Das Allgemeine Staatsrecht - Staatsrecht der Aufklärung: Eine Untersuchung zu Inhalt, Anspruch und Geltung des naturrechtlichen Staatsrechts im 17. und 18. Jahrhundert [1 ed.] 9783428501717, 9783428101719

Robert Schelp befaßt sich mit Wesen und Bedeutung des staatsrechtlichen Teils des Naturrechts der Aufklärung. Dieses ent

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Das Allgemeine Staatsrecht - Staatsrecht der Aufklärung: Eine Untersuchung zu Inhalt, Anspruch und Geltung des naturrechtlichen Staatsrechts im 17. und 18. Jahrhundert [1 ed.]
 9783428501717, 9783428101719

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ROBERT SCHELP

Das Allgemeine Staatsrecht - Staatsrecht der Aufklärung

Schriften zur Rechtstheorie Heft 205

Das Allgemeine Staatsrecht Staatsrecht der Aufklärung Eine Untersuchung zu Inhalt, Anspruch und Geltung des naturrechtlichen Staatsrechts im 17. und 18. Jahrhundert

Von Robert Schelp

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 978-3-428-10171-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Θ

Inhaltsverzeichnis Einführung

11 1. Kapitel Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

17

I.

Die historische Situation und Entwicklung 1. Das Hervorgehen aus Politik und Naturrecht 2. Die Abgrenzung von der Politik a) Inhaltliche Eigenständigkeit b) Vom Staat zum Staatsrecht c) Recht für den Staat d) Recht und Staatsraison

17 17 24 24 27 28 29

II.

Die Methode des Allgemeinen Staatsrechts und die Beziehung zu anderen Wissenschaften 1. Kombination von Deduktion und Empirie a) Die deduktive Methode b) Die empirische Methode 2. Quellen und Hilfswissenschaften des Allgemeinen Staatsrechts a) Theologie b) Philosophie und Politik c) Geschichte d) Besonderes Staatsrecht e) Privatrecht f) „Statistik"

34 34 34 37 39 40 45 46 47 48 50

Die Tradition des Allgemeinen Staatsrechts 1. Vorläufer und geistesgeschichtliche Entwicklungslinien 2. Entstehungszeitpunkt und Urheberschaft

51 51 53

III.

2. Kapitel Kurze Bibliographie und Biographie des Allgemeinen Staatsrechts

64

I.

Ulric Huber, De Jure Civitatis libri très

64

II.

Justus Henning Böhmer, Introductio in lus Publicum Universale ex genuinis iuris naturae principiis deductum et in usum iuris publici particularis quarumcunque rerumpublicarum adornatum

64

8

Inhaltsverzeichnis

III.

Johann Salomo Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem allgemeinen Staatsrechte und dessen nöthigen Excolierung 66

IV.

Franz Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis

V.

Gottfried Ernst Fritsch, Conspectus Iuris Publici Universalis Methodo Systematica Nova Ratione Elaborati et ex Uno Principio Deducti 68

VI.

Abraham Jacob Oertel, Meditationes de Iure Publico Universali et Particulari eorumque Differentiis

69

Johann Heinrich Gottlob von Justi, Die Natur und das Wesen der Staaten, als die Grundwissenschaft der Staatskunst, der Policey und aller Regierungswissenschaften, desgleichen als die Quelle aller Gesetze abgehandelt

70

VII.

66

VIII. Hermann Friedrich Kahrel, Jus Publicum Universale, primis lineis et ita descriptum, ut usus ejus simul in jure publico, quod apud diversos Europae populos, praesertim in Germania, viget, appareat 71 IX.

Wiguläus Xaverius Aloysius von Kreittmayr, Grundriß des Allgemeinen, Deutsch= und Bayrischen Staatsrechts 72

X.

Karl Anton von Martini, Allgemeines Recht der Staaten

XI.

Heinrich Gottfried Scheidemantel, Das Staatsrecht nach der Vernunft und den Sitten der vornehmsten Völker betrachtet, und: Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform 75

XII.

Carl Gottlieb Svarez, Vortraege Sr. Majestät dem regierenden Könige als Kronprinzen gehalten vom Geheimen Ober-Justiz-Rath Svarez über Gegenstände des oeffentlichen und Privat-Rechts 77

73

ΧΙΠ. Georg Wilhelm von Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts 79 XIV. August Ludwig Schlözer, Allgemeines StatsRecht und StatsVerfassungsLere

79

3. Kapitel Inhalt und Themen des Allgemeinen Staatsrechts, exemplarisch dargestellt anhand von Ulric Hubers „De Jure Civitatis libri très" I.

82

Ulric Hubers „De Jure Civitatis libri très"

82

II.

Aufbau und Inhalt im Überblick

85

III.

Der Staat im Lichte des Allgemeinen Staatsrechts 1. Der Staatsbegriff 2. Die höchste Gewalt und die Majestätsrechte 3. Staatsgründung und Fundamentalgesetze 4. Die Staats- und Regierungsformen 5. Verlust der Herrschaft und Widerstandsrecht 6. Kirche und Staat 7. „Privatrechtliches" Allgemeines Staatsrecht

86 86 88 94 101 105 110 112

Inhaltsverzeichnis 8. Staatsverwaltung und Völkerrecht im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts 116 a) Die „gute Polizei" 116 b) Staatsrechtliche Bezüge des Völkerrechts 118 4. Kapitel Der normative Charakter und Geitungsanspruch des Allgemeinen Staatsrechts

120

I.

Begriff und systematische Einordnung des Allgemeinen Staatsrechts . . . . 120

II.

Die Rechtsqualität des Allgemeinen Staatsrechts 1. Abgrenzung von Recht und Moral 2. Die Schaffung von Recht seitens der Wissenschaft a) Die Doppelbedeutung des Begriffs des Allgemeinen Staatsrechts Recht und Rechtswissenschaft b) Rechtsschöpfung als Rechtsfindung und opinio iuris commune . . . . c) Parallele zum Gemeinen Recht 3. Selbstverständnis und Anspruch der Autoren des Allgemeinen Staatsrechts im Hinblick auf dessen normative Geltung a) Abgrenzung von Hobbes und den „Machiavellisten" b) Rechtliche Bewertung der aktuellen politischen Praxis

III.

126 126 130 130 134 143 144 144 147

Die Begründung der normativen Wirkung mit Hilfe der Staatsvertragslehre 150 1. Naturzustand und vertragliche Staatsgründung 150 2. Der Staatszweck

162

IV.

Das Allgemeine Staatsrecht als ungeschriebene Rechtsordnung

169

V.

Rechtsfolge und Sanktion von Rechtsverletzungen

171

VI.

Die Anwendbarkeit des Allgemeinen Staatsrechts aufgrund seiner normativen Wirkung 184 1. Die subsidiäre Anwendung im Landesstaatsrecht 186 2. Die Verfassungsrechtsqualität 188 3. Rechtsstaatliche Ansätze 191 4. Zwischenergebnis 194 5. Kapitel Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

195

I.

Fürstenerziehung

196

Π.

Gesetzgebung 201 1. Das Allgemeine Staatsrecht und die Kodifikationsbestrebungen der Aufklärung 201 2. Die Preußische Kodifikation 204

10

Inhaltsverzeichnis

III.

Revolution

212

IV.

Das allgemeine Staatsrecht als staatsrechtliches Grundlagenfach 213 1. Bedeutung für die Lehre 214 2. Übertragung auf die staatsrechtliche Praxis 217 a) Hilfe bei der Entscheidungsfindung 217 b) Hilfe bei der Rechtsfeststellung 219 c) Forum für die zeitgenössische aktuelle politische und rechtliche Diskussion 220 (1) Cäsarianer und Fürstenianer 225 (2) Freiheit und Eigentum 230 d) Verrechtlichung von Sachverhalten durch Subsumtion unter das Allgemeine Staatsrecht 232 3. Einwirkung auf die übrigen Rechtsdisziplinen 235 6. Kapitel Die Bedeutung des Allgemeinen Staatsrechts für das politische Geschehen im absolutistischen Staat

238

I.

Aufklärung, Allgemeines Staatsrecht, Absolutismus

238

II.

Das Allgemeine Staatsrecht und die Modernisierung des Staates 1. Recht für den modernen Staat 2. Legitimation und Kontrolle

242 242 245

III.

Der Nutzen des Allgemeinen Staatsrechts für den absolutistischen Herrscher 246 1. Das Allgemeine Staatsrecht und die Stände 246 2. Akzeptanz als Folge von Aufklärung 250 3. Nutzen für die Untertanen 252 a) Rechtssicherheit 252 b) Wohlfahrt 254

IV.

Das Allgemeine Staatsrecht zwischen Reform und Revolution

257

7. Kapitel Die - zeitgenössische - Kritik am Allgemeinen Staatsrecht

267

I.

Materielle Einwände

268

II.

Der „positivistische" Ansatz

276

ΙΠ.

Der „traditionalistische" Ansatz

279

Zusammenfassung und Auswertung

283

Literaturverzeichnis

287

Personen- und Ortsverzeichnis

302

Sachwortverzeichnis

305

Einführung „Wenn es gewisse, der höchsten Gewalt eines jeden Staates zukommende Rechte giebt, die aus der Natur eines Staates hergeleitet werden; so ist eine solche Kenntniß von den Rechten und Verbindlichkeiten jeder höchsten Gewalt diejenige Wissenschaft, die man das allgemeine Staatsrecht nennt, und die einen Theil der Philosophie und des Naturrechts ausmacht; eine Wissenschaft, die nicht allein, um die Theorie eines jeden besonderen Staatsrechts zu entwerfen, nützlich ist; sondern die sogar auch öfters nothwendig wird, um die im besonderen Staatsrechte entweder gar nicht, oder nicht hinlänglich genug bestimmten, streitigen Fragen zu entscheiden"1. M i t diesen Worten versucht der berühmte Göttinger Staatsrechtslehrer Johann Stephan Pütter in seinem Werk „Anleitung zum teutschen Staatsrechte" 2 , Wesen, Gegenstand und Aufgabe des Allgemeinen Staatsrechts zu beschreiben. Pütter umreißt dabei prägnant die wichtigsten Punkte, die das Allgemeine Staatsrecht ausmachen. Dazu gehört zum einen, daß man vom Allgemeinen Staatsrecht als „ Wissenschaft" i m Sinne einer eigenständigen akademischen Disziplin spricht, die eng mit dem Naturrecht und der Philosophie verwoben ist. Zum anderen bezeichnet Pütter als Gegenstand des Allgemeinen Staatsrechts die „Rechte und Verpflichtungen" der „höchsten Gewaltalso das rechtliche Verhältnis zwischen Herrscher und Untertan, zwischen Bürger und Staat. Dieses Verhältnis soll sich aus der „Natur" und dem Wesen des Staates herleiten lassen. Dahinter steht der Anspruch des Allgemeinen Staatsrechts auf universelle Anwendbarkeit und Allgemeingültigkeit, der dann auch in der von Pütter angesprochenen Stellung des allgemeinen zum besonderen Staatsrecht deutlich wird. Es dient dazu, die „ Theorie eines jeden besonderen Staatsrechts zu entwerfennämlich die Grundbegriffe und -sätze einer Staatsverfassung zu liefern und zu erklären, sowie - insbesondere - das bestehende, auch positive, „besondere Staatsrecht" zu ergänzen bzw. zu ersetzen, wenn dieses ausfüllungsbedürftig oder unklar ist. Die Entstehung des Allgemeinen Staatsrechts - so wie es hier verstanden werden soll, nämlich als eigenständige Wissenschaft bzw. eigenständiges Rechtsgebiet unter Verwendung dieser Bezeichnung oder vielmehr deren 1

Pütter, Johann Stephan, Anleitung zum teutschen Staatsrechte, a.d.L.v. Carl Anton Friedrich Graf von Hohenthal, Bayreuth 1791, S. 2. 2 Dies ist eine Übersetzung der 1770 erschienenen „Institutiones juris publici".

12

Einführung

lateinischer Entsprechung: „Jus Publicum Universale" - reicht zurück bis ins siebzehnte Jahrhundert. Über mehr als anderthalb Jahrhunderte hinweg gab das Allgemeine Staatsrecht der deutschen Staatsrechtswissenschaft und dem deutschen Staatsleben wichtige Impulse, bis es in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts endgültig seine Kraft, seinen - insbesondere den normativen - Charakter sowie seine Eigenständigkeit verlor und von anderen Fächern wie der „Allgemeinen Staatslehre" 3, bzw. der Rechtsphilosophie 4 , ersetzt wurde. Diese Entwicklung manifestiert sich nicht nur in Titeln, Anzahl und Inhalt von Publikationen zum Thema des Allgemeinen Staatsrechts, sondern auch im Verlauf der Geschichte des Allgemeinen Staatsrechts als Lehrfach an deutschen Universitäten 5 . Im Folgenden soll untersucht, herausgearbeitet und erklärt werden, was das Allgemeine Staatsrecht sein wollte und tatsächlich war, wo es herkam, welche Themen es behandelte, wer seine Vertreter und Autoren waren wobei mit der näheren Vorstellung einiger wichtiger Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts und ihrer Werke keine Vollständigkeit, sondern lediglich ein Überblick und eine repräsentative Auswahl auch hinsichtlich zum Teil unbekannterer Autoren des Allgemeinen Staatsrechts beabsichtigt ist, wie es Probleme anging und mit welchem Anspruch es seine Ergebnisse vertrat. Daneben soll die Frage behandelt werden, welche praktische Wirkung das Allgemeine Staatsrecht hatte und wie diese Wirkung erzielt wurde. Besonderer Wert wird in diesem Rahmen auf die Herausarbeitung des normativen Geltungsanspruches, der Rechtsqualität des Allgemeinen Staatsrechts gelegt werden, insoweit auch unter Berücksichtigung seiner zeitgenössischen Kritiker. Zuletzt sollen noch kurz einige Bezüge des Allgemeinen Staatsrechts zu unserem heutigen, modernen Staatsrecht aufgezeigt werden. Zur Auswertung herangezogen wurden Werke, die sich dem Titel oder dem Inhalt nach mit dem „allgemeinen", „vernünftigen" oder „natürlichen" 3 Krause, Peter, Die Entwicklung der Juristenfakultät, in: Burmester, Gabriele/ Ehmann, Horst/Krause, Peter/Robbers, GerhardIZaczyk, Rainer, Die Aufgabe der Juristenfakultäten, Festgabe für Otto Theisen, Berlin 1996, S. 83-126 (S. 121), Kuriki, Hisaio, Die Rolle des Allgemeinen Staatsrechts in Deutschland von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, AöR 1974, S. 556-585, S. 559, Link, Christoph, Herrschaftsordnung und Bürgerliche Freiheit, Wien 1979, S. 62. 4 Welzel, Hans, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 2. Aufl., Göttingen 1955, S. 163; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2 Bde., Bd. 1, München 1988, S. 296. 5 Vgl. allgemein dazu: Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, S. 294f., Goldschmidt, Levin, Rechtsstudium und Prüfungsordnung, Stuttgart 1887, S. 139, sowie Kuriki, Die Rolle des Allgemeinen Staatsrechts in Deutschland, S. 558 ff. und vgl. auch: Lieberwirth, Rolf, Der Staat als Gegenstand des Hochschulunterrichts in Deutschland vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Sitzungsbericht der sächsischen Akademie der Wissenschaften in Leipzig, Berlin 1978.

Einführung Recht des Staates befassen. Exemplarisch sollen Inhalt und Aufbau anhand einer eingehenden Vorstellung und Analyse eines typischen Werkes des Allgemeinen Staatsrechts vorgestellt werden. Dazu bietet sich das Lehrbuch „De Jure Civitatis libri très" des Niederländers Ulric Huber aus dem Jahre 1672 in besonderem Maße an. Zum einen erhebt nämlich Huber (worauf später noch näher einzugehen sein wird) selbst den Anspruch, mit diesem Werk das Allgemeine Staatsrecht zu einer eigenständigen wissenschaftlichen und vor allem juristischen Disziplin gemacht zu haben 6 , wie es sich bereits aus dem Untertitel der ersten Auflage 7 , „rudimentum juris publici universalis continens", deutlicher noch aus dem ab der dritten Auflage 8 verwendeten: „novam juris publici universalis disciplinam continensersehen läßt. Zum anderen sind darin schon alle das Allgemeine Staatsrecht ausmachenden Themen und Argumentationsmuster angelegt, verbunden mit einer aufgrund seines Novitätsanspruchs besonders ausführlichen und sorgfältigen Aufarbeitung der Stellung und Funktion des Allgemeinen Staatsrechts im System des Rechts und dessen wissenschaftlicher Bearbeitung sowie seiner Abgrenzung zur Politik. Auf seiner Grundlage bauen die späteren Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts auf und variieren es nach ihren eigenen Ansichten und Schwerpunkten, das Grundmuster bleibt aber dennoch immer erhalten, auch wenn Huber und sein Werk - abgesehen von der großen Wertschätzung, die sie durch Thomasius 9 erfahren haben - in den späteren Abhandlungen, etwa ab der Mitte des 18. Jahrhunderts, seltener zitiert werden. Der in der vorliegenden Arbeit schwerpunktmäßig bearbeitete Zeitraum ist die Periode von seinen Anfängen i m ausgehenden 17. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, der Blütezeit des Allgemeinen Staatsrechts. Obwohl es auch noch i m 19. Jahrhundert und sogar bis in die neueste Zeit Werke mit dem Titel „Allgemeines Staatsrecht" gibt 1 0 , erscheint eine Zäsur i m Hinblick auf diesem Zeitpunkt gerechtfertigt. Mit 6 Vgl. zum Anspruch und Bewußtsein Ulric Hubers, einen neuen Wissenschaftszweig begründet zu haben: Kossmann, E. H., Some late 17th-century Dutch writings on Raison d'Etat, in: Schnur, Roman (Hrsg.), Staatsraison, Berlin 1975, S. 497, Link, Christoph, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, S. 62, Stolleis, Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, S. 292, und Veen, T. J., Recht en Nut, Studien over en naar aanleiding van Ulrik Huber (1636-1694), Zwolle 1976, S. 226ff., und infra. 7 Franeker 1672. 8 Franeker 1694. 9 Christian Thomasius machte „De Jure Civitatis" zur Grundlage seiner Staatsrechtsvorlesungen und gab das Werk, mit Anmerkungen versehen, neu heraus, vgl. infra. 10 Einige Beispiele etwa bei Kuriki, Die Rolle des Allgemeinen Staatsrechts in Deutschland, S. 578 ff.

14

Einführung

dem durch die amerikanische und die französische Revolution 11 eingeleiteten Konstitutionalismus, dem Aufkommen geschriebener Verfassungen oder zumindest der Forderung danach und dem damit einhergehenden, bis heute vorherrschenden Verfassungspositivismus in Rechtswissenschaft und Gesellschaft, verliert das Allgemeine Staatsrecht einen Großteil seiner Bedeutung als ungeschriebenes, einem wissenschaftlichen Konsens entspringendes Verfassungsrecht. Weiterhin muß man auch und besonders im Hinblick auf das Allgemeine Staatsrecht berücksichtigen, daß die französische Revolution an der deutschen Staatsrechtswissenschaft keineswegs spurlos vorübergegangen ist, sondern daß ihr Einfluß seine Grundlagen in einer Weise erschüttert hat, die eine ungestörte Kontinuität seiner Entwicklung unmöglich machte. Einer der Hauptthemenbereiche des Allgemeinen Staatsrechts lag nämlich in der Behandlung der Legitimität von Herrschaft im Staat. Selbst wenn davon auszugehen ist und vom Allgemeinen Staatsrecht auch ausnahmslos unterstellt wird, daß es dem grundsätzlich in redlicher Absicht handelnden Monarchen 12 als Hilfe bei der Definition und Bewältigung seiner Aufgaben an die Hand gegeben werde, spielt dennoch naturgemäß auch die Frage nach dem Recht auf Widerstand gegen eine eventuell unrechtmäßig handelnde Staatsgewalt und damit letztlich die nach der Legitimität von Rebellion und Revolution eine wichtige Rolle. Was aber vor 1789 eine eher theoretische, mehr einem Gedankenspiel denn einer echten politischen Alternative entsprechende Möglichkeit war, die oft nur der Vollständigkeit des gedanklichen Systems halber und vor allem zur Untermauerung seines normativen Anspruches mehr oder weniger ausführlich abgehandelt wurde, rückte mit dem Ausbruch der französischen Revolution in den Bereich des nicht nur gedanklich, sondern auch praktisch Möglichen und konnte als naheliegende und wirkungsvolle Drohung in einer etwaigen politischen Auseinandersetzung zur Durchsetzung konkreter Ziele eingesetzt werden. Zwar gab es naturgemäß unter den Bearbeitern des Allgemeinen Staatsrechts immer schon kontroverse Standpunkte hinsichtlich der Tragweite und der Ausgestaltung der postulierten Rechte und Pflichten von Fürst und Untertan. Die durch die praktische Erfahrung der Revolution in Frankreich eingetretene Akzentverschiebung 13 konnte jedoch nicht ohne Wirkung auf 11

Schmale, Wolfgang, Das Naturrecht in Frankreich zwischen Prärevolution und Terreur, in: Dann, Otto/Klippel, Diethelm (Hrsg.), Naturrecht - Spätaufklärung Revolution, Hamburg 1995, S. 5-22 (22), etwa spricht anschaulich davon, daß das Naturrecht, und mit ihm das Allgemeine Staatsrecht, zu den „Opfern der Guillotine" gehöre, da mit der französischen Revolution und der Menschenrechtserklärung der Rechtspositivismus das Naturrecht abgelöst habe. 12 Allgemein für das Vertrauen auf „gesetzestreue Obrigkeiten" seitens der Aufklärer vgl. Bödeker, Hans Erich, Prozesse und Strukturen politischer Bewußtseinsbildung der deutschen Aufklärung, in: Bödeker, Hans Erich/Herrmann, Ulrich (Hrsg.), Aufklärung als Politisierung - Politisierung der Aufklärung, Hamburg 1987, S. 24, s. auch infra.

Einführung die Rezeption des Allgemeinen Staatsrechts einerseits, andererseits aber auch auf seinen Inhalt bleiben. Die Sicherung der bürgerlichen Freiheitsrechte und die Schaffung einer Rechtsstaatlichkeit innerhalb des absolutistischen Systems mit Hilfe des Allgemeinen Staatsrechts war angesichts dieser Entwicklung nämlich nicht mehr zeitgemäß. Dieser Prozeß verfälscht aber in gewisser Weise den ursprünglichen Charakter des Allgemeinen Staatsrechts und seine Bedeutung, die aus seinem angestammten politischen Umfeld heraus verstanden werden müssen. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, daß sich eben dieses politische Umfeld mit der Revolution, besonders aufgrund der von ihr in Deutschland ausgelösten Gegenbewegungen bis hin zur nach 1815 einsetzenden Reaktion, zu Ungunsten des Allgemeinen Staatsrechts veränderte 14 . Denn da das Allgemeine Staatsrecht (wie noch zu zeigen sein wird) grundsätzlich auf kontinuierliche Reform im Rahmen des Machbaren innerhalb der bestehenden Ordnung und nicht auf radikale Umwälzungen ausgerichtet war, war es darauf angewiesen, daß die Machthaber seine Lehren akzeptierten und seinen Bearbeitern vertrauten. Dieses Vertrauensverhältnis war aber mit den abschreckenden Ereignissen in Frankreich nachhaltig gestört 15 . Es ist daher nicht möglich, der Bedeutung und dem Inhalt des Allgemeinen Staatsrechts vor 1789 gerecht zu werden, wenn man seine Entwicklung bis weit in die Zeit nach diesem Datum verfolgt. Dennoch werden selbstverständlich auch spätere Werke noch berücksichtigt, zumal im Einzelfall das Erscheinungsjahr eines Werkes irreführend sein kann 1 6 und zum ande13 Würtenberger (Würtenberger, Thomas, An der Schwelle zum Verfassungsstaat, in: Aufklärung Heft 3, Hamburg 1988, S. 53 ff., S. 86) spricht auch davon, daß in den Diskussionen vor 1789 praktisch alle der nun engagiert diskutierten Verfassungsfragen bereits behandelt gewesen seien, nur nicht in der Zuspitzung und ohne die Möglichkeit, die realen Auswirkungen bürgerlicher Verfassungsgebung zu bewerten, wie es das politische Geschehen in Frankreich ermöglicht habe. 14 Vgl. z.B. Orgis, Werner, in: Ebel, Friedrich (Hrsg.), Gemeinwohl - Freiheit Vernunft - Rechtsstaat. 200 Jahre Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Berlin 1995, S. 144, 146, Schneiders, Werner, Die Philosophie des aufgeklärten Absolutismus. Zum Verhältnis von Philosophie und Politik, nicht nur im 18. Jahrhundert, in: Bödeker, Hans Erich!Herrmann, Ulrich (Hrsg.), Aufklärung als Politisierung - Politisierung der Aufklärung, Hamburg 1987, S. 32-51 (S. 45), siehe auch infra. 15 Anschaulich dazu: Wedekind, Karl Friedrich, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt Nebst einer vorläufigen Untersuchung über die Frage: Ist der Vorwurf: der Bürger werde durch das allgemeine Staatsrecht zu Revolutionen geneigt, wirklich gegründet, oder ist nicht vielmehr die genauere Entwicklung desselben die kräftigste Stütze der bürgerlichen Ruhe und Ordnung?, Frankfurt 1794, S. 10. 16 Z.B. war August Ludwig Schlözers „Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere", Göttingen 1793, schon vor 1789 entstanden und nur später gedruckt worden.

16

Einführung

ren gerade in dieser Endphase des Allgemeinen Staatsrechts etliche seiner typischen Gedanken und Inhalte gewissermaßen als Ergebnis seiner bis dahin doch langen und kontinuierlichen Tradition besonders klar und stringent herausgearbeitet und formuliert worden sind, ganz abgesehen davon, daß in diesem Zusammenhang die teilweise noch nach 1789 erschienenen Werke Kants, in mancherlei Hinsicht für das Allgemeine Staatsrecht von besonderer Bedeutung sind, da sie es insbesondere bezüglich des auf das Allgemeine Staatsrecht anwendbaren, radikal postulierten normativen Anspruches und Verständnisses einerseits gewissermaßen zu seiner höchsten Vollendung geführt, andererseits sozusagen zu Grabe getragen und eine neue Ära des politischen und staatsrechtlich-theoretischen Denkens eingeleitet haben.

1. Kapitel

Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft I. Die historische Situation und Entwicklung Um den Charakter und die Bedeutung des Allgemeinen Staatsrechts zu erfassen, muß man neben der wissenschaftlichen Tradition, aus der heraus es entwickelt wurde, auch die Einwirkungen der historischen Situation und der damit verbundenen neuen Problemstellungen, sowie seine Natur, seine Stellung als Wissenschaft und die es konstituierenden Elemente näher betrachten. 1. Das Hervorgehen aus Politik und Naturrecht Wie schon anhand des einführenden Zitates von Pütter ersichtlich, wurde das Allgemeine Staatsrecht - nicht nur von ihm - als „ Theil der Philosophie und des Naturrechts" angesehen. Dies wird daraus verständlich, daß die philosophische Disziplin, die sich traditionell mit der Theorie vom Staat, seiner Funktion, seinem Aufbau, seiner Idealform etc. beschäftigte, die Politik, eine Sparte der sogenannten praktischen Philosophie war. Auch das Naturrecht insgesamt bildete in seinen Anfängen einen Teil der praktischen Philosophie, bzw. der Politik und wurde lange Zeit an der philosophischen Fakultät gelehrt 1 . Das Naturrecht der Aufklärung hatte zum Inhalt die Lehre von dem Vorhandensein ewiger wahrer, absoluter Gesetze2. Diese Gesetze zu entdecken wurde als Aufgabe der Wissenschaft verstanden. Das Mittel, dessen sich 1

Der erste eigene Lehrstuhl für Natur- und Völkerrecht in Deutschland wurde 1661 an der philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg von Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz eingerichtet. Sein erster Inhaber war Samuel Pufendorf {Denier, Horst, Pufendorf, in: Maier, Hans/Rausch, HeinzIDenzer, Horst (Hrsg.), Klassiker des politischen Denkens Bd. 2, München 1968, S. 34). Für Juristen war übrigens das Belegen einer Vorlesung in Politik an der philosophischen Fakultät Pflicht. Zur weiteren Entwicklung vgl. auch Hammerstein, Notker, Die Naturrechtslehre an den deutschen, insbesondere den preußischen Universitäten, in: Birtsch, Günter/Willoweit, Dietmar (Hrsg.), Reformabsolutismus und ständische Gesellschaft, Zweihundert Jahre Preußisches Allgemeines Landrecht, Beiheft 3 der Zeitschrift „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, N. F., Berlin 1998, S. 1-19 (S. 8). 2 Schelp

18

1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

die Wissenschaft zu diesem Zweck bedienen mußte, war die Vernunft. Insofern war das Naturrecht ein Produkt der Philosophie der Aufklärung, jener Philosophie vor allem des 17. und 18. Jahrhunderts, die glaubte, das Wesen und die Erscheinungen der Welt seien ein logisches System und könnten mit den Mitteln der Vernunft erschlossen werden. Dies führte zu einer Wissenschafts- und Fortschrittsgläubigkeit von bis dahin ungekanntem Ausmaß und begünstigte vor allem die Naturwissenschaften, deren Erfolge wiederum die Richtigkeit der aufklärerischen Thesen zu bestätigen schienen. Genauso, wie die Naturwissenschaften die Gesetzmäßigkeiten des Verlaufs der Gestirne, die physikalischen Gesetze, das Funktionieren des menschlichen Körpers mehr und mehr enthüllten, glaubten die Vertreter des Naturrechts, die natürlichen Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Zusammenlebens durch Logik entdecken und zu einem allgemeingültigen System zusammenfassen zu können 3 . Dabei ist es wohl kein Zufall, daß ein großer Teil der Philosophen der Aufklärung Juristen waren oder zumindest über profunde juristische Kenntnisse verfügten 4 , was Auswirkungen nicht nur auf die Erkenntnismethoden, sondern auch auf die Verbindlichkeit der mittels dieser Methoden gewonnenen Erkenntnisse haben mußte 5 . 2 Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. l l l f . , Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, S. 276. 3 Exemplarisch drückt dies der schottische Philosoph Hutcheson aus, wenn er „a more strict philosophical enquiry into the various natural principles or natural dispositions of mankind, in the same way that we enquire into the structure of an animal body, of a plant or of the solar system " machen will (Hutcheson , Francis, System of Moral Philosophy, London 1755, S. XIII ff). Der Einfluß der Naturwissenschaften wird dabei besonders deutlich in vielen Äußerungen, in denen der Staat mit einer gut funktionierenden Maschine oder mit einem Körper und seinen Gliedern verglichen wird. (vgl. z.B. Hobbes, Thomas, De corpore politico, or the Elements of Law, Moral and Politick, London 1652). Vgl. auch Boorstin D. J., The Mysterious Science of the Law, Gloucester, Mass. 1973, S. 35, Stoliberg-Rilinger, Barbara, Der Staat als Maschine, Zur politischen Metaphorik des absoluten Fürstenstaats, Berlin 1986, Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, S. 272 f., Link, Christoph, Zwischen Absolutismus und Revolution. Aufgeklärtes Denken über Recht und Staat in der Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Neuhaus, Helmut (Hrsg.), Aufbruch aus dem Ancien régime, Wien 1993, S. 185 ff., Rod, Wolfgang, Geometrischer Geist und Naturrecht. Methodengeschichtliche Untersuchungen zur Staatsphilosophie im 17. und 18. Jahrhundert, München 1970. Vgl. auch noch Struve, Gustav v., Grundzüge der Staatswissenschaft, 4 Bde., Bd. 1, Von dem Wesen des Staates oder allgemeines Staatsrecht, Mannheim 1847, Vorrede S. IV: „Gerade so wie alle Menschen ein Gehirn, ein Herz, Lungen, Leber, Magen und andere Organe haben ...so haben auch die verschiedenen Staaten gewisse Organismen und gewisse äußere Erscheinungen gemeinsam 4 Brandt, Reinhard in: Brandt, Reinhard (Hrsg.), Rechtsphilosophie der Aufklärung, Symposium Wolfenbüttel 1981, Berlin 1982, S. 2, nennt unter anderem Descartes, Leibniz, Thomasius, Montesquieu, Hume, Bacon als voll ausgebildete Juristen, Hobbes, Spinoza, Locke, Wolff, Rousseau und Diderot als profunde Kenner des Rechts.

I. Die historische Situation und Entwicklung

19

Abzugrenzen ist das Naturrecht der Aufklärung von der früheren, insbesondere der katholischen Naturrechtslehre, wie sie von Augustinus in „De civitate dei" niedergelegt und später unter dem Einfluß der Scholastik systematisiert wurde. Deren „jus naturale" gehörte systematisch zur Moraltheologie 6 . Dazu kamen utopische Schilderungen, die anknüpften an Piatons „Staat" oder Aristoteles' „Politik" und „Ethik". Dennoch hängt die Verwissenschaftlichung des Staatsrechts auch damit zusammen - und wird dadurch erst ermöglicht, daß seit der Scholastik die Logik wieder mehr und mehr als Erkenntnismethode anerkannt wird 7 , was sich ursprünglich nur bezüglich der Theologie, beispielsweise im Versuch der Theodizee, manifestiert, nach und nach aber die ganze erfahrbare Welt durchdringt. Vor dem Hintergrund der i m Anschluß an die Reformation geführten Religionskonflikte hatte das auf der Vernunft beruhende und von der Wissenschaft mit Hilfe wissenschaftlicher Methode herausgearbeitete Naturrecht der Aufklärung auch den Vorteil, daß es eben nicht als geoffenbartes Recht galt und es deshalb über Religions- und Glaubensgrenzen hinweg Gültigkeit beanspruchen 8 und über seine Inhalte diskutiert werden konnte 9 . 5

Deutlich erkennbar und erstmals ausdrücklich bei Locke, später insbesondere bei Kant (Brandt, Rechtsphilosophie der Aufklärung, S. 7 u. 8). 6 Link, Christoph, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, S. 206f. m.w.N., ders.: Aufgeklärtes Naturrecht und Gesetzgebung - vom Systemgedanken zur Kodifikation, in: Birtsch, Günter/Willoweit, Dietmar (Hrsg.), Reformabsolutismus und ständische Gesellschaft, Zweihundert Jahre Preußisches Allgemeines Landrecht, Beiheft 3 der Zeitschrift „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, N. F., Berlin 1998, S. 2 1 ^ 6 (S. 22 f.). Vgl. auch Lieberwirth, Rolf, Die Gründung der Universität Halle aus dem Geist des Naturrechts, in: Berg, Gunnar/ Hartwich, Hans Herrmann, Martin-Luther-Universität - Von der Gründung bis zur Neugestaltung nach zwei Diktaturen, Opladen 1994, S. 9 ff. (S. 16). 7 Krause, Peter, Die Entwicklung der Juristenfakultät, S. 99. 8 Link, Christoph, Aufgeklärtes Naturrecht und Gesetzgebung, S. 23, Welzel, Naturrecht und Materiale Gerechtigkeit, S. 108 f. Als zeitgenössisches Beispiel hierfür vgl. etwa den „Fürstlich Sächsisch Eisenach- und Gothaischen Geheimen Rath und Steuer und Landschafts- Direktor des Fürstenthums Altenburg" sowie Kanzler der Universität Halle, Veit Ludwig v. Seckendorff, der in seinen „Teutschen Reden" (Leipzig 1686), sagt: „... daß also mit einem Wort ein solch allgemein natürlich oder vielmehr Göttlich und allen Völckern bekandtes Recht sey, welches alle und iede in ihrem natürlichen Stande, wann sie gleich das geoffenbahrte Wort Gottes nicht hören oder glauben ... verbindet" (S. 439). 9 So soll sich, um die Naturechtslehre von der theologischen Dogmatik zu lösen und auf eine breitere, allgemeine Basis zu stellen, das Naturrecht der Aufklärung auf den allen Menschen gemeinsamen Gebrauch der Vernunft gestützt haben (Dann, in: Dann, Otto/Klippel, Diethelm (Hrsg.), Naturrecht - Spätaufklärung - Revolution, Hamburg 1995, Einleitung, S. 1). Tatsächlich war der Gebrauch der Vernunft zur Schaffung einer Rechts- und Gesellschaftsordnung schon von der scholastischen Tradition vorgegeben, da sie dem Menschen - unabhängig von seinem Glauben ein gemeinsames „lumen naturale", eine gemeinsame Vernunftbegabung zuerkennt. Aus dieser Vernunftbegabung folgt überhaupt erst die Möglichkeit eines menschli2*

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1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

Der Zweig des Naturrechts der Aufklärung, der sich in diesem Zusammenhang mit der Natur und dem Wesen der Staaten, oder, nach heutigem Sprachgebrauch, mit dem öffentlich-rechtlichen Teil dieser Gesetzmäßigkeiten befaßte, wurde zur Wissenschaft des Allgemeinen Staatsrechts 10. Das Allgemeine Staatsrecht „distinguirt sich" also vom Naturrecht „wie ein Theil von dem ganzen, und hält nur die dem Stande der bürgerlichen Gesellschaft eigne Pflichten und Rechte in sich, wird auch nur methodi causa, und der bequemern Lehrart wegen in einer besondern Disciplin abgehandelt" n, besteht aber andererseits durchaus auch auf seiner Eigenständigkeit, die sich aus dem Spezialitätsverhältnis zum Naturrecht herleitet, denn: „Mittelst bloßer Anwendung des natürlichen und gesellschaftlichen Rechts auf den Begriff des Staats läßt sich vieles von den Rechten und Verbindlichkeiten, die der höchsten Gewalt im Staate selber zukommen, in allgemeinen Grundsätzen bestimmen, woraus eine besondere Wissenschaft des allgemeinen Staatsrechts entstehet"12 und bereits von dem Benediktinermönch, Rechtsgelehrten und Rektor der Universität Salzburg, Franz Schmier, in seiner „Jurisprudentia Publica Universalis" aus dem Jahre 1722 gegen den Vorwurf, lediglich ein integrierter Teil des allgemeinen Natur- und Völkerrechts zu sein, damit verteidigt wird, daß die besondere Wichtigkeit und „ Würde" des Stoffes und die Möglichkeit einer tiefergehenden und sorgfältigeren Betrachtung der allgemeinen Grundsätze gerade des universellen Rechts der „öffentlichen Handlungen" f eine Trennung von den übrigen (Universal-) Rechtsgebieten rechtfertige 13 . Das Selbstverständnis dieser Wissenschaft als einer modernen, der chen Zusammenlebens und der Schaffung einer allgemeinverbindlichen, vernünftigen Rechtsordnung. 10 Daher auch die vereinzelt benutzte Bezeichnung „ius naturae publicum" (vgl. Böhmer, Justus Henning, Introducilo in lus Publicum Universale ex genuinis iuris naturae principiis deductum et in usum iuris publici particularis quarumcunque rerumpublicarum adornatum, Halle 1710, S. 86), bzw. etwa der synonyme Gebrauch der Begriffe „ius publicum universale" und „ius publicum naturale" bei Kahrel (.Kahrel, Hermann Friedrich, Jus Publicum Universale, primis lineis et ita descriptum, ut usus ejus simul in jure publico, quod apud diversos Europae populos, praesertim in Germania, viget, appareat., Gießen 1765, S. 138). 11 Kreittmayr, Wiguläus Xaverius Aloysius v., Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechts, München 1770, S. 2. 12 Pütter, Johann Stephan, Neuer Versuch einer Juristischen Encyclopädie und Methodologie, Göttingen 1767, S. 10. 13 „Sive tarnen specialis appelletur facultas aut nova Jurisprudentia, sive non parvi refert: quandoquidem ipsa objecti nobilitas et dignitas ex mento postulat , ut , cum Jura seu Naturae seu Gentium circa privatas hominum actiones tarn anxie, tamque gnaviter eviscerentur, etiam, quae circa actiones publicas ab alteriori et Universali Jure decreta sunt, accurata et exacta disquisitione illustrentur" (Schmier, Franz, Jurisprudentia Publica Universalis, Salzburg 1722, S. 3).

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Zeit und dem Gedankengut der Aufklärung gemäßen, illustriert etwa die Einschätzung, daß „man in den Stand gesetzt [wurde], die Theorie eines allgemeinen Staatsrechts aufzustellen „seitdem man das Recht der Natur von dem bisherigen scholastischen Wust und gelehrten Pomp befreite und es auf gesunde Philosophie baute" 14. Die Hauptthemen, die diese Wissenschaft behandelte, waren die Theorie von der Entstehung der Staaten, die aus Überlegungen zu der Natur des Menschen im allgemeinen und 1 5 zum Zweck des Staates überhaupt hervorgingen, sowie die abstrakte Beschreibung der möglichen Staats- und Regierungsformen und die Formulierung der jeweiligen Rechte und Pflichten von Staatsgewalt und Bürger. Je nachdem, wie detailliert dies Letztere erörtert wurde, entstand ein mehr oder weniger vollständiges System einer vorbildlichen und vor allem auch verbindlichen Staatsordnung. Etwa ab Mitte des 17. Jahrhunderts setzte sich die Erkenntnis durch, daß das Allgemeine Staatsrecht durch die auf den Staat bezogenen naturrechtlichen Erkenntnisse und die auf ihnen beruhenden Grundsätze nicht nur philosophische Maximen, sondern allgemeingültige Rechtsprinzipien und Rechtssätze entwickelte und daher an die juristische Fakultät gehöre 16 . Dementsprechend kamen auch viele Autoren des Allgemeinen Staatsrechts zunächst aus dem Bereich der Politik, bevor sie begannen, sich der neuen Wissenschaft zu widmen und ihr Eigenständigkeit zu verleihen 17 . Huber etwa war zunächst Professor für Politik, Geschichte und Rhetorik 18 , bevor

14 Günther, Christian August, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, in: Leipziger Magazin für Rechtsgelehrte, 1784, S. 97-119 und 193-207 (200). 15 Dies ist die Stelle, wo der Ursprung des Allgemeinen Staatsrechts im Naturrecht besonders deutlich wird, da hier ein direkter Bezug zu den Lehren des Naturrechts im allgemeinen hergestellt wird und nicht nur die Methode und die Fragestellung des Naturrechts auf den Staat angewendet werden. 16 Ursprünglich scheint sogar Streit darüber bestanden zu haben, ob das jus publicum insgesamt überhaupt an die juristische und nicht an die philosophische Fakultät gehöre, vgl. etwa Spener, Jacob Karl, Des Heiligen Römischen Teutschen Reichs vollständiger Staats=Rechts=Lehre Erster Theil, in sich haltend Des Teutschen Iuris Publici Erstes Buch, Frankfurt 1723, S. 8f.: „Ob das lus Publicum auf Universitäten von den Philosophus in die Politic oder Historie, oder vielmehr von den RechtsGelahrten in die Rechts-Lehre zu ziehen seye? Mir bedünckt, die ersten haben dergleichen zu fordern so wenig Fug gehabt, als sie etwa die Medicin in ihre Facultät ziehen könten. Das lus Publicum bleibt ein Recht, ein ansehnlich Theil der übrigen Iurisprudenz, und seine Gründe und Prìncipien sind Gesetze ...". 17 Zu dieser ganzen Entwicklung bis in 18. Jahrhundert allgemein vgl. Lieberwirth, Der Staat als Gegenstand des Hochschulunterrichts in Deutschland, S. 8 f., 25 f., wonach es im übrigen Christian Thomasius gewesen sein soll, der das „juristische" Naturrecht lehrmäßig vom „philosophischen" und „theologischen" getrennt hat (S. 26). 18 Kossmann, Some late 17th-century Dutch writings on Raison d'Etat, S. 498.

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er 1670 an die juristische Fakultät überwechselte und die Erlaubnis erhielt, dort sein Jus Publicum Universale zu lesen 19 . Formal manifestiert sich diese Entwicklung darin, daß das Allgemeine Staatsrecht als eigenständiges juristisches Fach anerkannt wurde und die obligatorische Politikvorlesung im juristischen curriculum ablöste 20 . Bei der Betrachtung dieser Entwicklung muß man jedoch beachten, daß sie nicht überall gleichzeitig vonstatten ging und sich über einen gewissen Zeitraum erstreckte, wobei allerdings die norddeutschen, überwiegend protestantischen Universitäten in der Regel eine gewisse Vorreiterrolle spielten 21 . So wurde das Allgemeine Staatsrecht zum Beispiel an der Universität Halle bereits mindestens seit dem Jahre 1708 von Christian Thomasius 22 , seit 1710 auch von Justus Henning Böhmer gelesen 23 , ein eigener Lehrstuhl für Allgemeines Staatsrecht aber auch an der (katholischen) Universität Salzburg schon um 1717 eingerichtet 24 , und zwar auf Betreiben des Rektors Franz Schmier, der selbst ein profilierter Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts war 2 5 . Ebenso wurde weiterhin an der Universität Göttingen ein solcher Lehrstuhl des Allgemeinen Staatsrechts gleich bei deren Gründung im Jahre 1734 geschaffen 26 , während etwa an der Universität Wien die erste Lehrkanzel für Naturrecht allein erst im Jahre 1754 dort errichtet, dann 19

So daß es ihm ein besonderes Bedürfnis gewesen sein mag, das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft von der - ungeliebten - Politik abzugrenzen (vgl. Kossmann, Some late 17th-century Dutch writings on Raison d'Etat, S. 501 f.). 20 Lieberwirth, Der Staat als Gegenstand des Hochschulunterrichts in Deutschland, S. 26. Beispielsweise wurde im Jahre 1746 in Ingolstadt ein Lehrstuhl für „Jus publicum naturae et Jus oeconomico-camerale" an der juristischen Fakultät eingerichtet (Hammerstein, Die Naturrechtslehre an den deutschen, insbesondere den preußischen Universitäten, S. 17). 21 Landsberg, Ernst, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, Dritte Abtheilung, Fortsetzung zu der Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, erste und zweite Abtheilung, von R. Stintzing, München 1898, S. 36f. 22 Aus diesem Jahr stammt die erste von ihm herausgegebene und kommentierte Ausgabe von Ulric Hubers „De Jure Civitatis", die schon nach dem Subtitel zum Gebrauch in seinen Vorlesungen des Allgemeinen Staatsrechts vorgesehen war (s. infra, 3. Kap. Fußn. 6f.). 23 Böhmer lehrte schon seit 1707 in Halle, wurde jedoch erst 1710, übrigens dem Erscheinungsjahr seiner „Introducilo in lus Publicum Universale", zum Ordinarius berufen (s. infra), vgl. dazu auch Förster, Johann Christian, Übersicht der Geschichte der Universität Halle in ihrem ersten Jahrhunderte, Halle 1794, S. 49, Lieberwirth, Die Gründung der Universität Halle aus dem Geist des Naturrechts, S. 12 f. und Hüls, Thorsten, Die Juristenausbildung an der Universität Halle: von den Anfängen bis zur Neugründung der Juristischen Fakultät im Jahre 1993, Göttingen 1997. 24 Kuriki, Die Rolle des Allgemeinen Staatsrechts in Deutschland, S. 558, m.w.N. 25 Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, S. 37, vgl. auch oben und infra.

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allerdings aber auch sogleich dem Verfasser eines umfassenden Lehrbuchs des Allgemeinen Staatsrechts, nämlich Karl Anton v. Martini, übertragen wurde 2 7 . Im übrigen darf auch nicht übersehen werden, daß eine wirklich klare Trennung von juristischen und philosophischen Überlegungen und Argumenten oft nicht vollständig gelang. Dem entspricht auch die Ambivalenz, mit der das Allgemeine Staatsrecht häufig als der „philosophische Teil" des Staatsrechts einerseits 28 , oder eben, wie gesehen, als ein „ Theil der Philosophie und des Naturrechts" 29 andererseits, bezeichnet wird 3 0 . Insofern war das Allgemeine Staatsrecht, überspitzt formuliert, gewissermaßen eine Wissenschaft, die gleichzeitig juristischen Versuchen von Philosophen und philosophischen Versuchen von Juristen zu Problemen des Staates, seinem Wesen und seiner Verfassung, ein Forum bot. So ist es auch zu verstehen, wenn von Titel und Inhalt her eigentlich mit dem Allgemeinen Staatsrecht in Verbindung zu bringende Werke als Teil größerer philosophischer Abhandlungen erschienen sind, wie zum Beispiel Christian Wolffs achter Band seines „Jus Naturae methodo scientificia pertractatum" 31 mit „Jus Publicum Universale" 32 überschrieben ist, oder wenn etwa der erste Inhaber eines Lehrstuhles für Naturrecht in Deutschland überhaupt, der Heidelberger Professor Samuel Pufendorf 33 , vor dem Hintergrund, daß dieser im Jahre 1661 geschaffene Lehrstuhl an der philosophischen, statt an der von Pufendorf selbst bevorzugten juristischen Fakultät eingerichtet worden 26 Kuriki, Die Rolle des Allgemeinen Staatsrechts in Deutschland, S. 558, m. w. N. 27 Conrad, Hermann (Hrsg.), Recht und Verfassung des Reiches in der Zeit Maria Theresias, Köln 1964, S. 2. Zu Martini vgl. infra. 28 Z.B. Scheidemantel, Heinrich Gottfried, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, Jena 1775, S. 4. 29 Pütter, Anleitung zum Teutschen Staatsrechte, s. Einführung Fußn. 1. 30 Dabei ist es auch durchaus anzunehmen, daß die Bezeichnung des Allgemeinen Staatsrechts als „philosophisches Staatsrecht" teilweise abwertend und als Gegenbegriff zum „wahren" positiven und historischen Staatsrecht gemeint gewesen ist. 31 Frankfurt und Halle 1740-48. 32 Der vollständige Titel lautet: „De imperio publico seu iure civitatis, in quo omne ius publicum universale demonstratur, et verioris politicae inconcussa fundamenta ponuntur". Wolff kann allerdings nicht zu den Vertretern des Allgemeinen Staatsrechts im engeren, hier zugrundegelegten Sinne gezählt werden, weil er, wie sich bereits aus dem zitierten Titel ergibt, keine klare Trennung zwischen Allgemeinem Staatsrecht und Politik vornimmt (Vgl. insoweit auch Wolff, Christian, Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen zu Beförderung der Glückseeligkeit des menschlichen Geschlechtes („Deutsche Politik"), Frankfurt 1721). 33 Denzer, Horst, Pufendorf, in: Maier /Rauschi Denzer, Klassiker des politischen Denkens Bd. 2, S. 34.

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war 3 4 , mit seinen Kollegen an der Universität Heidelberg in Streit darüber gerät, daß er sich als Professor für das philosophische Fach Natur- und Völkerrecht mit dem Staatsrecht befaßt 35 . Wenn aber gegen Ende des 18. Jahrhunderts für das Verhältnis des Allgemeinen Staatsrechts zu Philosophie und anderen verwandten Wissenschaften gesagt wird: „Den neueren Zeiten gereicht es demnach offenbar zur Ehre, daß man hierinne, mit Hülfe einer gesunden Philosophie, und durch zwekmäßigere Benuzung der Geschichte und Staatskunde, weiter gekommen ist, und sich nicht nur von der Realität eines allgemeinen Staatsrechts überzeugt, sondern sich auch richtigere Begriffe davon gemacht, die einzelnen Lehren desselben besser bearbeitet, und es überhaupt in die Form einer Wissenschaft gebracht hat" 36 , so bedeutet dies doch, daß sich letztendlich die - wenn auch nicht unumstrittene - Überzeugung hat herausbilden können, daß das Allgemeine Staatsrecht als moderne, eigenständige Wissenschaft des Rechts anzuerkennen sei, die zwar besonders der Philosophie, aber auch anderen Disziplinen nahesteht und sich ihrer gleichermaßen zur Gewinnung von Erkenntnissen bedient. Somit ist das Verhältnis des Allgemeinen Staatsrechts zu Philosophie und Politik im Zusammenhang mit einem längeren Prozeß zu sehen, im Verlaufe dessen es, aus der Philosophie und dem Naturrecht sich entwickelnd, zu einer Eigenständigkeit auch im formalen Sinne gelangte und sich von der Philosophie loslöste.

2. Die Abgrenzung von der Politik a) Inhaltliche Eigenständigkeit Zur Etablierung des Allgemeinen Staatsrechts als eigenständige Wissenschaft und der Untermauerung dieses Anspruches bedurfte es aber nicht nur formal, sondern vor allem auch inhaltlich einer klaren Abgrenzung von der Politik. Dies insbesondere deshalb, weil über Jahrhunderte, seit Plato und Aristoteles, die Fragen der Staatsform und der Staatsverfassung in ihrem Rahmen abgehandelt worden waren. Das Allgemeine Staatsrecht befaßte 34 Luig, Karl, in: Stolleis, Michael (Hrsg.), Juristen - Ein biographisches Lexikon; Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 506. 35 Denzer, Horst, Pufendorf, in: Maier/Rausch!Denzer, Klassiker des politischen Denkens Bd. 2, S. 34, unter Verweis auf Pufendorf, Samuel, Eris Scandica, Frankfurt 1744, S. 63. In Kiel, der ersten deutschen Universität, die nach Heidelberg (im Jahre 1665) das Naturrecht aufnahm, wurde dieses dagegen sogleich an der juristischen Fakultät gelehrt (Vgl. Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, S. 35). 36 Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 101.

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sich mit diesem Themenkatalog jedoch gerade in seiner rechtlichen Dimension 3 7 . Virulent wurde die Frage des Rechts im Staat in der Neuzeit - unter anderem - erst deshalb, weil Machiavelli in seinem „Principe" die Regierenden von jeglicher moralischen und rechtlichen Bindung freigesprochen hatte 38 und sie nur den Kriterien der Nützlichkeit unterwerfen wollte, was zum Widerspruch Anlaß gab. So entstand das Allgemeine Staatsrecht auch unter diesem Aspekt gerade in der Abgrenzung von der Politik, indem es der von dieser propagierten Staatsraison ein normativ zu verstehendes, staatsrechtliches Regelwerk entgegenstellte. Es ist in diesem Zusammenhang auch davon gesprochen worden, daß die Juristen in ihrem institutionellen Denken der Staatsraison eine Wendung ins Objektivierbare gegeben hätten 39 . Andererseits begann man gleichzeitig, das Recht als ein Instrument zu begreifen, mit dem man politische Zwecke durchsetzen und politische Streitigkeiten auf anderer Ebene führen oder fortsetzen konnte. Überhaupt hatte nämlich das Recht seit dem Mittelalter - einhergehend mit der fortschreitenden Verrechtlichung des politischen Lebens - eine immer größere Bedeutung für die Regelung politischer Auseinandersetzungen erlangt 40 . Hinzu kam das Bedürfnis, von der Zuversicht der Aufklärung in die Möglichkeit rationaler und systematischer Erfassung der Wirklichkeit getragen, das Phänomen des sich herausbildenden Territorialstaats wissenschaftlich zu erfassen 41. Denn sieht man das Allgemeine Staatsrecht in seinem historisch-politischen Kontext, so erkennt man, daß die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Problemen vom Wesen von Staat und Herrschaft etwa gleichzeitig mit dem Entstehen von neuen Herrschaftsformen, nämlich dem Prinzip der neuzeitlichen absolutistischen Herrschaft über einen Flächenstaat im Unterschied zum Prinzip der mittelalterlichen, personal bezogenen Lehensherrschaft und den Bedürfnissen dieser Herrschaftsformen nach theoretischer Fundierung und Erklärung 42 , nämlich 37 Daraus läßt sich erkennen, daß das entscheidende Abgrenzungskriterium inhaltlich die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Recht ist, was über die Verrechtlichung des wissenschaftlich Erarbeiteten dann zu der formalen und qualitativen Abgrenzung der beiden Fächer als Philosophie einerseits und Recht andererseits führt. 38 Die Autoren des Allgemeinen Staatsrechts setzen sich daher auch zumeist ausdrücklich mit Machiavelli auseinander. 39 Schnur, Roman, Staatsraison, Berlin 1975, S. 16. 40 Vgl. dazu (unter besonderer Würdigung auch der Rolle des Reichskammergerichts für diesen Prozeß) etwa Weitzel, Jürgen, Das Reichskammergericht und die allgemeine Friedensordnung, in: Scheurmann, Ingrid (Hrsg.), Frieden durch Recht, Mainz 1994, S. 40-48. 41 Als zeitgenössisches Beispiel vgl. etwa Horn, Johann Friedrich, Politicorum Pars Architectonica de Civitate, Utrecht 1664, S. 31: „Misere recturus est civitatem, qui ignorât, quid sit civitas 42 Vgl. etwa Wyduckel, Dieter, lus Publicum, Grundlagen und Entwicklung des Öffentlichen Rechts und der deutschen Staatsrechtswissenschaft, Berlin 1985, S. 191.

