Der Zweifel im Staatsrecht [1 ed.] 9783428580682, 9783428180684

»Das Staatsrecht« ist eine Materie der Rechtswissenschaft, nicht eine (andere) umfassende Bezeichnung für diese. Verstan

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Der Zweifel im Staatsrecht [1 ed.]
 9783428580682, 9783428180684

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1433

Der Zweifel im Staatsrecht

Von

Walter Leisner

Duncker & Humblot · Berlin

WALTER LEISNER

Der Zweifel im Staatsrecht

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1433

Der Zweifel im Staatsrecht

Von

Walter Leisner

Duncker & Humblot · Berlin

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Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Der Begriff des „Zweifels“ im Staatsrecht – Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. „Recht“ und „Zweifel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Ein begrifflicher Gegensatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Der Zweifel als Gegenstand des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II. „Unmöglich“, „zweifellos“: Attribute einer Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 III. „Recht im Zweifel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1. „Zweifel“ als Gegenstand der Normanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2. Zweifelsauflösung als Rechtsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Auslegung als Klärung des Zweifels im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I. Auslegung als Rechts-Klärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1. Auslegung: Verdeutlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2. „Auslegung“ als „Klärung“: Raum für „Zweifel im Recht“ . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Auslegung als rechtlicher Zweifelsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1. Grundsätzlich kein „Zweifel als solcher im Recht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2. Auslegung: Ausschluss von allem Zweifelhaftem im Recht . . . . . . . . . . . . . . . 20 III. Auslegung: Politik statt Recht – statt Krieg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Ein anderes Staatsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Ende von Recht und Staat – in Politik (?) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 IV. Der „Zweifel“, das „in dubio pro…“ als Recht: Das Programm der Untersuchung 22 1. Die Fragestellung: Auslegung von „Zweifel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Auslegung von „Zweifel“ als Rechts(geltungs)erweiterung: In welche Richtungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 C. Freiheit (Libertas) als Bereich des „Zweifels“ – Ein(heitlicher) rechtsbindungsfreier Raum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. „Freiheit“ „kraft Rechts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Grundrechtliche Freiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Rechtsbestimmte „einzelne Freiheitsräume“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

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Inhaltsverzeichnis II. „Raum des Zweifels“ – Rechtlich „kein einheitlicher Freiheitsraum“ . . . . . . . . . . 24 1. Keine einheitliche Verfassungs-Freiheit – nur Einzelfreiheiten . . . . . . . . . . . . . 24 2. „Großer rechtsfreier Raum“: ohne rechtsdogmatische Definitionen . . . . . . . . . 25

D. Einzelfreiheit(sregelung)en als „Rechts-Räume des institutionellen Zweifelns“ . . . 26 I. „Rechtliches Zweifeln“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Der rechtliche Zweifel als Rechtskategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Mehrere Rechtszweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Nebeneinander von Einzel-Zweifels-Räumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Eigenständiges Entstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Ohne notwendigen Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Einzelne Rechts-Zweifel: stets in(nerhalb) rechtlicher Gesamtschau . . . . . . . . . . . 28 1. Rechtliche Bereichsordnung: immer (eine) „Gesamtnormierung“ . . . . . . . . . . . 28 2. „Rechts-Zweifel“: aber stets „einzelne“ innerhalb dieser rechtlichen Gesamtordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3. Gegenstand von „Rechts-Zweifel(n)“: nicht „(die) Eine, Große Freiheit“ . . . . . 29 IV. Tendenz: (immer) zahlreichere weitere Rechts-Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Mehr Einzelräume des Zweifelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Erweiterte Einzelräume des Zweifelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 V. Gesamttendenz der Entwicklung: „Recht – ein Raum des Zweifels“? . . . . . . . . . . 31 E. Zweifelsregelungen im gegenwärtigen Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I. Keine normative(n) Bindungsverschärfung(en) durch Zweifelsbestimmung(en) 32 1. Bedeutung der „Verfassung als Normwerk“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2. „In dubio pro reo“: (eine) Verfassungsbestimmung mit Norm-Vorrang . . . . . . . 32 3. Nicht aber unter Bindungsverschärfung ihres Inhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Keine normativen Bindungsabschwächungen durch Zweifelsregelungen . . . . . . . 33 1. Argumente für solche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Gegenposition – im Folgenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 III. Zweifelsnormen in der Verfassung: nur Regelungsverdichtungen . . . . . . . . . . . . . 34 1. Zweifelsregelungen: Normale Verfassungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Zweifelsregelungen: nur normative inhaltliche Verdichtungen des Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 IV. „In dubio…“ als Zweifelsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. „Im Zweifel“: zwei oder mehrere Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. „Zweifel“ als Vergünstigungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

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3. „Im Zweifel“: Vergünstigungsinhalt „Freiheit von …“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 4. „Im Zweifel Freiheit“ – nur Freistellung von einer bestimmten Rechts-Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 5. „Im Zweifel für den Angeklagten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 V. Keine Erweiterung des einzelnen Rechts-Zweifels zur „Großen Rechts-Freiheit“ 38 1. Recht auf Freiheit: ein Großes Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Zweifelsgegenstand Freiheit: ein (solcher) rechtlicher Großbereich? . . . . . . . . 38 3. Geltendes Staatsrecht dagegen: Keine „Große Freiheit“ – daher: „Kein Großer Rechtszweifel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 F. Folgerungen für die normative Qualität des rechtlich geregelten Einzel-Zweifels im gegenwärtig geltenden Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Normative Qualität des In dubio pro reo (Idpr) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. „In dubio“: eine Verfassungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Idpr: eine verfassungsrechtliche Spezialnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3. Idpr: Verfassungsnorm-Wirkung: nur auf einen Teil des StPO-Rechts . . . . . . . 41 II. Folgen aus Idpr für die einfache Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Nicht weniger Schutz durch Idpr bei Änderungen einfachen Gesetzesrechts . . 42 2. Zulässigkeit neuer strafrechtlicher Tatbestände in einfachem Gesetzesrecht . . . 43 3. In dubio pro reo – Verfassungsnorm-Wirkung nur im Strafrecht . . . . . . . . . . . . 43 III. Idpr-Wirkungen im materiellen Strafrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Beispiele möglicher „neuer strafbarer Handlungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Das „Privileg des dubium“: nicht strafrechtlich, wohl aber strafprozessual wirksam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 G. Ergebnis zum „Zweifel im einzelnormativ geregelten (Staats-)Recht“ . . . . . . . . . . 46 I. „Zweifel“: ein Rechtsphänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. „Zweifel“ im allgemeinen Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. „Zweifel“ – Begriff des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3. „Zweifel“: keine allgemein-gesellschaftliche Erscheinung . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4. „Zweifel“: Nur (als) Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 II. „Zweifel“: (nur) Vorstufe (s)einer rechtsprozessualen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. „Zweifel“: ein „prozessualer Begriff“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. „Zweifel“ – als solcher kein Rechtsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3. „Zweifel“ – im „Prozess Weg als Ziel“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 4. Rechts-Prozess: Schöpferischer Zweifel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 5. Strafprozess: „Bereit zur Freiheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

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Inhaltsverzeichnis III. „Institutionell geregeltes (Staats-)Recht“: eine in sich geschlossene geistige Welt 50 1. Geistiges Ordnungsergebnis der Betrachtung des „Rechts-Zweifels“ . . . . . . . . 50 2. Rechtliches Ordnen – Gegensatz zu „offener“ menschlicher Wahrnehmung . . . 51 3. Solches Recht: Nicht bereits „Ordnung“, nur Instrument zu deren Schaffung 51

H. Der rechtlich nicht einzel-institutionell normierte Zweifel im Staatsrecht . . . . . . . 52 I. „Rechtlich geordnete Welt“ – nur einer der Räume menschlichen Lebens – „Leben“ auch Gegenstand außerrechtlicher Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 II. Das „Weite Leben“ außerhalb des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 III. „Der Zweifel im Staatsrecht“ als Raum dieses „weiten Lebens“ . . . . . . . . . . . . . . 53 IV. Dieses „weite Leben“ als ein „Un-Gewisses“, darin „wesentlich Zweifelhaftes“

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I. Der rechtlich nicht näher geregelte Zweifel in der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I. „Zweifel“ und „Recht“: Kein wesentlicher begrifflicher Gegensatz . . . . . . . . . . . . 55 1. „Recht: zweifelsfrei“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Zweifel im Recht – als Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Zweifel: Recht in fortdauernder Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II. Zweifel als allgemeiner Verfassungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Zweifeln: ein verfassungsrechtliches (immer) Weiter-Denken in Bewegung . . . 56 2. „Zweifel“: Dynamik ohne rechtliches Endziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 III. Zweifel im Recht: fortdauernd wirkend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. „Zweifeln“: Bewegt – bewegend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Demokratischer Zweifel: Ständiges Weiterdenken der Staatlichkeit in rechtlicher Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 IV. Demokratie als „Staatsform der Dauer-Bewegung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. „Angekommen endlich“: der „Staat“ beim „Volk“(?) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Demokratischer Staat – gerade Dauer-Bewegung als Staatsform . . . . . . . . . . . . 58 V. Zweifel: „Demokratische Dauerbewegung in Staatlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1. „Zweifel“: Weiter-führende Staatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. „Zweifel“ – Zustand der Unsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 VI. Zweifeln: Bewegtheit als „ständiges Novum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Zweifel: ein Perpetuum mobile im Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Zweifel – eine Angst-Vorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3. Zweifel: Bewegung zu „Immer wieder (etwas) Neuem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

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VII. „Neuer Zweifel“ – schöpferisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Zweifel – wirkend in einem Staatsrecht der „Neuen Demokratie“ . . . . . . . . . . . 62 2. Die Fragestellung der „Neuen Demokratie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3. Dieser Neue Zweifel: „Woraus? Worin?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 4. „Der Neue Zweifel“ – schöpferisch, weil „immer neu“ schon in Bewegung . . . 63 5. Folge: Das Staatliche der Gegenwart: Zweifel als Schöpfung aus, daher in Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 J. Zweifel: ein „rechtstranszendenter Begriff“ des Staatsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 I. Zweifel: ein „offenes Rechtsphänomen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 II. (Im) Zweifel: „Staatsrecht als Zustand offen zum Faktischen“ . . . . . . . . . . . . . . . 66 III. Zweifel: Staatsrecht im Lauf(en), Bewegung zu faktisch immer Neuem . . . . . . . . 67 1. Zweifel: Staatsrecht geöffnet zum Faktischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Zweifel als ständiger Lauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 IV. Zweifel im Staatsrecht: Zielloses (Ab-)Laufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Demokratie: Staatsform des Ewigen Zweifels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Staatsrecht der Demokratie: „Immer Neues“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Demokratie: Welt des Zweifels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

Einleitung 1. Wenn etwas unter Menschen Beachtung findet, „formal“ für ihren menschlichen Willen, materiell als ein diesen motivierender Gegenstand, so spricht man von einer „wahrnehmbaren Erscheinung“, von einer „Tatsache“, einem Faktum. Dessen Wirkung auf den (die) ihm Begegnenden löst zunächst bei diesen ein Registrieren aus: Das Phänomen wird „zur Kenntnis genommen als real existierend“, damit aber noch nicht auch schon als rechtlich wirkend. Der von ihm „tatsächlich angesprochene“, dergestalt mit ihm kon-frontierte Mensch, oder eine Mehrzahl von solchen – sie haben nun zu entscheiden, ob (überhaupt) und (bejahendenfalls) wie, in welcher Weise eine Reaktion auf diesen Impuls aus ihrer Sicht erfolgen kann oder gar soll, muss. „Das menschliche Gegenüber einer solchen Tatsache(nlage)“ muss allerdings, ja es kann gar nicht immer auf diese reagieren, sein Verhalten „für die Zukunft dementsprechend ändern“. Nur wenn die neue Lage eine Frage aufwirft, welche eine „menschliche Antwort“ erwartet, ja verlangt – nur dann muss ihr „Adressat“ feststellen (können), ob eine solche Reaktion als eine Rechtsfolge einzutreten hat oder eintreten kann, also in Form und mit (dem) Inhalt einer Norm – oder ob (lediglich) ein (bestimmtes) tatsächliches Verhalten seinerseits in Frage kommen kann. Allein die erstere Problematik ist Gegenstand der folgenden Untersuchung, nicht all das, was sich auf rein tatsächliche Effekte beschränkt im Leben des Menschen: Es geht nur um den „Zweifel im Recht“. 2. Ein neu konstatiertes Faktum stellt häufig eine Frage, welche juristischer Beantwortung zugänglich ja bedürftig ist. Nicht jedes solche Phänomen wirft aber einen Zweifel auf, der als solcher eine spezielle rechtliche Reaktion auslöst: „In der“, ja „in aller Regel“ bietet das Recht sogleich und zugleich eine juristisch gültige Antwort: eine Lösung in Form einer, ebenfalls juristischen, Auslegung. Übrig bleiben bei solchen juristischen Operationen aber eben doch faktische Situationen, in denen, für welche das allgemein geltende staatliche Recht keine überzeugende Lösung bereithält: Dann bleibt insoweit ein juristisches dubium, eine „zweifelhafte Rechtslage“. Tritt diese außerhalb der Rechtsordnung auf, ist ein solches dubium gar eine „wesentlich außerrechtliche Erscheinung“ – oder muss sie doch gesehen, (ein-)geordnet, behandelt werden als ein Phänomen des Rechts? Für die Gegenwart ist eindeutig von der letzteren Betrachtungsweise auszugehen. Aus den Ursprüngen der Französischen Revolution heraus hat sich das Staats-Recht des 19. Jahrhunderts entfaltet aus punktuellen Befehlen, deren immer dichterem Geflecht zu etwas wie einem ineinandergreifenden System von Normen. So ist es an

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Einleitung

die Stelle des früheren einen, souveränen, monarchischen Willens getreten. Wie dieser, aus seiner ihm innewohnenden souveränen Gestaltungskraft, für jede bislang unbekannte, daher normativ ungeregelte Situation sogleich die juristisch verbindliche Antwort hervorbringen konnte, so steht dazu nun das Staatsrecht bereit, „in Gestalt“ des von ihm (jeweils) bestimmten, „autorisierten“ Staatsorgans: „Der Zweifel ist allgemein zu einem Raum des Rechts geworden, in dessen normpyramidaler Spitze zu einer juristischen Kategorie des Staatsrechts“. Dieses stellt sich darin dar als eine „Rechtslage in dubio“, so wie auf den ihm nach-/untergeordneten Rechtsstufen immer wieder, und häufig, unklare, rechtlich klärungsbedürftige und auch klärungsfähige Situationen festzustellen sind – und dann eben „juristisch zu bewältigen“. Diese „Auflösung eines Zweifels im Recht in Recht“, einer „Rechtslage in dubio in neues Recht“, gleich dem, in welches „eingebettet“ dem Juristen eine von ihm zu beurteilende zweifelhafte Lage begegnet – was bietet hier das Staatsrecht als sein(e) Instrument(e), als seine Kategorie(n), wenn sich ihm die Frage stellt „In dubio pro“? Wie hat Staatsrechts-Dogmatik versucht, auf ihrer Normstufe darauf eine Antwort zu geben? Dies ist die Frage, die sich die nachfolgenden Ausführungen stellen: Werden sie zeigen, wie das Staatsrecht „aus dem Zweifel hinaus-führt“, das „dubium“ generell ins „unzweifelhafte Recht“, an dessen Spitze, damit ins Recht als solches? 3. a) Ansetzen soll das Folgende bei jenem „Zweifel“, welcher dem Juristen seit langem, seit jeher vielleicht als ein solcher bekannt, ja vertraut ist: bei dem „In dubio pro reo“. Dieses spricht ja auch menschlich ein besonders schweres, juristisch ein schwer-wiegendes Problem an: Im Bereich des Strafens ist der Zweifel zuerst aufgetreten, mit der ganzen Macht des Rechts, dort, wo zum ersten Mal historisch ständig Geübtes zu rechtlich Verbindlichem geworden ist. Und nicht im materiellen Recht ist dies erfolgt, sondern im rechtlichen Verfahren, im Strafprozess: damit sollte auch (noch) der innerste menschliche Freiraum rechtlich erkannt, „erfasst“ werden. Was dort dann an Strafe verhängt wird, für welches als „strafrechtlich relevant eingestufte Verhalten“ – das mag die staatliche materielle Strafgewalt jeweils festsetzen, und auch, je nach politischem Bedarf, wieder ändern, in ihrem materiellen Strafrecht. Wie und wann dies aber rechtlich wirken darf, Rechtsgenossen be- oder entlastend – das liegt im normativen Gestaltungsraum des Strafprozesses, entsprechend den Grundsätzen, welche für diesen letzteren gelten: Sie verbieten die zeitliche Rückwirkung des materiellen Strafrechts, dessen belastende Anwendung in Fällen, in welchen die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine solche noch nicht eindeutig gegeben waren. Eben dies spricht der strafverfahrensrechtliche Satz „In dubio pro reo“ an, ausdrücklich für die Voraussetzung eines „Zweifels“, der sich in einer Auslegung des materiellen Strafrechts nicht ausräumen lässt: Seine Wirksamkeit ergibt sich dann (allein) aus Verfahrensrecht. Hier aber steht der Zweifel nicht zur gestaltenden, insbesondere nicht zur Änderungsdisposition jeder Gesetzgebung auf deren jewei-

Einleitung

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liger Normstufe: Für den strafrechtlichen Bereich jedenfalls hat dieses „In dubio“ Verfassungsrang, zugunsten, zum Schutz des Angeklagten – pro reo; der Begriff „Zweifel“ ist „verfassungsfest“: Hier ist er es „ausdrücklich“, in diesem engen Bereich des Strafens. b) Diese verfassungsrechtliche Qualität, eine ihr entsprechende erhöhte, vielleicht gar höchste Normwirkung des „In dubio“, sie könnte diesem Rechtssatz nur genommen werden, durch eine ebenso klare, ausdrückliche „lex contraria“: Generell für jeden Zweifel, worauf immer er sich bezöge, oder für einen bestimmten, materiell engeren Regelungsbereich, müsste dann vorgesehen sein/werden, dass einem bestimmten Menschen gegenüber, für eine gewisse Menschengruppe, oder gar für Jedermann, im Zweifelsfall nicht in einem besonderen, einem eindeutigen rechtlichen Sinn „Recht zu finden“ festzustellen sei, also „In dubio (auch) contra einen Rechtsgenossen“ entschieden werden könne. Eine derartige Gesetzgebung ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, sie ist rechtsdogmatisch nicht unmöglich. So könnte etwa verordnet werden, dass auch im Strafprozess ein dort auftretender Anwendungszweifel von Normen stets nach den allgemein geltenden juristischen Interpretationsregeln zu behandeln sei, wie schwierig dies auch sein, und selbst wenn das rechtliche Ergebnis als unbefriedigend erscheinen möchte, menschlich „politisch“. Ein rechtsnormativ speziell wirkendes „In dubio“ muss es also de iure nicht geben, weder für strafrechtliche noch für andere rechtliche Fragen. Diese Problematik stellt sich aber praktisch nicht als ein staatsrechtliches Problem. In dem (engen) Bereich des „pro reo“ ist ein solches Verfassungs-Sonderrecht in langer Tradition derart fest und eindeutig anerkannt (worden), selbst unter wechselnden materiellen strafrechtlichen Ordnungen, dass ein mit „In dubio“ eingeleiteter Rechtssatz jedenfalls kein Verfassungsproblem (mehr) aufwirft, wenn dies je ein solches war. „In dubio“ ist eben rechtsbegrifflich grundsätzlich möglich als Geltungsform eines bereichsspezifischen Rechtssatzes. 4. Als ein solcher kann einer mit „In dubio“ eingeleiteten rechtlichen Feststellung auch durchaus die Normqualität einer Verfassungsbestimmung zukommen, wenn eine solche Bestimmung die dafür allgemein vorgesehenen konstitutionellen Voraussetzungen erfüllt. Auch dies ist bei „In dubio pro reo“ seit langem, unwidersprochen der Fall, eben für den eng einschränkenden Raum der Geltung des Satzes. Dann aber stellt sich für das „In dubio pro reo“ mit normlogischer Notwendigkeit auch die grundsätzliche Erweiterungsfrage: Kann, könnte nicht auch hier ein „In dubio…“ noch weiter, vielleicht gar noch viel weiter geltungsmäßig ausgedehnt werden, bis (hin) zu anderen rechtlichen Anwendungsräumen? Wenn dem dubium schon einmal eine „normative Erweiterungskraft“ staatsrechtlich zuerkannt worden ist – in dubio pro reo – kann „eine solche“, „als eine „allgemeine“ (an)erkannt, nicht noch stärker wirken, bis in „weitere Räume“, und welche sind dies, könnten dies sein? Könnte „Rechtsgeltung im Zweifel“ dann nicht als eine so allgemeine juristische Kategorie eingesetzt werden, dass sich in ihr die normative Kraft eines All-

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Einleitung

gemeinen Rechtsprinzips entfaltet, welches alles zu Normen werden lässt, auf was sich (irgendein) Zweifel bezieht? Wirkt „der Zweifel“ als ein solches Prinzip nicht bereits in weiten staatsrechtlichen Regelungsräumen? 5. Dies ist Gegenstand der Untersuchung in dem folgenden Hauptteil A. In dem anschließenden Hauptteil B. wird darzulegen sein, welche Bedeutung der RechtsAuslegung in diesem Zusammenhang zukommt. Unter C., D. und E. stellen sich dann Fragen nach etwaigen einzelnen Erweiterungsformen der Rechtsgeltung in gewissen Fallbereichen eines (verfassungs-) rechtlichen Zweifels. Unter F. werden Folgerungen für die normative Qualität des Zweifels im Recht ergebnismäßig zusammengefasst. In G. wird das Ergebnis zum „Zweifel in den rechtlichen Reglungen des Zweifelhaften im institutionalisierten (Staats-)Recht“ vorgestellt. Im Mittelpunkt einer so aufgebauten Darstellung stehen bekannte staatsrechtliche Problemkreise, vor allem: - Gibt es ein „In dubio pro Libertate“ im Deutschen Staatsrecht? - Gilt hier ein „In dubio pro Republica“ – „Im Zweifel für den Staat“, bis hin zu einer (möglichen) Staatsallmacht? 6. In einem weiteren Kapitel H. wird schließlich geprüft, ob jenseits eines derart normativ institutionalisierten Zweifels das Staatsrecht „ein Zweifeln“ kennt, welches in dieser Materie als solches begegnet. Dies wäre dann aber normativ nicht institutionalisierbar; wenn ein solches Zweifeln wirkt, als eine belebende geistige Unruhe, so wird es das Staatsdenken als solches dynamisieren, als Raum eines „weiten Lebens“ außerhalb des bereits im Einzelnen normativ geordneten Rechts.

