel V für den Verwalter geltenden Bestimmungen entsprechend für den Schuldner in Eigenverwaltung, der in Art. 2 Nr. 3 EuInsVO legaldefiniert ist, Wirkung entfalten. Dies gilt, sofern die Normen ihrem Regelungsgehalt und ihrer Zielsetzung nach in dem jeweiligen Kontext auf den Schuldner in Eigenverwaltung anwendbar sind. 710 Das bedeutet, dass für jede Norm gesondert überprüft werden muss, ob der Schuldner in Eigenverwaltung eine Position einnimmt, die dem funktionalen Verwalterbegriff entspricht. Erst dann können ihm die Rechte und Pflichten eines Verwalters auferlegt werden.711 Im Zusammenhang mit den Vorschriften über das Konzerninsolvenzverfahren ist dies – mit Ausnahme der Koordinatorbestellung aus Art. 71 Abs. 1 EuInsVO – grundsätzlich immer der Fall.712 Werden die entsprechenden Aufgaben des Schuldners im Zuge einer Eigenverwaltung durch verschiedene Organe ausgeführt, werden die Rechte und Pflichten auf diejenigen Organe übergeleitet, die im Innenverhältnis durch die Legalitätspflicht daran gebunden sind.713 Dabei kann die Unternehmensleitung aus einem extra zuvor eingesetzten, ehemaligen Insolvenzverwalter bestehen, der mit seiner Expertise das Unternehmen restrukturieren soll. Zwar handelt es sich in diesen Fällen eher um eine „Fremdverwaltung im Kostüm der Eigenverwaltung“714, die Insolvenzexperten bringen jedoch meist Erfahrung in der Unternehmensführung mit, sodass ihre Einsetzung gerade bezweckt, dass sie das Unternehmen sicher als Eigenverwalter durch die Insolvenz steuern können, falls eine vorinsolvenzliche Sanierung oder Restrukturierung fehlschlägt. 710 Das Eigenverwaltungsverfahren des deutschen Rechts gem. §§ 270 ff. InsO fällt nach Anhang A der EuInsVO als Insolvenzverfahren in den Anwendungsbereich der EuInsVO. 711 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 76 Rn. 6; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 76.04; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 76 Rn. 4. 712 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 76 Rn. 6 ff. 713 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 76 Rn. 7; bezüglich des deutschen nationalen Konzerninsolvenzverfahrens Thole, KTS 2014, 351, 370. 714 AG Duisburg DZWIR 2002, 522, 525.

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In diesen Fällen ist der Insolvenzexperte noch mehr Unternehmer als Zwangsvollstrecker.715 Dies ist ganz im Sinne der EuInsVO, die den Sanierungsgedanken, insbesondere durch ErwG 54 S. 1 EuInsVO716, explizit als Zweck hervorhebt. Die Entscheidung für die Einbeziehung der Eigenverwaltung in den Anwendungsbereich der Konzerninsolvenzverfahren führt konsequent die Tendenz fort, dass eine Sanierung bestmöglich – unter gewissen absichernden Voraussetzungen – von innen heraus zu vollziehen ist. Es soll das den Schuldnern früher oftmals angehangene stigma of bankruptcy überwunden werden.717 Gerade im Zusammenhang einer Konzerninsolvenz sollte auf die unternehmensund branchenbezogenen Erfahrungen der Unternehmensführung nicht verzichtet werden.718 Dies gilt vornehmlich, wenn externe Effekte für den Krisenzustand verantwortlich sind, sodass es nicht vonnöten ist, die Geschäftsführung bei der Sanierung von wichtigen Entscheidungen auszuschließen. Solch ein Verfahren in Eigenverwaltung im Konzernzusammenhang – wenn auch nur im nationalen Kontext – stellte die Insolvenz über die Medienkonzernmutter der KirchMedia GmbH & Co. KGaA im Jahre 2002 dar. Die um dieses Mutterunternehmen gebildete Unternehmensgruppe bestand aus mehreren hundert Tochtergesellschaften, Beteiligungen und Joint Ventures im Bereich der europäischen Entertainment-Industrie719 und war selbst eingegliedert in die TaurusHolding GmbH & Co. KG, über welche kurz darauf die Insolvenz eröffnet wurde.720 Es handelte sich um eine der wirtschaftlich bedeutendsten Insolvenzen in der deutschen Nachkriegsgeschichte.721 Über neun Monate hinweg wurde eine Eigenverwaltung von Herrn Wolfgang van Betteray, der zuvor als Sanierer in die Geschäftsführung des Unternehmens geholt wurde, bei

Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 54. Siehe hierzu ausführlich S. 93 ff. 717 Gerade in Deutschland wurde oftmals die Ansicht vertreten, dass der „Bock nicht zum Gärtner“ gemacht werden sollte, vgl. Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 224 m. w. N.; zum Wandel der deutschen Insolvenzkultur Vallender, NZI 2010, 838, 841 f. 718 AG Duisburg DZWIR 2002, 522, 524 f. 719 So war das Unternehmen u. a. mit 52,2 % der Hauptaktionär der ProSiebenSat.1 Media AG, welche das größte Fernsehunternehmen Deutschlands darstellte. Die Gruppe war zwar zum Großteil ein Konstrukt aus deutschen Gesellschaften, verfügte jedoch aufgrund seiner europaweiten Tätigkeit auch über Gesellschaften in anderen europäischen Staaten, wie z. B. der KirchSport Ltd als 100 %-iger Tochter der KirchSport GmbH. 720 Mehr bezüglich der Insolvenz der Dachgesellschaft TaurusHolding GmbH & Co. KG und der Insolvenzen der anderen ihr untergeordneten Konzerne, bestehend aus KirchPay TV GmbH & Co. KGaA sowie KirchBeteiligungs GmbH & Co. KG, vgl. Hohlbein, Sanierung, 2010 S. 460 f. 721 Die Forderungsanmeldungen für die KirchMedia GmbH & Co. KGaA, welche im Prüfungstermin erfasst werden konnten, machten schon allein ein Volumen von mehr als 8,5 Mrd. € aus, Hohlbein, Sanierung, 2010, S. 360. 715

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gleichzeitiger Bestellung eines Sachwalters mit Zustimmungsvorbehalt 722 durchgeführt.723 Van Betteray war selbst Verwalter bei einigen großen Insolvenzen und brachte eine umfangreiche Expertise mit in die Eigenverwaltung. Während der Insolvenz blieben alle wesentlichen Vermögenswerte erhalten und konnten erfolgreich verwertet werden.724 Bis auf die Holding und die jeweiligen Konzernmütter kam es zu keinen weiteren Insolvenzverfahren. Es trat kein vertikaler Dominoeffekt ein, welcher die ganze Gruppe hätte zusammenbrechen lassen können. Dies ist sicherlich zu einem nicht unwesentlichen Teil auf die erfolgreiche Eigenverwaltung zurückzuführen. Die KirchMedia-Insolvenz dient daher als Paradigma für die Einbeziehung erfahrener Sanierer als Eigenverwalter, um die Gruppe von innen heraus zu restrukturieren.725 Der Fall zeigt, wie Insolvenzfachleute effizient und kooperativ arbeiten und demnach einen Zugewinn darstellen.726 Wurden in einem Insolvenzverfahren neben dem Schuldner in Eigenverwaltung noch andere Verwalter – zum Beispiel ein Sonderinsolvenzverwalter oder ein trustee – eingesetzt, die über Anhang B auch als Verwalter im Sinne der EuInsVO anzusehen sind, 727 hängt es von der Ausgestaltung des nationalen Rechts ab, auf wen die Vorschriften des Kapitel V Anwendung finden. Zumeist wird es nur Aufgabe dieser zusätzlich eingesetzten Verwalter sein, die Geschäftsführung des Schuldners zu überwachen, wodurch die Vorschriften des Kapitel V lediglich für den die tatsächlichen Geschäfte führenden Verwalter Wirkung entfalten würden.728 Herr RA Dr. Michael Jaffé, bestellt durch das Amtsgericht München. Dieser Weg stellte ein Novum im deutschen Insolvenzverfahrensrecht dar und diente als Vorbild für weitere große Insolvenzverfahren. 724 Ausführlich hinsichtlich des Verwertungsprozesses, der hauptsächlich in Form der übertragenden Sanierung durchgeführt wurde, Hohlbein, Sanierung, 2010, S. 361 ff. 725 Zwar lässt sich dieser Fall sowie die Eigenverwaltung der Philipp Holzmann AG und der Grundig AG nicht auf die unternehmens- und branchenbezogenen Erfahrungen der ehemaligen Geschäftsführung als Eigenverwalter zurückführen, da die Führungskräfte mit der Insolvenzeröffnung ausgetauscht wurden, sodass die ursprüngliche Geschäftsführung ihre Expertise nicht mehr einbringen konnte. Vgl. AG Duisburg DZWIR 2002, 522, 525. Dennoch zeigt sich, dass die Einsetzung von Experten im Zuge einer Eigenverwaltung vom Ergebnis her gerechtfertigt ist. 726 Bei den Verfahren zu KirchMedia, Babcock und Grundig kam es zu einer fruchtbaren Koordination zwischen den Organen der Schuldner und der vom Gericht bestellten vorläufigen Insolvenzverwalter, Braun, NZI 2003, 588, 589. 727 Im deutschen Recht gilt der Sachwalter bzw. der vorläufige Sachwalter als Verwalter im Sinne der EuInsVO gem. Art. 2 Nr. 5 EuInsVO i. V. m. der Anlage B, vgl. Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 76.05; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 76 Rn. 5. 728 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 56 Rn. 16; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 76.05; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 76 Rn. 5; im Zusammenhang des deutschen 722

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2. Der funktionelle Gerichtsbegriff Der Gerichtsbegriff wird nach Art. 2 Nr. 6 EuInsVO auf zwei Arten bestimmt. Nach Art. 2 Nr. 6 Ziff. i EuInsVO ist ein institutionelles Verständnis anzusetzen, wodurch unter Gericht lediglich ein Justizorgan eines Mitgliedstaats zu verstehen ist. Dies gilt jedoch nur im Zusammenhang der in Art. 2 Nr. 6 Ziff. i EuInsVO aufgeführten Artikel. 729 Durch die Nichtnennung der Art. 56–60 EuInsVO ist für Art. 57 und 58 EuInsVO ein funktionales Verständnis nach Art. 2 Nr. 6 Ziff. ii EuInsVO anzusetzen. Danach ist ein Gericht jedes Justizorgan oder jede sonstige zuständige Stelle eines Mitgliedstaats, die befugt ist, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen, die Eröffnung eines solchen Verfahrens zu bestätigen oder im Rahmen dieses Verfahrens Entscheidungen zu treffen.730 Wie durch ErwG 20 S. 2 EuInsVO vorgegeben, handelt es sich dabei um einen weit auszulegenden Gerichtsbegriff.731 Dies ergibt sich auch im Vergleich zur Vorgängervorschrift des Art. 2 lit. d EuInsVO a. F.732 Solch ein weiter Gerichtsbegriff wurde gewählt, um sich an die Vielzahl von Institutionen anzupassen, welche durch die nationalen Rechtsordnungen mit Befugnissen im Insolvenzverfahren ausgestattet sind. Nach dem deutschen Recht ist für die Verfahrenseröffnung gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG der Richter zuständig. Die weitere Verfahrensbearbeitung obliegt jedoch – soweit der Richter nicht von seinem Richtervorbehalt aus § 18 Abs. 2 S. 1 RPflG Gebrauch gemacht hat – dem Rechtspfleger gem. § 3 Nr. 2e RPflG. Die Möglichkeit der Einsetzung eines Rechtspflegers basiert auf der Annahme, dass während des Verfahrens eine schematische Rechtsanwendung stattfinden wird, welche ohne Weiteres der Kompetenz eines Rechtspflegers übertragen werden kann. Nach dem funktionalen Gerichtsverständnis im Sinne des Art. 2 Nr. 6 Ziff. ii EuInsVO können Rechtspfleger Partei einer Kooperation sein. Dies ist konsequent, da eine Kooperation nicht unterbleiben darf, nur weil kein Konzerninsolvenzrechts BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drs. 18/407, S. 41 f. 729 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 17. 730 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 18; ebenso dieses funktionelle Verständnis ansetzend Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 66. 731 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 2 Rn. 23 u. Art. 57 Rn. 7; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 2 Rn. 18. 732 HHGH/Huber, EuInsVO, 1. Aufl. 2005, Art. 2 Rn. 2; Kübler/Prütting/Bork/Kemper, InsO, 52. Lfg. 2013, EuInsVO Art. 2 Rn. 9; Nerlich/Römermann/Nerlich/Hübler, InsO, 33. EL September 2017, EuInsVO 2000 Art. 2 Rn. 3; Paulus, EuInsVO, 4. Aufl. 2013 (Vorauflage), Art. 2 Rn. 13; LSZ-Schmid, Int. InsR, 2. Aufl. 2012, Art. 2 EuInsVO Rn. 14; MüKoInsO/Thole, 3. Aufl. 2016, EuInsVO 2000 Art. 2 Rn. 9; FK-InsO/Wenner/Schuster, 8. Aufl. 2015, Art. 2 EuInsVO Rn. 6; „the expression "court" is taken in a very broad sense“, Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 66.

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Richter die Entscheidungskompetenz innehat. Dagegen spricht allerdings, dass die sachgerechte und europarechtskonforme Umsetzung der Vorschriften der EuInsVO auf einer profunden Kenntnis des gesamten Insolvenzrechts basiert und eine gewisse Phantasie, Mut und Kreativität voraussetzt.733 In Gruppeninsolvenzen geht es gerade nicht um eine schematische Rechtsanwendung. Darüber hinaus wird von der Praxis die Sorge geäußert, dass aus einer Kooperation beispielsweise zwischen Rechtspflegern und Insolvenzrichtern des englischen High Court Akzeptanzprobleme resultieren könnten. Ein Austausch über rechtliche und wirtschaftliche Problemstellungen und deren Lösungsmöglichkeiten könnten an der unterschiedlichen Ausprägung hinsichtlich der Fachkompetenz scheitern.734 Dies gelte insbesondere im Zusammenhang der gebotenen autonomen Auslegung der Vorschriften der EuInsVO, da die Ausbildung der Rechtspfleger anders als die eines Volljuristen hierauf nicht ausgerichtet sei.735 Die Einsetzung eines Richters ist allerdings aufgrund des weiten funktionalen Gerichtsbegriffs nicht unionsrechtlich determiniert. Eine Ermessensreduktion sollte lediglich aus allgemeinen Zweckerwägungen im Interesse aller Verfahrensbeteiligten heraus durchgeführt werden, um der wirtschaftlichen Bedeutung, die mit den Gruppeninsolvenzen verbunden ist, gerecht zu werden. In deutschen Verfahren hinsichtlich Gruppenunternehmen ist daher darauf zu achten, dass von dem Richtervorbehalt Gebrauch gemacht wird.736 Der funktionelle Gerichtsbegriff führt allerdings dazu, dass für die zuständigen Stellen oftmals nicht ohne Weiteres ersichtlich ist, wer der jeweilige Ansprechpartner an dem ausländischen Gericht ist. Sind keine Kontaktdaten vorhanden, erscheint es zunächst pragmatisch, eine Kontaktaufnahme auf Basis der Daten des Europäischen Gerichtsatlasses durchzuführen. 737 Sinnvoller wäre jedoch die Einführung eines eigenen Datenservers, welcher im späteren Verlauf der Verfahren nicht nur alle relevanten Dokumente, sondern auch zu Verfahrensbeginn die Kontaktdaten aller Beteiligten enthalten würde. In Bezug auf das Ziel eines effizienten Konzerninsolvenzverfahrens stellen solche 733 So eingängig hinsichtlich Koordinationsmechanismen der EuInsVO a. F., allerdings nachdrücklich auch bezüglich Verfahren mit Konzerninsolvenzcharakter Vallender, KTS 2005, 283, 313. 734 Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2398; Vallender, KTS 2005, 283, 313 u. 328. 735 Vallender, KTS 2005, 283, 328. 736 Der Vorbehalt sollte zusammen mit dem Eröffnungsbeschluss ausgesprochen werden. Wenn sich später herausstellt, dass eine Kooperation nicht erforderlich bzw. der Rechtspfleger zu einer Abstimmung fähig ist, kann der Richter auch zu diesem Zeitpunkt noch das Verfahren dem Rechtspfleger übertragen, § 18 Abs. 2 S. 2 RPflG. Wenn nichtsdestotrotz zunächst eine Übertragung an den Rechtspfleger stattfindet, sich allerdings danach Fachkompetenzproblematiken zeigen, ist eine Rückübertragung an den Richter nach § 18 Abs. 2 S. 3 RPflG möglich. 737 Siehe , Stand: November 2018.

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technischen Lösungen oftmals einen erheblichen Zeit- und damit Kostengewinn dar. 3. Nutzeffekte einer Verfahrenskooperation Dem Verfahrensrecht rund um die Kooperationsvorschriften liegt kein Selbstzweck zugrunde. Es handelt sich dabei – wie bei jeglichem Verfahrensrecht – um Zweckmäßigkeitsrecht, welches danach strebt, den festgelegten Verfahrenszielen der Prozessveranstalter zur Durchsetzung zu verhelfen.738 Die zuvor dargestellten Ziele des europäischen Gesetzgebers, als Initiator der Vorschriften und damit Prozessveranstalter, dienen somit als Maßstab zur Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Regelungen.739 Diese Verbindung zwischen den Kooperationsvorschriften und den Zwecksetzungen heben die Erwägungsgründe ausdrücklich hervor. Über ErwG 51 EuInsVO wird das Effizienzkriterium zunächst als ausschlaggebend für die Vorschriften über Unternehmensgruppen im Allgemeinen verdeutlicht und über ErwG 54 S. 2 EuInsVO direkt als zentrales Ziel der Kooperationsvorschriften festgelegt. Der Gesetzgeber stellt klar, dass diese Regelungen allumfassend diesem Hauptziel zu dienen haben. Potenzial an Effizienzsteigerungen über Kooperationsmaßnahmen bieten die Verfahren über Gruppenunternehmen in immensem Umfang. Durch die oftmals große Anzahl an Insolvenzen einzelner Glieder einer internationalen Unternehmensgruppe und die daraus resultierenden getrennten Insolvenzverfahren wird die wirtschaftliche Einheit der Gruppe aufgebrochen. Die eigens geformte Gruppenstruktur, aus welcher die wirtschaftliche Stärke gezogen wurde, löst sich infolge der Insolvenz auf. Dies führt zwangsläufig zu wirtschaftlichen Einbußen.740 Daher müssen nicht nur die Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren innerhalb eines Unternehmensträgers in Einklang gebracht, sondern alle Verfahren der Gruppe mit den jeweils anderen Verfahren der gleichen Gruppe abgestimmt werden. Über diese Komplexität divergierender Entscheidungsträger mit unterschiedlichem Wissensstand hinaus unterliegt jedes Verfahren grundsätzlich dem Recht am Ort seiner eigenen Verfahrenseröffnung. Das bedeutet, es entsteht eine Verfahrenspluralität, bei der für jedes Verfahren die eigene lex fori concursus mit divergierenden Verfahrensregelungen und unterschiedlichem materiellen Recht zur Anwendung gelangt. 741 Es Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 508. So im Zusammenhang von Kommunikationspflichten deutscher Gerichte in Bezug auf die Ziele der deutschen Insolvenzordnung Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 418. 740 Nerlich/Römermann/Nerlich/Hübler, InsO, 33. EL September 2017, Vorbem. vor Art. 56–77 EuInsVO Rn. 2; Carballo Piñeiro, NIPR 2014, 207, 2011; Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 36. 741 Ehricke in: Aufbruch nach Europa, 2001, 337, 345; Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 4 f.; Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 12. 738

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besteht somit ein sehr hoher Kooperationsbedarf, welchem mit geeigneten Instrumentarien zu begegnen ist.742 Ein Nebeneinander von Insolvenzen kann zu Verzögerungen durch Übermittlungs- und Abstimmungsprobleme oder durch eine vollständige Verhinderung von Maßnahmen in Folge von Widerständen der anderen Verfahrensbeteiligten führen. 743 Kooperationsbestimmungen bilden eine gemeinsame Grundlage für die Verfahrensbeteiligten, auf welcher das notwendige gegenseitige Vertrauen aufgebaut wird, sodass sich die Beteiligten vollständig auf Sachthemen konzentrieren können. Insbesondere Konflikte, die nur mangels Kommunikation im Vorfeld entstehen, sind im Keim zu ersticken.744 Eine Kooperation kann demnach helfen, Konfliktsituationen zu vermeiden oder während Auseinandersetzungen sogar dazu beitragen, ein pareto-optimales Ergebnis für alle Beteiligten zu erzielen. Den größten Nutzen bringt eine Kooperation mit sich, wenn sie versucht, wieder diejenigen Synergiepotenziale entstehen zu lassen, die durch die Verfahrenstrennung verloren gegangen sind. Ziel einer Kooperation ist es daher, die Nachteile, die sich aufgrund der unterschiedlichen Entscheidungsträger ergeben, so weit wie möglich auszugleichen. Es ist auf ein rein eigennütziges, strategisches Verhalten der Verfahrensbeteiligten einzuwirken, sodass deren Streben nach eigenen Renditen zugunsten einer Konzernrendite gewandelt wird.745 Im Insolvenzfalle einer Unternehmensgruppe gilt es daher, die vor der Insolvenz so wichtigen Gruppenpotenziale zu ermitteln und anschließend zu nutzen. Diese Aufgabe hat auch der europäische Gesetzgeber erkannt, sodass er, speziell auf die Zusammenarbeit der Verwalter ausgerichtet, in ErwG 52 S. 3 EuInsVO als Weg vorgibt, dass „Synergien innerhalb der Gruppe ausgeschöpft werden“ sollen. Die Ausnutzung von Synergien hat zunächst Transaktionskostenersparnisse zur Folge. Die Minimierung der Insolvenzkosten stellt ein Korrelat zum Ziel der Maximierung der Haftungsmasse dar und führt somit zu einer verbesserten 742 Hinsichtlich Art. 31 EuInsVO a. F., wobei dieser Gedanke erst recht auf die Kooperationsvorschriften der Art. 56–60 EuInsVO übertragen werden kann, Czaja, Umsetzung der Kooperationsvorgaben, S. 14; Kemper, ZIP 2001, 1609, 1618; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO 2000 Art. 31 Rn. 1; Staak, NZI 2004, 480, 480; Vallender in: FS Kreft, 2004, 565, 566. 743 Bloching, Pluralität und Partikularinsolvenz, 2000, S. 103 f. 744 Bezüglich von Gerichten aufgestellter Richt- und Leitlinien, die eine Kooperation anordnen Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 419. Dies kann jedoch erst recht auf eine gesetzliche Anordnung einer Kooperation übertragen werden. 745 Es soll eine Wertmaximierung hinsichtlich der Gesamtmasse erreicht werden, Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 3 f. Der Nutzen für die insolvenzspezifischen Einzelziele wird damit allerdings verkürzt dargestellt, da eine Kooperation und Koordination – wie im Folgenden zu zeigen ist – insbesondere eine Sanierung fördert und damit neben den Gläubigern auch das Unternehmertum und die Arbeitnehmerschaft stärkt.

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Gläubigerbefriedigung.746 Dies gilt gerade in einer zentral-vertikalen Gruppe, da Entscheidungen an die bestehenden Strukturen angepasst werden müssen, damit der Wertschaffungsprozess reibungslos verläuft. Auch bei dezentral-horizontalen Gruppen können Transaktionskosten gesenkt werden, indem eine reibungslose Nutzung von Unterstützeraktivitäten gruppenweit gewährleistet wird.747 Eine Synergienutzung besitzt überdies eine herausragende Bedeutung für die Erfolgsaussichten einer Sanierung. Dies hebt ErwG 54 S. 1 EuInsVO besonders hervor. Durch eine Sanierung und damit „zweite Chance“ erfährt das Unternehmertum und infolgedessen gleichzeitig die Arbeitnehmerschaft eine Stärkung, da der Fortbestand rentabler Unternehmen ermöglicht wird und Arbeitsplätze gesichert werden.748 Selbst die Gläubiger haben ein Interesse an einer Sanierung, da hierdurch das Ziel einer bestmöglichen Gläubigerbefriedigung gestärkt wird. Ein aktivierbarer Fortführungswert749, welcher gerade bei größeren Unternehmen besteht, wäre durch die eigenständige und vom Gruppenverbund losgekoppelte Verwaltung jedes Rechtsträgers stark gefährdet.750 Der maximale Fortführungswert kann nur realisiert werden, wenn eine einheitliche und koordinierte Sanierung des ganzen Konzerns stattfindet.751 Es dürfen nicht – wie bedauerlicherweise so oft – Zerschlagung durchgeführt werden, obwohl die Zerschlagungswerte unter den Fortführungswerten liegen.752 Wird bei einer Kooperation zudem über den Tellerrand der insolventen Gruppenunternehmen hinausgeschaut und die ganze Gruppe inklusive der solventen Glieder in den Blick genommen. So trägt eine Kooperation gleichfalls dazu bei, dass die Insolvenz eines Mitglieds der Gruppe nicht die Fortführung des Betriebs anderer Mitglieder der Gruppe gefährdet. 753 Bahnt sich eine über-

746 Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 800; Eidenmüller, KTS 2009, 137, 140; Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 13; Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 54. 747 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 84; Piepenburg, NZI 2004, 231, 235. 748 Fritze, DZWiR 2007, 89, 89. 749 Unter einem aktivierbaren Fortführungswert ist die gegenüber einer Liquidation bessere Befriedigung der Gläubiger bei einer Reorganisation oder übertragenden Sanierung zu verstehen. 750 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 21; Graeber, NZI 2007, 265, 265. 751 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 83 f.; Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 800. 752 Fritze, DZWiR 2007, 89, 89. 753 Dies sollte nach der legislativen Entschließung des EP auch in die Erwägungsgründe eingefügt werden, konnte sich jedoch nicht durchsetzen, Legislative Entschließung des EP v. 5.2.2014, P7_TA(2014)0093, Änderungsantrag 10. Dennoch gilt es als sicher, dass die Vorschriften der EuInsVO zum Konzerninsolvenzrecht die Gruppenstruktur als Ganzes im Blick haben, um den größtmöglichen Effizienzgewinn zu gewährleisten.

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tragende Sanierung754 zur Maximierung der Insolvenzmasse an, ist es für deren Erfolg erforderlich, dass die zu verkaufenden Konzernteile selbst eine positive Fortführungsprognose besitzen. Diese kann allerdings nur dann gewährleistet werden, wenn eine Abstimmung mit den restlichen Gruppenteilen erfolgt. Gerade durch die finanzstarke Private Equity-Szene ist eine übertragende Sanierung eigenständiger Konzernteile sehr wahrscheinlich und erfolgsversprechend. Kooperationsvorschriften sind demnach unabdingbar für ein effizientes Konzerninsolvenzrecht. 4. Kooperationspflichten und deren Notwendigkeit Eine Kooperation kann einerseits über unverbindliche Richtlinien umgesetzt werden, welche den Verfahrensbeteiligten Handlungsanweisungen an die Hand geben, um bei deren Umsetzung die Effizienz der Verfahren zu steigern. Auf der anderen Seite können die Vorschriften als Rechtspflicht mit der gleichen Zielsetzung ausgestaltet sein. Fraglich ist, welchen Weg der europäische Gesetzgeber mit der Inklusion der Kooperationsvorschriften in die EuInsVO beschreiten wollte. Nimmt man den Wortlaut als ersten Anknüpfungspunkt ergibt sich zunächst ein uneinheitliches Bild. Art. 56 Abs. 1 EuInsVO deutet darauf hin, dass den Verwaltern unter Vorbehalt der dort aufgeführten Voraussetzungen kein Ermessensspielraum bei der Entscheidung zugebilligt wird, ob eine Kooperation überhaupt stattzufinden hat. In die gleiche Richtung tendiert Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO. Hiernach „obliegt“755 es den Verwaltern, die vorgegebenen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen. Der Normtext des Art. 57 EuInsVO ist hingegen nicht so eindeutig formuliert. Zwar lässt Art. 57 Abs. 1 S. 1 EuInsVO vermuten, dass eine Kooperationspflicht der Gerichte besteht, sobald die Voraussetzungen hierfür vorliegen, allerdings spricht Art. 57 Abs. 3 EuInsVO lediglich davon, dass eine Zusammenarbeit erfolgen „kann“ 756 . Art. 58 EuInsVO ist ebenfalls zweigeteilt. Nach Art. 58 Hs. 1 lit. a EuInsVO hat jeder Verwalter mit den Gerichten zusammenzuarbeiten, im gleichen Zuge „kann“ der Verwalter nach lit. b die Gerichte nach eigenem Ermessen um 754 Es ist zwischen dem Verkauf des Unternehmens an eine andere juristische oder natürliche Person (übertragende Sanierung) oder einer Sanierung in der Hand des ursprünglichen Schuldners (fortführende Sanierung) zu unterscheiden, Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 61; Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 15; ders., ZGR 2001, 680, 680. Bei der übertragenden Sanierung wird der Konzern als Ganzes, einzelne Konzernteile oder lediglich einzelne Konzernunternehmen verkauft und anschließend auf einen neuen Rechtsträger übertragen. Das Unternehmen bleibt faktisch bestehen, der alte Rechtsträger wird hingegen liquidiert, wodurch für die Gläubiger lediglich der Veräußerungserlös übrigbleibt. Ausführlich Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 31 ff. 755 Im Englischen “shall“ („ist verpflichtet“ als direkte Übersetzung). 756 Im Englischen „may“, im Französischen „peut être“ (jeweils „können“ als direkte Übersetzung).

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Kapitel 3: Das Konzerninsolvenzrecht der EuInsVO de lege lata

Informationen und Unterstützung ersuchen. Dieser uneinheitliche Wortlaut ist darauf zurückzuführen, dass eine pauschale Pflichtzuweisung in dem weiten Entscheidungsfeld von Kooperationsmechanismen nicht uneingeschränkt festgelegt werden kann. Ein hilfreicheres Indiz bei der Auslegungsfrage, ob es eine Kooperationspflicht gibt, liefert ErwG 52 S. 2 EuInsVO. Dieser lässt keinen Zweifel daran, dass die Verwalter und Gerichte grundsätzlich verpflichtet sind, miteinander in einen Kommunikations- und Kooperationsakt einzutreten. Bekräftigt wird diese Vermutung mit einem Vergleich zu den Kooperationsvorschriften aus Art. 31 EuInsVO a. F. Hiernach war die Kooperation im Zusammenhang mit Sekundär- und Hauptinsolvenzverfahren nach dem unmissverständlichen Wortlaut ebenfalls als Pflicht ausgestaltet. Es ist nicht ersichtlich, warum im Zusammenhang von Konzerninsolvenzen etwas anderes zu gelten hat. Fraglich ist allerdings, ob die grundsätzliche Pflicht zur Verfahrenskooperation auch unter teleologischen Gesichtspunkten gerechtfertigt ist. Die Notwendigkeit einer Verpflichtung hängt davon ab, ob sie für die Verfahrensziele – demnach die Verfahrenseffizienz – förderlich ist.757 Zwingend sollten Kooperationspflichten sein, wenn anhand eines objektiven Maßstabes „strategische, kognitive sowie strukturelle Hindernisse“758 einer freiwilligen Kooperation in Form eines integrativen Verhaltens759 im Wege stehen, eine effizientere Verfahrensabwicklung allerdings nur mit einer Kooperation herbeigeführt

757 Eidenmüller verwendet die Wertungskriterien der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit, um zu bestimmen, ob eine Koordinierungspflicht erforderlich ist, Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 23; ders., ZHR 169 (2005), 528, 551. Die Wertungskriterien gehen auf eine Analyse von Eidenmüller im Zusammenhang mit Kooperationspflichten bei außergerichtlichen Reorganisationsvorhaben zurück. Er entlehnt sie sich aus dem im deutschen Verfassungsrecht bedeutsamen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Vgl. ausführlich Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 665 ff. Diese Nähe zur Verhältnismäßigkeit ist darauf zurückzuführen, dass eine Kooperationsverpflichtung den Verpflichteten einen Zwang auferlegt, zusammenzuarbeiten. Dieser Zwang schränkt die Verpflichteten in ihren durch die nationalen Rechtsordnungen verliehenen Rechte ein, wodurch ihm eine gewisse Rechtfertigungsprüfung obliegt. Vgl. im Zusammenhang einer außergerichtlichen Sanierung Bamberger in: Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Recht der Sanierungsfinanzierung, 2005, § 16 Rn. 45 ff. Im Ergebnis liegt dem Kriterium der Erforderlichkeit eine Effizienzprüfung zugrunde. Daher werden im Folgenden einige Ansätze Eidenmüllers in den Kontext der europäischen Kooperationspflichten übertragen. Mangels Individualschutz als übergeordnetem Zweck des europäischen Konzerninsolvenzrechts spielt das Kriterium der Zumutbarkeit im vorliegenden Kontext nur soweit eine Rolle, als die Individualinteressen dem Ziel der Förderung der Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes dienlich sind. 758 Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 550 f.; in vertauschter Reihenfolge der Begrifflichkeiten ders., ZZP 114 (2001), 3, 23. 759 Mehr zum integrativen Verhalten im Zusammenhang mit der Verhandlungsanalyse und -dynamik Eidenmüller in: Breidenbach/Henssler, Mediation für Juristen, 1997, 31, 40 ff.

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werden kann. 760 Solche Hindernisse ergeben sich unter anderem aus einem Verhandlungsdilemma und dem daraus resultierenden Distributionsproblem, wenn ein sogenanntes distributives Verhalten761, das lediglich auf eine individuelle Nutzenmaximierung gerichtet ist, dazu führt, dass ein für alle Beteiligte suboptimales Gesamtergebnis erreicht wird.762 So sind Verwalter ihren eigenen Verfahrensbeteiligten gegenüber zum bestmöglichen Ergebnis verpflichtet, woraus sich unterschiedliche Interessen entwickeln können. 763 Das Streben nach dem Vorrang von individuellen Eigeninteressen könnte beispielsweise auf Basis des Art. 59 EuInsVO entstehen. Danach sind die Kosten von dem Verfahren zu tragen, in dem sie anfallen. Ohne eine Pflicht zur Kooperation ist zu vermuten, dass viele Handlungen, die zwar Kosten verursachen, allerdings keinen Nutzen für das kostentragende Unternehmen mit sich bringen, unterlassen werden würden, selbst wenn der Gesamtnutzen die Kosten bei weitem übersteigen würde. 764 Strategische Hindernisse können sich ergeben, wenn Wertschöpfungspotenziale aufgrund von Informationsdefiziten nicht erkannt werden oder eine Beteiligung von unterschiedlichsten Personen mit den divergierendsten Interessen (beispielsweise Gläubiger, Arbeitnehmervertreter, Gesellschafter sowie Berufsvertretungen) notwendig ist und dabei zunächst hohe Transaktionskosten entstehen, 765 bevor später Gewinne abgeschöpft werden können. Darüber hinaus entstehen psychologische Hindernisse durch Verlustaversionen, Akzeptanzprobleme, einen Überoptimismus, eine reaktive Abwertung oder ein Gerechtigkeitsstreben. Diese stehen einem Handeln in Form eines rational denkenden homo oeconomicus entgegen und beschwören demnach Verhandlungshindernisse herauf.766 Keine Hindernisse dürften – entgegen mancher Andeutungen767 – aus der vermeintlichen Tatsache resultieren, dass Insolvenzverwaltern scheinbare 760 Einen ausführlichen Überblick über unterschiedliche Arten von Hindernissen im Zuge eines Verhandlungsprozesses aus verschiedenen Lebensbereichen gebend Mnookin, Ohio State Journal on Dispute Resolution 8 (1993), 235 ff. 761 Mehr zum distributiven Verhalten im Zusammenhang der Verhandlungsanalyse und dynamik Eidenmüller in: Breidenbach/Henssler, Mediation für Juristen, 1997, 31, 45 ff. 762 Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 23; ders., ZHR 169 (2005), 528, 535; ausführlich zum Verhandlungsdilemma im Allgemeinen ders. in: Breidenbach/Henssler, Mediation für Juristen, 1997, 31, 49 ff.; ders., Unternehmenssanierung, 1999, S. 356 f. 763 Dies gilt insbesondere, wenn ein Verfahren auf Liquidation und ein anderes auf Sanierung gerichtet ist, eine Sanierung jedoch nur mit dem Erhalt des ganzen Konzerns erfolgreich durchgeführt werden kann. Vgl. hierzu Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 43. 764 Madaus, IILR 2015, 235, 240. 765 Dies gilt insbesondere bei informellen Gesprächen über die Aufstellung und den Inhalt von koordinierten Insolvenzplänen, siehe Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 535; im Allgemeinen ders., Unternehmenssanierung, 1999, S. 358 f. 766 Im Allgemeinen Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 359 ff. 767 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 85; Graeber, NZI 2007, 265, 267.

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Kapitel 3: Das Konzerninsolvenzrecht der EuInsVO de lege lata

Einzelkämpfer sind, welche sich gegenüber einer Kooperation verschließen. Bei größeren Verfahren, und um solche handelt es sich im Zuge einer Konzerninsolvenz immer, sind die Insolvenzverwalter gewohnt in Teams zu arbeiten, da anderenfalls die enorme Aufgabenlast nicht zu tragen ist. Außerdem ist es stetige Praxis der Insolvenzverwalter im Zuge ihrer Tätigkeit, verschiedene Interessen zum Ausgleich zu bringen. Daher handelt es sich bei Insolvenzverwaltern eher um „Teamplayer“, weshalb davon auszugehen ist, dass sie einer Kooperation mit anderen Insolvenzverwaltern grundsätzlich nicht ablehnend gegenüberstehen, sofern eine Kooperation zum Nutzen des Verfahrens ist. Wie stark das dennoch bestehende Verhandlungsdilemma ausgeprägt ist, hängt insbesondere davon ab, ob sich die Beteiligten einer einmaligen Interaktion ausgesetzt sehen oder erneut in vergleichbaren Situationen gegenüberstehen werden. Je häufiger die Interaktionen sind, desto höher ist der Anreiz, durch eine freiwillige Kooperation einem später womöglich erneut auftretenden Konfliktfall positiv vorzubeugen.768 Im Zuge eines Konzerninsolvenzverfahrens stehen sich die Beteiligten allerdings nur punktuell gegenüber. Daher werden die Beteiligten weniger mit Blick auf unwahrscheinliche zukünftige Konfliktfälle handeln, sondern eher das kurzfristige und damit eigene Interesse in den Vordergrund stellen. Ein Spannungsverhältnis zwischen integrativem und distributivem Verhalten kann sich entwickeln. Dies gilt insbesondere, da sich die zur Kooperation angehaltenen Parteien durch eine etwaige Strategie der Wertbeanspruchung wohl nicht in die Gefahrsituation von Haftungsproblematiken begeben.769 Aus dieser Tatsache entwickeln sich zwangsweise Informationsdefizite, die aufgrund des Verhandlungsdilemmas nur noch weiter vertieft werden. Von einem integrativen Verhalten mit dem Ergebnis einer maximalen Zielerreichung kann in diesen Fällen nicht ausgegangen werden.770 Im Sinne einer größtmöglichen Effizienz der Verfahren besteht jedoch das Bedürfnis, dass trotz der dargestellten Hindernisse ein Kooperationsprozess initiiert wird.771 Rechtssicherheit ist gefordert – eine Kooperationspflicht vonnöten. Nach einer Gesamtschau der Auslegungsmöglichkeiten kommt man damit zum Ergebnis, dass den Beteiligten – übereinstimmend mit dem vom europäischen Gesetzgeber gewählten Wortlaut – kein Entschließungsermessen hin768 Axelrod, The Evolution of Cooperation, 1984 S. 9; Eidenmüller in: Breidenbach/Henssler, Mediation für Juristen, 1997, 31, 51. 769 Eine Haftung käme wohl nicht in Betracht, da die Beteiligten nicht aufgrund einer Missachtung einer Pflicht gehandelt hätten, sondern lediglich aufgrund einer distributiven Verhandlungstaktik, um das Maximalergebnis zu erreichen. 770 Demnach ist Paulus zu widersprechen, der an das Vertrauen appelliert und somit „die sachnotwendige Vernunft als obrigkeitliche Order“ als koordinationsbegründend wirken lassen möchte. Vgl. Paulus, NZI 2001, 505, 515. 771 Bestehen keine Koordinationshindernisse, sind die Akteure ohnehin zu einer freiwilligen Koordination oder Kooperation bereit und können über diese auch die besten Kooperationsgewinne erzielen.

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sichtlich einer Kooperation zukommt. Sie sind dazu verpflichtet, unter Beachtung der durch das Gesetz vorgegebenen Voraussetzungen miteinander in einen Kooperationsprozess einzutreten.772 Keiner der Parteien ist es somit möglich, sich einer Kooperation vollständig zu entziehen. In der Literatur wird die Ablehnung einer solchen Rechtspflicht zur Kooperation im Zuge von Insolvenzverfahren vereinzelt mit dem Verweis auf das funktionierende System der unverbindlichen Leitlinien bei deutschen Unterhaltsansprüchen begründet.773 Dieser Vergleich geht jedoch fehl. In dem dortigen Regelungszusammenhang ist es gerade notwendig eine Entscheidung zu treffen. Die Leitlinien vereinfachen diese Entscheidungsfindung und bedeuten einen verringerten Berechnungsaufwand für die Gerichte. Bei der Kooperation im Zuge eines Insolvenzverfahrens ist Ziel der Kooperation hingegen nicht zwangsläufig eine Entlastung der Gerichte, sondern eine Effizienzsteigerung der Verfahren. Das kann und wird oftmals mit einer erhöhten Arbeitsbelastung für manche Verfahrensbeteiligten infolge der zusätzlichen Kooperationsmaßnahmen einhergehen. Dies ist jedoch gerechtfertigt, solange der erwartete Gesamtnutzen höher bewertet wird. Unverbindliche Richtlinien können lediglich die Aufmerksamkeit der Verfahrensbeteiligten hinsichtlich Kooperationsproblematiken steigern und als Handlungshilfe dienen,774 allerdings keine größtmögliche Effizienz herbeiführen. In denjenigen Fällen in denen der Normtext der EuInsVO auf einen Ermessensspielraum hindeutet, ist davon auszugehen, dass den Beteiligten durch den Gesetzgeber ein gewisses Auswahlermessen eingeräumt wird. Dies ist konsequent, da es für den Gesetzgeber nicht möglich ist, die Vielgestaltigkeit der notwendigen Kooperationsmechanismen vorauszusehen. Nur die tatsächlich Beteiligten können eine abschließende Abwägungsentscheidung treffen. Ob die einzelnen Kooperationsmaßnahmen indiziert sind, hängt vom jeweiligen Einzelfall und dessen Auswirkungen auf die Effizienz ab. Die Entscheidung wird jedoch oftmals stark gesetzlich intendiert sein. Insbesondere im Zusammenhang mit Kommunikationsfragen ist es – abgesehen von Vertraulichkeitsfragen, die jedoch aufgrund eines Vorbehalts gar nicht von einer Kooperationspflicht umfasst sein werden – eher schwer, eine Kooperation abzulehnen, 772 Im Ergebnis wird eine allgemeine Kooperationsverpflichtung von der Literatur ebenso nicht in Frage gestellt. Unter vielen Albrecht, ZInsO 2015, 1077, 1077; MüKoBGB/Kinder, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 56 Rn. 3; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 56 Rn. 9; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 12 u. 17. Solch eine Rechtspflicht für eine verbindliche Kooperation unabhängig von der konkreten Reform der EuInsVO fordernd und generell für notwendig haltend Hanisch, ZIP 1994, 1, 7; Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 44 f.; a. A. Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2396 u. 2398. 773 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 419. 774 In diesem Sinne müssen auch die „Heidelberger Leitlinien” zur Abwicklung von Insolvenzverfahren verstanden werden. Abgedruckt sind diese in NZI 2009, 593 ff.

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sodass dem Akteur faktisch die Pflicht auferlegt ist, die notwendige Maßnahme zu ergreifen.775 Grundsätzlich ist im Zuge des Auswahlermessens danach zu fragen, welcher Maßnahme die größtmögliche Effizienz zukommt. Lediglich in Fällen, in denen jeglichen Kooperationsmitteln keinerlei Erfolg beizumessen ist, kann man im Kontext des Auswahlermessens zu dem Ergebnis gelangen, dass keinerlei Kooperation stattzufinden hat. Damit ist die EuInsVO bedeutend differenzierter als das UNCITRAL-Modellgesetz. Nach Art. 25 und 26 des Modellgesetzes soll die größtmögliche Kooperation („cooperate to the maximum extent possible“) geschaffen werden. Es ist somit nicht erforderlich, dass die Kooperation im Einzelfall in dieser Form tatsächlich für eine Effizienzsteigerung notwendig ist.776 Es wird hingegen unwiderlegbar vermutet, dass ein Maximum an Kooperation den größtmöglichen Nutzen für die beteiligten Verfahren mit sich bringt. Teilweise wird gegen die Verpflichtung zur Kooperation vorgebracht, dass es zu einer verminderten Einsatzbereitschaft der Gerichte oder Verwalter komme, da sich diese bevormundet fühlten.777 Das System von Rechtspflichten, welches erschaffen wurde, um Hindernisse zwischen den Kooperationsbeteiligten abzubauen, ziehe gerade neue Barrieren ein. Um diese Bedenken aus dem Weg zu räumen, sollten die Vorschriften so ausgestaltet sein, dass sich die Kooperationspflichten nicht wie eine Obliegenheit, sondern wie eine Kompetenzerweiterung anfühlen. Genau aus diesem Grund war es wichtig, den Beteiligten neue Instrumente bereitzustellen und ein breites Ermessen bei der Auswahl der konkreten Mechanismen zu gewährleisten. Hierdurch wird ihnen die Möglichkeit eröffnet, über ergänzende Handlungsmöglichkeiten weitergehend gestaltend tätig zu werden. Erweiterte Gestaltungsoptionen fühlen sich nicht wie eine Bevormundung an. 5. Keine Kooperation mit solventen Unternehmen Zur Eröffnung des Anwendungsbereichs des europäischen Konzerninsolvenzrechts ist vorausgesetzt, dass Insolvenzverfahren im Sinne des Art. 1 EuInsVO über das Vermögen über mindestens zwei Mitgliedern einer Unternehmensgruppe im Sinne von Art. 2 Nr. 13 f. EuInsVO eingeleitet wurden. Dabei spielt es keine Rolle, wie viele Mitglieder die Unternehmensgruppe insgesamt hat.778 Allerdings ist die Pflicht zur Verfahrenskooperation nach dem Wortlaut der Im Ergebnis ebenso Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 666. UNCITRAL Model Law on Cross-Border Insolvency v. 15.12.1997, Rn. 218; vgl. Ehricke in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, 2008, 127, 165; Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 26 f.; Vallender, IILR 2011, 309, 311; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 286 f. 777 Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2398. 778 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 9. 775

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Verordnung lediglich auf die Beteiligten der insolventen Gruppenmitglieder beschränkt.779 Zunächst solvente Mitglieder der Unternehmensgruppe, welche nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in die Insolvenz fallen, befinden sich ab dem Zeitpunkt, in welchem ein Insolvenzverfahren im Sinne des Art. 1 EuInsVO eingeleitet wurde, ebenso in dem Anwendungsbereich der Vorschriften zur Verfahrenskooperation.780 Demnach sind neben Simultan- auch Sukzessivinsolvenzen von dem Anwendungsbereich umfasst. Dies ist praxisgerecht. Es ist zwar durchaus möglich, dass mehrere Unternehmen eines Konzerns gleichzeitig in die Insolvenz fallen, dennoch besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Gruppenunternehmen im Sinne eines Dominoeffekts sukzessive Insolvenz anmelden müssen. Nach dem eindeutigen Wortlaut können solvente Unternehmen nicht an einer Kooperation partizipieren, da die Vorschriften der EuInsVO nur dann zur Anwendung gelangen, wenn über die Unternehmen bereits Insolvenzverfahren eröffnet wurden. Lediglich wenn das insolvente Unternehmen auch im Insolvenzfall eine „Leitungsmacht“ über Töchter innehat, kann der bestellte Verwalter diese gebrauchen, um die Unternehmen in das Verfahren einzubeziehen.781 Dies ist ein deutliches Manko, da ein Insolvenzverfahren, insbesondere im Zusammenhang einer Sanierung, nur dann erfolgreich durchgeführt werden kann, wenn alle relevanten Unternehmen der Gruppe in die Kooperation einbezogen werden können. Eine freiwillige Zusammenarbeit mit den solventen Gruppenmitgliedern ist lediglich außerhalb der Vorschriften des europäischen Konzerninsolvenzrechts möglich, wenn das jeweils anwendbare nationale Insolvenz- bzw. Gesellschaftsrecht solch eine Abstimmung für zulässig erklärt.782 Eine Abstimmung ist von allen Verfahrensbeteiligten anzustreben. Die Bereitschaft der solventen Unternehmen an einer Kooperation teilzunehmen, sollte allerdings immer vorhanden sein. Es müsste ein Interesse daran bestehen, den durch das eröffnete Insolvenzverfahren verlorenen Zugriff auf das Gruppenunternehmen zumindest teilweise wiederherzustellen und damit auf den erfolgreichen Abschluss der Insolvenzverfahren zum Wohle der ganzen Gruppe hinzuwirken.

779 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 56 Rn. 17; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 10 mit Verweis auf die Parallelproblematik im Rahmen der Reform des deutschen Konzerninsolvenzrechts. Siehe hierzu BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drs. 18/407, S. 17. 780 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 10. 781 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 56 Rn. 17. 782 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 10.

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6. Kooperation unter Einbeziehung von Sekundär- bzw. Partikularinsolvenzverfahren Fraglich ist, ob die Kooperationsvorschriften aus Art. 56–60 EuInsVO lediglich auf horizontaler Ebene zwischen den Hauptinsolvenzverfahren der Unternehmensträger einer Unternehmensgruppe ihre Wirkung entfalten oder ob sie darüber hinaus auch zwischen den Beteiligten des Hauptinsolvenzverfahrens eines Gruppenunternehmens und dem Sekundär- bzw. Partikularinsolvenzverfahren eines anderen Gruppenunternehmens in diagonaler Form anzuwenden sind. Der Wortlaut der Vorschriften nimmt keine Differenzierung vor,783 während die Kooperationsvorschriften bezüglich Sekundärinsolvenzverfahren ausdrücklich nur auf Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren über das Vermögen desselben Schuldners Anwendung finden. Gegen eine gekreuzte Kooperation spricht, dass die ohnehin schon beachtliche Komplexität eines Konzerninsolvenzverfahrens noch weiter verkompliziert werden würde.784 Darüber hinaus könnte das Hauptinsolvenzverfahren seine Aufgabe als leitendes Verfahren nicht vollumfänglich wahrnehmen, da es teilweise den Zugriff auf das Handeln des Sekundärinsolvenzverfahrens verlieren würde. Mit Blick auf die Ratio des Normenkomplexes ist es jedoch evident, dass eine Kooperation nicht nur zwischen den Hauptinsolvenzverfahren stattzufinden hat, sondern auch auf Sekundär- und Partikularverfahren zu erweitern ist. Es wäre paradox, wenn das rechtlich auf eigene Beine gestellte Sekundär- bzw. Partikularinsolvenzverfahren nicht mit dem Hauptinsolvenzverfahren eines anderen Unternehmens derselben Unternehmensgruppe in Einklang gebracht werden könnte und so die Verfahrenseffizienz einer Kooperation erheblich geschmälert wäre. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Sekundär- bzw. Partikularinsolvenzverfahren über den Großteil der zum Unternehmen gehörenden Vermögensmassen eröffnet werden würde. 785 Eine Kooperation soll nicht den verfahrensökonomisch schädlichen Umweg über das Hauptinsolvenzverfahren mit anschließender Anwendung der Art. 44 ff. EuInsVO nehmen müssen. Ein Missbrauch des Rechts aus Art. 60 EuInsVO ist nicht zu befürchten,786 da die Aussetzung der gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Die Einbeziehung von Sekundärinsolvenzverfahren in die Vorschriften der allgemeinen Verfahrenskooperation bedeutet jedoch nicht, dass der Sekundärinsolvenzverwalter bei Entscheidungen keine Rücksprache mit „seinem“ Hauptinsolvenzverwalter zu halten hat. Eine Reumers, ECFR 2013, 554, 579 f. Anders noch in den Gesetzesmaterialien COM(2012) 744 final (DE), S. 5; SWD(2012) 416 final (EN), S. 33, 47. 784 Die Anzahl der bilateralen Verhältnisse würde mit weiteren Einzelverfahren überproportional steigen, Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 590. 785 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 590; a. A. Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 56 Rn. 13. 786 So jedoch Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 56 Rn. 13. 783

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Abstimmung zwischen diesen Verfahren hat weiterhin stattzufinden. Eine Kooperation darf jedoch nur dann durchgeführt werden, wenn keine das ganze Unternehmen betreffenden oder richtungsweisenden Belange von der Kooperation betroffen sind. Bei solchen Angelegenheiten sollte die Kooperation von dem Hauptinsolvenzverfahren zentral gesteuert werden, damit dieses seiner Leitungsfunktion gerecht und ein einheitliches Handeln gewährleistet werden kann. Bei einem Partikularinsolvenzverfahren ist eine vollumfängliche direkte Kooperation hingegen anzunehmen, da es kein Hauptinsolvenzverfahren gibt, welches als Mittler fungieren kann.787 Eine gekreuzte Kooperation muss demnach umfassend möglich sein.788 Des Weiteren ist fraglich, ob auch die Verwalter und Gerichte der Sekundärbzw. Partikularinsolvenzverfahren verschiedener Gruppenunternehmen untereinander in eine Kooperation oder Koordination gem. Art. 56–60 EuInsVO eintreten können. Dies ist mit Verweis auf die Verfahrensökonomie – allerdings unter den gleichen Einschränkungen hinsichtlich der leitenden Funktion der (potenziell bestehenden) Hauptinsolvenzverfahren – zu bejahen.789 Nicht davon umfasst ist die Situation, dass zwei oder mehrere Sekundärinsolvenzverfahren des gleichen Hauptinsolvenzverfahrens miteinander kooperieren wollen. Mangels eines schuldnerübergreifenden Elements können die Konzerninsolvenzverfahrensvorschriften in diesem Fall nicht herangezogen werden. Stattdessen sollte in analoger Weise Rückgriff auf die Vorschriften der Art. 41 ff. EuInsVO genommen werden,790 wobei nur diejenigen Vorschriften anzuwenden sind, die nicht an das Subordinationsverhältnis von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren anknüpfen. II. Zusammenarbeit und Kommunikation der Insolvenzverwalter 1. Kooperationszeitraum Der Normtext des Art. 56 EuInsVO gibt den Beginn der Kooperationspflichten zwischen den Verwaltern – entgegen dem klar geregelten Kooperationszeitraum in Art. 57 Abs. 1 EuInsVO791 – nicht vor. Die Pflicht zur Kooperation 787 Falls im Zusammenhang eines Partikularinsolvenzverfahrens die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens unmittelbar bevorsteht und das ganze Unternehmen betreffende oder richtungsweisende Belange abgesprochen werden müssen, sollte die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens abgewartet werden. 788 In diesem Sinne auch Thole, ZEuP 2014, 39, 69. 789 Diesen Kooperationsnutzen, allerdings nur zwischen Sekundärinsolvenzverfahren eines Schuldners, schon vor der Reform hervorhebend Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 237 f. 790 Zur alten Rechtslage Ehricke, WM 2005, 397, 398 f.; ders. in: Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, 2008, 127, 135; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 253. 791 Die ausdrückliche Festlegung des ausgedehnten Kooperationszeitraums in Art. 57 EuInsVO ist darauf zurückzuführen, dass im dortigen Kontext einer frühen Kooperation,

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kann entweder mit der Einsetzung der Verwalter durch die Gerichte oder aber erst mit der Eröffnung der Verfahren nach dem jeweiligen nationalen Verständnis entstehen. Ein Auslegungshinweis ergibt sich systematisch aus Art. 1 Abs. 1 EuInsVO. Danach gelten die Vorschriften der EuInsVO für öffentliche Gesamtverfahren einschließlich vorläufiger Verfahren, die auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen zur Insolvenz stattfinden und in denen zu Insolvenzverfahrenszwecken dem Schuldner die Verfügungsgewalt über sein Vermögen ganz oder teilweise entzogen und ein Verwalter bestellt wurde.792 Es wird klargestellt, dass die EuInsVO im Generellen auch das Stadium zwischen der Antragstellung und der Eröffnung der Verfahren im nationalen Sinne in ihre Regelungsbereiche mit einbeziehen möchte.793 In diesem Sinne gelten nach Anhang B der EuInsVO auch vorläufige Insolvenzverwalter als Verwalter gem. Art. 2 Nr. 5 EuInsVO.794 Die Ausführungen stehen im Einklang mit der Entscheidung des EuGH in Sachen Eurofood, wonach eine „Eröffnung“ im Sinne des Art. 16 EuInsVO a. F. bereits mit Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters vorliegt.795 Das Konzerninsolvenzrecht strebt nach effizienten Verfahren, wofür es Kooperationsvorschriften bedarf, die zeitlich ausgedehnt anzuwenden sind, sodass zu jedem Verfahrenszeitpunkt sichergestellt ist, dass die nötigen Maßnahmen im Interesse der Gruppe eingeleitet werden können. Art. 56 EuInsVO ist damit ab dem Zeitpunkt der Bestellung des Verwalters oder des vorläufigen Insolvenzverwalters anzuwenden.796 Mit Abschluss der Insolvenzverfahren endet auch die Anwendbarkeit der Kooperationsvorschriften. Wird das Insolvenzverfahren mit einer Liquidation beendet, ist eine weiterführende Kooperation nicht mehr nötig. Kommt es zu einer übertragenden Sanierung des Unternehmens, fällt dieses ebenso aus dem Anwendungsbereich der Verfahrenskoordination heraus. Auch eine faktische Kooperation ist nahezu ausgeschlossen, da der Erwerber kein Interesse daran haben wird, sich mit der alten, noch kriselnden Gruppe abzustimmen. Wird das insbesondere im Zusammenhang mit der Abstimmung hinsichtlich der Bestellung der Verwalter, eine erhebliche Relevanz zukommt (siehe hierzu S. 286 f.). Ein systematischer Schluss hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Art. 56 EuInsVO kann hieraus nicht gezogen werden. 792 Danach ist auch das deutsche vorläufige Insolvenzverfahren – unabhängig von der Bestellung eines „starken“ oder „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters – ein Insolvenzverfahren im Sinne der EuInsVO, J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, Art. 1 Rn. 24. 793 Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Eröffnung eines Insolvenzverfahrens“ im Sinne der EuInsVO siehe S. 286 f. 794 Dies gilt auch für das Antragsverfahren und den vorläufigen „starken“ Verwalter des deutschen Rechts nach § 22 Abs. 1 S. 1 InsO, Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 35. 795 EuGH Urt. v. 2.5.2006, Eurofood IFSC, C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281, Rn. 45 ff. 796 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 10; Wimmer, DB 2013, 1343, 1345; ders., jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1.

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Unternehmen saniert und von dem ursprünglichen Schuldner im gleichen Rechtsträger weitergeführt, ist eine fortdauernde Kooperation mit den anderen noch insolventen Unternehmen, die weiterhin zum gleichen Gruppenverbund gehören, zwar faktisch möglich und sogar angezeigt, hierfür bedarf es allerdings individuell vereinbarter Absprachen. 2. Voraussetzungstrias a) Erleichterung der wirksamen Abwicklung der Verfahren Der europäische Gesetzgeber legt als Voraussetzung für die Kooperationspflicht der Verwalter fest, dass die Kooperation eine Erleichterung der wirksamen Abwicklung der Verfahren mit sich zu bringen hat. „Wirksam“ ist mit Blick auf die anderen Sprachfassungen und zur Vermeidung von Missverständnissen als „effektiv“ zu verstehen.797 Effektiv ist das Insolvenzverfahren, wenn Maßnahmen getroffen werden, die zum höchstmöglichen Maß der Zielerreichung führen. Damit soll abgesichert werden, dass die Kooperation tatsächlich in vollem Umfang der Effizienzförderung und damit den Zielen der EuInsVO dienlich ist. Hierbei ist allerdings noch keine abschließende Wertung darüber getroffen, ob die Kooperationsmaßnahmen tatsächlich einzuleiten sind. Es werden lediglich die Voraussetzungen geregelt. Wenn eine Auswertung ergibt, dass eine Kooperation aus verfahrensökonomischen Gründen nicht angezeigt ist, beispielsweise wenn eine Restrukturierung keinen Nutzen mit sich bringen würde, ist eine Kooperation zu unterlassen. 798 Werden die Verfahren durch eine Maßnahme zwar beschleunigt, sind die Kooperationskosten allerdings exorbitant hoch, ist in einem zweiten Schritt im Rahmen des konkreten Auswahlermessens nach wie vor eine umfassendere Effizienzanalyse vorzunehmen. Diese ist nicht ausschließlich auf eine isolierte Betrachtung der Verfahrensökonomie verdichtet. Eine Kooperationspflicht kann sich demnach nur in Teilbereichen entfalten, in denen eine Erleichterung der Verfahren zu erwarten ist. Dies bedeutet, dass andere Zweckerwägungen nicht kooperationsbegründend wirken können, sofern die Verfahrensökonomie hierdurch nicht gefördert wird, selbst wenn eine umfassende Effizienzanalyse positiv ausfallen würde. Eine derartige Konstellation kann beispielsweise entstehen, wenn ein Informationsaustausch zwischen den Verwaltern zwar keine positiven Auswirkungen auf die Abwicklung des Verfahrens mit sich bringt, eine Informationsübermittlung allerdings Dritten (beispielsweise Gläubigern) für weitergehende individuelle, außerhalb des Verfahrens liegende Zwecke nützlich ist. Diese Maßnahme wäre verfahrensökonomisch neutral, für die Gläubigerinteressen hingegen förderlich, wodurch Siehe hierzu schon zuvor Fn. 43. Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 56 Rn. 7; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 27. 797

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unter anderem der europäische Kapitalmarkt gestärkt werden würde. Wenngleich keine Pflicht zur Kooperation begründet werden kann, sollte den Verwaltern dennoch offenstehen, im Zuge ihres breiten Ermessens eine Kooperation einzuleiten. b) Vorbehalt der nationalen Vorschriften Den Verwaltern werden durch die nationalen Rechtsordnungen gewisse Befugnisse zugestanden, in deren Rahmen sie ihren Verwaltertätigkeiten nachgehen können. Für weitergehende Befugnisse ist eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich, welche die nötigen Kompetenzen bereitstellt. Reichen die Vorschriften der EuInsVO hinsichtlich einer Kooperation über die nationalen Kooperationsvorschriften hinaus, wirken sie für die Verwalter für alle dort aufgeführten Formen der Kooperation kompetenzbegründend. Die EuInsVO stellt damit sicher, dass die Voraussetzungen für eine Kooperation geschaffen sind und die Verwalter in der jeweiligen Form tätig werden können. Eingeschränkt werden die Vorgaben des europäischen Rechts allerdings durch einen sich selbst auferlegten Vorbehalt der nationalen Vorschriften. Für die Bestimmung der tatsächlichen Reichweite der Kooperationsmöglichkeiten sind damit die anwendbaren Rechte der jeweiligen Insolvenzgerichte und die dort aufgestellten Voraussetzungen in den Blick zu nehmen.799 Erst unter Berücksichtigung dieser Anforderung wird ersichtlich, wie weit die Vorschriften der EuInsVO tatsächlich kompetenzerweiternd wirken. Der Terminus „Vorschriften“ ist weit auszulegen, weshalb auch Vorschriften und Leitlinien von Berufsorganisationen, welchen sich die Insolvenzverwalter gegenüber verpflichtet haben, kooperationseinschränkend zu berücksichtigen sind.800 Allerdings sollten die nationalen Rechtsordnungen, welchen die agierenden Verwalter unterworfen sind, einen Handlungsspielraum zum kooperativen Verhalten zur Verfügung stellen. Anderenfalls wären die durch die EuInsVO vorgegebenen Kooperationsmechanismen vollständig wertlos. Eine Rechtsordnung, welche die Kooperationsvorschriften der EuInsVO für vollständig gegenstandslos erklären würde, verstieße womöglich gegen den Grundsatz des effet utile, da die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 3 UAbs. 3 EUV alle Mittel zu ergreifen haben, um die Verwirklichung der Ziele der Union zu gewährleisten. 801 Die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts darf nicht negativ Rechtsvergleichende Analysen werden im Kontext dieser Arbeit zwar nicht durchgeführt, allerdings soll im Folgenden dargestellt werden, in welchen Zusammenhängen es wahrscheinlich ist, dass Kompetenzfragen relevant werden können und welche Rolle die Vorschriften der EuInsVO in dem Kompetenzgefüge spielen. 800 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 56.20; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 28. 801 Mit dem hierarchischen Vorrang des Europarechts argumentierend Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 16. 799

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beeinträchtigt werden. Demnach sollte jeder Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht ein grundsolides Fundament an Kooperationsmaßnahmen zur Verfügung stellen. Ein Vorbehalt gelangt erst dann zur Anwendung, wenn das nationale Recht zwingendes Recht enthält, den Verwaltern somit kein Ermessensspielraum hinsichtlich ihrer konkreten Handlungsentscheidungen obliegt. 802 Zwingendes Recht ist dann gegeben, wenn der Umfang der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmacht des Einzelnen eingeschränkt wird, sodass der Regelungsbereich seiner Disposition entzogen ist.803 Bevor eine nationale Vorschrift im Zusammenhang der EuInsVO kooperationseinschränkend wirken kann, muss somit nachgewiesen werden, dass ihr ein zwingender Normgehalt zugrunde liegt, von dem nicht abgewichen werden darf. Ein Verwalter kann sich demnach nicht allein auf ein vermeintliches Schweigen der nationalen Vorschriften hinsichtlich Kooperationspflichten berufen und unter Verweis auf den Vorbehalt der EuInsVO die nötigen Kooperationsmaßnahmen ablehnen. Überdies muss darauf geachtet werden, dass es sich bei den Vorbehalten um konkrete nationale Vorgaben mit erga omnes-Wirkung handelt. Der Verwalter hat sich zu jeder Zeit des Verfahrens und bei jeder Handlung im Zusammenhang des Verfahrens an diese Vorschriften zu halten. Nicht zu berücksichtigen sind demnach Vorgaben, die nur inter partes gegenüber bestimmten Verfahrensbeteiligten gelten und somit lediglich das Innenverhältnis zwischen ihnen und dem Verwalter betreffen. Ein Verstoß gegen diese Pflichten wird von dem nationalen Recht zumeist lediglich mit einer Haftung sanktioniert, ohne ein allgemeines Handlungsverbot auszusprechen. Wenn schon das nationale Recht keine Auswirkungen auf das Außenverhältnis vorsieht, sind solche auch im europäischen Kontext nicht anzunehmen. Die Handlungsfähigkeit des Verwalters wäre über Gebühr eingeschränkt und die Zwecke der europäischen Kooperationsvorschriften könnten nicht zur Geltung gelangen. Damit kann nicht ohne nähere Prüfung aus jeder an die Insolvenzverwalter gerichteten nationalen Vorgabe eine generelle Beschränkung der Kooperationsvorschriften der EuInsVO hergeleitet werden.804 Zum Teil wird von der Literatur verlangt, dass der Vorbehalt zur Gänze gestrichen wird. 805 Das Europarecht solle verbindliche Vorgaben machen, die nicht durch die nationalen Gesetzgeber wieder ausgehöhlt werden können. Dafür spreche Art. 60 EuInsVO im Zusammenhang mit dem Aussetzungsrecht des Verwalters, bei dem dieser Weg konsequent gegangen wurde.806 Es besteht 802 Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 19; Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 238. 803 Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des BGB, 10. Aufl. 2012, § 3 Rn. 11. 804 Ausführlich zum Pflichtenkanon des Insolvenzverwalters Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 240 ff. 805 Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 15 f. 806 Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 15 f.

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allerdings ein Unterschied zwischen der Regelungsmaterie der Art. 56–58 EuInsVO und des Art. 60 EuInsVO. Der Vorbehalt der nationalen Vorschriften existiert aufgrund der Tatsache, dass die Mitgliedstaaten meist eine ausgereifte und kohärente nationale Insolvenzrechtsordnung besitzen, welche sich über einen langen Zeitraum entwickelt hat, in sich geschlossen ist und daher einen stimmigen Rahmen für das Verwalterhandeln vorgibt. Würde der europäische Gesetzgeber vorbehaltlose Kooperationsregelungen erlassen und damit keine Rücksicht auf die Eigenarten der nationalen Rechtsordnungen nehmen, würden die nationalen Regelungssysteme aufgebrochen und damit anfällig für Umgehungsmöglichkeiten werden. Das Aussetzungsrecht aus Art. 60 EuInsVO ist hingegen nur eine Art Annexrecht zu den Kooperationsregelungen aus Art. 56– 58 EuInsVO und kann daher ausschließlich in dem europäischen Regelungszusammenhang relevant werden. Die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten können somit diesbezüglich keine unmittelbaren Vorgaben enthalten, wodurch im Umkehrschluss ein vorbehaltlos gewährtes Aussetzungsrecht auch nicht dazu führen kann, dass die kohärenten Insolvenzordnungen der Mitgliedstaaten durch europäische Vorgaben beeinträchtigt werden. Das Risiko, dass die Mitgliedstaaten über ihre nationale Rechtsordnung das Recht aus Art. 60 EuInsVO im Nachhinein beschneiden könnten, wäre überdies zu hoch, sodass der europäischen Gesetzgeber das Aussetzungsrecht bewusst nicht unter den Vorbehalt der Mitgliedstaaten stellen wollte. Darüber hinaus ist das Recht nicht vollständig vorbehaltlos gewährleistet, sondern steht nach Art. 60 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO unter dem Genehmigungsvorbehalt des Gerichts, welches das auszusetzende Verfahren eröffnet hat, wodurch ein willkürliches Handeln der Verwalter vermieden wird. 807 Die unterschiedliche Behandlung der Art. 56–58 EuInsVO und Art. 60 EuInsVO ist somit gerechtfertigt. aa) Inhaltliche Anforderungen (1) Berücksichtigung nationaler Insolvenzverfahrenszwecke Betrachtet man den Insolvenzverwalter in seiner funktionalen Stellung, welche durch die jeweilige nationale Rechtsordnung ausgefüllt wird, erfährt eine Kooperationsmaßnahme auf Basis der EuInsVO gerade dann eine Einschränkung, wenn sie den Zwecken der nationalen Insolvenzordnungen zuwiderläuft. 808 Damit finden die verschiedenartigen Zwecke der nationalen Insolvenzordnungen809 über das Einfallstor des Vorbehalts der nationalen Vorschriften Einzug Hierzu mehr auf S. 323 ff. In Bezug auf die Kompetenz eines Verwalters bei innerdeutschen Insolvenzverwaltungsverträgen Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 185; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 14.09 u. 15.06. Dies ist allerdings auf alle durch die EuInsVO verliehenen Kompetenzen, in denen ein Vorbehalt der nationalen Vorschriften eingefügt wurde, übertragbar. 809 Siehe zu den nationalen Zwecken Fn. 29. 807

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in die allgemeinen europäischen Kooperationsvorschriften.810 Den Verwaltern wird allerdings in der Regel ein großer Ermessensspielraum im Zuge seiner Tätigkeit zukommen. Die Einsetzung der Verwalter erfolgt gerade aufgrund ihrer Sachnähe und Kompetenz, wodurch nicht ohne Weiteres alle Maßnahmen in Frage zu stellen sind, die nicht von vornhinein im Interesse der nationalen Rechtsordnung liegen. Das Ermessen der Verwalter soll von einer zu weitgehenden Zweckmäßigkeitskontrolle der Gerichte freigehalten werden.811 Daher führt nicht jede unzweckmäßige Maßnahme gleich zu einem Handlungsverbot mit erga omnes-Wirkung. Eine Kooperation der Verwalter wird zumeist nur dann scheitern, wenn eine evidente Zweckwidrigkeit ersichtlich ist. 812 Eine Maßnahme, die lediglich das Potenzial hat, unzweckmäßig zu sein, dies jedoch nicht von Anfang an in offensichtlichem Maße ist, ist entweder aufgrund des Ermessensspielraum der Verwalter gerechtfertigt oder führt lediglich zu einer Haftung der Verwalter gegenüber den Gläubigern813 und nicht zu einem generellen Handlungsverbot. Wenngleich der europäische Gesetzgeber durch die Einführung des Vorbehalts der nationalen Rechtsordnungen sein Effektivitätsanspruch im Bereich der allgemeinen Verfahrenskooperation zurückgenommen hat, sollte die einschränkende Wirkung der nationalen Zwecksetzungen im Zusammenhang von Koordinationsmaßnahmen immer im Lichte der EuInsVO und einer unionsfreundlichen Auslegung bestimmt werden, um den Grundsatz des effet utile bestmöglich zu wahren. Im Folgenden soll – vornehmlich unter exemplarischer Betrachtung der Zwecke der deutschen Insolvenzordnung – ein Einblick darüber gegeben werden, in welchem Ausmaß die nationalen Zwecke die Kooperationsvorschriften der EuInsVO begrenzen können: In vielen Rechtsordnungen ist das Gebot der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung eine der zentralen Zweckanforderungen. In Konflikt mit den europäischen Kooperationsvorschriften kann diese Voraussetzung insbesondere kommen, wenn Massegegenstände nicht so einer Verwertung zugeführt werden, wie sie in einem unkoordinierten Verfahren normalerweise hätten

810 In diesem Sinne auch BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drs. 18/407, S. 18. 811 In Bezug auf das Ermessen des Verwalters im deutschen Verfahren Jahntz/FK-InsO, 8. Aufl. 2015, § 58 Rn. 5; HK-InsO/Riedel, 8. Aufl. 2016, § 58 Rn. 3; Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 215. 812 Im deutschen Recht muss die Maßnahme des Verwalters unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten für jeden verständigen Menschen offensichtlich mit dem Zweck des Insolvenzverfahrens unvereinbar sein, siehe hierzu BGH ZIP 1983, 589, 590; BGH NJW 1994, 323, 326; OLG Celle ZIP 1984, 471, 472; OLG Düsseldorf ZIP 1995, 55, 56; ausführlich Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 177 ff. u. 208 ff. 813 So noch vor der Reform im Zusammenhang von nationalen Insolvenzverwaltungsverträgen im deutschen Recht Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 19.

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verwertet werden können814 oder Verträge nicht in der Art erfüllt werden, wie ursprünglich vereinbart, 815 und daraus eine Masseverkürzung resultiert. Solange noch die Möglichkeit besteht, dass die Zwecke zumindest am Rande Berücksichtigung finden, kann allerdings nicht von einer evidenten Zweckverfehlung gesprochen werden.816 Gerade in der Insolvenz einer Unternehmensgruppe kann es überdies zu einem Antagonismus zwischen der Kooperationsverpflichtung der Verwalter und dem Gebot der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung kommen. Dieses Gebot in Bezug auf die Gläubiger eines Verfahrens ist zentrales Wesensmerkmal der Verteilungsordnung der Insolvenzverfahren der meisten Mitgliedstaaten. Auf Grund der wirtschaftlichen Austauschgeschäfte, welche die Gruppenunternehmen gerade wegen ihrer faktischen und wirtschaftlichen Einheit miteinander pflegen,817 und den konzernrechtlichen Ansprüchen, die in einer Konzernstruktur entstehen,818 ergibt es sich, dass die insolventen Gruppenunternehmen nicht nur Kooperationspartner im Sinne des Art. 56 EuInsVO, sondern gleichzeitig auch gegenseitige Gläubiger sind. Kooperationsabsprachen zwischen den Verwaltern dieser Gruppenunternehmen können ohne Weiteres die Folge haben bzw. sind oftmals sogar konkret darauf ausgerichtet, das andere Gruppenunternehmen zu bevorzugen, um daraus selbst Vorteile – beispielsweise bei einer Gesamtsanierung – zu ziehen. Darüber hinaus können die Gruppenunternehmen auch Absprachen zum Vorteil eines gemeinsamen Gläubigers treffen.819 Gerade in einer Konzernstruktur ist dies nicht unwahrscheinlich, da ein Geschäftspartner oftmals mit mehr als einem Gruppenunternehmen geschäftliche Beziehungen pflegt. Es können beispielsweise zweifelhafte ForderWittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 211. Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 19. 816 Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 214 f. 817 Ehricke, DZWIR 1999, 353, 356. 818 Zu erwähnen sind insbesondere Verlustausgleichsansprüche, die aus einem Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag resultieren, sowie Ausgleichs- und Schadensersatzansprüche, die dem beherrschten Unternehmen aufgrund eines nachteiligen Handelns des herrschenden Unternehmens zustehen. Im deutschen Recht ergeben sich diese gesetzlich begründeten Ansprüche aus § 302 AktG bzw. §§ 311, 317 AktG, Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 32.11; Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 219. Wenngleich die Ausgleichsverpflichtung nach § 302 AktG mit dem Insolvenzfalle automatisch endet oder gekündigt wird, ist ein Verlust eines vor der Auflösung abgeschlossenen Geschäftsjahrs auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bilanzmäßig festzustellen und voll in die Insolvenzmasse der Tochtergesellschaft auszugleichen. Für den Verlust des laufenden Geschäftsjahres ist ein Rumpfgeschäftsjahr mit Schlussbilanz der werbenden Gesellschaft zu bilden und ebenso der Insolvenzmasse der Tochtergesellschaft zuzuführen. Vgl. Hirte in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, § 11 InsO Rn. 400 f. 819 Kooperationsabsprachen zum Vorteil eines Dritten, der keine Gläubigerstellung gegenüber dem Schuldner einnimmt, sind in Bezug auf das Gebot der Gläubigergleichbehandlung hingegen unproblematisch. 814

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ungen des Gläubigers unwidersprochen in die Tabelle eines Verfahrens aufgenommen, dafür im anderen Verfahren ein Forderungsverzicht ausgesprochen oder nötige Finanzierungshilfen in Anspruch genommen werden.820 In Bezug auf Sanierungsbemühungen erscheinen diese Maßnahmen zwar oftmals zweckmäßig, hinsichtlich des Gebotes der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung jedoch äußerst problematisch. Die nationale Verteilungsordnung wird durch die Kooperation missachtet, indem die Verteilungsquote in Bezug auf manche Gläubiger negativ beeinflusst wird. Das Gebot ist zumeist als ein fester Grundsatz der nationalen Insolvenzordnungen ausgestaltet, welcher nicht flexibel handhabbar ist.821 Ein Ermessensspielraum wird den Verwaltern dabei tendenziell nicht zugebilligt.822 Leitet ein Verwalter dennoch die Maßnahmen ein, verstößt er gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung. Solch eine Kooperation ist nicht vereinbar mit dem Vorbehalt der nationalen Vorschriften und damit unwirksam. Die Handlungsmöglichkeiten der Kooperationsbeteiligten sind hierdurch erheblich eingeschränkt. Der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung kann nur durch eine tatsächliche Kompensation der negativ betroffenen Gläubiger gewahrt werden. Dies stellt die Verwalter nicht nur vor erhebliche praktische Herausforderungen, da die genauen Auswirkungen auf die Verteilungsordnung oftmals nicht ohne Weiteres ersichtlich und somit schwer bestimmbar und ausgleichbar sind. Eine Kompensation führt auch den Sinn der Kooperationsmaßnahme ad absurdum. Eine Kooperation ist in diesen Fällen gerade darauf ausgerichtet, gewissen Gläubigern einen Vorteil zu verschaffen.823 Kann eine Besserstellung monetär nicht gemessen werden, ist ein Ausgleich sogar unmöglich. Ganz in diesem Sinne spricht sich Art. 59 EuInsVO hinsichtlich der Kosten- und daraus ableitbaren Wertbeanspruchungsfrage im Grundsatz gegen Kompensationen aus. 824 Die Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 226. Die Quote ist in Verfahren nach deutschem Recht schon dann negativ beeinträchtigt, wenn der Kooperationspartner einen irgendwie gearteten wirtschaftlichen Vorteil erlangt. Dies kann sehr weitreichend sein, da ein wirtschaftlicher Vorteil des Kooperationspartners schon dann gegeben ist, wenn zum Beispiel einer vorgebrachten Forderung nicht widersprochen wird, obwohl diese strittig sein könnte oder wenn tatsächlich nicht bestehende Zurückbehaltungsrechte nicht bestritten werden. Ausführlich m. w. N. und Beispielen Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 220 f. 822 Ein Verstoß gegen das Gebot der Gläubigergleichbehandlung ist im deutschen Recht ohne Weiteres evident zweckwidrig und hat demnach zur Folge, dass die Kooperationshandlungen unwirksam sind, Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 221. So auch die deutschen Gerichte RGZ 57, 195, 199 f.; BGH ZZP 1955, 35, 37; BGH WM 1974, 1218, 1218 f.; OLG Düsseldorf ZIP 1995, 1100, 1101. 823 Keine Besserstellung eines Gläubigers liegt hingegen vor, wenn der Verwalter lediglich seinen Informationspflichten gegenüber den anderen Gruppenunternehmen nachkommt, ohne dass hierdurch ein wirtschaftlicher Vorteil gewährt wird, Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 221. 824 Siehe hierzu mehr auf S. 330 ff. 820

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nationalen Rechtsordnungen sehen allerdings oftmals Ausnahmen im Zusammenhang von Insolvenzplänen vor, da ohne punktuelle Vorteile für einzelne Gläubiger Sanierungsmaßnahmen nicht erfolgsversprechend sein werden. 825 Es bedarf demnach der Initiative der Verwalter diese nationalen Spielräume aufzuzeigen und die nötigen Kooperationsmaßnahmen hieran anzupassen. Da eine Kooperation in vielen Fällen losgelöst von einer Sanierungskoordination nötig werden wird, ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass Konflikte zwischen dem Gebot der Gläubigergleichbehandlung und den Koordinationsmaßnahmen entstehen, welche den Vorbehalt der nationalen Vorschriften auslösen. Ob dies vom europäischen Gesetzgeber so intendiert war, ist eher anzuzweifeln. (2) Postulat der persönlichen Amtsführung Bei der Durchführung der Verwaltung wird an die Verwalter in den meisten Rechtsordnungen die Anforderung gestellt, dass sie ihre Aufgaben persönlich zu vollziehen haben. Sie können sich zwar Hilfspersonen bedienen, solange der Vorgang der Willensbildung bei den Verwaltern selbst verbleibt und nicht ausgelagert wird.826 Eine vollständige Übertragung ihrer Entscheidungskompetenzen an Dritte ist jedoch nicht erlaubt. Die strikten Anforderungen an die Verwalter sind auf die Tatsache zurückzuführen, dass sie gerade aufgrund besonderer persönlicher Anforderungen an ihr fachliches Qualifikationsniveau sowie ihre Unabhängigkeit in Bezug auf die Verfahren ausgewählt wurden.827 Diese Ansprüche wären nicht mehr zu garantieren, wenn die Verwalter ihre Befugnisse ohne Weiteres abgeben könnten. Der daraus entstehende Vorbehalt kann insbesondere im Zusammenhang mit dem Abschluss von Vereinbarungen und Verständigungen gem. Art. 56 Abs. 1 S. 2 EuInsVO relevant werden, da sich die Verwalter hinsichtlich konkreter Maßnahmen rechtsverbindlich binden und demnach ihre Handlungsspielräume einschränken. Der Akt der Willensbildung bleibt in diesem Zusammenhang jedoch bei den Verwaltern, wodurch eine persönliche Amtsführung grundsätzlich noch stattfindet.828 Eine wichtige Rolle wird das Postulat der persönlichen Amtsführung indes bei der

825 Im deutschen Recht ist dies über die Sondervorschrift des § 226 InsO, allerdings nur in den Grenzen des § 226 Abs. 3 InsO, im Zuge des Insolvenzplanverfahrens möglich. 826 Zum deutschen Recht siehe Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 230 m. w. N. 827 Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 800; Thole, ZEuP 2014, 68; im deutschen Recht wird diese Anforderung über § 56 InsO gefordert: „Zum Insolvenzverwalter ist eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen, die aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen ist.“. 828 Siehe hierzu später mehr auf S. 255 f.

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durch die EuInsVO gem. Art. 56 Abs. 2 UAbs. 2 EuInsVO grundsätzlich gestatteten Befugnisübertragung an einen Verwalter aus ihrer Mitte spielen.829 bb) Formerfordernisse Die Verwalter haben des Weiteren nationale Formerfordernisse zu berücksichtigen. Diese werden vor allem relevant, wenn die Kooperation direkten Einfluss auf bestimmte Massegegenstände hat. Gerade im Zusammenhang mit dem Abschluss von Insolvenzverwaltungsverträgen, welche die Übertragung von Grundstückseigentum oder Gesellschaftsanteilen zum Gegenstand haben, sind Formerfordernisse zu beachten.830 Überdies darf nicht übersehen werden, dass Insolvenzverwaltungsverträge – abhängig von dem auf sie anwendbaren Recht – auch als öffentlich-rechtliche Verträge qualifiziert werden könnten und damit weitergehende Formvorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts anwendbar wären.831 Als besondere Formanforderung dürfte häufig die Schriftform verlangt sein. Daher sollten die Verwalter – den Regelungen zur Form vorausgreifend – immer darauf bestehen, jegliche Kooperationsvereinbarungen schriftlich zu verfassen, um die Anwendung der nationalen Vorschriften in dieser Hinsicht permanent gewahrt zu wissen.832 cc) Verfahrensanforderungen, insbesondere Mitwirkungspflichten Eine Begrenzung der Koordination kann durch Verfahrensrechte der Beteiligten mit erga omnes-Wirkung, wie zum Beispiel das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs, eingreifen.833 Es dürfen demnach keine Geheimhaltungsabsprachen geschlossen werden, welche dieses Recht ganz oder teilweise außer Kraft setzen.834 Des Weiteren wird das nationale Recht oftmals Vorschriften Siehe hierzu später mehr auf S. 283. Dabei ist zu berücksichtigen, welches Recht auf die Insolvenzverwaltungsverträge anwendbar ist. Im deutschen Recht müssen solche Verträge gem. § 311b Abs. 1 S. 1 BGB bzw. § 15 Abs. 4 GmbHG notariell beurkundet werden. Wird dies nicht befolgt, ergibt sich eine Nichtigkeit des Vertragsteils gem. § 125 S. 1 BGB bzw. unter Umständen eine Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB. Siehe hierzu Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 199. 831 Im deutschen Recht könnte man an die Formvorschrift aus §§ 57 ff. VwVfG denken, wobei diese nur analog anzuwenden wäre, da es sich bei einem Akt des Verwalters nicht um ein behördliches Handeln im Sinne des § 1 Abs. 1 und 4 VwVfG handeln würde. Siehe hierzu ausführlich Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 15 ff.; Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 200 ff. 832 Darauf im deutschen Kontext hinweisend Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 206. 833 Gewährt wird dies im deutschen Recht über Art. 103 Abs. 2 GG, Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 418. 834 Eidenmüller, ZZP 113 (2001), 3, 18. 829

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enthalten, die den Schutz von vertraulichen Informationen gewährleisten sollen.835 Zwar findet sich ein solcher universell gültiger Vorbehalt ausdrücklich in Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. a a. E. EuInsVO im Zusammenhang mit Informationspflichten, über den Vorbehalt der nationalen Vorschriften kann eine diesbezügliche Einschränkung jedoch bei allen Kooperationsmaßnahmen stattfinden. Wichtige Verfahrensanforderungen der nationalen Rechtsordnungen bestehen überdies in Form von Mitwirkungserfordernissen, in concreto nationalen Genehmigungsvorbehalte von Gerichten, Behörden oder anderer Gremien (beispielsweise Gläubigerzusammenkünften). 836 Auf nationale gerichtliche Genehmigungsvorbehalte wird sogar ausdrücklich in ErwG 49 S. 3 EuInsVO hingewiesen. Eigenständige Genehmigungsvorbehalte durch Gerichte sind – abweichend zu Leitlinie 4 der ALI/III-Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication – durch die EuInsVO selbst nicht vorausgesetzt. Dies ist zu begrüßen. Eine zusätzliche Genehmigungsinstanz bedeutet lediglich einen erhöhten Zeitaufwand, der die Verfahren verlangsamt und dadurch die Verfahrenseffizienz einschränkt. Im Zusammenhang von nationalen Genehmigungsvorbehalten ist jedoch darauf zu achten, dass den Pflichten der Insolvenzverwalter eine Außenwirkung zukommt, sie demnach nicht nur innenrechtlich Wirkung entfalten, da sie sonst nicht als geeigneter Vorbehalt dienlich sind.837 Als Beispiel für solch eine inter partes geltende Mitwirkungspflicht der Gläubiger ist auf den deutschen § 159 InsO hinzuweisen.838 Danach dürfen die deutschen Insolvenzverwalter das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen lediglich verwerten, wenn ihnen Beschlüsse der Gläubigerversammlung nicht entgegenstehen. Besonders bedeutende Rechtshandlungen dürfen nach § 160 InsO sogar erst dann vorgenommen werden, wenn vorher die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung eingeholt wurde. Allerdings statuiert § 164 InsO, dass die Handlungen der Insolvenzverwalter bei Verstößen gegen diese Vorschriften nicht unwirksam sind.839 Eine mangelnde Mitwirkung der Gläubiger soll im Außenverhältnis gerade keine Bedeutung erlangen, 840 wodurch die Kooperationsvorschriften der EuInsVO nicht über

835 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 56.21; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 29. 836 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 29. 837 Siehe hierzu zuvor S. 239. 838 Diese Tatsache wohl nicht berücksichtigend Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 189 f.; Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 801. 839 Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 199 f. 840 Mit Verweis auf den Wortlaut Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 19; zwar die Abschlusskompetenz vereinend, allerdings dennoch eine Haftung im Innenverhältnis als Rechtsfolge ansehend Ehricke in: Aufbruch nach Europa, 2001, 337, 359; Eidenmüller, ZHR

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den Weg eines nationalen Vorbehalts eingeschränkt werden. Sanktioniert wird der Verstoß gegen die Genehmigungsvorbehalte ausschließlich über das darauf zugeschnittene nationale Sanktionssystem.841 Dies liegt auch im Interesse der Vorschriften der EuInsVO. Wenn schon das nationale Recht keine Auswirkungen auf das Außenverhältnis vorsieht, sind solche auch im europäischen Kontext nicht anzunehmen. Die Handlungsfähigkeit des Verwalters sollte nicht über Gebühr eingeschränkt werden. c) Keine Interessenkonflikte Als dritte Voraussetzung der Kooperation statuiert die EuInsVO, dass durch die Zusammenarbeit keine Interessenkonflikte entstehen dürfen. Die genaue autonom zu bestimmende Reichweite dieser Beschränkung ist schwer auszumachen. Bei einer näheren Bestimmung hilft ErwG 52 S. 3 EuInsVO, der ausdrücklich festlegt, dass die Zusammenarbeit der Verwalter nicht den Interessen der Gläubiger in den jeweiligen Verfahren zuwiderlaufen soll.842 Wenn schon die Interessen der Gläubiger zu berücksichtigen sind, ist anzunehmen, dass grundsätzlich auch die Interessen aller unmittelbar am Verfahren Beteiligten beachtet werden müssen. Einer Kooperation ist allerdings zwangsnotwendig ein gewisses Momentum des gegenseitigen Nachgebens inhärent, da ihr zumeist ein gewisser Konflikt von Interessen zugrunde liegt.843 Damit eine Koordination deshalb nicht nahezu vollständig ausgeschlossen ist, ist das Tatbestandsmerkmal eng auszulegen.844 Es muss keine pareto-optimale Interessensituation geschaffen werden, welche überdies schwerlich mit dem durch die EuInsVO vorgegebenen Weg einer allgemeinen Effizienzabwägung in Einklang zu bringen wäre. Lediglich evidente Interessenverstöße sind zu unterlassen. So kann nicht jeder zeitliche Aufwand, der im Zusammenhang einer Kooperation einem Verfahrensbeteiligten auferlegt wird, gleich als relevante Interessenbenachteiligung angesehen 169 (2005), 528, 542 f.; BGH ZIP 1995, 290, 291 zur früheren Rechtslage nach §§ 113, 134, 136 KO; ausführlich Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 241 m. w. N. 841 Im deutschen Recht kommen als Sanktionen eine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 Abs. 1 S. 1 InsO sowie insolvenzgerichtliche Aufsichtsmaßnahmen nach §§ 58, 59 InsO in Betracht, vgl. Ehricke in: Aufbruch nach Europa, 2001, 337, 359; Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 19. 842 Auf diesen Punkt im generellen Kontext des Art. 56 EuInsVO hinweisend Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 56.12; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 15. Mehr zu dem Begriff der „Interessen der Gläubiger“, allerdings im Zusammenhang von Art. 33, 34, 37 EuInsVO a. F. Geroldinger, Verfahrenskoordination im Europäischen Insolvenzrecht, 2010, S. 144 ff. 843 MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 56 Rn. 2. 844 Sich daher lediglich auf die beteiligten Insolvenzverwalter und die ihnen auferlegten Pflichten aus ihren eigenen Insolvenzverfahren beschränkend MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 56 Rn. 2.