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„allgemeinere Rechtswahrheiten im deutschen Rechte aufzustellen und historische Erscheinungen mit dem allgemeinen Staatsrechte in Harmonie zu bringen" 43, später freilich auch dem Bedürfnis nach Kontrolle und Begrenzung der Reichweite der Herrschaft, einsetzt 44 . So hat dies beispielsweise Bodin in seinen „Six livres de la République" von 1583 45 als einer der Ersten grundlegend thematisiert und die neue Lehre von der Souveränität als Merkmal des Staates entwickelt 46 . Das Allgemeine Staatsrecht ist demnach einerseits eine Art heuristisches System, das eine Erklärung für das Faktum, daß beispielsweise etwas wie Herrschaft im Staat existiert, ein Faktum, das eben nach einer Erklärung verlangt, liefern soll. Andererseits gibt es im Staat des 17. und 18. Jahrhunderts keine Verfassung im heutigen Sinne, nur wenig oder gar kein positives Staatsrecht, vielmehr ist das Phänomen des Staates selbst weder praktisch gesichert noch theoretisch fundiert. Hier formt und definiert das Allgemeine Staatsrecht den Staat und die Vorstellung vom Staat gleichzeitig mit seiner Beschreibung und Erklärung und gibt ihm zugleich auch eine rechtliche Struktur mit einer Ein- und Verteilung von Rechten, Pflichten und Aufgaben 47 . Das Allgemeine Staatsrecht beinhaltet demnach sowohl ein systematisierendes als auch ein normatives Element. Inhaltlich bedeutet dies, daß das Allgemeine Staatsrecht zum einen theoretisch-abstrakt die Entstehungsgeschichte des Staates überhaupt bis in seine frühesten Anfänge verfolgt und 43

Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, mit beständiger Rücksicht auf das deutsche Herkommen, Erster Band, Halle 1797, S. 130. 44 Vgl dazu u.a. ebenfalls Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 63: „Seit Maximilian I und noch mehr seit Karl V lernten die Reichsstände und Landesherrn eine ganz anders eingerichtete Regierungsweise und ganz andere Begriffe von Hoheit und Regierung überhaupt und von einzelnen Rechten kennen" oder „Die ersten zusammenhängenden wissenschaftlichen Behandlungen des Staatsrechts erschienen zu einer Zeit, wo der Despotismus in den europäischen Regierungen im allgemeinen so ziemlich die höchste Stufe erreicht hatte, auf die er je gestiegen ist". Mit letzterem zitiert er Gottlieb Hufeland, Einleitung zu Mouniers Betrachtungen über die Staatsverfassungen, a.d. französ. übersetzt, Jena 1791, S. 17, wörtlich und nennt ihn dabei einen „scharfsinnigen Schriftsteller 45 Bodin , Jean, Les six livres de la Republique, Paris 1583. 46 Vgl. etwa Zippelius , Reinhold, Geschichte der Staatsideen, 6. Aufl. München 1989, S. 97, Denzer, Horst, Bodin, in: Maier / Rauschi Denzer, Klassiker des politischen Denkens, 3. Aufl., München 1969, Bd. 1, S. 321 ff. (S. 321). 47 Dilcher, Gerhard, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, in: Der Staat 27, Berlin 1988, S. 161-193 (191), spricht von der „Entwicklung des Staates aus dem Rechtsbegriff'. Vgl. auch Oestreich, Gerhard, Die Idee des religiösen Bundes und die Lehre vom Staats vertrag, in: Berges, Wilhelm IHinrichs, Carl (Hrsg.), Zur Geschichte und Problematik der Demokratie, Festgabe für Hans Herzfeld, Berlin 1958, S. 11-32 (S. 13 f.).

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versucht, ein logisches System zu schaffen, das in sich stimmig die Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens darstellt, das gleichzeitig aber konkret auf historische Beispiele und vor allem auf die aktuelle Situation des zeitgenössischen Staates anwendbar ist und darüber hinaus die Möglichkeit praktisch-konkreter Verbesserungen dieser aktuellen Situation nicht nur aufzeigt und empfiehlt, sondern als nach dem logischen System schlechterdings notwendig darstellt 48 . Hier ist dann auch die Nahtstelle zwischen Philosophie und Rechtswissenschaft bzw. Recht. Das allgemeine System zur Erklärung der Erscheinungsformen und des Wesens des Staates führt zu der Darstellung nicht allein des Staates wie er ist, wie er sein soll, sondern darüber hinaus wie er sein muß, das heißt es beansprucht normativen Charakter und wird, in Ermangelung positiven Staats- und Verfassungsrechts, zur Rechtsquelle 49 , mitunter gar zu einer Art ungeschriebenen Verfassungsrechts des absolutistischen Staates. Diese Entwicklung gipfelt dann logisch in Kants Entwurf für ein durch den kategorischen Imperativ gestaltetes Staatsrecht, der zwar aus der Philosophie kommt, aber rein normativen Charakter hat 5 0 .

b) Vom Staat zum Staatsrecht Parallel einher damit gehen auch die sprachliche Erfassung des Wortes „Staat" und die Reflexion darüber. Kamen dafür im wesentlichen zunächst vier Etymologien in Frage, nämlich „Stand" im Sinne von „Bestand haben" (consistere), „statten" im Sinne von „erstellen" (Staat als „res constituta"), „status" im Sinne von „Zustand" (conditio) und „Stadt" im Sinne von Stadtstaat oder Gemeinwesen (civitas) 51 , so verengte sich der Begriff unter den Einflüssen der naturrechtlichen Forschung und ihrer Staatsvertragslehre, also Bereichen, die dem Allgemeinen Staatsrecht zugehören, im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts zusehends auf die Souveränitätsmerkmale und den Wortinhalt der unter einer Regierung stehenden Gesellschaft, synonym mit 48 Vgl. bezüglich der Systematisierung etwa Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 12: „Viele Umstände ... mußten noch vorausgehen, ehe das Studium der Rechte, das sich blos auf gelehrtseynsollende Auslegung der Gesetze selbst beschränkte, auch auf eigentliche wissenschaftliche, aus den Gesetzen abgeleitete, Systeme begründet werden konnte 49 Unter Umständen auch zur Fortentwicklung des bestehenden Staatsrechts, vgl. Dilcher, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, S. 188. 50 Vgl. z.B. Kant, Immanuel, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, Königsberg 1793, in: Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften (Akademieausgabe), Bd. 8, Berlin 1923, S. 275 ff. (290). 51 Weinacht, Paul Ludwig, Staat, Studien zur Bedeutungsgeschichte des Wortes von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert, Berlin 1968, S. 229 f.

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„civitas" und „res publica" 5 2 . Ebenso setzt sich beispielsweise der Jurist Gottfried Daniel Hoffmann in seiner 1767 erschienenen Schrift „Begriff des Wortes Staat" 53 als erster mit der Etymologie und Bedeutung des Wortes überhaupt bewußt und wissenschaftlich auseinander, insbesondere auch mit dem Wechsel von „Jus publicum" zu „Staatsrecht" 54 . Danach sei das deutsche Wort „Staatsrecht", das erstmals als Wiedergabe des französischen „droit publique" in einem Werk aus dem Jahre 1687 55 erschienen ist 5 6 , dem lateinischen Begriff vorzuziehen, weil jener auf den republikanischen Ursprung („populi majestas") hinweise. Dies sei der Situation im absolutistischen Fürstenstaat aber nicht angemessen57, was den erwähnten Zusammenhang zwischen Entstehung des Allgemeinen Staatsrechts und Herausbildung des absolutistischen Fürstenstaates anschaulich belegt. Außerdem könne durch die Eindeutschung das Staatsrecht deutlicher von der Staatsklugheit abgegrenzt werden 58 , eine Erwägung, die zeigt, daß die inhaltliche Trennung ganz bewußt auch sprachlich-formal vollzogen und mit Hilfe der Begrifflichkeiten ausgedrückt werden sollte. Für die Unterscheidung von Staatsrecht und Staatsklugheit gibt Hoffmann auch zu bedenken, daß ersteres einen schon bestehenden Staat benötige, da ein Staat ohne das zugehörige Recht nicht vorstellbar sei, während letztere einer civitas iam constituta nicht bedürfe 59 . Man kann also davon ausgehen, daß Hoffmanns Zeitgenossen des Vorgangs der Etablierung des Staatswesens und seiner Problemstellung für Praxis und Wissenschaft, insbesondere die Rechtswissenschaft, durchaus gewärtig waren. c) Recht für den Staat Daß hierfür praktisch-politisch ein konkreter Bedarf bestand, läßt sich einerseits schon allein daran erkennen, daß die Ursprünge des Allgemeinen Staatsrechts in den Niederlanden zu suchen sind. Gerade für das sich neu konstituierende niederländische Staatsgebilde muß ein erhöhter Erklärungsbedarf bestanden haben, insbesondere angesichts der komplexen Rechtsbeziehungen zwischen den und innerhalb der Generalstaaten sowie der offenen 52

Weinacht,, Staat, S. 238. Hoffmann , Gottfried Daniel, Begriff des Wortes Staat, Tübingen 1767, siehe Weinacht, Staat, S. 225, 228. 54 Das Buch ist die umfangreichste zeitgenössische Darstellung zu diesem Thema, Weihnacht S. 225. 55 „Die heutige subtile Staats-Architectur", Leipzig 1687, S. 585, zitiert nach: Weinacht, Staat, S. 225. 56 Weinacht, Staat, S. 225. 57 S. 14, zitiert nach: Weinacht, Staat, S. 226. 58 Ebd., zitiert nach: Weinacht, Staat, S. 226. 59 S. 15, zitiert nach: Weinacht, Staat, S. 226. 53

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Fragen im Zusammenhang mit der Souveränität des Staatsgebildes und seiner Teile. Andererseits hatten im Reich selbst beispielsweise die Territorialfürsten ein begründetes Interesse daran, ihre Herrschaft wissenschaftlich - und zwar rechtswissenschaftlich - umschreiben zu lassen 60 und die so gewonnenen Erkenntnisse und die darauf aufgebaute Rechtsstellung in ihrem Kampf um territoriale Souveränität und Unabhängigkeit vom Reich, aber auch innerhalb ihres Herrschaftsbereiches zur Konzentration von Herrschaftsrechten in ihrer Hand einzusetzen. Darüber hinaus waren insgesamt im Zuge der Ausbildung und Etablierung der Territorialstaaten und der damit einhergehenden Modernisierung des Staatswesens erhöhte Anforderungen an die die Herrschaft Ausübenden entstanden, die nach einer Verrechtlichung der Verhältnisse im Inneren dieser neu definierten und konzipierten Staatswesen im Sinne einer Kompetenz- und Pflichtenverteilung verlangten. d) Recht und Staatsraison Diese „Verrechtlichung" der Politik, die inhaltliche Trennung von Politik und Allgemeinem Staatsrecht, vollzog sich jedoch nicht abrupt und offensichtlich, sondern ging zunächst schleichend und gleichsam unbewußt bzw. weitgehend unbemerkt vonstatten. Schon in den frühen Reaktionen auf Machiavelli hatte sich eine Grundtendenz gebildet, daß es nicht angehen könne, das Handeln des Fürsten, von allen anderen Erwägungen unbelastet, rein der Zweckmäßigkeit zu unterwerfen. Dieser Frage widmet sich auch das Allgemeine Staatsrecht und die dabei diskutierte und etablierte Abgrenzung zwischen dem Recht und der Staatsraison oder Nützlichkeit (utilitas) wird in gewissem Sinne konstitutiv für die neue Wissenschaft. Die Frage, die Machiavelli nämlich ursprünglich aufgeworfen hatte, ist die, wie bestimmte politische Zwecke durchgesetzt werden. Es ist dies eine vom Ergebnis her orientierte pragmatisch-technische Frage. Ob eine auf ein bestimmtes Ergebnis gerichtete Politik jedoch legitim ist, läßt sich dem nicht entnehmen. Exemplarisch drückt dies etwa Paul Johann Anselm von Feuerbach aus, wenn er sagt, „Machiavelli " sei „nie unser Gegner, wenn wir gegen den unbedingten Gehorsam und über die rechtlichen Grenzen der höchsten Gewalt sprechen. Er ist Politiker und nicht Rechtslehrer... . Sein Princeps hat keinen Rechtsgegenstand, sondern beantwortet die Frage: wie muß ein Despot verfahren, wenn er consequent seyn will?" 61 . 60 So schon Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 61, wenn er sagt, die Wissenschaft des Allgemeinen Staatsrechts sei, aufgrund ihrer praktischen Bedeutung, „mehr von den Höfen, als vom Katheder" ausgegangen. 61 Feuerbach, Paul Johann Anselm, Anti-Hobbes oder über die Grenzen der höchsten Gewalt und das Zwangsrecht der Bürger gegen den Oberherrn, Gießen 1797, Vorrede S. 17.

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Es handelt sich demnach bei Machiavelli um Staatsraison, nicht um Staatsrecht. Problematisiert werden mußte in diesem Zusammenhang nunmehr, ob aus Zweckmäßigkeit vom Recht bzw. der Moral abgewichen werden kann, und ob bestimmte Zwecke verfolgt werden dürfen, wenn die Mittel zur Zweckerreichung rechtlich fragwürdig sind. Dies aber macht das Allgemeine Staatsrecht zu seinem Gegenstand, während Fragen der Zweckmäßigkeit bzw. der Nützlichkeit traditionell i m Rahmen der Politik abgehandelt wurden. Vor diesem Hintergrund ist es zu sehen, wenn Huber in seiner „Oratio qua disseritur, quamobrem ius publicum olim in academia nostra professione publica non sit honoratum" 62 , einer Rede, die er im Jahre 1682 vor Professoren und Studenten der Universität Franeker hielt, und auch in seinem Werk „De Jure Civitatis libri très" erstmals für sich beansprucht, die Wissenschaft des Allgemeinen Staatsrechts aus der Taufe gehoben zu haben, da er als erster - explizit - die Trennung zwischen ihr und der Politik vollzogen habe. Gerade diese Trennung von der Politik wird also für das Allgemeine Staatsrecht konstitutiv und stellt sich bei Huber als bewußter, gewollter Akt dar. In einem weiteren wichtigen frühen Werk des Allgemeinen Staatsrechts, der „Introducilo in lus Publicum Universale" des Jenaer Professors Justus Henning Böhmer aus dem Jahre 1710, wird in diesem Zusammenhang sogar davon gesprochen, daß die Juristen aus eigener Schuld und Unfähigkeit ursprünglich das Allgemeine Staatsrecht an die Politik „verraten" hätten und jene diesen „gleichsam aufgegebenen Teil des Rechts" besetzt habe 63 . Daß ein Bedarf für eine eigene juristische Wissenschaft wie das Allgemeine Staatsrecht bestehe, schließt Huber aus der gängigen Praxis der zeitgenössischen Staatsverwaltung und -regierung, die er mit deutlichen Worten als schlecht und ungerecht bezeichnet 64 . Gegen diesen Zustand könnten die Lehren der Politik wenig ausrichten, weil sie, wenn sie auch nicht zu offenem Betrug aufforderten, doch oft selbst zumindest „leicht vom Wege der Ehrlichkeit abweichen" 65. Dies aber, überhaupt jede Form der Unbilligkeit, sei dem Allgemeinen Staatsrecht schon seinem 62

Abgedruckt in: Akkelman, F ./Veen, T. J J Westerbrak A. G. (Hrsg.), Zwolle 1976, S. 32-62. Diese Rede wurde auch der 2. Auflage von De Jure Civitatis aus dem Jahre 1684 beigegeben (Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, S. 292). 63 „... lurisconsultorum ineptiam in culpa fuisse , quod diciplinam iuris publici universalis sibi vindicaverint politici. Cum enim iurisconsulti putarent, tantum ad forum suum spectare, quod iuris Romani sunt, adeo, ut etiam ius publicum particular ad politicam quidam traherent, et Iurisconsultis desuper quaestionem moverent, politici hanc iuris partem tanquam derelictam occuparunt ..." (Böhmer, Introducilo in lus Publicum Universale, S. 83). 64 Huber, Ulric, De jure civitatis libri très, novam juris publici universalis disciplinam continentes, 4. Auflage, Frankfurt und Leipzig 1728, S. 4.

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Wesen und Antrieb nach fremd 66 . Denn in seiner Eigenschaft als Rechtswissenschaft lehre es, in seiner Eigenschaft als Recht bestimmt es, was wem, insbesondere dem Herrscher, den Beamten und dem Volk, innerhalb der staatlichen Ordnung jeweils von Rechts wegen zukommt 6 7 . Darauf eingehend beschreibt er in seiner Rede das Allgemeine Staatsrechte als die „prudentia iurisdie Politik als „prudentia facti" 6*. Diese beschäftige sich mit der Fähigkeit des Menschen, etwas zu tun oder zu besitzen, also mit gegenwärtigen, tatsächlichen Dingen, während jene auf zukünftige Abläufe gerichtet sei. Die eine habe die Gerechtigkeit zum Ziel, die andere die Zweckmäßigkeit. Beides sei zwar getrennt zu erkennen und zu erwägen, aber gemeinsam bei der Führung des Staates zu beachten 69 . Dabei macht Huber jedoch sehr deutlich, daß der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Wissenschaften darin liege, daß die Politik nur daran interessiert sei, was dem Staat nützt, das Allgemeine Staatsrecht dagegen darüber wache, „daß im Staat alle darin von den einzelnen Klassen zusammengeführten Mittel richtig verteilt werden und Gerechtigkeit bei der gesamten Verwaltung des Staates obwaltet" 10. Der Unterschied zwischen Politik und Allgemeinem Staatsrecht entspreche also dem zwischen „Klugheit" und „Recht" selbst 71 . Insoweit macht Huber aus den beiden Wissenschaften ein potentiell widerstreitendes Gegensatzpaar und postuliert darüber hinaus auch für die Lösung dieses Konflikts eindeutig den Primat des Rechts, in Form des All65 „In Politica equidem exercenda difficilum est, non quidem fraudes apertas, ... sed Consilia leviter ab honesto devia ... ubique vitare" (Huber, De Jure Civitatis

libri très, S. 4). 66 „Sed Juris Disciplina ab omni iniquitate sua sponte aliena est" (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 4). 67 „Est Ars, quae suum cuique, in ordine civitatis, tribuere docet." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 4). Mit dem Merkmal „in ordine civitatisdas sich auf das „publicum" in ,jus publicum universale" bezieht, nimmt Huber hier auch gleichzeitig den Versuch der - nach heutigem Sprachgebrauch - eigentlichen Abgrenzung des öffentlichen Rechts vom Privatrecht vor, indem das, „ was jedem zustehteben nur „ in Bezug auf den Staat" untersucht werden solle (ebd.). 68 Huber, Oratio, S. 46. 69 Huber, Oratio, S. 46 u. 52. 70 „... ut facultas ejus, quod singulis in Republ. ordinibus competit, recte tribuatur; et justitia in omni regimine civitatis custodiatur." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 3). Vgl. dazu auch Böhmer, Introducilo in lus Publicum Universale, S. 84: „Differunt vero in eo quod ius publicum universale respiciat civitatem sub ratione iusti, politica vero sub ratione utilis u. 71 „Differunt tarnen haec Ars [gemeint ist das jus publicum universale] et Politica, sicut alioqui Jus et Prudentia" (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 3). Hier tritt auch der Doppelsinn des Begriffs des Allgemeinen Staatsrechts beispielhaft zutage, der einerseits die Wissenschaft („ars") selbst, andererseits das von dieser Wissenschaft be- und herausgearbeitete Recht („jus") bezeichnet.

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1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

gemeinen Staatsrechts, über die Politik. Dabei will er nicht gelten lassen, daß eine gute Politik einem Fürsten möglich sei, wenn er dabei das Recht verletze 72 und deshalb der Rechtsbruch in gewissen Umfang zu tolerieren sei. Vielmehr habe der Fürst eine ganze Reihe von Rechtsregeln bei der Regierung zu beachten und daß dies nicht immer getan werde, könne die Tatsache als solche nicht rechtfertigen, auch nicht der Erfolg einer solchen rechtswidrigen Politik 7 3 . Den möglichen Konflikt zwischen Staatsrecht und Politik will er ausdrücklich, gewissermaßen im Sinne von Rechtsstaatlichkeit, so gelöst wissen, daß bei mehreren zweckmäßigen Entscheidungen die rechtmäßige zu treffen sei, während nur bei mehreren möglichen rechtmäßigen Entscheidungen der Politik die Wahl gelassen werden dürfe 74 , oder, wie Kant es über ein Jahrhundert später prägnant formuliert: „Das Recht muß nie der Politik, aber die Politik jederzeit dem Recht angepaßt werden" 75. So wie Huber in aller Ausführlichkeit und in für das Allgemeine Staatsrecht bestimmender Weise die Trennung von und Gegensätzlichkeit zu der Politik postuliert und begründet, wird dies auch später, insbesondere jedoch in den relativ frühen Bearbeitungen, immer wieder im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts thematisiert. So gehen nicht nur Böhmer (s.o.), sondern auch etwa sein Kollege Johann Salomo Brunnquell - schon ganz zu Anfang seines 1721 erschienen Traktats „Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte und dessen höchst=nützlichen Excolirung" 7 6 - im Rahmen der Definition des Allgemeinen Staatsrechts auf dieses Problem ein. Für Brunnquell ist das Allgemeine Staatsrecht danach „derjenige Theil des natürlichen Rechts, welcher da zeiget die Schuldigkeiten derer Menschen, welche, nachdem sie ihrer natürlichen Freiheit renunciret, sich einen Oberherren erwehlet, und vieler Willen eines einzigen Menschen Befehl unterworffen, in acht zu nehmen haben, auch wie ein Oberherr gegen seine Unterthanen, damit derselben äußerliche Glückseligkeit als der Endzweck einer solchen freiwilligen Unterwerfung erhalten werde, sich zu verhalten; welchen Theil des natürlichen Rechts die meisten mit der Politique vermischen, andere aber ... weit deutlicher und accurater Jus publicum universale nennen"77. 72

Huber, Oratio, S. 50, 48. Huber, Oratio, S. 50. Dies macht ja gerade den Unterschied aus zwischen Recht und praktischer Philosophie. Das Tatsächliche spielt für die Rechtmäßigkeit keine Rolle und auch der Erfolg kann nicht Unrecht zu Recht machen. 74 Als Beispiel führt er hier den Streit von Kleon und Diodot bei Thukidides an, wo über die rechtmäßigkeit der Todesstrafe kein Zweifel bestand, die Frage der Verhängung oder der Begnadigung aber von Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten abhing CHuber, Oratio, S. 46). 75 Kant, Immanuel, Über ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe zu lügen, in: Weischedel, Wilhelm, Immanuel Kant, Werke, Bd 4., Wiesbaden 1956 (Insel-Verlag), S. 637-643 (314). 76 Jena 1721. 73

I. Die historische Situation und Entwicklung

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Später vertieft er diesen Gedanken noch und nimmt eine detaillierte Abgrenzung vor, die im wesentlichen wie bei Huber auf dem Gedanken beruht, daß das Allgemeine Staatsrecht „Recht" sei, während die Politik sich mit dem Nutzen von Staatshandlungen befasse. „Denn die Politique zeiget, wie von einem Oberherrn die Republique nach den Regeln der Klugheit anzuordnen, das jus publicum universale aber, wie das Angeordnete nach denen Regeln der Gerechtigkeit wohl zu administrieren, die Politique betrachtet die öffentliche Handlungen in so weit sie nützlich, das allgemeine Staatsrecht aber, in soweit sie recht oder unrecht". Besonders manifestiere sich der Unterschied darin, daß die Regeln der Klugheit sich den Umständen entsprechend verändern könnten, die Regeln der Gerechtigkeit dagegen seien „allezeit einerley und können auf keine Arth verändert werdenDem Allgemeinen Staatsrecht komme es nur auf Wahrheiten an, der Politik eher auf „Probabilitäten". Endlich sei „alle dasjenige, was Recht ist, denen Menschen auch nützlich„was aber denen Menschen nützlich ist, ist nicht allezeit recht " 7 8 . Auch Brunnquell zieht demnach ganz deutlich die Grenze zwischen Allgemeinem Staatsrecht und Politik in dem Sinne, daß ersteres einen bindenden, normativen und insbesondere auch einen allgemeingültigen Charakter hat, während letztere nur Utilitätsgesichtspunkten verpflichtet ist. Insgesamt bleibt das Herausstellen des Rechtscharakters des Allgemeinen Staatsrechts als Unterscheidungsmerkmal im Verhältnis zur Politik bis in die Spätphase des Allgemeinen Staatsrechts ein ständiger, unverzichtbarer Topos 79 . So schreibt etwa noch Georg Wilhelm von Eggers in seinem „Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts" von 1790 - mit einem Seitenhieb auf einen anderen wichtigen Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts: „Bey dem natürlichen Staatsrecht hält es insbesondere schwer, die Gränzlinien zwischen diesem und der Politik, wie auch dem allgemeinen bürgerlichen Recht zu ziehen. Sehr leicht mischt man des Regenten Befugnisse an sich, mit den Regeln von der Art ihrer Ausübung. Der sei. Scheidemantel z.B. verfällt gar oft 77 Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 9 f. Dabei bezieht er sich auch auf andere Autoren, die diese Vermischung ebenfalls beklagt hätten, nämlich Grotius, Hertius und Huber. 78 Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 34 f. Hinsichtlich des letzten Punktes kommt Brunnquell damit zu einem anderen Ergebnis als Huber, der davon ausgegangen war, daß Recht und Nutzen sehr wohl auseinanderfallen könnten, dem Recht aber den Vorzug gebühre (s. o.). 79 Vgl. etwa u.a. auch Martini, Karl Anton v., Des Freiherrn von Martini allgemeines Recht der Staaten, Wien 1788, der mehrfach seine Ausführungen ganz selbstverständlich und lapidar mit der Bemerkung abschließt und abschneidet: „Doch dieses gehört in die politischen Wissenschaften" oder „Das übrige wird in den politischen Wissenschaften gelehret" (z.B. S. 48, 107). 3 Schelp

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1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

in diesen Fehler: in seiner Abhandlung von der Polizey trägt er meistens nur Regeln der Politik vor, ohne die Rechtmäßigkeit derselben zu untersuchen"80. Insoweit kann man daher sagen, daß die Abgrenzung von der Politik konstituierendes und konstitutives Element des Allgemeinen Staatsrechts war, wobei die Emphase auf dem Rechtscharakter des Allgemeinen Staatsrechts einerseits in besonderem Maße in den Dienst dieser Abgrenzung gestellt wurde, andererseits dieser Rechtscharakter aber möglicherweise gerade deshalb auch so klar herausgearbeitet wurde.

II. Die Methode des Allgemeinen Staatsrechts und die Beziehung zu anderen Wissenschaften 1. Kombination von Deduktion und Empirie Bei der Erarbeitung seiner Lehrsätze verfährt das Allgemeine Staatsrecht prinzipiell auf zweierlei Art und Weise.

a) Die deduktive Methode Einerseits geht es aus von feststehenden Grundprinzipien und schafft, auf diese aufbauend, ein System von allgemeingültigen Regeln. Als Wissenschaft bemüht es sich, etwa im Sinne Kants, wissenschaftliche Erkenntnisse, „objektive Vernunfterkenntnisseaus „allgemeinen Quellen der Vernunft\ ... d.i. aus Principien" zu schöpfen 81 , bzw. definiert es sich gar als solche darüber, daß es nämlich „den Status einer Wissenschaft hat, weil es seine Schlußfolgerungen aus unzweifelhaften und unverbrüchlichen Grundsätzen ableitet"* 2. Entsprechend erklären auch andere Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts beispielsweise: „Ich habe nach Erkenntnisgründen der Grundwahrheiten des Naturrechts, die allgemein anerkannt und verstanden würden, geforscht" 83. 80

Eggers, Georg Wilhelm v., Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, Altona 1790, Vorrede S. XIII. 81 Kant, Immanuel, Critik der reinen Vernunft, 2. Aufl., Riga 1787, S. 865, wobei zu beachten ist, daß er der Rechtslehre überhaupt die Bezeichnung „Wissenschaft" verweigern muß, nachdem auf ihre Gesetze die Mathematik nicht anwendbar sei CKant, Immanuel, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Riga 1786, Vorrede, S. X, vgl. auch Krause, Peter, Kant und das Allgemeine Landrecht, in: Ruland, Franz (Hrsg.), Verfassung, Theorie und Praxis des Sozialstaats, Festschrift für Hans F. Zacher zum 70. Geburtstag, Heidelberg 1998, S. 423-439, (S. 429) m.w.N. 82 „ Quamquam enim Jurisprudentia Publica Universalis referri possit tum ad habitum scientiae, quatenus ex prìncipiis indubitatis et irrefragibilibus suas deducit conclusione s " (,Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis, S. 3).

Π. Die Methode des Allgemeinen Staatsrechts

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Teilweise wird dies sogar ausdrücklich zur Begründung des normativen Geltungsanspruches des Allgemeinen Staatsrechts herangezogen, wenn es etwa im Rahmen der Abgrenzung des Allgemeinen Staatsrechts von der Politik heißt, es habe „bindende Kraft" und folge „dem demonstrativischen Wegziehe also „seine Lehrsätze aus notwendigen Grundsätzen, während die Politik den Weg der Erforschung des Wahrscheinlichen und der Schlußfolgerung aus der Erfahrung" beschreite und auch lediglich Ratschläge unterbreite, „denen zu folgen dem freien Willen überlassen bleibe"* 4. Insofern überrascht es auch nicht, angesichts der Wichtigkeit dieser Methode für das Selbstverständnis des Allgemeinen Staatsrechts einen entsprechenden Hinweis sogar im Titel einer Schrift zum Allgemeinen Staatsrecht wiederzufinden, nämlich in Gottfried Ernst Fritschs „Conspectus Iuris Publici Universalis Methodo Systematica Nova Ratione Elaborati" 85 . Schon früh wird die deduktive Vorgehensweise als Methode des Allgemeinen Staatsrechts abstrakt und ausführlich bereits etwa bei Brunnquell beschrieben, der ausführt: „... die Lehrart ist demonstrativisch, und überführend wie in denen anderen Theilen des natürlichen Rechts, nehmlich, wenn man die Schuldigkeiten derer Oberherrn und Unterthanen zeigen will, setzet man zum Fundament das Erkenntnis Principium, und ziehet aus solchen einen Schluß nach dem anderen, bis man auf diejenige Pflicht kommet, welche man zu deducieren gedencket und diese Schlüsse müssen so zusammen hängen, daß eine aus der anderen fliesset, damit man auch wieder auf das principium cognoscendi kann zurückschliessen"86. Besonders prägnant und unter konkreter Bezugnahme auf die für das Staatsrecht relevanten Grundprinzipien, nämlich das auf das Wesen des Menschen und der menschlichen Gesellschaft zurückgehende Wesen des Staates, führt dies auch der Jenaer Professor Heinrich Gottfried Scheidemantel in seinem 1775 erschienen Werk „Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform" 87 aus: „Das Allgemeine Staatsrecht ist eine Wissenschaft von den durch Vernunftschlüsse aus dem Wesen der bürgerlichen Verfassung hergeleiteten Rechten und

83 Fredersdorf}\ Leopold Friedrich, System des Rechts der Natur, auf bürgerliche Gesellschaften, Gesetzgebung und das Völkerrecht angewandt, Braunschweig 1790, Vorrede S. IX. 84 „... procedat via demonstrativa, suas assertiones ex principiis necessarìis desumens; Politica vero procedat magis ex conclusione et illatione probabili , utpote ab experientia ..." und „... Obligandi virtute polleat; Politica econtra, cum mera suggérât Consilia, liberam sequendi voluntatem relinquat" (Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis, S. 5). 85 Fritsch, Gottfried Ernst, Conspectus Iuris Publici Universalis Methodo Systematica Nova Ratione Elaborati et ex Uno Principio Deducti, Marburg 1733. 86 Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 25. 87 Jena 1775.

3*

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1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

Verbindlichkeiten, welche Regenten und Untertanen in unmittelbarer Beziehung auf das gemeinschaftliche Wohlseyn des Staats verknüpfen. Es fließet aus dem Wesen des Staats, und deswegen ist es ein allgemeines Recht; es ist ein Teil des hypotetischen Naturrechts, weil es durch Vemunftschlüsse aus den allgemeinen Grundsäzzen natürlicher und gesellschaftlicher Rechte und deren Anwendung auf die Staatsverfassung gebildet wird" 88 . Noch deutlicher und konkreter formuliert liegt für die Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts mit Blick auf diese Vorgehensweise „sehr viel daran zu wissen, welche Ursache sie [die Menschen] zu diesem Schritte [der Staatsgründung] bewogen habe, um daraus den Endzweck dieser Gesellschaften und aus dem Endzwecke derselben die daher entspringenden Rechte und Verbindlichkeiten abzuleiten"* 9. Die „Erkenntnisfähigkeit" soll danach „die gesunde Vernunft", die „Erkenntnisquelle aber der Endzweck der Gesellschaft" 90, das „primum principium juris publici universalis" sein, der „Hauptgrundsatz, worauf alle übrige zu gegenwärtiger Disciplin gehörige Sätze und conclusiones beruhen" 91. Insoweit führt die deduktive Methode zu einer wissenschaftlichen Systembildung 92 mit Anspruch auf Universalität. Konkret wird dieser normative Allgemeingültigkeitsanspruch ohne weiteres beispielsweise dann deutlich, wenn es im Hinblick auf bestimmtenach der beschriebenen Methode herausgearbeiteten Ergebnisse etwa heißt: „Weil nun auch die Majestätsrechte aus der Wesenheit der bürgerlichen Oberherrschaft abgeleitet werden, so ist nicht zu zweifeln, daß die Majestät bei allen Völkern gleich, bei allen die nämliche sei. ... Dieser Gleichheit steht die Verschiedenheit der Regierungsformen im geringsten nicht im Wege4'93. Darüber hinaus läßt sich der deduktive Ansatz jedoch sogar ins Praktische übertragen, indem nämlich „das erste und höchste Gesetz des Staats", die Festlegung auf den Staatszweck der Allgemeinwohlbeförderung 94 , „die einzige Quelle, woraus alle seine Einrichtungen und Gesetze abfließen" sein soll und zugleich zur Rechtmäßigkeitskontrolle des aus diesem obersten Prinzip abgeleiteten innerstaatlichen Rechts herangezogen wird, oder anders ausgedrückt: 88 Scheidemantel, Das Allgemeinen Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 6. 89 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 4. 90 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 21. 91 Kreittmayr, Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechts, S. 3. 92 Link, Christoph, Aufgeklärtes Naturrecht und Gesetzgebung, S. 39, nimmt sogar an, daß die Systembildung durch die deduktive Methode gerade erst ermöglicht wird. 93 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 25. 94 Dazu ausführlich infra.

. Die

t o d e s Allgemeinen Staatsrechts

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„Alle Anordnungen eines Staats, die übel daraus abgeleitet werden, sind fehlerhaft; diejenigen aber, welche diesem ersten und höchsten Gesetze offenbar widerstreiten, sind ganz und gar ungültig, und haben nicht die geringste Verbindlichkeit vor die Bürger der Republik"95. b) Die empirische Methode Andererseits spielt für das Allgemeine Staatsrecht aber auch die Empirie eine bedeutende Rolle. Praktische Beispielsfälle aus der Geschichte, Mythologie oder der aktuellen Tagespolitik werden gesammelt, durch Einteilung in Kategorien geordnet und auf diese Art abstrahiert und systematisiert. Illustriert wird diese Vorgehensweise, wenn es etwa heißt: „Die pragmatische Geschichte und besonders die Statistik oder historische Staatslehre mit den dazu gehörigen Wissenschaften zeigen uns die Begebenheiten, welche wir als Hypotesen in einem Teil des hypotetischen Naturrechts zu Hülfe nehmen müssen, teils um sie nach vernünftigen Gründen der Natur zu beurteilen, teils auch um die theoretischen Lehrsäzze in ihrer Ausübung zu betrachten und zu beleben"96. Gerade durch die mit dem rechtsvergleichenden Bezug einhergehende Systematisierung wird dann die Verwissenschaftlichung der Materie auch mittels dieser Methode erreicht 97 , denn: „Eine Menge einzelner Dinge unter allgemeine Kapitel zu bringen, und jedes derselben in seinem Zusammenhange vorzustellen, - dies ist das eigentliche Geschäfte eines Systematikers, wodurch die solchergestalt aufgefaßten Kenntnisse zur Wissenschaft erhoben werden" 98. Diese Entwicklung wird auch von den späteren Bearbeitern des Allgemeinen Staatsrechts selbst als die Voraussetzung einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Staatsrecht (und dem Recht überhaupt), wohl auch in Abgrenzung zu den dem Allgemeinen Staatsrecht insgesamt ablehnend gegenüberstehenden positivistischen Stömungen, klar erkannt und formuliert: „Viele Umstände ... mußten noch vorausgehen, ehe das Studium der Rechte, das sich blos auf gelehrtseynsollende Auslegung der Gesetze selbst beschränkte, auch auf eigentliche wissenschaftliche, aus den Gesetzen abgeleitete, Systeme begrün95 Justi, Johann Heinrich Gottlob v., Die Natur und das Wesen der Staaten, Berlin 1760, S. 66 f. 96 Scheidemantel, Das Allgemeinen Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 10. 97 Vgl. auch Krause, Peter, Naturrecht und Kodifikation, in: Aufklärung 3, Hamburg 1988, S. 7-27 (S. 18), der hervorhebt, daß das Vernunftrecht im engeren Sinne gefordert habe, jede Erkenntnis in ein System einzubinden. 98 Majer, Johann Christian, Teutsches weltliches Staatsrecht, abgetheilt in Reichs- und Landrecht, 3 Bde., Leipzig 1776, Vorrede Bd. 1, S. 1.

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1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

det werden konnte"99 und: „Die vollständige Sammlung der solchergestalt bewahrheiteten Gesetze giebt die Materialien zu dem ganzen Lehrgebäude, dadurch erst die Rechtswissenschaft gebildet wird" 1 0 0 . Typisch für das Allgemeine Staatsrecht ist vor allem die Kombination beider Methoden. Als gewissermaßen vermittelnd zwischen dem rein rationalistischen Standpunkt einer- und dem rein empirischen andererseits will es, beider Vorteile vereinend, „daß man zwar der Vernunft Gehör gebe, aber auch die Erfahrung zu Rathe ziehen soll" 101. Scheidemantel etwa sagt dazu: „Die Vernunft zeigt uns, wie vernünftige Geschöpfe die hieher gehörigen Bewegungsgründe bekommen konnten und die Erfahrung erzählt uns die Beispiele, wie dieses wirklich geschehen ist" 1 0 2 und erläutert dies an anderer Stelle unter näherer Betrachtung der empirischen Vorgehensweise des Allgemeinen Staatsrechts zur Herausarbeitung allgemeingültiger Regeln folgendermaßen: „Aus gesitteten Staatsverfassungen nimmt man die Absicht und Staatsgesetze heraus, man beurteilt sie nach der Kunst zu regieren, man hält sie nun mit dem Naturrecht zusammen, und durch Hilfe der Vernunftschlüsse bildet man die Gesetze, welche zusammen genommen das allgemeine Staatsrecht ausmachen"103. Die „gesitteten Staatsverfassungen" sind dabei das besondere Staatsrecht mehrerer, im Idealfall aller existierenden und auch historischen Staaten. Die Gemeinsamkeiten und Besonderheiten, die sich aus einem Vergleich dieser Staatsverfassungen untereinander ergeben 104 , sollen dann anhand der Maximen der „allgemeinen Staatsklugheit" auf ihren Sinn und auf ihre Nützlichkeit hin überprüft werden. Als wichtigster Schritt folgt dann weiterhin die Betrachtung der so gefundenen Sätze im Lichte des Naturrechts, d.h. man untersucht, ob sie sich logisch und notwendig aus dem Wesen der Staaten ergeben. Die empirisch gewonnenen Ergebnissen werden also an den aus dem Naturrecht stammenden Prinzipien gemessen. Ähnlich stellt Kant in seinen „Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre" zwar „das 99

Krause,

Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte,

S. 12. 100

Majer, Teutsches weltliches Staatsrecht, Bd. 1, S. 16 Hegewisch, Dietrich Herrmann, Übersicht der verschiedenen Meinungen über die wahren Quellen des allgemeinen Staatsrechts, in: Berlinische Monatsschrift 1793, Bd. 22, S. 29-64 102 Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 31. 103 Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 10. 104 Scheidemantel legt in seinem System des Allgemeinen Staatsrechts in besonderem Maße Wert auf die Anwendung der rechtsvergleichenden Methode. Vgl. dazu auch etwa Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, S. 295. 101

II. Die

t o d e s Allgemeinen Staatsrechts

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Recht, was zum a priori entworfenen System gehört" und die Rechte, „welche auf besondere Erfahrungsfälle bezogen werden" 105, nebeneinander und grenzt beides auch ausdrücklich voneinander ab, zieht letztere aber dann doch zur Verdeutlichung von ersterem heran 1 0 6 .

2. Quellen und Hilfswissenschaften

des Allgemeinen Staatsrechts

U m an die für die empirische Vorgehensweise benötigten Grundlagen und Kenntnisse zu gelangen, bediente sich das Allgemeine Staatsrecht wie bereits angedeutet - in beträchtlichem Umfang aus anderen Wissenschaften stammender Erkenntnisse. Von diesen Wissenschaften mußte es sich dann gleichzeitig zur Behauptung seiner fachlichen Eigenständigkeit teilweise auch wieder abgrenzen. Was die Zusammenarbeit der einzelnen Wissenschaftszweige und die Einbettung des Allgemeinen Staatsrechts in ein System derselben angeht, so wurde schon festgestellt, daß Allgemeines Staatsrecht und Philosophie eng verwandt sind und sich gegenseitig beeinflussen, oder, wie Scheidemantel es ausdrückt, daß „sowohl die Staatsklugheit als auch das Staatsrecht einerlei Absicht" 107 haben. Er sieht das Allgemeine Staatsrecht als eine Wissenschaft, die mit anderen Wissenschaften in enger Wechselwirkung und Zusammenarbeit steht. Diese nennt er „notwendige Hilfswissenschaften" und zählt dazu unter anderem Philosophie, Mathematik, Sprachen, Rhetorik, Geschichte, Geographie, Heraldik, Diplomatik und Numismat i k 1 0 8 . Sie wirken zusammen in „einerlei Absicht", zum y fWohlseyn der bürgerlichen Gesellschaft" 109 und seien überhaupt nötig, „um ein brauchbares Staatsrecht zu schreiben, welches zum Grundriß einer ieden Regierung bei gesitteten Völkern dienen kann" 110. Man kann diese Wissenschaften, die dem Allgemeinen Staatsrecht dazu dienen, zu seinen Erkenntnissen zu gelangen, je nach ihrer Bedeutung für 105

Kant, Immanuel, Die Metaphysik der Sitten in zwey Theilen, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1. Aufl. Königsberg 1797, Vorrede S. IV. 106 Krause, Peter, Kant und das Allgemeine Landrecht, S. 430, mit weiteren Ausführungen zu Kants Verhältnis zur Rechtswissenschaft. 107 Scheidemantel, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 14. 108 Scheidemantel, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 20 bzw. Das Staatsrecht nach der Vernunft und den Sitten der vornehmsten Völker betrachtet, Bd. 1, S. 16 ff. 109 Scheidemantel, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 14. 110 Scheidemantel, Heinrich Gottfried, Das Staatsrecht nach der Vernunft und den Sitten der vornehmsten Völker betrachtet, 3 Bde., Jena 1770-1773, Bd. 1, S. 17.

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1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

das Allgemeine Staatsrecht einteilen in Quellen einer- und Hilfswissenschaften des Allgemeinen Staatsrechts andererseits, wie dies von einigen Autoren, die näher auf die Systematik des Allgemeinen Staatsrechts eingehen, bisweilen getan w i r d 1 1 1 . Dabei besteht aber nicht immer Einigkeit und es fällt auch im Einzelnen oft schwer, die Kategorien klar voneinander abzugrenzen. Es bietet sich daher an, die einzelnen von den Bearbeitern des Allgemeinen Staatsrechts als relevant aufgeführten Wissenschaften in der Reihenfolge ihrer ihnen - teils von den Zeitgenossen, teils nun nachträglich - beigelegten Wichtigkeit für das Allgemeine Staatsrecht aufzuführen.

a) Theologie Eine besondere Rolle für das Allgemeine Staatsrecht wird von vielen seiner Bearbeiter der Theologie attributiert. So zieht beispielsweise schon Huber ihre Lehren neben denen des rationalistisch geprägten Naturrechts zur Untermauerung seiner Thesen heran und erkennt sie als gleichberechtigte Legitimationsgrundlage des Allgemeinen Staatsrechts a n 1 1 2 und noch der Göttinger Historiker und Rechtsgelehrte August Ludwig Schlözer stellt Ende des 18. Jahrhunderts fest: „Theologen waren, seit der Reformation, Pächter des allgemeinen StatsRechts" 113. So stammen auch etliche Rechtssätze des Naturrechts direkt aus der Bibel, wie die - zumindest teilweise in das Naturrecht übernommenen Zehn Gebote, oder der Satz, daß man den anderen so behandeln solle, wie man selbst behandelt werden w o l l e 1 1 4 , so wie auch das dem gesamten Allgemeinen Staatsrecht dogmatisch zugrundeliegende Prinzip 1 1 5 des „pacta sunt servanda" durch das kanonische Recht tradiert worden i s t 1 1 6 . Gerade in den frühen Werken des Allgemeinen Staatsrechts werden seine Existenz und auch seine normative Geltung logisch-argumentativ mit dem Willen und Gebot Gottes verknüpft. Den etwas biedermeierlich-naiv anmutenden, dennoch in diesem Zusammenhang durchaus typischen Argumentationsstrang für jenen mittels der Vernunft hergestellten Bezug zu Gott gibt 111

Z.B. Scheidemantel, Das Allgemeinen Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 9 f. 112 Huber, De Jure Civitatis libri très, u.a. S. 181, 220-252, 225. 113 Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, S. 87. 114 Nämlich Math. VII, 12 (Schmale, Das Naturrecht in Frankreich zwischen Prärevolution und Terreur, S. 20). 115 Dazu ausführlich infra. 116 In den Dekretalen von Papst Gregor IX. (1, 35, 1 Summarium), ursprünglich römisch-rechtlich, etwa bei Cicero (De officiis, 3, 92) oder Ulpian (Dig. 2, 14, 7, § 7), vgl. Liebs, Detlef, Lateinische Rechtsregeln und Rechts Sprichwörter, 6. Auflage, Darmstadt 1997, S. 165.

II. Die

t o d e s Allgemeinen Staatsrechts

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etwa Brunnquell mit der Begründung, Gott habe die Menschen zu einem „Endzweck" erschaffen und weil er ihnen wohl wolle, wolle er, daß sie ein „ vergnügtes, ruhiges und glückseeliges Leben " hätten. Wegen der „menschlichen Verderbtheit" würden die Menschen aber nicht allezeit tun, was zu dieser Glückseligkeit führe, so daß er ihnen einige Regeln, nämlich natürliche Regeln habe eingeben müssen 117 . Das „Principium dieser natürlichen Regeln" wiederum „ist der Wille des allweisen Gottes, dieser wird erkannt aus dem Endzweck, der Endzweck ist, daß es dem Menschen wohl und glücklich ergehe " 1 1 8 . Voraussetzung dafür seien Ruhe und Frieden. Für die „innerliche Ruhe" müsse man die „natürliche Theologie" beachten. Die „eusserliche" bestehe dann, wenn „niemand laediret und ein jeder bey seinem Recht gelassen wird". Auf diese „Regeln der Gerechtigkeit" zur „Erhaltung der eusserlichen Ruhe und Frieden" habe Gott einen „eusserlichen Zwang geleget und denen Menschen das Recht gegeben, nicht wider alles Unrecht sich zu schützen, sondern auch andere Menschen, Sie mögen leben in welchem Stande Sie wollen, zu zwingen, daß Sie den eusserlichen Frieden und Ruhe nicht turbiren, sondern als rechtschaffene Mitglieder der menschlichen Gesellschafft sich aufführen mögen" 119 . Es besteht danach also sogar ein Zwangsrecht, nicht nur ein Abwehrrecht, zur Durchsetzung des Gesellschaftszweckes und im Zuge dessen offenbar auch zur Vergesellschaftung selbst. Weil also Gottes Wille der Menschen Gesetz sei und seine Befehle die Menschen wie Gesetze verpflichteten 120 , wird insbesondere der Ursprung des Allgemeinen Staatsrechts häufig auf Gott zurückgeführt. Hergeleitet wird dies aus der Natur des Menschen, in der sich durch den Schöpfungsakt Gottes Wille manifestiert 121 . Die „natürlichen Gesetze" sind nämlich „die, welche das höchste Wesen selbst in die Herzen der Menschen gegraben hat, als nothwendige Folgen des Grundrisses, wonach seine Weisheit das ganze Weltgebäude eingerichtet hat" 122. So soll letzten Endes auch die Institution des Staates selbst von Gott kommen, denn „Gott gab uns Ver117

Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 13 f. Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 15. 119 Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 19. 120 „Dei igitur voluntas ius nostrum est, et praecepta divina nos tanquam leges obligat" (Gnbner, Michael Heinrich, Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV quibus iuris naturae et gentium publici et privati universalis summa capita exhibentur, 3. Aufl., Wittenberg 1733, S. 7). 121 Vgl. auch Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis, S. 7: „Jun Naturali adjungo Divinum, ... sed quia Jus Naturale a DEO, tanquam Authore Naturae , extrinsica objecti exigentia et necesitate conditum 122 Bielfeld, Jacob v., Des Freyherrn von Bielfeld Lehrbegriff der Staatskunst, aus dem Französischen übersetzt, 3. Aufl., Leipzig 1777 (im frz. Original: Institutions Politiques, 1. Aufl. 1760), Bd. 1, S. 153. 118

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1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

nunft, er gab uns das Naturgesetz, welches ... den Staat zu errichten befahl" 123. Das göttliche Recht wird dabei üblicherweise unterschieden in gesetztes und natürliches Recht 1 2 4 . Ersteres ist solches göttliches Recht, das sich aus der göttlichen Offenbarung ergibt 1 2 5 . Auch seine Normativität wird zuweilen explizit so weit erstreckt, daß es entgegenstehendes positives Recht brechen können soll. Denn „ein Gesetz, das der Lehre und Moral des Evangeliums gerade widerspräche, würde keinen Menschen verbinden" 126. Letzteres soll dagegen dasjenige göttliche Recht sein, das durch die Vernunft erschlossen werden kann 1 2 7 . Aus der Natur des Menschen wird daher mit Hilfe der ratio auf den Inhalt des Naturrechts geschlossen und dieses mit Hilfe der Fiktion des Ursprungs des Menschen aus dem göttlichen Schöpfungsakt als göttliches Recht legitimiert und normiert. Dies verleiht dem Allgemeinen Staatsrecht einen besonderen Stellenwert in der Normhierarchie und große Durchsetzungskraft. Daraus ergibt sich aber auch zwangsläufig die Untermauerung des normativen Geltungsanspruches des Allgemeinen Staatsrechts. Die „Rechte", von denen hier, etwa bei Brunnquell, die Rede ist, sind nämlich tatsächlich und im Sinne des Allgemeinen Staatsrechts normativ zu verstehen. Brunnquell macht dies an gleicher Stelle geradezu überdeutlich: „Diese Regeln sind nun das wahrhafftige und eigentliche Recht der Natur, welches, weil alle Menschen, Sie mögen leben in welchem Stande Sie wollen, zu dessen Observirung eusserlich können gezwungen werden, unter allen natürlichen Regeln, so der große Gott denen Menschen zu Erlangung ihrer Glükseeligkeit hat vorgeschrieben, ganz allein den Effect eines eigentlich so genanten Gesetzes erlanget" 128. Er geht demnach offensichtlich davon aus, daß andere Menschen die Einhaltung dieser Regeln erzwingen können und nennt sie deshalb ausdrücklich „Gesetz", ein Terminus, der hier bewußt und unter Abgrenzung zum allgemeineren Begriff der „Regel" die juristische Natur dieser einen hervor123

Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 9. „Denique ius divinum aliud positivum est, aliud naturale " ( Grìbner , Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV, S. 11). 125 „... vel etiam facta est a Deo per pleniorum revelationem", bei Böhmer (Introducilo in lus Publicum Universale, S. 17), der auch die These vertritt, Gott sei der alleinige Schöpfer allen Rechts überhaupt, welches einerseits aus der Offenbarung selbst herausgelesen, andererseits durch Vernunftschlüsse herausgearbeitet werden müsse („ Solus Deus est sapiens, fons omnis salutis, summe bonus. Ergo huius solius est, prìmario talem, quam quaerimus, normam praescribere, et hominum vias dirigere S. 14). 126 Bielfeld, Lehrbegriff der Staatskunst, S. 154. 127 „lus ergo divinum, quod per rationem nobis citra revelationem innotescit, Naturale aut Naturae et Gentium lus appellamus" (Gribner, Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV S. 11). 128 Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 19. 124

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gehobenen Regel betont. Gleichzeitig bemüht er wiederum den „großen Gott" als Normgeber und damit gewissermaßen als letzten Grund für die postulierte Normativität. Dieser letztere Zusammenhang wird ausdrücklich angesprochen etwa bei dem Wittenberger, später Leipziger Rechtsgelehrten und kurfürstlich-sächsischen Archivar und Hofrat Michael Heinrich Gribner, der in seinem Werk „Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri I V " sagt, es handele sich beim Naturrecht um göttliches Recht, weil das Naturrecht ohne Gott nicht denkbar sei. Ein Gesetz sei ohne Verpflichtung, eine Verpflichtung ohne Gesetzgeber nicht möglich 1 2 9 . Hier zeigt sich die alte Vorstellung, daß das Naturrecht seine Legitimation und seine normative Kraft von Gott herleitet. Zwar geschieht dies über die Vernunft, aber man glaubt in dieser relativ frühen Phase der naturrechtlichen Diskussion offenbar noch, gerade um es verbindlich zu machen, die Figur des gesetzgebenden Gottes zu benötigen 130 . Konkreter und potentiell praktisch relevant wird dieses Zusammenspiel, wenn man etwa - mit Hilfe des klassischen Syllogismus - „beweisen will, ... daß ein Regent nach dem allgemeinen Staatsrecht verbunden sey, die Fundamentalgesetze der Republique zu halten Dann „kan man sich dreyer Demonstracionen bedienen, in der ersten wird gezeigt, daß ein Gott sei, in der anderen, daß nach dem Willen Gottes die Menschen das Versprochene halten müssen, in der dritten, daß ein Regent auch ein Mensch sey, und also diejenige Verträge, so mit seinen Unterthanen gemacht, müsse in allen Stücken observiren" 131. Andererseits sollen aber auch die Majestätsrechte auf Gott zurückgehen, weil sie auf einem Vertrag zwischen Untertanen und Herrschern beruhten, der geschlossen werde, um die Glückseligkeit des Menschengeschlechts zu befördern, welche wiederum mit der Illustration der Größe Gottes verbunden sei 1 3 2 . Interessant ist dabei vor allem, daß gleichzeitig gesagt wird, Gott habe den Herrschern die Last des Regierens übertragen, was auf eine Herrschaftslegitimation direkt von Gott hindeutet. Dies wird aber relativiert 129

„Dixi ius divinum. Nam uti lex sine legislatore , ita ius Naturae sine Deo concipi nequit. Lex enim sine obligatione , obligatio sine legislatore esse non potest " (Gribner, Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV, S. 12). 130 Im Anschluß sagt Gribner, Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV, S. 12, auch noch, daß Grotius irrt, wenn er Gott nicht als den Gesetzgeber ansehe, es gibt also auch zu dieser Zeit schon andere Auffassungen. 131 Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 26. 132 „ Verum enim vero , licet iura maiestatica praeponant pactionem, et pactis varìantibus varient obligationes imperantium et parentium, attamen quia maiestas felicitatem generis humani, quae cum illustratione gloriae divinae coniuncta est, innuit, ilia a Deo singularì ratione omnino est repetanda, qui certae alicui personae supremum munus reipublicae gubernandae commisti", Oertel, Abraham Jacob, Meditationes de Iure Publico Universali et Particulari eorumque Differentiis, Altdorf 1743et Particulari eorumque Differentiis, Altdorf 1743, S. 14.