A. Der Begriff des „Zweifels“ im Staatsrecht – Allgemeines I. „Recht“ und „Zweifel“ 1. Ein begrifflicher Gegensatz? a) Diese Frage ist zunächst und sie ist grundsätzlich zu stellen. Vorstellbar ist ja, dass in den gesamten Räumen sachlicher und persönlicher juristischer Beziehungen nirgends ein Bezug auftreten könnte/dürfte, (also) überhaupt nicht denkbar wäre, und zwar rechts-wesentlich nicht, auf welchen das Wort „Zweifel“ anwendbar sein könnte. „Dubium Ius“ wäre dann begrifflich ein Gegensatz: „der Zweifel“ erschiene geradezu als logischer Abgrenzungsbegriff von/zu all dem, was „als Recht behandelt werden dürfte“. Recht(swissenschaft) wäre „zweifelsfrei“ zu betreiben, allen Zweifel träfe der Bann(strahl) des Rechts. b) Damit würde dann allerdings „für das Recht“, „in dessen Namen rechtlich“ eine Art von Vorweg-Absolutierung vollzogen, eine Absolut-Setzung dieses „Begriffs Rechts“. „Zweifel“ schlösse dann jeden formellen oder inhaltlichen begrifflichen Übergang des Rechtlichen in einen anderen Bereich aus, in welchem etwas anderes von menschlichem Denken erfasst werden könnte als „Recht in dessen absolutem, normativem, formellem und absolutem Sinn des Geltens“. „Der Zweifel“ wäre dann nur ein Gegenstand des Rechts.

2. Der Zweifel als Gegenstand des Rechts Ein solches Zweifeln soll nun Gegenstand der folgenden Überlegungen sein, und zwar als etwas, das gerade für den Juristen nicht selbstverständlich ist, über das er nicht „in einer Sicherheit, ja einer Überzeugung hinwegdenken darf“. Wird solcher Zweifel aber nicht einen falschen Ton bringen in das Bemühen des Rechtsbeflissenen, das er doch so gerne als eine Harmonie fühlen, „lieben“ und dann auch durchsetzen möchte – oft allerdings „so gar nicht liebevoll“? Alles Recht beginnt mit dieser selbstkritischen Frage: Gibt es denn „eine“ in sich geschlossene geistige Welt des Rechts, die sich so darstellt, in realitätsgelöstem Selbst-Stand, wie ihr Einzelbefehl dann ergehen soll ohne jede Bindung an eine Realität, die der Anordnende eben erst zu gestalten sich vornimmt, also letztlich nur für sich, aus sich heraus schaffen will? Kann Rechtsanwendung erfolgen ohne

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A. Der Begriff des „Zweifels“ im Staatsrecht – Allgemeines

ständigen Rundblick auf alles Reale, wenn sie ihre Umgebung gestalten, umformen will mit ihrem „Sollen“? Verliert sich Rechtspraxis nicht gerade in der Gegenwart immer mehr in Utopie, wenn sie ein Jus anbieten will als eine „Welt für sich“, „in sich“?

II. „Unmöglich“, „zweifellos“: Attribute einer Rechtslage Begegnung, Zusammentreffen, ja Zusammenstoß des rechtlichen MenschenWillens, des juristischen Imperativs, mit der Wirklichkeit – das zeigt sich nicht nur als ein außerrechtliches Phänomen – es ist eine Erscheinung des Rechts. Im Begriff der „Unmöglichkeit als einem Rechtsbegriff“ stößt die Jurisprudenz an eine Schranke zu (allem) Außerrechtlichem, die sie sich selbst gesetzt hat, unüberschreitbar, weil vorgegeben mit ihrem begrifflichen Wesen. Findet der Jurist etwas „rechtlich unmöglich“, führen ihn also die ihm geläufigen rechtsdogmatischen Begrifflichkeiten nicht weiter, muss er dann nicht erweiternde Denkkategorien einsetzen, über die er mit seinen Rechtsgenossen dennoch rechtlich geordneten Kontakt aufnehmen, wenn er es wünscht (unter)halten kann? Diese Fragestellung lenkt die hier unternommene Untersuchung zu einer Problematik, die bisher wesentlich unterbelichtet geblieben ist: „Recht und Zweifel“.

III. „Recht im Zweifel“ 1. „Zweifel“ als Gegenstand der Normanwendung Rechtsanwendung kann enden in einem „Zweifel“, in einer Unsicherheit, ob das Recht als solches noch weiterführt. Dann aber stellt sich sogleich die Frage, ob dieses Zweifeln bei (der) Rechtsanwendung seine Auflösung finden kann, oder gar muss, eben doch noch in einer Operation juristischer Normanwendung. Oder liegt das rechtlich Zweifelhafte bereits wesentlich jenseits aller Subjekte und Objekte, mit denen der Rechts-Suchende, der Rechts-Anwendende sich befasst sieht? Kann der Zweifelnde in dieser seiner noch nicht entschiedenen, also an sich doch gar nicht „üblicherweise juristisch auftretenden Haltung“, dennoch Verbindung (be)halten zu der so ganz anders erscheinenden Welt des Normativen, sich „in ihr bewegen“, wenn auch (vielleicht) „aus ihr heraus“, hin – zu ihren „Grenzen“? In einer Wortfolge lässt sich diese Problematik fassen: „In dubio pro … – im Zweifel für …“. Wie aber endet diese Wortserie bisher, in einer dem Juristen wohlbekannten Form? In den Worten „Pro reo“. Und wo findet sie sich bereits in herkömmlicher Geltung? In einer Norm des Strafprozessrechts, in einem wohlbe-

III. „Recht im Zweifel“

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kannten Rechtsregel-Bestandteil einer klassischen juristischen Materie, die zu den am weitestgehend rechtstechnisch ausgeformten der gesamten Rechtsordnung zählt.

2. Zweifelsauflösung als Rechtsproblem Es kann also „Recht als Lösung im Zweifel geben“ – als eine juristische Kategorie, gerade auf der Höhe des Staatsrechts. Dies kann aber nur unter einer Voraussetzung gelten: dass dieser Zweifel sich nicht auflösen lässt mit den üblichen, dem Recht wesensgemäßen gedanklichen Operationen. Damit wird, daran führt kein Weg vorbei, der Zweifel selbst, als solcher, zum Rechtsbegriff. Dann aber unterliegt er allen Regeln juristischer Dogmatik: Das dergestalt Zweifelhafte muss, was seinen Zweifelsträger betrifft, wie was seinen sachlichen Inhalt anlangt, seinen Gegenstand, als solches rechtlich klärungsbedürftig sein, aber auch klärungsfähig. Daraus folgt: Wo sich rechtliche Eindeutigkeit herstellen lässt mit (den) üblichen juristischen Operationen, da tritt die Problematik „Recht und Zweifel“ (gar) nicht (mehr) auf (i. Folg. B.). Rechtliche Lösungen beseitigen dort den Zweifel, lassen seine Träger zu Rechtsorganen, seine Inhalte zu solchen von Rechtsnormen werden. Es bleibt aber die Frage, wie weit das Recht solches vermag, ob nicht doch Zweifelhaftes in ihm zurückbleibt – und wie dies dann rechtlich zu beurteilen, zu bewältigen ist. Dies ist Gegenstand der folgenden Abschnitte (C. ff.).

B. Auslegung als Klärung des Zweifels im Recht I. Auslegung als Rechts-Klärung 1. Auslegung: Verdeutlichung Schwierigkeiten, welche dem Juristen die „Auslegung“ seines Rechts bereiten, beginnen in der deutschen Sprache mit diesem Wort selbst. Es scheint dasselbe doch auf etwas hinzudeuten, das als solches, in seinem auf menschliches Verständnis bezogenen Inhalt, dem es Anwendenden noch gar nicht, jedenfalls nicht „voll“ zugänglich ist. Bedeutet „Auslegung“ nicht, jedenfalls im Recht, dass mit ihr „ein Buch erst aufgeschlagen“ wird, Blätter erst aufgefaltet und aufgelegt werden müssen, bevor – und damit – sie „sodann gelesen werden“, ihre Botschaft darin den Adressaten erreicht? In diesem Verständnis ist „Auslegung“ dann ein Vorgang der Wahrnehmung juristischer Gehalte, dessen, was diese an Verbindlichem an den so Angesprochenen, Verpflichteten herantragen. Sie konfrontieren ihn dergestalt mit Partnern und Materien, so dass er diese zur Kenntnis nehmen muss, sich ihnen nicht (mehr) entziehen kann/darf. Auslegung ist daher, als solche, nichts als ein „Verdeutlichungsvorgang von etwas Mit-Geteiltem“, einer personalen und/oder sachlichen Realität, mit der sich der rechtlich Angesprochene, das Rechtssubjekt, nunmehr „auseinandersetzt“. Dieses Wort zeigt sich, gerade im Deutschen, als „bildhaft“: mit ihm wird nichts anderes erwartet als „intensive Befassung mit dem Rechts-Gegenstand“. Sie soll eine klare, nicht eine lediglich verschwommene, nur annähernde Erkenntnis-, vielleicht nur die Bemühung um eine solche bringen – um es klanglich zu wenden: Recht ist etwas wie „Musik als Tonfolge“. Von wem Rechtsanwendung erwartet wird, Auslegung als „ihr Vorspiel“, wem also mehr „bevorsteht“, als unverbindliche Rechtserkenntnis, auf wen damit ein Eindruck des Rechts ausgehen soll – für den ist Auslegung KlarheitsSuche und Klarheits-Findung im Recht. Ihr Ziel ist: Nichts darf juristisch offen sein – bleiben.

I. Auslegung als Rechts-Klärung

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2. „Auslegung“ als „Klärung“: Raum für „Zweifel im Recht“ a) Der Begriff „Zweifel“ findet also, nach dem Vorstehenden, in der „Rechtsauslegung“ einen rechtlichen Raum seiner Lösung in der Jurisprudenz: Wo Interpretation juristische Wirkung entfaltet, da hört jeder juristische Zweifel auf, „da ist rechtlich eben nichts mehr zu klären“. „In dubio pro reo“ ist daher ein Rechtssatz, juristische Auflösung einer außerrechtlichen Unsicherheit. Das Recht wird mit ihm als solches, und es bleibt, „das wesentlich Zweifellose“, das Unbezweifelbare ex definitione; so „steht das Recht in Geltung“, eben „unverbrüchlich“. In einem anderen Sinn können und dürfen seine Begriffe mit Bezug auf niemanden und nichts gebraucht werden. b) Wenn also in irgendeinem Zusammenhang mit „Recht“ das Wort „Zweifel begegnet“, wie im „In dubio pro reo“ – und hier ist „begegnen“ durchaus treffend – so handelt es sich dabei um einen „üblichen Rechtsbegriff“. Bedeutungsmäßig, formal und/oder inhaltlich, ist er allerdings noch nicht voll geklärt. In seinen rechtlichbegrifflichen Abgrenzungen zu bestimmten anderen Rechtsbegriffen zeigt er noch offene Räume. „Geschlossen“ ist er aber gegenüber nicht-juristischen Bereichen, aus denen heraus, „außerjuristisch“, er nicht in irgendeiner Weise sinnerfüllt werden darf. c) „Rechts-Auslegung“ befasst sich also nicht ganz umfassend mit dem „Zweifel an sich“, sie versucht nicht, ihn „als solchen“ aufzulösen in Recht. Sie sieht ihn nur als eine Erscheinung des Rechts, die eben als solche, begrifflich, im Raum des Juristischen liegt (B.). Daher gilt dieser Hauptteil B. der Untersuchung auch nur der „Klärung des Zweifels im Recht“: Als ein allgemeiner Rechtsbegriff wurde folglich die „Auslegung als solche“ zunächst als Rechts-Klärung betrachtet (unter I.). Dem folgt nun ihre Behandlung als Zweifelsausschluss (i. Folg. II.). Ist „Auslegung“ etwa nur „Politik“ (statt Recht)? (i. Folg. III.). Wenn nicht – wie kann dann eine Auslegung nach dem Grundsatz „In dubio pro reo“ als Rechtssatz zu verstehen sein (i. Folg. IV.)? Dem wird in den anschließenden Kapiteln (C., D., E.) nachgegangen. Aus diesen werden abschließend Folgerungen gezogen für die Normative Qualität des Zweifels im Recht (F.), die sich ableiten lassen aus dem „In dubio pro reo in seiner normativen Qualität (F. I.), für die (einfache) Gesetzgebung (F. II.), insbesondere für eine Erweiterung der Strafrechtswidrigkeit in der Rechtsordnung (F. III.). Die Betrachtungen schließen mit einem Gesamtergebnis zum „Zweifel im (Staats-)Recht“.

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B. Auslegung als Klärung des Zweifels im Recht

II. Auslegung als rechtlicher Zweifelsausschluss 1. Grundsätzlich kein „Zweifel als solcher im Recht“ „Recht“ gilt zeitlich immer, seinem Wesen nach, „nur für eine gedachte, für eine vorgestellte Zukunft“, für eine Gegenwart lediglich, soweit in dieser Künftiges bereits begonnen hat: im Geist des in rechtlichen Kategorien Denkenden, „sich Bewegenden“; und nur mit einem solchen wollen es die folgenden Ausführungen zu tun haben. Sie beschäftigen sich nicht mit einer außermenschlichen Realität, nehmen diese auch nicht „als eine solche“ in ihr Recht hinein. So weit sie „die Wirklichkeit im Blick haben“, Realität als solche „in diesen Blick nehmen“, „ist diese bereits Recht“, unwiderruflich, für den Juristen. Dies wird ihm denn auch oft genug vorgehalten, dieses sein „rechtliches Wolkenkuckucksheim“. Es ist dieses Gedankengebilde aber nichts anderes als „eben seine philosophische Welt“; in ihr muss, und darf er sich getrost, mit einem Sokrates verspotten lassen…

2. Auslegung: Ausschluss von allem Zweifelhaftem im Recht a) Behandlung des Zweifelhaften ist Ziel einer juristischen Operation. Nach ihr(em Abschluss) darf keine Unklarheit mehr bleiben in dem Gesamtbereich dessen, was nun „rechtens“ sein soll. Wenn im Recht als solchem, als dessen Inhalt, als sein Regelungsbereich, ausdrücklich ein (rechtlicher) Zweifel angesprochen wird, so muss dieser dort auch sogleich seine juristische (Auf-)Lösung erfahren, er darf nicht „als solcher stehen bleiben“. Dies Letztere würde ja „die Welt des Rechts öffnen“ „zu einer anderen Welt“, der einer „Realität“, von/aus der nun Lösung(en) erwartet würde(n). Die „Operation Auslegung“ würde damit die begrifflichen Grundsatzschranken zwischen Jus und Realem überschreiten, ja aufheben. b) Eben dies Letztere ist nun allerdings das ausdrückliche oder das implizitselbstverständliche Ziel, wenn nicht sogar vorrangiges Anliegen von Bestrebungen, welche seit den Weltkriegen immer stärker sich zeigen in „Politik“, von ihr aus Wege, ja Übergänge suchen in ein „Neues Staats-Recht“. Dieses kann dann aber nur ein (ganz) anderes sein als jene Ordnung, welche einst die Römische Staatsmacht geschaffen, der Nachwelt als ein Öffentliches Recht hinterlassen hat: bis vor wenigen Jahrzehnten noch hat eine solche Vorstellung eindeutig das gesamte Rechtsdenken geprägt.

III. Auslegung: Politik statt Recht – statt Krieg?

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III. Auslegung: Politik statt Recht – statt Krieg? 1. Ein anderes Staatsrecht? Ein Neues Staats-Recht – muss es nun nicht ein solches geben, das bisherige ein (ganz) anderes werden? Angedacht wird damit stillschweigend, wenn nicht bereits ganz offen, eine nicht nur „weitere“, sondern eine flexiblere rechtliche OrdnungsUmrahmung des Gemeinschaftslebens. Aus ihr heraus soll denn nicht mehr, grundsätzlich, in allem und jedem, beherrscht, also gezwungen, ein „Gegenwille gebrochen“ werden. Vielmehr sollen sich Wandlungen in Zeitablauf vollziehen, schrittweise, langsam, vielleicht gar unbemerkt. Nicht mehr in klaren, harten, in als solchen „besonderen“ Rechtsformen tritt dann vor allem das Öffentliche Recht auf, lautstark, eben gebieterisch: Neues Recht schiebt sich vielmehr über, nein: in Politik hervor und hinauf in öffentliche Sichtbarkeit. Bisheriges wird darin ersetzt, nicht verdrängt oder gar gebrochen. Das herkömmliche Staats-Sprichwort: „Krieg ist Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ – es erfährt eine Umkehr: „Politik“ (aner)kennt nur mehr die Herrschaft des Volkes, in ihr aber ist der „Ewige Friede ausgebrochen“, der Traum von Kant. Nicht „beerdigt“ – aufgelöst ist das Monster Krieg in einem „They never come back“, die Soldaten – die „Krieger“ im Staatsrecht. Nur mehr eines gibt es: „Politik statt Recht“, in einer Auslegung der Ordnung „in Frieden“.

2. Ende von Recht und Staat – in Politik (?) Bedeutet dies dann: „Nicht mehr rechtlich denken, nur mehr politisch“? Da könnte man nun wirklich, mit früheren Rechtslehrern, deren Grundfrage in wissenschaftlichem Erstaunen ganz neu stellen – diesmal nicht als eine rechtliche, sondern „an das (bisherige) Recht als solches“: „Ist dies(e Entwicklung) nicht ein Novum“? Öffnet sich hier nicht ein Tor aus dem Recht hinaus in eine Welt, in der Juristisches aufgeht, sich auflöst in eine ganz neue Form, die dann auch nur mehr so genannt werden wird, erfüllt vom Stolz einer Neuen Dynamik: Politik? Ist dann nicht auch das dubium, der Zweifel im Recht, nur mehr ein politisches Phänomen, eben „Recht in Form von Politik“? Bietet innerhalb „dieses Politischen“ „das Recht“, mit seinem „Rechts-Zweifel“, noch etwas Spezifisches, eine OrdnungsForm, oder gar mehrere, zahlreiche solche? Dies führt zur Ausgangsfrage zurück: Was kann so zu verstehendes Zweifeln dann bedeuten im Staatsrecht allgemein, für ein In dubio pro reo im Besonderen, weil, wenn dieses als Verfassungsrecht gilt?

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B. Auslegung als Klärung des Zweifels im Recht

IV. Der „Zweifel“, das „in dubio pro…“ als Recht: Das Programm der Untersuchung 1. Die Fragestellung: Auslegung von „Zweifel“ Die Untersuchung soll nun zunächst vertieft werden in Darlegungen, welche sich befassen mit dem Begriff, welchem die Gesamt-Betrachtung gewidmet ist: mit „dem Zweifel als solchem“, als einer möglichen oder traditionellen Kategorie des Rechts, insbesondere des Staatsrechts. In dieser Richtung (als solche näher behandelt schon im Kapitel B.) ist nämlich bisher ein Defizit juristischen Denkens festzustellen: Führt ein Zweifel aus dem Recht hinaus, lässt er sich also nur mit außerjuristischen Kategorien auflösen – oder fließen diese, gerade in einer solchen Operation, selbst ins Recht ein, gewinnen damit also juristische Qualität? Zweifel: „Ende“ oder „Erweiterung des Rechts“ – weil eben doch „noch immer Recht“? Wie weit reicht „Auslegung von Zweifel“?