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werden. Evidente Interessenkonflikte gegenüber dem Schuldner können vor allem dann auftreten, wenn die Kooperation Know-how, Patente oder Geschäftsgeheimnisse zum Gegenstand hat.845 Stets als evidenter Interessenkonflikt sind überdies diejenigen Fälle einzustufen, in denen die Insolvenzverwalter gegen Pflichten verstoßen, die nach der lex fori concursus nur inter partes bestehen und daher nicht von dem Vorbehalt der nationalen Vorschriften erfasst sind. Dies wird insbesondere bei Genehmigungsvorbehalten von Gläubigergremien der Fall sein, bei deren Nichtbeachtung nach dem nationalen Recht zwar eine Haftung der Verwalter entsteht, die Maßnahmen aber dennoch wirksam sind.846 Des Weiteren können Interessenkonflikte im Zusammenhang mit gruppeninternen Anfechtungskonstellationen auftreten, falls die Anfechtungsmöglichkeiten über einen Informationsaustausch gefördert oder sogar gewährleistet werden sollen. Ein vollständiger Ausschluss der Kooperation in diesem Zusammenhang würde der Bedeutung der Zwecke der EuInsVO allerdings zuwiderlaufen, denn genau für solche Fälle ist eine Kooperation gedacht. Daher ist zu differenzieren: Solange Anfechtungsgründe schon bestehen und es nur um die Abwicklung dieser geht, sollte eine Kooperation zugelassen sein. Lediglich wenn beispielsweise die Informationsweitergabe einen Anfechtungsanspruch überhaupt erst ermöglicht, ist eine diesbezügliche Kooperation aufgrund von Interessenkonflikten abzulehnen.847 Die Interessen am Verfahren unbeteiligter Dritter sind in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen. Dies ist einerseits konsequent, da in internationalen Konzerninsolvenzkonstellationen eine erhebliche Zahl an Personen und Institutionen von einer Kooperation betroffen sein werden und es nicht verfahrensökonomisch ist, alle Interessen einer Überprüfung hinsichtlich ihrer Beeinträchtigung zu unterziehen. Es schließt jedoch nicht aus, dass die Verwalter die Interessen Dritter im Zuge einer allgemeinen Effizienzabwägung im Zusammenhang ihres Auswahlermessens berücksichtigen können und sollen. 3. Modus operandi a) Kooperationsmedium Grundsätzlich kann die Zusammenarbeit gem. Art. 56 Abs. 1 S. 2 EuInsVO in beliebiger Form erfolgen. Die Form ist dabei im weiten Sinne zu verstehen und umfasst auch das jeweilige Medium der Kooperation. Die EuInsVO möchte einen größtmöglichen Handlungsspielraum gewährleisten und bleibt aus 845 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 56.22; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 30. 846 Siehe hierzu S. 246 f. 847 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 11; Wimmer, DB 2013, 1343, 1345; ders., jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1.

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diesem Grunde unbestimmt. Kommt es zu einer Kommunikation zwischen den Verwaltern, kann diese demnach auf jedem Wege stattfinden. Es wird die größtmögliche Flexibilität für alle Verfahrensbeteiligten geboten.848 Abhängig vom konkreten Kooperationszusammenhang kann die Zusammenarbeit unter anderem via Telefon, E-Mail oder auf postalischem Weg erfolgen. Gerade bei Insolvenzen von Unternehmensgruppen können auch Treffen der beteiligten Insolvenzverwalter erforderlich sein. Insbesondere wenn es um die Abstimmung von Sanierungsplänen geht und hierzu verbindliche Absprachen auszuarbeiten sind, sind intensive Diskussionen erforderlich, die persönlich geführt und schriftlich festgehalten werden sollten. Im Zuge des Maxwell-Verfahrens waren mehrere Treffen der beteiligten Verwalter in London und New York erforderlich, um das passende protocol849 auszuverhandeln.850 Als gangbarer Weg bietet es sich darüber hinaus an, einen Lenkungsausschuss zu bilden, der aus den Insolvenzverwaltern der Einzelverfahren besteht und die gemeinsame Abstimmung der Verfahren initiiert.851 Des Weiteren ist darüber nachzudenken, die Kommunikation und den Datenaustausch über einen gemeinsamen, speziell für diesen Anlass geschaffenen, digitalen Server abzuwickeln. Das Mittel erfordert zwar zunächst einen erhöhten technischen Aufwand, der mit Kosten verbunden ist, diese würden sich bei Funktionstauglichkeit allerdings schnell amortisieren.852 Ein Vorteil ergibt sich vor allem, wenn bei einem Konzerninsolvenzverfahren eine große Zahl von Unternehmen beteiligt ist und sich daher ein erheblicher Datenfundus ansammeln wird, der für alle gleichermaßen zugänglich und einfach abrufbar sein sollte. Der Nutzeffekt des Vorschlags eines gemeinsamen Internet-Chatrooms853 erschließt sich nicht, da die Informationen in gleicher Qualität auch über Telefon- bzw. Videokonferenzen – in Verbindung mit E-Mails zu Beweiszwecken – ausgetauscht werden können, ohne dass sich der Verwalter mit einem neuen technischen Mittel auseinandersetzen muss. Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 9; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 34; dies., KTS 2018, 1, 4. 849 Zu den protocols mehr auf S. 251 f. 850 Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 73; umfangreich Flaschen/Silverman, 33 Tex. Int'l L.J. (1998), 587, 590. 851 Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Anlage Teil 3. 2. E.; Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 175 f.; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 25. Ein zentraler Lenkungsausschuss ist bekannt aus der PIN-Insolvenz. Dieser bestand aus den Geschäftsführern der Konzerngesellschaften, welche sich wöchentlich trafen, um mit den Insolvenzverwaltern ein gemeinsames Vorgehen zu erarbeiten. Vgl. Ge, Verfahrensgestaltung, 2016, S. 73; J. Schmidt, KTS 2015, 19, 44 Fn. 134; ausführlich Rühlemann, Verfahrenskonzentration, 2014, S. 337 ff. 852 In Bezug auf die Kommunikation zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren Staak, NZI 2004, 480, 481 f. 853 So Paulus, ZIP 2002, 729, 735; Staak, NZI 2004, 480, 481 f. 848

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b) Abschluss von Vereinbarungen oder Verständigungen Der Verweis auf den Abschluss von Vereinbarungen und Verständigungen als gangbare Form der Koordination zielt nicht auf das vorgeschriebene Erklärungsmedium, sondern auf die konkrete Ausgestaltung eines Koordinationsrahmens ab. Gesetzliche Koordinationsvorgaben haben die Eigenschaft, aufgrund der Vielzahl an Insolvenzkonstellationen abstrakt formuliert zu sein.854 Ein Kooperationsprozess kann auf diesem Wege zwar in Gang gesetzt werden, wirkliche Koordinationserfolge sind jedoch nur über individuell abgestimmte und angepasste Absprachen855 möglich. Daher streben sowohl Vereinbarungen als auch Verständigungen danach, auf Basis einer privatautonomen Abstimmung ein in der Praxis funktionierendes Kooperationssystem zu schaffen. Die ausdrückliche Erwähnung dieser Absprachen in der EuInsVO hebt die große Bedeutung dieser Kooperationsmethode in der Praxis hervor und soll nachhaltig deren Verbreitung fördern. 856 Zwar generieren einzelfallspezifische Absprachen zunächst erhöhte Transaktionskosten. 857 Gerade bei parallelen Hauptinsolvenzverfahren, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verstrickungen einer komplizierten Abwicklung gegenüberstehen, bedarf es jedoch individueller und detailreicher Regelungen, um eine Kooperation erfolgreich stattfinden zu lassen. Durch einen erfolgreichen Kooperationsprozess werden die Transaktionskosten in der Regel amortisiert. Aus den generalklauselartigen gesetzlichen Kooperationsvorschriften der EuInsVO resultieren einzelfallspezifische und private Absprachen.858 Nach ErwG 49 S. 2 EuInsVO können die Absprachen sowohl schriftlich als auch mündlich erfolgen. 859 Die Schriftform ist demnach zwar nicht vorgeschrieben, allerdings aufgrund nationaler Formerfordernisse 860 und der

854 „Abstrakte Regelungen können bestenfalls einen Leitfaden mit Mindestinhalten […] beinhalten“, Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 53; Koordinationsmaßnahmen sind so flexibel einzusetzen, dass „strikte Vorhaben leerlaufen“ würden, Trunk, Insolvenzrecht, 1998, S. 436. 855 Absprachen soll im Folgenden als Überbegriff für Vereinbarungen und Verständigungen verwendet werden, da zwischen diesen zwei Begriffen – auch in ihrer Rechtsverbindlichkeit (siehe hierzu S. 252 ff.) – kein Unterschied zu machen ist. 856 COM(2012) 744 final (DE), S. 10; Reumers, ECFR 2013, 554, 581. 857 Von der Maxime ausgehend: „Soviel geplante Koordination wie möglich, soviel ad hoc-Koordination wie nötig“, vgl. Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 6. 858 Flaschen/Silverman, 33 Tex. Int'l L.J. (1998), 587, 589; Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 58; gesetzlichen Koordinationsverfahren die Effizienz absprechend Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 2009, Rn. 3419. 859 Gleiches gilt auch nach der Definition des UNCITRAL Practice Guide on Cross-Border Insolvency Cooperation, S. 4 Rn. 13 lit. i. 860 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 56.16; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 20.

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besseren Beweisbarkeit in der Praxis die Regel. Daher sollte von den Verwaltern immer auf eine Niederschrift der Verhandlungsergebnisse bestanden werden. aa) Ursprung aus protocols Der europäische Gesetzgeber hatte eine klare Leitvorstellung der Grundlage dieser Kooperationsmittel. Bezugnehmend auf die Gesetzesbindung der Organe ist primärer Anknüpfungspunkt zur Feststellung des Bedeutungsgehalts der Vorschrift die grammatikalische Auslegung und dabei der Wortlaut selbst.861 Einen Anhaltspunkt diesbezüglichen liefern die anderen Sprachfassungen der EuInsVO. Dort wird anstelle von „Verständigungen“ der Begriff „protocols“ verwendet. 862 Ebenso sprach die Entwurfsversion des Art. 42a Abs. 1 S. 2 EuInsVO-E davon, dass die Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter in Form von „Vereinbarungen oder Protokollen“ erfolgen sollte. Wenngleich der Terminus der Protokolle oder protocols nur einen Teil des Begriffspaares ausmacht, stellt er doch den historischen Ursprung von einzelfallspezifischen und privaten Absprachen dar. Seine Wurzeln haben diese protocols in der koordinierten Insolvenzbewältigung der US-amerikanischen Insolvenzpraxis. Dort wurden Absprachen der Insolvenzverwalter vom Insolvenzgericht als rechtsverbindliche Anhänge in die procedural order der Gerichte aufgenommen und daher als protocols betitelt.863 Der erste bekannte Fall der neueren Geschichte in der protocols zum Einsatz kamen, war die Insolvenz der Maxwell Communication Corporation plc.864 Im Zuge der Insolvenz kam es, aufgrund der Tatsache, dass sich Schuldnervermögen sowohl in den USA als auch in Großbritannien ausfindig machen ließ, zur Eröffnung mehrerer eigenständiger Hauptinsolvenzverfahren.865 Diese parallelen Verfahren mit universellem Geltungsanspruch bargen selbstverständlich erhebliches Konfliktpotenzial. Mangels gesetzlicher Koordinationsvorgaben, 861 So beginnt der EuGH selbst die Auslegung zumeist mit der Wortlautanalyse, vgl. EuGH Urt. v. 23.3.1982, Levin, 53/81, ECLI:EU:C:1982:105, Rn. 9; EuGH Urt. v. 11.11.1997, SABEL / Puma, Rudolf Dassler Sport, C-251/95, ECLI:EU:C:1997:528, Rn. 18; EuGH Urt. v. 17.4.2008, Quelle, C-404/06, ECLI:EU:C:2008:231, Rn. 31 ff.; GA Trstenjak, SchlA v. 4.6.2008, Coditel Brabant, C-324/07, ECLI:EU:C:2008:317, Rn. 73. 862 In der englischen Sprachfassung: “agreements or protocols”; in der französischen: “d'accords ou de protocoles“; in der italienischen: „accordi o protocolli“. 863 Rechtsgrundlage stellt dabei U.S. Bankruptcy Code 11 U.S.C. § 105 dar: „(a) The court may issue any order, process, or judgment that is necessary or appropriate to carry out the provision of this title.“. Vgl. Flaschen/Silverman, 33 Tex. Int'l L.J. (1998), 587, 589; Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 55. 864 Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 800; ausführlich Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 15 f. u. 54 ff. 865 Zum Entstehungsprozess dieser Konstellation siehe Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 54 Fn. 154.

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allerdings mit dem Willen eine Koordination durchzuführen, entschieden sich die beteiligten Verwalter eine eigenständige Ad-hoc-Koordination zu kreieren und die Verwaltungs- und Einwirkungsrechte über das Unternehmen aufzuteilen.866 Als Resultat entstand ein Verfahren ohne störende Kompetenzkonflikte zwischen den Verwaltern, welches die International Bar Association dazu veranlasste, das Cross-Border Insolvency Concordat867 auszuarbeiten. Das Maxwell-Verfahren diente somit als Blaupause. In Prinzip 4 lit. a des Concordats wurden ausdrücklich protocols als Koordinationsmittel vorgesehen.868 Anwendung fand das Concordat beispielsweise im Insolvenzfall der Everfresh Beverages Inc., in dem es zu parallelen Hauptinsolvenzverfahren in den USA und in Kanada kam, und ermöglichte eine erfolgreiche Abwicklung. 869 Der Abschluss von protocols wird im angelsächsischen Rechtsraum inzwischen aufgrund vieler weiterer erfolgreicher Erfahrungen sehr häufig praktiziert.870 bb) Rechtsverbindlichkeit der Absprachen Bei dem US-amerikanischen Vorbild der protocols liegt ein wesentliches Charakteristikum in der Rechtsverbindlichkeit begründet. Der Normtext äußert sich hinsichtlich der Verbindlichkeit von Absprachen leider nicht. Insbesondere ist fraglich, ob zwischen den Begriffen der Vereinbarung und Verständigung zu unterscheiden ist. Nach dem juristischen Sprachgebrauch ist eine Vereinbarung eine einverständliche Abrede,871 die mit einem rechtsverbindlichen Vertrag gleichgesetzt werden kann, aber nicht muss. 872 Eine Verständigung 866 Dabei oblag es den britischen administators grundsätzlich, die Verwaltung zu übernehmen, bei wesentlichen Entscheidungen jedoch die US-amerikanischen examiners hinzuzuziehen, vgl. Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 55; vgl. ebenso direkt in dem Maxwell-Protokoll, Abschnitte D, E und G. 867 Siehe hierzu ausführlich S. 64 f. 868 Prinzip 4 lit. a: “Where there is more than one Plenary Forum and there is no Main Forum […] [e]ach forum should coordinate with each other, subject in appropriate cases to a governance protocol.”. 869 Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 28 f.; ausführlich zu dem Insolvenzfall von Everfresh Beverages Inc. vgl. Nielsen/Sigal/Wagner, 70 Am. Bankr. L.J. (1996), 533, 557 ff. 870 Eine ausführliche Aufstellung über internationale Insolvenzverfahren im US-amerikanischen Raum, in denen protocols zur Anwendung gelangten, findet sich in Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 56 Fn. 171. Darüber hinaus wurde dieses Mittel auch im japanischen Maruko-Verfahren (Darstellung in Paulus, ZIP 1998, 977, 979 f.), im israelischen Nakash-Verfahren (Nakash v. Zur, 190 B. R. 763, S. D. N. Y. 1996; Darstellung in Paulus, ZIP 1998, 977, 980 f.) sowie unter Beteiligung eines Schweizer Verwalters im AIOC-Verfahren (In re AIOC Corporation and AIOC Resources AG, US-Bankr. Ct. For the Southern District of New York, Case No. 96 B 41895, 96 B 41896) eingesetzt. 871 Tilch/Arloth, Deutsches Rechtslexikon, Bd. 3, 3. Aufl. 2001, S. 4421. 872 Creifelds, Rechtswörterbuch, 19. Aufl. 2007, S. 1233. Die im Englischen verwendete Terminologie des „agreement“ wird im angloamerikanischen Rechtskreis zumindest nach dem allgemein juristischen Sprachgebrauch ebenfalls sehr weit verstanden, aber auch im

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zielt dem Wortstamm nach hingegen auf einen Akt des sich gegenseitig Unterrichtens und gemeinsam eine Lösung Akzeptierens ab. Da die Begriffe der EuInsVO unionsautonom auszulegen sind, darf allerdings nicht bei dem allgemeinsprachlich-deutschen Verständnis stehen geblieben werden. So wird – wie zuvor festgestellt – in den anderen Sprachfassungen anstelle von Verständigungen der Begriff des „protocols“ verwendet.873 Bei der Wortanalyse gilt die Verbindlichkeit jeder Sprachfassung, woraus resultiert, dass grundsätzlich alle Sprachfassungen gleich autoritativ sind und einer oder mehreren Sprachen kein Vorrang eingeräumt werden darf. 874 Die divergierende Terminologie in der deutschen Sprachfassung ist wohl lediglich eingefügt worden, um klarzustellen, dass durch die EuInsVO keine Ermächtigung für gerichtliche procedural orders geschaffen wurde. So sind im deutschen Recht keine rechtsverbindlichen gerichtlichen Anhänge vorgesehen und sollen auch in Zukunft nicht eingeführt werden.875 Die grundsätzliche Möglichkeit einer Rechtsverbindlichkeit sollte durch die Wortwahl nicht in Frage gestellt werden. Leider entstand durch die deutsche Übersetzung eine methodisch insuffiziente sprachliche Undifferenziertheit in Bezug auf eine sprachübergreifend einheitliche Auslegung der Terminologie. Man hätte besser die ursprüngliche Sprachfassung des Kommissionsentwurfs beibehalten und darauf vertrauen sollen, dass die Insolvenzpraxis die Unanwendbarkeit von protocols aufgrund des nationalen Vorbehalts kennt. Somit können auch im deutschen Kontext rechtsverbindliche Absprachen in Form von Insolvenzverwaltungsverträgen876 gemeint sein, wenn von Zusammenhang eines rechtsverbindlichen Vertrags gebraucht, siehe Garner, Black’s Law Dictionary, 10. Aufl. 2014, S. 81. 873 Siehe hierzu S. 251. 874 Dies folgt aus Art. 1 der Verordnung Nr. 1 des Rates vom 15. April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, ABl. 1958 Nr. 17/385; 1972 Nr. L 73/122; 1973 Nr. L 2/27; 1979 Nr. L 291/17; 1985 Nr. L 302/242; 1994 Nr. C 241/9; 2003 Nr. L 236/791; 2005 Nr. L 156/3; 2006 Nr. L 363/1; 2013 Nr. L 158/1. In der Rspr. u. a. EuGH Urt. v. 27.10.1977, Regina v Bouchereau, C-30/77, ECLI:EU:C:1977:172, Rn. 9 ff.; EuGH Urt. v. 6.10.1982, CILFIT / Ministero della Sanità, C-283/81, ECLI:EU:C:1982:335, Rn. 18; EuGH Urt. v. 2.4.1998, The Queen v Commissioners of Customs and Excise, ex parte EMU Tabac and Others, C-296/95, ECLI:EU:C:1998:152, Rn. 36. In der Lit. Deyda, Konzern im europ. int. InsR, 2008, S. 32; Riesenhuber in: ders., Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 10 Rn. 14 m. w. N. zu Rspr. und Lit.; Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, 2004, S. 141 f. mit dem Verweis darauf, dass die Arbeitssprache oftmals nicht erkennbar ist und sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens und in den verschiedenen Gremien ändern kann. 875 Reumers, ECFR 2013, 554, 581. 876 Vgl. zu Insolvenzverwaltungsverträgen und protocols Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 5; ihm folgend Ehrike in: Aufbruch nach Europa, 2001, 337, 356 ff.; ders., WM 2005, 397, 402; ders., ZIP 2005, 1104, 1111 f.; Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 1 f. Im Englischen werden Insolvenzverwaltungsverträge auch mit „insolvency administration contract“, „cooperation and compromise agreement“ oder „memorandum of understanding“ betitelt, vgl. J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015,

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Vereinbarungen oder Verständigungen gesprochen wird.877 Es werden insbesondere sachlich formalisierte Übereinkünfte angesprochen, welche den Zweck aufweisen, parallel verlaufende Insolvenzverfahren zu koordinieren.878 Solche Absprachen sind in den Rechtsordnungen allgemein akzeptiert879 und bergen die große Chance einer substantiierten Kooperation und Koordination in sich.880 Da im Zuge einer Kooperation die Rechtsverbindlichkeit disponibel ist, darf in der Praxis nicht unreflektiert von Begrifflichkeiten auf die Regelungswirkung geschlossen werden. Dennoch stellt das Begriffsverständnis der EuInsVO ein wichtiges Auslegungskriterium dar. Sinnvollerweise sollte in der Absprache immer ausdrücklich Erwähnung finden, ob eine Rechtsverbindlichkeit erwünscht ist.881 Wird ausdrücklich nichts festgelegt, ist von einem möglicherweise konkludent zum Ausdruck gebrachten Rechtsbindungswillen ein Rückschluss zu ziehen.882 Dabei ist es gut möglich, dass ein Verwalter aufgrund der Eigenart der Insolvenzverfahren und der damit verbundenen Unwägbarkeiten eine rechtsverbindliche Koordinationsmaßnahme ablehnt. Eine Rechtsver1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 19; UNCITRAL Practice Guide on Cross-Border Insolvency Cooperation, S. 28 Rn. 5. 877 Wird der Begriff der Protokolle dennoch in deutschen Insolvenzzusammenhängen verwendet und sind damit keine procedural order gemeint, ist er im untechnischen Sinne in Form von rechtsverbindlichen Insolvenzverwaltungsverträgen zu verstehen. 878 Vgl. zu dieser Begriffsbestimmung Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 1. 879 Nach deutschem Recht sind solche Vereinbarungen ebenfalls grundsätzlich erlaubt, was sich gerade in § 269h Abs. 2 S. 2 Nr. 3 InsO niederschlägt, vgl. BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drs. 18/407, S. 18. Mit Blick auf prozessuale Gegenstände zieht der Insolvenzverwalter im deutschen Recht im Zusammenhang mit Masseprozessen seine Kompetenzen zum Abschluss solcher Vereinbarungen aus seiner generellen Prozessführungsbefugnis, die sich aus seiner allgemeinen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ergibt. Andere nicht massebezogenen Verfahrenskompetenzen ergeben sich aus der mittelbaren Fortsetzung seiner materiellen Verwaltungsbefugnisse, da diese verfahrensrechtlichen Kompetenzen ebenso auf die Verwirklichung der Verfahrenszwecke hinwirken. Ausführlich Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 191 ff. Besteht allerdings ein Vorbehalt bezüglich rechtsverbindlicher Absprachen in einer der Rechtsordnungen, kann ein Verwalter aus dieser Jurisdiktion nicht an solch einer Absprache partizipieren, Reumers, ECFR 2013, 554, 581. 880 European CoCo-Guidelines, Leitlinie 12.4.; Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 35; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 2009, Rn. 3419. 881 In diesem Sinne auch Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 78 f. Dieser weist insbesondere – das Everfresh-Protokoll als Beispiel heranziehend – auf die konkreten Wortlaute der protocols hin, die meist klar zum Ausdruck bringen, ob der Inhalt für die Parteien verbindlich festgelegt wurde. 882 Der Rechtsbindungswille ist zwar aus der Rechtsgeschäftslehre des deutschen BGB entnommen, es dürfte allerdings international anerkannt sein, dass dieser Voraussetzung für jegliche internationalen, rechtsverbindlichen und privaten Absprachen zu sein hat.

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bindlichkeit kann die Handlungsmöglichkeiten von Verwaltern so erheblich einschränken, dass sie auf Entwicklungen innerhalb der eigenen Verfahren nicht mehr adäquat flexibel reagieren können. Zwar können die Verwalter mittels Vertragsgestaltung eine gewisse Flexibilität erreichen und damit Imponderabilien entschärfen.883 Es bedarf jedoch einer Abwägung im Einzelfall, um festzustellen, ob eine rechtsverbindliche Regelung möglichst vieler Eventualitäten und Details effizient ist und stattfinden sollte.884 Rechtsverbindliche Absprachen stellen für die Rechtspraxis eine wichtige Handlungsoption dar, um auf diesem Wege Rechtsklarheit und -sicherheit für die Zukunft zu schaffen.885 Eine Rechtssicherheit kann wichtig sein, da ein hoch dynamisches Insolvenzverfahren aufgrund sich ändernder Sachverhaltskonstellationen oder sich ganz neu offenbarender Konfliktfelder anfällig für Entscheidungsanpassungen ist. Einseitige Anpassungen werden sich zumeist zu Lasten des zuvor abgesprochenen Kooperationswegs auswirken.886 Die Kooperation, welche gerade als Lösung des Verhandlungsdilemmas dienen sollte, könnte sogar ad absurdum geführt werden.887 Den Verwaltern wird aufgrund des Kooperationsprozesses die jeweilige Strategie der anderen Verfahren bekannt sein. Werden diese Informationen – vergleichbar zum Gefangenendilemma der Spieltheorie – dazu genutzt, das eigene Maximalergebnis zu erreichen und die anderen dahinter zurückfallen zu lassen, ist zwar ein kurzfristiger Gewinn generierbar, eine maximale Wertschöpfung allerdings vergeben und das Vertrauensverhältnis dauerhaft zerstört, sodass das Verhandlungsdilemma zukünftig wohl nicht mehr aufgelöst werden kann und nachhaltig ein Schaden für alle Verfahrensbeteiligten entsteht. Eine Rechtsverbindlichkeit und daraus resultierende Rechtssicherheit ist daher im beiderseitigen Interesse und demnach unabdingbar. In Bezug auf einige Rechtsordnungen ist überdies zu klären, ob eine rechtsverbindliche Verpflichtung der Verwalter gegen den etwaig bestehenden Vorbehalt in Form des Postulats der persönlichen Amtsführung verstößt. Die beteiligten Verwalter haben mit dem Abschluss einer Absprache ihren bestimmenden Einfluss bzw. die letztinstanzliche Kontrolle über die Entscheidung insofern abgegeben, als sie bei sich verändernden Sachverhaltskonstellationen 883 Gestaltungsmittel können darin bestehen, den Wortlaut der Vereinbarung offen zu fassen oder Bedingungen einzufügen, vgl. Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 74. Diese Maßnahmen als nicht ausreichend ansehend, um die nötige Flexibilität der Verwalter zu wahren, Ehricke in: Aufbruch nach Europa, 2001, 337, 353 u. 357. 884 Ehricke in: Aufbruch nach Europa, 2001, 337, 355 u. 357 f. 885 Da nur aus Rechtssicherheit eine Verlässlichkeit resultiert, sollte für eine Rechtsverbindlichkeit plädiert werden, Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 44, 74 f. u. 77 f. 886 Ehricke in: Aufbruch nach Europa, 2001, 337, 353; Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 43. 887 Siehe hinsichtlich des Verhandlungsdilemmas S. 228 ff.

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nicht mehr fähig sind, autonome Entscheidungen zu treffen.888 Eine eigenständige Willensbildung ist allerdings noch nicht ausgeschlossen, wenn sich die Verwalter hinsichtlich konkreter Maßnahmen über eine rechtsverbindliche Absprache mit anderen Verwaltern binden.889 Der Prozess der Abwägung pro und contra hinsichtlich der Konsequenzen ihres Handelns verbleibt bei den Verwaltern selbst. 890 Dies sollte ausreichen, um das Postulats der persönlichen Amtsführung als gewahrt anzusehen. cc) Berechtigte und Verpflichtete Wenngleich Art. 56 EuInsVO primär die Verwalter dazu auffordert, sich zu Verpflichtungsadressaten von Absprachen zu machen, ist eine weitreichende Beteiligung entscheidend für die Erfolgsaussichten der Insolvenzverfahren. Über die Verwalter hinaus sollten daher noch weitere Personen an einer rechtsverbindlichen Absprache beteiligt werden. Dies können insbesondere Gerichte, das Schuldnerunternehmen, Gläubigergremien (beispielsweise Gläubigerausschüsse oder Gläubigerversammlungen), Gläubigergruppen (sowohl Insolvenz- als auch Massegläubiger) oder individuelle Gläubiger sowie andere Konzernunternehmen sein.891 Die Verwalter sind dazu angehalten dahingehend zu wirken, dass alle notwendigen Parteien in die Absprachen einbezogen werden. Ob für die Verwalter durch die von ihnen abgeschlossenen Absprachen selbst Verpflichtungen erwachsen oder ob lediglich das Schuldnerunternehmen Verpflichtungsadressat wird, bestimmt sich nach der konkreten Stellung der Verwalter in ihren Verfahren, demnach nach dem nationalen Recht, in welchem sich die Verwalter bewegen. Allerdings lassen sich diesbezüglich Tendenzen ausmachen. Die Verpflichtungsrichtung von Absprachen hängt zumeist davon ab, ob es sich um massebezogene Verpflichtungen892 oder Verpflich888 Solch eine Einflussmöglichkeit auf die Entscheidung als Voraussetzung für eine persönliche Amtsführung ansehend BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drs. 18/407, S. 18; Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 229. 889 Anders könnte dies zu bewerten sein, wenn der Insolvenzverwalter eine umfassende vertragliche Verbindung eingeht. In diesem Fall würde sich die Auswahlentscheidung des Verwalters nicht in den Abwicklungsentscheidungen wiederspiegeln. Im deutschen Recht wäre in diesem Falle an ein Zustimmungserfordernis der Gläubigerversammlung bzw. des Insolvenzgerichts und des Gläubigerausschusses zu denken, um die Problematik zu beheben. Vgl. Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 800; ders., Der Konzern 2013, 234, 243. 890 Ausführlich Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 231 f. 891 UNCITRAL Practice Guide on Cross-Border Insolvency Cooperation, S. 4 Rn. 13 lit. i u. S. 32 f. Rn. 16; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 22; zu der Frage wie weit Gerichte beteiligt sein können Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 57 Fn. 176. 892 Dabei geht es einerseits um Verpflichtungen, mit denen direkt auf die Masse eingewirkt werden kann, zum anderen können aber Informations- und Konsultationspflichten

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tungen aus insolvenzspezifischen Befugnissen handelt. Im ersteren Fall ist davon auszugehen, dass das insolvente Unternehmen selbst Schuldner der Verpflichtung ist. Im zweiten Fall, das heißt insbesondere bei Informations- und Konsultationspflichten, die keinen Massebezug aufweisen, 893 sind allein die Verwalter Adressat der Verpflichtung. Wer der konkrete Verpflichtungsadressat ist, wird vor allem dann relevant, wenn die Bindungswirkung der Absprache nach einem Verwalterwechsel in Frage steht. Sind nicht die Unternehmen selbst, sondern die Insolvenzverwalter verpflichtet ihre Kompetenzen gemäß den verbindlichen Absprachen auszuüben, löst sich die Bindungswirkung mit einem Verwalterwechsel auf.894 Eine Beteiligung von Gläubigern – natürlich auf freiwilliger Basis – war schon jeher eine zentrale Stellschraube im Zusammenhang von erfolgreichen Abwicklungen von Konzerninsolvenzen. So wurde im Falle der Herstatt-Insolvenz im Jahre 1974 ein sogenanntes liquidator’s agreement abgeschlossen. An dieser Vereinbarung waren US-amerikanische Gläubiger sowie der mit Zustimmung des deutschen Vergleichsverwalters handelnde, für die Herstatt-Insolvenz zuständige Liquidator beteiligt.895 Verbindliche Absprachen, welche Gläubigerrechte umfassen, führen speziell dazu, dass sich Gläubiger mit riskanteren Verwaltungsstrategien eher anfreunden können, da sie wissen, dass ihnen gewisse Rechte rechtsverbindlich zugesichert sind. Dies gilt vor allem im Zusammenhang von Sanierungsbemühungen, im Zuge welcher oftmals Zugeständnisse der Gläubiger erforderlich sind, damit später für alle Beteiligten positive Ergebnisse erzielt werden können. Auf einen vorläufigen Verzicht werden sich Gläubiger erst dann einlassen, wenn ihnen zugesichert wird, dass die nachfolgenden Maßnahmen zur Ergebnismaximierung auch tatsächlich eingeleitet werden.896 Die Einbeziehung solventer Gruppengesellschaften, die oftmals gleichzeitig Gläubiger des insolventen Unternehmens sind, ist häufig unverzichtbar, um eine Rettung des insolventen Gruppenunternehmens zu gewährleisten. Dies ist allerdings ebenfalls nur auf Basis einer freien Willensentscheidung des solventen Unternehmens möglich. 897 Der Vorteil einer Einbeziehung kommt insgemeint sein, die direkt auf den Zustand oder den Verbleib von Massebestandteilen oder den Umfang der zur Verfügung stehenden Masse gerichtet sind, Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 108. 893 Hierbei geht es unter anderem um die Verpflichtung des Verwalters, die Vorlage eines Insolvenzplanes einzuholen oder einem anderen Verwalter einen Gesamtüberblick über die angemeldeten Gläubigerforderungen zukommen zu lassen, Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 108. 894 Zum deutschen Recht Ehricke, WM 2005, 397, 403. 895 Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 5 Fn. 4; Hanisch in: FS Bosch, 1976, 381, 388 f. 896 Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 46 f. 897 UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 81 f. Rn. 152 Empfehlung 238.

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besondere dann zum Tragen, wenn ein mögliches Obstruktionsverbot aus dem Insolvenzplan898 auch die solventen Gruppenunternehmen umfasst. 899 In der Praxis hat solch eine Einbeziehung von solventen Gruppenunternehmen in der Insolvenz der Senator Entertainment AG deutlich einen Nutzen gezeigt. Die ebenfalls in Insolvenz gefallene Tochtergesellschaft Central Film Vertriebs GmbH konnte aus der Insolvenz entlassen werden, nachdem ihre irische Schwestergesellschaft und zugleich Gläubigerin Eurofilm & Media Ltd von ihrem Rang zurückgetreten war und dadurch die Überschuldung der Central Film Vertriebs GmbH beseitigt werden konnte. Dies geschah nachdem der Insolvenzverwalter900 die Deutsche Bank als Gläubigerbank und zukünftige Hauptaktionärin auf Grundlage eines Insolvenzplans nach deutschem Recht dazu brachte, die Schwestergesellschaft selbst aus der Mithaftung zu entlassen.901 Solch eine Absprache kann als hilfreiches Mittel in eine Vereinbarung zwischen den Insolvenzverwaltern aufgenommen werden und damit die solventen Schwestergesellschaften selbst zu Verpflichteten werden lassen. c) Kommunikationssprache Die Kooperation wird im internationalen Kontext oftmals durch bestehende Sprachbarrieren erschwert. Es obliegt den Verwaltern Wege und Mittel zu finden, um diese Barrieren zu überwinden. Sprachliche und kulturelle Unterschiede dürfen keine Rechtfertigung für eine unterbliebene Kooperation darstellen. Die Kommunikation im Zuge der Kooperation hat daher generell in einer vereinbarten Sprache – meist auf Englisch – zu erfolgen. Der Einsatz von Dolmetschern sollte in der direkten Kommunikation bestenfalls nicht erforderlich sein, da deren Gebrauch sowohl in zeitlicher als auch monetärer Hinsicht mit hohen Kosten verbunden ist. Es ist schon bei der Wahl der Insolvenzverwalter darauf zu achten, dass ein Austausch über eine gemeinsame Arbeitssprache möglich sein wird. Bei der Erstellung der Dokumente sollte ebenfalls – soweit dies umsetzbar ist – auf eine einheitliche Sprache Wert gelegt werden. Sind Dokumente lediglich in einer Sprache vorhanden und wird dadurch die Kooperation behindert, sind Übersetzerdienste einzuschalten. Dabei ist fraglich, ob der absendende oder der empfangende Verwalter die Übersetzung vorzunehmen bzw. zu veranlassen hat. Der absendende Verwalter hat Informationen gem. Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. a EuInsVO zwar „so bald wie möglich“ zu übermitteln, dabei ist jedoch noch keine Aussage über die konkrete Aufarbeitungsform getroffen. Im Interesse eines effizienten und damit schnellen Verfahrens sollte der Empfänger für die Übersetzungsleistungen verant-

K. Schmidt, KTS 2010, 1, 16. Siehe hierzu im Zusammenhang des deutschen Rechts zuvor Fn. 102. 900 Als Insolvenzverwalter eingesetzt war Herr Prof. Rolf Rattunde. 901 Hierzu teilweise Fritze, DZWIR 2007, 89, 92.

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wortlich sein, da er diese im eigenen Interesse zügig einleiten und auf das für ihn Wesentliche beschränken wird.902 4. Inhalt der Zusammenarbeit Der Regelungsgegenstand der Kooperation bestimmt sich nach einer Handlungstrias, die sich jeweils in drei Stufen vollzieht.903 Zunächst müssen sich die Verwalter nach Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. a EuInsVO alle bedeutsamen Informationen zukommen lassen, um anschließend auf Basis dieser die weiteren Handlungsschritte zu überprüfen. So wird ermittelt, ob nach lit. b die Notwendigkeit einer Koordination der Verwaltung und Überwachung der Geschäfte besteht bzw. nach lit. c eine Sanierung von Gruppenmitgliedern durchgeführt werden kann. Kommen die Verwalter zu dem Ergebnis, dass eine Koordinierung bzw. Sanierung als sinnvoll erscheint, wird diese in der letzten Phase initiieren. Eine Sanierung schließt eine gleichzeitige Koordination nicht aus, sondern kann durch diese ergänzt werden. Im Zusammenhang einer Sanierung muss sich vor allem über den Erarbeitungsprozess und Abschluss eines koordinierten Sanierungsplans abgestimmt werden. Die Verordnung ordnet ausdrücklich Handlungspflichten der Verwalter an, diese Schritte zu durchlaufen, falls Handlungsbedarf besteht. Konkrete Darlegungen hinsichtlich der genauen Ausgestaltung der Kooperation wurden in der EuInsVO nicht getroffen. Damit passt sich die Vorgabe der EuInsVO an die Unbestimmtheit des UNCITRALModellgesetzes an, welches in Art. 27 lediglich von einer „Zusammenarbeit auf jeder geeigneten Weise“ spricht und eine Aufzählung an unbestimmten Kooperationsmöglichkeiten anfügt, um den Ablauf von Insolvenzen weitergehend problemlos gewährleisten zu können. Es wird nur ein grober Rahmen für eine mögliche Kooperation vorgegeben. Das Modellgesetz soll ganz im Sinne seiner Präambel lediglich als Vorlage und flexibler Ansatz für Staaten dienen, welche den Weg einer Harmonisierung des Insolvenzrechts beschreiten wollen. Die Details der Kooperation sind für den jeweiligen Regelungszusammenhang individuell anzupassen.904 Identisches gilt für die Kooperation nach der EuInsVO. Die wenigen Vorgaben in Art. 56 EuInsVO sind bewusst offen gewählt, damit eine ausreichende Flexibilität im Einzelfall bestehen bleibt.905 Die 902 In diesem Sinne hinsichtlich des Informationsaustausches zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren Staak, Insolvenzverwalter im europ. InsR., 2004, S. 166 f.; ders., NZI 2004, 480, 482. 903 In praktischer Hinsicht werden die Stufen zwar in dieser Reihenfolge beschritten, dies ist allerdings nicht zwingend. So können die jeweiligen Phasen selbstverständlich auch ohne das Durchlaufen der vorhergehenden erreichbar sein. Vgl. Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, 2008, S. 29 f. 904 Benning/Wehling, EuZW 1997, 618, 619; Bezelgues, Konzerninsolvenz, 2008, S. 97; Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2401; Vallender, KTS 2008, 59, 68. 905 Fritz, DB 2015, 1945, 1946. Siehe hierzu auch S. 259 f.

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konkrete Ausgestaltung der Kooperation hängt von einer umfassenden Effizienzanalyse der zur Verfügung stehen Maßnahmen durch die Verwalter im Rahmen ihres Auswahlermessens ab. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Kooperationsgewinn nicht nur aus einer neu durch die Kooperation geschaffenen Wertschöpfung resultiert, sondern auch von negativen externen Effekten beeinflusst werden kann.906 So kann trotz unmittelbarer Kooperationsgewinne bei den Verfahrensbeteiligten ein allgemeines Effizienzdefizit entstehen. Daher ist es geboten, die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten an Kooperationsmechanismen ausführlich zu analysieren und deutlich aufzuzeigen, welche Wege zu beschreiten sind. Nur abstrakte Anordnungen zu einer Kooperation bringen keine Verlässlichkeit für die Beteiligten. Es muss klar erkenntlich sein, welche Formen die Kooperation annehmen soll und mit welchen Rechten und Pflichten jeder Einzelne zu rechnen hat. a) Informationsvermittlung Oftmals sind kognitive Gründe für das Scheitern einer Kooperation verantwortlich. Wertschöpfungspotenziale werden erst gar nicht erkannt, weil ein Mangel an Informationen besteht, welche die Verwalter für eine notwendige Abstimmung oder Gesamtstrategie benötigen.907 Eine funktionierende Informationsvermittlung nach Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. a EuInsVO ist daher ein wesentlicher Bestandteil einer reibungslos ablaufenden Kooperation zwischen den Verwaltern der insolventen Gruppenunternehmen. 908 Informationsrechte sind evident, da nur auf Basis dieser Informationen die weiteren Handlungsalternativen der Insolvenzverwalter bestimmt werden können. Außerdem entwickelt sich durch den Informationsaustausch ein interpersonell gewinnbringendes Vertrauensverhältnis zwischen den Verwaltern, welches als Grundlage für jegliche weitere Kooperation unabdingbar ist.909 Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 15; allgemein zu negativen externen Effekten Pindyck/Rubinfeld, Microeconomics, 8. Aufl. 2015, S. 658 ff. 907 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 85; Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 535. Ein wichtiger Baustein zur Erlangung von Informationen – zwar weniger für Verwalter, sondern mehr für Externe – wurde mit der europaweiten Vernetzung der nationalen Insolvenzregister über das zentrale e-justice Portal geschaffen, welches bis Mitte 2019 von allen Mitgliedstaaten mit Daten gespeist werden soll. Es wird angestrebt, eine allgemein zugängliche und umfassende Datenbank über einschlägige Gerichtsbeschlüsse und -urteile, die Bestellung der Verwalter und die Kontaktdaten dieser Beteiligten sowie Fristen und Einzelheiten der Forderungsanmeldung zu schaffen, wobei die Informationen in der Amtssprache des Mitgliedstaates, in dem das Verfahren eröffnet wurde, und in Englisch zur Verfügung gestellt werden sollen. 908 Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, 2008, S. 30. 909 Eine „von gegenseitiger Rücksichtnahme und Respekt“ geprägte Koordination wirkt sich positiv auf die Verfahren aus, Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, 2008, S. 30. 906

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aa) Informationspflichten Informationspflichten entstehen in zwei Fällen. Eine eigenständige Pflicht ohne Verlangen des Informationssuchenden wird dann ausgelöst, wenn der Verwalter im Zuge seiner gewöhnlichen Tätigkeit innerhalb seines Verfahrens an Informationen gelangt, die objektiv von Bedeutung für die anderen Verfahren sein könnten. Diese eigenständige Informationspflicht ist demnach auf die wesentlichen Informationen beschränkt. 910 Mit Ausnahme dieser evidenten Fälle, in denen der informationsgebende Verwalter aus eigenem Antrieb zu handeln hat, wird eine Informationspflicht im zweiten Falle mit Anfrage der anderen Verwalter ausgelöst, falls Informationen begehrt werden, die nicht ohne Weiteres ersichtlich bzw. nur für den Informationssuchenden subjektiv von Bedeutung und daher ausschließlich für ihn erkennbar sind. Dies gilt selbstverständlich nicht, wenn die Information vom Auskunftsverlangenden lediglich als subjektiv bedeutsam eingestuft wurde, um das andere Verfahren durch eine Aufwandgenerierung zu blockieren und damit eventuell eine Verwertungshandlung zu verhindern. Kann der informationsgebende Verwalter stichhaltig vortragen, dass objektive Gründe bestehen, welche diese subjektive Bedeutsamkeit widerlegen, ist er nicht zur Informationsübermittlung verpflichtet.911 Eine Mitwirkungspflicht des Informationssuchenden in Form eines Auskunftsverlangens scheint interessengerecht.912 Dabei ist es für den Verwalter wichtig, die Rechtsstellung der anderen Verwalter in dessen ausländischen Verfahren zu kennen, da nur auf diesem Wege richtig analysiert werden kann, welche Informationen dort relevant sind oder werden können. Aufgrund der erheblichen Fülle an Informationen, die während eines Insolvenzverfahrens gesammelt und produziert werden, können die Verwalter nicht dazu verpflichtet sein, das andere Verfahren einer ständigen und ausführlichen Beobachtung zu unterziehen, um zu ermitteln, welche Informationen dort hilfreich sein könnten.913 Daher ist es konsequent, dass der rudimentär gehaltene Normtext eine solche Beobachtungs- und Erforschungspflicht nicht voraussetzt. Des Weiteren kann es nicht erwünscht sein, dass alle Informationen, sind sie auch noch so irrelevant, an die anderen Verwalter übermittelt werden. Der Zweck der Vorschrift – effiziente Insolvenzverfahren zu gewährleisten – ist 910 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 16; zu Art. 31 EuInsVO a. F. Kolmann, Kooperationsmodelle, 2001, S. 349; Staak, NZI 2004, 480, 481 Fn. 14; Wimmer, ZIP 1998, 982, 987; ein Mitdenken und Vorausschauen voraussetzend Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 56 Rn. 12; im Zusammenhang mit Insolvenzverwaltungsverträgen siehe Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 258. 911 Ein ähnlicher Gedanke hinsichtlich der Unterrichtungspflicht nach Art. 31 Abs. 3 EuInsVO a. F. ist zu finden in Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rn. 233. 912 Diese Auslegung wohl als nicht mit dem Wortlaut zu vereinbaren ansehend Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1. 913 Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1.

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nur zu erreichen, wenn die Informationspflichten nicht in unnötige Informationsexzesse ausarten, welche den Arbeitsumfang des informationsgebenden Verwalters erheblich erhöhen würden, ohne dass ein Nutzen für die Verfahren unmittelbar ersichtlich ist. bb) Qualität der Informationspflicht Terminologisch ist zwischen Informierung und Unterrichtung zu unterscheiden. Ersteres ist ein einseitiger Akt des Informierenden, der über die reine Übermittlungstätigkeit nicht hinausgeht. Eine Unterrichtung ist zwar ebenfalls ein einseitiger Akt, der allerdings mit einer Erläuterung oder Erklärung des Unterrichtenden verbunden ist.914 Darüber hinaus sind bei einer Unterrichtung sinnvolle Rückfragen statthaft, die wiederum eine neue Informationspflicht des informationenbesitzenden Verwalters auslösen. Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. a EuInsVO spricht lediglich davon, dass alle „Informationen mitzuteilen“ sind, die für das jeweilige andere Verfahren von Bedeutung sein können. Nach dem Wortlaut könnte demnach lediglich das Informieren im Sinne eines Zurverfügungstellens gefordert sein. Auf Basis einer teleologischen Betrachtung muss allerdings festgestellt werden, dass die Verwalter der Verfahren durch die Informationen auf einen einheitlichen Wissensstand gebracht werden sollen. Dies wird erst erreicht, wenn die Informationen so übermittelt werden, dass aus ihnen die nötigen Erkenntnisse gezogen werden können. Ein einfaches Zurverfügungstellen reicht dafür nicht aus. Die übermittelten Informationen müssen zusätzlich im Sinne eines Unterrichtens eine Erläuterung oder Erklärung enthalten, wenn dies zum Verständnis des Sachverhaltes erforderlich ist. Unterstützt wird dies durch einen Blick auf die Parallelregelung im Zusammenhang von Sekundärinsolvenzverfahren gem. Art. 41 Abs. 2 lit. a EuInsVO. Die Vorgängernorm Art. 31 EuInsVO a. F. war noch mit „Unterrichtungspflicht“ überschrieben und enthielt demnach eine qualifizierte Form der Informationsverschaffung. In Art. 41 EuInsVO taucht dieser Begriff zwar nicht mehr auf, allerdings ist nicht davon auszugehen, dass die Qualität der Informationsübermittlung durch die Reform herabgesenkt werden sollte. Die neue Terminologie ist lediglich auf die Angleichung mit den Kooperationsvorschriften des Konzerninsolvenzverfahrens zurückzuführen. Demnach sind von der Informationsübermittlung nach Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. a EuInsVO auch Erläuterungen und Erklärungen umfasst sowie als Reaktion Rückfragen gestattet. cc) Gegenstand der Informationspflicht Zu den Aufgaben des Insolvenzverwalters zählt es, einen regelmäßigen Informationsfluss mit den anderen Verwaltern am Laufen zu halten. Welche 914 Diese sinnvolle Differenzierung vornehmend Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, 2008, S. 27.

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Informationen als für das andere Verfahren wichtig einzustufen sind, hängt stark von der Verflochtenheit der Unternehmensgruppe ab. Generell sollte immer über Maßnahmen zur Rettung oder Sanierung des Schuldners oder zur Beendigung des Insolvenzverfahrens informiert werden,915 da hiervon eigene sowie gruppenweite Insolvenzstrategien abhängen.916 In einer Gruppe, die vor der Insolvenz zentral über eine Konzernleitungsmacht gesteuert wurde, ist sicherlich turnusmäßig der Stand der Insolvenzmasse in Form einer Vermögensübersicht mitzuteilen.917 Dabei ist die Rangfolge der Gläubiger, der Stand der Anmeldung und Prüfung der Forderungen918 sowie die Insolvenzquote zu übermitteln.919 Weitere objektiv bedeutsame Informationen sind geplante und eingereichte Klagen (beispielsweise Zahlungs- oder Anfechtungsklagen), die auf die Wiedererlangung von Teilen der Masse abzielen.920 Darüber hinaus ist über jede geplante Verwendung oder Verwertung von Gegenständen der Masse zu unterrichten.921 Dies ist von Gewicht, da nur auf Basis dieser Informationen eine Aussetzung der Maßnahmen im Zusammenhang der Verwertung der Masse nach Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO beantragt werden kann.922 Des Weiteren müssen alle administrativen Informationen hinsichtlich der nationalen Entscheidungsgremien mitgeteilt werden, damit den Verwaltern die Chance verbleibt, die Voraussetzungen der Teilnahme und Möglichkeiten im Zuge der 915 Im Zusammenhang mit der Koordination des Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahrens in Art. 41 Abs. 2 lit. a EuInsVO aufgeführt und auf die Kooperation im Rahmen von Konzerninsolvenzen übertragbar. 916 Hierunter sind insbesondere Vergleichs- oder Planvorschläge bzw. Anträge auf Einstellung des Verfahrens zu verstehen, Staak, NZI 2004, 480, 481. 917 Darunter fällt auch die Situation, dass die Insolvenz aufgrund einer Masseunzulänglichkeit beendet wird, vgl. zu Art. 31 EuInsVO a. F. Balz, ZIP 1996, 948, 954; Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 230. 918 Im Zusammenhang mit der Koordination des Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahrens in Art. 41 Abs. 2 lit. a EuInsVO aufgeführt und auf die Kooperation im Rahmen von Konzerninsolvenzen übertragbar. 919 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 56 Rn. 41; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 33; Staak, NZI 2004, 480, 481 Fn. 13; zu Art. 31 EuInsVO a. F. Balz, ZIP 1996, 948, 954; Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 230. 920 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 56 Rn. 41; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 33; Staak, NZI 2004, 480, 481 Fn. 13; zu Art. 31 EuInsVO a. F. Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 230. Im deutschen Recht fallen hierunter Informationen bezüglich Anfechtungsklagen. 921 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 56 Rn. 41; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 33; Staak, NZI 2004, 480, 481 Fn. 13; zu Art. 31 EuInsVO a. F. Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 230 u. 233. 922 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 25; vgl. im Zusammenhang mit dem Aussetzungsrecht aus Art. 33 EuInsVO a. F. Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 233.

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Teilnahme zu erörtern. Von diesen Gremien können daraufhin weitergehende Informationen erlangt werden, damit die Rechte aus Art. 60 EuInsVO effektiv wahrgenommen werden können.923 dd) Vorbehalt geeigneter Vorkehrungen zum Schutz vertraulicher Informationen Die Informationspflicht steht unter dem eigenständig in die EuInsVO inkludierten Vorbehalt des Bestandes geeigneter Vorkehrungen zum Schutz vertraulicher Informationen. Hierfür müssen zunächst die datenschutzrechtlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten eingehalten werden, um die geforderte Qualität eines ausreichenden Datenschutzniveaus bieten zu können.924 Speziell zu schützen sind Betriebsgeheimnisse, besonders in Form von Forschungs- und Entwicklungsinformationen.925 Dabei sollten für das konkrete Verfahren Vorkehrungen über individuell angepasste Vertraulichkeitsvereinbarungen, inklusive Modalitäten hinsichtlich der Durchsetzbarkeit sich möglicherweise anknüpfender Streitigkeiten, getroffen werden.926 Wenn Informationen im Zusammenhang einer übertragenden Sanierung übermittelt werden, ist eine Vertraulichkeitssicherung evident. Die Unternehmen stehen während dieser Zeit aufgrund der Beeinträchtigung des Beschäftigungsverhältnisses der Belegschaft zumeist im Fokus der Öffentlichkeit. Die Medien streben danach, an interne Informationen zu gelangen. Soll eine übertragende Sanierung erfolgreich durchgeführt werden, ist ein Schlüsselfaktor, dass die Vorarbeiten und Verhandlungen der Übertragung lediglich als Internum diskutiert werden, um mögliche Transaktionspartner nicht abzuschrecken.927 Als Paradigma in diesem Fall gelten die Insolvenzverfahren bedeutender Konzernteile der Maculan-Gruppe aus dem Jahre 1996. Dort wurden Gläubigerbanken mit vertraulichen Informationen in Form eines Sanierungsgutachtens über die Reorganisation der Gruppe versorgt. Diese Informationen gelangten jedoch an die Presse, wodurch ein Hauptwettbewerber davon Kenntnis erhielt. Am Ende scheiterten die Reorganisationsverhandlungen auch unter dem Einfluss dieses Informationslecks.928 923 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 56 Rn. 42; im Ergebnis auch Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 24. 924 In Deutschland muss auf das Bundesdatenschutzgesetz geachtet werden, Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 16. 925 UNCITRAL Practice Guide on Cross-Border Insolvency Cooperation, S. 101 Rn. 178. 926 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 35; UNCITRAL Practice Guide on Cross-Border Insolvency Cooperation, S. 101 f. Rn. 178 ff.; Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1. 927 Anschaulich mit Zitaten von Sanierungspraktikern im Zusammenhang einer außergerichtlichen Reorganisation Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 406 f. 928 Dieser Fall zeigt leider, dass eine individuelle Vertraulichkeitsvereinbarung die Weitergabe von Informationen nicht endgültig ausschließen kann. Die Bankenvertreter hatten

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b) Überprüfung einer Koordinierungsmöglichkeit und tatsächliche Koordination der Verwaltung Nach Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. b EuInsVO obliegt es den Verwaltern zu prüfen, ob Möglichkeiten einer Koordinierung der Verwaltung und Überwachung der Geschäfte der Gruppenmitglieder, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, bestehen. Falls eine solche Möglichkeit gegeben ist, koordinieren sie die Verwaltung und Überwachung dieser Geschäfte. Eine Überwachung dürfte lediglich im Zusammenhang der Eigenverwaltung nach Art. 76 EuInsVO stattfinden. Zwischen zwei Hauptinsolvenzverwaltern ist sie weniger denkbar, zumal die EuInsVO in ihrer Systematik gerade keine Haftungs- und Beaufsichtigungsfragen regeln möchte. 929 Die Beteiligung aller insolventer Gruppenmitglieder ist im Zuge dieser Koordinierung nicht erforderlich.930 Im Folgenden sollen die wichtigsten Koordinierungsbereiche dargestellt werden. aa) Allgemeine Verfahrensabstimmung Bei der durch das Gesetz aufgetragenen Koordinierung geht es größtenteils um allgemeine Fragen der Verfahrensabstimmung. Es sollen insbesondere die Verteilung der Verantwortlichkeit zwischen den Parteien sowie die konkreten Kommunikationsmethoden, einschließlich Sprache, Häufigkeit und Mittel, festgelegt werden. Darüber hinaus können spezielle Absprachen zu der Einziehung von Vermögenswerten, Sicherungsmaßnahmen sowie der Forderungsanmeldung und -verwaltung getroffen werden. 931 Um zukünftige Konflikte zu vermeiden, ist es überdies sinnvoll, wenn die Abstimmung konkrete Vorgaben hinsichtlich potenzieller Änderungen, der Auslegung, Wirksamkeit, Streitbeilegung, Beendigung sowie Kosten und Gebühren enthält. Verpflichtende Kooperationsmechanismen in Form von rechtsverbindlichen Absprachen können überdies mit einem Mediationsauftrag versehen werden, um der mit einer internationalen Insolvenz einhergehenden Komplexität und erheblichen Anzahl von widerstreitenden Interessen mit konsensualen Insolvenzbewältigungsstrategien erfolgreich zu begegnen. Die überwachenden Gerichte sollten hierauf hinwirken. Bekannt ist solch ein Vorgehen aus Ziffer C des Beschlusses des New Yorker Insolvenzgerichts zur Maxwell-Insolvenz.932 Die Kooperationsanordnung der EuInsVO sollte zum Anlass genommen werden, eine derartige Mediationsvereinbarung – sowohl mit als auch ohne gerichtliche Initiative – als obligatorisch im Zusammenhang mit Absprachen solch eine Erklärung unterzeichnet und dennoch wurden die Informationen preisgegeben. Siehe zu allem Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 407 u. 712. 929 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 56 Rn. 16. 930 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 17. 931 Zu alledem Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Anlage Teil 3. 2. F. 932 Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 34.

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werden zu lassen. Als Mediatoren können entweder externe Experten, möglicherweise auch in ihrer Funktion als Intermediäre gem. Art. 57 Abs. 1 S. 2 EuInsVO933, oder die ohnehin zur Verfügung stehenden Verwalter der anderen Verfahren bestellt werden. Zu denken ist dabei, falls vorhanden, insbesondere an den Verwalter aus der Mitte gem. Art. 56 Abs. 2 UAbs. 2 EuInsVO. Erforderlich sind allerdings hinsichtlich Mediationstechniken qualifizierte Verwalter.934 Falls die nationalen Rechtsordnungen dies gestatten, dürfte es indes als zielführender erscheinen, einen bestellten Intermediär aufgrund seiner Unabhängigkeit als Mediator einzusetzen.935 Um Unstimmigkeiten oder Konflikte ganz zu vermeiden, können überdies spezielle Stimmrechte oder Zustimmungsvorbehalte, das heißt insolvenzverwaltungsbezogene Veto-Rechte vereinbart werden, wodurch die Befugnis zur Vornahme bestimmter Handlungen an Einwilligungen oder zumindest Genehmigungen, beispielsweise der Gerichte oder Gläubigergremien, geknüpft werden.936 Dabei können vor allem gegenseitige Zustimmungsvorbehalte der Verwalter für wesentliche Verfahrensschritte, speziell in Bezug auf die Verwertung der Insolvenzmassen, vereinbart werden.937 Dies befreit jedoch nicht davon, auch während der Ausübung dieser Rechte eine Koordination durchzuführen, falls diese indiziert ist. Ein wichtiger Anwendungsbereich der Norm liegt in der vorbereitenden Prüfung hinsichtlich eines Gruppen-Koordinationsverfahrens gem. Art. 61 ff. EuInsVO. Es ist festzustellen, ob ein Gruppen-Koordinationsverfahren einen Nutzen für die Verfahren mit sich bringt. Fällt diese Prüfung positiv aus, ist eine tiefergreifende Koordination in Form der Eröffnung solch eines Verfahrens zu initiieren.938 bb) Abstimmung hinsichtlich einer einheitlichen Verwertung oder Übertragung Kommt es zu Liquidationsverfahren oder einer übertragenden Sanierung im Zusammenhang einer Gruppeninsolvenz, hat eine Abstimmung hinsichtlich einer Gesamtstrategie stattzufinden, damit eine einheitliche Verwertung gewährleistet und hierüber eine Wertsteigerung generiert werden kann. So sind Siehe hierzu ausführlich S. 288 ff. Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 35; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 218; ausführlich zu Mediatoren bei außergerichtlichen Unternehmensreorganisationen Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 529 ff. u. 537 f. 935 Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 26. 936 Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 11. 937 Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 242; so auch in dem Verfahren zu In re AIOC Corporation and AIOC Resources AG, US-Bankr. Ct. For the Southern District of New York, Case No. 96 B 41895, 96 B 41896. 938 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 37. 933

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beispielsweise gewisse Elemente eines Produktes auf verschiedene Gruppenunternehmen aufgeteilt und können im Insolvenzfalle erst nach einer Zusammenführung kumuliert verwertet werden. 939 Man denke an die Veräußerung von Lizenzen bzw. Patenten, mit denen erst dann der maximale Erlös erzielt werden kann, wenn sie zusammen mit dem das relevante Produkt produzierenden Unternehmen oder anderen Lizenzen bzw. Patenten angeboten werden.940 Ähnliches gilt im Zusammenhang mit der Veräußerung von Immobilienbesitz, das mit Anlagen ausgestattet ist, einzelnen Fertigungsschritten und Vertriebsprozessen einer Wertschöpfungskette sowie ganzer Konzernunternehmen (bzw. Beteiligungen), die eigentlich fest in eine Konzerndivision eingegliedert sind.941 Wenngleich eine einheitliche Verwertung nicht evident erforderlich ist, erwächst aus einem einträchtigen Auftreten eine gestärkte Verhandlungsposition gegenüber Interessenten, die nutzbar gemacht werden kann.942 Es zeigt sich, dass durch eine einheitliche Verwertung die Haftungsmasse beträchtlich gesteigert und somit dem Zweck der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung Rechnung getragen werden kann.943 Ein eindrucksvoller Fall stellte die Konzerninsolvenz der KPNQwest NV dar. 944 Dieser Verbund aus Gesellschaften betrieb ein zusammenhängendes Netz zu Telekommunikationszwecken. In jedem Staat, über das sich das Kabelnetz ausbreitete, bestand eine eigene Konzerngesellschaft, welche Eigentümerin des jeweiligen Abschnittes des Kabelnetzes war. So entstand ein technisch zusammenhängendes Gebilde, welches auf unterschiedliche Gesellschaften aufgeteilt war. Nur eine koordinierte Abwicklung konnte hier zu angemessenen Verwertungserlösen führen. In den Insolvenzfällen der Collins & Aikman-Gruppe zeigte sich, dass es nicht selbstverständlich ist, dass sich die Insolvenzverwalter wohlwollend und kooperationsbereit gegenüberstehen. Es handelte sich dabei zwar um das Verhältnis zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverwalter, der Fall schildert jedoch paradigmatisch, welche Probleme auch in mehreren parallelen Hauptinsolvenzverfahren eines Konzernverbunds auftreten können. Das Hauptinsol939 COM(2012) 416 final (EN), S. 15; ebenso Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 36 f. 940 INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 91 Rn. V.1.; Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 826; im Zusammenhang der substantiellen Konsolidierung Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 347, 350; UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 61 Rn. 108; Paulus, ZIP 2005, 1948, 1954. 941 COM(2012) 416 final (EN), S. 15; Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 826; hinsichtlich der Veräußerung von Beteiligungen Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 11. 942 Albach, ZfB 54 (1984), 773, 773 f. 943 Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 36; am Beispiel der AEGInsolvenz Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 4. 944 Dieses Fallbeispiel wird ausdrücklich in der Folgenabschätzung der Kommission zur Reform erwähnt, vgl. COM(2012) 416 final (EN), S. 15.

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venzverfahren über die österreichische Collins & Aikman-Products GmbH mit Sitz in Kapfenberg wurde am 15.7.2005 durch den High Court of Justice in London eröffnet.945 Im gleichen Monat wurde das Sekundärinsolvenzverfahren über dieselbe Gesellschaft in Österreich durch das Landgericht Loeben ohne vorherige Anhörung des Hauptinsolvenzverwalters eingeleitet und mit Verwertungshandlungen der Massegegenstände durch den eingesetzten Insolvenzverwalter begonnen. Eine Lösung auf direktem Kommunikationsweg war nicht zu erreichen. Daraufhin beantragte der Hauptinsolvenzverwalter vor Gericht unmittelbar die Aussetzung des Sekundärinsolvenzverfahrens zur Gänze, hilfsweise die Aussetzung des Verwertungsverfahrens, um eine Paketlösung alle Gesellschaften betreffend zu gewährleisten.946 Darüber hinaus sollte der Verwalter des Sekundärinsolvenzverfahrens angewiesen werden, eine Zusammenarbeitsvereinbarung mit den Hauptinsolvenzverwaltern bezüglich des Ziels einer koordinierten Tätigkeit abzuschließen. Das Begehren hatte zwar Erfolg, wären die beteiligten Insolvenzverwalter allerdings schon zu Beginn kompromissbereit in eine Kooperation eingetreten und hätten die jeweiligen Argumente hinsichtlich der Insolvenzstrategien ausgetauscht, wären die gerichtlichen Streitigkeiten wohl zu vermeiden und erheblichen Mitteleinsparungen generierbar gewesen.947 cc) Auflösung konzerninterner Verflechtungen und Streitigkeiten Bei der Insolvenz einer Unternehmensgruppe kommt es speziell zu Problemen, die auf die Konzernstruktur zurückzuführen sind. Besondere Abstimmungsschwierigkeiten entstehen, wenn der Konzern neben seiner vertikalen, die Wertschöpfungskette betreffenden Aufteilung auch horizontale Strukturen aufweist, aus welcher sich wiederum eigene divisionale Wertschöpfungsketten abspalten. Die Overhead-Bereiche mit ihren Unterstützungsaktivitäten werden aus Kostengründen zentral angesiedelt sein und betriebsübergreifend arbeiten. Unter diese Overhead-Aktivitäten fallen vornehmlich Aufgaben im allgemeinen Verwaltungsbereich, speziell dem Personalwesen, der EDV und Datenverarbeitung über sogenannte ERP-Systeme948, der Grundstücksverwaltung, dem Rechnungswesen (insbesondere der Buchhaltung), aber auch dem Rechts- und 945 Re Collins & Aikman Corp Group, High Court (Ch) v. 15.7.2005, [2006] BCC 606 = NZI 2006, 654 ff. 946 Verhoeven, Konzerninsolvenz, 2011, S. 167 f.; ausführlich hierzu Sommer, ZInsO 2005, 1137 ff. 947 Siehe hierzu später auch S. 279. 948 ERP (Enterprise-Ressource-Planning) bezeichnet eine Softwarelösung zur Ressourcenplanung, die für den ganzen Konzern im Bereich der Beschaffung, Produktion, Materialwirtschaft, des Vertriebs, Personalwesens, Finanz- und Rechnungswesens, Marketings sowie Controllings zuständig ist. Vgl. zum Konzerninsolvenzzusammenhang Flöther/Geiwitz, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 4 Rn. 509 f.

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Steuerwesen, dem Marketing sowie dem Einkauf und Vertrieb.949 So werden beispielsweise im Bereich der IT für viele Dienste Konzernlizenzen erworben. Dies ist bei der Herauslösung einzelner Konzernteile zu beachten.950 Insbesondere bei einer übertragenden Sanierung einzelner Business-Units müssen diese Strukturen entflochten und neu strukturiert werden, damit das zu übertragende Unternehmen dennoch funktionsfähig und attraktiv für den Markt ist, obwohl einzelne Unterstützungsaktivitäten nicht Teil des Verkaufsangebots sein können. Des Weiteren werden nach den meisten anwendbaren Rechtsordnungen konzerninterne Abstimmungsfragen im Zusammenhang mit Transaktionen zwischen den Gruppenunternehmen auftreten. So gilt es die Möglichkeit von Anfechtungskonstellationen zu überprüfen, die aufgrund solcher Transaktionen entstanden sind.951 Allein das Bestehen von Anfechtungsansprüchen kann zu Rechtsunsicherheiten mit negativen Auswirkungen für jedwede Abwicklung – vor allem im Zusammenhang einer übertragenden Sanierung – führen.952 Ein Investor wird sich davor scheuen, ein Unternehmen zu erwerben, welches ungeklärte Verbindlichkeiten besitzt und diesbezüglich in gruppeninternen Querelen verstrickt ist. Solchen Verhältnissen sollte mit einer Kooperation begegnet werden, um konfliktfreie Gruppenbeziehungen zu schaffen. Konfliktherde müssen vermieden werden, bevor sie sich zu einem Flächenbrand entwickeln. Kommt es zu einer erfolgreichen Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen, führt dies zumeist zu einem umfassenden Rückabwicklungsprozedere. Im Zuge dieser Rückabwicklung ist eine enge Abstimmung erfordert, da anderenfalls wichtige Zeit verloren geht. Eine Kooperation (zumeist in Form einer Informationsweitergabe), welche einen Anfechtungsanspruch überhaupt erst ermöglicht, ist allerdings aufgrund des Vorbehalts von Interessenkonflikten abzulehnen.953 c) Überprüfung einer Sanierungsmöglichkeit und Abstimmung bezüglich eines koordinierten Sanierungsplans aa) Überprüfung einer Sanierungsmöglichkeit Aufgrund der Stärkung von Reorganisations- und Sanierungsverfahren durch den europäischen und die nationalen Gesetzgeber hat eine Sanierung inzwi-

949 Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 59; Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 56 Rn. 45; Piepenburg, NZI 2004, 231, 234. 950 Flöther/Geiwitz, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 4 Rn. 509. 951 Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Anlage Teil 3. 2. f. 952 Humbeck, NZI 2013, 957, 959. 953 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 11; Wimmer, DB 2013, 1343, 1345; ders., jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1. Siehe hierzu zuvor auch S. 248.

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schen eine erhebliche Bedeutung erlangt. 954 Unter Sanierung im Sinne des Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. c EuInsVO ist, aufgrund der ausdrücklichen Erwähnung eines Sanierungsplans, lediglich eine fortführende Sanierung und keine übertragende Sanierung an eine andere juristische oder natürliche Person zu verstehen. Bei einer fortführenden Sanierung werden unternehmenspolitische, führungstechnische, organisatorische, finanzielle oder leistungswirtschaftliche Maßnahmen ergriffen, um ein Unternehmen zu erhalten.955 In einer Gruppeninsolvenz besteht das grundsätzliche Problem, dass die einstige Konzernsteuerungseinheit in Form der Konzernleitungsmacht, welche vorinsolvenzlich die notwendige Koordination zwischen den Gruppenteilen garantierte, ausgeschaltet ist.956 Ohne eine koordinierte Überprüfung von Sanierungsmöglichkeiten käme es zu Verfahren, die sich jeweils ausschließlich an den eigenen Zielen orientieren würden. Die Muttergesellschaft dürfte bei der Aufstellung des Insolvenzplans bei Tochtergesellschaft mangels nationaler Befugnisse zumeist nicht einmal beratend mitwirken.957 Ein Sanierungserfolg wäre praktisch ausgeschlossen, Arbeitsplätze würden in Gefahr geraten. 958 Eine effektive Sanierung kann demnach nur auf Basis einer Kooperation stattfinden. Durch die Art der bereits eröffneten Verfahren und die Wesen der Verwalter wurden zwar schon wichtige Weichenstellungen für oder gegen eine Sanierung getroffen. Es obliegt allerdings den Verwaltern alle noch bestehenden konkreten Sanierungsoptionen zu überprüfen. Bei der Überprüfung einer Sanierungsmöglichkeit ist insbesondere abzuwägen, ob lediglich eine koordinierte Abstimmung durchgeführt werden soll oder ein Gruppen-Koordinationsverfahren gem. Art. 61 ff. EuInsVO nutzbringender ist. Die Entscheidung, ob tatsächlich eine fortführende Sanierung anzustreben ist, richtet sich nach dem Vergleich des Ertragswertes des Unternehmens im Falle der eigenständigen Reorganisation auf Basis von Fortführungswerten und dem Ertragswert, der in dem Unternehmen gebundenen Ressourcen in ihrer bestmöglichen alternativen Verwendung (entweder in Form des Liquidationswerts der einzelnen Unternehmensaktiva oder dem Verkaufswert im Zuge einer übertragenden Sanierung). Bei Unternehmensgruppen rentiert sich eine Sanierung zu Fortführungswerten zumeist nur, wenn eine konzernweite Lösung angestrebt wird. 959 Behandelt man lediglich die einzelnen Rechtsträger als 954 Von einem neuen „Goldstandard“ hinsichtlich der Sanierungs- und Restrukturierungsverfahren sprechend Albrecht, ZInsO 2015, 1077, 1082. 955 Angelehnt an Hess/Fechner, Sanierungshandbuch, 2. Aufl. 1991, S. 6. 956 Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 235; Fritz, DB 2015, 1945, 1946; zum deutschen Recht Bous, Die Konzernleitungsmacht, 2001, S. 291 ff. 957 Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 546. 958 Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, ErwG Q. 959 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 83 f.; Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 800, ders., ZHR 169 (2005), 528, 533.

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solche losgelöst von der Gruppenstruktur, wird der einzeln für jedes Unternehmen betrachtete Fortführungswert schwerlich über den Verkaufs- oder Liquidationswert hinausgehen. Gerade aus der Verbindung zum Gesamtunternehmen ergibt sich bei vielen Gruppengliedern, wie zum Beispiel durch die Nutzung zentraler Unterstützerprozesse, der positive Fortführungswert. Zwar ist von Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. c EuInsVO keine gruppenweite Sanierung vorausgesetzt, bei der Überprüfung ist allerdings vor allem eine koordinierte gruppenweite Sanierungsmöglichkeit in den Fokus zu nehmen, da auf diesem Wege die besten Fortführungswerte zu erzielen sind. In gewissen Branchen kann gegebenenfalls eine Auslaufproduktion vorzugswürdig sein. Bei dieser werden die Produkte so weit wie möglich mit den vorhandenen Rohstoffen fertiggestellt, da Rohstoffe im verarbeitenden und produzierenden Gewerbe einen geringeren Marktwert haben. Anschließend wird der Geschäftsbetrieb eingestellt.960 Da dieser Auslaufprozess meist durch den Insolvenzverwalter vollzogen wird, ist hierin keine fortführende Sanierung zu verstehen. Eine Koordinierung erfolgt in diesem Fall sowie bei einer übertragenden Sanierung über Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. b EuInsVO. Praktische Auswirkungen hat diese Unterscheidung nicht. bb) Gestaltungsmöglichkeiten einer Sanierung Kommt die Überprüfung einer Sanierungsmöglichkeit zu dem Ergebnis, dass eine fortführende Sanierung den Insolvenzzielen am dienlichsten ist und lässt sich solch eine Fortführung nur über eine Abstimmung erreichen, haben sich die Verwalter über den Vorschlag für einen koordinierten Sanierungsplan und dazu, wie er ausgehandelt werden soll, abzustimmen. Die Insolvenzverwalter sind auf Basis des Art. 56 Abs. 2 lit. c EuInsVO dazu verpflichtet, auf die Erstellung eines Sanierungskonzepts hinzuwirken, das im Folgenden in den betroffenen Gruppenunternehmen umzusetzen ist. Notwendige Insolvenz- oder Reorganisationsverfahren müssen dabei so früh wie möglich eingeleitet werden. Die Beteiligung aller Verwalter ist nicht erforderlich, 961 allerdings zumeist angezeigt. Zusätzlich wird es oftmals nötig sein, die Koordination über den Normgehalt des Art. 56 EuInsVO hinaus auszudehnen und die wirtschaftlich gesunden Unternehmen der Gruppe mit in die Koordination einzubezie960 Voigt-Salus in: Mohrbutter/Ringstmeier, Hdb Insolvenzverwaltung, 9. Aufl. 2015, Kapitel 22 Rn. 68 ff. Möglich ist auch eine sog. Beendigungsschrumpfung. Diese ist anzudenken, falls eine Sanierung aufgrund tiefgreifender Defizite nicht möglich ist, die Unternehmenssubstanz jedoch noch soweit vorhanden ist, dass der Betrieb wirtschaftlich erfolgreich eine gewisse Zeit weiterproduzieren kann und eine Liquidation ohne Verkaufsdruck erst auf langfristiger Sicht stattzufinden hat. Vgl. Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 60; Voigt-Salus in: Mohrbutter/Ringstmeier, Hdb Insolvenzverwaltung, 9. Aufl. 2015, Kapitel 22 Rn. 69 f. 961 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 17.

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hen, da nur so eine gruppenweite Sanierung gewährleistet werden kann. Es wird jedoch von dem Willen der Führung der solventen Gruppenunternehmen abhängen, in welcher Qualität sie sich an der Sanierung beteiligen. Eine Rechtsverbindlichkeit des Sanierungsplans für die beteiligten Gruppenunternehmen besteht nicht. Allerdings kann dem Plan – im Gegensatz zu dem Gruppen-Koordinationsplan nach Art. 70 Abs. 2 EuInsVO962 – nicht per se jegliche Verbindlichkeit aberkannt werden. Es liegt im Ermessen der Verwalter, ob sie sich lediglich unverbindlich abstimmen oder eine bindende Verpflichtung eingehen wollen. Sinnvoll wird es zumeist sein, den koordinierten Sanierungsplan in Form einer verbindlichen Absprache abzuschließen, um Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu gewährleisten. Eine Zustimmungspflicht der nicht an dem Sanierungsplan partizipierenden insolventen Gruppenunternehmen besteht zwar nicht, allerdings hat sich der europäische Gesetzgeber einen Weg erdacht, eine Beteiligung attraktiv zu gestalten. So kann ein Sanierungsplan seine Wirkung über die Aussetzungsrechte nach Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO auf diejenigen Verfahren entfalten, die keine unmittelbare Zustimmung zu dem Plan abgegeben haben. Möchte ein Verwalter selbst Aussetzungsrechte geltend machen, kann er dies nur tun, wenn er einen koordinierenden Sanierungsplan vorgelegt hat.963 cc) Inhalt eines Sanierungsplans Kommt es zu Sanierungsbestrebungen, bedürfen diese eines Konzepts, dem eine Strategiedarstellung hinsichtlich einer Neuausrichtung des Unternehmens bzw. der Gruppenunternehmen in leistungswirtschaftlicher, finanzwirtschaftlicher und organisatorischer Weise zugrunde liegt.964 Dieses Konzept ist in einem Sanierungsplan festzuhalten, welcher die Basisentscheidungen, die im Rahmen einer Sanierung anfallen, vorgibt. Es sind Grundstrukturen der zu ergreifenden Maßnahmen festzulegen und Zielvorstellungen zu artikulieren. Ein reiner Liquidationsplan stellt somit keinen Sanierungsplan dar.965 Die Abstimmung im Zuge von einfachen oder gemeinsamen Sanierungsplänen, die sich zumeist an den bisher schon so erfolgreichen und beliebten Insolvenzverwaltungsverträgen in Form von rechtsverbindlichen Absprachen ausrichtetet, hat das Potenzial, eines der wichtigsten Instrumente im Zusammenhang einer internationalen Konzerninsolvenz zu werden, da sie einen einfachen, flexiblen und zielführenden Weg vorgibt. 966 Im Folgenden soll dargestellt werden,

Siehe hierzu S. 393 ff. Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 18. 964 Brünkmans, Der Konzern 2013, 324, 238. 965 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 23. 966 Diesen Weg dem komplexen Koordinationsverfahren vorziehend Fritz, DB 2015, 1945, 1946. 962

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welche Faktoren in einem koordinierten Sanierungsplan im Zuge einer Konzerninsolvenz besonders zu berücksichtigen sind. (1) Leistungswirtschaftliche Faktoren Die meisten Unternehmensgruppen sind als Art vertikaler Mischkonzern strukturiert. Fällt solch eine Gruppe in die Insolvenz, wird es zumeist unabdingbar sein, die leistungswirtschaftlichen Prozesse neu zu strukturieren, um die Gruppe wieder wettbewerbsfähig zu machen. Ein Sanierungsplan sollte in diesen Fällen inhaltlich insbesondere auf die Umstrukturierung der Unternehmensgruppe in operativer Hinsicht ausgerichtet und in Form eines umfassenden Masterplans ausgestaltet sein.967 Es müssen Regelungen getroffen werden, um die Geschäftsmodelle und Unternehmensstrategien die Wertschöpfungskette betreffend neu aufzustellen. Betroffen sind vor allem die Kernaktivitäten einer Unternehmensgruppe, wie Einkauf und Beschaffung, Produktion und Logistik, Forschung und Entwicklung sowie Vertrieb und Marketing, das heißt diejenigen Tätigkeiten, die unmittelbar auf die Wertschöpfungskette einwirken.968 Gerade der Beschaffungs- sowie Absatzbereich muss mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtet werden, da ein Betrieb nur am Leben gehalten werden kann, wenn diese Elemente funktionsfähig sind.969 Es bedarf möglicherweise einer Umstrukturierung der Supply Chain, indem neue Beschaffungsund/oder Absatzkanäle geschaffen und alte aufgelöst werden. So haben die Insolvenzverwalter die Unternehmen eventuell aus einer erdrückenden Abhängigkeit einzelner Zulieferbetriebe zu lösen.970 Dies kann sich als schwierig erweisen, da in einer Produktion oftmals spezifische Anforderungen an gewisse Bauteile zu stellen sind, die es durch neue Zulieferer zu erfüllen gilt.971 Nur als Gruppe wird es möglich sein, am Markt zu bestehen und gute Konditionen durchzusetzen. Innerbetrieblich müssen sich die Insolvenzverwalter der Gruppenunternehmen untereinander und gleichzeitig mit den gesunden Gruppenteilen abstimmen, um eine Bewertung der Rentabilität und der Prozesse mittels einer Prozesskostenrechnung durchzuführen.972 Daraus sind Sanierungsstrategien abzuleiten. Ansatzpunkte für Strukturmaßnahmen sind die Reduzierung der Fixkosten, Erhöhung der Produktivität, Stilllegung von Betriebsteilen sowie der

Fritz, DB 2015, 1945, 1946; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 19. 968 Flöther/Geiwitz, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 4 Rn. 507. 969 Fritz, DB 2015, 1945, 1946. 970 Flöther/Geiwitz, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 4 Rn. 512 f. 971 Flöther/Geiwitz, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 4 Rn. 511. 972 Zur Funktionalität der Prozesskostenrechnung Flöther/Geiwitz, Hdb Konzerninsolvenz, § 4 Rn. 515. 967

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Abbau von Arbeitsplätzen.973 Darüber hinaus können bei gegenseitigen gruppeninternen Verträgen Kündigungs- bzw. Wahlrechtsentscheidungen anstehen.974 All diese Entscheidungen sollten nicht nur im Unternehmens-, sondern auch im Gruppeninteresse getroffen werden und sind daher abzustimmen. Wurde im laufenden Geschäftsbetrieb die Wertschöpfungstiefe der einzelnen Kern- und Primäraktivitäten gesteigert und resultieren hieraus betriebswirtschaftliche Probleme, die für die Insolvenz mitursächlich sind, gehört die Wertschöpfung möglicherweise wieder verschlankt, sodass ein prozessorientiertes Wirtschaften möglich ist. Eventuell muss die Wertschöpfung und damit Gruppenstruktur komplett aufgespalten oder die Produktion einzelner Produkte eingestellt werden, wobei es zur Schließung gewisser Standorte oder zur Übertragung von Gruppenunternehmen kommen kann.975 Auch der umgekehrte Fall ist denkbar. So können operative Probleme gleichermaßen aus einer Verschlankung der Wertschöpfungskette im vorinsolvenzlichen Bereich resultieren, wenn beispielsweise durch Desinvestitionen stille Reserven gehoben wurden, um dadurch handelsrechtliche Verluste zu verringern oder die Liquiditätssituation zu verbessern. In diesem Fall ist die Wertschöpfungskette wieder soweit aufzubauen, dass die Gruppe in ihrem Segment wettbewerbsfähig wird. Hierfür werden Investoren benötigt, die nur zu gewinnen sind, wenn die Gruppe als Einheit auftritt und einen abgestimmten Zukunftsplan vorlegt. Dass ohne einheitliche Koordinierung im leistungswirtschaftlichen Bereich ein erheblicher Nutzengewinn verloren gehen kann, zeigte sich unter anderem im Zusammenhang der Insolvenz der deutschen AEG-Telefunken AG im Jahre 1982.976 Im Vorfeld der Insolvenz wurde ein Sanierungskonzept977 ausgearbeitet, mit welchem einer Überkapazität im Markt begegnet werden sollte. Die drei Tochterunternehmen Küppersbusch AG, Neff-Werke GmbH und Zanker GmbH sollten dabei – unter Aufrechterhaltung drei der vier Marken978 – teilweise still- bzw. mit AEG-Werken zusammengelegt werden.979 Hierdurch hätte Für diese Maßnahmen ist eine umfassende betriebswirtschaftliche Ursachen- und Schwachstellenanalyse vonnöten, Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 61. 974 Bezüglich der Aufgaben des Koordinators eines Gruppen-Koordinationsverfahrens gem. Art. 72 Abs. 1 EuInsVO, welche auch in diesem Zusammenhang relevant werden können Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.23; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 24; vgl. zu ähnlichen Konstellationen BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BTDrs. 18/407, S. 40. 975 Flöther/Geiwitz, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 4 Rn. 514. 976 Bei der AEG-Insolvenz handelte es sich zwar lediglich um eine nationale Konzerninsolvenz, die Thematik ist jedoch ohne weiter auf den internationalen Kontext übertragbar. 977 Dieses Konzept firmierte unter dem Namen „AEG 1983“ für den Produktionsbereich der Haushaltsgeräte. 978 Kübler, ZGR 1984, 560, 566. 979 Der Sanierungsweg sollte über eigenständige Insolvenzverfahren in Form von Liquidationsverfahren der Tochterunternehmen beschritten werden, initiiert durch eine Abkopp973

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planmäßig eine Einsparung von 3.000 Arbeitnehmern erreicht werden können. Die Tochterunternehmen hatten hingegen jeweils eine auf Fortführung gerichtete Sanierung vor Augen. Die divergierenden Ansätze führten dazu, dass es schon im Vorfeld der Insolvenz der Tochterunternehmen zu einer teilweisen Entflechtung der Konzernstruktur kam. So konnte die Küppersbusch AG aus dem Konzernverbund ausscheiden,980 durch eine Umsatzsteigerung die Insolvenzgründe abwehren und – unter Inkaufnahme einer Entlassung ca. der Hälfte der Belegschaft – eine Sanierung durchführen. Die Neff Werke GmbH schlitterte zwar in die Insolvenz, konnte jedoch eine Veräußerung an die Siemens Haushaltsgeräte GmbH erwirken, bei der die Produktion in reduziertem Umfang – und ebenfalls mit etwas mehr als der Hälfte der Belegschaft – fortgesetzt wurde.981 Die Zanker GmbH konnte einem Konkursverfahren auch nicht entweichen. In diesem Verfahren war es allerdings auch ihr möglich, mit Hilfe ihrer Markenrechte und durch die Gründung einer eigenen Vertriebsgesellschaft eine Entflechtung von der Muttergesellschaft durchzusetzen und neue Gesellschafter zu finden.982 Diese Vorgänge veranlassten die AEG-Telefunken AG dazu, ihre Sanierungsstrategien komplett hin zu einer „Nur-AG-Strategie“983 zu ändern. Der Alleingang der Tochterunternehmen bewirkte somit ein Scheitern des Liquidationskonzepts der AEG-Mutter, wodurch die Problematik der Überkapazitäten nicht beseitigt werden konnte. Die Tochterunternehmen wurden zwar saniert, allerdings sind auf diesem Wege 4.500 anstelle der ursprünglich – auf Basis des AEG-Sanierungskonzepts – geplanten 3.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Eine unkoordinierte Sanierung jedes Einzelunternehmens führte demnach zu einer arbeitsmarktpolitisch und volkswirtschaftlich schlechteren Lösung im Vergleich zu dem Einheitskonzept.984 Der Blick allein auf das eigene Unternehmenswohl kann einem tragfähigen Konzept zur Gruppensanierung und damit -wohlfahrtssteigerung die Chance der Umsetzung nehmen.985 lung der Tochterunternehmen von dem Finanzclearing der Mutterunternehmen. Dadurch wäre eine sofortige Zahlungsunfähigkeit bei den Tochterunternehmen eintreten, welche die gewünschten eigenständigen Insolvenzverfahren erforderlich gemacht hätte. Vgl. Kübler, ZGR 1984, 560, 562 f.; ebenso ausführlich zum Bericht des Konkursverwalters der NEFFWerke GmbH siehe Wellensiek, ZIP 1982, 1370 ff. 980 Auf Basis eines Entflechtungsvertrags reduzierte die AEG-Telefunken AG ihre Aktienbeteiligung an der Küppersbusch AG von 96 % auf 44 % (ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bestand nicht) und stimmte als Hauptgläubiger aus Konzernverrechnungen einer Vergleichsquote von 50 % zu, Kübler, ZGR 1984, 560, 564. 981 Kübler, ZGR 1984, 560, 566 ff.; wobei nur ein Bruchteil der Vorrechtsgläubiger aus der Konkursmasse befriedigt werden konnten, ders., ZGR 1984, 560, 568. 982 Kübler, ZGR 1984, 560, 568 f. 983 Kübler, ZGR 1984, 560, 567. 984 Kübler, ZGR 1984, 560, 570. 985 Diese Problematik aufzeigend Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 4; ders., ZHR 169 (2005), 528, 529.