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1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

durch den Umweg über den Herrschaftsvertrag, der insoweit jedoch ebenfalls als gottgewollt dargestellt wird. Das Verständnis von der Beziehung zwischen Gott, der Vernunft und dem Allgemeinen Staatsrecht auch im Hinblick auf dessen normativen Charakter läßt sich demnach mit Brunnquells Worten etwa wie folgt zusammenfassen: „Das Principium Essendi dieses allgemeinen Staatsrechts ist der Wille des großen Gottes, welcher aus der gefundenen Vernunfft erkannt wird, das Erkenntnis Principium ist der Bürgerlichen Gesellschafft Glückseeligkeit, welche besteht in Erhaltung der eusserlichen Ruhe und Friedens, das Objectum desselben sind die öffentlichen Handlungen in so weit gefraget wird, ob solche recht oder unrecht... [sind]" 133 . Diese Sichtweise wandelt sich allerdings im Laufe der Zeit parallel zu der fortschreitenden Akzeptanz der Vernunft als alleiniger Legitimationsgrundlage. Die späteren Autoren des Allgemeinen Staatsrechts legen dann auch immer weniger Wert auf die Begründung der Verbindlichkeit aus dem göttlichen Willen und betonen zunehmend den rationalen Charakter der naturrechtlichen Prinzipien 1 3 4 . Wurde von den frühen Bearbeitern des Allgemeinen Staatsrechts das Vernunftrecht aus der göttlichen Schöpfung der Natur abgeleitet, so dient die göttliche Offenbarung später allenfalls noch dazu, die aus Vernunftsprinzipien erarbeiteten Ergebnisse zu überprüfen und zu bestätigen 135 . Aus dem ehemaligen Anfangsgrund wird so ein affirmatives Element. Exemplarisch deutlich wird diese Veränderung in dem das ursprüngliche Gefüge umkehrenden Satz: „was natürlichen Rechtens ist, ist auch Gottes Ordnung " 1 3 6 , denn „wie uns aus dem Licht der Vernunft selbst sattsam bekannt ist, will Gott die Glückseligkeit der Menschen befördert 133

Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 25. Dies war ein wichtiger Schritt in der Entwicklung vom göttlichen Recht über das aus den, zwar als gottgegeben, aber unabänderlich angesehenen, Naturgesetzen abgeleitete Recht hin zum alleine vom Menschen bewußt gesetzten Recht (vgl. dazu beispielsweise auch Schmale, Das Naturrecht in Frankreich zwischen Prärevolution und Terreur, S. 12, der feststellt, daß die Emanzipation des Menschen von Gott den Weg für die Anschauung der Natur, insbesondere der Natur des Menschen als unmittelbar greifbaren Seinsgrund des Rechts geebnet habe). 135 „Ich glaube nun, daß ein jeder; dem gesunder Menschenverstand zu Theil ward, sich mit den angegebenen Gründen überzeugen könne. Ist aber meine Rede an Christen, meine Glaubensgenossen gerichtet: o, so ist es mir noch weit leichter, volle Überzeugung hervorzubringen. Alsdann brauche ich nur die vorgetragenen Gründe mit den Aussprüchen der göttlichen Offenbarung zu beleuchten ... {Arndts, Ferdinand, Über die Notwendigkeit der bürgerlichen Gesellschaft und den daraus entstehenden Verhältnissen zwischen Fürsten und Unterthanen, Lemgo 1793, S. 41). Dies ist umso bemerkenswerter, als der Verfasser selbst ein Kirchenmann ist. 136 Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 78. 134

II. Die

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wissen" 137. Auf jeden Fall aber soll die Religion „standhafte des NaturRechts " 1 3 8 sein und bleiben.

45 Verteidigerin

b) Philosophie und Politik Wie oben bereits dargelegt, sind die Übergänge zwischen Allgemeinem Staatsrecht und Philosophie aufgrund der Entwicklungsgeschichte des Allgemeinen Staatsrechts - als Wissenschaft wie als Materie - zuweilen fließend und eine klare Abgrenzung gerade für die zeitgenössischen Bearbeiter, die eine Unterscheidung nicht aus der abstrahierenden und systematisierenden Rückschau vornehmen konnten, schwierig. Im Hinblick darauf wird dann auch einerseits oft die Verwechslung des Allgemeinen Staatsrechts vornehmlich mit der Politik, die Teil der Philosophie war, beklagt und dieses - im Interesse seines Eigenständigkeitsanspruches - besonders deutlich von jener abzugrenzen versucht, wobei, wie gesehen, diese Abgrenzung für das Selbstverständnis und die Daseinsberechtigung des Allgemeinen Staatsrechts wesentlich war und i m Zusammenhang damit besonders Wert auf die Betonung seines normativen Charakters gelegt wurde. Demgegenüber gab es aber auch Autoren, die dem Allgemeinen Staatsrecht mit dem Hinweis, es handle sich bei ihm ohnehin dem Charakter und Gegenstande nach um Philosophie, die Rechtsqualität abzusprechen versuchten. Selbst in diesen Fällen wird aber eine Relevanz der Philosophie für die Rechtswissenschaft nicht immer von vorneherein ausgeschlossen. So ist es wohl zu verstehen, wenn beispielsweise der Hallische Rechtsgelehrte Daniel Nettelbladt in einem Aufsatz „Von dem rechten Gebrauch der Wolffischen Philosophie in der Theorie der positiven Rechtsgelahrtheit" 139 handelt und darin feststellt, „eine Philosophie" sei „in der Anwendung brauchbarer als eine anderedie „brauchbarste" aber sei „die Wolffische, für die Rechtsgelahrtheit wie für alle anderen". Sie werde daher oft gebraucht, jedoch auch mißbraucht 140 . Der „rechte Gebrauch" bestehe darin, Wolffs „demonstrativische Methode" bei der Definition von Rechtsbegriffen zu verwenden oder diese von Wolff selbst zu übernehmen 141 . Nettelbladt macht hier für die Anwendbarkeit auf das positive Recht allerdings die Einschränkung, daß dadurch der Sinn des positiven Rechts nicht entstellt 137

Kreittmayr,

Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechts,

S. 3.

138 139

1792. 140 141

Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, S. 55. In: Nettelbladt, Daniel, Sammlung kleiner juristischer Abhandlungen, Halle Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauch der Wolffischen Philosophie, S. 113. Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauch der Wolffischen Philosophie, S. 117.

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1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

werden dürfe 1 4 2 . Andererseits könnten sogar auch die Sätze der „Wolffischen Philosophiedie nicht zur „natürlichen Rechtsgelahrtheit" gehörten, trotzdem als Beweis für Sätze des positiven Rechts herangezogen werden, wenn beide übereinstimmten 143 , was wiederum zeigt, wie fließend die Übergänge zwischen Philosophie und Recht an dieser Nahtstelle sind. c) Geschichte Die Geschichte wird von den Bearbeitern des Allgemeinen Staatsrechts gemeinhin als die wichtigste oder eine der wichtigsten Hilfswissenschaften erkannt 1 4 4 , man könnte sie aber durchaus auch als Quelle des Allgemeinen Staatsrechts bezeichnen. Huber etwa nennt sie die „Seele des Allgemeinen Staatsrechts" 145 und Scheidemantel stellt fest, es sei, um ein „brauchbares" Allgemeines Staatsrecht zu schreiben, nötig, „daß man sowohl die allgemeine Staatswissenschaften, als auch die historische Staatslehre miteinander zu verknüpfen wisse" 146. Als Wissenschaft ist die Geschichte in zweierlei Hinsicht für das Allgemeine Staatsrecht relevant, nämlich im Zusammenhang mit beiden seiner oben dargestellten methodischen Ansätze. In seiner Eigenschaft als empirische Wissenschaft geht das Allgemeine Staatsrecht nämlich vorwiegend rechtsvergleichend vor. Denn „eben durch Vergleichung mehrerer Staaten kam man ja auf die Idee, daß es gewisse auf die Natur der Sache gegründete Regeln geben müsse, deren Beobachtung überall statt finde" 147 . Für diese empirische Deduktion liefert hauptsächlich die Geschichte dem Allgemeinen Staatsrecht Stoff und Anschauungsmaterial, wobei durchaus auch auf aus dem Bereich der Mythologie stammende Fälle zurückgegriffen werden konnte. Andererseits dient die Geschichte auch der Prüfung und Untermauerung der aufgrund der abstrakt-prinzipiellen Methode erarbeiteten Ergebnisse und die Richtigkeit der aus der Vernunft geschöpften Prinzipien kann an ihr demonstriert werden, 142

Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauch der Wolffischen Philosophie, S. 118. Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauch der Wolffischen Philosophie, S. 121. 144 Scheidemantel, Das Staatsrecht nach der Vernunft und den Sitten der vornehmsten Völker betrachtet, Bd. 1, S. 15. 145 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 3. 146 Scheidemantel, Das Staatsrecht nach der Vernunft und den Sitten der vornehmsten Völker betrachtet, Bd. 1, S. 17. 147 Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 193, vgl. auch Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 4: „... eaque ita inter se comparata sunt , ut mutuo sese explicent ac illustrent 143

II. Die

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„denn da das allgemeine Staatsrecht durch Regeln vorgetragen wird, was kan die Zuhörer mehr attachiren und eine größere attention bey dem Vortrage dieser Disciplin erwecken, als wenn die gegebenen Regeln durch wahrhafftige facta examiniret werden" 148 . Insoweit verleiht also die Geschichte dem Allgemeinen Staatsrecht „Klarheit und Gewicht" und ist „von doppelter Bedeutung, denn sie liefert gleichzeitig sowohl die Beispiele als auch die Urteile" 149.

d) Besonderes Staatsrecht Innerhalb der juristischen Wissenschaftssystematik selbst stand dem Allgemeinen Staatsrecht als universellem, ungeschriebenen Recht weiterhin das positive, durch einen menschlichen Gesetzgebungsakt geschaffene und nur für ein bestimmtes Gebiet, auf das sich die Gesetzgebungsgewalt erstrecken konnte, geltende partikulare Recht gegenüber. Den Versuch einer systematischen Abgrenzung nimmt beispielsweise Brunnquell vor, wenn er ausführt: „Eines hat von Gott seinen Ursprung, das andere von den Menschen, jenes wird erkannt aus der Vernunfft, dieses aus den geschriebenen Gesetzen und Gewohnheiten, jenes gilt ohne Unterschied in allen Staaten, dieses nur in einem bestimmten, jenes ist ewig und unveränderlich, dieses variabel, jenes ist der Brunn, woraus alle Staatsrechte quellen und erkläret werden müssen, dieses aber kann dem allgemeinen Staatsrechte was abnehmen oder hinzu thun" 150 . Das Verhältnis zwischen beiden Rechtsarten ist jedoch noch komplexer, als diese Unterscheidung erkennen läßt. Denn auch das positive Staatsrecht wird, mit Hilfe etwa der Geschichte, zur Quelle des Allgemeinen Staatsrechts, insofern als aufgrund der Rechtsvergleichung und der daraus resultierenden Parallelen mit dem Schluß auf allgemeingültige Sätze das System des Allgemeinen Staatsrechts erst geschaffen wird. So wird etwa einerseits 148

Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 32. Vgl. insoweit auch der maßgebliche Mitarbeiter der großen preußischen Kodifikation und Prinzenerzieher Carl Gottlieb Svarez in seinen „Kronprinzenvorträgen": „Der Geschichte bleibt alsdann vorbehalten, dem aufmerksamen Beobachter im Spiegel der Erfahrung zu zeigen, wie durch treue Beobachtung dieser [mittels der deduktiven Methode herausgearbeiteten] Rechte und Obliegenheiten Reiche blühend und glücklich oder durch deren Vernachlässigung Nationen elend und verächtlich geworden sind" (Vortraege Sr. Majestät dem regierenden Könige als Kronprinzen gehalten vom Geheimen Ober-Justiz-Rath Svarez über Gegenstände des oeffentlichen und Privat-Rechts, Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem, Nachlaß Svarez, Fol. 288 r.). 149 „Demum claritatem et pondus Jurisprudentiae Publicae Universali conciliât Historia..." und „Historiae duplicem praecipue usum esse ... nam et exempla suppeditat, et judicia" (Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis, S. 11). 150 Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 35 f.

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1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

angenommen, das Allgemeine Staatsrecht stelle die allen Partikularrechten zugrundeliegenden Prinzipien dar, andererseits aber auch, daß, weil das Allgemeine Staatsrecht gerade die Grundlage so vieler Partikularrechte sei, deren Natur und natürliche Beschaffenheit umgekehrt aus dem Allgemeinen Staatsrecht herausgearbeitet werden könne. Das Allgemeinen Staatsrecht wird damit also wiederum zur Auslegungshilfe für die Auslegung des Partikularrechts, mit der Begründung, die meisten Gesetze gingen ohnehin auf die Grundsätze des Allgemeinen Staatsrechts zurück 1 5 1 . Unter dem gerade angesprochenen Aspekt, daß jene Grundsätze erst durch Rechtsvergleichung herausgearbeitet worden sind, kommt man mit dieser Argumentation vordergründig zu einem Zirkelschluß, weil das Allgemeine Staatsrecht in seinem Kern wegen seiner Herleitung mittels der rechtsvergleichenden Methode zumindest teilweise auf die Vielzahl von Partikularrechten zurückgeht, diese aber nun wiederum mit Hilfe des Allgemeinen Staatsrechts erschlossen werden sollen 1 5 2 . Der vermeintliche Widerspruch läßt sich jedoch dadurch auflösen, daß durch die Abstrahierung im Zuge der rechtsvergleichenden Betrachtung die Grundsätze erst geschaffen werden, an denen die einzelnen Rechte dann zu messen sind.

e) Privatrecht Eine weitere wichtige Hilfswissenschaft des Allgemeinen Staatsrechts ist das Privatrecht und dort vor allem das - ebenfalls weitgehend ungeschriebene - Gemeine oder Römische Recht in seiner deutschen Rezeption. Die auf einer gewissen Verwandtschaft und Nähe der beiden Disziplinen beruhende Unterstützungsfunktion des Gemeinen Rechts für das Allgemeine Staatsrecht schlägt sich in mehreren Formen nieder. Sie gilt nicht nur für materielle Rechtsprobleme, sondern auch - und in besonderem Maße - für 151 „... ius publicum universale autem manet fundamentum, adeo, ut quam plures leges publicae particulares tanquam conclusiones de nostro universali sind considerandae, earum natura et indoles ex hoc sind desumendae et addiscendae..(Oertel, Meditationes de Iure Publico Universali, S. 38). 152 Diesen letzten Aspekt hebt etwa Bluntschli hervor, wenn er sagt: „Es gibt abernicht bloß eine speculative , sondern, da sich in der Weltgeschichte die Geschichte der Menschheit offenbart, auch eine universal-historische Begründung des allgemeinen Staatsrechts, und gerade dadurch erhält dasselbe auch eine Fülle positiven Gehaltes, welche der speculativen Betrachtung gewöhnlich fehlt " (Bluntschli, Johann Caspar, Allgemeines Staatsrecht, geschichtlich begründet, München 1852, S. 6). Die strikte kritische Gegenposition findet sich dagegen bei Kant, der sagt, daß „alles verloren ist, wenn die empirischen und daher zufälligen Bedingungen der Ausführung des Gesetzes zu Bedingungen des Gesetzes selbst gemacht und so ein Praxis, welche auf einen nach bisheriger Erfahrung wahrscheinlichen Ausgang berechnet ist, die für sich selbst bestehende Theorie zu meistern berechtigt wird" (Kant, Über den Gemein Spruch, S. 277).

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die Methodik und teilweise für die Systematik des Allgemeinen Staatsrechts 153 . Einerseits diente das Gemeine Recht dem Allgemeinen Staatsrecht nämlich als Fundus für Beispiele, andererseits aber auch als Anleitung zur Lösung bestimmter, damals als zum Staatsrecht gehörig erachteter Rechtsfragen, wie zum Beispiel die Erbfolge in Monarchien. Ebenso wurde das Familienrecht - etwa zur Verdeutlichung von Herrschaftsstrukturen - oder das römisch-rechtliche Gesellschaftsrecht herangezogen, von dem es konkret heißt: „Das natürliche innere Staatsrecht muß aus Grundsätzen des Gesellschaftsrechts entwickelt werden.. . " 1 5 4 . Für die Lösung oder Darstellung von Problemen innerhalb des Allgemeinen Staatsrechts kamen dabei auch Analogien zum Privatrecht und den durch das Gemeine Recht entwikkelten Rechtsinstituten in Betracht 1 5 5 . Darüber hinaus wurde das Allgemeine Staatsrecht an den Universitäten auf den systematischen Bahnen und auch den begrifflichen Schienen des Gemeinen Rechts aufbauend gelehrt, was ohne weiteres verständlich und nachvollziehbar ist, wenn man bedenkt, daß das Römische Recht eben über eine - im Bereich des Rechts einzigartige - ausgefeilte Begrifflichkeit verfügte und sich seine Systematik ebenfalls unter den Einflüssen des Naturrechts und der Aufklärung weiterentwickelt hatte und weiterentwickelte. Da es im Römischen Recht ein rudimentäres Staatsrecht gab, konnte darauf aufbauend versucht werden, die neuen tatsächlichen Verhältnisse den Begrifflichkeiten 156 und dem System dieses staatsrechtlichen Teils des Römischen Rechts zuzuordnen. Auch die im Römischen Recht entwickelte juristische Methode machte man sich für das Allgemeine Staatsrecht ganz selbstverständlich zu eigen, etwa hinsichtlich der Auslegung, der Analogie oder Ähnlichem. Darauf verweist etwa auch der hohe Braunschweigische Verwaltungsbeamte Leopold Friedrich Fredersdorff 157 , wenn er sich in seinem „System des Rechts der Natur" aus dem Jahre 1790 negativ darüber äußert, daß man „sogar die Begriffe des Naturrechts nach den Begriffen 153

Das war allerdings nicht unumstritten. Gribner, Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV, S. 28, beispielsweise erklärt ausdrücklich, daß die Grundsätze des Privatrechts auf das Allgemeine Staatsrecht nicht anwendbar seien, insbesondere nicht das Römische Recht. 154 Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, S. 22. 155 Dafür finden sich etliche Beispiele etwa bei Huber, De Jure Civitatis u.a. S. 50 f. (Übertragbarkeit von absoluten Rechten), 107 (Ersitzung von Majestätsrechten) usw. 156 e t w a d e r Begriff der „Majestätsrechte". 157 Allgemeine Deutsche Biographie, Herausgegeben durch die Historische Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften, 55 Bde., Leipzig 1875— 1910, Bd. 7, Leipzig 1878, S. 333 f. 4 Schelp

50

1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

des bürgerlichen Rechts geformt" habe 1 5 8 . Überhaupt beklagt er eine zu enge methodische Anlehnung des Allgemeinen Staatsrechts an das Privatrecht, wenn er sagt: „Man hat die bürgerlichen Rechte zum Leitfaden genommen, und nach diesen ein Naturrecht gebildet. Diese Methode war gerade die umgekehrte, und daher sind dann auch sonderbare Produkte entstanden"159. Insbesondere wendet er sich damit gegen den bei einem solchen Vorgehen entstehenden Mangel an Abstraktheit und eigenständiger Begrifflichkeit des Allgemeinen Staatsrechts, denn „man hat sogar die Begriffe des Naturrechts nach den Begriffen des bürgerlichen Rechts geformt; man hat so viel Arten des Naturrechts abgehandelt, als man Arten der bürgerlichen Verfassungen und besonderer Anordnungen in denselben hat" 160 . Die weitestgehende Einwirkung des Gemeinen Rechts auf das Allgemeine Staatsrecht ist aber die, daß das Gemeine Recht teilweise sogar als allgemeingültiges Recht einfach übernommen und in das Lehrgebäude des Allgemeinen Staatsrechts integriert 1 6 1 wurde. Dies geschieht beispielsweise bei Huber mit dem Hinweis, das Gemeine Recht habe wegen seiner umfassenden und flächendeckenden Rezeption ohnehin den Charakter allgemeingültigen Rechts 1 6 2 . f) „Statistik" Ab und zu halten einige Autoren des Allgemeinen Staatsrechts auch eine Abgrenzung von der Statistik im Sinne von - wie schon im Wortstamm angedeutet - „Staatenkunde" für angebracht und notwendig, etwa wenn gesagt wird, das Allgemeine Staatsrecht sie zu unterscheiden „ von der Statistik, welche vielmehr die positive Einrichtung der vorhandenen Staaten kennen lehrt", doch müßten zur Erläuterung des Staatsrechts „auch einige Grundsätze der allgemeinen Statistik bemerkt werden" 163, oder: 158

Fredersdorf, System des Rechts der Natur, S. 167. Fredersdorf?, System des Rechts der Natur, Vorbericht S. VII. 160 fredersdorff, System des Rechts der Natur, S. 167 f. 161 So erklärt etwa bereits Pufendorf, ein Großteil des Römischen Rechts könne zum Naturrecht gezählt werden (vgl. Denzer, Horst, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf. Eine geistes- und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung zur Geburt des Naturrechts aus der Praktischen Philosophie, München 1972, S. 322). Auch in Frankreich, wo es offiziell keine Gesetzeskraft hatte, wurde das Römische Recht als Verkörperung des Naturrechts verstanden und besaß als „ratio scripta" unumstößliche Autorität (Schmale, Das Naturrecht in Frankreich zwischen Prärevolution und Terreur, S. 15). 162 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 474. 159

III. Die Tradition des Allgemeinen Staatsrechts

51

„Die zu eben der zeit wiederauflebende Staatenkunde oder Statistik hätte noch hülfreicher die Hand bieten können, wenn Philosophen und Rechtsgelehrte sich ihrer Hülfe fleißiger bedient hätten" 164 .

III. Die Tradition des Allgemeinen Staatsrechts 1. Vorläufer

und geistesgeschichtliche

Entwicklungslinien

Als das Allgemeine Staatsrecht als eigenständige Disziplin in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstand, schlug es den Bogen seiner Bezugnahmen bis weit in die Geschichte zurück. So verfolgt Scheidemantel 165 in seinem Werk „Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform" 1 6 6 die Ursprünge des Allgemeinen Staatsrechts bis in biblische Zeiten und zählt Moses und Salomon, aber auch etwa Konfuzius zu den direkten Ahnherren des Allgemeinen Staatsrechts 167 , wenn sie auch nicht Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts als Wissenschaft in dem strengeren Sinne sind 1 6 8 , in dem er selbst und seine Zeitgenossen es als solche verstehen 1 6 9 . Leichter war es, die ohnehin im philosophischen Denken wie in der Bildungstradition allgemein präsenten und lebendigen Plato und Aristoteles, Cicero, Augustinus und Thomas von Aquin, Machiavelli und Morus, um nur einige der herausragenden Vertreter zu nennen, in diesen Kreis aufzunehmen, da sie sich mit dem Staat, seinen Aufgaben, seiner richtigen und dauerhaften Einrichtung tatsächlich beschäftigt hatten. August Ludwig 163 Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts S. 22. 164 Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 65. 165 Die meisten Zeitgenossen Scheidemantels gehen jedoch in ihren Abhandlungen des Allgemeinen Staatsrechts über die Frage der Quellen hinweg oder erwähnen sie nur kurz und wenig erschöpfend, so wie etwa Kreitmayr in seinem Lehrbuch „Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechts" (S. 2) der auch nur auf wesentlich jüngere Einflüsse aufmerksam macht, nämlich Grotius, Hobbes, Pufendorf und Thomasius. 166 Scheidemantel, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 13 ff. 167 Scheidemantel, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 13. 168 Sondern eher „pragmatische Staatsgeschichte erzählen " (Scheidemantel, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 13). 169 Als weitere antike „Lehrmeister" des Allgemeinen Staatsrechts nennt Scheidemantel beispielsweise u.a. Solon, Sokrates, Xenophon, Plato, Aristoteles, Theophrast, Plutarch, Cicero und Sallust (Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 13). Der Hinweis auf diese Tradition und Kontinuität ist im übrigen möglicherweise auch gezielt auf eine Aufwertung des Ansehens des Allgemeinen Staatsrechts als Wissenschaft. 4*

52

1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

Schlözer wiederum sieht die Entwicklung des Allgemeinen Staatsrechts historisch-systematisierend betrachtet - als parallel verlaufend mit dem politischen Bedürfnis nach rechtlicher Fundierung eines Widerstandsrechtes gegen „Tyrannen" und sieht insofern seine Anfänge im Mittelalter bei den Briten im Zusammenhang mit der Entstehung der Magna Charta i m Jahre 1215 1 7 0 . Er liefert auch eine systematische Einteilung der Entwicklungsgeschichte des Allgemeinen Staatsrechts in insgesamt sechs Epochen mit gleichzeitigem Blick auf die historisch-politischen Bezüge, beginnend mit Luther, Zwingli und der Reformation, gefolgt von den Religionskriegen in Frankreich und den niederländischen Freiheitskriegen im 16. Jahrhundert, dann der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und Cromwells, dem Aufstand in Dänemark im Jahre 1660 sowie der ersten und schließlich der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts 171 , an deren Ende er im übrigen zeitlich selbst steht und die er als „selig für unsere Wissenschaft " unter Hervorhebung von Friederich dem Großen und Kaiser Joseph II. preist 1 7 2 . Direkte Impulse und besonders wichtige Einflüsse für das Allgemeine Staatsrecht kamen außerdem von den Werken von B o d i n 1 7 3 , der mit seiner Souveränitätslehre die Suche nach den Merkmalen des modernen Staates einleitete, von Hobbes 1 7 4 , der durch seine radikalen Ansichten von der Absolutheit des fürstlichen Macht- und Rechtsanspruches heftigen Widerspruch provozierte, von Grotius, Pufendorf und Wolff, die die Grundsteine der Naturrechtslehre legten, später auch von Locke, Rousseau und Montesquieu 1 7 5 , mit denen sich die Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts mehr oder weniger ausführlich auseinandersetzten 176.

170

Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, S. 81. Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, S. 82 ff. 172 Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, S. 91 f. 173 Mit ihm setzt sich zum Beispiel Huber ausdrücklich auseinander, etwa wegen Bodins genereller Ablehnung des Widerstandsrechts (De Jure Civitatis libri très, S. 324). 174 Zur Auseinandersetzung der Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts mit Hobbes vgl. - ausführlich - infra (4. Kap. Fußn. 105). 175 Scheidemantel nennt als direkte Vorreiter des Allgemeinen Staatsrechts des weiteren u.a. noch Althusius, Conring und Hertius (Das Allgemeinen Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 17 ff.). In seinem dreibändigen Werk „Das Staatsrecht nach der Vernunft und den Sitten der vornehmsten Völker betrachtet (Bd. 1, Jena 1770) widmet er außerdem beispielsweise einen ganzen Paragraphen ausdrücklich der Widerlegung der Rousseau'sehen Staatsgründungstheorie (S. 54ff., weitere solcher ausdrücklicher Widerlegungen auch Bd. 2, S. 19 f. und 27 f.). 176 Johann Heinrich Gottlob v. Justi zum Beispiel antwortet in seinem Buch „Die Natur und das Wesen der Staaten" oft und umfassend (vgl. u.a. etwa S. 49) auf Thesen aus Montesquieus „De 1 esprit des loix" (Genf 1748). 171

. Die Tradition des Allgemeinen Staatsrechts 2. Entstehungszeitpunkt

53

und Urheberschaft

Was die Frage des Entstehungszeitpunktes des Allgemeinen Staatsrechts als Wissenschaft und seiner Urheberschaft angeht, so nimmt, wie bereits erwähnt, der Niederländer Ulric Huber, Professor an der Universität Franeker, selbst für sich in Anspruch, die Wissenschaft des Allgemeinen Staatsrechts begründet zu haben, indem er es als erster von der Politik getrennt und bewußt in seiner Eigenständigkeit neben diese gestellt habe. Die Bewußtheit und Absichtlichkeit dieses Schrittes und der Neuschöpfung überhaupt ergibt sich unter anderem aus dem seinem großen, im Jahre 1672 erschienen Werk zum Allgemeinen Staatsrecht „De Jure Civitatis libri très" 1 7 7 seit dessen dritter Auflage 1 7 8 aus dem Jahre 1694 angefügten Untertitel „novam juris publici universalis disciplinant continensin dem er den Begriff des Allgemeinen Staatsrechts oder Jus publicum universale" prägt und es klar als „neue Wissenschaft " kennzeichnet. Ausdrücklich geltend macht er seinen Anspruch darüber hinaus aber auch - wie ebenfalls bereits angesprochen - in seiner „Oratio qua disseritur, quamobrem ius publicum olim in academia nostra professione publica non sit honoratum" aus dem Jahre 1682. Darin behauptet er, daß es zwar Schriften gebe, die sich mit Teilaspekten des Allgemeinen Staatsrechts befaßten 179 , daß er aber die Lehre vom Allgemeinen Staatsrecht in Form einer Wissenschaft, die das Recht eines jeden und des ganzen Staates von der höchsten bis zur niedrigsten Regel beinhalte 1 8 0 nirgends finden könne und daß er als erster jene Wissenschaft auf diese Art behandelt, so über sie geschrieben und sie somit gleichsam geschaffen habe 1 8 1 . Er stellt seinen Zuhörern das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft vor, die zu studieren sich lohne für alle, denen das Heil des Staates am Herzen liege. Dies beschränke sich nicht notwendig auf die Juristen, auch Theologen und andere seien zu diesem Studium aufgerufen, zumal es bisher auf jenem Gebiet - wegen der Neuheit des Faches - fast keine Experten gebe. Da aber für den Bestand der menschlichen Gemeinschaft nichts wichtiger sein könne, als daß der Staat in gutem Zustand sei, sei diese neue Wissenschaft nicht nur wichtig, sondern geradezu notwendig 1 8 2 . Bei der inhaltlichen Vorstellung seiner 177

Franeker 1672. Franeker 1694. 179 Auch wenn man in der Regel davon ausgehen kann, daß bestimmte Gedanken und Erkenntnisse schon für längere Zeit vorhanden sind und diskutiert werden, bevor sie erstmals ihren Niederschlag im Titel einer Publikation finden, deutet doch im Falle von Huber und dem Begriff des ius publicum universale alles darauf hin, daß es sich hier um die bewußte Schöpfung von etwas Neuem handelt. Dies geht aus Hubers „Oratio" in eindeutiger Weise hervor. 180 Huber, Oratio, S. 46. 181 Huber, Oratio, S. 46. 178

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1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

neuen Wissenschaft geht er zunächst darauf ein, daß das ius publicum vom Privatrecht getrennt werden müsse, wie dies schon im Corpus Juris Justiniani angelegt s e i 1 8 3 und daß es gerade in Deutschland im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert eine rege Forschung auf diesem Gebiet gegeben habe, daß diese Forschung aber vornehmlich das besondere und damit kontingente oder faktische Recht des Heiligen Römischen Reiches zum Gegenstand gehabt habe 1 8 4 . Sein Jus Publicum Universale dagegen, das Staatsrecht, das allgemein die Rechte der Herrschenden und ihrer Untertanen umreiße 1 8 5 und im Partikularrecht eines jeden Staates enthalten sei 1 8 6 , sei bisher fast gänzlich unbekannt und noch überhaupt nicht eigenständig abgehandelt worden, sondern - wenn überhaupt - immer nur gemeinsam mit der Politik, und zwar als ein minderwertiger Teil derselben 187 . Gerade von der Politik müsse es daher besonders scharf abgegrenzt werden. Bodin, Althusius, Besold, Arnisäus, die er ausdrücklich benennt, und andere hätten dies nicht getan, sondern beide Wissenschaften vermischt. Daß dies auch immer noch vorkomme, selbst bei Werken, die mit „ius publicum" betitelt seien, zeige etwa auch das Beispiel Anton Perezius' 188 , in dessen Buch er aufgrund des Titels juristische Ausführungen erwartet, aber dann solche Kapitel wie: „Der Fürst meide die Bosheit" und Ähnliches gefunden habe, die klar rein politischer Natur seien 189 . Die Notwendigkeit einer Trennung von Politik und Recht überhaupt habe als erster Grotius gesehen 190 , jedoch nur für das Völkerrecht, nicht für das Staatsrecht auch vollzogen 1 9 1 . Entscheidendes Abgrenzungskriterium sei, daß das Allgemeine Staatsrecht sich damit beschäftige, was bei der Regierung eines jeden Staates rechtens sei 1 9 2 , während es für die Politik auf die Nützlichkeit ankomme. Weil diese Abgrenzung bisher nicht vorgenommen worden sei, sei auch keiner der Verantwortlichen bislang auf den Gedanken gekommen, einen eigenen 182

Huber, Oratio, S. 52. Huber macht hier offensichtlich ein wenig Eigenwer-

bung. 183

Huber, Oratio, S. 36. Huber, Oratio, S. 40. 185 Huber, Oratio, S. 44. 186 Huber, Oratio, S. 42 187 Huber, Oratio, S. 42. 188 Gemeint ist wohl Perezius, Antonius, Jus publicum, qua arcana et iura principiis exponuntur, Amsterdam 1657. 189 Huber, Oratio, S. 44. 190 Huber, Oratio, S. 44. 191 Das bestreitet etwa Veen in den Anmerkungnen zu Hubers Oratio (Veen, T. J., in: Huber, Ulric, Oratio qua disseritur, quamobrem ius publicum olim in academia nostra professione publica non sit honoratum, abgedruckt in: Akkelman, F./Veen, T. J./Westerbruk A. G. (Hrsg.), Zwolle 1976, S. 32-62, S. 57), weil Grotius sich auch auf das Staatsrecht bezogen habe. 192 Huber, Oratio, S. 44. 184

III. Die Tradition des Allgemeinen Staatsrechts

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Lehrstuhl für das Allgemeine Staatsrecht an der Juristischen Fakultät einzurichten, statt die einzelnen Lehren an der Philosophischen Fakultät gemeinsam mit der Politik abhandeln zu lassen 193 . Dabei sei es aber doch gerade für die Führung des Staates von großer Wichtigkeit, die Gründe des Rechts und die der Nützlichkeit gesondert zu erwägen und nicht miteinander zu vermischen. Denn die Frage der Rechtmäßigkeit müsse zunächst unabhängig von der nach der Zweckmäßigkeit gestellt werden, dann aber auch i m Rahmen der Entscheidungsfindung nach politischen Zweckmäßigkeitskriterien einfließen, nämlich insoweit es nicht erlaubt sei, „das Nützliche zu tun, wenn es nicht rechtens, wohl aber das Rechtmäßige zu unterlassen, wenn es unnütz" sei 1 9 4 . Durch die Trennung werde der Lehrplan für die Studierenden schließlich auch nicht unnötig erweitert, sondern es trete im Gegenteil eine Erleichterung ein, da der Stoff vom Umfang her der gleiche bleibe, die Materie aber vor der Trennung vermengt und dadurch schwerer zu lehren und zu lernen gewesen sei 1 9 5 , ein Aspekt, der dem aufklärerischen Bestreben nach Systematisierung und logischer Ordnung Rechnung trägt. Klarer kann der Anspruch Hubers, der Schöpfer des Allgemeinen Staatsrechts zu sein, kaum zutage treten und formuliert werden. Insbesondere das Bewußtsein, etwas Neues zu schaffen, unterscheidet Huber von den früheren oder etwa zeitgleichen Bearbeitern des allgemein-staatsrechtlichen Stoffes. In dem, was Huber hier umreißt, sind die wesentlichen Merkmale der neuen Wissenschaft schon deutlich angelegt. Dazu zählen einerseits die wissenschaftliche Eigenständigkeit - verbunden mit der Forderung nach einem eigenen Lehrstuhl - vor allem in der Abgrenzung von der und zur Politik mit der Betonung des Rechtscharakters des Allgemeinen Staatsrechts, andererseits die Allgemeingültigkeit und die Universalität der den Aufbau und die Rechtsbeziehungen des gesamten Staatswesens umfassenden Regeln, die es entwirft 1 9 6 . Was die typischen Materien angeht, mit denen das Allgemeine Staatsrecht sich beschäftigt, so sind dies vor allem die Staatsgründungstheorien mit der Staatsvertragslehre, die Lehre von den verschiedenen Regierungsformen, die Rechte und Pflichten der höchsten Gewalt und der Untertanen, insbesondere die sogenannten Majestätsrechte und, daraus abgeleitet, die einmal mehr, einmal weniger detailliert abgehandelte Staatsorganisation mit Schwerpunkt auf der „guten Polizei" und 193

Huber, Oratio, S. 52. Huber, Oratio, S. 52. 195 „Olim confuse ac ita difficilius docebatur" (Huber, Oratio, S. 54). 196 Scheidemantel beispielsweise diskutiert in diesem Zusammenhang sogar die Frage der Anwendbarkeit des Allgemeinen Staatsrechts auf „vernünftige Einwohner anderer Welten" (Scheidemantel, Das Staatsrecht nach der Vernunft und den Sitten der vornehmsten Völker betrachtet, 3 Bde., Bd. 1, S. 5). 194

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1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

Ansätzen der Gewaltenteilungslehre, oftmals auch - als eigenständiger Komplex, gerechtfertigt durch den thematischen Zusammenhang mit den Majestätsrechten - die Rechtsbeziehungen zu auswärtigen Staaten. Auch sie kommen schon alle mehr oder weniger erschöpfend bei Huber in dessen „De Jure Civitatis libri très" vor. Neben diese formalen und inhaltlichen Gesichtspunkte stellt er auch die bereits erwähnten, von den späteren Autoren bestätigten Zweckmäßigkeitserwägungen, wie die Vereinfachung des Studiums und den Nutzen, den der Staat selbst aus der Beachtung der durch das Allgemeine Staatsrecht niedergelegten Grundsätze ziehen können soll. Damit kann Huber tatsächlich als der Begründer des Allgemeinen Staatsrechts gelten 1 9 7 . Die zeitgenössischen oder späteren Autoren und Bearbeiter, die dies bezweifeln, verkennen - teilweise bis heute - daß jenes Bewußtsein Hubers, die neue Wissenschaft vom Jus Publicum Universale zu schaffen und übrigens auch zu benennen, ein entscheidender Gesichtspunkt sein muß. Denn ohne dieses subjektive Element ist es nicht möglich, eine sinnvolle thematische Abgrenzung zu treffen. Entscheidende Kriterien für die Frage der Urheberschaft des Allgemeinen Staatsrechts müssen also, neben der - eventuell verzichtbaren - begrifflichen Kennzeichnung der Materie mit dem später allgemein durchgesetzten und etablierten Begriff des „Jus Publicum Universale", einerseits objektiv der systematische Ansatz einer umfassenden thematischen Erschöpfung des behandelten Stoffes, nämlich der typischen materiellen Inhalte des Allgemeinen Staatsrechts, zum entsprechend frühesten Zeitpunkt sein, andererseits zusätzlich subjektiv der Eigenständigkeitsanspruch und gleichzeitig das Bewußtsein, bzw. der Anspruch, diese Wissenschaft - eventuell als erster - in ihrer Eigenständigkeit bearbeitet zu haben. Dazu gehört insbesondere auch der bewußte Vollzug der Trennung und Abgrenzung des Allgemeinen Staatsrechts von der Politik und die Herausarbeitung und Betonung des Rechtscharakters des Allgemeinen Staatsrechts als Unterscheidungsmerkmal von jener nicht im gleichen, engeren Sinne normativ zu verstehenden Wissenschaft. Weder der Begriff des Allgemeinen Staatsrechts, noch eine umfassende eigenständige systematische Bearbeitung, noch ein entsprechendes Bewußtsein sind jedoch vor Huber in dieser Form zu finden. Zwar erschien der Begriff des später einhellig so verwendeten „Jus Publicum Universale" erstmals - jedenfalls annäherungsweise - schon im Jahre 1622 im Titel einer Publikation 1 9 8 , nämlich im „Epitome Jurisprudentiae Publicae Universae, ejusdem Methodum, Materiarum sub eadem Contenta197

So auch etwa Wyduckel, lus Publicum, S. 190. Seitens der zeitgenössischen Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts wird dies nur - und auch nicht ausdrücklich - von Brunnquell (.Brunnquell, Johann Salomo, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 12 f.) anerkannt.

III. Die Tradition des Allgemeinen Staatsrechts

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rum Dispositionem, Definitiones, Divisiones &c. breviter & nervose exhibens" von Georg Brautlacht 1 9 9 , doch war damit - nach der Bedeutung des Wortes „universus" i m Gegensatz zu „universale" - lediglich gemeint, daß das jus publicum (vor allem das des Heiligen Römischen Reiches) erschöpfend abgehandelt sei, nicht aber, daß es sich dabei um ein allgemeines im Sinne von „allgemeingültigem" jus publicum gehandelt habe. Das ergibt sich eindeutig aus den Ausführungen Brautlachts selbst zu seinem Werk. So nimmt er zwar für sich in Anspruch, als erster die Lehren des jus publicum vollständig gesammelt 200 und auch, das jus publicum nach seiner Natur und damit nach einer neuen Methode abgehandelt zu haben 2 0 1 , jedoch sieht er das jus publicum einerseits rein positivistisch als Sammlung, nicht als systematischen Entwurf und nimmt andererseits auch keine klare Abgrenzung weder vom positiven Recht noch von der Politik v o r 2 0 2 . Selbst Huber erkennt andererseits allerdings an, daß von Hugo Grotius der erste Anstoß für die Entstehung der neuen Wissenschaft des Allgemeinen Staatsrechts gekommen sei 2 0 3 . Grotius habe nämlich als erster gelehrt, daß das Staatsrecht von der Politik zu trennen sei, dies jedoch lediglich im Vorwort zu „De iure belli ac pacis" 2 0 4 erwähnt und weder Beispiele dafür gegeben, noch sei er sonst weiter darauf eingegangen 205 . Dieses kleine 198 Vgl. u.a. Kuriki, Die Rolle des Allgemeinen Staatsrechts in Deutschland, S. 557, der allerdings als Titel „Discursus Epitomen Jurisprudentiae Publicae Universae continens" und als Erscheinungsjahr 1620 angibt, und Link, Christoph, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, S. 46. 199 Jena 1622. 200 „ Quantum enim fueri potuit, omnes materias, quae sub jurisprudentiae publicae, jamjam renascentis, nomine et methodo pertractanda sunt, in unum quasi fasciculum collegi et libellis praesentibus disposui, quod ante hac a nemine fuisse pienissime ejfectum...", Brautlacht, Epitome Jurisprudentiae Publicae Universae, S. 1 und „Interim sciat, me tum prìmo auctorem quendam, qui materias ad Jurisprudentiam publicam pertinentes, generali libello incluserit, et methodice pertractavit, nec hactenus vidisse nec reperire potuisse", Brautlacht, Epitome Jurisprudentiae Publicae Universae, S. 5. 201 „Natura enim in quavis arte et disciplina certior dux est, et potius disciplinae tractandae naturam, quam artem inspicere oportet. ...In iis enim ut plurimum rei pertractandae natura inspecta. 1. Jurisprudentiam publicam ipsam. 2. Ejusdem objectum, et demum 3. objecti originem sive constitutionem. 4. Propagationem, conservationem, quae ex optima administratione et regimine , tum ecclesiastico, cum politico, dependet, tandem etiam 5. contrariam diminutionem et eversionem ostendi", Brautlacht, Epitome Jurisprudentiae Publicae Universae, S. 5. 202 „Publicum Jus est, quod statum et regimen Imperii Romano-Germanici concerniti und „Humana vel e jure gentium vel civilibus et politicis constitutionibus sunt petenda", Brautlacht, Epitome Jurisprudentiae Publicae Universae, S. 5. Vgl. auch Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, S. 268 (Anm. 1). 203 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 4, Oratio, S. 42. 204 Grotius, Hugo, De iure belli ac pacis, 1. Aufl., Paris 1625, § 57 der Prolegomena.

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1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

Zugeständnis ist aber vielleicht deswegen verständlich und nicht allzu verwunderlich, weil Huber selbst ein Grotius-Anhänger i s t 2 0 6 . Aber sowohl Grotius, den auch etwa Scheidemantel für den Begründer des Allgemeinen Staatsrechts als Wissenschaft h ä l t 2 0 7 , als auch Samuel Pufendorf, der im Hinblick auf seine „iurisprudentia universalis" im Zusammenhang mit der Frage nach der Urheberschaft des Allgemeinen Staatsrechts des öfteren genannt w i r d 2 0 8 , können lediglich als Ahnherren oder Wegbereiter des Allgemeinen Staatsrechts im weiteren Sinne angesehen werden. Dies wird bereits bei einem Blick auf die Rezeption beider Verfasser deutlich, wenn etwa von Grotius' „unsterblichem Werk" in diesem Zusammenhang gesagt wird: „Es gewann großen Beyfall und wurde nebst der politischen Schriften des Aristoteles, nebst Livius, Tacitus etc. zur Grundlage eines allgemeinen Staatsrechts in deutschen Schulen" oder im Hinblick auf Pufendorfs Beitrag: „Puffendorf brachte grade im entscheidendsten Zeitpuncte die Untersuchungen noch mehr in Umlauf; und Leibnitz, Ziegler und Thomasius legten, anderer zu geschweigen, den Grund .. ." 2 0 9 . Doch selbst wenn man konzediert, daß sowohl Grotius, als auch Pufend o r f 2 1 0 inhaltlich bereits Themen des Allgemeinen Staatsrechts vorweggenommen und gar im Sinne der späteren Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts bearbeitet haben mögen, so fehlt in ihren Werken doch nicht nur die 205

Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 4, Oratio, S. 42. Veen, Recht en Nut, S. 228. 207 Scheidemantel, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 18. 208 V g L e t w a y een9 Recht en Nut, S. 246, der meint, das Allgemeine Staatsrecht gehöre thematisch und systematisch zur „iurisprudentia universalis" und gehe daher eigentlich auf Pufendorf zurück. Dabei verkennt er, daß jener zwar inhaltlich Themen des Allgemeinen Staatsrechts abgehandelt haben mag, eventuell sogar mit normativem Anspruch, dies aber gerade nicht im Rahmen eines eigenständigen Faches, sondern nur als Teilgebiet der „iurisprudentia universalis". Ebenso verweist etwa auch schon Johann Jacob Schmauß in seinem Werk „Neues Systema des Rechts der Natur" (Göttingen 1754, S. 22) auf Pufendorf als den Erfinder des „jus publicum universale", wohl aus der Überzeugung heraus, der übrigens offenbar auch etwa Welzel, Naturrecht und Materiale Gerechtigkeit, S. 161, folgt, daß Pufendorf sein Naturrecht als erster normativ verstanden habe, was aber für die Urheberschaft des Allgemeinen Staatsrechts im engeren Sinne nicht ausreichend sein kann. 206

209

Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte,

S. 64. 210

Vgl. etwa Pufendorf\ Samuel, Elementorum Jurisprudence universalis libri II, Jena 1669, S. 471 ff., nämlich u.a. im zweiten Buch, „observatio V" mit Themen wie: „Partes imperii summi", „An et quatenus imperio civile resistere liceat u oder „De subjecto summae potestatis" etc.

. Die Tradition des Allgemeinen Staatsrechts

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Bezeichnung des entsprechenden Stoffes als „Jus Publicum Universale", sondern auch seine systematische Zusammenfassung und eigenständige Abhandlung unter diesem Begriff, ganz abgesehen von dem in diesem Zusammenhang notwendigen subjektiven Element, wie es bei Huber selbst so klar zum Ausdruck kommt. Obwohl also beide „hie und da was von dem allgemeinen Staatsrecht mit vorgetragen, sind es doch nur einzelne Materien, welche noch lange nicht sufficient dieser Wissenschaft ihren gehörigen Glanz geben . . . " , wie schon früh ein Zeitgenosse bemerkt 2 1 1 . Ähnliches gilt auch für Thomas Hobbes 2 1 2 , von dem bisweilen ebenfalls behauptet wird, er habe als erster das naturrechtliche Staatsrecht verfaßt und damit das Allgemeine Staatsrecht geschaffen 213 , etwa weil er von sich - in einer Widmung - gesagt habe, als erster nach den Grundsätzen der Naturwissenschaften 214 , also more geometrico an das Staatsrecht herangegangen zu sein 2 1 5 . Dies ist jedoch als Argument für die Begründung der Wissenschaft vom Allgemeinen Staatsrecht im hier zugrundegelegten engeren Sinne durch Hobbes keinesfalls ausreichend 216 . Denn es kommt nicht nur der Begriff des Allgemeinen Staatsrechts als solcher nirgends bei ihm vor, sondern er selbst bezeichnet auch das Naturrecht als Teil der Moral und der Philosophie 217 , womit er sich gerade in Widerspruch setzt zu der juristischen, normativen, insbesondere auch die höchste Gewalt rechtlich bindenden Implikation des Allgemeinen Staatsrechts, bzw. diese überhaupt 211

Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 42 f. Für dessen Urheberschaft des Allgemeinen Staatsrechts etwa Hennis , Wilhelm, Politik und Praktische Philosophie, Tübingen 1963, S. 51. 213 Vgl. auch Tönnies, Ferdinand, in: Hobbes, Thomas, Naturrecht und Allgemeines Staatsrecht in den Anfangsgründen, mit einer Einführung von Ferdinand Tönnies, Essen 1926, Neudruck Essen 1976 mit einem Vorwort von Arthur Kaufmann, Einführung S. 27), der den Begriff „Allgemeines Staatsrecht" unzulässigerweise in den Titel der Übersetzung von Hobbes' Schrift einführt, obwohl im Original „polities' " an dessen Stelle steht. Dies rührt wohl daher, daß zum Zeitpunkt der Übersetzung im Jahre 1926 der Begriff des Allgemeinen Staatsrechts schon unscharf geworden war. 214 Vgl. Kaufmann, Arthur, in: Hobbes, Thomas, Naturrecht und Allgemeines Staatsrecht in den Anfangsgründen, mit einer Einführung von Ferdinand Tönnies, Essen 1926, Neudruck Essen 1976 mit einem Vorwort von Arthur Kaufmann, Vorwort zum Neudruck S. VI. 215 Vgl. Hobbes, Thomas, Elementa Philosophica de Cive, Paris 1642, Epistola Dedicatoria, aber auch Tönnies, Ferdinand, Einführung, Vorwort S. 1. 216 Ablehnend insoweit auch bereits Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 18 f. 217 Hobbes, Elementa Philosophica de Cive, Epistola Dedicatoria. Er sieht sich darin auch in der geistigen Tradition von Bodin u. a. (vgl. Tönnies, Ferdinand, Einführung, S. 28), so daß eine Anknüpfung gerade bei ihm als Schöpfer einer neuen wissenschaftlichen Disziplin wie dem Allgemeinen Staatsrecht geradezu willkürlich erscheint. 212

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1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

nicht berücksichtigt. Entsprechend begründet er inhaltlich zwar die Souveränität der höchsten Gewalt aus Sätzen des (allgemeinen) Naturrechts, woraus aber nur die Gehorsamspflicht des Bürgers folgt. Dagegen sind selbst die von ihm noch formal anerkannten verbindlichen Regeln der Ausübung der Souveränität gerade nicht einforder- und durchsetzbar und werden auch nicht, anders als für das Allgemeine Staatsrecht, zum Gegenstand einer spezifischen Rechtswissenschaft, sondern bleiben blaß und leer, auch wenn man wohl annehmen muß, daß Hobbes nicht, wie ihm später vorgeworfen wurde, den Fürsten von jeglicher rechtlichen Bindung freisprechen und die Untertanen damit seiner Willkür ausliefern wollte, sondern er vielmehr vor dem gleichen Problem stand wie später auch die Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts selbst, nämlich der Frage, wer über die höchste Gewalt richten dürfe und - vor dem stabilitätsheischenden Hintergrund des englischen Bürgerkrieges - zu dem Ergebnis kam, daß man mit dem „Leviathan" nicht rechten könne und dürfe 2 1 8 . Näherliegend, auch zeitlich, ist dagegen der Verweis auf Caspar Ziegler und seinen „De Iuribus Majestatis Tractatus Academicus" 2 1 9 , den etwa Daniel Nettelbladt mehrmals unter anderem in seinem „Grundriß der gelehrten Historie des teutschen Staatsrechts" als vermeintlichen Begründer des Allgemeinen Staatsrechts nennt 2 2 0 . Nettelbladt geht bei seinen ausführlichen Erörterungen dieser Frage von einem Entstehungszeitpunkt des Werkes im Jahre 1673 aus 2 2 1 , was insofern ohnehin bereits doppelt inkor218

Ähnlich etwa Geismann, Georg/Herb, Karlfriedrich, in: Geismann, Georg/ Herb, Karlfriedrich, Hobbes über die Freiheit, Würzburg 1988, Einleitung S. 31. 219 De Iuribus Majestatis Tractatus Academicus in quo pleraque omnia quae de potestate et juribus principis disputari soient, strictim exponuntur", Wittenberg 1681. Auch etwa Brunnqeuell bezeichnet ihn zumindest als einen der ersten Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts (.Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 12). 220 In: Nettelbladt, Daniel, Hallische Beyträge zu der juristischen Gelehrten=Historie, Bd.2, Halle 1758, S. 54, 57, 61. Ebenso Kuriki, Die Rolle des Allgemeinen Staatsrechts in Deutschland, S. 558, der als Entstehungszeitpunkt das Jahr 1682 nennt und sich dabei auf Nettelbladt bezieht. Dagegen Veen, Recht en Nut, S. 84, Anm. 105. 221 „Ob zwar einige das Jahr 1666 als die Zeit angeben, in welcher Zieglers Tractat de iuribus majestatis zuerst ans Licht getreten; so hat man doch verschiedene Gründe zu muthmassen, daß es erst um diese Zeit, nemlich im Jahre 1673, zum ersten mal ediret sey. Das allgemeine Staatsrecht war, wie die Geschichte der natürlichen Rechts gelahrtheit lehret, zu dieser Zeit noch nicht besonders excoliret und noch keiner hatte, wenigstens so ausführlich, dasselbe erkläret, als von Zieglern in diesem Tractate geschehen. Er hat sich daher auch in dieser Disziplin nicht geringe Verdienste dadurch erworben, daß er nach und nach einzelne Abhandlungen zu Catheder brachte, worinnen er gewisse einzelne Lehren dieses Rechtes abhandelte. Da es aber an Respondenden fehlete, so entschloß er sich endlich, die ganze Lehre de iuribus majestatis zusammen zu fassen, und daher entstund dieser

. Die Tradition des Allgemeinen Staatsrechts

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rekt ist, als erstens dieses Werk Zieglers aus dem Jahre 1681 und lediglich dessen frühere Form, nämlich die „Exercitatio de iuribus majestatis" 222 , aus dem Jahre 1673 stammt und zweitens in jedem Falle Hubers „De Jure Civitatis libri très" zuvor erschienen gewesen wären, da deren erste Auflage schon von 1672 datiert. Daß Nettelbladt eine solche These aufstellt, kann daher also nur bedeuten, daß er Hubers Werk nicht kannte, da er es ansonsten sicherlich in irgendeiner Form berücksichtigt hätte. Darüber hinaus handelt Ziegler inhaltlich tatsächlich auch nur - wie es der Titel seines Werkes auch vermuten läßt - einseitig die Majestätsrechte 223 , also die Rechte der höchsten Gewalt, nicht aber umgekehrt ihre Pflichten oder die Rechte der Untertanen, geschweige denn die übrigen, für das Allgemeine Staatsrecht typischen Themen, ab, beschäftigt sich also nur ausschnittsweise mit dem Allgemeinen Staatsrecht, wie es Huber vorschwebt und später auch allgemein verstanden wird, obwohl die Majestätsrechte natürlich einer seiner Kernbereiche sind. Daß Ziegler sich darüber hinaus, i m Gegensatz zu Huber, nicht bewußt ist, daß er sich mit einer neuen Wissenschaft beschäftigen könnte, ist zudem daraus ersichtlich, daß er weder einen entsprechenden Anspruch erhebt, noch den Begriff des Jus Publicum Universale oder etwas ähnliches überhaupt verwendet. Vielmehr weist er in seiner Vorrede lediglich darauf hin, daß es sich bei dem Tractatus um eine Sammlung von älteren Vorträgen handele, die nun zusammengefaßt vorgelegt würden 2 2 4 , so daß von einer Vorstellung Zieglers, ein umfassendes wissenschaftliches System geschaffen zu haben, schon gar keine Rede sein kann. Ebensowenig trifft die bei Zedier in seinem - zeitgenössischen - Grossem vollständigen Universal-Lexikon" 2 2 5 aufgestellte Behauptung der Urheberschaft des Allgemeinen Staatsrechts durch Johann Friedrich Horn mit dessen etwa ein Jahrzehnt vor Hubers „De Jure Civitatis libri très" erschienenen „Politicorum Pars Architectonica de Civitate" 2 2 6 zu. Zwar versucht Horn tatsächlich eine systematische Darstellung von mit dem Phänomen

Tractat (a) [Anmerkung] Er erzehlet dieses selbst ausfiihrlich in der Vorrede " (Ne telbladt, Daniel, Caspar Zieglers Leben und Schriften, in: Nettelbladt, Daniel, Hallische Beyträge zu der juristischen Gelehrten=Historie, Bd. 1, Halle 1755, S. 506). 222 Wittenberg 1673. 223 Z.B. „De Ρ ote state f erendi Legum, de Jure dandi Privilegia, de Jure Principis circa Religionem, de Jure collectandi quibus competat" etc., Ziegler, De Juribus Maiestatis, S. 108 f., 226f., 261 f., 861 f. 224 „... tractatum, ex Disputationibus ille Academemicis in utilitatem iuventutis primum conscriptis coaluit" (Ziegler, De Juribus Maiestatis, Vorrede S. 5). 225 Zedier, Johann Heinrich, Grosses vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschafften und Künste, welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert wurden, Bde. 23, 25, 32, 39, Leipzig und Halle 1740-1744, Bd. 23, S. 1203, Bd. 39, S. 678, wobei er im übrigen Hubers Werk fälschlich auf das Jahr 1680, bzw. 1681 datiert. 226 Utrecht 1664.