2. Auslegung von „Zweifel“ als Rechts(geltungs)erweiterung: In welche Richtungen? Worauf kann sich also „ein Zweifel im (Staats-)Recht beziehen“? Das ist die Frage, ja es sind sogar mehrere Fragen, welche der Begriff „Zweifel“ für den Juristen aufwirft, die also als solche hier vertiefend zu behandeln sind (i. Folg. C., D., E.). Aus den Ergebnissen dieser Kapitel muss versucht werden Folgerungen abzuleiten zum Thema „In dubio pro reo“ (i. Folg. F.): (I.) zu dessen normativer Qualität als solcher, zu seinem Anwendungsraum, (II.) für die einfache Gesetzgebung, (III.) speziell über Möglichkeiten von Erweiterungen der Geltung des Strafrechts – und des Strafprozessrechts.

C. Freiheit (Libertas) als Bereich des „Zweifels“ – Ein(heitlicher) rechtsbindungsfreier Raum? I. „Freiheit“ „kraft Rechts“ 1. Grundrechtliche Freiheiten a) „Freiheit kraft Rechts“, „rechtlich garantiert“ – das kennt das Öffentliche, das Staatsrecht, seit von solchem die Rede ist, als eine Kategorie der Ordnung zwischen seinen Trägern, den natürlichen Menschen als „Rechtssubjekten“. Es ist dies die Zone der Eigenbestimmung dieser Rechtssubjekte, auf welche nicht ein außerhalb von ihnen stehender Rechtsträger einwirken kann/darf. Seit und wo immer ein solcher anerkannt (worden) ist, als „Familie“, „Religion“, oder als eine andere Form von in Bindungen konstituierter Gemeinschaft, insbesondere als „Staat“ – seitdem werden die Beziehungen zwischen ihnen und den Menschen als individuellen Rechtsträgern rechtlich bestimmt und bezeichnet als „Freiheiten“. b) Da diese „Freiheiten“ nicht ihrerseits wiederum einer anderen rechtlichen Grundlage bedürfen, da es eine solche juristisch gar nicht geben kann, es sich also um „rechtliche Primärbegriffe“ handelt, deshalb sind sie seit langem als „Grundrechte“ geläufig. Dieses Wort zeigt die Fundamentalität ihrer Bedeutung an. Nahe könnte es daher liegen, sie in juristischer Sicht auch als eine Einheit zu verstehen: Grundrechtliche Freiheiten also als „eine Freiheit“, als einen rechtlich einheitlichen Begriff, der nur in einem rechtsdogmatischen Raum begegnet, dort allein fassbar wird. Dem ist aber nicht so, sondern es gibt:

2. Rechtsbestimmte „einzelne Freiheitsräume“ Die Rechtsordnung stellt sich dar als eine Vielfalt von Einzelbindungen. Sie wirken alle, wenn auch in verschiedenem Umfang, in unterschiedlicher Intensität, auf das Verhalten der Menschen. Diese sind (nur) insoweit ihre „Rechtssubjekte“. Außerhalb dieser rechtlichen Bindungsbereiche erstreckt sich ein einziger, großer, rechts-bindungsfreier Raum: „die Große Freiheit“. In ihr ist, lebt, bewegt sich alles, was auch nur irgendwie real fassbar, feststellbar ist. Es erscheint dies, vom Standpunkt des Juristen aus gesehen, als etwas wie ein „Außen-Raum“, ein Outer Space. In ihm lassen sich aber bestimmte Einzelräume festlegen, juristisch feststellen. Dies sind dann (die) einzelne(n) „Freiheiten“ im rechtsbegrifflichen Sinn. Jede von ihnen ist

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C. Freiheit (Libertas) als Bereich des „Zweifels“

von einem gewissen Ordnungsgewicht in der faktischen Existenz ihrer humanen Träger. Diese Freiheiten lassen sich zwar in ihrem Gewicht für das menschliche Leben summieren, nicht aber zu einem einheitlichen rechtlichen Freiheitsraum integrieren:

II. „Raum des Zweifels“ – Rechtlich „kein einheitlicher Freiheitsraum“ 1. Keine einheitliche Verfassungs-Freiheit – nur Einzelfreiheiten a) Das heute geltende Verfassungsrecht hat sich entwickelt aus jener „Grundrechtlichkeit“, mit welcher in der Französischen Revolution von 1789 erstmals „Freiheit“ als „etwas Natürliches“ erfasst wurde, „natürliche Freiheiten“ in Rechtsform verkündet – festgestellt worden sind. Für die damaligen Revolutionäre war aber ihre einheitlich proklamierte „Liberté“ ursprünglich nicht ein Rechtsbegriff, sondern ein politischer Weckruf, verkörpert in jener Trikolore, um die sich Viele, Alle scharten, welche sich, weil sie sich als Menschen fühlten: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“. Und als ein solches menschliches Wesen durfte der Homme, als Citoyen, durfte der Bürger nun (sehr) Vieles – nicht Alles. „Was stand ihm nun frei“, da sein ganzes Leben gegründet war auf dieser, in dieser Freiheit? b) In Räumen von „Einzelfreiheiten“ sollte damals, kann auch heute der Einzelmensch sich bewegen, d. h. in gewissen „Sachbereichen“, die er ordnend beherrschen darf, weil das Verfassungsrecht sie ihm eröffnet. Nicht mehr und nicht weniger steht ihm zu dieser seiner juristisch höchstrangig gesicherten Verfügung. Den ganzen, großen Rest der „rechtsfreien Umwelt“ darf er sich überdies, jederzeit, durch einen Rechtsakt ebenfalls aneignen, ihn juristisch appropriieren, solange er dabei nicht an bereits bestehende Rechtsschranken stößt, „gegen Rechte anderer verstößt“. c) Angesichts dieser Gesamtlage, in welche sich der Mensch gestellt, in welcher er sich juristisch eingegrenzt sieht, vom Anfang bis zum Ende seiner (diesseitigen) Existenz, hat es keinen rechtlichen Sinn, von einem „einheitlichen großen Freiheitsraum“ zu sprechen, diesen juristisch definieren zu wollen. Diese „(ganz) große Freiheit“ – als „Rechtsraum“ gibt es sie gar nicht. Wie in dem bekannten Kabarett: im menschlichen Leben gibt es noch immer nur „Die Kleine Freiheit“, als eine rechtlich begrenzte Lebens-Erlaubnis. Der große, für die Menschen doch so wichtige, ja entscheidende „Rest des Lebens“ – all das läuft extrajuristisch ab: von der (un)willkürlichen Handbewegung bis zum Liebesakt – wenn und solange nicht ein Rechtsbeflissener auch dies noch behandelt in seinem „Buch Regelungsverstöße“ – hoffentlich nie! – (das) wird der „gute Jurist“, der liberale, hinzufügen, wie der Verfasser sich ihn wünscht…

II. „Raum des Zweifels“

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2. „Großer rechtsfreier Raum“: ohne rechtsdogmatische Definitionen a) Der „große rechtsfreie Raum“, in dem das menschliche Leben sich abspielt, ohne irgendeine Orientierung an juristischen Begriffen, von ihnen bestimmten Werten – er weist keine eigenständigen, als solche rechtsdogmatisch (er)fassbaren Definitionskategorien auf. Er wird also auch nicht „verletzt“, in ihn wird nicht „eingegriffen“ im Rechtssinn, wenn juristische Normen einen von ihnen näher bestimmten Bereich, auch einen Teil des bisher rechtsbindungsfreien Raumes, erstmals erfassen, rechtlich regeln und ihn damit zu einem Teil der Rechtsordnung werden lassen. Damit ist er nun „Gegenstand“, sind die in ihm Agierenden Rechtssubjekte eines „Ordnungsraumes“ geworden, der von nun an erstmals rechtlich fassbar ist, der als solcher künftig rechtlichen Änderungsregelungen unterliegt: er ist „jurifiziert“. Und all dies gilt auch für das „rechtliche dubium“: es ist dann eben als solches „jurifiziert“, verrechtlicht. b) Dem steht der Zweifels-Charakter des so Verrechtlichten nicht entgegen: ihn konnte es bisher ohne weiteres aufweisen, er ging ja, wie der gesamte Großraum der bindungslosen Freiheit, „das Recht nichts an“. Nun allerdings unterliegt auch der Zweifel juristischen Regeln: nur mehr nach ihnen kann dieser Bereich, eben als ein Raum des Rechts, juristisch weiterentwickelt – oder auch erneut ent-rechtlicht, wiederum ins Außerrechtliche entlassen werden. c) „Gezweifelt“, und schließlich „in Auflösung eines Zweifels entschieden werden“, kann also sowohl außerrechtlich – dann geht diese ganze Lage, die in ihr stattfindende (Ordnungs-) Operation das Recht nichts an – als auch rechtlich, wenn eben der betreffende Rechtsbereich als solcher jurifiziert worden ist. Nur mit dieser letzteren Erscheinung beschäftigt sich das Folgende: mit der „Begrifflichkeit des rechtlichen Zweifels“. Dieser kann, das ist bereits als Ausgangs-Feststellung für das Folgende wesentlich, auftreten in einem Zusammenhang, ja in einer Vielzahl von juristisch erfassten und geregelten Zweifels-Fällen. Wenn nun eine (größere) Rechtslage gerade so sich zeigt, dass in ihr mehrere rechtlich regelungsfähige und -bedürftige Einzelräume erkennbar sind, in denen jeweils ein Zweifel sich aufdrängt, wie dies für die in Deutschland geltende Rechtsordnung im Vorstehenden sich bereits ergeben hat (C. I. 2.), so stellt sich verfassungsrechtlich die Frage nach Wesen und Bedeutung „des Zweifels“ wie folgt:

D. Einzelfreiheit(sregelung)en als „Rechts-Räume des institutionellen Zweifelns“ I. „Rechtliches Zweifeln“ 1. Der rechtliche Zweifel als Rechtskategorie Zunächst ist eine begriffliche Klarstellung erforderlich: Der „Zweifel“ ist ein Phänomen des Rechts. In juristischer Kategorik ist er (er)fassbar, nicht nur als eine außerrechtlich-faktische Erscheinung. Aufzulösen ist er im ersteren Fall in einem rechtsverbindlichen Ergebnis, nicht in einer tatsächlich klärenden Feststellung. Die generell vorsichtige Grundhaltung, mit welcher sich der Jurist einem Objekt stets zu nähern hat, wenn dieses einen Gegenstand für seine rechtliche Beurteilung bilden kann/könnte – sie ist als solche noch kein „rechtliches Zweifeln“; sie kann aber geistig Türen öffnen zu einem solchen. Durchschreitet menschliches Denken diese, so gewinnt es Rechtsqualität, führt das „Rechtssubjekt Mensch“ zu rechtlich-begrifflicher Qualität des so von ihm Gedachten, eben des nun „rechtlich Erfassten“: Der Mensch begegnet so „dem rechtlichen Zweifel als einem juristischen Phänomen“, oder einer Mehrzahl von solchen. Mit ihm/ihnen muss er sich nun beschäftigen, mit dem Ziel eines rechtlich-institutionell fassbaren Resultats; dieses wird darin zum normativen Ergebnis. Diese gesamte Operation ist aber, als solche und insgesamt, bereits ein rechtlicher, nicht mehr ein faktischer Vorgang: Es geht darin um „(einen) rechtlichen Zweifel“!

2. Mehrere Rechtszweifel a) „Der Zweifel“, welcher so als Rechtskategorie einzuordnen, nicht als ein faktisches Phänomen anzusehen ist, muss nicht, und er wird auch in der Regel gar nicht „als eine einmalig-einheitliche Erscheinung im Recht“ auftreten, und auch nicht nur in einer Rechtsmaterie. Meist begegnet er in mehreren einzelnen Rechtsbereichen, zugleich oder „nacheinander“: indem ein dubium (erst) (ein) andere(s) deutlich werden lässt, oder weil eine Rechtsauslegung eben auf bisher nicht bemerkte Unklarheiten stößt. Derartige juristische Verständnisprobleme treten, immer wieder, auf in den beiden Bereichen des Staatsrechts: bei der Auslegung von Grundrechten wie in der von Staatsorganisationsrecht der Verfassung. Im ersteren Fall betrifft der Rechtszweifel

II. Nebeneinander von Einzel-Zweifels-Räumen

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meist zugleich mehrere Einzelfreiheiten, im letzteren mehr als nur eine organisatorische Regelung, wird diese betrachtet nach dem Kriterium des notwendigen sachlichen Zusammenhangs. b) Stößt juristisches Auslegungsbemühen auf mehrere Rechtszweifel, so muss es versuchen, einerseits sie einzeln aufzulösen, zum anderen die so erreichten rechtlichen Lösungen in ein juristisches Verhältnis zueinander zu bringen, welches die Einordnung von ihnen allen in die zu interpretierende Rechtsmaterie gestattet. Diese Auslegung, wiederum eine „Rechts-Operation“, kann den Interpreten dann dazu führen, ein Nebeneinander (i. Folg. II.) von Zweifelsbereichen festzustellen, diese daher auch von einander systematisch unabhängigen Einzellösungen zuzuführen. Eine solche „Rechts-Operation Auslegung“ von Rechtszweifeln kann es aber auch nahelegen, die – als solche unverbunden wahrzunehmenden – juristischen dubia in einer Gesamtschau zu erfassen. In dieser mag dann eine gewisse Global-Tendenz (i. Folg. III. 1.) sich zeigen: Rechtszweifel sind aber stets „einzeln“ zu behandeln, nicht als Erscheinungen „Einer Großen Freiheit“ (i. Folg. III. 2., 3.): Es zeigt sich eine Tendenz zu (immer) zahlreicheren weiteren Rechts-Zweifeln (i. Folg. IV.). Ist darin eine Gesamttendenz der Entwicklung erkennbar: „Recht – ein Raum des Zweifels“? (i. Folg. V.).

II. Nebeneinander von Einzel-Zweifels-Räumen 1. Eigenständiges Entstehen Sachliche oder personelle Geltungsbereiche, in denen das Recht sich „offen“ zeigt, die es nicht in der ihm sonst, generell, grundsätzlich eigen(tümlich)en Bestimmtheit regelt, treten häufig auf in einem Gesamtraum, den ein dem Betrachter vorliegendes Normwerk zu ordnen unternimmt. Sie sind dann alle Erscheinungen dieser einen Rechtsordnung. Diese vermittelt ihnen aber lediglich die ihnen allen gemeinsame gleiche Normgeltung, sie schafft nicht zwischen ihnen einen inhaltlichen Zusammenhang, der etwas hervorbrächte wie ein System, aus dem sich gemeinsame personelle oder sachliche Ergebnisse ableiten ließen. Zwar ist es eine juristische Ordnung, innerhalb deren solche verschiedene Erscheinungen einer EntscheidungsUnsicherheit auftreten, mehr aber auch nicht. Die formal-normative Erscheinung von Rechtszweifeln sagt (noch) nichts aus über Zusammenhänge zwischen ihnen: Solche können sich

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D. Einzelfreiheit(sregelung)en

2. Ohne notwendigen Zusammenhang von einander ergeben, „ganz unsystematisch“, sie müssen nicht notwendige logische Folge(n) des/eines größeren normativen Zusammenhangs sein, in dem sie sich zeigen. Kausal müssen sie keine Verbindung untereinander aufweisen, können vielmehr auf gänzlich verschiedene Ursachen zurückgehen, etwa solche ethnischer oder technischer Art, solche, die bereits von Anfang der rechtlichen Betrachtung an deutlich waren, oder welche sich erst später ergaben. Der Zeitpunkt ihres Auftretens mag bedeutsam sein für das Gewicht ihres jeweiligen Wirkens; am rechtlichen Wesen eines dubium ändert er aber nichts. Dies schließt allerdings nicht aus, dass die Reihenfolge, in der ein rechtliches Zweifeln auftritt, oder gar sich aufdrängt, von großer Bedeutung sein/werden kann für den gesamten Rechts-Verbund, in welchem es seine Effekte entfaltet: Je früher dies erfolgt in dessen Wirken, desto mehr, vollständiger lassen sich seine Lösungen (bereits) einfügen in eine Gesamtbeurteilung eines personellen oder sachlichen Rechtsraumes, desto überzeugender lässt sich dieser erfassen, desto weniger juristische Mühe muss künftig noch auf ihn verwendet werden. Befassung mit Rechtszweifeln lässt im Recht, lässt das Recht werden zu einem (des Großen Dichters) letzten, zum rechtlichen höchsten „Mehr Licht“…

III. Einzelne Rechts-Zweifel: stets in(nerhalb) rechtlicher Gesamtschau 1. Rechtliche Bereichsordnung: immer (eine) „Gesamtnormierung“ „Gewisse Sachbereiche“ werden von Menschen zunächst (rein) faktisch, nicht in „rechtlicher Ordnung“ wahrgenommen. Sollen sie sodann aber in etwas wie eine letztere gebracht werden, also in eine „rechtliche Bereichsordnung“, so muss sich dies stets in einer Gesamt-Erfassung, in einer „Gesamt-Normierung“ vollziehen. Denn „das Recht“, in welches die Sachkomplexe dann „transponiert“ „übersetzt“ werden – es kennt eben nur diese Kategorie als einen „Raum des Rechts“. Allerdings lässt sich dieser Bereich dann wiederum seinerseits unter-, aufteilen in einzelne Norm-Komplexe; sie sind als solche eigenständig juristisch zu behandeln, immer aber der einen rechtlichen Bereichsordnung ein- und unterzuordnen. Diese letztere verliert nicht ihren Charakter einer Gesamt-Normierung, den ihr die juristische Betrachtungsweise aufgeprägt hat: Sie ist und bleibt eben eine „Gesamtrechtsordnung“, Gegenstand einer intellektuellen Erkenntnis-Kategorie: der des Rechts.

III. Einzelne Rechts-Zweifel

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2. „Rechts-Zweifel“: aber stets „einzelne“ innerhalb dieser rechtlichen Gesamtordnung Rechts-Zweifel treten immer nur auf innerhalb einer Gesamt-Rechtsordnung (vorsteh. 1.). Sie begegnen nicht außerhalb von ihr, auf/in etwas wie ihr gegenüber eigenständigen Bereichen, die aber immer noch juristisch zu qualifizieren wären. Es gilt: „Nullum dubium extra Ius!“ Die Folge kann nur sein: „Zweifel“ ist ein Rechtsbegriff, der einzelne Freiheitsräume charakterisiert. Diese bleiben juristisch als solche eigenständig innerhalb der einen rechtlichen Gesamtordnung, sind jedoch noch immer einheitlich als rechtliche Begriffe zu betrachten, auszulegen, (soweit wie möglich) aufzulösen. Rechts-Operationen mit ihnen werden aber stets einzeln durchgeführt; sie betreffen immer einzelne Fragenkomplexe, nicht „eine Verfassungs-Freiheit“ als solche.

3. Gegenstand von „Rechts-Zweifel(n)“: nicht „(die) Eine, Große Freiheit“ a) Partielle Freiheitsräume sind es also, in denen der Rechtsuchende sich unsicher fühlt, nach Lösungen suchen muss, die sich in sein rechtliches System einer Gesamtordnung einfügen, dieses damit als solches abschließen sollen gegenüber dem Outer Space der Tatsachen. Etwas wie „Eine, Große Verfassungs-Freiheit“ – sie gibt es für den Juristen nicht als einen Rechtsbegriff. Diese „Große Freiheit“ wird zwar dichterisch begeistert besungen, als „die Freiheit, die ich meine …“ – während „Die Kleine Freiheit“ ein Theater-Dasein fristete im „Kabarett“, „in das mitkam“ wer dort sich amüsieren wollte. Der „Einen Großen Freiheit“ konnte der Rechtsuchende als einer solchen aber nie begegnen. b) Damit war „der Zweifel“, mochte er sich auf sachlich größere oder engere Bereiche beziehen, als Rechtsbegriff generell beschränkt auf die formal gesetzte Rechtsordnung. Dort allein war er zu behandeln, zu bearbeiten, zu verarbeiten – aufzulösen in einzelne Imperative, welche zu Einzel-Recht(en) wurden. „Verfassung“ – das ist dann nicht ein einheitlicher, großer Raum der Unsicherheit, des rechtlichen Zweifelns, das sich auflösen ließe in eine eben so große „Verfassungs-Sicherheit des Rechts“ als „Die Große Freiheit“. Diese letztere ist eine Kraft menschlicher Begeisterung, eine Rechts-Quelle außerhalb der Rechtsordnung, vielleicht die einzige, jedenfalls die faktisch wichtigste in der Demokratie; ein Raum des Rechts aber – das ist diese „Große Freiheit“ nicht.