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(2) Finanzwirtschaftliche Faktoren Die finanzwirtschaftliche Organisation einer Unternehmensgruppe erfolgt zumeist im Wege eines Cash-Management-Systems, welches insbesondere durch das Cash-Pooling bestimmt wird. 986 Die bilanzielle Planungsrechnung wird größtenteils hinsichtlich der Gewinn- und Verlustrechnung und der Liquidität in Form einer integrierten Planungsrechnung durchgeführt, um eine Gesamtdarstellung der Finanzstruktur der Gruppe aufzuzeigen. In der Insolvenz wird dem Cash-Management-System jedoch die zentrale Steuerungskraft geraubt, indem die Vermögensmassen für jeden Schuldner zwingend getrennt zu behandeln sind. Das Cash-Pooling ist zu beenden. Die Tochterunternehmen, welche sich bisher Kredite über das mit besserer Bonität ausgestattete Mutterunternehmen besorgt haben, müssen sich nun eigenständig um eine Finanzierung bemühen. Da die Tochterunternehmen nicht darauf ausgerichtet sind, selbst am Kreditmarkt zu partizipieren, wird dies in den meisten Fällen schwer umzusetzen sein. Daher sollten die Verwalter danach streben, auch in der Insolvenz zumindest eine einheitliche Liquiditätsplanung mit dem Ziel einer ausreichenden Liquiditätsversorgung über einen Sanierungsplan zu gewährleisten.987 Abhängig von der Gesellschaftsform können auch die Gesellschafter der insolventen Unternehmen mit einbezogen werden, indem sie zusätzliches Eigenkapital über beispielsweise einen Kapitalschnitt beisteuern und auf diesem Wege die Grundlagen für eine fortführende Sanierung schaffen.988 Soll die Gruppe in Zukunft fortbestehen, ist es überdies wichtig, neue finanzielle Absicherungsmechanismen zwischen den Gruppenunternehmen auszuhandeln. 989 Diesbezügliche Abstimmungen sind konfliktanfällig und sollten daher in der Form von rechtsverbindlichen Koordinationsabsprachen abgeschlossen werden, um Streitigkeiten über Rechte und Pflichten vorzubeugen.990 Die Krise der deutschen Korf-Gruppe im Jahre 1983 stellt ein Negativbeispiel dar, welche Auswirkungen eine finanzwirtschaftliche Verflechtung einer Unternehmensgruppe in einer Insolvenz mit sich bringen kann, wenn dieser Situation nicht mit einer geeigneten Kooperation der Verwalter begegnet wird. Die verstrickte Konzernstruktur der Korf-Gruppe mit dem Mutterunternehmen Korf Industrie und Handel GmbH & Co. KG führte zu einem Dominoeffekt, Hinsichtlich der Ausgestaltung dieses Systems siehe S. 30 ff. Fritz, DB 2015, 1945, 1946; Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 56 Rn. 51. 988 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 62; allgemein zur Position der Gesellschafter gegenüber den Gläubigern Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 688. 989 Bezüglich der Aufgaben des Koordinators eines Gruppen-Koordinationsverfahrens gem. Art. 72 Abs. 1 EuInsVO, welche auch in diesem Zusammenhang relevant werden können Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.23; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 24; vgl. zu ähnlichen Konstellationen BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BTDrs. 18/407, S. 40. 990 Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 11; ders., ZHR 169 (2005), 528, 543. 986

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ausgelöst durch leistungswirtschaftliche Probleme und den daraus folgenden Liquiditätsschwierigkeiten des Mutterunternehmens. Eine Abschottung der Korf-Stahl AG, welche als Zwischenholding die Mehrheiten an der Badischen Stahlwerke AG und an der Hamburger Stahlwerke GmbH besaß, lief ins Leere, da die Zwischengesellschaft selbst sowie die Badischen Stahlwerke AG für die Wechselverpflichtungen von Mutter sowie der Hamburger Stahlwerke GmbH ohne eine Verlustausgleichspflicht der Korf-Stahl AG in unausweichliche Zahlungsschwierigkeiten gerieten.991 Es erfolgte eher ein auf einem Selbsterhaltungstrieb basierender eigenständiger Kampf jedes Unternehmens als ein Miteinander zur bestmöglichen finanziellen Konzernsanierung.992 Aus den leistungswirtschaftlichen Verflechtungen innerhalb einer Gruppe resultieren ebenfalls finanzwirtschaftliche Fragestellungen, die es im Zuge eines Sanierungsplans zu regeln gilt. So erfolgt der Austausch von Leistungen in Form von Waren und Dienstleistungen zwischen den Gruppenunternehmen zu Konzernverrechnungspreisen. Bei schwer abgrenzbaren Leistungen, insbesondere Unterstützerleistungen des Mutterunternehmens, findet dieser monetäre Ausgleich des Leistungsverkehrs im Wege einer pauschalen Abrechnung über eine Konzernumlage statt.993 Wird über einen Leistungsaustausch eine Finanzsteuerung initiiert, erfolgt dies aus einer Gesamtkonzernperspektive zur Maximierung des Gesamtkonzernwertes. 994 Den Verwaltern obliegt es, im Insolvenzfalle die konzerninternen Verrechnungspreise zu auditieren, damit diese – insbesondere im internationalen Kontext – einer steuerlichen Überprüfung standhalten und den Zielen des Insolvenzverfahrens – speziell der Massesicherung des leistenden Unternehmens zur bestmöglichen Gläubigerbefriedigung – gerecht werden. Maßgebliche Bedeutung bei der Verrechnungspreisgestaltung im internationalen Kontext kommt dem Fremdvergleichsgrundsatz (arm's length principle) zu. So liegt es – nicht zuletzt aus haftungstechnischen Gründen – im starken Interesse der Verwalter der insolventen Unternehmen, fremdvergleichsfähige Verrechnungspreise zu ermitteln und die bestehende Preispolitik daran anzupassen.995 Zur Sicherung der Insolvenzmasse eines Unternehmens sollte der Verwalter danach streben, dass dieser Grundsatz auch zwischen Gruppenunternehmen der gleichen Rechtsordnung zum Tragen kommt. Den Verwaltern obliegt die Pflicht, die Vertragsbeziehungen innerhalb der Gruppe

Kübler, ZGR 1984, 560, 584. Kübler, ZGR 1984, 560, 584. 993 Ausführlich Sieker in: Lutter/Scheffler/Schneider, Hdb Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 28.1 ff.; Theisen, Der Konzern, 2. Aufl. 2000, S. 465 ff. Im deutschen Recht ist das Risiko, dass ein Ausgleich nicht zu marktgerechten Preisen erfolgt, zum einen dadurch entschärft, dass im Vertragskonzern eine Pflicht zum Verlustausgleich besteht. Im faktischen Konzern muss ein Nachteil über § 311 Abs. 1 AktG ausgeglichen werden. 994 Becker, Kooperationspflichten, 2012, Rn. 59. 995 Flöther/Geiwitz, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 4 Rn. 519. 991

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neu zu überdenken. 996 Die Versuche sich am Verhalten eines ordentlichen Kaufmanns bei Geschäften mit konzernexternen Akteuren zu orientieren, 997 können sich in der Praxis im Einzelfall allerdings als schwierig erweisen. In einer funktional-vertikal strukturierten Gruppe befindet sich die anbietende Partei immer in einer strategisch besseren Lage, da auf ihre Leistung nicht ohne Weiteres verzichtet werden kann. Diese Disparität der Verhandlungspartner kann bei der Anpassung der Preise zu einem opportunistischen Verhalten der überlegenen Partei führen.998 Die getrennten Insolvenzverfahren hinsichtlich jedes Unternehmers machen aus eigentlich gemeinsamen Spielern partielle Kontrahenten. Um diese Situationen sowohl im Unternehmens- als auch Gruppeninteresse zu lösen, ist eine enge Kooperation zwischen den Verwaltern evident angezeigt. Des Weiteren sollten die Gläubiger in einen Sanierungsplan mit einbezogen werden, selbst wenn dies nicht vom Normtext der EuInsVO vorausgesetzt wird. Ein Gesamtkonzeptplan, der ebenfalls ein Konstrukt der gemeinsamen Willensbildung der Gläubigerschaft ist, kann dazu beitragen, die finanzwirtschaftliche Krise zielführend zu überwinden und die Insolvenzgründe zu beseitigen. Zu erreichen ist dies vor allem durch eine Stundung der oder ein Verzicht auf die Forderungen.999 Eine Stundung ist für die Gläubiger attraktiv, da eine Befriedigung mit höherer Quote über Tilgungsleistungen aus späteren Erträgen des sanierten Unternehmens erfolgen kann.1000 Darüber hinaus kann vereinbart werden, dass die Gläubiger auf Realsicherheiten verzichten, da die Sicherungsgüter zur Unternehmensfortführung weiter benötigt werden.1001 Dabei ist wichtig solche Gläubiger mit einzubeziehen, die mit mehreren Unternehmen der Gruppe vertragliche Beziehungen pflegen. Diese Verbindungen können nur dann im Zuge einer Sanierung miteinander verknüpft werden, wenn sich

Nach deutschem Recht hat der Insolvenzverwalter gem. § 103 InsO das Wahlrecht, Verträge für den konzerninternen Leitungsaustausch neu zu verhandeln. Dies gilt gem. § 105 InsO auch für langfristige Sukzessivlieferverträge zwischen den einzelnen Konzerngliedern. Siehe hierzu ausführlich Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 89. Als Verhandlungsmittel würde den Verwaltern nur die Möglichkeit verbleiben, nach Alternativanbietern außerhalb der Gruppe zu suchen, um auf die gruppeninternen Anbieterunternehmen Druck auszuüben. 997 Ehricke, Das abhängige Konzernunternehmen, 1998, S. 308. 998 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 88; diese Erfahrung als Vorstandsvorsitzender der Babcock Borsig AG während der Eigenverwaltung machend Piepenburg, NZI 2004, 231, 235. 999 Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 37 f. 1000 Zum deutschen Recht Bähr/Landry in: Mohrbutter/Ringstmeier, Hdb Insolvenzverwaltung, 9. Aufl. 2015, Kapitel 14 Rn. 3; Bork, Insolvenzrecht, 8. Aufl. 2017, Rn. 413; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 28.05. 1001 Bork, Insolvenzrecht, 8. Aufl. 2017, Rn. 424; Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 62. 996

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alle Beteiligten offen für eine Koordination zeigen.1002 Durch eine Inklusion der Gläubigerschaft in die Entscheidungsprozesse wird im gleichen Zuge garantiert, dass die Vorbehalte der nationalen Rechtsordnungen hinsichtlich der Zustimmungsvorbehalte von Gläubigergremien eingehalten werden. In vereinzelten Ausnahmefällen wäre es sogar denkbar, im Zuge eines Insolvenzplans und auf Basis eines Gesamtgläubigerwillens – selbstverständlich unter Vorbehalt aller anwendbaren Rechtsordnungen – die Vermögensmassen der Unternehmen zusammenzulegen.1003 Ein Beispiel für eine gelungene Einbeziehung der Gläubiger in Sanierungsbemühungen stellen die Insolvenzverfahren der Collins & Aikman-Gruppe dar. Zwar lag der Einbeziehung primär eine Kooperation zwischen dem Haupt- und Sekundärinsolvenzverwalter zugrunde, das Vorgehen kann jedoch ebenso für parallele Hauptinsolvenzverfahren paradigmatisch sein. Im Zuge dieser Gruppeninsolvenz kam es trotz der anfänglichen Auseinandersetzungen1004 schlussendlich zu einer Koordinierung des Hauptinsolvenzverfahrens mit den Sekundärinsolvenzverfahren von 24 Tochterunternehmen aus zehn verschiedenen europäischen Ländern durch den englischen joint administrator. Damit konnte eine strukturierte Fortführung und eine übertragende Sanierung gewährleistet werden. Den Gläubigern, die ein potenzielles finanzielles Interesse an einem Sekundärinsolvenzverfahren hatten, wurde zugesichert, dass die in den Sekundärinsolvenzverfahren anwendbaren Rechte, insbesondere hinsichtlich ihres Ranges, im Hauptinsolvenzverfahren Berücksichtigung finden würden, sofern keine isolierten Verfahren durchgeführt werden.1005 Dadurch sollte die eigenständige Verwertung der Masse durch die Sekundärinsolvenzverfahren verhindert und den Gläubigern gleichzeitig die Quote bewahrt werden, die sie in einem isolierten nationalen Verfahren erhalten hätten. 1006 Dieses Prozedere wurde durch den High Court of Justice bestätigt, welcher den joint administrator dazu ermächtigte, solch eine vom nationalen Recht abweichende Als Beispiel schildert Wittinghofer einen Fall: Der zweifelhaften Forderung eines Gläubigers gegenüber Unternehmen X wird nicht widersprochen. Im Gegenzug macht der Gläubiger von einer Vorrangstellung in dem Verfahren zu Unternehmens Y nicht Gebrauch, wodurch die Fortführung des dortigen Betriebes gewährleistet wird. Vgl. Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 38. 1003 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 296 ff.; ders., ZIP 2013, 193, 194 f.; UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 60 Rn. 107. 1004 Siehe hierzu S. 267 f. 1005 Eigeninsolvenzanträge aus Insolvenzantragspflichten der Geschäftsführung konnten im deutschen Verfahren verhindert werden, indem die Geschäftsführer ihrer Pflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG durch die Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens im Ausland nachkamen, AG Köln NZI 2005, 564 f. 1006 Hirte in: FS K. Schmidt, 2009, 641, 650; Meyer-Löwy/Plank, NZI 2006, 622, 623; Paulus, 42 Tex. Int’l L.J. (2007), 819, 826 m. w. N. Nach Art. 7 EuInsVO (Art. 4 EuInsVO a. F.) wäre im Hauptinsolvenzverfahren ausschließlich englisches Recht anwendbar gewesen, welches vergleichbare Gläubigerrechte nicht vorgesehen hätte. 1002

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Verteilung vorzunehmen.1007 Als Ergebnis konnte ein Mehrerlös von 45 Millionen Dollar, im Vergleich zu den prognostizierten Erlösen auf Basis anderer Strategien, erzielt werden. 1008 Ähnlich wurde im Zusammenhang der Insolvenzverfahren der MG Rover National Sales Companies 1009 gehandelt, bei welchen der englische High Court of Justice vergleichbare Ausgleichzahlungen an die Gläubiger der Tochtergesellschaften gestattete. In den Beispielen wurde die Abstimmung zwar über das Gericht auf Basis von Billigkeitsrechtsprechungen initiiert,1010 entsprechende Ergebnisse lassen sich allerdings auch im Zusammenhang von Sanierungsplänen im Zuge eine Verwalterkoordination erreichen. Sofern eine Rechtsordnung die Partizipation eines Gerichts vorschreibt, ist diese über Art. 58 EuInsVO zu gewährleisten. (3) Organisatorische Faktoren Eine Organisationsanalyse ist für die Sanierung einer Unternehmensgruppe meist unumgänglich, da anhand eines organisatorischen Gesamtbildes aufgezeigt werden kann, welche Verknüpfungen und Abhängigkeiten zwischen den Gruppenunternehmen bestehen. Mit Hilfe einer Organisationsmatrix ist darzustellen, in welchen Konzernteilen die Haupt- und Unterstützungsaktivitäten angesiedelt und welchen Unternehmen sie zugeordnet sind. Damit können die Beteiligten einer Kooperation, welche in der Insolvenz die Struktur aufrechterhalten soll, genau bestimmt werden. Nur unter der Betrachtung aller Funktionsebenen können zielgerichtete Handlungsanweisungen gegeben werden, wie eine Sanierung durchzuführen ist und die Gruppe weiter fortgeführt werden kann. Gleichzeitig können anhand der Organisationsanalyse Schwächen in der Gruppenstruktur ausfindig gemacht werden, die es zu beheben gilt. Besondere Schwierigkeiten entstehen, wenn die Gruppe neben ihrer vertikalen, die Wertschöpfungskette betreffenden Aufteilung auch horizontal-diviDiese flexible Verteilung der Masse basierte auf §§ 59 und 66 Schedule B1 Insolvency Act 1986 c 45, Re Collins & Aikman Corp Group, High Court (Ch) v. 15.7.2005, [2006] BCC 606 = NZI 2006, 654, 656 ff. 1008 Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 84; Meyer-Löwy/Plank, NZI 2006, 622, 623; Vallender, NZI 2007, 129, 134. 1009 High Court of Justice durch seine örtliche Außenstelle (Assite Court) Birmingham Re MG Rover Belux SA/NV (In Administration), [2006] EWHC 1296 (Ch D) = [2007] BCC 446. 1010 HHJ Norris QC hatte das englische Recht im Zusammenspiel mit den Mechanismen der EuInsVO dahingehend ausgelegt, dass eine – generell nicht vorgesehene – Ausgleichszahlung möglich sein muss (als normative Anknüpfung wurde dennoch §§ 65 und 66 Schedule B1 Insolvency Act 1986 c 45 gewählt), wenn sie angemessen und zweckdienlich ist, das Ziel der Insolvenzverwaltung zu verwirklichen, wodurch faktisch belgisches Insolvenzrecht angewendet wurde, vgl. Hirte in: FS K. Schmidt, 2009, 641, 650 Fn. 39; die Handhabung kritisch als „gerichtlich abgesegnete Erpressung“ bezeichnend Mankowski, NZI 2006, 418, 418. 1007

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sionale Strukturen aufweist, das heißt mit weiteren Wertschöpfungsketten ausgestattet ist. Hier arbeiten die Unterstützungsaktivitäten meist betriebsübergreifend. Sollen nur Teile der Gruppe oder einzelne Divisionen saniert werden, ist zu gewährleisten, dass die Unterstützungsprozesse, insbesondere die Overhead-Aktivitäten, weiterhin allen Unternehmen, die sie benötigen, zur Verfügung stehen.1011 Im Falle einer fortführenden Sanierung ist es daher speziell Aufgabe des Verwalters des Mutterunternehmens, bei dem die Unterstützungsaktivitäten vorwiegend angesiedelt sind, den Tochterunternehmen einen Zugriff zu seinen Verwaltungsbereichen zu sichern.1012 Anderenfalls ist für die Tochterunternehmen eine kostspielige externe Beauftragung vonnöten. Eine Koordinierungspflicht ist Voraussetzung, dass der Zugriff auf diese Leistungen ermöglicht werden kann.1013 Ergibt eine Konzernanalyse, dass einige Gruppenbereiche stark dezentralisiert organisiert sind, auf Basis einer intensiveren Verknüpfung jedoch Synergien geschaffen werden könnten, ist es Aufgabe der Verwalter, über eine Koordination eine teilweise Zentralisierung zu schaffen.1014 Hierfür ist zwar ein erheblicher Ressourcenaufwand nötig, der zukünftige Nutzengewinn wird diesen jedoch voraussichtlich übersteigen, sofern die insolventen Gruppenunternehmen gestärkt und wettbewerbsfähig aus der Insolvenz entlassen werden. 5. Befugnisübertragung an Verwalter aus der Mitte Zur Förderung der Koordinierung und Sanierung aus Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. b und c EuInsVO können alle oder einige der beteiligten Verwalter nach Art. 56 Abs. 2 UAbs. 2 EuInsVO vereinbaren, einem Verwalter aus ihrer Mitte zusätzliche Befugnisse zu übertragen1015 oder bestimmte Aufgaben unter sich aufzuteilen. Dies gilt allerdings nur, wenn eine solche Vereinbarung nach den für die jeweiligen Verfahren geltenden Vorschriften zulässig ist. Wie der Normtext ausdrücklich statuiert, genügt es, wenn nur ein Teil der Verwalter

1011 Fritz, DB 2015, 1945, 1946; Flöther/Geiwitz, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 4 Rn. 507. Zur Unterstützeraktivitäten im Zusammenhang einer übertragenden Sanierung siehe S. 268 f. 1012 Im Falle der Insolvenz der Babcock Borsig AG konnte auf diesem Weg eine Lösung gefunden werden. Eine Evaluation ergab allerdings, dass die Verwaltungsstruktur vor allem ein Mehrwert für die Muttergesellschaft bedeutete. Daher sollte diese auch die anfallenden Kosten zur Aufrechterhaltung dieser Struktur tragen. 1013 Piepenburg, NZI 2004, 231, 235. 1014 Ähnlich Flöther/Geiwitz, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 4 Rn. 549; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 56 Rn. 14. 1015 Ein Vergleich mit dem deutschen Sonderinsolvenzverwalter geht fehl. So jedoch Thole, ZEuP 2014, 39, 68. Ein Sonderinsolvenzverwalter stammt gerade nicht aus den Reihen der bestellten Insolvenzverwalter, da ihm primär obliegt, Interessenkonflikte zu verhindern.

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sich dieser Möglichkeit anschließt.1016 Der aus der Mitte bestellte Verwalter kann bei bestimmten Unternehmen, wie beispielsweise einer 100 %-igen Tochtergesellschaft, der Verwalter der Muttergesellschaft sein, da diesem faktisch die „federführende Rolle“ im Unternehmensgefüge zukommt. 1017 Sinnvoll kann auch die Übertragung an denjenigen Verwalter im Gruppengefüge sein, der in seinem Verfahren prozentual am meisten Masse zu verwalten hat. Diesem Verwalter dürfte das größte Team zur Verfügung stehen, wodurch es ihm möglich ist, einen größeren Anteil der Befugnisse effektiv wahrzunehmen.1018 Über Art. 59 EuInsVO kommt es in diesem Fall auch zu einem Gleichlauf zwischen Kosten, Nutzen und Arbeitsaufwand. Als zu übertragende Befugnis kommt insbesondere die Verwertungsbefugnis über die Masse in Betracht, um einen Verkauf des Gesamtunternehmens aus einer Hand zu ermöglichen.1019 Darüber hinaus kann eine Befugnisübertragung durchgeführt werden, wenn Verträgen, wie beispielsweise Mietverträge, die jedes der Unternehmen mit einem Gläubiger geschlossen hat, einheitlich abgewickelt werden sollen oder eine Rechtsverfolgungsgemeinschaft gegründet wird, die insolvenzspezifische Ansprüche ausfindig zu machen hat.1020 Des Weiteren können Konflikte mit Gewerkschaften bzw. der Arbeitnehmerschaft oftmals besser über eine zentrale Stelle begegnet werden.1021 Eine wichtige Aufgabe kann dem Verwalter aus der Mitte auch im Zusammenhang eines Gruppensanierungsplans zukommen. So kann ihm übertragen werden, die Möglichkeit einer einheitlichen Sanierung zu prüfen, einen Gruppensanierungsplan zu erstellen sowie solch einen Plan oder die allgemeinen Geschäftstätigkeiten während der Sanierung umzusetzen und die Ausführung zu überwachen. 1022 Unklar ist, welche Bindungswirkung einem von diesem Verwalter ausgearbeiteten Plan zukommt.1023 Mit Blick auf die Vorgaben der nationalen Rechtsordnungen wird es wohl immer geboten sein, den Planentwurf im Zuge einer verbindlichen Vereinbarung von allen Verwaltern bestätigen zu lassen und auf diesem Wege eine für alle geltende RechtsverBraun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 17. SWD(2012) 416 final (EN), S. 32 f. 1018 Fritz, DB 2015, 1945, 1946. 1019 Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 801; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 20. 1020 Fritz, DB 2015, 1945, 1946; Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 56 Rn. 59; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 44; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 20. 1021 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 56.29; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 44. 1022 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 56 Rn. 21; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 17. 1023 Der koordinierte Restrukturierungsplan kann entweder die Verwalter unmittelbar binden, falls dies von allen erwünscht ist, oder lediglich eine Richtlinie für die Verfahrensbeteiligten darstellen, Wimmer, DB 2013, 1343, 1345. 1016

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bindlichkeit herbeizuführen, die von dem Verwalter aus der Mitte überwacht wird. Dem Verwalter aus der Mitte kann demnach eine erheblich machtvollere Stellung zukommen, als der Koordinator nach Art. 71 EuInsVO jemals haben kann. Verwaltungs- und Verwertungsbefugnisse zur freien Verfügung dürfen einem Verwalter nicht übertragen werden.1024 Dies würde gegen das Postulat der persönlichen Amtsführung, welches nahezu durch jede Rechtsordnung vorgegeben ist, verstoßen.1025 Die Ausstattung mit neuen Befugnissen kann jedoch schon bei einer einfachen Übertragung gewisser abgegrenzter Aufgaben zu Problemen hinsichtlich dieses Vorbehalts sowie des europäischen Vorbehalts bezüglich Interessenkonflikten führen.1026 Evident ist dies bei dem Verzicht auf konzerninterne Anfechtungsansprüche.1027 Zur Wahrung des Postulats der persönlichen Amtsführung ist an eine Rückkopplung an die jeweiligen Verwalter zu denken. Den Verwaltern kann ein bestimmender Einfluss oder die letztinstanzliche Kontrolle über die Entscheidung eingeräumt werden.1028 Der bestimmende Einfluss könnte sich in der Weise manifestieren, dass der Vorgang der Willensbildung und damit die Basis der konkreten Befugnisausübung nicht ausgelagert werden.1029 Sind nach dem nationalen Recht Zustimmungserfordernisse von Gläubigergremien oder anderen Entscheidungsträgern erforderlich, müssen diese gleichfalls von dem Verwalter aus der Mitte beachtet werden. Die Übertragung spezieller Befugnisse an einen Verwalter aus der Mitte findet ihre Grenzen grundsätzlich in dem restriktivsten der anzuwendenden Insolvenzrechte, da dieses den äußeren Rahmen der Übertragung vorgibt.1030 Die Möglichkeit der Koordinationskonzentration auf einen Verwalter stellt eine echte Alternative zum Gruppen-Koordinationsverfahren dar, in dem ein externer Koordinationsverwalter zu bestellen ist.1031 Bei der Bestimmung aus Art. 56 Abs. 2 UAbs. 2 EuInsVO handelt es sich um eine schlanke und

MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 56 Rn. 6. Siehe hierzu S. 244 f. 1026 Von „Sprengkraft“ sprechend Thole, ZEuP 2014, 39, 69. Im deutschen Recht darf eine Befugnisübertragung hinsichtlich insolvenzspezifischer Aufgaben u. a. in Form der Leitung des schuldnerischen Unternehmens, verfahrensrelevanter Entscheidungen, der Forderungsprüfung, der Insolvenzanfechtung sowie der Erfüllungswahl nicht stattfinden, Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 21; ebenso Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 152 ff.; ders., ZInsO 2013, 797, 801. 1027 Thole, ZEuP 2014, 39, 69. 1028 BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BTDrs. 18/407, S. 18; Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 229. 1029 Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 230 m. w. N. 1030 Mock, GPR 2013, 156, 164. 1031 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 56 Rn. 57; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 20; von einem „Koordinationsverfahren light“ sprechend Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 56 Rn. 19 u. Art. 71 Rn. 4. 1024

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privatautonome Regelung im Vergleich zum komplexen Gruppenverfahren.1032 Zielführend ist solch eine Befugnisübertragung allerdings nur, sofern die Aufgaben im Vorfeld übertragen werden. Wenn Streitigkeiten erst einmal entstanden sind, wird es zumeist schwierig, eine konsensuale Befugnisübertragung herbeizuführen.1033 Zur Vorhersehbarkeit der Insolvenzverwaltung ist es daher angezeigt, die neue Kompetenzordnung zu Beginn der Insolvenzverfahren in einer rechtsverbindlichen Absprache zwischen den Verwaltern zu konkretisieren. Anderes gilt lediglich, wenn sich die Beauftragung ausschließlich auf Mediationsfragen bezieht und ein Verwalter aus der Mitte eine schlichtende Rolle einnehmen soll, um schon bestehende Streitigkeiten einvernehmlich zu lösen.1034 Solch eine Befugnisübertragung kann auch sukzessive im Laufe der Verfahren stattfinden, da sich erst in der konkreten Situation herausstellen wird, welcher Verwalter die nötige Unabhängigkeit für die Aufgabe besitzt. Die Regelung zur Befugnisübertragung könnte die Tatsache fördern, dass sich wenige Insolvenzverwalter als Spezialisten für Konzerninsolvenzverfahren herauskristallisieren, da es diesen aufgrund ihrer Qualifikation, Erfahrung und eines großen Unterbaus möglich ist, die bestehenden Herausforderungen einer Unternehmensgruppe am besten zu bewältigen.1035 Es lässt sich nicht vermeiden, dass es im Zusammenhang der wichtigen und umfangreichen Verfahren immer eine Expertenelite geben wird, die den Markt untereinander aufteilt. Dass diese vermehrt aus bestimmten Jurisdiktionen stammt, ist nicht nur dessen Qualifikationsstandards geschuldet, sondern insbesondere auf die Unternehmenslandschaft zurückzuführen, die sich überwiegend in Mitteleuropa konzentriert. Erst wenn sich die Verteilung des Unternehmertums zwischen den Mitgliedstaaten angeglichen hat, wird sich auch die Insolvenzverwalterbranche ausdehnen und neu strukturieren. 6. Fazit Die Verwalter der insolventen Gruppenunternehmen sind die Schlüsselfiguren ihrer Verfahren. Ihnen kommen alle Befugnisse zu, welche die einheitliche Unternehmensgruppenleitung einst auszeichnete. Daher obliegt es den Verwaltern, über eine Kooperation mit gebündelten Kompetenzen diese Leitung wiederherzustellen und die besten Insolvenzstrategien umzusetzen. Dies gilt sowohl bei einem Liquidationsverfahren als auch bei einer übertragenden oder Fritz, DB 2015, 1945, 1946; Thole, ZEuP 2014, 39, 68. MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Vor Art. 56 Rn. 13; die Befugnisübertragung generell als in der Praxis schwierig umzusetzen ansehend, da jeder Verwalter im Gegenzug Befugnisse abzugeben hat und daher erhebliche Diskussionen zu erwarten sind, Reumers, ECFR 2013, 554, 585. 1034 Siehe hierzu S. 265 f. 1035 Im Zusammenhang von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren Staak, NZI 2004, 480, 481. 1032

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fortführenden Sanierung. Zu Beginn soll gerade ein Informationsaustausch zwischen den Verwaltern dazu führen, dass die Grundlage jeglicher Maßnahmen geschaffen wird. Auf dem weiteren Koordinationsweg sind speziell rechtsverbindliche Absprachen umzusetzen, um eine Rechtssicherheit für alle Verfahrensbeteiligten zu schaffen. Insbesondere die Möglichkeit der Übertragung von Befugnissen an einen Verwalter aus der Mitte birgt erhebliches Potenzial hinsichtlich zentralisierter und damit kohärenter Entscheidungen. Die Kooperation zwischen den Verwaltern stellt damit das wichtigste Mittel dar, um einer Gruppeninsolvenz erfolgreich zu begegnen. Dabei sind allerdings die Interessen der Verfahrensbeteiligten und die nationalen Vorschriften zu berücksichtigen. Diese können erheblich einschränkend wirken. III. Zusammenarbeit und Kommunikation der Insolvenzgerichte Den Gerichten ist in vielen Mitgliedstaaten nach eigener Überzeugung die Zusammenarbeit mit anderen Gerichten durch ihre eigene lex fori concursus untersagt, da sie keine Rechtsgrundlage sehen, die ihnen solche Maßnahmen ausdrücklich gestattet. 1036 Damit wären auch die Insolvenzgerichte der anderen Staaten aufgrund der aus dem Territorialitätsgrundsatz herrührenden staatlichen Souveränität grundsätzlichen Schwierigkeiten – beispielsweise im Zusammenhang mit der Beweisaufnahme in dem anderen Staat – ausgesetzt.1037 Allerdings stehen die nationalen Rechtsordnungen einer Kooperation der Gerichte, entgegen deren Auffassung, größtenteils gar nicht im Wege. Kooperationsmaßnahmen können zumeist aus dem Prozessrecht der jeweiligen lex fori concursus gezogen werden. Das Prozessrecht richtet sich immer an gewissen Zwecksetzungen aus, die auf ein effizientes und faires Verfahren zur bestmöglichen Durchsetzung des materiellen Rechts abzielen.1038 Eine Kooperation der Gerichte ist für diese Zweckerreichung unerlässlich. Daher bieten die nationalen Rechtsordnungen zumeist auch einen Anknüpfungspunkt für Koope-

1036 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 57 Rn. 2; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 57 Rn. 1; auch die Gesetzesmaterialien gingen von diesem Selbstverständnis aus und wiesen darauf hin, dass den Richtern in vielen Mitgliedstaaten eine Zusammenarbeit untersagt ist, sofern sie sich dafür nicht auf eine Rechtsgrundlage stützen können, COM(2012) 743 final (DE), S. 17. Im deutschen Recht wurde im Zuge des ESUG der § 348 Abs. 2 InsO eingefügt, auf Basis dessen inzwischen gewährleistet ist, dass deutsche Insolvenzgerichte bereits im Eröffnungsverfahren Informationen zu Koordinationszwecken austauschen können, Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 57 Rn. 2; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 57 Rn. 1 f. 1037 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 423; Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2399; Vallender in: FS Lüer, 2008, 479, 485 f. 1038 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 418. In der deutschen Rechtsprechung wird Verfahrensrecht ebenfalls als Zweckmäßigkeitsrecht qualifiziert, vgl. GmSOGB NJW 2000, 2340, 2341; BGH NJW 2005, 291, 293.

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rationsmaßnahmen im Zusammenhang von Konzerninsolvenzkonstellationen.1039 Die kontinentaleuropäischen Gerichte sollten sich dabei insbesondere an dem Selbstverständnis der Gerichte aus der Common Law-Kultur ausrichten. Diese ziehen ihre Befugnisse inhärent aus den Aufgaben, die ihnen im Zuge eines Verfahrens zukommen.1040 Damit das Entstehen einer Kooperation zwischen den Gerichten nicht allein davon abhängt, aus welcher Kultur die Gerichte entstammen bzw. welche Denkweise ihnen zugrunde liegt, schafft Art. 57 EuInsVO zum einen eine ausdrückliche Kooperationsbefugnisnorm, zum anderen kann sie dazu beitragen, die Wahrnehmung für intergerichtliche Abstimmungsprozesse im Allgemeinen zu stärken.1041 Der Anordnung der Zusammenarbeit und Kommunikation der Gerichte in Art. 57 EuInsVO ist demnach eine wichtige Bedeutung beizumessen. Es wurde ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu effizienten Verfahren gegangen. 1. Kooperationszeitraum Im Gegensatz zu Art. 56 EuInsVO wurde der zeitliche Anwendungsbereich der Kooperationsvorschriften zwischen den Gerichten vom europäischen Gesetzgeber klar geregelt. Nach Art. 57 Abs. 1 EuInsVO muss ein Gericht, das ein Verfahren eröffnet hat, mit den anderen Gerichten, die mit einem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines anderen Mitglieds derselben Unternehmensgruppe befasst sind oder die ein solches Verfahren eröffnet haben, zusammenarbeiten.1042 Das Tatbestandsmerkmal der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist dabei im Sinne des Art. 2 Nr. 7 EuInsVO autonom auszulegen und nicht an nationalen Termini auszurichten.1043 Nach Art. 2 Nr. 7 EuInsVO ist ein Insolvenzverfahren im Sinne der EuInsVO bereits in dem Zeitpunkt eröffnet, in dem die Entscheidung eines Gerichts zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder zur Bestätigung der Eröffnung eines solchen Verfahrens (Ziff. i) bzw. die Entscheidung eines Gerichts zur Bestellung eines Insolvenzverwalters – gem. Art. 2 Nr. 5 EuInsVO auch eines vorläufigen 1039 Deyda, Konzern im europ. int. InsR, 2008, S. 136 f. Dies beweisen beispielsweise die Beschlüsse des AG Köln NZI 2004, 151 ff. („Automold“); AG Köln NZI 2008, 254 ff. („PIN I“). Es ist anzunehmen, dass nahezu alle europäischen Insolvenzrechtsordnungen den in Deutschland zur Verfügung stehenden Optionen in nichts nachstehen, Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 563. 1040 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 57 Rn. 1; siehe beispielsweise Re Nortel Group, High Court of Justice London in v. 11.2.2009, [2009] EWHC 206 (Ch) = NZI 2009, 450 ff.; Re Collins & Aikman Corp Group, High Court (Ch) v. 15.7.2005, [2006] BCC 606 = NZI 2006, 654 ff. 1041 Das gleiche Ziel wurde auch die über European CoCo-Guidelines, Leitlinie 16.4. verfolgt; ebenfalls ALI/III-Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication, Leitlinie 2. 1042 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 57 Rn. 8. 1043 Braun/Tashiro, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 2 Rn. 27.

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Insolvenzverwalters1044 – (Ziff. ii) gefällt wurde.1045 Diese Auslegung fügt sich in die Systematik aus Art. 1 Abs. 1 EuInsVO und ErwG 15 EuInsVO ein, nach welcher der sachliche Anwendungsbereich der EuInsVO ausdrücklich auf vorläufige und einstweilige Insolvenzverfahren ausgedehnt ist.1046 Eine Koordination der Handlungen der Rechtspflegeorgane zu solch einem frühen Verfahrenszeitpunkt ist unerlässlich, da die Gerichte aufgrund ihrer Funktion als beaufsichtigende Stelle in den Insolvenzverfahren eine bedeutende Stellung einnehmen.1047 Die ausdrückliche Einbeziehung des Eröffnungsstadiums1048, das heißt des Zeitraums vor Eröffnung des Verfahrens im Sinne der EuInsVO, in den Kooperationszeitraum ist insbesondere im Zusammenhang mit der Bestellung von Verwaltern und der Bestimmung des COMI notwendig.1049 Von dem Gesetzgeber wurde dabei allerdings übersehen, dass eine solche Abstimmung bereits dann erforderlich ist, wenn sich alle beteiligten Verfahren in dem Eröffnungsstadium befinden und daher noch keines der Verfahren eröffnet wurde. Die Regelung des Art. 57 EuInsVO sollte ganz im Sinne des Effizienzgebots über den Wortlaut hinaus gleichfalls in dieser Situation greifen. 2. Voraussetzungstrias Im Rahmen der Kooperation zwischen Gerichten muss, wie bei der Kooperation zwischen Verwaltern, beachtet werden, dass die Zusammenarbeit eine wirksame Verfahrensführung erleichtern kann, mit den für die einzelnen Verfahren geltenden Vorschriften vereinbar ist1050 und keine Interessenkonflikte nach sich zieht. Hinsichtlich dieser Voraussetzungstrias kann daher größtenteils auf die Ausführungen zu Art. 56 EuInsVO verwiesen werden.1051 Eine Kooperation zwischen Gerichten wird nur in Ausnahmefällen nicht geeignet sein, eine effektive Verfahrensdurchführung zu erleichtern. Grundsätzlich ist eine Abstimmung zwischen den Gerichten sinnvoll und sollte daher den Braun/Tashiro, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 2 Rn. 33; MüKoInsO/Thole, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 2 Rn. 9. 1045 Die aus den nationalen Rechtsordnungen bekannten förmlichen Eröffnungsentscheidungen (z. B. gem. § 27 InsO) sind demnach nicht die einzigen ausschlaggebenden Anknüpfungspunkte bei der Bestimmung der Verfahrenseröffnung i. S. d. EuInsVO, Braun/Tashiro, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 2 Rn. 27; MüKoInsO/Thole, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 2 Rn. 9. 1046 Braun/Tashiro, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 2 Rn. 28. 1047 Vallender, KTS 2008, 59, 59; ders., in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 6. 1048 Siehe hierzu mehr S. 235 f. 1049 Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 6. 1050 Diese Voraussetzung ist auch in den ALI/III-Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication in Leitlinie 1 zu finden. 1051 MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Vor Art. 57 Rn. 2; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 57 Rn. 7. Siehe zu den Voraussetzungen ausführlich S. 237 ff. 1044

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Kapitel 3: Das Konzerninsolvenzrecht der EuInsVO de lege lata

Regelfall darstellen.1052 Zu erreichen ist lediglich, dass durch die Koordination faktische Hindernisse, beispielsweise aufgrund von Sprachbarrieren, überwunden, eine mangelhafte Infrastruktur der Kommunikation behoben oder Kosten begrenzt werden. Die im Zusammenhang der reinen Kontaktaufnahme anfallenden Aufwendungen dürften dabei grundsätzlich immer gerechtfertigt sein. Da die zuständigen Insolvenzgerichte im Gegensatz zu den Verwaltern nicht frei bestimmbar sind und damit die vorhandene Sprachkompetenz nicht beeinflussbar ist, dürften zudem auch Übersetzungs- und Dolmetscherkosten als grundlegend notwendige Aufwendungen für jedwede Koordinierungsmaßnahmen gelten.1053 Speziell im Zusammenhang einer Insolvenz ist allerdings zu beachten, dass den Gerichten von den jeweiligen Mitgliedstaaten erheblich divergierende Aufgabenbereiche übertragen werden. Die Kompetenzen der Gerichte können sich daher stark unterscheiden.1054 Eine Kooperation kann aufgrund des Vorbehalts der nationalen Vorschriften erst entstehen, wenn die abzustimmenden Maßnahmen in dem sich überschneidenden Kompetenzbereich aller sich beteiligenden Gerichte liegen. Den Gerichten müssen demnach funktional vergleichbare Kompetenzen zukommen.1055 Englische Gerichte können beispielsweise nur in ihr Verfahren eingreifen, wenn sie von dem Verwalter um eine Weisung ersucht werden oder wenn sich die Gläubiger gegen eine Entscheidung des Verwalters wenden.1056 Für die deutschen Gerichte als Rechtsaufsicht des Verwalters ergeben sich Kompetenzen, mit denen sie – abgesehen von Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren – aktiv mit speziellen Mitwirkungs- oder Anhörungsrechten eingreifen können.1057 3. Bestellung eines Intermediärs Nach Art. 57 Abs. 1 S. 2 EuInsVO können die Gerichte zur Vereinfachung der Zusammenarbeit mit anderen Gerichten bei Bedarf eine unabhängige Person oder Stelle bestellen bzw. bestimmen, die auf ihre Weisung hin tätig wird, sofern dies mit den für sie geltenden Vorschriften vereinbar ist. Den Gerichten wurde damit die Kompetenz eingeräumt, ihre eigenen Befugnisse zur 1052 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 57 Rn. 10; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 57 Rn. 9. 1053 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 420. 1054 Vallender, KTS 2008, 59, 61. Zwar können die Verwalter auch mit unterschiedlichen Kompetenzen ausgestattet sein, grundsätzlich ist der Aufgabenbereich jedoch zweckmäßig in Bezug auf die Verwaltung der Masse ausgerichtet, Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2397. 1055 Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2397; Mankowski, NZI 2009, 451, 451 f. 1056 Vallender, KTS 2008, 59, 62. 1057 Siehe hierzu mit Beispielen Vallender, KTS 2008, 59, 62 f.; zur Rechtsaufsicht gem. §§ 58, 59 InsO im Allgemeinen Braun/Blümle, InsO, 7. Aufl. 2017, § 58 Rn. 4; Ries in: K. Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016, § 58 Rn. 4; Vallender in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, § 58 Rn. 10.

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Fremdwahrnehmung auszulagern, falls dies nutzbringend für eine Kooperation ist. Obliegt den Gerichten allerdings – vergleichbar mit dem deutschen Recht – hauptsächlich eine reine Rechtsaufsicht, wird eine Delegation der originär gerichtlichen Aufgaben nicht möglich sein, da diese nach dem nationalen Recht grundsätzlich persönlich zu erfüllen sind.1058 Die Anwendungsmöglichkeit des Art. 57 Abs. 1 S. 2 EuInsVO wäre in diesen Jurisdiktionen erheblich eingeschränkt.1059 Im Sinne einer größtmöglichen Effizienzsteigerung der Verfahren ist der Anwendungsbereich der Intermediärbestellung jedoch weiter zu verstehen. Der Wortlaut spricht nicht von einer Kompetenzübertragung, sondern lediglich von einer Bestellung bzw. Bestimmung. Den Intermediären können demnach Aufgaben zukommen, welche nicht originär in den gerichtlichen Zuständigkeitsbereich fallen, sondern lediglich kooperationsfördernde Hilfstätigkeiten sind. Die Gerichte sind damit frei, eine geeignete Stelle zur Unterstützung zu wählen. Die Norm ist an dem Verständnis des Art. 27 (a) UNCITRALModellgesetz, der Leitlinie 16.4. European CoCo-Guidelines sowie der 23.4., 23.5. ALI/III-Global Principles anzulehnen. Diese sehen ebenfalls Stellen vorsehen, die unterstützend tätig werden können.1060 Die Aufgaben, Befugnisse und Bedingungen der Bestellung müssen bei der Bestellung bzw. Bestimmung durch das Gericht festgelegt werden. 1061 Dies kann entweder durch das anwendbare Recht, falls dort diesbezügliche Vorgaben gemacht werden, oder durch individuelle Vereinbarungen geschehen. Die unmittelbare Anwendung eines innerstaatlichen Rechts ist allerdings problematisch, da der Intermediär grundsätzlich von mehreren Gerichten aus verschiedenen Rechtsordnungen bestellt werden wird, sodass es nicht „das“ anwendbare Recht gibt.1062 Eingesetzt werden kann jede geeignete Person oder Institution. Gerade in Bezug auf die erweiterten Funktionen der Intermediäre erscheint es als sinnvoll, Berufsorganisationen oder Anwaltskanzleien zu bestellen, die schon Erfahrungen in der internationalen Insolvenzverwaltung gesammelt haben.1063

1058 Im Ergebnis auch Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 57 Rn. 10. In Deutschland würde solch einer Befugnisübertragung der Grundsatz der persönlichen Amtsführung entgegenstehen. A. A. Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 28. 1059 In diesem Sinne auch Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 802. 1060 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 57.7; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 57 Rn. 9; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 57 Rn. 15; Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 24; ebenso UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law, Part three, 2010, Empfehlung 241. 1061 Zu Art. 27 (a) UNCITRAL Practice Guide on Cross-Border Insolvency Cooperation, S. 18 Rn. 2. 1062 Hinsichtlich der im deutschen Recht tauglichen Vorschriften bezüglich der Vergütung und Haftung Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 31 f. 1063 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 57.10; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 57 Rn. 12; dies., KTS 2018, 1, 5;

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Intermediären kann speziell im Zusammenhang mit der Ausarbeitung von rechtsverbindlichen Absprachen die Aufgabe übertragen werden, den Verhandlungsprozess der Vereinbarungen zu koordinieren und zu überwachen. Positive Erfahrungen wurden diesbezüglich schon in den Insolvenzverfahren Maxwell und Nakash gesammelt, in welchen sich Experten um die Ausarbeitung der protocols bemühten. 1064 Dabei werden Intermediäre zumeist schon hinsichtlich der sprachlichen Fähigkeiten einen gesteigerten Kenntnisstand gegenüber der Richterschaft mitbringen.1065 Eine weitere Aufgabe der Intermediäre kann darin bestehen, die Gerichte, welche nach Art. 60 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO über das Aussetzungsrecht hinsichtlich der Verwertung der Masse gem. Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO zu entscheiden haben1066, bei ihrer Beurteilung als Sachverständige zu unterstützen. In diesem Zusammenhang ist auf die US-amerikanisch-kanadische Insolvenz der Matlack Systems Inc. hinzuweisen, in welcher ein information officer bestellt wurde, der dafür zuständig war, dem Gericht in Delaware periodisch über den Stand des kanadischen Verfahrens Bericht zu erstatten und sonstige Informationen, die von dem Gericht benötigt wurden, einzuholen.1067 Auf diesem Wege konnte sichergestellt werden, dass die Aussetzung der Verwertung ihren Nutzen erfüllte und dem US-amerikanischen Chapter 11-Verfahren dienlich war.1068 Bei der Auswahl der Intermediäre ist darauf zu achten, dass diese eine den Gerichten vergleichbare Unabhängigkeit aufweisen. Das Unabhängigkeitskriterium wurde in der Endfassung der EuInsVO im Vergleich zu Art. 42b Abs. 1 S. 2 EuInsVO-E ausdrücklich hervorgehoben. Auszufüllen ist das Merkmal über eine analoge Anwendung des Art. 71 Abs. 2 EuInsVO,1069 da die Aufgaben der Intermediäre nahe an die eines Koordinators im Gruppen-Koordinationsverfahren gem. Art. 61 ff. EuInsVO heranrücken können. Somit ist vor allem zu vermeiden, dass die von den Gerichten als originär für die Verfahren

Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 57 Rn. 10; Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 30; ähnlich Fritz, DB 2015, 1882, 1887. 1064 Zu Art. 27 (a) UNCITRAL Practice Guide on Cross-Border Insolvency Cooperation, S. 18 Rn. 3. 1065 Fritz, DB 2015, 1882, 1887; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 57.08; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 57 Rn. 10; dies., KTS 2018, 1, 5; Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 25; zu Art. 27 (a) UNCITRAL Practice Guide on Cross-Border Insolvency Cooperation, S. 18 Rn. 2. 1066 Siehe hierzu mehr auf S. 323 ff. 1067 Zu Art. 27 (a) UNCITRAL Practice Guide on Cross-Border Insolvency Cooperation, S. 18 Rn. 3. 1068 , Stand: November 2018. 1069 In diesem Sinne Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 57.09; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 57 Rn. 11.

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bestellten Insolvenzverwalter als Intermediäre eingesetzt werden. 1070 Aufgrund ihrer Unabhängigkeit kann den Intermediären bei Konflikten zwischen den Verwaltern oder anderen Verfahrensbeteiligten eine wichtige vermittelnde Funktion zukommen. Daher dürften sie zur Streitschlichtung besser geeignet sein, als beteiligte Verwalter, die gem. Art. 56 Abs. 2 UAbs. 2 EuInsVO für vergleichbare Aufgaben aus der Mitte der Verwalterriege bestimmt werden können. Kommt es zur Einsetzung von Intermediären in solch einem Zusammenhang, ist bei der Bestellung auf eine gesteigerte Sachkunde im Bereich der Mediation Wert zu legen, damit die Aufgaben bestmöglich ausgeführt werden können.1071 4. Modus operandi Bei einem direkten Rechtshilfeverkehr zwischen den Gerichten war bisher ein Abkommen zwischen den jeweiligen Staaten erforderlich.1072 Art. 57 Abs. 2 EuInsVO substituiert diese Notwendigkeit und schafft eine sekundärrechtlich garantierte Möglichkeit der direkten Kommunikation zwischen den beteiligten Gerichten.1073 Eine beidseitige Kommunikation zwischen den Gerichten oder ein einseitiges Gesuch kann damit auf „direktem“ Wege erfolgen. Ein zeitaufwendiges Rechtshilfegesuch wird obsolet.1074 Es handelt sich um eine Form der spezialgesetzlich geregelten Amtshilfe.1075 Wenngleich dies aus dem Normkontext nicht unmittelbar hervorgeht, gilt der allgemeine Vorbehalt der nationalen Vorschriften diesbezüglich nicht, sondern allein die durch den Absatz selbst vorgegebenen Einschränkungen, wonach die Verfahrensrechte der Parteien sowie die Vertraulichkeit der Information zu wahren sind. Die nationalen Justizverwaltungen dürfen somit die direkte Kommunikation nicht unter einen

Fritz, DB 2015, 1882, 1887; Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1; dies schon im Zusammenhang des Verordnungsentwurfs andenkend Wimmer, DB 2013, 1343, 1346. 1071 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 57.08; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 57 Rn. 10; zu Art. 27 (a) UNCITRAL Practice Guide on Cross-Border Insolvency Cooperation, S. 18 Rn. 2. 1072 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 424; Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 16. 1073 Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 16; zu dem Wortgleichen Art. 42 EuInsVO J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 42 Rn. 11. 1074 MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 42 Rn. 3 i. V. m. Art. 57 Rn. 4; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 57.11; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 57 Rn. 13; Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 16; zu Art. 72 (b) UNCITRAL Practice Guide on Cross-Border Insolvency Cooperation, S. 18 f. Rn. 4. 1075 Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 16. 1070

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allgemeinen Genehmigungsvorbehalt stellen oder von einer vorherigen Anzeige bzw. vorgeschriebenen Form abhängig machen.1076 Der Austausch zwischen den Gerichten kann nach Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 S. 1 EuInsVO auf jedem von dem Gericht als geeignet erachteten Weg erfolgen. In der Wahl der Art der Kommunikationsmittel sind die Gerichte vollständig frei.1077 Es kann vor allem der telefonische Kontakt gesucht, der Postweg, das Telefax oder der E-Mailverkehr verwendet, eine Videokonferenz einberufen oder ein anderes elektronisches Mittel eingesetzt werden.1078 Zu beachten ist dabei, dass der Postweg formell und förmlich ist, insbesondere wenn es um kritische Fragen und einen Ausgleich der Interessen der Parteien geht.1079 Der Telefonkontakt hingegen ist persönlicher und es ist den Parteien möglich, „auf Augenhöhe“ miteinander zu kommunizieren.1080 Ein Telefonkontakt fand beispielsweise im BenQ-Verfahren zwischen dem AG München und dem Arrondissmentsgericht Amsterdam statt.1081 Im Zuge der ersten Kontaktaufnahme bietet eine Kommunikation via Brief bzw. E-Mail zunächst Vorteile. Der angeschriebenen Stellen wird auf diesem Wege die Zeit eingeräumt, sich mit der Thematik auseinanderzusetzten, bevor eine Reaktion zu erfolgen hat.1082 Berücksichtigt man den Vorbehalt der nationalen Vorschriften, zeigt sich jedoch ein klarer Vorzug eines Telefonkontakts. Ist eine Kooperation in manchen Bereichen untersagt, kann in einem Telefonat, selbst wenn offiziell der Austausch mit Bedauern abgelehnt wird, dennoch – natürlich nur rein zufällig im Zuge der Ablehnung – ein abstimmend wirkender Informationsaustausch stattfinden. Welcher Aktenvermerk über das Telefonat gemacht wird, bleibt dem Erinnerungsvermögen des Richters überlassen. In einem förmlichen Brief, der in dieser Form in die Akten aufzunehmen ist, ist der Handlungsspielraum des Gerichts hingegen äußerst eingeschränkt.1083

Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 16. Mastrullo, Rev. proc. coll. 2015, no 1, dossier 7 para. 8; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 57.12; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 57 Rn. 14; zu Art. 72 (b) UNCITRAL Practice Guide on Cross-Border Insolvency Cooperation, S. 19 Rn. 6. 1078 Vallender in: FS Lüer, 2008, 479, 491; ders. in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 15. 1079 Im Nortel-Verfahren fand eine Kommunikation zwischen den Haupt- und potenziellen Sekundärinsolvenzverfahrensgericht auf Basis eines Briefs stattfand, wobei man dabei nicht wirklich von einer Koordination sprechen kann, da es sich mehr um eine zwar nett formulierte, aber einseitige Aufforderung handelte, dem Hauptinsolvenzverfahren die Verfahrensführung zu überlassen, Mankowski, NZI 2009, 451, 451 f. 1080 Mankowski, NZI 2009, 451, 452. 1081 Zum Verfahren des AG München ZIP 2007, 495 f.; zu dem Verfahren des Arrondissmentsgericht Amsterdam (FT RK 07-93 u. FT RK 07-122 = ZIP 2007, 492 ff.). 1082 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 420. 1083 Diese wohl recht praxisnahen Erfahrungen schildernd Mankowski, NZI 2009, 451, 452. 1076

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Bei der Kooperation zwischen den Gerichten gilt es ein rechtsstaatliches Verfahren und dabei insbesondere die Verfahrensrechte der Parteien zu wahren. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Gewährung eines rechtlichen Gehörs zu legen, welches von den meisten Rechtsordnungen – allerdings in unterschiedlichen Ausprägungen – vorausgesetzt wird. Infolgedessen muss den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit der Teilnahme an der Kooperation eingeräumt1084 oder zumindest ein Protokoll bzw. Vermerk erstellt und den Beteiligten zur Verfügung gestellt werden.1085 Alle Beteiligten sind während jedes Abschnittes des Verfahrens auf demselben Informationsstand zu halten. 1086 Gerade in den Common Law-Ländern, in welchen die Entscheidungen der Insolvenzrichter aus dem Inbegriff ihrer mündlichen Verhandlungen getroffen werden, kann es sogar vorausgesetzt sein, dass eine Kommunikation zwischen den Gerichten nur unter Beisein der Verfahrensbeteiligten erfolgen darf, sofern das Verfahren betreffende Einzelfragen zu erörtern sind.1087 Die Umsetzung einer tatsächlichen Teilnahme kann allerdings aufgrund der Infrastruktur und technischer Kapazitäten schnell an Grenzen stoßen.1088 Außerdem betreffen die Informationen oftmals Angelegenheiten, welche nicht ohne Weiteres an die anderen Verfahrensbeteiligten weitergereicht werden sollten. 1089 Daher sind wiederum einschränkend nationale Informationsschutzpflichten und Datenschutzbestimmungen1090 zu beachten. Bevor eine Kooperation der Gerichte initiiert wird, haben sich die beteiligten Gerichte gegenseitig ausgiebig über die einzuhaltenden Verfahrensrechte zu informieren. Abgesehen von der zuvor dargestellten und zugegebenermaßen windigen Durchsetzung einer faktischen Kooperation in Telefonaten, sollte die Kommunikation grundsätzlich festgehalten und protokolliert werden, sodass der Kooperationsverlauf gut nachvoll1084 Vgl. ALI/III-Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication, Leitlinie 7a; Vallender in: FS Lüer, 2008, 479, 491 Fn. 51. 1085 Vgl. ALI/III-Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication, Leitlinie 7c; hinsichtlich des deutschen Verfahrens Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 421. 1086 Von einer „prozessualen Waffengleichheit“ sprechend J. Schmidt in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 57 Rn. 15; ebenso Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 57.13. 1087 Einige Beispiele zeigen jedoch, dass sich gerade die Richter des US-amerikanischen Rechtssystem über diese Schranken hinweggesetzt haben, um eine effiziente und unkomplizierte Kooperation der Gerichte zum Wohle aller zu gewährleisten, Vallender, KTS 2008, 59, 73. 1088 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 421. 1089 Dieses Problem der entgegenlaufenden Interessen aufgrund nationaler Bestimmungen aufzeigend und dies als wesentlichen Hinderungsgrund für eine Vorteilhaftigkeit von Kooperationsverpflichtungen ansehend Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2398; ebenso Vallender, KTS 2008, 59, 74. 1090 In Deutschland ist insbesondere das Bundesdatenschutzgesetz zu beachten, Braun/ Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 57 Rn. 12.

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ziehbar ist.1091 Ein Sockel an Verfahrensrechten dürfte damit schon gewahrt sein. Zur Informationsbeschaffung und -auswertung im Zusammenhang einer gewinnbringenden Kooperation zwischen den Gerichten ist es erforderlich, die Sprach- und Verständigungsbarrieren zu überwinden.1092 Die Dokumente werden naturgemäß lediglich in der Sprache des jeweiligen Gerichts zur Verfügung stehen.1093 Der Einsatz von Dolmetschern und Übersetzungshilfen würde zu einem signifikanten Anstieg der Verfahrenskosten führen.1094 Denkt man an den erheblichen Informationsbedarf, der bei einer großen Konzerninsolvenz entsteht, würden die Kosten die Vorteile einer wirkungsvollen Kooperation schnell übersteigen bzw. zumindest stark hemmen. Der Nutzen einer gemeinsamen Sprache sowohl in der Kommunikation als auch Dokumentation würde demnach eine große Verbesserung mit sich bringen. Überdies kann ein fruchtbringender direkter Kontakt nur entstehen, wenn eine fließende Konversation möglich ist.1095 Ganz in diesem Sinne bestand schon der Wunsch der Autoren der European CoCo-Guidelines in Leitlinie 10.2. darin, sich auf eine einheitliche Sprache zu verständigen, um Übersetzungen überflüssig zu machen. Die Gerichtswirklichkeit ist jedoch durch eine Fokussierung auf die eigene Landessprache geprägt.1096 Eine Überwindung dieses Primates aus eigener Kraft ist nicht ersichtlich.1097 Eine Verbesserung des Sprachproblems kann darin bestehen, die beteiligten Verwalter stärker in den Kooperationsprozess der Gerichte einzubeziehen. 1098 Den Verwaltern dürfte aufgrund ihrer Erfahrungen 1091 Vgl. hierzu ALI/III-Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication, Leitlinie 7b; sinnvoll erscheint es, dass das Gerichtspersonal in ausgiebiger Form miteinander kommunizieren kann, ohne entsprechende Protokolle anzufertigen, um die Kooperation vorzubereiten, ALI/III-Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication, Leitlinie 7d. 1092 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 420; Vallender, KTS 2005, 283, 322. 1093 Die Gerichtssprache im deutschen Recht ist ausdrücklich festgelegt in § 184 GVG. 1094 Im deutschen Recht kann die Hinzuziehung eines Dolmetschers unterbleiben, wenn die beteiligten Personen sämtlich der fremden Sprache mächtig sind, § 185 Abs. 2 GVG. 1095 Einem Schriftverkehr sollte allerdings der Vorzug eingeräumt werden, wenn sprachliche Barrieren bestehen, da auf diesem Weg genug Zeit für die sprachliche Ver- und Ausarbeitung gewährleistet wird. 1096 Sinnvoll ist in diesem Zusammenhang die Internationalisierung der Juristenausbildung in den Mitgliedstaaten, so wie es in Deutschland nach der Reform vom 11.7.2002 geschah. Nur auf diesem Wege kann die Grundlage für eine einfachere Kommunikation in der Zukunft gelegt werden. Vgl. Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 295. Ein richtiger Weg in anderem Kontext wurde mit dem deutschen Gesetzentwurf zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen, welche entsprechend qualifiziert zu besetzen sind, gelegt, vgl. BT-Drs. 18/1287. 1097 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 420; Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2397; Vallender, KTS 2005, 283, 322; ders., KTS 2008, 59, 76 f. 1098 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 420.

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eine höhere Sprachkompetenz zukommen. Außerdem lässt sich deren Befähigung durch eine geeignete Verwalterwahl stark beeinflussen.1099 Der Umweg über die Verwalter bedarf allerdings zusätzlicher Ressourcen, erhöht die Kosten und ist auch nicht in allen Belangen gangbar, da die Verwalter primär ihren eigenen Verfahrenszwecken unterworfen sind. Daher wird die Bestellung von qualifizierten Intermediären, die ebenfalls mit Blick auf eine exzellente sprachliche Befähigung ausgewählt werden können, am geeignetsten sein, um Sprachproblemen erfolgreich zu begegnen.1100 5. Inhalt der Zusammenarbeit Im Zuge einer Kooperation zwischen den Gerichten ist ein breites Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten vorstellbar, sofern sie nach der eigenen Einschätzung von jedem beteiligten Gericht als geeignet erachtet werden.1101 Der europäische Gesetzgeber dürfte mit dieser Voraussetzung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus Art. 5 Abs. 4 EUV anknüpfen. Im Sinne des deutschen Verständnisses ist lediglich zu verlangen, dass die Maßnahme den gewünschten Zweck zumindest fördert.1102 Die Geeignetheit dürfte ohnehin immer gegeben sein, wenn die Grundvoraussetzung der Erleichterung einer wirksamen Verfahrensführung erfüllt ist. Eine ausführliche Abwägung im Sinne einer Angemessenheitsprüfung hat im Zuge der Effizienzbestimmung bei der Auswahl der konkreten Mittel zu erfolgen. Bei dem in Art. 57 Abs. 3 EuInsVO aufgeführten Katalog handelt es sich nicht um eine enumerative Aufzählung. Die aufgeführten Kooperationspunkte sind indes so weit gehalten, dass wohl alle den Gerichten obliegenden Aufgaben hierunter gefasst werden können.1103 a) Koordinierung bei der Bestellung von Verwaltern Ein wichtiger Vorteil, der durch die Eröffnung eines einheitlichen Insolvenzverfahrens zentral am gemeinsamen COMI entsteht, liegt in der erhöhten Wahrscheinlichkeit begründet, dass das zuständige Gericht einen einheitlichen Verwalter bestellt, um eine konzentrierte Insolvenzverwaltung aus einer Hand zu schaffen. 1104 Solch eine konzentrierte Zuständigkeit wird durch die

Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 420 Fn 17. Siehe hierzu zuvor S. 290. 1101 Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 14. 1102 Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 13 f. 1103 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 57 Rn. 13; Wimmer, jurisPRInsR 7/2015 Anm. 1. 1104 Sogar unter den Insolvenzpraktikern selbst herrscht die Ansicht, dass man eine gerichtliche Konzentration der Verfahren braucht, um zu einer echten Koordination der Verfahren zu kommen, vgl. Graeber, NZI 2007, 265, 266. 1099

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UNCITRAL-Kommission nachdrücklich empfohlen 1105 und soll nach ErwG 53 EuInsVO auch durch die Einführung eines speziellen europäischen Konzerninsolvenzverfahrensrechts nicht eingeschränkt werden. Sind – wie in den meisten Fällen – unterschiedliche Gerichte aus verschiedenen Mitgliedstaaten dezentral für die Verwalterbestellung zuständig, zeigt die Praxis, dass diese Gerichte jeweils Verwalter aus ihrem Rechtskreis bestellen, ohne sich hierüber abzustimmen oder bestenfalls einen einheitlichen Verwalter zu wählen. Diese Bestellung divergierender Verwalter erfolgt zum einen aus fachlichen Gründen. Die jeweiligen Verwalter haben Erfahrung in der betroffenen Rechtsordnung und sind in der verwendeten Sprache versiert. Zum anderen ist festzustellen, dass die Kompetenz der Verwalter oftmals nur hintergründig eine Rolle spielt, regionale Listen oder persönliche Präferenzen sind bei der Bestellungsentscheidung die maßgeblicheren Faktoren. 1106 Es zeigt sich, dass die Vorbehalte einen Verwalter aus einem anderen Staat zu wählen, nach wie vor groß sind.1107 Ausnahmen wie im Recht der Tschechischen Republik, in welchem gerade für internationale Konzerninsolvenzfälle gastierende ausländische Insolvenzverwalter zugelassen sind und damit vom Gesetzgeber initiiert die Verwaltertätigkeit internationalisiert wird, stellen nicht den Regelfall dar.1108 Die EuInsVO hat es sich aus dieser unzureichenden Lage heraus zur Aufgabe gemacht, die Verwalterbestellung zu optimieren, wenn mehrere Gerichte aus verschiedenen Jurisdiktionen zu einer Bestellung ermächtigt sind. Nach Art. 57 Abs. 3 lit. a EuInsVO hat eine Koordination bei der Bestellung stattzufinden. Auf diesem Wege soll, selbst wenn verschiedene Verfahren über die Unternehmen einer Gruppe in unterschiedlichen Staaten eröffnet werden, die Möglichkeit einer einheitlichen Verwalterbestellung oder zumindest einer Absprache bezüglich der Geeignetheit von personenverschiedenen Verwaltern, abhängig von dem Grad der Integration und der Struktur der Unternehmensgruppe, gewährleistet werden. Die EuInsVO ordnet weder die Bestellung eines Insolvenzverwalters für alle Gruppenunternehmen noch eine einheitliche Verwalterbestellung für einen Teil der Gruppe an, sondern gibt lediglich eine UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 76 Empfehlung 232 f. Die Planbarkeit einer Bestellung im deutschen Recht kritisierend, da an fast allen fast 200 Insolvenzgerichten andere Regeln vorherrschen und viele Gerichte selten mit größeren Verfahren beschäftigt sind, Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1850. Dieses Problem zeigte sich auch in der nationalen Konzerninsolvenz der Babcock Borsig AG, in der ca. 70 der vorhandenen 360 Konzerngesellschaften in die Insolvenz eintraten und 18 verschiedene Insolvenzverwalter bestellt wurden, Piepenburg, NZI 2004, 231, 232. 1107 Adam/Poertzgen, ZInsO 2008, 281, 286; Leithaus/Schäfer, KSzW 2012, 272, 276; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 213; Westpfahl in: FS Görg, 2010, 567, 587 f. 1108 Ausführlich zu der Regelung im Insolvenzgesetz der Tschechischen Republik Giese/Voda, NZI 2012, 794 ff. 1105

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Koordinationsperspektive vor.1109 Zu einer einheitlichen Verwalterbestellung kann es nach wie vor lediglich auf Basis der rechtlichen Möglichkeiten der jeweils beteiligten Insolvenzgerichte kommen.1110 Bei einer Abstimmung ist überdies darauf zu achten, dass die Kompetenzen der Gerichte im Zusammenhang einer Verwalterbestellung in den einzelnen nationalen Rechtsordnungen unterschiedlich ausgestaltet sind. Im englischen Recht obliegt die Auswahl des office holder1111 grundsätzlich nicht den Gerichten, sondern – insbesondere im Sanierungsverfahren – den Gläubigern bzw. den insolventen Unternehmen selbst.1112 Dies bringt insofern Vorteile mit sich, als Berater des Unternehmens mit der entsprechenden Expertise als Verwalter eingesetzt werden können,1113 ohne dass die Auswahl allein von der Willkür der Gerichte abhängt.1114 Überdies können die Gläubiger durch ihren immer weiter zunehmenden Einfluss eine einheitliche Bestellung faktisch erzwingen. 1115 Wenngleich der direkte Einfluss der Gerichte auf die Verwalterbestellung in diesen Fällen beschränkt ist, sollten sie dennoch vermittelnd tätig werden, um das Bewusstsein der Gläubiger hinsichtlich einer einheitlichen oder abgestimmten Verwaltung zwischen den verschiedenen Gruppenunternehmen zu stärken. Eine einheitliche Bestellung wird – soweit möglich – ausdrücklich durch ErwG 50 S. 2 EuInsVO angeregt.1116 Ganz im Sinne des Effizienzprinzips ergeben sich erhebliche Transaktionskostenvorteile aufgrund verminderter Abstimmungsschwierigkeiten. Außerdem muss der Sachverstand hinsichtlich der Rein regulatorisch ist eine Abspaltung der Reglungsmaterie bezüglich der Verwalterbestellung von den nationalen Vorschriften hinsichtlich der Verwalter möglich, sodass eine diesbezüglich europäische Vorschrift denkbar wäre, Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 13. 1110 Nach § 56b InsO des deutschen Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen ist solch eine einheitliche Verwalterbestellung im nationalen Kontext ausdrücklich erwünscht. 1111 Gesetzlicher Oberbegriff für die Ämter administrator, administrative receiver, (provisional) liquidator, nominee oder supervisor. 1112 Köster, Bestellung des Insolvenzverwalters, S. 155 f.; MüKoInsO/Schlegel, 3. Aufl. 2016, Länderberichte – England und Wales, Rn. 21. 1113 Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1849. 1114 Im deutschen Recht war eine Einbeziehung der Gläubiger nur im Wege des Detmolder Modells möglich. Siehe zu diesem Modell ausführlich Busch, DZWIR 2004, 353 ff. Mit der Einführung einer Gläubigerbeteiligung bei der Verwalterbestellung nach § 56a InsO dürfte sich dieses Problem erübrigt haben. 1115 Gemäß des deutschen § 56a Abs. 2 InsO kann das Gericht den Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschlusses nur aus engen objektiven Gründen der Ungeeignetheit für das Amt ablehnen, siehe Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 801. 1116 Die Gesetzesmaterialien sprechen ebenfalls von der Möglichkeit, ein und denselben Insolvenzverwalter zu bestellen, COM(2012) 743 final (DE), S. 18. Vgl. auch J. Schmidt, KTS 2015, 19, 43; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 57 Rn. 19; vorschlagend, den Insolvenzverwalter der Konzernobergesellschaft auch als Insolvenzverwalter der Konzerntochter zu bestellen Reinhart, NZI 2012, 304, 311. 1109

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Verfahren nur einmal generiert werden.1117 Indem keine Aufspaltung der operativen Verwaltung aufgrund personenverschiedener Verwalter entsteht, können insbesondere die Verfahrensziele besser verwirklicht werden, da auch bei widerstreitenden Verfahrenszielen zwangsnotwendig immer ein Kompromiss gefunden wird.1118 So ist es nicht vorstellbar, dass sich in einem Verfahren für eine Liquidation entschieden wird, welche dem Restrukturierungsgedanken eines anderen Verfahrens widerspricht.1119 Dies gilt vor allem im Zusammenhang der Umsetzung eines einheitlichen Gruppeninsolvenzplans.1120 Zwar wird es in der Praxis schwierig sein, einen Insolvenzverwalter zu finden, der sich mit allen beteiligten Rechtsordnungen auskennt1121 und von allen Unternehmen gleichermaßen akzeptiert wird. Bei der Bestellungsentscheidung sollten die Gerichte immer Verwalter im Blick haben, die schon in der Vergangenheit eine Kooperationsbereitschaft bei anderen Gruppeninsolvenzen unter Beweis gestellt haben.1122 Man könnte insbesondere daran denken, eine international aufgestellte Kanzlei oder Insolvenzverwalterpraxis zu beauftragen.1123 Diese bündeln viele Kompetenzen aus unterschiedlichen Rechtsordnungen und sind daher sehr leistungsfähig.1124 Selbstverständlich ist es sinnvoll, sich zwischen den Gerichten auch hinsichtlich einer potenziellen Eigenverwaltung oder eines

1117 Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 540 f.; Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 6. 1118 Trotz der zuvor dargestellten Probleme bei der Insolvenz der Babcock Borsig AG (siehe S. 29) wurde im gleichen Zuge ein begrüßenswerter Weg beschritten: Das Insolvenzverfahren über das Mutterunternehmen wurde in Eigenverwaltung geführt. Gleichzeitig wurde Dr. Helmut Schmitz durch das AG Duisburg zunächst zum vorläufigen, später zum Sachwalter und dann Insolvenzverwalter hinsichtlich der 25 maßgeblichen Kernkonzernunternehmen bestellt. Dies führte dazu, dass die Ressourcen der Unternehmen bestmöglich und zielführend eingesetzt wurden, sodass die unternehmensauslastende Weiterführung von 52 Großprojekten gewährleistet werden konnte. Vgl. Piepenburg, NZI 2004, 231, 234; Rennert-Bergenthal, ZInsO 2008, 1316, 1316. 1119 Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 213. 1120 Eidenmüller/Frobenius, ZIP 2013, Beilage 22, 1, 7; Scheel, Konzerninsolvenzrecht, 1995, S. 20. 1121 Die Veröffentlichung der Informationen zu den Insolvenzrechten der Mitgliedstaaten gem. Art. 86 EuInsVO wird nichts an der beschränkten Expertise der Insolvenzverwalter ändern. In diesem Sinne auch Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 218. 1122 COM(2012) 743 final (DE), S. 18. 1123 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 419; UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 76 Rn. 142; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 218. 1124 Es sind Insolvenzverfahren in Hong Kong, Special Administrative Region of China sowie den British Virgin Islands und Bermuda bekannt, bei denen mehrere Insolvenzverwalter der gleichen Kanzlei für Verfahren in mehreren Jurisdiktionen bestellt wurden, UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 76 Rn. 142 Fn. 43.

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gemischten Systems, bestehend aus einer Eigenverwaltung in einem und Fremdverwaltung in einem anderen Unternehmen abzustimmen.1125 Bei einer Unternehmensgruppe, die von einem Geld- als auch Warenaustausch zwischen den insolventen Unternehmen geprägt ist, sind Interessenkonflikte vornehmlich im Zusammenhang von gegenseitigen Besicherungen und Anfechtungssituationen zwischen Gruppenunternehmen evident. 1126 Soll ein einheitlicher Verwalter bestellt werden, muss geklärt und zu jedem Verfahrenszeitpunkt überprüft werden, ob solch eine Situation einer von den nationalen Rechtsordnungen vorausgesetzten Unabhängigkeit des Verwalters entgegensteht.1127 Die Möglichkeit das Gericht als Interessenwahrnehmer zwischenzuschalten,1128 ist über die EuInsVO nicht vorgesehen. Es werden lediglich Koordinationsanweisungen an die Gerichte gegeben und keine darüber hinausgehenden Befugnisse verliehen. Die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters wird ebenfalls nicht durch das europäische Recht vorgegeben.1129 Es obliegt demnach einer Kooperation zwischen den Gerichten und dem betroffenen Verwalter (auch unter Anwendung des Art. 58 EuInsVO), die zur Verfügung stehenden Mittel des nationalen Rechts auszuschöpfen, um derartige Interessenskonflikte zu verhindern und damit überhaupt eine einheitliche Verwalterbestellung zu gewährleisten.1130 Stehen Interessenskonflikte zwischen den beteiligten Schuldnern einer einheitlichen Verwalterbestellung vollständig entgegenstehen, würde sich immerhin die Möglichkeit bieten, verschiedene Verwaltern

1125 Nach deutschem Recht dürfen keine Umstände bekannt sein, die erwarten lassen, dass die Anordnung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Der Schuldner in Eigenverwaltung muss für die Gläubiger zuverlässig, kompetent und vertrauenswürdig sein. Zusätzlich steht er gem. § 270 Abs. 1 S. 1 InsO unter Aufsicht eines Sachwalters, der durch Beschluss des Gerichts anstelle eines Insolvenzverwalters bestellt wird. 1126 Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1849; UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 77 Rn. 144; Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 218 m. w. N. 1127 Hinsichtlich der Problematik, dass es eventuell zur Bestellung eines Verwalters kommen könnte, welcher kapitalmäßig an Konzernunternehmen beteiligt ist oder ein Aufsichtsratsmandat ausübt Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 541 f. 1128 Als Möglichkeit vorgeschlagen in UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 77 Rn. 144. 1129 Als Möglichkeit vorgeschlagen in UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, 2010, S. 77 Rn. 144. 1130 Ein Sonderinsolvenzverwalter ist im deutschen Recht zur Auflösung von Interessenkonflikten verantwortlich, vgl. Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 541 m. w. N.; Graeber, NZI 2007, 265, 266. Im deutschen nationalen Konzerninsolvenzrecht ist die Möglichkeit der Bestellung eines Sonderverwalters für nationale Konzerninsolvenzen in § 56b Abs. 1 S. 2 InsO vorgesehen.

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aus einer Kanzlei zu benennen, wodurch nach wie vor eine enge Zusammenarbeit garantiert wäre.1131 Die Koordination der Verwalterbestellung hat zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt während des Eröffnungsstadiums stattzufinden, um das beste Koordinationsergebnis zu gewährleisten, da oftmals schon bei der Antragstellung Vorschläge bezüglich eines geeigneten Verwalters geäußert und durch die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters Fakten geschaffen werden, die später schwer umkehrbar sind. 1132 Wie zuvor dargestellt, muss der Anwendungsbereich der Kooperation über den Wortlaut des Art. 57 EuInsVO hinaus in einen Bereich ausgedehnt werden, in dem sich alle an der Kooperation beteiligten Verfahren noch im Eröffnungsstadium befinden. 1133 Des Weiteren umfasst die Norm eine Koordinierung bei der nachträglichen Bestellung eines Verwalters, 1134 da es auch in diesem Zusammenhang wichtig für die ganze Gruppe ist, welche Person für diese Aufgabe ausgewählt wird. Über den Wortlaut hinaus hat auf Basis teleologischer Erwägungen ebenfalls eine Koordination bei der Abberufung und Amtsniederlegung eines Verwalters stattzufinden.1135 Nur auf diesem Weg können alle Erwägungen in die Abberufungsentscheidung einbezogen und Handlungsmöglichkeiten für die Zukunft festgelegt werden. b) Informationsvermittlung aa) Informationspflichten Die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten kann insbesondere darin bestehen, dass Informationen auf jedem von dem betreffenden Gericht als geeignet erachteten Weg ausgetauscht werden, Art. 57 Abs. 3 lit. b EuInsVO. Die Initiierung der Informationsvermittlung ist dabei vergleichbar zu Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. a EuInsVO ausgestaltet.1136 Es besteht keine Beobachtungs- und Erforschungspflicht bezüglich der Informationen, welche das jeweils andere Gericht benötigen könnte. Gleichermaßen kann es nicht erwünscht sein, dass alle Informationen, sind sie auch noch so irrelevant, an die anderen Gerichte übermittelt werden. Es würde lediglich eine Informationsflut entstehen, welche mit einem erhöhten Arbeitsaufwand ohne Nutzeneffekt verbunden wäre. Eine 1131 Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 219. Dieser wendet im Anschluss allerdings einschränkend ein, dass eine Aufteilung der Verfahren über große Unternehmensgruppen auch die Kapazität der meisten Insolvenzverwaltungspraxen übersteigen dürfte. 1132 Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 216. 1133 Siehe hierzu zuvor S. 286 f. 1134 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 42 Rn. 18; Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 34. 1135 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 42 Rn. 18; Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 34. 1136 Siehe hierzu ausführlich S. 261 f.

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Informationspflicht entsteht demnach im Zusammenhang des Art. 57 EuInsVO in zwei Fällen. Zum einen wird eine eigenständige Pflicht ohne Verlangen des Informationssuchenden dann ausgelöst, wenn das Gericht im Zuge seiner gewöhnlichen Tätigkeit innerhalb seines Verfahrens an Informationen gelangt, die objektiv von Bedeutung für die anderen Verfahren sind. Diese eigenständige Informationspflicht ist damit faktisch auf wesentliche Informationen beschränkt. Dabei ist es wichtig, sich über die Kompetenzen der Gerichte der anderen Verfahren zu informieren, da nur auf Basis dieses Wissens die wichtigen Informationen filtriert werden können. Im Zuge dessen ist es unerlässlich, dass ein Austausch über die Relevanz der benötigten Informationen stattfindet.1137 Zum anderen wird die Informationspflicht auf Anfrage des anderen Gerichts ausgelöst, falls Informationen begehrt werden, die nicht ohne Weiteres ersichtlich bzw. nur für den Informationssuchenden subjektiv von Bedeutung und daher ausschließlich für ihn erkennbar sind. Dies gilt nicht, sofern das Informationsgesuch zu Blockadezwecken missbraucht wird. Solch ein Mitwirkungsakt des Informationssuchenden in Form eines Auskunftsverlangens erscheint auch in diesem Kontext als interessengerecht. bb) Qualität und Prozedere der Informationspflicht Hinsichtlich der Qualität der Informationen obliegt dem auskunftgebenden Gericht – vergleichbar mit Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. a EuInsVO – eine Unterrichtungspflicht, sodass die Informationen sowohl Erläuterungen als auch Erklärungen zu umfassen haben und es dem informationssuchenden Gericht gestattet ist, Rückfragen zu stellen.1138 Die Gerichte dienen dabei als Transmitter zum Übermitteln von Kopien von formalen Anordnungen, Beschlüssen, Urteilen, Meinungen, Entscheidungsgründen, Strafvermerken, Verhandlungsabschriften, Gerichtsprotokollen oder anderen Dokumenten.1139 Je umfangreicher die auszutauschenden Informationen sind, desto nötiger ist eine Digitalisierung der vorhandenen Daten.1140 Ein Austausch lässt sich praktisch erheblich einfacher gestalten, wenn lediglich Bits im Vergleich zu festem Material in Form von Akten zu versenden sind. Hierfür ist es notwendig, dass das Bewusstsein der Verfahrensbeteiligten für die Vorteile der Informationstechnologien gestärkt wird. So war die Meinung bei der öffentlichen Konsultation im Vorfeld der Reform darüber geteilt, ob die Verfahren vereinfacht und durch IT-Lösungen beschleunigt werden sollen. 1141 Eine Erleichterung des InformationsEhricke, ZIP 2007, 2395, 2397. Siehe hierzu ausführlich S. 262. 1139 ALI/III-Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication, Leitlinie 6a u. 7b; Vallender, KTS 2008, 59, 75; ders. in: FS Lüer, 2008, 479, 491 f. 1140 Vallender, KTS 2008, 59, 75. 1141 37 % sprachen sich dafür und 36 % dagegen aus, wobei 27 % keine Meinung kundgaben, SWD(2012) 416 final (EN), S. 54. 1137

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austausches zwischen den Verfahrensbeteiligten kann über eine gemeinsame Datenbank erreicht werden, sofern diese einen Informationspool bietet, aus dem ohne zeitlichen Aufwand die für die Verfahren relevanten Daten abgerufen werden können.1142 Solch eine Datenbank müsste geschaffen werden. Das bis Mitte 2019 umfassend einzurichtende zentrale e-justice Portal, auf welchem die gem. Art. 25 EuInsVO geforderte europaweite Vernetzung der nationalen Insolvenzregister stattfindet, wird nur begrenzt weiterhelfen, da dort gem. Art. 24 Abs. 2 EuInsVO lediglich die nötigsten Daten (Gerichtsbeschlüsse und -urteile, die Bestellung der Verwalter und die Kontaktdaten der beteiligten Personen sowie Fristen und Einzelheiten der Forderungsanmeldung) zu finden sein werden. Das Portal richtet sich faktisch nur an die Gläubiger, um eine Forderungsanmeldung zu erleichtern. Im Zusammenhang des Informationsaustausches zwischen Gerichten besteht noch Handlungsbedarf. cc) Gegenstand der Informationspflicht Informationen zwischen den Gerichten sollten in den Bereichen ausgetauscht werden, die auf Basis dieses Wissenstransfers einen Nutzen generieren können. Gerade im Zusammenhang der Entscheidung zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist es unerlässlich, Informationen von Insolvenzrichtern zu erhalten, welche schon zuvor über andere Gruppenunternehmen Insolvenzverfahren eröffnet haben. So ist es möglich, Informationen über die in den anderen Verfahren agierenden Insolvenzverwalter zu erlangen und hinsichtlich etwaiger Besonderheiten der Verfahren in Kenntnis gesetzt zu werden. Darüber hinaus kann ein Überblick über die Konzernstrukturen und die darin bestehenden Vermögensverhältnisse erworben werden.1143 Anfällig für widersprüchliche Entscheidungen ist die Beurteilung des COMI in Konzernsachverhalten. Positive Kompetenzkonflikte sollten zwischen Gerichten unterschiedlicher Verfahren zwar nicht mehr entstehen können, die Insolvenzgerichte der anderen Verfahren können und sollten bei der Bestimmung des COMI dennoch aktiv und konfliktvorbeugend mitwirken, um die jeweils engste Verbindung der Schuldner zu einer Rechtsordnung zu ermitteln und eine Beschleunigung der Eröffnungsentscheidung zu erreichen. Gerade in diesem Zusammenhang werden jegliche Fakten hinsichtlich der Konzernstruktur nützlich sein.1144 Kommt es zu echten Kompetenzkonflikte in Bezug auf einen Schuldner, sind diese, wie beispiels-

1142 Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2398; mit Bezug auf eine Kooperation zwischen den Verwaltern Ehricke in: Aufbruch nach Europa, 2001, 337, 351 f.; ALI/III-Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication, Leitlinie 9b. 1143 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 420; Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2397. 1144 Reuß, EuZW 2013, 165, 168; Vallender, KTS 2008, 59, 63.

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weise im PIN-Verfahren 1145 , über eine Koordination auf Basis des Art. 42 EuInsVO zu lösen.1146 Über eine einheitliche Abstimmung im Vorfeld kann überdies verhindert werden, dass die Gerichte und vorläufigen Insolvenzverwalter den in ihrer Jurisdiktion befindlichen Masseanteil über gleichlaufende Sicherungsmaßnahmen blockieren.1147 Eine Abstimmung der laufenden Verfahren hat vor allem hinsichtlich konzernbezogenen Sanierungs- und Liquidationsstrategien und damit zusammenhängenden Insolvenzplänen, Sicherungsmaßnahmen sowie verfahrensleitenden Anordnungen zu geschehen.1148 Primär sind Verfahrenstermine unmittelbar nachdem sie festgelegt wurden, an die anderen Gerichte weiterzureichen.1149 Kommt es zur Beendigung eines Verfahrens, ist diese Tatsache unmittelbar den anderen Gerichten zu übermitteln. Der Bedarf einer solchen Information wurde in dem Insolvenzfall zu Christianapol bestätigt. Dort musste ein zeitaufwändiges und teures Sachverständigengutachten eingeholt werden, um herauszufinden, ob ein anderes Hauptverfahren noch anhängig war oder schon aufgehoben wurde.1150 Durch einen Informationstransfer verringert sich der erhebliche Ermittlungsaufwand, der grundsätzlich zur Informationsbeschaffung vonnöten ist, wodurch Ressourcen bei Gerichten eingespart werden und damit verminderte Verfahrenskosten für die Beteiligten entstehen. Auf Basis eines erhöhten Informationsspektrums wird darüber hinaus eine Qualitätssteigerung der sich anschließenden gerichtlichen Pflichten, insbesondere im Zusammenhang mit Aufsichtsfunktionen, eintreten.1151 1145 Im Verfahren der PIN AG (siehe hierzu S. 25, 74 u. 128) hat vor der Eröffnungsentscheidung eine intensive Kommunikation über den jeweiligen Verfahrensstand stattgefunden, um über die nahezu zeitgleichen Anträge auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens zu entscheiden. Das Ergebnis resultierte in einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der in Luxemburg registrierten Holding durch das AG Köln. Dem Handelsgericht in Luxemburg wurde diese Entscheidung unverzüglich zugeleitet. Ebenso zeigt der Insolvenzfall der Hans Brochier Ltd, dass ein unmittelbarer Kontakt und eine frühzeitige Sachverhaltsaufklärung zwischen den Richtern in London und Nürnberg bessere Verfahrensergebnisse zur Folge gehabt haben dürfte. Vgl. zu alledem Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 420. 1146 Hinsichtlich der bisherigen Kommunikation zwischen den konfliktären Gerichten Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2397; Vallender, in: FS Lüer, 2008, 479, 487 f. 1147 Hierzu kann es kommen, da sich die automatische Anerkennung nach Art. 32 Abs. 1 UAbs. 3 EuInsVO grundsätzlich auch auf solche Maßnahmen und Beschlüsse erstreckt, die im Eröffnungsverfahren erlassen werden, Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 3 Rn. 1; Vallender, KTS 2008, 59, 62; ders. in: FS Lüer, 2008, 479, 488. 1148 Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 37. 1149 Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 37 u. 39. 1150 EuGH Urt. v. 22.11.2012, Bank Handlowy und Adamiak, C-116/11, ECLI:EU:C: 2012:739, Rn. 23. Hierzu Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 39 Fn. 72. 1151 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 420; Ehricke, ZIP 2007, 2395, 2397.

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c) Koordination der Verwaltung und Überwachung der Insolvenzmasse und Geschäfte der Mitglieder Nach Art. 57 Abs. 3 lit. c EuInsVO kann eine Koordination der Verwaltung sowie Überwachung der Insolvenzmasse und Geschäfte der Mitglieder der Unternehmensgruppe durchgeführt werden. Dabei können die den Gerichten obliegenden Aufgaben unter den Gerichten aufgeteilt werden. So ist es beispielsweise möglich, die Überwachung der Verwendung und Veräußerung von Vermögenswerten als Aufgabe des Gerichts des Belegenheitsorts bzw. des Gerichts am Ort des Schuldners festzulegen.1152 Ein abgestimmtes Verwalterhandeln ist beispielsweise bei Entscheidungen über die Betriebsfortführung, Stilllegungen, die Einleitung von M&A-Prozessen, Entlassungen oder Freistellungen von Personal, Neubesetzungen der Geschäftsleitung und der Herausgabe von Ad hoc-Mitteilungen zu gewährleisten.1153 Überdies sollten die Gerichte zwischen den verschiedenen Verwaltern so abstimmend wirken, dass es tatsächlich zu einem Abschluss einer rechtsverbindlichen Absprache kommt, falls dies geboten erscheint. Darüber hinaus können die Gerichte – sofern es das auf sie anwendbare nationale Recht vorsieht – selbst Teil einer Absprache zwischen den Verwaltern werden.1154 Speziell in den durch die EuInsVO geschaffenen gerichtlichen Kompetenzen im Zusammenhang der Überprüfung des Aussetzungsrechts gem. Art. 60 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO ist eine Abstimmung evident erforderlich, wenn gegenseitige Aussetzungen – eventuell sogar aus Blockadezwecken – beantragt werden. Solch eine komplexe Situation lässt sich nur auflösen, wenn sich die Gerichte gegenseitig mit den Informationen hinsichtlich der Intentionen der Verwalter versorgen und sich darüber austauschen, welche Maßnahmen tatsächlich ausgesetzt werden müssen, um eine effiziente Sanierung zu gewährleisten.1155 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 57.18; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 57 Rn. 22; vgl. zu grenzüberschreitenden Insolvenzvereinbarungen UNCITRAL Practice Guide on Cross-Border Insolvency Cooperation, S. 78 Rn. 122. 1153 Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 42. 1154 In welcher Weise sich deutsche Gerichte an einer rechtsverbindlichen Absprache beteiligen können, ist umstritten. Auf Basis des § 21 Abs. 1 InsO kann solch eine Befugnis im Eröffnungsverfahren angenommen werden, Eidenmüller, ZZP 114 (2001) 3, 17; ders., ZHR 169 (2005), 528, 554; Paulus, ZIP 1998, 977, 981; kritisch bezüglich Art. 20 Abs. 3 GG als Ermächtigungsgrundlage Vallender, KTS 2005, 283, 323 f.; ders., KTS 2008, 59, 64; ders., in: FS Lüer, 2008, 479, 490. Mittelbar ist eine Beteiligung im Eröffnungsverfahren auf der Grundlage der §§ 21 Abs. 1, 22 Abs. 1 S. 2
Ziff. 1 InsO denkbar, indem das Gericht den vorläufigen Insolvenzverwalter mit dem Ziel der Massesicherung zum Abschluss eines solchen Vertrages ermächtigt, Vallender in: FS Lüer, 2008, 479, 490. 1155 Im Ergebnis Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 586. 1152

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d) Koordinierung von Verhandlungen Nach Art. 57 Abs. 3 lit. d EuInsVO können die Gerichte die Koordinierung von Verhandlungen übernehmen. Unter Verhandlungen sind die mündlichen und schriftlichen Anhörungen vor den beteiligten Gerichten oder Gläubigerversammlungen zu verstehen. Dies ergibt sich erst aus der Betrachtung der anderen Sprachfassungen (im Englischen: „conduct of hearings“; im Französischen: „déroulement des audiences“).1156 Werden gemeinsame Anhörungen zu gleichen Fragestellungen abgehalten, bedarf es einer umfassenden Abstimmung dieser Anhörungsverfahren zwischen allen Verfahrensbeteiligten. Erst wenn die Abstimmung reibungslos funktioniert, entwickelt sich aus den gemeinsamen Verhandlungen eine verbesserte Verfahrensökonomie in Form von Zeit- und Kostenersparnissen.1157 Wichtig ist eine Koordination nicht nur während den Verhandlungen, sondern schon im Vorfeld, wenn es zu der Festlegung von Terminen oder anderen verfahrensleitenden Maßnahmen durch die beteiligten Insolvenzrichter kommt.1158 Die Norm soll überdies die gemeinsame Durchführung einer in- und ausländischen Gläubigerversammlung fördern. Dabei ist nicht zuletzt die Möglichkeit einer virtuelle Gläubigerversammlungen in Betracht zu ziehen, sofern die nationalen Rechtsordnungen der beteiligten Verfahren nicht entgegenstehen. 1159 Eine Parteiöffentlichkeit kann in dieser besonderen Form der Versammlung, beispielsweise über Zugangscodes, gesichert werden.1160 Die Bedenken hinsichtlich der Datensicherheit sind zwar ernst zu nehmen und mit besonderen Vorkehrungen zu begegnen, allerdings sind die Risiken nicht sonderlich höher als bei realen Versammlungen durch unzulässige Aufzeichnungen der Teilnehmer.1161 e) Koordinierung der Zustimmung zu einer Verständigung der Verwalter Nach Art. 57 Abs. 3 lit. e EuInsVO können sich die Gerichte abstimmen, wenn ihnen potenzielle Zustimmungspflichten bei Verständigungen der Verwalter zukommen. Ein Vorbild für diese Norm wird – ganz im Sinne des Modell1156 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 57 Rn. 23; Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 45. 1157 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 57.19; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 57 Rn. 24; vgl. zu grenzüberschreitenden Insolvenzvereinbarungen UNCITRAL Practice Guide on Cross-Border Insolvency Cooperation, S. 93 Rn. 154. 1158 Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 20; ders., ZHR 169 (2005), 528, 543. 1159 Im deutschen Recht ist dies möglich, J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 42 Rn. 25; Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 46. 1160 Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 46. 1161 Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 46.

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gesetzes als Rahmengesetz – Art. 27 (d) UNCITRAL-Modellgesetz gespielt haben. Die Regelungsintention des europäischen Gesetzgebers lässt sich daher auch in diesem Zusammenhang erst erkennen, wenn man den Begriff der „Verständigungen“ – ganz im Sinne der anderen Sprachfassungen – in seiner eigentlichen Bedeutung in Form von protocols1162 versteht. Solch eine Koordination der Zustimmung der Gerichte ist daher – wie der Normtext deklaratorisch nochmals klarstellt – nur erforderlich, soweit die nationalen Rechtsordnungen überhaupt protocols vorsehen, die von einer Zustimmungspflicht der Gerichte abhängen. Hinsichtlich dieser Koordinierungsanordnung werden die nationalen Vorschriften oftmals einschränkend sein, da den Gerichten zumeist keine Kompetenzen bezüglich der Abstimmungsleitung, geschweige denn der direkten Partizipation im Zusammenhang eines protocols, beispielsweise in Form einer Genehmigung, zugesprochen sind.1163 Vom Normtext sind allerdings auch Konstellationen umfasst, in denen andere Verfahrensbeteiligte – wie etwa Gläubigergremien1164 – eine Zustimmung zu Verständigungen zu erteilen haben. Gerichte können in diesen Fällen koordinierend eingreifen, um die Wahrscheinlichkeit solch einer Zustimmung zu erhöhen. Das Maxwell-Verfahren1165 war nicht nur paradigmatisch für eine Koordination zwischen Insolvenzverwaltern, sondern zeigte ebenfalls, in welcher Form sich die Beteiligung der Richter positiv auf protocols auswirken kann. Die zuständigen Richter1166 führten die Parteien überhaupt erst in Richtung der Ausarbeitung und Unterzeichnung eines protocols, um auf diese Weise eine Abstimmung bezüglich des Vermögens in den USA, des dort ansässigen Managements und des zu erstellenden Sanierungsplans zu erreichen.1167 Das USamerikanische Cenargo-Verfahren 1168 endete – insbesondere aufgrund einer Einigung zwischen allen Beteiligten unter der Koordination der Gerichte – mit einer Aufhebung aller Verfahren nach dem US-amerikanischen 11 U.S.C. Chapter 11 und einer Weiterführung in dem Vereinigten Königreich, ohne dass die Verfahren gegenseitiger einstweiliger Verfügungen ausgesetzt waren.1169 Im Nakash-Verfahren wirkten die israelischen Richter auf der einen und die US-Richter auf der anderen Seite so auf die beteiligten Verwalter ein, dass eine

Siehe hierzu zuvor S. 251 ff. Reumers, ECFR 2013, 554, 583 f. 1164 Hierzu Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 542 f. 1165 Siehe S. 251 f. 1166 Richterin Tina Brozman für das US-Verfahren sowie Justice L. Hoffmann für das englische Verfahren. 1167 Vallender, KTS 2008, 59, 73 f.; ders. in: FS Lüer, 2008, 479, 482. 1168 Mehr Mallon/Willcock, Bankruptcy Bulletin Vol. 10 No. 6 (2003), 3 ff.; Westbrook, 38 Tex. Int‘l L.J. (2003), 567 ff. 1169 „[A] war of dueling injunctions“ wurde verhindert, Vallender, KTS 2008, 59, 74; ders. in: FS Lüer, 2008, 479, 482 f. 1162

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Vereinbarung unterzeichnet und die Masse dadurch gesichert wurde.1170 Das Schweizer Verfahren über die AIOC Resources AG wurde ebenfalls mit Hilfe eines protocols erfolgreich mit dem US-amerikanischen Verfahren hinsichtlich AIOC Corporate koordiniert. Das Konkursamt des Schweizer Kantons Zug hatte sich dabei mit dem trustee des United States Bankruptcy Court for the Southern District of New York unter Anwendung des Cross-Border Insolvency Concordat of the International Bar Association verständigt.1171 Es zeigt sich, dass gerade die Berührung des US-amerikanischen Rechtskreises und die damit verbundene Beteiligung von US-Richtern die Koordination zwischen den Verfahren signifikant förderte. Dies lässt sich auf die Janusköpfigkeit des amerikanischen Rechtssystems mit der Unterscheidung zwischen Common Law und Equity zurückführen. Nach den Verfahrenskonzeptionen des anglo-amerikanischen Rechtsraums werden den Richtern bei der Verfahrensausgestaltung erheblich mehr Spielräume zugestanden.1172 Sie sind gewohnt, aktiv in ein Verfahren einzugreifen und gemeinsam mit den Verwaltern nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Gerade auf dieser Basis kann es zu einer Verknüpfung von Absprachen und einer gerichtlichen procedural order kommen. 1173 Ein erhöhtes Gestaltungspotenzial führt zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der Materie, woraus sich eine gesteigerte Kompetenz entwickelt.1174 Es zeigt sich der entscheidende Kontrast zur Rechts- und Gesetzesbindung in den kontinentalen Rechtsordnungen.1175 Ein kontinentaleuropäischer Richter wird sich naturgemäß an den engeren Vorgaben seiner nationalen Rechtsordnung orientieren und die Möglichkeiten einer Kooperation nicht vollumfänglich ausschöpfen.1176 Die betroffenen Gesetzgeber sollten daher die Einwirkungsmöglichkeiten der Gerichte auf die Verfahren durch eine Ausdehnung der Kompetenzen der Richter stärken bzw. vorhandene Möglichkeiten klarer aufzeigen. Die Richterschaft darf nicht durch Haftungssorgen aufgrund eines zu weitreichenden Handelns abgeschreckt werden.1177 Erst auf dieser Basis wird die EuInsVO ihr volles Potenzial entfalten können.