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1. Kap.: Das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft

Staat zusammenhängenden227 - in ähnlicher Weise auch zum Teil von den Autoren des Allgemeinen Staatsrechts abgehandelten - Fragen, wie der Natur von Gesellschaften oder, im Hauptteil des Buches, dem Wesen von Majestät und höchster Gewalt im Staate 228 , und geht dabei auch auf entsprechende juristische Implikationen e i n 2 2 9 . Dennoch nimmt er, abgesehen vom Fehlen weiterer essentieller Themen des Allgemeinen Staatsrechts, keinerlei klare Abgrenzung zwischen Politik und Recht vor, sondern sieht die mit dem Staat zusammenhängenden rechtlichen Materien vielmehr als einen integralen Teil der Wissenschaft der Politik an, die zwar das „Fundament" seiner „Prudentia Architectonica" ausmachen sollen 2 3 0 , jedoch prinzipiell gleichwertig neben den Lehren des „Nützlichen" und des „Ehrenvollen" stehen 231 . Insoweit erhebt Horn auch, wie sich im übrigen bereits aus dem Titel seines Werkes ergibt, keinerlei Anspruch auf Schaffung einer juristischen (Staatsrechts-) Wissenschaft. Was weiterhin Christian Thomasius betrifft, von dem gleichfalls vereinzelt angenommen wird, daß er der Schöpfer der Wissenschaft des Allgemeinen Staatsrechts sei, da er in seinen „Fundamenta Juris Naturae et Gent i u m " 2 3 2 als erster Moral und Naturrecht gesondert und letztere Wissenschaft „,juristischer" gemacht habe 2 3 3 , so kommt auch er dafür - schon unter dem zeitlichen Aspekt - nicht in Betracht. Zwar ist die Trennung des 227

„Prudentia Architectonica est, quae basin reliquo operi substernit, et constitutionis civitatis docet; ejus naturam et caussas explicat, imperii potestats, obsequii vincula per Rerumpublicarum species tradii " (Horn, Johann Friedrich, Politicorum Pars Architectonica de Ci vitate, S. 26). 228 Z.B. „De caussa Majestate" (11 Iff.) oder „De Dominio Eminente" (S. 269 ff.). 229 So sei ein Teil der Politik die „Prudentia Rectoria". Diese lehre, wie der Staat rechtmäßig regiert wird: „Prudentia Rectoria insequitur constitutam Rempublicam et eandem administrare legitime docet. Legitime vero administrate, quoties iuste et prudenter regitur. Unde subdivisio nascitur Rectoriae, in Prudentiam Legalem et Consultatoriam. Prudentia Legalis est, quae Rempublicam constitutam juribus instruit, ut honestatis, utilitatis ac tranquilitatis publicae privataeque ratio sibi constet" (Horn, Johann Friedrich, Politicorum Pars Architectonica de Ci vitate, S. 27). 230 Horn, Johann Friedrich, Politicorum Pars Architectonica de Civitate, S. 26. 231 „... Politica vocetur: dum omnia Consilia dirigit, ut noxia declinetur, necessaria, utilia, decora, commode publicum augeant. Una haec pars instar omnium est, dum felix Reipublicae administratio ab hac sola dependet. Non sufficit, Justitia antecellere alios ..(Horn, Johann Friedrich, Politicorum Pars Architectonica de Civitate, S. 28). 232 Leipzig 1708. 233 So der Staatsrechtler an der Stuttgarter Karlsschule und später als begeisterter Revolutionär im Dienste der französischen Verwaltung der linksrheinischen Gebiete stehende Christoph Friedrich Cotta (vgl. dazu: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 4, Leipzig 1876, S. 518 ff.) in seiner „Einleitung in das allgemeine Statsrecht

III. Die Tradition des Allgemeinen Staatsrechts

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Rechts von der Moral für das Allgemeine Staatsrecht ein konstituierendes Element, doch wird gerade der Rechtscharakter des Allgemeinen Staatsrechts schon deutlich auch bei Huber herausgearbeitet und in dessen zeitlich und wissenschaftshistorisch gewissermaßen eine ganze Generation früher angesiedeltem Werk als wesentlich erkannt, zumal gerade Thomasius sogar dieses selbst zum Gebrauch in seinen eigenen Vorlesungen zum Allgemeinen Staatsrecht empfohlen und mit Anmerkungen versehen neu herausgegeben hat 2 3 4 . Gewissermaßen noch eine weitere „Generation" von Hubers „De Jure Civitatis libri très" entfernt ist schließlich die bisweilen im Zusammenhang mit der Urheberschaftsfrage genannte 235 , im Jahre 1710 erschienene „Introducilo in lus Publicum Universale" des Hallensischen Staatsrechtslehrers Justus Henning Böhmer, der wiederum selbst ein Schüler von Christian Thomasius war, auch wenn sie im übrigen ein bedeutender und allgemein anerkannter, als „Standardwerk" 2 3 6 bezeichneter Beitrag zum Allgemeinen Staatsrecht ist. Weder Grotius, noch Pufendorf, Hobbes, Thomasius, Horn, Ziegler oder Böhmer erfüllen also auch nur das oben genannte objektive Merkmal der erstmaligen eigenständigen systematischen Abhandlung der typischen Inhalte des Allgemeinen Staatsrecht für die Urheberschaft des Allgemeinen Staatsrechts als Wissenschaft, einhergehend mit einer deutlichen Abgrenzung dieser Wissenschaft von der Politik, geschweige denn, daß bei ihnen das subjektive Element eines entsprechenden Bewußtseins hinsichtlich der Neuartigkeit und vor allem der Erstmaligkeit des wissenschaftlichen Ansatzes und Anspruches erkennbar wäre. Damit kann Huber, der auch als einziger diese Urheberschaft für sich selbst beansprucht und insofern zumindest das entsprechende Bewußtsein hat, aber - wie sich aus dem oben Ausgeführten ergibt - auch die übrigen objektiven Kriterien erfüllt, zu Recht als Schöpfer des Allgemeinen Staatsrechts gelten, dessen Entstehungszeitpunkt damit auf das Jahr 1672, das Erscheinungsjahr der ersten Auflage von „De Jure Civitatis libri très" zu datieren ist. der teutschen Lande", Tübingen 1786, S. 104, wobei Cotta offenbar das früher erschienene Werk Hubers nicht kennt, es jedenfalls auch nirgends sonst zitiert. 234 Vgl. 1. Kap. Fußn. 22 und 3. Kap. Fußn. 2f. 235 So etwa Wiguleus Xaver Aloys von Kreittmayr in seinem „Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechts" (S. 2), jedenfalls, wie er sich ausdrückt, „ex protestantibuswährend „ex catholicis" der bereits erwähnte Salzburger Professor Franz Schmier der erste Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts gewesen sein soll. 236 So erklärt beispielsweise Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 43, daß er Böhmers Werk wegen seiner „accurate sse" zur Grundundlage seiner eigenen Vorlesung im Allgemeinen Staatsrecht machen wolle und noch Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, Vorrede S. Xf., nennt es ein „vorzüglich gutes Buch".

2. Kapitel

Kurze Bibliographie und Biographie des Allgemeinen Staatsrechts I. Ulric Huber De Jure Civitatis libri très Ulric Huber wurde 1636 in Friesland geboren. Sein Rechtsstudium führte ihn von Franeker 1654 nach Utrecht, 1656 nach Marburg, 1657 nach Heidelberg, wo er auch promovierte. In Straßburg bereitete er sich bei J. H. Böckler auf seine Ernennung zum Professor eloquentiae an der Universität Franeker im gleichen Jahr vor 1 . Dort lernte er auch seine Ehefrau, eine Enkelin von Johannes Althusius, kennen, die er 1659 heiratete 2. Seit 1662 gab er auch Rechtsunterricht, wurde 1665 Professor für die Institutionen, 1667 Primarius, 1679 Gerichtsrat am obersten friesischen Gerichtshof und kehrte 1682 an die Universität nach Franeker zurück, wo er im Jahre 1694 starb. Außer „De Jure Civitatis libri très" von 1672, dem grundlegenden Werk des Allgemeinen Staatsrechts, auf dessen Inhalt an anderer Stelle noch ausführlicher eingegangen werden soll, hat Huber auch wichtige Beiträge zum Römischen Recht, zum Völkerrecht und zum heimischen friesischen Recht geleistet3.

II. Justus Henning Böhmer Introductio in lus Publicum Universale ex genuinis iuris naturae principiis deductum et in usum iuris publici particularis quarumcunque rerumpublicarum adornatum Justus Henning Böhmer wurde 1674 als Sohn des Rechtsconsulenten Valentin Böhmer in Hannover geboren. Er studierte Jura an der Universität Jena und arbeitete einige Zeit ebenfalls als Anwalt. In Halle wurde er 1698 1

Feenstra, R., in: Stolleis, Michael (Hrsg.), Juristen - Ein biographisches Lexikon; von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 300. 2 Wolf\ Erik, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, Tübingen 1939, S. 169. 3 Zum Ganzen vgl. Feenstra, S. 300f.

II. Justus Henning Böhmer

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zum Doktor beider Rechte promoviert und 1701 zum ordentlichen Professor ernannt, kam aber erst 1711 an die Juristenfakultät. 1743 wurde er außerdem Regierungskanzler des Herzogtums Magdeburg. Er starb im Jahre 1749. Besondere Bedeutung haben seine zivilrechtlichen Schriften, unter anderem ein Pandektencompendium - „Introducilo in jus digestorum" von 1704, sowie seine Arbeiten zum evangelischen Kirchenrecht 4 . Seine circa sechshundertseitige „Introductio in jus publicum universale" aus dem Jahre 1710 ist ein Standardwerk zum Allgemeinen Staatsrecht und beeindruckt vor allem durch den streng systematischen Aufbau, die Stringenz der Gedankenführung und die Gründlichkeit bei der Behandlung des Stoffes. Sie ist gegliedert in zwei Teile, nämlich eine „pars generalis" und eine drei Bücher („libri ") umfassende - „pars specialisdie wiederum jeweils in Kapitel mit kurzen Paragraphen unterteilt sind. Der eigentliche Haupttext macht aber nur einen Bruchteil des gesamten Werkes aus, das in der Hauptsache aus den sehr umfangreichen Anmerkungen besteht. Die „pars generalis" umfaßt etwa 130 Seiten und beschäftigt sich im wesentlichen mit den für das Allgemeine Staatsrecht notwendigen und vorauszusetzenden naturrechtlichen Grundsätzen, der Systematik des Allgemeinen Staatsrechts und seiner Abgrenzung zu Politik und Völkerrecht, seiner „necessitas et utilitas" und seinen bisherigen Bearbeitern, zu denen er Grotius, Hobbes, Huber, Pufendorf, Hertius, Ziegler sowie Thomasius zählt und mit denen er sich jeweils kritisch - insbesondere was Hobbes angeht - auseinandersetzt. In der „pars specialis" handelt Böhmer im ersten Buch auf circa 170 Seiten die theoretischen Grundlagen des Allgemeinen Staatsrechts ab, die Lehre vom Staatsvertrag und den Ursprung staatlicher Herrschaft, die verschiedenen Regierungsformen und die grundsätzlichen Rechte der höchsten Gewalt sowie ihre Beschränkungen. Das zweite Buch der „pars specialis" ist mit etwa 230 Seiten der umfangreichste Teil des Werkes. Hier beschäftigt sich Böhmer mit den Majestätsrechten im besonderen, nämlich in eigenen Kapiteln jeweils mit den Rechten „circa publicam securitatem externam", in die auch etliche völkerrechtliche Aspekte mit einfließen, und „circa tranquilitatem internam reipublicaewobei „securitas" und „tranquilitas" für ihn ohnehin der eigentliche Staatszweck sind, weiterhin mit den Majestätsrechten der Gesetzgebung, Verwaltung, Justiz, Strafrecht, Oberaufsicht über Gesellschaften und insbesondere ausführlich auch mit dem „lus imperantis circa sacra". Das letzte und mit etwa 100 Seiten kürzeste Buch des zweiten Teils handelt schließlich von den Rechten und Pflichten der Untertanen, wobei er beispielsweise auf die einzelnen Stände innerhalb der Gesellschaft und die „Iura et obligationes civium qua talium inter se" eingeht, jedoch mit Ausnahme eines Exkurses ins Familienrecht unter - ausdrücklicher - Vermeidung der sonst bei den Bearbeitern des All4

Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 3, Leipzig 1876, S. 79 f.

5 Schelp

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2. Kap.: Bibliographie und Biographie des Allgemeinen Staatsrechts

gemeinen Staatsrechts häufig zu beobachtenden systembezogenen Inkonsequenz, mit der auch privatrechtliche Probleme im Rahmen der allgemeinstaatsrechtlichen Ausführungen teilweise intensiv abgehandelt werden 5 . Besondere Aufmerksamkeit finden in diesem Zusammenhang dagegen die staatsbürgerlichen Rechte wie etwa das Recht auf Auswanderung, aber auch die „Iura subditorum vacante imperio

III. Johann Salomo Brunnquell Eröffnete Gedancken von dem allgemeinen Staatsrechte und dessen nöthigen Excolierung Johann Salomo Brunnquell, geboren 1693 in Quedlinburg als Sohn eines Gymnasialrektors, studierte seit 1712 in Jena und Leipzig und wurde 1720 Doktor der Rechte in Jena, 1730 Ordinarius und gleichzeitig Assessor beim Schöffenstuhl und Hofgericht. 1735 berief man ihn an die Juristenfakultät nach Göttingen, wo er jedoch im gleichen Jahr verstarb. In Erscheinung trat er vor allem als Rechtshistoriker 6. Seine Schrift zum Allgemeinen Staatsrecht, „Eröffnete Gedancken von dem allgemeinen Staatsrechte und dessen nöthigen Excolierung", erschien 1721 in Jena. Sie umfaßt lediglich 45 Seiten und 27 Paragraphen. Es handelt sich dabei deshalb nicht um ein wirkliches Lehrbuch des Allgemeinen Staatsrechts, sondern eher um eine Hinführung zu der Materie, insbesondere zu dem Werk von Böhmer, das er seiner eigenen Vorlesung zu diesem Thema, wie er ankündigt, zugrundezulegen beabsichtigte. Dabei geht er vor allem auf den Zweck des Allgemeinen Staatsrechts ein, seinen Nutzen, etwa für das Reichsstaatsrecht, seine Herleitung sowie seine Abgrenzung und Eigenständigkeit, aber auch auf seine Rechtsqualität und seinen Geltungsanspruch.

IV. Franz Schmier Jurisprudentia Publica Universalis Franz Schmier ist einer der wenigen katholischen Rechtsgelehrten, die das Allgemeine Staatsrecht schon früh bearbeitet haben. Er stammt aus E n nenbach in Schwaben und legte im Jahre 1696 die Ordensgelübde im Benediktinerkloster Ottobeuren ab. 1706 erhielt er die juristische Doktorwürde der Universität Salzburg, wo er auch bis 1715 ein Lehramt für Kanonisches 5 Das gilt insbesondere für das Erbrecht, das Böhmer hier, im Gegensatz zu anderen Autoren des Allgemeinen Staatsrechts, explizit ausnimmt (Introductio in lus Publicum Universale, S. 637). 6 Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 3, S. 448.

IV. Franz Schmier

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Recht bekleidete und 1713 Rector magnifiais und gleichzeitig Salzburgischer Geheimer Rat wurde. Er starb 17287. Seine insgesamt 436 Seiten umfassende „Jurisprudentia Publica Universalis" ist unterteilt in 5 Bücher mit jeweils mehreren Kapiteln, die wiederum in Abschnitte mit Paragraphen gegliedert sind. In einer „Dissertatio Praeambula" beschäftigt er sich zunächst ausdrücklich gewissermaßen mit „technischen Vorfragen" der Jurisprudentia Publica Universalis, nämlich in der traditionellen scholastischen Vortragsweise eines Wechsels von Frage und Antwort, die er i m übrigen für beinahe das gesamte Werk durchhält, mit Fragen wie: „Deturne Jurisprudentia Universalis?", „Quid sit Jurisprudentia Publica Universalis?" „Quomodo Jurisprudentia Publica Universalis différât a Disciplinis affinibus?". Das erste Buch widmet er der ausführlichen Darstellung verschiedener Arten des menschlichen Zusammenlebens, wobei er diese vom Naturzustand ausgehend über Ehe- und Familienstand bis hin zur Beschreibung der verschiedenen Staats- und Regierungsformen entwickelt. Im zweiten Buch geht er ein auf die höchste Gewalt, ihre Definition, ihr Wesen, ihre Erlangung, ihre Beendigung und auch die mit ihr einhergehenden Verpflichtungen, im ganzen dritten Buch auf ihre innerstaatlichen Rechte, während das gesamte vierte Buch mit etwas über 160 Seiten „De Juribus Summae Potestatis quoad Civitates exteras" handelt. Das mit knapp 40 Seiten kürzeste fünfte Buch beschäftigt sich schließlich mit den Untertanen, ihrer Rechtsstellung im Staat und vor allem ihren Verpflichtungen, aber auch solchen Rechten wie „Jura Subditis competant vacante Imperio " oder etwa dem Recht auf Auswanderung, wobei bemerkenswert ist, daß nur wenige Jahre vor der großen Salzburger Protestantenvertreibung von 1731 durch den Salzburger Erzbischof Leopold Anton 8 ein entsprechendes Recht auf „Expulsio" gegen den Willen des Untertanen gerade nicht, jedenfalls nicht allein aus Glaubensgründen, zugestanden wird 9 . Insgesamt ist Schmiers Jurisprudentia Publica Universalis ein bedeutendes Werk des Allgemeinen Staatsrechts, umso mehr, als es das erste umfassende Lehrbuch eines katholischen, sogar eines geistlichen Autors ist, das sich nicht nur mit dem Allgemeinen Staatsrecht ausführlich beschäftigt und auseinandersetzt, sondern ihm auch nicht grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, es darüber hinaus vielmehr als durchaus auch für den katholischen Raum anwendbar anerkennt. Im Unterschied zu den protestantischen Bearbeitern des Allgemeinen 7 Zauner, Judas Thaddäus, Biographische Nachrichten von den salzburgischen Rechtsgelehrten, Salzburg 1789. 8 Vgl. Arnold, C. F., Die Vertreibung der Salzburger Protestanten und ihre Aufnahme bei Glaubensgenossen, Leipzig 1900. 9 „Itaque Civis aliquis contra voluntatem suam ex Civitate ne quit expelli ..." (ι Schmier , Jurisprudentia Publica Universalis, S. 434).

δ*

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2. Kap.: Bibliographie und Biographie des Allgemeinen Staatsrechts

Staatsrechts fallen bei Schmier jedoch beispielsweise formal eine besondere Vorliebe für die Beweisführung mit Stellen aus der Heiligen Schrift, aber auch verstärkt aus den Schriften der Heiligen, wie Augustinus oder Thomas von Aquin, sowie eine in Teilen außerordentlich kritische Auseinandersetzung mit den protestantischen Vertretern des Allgemeinen Staatsrechts, wie etwa vor allem Böhmer, auf 1 0 .

V. Gottfried Ernst Fritsch Conspectus Iuris Publici Universalis Methodo Systematica Nova Ratione Elaborati et ex Uno Principio Deducti Gottfried Ernst Fritsch, Sohn eines Schusters aus Jena, stand nach seinem Studium in seiner Vaterstadt zunächst als Hauslehrer, Jurist und Hofrat in den Diensten der Grafen von Wertheim-Löwenstein, bevor er im Jahre 1735 zum ordentlichen Professor der Rechte in Jena berufen wurde. Dort konnte er aber sein Amt wegen Unpäßlichkeit nicht antreten, weshalb er als Herzoglich-Weimarischer Legationsrat an den kaiserlichen Hof nach Wien abgeordnet wurde 11 . Der „Conspectus Iuris Publici Universalis" von 1733 ist insofern ein ungewöhnliches Werk zum Allgemeinen Staatsrecht, als er lediglich aus einer Folge von 318 Thesen und Fragen auf insgesamt 26 Seiten und einem Vorwort besteht 12 . Es soll, wie sich schon aus dem Titel, aber auch der Widmung des Autors ergibt, eine knappe Zusammenfassung der Inhalte des Allgemeinen Staatsrechts sein, insbesondere zum Gebrauch der Grafen von Löwenstein-Wertheim, in deren Diensten der Verfasser stand. Dementsprechend erinnert es mit seinem kurzen, apodiktischen Stil, dem Wechsel von Fragestellung und thesenartiger Beantwortung oder dem lediglichen Hinweis auf bestimmte Probleme bzw. Themen des Allgemei10 Zu Beidem vgl. exemplarisch Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis, S. 10f. Es sei hier aber angemerkt, daß Böhmers Werk sich später auch in katholischen Kreisen großer Beliebtheit erfreute, wie sich etwa aus dem Vorwort eines Prager Nachdruckes seiner „Introductio in lus Publicum Universale" aus dem Jahre 1774 ersehen läßt, wonach zwar ein vernünftiger Leser erkennen könne, daß von einem Lutheraner argumentiert werde und daher gelegentlich geringfügige Abstriche und Modifikationen gemacht werden müßten, dies aber den Nutzen und Wert des Buches insgesamt nicht mindere (vgl. Hammerstein, Die Naturrechtslehre an den deutschen, insbesondere den preußischen Universitäten, S. 18). 11 Zum Ganzen vgl. Stepf, Johann Heinrich, Gallerie aller juridischen Autoren von der ältesten bis auf die heutige Zeit, Bd. 3, Leipzig 1822 und Jöcher, Christian Gottlieb, Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Fortsetzung und Ergänzung von Johann Christoph Adelung, Bd. 2, Leipzig 1787. 12 Darüber hinaus ist Fritsch aber auch der Autor eines größeren, gewissermaßen „konventionellen" Werkes des Allgemeinen Staatsrechts, nämlich des ein Jahr nach dem „Conspectus Juris Publici Universalis" erschienenen „Jus Publicum Universale et Pragmaticum" (Jena 1734).

VI. Abraham Jacob Oertel

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nen Staatsrechts an ein Examensrepetitorium. Vom Aufbau und der Themenauswahl her ist es offenbar in weiten Teilen eng an Hubers „De Jure Civitatis" angelehnt. Besondere Aufmerksamkeit widmet Fritsch allerdings der Definition von höchster Gewalt oder Majestät, ihrem Verhältnis zu den Untertanen, ihren Rechten im einzelnen, wobei er besonderen Wert auf die Feststellung zu legen scheint, daß auch der durch spezielle Fundamentalgesetze gebundene Monarch souverän und unabhängig bleibe 1 3 , aber auch der Erlangung, der Übertragung und dem Verlust der Herrschaft, bis hin zu einer längeren Passage über das Verbrechen der Majestätsbeleidigung. Nur kurz geht er in diesem Rahmen schließlich auf den staatsrechtlichen Status des Deutschen Reiches unter Anwendung des Allgemeinen Staatsrechts ein, obwohl er im Vorwort die Bedeutung des letzteren für das Verständnis und die Einordnung tatsächlicher bzw. historischer rechtlicher Vorgänge und Grundlagen, wie etwa die Goldene Bulle, die kaiserlichen Kapitulationen, die „Prinzipien des öffentlichen Reichskirchenrechts, zuförderst der Konkordate der deutschen Nationen mit der römischen Kurie", oder die „Friedensverträge, die den Status des Reiches und das Staatsrecht angehen, wie der Westfälische Friede und die übrigen späteren Friedensschlüsse dieser Art, die das System des heutigen Europas prägen" eigens betont 14 .

VI. Abraham Jacob Oertel Meditationes de Iure Publico Universali et Particulari eorumque Differentiis Geboren im Jahre 1711 in Ahlfeld als Sohn eines Pfarrers, begann Oertel sein Studium der Rechtswissenschaften 1731 in Altdorf, wechselte dann für fünf Jahre nach Jena, wo er 1736 der Hofmeister zweier Nürnberger Patriziersöhne wurde und auch juristische Vorlesungen abhielt. Seit 1742 arbeitete er als Advokat in Nürnberg, wurde 1745 Doktor der Rechte, 1760 Herzoglich-Württembergischer Hofrat und 1762 von Kaiser Franz in den Adelsstand erhoben. Er starb im Jahre 1790 15 . Die „Meditationes de Iure Publico Uni versali et Particulari eorumque Differentiis" von 1743 enthalten auf 52 Seiten 46 Paragraphen. Nach einer kurzen Einleitung über die Definition und Systematik von Recht, Staatsrecht und Allgemeinem Staatsrecht und einer entsprechenden Literaturexegese, bei der insbesondere auch 13

Fritsch, Conspectus Iuris Publici Universalis, S. 6 f. und 21. Fritsch, Conspectus Iuris Publici Universalis, Vorwort S. 5. 15 Zum Ganzen vgl. Jöcher, Christian Gottlieb, Allgemeines Gelehrten-Lexikon, Fortsetzungen und Ergänzungen von Heinrich Wilhelm Rothermund, Bd. 5. Bremen 1816. 14

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2. Kap.: Bibliographie und Biographie des Allgemeinen Staatsrechts

Hubers „De Jure Civitatis libri très" Erwähnung findet, kommt er bald auf das eigentliche „subjectum iuris publici universalisnämlich die „majestas", zu sprechen, deren Natur, Rechte und Beschränkungen er im Hauptteil der Arbeit ausführlich - auch anhand praktischer Beispiele - darlegt. Breiten Raum nimmt dabei unter anderem die Erörterung der Frage nach dem Recht der höchsten Gewalt auf Investitur, also auf die Besetzung geistlicher Ämter, vor dem Hintergrund der Majestätsrechte ein und insoweit vor allem das nicht nur historische, sondern auch praktisch-politische Problem, ob Kaiser Heinrich V. ein für allemal und rechtswirksam in Ansehung des Reiches auf dieses Recht verzichtet habe. Erst im letzten Drittel seiner „Meditationes" thematisiert Oertel dann mehr oder weniger ausführlich die nach dem Titel zu erwartende Frage nach der Rechtsnatur des Allgemeinen Staatsrechts im besonderen, seinem Gegenstand, Nutzen und Zweck sowie den sich aus seiner Allgemeinheit und Allgemeingültigkeit ergebenden Implikationen im Verhältnis und im Unterschied zum Partikularrecht.

VII. Johann Heinrich Gottlob von Justi Die Natur und das Wesen der Staaten, als die Grundwissenschaft der Staatskunst, der Policey und aller Regierungswissenschaften, desgleichen als die Quelle aller Gesetze abgehandelt Der im Jahre 1717 geborene Justi studierte von 1742 bis 1747 die Rechtswissenschaften in Wittenberg und erhielt 1750 einen Ruf an die neu gegründete Wiener Ritterakademie, wo er seine bedeutenden kameralistischen Theorien entwickelte und sie gleichzeitig als kaiserlicher Finanz- und Bergrat im Silberbergbau praktisch erproben konnte. Da er mit letzterem jedoch scheiterte, mußte er Wien verlassen und hielt sich zunächst von 1755 bis 1757 in Göttingen als Bergrat und Polizeidirektor mit universitärer Lehrbefugnis, später in Berlin auf, wo er von Friederich dem Großen 1765 zum preußischen Berghauptmann und Oberaufseher über die Glas- und Stahlhütten des Landes ernannt, im Jahre 1768 aber wegen des Vorwurfs der Untreue bis zu seinem Tode im Jahre 1771 inhaftiert wurde. Neben seinem kameralistischen Hauptwerk „Die Grundfeste zu der Macht und Glückseligkeit der Staaten, oder ausführliche Vorstellung der gesamten Policey-Wissenschaft" von 1761, für das er im Jahre 1762 die Ehrenmitgliedschaft der bayerischen Akademie der Wissenschaften erhielt, ist „Die Natur und das Wesen der Staaten" eines seiner bedeutendsten Bücher 16 . Es umfaßt 488 Seiten und ist gegliedert in acht „Hauptstücke" mit Abschnitten 16

Zum Ganzen vgl. Ahl, in: Stolleis, Michael (Hrsg.), Juristen, Ein biographisches Lexikon, Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 330f.

Vin. Hermann Friedrich Kahrel

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und Paragraphen. Im ersten Teil beschäftigt sich Justi in vier kurzen Hauptstücken auf etwa einhundert Seiten mit den naturrechtlichen Grundlagen des Allgemeinen Staatsrechts wie dem „ Ursprungdem „Grunde" und dem „Endzweck der Republikenim fünften und sechsten Hauptstück auf weiteren einhundert Seiten mit „denen verschiedenen Regierungsformen" und deren „Triebfederndann mit dem „Verhältniß der obersten Gewalt und der Untertanen gegeneinander" und schließlich im letzten Hauptstück, das offenbar den Schwerpunkt des Werkes ausmacht, auf circa 250 Seiten mit dem „ Wesen der Gesetzewobei eine Besonderheit bei Justi sein vertiefendes Eingehen auf die „Policey-Gesetze" und vor allem auf die „ Cameral- oder Finanz-Gesetze " ist, die er als die „Hauptklasse der politischen Gesetze" bezeichnet, deren „besondrer Endzweck kein andrer seyn" könne, als „den Staat durch seine Einkünfte ... alle Thätigkeit und Stärke zu verschaffen, deren er fähig ist" 11 und die er auch zu einer - sehr modern wirkenden - Durchsetzung politischer Ziele durch Schaffung steuerlicher Anreize eingesetzt sehen w i l l 1 8 . Abgesehen davon ist weiterhin bemerkenswert, daß Justi, wohl in Anlehnung an Montesquieu, auf den er sich häufig und ausdrücklich bezieht, als einziger Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts das Konzept der Gewaltenteilung nicht nur aufgreift und diskutiert, sondern auch befürwortet 19 . Insgesamt ist „Die Natur und das Wesen der Staaten" jedoch oft weitschweifig, wenig präzise und ermangelt stringenter Begründungen der darin mit großer Eloquenz und großem Gestus vorgestellten Lehrsätze.

VIII. Hermann Friedrich Kahrel Jus Publicum Universale, primis lineis et ita descriptum, ut usus ejus simul in jure publico, quod apud diversos Europae populos, praesertim in Germania, viget, appareat Geboren 1719 in Detmold, studierte Kahrel in Marburg zunächst Theologie und Philosophie, später Jura. 1742 wurde er Doktor der Philosophie und, protegiert vom Prinzen Wilhelm IV. von Oranien, kurz darauf ordentlicher Professor in Herborn. Obwohl er 1750 in Duisburg die juristische Doktorwürde erlangte und sich überhaupt besonders mit dem Natur- und Völkerrecht befaßte, gelang es ihm nicht, in eine juristische Fakultät einzutreten. 1762 trat er eine Professur für Philosophie an der Universität Marburg an, die er bis zu seinem Tode 1787 bekleidete 20 . Sein „Jus Publicum 17 18 19 20

Justi, Natur und Wesen der Staaten, S. 443 f. Exemplarisch Justi, Natur und Wesen der Staaten, S. 450. Vgl. etwa Justi, Natur und Wesen der Staaten, S. 99. Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 15, Leipzig 1882, S. 5.

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2. Kap.: Bibliographie und Biographie des Allgemeinen Staatsrechts

Universale", erschienen in Gießen im Jahre 1765, umfaßt 158 Seiten, die das Völkerrecht mit einschließen, ebenso wie einen Abriß über die deutsche Reichsverfassung. Eine Anwendung des Allgemeinen Staatsrechts auf das Reichsrecht wird allerdings nicht explizit vorgenommen. Die Themen des Allgemeinen Staatsrechts wie Staatsgründung, Staatsformen, Majestätsrechte etc. werden kurz abgehandelt, ohne daß Kahrel sich hier mit Herleitungen oder Begründungen aufhält, wozu das Werk auch offenbar - schon von seinem geringen Umfang her - nicht gedacht ist. Zahlreiche Beispiele aus Geschichte und Gegenwart verdeutlichen das Beschriebene lediglich, ohne es, wie dies sonst methodisch für das Allgemeine Staatsrecht typisch ist, zu begründen. Die Rechtsvergleichung dient nicht als Quelle, sondern als Beispiel. Ebensowenig wird näher auf die Rechtsqualität des Allgemeinen Staatsrechts eingegangen, diese vielmehr begrifflich durch die Verwendung des Wortes „Jus" vorausgesetzt, zumal Kahrel auch ein insoweit systemwidriges Kapitel einfügt, das er selbst „De Politia" nennt und das sich mit der Einrichtung des Staates beschäftigt, die sich an den Prinzipien des Gemeinwohls zu orientieren habe, insbesondere dem Wohl der Bürger, deren Anzahl und der Tauglichkeit („aptitudo ") des Staates.

IX. Wiguläus Xaverius Aloysius von Kreittmayr Grundriß des Allgemeinen, Deutsch= und Bayrischen Staatsrechts Geboren 1705 in München als Sohn eines Juristen und kurbayerischen Hofrates, studierte Kreittmayr zunächst Philosophie in Salzburg und Jura an der Landeshochschule in Ingolstadt, ab 1723 in Ley den und Utrecht, absolvierte dann seine praktische Rechtsausbildung beim Reichskammergericht in Wetzlar und trat in den bayerischen Staatsdienst. 1758 wurde er als „wirklicher, geheimer Kanzler und oberster Lehensprobst" an die Spitze der bayerischen Staatsverwaltung berufen. Bereits 1741 war er als Beisitzer des rheinischen Reichsvicariatshofgerichtes in den Reichsritterstand erhoben und 1745 vom bayerischen Kurfürsten zum Freiherrn ernannt worden. Verdient machte er sich auch um die Gründung einer Akademie der Wissenschaften in München im Jahre 1759, deren erster Vizepräsident er wurde. Außerdem berief man ihn zum zweiten Vorstand der Universität Ingolstadt (1776) und kurz vor seinem Tode im Jahre 1790 noch zum Reichsvicariatshofgerichtskanzler. Seine herausragende Leistung ist die Durchführung eines großen Kodifikationsvorhabens für Bayern in den Jahren 1750 bis 1756, nämlich die Kodifizierung des Straf- und Strafprozeßrechts im „codex juris criminalis bavarici" von 1751, des Zivilprozeßrechts im „codex juris bavarici judiciarii" von 1753 und des Zivilrechts im weiteren Sinne im „codex Maximilianeus bavaricus civilis oder Neu verbessert und ergänzt Churbayerisches Landrecht" von 1756, eines allgemeinen Gesetz-

X. Karl Anton von Martini

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bûches für die Kurstaaten. Zu diesen Kodifikationen gab er außerdem anfänglich anonym - umfangreiche Anmerkungen heraus 21 . Ein besonders hoher wissenschaftlicher Wert wird seinem Werk „Des Freiherrn von Kreittmayrs Grundriß des Allgemeinen, Deutschen= und Bayrischen Staatsrechts" 22 beigemessen23. Es umfaßt 448 Seiten und ist in drei Teile unterteilt, deren erster auf 74 Seiten in 38 Paragraphen vom Allgemeinen Staatsrecht handelt. Dabei geht er nur sehr kurz auf Zweck, systematische Stellung und Bedeutung des Allgemeinen Staatsrechts ein, legt sein Hauptaugenmerk vielmehr auf dessen Inhalte, wie Staatsbegriff, Staatszweck, Staatsgründung und insbesondere die Majestätsrechte. In letzterem Zusammenhang widmet er einen beträchtlichen Teil, nämlich circa ein Viertel des gesamten Umfangs, Themen, die nach heutigem Verständnis zum Völkerrecht gehören, wie das Schließen von Bündnissen und die Entsendung von Diplomaten, aber auch, unter ausdrücklicher Schilderung gegensätzlicher Auffassungen von Protestanten und Katholiken - Kreittmayr ist selbst strenggläubiger Katholik 2 4 - staatsrechtlich relevanten Religionsfragen sowie der Darstellung von Pflichten der Obrigkeit gegenüber den Untertanen und deren entsprechenden Rechten.

X. Karl Anton von Martini Allgemeines Recht der Staaten Karl Anton von Martini wurde 1726 als Sohn von Karl Ferdinand von Martini, Hofrat der k.u. k. obersten Justizstelle, in Revo in Südtirol geboren. Er studierte Philosophie in Trient und seit 1741 Rechts- und Staatswissenschaften in Innsbruck, unter anderem bei Paul Joseph Riegger, einem Wegbereiter des Josephinismus, später in Wien, wo er 1753 Doktor beider Rechte wurde und von 1754 bis 1782 den neugeschaffenen Lehrstuhl für Naturrecht innehatte. Darüber hinaus war Martini auch in der österreichischen Staatsverwaltung tätig, unter anderem seit 1788 als Vizepräsident, seit 1792 als Zweiter Präsident der obersten Justizstelle. Seit 1761 gab Martini mehreren Kindern der Kaiserin Maria-Theresia, darunter auch dem späteren Kaiser Leopold II., Rechtsunterricht und wirkte seit 1771 als Mitglied der Kompilationshofkommission - ähnlich wie Kreittmayr in Bayern - an einer großen Kodifikation, nämlich der Abfassung eines Bürgerlichen Gesetzbuches, mit. 1790 bis 1797 war er dann auch Leiter der neugeschaf21 Zum Ganzen: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 17, Leipzig 1883, S. 103 ff. 22 1. Aufl., München 1769 (weitere Auflagen 1770 und 1778). 23 Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 17, S. 110. 24 Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 17, S. 112.

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2. Kap.: Bibliographie und Biographie des Allgemeinen Staatsrechts

fenen Hofkommission für Gesetzgebungssachen. Er starb im Jahre 1800 in Wien 2 5 . Sein „Allgemeines Recht der Staaten" 26 aus dem Jahre 1788 besteht aus zwei Teilen, deren erster auf 200 Seiten das „allgemeine innere Staatsrecht" und deren zweiter das „allgemeine äußere Staatsrecht und das natürliche Völkerrecht" behandeln. Der erste Teil gliedert sich weiter in vierzehn „Hauptstücke " und umfaßt insgesamt 506 Paragraphen. Eingegangen wird darin recht ausführlich auf Staatszweck und Staatsgründung, besonders aber auf die Majestätsrechte hinsichtlich Gesetzgebung, Verwaltung, „ Oberaufsichtalso ein Informationsrecht im Hinblick auf alles, was im Staat vor sich geht und vor allem das Recht zur Kontrolle von innerstaatlichen Gesellschaften, „Polizei" - im damals üblichen Wortsinne von „Bestimmung derjenigen Mittel, wodurch die Bürger ihr Vermögen erhalten, vermehren und bequem leben können" 21 - und Vollstreckung, wobei bemerkenswert ist, daß er in einem langen Abschnitt den Strafprozeß, Strafrechtstheorien, die Folter und die Todesstrafe abhandelt, was in dieser Ausführlichkeit eine Besonderheit darstellt, aber auch - in einem eigenen Hauptstück - auf die „Rechte des Regenten in Religionssachen". Hinsichtlich letzterem ist, über die sich hierdurch bereits formal offenbarende Bedeutung, die diesem Thema beigelegt wird, hinaus, hervorzuheben, daß Martini - insoweit ebenfalls in einer Ausnahmestellung, die sich möglicherweise mit seinem katholisch-süddeutschen Hintergrund erklären läßt - das „Kennzeichen der wahren Religion" darin sieht, „daß sie mit dem Besten des Staates übereinstimmet" 28 und die Förderung des Gottesdienstes als rechtlich gebotene Staatsaufgabe postuliert, da es „außer Zweifel" stehe, „daß die Hausväter durch den Übergang in die bürgerliche Gesellschaft sich von der Verbindlichkeit, Gott zu verehren, ... weder losmachen konn29 ten, noch auch wollten" , schließlich auch auf das Verhältnis zwischen Inhaber der höchsten Gewalt im Staate und Kirchenoberhaupt eingeht 30 , eine Konfliktlage, die sich im protestantischen Raum naturgemäß nicht im selben Maße stellte. Weitere Hauptstücke widmet Martini den verschiedenen Staatsformen, den Pflichten des Regenten und denen der Untertanen, außerdem dem Erwerb und Verlust von Herrschaft, unter anderem mit einer langen Schilderung der Erbfolgeregelungen in der Monarchie. 25 Hofmeister, Herbert, in: Neue Deutsche Biographie, Herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 19 Bde. (bisher erschienen), Berlin 1953-1999, Bd. 16, Berlin 1990, S. 299 f. 26 Vgl. 1. Kap. Fußn. 79. 27 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 45. 28 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 85 f., an anderer Stelle wird ausdrücklich die katholische Religion als „wahre" den „falschen" Religionen gegenübergestellt (vgl. etwa S. 92). 29 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 81 f. 30 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 90.

XI. Heinrich Gottfried Scheidemantel

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XI. Heinrich Gottfried Scheidemantel Das Staatsrecht nach der Vernunft und den Sitten der vornehmsten Völker betrachtet, und: Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform Geboren 1739 in Gotha als Sohn des Arztes Waldemar Gottfried Scheidemantel, begann Scheidemantel seine Universitätskarriere mit der Aufnahme seines Studiums der Philosophie, Literatur, Geschichte und vor allem der Rechtswissenschaften im Jahre 1756 in Jena. 1765 wurde er Doktor der Rechte und Magister Artium, 1769 „Professor iuris extraordinarius", 1772 „Professor iuris Ordinarius supernumerarius" und 1782 schließlich ordentlicher Professor für Lehensrecht. 1783 erhielt er vom Herzog von Württemberg einen Ruf an die Hohe Karlsschule nach Stuttgart und gleichzeitig den Titel eines württembergischen Regierungsrates. Er blieb in Stuttgart bis zu seinem Tode im Jahre 1788. Hervorgetreten ist Scheidemantel insbesondere durch die Ausarbeitung eines „Allgemeinen Kirchenrechts beider Evangelischen Konfessionen in Pohlen und Litauen, die Kirchenverfassung, gute Policey und rechtliche Tätigkeit der Consistorien betreffend" auf Betreiben seines Bruders Johann Jacob, dem dänischen Gesandtschaftsprediger und Vorsteher der Protestantischen Kirche in Warschau, das auf der Generalsynode von Wegrow im Jahre 1780 verabschiedet wurde, sowie auch durch die - unvollendet gebliebene - Revision des „Repetitoriums des Teutschen Staats- und Lehensrechts" 31 . Großen Beif a l l 3 2 fand aber auch sein dreibändiges Lehrbuch „Das Staatsrecht nach der Vernunft und den Sitten der vornehmsten Völker betrachtet" 33 aus den Jahren 1770 bis 1773. Es ist das umfangreichste und ausführlichste Werk zum Allgemeinen Staatsrecht überhaupt. Das knappere „Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform" von 1775 gibt im wesentlichen den Inhalt dieses Hauptwerkes in gestraffter und teilweise ergänzter Form wieder und war als Begleitexemplar zu den Vorlesungen Scheidemantels in diesem Fach konzipiert, wie er dies auch schon in der Vorrede zum zweiten Band seines dreibändigen früheren Werkes aus dem Jahre 1771 angekündigt hatte 34 . Er selbst sagt - unter Betonung des Umfassendheitsan-

31

Leipzig 1781-1783. Vgl. hierzu und zum Ganzen: Weidlich, Christoph, Biographische Nachrichten von den jetztlebenden Rechtsgelehrten in Teutschland, Nachträge, Halle 1783, S. 247, Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 30, Leipzig 1889, S. 707 ff., Meusel, Johann Georg, Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen Teutschen Schriftsteller, Bd. 12, Leipzig 1812, S. 120. 33 Jena, 1770-1773. 34 Scheidemantel, Das Staatsrecht nach der Vernunft und den Sitten der vornehmsten Völker betrachtet, Bd. 2., Vorbericht S. 10. 32

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2. Kap.: Bibliographie und Biographie des Allgemeinen Staatsrechts

spruches des ersteren - zum Verhältnis beider Werke zueinander, er habe durch letzteres ersteres „nicht entbehrlich machen" wollen, denn: „ Jenes ist ein Lehrbuch, dieses sehe ich als ein Werk an, welches so lange die Stelle eines Systems des vernünftigen Staatsrechts verteidigen mag, bis man das Gegenteil beweist" 35. Ersteres besteht aus drei Bänden mit jeweils 336, bzw. 411 und 426 Seiten, gegliedert in „Theile", Abschnitte, Kapitel und Paragraphen. Letzteres umfaßt 432 Seiten und beinahe ebensovielen Paragraphen, die sich ebenfalls in Kapitel, jene wiederum in Abteilungen, diese in eine umfangreiche Einleitung zwei Hauptteile und einen kurzen Schlußteil einfügen. Inhaltlich geht Scheidemantel in der Einleitung seines „Allgemeinen Staatsrechts überhaupt und nach der Regierungsform" ausführlich auf Geschichte, Quellen, Bibliographie und sogar Nutzen des Allgemeinen Staatsrechts ein, bevor er im ersten Hauptteil die einzelnen Themen in der Reihenfolge von Definition des Staatsbegriffes, Staatsgründungstheorien, Definition und Ausgestaltung von Majestätsrechten mit einem besonderen, seinem Allgemeinen Staatsrecht eigentümlichen, offensichtlich von Justi beeinflußten 36 Augenmerk auf Ökonomie und Kameralistik im Rahmen und als Ausfluß der „Polizeirechte " der höchsten Gewalt 3 7 , aber auch auf Religionsangelegenheiten, Justizverwaltung und den staatsrechtlichen Teil des Völkerrechts, abhandelt. Im zweiten Haupt- und im Schlußteil beschäftigt er sich sodann mit der Erörterung der Rechte der Untertanen und der „Staatsgrundgesetze" unter - eine ausdrückliche Besonderheit der Lehrbuchfassung - Berücksichtigung der einzelnen, im Detail dargestellten mög-

35

Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, Vorrede S. 2. 36 Er verweist auf eine Ausgabe von Justis Werk „Natur und Wesen der Staaten" mit Anmerkungen von ihm, Scheidemantel, selbst (Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 22) und bezieht sich auch immer wieder ausdrücklich bei seinen entsprechenden Ausführungen auf diesen (z.B. ebd. S. 184). Gerade bei den „Polizeirechten" liegt dementsprechen auch ein besonderer Schwerpunkt des größeren Werkes, der beinahe den gesamten zweiten Band ausmacht. Wie weit dies geht, wird etwa deutlich, wenn er in der Vorrede zum 2. Band für seine (rechtliche) Erörterung von Polizeiaufgaben hinsichtlich der Bevölkerung ankündigt: „Ich sehe hier auf die Erhaltung und Vermehrung. Die Anstalten wider Krankheiten und andere natürliche Fälle, Mord, Selbstmord, Zweikampf Aussezzung der Kinder, freywillige oder gezwungene Auswanderung werden hierbey aus führlich untersucht Bei der Vermehrung der Einwohner kommen die Hindernisse der Fruchtbarkeit in vorzügliche Betrachtung; das Klosterleben, die Hagestolzen, Luxus, Armut, Vielweiberei, Vielmännerey, Unzucht, Aufsicht der Polizei über die Ehen selbst und endlich die Anlockung der Ausländer werden zugleich rechtlich bestimmt" (Scheidemantel, Das Staatsrecht nach der Vernunft und den Sitten der vornehmsten Völker betrachtet, Bd. 2, Vorbericht S. 5. f.). 37 So sagt er auch einmal ausdrücklich: „dennoch muß ein guter Regent allezeit im Stande seyn, die Staatswirtschaft zu berechnen" (Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 171).

ΧΠ. Carl Gottlieb Svarez

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lichen Regierungsformen, wobei für die Monarchie auch das königliche Erb- und Familienrecht unter dem Aspekt des Allgemeinen Staatsrechts abgehandelt wird, ersteres offenbar ebenfalls ein Gegenstand seines besonderen Interesses, nachdem er auf weiterführende eigene Schriften selbst hinweist 3 8 und geht auch jeweils kurz auf „Mängel und Ende der Staaten und Regierungsformen „ TiranneiRevolution und Widerstandsrecht ein. Insgesamt ist seine Arbeits- und Darstellungsweise außerordentlich gründlich und erschöpfend, selbst in der kürzeren Lehrbuchfassung belegt mit außergewöhnlich umfassenden Literaturnachweisen und Zitaten, um Abstraktheit bemüht und ergänzt durch den rechtsvergleichenden Gebrauch weitschweifender historischer und zum Teil sogar mythischer Beispiele.

XII. Carl Gottlieb Svarez Vortraege Sr. Majestät dem regierenden Könige als Kronprinzen gehalten vom Geheimen Ober-Justiz-Rath Svarez über Gegenstände des oeffentlichen und Privat-Rechts Carl Gottlieb Svarez wurde im Jahre 1746 als Sohn eines Advokaten in Schweidnitz geboren. An der Universität von Frankfurt an der Oder studierte er von 1762 bis 1765 die Rechtswissenschaften, unter anderem bei dem Naturrechtler Joachim Georg Darjes, und trat danach in den preußischen Staatsdienst ein. Noch als Referendar wurde er schon ein enger Mitarbeiter des damaligen Justizministers für Schlesien, Johann Heinrich Casimir von Carmer und nahm teil an etlichen rechtlichen Reformprojekten wie der Reform der Gerichtsverhältnisse seiner Vaterstadt Schweidnitz, dem Ausbau eines Kreditsystems für den Grundbesitzadel Schlesiens und der Neuordnung des schlesischen Schulwesens. Gemeinsam mit dem dann zum Großkanzler berufenen Carmer ging Svarez 1780 nach Berlin und widmete sich als Geheimer Justizrat bei der Gesetzkommission als einziger hauptberuflicher Justizministerialbeamter für den Rest seines Lebens der preußischen Justizreform, insbesondere dem mit Inkrafttreten des „Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten" von 1794 abgeschlossenen großen preußischen Kodifrkationsvorhaben, das er ganz maßgeblich geprägt hat 3 9 . Daneben wurde er - wohl angesichts seiner großen juristischen Fähigkeiten - mit der Ausbildung des Kronprinzen und späteren Königs Friedrich-Wil38

„De judice in causis litigiosae successionis in regnae", Jena 1768, vgl. Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 359. 39 Zum Ganzen vgl. Krause, Peter, Carl Gottlieb Svarez, in: Krause, Peter/Gose, Walter, Aufklärung und Gesetzgebung, Trier 1988, S. 41 f., Conrad, Hermann/ Kleinheyer, Gerd (Hrsg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), Köln 1961, Einleitung S. XIXf., m.w.N.

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2. Kap.: Bibliographie und Biographie des Allgemeinen Staatsrechts

heim III. in der Materie des Rechts betraut. Die „Kronprinzenvorträge" 40 aus den Jahren 1791 und 1792 bestehen aus mehreren Vorlesungen, die sowohl als Vorlesungsmansuskripte, als auch in einer schriftlichen, dem Kronprinzen offenbar als Erinnerung an die Hand gegebenen Zusammenfassung dieser mündlich vorgetragenen Manuskripte vorliegen. Sie befassen sich zum allergrößten Teil mit dem, was üblicherweise zum Allgemeinen Staatsrecht gezählt wird, immer jedoch mit Blick auf die dem Lehrauftrag zugrundeliegenden speziellen Bedürfnisse eines zukünftigen preußischen Monarchen und infolgedessen unter Beachtung etwa der partikularen preußischen staatsrechtlichen Gegebenheiten und Preußens Stellung im Reich, immer aber auch mit dem besonderen Bestreben, dem Kronprinzen das Allgemeine Staatsrecht als verbindliche Rechtsordnung darzustellen. Im Einzelnen behandelt Svarez, ausgehend von den „Grundsätzen des Natur- und Allgemeinen Staatsrechtsdie verschiedenen Regierungsformen und die Majestätsrechte mit jeweils besonderem Schwerpunkt auf dem Recht der Gesetzgebung, der Gerichtsbarkeit - einschließlich eines längeren Exkurses ins Strafrecht - sowie des „Rechts der Polizei " im Sinne von Staatsverwaltung und „Oberaufsichtaußerdem das „Recht der Finanzen" und das „allgemeine äußere Staatsrecht" bzw. Völkerrecht, wobei die jeweiligen Ergebnisse und Gegenstände der Vorlesungen oft, wie es der Tradition des Allgemeinen Staatsrechts entspricht, anhand zahlreicher historischer Beispiele illustriert und belegt werden 41 , gibt aber schließlich auch, dem Zweck der Vorlesungen entsprechend, eine „Allgemeine Übersicht der Landeshoheitsrechte" und „des deutschen Staatsrechts und der deutschen StaatsverfassungInsgesamt wird in den „Kronprinzenvorträgen" immer wieder in besonders klarer Weise der Anspruch des Allgemeinen Staatsrechts, „echtes" Recht mit normativer Geltung zu sein, vor allem auch in seiner Verknüpfung mit der dem zugrundeliegenden rechtlichen Dogmatik der Staatsvertragslehre, deutlich und unmißverständlich ausgesprochen, ebenso wie überhaupt die einzelnen Themenbereiche des Allgemeinen Staatsrechts ganz der offensichtlichen besonderen Begabung des Autors zu Klarheit und Präzision von Ausdruck und Gedankenführung entsprechend abgehandelt sind, wobei vereinzelt gewisse persönliche Interessenschwerpunkte offenbar werden, wie die ausführliche Beschäftigung mit dem Gesetzgebungsrecht und -auftrag des Monarchen, der Pressefreiheit 42, der Religionsfreiheit und dem die faktische Unabhängigkeit der Justiz sichernden Machtspruch verbot 43 .

40 41 42 43

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

1. Kap. Fußn. etwa Svarez, etwa Svarez, etwa Svarez,

148. Kronprinzenvorträge, Fol. 117 v.u.a. Kronprinzenvorträge, Fol. 305 v., 306, 306 v., 307 u. a. Kronprinzenvorträge, Fol. 125 v., 298 u.a.