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D. Einzelfreiheit(sregelung)en

IV. Tendenz: (immer) zahlreichere weitere Rechts-Zweifel 1. Mehr Einzelräume des Zweifelns a) Mehr Regelungen im Zuge allgemeiner Technisierung – das ist eine ebenso unaufhaltsame wie allgemeine Tendenz allen „modernen Ordnens“ in der Gegenwart. Über die Art und Weise, in der Derartiges vor sich geht, ist damit aber noch längst nichts Gültiges ausgesagt. Hier begegnet zunächst was man ein „Schlagwort“ zu nennen pflegt: mit ihm soll angesprochen werden, was die moderne Welt beherrscht, kaum mehr einen anderen Ton aufkommen lässt in ihr: „Die Arbeit“; wahrnehmbar ist sie vor allem im Arbeits-Lärm. b) Der Arbeitslärm ruft „den Arbeiter“, den einzigen Herrschenden in der „Technik“ – und über sie. Aus seinem „Schmutz“, seinem fleckigen Kittel floh einst der feine Aristokrat, bald ihm nach, „beflissen“, der fleißige Bürger. Doch „die Technik“ rief – und Alle, Alle kamen! „Arbeiten“ wollten sie, Arbeits-Suche erstrebte dies wie einen Adels-Titel. „Er hat Arbeit“, der Mensch, der Demokrat. Doch wie die Arbeit sich ihren Arbeiter rief, so rief dieser nun zu allererst nach seinem Arbeitsraum, nach seinem locus standi. c) Faktisch wie rechtlich musste sich ihm ein solcher bieten, geboten werden, so singulär auf ihn bezogen, wie die Technische Entwicklung ihn eben zum Einzelnen Arbeiter hatte werden lassen: Mehr Arbeiter, Mehr Arbeitsraum – das verlangte also nach erweiterten Arbeitsräumen, jeweils für mehrere, aber auch, je nach den Erfordernissen ihrer Beschäftigung, für einzelne Tätige. Diese technische Vervielfältigung der Arbeitsbereiche musste, mit gleicher Zwangsläufigkeit, nun hervorbringen auch gewisse

2. Erweiterte Einzelräume des Zweifelns a) Zwar nicht in jedem Einzelraum eines Rechts-Zweifels muss dieses juristische dubium auch ein Mehr an Zweifels-Lösungs-Operationen verlangen, oder einen größeren Gesamt-Raum, in dem sich diese notwendig zu vollziehen hätten. Nicht wenige rechtliche Zweifels-Räume können auf die Bereiche beschränkt bleiben, in denen sie erstmals dem Juristen deutlich geworden sind, sie lassen sich so auch weiter bewältigen; mehr als traditionelle Rechtsvorgänge finden dort nicht statt. Dies schöpft allerdings, wie bereits eine längere Entwicklung gezeigt hat, die Problematik des Rechts-Zweifels nicht mehr aus. Vor allem neuerdings treten Fragen auf, ob Räume desselben nicht erweiterungsbedürftig, erweiterungsfähig sind, ob solches nicht schon begegnet: im Recht! b) Hat es nun der Jurist, insgesamt in seiner durchaus üblichen Tätigkeit, immer häufiger mit Konstellationen rechtlichen Zweifelns zu tun, je mehr er seine Rechtstechnik zu verfeinern vermag, so tritt notwendig eine Problematik auf: Was

V. Gesamttendenz der Entwicklung

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bedeutet dies für die Rechts-Bindung, welche eine solche Entwicklung auslöst, oder für mehrere solche? Es geht damit um die Intensität, mit welcher gerade eine Unsicherheit den Rechtsbeflissenen erreicht: Ist besonders strenge Rechtsanwendung überall dort erforderlich, wo das Jus einen Zweifel zum Gegenstand hat?

V. Gesamttendenz der Entwicklung: „Recht – ein Raum des Zweifels“? Dann könnte sogar noch weiter zu fragen sein: Ist dies die einzige Erweiterung, zu welcher den Juristen ein dubium im Recht bringen kann? Der Gesamt-Raum, auf den sich mögliche juristische Unsicherheiten beziehen, welcher „als ein solcher ihr Gegenstand ist“, wird er nicht ebenfalls immer weiter? Könnte darin nicht eine Tendenz erkennbar werden, dass dieser Gesamtraum des Zweifelns als solcher zum Rechts-Raum wird? Damit würden dann die Einzelräume des rechtlichen Zweifelns eine Gesamttendenz aufweisen, ja sie würden am Ende sich zusammenschließen zu einem einzigen großen Gesamtraum. Ihn könnte, ja müsste man dann verstehen als einen „Bereich des Rechts als den eines juristischen Zweifelns“, das sich (aber) auflösen ließe in „Rechtsgeltung als eine einheitliche rechtliche Erscheinung“, als ein Rechtssystem, sowohl formal wie inhaltlich. „Einheitliches Zweifeln“ wäre so (am Ende) der einzige Rechtsweg zur Rechtsgeltung, „der Zweifel“ die juristische Geisteshaltung schlechthin. „Die Große Freiheit“ – das wäre nichts als Zweifeln, darin „Lösungsweg“ zu allen Formen und Inhalten rechtlichen Ordnens; „gerade in solchem Zweifeln“ würde sich dieses zeigen als ein Rechtssystem. Doch diese Gesamttendenz mag man heute – mit Vielen – noch als „Zukunftsmusik“ wahrnehmen. Rechtliches Gegenwartsproblem ist dagegen bereits das, was die vorliegende Untersuchung als Frage aufwirft: Sind Rechtszweifel im Verfassungsbereich erkennbar, zu behandeln, in notwendiger normativer Bindungsverschärfung?

E. Zweifelsregelungen im gegenwärtigen Verfassungsrecht I. Keine normative(n) Bindungsverschärfung(en) durch Zweifelsbestimmung(en) 1. Bedeutung der „Verfassung als Normwerk“ Wenn hier die Frage gestellt wird, was eine rechtliche Regelung des Zweifels gerade in der Verfassung zur Folge hat, so ist von der juristischen Qualität eines solchen Normwerks auszugehen. Diese zeigt das Bestreben, dasselbe den Menschen, die es zu beachten haben, zu zeigen als eine Verpflichtung. Die sprachliche Einheit dieses letzteren Wort-Begriffes bedeutet nun aber nicht, dass diese „Verfassung“, formal wie inhaltlich, in ihrer Erscheinung inhaltlich stets nur als „eine Einheit“ juristisch gesehen und angewendet werden dürfte. Vielmehr beinhaltet sie eine Mehr-, ja eine Vielzahl von Einzelregelungen. Sie haben den Juristen als solche zu beschäftigen. Er hat zu klären, was sich für jede solche Einzelbestimmung aus deren höherem Geltungsrang ergibt, als rechtliche Leitlinie für ihre jeweiligen Gegenstände, in deren formalem wie inhaltlichem Verständnis.

2. „In dubio pro reo“: (eine) Verfassungsbestimmung mit Norm-Vorrang Die Zweifelsregelung, welche sich auf den Angeklagten im Strafprozess bezieht, ihm eine besondere strafprozessuale Behandlung zusichert, stellt eine solche EinzelNorm der Verfassung dar. Sie ordnet nur einen Teil-, einen verhältnismäßig engen Raum von Verfassungsgegenständen. Ob sie in einem derartigen Regelwerk die einzige Bestimmung darstellt, für welche dies gilt, während alle anderen Gegenstände dieser Konstitution, formal wie inhaltlich, einen weit allgemeineren, ja geradezu einen Grundsatzcharakter aufweisen – das ist ohne Bedeutung für die Verfassungsgeltung des „In dubio“, insbesondere für die Norm-Höhe, auf welcher diese Aussage wirkt, in der gesamten Rechtsordnung; diese ist allein Folge ihres formalen Verfassungscharakters. Durch ihn zwingt sie sich zugleich mit ihrem Inhalt allen nachrangigen, insbesondere den einfachgesetzlichen Norminhalten mit Norm-Vorrang auf.

II. Keine normativen Bindungsabschwächungen durch Zweifelsregelungen

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3. Nicht aber unter Bindungsverschärfung ihres Inhalts Der Inhalt der Verfassungsnorm „In dubio pro reo“ ändert sich mit diesem ihrem Norm-Höher-Rang aber in keiner Weise; eine inhaltliche Bindungsverschärfung oder -erweiterung dieser Aussage, über die Geltung von Zweifelsregelungen hinaus, ist damit nicht verbunden. Der formale Aspekt ihrer Ranghöhe als Verfassungsbestimmung ist streng zu unterscheiden von der Wirkung ihres normativen Inhalts. Dieser ist und bleibt ein solcher von „einfachem Verfassungsrecht“. Innerhalb dieser Normschicht mag eine Rechtsordnung noch weiter differenzieren zwischen Inhalten, welche einer Abänderung überhaupt nicht zugänglich sind – etwa „die republikanische Regierungsform“ – und allen anderen konstitutionellen Bestimmungen, die (nur) in einem speziellen Verfassungsänderungsverfahren modifiziert werden können. Dies beides betrifft aber stets deren Wirkungen nur formal, bleibt ohne Einfluss auf ihre Inhalte.

II. Keine normativen Bindungsabschwächungen durch Zweifelsregelungen 1. Argumente für solche a) Wenn in einer (gegebenen) Verfassungsordnung die Zahl der „Zweifelsbestimmungen“ zunimmt, Regelungen also immer häufiger unter den Vorbehalt gestellt werden, dass vor ihrem konstitutionellen Wirksamwerden (noch) Zweifel ausgeräumt werden müssen, so mögen solche dubia zunächst als Abschwächung(en) der Rechtsgeltung dieses Verfassungswerkes erscheinen. Wer in einem solchen Text eine verbindliche Lösung sucht, sieht sich dann ja, jedenfalls zunächst einmal, verwiesen auf die Lösung einer juristischen Aufgabe: Er muss Zweifel auflösen, die in dem von ihm zu ordnenden Geltungs-Raum die Rechts-Klarheit verdunkeln – welche die Verfassung aber doch hatte grundsätzlich gewährleisten sollen. b) Solche Rechtszweifel hatten zwar keine Bindungsverschärfung der betreffenden Verfassungsnorm zur Folge (gehabt) – dies hatte sich bereits klarstellen lassen (vgl. vorsteh. I. 3.). Sind sie aber nicht, umgekehrt, zu sehen als Abschwächung der normativen Geltungskraft der Verfassung in ihren Bereichen? Müssen daher derartige Geltungs-Zweifel nicht erst einmal ausgeräumt werden, bevor eine Konstitution überhaupt ihre volle Norm-Wirkung entfalten kann? Hat sich hier der Rechtsanwender nicht, in seiner üblichen Tätigkeit, „plötzlich“, „mit einem Mal“, ja „ausnahmsweise“ zu fragen: „Ist das nicht ein Novum?“ Und „dieser Zweifel als Rechtliches Novum“ – ist er noch „Die Freiheit, die ich meine“ – die er sucht, der Jurist? Ist „der Zweifel nicht eine Verfassungs-Geltungs-Abschwächung“?

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E. Zweifelsregelungen im gegenwärtigen Verfassungsrecht

2. Gegenposition – im Folgenden Hier wird die Gegenposition zu dieser These vertreten: Keineswegs! Denn das dubium ist selbst, es ist als solches zu verstehen als eine Rechtsnorm – „vollförmlich“ wie „voll-inhaltlich“. Es ist Gegenstand aller juristischen Auslegungsregeln, welche im Verfassungsbereich ja grundsätzlich Anwendung finden, jede von ihnen ist einzeln als eine solche zu verstehen (i. Folg. III.). Alle einzelnen Zweifelsbestimmungen als Verfassungsnormen – dies wird hier im Folgenden als Verfassungsposition vertreten, rechtlich begründet.

III. Zweifelsnormen in der Verfassung: nur Regelungsverdichtungen 1. Zweifelsregelungen: Normale Verfassungsbestimmungen Werden Bestimmungen über die Folgen rechtlicher Zweifel in eine VerfassungsCharta aufgenommen, so entsprechen diese der Rechtsnatur dieser konstitutionellen Norm-Schicht. Dies gilt jedenfalls, wenn sie keine Aussage(n) über spezielle Rechtsfolgen ihrer Regelungen enthalten, was bisher durchgehend der Fall ist. In ihnen begegnet man dann zwar Ausprägungen eines „Besonderen Verfassungsrechts“, das etwas darstellt wie normative Einsprengsel in das allgemeine, herkömmlich anzutreffende Recht des Konstitutionsbereichs. Man hat darin aber nur etwas zu sehen wie „normales Verfassungsrecht“. Im Unterschied zu unabänderlichen Bestimmungen über die Regierungsform“ (Forme de Gouvernement), wie sie etwa das Französische Verfassungsrecht kennt, nach welchem die Republikanische Staatsform unabänderlich ist, können Normen über Zweifel(s)räume und deren Auflösung jederzeit Gegenstände eines („normalen“) Verfassungsänderungsverfahrens sein, in einem solchen modifiziert oder beseitigt werden. Weder sie noch ihre Abänderungen weisen ja eine besondere Normhöhe auf, welche noch über der des jeweiligen Staatsgrundgesetzes läge.

2. Zweifelsregelungen: nur normative inhaltliche Verdichtungen des Verfassungsrechts a) Ein Gesetzes-Werk kann, auf jeder Normhöhe, auf welcher es konzipiert (worden) ist, alles an Inhalten aufnehmen, was einer Regelung in der betreffenden rechtlichen Form zugänglich ist. Dies gilt auch für Bestimmungen über Formen und Inhalte von Rechtszweifeln, die als Bestandteile des jeweiligen „normalen Verfassungsrechts“ erkannt worden sind (vgl. vorsteh. 1.). Jede einzelne Norm über einen bestimmten Zweifel(sraum) und die Folgen von dessen rechtlicher Behandlung, insbesondere die seines (Weiter-)Bestehens oder

IV. „In dubio…“ als Zweifelsregelung

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seiner Auflösung in einen juristischen Imperativ, bewirkt daher eine normative Verdichtung des Verfassungsrechts(-Bereichs). In ihrem Geltungsraum hat der Rechtsanwendende nicht mehr Überlegungen darüber anzustellen, welchen Lösungsweg ihm die konstitutionellen Bestimmungen weisen, die sich auf den betreffenden Normbereich allgemein beziehen; er hat vielmehr für diesen nun – „ausnahmsweise“ – zu verfahren allein nach dem, was ihm die besondere Zweifelsregelung vorschreibt, eben als eine konstitutionelle lex specialis. b) Die Verfassung ist als solche ebenso einer derartigen normativen Spezialisierung zugänglich, wie jedes andere normative Regelwerk. Die historische Entwicklung ihres Normbereichs ging sogar meist aus von solchen punktuellen rechtlichen Regelungen, die eben politisch als besonders vordringlich erschienen. Erst auf späteren Entwicklungsstufen wurde die ihnen eigene konstitutionelle Qualität erkannt, und es wurde ihr daher durch ein besonderes, eben ein verfassungsrechtliches, Normverständnis Rechnung getragen. c) Zweifelsregelungen sind daher, als (lediglich) normative Verdichtungen des (eines) Verfassungsrechts(bereichs), ihrem rechtlichen Wesen nach nichts anderes als „ganz normales Verfassungsrecht“, damit Bestandteil(e) der betreffenden Verfassungsordnung. Sie bieten nichts, was der Jurist außerhalb der ihn rechtlich bindenden Konstitution seines Staatswesens zu betrachten, auszulegen und zu bewerten hätte. Wie er zu verfahren hatte in Zweifelsfällen – das war eine Rechtsfrage auch schon bevor es darüber ausdrückliche juristische Normen gab; nun ist dieses juristische Problem nur mehr nach solchen, nicht etwa nach allgemeinen Verfassungsbestimmungen, zu beurteilen und zu beantworten. Nichts anderes sagen spezielle Zweifelsregelungen mit Verfassungsrang aus.

IV. „In dubio…“ als Zweifelsregelung 1. „Im Zweifel“: zwei oder mehrere Entscheidungen In dubio pro reo ist nicht die einzige Norm, welche in der Rechtsordnung mit „Im Zweifel“ eingeleitet, deren Anwendungsraum so charakterisiert wird. Auf zahlreichen Rechtsgebieten beginnen mit diesen Worten Regelungen, welche ein formelles oder inhaltliches Verständnis derselben festlegen, (alle) andere(n) dagegen ausschließen, selbst wenn solche ebenfalls, aber eben nur „auch“, als Zweifelsregelungen erscheinen könnten. Die Fragestellung „Im Zweifel für…“ betrifft stets eine Entscheidungssituation zwischen zwei oder mehreren vergleichbar engen Lösungswegen eines Problems. Es geht dabei nicht um eine Wahl zwischen einer formell oder inhaltlich begrenzten Lösungsalternative und einem (ganz) großen Freiraum, welcher menschlichem Verhalten offenstünde, fiele dessen Entscheidung nicht für das als dubium eingegrenzte Verhalten. Alternative zum juristischen „dubium“ ist also nicht etwas wie

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E. Zweifelsregelungen im gegenwärtigen Verfassungsrecht

eine „ganz große rechtliche Freiheit“, sondern stets nur eine andere, gleich oder ähnlich eingegrenzte rechtliche Lösung.

2. „Zweifel“ als Vergünstigungsbegriff Regelungsform und Regelungsinhalt eines rechtlichen Zweifels, oder auch nur einer Tendenz zu einem solchen – das ist grundsätzlich nicht juristisch vorgegeben. In dubio kann, in einer bestimmten Konstellation, eine Begünstigung vorgesehen sein für den Rechtsträger, auf den sich dies bezieht; ebenso möglich ist aber auch dessen Schlechterstellung im Zweifelsfall. Entscheidend ist allein, ob sich die Worte „Im Zweifel“ für die zu entscheidende Lage fortsetzen mit „für“ oder „gegen“. In dubio pro reo kann also nur verstanden werden als ein Vergünstigungsbegriff im Recht, nicht als Belastung. Durch ihn soll der Angeklagte (jedenfalls) „besser gestellt werden“ als wenn in der betreffenden Situation ein Zweifel nicht angebracht wäre: dann könnte es eben zu einer Vergünstigung von Anfang an gar nicht kommen. Im Falle eines Angeklagten ist jedoch „Im Zweifel“ zu überlegen, was an Vergünstigung rechtlich demjenigen zu gewähren ist, der sich auf einen „Zweifel“ berufen darf.

3. „Im Zweifel“: Vergünstigungsinhalt „Freiheit von …“ Die Besserstellung, welche eine Zweifelslage demjenigen gewährt, der sich auf sie berufen darf, „von Rechts wegen“ – sie muss nun aber juristisch bestimmt werden. Dies hat mit rechtlichen Kategorien zu erfolgen. „Freiheit“ bedeutet nicht die Möglichkeit, „irgendetwas zu tun – oder eben nicht“. Das Wort beinhaltet nicht einfach „nur Ungebundenheit ihres Trägers von Allem und Jedem“ – als solche wäre sie rechtlich gar nicht zu fassen; denn ein derartiges „außerrechtliches Alles“ würde ja nicht zum Ausdruck bringen können, was der freie Mensch denn nun nicht zu beachten hätte: „Freiheit“ – das wäre dann ebenso unbestimmt und unbestimmbar wie das, wovon sich ihr Inhaber in ihrem Namen lösen dürfte. Form wie Inhalt einer „Freiheit von …“ müssen also durch rechtliche Begriffe bestimmt, d. h. (näher) eingegrenzt werden können.

4. „Im Zweifel Freiheit“ – nur Freistellung von einer bestimmten Rechts-Regelung Eine Rechtsordnung, welche „Freiheit“ lassen will von juristischen Bindungen, kann solches nur dadurch absichern, dass sie näher bestimmt, „wovon“ deren Träger denn ungebunden sein und bleiben soll(en) in ihrem Geltungsbereich. Soweit dieser nicht reicht, hat sie ja gar nichts zu regeln, es „gibt dort kein Recht“ – also auch

IV. „In dubio…“ als Zweifelsregelung

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keinen Zweifel; denn dieser ist eben nur ein Begriff des Rechts; ein „extrajuristisches Zweifeln“ – das wäre begrifflich unvollziehbar. Nach diesen Prämissen eines möglichen Denkens in Kategorien rechtlicher Freiheit ist nun zu fragen, ob es etwas geben kann wie „Die Große Freiheit als Rechtsbegriff eines Zweifelns“, also: „In dubio pro Libertate als Rechtssatz“?