1170 Eine „massezehrende Abwehrschlacht“ konnte unterbunden werden, Vallender, KTS 2008, 59, 74; ders. in: FS Lüer, 2008, 479, 483; mehr Paulus, ZIP 1998, 977, 980. 1171 Vallender, KTS 2008, 59, 74; ders. in: FS Lüer, 2008, 479, 483. 1172 US-amerikanische Richter haben trotz ihren Freiheiten vor allem darauf zu achten, dass die Partizipationsrechte aller beteiligten Parteien nicht verletzt werden, siehe U.S. Bankruptcy Code 11 U.S.C § 1525 (b). 1173 Paulus, RabelsZ 70 (2006), 458, 464 Fn. 25; Vallender, KTS 2005, 283, 321; ders., KTS 2008, 59, 71. 1174 Vallender, KTS 2005, 283, 321; ders., KTS 2008, 59, 71 f.; ders. in: FS Lüer, 2008, 479, 483. 1175 Vallender in: FS Lüer, 2008, 479, 482 f. 1176 Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 297 f.; Paulus, RabelsZ 70 (2006), 458, 464. 1177 Vallender, KTS 2008, 59, 72; ders. in: FS Lüer, 2008, 479, 483 f.

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Kapitel 3: Das Konzerninsolvenzrecht der EuInsVO de lege lata

6. Fazit Die Erweiterung der Kooperationsvorschriften auf die zuständigen Insolvenzgerichte verschiedener Verfahren stellt einen wichtigen Schritt hin zu einem effizienten Konzerninsolvenzrecht dar. Unverzichtbar dabei ist, dass die Kooperation – auch über den Normtext hinaus – zum frühestmöglichen Zeitpunkt beginnt, sodass eine Abstimmung bei der Insolvenzverwalterbestellung stattfinden und bestenfalls ein einheitlicher Verwalter für alle Verfahren eingesetzt werden kann. In welchem Umfang und in welcher Tiefe eine Kooperation tatsächlich erfolgt, hängt jedoch von der persönlichen Einsatzbereitschaft der beteiligten Insolvenzrichter ab. Bei der Kooperation zwischen Verwaltern stellt sich die Situation zwar nicht anders dar, die Insolvenzpraxis zeigt indes, dass die Verwalter eine grundsätzlich gesteigerte Bereitschaft mitbringen, einen Kooperationsprozess zu initiieren. Für einen Erfolg der Kooperation bedarf es „Phantasie, Gestaltungskraft und Engagement“ der kontinentaleuropäischen Gerichte,1178 sofern die nationalen Rechtsordnungen die nötigen Voraussetzungen schaffen. Vor allem für die Richter wird es wichtig sein, durch internationale Begegnungen außerhalb konkreter Insolvenzverfahren das gegenseitige Vertrauen zu stärken und die Arbeitsweise und Eigenarten potenzieller Kooperationspartner kennenzulernen. Es obliegt insbesondere den Justizverwaltungen, die Richterschaft auf internationale Konferenzen und Symposien zu entsenden oder selbst solche Treffen zu veranstalten.1179 Abhängig von der konkreten Aufgabe der Gerichte wird eine Kooperation während der Verfahren vornehmlich im Zusammenhang der Verwaltung, im Speziellen des Abschlusses von Absprachen sowie der Prozessführung, relevant. Die Gerichte sollten überdies die Möglichkeit der Bestellung eines Intermediärs in Betracht ziehen. Auf diesem Wege bietet sich eine Chance, durch Arbeitsteilung auf die Verfahren einzuwirken, da Kompetenzen gebündelt werden, und den Kooperationsprozess über Hilfestellungen zu stärken. IV. Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Insolvenzverwaltern und Gerichten (Art. 58 EuInsVO) Grundsätzlich werden die nationalen Rechtsordnungen keine ausdrückliche Befugnis der Verwalter und Gerichte verschiedener Verfahren enthalten, miteinander zu kooperieren („Cross-over-Kooperation“1180). Art. 58 EuInsVO legt einen solchen Austausch in beide Richtungen fest.1181 Es handelt sich um eine Mankowski, NZI 2009, 451, 451; Vallender, KTS 2005, 283, 321 f. Vallender, KTS 2005, 283, 328 f. 1180 Moritz Brinkmann in seinem Vortrag zum Konzerninsolvenzrecht im Rahmen des ersten Restrukturierungszirkels der Universität Bonn am 7.3.2013. 1181 Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1. Die Wichtigkeit einer gerichtlichen Kommunikation mit Insolvenzverwaltern oder bevollmächtigten Vertretern eines anderen Gerichts hervorhebend ALI/III-Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication, Leitlinie 3. 1178

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im reziproken Verhältnis stehende Kooperations- und Kommunikationspflicht.1182 Zum einen obliegt den Verwaltern nach Art. 58 Hs. 1 lit. a EuInsVO eine Pflicht zur Zusammenarbeit und Kommunikation mit den Gerichten der anderen Verfahren. Aus dieser Pflicht resultiert im Umkehrschluss ein subjektives Recht dieser Gerichte, die Verwalter in jedweden Bereichen um Unterstützung zu bitten. Die Rechte aus Art. 56 und 57 EuInsVO erfahren eine sinnvolle Ergänzung, sodass eine effektive Verfahrensdurchführung gewährleistet werden kann.1183 Zum anderen haben die Verwalter nach Art. 58 Hs. 1 lit. b EuInsVO das Recht, die Gerichte um Informationen zu den Verfahren über die anderen Mitglieder der Unternehmensgruppe oder um Unterstützung in den eigenen Verfahren, für die sie bestellt worden sind, zu ersuchen. Dieses subjektive Recht wird zwangsnotwendig von der objektiven Pflicht der Gerichte begleitet, die gewünschten Informationen zu liefern und Unterstützung zur Verfügung zu stellen.1184 Eine solche Kooperation ist auf Basis der Voraussetzungstrias nur dann zu initiieren, wenn die Kooperation die wirkungsvolle 1185 Verfahrensdurchführung erleichtern kann, keine Interessenkonflikte nach sich zieht und mit den für die Verfahren geltenden Vorschriften vereinbar ist. So sind zur Wahrung der staatlichen Souveränität vor allem die nationalen Insolvenzverfahrenszwecke zu beachten.1186 Ein autonomes Genehmigungserfordernis für diese Art der Kooperation ist – abweichend zu Leitlinie 4 der ALI/III-Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication – nach der EuInsVO nicht erforderlich. Eine zusätzliche Genehmigungsinstanz würde lediglich einen erhöhten Zeitaufwand bedeuten, der die Verfahren verlangsamen und dadurch die Verfahrenseffizienz einschränken würde. Zwar setzt die EuInsVO nicht, wie in Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. a EuInsVO und 57 Abs. 2 EuInsVO, ausdrücklich voraus, dass einschlägige Daten- und Informationsschutzvorschriften, welche zur Sicherung sensibler Daten der Unternehmen bestehen, zu beachten sind. Einen gewissen Schutzstandard stellen die nationalen Rechtsordnungen jedoch über den Vorbehalt der nationalen Vorschriften bereit.1187 Außerdem ist dem Schutz von vertraulichen Informationen im Zuge der Effizienzabwägung hinsichtlich der zu treffenden Maßnahme ein hoher Stellenwert einzuräumen. Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 58 Rn. 2 u. 6 f. Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 58 Rn. 1. 1184 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 58.07; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 58 Rn. 8; eine Pflicht der Gerichte lässt sich insbesondere nicht allein aufgrund des verwendeten Wortlautes „ersuchen“ ablehnen, Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 58 Rn. 7 f. 1185 Die anderen Sprachfassungen zeigen, dass „wirkungsvoll“ als Synonym für das in Art. 56 und 57 EuInsVO verwendete „wirksam“ steht und damit nichts anderes als effektiv bedeutet. Siehe hierzu zuvor S. 237. 1186 Siehe hierzu S. 240 ff. 1187 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 58 Rn. 8. 1182

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1. Modus operandi Im Kontext des Art. 58 EuInsVO kann auf die gleichen Kommunikationsmittel wie im Zusammenhang der Art. 56 und 57 EuInsVO, insbesondere Post, Fax, E-Mail, Telefon- und Videokonferenz, zurückgegriffen werden.1188 Hinsichtlich der Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren ist zum größten Teil auf die Ausführungen zu den Vorschriften hinsichtlich der Kommunikation zwischen den Gerichten zu verweisen1189, wobei die Thematik zwischen Gericht und Verwalter noch sensibler sein dürfte, da unmittelbar die Verwalter als Vertreter eines Unternehmens an der Kommunikation beteiligt sind. Es ist daher besonders Rücksicht auf die nationalen Verfahrensvorschriften, vor allem hinsichtlich der Partizipation anderer Verfahrensbeteiligter, zu nehmen.1190 So kann es gefordert sein, dass die anderen Parteien bzw. ihre Anwälte an der Kooperation teilzunehmen haben 1191 oder zumindest eine Aufnahme bzw. ein Protokoll der Kooperation allen Beteiligten zur Verfügung zu stellen ist.1192 Ist eine persönliche Teilnahme vorausgesetzt, sind alle Parteien gemäß den vor dem jeweiligen Gericht angewendeten Verfahrensregeln vorab über die Kommunikation zu benachrichtigen.1193 2. Inhalt der Zusammenarbeit Insbesondere bei der Genehmigung von protocols oder der Vermittlung bei dem Abschluss von Absprachen nach Art. 56 EuInsVO, kommt den Gerichten eine entscheidende Rolle zu, sodass eine Abstimmung mit den Verwaltern angezeigt ist.1194 Dies verdeutlichen auch die zuvor dargestellten Verfahren hinsichtlich der Maxwell Communication Corporation plc, der Cenargo Interna-

1188 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 58.05; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 58 Rn. 5; Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 58 Rn. 4. 1189 Siehe hierzu S. 293 f. 1190 Vgl. ALI/III-Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication, Leitlinie 8. 1191 Dabei wird zumeist das jeweilige Gerichtspersonal mit Ausnahme der Richter in ausgiebiger Form, ohne eine notwendige Beteiligung, mit dem ausländischen Insolvenzverwalter kommunizieren dürfen, um entsprechende Vorkehrungen für die Kommunikation festzulegen, es sei denn, dies ist anders vom Gericht angeordnet worden. Vgl. ALI/III-Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication, Leitlinie 8c. Nach deutschem Verfahrensrecht müssen die Beteiligten nicht anwesend sein, wenn sich die Kommunikation auf einen Informationsaustausch und verfahrensvorbereitende bzw. -leitende Anordnungen beschränkt, Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 422. 1192 Vgl. die Voraussetzungen der ALI/III-Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication, Leitlinie 8b u. 8c. 1193 Vgl. ALI/III-Guidelines Applicable to Court-to-Court Communication, Leitlinie 8a. 1194 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 58.05; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 58 Rn. 6.

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tional plc, der AIOC Resources AG sowie das Verfahren im Nakash-Fall.1195 Für eine erfolgsversprechende Absprache haben alle Verfahrensbeteiligten zusammenzuwirken. Einer direkten Einbeziehung der Gerichte in verbindliche Absprachen wird allerdings zumeist der Vorbehalt der nationalen Vorschriften entgegenstehen, da den Gerichten solch eine Kompetenz nicht obliegt.1196 Des Weiteren ist eine Kommunikation angezeigt, wenn ein bestellter Verwalter es unterlassen hat, die in Art. 28 EuInsVO geforderte öffentliche Bekanntmachung des wesentlichen Inhalts der Eröffnungsentscheidung zu veranlassen. Der Verwalter oder der Schuldner in Eigenverwaltung hat danach zu beantragen, dass eine Bekanntmachung der Entscheidung zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens und gegebenenfalls der Entscheidung zur Bestellung des Verwalters in jedem anderen Mitgliedstaat, in dem sich eine Niederlassung des Schuldners befindet, nach den in diesem Mitgliedstaat vorgesehenen Verfahren veröffentlicht wird. Art. 28 EuInsVO enthält somit zunächst eine eigenständige Unterrichtungspflicht für die Verwalter. Erlangt ein anderes Gericht Kenntnis von der Unterlassung, hat ein Hinweis diesbezüglich zu ergehen, damit eine öffentliche Bekanntmachung der Entscheidung zum Schutz des Geschäftsverkehrs nachgeholt werden kann. Auf Basis dieser Publizität ist der von Art. 31 EuInsVO geschützte gute Glaube zu zerstören und damit ein Beitrag zur Masseanreicherung zu leisten. 1197 Im Zusammenhang von Konzerninsolvenzen ergibt sich solch eine Hinweispflicht aus Art. 58 EuInsVO. Ferner ist eine Cross-over-Kooperation erforderlich, wenn der Verwalter seine Rechte aus Art. 60 EuInsVO effektiv geltend machen möchte, da er hierbei nach Art. 60 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO von den Entscheidungen des Gerichts des anderen Verfahrens abhängig ist. Dieses Gericht wird primär die Interessen seines eigenen Verfahrens im Blick haben, sodass der Verwalter gemeinsam mit seinem Antrag erläutern sollte, warum die Aussetzung zum Wohle aller Beteiligten anzuordnen ist. Auf Basis eines Diskurses sind Bedenken auszuräumen und die nötigen Maßnahmen zu initiieren. Dass solch eine Koordinierung zur Verhinderung einer ineffizienten Masseverwertung erforderlich ist, zeigt die Insolvenz der österreichischen Collins & Aikman-Products GmbH.1198 Nicht nur, dass sich die beteiligten Insolvenzverwalter der Verfahren vollständig kompromisslos in der Verfahrensabstimmung zeigten, auch das Landgericht Loeben wies die hilfsweisen Anträge der englischen Hauptinsolvenzverwalter auf Aussetzung des Verwertungsverfahrens im Sekundärinsolvenzverfahren zum Großteil fälschlicherweise zurück1199 und wurde anschlieSiehe hierzu S. 306 f. Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 58 Rn. 9. 1197 Im Zusammenhang einer Kooperation von Gerichten Vallender in: FS Lüer, 2008, 479, 488. Mehr zu den Zwecken der öffentlichen Bekanntmachung Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 177 ff. 1198 Siehe zu der dortigen Konstellation S. 24, 267 f. u. 297. 1199 LG Loeben NZI 2005, 646 mit Anmerkung Paulus, NZI 2005, 647 f. 1195

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ßend durch einen Beschluss des OLG Graz im Zuge eines Rekurses korrigiert.1200 Das Landgericht hatte nicht nur die Chance verpasst, schon im Ausgangsstreit vermittelnd zwischen den Insolvenzverwaltern zu wirken und somit eine ernsthafte Verhandlung mit einem höchstwahrscheinlich für alle Beteiligten zufriedenstellenden Kompromiss herbeizuführen. Auch im Zuge des erstinstanzlichen Rechtsstreites hatte das zuständige Landgericht Loeben es versäumt, sein englisches Pendant zu kontaktieren und gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten. Hätte eine Abstimmung stattgefunden, wäre es sicherlich nicht zu einer falschen Entscheidung gelangt und das Rechtsmittelgericht hätte nicht über die unterinstanzliche Entscheidungen ein Urteil fällen müssen. Durch diesen vermeidbaren Rechtsstreit über zwei Instanzen wurden sowohl Zeit als auch Ressourcen verschwendet, die man zum Wohle aller Verfahrensbeteiligten auch anders hätte nutzen können. In dem deutschen Automold-Verfahren vor dem AG Köln1201 bereitete der zuständige Richter wesentliche Sachentscheidungen des Sekundärinsolvenzverfahrens gerade durch einen Informationsaustausch mit den ausländischen Hauptinsolvenzverwaltern vor. So konnte man sich bezüglich eines passenden Termins sowie Ortes für die Gläubigerversammlung abstimmen. Obwohl in Köln lediglich das Sekundärinsolvenzverfahren angesiedelt war, wurden an diesem Ort die Gläubigerversammlungen sowohl für das Haupt- sowie anschließend für das Sekundärinsolvenzverfahren veranstaltet. Es ergaben sich erhebliche Synergieeffekte und damit Kostenersparnisse.1202 V. Rechte des Verwalters 1. Allgemeines Die Befugnisse der Verwalter ergeben sich nach Art. 7 Abs. 2 lit. c EuInsVO aus der lex fori concursus des Staats der Verfahrenseröffnung. Der gegenüber dem Art. 42d EuInsVO-E1203 stark abgeschwächte Art. 60 EuInsVO erweitert und konkretisiert diese Befugnisse mit wechselseitigen Mitwirkungs- und Einwirkungsrechten eines Verwalters gegenüber dem Insolvenzverfahren eines anderen Mitglieds der Unternehmensgruppe.1204 Den Verwaltern kommen konkrete Einflussnahmemöglichkeiten zu, um hierdurch eine effiziente Verfah-

OLG Graz NZI 2006, 660, 661 ff. AG Köln NZI 2004, 152 ff. 1202 Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417, 420; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 57 Rn. 1. 1203 Mehr zu den Abweichungen Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1. 1204 MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 60 Rn. 1; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 60.01; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 1; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 1 u. 3. 1200

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rensführung zu gewährleisten.1205 Im Vergleich zu den Kooperationsvorschriften aus Art. 56–58 EuInsVO ist besonders hervorzuheben, dass die Vorschriften zu den Verwalterrechten nicht unter dem Vorbehalt der nationalen Rechtsordnungen stehen. Die Änderungen gegenüber dem Kommissionsentwurf sind vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Kompetenzen zu denen des Koordinationsverwalters – der zum Zeitpunkt des Entwurfes noch nicht im Gesetz verankert war – klarer abgegrenzt werden sollten. So hat der Verwalter nicht mehr die Aufgabe, einen Sanierungsplan für die ganze Gruppe vorzulegen, sondern nur noch zu prüfen, ob Sanierungsmöglichkeiten bestehen. Ist eine Sanierung angezeigt, haben sich die Verwalter gem. Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. c EuInsVO über einen koordinierten Sanierungsplan zu verständigen.1206 Dass ein Vorlagerecht nicht mehr unter die Rechte eines jeden Insolvenzverwalters fällt, ist auch aus anderen Gründen zu begrüßen. Es wäre ein ineffizientes „Sanierungswettrennen“ zwischen den einzelnen Insolvenzverwaltern zu befürchten. 1207 Da der europäische Gesetzgeber bei den Rechten aus Art. 60 EuInsVO nicht zwischen der Bedeutung der Unternehmen in dem Gruppengefüge unterscheidet, wäre es möglich gewesen, dass jeder noch so unbedeutende Verwalter von seinem Vorlagerecht hätte Gebrauch machen können, wodurch die Verfahren eine erhebliche Verzögerung erfahren hätten. 1208 Die Vorschrift des Art. 60 EuInsVO weicht – anders als die nahezu wortgleichen Vorschriften über die Zusammenarbeit und Kommunikation – von den Eingriffsbefugnissen der Verwalter zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren aus Art. 46 f. EuInsVO ab. Es gibt kein Hauptinsolvenzverfahren, welches gegenüber dem Sekundärinsolvenzverfahren eine dominierende Rolle einnimmt. 1209 Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass es – im Unterschied zu den Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren – zwischen den Insolvenzverfahren einer Unternehmensgruppe keine hierarchische Anordnung der Verfahren gibt. Die Verfahren im Zusammenhang mit Unternehmensgruppen stehen gleichrangig nebeneinander.1210 Der Gesetzgeber hat sich in der Gruppenkonstellation gegen 1205 MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 60 Rn. 1; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 60.02; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 2; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 1. 1206 Wimmer, jurisPR-InsR 7/2005 Anm. 1. 1207 Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 244; Thole, ZEuP 2014, 39, 70. 1208 Reumers, ECFR 2013, 554, 586; Wimmer, DB 2013, 1343, 1346. 1209 Vgl. ErwG 48 S. 2 EuInsVO. Diese Dominanz wird insbesondere über Einwirkungsmöglichkeiten des Hauptinsolvenzverwalters auf das Sekundärinsolvenzverfahren sichergestellt, Balz, 70 Am. Bankr. L.J. (1996), 485, 525; ders., ZIP 1996, 948, 954; Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 298; Staak, NZI 2004, 480, 481; Wimmer, ZIP 1998, 982, 987. 1210 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 583; Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 802; Reumers, ECFR 2013, 554, 589.

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Kapitel 3: Das Konzerninsolvenzrecht der EuInsVO de lege lata

ein System entschieden, welches im Sinne der INSOL Europe1211 dem Verfahren des Mutterunternehmens eine führende Rolle zubilligt. Es gibt keine Anknüpfungspunkte für ein „Hauptinsolvenzverfahren“ mit einem „natürlich bestehenden Hauptverwalter“, der im besten Interesse aller beteiligten Unternehmen und Gläubiger zu handeln hat.1212 Jedes Gruppenmitglied kann unabhängig von seiner Bedeutung für den Gesamtkonzern die ihm im Koordinationsverfahren zur Verfügung gestellten Befugnisse nach Art. 60 EuInsVO nutzen.1213 Schlussendlich soll sich derjenige Verwalter mit den effektivsten Maßnahmen im Sinne einer freien Konkurrenz mit seinen Forderungen hinsichtlich einer Gesamtstrategie durchsetzen.1214 Die neuen abgeschwächten Regelungen sind zu begrüßen und weisen das Potenzial auf, ganz im Sinne des ErwG 60 EuInsVO, einen alternativen Mechanismus zum Gruppen-Koordinationsverfahren zu bilden und eine Sanierung zu gewährleisten. Nach dem Wortlaut der Norm gelten die Befugnisse der Verwalter erst im eröffneten Verfahren. Wie zuvor festgestellt, ist das Tatbestandsmerkmal der Verfahrenseröffnung unionsautonom gemäß des Art. 2 Nr. 7 EuInsVO auszulegen,1215 wodurch auch allen vorläufigen Insolvenzverwaltern – ganz im Sinne des Art. 2 Nr. 7 Ziff. ii i. V. m. Art. 2 Nr. 5 EuInsVO1216 – die europäischen Verwalterrechte zuzusprechen sind.1217 Gerade das eingriffsintensive Aussetzungsrecht, das den Verwaltern nach Art. 60 EuInsVO zusteht, wird auch in diesem frühen Stadium über die strengen Voraussetzungen aus Art. 60 Abs. 1 lit. b Ziff. i–iv EuInsVO begrenzt, sodass keine ausufernde Anwendung stattfinden kann.1218

1211 INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 96 Art. 43; ebenso Reumers, ECFR 2013, 554, 584. 1212 In diesem Sinne Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, 2014, S. 16 Rn. 63 f. INSOL Europe hingegen möchte solch einem Hauptverwalter starke Eingriffsrechte zusprechen, INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 96 Art. 44. 1213 Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 802; Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 9. 1214 Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, 2014, S. 16 Rn. 63 f.; kritisch Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 583. 1215 Siehe hierzu S. 286. 1216 Braun/Tashiro, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 2 Rn. 33; MüKoInsO/Thole, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 2 Rn. 9. 1217 In diesem Sinne auch Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 9. 1218 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 590.

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2. Gewährleistung einer effektiven Verfahrensdurchführung Von den Rechten aus Art. 60 EuInsVO kann nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn diese eine effektive Verfahrensführung erleichtern können.1219 Zwar enthalten die Maßnahmen aus Art. 60 Abs. 1 lit. b und c EuInsVO ein erhöhtes Missbrauchspotenzial, welches die effektive Verfahrensdurchführung massiv hemmen kann. Werden die durch die Normen selbst aufgestellten, strengen Voraussetzungen eingehalten, besteht jedoch eine Vermutung dahingehend, dass durch die jeweilige Maßnahme eine effektive Verfahrensdurchführung erleichtert werden kann.1220 Lediglich im Zusammenhang des Anhörungsrechts nach lit. a werden keine speziellen Anforderungen an die Geltendmachung dieses Rechts gestellt. Eine Anhörung ist daher beispielsweise zu unterlassen, wenn objektiv unnötige Anhörungsanfragen dazu genutzt werden sollen, die Umsetzung von sinnvollen Maßnahmen in anderen Verfahren zu blockieren oder zu verhindern.1221 3. Rechte a) Recht auf Gehör Nach Art. 60 Abs. 1 lit. a EuInsVO können die Verwalter in jedem über das Vermögen eines anderen Mitglieds derselben Unternehmensgruppe eröffneten Verfahren gehört werden. Als Forum kommen jegliche Gremien in Betracht, denen die nationalen Rechtsordnungen verfahrensleitende Entscheidungsmacht zubilligen.1222 Aus dem Wortlaut wird zwar nicht unmittelbar deutlich, ob dem Verwalter ein Recht zukommen soll, von den Gremien angehört zu werden, falls er dies für notwendig hält, oder ob es sich nicht eher um eine Ermächtigung für das jeweilige Gremium handelt, den Verwalter zu einer Anhörung zu zitieren. Die Überschrift der Norm lässt jedoch vermuten, dass der

1219 Darauf hinweisend, dass keine effizienten Maßnahmen gefordert sind, Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 8. Die Effektivität der Abwicklung des Verfahrens soll jedoch gerade zu dem übergeordneten Ziel eines effizienten Verfahrens beitragen, wodurch in letzter Konsequenz dennoch das Effizienzziel zu berücksichtigen ist. Siehe hierzu S. 237. 1220 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 33; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 8. 1221 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 24. 1222 In Deutschland wäre an eine Anhörung sowohl in der Gläubigerversammlung als auch im Gläubigerausschluss zu denken, Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 584; Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 802; Kindler/Sakka, EuZW 2015, 460, 465; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 60 Rn. 8; Prager/Keller, NZI 2013, 57, 63; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 60 Rn. 2; Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 557; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 10.

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europäische Gesetzgeber primär den Verwaltern Rechte zubilligen wollte.1223 Die Verwalter haben demnach in den betroffenen Gremien ein Anwesenheitsund Rederecht inne, ein Stimmrecht steht ihnen jedoch nicht zu.1224 Als impliziertes Recht muss ihnen darüber hinaus die Möglichkeit zustehen, eigene Tagesordnungspunkte in die Gremien einzubringen.1225 Da das Recht auf Gehör nicht durch einen Vorbehalt der nationalen Vorschriften eingeschränkt ist, kommt einem Verwalter dieses Recht auch dann zu, wenn dem Verwalter, der für das Verfahren zuständig ist, in dem die Anhörung stattfinden soll, nach der lex fori concursus selbst kein Anhörungsrecht zugebilligt wird.1226 Ein Anhörungsrecht kann diesem Verwalter nur auf Basis einer entsprechenden Beschlussfassung des jeweiligen Gremiums eingeräumt werden. Die Vorschriften der lex fori concursus spielen für den Verwalter, der das Anhörungsrecht geltend macht, hingegen weder direkt noch analog eine Rolle. Das nationale Recht wird durch die EuInsVO überlagert. Im Sinne eines effektiven Verfahrens kommt dem Verwalter vorbehaltlos eine starke Stellung zu. Dem Recht auf Gehör wohnt jedoch kein Selbstzweck inne. Es besteht, um eine effektive Führung der Insolvenzverfahren zu gewährleisten.1227 Das Anhörungsrecht ist vor allem zur Durchsetzung des Aussetzungsrechts aus Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO unabdingbar.1228 So sind die Informationen aus den Entscheidungsgremien zum einen relevant, um das gem. Art. 60 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO über die Aussetzung entscheidende Gericht von der Notwendigkeit

1223 Fehrenbach, GPR 2017, 38, 46; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 4. 1224 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 584; Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 7; MüKoBGB/Kinder, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 60 Rn. 3; Kindler/Sakka, EuZW 2015, 460, 465; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 60 Rn. 8; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 11; Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1. Der überwiegende Teil der Literatur billigte den Verwaltern schon im Zusammenhang des Art. 42d Abs. 1 lit. a EuInsVO-E kein Stimmrecht zu, obwohl damals noch von Mitwirkungsrechten der Verwalter die Rede war, Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 802; Gottwald InsR-Hdb/Kolmann/Keller, 5. Aufl. 2015, § 131 Rn. 56; Prager/Keller, NZI 2013, 57, 63; Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 557. 1225 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 7. 1226 Dies andeutend Gottwald InsR-Hdb/Kolmann/Keller, 5. Aufl. 2015, § 131 Rn. 56; Prager/Keller, NZI 2013, 57, 63; a. A. Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 10 u. 24. 1227 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 60.02; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 2. 1228 Das nun explizit geregelte Recht auf Gehör wurde vor der Reform bezüglich der vergleichbaren Konstellation nach Art. 33 EuInsVO a. F. implizit aus dem Aussetzungsrecht hergeleitet, Staak, NZI 2004, 480, 485; Vallender, KTS 2008, 59, 69 f.; ebenso LG Loeben NZI 2005, 646, 646 und OLG Graz NZI 2006, 660, 661.

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der Maßnahme zu überzeugen.1229 Zum anderen ist solch ein starkes Eingriffsrecht wie die Aussetzung eines Verfahrens, im Vorfeld den Betroffenen gegenüber zu kommunizieren und zu erklären. Dies stellt zwar keine Voraussetzung des Aussetzungsrechts dar, ist allerdings ex post für einen gruppeninternen Frieden, welcher für eine gemeinsame Sanierung oder zumindest ein gemeinsames Agieren im Zuge der Insolvenz unverzichtbar ist, unentbehrlich. Das Anhörungsverfahren kann somit genutzt werden, diesen Kommunikationsakt durchzuführen. Ein wichtiger Anwendungsbereich des Rechts auf Gehör zeigt sich im Zusammenhang der Implementierung eines gruppenweiten Insolvenzplans. Ein Insolvenzplan ist nach den nationalen Voraussetzungen oftmals von der Zustimmung der Gläubigerversammlung abhängig. Da der Verwalter gegen obstruierende Gläubiger rechtlich nicht vorgehen kann, kann er sein Recht auf Gehör dazu nutzen, an diesen Versammlungen teilzunehmen und die Gläubigerschaft von den Zielen und damit der Annahme des Insolvenzplans zu überzeugen.1230 Das Recht auf Gehör ist im Zusammenhang mit den anderen Befugnissen der Verwalter zu sehen. Zu Beginn steht das Recht der Verwalter aus Art. 58 Hs. 1 lit. b EuInsVO bzw. Art. 56 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a EuInsVO, nach welchen die Gerichte bzw. die Verwalter der anderen Verfahren um Informationen ersucht werden können. Auf diesem Wege können die Verwalter den gleichen Informationsstand wie die Gläubiger des anderen Verfahrens, insbesondere in administrativer Hinsicht bezüglich der Termine der Gremienversammlungen, erlangen. Auf Basis dieser Informationen kann das Recht auf Gehör effektiv eingesetzt werden.1231 Ob bevorzugt die Gerichte oder besser die Verwalter der anderen Verfahren kontaktiert werden sollen, hängt von der jeweiligen Kooperationsbereitschaft ab. Tendenziell stellt die Kontaktaufnahme mit den Verwaltern den effektiveren Weg dar, da die Informationen bezüglich Gremienversammlungen dort unmittelbar präsent sein dürften. Erfüllt der Verwalter seine Verpflichtung nicht, ist das Gericht zur Informationserlangung hinzuzuziehen, da eine Durchsetzung des Auskunftsrechts gegenüber dem Verwalter erheblich länger dauern dürfte.1232

Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 25. Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 246; mit weiteren Vorschlägen zur Überwindung obstruierender Gläubiger im Zusammenhang einer Konzerninsolvenz, ders., ZIP 2013, 193, 200; ders., Der Konzern 2013, 169, 181. 1231 Im Ergebnis auch MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 60 Rn. 2; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 24. 1232 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 25. 1229

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b) Antragsrecht auf Aussetzung der Verwertung aa) Gegenstand der Aussetzung Bei dem Antragsrecht auf Aussetzung der Verwertung gem. Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO handelt es sich um ein weitreichendes Eingriffsrecht, das über die supranationale Ebene in die gesamtvollstreckungsrechtlichen Hoheitsrechte der Mitgliedstaaten einwirkt. 1233 Dabei kann die „Aussetzung jeder Maßnahme im Zusammenhang mit der Verwertung der Masse“ beantragt werden. Damit wurde der Kommissionsentwurf gem. Art. 42d EuInsVO-E, welcher von der „Aussetzung des Verfahrens“ sprach, korrigiert. Die Diskussionen um die richtige Auslegung des Begriffs der „Aussetzung“ sind damit größtenteils hinfällig. Nach dem Entwurf hätte auf Basis eines deutschen Begriffsverständnisses der Aussetzung als Stillstand1234 das gesamte Verfahren zum Erliegen kommen müssen. Damit hätten auch mögliche gruppenweite Sanierungsbemühungen nicht weiter vorangetrieben werden können.1235 Solch eine Sanierung soll allerdings gerade durch die Aussetzungsvorschriften gewährleistet werden. Die Endfassung des Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO macht deutlich, dass die Aussetzung lediglich beantragt werden kann, um vereinzelte Verwertungsbemühungen der Verwalter, die eine Gesamtstrategie vor vollendete Tatsachen stellen würden, zu verhindern.1236 Unter Verwertungshandlungen sind insbesondere übertragende Sanierungen,1237 aber auch der freihändige Verkauf, die Zwangsversteigerung1238 oder Zwangsverwaltung, der Pfandverkauf von Vermögensgegenständen sowie die

Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 244; ders., ZInsO 2013, 797, 803. „Aussetzung“ beschreibt nach dem deutschen Sprachgebrauch den Stillstand des Verfahrens kraft gerichtlicher Anordnung, vgl. Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 244; ders., ZInsO 2013, 797, 803; Hüßtege in: Thomas/Putzo, 38. Aufl. 2017, Vorb § 239 Rn. 8; Prager/Keller, NZI 2013, 57, 63 Fn. 70; MüKoZPO/Stackmann, 5. Aufl. 2016, Vorbem. §§ 239 ff. Rn. 1 ff. Das deutsche Verständnis bezieht sich allerdings auf streitige Verfahren und ist demnach nicht ohne Weiteres auf den europäischen Konzerninsolvenzkontext übertragbar, vgl. Mock, GPR 2013, 156, 165. 1235 Hätte man eine vollständige Aufhebung der Wirkung des Verfahrens unter Aussetzung subsumiert, wäre es sogar zu einer Beseitigung des gläubigerschützenden Insolvenzbeschlags gekommen. Dies konnte definitiv nicht erwünscht sein. Vgl. Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 244 f.; ders., ZInsO 2013, 797, 803; Thole, ZEuP 2014, 39, 71. 1236 COM(2012) 744 final (DE), S. 10; ebenso Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 1; Mock, GPR 2013, 156, 165; Prager/Keller, NZI 2013, 57, 63 f. Im deutschen Verfahren kann gefordert werden, dass ein Insolvenzplanverfahren gem. §§ 217 ff. InsO auszusetzen ist, falls dieses eine Konzerngesamtstrategie verhindert, Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 245. 1237 Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 245; ders., ZInsO 2013, 797, 804. 1238 Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 245. 1233

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Einziehung von Forderungen1239 zu verstehen. Darüber hinaus kann auch eine Freigabe von Massegegenständen ein Aussetzungerecht der Verwalter begründen, da diese ebenfalls das Potenzial hat, einen Sanierungsplan negativ zu beeinträchtigen.1240 Nach ErwG 69 EuInsVO sollen dingliche Rechte von Gläubigern oder Dritten unberührt bleiben. Fraglich ist, ob unter einer „Aussetzung jeder Maßnahme im Zusammenhang mit der Verwertung der Masse“ auch die gewöhnliche Verwendung der Massegegenstände bei der Fortführung des Unternehmens zu fassen ist. Wäre dies der Fall, könnte eine Aussetzung zum vollständigen Stillstand des Betriebs führen. Dies kann grundsätzlich nicht erwünscht sein. 1241 Um jedoch dem Normzweck gerecht zu werden und alle denkbaren Konstellationen, bei denen ein Sanierungsplan gefährdet sein kann, in das Aussetzungsrecht mit einzubeziehen, ist der Begriff der „Verwertung“ weit auszulegen.1242 Im Einzelfall kann zur Verhinderung der negativen Beeinträchtigung von Gesamtsanierungsmaßnahmen eine Verwendung der Massegegenstände in gewöhnlichem Maße untersagt werden, woraus sich sogar eine vorübergehende Stilllegung des ganzen Geschäftsbetriebs entwickeln kann.1243 Wird das Recht aus Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO allerdings zu Blockadezwecken missbraucht, ist ein Aussetzungsantrag abzulehnen. Die auszusetzende Verwertung als solche muss noch nicht begonnen haben. Es genügt, wenn eine Untersagung einer zukünftigen Verwertung als präventiver Schutz beantragt wird. 1244 Eine Abstimmung zwischen den Verwaltern gem. Art. 56 EuInsVO ist insbesondere dann durchzuführen, wenn eine Vielzahl von Anträgen mit unterschiedlichen Zielsetzungen eingereicht werden. Die Entscheidung hinsichtlich der richtigen Strategie sollte bestmöglich von den Verwaltern selbst geklärt und nicht dem Ermessen des Gerichts überlassen werden. 1239 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 60.06; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 8. 1240 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 60.06; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 8. 1241 Eine Aussetzung soll dann nicht möglich sein, wenn die Verwendung nicht über das gewöhnliche Maß der Abnutzung des Gegenstandes hinausgeht. So in Bezug auf Art. 33 EuInsVO a. F. Herchen, Das Übereinkommen über Insolvenzverfahren, 1999, S. 153; Staak, NZI 2004, 480, 484. 1242 Maßnahmen der Betriebsfortführung und der bloße Forderungseinzug sind nicht vom Begriff der Verwertung umfasst, Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 13. 1243 Für solch ein weites Verständnis plädierend Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 245; ders., ZInsO 2013, 797, 804; Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 30; Thole, ZEuP 2014, 39, 71; zu der vergleichbaren Situation im Zusammenhang mit Art. 33 EuInsVO a. F. MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO 2000 Art. 33 Rn. 12. 1244 Zu alledem Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 22; siehe zu der vergleichbaren Situation im Zusammenhang mit Art. 33 EuInsVO a. F. OLG Graz NZI 2006, 660, 662 f.

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bb) Voraussetzungen Ein zu Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO vergleichbares Aussetzungsrecht war bisher aus den Kooperationsvorschriften zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren gem. Art. 33 EuInsVO a. F. bekannt. Dieses ließ sich aus dem Unterordnungsverhältnis des Sekundärinsolvenzverfahrens, das heißt der dominierenden Rolle des Hauptinsolvenzverfahrens, herleiten. 1245 Zweck des Rechts aus Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO ist es hingegen, kooperationsunwillige oder obstruktive Hauptverwalter anderer Gruppenunternehmen an der fortschreitenden Verwertung zu hindern, damit keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden.1246 Das Eingriffsrecht wirkt demnach auf einer Gleichordnungsebene, weshalb es an strikte Voraussetzungen geknüpft ist. Über die Grundvoraussetzung der Erleichterung einer effektiven Verfahrensdurchführung hinaus wird nach Art. 60 Abs. 1 lit. b Hs. 2 Ziff. i EuInsVO verlangt, dass für alle oder einige Mitglieder der Unternehmensgruppe, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, ein Sanierungsplan gem. Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. c EuInsVO vorgeschlagen wurde und dieser hinreichend Aussicht auf Erfolg hat. Der Sanierungsvorschlag muss – nach dem Wortlaut der Norm – nicht aus der Feder des aussetzungssuchenden Verwalters stammen. 1247 Vorgeschlagen ist der Plan, wenn er in seiner Grundstruktur in die entscheidungsrelevanten Gremien eingebracht wurde. Bestätigt muss er noch nicht sein.1248 Reine Absichtserklärungen sind nicht weitreichend genug.1249 Ganz im Sinne einer schnellen und frühen Aussetzungsentscheidung wird darüber hinaus lediglich gefordert, dass der Sanierungsplan eine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.1250 Eine ernsthafte Möglichkeit des Sanierungserfolgs reicht nicht aus; eine überwiegende Wahrscheinlichkeit wird nicht verlangt.1251 Dies soll gewährleisten, dass das Aussetzungsrecht in einem frühen Stadium der Insolvenzverfahren ohne zeitraubende detaillierte Prüfung der Voraussetzungen geltend gemacht wird und damit seine größte Wirkung entfalten kann, solange noch keine vollendeten Tatsachen geschaffen wurden. Da der Sanierungsplan allerdings nach Maßgabe des Art. 56 Abs. 2 lit. c EuInsVO zwischen Staak, NZI 2004, 480, 484. Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 244; Gottwald InsR-Hdb/Kolmann/Keller, 5. Aufl. 2015, § 131 Rn. 57; Prager/Keller, NZI 2013, 57, 63. 1247 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 15. 1248 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 23; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 16. 1249 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 23. 1250 Damit hat schon der Vorschlag eines solchen Plans einen disziplinierenden Charakter, Fritz, DB 2015, 1945, 1947; ebenso J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 11. 1251 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 16; a. A. Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 24. 1245

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den verschiedenen Verwaltern vereinbart wurde, ist davon auszugehen, dass er für alle Beteiligten einen hinreichenden Erfolg mit sich bringt. Etwas anderes wird sich nur dann ergeben, wenn der hinreichende Erfolg im Nachhinein weggefallen ist.1252 Des Weiteren muss nach Art. 60 Abs. 1 lit. b Hs. 2 Ziff. ii EuInsVO die Aussetzung notwendig sein, um die ordnungsgemäße Durchführung des Sanierungsplans sicherzustellen. Die Notwendigkeit ist im Sinne einer Erforderlichkeitsprüfung hinsichtlich eines festgesetzten Ziels zu interpretieren. 1253 Die Verknüpfung des Aussetzungsrechts mit dem Sanierungsplan verhindert den Missbrauch des Aussetzungsrechts für sachfremde Zwecke.1254 Die Effizienzprüfung ist damit stark auf den vorgegebenen Zweck der Sicherung des Sanierungsplans und damit des Sanierungsgedankens ausgerichtet. Demnach können von der Aussetzung lediglich die Verwertungsmaßnahmen betroffen sein, die tatsächlich eine Gefahr für die Durchführung des Sanierungsplans bilden.1255 Darunter fallen Vermögenswerte, die nicht nur untergeordnete Bedeutung für die gruppenweite Sanierung haben.1256 Die Aussetzungszeit ist insbesondere für Verhandlungen über den weiteren Fortgang der Sanierung und Restrukturierung zu nützen. Dieser Prozess soll nicht durch Verwertungsmaßnahmen gestört werden, welche die Verwalter der anderen Verfahren vor vollendete Tatsachen stellen würden. Des Weiteren muss der Sanierungsplan gem. Art. 60 Abs. 1 lit. b Hs. 2 Ziff. iii EuInsVO den Gläubigern des Verfahrens, für das die Aussetzung beantragt wird, zugutekommen. Den Gläubigern muss durch die Sanierung grundsätzlich ein Vorteil in Form einer maximierten Insolvenzmasse zuteilwerden.1257 Es hat eine Zusammenschau aller Vorteile, Nachteile und Risiken stattzufinden.1258 Dabei sind auch künftige Vorteile, insbesondere in Zukunft zu erwirtschaftende Erträge, in die Rechnung mit einzubeziehen.1259 Besonders zu berücksichtigen sind gesicherte Gläubiger, da für diese eine Aussetzung der Verwertung grundsätzlich schädlich ist. Damit ihnen eine Sanierung dennoch Hierauf hinweisend Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 60 Rn. 12. Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 25. 1254 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 586. 1255 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 60.08; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 13. 1256 Es ist auf die konkret geplante Art und Weise der Sanierung abzustellen, Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 17. 1257 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 18; entscheidend ist eine rechnerische Gegenüberstellung der zur Gläubigerbefriedigung zur Verfügung stehenden Masse mit und ohne einer Aussetzung des Verfahrens, Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 245; ders., ZInsO 2013, 797, 804. 1258 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 60.09; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 14. 1259 Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 245; ders., ZInsO 2013, 797, 804. 1252

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zugutekommen kann, können spezielle Sicherungsmaßnahmen gem. Art. 60 Abs. 2 UAbs. 3 EuInsVO erlassen und beispielsweise ausgleichende Zinsen gezahlt werden.1260 Die Voraussetzung aus Art. 60 Abs. 1 lit. b Hs. 2 Ziff. iii EuInsVO hat einen Ausgleich zwischen zwei wichtigen Zwecken der EuInsVO zu schaffen. Auf der einen Seite soll die Aussetzung eindeutig den Gedanken der Sanierung fördern, damit das Unternehmertum innerhalb der Europäischen Union gestärkt wird. So kann es den Fortführungswert eines Unternehmens erheblich negativ beeinflussen, wenn einzelne Verwalter ohne Abstimmung in die Verwertung eintreten. Auf der anderen Seite darf die Sanierung nicht zu Lasten der Gläubiger gehen, deren primäres Streben darin liegt, ihre Quote für eine maximale Befriedigung zu verbessern.1261 In der Sache handelt es sich um eine Liquidationsgarantie, wie sie aus dem deutschen Recht nach § 245 Abs. 1 Nr. 1, 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO bekannt ist.1262 Zwar entwickelt sich die Erfüllung dieser Ziele häufig simultan, dies ist jedoch nicht zwingend, zumal eine Sanierung oftmals nur auf Kosten der Gläubiger durchgeführt werden kann. Beide Ziele bestmöglich zu gewährleisten, ist die Aufgabe dieser Voraussetzung. Diese ausgleichend-differenzierte Vorgehensweise des Gesetzgebers ist zu begrüßen. Als vierte Voraussetzung statuiert Art. 60 Abs. 1 lit. b Hs. 2 Ziff. iv EuInsVO, dass weder das Insolvenzverfahren des aussetzungsbeantragenden Verwalters, noch das Verfahren, für das die Aussetzung beantragt wird, einer Koordinierung nach dem Gruppen-Koordinationsverfahren unterliegen dürfen. Es soll gewährleistet werden, dass die Maßnahmen des Koordinationsverwalters, insbesondere das Aussetzungsrecht nach Art. 72 Abs. 2 lit. 2 EuInsVO als lex specialis zu Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO, eine einheitliche Anwendung in allen beteiligten Verfahren finden und nicht durch ein eigenmächtiges Handeln einzelner Verwalter unterlaufen werden.1263 Der Gesetzgeber hat sich demnach für einen Primat des Gruppen-Koordinationsverfahrens entschieden. Hierauf ist besonders zu achten, wenn ein Verwalter sich gegen die Einbeziehung in ein Koordinationsverfahren gem. Art. 65 EuInsVO gewandt hat oder nachträglich aus dem Koordinationsverfahren ausgeschieden ist. Solch ein Verwalter kann bezüglich der Verfahren aller anderen Unternehmen, die noch in das Gruppen-Koordinationsverfahren einbezogen sind, kein Aussetzungsrecht 1260 Auf dieses Problem hinweisend Fehrenbach, GPR 2017, 38, 46. Dieser löst es allerdings, indem er ohne zwischen Gläubigergruppen zu differenzieren, auf die Gesamtheit der Gläubiger abstellt, die einen Mehrwert der Masse generiert haben möchte. Der Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Voraussetzung, die tatsächliche Vermeidung von Nachteilen für die Gläubiger, lässt diese Leseweise jedoch schwerlich zu. 1261 Siehe zu den Zwecken ausführlich S. 88 ff u. 93 ff. 1262 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 60 Rn. 7. 1263 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 28; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 60.10; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 15.

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geltend machen bzw. kein Adressat eines Aussetzungsantrags von einem dieser Unternehmen sein.1264 Des Weiteren ist fraglich, was mit einer schon stattfindenden Aussetzung geschieht, wenn eines der an der Aussetzung beteiligten Verfahren nachträglich an dem Koordinationsverfahren teilnimmt. Dabei ist zu differenzieren: Wenn das Verfahren, in dem die Aussetzung stattfindet, an dem Koordinationsverfahren teilnimmt, hängt die Fortführung der Aussetzung nun ausschließlich von dem Koordinator ab. Dieser kann die Aussetzung entweder unverändert für den restlichen Zeitrahmen weiterlaufen lassen oder beantragen, die Aussetzung aufzuheben. Der ehemals die Aussetzung beantragende Verwalter hat keine Einflussmöglichkeiten mehr. Eine Klarstellung durch die Verordnung wäre begrüßenswert. Tritt das Verfahren, welches die einstige Aussetzung beantragt hat, dem Koordinationsverfahren bei, muss die Aussetzung nach der Vorgabe des Art. 60 Abs. 1 lit. b Hs. 2 Ziff. iv EuInsVO aufgehoben werden. Zwar würde es oftmals Sinn ergeben, die Aussetzung aufrechtzuerhalten, da der Grund der Aussetzung losgelöst von der Teilnahme am Koordinationsverfahren noch bestehen wird.1265 Dies kann allerdings nur individuell zwischen den Beteiligten losgelöst von den Regelungen der EuInsVO vereinbart werden. cc) Gerichtliche Überprüfung Die Überprüfung der Erfolgsaussichten des Sanierungsplans, der Notwendigkeit der Aussetzung für die ordnungsgemäße Durchführung des Sanierungsplans sowie des Nutzens des Sanierungsplans für die Gläubiger obliegt nach Art. 60 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO dem Gericht des Verfahrens, in welchem die Aussetzung angeordnet werden soll, da dieses Gericht die Verfahrensherrschaft über das betroffene Verfahren ausübt.1266 Fraglich ist, ob eine gerichtliche Überprüfung auch hinsichtlich der Voraussetzung zu erfolgen hat, dass eine Erleichterung der effektiven Verfahrensführung besteht, oder ob diese Anforderung ausschließlich der Überprüfung des Verwalters selbst obliegt. 1267 Die Erleichterung der effektiven Verfahrensführung stellt die Grundbedingung dar, die vorzuliegen hat, bevor die weiteren Voraussetzungen nach Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO geprüft werden können. Daher muss Art. 60 Abs. 1 Hs. 1 1264 In diesem Fall dürfte es wohl kaum zu einer Aussetzung außerhalb des GruppenKoordinationsverfahrens kommen, da neben dem Gruppensanierungsplan für die nicht partizipierenden Verfahren ein weiterer Sanierungsplan gem. Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. c EuInsVO vorgeschlagen sein müsste. Ein Nebeneinander zweier verfahrensübergreifender Sanierungsbestrebungen ist jedoch schwerlich zielführend und damit vorstellbar. Vgl. Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 19. 1265 In diesem Sinne Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 60 Rn. 15. 1266 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 16. 1267 Im zweiten Sinne Weiss, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 192, 209.

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EuInsVO als ein Teil der lit. b gesehen werden, wodurch auch die dort erwähnte Voraussetzung unmittelbar durch das entscheidende Gericht zu überprüfen sind.1268 Der ursprüngliche Art. 42d Abs. 2 S. 1 EuInsVO-E, nach dem die Aussetzung des Verfahrens den Gläubigern dieses Verfahrens nachweislich zugutekommen musste, wurde im Laufe der Reform ersetzt. Dies ist zu begrüßen, da auf diesem Wege der ungeklärte Zustand behoben wurde, was unter dem Begriffspaar „nachweislich zugutekommen“ zu verstehen ist. 1269 Das Gericht muss nun „überzeugt“ sein, dass die Voraussetzungen aus Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO vorliegen. Der Beweismaßstab ist damit begrifflich unionsautonom vorgegeben. Da es für das europäische Beweisrecht allerdings keine einheitlichen Vorgaben gibt, muss für die Ausfüllung dieser Terminologie hinsichtlich der Anforderungen und der Maßnahmen auf die lex fori concursus des entscheidungsberechtigten Gerichts zurückgegriffen werden.1270 Zwar ist ein Entscheidungseinklang ein erstrebenswerter Zustand, 1271 allerdings ist nicht ersichtlich, warum der europäische Gesetzgeber, der bezüglich des Beweisrechts noch nicht rechtsvergleichend und rechtsbestimmend aufgetreten ist, dieses Thema einer Rechtsfortbildung des EuGH überlassen sollte. Anhand der begrifflichen Maßgabe der EuInsVO kann allerdings davon ausgegangen werden, dass kein Vollbeweis, sondern eher ein Typus Glaubhaftmachung und damit eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gefordert sein dürfte.1272 Hinsichtlich der Entscheidungsfindung kommt dem Gericht eine Amtsermittlungspflicht zu.1273 Es muss sich davon „überzeugen“, dass die VorausA. A. Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 60 Rn. 3. Siehe hinsichtlich der verschiedenen Ansätze Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 245; ders., ZInsO 2013, 797, 805; Kindler, KTS 2014, 25, 42; Kindler/Sakka, EuZW 2015, 460, 466; Gottwald InsR-Hdb/Kolmann/Keller, 5. Aufl. 2015, § 131 Rn. 58; Prager/Keller, NZI 2013, 57, 64; Thole, ZEuP 2014, 39, 70; Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 557; die Begriffe als „nebulös“ bezeichnend Mock, GPR 2013, 156, 165. 1270 Eine verbreitete Meinung in der Literatur will bzw. wollte – insbesondere auch im Zusammenhang des Art. 42d Abs. 2 S. 1 EuInsVO-E – das Beweismaß unionsautonom bestimmen. So Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 245; ders., ZInsO 2013, 797, 805; Gottwald InsR-Hdb/Kolmann/Keller, 5. Aufl. 2015, § 131 Rn. 58; Prager/Keller, NZI 2013, 57, 64; Thole, ZEuP 2014, 39, 70; Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 557. Zu Recht die lex fori concursus heranziehend Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 15; Kindler, KTS 2014, 25, 42; Kindler/Sakka, EuZW 2015, 460, 466; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 21. 1271 Mit dem Entscheidungseinklang argumentierend Thole, ZEuP 2014, 39, 70. 1272 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 15 u. 22. 1273 Die Beweiserhebung hat durch das deutsche Insolvenzgericht auf Basis seiner in § 5 InsO normierten Amtsermittlungspflicht zu erfolgen, Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 19; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 21; Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1. Die in der EuInsVO gefundene Lösung steht im Einklang mit dem Vorschlag von Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 16. 1268

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setzungen vorliegen. Dem wohnt ein Prozess inne, der sich nicht automatisch anhand eines statischen Anknüpfungspunktes in Form des Aussetzungsantrags des Verwalters ergibt. Blickt man auf die Entwicklung des Normtexts, zeigt sich überdies, dass dem Insolvenzverwalter – abweichend von den Vorschlägen der legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5.2.20141274 – nicht die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der für die Entscheidung notwendigen Tatsachen auferlegt wurde. Die Aussetzung darf nach Art. 60 Abs. 2 UAbs. 2 S. 1 EuInsVO allerdings erst nach Anhörung des Verwalters des Verfahrens, für das die Aussetzung beantragt wird, angeordnet werden. Der Verwalter sollte zur Erleichterung der Arbeit des Gerichtes spätestens in dieser Anhörung seine Anordnung ausführlich begründen, wobei sowohl Gegenstand als auch Dauer der Aussetzung klar zu benennen sind. Darüber hinaus ist darzustellen, in welcher Beziehung das Aussetzungsverlangen zu dem Sanierungsplan steht, sodass das Gericht erkennen kann, warum die Aussetzung diesem Plan dienlich ist.1275 Hierdurch sollte gewährleistet werden, dass dem Gericht alle notwendigen Informationen von den betroffenen Parteien zukommen, die es als Basis für seine Entscheidung benötigt.1276 Im Zuge der Anhörung kann der Verwalter zugleich mögliche Sicherungsmaßnahmen anregen, über die das Gericht später nach Art. 60 Abs. 2 UAbs. 3 EuInsVO in eigenem Ermessen zu entscheiden hat. 1277 Stimmt der Verwalter des Verfahrens, für das die Aussetzung beantragt wird, mit der Maßnahme überein, kann er auf sein Anhörungsrecht verzichten, da anderenfalls das Verfahren unnötig verkompliziert werden würde und somit dem Effizienzziel abträglich wäre.1278 Dem Gericht steht die Möglichkeit zu, die Aussetzung nur teilweise anzuordnen,1279 wenn es zur Überzeugung gelangt, dass dies ein milderes und genauso effektives Mittel darstellt. Die Beurteilung der entscheidungserheblichen Fragen kann das Gericht an einen objektiven Sachverständigen mit wirtLegislative Entschließung des EP v. 5.2.2014, P7_TA(2014)0093, Änderungsantrag 59. Ebenso hatte der DAV in seinem Positionspaper zur Reform verlangt, dass der Kommissionsentwurf dahingehend klarzustellen ist, dass der Verwalter die erforderlichen Beweise für sein Antragsverlangen beizubringen hat, DAV Position Paper No. 14/2013, S. 7. 1275 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 26. 1276 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 60.12; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 18. 1277 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 588. 1278 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 19. 1279 Solch eine teilweise Anordnung kommt u. a. dann in Betracht, wenn sie teilbar ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Immobilienbesitz eines Unternehmens veräußert wird, für die Sanierung jedoch lediglich der Erhalt einzelner Betriebsgrundstücke erforderlich ist, Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 60.14; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 23. 1274

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schaftlicher Expertise weiterreichen, der hinsichtlich der Entscheidungsgrundlage ausreichend informiert wurde und keiner der beteiligten Parteien zuzurechnen ist.1280 So sehr das Aussetzungsrecht als Instrument der Verwalter sinnvoll eingesetzt werden kann und strenge Voraussetzungen einen Missbrauch verhindern sollen, besteht dennoch das Risiko einer Zweckentfremdung. Die Möglichkeit der Beantragung einer Aussetzung kann insofern genützt werden, die Verfahren insgesamt stillzulegen. So kann eine interessengerechte Auflösung der Situation anhand der von Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO vorgegebenen Voraussetzungen, insbesondere bei gegenseitig gestellter Aussetzungsanträge, aufgrund der komplexen Materie eine erhebliche Zeit in Anspruch nehmen.1281 Zu verhindern oder zumindest abzumildern ist solch eine Konstellation über eine enge Abstimmung der beteiligten Gerichte gem. Art. 57 Abs. 3 lit. b und c EuInsVO, indem die Prüfung beschleunigt wird und allein aus Blockadegründen gestellte Aussetzungsanträge schnell abgelehnt werden. Rechtsmittel gegen die oder aufgrund der Aussetzungsentscheidung ergeben sich aus der jeweils einschlägigen lex fori concursus.1282 dd) Sicherungsmaßnahmen Zum Schutz der Interessen der Gläubiger muss der Verwalter nach Art. 60 Abs. 2 UAbs. 3 EuInsVO alle geeigneten Maßnahmen ergreifen, wenn das die Aussetzung anordnende Gericht dies verlangt. Zieht man Parallelen zu Art. 46 Abs. 1 S. 3 EuInsVO ist unter einer Schutzmaßnahme eine in das Ermessen des Gerichts gestellte und von dem die Aussetzung beantragenden Verwalter zu erbringende Sicherheitsleistung zu verstehen. 1283 Dabei muss nicht auf die 1280 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 60.07; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 12 u. 14; Vallender, ZIP 2015, 1513, 1520. 1281 Standpunkt der deutschen Delegation, Ratsdok. 15675/13 (EN), S. 6; Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 586; ähnlich bezüglich des Rechts auf Vorlage eines Sanierungsplans gem. Art. 42d Abs. 1 lit. c EuInsVO-E, welches ebenfalls potenziell zu einem ineffizienten „Sanierungswettrennen“ geführt hätte, Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 244; ders., ZInsO 2013, 797, 803; Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 13; Standpunkt der deutschen Delegation, Ratsdok. 15675/13 (EN), S. 7. 1282 Im deutschen Recht ist gegen Beschlüsse des Gerichts nach § 6 Abs. 1 InsO keine sofortige Beschwerde zulässig. Falls ein Rechtspfleger entscheidet, ist es hingegen möglich, mit der Rechtspflegererinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG gegen die Entscheidung vorzugehen. Wenn die gerichtliche Anordnung der Aussetzung nicht befolgt wird, kommt entweder eine Vollstreckungserinnerung gem. § 766 ZPO oder eine sofortige Beschwerde gem. § 793 ZPO in Betracht. Vgl. Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 20. 1283 Zu Art. 33 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 EuInsVO a. F. Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 244.

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gesamte Gläubigerschaft Bezug genommen werden. Es genügt, wenn hinsichtlich einer Gruppe von Gläubigern Schutzmaßnahmen ergriffen werden.1284 Die Maßnahmen können als Auflagen oder Bedingungen ausgestaltet sein.1285 In Betracht kommen demnach solche Schutzmaßnahmen, die als Sicherheiten zur Abdeckung zu erwartender Verluste dienlich sind.1286 Es können unter anderem Garantien und Bürgschaften sowie Zinszahlungspflichten1287 zur Sicherung des Wertverlustes der Masse angeordnet werden,1288 sofern dies nach dem nationalen Recht zum Schutz der Interessen der Gläubiger möglich ist.1289 Das Ermessen der Gerichte hat sich dadurch leiten zu lassen, dass Sicherungsmaßnahmen nur dann anzuordnen sind, wenn tatsächlich Schäden für das auszusetzende Verfahren drohen.1290 Wenn die Aussetzung die geplante Verwertung potenziell irreversibel verhindert, sind die Anforderungen an eine Risikovorsorge in Form der Sicherheitsleistungen umso höher zu stellen.1291 Muss für eine Sicherheitsleistung, beispielsweise im Zusammenhang von Zinszahlungen, eine Verfahrensmasse belastet werden, ist nach dem Normtext eindeutig diejenige heranzuziehen, die dem Verwalter zugeordnet ist, der die Aussetzung beantragt hat.1292

1284 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 34; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 60.16. 1285 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 34. Dieser nimmt hinsichtlich der Auflagen auf den Beschluss des OLG Graz vom 20.10.2005 Bezug, welches entschied, dass die Aussetzung im österreichischen Sekundärverfahren von Auflagen abhängig gemacht werden kann. Vgl. hierzu OLG Graz NZI 2006, 660, 663. 1286 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 587. 1287 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 60.16 f.; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 26 f. Im deutschen Recht besteht eine Zinszahlungspflicht an die Gläubiger gem. Art. 102c § 24 Nr. 1 i. V. m. Art. 102c § 16 EGInsO. A. A. Fehrenbach, GPR 2017, 38, 47. 1288 Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 245; ders., ZInsO 2013, 797, 805; Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 36; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 60.16 f.; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 26 f.; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 23; siehe zu der vergleichbaren Situation im Zusammenhang mit Art. 33 EuInsVO a. F. OLG Graz NZI 2006, 660, 663; Pogacar, NZI 2011, 46, 49; HambK-InsO/Undritz, 6. Aufl. 2017, Art. 33 EuInsVO Rn. 6. 1289 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 36. 1290 Siehe zu der vergleichbaren Situation im Zusammenhang mit Art. 33 EuInsVO a. F. OLG Graz NZI 2006, 660, 663; u. a. hierauf verweisend Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 245; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 23. 1291 Im Zusammenhang der Aussetzung eines österreichischen Sekundärinsolvenzverfahrens OLG Graz NZI 2006, 660, 663. 1292 In diesem Sinne muss auch die Zinszahlungspflicht nach dem deutschen Art. 102c § 24 Nr. 1 i. V. m. Art. 102c § 16 EGInsO zu verstehen sein. Dies wird aufgrund des pau-

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ee) Befristung der Aussetzung Die Aussetzung kann gem. Art. 60 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 EuInsVO für maximal drei Monate – beginnend mit der Zustellung der Entscheidung1293 – angeordnet werden, wobei nach Art. 60 Abs. 2 UAbs. 4 EuInsVO eine Verlängerung der Frist um weitere drei Monate möglich ist. Für eine Verlängerung müssen allerdings die Voraussetzungen aus Art. 60 Abs. 1 lit. b Ziff. ii-iv EuInsVO immer noch vorliegen, was erneut durch das Gericht festzustellen ist. Darüber hinaus muss die Aussetzung nach wie vor mit den für das Verfahren geltenden Vorschriften vereinbar sein. Dass eine Überprüfung der Voraussetzung aus Ziffer i nicht mehr stattzufinden hat, erscheint sinnwidrig. Der Sanierungsplan könnte während der angeordneten Aussetzungsperiode ohne Weiteres weggefallen sein. Überdies wäre es möglich, dass sich herausgestellt hat, dass der Plan nicht erfolgsversprechend war und es nach wie vor nicht ist.1294 In diesen Fällen ist allerdings auch nach der aktuellen Gesetzeslage eine Aussetzung im Ergebnis abzulehnen, da das Ermessen der Gerichte hinsichtlich einer abzulehnenden Entscheidung auf Null zu reduzieren ist. Dies gilt insbesondere, wenn man im Zuge einer Gesamtschau die anderen Voraussetzungen – insbesondere Ziffer iii – in die Betrachtung mit einbezieht. Die Voraussetzungen dürften zumeist nur dann gegeben sein, wenn ein erfolgsversprechender Sanierungsplan vorliegt.1295 Bezüglich der Dauer entscheidet das Gericht in dem vorgegebenen Rahmen nach freiem Ermessen.1296 Eine Beantragung der Verlängerung durch die Verwalter der anderen Verfahren ist nicht mehr notwendig. Nach der legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5.2.2014 sollte der Aussetzungszeitraum auf lediglich zwei Monate gekürzt und die Verlängerungsmöglichkeit gestrichen werden.1297 Dass sich dieser Vorschlag nicht durchsetzen konnte, ist zu begrüßen, da es innerhalb einer Periode von zwei Monaten oftmals schwer möglich sein wird, einen umfangreichen Sanierungsplan die ganze Gruppe betreffend durchzuführen. Würde die Aussetzungsmöglichkeit zu früh entfallen, könnten sich die bis zu diesem Zeitpunkt schon erreichten Vorteile wieder auflösen und eine Sanierung auf halbem Wege scheitern. Die Folgen schalen Verweises auf Art. 102c § 16 EGInsO, der hinsichtlich der betroffenen Masse leider sehr unklar formuliert ist, nicht so recht deutlich. 1293 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 60 Rn. 32 mit Verweis auf LG Loeben NZI 2006, 663, 663. 1294 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 60.19; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 29. 1295 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 60.19; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 29. 1296 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 60 Rn. 28; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 22. 1297 Legislative Entschließung des EP v. 5.2.2014, P7_TA(2014)0093, Änderungsantrag 59.

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wären oftmals gravierender, als wenn erst gar nicht mit einer Sanierung begonnen und eine andere Strategie verfolgt worden wäre, da viel Zeit und Ressourcen verschwendet wurden. Ob eine sechsmonatige Frist zur Umsetzung eines Sanierungsplans ausreichend ist, lässt sich in dieser Pauschalität nicht sagen, ist allerdings mit Blick auf große Gruppen und deren komplexen Strukturen zu bezweifeln. Art. 42d Abs. 2 S. 2 EuInsVO-E des Kommissionsentwurfs, nach welchem eine mehrfache Verlängerung der Aussetzungsfrist möglich war, war in dieser Hinsicht noch weiterreichend und bot für den Einzelfall mehr Flexibilität.1298 Der Gesetzgeber hat in diesem Zusammenhang – auf Basis erster Erfahrungen aus der Praxis – eventuell Anpassungen vorzunehmen. c) Recht auf Beantragung eines Gruppen-Koordinationsverfahrens Das in Art. 60 Abs. 1 lit. c EuInsVO aufgeführte Recht stellt anknüpfend an Art. 61 EuInsVO lediglich deklaratorisch fest, dass jeder Verwalter die Eröffnung eines Gruppen-Koordinationsverfahrens beantragen kann.1299 Für weitere Erläuterungen ist auf die Ausführungen zu Art. 61 EuInsVO auf S. 340 ff. zu verweisen. 4. Fazit Die Rechte des Verwalters nach Art. 60 EuInsVO stellen ein wichtiges Instrument dar, um in die Verfahren der anderen Gruppenunternehmen einzugreifen. Der Verwalter kann auf diesem Wege auf obstruierende Verwalter und Gläubiger aus anderen Verfahren einwirken. Dies gilt insbesondere, da seine Rechte vorbehaltlos und damit unabhängig von den nationalen Vorschriften gewährt werden. Speziell das Aussetzungsrecht stellt ein Mittel dar, welches geeignet ist, einem Sanierungsplan zur Durchsetzung zu verhelfen. Dabei ist allerdings auf die Mithilfe des für das andere Verfahren zuständigen Gerichts zu bauen, da dieses für die Anordnung der Aussetzung verantwortlich ist und zwischen sinnvollen und missbräuchlichen Aussetzungsanträgen zu unterscheiden hat. Fraglich ist allerdings, ob die Aussetzungsfrist von maximal sechs Monaten genügt, um eine Sanierung einer komplexen Gruppenstruktur zu gewährleisten oder ob es hier nicht mehr Flexibilität bedarf. Im Gegensatz zum Kommissionsentwurf ist die Vorschrift dennoch praktikabler und weniger eingreifend geworden.1300 Sie setzt sich damit bewusst von dem Gruppenkoordinationsverfahren ab, welches komplexe Mechanismen vorsieht. Schon das Aussetzungs1298 Der Wortlaut war zwar hinsichtlich der mehrmaligen Verlängerungsmöglichkeit mehrdeutig, musste allerdings wohl in diesem Sinne gedeutet werden. Vgl. Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 245; ders., ZInsO 2013, 797, 805; Prager/Keller, NZI 2013, 57, 64; die Befristung an Art. 33 a. F. angleichen wollend Reumers, ECFR 2013, 554, 590. 1299 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 20; das Recht als „redundant“ bezeichnend MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 60 Rn. 7. 1300 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 5.

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recht im Zusammenhang von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren wurde in der Praxis rege genutzt, sodass davon auszugehen ist, dass auch in Gruppenkonstellationen ein erheblicher Anwendungsbedarf besteht. VI. Kosten 1. Kostentragung Die Kosten der Zusammenarbeit und Kommunikation nach den Art. 56–58 und dem Art. 60 EuInsVO,1301 die einem Verwalter oder einem Gericht entstehen, gelten gem. Art. 59 EuInsVO als Kosten und Auslagen des Verfahrens, in dem sie angefallen sind. Diese Kostenregelung im Zusammenhang der allgemeinen Kooperationsvorschriften wurde erst im Kompromissvorschlag des Ratsvorsitzes vom 3.5.2014 unter Art. 42cx EuInsVO-E eingefügt 1302 und durch den Standpunkt des Rates vom 12./13.3.2015 in die heutige Form gebracht1303. Die EuInsVO richtet sich dabei an den Grundgedanken der European CoCo-Guidelines sowie des UNCITRAL Practice Guide aus und inkorporiert die bisherige Praxis der Insolvenzverwaltungsverträge in das Konzerninsolvenzrecht der EuInsVO.1304 Bei Art. 59 EuInsVO handelt es sich nach dem Normtext um eine unwiderlegbare Vermutung. Die Norm ist in ihrer Regelungsanordnung eindeutiger formuliert als die Schwesterregelung aus Art. 44 EuInsVO, die lediglich festlegt, dass die Gerichte ihre Kosten für Zusammenarbeit und Kommunikation dem anderen nicht in Rechnung stellen dürfen. Bedeutsam ist dies, wenn die Kosten in einem Verfahren anfallen, die Koordination jedoch offensichtlich nur zum Nutzen des anderen Verfahrens wirkt. Es ist an die Konstellation zu denken, in der einem Gericht ein Informationsgesuch angetragen wird, welches mit erheblichen Recherchekosten verbunden ist, die Informationen jedoch ausschließlich dem Verfahren des informationssuchenden Gerichts zugutekommen. Ein paradigmatischer Fall außerhalb des Anwendungsbereichs der EuInsVO ereignete sich im Zusammenhang der Insolvenz des Bankhauses Lehman Brothers. Die britische Tochter Lehman Brothers UK war während der Lehman-Pleite im Besitz wichtiger Dokumente, die das Gruppenvermögen betrafen, und daher einem erheblichen Anfragedrang nach Informationen aus1301 Der Verweis auf Art. 59 EuInsVO selbst muss als offenkundiger Redaktionsfehler bewertet werden, Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 59.03 Fn. 2; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 59 Rn. 3. 1302 Kompromissvorschlag des Ratsvorsitzes v. 3.6.2014, Ratsdok. 10284/14 ADD 1 (DE), S. 47. 1303 Standpunkt des Rates in erster Lesung, Ratsdok. 16636/5/14, REV 5 ADD 1, S. 90. 1304 European CoCo-Guidelines, Leitlinie 11.1.; UNCITRAL Practice Guide on CrossBorder Insolvency Cooperation, S. 108 f. Rn. 191 f.; vgl. Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 59.05; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 59 Rn. 6.

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gesetzt.1305 Um dem Zweck der Kostentragungsregelung, eine faire und angemessene Aufteilung der Kosten zu gewährleisten,1306 gerecht zu werden, hätte es naheliegen können, die Kosten nicht einseitig einem Verfahren aufzuerlegen, sondern demjenigen Verfahren zuzurechnen, welches davon ausschließlich profitieren würde. Die Widerlegung der Vermutung würde allerdings einen hohen Aufwand erfordern und wäre mit einem großen Konfliktpotenzial verbunden.1307 Es wäre für ein einfaches und schnelles Verfahren verkomplizierend, wenn die Kosten jeder Kooperationsmaßnahme einzeln festgestellt und zugerechnet werden müssten. Dies würde dem übergeordneten Zweck eines effizienten Verfahrens zuwiderlaufen.1308 Fragen der Einzelfallgerechtigkeit sind daher auszuklammern. Der Gesetzgeber hat sich klar gegen das Verursacherprinzip entschieden, sodass grundsätzlich nicht derjenige die Kosten zu tragen hat, der die Anfrage auslöst und den vermeintlichen Nutzen der Kooperation einstreichen wird. Getreu einer fairen und angemessenen Regelung muss es sich bei Art. 59 EuInsVO allerdings um eine dispositive Bestimmung handeln. Sollten die beteiligten Parteien zu dem Ergebnis gelangen, dass eine andere Kostenaufteilung angemessener erscheint, kann die Kostentragungspflicht durch individuelle Vereinbarungen auch anders geregelt werden.1309 Vor allem die Fälle sind schwierig anhand der gesetzlichen Vorgabe zu lösen, in denen eine unabhängige Person im Sinne des Art. 57 Abs. 1 S. 2 bestellt bzw. gem. Art. 56 Abs. 2 UAbs. 2 EuInsVO mit Aufgaben betraut wird. Es lässt sich kein Verfahren ausmachen, bei dem die Kosten unmittelbar „anfallen“. Ist keine individuelle Vereinbarung hinsichtlich der Kosten abgeschlossen, sind die Kosten unter den Verfahren aufzuteilen, die für die Bestellung der unabhängigen Person bzw. der Übertragung von Sonderaufgaben zugestimmt haben.1310 Die Bestimmung der Höhe der Kosten sowie die Verteilung innerhalb des Verfahrens, welchem sie zugeordnet werden, erfolgen nach der jeweiligen lex fori concursus.1311 Unter Kosten und Auslagen der Verwalter bzw. Gerichte Dieses Beispiel aufführend Madaus, IILR 2015, 2015, 235, 240. Auf diesen Zweck hinweisend Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 59.02; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 59 Rn. 2. 1307 In diesem Sinne auch Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 59 Rn. 5; MüKoBGB/Kinder, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 59 Rn. 3; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 59 Rn. 2; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 59 Rn. 2. 1308 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 59 Rn. 1. 1309 Im Ergebnis ebenso Fritz, DB 2015, 1945, 1947; MüKoBGB/Kinder, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 59 Rn. 2; Madaus, IILR 2015, 2015, 235, 240; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 59 Rn. 1. 1310 Die Kostenteilung lehnt sich damit an Art. 77 EuInsVO an, Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 59 Rn. 3 f. 1311 Hermann in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 59 Rn. 2; MüKoBGB/Kinder, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 59 Rn. 4; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 59 Rn. 2; 1305

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fallen vor allem Reise-, Kommunikations-, Kopier- und Sachverständigenkosten.1312 Einen erheblichen Anteil werden im internationalen Verkehr die Dolmetscher- und Übersetzerkosten ausmachen. Darüber hinaus entstehen Gerichtsgebühren sowie Verwaltervergütungen für den zusätzlichen Aufwand. Insbesondere bei Insolvenzverfahren eine Unternehmensgruppe betreffend kann der Verwaltungsaufwand erheblich ausfallen. Die Vergütung der Verwalter richtet sich entweder prozentual an der Gesamtmasse aus oder ergibt sich – wie beispielsweise in den Niederlanden – aus einer stundenbasierten Rate.1313 Die Verwaltervergütungen umfassen auch die Kosten für Büropersonal und Hilfskräfte. Falls ein Intermediär nach Art. 57 Abs. 1 S. 2 EuInsVO bestellt wird, ist dieser selbstverständlich ebenfalls zu vergüten.1314 Die Vergütungshöhe kann – abhängig von den ihm übertragenen Aufgaben – sehr unterschiedlich ausfallen. Daher müssen sich die Beteiligten gut überlegen, ob es diese Zusatzausgaben tatsächlich benötigt. 2. Wertbeanspruchung Durch die Kooperation ergibt sich in der Gesamtsaldierung der wirtschaftlichen Folgen zumeist ein erhöhter Output im Vergleich zu der Situation ohne Abstimmung.1315 Eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen den Verwaltern und Gerichten in den verschiedenen Mitgliedstaaten dürfte beispielsweise der Rettung der Unternehmen zuträglich sein und dadurch den Wert ihrer Vermögensgegenstände langfristig maximieren. 1316 Somit wird insbesondere dann eine Wertschöpfung geschaffen, wenn die Insolvenzverfahren an dem Sanierungsziel ausgerichtet sind. Aber auch eine Abstimmung, die lediglich auf eine übertragende Sanierung oder Liquidation gerichtet ist, wird zu erhöhten Verwertungsergebnissen führen. Die EuInsVO regelt allerdings an keiner Stelle, was mit der erwirtschafteten Wertschöpfung zu geschehen hat. Mit Blick auf den Zweck der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung müsste es Ziel jedes Verfahrens sein, diese Wertschöpfung für sich allein zu beanspruchen. Das gemeinsame Ziel der Wertschöpfung steht allerdings zumeist im Spannungsverhältnis mit dem individuellen Ziel der Wertbeanspruchung.1317 Diese beiden Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 59 Rn. 5. Im deutschen Verfahren handelt es sich um Verfahrenskosten gem. § 54 InsO. 1312 Teilweise Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 59.03; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 59 Rn. 4. 1313 SWD(2012) 416 final (EN), S. 28 mit Verweis auf den GHK/Milieu-Report. 1314 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 59.03; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 59 Rn. 4. 1315 Von einem „wirtschaftlichen Synergieeffekt“ sprechend Wittinghofer, Der Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004, S. 212. 1316 COM(2012) 743 final (DE), S. 21. 1317 Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 709; andeutend, dass die Kostentragungsregel zu einem Interessenkonflikt führen könnte, Madaus, IILR 2015, 2015, 235, 240.

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Ziele sind stufenweise aufeinander aufgebaut. Ohne Wertschöpfung keine Wertbeanspruchung. So sehr die Interessen im ersteren Falle noch in die gleiche Richtung laufen, so konfrontativ können sie sich im Zusammenhang der Beanspruchung gegenüberstehen. Daher sollte die Wertbeanspruchung zur Zufriedenheit aller Verfahrensbeteiligten von vornherein geregelt sein, sodass die Wertschöpfung nachhaltig gewährleistet ist und sich nicht ein potenzieller Konflikt bei der Beanspruchung negativ auf die Schöpfung auswirkt. Ist die Verteilung nicht gesondert geregelt, könnte grundsätzlich im Sinne einer Gläubigergleichbehandlung danach zu streben sein, die Wertschöpfung den betroffenen Verfahren in gleichem Verhältnis zuzuweisen. Eine unternehmensübergreifende Gläubigergleichbehandlung ist allerdings gerade nicht anzustreben.1318 Massegewinne als additionale Insolvenzmasse haben sich damit mangels zugeordneten Gläubigern nicht an dem bestehenden Haftungssystem auszurichten. In Anlehnung an die Kostentragungsregel muss man die Wertschöpfung, die in einem Verfahren entstanden ist, als Wertschöpfung dieses Verfahren ansehen. Eine andere Verteilung würde zwar dem Prinzip der bestmöglichen Verteilung der Haftungsmasse zur Friedenssicherung innerhalb der unternehmensübergreifenden Gläubigerschaft besser gerecht werden.1319 Dem Effizienzziel würde sie allerdings widersprechen und die Kostenregelung pervertieren, da eine Feststellung und Aufteilung des tatsächlichen Nutzens und damit der Wertschöpfung mit einem noch viel höheren Aufwand und damit Effizienzverlust verbunden wäre als eine Aufteilung der Kosten. Dies kann jedoch zu der kritischen Situation führen, dass einem Verfahren die vollständigen Kosten der Koordination auferlegt werden und ein anderes Verfahren die ganze Wertschöpfung behält. Bei Fällen, in denen es zu solch einer Divergenz kommt, sollten individuelle Kosten- und Wertbeanspruchungsvereinbarungen geschlossen werden, um potenziell effizienzhindernden Konfliktsituationen vorzubeugen, die im Zweifel nur dazu führen würden, dass von vornherein weniger Wertschöpfung entstehen würde. 3. Konflikt mit nationalen Zwecksetzungen Die Kostentragungsregelung führt in Verbindung mit der daraus resultierenden Konsequenz für die Wertbeanspruchung – wie im Abschnitt zuvor dargestellt – dazu, dass die an der Kooperation beteiligten Verfahren im Endergebnis erheblich unterschiedliche Nutzenergebnisse verbuchen können, sofern keine gesonderten Vereinbarungen geschlossen werden. Eine pareto-optimale Situation tritt nur ein, wenn in den Verfahren beispielsweise die Transaktionskosten der Insolvenzabwicklung minimiert werden und damit eine gesteigerte Insolvenzmasse für jedes Gruppenmitglied erreicht wird. Die Gläubiger sind in diesem 1318

1319

Siehe hierzu S. 90 ff. Zu diesen Zwecken siehe S. 90 f.

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Falle alle bessergestellt, wodurch sich tendenziell weniger Konflikte entwickeln.1320 Oftmals werden jedoch keine pareto-optimalen Konstellationen entstehen. Diese Fälle werden zwangsläufig in Konflikt mit den nationalen Zwecksetzungen und damit dem Vorbehalt der nationalen Vorschriften aus Art. 56–58 EuInsVO geraten. So verstößt eine Kooperationsmaßnahme, die für ein Verfahren von Anfang an zu einem offensichtlich negativen monetären Saldo führt, gegen den Grundsatz der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung.1321 Ohne eine individuelle Ausgleichsvereinbarung ist solch eine Kooperation zur Wahrung der nationalen Vorschriften zu unterlassen. 1322 Treten Nachteile erst während des Verfahrens auf, ist keine evidente Zweckwidrigkeit anzunehmen, sondern allein eine unzweckmäßige Maßnahme, die im Regelfall mit dem Vorbehalt der nationalen Vorschriften vereinbar sein dürfte. Es ist demnach zu fordern, dass die Kooperationsbeteiligten vor Initiierung des Kooperationsprozesses Kostentragungs- bzw. Wertbeanspruchungsregelungen zu vereinbaren haben, sodass eine Kooperation nicht in einen Konflikt mit den nationalen Zwecksetzungen gerät. Anderenfalls ist das Risiko hoch, dass das gesamte Kooperationssystem an der Kosten- und Wertbeanspruchungsfrage scheitern würde, da sich keiner der Beteiligten aufgrund von Haftungssorgen in einen Konflikt mit dem Vorbehalt der nationalen Vorschriften setzen möchte. Es zeigt sich, dass dieser Vorbehalt wohl stärkere kooperationshindernde Auswirkungen hat, als vom Gesetzgeber vorhergesehen. VII. Durchsetzungs- und Sanktionsmaßnahmen In der EuInsVO sind keine Instrumente vorgesehen, um bei pflichtwidrigem Handeln der Kooperationsbeteiligten die Durchsetzbarkeit der Verpflichtungen aus Art. 56–60 zu gewährleisten oder Sanktionen auszulösen. Somit ist es nötig, passende Regelungen aus den nationalen Rechtsordnungen zu ziehen.1323 Dabei ist genau darauf zu achten, ob die nationalen Vorschriften auch im internationalen Kontext Anwendung finden können. In Betracht kommen unter anderem aufsichtsrechtliche Maßnahmen der Gerichte gegenüber den pflichtwidrig handelnden Verwaltern der ihnen zugeordneten Verfahren. Dabei ist an ein Zwangsgeld oder als ultima ratio eine Entlassung zu denken.1324 Im deutEidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 529. Siehe zu dem Grundsatz ausführlich S. 88 ff. 1322 Dieses Problem in der Vergangenheit im Zusammenhang von Absprachen über Kompensationszahlungen lösend Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3, 19. 1323 Eble in: Ebke/Seagon/Blatz, Unternehmensrestrukturierung, 2015, 131, 137; Kindler, KTS 2014, 25, 43; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 9; Vallender, ZInsO 2015, 57, 62; in Bezug auf die Pflichten aus Art. 31 EuInsVO a. F. Ehricke in: Aufbruch nach Europa, 2001, 337, 348; „Where appropriate, the applicable national law will determine the liquidator's liability when the latter has not respected the duties arising from Article 31.”, Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Nr. 234. 1324 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 23. 1320

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schen Recht kann § 58 Abs. 2 InsO bzw. § 59 InsO zur Anwendung gelangen.1325 Darüber hinaus können die Beteiligten bei pflichtwidrigem Handeln Haftungssanktionen in Form von Schadensersatzzahlungen treffen. Im deutschen Recht kommt der Haftungstatbestand aus § 60 InsO hinsichtlich der Verwalter in Betracht, wobei fraglich ist, ob die Beteiligten der anderen Verfahren derselben Gruppe auch als Beteiligte im Sinne der Haftungsnorm anzusehen sind.1326 Gewiss ist, dass den Verwaltern gegenüber den Gläubigern der anderen Verfahren keine Pflichten obliegen und diese daher kein Schadensersatzbegehren geltend machen können. Solch eine Möglichkeit steht lediglich den eigenen Gläubigern offen.1327 Hinsichtlich eines pflichtwidrig handelnden Gerichts ist an eine Schadensersatzzahlung gem. § 198 Abs. 3 GVG bzw. § 839 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 2 S. 2 BGB zu denken.1328 Eine Durchsetzung der Pflichten wird eher selten möglich sein.1329 Es zeigt sich, dass der EuInsVO ein einheitlich ausgestalteter Durchsetzungs- und Sanktionsmechanismus fehlt. Dem europäischen Gesetzgeber kam es nicht darauf an, die Pflichten in letzter Konsequenz durchzusetzen. Den europäischen Vorschriften zur allgemeinen Verfahrenskooperation liegt eher ein appellativer Charakter zugrunde.1330 Es wird sich zeigen, ob dies genügt, um eine größtmögliche Effizienz bei der Verfahrensdurchführung zu gewährleisten. Gerade in Situationen, in denen sich einer Kooperation zwischen den Beteiligten Hindernisse in den Weg stellen, die beispielsweise mit hohen monetären Auswirkungen einhergehen, wird ein Appell nicht ausreichen, um eine Umsetzung der Pflichten sicherzustellen. Der europäische Gesetzgeber hätte 1325 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 56 Rn. 10; bezüglich der Pflicht aus Art. 31 EuInsVO a. F. Ehricke in: Aufbruch nach Europa, 2001, 337, 350 f.; Prager/Keller, WM 2015, 805, 809; Vallender, KTS 2005, 283, 326; lediglich die Pflicht des nationalen Insolvenzverwalters gegenüber dem eigenen Insolvenzgericht als von § 58 Abs. 2 InsO geregelt ansehend und daher aufsichtsrechtliche Maßnahmen verfahrensübergreifend ausschließend Staak, NZI 2004, 480, 482. 1326 Pauschal § 60 InsO als hinreichende Haftungsgrundlage bezeichnend MüKoBGB/ Kinder, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Vor Art. 55-77 Rn. 12; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 56 Rn. 10; Thole, Der Konzern 2013, 169, 176; Vallender, ZInsO 2015, 57, 62; ebenso bezüglich Art. 31 EuInsVO a. F. Ehricke in: Aufbruch nach Europa, 2001, 337, 349; eine Haftung ablehnend Thole, KTS 2014, 351, 378 i. V. m. 361; ebenso bezüglich Art. 31 EuInsVO a. F. Staak, NZI 2004, 480, 482 Fn. 21. 1327 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 56 Rn. 22; Wimmer, jurisPRInsR 7/2015 Anm. 1 Fn. 57. Allerdings könnte sich wohl nur bei einer Totalverweigerung der Kooperation ein Schaden für die Gläubiger ableiten lassen, Thole, ZEuP 2014, 39, 69. 1328 Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 51. 1329 Im deutschen Recht ist eine Auskunfts- oder Leistungsklage gegenüber dem Gericht nicht möglich, da § 1 GVG einer Nachprüfung der Entscheidung entgegenstehen würde. Eine Verweigerung der Kooperation ist somit ausschließlich haftungsgeneigt, die Erfüllung hingegen nicht durchsetzbar. Vgl. Vallender in: ders., EuInsVO, 2017, Art. 57 Rn. 50 f. 1330 Fehrenbach, GPR 2017, 38, 48; Thole, ZEuP 2014, 39, 69.

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sich besser für ein kohärentes System inklusive Durchsetzungs- und Sanktionsmittel entscheiden sollen. VIII. Zusammenfassung und Fazit Die Regelungsdichte der Vorschriften rund um die Kooperation zwischen Verwaltern, Gerichten sowie Verwaltern und Gerichten untereinander ist relativ gering ausgeprägt und lässt einen erheblichen Ermessensspielraum bei der Umsetzung offen. Nichtsdestotrotz sind die Regelungen im Vergleich zu anderen internationalen Ansätzen, welche sich ebenfalls mit Kooperationsfragen beschäftigen, verhältnismäßig umfangreich geworden. Die Vorschriften versuchen, einen Ausgleich zwischen umfassenden und detaillierten Vorgaben, die klare Handlungsanweisungen geben, und generalklauselartigen Leitlinien, die Handlungsfreiheiten lassen, zu finden.1331 Schlussendlich hängt eine erfolgreiche Kooperation jedoch immer von dem Wille und der Bereitschaft der beteiligten Parteien ab.1332 Über den materiellen Gehalt hinaus haben die Vorschriften damit insbesondere die Aufgabe, ein neues Selbstverständnis bei den Verfahrensbeteiligten hinsichtlich Kooperationsmaßnahmen zu schaffen. Dies gilt vor allem bei der Einbeziehung von Insolvenzgerichten, welche speziell in Kontinentaleuropa ihre Rolle neu definieren und aktiver in die Prozesse eingreifen sollten, um dadurch einen Zugewinn für alle Beteiligten zu generieren. Es ist wichtig, dass Gerichte integrationsfreundlich arbeiten und nicht allein nationalem Denken verhaftet sind. Ihr Handeln dient als Vorbild für alle anderen Verfahrensbeteiligten.1333 Die Kooperationsvorschriften der EuInsVO sind daher in der Praxis auf Zustimmung gestoßen.1334 Zu hoffen bleibt, dass die Verwalter mit ihrem Aussetzungsrecht aus Art. 60 EuInsVO verantwortungsvoll umgehen und es lediglich zur Umsetzung von Sanierungsplänen für mehrere Gruppenmitglieder und damit zum Wohle der Gruppe einsetzen. Die allgemeinen Kooperationsvorschriften sollen einen Beitrag dazu leisten, dass wieder diejenigen Konzernleitungsstrukturen gestärkt werden, welche die Unternehmensgruppen vor der Insolvenz auszeichneten. Hierauf haben alle Beteiligten hinzuwirken und die zur Verfügung gestellten Instrumente nicht zu gegenteiligen Zwecken zu pervertieren. 1331 Die Vorschriften sind ein „ausreichend solides rechtliches Fundament“, welches „einen Leitfaden an die Hand gibt“, Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 57 Rn. 14. 1332 Dies zeigt insbesondere das US-amerikanische Insolvenzrecht, nachdem die Gerichte dort viele Freiheiten haben und davon auch gerne Gebrauch machen, es dennoch Fälle gibt, in denen eine notwendige Kooperation unterbleib. Eine kurze Zusammenstellung ist zu finden in Vallender, KTS 2008, 59, 72. 1333 Vallender, KTS 2005, 283, 328. 1334 Gerade der DAV war sehr erfreut über die neuen europäischen Regelungen hinsichtlich des Konzerninsolvenzrechts, DAV Position Paper No. 14/2013, S. 5 u. 7.