XIV. August Ludwig Schlözer

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X I I I . Georg Wilhelm von Eggers Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts Geboren in Glückstadt im Jahre 1765 als Sohn des Juristen und hohen dänischen Beamten Heinrich Friedrich v. Eggers, wurde Georg Wilhelm v. Eggers nach seinem Studium der Rechtswissenschaften ebenfalls in dänischen Diensten königlicher Inspektor des Kronprinzenkorps Süder-Dithmarschen und später Landvogt der Insel Sylt. Er starb in Tondern im Jahre 1816 44 . Sein „Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts" aus dem Jahre 1790 ist ein geradezu klassisches Beispiel für ein System des Allgemeinen Staatsrechts aus dessen Hoch-und Spätphase. Alle wichtigen inhaltlichen und methodischen Punkte sind mit einer besonderen Klarheit und gewissermaßen Abgeklärtheit logisch und stringent abgehandelt. In drei „ Theilenuntergliedert wiederum in „Abtheilungen Abschnitte, Hauptstücke, Kapitel und Paragraphen, führt Eggers auf 266 Seiten (in 619 Paragraphen) über das „natürliche Gesellschaftsrecht" zum „natürlichen Staatsrechtzu den Rechten und Pflichten von Untertanen und Regenten, insbesondere den einzelnen, in „wesentliche„zufällige" und „eminente" unterteilten Majestätsrechten und geht dabei auch ausführlich ein auf die „gegenseitigen Gerechtsamen des Regenten und der Unterthanen bey Nichterfüllung der schuldigen Pflichten abseiten eines Theils" und, im eigenen kurzen dritten „ Theilauf die „Rechte derjenigen, welche im Staat leben, ohne Mitglieder desselben zu seyn, auf den Staat und die Regierungsowie in einem Anhang, auf die „Regierungsformen und deren RechteEine Besonderheit ist dabei, daß er zu den „wesentlichen Majestätsrechten" bzw. -pflichten die „unmittelbare Sorge des Regenten für diejenigen im Staat, welche unvermögend sind, für sich selbst zu sorgen also einen sozialstaatlichen Auftrag zählt 4 5 .

X I V . August Ludwig Schlözer Allgemeines StatsRecht und StatsVerfassungsLere August Ludwig Schlözer wurde im Jahre 1735 in Jaggstadt in Württemberg als Sproß einer alteingesessenen und traditionsreichen evangelischen Pfarrersfamilie geboren. Von 1751 bis 1754 studierte er Theologie in Wittenberg, später in Göttingen. Von 1755 bis 1758 verbrachte er drei Jahre als 44 Kordes, Berend, Lexikon der jetztlebenden schleswig-holsteinischen und eutinischen Schriftsteller, Schleswig 1797, Lübker/Schröder, Lexikon der SchleswigHolstein-Lauenburgischen und Eutinischen Schriftsteller, Altona 1829. 45 s. dazu noch infra.

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2. Kap.: Bibliographie und Biographie des Allgemeinen Staatsrechts

Hauslehrer und Wissenschaftler in Schweden, von 1761 bis 1769 weitere acht Jahre in Rußland, wo er 1765 von Zarin Katharina persönlich zum ordentlichen Mitglied der Akademie von St. Petersburg und zum Professor für russische Geschichte berufen wurde. 1766 verlieh ihm die philosophische Fakultät in Göttingen die Doktorwürde honoris causa, 1769 wurde er dort zum ordentlichen Professor ernannt. Zunächst beschäftigte er sich hauptsächlich mit Geschichte, übernahm aber nach dem Tode Achenwalls, der selbst sein Lehrer gewesen war, und auf Betreiben von Pütter im Jahre 1772 auch Vorlesungen in Statistik, Politik und Allgemeinem Staatsrecht. Rufe an die Universität Halle (1778) und von Kaiser Joseph II. nach Wien (1781) lehnte Schlözer ab, erhielt aber im Jahre 1782 als erster Protestant die juristische Doktorwürde honoris causa der Universität Innsbruck. In Göttingen verlieh man ihm 1787 zusammen mit der Nominalprofessur für Politik den Titel eines Hofrats, 1806 den eines Geheimen Justizrats. Kurz vor seinem Tode im Jahre 1809 wurde Schlözer für seine Verdienste um die russische Geschichtsschreibung von Zar Alexander noch in den russischen Adelsstand erhoben. Hervorgetreten ist Schlözer vor allem mit seinen historischen Arbeiten, aber auch mit seinen „Briefwechseln" 46 , Publikationen meist aktuellen politischen Inhalts, die er von 1774 bis 1782 herausgab und unter dem Titel „A. L. Schlözer's Staatsanzeigen" bis 1793 weiterführte und die ihm große Bekanntheit, aber auch etliche Feindschaften eintrugen 47 . Sein „Allgemeines StatsRecht und StatsVerfassungsLere" aus dem Jahre 1793 war als erster Teil eines Handbuches, das weiter noch Staatskunst, Theorie der Staatskunde und Europäische Staatsgeschichte umfassen sollte, jedoch nicht vollständig erschienen ist, und zum Gebrauch in seinen Vorlesungen gedacht 48 . Es besteht aus 156 Seiten, unterteilt in fünf aus Paragraphen bestehende Abschnitte, deren erster eine „Einleitung in die StatsGelersamkeit" und „Politische Encyklopädieder zweite die „Metapolitik", eine Wortschöpfung Schlözers für den vorstaatlichen Zustand des Menschen 49 , der dritte das „StatsRechtgewissermaßen das Allgemeine Staatsrecht im engeren Sinne, nämlich „Wesen und Zweck des Stats" und „Rechte und Pflichten" des Herrschers und der Untertanen, der vierte „StatsVerfassungsLere oder von den Regierungsformen" und der fünfte „Recapitulation, und IX Aphorismen, zum Teil in Rücksicht auf einige Behauptungen unserer Tage" beinhaltet. Auf weiteren knapp 50 Seiten setzt sich Schlözer darüber hinaus in einem „Anhang" mit dem „Allge-

46

„Briefwechsel meist statistischen Inhalts", später „Briefwechsel meist historischen und politischen Inhalts", Göttingen, 1774-1782. 47 Zum Ganzen vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 31, Leipzig 1890, S. 567ff., 579, 581 f., 590f. 48 Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 31, S. 580. 49 Vgl. auch Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 31, S. 580.

XIV. August Ludwig Schlözer

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meinen Staatsrecht nach Grundsätzen eines ,großen deutschen Manns' ... des Freiherrn Friedrich Carl von Moser" in teilweise polemischer Form auseinander. Bemerkenswert ist an seinem Werk zum Allgemeinen Staatsrecht die ausführliche und ungewöhnliche Darstellung der Geschichte desselben seit dem Mittelalter und deren systematische Einteilung in Epochen, was wohl auf das besondere historische Interesse und Wissen Schlözers zurückzuführen ist. Insgesamt ist seine Abhandlung geprägt von einer kräftigen, deutlichen Sprache und einem hohen Aktualitätsgrad i m Hinblick auf die zeitgenössische politische Diskussion. Insbesondere kommen dabei seine Abneigung gegen die Aristokratie 50 , das Gottesgnadentum und gegen sogenannte „wohlerworbene Rechte" sowie seine Befürwortung einer konstitutionellen Monarchie zum Ausdruck.

50 Ähnlich übrigens auch beispielsweise Justi: „Man kann schwerlich läugnen, daß nicht die Aristokratie die alle runbilligste Regierungsform seyn solle" (Natur und Wesen der Staaten, S. 129). 6 Schelp

3. Kapitel

Inhalt und Themen des Allgemeinen Staatsrechts, exemplarisch dargestellt anhand von Ulric Hubers „De Jure Civitatis libri très" I. Ulric Hubers „De Jure Civitatis libri très" Mit dem Werk „De Jure Civitatis libri très" unternimmt Ulric Huber wie bereits gezeigt - als erster den Versuch, das Allgemeine Staatsrecht als neue, eigenständige Wissenschaft herauszuarbeiten und zu etablieren. Nach den ersten beiden, noch etwas rudimentären Auflagen von „De Jure Civitatis libri très" aus den Jahren 1672 und 1684 hat das Werk seine endgültige Fassung erst in der dritten Auflage von 1694 erhalten 1. Diese Fassung liegt auch der hier beigezogenen Ausgabe von 1728 2 zugrunde, die Christian Thomasius kommentiert 3 und für seine Vorlesungen „In Fundamentis Juris Naturae et Gentium" verwendet hat 4 . Gerade weil „De Jure Civitatis libri très" das erste Werk ist, das sich bewußt mit dem Allgemeinen Staatsrecht als einer eigenen neuen juristischen Wissenschaft beschäftigt, setzt es damit auch Maßstäbe für den Inhalt dieser Wissenschaft und die Art und Form ihrer Darstellung. Alle späteren Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts sind ihm darin mehr oder weniger gefolgt. Gerade die typischen Themen des Allgemeinen Staatsrechts, die hier insbesondere herausgearbeitet werden sollen, also etwa die Definition 1

Kossmann, Some late 17th-century Dutch writings on Raison d'Etat, S. 502, Veen, Recht en Nut, S. 226. 2 Der vollständige Titel der hier beigezogenen Ausgabe lautet: „De jure civitatis libri très, novam juris publici universalis disciplinam continentes, cum novis adnotationibus et novo indice in usum auditorii Thomasiani", 4. Auflage, Frankfurt und Leipzig 1728. 3 Die ersten Anmerkungen des Thomasius zu „De Jure Civitatis" stammen schon von 1687 (vgl. Scupin, Hans Ulrich ! Scheuner, Ulrich: Althusius Bibliographie, Bibliographie zur politischen Ideengeschichte, zum Staatsrecht und zur Verfassungsgeschichte des 16.-18. Jahrhunderts, bearbeitet von D. Wyduckel, 2 Bde., Berlin 1973, S. 107). Die erste Auflage der von Thomasius kommentierten Ausgabe erschien 1708. In Bezug darauf erklärte Ulric Hubers Sohn Zacharias 1713, die Anmerkungen von Thomasius hätten größtenteils nur wenig zu bedeuten (vgl. Veen, Recht en Nut, S. 236f.). 4 De Jure Civitatis libri très, S. ΠΙ-VIII, „Lecturis S.P.D. Thomasius".

I. Ulric Hubers „De Jure Civitatis libri très"

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des Staatsbegriffes, die Staatsgründung unter Anwendung der Staatsvertragslehre, die Aufzählung und Beschreibung der Majestätsrechte, die verschiedenen Regierungsformen und deren spezifische staatsrechtlichen Implikationen, die Staatsaufgaben und -organisation sowie das Ende staatlicher Herrschaft und das Widerstandsrecht, sind bei Huber bereits in exemplarischer Weise ausführlich und gründlich abgehandelt und eignen sich insofern sehr gut für eine paradigmatische Heranziehung zur Darstellung dieser Materie, ebenso wie die von ihm angewandte charakteristische zeitgenössische Beweisführung und Argumentationsweise, die auch in der Zusammenfassung zumindest teilweise erhalten bleiben und veranschaulicht werden soll. Tatsächlich war Hubers Werk gerade zu Anfang bis Mitte des 18. Jahrhunderts auch ein vielzitiertes Werk des Allgemeinen Staatsrechts und wurde offenbar als grundlegend betrachtet 5. Obwohl erst am Anfang einer langen Reihe von Abhandlungen und Kontroversen über das Allgemeine Staatsrecht stehend, hat Huber mit „De Jure Civitatis libri très" also gewissermaßen schon ein Standardwerk dieser Wissenschaft geschaffen. Daneben bleibt allerdings auch in vielerlei Hinsicht erkennbar, wie sehr Huber sich auf neuem, unbekannten Gelände befindet und wie sehr er sich an das Allgemeine Staatsrecht als eigenständige Wissenschaft gleichsam erst noch herantasten muß. So sind, da das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft erst begründet wird, seine Grenzen noch nicht klar umrissen, sein Inhalt recht weit gefaßt. Daher begründet er immer wieder - und insoweit besonders aufschlußreich für das Verständnis der Themenauswahl - ausführlich, warum ein bestimmter Themenkreis zum „Jus Publicum", bzw. zum „Jus Publicum Universale" gehöre und ringt quasi um die Eigenständigkeit des Allgemeinen Staatsrechts, was sich in seinen Bemühungen hinsichtlich Auswahl der Themen, Methodik und Systematik niederschlägt, zuweilen aber auf Kosten der Stringenz des Aufbaus geht 6 . Überhaupt ist der Begriff 5 s.o., vgl. z.B. Oertel, Meditationes de Iure Publico Universali, S. 15 u.a., oder Gribner, Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV S. 211 u.a., die sich sehr häufig auf ihn beziehen, oder auch die Wertschätzung, die es durch Thomasius erfahren hat. 6 Von anderen Autoren, vor allem in späterer Zeit, wird es daher teilweise auch als zu „ weitläufig " bezeichnet und es sei „ vieles in dem Buch, was zu dem allgemeinen Staatsrechte nicht gehöret, mit eingemischet" (.Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 44), ähnlich Scheidemantel: „Er vermischet auch die wesentlichen und willkürlichen Rechte ..." (Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 19). Insoweit paradigmatisch führt Huber etwa zu der Frage, ob die Gerichtsverfassung und das Prozeßrecht zum Allgemeinen Staatsrecht gehören, folgendes aus: Die Rechtsprechung sei von der Herrschaft nicht zu trennen. Insbesondere die Zusammensetzung und Organisation der Gerichte gehörten zum öffentlichen Recht („Sed constitutio et ordinatio judiciorum ad jus publicum mento referturDe Jure Civitatis libri très, S. 603). Dies nimmt Huber zum Anlaß, an dieser Stelle längere Ausführungen zum Prozeß-

6*

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3. Kap.: Inhalt und Themen des Allgemeinen Staatsrechts

des Staatsrechts selbst noch nicht eindeutig definiert 7 , so daß unter das Allgemeine Staatsrecht Themenbereiche fallen, die nur am Rande etwas mit dem zu tun haben, was nach heutigen Vorstellungen zum Staatsrecht gehört. Das so entwickelte Jus Publicum Universale ist daher nicht unbedingt ein Staatsrecht im strengen Sinne, sondern erinnert noch in gewisser Weise an die „jurisprudentia universalis" nach dem Vorbild Pufendorfs 8, obwohl Huber immer den speziellen Bezug zu Fragen des Staatsrechts herzustellen versucht. Auch dem anfangs von ihm selbst formulierten, aus der Objektivität und dem Rechtscharakter hergeleiteten normativen Anspruch des Allgemeinen Staatsrechts wird Huber an manchen Stellen nicht gerecht, an denen er, was er auch wiederholt selbst zugibt, in Bereiche der Politik überwechselt und praktische „Ermahnungen" oder „Ratschläge" an Stelle von Rechtspositionen anführt 9 , so daß ihm trotz seiner, besonders in seinem theoretisch eindeutigen Ansatz ausgedrückten, Bemühungen eine durchweg recht im allgemeinen zu machen. Dabei geht er beispielsweise ein auf die am Prozeß beteiligten Personen allgemein (De Jure Civitatis libri très, S. 602ff.), auf die Unterscheidung von Zivil- und Strafgerichtsbarkeit (De Jure Civitatis libri très, S. 612), auf die Frage nach dem - auch internationalen - Gerichtsstand, der nach dem Natur- und Völkerrecht immer am Wohnort des Schuldners sein soll (De Jure Civitatis libri très, S. 619), sowie auf den - modern ausgedrückt - Anspruch auf rechtliches Gehör, der aus dem Naturrecht entspringe und nach dem niemand verurteilt werden dürfe, ohne daß ihm vor Gericht die Möglichkeit zur Verteidigung eingeräumt worden wäre (De Jure Civitatis libri très, S. 613). Weil die Gerichtsorganisation öffentliches Recht sei, falle die Darstellung der Gerichtsbarkeit auch ins Allgemeine Staatsrecht und nicht ins Privatrecht, wie vielfach angenommen werde („... jurisdictio et imperium, de quibus apud juris privati interprétés agi qudem solet; At cum materia sit directe publici juris , ...ut juris publici universalis majorem, quam civilis Romani rationem habeamus ..." , De Jure Civitatis libri très, S. 594). Denn die im römischen Recht anzutreffende Abgrenzung, nach der die Rechtsprechung zuständig sei für Erkenntnis und Entscheidung, die Herrschaft für die Ausführung der Urteile, finde im Allgemeinen Staatsrecht keine Entsprechung („... hypothesi juris Romani, probare non potuimus: Jurisdictionem esse potestatem cognoscendi et judicandi jure magistratus, aut saltem a summa potestate commisso, .... Imperium esse potestatem exequendi judicata ... „, De Jure Civitatis libri très, S. 597), da sie in den meisten anderen Staaten nicht zu beobachten sei (De Jure Civitatis libri très, S. 594). Darüber hinaus sei auch die „Grundlage der öffentlichen Ruhe vor allem und zu allererst eine über jeden Zweifel erhabene Gerichtsbarkeit was den Zusammenhang zum Allgemeinen Staatsrecht herstelle („ Jurisdictionis, ... quam ad juris publici universalis disciplinam evidenter pertinens attingamus", De Jure Civitatis libri très, S. 602). Der Staat müsse ein Gerichtsbarkeitsmonopol haben, das nur in naturrechtlich anerkannten Ausnahmefällen, wie in Notwehrsituationen, durchbrochen werden könne (De Jure Civitatis libri très, S. 602f.). 7 Die Abgrenzung beispielsweise des Staatsrechts vom Privatrecht ist erst späteren Juristengenerationen gründlicher gelungen. Die mangelnde Differenzierung kann im übrigen auch daher rühren, daß Huber für die Darstellung staatsrechtlicher Phänomene auf schon bekannte, meist aus dem Privatrecht stammende Konstruktionen zurückgreifen muß, wie etwa hinsichtlich des Gesellschaftsvertrages. 8 Veen, Recht en Nut, S. 246, s.o.

II. Aufbau und Inhalt im Überblick

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saubere Trennung von Politik und Allgemeinem Staatsrecht nicht immer gelingt. A l l dies setzt sich jedoch mehr oder minder auch bei allen späteren Bearbeitungen des Allgemeinen Staatsrechts fort, so daß Huber insoweit keine Ausnahme bildet, sondern sein Werk vielmehr auch in dieser Hinsicht in gewissem Sinne exemplarisch ist. Dagegen hat die Heranziehung von „De Jure Civitatis libri très" gerade in seiner Eigenschaft als erste Abhandlung des Allgemeinen Staatsrechts für die hier beabsichtigte Darstellung der Wissenschaft des Allgemeinen Staatsrechts als solcher den enormen Vorteil, daß Huber - in seinem Bewußtsein, Neues zu schaffen und schaffen zu wollen - nicht nur die auch später allgemein üblichen Inhalte und Themen, gewissermaßen den Kernbestand des Allgemeinen Staatsrechts, abhandelt, sondern am Anfang seines Werkes der Darstellung und Erläuterung seiner Systematik, etwa der der Einordnung des Allgemeinen Staatsrechts in die Reihe der verschiedenen Rechtsgebiete, sowie der Definition von relevanten Begriffen wie „summum imperium" oder ihrer Abgrenzung voneinander, wie etwa bei „res publica" und „civitas", besonders breiten Raum widmet 1 0 .

II. Aufbau und Inhalt im Überblick Formal besteht „De Jure Civitatis libri très" aus drei Büchern, die in Abschnitte („sectiones"), diese wiederum in Kapitel gegliedert, eingeteilt sind. Jedem Kapitel ist eine Inhaltsangabe vorangestellt. Die einzelnen Aussagen, meistens einige Sätze, oft auch nur einen einzigen Satz des Textes umfassend, sind kapitelweise durchnumeriert. Viele der angesprochenen Punkte werden mit Beispielen aus der Geschichte oder den Verhältnissen zeitgenössischer Staaten, insbesondere auch denen von Friesland 11 , wo Huber selbst und die Universität von Franeker, an der er lehrt 1 2 , beheimatet sind, verdeutlicht und untermauert. Zum Beweis seiner Thesen zum Allgemeinen Staatsrecht greift Huber auch oft i m Wege der Analogie auf das Privatrecht, insbesondere das Römische oder Gemeine Recht zurück 13 . Ins9

In einem ganzen „politischen" Kapitel will er zum Beispiel „einige Ermahnungen darüber abgeben, wie das absolute Herrschaftsrecht richtig geleitet werden könne" („... monita tarnen de superiori sententia, ... qua jus imperii absolutum temperari possit." De Jure Civitatis libri très, S. 61), wobei allein schon die Wortwahl („monita") zeigt, daß es sich hierbei nicht um Forderungen mit normativer Kraft handeln kann. 10 De Jure Civitatis libri très, S. 37 f. 11 Z.B. De Jure Civitatis S. 12. 12 Seit 1657, vgl. Veen, Recht en Nut, S. 224. 13 Siehe zum Beispiel den Vergleich von Eheschließung und Staatsvertrag (De Jure Civitatis libri très, S. 50f.) oder von Aufgabe von Herrschaftsrechten und Dereliktion (De Jure Civitatis libri très, S. 107).

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. Kap.:

h

und he

des Allgemeinen Staatsrechts

gesamt geht er von der Darstellung der Grundlagen über zu deren spezieller Bedeutung für und Anwendung auf das Allgemeine Staatsrecht. Dabei kommt es aber oft zu Überschneidungen, teilweise zu Wiederholungen 14 , was häufige Vor- und Rückverweisungen im Text notwendig macht, und auch zu Abschweifungen 15 , manchmal sogar über den von ihm selbst vorgegebenen Bereich des Allgemeinen Staatsrechts hinaus 16 , führt. Dies rührt aber wohl auch davon her, daß Huber in den späteren Auflagen Vieles hinzufügt, was in der ursprünglichen Auflage fehlt 1 7 .

III. Der Staat im Lichte des Allgemeinen Staatsrechts Das erste Buch von „De Jure Civitatis libri très" trägt den Titel „De Imperio " und umfaßt mit fast vierhundert Seiten etwa die Hälfte des Gesamtwerks. Nachdem Huber sich in den sieben Kapiteln des ersten Abschnitts mit den „praecognita artisden Grundlagen der Wissenschaft vom Allgemeinen Staatsrecht 18, auseinandergesetzt hat, beschäftigt er sich im zweiten Abschnitt des ersten Buches dann mit dem Staat als solchem, seiner Gründung, seinem Zweck, seiner Definition und seiner Legitimation. 1. Der Staatsbegriff Die Frage nach dem Begriff des Staates selbst war naturgemäß ein zentrales Thema des Allgemeinen Staatsrechts. Denn da es das Phänomen des sich herausbildenden und etablierenden Territorialstaates zunächst einmal zu erfassen, aufzuarbeiten und zu erklären hatte, mußte es sich zu allererst gerade um die Definition dieses Phänomens, also seine verbale Umschrei14 So behandelt er zum Beispiel in den Kapiteln über die Staatsgründung allgemein auch schon speziell die Entstehung von Demokratie, Aristokratie und Monarchie (De Jure Civitatis libri très, S. 46ff.), obwohl er an anderer Stelle noch einmal ausführlich auf die jeweiligen Regierungsformen zu sprechen kommt (De Jure Civitatis libri très, S. 252 ff.). Ähnlich verfährt er auch hinsichtlich der Darstellung der Fundamentalgesetze (De Jure Civitatis libri très, S. 4Iff. und 84ff.). 15 Zum Beispiel über die Legitimität der Verhängung der Todesstrafe bei der Behandlung der Staatsgründung (De Jure Civitatis libri très, S. 42). 16 Vgl. zum Beispiel die Ermahnungen („monita ") in lib. I, sec. II, cap. Vili, die Huber selbst der Wissenschaft der Politik zuordnet (De Jure Civitatis libri très, S. 61 ff.). 17 So antwortet er sogar im letzten Abschnitt des ersten Buches der hier zugrundeliegenden dritten Auflage ausdrücklich auf Kritik an den Vorauflagen (De Jure Civitatis libri très, S. 346 ff.), wobei er viele seiner Thesen einfach wiederholt oder noch etwas vertieft (Vgl. auch die Anmerkung des Thomasius dazu: „Cum hic nihil novi contineatur, sed saltern confirmatio doctrinae prions ...", De Jure Civitatis libri très, S. 346). 18 Dazu ausführlich infra.

III. Der Staat im Lichte des Allgemeinen Staatsrechts

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bung und damit einhergehend seine theoretische Fundierung und abstrakte Erfahrbarkeit bemühen. Den Staat im allgemeinen, „nach dessen Recht wir fragen", definiert Huber so: Er sei „eine vollkommene Ansammlung von Familien, die sich um der Gunst willen, Rechtssicherheit und ein selbstgenügsames Leben zu genießen, unter einer höchsten Gewalt vereinigen" 19. Anschließend erklärt Huber die einzelnen Punkte dieser Definition genauer. So seien Familien im Normalfall die kleinste Einheit eines Staates. Damit schließt er sich der traditionellen Lehre des Aristoteles an 2 0 . Von dieser Regel könne es aber Ausnahmen geben, wie zum Beispiel den frühen Staat der Römer, als diese (nach der Legende) noch keine Frauen gehabt hätten, oder die katholische Kirche, die er als Staat qualifiziert, obwohl sie noch nicht einmal ein Territorium 2 1 habe, dafür aber eine ausgeprägte Über- und Unterordnungsstruktur und eine höchste Gewalt, was in diesem Falle ausreiche 22 . Der in der Definition umschriebene Staatszweck, den Genuß eines selbstgenügsamen, glücklichen und friedlichen Lebens 23 unter dem Schutz des Rechts, sieht Huber als den eigentlichen Grund an, warum Menschen sich überhaupt zu einer Gesellschaft zusammenschließen, weil er, insoweit wie Hobbes, von der Theorie des Krieges eines jeden gegen einen jeden im Naturzustand, aber darüber hinaus auch von einem menschlichen Sozialtrieb ausgeht. Auf das letzte Merkmal seiner Staatsdefinition, die Notwendigkeit des Vorliegens einer „höchsten Gewalteines „summum imperiumgeht Huber an dieser Stelle nur kurz ein. Er erklärt hier lediglich, daß es zum

19 „ Civitas, de cujus iure quaerimus, definiatur: Coetus perfectus familiarum, juris fruendi vitaeque sibi sufficientis gratia , sub eodem summo imperio , societatus" (De Jure Civitatis libri très, S. 36). 20 Er zitiert ihn auch an dieser Stelle (De Jure Civitatis libri très, S. 36). 21 Dies setzt er also als Merkmal eines Staates offensichtlich voraus, obwohl er es in seiner Definition nicht ausdrücklich erwähnt. Über diese Frage, ob ein Staatsgebiet für das Bestehen eines Staates Voraussetzung ist, herrscht allerdings Uneinigkeit. Eggers etwa erklärt später dazu in apodiktischer Form: „Es ist also notwendig, daß ein Staat ein Territorium habe" (Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, S. 32) und drückt damit wohl die Mehrheitsmeinung aus (vgl. auch etwa Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 7). 22 „Nec mihi absurdum videtur, Clerum Romanensem, qui non habet familias, pro civitate habere; quia sane est Respublica et multitudo, licet absque territorio , quae habet ordinem parendi et imperandi, sub una summa potestate mediisque magistratibus, ... (De Jure Civitatis libri très, S. 36). Der heutige Vatikanstaat mit dem Territorium der Vatikanstadt besteht erst seit den Lateran Verträgen von 1929. Das ebenfalls angesprochene Fehlen von Familien innerhalb der Kirche will Huber durch die familienartige Struktur der Klöster als ersetzt ansehen (De Jure Civitatis libri très, S. 433). 23 Hier zitiert er für die Beschreibung eines solchen Lebens Cicero: „... ut civitas opibus firma, copiis locuples, gloria ampia, denique virtute honesta sit" (De Jure Civitatis libri très, S. 36).

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einen nach außen hin manifestiere, daß der Staat nicht Teil eines anderen Staates, sondern eigenständig, modern ausgedrückt: souverän sei 24 . Andererseits sei mit dem „summum Imperium " im Hinblick auf den innerstaatlichen Bereich auch die Bedingung des Bestehens einer Staatsordnung verbunden, die er „ res publica " nennt und in der die Untertanen sich der Regierung einer „summa potestasalso einer „höchsten Gewaltdie er im Folgenden auch mit dem „gemeinhin gebräuchlichen" Ausdruck „Majestät" („maj estas")25 bezeichnet, unterwürfen, wobei die Regierung mittels einer Beamtenschaft ausgeübt werde 26 . Ohne die Ordnung der „res publica " gibt es demnach für Huber keine „civitas" 2 7 , ohne eine „summa potestas" kein „summum ImperiumDas „summum imperium" entspricht bei Huber dem, was im heutigen Sprachgebrauch „Staatsgewalt" genannt wird. So tritt hier schon im Zuge und als Folge der Erörterung des Staatsbegriffes ein Verrechtlichungseffekt ein. Es wird nämlich offensichtlich, daß ein Staat, um überhaupt als Staat anerkannt werden zu können, nicht nur über eine tatsächliche Ordnung, sondern auch über eine rechtliche Struktur, mit der die tatsächliche Ordnung korrespondiert, verfügen muß. 2. Die höchste Gewalt und die Majestätsrechte Der dritte Abschnitt des ersten Buches ist der „summa potestas", der höchsten Gewalt im Staate, ihrem Erwerb und Verlust, ihren Rechten und Einschränkungen gewidmet. Als Ausgangspunkt übernimmt Huber die Definition von Grotius, nach der die höchste Gewalt oder Majestät „die moralische Fähigkeit" ist, „ den Staat zu regieren, ohne daß die Regie rung shand24

De Jure Civitatis libri très, S. 37. „... summa potestas, quam vulgo majestatem vocant ... (De Jure Civitatis libri très, S. 64). 26 „... consistens in regimine summae potestatis et subjectione reliquorum per médias magistratus." (De Jure Civitatis libri très, S. 37). Dies ist die aristotelische Definition der „res publica", die Huber hier ausdrücklich zitiert (ebd.). 27 Die Beziehung zwischen den Begriffen „res publica" und „civitas" umschreibt Huber bildhaft in der Weise, daß die „civitas " gleichsam der „Körper " die „ res publica " aber die „Seele " des Staates ausmache („ Ubicunque igitur talis ordo [die der res publica], ibi civitas existit; aeque ac corpus, ubicunque anima est." De Jure Civitatis libri très, S. 37). Diese begriffliche Unterscheidung bei Huber ist eher ungewöhnlich. Der Begrif „res publica" bezeichnete im 17. Jahrhundert allgemein überwiegend ein politisches Gemeinwesen jeder Art (vgl. Scheuner, Ulrich, Nichtmonarchische Staatsformen in der juristischen und politischen Lehre Deutschlands im 16. und 17. Jahrhundert, in: Schnur, Roman (Hrsg.), Die Rolle des Juristen bei der Entstehung des modernen Staats, Berlin 1986, S. 737-774, 738) und war somit grundsätzlich gleichbedeutend mit „civitas" und dem sich ebenfalls zu dieser Zeit herauskristallisierenden deutschen Begriff „Staat" (vgl. Weinacht, Staat, S. 238). Erst im 18. Jahrhundert setzte sich die Bezeichnung „Republik" vor allem für nichtmonarchische Staatsformen durch (Scheuner, Nichtmonarchische Staatsformen). 25

III. Der Staat im Lichte des Allgemeinen Staatsrechts lungert durch das Urteil irgendeines menschlichen Willens für erklärt werden können" 2*.

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Diese Definition beinhaltet einen doppelten Aspekt. Sie beschreibt einerseits das oberste Herrschaftsrecht der höchsten Gewalt gegenüber den eigenen Untertanen im innerstaatlichen Bereich. Andererseits betrifft sie, gleichsam als Kehrseite des „summum Imperium", die Unabhängigkeit der „summa potestas" i m Verhältnis zu ihren Untertanen von Einflußnahmen durch ausländische Mächte 2 9 . Letzteres erläutert Huber, indem er das Vorliegen einer uneingeschränkten „summa potestas" selbst dann bejaht, wenn ihr Inhaber in einem Feudalverhältnis zu einem anderen steht, diesen als „Herrn" anerkennt und ihm zu Dienstleistungen verpflichtet ist 3 0 . Denn es genüge für das Bestehen des Rechts der höchsten Gewalt, daß die Untertanen selbst keinem höheren als dessen Inhaber Gehorsam schuldig seien 31 . Das Feudalverhältnis hindere daher nicht das Recht des Inhabers der höchsten Gewalt, seine eigenen Untertanen zu regieren 32 , jedenfalls nicht solange diese kein Berufungsrecht zu seinem Feudalherren hätten 33 . Genausowenig werde die höchste Gewalt im Verhältnis zu ihren Untertanen dann 28 „... facultas moralis regendi civitatem, cujus acta nullius humanae voluntatis arbitrio infìrmari possunt." (De Jure Civitatis libri très, S. 64). 29 Aufmerksam macht er in diesem Zusammenhang, wie später noch mehrfach, auch darauf, daß Deutschland nicht ein einziger Staat sei, sondern aus mehreren Staaten bestehe, weil es innerhalb des Reiches mehrere unabhängige höchste Gewalten, also mehrere souveräne Staaten gebe („Proinde ... Germanorum imperia non singulas, sed plures constituunt civitatesDe Jure Civitatis libri très, S. 37, s. auch De Jure Civitatis libri très, S. 75). Indem er die Souveränität der einzelnen deutschen Staaten anerkennt, greift er aktiv in die Diskussion um die Reichsverfassung und die Staatlichkeit des Reiches ein, wobei er als Niederländer die Theorie von der Mehrstaatlichkeit aus naheliegenden politischen Gründen unterstützt. Dies erhellt beispielhaft die Bedeutung der Lehren, die im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts aufgestellt werden, für die zeitgenössische Tagespolitik und damit einen Aspekt der politischen Dimension des Allgemeinen Staatsrechts (Näheres dazu infra). Andererseits steht Huber damit auch in der Tradition der Bearbeiter des Staatsrechts im 17. Jahrhundert, die dieses Thema regelmäßig im Rahmen der Staatsformenlehre problematisierten, gerade wegen der Auseinandersetzungen zwischen dem Kaiser und den nach territorialer Souveränität strebenden Fürsten (vgl. Scheuner, Nichtmonarchische Staatsformen, S. 767). 30 „... nequidem feudalia imperia, etsi habeant, quem dominum appellent, cui servitia praestent, minime tarnen jus summae potestatis hoc ipso habere desinere .... (De Jure Civitatis libri très, S. 77). 31 „Sufficit enim ad jus summae potestatis, quod subditi nihil altius aut majus habent, cui parere debeant", (De Jure Civitatis libri très, S. 77). 32 „... servitia ... quorum praestatio nullo edam modo impendit facultatem ita imperandi suis, ut acta infìrmari non possint (De Jure Civitatis libri très, S. 77). 33 „... modo subditi sunt vasallo, jus provocandi ad dominum non habeant", (De Jure Civitatis libri très, S. 77). Aufgeworfen wird hier das Problem des sogenannten „Privilegium de non appellando et non evocando", vgl dazu infra.

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eingeschränkt, wenn der Staat einem Staaatenbund beitrete, sofern die verschiedenen Staaten nicht zu einem einzigen Staat „vermischt" würden 34 . Denn die anderen Mitglieder eines Staatenbundes hätten keinen direkten Einfluß auf die Beziehungen zwischen der höchsten Gewalt und ihren Untertanen 35 . Im innerstaatlichen Bereich, also im Verhältnis zwischen Herrscher und Untertanen, stehen der höchsten Gewalt für die Regierung des Staates bestimmte Rechte zu, die schon Huber „Majestätsrechte" („ jura majestatis") nennt und die er in Haupt- und Nebenmajestätsrechte („jura majestatis majora et minora") 36 unterteilt. Deren Herausarbeitung und Begründung macht neben der Definition des Staatsbegriffes einen weiteren Kernpunkt des Allgemeinen Staatsrechts aus, auch wenn Huber ihnen, insoweit ein gewisses Defizit seines Werkes, in lediglich zwei Kapiteln nur verhältnismäßig geringen Raum widmet, sich auch vornehmlich mit deren bloßer Aufzählung begnügt 37 . Das vornehmste der Hauptmajestätsrechte sei das Recht, Gesetze zu erlassen 38 , worin auch das Recht enthalten sei, alle Gesetze, bis auf die Fundamentalgesetze, zu ändern und auszulegen 39 . Auf die Ausführung der

34 „Foederis arctioris, ubi tarnen non fiat plurium confusio civitatem in unam, varìae sunt species , quarum nulla summam potestatem laedit." (De Jure Civitatis libri très, S. 74). 35 „... nec unus sociorum nec commune concilium , cui administratio rerum ad foedus pertinentium committitur, jus dicere possunt de capite fortunisque hominum, qui sunt in singulis civitatibus." (De Jure Civitatis libri très, S. 76). Ein Recht der Bundesorgane, einzelne Bürger der Mitgliedsstaaten direkt zu strafen, gebe es nur unter ganz engen Voraussetzungen (De Jure Civitatis libri très, S. 76). Auf diese Voraussetzungen geht Huber an dieser Stelle ausführlicher ein und führt sogar einen Fall aus der jüngeren Geschichte der Niederlande an. Dies zeigt wieder die latente Praxisbezogenheit, die den allgemeinen Formulierungen von Hubers Allgemeinem Staatsrecht, gerade auch im Hinblick auf die Rechtsverhältnisse seiner Heimat, innewohnt. 36 De Jure Civitatis libri très, S. 91. 37 De Jure Civitatis libri très, S. 90-101. Wesentlich systematischer und ausführlicher geht später etwa Scheidemantel an diesen Themenkomplex heran. So unterteilt er die „allgemeinen Majestätsrechte" in „1) das Anordnungsrecht (potestas rectoria), oder das Recht Vorschriften zu geben, welche dasjenige bestimmen, wa zum Besten des Staats geschehen und nicht geschehen soll, 2) Oberaufsicht (potestas inspectoria suprema); sie bemerkt den jedesmaligen Zustand der Nation, teils um zu sehen, ob man die Vorschriften befolgt, teils auch um neue Maasregeln zu bestimmen, 3) das höchste Vollstreckungsrecht (potestas executoria); dieses bemüh sich, dasjenige, was beschlossen ist, mit Güte oder Gewalt zur Vollziehung zu bringen" (Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 57 f.). Bemerkenswert ist, daß das vom Allgemeinen Staatsrecht typischerweise als Majestätsrecht begriffene Recht zur „Oberaufsicht" bei Huber völlig fehlt. 38 „Tale omnium prìmo jus est Legum condendarum." (De Jure Civitatis libri très, S. 95).

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Gesetze durch die Verwaltung geht Huber in diesem Zusammenhang nur kurz ein, wobei er vor allem deutlich macht, daß die Beamten die Befehle der Majestät ausführten und selbst keine Sonderrechte der Majestät gegenüber hätten 40 . M i t dem Gesetzgebungsrecht verbunden sei auch das Majestätsrecht der „höchsten Berufung" („summa provocatio"). Es bedeute, daß die höchste Gewalt, selbst wenn sie die Rechtsprechung vollkommen in die Hände von Richtern gelegt habe, doch für alle Urteile die letzte Instanz sei 41 . Daneben könne die höchste Gewalt eine Sache auch ganz an sich ziehen und eigenmächtig entscheiden 42 und habe zudem ein außerordentliches „Recht auf Leben und Tod" („jus vitae ac necis"), das sich aus dem für den Bestand und die Befriedung des Staates notwendigen „jus gladii" herleite 43 . Es umfasse die Fähigkeit, Menschen ohne Gerichtsverfahren töten zu lassen oder zu begnadigen 44 , wobei ersteres allerdings darin seine Grenze finde, daß der Grund für das Todesurteil bekannt und offenbar sein müsse 45 . Neben diesem außerordentlichen Recht bezüglich des Lebens der Untertanen habe die Majestät auch ein solches, das deren Güter betreffe, das „dominium eminens" 46, das die Enteignung aus Gründen des Allgemeinwohls, allerdings in der Regel gegen eine angemessene Entschädigung 4 7 , rechtfertige 48 . Ebenfalls aus dem „jus gladii" entspringe das „jus

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„Legislatoria potestas jus quoque Leges interpretandi et mutandi continet, nisi sintfundamentales" (De Jure Civitatis libri très, S. 95). 40 „Per hoc autem cum universus Reipublicae ordo exerceatur; non possunt aliunde Magistratus, quam a summa potestate proflcisci. Unde sequitur, adversus eum qui habet summam potestatem nihilo plus juris habere Magistratus, quam infimum quemque civium." (De Jure Civitatis libri très, S. 96). 41 „Etsi vero pleraque judicia per judices ut ministros summae potestatis expediantur, summa tarnen provocatio salva semper est ad illam." (De Jure Civitatis libri très, S. 96). 42 „... Jus avocandi certas causas ad cognitionem principis ...", De Jure Civitatis libri très, S. 96), das sogenannte Machtspruchrecht, von dem aber ein guter Fürst nur selten Gebrauch mache (ebd.). Dieses Machtspruchrecht war sogar noch über hundert Jahre später bei der preußischen Gesetzgebung ein sehr umstrittener Punkt (siehe infra). 43 De Jure Civitatis libri très, S. 91. 44 Die „facultas proscribendi homines sine judicio" und „dandi veniam reis aut damnatisDe Jure Civitatis libri très, S. 92. 45 „... heic tarnen cesset praesumptio, qua res judicata pro veritate habetur; causam oportet esse liquidam et manifestami (De Jure Civitatis libri très, S. 92). 46 De Jure Civitatis libri très, S. 94. 47 Sollte diese Entschädigung nicht gezahlt werden, so wäre das für Huber ein Akt der willkürlichen Schädigung des Bürgers seitens der höchsten Gewalt („... qui pro lubito cives spoliant ... De Jure Civitatis libri très, S. 327). 48 „Hinc est, quod injuria non sit civibus quando res suas non modo vendere , sed sine pretto Ulis quandoque cedere coguntur: Sic tarnen ut Respublica cum primum pote rit, ad restituendum teneatur" (De Jure Civitatis libri très, S. 94). Ähnlich

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belli", das Recht, ausländischen Mächten den Krieg zu erklären, ihn zu führen, sowie Bündnisse und Frieden zu schließen und Gesandte zu bestellen 4 9 . Zu den Hauptmajestätsrechten zählt Huber schließlich auch, „was viele andere für ein Nebenmajestätsrecht haltendas Recht, Steuern und Abgaben zu erheben, weil es ebenfalls die Verteidigung des Staates betreffe 50 und ein notwendiges Werkzeug zur Erhaltung des Staates sei 5 1 . Die Nebenmajestätsrechte „betreffen die weniger wichtigen und leichteren Staatsauf gaben" 52. Huber unterteilt sie in solche, die sich mit öffentlichen Ehren und Rechten, solche, die sich mit privaten Angelegenheiten befassen und solche, die im weitesten Sinne für die höchste Gewalt nützlich sind 5 3 , und zählt sie dann im einzelnen auf. Zur ersten Gruppe gehören die Rechte, Beamte, Ritter, Grafen, Pfalzgrafen, Fürsten, Herzöge, Notare und Doktoren zu ernennen, Märkte einzurichten und Feiertage zu schaffen, zur zweiten, Kinder zu legitimieren, Schuldnern Aufschub zu gewähren, zur letzten, Geld zu prägen, die Güter von Verurteilten einzuziehen, sich Schätze, aufgegebene Sachen und Strandgut anzueignen 54 . Die Majestätsrechte sind für Huber auch konstitutives Element der höchsten Gewalt. So dürfe die Ausübung der Hauptmajestätsrechte - anders als die der Nebenmajestätsrechte 55 - nicht auf Dauer und unwiderruflich abgegeben werden, da sonst die Herrschaft der höchsten Gewalt selbst zu existieren aufhöre 56 . Denn damit entstehe eine neue höchste Gewalt neben der ursprünglichen und dies sei schon mit dem Begriff selbst der höchsten Gewalt nicht vereinbar, weil neben dem „höchsten" kein Platz für etwas Gleichwertiges sei 5 7 . Überhaupt geht Huber davon aus, daß die Ausübung

noch etwa Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 73, ganz gegen ein solches Recht jedoch Justi, Natur und Wesen der Staaten, S. 247 ff. 49 „Altera pars juris gladii adversus vim externum ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 93). 50 „Atque haec ad defensionem civitatis pertinent , quo etiam refertur jus tributa et vectigalia exigendi, quod multi inter minora majestatis jura referunt(De Jure Civitatis libri très, S. 93). 51 „Siquidem adeo necessarium ad tutelam civitatis instrumentum ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 94). 52 „Minora jura majestatis sunt, quae ad functiones Reipublicae inferiores leviterque referuntur ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 97). 53 De Jure Civitatis libri très, S. 97. 54 De Jure Civitatis libri très, S. 97 ff. 55 De Jure Civitatis libri très, S. 105. 56 „ Qui quatenus irrevocabiliter et inretractabiliter jura majestatis majora obtinent, summa potestate non immerito pr aediti esse dicuntur(De Jure Civitatis libri très, S. 103). 57 „Nam, ut dictum, si quid independens a summa potestate in eadem Republ. existeret , haec esset altera potestas , quia summum et independens non differunt. Id

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der Majestätsrechte einheitlich erfolgen solle. Dies ist so zu verstehen, daß es im Staat nicht mehrere höchste Gewalten geben könne (s.o.), sondern daß sie immer in der Hand entweder eines Fürsten oder eines Gremiums oder der Mehrheit des Volkes selbst vereint sein müsse, so daß sogar in dem Fall, in dem König, Adel und Volk sich die höchste Gewalt teilten, sie diese zwar „zu mehreren, aber nicht wie mehrere" ausübten 58 . Die Gewaltenteilung im Sinne einer gegenseitigen Kontrolle der einzelnen Gewalten im Staate kommt für Huber - aber auch alle anderen Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts - nicht in Frage 59 . In der Ausübung ihrer Majestätsrechte bei der Regierung des Staates ist die höchste Gewalt nach der Definition von Huber, der sich hier ausdrücklich auf Grotius bezieht, „keines menschlichen Willens Urteil unterworfen " (s.o.), also völlig uneingeschränkt. Diese grundsätzliche Uneingeschränktheit aber ist für Huber nur vollkommen in Bezug auf die Regeln des Privatrechts, die für die höchste Gewalt unter keinen Umständen bindend seien 60 . Denn dies seien Gesetze, die die höchste Gewalt jederzeit selbst nach Belieben ändern oder abschaffen könne 61 . Huber modifiziert diese Aussage

autem est ex iis, quae in una civitate fieri non possent. Nam ea est summi conditio, ut nihil illud adaequet", (De Jure Civitatis libri très, S. 102f.). 58 „Enimvero esse reges, cum quibus optimates aut populi summam potestatem participent, verum est; s ed e a res minime duas summas potestates efficit; verum Re et Ordines in unionem summae potestatis, plures quidem, sed non ut plures concurrent (De Jure Civitatis libri très, S. 65). 59 Vgl. dazu auch seine Ablehnung der „Respublica mixta", De Jure Civitatis libri très, S. 307. 60 „ Quod perpetuo ab alicujus voluntate pendei, id nullo sensu humano potestati civiliter sumptae potest esse subjectum (De Jure Civitatis libri très, S. 66). Dies bedeutet, daß bei Huber von einer Rechtsstaatlichkeit in unserem heutigen Sinne noch keine Rede sein kann. Der Gegensatz von Souveränität und Gesetz, wobei es hier wohlgemerkt um das positive Gesetz, nicht das Recht an sich geht, kann für Huber nur zu Gunsten der summa potestas entschieden werden. Wie sehr ihn dieses Thema beschäftigt, zeigt sich unter anderem auch darin, daß er später an anderer Stelle, im Rahmen der Erörterung der Befugnisse der Rechtsprechung, noch einmal ausführlich darauf eingeht (De Jure Civitatis libri très, S. 605). Die Selbstbindung der höchsten Gewalt und damit des Staates durch die eigene Rechtsordnung wird von Huber noch für unmöglich gehalten. Es ist aber ein wichtiges Verdienst des Allgemeinen Staatsrechts, dieses Problem zu erkennen und zu thematisieren (vgl. Link, Christoph, Anfänge des Rechtsstaatsgedankens in der deutschen Staatsrechtslehre des 16.-18. Jahrhunderts, in: Schnur, Roman (Hrsg.), Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, Berlin 1986, S. 775-796, 782f.). Andere Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts gingen später dann auch weiter in der Annahme der Bindung der höchsten Gewalt selbst an einfaches Gesetzesrecht (siehe infra). 61 „... non obstringitur iis legibus, quibus obrogare, derogare, quas abrogare totas, quibus solvere se aliosque pro lubitu potest (De Jure Civitatis libri très, S. 66).

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jedoch später dahingehend, daß für privatrechtliche Geschäfte der Inhaber der höchsten Gewalt, die jene nicht als Herrscher, sondern „gleichsam als Mitglieder der Gesellschaft" 62 tätigten, eine Rechts Vermutung gelte, daß sie dem innerstaatlichen Recht und im Streitfalle bestimmten Richtern unterworfen seien. Das gebiete schon alleine der praktische Gesichtspunkt, daß sonst niemand mit dem Herrscher Geschäfte machen wolle 6 3 , aber auch die Gerechtigkeit 64 .

3. Staatsgründung und Fundamentalgesetze Hinsichtlich der Frage nach der Entstehung des Staates geht Huber davon aus, daß die Menschen, um den Naturzustand - zur Befriedigung ihres angeborenen Sozialtriebs, zur Erreichung des Staatszweckes und aufgrund des im Naturzustand herrschenden verhängnisvollen Krieges aller gegen alle - zu beenden, sich in Staaten zusammengeschlossen hätten. Dieser Zusammenschluß sei gewissermaßen dreistufig vonstatten gegangen. Es seien bei jeder Staatsgründung gemäß des übereinstimmenden Willens des ganzen Volkes drei Verträge geschlossen worden, der erste mit dem Inhalt, daß keiner dem anderen schade, der zweite, daß der Wille aller zu einem einzelnen Willen gebündelt werde, während der dritte die Regierungsform festgelegt habe 65 . Daraus, daß die Staatsgründung durch den übereinstimmenden Willen aller in Vertragsform vor sich gehen soll, ergibt sich, daß es sich dabei um einen, bzw. mehrere willkürliche Rechtsakte handeln muß. Diese Rechtsakte, vor allem der, den Huber als den dritten Vertrag bezeichnet und durch den die Regierungsform etabliert wird, schaffen demnach Rechtsbeziehungen zwischen der höchsten Gewalt im Staate und den Untertanen 66 . Aus diesen jene Rechtsbeziehungen konstituierenden Verträgen erwüchsen dann auch die sogenannten Fundamentalgesetze („leges fundamentales " ) 6 7 , die das Verhältnis zwischen Herrscher und Untertanen genauer ausgestalten und die sich aus Natur-, Völker- und göttlichem Recht ergäben. Sie seien grundsätzlich geeignet, die höchste Gewalt in ihrer Machtvollkommenheit zu beschneiden 68 . Einige dieser Fundamentalgesetze seien 62

„... tales actus non a rege qua rege, sed quasi ...ut in membrum communitatis ...", (De Jure Civitatis libri très, S. 326). 63 De Jure Civitatis libri très, S. 326. 64 De Jure Civitatis libri très, S. 327. 65 „Ergo voluntatis sive conventionis illius très quasi gradus esse videntur. Primus, ne alii aliis noceant . IL Ut omnium voluntas una fiat. III. Ut modus istius unionis constituatur (De Jure Civitatis libri très, S. 33). 66 Ausführlich hierzu infra. 67 De Jure Civitatis libri très, S. 84.

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nach der Natur und dem Zweck des Staates notwendig, so daß davon ausgegangen werden könne, daß sie in allen Staaten stillschweigend angenommen worden seien und damit in jedem Staat automatisch Geltung hätten 69 , andere gingen konkret auf ausdrückliche Vereinbarungen zwischen der höchsten Gewalt und dem Volk zurück 70 . Diese Fiktion der konkludenten Annahme ist eine besondere Ausprägung der Staatsvertragslehre und erlaubt es theoretisch, beliebige Inhalte zum Gegenstand der Staatsverfassung eines jeden Staates und damit zu die Fürsten bindendem Recht zu machen. Sie ist daher grundsätzlich hervorragend geeignet, die der Staatsvertragslehre immanente freiheitssichernde Wirkung zu verstärken 71 . Huber nimmt das Vorliegen von insgesamt vier solcher bei der Staatsgründung konkludent als vereinbart fingierten Fundamentalgesetzen an. Deren erstes sei, daß „den Bürgern Wohlergehen, die Freiheit ihrer Personen und die Herrschaft über ihre Güter" von der Majestät geschuldet werde 72 . Weiterhin dürfe der Staat nicht aufgeteilt oder mit einem anderen Staat verschmolzen werden 73 . Daneben könnten „die Herrschenden nicht über ihren Tod hinaus über die Herrschaft verfügen, es sei denn, es handle sich um ein Erbreich" 14 und viertens sei bei der Erbfolge immer der männliche dem weiblichen Nachfolger, der erstgeborene dem jüngeren vorzuziehen 75 . Dadurch, daß Huber eine aus heutiger Sicht so willkürliche Erbfolgeregelung in den Rang eines allgemeingültigen Fundamentalgesetzes erhebt und zwischen den einzelnen dieser Fundamentalgesetze für ihn keine Wertunterschiede zu bestehen scheinen, wird die weitgehende und für das Verhältnis Staat-Bürger höchst wichtige und richtungsweisende Aussage des ersten Fundamentalgesetzes wieder relativiert, gleichzeitig aber auch wieder demonstriert, wie sehr die vermeintlich überzeitlichen, allgemeingültigen, vernunftgestützten Ergebnisse des Naturrechts oft dem Zeitgeist verhaftet sind. Jene anderen Fundamentalgesetze, die erst durch ausdrückliche Vereinbarung zwischen dem Volk und der höchsten Gewalt entstünden, seien, wie

68 „Tollant autem vel minuant leges fundamentales summam potestatem ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 86). 69 „Ad tacite intellectas leges praeter ea, quae supra tacite in omni imperio excepta intelliguntur, referemus ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 85). 70 De Jure Civitatis libri très, S. 80,85. 71 Auch hierzu ausführlich infra. 72 „Salvam civibus libertatem personarum rerumque suarum dominium esse debere ." (De Jure Civitatis libri très, S. 85). 73 „... ex una civitate nonfteri duas , aut alteram alterius membrum esse faciendam" (De Jure Civitatis libri très, S. 85). 74 „Imperantemnihil posse de imperio ultra terminos vitae statuere, nisi id habeat in patrimonio" (De Jure Civitatis libri très, S. 85). 75 „Mares feminis, primogenitos minoribus natu ... esse praeferendos" (De Jure Civitatis libri très, S. 85).