5. „Im Zweifel für den Angeklagten“ a) Die Besonderheit der Geltung der Bestimmung „pro reo“ liegt in einem Doppelten: - zum einen formal darin, dass sie im Verfassungsrecht begegnet, in einem Normbereich also, von dem Direktiven für die gesamte Rechtsordnung ausgehen; - zum anderen inhaltlich in der Beschränkung des Satzes gerade auf den Bereich des Strafrechts, einer Materie, der von ihrem Gegenstand her eine besondere Normwirkung eigen ist, welche spezielle Anwendungsstrenge erfordert. b) Der Interpret wird also mit besonderer Vorsicht zu Werke gehen (müssen), hat er den Geltungsgehalt dieses Rechtssatzes näher zu bestimmen, stellt sich dessen Anwendungsfrage für bestimmte Kategorien von Sachverhalten. Dann könnte sich die Auslegung zwei gegenläufigen Versuchungen ausgesetzt sehen: - entweder einem zu engen Normverständnis den Vorrang zu geben, also jede Erweiterung über das Recht der Strafdrohung hinaus abzulehnen, - oder aber umgekehrt in dem „pro reo“ nur den wichtigsten, den jedenfalls zu beachtenden Anwendungsbereich des Satzes zu sehen, der aber als solcher durchaus als ein Grundsatz zu werten ist, welcher erweiternder Anwendung zugänglich ist. c) Die Rechtsfolgen des jeweiligen Verständnisses sind von gravierender Unterschiedlichkeit: Während sie sich im ersteren Falle auf ein bereits strafprozessual eingeleitetes Strafverfahren beschränken, die materielle Strafdrohung gegen den Betroffenen aber bereits „im Raum“ steht, könnte letzteres Verständnis viel weiterreichende Rechtsfolgen nach sich ziehen: In dubio pro reo wäre dann zu lesen als „In dubio pro Libertate“ – „Im Zweifel“ stets Vorrang derjenigen Lösung, welche dem Adressaten einen jeweils weiteren Raum von Freiheit garantiert, und zwar in seinem gesamten Verhalten.

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E. Zweifelsregelungen im gegenwärtigen Verfassungsrecht

V. Keine Erweiterung des einzelnen Rechts-Zweifels zur „Großen Rechts-Freiheit“ 1. Recht auf Freiheit: ein Großes Recht? „Die Große Freiheit als Recht“ – das sind keineswegs Worte in einer Verbindung, die Erstaunen auslöst bei den Menschen, den Rechtssubjekten des Staatsrechts in der Demokratie als einer, ja als der Erscheinung dieser rechtlichen Ordnung. Wenn innerhalb von ihr Grundrechte als Räume einzelner Berechtigungen einen besonderen Platz einnehmen, seit den historischen Anfängen der Volksherrschaft, wenn gerade bei einzelnen Freiheitsrechten deutliche Erweiterungstendenzen festzustellen sind, so stellt sich die Frage, ob sich solche nicht zu einem „Großen Rechtsbegriff Freiheit“ zusammenfassen und „hochrechnen“ lassen. Eine derartige „Große Freiheit als ein übergreifender Rechtsbereich“ würde dann wirken als juristische Integration, als vereinheitlichende Zusammenfassung der Grundrechte zu „einem Recht auf Freiheit“. Diese „Große Freiheit“ könnte dann vielleicht gar vorgestellt werden als:

2. Zweifelsgegenstand Freiheit: ein (solcher) rechtlicher Großbereich? Historisch gesehen liegt derartiges Denken keineswegs fern. „Die Freiheit, die ich meine!“ – das war doch für die Revolutionäre von 1789 nicht etwa nur irgendeine gegenständlich begrenzte Rechts-Regel: In ihrem Namen sollte eine ganze Welt neu gesehen, neu geordnet werden. War das dann nicht zu verstehen als ein „Sie sollte (ganz) neu entstehen“, hervorgebracht, als ein „Iuridicum“, aus der Kraft eines „Strebens aus (dem) Zweifel heraus zu einer neuen Sicherheit der rechtlichen Lösung“? Und diese „geistige Er-Lösung“ aus den Dunkeln des Zweifelns – konnte man sie sich überhaupt anders vorstellen denn als eine große Einheit des Denkens? Hatte nicht die Demokratie eine „Neue Welt“ bringen sollen zu den Menschen als ihren „Freiheits-Bürgern“, nicht „Die Kleine Freiheit“ des Amusements im geschlossenen Raum eines Cabarets? „Komm’ mit ins Cabaret!“ als ein „Folg’ in die Große Freiheit“ – hier würde doch wahrhaft Recht zu Unsinn! Spricht all dies nicht für „Freiheit als Einen rechtlichen Großbereich“, der dann auch Gegenstand Eines Großen Rechtszweifels wäre – in diesem Sinn also eben doch für „Die Große Freiheit als Recht“?

V. Keine Erweiterung des einzelnen Rechts-Zweifels zur „Großen Rechts-Freiheit“

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3. Geltendes Staatsrecht dagegen: Keine „Große Freiheit“ – daher: „Kein Großer Rechtszweifel“ Auszugehen ist nun aber vom geltenden Staatsrecht der Demokratie, von ihrer „Freiheit als Bereich des Zweifelns“ (oben C.). Dieses Recht kennt nur Einzelregelungen als Rechtsräume des Zweifelns (oben D.). Deren nähere Betrachtung (vorsteh. E. I. bis IV.) hatte sich ebenfalls nur auf Einzelbereiche solchen Zweifelns bezogen. Dies schließt die einheitliche Globalbetrachtung eines „Rechtsgegenstandes Großer Rechtszweifel“ aus. „Zweifel im Staatsrecht“ müssen also stets als rechtliche Einzelphänomene gesehen und behandelt werden, als Erscheinungen von Einzelfreiheiten innerhalb eines „Gesamtbereichs Verfassungsrecht“; in ihm gibt es nicht, es gibt überhaupt nicht im Recht etwas wie „Die Große Freiheit“, sie ist ein extrajuristischer, ein rein politischer Begriff; für einen „Großen“ Rechtszweifel gilt dasselbe.

F. Folgerungen für die normative Qualität des rechtlich geregelten Einzel-Zweifels im gegenwärtig geltenden Recht I. Normative Qualität des In dubio pro reo (Idpr) 1. „In dubio“: eine Verfassungsnorm a) Schwierigkeiten, Idpr als eine Erscheinung des Rechts zu erfassen, rühren wohl im Wesentlichen, wenn nicht ausschließlich her aus dem allgemeinen, rechtsübergreifenden Verständnis, das mit „in dubio“ verbunden wird: „Zweifel“ – das ist für den „Normalmenschen“, der mit eben solchen anderen in Verbindung treten will, ein „untechnischer Ausdruck“ ohne geistigen Ordnungsanspruch, allenfalls etwas wie ein Ausgangspunkt ohne Orientierungsrichtung, ein weißer Fleck auf der Landkarte menschlichen Denkens. „Im Zweifel“ – das stellt eine Frage, es gibt keine Antwort. Diesen beiden Worten für sich allein kann Rechtsqualität also nicht zuerkannt werden: Sie sind ein Ruf(en) nach juristischer Ordnung, als solche aber noch nicht einmal Anfang einer solchen. b) Eine nähere Bestimmung findet der Zweifel aber, als Suche nach rechtlicher Ordnung, wenn zwei Folgeworte hinzutreten: nach „In dubio“ „pro reo“, Geltung des Zweifels im Falle einer strafrechtlichen Anklage. „Ein Angeklagter“ soll sich auf eine Situation des Zweifelhaften berufen dürfen, mit ausschließlich für ihn günstigen Rechts-Wirkungen – dies ist nun eine enge, eine typisch rechtlich fassbare Aussage, eine rechtliche Begrifflichkeit. Sie stellt „den“, jeden, der das Wort für sich verwenden darf oder muss, bereits in die juristische Gesamtordnung „Recht“. Und mehr noch: In dieser wird er „unterworfen“ der Geltung einer rechtlichen Teilregelung derselben: dem Strafprozessrecht; denn nur dieses bestimmt die speziellen Wirkungen, welche sich juristisch gerade für denjenigen ergeben, der sich einem Anklage-Vorwurf ausgesetzt sieht. c) Dem Idpr kommt dann aber nicht nur allgemein Rechtsqualität zu und Normqualität, es stellt sich dar als eine Verfassungsnorm; als eine solche ist es nun im Folgenden näher zu untersuchen (F. II. und III.). Auf dieser Grundlage ist, als ein Gesamtergebnis, der „Zweifel im Staats-Recht“ zu würdigen als Rechts-Phänomen einer in sich abgeschlossenen geistigen Welt. Als ein solches lässt sich „der Zweifel“ gegenüberstellen einer Bedeutung dieses Wortes als Gegenstand außerrechtlich-soziologischer Betrachtung, auf die sich die vorlie-

I. Normative Qualität des In dubio pro reo (Idpr)

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gende Untersuchung nicht bezieht. Sie beschränkt sich auf die abgrenzende Klärung des „Zweifels als Rechtsbegriff“. Wäre dies wenig…?

2. Idpr: eine verfassungsrechtliche Spezialnorm a) Dass der Regelung des Zweifelns Verfassungsqualität zukommt (vorsteh. 1.), bedeutet nur eine Festlegung ihrer Normhöhe in der Geltungshierarchie der juristischen Imperative. Es ist dies jedoch noch keine Aussage über ihre Regelungs-Form und ihren Regelungsinhalt, vor allem über deren Allgemeinheit oder ihre Geltungsbeschränkung auf gewisse Bereiche. Es könnte „im Zweifel“ auch eine verfassungsrechtliche Spezialnorm begegnen. Denn „Verfassung als Normstufe“ kann, formal wie inhaltlich, Bestimmungen sowohl generell-grundsätzlicher Art beinhalten, als auch nur solche in/mit einem sehr engen Geltungskreis. Historisch hat ihre verfassungsrechtliche Normgeltung sogar eher eingesetzt als eine tastende Geltungserweiterung denn als wuchtig-allgemeiner Verfassungsschlag. Selbst die Große Französische Revolution war weit mehr ein politischer Versuch der ersteren Form einer staatlichen Erneuerung als Geburtsstunde einer Neuen Rechts-Welt, als welche sie später so mancher ihrer theoretischen Bewunderer hat sehen wollen. b) Die Entwicklung im späteren 19. und im 20. Jahrhundert hat an dieser normative Qualität des Verfassungsrechts nichts verändert. Die Gegenwart wollte dieses Erbe ebenfalls antreten: Konstitutionen können ebenso Spezialnormen beinhalten, diesen allein ihre Geltungsqualität verleihen, wie sie aber auch, formell wie inhaltlich, die Gesamtordnung „total zu novieren“ vermögen. In beiden Fällen ändert sich die Normwirkung ihres jeweiligen Gegenstandes, nicht aber dessen Form oder Inhalt als einer verfassungsrechtlichen Spezialnorm; dies gilt auch für die Norm Idpr, denn in ihr begegnet eben eine solche. Auf den Angeklagten darf, ja muss also „Zweifel im Recht“ als eine konstitutionelle Bestimmung Anwendung finden, mit der Form und dem Inhalt, die ihr als einer solchen zukommen – aber eben auch nur mit diesen!

3. Idpr: Verfassungsnorm-Wirkung: nur auf einen Teil des StPO-Rechts a) „Idpr als Norm“ – das bedeutet, dass das „Im Zweifel“ nicht bezogen auf einen allgemeinen Normgegenstand verstanden werden darf (vorsteh. 1.), sondern nur als eine verfassungsrechtliche Spezialnorm (vorsteh. 2.). Selbst mit der Wirkung einer solchen ist der Geltungsbereich von Idpr in der vorliegenden Untersuchung aber nochmals weiter eingeschränkt zu betrachten: Er bezieht sich lediglich auf das StPORecht.

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F. Folgerungen

Dies ergibt sich aus dem „pro reo“, welches, wie dargelegt, dem Idpr VerfassungsNormqualität verleiht. Mit diesem „für den Angeklagten“ wird ein Bezug hergestellt zu einer „Rechtsmaterie Verfassungsprozessrecht“, in welcher allein dieser Begriff eben vorkommt, er als solcher dem Juristen ausdrücklich vorgegeben ist: zum Strafprozessrecht. b) Es ist aber auch nicht der „Globalbereich Strafprozessrecht“, zu welchem ein solcher Spezialbezug des Idpr besteht: aus ihm ist es wiederum lediglich das Recht der strafprozessualen Anklage, mit dem sich der Jurist beschäftigt, wenn er die Anwendung des Idpr prüft. Dies Letztere lässt sich also durchaus sehen als eine sehr spezielle Verfassungsnorm – und doch zugleich als normativ (konstitutionell) höchstrangig, nicht etwa als eine Gesetzesnorm, welcher nur ein einfach-legislativer Normrang zukäme. Der Normrang einer Bestimmung ist eben streng zu unterscheiden von der Normwirkung derselben.

II. Folgen aus Idpr für die einfache Gesetzgebung 1. Nicht weniger Schutz durch Idpr bei Änderungen einfachen Gesetzesrechts „Im Zweifel für den Angeklagten“ – das ist nicht nur ein Rechtssatz mit Normqualität, daher Bestandteil der Rechtsordnung im materiellen Sinn; es kommt diesem Satz auch formell-rechtliche Bedeutung zu, in seinem Gewicht zeigt sich die Verfassungsnorm-Wirkung dieser Aussage (s. oben I. 3.): Der Schutz des Zweifels im Recht darf nicht durch einfaches Gesetzesrecht vermindert werden. Unzulässig wäre es etwa, auf Grund der formalen Normwirkung höherrangigen Verfassungsrechts, wollte der Rechtsanwender in einem Fall deutlichen Rechtszweifels für sich ein rechtliches Privileg in Anspruch nehmen, nach seinem normativ nicht gebundenen Gutdünken diese oder jene Lösung zu wählen, den Angeklagten mit ihr günstiger oder ungünstiger zu stellen. Damit würde der StPO-Schutz zur Disposition des einfachen Gesetzgebers gestellt, normative Besonderheit käme ihm nicht zu – gerade sie aber will „Im Zweifel für den Angeklagten“ gewährleisten. Dies muss hier vorweg besonders betont werden: Denn der „tägliche“, der „normale“ Sprachgebrauch könnte die Versuchung nahelegen, mit dem Wort „Zweifel“ aus der „Welt des Rechts“ von vorneherein etwas auszuscheiden, bei dem eine Lösungs-Sicherheit nicht eindeutig vorläge. Im Gegenteil: „Zweifel im Recht“ soll eine solche vielmehr gerade auch im Zweifelsfall gewährleisten.

II. Folgen aus Idpr für die einfache Gesetzgebung

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2. Zulässigkeit neuer strafrechtlicher Tatbestände in einfachem Gesetzesrecht „In dubio pro reo“ verweist den Interpreten auf das Strafrecht, auf die Wirkung der Worte gerade in diesem Rechtsbereich. Wenn der Satz also nach allgemeinem einfachen Gesetzesrecht nicht geringeren, sondern höheren Normschutz gewähren kann (vgl. vorsteh. 1.), könnte sich eine derartige formal- wie materiellrechtliche Besonderheit gerade für den gesamten pönalen Bereich ergeben. In diesem ist ja gerade für das Strafen, die Geltungsspezifik des In dubio pro reo gewährleistet – allerdings gilt dies, und das ist nun entscheidend, nur verfassungsprozessual, nicht materiellverfassungsrechtlich. Die Folgerung aus dieser letzteren Feststellung muss sein: Neue strafrechtliche Tatbestände können jederzeit einfachgesetzlich vorgesehen werden. Auf ihre Verletzung ist dann das geltende Strafprozessrecht anzuwenden. Verfassungsrecht steht dem nicht entgegen, und eben auch nicht die höherrangige Norm „Im Zweifel für den Angeklagten“. Denn diese Aussage ist ja offen für neue Inhalte, die sich auch nach einfachem Recht bestimmen und verändern lassen. Nur an einem Punkt greift die verfassungsrechtliche Sperre des „In dubio pro reo“ ein: Es dürfen sich aus materiellem einfachen Gesetzesrecht keine strafprozessualen Veränderungen ergeben. Sollten solche ebenfalls beabsichtigt sein, so müssten sie in verfassungsrechtlicher Form vorgenommen werden.

3. In dubio pro reo – Verfassungsnorm-Wirkung nur im Strafrecht In aller Regel wird neues materielles Strafrecht in einfachgesetzlicher, nicht in verfassungsrechtlicher Form gesetzt. Dann geht nun aber solchen einfachgesetzlichen strafrechtlichen Novellierungen der höherrangige Verfassungssatz vor, dass auch bei ihrer Anwendung im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden ist. Durch verfassungsrechtliche Normhöhe einer Gesetzesänderung könnte zwar auch für diese die allgemeine Wirkung des In dubio pro reo-Satzes ausgeschlossen, eine solche Gesetzeshöhe des materiellen Strafrechts also als „unbedingt“, als „jedenfalls geltend“ vorgesehen werden. Eine derartige Normgebung einer Durchbrechung des „Im Zweifel-Satzes“ durch (spezielles) materielles Verfassungsrecht, um dieses ausnahmslos durchzusetzen, begegnet jedoch, soweit ersichtlich, bisher in der Gesetzgebungspraxis nicht. Dies zeigt, dass selbst, ja gerade das Strafrecht, das „schneidende Schwert der Rechtsordnung“, die besondere Hochwertigkeit der individuellen Freiheit achtet: In dubio pro reo ist Ausprägung eines „In dubio pro Libertate“ – aber eben nur für den speziellen Gesetzgebungsbereich des Strafrechts. Ein darüber hinaus geltendes „allgemeines Freiheitsprivileg von Rechts-Zwang“ in allen Fällen gesetzlicher Bindung(en) ist dem geltenden Recht in Deutschland fremd; und so war es auch schon in der gesamten heute noch bedeutsamen Vergangenheit.

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F. Folgerungen

III. Idpr-Wirkungen im materiellen Strafrecht? 1. Beispiele möglicher „neuer strafbarer Handlungen“ a) Das materielle Strafrecht ist eine Materie, die sich bisher vor allem in Formen einfachen Gesetzesrechts dargestellt, in diesen sich weiterentwickelt hat. Derartiges ist auch in absehbarer Zukunft zu erwarten. Flexibel müssen Juristen reagieren (können) vor allem auf wirtschaftliche Entwicklungen, in denen ein immer rascherer und zugleich tiefer-greifender Wandel erkennbar und daher rechtlich zu bewältigen ist. Auf der Normhöhe des Verfassungsrechts müssen diese Veränderungen – oft handelt es sich ja auch nur um Verschiebungen – aufgenommen, in Strukturen längerfristig angelegter Geltung eingebaut werden, soll die „Normstufe Verfassung“ weiterhin in ihrer herkömmlichen Wirksamkeit auf die politische Welt erhalten bleiben. Gerade wenn „Politik“ „immer näher an das Verfassungsrecht heranrücken“, „dieses sich ihr öffnen“ soll, wie dies heute gängigen Forderungen entspricht, ist das materielle Strafrecht der Kanal, über den solche Änderungen normativ sich wirksam vollziehen können, daher in pönaler Form zunehmend gefordert werden – auch damit sich Evolutionsfehler leichter korrigieren lassen. Gehört vielleicht gar „elastischem Strafrecht“ eine – wenn nicht gar „die“ – Verfassungszukunft? b) Das materielle Verkehrs-Strafrecht bietet deutliche und zugleich wahrhaft eindrucksvolle Beispiele für mögliches neues strafbares Verhalten. So könnte ein bestimmtes Verhalten gerade beim Führen eines Kraftfahrzeugs, als solches oder unter gewissen Voraussetzungen, künftig als strafbare Handlung angesehen werden, obwohl es bisher nicht als eine solche gewertet wurde, z. B.: Warnen mit dem Finger, Kopfschütteln, „Vogel-Zeigen“ beim Überholen oder in dessen auffälliger Verzögerung. Sollte ein Strafrichter den so Vorbeifahrenden wegen Beleidigung verurteilen, der sich auf eine solche Strafdrohung aber nicht hatte einstellen können – könnte dieser sich dann auf Idpr berufen, oder müsste er die Strafe hinnehmen, weil sich das materielle Strafrecht eben durch richterliches Verhalten ad hoc geändert habe?