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Leider sieht die Verordnung keine Anordnung vor, nach welcher solvente Unternehmen der Gruppe in den Kooperationsprozess einbezogen werden können. Es wäre zu begrüßen gewesen, wenn diesbezüglichen Gedanken der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5.2.2014 mehr Beachtung geschenkt worden wäre. Es gilt zu vermeiden, dass die Insolvenz eines Mitglieds der Gruppe möglicherweise die Fortführung des Betriebs anderer Mitglieder der Gruppe gefährdet.1335 Bedauerlicherweise wurde der Normtext des Art. 56 Abs. 2 UAbs. 2 lit. c EuInsVO gegenüber dem Entwurf sogar dahingehend geändert, dass nicht mehr eine Möglichkeit für eine Restrukturierung der Gruppe,1336 sondern lediglich die Möglichkeit einer Sanierung von Gruppenmitgliedern, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, im Zusammenhang der Ausarbeitung eines Sanierungsplans entscheidend ist. Das strenge Festhalten an der Trennung der Rechtsträger in der Insolvenz in allen Ehren; zielführend ist dies in letzter Konsequenz jedoch nicht immer. Die Angst vor der Durchbrechung des Rechtsträgerprinzips wiegt nach wie vor schwerer als der tatsächliche Nutzen einer Kooperation für die Realwirtschaft. Es können allerdings nur auf Basis einer Abstimmung zwischen allen Gruppenbeteiligten – egal ob insolvent oder solvent – die besten Gesamtgruppenlösungen gefunden werden. Der Zweck der EuInsVO in Form der Sicherung der europäischen Wirtschaft und damit Stärkung des Binnenmarktes wird mit dem bestehenden Regelungsgefüge der allgemeinen Verfahrenskooperation noch nicht ideal verfolgt. D. Gruppen-Koordinationsverfahren Die Implementierung eines „Meta-Insolvenzverfahrens“ 1337 in Form eines Gruppen-Koordinationsverfahrens1338 in die EuInsVO ergab sich erst im Laufe des Gesetzgebungsprozesses. Der Kommissionsentwurf aus dem Jahre 2012 versuchte eine koordinierte Abstimmung der Insolvenzverfahren noch mit ausgeprägten Mit- und Einwirkungsrechte der Verwalter gem. Art. 42d EuInsVO-E zu erreichen.1339 Danach hatte jeder Verwalter ein starkes Aussetzungsrecht inne. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, einen Sanierungsplan für Legislative Entschließung EP v. 5.2.2014, P7_TA(2014)0093, Änderungsantrag 10. Dieser Wortlaut war noch in Art. 42a Abs. 2 UAbs. 1 lit. b EuInsVO-E zu finden und wurde durch die legislative Entschließung des EP v. 5.2.2014 in Richtung des neuen Wortlautes angepasst, Legislative Entschließung EP v. 5.2.2014, P7_TA(2014)0093, Änderungsantrag 53. 1337 Prager, DB 2015, M5. 1338 Im Folgenden soll das Gruppen-Koordinationsverfahren mangels Verwechslungsgefahr lediglich als Koordinationsverfahren betitelt werden. 1339 Vgl. J. Schmidt in: Bariatti/Omar, The Grand Project, 2014, 73, 82 f.; dies., KTS 2015, 19, 37; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 2; dies., KTS 2018, 1, 7. 1335

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alle oder einige Mitglieder der Gruppe vorzuschlagen und diesen Plan in den Verfahren der anderen Mitgliedstaaten vorzulegen. Diese beiden Rechte bargen jedoch ohne weitere Einschränkungen die Gefahr, für Blockadesituationen missbraucht zu werden.1340 Jenseits dieser Befugnisse umfassten die Regelungen keine weiteren Ansatzpunkte, die für einen Zugewinn hätten sorgen können, der über den der allgemeinen Verfahrenskooperation hinausging.1341 Daher wurde – auf Basis einer Initiative Deutschlands1342 – durch das Europäische Parlament ein neuer Vorschlag in den Gesetzgebungsprozess eingebracht, der sich an dem deutschen Gesetzentwurf hinsichtlich eines nationalen Konzerninsolvenzverfahrens orientierte und ein Koordinationsverfahren enthielt. 1343 Der Rat justierte diesen Vorschlag allerdings sowohl sprachlich als auch inhaltlich neu aus und gab ihm damit einen eigenen, europäisch geprägten Charakter.1344 Der neu geschaffene Regelungskomplex des Koordinationsverfahrens stellt damit keine Rezeption mitgliedstaatlicher Normen dar. Dies ist ganz im Sinne des europäischen Verständnisses, nachdem der Europäischen Union eine eigenständige Rechtsordnung zugrunde liegt.1345 Dadurch wird der Bedeutungsgehalt losgelöst von nationalen Interpretationen zum Zwecke der ein-

1340 Wenngleich die Voraussetzungen einer Aussetzung nicht vorgelegen hätten, hätten die Gerichte einem erheblichen Prüfungsaufwand ausgesetzt werden können, wodurch während dieses Zeitraums jegliche Kooperation stillgestanden wäre. Eine Blockade hätte ebenfalls eintreten können, wenn sich die Verwalter gegenseitig Sanierungspläne vorgelegt hätten und es aufgrund der Prüfung der Pläne zu einer erheblichen Bindung von Ressourcen gekommen wäre. Eindrücklich zu diesem Thema die deutsche Ratsdelegation, Ratsdok. 15675/13 (EN), S. 6 f.; ebenso BegrRegE BR-Drs. 663/13, S. 15; Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 244; ders., ZInsO 2013, 797, 803 u. 808; Kindler, KTS 2014, 25, 43; McCormack, (2014) 10 JPIL, 41, 58; J. Schmidt in: Bariatti/Omar, The Grand Project, 2014, 73, 83 f.; Thole, KTS 2014, 351, 374; ders., ZEuP 2014, 39, 70; Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 557; Wimmer, DB 2013, 1343, 1346. 1341 Den Vorschlag als zurückhaltend und zu kurz geraten ansehend Bericht des Rechtsausschusses, JURI-Bericht, A7-0481/2013, S. 48; Eidenmüller, MJ 1 (2013), 133, 148; Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 20; Mock, GPR 2013, 156, 165; Reumers, ECFR 2013, 554, 586; Thole, ZEuP 2014, 39, 70; Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 557. 1342 Vgl. ausführlich zu diesem Vorschlag das Dokument der deutschen Ratsdelegation, Ratsdok. 15675/13 (EN), S. 7 ff. Eine große Einflussmöglichkeit der deutschen Delegation bestand unter anderem aufgrund des deutschen MEP Klaus-Heiner Lehne, der als Berichterstatter im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments (JURI) eingesetzt war. 1343 Legislative Entschließung EP v. 5.2.2014, P7_TA(2014)0093, Änderungsantrag 6065 zu Art. 42da-df. Mehr J. Schmidt, KTS 2015, 19, 37 f.; dies., Eurofenix Autumn 2015, 17 ff.; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.02; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 3; dies., KTS 2018, 1, 7. 1344 Prager/Keller, WM 2015, 805, 809. 1345 EuGH Urt. v. 15.7.1964, Costa / E.N.E.L., Rs. 6/64, ECLI:EU:C:1964:66.

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heitlichen Rechtsanwendung lediglich im europäischen Kontext bestimmt.1346 Die Vorschriften sind autonom und verordnungsimmanent auszulegen.1347 Des Weiteren wurde bei der Implementierung eines Koordinationsverfahrens nicht der Vorschlag von INSOL Europe umgesetzt, nach dem ein führendes Verfahren zu bestimmen ist, das exklusiv auf die anderen Verfahren mit den zur Verfügung gestellten Mitteln einwirken kann.1348 Es solle dem Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft insbesondere keine „federführende Rolle“ zugesprochen werden.1349 Das Koordinationsverfahren ist vom Grundsatz der Freiwilligkeit geprägt.1350 Es stellt mehr ein Mediationsinstrument1351 dar, bei dem einem neutralen Koordinator, der im besten Interesse aller Gruppenunternehmen zu handeln hat, besondere Eingriffsbefugnisse zukommen. 1352 Das Koor1346 EuGH Urt. v. 23.3.1982, Levin, 53/81, ECLI:EU:C:1982:105, Rn. 11 f.; Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 36; Riesenhuber in: ders., Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 10 Rn. 4 ff.; Stotz in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 22 Rn. 19. Die Verordnung als ein nicht im gleichen Maße geschlossenes System wie die nationale Insolvenzordnung betrachtend Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Einl. Rn. 21 f. Dabei wird verkannt, dass europäische Verordnungen zwar nicht mit dem gleichen Handwerkszeug ausgelegt werden können, wie nationale Rechtsvorschriften, allerdings im Zusammenhang eines kohärenten europäischen Regelungssystems mit ebenso spezifischen Auslegungsmethoden ein aussagekräftiges Auslegungsergebnis erzielt werden kann. Indes kann es geschehen, dass mit der unionsautonomen Auslegung nicht die letzte Konkretisierungsstufe zur Subsumtion gewonnen werden kann, wodurch ein Rückgriff auf nationales Recht nötig wird. Vgl. Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 37. Dies ist allerdings kein Defekt der europäischen Rechtsordnungen, sondern eine logische Konsequenz aus ihrer Supranationalität. 1347 Geprägt durch den EuGH im Zusammenhang mit der EuInsVO grundlegend in den Rechtssachen EuGH Urt. v. 15.2.2006, Eurofood IFSC, C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281, Rn. 31; EuGH Urt. v. 20.10.2011, Interedil, C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671, Rn. 42 f.; EuGH Urt. v. 22.11.2012, Bank Handlowy und Adamiak, C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739. Dies ist auch anerkannt durch die Lit., vgl. Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 36 m. w. N. 1348 INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 96 Art. 43. 1349 So noch angedacht in SWD(2012) 416 final (EN), S. 32 f. 1350 ErwG 56 EuInsVO. 1351 Madaus, IILR 2015, 235, 241; ders. in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 61 Rn. 5; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 61 Rn. 2. 1352 Wenngleich solch ein Koordinator erst im späten Verlauf des Gesetzgebungsprozesses Einzug in die EuInsVO erhielt, tauchte solch eine Überlegung schon in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15.11.2011 auf. Dort wurden Regelungen zur Bestellung eines gemeinsamen Verwalters für alle Verfahren, der von den beteiligten Gerichten ernannt und durch die lokalen Verwalter unterstützt werden sollte, angedacht. Vgl. Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Anlage Teil 3. 2. E. Im deutschen Koordinationsverfahren kommt dem Verfahrenskoordinator, der gem. § 269e Abs. 1 S. 1 InsO vom Koordinationsgericht bestellt wird, eine vergleichbare Schlüsselrolle zu, vgl. J. Schmidt, KTS 2018, 1, 21.

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dinationsverfahren soll dabei stets zum Ziel haben, dass die wirksame Verwaltung in den Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gruppenmitglieder erleichtert wird und sich allgemein positiv für die Gläubiger auswirkt.1353 Dafür sollen primär Gruppensynergien ausgeschöpft werden,1354 um den Sanierungsgedanken zu fördern.1355 I. Verfahrenseinleitung 1. Eröffnungsantrag a) Antragsbefugnis der Verwalter Die Beantragung der Verfahrenseinleitung eines Koordinationsverfahrens erfolgt gem. Art. 61 Abs. 1 sowie Art. 60 Abs. 1 lit. c EuInsVO in erster Linie durch einen Verwalter, der in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Mitglieds der Gruppe bestellt wurde. 1356 Da der Verwalterbegriff der EuInsVO funktional zu verstehen ist,1357 bleibt der Verwalter nach einem Personenwechsel als Institution unverändert bestehen.1358 Somit lässt ein Verwalterwechsel einen ordnungsgemäß gestellten Antrag nicht rückwirkend entfallen. Die Antragsbefugnis des Verwalters kann im Zusammenhang der Gerichtsstandswahl gem. Art. 66 Abs. 4 EuInsVO von einer Zweitdrittelmehrheit aller Verwalter, die für Insolvenzverfahren über das Vermögen der Mitglieder der Gruppe bestellt wurden, an sich gezogen werden. Jedes andere als das gewählte Gericht hat sich daraufhin gem. Art. 66 Abs. 3 EuInsVO zugunsten dieses Gerichts für unzuständig zu erklären.1359 Ein vorläufiger Insolvenzverwalter hat ebenso eine Antragsbefugnis inne, sofern ihm die Verwaltung- und Verfügungsbefugnis für ein Verfahren obliegt.1360 Ihm sollte nicht die Möglichkeit abgesprochen werden, durch seine frühe Verfahrenseinleitung einen wichtigen Beitrag für ein effizientes Koordinationsverfahren zu leisten. Wird der Antrag ordnungsgemäß gestellt, übernimmt das mit der Eröffnung betraute Koordinationsgericht die weitere ErwG 57 EuInsVO. ErwG 52 a. E. EuInsVO. 1355 ErwG 54 EuInsVO. 1356 Eine vergleichbare Regelung findet sich in § 269d Abs. 2 InsO für das deutsche Koordinationsverfahren. Vgl. ausführlich zu der Gegenüberstellung des deutschen und europäischen Koordinationsverfahrens J. Schmidt, KTS 2018, 1, 20 ff. 1357 Siehe hierzu S. 218 f. 1358 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 13. 1359 Siehe hierzu S. 350 ff. 1360 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 598; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 61 Rn. 7; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 61 Rn. 9; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 61 Rn. 5; Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 61 Rn. 8. Mehr hinsichtlich der Einbeziehung von vorläufigen Insolvenzverwaltern in den Anwendungsbereich der EuInsVO auf S. 236. 1353

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Verfahrenseinleitung. Daher ist es nicht schädlich, wenn das Verfahren, für das der vorläufige Insolvenzverwalter bestellt wurde, im Nachhinein nicht eröffnet wird. Allerdings sind die Erfolgsaussichten eines solchen Antrags eher begrenzt, nachdem der Antragsinhalt stark an der Partizipation des nicht eröffneten Einzelverfahrens ausgerichtet sein dürfte. Ein Antragsrecht der Gläubiger oder die Eröffnung eines Koordinationsverfahrens von Amts wegen durch ein Gericht, bei welchem ein Insolvenzverfahren eines Gruppenmitglieds anhängig ist, ist durch die EuInsVO nicht vorgesehen.1361 Die Gerichte haben nur dienende Funktion und können einen solchen Prozess nicht eigenständig einleiten. Den Gläubigern bleibt lediglich die Möglichkeit, über die Instrumentarien der nationalen Rechtsordnungen einen Einfluss auf die Verwalter auszuüben, um damit die Einleitung eines Koordinationsverfahrens zu erzwingen. Anders sieht dies im nationalen deutschen Konzerninsolvenzrecht aus. Nach § 269d Abs. 2 S. 2 InsO ist auch jeder Gläubigerausschuss oder vorläufige Gläubigerausschuss eines gruppenangehörigen Schuldners auf der Grundlage eines einstimmigen Beschlusses antragsberechtigt. Die Beschränkung der Antragsbefugnis auf die Verwalter erscheint jedoch als sinnvoll, um eine koordinierte Verfahrenseinleitung zu gewährleisten. Bei den Verwaltern besteht – im Vergleich zu den anderen Verfahrensbeteiligten – die größte Wahrscheinlichkeit, dass sie sich im Vorfeld eines Koordinationsverfahrens untereinander hinsichtlich der Eröffnung eines solchen Verfahrens abstimmen. Bei den Gläubigern liegt hingegen die Vermutung nahe, dass ausschließlich ein an Einzelinteressen ausgerichtetes „race to the courts“ stattfindet.1362 Fraglich ist, ob auch Verwalter von Gruppenunternehmen, die in einem Drittstaat ein Insolvenzverfahren eröffnet haben, ein Koordinationsverfahren nach der EuInsVO beantragen können. Vereinzelte Stimmen wollen dies auf Basis des effet utile und der Rechtssprechungstendenz des EuGH 1363 zu-

1361 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 61 Rn. 4; Nerlich/Römermann/ Nerlich/Hübler, InsO, 33. EL September 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 3; Parzinger, NZI 2016, 63, 67 f.; Prager/Keller, WM 2015, 805, 810; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 61 Rn. 2; dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss aus Art. 3 Abs. 4 lit. b u. Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO, Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.14; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 19. 1362 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 19; in Bezug auf den deutschen Gesetzesentwurf zu einem nationalen Konzerninsolvenzrecht Thole, KTS 2014, 351, 356. 1363 In den Rechtssachen Schmid (EuGH Urt. v. 16.1.2014, Schmid, C-328/12, ECLI:EU:C:2014:6, Rn. 17 f.) und H (EuGH Urt. v. 4.12.2014, H, C-295/13, ECLI:EU:C: 2014:2410, Rn. 27 ff.) hat der EuGH entschieden, dass die mangelnde Bindungswirkung der EuInsVO gegenüber Drittstaaten der Anwendung der Zuständigkeitsvorschrift des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO a. F. analog) nicht entgegensteht.

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lassen.1364 Solch eine weitgehende Öffnung der EuInsVO im Zusammenhang des Koordinationsverfahrens war allerdings sowohl vom europäischen Gesetzgeber als auch vom EuGH nicht beabsichtigt.1365 Die EuInsVO ist hierfür schon allein mit Blick auf die Verteilung der Kosten, die allein durch die Antragstellung entstehen, nicht ausgelegt. Ein Koordinationsverfahren ist nur zwischen Insolvenzverfahren betreffend mindestens zwei Mitgliedern einer Unternehmensgruppe in verschiedenen Mitgliedstaaten zulässig. In Drittstaaten eröffnete Insolvenzverfahren von Gruppenmitgliedern werden weder erfasst noch hindern sie ein Koordinationsverfahren im Sinne der EuInsVO.1366 Eine Erstreckung des Koordinationsverfahrens auf diese Verfahren ist nur mit Hilfe von Vereinbarungen oder Protokollen möglich, 1367 wobei in diesen insbesondere Kostentragungsregelungen festzusetzen sind. Das Initiativrecht für ein Koordinationsverfahren bleibt hingegen ausschließlich bei den Verwaltern von Gruppenunternehmen aus Mitgliedstaaten im Sinne der EuInsVO. Unklar ist, ob der Verwalter eines Sekundär- oder Partikularinsolvenzverfahrens zur Eröffnung eines Koordinationsverfahrens berechtigt ist. Nach dem Wortlaut steht nur demjenigen Verwalter ein Antragsrecht zu, der „über das Vermögen eines Mitglieds der Gruppe“ bestellt wurde. Es wird allerdings nicht vorausgesetzt, dass er über das Vermögen des Schuldners als Ganzes bestellt ist und daher ein Hauptinsolvenzverwalter zu sein hat.1368 Zwar haben die Sekundär- oder Partikularinsolvenzverwalter lediglich zur Aufgabe, die Interessen der Gläubiger aus einem anderen Mitgliedstaat als dem Hauptinsolvenzverfahrensstaat zu vertreten und daher auch keine Einwirkungsrechte gegenüber dem Hauptinsolvenzverfahren. 1369 Im Einzelfall kann ihnen allerdings eine wichtige Aufgabe zukommen, wenn die größte Vermögensmasse eines Gruppenunternehmens oder gar der ganzen Gruppe in ein Sekundär- oder Partikularinsolvenzverfahren fällt. Die EuInsVO sollte nicht im Vorhinein den Verwaltern der Sekundär- bzw. Partikularinsolvenzverfahren die Möglichkeit der Antragstellung rauben. Ist der Antrag tatsächlich nicht geeignet, wird er ohnehin durch das zu entscheidende Gericht abgelehnt werden. Zwar besteht ein Risiko, dass die Sekundär- bzw. Partikularinsolvenzverwalter das Antrags1364 In diesem Sinne Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 13; Prager/Keller, WM 2015, 805, 810. 1365 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 61 Rn. 5; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 61 Rn. 3; Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 61 Rn. 6. 1366 Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 61 Rn. 6; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.7; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 9 f. 1367 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.7; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 10. 1368 A. A. MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 61 Rn. 4. 1369 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 61 Rn. 6; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 61 Rn. 4.

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recht lediglich dazu pervertieren, einen weiteren Antrag aufgrund des Prioritätsgrundsatzes zu blockieren und diese Situation als Druckmittel für Eigeninteressen zu verwenden. Solch eine Lage kann sich allerdings ebenfalls zwischen Hauptinsolvenzverwaltern ergeben und ist vorwiegend auf das Prioritätsprinzip zurückzuführen. Soll ein Antrag zurückgenommen werden, kann dies – e contrario zur Antragsbefugnis – lediglich durch den Verwalter, der den Antrag gestellt hat, geschehen.1370 Eine Rücknahme des Antrags kommt insbesondere dann in Betracht, wenn ein Verwalterwechsel stattgefunden hat und der neue Verwalter eine andere Strategie einschlägt. Gemäß dem zuvor Gesagten zum funktionellen Verwalterbegriff ändert ein Wechsel in der Person des Verwalters auch nichts an dessen Rücknahmezuständigkeit. b) Gerichtliche Zuständigkeit Art. 61 Abs. 1 EuInsVO enthält den Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit des für das Koordinationsverfahren verantwortlichen Gerichtes. Die europäische Norm beschränkt sich nicht nur auf die Regelung der internationalen Zuständigkeit, sondern erklärt die Gerichte auch für sachlich und örtlich zuständig.1371 Danach kann bei jedem Gericht, das für das Insolvenzverfahren eines Mitglieds der Gruppe zuständig ist, das Koordinationsverfahren beantragt werden. Im deutschen Koordinationsverfahren ist dies anders ausgestaltet. Das Gericht des Gruppen-Gerichtsstands nach § 3a InsO ist gem. § 269d Abs. 1 InsO ebenfalls für die Eröffnung eines Koordinationsverfahrens zuständig. Der Wortlaut des Art. 61 Abs. 1 EuInsVO setzt zur Zuständigkeitsbegründung lediglich voraus, dass eine Zuständigkeit des Koordinationsgerichts nach Art. 3 EuInsVO gegeben ist. Eine tatsächliche Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ein Gruppenmitglied ist nicht gefordert.1372 Die Norm ist allerdings restriktiv auszulegen. So ist zu verlangen, dass das Koordinationsgericht auch tatsächlich selbst mit einem Insolvenzverfahren über ein Mitglied der Gruppe betraut ist.1373 Anderenfalls stünden dem Gericht keine KooperationsBraun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 13. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 7; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 61 Rn. 13; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 61 Rn. 5; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 61 Rn. 8; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.16; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 23. 1372 Hierauf hinweisend Fehrenbach, GPR 2017, 38, 47; Prager/Keller, WM 2015, 805, 810. 1373 Im Ergebnis ebenfalls, allerdings ohne konkrete Begründung, Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 10; Prager/Keller, WM 2015, 805, 809 f.; a. A. Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 599; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 61 Rn. 6; voraussetzend, dass zumindest schon ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt sein muss, Fehrenbach, GPR 2017, 38, 47. 1370

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möglichkeiten mit den anderen Verwaltern und Gerichten nach Art. 57 f. EuInsVO zur Verfügung. Diese sind jedoch im Eröffnungs- und anschließenden Koordinationsprozess unabdingbar, um ein effektives Koordinationsverfahren zu gewährleisten. Wenngleich man dem Koordinationsgericht diese allgemeinen Kooperationsmöglichkeiten aufgrund seiner Aufgaben als implizit durch die EuInsVO übertragen zugestehen könnte, wäre solch eine Zuständigkeit mit einem erheblich erhöhten Ressourcenaufwand verbunden, da durch das Gericht keinerlei Synergieeffekte zu generieren wären. Es ist daher sinnvoll, lediglich ein für ein Gruppenmitglied zuständiges Gericht und damit dessen Kompetenz zu nutzen. aa) Der institutionelle Gerichtsbegriff Dem Gerichtsbegriff des Koordinationsverfahrens liegt nach Art. 2 Nr. 6 Ziff. i EuInsVO entgegen dem Begriff der Art. 56–60 EuInsVO ein institutionelles Verständnis zugrunde. 1374 Die Unterscheidung verdeutlicht, dass die Vorschriften zur allgemeinen Verfahrenskooperation einen größtmöglichen Wirkungsradius innehaben sollen. Der weite Gerichtsbegriff wurde gewählt, um sich an die Vielzahl von Institutionen anzupassen, welche durch die nationalen Rechtsordnungen mit Befugnissen im Insolvenzverfahren ausgestattet sind. Das Koordinationsgericht ist hingegen ein genuin europäisches Produkt, welchem allein durch die EuInsVO originäre Aufgaben und Befugnisse verliehen werden. Zur Absicherung der Qualität des Koordinationsverfahrens ist es daher gerechtfertigt, dass lediglich ein Justizorgan eines Mitgliedstaats als Koordinationsgericht in Betracht kommt. Im deutschen Recht wurde aufgrund dessen in § 19a Abs. 3 Nr. 6 RPflG ein umfassender Richtervorbehalt hinsichtlich aller Entscheidungen im Zusammenhang eines Koordinationsverfahrens eingefügt. Fraglich ist, ob das Gericht eines Sekundär- oder Partikularinsolvenzverfahrens „für das Insolvenzverfahren eines Mitglieds der Gruppe zuständig“ ist und demnach ebenso die Zuständigkeit für das Koordinationsverfahren begründen kann. Unter systematischen Gesichtspunkten könnte dafür sprechen, dass Art. 61 EuInsVO – im Gegensatz zu beispielsweise Art. 11 Abs. 2 EuInsVO – keine ausdrückliche Begrenzung auf das Hauptinsolvenzverfahren enthält.1375 Mit Blick auf den Gesetzgeberwillen ist ebenfalls von einem weiten Anwendungsbereich auszugehen, da eine Beschränkung auf Hauptinsolvenzverfahren in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5.2.2014 in Art. 42da Abs. 1 lit. b EuInsVO-E noch vorzufinden war, 1376 im Laufe des GesetzSiehe zum funktionellen Gerichtsbegriff der Art. 56–60 EuInsVO S. 222 ff. Hierauf hinweisend Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.17; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 25. 1376 Legislative Entschließung des EP v. 5.2.2014, P7_TA(2014)0093, Änderungsantrag 60. 1374

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gebungsverfahrens jedoch aus der Norm entschwand und die Ratsdelegation klar zum Ausdruck brachte, dass auch Sekundärinsolvenzverfahren eigenständig und gleichberechtigt am Koordinationsverfahren partizipieren können sollten.1377 Es ist zwar möglich, dass die Synergieeffekte mit einem für das Sekundär- bzw. Partikularinsolvenzverfahren zuständigen Gerichts weniger stark ausgeprägt sind als bei einem Gericht des Hauptinsolvenzverfahrens. 1378 Im Einzelfall kann sich allerdings eine ganz andere Situation ergeben, wenn die größte Vermögensmasse eines Gruppenunternehmens oder gar der ganzen Gruppe dem Gericht eines Sekundär- oder Partikularinsolvenzverfahrens zugewiesen ist. Die EuInsVO sollte nicht im Vorhinein den Gerichten der Sekundär- bzw. Partikularinsolvenzverfahren die Möglichkeit rauben, die Rolle des Koordinationsgerichts einzunehmen. Ist das Gericht tatsächlich nicht geeignet, würde ohnehin kein diesbezüglicher Antrag ergehen bzw. der Antrag gem. Art. 63 Abs. 1 EuInsVO durch das Gericht selbst abgelehnt werden. Überdies können die anderen Verwalter über eine Prorogation ein anderes Gericht für zuständig erklären.1379 Die EuInsVO geht damit den richtigen Weg, den Anwendungsbereich so weit wie möglich zu fassen,1380 gleichzeitig jedoch Absicherungen zur Verfügung zu stellen, die dafür sorgen, dass dieser weite Anwendungsbereich im Einzelfall nicht zu Ineffizienzen führt. bb) Prioritätsgrundsatz Entsteht ein positiver Kompetenzkonflikt, das heißt werden mehrere Anträge auf Eröffnung eines Koordinationsverfahrens bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten gestellt, erklären sich die später angerufenen Gerichte nach dem in Art. 62 EuInsVO normierten Prioritätsgrundsatz zugunsten des zuerst angerufenen Gerichts für unzuständig. 1381 Durch eine prozesstaktische Selektion kann demnach ein geeigneter Gerichtsstand gewählt werden. Die Verwalter können einen fixen Lebenssachverhalt ausnutzen, das heißt von einer schon 1377 In einem Vorschlag der UK Delegation (Ratsdok. 10731/14 (EN), S. 3) wird dargestellt, dass es dem Verwalter der Sekundärinsolvenzverfahren freistehen soll, an dem Koordinationsverfahren auch dann zu partizipieren, wenn sich der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens für ein Opt-out entscheidet. Vgl. J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 25. 1378 Dem Gericht des Hauptinsolvenzverfahrens kommt die leitende Funktion zu, da es grundsätzlich die größten Vermögensmassen betreut und die meisten Gläubiger in seiner Jurisdiktion angesiedelt sind. 1379 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.17; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 25. 1380 Ebenso, allerdings ohne Begründung, Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 61 Rn. 10; a. A. MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 61 Rn. 7. 1381 Bei einem Zuständigkeitskonflikt zwischen Gerichten desselben Mitgliedstaats sind ausschließlich nationale Zuständigkeitsregeln heranzuziehen, Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 62 Rn. 3.

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bestehenden Wahlmöglichkeit an Gerichtsständen im Zeitpunkt der Antragstellung Gebrauch machen. Der Gesetzgeber hat somit bei der Wahl des Gerichts des Koordinationsverfahrens eine Möglichkeit des Forum Shoppings geschaffen.1382 Durch die reine Prioritätsanknüpfung wird allerdings im gleichen Zuge eine Gerichtsstandserschleichung, die über die Ausnutzung eines fixen Lebenssachverhalts hinausgeht, ermöglicht. Der Lebenssachverhalt kann so umgestaltet werden, dass eine gewünschte Zielzuständigkeit überhaupt erst begründet wird. Zwar ist die Verlegungsmöglichkeit des COMI zur Begründung eines Koordinationsgerichtsstands aufgrund der neu eingeführten Retrospektivfrist1383 stark eingeschränkt. Im speziellen Fall des Koordinationsverfahrens ist es allerdings denkbar, im Vorfeld der Insolvenz eigens ein Tochterunternehmen als „Insolvenzvehikel“1384 in dem gewünschten Zielstaat zu gründen oder zu erwerben und mit in die Insolvenz zu reißen, um später an diesem Insolvenzgerichtsstand das Koordinationsverfahren zu eröffnen. Der Ort des Koordinationsverfahren ist damit faktisch frei wählbar und einer Beliebigkeit ausgesetzt. Ob dieser große Spielraum bei der Zuständigkeitswahl, insbesondere unter Beachtung des Risikos der Gerichtsstandserschleichung, immer die besten Ergebnisse für die Verfahren hervorbringt, ist fraglich. So ist es möglich, dass aus strategischen Gründen ein Gerichtsstand gewählt wird, zu dem die Gruppe keinerlei Verbindung aufweist. Den anderen Verfahrensbeteiligten wird es dabei nicht anders gehen. Des Weiteren ist es denkbar, dass die Verwalter durch die Gläubiger des eigenen Verfahrens, bei welchen es sich zumeist um lokale Gläubiger handeln wird, dazu getrieben werden, so schnell wie möglich ein Koordinationsverfahren in der eigenen Jurisdiktion zu eröffnen. Ein Verfahren in heimischen Gefilden und damit auf vertrautem Terrain wird von den Verfahrensbeteiligten grundsätzlich bevorzugt. Ein „race to the courts“, welches gerade dadurch verhindert werden sollte, dass den Gläubigern kein Antragsrecht zur Verfügung gestellt wurde, wäre die Folge.1385 Ein derartiges Wettrennen war schon im Zusammenhang der internationalen Zuständigkeit des Hauptinsolvenzverfahrens in den vergangenen Jahren zu erkennen.1386 Ein solcher Wettlauf kann allerdings auch allein durch die Verwalter ohne eine Gläubigerbeteiligung angestoßen werden, falls diese die Möglichkeit wittern, dass eine Verfahrenseinleitung für Blockadezwecke und damit zur Durchsetzung anderweitiger Interessen missbraucht werden kann. Auf die Zulässigkeit oder Begründetheit des Antrags kommt es für die ex lege entstehende Sperrwirkung Madaus, IILR 2015, 235, 244. Siehe hierzu ausführlich S. 131 ff. 1384 Im Zusammenhang eines nationalen Konzerninsolvenzgerichtsstands, welcher nach dem Prioritätsprinzip begründet wird, Hirte, ZIP 2008, 444, 445. 1385 Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 224 f. 1386 MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 62 Rn. 4. 1382

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nicht an. Dies könnte zu der unbefriedigenden Situation führen, dass lediglich aufgrund eines schnellen Antrags eines Gruppenmitglieds an einem für die Gruppe unbedeutenden Gerichtsstand die Eröffnung eines Koordinationsverfahrens eingeleitet wird und durch die Sperrwirkung des Prioritätsprinzips andere Eröffnungsverfahren zunächst unterbunden werden.1387 In Art. 42da EuInsVO-E der legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments war die Zuständigkeitsfrage daher viel restriktiver ausgestaltet.1388 Ausschlaggebender Faktor der Regelung war, dass insolvente Gruppenunternehmen „wichtige Aufgaben“1389 an dem Ort wahrnehmen, an dem das Koordinationsverfahren eröffnet werden soll.1390 Damit sollte sichergestellt werden, dass nicht an Gerichten von untergeordneter Bedeutung für die Gruppe ein Antrag auf Eröffnung eines Koordinationsverfahrens gestellt werden kann, weil eine kleine und unbedeutende Tochter dort angesiedelt ist. Das Koordinationsverfahren soll an dem Ort, an dem tatsächlich das „Herz der Gruppe schlägt“1391, eröffnet werden. Dies hätte im Einzelfall jedoch dazu führen können, dass in Holdingstrukturen am Insolvenzgerichtsstand der Holdinggesellschaft keine Zuständigkeit des Koordinationsgerichts hätte begründet werden können,1392 obwohl bei dem Insolvenzverwalter der Holdinggesellschaft und damit auch dem dortigen Insolvenzgericht viele Fäden der einzelnen Insolvenzverfahren zusammengelaufen wären. Weitere Schwierigkeiten hätten sich bei Pyramidenstrukturen, Gleichordnungskonzernen oder in Konstellationen ergeben, in denen die Konzernmutter in einem Drittstaat angesiedelt gewesen wäre.1393 Die Intention, das Koordinationsverfahren lediglich auf geeignete Gerichtsstandorte zu beschränken, ist zwar im Grundsatz zu begrüßen.1394 Allerdings

1387 Auf eine Verletzung des ordre publics durch das mit dem ersten Antrag befassten Gericht kann sich dabei nicht berufen werden, vgl. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 62 Rn. 4. 1388 Legislative Entschließung des EP v. 5.2.2014, P7_TA(2014)0093, Änderungsantrag 60. 1389 Die „wichtigen Aufgaben“ sollten in Art. 2 lit. ja EuInsVO-E definiert werden, Legislative Entschließung des EP v. 5.2.2014, P7_TA(2014)0093, Änderungsantrag 26. 1390 In ähnlicher Weise kommen nach dem deutschen Konzerninsolvenzverfahren nur die Gerichte eines Mitgliedstaates als Koordinationsgericht in Betracht, die für einen Schuldner zuständig sind, der nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung für die gesamte Unternehmensgruppe ist, § 3a Abs. 1 S. 1 InsO. 1391 Eingängig J. Schmidt, KTS 2018, 1, 8. 1392 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 3. 1393 J. Schmidt in: Wessels/Omar, Insolvency and Groups of Companies, 2012, 37, 46 m. w. N.; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.15; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 22. 1394 In diesem Sinne auch Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1.

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sollte man die Auswahl nicht an unbestimmte Rechtsbegriffe knüpfen1395 und dadurch Rechtsunsicherheit schaffen, sondern lediglich durch spezifische Begrenzungsmechanismen eine Lenkung hin zu dem geeigneten Gerichtsstandort gewährleisten. In diesem Zusammenhang ist der europäische Gesetzgeber mit der Möglichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung gem. Art. 66 EuInsVO einen wichtigen Schritt gegangen. Zu begrüßen wäre es allerdings gewesen, wenn der Verwalter bei seiner Antragstellung die konkreten Entscheidungsgründe, warum er sich für genau dieses Gericht entschieden hat, darzulegen hätte.1396 Gem. Art. 61 Abs. 3 lit. b EuInsVO ist lediglich aufzuzeigen, weshalb die Voraussetzungen nach Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 EuInsVO erfüllt sind. Zwar hat bei der Prüfung dieser Voraussetzungen die Geeignetheit des Gerichts erheblich mit einzufließen. Allerdings erfolgt die Prüfung durch das in Frage stehende Gericht selbst, welches sich tendenziell selten die Geeignetheit für zumeist prestigeträchtige Verfahren absprechen wird. Es besteht damit das Risiko, dass die Zweckmäßigkeitskontrolle hinsichtlich der Zuständigkeit des Koordinationsgerichts faktisch nur eingeschränkt stattfinden wird. Die Auswahl des Gruppenforums ist allerdings entscheidend für die Erfolgschancen des Koordinationsverfahrens.1397 Summa summarum lässt sich feststellen, dass der Prioritätsgrundsatz zu einigen Unwägbarkeiten bei der Festlegung des Koordinationsgerichts führt und das Risiko des Forum Shoppings birgt. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Verwalter und das angerufene Gericht ihrer Verantwortung bewusst sind und substantiierte Entscheidungen zum Wohle der Gruppe als Ganzes treffen. cc) Antragszeitpunkt Der entscheidende Zeitpunkt zur Auslösung der Prioritätsregel liegt im Moment der Antragstellung. Bei der Auslegung dieses Begriffs kann auf das unionsautonome Verständnis aus Art. 32 Brüssel Ia-VO Rückgriff genommen werden. In Relation zu anderen europäischen Rechtsregeln ist zwar im Einzelfall zu vergleichen, ob die verwendeten Rechtsbegriffe in einem gleichartigen Kontext eingebettet sind und sich an ähnlichen Strukturprinzipien ausrichten, bevor Analogien gezogen werden können. 1398 Nachdem allerdings auch in Art. 29 Brüssel Ia-VO ein vergleichbares Prioritätsprinzip implementiert ist, 1395 Sich ebenfalls gegen derartige unbestimmte Rechtsbegriffe aussprechend J. Schmidt in: Wessels/Omar, Insolvency and Groups of Companies, 2012, 37, 42; dies., KTS 2015, 19, 39; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.15; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 22; zur Problematik in Bezug auf das deutsche nationale Konzerninsolvenzrecht Thole, KTS 2014, 351, 359. 1396 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 9. 1397 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 9; Flöther/Undritz, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 8 Rn. 121. 1398 Zum Verhältnis zur Brüssel Ia-VO EnzEuR Bd. 3/Thole, 1. Aufl. 2014, § 24 Rn. 20 f.

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ist die Voraussetzung für einen Rückgriff gegeben.1399 Danach liegt eine Antragstellung ab dem Zeitpunkt vor, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht worden ist. Hilfreich für die Gerichte kann dabei eine Kooperation nach Art. 57 Abs. 3 lit. b EuInsVO sein, da auf diesem Weg Informationen über etwaige andere Anträge auf vorzeitigem Wege zu erlangen sind.1400 Darüber hinaus besteht nach Art. 24 Abs. 3 EuInsVO die Möglichkeit, dass die Mitgliedstaaten entsprechende Erklärungen in ihre Insolvenzregister eintragen lassen.1401 Kenntnis von dem Antrag erhalten die Verwalter der anderen Unternehmen der Gruppe spätestens durch die Mitteilung des Gerichts nach Art. 63 Abs. 1 Hs. 1 EuInsVO. Fraglich ist, ob ein Koordinationsverfahren schon beantragt werden kann, wenn sich das Verfahren des Gruppenmitglieds noch im Stadium des Eröffnungsverfahrens befindet. Nach Art. 1 Abs. 1 EuInsVO und ErwG 15 EuInsVO stehen vorläufige Insolvenzverfahren den endgültigen Verfahren gleich.1402 Dieses weite Verständnis ist auch bei der Einleitung eines Koordinationsverfahrens heranzuziehen, da oftmals bereits im Eröffnungsverfahren wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen, die für eine erfolgreiche Sanierung grundlegend sind und einer Abstimmung bedürfen.1403 Das Koordinationsverfahren ist demnach so frühzeitig wie möglich einzuleiten, um größtmöglichen Nutzen aus ihm zu schöpfen. Unklar sind jedoch die Konsequenzen, wenn das Hauptinsolvenzverfahren später nicht eröffnet wird. Das Einleitungsverfahren oder gar das Koordinationsverfahren könnte ebenso als unzulässig abgewiesen bzw. für erledigt erklärt werden. Allerdings setzt Art. 61 Abs. 1 EuInsVO lediglich voraus, dass der Antrag bei einem zuständigen Gericht gestellt wird. Ein nachträgliches Entfallen der Zuständigkeit hat nach dem unmittelbaren Wortlaut keinen Einfluss auf das Koordinationsverfahren. Es würde auch dem Sinn und Zweck der Vorschriften widersprechen, wenn die Eröffnung des Koordinationsverfahrens oder gar das eröffnete Koordinationsverfahren nachträglich abzubrechen wäre und einer erneuten Initiation bedürfte. Wäre die Verfahrenseinleitung schon weit vorangeschritten, müsste das ganze Prozedere unter enormen Zeitaufwand erneut durchgeführt werden. Ändern sich mit dem Wegfall des Verfahrens wesentliche Entscheidungsgrundlagen, ist es den Verfahrensbeteiligten immer noch möglich, einen Einwand gegen 1399 MüKoBGB/Kinder, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 62 Rn. 1; Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 62 Rn. 2; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 62.6; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 62 Rn. 7; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 216. 1400 Kompromissvorschlag des Ratsvorsitzes v. 3.6.2014, Ratsdok. 10284/14 ADD 1 (DE), S. 50 Fn. 67; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 62 Rn. 2. 1401 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 62 Rn. 2. 1402 Siehe hierzu S. 286 f. 1403 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 12.

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die Einbeziehung nach Art. 64 Abs. 1 lit. a EuInsVO geltend zu machen. Das mit der Eröffnung beauftragte Gericht hat unter diesen Umständen ohnehin den Sachverhalt genau zu überprüfen, bevor eine positive Eröffnungsentscheidung nach Art. 68 EuInsVO ergeht. Überdies ist es möglich, durch eine Gerichtsstandsvereinbarung gem. Art. 66 EuInsVO bis zum Zeitpunkt der Eröffnung des Koordinationsverfahrens eine andere Zuständigkeit zu begründen. dd) Gerichtsstandsvereinbarung Der Prioritätsgrundsatz gilt lediglich unter Vorbehalt des Art. 66 EuInsVO, welcher eine dem Insolvenzrecht bisher unbekannte Gerichtsstandsvereinbarung zulässt.1404 Nach Art. 66 Abs. 1 EuInsVO ist es möglich, dass die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts eines anderen Mitgliedstaats, das auch nach Art. 61 Abs. 1 EuInsVO für das Insolvenzverfahren eines Mitglieds der Gruppe zuständig ist, begründet wird. Jedes andere als das gewählte Gericht hat sich gem. Art. 66 Abs. 3 EuInsVO zugunsten dieses Gerichts für unzuständig zu erklären.1405 Für die Prorogation müssen sich mindestens zwei Drittel aller Verwalter, die für Insolvenzverfahren über das Vermögen der Mitglieder der Gruppe bestellt wurden, darüber einig sein, dass dieses Gericht am besten für die Eröffnung eines Koordinationsverfahrens geeignet ist. Somit sind auch die Verwalter abstimmungsbefugt, die schon ein Opt-out nach Art. 64 Abs. 1 lit. a, 65 EuInsVO erklärt haben.1406 Sind mehrere Verwalter für ein Verfahren bestimmt, haben diese nur eine Stimme. Ist dagegen ein Verwalter mehreren Verfahren zugeordnet, hat er für jedes Verfahren eine eigene Stimme.1407 Wenn das erforderliche Quorum erreicht ist, gilt die Geeignetheit als unwiderlegbar vermutet.1408 Die Überprüfung der Zuständigkeit obliegt dem prorogierten und nicht dem derogierten Gericht.1409 Besser geeignet kann ein anderes Gericht sein, wenn durch seine Wahl ein anderes auf das Koordinationsverfahren anwendbares Recht zum Einsatz kommt. Dieses Recht ist beispielsweise gem. Art. 69 Abs. 4 EuInsVO für die Anfechtung der Ablehnung eines nachträglichen Opt-ins entscheidend. Es Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 216. Im Falle positiver Kompetenzkonflikte findet, da es sich um eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung handelt, die Aussetzungspflicht des Art. 31 Abs. 2 Brüssel IaVO Anwendung, bis das gewählte Gericht entschieden hat, MüKoBGB/Kinder, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 3 Rn. 64; a. A. MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 66 Rn. 10. 1406 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 66.04; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 66 Rn. 4; dies gilt insbesondere mit Blick auf die Möglichkeit des späteren Opt-ins, MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 66 Rn. 3 f.; a. A. Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 66 Rn. 2. 1407 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 66 Rn. 11. 1408 Im Ergebnis auch Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 66 Rn. 4. 1409 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 66 Rn. 6. 1404 1405

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könnte bei dem ursprünglichen Antrag bewusst oder unbewusst ein Gericht gewählt werden, welches starke Defizite in dieser Hinsicht aufweist. 1410 Die Wahl eines Gerichts und damit einer passenderen lex fori coordinarii kann diesem Problem abhelfen. Die Geeignetheit des gewählten Gerichts wird dann unwiderlegbar vermutet.1411 Nach dem Wortlaut des Art. 66 Abs. 1 EuInsVO ist ein Gericht „eines anderen Mitgliedstaats“ auszuwählen. Hinsichtlich eines anderen zuständigen Gerichts des gleichen Mitgliedstaats kann daher keine Prorogation stattfinden.1412 Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich bei dem Wortlaut des Art. 66 Abs. 1 EuInsVO um ein Versehen des Gesetzgebers handelt, da kein Nutzen erkennbar ist, eine Prorogation zugunsten eines Gerichts desselben Mitgliedstaats auszuschließen, wenn dieses hinsichtlich der Funktion als Koordinationsgericht qualifizierter erscheint. Der Wortlaut ist daher teleologisch zu reduzieren, sodass stets jedes tatsächlich zuständige Gericht eines Mitgliedstaats gewählt werden kann, wenn das notwendige Quorum der Meinung ist, dass sich dieses als geeigneter darstellt, den Koordinationsprozess zu übernehmen. 1413 Der europäische Gesetzgeber sollte diesbezüglich klarstellend tätig werden. Wenn die Prorogation hingegen antragsbegründend wirkt, kann mangels eines bestehenden Antrags jedes zuständige Gericht gewählt werden. Art. 66 Abs. 4 EuInsVO legt überdies fest, dass aus der Gerichtsstandsvereinbarung ein Antrag zu resultieren hat, der ebenfalls gemäß den Anforderungen des Art. 61 EuInsVO einzureichen ist. Die Gerichtsstandsvereinbarung geht damit inhaltlich über die reine Wahl des zuständigen Gerichts hinaus. Insbesondere in den Fällen, in denen zuvor kein Antrag eines Verwalters eingereicht wurde, die Gerichtsstandswahl somit zuständigkeitsbegründend und nicht nur -verschiebend wirkt, haben sich die Verwalter ebenfalls über die von Art. 61 Abs. 3 EuInsVO verlangten Antragsinhalte abzustimmen. Wurde solch ein Antrag eines Verwalters zuvor eingereicht, kann dieser – solange dies von einer Zweidrittelmehrheit gewünscht ist – als Grundlage des Antrags nach Art. 66 Abs. 4 EuInsVO dienen. Dabei wäre zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber de lege ferenda die Möglichkeit schafft, dass dieser Antrag automatisch an das gewählte Gericht weitergeleitet wird.1414 Es ist allerdings darauf zu achten, dass sich mit einer Zuständigkeitsverschiebung auch die Begründungslinien

Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 224. Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 66 Rn. 4. 1412 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 66 Rn. 7. 1413 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 66 Rn. 5; a. A. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 66 Rn. 8. 1414 Hierfür ebenfalls plädierend Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 66.18; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 66 Rn. 19; a. A. MüKoBGB/Kinder, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 66 Rn. 9. 1410

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des Antrags ändern können. Ist dies der Fall, ist der ursprüngliche Antrag zu ergänzen, damit die Erfolgsaussichten weiter gewahrt bleiben.1415 Die Wahl des Gerichts sowie die Antragsinhalte nach Art. 61 Abs. 3 EuInsVO erfolgen als gemeinsame Vereinbarung in Schriftform oder werden schriftlich festgehalten. Betrachtet man insbesondere die englische Sprachfassung, so fällt der mit Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO übereinstimmende Wortlaut auf. Bei den anderen Sprachfassungen differieren die Normtexte dieser zwei Verordnungen leicht.1416 Hieraus sind jedoch keine unterschiedlichen Verständnisse abzuleiten. Es handelt sich lediglich um eine verpasste Chance der Angleichung von europäischen Rechtsbegriffen mit gleicher Bedeutung. Auf Basis einer unionsautonomen und einheitlichen Auslegung sollte sich ausnahmsweise nur an dem Englischen als der Arbeitssprache des Reformprozesses orientiert werden, der somit zwar keinen rechtsquellentheoretischer, jedoch ein faktischer Vorrang gegenüber den anderen Sprachen einzuräumen ist.1417 Daher kann sich bei der Bestimmung der Begrifflichkeiten an den Erkenntnissen zu Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO orientiert werden. 1418 Eine schriftliche Vereinbarung ist demnach gegeben, wenn eine schriftliche Kundgabe des Willens aller Parteien – nicht zwangsläufig in einem Dokument – vorliegt.1419 Es reicht aus, wenn die inhaltliche Übereinstimmung der Erklärungen aus den verschiedenen Schriftstücken zu erkennen ist,1420 solange der

Hinsichtlich der Abänderbarkeit eines Antrags siehe S. 378. In der deutschen Sprachfassung heißt es in Art. 66 EuInsVO: „in Schriftform oder [...] schriftlich festgehalten“, in Art. 25 Brüssel Ia-VO: „schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung“, vgl. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 66 Rn. 15. 1417 Zu den methodischen Grundsätzen hinsichtlich der ausnahmsweisen Fokussierung auf eine Sprachfassung Grundmann/Riesenhuber JuS 2001, 529, 530; ebenso Müller in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Einl. Rn. 38; anders Riesenhuber in ders., Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 10 Rn. 16. 1418 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 66 Rn. 15; im Ergebnis im gleichen Sinne MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 66 Rn. 6; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 66.10; dies in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 66 Rn. 11; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 66 Rn. 3. 1419 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 66.11; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 66 Rn. 12 mit Verweis auf BeckOGK/J. Schmidt, Stand: 1.11.2017, EuErbVO Art. 5 Rn. 15 zu Art. 5 Abs. 2 S. 1 EuErbVO; BGH NJW 1994, 2699; BGH NJW 2001, 1731 beide zu Art. 17 EuGVÜ; OLG Düsseldorf NJOZ 2004, 3118, 3213; OLG Hamm ZfBR 2012, 222, 224; OLG Saarbrücken NJOZ 2012, 923, 924; OLG Stuttgart NJW 2013, 83, 86 alle zu Art. 23 Brüssel Ia-VO. 1420 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 66 Rn. 15 m. w. N.; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 66 Rn. 12 mit Verweis auf BGH NJW 1994, 2699, 2700; BGH NJW 2001, 1731 beide zu Art. 17 EuGVÜ; BGH BeckRS 2014, 03766 Rn. 9 zu Art. 23 LugÜ II. 1415

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Urheber aus dem Dokument hervorgeht.1421 Dabei genügt eine E-Mail oder ein Fax als Erklärung.1422 Schriftlich festgehalten ist eine Vereinbarung, wenn eine ausdrückliche mündliche Vereinbarung stattgefunden hat, eine schriftliche Bestätigung dieser Vereinbarung in einem angemessenen zeitlichen Zusammenhang der anderen Partei zugegangen ist und diese dem Inhalt nicht widersprochen hat.1423 Gerade rechtsverbindliche Absprachen nach Art. 56 Abs. 1 S. 2 EuInsVO bieten eine gute Möglichkeit für eine Prorogation.1424 In zeitlicher Hinsicht muss die Schriftform nach dem Wortlaut des Art. 66 Abs. 2 S. 2 EuInsVO bis zum Zeitpunkt der Eröffnung des Koordinationsverfahrens gemäß Art. 68 EuInsVO erfüllt sein. Hierfür ist nicht der Zeitpunkt der letzten Unterschrift, die für die Zweidrittelmehrheit notwendig ist, maßgeblich, sondern der Zeitpunkt der Übermittlung der Vereinbarung an das zuerst angerufene Gericht.1425 Fraglich ist, zu welchem Zeitpunkt die Zweidrittelmehrheit vorliegen muss. Zum einen könnte der Zeitpunkt der Prorogationserklärung selbst ausschlaggebend sein, zum anderen könnte man die Zweidrittelmehrheit als Entscheidungsvoraussetzung im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung gem. Art. 68 Abs. 1 EuInsVO ansehen.1426 Für den späteren Zeitpunkt spricht, dass Verfahren bei der Abstimmung berücksichtigt werden können, die erst nach der Prorogationserklärung zur Entstehung gelangten und andere Verfahren wiederum von der Abstimmung ausschließbar sind, die noch vor der Eröffnungsentscheidung beendet wurden.1427 Es muss allerdings ein Bestandsschutz für die bei Prorogationserklärung vorliegende Zweidrittelmehrheit bestehen. Eine schwankende Mehrheit würde nur zu Rechtsunsicherheit – insbesondere im Zusammenhang mit präventiven Gerichtsstandsvereinbarungen – und Verzögerungen führen. Außerdem wäre ein weiteres Blockademittel für die Verwalter geschaffen, da sie kurz vor Eröffnung damit drohen könnten, ihre Ent1421 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 66 Rn. 12 mit Verweis auf BGH BeckRS 2014, 03766 Rn. 9. 1422 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 66 Rn. 12. 1423 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 66 Rn. 15 m. w. N.; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 66.12; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 66 Rn. 13 mit Verweis auf EuGH Urt. v. 11.7.1985, Berghoefer, C-221/84, ECLI:EU:C:1985:337, Rn. 16 zu Art. 17 EuGVÜ. 1424 Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 66 Rn. 4. 1425 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 66 Rn. 7; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 66 Rn. 6. 1426 Wohl im ersten Sinne Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 66 Rn. 6; im zweiten Sinne Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 66 Rn. 13; eine Zweitdrittelmehrheit in beiden Zeitpunkten als erforderlich betrachtend J. Schmidt in: Mankowski/Müller/ J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 66 Rn. 4; wohl auch Fehrenbach, GPR 2017, 38, 47. 1427 In diesem Sinne Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 66 Rn. 14.

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scheidung zu revidieren, wenn gewisse Maßnahmen nicht zu ihren Gunsten ergriffen werden.1428 Abzuwarten bleibt, ob die Gerichtsstandsvereinbarung ihre Praxistauglichkeit beweisen wird.1429 Die Feststellung der besten Geeignetheit des zu wählenden Gerichts obliegt allein den Verwaltern aufgrund ihrer Parteiautonomie.1430 Ist eine Wahl getroffen, wird die Geeignetheit unwiderlegbar vermutet und ist keiner gerichtlichen Überprüfung zugänglich. Lediglich in Fällen, in denen eine Prorogation aus rechtsmissbräuchlichen Gründen erfolgt, beispielsweise um eine andere, evident bessere Zuständigkeit zu verhindern, kann solch eine Gerichtsstandsvereinbarung als unzulässig erklärt werden.1431 Eine einmal getroffene Gerichtsstandswahl ist durch eine erneute Wahl mit Zweidrittelmehrheit abänderbar.1432 Es wäre einem effizientes Verfahren abträglich diese Möglichkeit nicht zuzulassen. So können Umstände – wie beispielsweise Insolvenzfälle weiterer Unternehmen der Gruppe – eintreten, welche die Verwalter zu einer divergierenden Entscheidung veranlassen. Überdies sollte die Gerichtsstandsvereinbarung dazu genutzt werden, einen zeitlichen Wettlauf der Anträge zu unterbinden, der aufgrund des Prioritätsprinzips stattfinden könnte, indem präventiv ein Gerichtsstand nach Art. 66 EuInsVO vereinbart wird, der im Falle von Eröffnungsanträgen greift.1433 Dies ist für einen Konzernverbund ein sinnvolles Vorgehen, da kostbare Zeit gespart wird und Ressourcen geschont werden. Das Bewusstsein der Verwalter hinsichtlich der Problematik ist demnach zu schärfen, damit sie präventiv agieren können. In diesem Zusammenhang kann die Kooperation zwischen Gerichten und Verwaltern gem. Art. 56 ff. EuInsVO hilfreich sein.

1428 Hierbei ergibt sich ein Unterschied zu der Antragsbefugnis des Verwalters nach Art. 61 Abs. 1 EuInsVO. Dieser kann seinen Antrag im Laufe der Verfahrenseinleitung wieder zurücknehmen. Die vertragliche Vereinbarung einer Gerichtsstandswahl lässt hingegen eine Bindungswirkung entstehen. 1429 Befürchtend, dass eine Beschlussfassung der Verwalter mit einer Zweidrittelmehrheit wohl eher selten zustande kommen wird, Thole, KTS 2014, 351, 375; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 224. 1430 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 66.09; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 66 Rn. 10. 1431 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 66 Rn. 17; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 66.09; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 66 Rn. 10. 1432 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 66.15; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 66 Rn. 16. 1433 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 66 Rn. 5 u. 18; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 61 Rn. 6; Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 61 Rn. 11; die Prorogation kann als strategisches Steuerinstrument eingesetzt werden, Flöther/Undritz, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 8 Rn. 122.

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c) Auf den Antrag anwendbares Recht Nach Art. 61 Abs. 2 EuInsVO erfolgt der Antrag gemäß der lex liquidatoris1434 des antragstellenden Verwalters. Der vom europäischen Gesetzgeber intendierte Gehalt dieser Norm ist allerdings höchst strittig. Eine Ansicht1435 fasst die Norm – strikt nach ihrem Wortlaut – als eine abweichende Sonderanknüpfung zu der Grundregel des Internationalen Privatrechts auf, wonach sich das Verfahren über den Antrag und dessen Bescheidung nach dem Recht des angerufenen Gerichts zu richten habe. Diese Sonderanknüpfung gelte jedoch allein hinsichtlich der Voraussetzungen des Antrags. Diese Ansicht würde allerdings – in dem ohnehin stark formalisierten Antragsverfahren – zu der sehr unerwünschten Situation führen, dass dem Gericht bei der Prüfung des Antrags ein hoher Aufwand auferlegt wäre, um das anwendbare Recht zu ermitteln. Hieraus würden sich nur Verzögerungen und eine hohe Fehleranfälligkeit ergeben.1436 Eine weitere Ansicht 1437 bezieht Art. 61 Abs. 2 EuInsVO daher lediglich – wie auch in ErwG 55 S. 2 EuInsVO aufgeführt – auf die Wahrung der Kompetenzordnung. Es seien die nach nationalem Recht vorgegebenen Genehmigungen einzuholen, bevor der Antrag gestellt werde. Weitere Voraussetzungen, welche die lex liquidatoris an den Antrag stelle, sein von dem angerufenen Gericht bei seinen Entscheidungen nicht zu berücksichtigen, da es anderenfalls zu dem zuvor dargestellten und zu vermeidenden Aufwand für das prüfende Gericht käme. Hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen sei ausschließlich das Recht des angerufenen Gerichts zu berücksichtigen.1438 Diese Auslegung 1434 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 66 Rn. 26; nachfolgend Nerlich/Römermann/Nerlich/Hübler, InsO, 33. EL September 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 5. 1435 MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 61 Rn. 9 f.; wohl auch Madaus, IILR 2015, 235, 244. 1436 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 600; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 61 Rn. 10. 1437 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 600; wohl auch Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.19; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 27; ähnlich Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 14 ff. Letzterer liest Art. 61 Abs. 2 EuInsVO allerdings in Verbindung mit ErwG 55 S. 2 EuInsVO. Daraus sei zu folgern, dass ein Verwalter vor Beantragung eines Koordinationsverfahrens eine nach nationalem Insolvenzrecht erforderliche Genehmigung nur einholen solle, aber nicht müsse. Dies widerspricht allerdings dem eindeutig formulierten Art. 61 Abs. 2 EuInsVO, der von einer klaren Pflicht hinsichtlich der Beachtung der lex liquidatoris spricht. 1438 Hierbei sind alle Zulässigkeitsvoraussetzungen formaler sowie inhaltlicher Art, insbesondere die Schriftform, Gebühren, Vertretungsnachweise oder der Anwaltszwang, gemeint, Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 14. Überdies sollte der Antrag in entsprechender Anwendung des Art. 73 Abs. 2 EuInsVO auch in der Gerichtssprache des adressierten Gerichtes verfasst werden, Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO

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ist vorzugswürdig, da sie die Effizienz des Antragsverfahrens wahrt. Der unklare und missverständlich formulierte Wortlaut des Art. 61 Abs. 2 EuInsVO ist im Sinne des effet utile teleologisch zu reduzieren. Der europäische Gesetzgeber sollte allerdings dringend klarstellend tätig werden und – vergleichbar mit Art. 64 Abs. 3 EuInsVO – den Normtext dahingehend ändern, dass lediglich die Genehmigungserfordernisse der lex liquidatoris zu beachten sind. Ein Zustimmungsvorbehalt findet sich im deutschen Recht in Art. 102c § 23 Abs. 1 EGInsO wieder. Die Zustimmung gem. §§ 160, 161 InsO ist notwendig, wenn der Verwalter beabsichtigt, die Einleitung eines Koordinationsverfahrens zu beantragen und die Durchführung des Koordinationsverfahrens von besonderer Bedeutung für das deutsche Verfahren des Gruppenmitglieds ist.1439 Die besondere, nicht bloß untergeordnete Bedeutung dürfte regelmäßig vorliegen.1440 d) Antragsinhalt Dem Antrag sind gem. Art. 61 Abs. 4 EuInsVO vier Anlagen, die abschließend sind und wesentliche Elemente der Koordination enthalten,1441 verpflichtend beizufügen, damit auf Basis dieser Anlagen die Entscheidung gem. Art. 63 EuInsVO sowie die Eröffnungsentscheidung gem. Art. 68 EuInsVO getroffen werden kann bzw. die anderen Verwalter eine Grundlage für ihre Entscheidung bezüglich der Teilnahme an dem Koordinationsverfahren haben.1442 Mithilfe dieser umfassenden Anlagen sollen die wesentlichen Elementen der Koordinierung sowie deren Vorteile und Risiken absehbar sein.1443

Art. 61 Rn. 14; nur auf die Zustimmung des Koordinators beziehend MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 61 Rn. 9. 1439 Hinsichtlich der Rechtswirksamkeit des Handelns des Verwalters dürfte – auch ohne direkten Verweis – weiterhin der § 164 InsO gelten, wodurch ein Verstoß gegen die Zustimmungspflicht der Wirksamkeit des Antrages gem. Art. 61 Abs. 1 EuInsVO im Ergebnis nicht entgegenstehen wird. Vgl. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 15; a. A. Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.19; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 27. 1440 Vgl. BT-Drs. 18/10823, S. 37. 1441 So betitelt durch ErwG 55 S. 3 EuInsVO. 1442 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 61 Rn. 12; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.21; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 29 f. 1443 Nachdem gem. Art. 63 Abs. 2 EuInsVO alle Bestandteile des Antrags in der Mitteilung des Gerichts an die anderen Verwalter gem. Art. 63 Abs. 1 Hs. 1 EuInsVO aufzulisten sind, sollte der Antrag keine vertraulichen Informationen enthalten, Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 18.

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aa) Vorschlag bezüglich der Person des Koordinators Nach Art. 61 Abs. 3 lit. a EuInsVO müssen dem Antrag ein Vorschlag bezüglich der Person1444, die zum Koordinator ernannt werden soll, Angaben zu ihrer Eignung nach Art. 71 EuInsVO, Angaben zu ihrer Qualifikation und ihre schriftliche Zustimmung zur Tätigkeit als Koordinator beigefügt werden. Der Begriff „Eignung“ ist in diesem Kontext weit zu verstehen, sodass nicht nur abstrakt darzulegen ist, dass der potenzielle Koordinator gem. Art. 71 Abs. 1 EuInsVO nach dem Recht eines Mitgliedstaats geeignet ist, als Verwalter tätig zu werden. Es muss auch aufgezeigt werden, dass der Koordinator gem. Art. 71 Abs. 2 EuInsVO kein Verwalter in einem Verfahren der Gruppenmitglieder ist und dass kein Interessenkonflikt hinsichtlich der Mitglieder der Gruppe, ihrer Gläubiger und der für die Mitglieder der Gruppe bestellten Verwalter vorliegt.1445 Dies ergibt sich zum einen aus der Tatsache, dass auf alle Absätze des Art. 71 EuInsVO verwiesen wird. Zum anderen müssen potenzielle Interessenkonflikte an dieser Stelle einbezogen werden, da sie anderenfalls in keinem anderen Prüfpunkt Berücksichtigung finden würden und gegenstandslos wären. Die Beschreibung der Qualifikation muss über die Erläuterungen zur Eignung hinausgehen. Es muss die konkrete Qualifikation in Form von Expertise, Sprachkenntnissen, Empfehlungen usw. dargelegt werden.1446 Hohe Anforderungen an den Koordinator sind nötig, damit er seinen Aufgaben, wie von Art. 72 Abs. 5 EuInsVO vorgegeben, mit der gebotenen Sorgfalt ausführen kann.1447 Besonders hervorzuheben ist, wenn die Person schon zuvor mit Konzerninsolvenzen zu tun hatte.1448 Eine Tauglichkeit als Mediator ist ebenso zu begrüßen,1449 da dem Koordinator aufgrund seiner neutralen Stellung gerade im Bereich der Konfliktbeilegung eine bedeutende Rolle zukommen wird. Nicht umsonst wird das Koordinationsverfahren oft als Mediationsverfahren bezeichnet. Der Erfolg des Koordinationsverfahrens wird insbesondere von solchen „weichen“ Faktoren wie Reputation, Überzeugungskraft und diplo1444 Sowohl Namen als auch Kontaktdaten, J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 32. 1445 Im Ergebnis auch J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 33. Siehe zu den Anforderungen ausführlich S. 383 ff. 1446 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 71 Rn. 5; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 34; Vallender, ZInsO 2015, 57, 62. 1447 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 71.02; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 71 Rn. 2. 1448 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 71 Rn. 5; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 34; Vallender, ZInsO 2015, 57, 62 f. 1449 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 71 Rn. 5; Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 61 Rn. 17; Vallender, ZInsO 2015, 57, 62 f.

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matischer Kunstfertigkeit abhängen.1450 Netzwerke wie INSOL Europe können dabei eine gute Chance bieten, einen Pool an geeigneten Kandidaten aufzubauen.1451 Die schriftliche1452 Zustimmung zur Tätigkeit als Koordinator ist erforderlich, da ein Vorschlag „ins Blaue“ nicht zielführend wäre und den Prozess erheblich verzögern würde. Der potenzielle Koordinator soll sich während des Eröffnungsverfahrens nicht mehr ändern, da von seiner Person die Erfolgsaussichten des ganzen Verfahrens abhängen. Die Informationen sind für das mit der Antragstellung befasste Gericht notwendig, da der Verwalter oftmals aus einem anderen Mitgliedstaat stammen und daher dem Gericht nicht bekannt sein wird.1453 Falls der vorgeschlagene Koordinator zuvor als Verwalter in einem anderen Verfahren bestellt war, sollte mit dem für dieses Verfahren ehemals zuständigen Gericht kommuniziert werden, damit sich ein genaues Bild über das damalige Handeln gemacht werden kann und Rückschlüsse auf das bevorstehende Verfahren gezogen werden können.1454 bb) Darlegung eines Gruppen-Koordinationskonzepts Nach Art. 61 Abs. 3 lit. b EuInsVO ist eine Darlegung der vorgeschlagenen Gruppen-Koordination als Anlage beizufügen. Die Ausarbeitung eines umfassenden und detailreichen Plankonzepts wird nicht gefordert sein, 1455 da das Vorschlagsrecht des Koordinationsplans gem. Art. 72 Abs. 1 lit. b EuInsVO dem Koordinator zukommt und im Antragstadium noch nicht mehr als die Eckpunkte der Koordinierung in Form eines Entwurfs der Koordination abgesteckt werden können. Dass mit „Darlegung der vorgeschlagenen Gruppen-Koordination“ aus Art. 61 Abs. 3 lit. b EuInsVO ein „Entwurf der Koordination“ gem. Art. 68 Abs. 1 lit. b EuInsVO gemeint ist, ergibt sich aus der englischen Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 61 Rn. 13. Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 61 Rn. 13. 1452 Auf Basis einer autonomen Auslegung ist unter „schriftlich“ keine Schriftform im Sinne des deutschen § 126 Abs. 1 BGB, sondern lediglich eine Textform (vergleichbar mit § 126b BGB) zu verstehen, J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 35. 1453 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 71 Rn. 6; Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 19 u. 22. 1454 Falls es sich dabei um ein Verfahren eines Mitgliedes derselben Gruppe handelte und eben dieses Gericht immer noch oder erneut zuständig ist, kann die intergerichtliche Kommunikation auf Art. 57 EuInsVO gestützt werden, vgl. Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 71 Rn. 9. 1455 Solch einen Plan mit Verweis auf ErwG 55 S. 3 EuInsVO fordernd Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 17 u. 28. In Art. 61 Rn. 22 schränkt er dies allerdings dahingehend ein, dass „nur überhaupt und formal gesehen ein Plankonzept oder -entwurf vorgestellt werden“ muss. 1450

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Sprachfassung, die an beiden Stelle die gleiche Terminologie „outline“ verwendet.1456 Es ist überdies nur sinnvoll, dass das Gericht bei der Eröffnungsentscheidung über genau das urteilt, was im Antrag vorgelegt wurde. Aufgabe des Antragstellers ist es, das Verfahren in Gang zu bringen, die konkrete Situation zu schildern und deutlich zu machen, dass ein Koordinationsverfahren abstrakt nützlich ist. Damit sind im Antrag lediglich die wesentlichen Elemente der vorgeschlagenen Koordination zu beschreiben.1457 Insbesondere wenn der Antrag von einem Verwalter eines weniger bedeutenden Gruppenunternehmens stammt, wird es schwierig sein, einen Koordinationsplan vorzulegen. Es wäre jedoch wenig gewinnbringend zu verlangen, dass dieses Unternehmen Ressourcen aufwendet, um solch einen Plan aufzustellen, obwohl die Erfolgsaussichten fraglich sind und noch nicht mal klar ist, welche Gruppenunternehmen tatsächlich an der Koordination partizipieren. Der Plan ergibt sich eher aus einem Entwicklungsprozess, welcher an dieser Stelle lediglich initiiert wird.1458 Dennoch sollte der antragstellende Verwalter auch schon in diesem Stadium in eine Kooperation mit den anderen Verwaltern eintreten, um deren Einstellung hinsichtlich eines Koordinationsverfahrens herauszufinden und den Antrag entsprechend anzupassen.1459 Möglich ist auch, dass die Grundzüge des Koordinationsplans schon im Vorfeld mit dem potenziellen Koordinator besprochen werden.1460 Der Kooperationsentwurf muss dabei nicht zwangsläufig eine Sanierung im Blick haben. Genauso gut ist es möglich, eine koordinierte Liquidation auszuarbeiten, denn diese kann ebenso zu Effizienzgewinnen bei den Verfahrensbeteiligen führen.1461 Allerdings verlangt ErwG 57 S. 2 EuInsVO, dass das Gericht, bei dem ein Antrag auf ein Koordinationsverfahren gestellt wurde, bei der Eröffnung des Koordinationsverfahrens prüft, ob die Ziele des Koordinationsverfahrens erfüllbar sind. Demnach müssen die Eckpunkte der Koordination zumindest so 1456 Fritz, DB 2015, 1945, 1947; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 61 Rn. 10; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 61 Rn. 12 f.; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 37. 1457 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 61 Rn. 10; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.25; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 38. 1458 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.25; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 38. 1459 Dies gilt insbesondere, da die Darlegung im Verlauf des Eröffnungsverfahrens nicht mehr geändert werden kann, Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.26; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 40. 1460 Problematisch dabei dürfte allerdings die Frage der Vergütung des potenziellen Koordinators werden, Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 71 Rn. 8. Dies gilt insbesondere, wenn eine spätere Bestellung dieser Person nicht erfolgt. 1461 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 12; in Bezug auf den Koordinationsplan im deutschen nationalen Konzerninsolvenzverfahren, wobei diese Gedanken auf den internationalen Bereich übertragbar sind, Wimmer, DB 2013, 1343, 1349.

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klar umrissen und mit einer Begründung versehen sein, dass auf Basis dieser das Gericht zu der Überzeugung gelangen kann, dass die Voraussetzungen aus Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 lit. a–c EuInsVO erfüllt sind, da sich in diesen genau die Ziele des Koordinationsverfahrens widerspiegeln. Insbesondere sollen die einzubeziehenden Unternehmen und die verbindenden Leistungsbeziehungen und finanzielle Verknüpfung aufgeführt und dargestellt werden.1462 cc) Liste der für die Mitglieder der Gruppe bestellten Verwalter, der zuständigen Gerichte und anderer zuständiger Behörden Art. 61 Abs. 3 lit. c EuInsVO verlangt eine Liste der für die Mitglieder der Gruppe bestellten Verwalter und gegebenenfalls der Gerichte und zuständigen Behörden, die in den Insolvenzverfahren über das Vermögen der Mitglieder der Gruppe betroffen sind. Wichtig ist, dass tatsächlich alle Mitglieder der Gruppe und deren Kontaktdaten aufgelistet werden, damit der Unterrichtungspflicht des für die Verfahrenseinleitung zuständigen Gerichts nach Art. 63 Abs. 1 Hs. 1 EuInsVO vollumfänglich nachgekommen werden kann.1463 Dem Antragsteller steht es nicht zu, bei den Daten eine Vorauswahl zu treffen.1464 Ebenso sind auch Daten hinsichtlich der Verfahren über Mitglieder der Gruppe, die in Drittstaaten eröffnet wurden, beizufügen, da es für eine funktionsfähige Kooperation ebenfalls entscheidend ist, diese einzubeziehen bzw. zumindest über das Ausmaß der Gruppeninsolvenz informiert zu sein.1465 Dies gilt insbesondere, da auch eine Kooperationspflicht gegenüber Gruppenunternehmen aus Drittstaaten besteht, solange diese zu einer effektiveren Verfahrensdurchführung beiträgt. 1466 Eine unvollständige Liste sollte den Antrag nicht unzulässig oder unbegründet machen.1467 Da die Liste allerdings wichtig für den weiteren Informationsfluss in dem Eröffnungsverfahren ist, sollte die Pflicht einer Nachbesserung bestehen, wenn zu einem späteren Zeitpunkt beispielsweise neue Verfahren eröffnet wurden oder der Antragsteller in den Besitz weiterer Kontaktdaten gekommen ist.1468 Falls tatsächlich eine Information eines anderen Verfahrens aufgrund fehlender Kontaktdaten unterbleibt, ist MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 61 Rn. 13. Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.27; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 45 u. 47; ebenfalls sich die Daten der Insolvenzverfahren aufzunehmen, die noch nicht eröffnet wurden, für die jedoch bereits ein Antrag auf Eröffnung gestellt wurde, MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 61 Rn. 11; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 61 Rn. 14. 1464 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 23. 1465 Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 61 Rn. 20; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 46. 1466 Siehe hierzu S. 211 ff. 1467 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 604; Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 61 Rn. 22. 1468 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 61 Rn. 17. 1462

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dieses Verfahren über die Möglichkeit des nachträglichen Opt-ins gem. Art. 69 EuInsVO geschützt.1469 Ein während des Eröffnungsverfahrens beendetes oder endgültig nicht eröffnetes Einzelverfahren kann nicht in ein Koordinationsverfahren einbezogen werden1470 und ist von der Liste zu streichen.1471 Abhängig von der Ausgestaltung der Insolvenzverfahren in den einzelnen Mitgliedstaaten sollten ebenfalls die entscheidungsrelevanten Organe von Schuldnern in Eigenverwaltung aufgeführt werden. Eine konkrete Funktionsbeschreibung ist an dieser Stelle noch nicht zu verlangen.1472 Es würde ein für dieses Verfahrensstadium zu hohen Aufwand auf Basis von Rechtsgutachten erfordern, um feststellen zu lassen, welche Aufgaben den jeweiligen Organen in den unterschiedlichen beteiligten Rechtsordnungen zukommen. Diese Informationen werden ohnehin erst relevant, wenn es um die Empfehlungen für eine koordinierte Durchführung der Insolvenzverfahren und die Ausarbeitung des Koordinationsplans geht. Für diesen Plan ist jedoch der Koordinationsverwalter nach Art. 72 Abs. 1 EuInsVO zuständig. Unter „zuständige Behörden“ sind diejenigen Behörden zu fassen, die insolvenzspezifisch für die Durchführung und Beaufsichtigung der Insolvenzverfahren verantwortlich sind.1473 In den meisten Rechtsordnungen werden dies die Insolvenzgerichte sein, die ohnehin schon gesondert aufgeführt sind. Darüber hinaus fallen auch Aufsichtsbehörden, Steuerbehörden oder Sozialversicherungsträger, die nach der jeweiligen lex fori concursus am Insolvenzverfahren beteiligt sind,1474 unter zuständige Behörden. 1475 Dies ist zwar ein recht weites Verständnis, eine Liste dieser Institutionen ist allerdings nach dem Wortlaut der EuInsVO nicht zwingend („gegebenenfalls“).1476 Ein erheblicher Aufwand zur Feststellung, welche Behörden in den unterschiedlichen beteiligten Rechtsordnungen zuständig sind, ist daher nicht erforderlich. Solch eine umfassende Liste kann aber gleichzeitig bei der Ausarbeitung eines umfassenden Koordinationsplans, der alle Interessen der Beteiligten berücksichtigen sollte, sehr dienlich sein. 1469 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 604; Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 61 Rn. 22. 1470 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 14. 1471 Hinsichtlich der Änderungsmöglichkeit des Eröffnungsantrags siehe S. 378. 1472 A. A. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 23. 1473 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 24. 1474 Dabei ist insbesondere an Garantieeinrichtungen i. S. d. Art. 3 der „InsolvenzgeldRichtlinie“ (in Deutschland die Bundesagentur für Arbeit) zu denken, J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 44. 1475 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.27; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 44. 1476 Das Antragsverfahren würde anderenfalls unnötig verzögert werden. Es ist grundsätzlich Aufgabe der Verwalter der Einzelverfahren, diese Behörden über das Koordinationsverfahren in Kenntnis zu setzen.

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dd) Darstellung der geschätzten Kosten und der jeweiligen Anteile für die Gruppenmitglieder Nach Art. 61 Abs. 3 lit. d EuInsVO ist eine Darstellung der geschätzten Kosten der vorgeschlagenen Gruppen-Koordination und eine Schätzung des von jedem Mitglied der Gruppe zu tragenden Anteils dieser Kosten dem Antrag beizufügen.1477 Unter Kosten sind alle durch die Koordination verursachten Vermögensnachteile zu verstehen, 1478 da nur so eine umfassende Kostenanalyse durchgeführt werden kann. Die Kostenschätzung stellt die Grundlage für die Entscheidung des Gerichts nach Art. 68 Abs. 1 lit. c EuInsVO dar. Aufgrund der hohen Planungsunsicherheit und der erheblichen Anzahl an Informationen, die benötigt werden, um solch eine Analyse durchzuführen, sind die Anforderungen an die Kostenplanung eher gering zu halten.1479 Dies gilt insbesondere, da zu dem Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht klar ist, welche Unternehmen überhaupt an der Koordination teilnehmen. 1480 Nachdem der Koordinator später an die Kostenschätzung gebunden ist und über Art. 72 Abs. 6 EuInsVO schon eine Kostensteigerung von über 10 % von dem Koordinationsgericht genehmigen lassen muss, sollte danach gestrebt werden, eine so weit wie möglich realitätsnahe Kostenschätzung aufzustellen. Dafür sind Experten als Sachverständige zu engagieren, da das entscheidende Gericht eine ex-ante-Perspektive eines objektiven Insolvenzexperten im Zeitpunkt der Antragstellung als Maßstab für seine Eröffnungsentscheidung ansetzen wird.1481 Damit ein realistisches Bild eines angemessenen und vorhersehbaren Kostensystems entsteht, ist überdies schon zu diesem Zeitpunkt ein konkreter Vorschlag zur Art der Vergütung des Koordinators festzuhalten, über den mit der Eröffnungsentscheidung des Gerichts verbindlich entschieden wird.1482 In die Aufstellung haben die Anforderungen nach ErwG 58 S. 1 u. 2 EuInsVO einzufließen. Danach sollen die Kosten des Koordinationsverfahrens dessen Vorteile nicht überwiegen. Es ist sicherzustellen, dass die Kosten der Koordinierung und der von jedem Gruppenmitglied zu tragende Anteil an diesen Kosten angemessen, verhältnismäßig und vertretbar sind. Die Angemessenheit der Kosten ist die primäre Leitlinie bei der Kostenverteilung und nach 1477 Der Anteil wird wohl in Prozent der Gesamtkosten angegeben werden, Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.19; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 24. 1478 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 25. 1479 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 26; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 61 Rn. 17. 1480 MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 61 Rn. 18. 1481 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 49; daran anschließend auch Nerlich/Römermann/Nerlich/Hübler, InsO, 33. EL September 2017, EuInsVO Art. 60 Rn. 3. 1482 Fritz, DB 2015, 1945, 1948.

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den konkreten Umständen des Einzelfalls zu bestimmen.1483 Die Verhältnismäßigkeit beschreibt lediglich, dass die Kostenzuweisung nach einem gewissen Proporz zu erfolgen hat, welcher sich allerdings aus unterschiedlichen Anknüpfungspunkten ergeben kann und auch zur Relation der wahrgenommenen Aufgaben zu stehen hat.1484 Es ist zu versuchen nicht nur die Kosten, sondern auch den Nutzen aufzuführen, da nur anhand beider Komponenten eine Angemessenheits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt werden kann. Die Vertretbarkeit liefert gegenüber den zwei anderen Aspekten keinen entscheidungsrelevanten Zugewinn. Die Aufteilung der Kosten auf die einzelnen Verfahren kann sich entscheidend nach dem jeweiligen Verhältnis der Insolvenzmassen richten. 1485 Die Größe der Massen kann der antragstellende Insolvenzverwalter über Art. 56 Abs. 1 EuInsVO sowie Art. 58 Hs. 1 lit. b EuInsVO herausfinden.1486 Eine andere Option ist, die Kosten an der Größe der Bilanzsummen zu verteilen, falls die Größe der Insolvenzmassen in einem frühen Stadium der Verfahren noch nicht feststeht.1487 Allerdings erscheint es ein wenig befremdlich und unzweckmäßig, die späteren Kostenfragen von der in dem Antrag benannten Summe bzw. dem aufgeführten Aufteilungsverhältnis abhängig zu machen, da zu diesem Zeitpunkt noch viel zu wenig Informationen – insbesondere die Anzahl der teilnehmenden Verfahren – bekannt sein werden.1488 Leider kann die Kostenfestsetzung des Antrags im weiteren Verlauf des Eröffnungsverfahrens nicht angepasst werden. Daher sollte der Antragsteller sich bemühen, so weit wie möglich mit den anderen Verwaltern in eine Kooperation nach Art 56 EuInsVO einzutreten und auf diesem Wege alle nötigen Informationen zu beschaffen.1489 Schlussendlich wird eine realistische Kostenschätzung nur dann möglich sein, wenn im Vorfeld alle Gruppenunternehmen an dem Antragsverfahren partizipieren. Es erscheint daher sinnvoll, dass ein gemeinsamer Antrag auf Basis einer Gerichtsstandsvereinbarung gem. Art. 66 EuInsVO formuliert und eingereicht wird.1490 1483 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.5 f.; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 6 f. 1484 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.7; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 9 f. 1485 Alternativ vorschlagend, sich bei der Kostenaufteilung an den Koordinationsvorteilen für die einzelnen Gruppenmitglieder zu orientieren, Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 13. Diese Vorteile dürften jedoch in der Praxis recht schwer zu beziffern sein. 1486 MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 61 Rn. 17. 1487 MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 68 Rn. 6. 1488 Zu Kriterien im Zusammenhang der Kostenendabrechnung siehe S. 435 ff. 1489 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 61.29; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 50. 1490 Siehe hierzu S. 351 f.

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Fraglich ist, wer die Kosten der Antragsstellung zu übernehmen hat. Hierbei muss unterschieden werden. Ist der Antrag erfolgreich, fallen die oftmals nicht unerheblichen Kosten der Antragstellung mit der Eröffnungsentscheidung unter die Kosten des Koordinationsverfahrens und sind damit auf Basis eines angemessenen und verhältnismäßigen Maßstabs gem. ErwG 58 i. V. m. Art. 77 EuInsVO unter allen beteiligten Verfahren aufzuteilen. Die Verwalter könnten anderenfalls aufgrund der Kosten von einer Antragstellung abgeschreckt oder durch die Gläubiger des eigenen Verfahrens sogar abgehalten werden. Dies wäre nicht im Sinne einer effizienten Anwendung europäischen Rechts. Gleiches gilt hinsichtlich der Kostenverteilung, wenn der Antrag aufgrund einer Prorogation oder eines Konsenses abgeändert wurde, da diese Abänderung immer noch den ursprünglichen Antrag als Basis hat. Anderes ergibt sich, wenn der Antrag abgelehnt und kein Koordinationsverfahren eröffnet wird. Eine Aufteilung der Kosten ist in diesem Fall nicht möglich. Analog zu Art. 59 EuInsVO wird das Verfahren des Antragstellers diese Kosten zu tragen haben.1491 2. Vorprüfung durch das zuständige Gericht Wurde ein Antrag auf Eröffnung eines Koordinationsverfahrens gestellt, unterrichtet das mit dem Antrag befasste Gericht gem. Art. 63 Abs. 1 Hs. 1 EuInsVO so bald als möglich die für die Mitglieder der Gruppe bestellten Verwalter, die im Antrag gem. Art. 61 Abs. 3 lit. c EuInsVO aufgeführt sind, über den Antrag selbst und die Person des vorgeschlagenen Koordinators. Voraussetzung dieser Mitteilungspflicht ist, dass das zuständige Gericht davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen nach Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 lit. a–c EuInsVO vorliegen. Diese Vorprüfung stellt den wesentlichen Regelungsgehalt des Art. 63 EuInsVO dar, wodurch er weit über den durch die Überschrift suggerierten Inhalt hinausgeht.1492 Im Sinne einer schnellen Vorprüfung und damit eines effizienten Verfahrens soll natürlich nicht nur die Mitteilung anschließend an die Vorprüfung, sondern die ganze Vorprüfung als solche in einem kurzmöglichsten Zeitraum erfolgen.1493 Eine Mitteilung hat jedoch nur bei einer positiven Vorprüfungsentscheidung zu erfolgen. Für den Fall, dass das Im Ergebnis auch Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 14. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 1; Nerlich/Römermann/Nerlich/Hübler, InsO, 33. EL September 2017, EuInsVO Art. 62 Rn. 1. 1493 Mangano in: Bork/Mangano, European Cross-Border Insolvency Law, 2016, Rn. 8.61; Madaus, IILR 2015, 235, 244; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 63 Rn. 10; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 63 Rn. 17; Flöther/Undritz, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 8 Rn. 115; als Richtwert soll dem Gericht eine Bearbeitungszeit von ca. einer Woche eingeräumt werden, sofern der Eröffnungsantrag keine Fragen aufwirft, die der Antragsteller erst durch Ergänzungen oder Klarstellungen ausräumen muss, Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 23. 1491

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Gericht die beantragte Koordination nicht für sinnvoll bzw. den vorgeschlagenen Koordinator nicht für geeignet hält, hat sich das Verfahren mangels Vorgaben in der EuInsVO nach dem Recht des für die Eröffnung zuständigen Gerichts zu richten.1494 Grundsätzlich muss dem Gericht allerdings die Möglichkeit offenstehen, den Antrag einfach zurückzuweisen. a) Prüfungsmaßstab Der Beweismaßstab der Vorprüfung ist durch Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 EuInsVO begrifflich unionsautonom vorgegeben. Es wird angeordnet, dass das Gericht von dem Vorliegen der anschließend aufgeführten Voraussetzungen „überzeugt“ sein muss. Da es für das europäische Beweisrecht keine einheitlichen Vorgaben gibt, muss für die Ausfüllung dieser Terminologie – vergleichbar mit der gerichtlichen Prüfung im Zusammenhang des Art. 60 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO – die lex fori coordinarii herangezogen werden. Tendenziell dürfte kein Vollbeweis, sondern eher ein Typus Glaubhaftmachung und damit eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gefordert sein.1495 Bei der Prüfung handelt es sich lediglich um eine Vorprüfung, durch die vor allem unsinnige Anträge aussortiert werden sollen.1496 Nur solche Anträge, die tatsächlich ein Potenzial bezüglich eines effektiven Koordinationsverfahrens besitzen, sollen das weitere zeitintensive Eröffnungsverfahren einleiten können. Das Gericht hat demnach eine Schlüssigkeitsprüfung durchzuführen.1497 Es ist zu verlangen, dass das Gericht es zumindest für wahrscheinlich hält, dass die Voraussetzungen nach Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 lit. a–c EuInsVO vorliegen, wobei ihm ein weiter Beurteilungsspielraum einzuräumen ist.1498 Die umfassendere Prüfung auf Basis aller wichtiger Informationen findet im Zuge der Eröffnungsentscheidung statt, wobei der Prüfungsmaßstab auch dort nicht erhöht ist. Die abschließende Entscheidung, ob das Koordinationsverfahren tatsächlich den gewünschten Nutzen bringt, obliegt den Verwaltern. Sie haben abzuwägen, ob sie an dem Verfahren partizipieren wollen oder nicht. Fraglich ist, ob sich diese Wahrscheinlichkeit allein aus dem Antrag ergeben muss oder ob dem Gericht auch eine Amtsermittlungspflicht obliegt. Wie im Zusammenhang des Art. 60 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO liegt dem Terminus der „Überzeugung“ ein Prozess zugrunde, der sich nicht automatisch anhand eines statischen Anknüpfungspunktes ergibt.1499 Überdies handelt es sich bei dem Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 63 Rn. 6. Siehe zu der Einordnung im deutschen Recht im Zusammenhang mit Art. 60 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO S. 324. 1496 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 63.02; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 63 Rn. 2. 1497 MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 63 Rn. 2. 1498 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 63 Rn. 3. 1499 Siehe hierzu S. 324 f. 1494

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Koordinationsverfahren nicht um ein streng kontradiktorisches Verfahren, was ebenfalls dafür spricht, dass dem Gericht eine Amtsermittlungspflicht – im Mindestumfang vergleichbar mit der aus Art. 4 Abs. 1 S. 1 EuInsVO1500 – aufzuerlegen ist.1501 Demnach ist dem Gericht aufgetragen, seine Überzeugung auch auf Basis weiterer Nachforschungen herauszubilden.1502 Wenngleich dem zuständigen Gericht eine Amtsermittlungspflicht zukommt, sollte der antragstellende Verwalter in der Antragsbegründung im Zusammenhang mit dem Entwurf des Koordinationsplanes gem. Art. 61 Abs. 3 lit. b EuInsVO Erläuterungen dazu machen, warum die Eröffnung eines Koordinationsverfahrens die effektive Führung der Insolvenzverfahren erleichtern kann. 1503 Sollten sich hieraus noch Zweifel ergeben, ist das Gericht auf Basis seiner Amtsermittlungspflicht dazu angehalten, insbesondere mit den Verwaltern über Art. 58 EuInsVO (unter besonderen Umständen auch mit den Gläubigern) zu kommunizieren, um weitere Informationen zu erlangen.1504 Die Amtsermittlung sollte im Rahmen der Vorprüfung allerdings zurückhaltend ausfallen, um das Verfahren nicht zu verzögern. b) Prüfungsinhalt Nach Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 lit. a EuInsVO muss das Gericht davon überzeugt sein, dass die Eröffnung eines Koordinationsverfahrens die effektive Führung der Insolvenzverfahren über das Vermögen der verschiedenen Mitglieder der Gruppe erleichtern kann. Dabei geht es nicht allein um die Effektivität der (isolierten) Verfahrensführung, sondern vor allem um verfahrensübergreifende Lösungen. 1505 Nach dem Wortlaut der lit. a und systematisch im Umkehrschluss zu lit. b1506 hat eine Verfahrenserleichterung bei allen Verfahren der Gruppe einzutreten, unabhängig davon, ob diese am Koordinationsverfahren Siehe hierzu S. 138 ff. In Bezug auf die Eröffnungsentscheidung, was jedoch auf die Entscheidung gem. Art. 63 Abs. 1 Hs. 1 EuInsVO übertragbar ist, Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 10. 1502 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 63 Rn. 4; ebenso Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 6 u. 22. Letzterer lässt später (Rn. 23) als Grundlage für die gerichtliche Überzeugung zwar allein den Eröffnungsantrag einschließlich seiner Anlagen gelten, damit wird wohl lediglich – allerdings etwas unglücklich ausgedrückt – festgestellt, dass dieser Antrag die Basis der Entscheidung darzustellen hat. 1503 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 11. 1504 Dem Gericht als zusätzliche Ermittlungskompetenzen lediglich Telefonate, Einblicke in elektronische Datenbanken und Register zubilligend Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 63 Rn. 5. Dies dürfte allerdings etwas zu kurz gegriffen sein. 1505 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 607. 1506 Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 lit. b EuInsVO betrifft nach dem Wortlaut nur solche Gruppenmitglieder, die voraussichtlich am Koordinationsverfahren teilnehmen werden. 1500

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partizipieren oder nicht. Dieses Verständnis ist einem effizienten Koordinationsverfahren jedoch abträglich, da die Unternehmen dazu geneigt wären, nicht an dem Koordinationsverfahren teilzunehmen und demnach auch keine Kosten zu tragen, aber dennoch den Nutzen aus der Verfahrenserleichterung abgreifen könnten. Die Verfahrenserleichterung sollte demnach nur den Unternehmen zugutekommen, die tatsächlich am Koordinationsverfahren partizipieren. 1507 Der zwischen lit. a und lit. b divergierende Wortlaut ist insofern zu interpretieren, als am Koordinationsverfahren nicht teilnehmende Verfahren zumindest keinen Nachteil erleiden sollen. Die Anforderungen an eine Verfahrenserleichterung sind allgemein nicht zu hochgesteckt. Es reicht schon aus, wenn durch das Koordinationsverfahren ein Informationsaustausch, beispielsweise auf Basis regelmäßiger Treffen der Verfahrensbeteiligten, initiiert wird, welcher die Zusammenarbeit der Verwalter hinsichtlich der Forderungsprüfung, Massesicherung und -verwertung, Datenaufarbeitung oder Konfliktbeilegung stärkt.1508 Bevorzugt sollte sich aus dem Koordinationsverfahren die Entwicklung eines gemeinsamen Sanierungsplans ergeben,1509 der genutzt werden kann, um das Überleben der Gruppe zu gewährleisten. Das Gericht hat diesbezüglich lediglich eine Evidenzkontrolle durchzuführen.1510 Das Gericht muss gem. Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 lit. b EuInsVO davon überzeugt sein, dass nicht zu erwarten ist, dass ein Gläubiger eines Mitglieds der Gruppe, das voraussichtlich am Verfahren teilnehmen wird, durch die Einbeziehung dieses Mitglieds in das Verfahren finanziell benachteiligt wird. Auf ErwG 57 S. 1 EuInsVO wird Bezug genommen, der vorgibt, dass sich das Koordinationsverfahren allgemein positiv auf die Gläubiger auswirken soll.1511 Es lässt sich eine Parallele zu den Voraussetzungen ziehen, welche für die Schaffung eines Gruppen-Gerichtsstandes nach dem deutschen § 3a InsO vorliegen müssen. So kann nach § 3a Abs. 2 InsO eine Verfahrenskonzentration abgelehnt werden, wenn sie nicht im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt.1512 Welche Relevanz Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 lit. b EuInsVO bei der Vorprüfung spielt, wird im Einzelfall davon abhängen, wie weit der Koordinationsplan schon ausgearbeitet ist, denn nur anhand dieses Plans lässt sich feststellen, welche Auswirkung die Koordination tatsächlich auf die einzelnen Gläubigergruppen mit sich bringt. Eine abstrakte Prüfung anhand einzelner Rahmenbeding-

So auch Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 10. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 12. 1509 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 12. 1510 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 63 Rn. 4; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 63 Rn. 3. 1511 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 63 Rn. 8. 1512 J. Schmidt, KTS 2018, 1, 19. 1507

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ungen wird schwer möglich sein.1513 Sind konkrete Folgen für die einzelnen Gläubiger aus dem Antrag nicht auszumachen, ist ein finanzieller Nachteil im Sinne des ErwG 58 S. 1 EuInsVO nur dann anzunehmen, wenn die potenziellen finanziellen Vorteile der Koordination die potenziellen Kosten des Koordinationsverfahrens nicht aufwiegen können.1514 Es ist demnach lediglich ein potenzieller monetärer Zuwachs in toto im Sinne des Kaldor-Hicks-Kriteriums vorausgesetzt. In diesem Fall besteht nämlich die Möglichkeit, einen tatsächlichen Ausgleich zwischen den Verfahren herbeizuführen und damit finanzielle Nachteile zu verhindern und eine pareto-optimale Situation zu schaffen.1515 Solch ein Ausgleich ist im Koordinationsverfahren ohne Weiteres möglich, da im Vergleich zur Kostenverteilung nach Art. 59 EuInsVO schon nach der Verordnungsvorgabe nicht jedes Verfahren die Kosten zu tragen hat, die bei ihm anfallen, sondern gem. ErwG 58 S. 2 EuInsVO eine angemessene, verhältnismäßige und vertretbare Aufteilung stattzufinden hat. Nachdem diese Voraussetzung lediglich für die Vorprüfung relevant ist und sich nur auf die Erwartungen des Gerichts bezieht, sagt sie nichts darüber aus, ob ein solcher Ausgleich später tatsächlich stattfinden wird. Das Gericht muss zu guter Letzt gem. Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 lit. c EuInsVO zu der Überzeugung gelangen, dass der vorgeschlagene Koordinator die Anforderungen gem. Art. 71 EuInsVO erfüllt. Hierfür sind die Angaben im Eröffnungsantrag gem. Art. 61 Abs. 3 lit. a EuInsVO von erheblicher Relevanz. Bei dem Koordinator muss es sich nach Art. 71 Abs. 1 EuInsVO um eine Person handeln, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats geeignet ist, als Verwalter tätig zu werden. Das Gericht wird ohne weitere Recherchen lediglich fähig sein, die Eignung bezüglich des eigenen Rechts festzustellen. Hinsichtlich der Verwaltereignung nach anderen Rechtsordnungen sind daher die Angaben im Eröffnungsantrag gem. Art. 61 Abs. 3 lit. a EuInsVO für die Prüfung heranzuziehen. Je ausführlicher der Antrag ist, desto einfacher gestaltet sich die Kontrolle. Des Weiteren hat das Gericht über Art. 57 EuInsVO mit den anderen Gerichten und gem. Art. 58 EuInsVO mit den anderen Verwaltern zu kooperieren und auf diesem Wege herauszufinden, ob der Koordinator die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt.1516 Kommt man auch hierüber zu keinem Ergebnis, sind Rechtsgutachten von Sachverständigen einzuholen. Im Einzelfall kann eine Anhörung 1513 Daher sind keine hohen Anforderungen an diesen Prüfungspunkt zu stellen, MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 63 Rn. 4. 1514 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 608; Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 14. 1515 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 63.08 im Anschluss an BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drs. 18/407, S. 36; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 63 Rn. 9. 1516 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 63 Rn. 7; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 63 Rn. 5.