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schon die Bezeichnung erkennen lasse, das, „worauf der gesamte Staatsaufbau beruhe und was man als erstes festgelegt" 16 habe, eine „Verfassung, die bei der Begründung der Herrschaft noch vor deren vollständiger Übergabe verankert worden und nach der der Staat zuführen" sei 7 7 . Denn das Volk habe bei Abschluß des Herrschaftsvertrages die Möglichkeit gehabt, sich Majestätsrechte vorzubehalten 78 . Die Gesamtheit des Volkes könne in diesem Zusammenhang als Rechtssubjekt Inhaber von Rechten gegenüber der höchsten Gewalt sein, selbst wenn das Volk ihr gegenüber keine eigene Vertretung habe oder eine solche aufgelöst worden sei 7 9 . Prinzipiell bestehe daher auch die Möglichkeit, daß das Volk selbst in einem schon bestehenden Staat eine neue Verpflichtung der höchsten Gewalt durch einen „feierlichen Vertragder mit dem „Vorsatz, ein Fundamentalgesetz zu schaffeneingegangen werden müsse, einführe 80 . Solche neuen Fundamentalgesetze dürften aber nur von der Mehrheit des Volkes, nicht von einer Minderheit, die kein Rechtssubjekt sein könne 8 1 , geschlossen werden und seien im Sinne eines gegenseitigen Vertragsverhältnisses zu unterscheiden von „Privilegien", die einseitig von der höchsten Gewalt gewährt und wieder entzogen würden 82 . Dies illustriert Huber an den französischen Protestanten, die als Minderheit mit dem französischen König solche Verträge, die dann zu Fundamentalgesetzen würden, nicht wirksam schließen könnten, so daß dieser seine Edikte jederzeit einseitig zurückzunehmen in der Lage sei 8 3 . Hier offenbart sich die Konsequenz der Staatsvertragslehre Hubers, daß nämlich der Herrscher alle Untertanen repräsentiert und für sie handelt. Minderheiten können daher keine entgegenstehenden Rechte beigelegt werden, die sie wirksam gegen den zugunsten aller verfolgten Staats76

„... fundamenti verbum id significare , quo tota structura nititur et quod primo omnium ponitur ... (De Jure Civitatis libri très, S. 86). 77 „... erunt proprie constitutions, quae in fundando imperio, ante plenam ejus translationem stabiliuntur ; ut juxta eas respublica exerceatur." (De Jure Civitatis libri très, S. 86). 78 „... supponitur, populum expresse quaedam jura majestatis sibi reservasse ... (De Jure Civitatis libri très, S. 80). 79 „... populum, etiam dissoluto conventu, retine re facultatem ejus juris ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 83). 80 „... per modum solennis conventionis, inter imperantes et subjectos legitime stabilitae sunt, hac mente, ut pro fundamentalibus habeatur, utrimque esse obligatorias ." (De Jure Civitatis libri très, S. 87). Als Beispiel führt Huber hier die englische „Magna Carta Libertatum" an (ebd.). 81 „... debent esse conventa totius populi vel maxime partis ejus ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 89). 82 „... ne Privilegia , quibusdam civibus aut Reipubl. membrìs liberaliter et ex gratia principum indulta, cum legibus Reipubl. fundamentalibus confundantur ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 88). De Jure Civitatis libri très, S. 8 .

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zweck des Gemeinwohls durchsetzen dürften, auch wenn es sich um sogenannte „wohlerworbene Rechte" handelt. Schließlich sei es auch möglich, daß Fundamentalgesetze stillschweigend durch „lange dauernde Übung" und zweifelsfreie Übereinstimmung zwischen Herrscher und Untertanen angenommen würden 84 , wobei beide Seiten, Herrscher wie Untertanen, Majestätsrechte verlieren oder gewinnen könnten 85 . Dies knüpft Huber aber wegen des darin enthaltenen, bürgerkriegsgefährlichen Streitpotentials 86 an Voraussetzungen, die er in analoger Anwendung der römisch-(zivil)rechtlichen Vorschriften über die Ersitzung und den originären Eigentumserwerb aus dem Natur- und Völkerrecht herleitet 8 7 , vor allem an die Vermutung, daß die eine Seite ein bestimmtes Recht habe aufgeben wollen und die andere dasselbe als eigenes ausübe, die sich daraus ergebe, daß dies über einen Zeitraum einer Menschengeneration, welche den Dritteil eines Jahrhunderts ausmache 88 , ohne Widerspruch einer der Parteien hingenommen worden sei 8 9 . Handlungen der höchsten Gewalt, die gegen die Fundamentalgesetze verstießen, seien rechtlich nichtig 9 0 . Bei Streitigkeiten über die Auslegung von Fundamentalgesetzen gebe es die Möglichkeit, daß sich beide Parteien freiwillig dem Schiedsspruch eines unabhängigen Schiedsrichters unterwürfen, der dann aber dennoch für die Parteien nicht bindend sei 9 1 , außer in dem Fall, daß dies in einem Fundamentalgesetz festgeschrieben sei 9 2 .

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„... quae longo usu tacitoque consensu imperantium et subjectorum indubitato recepta sint" (De Jure Civitatis libri très, S. 88). 85 De Jure Civitatis libri très, S. 108. 86 „Ne bella civilia ... quaeque nesciunt alium uberiorem fontem. .. ." (De Jure Civitatis libri très, S. 109). 87 De Jure Civitatis libri très, S. 107. 88 „Sed et, si praesumptio non vergat in contrarium, generationis humanae intervallum, quod tertium facit seculi partem, admitti posset." (De Jure Civitatis libri très, S. 110). 89 „... mutuoque consensu vel patientias manifestai (De Jure Civitatis libri très, S. 109). 90 „... ne contra leges fundamentales agat, acta Regis in Vitium nullitatis incidere possunt, ut, inquam, ipso jure nullum sit, quod ab eo gestum fuerit ." (De Jure Civitatis libri très, S. 80). 91 „Quemadmodum arbiter compromisso electus hoc ipso non obligatur partibus ... (De Jure Civitatis libri très, S. 83). 92 De Jure Civitatis libri très, S. 87. Weitere Beispiele für mögliche ausdrückliche Fundamentalgesetze gibt Huber nur noch eines, nämlich die Beschränkung der Ausübung der höchsten Gewalt durch die Notwendigkeit der Zustimmung eines Senats oder der Stände (De Jure Civitatis libri très, S. 86). Ansonsten verweist er darauf, daß die Aufzählung einzelner Regelungen in ihrer speziellen Ausführung nicht Sache einer allgemeinen Wissenschaft sein könne (De Jure Civitatis libri très, S. 91). 7 Schelp

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Der latenten Gefahr für die Herrschaft der höchsten Gewalt, die von den Einschränkungen durch die Fundamentalgesetze ausgehöhlt werden könnte, ist sich Huber bei diesen Ausführungen durchaus bewußt 93 . Er verweist jedoch darauf, daß er nur die rechtliche Situation und die rechtlichen Möglichkeiten allgemein darstelle, die Bewältigung der Probleme, die daraus entstünden, aber Sache der Politik sei 9 4 . Das Ausmaß der Rechte, die der höchsten Gewalt überhaupt im Verhältnis zum Volk zustehen, hängt für Huber von dem jeweiligen Herrschaftsvertrag ab. Er wendet sich hier zum wiederholten Male gegen Hobbes, der annehme, daß das Volk ohne Ausnahme alle Rechte abgegeben habe, die es nur habe abgeben können 95 . Aber auch eine andere, gänzlich entgegengesetzte Meinung geht ihm zu weit, nach der die Herrschaftsrechte vom Volk nur verliehen seien und jederzeit von ihm zurückgefordert werden könnten 9 6 . Er geht davon aus, daß das Volk nur soviel von seinen Rechten abgegeben habe, wie es selbst habe abgeben wollen 9 7 , bzw. wie es vernünftigerweise zum Erreichen des Staatszweckes habe abgeben müssen, wobei dies restriktiv auszulegen sei, da man „im allgemeinen nicht annehmen [könne], das Volk habe sich seines Rechts zugunsten der niedrigsten Sklaverei begeben wollen" 9*. Zur Aufgabe der entsprechenden Rechte habe es sich aber 93

„Sed pactum ejusmodi inde ab initio adjectum imponit necessitatem: Et quidem talem, ut acta principis infirmari hoc modo posse videantur; quod est essentiale kriterion summae aut non summae potestatis" (De Jure Civitatis libri très, S. 87). Vgl. auch De Jure Civitatis libri très, S. 90. 94 „Denique, nec ita periculis obsepta est sententia nostra, Quin obciam Ulis iri ac anteverti possis, remedio non tantum prudentiae, qualia excogitare politicorum est, sed et juri consantaneo" (De Jure Civitatis libri très, S. 82). 95 „... cives, qui imperium simpliciter transtuie runt tantum juris in imperantes transtulisse, quantum potuerunt, ut nihil exemerint ." (De Jure Civitatis libri très, S. 40). Huber wehrt sich aber dagegen, die „Macht der Herrschenden ins Unendliche auszudehnen und das gesamte Menschengeschlecht von Rechts wegen wie eine Sache oder ein Tier der Willkür weniger zu unterwerfen" („... potestatem imperantium in infinitum extendntes, genus humanum libidini paucorum, ut macipia, imo ut bruta ammalia, tanquam jure, subjiciunt .", De Jure Civitatis libri très, S. 38). 96 „Alii imperantes nihil aliud quam ministros populorum, sie etiam loquuntur, reputantes, in hoc sunt ... ." Dies mache den Staat zu instabil („... ut levissimo momento status civitatum ordine sque inter se perìculose committant ." De Jure Civitatis libri très, S. 39), was strenggenommen allerdinges ein praktisches und damit politisches Problem, nicht eine Frage des Rechts ist. Da aber das Naturrecht insgesamt dem Gedankenschema folgt, daß das, was mit Vernunftgründen durch den jeweiligen Autor als allgemeingültig begründet werden kann, Geltung beansprucht, wird auch dieses Argument für Huber hier zu einem rechtlichen. 97 „Tantumque juris in imperantes fuisse translatum, quantum populus in eos transferre voluit(De Jure Civitatis libri très, S. 40). 98 „... in universum aestimanti , non esse praesumendum, quod populus sui juris, ultimo servitio mancipare se voluerìt(De Jure Civitatis libri très, S. 48).

ΠΙ. Der Staat im Lichte des Allgemeinen Staatsrechts

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in einem ausdrücklichen oder stillschweigenden Vertrag verpflichtet, den es einhalten müsse". Daraus schließt Huber, daß die Demokratie die älteste Staatsform sei, weil sie dem Naturzustand am nächsten komme, indem das ganze Volk sich selbst regiere und damit die Vertragsparteien in der Demokratie am wenigsten von ihren Rechten hätten aufgeben müssen, was der Vernunft und der freiheitsliebenden Natur der Menschen entspreche 100 , womit er sich aber ausdrücklich und mit ausführlicher Begründung in Widerspruch zu der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft setzen w i l l 1 0 1 , die überwiegend von der Übertragung von Herrschaftsrechten durch die Familienväter auf Fürsten, also von der Monarchie als ältester Staatsform ausgehe 102 . Dies ist tatsächlich eine etwas außergewöhnliche Annahme, die sich in anderen Werken zum Allgemeinen Staatsrecht so nicht wiederfindet. Sie macht eine gewisse Besonderheit von „De Jure Civitatis libri très" aus und zieht auch einen in diesem Punkt ungewöhnlichen Aufbau nach sich, da in der Regel das Hauptaugenmerk der Verfasser und der Schwerpunkt der Argumentation auf der Darstellung des die Herrschaft konstituierenden Vertrages zwischen Fürst und Volk und den daraus entspringenden spezifischen rechtlichen Implikationen liegen. Letzten Endes ist aber das von Huber anhand der Untersuchung des Staatsvertrages in Bezug auf die Regierungsform der Demokratie Herausgearbeitete - wie er später selbst anmerkt 1 0 3 - prinzipiell auch auf andere Regierungsformen übertragbar und erleichtert in manchen Punkten sogar das Verständnis, zumal inhaltlich kaum Unterschiede bestehen. Der Vertrag, der zur Etablierung der Demokratie geführt habe, habe zum Inhalt gehabt, daß das, was die Mehrheit beschlossen habe, für alle verpflichtend sei 1 0 4 . Dies gelte „in perpetuumalso nicht nur für eine einzige, sondern für alle zukünftigen Abstimmungen 105 . Ausgenommen davon seien nur Gewissensangelegenheiten und das, „was Gott ausdrücklich befohlen hat" 106. Darauf könne sich die Macht des Staates oder der Mehr99

De Jure Civitatis libri très, S. 39 ff. „... primo statum imperii, qui minime a naturali recedat, considerabimus, qui est Democraticus , in quo jus imperandi penes populum est universum ." (De Jure Civitatis libri très, S. 41). 101 „... quod Historici neganti (De Jure Civitatis libri très, S. 41). 102 Vgl. dazu die Fußnote von Thomasius an dieser Stelle (De Jure Civitatis libri très, S. 41). 103 „Cap. V. quo probatur, idem quod pars major potest in democratia, etiam posse optimates in aristocratia et principes simpliciter constitutos " (De Jure Civitatis libri très, S. 45 ff.). 104 „... foedus omnium cum omnibus, cujus summa in hoc consistit, ut qua consensu majoris partis statuuntur, ea cunctos obligent ." (De Jure Civitatis libri très, S. 41). 105 De Jure Civitatis libri très, S. 37. 100

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heit nämlich nicht erstrecken 107 . Ansonsten seien an diesen Vertrag der Einzelne oder die Minderheit, selbst wenn die von der Mehrheit beschlossenen Maßnahmen in einigen Fällen hart für sie oder gar ungerecht seien, normalerweise schon aus Gründen der Rechtssicherheit gebunden 108 . Denn schließlich übe ein Herrscher grundsätzlich sein (vertragliches) Recht aus, ungeachtet dessen, ob er sich seiner gut oder schlecht bediene 109 . Davon gebe es allerdings bestimmte, wenn auch seltene und nur in genau festgelegten Situationen einschlägige Ausnahmen, nämlich dann, wenn solche im Vertrag ausdrücklich vorbehalten worden seien 1 1 0 , oder, allgemein, wenn „die Mehrheit offenkundig so handelt, daß sie die Übrigen nicht nur immer überstimmt, sondern auch deren Leben und Gut nach Belieben zerstört" Ul, nachdem Letzteres gerade durch den Zusammenschluß zu einem Staat habe vermieden werden sollen 1 1 2 . Insbesondere könne dies vorliegen, wenn die Mehrheit gegen den Willen der Minderheit den Gesellschaftsvertrag auflöse 1 1 3 oder ihre zahlenmäßige Überlegenheit absichtlich dazu benutze, Verbrechen zu verüben 114 . In diesen Fällen könne die Minderheit nicht am Vertrag festgehalten 115 werden und habe sogar ein Widerstandsrecht gegen die Mehrheit bzw. die höchste Gewalt 1 1 6 . Außer in diesen extremen Fällen bestehe jedoch die Bindung an den Vertrag weiter, weil sonst wieder gerade jener Zustand der Unordnung und 106

„... quae Deus spécialité r praecepit ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 42). „... imperium civitatis et majoris partis consensum non pertinere manifestum est(De Jure Civitatis libri très, S. 42). 108 „Idem est fundamentum regulae , quod res judicata pro ventate habeatur, et quod magistratus etiam cum inique decernunt , jus dicunt; eo quod omnes et singuli cives ad hoc so obligaverint, ut sententiis sive aequis sive iniquis, a quibus provocatio non daretur, ρare rent, cum alioqui nullus finis litium esset: Idem est in omnibus regnantium imperiis." (De Jure Civitatis libri très, S. 41). 109 „Dominus enim seu bene, seu male jure suo utatur, jus tarnen suum exercet ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 49). 110 „... initio constitutae Reipublicae aliae res sint expressae ... (De Jure Civitatis libri très, S. 45). 111 „... pars major id agere palam, ut reliquos non modo superarent semper , sed etiam vita bonisque pro lubitu exuerent ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 41 f.). 112 „Neque enim consenserunt, in id, quod civitate constituta unice evitare voluerunt et quod scopum societatis in perpetuum everter et" (De Jure Civitatis libri très, S. 42). 113 „... quo minus major pars suo consensu dissolvere posset Rempublicam , quod non esse in eorum potestate ... (De Jure Civitatis libri très, S. 45). 114 „... eos, qui praetexta numeri praevalentis, latrocinium exercent ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 45). 115 „Proinde nec quenquam eorum, qui numero inferiores sunt, in talem casum ex sponsione sua teneri." (De Jure Civitatis libri très, S. 45). 116 „Quando malitia in exceptis casibus supra enumeratis committitur, in quibus datur facultas resistendi" (De Jure Civitatis libri très, S. 45). 107

III. Der Staat im Lichte des Allgemeinen Staatsrechts

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Unsicherheit geschaffen würde, der durch die Staatsgründung habe vermieden werden sollen 1 1 7 . M i t der Bindung an den Vertrag bestehe aber auch die Verpflichtung daraus weiter, sich in Geduld zu üben, selbst wenn dem Einzelnen oder der Minderheit Unrecht geschehe 118 . I m übrigen müsse immer angenommen werden, daß das, was die Mehrheit beschließe, gut für die Allgemeinheit s e i 1 1 9 und daß in einem Konflikt zwischen den Interessen des Einzelnen oder einer Minderheit und den Interessen der Allgemeinheit letztere einen Eingriff in erstere rechtfertigten 120 . Dies könne sogar so weit gehen, daß der Einzelne die Todesstrafe im Interesse des Gemeinwohls zu erdulden habe 1 2 1 .

4. Die Staats- und Regierungsformen Nachdem Huber diese Grundsätze bezogen auf den Staat mit ursprünglich-demokratischer Regierungsform dargelegt hat, widmet er deren Übertragung auf den Staat mit aristokratischer oder monarchischer Regierungsform mehrere umfangreiche Kapitel. Darin erklärt er zunächst die Entstehung von Aristokratie und Monarchie aus der Demokratie als das Ergebnis eines jahrhundertelangen Prozesses 122 , während dessen das Volk ausdrücklich oder allmählich stillschweigend seine Macht einer Schicht von Aristokraten („optimates " ) 1 2 3 oder einem einzigen Fürsten („princeps " ) 1 2 4 übergeben habe, wobei alleine das Stillhalten des Volkes über einen längeren Zeitraum während bzw. nach der Machtübernahme - sogar bei einer solchen infolge eines verlorenen Krieges 1 2 5 - als Zustimmung verstanden werden könne 1 2 6 . Insoweit sieht er auch eine solche Übergabe als einen Rechtsakt a n 1 2 7 . Dieser habe die Wirkung, daß die neuen Herrscher nun 117

„Verum tarnen extra species supra collocatas nullum aliud exceptiones specimen, quo pars minor se pluribus opponere queat, agnoscere licet, nisi quis populum in eadem confusionem, quam, Republica contracta, vitare voluit, recidere velit ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 45). 118 „Esse jus qoddam externum quod obliget ad patientiam, etsi cum ejus qui superior est in obligatione, malitia sit conjunctum, quale jus habet pater in liberos, magistratus in cives ..." (De Jure Civitatis libri très, S. 45). 119 De Jure Civitatis libri très, S. 42. 120 „... quatenus publicae utilitatis, quae saepe contra singulos est, ratio permutiti (De Jure Civitatis libri très, S. 44). 121 „Enimvero ingentis boni communis causa, posse extendi obligationem expressam usque ad mortis patientiam ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 42). 122 „Caeterum, popularìa imperia, omnibus seculis plena confusionis et turbarum fuere. Quas ut evitarent, pleraque gentes jus imperii certis hominibus, iisque vel singulis vel paucis concedere maluerunt ." (De Jure Civitatis libri très, S. 46) 123 De Jure Civitatis libri très, S. 26. 124 De Jure Civitatis libri très, S. 29. 125 De Jure Civitatis libri très, S. 47 f.

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dieselbe Rechtsstellung innehätten, wie vordem die Mehrheit in der Demokratie 1 2 8 . Es hätten sich nicht das Herrschaftsrecht und der Staat, sondern nur deren Verwaltung geändert 129 . Gleichzeitig widerspricht er damit aber auch der Meinung einiger anderer Autoren 1 3 0 , daß die Macht des Volkes in seiner Gesamtheit als die höchste und der des Herrschers überlegen anzusehen sei 1 3 1 . Das entscheidende Abgrenzungskriterium der Regierungsformen voneinander sei, in wessen Händen die höchste Gewalt liege, ob in denen eines Einzelnen, einer Minderheit oder der Mehrheit des Volkes 1 3 2 . Der Möglich126

„... translationem illam imperii non semper adeo liquide claroque multitudinis consensu fieri ;Sed patientiam saepius et taciturnitatem longi temporìs pro consensu haberi ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 47). 127 „... quodfoedus in Democratia singuli cum singulis ineunt cives, quo se parti majori spondent parituros, id in diversi formis super placitis principum et optimatum tacite saltern fieri id palam esse jam, existimamus." (De Jure Civitatis libri très, S. 49) und „... quod a Democratia ducitur ad Aristocratiam, locum habere, quoties in translatione imperii nihil secus exprimitur, quod in omnino et quo pacto fieri possit ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 47). 128 „... quicquid pars major populi potest in Democratia, id etiam posse Rectores optimates ..." (De Jure Civitatis libri très, S. 47). Dies bekräftigt und illustriert Huber einmal mehr mit dem Beispiel der Verhältnisse in Friesland, wo eine Schicht von Großgrundbesitzern in öffentlichen Angelegenheiten die Rechte des ganzen Volkes wahrnähmen („In agro Frisiae, totius populi jus est penes dominos veterum praediorum; ...ed quod isti domini praediorum de publicis rebus statuerint, eandem vim habeat, cum eo quod major pars totius populi, collatis suffragiis, statuere possetDe Jure Civitatis libri très, S. 48). 129 „... non jus imperii sed modus administrandi mutatur ." (De Jure Civitatis libri très, S. 46). 130 Namentllich nennt er hier vor allem Althusius, De Jure Civitatis libri très, S. 50. 131 „ Qui aliter sentiunt hoc tenuent ; Populum semper esse plenum omnis imperii et potestatis Dominum .... Principis autem non esse parem cum populo potestatem sed longe minorem et inferiorem ... (De Jure Civitatis libri très, S. 50). Zur Veranschaulichung der typischen zeitgenössischen - bisweilen etwas weitschweifigen Argumentationsweise Hubers sei der entsprechende Argumentationsstrang hier einmal ausführlich dargestellt: So sei es zum Beispiel falsch, „daß der, der etwas anderes schafft, immer höher steht als das Geschaffene selbst" („... quod qui alium constituit, superior sit constituto, neutiquam universale est." De Jure Civitatis libri très, S. 50), da auch - hier macht Huber einen Exkurs ins Familienrecht - die Ehefrau ihren Entschluß zu heiraten zunächst in Freiheit fassen könne, dann aber, nach vollzogener Eheschließung, dem Manne Untertan sei („Fallit enim in his, quae primo voluntatis , postea sunt necessitatis , ut in eo, qui se domino sponte mancipat, omnique die in matrimonio videmus, quo mulier eligens virum, non définit inferior esse electo, idemque in adolescentibus curatore s suos eligentibus" De Jure Civitatis libri très, S. 50 f.), oder daß man annehmen könne, das Volk habe sich nicht vollkommen einem Herrscher unterwerfen wollen, wo doch die Tatsachen das Gegenteil zeigten („... non potest igitur quaeri, an fece ris, quod factum esse videmus." De Jure Civitatis libri très, S. 51).

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keit von Mischformen versagt er in diesem Zusammenhang nochmals ausdrücklich seine Anerkennung 133 . Bei der Erörterung der Monarchie beschäftigt sich Huber vor allem mit zwei Themen, nämlich der Erlangung der Herrschaft und der Nachfolgeregelung. Erstere sei möglich durch Wahl durch das Volk oder dazu bestimmte Wahlmänner 134 , einen K r i e g 1 3 5 oder durch Erbfolge 1 3 6 , was er jeweils anhand von historischen Beispielen verdeutlicht und belegt. Hier zeigt sich wieder in exemplarischer Form die katalogisierende und systematisierende Arbeitsweise des Allgemeinen Staatsrechts in Bezug auf die praktisch erfahrbare Wirklichkeit politischer Vorgänge in ihrer staatsrechtlichen Dimension. Auf die Erbfolge geht er, im Rahmen der Nachfolgeregelungen, besonders ausführlich ein und entwirft ein präzises Regelwerk für die gewillkürte und die natürliche Erbfolge nach dem Verwandtschaftsgrad 137 und deren Legitimität im Hinblick auf den Herrschaftsvertrag, also das Rechtsverhältnis zum Volk. Darüber hinaus spricht er im Zusammenhang mit der Regelung der Nachfolge noch das Recht der Vormundschaft 138 für den regierungsunfähigen Herrscher an und nimmt Stellung zu der Frage, ob auch Frauen die höchste Gewalt innehaben könnten, was er nicht grundsätzlich verneint, sondern nur insoweit einschränkt, daß sie dort nicht zur Herrschaft gelangen dürften, wo es auch männliche Thronanwärter gebe 1 3 9 . Was die Aristokratie angeht, so bemüht Huber sich vor allem, sie von der Demokratie abzugrenzen. Aristokratie ist für ihn die Regierungsform, in der die höchste Gewalt in den Händen eines „kleinen herausragenden Teils des Volkes" 140 liegt, während in der Demokratie „das Volk die höchste Gewalt nicht übertragen, sondern zurückbehalten hat" 141. Die Stellung eines „Optimaten" in der Aristokratie könne, entsprechend ihrer Verfassung, entweder auf Wahl oder auf Erbfolge beruhen 142 . Daher hält er sogar den Fall für eine Form der Aristokratie, in dem das Gremium, das die höchste Gewalt innehat, für einen begrenzten Zeitabschnitt vom ganzen V o l k 1 4 3 132

De Jure Civitatis libri très, S. 253 und 291. De Jure Civitatis libri très, S. 307 f. 134 De Jure Civitatis libri très, S. 264. 135 De Jure Civitatis libri très, S. 262. 136 De Jure Civitatis libri très, S. 272. 137 De Jure Civitatis libri très, S. 273. 138 De Jure Civitatis libri très, S. 287. 139 De Jure Civitatis libri très, S. 258. 140 „minorem et eminentem populi partem (De Jure Civitatis libri très, S. 291). 141 „... quando jus summum imperii a populo non transfertur, sed ab eo retinetur in summa ..." (De Jure Civitatis libri très, S. 291). 142 De Jure Civitatis libri très, S. 292. 133

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gewählt wird. Der Unterschied zu einer Form der indirekten Demokratie liege dann allein darin, daß in ihr das Volk sich die Möglichkeit erhalten habe, die Handlungen eines entsprechenden Gremiums für nichtig zu erklären und schwere Vergehen gegen den Staat selbst zu ahnden 144 , während in der Aristokratie jenes Gremium für die Zeit der Wahlperiode vom Volk vollkommen unabhängig und nur an die Fundamentalgesetze gebunden sei 1 4 5 . Die Frage nach der besten Regierungsform, obschon von ihm selbst in den Bereich der Politik verwiesen 146 und damit eine Reminiszenz an seine frühere Stellung als Lehrer dieser Wissenschaft, für die diese Frage ein zentrales Thema w a r 1 4 7 , beantwortet Huber an dieser Stelle kurz mit einer Stellungnahme für die Aristokratie, die einen Mittelweg darstelle zwischen Monarchie und Demokratie und den Gefahren jener beiden Regierungsformen, der der Tyrannei einer- und der Instabilität andererseits, vorbeuge 148 . Vor allem im Verhältnis zur Monarchie macht Huber noch auf weitere Vorzüge der Aristokratie aufmerksam, wie zum Beispiel die erhöhte Akzeptanz des Volkes gegenüber einer höchsten Gewalt, die aus einer Personenmehrheit bestehe, da es sich dann nicht einer einzigen Person ausgeliefert 149 und überdies in seiner Diversität besser repräsentiert sähe 150 . Die Emphasis, mit der Huber hier gerade auf die Unterscheidung von Aristokratie und Demokratie eingeht, wie auch die Tatsache, daß er erstere als die beste Regierungsform ansieht, hängt wohl zu einem guten Teil damit zusammen, daß in Friesland zu seiner Zeit eine ähnliche Form der Wahlaristokratie bestand, deren Darstellung er in diesem Zusammenhang auch ein eigenes Kapitel widmet 1 5 1 und somit ein gewisser Patriotismus bei 143 Zum wahlberechtigten „ Volk" gehören - auch in der Demokratie - nur „ erwachsene, männliche, ehrliche Bürger", nicht „Ausländer, Frauen, Knechte oder Verbrecher" („... jus sujfragii non dari quam civibus, puberibus, masculis, honestis, non peregrinis, pueris non feminis, nec infamibus personis ... De Jure Civitatis libri très, S. 303). 144 „... populus retinet facultatem infirmandi acta senatus et magistratuum, eosque gravius in rempublicam delinquentes puniendi(De Jure Civitatis libri très, S. 302, s. auch S. 292). 145 De Jure Civitatis libri très, S. 291. 146 „ Quae autem ex his formis Reipublicae sit praestantssima, disputare Politicorum est." (De Jure Civitatis libri très, S. 253). 147 Kossmann, Some late 17th-century Dutch writings on Raison d'Etat, S. 503. 148 De Jure Civitatis libri très, S. 253. 149 „... neque pati possunt, ut ab nutu unius omnia pendere videantur." (De Jure Civitatis libri très, S. 254). 150 „... quod in magno optimatium numero spisior et validior sit totius populi repraesentatio, quam in singulis imperantibus." (De Jure Civitatis libri très, S. 294). 1 De Jure Civitatis libri très, S. 2 .

III. Der Staat im Lichte des Allgemeinen Staatsrechts

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seinen Ausführungen mitschwingen m a g 1 5 2 . Darüber hinaus macht er mit Letzterem auch gewissermaßen einen Exkurs ins besondere Staatsrecht. Die Verknüpfung der abstrakten Abhandlung über das Recht der Regierungsformen im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts mit den konkreten Rechtsverhältnissen in Friesland zeigt nicht nur, daß die Information, die Huber seinen Studenten und Lesern geben will, diese zur Ausübung ihres späteren Berufes gerade in der Heimatregion befähigen sollte, sondern macht außerdem auch deutlich, daß er alles, was er in seinem Allgemeinen Staatsrecht als Recht darstellt, ganz selbstverständlich auf konkrete Sachverhalte in der Praxis als Recht anwendbar sieht. Im übrigen zeigt dies deutlich, daß es Huber bei der Konzeption seines Allgemeinen Staatsrechts auch um die Vermittlung persönlicher Werte und Anschauungen geht. Er verläßt in diesem Zusammenhang mehrfach die Ebene des rein Rechtlichen und Objektiven und verletzt damit im Grunde seinen eigenen Anspruch an die neue Wissenschaft. Die Bewertung der - heimatlichen - Aristokratie als beste Regierungsform verdeutlicht insoweit das dem Allgemeinen Staatsrecht inhärente subjektive, das fortschrittliche und gleichzeitig auch das konservative Element. Einerseits scheint er sich nämlich mit der Unterstützung praktischer Argumente für die Aristokratie als die für das Volk günstigere und eher erreichbare Alternative zur Monarchie einzusetzen. Andererseits wird gewöhnlich stets das für am besten gehalten, womit man vertraut und umgeben ist, auch wenn die Begründung dafür teilweise in allgemeinen Grundsätzen gesucht werden muß.

5. Verlust der Herrschaft

und Widerstandsrecht

Der neunte und letzte Abschnitt des ersten Buches befaßt sich schließlich mit dem Nieder- und Untergang („corruptio et interitus " ) 1 5 3 der höchsten Gewalt. Diese Erörterungen haben ihr Vorbild schon in den antiken Abhandlungen vom Staat, genau wie die Abhandlung der einzelnen Regierungsformen, und erscheinen auch in den Schriften zum Allgemeinen Staatsrecht immer wieder. Neben einer kurzen Aufzählung der seiner Meinung nach zehn - verschiedenen Möglichkeiten der Beendigung von Herrschaft 154 geht Huber hier vor allem ausführlich auf die Bestimmung der Tyrannei, das Widerstandsrecht und die Bestrafung von Tyrannen ein. 152 Vgl. dazu die Fußnote des Thomasius (De Jure Civitatis libri très, S. 253), der sich ansonsten für die Monarchie als günstigster Regierungsform ausspricht und diese Meinung als von der Mehrheit der Autoren unterstützt ansieht (ebd.). 153 De Jure Civitatis libri très, S. 310. 154 Dazu gehören zum Beispiel Tod, Zeitablauf, Abdankung, Aufruhr etc. (De Jure Civitatis libri très, S. 334ff.).

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Ein Widerstandsrecht kommt für Huber überhaupt nur dann in Frage, wenn tatsächlich eine „tyrannis" vorliegt. Daher hat deren Bestimmung zentrale Bedeutung und bereitet - wie er selbst k l a g t 1 5 5 - die meisten Schwierigkeiten, während sich die daran anknüpfenden Rechtsfolgen, das Widerstandsrecht und das Recht auf Bestrafung, dann quasi von selbst ergäben. Ob die höchste Gewalt in den Hände von Tyrannen ist, läßt sich für Huber auf zweierlei Art feststellen, wobei es unerheblich sein soll, ob die höchste Gewalt von einer oder mehreren Personen ausgeübt werde 1 5 6 . Zum einen könne sich eine tyrannische Herrschaft aus deren unrechtmäßiger Ergreifung („usurpatio") 151, zum anderen aus der Art ihrer Ausübung („exercitium") 158 ergeben. Unrechtmäßig ergriffen sei die Herrschaft dann, wenn die Ergreifung gegen den Willen bzw. nur mit der erzwungenen Einwilligung 1 5 9 dessen oder derer geschehen sei, die sie zu Recht innehätt e n 1 6 0 . Die Tyrannei „in exertitio" sei demgegenüber schwieriger zu bestimmen 161 . Denn nicht jede schlechte Regierung sei gleich tyrannisch 162 . Vielmehr müsse die höchste Gewalt wiederholt und vorsätzlich ihre durch das Recht eingeräumten Kompetenzen überschreiten 163 . Dies könne vor allem dadurch geschehen, daß sie gegen ausdrückliche Fundamentalgesetze verstoße 164 . Aber auch die Nichtbeachtung der stillschweigend angenommenen Fundamentalgesetze begründe diesen Vorwurf, allerdings mit der Einschränkung, daß dann eine vorsätzliche feindselige Haltung des Herrschers gegen das Volk nötig sei 1 6 5 und dadurch das ganze Volk und nicht nur eine Minderheit oder Einzelne betroffen sein müßten 1 6 6 . Diesen letzten einschränkenden Punkt behält Huber nicht konsequent bei. Denn er erklärt zwar einerseits, daß es kein tyrannischer, sondern nur ein „äußerst verwerf 155

„In facto haeret omnis difficultas, an aliquis princeps vere sit tyr annus ... (De Jure Civitatis libri très, S. 323). 156 „... seu singuli, sive plures ... (De Jure Civitatis libri très, S. 312). 157 De Jure Civitatis libri très, S. 310. 158 De Jure Civitatis libri très, S. 310. 159 „Sed qui cives ad consentiendum vi aperta et terrore praesenti adi g it, is invitis adhuc imperai, nec desinit esse tyrannusi (De Jure Civitatis libri très, S. 313). 160 „Nullo autem jure videntur imperium habere, qui id, invitis iis, quorum est verum jus imperandi ... sive is populus, sive optimates, aut unus siti (De Jure Civitatis libri très, S. 313). 161 De Jure Civitatis libri très, S. 314. 162 De Jure Civitatis libri très, S. 315. 163 „... qui terminos summae potestatis ... notorie et praefracte violanti (De Jure Civitatis libri très, S. 315). 164 De Jure Civitatis libri très, S. 315. 165 „... qui hostilem animum induit adversus suum populumi (De Jure Civitatis libri très, S. 365). 166 „... si modo excessus non sit contra singulos vel paucos . . . . (De Jure Civitatis libri très, S. 315).

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licher Akt" 167 sei, wenn der Herrscher einen Friedensvertrag mit einer bürgerkriegsführenden Volksgruppe breche und daß daher dieser Volksgruppe kein Widerstandsrecht zustehe. Andererseits dürfe jedoch schon ein Einzelner Widerstand leisten, wenn er sich gewissermaßen in einer Notwehrsituation gegen einen gerade stattfindenden tyrannischen A k t 1 6 8 befinde. Im übrigen könne auch dann ein tyrannischer Akt vorliegen, wenn der Herrscher nicht unmittelbar Unrecht tue, sondern dazu das Rechtssystem mißbrauche, welches nicht in der Lage sei, gegen einen solchen Mißbrauch aus sich heraus Widerstand zu leisten 1 6 9 . Für die Entscheidung, ob ein Widerstandsrecht gegen den Tyrannen und seine Handlungen bestehe, knüpft Huber an diese Differenzierungen an. In der „tyrannis usurpationis" ist für ihn ein Widerstandsrecht ohne weiteres gegeben. In der „tyrannis in exercitio" unterscheidet er dagegen wieder nach Vorliegen oder Fehlen von ausdrücklichen Fundamentalgesetzen. Bei Verstößen gegen ausdrückliche Fundamentalgesetze seien die Untertanen an den Herrschaftsvertrag nicht mehr gebunden und könnten den Gehorsam verweigern 170 . Außerdem gebe es die Möglichkeit, ein Widerstandsrecht für bestimmte Fälle direkt in einem Fundamentalgesetz zu regeln 1 7 1 . Überhaupt seien aber alle Akte des Tyrannen immer und generell nichtig 1 7 2 . Daher besteht ein Widerstandsrecht für Huber theoretisch auch in dem Fall, in dem eine tyrannische Herrschaft wegen Mißachtung der stillschweigend angenommenen Fundamentalgesetze vorliegt. Dies sei aber nur sehr schwer zu bestimmen. Es müsse für den Inhaber der höchsten Gewalt nämlich immer die Vermutung sprechen, daß er im Zweifel rechtmäßig handle 1 7 3 . Ebenso könne er bei allen seinen Handlungen zu seiner Verteidigung geltend machen, daß sie durch unvorhergesehene Ereignisse notwendig und geboten gewesen seien und er, wie jeder noch so geringe Beamte auch, einen Ermessensspielraum für seine Entscheidungen habe 1 7 4 . Selbst wenn dies als ein Vorwand mißbraucht werden könne und auch häufig miß167

„... gravissimeque periurus est..." (De Jure Civitatis libri très, S. 328). „... nisi quo antea modo circa tyrannos titulo, dum adhuc in vi flagrante versentur ..." (De Jure Civitatis libri très, S. 322). 169 De Jure Civitatis libri très, S. 334. Auch dies berechtige dann zu einer Gegenwehr mit Waffengewalt („... vis et arma judiciis opponi posse videanturebd.). 170 „... si rex non servet jura fundamentalia, populus omni vinculo obsequi solvatur ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 318). 171 De Jure Civitatis libri très, S. 318. 172 „... acta, quae sunt contra jus imperantibus delatum, ipso jure nullum esse ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 317). 173 „... in dubio pro imperantibus praesumemus." (De Jure Civitatis libri très, S. 322). 174 „... casu necessitatis inopinae excepto, qui etiam in simplici magistratuum officio exceptus intelligitur ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 318). 168

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braucht werde, müsse man es dennoch als ein der höchsten Gewalt zustehendes Recht anerkennen 175 und daher akzeptieren, daß in der Praxis da, wo ausdrückliche Fundamentalgesetze fehlten, den Untertanen doch eigentlich „keinerlei Möglichkeit zum Widerstand gegeben" sei 1 7 6 . Durch diese Einschränkung wird das den Untertanen ursprünglich zugestandene Widerstandsrecht in seiner Anwendbarkeit gewissermaßen „auf null reduziert". Insgesamt drückt Huber sich in diesem Zusammenhang überhaupt - wie es auch für das Allgemeine Staatsrecht insgesamt typisch ist - vorsichtig und nicht immer klar aus. Besonders die letzten beiden Punkte zeigen auch, daß er die grundsätzliche Radikalität und Tragweite seiner postulierten Rechtspositionen im Hinblick auf die tatsächlichen politischen Gegebenheiten seiner Zeit durch die Betonung der faktischen Unmöglichkeit ihrer praktischen Umsetzung und der bewußten Ungenauigkeit bei der Formulierung ihrer Wirkungen zu relativieren oder zu verschleiern sucht. Dennoch ist eindeutig, daß er ein Widerstandsrecht gegen den Tyrannen auch in diesen Fällen im Grundsatz anerkennt 177 , es aber als ultima ratio an äußerst strenge Bedingungen knüpft, nämlich an die, daß der, der die höchste Gewalt innehat, „alles nur nach seiner Laune und seinem Nutzen regiere, daß dies durch vielfache Erfahrung offensichtlich sei, daß alle Versuche, anders Abhilfe zu schaffen, gescheitert seien und keine Hoffnung auf Besserung bestünde und es unzweifelhaft sei, daß der Staat zugrunde gehen werde" 178 . Seine Ausübung soll außerdem auch von vielen Faktoren abhängen, die nicht immer etwas mit dem objektiv-rechtlichen Bereich zu tun haben. So bliebe nämlich in allen Fällen die Entscheidung, ob wirklich Widerstand geleistet werden solle, vor allem eine praktisch-politische 179 . Dem entspricht es auch, daß es keine juristische Instanz, etwa ein Gericht, oder überhaupt eine formell berufene Institution gibt, der es zukäme, über die rechtliche Frage der Erfüllung der Tatbestandes der Tyrannei verbindlich zu befinden. Darüber hinaus betont Huber mehrfach, daß das Recht zum Widerstand nicht zu einer Widerstandspflicht führe, selbst wenn i m Falle 175 „Sed hoc praetextu necessitatis imperantes abuti posse atque solere , sed ideo non cessât esse jurìs ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 318). 176 „... consentaneum est, nullam resistendi facultatem subjectis dari ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 318). 177 „... nihil in ea sententia videmus iniqui aut absurdi, quae resistendi facultatem tribuit subiectis." (De Jure Civitatis libri très, S. 320). 178 „... ut omnia dirigat ad libidinem utilitatemque suam solius, idque multiplici experientia palam sit , omnibusque tentatis remediis nulla spes supersit emendationis, et rem publicam pessum ire sit indubitatum ... ," (De Jure Civitatis libri très, S. 320). 179 „... servire , an pugnare , facti magis et politices quam juris est." (De Jure Civitatis libri très, S. 317.

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der Usurpation der rechtmäßige Inhaber der höchsten Gewalt den Befehl dazu gebe 1 8 0 , sondern daß es i m Hinblick auf die christliche Ethik gerade „lobens- und bewundernswert" sei, „lieber Unrecht und Tod ertragen zu wollen, als Blut zu vergießen" 181. Sollte es dann aber dennoch zu einem - rechtmäßigen - Gebrauch des Widerstandsrechts kommen, sei es „ richtiger und sichererdaß dieser möglichst von einem hohen Würdenträger geführt werde, um eine totale Anarchie zu vermeiden 182 . Ähnlich äußert sich Huber in der Frage nach einer Möglichkeit der Bestrafung des Tyrannen. Auch hier erkennt er eine solche grundsätzlich an, jedenfalls dann, wenn der Tyrann nicht mehr die höchste Gewalt innehabe 1 8 3 , erklärt sie aber im Hinblick gerade auf Letzteres weniger zu einer Frage des Rechts als des „Kriegsglücks" 1* 4. Rechtlich müsse jedoch ein Unterschied gemacht werden zwischen einem Herrscher, der sich lediglich hartnäckig nicht an den Herrschaftsvertrag halten wolle und einem solchen, der zu einem Feind seines Volkes geworden sei und es vorsätzlich unterdrücke. I m ersten Fall reiche es daher von Rechts wegen aus, den Betreffenden von der Macht zu entfernen, im anderen sei die Todesstrafe angemessen und rechtmäßig 185 . Darüber hinaus macht er die Bestrafung des Tyrannen 1 8 6 aber noch abhängig von verschiedenen anderen Faktoren, wie der Würde oder politischen Erwägungen 187 .

180 Wobei auch hier praktische Gesichtspunkte in die Gestalt einer Rechtsvermutung gepresst werden, nach der anunehmen sei, daß der rechtmäßige Inhaber der höchsten Gewalt es bevorzuge, daß dem Usurpator gehorcht werde, bevor der gesamte Staat Schaden nehme („Tum enim is, ad quem pertinet ius imperii, malle praesumendum est, ut tyranno pareatur, quam ut universa civitas gravissimo afficiatur incommodo ... ." De Jure Civitatis libri très, S. 313). 181 „Esse enimvero laude et admiratione dignos, qui malunt injuriam et mortem pati , quam armis oppositis sanguinem fundere, non est negandum(De Jure Civitatis libri très, S. 319). 182 „... at tarnen rectius et tutius hoc casu principium a summis magistratibus fieri videtur ." (De Jure Civitatis libri très, S. 320). 183 De Jure Civitatis libri très, S. 320,321. 184 „Alioqui res non tam iurisdictionis, quam belli est ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 322). 185 De Jure Civitatis libri très, S. 366. 186 Es sei hier daran erinnert, daß die Enthauptung von Charles Stuart, König von England, noch nicht allzu lange zurücklag. Die Frage hatte also durchaus praktische Relevanz. 187 „... dignitatis et attributricis prudentiae diversa potest esse consideratio ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 321 und 322).

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6. Kirche und Staat Im übrigen beschäftigt sich Huber im vierten, fünften und sechsten Abschnitt des ersten Buches noch auf circa 150 Seiten, etwa einem Fünftel des gesamten Werkes, mit Fragen, die teilweise eher dem Bereich der Theologie als dem des Rechts angehören 188 und die in dieser Ausführlichkeit und der darin liegenden Gewichtung nicht zum üblichen Themenkatalog des Allgemeinen Staatsrechts gehören 189 . Allerdings war die Beschäftigung mit diesen Fragen hinsichtlich der Rolle der Kirche im Staat ein drängendes Bedürfnis der Zeit und eine Reaktion auf die Erfahrungen aus den Religionskriegen und die Instrumentalisierung der Religion für politische Zwecke, gleichzeitig aber auch ein Ergebnis der Entwicklung des modernen Staates und des sich daraus ergebenden Konfliktpotentials. Denn aus dem Gedanken der Souveränität heraus kann der Staat nicht dulden, daß die Kirchen eine bzw. mehrere Gesellschaften innerhalb der Gesellschaft des Staatsverbandes bilden, die sich zu letzterem in Widerspruch setzen könnten. Der Staat muß die Oberaufsicht über diese Gesellschaften im Staat anstreben und behalten. Gleichzeitig muß für den Einzelnen - als Ausdruck seines natürlichen Freiheitsrechts - grundsätzlich die Religionsfreiheit gewährleistet und geschützt werden. Für die Bewältigung dieser drängenden Grundsatzfragen und Interessenkonflikte konnte im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts nach - rechtlichen - Lösungsansätzen gesucht werden 1 9 0 .

188 So erörtert er unter anderem die rechtlichen Aspekte theologischer Problemstellungen, wie etwa die Rechtsnatur des Alten und Neuen Testaments (De Jure Civitatis libri très, S. 118), die Frage, ob die Vergebung der menschlichen Sünden von Gott geschuldet sei, wenn der Mensch Buße getan habe (De Jure Civitatis libri très, S. 142) und - unter Zuhilfenahme römisch-rechtlicher Argumentationen - den Erlösungsgedanken (De Jure Civitatis libri très, S. 153). Er begründet dies damit, daß auch Hobbes in „De Cive" auf theologische Fragen eingegangen sei, auf die er antworten wolle, und daß Theologie und Recht ohnehin zusammenhingen. („Non paulo tarnen brevius, quam Hobbes in suo De Cive tractatu, excurrit in res Theologicas;" De Jure Civitatis libri très, S. 224). 189 Dabei ist aber nicht zu vergessen, daß, wie bereits bei der Vorstellung der Hauptwerke des Allgemeinen Staatsrecht deutlich geworden ist, alle Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts mehr oder weniger willkürliche Schwerpunkte entsprechend ihrer persönlichen Interessen gesetzt haben. 190 Insoweit setzt Huber sich auch mit theologischen Ansichten von Grotius auseinander (z.B. De Jure Civitatis libri très, S. 150 u. 153), die - wohl aus den angeführten Gründen - bereits im Gesamtwerk des Grotius eine große Rolle spielen (Hoffinann-Loerzer, Günther, Grotius, in: Maier, Hms/Rausch, Heinz/Denzer, Horst, Klassiker des politischen Denkens, 3. Aufl., München 1969, Bd. 1, S. 307ff.), zumal Huber auch in seiner Eigenschaft als Grotius-Schüler und Rezeptor (vgl. Veen, Recht en Nut, S. 230 ff.) auch aus diesem Grund selbst großen Wert auf eine Erörterung der theologischen Fragen im Rahmen seines Allgemeinen Staatsrechts gelegt haben mag. Darüber hinaus ist für ihn der Glaube ohnehin, wie oben darge-

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Dementsprechend beschäftigt sich Huber in diesem Zusammenhang selbstverständlich auch mit der Frage, welche Rechte der Staat gegenüber der Kirche hat und umgekehrt 191 . Aus dem Spektrum der verschiedenen Theorien, das von der vollkommenen Unterwerfung der Kirche unter den Staat bis zur völligen Losgelöstheit der Kirche vom Staat reiche, wählt er einen Mittelweg aus, nach dem die Angelegenheiten der „inneren Kirche " („ ecclesia interna") sich dem staatlichen Einfluß entzögen, die „äußere Kirche" („ ecclesia externa") dafür aber dem Recht des Staates unterliege 1 9 2 . Daneben nimmt Huber aber auch ausführlich Stellung zu Themen, die zumindest in nachvollziehbarer Weise zum Allgemeinen Staatsrecht gezählt werden können, mitunter für das Allgemeine Staatsrecht sogar außerordentlich wichtig bzw. aufschlußreich sind, wie etwa die Parallele, die Huber zwischen dem alt- und neutestamentlichen Bund Gottes mit den Menschen und dem Staatsvertrag zieht, wonach aus ersterem die gleiche Verpflichtung aller Menschen zum Gehorsam gegenüber Gott entspringe, wie aus letzterem zum Gehorsam der Untertanen gegenüber der höchsten Gewalt 1 9 3 und woraus unter anderem auch - im Wege einer nur scheinbar theologischen, in Wirklichkeit aber juristischen Begründung - folgt, daß die höchste Gewalt an die im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts formulierten göttlichen Gesetze gebunden sein muß. Welche Rechte die Kirche im einzelnen haben soll, präzisiert Huber nur in einigen Fällen. So gesteht er ihr beispielsweise ausdrücklich das Recht auf ein freies Glaubensbekenntnis, auf Gottesdienste und die Vornahme der jeweiligen heiligen Handlungen, sowie der Priesterwahl 194 zu. Andererseits müsse sich die Kirche jeglicher politischer Aktivität enthalten. Sie habe, wie jeder andere Untertan auch, Eingriffe seitens des Staates zu dulden 1 9 5 . Zwar könne sie in geistlichen Fragen Stellung selbst gegen die höchste Gewalt im Staate beziehen, dürfe dies aber nicht in politische Macht umwandeln 1 9 6 , sondern müsse im Gegenteil den Gläubigen „Gehorsam gegen die Staatsgewalt einschärfen" 191. Diese Rechte und Pflichten sollen legt, neben der Vernunft eine Erkenntnisquelle des allgemeinen Rechts, worauf er an dieser Stelle ausführlich eingeht (De Jure Civitatis libri très, S. 220-252). 191 Mit Kirche meint Huber in diesem Zusammenhang die Gemeinschaft der Gläubigen, die er als „ecclesia visibila" bezeichnet (De Jure Civitatis libri très, S. 159). 192 De Jure Civitatis libri très, S. 165, 176ff., 180. 193 De Jure Civitatis libri très, S. 148. 194 De Jure Civitatis libri très, S. 185 ff . 195 „Si vero potestas summa res suas ecclesiis asimat, ejusque bona in usus profanos convertat, hoc quidem est eujusmodi jus , quod ecclesiam obliget ad patientiam ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 198). 196 „Nam jus illud denuntiandi est mere coeleste , a tenore politici regiminis alienissimum ..." (De Jure Civitatis libri très, S. 205). Infolge dessen werde auch einem

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für alle Kirchen gleich gelten, unabhängig davon, ob der jeweilige Herrscher ihnen angehöre, oder nicht 1 9 8 . Im übrigen habe die höchste Gewalt die Pflicht, bei der Rechtsanwendung Glaubensfragen außer Acht zu lassen 199 und könne auch keinem ihrer Bürger zu einem bestimmten Glauben zwingen, doch habe sie andererseits das Recht, die öffentliche Religionsausübung Andersgläubiger zu verbieten 200 und diese im Sinne einer wünschenswerten Homogenität der Religionslandschaft sogar aus dem Staat zu vertreiben 201 . Außerdem müsse sie gegen Atheisten und Blasphemie unbedingt mit aller Härte vorgehen 202 . 7. „Privatrechtliches"

Allgemeines Staatsrecht

Das ganze zweite Buch von „De Jure Civitatis libri très" hat im Grunde nur wenig mit Staatsrecht im engeren Sinne zu tun. Denn auf knapp zweihundert Seiten beschäftigt Huber sich vorwiegend mit Rechtsgebieten wie Familienrecht 203 , Sachenrecht 204 , Schuldrecht 205 und Erbrecht 206 . Nach der Darstellung der Rechte der Regierenden sei nämlich nun, so meint er, die rechtliche Situation der zweiten Personengruppe im Staat, der Untertanen und Bürger, zu erörtern 207 . Auch dies findet sich thematisch mehr oder minder ausführlich in späteren Bearbeitungen des Allgemeinen Staatsrechts wieder, so daß hier die entsprechenden Inhalte kurz skizziert werden sollen.

von der Kirche exkommunizierten Herrscher immer noch Gehorsam geschuldet (De Jure Civitatis libri très, S. 322). 197 „... Presbyteri ... populis simul obedientiam inculcare debent." (De Jure Civitatis libri très, S. 205). 198 De Jure Civitatis libri très, S. 193 f. 199 „... ita quod ad externi juris effectus attinet , non distingui , utrum cives , contra quos summa potestas illud suum jus exercet, recte vel secus de fide sentiant (De Jure Civitatis libri très, S. 198). 200 „... jus prohibendi aliter sentientibus, ne publicos solennesque conventus habeant ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 194). Jene sollen aber das Recht behalten, „Lehrer zu haben, Bücher zu lesen und Gott auf ihre Art zu huldigen" („... ne Doctores ullos habeant, ne libros legant, ne Deum suo more colant, id abscisse prohiberi nequit ebd.). 201 „Sed interdicere civitate heterodoxos, salvis vita atque fortunis, si expedire judicet, eum posse existimaverim(De Jure Civitatis libri très, S. 194). 202 „Sed ratio juris divini et humani flagitabat, ut contra ejusmodi defectores, vêtus severitas supplicii non modo corporalis, sed ... capitalis exe ree re turi (De Jure Civitatis libri très, S. 199). 203 „De Jure Familiae" (De Jure Civitatis libri très, S. 369ff.), worunter auch die Gewalt des Familienoberhaupts über Gesinde und Sklaven zählt (De Jure Civitatis libri très, S. 394ff.). 204 „De subjectione rerum De Jure Civitatis libri très, S. 444ff. 205 De Jure Civitatis libri très, S. 513 ff. De Jure Civitatis libri très, S. .