2. Das „Privileg des dubium“: nicht strafrechtlich, wohl aber strafprozessual wirksam a) Der Anwendungsbereich des Verfassungssatzes „In dubio pro reo“ ist nicht das materielle Strafrecht, sondern ausschließlich das Strafprozessrecht. Treten Anwendungszweifel des Satzes „In dubio pro reo“ beim materiellen Recht auf, so sind diese zu behandeln, und aufzulösen, nach den allgemeinen Interpretationsregeln, welche ja für das Straf- wie für alles übrige Gesetzesrecht gelten. Diese Auslegungsgrundsätze haben einfachgesetzlichen, nicht verfassungsrechtlichen Norm-

III. Idpr-Wirkungen im materiellen Strafrecht?

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rang. Gilt in dem betreffenden Bereich auch höherrangiges Verfassungsrecht, welchen Inhalts immer, so „bricht“ dieses das ihm entgegenstehende einfache Gesetzesrecht in der Form und mit dem Inhalt, welche ihm die Anwendung des Satzes „In dubio pro reo“ gegeben hätte. Dieser Grundsatz steht aber einer solchen Wirkung nicht entgegen, denn auch er hatte insoweit, also strafrechtlich, nur einen einfachgesetzlichen Effekt entfalten können. b) Anders stellt sich die Rechtssituation jedoch dann dar, wenn die verfassungsprozessuale Wirkung des Satzes „In dubio pro reo“ zu beurteilen ist. Dieser schützt gerade den „Angeklagten im Strafprozess“! Er sichert aber nur in der besonderen Situation, dass gegen jemanden bereits ein strafgerichtliches Verfahren angestrengt worden ist. Dieses kann dann der „Kläger Staat“ – wenn in ihm ein juristisches Anwendungsdubium auftritt – nur mehr weiter und zu einem Abschluss führen, soweit dies keine für den Angeklagten ungünstige, ihn rechtlich belastende Wirkung zur Folge hat. „Geltungsschwelle“ für den Indubioproreo-Satz ist die Anklageerhebung. Alle Rechtsfolgen, welche eine Strafrechtsnorm in der Rechtsordnung auslösen kann, ohne dass durch ihre Anwendung einem Rechtssubjekt eine Strafe droht, sind dagegen zulässig. c) In den verkehrsrechtlichen Fällen, welche vorstehend unter 1. b), gebildet wurden, kann ein verkehrsregelnder Polizist also zwar den Fahrer, welcher solche Zeichen gegenüber einem anderen Verkehrsteilnehmer von sich gibt, dazu anhalten, sich verkehrsordnungsgemäß zu verhalten; er darf aber nicht die Zeichengebung zum Anlass eines Strafverfahrens nehmen, etwa wegen Beleidigung oder Nötigung. Durchsetzung eines Verhaltens nach materiellem Strafrecht als Gesetzesrecht: Ja; Durchsetzung mit Mitteln des Strafprozessrechts – Nein. Die ordnungsrechtliche Wirkung des Verkehrsrechts darf also, und sie kann auch gewahrt werden, ohne dass dafür die besonders scharfe Waffe des Strafrechts eingesetzt werden müsste. Dies ist eine Lösung, welche einer liberalen Rechtsordnung doch „gut ansteht“ – ihr vielleicht gar zur Ehre gereicht …

G. Ergebnis zum „Zweifel im einzelnormativ geregelten (Staats-)Recht“ I. „Zweifel“: ein Rechtsphänomen 1. „Zweifel“ im allgemeinen Sprachgebrauch Den „Zweifel“ als eine Unsicherheit, wie in einer bestimmten Lebenslage ein Mensch als Rechtssubjekt entscheiden soll, gibt es nicht nur als ein Rechtsphänomen; er begegnet auch in außerrechtlichen Zusammenhängen. Als solches ist das Wort nichts als eine allgemeine Lagebeschreibung einer Situation, welche die Erwartung ausdrückt, es könne, solle, müsse etwas Weiteres geschehen, damit eine gewünschte oder erforderliche Klarheit der Entwicklung eintrete. Diese wird dann als eine „Lösung“ gesehen. Sie kann weitere Entwicklungen auslösen, in ihnen auch neue Zweifel – oder die Ruhe eines „Es ist erreicht“, welche neue Unsicherheiten ausschließt. Worauf sich ein solcher „Zweifel“ beziehen, richten kann, das ist mit diesem Wort allein noch weder ausgedrückt noch gar näher bestimmt; dasselbe weist als solches noch keinen speziellen Weg seiner formalen oder inhaltlichen Verwendung. Sein Anwendungsbereich ist ebenso „offen“ wie der der meisten Ausdrücke der Umgangssprache. Erst in Verbindung mit anderen Worten wird der „Zweifel zum Begriff“, in einem menschlichen Verhalten, das nun als Aussage wirken kann.

2. „Zweifel“ – Begriff des Rechts Dieser Zustand ist für den „Zweifel“, wie für viele andere Ausdrücke, welche ständig gebraucht werden im täglichen Leben, dort erreicht, wo das Wort in rechtlichem Zusammenhang gebraucht wird. Dieser prägt es dann zu einer bestimmten Form, mit einem bestimmten Inhalt – eben zum „Rechtszweifel“. Auch er ist wesentlich Unsicherheit, auch, ja gerade er harrt daher einer, aber eben nur seiner juristischen Lösung. Es geht jedoch nicht an, eine solche im außerrechtlichen Bereich zu suchen, um sie sodann ins Recht zu übertragen, „zu Recht werden zu lassen“. Rechtliches Denken hat sich eine eigenständige begriffliche Welt geschaffen. Nur soweit (der) „Zweifel“ in ihr vorkommt, in ihren Aussagen gebraucht wird, nach Form wie Inhalt, hat sich der Jurist mit dem „Zweifel“ zu beschäftigen, kann er ihn einsetzen „als ein

I. „Zweifel“: ein Rechtsphänomen

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Wort seiner Sprache“. Einfach-globale Übernahme außerrechtlicher Gehalte wäre hier eine „Leugnung des Rechts als solchen“; dieses wäre dann nichts anderes mehr als eine unter vielen gesellschaftlichen Erscheinungen.

3. „Zweifel“: keine allgemein-gesellschaftliche Erscheinung Diese besondere rechtliche Qualität des „Zweifels“, als eines „Wortes gerade für den Juristen“, muss heute besonders betont, ja sogar als solche speziell begründet werden. Denn die „Staatsform Demokratie“ hat dazu geführt – fast könnte es bereits heißen: „sie hat den Juristen dazu verführt“ –, dass gerade im Staatsrecht immer mehr eine „Nähe zum Außerrechtlichen“ gesucht wird. „Das Volk“ dient hier eben als ein „Verbindungs-Begriff“: Als ein solcher lässt es sich nicht nur verstehen als ein juristischer terminus technicus. Eingefangen werden soll mit, in ihm die ganze blutvolle Wirklichkeit, die „Realität als solche“. Aus den Studierstuben der Rechtsgelehrten soll sie ausbrechen in „die Welt, welche immer mehr, weithin bereits allein noch interessiert“: in jene Wirtschaft, außerhalb derer kaum etwas mehr vorstellbar ist, daher auch „nicht mehr rechtlich gedacht werden sollte“, bald schon „nicht mehr werden kann“. „Also ward ich ein Juriste“ – dass heißt dann (heute nur mehr?): „So lernte ich (endlich) ökonomisch zu denken im Recht“.

4. „Zweifel“: Nur (als) Rechtsbegriff „Der Zweifel im Recht“ ist damit aber nicht untergegangen, er hat sich nicht „aufgelöst in Ökonomie“: „ihn gibt es nun nur mehr als Rechtsbegriff“. Wo und wann immer derartige Unsicherheit auftritt, da ruft sie nach der juristischen Lösung. Nur in deren Form und als deren Inhalt kann, darf der Zweifel beschäftigen: er ist zum juristischen Phänomen schlechthin geworden. Als ein solches verlangt dasselbe rechtswissenschaftliche Vor- und Ausbildung derjenigen, welche sich dem widmen, was sich „Zweifel“ nennt. Es ist dies nicht einfach nur ein Wort, das für eine noch nicht behobene Unsicherheit steht, das noch auf keinen Ausweg aus dieser hindeutet. Vielmehr zeigt sich das Wesen des Zweifels als einer rechtliche Erscheinung gerade darin, dass er nichts anderes darstellt als die Anfangsphase der Überwindung und damit der Beendigung einer juristischen Unsicherheitslage. Nur als eine solche ist er Gegenstand recht(swissenschaft)licher Betrachtung, ist er eben eine „Erscheinung des Rechts“, nicht (Ver-)Wandlung derselben durch ein Ausgreifen in „extrajuristische“, „allgemeingesellschaftliche“, oder gar „allgemeinmenschliche Ordnungsbemühungen“. Dies gilt es gerade zu betonen in einer Gegenwart, die sich um nichts mehr bemüht als um Popularisierungen herkömmlich streng abgeschlossener Wissenschaftsbereiche, um deren Verbindung mit dem „pulsierendem Leben“. Und angesichts eines Zurücktretens, wenn nicht Verdämmerns, religiös-weltanschaulicher Werte kann

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G. Ergebnis

damit nur gemeint sein: angesichts der gegenwärtigen Ökonomisierung all dessen, was „Gemeinschaft“ bringt und fordert.

II. „Zweifel“: (nur) Vorstufe (s)einer rechtsprozessualen Lösung 1. „Zweifel“: ein „prozessualer Begriff“ Wenn „Zweifel im Recht“ also etwas anspricht, das nur der Jurist kennt, in seiner technisierten juristischen Ausdrucksweise so (be)nennt, so muss gerade darin eines ernst genommen werden: der „Vorstufen-Charakter“ des Zweifels gegenüber einer Lösung desselben. Es handelt sich also beim rechtlichen dubium um die Bezeichnung der „Phase einer rechtlichen Operation“. Dies ist von wesentlicher Bedeutung für die Erfassung des Wesens des dubium in dessen – im vorliegenden Zusammenhang allein interessierender – juristischer Form. Als eine solche muss der Zweifel gesehen und in das Rechtssystem eingeordnet werden: als ein „prozessualer Begriff“, nicht als ein materiell-rechtlicher Zustand. Mit dem Auftreten eines Zweifels ist ja noch gar nichts sachlich rechtlich geschehen, es zeigt sich nur eine Türe zu einem formalen wie inhaltlichen juristischen Ergebnis: zur (Auf-)Lösung eben dieser Unsicherheit in Erkenntnis und Erfassung eines Rechtsgegenstanden. Zweifel ist Weg, nicht Ziel juristischer Bemühungen.

2. „Zweifel“ – als solcher kein Rechtsgegenstand Wo immer das Wort „Zweifel“ in rechtlichem Zusammenhang auftritt, da wird damit allein noch nicht ein Rechtsgegenstand angesprochen. „In dubio“ ist also als solches juristisch inhaltslos. Nur die Hinzufügung „für den Angeklagten“ führt den Zweifel zu (s)einer rechtlichen Bedeutung. Diese Worte grenzen aber auch den Anwendungsbereich des „Zweifels“ rechtsbegrifflich entscheidend ein: Eine solche Wirkung entfaltet er nur in einem engen rechtstechnischen Teilbereich, dem Strafprozess(recht). Nicht schon das „In dubio“ bringt diese entscheidende Verengung hervor, sondern der Wort-Zusatz „pro reo“. Im Bürgerlichen, wie im materiellen Strafrecht kommt dem „Zweifel“ als solchem rechtsbegriffliche Bedeutung überhaupt nicht zu. In all diesen Bereichen gilt für deren Rechts-Wirkung das „Stat Ius“: Das Recht gilt wesentlich, an seinen Wirkungen „nagt kein Zweifel“. Die RechtsWelt ist als solche zweifelsfrei. Nur auf dem Weg zu diesem Ziel bedient sie sich menschlichen Denkens, damit auch des Zweifels, eines als solchen sogar eminent humanen Verhaltens. Im „Recht als Prozess“ wird das Recht zur Rechts-Sicherheit.

II. „Zweifel“: (nur) Vorstufe (s)einer rechtsprozessualen Lösung

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„Zweifel ist also Recht“ – aber nur als Rechtsweg, nicht als Rechtsgegenstand. Und Eines gilt für den Juristen jedenfalls unabdingbar in seinem Denken: Hier ist „der Weg“ nicht (schon) „das Ziel“ – oder doch?

3. „Zweifel“ – im „Prozess Weg als Ziel“? a) Vor wenigen Jahrzehnten wäre eine solche Aussage Juristen noch als derart selbstverständlich erschienen, dass eine Befassung mit ihr gar nicht hätte in Betracht kommen können: Alles rechtsprozessuale Denken erschien herkömmlich als so wesentlich zielgerichtet auf ein juristisch praktikables Lösungs-Ergebnis, dass „seine Vorstufe Verfahren“ als solche nur als der Lösung zugeordnet, lediglich eben bereits rechtlich als deren Beginn erscheinen konnte. „Juristisch sich auf Wegen aufhalten“ – das galt einfach als „unjuristisch“. b) Hier haben sich nun aber geistige Veränderungen angebahnt, wenn nicht bereits wirkungsmäßig verfestigt, welche dem Juristen Wege weisen (wollen) als Ziele: Er soll sich „schon von vorne herein nicht so sicher fühlen in seiner rechtlichen Geborgenheit“. Sie soll er vielmehr, jedenfalls zunächst, empfinden als eine HerausForderung, die ihm eine Lösung abverlangt, die ein Ergebnis sehen will, nicht ein Kopf-Schütteln, welches Unsicherheit(en) zeigen könnte, nicht (nur) Verneinung(en). Zusammenfassend ausgedrückt: In dieser Entwicklung ist etwas entstanden, was sich benennen lassen will: „Schöpferischer Zweifel“.

4. Rechts-Prozess: Schöpferischer Zweifel? Der Jurist der Gegenwart wird in erster Linie gesehen als ein menschliches Wesen, mit allem, was ein solcher „Jedermann“ in sich trägt, sein will und verwirklichen. Er ist nicht mehr der geistige Privilegien-Träger in einer Studier-Stube, aus welcher dem Laien ungeahnte Weisheiten zufließen. „Der Mensch“, in seiner ganzen Fülle umrisshaft bereits 1789 erahnt – er ist in moderner Ökonomie zum realen schöpferischen Rechtswesen erstarkt. Seine kreativen Zweifel trägt er mit politischer Kraft als Rechts-Prozess in den „Raum des Rechts“, in ihm werden sie zur RechtsWirklichkeit. Nicht als „Schwächen“ erscheinen sie darin dem Bürger-Menschen; er ist nicht „rechtlich von des Zweifels Blässe angekränkelt“. Das dubium verleiht ihm die Kräfte der Suche einer Lösung, und das Recht sichert ihm zu, dass er zu einer solchen kommen wird, dass er es sein wird, irgendein „Jedermann“, der sie erreicht. Dies genügt dem Suchenden, der sich als Mensch um Ergebnisse bemüht, für solche Wirklichkeit bereitsteht: „Bereitsein ist alles“.

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G. Ergebnis

5. Strafprozess: „Bereit zur Freiheit“ Freiheit – jederzeit – möglich! Was kann Recht mehr sein? So lässt sich am Ende das „In dubio pro reo“ lesen. Und ist dies nicht bereits eine nicht nur wahrhaft erhebende, ist es nicht eine wirklich hohe Wirksamkeit juristischen Schaffens? Die Anklagebank – sie ist „nicht schön“, auf ihr ist, geschieht, vollzieht sich nichts, was dieses Wort verdiente. Doch mit dem „pro reo“ erhebt sich der angeklagte Mensch von ihr: das „Angeklagter, stehen Sie auf!“ hat nicht nur den „fürchterlichen“ Sinn der Straf-Erwartung. Diese ersten Worte der Urteilsverlesung sind noch zugleich – Worte der Freiheit, welche auf einem Schild stehen könnten („Stat Ius“), welches nun aufgerichtet wird. In dubio pro reo – das ist wirklich ein „schönes Wort des Rechts“. „Schönes Recht“ (Thema einer früheren Untersuchung des Autors: „Der Schöne Staat“, 2018): „Der Jurist hat eben immer Recht“ – vor allem wenn er ein solches sprechen darf… Solcher Zweifel – öffnet sich in ihm nicht (doch) eine Welt?

III. „Institutionell geregeltes (Staats-)Recht“: eine in sich geschlossene geistige Welt 1. Geistiges Ordnungsergebnis der Betrachtung des „Rechts-Zweifels“ Die vorstehend versuchte Betrachtung des Zweifels im (Staats-)Recht war nicht nur eine Beschäftigung mit gewissen Erscheinungen und Bemühungen im Gesamtbereich der menschlichen Existenz, welche diese beschreibend verdeutlichen wollten. Mit ihr sollte ein Ordnungsanspruch erfüllt werden, den gerade und allein „das Recht“ stellt an die Erfassung jenes Outer space, welcher menschliche Wesen umgibt, sie als solche trägt und hält. Allzu leicht ist ja, allenthalben, von „Feststellungen“ die Rede, welche der menschliche Betrachter trifft, im Umkreis seiner Existenz. Solches Denken unterscheidet nicht (hinreichend) das rein registrierende „Suchen“ von einer Ordnung der Gegenstände derselben in einer Betrachtung, die sich auf sie konzentriert. Das „Sehen“ sucht und findet „Material für mögliche geistige Beschäftigung“ – die „Feststellung“ hat bereits einen Eintritt in diese vollzogen, nach dem sie nun abläuft in bestimmten und zugleich bestimmenden Phasen – in einem Rechts-Vorgang. In ihm tauchen Rechts-Zweifel auf, aber nicht mehr als Gegenstände faktischer Wahrnehmung, sondern als Ordnungsaufgaben, welche rechtliches Ordnen sich selbst stellt, in einem bestimmten „geschlossenen Raum“, genannt Rechtsordnung: in sie nur wurde hier bisher der „Zweifel“ gestellt, in ihr betrachtet.

III. „Institutionell geregeltes (Staats-)Recht“

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2. Rechtliches Ordnen – Gegensatz zu „offener“ menschlicher Wahrnehmung a) Menschliche Wahrnehmung findet als ihre Gegenstände ganz verschiedene Objekte: Sie ist bereits dann „aktiviert“, wenn sie ihnen begegnen – irgendwie. Dass solche Begegnung nicht völlig wirkungslos gegenüber der Wahrnehmung verlaufen kann, ist schon die Folge der Tatsache, dass beides in der gleichen, der großen äußeren menschlichen Welt eintritt. Damit ist aber noch nicht etwas programmiert wie eine bestimmte, eine als solche bestimmbare „Wirkung“. Zu ihr kommt es erst, wenn Wahrnehmung(en) nach gewissen, als solchen fassbaren, Kategorien geordnet erfasst werden (können): b) In einer solchen Wirkung liegt die Besonderheit des institutionell geregelten (Staats-)Rechts, ausgehend von dessen Leitfunktion auf der Verfassungsebene. Jurisprudenz zeigt sich darin als ein Ordnungsinstrument, nicht als eine zu ordnende Gegenständlichkeit, also nicht als eine Ordnungsmaterie, wie sie dem Menschen die von ihm erkannte Umwelt vielfältig anbietet. Es wäre nicht sachgerecht, darin nur etwas zu sehen wie eine höhere „Stufe genauerer, allgemeiner Wahrnehmung“. Diese wandelt sich hier, sie schlägt gewissermaßen um „in einen anderen Umgang mit dem in Wahrnehmung Erkannten“: Dieses wird geistig bearbeitet, verarbeitet; seine Pflastersteine werden zu einem Weg, näher bereits bestimmt durch dessen Richtung auf ein Ziel: Ordnung, als ein geistiges Instrument zu besserer, vollständiger(er) Erkenntnis. Und es gilt hier, wie allenthalben für menschliches Bemühen: Der Weg ist (noch) nicht das Ziel.

3. Solches Recht: Nicht bereits „Ordnung“, nur Instrument zu deren Schaffung Darin zeigt sich nun wirklich nicht nur eine Besonderheit, es erschließt sich hier das „Wesen des Ius“: Dieses Recht, vor allem in seiner höheren Erscheinungsform des Staatsrechts, es ist nicht normatives Geltungsergebnis eines bestimmten geistigen Verhaltens – es ist selbst ein solches, nach Form wie Inhalt, es ist ein Instrument des Denkens, nicht ein „Ergebnis von Gedachtem“. Deshalb bewegt sich der Mensch in diesem seinem geistigen Bemühen in einer „eigen-ständigen Welt“; auf diese seine ordnenden rechtlichen Anstrengungen wirkt nicht ständig, diese verändernd, die außerjuristische, insbesondere die politische Realität: Sie ist nur Objekt, nicht gestaltendes Subjekt rechtlichen Ordnens. Der Jurist muss also eines immer fest-halten: Sein Weg ist fest; er führt nicht zu einem Denkmal, auf dem einst stünde: „Here lies One whose name was writ’ in water“: Das Recht kennt immer nur feste Säulen – aber eben nur als Weg-Weiser…

H. Der rechtlich nicht einzel-institutionell normierte Zweifel im Staatsrecht I. „Rechtlich geordnete Welt“ – nur einer der Räume menschlichen Lebens – „Leben“ auch Gegenstand außerrechtlicher Betrachtung Juristisches Denken vollzieht sich als solches in einer „abgeschlossenen geistigen Welt“, in ihr allein will es gelten. Doch es gibt noch anderes als das Ius und seine Wirkungen in dem „Großraum Leben“, in dem Menschen sich aufhalten, sich bewegen. Vieles, ja das Meiste in ihm ist nicht rechtlich geordnet, ja nicht einmal dazu geeignet. Die Welt des Rechts umgibt den Menschen nicht in einer Allgegenwart. Gerade die juristischen Ordnungsversuche des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts belegen, dass menschliche Wesen diese Grenzen des Rechts stets, wenn nicht klar gesehen, so doch „gefühlt“ haben. Eines ist das Recht als solches zwar nicht: „Gefühl“. Und doch gilt für den Menschen, dessen Leben das Ius verpflichtend ordnen will: „Und wenn Du’s nicht erfühlst – Du wirst es nie erjagen“. Die große Jagd ist also – von jeher – für jeden Menschen schon eröffnet in seiner kleinen Existenz, mit seiner Geburt, längst bevor er rechtlich zu denken vermag. Und sie (ver-)läuft (sich) weiter, bis zu seinem Tode, insbesondere auch noch weiter nach einem Lebens-Tag, an dem er alles, das Letzte sogar, geordnet zu haben meint: in seinem Testament.