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des jeweiligen Kandidaten erhellend sein.1517 Aufgrund der Kosten und Zeitverzögerung ist diese Möglichkeit – im Hinblick auf die Effizienz des Verfahrens – nachrangig zu nutzen.1518 Hinsichtlich bestehender Interessenkonflikte nach Art. 71 Abs. 2 EuInsVO sind zu diesem Zeitpunkt noch keine hohen Anforderungen an die Ermittlungen des Gerichts zu stellen. Falls vorhanden können relevante Informationen aus dem Antrag gezogen werden, selbst wenn dieser tendenziell nur zurückhaltend Angaben enthalten wird, die einem Koordinationsverfahren entgegenstehen. Die Interessenkonflikte werden sich daher erst nach Mitteilung des Koordinationsverlangens an die anderen Verwalter durch deren Einwände ergeben und damit erst in der Eröffnungsentscheidung nach Art. 68 EuInsVO volle Berücksichtigung finden. Es wäre allerdings möglich, den potenziellen Koordinator zu konsultieren und ihn selbst über eventuelle Interessenkonflikte und Verstrickungen zu befragen bzw. eine Zusicherung einzuholen, dass Interessenkonflikte nicht bestehen.1519 Eine Geeignetheit des potenziellen Koordinators spielt bei der Prüfung nach Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 lit. c EuInsVO keine Rolle. Diese dürfte lediglich im Zusammenhang mit der Frage, ob die Eröffnung eines Koordinationsverfahrens gem. Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 lit. a EuInsVO die effektive Führung der Insolvenzverfahren über das Vermögen der verschiedenen Mitglieder der Gruppe erleichtern kann, Berücksichtigung finden. 1520 Allerdings wird die Geeignetheit auch in diesem Zusammenhang nur dann einen Einfluss auf das Ergebnis der Prüfung des Gerichts haben, wenn der Koordinator völlig ungeeignet für seine Position ist, da sich selbst bei lediglich verminderter Geeignetheit eine Verfahrenserleichterung einstellen kann und dies für die Überzeugung des Gerichts ausreichen müsste. c) Rechtliches Gehör der Verwalter Schon zu dem Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung werden die Weichen hin zu einem Koordinationsverfahren gestellt. Somit können die Verwalter selbst auf die gerichtliche Überzeugung Einfluss nehmen, indem sie von ihrem rechtlichen Gehör nach Art. 63 Abs. 4 EuInsVO Gebrauch machen.1521 Damit hat das Gericht den Verwaltern die Gelegenheit zu geben, sich noch während des

Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 34. Sich allgemein für Sachverständigengutachten aussprechend Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 19. 1519 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 20. 1520 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 21. 1521 Die Art und Weise der Anhörung richtet sich nach dem Recht des jeweils befassten Gerichts, J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 63 Rn. 13. 1517

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Entscheidungsprozesses zu äußern.1522 Dass sich Abs. 4 auf diesen Abschnitt bezieht, ergibt sich aus dem Wortlaut, welcher von dem mit der Entscheidung „befassten“ Gericht spricht. Dies ist sinnvoll, da auf diese Weise evident ungeeignete Anträge, die keine Unterstützung der anderen Verwalter erfahren, aussortiert werden können. Eine gerichtliche Verhandlung ist hierfür nicht notwendig.1523 Das Gericht muss ebenfalls nicht proaktiv die Verwalter kontaktieren, um sie über ihre Möglichkeit des rechtlichen Gehörs zu informieren.1524 Die Mitteilung gem. Art. 63 Abs. 1 Hs. 1 EuInsVO, die sich zeitlich an die Vorprüfung des Gerichts anschließt, ist eigentlich erst dazu gedacht, die Verwalter in Kenntnis des Antrags des Koordinationsverfahrens zu setzten. Ein geplanter Antrag wird jedoch voraussichtlich – auf Basis des Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. a EuInsVO – schon eigenständig vor Antragstellung zwischen den Verwaltern kommuniziert werden, da eine Abstimmung des Antrags dessen Erfolgsaussichten erheblich erhöhen wird. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass die Verwalter bereits während der Vorprüfung des Gerichts von dem eingeleiteten Verfahren Kenntnis erlangen und somit von ihrem Anhörungsrecht Gebrauch machen können. Falls ein Verwalter erst durch die Mitteilung des Gerichts von der Einleitung des Koordinationsverfahrens Kenntnis erhält, hat dieser im Zwischenverfahren noch ausreichend Möglichkeit Stellung zu beziehen, sodass seine Verfahrensrechte als ausreichend gewahrt anzusehen sind. 3. Zwischenverfahren a) Gerichtliche Mitteilung an die Verwalter Nachdem das mit dem Antrag auf Eröffnung eines Koordinationsverfahren befasste Gericht im ersten Schritt überprüft hat, dass der Eröffnungsantrag die Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 EuInsVO erfüllt, hat das Gericht gem. Art. 63 Abs. 1 Hs. 1 EuInsVO so bald als möglich die für die Mitglieder Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 63.10; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 63 Rn. 11. Eine andere Ansicht in der Autorenschaft gewährt das Anhörungsrecht lediglich in Zusammenhang mit Art. 64 EuInsVO und beziehen es damit nur auf die Zeit nach der Mitteilung des Eröffnungsantrags (siehe zu der weiten Auslegung des Art. 63 Abs. 4 EuInsVO die Ausführungen auf S. 377). Vgl. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 28; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 63 Rn. 8; Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 63 Rn. 8; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 63 Rn. 9; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 64 Rn. 2. Allerdings spricht Esser anschließend (Rn. 30) selbst von einer Schutzschrift mit Argumenten gegen eine Verfahrenseröffnung, die bei dem befassten Gericht zu einem frühen Verfahrenszeitpunkt zu hinterlegen ist, sodass auf den Entscheidungsfindungsprozess schon eingewirkt werden können muss, bevor das Gericht erstmals eine Überzeugung zum Inhalt des Eröffnungsantrags gebildet hat. 1523 Tendenziell auch Madaus, IILR 2015, 235, 244. 1524 An solch eine Unterrichtungspflicht könnte man anhand des Wortlautes („gibt den beteiligten Verwaltern die Gelegenheit“) denken. 1522

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der Gruppe bestellten Verwalter über den Antrag auf Eröffnung eines Koordinationsverfahren und die Person des vorgeschlagenen Verwalters zu unterrichten. Damit wird der Anordnung aus ErwG 56 S. 2 EuInsVO genüge getan, nach welcher die Verwalter in einer frühen Phase des Koordinationsverfahrens eine fundierte Entscheidung über ihre Teilnahme an dem Koordinationsverfahren treffen können sollen. Andere Verfahrensbeteiligte als die Verwalter sind nicht durch das Gericht zu unterrichten, sondern müssen durch die Verwalter an die nötigen Informationen gelangen. Allerdings steht es dem Gericht frei, auch anderen Verfahrensbeteiligten – insbesondere den in Art. 61 Abs. 3 lit. c EuInsVO aufgeführten Gerichte und zuständigen Behörden – eine Mitteilung zukommen zu lassen,1525 da hierdurch der Kooperationsgedanke gefördert wird und notwendige Maßnahmen am schnellstmöglichen initiiert werden können. Fraglich ist, ob der Mitteilungspflicht genüge getan wird, wenn in der Mitteilung lediglich eine Zusammenfassung der Angaben des Eröffnungsantrags enthalten ist. Art. 63 Abs. 2 EuInsVO spricht hingegen davon, dass die gesamten Bestandteile des Antrags aufzulisten sind. Eine bloße Zusammenfassung des Eröffnungsantrags wäre einem effizienten Verfahren abträglich, da es den Verwaltern damit erheblich erschwert werden würde, auf den Antrag vollumfänglich einzugehen und Einwände darzulegen.1526 Um die Entscheidungen der Verwalter zu erleichtern und zu beschleunigen, wäre es sogar von Vorteil, wenn der Mitteilung auch die Entscheidungserwägungen des Gerichts aus der Vorprüfung hinzugefügt werden würden. Die Mitteilung ist gem. Art. 63 Abs. 3 EuInsVO eingeschrieben mit Rückschein – demnach per registrierter Sendung – aufzugeben. Ein Rückschein ist erforderlich, damit der tatsächliche Zugang und der genaue Zeitpunkt des Eingangs beweiskräftig festgehalten werden. Von diesem Zeitpunkt hängt ab, ab wann die nach Art. 64 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO festgesetzte 30 Tages-Frist für jeden Verwalter individuell zu laufen beginnt.1527 Das Gericht sollte jedoch nicht davon abgehalten werden, den Verwaltern eine Kopie auf elektronischem Wege zukommen zu lassen.1528

1525 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 63 Rn. 5; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 63.13; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 63 Rn. 16. 1526 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 26; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 63 Rn. 8. 1527 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 63.17 u. 64.15; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 63 Rn. 20 u. Art. 64 Rn. 16 f. Da eine Zustellung nicht erforderlich ist, findet die hinsichtlich Insolvenzverfahren grundsätzlich einschlägige EG-ZustVO 2007 keine Anwendung, MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 63 Rn. 10. 1528 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 63 Rn. 11.

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Fraglich ist, was mit Verfahren geschieht, die im Zeitraum nach der Mitteilung des Eröffnungsantrags und vor der eigentlichen Eröffnungsentscheidung eingeleitet und eröffnet werden. Diese Verfahren sind nicht in Art. 61 Abs. 3 lit. c EuInsVO aufgelistet, werden demnach auch nicht nach Art. 63 Abs. 1 Hs. 1 EuInsVO von dem Gericht informiert und können folglich keine Einwände gem. 64 EuInsVO einlegen. Sie können nicht einmal durch ein nachträgliches Opt-in gem. Art. 69 Abs. 1 Hs. 2 lit. b EuInsVO am Koordinationsverfahren partizipieren, da diese Möglichkeit lediglich den Verfahren offensteht, die eröffnet wurden, nachdem das Gericht das Koordinationsverfahren eröffnet hat. Es besteht Klärungsbedarf durch den europäischen Gesetzgeber. Grundsätzlich muss eine Einbeziehung dieser Verfahren möglich sein. Man könnte diesen Verfahren entweder gestatten, durch eine bis dato nicht vorgesehene Ergänzung des Eröffnungsantrags in den bisherig stattgefundenen Eröffnungsprozess – ab dem Zeitpunkt ihrer Verfahrenseröffnung – einzusteigen.1529 Falls eine Einbeziehung erst in den letzten Zügen der 30 Tages-Frist geschehen würde, könnte für die Einwendungen eine ausreichende, aber kürzere Notfrist greifen. Vorzugsweise sollte man jedoch eine Einbeziehung im laufenden Eröffnungsverfahren ablehnen, da die Eröffnungsentscheidung eine erhebliche Verzögerung erfahren könnte, was der Effizienz der Koordination abträglich wäre. Stattdessen ist – methodisch auf Basis einer teleologischen Reduktion des Wortlautes aus Art. 69 Abs. 1 Hs. 2 lit. b EuInsVO – ein Einbeziehen über ein nachträgliches Opt-in zulassen.1530 Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Abstimmung mit diesen Verfahren gem. Art. 56–58 EuInsVO während der Eröffnungsphase zu unterlassen ist. Durch eine Koordination ist das spätere Opt-in schon frühzeitig vorzubereiten. Einzige Ausnahme stellt eine Einbeziehung auf Basis eines Konsenses aller Verwalter dar. Sind sich alle Beteiligten einig, dass das Verfahren schon zu einem früheren Zeitpunkt inkludiert werden soll und ergeben sich keine Verzögerungen, ist kein Grund ersichtlich, warum eine Einbeziehung nicht möglich sein sollte.1531 Ganz im Gegenteil, dies wäre der Effizienz des Koordinationsverfahrens zuträglich, da schon von Anfang an mit diesem Verfahren geplant werden kann. b) Einwände der Verwalter gegen die Einbeziehung oder den Koordinator Jeder für ein Mitglied einer Gruppe bestellter Verwalter kann gem. Art. 64 Abs. 1 lit. a EuInsVO ein Einwand gegen die Einbeziehung des Verfahrens, für das er bestellt wurde, erheben (vorheriges Opt-out). Diese Opt-out-Möglich1529 Einen ähnlichen Vorschlag hinsichtlich dieses Problemfalls liefernd Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 4 ff.; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 68 Rn. 9. 1530 Siehe hierzu auch S. 425. 1531 Siehe zu der Möglichkeit einer Änderung des Antrags auf Basis eines Konsenses aller Verwalter S. 378.

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keit war in der legislativen Entschließung des Parlaments vom 5.2.2014 noch nicht vorhanden. Sie wurde erst auf Initiative des Rates1532 eingefügt und soll die Freiwilligkeit des Koordinationsverfahrens, die als Grundsatz in ErwG 56 S. 1 EuInsVO niedergeschrieben ist, sichern.1533 Nach ErwG 60 EuInsVO wird der Verwalter allerdings nicht von den allgemeinen Kooperationsvorschriften gem. Art. 56–60 EuInsVO befreit. Der Einwand muss gem. Art. 64 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO bei dem Gericht erhoben werden, das mit dem Antrag auf Eröffnung des Verfahrens befasst ist. Hat ein Verwalter solch einen Einwand erhoben, wird dieses Verfahren gem. Art. 65 Abs. 1 EuInsVO ipso iure mit Erhebung des Einwands nicht in das Koordinationsverfahren einbezogen,1534 sodass gem. Art. 65 Abs. 2 EuInsVO das zuständige Gericht und der Koordinator keine Befugnisse über ihn und sein Verfahren haben und auch keine Kosten für das herausoptierte Verfahren entstehen können. Hieraus kann sich ein erhebliches Blockade- und Missbrauchspotenzial entwickeln. Die Verwalter können die Androhung eines Opt-outs dazu nutzen, um auf die anderen Verwalter Druck auszuüben. 1535 Probleme entstehen insbesondere, wenn ein wichtiges Gruppenmitglied beschließt, tatsächlich nicht am Koordinationsverfahren teilzunehmen.1536 Daher ist es aus der Sicht rein nationaler deutscher Konzerninsolvenzen zu begrüßen, dass sich das nahezu äquivalent ausgestaltete deutsche Koordinationsverfahren gegen das europäische System mit Opt-out und Opt-in entschieden hat.1537 Die Beantragung eines Opt-outs steht allein den Verwaltern – dem antragstellenden Verwalter jedoch nur eingeschränkt 1538 – offen. Die Verwalter 1532 Ein Vorschlag der französischen Ratsdelegation reichte sogar soweit, dass nur dann an Koordinationsverfahren partizipiert werden können sollte, wenn der Verwalter der Teilnahme ausdrücklich zugestimmt hat, Vorschlag der französischen Delegation in Ratsdok. 10688/14, S. 4 zu Art. 42da1 Abs. 2 EuInsVO-E. Hierauf hinweisend J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 64 Rn. 4; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 96. 1533 Bourbouloux/Loste, Rev. proc. coll. 2015, no 1, dossier 8 para. 26; Henry, D. 2015, 979, 985; Legrand, Petites affiches 2015, no 16, 8, 16; J. Schmidt, KTS 2015, 19, 39 f.; dies., Eurofenix Autumn 2015, 17, 18; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 64.4; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 64 Rn. 4; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 97; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 217. 1534 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 65 Rn. 5; Nerlich/Römermann/ Nerlich/Hübler, InsO, 33. EL September 2017, EuInsVO Art. 65 Rn. 4; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 65 Rn. 3. 1535 J. Schmidt, ZVglRWiss 116 (2017), 93, 111; dies., KTS 2018, 1, 12. 1536 J. Schmidt, ZVglRWiss 116 (2017), 93, 111 f.; dies., KTS 2018, 1, 12. 1537 Hierauf zu Recht hinweisend J. Schmidt, KTS 2018, 1, 26. 1538 Zwar kann der antragstellende Verwalter selbst Einwände gegen seinen eigenen Vorschlag erheben, ohne fundierte Begründung, worauf sein Sinneswandel zurückzuführen ist, müsste jedoch ein venire contra factum proprium angenommen werden, sodass der Einwand keine Berücksichtigung zu finden hätte, Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl.

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haben unabhängig von jedweden Einflüssen durch die anderen Verwalter oder Gerichte darüber zu entscheiden, ob ihr Verfahren an der Gruppen-Koordination partizipieren sollte. Dies ist zu begrüßen, da eine Erweiterung des Kreises von Einwendungsberechtigten das Eröffnungsverfahren erheblich verlängern und verkomplizieren würde. 1539 Sonstige Verfahrensbeteiligte können lediglich über nationale Instrumentarien die Entscheidung ihres Verwalters hinsichtlich der Partizipation am Koordinationsverfahren beeinflussen. 1540 So kann eine Verweigerung der Partizipation zu masseschädigenden Ergebnissen führen, wofür er nach nationalen Vorschriften zur Rechenschaft gezogen werden könnte. 1541 Aus diesem Grund legt die EuInsVO den Verwaltern nach Art. 64 Abs. 3 EuInsVO die Pflicht auf, die Genehmigungen, die gegebenenfalls im Innenverhältnis erforderlich sind, einzuholen, bevor eine Entscheidung zu ergehen hat. Solch ein Zustimmungsvorbehalt findet sich im deutschen Recht in Art. 102c § 23 Abs. 2 Nr. 1 EGInsO wieder. Die Zustimmung gem. §§ 160, 161 InsO ist notwendig, wenn der Verwalter die Erklärung eines Einwands nach Art. 63 Abs. 1 lit. a EuInsVO beabsichtigt und die Durchführung des Koordinationsverfahrens von besonderer Bedeutung für das deutsche Verfahren des Gruppenmitglieds ist.1542 Die besondere, nicht bloß untergeordnete Bedeutung dürfte regelmäßig vorhanden sein. 1543 Diese Genehmigungs-

2016, 64.07; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 64 Rn. 7; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 98. 1539 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 64.08; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 64 Rn. 8. 1540 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 64 Rn. 2; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 64.08; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 64 Rn. 8; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 98. 1541 In Deutschland kommt insbesondere eine Haftung nach § 60 InsO in Betracht. Siehe hierzu Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 65 Rn. 6; Flöther/Undritz, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 8 Rn. 117. 1542 Hinsichtlich der Rechtswirksamkeit des Handelns des Verwalters dürfte – auch ohne direkten Verweis – weiterhin der § 164 InsO gelten, wodurch ein Verstoß gegen die Zustimmungspflicht der Wirksamkeit des Antrages gem. Art. 61 Abs. 1 EuInsVO im Ergebnis nicht entgegenstehen wird. Vgl. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 64 Rn. 10; a. A. Prager/Keller, WM 2015, 805, 810; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 64.17 f.; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 64 Rn. 19 f.; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 101. 1543 Vgl. BT-Drs. 18/10823, S. 37; eine besonders bedeutsame Rechtshandlung nur annehmend, wenn das Koordinationsverfahren mit besonders hohen Verwaltungskosten für das deutsche Einzelverfahren verbunden ist, Fehrenbach, GPR 2017, 38, 47; auf einen unmittelbaren Verkauf wesentlicher Teile der Insolvenzmasse oder eine besondere Belastung der Insolvenzmasse abstellend und daher die Anwendung des § 160 InsO ablehnend MüKoBGB/ Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 64 Rn. 8; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 64 Rn. 6.

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erfordernisse haben ebenfalls während der 30 Tage-Frist vorzuliegen.1544 Eine Verspätung aufgrund innerstaatlicher Prozesse kann nicht hingenommen werden, da sonst eine Unsicherheit und Verzögerung zum Schaden des ganzen Prozesses eintreten würde. Die Frist bedeutet schon an sich eine erhebliche Verzögerung des Eröffnungsverfahrens und hat daher das Potenzial, eine effiziente Koordination zumindest zu behindern.1545 Darüber hinaus kann gem. Art. 64 Abs. 1 lit. b EuInsVO ein Einwand gegen den vorgeschlagenen Koordinator vorgebracht werden.1546 Ereignet sich dies, wird gleichzeitig allerdings kein Einwand gegen die Einbeziehung in das Koordinationsverfahren erhoben, steht es dem Gericht zu, nach Art. 67 EuInsVO den einwanderhebenden Verwalter dazu aufzufordern einen neuen Antrag gem. Art. 61 Abs. 3 EuInsVO zu stellen. Es muss nicht gleich das Koordinationsverfahren als Ganzes abgelehnt werden, wenn lediglich der Austausch des Koordinators für eine positive Eröffnungsentscheidung ausreicht. Der neue Antrag hat selbstverständlich keine Auswirkungen auf die Rangfolge der Anträge gem. Art. 62 EuInsVO.1547 Die Einwände der Verwalter können nach Art. 64 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO nur innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Erhalt der Information über den Eingang eines Antrags auf Eröffnung eines Koordinationsverfahrens erhoben werden. Eine Form ist nicht zwingend vorgesehen, sodass Einwände auch mündlich geltend gemacht werden können. Zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens ist allerdings die Verwendung des fakultativen Standardformulars nach Art. 64 Abs. 2 UAbs. 2 EuInsVO anzuraten, das gem. Art. 88 EuInsVO von der Kommission als Durchführungsrechtsakt erlassen wurde.1548 Eine Begründung der Einwände ist nicht erforderlich. Dies ergibt sich aus den Ratsdokumenten, nachdem dort beantragt wurde, einen Erwägungsgrund einzufügen, um zu präzisieren, dass ein Einwand keiner Begründung bedarf. 1549 Eine schriftliche Begründung ist jedoch zu empfehlen (im Standardformular ist hierfür unter Nummer 4 ein nicht obligatorisch auszu1544

Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 64 Rn. 10; Madaus, IILR 2015, 235,

245. J. Schmidt, ZVglRWiss 116 (2017), 93, 111; dies., KTS 2018, 1, 12. Siehe hierzu später mehr auf S. 387 f. 1547 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 6. 1548 Durchführungsverordnung (EU) 2017/1105 der Kommission vom 12. Juni 2017 zur Festlegung der in der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates über Insolvenzverfahren genannten Formulare, ABlEU v. 22.6.2017, L 160/1, Anhang III. 1549 Vgl. Kompromissvorschlag des Ratsvorsitzes v. 3.6.2014, Ratsdok. 10284/14 ADD 1 (DE), S. 51 Fn. 68. Solch ein Erwägungsgrund wurde zwar nie eingeführt, allerdings ist dies wohl ausschließlich auf den ohnehin schon stark angewachsenen Umfang der Erwägungsgründe zurückzuführen und nicht darauf, dass der Gesetzgeber davon abrücken wollte, keine Begründung zu verlangen. 1545 1546

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füllendes Feld vorgesehen), um die spätere Entscheidung des Gerichtes nach Art. 67 sowie 68 EuInsVO zu erleichtern.1550 Dies gilt insbesondere für Einwände gegen den Koordinator, da dem Gericht hierbei eine Ermessensentscheidung zukommt und eine Ablehnung des Vorschlages nur erfolgen wird, wenn das Gericht die Einwände teilt.1551 In diesem Sinne wird im Anschluss an das Standardformular unter „Wichtige Informationen“ erwähnt, dass es nur dann notwendig ist Nummer 4 (und damit das Feld für Einwände) auszufüllen, wenn Einwände gegen die als Koordinator vorgeschlagene Person erhoben werden. Eine Begründung ist ebenfalls evident, wenn der Verwalter nicht nur einen Opt-out einleiten, sondern das ganze Eröffnungsverfahren im Zuge der Eröffnungsentscheidung nach Art. 68 Abs. 1 EuInsVO in der beantragten Form abgelehnt haben möchte.1552 In entsprechender Anwendung des Art. 73 Abs. 2 EuInsVO sind Einwände in der Amtssprache des zuständigen Gerichts einzureichen,1553 sofern sich nicht des Standardformulars bemüht wird. Die Einwände können nur während der 30 Tage-Frist abgegeben werden. Die Frist beginnt für jeden Verwalter separat, abhängig vom Zeitpunkt des Erhalts der Mitteilung.1554 Den Verwaltern ist es lediglich möglich, die Frist aufgrund veränderter Umstände neu zum Laufen zu bekommen, indem sie es schaffen, den antragstellenden Verwalter dazu zu bringen, seinen ursprünglichen Antrag abzuändern oder sich gemeinsam auf einen neuen Gerichtsstand gem. Art. 66 EuInsVO zu einigen und dort einen neuen Antrag einzureichen.1555 Findet eine Änderung des Antrags auf Basis eines Konsenses aller beteiligten Verwalter statt, beginnt die Frist nicht von Neuem, da alle Verwalter mit der Abänderung einverstanden sind und sich daher keine neuen Einwände ergeben dürften. Für die Fristwahrung ist der Zeitpunkt maßgeblich, an dem die Einwände bei dem zuständigen Gericht eingehen.

Kompromissvorschlag des Ratsvorsitzes v. 3.6.2014, Ratsdok. 10284/14 ADD 1 (DE), S. 51 Fn. 68. 1551 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 64 Rn. 5; Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 64 Rn. 3; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 64 Rn. 7; MüKoInsO/ Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 64 Rn. 3; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 64.14; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 64 Rn. 14; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 101. 1552 Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 64 Rn. 3; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 64.14; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 64 Rn. 14; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 101. 1553 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 64 Rn. 9; Thole, KTS 2014, 351, 375. 1554 J. Schmidt, ZVglRWiss 116 (2017), 93, 99; andere, klar dem Wortlaut des Art. 64 Abs. 1 UAbs. 1 EuInsVO widersprechende Ansicht Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 63 Rn. 8. 1555 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 64 Rn. 13. 1550

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c) Sonstige Einwände der Verwalter Nach dem Wortlaut des Art. 64 Abs. 1 EuInsVO haben die Verwalter keine Möglichkeit, sonstige Einwände gegen das Koordinationsverfahren, beispielsweise gegen den Koordinationsplan oder die Kostenverteilung, geltend zu machen, sofern sie nicht unmittelbar aus dem Koordinationsverfahren herausoptieren und die sonstigen Einwände in ihrer Begründung aufführen.1556 Im Zuge eines effektiven Koordinationsverfahrens wäre es jedoch sinnvoll, ihnen die Möglichkeit einzuräumen, während des ganzen Zwischenverfahrens Einwände anzubringen. Dies wäre im Vergleich zu einem Opt-out ein erheblich milderes Mittel, da das Eröffnungsverfahren zunächst weiterlaufen würde und eine Einigung über die strittigen Punkte eventuell auf einem anderen Weg erzielt werden könnte. Ist beispielsweise das zuständige Eröffnungsgericht nach Ansicht einiger Verwalter ungeeignet, sollten die Verwalter hierauf hinweisen können, damit auf eine Prorogation hinsichtlich eines anderen Gerichts hingewirkt werden kann.1557 Die Ungeeignetheit des Gerichts kann unter anderem aus Sprachschwierigkeiten, mangelnder Erfahrung bzw. Kompetenz oder einer vorübergehenden Überlastung herrühren.1558 Einen Anknüpfungspunkt für das Äußerungsrecht hinsichtlich sonstiger Einwände bietet Art. 63 Abs. 4 EuInsVO. Danach gibt das befasste Gericht den beteiligten Verwaltern die Gelegenheit sich generell zu äußern. Nach dem Wortlaut bezieht sich dieses Anhörungsrecht zwar auf den Zeitraum vor der Mitteilung des Gerichts nach Art. 63 Abs. 1 Hs. 1 EuInsVO, da die Verwalter unter Umständen noch keine Kenntnis von dem Eröffnungsantrag besitzen, ist das Recht während dieser Phase allerdings nur bedingt einsetzbar.1559 Damit der Sinn und Zweck des Anhörungsrechts, allen Verwaltern die Möglichkeit für rechtliches Gehör einzuräumen, vollständig zur Geltung gelangen kann, ist Art. 63 Abs. 4 EuInsVO insofern weit auszulegen, als die Verwalter sonstige Einwände auch während der 30 Tage-Frist vorbringen können sollten.1560 Dass in Art. 64 Abs. 1 EuInsVO spezielle Einwände gesondert aufgeführt sind, ist 1556 Von einem numerus clausus der zulässigen Einwände, beschränkt auf die zwei ausdrücklich aufgeführten Arten, sprechend Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 64.09; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 64 Rn. 9; ähnlich MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 64 Rn. 2. 1557 Auf dieses Problem hinweisend Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 64 Rn. 7 u. 12. 1558 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 64 Rn. 7. 1559 Siehe hierzu S. 370. 1560 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 28 u. Art. 64 Rn. 6; andere Stimmen in der Literatur nehmen an, dass Art. 63 Abs. 4 EuInsVO grundsätzlich nur für diesen Zeitraum gelten soll, so Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 28; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 63 Rn. 8; Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 63 Rn. 8; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 63 Rn. 9; MüKoInsO/ Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 64 Rn. 2.

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auf die Tatsache zurückzuführen, dass für diese gem. Art. 65 und Art. 67 EuInsVO besondere Rechtsfolgen vorgesehen sind. An sonstige Einwendungen, die im Zuge des Anhörungsrechts geltend gemacht werden, sind hingegen keine speziellen Rechtsfolgen geknüpft. Diese können lediglich als Hilfe für anstehende Entscheidungen des Eröffnungsgerichts dienen. d) Abänderbarkeit des Antrags Fraglich ist, ob eine Abänderung des Antrags nach Einreichung möglich ist. Da der Antrag das Konstrukt des antragstellenden Verwalters ist und dieser seinen Antrag – e contrario zu seiner Antragsbefugnis – wieder zurücknehmen kann1561, muss ihm auch möglich sein, den Antrag abzuändern. Als Konsequenz muss das Vorprüfungs- und Zwischenverfahren bzw. zumindest die 30 Tage-Frist von Neuem beginnen. 1562 Die anderen Verwalter können den eingebrachten Antrag und die darin enthaltenen Angaben und Entwürfe hingegen nicht ändern. Aus eigenem Antrieb heraus können sie lediglich Einwände gegen den Plan erheben1563 oder ganz aus dem Verfahren herausoptieren, falls sie mit den Vorschlägen des Antrags nicht übereinstimmen. Es muss allerdings möglich sein, dass die Verwalter auf Basis eines Konsenses den Antrag abändern können, wenn damit Unstimmigkeiten aus dem Weg geräumt werden und der Antrag dadurch aufrecht erhalten bleibt.1564 Das Verfahren als Alternative neu zu initiieren oder Fristen von Neuem laufen zu lassen, würde wertvolle Zeit kosten und wäre damit dem Effizienzziel abträglich. Der Gesetzgeber sollte diesbezüglich klarstellend tätig werden. 4. Eröffnungsentscheidung des Gerichts a) Voraussetzung einer positiven Eröffnungsentscheidung Das zuständige Gericht muss für eine positive Eröffnungsentscheidung nach Ablauf der 30 Tages-Frist gem. Art. 64 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO davon überzeugt sein, dass die Voraussetzungen aus Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 EuInsVO erfüllt sind.1565

Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 13. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 64 Rn. 13. 1563 Siehe zu dem weit zu verstehenden Anhörungsrecht aus Art. 63 Abs. 4 EuInsVO mehr auf S. 377 f. 1564 Eine Abänderbarkeit jederzeit bis zur Eröffnungsentscheidung annehmend (ohne allerdings den bzw. die Abänderungsberechtigten sowie die Voraussetzung einer Abänderung darzustellen) Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 61 Rn. 20 u. Art. 64 Rn. 5. 1565 Die Wirksamkeit der Eröffnungsentscheidung richtet sich nach dem Recht des Staates des zuständigen Gerichtes. In Deutschland wird die Eröffnungsentscheidung damit mit der Unterschriftsleistung durch den Insolvenzrichter wirksam. Vgl. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 15 mit Verweis auf BGH NZI 2004, 316, 316 f. 1561

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In Art. 68 Abs. 1 EuInsVO ist zwar, wie bei der Vorprüfung nach Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 EuInsVO, die richterliche Überzeugung Prüfungsmaßstab, allerdings ist bei der Entscheidungsfindung eine detailliertere Prüfung möglich, da das Prüfmaterial aufgrund der hinzugefügten Einwände der Verwalter einen höheren Umfang aufweisen wird. Eine umfassendere Prüfung ist auch nach dem Sinn und Zweck des Art. 68 Abs. 1 EuInsVO zu fordern. Bei der Entscheidung im Zusammenhang des Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 EuInsVO ging es lediglich darum, unsinnige und evident erfolgslose Anträge auszusortieren. Im Rahmen des Art. 68 Abs. 1 EuInsVO findet hingegen die endgültige Entscheidung bezüglich der Eröffnung des Koordinationsverfahrens statt. Dem Gericht muss daher – ebenso wie bei der Entscheidung nach Art. 63 Abs. 1 Hs. 1 EuInsVO1566 – a maiore ad minus eine Amtsermittlungspflicht zukommen.1567 Es ist sicherzustellen, dass der Antrag bei Unsicherheiten nicht gleich abgelehnt wird und ein langwieriger neuer Eröffnungsprozess angestrengt werden muss. Dies würde dem Effizienzprinzip widersprechen. Das Gericht hat daher hinsichtlich strittiger Punkte, insbesondere in Form von Sachverständigengutachten, Beweis zu erheben.1568 Eine gerichtliche Verhandlung ist im Regelfall nicht als angemessen zu erachten, da durch diese nur Zeit verloren wäre und Kosten entstehen würden.1569 Fraglich ist, ob die Eröffnungsentscheidung auch vor Ablauf der 30 TagesFrist ergehen kann, wenn es im Einzelfall einer dringlichen Entscheidung bedarf. Solch ein schnelles Handeln wird in Sanierungsfällen oftmals erforderlich sein. Ein Koordinationsverfahren kann nur dann als ein brauchbares Instrument dienen, wenn es unkompliziert, schnell und ohne Nachteile eröffnet werden kann. Eine zeitliche Verzögerung wäre ein erheblicher Nachteil. Der Normtext sieht eine abgekürzte Entscheidungsfrist nicht vor.1570 Wenn jedoch ein Konsens zwischen den Verfahrensbeteiligten hinsichtlich der Eröffnungsentscheidung besteht, sollte ein abgekürztes Zwischenverfahren schon nach dem aktuellen Regelungsstand realisierbar sein. So ergibt sich a maiore ad minus aus der Freiwilligkeit des Koordinationsverfahrens die Möglichkeit auf einen freiwilligen Verzicht von Einwänden, wodurch die Frist faktisch verkürzt wird und eine vorgezogene Entscheidung möglich ist. Dabei ist allerdings analog Art. 64 Abs. 3 EuInsVO die Einholung etwaiger nach nationalem Recht erforderlicher

Siehe hierzu S. 365 f. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 10. 1568 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 7. 1569 Im Ergebnis auch Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 63 Rn. 28. 1570 Eine vorzeitige Eröffnung in wichtigen und dringlichen Fällen in das Ermessen des Gerichts legend Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 4. Dem Gericht ist diese Kompetenz allerdings nicht durch den Gesetzgeber zugesprochen und kann auch nicht durch richterliche Rechtsfortbildung erreicht werden. 1566

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Genehmigungen zu verlangen.1571 Dem europäischen Gesetzgeber ist anzuraten, in der Verordnung die Möglichkeit eines abgekürzten Zwischenverfahrens ausdrücklich hervorzuheben. b) Eröffnungsentscheidung Sobald das zuständige Gericht davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen nach Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 EuInsVO erfüllt sind, hat es nach Art. 68 Abs. 1 EuInsVO einen Koordinator zu bestellen (lit. a), über den Entwurf der Koordination (lit. b) sowie über die Kostenschätzung und den Anteil, der von den Mitgliedstaaten der Gruppe zu tragen ist (lit. c), zu entscheiden. Entgegen des Wortlautes kommt dem Gericht kein Ermessen bei der Eröffnungsentscheidung zu, wenn die nötige Überzeugung gegeben ist.1572 Ebenso hat das Gericht die Pflicht, die im Antrag vorgeschlagene Person zum Koordinator zu bestellen. Die Entscheidung über den Entwurf der Koordination bezieht sich auf die Darlegungen hinsichtlich der vorgeschlagenen Gruppenkoordination des Eröffnungsantrags gem. Art. 61 Abs. 3 lit. b EuInsVO. Das Gericht bestätigt insbesondere, dass das Konzept geeignet ist, die Voraussetzungen gem. Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 lit. a und b EuInsVO zu erfüllen.1573 Mit der Entscheidung werden überdies die äußeren Grenzen der Tätigkeit und der Befugnisse des Koordinators abgesteckt.1574 Das Gericht hat zwar ein Urteil zu fällen, die Möglichkeit den Koordinationsentwurf zu modifizieren oder eigene Entwurfsvorschläge vorzubringen, stehen ihm jedoch nicht zu, da es sich bei dem Entwurf ausschließlich um das Konstrukt des Antragstellers bzw. des Konsenses aller beteiligter Verwalter handelt.1575 Das Gericht hat entweder das Koordinations-

1571 J. Schmidt, ZVglRWiss 116 (2017), 93, 102 f. Die Möglichkeit eines Verzichts ebenfalls de lege lata annehmend Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 7; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 68 Rn. 10. 1572 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 2; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 68 Rn. 3; a. A. hinsichtlich der Kostenentscheidung MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 68 Rn. 4. 1573 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 12. 1574 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 616. 1575 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 12; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 68.11; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 68 Rn. 17. Nach einer anderen Auffassung wird dem Gericht die Möglichkeit zugestanden, die Aufgaben des Koordinators nach Art. 72 EuInsVO zu konkretisieren oder gegebenenfalls auch zu beschränken, wenn dies sinnvoll und aus Kostengründen geboten erscheint. Vgl. MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 68 Rn. 7; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 68 Rn. 6; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Vor Art. 56 Rn. 18.

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verfahren auf der Basis des im Antrag enthaltenen Entwurfs zu eröffnen oder die Eröffnung vollständig abzulehnen.1576 Die Entscheidung über die Kostenschätzung und den Anteil, der von den beteiligten Verfahren zu tragen ist, bezieht sich primär auf die Darstellung hinsichtlich der Kosten aus dem Eröffnungsantrag gem. Art. 61 Abs. 3 lit. d EuInsVO sowie auf die von den Verwaltern eingebrachten Einwände. Es hat eine Plausibilitätskontrolle der im Antrag getroffenen Schätzungen stattzufinden.1577 Die Kostenentscheidung ist dabei essentiell für die Kontrolle der Koordinationskosten. Auch hinsichtlich der Kostenverteilung darf das Gericht zwar ein Urteil fällen, allerdings keine Modifikationen zu dem vorliegenden Antrag vornehmen. Eine Ausnahme hat jedoch zu greifen, wenn die Verteilung aufgrund eines oder mehrerer Opt-out lediglich rein rechnerisch neu zu beziffern ist.1578 Dies funktioniert allerdings nur, wenn der Antragsteller einen eindeutigen Verteilungsschlüssel in seinem Antrag festgelegt hat. c) Bekanntmachung Anschließend an die Entscheidung zur Eröffnung eines Koordinationsverfahrens ist den beteiligten Verwaltern und dem Koordinator die Entscheidung gem. Art. 68 Abs. 2 EuInsVO mitzuteilen. Der Begriff „beteiligte Verwalter“ sollte in diesem Zusammenhang weit ausgelegt werden, sodass auch die Verwalter von herausoptierten Verfahren zu informieren sind,1579 da auch diese ein berechtigtes Interesse an der Entscheidung haben werden. Identisches gilt im Falle einer ablehnenden Entscheidung, sodass alle Verwalter darüber zu informieren sind, dass das Koordinationsverfahren nicht eröffnet wurde. 1580 Die Form der Entscheidungsbekanntmachung ist in der EuInsVO nicht ausdrücklich geregelt, hat sich daher nach der lex fori coordinarii zu richten. 1581

1576 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 68.11; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 68 Rn. 17. 1577 Bei der Schätzung hat das Gericht die Gerichtskosten mitzuberücksichtigen, Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 13. 1578 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 68.13; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 68 Rn. 20 f. Nach einer anderen Auffassung wird dem Gericht die Möglichkeit zugestanden, einen Verteilungsschlüssel festzulegen bzw. den Kostenvorschlag generell zu modifizieren. Vgl. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 13; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 68 Rn. 7. 1579 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 16; a. A. MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 68 Rn. 8. 1580 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 68 Rn. 11. 1581 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 68 Rn. 9; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 68 Rn. 8; in Deutschland wird ein Beschluss in Analogie zu § 27 InsO zu erfolgen haben, Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 68 Rn. 8.

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Grundsätzlich ist allerdings eine förmliche Zustellung anzuraten.1582 Darüber hinaus sollte die Eröffnungsentscheidung gem. Art. 24 EuInsVO in den Insolvenzregistern eingetragen werden. Entweder werden hierfür die Verfahrenseröffnung und der Koordinator gem. Art. 24 Abs. 2 lit. a und g EuInsVO oder, falls die Mitgliedstaaten dies vorsehen, die Eröffnungsentscheidung als zusätzlicher Inhalt gem. Art. 24 Abs. 3 EuInsVO erfasst.1583 d) Rechtsmittel gegen die Entscheidung Die Eröffnungsentscheidung nach Art. 68 Abs. 1 EuInsVO ist über geeignete Rechtsmittel der lex fori coordinarii anfechtbar.1584 Aus dem Normtext ergibt sich solch eine Möglichkeit nicht, allerdings ist aus den Gesetzesmaterialien ersichtlich, dass die gerichtliche Entscheidung einem Einspruch im Einklang mit den Bestimmungen des Rechts des Koordinationsgerichts zu unterliegen hat.1585 Regelungstechnisch unsauber ist daher, dass die Verordnung in Art. 69 Abs. 4 EuInsVO sowie Art. 77 Abs. 5 EuInsVO ausdrücklich vorsieht, dass ein Rechtsmittel von den Mitgliedstaaten für gewisse Entscheidungen zur Verfügung gestellt werden muss, hinsichtlich der Entscheidung nach Art. 68 Abs. 1 EuInsVO allerdings schweigt.1586 Wenn ein Rechtsmittel im Zusammenhang der Kostenfrage vorhanden sein muss, dann muss es a maiore ad minus auch eine Möglichkeit geben, die Eröffnungsentscheidung überprüfen zu lassen. Die Mitgliedstaaten sollten diesbezüglich gesetzgeberisch tätig werden. Leider ist solch ein Rechtsbehelf im deutschen Umsetzungsgesetz nicht eingefügt worden. Damit dem Rechtsschutz der Beteiligten jedoch ausreichend genüge getan wird, muss die Entscheidung über die Eröffnung eines Koordinationsverfahrens als Entscheidung über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens verstan1582 Prager/Keller, WM 2015, 805, 811; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 68.17; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 68 Rn. 26; um Verzögerungen bei der Auslandszustellung zu vermeiden, sollten elektronische Zustellungsformen oder andere Verfahrenserleichterungen z. B. nach der Verordnung über Zustellung von Schriftstücken Nr. 1393/2007 genutzt werden, Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 17. 1583 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 17; zumindest de lege ferenda die erste Möglichkeit anregend Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 62.06; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 68 Rn. 27 i. V. m. Art. 62 Rn. 8. 1584 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 68 Rn. 11; Nerlich/Römermann/ Nerlich/Hübler, InsO, 33. EL September 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 5; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Vor Art. 56 Rn. 18; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/ J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 68 Rn. 28. 1585 Vgl. Kompromissvorschlag des Ratsvorsitzes v. 3.6.2014, Ratsdok. 10284/14 ADD 1 (DE), S. 53 Fn. 69; a. A. Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 69 Rn. 8. 1586 Auf diese Ungenauigkeit ebenfalls hinweisend MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Vor Art. 56 Rn. 18.

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den werden, wodurch im Falle der Ablehnung der Eröffnung dem Antragssteller die sofortige Beschwerde gem. § 34 Abs. 1 InsO analog zuzugestehen ist.1587 II. Koordinationsverfahren 1. Koordinator a) Anforderungen Nach Art. 71 Abs. 1 EuInsVO muss der Koordinator nach dem Recht eines Mitgliedstaates geeignet sein, als Verwalter tätig zu werden. Die Eignung muss nach dieser liberalen Regelung nur hinsichtlich irgendeines Rechts eines Mitgliedstaates vorliegen, unabhängig davon in welchen Mitgliedstaaten die Verfahren der Gruppe angesiedelt sind.1588 Basis dieser weiten Anerkennung der Eignungsvoraussetzungen ist der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens.1589 Damit ist es möglich, einen erfahrenen Spezialisten zum Koordinator zu bestellen, der in jeder Hinsicht qualifiziert, allerdings nur nach einem Mitgliedstaat geeignet ist, als Verwalter tätig zu werden. Die nationalen Anforderungen, welchen diese Person grundsätzlich als Verwalter unterliegt – beispielsweise in Form einer Registrierung, staatlichen Erlaubnis oder der Mitgliedschaft in einem Berufsverband – sind unbeachtlich.1590 Bei dem Verweis auf die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats handelt es sich um einen dynamischen Verweis, daher wird sich die Liste der möglichen Anforderungen durch jeden 1587 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 68 Rn. 15; Prager/Keller, WM 2015, 805, 811; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 68 Rn. 9; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 68 Rn. 29. Die Einschränkung aus § 6 Abs. 1 InsO sollte dabei keine Anwendung finden, soweit die gerichtliche Entscheidung auf Grundlage des europäischen Konzerninsolvenzrechts getroffen wurde, Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 61 Rn. 27 u. Art. 68 Rn. 18; a. A. Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 68 Rn. 12. Im Falle der Eröffnung des Verfahrens sind sowohl die beteiligten als auch die freiwillig ausgeschiedenen Verfahren nicht beschwert. Ein Beschwer liegt bei den teilnehmenden und dem antragstellenden Verwalter lediglich dann vor, wenn dem Antrag nicht vollständig entsprochen wurde, MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 68 Rn. 13; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 68 Rn. 10. 1588 Siehe hinsichtlich des Wortlautes in den anderen Sprachfassungen Eble, ZIP 2016, 1619, 1620 Fn. 16. 1589 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 9; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 71.06; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 71 Rn. 6. 1590 Eine Registrierung ist beispielsweise für den administrador concursal nach dem spanischen Art. 27 Ley 22/2003, de 9 de julio, Concursal gefordert, eine staatliche Erlaubnis in Form der authorisation wird in England und Wales nach sec. 392, 393 Insolvency Act 1986 c 46 verlangt und eine Mitgliedschaft in einem Berufsverband ist in England und Wales in den Recognised Professional Bodies nach sec. 390(2)(a) Insolvency Act 1986 c 46 Voraussetzung. Vgl. hierzu Eble, ZIP 2016, 1619, 1620 Fn. 17–19.

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neu beitretenden Mitgliedstaat erweitern.1591 Aufgrund der hohen faktischen Anforderungen an den Koordinator durch die praktisch komplizierten Fälle einer Konzerninsolvenz ist jedoch kein race to the bottom zu erwarten.1592 Ganz im Gegenteil, die komplexen Aufgaben des Koordinators werden dazu führen, dass das Betätigungsfeld des Koordinators lediglich von einem beschränkten Kreis von erfahrenen Verwaltern aus wenigen Ländern bekleidet wird.1593 Als Koordinator kommen aufgrund dieser Liberalisierung sowohl natürliche als auch juristische Personen in Betracht, da einige Rechtsordnungen beide Formen als Verwalter akzeptieren.1594 Dagegen wird eingewandt, dass die Beschränkung auf natürliche Personen – beispielsweise in Deutschland1595 – verfassungsrechtliche Gründe habe, da nur bei natürlichen Personen eine wirksame Aufsicht des Insolvenzgerichts, die Teil der Garantie eines effektiven Rechtsschutzes und damit ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips sei, gewährleistet werden könne. Der Ausschluss von juristischen Personen sei daher ein Element des mitgliedstaatlichen ordre public.1596 Dabei wird allerdings verkannt, dass es sich bei den Aufgaben des Koordinators lediglich um abstimmende und vorbereitende Tätigkeiten handelt. Eine vergleichbare Aufsicht über sein Handeln ist dieser Konstellation nicht von gleicher Wichtigkeit. Dies zeigt sich insbesondere dadurch, dass kein eigener Haftungstatbestand in der EuInsVO für den Koordinator geschaffen wurde, in welchem eine über Art. 75 EuInsVO hinausgehende Aufsicht angeordnet wird. Zwar werden an die Aufgaben des Koordinators besondere persönliche Voraussetzungen, wie auch im Zusammenhang der Bestellung eines Schlichters oder Mediators, geknüpft, 1597 bei der Bestellung einer juristischen Person werden allerdings ebenfalls besondere Persönlichkeiten die Abstimmung leitend vornehmen und mit ihrem Namen für Qualität und Verantwortung einstehen. Der Koordinator darf darüber hinaus gem. Art. 71 Abs. 2 EuInsVO keiner der Verwalter sein, die für ein Mitglied der Gruppe bestellt sind, und es darf kein Interessenkonflikt hinsichtlich der Mitglieder der Gruppe, ihrer Gläubiger Eble, ZIP 2016, 1619, 1620 Fn. 22. Eble, ZIP 2016, 1619, 1621. Perspektivisch könnte der europäische Gesetzgeber Bezug auf eigene europäische Mindeststandards für den europäischen Insolvenzverwalter nehmen, die er gerade im Zusammenhang mit Art. 25 UntInsRL-E zu setzen versucht, Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 10. 1593 Madaus, IILR 2015, 235, 241. 1594 Sowohl natürliche als auch juristische Personen sind nach dem spanischen Art. 27 ff. Ley 22/2003, de 9 de julio, Concursal, aber auch nach dem französischen, polnischen oder tschechischen Recht als Verwalter einsetzbar. Anders hingegen im deutschen Recht gem. § 56 Abs. 1 S. 1 InsO sowie im englischen Recht gem. sec. 390(1) Insolvency Act 1986 c 45. Vgl. Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 71 Rn. 2; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/ J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 71 Rn. 5. 1595 BVerfG NJW 2016, 930 ff. 1596 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 71 Rn. 5. 1597 Hierauf hinweisend Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 12. 1591

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und der für die Mitglieder der Gruppe bestellten Verwalter vorliegen. Das deutsche Konzerninsolvenzrecht setzt weniger strikte Voraussetzungen für den dortigen Verfahrenskoordinator. Zwar finden sich in § 269e Abs. 1 InsO vergleichbare Anforderungen hinsichtlich der zu gewährleistenden Unabhängigkeit. Dabei gilt allerdings die Besonderheit, dass die Bestellung eines Insolvenzverwalters oder Sachwalters, der bereits für einen gruppenangehörigen Schuldner tätig ist, nicht per se ausgeschlossen ist („soll“). Sind keine Interessenskonflikte zu befürchten oder werden diese durch andere Vorteile, insbesondere die Expertise und Erfahrung, kompensiert, kann es zu einer Überschneidung der Posten kommen.1598 Indem der Koordinator nach dem europäischen Recht nicht aus den Reihen der Verwalter stammen darf, wird bewusst eine Abgrenzung zu dem „Koordinationsverfahren light“ gem. Art. 56 Abs. 2 UAbs. 2 EuInsVO gesetzt.1599 Mit der strikten Vermeidung von Interessenskonflikten soll gewährleistet werden, dass sich der Koordinator ausschließlich auf das Koordinationsverfahren konzentrieren kann und keine anderen Interessen hat, welche seine Aufgabe beeinträchtigen könnten. Die Bestimmung des Merkmals hat unionsautonom zu erfolgen.1600 Lückenfüllend kann zwar die Empfehlung zur Unabhängigkeit der Abschlussprüfer1601 herangezogen werden,1602 die Unabhängigkeit des Koordinators ist allerdings im Einzelfall speziell mit Blick auf seine Aufgaben aus der EuInsVO zu beurteilen.1603 Nur so ist sichergestellt, dass die verschiedenen Interessen in der Unternehmensgruppe gleichwertig in einer Erwägung berücksichtigt werden.1604 Als konfliktäre Interessen kommen alle denkbaren Interessen in Betracht, egal ob sie aus dem privaten oder professionellen Bereich stammen bzw. ideell oder wirtschaftlich motiviert sind. Es genügt, wenn aus dem Widerstreit der Interessen die Möglichkeit resultiert, dass die unparteiische und objektive Ausführung der Pflichten des Koordinators beeinträchtigt sein können, demnach eine realistische Gefahr eines derartigen Konflikts

1598 Vgl. BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drs. 18/407, S. 35 f.; sowie J. Schmidt, KTS 2018, 1, 21. Im Diskussionsentwurf am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens war noch angedacht, dass der Koordinator zwangsläufig aus dem Kreise der Verwalter stammen sollte, damit die nötige Expertise vorhanden ist. Dies wurde später allerdings verworfen. Vgl. J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 71 Rn. 10. 1599 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 71 Rn. 4. 1600 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 71 Rn. 6. 1601 Empfehlung der Kommission vom 16. Mai 2002, Unabhängigkeit des Abschlussprüfers in der EU – Grundprinzipien (bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2002) 1873) 1 (2002/590/EG), ABlEG v. 19.7.2002, L 191/22. 1602 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 71 Rn. 6. 1603 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 15 u. 31; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 71 Rn. 2. 1604 Eble, ZIP 2016, 1619, 1621.

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besteht.1605 Daher wird ein Interessenkonflikt auch mittelbar über Familienoder Verwandtschaftsverhältnisse begründet.1606 Interessenskonflikte hinsichtlich der Unternehmen der Gruppe können sich aus einer vorhergehenden Beschäftigung in anderen Positionen ergeben. So ist es möglich, dass der potenzielle Koordinator zuvor als Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt, Restrukturierungsberater oder anderer externer Berater von einem Gruppenmitglied beschäftigt wurde.1607 Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass solch eine Person als Koordinator bestellt wird, sie muss in diesem Fall jedoch eindeutig sicherstellen, dass das einstige Beschäftigungsverhältnis keinerlei Auswirkungen auf das Koordinationsverfahren haben wird.1608 Darüber hinaus darf keine unmittelbare Beteiligung des Koordinators an einem der Gruppenunternehmen bestehen. 1609 Selbstverständlich darf der Koordinator auch nicht in einem Organ eines der Unternehmen sitzen.1610 Ein Interessenkonflikt bezüglich der Gläubiger kann aus ähnlichen Fällen resultieren. 1611 Dies gilt insbesondere, wenn der Koordinator die Gläubiger selbst bezüglich insolvenzspezifischer Fragen beraten hat bzw. noch berät. Andere geschäftliche Kontakte mit den Gläubigern bezüglich Themen, welche nicht im Zusammenhang mit den Insolvenzverfahren bestanden, sind grundsätzlich unerheblich, da anderenfalls – denkt man an große Bankenhäuser, die oftmals als Gläubiger auftreten – eine große Anzahl an potenziellen Koordinatoren ausgeschlossen wären. Anders dürfte dies zu bewerten sein, wenn der Koordinator einen Gläubiger in Form eines Dauermandats berät.1612 Der Koordinator darf allerdings an keinem Unternehmen beteiligt sein, welches selbst

1605 Eble, ZIP 2016, 1619, 1621; Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 18; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 71 Rn. 2; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 71 Rn. 7; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 71.09; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 71 Rn. 12. 1606 Eble, ZIP 2016, 1619, 1621; Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 27; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 71.10 ff.; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 71 Rn. 14, 16 u. 18. 1607 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 19; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 71.10; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 71 Rn. 13. 1608 A. A. MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 71 Rn. 3. Dieser sieht jegliche Vorbefassung des Koordinators mit insolvenzrechtlichen Fragen eines der Gruppenmitglieder als einen Interessenkonflikt im Sinne des Art. 71 Abs. 2 EuInsVO an. 1609 Eine indirekte Beteiligung über ein Portfolio oder Depot dürfte hingegen unbeachtlich sein, Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 19. 1610 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 20. 1611 Eble, ZIP 2016, 1619, 1621; Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 21 f.; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 71.11; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 71 Rn. 15 f. 1612 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 22.

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Gläubiger ist.1613 Ein evidenter Interessenkonflikt liegt vor, wenn der Koordinator selbst ein Gläubiger eines insolventen Gruppenunternehmens ist.1614 Ein Interessenkonflikt mit den anderen Verwaltern kann bestehen, wenn der Koordinator und einer der Verwalter aus der gleichen Sozietät stammen bzw. Beteiligungsverhältnisse zwischen Koordinator und der Kanzlei des Verwalters vorhanden sind.1615 Dies ist demnach anders zu bewerten als die Fälle, in denen zwei Verwalter einer Kanzlei für mehrere Verfahren bestellt werden sollen, um die Abwicklung der Verfahren effizienter zu gestalten. Der Koordinator nimmt eine besondere Mediatorstellung ein, wodurch hohe Anforderungen an seine Unabhängigkeit gegenüber den anderen Verfahren zu gelten haben.1616 Eine frühere Tätigkeit des Koordinators für eine beteiligte Kanzlei ist hingegen unbeachtlich, sofern alle Bindungen zu dieser Kanzlei in professioneller Hinsicht gelöst wurden.1617 b) Bestellungsverfahren Bei dem Koordinator handelt es sich um die zentrale Figur des Koordinationsverfahrens. Aufgrund dieser exponierten Stellung ist es von erheblicher Bedeutung, dass im Laufe des Bestellungsverfahrens die Interessen aller Beteiligter berücksichtigt werden, damit am Ende ein Koordinator bestellt werden kann, der von allen unterstützt wird.1618 Einwände1619 gegen den Koordinator können während des Eröffnungsverfahrens gem. Art. 64 Abs. 1 lit. b EuInsVO von allen für die Gruppe bestellten Verwaltern erhoben werden. Dies ist bedeutsam, da dies die einzige Möglichkeit darstellt, dass der vorgeschlagene Koordinator unabhängig von den in Art. 71 EuInsVO normierten Voraussetzungen abgelehnt wird. Bei der Verfahrenseinleitung und Eröffnungsentscheidung nach Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 EuInsVO sowie Art. 68 Abs. 1 EuInsVO sind lediglich die Voraussetzungen des Art. 71 EuInsVO zu prüfen. Ein Einwand kann sich

1613 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 21; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 71.12. 1614 Eble, ZIP 2016, 1619, 1621. 1615 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 71 Rn. 9; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 71 Rn. 5; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 71.12; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 71 Rn. 17. 1616 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 24. 1617 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 25. 1618 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 64 Rn. 4; hinsichtlich wesentlicher Kriterien Vallender, ZInsO 2015, 57, 62 f. 1619 Der im Normtext verwendet Plural ist nur dann gerechtfertigt, wenn mehrere Zweifel an der Person des Koordinators hervorgebracht werden, Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 67 Rn. 1. Im Folgenden soll daher lediglich der Singular verwendet werden.

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– über die Eignung hinausgehend – auch auf die Erfahrung oder Qualifikation beziehen.1620 Ein Einwand führt allerdings gem. Art. 67 EuInsVO – anders als bei einem Grund nach Art. 71 EuInsVO – nicht zwangsläufig zum Ausschluss des Koordinators. Wie mit dem Einwand umgegangen wird, liegt im Ermessen des für die Eröffnung zuständigen Gerichts. Damit das Gericht eine fundierte Entscheidung bezüglich der Koordinatorbestellung treffen kann, ist es ratsam, dass der Verwalter seinen Einwand begründet.1621 Sieht das Gericht davon ab, den Koordinator zu bestellen, hat es den Einwand erhebenden Verwalter gem. Art. 67 EuInsVO aufzufordern, einen neuen Antrag einzureichen, welcher den Anforderungen nach Art. 61 Abs. 3 EuInsVO entspricht.1622 Selbstverständlich kann schon gleichzeitig mit dem Einwand ein neuer Vorschlag unterbreitet werden. 1623 Fraglich ist allerdings, warum Art. 67 EuInsVO pauschal auf Art. 61 Abs. 3 EuInsVO verweist. Es wäre sinnwidrig, wenn der Einwand erhebende Verwalter bezüglich aller dort aufgeführten vier Punkte einen neuen Antrag erstellen müsste. Die Norm ist teleologisch zu reduzieren, sodass lediglich zu fordern ist, dass der Verwalter einen neuen Vorschlag gem. Art. 61 Abs. 3 lit. a EuInsVO bezüglich der Person, die zum Koordinator ernannt werden soll, einzureichen hat.1624 Optional ist es indes möglich, die anderen Anhänge des Antrags im Detail anzupassen, falls dies aufgrund des neuen Vorschlags hinsichtlich der Person des Koordinators erforderlich ist.1625 HinsichtBraun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 67 Rn. 3 f.; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 67.04; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 67 Rn. 5. 1621 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 67.04; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 67 Rn. 5. 1622 Dem Gericht hinsichtlich der Aufforderung bezüglich eines neuen Antrags kein Ermessen einräumend Prager/Keller, WM 2015, 803, 810; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 67.05; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 67 Rn. 6. Nach dem eindeutigen Wortlaut und dem grammatikalischen Satzbau des Art. 67 EuInsVO bezieht sich das „kann“ zwar auch auf die an den Verwalter gerichtete gerichtliche Aufforderung, einen neuen Antrag einzureichen. Es wäre allerdings sinnwidrig, diese Möglichkeit in das Ermessen des Gerichts zu stellen. Eine Ablehnung des Koordinators ohne neuen Antrag würde zwangsläufig den bisher stattgefundenen Prozess vollständig beenden und zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung führen. Die Verwirrung rund um den Wortlaut entstand durch die grammatikalisch objektiv falsche Fassung des Art. 67 EuInsVO in der Version der ersten Lesung im Rat vom 20. November 2014, Ratsdok. 15414/14, ADD 1 (DE), S. 84. Diese grammatikalische Unzulänglichkeit wurde zwar behoben, führte allerdings zu diesen zwei Auslegungsmöglichkeiten. 1623 Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 67 Rn. 5; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 67 Rn. 4. 1624 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 67 Rn. 6; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 57 Rn. 7. 1625 Diese Notwendigkeit weniger sehend MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 57 Rn. 7. 1620

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lich des neuen Antrags ist dem Verwalter – nach dem Ermessen des Gerichts – ein neuer Zeitraum einzuräumen, in dem er gestellt werden kann. Das Eröffnungsverfahren ist währenddessen ausgesetzt.1626 Dadurch verlängert sich das Eröffnungsverfahren zwar geringfügig, im Vergleich zu einer vollständig neuen Initiierung des Verfahrens ist dennoch Zeit gewonnen. Wenngleich der Wortlaut der EuInsVO vermeintlich nur dem einen Einwand erhebenden Verwalter ein neues Antragsrecht zuspricht, muss diese Möglichkeit – zumindest sekundär – auch jedem anderen beteiligten Verwalter zustehen, da diese ebenfalls ein Interesse daran haben, das Eröffnungsverfahren weiter aufrechtzuerhalten. Dies sollte jedoch schon nach der gegebenen Rechtslage möglich sein.1627 Der Normtext betont lediglich, dass das Gericht den einen Einwand erhebenden Verwalter zu einem erneuten Antrag auffordern muss. Über die Antragsbefugnis wird hierbei keine Aussage getroffen. Dem Gesetzgeber ist anzuraten, diesbezüglich eine Klarstellung im Verordnungstext einzufügen. Das mit der Eröffnung des Koordinationsverfahrens befasste Gericht sollte das ihm zugestandene Ermessen überdies insoweit nutzen, als der vorgeschlagene Koordinator nur unter der Bedingung abgelehnt werden kann, dass gleichzeitig ein neuer Vorschlag unterbreitet wird. Damit wäre die problematische Situation vermieden, dass das Eröffnungsverfahren mangels Alternativvorschlags vollständig scheitert. Dem Gericht selbst steht keine eigene originäre Auswahlmöglichkeit hinsichtlich eines neuen Koordinators zu, selbst wenn dies grundsätzlich vom Wortlaut getragen wäre.1628 Das gilt auch, falls binnen der 30 Tage-Frist kein neuer Antrag eingeht.1629 In diesem Fall kann das Gericht lediglich den Verwalter, gegen den ein Einwand erhoben wurde, zum Koordinator bestellen.1630 Das Koordinationsverfahren ist so konzipiert, dass alle gestalterischen Entscheidungen in ihren Ursprüngen aus den Federn der Verwalter stammen müssen. Dem Gericht kommt nur eine Genehmigungsund später Überwachungsfunktion zu. Lediglich wenn mehrere Vorschläge

Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 67 Rn. 6 ff. In diesem Sinne auch MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 67 Rn. 5; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 57 Rn. 6; den anderen Verwaltern ein nachrangiges Antragsrecht zugestehend Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 67 Rn. 6. 1628 Dies zutreffend ebenfalls ablehnend Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 67 Rn. 3; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 67 Rn. 3; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 57 Rn. 7; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 67.05; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 67 Rn. 6; Flöther/Undritz, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 8 Rn. 112. 1629 A. A. Madaus, IILR 2015, 235, 245; ders in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 67 Rn. 6. 1630 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 67 Rn. 6. 1626

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von verschiedenen Verwaltern eingereicht werden, hat das Gericht aufgrund seines Ermessens ein Auswahlrecht.1631 Die endgültige Bestellung des Koordinators erfolgt gem. Art. 68 Abs. 1 lit. a EuInsVO durch das Gericht im Zuge der Eröffnungsentscheidung, in welcher auch die Voraussetzungen gem. Art. 71 EuInsVO zu berücksichtigen sind. Die Entscheidung wird den beteiligten Verwaltern und dem Koordinator selbst gem. Art. 68 Abs. 2 EuInsVO mitgeteilt. c) Aufgaben Der Koordinator ist das „Scharnier des Koordinationsverfahren“1632. Ihm obliegt es, die Koordination der Einzelverfahren zu initiieren oder zu fördern.1633 Bestenfalls soll mit seiner Hilfestellung das durch die Insolvenz der verschiedenen Unternehmen auseinandergebrochene Gebilde des Konzerns so weit wie möglich wieder zusammengefügt werden.1634 Die nötige Qualität wird er auf Basis des zuvor beschriebenen Bestellungsverfahrens mitbringen. Der Koordinator kann allerdings nur so viel leisten, wie die ihm zugesprochenen Befugnisse bereitstellen. Zu seinen Primäraufgaben gehört es, Empfehlungen für die koordinierte Durchführung der Insolvenzverfahren auszusprechen sowie einen Koordinationsplan vorzulegen.1635 Zur Aufgabenwahrnehmung kann sich der Koordinator darüber hinaus eines Unterbaus bedienen und dafür Vertreter bestellen sowie Sachverständige beauftragen.1636 Die Empfehlungen und den Inhalt des Koordinationsplan haben die Verwalter bei der Durchführung ihrer Insolvenzverfahren gem. Art. 70 Abs. 1 EuInsVO zwar zu berücksichtigen. Dies gilt indes gem. Art. 72 Abs. 4 EuInsVO nur für die Mitglieder der Gruppe, die am Koordinationsverfahren beteiligt sind. Für diese sind die Vorgaben des Koordinators allerdings nach Art. 70 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO, der als logische Konsequenz an Art. 65 EuInsVO anknüpft, nicht einmal bindend. Eine Umsetzung des Koordinationsplans kann nur mit dem Mittel einer Aussetzung gefördert werden. Darüber hinaus bleibt dem Koordinator allein die Möglichkeit, vermittelnd auf die beteiligten Verwalter einzuwirken. Bei der Ausführung aller Aufgaben hat der Koordinator den Sorgfaltsmaßstab gem. Art. 72 1631 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 67 Rn. 7; Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 67 Rn. 4. 1632 So treffend Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 2. 1633 Die Kernaufgaben des deutschen Verfahrenskoordinators entsprechen inhaltlich denjenigen des europäischen Koordinators, vgl. J. Schmidt, KTS 2018, 1, 21 f. 1634 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 71 Rn. 8. 1635 Die Überwachung der Kosten des Koordinationsverfahrens gem. Art. 72 Abs. 6 EuInsVO und der Festlegung der Kostenendabrechnung gem. Art. 77 Abs. 2 EuInsVO stellen nur nachgelagerte Sekundäraufgaben dar und werden daher in einem eigenen Abschnitt behandelt (siehe hierzu ausführlich S. 430 ff.). 1636 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.51 f.; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 57 f.

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Abs. 5 EuInsVO zu beachten, das heißt seine Pflichten unparteiisch und mit der gebotenen Sorgfalt auszuüben. 1637 Er hat sein Handeln demnach in den Dienst des Koordinationsverfahrens zu stellen und dabei eine Schadensvermeidungspflicht sowie das Effizienzgebot zu beachten.1638 aa) Festlegen und Darstellen von Empfehlungen für die koordinierte Durchführung der Insolvenzverfahren Der Koordinator legt gem. Art. 72 Abs. 1 lit. a EuInsVO Empfehlungen für die koordinierte Durchführung der Insolvenzverfahren fest und stellt diese für alle Beteiligten dar. Materiell hat es sich dabei insbesondere um Einzelmaßnahmen zu handeln, die nicht Teil des Koordinationsplans sind.1639 Damit wird eine Abgrenzung zu Art. 72 Abs. 1 lit. b EuInsVO geschaffen. Die Empfehlungen müssen nicht an konkreten Zielen ausgerichtet sein. Nach dem Wortlaut ist die einzige Voraussetzung, dass eine koordinierte Durchführung der Insolvenzverfahren zu erreichen ist. Dies ist gem. ErwG 57 S. 1 EuInsVO erfüllt, wenn die Empfehlungen die wirksame Verwaltung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gruppenmitglieder erleichtern und sich allgemein positiv für die Gläubiger auswirken. Gerade im Vorfeld der Erstellung des Koordinationsplans kann das Instrument der Empfehlungen wichtig sein, um zu verhindern, dass einzelne Verwalter durch beispielsweise Verwertungshandlungen bestimmter Vermögenswerte, Entlassungen von Arbeitnehmern oder die Einstellung bestimmter Produktionsfelder oder Dienstleistungen vollendete Tatsachen schaffen. 1640 Das Aussetzungsrecht nach Art. 72 Abs. 2 lit. e EuInsVO greift nur im Zusammenhang eines Koordinationsplans und kann demnach nicht als Instrument des Koordinators in diesen Konstellationen dienen. Darüber hinaus kann eine Abstimmung zwischen den Gruppenunternehmen bei dem Abschluss bestimmter Verträge mit Kunden und Zulieferern erforderlich sein.1641 Ebenso wird es sinnvoll sein, noch vor Erstellung des Koordinationsplans, der eine gewisse Zeit zur Ausarbeitung bedarf, Empfehlungen hinsichtlich des (ehemaligen) Cash-Management-Systems abzugeben. Die Sicherung der Liquidität der einzelnen Gruppenunternehmen ist eine zentrale Frage in der Insolvenz. Sogar wenn ein Zu den Sanktionen bei einer Missachtung des Sorgfaltsmaßstabs siehe S. 414 ff. Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 86. 1639 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 4; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 72 Rn. 6; den Koordinationsplan als die Weiterentwicklung der Empfehlungen ansehend Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 12. 1640 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.06; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 6 u. 11; vgl. zu ähnlichen Konstellationen BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drs. 18/407, S. 36. 1641 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 11. 1637

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Koordinationsplan ausgearbeitet wurde, werden weiterhin Situationen entstehen, in denen eine Koordination außerhalb der Planbestimmungen notwendig ist und durch konkrete Handlungsvorschläge des Koordinators initiieren werden sollte. Eine sehr wichtige Funktion kommt dem Koordinator auch bei der Effizienzabwägung zu, welche im Zusammenhang jeder Maßnahme durchzuführen ist, die durch die EuInsVO vorgegeben wird. Speziell bei der Abwägung zwischen der Liquidation- oder Sanierungsentscheidung hinsichtlich einzelner Unternehmen kann ein neutraler Koordinator einen besonderen Fokus auf den Gesamtkonzern und das Binnenmarktziel legen. Die jeweiligen Einzelverwalter werden nach den Rechtsordnungen zumeist ausschließlich dem Interesse ihres Einzelverfahrens untergeordnet sein und das Konzerninteresse, geschweige denn das Binnenmarktziel, nicht berücksichtigen können. Der Koordinator kann solche Erwägungen zumindest in seine Koordinationsvorschläge mit einbeziehen, da hierdurch noch keine endgültigen Tatsachen geschaffen werden. Damit der Koordinator die Situationen der beteiligten Verfahren feststellen und daraus Handlungsmaßnahmen für Empfehlungen ableiten kann, steht dem Koordinator ein Informationsrecht nach Art. 72 Abs. 2 lit. d EuInsVO zu.1642 Darüber hinaus kann er ein informelles Forum einberufen, welches sich mit den Problemfeldern befasst und Lösungsmöglichkeiten erarbeitet. Dies ist insbesondere dann erforderlich, wenn zwischen den Gruppenunternehmen Transaktionen getätigt wurden oder sonstige konzerninterne Forderungen bestehen.1643 Es bedarf einer engen Abstimmung, um diese Situation hin zu einer Gesamtwohlsteigerung aufzulösen. bb) Vorschlag eines Gruppen-Koordinationsplans Das wichtigste Koordinationsinstrument, welches dem Koordinator zur Verfügung steht, ist der Gruppen-Koordinationsplan1644, den der Koordinator gem. Art. 72 Abs. 1 lit. b EuInsVO vorzuschlagen hat.1645 Dabei soll der Koordinationsplan im Folgenden speziell mit dem „European Rescue Plan“ (Europäischer Sanierungsplan) des Vorschlags von INSOL Europe aus dem Jahre 2012 1642 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.07; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 7. 1643 J. Schmidt, KTS 2015, 19, 49; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.09; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 9; vgl. zu ähnlichen Konstellationen BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drs. 18/407, S. 23. 1644 Der Gruppen-Koordinationsplan soll im Folgenden lediglich mit Koordinationsplan betitelt werden. 1645 Dem deutschen Koordinationsverwalter kommt nach § 269f Abs. 1 InsO ebenfalls die Aufgabe zu, ein Koordinationsplan vorzulegen.

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und dem Koordinationsplan des deutschen Koordinationsverfahrens verglichen werden, um anhand dieses Vergleichs die Vorschriften den Koordinationsplan betreffend zu bewerten und aufzuzeigen, welche Regelungsalternativen möglich gewesen wären. (1) Verfahren und Voraussetzungen Die Vorlage eines Reorganisationsplans – sogar unmittelbar in den Gläubigerversammlungen der anderen Insolvenzverfahren – stand gem. Art. 42d Abs. 1 lit. d EuInsVO-E noch jedem Verwalter eines Unternehmens der Gruppe zu. Ein Koordinationsverfahren existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Durch die Auslagerung des Koordinationsplans in das Koordinationsverfahren fand eine Entmachtung der einzelnen Verwalter zugunsten des Koordinators statt, welcher nun alleine für die Schaffung des Koordinationsplans verantwortlich ist. Inhaltlich kann er sich dabei immerhin auf die im Antrag gem. Art. 61 Abs. 3 lit. b EuInsVO aufgeführten Grundzüge stützen. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen, da die Verwalter tendenziell eher einen Plan annehmen und umsetzen werden, der von einer neutralen dritten Person eingebracht wird. Das Koordinationsverfahren hat sich auch während der Erschaffungsphase des Plans gegen eine verpflichtende Abstimmung des Koordinators mit den Verwaltern, Gläubigern oder dem Gericht entschieden. Die Umsetzung erfolgt demnach nicht zentral, sondern auf der Ebene der Einzelverfahren. Der Koordinationsplan hat die Funktion eines „Referenzplans“1646. Damit die Umsetzung in den Einzelverfahren so weit wie möglich gewährleistet werden kann, ist der Koordinator dazu angehalten, alle beteiligten Verwalter bereits in den Entstehungsprozess einzubeziehen. Der Plan erfährt damit faktisch eine laufende Überprüfung durch die Verwalter, da eine Umsetzung nur dann zu erwarten ist, wenn das fertige Produkt auf volle Zustimmung bei den Verwaltern trifft.1647 Die Genehmigung einer der zuvor Genannten bedarf der Plan – anders als der Koordinationsplan des deutschen Koordinationsverfahrens, der gem. § 269h Abs. 1 S. 1 u. 2 InsO von dem Koordinationsgericht und GruppenGläubigerausschuss bestätigt werden muss 1648 – allerdings nicht. 1649 Anders war dies noch im Entwurf des Europäischen Parlaments, nach welchem auch 1646 J. Schmidt, Der Konzern 2017, 1, 4; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 95; dies., KTS 2018, 1, 10; „[F]lankierender Masterplan“ oder „Leitplanke“, Fritz, DB 2015, 1945, 1948; „Masterplan“, Wimmer, jurisPR-13/2012 Anm. 1. 1647 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 9; J. Schmidt, KTS 2015, 19, 41; Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Vorb. Vor Art. 56-77 Rn. 15. 1648 Durch das Gericht erfolgt jedoch lediglich eine Kontrolle in formeller Hinsicht. Wirtschaftliche Erwägungen dürfen nur bei der Betrachtung durch den Gruppen-Gläubigerausschuss in die Betrachtung mit einfließen. Vgl. J. Schmidt, KTS 2018, 1, 23. 1649 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 7; Fritz, DB 2015, 1945, 1948; J. Schmidt, KTS 2015, 19, 41.

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das Koordinationsgericht über den Plan zu entscheiden hatte.1650 Eine Überprüfung durch die Gerichte würde jedoch nur zu erhöhten zeitlichen und monetären Kosten führen, ohne dass ein Nutzgewinn entstehen würde, da der Plan faktisch ein konsensuales Produkt der Verwalter ist bzw. bei Unbrauchbarkeit lediglich einen unverbindlichen Masterplan ohne Wirkung darstellt, dessen potenzielle Schäden ohnehin nur sehr begrenzt ausfallen können.1651 Einen ganz anderen Weg geht die Sanierungsplan-Empfehlung der INSOL. Vorlageberechtigt ist zunächst die Muttergesellschaft bzw. der Verwalter der Muttergesellschaft, falls schon ein Insolvenzverfahren angeordnet wurde.1652 Der Sanierungsplan knüpft damit an die Tatsache an, dass INSOL ein Hauptinsolvenzverfahren vorsieht, welches für die Festlegung der Ausrichtung der Sanierung der ganzen Gruppe zuständig ist.1653 Um eine konzernweite Akzeptanz des Inhalts des Sanierungsplans zu erreichen, sieht INSOL vor, die betroffenen Gläubigergruppen durch einen gemeinsamen Gläubigerausschuss, über den Koordinationsplan mit einer qualifizierten Mehrheit von zwei Dritteln der Köpfe und Forderungssummen abstimmen zu lassen. Eine ablehnende Entscheidung kann dabei ersetzt werden, wenn die Gläubiger der Gruppe mehr Masse erhalten als sie im Falle der Liquidation bekämen, die Ablehnung nicht in gutem Glauben erfolgt und nachrangige Gläubiger anderenfalls keine Befriedigung zu erwarten hätten.1654 Einzelnen Gläubigergruppen kann demnach ein Sanierungsplan aufgezwungen werden, den sie grundsätzlich ablehnen. Dies geschieht allerdings nur unter den zuvor dargestellten Voraussetzungen, sodass der Verlust der Freiwilligkeit zugunsten einer effizienten konzernweiten Gesamtverwertungsstrategie hinzunehmen ist.1655 Solch ein Verfahren ist in der EuInsVO nicht geschaffen worden. Aufgrund der Freiwillig- und Unverbindlichkeit des Koordinationsverfahrens ist eine Abstimmung mit den Gläubigern in diesem Stadium nicht nötig. Eine solche Abstimmung würde aufgrund des erheblichen Verwaltungs- und damit Kostenaufwands wohl eher abschreckend wirken und die Verwalter von einer Teilnahme an dem Koordinationsverfahren abhalten. Eine Einbeziehung der Gläubiger ist hingegen förderlich. Daher wird im Zusammenhang des Eröffnungs1650 Dies war noch abweichend von der Legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5.2.2014 vorgesehen, Legislative Entschließung des EP v. 5.2.2014, P7_TA(2014)0093, Änderungsantrag 62 zu Art. 42dc. 1651 „Musterinsolvenzplan“, Madaus, ZRP 2014, 192, 194; J. Schmidt, KTS 2015, 19, 41, 52; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 29; dies., KTS 2018, 1, 26 f. 1652 INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 102 f. Art. 47 Abs. 1 u. 2 1653 Siehe hierzu S. 339. 1654 INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 106 Art. 54. Es besteht eine Ähnlichkeit zu dem deutschen Insolvenzplanverfahren nach § 245 InsO, Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 247. 1655 Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 248.

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antrags ausdrücklich gem. Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 lit. b EuInsVO vorausgesetzt, dass durch den Koordinationsplan eine Pareto-Effizienz in Bezug auf die Gläubigerinteressen entstehen muss. Diese Anforderung taucht zwar im Zusammenhang des Art. 72 Abs. 1 lit. b EuInsVO nicht mehr auf, ist allerdings auf den endgültigen Plan zu übertragen.1656 Es zeigt sich das Grundproblem des Koordinationsverfahrens und damit auch des Koordinationsplans. Wird ein unverbindliches Verfahren geschaffen, das auf die freiwillige Teilnahme der Verwalter setzt, müssen die Anforderungen an das Verfahren und die dort zu erschaffenden Instrumente so zurückgefahren werden, dass das Ergebnis im Verhältnis nur ein weicher Kompromiss ohne großen Nutzeffekt sein kann.1657 (2) Inhalt des Plans Der Koordinationsplan enthält ein Gesamtkonzept für die Gruppe und die Einzelverfahren, welches von der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage dieser beiden abhängt. Nach Art. 72 Abs. 1 lit. b S. 1 EuInsVO sollte der Plan ebenfalls einen umfassenden Katalog geeigneter (Einzel-)Maßnahmen für einen integrierten Ansatz zur Bewältigung der Insolvenz der Gruppenmitglieder umfassen.1658 Durch abgestimmte Maßnahmen sind tatsächlich integrierte und effiziente Verfahren herbeizuführen.1659 Da die Umsetzung der Vorgaben des Plans nur freiwillig ist und in den Einzelverfahren erfolgt, kommt dem Koordinationsplan keine gestaltende Wirkung zu, er empfiehlt lediglich.1660 Seine Rechtsnatur ist die eines „kupierten Insolvenzplans“.1661 Ein vergleichbares Schicksal erleidet der Koordinationsplan des deutschen Koordinationsverfahrens gem. § 276h InsO.1662 Eine wichtige und sinnvolle Ausnahme ergibt sich bei diesem jedoch aus § 269i Abs. 2 InsO. Durch einen Beschluss der jeweiligen Gläubigerversammlung kann der Koordinationsplan in den Einzelverfahren zur verbindlichen Grundlage für den vom Insolvenzverwalter auszuarbeitenden Insolvenzplan erhoben werden.1663 Grundlegend anders ist die Situation im ZusamBraun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 15. J. Schmidt, KTS 2018, 1, 11. 1658 Im Zusammenhang mit Empfehlungen gem. Art. 72 Abs. 1 lit. a EuInsVO, MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 72 Rn. 4. Dies passt allerdings besser auf die Ausgestaltung des Koordinationsplans, da sich Empfehlungen mehr auf Einzelmaßnahmen ausrichten und nur mittelbar mit der Gesamtlage der Gruppe zu tun haben. 1659 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.15; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 16. 1660 Der Koordinationsplan kann zwar auch gestaltende Teile enthalten, ihnen kommen jedoch keine gestaltende Wirkung zu. Diese Teile dienen nur als Entwurf für die auf der Ebene der Einzelverfahren zu treffenden Regelungen. Vgl. Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 625. 1661 J. Schmidt, KTS 2018, 1, 10. 1662 Hierzu mehr J. Schmidt, KTS 2018, 1, 22 f. 1663 J. Schmidt, KTS 2018, 1, 23 f. u. 26. 1656

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menhang des Gedankenspiels hinsichtlich eines Europäischen Sanierungsplans, der aus einem darstellenden und einem gestaltenden Teil besteht.1664 In dem gestaltenden Abschnitt werden insbesondere gruppeninterne Streitigkeiten begegnet, Unternehmensanteilsstrukturen neu gegliedert, Sicherheiten von Unternehmensvermögen neu bewertet sowie Gesellschaftsorganisationsstrukturen überprüft.1665 Der Europäische Sanierungsplan soll ein eigenes und einheitliches europäisches Konzernsanierungsplanverfahren schaffen, wodurch eine Umsetzung der notwendigen Maßnahmen in Einzelplänen durch jedes Verfahren eigenständig nicht mehr zu erfolgen hat.1666 Der Europäische Sanierungsplan ist demnach erheblich weitgehender als der Koordinationsplan der EuInsVO, der es lediglich bei einem unverbindlich darstellenden Gesamtkonzept belässt („schriftlich gefasste Überzeugungsarbeit“1667) und darauf hofft, dass die Einzelverfahren die Nützlichkeit erkennen und daher notwendige Maßnahmen umsetzen werden. Damit ist wohl schon der zentrale Unterschied der Pläne dargestellt. Trotz des Fehlens eines bindend gestaltenden Teils sollte der Koordinationsplan trotzdem klare Umsetzungsvorgaben und -ziele enthalten, anhand welcher die partizipierenden Einzelverfahren auszurichten und deren speziellen Umsetzungsmaßnahmen zu konkretisieren sind.1668 Dem Koordinator ist allerdings auch im Zuge des Koordinationsverfahrens gem. Art. 72 Abs. 3 EuInsVO nicht erlaubt, eine Empfehlung für eine Konsolidierung von Verfahren oder Insolvenzmassen auszusprechen. Es ist strikt an der gesetzgeberischen Entscheidung gegen eine verfahrensmäßige sowie materielle Konsolidierung festzuhalten.1669 Aus den Mitteln, die dem Koordinator zur Verfügung stehen, hat er das Beste zu machen. 1664 Den darstellenden Charakter weist insbesondere der Teil „The Information Memorandum“ auf, der u. a. die Strategie für den gesamten Konzern wiedergibt, INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 103 f. Art. 47 Abs. 3 Ziff. ii sowie Art. 49. In dem Abschnitt „The Class Schedule“ sind anschließend für jedes Konzernunternehmen eigene Gläubigergruppen zu formen, wobei diese wiederum zumindest in vorrangige Gläubiger, abgesicherte Gläubiger und normale Insolvenzgläubiger zu unterteilen sind, INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 103 f. Art. 47 Abs. 3 Ziff. i sowie Art. 48 u. Kommentar zu Art. 48, 48.1. Diese Aufteilung der Gläubigerschaft in unterschiedliche Zugriffsgruppen hinsichtlich des Gesellschaftsvermögens ist für ein einheitliches europäisches Sachrecht evident erforderlich. 1665 INSOL Europe, Revision of the EIR, S. 104 f. Art. 50. 1666 Man kann von einer „auf das Insolvenzplanverfahren bezogene[n] materielle[n] Konsolidierung“ sprechen, Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 247. 1667 So treffend Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 72 Rn. 4. 1668 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 12. 1669 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.24; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 25. Bei dem Europäischen Sanierungsplan hat es ebenfalls bei der Trennung der Haftungsmassen der jeweiligen Konzernunternehmen zu bleiben, da die Gläubiger jedes Unternehmens einer eigenen Gläubigergruppe mit eigener Befriedigungsquote zugeordnet werden, Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 247 f.