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Zwar bemüht Huber sich, diese Rechtsbeziehungen der Untertanen untereinander ebenso abstrakt-generell und als Bestandteil des „jus gentium" abzuhandeln 208 , wie zuvor die zwischen Untertanen und Regierenden. Doch erscheint die Begründung für die Beschäftigung mit den verschiedenen eigentlich zum Privatrecht gehörenden Rechtsgebieten im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts im einzelnen eher willkürlich, wie etwa die, daß das Familienrecht deshalb zum Allgemeinen Staatsrecht gehöre, weil der Staat, so wie er zuvor definiert worden sei, aus einer Vielzahl von Familien bestehe 209 . Andererseits ergeben sich jedoch bei der Abhandlung beispielsweise des Schuldrechts oder sogar des Familienrechts auch gewisse Parallelen zu vorher schon i m ersten Buch angesprochenen Fragen i m Verhältnis zwischen Herrscher und Untertan 2 1 0 . Auch darüber hinaus bleibt insgesamt ein gewisser staatsrechtlicher Bezug des zweiten Buches von „De Jure Civitatis libri très" dadurch gewahrt, daß Huber bei seinen Ausführungen in etlichen Punkten neben der Rechtsstellung der Untertanen die der höchsten Gewalt mitberücksichtigt und weiterhin auch grundsätzliche Überlegungen über den Bürger an sich, die Stände und Organisationen innerhalb des Staates anstellt, oder etwa im Rahmen des Sachenrechts auch auf das Recht der „ res publicae der öffentlichen Sachen zu sprechen k o m m t 2 1 1 . 207

„Scilicet , cum duabus omnino partibus constet civitas, imperantibus atque parentibus sive subjectis, absoluto imperio , res iubet, ut de his qui subjectis sunt, eorumque rebus loquamur... (De Jure Civitatis libri très, S. 370). 208 So scheine zum Beispiel das Sachenrecht zwar hauptsächlich dem Privatrecht zuzuordnen zu sein, doch solle hier nur von dem Teil des Sachenrechts gesprochen werden, der durch den Vergleich der Rechtsordnungen einzelner Staaten als allgemeingültiges und Völkerrecht feststehe („De jure rerum tractatus etsi maxime juris privati esse videatur, hic tarnen omitti non potest; ut intelligatur, quid jurìs in singulas reipubl. comparatum sit; Eomodo tarnen Ulis agemus, ut nihil quam quod juris gentium est ac universale, persequemur." (De Jure Civitatis libri très, S. 444). 209 „... quod jus familiarum ad juris universale sicitate considerationem vel maxime prtineat." (De Jure Civitatis libri très, S. 375). Die Tatsache, daß Huber überhaupt in diesem Zusammenhang selbst einen Erklärungsbedarf sieht, deutet allerdings darauf hin, daß ihm das Problematische dieser systematischen Erweiterung des Allgemeinen Staatsrechts bewußt ist. 210 So wenn zum Beispiel die Natur der gegenseitigen Verpflichtung überhaupt erörtert wird (De Jure Civitatis libri très, S. 513), die auch für das Modell vom Staats vertrag Bedeutung hat, oder wenn dem Sklaven ein Recht zur Flucht oder der Tötung seines Herren, also ein Widerstandsrecht dann eingeräumt wird, wenn er in Ketten gehalten wird und durch sein Verhalten zu erkennen gegeben hat, daß er sich mit seiner Situation nicht abfinden will, nicht aber, wenn er sich stillschweigend zu Gehorsam verpflichtet hat (De Jure Civitatis libri très, S. 395). 211 Dies seien Sachen, die im Eigentum eines bestimmten Volkes stünden („Hinc etiam diximus, quae res sint, quas publicas appelamus, sc. quarum proprietas certi alicuius populi est", De Jure Civitatis libri très, S. 448). Unterteilt würden sie in zwei Gruppen, nämlich solchen, die von der Allgemeinheit genutzt werden könnten, wie Flüsse und Häfen, und solchen, die zum Staatsschatz gehörten (ebd.). Was dies8 Schelp

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So definiert Huber etwa im ersten Kapitel des zweiten Abschnitts in Anlehnung an den Wortlaut der Definition des Staates den Begriff des Bürgers („cives") als einen „freien Menschen, der um der Rechtssicherheit willen und um sein Leben glücklich zu führen, sich mit anderen unter einer höchsten Gewalt vereinigt" 212. Dabei mache es für die Bürgereigenschaft keinen Unterschied, ob er männlich oder weiblich, Land- oder Stadtbewohner, noch ob er arm oder reich sei, wobei allerdings - aus praktisch-politischen Gründen - die Reichen bei der Zulassung zur Regierungsgewalt den Armen vorzuziehen seien, da sie ein größeres Interesse am Wohle des Ganzen hätten als j e n e 2 1 3 . Eingeteilt seien die Bürger eines jeden Staates in verschiedene Stände („ordines") 214. Ein Recht des Bürgers auf Auswanderung - auch dies vor dem Hintergrund der religiös motivierten Auswanderungswellen, beispielsweise der der Hugenotten in, bzw. aus Frankreich, eine zur Zeit Hubers und auch später noch sehr aktuelle, im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts auf einer rechtlichen Grundlage zu diskutierende politische Frage - hänge davon ab, ob die Bürger eines Staates bei der

bezüglich die Rechte des Inhabers der höchsten Gewalt angehe, verfüge jener in der Regel über vier verschiedene Arten von Sachen. Dies seien erstens die „res privata", die unabhängig von seiner Eigenschaft als Herrscher in seinem Privateigentum stünden, sodann die „res dominicaedie ihm mit Antritt der Herrschaft zu seinem privaten Gebruch überlassen würden, weiterhin die „res fiscaliae" und die „res aerariaederen letztere vor allem Steuern und Abgaben seien, während erstere aus dem übrigen Staatsvermögen bestünden (De Jure Civitatis libri très, S. 468 f.). Sachen, die sich in einem anderen Staat befänden, seien, wenn es sich um bewegliche Sachen handele, dem Recht des Staates unterworfen, dessen Bürger ihr Eigentümer sei. Wenn es sich dagegen um Immobilien handele, sei das Recht des Lageortes anzuwenden (De Jure Civitatis libri très, S. 449). Enteignungen und Zugriffe des Staates auf Sachen im Ausland seien allerdings wegen des zu großen Eingriffs in die Souveränität des anderen Staates grundsätzlich weder bei Mobilien noch bei Immobilien zulässig (De Jure Civitatis libri très, S. 449). 212 „ Civis est homo liber ; qui juris fruendi vitaeque feliciter agendae gratia , cum aliis, sub eadem summa potestate , sociatus est." (De Jure Civitatis libri très, S. 398). 213 De Jure Civitatis libri très, S. 406. 214 De Jure Civitatis libri très, S. 414. Deren ältester sei der Bauernstand, gefolgt von dem der Kaufleute (De Jure Civitatis libri très, S. 415), das größte Verdienst jedoch komme dem Stand der Wissenschaftler zu. („Sed qui studiis honestarum artium exercentur; hi optimo merito civilis ordines censentur ." De Jure Civitatis libri très, S. 418). Das Militär dagegen könne kein eigener Stand sein. Es bestehe entweder aus Bürgern, die einfach ihre Bürgerpflicht erfüllten, oder aber aus Söldnern, die ohnehin nicht zum Staat gehörten (De Jure Civitatis libri très, S. 418). Den Adel, seine Stellung, Hierarchie und Entstehung, behandelt Huber in einem weiteren Kapitel (De Jure Civitatis libri très, S. 407 ff.), das Lehnsrecht, anknüpfend an das Sachenrecht, sogar in einem eigenen kurzen Abschnitt (De Jure Civitatis libri très, S. 486 ff.), was, auch wenn es nicht in allen Staatsformen vorkommt und daher eigentlich kein Thema des Allgemeinen Staatsrechts sein dürfte, aus der historischen Situation im Europa des siebzehnten Jahrhunderts durchaus nachvollziehbar ist und die Praxisbezogenheit von Hubers Lehrbuch erneut unterstreicht.

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Staatsgründung ihre Verpflichtungen aus dem Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag für alle Zeiten und zukünftige Generationen hätten begründen wollen, oder nicht 2 1 5 . In der Regel müsse diese Verpflichtung so ausgelegt werden, daß sie nur so lange habe gelten sollen, wie auch der Wohnsitz des jeweiligen Bürgers in dem entsprechenden Staat begründet sei und es dem Einzelnen freistehe, dies zu ändern 216 , allerdings mit der Einschränkung, daß dieses Recht nicht bestehe in Krisenzeiten wie bei drohendem Krieg und hoher Staatsverschuldung. In solchen Fällen könne die Auswanderung mit Recht verboten werden 2 1 7 Einen weiteren ganzen Abschnitt des zweiten Buches widmet Huber den Zusammenschlüssen und Organisationen von Bürgern innerhalb des Staates, die er „universitates" 218 nennt. Eine solche „universitas" sei „eine Vereinigung von Untertanen, die sich mit Erlaubnis der höchsten Gewalt unter einer bestimmten Leitung zu gemeinsamen Nutzen und dem Nutzen der Allgemeinheit zusammengefunden" habe 2 1 9 und als solche eine juristische Person 220 . Von der Organisationsform her könne sie irgendwo auf einem breiten Spektrum zwischen dem Staat selbst einer- und der Familie andererseits angesiedelt sein 2 2 1 , müsse jedoch immer eine hierarchische Ordnung haben 2 2 2 und mindestens aus drei Personen bestehen 223 . Es könne sich dabei um Provinzen, Städte, Dörfer, Klöster, Handwerkergilden („collegia artificium") 224 und auch um die - nach heutigem Sprachgebrauch - eigentlichen „Universitäten", die „universitates studiorum" 225 handeln. Eine besonders für den Niederländer Huber bedeutsame Art von „ universitates" sind die Handelskompanien 226 . Auch wenn sie in einem anderen Teil der 215

„... denique, obligationem esse perpetuam, et quod primo voluntatis , id postea necessitatis esse" (De Jure Civitatis libri très, S. 399). 216 „... fuerit tacita foederis conditio, ut obligatio maneret , dum cohabitatio duaret, eam tarnen mutare singulis liberum esset" (De Jure Civitatis libri très, S. 400). 217 De Jure Civitatis libri très, S. 400. 218 Wohl am besten zu übersetzen mit „Körperschaften". 219 „Coetus, sive corpus subditorum alicujus civitatis, sub certo regimine, permissu summae potestatis, ad utilitatem communem societatus" (De Jure Civitatis libri très, S. 420). Dabei interpretiert Huber, wie in der Übersetzung schon vorweggenommen, die „communis utilitas" gleichzeitig als „pro communi sociorum et publico bono" (De Jure Civitatis libri très, S. 421). 220 De Jure Civitatis libri très, S. 422. 221 De Jure Civitatis libri très, S. 419. 222 De Jure Civitatis libri très, S. 421. 223 De Jure Civitatis libri très, S. 420. 224 De Jure Civitatis libri très, S. 420. 225 De Jure Civitatis libri très, S. 425. 226 Die mächtige „Vereinigte Ostindische Kompanie" (gegründet 1602) und die „Erste Westindische Kompanie" (gegründet 1621) trugen wesentlich bei zu Wohlstand und Blüte der Niederlande gerade im 17. Jahrhundert und stellten einen wich8*

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Erde und außerhalb des eigentlichen Staatsgebietes selbst über weite Gebiete praktisch wie unabhängige Inhaber der höchsten Gewalt regiert e n 2 2 7 , seien sie dennoch, auch diese Gebiete betreffend, immer der Herrschaft des Mutterlandes unterworfen und ihre Herrschaftsakte könnten von jener auf ihre Richtigkeit und Gerechtigkeit hin überprüft und für ungültig erklärt werden 2 2 8 .

8. Staatsverwaltung und Völkerrecht im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts a) Die „gute Polizei" Nach den „Rechten der Herrschenden und deren Untertanen " beschäftigt sich Huber auf den letzten zweihundert Seiten von „De Jure Civitatis libri très" im dritten Buch („De Jure Administrandi Rem Civitatis") damit, „wie der Staat zu verwalten sei, soweit es sich aus Rechtsgründen ergibt" 229. Dabei wird erörtert, wie er „durch Gesetze geordnet, durch Beamte verwaltet, durch Richter befriedet wird und wie das Geldwesen einzurichten, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten und das Verhältnis zu anderen Staaten zu gestalten ist" 230. Das erste, was nach der Staatsgründung geschehen müsse, sei ein „feierlicher Treueschwur auf die höchste Gewalt" 231, das erste, was diese zu tun habe, sei es, „für den ganzen Staat allgemeine Gesetze zu erlassen, um so die Grundlage für eine gemeinsame Verwaltung zu schaffen" 232.

tigen Machtfaktor innerhalb des Staates dar. Eine Beschäftigung mit ihnen im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts ist daher für Huber, gemessen an seinen übrigen Bezugnahmen auf aktuelle juristische und politische Problemkreise, vornehmlich auch seiner eigenen Heimat, unumgänglich. 227 „Indica societas, quae est universitas stabiliti regiminis, habet civitatem, imo rempubl. et Imperium sub alio sole coeloque ..." (De Jure Civitatis libri très, S. 424). 228 „Eiusmodi universitates, quatenus suum corpus extra fines civitatis, cui sunt subjectae, extendunt, habent se instar rei publicae subordinatae, omnes imperii actus velut in civitate exercentes, qui tarnen infìrmari ob iniquitatem prohiberique possunt u (De Jure Civitatis libri très, S. 425). 229 „... ut de civitate administranda, quatenus ad juris rationem pertinet ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 551). 230 „Habemus civitatem se gibus ordinatam, a Magistratibus administratam, Judiciis pacatam, et pecuniis instructam, securitate munitam ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 704). 231 „Primum, quod in civitate constituta sit, esse solennem fidei dationem ... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 551). 232 „... nihil prius agere debent, quam ut legibus universam reipublicae administrationem, inde ab initio complectantur." (De Jure Civitatis libri très, S. 554).

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Die Definition und Beschreibung der Staatsaufgaben und die teilweise fast kameralistische Züge tragende Beschäftigung mit Fragen der richtigen Staatsverwaltung durch das Allgemeine Staatsrecht findet sich in allen großen Abhandlungen zu diesem Thema wieder 2 3 3 . Dies rührt daher, daß durch die Systematisierung des den Staat betreffenden Rechts auch überhaupt erst einmal verbindlich festgestellt werden sollte und mußte, womit der Staat und in der praktischen Wirklichkeit der Fürst sich beschäftigen dürfe und sich auch zu beschäftigen habe. Historisch war gerade im Anschluß an den Dreißigjährigen Krieg in ganz Mitteleuropa ein enormer Handlungsbedarf hinsichtlich der Wiederaufbauleistungen entstanden, der durch die bestehenden Institutionen offenbar nur unzureichend befriedigt werden konnte. Die Fürsten waren dazu als faktische Inhaber zumindest des größten Anteils an der Macht in den Territorien am ehesten in der Lage und mußten in die Pflicht genommen werden. Zur Erfüllung dieser Aufgaben benötigten sie jedoch auch die entsprechenden Kompetenzen. So mußte ihre Herrschaft tendenziell eine allumfassende werden in dem Maße, wie auch die in sie gesetzten Erwartungen zunehmend allumfassend wurden. Insofern ist es nur folgerichtig, daß das Allgemeine Staatsrecht sich um eine erschöpfende Aufzählung der Aufgaben des Inhabers der höchsten Gewalt bemüht, mit gleichzeitiger, dadurch bedingter Herausarbeitung der mit ihnen zusammenhängenden Rechte und Pflichten 2 3 4 . Die Einhaltung und Ausführung der entsprechenden Gesetze des Staates werde von den Beamten („magistratus") überwacht 235 . Sie seien „Diener der höchsten Gewalt, die mit ordentlicher Macht ausgestattet sind und an deren Stelle täglich in regierender und richtender Funktion die Durchsetzung der Gesetze besorgen" 236. Auch die Richter seien demnach Beamte. Die Hauptaufgabe der Beamten und Richter sei es, stellvertretend für die höchste Gewalt die öffentliche Sicherheit („securitas publica") 231 zu gewährleisten. Sie könne definiert werden als „der Schutz der Gesetze, der allen Unschuldigen gewährt wird" 23*. Sie gebe dem Bürger „in ruhiger Freiheit" 239 „die Möglichkeit, zu tun, was man will, wenn es nicht durch 233

Insbesondere bei Scheidemantel, s. o. Diese Herausarbeitung der Aufgaben und der damit korrellierenden Kompetenzen wird im Laufe der Zeit immer detaillierter und erreicht ihren diesbezüglichen Höhepunkt in den Werken von Scheidemantel und Justi (s. o.). 235 De Jure Civitatis libri très, S. 574. 236 „Ministri summae potestatis, ad ejus vices secundum leges , in quotidinana imperandi et judicandi functione, obeundas ordinaria potestate instructi ." (De Jure Civitatis libri très, S. 584). 237 De Jure Civitatis libri très, S. 685. 238 „Hoc modo definiri potest , Legis et Imperii praesidium omnibus paratum innocentibus" (De Jure Civitatis libri très, S. 686). 239 „... in liberiate tranquilla ... (De Jure Civitatis libri très, S. 685). 234

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. Kap.:

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und he

des Allgemeinen Staatsrechts

das Gesetz verboten ist" 240, und sich „seiner Besitztümer und des freien und sicheren Gebrauchs der Meere, Flüsse, Wege und des Handels zu erfreuen" 241. Die innere Sicherheit könne jedoch nicht ohne die äußere Sicherheit bestehen. Darunter sei die Verteidigungsbereitschaft gegen Angriffe von anderen Staaten zu verstehen. Solche seien immer zu gewärtigen, da die Staaten im Verhältnis untereinander sich im Natur- und damit im latenten Kriegszustand befänden. Die äußere Sicherheit werde von der Armee gewährleistet 242 . Zur Bewältigung all jener mit der öffentlichen Sicherheit zusammenhängenden Aufgaben müsse die höchste Gewalt auch über öffentliche Mittel verfügen. Diese seien über die Erhebung von Steuern zu beschaffen, wie Huber in zwei Kapiteln 2 4 3 in denen er unter anderem auch auf Ursprung und Zweck des Geldes überhaupt eingeht 2 4 4 , detailliert ausführt. Überhaupt sei der Staat nämlich nur deshalb geschaffen, um diese öffentliche Sicherheit zu garantieren und die Regierenden leiteten daraus ihre gesamte Berechtigung zum Regieren und letztendlich alle einzelnen Majestätsrechte a b 2 4 5 .

b) Staatsrechtliche Bezüge des Völkerrechts Der letzte Abschnitt, „De Jure Civitatis adversus exteros" 246, beschäftigt sich näher mit den Rechtsverhältnissen des Staates gegenüber anderen Staaten, also dem eigentlichen Völkerrecht. Dies ist durchaus üblich und kommt auch in fast allen späteren Abhandlungen des Allgemeinen Staatsrechts vor. Das Völkerrecht wird so gewissermaßen als Annex des Allgemeinen Staatsrechts behandelt, was auch darauf zurückzuführen ist, daß zwischen ihm und zentralen Themen des Allgemeinen Staatsrechts eine Verbin240

„... naturalis facultas faciendi quod velis, nisi quid vi vel jure prohibeatur... ." (De Jure Civitatis libri très, S. 690). Dabei geht Huber ganz offensichtlich von einer - modern ausgedrückt - allgemeinen Handlungsfreiheit mit Gesetzes- bzw. Verbotsvorbehalt aus (vgl. dazu auch ausführlich infra). 241 „... fruitione rerum possessarum, in libero tutoque viarum publicarum, maris, fluminum, et commerciorum usu ... (De Jure Civitatis libri très, S. 690). 242 De Jure Civitatis libri très, S. 686. 243 „De Aerario et Vectigalibus", De Jure Civitatis libri très, S. 666ff. und „De Jure Monetae De Jure Civitatis libri très, S. 678 ff. 244 De Jure Civitatis libri très, S. 678. 245 „Est hoc argumentum ejusmodi, in quo rectoris officium reipublicae ordiri et definere debet , ut securitas publica civibus praestetur, cum hac gratia civitates constitutae et principes electi ac constimi sint ... (De Jure Civitatis libri très, S. 685) und „... omnibus in libro primo enume ratis juribus summae potestatis ...", (De Jure Civitatis libri très, S. 683). Sie bildet also den eigentlichen Staatszweck (s. o.). 246 De Jure Civitatis libri très, S. 703.

III. Der Staat im Lichte des Allgemeinen Staatsrechts

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dung besteht, wie zum Beispiel hinsichtlich der Frage nach der staatlichen Souveränität oder der außenpolitischen Kompetenz, die ein wesentliches Majestätsrecht i s t 2 4 7 . Huber stellt darüber hinaus in diesem an sich völkerrechtlichen Teil des Buches einen weiteren die Behandlung des Themas im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts rechtfertigenden Bezug zum Staatsrecht im Sinne der innerstaatlichen Rechte- und Pflichtenverhältnisse zwischen höchster Gewalt und Bürger her, indem er im Zusammenhang mit der Erörterung der Frage der Rechtmäßigkeit von Kriegen feststellt, daß die Untertanen aus einer etwaigen Unrechtmäßigkeit eines Krieges keine falschen Schlüsse ziehen dürften, sondern die Verpflichtung hätten, der höchsten Gewalt in den Krieg zu folgen, selbst wenn sie von dessen Rechtmäßigkeit nicht überzeugt seien 248 .

247

Vgl. etwa Scheidemantel: „Einerlei Sache kann unter verschiedenen Beziehungen teils zum Völkerrecht, teils zum Staatsrecht gehören" (Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 192). Interessant hierzu zum Beispiel auch die Überlegung Kreittamyrs, S. 35, daß für einen rechtmäßigen Krieg „nebst der causa belli", die vom Völkerrecht gefordert werde, nach dem Allgemeinen Staatsrecht „auch hinlängliche Kräfte erfordert" würden, „um den Krieg mit wahrscheinlicher Hoffnung eines guten Erfolgs anfangen zu können, sonst versündigt sich der Regent zwar nicht an dem Feind, wohl aber an seinen eigenen Unterthanen". 248 „Quod si de mentis causae dubitent subditi , videntur posse et debere suos rectores sequi ..." (De Jure Civitatis libri très, S. 738). Dies begründet Huber mit dem politischen Argument, daß der dem Staat drohende Schaden durch ein Fernbleiben vom Krieg nur noch größer werde, sowie dem rechtlichen, daß die Untertanen von den Handlungen ihres Fürsten immer das Beste anzunehmen hätten (ebd.) und daß in diesem Fall das sicher Vergehen des Ungehorsams schwerer wiege als die unsichere Frage nach dem gerechten oder ungerechten Kriegsgrund (De Jure Civitatis libri très, S. 739). Wieder wird hier also im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts eine Rechtsposition dargestellt, die die Macht der höchsten Gewalt einzuschränken geeignet ist, dann aber davor zurückgeschreckt, in letzter Konsequenz daraus dem Volk eine Handhabe zur Vermeidung oder Berichtigung einer danach als rechtswidrig erkannten Situation zuzugestehen. Diese „Halbherzigkeit" ist, wie schon mehrfach angedeutet, für das Allgemeine Staatsrecht Hubers typisch.

4. Kapitel

Der normative Charakter und Geltungsanspruch des Allgemeinen Staatsrechts I. Begriff und systematische Einordnung des Allgemeinen Staatsrechts Um das Allgemeine Staatsrecht als eigenständigen Teil der Rechtswissenschaft und des Rechts zu etablieren, mußten notwendigerweise nicht nur eine Systematik dieses Rechtsgebiets selbst geschaffen, sondern insbesondere auch eine genaue Begriffsbestimmung sowie seine weitergehende Einordnung in das System des Rechts überhaupt vorgenommen werden. Auch insoweit ist Hubers „De Jure Civitatis libri très" - wie bereits ausgeführt aufgrund von Hubers Originalitätsanspruch besonders umfassend und ergiebig. Schon das erste Kapitel des ersten Buches („De Jure") enthält gewissermaßen ein Programm des Allgemeinen Staatsrechts überhaupt. Huber stellt dar, wie er das Allgemeine Staatsrecht grundsätzlich verstanden wissen will. In den übrigen Kapiteln des ersten Abschnittes geht Huber dann bis ins Detail auf seine Systematik der verschiedenen Rechtsgebiete und die Einordnung des Allgemeinen Staatsrechts in diese ein, eine in dieser Ausführlichkeit für das Allgemeine Staatsrecht einzigartige Erscheinung. Es ist daher naheliegend und zweckdienlich, seine Ausführungen auch zu diesen Punkten hier exemplarisch heranzuziehen. Einleitend diskutiert Huber kurz den Begriff des „Rechts" als solchen. Er stellt einer weiten Definition des Rechts als „ régula boni et aequi die Recht mit Moral gleichsetzt, eine engere, formalere gegenüber, nach der „das Recht die Fähigkeit bezeichnet, etwas zu haben oder zu tun" 2. Die erste der beiden Definitionen benutzt er, um darzulegen, daß das Recht eine absolute Größe ist und auch ohne die Durchsetzung durch eine höchste Staatsgewalt nichts von seiner Qualität einbüßt und daß nicht dadurch Recht geschaffen wird, daß jemand die Macht hat, andere zu etwas zu 1 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 1. Die Formulierung geht zurück auf Ulpian, Dig. 1, 1, 2 pr. CLiebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, S. 117). 2 „ Jus dénotât facultatem aliquid habendi vel agendi". (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 2).

I. Begriff und systematische Einordnung

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zwingen, die zweite, um eine Systematik der verschiedenen Rechtsgebiete zu entwickeln, in die er die Wissenschaft vom Allgemeinen Staatsrecht einbindet. Es finden sich hier Anklänge an die schon i m römischen Recht angelegte Diskussion über den Unterschied zwischen dem Recht als subjektivem Rechtsanspruch und dem Recht als Rechtsordnung, als System dieser Rechtsansprüche. Noch zur Zeit Hubers wurde das Recht im Sinne einer objektiven Rechtsordnung nicht i m gleichen Maße wahrgenommen wie das Recht als subjektiver Anspruch. Auch insoweit ist die ausführliche Beschäftigung Hubers mit der Systematik des Rechts hier also bemerkenswert. Konkret unterscheidet er dabei „natürliches" („naturale") und „willkürliches" („voluntarium") Recht und unterteilt das willkürliche Recht wiederum in „göttliches" („divinum") und „menschliches" („humanum"), das menschliche in Völker- („jus gentium") und bürgerliches („jus civile ") Recht, die beiden letzteren jeweils in öffentliches („jus publicum") und privates („jus privatum") 3. Das Allgemeine Staatsrecht, wie er es darstellen will, ordnet Huber in dieser Systematik ein als das „jus gentium publicum" aller möglichen Staaten, zusammengefaßt und erläutert in Bezug auf einen einzigen abstrakten exemplarischen Staat4. Das „jus gentium" nimmt für Huber eine eigenständige Stellung zwischen dem Naturrecht und dem von Menschen geschaffenen objektiven Recht („jus civile") ein 5 . Es sei im Gegensatz zum Naturrecht nicht mit Hilfe der dem Menschen angeborenen natürlichen Vernunft zu erkennen, die auf Anhieb „schändlich" („turpe") von „ehrenhaft" („honestum"), natürliches Recht von natürlichem Unrecht zu trennen vermöge 6 . Es enthalte vielmehr allgemeine Rechtsprinzipien, die erst wissenschaftlich durch systematisches vernünftiges Abwägen der allgemeinen menschlichen Natur und der menschlichen Bedürfnisse herausgearbeitet werden müßten 7 . Andererseits werde es aber nicht durch menschlichen, bzw. staatlichen Willensakt geschaffen, sondern habe unabhängig davon, ob die Menschen sich tatsächlich für es entschieden, für und in Bezug auf alle Völker und Staaten Geltung 8 . Die Bindungswirkung des „jus gentium" sei ganz die gleiche wie 3

Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 3. „... exponere publicum Jus Gentium cujuslibet civitatis, at unius Reipublicae terminis comprehensae ... ." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 3). 5 „ Unde tertium genus dari necessarium evadit, quod jus gentium appellamus u und „... jus gentium est, utrumque tarn a naturali simplicitate quam a jure civili remotum videtur" (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 25). 6 „... quod jus naturae sit, quidquid ratio immediate dictât , esse turpe aut honestum" CHuber , De Jure Civitatis libri très, S. 23). 7 „Praeter hoc aliud commune jus generis humani traditur, quod circa ea versatur quae convenienter quidem rationi naturali , non tarnen immediate ex ejus dictamine, sed per modum arbitrament i, usu ita exigente et humanis necessitatibus, inde deducta sunt. " (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 23). 4

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4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

die des Naturrechts, ergebe sich aber zugleich - wie Huber nicht ohne eine gewisse Widersprüchlichkeit sagt - aus einer stillschweigenden Übereinkunft aller Völker 9 und damit aus einem Willensakt, was dem Geltungsanspruch des Allgemeinen Staatsrechts allerdings zugleich ein weiteres Standbein verschafft. Das Jus gentium" ist demnach für Huber im Unterschied zum Naturrecht nicht „angeboren" („innatum") in dem Sinne, daß ein jeder es ohne weiteres erkennt, sondern „ersonnen" („excogitatum") 10, im Unterschied zum „jus civile " aber nicht speziell, also nicht jeweils durch einen besonderen Willensakt in Geltung gesetzt, sondern allgemein, d.h. überall und stets wissenschaftlich nachvollziehbar. Dieser Unterschied hat für ihn die Konsequenz, daß einerseits nach dem Jus gentium" Dinge eventuell anders zu beurteilen sind, als nach dem Naturrecht, daß nämlich das Jus gentiumauch wenn es im allgemeinen der natürlichen Vernunft folgen muß, theoretisch auch Rechtssätze umfassen könnte, die der Vernunft zuwiderlaufen 11 . Andererseits könne es bei Anwendung des Jus gentium" im Einzelfall deshalb zu Ungerechtigkeiten kommen, weil das Jus gentium" sich als allgemeingültiges Recht (Jus universale") nicht allen sich ständig verändernden Gegebenheiten vollkommen anzupassen vermöge 1 2 . Das Jus divinum" wiederum sieht Huber gleichsam als (zweite) Stütze des Naturrechts und des Jus gentium ". Denn die Gebote der Vernunft, auf denen Naturrecht und Jus gentium" beruhten, „sind nur philosophische Prinzipien, die, wenn sie allein stehen, von den Menschen leicht mißachtet werden" 13. Das Jus divinum" aber sei den Menschen von Gott durch Moses und die Propheten sowie Christus und die Apostel gesetzt worden 14 . 8 „Id autem, quod generi humano proprium et commune est, hoc omne jus gentium vocant, tarn quod cum hominibus ipsis proditum, quam quod ab illis introduction" (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 25). 9 „ Quod ad vim obligandi attinet, ea satis valida esse potest e consensu populorum recte utentium analogia juris naturae " (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 25). 10 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 23. 11 „... tarnen juris gentium in hypothesi esse posse, quod répugnât rationi." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 26). Als Beispiel für etwas, das nach dem Naturrecht verboten, nach dem „Jus Gentium" aber straflos sein soll, führt Huber solche Verwüstungen im Kriege an, die nicht wegen des militärischen Nutzens, sondern aus Zerstörungswut vorgenommen würden (ebd.). 12 „... jus universale propter varietatem circumstantiarum mutari non potest ..." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 26). So sind für Huber das Herrschaftsrecht des Ehemannes über seine Ehefrau, das des Vaters über seine Kinder zwar allgemeingültige Rechtsinstitute, die Art ihrer Ausübung kann aber unbillig sein (ebd.). 13 „Dictamina rationum, ... sunt principia philosophiae, quibus, si sola sint, homines facile abutuntur.... (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 27). 14 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 28.

I. Begriff und systematische Einordnung

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Huber unterscheidet dabei zwischen verschiedenen Arten des „jus divinum". Nur das „notwendige " („necessarium") bindet die ganze Menschheit auf ewig, während die übrigen Arten allein die „Hebräer" als Volk Gottes zu Gehorsam verpflichten sollen, so wie beispielsweise die „mosaischen Gesetze, die offensichtlich nicht auf uns fortwirken" 15. „Jus divinum necessarium" sind für Huber nur der Dekalog 1 6 und die Gebote Christi und der Apostel, was er aber nicht näher präzisiert 17 . Weiterhin sei dieses notwendige göttliche Recht zwar hinsichtlich seines Ursprungs von Naturrecht und „jus gentium" verschieden, seine Weisungen aber widersprächen denen des Naturrechts und des „jus gentium" nicht 1 8 . Insoweit würden die Lehren dieser beiden Rechtsgebiete in ihrer Richtigkeit, die wegen der Fehlbarkeit menschlicher Erkenntnis möglicherweise angezweifelt werden könne, durch das „jus divinum" bestätigt und bestärkt 19 . Überhaupt vertritt Huber in der Frage nach den Möglichkeiten (rechts-) wissenschaftlicher Erkenntnis einen nicht nur rationalistisch-naturrechtlich geprägten Standpunkt, sondern ist der Meinung, daß auch der Glaube neben der Vernunft zu wissenschaftlicher Erkenntnis führen könne und daher für das Allgemeine Staatsrecht berücksichtigt werden müsse. Insofern ist er seiner Zeit und ihrer Verwurzelung in den überkommenen kirchlichen Dogmen verpflichtet. Es gelingt ihm nicht vollständig, sich von dieser Vorbelastung zu lösen und sein System alleine auf die Kraft der menschlichen Vernunft aufzubauen. Andererseits erschließt er sich auf diese Weise eine weitere, zusätzliche Legitimationsgrundlage, was zur Überzeugungskraft seiner Lehren beizutragen im Stande gewesen sein mag. Gegen einen puren Rationalismus wehrt er sich mit der Begründung, daß das Wissen um Gut und Böse, diese Unterscheidung, die Recht und Unrecht trenne 20 , „in die Herzen der Menschen von Gott selbst eingepflanzt worden sei" 21 und sich rationaler Begründung entziehe 22 . Glaube und Vernunft müßten daher zur Rechtsfindung zusammenwirken 2 3 . So ist es nur konsequent, daß das Allgemeine Staatsrecht sich für 15

„... constitutiones Mosaica ad nos plane non pertinent (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 28). 16 Wobei er bezüglich des vierten Gebots eine Ausnahme machen will. 17 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 29. 18 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 27. 19 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 27. 20 Dies muß vor dem Hintergrund von Hubers Diskussion mit Hobbes über die Existenz des Rechts im Naturzustand gesehen werden (s. infra.). 21 „Nam ejus rei discretionem non habemus sol informatione vel exemplis aliorum, ... sed Deus cordibus nostris, quod indubitato senti queamus, earn inpressit" CHuber, De Jure Civitatis libri très, S. 181). 22 Auch die Glaubenssätze selbst seien nicht mit vernunftbestimmten Überlegungen („ratiocinationes"), sondern nur durch „Erleuchtung" („lumen infusum") zu erkennen (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 225). 23 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 224 u. 248.

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des Allgemeinen Staatsrechts

Huber nicht nur auf das - rationale - Natur- und Völkerrecht, sondern auch auf das - glaubensgestützte - göttliche Recht gründet und daraus auch einen Teil seiner Legitimation zieht, indem die göttliche Herrschaft, deren unveränderliche Weisungen „das Gewissen des Menschengeschlechtes bindetjeder weltlichen Herrschaft übergeordnet wird 2 4 . Diese Aufnahme des göttlichen Rechts als Legitimationsgrundlage ist, wie bereits erläutert, für das frühe Allgemeine Staatsrecht eher typisch als für das spätere und wandelt sich im Laufe der Zeit zu einer mehr oder weniger rein rationalistischen Argumentationsweise. Im Gegensatz zum Naturrecht, dem „jus gentium" und Teilen des Jus divinum " handelt es sich für Huber beim Jus civile " um spezielles Recht, das zwar aus jenen drei Quellen des allgemeingültigen Rechts abgeleitet 25 , das aber von den Menschen selbst erschaffen bzw. gesetzt wird und mit Rücksicht auf verschiedene Umstände unterschiedlicher Epochen sowie politischer und ethnologischer Gegebenheiten der jeweiligen Staaten diesen angepaßt werden kann und daher weder selbst allgemeingültig noch einheitlich ist 2 6 . Er unterteilt das Jus civile " in Jus civile publicum das aus all dem besteht, was für die Regierung eines bestimmten Volkes aus dessen spezieller Verfassung hervorgeht 27 , das Jus civile privatum" aber aus dem, was auf die Rechtsverhältnisse zwischen den einzelnen Bürgern eben dieses bestimmten Staates abzielt 28 . Für die Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts oder Jus Publicum Universale, ergibt sich daraus, wie gesehen, daß Huber das in seiner Systematik als Jus gentium publicum" bezeichnete allgemeingültige Recht zusammenfaßt und erläutert (s.o.). Das Recht eines jeden Staates sei nämlich einerseits zusammengesetzt aus solchen Rechtsnormen, die nur für diesen einen bestimmten Staat Geltung hätten und solchen, die allgemeingültig

24 „... praecepta, conscientiam generis humani ita obstringunt, ut imperio Civitatis nullam mutationem recipere possint, obstante majori Imperio divino ." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 181). Dementsprechend ergibt sich der Anspruch des Allgemeinen Staatsrechts, dem positiven Recht vorzugehen, ebenfalls teilweise aus dem „Jus divinum", weil sich die Macht des Staates nicht auf das erstrecken könne, was Gott befehle (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 42). 25 „Ex hoc triplici fonte juris Naturalis, Gentium et Divini leges cuiusque populi ... sunt derivandae ." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 29). 26 „... additis, mutatis Ulis, quae status civitatum, ingenia populorum , ratio temporum aliter atque aliter constitui volunt ." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 29). 27 „... consistens in omnibus quae ad regimen unius populi juxta suam constitutionem peculiarem referuntur (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 3). 28 „... quod ad singulorum in eadem civitate utilitatem spectat, consistens in singularibus civium unius imperii controversis ... (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 3).

I. Begriff und systematische Einordnung

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seien und im Recht eines jeden beliebigen Staates vorkämen 29 . Nur letzteres gehöre zum „jus gentium publicumEs lehre, was „für die Regierung von Staaten nach dem Willen der Völker erlaubt und richtig sei" 30 und „was in jedem beliebigen Staat zwischen dessen einzelnen Klassen im allgemeinen gilt, was die Herrschenden, die Untertanen und die mit öffentlichen Ämtern Betrauten untereinander beizutragen haben und was in Krieg und Frieden befolgt werden muß" 31 . Ersteres dagegen gehöre zum von ihm so genannten „jus gentium privatisi tum Durch den Vergleich des „jus gentium privatum" verschiedener Staaten miteinander könne man allerdings den Charakter der einzelnen Rechtssätze veranschaulichen und erklären und so die speziellen von den allgemeingültigen Gesetzen trennen 33 , wodurch hier die empirisch-rechtsvergleichende Komponente der Erkenntnismethode des Allgemeinen Staatsrechts ausdrücklich Eingang findet. Das Allgemeine Staatsrecht selbst umfasse nur die allgemeingültigen Gesetze. Es bestehe demnach gewissermaßen aus den Lehren des Naturrechts, des „jus gentium" und des „jus divinumsoweit sie sich auf den Staat bezögen. Diese Lehren würden im Allgemeinen 29

„Omnesque populi tarn in publicis quam in privatis, partim communi omnium hominum, partim jure proprio utuntur ... ." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 4). 30 „ Quid in regimine Civitatum ex voluntate populorumfas et recte sit ." (.Huber , De Jure Civitatis libri très, S. 3). 31 „... quid in quaque civitate juris inter ordines unius eiusdemque Reipublicae generaliter obtineat, quid imperantibus, quid subiectis, mediisve Magistratibus inter se tribuendum, quid pace belloque sit observandum." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 3). 32 Das Recht, das im zwischenstaatlichen Bereich gilt, nennt Huber „Jus publicum privativeweil zwischen den Völkern gleichsam das Privatrecht der Menschen des Naturzustandes gelte (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 3). Daß die Terminologie bezüglich des „jus gentium" zur Zeit Hubers sehr umstritten war, zeigt seine ausführliche Beschäftigung mit dieser Frage nicht nur im ersten, sondern später noch einmal präziser im fünften Kapitel des ersten Abschnittes, wo er seine Definition des „jus gentium" gegen die der „Verfasser des Römischen Rechts" („Conditores juris Romani De Jure Civitatis libri très, S. 23) einerseits, die von „Hobbes und anderen jüngeren Autoren" („Hobbes aliique recentiores", De Jure Civitatis libri très, S. 24) andererseits, abgrenzt. 33 „... eaque ita inter se comparata sunt, ut mutuo sese explicent ac illustrent ." (De Jure Civitatis libri très, S. 4). Zu diesem Zweck sei das Allgemeine Staatsrecht auch mit mannigfaltigen Beispielen illustriert. Die Geschichte, aus der Huber diese Beispiele schöpft, nennt er darum die „Seele des Allgemeinen Staatsrechts" („...ex Historia, quam mento animam hujus disciplinae ... ." De Jure Civitatis libri très, S. 3.).

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Staatsrecht zu einer für alle Völker gültigen und vorbildhaften Staatsordnung zusammengefaßt 34.

II. Die Rechtsqualität des Allgemeinen Staatsrechts In diesen Ausführungen Hubers spiegeln sich bereits der ganze Anspruch, die ganze Bedeutung und Tragweite des Allgemeinen Staatsrechts in Bezug auf seine Rechtsqualität und seine normative Geltung mit erstaunlicher Klarheit wider. Huber vollzieht darin nämlich nicht nur einerseits zumindest im Ergebnis den gedanklichen Schritt der Trennung von Recht und Moral mit einer eindeutigen Einordnung des Allgemeinen Staatsrechts unter die Kategorie des Rechts, sondern unternimmt andererseits vor allem auch den Versuch einer Beschreibung und Etablierung des für das Allgemeine Staatsrecht programmatischen Vorganges der wissenschaftlichen Rechtsfindung und Rechtsschöpfung. 1. Abgrenzung von Recht und Moral Was den ersteren Aspekt angeht, so grenzt sich das Allgemeine Staatsrecht, wie bei Huber gesehen, von Anfang an mit Blick auf seinen Rechtscharakter bewußt von der Moral ab. Als „ régula boni et aequi " ist die moralische Verpflichtung danach die weitere im Verhältnis zur rechtlichen, wobei das Allgemeine Staatsrecht allein letztere zum Gegenstand hat. Diese Unterscheidung ist jedoch für den hier maßgeblichen Zeitraum des späten siebzehnten bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts keineswegs immer einheitlich und klar, sondern führt bei den Zeitgenossen bisweilen zu begrifflichen Unterschieden und Mißverständnissen. Noch beispielsweise bei Zedier in dessen „Grossem vollständigen Universal-Lexikon" aus der Zeit um 1740 wird das Naturrecht als „Gesetze der Natur im moralischen Verstände " mit dem Begriff der „Moral" in Verbindung gebracht 35 , während das Allgemeine Staatsrecht dort, obschon als zumindest teilweise mit dem Naturrecht verbunden angesehen36, ausdrücklich zum „Recht" gezählt und als solches bezeichnet wird 3 7 . Es ist insoweit auch ungenau, wenn 34

„ Constat haec Ars praeceptis Naturalibus, Gentium et Divinis, etiam vero civilibus populorum institutis; quia , licet universalis heac Ars sit, unius tarnen ordines Reipubl. supponiti (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 4). 35 Zedier, Grosses vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 23, S. 1191. 36 „Es sind diese bey de Disciplinen nicht ganz und gar von dem Natur-Rechte unterschieden, sondern jene diesem vielmehr subordinieret, in massen sie eine Application sind des Natur-Rechts auf den Bürgerlichen Zustand der Menschen ... (Zedier, Grosses vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 23, S. 1192).

II. Die Rechtsqualität des Allgemeinen Staatsrechts

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gesagt wird, das Jus Publicum Universale habe als Teil des philosophischen Naturrechts nur moralische Verpflichtungen schaffen können, die generell nicht als bindend verstanden worden seien 38 . Die praktische Philosophie, die auch die Politik umfaßt, läßt sich nämlich zu dieser Zeit in zwei Zweige, die Moral- und die Rechtsphilosophie, unterteilen, die beide ursprünglich normative Elemente besaßen. Da zunächst zwischen den sich aus ihnen jeweils ergebenden Pflichten hinsichtlich ihrer rechtlichen oder ihrer moralischen Natur nicht sauber unterschieden wurde, konnte der Eindruck entstehen, die Verbindlichkeit des Naturrechts sei generell eine moralische gewesen, an die etwa der machthabende Fürst, nachdem es jedermann freisteht, unmoralisch zu handeln, nicht gebunden gewesen sei. Dabei wird aber übersehen, daß solange die Unterscheidung zwischen Recht und Moral nicht sauber vollzogen war, auch die moralische Verpflichtung verbindlich gewesen sein muß und eingefordert werden konnte. Erst als sich im Laufe des 18. Jahrhunderts die strenge Unterscheidung zwischen Recht und Moral zum Allgemeingut entwickelte und durchsetzte 39 , verengte sich der normative Verbindlichkeitsanspruch auf das Recht alleine 40 . Davon wurden dann aber auch die naturrechtlichen Rechtssätze mitumfaßt 41 . Problematisch dabei ist nur, daß nun auch konkret entschieden werden mußte, welche Pflichten dem Recht und welche der Moral zugehören. Dies wird wie so viele Erkenntnisse des Jahrhunderts - besonders deutlich von Kant herausgearbeitet und formuliert. Danach heißen Gesetze, „sofern sie nur auf bloße äußere Handlungen und deren Gesetzmäßigkeit gehen, juridisch; fordern sie aber auch, daß sie (die Gesetze) selbst die Bestimmungsgründe der Handlungen sein sollen, so sind sie ethisch, und alsdann sagt man: die 37 Zedier, Grosses vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 39, S. 677, 684, vgl. auch infra. 38 So etwa Klippel, Diethelm, Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, Paderborn 1976, S. 53, vgl. dazu infra. 39 So macht beispielsweise auch schon Böhmer im Jahre 1710 deutlich, daß er die Grundsätze des Natur- und Allgemeinen Staatsrechts von moralischen Kategorien trennen und als „obligatio externa " im Gegensatz zu einer „obligatio interna " gewertet wissen will („... hoc principium distinguit hanc doctrinam a doctrina morali stricte dieta , et decori Introducilo in lus Publicum Universale, S. 41 und S. 31 ff.). Begründet wurde diese Trennung von Recht und Moral offenbar von Pufendorf (vgl. Krause, Peter, Naturrecht und Kodifikation, S. 7). 40 Vgl. dazu auch bereits die zeitgenössischen Ausführungen von Gottlieb Hufeland, der diese Entwicklung aus seiner Perspektive genau und umfassend nachvollzieht {Hufeland, Gottlieb, Versuch über den Grundsatz des Naturrechts, Leipzig 1785, S. 16ff.). 41 Beispielhaft für dieses Verständnis, das sich auch in der Einräumung einer ausdrücklichen Durchsetzungsmöglichkeit zeigt, Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 289: „Der Gegenstand dieser Wissenschaft sind bloß die natürlichen Rechte des Menschen gegen andre außer ihm und unter diesen nur solche, die er nötigenfalls mit Gewalt und Zwang auszuüben befugt ist".

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des Allgemeinen Staatsrechts

Übereinstimmung mit den ersteren ist die Legalität, die mit den zweiten ist die Moralität" 42 . Für die daraus resultierenden Pflichten bedeutet dies, daß sie „nach der rechtlichen Gesetzgebung " nur „äußere Pflichten " sein können, „weil diese Gesetzgebung nicht verlangt, daß die Idee dieser Pflicht, welche innerlich ist, für sich selbst Bestimmungsgrund der Willkür des Handelnden sei, und, da sie doch einer für Gesetze schicklichen Triebfeder bedarf, nur äußere mit dem Gesetz verbinden kann. Die ethische Gesetzgebung dagegen macht zwar auch innere Handlungen zu Pflichten, aber nicht etwa mit Ausschließung der äußeren, sondern geht auf alles, was Pflicht ist, überhaupt" 43. Konkret bedeutet dies, daß das Recht die Verbindlichkeiten des Menschen gegen seine Mitmenschen, also die „äußeren Pflichten" normiert, die Moral jedoch die Pflichten des Menschen gegen sich selbst, wobei unter dieser Prämisse auch lediglich die ersteren von den Mitmenschen dem Einzelnen gegenüber eingefordert werden können 44 . Das Allgemeine Staatsrecht macht sich dies von Anbeginn an zu eigen und nimmt seine Abgrenzung als Recht gegenüber der Moral anhand jener Kriterien vor. So ist die Moral das, was der Einzelne zu seiner persönlichen moralischen Vervollkommnung leisten muß und nicht von einem Dritten eingefordert werden kann, während das Recht gerade das ist, was im Verhältnis zu Außenstehenden beachtet werden muß 4 5 . Auf die Ebene des Staatsrechts transponiert bedeutet dies, daß alles staatliche Handeln, durch das die Bürger betroffen werden, staatsrechtliche Relevanz besitzt. Nur dieses ist nach dem Anspruch des Allgemeinen Staatsrechts an sich selbst auch Gegenstand des Allgemeinen Staatsrechts. Aus ihm können sich nämlich dann im Verhältnis von Staat zu Bürger, Fürst zu Untertan, Rechte und Pflichten, gegenseitige Ansprüche und Abwehransprüche ergeben. Nur so rechtfertigen sich auch, nachdem gerade nicht nur der Einzelne für sich selbst als Person, sondern auch Dritte - in der historischen Wirklichkeit je 42

Kant, Metaphysik der Sitten S. 6. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 15. 44 „Der Begriff des Rechts, sofern er sich auf eine korrespondierende Verbindlichkeit bezieht ..betrifft erstlich nur das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar, oder mittelbar) Einfluß haben können" (Kant, Metaphysik der Sitten, S. 33). 45 Dem entspricht auch die dann gängige Unterscheidung zwischen „ius internumder Moral, und „ius externum dem Recht im eigentlichen Sinne (vgl. dazu beispielsweise auch den Hessisch-Darmstädtischen Appelationsrath Ludwig Julius Friedrich Höpfner in seinem „Naturrecht des einzelnen Menschen, der Gesellschaften und der Völker", 3. Aufl., Gießen 1785, Vorrede zur 1. Auflage, der außerdem in diesem Zusammenhang auch sagt, unter Naturrecht werde üblicherweise nur das „äußerliche Recht" verstanden). 43

II. Die Rechtsqualität des Allgemeinen Staatsrechts

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nachdem Fürst oder Untertanen - betroffen sind, die öffentliche Beschäftigung (und zwar theoretisch die der gesamten Öffentlichkeit) mit dem fraglichen, staatsrechtlich relevanten Handeln, insbesondere dessen (rechts-) wissenschaftliche Erörterung und Feststellung 46 durch das Allgemeine Staatsrecht. Zur konkreten Bestimmung der staatsrechtlichen Relevanz stellt das Allgemeine Staatsrecht auf den hypothetisch angenommenen Staatszweck ab, nämlich auf den abstrakten, zumeist jedoch näher ausgestalteten Begriff des Allgemeinwohls. Fragen der Moral haben insoweit so lange nichts mit dem Allgemeinen Staatsrecht zu tun, solange sie sich nicht in irgend einer Form auf den mit dem Staat verfolgten Zweck und damit auf das Gefüge von Rechten und Pflichten zwischen Herrscher und Untertan auswirken. Zur Verdeutlichung: Es wäre danach beispielsweise grundsätzlich eine Frage der Moral, ob ein Fürst eine Mätresse haben darf. Rechtlich relevant würde dies erst dann, wenn er sie aus dem Steueraufkommen der Bürger und Untertanen finanzierte. Dann nämlich könnte im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts diskutiert und entschieden werden, ob diese Handlung des Fürsten durch den Staatszweck, zu dessen Verwirklichung der Gemeinschaft der Bürger die Steuern abverlangt werden, gedeckt ist. Je nachdem könnte man dann innerhalb der Kategorien des Allgemeinen Staatsrechts zu dem Ergebnis kommen, daß es sich bei der Finanzierung der fürstlichen Mätresse um Recht oder Unrecht handelt 47 . Von der Bewertung und den möglichen Konsequenzen her ist dies aber qualitativ etwas ganz anderes, als die Frage nach der moralischen Erlaubtheit 48 . Illustriert wird diese Unterscheidung häufig im Zusammenhang mit der umgekehrten Situation anhand der praktisch bedeutsamen Frage, inwieweit der Staat Einfluß auf die Religionsausübung der Bürger nehmen darf. Auch hier wird die Grenze im Hinblick darauf gezogen, inwieweit die Religionsausübung die innere Sicherheit und Ordnung des Staates betrifft 4 9 . 46

Vgl. auch Link, Aufgeklärtes Naturrecht und Gesetzgebung, S. 39, der feststellt, daß für das Naturrecht der Gegenstand des Rechts die Einbindung des Menschen in die Gemeinschaft ist. 47 Vgl. zu einer ähnlichen Frage, aber ebenfalls mit der hier vorgenommenen Implikation, Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 370: „Das vernünftige Staatsrecht sagt von den ungleichen Ehen weiter nichts, als daß ein Monarch sich vor einer Gemahlin hüten müsse, die seiner Ehre, Liebe bei den Untertanen, häuslichen Zufriedenheit, einheimischen und auswärtigen Sicherheit und guten Regierung schädlich seyn könnte 48 Dies meint etwa auch Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, S. 216, wenn er in dem mit dem Titel „Von den gegenseitigen Gerechtsamen des Regenten und der Unterthanen bey Nichterfüllung der schuldigen Pflichten, abseiten eines Theils" überschriebenen Kapitel anmerkt: „Für seine eigne Einsichten muß der Regent haften, zwar nicht nach der Moral, aber nach dem Naturrecht". 9 Schelp

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4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts 2. Die Schaffung

von Recht seitens der Wissenschaft

a) Die Doppelbedeutung des Begriffs des Allgemeinen Staatsrechts Recht und Rechtswissenschaft Bei dem Versuch, Wesen und Natur des Allgemeinen Staatsrechts zu erfassen, ist insbesondere zu beachten, daß der Begriff des „Jus Publicum Universale" zwei Bedeutungsebenen hat. Er umfaßt zum einen die Bezeichnung der Wissenschaft vom Allgemeinen Staatsrecht, zum anderen jedoch auch die Bezeichnung von deren Gegenstand, das Allgemeine Staatsrecht selbst, also den Stoff, das Objekt dieser Wissenschaft, das Recht, das als „Allgemeines Staatsrecht" von der Wissenschaft des Allgemeinen Staatsrechts be- und herausgearbeitet wird 5 0 . Den Vertretern des Allgemeinen Staatsrechts sowie ihren Zeitgenossen war diese Doppelbedeutung durchaus bewußt. So findet sich beispielsweise in Zedlers Universal-Lexikon unter dem Begriff „Recht" unter anderem Folgendes: „Im Juristischen Verstände hat das Deutsche Wort Recht so wohl, als das Lateinisch Jus, ebenfalls unterschiedene Bedeutungen" und „bedeutet es alles dasjenige, was nicht unrecht ist, ... eine rechtliche Befugniß ..., welche ihre Absicht entweder auf die Personen, oder deren Thun und Lassen hat ... . Ferner wird es auch bißweilen ... für die Jurisprudenz oder für eine Kunst, welche das Recht zu lehren und zu handhaben beschäftigt ist, genommen. In dem letztern Verstände ist also das Recht insgemein eine Kunst, welche lehret, was der Gerechtigkeit gemäß ist, und was in einem ieden besondern nicht entschiedenen Falle geantwortet werden soll ... " 5 1 . Aus dieser begrifflichen Einordnung lassen sich aber auch Rückschlüsse auf das Verständnis der Zeit bezüglich des Rechtscharakters des Allgemeinen Staatsrechts ziehen, die die hier vertretene Auffassung des Vorhandenseins eines solchen Rechtscharakters des Allgemeinen Staatsrechts, vor allem im Sinne seiner uneingeschränkten normativen Kraft und Bindungswirkung, stützen. In der enzyklopädischen Bearbeitung durch Zedier findet sich nämlich bei der definitorischen Abhandlung der Begriffes des Rechts 49

Ausführlicher dazu: infra, für Huber, s.o. Wenn in diesem Zusammenhang heute (z.B. bei Link, Aufgeklärtes Naturrecht und Gesetzgebung, S. 32, m.w.N.) lediglich darauf hingewiesen wird, daß das Allgemeine Staatsrecht im Wege der Durchdringung des staatsrechtlichen Rechtsstoffes durch die Ordnung nach wissenschaftlichen Prinzipien einen erheblichen Beitrag zur Verwissenschaftlichung des Rechtsdenkens geleistet hat, so ist diese Betrachtung demnach zu eindimensional. 51 Zedier, Grosses vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 30, S. 1328 f. 50

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und des Staatsrechts keinerlei Hinweis darauf, daß zwischen dem Allgemeinen Staatsrecht und dem übrigen Staatsrecht ein Unterschied hinsichtlich der Rechtsqualität bestehen könnte. Vielmehr stellt er, wie auch schon Huber in seiner Systematik des Rechts, verschiedene Arten des Rechts vom göttlichen bis hin zum Gewohnheitsrecht - offenbar gleichwertig nebeneinander, wenn er sagt: „Überhaupt heisset eigentlich dasjenige Recht, was Gott, die Natur, alle Völcker insgemein, eine jede Obrigkeit, Stadt oder Gemeine, wie auch eine langwierige Gewohnheit, insbesondere vor gut, heilsam, nützlich und billig erkannt haben"52 und differenziert lediglich nach der jeweiligen Quelle dieses Rechts, nicht jedoch i m Hinblick auf dessen normative Kraft. Für das Staatsrecht macht er diese grundsätzliche Gleichwertigkeit sogar noch deutlicher, als es quasi als eine Mischung aus all diesen Rechtsarten gesehen wird, nachdem es gleichermaßen „aus dem ungeschriebenen, oder göttlichen und natürlichen, und aus dem geschriebenen, oder bürgerlichen, Rechte zusammengetragen" 53 ist. Ganz ähnlich, wenn nicht noch dezidierter, heißt es auch in der Enzyklopädie von D'Alembert und Diderot: „Ce droit public particulier est composé en partie des préceptes du droit divin & du droit naturel, qui sont variables; en partie du droit des gens, qui change peu ... & enfin il est encore composé d'une partie du droit civil de l'état qu'il concerne . . . . Cette partie du droit public particulier étant fondée sur un droit positif humain, peut être changée ... par ceux, qui ont la puissance publique"54 oder, noch ein halbes Jahrhundert später bei Eggers: „Der Inbegriff der Rechte und Verbindlichkeiten, die einen Staat betreffen, heißt das Staatsrecht. Sind diese Rechte durch positive Bestimmungen ... festgesetzt, so entsteht daraus ein positives Staatsrecht. Werden diese Gerechtsame und Verbindlichkeiten aus dem Begriff und der Natur eines Staates überhaupt hergeleitet, so ist dies ein natürliches Staatsrecht" bzw. „das innere Staatsrecht" könne „sowohl ein natürliches als ein positives seyn"55. Unmißverständlich und direkt auf das Allgemeine Staatsrecht bezogen macht die grundsätzliche Gleichstellung und Gleichwertigkeit des Allgemeinen Staatsrechts mit anderen Arten des Rechts hinsichtlich der Rechtsquali52

Zedier, Grosses vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 30, S. 1329. 53 Zedier, Grosses vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 39, S. 676. Ebenso, wenn auch kurz und apodiktisch, Fritsch, Conspectus Iuris Publici Universalis, S. 1: „In jure publico tarn universali quam quovis partiulari dantur principia indubitata 54 DiderotI D'Alembert, Encyclopédie, ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers par une Société de Gens de Lettres, Paris 1751, Bd. 5, S. 135. 55 Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts S. 21. *

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4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

tät und damit letzten Endes hinsichtlich seiner normativen Kraft aber Abraham Jacob Oertel in seiner Dissertation „Meditationes de Iure Publico Universali et Particulari eorumque Differentiis" von 1743 56 deutlich, wenn er ausführt, er sei überzeugt, daß in der Anwendung des Jus publicum, das für ihn auf dem Jus Publicum Universale gründet, ebenso wie im Privatrecht nichts anderes geschehe, als die angemessene Anwendung des Rechts auf die Tatsachen unter Berücksichtigung der Umstände und daß, wenn die Tatsachen und alle Umstände beachtet würden, die der Gesetzgeber bei Gesetzeserlaß habe regeln wollen, der Gerechtigkeit auch i m Jus publicum genüge getan werde 57 . Weiterhin beruhe, genau wie das partikulare Jus publicum auf dem Allgemeinen Staatsrecht, so auch das partikulare Privatrecht auf dem natürlichen Privatrecht. Aus diesen beiden Aussagen läßt sich aber ganz eindeutig schließen, daß für Oertel zwischen den beiden Rechtsgebieten hinsichtlich der Methodik, Anwendbarkeit, Dogmatik und Normativität - und damit eben hinsichtlich der Rechtsqualität insgesamt kein grundlegender Unterschied besteht 58 . Die grundsätzliche Gleichwertigkeit der Rechtsarten wird noch deutlicher, wenn er mit Blick auf das positive partikulare Staatsrecht hinzufügt, daß, eben weil der Schöpfer des positiven Rechts der Mensch sei und es zurück auf den Vertrag und das Einverständnis aller Bürger und der höchsten Gewalt gehe, aus der Tatsache dieser sehr schwächlichen Quelle folge, daß es nicht unabänderlich sei und da, wo es zweifelhaft oder unklar sei, das allgemeine Staatsrecht, dessen Schöpfer immerhin Gott sei, herangezogen werden müsse 59 . Positives Recht

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Vgl. 1. Kap. Fußn. 132. „Si spectamus in hypothesi, i.e. in applicatione, nihil aliud est, quam commoda adplicatio iuris ad facta obvenientia pro ratione circumstantiarum, ita, ut, si in facto obveniente omnes circumstantiae occurrant, quas legislator in lege lata respexit, aeque accomodetur et adplicetur, quam aequitatem in concreto etiam in iure publico reperiri, sum convictus" (Oertel, Meditationes de Iure Publico Universali, S. 11). 58 „... sicuti privato, ita publico etiam iuri tria generalissima iuris praecepta esse tribuenda : honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere" ( Oertel Meditationes de lure Publico Universali, S. 13). Dabei bezieht er sich auf Huber. Diese Grundregeln seien auch die Regierenden gebunden, was das Allgemeine Staatsrecht auch für sie zum bindenden Recht mache, selbst wenn sie über die positiven Gesetze erhaben seien („Cum enim Principes summi ab aliis legibus humanis sunt immunes, non nisi leges divinae sunt atque innatae, ad quas ïlli actiones suas componere tenentur", Oertel, Meditationes de Iure Publico Universali, S. 13). 59 Oertel, Meditationes de Iure Publico Universali, S. 52: „Universale ius publicum Deum habet auctorem, quod non scriptum, sed natum, ad quod non docti, sed facti, non instituti, sed imbuti sumus, et adeo immutabile, ut salva hac rerum natura, ne a Deo quidem, immensa licet potentia praedito, mutati queat. Particularis iuris Auctor est homo, scilicet summi in republica Imperantis et civium consensus et conventio. Unde tamquam ex fonte limpidissimo sequitur: ... si lex dubia esset atque incerta, uti soletfieri in universali , nec esse immutabile ...". 57

II. Die Rechtsqualität des Allgemeinen Staatsrechts

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und Allgemeines Staatsrecht werden hier also als in ihrer Rechtsqualität grundsätzlich gleichwertig, in ihrer Rangordnung aber als unterschiedlich dargestellt, indem die Legitimationsgrundlage des Allgemeinen Staatsrechts ungleich stärker ist als die des Partikularrechts, was auch seine Universalität begründet und rechtfertigt. Da es aber auch kritische Stimmen gab, die dem Allgemeinen Staatsrecht seine Eigenschaft als Recht im engeren Sinne absprechen wollten, erlangte die beschriebene Ambivalenz des Begriffes des Jus Publicum Universale in dieser zeitgenössischen Auseinandersetzung um die Anerkennung der Rechtsqualität des Allgemeinen Staatsrechts besondere Relevanz. So kam es einerseits vor, daß dem Allgemeinen Staatsrecht der Rechtscharakter ganz abgesprochen wurde, und es als Wissenschaft in den Bereich der Philosophie verwiesen werden sollte 60 , andererseits aber auch, daß man das Allgemeine Staatsrecht überhaupt nicht mehr als Wissenschaft verstanden wissen wollte, „ welche den Namen der allgemeinen Staatsrechtsgelahrtheit fihret, sondern bloß [als] den Inbegriff der natürlichen Grundgesetze des Staates " 6 1 . Insbesondere ist vor diesem Hintergrund die Diskussion über die Frage zu verstehen, ob das Allgemeine Staatsrecht „Hilfsmittel" oder „Quelle" für die Staatsrechtswissenschaft - vor allem i m Hinblick auf das deutsche Reichs- und Landesstaatsrecht - sei. Als Hilfsmittel wäre es auf den wissenschaftlichen Aspekt reduziert, als Rechtsquelle bliebe dagegen sein rechtlicher, normativer Anspruch erhalten. Im ersteren Falle läge seine Bedeutung als „Hülfsmittel" 62 allein darin, „daß man in den Stand gesezt wird, die einzelnen zerstreuten Lehren des deutschen Staatsrechts zu sammeln, zu ordnen, und auf ein System zu bringen, um alsdenn die ganze Theorie leichter übersehen, und von den darinn aufgestellten Grundsäzen in einzelnen Fällen bessern Gebrauch machen zu können"63.