II. Das „Weite Leben“ außerhalb des Rechts Im Recht gestaltet der Mensch „Leben“, stellt es hinein in einen großen Fluss humaner Existenz, der es umspült, unterspült, am Ende auflöst: „Das Licht – es löschet aus, nun wird es schwarz im Haus“: Jedermann ist Tristan, Jedes Leben ist solches Heldentum in seinem Ende. Dies ist ein tapferer, oft nur ein trotziger Abschied von der Welt, welcher hatte zugesungen werden dürfen: „… und es war doch so schön“. Dies aber sind immer noch Worte des Rechts, in ihnen zeigt es sich an seinem Ende – schön, jedem Sterbenden, jedem Menschen in diesem seinem „Helden-Tod“. Das Leben außerhalb des Rechts, nach ihm – es ist als solches nur mit anderen Augen zu sehen, zu betrachten, wiederum von Menschen zu deren Lebzeiten, aber

IV. Dieses „weite Leben“ als ein „Un-Gewisses“

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mit Wirkung auch für Nach-(ihnen) Kommen(de). Und daher ist dies nicht mehr (nur) das „Recht“, das sich damit beschäftigt, „lebens-gebunden“: Es ist auch die Soziologie, in einem ganz weiten Verständnis der Gesellschaftswissenschaften, ihres wissenschaftlich ablaufenden Bemühens, welches allem gilt, mit dem sich humane Lebewesen „beschäftigen – auch nur können“. Dieses „ganz weite Leben der gegenwärtigen Menschen“, begrenzt in den Möglichkeiten ihres aktuellen und des „künftigen Bemühens der Menschheit“ – es lässt sich „heute“ nicht bereits ordnend juristisch einfangen. Das Recht der Gegenwart kann sich aber schon öffnen zu „diesem ganz weiten Leben“. Von ihm weiß es nur ein „Dass“, nicht ein „Wie“. Darin muss es sich bescheiden als „Leben“ – so wie eben als „Recht“: in seinen Welten, in denen es, wie alles, immer wieder kommt, geht, ver-geht. Religiöse Menschen sehen darin eine Mahnung zu Göttlichem; rein Diesseitigen erscheint damit ihr Allmächtiger schon auf, in dieser Erde(n)…

III. „Der Zweifel im Staatsrecht“ als Raum dieses „weiten Lebens“ Der Jurist begegnet dem „Zweifel im Staatsrecht“ aber auch als einer Erscheinung wesentlich außerhalb einer bereits erfolgten oder beginnenden ordnend-normativen Rechts-Setzung, außerhalb von etwas, das jedenfalls alsbald gesetztes Recht sein wird. Ein Zweifel im „weiten Leben“ bezieht sich auf etwas bleibend Ungewisses und doch, gerade darin, auf etwas rechtlich Wirksames außerhalb des bereits „ordnend gesetzten Rechts“. Was ist er nun, dieser Zweifel im „Weiten Leben“? Etwas Ungewisses – und doch, gerade darin auch, rechtlich Relevantes?

IV. Dieses „weite Leben“ als ein „Un-Gewisses“, darin „wesentlich Zweifelhaftes“ Das „Ungewisse“, eine real existierende Welt außerhalb des normierten Rechts, dieses „an sich Ungewisse“, – d. h. etwas „noch nicht rechtlich näher Geordnetes“, - das ist „das an sich Zweifelhafte“, nicht etwas nur normativrechtlich Zweifelhaftes, - das ist „das Menschliche Leben als solches“, als etwas an sich Unsicheres – Ungewisses“, es ist dies „der Mensch als etwas in dieses sein Leben Geworfenes“, – das ist „das Menschliche Leben als Gegenstand eines (wesentlich) bleibenden, eines rechtlich institutionell nicht auflösbaren Zweifels“.

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H. Der rechtlich nicht einzel-institutionell normierte Zweifel

Dieser nicht bereits institutionell verrechtlichte Zweifel muss im Blick bleiben bei einer Betrachtung des „Zweifels im Staatsrecht“, d. h. aber: des Zweifelhaften im Bereich der Staatlichkeit. Denn dieses ist zugleich:

I. Der rechtlich nicht näher geregelte Zweifel in der Verfassung I. „Zweifel“ und „Recht“: Kein wesentlicher begrifflicher Gegensatz 1. „Recht: zweifelsfrei“ „Dem Recht als solchem“ begegnet der Mensch der Gegenwart meist, wenn nicht in aller Regel, ohne (jede) Emotion, ja in einer Stimmung, die „hinnimmt“. „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“. Dieses lebende Wesen Mensch, welches sein eigenes Wesen definiert als ein „Rechtssubjekt“, kann aber, so scheint es, „nichts offen lassen“, es darf nichts Ungeklärtem begegnen, keinem Zweifelhaften, das sich nicht alsbald auflösen ließe, aus einer inneren, einer begrifflichen Tendenz heraus, in eine eindeutige Klarheit – eben die des Juristischen: Der Jurist zweifelt nicht wesentlich, er lebt in einem ihm kongenialen, wesensgemäßen Verhalten: dem des Entscheidens. „Wo das Recht beginnt – da hört jeder Zweifel auf“ – so könnte man eine weit verbreitete, ja wahrhaft „allgemeine Meinung“ näher umschreiben: Das Recht hat sich seine Welt geschaffen, sie in seinem Staatsrecht abgeschlossen. So zeigte sich das moderne Staatsrecht seit seiner Entstehung in der Revolution von 1789, in einer Form, die es abschließend ordnete: normativ präzisierend.

2. Zweifel im Recht – als Recht Diese so naheliegende, bereits geradezu herrschend gewordene Begriffsbestimmung „eines rechtlich in der Verfassung näher und damit abschließend geregelten rechtlichen Zweifelns“, sie schöpft jedoch den Inhalt des Begriffes eines juristischen Dubium nicht aus: „Zweifeln“ ist eine Geisteshaltung, welche das Staatsrecht geradezu immanent ständig begleitet, die sich in ihm nicht überwinden, nicht schlussendlich ausschließen lässt. Rechtlich nicht näher geregeltes Zweifelhaftes ist vielmehr selbst, als solches, eine dauernd belebende Form staatsrechtlichen Denkens. „Dieser Zweifel ist ein eigenständiger staatsrechtlicher Begriff“, den es als einen solchen rechtlich zu erfassen, im Verfassungsrecht zu verorten gilt, nicht auflösend zu überwinden. Dieser Zweifel ist eine „Unsicherheit im Recht – als Recht“.

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I. Der rechtlich nicht näher geregelte Zweifel in der Verfassung

3. Zweifel: Recht in fortdauernder Wirksamkeit Was „als Recht wirkt“, kann „als solches immer weiter wirken“ – bis ihm eben „ein rechtliches Ende gesetzt wird“. Setzt ihm ein solches der Tod, „ein Ende auch rechtlich“? „Bis dass der Tod Euch scheidet“: So lehrt es das Christentum…

II. Zweifel als allgemeiner Verfassungsbegriff 1. Zweifeln: ein verfassungsrechtliches (immer) Weiter-Denken in Bewegung Zweifeln – das wird weithin gesehen, allgemein (und auch) im Recht, als eine Phase, als ein Zustand geistiger Statik: Der Jurist, den „ein Zweifel überkommt in seinem Verhalten“ – hält er (da) nicht inne in seinen Aktivitäten, in denen er (gerade) dabei ist, seine Umwelt zu erfassen? Wird damit solches Zweifeln nicht zu einem Abwarten, bis eine Lösung sich (ihm) anbietet? Hinter einer derartigen Geisteshaltung steht dann leicht die Vorstellung, in einer solchen Ruhe werde sich der Zweifel gewissermaßen von selbst auflösen, denn: „Es muss doch weitergehen“. Und dies wird dann, „wie von selbst“, zu einem „Es geht doch (auch immer) weiter“, im Zweifel selbst drängt sich ja solche Bewegung geradezu auf – irgendwann, aber „sicher einmal!“. Ruhiges Zweifeln – eine geistige Öffnung in Bewegung zu einem Weiter-Denken in Bewegung: so kann dann „Zweifel als allgemeiner Verfassungsbegriff“ ins Recht einfließen. Als ein solcher muss alles Zweifeln keineswegs (vielleicht gar möglichst bald) rechtsinstitutionell enden, sich auflösen als etwas juristisch Überwundenes: „Zweifel“ – das ist dann vielmehr „ein verfassungsrechtliches (immer) WeiterDenken in Bewegung“.

2. „Zweifel“: Dynamik ohne rechtliches Endziel In dieser letzteren Form soll nun der Zweifel hier im Folgenden gesehen und – das ist wirklich ein Novum! – auch juristisch behandelt, bewertet werden. Gerade in derartigem rechtlichem Denken wird versucht, die Staatsform der Demokratie als solche rechtlich allgemein zu ordnen, in einem Zweifel, der sich rechtlich kein EndZiel setzt, der stets wesentlich Dynamik bleibt. Die Demokratie soll als solche erfasst werden als ein dynamischer Staat in einer Bewegtheit ständigen Zweifelns.

III. Zweifel im Recht: fortdauernd wirkend

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Dies ist dann (ein) „Zweifel als allgemeiner Verfassungsbegriff“ dieser Staatsform.

III. Zweifel im Recht: fortdauernd wirkend 1. „Zweifeln“: Bewegt – bewegend Der „Zweifel“ als eine allgemeine Geltungsform des Rechts – er findet nicht ein Ende in seiner Auflösung in „institutionalisierten Formen normativer juristischer Geltung“. Diese letzteren wirken nur im Bereich dessen, was in solcher Weise und mit derartiger Wirksamkeit juristisch (vorher) gesetzt worden, damit eben zu „geltendem positivem Recht geworden ist“. „Das Recht als eine allgemeine normative Ordnung“ beinhaltet vielmehr wesentlich, neben Zonen bindender Geltung, auch solche einer wesentlichen bleibenden Unsicherheit seiner Wirkung(en). In diesen, und aus ihnen heraus stellen sich auslegendem Verständnis Aufgaben nicht eines Nach-, sondern eines Weiter-Denkens. Dieses letztere kann sich nicht zufrieden geben mit einem rechtlich institutionalisierbaren Resultat: es wirkt vielmehr gerade in „laufender Bewegung“, aus (s)einer ständigen inneren Bewegtheit heraus.

2. Demokratischer Zweifel: Ständiges Weiterdenken der Staatlichkeit in rechtlicher Bewegung Demokratischer Staat – das ist (eben) kein „Stat Ius“, keine „einmal für immer erkannte, anerkannte, eine nur so geltende rechtliche Ordnung“. Demokratie sieht mit dem für sie typischen Zweifeln den Staat an als „eine Ordnung geworfen in ständiges Weiterdenken – (und) gerade darin als ein Wesen des Rechts“. Recht wesentlich als Bewegtheit, sich so zeigend gerade in der Volks-Herrschaft – das öffnet diese Ordnung dem Zweifeln: In ihm liegt für sie nicht eine Schwäche, diese Unsicherheit wird zu ihrer Stärke, im Zweifel als einer „Bewegung aus Fortsetzungs-Kraft“. Das demokratische Dubium ruft nicht ein sorgenvolles Stirnrunzeln hervor bei einem Menschen, der sich „geworfen“ mehr fühlt als sieht in ein mit hohen Wellen ihn bedrohendes Meer von Zweifeln, das ihm entgegenrauscht in einem „Überall Unsicherheit“, „Alles unklar“. Es führt ihn dieser flutende Ozean des Zweifelns, und durchaus nicht reißend, sondern in ruhigem Denken, zwar nicht zu Ufern, wohl aber „in immer neue Weiten (hinein)“; er (ver)leiht ihm zugleich die schöpferische Kraft, diese Weiten in Formen des Rechts als solche ordnend zu erfassen.

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I. Der rechtlich nicht näher geregelte Zweifel in der Verfassung

IV. Demokratie als „Staatsform der Dauer-Bewegung“ 1. „Angekommen endlich“: der „Staat“ beim „Volk“(?) Als „ständige Weiter-Bewegung“ – so sehen Viele, wenn nicht die Meisten in der Gegenwart ihre Demokratie aber gerade nicht: „Ihr Staat“ hat doch „endlich sein Volk entdeckt“, er hat zu ihm gefunden als zu seinem Souverän in der endgültigen „Staatsform Demokratie, des Staates im Volke“. Dieses Volk, im Sinne einer Menschengemeinschaft von Bürgern – es wird nun als der einzige Träger der Staatlichkeit gesehen. Hat es als solches rechtlich zu dieser (Staats-)Form gefunden, im demokratischen Volks-Staat, so ist der Vorgang seiner Staats-Werdung beendet; wozu sollte es einer „Weiter-Bewegung der Staatlichkeit“ bedürfen, da der Staat als solcher bereits rechtlich konstituiert ist? Nun scheint in ihm doch jene rechtliche Beruhigung erreicht, in welcher organisierte Bürger über sich nachdenken (können): „zu sich finden“. Was soll da ein Verständnis der „Demokratie als einer Staatsform der Dauer-Bewegung“? Auf der Volksherrschaft, steht doch, in Staatsrecht geschrieben, ein „Es ist erreicht“ – „in Recht“, nicht im Pulverdampf der Gewehre: „Infanterie hat Ruh’!“ Gilt nicht von jetzt an in jedem Augenblick, für jede Lebens-Lage: Der Souverän, der „Staat als Volk“ hat schon gesprochen, Recht setzend, oder er vermag solches in jedem Augenblick, alle Unruhe einer Bewegung beendend?

2. Demokratischer Staat – gerade Dauer-Bewegung als Staatsform a) Wer nun aber den „Demokratischen Staat als Rechtsorganisation“ angekommen sieht in einem Zustand normativer Ruhe, welche allem unruhig bewegenden Ius ein Ende setzen will, so jedenfalls wirken wird, der kann zu einer demokratischen Zukunft nicht finden, die jedoch schon begonnen hat: Die Demokratie der Gegenwart will nicht etwas sein wie ein „demokratisches Endspiel“, zu dessen Abschluss ein Staatsgewaltiger die Pfeife schon im Munde hält. Für die Volks-Herrschaft gilt vielmehr stets, in jedem Augenblick: „The play must go on“! Ihr Spiel läuft (immer) weiter, wesentlich, als „Dauer-Bewegung“: Dies ist „Die heutige Demokratische Staatsform“. b) Der „Demokratische Staat“, wie die Gegenwart ihre staatsrechtliche Gesamtordnung allein auffassen will – er kennt als solcher kein Ende, „er hört nie auf“ in seiner ihm wesentlichen Bewegung: Gerade diese ist in ihm „demokratisch verend-gültigt“. Er begegnet seinen Bürgern heute als eine Organisation, zu der es keine Alternative staatsrechtlich geben kann, keine in der Gemeinschaft vorstellbar ist. Zeitlich, geschichtlich vor ihm – da gab es, für heutige Demokraten, allenfalls tastende Versuche, überhaupt etwas wahrzunehmen wie eine mögliche rechtliche Ordnung des Staates, damit etwas, dem eine solche Wesenheit rechtlich zukommen konnte. Gefunden wurde es aber erst in der Gegenwart, in der Volksherrschaft. In ihr

V. Zweifel: „Demokratische Dauerbewegung in Staatlichkeit“

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ist es nun end-gültig verrechtlich in Demokratie, d. h. im „Demokratischen Staat der wesentlichen Dauer-Bewegung als Staatsform“. „Ist das nicht ein Novum“? So mag der Jurist nun wirklich hier (s)eine Frage stellen, die ihm so oft und leicht von den Lippen geht. Ist denn eine „Form in Bewegung“ überhaupt vorstellbar als (eine) Kategorie des Denkens, wenn eine solche einen Staat halten, eine Staatsform konstituieren soll? Bewegung als Form – „kann das ein Staat sein“, kann ein solcher so gedacht werden?

V. Zweifel: „Demokratische Dauerbewegung in Staatlichkeit“ 1. „Zweifel“: Weiter-führende Staatlichkeit Ist „der Zweifel“ zu verstehen als normativer Bestandteil einer Verfassung, als Verfassungsbegriff, der als solcher aber nicht näher geregelt, nicht genauer normiert sein soll? Der Weg zu einer rechtlichen Erfassung eines Zweifels in diesem Sinne öffnet sich nun in diesem Schlusskapitel der Untersuchung als eine Rechtsfrage. Eine solche kann aber nicht stehen bleiben als „eine wesentliche Unsicherheit der juristischen Materie“, die sich eben normativ nicht überwinden lasse. „Zweifel“ – das ist doch bereits erkannt worden (vgl. vorsteh. G. II.) als etwas Weiter-Führendes, daher auch Weiter-zu-Führendes, nicht als etwas „das überwunden werden muss“ in (s)einer Lösung. „Zweifeln“ hat als solches Staatsqualität, findet (s)einen Platz gerade auch in dem, „was als Staat begegnet“ – und als solches ist es Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.

2. „Zweifel“ – Zustand der Unsicherheit Als rechtliche Unsicherheit in der Demokratie begegnet der Zweifel aber nicht in Form einer in ihr institutionell zu überwindenden Schwäche. Vielmehr wirkt er dort als eine innere Kraft der Staatsform. In ihr setzen deren Vertreter immer wieder von neuem an, und mit systemimmanenter Notwendigkeit, zu Bemühungen um eine Überwindung von rechtlichen Zuständen einer Unklarkeit, in welcher politische Bewegung sonst erstarren könnte, vielleicht gar müsste. So wird „Demokratie als Staatsform der Unsicherheit“, gerade in diesem ihrem ihr wesentlichen institutionellen Zustand, rechtlich zur „Staatsform der Dauer-Bewegung“. In einem ihr kongenialen „immer wieder Zweifeln“ entwickelt sie sich in solcher rechtlicher Mobilität zu einem „Dauer-Ordnen als Staatsform“.

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Derartiges hatten vordemokratische Staatlichkeit-Perioden nicht gekannt. In ihnen hatte es, hier und dort, einzelne Bewegtheiten gegeben in öffentlichen Bereichen. Eine Staatsform der Dauer-Bewegung von Menschen hat aber erst die Gegenwart proklamiert, in ihrer Demokratie: im Zweifeln als etwas wesentlich Staatlichem, geradezu im „Zweifel als Staat“, ist „Volksherrschaft ein Staat als Zweifel in Dauer-Bewegung“.

VI. Zweifeln: Bewegtheit als „ständiges Novum“ 1. Zweifel: ein Perpetuum mobile im Recht? Die Unsicherheit, welcher der Mensch im Recht begegnet, die sich ihm eben dort geradezu aufdrängt, weil er Sterne sucht am Himmel über seiner Existenz – sie wirkt auf ihn, jedenfalls und zu allererst, „als eine Bewegtheit“. In seinem Staat der Demokratie sieht er Goethes letztes „Mehr Licht!“ als eine Leucht-Spendung in einer Dauer-Bewegung von und zu ständig Neuem. Für derartige Erscheinungen haben humane Wesen, in ihren Versuchen von Erkenntnis-Lehren, einen Begriff gefunden: Perpetuum mobile. „Und sie bewegt sich doch!“ – so setzte Galileo Galilei sein neues Weltverständnis dem Finder-Stolz der „Alten“, der Antike entgegen: Darin begegneten die Neuen Menschen der Neu-Zeit ihrem „Neuen Zweifel“, der immer wieder Neues findet. Und diese ständigen Funde – sie sollen (nur) Stationen sein auf der Straße der Bewegung zu immer wieder Neuem. Das Erreichen solcher Fix-Punkte hält den Zweifel nicht an in seiner Bewegtheit als ständiges Novum. Das Dubium läuft immer weiter in seiner ihm wesentlichen Mobilität in (der) Demokratie als Staatsform der Dauer-Bewegung; es findet darin sein Wesen, das des demokratischen Rechts. Der „Zweifel“ als ein Perpetuum mobile, immer „in Bewegung auf ein Neues hin“ – ist das die große Entdeckung der Demokratie? Lässt sich darin der Zweifel rechtlich erfassen, ja die Neue Staatsform sich rechtlich erklären?