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Wenngleich sich nach Art. 72 Abs. 4 EuInsVO die Aufgaben und Rechte des Koordinators nur auf diejenigen Unternehmen beziehen, die am Koordinationsverfahren partizipieren, kann die Wirkung des Plans – im Sinne eines effizienten Verfahrens – auch Verfahren betreffen, die nicht Teil des Koordinationsverfahrens sind, sofern diese der Einbeziehung zustimmen. Hierunter fallen vor allem auch solche Unternehmen, die außerhalb der Europäischen Union angesiedelt sind und noch nicht auf eine andere Weise einbezogen wurden.1670 Der Koordinator sollte immer dahingehen wirken, dass eine vollständige Partizipation aller insolventer Unternehmen der Gruppe an dem Koordinationsverfahren stattfindet. Nach Art. 72 Abs. 1 lit. b S. 2 Ziff. i EuInsVO kann der Plan ein Gesamtsanierungskonzept enthalten. In diesem sind strategische Erwägungen aufzunehmen, das heißt Vorschläge zu unterbreiten, die zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Solvenz der Gruppe oder einzelner Mitglieder erforderlich sind. Es hat somit eine Neuausrichtungsplanung der Unternehmensgruppe stattzufinden, wobei sich insbesondere an den Instrumenten von Restrukturierungspraktikern zu orientieren ist.1671 Der Plan sollte dabei ein konkretes Sanierungsziel vorgeben, an dem sich alle weiteren Maßnahmen auszurichten haben, wobei im Zusammenhang der Einzelmaßnahmen festzulegen ist, welchem Unternehmen welche Aufgaben in der Umsetzung dieser neuen Strategien zukommen.1672 Da sich viele Unternehmen während der Insolvenz in einer Liquiditätskrise befinden werden, kann der Plan überdies finanzwirtschaftliche Vorgaben enthalten. Es ist zu ermitteln, welcher Liquiditäts- und Kapitalbedarf für die Gruppenunternehmen tatsächlich besteht und wie die finanzielle Struktur des Unternehmens anhand dieser Erkenntnisse gestärkt werden kann.1673 So können beispielsweise mit den Fremdkapitalgebern Forderungsverzichte oder Stundungen vereinbart werden. Gegebenenfalls ist es auch sinnvoll, den Eigenkapitalanteil durch den Einstieg eines neuen Eigenkapitalinverstors1674 oder einen Debt-Equity-Swap zu steigern. Darüber hinaus können Maßgaben in den Plan aufgenommen werden, um die komplexen Finanzstrukturen – insbesondere das konzernweite Cash-Pooling – bedarfsgerecht anzupassen oder so weit zu entflechten, dass die Gruppenunternehmen eigenständig am Kapitalmarkt partizipieren können.1675 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 22 u. 32. Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 72 Rn. 6. 1672 Es kann zum Beispiel eine Konzentration auf das Kerngeschäft gefordert sein, Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 238. 1673 Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 238. 1674 Dies könnte durch eine Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung geschehen, Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 238. 1675 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 12; Fritz, DB 2015, 1945, 1948; ders. in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 23; Parzinger, NZI 2016, 63, 68; 1670

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Kapitel 3: Das Konzerninsolvenzrecht der EuInsVO de lege lata

Des Weiteren kann ein leistungswirtschaftliches Gesamtkonzept hinsichtlich der allgemeinen Wettbewerbsfähigkeit oder der Tätigkeit in speziellen Markfeldern in den Plan aufgenommen werden. Somit ist zu klären, welche Geschäftsfelder künftig von welchen Unternehmen abgedeckt werden sollen und auf welchen Märkten diese zu agieren haben.1676 Hierfür sind operative Faktoren zu erforschen und Sanierungsmaßnahmen festzuhalten, um die strategische Neuausrichtung voranzutreiben. In concreto sind Maßnahmen in Bezug auf die Arbeitsplatzstruktur, Managementfragen, Mietaufwendungen, die Notwendigkeit von Grundstücken, Immobilien und Beteiligungen an anderen Unternehmen sowie Liefer-, Kunden- und Serviceverträgen zu thematisieren.1677 Es kann zudem wichtig sein, geplante M&A-Transaktionen, die eine Ausgliederung oder übertragende Sanierung zum Inhalt haben und sich daher auf die ganze Gruppe auswirken, über den Koordinationsplan zu koordinieren.1678 Da es sich bei Art. 72 Abs. 1 lit. b S. 2 EuInsVO nicht um eine abschließende Aufzählung, sondern um eine Liste mit Regelbeispielen handelt, kann ein Koordinationsplan über das Ziel der Restrukturierung und Sanierung auch auf eine Liquidation der Unternehmen ausgerichtet sein, sofern dadurch die Effizienz der Verfahren gesteigert wird, indem beispielsweise die Liquidationserlöse angereichert werden.1679 In dieser Hinsicht ist der Koordinationsplan leistungsfähiger als der Europäische Sanierungsplan der INSOL und der Sanierungsplan nach Art. 56 Abs. 2 lit. c EuInsVO. Eine Sanierungsmöglichkeit ist zwar primär zu prüfen, wenn diese allerdings nicht umsetzbar ist – und dies kann im Insolvenzfalle bei schlechter operativer Lage oftmals der Fall sein –, sollte eine abgestimmte Liquidation der Gruppe oder einzelner Unternehmen der Gruppe stattfinden. Der weite Anwendungsbereich des Koordinationsplans ist in dieser Hinsicht zu begrüßen. Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.18; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 19; Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1. 1676 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 23. 1677 Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 238; Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 12; Fritz, DB 2015, 1945, 1948; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.19; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 20; Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1. 1678 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 12; Fritz, DB 2015, 1945, 1948; ders. in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 24. 1679 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 14; Fritz, DB 2015, 1945, 1948; ders. in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 18 u. 24; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.16; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 17; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 217; Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1; vgl. zu ähnlichen Konstellationen BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drs. 18/407, S. 38.

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Da der Plan allerdings ein Pareto-Optimum hinsichtlich der Gläubiger zu erzeugen hat, sollten die genauen Auswirkungen der umzusetzenden Maßnahmen für die Gläubiger in dem Plan dargestellt werden.1680 Nur so wird Vertrauen geschaffen, welches für die tatsächliche Umsetzung unabdingbar ist. Gem. Art. 72 Abs. 1 lit. b S. 2 Ziff. ii EuInsVO können Vorschläge zur Beilegung gruppeninterner Streitigkeiten in Bezug auf gruppeninterne Transaktionen und Anfechtungsklagen durch den Koordinationsplan unterbreitet werden, da diese häufig zu sehr langwierigen und kostspieligen Rechtsstreitigkeiten führen. Solche Streitigkeiten sind insbesondere dann angezeigt, wenn gruppeninterne Leistungsbeziehungen bestehen, die ohne angemessene Konzernverrechnungspreise abzuwickeln sind oder gar unentgeltlich erfolgen, da beispielsweise Produktionsmittel oder Lizenzen dem anderen Gruppenteil überlassen werden. 1681 Aufgabe des Koordinators ist es, solche Konstellationen ausfindig zu machen und die Verwalter dazu zu bewegen, über alternative Mechanismen, wie Ausgleichszahlungen, potenzielle Anfechtungsklagen zu vermeiden.1682 Sind Streitigkeiten schon aufgekommen, ist im Zuge einer Mediation oder verbindliche Schiedsverhandlung dahingehend zu wirken, dass die Streitigkeiten außergerichtlich beigelegt werden.1683 Hierfür können insbesondere Vereinbarungen zwischen den Verwaltern der insolventen Gruppenmitglieder gem. Art. 72 Abs. 1 lit. b S. 2 Ziff. iii EuInsVO nützlich sein. Danach kann der Plan konkrete Vorschläge für mögliche rechtsverbindliche Vereinbarungen zwischen den Verwaltern – vergleichbar zu Art. 56 Abs. 1 S. 2 EuInsVO – enthalten. 1684 Weitere Vereinbarungsinhalte können vor allem Finanzierungsfragen hinsichtlich der Kreditvergabe oder der Bestellung von Sicherheitsleistungen betreffen.1685 Daneben können auch die Gläubiger über beispielsweise Poolvereinbarungen in die Vereinbarungen der Verwalter aufgenommen werden, sofern hieraus keine finanzielle Beeinträchtigung von nicht partizipierenden Gläubigern resultieren. 1686 Die VereinbarFritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 25. Parzinger, NZI 2016, 63, 68; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.20; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 21; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 217; vgl. zu ähnlichen Konstellationen BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BTDrs. 18/407, S. 40. 1682 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.20; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 21; vgl. zu ähnlichen Konstellationen BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BTDrs. 18/407, S. 40. 1683 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 28. 1684 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 72 Rn. 8; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 72 Rn. 7. 1685 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 30. 1686 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 32; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 72 Rn. 8; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 72 Rn. 7. 1680

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ungen sind darüber hinaus zu nutzen, um potenzielle Streitigkeiten, die aufgrund der Unverbindlichkeit des Plans oftmals zwangsläufig entstehen werden, über Schiedsverfahren zu lösen.1687 Sinnvoll ist es, eine Schiedsabrede vorzusehen, die dem Koordinator oder einem Dritten Schiedsbefugnisse hinsichtlich auftretender Streitigkeiten aus den Vereinbarungen zubilligt.1688 d) Rechte Zur Aufgabenwahrnehmung sind dem Koordinator ausdrücklich nach Art. 72 Abs. 2 EuInsVO wesentliche Rechte zur Seite gestellt. Die dort aufgeführte Liste ist zwar abschließend (man beachte das verbindende „und“ in lit. d a. E.1689), 1690 die Aufgaben des Koordinators sind allerdings als dispositives Recht anzusehen, sodass es auf freiwilliger Basis der beteiligten Verwalter und der Einhaltung der Rechte der jeweiligen Insolvenzgerichte möglich sein sollte, das Subsidiaritätsprinzip zu überwinden und dem Koordinator noch weitere Rechte zu übertragen. Als rechtliche Grundlage kann Art. 56 Abs. 2 UAbs. 2 S. 1 EuInsVO analog herangezogen werden.1691 aa) Recht auf Gehör und Mitwirkungsrecht Damit der Koordinator seinen Aufgaben nachkommen, insbesondere einen überzeugenden Koordinationsplan kreieren kann, ist es entscheidend, dass er über sämtliche Vorgänge in allen beteiligten Verfahren laufend informiert ist. Daher kann der Koordinator gem. Art. 72 Abs. 2 lit. a EuInsVO in jedem Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Mitglieds der Unternehmensgruppe gehört werden und darüber hinaus an den Verfahren mitwirken, vor allem indem er an den Gläubigerversammlungen teilnimmt. Im Einzelfall ist es auch möglich, dass der Koordinator mit einzelnen wichtigen Gläubigern direkt kommuniziert.1692 Da die Zustimmung der Gläubiger bei der Umsetzung eines Koordinationsplans entscheidend sein wird, ist es wichtig schon frühzeitig auf die Gläubigergremien Einfluss zu nehmen. So kann der Koordinator 1687 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.21; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 22. Siehe hierzu mehr auf S. 405. 1688 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 31; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.21. 1689 Hierauf hinweisend Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 72 Rn. 13. 1690 A. A. Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.29; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 30. 1691 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 9 u. 35 f.; weitere Rechte ebenso als grundsätzlich möglich ansehend Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 72 Rn. 13. 1692 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 72 Rn. 15. Paulus weist allerdings zu Recht darauf hin, dass sich aus diesem Recht des Koordinators keine Rechtspflicht dieser Gläubiger zur Kommunikation ergibt.

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durch eine Teilnahme an Gläubigerversammlungen zum einen Einwände der Gläubiger berücksichtigen, zum anderen eigene Entscheidungen begründen und gegebenenfalls verteidigen. In einem deutschen Verfahren kann der Koordinator demnach an der Gläubigerversammlung und dem Gläubigerausschuss partizipieren und im Berichtstermin gem. § 156 InsO seinen Koordinationsplan vorstellen. Sollte der Koordinationsplan erst nach dem Berichtstermin, der nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht später als drei Monate nach Verfahrenseröffnung stattzufinden hat, fertigwerden, ist eine gesonderte Gläubigerversammlung einzuberufen.1693 Das Mitwirkungsrecht ist umfassend geregelt und ermöglicht dem Koordinator daher, in jeglichen Prozessstadien der einzelnen Verfahren von seinem Recht Gebrauch zu machen.1694 Ein Stimmrecht hat er allerdings nicht inne.1695 Das Mitwirkungsrecht – so unscheinbar es zunächst auch klingt – ist damit ein sehr starkes Mittel, welches dem Koordinator zur Verfügung steht. Denn nur mithilfe der auf die Verwalter einwirkungsbefugten Personen, Stellen oder Gremien der Einzelverfahren kann der Koordinator erreichen, dass aus der freiwilligen Umsetzung der Vorschläge des Koordinators durch die Verwalter eine faktische Umsetzungspflicht wird.1696 Unterstützt wird das Mitwirkungsrecht durch Art. 72 Abs. 2 lit. c EuInsVO, selbst wenn der Normtext dies nicht unmittelbar vermuten lässt. Der Koordinator kann seinen Koordinationsplan den Personen oder Stellen vorlegen und erläutern, denen er aufgrund der nationalen Rechtsvorschriften seines Landes Bericht erstatten muss. Der erste Eindruck lässt glauben, dass dem Koordinator eine spezielle Berichtspflicht auferlegt wurde. Die Mitgliedstaaten hätten demnach diesbezügliche Verfahrensvorschriften zu erlassen, da entsprechende Vorschriften nicht existieren dürften.1697 Durch die EuInsVO ist dem Koordinator allerdings keine Berichtspflicht aufgetragen. Lediglich dem Koordinationsgericht gegenüber kann im Zuge einer Überprüfung nach Art. 75 EuInsVO eine Rechenschaftspflicht bestehen. 1698 Es ist der Regelungssystematik der EuInsVO eher fernliegend, im Sinne des reinen Wortlautes eine Berichtspflicht 1693 Im deutschen nationalen Konzerninsolvenzrecht ist das Verfahren ähnlich ausgestaltet. Nach § 269i InsO muss der deutsche Koordinationsplan ebenfalls im Berichtstermin erläutert werden. Vgl. Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 48 f. 1694 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.32; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 34. 1695 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 37; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 72 Rn. 11. 1696 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.37; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 40; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 218. 1697 In diesem Sinne Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 21; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 72 Rn. 19 ff. 1698 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 21.

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uneinheitlich durch die nationalen Rechtsordnungen ausgestalten zu lassen. Eine Berichterstattungspflicht an die nationalen Gerichte würde überdies wenig Sinn ergeben, da diese nur bedingt mit den Gruppenstrukturen und dem ganzen Koordinationsverfahren vertraut sein dürften. Eine andere Norminterpretation ist denkbar, wenn der Normtext als ein Redaktionsversehen angesehen wird. Der europäische Gesetzgeber wollte womöglich festlegen, dass der Koordinator ein Anhörungsrecht gegenüber den Personen und Stellen hat, denen die jeweiligen Verwalter der am Koordinationsverfahren partizipierenden Gruppenmitglieder Bericht zu erstatten haben. 1699 Systematisch und teleologisch erscheint es auch wahrscheinlicher, dass dem Koordinator ausschließlich die Möglichkeit garantiert wird, dass sein Koordinationsplan in den anderen Verfahren von den entscheidenden Personen und Stellen zur Kenntnis genommen und berücksichtigt wird.1700 Der aktuelle Wortlaut entstand wohl aus einer unreflektierten Übertragung des Normtextes aus Art. 70 Abs. 2 UAbs. 2 EuInsVO.1701 Damit die nationalen Personen und Stellen eine fundierte Entscheidung bezüglich des Handelns der Verwalter treffen können, ist es wichtig, nicht nur über den Kanal des Verwalters selbst Informationen zu erhalten, sondern auch dem Koordinator die Chance zu geben, seine Sicht der Dinge darzustellen.1702 Der europäische Gesetzgeber sollte hinsichtlich des Normgehalts klarstellend tätig werden. bb) Informationsrecht Der Koordinator hat überdies gem. Art. 72 Abs. 2 lit. d EuInsVO das Recht, von jedem Verwalter eines Verfahrens, das am Koordinationsverfahren beteiligt ist, Informationen in Bezug auf jedes Gruppenmitglied anzufordern. Damit korrespondiert dieses Auskunftsrecht mit Art. 74 Abs. 2 EuInsVO und geht sogar zum Teil über dieses hinaus, da jeder Verwalter ausdrücklich Informationen in Bezug auf jedes Gruppenmitglied zu liefern hat. Die Verwalter haben

1699 Richtigerweise diese Norm als Redaktionsversehen ansehend Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 45 ff.; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 72 Rn. 12; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 72 Rn. 13 (zuvor allerdings gegensätzlich in EuInsVO Vor Art. 56 Rn. 17 Fn. 30); Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.35; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 38. 1700 MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 72 Rn. 13. 1701 Der Textbaustein aus Art. 70 Abs. 2 UAbs. 2 EuInsVO wurde unreflektiert übernommen und nicht an den vorliegenden Zusammenhang angepasst, vgl. Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.35; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 38. 1702 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.35; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 38.

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demnach die Pflicht, auf Anfrage alles Benötigte bereitzustellen.1703 Hierbei gilt jedoch ebenfalls, dass die Informationspflicht der Verwalter – mit Ausnahme evidenter Fälle – erst durch eine Anfrage des Koordinators ausgelöst wird.1704 Die Pflicht obliegt allein den Verwaltern. Ein Auskunftsrecht gegenüber anderen Unternehmensangehörigen steht dem Koordinator nicht zu.1705 Voraussetzung der Geltendmachung dieses Rechts ist, dass die Informationen bei der Festlegung und Darstellung von Strategien und Maßnahmen zur Koordinierung der Verfahren von Nutzen sind oder sein können. Da sogar ein Eventualnutzen genügt, dürften die Anforderungen an den Koordinator, dieses Interesse darzulegen, recht gering ausfallen.1706 Lediglich bei offensichtlich unnützen oder willkürlichen Anfragen haben die Verwalter die Möglichkeit, die Auskunft zu verweigern.1707 Das Informationsbeschaffungsrecht ist ein zentraler Baustein bei der Ausarbeitung des Koordinationsplans durch den Koordinator. Hierüber gelangt er an alle Dokumente, die für seine Planungen entscheidend sind, wie Jahresabschlüsse, Finanzdokumente mit Finanzkennzahlen, Personalunterlagen und -strukturen, Rechnungslegungsunterlagen, Auftragslisten, wichtige Verträge, Gläubigerlisten mit den gesamten Forderungen, Abund Aussonderungsrechte sowie Anfechtungsklagen.1708 Ebenso sollten schon erstellte Sanierungspläne sowohl hinsichtlich der Einzelverfahren als auch hinsichtlich der Gruppe an den Koordinator übermittelt werden.1709 Im Zuge der Informationsübermittlung durch die Verwalter ist jedoch der Schutz vertraulicher Informationen zu beachten. Zwar ist der Gesetzgeber wohl davon ausgegangen, dass der Koordinator aufgrund seiner neutralen Stellung mit vertraulichen Informationen ohnehin verantwortungsvoll umgeht, wodurch ein besonderer Schutz nicht erwähnenswert war. Allerdings muss den Verwaltern dennoch die Möglichkeit zustehen, gewisse Geschäfts- und 1703 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.39; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 42. 1704 In Bezug auf Art. 74 Abs. 2 EuInsVO Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 74 Rn. 10. 1705 Dem Verwalter kommt eine „Kanalisierungsfunktion“ zu, wodurch das Management oder andere Beschäftigte von Anfragen des Koordinators freigehalten werden sollen, damit eine klare Aufgabenverteilung besteht, Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.41; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 44; vgl. zu ähnlichen Konstellationen BegrRegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drs. 18/407, S. 37. 1706 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 19. 1707 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 52; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 72 Rn. 14. 1708 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 19; Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 74 Rn. 7; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 72 Rn. 13; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.42; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 45. 1709 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 74 Rn. 8.

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Betriebsgeheimnisse vor dem Zugriff des Koordinators zu bewahren. 1710 Müsste der Koordinator auf diesbezügliche Anfragen reagieren, würde er der nach Art. 72 Abs. 5 EuInsVO geforderten gebotenen Sorgfalt zuwiderhandeln und sich einer Haftung aussetzen. Dies kann nicht erwünscht sein. Demnach ist – mit Rücksicht auf den soeben ausgeführten Unterschied hinsichtlich der neutralen Stellung des Koordinators – auf Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. a EuInsVO analog Rückgriff zu nehmen. Sind besonders wichtige Geheimhaltungsinteressen betroffen, ist eine Verweigerung sogar verpflichtend. Bei lediglich sensiblen Informationen sind hingegen – als verhältnismäßige Alternative zur vollständigen Auskunftsverweigerung – spezielle Vertraulichkeitsvereinbarungen zu schließen.1711 cc) Vermittlungsrecht bei Streitigkeiten Kommt es zu Streitigkeiten zwischen den Verwaltern der einzelnen Verfahren, kann der Koordinator gem. Art. 72 Abs. 2 lit. b EuInsVO eine Vermittlerrolle einnehmen. Nach dem Wortlaut ist hierin eher ein Recht des Koordinators als eine Aufgabe zu sehen.1712 Streitigkeiten können vor allem durch die leistungsoder finanzwirtschaftliche Verzahnung der Gruppenunternehmen entstehen. In Betracht kommen unter anderem anfechtungsrelevante Sachverhalte hinsichtlich der einzelnen Massen aufgrund eines Cash-Pooling-Systems sowie der Abwicklung und Vergütung von Dienstleistungs- oder Warengeschäften zwischen den Gruppengesellschaften, die beispielsweise unter Marktpreis stattfinden. Darüber hinaus können Streitigkeiten aus Patent bzw. Lizenzvereinbarungen oder einem verweigerten Informationsaustausch oder Zugang zur bisher bereitgestellten Infrastruktur eines anderen Gruppenunternehmens resultieren.1713 Jenseits der Streitigkeiten, die unmittelbar aus der Verflechtung der Gruppenunternehmen herrühren, können Differenzen im Zusammenhang der Rechte und Pflichten der allgemeinen Verfahrenskooperation aus Art. 56 EuInsVO – beispielsweise der Informationsweiterleitung oder Sprachenregelungen – entstehen.1714 All diese Auseinandersetzungen gilt es für den Koordinator zu lösen.

1710 In Bezug auf Art. 74 Abs. 2 EuInsVO MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 74 Rn. 3 f. 1711 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.43; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 46. 1712 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 43. 1713 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 20; Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 40; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.33; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 35. 1714 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 29; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.23.

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Die Vermittlung kann unterschiedlich ausgestaltet sein. Der Koordinator kann unter anderem als Mediator auftreten.1715 Es wird sich zeigen, ob diese Möglichkeit tatsächlich einen Nutzen bringt, da die an einer Konzerninsolvenz beteiligten Akteure zumeist sehr erfahren und qualifiziert sind und klar definierte Anspruchshaltungen und passende Strategien haben, die sich durch eine Mediation schwerlich beeinflussen lassen werden. Besonders anschaulich zeigt sich dies am Beispiel von Distressed-debt-Investoren, die mit klaren Vorstellungen und viel Expertise in den Insolvenzverfahren agieren.1716 Allerdings haben sich Mediationsvereinbarungen in rechtsverbindlichen Absprachen und protocols schon in der Vergangenheit als nützlich erwiesen,1717 sodass eine erhöhte Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein geschulter Koordinator zumindest in Teilen positiv auf das Verhältnis zwischen den Verwaltern einwirken kann. Dem Koordinator steht als weitere Handlungsmöglichkeit zur Verfügung, ein Schiedsgericht einzurichten und an diesem entweder als Schiedsrichter oder als Beobachter zu partizipieren. Eine Pflicht der betroffenen Verwalter an dem Schiedsgericht teilzunehmen, kann nach dem für das Koordinationsverfahren grundsätzlich geltenden Prinzip der Freiwilligkeit nicht bestehen. Verbindlich über die Streitigkeiten zu entscheiden, ist dem Koordinator daher nicht per se möglich.1718 Diese Kompetenz hat der Koordinator lediglich dann, wenn verbindliche Absprachen zwischen den Verwaltern getroffen wurden, in denen sich die Verwalter einem bindenden Schiedsspruch des Koordinators als Schiedsrichter unterordnen.1719 dd) Antragsrecht auf Aussetzung der Verwertung Die einzige richtige Eingriffsbefugnis des Koordinators ergibt sich aus Art. 72 Abs. 2 lit. e S. 1 Alt. 1 EuInsVO. Diese Befugnis ist im Zusammenhang mit Art. 60 Abs. 1 lit. b Ziff. iv EuInsVO zu sehen, nach welchem das Recht eines Verwalters auf Erwirkung einer Aussetzung der Verwertung in einem anderen Einzelverfahren nicht besteht, wenn beide Verfahren in ein Koordinationsverfahren einbezogen sind. Der Koordinator ist befugt, eine Aussetzung von Verfahren über das Vermögen jedes am Koordinationsverfahren beteiligten Grup-

1715 Von einem „Super-mediator“ sprechend McCormack, (2014) 10 JPIL, 41, 58; ebenso Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 29; Madaus, IILR 2015, 135, 141. 1716 Madaus, ZRP 2014, 192, 194. 1717 Siehe hierzu S. 265 f. 1718 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 20; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 72 Rn. 11; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 72 Rn. 18; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.34; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 36. 1719 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 42; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 37.

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penmitglieds1720 für eine Dauer von bis zu sechs Monaten zu beantragen. Eine gewährte Aussetzung kann demnach bis zu dieser Dauer von sechs Monaten verlängert oder erneuert werden, selbst wenn zuvor schon eine Unterbrechung stattfand. Eine Verlängerung über die sechs Monate hinaus ist nicht möglich. Die endgültige Aussetzungsentscheidung erfolgt gem. 72 Abs. 2 lit. e S. 2 EuInsVO durch das Gericht, welches das Verfahren eröffnet hat, für das die Aussetzung beantragt wird, sofern die Voraussetzungen vorliegen. Dabei hat das Gericht – wie im Zusammenhang der Entscheidung nach Art. 60 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO – die verschiedenen Interessen gegeneinander abzuwägen und daraufhin eine Entscheidung zu treffen.1721 Mit der Möglichkeit des Koordinators solch ein Aussetzungsrechts zu beantragen, besteht ein wesentlicher Unterschied zu den Befugnissen des deutschen Verfahrenskoordinators, dem diese Kompetenz durch den deutschen Gesetzgeber verwehrt wurde.1722 Nach dem Wortlaut sowohl des deutschen Normtextes als auch der anderen Sprachfassungen ist zwar eine Aussetzung des gesamten Verfahrens möglich, fraglich ist allerdings, ob tatsächlich ein qualitativer Unterschied zu Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO bestehen soll. Eine vollständige Aussetzung des Verfahrens hätte zur Konsequenz, dass der Vermögensbeschlag und der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse auf den Insolvenzverwalter aufgehoben wären. Dies kann nicht erwünscht sein. Wenngleich der Vermögensbeschlag noch fortbestehen würde, müsste das Unternehmen dennoch durch den Verwalter fortgeführt werden können, sodass eine Aussetzung der Handlungen des Verwalters ebenfalls nicht zielführend wäre. Die Insolvenzmasse lässt sich nicht von alleine verwalten.1723 Es ist somit schwerlich eine Situation denkbar, in welcher es im Interesse der Gläubiger liegt, das gesamte Verfahren für mehrere Monate vollständig auszusetzen.1724 Der Koordinator wird daher auch in diesem Falle lediglich die Aussetzung von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verwertung der Vermögensmasse beantragen können.1725 Der betroffene Verwalter soll durch eine vorschnelle Verwertung keine vollendeten Tatsachen 1720 Der Normtext ist diesbezüglich ungenau. Er spricht von „jedem Mitglied der Gruppe“. Aufgrund der Freiwilligkeit des Koordinationsverfahrens können allerdings nur die am Koordinationsverfahren beteiligten Mitglieder der Gruppe gemeint sein. Vgl. Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 72 Rn. 28. 1721 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 72 Rn. 33; von einer gebundenen Entscheidung des Gerichts ausgehend Fehrenbach, GPR 2017, 38, 48. 1722 J. Schmidt, KTS 2018, 1, 22. 1723 Bei einem „lebenden Geschäftsbetrieb“ können die Verwalterbefugnisse nicht „ruhen“, MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 72 Rn. 16. 1724 Fritz, DB 2015, 1945, 1948. 1725 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 24; Fehrenbach, GPR 2017, 38, 48; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 72 Rn. 16; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 72 Rn. 16; bezüglich des Kommissionsentwurfs des Art. 60 EuInsVO-E Brünkmans, ZInsO 2013, 797, 804.

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schaffen können.1726 Im Kontext des Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO bestand eine vergleichbare Situation.1727 Dort wurde der Wortlaut im Verhältnis zum Kommissionsentwurf anschließend klarstellend angepasst. Selbst wenn der Gesetzgeber bewusst einen weiteren Anwendungsbereich im Zusammenhang dieser Aussetzung wollte, um den Koordinationsplan abzusichern. 1728 Sollte aus Gründen der Rechtssicherheit dennoch beim Wortlaut des Art. 72 Abs. 2 lit. e S. 1 Alt. 1 EuInsVO nachjustiert werden, da die verwendete Wortwahl zweifelsohne zu weit ist. Zu beachten ist, dass nach ErwG 69 EuInsVO dingliche Rechte von Gläubigern oder Dritten von einer Aussetzung unberührt bleiben sollen. Als Voraussetzung einer Aussetzung muss gewährleistet sein, dass die ordnungsgemäße Durchführung des Koordinationsplans sichergestellt ist. Eine Aussetzung ist demnach in den Zusammenhang des Koordinationsplans zu bringen. Um Blockademöglichkeiten der anderen Verwalter zu unterbinden und die einheitliche Umsetzung des Koordinationsplans zu gewährleisten, ist es daher wichtig, dass das Antragsrecht durch den europäischen Gesetzgeber gem. Art. 60 Abs. 1 lit. b Ziff. iv EuInsVO beim Koordinator monopolisiert wurde. 1729 Anders als im Zusammenhang von Art. 60 Abs. 1 lit. b Ziff. ii EuInsVO muss die Aussetzung die Durchführung des Koordinationsplans nicht mit hinreichender Erfolgsaussicht absichern. Dieser Unterschied ist darauf zurückzuführen, dass Aussetzungen im Koordinationsverfahren auch möglich sein sollen, um noch nicht abschließend fertiggestellte Koordinationspläne zu unterstützen. 1730 So setzt Art. 72 Abs. 2 lit. e EuInsVO anders als Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO nicht voraus, dass der Plan bereits „vorgeschlagen“ wurde.1731 Die Aussetzung muss – als weitere Voraussetzung – den Gläubigern des auszusetzenden Verfahrens zugutekommen.1732 Mangels anderweitiger gesetzlicher Anordnung trifft die Darlegungs- und Beweislast der Voraussetzungen den Koordinator.1733 Damit ihm dies gelingen kann, wird er seine Anhörungs-, Mitwirkungs- und Informationsrechte nützen müssen. Wie auch im Kontext 1726 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.46; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 49. 1727 Siehe hierzu ausführlich S. 320. 1728 So Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 56 ff. u. 77 f. 1729 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 631. 1730 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 72 Rn. 26. 1731 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 633; a. A. MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 72 Rn. 12. 1732 Siehe hierzu die Ausführungen zu Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO unter S. 321 f. 1733 Anders ist dies im Zusammenhang des Art. 60 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO. Dort besteht keine Darlegungs- und Beweislast des beantragenden Verwalters. Siehe hierzu S. 325. Vgl. ebenso Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 27.

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des Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO wird es viel Einsatz erfordern, ein Gericht, das räumlich und damit auch gedanklich eine Nähe zu dem auszusetzenden Verfahren aufweist, von der Notwendigkeit der Aussetzung zu überzeugen.1734 Bevor eine Aussetzung beantragt wird, sollte der Koordinator mit dem die Verwertung betreibenden Verwalter gem. Art. 74 Abs. 1 EuInsVO kommunizieren und ihn auf dem direkten Wege dazu aufzufordern, die Verwertung zu unterlassen. Ein Anhörungsrecht des betroffenen Verwalters ist zwar – anders als in Art. 60 Abs. 2 UAbs. 2 S. 1 EuInsVO – normativ nicht vorgesehen, erscheint jedoch angebracht.1735 Dies spart erheblich Zeit und Ressourcen gegenüber dem aufwendigen Weg einer Aussetzung nach Art. 72 Abs. 2 lit. e EuInsVO. Außerdem wird dem Verwalter oftmals nicht bewusst sein, dass seine Verwertung einen Gesamtplan gefährdet, da er sich zuvor diesbezüglich nicht mit den anderen Verwaltern und dem Koordinator abgesprochen haben wird. Ein informeller Hinweis auf die Situation wird zumeist genügen, um das gewünschte Resultat einer selbstständigen Aussetzung durch den Verwalter zu erreichen. Bleibt die Notwendigkeit einer Aussetzung trotz Hinweis des Koordinators bestehen, ist eine Aussetzung unvermeidlich gegen den Willen des zuständigen Verwalters gerichtlich anzuordnen. Damit wird allerdings noch nicht der endgültig angestrebte Zustand erreicht sein, welcher vermutlich in der Umsetzung konkreter Maßnahmen des Koordinationsplans besteht. Diese Umsetzung kann nicht gegen den Willen der Verwalter erzwungen werden. Demnach ist das Aussetzungsmittel zwar zunächst ein effektiver Weg, um vollendete Tatsachen zu vermeiden, anschließend führt dennoch nichts an einem kollektiven Handeln und damit an Kompromissen vorbei. Im Kontext des Aussetzungsrechts gem. Art. 72 Abs. 2 lit. e EuInsVO ist nach dem Normtext keine Möglichkeit des entscheidenden Gerichts ersichtlich, angemessene Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Gläubiger des betroffenen Insolvenzverfahrens zu verlangen. Diese Regelungsunterlassung stellt kein Versehen des europäischen Gesetzgebers dar. Im Unterschied zu Art. 46 und Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO – in denen ausdrücklich die Möglichkeit von Sicherungsmaßnahmen durch die Verwalter, welche die Aussetzung beantragt haben, vorgesehen ist – steht dem Koordinator keine Insolvenzmasse zur Verfügung, aus der er finanzielle Nachteile kompensieren kann.1736 Es gibt insbesondere keine Anhaltspunkte, solche Kosten als Kosten des Koordinationsverfahrens anzusehen und daher unter den Verfahren aufzuteilen. Diesbezüglich ist das europäische Recht abschließend. Den nationalen Rechtsordnungen steht es nicht offen, eigene Maßnahmen zum Schutz der Gläubiger

Thole, KTS 2014, 351, 374. Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 26 u. 35. 1736 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 72; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 72 Rn. 18. 1734

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zu erlassen, da hierfür keine Mittel zur Verfügung stehen.1737 Die deutsche Regelung gem. Art. 102c § 24 Nr. 2 i. V. m. Art. 102c § 16 EGInsO eine Zinszahlungspflicht an die Gläubiger betreffend verstößt daher gegen europäisches Recht und ist für unanwendbar zu erklären.1738 Wurde eine Aussetzung tatsächlich gewährt, steht dem Koordinator gem. Art. 72 Abs. 2 lit. e S. 1 Alt. 2 EuInsVO e contrario zu seinem Antragsrecht auf Aussetzung eines Verfahrens auch das Antragsrecht auf Aufhebung jeder bestehenden Aussetzung zu. Wurde allerdings zuvor eine Aussetzung auf Basis des Art. 46 oder Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO gewährt, ist nun ebenfalls ausschließlich der Koordinator zur Beantragung der Aufhebung dieser Aussetzung zuständig. Dies ist auf die Formulierung „jeder bestehenden“ Aussetzung zurückzuführen. Die Monopolisierung aller Maßnahmen im Zusammenhang des Aussetzungsrechts beim Koordinator ist eine sinnvolle gesetzgeberische Entscheidung. Über den Antrag hat gem. Art. 72 Abs. 2 lit. e S. 2 EuInsVO ebenso das Gericht zu entscheiden, welches die Aussetzung einst angeordnet hat. Besondere Voraussetzungen für den Antrag auf Aufhebung einer Aussetzung, insbesondere eine Begründungspflicht, sind nicht vorgeschrieben. Allerdings kann der Koordinator nicht willkürlich die Aufhebung aller Aussetzungen beantragen. Ihm wird dies nur gestattet sein, wenn die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage, die der Aussetzung zugrunde liegt, nicht mehr erfüllt sind1739 oder eine Aufhebung sinnvoll, notwendig und angemessen erscheint, um die Ziele des Koordinationsplans zu erreichen.1740 Eine Aufhebung kann beispielsweise beantragt werden, wenn der Koordinationsplan die Veräußerung von bestimmten Vermögenswerten vorsieht, deren Veräußerung durch die Aussetzung verhindert wird.1741 Die EuInsVO selbst sieht kein Rechtsmittel gegen die Aussetzungsentscheidung vor. Solch eines sollte allerdings gem. Art. 7 Abs. 2 EuInsVO aus der lex fori concursus des angerufenen Gerichts gezogen werden können.1742 A. A. Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 69. Der deutsche Gesetzgeber wird die Nr. 2 in Art. 102c § 24 EGInsO aufgenommen haben, ohne sich der Konsequenzen klargewesen zu sein. Hierauf deutet bereits die Tatsache hin, dass Art. 102c § 16 EGInsO, auf den Art. 102c § 24 EGInsO verweist, hinsichtlich der betroffenen Masse unklar formuliert ist. 1739 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 53. 1740 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 80. 1741 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.48; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 52. 1742 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 72 Rn. 18; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 72 Rn. 21; die sofortige Beschwerde des deutschen Rechts kommt als statthaftes Rechtsmittel gem. § 6 InsO nicht in Betracht, da die deutsche InsO keine Rechtsmittel im Zusammenhang von Aussetzungsentscheidungen kennt. Da auch in Art. 102 EGInsO keine Anordnungen getroffen wurden, bleibt es Aufgabe des Gesetzgebers, eine entsprechende Rechtsgrundlage zu schaffen. Vgl. Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, 1737

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e) Zusammenarbeit zwischen den Verwaltern und dem Koordinator Damit der Koordinator seinen Aufgaben bestmöglich nachkommen kann, ist über Art. 74 Abs. 1 EuInsVO angeordnet, dass eine Zusammenarbeit zwischen den Verwaltern und dem Koordinator stattzufinden hat, 1743 solange dies mit den für die betreffenden Verfahren geltenden Vorschriften vereinbar ist.1744 Diese Pflicht gilt nur für diejenigen Verwalter, die am Koordinationsverfahren teilnehmen.1745 Nach Art. 74 Abs. 2 EuInsVO haben die Verwalter jede Information zu übermitteln, die für den Koordinator zur Wahrnehmung seiner Aufgaben von Belang ist. Demnach kann das Informationsrecht sogar über das ähnlich ausgestaltete Recht aus Art. 72 Abs. 2 lit. d EuInsVO hinausgehen, welches nur für Informationen gilt, die bei der Festlegung und Darstellung von Strategien und Maßnahmen zur Koordinierung der Verfahren von Nutzen sind oder sein können.1746 Bedauerlicherweise wurden die für die Einzelverfahren zuständigen Gerichte – vergleichbar zu Art. 58 EuInsVO – nicht in die Pflicht zur Kooperation mit dem Koordinator einbezogen.1747 Diesbezüglich sollte der europäische Gesetzgeber nachbessern. Im Umkehrschluss zu Art. 74 Abs. 2 EuInsVO haben auch die Verwalter einen Anspruch gegen den Koordinator, dass dieser sie laufend über Erkenntnisse, Vorstellungen und Pläne sowie den Stand des Koordinationsplans und die Kosten des Koordinationsverfahrens informiert.1748 Der Koordinator sollte im Rahmen seines Sorgfaltsmaßstabs nach Art. 72 Abs. 5 EuInsVO immer im Stande sein, diese Informationen bereitzustellen, falls sie angefordert werden. In der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15.11.2011 wurde noch angedacht, einen Lenkungsausschuss der lokalen Verwalter zu bilden, der einen gemeinsamen Verwalter zu unterstützen hat.1749 Diesem Lenkungsausschuss sollte ein eigenes Kooperationsverfahren zugrunde gelegt werden.1750 Solch ein Lenkungsausschuss wurde im Zuge der Reform nicht ausdrücklich eingefügt. Ein Zusammenschluss kann allerdings auf Basis der allgemeinen Verfahrenskooperation gem. Art. 56 EuInsVO stattfinden. Es ist durchaus EuInsVO Art. 72 Rn. 28; wohl auch Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 73; a. A. und dabei auf § 252 i. V. m. §§ 148 ff. ZPO rekurrierend MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 72 Rn. 18. 1743 Die Kooperationspflicht gilt auch für vorläufige Verwalter gruppenangehöriger Gesellschaften, Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 74 Rn. 5. 1744 Zu der Vereinbarkeit mit nationalen Vorschriften siehe ausführlich S. 238 ff. 1745 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 74 Rn. 6; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 74.04; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 74 Rn. 4. 1746 Siehe hierzu S. 402 ff. 1747 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 74 Rn. 5. 1748 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 74 Rn. 8. 1749 Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Anlage Teil 3. 2. E. Satz 1. 1750 Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Anlage Teil 3. 2. E. Satz 2.

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sinnvoll, wenn sich die an dem Koordinationsverfahren beteiligten Verwalter zusammenschließen und miteinander abstimmen, damit der Koordinator bestmöglich unterstützt wird und das Koordinationsverfahren so effizient wie möglich durchführen kann. Einschränkungen, welche über die der lex fori concursus hinausgehen, sind in Art. 74 EuInsVO nicht ausdrücklich aufgeführt. Allerdings kann es – vergleichbar zu Art. 56 EuInsVO – nicht im Interesse des Koordinationsverfahrens liegen, Interessenkonflikte heraufzubeschwören oder den Schutz von vertraulichen Informationen zu vernachlässigen.1751 Der Schutz von vertraulichen Informationen ist – vergleichbar zu Art. 72 Abs. 2 lit. d EuInsVO – durch eine analoge Anwendung des Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. a EuInsVO zu wahren.1752 Eine implizierte dauerhafte Pflicht des Koordinators Interessenkonflikte zu vermeiden, kann nach den Anforderungen des Art. 71 i. V. m. Art. 52 Abs. 5 EuInsVO während des vollständigen Koordinationsverfahrens angenommen werden. Es handelt sich dabei nicht nur um einen Zustand, der ausschließlich bei der Bestellung zu bestehen hat. Hinsichtlich der Interessenkonflikte muss nicht auf Art. 56 Abs. 1 EuInsVO analog zurückgegriffen werden.1753 Kann der Koordinator die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist er abzuberufen.1754 Allerdings ist zu beachten, dass – anders als im Verhältnis der Einzelverfahren untereinander – zwischen dem Koordinator und den Verwaltern kein materielles Verhältnis besteht und keine schuldrechtlichen Verknüpfungen vorhanden sind. Die Anforderungen an die Begründung eines Interessenkonfliktes dürften damit höher ausfallen als im Zusammenhang von Art. 56 EuInsVO. 1755 Der Koordinator hat eine herausgehobene und neutrale Stellung inne, wodurch ihm mehr Vertrauen entgegengebracht werden kann als einem Verwalter der Einzelverfahren. Um die Grundlage dieses Vertrauens zu wahren, muss er aller-

1751 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 74 Rn. 9; im Ergebnis auch Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 74.11; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 74 Rn. 13; von einer durch den europäischen Gesetzgeber bewusst offen gelassenen Regelungslücke ausgehend MüKo-BGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 74 Rn. 3 f.; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 74 Rn. 2 f. 1752 Siehe hierzu S. 404. 1753 A. A. Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 74 Rn. 9; Thole, KTS 2014, 351, 378. 1754 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 75.16; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 75 Rn. 17; a. A. Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 75 Rn. 2. 1755 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 74 Rn. 9; Thole, KTS 2014, 351, 378. Wie auch im Zusammenhang des Art. 56 EuInsVO kann eine Informationsweitergabe erst dann ein Interessenkonflikt auslösen, wenn diese einen anderen Verwalter erst in die Lage versetzt, einen Anfechtungsanspruch durchzusetzen, Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 74 Rn. 9.

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dings besonders darauf achten, dass diese Neutralität durch Interessenkonflikte nicht zerstört wird. f) Sprachenregelung Das Koordinationsverfahren wird erst dann erfolgreich ein Bindeglied zwischen den Verfahren darstellen, wenn die Kommunikation zwischen allen Beteiligten reibungslos verläuft. Die zu treffende Sprachenwahl stellt somit ein wichtiges Thema dar. Aus diesem Grund dachte sich der europäische Gesetzgeber, er erlässt mit Art. 73 EuInsVO eine spezielle Norm, die sich ausschließlich damit beschäftigt, welche Kommunikationssprache zwischen dem Koordinator und den Verwaltern bzw. den Gerichten zur Anwendung gelangt.1756 Primär soll der Koordinator nach Art. 73 Abs. 1 EuInsVO mit dem Verwalter in der zwischen ihnen vereinbarten Sprache kommunizieren.1757 Das nationale Recht darf solche Vereinbarungen demnach nicht untersagen. 1758 Eine Vereinbarung kann hinsichtlich jeder Sprache stattfinden, unabhängig der Sprachkenntnisse der tatsächlich Beteiligten. 1759 Eine Form ist hierfür nicht notwendig, sodass die Vereinbarung auch während des Koordinationsverfahrens mündlich bzw. konkludent geschlossen und ebenso abgeändert werden kann.1760 Fehlt es an solch einer Vereinbarung, kommt die Amtssprache oder eine der Amtssprachen der Organe der Union1761 und des Gerichts, welches das Verfahren für dieses Gruppenmitglied eröffnet hat,1762 zur Anwendung. Die Wahl der jeweiligen Sprache obliegt dem Koordinator.1763 Der Normtext ist in diesem Zusammenhang nicht ganz eindeutig, allerdings ist es sinnvoll, so viele Sprachen wie möglich für verwendbar zu erklären, damit der Koordinator ein 1756 Ein „faires und zugleich praktikables Sprachenregime“ soll etabliert werden, Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 73.02; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 73 Rn. 2. 1757 Eine spezielle Form der Vereinbarung ist nicht vorgesehen, Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 73 Rn. 3; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 73 Rn. 6. 1758 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 73.05; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 73 Rn. 5. 1759 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 73 Rn. 4; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 73.06; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 73 Rn. 7. 1760 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 73 Rn. 6. 1761 Diese richten sich nach Art. 342 AEUV i. V. m. Art. 1 der VO (EWG) Nr. 1/1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, ABl. 17/1958, S. 385. 1762 Die Amtssprache jedes Mitgliedstaats wird durch das jeweilige nationale Recht festgesetzt. 1763 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 73.07; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 73 Rn. 11; a. A. wohl MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 73 Rn. 2.

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Fundus an Sprachen zur Verfügung steht, aus dem er eine passende auswählen kann.1764 Sind eine große Anzahl an Mitgliedern aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten an dem Koordinationsverfahren beteiligt, kann die Kommunikation für den Koordinator sehr kompliziert werden. Daher sollten sich die Beteiligten so früh wie möglich mit der Sprachenthematik auseinandersetzen und eine gemeinsame Kommunikationssprache vereinbaren.1765 Falls dies nicht erreicht werden kann, sind auch separate Vereinbarungen mit jedem beteiligten Verwalter möglich.1766 Basiert die verwendete Sprache nicht auf einer Vereinbarung, kann dies dazu führen, dass andere Verfahrensbeteiligte, wie zum Beispiel lokale Gläubiger, abgeschreckt werden, am Koordinationsprozess teilzunehmen. 1767 Im Zusammenhang der Sprachregelung anfallende Kosten sind solche des Koordinationsverfahrens und demnach gem. Art. 77 Abs. 2 EuInsVO nach dem festgesetzten Anteil auf die beteiligten Gruppenmitglieder umzulegen.1768 Unterlässt es der Koordinator sich um Vereinbarungen zu bemühen und resultieren daraus erhebliche Kosten für Übersetzungen, macht er sich angreifbar für eine Haftung. Eine Sorgfaltspflichtverletzung nach Art. 72 Abs. 5 EuInsVO liegt nahe. Bei der Kommunikation mit einem Gericht kommt gem. Art. 73 Abs. 2 EuInsVO diejenige Sprache zur Anwendung, welche dieses Gericht verwendet. Im deutschen Verfahren ist gem. § 184 S. 1 GVG deutsch die Gerichtssprache. Gegen spezielle Sprachvereinbarungen, vergleichbar mit denen aus Abs. 1, welche das Koordinationsverfahren effizienter gestalten, ist nichts einzuwenden, solange das nationale Recht dies gestattet.1769 So kann im deutschen Recht gem. § 185 Abs. 2 GVG auch eine fremde Sprache ohne Dolmetscher verwendet werden, sofern die beteiligten Personen sämtlich der fremden Sprache mächtig sind. Fraglich ist allerdings, ob es solch einer Regelung überhaupt bedarf. Die Insolvenzpraxis hat gezeigt, dass die Beteiligten stets geeignete Wege finden, miteinander zu kommunizieren. Wenn die Notwendigkeit besteht sich auszutauschen, dann wird dieser auch gerecht geworden. Mit der neu geschaffenen Norm werden mehr Konfliktherde geschaffen als bestehende aufgelöst. Gerade 1764 Siehe für Beispiele Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 73.10; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 73 Rn. 15. 1765 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 73 Rn. 5; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 73.11; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 73 Rn. 16. 1766 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 73.06; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 73 Rn. 8. 1767 Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 219. 1768 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 73 Rn. 4. 1769 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 73 Rn. 10; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 73.13; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 73 Rn. 19.

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hinsichtlich dieser Frage hätte der europäische Gesetzgeber daher mehr Vertrauen in die bestehenden Mechanismen haben und aufgrund der ohnehin überbordenden Regelungstendenzen Zurückhaltung üben können.1770 g) Sanktionssystem aa) Keine europäische Haftungsnorm Die EuInsVO stellt – im Gegensatz zu dem Vorschlag der legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5.2.20141771 – keinen eigenen Haftungstatbestand für die Handlungen des Koordinators zur Verfügung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass keine Konsequenzen an einen Verstoß des Koordinators gegen eine Pflicht aus seinem Aufgabenkatalog 1772 zu knüpfen sind. Fraglich ist dabei zunächst, welches Gericht für diese Streitigkeiten zuständig ist. Hieraus lässt sich das anwendbare Recht ableiten, das überhaupt erst die relevanten Haftungsnormen bereitstellt. Der Kern der Streitigkeiten ist genuine koordinationsrechtlich, da die Einzelverfahren lediglich mittelbar über die Auswirkungen der Handlungen des Koordinators betroffen sind. Rechtsstreitigkeiten hinsichtlich Pflichtverletzungen sind somit Annexstreitigkeiten des Koordinationsverfahrens.1773 Ein eine Analogie zu Art. 6 Abs. 1 und Art. 77 Abs. 4 EuInsVO ist zu ziehen und das Koordinationsgericht für zuständig zu erklären.1774 Damit gilt gem. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO analog das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung. Eine Haftung erfolgt über die lex fori coordinarii.1775 Der dort geltende Sorgfaltsmaßstab wird jedoch gem. Art. 72 Abs. 5 EuInsVO modifiziert bzw. ergänzt.1776

1770 Von „geschwätziger Gesetzgebung“ sprechend Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 73 Rn. 1. 1771 Legislative Entschließung des EP v. 5.2.2014, P7_TA(2014)0093, Änderungsantrag 64 zu Art. 42de. 1772 Ein solcher Verstoß gegen seine Pflichten liegt beispielsweise vor, wenn der Koordinator ungeeignete Sanierungsmaßnahmen einleitet oder falsche Informationen gibt, Thole, KTS 2014, 351, 377; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 226. 1773 Thole, KTS 2014, 351, 376 f. 1774 In diesem Sinne auch Thole, KTS 2014, 351, 377; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 226 f. 1775 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 30 f.; Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 75 Rn. 23; Prager/Keller, WM 2015, 805, 811; Vallender, ZInsO 2015, 57, 63. Anders sieht dies Eble, ZIP 2016, 1619, 1623 ff. Eble sieht keine Notwendigkeit einer Haftung des Koordinators. Die Auslassung von Haftungsvorschriften sei eine bewusste Entscheidung des europäischen Gesetzgebers, die auch nicht durch einen Rückgriff auf das nationale Recht umgangen werden solle. Die Abberufungsmöglichkeit stehe als lex specialis und ausreichende Sanktionsnorm zur Verfügung. 1776 Siehe hierzu sogleich auf S. 390 f.

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bb) Abberufung Unmittelbare durch die EuInsVO vorgegebene Konsequenzen für ein pflichtwidriges Handeln des Koordinators können sich lediglich aus Art. 75 EuInsVO ergeben. Danach beruft das Koordinationsgericht den Koordinator von Amts wegen oder auf Antrag eines beteiligten Gruppenmitglieds ab, wenn der Koordinator zum Schaden der Gläubiger eines beteiligten Gruppenmitglieds handelt (Hs. 2 lit. a) oder seinen Verpflichtungen nach diesem Kapitel nicht nachkommt (Hs. 2 lit. b). Den Gläubigern, Gerichten oder Schuldnern steht kein Antragsrecht zu, sie können jedoch durch einen Hinweis beim Koordinationsgericht Ermittlungen von Amts wegen veranlassen.1777 Eine einseitige Niederlegung oder Kündigung durch den Koordinator muss ebenfalls möglich sein. Diese sollte – auf Basis eines wichtigen Grundes – beim Koordinationsgericht eingereicht werden können.1778 Zuständig für die Entscheidung über die Abberufung ist das Koordinationsgericht. 1779 Das nur rudimentär geregelte Abberufungsverfahren wird gem. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO analog durch die lex fori coordinarii konkretisiert.1780 Da es sich bei der Abberufung um ein sehr starkes Eingriffsrecht handelt, sollten die Anträge der Verwalter grundsätzlich schriftlich und versehen mit einer substantiierten Begründung eingereicht werden.1781 Auf der Basis des allgemeinen Rechts auf ein faires Verfahren ist dem Koordinator darüber hinaus rechtliches Gehör zu gewähren,1782 um sein subjektives Recht der Berufsfreiheit prozedural abzusichern. Nach dem Normtext des Art. 75 Hs. 2 lit. a EuInsVO genügt als Abberufungsgrund, wenn der Koordinator zum Schaden der Gläubiger eines beteiligBraun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 75 Rn. 7 f. Vgl. Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 75 Rn. 4 f. 1779 Als actus contrarius zur Bestellung ist dies konsequent, Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 75.04; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 75 Rn. 4. 1780 Unmittelbare Verfahrensvorschriften wird das nationale Recht nicht enthalten. Analog werden lediglich vergleichbare Vorschriften hinsichtlich der Abberufung eines Verwalters angewendet werden können, wobei dabei zu prüfen ist, ob dieses Verfahren tatsächlich von Sinn und Zweck auf die Abberufungskonstellation des Koordinators übertragbar ist. Vgl. ähnlich Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 75 Rn. 11. 1781 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 75 Rn. 3, 9 u. 23; Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 75 Rn. 3; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 75 Rn. 8; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 75.17; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 75 Rn. 18. 1782 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 75 Rn. 12; Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 75 Rn. 5; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 75 Rn. 8; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 75.19; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 75 Rn. 20 mit Verweis auf EuGH Urt. v. 2.5.2006, Eurofood, C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281, Rn. 65 f.; EuGH Urt. v. 2.4.2009, Gambazzi, C394/07, ECLI:EU:C:2009:219, Rn. 28 ff. 1777

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ten Verfahrens gehandelt hat.1783 Es kommt demnach auf die Interessen der Gläubiger eines Verfahrens und nicht ein gemeinsames Gruppeninteresse an. 1784 Ein konsolidiertes Gruppeninteresse soll durch die EuInsVO gerade nicht geschaffen werden, selbst wenn versucht wird, die Unternehmensgruppe als solche zu sanieren. Hinsichtlich dieses Abberufungsgrunds ist insbesondere an die Veräußerung von Vermögenswerten unterhalb des Marktwerts, die Veräußerung von Geschäftsgeheimnissen eines Gruppenmitglieds sowie die Nichtaufnahme eines profitablen Betriebsteils in den Koordinationsplan zu denken.1785 Ein Schaden muss weder unmittelbar durch die Handlung des Koordinators entstehen, noch muss er tatsächlich eingetreten sein. Ein potenziell schädigendes Handeln, das mittelbar zu einem Schaden führen kann, genügt.1786 Dies ist entscheidend, da aufgrund der Freiwilligkeit des Koordinationsverfahrens und der damit zusammenhängenden Tatsache, dass die Vorschläge des Koordinators grundsätzlich erst durch die Verwalter umgesetzt werden, ein tatsächlich kausal durch den Koordinator verursachter Schaden tendenziell selten auftreten wird. Die Norm soll primär nicht einen eingetretenen Schaden, sondern den durch das Handeln des Koordinators entstandenen Vertrauensverlust sanktionieren. Die Gläubiger sollen nach der Konzeption des Koordinationsverfahrens davon ausgehen können, dass ihnen kein Schaden entstehen wird. Wurde dieses Vertrauen durch potenziell schädigende Handlungen des Koordinators zerstört, muss die Möglichkeit bestehen, den Koordinator auszutauschen.1787 Indem der Vertrauensverlust sanktioniert wird, kommen als mögliche Schäden nicht nur Vermögensschäden in Betracht.1788 Dem Koordinator wird aufgrund seiner fachlichen Qualifikation die Kompetenz zugesprochen, die Auswirkungen seiner Handlungen zu antizipieren. Es ist grundsätzlich keine Prüfung der subjektiven Motivation des Koordinators 1783 Ein Unterlassen ist einer Handlung gleichgestellt, Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 75.08; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 75 Rn. 8. 1784 Eble, ZIP 2016, 1619, 1622. 1785 Vgl. Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 75.11; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 75 Rn. 11; ebenso MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 75 Rn. 6. 1786 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 75 Rn. 18; Eble, ZIP 2016, 1619, 1622; a. A. MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 75 Rn. 7; potenzielle nicht, allerdings mittelbare Schäden ausreichen lassend Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 75 Rn. 13 f. 1787 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 75 Rn. 1; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 75.02; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 75 Rn. 2. 1788 Im Ergebnis auch Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 75 Rn. 16; a. A. MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 75 Rn. 3 u. 6; eine Bereicherungsabsicht auf Seiten des Koordinators ist selbstverständlich ebenfalls nicht erforderlich, da die Norm sonst viel zu eng gefasst wäre, Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 75 Rn. 18.

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erforderlich, da diesbezüglich eine Beweisbarkeit problematisch und damit ein schnelles Handeln des Koordinationsgerichts schwer möglich wäre.1789 Da nur Schäden der Gläubiger eines „beteiligten“ Gruppenmitglieds für eine Abberufung relevant sind, spielen Schäden der Gläubiger eines nicht einbezogenen Verfahrens keine Rolle. Ebenfalls unbeachtlich sind Schäden der Gläubiger eines Gruppenmitglieds, das durch den Koordinator zu Unrecht nachträglich nicht einbezogen wurde, da dieses Gruppenmitglied faktisch nicht am Koordinationsverfahren partizipiert. 1790 Allerdings kann die unrechtmäßige Nichteinbeziehung eventuell ein Abberufungsgrund nach Art. 75 Hs. 2 lit. b EuInsVO darstellen. Handelt der Koordinator zum Schaden eines Gruppenmitglieds, greift Art. 75 Hs. 2 lit. a EuInsVO nicht, sofern diese Handlung zumindest neutral für die Gläubiger ist.1791 Allerdings wird in diesem Fall in der Regel ein Verstoß gegen die Pflicht des Koordinators zur Unabhängigkeit gem. Art. 72 Abs. 2 EuInsVO bzw. Unparteilichkeit gem. Art. 72 Abs. 5 EuInsVO anzunehmen sein, sodass eine Abberufung nach Art. 75 Hs. 2 lit. b EuInsVO in Betracht kommt.1792 Eben dieser zweite Abberufungsgrund des Koordinators besteht nach Art. 75 Hs. 2 lit. b EuInsVO, wenn er seinen Verpflichtungen nach Kapitel V nicht nachkommt. Dem Verwalter obliegt damit eine implizierte dauerhafte Pflicht, die Anforderungen des Art. 71 EuInsVO während des ganzen Koordinationsverfahrens zu erfüllen.1793 Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen die Empfehlungen für eine koordinierte Durchführung der einzelnen Insolvenzverfahren und die Pflicht zur Aufstellung eines Koordinationsplans gem. Art. 72 Abs. 1 lit. a u. b EuInsVO.1794 Damit das Gericht seiner Amtsermittlungspflicht nachkommen kann, muss es die Tätigkeiten des Koordinators während des

Eble, ZIP 2016, 1619, 1622; a. A. Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 75 Rn. 18. 1790 Eble, ZIP 2016, 1619, 1622. 1791 Eble, ZIP 2016, 1619, 1622; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 57 Rn. 3; bei solch einem Handeln werden die Gläubiger jedoch zumeist als Reflex negativ betroffen sein, MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 75 Rn. 5. 1792 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 75 Rn. 9; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 75.07; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 75 Rn. 7. 1793 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 75.16; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 75 Rn. 17. 1794 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 75 Rn. 9; eine Übersicht über die Pflichten des Koordinators sind zu finden bei Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 75 Rn. 20; Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 75 Rn. 18; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 75.15; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 75 Rn. 16. 1789

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laufenden Koordinationsverfahrens auf Basis einer Aufsichtspflicht1795 überwachen.1796 Das Tatbestandsmerkmal der Pflichtverletzung basiert auf dem Sorgfaltsmaßstab des Art. 72 Abs. 5 EuInsVO. Der Koordinator hat die Sorgfalt und Fachkunde anzuwenden, die von einem Koordinator in seiner Position vernünftigerweise zu erwarten sind.1797 Oberste Pflicht des Koordinators ist die Förderung des allgemeinen Ziels des Koordinationsverfahrens, welches darin besteht, so effektive Verfahren wie möglich zu gewährleisten. Mittel und Wege sind durch Art. 72 EuInsVO vorgezeichnet. Ihm steht bei der Auswahl jedoch ein großer Ermessensspielraum – eine sog. „insolvency judgement rule“1798 – zu. Rechnung zu tragen ist der Tatsache, dass der Koordinator komplexe Aufgaben zu bewältigen hat, die oftmals durch Missmanagement in der Vergangenheit erschwert werden, da Dokumente gar nicht oder nicht im erforderlichen Maße oder in der nötigen Qualität zur Verfügung stehen.1799 Darüber hinaus ist zu beachten, dass sprachliche Schwierigkeiten und kulturelle Barrieren die effiziente Arbeit des Koordinators negativ beeinträchtigen können.1800 Diesen Ermessensspielraum des Koordinators hat das Gericht bei der Prüfung einer möglichen Pflichtverletzung des Koordinators zu berücksichtigen. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass eine Pflichtverletzung vorliegt, steht dem Gericht nach dem Wortlaut selbst kein Ermessensspielraum zu.1801 Denkt man allerdings daran, dass schon jede schleppende Kommunikation des Koordinators mit den beteiligten Verwaltern eine Pflichtverletzung bedeuten müsste (es ist anzunehmen, dass der Sorgfaltsmaßstab nach Art. 72 Abs. 5 EuInsVO in diesen Fällen verletzt ist), so kann dieses Ergebnis nicht überzeugen. Ein effizientes Koordinationsverfahren wäre durch eine Abberufung des Koordinators aufgrund einer unbedeutenden Pflichtverletzung erheblich gestört. Um die praktische Wirksamkeit des Europarechts zu gewährleisten, ist der Wortlaut 1795 Die Haftung des Koordinationsgerichts richtet sich nach der lex fori coordinarii, sofern dieses Recht solch eine Haftung vorsieht, Eble, ZIP 2016, 1619, 1623; Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 75 Rn. 21. 1796 Eble, ZIP 2016, 1619, 1623; wohl auch Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 75 Rn. 6; unentschlossen Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 75 Rn. 21. 1797 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.56 f.; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 62 f. 1798 So eingängig Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 75.13 u. 72.60; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 75 Rn. 14 u. Art. 72 Rn. 66. 1799 Dies kann insbesondere bei Rechnungslegungsdokumenten der Fall sein, Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.57; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 63. 1800 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.58; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 64. 1801 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 75.13; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 75 Rn. 13.

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der EuInsVO teleologisch zu reduzieren. Dem Gericht muss nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein gewisser Spielraum bei seiner Entscheidung zukommen, sodass das Koordinationsverfahren zum Wohle aller Beteiligten aufrechterhalten bleiben kann.1802 Der europäische Gesetzgeber sollte diesbezüglich de lege ferenda klarstellend tätig werden. Hat eine Abberufung tatsächlich stattgefunden, sind die Folgen für das Koordinationsverfahren unklar.1803 Der Normtext gibt diesbezüglich nichts vor. Solange kein neuer Koordinator bestimmt wurde, wird das Koordinationsverfahren ruhen müssen, da der Koordinator die zentrale Figur des Verfahrens ist und als einziger die Kompetenz innehat, Handlungen vorzunehmen.1804 Eine sofortige Beendigung des Verfahrens ist durch den Normtext nicht angedeutet und wäre hinsichtlich eines effizienten Verfahrens auch nicht empfehlenswert, da – falls erwünscht – das Verfahren vollständig neu initiiert werden müsste.1805 Das Koordinationsgericht hat hinsichtlich einer Neuberufung des Koordinators Vorschläge der Verwalter anzufordern, über die – nach der Möglichkeit von Einwänden durch die anderen Verwalter analog Art. 64 EuInsVO – ebenfalls das Koordinationsgericht zu entschieden hat.1806 Ein eigenes Vorschlagsrecht hinsichtlich der Person des Koordinators hat das Koordinationsgericht nicht inne.1807 Solch ein Recht war auch im Eröffnungsverfahren ausschließlich den Verwaltern zugesprochen. Rechtsmittel hinsichtlich der Abberufungsentscheidung sind – anders als im Zusammenhang des Art. 69 Abs. 5 oder Art. 77 Abs. 5 EuInsVO – nicht 1802 Ebenso Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 75 Rn. 22; Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 75 Rn. 19; eine gewisse Schwere der Pflichtverletzung voraussetzend Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 75 Rn. 4. 1803 Dem Koordinator wird auch nach einer Abberufung gem. Art. 77 Abs. 1 EuInsVO eine angemessene und verhältnismäßige Vergütung zustehen, Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 75 Rn. 16. Bei Schlechtleistung kann diese Vergütung – abhängig von dem anwendbaren nationalen Recht – entsprechend gemindert werden. Darüber hinaus setzt sich der Koordinator bei Schlechtleistung etwaigen Haftungsansprüchen aus, die seinen Vergütungsanspruch faktisch weiter mindern können. 1804 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 75 Rn. 20. 1805 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 75 Rn. 14. 1806 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 75 Rn. 14 u. 23; das Vorschlagsrecht dem ursprünglichen Antragsteller zusprechend MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 75 Rn. 10; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 75 Rn. 2. Dagegen spricht jedoch das Ziel eines effizienten Verfahrens. Die Möglichkeit einer Verwalterbestellung sollte – zum Wohle einer schnellen Koordinatorwahl – allen Verwaltern offenstehen. Daher ist auch die Ansicht abzulehnen, die dem Antragsteller der Abberufung ein Vorschlagsrecht zubilligen möchte. So jedoch Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 75 Rn. 7. 1807 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 75 Rn. 14 u. 23; solch ein Vorschlagsrecht dem Koordinationsgericht zusprechend Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 75.20 ff.; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 75 Rn. 21 ff.

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vorgesehen. Es obliegt der jeweiligen lex fori coordinarii geeignete Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen.1808 Im deutschen Recht kann der Koordinator gegen die Abberufungsentscheidung sofortige Beschwerde beim Koordinationsgericht gem. § 6 InsO i. V. m. § 59 Abs. 2 InsO analog erheben. Rechtsmittel hätten jedoch unionsweit einheitlich geregelt werden sollen, um Rechtssicherheit und -einheitlichkeit zu schaffen. 2. Comply-or-Explain-Mechanismus Bei der Durchführung ihrer Insolvenzverfahren berücksichtigen die Verwalter gem. Art. 70 Abs. 1 EuInsVO die Empfehlungen des Koordinators und den Inhalt des Koordinationsplans. Folgt ein Verwalter den Empfehlungen des Koordinators oder dem Koordinationsplan nicht, hat er gem. Art. 70 Abs. 2 UAbs. 2 EuInsVO die Personen oder Stellen, denen er nach seinem nationalen Recht Bericht erstatten muss, sowie den Koordinator über die Gründe zu informieren. Die Berichtspflicht trifft gem. Art. 76 EuInsVO ebenfalls den eigenverwaltenden Insolvenzschuldner. Eine gesetzliche Erzwingung der Empfehlungen des Koordinators oder des Koordinationsplans ist gem. Art. 70 Abs. 2 UAbs. 1 EuInsVO ausdrücklich nicht vorgesehen.1809 Die Verwalter müssen lediglich mit einer Haftung über nationalrechtliche Normen gem. Art. 7 Abs. 2 EuInsVO rechnen, wenn sie sinnvolle Koordinationsmaßnahmen ablehnen.1810 Anders ist dies im Zusammenhang des Gruppen-Koordinationsplans im nationalen deutschen Konzerninsolvenzrecht geregelt. Dort besteht die Möglichkeit, den Koordinationsplan durch einen Beschluss der Gläubigerversammlung zu einer verbindlichen Grundlage für den nationalen Insolvenzplan zu erklären, wodurch der Insolvenzverwalter an die Vorgaben des Koordinationsplans gebunden ist.1811

Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 75 Rn. 6. Kritisch gegenüber diesem Ansatz, Mangano in: Bork/Mangano, European CrossBorder Insolvency Law, 2016, Rn. 8.75. 1810 Fehrenbach, GPR 2017, 38, 48; Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 70 Rn. 4; Prager/Keller, WM 2015, 805, 811; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 70 Rn. 3; J. Schmidt, KTS 2015, 19, 41; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 70.20 f.; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 70 Rn. 23. Im deutschen Recht würde sich ein Schadensersatzanspruch aus § 60 Abs. 1 InsO ergeben, Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 70 Rn. 1 u. 5 ff.; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 70 Rn. 4 u. Art. 72 Rn. 19; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 70 Rn. 3. 1811 Siehe hierzu J. Schmidt, KTS 2015, 19, 51; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 70.05; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 70 Rn. 8. 1808

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Der europäische Gesetzgeber verfolgt somit den Ansatz eines Comply-orExplain-Mechanismus,1812 der ausgehend von dem Cadbury-Report im Jahre 1992 auch in anderen europäischen Rechtsakten Anwendung findet. So ist der Mechanismus Grundlage der Comply-or-Explain-Empfehlung. 1813 Darüber hinaus hielt er Einzug in Art. 20 EuBilanzRL im Zusammenhang mit einer Abweichung vom jeweiligen Corporate-Governance-Kodex sowie in das Europäische Kapitalmarktrecht bei Abweichungen von Empfehlungen der ESMA gem. Art. 16 Abs. 3 ESMA-VO1814, der EBA gem. Art. 16 Abs. 3 EBA-VO1815 und der EIOPA gem. Art. 16 Abs. 3 EIOPA-VO1816.1817 Zur Erfüllung der Vorgaben der EuInsVO ist nach der allgemein gehaltenen Formulierung des Normtextes entweder eine laufende Informationsübermittlung durchzuführen, solange die Nichtbefolgung andauert, oder ein einmaliger Bericht anzufertigen. Soweit sich aus dem nationalen Recht kein Verfahrensablauf ableiten lässt (die Mitgliedstaaten sind dazu angehalten, geeignete Vorschriften bezüglich des Mechanismus zu erlassen), kann der Berichtspflicht sowohl in Gläubigerversammlungen als auch in der gebotenen Ausführlichkeit und mit den notwendigen Details schriftlich nachgekommen werden. Nichts anderes ergibt sich für die Berichtspflicht gegenüber dem Koordinator.1818 1812 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 70 Rn. 2; Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 70 Rn. 1; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 70 Rn. 1; J. Schmidt, KTS 2015, 19, 41; dies., Eurofenix Autumn 2015, 17, 19; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 70.02; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 70 Rn. 2; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 217 f.; Flöther/Undritz, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 8 Rn. 103. 1813 Empfehlung der Kommission vom 9. April 2014 zur Qualität der Berichterstattung über die Unternehmensführung („Comply or Explain“), 2014/208/EU, ABlEU v. 12.4.2014, L 109/43. 1814 Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission, ABlEU v. 15.12.2010, L 331/84. 1815 Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission, ABlEU v. 15.12.2010, L 331/12. 1816 Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/79/EG der Kommission, ABlEU v. 15.12.2010, L 331/48. 1817 Siehe hierzu J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 70 Rn. 2. Einen Rückgriff auf diese Empfehlung aufgrund der unterschiedlichen situativen Grundlagen nicht annehmend Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 70 Rn. 4. 1818 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 70 Rn. 9.

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Im deutschen Recht gibt die Insolvenzordnung einen grundsätzlichen Verfahrensablauf für die Einzelverfahren vor, der auch im Zusammenhang dieser Berichtspflicht einzuhalten ist. Der Insolvenzverwalter hat im Berichtstermin gem. § 156 InsO darzulegen, ob Aussichten bestehen, das Unternehmen des Schuldners im Ganzen oder in Teilen zu erhalten, ob Möglichkeiten der Umsetzung eines Insolvenzplans existieren und welche Auswirkungen die jeweiligen Maßnahmen hinsichtlich der Befriedigung der Gläubiger haben würden. Demnach ist es eine Pflicht des Verwalters, in diesem Berichtstermin mögliche Kooperationsmaßnahmen nach der EuInsVO zu erörtern. Hinsichtlich Berichtspflichten des Verwalters, die erst nach diesem Berichtstermin entstehen, kann im Kontext des europäischen Koordinationsverfahrens auf den Regelungsgedanken des § 269i Abs. 1 S. 3 InsO1819 zurückgegriffen werden. So hat die Begründung etwaiger Abweichungen zu diesem Zeitpunkt in einer gem. § 75 Abs. 1 Nr. 1 InsO extra einzuberufenden Gläubigerversammlung zu erfolgen.1820 Der Comply-or-Explain-Mechanismus fördert eine Kultur der Verantwortlichkeit, da er die Verwalter dazu anregt, über die Auswirkungen ihres Handelns auf die Gesamtgruppe nachzudenken.1821 Der Mechanismus ist aus diesem Grund von großer Bedeutung, um sicherzustellen, dass die Verwalter fundierte und reflektierte Entscheidungen treffen.1822 Ferner verringert eine Offenlegung der Entscheidungsfaktoren die Informationsasymmetrie zwischen den Gruppenunternehmen.1823 Die Begründung sollte daher hinreichend klar, präzise und umfassend sein, damit die anderen Beteiligten beurteilen können, welche Konsequenzen sich aus den Abweichungen ergeben. Die Verwalter haben deutlich anzugeben, von welchen Empfehlungen und in welcher Weise sie von diesen abweichen wollen.1824 Der Bericht muss inhaltlich richtig, ausgewogen und vollständig sein, sodass sich die Insolvenzverwalter nicht angreifbar und möglicherweise haftbar machen. Die Berichtsempfänger, insbesondere die Verfahrensbeteiligten der Gruppenmitglieder, sollen in die Lage versetzt werden, die vom Verwalter verfolgten strategischen Ansätze nachzuvollziehen. Nur dann ist es ihnen möglich, die zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen zu bewerten und – falls nötig – den Insolvenzverwaltern bezüglich der 1819 Im deutschen Koordinationsverfahren ist – abgesehen von der zuvor aufgezeigten Ausnahme hinsichtlich der Bindungswirkung des Koordinationsplans – ein vergleichbarer Comply-or-Explain-Mechanismus in § 269i Abs. 1 InsO geregelt. 1820 Siehe hierzu J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 70 Rn. 16; ebenso Prager/Keller, WM 2015, 805, 811. 1821 Angelehnt an ErwG 7 S. 4 Comply-or-Explain-Empfehlung; den Verwaltern kommt lediglich eine „Pflicht zur inhaltlichen Auseinandersetzung“ zu, Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 70 Rn. 4. 1822 Angelehnt an ErwG 17 S. 1 Comply-or-Explain-Empfehlung. 1823 Angelehnt an ErwG 17 S. 2 Comply-or-Explain-Empfehlung. 1824 Angelehnt an Ziffer 8 lit. a und b Comply-or-Explain-Empfehlung.

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von ihnen gewählten Wege zu widersprechen sowie sie zur Befolgung der vom Koordinator vorgeschlagenen Strategie anzuhalten.1825 Des Weiteren sollte beschrieben werden, wie die Entscheidung für eine Abweichung innerhalb des Unternehmens getroffen wurde.1826 Falls die Abweichung zeitlich befristet ist, ist zu schildern, wann das Unternehmen die betroffene Empfehlung einzuhalten beabsichtigt.1827 Wurde anstelle der empfohlenen Vorgehensweise eine andere Maßnahme gewählt, ist diese zu erläutern und darzulegen, wie sie zur Erreichung des eigentlichen Ziels beiträgt.1828 Dabei sollte speziell auf die spezifischen Merkmale und Gegebenheiten des Unternehmens und der Gruppe eingegangen werden.1829 Im insolvenzrechtlichen Kontext sind die Verteilung der Vermögensmassen, die Gläubigerstrukturen, die Gruppenstrukturen, zeitliche Aspekte sowie die Zielrichtungen der einzelnen Verfahren zu berücksichtigen. 1830 Durch den Comply-or-Explain-Mechanismus wird der Koordinator auch dazu angehalten, gute Empfehlungen oder Pläne auszuarbeiten. Es ist seine Aufgabe einen überzeugenden Gruppenplan vorzulegen, der es schwierig macht, Begründungen für eine Ablehnung zu finden. Werden dennoch berechtigte Kritikpunkte laut, sollte der Koordinator auf diese eingehen und eventuell Nachbesserungen am Koordinationsplan vornehmen.1831 Der Grundsatz „Comply-or-Explain“ gesteht den Unternehmen Flexibilität bei einer gleichzeitigen Rechtfertigungspflicht zu.1832 Ein Spagat zwischen Anpassungsfähigkeit und Verantwortung wird gewagt. 1833 Daher ist der dem Comply-or-Explain-Mechanismus zugrunde liegende Gedanke, die Freiwilligkeit des Verfahrens vollständig zu wahren, grundsätzlich zu begrüßen. Das Koordinationsverfahren kann nur funktionieren, wenn alle Beteiligten mit einer Lösung übereinstimmen und gemeinsam in die richtige Richtung arbeiten. Bei komplizierten Sachverhalten wird das Streben nach Konsens allerdings schwerlich zu den gewünschten Ergebnissen führen. In den Konstellationen, in denen eine Abstimmung notwendig ist, da beispielsweise eine Blockadehaltung Einzelner besteht – insbesondere in kritischen Konzernkonstellationen Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 70 Rn. 10. Angelehnt an Ziffer 8 lit. c Comply-or-Explain-Empfehlung. 1827 Angelehnt an Ziffer 8 lit. d Comply-or-Explain-Empfehlung. 1828 Angelehnt an Ziffer 8 lit. e Comply-or-Explain-Empfehlung. 1829 Angelehnt an Ziffer 9 Comply-or-Explain-Empfehlung. 1830 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 70 Rn. 7; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 70.19; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 70 Rn. 22. 1831 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 70 Rn. 3. 1832 Angelehnt an ErwG 7 S. 3 Comply-or-Explain-Empfehlung; „von Legitimationsdruck der Verwalter“ sprechend MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 70 Rn. 2. 1833 Vgl. J. Schmidt, KTS 2015, 19, 42; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 70.3; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 70 Rn. 6. Dies ist ganz im Sinne des ErwG 54 S. 2 EuInsVO. 1825

1826

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mit unterschiedlichen Interessen –, sind die Vorschriften nicht weitreichend genug. Bei diesen Fällen handelt es sich jedoch gerade um solche, die dringlich angegangen werden sollten. Die Interessenkonflikte werden sich ohne umfassende Eingriffsbefugnisse und Durchsetzungsmöglichkeiten des Koordinators nicht auflösen lassen.1834 Es bleibt zu hoffen, dass die Verwalter über den unverbindlichen Druck des Comply-or-Explain-Mechanismus wenigstens teilweise gelenkt werden, da es schwierig ist, eine Verweigerung hinsichtlich eines vernünftigen und im Interesse aller liegenden Koordinationsplans zu begründen.1835 Wenn sich die Verwalter sinnvollen Maßnahmen verweigern, besteht nach den meisten Rechtsordnungen ohnehin die Gefahr, dass sie sich Schadensersatzpflichtig machen oder eine Abberufung riskieren.1836 Grundvoraussetzung für eine Abstimmung über den Koordinationsplan ist jedoch, dass die Verfahren überhaupt am Koordinationsverfahren partizipieren. In den wirklich kritischen Konstellationen dürfte es schon hieran scheitern. 3. Opt-in und Opt-out nach Eröffnung des Koordinationsverfahrens a) Nachträgliches Opt-in Im Einklang mit dem dafür geltenden nationalen Recht kann jeder Verwalter gem. Art. 69 Abs. 1 Hs. 1 EuInsVO im Anschluss an die Eröffnungsentscheidung des Koordinationsgerichts beantragen, dass das Einzelverfahrens, für das er bestellt wurde, nun doch in das Koordinationsverfahren einzubeziehen ist (sog. nachträgliches Opt-in1837). Diese Möglichkeit besteht, sofern das Verfahren bisher nicht an dem Koordinationsverfahren partizipierte, da entweder ein Einwand gegen die Einbeziehung des Verfahrens erhoben wurde (Hs. 2 lit. a) oder das Verfahren erst eröffnet wurde, nachdem die Eröffnungsentscheidung

1834

Vgl. Madaus, ZRP 2014, 192, 194; Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 70

Rn. 7. 1835 Dem Verfahren aufgrund dieses unverbindlichen Drucks bescheinigend, dass es Potenzial hat, nicht lediglich ein „zahnloser Tiger“ zu sein, Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 70.03; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 70 Rn. 6; dies., KTS 2015, 19, 42; dies., KTS 2018, 1, 11; ähnlich Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 217 f. 1836 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 70.21; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 70 Rn. 23; dies., KTS 2015, 19, 41; dies., KTS 2018, 1, 11. 1837 Der Begriff „Opt-in“ ist im Grunde nicht korrekt, da es nicht um die Ausübung eines einseitigen Optionsrechts geht, sondern die Einbeziehung auf Antrag durch eine Entscheidung des Koordinators stattfindet, Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 618. Da der Terminus in diesem Kontext allerdings durch das Gesetz vorgesehen ist, soll er auch in dieser Arbeit verwendet werden.

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über das Koordinationsverfahren gefallen ist (Hs. 2 lit. b)1838. Das Opt-in basiert vollständig auf Freiwilligkeit und ist ein wesentlicher Baustein für die flexible Handhabung des Koordinationsverfahrens.1839 Nach dem Wortlaut des Art. 69 Abs. 1 Hs. 2 lit. b EuInsVO besteht zwar keine Opt-in-Möglichkeit für Einzelverfahren, die zwischen Stellung des Antrags auf Eröffnung eines Koordinationsverfahrens und der Eröffnungsentscheidung selbst eröffnet wurden. Über eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs ist dies jedoch zu gewähren.1840 Dies hat insbesondere zu gelten, da diese Verfahren gem. Art. 61 Abs. 3 lit. c EuInsVO nicht im Antrag des Koordinationsverfahrens aufgelistet waren, demnach nicht nach Art. 63 Abs. 1 Hs. 1 EuInsVO über das Koordinationsverfahren informiert wurden und somit auch kein Teil des Koordinationsverfahrens werden konnten.1841 Der dargestellte Zeitraum wurde vom europäischen Gesetzgeber schlicht übersehen. Antragsberechtigt ist der Verwalter des jeweiligen Einzelverfahrens. Hierzu zählt auch der Schuldner in Eigenverwaltung gem. Art. 76 EuInsVO sowie der vorläufige Insolvenzverwalter, der ebenfalls unter Art. 2 Nr. 5 EuInsVO fällt.1842 Der Adressat des Antrags ist in der EuInsVO nicht angegeben. Da für alle weiteren Verfahrensschritte nach Eröffnung des Verfahrens der Koordinator zuständig ist, ist es zu empfehlen, den Antrag an ihn zu richten.1843 Eine Begründung der Opt-in-Entscheidung ist zwar nicht Voraussetzung, sollte jedoch dem Antrag hinzugefügt werden, um das Einbeziehungsverfahren zu beschleunigen und die Erfolgsaussichten zu erhöhen.1844 Vor der Entscheidung über die Teilnahme an dem Koordinationsverfahren hat der Verwalter gem. Art. 69 Abs. 1 Hs. 1 EuInsVO insbesondere die Genehmigungen, die gegebenenfalls nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung, für das er bestellt wurde, erforderlich sind, zu erwirken. Solch ein Zustimmungsvorbehalt 1838 Aus welchen Gründen das Einzelverfahren erst nach der Eröffnung des Koordinationsverfahrens eröffnet wurde, ist irrelevant, J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 69 Rn. 8. 1839 Braun/Esser, InsO 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 69 Rn. 26; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 69.02; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 69 Rn. 2; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 97; dies., KTS 2018, 1, 9; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 217. 1840 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 69 Rn. 7 f. 1841 Siehe hierzu mehr zuvor auf S. 372. 1842 Siehe zuvor schon S. 286 f. Vgl. ebenso Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 69 Rn. 4; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 69 Rn. 9; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 104. 1843 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 69.10; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 69 Rn. 11; das Koordinationsgericht als richtigen Adressaten ansehend Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 69 Rn. 7. 1844 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 69.11; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 69 Rn. 13; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 105.

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findet sich im deutschen Recht in Art. 102c § 23 Abs. 2 Nr. 2 EGInsO wieder. Die Zustimmung gem. §§ 160, 161 InsO ist notwendig, wenn der Verwalter beabsichtigt, die nachträgliche Einbeziehung in ein Koordinationsverfahren zu beantragen und die Durchführung des Koordinationsverfahrens von besonderer Bedeutung für das deutsche Verfahren des Gruppenmitglieds ist. Die besondere, nicht bloß untergeordnete Bedeutung dürfte regelmäßig vorliegen.1845 Eine Einbeziehungsentscheidung kann gem. Art. 69 Abs. 2 Hs. 1 EuInsVO ergehen, wenn der Koordinator davon überzeugt ist, dass unter Berücksichtigung des Stands, den das Koordinationsverfahren zum Zeitpunkt der Antragsstellung erreicht hat, die Voraussetzungen gem. Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 lit. a und b EuInsVO erfüllt sind (Hs. 2 lit. a) oder alle beteiligten Verwalter gemäß den Bestimmungen ihres nationalen Rechts zustimmen (Hs. 2 lit. b). Solch ein Zustimmungsvorbehalt findet sich im deutschen Recht in Art. 102c § 23 Abs. 2 Nr. 3 EGInsO wieder. Die Zustimmung gem. §§ 160, 161 InsO ist notwendig, wenn die Verwalter beabsichtigen die Zustimmungserklärung zu einem entsprechenden Antrag eines Verwalters abzugeben und die Durchführung des Koordinationsverfahrens von besonderer Bedeutung für das deutsche Verfahren des Gruppenmitglieds ist. Die besondere, nicht bloß untergeordnete Bedeutung dürfte auch hier regelmäßig vorliegen.1846 Diese Einbeziehungsmöglichkeit nach Hs. 2 lit. b, die an keine weiteren Voraussetzungen gebunden ist, verdeutlicht den (rechtsgeschäftlichen) Charakter des Koordinationsverfahrens. Über die Einbeziehung der Gläubigergremien aufgrund des Vorbehalts des nationalen Rechts wird die nötige Akzeptanz für diese Entscheidung geschaffen.1847 Nach Art. 69 Abs. 2 Hs. 1 EuInsVO kommt dem Verwalter bei seiner Entscheidung über die Einbeziehung ein Ermessen zu. Daher ist es wichtig, dass der Koordinator den Verwaltern verpflichtend die Möglichkeit auf rechtliches

Vgl. BT-Drs. 18/10823 S. 37. Hinsichtlich der Rechtswirksamkeit des Handelns des Verwalters dürfte – auch ohne direkten Verweis – weiterhin der § 164 InsO gelten, wodurch ein Verstoß gegen die Zustimmungspflicht der Wirksamkeit des Antrages gem. Art. 69 Abs. 1 Hs. 1 EuInsVO im Ergebnis nicht entgegenstehen wird. Vgl. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 69 Rn. 12; a. A. Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 69.09; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 69 Rn. 10; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 104. 1846 Vgl. BT-Drs. 18/10823 S. 37. Hinsichtlich der Rechtswirksamkeit des Handelns des Verwalters gilt – auch ohne direkten Verweis – weiterhin der § 164 InsO, wodurch ein Verstoß gegen die Zustimmungspflicht der Wirksamkeit der Zustimmung gem. Art. 69 Abs. 2 Hs. 2 lit. b EuInsVO im Ergebnis nicht entgegenstehen wird. Vgl. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 69 Rn. 20; a. A. Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 69 Rn. 8; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 69.22; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 69 Rn. 27; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 108. 1847 Prager/Keller, WM 2015, 805, 810. 1845

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Gehör einräumt.1848 Hat das Einzelverfahren, das in das Koordinationsverfahren hereinoptieren möchte, aufgrund eines Einwandes nach Art. 65 Abs. 1 EuInsVO nicht an dem Koordinationsverfahren teilgenommen, ist es sinnvoll, wenn der Koordinator die hoffentlich gut begründete Eröffnungsentscheidung des Koordinationsgerichts sowie die ursprünglichen Einwände des Verwalters bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Insbesondere auf Basis dieser Informationen und seiner eigenen Kenntnisse von dem Verfahren hat er seine Überzeugung hinsichtlich der Erfüllung der Voraussetzungen gem. Art. 63 Abs. 1 Hs. 2 lit. a EuInsVO zu bilden. Liegen die Voraussetzungen nach lit. a oder lit. b vor, ist das Ermessen des Koordinators erheblich in Richtung einer Einbeziehung geleitet.1849 Vor allem wenn ein Konsens aller beteiligten Verwalter vorliegt, wird der Koordinator schwerlich eine andere Entscheidung als eine Einbeziehung treffen können. Die weit gefassten Einbeziehungsmöglichkeiten zeigen, dass eine Einbeziehung der nicht an dem Koordinationsverfahren partizipierenden Verfahren grundsätzlich erwünscht ist.1850 Das Opt-in eines weiteren Verfahrens sollte allerdings den bisher geplanten und durchgeführten Maßnahmen nicht zuwiderlaufen.1851 Solche Fälle können insbesondere dann auftreten, wenn das Koordinationsverfahren schon sehr weit fortgeschritten ist.1852 Keine Einbeziehung sollte überdies stattfinden, wenn das Einzelverfahren am Koordinationsverfahren partizipieren möchte, um lediglich einseitige Informationen abzuschöpfen, jedoch selbst keinen Nutzen für die Koordination bereitstellen kann.1853 Der Koordinator und die bereits am Koordinationsverfahren teilnehmenden Grup1848 Hinsichtlich eines erleichternden Verfahrens genügt es, wenn der Koordinator die Verwalter zu einer schriftlichen Partizipation via Brief oder E-Mail auffordert bzw. eine virtuelle Versammlung einberuft oder lediglich telefonischen Kontakt sucht. Ein tatsächliches körperliches Zusammenfinden ist zwar möglich, aufgrund der länderübergreifenden Konstellationen und der damit verbundenen Kosten allerdings nicht erforderlich. Vgl. Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 69 Rn. 21; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 69.15; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 69 Rn. 17; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 105 f. 1849 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 69 Rn. 22; auch der Wortlaut der anderen Sprachfassungen spricht für eine Ermessensentscheidung, MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 69 Rn. 10; a. A. Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 69.16; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 69 Rn. 18; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 106. 1850 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 69 Rn. 16; Mangano in: Bork/Mangano, European Cross-Border Insolvency Law, 2016, Rn. 8.67; in diese Richtung auch Thole, KTS 2014, 351, 373 f. 1851 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 69 Rn. 18. 1852 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 69.20; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 69 Rn. 22; dies anhand eines Beispiels erläuternd dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 107. 1853 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 69 Rn. 19.

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penmitglieder werden in diesen Fällen regelmäßig kein Interesse am Opt-in des Einzelverfahrens haben, da die Einbeziehung für die Umsetzung der gerichtlich bestätigten Koordinationsstrategie nicht notwendig ist und nur die Entscheidungsfindungsprozesse verlangsamen oder gar behindern würde.1854 Eine Beteiligung des Koordinationsgerichts ist im Zusammenhang eines Opt-ins nicht vorgesehen.1855 Dies erscheint sinnvoll. Der Verordnungsgeber hat sich für ein formelles Verfahren entschieden, bei dem die Kompetenzen derjenigen Einheit zugesprochen werden, die zum jeweiligen Verfahrenszeitpunkt am besten über den Kooperationsprozess informiert ist und demnach die effizientesten Entscheidungen treffen kann. Der Koordinator übernimmt die Aufgabe der Verfahrensgestaltung ab dem Zeitpunkt der Koordinationsverfahrenseröffnung, wodurch ihm auch die Kompetenz zur Entscheidung über das Opt-in zukommt. Das Koordinationsgericht hat zwar eine Überwachungsaufgabe inne, es wird allerdings keinen vergleichbaren Einblick in den jeweilig aktuellen Stand des Koordinationsverfahrens haben. Hinsichtlich der sich durch die Einbeziehung erhöhenden Kosten sollte der Koordinator seine Kostenüberwachungsaufgabe im Blick behalten und gegebenenfalls eine vorherige Zustimmung des Gerichts gem. Art. 72 Abs. 6 lit. b EuInsVO einholen. Der Koordinator hat seine Entscheidung – basierend auf seiner allgemeinen Sorgfaltspflicht gem. Art. 72 Abs. 5 EuInsVO – einerseits so schnell wie möglich zu treffen, um eventuelle Verfahrensanpassungen nicht zu verzögern. Andererseits soll er eine fundierte Prüfung der Voraussetzungen auf Basis aller notwendigen Hinweise der Verwalter durchführen.1856 Die Entscheidung des Koordinators ist gem. Art. 69 Abs. 3 EuInsVO den am Koordinationsverfahren beteiligten Verwaltern und dem Antragsteller selbst1857 zu übermitteln und mit Gründen zu versehen. In der Entscheidung sollte insbesondere die Kostenfrage geregelt sein und darlegt werden, welche Veränderungen sich durch das Optin ergeben.1858 Das Opt-in wird im Entscheidungszeitpunkt des Koordinators Eine Anfechtung der Entscheidung des Koordinators gemäß der nach Art. 69 Abs. 4 EuInsVO zur Verfügung gestellten Möglichkeiten wird in diesen Fällen nicht viel weiterhelfen, Madaus, IILR 2015, 235, 245. 1855 Diese Kompetenzverschiebung hin zu dem Koordinator kritisierend MüKoInsO/ Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 69 Rn. 8 u. 12 f. 1856 J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 69 Rn. 28; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 108. 1857 Dies ergibt sich zwar nicht direkt aus dem Wortlaut, es ist allerdings evident erforderlich, dass auch der Antragsteller bezüglich seines Anliegens in Kenntnis gesetzt wird, Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 69 Rn. 10; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 69.24; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 69 Rn. 29; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 108. 1858 Die spätere Einbeziehung des Verfahrens kann insbesondere bei der Kostenverteilung Berücksichtigung finden, Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 69.32; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 69 Rn. 39; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 110. 1854

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wirksam, sodass unmittelbar mit dem erweiterten Koordinationsverfahren geplant und gearbeitet werden kann. Ein späterer Wirksamkeitszeitpunkt wäre einem effizienten Verfahren abträglich.1859 Auf Basis der Begründung der Einbeziehungsentscheidung ist es möglich, von dem Anfechtungsrecht, das gem. Art. 69 Abs. 4 EuInsVO und ErwG 56 S. 4 EuInsVO von den nationalen Rechtsordnungen zu schaffen ist, Gebrauch zu machen.1860 Im deutschen Recht ist in diesen Fällen gem. Art. 102c § 25 S. 1 EGInsO die Erinnerung statthaft. Die Entscheidung des Koordinators soll zunächst durch das für das Koordinationsverfahren zuständige Gericht überprüft werden, das über die entsprechende Sachnähe verfügt. Für das weitere Verfahren gilt gem. Art. 102c § 25 S. 2 EGInsO der § 573 ZPO entsprechend. Gegen die Entscheidung des Ausgangsgerichts über die Erinnerung ist daher die sofortige Beschwerde nach § 573 Abs. 2 ZPO statthaft. Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist wiederum nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn das Beschwerdegericht diese im Beschluss zugelassen hat. 1861 Durch die Entscheidung beschwert sind entweder diejenigen Gruppenmitglieder, die durch die Einbeziehung des Verfahrens eine negative Beeinträchtigung des Kooperationsverfahrens erwarten oder – über den Antragsteller hinaus – diejenigen Mitglieder, die durch eine abgelehnte Einbeziehung wichtige Vorteile für das Kooperationsverfahren nicht genützt sehen.1862 Die Sinnhaftigkeit einer Anfechtung dieser Entscheidung ist allerdings äußerst fraglich, da das Koordinationsvertragen von gegenseitigem Vertrauen lebt und ein Anfechtungsverfahren hierfür wenig förderlich ist.1863

1859 A. A. Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 69.31; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 69 Rn. 37; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 110. Der Opt-in soll nach dieser Auffassung erst dann wirksam werden, wenn die Entscheidung nicht wirksam angefochten wurde, d. h. entweder wenn sämtliche ggf. nach nationalem Recht bestehende Fristen abgelaufen sind oder die Anfechtung endgültig wirksam zurückgewiesen wurde. 1860 Hinsichtlich Rechtsmittelfristen empfiehlt es sich, die Unterrichtung per Einschreiben mit Rückschein zu versenden, MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 69 Rn. 11. 1861 Vgl. MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EGInsO Art. 102c Art. 102c § 25 Rn. 2 f.; Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 69 Rn. 12. 1862 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 69.28 f.; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 69 Rn. 33 f.; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 109. 1863 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 621; Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 69 Rn. 12; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 69 Rn. 13.