2. Zweifel – eine Angst-Vorstellung So zu verstehender Zweifel – müsste er nicht begrüßt werden im Recht, geradezu als ein glücklicher, ein beglückender geistiger Fund in dieser Materie? Zweifeln – das scheint den Menschen aber so gar nicht immer „zu leuchten“, als Leuchte zu begegnen, als eine „Freude, schöner Götterfunken“, (als eine) „Tochter aus (einem) Elysium“, in dem humane Wesen sich in die Arme fallen in ihrem, in solchem Glück. Zweifel als ein in (die) Zukunft wandernder, Zukunft weisender Licht-Schimmer – ist das nicht vielmehr für die Meisten, ja für „die Vielen“, etwas wie eine Sorge, ja eine Angst(-Vorstellung), mit einer solchen geradezu wesentlich verknüpft? Den

VI. Zweifeln: Bewegtheit als „ständiges Novum“

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Normal-Menschen überkommt ein derartiger geistiger Zustand doch nicht, „während er nur gerade irgendwohin läuft“, in „(irgend)einer Richtung in Bewegung sich befindet“. In dieser glaubt er vielmehr bereits etwas „Feststehendes“ wahrzunehmen – auch wenn es sich, „bei Ankunft“ als etwas Derartiges gar nicht erweist, sich nicht beweisen lässt? In einem solchen Fall „endet der Zweifel doch in einer Enttäuschung“ – so wird der Suchende häufig diese seine Lage empfinden, einschätzen. Diese Sorge lähmt, sie ist darin das Gegenteil einer Bewegtheit. Hat nicht gerade der Zweifel in ihr mobilisierende Regungen unterdrückt? Und da soll seine Unsicherheit „immer Neues“ zeigen, eröffnen, nahebringen, Horizonte, die vielleicht nie erreichbar sind mit einer Bewegung in ihrer Richtung?

3. Zweifel: Bewegung zu „Immer wieder (etwas) Neuem“ a) Der Unsichere, den ein Zweifel erfasst hat, wird, nach allgemeiner Erwartung, nicht sogleich, in einer solchen Situation, „aufbrechen zu etwas anderem, zu etwas Neuem“, das ihm helfen soll, diesen Stillstand der Unsicherheit zu überwinden. In ihm wird er vielmehr verharren, zunächst einmal. Er muss doch „diesem Zweifel nachgehen“, dessen Grund suchen. Hat er ihn aber gefunden, insoweit Klarheit hergestellt – wie kann er dann doch wieder zum „Zweifel als Neuer Kraft der Bewegung“ finden – in eine Richtung, die nichts anderes ist als „eine Neue“? „Aus einem Zweifel Bewegung in Neue Richtung(en)“ – ist das die Erkenntnis solcher Wirksamkeit der Unsicherheit? Sie mag nicht getragen sein von einer begeisterten – und begeisternden – Aufbruchstimmung; für sie mag sogar gelten ein „der Not gehorchend, nicht dem eigenem Triebe“. Doch der Zweifel – er wirkt letztlich eben doch als ein „eigenes Motiv“ eines Menschen, aus einer Lage heraus, welche „Bewegung zu Neuem“ gebieterisch fordert, eine „andere Richtung dahin“ aber für sie nicht offen, nicht bereit hält als eine solche zu bisher nicht erreichten, ja nicht einmal klar gesehenen Ufern. b) Dieser wesentliche Richtungswechsel allen Zweifels zu einem „immer wieder neuem“, zu einem darin unbekannten Ziel – er ist kein amüsantes Spiel, in welchem der Unsichere Entspannung sucht in Lustgefühlen: in ihm sieht er sich geradezu „geworfen in Neue Bewegung“. Dies ist dann kein „neuer Zustand“, es ist auch nicht eine neu(artig)e Dynamik: In solcher fortwirkender Unsicherheit setzt sich nur bruchlos fort, was alle Bewegung demokratischen Denkens schon früher getragen hatte. In demokratischem Zweifeln wirkt weiter, ohne Stillstand in Unterbrechung, was bereits bisher jede staatliche Entwicklung bestimmt hatte, allerdings ohne deren vermeintliche Pausen in Ruhe und Besinnungszuständen. c) Waren es „damals“ aber wirklich solche, in einem „Silence de la Mer“? Auch früher herrschte eine „laufende Bewegtheit“ in dieser vermeintlich so ruhigen, jedenfalls lange Zeit hindurch immer wieder als beruhigend empfundenen Staatlichkeit. Tritt heute dieser Staat nicht nur klarer, deutlicher hervor in einer wesentlichen

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„Mobilität der Demokratischen Staatsform zu immer wieder Neuem“ in ihrem „Zweifel im Staat“ – „Zweifel als Staatlichkeit“? Ist die Demokratie gerade in dieser ihrer Bewegung endlich „Der wahre Staat“, wie ihn Juristen stets suchten, zu Zeiten gefunden zu haben glaubten – woraus kommt ihr dann solche Kraft, worin liegt sie? In ihr selbst, in ihrem Zweifeln ist sie „schöpferisch“, schöpfend eben aus, in solcher Geisteshaltung.

VII. „Neuer Zweifel“ – schöpferisch 1. Zweifel – wirkend in einem Staatsrecht der „Neuen Demokratie“ Diese Untersuchung hat sich vorgenommen, etwas Neuem nachzugehen, etwas bisher nicht Dagewesenem in Staatlichkeit: dem Zweifel als einem solchen Neuen. Er war zwar immer wieder aufgetreten, war auch schon in Vergangenheiten, „damals schon“, Gegenstand staatlichen Bemühens, ja etwas wie eines „staatlichen Ordnens“. Auf diesem seinem Weg begegneten ihm die „Alten, Großen Juristen“ mit ihrer Frage: „Ist das nicht ein Novum“? Jedenfalls war dies „eine Gute Frage“ an Vertreter eines Denkens, das sich doch von Anfang an als ein vornehmes gesehen hatte, eben als ein solches geschätzt, ja bewundert werden wollte. „Immer nur Schöpfen“ – was soll da „heraus-kommen“, aus diesem „Dauer-Werk schöpfender Jungfrauen“? So mag erneut eine Antike mahnen, welche so überwunden werden sollte – mehr als Erschöpfung?

2. Die Fragestellung der „Neuen Demokratie“ Was nun allerdings „neu“ sein und als solches bleiben soll in der Gegenwart an einem staatlichen Zweifeln, das ist nicht „das Staatsrecht als solches, es ist die Staatsorganisation in der Demokratie“, gerade in ihr. „Der Zweifel“ soll nicht nur „wieder einmal“, etwas „einbringen in ein Denken in Staatlichkeit“, was dort noch nicht begegnet war. Vielmehr geht es um ein Neues Zweifeln, das schöpferisch sein soll in seinem „Wesen als etwas bisher noch nicht Dagewesenes, als etwas aber auch zugleich nie Wiederkehrendes“ – weil eben von jetzt an, in dieser Demokratie der ewigen Fortdauer, „auf immer Gegenwärtiges“. Nur ein solcher Zweifel kann die Volksherrschaft konstituieren in jener Ewigen Dauer, welche ihre heutigen Jünger von diesem Glauben erwarten; er kann eben, wie alles Geglaubte, nur „Ewig Wahr“ sein, ein „Staat für eine Ewigkeit“, ein solcher auch für nicht in bisheriger Religion Gläubige.

VII. „Neuer Zweifel“ – schöpferisch

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Im „Neuen Zweifel“ ist diese Neue Demokratie Neuer Staat aus immer Neuem Zweifel – auf Immer.

3. Dieser Neue Zweifel: „Woraus? Worin?“ a) In Bemühungen eines Suchens nach einer rechtlichen Ordnung kann es nun aber nicht genügen, deren Schöpfungskraft lediglich verbal zu proklamieren, alles Übrige einer erhofften überraschenden Zukunft zu überlassen. „Das Recht“ muss doch noch etwas aussagen gerade über die juristisch Neue Kraft, es darf sie nicht „einfach und allein nur postulieren“. Und diese Aussage beinhaltet keineswegs nur eine Selbstverständlichkeit: b) Für kantisches Denken gilt: Der Jurist, welcher ernst genommen werden will als Wissenschaftler, muss doch seinen Denkprozess gerade hier anhalten. „Wenn das Recht seine Neue Kraft nur postuliert“, so kann das nur bedeuten, dass es sich darin, als eine solche, eben nur als ein Postulat sieht. Dann aber ist auch sein „Neuer Zweifel“ als juristischer Schöpfungsvorgang nichts als ein solches: Neuer Zweifel – juristisch schöpferisch nur als rechtliche Hypothese, die aber nichts darüber aussagt, woraus sie komme, diese anzunehmende Bewegung, worin sie sich zeige als eine solche – vor allem aber: wohin sie denn führe. Dann aber bleibt dem Juristen nur eines: „Kapitulation seines rechtlichen Erkenntnisvermögens“, Jurisprudenz als Ende von Erkenntnis, jeden „echten Erkennen-Könnens“. Kant hat also doch recht: Recht ist und bleibt Annahme; als Realität ist und bleibt es ein „Nichts“, „Geistige Beschäftigung – ein Spiel“. Wenn darin Neues immer wieder heraufkommt – es hilft dies doch immerhin hinweg, als eine geistige Beschäftigung, über des Menschen sonst traurige Existenz. Verdient der Zweifel dann nicht schon darin ein „Und sie war doch so schön – diese Illusion“?

4. „Der Neue Zweifel“ – schöpferisch, weil „immer neu“ schon in Bewegung a) Das Recht sucht Gehorsam. Der Jurist ist ein stolzes Wesen, und als ein solches hat er nicht nur Freunde unter jenen, die er ständig manipuliert, im ursprünglichen Sinne dieses Wortes: Er stößt sie an, versucht, sie in eine Bewegung zu versetzen – jedenfalls in eine solche des Folgens, der Folgsamkeit, nicht nur der Folgerichtigkeit. Mit dieser letzteren ist er bereit, sich zufrieden zu geben dort, wo er nur teilnehmen will am Leben als einem „interessanten Spiel“, einem faszinierenden darin, dass man eben dabei ist. b) Wenn er nun aber „ernst wird, dieser Tandel im Tändeln“, wenn es auf etwas zuläuft, solches immer wieder „Gewinnen und Verlieren“ – so kann das Ergebnis eben auch ein Negativum sein. Dann ertönt ein „Nein“, ganz eigentümlich sogar: Denn es

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gibt im laufenden Reden zwar, und sehr häufig sogar, das „kategorische Nein“, welches endgültig abbricht. Wer ist jedoch schon einmal einem „kategorischen Ja“ begegnet? Lässt (sich) dies letztere nicht stets etwas offen wie eine Hintertüre – zumindest die des Zweifels? Solche Ausgänge eröffnen aber nicht immer, nicht wesentlich nur einen Abtritt von der Szene des Lebens als (eines) Theater(s). In ihnen läuft dieses weiter, immer weiter. Da stellt sich nun eine entscheidende Frage: Aus welcher Kraft heraus geschieht dies? Die Antwort kann nur lauten: Aus der einer Bewegung. Und dies löst schon, drängend, eine zweite Frage aus: Worin besteht es, dieses „Bewegt-Sein“? Aus etwas, das „noch nicht ist“, aber sein könnte – werden. Damit aber ist „der Neue Zweifel“, der „immer Neue“, „angekommen“: aber nicht „bei etwas in ihm, aus ihm Geschöpften, das nur in (s)einer Erschöpfung enden könnte“, sondern in „immer Neuen Zweifeln“, eben einem „Schöpferischen in Permanenz“.

5. Folge: Das Staatliche der Gegenwart: Zweifel als Schöpfung aus, daher in Bewegung a) In dieser Erkenntnis allein ist „Staat“ in der gegenwärtigen Demokratie rechtlich fassbar für seine Bürger, kann er dies immer (weiter) bleiben, weil dieses sein Wesen sich in keiner Zukunft (mehr) ändern darf – kann – wird – „von Rechts wegen“. Dies ist das wesentlich rechtliche Dubium: „Das Recht als solches“ – nicht (nur) „in einem solchen“ Zweifel – ist eine Schöpfung aus Bewegung in Schöpfung als Bewegung; Staat als Leben – (aber) Leben in Zweifel. Damit ist, in diesem Staat, das „Denken in Endzuständen“ eine überwundene Vergangenheit. Staatlichkeit in immer (nur) noch besserer Zukunft – das muss, braucht, darf in (der) Gegenwart gar nicht „erst vorbereitet zu werden“ – es ist schon Präsenz im Glück von Heute: im Zweifel, als dem Einzigen als Ewig zu Denkendem, Ewig Lebendem – und all dies: nur in Bewegung. (!?) b) „Schöpfung“ – das hatte für menschliche Wesen stets ein Doppel-Gesicht: Beglückend als „Ganz Neues“, furchterregend aber, vorher schon, als Ende des Gewohnten, Bewohnten, eben doch – einer Heimat. Deutsche haben dies mit, in diesem Kern-Wort ihrer Sprache, besonders tief gefühlt. „Und wenn Du’s nicht erfühlst, Du wirst es nie erjagen“. Die Deutschen gerade suchten „Schöpfung“ – was aber haben sie gefunden in ihrem dauernden „Schöpfen“: Zweifel? Nein: „den Zweifel als ihr Recht“. Und darin (ihr deutsches) Glück, ihre, eine „Ewige Zukunft“…? Ein Fragezeichen muss hier stehen (bleiben), nach einem Absatz zum Atem-Holen. Denn: Werden Juristen Kraft haben, nicht nur zu blasen zu diesem immer neuen, zu diesem Ewigen Jagen,

VII. „Neuer Zweifel“ – schöpferisch

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werden sie „in (solcher) Bewegung bleiben (können)“ – sich nicht in (ihrem) Gefundenen vergraben – bis in ihren Tod hinein, in ihr Sterben – auch in diesem als einer Bewegung, wohin? Wer weiß es? Ihr Allmächtiger? Gott…

J. Zweifel: ein „rechtstranszendenter Begriff“ des Staatsrechts I. Zweifel: ein „offenes Rechtsphänomen“ „Der Zweifel“ wird gemeinhin angesehen, und folglich auch als ein Begriff im Bereich des Juristischen behandelt – als ein „Rechtsbegriff“. In dem Wort liegt aber etwas Nicht-Abgeschlossenes, das inhaltlich einer Entwicklung, also einer Bewegung, zugänglich ist, vielleicht gar wesentlich in einer solchen besteht. Darin zeigt sich der Zweifel als etwas Besonderes im Recht: Es stellt dieses Letztere hier den Gegenstand seines Dubium dar, dem Betrachter vor in einer Offenheit – als ein offenes Rechtsphänomen, das in seinem begrifflichen Inhalt nicht abschließend, nicht end-gültig bestimmt, ja gar nicht bestimmbar ist.

II. (Im) Zweifel: „Staatsrecht als Zustand offen zum Faktischen“ Rechtsphänomene werden in der Regel als Begrifflichkeiten angesehen, als solche erfasst, welche nur, ausschließlich also, begegnen in der Welt des Rechts. Für den Zweifel trifft dies nicht zu, wie soeben (unter I.) festgestellt. In ihm ist das Recht, jedenfalls so weit es Staatsrecht ist, sein will, geöffnet zum Faktischen. Damit stellt sich im „staatsrechtlichen Zweifel“ ein Problem, das bisher noch nicht Gegenstand dieser Untersuchung war: Es fragt sich, ob hier eine Verbindung besteht zu einem rechtlichen Aliud – Staatsrecht im Zweifeln zugleich Ius und Factum. In solchem Verständnis des Zweifels würde dieser aber (immer noch) gesehen als ein Zustand – eben „Staatsrecht als Factum“ –, als eine Kategorie von etwas tatsächlich Geschehenem, „fest als solches Hingestelltem“.

IV. Zweifel im Staatsrecht: Zielloses (Ab-)Laufen

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III. Zweifel: Staatsrecht im Lauf(en), Bewegung zu faktisch immer Neuem 1. Zweifel: Staatsrecht geöffnet zum Faktischen Diese immer noch im Grunde statische Konzeption des Zweifels wird nun aber dessen Wirken im Staatsrecht der Gegenwart nicht gerecht. In seinem Zweifeln bleibt der rechtlich Unsichere, der juristische Verunsicherte „doch nicht einfach nur stehen“, in einem Recht als einem dauernden, vielleicht gar einem an-dauernden, einem „Ewigen Immobilismus“. Gerade „der Zweifel steht an einem Anfang“, er löst neue Bewegtheit, neue Bewegung aus, zu faktisch wiederum Neuem – dies ist dann ein erneutes Mobile zu Neuen Zielen – und so weiter und so fort… Im „Zweifel des Rechts“ wird also eine Bewegung erkennbar, in einem Übergang: „vom Recht“ in das „Außer-Rechtliche der Fakten“, einem Transit, in welchem diese letzteren ständig hineinwirken ins Juristische.

2. Zweifel als ständiger Lauf Bei statischer Betrachtung zeigt sich der Zweifel nur als ein Rand des Rechts, bei dynamischer, wie sie die Gegenwart anstrebt, bereits als eine Öffnung desselben – wohin? „Zu Fakten als immer (wieder) Neuem Recht“, das sich erschließt dem in ihm stets weiter sich bewegenden Juristen in einem Lauf zu immer neuen Zielen, in einem ständigen Laufen. Darin geht es nicht mehr um ein „Ankommen an einem festen Punkt“: Dieser bewegt sich ja schon wieder weiter, er „lockt“ – und „zieht damit – das Staatsrecht hinter sich her“. Dem Vertreter dieser Disziplin bleibt, in dauernde Bewegung „geworfen“, nur ein Verhalten, zugleich in Freude und in Resignation: „Ich weiß zwar nicht, wo ich hin will – aber dafür bin ich schneller dort …“.

IV. Zweifel im Staatsrecht: Zielloses (Ab-)Laufen 1. Demokratie: Staatsform des Ewigen Zweifels Das Staatsrecht der Gegenwart versucht einen „Ewigen Frieden“ zu erreichen mit der Demokratie als der Staatsform des Ewigen Zweifels. In einer solchen Herrschaft des Volkes soll diese Staatsform der Gegenwart zu der einer Ewigen Zukunft geworden sein. Ist im Zweifeln nicht endlich eine „ungefährliche Macht“ Wirklichkeit geworden – auf immer? Dieses neue Liebens-Werte braucht ja vom Bürger nicht zu fordern: „Du musst mich lieben – (gerade) in meiner Zwangs-Gewalt“. Diese „Demokratie im Zweifeln“

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J. Zweifel: ein „rechtstranszendenter Begriff“ des Staatsrechts

belässt den Menschen in seiner natürlichen Unsicherheit. Eben aus dieser kommt ihm all seine Kraft in Dauer, auf Dauer, in ziellosem Lauf – aus „Laufen als solchem“.

2. Staatsrecht der Demokratie: „Immer Neues“ „Im Zweifel“ zeigt sich das Staatsrecht, als „Spitze des Rechts“, nicht nur „auch als ein Lauf“: es erscheint hier in (s)einem Wesen als „Nichts als Lauf“, Staatsrecht als ein zielloser reiner Ab-Lauf, „als ein Verlauf, der sich aber nicht verläuft“. Der Zweifel träg in sich das Staatsrecht des Volkes, die Demokratie, immer weiter. Denn diese demokratische Staatlichkeit ist nichts als Zweifel, nichts als zielloser Ablauf in ihm, zu einem Staat, als einem „immer wieder Neuem“. Diese „Immer wieder Neue Staatlichkeit“ – was kann sie anderes sein als etwas nicht gänzlich in Eingrenzung Erfassbares, vielmehr etwas, das sich selbst immer weiterträgt, fortsetzt? Menschen haben dafür ein Wort (gefunden): „eine Welt“.

3. Demokratie: Welt des Zweifels „Du bist eine Welt“ – wem ist dies zugesprochen worden, nur ein einziges Mal, aber für immer: „Rom – Du bist eine Welt!“. Der Deutschen Größter hat dieses Wort geprägt – er nur hat es sagen dürfen. Die Demokratie will diese Welt sein, für immer: in ihrem Staat in Ewiger Bewegung, einer Staatlichkeit des dauernden Zweifels, dem „Zweifel als Staatsrecht“. Demokratie gilt heute als die einzige überhaupt mögliche Staatsform. Eine solche Überzeugung erscheint, auf den ersten Blick, als Ausdruck einer politischen Arroganz, ohne Chance einer längeren Dauer, geschweige denn einer exklusiven, ewigen Geltung. Und doch ist sie von einer Stärke getragen, die mehr ist als nur Alternativlosigkeit: vom Zweifel, in den sie sich selbst stellt – zieht: Offen ist diese Demokratie, geöffnet zu einer ganzen, großen Welt – der des Möglichen, Denkbaren. „Zweifel“ – das ist die ganz große, ganz breite geistige Straße, auf der sich die Volksherrschaft bewegt – wohin? Zu einer Wahrheit? Demokraten wissen es nicht, wollen es gar nicht wissen. Nur mit Laufen sind sie beschäftigt, nur mit Suchen – aber getragen von ihm. Wohin? Niemand kann, niemand will es wissen: Es ist eben alles – nur Zweifel, darin aber Schöpfung, nicht von Werten: „von heilig nüchternem Wasser“… Das allein ist Ewiger Zweifel – Demokratie auf immer! Und: Wer (an sie) glaubt, wird selig – (jedenfalls) auf Erden, wo er sie sucht…