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b) Nachträgliches Opt-out Ein nachträgliches Opt-out eines Einzelverfahrens ist durch die EuInsVO nicht vorgesehen. Somit ist die Entscheidung hinsichtlich eines vorherigen Opt-outs während der Eröffnungsphase bedeutsam, da die Verfahren nach Eröffnung grundsätzlich nicht mehr aus dem Koordinationsverfahren ausscheiden können. Wird ein Verfahren nach der Eröffnung mangels Masse eingestellt, ist ein Opt-out nicht notwendig, da sich die Teilnahme am Koordinationsverfahren automatisch mit Beendigung des Einzelverfahrens erledigt. Gleiches gilt für ein Einzelverfahren, das erst gar nicht eröffnet wird, aber aufgrund einer Entscheidung des vorläufigen Insolvenzverwalters am Koordinationsverfahren partizipiert hat. Es können darüber hinaus Konstellationen auftreten, in denen ein nachträgliches Opt-out eines noch laufenden Einzelverfahrens von allen Beteiligten gewünscht ist. Auf Basis der Freiwilligkeit und des rechtsgeschäftlichen Charakters des Koordinationsverfahrens hat die Möglichkeit zu bestehen, einzelne Verfahren aus dem Koordinationsverfahren zu entlassen. Hierfür müssen alle Verwalter einstimmig zu der Überzeugung gelangen, dass das Verfahren nicht mehr an dem Koordinationsverfahren partizipieren sollte.1864 Eine Begründung eines solchen Beschlusses ist zwar nicht erforderlich, allerdings aufgrund einer potenziellen Rechenschaftspflicht gegenüber nationalen Gremien anzuraten. Ein Festhalten am Status quo wäre einem effizienten Koordinationsverfahren abträglich. Der Gesetzgeber sollte diese Möglichkeit de lege ferenda in die Verordnung einfügen. 4. Kosten a) Kostenüberwachung Der Koordinator hat die Kosten des Koordinationsverfahrens während des laufenden Verfahrens gem. Art. 72 Abs. 6 EuInsVO im Sinne einer Sekundäraufgabe zu überwachen. Als Bezugspunkt dient dabei die Kostenschätzung des Eröffnungsantrags gem. Art. 61 Abs. 2 lit. d EuInsVO. Fraglich ist, warum der Gesetzgeber nicht auf die durch das Koordinationsgericht in der Eröffnungsentscheidung bestätigte Kostenschätzung gem. Art. 68 Abs. 1 S. 2 lit. c EuInsVO verwiesen hat. Da die Kostenschätzung des Antrags allerdings durch das Gericht im Zuge der Eröffnungsentscheidung nicht abgeändert werden

1864 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 69.33; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 69 Rn. 40; dies., ZVglRWiss 116 (2017), 93, 110; ein nachträgliches Opt-out-Recht einräumend, allerdings dem herausoptierten Verfahren den bisher auf ihn anfallenden Anteil der entstandenen Kosten nicht versagend Madaus in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 69 Rn. 14.

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kann, sind beide Maßstäbe identisch, sodass sich faktisch kein Unterschied ergibt.1865 Kommt es nach der Ansicht des Koordinators zu einer erheblichen Kostensteigerung oder übersteigen die tatsächlichen Kosten die geschätzten Kosten um 10 %, hat der Koordinator sowohl unverzüglich die beteiligten Verwalter zu informieren (lit. a) als auch die vorherige Zustimmung des Gerichts einzuholen, welches das Koordinationsverfahren eröffnet hat (lit. b). Das Verfahren der Genehmigungseinholung ist konkretisiert durch ErwG 59 S. 2 EuInsVO. Das Gericht sollte demnach erst dann seine Entscheidung bezüglich der Genehmigung der Kostensteigerung treffen, wenn es sowohl den beteiligten Verwaltern als auch dem Koordinator die Gelegenheit gegeben hat, gehört zu werden, damit das Gericht die Bemerkungen der Verwalter bei seiner Entscheidung berücksichtigen kann.1866 Wenn sich sämtliche Verwalter mit der Erhöhung einverstanden erklären, ist das Gericht indes in seiner Entscheidung gebunden.1867 Einen Richtwert, ab welcher Schwelle eine erhebliche Kostensteigerung vorliegt, gibt das Gesetz nicht vor. Dies liegt im Ermessen des Koordinators.1868 Aus systematischen Gründen dürfte sie oberhalb der 10 %-Grenze angesiedelt sein. Aus Transparenz- und Akzeptanzerwägungen sollte der Koordinator die Anzeige einer Kostensteigerung allerdings schon bei einem niedrigeren Grenzwert durchführen.1869 Der antragstellende Verwalter wird zum Zeitpunkt der Antragsstellung noch ein recht marginal ausgeprägtes Bild der anstehenden Kosten haben. Da es nicht in seinem Interesse liegt, den Antrag und damit das Koordinationsverfahren durch eine großzügige Kostenschätzung unattraktiv wirken zu lassen, werden die Kostenvorgaben tendenziell niedrig ausfallen.1870 Eine Kostensteigerung von 10 % wird aus diesem Grund im Regelfall recht schnell erreicht sein. Um die Arbeit des Koordinators zu erleichtern, sollte die Kostenschätzung des Eröffnungsantrags im Laufe des Eröffnungsverfahren durch den Antragssteller 1865 Hierauf hinweisend Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 72.65; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 71. 1866 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 97; Mangano in: Bork/Mangano, European Cross-Border Insolvency Law, 2016, Rn. 8.83. 1867 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 72 Rn. 42. 1868 Bei dieser Ermessensentscheidung bestimmt sich der Sorgfaltsmaßstab des Koordinators ebenfalls nach Art. 72 Abs. 5 EuInsVO, Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 33. 1869 Ähnlich Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 36. 1870 A. A. MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 72 Rn. 21; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 72 Rn. 10. Kindler nimmt an, dass die Kostenschätzung im Eröffnungsantrag eher großzügig bemessen ausfallen werde. Eine solche Kostenschätzung hilft jedoch lediglich dem zukünftigen Koordinator, da ihm ein größerer Handlungsspielraum zur Verfügung steht. Dessen Interessen wird der antragstellende Verwalter bei seiner Kostenschätzung nicht im Blick haben.

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selbst oder durch einen Konsens der Verwalter auf einen realistischen Wert angepasst werden, falls sich herausstellt, dass die Schätzungen des antragstellenden Verwalters zu zurückhaltend waren oder sich die Prämissen des zukünftigen Koordinationsverfahrens geändert haben. Die gesetzgeberische Intention, die Kostenfrage den Gerichten zu überantworten, wird in der Literatur teilweise kritisiert.1871 Die Kostenkontrolle sei eigentlich eine originäre Aufgabe der Verwalter. Dabei wird insbesondere drauf hingewiesen, dass gewisse Verfahrensfragen, wie die Frage eines nachträglichen Opt-ins, bei welchen eine gerichtliche Überprüfung durchaus Sinn ergeben würde, ausschließlich dem Koordinator zugeordnet seien.1872 Diese Kritik ist nicht nachvollziehbar. Das Gericht ist die über das Koordinationsverfahren und damit die Aufgaben des Koordinators wachende Instanz, wohingegen sich der Koordinator mit den Interessen und der Abstimmung der Einzelverwalter auseinanderzusetzen hat. Diese Aufteilung zwischen den Einzelverwaltern, dem Koordinator und dem Koordinationsgericht wird konsequent bei der Kostenüberprüfung fortgeführt. So kommt dem Koordinationsgericht gem. Art. 72 Abs. 6 lit. b EuInsVO eine entscheidende Zustimmungsfunktion zu. Nach den Normvorgaben ist jedoch unklar, welchen Handlungsspielraum das Gericht besitzt. Da nicht jede beliebige Kostenerhöhung möglich sein kann und die Einzelverwalter lediglich informiert und nicht in die Entscheidung einbezogen werden, muss dem Gericht ein Ermessen zukommen. Das Koordinationsgericht kann somit die Zustimmung zur Kostenerhöhung verweigern, obwohl sich der Koordinator innerhalb der Vorgaben des Art. 72 Abs. 6 EuInsVO bewegte. Der Verwalter wird in diesem Fall seine Arbeit einstellen müssen, sofern nicht eine Möglichkeit besteht, dass er sein Konzept mit den ursprünglich geschätzten Kosten und zusätzlich einem Kulanzbetrag i. H. v. 10 % weiterhin realisieren kann.1873 Ist die Arbeit einzustellen, wird der Koordinator die bisher entstandenen Kosten voll abrechnen können, da eine Überschreitung der 10 %-Grenze noch nicht stattgefunden hat. 1874 Anderenfalls wäre die Schwelle des Art. 72 Abs. 6 EuInsVO, die dem Koordinator einen gewissen Handlungsspielraum zubilligen soll, zwecklos. Die genaue Ausgestaltung der Rechtsfolgen einer verweigerten Zustimmung ist der lex fori coordinarii überlassen.1875 Hat der Koordinator keine Genehmigung eingeholt und tritt dennoch eine Kostensteigerung ein, die entweder über der Erheblichkeitsschwelle oder der tatsächlichen 10 %-Grenze liegt, ist dem Koordinator die Möglichkeit einer MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 72 Rn. 9. MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 72 Rn. 9. 1873 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 100; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 72 Rn. 43. 1874 Ähnlich Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 99; unentschlossen Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 643. 1875 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 72 Rn. 43. 1871

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nachträglichen Genehmigung zuzubilligen.1876 Erst wenn diese abgelehnt wird, muss der Koordinator selbst für die erhöhten Kosten aufkommen. Dabei erscheint es jedoch als plausibel, dass er nur für diejenigen Kosten, die über die 10 %-Grenze hinausgehen, aufzukommen hat. Lediglich hinsichtlich dieser Kosten dürfte er seinen Sorgfaltsmaßstab nach Art. 72 Abs. 6 EuInsVO verletzt haben.1877 Zu einer geringeren Kostentragungslast des Koordinators kann das Gericht bei seiner Kostenendabrechnung in solchen Fällen kommen, wenn die Kostensteigerung für den Koordinator nicht vorhersehbar war. b) Kostenendabrechnung und -aufteilung aa) Verfahren Am Ende des Koordinationsverfahrens nach Erfüllung der Aufgaben des Koordinators ist gem. Art. 77 Abs. 2 EuInsVO eine Kostenendabrechnung durchzuführen. Der Koordinator hat darin den von jedem Mitglied zu tragenden Anteil festzulegen und jedem beteiligten Verwalter sowie dem Koordinationsgericht zu übermitteln.1878 Fraglich ist, zu welchem Zeitpunkt die Aufgaben des Koordinators als erfüllt anzusehen sind. Dabei ist auf den Zeitpunkt abzustellen, nach dem keine weiteren Kosten mehr aufgrund des Koordinationsverfahrens – insbesondere keine Gerichtsgebühren und Vergütungszahlungen für den Koordinator – anfallen. Dies ist grundsätzlich der Zeitpunkt, zu dem die Umsetzung des Koordinationsplans gem. Art. 72 Abs. 1 lit. b EuInsVO sichergestellt ist1879 und es des Koordinationsverfahrens nicht mehr für die Abstimmungen der Handlungen der Verwalter in ihren Einzelverfahren bedarf. Die tatsächliche Umsetzung muss nicht abgewartet werden, da diese auf einzelstaatlicher Ebene geschieht und einen erheblichen zeitlichen Rahmen einnehmen kann. Erfolgt kein Widerspruch der Verwalter innerhalb der für jeden Verwalter – abhängig vom Eingang der Endabrechnung – individuell zu bestimmenden 1876 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 98; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 72 Rn. 81. 1877 Ähnlich Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 72 Rn. 99; die Kostenüberwachung als Obliegenheit ansehend, sodass sich zumindest der Verlust von Vergütungsansprüchen als Konsequenz aus einer Nichtwahrnehmung dieser Aufgabe ergeben kann, Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 642. 1878 Wenngleich keine Form vorgegeben ist, sollte die Endabrechnung eingeschrieben mit Rückschein übermittelt werden, sodass der Fristbeginn aus Art. 77 Abs. 3 EuInsVO genau verifiziert werden kann, Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 14; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 77 Rn. 5; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 77 Rn. 5; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.22; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 28. 1879 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 13; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 77 Rn. 10.

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30 Tages-Frist, gelten die Kosten und der von jedem Mitglied zu tragende Anteil gem. Art. 77 Abs. 3 S. 1 EuInsVO als gebilligt. Das Koordinationsgericht hat im Falle eines widerspruchfreien Verfahrens kein eigenes Beanstandungsrecht, da ihm keine eigene gruppenbezogene Masse zur Verfügung steht, die belastet werden kann.1880 Das Gericht hat gem. Art. 77 Abs. 3 S. 2 EuInsVO lediglich die Endabrechnung zu bestätigen. Da das Gericht die Abrechnung gem. Art. 77 Abs. 2 EuInsVO schon vor dem Beginn der Frist erhält, dürfte eine Mitteilung des Koordinators genügen, dass eine Bestätigung nun vorgenommen werden kann.1881 Möchte ein Verwalter ein Widerspruch einlegen, ist fraglich, wem gegenüber dieser zu erfolgen hat.1882 Der Normtext ist diesbezüglich unklar. Sinnvoll ist es, wenn die Verwalter den Widerspruch – im Sinne eines einfachen und damit effizienten Verfahrens – sowohl beim Koordinator als auch beim Koordinationsgericht einreichen können, 1883 sofern eine Weiterleitung an das jeweils andere Organ stattfindet. Wurde der Widerspruch eingelegt, entscheidet das Koordinationsgericht über diesen. Dies geschieht allerdings nicht ex officio, sondern erst auf Antrag des Koordinators oder eines beteiligten Verwalters. Diese gesetzgeberische Entscheidung wäre nur nachvollziehbar, wenn man den Beteiligten noch die Möglichkeit einräumen würde, sich über die Unstimmigkeiten bei Kostenfragen abzustimmen und eine widerspruchsfreie Lösung zu finden, bevor das Gericht entscheidet. Käme es zur Erarbeitung einer einvernehmlichen Alternativlösung, wäre es konsequent, den anderen Verwaltern keine erneute Widerspruchsfrist einzuräumen. Solch ein Abstimmungsverfahren ist jedoch bedauerlicherweise nicht vorgesehen. Daher ist es nicht plausibel, warum es erst eines erneuten, das Verfahren hinauszögernden Antrags bedarf, bevor das Koordinationsgerichts über die Kostenfrage entscheiden kann.1884 Wenn zuvor ein Widerspruch eingelegt wurde, wird sich zwangsläufig auch ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung anschließen. Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 77 Rn. 16. Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 16. 1882 Zwar sind an den Widerspruch keine Anforderungen gestellt, um die Entscheidung des Gerichts zu unterstützen, sollte dieser jedoch schriftlich und mit Begründung eingereicht werden, Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 18; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.25; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 31. 1883 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 18; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 77 Rn. 7; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.24; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 30; das Koordinationsgericht als alleinigen Widerspruchsempfänger ansehend MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 75 Rn. 6; für den Fristbeginn den Zeitpunkt der Absendung des Widerspruchs an das Gericht als entscheidend ansehend Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 77 Rn. 14. 1884 Diesem Verfahren ebenfalls die Praktikabilität absprechend Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 77 Rn. 9. 1880

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Die Entscheidung des Gerichts sollte den Verwaltern mitgeteilt werden, damit diese effektiv von ihrem Anfechtungsrecht gem. Art. 77 Abs. 5 EuInsVO Gebrauch machen können. bb) Kostenentscheidung Dem Koordinationsgericht kommt im Falle eines widerspruchsfreien Verfahrens kein materielles Prüfrecht hinsichtlich der gem. Art. 77 Abs. 3 S. 2 EuInsVO vorgelegten Entscheidung zu.1885 Es hat lediglich die Einhaltung des Verfahrens nach Art. 77 Abs. 2 und 3 EuInsVO zu prüfen.1886 Ein materielles Prüfrecht ergibt sich nach Art. 77 Abs. 4 EuInsVO erst im Falle eines Widerspruchs durch mindestens einen der beteiligten Verwalter. Dabei hat die Entscheidung des Koordinationsgerichts im Einklang mit den Kriterien aus Art. 77 Abs. 1 EuInsVO zu erfolgen. In Verbindung mit ErwG 58 S. 2 EuInsVO ist sicherzustellen, dass die Kosten der Koordinierung und der von jedem Gruppenmitglied zu tragende Anteil an diesen Kosten angemessen, verhältnismäßig und vertretbar1887 sowie im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem das Koordinationsverfahren eröffnet wurde, festgelegt werden. Die Angemessenheit ist aus Sicht eines verständigen Koordinators zum Zeitpunkt der Verursachung der Kosten zu beurteilen.1888 Darüber hinaus ist die Entscheidung unter Berücksichtigung der Kostenschätzung gem. Art. 68 Abs. 1 EuInsVO und einer potenziellen Kostensteigerung nach Art. 72 Abs. 6 EuInsVO zu treffen. Das Gericht hat somit die damals aufgestellte Betrachtung in seine Entscheidung mit einzubeziehen.1889 Da sich die Umstände des Koordinationsverfahrens jedoch – insbesondere durch Opt-out, Erledigterklärungen oder Opt-in – stark gegenüber der Eröffnungsentscheidung geändert haben können, ist ein Festhalten an der ehemaligen Kostenschätzung nicht zwangsläufig vorgegeben. Generell hat das Gericht, die mit dem Widerspruch einge-

1885 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 17; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 77 Rn. 9; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.29; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 35. 1886 MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 77 Rn. 9; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.29; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 35. 1887 Hinsichtlich des Verständnisses dieser drei Aspekte siehe S. 362. 1888 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 9; Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 77 Rn. 13; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 77 Rn. 5; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.10; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 13. 1889 Das Gericht muss die Kostenschätzung zwar berücksichtigen, ist allerdings nicht daran gebunden, Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.33; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 39.

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legten Gründe bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen.1890 Allerdings ist dem Widerspruch nur insoweit Bedeutung beizumessen, als sich die Abrechnung außerhalb der Grenzen des Art. 68 Abs. 1 lit. c EuInsVO bewegt, da der Verwalter der Kostenschätzung durch seine Teilnahme an dem Koordinationsverfahren implizit zugestimmt hat. Anderenfalls würde es sich um ein venire contra factum proprium der Verwalter handeln.1891 Der in der Endabrechnung für jedes Gruppenunternehmen festgelegte Anteil hat sich nach dem bestehenden System, insbesondere nach der relativen Größe des Gruppenmitglieds in Bezug auf die vorhandene Masse im Verhältnis zu den anderen Gruppenmitgliedern, der Bedeutung der einzelnen Unternehmen innerhalb der Gruppenstruktur und für den Erfolg des Koordinationsverfahrens, der Verschuldensquote sowie dem Zeitraum der Teilnahme am Koordinationsverfahren, falls ein nachträgliches Opt-in stattgefunden hat, zu bestimmen.1892 Eine Verteilung ausschließlich nach Kopfzahl der Gruppenunternehmen würde zu Ungerechtigkeiten führen, da kleine Gruppenunternehmen eine übermäßige Belastung träfe.1893 Außerdem könnten sich kleine Gruppenunternehmen schon aus diesem Grund dazu entscheiden, überhaupt nicht an einem Koordinationsverfahren teilzunehmen, obwohl für alle Beteiligten ein berechtigtes Interesse daran bestanden hätte, da sie beispielsweise Inhaber eines wichtigen Patentes sind, das für eine erfolgreiche Sanierung der ganzen Gruppe benötigt wird. Eine Aufteilung relativ nach Größe kann zwar ebenfalls unbillige Ergebnisse hervorbringen, wenn manche Verfahren keinen Koordinationsgewinn erfahren bzw. der Aufwand lediglich von wenigen Verfahren getragen wird. Der Koordinationsgewinn bzw. tatsächliche Aufwand lässt sich allerdings – wie im Zusammenhang mit Art. 59 EuInsVO dargestellt1894 – schwer bestimmen und kann daher nur in begrenztem Maße bei der Kostenendabrechnung berücksichtigt werden.1895 Eine Entscheidung des Koordinationsgerichts kann nur über die Gesamtkosten und die Kostenanteile gemeinsam erfolgen. Eine isolierte Entscheidung bzw. eine Entscheidung über lediglich einen Teilbereich der Kosten oder

1890 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.35; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 41. 1891 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 77 Rn. 15. 1892 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 12; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.20; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 25. 1893 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 12; Thole, KTS 2014, 351, 375. 1894 Siehe hierzu S. 331 u. 333. 1895 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 6 u. 12.; a. A. Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 77 Rn. 15 ff.

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Quoten ist nicht möglich. 1896 Allerdings können die Entscheidungen unterschiedlich, das heißt über die Gesamtkosten positiv und über die Anteile negativ (oder umgekehrt), ausfallen. Mit der Kostentragungsregelung wurde ein weiterreichender und flexiblerer Ansatz gewählt als noch in Art. 42df der legislativen Entschließung durch das Europäische Parlament vom 5.2.2014, in welcher das Koordinationsverfahren zum ersten Mal während des Gesetzgebungsprozesses auftauchte. Nach diesem Vorschlag sollten die Kosten ausschließlich nach dem Recht der Mitgliedstaaten festgelegt und pro rata, ausgerichtet an dem Anteil der jeweiligen Vermögenswerte der Unternehmen an der konsolidierten Masse, aufgeteilt werden.1897 Das nun bestehende Kostenabrechnungssystem ist detailliert aufgebaut, um Streitigkeiten zwischen den Beteiligten zu vermeiden bzw. zu minimieren. Da die Vorgaben allerdings erheblich vage gehalten sind, kann hieraus genau das Gegenteil resultieren. Was beispielsweise unter Angemessenheit zu verstehen ist, ist vielfältiger Interpretationsmöglichkeiten zugänglich. 1898 Kostenfragen sollten daher bestmöglich im Konsens zwischen allen Beteiligten geklärt werden, sodass es gar nicht zu einer Kostenentscheidung des Koordinationsgerichts kommen kann.1899 Wird doch solch eine Entscheidung des Gerichts gefällt und bricht über diese Streit aus, kann jeder beteiligte Verwalter nach Art. 77 Abs. 5 EuInsVO die Entscheidung gemäß dem Verfahren anfechten, das nach der lex fori coordinarii vorgesehen ist. Gem. Art. 102c § 26 EGInsO ist im deutschen Recht die sofortige Beschwerde nach § 6 InsO statthaft, auf welche die §§ 567 ff. und 574 ff. ZPO entsprechende Anwendung finden. Das Anfechtungsrecht besteht unabhängig davon, ob der Verwalter im Verfahren zuvor einen Widerspruch eingelegt hat.1900 Sofern ein Rechtsschutzinteresse besteht, muss entgegen des Wortlautes ein Anfechtungsrecht aus rechtsstaatlichen Gründen auch dem Koordinator zur Verfügung stehen.1901 cc) Kostenbestandteile Als Kosten sind im Normtext lediglich die Vergütung des Koordinators sowie dessen Aufwendungen beschrieben, allerdings sind ebenso die Gerichtskosten 1896 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 19; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Art. 75 Rn. 7. 1897 Legislative Entschließung des EP v. 5.2.2014, P7_TA(2014)0093, Änderungsantrag 65. 1898 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 77 Rn. 2. 1899 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 77 Rn. 4. 1900 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.36; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 42. 1901 Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 646; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 77 Rn. 20.

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des Koordinationsgerichts sowie sonstige Kosten, die im Zuge des Koordinationsverfahrens entstehen, in die Kostenendabrechnung einzubeziehen.1902 Unter Aufwendung im Sinne des Art. 77 Abs. 1 EuInsVO versteht man tatsächlich entstandene Kosten, die der Koordinator dem Umstande nach zur Erfüllung seiner Aufgaben für erforderlich halten durfte.1903 Dies können Reisekosten sowie Kosten für Telefon- und Telekommunikation, Porto, Büromittel, Recherche, Versicherungen, Sachverständige, Beratungen und Kommunikation im Allgemeinen sein.1904 Die Vergütung des Koordinators hat nach Art. 77 Abs. 1 EuInsVO angemessen und verhältnismäßig zu den wahrgenommenen Aufgaben auszufallen. Es ist somit den nationalen Rechtsordnungen überlassen, eigene Vergütungstatbestände und Vergütungssätze festzulegen.1905 Ist nichts bestimmt worden, richtet sich die Vergütung nach den allgemeinen Regeln zur Verwaltervergütung.1906 Dabei sind allerdings Abschläge gegenüber der normalen VerwalterBornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Neufassung der EuInsVO, 2016, Rn. 640; Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 4; Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.17; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 22 f.; die Kosten des Koordinationsgerichts und die Kosten der Insolvenzverwalter, die im Zusammenhang eines Koordinationsverfahrens anfallen, nicht hiervon umfasst ansehend Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 77 Rn. 4 f. 1903 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 8. 1904 Ob alle diese Positionen gesondert als Aufwendungen zu erstatten oder schon mit der Vergütung des Koordinators abgegolten sind, wird im Einzelfall nach der gewählten Art der Vergütung zu entscheiden sein. Vgl. zu den einzelnen Positionen Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 10; Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 77 Rn. 23; Bork/van Zwieten/J. Schmidt 77.09; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 12. 1905 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 77 Rn. 11; MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 1 u. 3; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Vor Art. 56 Rn. 16. Dabei werden die Mitgliedstaaten unterschiedliche Vergütungshöhen als Standard festsetzen, Thole, KTS 2014, 351, 375; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 225. 1906 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.12. Grundsätzlich verlangen die Verwalter entweder eine Vergütung, die sich prozentual an der Gesamtmasse ausrichtet und typtischerweise zwischen 3–5 % beträgt oder einer stundenbasierten Rate, wie beispielsweise in den Niederlanden, SWD(2012) 416 final (EN), S. 28 mit Verweis auf den GHK/Milieu-Report. Es wird allerdings eher eine Tätigkeitsvergütung vereinbart werden, da sich diese praktisch besser umsetzen lässt als eine Vergütung auf Basis von Stundenkonvoluten ganzer Mitarbeitergruppen. Vgl. Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 6. Ebenso wäre eine erfolgsbasierte Vergütung denkbar, Bork/van Zwieten/ J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.07; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 10. In Deutschland wird sich die Vergütung nach § 269g InsO i. V. m. §§ 64 InsO und der InsVV richten, J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 15 f.; angemessen erscheint eine Anwendung der Regelsätze der InsVV in Kombination mit dem Abschlagstatbestand des § 3 1902

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vergütung vorzunehmen, da sich die Aufgaben für den Koordinator als weniger umfangreich darstellen.1907 Zur Vermeidung von Unsicherheiten und daraus resultierender Streitigkeiten ist es indes zu empfehlen, dass der Koordinator direkt nach seiner Bestellung eine schriftliche Vereinbarung mit den anderen Verwaltern über die Vergütung abschließt.1908 Aufgrund des erheblichen Zeitund Kostenaufwandes wird es oftmals sinnvoll sein, eine Vorschussreglung zu Beginn der Koordination zu vereinbaren, damit der Koordinator nicht die vollständige Koordination vorzufinanzieren hat.1909 Welche Rangfolge der Koordinator bei der Verteilung der Masse einnimmt, ist nach dem jeweiligen nationalen Recht zu bestimmen.1910 Fällt ein Verfahren mit seinem Anteil an der Vergütungspflicht aus, ist dieser Anteil wohl nicht auf die anderen Verfahren übertragbar, da sich aus Art. 77 Abs. 2 EuInsVO lediglich Ansprüche des Koordinators gegen das jeweilige Einzelverfahren ergeben.1911 Bei der Prüfung der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der Vergütung spielen insbesondere die Größe, der Wert und die Struktur der Gruppe sowie der Umfang, die Dauer, die Schwierigkeit und die Komplexität der Tätigkeit des Koordinators eine Rolle. Außerdem können sich die Kenntnisse und Erfahrungen des Koordinators in der Vergütungshöhe niederschlagen.1912 Negative Auswirkungen auf die Vergütung resultieren aus Pflichtverletzungen des Koordinators. Dies gilt insbesondere, wenn er mögliche Kostenauswüchse gem. Art. 72 Abs. 6 EuInsVO nicht oder nicht rechtzeitig angezeigt hat.1913 Die Gerichtskosten richten sich nach der lex fori coordinarii,1914 welche sich bei der Festsetzung an den Vorgaben der EuInsVO auszurichten hat. Überra-

Abs. 2 lit. d InsVV (geringe Arbeitsbelastung). Allerdings kann gerade wegen des Auslandsbezugs ein Zuschlag nach § 3 Abs. 1 InsVV gerechtfertigt sein. Vgl. MüKoBGB/Kindler, 7. Aufl. 2018, EuInsVO Art. 77 Rn. 4. 1907 Ein deutscher Sachwalter bekommt ca. 60 % von dem Betrag, den ein Verwalter bekommen hätte, Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 223. 1908 Diese Vereinbarungen können auch den nationalen Gläubigerversammlungen zur Genehmigung vorgelegt werden. Dadurch wird eine stärkere Akzeptanz geschaffen und potenzielle spätere Widersprüche schon frühzeitig ausgeschaltet. Vgl. Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 21. 1909 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 11 u. 21. 1910 In Deutschland muss von einer sonstigen Masseverbindlichkeit gem. § 55 InsO ausgegangen werden, wodurch die Befriedigungsreihenfolge gem. § 209 InsO greift, Braun/ Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 7. 1911 Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 77 Rn. 7. 1912 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 77 Rn. 13; Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.05 ff.; dies. in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 6 ff.; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 225. 1913 Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 77 Rn. 20 ff. 1914 Bork/van Zwieten/J. Schmidt, EuInsVO, 1. Aufl. 2016, 77.18; dies. in: Mankowski/ Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 1. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 23.

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schend ist daher der deutsche § 23 Abs. 5 GKG1915, welcher die Kosten des Koordinationsverfahrens ausschließlich dem Verfahren („Schuldner“) auferlegt, dessen Verwalter die Einleitung des Koordinationsverfahrens beantragt hat. Dies dürfte den Anforderungen gem. Art. 77 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 EuInsVO sowie ErwG 58 S. 2 EuInsVO widersprechen, nachdem der von jedem Gruppenmitglied zu tragende Anteil an den Kosten angemessen, verhältnismäßig und vertretbar sein muss.1916 Die deutsche Regelung hätte zur Folge, dass kein Verwalter ein Koordinationsverfahren beantragen würde, um die erheblichen Gerichtskosten des Koordinationsgerichts nicht seinem Verfahren aufzubürden. Die Kostentragungsregelung nach § 23 Abs. 5 GKG würde daher faktisch zu einer Verhinderung von Koordinationsverfahren führen und damit die Wirksamkeit des europäischen Rechts gefährden. § 23 Abs. 5 GKG ist aus diesem Grund in dieser Form für unanwendbar zu erklären.1917 5. Beendigung des Verfahrens Vorschriften betreffend die Beendigung des Verfahrens sind in der Verordnung nicht zu finden. Allerdings ist davon auszugehen, dass das eröffnende Koordinationsgericht für die formelle Beendigung zuständig ist.1918 Eine Beendigung kann zugleich mit dem Beschluss gem. Art. 77 Abs. 3 EuInsVO eingeleitet werden.1919 III. Zusammenfassung und Fazit Mit der Einführung des Koordinationsverfahrens hat der europäische Gesetzgeber versucht, eine Möglichkeit der Steuerung und Leitung der Einzelverfahren zu schaffen, sodass ein einheitlich abgestimmter Gesamtprozess entsteht.1920 Diese Bemühungen zur Errichtung eines konsistenten Rahmens für eine Koordination, insbesondere mit dem starken Fokus auf den Sanierungsgedanken, sind per se zu begrüßen.1921 Auch im Detail birgt das Koordinations1915 Art. 4 des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren v. 5.6.2017, BGBl. I 2017, 1476. 1916 A. A. Fritz in: Vallender, EuInsVO, 2017, Art. 77 Rn. 6 ff. Entgegen der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung sieht Fritz von Art. 77 EuInsVO nur die Kosten des Koordinators geregelt. § 23 Abs. 5 GKG betreffe hingegen nur die Gerichtskosten, für welche die Anforderungen des Art. 77 EuInsVO gerade nicht zu gelten haben. 1917 Die Gesetzgebegründung und übrige Literatur schweigen leider hinsichtlich der Beweggründe, die zu der deutschen Regelung geführt haben. 1918 Braun/Esser, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 68 Rn. 1. 1919 Madaus, IILR 2015, 235, 246. 1920 Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Vorb. Vor Art. 56-77 Rn. 15; Vallender, ZIP 2015, 1513, 1521. 1921 In diesem Sinne auch J. Schmidt, KTS 2018, 1, 13; ebenso Braun/Tschentscher, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Vorb. Vor Art. 56-77 Rn. 16.

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verfahren brauchbare Ansätze, wenn man beispielsweise an das Aussetzungsrecht des Koordinators denkt. Ein wesentlicher Vorteil der Vorschriften des Koordinationsverfahrens gegenüber der allgemeinen Verfahrenskooperation besteht in der Tatsache, dass die darin vorgesehenen Kooperations- und Koordinationsmechanismen nicht generell unter dem Vorbehalt der nationalen Vorschriften stehen.1922 Lediglich hinsichtlich weniger Verfahrensschritte sind etwaig existierende nationale Genehmigungsvoraussetzungen zu beachten. Im unmittelbaren Zeitraum nach Inkrafttreten der Reform wird freilich das Bedürfnis einiger Insolvenzverwalter bestehen, das Koordinationsverfahren – auch für Marketingzwecke – zu testen.1923 Es ist jedoch zu befürchten, dass die Euphorie bezüglich eines eigenen europäischen Konzerninsolvenzverfahrens schnell breiter Ernüchterung weicht. Zwar wird gem. ErwG 54 S. 2 EuInsVO nachvollziehbar gefordert, dass ein Ausgleich zwischen einem Höchstmaß an Koordination der Gruppenverfahren und der Wahrung der Autonomie der Einzelverfahren zu schaffen ist. Das gewählte Konzept lässt allerdings schwerlich solch einen Ausgleich erkennen. Die den Koordinationsprozess hemmende Freiwilligkeit des Koordinationsverfahrens ist omnipräsent. Lediglich eine rechtlich unverbindliche politische Einflussnahme oder ein öffentlicher Druck aufgrund des Comply-or-Explain-Mechanismus kann dem Koordinationsverfahren eine faktische Kraft verleihen. 1924 Damit liefert das Koordinationsverfahren für die Bedürfnisse der Praxis wenig Zugewinn. 1925 Wenngleich die zentrale Figur des Koordinationsverfahrens in Person des Koordinators von Expertise und Neutralität ausgezeichnet sein wird, hängt die Wirksamkeit ausschließlich von dem Willen und der Einsatzbereitschaft der Einzelverwalter ab.1926 Wenn eine große und massereiche Muttergesellschaft existiert, welche zugleich den Einfluss auf die wesentlichen Betriebsmittel innehat, wird sich der dort bestellte Verwalter wohl kaum einem komplizierten Koordinationsverfahren und den Vorschlägen eines Koordinators beugen wollen.1927 Ein rein freiwilliges Verfahren wird demnach gerade in schwierigen Gruppenkonstellationen, in denen kein Konsens hinsichtlich einer gemein1922 Der Vorbehalt der Vereinbarkeit mit nationalem Recht im Zusammenhang des allgemeinen Koordinationsverfahrens wird sogar von der deutschen Ratsdelegation als effektivitätshindernd angesehen, Ratsdok. 15675/13 (EN), S. 5; ebenso Reumers, ECFR 2013, 554, 586; Thole, ZEuP 2014, 39, 69; Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 557. 1923 Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 221. 1924 Ähnlich Thole, KTS 2014, 351, 375; den Mechanismus nicht als „zahnlosen Tiger“ ansehend J. Schmidt, KTS 2015, 19, 42; kritisch McCormack, (2014) 1 JPIL, 41, 59; Reumers, ECFR 2013, 554, 588. 1925 K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 19. Aufl. 2016, Vorbem. zur EuInsVO Rn. 14. 1926 Fehrenbach, GPR 2017, 38, 48; Garcimartín, ZEuP 2015, 694, 730; Flöther/Undritz, Hdb Konzerninsolvenz, 2015, § 8 Rn. 103 f. 1927 Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 62 Rn. 3; MüKoInsO/Reinhart, 3. Aufl. 2016, EuInsVO Vor Art. 56 Rn. 14.

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samen Strategie existiert oder es eine starke Verwalterpersönlichkeit gibt, schwerlich zum erwünschten Nutzen führen. Das Koordinationsverfahren wird tendenziell eher dann eingesetzt werden und von Erfolg gekrönt sein, wenn die Mittel der allgemeinen Verfahrenskoordination zur Abstimmung der Verfahren auch ausgereicht hätten. Einen wirklichen Zugewinn würde das Koordinationsverfahren erst dann bieten, wenn Instrumente bereitständen, um obstruierende Hold-out-Strategien Einzelner durch Maßnahmen des Koordinators oder des Koordinationsgerichts zu überwinden und somit Ideen und Strategien der Gesamtgruppe durchzusetzen. 1928 Der Koordinationsplan ist mangels seiner gestaltenden Wirkung hierfür nicht geeignet. 1929 Ohne Zwangsmaßnahmen wird sich das Koordinationsverfahren lediglich als ein stumpfes Schwert präsentieren. Damit allerdings nicht genug. Trotz der Freiwilligkeit des Koordinationsverfahren ist die Durchführung des Verfahrens mit einem administrativ hohen Aufwand verbunden und wird daher zu erheblichen Kosten führen, die durch einen Koordinationsgewinn erst ausgeglichen werden müssen, bevor der Koordinationsprozess als Erfolg verbucht werden kann.1930 Kosten entstehen sowohl durch den Koordinator und das Koordinationsgericht als auch in Form von indirekten Kosten über eine zeitliche Verzögerung aufgrund der vielen Verfahrensschritte.1931 Darüber hinaus sind die Vorschriften zum Koordinationsverfahren handwerklich nicht sauber umgesetzt und bergen aus diesem Grund erhebliche Lücken und damit Rechtsunsicherheit, 1932 die es de lege ferenda zu beseitigen gilt. An den durch die Reform in die EuInsVO eingefügten Vorgaben wird sich allerdings in absehbarer Zeit nichts ändern, folglich auch keine Konkretisierung der Vorschriften geschaffen. Aus diesem Grund wird es Aufgabe der Mitgliedstaaten sein, analog Art. 7 Abs. 2 EuInsVO die oftmals grundzügeartigen Sachnormregelungen der EuInsVO über eigenen Bestimmungen zu ergänzen. 1933 Dabei muss – ganz im Sinne des Grundgedankens des ErwG 61 EuInsVO – beachtet werden, dass die Anwendung der nationalen Regelungen nicht die Wirksamkeit der in dieser Verordnung enthaltenen Vorschriften Madaus, ZRP 2014, 192, 194 f. In diesem Sinne auch Braun/Cülter, InsO, 7. Aufl. 2017, EuInsVO Art. 72 Rn. 5 u. 9. 1930 Fehrenbach, GPR 2017, 38, 48; Paulus, EuInsVO, 5. Aufl. 2017, Art. 62 Rn. 3; Thole, ZEuP 2014, 67; Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 220 f.; solch ein „doppelstöckiges“ Koordinationsinstrument unabhängig von den Regelungen der EuInsVO ablehnend Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 2/2013, 1, 7, 11. 1931 Fehrenbach, GPR 2017, 38, 48; Madaus, ZRP 2014, 192, 195; ders., IILR 2015, 235, 241. 1932 Den Vorschriften „eine eher ärmliche rechtstechnische Qualität“ zuschreibend und sie generell als „kleinteilig, unübersichtlich und im Detail bisweilen schlicht unverständlich“ beschreiben Fehrenbach, GPR 2017, 38, 48. 1933 Gemeint sind insbesondere Art. 72 Abs. 2 lit. c, 77 Abs. 5, 64 Abs. 3, 69 Abs. 1, 69 Abs. 2 lit. b, 70 Abs. 2 UAbs. 2 EuInsVO. 1928

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beeinträchtigt. Die vom deutschen Gesetzgeber erlassenen Umsetzungsvorschriften zeigen, dass es diesbezüglich – insbesondere aufgrund der unklaren Vorgaben des europäischen Rechts – zu erheblichen Problem kommen kann. Die Umsetzung des Europäischen Sanierungsplans als Alternative zum Koordinationsverfahren scheiterte zum jetzigen Zeitpunkt leider noch an dem Unwillen der Mitgliedstaaten, sich solch einer weitreichenden materiellen Vereinheitlichung zu öffnen, da auch andere Rechtsgebiete angepasst werden müssten. 1934 Der europäische Gesetzgeber hatte sich im Zusammenhang der EuInsVO ausdrücklich gegen solch eine weitreichende Option entschieden.1935 Auf mittel- bis langfristige Sicht ist ein einheitlicher Europäischer Sanierungsplan für ein effektives Konzerninsolvenzverfahren jedoch der Weg, den es zu beschreiten gilt, da sinnvolle Sanierungsmaßnahmen nur umgesetzt werden können, wenn man sich im Einzelfall auch über obstruierende Verwalter oder Gläubiger hinwegsetzen kann. Solange eine Harmonisierung noch nicht stattgefunden hat, kann es – unter der Voraussetzung, dass die nationalen Rechtsordnungen das Mittel vorsehen – nach dem bisherigen System eine echte Alternative darstellen, über die Anordnung einer Eigenverwaltung in den beteiligten nationalen Rechtsordnungen die Entscheidungshierarchien und Strukturen aufrechtzuerhalten und zumindest die gesellschaftsrechtlichen Weisungsund Kontrollrechte für eine Koordination zu nutzen.1936

1934 Es müsste u. a. eine Anpassung der Gesellschaftsrechte geben, Brünkmans, Der Konzern 2013, 234, 248. 1935 Siehe hierzu ausführlich zu der Option B S. 166 ff. 1936 Ausführlich mit Schwerpunkt auf dem nationalen Recht Wiebusch, Int. Konzerninsolvenzrecht, 2014, S. 234 ff.

Kapitel 4

Résumé: Plädoyer für einen flexiblen Ansatz innerhalb eines europäischen Konzerninsolvenzrechtssystems Die Entscheidung des europäischen Gesetzgebers, das bisher faktisch bestehende, aber systematisch marginal ausgeprägte europäisches Konzerninsolvenzrecht weiter auszubauen, ist zu Recht sowohl von Wissenschaft als auch Praxis eindrücklich begrüßt worden. Das Konzerninsolvenzrecht hat primär darauf abzuzielen, dass der unnatürlichen rechtlichen Zerteilung der betriebswirtschaftlichen Einheit der Konzernierung im Insolvenzfalle so begegnet wird, dass die Konzernzersplitterung bestmöglich abgefedert werden kann. Dabei war dem europäischen Gesetzgeber schon früh bewusst, dass die Entscheidungen, welche Ansätze hierfür zu dienen haben, ergebnisorientiert getroffen werden müssen und dabei alle etwaigen Folgewirkungen zu berücksichtigen sind.1 Der Gesetzgeber fand sich damit der grundsätzlichen Frage gegenübergestellt, ob es effizienter ist, einen einheitlichen Gerichtsstand zu schaffen, an dem die Einzelverfahren getrennt abgewickelt bzw. konsolidiert werden, oder räumlich getrennte Verfahren zuzulassen und diese im Sinne einer abgestimmten Konzerninsolvenz über Kooperationsvorschriften oder gar ein Koordinationsverfahren zu verbinden. Der europäische Gesetzgeber hat sich zwar dazu entschlossen, der von der Praxis für eine Konzerninsolvenz entwickelten Methode in Form der Schaffung eines einheitlichen Gerichtsstands am gemeinsamen COMI im Zuge der Reform Rechnung zu tragen, indem diese Möglichkeit als gangbarer Weg ausdrücklich in den Erwägungen Erwähnung fand. Die grundsätzliche Entscheidung zwischen Konzentration oder Kooperation fällt jedoch eindeutig zugunsten von Kooperationsmechanismen aus. Dieser Entschluss ist nur zum Teil zu befürworten. Die allgemeine Verfahrenskoordination schließt eine offensichtliche Regelungslücke,2 selbst wenn sie aufgrund eines zu ausgeprägt geratenen Vorbehalts der nationalen Rechtsordnungen nur eingeschränkte Wirkkraft entfalten kann. Betrachtet man hingegen das implementierte Koordinationsverfahren, ist diesem leider eine mangelnde Effektivität zu prognostizieren, da es in komplizierten Konzernkontexten aufgrund der Freiwilligkeit nicht die notwendige Leistungskraft besitzt und für einfache Konzernkonstellationen, in 1

2

Entschließung des EP v. 15.11.2011, P7_TA(2011)0484, Erwägungsgrund W. Als „step forward“ betitelnd Eidenmüller, MJ 1 (2013), 133, 148.

Kapitel 4: Résumé – Plädoyer für einen flexiblen Ansatz

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denen keine Querulanten vorhanden sind, zu kompliziert ausgestaltet und daher zu teuer ist.3 Es ist dennoch zu befürchten, dass ein Koordinationsverfahren aufgrund politischer Einflussnahme oder öffentlicher Erwartungen auch in den Konstellationen eröffnet werden wird, in denen es solch eines Verfahrens gar nicht bedarf.4 Wenngleich das Koordinationsverfahren in dem einen oder anderen Fall sogar eine Effizienzsteigerung mit sich bringen kann, dürfte es nicht mehr zu leisten im Stande sein als die erheblich unkompliziertere allgemeine Verfahrenskooperation in den Händen von erfahrenen Insolvenzpraktikern und Gerichten. Bei dieser lässt sich insbesondere nach Art. 56 Abs. 2 UAbs. 1 lit. c und Art. 60 Abs. 1 lit. b Ziff. i EuInsVO ein Sanierungsplan vorschlagen und absichern, der die Aufgaben des Koordinationsplans vollumfänglich erfüllen kann. Der Gesetzgeber hätte sich lieber noch mehr an aus der Praxis bekannten Mechanismen – wie den rechtsverbindlichen Absprachen – orientieren und diesen geeignete Durchsetzungsmitteln zur Seite stellen sollen, als ein kompliziertes und teures Koordinationsverfahren einzuführen. Wenngleich einige Ansätze des europäischen Gesetzgebers im Zusammenhang der allgemeinen Verfahrenskoordination durchaus einen Effizienzgewinn mit sich bringen, ist festzustellen, dass kein kohärentes europäisches Konzerninsolvenzrecht geschaffen wurde. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gem. Art. 5 Abs. 4 EUV ist durch die gewählten Regelungen im Sinne des ErwG 86 S. 2 EuInsVO zwar gewahrt, allerdings wurde das zur Verwirklichung der Ziele erforderliche Maß unterschritten. Durch die Entscheidung gegen die Überlegungen im Zusammenhang der strategischen Option B des Berichts der Kommission aus dem Jahre 2012 und damit gegen die Einführung einer verstärkten Verfahrenskonzentration und einer darauf aufbauenden Verfahrenskonsolidierung wurden im Zuge der Reform – im Gegensatz zum Vorschlag in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15.11.2011 – die unterschiedlichen Integrationsniveaus der Konzerne vernachlässigt. Statt viel Zeit und Energie für die Implementierung des komplexen und praxisfernen Formats in Form des Koordinationsverfahrens zu verschwenden, hätte der europäische Gesetzgeber mehr Anstrengungen unternehmen sollen, ein System zu entwickeln, das die vielfältigen Konzernkonstellationen, insbesondere hinsichtlich des unterschiedlichen Grads der Zentralisierung und Integration, im Blick hat. Mit solch einem System kann ein höchstmöglicher Grad an Effektivität erreicht und dennoch die Verhältnismäßig gewahrt werden. Es hat allerdings – wie nach dem Vorschlag der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15.11.2011 – flexibel ausgestaltet zu sein und sich aus einem Nebeneinander der strategischen Optionen A und B des Berichts der Kommission zusammenzusetzen. Für eine ausgeprägte Konzentrations- oder sogar Konsolidierungs3 Vgl. Madaus, ZRP 2014, 192, 195; McCormack, (2014) 10 JPIL, 41, 58 f.; Reumers, ECFR 2013, 554, 588; Thole, KTS 2014, 351, 376. 4 Thole/Dueñas, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 214, 221.

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möglichkeit muss natürlich – insbesondere um die Gläubiger zu schützen – eine weitreichende Harmonisierung der materiellen Insolvenzordnungen durchgeführt werden. Dies ist ganz im Sinne der Teilnehmer der öffentlichen Konsultation im Vorfeld der Reform, in der über die Hälfte der Befragten davon überzeugt waren, dass die Unterschiede in den nationalen Insolvenzrechtsordnungen eine wesentliche Hürde für effiziente Verfahren darstellen.5 Selbstverständlich handelt es sich bei solch einer Harmonisierung um einen gravierenden Eingriff in die nationalen Rechtssysteme, vor allem da das Insolvenzrecht mit vielen anderen Rechtsgebieten verzahnt ist. Die Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass eine Harmonisierung ab einem gewissen Stand der Integration ein notwendiger Schritt ist, um einen funktionsfähigen gemeinsamen Binnenmarkt zu schaffen, wenn die an dem Markt partizipierenden Subjekte mit mehreren Rechtsordnungen in Berührung kommen. Eine europaweit agierende Konzernunternehmung, die sich unternehmerisch frei im Europäischen Markt bewegt, sollte sich auch in der Insolvenz einheitlichen rechtlichen Vorgaben gegenübersehen. Welche Einwirkungsintensität die zu schaffenden Mechanismen im Einzelfall zu entwickeln haben, muss von der wechselseitigen Abhängigkeit innerhalb der Konzernstruktur abhängen. Hier bedarf das europäische System einer Flexibilisierung. Je stärker die wirtschaftliche Verflechtung und damit Einheit der Konzernunternehmung ist, desto größer ist die Dependenz der wirtschaftlichen Aktivitäten innerhalb des Konzerns und desto mehr sollten die Vorteile einer Konzentration zum Tragen kommen. Dies ist gerade bei einem hohen konzerninternen Leistungsaustausch und einer starken finanziellen sowie personellen Verflechtung der Konzernunternehmen der Fall.6 Eine wirtschaftliche Verquickung kann unter anderem aufgrund des Immobilienbesitzes, geistigen Eigentums, aufgeteilten Fertigungsprozesses, Brandings, operativen wie Finanzmanagements, der Vertriebssysteme oder Werbung vorhanden sein. Diese Verbindungen machen den Konzern zu einer wirtschaftlichen Einheit.7 Die Integration und Zentralisierung eines Konzerns ist daher wesentlicher Gradmesser für die Entscheidung zwischen reiner Koordination auf der einen und Konzentration auf der anderen Seite. Ob die Konzentration nur zu einer einheitlichen Verwalterbestellung führt oder gar in einer Verfahrenskonsolidierung resultiert, hängt ebenfalls von der Konzernstruktur im Einzelfall ab. Eine materielle Konsolidierung sollte jedoch mangels Nutzeffekts gegenüber speziellen Dabei waren jedoch nur 38 % davon überzeugt, dass ihre nationale Rechtsordnung wichtige Ineffizienzen aufweist, SWD(2012) 416 final (EN), S. 53. 6 Einerseits können die Geschäftsführerposten der Konzernmutter und -töchter in Personalunion besetzt sein, andererseits ist es möglich, leitende Angestellte der Konzernzentrale als Geschäftsführer der Tochterunternehmen einzusetzen, Brünkmans, Koordinierung, 2009, S. 30; Weller, ZHR 169 (2005), 570, 572. 7 COM(2012) 416 final (EN), S. 15; Bous, Die Konzernleitungsmacht, 2001, S. 15 ff.; Vallender/Deyda, NZI 2009, 825, 826. 5

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Maßnahmen, wie Anfechtungsrechten oder Durchgriffshaftungen, nicht als Mittel der Wahl zur Verfügung stehen. Bei dezentral organisierten Konzernen oder gar Gleichordnungskonzernen hat eine Konzentration lediglich eine erhöhte Komplexität ohne Synergieeffekte zur Folge. Fällt ein dezentral strukturierter Konzern in die Insolvenz, ist eine räumliche Zusammenfassung nicht angezeigt. Dies gilt insbesondere für Mischkonzerne, in denen gewisse Konzernteile wie jeweils eigene Betriebseinheiten strukturiert sind und in dieser Form auch nach außen auftreten. Es entsteht gerade kein Konzernvertrauen nach innen sowie nach außen, das es rechtfertigt, die rechtlich wie wirtschaftlich getrennten Unternehmen zusammenzuführen. Eine Gesamtsanierungsstrategie ist nur in begrenztem Ausmaß nötig, sodass eine Kooperation ohne Konzentration ausreicht. Eine Konzentration rein aus dem Beweggrund, eine einheitliche Verwalterbestellung zu gewährleisten, ist nicht durchzuführen. Die Gründe für einen einheitlichen Gerichtsstand würden gerade pervertiert werden. Es ist danach zu streben, die Vorteile einer einheitlichen Verwalterbestellung auch ohne Konzentration zu ermöglichen. Falls die unterschiedlichen Konzernteile eigenständig sind und daher jeweils eines eigenen Verwalters bedürften, sind die Mittel der allgemeinen Verfahrenskoordination heranzuziehen, um die Abstimmung zwischen den verschiedenen Verfahren zu gewährleisten. Oftmals ist eine Konzerninsolvenz auf den Umstand zurückzuführen, dass die Unternehmensverbindungen ökonomisch betrachtet auf keiner sinnvollen Grundlage standen. In diesem Fall sollte die Insolvenz dazu verwendet werden, den Konzernverbund auch wirtschaftlich aufzulösen. Dies kann zum einen durch eine Liquidation der einzelnen Konzernunternehmen oder zum anderen durch eine eigenständige Sanierung, insbesondere in Form einer übertragenen Sanierung, geschehen. Kommt es in der Insolvenz zu solch einem Rückbau der Konzernverflechtungen, ist dennoch eine Notwendigkeit von Abstimmungsmaßnahmen vorhanden. Diese müssen allerdings nicht zentralisiert erfolgen. Sollte es zu einer losgelösten Sanierung von Einzelunternehmen kommen, wäre es gar unvorteilhaft, wenn diese beispielsweise am Satzungssitzort des Mutterunternehmens und nicht am Ort der effektiven Hauptverwaltung des zu sanierenden Tochterunternehmens durchgeführt werden würde. Dies ist bei der Wahl des geeigneten Mechanismus zu berücksichtigen. Demgegenüber werden die Aufgaben in einem integrierten Konzern zumeist zentral durch das Mutterunternehmen ausgeübt. Ein funktional-vertikal strukturierter Konzern besteht aus ineinander verflochtenen und damit stark abhängigen Unternehmen, die nach außen wie eine Betriebseinheit auftreten und mit einer ausgeprägten Konzernleitungsmacht ausgestattet sind. Solch einem Konzern liegen gerade im Konzerninsolvenzfall komplexe konzerninsolvenzspezifische Fragestellungen zugrunde, denen es mit geeigneten Instrumenten zu begegnen gilt. Die wesentlichen Unternehmensfunktionen sind an der Konzernspitze zentriert und werden von dort einheitlich gesteuert, sodass die Bedeu-

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tung der räumlichen Nähe der Konzernunternehmen zu etwaigen eigenen Insolvenzgerichtsständen zusehends unbeachtlicher und von dem Ort des Konzernmittelpunkts als dem ausschlaggebenden Merkmal für die Gerichtsstandswahl abgelöst wird. Es muss im Einzelfall bestimmt werden, ob die Ortsnähe des Insolvenzgerichts zu den einzelnen Konzernunternehmen, den jeweiligen Gläubigern und der Belegenheit des Unternehmensvermögens als essentielles Kriterium der engsten Verbindung nach wie vor ein ausschlaggebender Faktor der Insolvenzgerichtsstandszuweisung ist oder ob eine Konzentration am Ort des Konzernmittelpunkts auf Basis anderer Kriterien sinnvoller erscheint. Eine Konzentration hat – ganz im Sinne des Effizienzgebots – lediglich dann zu erfolgen, wenn die Vorteile der Zusammenführung nicht durch andere nachteilige Effekte mit höherem Gewicht überlagert werden. Eine Konzentration bringt insbesondere dann einen Mehrwert mit sich, wenn in den Entscheidungen auch die wirtschaftliche Einheit des Konzerns widergespiegelt wird, die sich an diesem Ort lokalisieren lässt. Findet eine Konzentration auf Basis dieser Prämissen statt, sollte einem einheitlichen Verwalter idealerweise eine starke Position zugebilligt werden, um durch diesen die Struktur des Konzerns im Insolvenzfalle – eventuell anhand eines mit dem Europäischen Sanierungsplan vergleichbaren Konzepts – aufrechtzuerhalten. Für eine größtmögliche Effizienz aufgrund starker Synergieeffekte sollte an dem einheitlichen Gerichtsstand auch eine Verfahrenskonsolidierung durchgeführt werden können, wenn die Konzernstruktur hierfür geeignet erscheint, da beispielsweise die Verfahrensbeteiligten eine große Schnittmenge aufweisen. Die Auswahl der richtigen Mechanismen und Instrumente im Einzelfall hat durch eine geeignete Stelle zu erfolgen, die mit den dafür erforderlichen Befugnissen ausgestattet ist. Aufgrund ihrer Objektivität und Neutralität kommen hierfür ausschließlich die Gerichte in Betracht, denen unionsweit die Aufgabe obliegt, die Insolvenzverfahren zu eröffnen und über diese zu wachen. Bei der Auswahl der richtigen Verfahrenskonzeption ist den Gerichten ein großer Entscheidungsrahmen zuzusprechen, um dem jeweiligen Konzern und dessen individueller Architektur gerecht werden zu können. Den Gerichten sind allerdings abstrakte Kriterien vorzugeben, anhand derer die Entscheidungen zu fällen sind, sodass das Auswahlverfahren für Dritte transparent und nachvollziehbar ist. Dabei ist vor allem zwischen zentralen vs. dezentralen Strukturen, horizontaler vs. vertikaler Organisation sowie Finanzholding vs. operativer Holding zu unterscheiden. Eine Verfahrenskonsolidierung kommt als Instrument lediglich für stark zentralisierte und integrierte Konzerne in Betracht. Bei einfachen zentralen Konzernverknüpfungen ist an einen Konzerninsolvenzgerichtsstand am Ort der gemeinsamen COMI oder am Konzern-COMI zu denken. Für alle Konstellationen, in denen eine Konzentration nicht erforderlich ist, hat die allgemeine Verfahrenskoordination grundsätzlich die richtigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Ein umständliches Koordinationsverfahren mit hohem Zeit- und Kostenaufwand sollte nicht zur Auswahl stehen. Damit in

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einem solch umfangreichen und flexiblen System die richtigen Entscheidungen im Zusammenhang der Verfahrensinitiierung und -leitung getroffen werden können und infolgedessen der größtmögliche Effizienzgewinn erzielt werden kann, bedarf es einer äußerst qualifizierten und spezialisierten Insolvenzrichterschaft. Mit deren Kompetenz und Einsatzbereitschaft steht und fällt ein funktionierendes flexibles Konzerninsolvenzrechtssystem. Es bleibt zu hoffen, dass die durch die vergangene Reform angestoßenen Diskussionen zumindest dazu beigetragen haben, das Bewusstsein für die grundsätzliche Problematik und bereits bestehende Lösungsmöglichkeiten zu schärfen, wenngleich es noch einige Zeit benötigen wird, bis der europäische Gesetzgeber im Zuge der nächsten Reformrunde das europäische Konzerninsolvenzrecht – hoffentlich im Sinne der hier angestoßenen Verbesserungsvorschläge – anpassen kann.

Thesen Das Ziel der Arbeit besteht darin aufzuzeigen, in welcher Form sich ein europäisches Konzerninsolvenzrecht durch die Reform der EuInsVO herausbildete: 1. Die sich direkt aus dem Normtext oder durch Auslegung ergebenden Zwecke des europäischen Konzerninsolvenzrechts sind – ausgerichtet an Effizienzgesichtspunkten – stark binnenmarkt- und daher wirtschaftszentriert. Als insolvenzspezifische Einzelziele bestehen primär die bestmögliche Gläubigerbefriedigung, der Sanierungsgedanke, die marktbereinigende Kraft des Insolvenzverfahrens sowie die Verhinderung von Forum Shopping. 2. Die bisherige Praxis, die COMI aller Mitglieder des Konzerns an ein- und demselben Ort anzunehmen und damit einen Mindeststandard an Konzentration zu gewährleisten, wird intensiviert. Der Normtext deutet darauf hin, dass primär an den Ort der effektiven Hauptverwaltung in Gesamtbetrachtung mit dem Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit angeknüpft wird, wobei die wirtschaftliche Tätigkeit bedauerlicherweise nicht autonom zuständigkeitsbegründend herangezogen werden kann. Im Lichte des Effizienzprinzips sollte es jedoch zu keinem starren Festhalten an einer Rangordnung dieser Kriterien kommen. Der objektiv vorhersehbare Ort der engsten Verbindung hat ausschlaggebend für die Zuständigkeitsbegründung zu sein. Bestehende Schwachstellen im Zusammenhang des COMI werden beispielsweise durch die dreimonatige Retrospektivfrist sowie durch Verfahrensrecht in Form von Prüfpflichten von Amts wegen und Begründungszwängen ausgebessert. 3. Die vom europäischen Gesetzgeber bereitgestellte Minimallösung einer Konzentration am Ort der gemeinsamen COMI reicht für die Erfordernisse der faktischen europäischen Konzerninsolvenz nicht aus, da dessen Anwendungsbereich zu begrenzt ist und nur evidente Fälle abdeckt. 4. Ein einheitlicher Konzerninsolvenzgerichtsstand ist auf diversen anderen Wegen als nur über den Ort des einheitlichen COMI zu erreichen. Insbesondere ein Verfahren an einem Konzern-COMI ist für die große Anzahl an integrierten Konzernen, bei denen die einzelnen Konzernunternehmen unterschiedliche COMI besitzen, mit einem hohen Effizienzgewinn verbunden. Das im internationalen Kontext entscheidende Kriterium der Vorherseh- und Kalkulierbarkeit des Konzentrationsortes und damit des anwendbaren Rechts schließt allerdings die Anwendbarkeit all dieser alternativen Konzentrationsmöglichkeiten aus. Als Vorbedingung eines europaweiten Konzentrationssystems ist zunächst

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eine Harmonisierung der Insolvenzrechte durchzuführen. Erst unter dieser Voraussetzung kann das dargestellte Konzentrationspotenzial ausgeschöpft werden. 5. Die Möglichkeit einer Verfahrenskonsolidierung stellt gemessen am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen für den Binnenmarkt ein äußerst weitreichendes und zielführendes Regelungsmodell dar. Die stark reduzierte Anzahl an involvierten Gerichten und Verwaltern führt zu einer gesteigerten Koordination und damit zu einer erheblichen Kostenreduktion. Auf längere Sicht ist – ebenfalls unter der Voraussetzung einer Harmonisierung der Insolvenzrechte – bei stark zentralisierten und integrierten Konzernen danach zu streben, die Gestaltungsoption einer Verfahrenskonsolidierung bereitzustellen. 6. Bei der substantiellen Konsolidierung handelt es sich um ein Instrument ausschließlich für seltene Ausnahmefälle in Rechtssystemen, die durch Flexibilität und Anpassungsfähigkeit geprägt sind. Für die EuInsVO hat sich der europäische Gesetzgeber daher zu Recht gegen eine solche Konsolidierung entschieden. Die Mitgliedstaaten bieten, vor allem mit den Mitteln der insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechte und der gesellschaftsrechtlichen Durchgriffshaftung, effektive Instrumente, um den speziellen Problemfällen zu begegnen. 7. Mit dem Verweis auf einen nach der EuBilanzRL erstellten konsolidierten Abschluss wird gem. Art. 2 Nr. 14 S. 2 EuInsVO für den Anwendungsbereich der Vorschriften zur Verfahrenskooperation und -koordination ein Anknüpfungspunkt gewählt, der auf einfachem und formalem Weg klarstellt, welche Unternehmen als Gruppenunternehmen gelten. Um dem Konzern als funktionalem Zusammenschluss gerecht zu werden, ist darüber hinaus mit Art. 2 Nr. 14 S. 1 EuInsVO ein Auffangtatbestand geschaffen worden, welcher nicht an formelle, sondern materielle Voraussetzungen anknüpft. 8. Die Vorschriften zur allgemeinen Verfahrenskoordination schließen eine offensichtliche Regelungslücke, selbst wenn sie aufgrund eines zu ausgeprägt geratenen Vorbehalts der nationalen Rechtsordnungen nur eingeschränkte Wirkkraft entfalten können. 9. Die Regelungsdichte der Vorschriften rund um die Kooperation zwischen Verwaltern, zwischen Gerichten sowie zwischen Verwaltern und Gerichten ist relativ gering ausgeprägt und lässt einen erheblichen Spielraum bei der tatsächlichen Umsetzung. Über den materiellen Gehalt hinaus haben die Vorschriften insbesondere die Aufgabe, ein neues Selbstverständnis bei den Verfahrensbeteiligten hinsichtlich Kooperationsmaßnahmen zu schaffen. 10. Den Verwaltern obliegt es, gem. Art. 56 EuInsVO über eine Kooperation mit gebündelten Kompetenzen die einstige einheitliche Leitung des Konzerns wiederherzustellen und die besten Insolvenzstrategien umzusetzen. Dies gilt sowohl bei einem Liquidationsverfahren als auch bei einer übertragenden oder fortführenden Sanierung. Als Grundlage aller Maßnahmen dient zunächst vor allem ein Informationsaustausch zwischen den Verwaltern. Auf dem

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anschließenden Koordinationsweg sind speziell rechtsverbindliche Absprachen umzusetzen, um Rechtssicherheit für die Verfahrensbeteiligten zu schaffen. Die Kooperation zwischen den Verwaltern ist das wichtigste Mittel, um einer Gruppeninsolvenz erfolgreich zu begegnen. 11. Die Möglichkeit der Übertragung von Befugnissen an einen Verwalter aus der Mitte birgt erhebliches Potenzial hinsichtlich zentralisierter und damit kohärenter Entscheidungen. 12. Die Erweiterung der Kooperationsvorschriften auf die zuständigen Insolvenzgerichte verschiedener Verfahren gem. Art. 57 EuInsVO stellt einen wichtigen Schritt hin zu einem effizienten Konzerninsolvenzrecht dar. Im Idealfall kann ein einheitlicher Verwalter für alle Verfahren eingesetzt werden. In welchem Umfang und in welcher Tiefe eine Kooperation tatsächlich stattfindet, hängt von der persönlichen Einsatzbereitschaft der beteiligten Insolvenzrichter ab. Für die Richterschaft wird es wichtig sein, das gegenseitige Vertrauen zu stärken und die Arbeitsweisen und Eigenarten potenzieller Kooperationspartner kennenzulernen. 13. Die Gerichte sollten die Möglichkeit der Bestellung eines Intermediärs in Betracht ziehen. Auf diesem Wege bietet sich eine erweiterte Chance, durch Arbeitsteilung auf die Verfahren einzuwirken und den Kooperationsprozess zu begleiten, da Kompetenzen gebündelt werden. 14. Ein Austausch zwischen den Gerichten und Verwaltern wird gem. Art. 58 EuInsVO in beide Richtungen festgelegt. Es handelt sich um ein im reziproken Verhältnis stehende Kooperations- und Kommunikationspflicht. Diese wird insbesondere bei der Genehmigung von protocols oder der Vermittlung bei dem Abschluss von Absprachen relevant. Ferner ist eine Cross-overKooperation erforderlich, wenn die Verwalter ihre Rechte aus Art. 60 EuInsVO effektiv geltend machen möchten. 15. Die Rechte der Verwalter nach Art. 60 EuInsVO stellen ein wichtiges Instrument dar, um in die Verfahren der anderen Gruppenunternehmen einzugreifen. Die Verwalter können auf diesem Wege auf obstruierende Verwalter und Gläubiger aus anderen Verfahren einwirken. Dies gilt insbesondere, weil die Rechte vorbehaltlos und damit unabhängig von den nationalen Vorschriften gewährt werden. Speziell das Aussetzungsrecht ist ein Mittel, welches geeignet ist, einem Sanierungsplan zur Durchsetzung zu verhelfen. Fraglich ist allerdings, ob die Aussetzungsfrist von maximal sechs Monaten genügt, um eine Sanierung einer komplexen Gruppenstruktur zu gewährleisten, oder ob hier nicht mehr Flexibilität vonnöten ist. 16. Für ein einfaches und schnelles Verfahren wird nach Art. 59 EuInsVO unwiderlegbar vermutet, dass die Kosten der Zusammenarbeit und Kommunikation als Kosten und Auslagen des Verfahrens, in dem sie angefallen sind, gelten. In gleichem Zuge muss die Wertschöpfung, die in einem Verfahren entstanden ist, als Wertschöpfung dieses Verfahren angesehen werden. Einzelfallgerechtigkeit kann über individuelle Kosten- und Wertbeanspruchungsverein-

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barungen hergestellt werden. Solche sind anzustreben, um nicht in einen Konflikt mit der nationalen Zwecksetzung in Form des Grundsatzes der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung zu geraten. 17. Den Vorschriften zur allgemeinen Verfahrenskoordination fehlt ein einheitlich ausgestalteter Durchsetzungs- und Sanktionsmechanismus. Ihnen liegt eher ein appellativer Charakter zugrunde. Werden diesbezügliche Regelungen notwendig, sind sie aus den nationalen Rechtsordnungen zu ziehen. 18. Mit dem Koordinationsverfahren wurde ein Meta-Insolvenzverfahren geschaffen. Es handelt sich dabei um ein Mediationsinstrument, bei dem ein neutraler Koordinator eingesetzt wird, der im besten Interesse aller Gruppenunternehmen zu handeln hat und Gruppensynergien ausschöpfen sowie den Sanierungsgedanken fördern soll. 19. Positive Kompetenzkonflikte hinsichtlich des zuständigen Koordinationsgerichts lassen sich anhand eines Prioritätsgrundsatzes lösen. Dieser birgt allerdings Unwägbarkeiten hinsichtlich der Geeignetheit des Koordinationsgerichts, insbesondere aufgrund der Gefahr eines Forum Shoppings. Auf Basis einer Zweidrittelmehrheit der beteiligten Verfahren ist es möglich, eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zu schließen. Mit dem zuständigen Gericht wird gleichzeitig die lex fori coordinarii bestimmt. Dem Koordinationsgericht kommt vorrangig die Aufgabe der Vorprüfung und der Eröffnungsentscheidung zu. 20. Dem Koordinator obliegen mit dem Festlegen und Darstellen von Empfehlungen für die koordinierte Durchführung der Insolvenzverfahren und dem Vorschlagsrecht hinsichtlich eines Gruppen-Koordinationsplans wichtige Aufgaben. Vor allem mit dem Antragsrecht auf Aussetzung gewisser Masseverwertungen steht dem Koordinator ein bedeutsames Mittel zur Unterstützung seiner Tätigkeit zur Verfügung. 21. Der Koordinationsplan ist indes mangels gestaltender Wirkung für eine einheitliche Sanierung nur beschränkt geeignet. Auf mittel- bis langfristige Sicht ist ein einheitlicher Europäischer Sanierungsplan für ein effektives Konzerninsolvenzverfahren der Weg, den es zu beschreiten gilt, da sinnvolle Sanierungsmaßnahmen nur umgesetzt werden können, wenn man sich im Einzelfall auch über obstruierende Verwalter oder Gläubiger hinwegsetzen kann. 22. Lediglich eine rechtlich unverbindliche politische Einflussnahme oder ein öffentlicher Druck aufgrund des Comply-or-Explain-Mechanismus kann dem Koordinationsverfahren eine faktische Kraft verleihen. Wenngleich die zentrale Figur des Koordinationsverfahrens in Person des Koordinators durch Expertise und Neutralität ausgezeichnet sein wird, hängt die Effektivität des Verfahrens ausschließlich von dem Willen und der Einsatzbereitschaft der Einzelverwalter ab. Ein rein freiwilliges Koordinationsverfahren führt gerade in schwierigen Gruppenkonstellationen, in denen kein Konsens hinsichtlich einer gemeinsamen Strategie existiert, schwerlich zu einem brauchbaren Nutzen. Das Koordinationsverfahren wird tendenziell dann eingesetzt werden und von

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Erfolg gekrönt sein, wenn auch die Mittel der allgemeinen Verfahrenskoordination zur Abstimmung der Verfahren ausreichen würden. 23. Das Koordinationsverfahren liefert schon aufgrund eines administrativ hohen Aufwands und der deswegen anfallenden erheblichen Kosten keinen Zugewinn für die Bedürfnisse der Praxis. Des Weiteren sind die Vorschriften zum Koordinationsverfahren an vielen Stellen handwerklich nicht sauber umgesetzt und bergen daher erhebliche Lücken und somit eine Rechtsunsicherheit, die es zu beseitigen gilt. 24. Der europäische Gesetzgeber hätte mehr Anstrengungen unternehmen sollen, ein System zu entwickeln, das die vielfältigen Konzernkonstellationen, vorwiegend hinsichtlich des unterschiedlichen Grads der Zentralisierung und Integration, im Blick hat. Damit wäre ein größtmögliches Ausmaß an Effektivität in einem stimmigen Konzerninsolvenzrechtssystem erreicht worden. Für eine ausgeprägte Konzentrations- oder sogar Konsolidierungsmöglichkeit muss allerdings – insbesondere um die Gläubiger zu schützen – eine weitreichende Harmonisierung der materiellen Insolvenzordnungen durchgeführt werden. De lege ferenda sollte der europäische Gesetzgeber die EuInsVO in Richtung eines solchen kohärenten europäischen Konzerninsolvenzrechtssystems ausbauen.

Fundstellenverzeichnis Siebente RL 83/349/EWG des Rates v. 13.6.1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluß, ABlEG v. 18.7.1983, L 193/1 Europäisches Übereinkommen über bestimmte internationale Aspekte des Konkurses, Istanbul, 5.6.1990, SEV Nr. 136 Europäisches Übereinkommen über Insolvenzverfahren vom 23.11.1995 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, ABlEG v. 30.6.2000, L 160/1 Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABlEG v. 10.11.2001, L 294/22 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABlEG v. 10.11.2001, L 294/1 Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.7.2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, ABlEG v. 11.9.2002, L 243/1 Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates, ABlEU v. 10.12.2007, L 324/79 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABlEU v. 4.7.2008, L 177/6 Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Vorfahrt für KMU in Europa – der „Small Business Act“ für Europa, vom 25.6.2008, KOM(2008) 394 endgültig Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG), vom 30.7.2008 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 16/10067 – Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG), vom 24.3.2009 Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), ABlEU v. 17.12.2009, L 335/1 Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Achtzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2008/2009, vom 22.7.2010 Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission, ABlEU v. 15.12.2010, L 331/12 Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichts-

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behörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/79/EG der Kommission, ABlEU v. 15.12.2010, L 331/48 Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapierund Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission, ABlEU v. 15.12.2010, L 331/84 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. November 2011 mit Empfehlungen an die Kommission zu Insolvenzverfahren im Rahmen des EU-Gesellschaftsrechts (2011/2006 (INI)), P7_TA(2011)0484 Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7. Dezember 2011, BGBl. I S. 2582 Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Binnenmarktakte II – Gemeinsam für neues Wachstum, vom 3.10.2012 RL 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (Neufassung), ABlEU v. 14.11.2012, L 315/74 Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Verwendung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, vom 12.12.2012 Commission Staff Working Document – Executive Summary of the Impact Assessment – Accompanying the document Revision of Regulation (EC) No 1346/2000 on insolvency proceedings, vom 12.12.2012 Commission Staff Working Document – Impact Assessment – Accompanying the document Revision of Regulation (EC) No 1346/2000 on insolvency proceedings, vom 12.12.2012 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss – Ein neuer Ansatz zur Verfahrensweise bei Firmenpleiten und Unternehmensinsolvenzen, vom 12.12.2012 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, vom 12.12.2012 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABlEU v. 20.12.2012, L 351/1 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Aktionsplan Unternehmertum 2020 – Den Unternehmergeist in Europa neu entfachen, vom 9.1.2013 Position Paper of the German Bar Association (DAV) by the Legislative Committee “Insolvency Law” and the European Affairs Working Group of the Section of “Insolvency and Restructuring Law” on the Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council amending Council Regulation (EC) No. 1346/2000 on Insolvency proceedings COM(2012) 744 final, vom Februar 2013, Position Paper No.: 14/2013 Beschluss des Bundesrates zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, vom 22.3.2013 Note from the French and German delegations to Working Party on Civil Law Matters (Insolvency), Subject: Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council amending Council Regulation (EC) No 1346/2000 on insolvency proceedings – Group of companies, vom 3.4.2013, 8108/13

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Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: “Ein neuer europäischer Ansatz zur Verfahrensweise bei Firmenpleiten und Unternehmensinsolvenzen” COM(2012) 742 final und dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren COM(2012) 744 final – 2012/0360 (COD), 2013/C 271/10, vom 22.5.2013, ABlEU v. 19.9.2013 C 271/55 Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABlEU v. 29.3.2013, L 182/19 Outcome of Proceedings from Working Party on Civil Law Matters (Insolvency), vom 11.7.2013, 12087/13 Bundesrat zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, vom 30.8.2013 Note from the Presidency to Working Party on Civil Law Matters (Insolvency), Subject: Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council amending Council Regulation (EC) No 1346/2000 on insolvency proceedings, vom 22.10.2013, 14910/13 Note from the German delegations to Working Party on Civil Law Matters (Insolvency), Subject: Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council amending Council Regulation (EC) No 1346/2000 on insolvency proceedings – Proposals by the German delegation on the provisions on the treatment of company groups, vom 3.11.2013, 15675/13 Bericht des Rechtsausschusses (JURI) über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren (COM(2012)0744 – C7-0413/2012 – 2012/0360(COD)), JURIBericht, A7-0481/2013, vom 20.12.2013 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, vom 30.1.2014 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5. Februar 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren (COM(2012)0744 –C70413/2012 – 2012/0360(COD)), (Ordentliches Gesetzgebungsverfahren: erste Lesung), P7_TA(2014)0093 Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht 15. Sitzung, Berlin, Freitag, den 14. Februar 2014, Plenarprotokoll 18/15 Empfehlung der Kommission vom 12.3.2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen, 2014/135/EU, ABlEU v. 14.3.2014, L 74/65 Empfehlung der Kommission vom 9. April 2014 zur Qualität der Berichterstattung über die Unternehmensführung („Comply or Explain“), 2014/208/EU, ABlEU v. 12.4.2014, L 109/43 Richtlinie 2014/59/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABlEU v. 12.6.2014, L 173/190 Addendum zum Vermerk des Vorsitzes für den AStV/Rat betreffend den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren [erste Lesung] – Allgemeine Ausrichtung, vom 3.6.2014, 10284/14, ADD 1

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Fundstellenverzeichnis

Note from the french delegation to JHA Counsellors meeting (Insolvency), Subject: Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council amending Council Regulation (EC) No 1346/2000 on insolvency proceedings – Proposals by the french delegation (document 9776/14 ADD 1), vom 10.6.2014, 10688/14 Note from the delegation of the United Kingdom to Working Party on Civil Law Matters (Insolvency), Subject: Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council amending Council Regulation (EC) No 1346/2000 on insolvency proceedings – Proposals by the delegation of the United Kingdom, vom 10.6.2014, 10731/14 Addendum zum Vermerk des Vorsitzes für den AStV/Rat betreffend den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren [erste Lesung] – Politische Einigung, vom 20.11.2014, 15414/14 ADD 1 Begründung des Rates betreffend Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Insolvenzverfahren (Neufassung), vom 17.3.2015, 16636/5/14, REV 5 ADD 1 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament gemäß Artikel 294 Absatz 6 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union betreffend den Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren, vom 13.4.2015 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 20. Mai 2015 zu dem Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Insolvenzverfahren (Neufassung) (16636/5/2014 – C80090/2015 – 2012/0360(COD)) (Ordentliches Gesetzgebungsverfahren: zweite Lesung), P8_TA(2015)0203 Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren, ABlEU v. 5.6.2015, L 141/19 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, vom 30.9.2015 Vorschlag für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, vom 22.11.2016 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren, vom 11.1.2017 RL (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABlEU v. 30.6.2017, L 169/46

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Sachregister

– Probud 53, 139 – Rastelli 43 ff., 55, 110, 112 – Schmid 213, 341 – Staubitz-Schreiber 52, 86, 133 – Vale 124 f. Europäisches Übereinkommen über Insolvenzverfahren 41 Eurotunnel 24 f., 49 f. Everfresh Beverages 65, 252, 254 fortführende Sanierung 227, 270 f., 276, 281 forum non conveniens 149 Forum Shopping 51 f., 99 ff., 108, 111, 120 ff., 148, 150 f., 158, 160, 162, 195, 346 ff. Frankreich 24 ff., 46 f., 49 f., 59 f., 66, 68 f., 72, 83, 98, 108, 122 f., 130, 173 ff., 186, 373, 384 Griechenland 61, 212 Gruppen-Gerichtsstand 150, 343, 367 Gruppen-Koordinationsverfahren 101, 189, 266, 270, 283, 314, 322, 329, 337 ff., 444 f. – Antragsbefugnis 340 ff., 354, 378, 389 – Antragsinhalt 341, 351 f., 356 ff., 425 – Antragszeitpunkt 348 ff., 431 – Aussetzung 405 ff. – Beendigung 440 – Comply-or-Explain-Mechanismus 420 ff. – Einwände 373 ff., 381, 427 – Eröffnungsentscheidung 350, 353, 356, 359, 362, 364 f., 369, 372, 375 f., 378 ff., 387, 390, 424 f., 427, 430, 435 – Europäischer Sanierungsplan 392, 394, 396, 398, 448 – Freiwilligkeit 339, 373, 379, 394 f., 400, 405, 416, 423, 425, 430, 444 – Gerichtsstandsvereinbarung 348, 350 ff., 363 – Koordinationsgericht 215, 339, 340, 343 ff., 362, 382, 393 f., 401, 414 f., 417 f., 419 f., 424 f., 427 f., 430, 432 ff. – Koordinationsplan 272, 282, 298, 358 ff., 377, 390 ff., 400 ff., 407, 420 f., 433, 445

– Koordinator, siehe Koordinator (Hauptkategorie) – Kosten 342, 362 ff., 368, 381, 408, 413, 428, 430 ff. – lex fori coordinarii 351, 365, 381 f., 413, 414 f., 418, 420, 432, 437, 439 – Opt-in 350, 361, 372 f., 424 f., 427 ff., 432, 435 f. – Opt-out 189, 203, 216, 350, 372 f., 376, 381, 430, 435 – Prioritätsgrundsatz 343, 345 ff., 350 – Sanktionssystem 414 ff. – Sprachenregelung 412 ff. – Verfahrenseinleitung 340 ff., 354, 360, 369, 387 – Vorprüfung 364 ff., 378 f. – Zwischenverfahren 370 ff., 377 ff. Hans Brochier Holding 44, 121, 132, 303 Harmonisierung 19, 38, 61, 65, 72, 94, 108, 122, 155 ff., 195, 209, 217, 259, 446 Herstatt 257 Hettlage 24, 44, 49 f., 57 HUKLA 24, 44, 49 IFRS 10, 194, 198 ff., 204 INSOL Europe 63, 79, 130, 132, 143 f., 153 ff., 173, 177 f., 267, 314, 339, 358, 392, 394 ff. International Insolvency Institute 62 f. Irland 24, 52, 72, 173 f., 258 Istanbuler Übereinkommen 40 f., 43 Italien 24, 46, 49, 59, 72 f., 79, 83, 108, 118 Kanada 252, 290 Karlie 25 KirchMedia 22, 70, 220 f. KPNQwest 23, 108, 267 Konzern – Begriff 4 ff., 202 – Cash-Management-System 7, 30 ff., 276, 391 – Cash-Pooling 30 ff., 151, 178, 276, 397, 404 – finanzwirtschaftliche Verflechtung 7, 29 ff., 276 – Konzernierung 3, 9, 13 ff., 20 ff., 192, 196, 444

Sachregister – leistungswirtschaftliche Verflechtung 28 f. – Netting 30, 32 – Over-Head-Bereiche 17, 29, 268 – Strukturen 14 ff., 50, 447 f. – Ursachen 26 ff. – Verrechnungspreise 277, 399 – wechselseitige Besicherung 7, 35, 92 Kooperation – allgemeine Verfahrenskooperation 183, 217 ff., 338, 404, 410, 444 f., 447 – Aussetzung 316 ff. – Formerfordernis 245, 250 – Gerichte 73 ff., 222 ff., 285 ff. – Interessenkonflikte 247 ff., 283, 299 – Intermediär 288 ff. – Kosten 330 – modus operandi 248 ff., 291 ff., 310 – Nutzeffekte 224 ff. – Pflichten 227 ff. – solvente Unternehmen 232 f. – Vereinbarungen 250 ff., 342, 399 f., 445 – Verwalter 75 ff., 218 ff., 312 ff. – Verwalter und Gerichten 308 ff. – Voraussetzungen 237 ff., 287 ff. – Zeitraum 235 ff., 286 f., 300 Koordinationsverfahren, siehe Gruppen-Koordinationsverfahrens Koordinator 290, 323, 339, 357 ff., 362 ff. – Abberufung 415 ff. – Anforderungen 237 f., 383 ff., 388, 411 – Aufgaben 390 ff., 414, 432 f. – Bestellungsverfahren 387 ff. – Einwände 387 ff. – Rechte 400 ff. – Sorgfaltsmaßstab 390, 404, 413, 418, 428, 433 – Vergütung 438 f. Korf 21, 28, 34, 37, 276 f. Lehman Brothers 209, 213, 330 Lernout&Hauspie Speech Products 75 lex fori concursus 59, 67, 69 f., 72, 108, 120 ff., 128 f., 142 f., 154, 157 f., 175, 193, 224, 248, 285, 312, 316, 324, 326, 331, 361, 409, 411 Livingston 25 Luxemburg 24 f., 49, 74, 127 f., 155, 303

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Maculan 264 Matlack Systems 290 Maxdata 25 Maxwell 64, 249, 251 f., 265, 290, 306, 310 Mediation 265 f., 284, 291, 339, 357, 399, 405 MG Rover 24, 28, 46 f., 51, 53, 71, 139, 280 Nakash 252, 290, 306, 311 neuseeländisches Recht 173 f. Niederlande 23 ff., 46, 49, 133, 155, 332, 438 Niederlassungsfreiheit 101, 124 ff., 131 f., 148 NIKI 139, 143 Österreich 24 f., 49, 57, 59, 66, 143, 268, 311, 327 Parmalat 9, 24, 49 f., 135, 196 Partikularinsolvenzverfahren 234 f., 342, 344 f. PIN 25, 48, 74, 128, 133, 249, 286, 303 Plastal 25 Polen 59 ff., 141, 212, 384 Portugal 8, 24, 46, 66 Prioritätsprinzip 47, 90, 150 f., 181, 343, 347 f., 354 protocols 74, 76 f., 249, 251 ff., 290, 306 f., 310, 405 Qimonda 25 Rumänien 61, 79, 155, 212 Sanierungsplan 259, 269 ff., 282, 306, 313, 319 ff., 328 f., 337 f., 367, 394 ff., 443 ff. Schefenacker 127, 158 Scheuten Solar 25 Schweiz 307, 212, 252 Sekundärinsolvenzverfahren 42, 47, 55 ff., 72, 76, 91, 101, 119, 141, 143 ff., 147, 158, 167, 181, 211, 217 f., 224, 228, 234 f., 259, 262 f., 268, 279, 284, 292, 311 ff., 320, 327, 330, 342, 345 Senator Entertainment 258 Slowenien 8, 61, 66, 155, 212 Sitztheorie 48

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Sachregister

Spanien 24 f., 45 f., 59, 73, 83, 108, 212, 383 f. Sprache 72, 143, 253, 258 f., 265, 288, 294 ff., 352, 404, 412 ff. Subsidiaritätsprinzip 105, 400 substantielle/materielle Konsolidierung 109, 166, 168 ff., 267, 396, 446 – betrügerische Zwecke 175 ff. – Haftungsdurchbrechung 171, 174 f., 179, 447 – pooling of assets 72, 169, 173 – Vermögensvermischung 173, 177 ff. Tschechische Republik 8, 66, 141, 296, 384 übertragende Sanierung 34, 227, 264, 270, 279, 318, 332, 398, 447 UNCITRAL – Legislative Guide 9, 11 ff., 38, 171 ff., 201, 218, 257, 267, 279, 289, 296 ff. – Modellgesetz 43, 57, 61 f., 74, 110, 112, 232, 259, 289, 306 Ungarn 8, 24, 49 f., 155 Unternehmensgruppe – Bankkonzerne 208 f. – economic-control-Konzept 190, 193, 199 ff., 204 – Ermessensspielräume der Mitgliedstaaten 194 ff., 205 – Gleichordnungskonzerne 17, 185, 196 f., 202, 205 f., 347, 447 – IFRS 194, 198 ff., 204 – kleine Gruppen 194, 436 – Kontrollkriterium 199 ff. – legal-control-Konzept 190 ff., 200, 204 – mittlere Gruppen 197 – Mutterunternehmen 184 ff. – Tochterunternehmen 206 f. – Unternehmensbegriff 207 f. – Versicherungskonzerne 208 ff. – Zweckgesellschaften 196, 204 Unternehmensvertrag 66 ff., 149 USA/amerikanisches Recht 23, 28, 61 f., 65, 74 f., 109, 164 ff., 172 ff., 251 f., 257, 265, 290, 306 f. – Chapter 11-Verfahren 23, 94, 290, 306 – joint administration 164, 166

Vereinigtes Königreich 61, 127, 138, 210, 251, 330 Verfahrenskonzentration 107 ff., 444 f. – gemeinsames COMI 109 ff., 166, 444, 448 – Konzern-COMI 43, 55, 149, 151 ff., 163, 181, 448 – Prioritätsprinzip 150 f. – Verfahrenskonsolidierung 109, 164 ff., 445 f., 448 – Wahlgerichtsstand 148 ff., 158 Verhältnismäßigkeitsprinzip 105 f., 295, 445 Vertriebsgesellschaften 14, 16, 24 f., 34, 46, 52, 275 vorläufiger Insolvenzverwalter 340 f. Warranty Holdings International 24 Zenith 24, 44, 49 Zwecke (eines Konzerninsolvenzrechts) 82 ff. – bestmögliche Allokation der Haftungsmasse 92, 124, 148, 171 – bestmögliche Gläubigerbefriedigung 88 ff., 97 f., 102 f., 124, 226, 241 f., 332, 334 – effet utile/Effektivitätsgebot 82, 238, 241, 341, 358 – effiziente Allokation von Kapital 89, 103, 112, 147, 151, 162 – Effizienz 85 ff., 90 f., 93, 97 f., 101, 108, 117 f., 123 f., 126, 143, 147, 149, 155 f., 158, 164 f., 167, 170, 224, 227 f., 231 f., 237, 241, 247 f., 260 f., 285, 289, 295, 297, 304, 309, 312 f., 315 f., 325, 333, 335, 364, 369, 372, 378 f., 391 f., 395, 418 f., 430, 444 ff. – Forum Shopping (Verhinderung), siehe Forum Shopping – Gläubigergleichbehandlung 83, 90 ff., 136, 145, 171, 242 f., 333 – marktbereinigende Kraft 93, 98 f. – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 41, 84 f., 88, 210 – Sanierungsgedanke 41, 93 ff., 97 ff., 124, 159, 187, 220, 226, 314, 320 ff., 340, 392