60 Z.B. Schmauß, Johann Jacob, Johann Jacob Schmaußens Hofraths und Professoris Juris Ordinarli zu Göttingen kurze Erleuterung und Vertheidigung seines Systematis Juris Naturae, Göttingen 1755, S. 11, vgl. - ausführlich - infra, aber auch etwa: Hegewisch, Dietrich Herrmann, Übersicht der verschiedenen Meinungen über die wahren Quellen des allgemeinen Staatsrechts, S. 32, wo es heißt: „Den Theil der Philosophie, welcher sich mit dem Staatsrechte beschäftigt, glaubt man dadurch verächtlich zu machen, daß man ihn ein System schimärischer metaphysischer Grillen nennt". 61 Nettelbladt, Daniel, Von dem rechten Gebrauche des allgemeinen Staatsrechts in der teutschen Staatsrechtsgelahrtheit, in: Erörterungen einiger einzelner Lehren des teutschen Staatsrechts, Halle 1773, S. 25. 62 Vgl. etwa Heldman, Johan Albert Herman, in seiner Vorrede zu Schmauß, Johan Jacob, Johann Jacob Schmaußens Academische Reden und Vorlesungen über das teutsche Staatsrecht, herausgegeben von Johann Albert Herman Heldman, Lemgo 1766, S. 2, in der er „die Reichshistorie und das algemeine Staatsrecht" als die „wahren Hülfsmittel des Staatsrechts" bezeichnet. 63 Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 195.

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4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

Qualitativ ist dies offensichtlich und eindeutig etwas grundlegend anderes, „als wenn man das allgemeine Staatsrecht als die Summe, den Inbegrif der natürlichen Staatsgeseze selbst" 64 - und damit als geltendes Recht, bzw. als Quelle desselben - betrachtet 65 . Als solche dient es nämlich nicht allein dazu, das positive Staatsrecht leichter verständlich zu machen, sondern enthält auch Sätze, „ welche hier unmittelbar selbst zur Anwendung kommen gilt also normativ 66 . Sehr schön macht diese Ambivalenz des Allgemeinen Staatsrechts etwa auch Nettelbladt deutlich, wenn er sagt: „Was ein Hülfsmittel sein soll, muß entweder zum Gebrauch der Quellen dienen, oder die Erlernung einer Wissenschaft bloß erleichtern, keines von bey den kann von dem allgemeinen Staatsrechte gesaget werden. ... Man könnte alsdenn sagen, daß die bloße natürliche Staatsgesetze an und vor sich betrachtet, als eine Quelle anzusehen: das allgemeine Staatsrecht als eine Wissenschaft betrachtet aber ein Hülfsmittel sei" 6 7 . b) Rechtsschöpfung als Rechtsfindung und opinio iuris commune Aus der Doppelbedeutung des Begriffes des Allgemeinen Staatsrechts und seiner Ambivalenz als Wissenschaft einer- und Recht andererseits folgt auch die grundsätzliche Widersprüchlichkeit, mit der das Allgemeine Staatsrecht sich konfrontiert sehen mußte, nämlich die Frage, wie es möglich sein kann, etwas als Recht, also nach allgemeinem Verständnis als verbindliche, abstrakt-generelle Regelung anzuerkennen, das in ständiger wissenschaftlicher Diskussion steht und für das es a priori keine kompetente Instanz gibt, die den genauen Inhalt und Wortlaut festlegt. Dieses Dilemmas sind sich die Zeitgenossen des Allgemeinen Staatsrechts durchaus bewußt, wenn sie erklären: „Allein diese gesunde Vernunft, deren Urtheil man wissen will, ist nicht bey allen Menschen, noch bey allen Schriftstellern, die von dieser Materie gehandelt haben, einerley" 6 8 , " . . . und wie leicht irret man sich nicht in dem Naturrechte, einer der streitigsten Wissenschaften, die je ein Gegenstand gelehrter Untersuchungen gewesen sind" 69 , oder: 64

Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 195. Als „wahre Quelle" des besonderen Staatsrechts bezeichnet das Allgemeine Staatsrecht etwa auch Johann Stephan Pütter, Anleitung zum Teutschen Staatsrechte, S. 6. 66 Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts S. 198. 67 Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauche des allgemeinen Staatsrechts, S. 27. 68 Bielfeld, Lehrbegriff der Staatskunst, S. 155. 69 Nettelbladt, Daniel, Anfangsgründe der natürlichen Rechtsgelehrsamkeit, abgekürzte freye Übersetzung mit einigen Erläuterungen und Zusätzen von Joh. Christ. Gottlieb Heineccius, Halle 1779, Vorrede des Übersetzers. 65

II. Die Rechtsqualität des Allgemeinen Staatsrechts

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„so muß man alle Bücher mit grosser Behutsamkeit lesen, und sonderlich im Voraus wissen, wo die Verfasser derselben gelebet haben, was vor eines Glaubens sie gewesen sind, wo das Buch gedruckt worden, usw." 70 . Für sie war die Konfrontation mit der Existenz von ungeschriebenem, allenfalls wissenschaftlich aufbereitetem Recht allerdings keine ungewohnte Situation und auch kein schwerwiegendes grundsätzliches Problem. Anders als für den heutigen Juristen unseres Rechtskreises mußte Recht, wie in den oben angeführten zeitgenössischen Beiträgen zum Rechtsbegriff gezeigt, in jener Zeit nicht notwendiger- oder auch nur üblicherweise geschriebenes und durch menschlichen Willkürakt gesetztes, also positives Recht sein, um als Recht anerkannt zu werden und Verbindlichkeit beigemessen zu bekommen 7 1 , zumal die von uns nunmehr als selbstverständlich akzeptierte bewußte und systematische Kodifikation des Rechts noch gar nicht begonnen hatte, bzw. noch am Anfang stand 72 . Vielmehr wird gerade im Verlauf der Diskussion um die Vornahme von Kodifikationen wie beispielsweise der Preußischen am Ausgang des 18. Jahrhunderts die Skepsis gegen kodifiziertes Recht einer- und die Selbstverständlichkeit der Geltung von wissenschaftlich herausgearbeitetem Recht andererseits deutlich, wenn etwa gesagt wird: „Ich übergehe also, als otieux, alle die Fragen, an Testamenta Feuda, pignora, praescriptiones etc. sint juris naturae? Das aber behaupte ich dagegen, quod detur jus naturale Testamentorum, feudorum etc., d.h. daß, nach Admission aller dieser Gegenstände in der bürgerlichen Gesellschaft, aus dem Begriff derselben, Rechte und Verbindlichkeiten fließen, und daß, solange der positive Gesetzgeber darüber nicht besondere Circumscriptiones und Bestimmungen ediert hat, alle diese Gegenstände aus dem, was der Begriff der Sache selbst, und die Umstände, die sie begleitet haben, durch eine regelmäßige und vernünftige Schlußfolge mit sich führen, beurtheilt, und die deshalb entstehenden Streitigkeiten geschlichtet werden

70 Zedier, Grosses vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 39, S. 683. 71 Dem entspricht auch etwa die Ansicht, daß der Erlaß positiver Gesetze lediglich „Auslegung" des darüberstehenden ungeschriebenen Rechts sei: „Die Macht, Gesetze zu geben, ist nichts anders, als ein Befugniß, dem vereinigten Volke das G setz der Natur auszulegen, und dessen allgemeine Grundsätze auf vorkommende ver schiedene Umstände anzuwenden" (.Johannsson, Johann Martin (Montin), Die bürgerliche Regierung nach ihrem Ursprung und Wesen betrachtet, Stockholm 1750, S. 24, vgl. dazu auch infra). 72 Zur angeblich schwindenden Bedeutung der „communis opinio" im 17. und 18. Jahrhundert überhaupt, für die hier verfolgte Argumentation allerdings nicht relevant, vgl. Schröder, Jan, „Communis opinio" als Argument in der Rechtstheorie des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Köbler, Gerhard (Hrsg.), Wege europäischer Rechtsgeschichte, Karl Kroeschell zum 60. Geburtstag, dargelegt von Freunden, Schülern und Kollegen, Frankfurt/Main 1987, S. 404^18, S. 412ff. und auch Schwennicke, Andreas, Die Entstehung der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, Frankfurt 1993, S. 127 f.

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4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

müßten. Diese legitime Consequenz nenne ich das natürliche Recht, und die Wissenschaft des Verhältnißes der Verbindlichkeiten gegen die Rechte, und beyder gegen die in der bürgerlichen Gesellschaft vorkommenden Handlungen, die Rechtswissenschaft, und sehe überhaupt keinen Ausweg für einen Richter übrig, in allen Fällen, wo die vorliegende Sache durch specielle Gesetze nicht decidili ist, als dieses natürliche Recht, dessen Anwendung um so allgemeiner seyn muß, als es unmöglich ist, positive Gesetze auf jeden speciellen Fall zu geben. Freylich werden hiernach die Decisionen, nach den verschiedenen Talenten, Einsichten und Beurtheilungskraft der Richter, ebenfalls verschieden ausfallen. Diese Unvollkommenheit aber ist das Looß aller menschlichen Anordnungen, und das competeste Gesetzbuch wird den Nutzen mehrerer Instanzen in einem Process nicht auffheben, und reformatorische Urthel werden nach wie vor oft vorkommen" 73. Entsprechend gingen die Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts davon aus, daß man das Recht in seiner Eigenschaft als Recht durch Vernunftschlüsse und damit mittels der Wissenschaft erkennen und herausarbeiten kann. Dies bringt schon Huber zum Ausdruck, wenn er im Zusammenhang mit seiner Einordnung des Allgemeinen Staatsrechts als „jus gentium publicumi" aller bekannten Staaten von „ersonnenem" („excogitatum"), wissenschaftlich durch systematisches vernünftiges Abwägen der allgemeinen menschlichen Natur und der menschlichen Bedürfnisse herausgearbeitetem allgemeingültigem Recht spricht 74 . Prinzipiell gibt es insoweit zwei mögliche Argumentationsstränge, die beide den normativen Charakter des Allgemeinen Staatsrechts und seine Rechtsqualität zu begründen vermögen. Zum einen kann es sich beim Allgemeinen Staatsrecht um sogenannte „ewige" Normen handeln, die aufgefunden und beschrieben werden müssen 75 , wobei hier die bereits angesprochene „theologische" Begründung, diese „ewigen" Normen stammten direkt von Gott selbst, hereinspielt. Zum anderen kann aber auch in der wissenschaftlichen Erkenntnis selbst zumindest im praktischen Sinne dann der Akt der Schöpfung von Recht liegen. Für das Naturrecht wird dieser Unterschied bisweilen - anders als für das Allgemeine Staatsrecht - auch begrifflich deutlich gemacht, als die „ewigen", sich direkt aus der menschlichen Natur ableitenden Normen mit Jus naturae die mit Hilfe der Wissenschaft rational herausgearbeiteten und formulierten aber mit „jus naturale" bezeichnet werden 76 , bzw. entsprechend als „abso73

Schreiben des schlesischen Justizministers Adolf Abrecht Heinrich Leopold v. Danckelmann an den Preußischen Großkanzler Johann Casimir v. Carmer vom 28. Oktober 1793, abgedruckt bei: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, S. 134, Anm. 260. 74 Im Gegensatz zu „angeborenem" („innatum"), s.o., Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 23 ff. 75 Vgl. etwa Justi, Natur und Wesen der Staaten, S. 266: „Gleichwie nun das Wesen der Dinge ewig ist, so sind auch die daraus entstehenden Gesetze ewig; und sie sind vorhanden, ob sie gleich die Menschen nicht einsehen, oder die rechten Gesetze nicht ausfindig machen

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lutes" und „hypothetisches" Naturrecht 77 . Es ist in diesem Zusammenhang allerdings darauf hinzuweisen, daß die genannten beiden Argumentationsmuster von den Vertretern des Allgemeinen Staatsrechts, insbesondere i m Hinblick auf die Begründung der Bindungswirkung des wissenschaftlich erkannten oder erarbeiteten Rechts, nicht sauber auseinandergehalten wurden. Was diese Bindungswirkung, die Normativität des Allgemeinen Staatsrechts angeht, so wird von seinen Bearbeitern gemeinhin angenommen, daß sie aus einer gemeinsamen, möglichst allgemeinen Rechtsüberzeugung fließt, die sich auf Lehre und Praxis gleichermaßen erstreckt. So geht sie für Huber - wie bereits gesehen - auf die allgemeine Anerkennung durch alle Völker zurück 78 . Andererseits soll das Allgemeine Staatsrecht, da es sich für Huber dabei nicht um eine tatsächliche, sondern eine quasi notwendig-ideelle Übereinkunft aller Menschen und Völker handelt, aber selbst für diejenigen gelten, die seine Rechtssätze, oder zumindest einige davon, möglicherweise nicht anerkennen 79 . Dieser Widerspruch wird besonders dezidiert etwa bei Gribner aufgenommen und - gewissermaßen in einer Synthese der beiden gerade beschriebenen Argumentationsmuster - zu bewältigen versucht. Gribner geht nämlich ausführlich auf die Frage ein, ob das Naturrecht möglicherweise keine Geltung habe für diejenigen, die es nicht erkennen könnten, weil sie unwillig oder zu dumm dazu seien. Er löst dieses Problem, indem er annimmt, die Ewigkeit und Universalität seien deshalb gewahrt, weil jeder die Gesetze erkennen könne, wenn er nur wolle und die Vernunft richtig einsetze. Denn das Naturrecht sei sowohl ewig als auch allgemeingültig. Selbst wenn der Wille der Menschen sich ändere und auch Urteilskraft und Klugheit nicht gleichermaßen bei allen vorhanden seien, seien doch die Grundsätze des Naturrechts allen gemeinsam, weil sie sich mit Hilfe des richtigen Gebrauchs der Vernunft von jedem erschließen 76

Vgl. beispielsweise Zedier, Grosses vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 23, S. 1192: „so ist zuförderst zu mercken, daß zwar das Natürliche Recht sehr alt, und so alt, als die Welt selbst, indem es mit dem ersten Menschen seinen Anfang genommen, hingegen aber hat die natürliche Rechts-Gelahrtheit oder die Disciplin von dem natürlichen Rechte solches Alter nicht" oder das Schreiben Danckelmanns an Carmer vom 28. Oktober 1793, 4. Kap. Fußn. 73: „... so muß ich dabey anmerken, daß ich einen Unterschied mache zwischen Jus Naturae und Jus Naturale. Auf das erstere, welche blos die Rechte und Verbindlichkeiten, wie sie aus der Hand der Natur kommen, darstellt 77 Vgl. Schreiben Carmers an Danckelmann vom 8. November 1793, abgedruckt bei: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, S. 135, Anm. 262. 78 Vgl. auch etwa Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis, S. 9, unter Berufung auf Grotius: „ubi multi diversis temporibus ac locis idem pro certo affirmant, id ad causam universalem referri debet ...". 79 s.o., Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 23ff.

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ließen 80 . Es kommt also darauf an, daß die Vernunft „richtig" gebraucht wird, wodurch etwaige tatsächlich vorliegende Abweichungen oder Meinungsverschiedenheiten überbrückt werden können. Die „Richtigkeit" der Erkenntnis wird dann wiederum damit begründet, daß über sie ein möglichst breiter Konsens besteht. Ähnlich erklärt daher auch etwa Buddeus, daß etwas dann zum Natur- bzw. Allgemeinen Staatsrecht gehöre, wenn gezeigt werde, daß eine Sache mit der natürlichen Vernunft übereinstimme und etwas bei allen Völkern, die die Vernunft richtig gebrauchen, als Naturrecht anerkannt werde. Denn die Allgemeingültigkeit komme daher, daß der Grund für die Geltung allgemein anerkannt sei und keine andere Lösung vorstellbar scheine 81 . Die Rechtslehre, konkret die Werke und die darin enthaltenen Erkenntnisse der Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts, schafft also eine bestimmte allgemeine und gemeinsame Rechtsüberzeugung, die Eingang in das allgemeine Bewußtsein der aufgeklärten Schichten und damit der Allgemeinheit findet und auf diese Weise zu geltendem Recht wird 8 2 . Unterstützt wurde dieser Vorgang in der zeitgenössischen Praxis dadurch, daß die inhaltlichen Aussagen des Allgemeinen Staatsrechts gerade nicht als die persönliche Meinung ihrer jeweiligen Verfasser, sondern als Notwendigkeiten der Vernunft dargestellt und auf diese Weise objektiviert wurden und Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben konnten. Auch kam es der Akzeptanz des entsprechenden Gedankengutes zu Hilfe, daß sich mit der Zeit ein Katalog von Themen und Lehrsätzen des Allgemeinen Staatsrechts herausgeformt hatte, die sich nur noch geringfügig voneinander unterschieden und eine gewisse Einheit und Einmütigkeit bezüglich dieser Materie herstellten 83 . So war es möglich, zu allgemein akzeptablen und damit ver80

„lus Naturae et perpetuum est et universale. Quamvis enim différant affectus et inclinationes hominum, vis iudicii et intellectus non sit eadem in omnibus , principia tarnen iuris Naturae omnibus sunt communia , omnibus perspicua , in quibus usus rationis se exerit " ( Gribner , Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV, S. 18). 81 „7. Si ostendatur alicujus rei convenientia aut disconvenientia cum natura rationali ac sociali. 2. Quicquid apud omnes gentes, quae ratione sua recte utuntur, i. e. ut ipsorum ratio conveniat cum natura, creditur esse Juris Naturae. Nam universalis effectus , univeralem requirit causam, talis autem existimationis causa nulla alia videtur esse, praeter sensum ipsum communem" ( Buddeus , Instututiones Juris Naturae et Gentium ad methodum Hugonis Grotium conscriptae a Phillippo Reinhardo Vitriario, Halle 1718, S. 9 f.). 82 Vgl. dazu auch etwa Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, geschichtlich begründet, S. 14: „... wenn der Rechtsgedanke zugleich von dem Bewußtsein des Volkes aufgenommen und durch dieses mit verbindlicher Kraft ausgerüstet wird, dann ist nicht zu läugnen, daß das Recht erzeugende Moment allerdings in der Wissenschaft lag, welches durch die Reception des Volksbewußt seins fruchtbar wurde". 83 Ähnlich auch Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, S. 291.

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bindlichen Ergebnissen zu kommen. Dazu mußte man allerdings, wie etwa der hohe preußische Beamte Jacob Friedrich v. Bielfeld 8 4 in seinem „Lehrbegriff der Staatskunst" („Institutions Politiques") von 1760 bemerkte, „wohl darauf sehen, ... daß man einen Schriftsteller wähle, dessen vernünftige Meynungen allgemein anerkannt und bestärkt sind, sich aber nicht durch die falschen Vernunftschlüsse der Sophisten, oder durch das Streiten der Schulen verführen lassen"85. Im Ergebnis war es auf diese Weise also möglich, über das Dilemma hinwegzukommen, daß das Allgemeine Staatsrecht in seinen von seinen verschiedenen Bearbeitern herrührenden Ausprägungen im Detail zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen mochte und die ganze Materie Gegenstand wissenschaftlicher - und politisch motivierter - Diskussion war. Darüber hinaus konnten aber auch neue, sich verändernde wissenschaftliche Erkenntnisse und Überzeugungen in den Normenbestand des Allgemeinen Staatsrechts aufgenommen werden. Tatsächlich auftretende Uneinheitlichkeiten ergaben sich dann lediglich aufgrund von Erkenntnisdefiziten, was der grundsätzlichen Normativität keinen Abbruch tat. Einzelne Gegenstimmen und im Detail abweichende Meinungen schadeten der Normativität des Allgemeinen Staatsrechts nicht, sondern waren gewissermaßen systemimmanent. Das Allgemeine Staatsrecht ist nach dem eben Dargelegten nämlich Gegenstand der wissenschaftlichen Erkenntnis und kann nur durch sie ans Licht gefördert werden. Daher hängt seine Geltung vom jeweiligen Erkenntnisstand der Wissenschaft ab, es gilt erst ab Erkenntnis. Daraus folgt auch, daß es - wie die Wissenschaft selbst - entwicklungsfähig und nie vollständig ist. Seine Geltung leitet es aus der Anerkennung der Richtigkeit der wissenschaftlichen Erkenntnis ab 8 6 . Wirklich anerkannt ist es aber nur dann, wenn sich bei den Völkern, oder jedenfalls bei den maßgeblichen Völkern, die Überzeugung verbreitet hat, daß ein bestimmter Rechtssatz tatsächlich als ein solcher anzusehen ist und wegen seiner wissenschaftlichen Richtigkeit Geltung haben soll, was dann auch in gewissem Sinne zu der stillschweigenden Übereinkunft über seine Geltung führt. Dies muß dann aber eine Angelegenheit der Juristen aller dieser Länder sein, gewissermaßen stellvertretend für die Allgemeinheit 87 . Hierbei dürfte dann auch das in solchen Fällen häufig zu beobachtende psychologische und soziologische Phänomen eine Rolle gespielt haben, daß mit fortschreitender 84

Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 2, Leipzig 1875, S. 624. Bielfeld, Lehrbegriff der Staatskunst, S. 155. 86 Vergleichbar etwa einer „anerkannten Heilmethode" in der Medizin. 87 Insoweit geht auch die fundamentale Kritik Häberles CHäberle, Peter, Verfassungstheorie ohne Naturrecht, AöR 99, 1974, S. 437-463, S. 442) zumindest für das 18. Jahrhundert ins Leere, wenn er behauptet, das Naturrecht habe keinen Öffentlichkeitsbezug und könne nicht öffentlich fortentwickelt werden. 85

1 4 0 4 . Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts Verbreitung und Anerkennung bestimmter Gedanken und Erkenntnisse sich dieser einmal begonnene Prozeß immer schneller und flächendeckender fortsetzt 88 und zu einer „Leitidee" wird, die ein gesellschaftliches Vorverständnis für bestimmte rechtliche Entwicklungen prägt 89 , was eine weitere Erklärung bietet für die im Verlauf des 18. Jahrhunderts tatsächlich eingetretene überwiegende Durchsetzung und Etablierung des Allgemeinen Staatsrechts auch als geltendes Recht. Insgesamt ist das Allgemeine Staatsrecht damit, wenn man so will, soziokulturell bedingt, weil es in der für es konstitutiven Erkenntnis von dem jeweiligen akzeptierten, als gesichert angesehenen und damit anwendbaren Erkenntnisstand abhängt. Es handelt sich dabei um einen erfolgreichen Versuch, die Widersprüche zu lösen, die sich in Ansehung des Naturrechts der Aufklärung etwa daraus ergeben, daß es erstens unmöglich erscheint, die hochdifferenzierten wissenschaftlich begründeten Rechtspositionen für angeboren zu erklären und es zweitens so etwas wie „Fortschritt" im Naturrecht gibt 9 0 . Angesichts der dargelegten Herleitung des Rechtscharakters des Allgemeinen Staatsrechts aus der allgemeinen Akzeptanz seiner Grundsätze muß der Frage der praktischen Möglichkeit der Durchsetzbarkeit dieser Grundsätze nicht die prinzipiell konstitutive Bedeutung beigemessen werden, auf die gemeinhin rekurriert wird, um unter Hinweis auf deren angebliches Fehlen die hier postulierte Rechtsqualität des Allgemeinen Staatsrechts anzuzweifeln. Gefolgert wird die mangelnde Rechtsqualität insoweit im wesentlichen aus den Aussagen einiger zeitgenössischer Autoren, daß das Naturrecht ein „ius imperfectum" sei, da die aus ihm erwachsenden Verpflichtungen nicht durchgesetzt werden könnten. Daraus wird dann geschlossen, daß das Allgemeine Staatsrecht lediglich appellativen Charakter habe und aufgrund dessen nur „moralische" Regeln aufstelle 91 . Dabei wird aber übersehen, daß die Frage der Durchsetzbarkeit von der Frage nach der Rechtsqualität getrennt werden muß, bzw. daß das Fehlen von ersterer allenfalls ein Indiz für das Fehlen auch letzterer sein kann. Denn es verhält sich keinesfalls so, daß ein Recht, das - aus welchen Gründen auch 88

Der sogenannte „Band-waggon" oder „Rutschbahn-" Effekt. Zippelius, Reinhold, Die Bedeutung kulturspezifischer Leitideen für die Staatsund Rechtsgestaltung, in: Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Jahrgang 1987, Nr. 7, herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz 1987, S. 22f. 90 Außerdem auch, daß eine Bindung an das positiv gesetzte Recht bestehen bleibt. Materiell-rechtlich geschieht dies - wie noch zu zeigen sein wird - über die Figur des Staats Vertrages. Er führt die Rechtspositionen auf den Ursprung der natürlichen Freiheit zurück, erlaubt es, das Verhältnis zwischen Fürst und Untertan rechtlich durch Auslegung auszugestalten und sichert auf diesem Wege auch das Bestehende, dem Allgemeinen Staatsrecht nicht widersprechende positive Recht. 91 Vgl. Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, S. 53 ff., m.w.N. 89

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immer - nicht durchsetzbar ist, schon allein dadurch aufhört, ein Recht zu sein. Selbst dem heutigen deutschen positiven Recht ist nämlich das Institut der zwar einklagbaren, aber nicht vollstreckbaren Rechte durchaus noch geläufig, etwa i m Familienrecht §§ 1297 BGB, 888 Abs. 2 und 894 Abs. 2 ZPO, ohne daß aufgehört würde, insoweit von „Recht" zu sprechen. Es ist daher ohne weiteres vorstellbar und nach dem oben Gezeigten auch anzunehmen, daß das Allgemeine Staatsrecht als „echtes", normativ geltendes Recht verstanden wurde, zumal immerhin zumindest als ultima ratio das Institut des Widerstandsrechtes als Zwangsmittel regelmäßig in den Raum gestellt wurde, auch wenn hinsichtlich seiner Durchsetzbarkeit - wie noch darzulegen sein wird - vornehmlich an die Selbstbeschränkung des Inhabers der höchsten Gewalt appelliert wurde und die Frage nach einer Entscheidungs- und Vollstreckungsinstanz infolge der Souveränitätslehre unbeantwortet bleiben mußte. Auch ein weiterer vergleichender Blick auf das Recht und das Rechts Verständnis unserer Zeit zeigt, daß es für die Frage der Rechtsqualität - nicht nur des Allgemeinen Staatsrechts - weniger auf die Durchsetzbarkeit als auf die Akzeptanz ankommt. So wird nämlich zum einen auch heute noch etwa für das Gewohnheitsrecht und insbesondere das Völkergewohnheitsrecht ohne weiteres angenommen, daß es aus einer langandauernden Übung (consuetudo) und einer allgemeinen Rechtsüberzeugung (opinio iuris commune) entspringen kann 9 2 , ohne daß damit etwas über seine Durchsetzbarkeit gesagt wäre. Für das dem Allgemeinen Staatsrecht noch näher stehende Verfassungsrecht kann in diesem Zusammenhang für die damalige - wie auch die heutige - Zeit die Englische Verfassung mit ihren „conventions", also ungeschriebenen, zumindest teilweise wissenschaftlich herausgearbeiteten und auf einer allgemeinen praktischen Anerkennung beruhenden Verfassungsgrundsätzen, die grundsätzlich als bindend angesehen werden, sich insoweit ebenfalls vergleichbar mit dem Allgemeinen Staatsrecht - i m Laufe der Zeit mit sich wandelnden öffentlichen Überzeugungen bei Bedarf aber auch ändern können, als Beispiel dienen 93 . Gerade im Verfassungsrecht kann die gemeinsame Rechtsüberzeugung, auf die sich die allgemeine Akzeptanz von Verfassungsrecht gründet, überhaupt und ganz allgemein als der Ursprung seiner Geltung verstanden werden, sogar für unser heutiges deutsches Verfassungsrecht. Für die Frage, ob eine Rechtsposition oder eine Regelung als (Verfassungs)-Recht anerkannt werden, kommt es nämlich in erster Linie auf den ihnen zugrundeliegenden (Verfassungs)-Konsens an und nicht so sehr darauf, daß es formelle rechtliche Mittel zu ihrer Durchset92

Vgl. z.B. Münch, Ingo v., Völkerrecht, 2. Aufl. Berlin 1982, S. 59. Vgl. z.B. Dicey , Α. V., An Introduction to the Study of the Law of the Constitution, 10. Aufl. London 1959 (1. Aufl. 1885), S. 417ff., Bradley , W. A ./Wade, E. C. S., Constitutional and Administrative Law, London 1985, S. 12ff. 93

1 4 2 4 . Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts zung gibt 9 4 . Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht kann nämlich beispielsweise seine Urteile nicht vollstrecken und es ist auch durchaus nicht rechtlich zwingend, daß es beispielsweise Akte der Legislative und Exekutive überprüfen kann ohne selbst einer rechtlichen Kontrolle zu unterliegen, wie im übrigen die Überprüfbarkeit von letztinstanzlichen Entscheidungen ein generelles Problem ist, das sich immer und in jedem Staat stellt und das letzten Endes nur durch eine entsprechende allgemeine Rechtsüberzeugung gelöst werden kann. Insoweit hängt die Durchsetzungskraft des deutschen Bundesverfassungsgerichts und damit letzten Endes auch die des deutschen Grundgesetzes selbst von der allgemeinen oder zumindest überwiegenden Akzeptanz der Institution des Bundesverfassungsgerichts und seiner Entscheidungen zur Beilegung von Verfassungskonflikten ab 9 5 . Hier läßt sich nun wiederum durchaus eine Parallele ziehen zum Allgemeinen Staatsrecht des 18. Jahrhunderts. Auch im 18. Jahrhundert konnte der Fürst auf Dauer und ohne selbst Schaden zu nehmen nur dasjenige durchsetzen, was allgemein als rechtmäßig anerkannt wurde. Gerade hier setzt aber das Allgemeine Staatsrecht an, indem es Regeln zur Beurteilung der Rechtoder Unrechtmäßigkeit von Maßnahmen formuliert und anbietet und dadurch gleichzeitig eine allgemeine und gemeinsame Rechtsüberzeugung schafft, entsprechend der dann verfahren werden muß. Vergleichbar sind dieser beschriebene Vorgang der wissenschaftlichen Rechtsschöpfung und diese Wirkungsweise im übrigen etwa auch mit der Entstehung des modernen deutschen Verwaltungsrechts. Vor Otto Mayer wurde die Verwaltungsrechtspraxis nämlich lediglich deskriptiv dargestellt. Erst durch ihre Systematisierung in seinem 1895 erschienen Werk „Deutsches Verwaltungsrecht" 96 und ihrer allgemeinen Anerkennung durch Lehre und Praxis wurde den entsprechenden Lehrsätzen normative Kraft beigelegt, was schließlich im Jahre 1976 zu deren weitgehender Kodifizierung im Verwaltungsverfahrensgesetz führte, ebenso wie die Grundsätze des Allgemeinen Staatsrechts zumindest teilweise später Eingang fanden in Kodifikationen und geschriebene Verfassungen 97. 94

Für das 19. Jahrhundert stellt beispielsweise Wahl (Wahl, Rainer, Der Vorrang der Verfassung, in: Der Staat, Bd. 20 (1981), S. 485-516, 496f.) fest, daß trotz des Fehlens einer verbindlichen Feststellung von Verfassungswidrigkeit staatlichen Handelns das Gewicht eines entsprechenden Vorwurfes in der politischen Auseinandersetzung erheblich gewesen sei und weist in diesem Zusammenhang auf die große Bedeutung von Instituten mit Appellcharakter wie dem Petitionsrecht für diese Zeit hin. 95 Vgl. beispielsweise auch Badura, Peter, Verfassung und Verfassungsgesetz, in: Ehmke, Horst (Hrsg.), Festschrift Scheuner, Berlin 1973, S. 19ff., 21, der darauf hinweist, daß der Erfolg des Verfassungsstaates primär nicht auf der rechtlichen Normierung und auf Institutionen beruht. 96 Straßburg 1895.

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c) Parallele zum Gemeinen Recht Daß der Rückgriff auf die Akzeptanz für die normative Geltung und Wirkung entscheidend ist, zeigt für das 18. Jahrhundert darüber hinaus in besonders deutlicher Weise ein Blick auf das Gemeine Recht, an dessen eigener Rechtsqualität für die damalige Zeit nicht zu zweifeln ist. Zu jenem läßt sich in dieser Hinsicht für das Allgemeine Staatsrecht eine über die bisher dargelegten Bezüge hinausgehende Parallele ziehen. Ersteres hatte nämlich eine weitgehend vergleichbare Stellung für den Bereich des Privatrechts, wie das Allgemeine Staatsrecht für den Bereich des öffentlichen Rechts. Ebenso wie das staatsrechtliche Naturrecht war das Gemeine Recht ein von der Wissenschaft entwickeltes System, das - notfalls i m Wege der Analogie und insbesondere aufgrund seiner allgemeinen Verbreitung - in der Praxis rechtliche Geltung beanspruchte und Anwendung fand. Daß das Gemeine Recht sich im Unterschied zum Allgemeinen Staatsrecht auf eine lange Tradition und die Quelle des Corpus Juris Justiniani stützen konnte, spielt in diesem Zusammenhang keine große Rolle, da es unabhängig davon von den zeitgenössischen Autoren weitgehend als Ausdruck eines vernünftigen „Natur"-Rechts auf dem Gebiet des Privatrechts begriffen wurde 9 8 . Schon Huber, ebenso aber etwa auch der Leydener Staatsrechtslehrer Johann Jacob Vittriarius 9 9 in seiner „Oratio de Usu Juris Publici Universal i s " 1 0 0 , sahen es als von den meisten Völkern rezipiert, von Gerichtsbarkeit und Lehre akzeptiert, und damit als insoweit quasi selbst allgemeingültig und Bestandteil des „jus gentium" a n 1 0 1 . Insofern leitete das Gemeine Recht seine normative Wirkung und faktische Bedeutsamkeit nicht nur aus der subsidiären Geltung i m Reichsrecht ab, sondern erhielt sie in der Praxis auch durch seine allgemeine Anerkennung zumindest seitens der Rechtswissenschaft aufgrund der Überzeugungskraft seines Inhalts. Dabei spielt auch 97

Vgl. dazu infra. Vgl. etwa Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis, S. 10, m.w.N., der dies diskutiert {„Jus Civile Romanum ... ut illud non unius duntaxat Civitatis, set et Gentium et Naturae , et sic ad naturam universam aptatum esse, dixerit"), sich dem im Ergebnis aber nicht anschließt. 99 Jöcher, Christian Gottlieb, Allgemeines Gelehrten-Lexikon, Bd. 4, Bremen 1751. 100 Vittriarius, Johann Jacob, Oratio de Usu Juris Publici Universalis, publice dicta cum Ordinariam Juris Civilis et Publici Professionem in Academia Ultrajectina solemniter auspicaretur, Utrecht 1708. 101 „... non est insolens ita dicere , ... esse modum juris gentium positivi ... ." (Huber , De Jure Civitatis libri très, S. 474), bzw.: „Videte Romanas Leges, quas ex Juris Naturae et Gentium prìncipiis collectas esse post Ulpianum testatur Justinianus Imperator; ut mirum non sit eas quasi communi Gentium moratiorum consensu in foro et scholis receptas esse " ( Vittriarius , Oratio de Usu Juris Publici Universalis, S. 17). 98

1 4 4 4 . Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts eine große Rolle, daß alle Juristen, die die Universität besucht hatten, es dort in systematischer Weise erlernt hatten. Dies hatte zur Folge, daß das Gemeine Recht in der Praxis auch auf Fälle angewandt wurde, für die eigentlich partikulares Recht existierte, das jedoch entweder nicht eindeutig, auslegungsbedürftig oder dem Richter unbekannt war. In solchen Fällen lag es nahe, kurzerhand das dem Richter vertraute Gemeine Recht anzuwenden oder zumindest zur Auslegung des Partikularrechts heranzuziehen. Dieser Vorgang bot sich aber - wie noch näher gezeigt werden wird - für das Allgemeine Staatsrecht gleichermaßen im Hinblick auf Zweifelsfälle des partikularen Landesstaatsrechts a n 1 0 2 . So vermochte das Allgemeine Staatsrecht unter diesem Aspekt im Bereich des Staatsrechts eben die Rolle zu spielen, die das Gemeine Recht für das Privatrecht wahrnahm und als allgemeines Lehrgebäude, aber eben auch als allgemeines staatsrechtliches Rechtssystem und Vorlage in Einzelfragen des jeweiligen partikularen Landesstaatsrechts dienen. 3. Selbstverständnis und Anspruch der Autoren des Allgemeinen Staatsrechts im Hinblick auf dessen normative Geltung Abgesehen von der systematischen Einordnung des Allgemeinen Staatsrechts in das Gefüge des Rechts und der Rechtswissenschaften wird der normative Anspruch des Allgemeinen Staatsrechts, den seine Bearbeiter erheben, auch direkt aus mannigfaltigen Äußerungen zu diesem Thema deutlich. Zum einen wird er nämlich abstrakt insbesondere in der immer wiederkehrenden Auseinandersetzung mit den Lehren von Hobbes oder denen der sogenannten „Machiavellisten" herausgearbeitet, zum anderen aber auch konkret anhand von Stellungnahmen zur rechtlichen Beurteilung aktueller politischer Ereignisse erkennbar. a) Abgrenzung von Hobbes und den „Machiavellisten" Was die angesprochene kontinuierliche Auseinandersetzung der Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts mit Hobbes einer- und den sogenannten „Machiavellisten" andererseits angeht, so liegt deren Kernpunkt gerade darin, daß etwa Hobbes in besonders dezidierter und konsequenter Weise die Existenz von Recht außerhalb des bestehenden Staates verneint und damit die grundsätzliche Rechtsqualität des Allgemeinen Staatsrechts, eine Rechtsqualität trotz seiner mangelnden Positivierung und Legitimation 102

So setzt auch Moser (Teutsches Staatsrecht 1. Theil, 1. Buch, Kap. 28, zitiert nach Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, Anm. auf S. 198) das Allgemeine Staatsrecht mit dem Römisch-Justinianischen Recht gleich und zählt beides zu den „Nebenquellen" des deutschen Staatsrechts.

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durch einen formellen Gesetzgebungsakt, in Frage stellt, also seinen normativen Anspruch bedroht. Im Ergebnis wird Hobbes damit die gleiche Wirkung unterstellt, wie den in ihrer Eigenschaft als dem ungezügelten Absolutismus vorgeblich Vorschub leistenden und vom Allgemeinen Staatsrecht daher als Gegner befehdeten sogenannten „Machiavellisten", von denen etwa gesagt wird: „Dies thut bey ihnen nichts zur Sache, daß Recht und Billigkeit durch solche Veränderungen leiden müßte, die dem Gutdünken des Monarchen gemäß sind. Mit einem Worte: Sie machen, so viel an ihnen ist, den Monarchen frey und ledig von allen den Banden, die sonst das natürliche Gesetz einem Menschen auferleget" 103. Paradigmatisch für die Auseinandersetzung des Allgemeinen Staatsrechts insbesondere mit Hobbes hält etwa wiederum Huber dessen Ansichten für „verderblich oder, milde ausgedrückt, für gefährlich" 104 und begründet dies mit der bereits angesprochenen, wohl aus seinem Originalitätsanspruch heraus zu verstehenden, besonderen Ausführlichkeit 105 . Zwar gesteht er Hobbes zu, daß der Naturzustand ein Krieg aller gegen alle gewesen sein muß 1 0 6 . Auch die Folgerung daraus, daß die Furcht voreinander die Menschen zur Staatsgründung angehalten habe, erkennt er a n 1 0 7 . Darüber hinaus beharrt er aber auf zwei weiteren Thesen, die „nicht minder anerkannt und bewiesen sind und die die meisten jener unheilvollen Folgen, die aus den ersten beiden Thesen erwachsen, ausräumen" 108. Die erste davon ist, daß den Menschen ein Bedürfnis zum Zusammenschluß, zur Gesellschafts- und Staatsbildung innewohnt 1 0 9 , die zweite, daß es - „zur Unterdrückung der 103

Johanns son (Montin), Die bürgerliche Regierung nach ihrem Ursprung und Wesen betrachtet, S. 45. 104 „... pestifera, vel ut moltissime dicam, periculosa dogmata ..." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 19). 105 Die Gedanken von Hobbes werden jedoch auch von anderen Vertretern des Allgemeinen Staatssrechts immer wieder kritisiert und zum Ausgangspunkt für die Darlegung der eigenen Theorien benutzt, wie etwa bei Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 37. Vgl. zu letzterem auch etwa Gribner, Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV, S. 28 oder Schmier, z.B. Jurisprudentia Publica Universalis, S. 44, im übrigen sogar noch ausführlich Kant, über den Gemeinspruch, S 289 ff. 106 Als Beispiel führt er hier die eigenen Vorfahren, die Friesen an, die seit Karl dem Großen ihre „berühmte Freiheit" genossen hätten, aber, wenn auch nicht in einen Krieg eines jeden gegen einen jeden verstrickt, so doch ohne gemeinsames Oberhaupt in viele sich bekämpfende Fraktionen gespalten gewesen seien (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 12). Dies komme einem Kriegszustand Hobbes'scher Prägung gleich. 107 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 19. 108 „... quae similiter concessae vel approbatae, plerasque malas consecutiones ab ilio postulatas occupant et subruunt ." ( Huber , De Jure Civitatis libri très, S. 12). 109 „... insita est homini, ut primum ratione valet, cupiditas societatis, odium solitudinis ..." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 15). Dies ist die schon von Aristoteles geprägte Lehre vom Menschen als „zoon politikon" (vgl. Weber-Schäfer, 10 Schelp

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4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

Lust, anderen Schaden zuzußgen" no - auch im Naturzustand allgemeingültige Rechtsnormen gibt, gegen die Verstöße möglich sind 1 1 1 . Letzteres ist der Hauptpunkt seiner (und der anderen Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts) Auseinandersetzung mit Hobbes. Huber zitiert ihn mit der Behauptung, daß im Naturzustand jeder von Rechts wegen tun und lassen könne, was er wolle, daß es nämlich im Naturzustand kein Recht gebe, außer dem, seine eigenen Interessen mit aller zur Verfügung stehenden Kraft und allen zur Verfügung stehenden Mitteln durchzusetzen und daß demnach im Naturzustand niemals durch irgendeine menschliche Handlung Unrecht getan werden könne. Recht und Unrecht entstünden erst mit der Schaffung bürgerlicher Gesetze in einem Staat, durch den diese Gesetze dann auch durchgesetzt werden könnten. Dagegen führt Huber an, daß es allgemeingültige Gesetze gebe, die sich aus der Vernunft und dem göttlichen Gebot ergäben 112 und die auch im Naturzustand Geltung hätten, ohne daß sie durch Vereinbarung oder staatlichen Akt erst geschaffen werden müßten 1 1 3 . Zum Beweis dafür greift Huber auf seine erste These zurück und führt aus, daß aus dem natürlichen Drang des Menschen zur Geselligkeit heraus auch schon vor Staatsgründung Regeln des menschlichen Zusammenlebens hätten bestehen müssen 114 , die eindeutig Recht von Unrecht unterschieden 1 1 5 und somit normativen Charakter gehabt hätten 1 1 6 . Darüber hinaus könne Recht und Unrecht nicht ausschließlich durch staatliche Rechtssetzung geschaffen werden, weil es darunter auch solche Gesetze gebe, die „ungerecht und barbarisch" 117 seien. Das Recht des Menschen auf Selbstbehauptung im Naturzustand könne demnach nur soweit gehen, wie es diese allgemeingültigen Gesetze zuließen. Das oberste Gebot, dem jede menschliche Handlung unterworfen sei, sei aber die goldene Regel, nicht einem anderen etwas anzutun, wovon man nicht wolle, daß es einem selbst angetan werde 1 1 8 . Daneben träten noch die ebenfalls allgemeingültigen Peter, Aristoteles, in: Maier, HansIRausch, Heinz/Denzer, Horst, Klassiker des politischen Denkens, Bd. 1, S. 51), die Huber hier aufrechterhält. 110 „Libidenem violandi subigendi, ...". {Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 12). 111 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 12f. 112 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 13. 113 „... per leges illas alii aliis obligati sunt, etiam sine praeviis pactis et sine respectu ad ordinem civitatis." {Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 13). 114 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 15. 115 „Quod igitur contra haec dictamina sit, id injuriam esse manifestum est." {Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 15). 116 „Easque leges esse, quales in ilio statu dan queunt, nempe régulas obligantes, manifestum est." {Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 17). 117 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 18. 118 „... quod tibi non vis fieri, id alteri ne fee eris ..." {Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 15).

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Gebote, „ ehrlich zu leben und anderen auf keine Weise zu schaden " 1 1 9 . Im Hinblick darauf sei es zwar richtig, daß jeder im Naturzustand sein eigener Richter sei. Dies bedeute aber nicht, daß nach dem Naturrecht jeder alles tun dürfe, was er w o l l e 1 2 0 . Vielmehr dürfe der Einzelne, wenn er als sein eigener Richter seine Handlungen abwäge, sich nicht von seinen jeweiligen Gelüsten leiten lassen, sondern müsse sich daran halten, was auch nach den allgemeinen Regeln der Vernunft richtig sei und ohne Verletzung der menschlichen Gemeinschaft getan werden könne 1 2 1 .

b) Rechtliche Bewertung der aktuellen politischen Praxis Neben dieser abstrakt-theoretischen Begründung des Geltungsanspruches des Allgemeinen Staatsrechts nahmen die Autoren des Allgemeinen Staatsrechts auch Stellung zu aktuellen politischen Fragen und machten durch die rechtliche Bewertung dieser Fragen den konkret-praktischen Anspruch des Allgemeinen Staatsrechts auf Beachtung und Befolgung, also auf Geltung, deutlich. Daß nämlich die durch das Allgemeine Staatsrecht aufgestellten Regeln, respektive die Rechte und Verbindlichkeiten von Herrscher und Untertanen, insbesondere geeignet sein sollen, der fürstlichen Macht rechtliche Schranken zu setzen, ist aus ihrer Sicht nicht zu bezweifeln. So sagt etwa bereits der Salzburger Geistliche und Rechtsgelehrte Franz Schmier, die „ leges publicae universales" müßten, um sinnvoll zu sein, vor allem die „erhabenen Fürsten" und „freien Republiken" binden, weil gerade sie von dem, was den Staat angehe, besonders betroffen seien 1 2 2 . Entsprechend wird auch später festgestellt, es werde im Gegensatz zum „Orient", wo die „Beobachtung der Mode" „die einzige Richtschnur der Regierung, das einzige Kennzeichen der Rechtmäßigkeit" 123 sei, i m aufgeklärten Europa die Rechtmäßigkeit des fürstlichen Handelns am Allgemeinen Staatsrecht

119 „... honeste vivendum, alterum nullo modo laedendum esse." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 15). 120 „... sed non est verum, quemque pro se judicem esse, qua media ad eum finem adhibenda sint, idque adeo in infinitum, ut unicuique facere licet quod libet, idque jus naturale sit." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 13 f.). 121 „... hoc aut illud sibi expedire, sed ut vere rectaque duce ratione judicet, hoc aut illud, sine laesione societatis humanae se facere posse, ... ." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 14). Der erste Teil dieser Formel erinnert schon an den Kant'sehen kategorischen Imperativ, ein knappes Jahrhundert vor dessen berühmter Formulierung. 122 „Si darentur Leges publicae universales, deberent vel maxime Supremos Principes ac Respublicas Libéras obstringere: cum eo ipso, quod respiciant statum publicum, ilia capita, quibus ineumbit status publici cura, prae caeteris officiant " (Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis, S. 3). 123 Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 105. 10*

1 4 8 4 . Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts gemessen. Sein „unmittelbarer Gebrauch fiirs practische Leben" sei es, „die Rechtmäßigkeit mancher Einrichtungen im Staat darnach zu beurtheilen, und etwa die Streitigkeiten zwischen dem Regenten und dem Volk nach den Grundsätzen desselben zu entscheiden" 124. Die Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts sind sich auch durchaus der politischen Tragweite ihrer Lehren und insbesondere dessen bewußt, daß sie mittels der Feststellung der Rechtmäßigkeit politischen Handelns Einfluß auf die Politik nehmen und durch den Rechtscharakter des Allgemeinen Staatsrechts der absolutistischen Macht der Fürsten eine Schranke gezogen wird. Dies kann man unter anderem auch daraus ersehen, daß sie sich um die Aufnahme des Gedankengutes durch die Machthaber und deren Reaktion darauf sorgen. So sagt etwa Eggers, es sei „eine der vornehmsten Ursachen, warum die wichtigsten Lehren des natürlichen Staatsrechts oft so unbestimmt, und bisweilen gar verkehrt vorgetragen werden ... ohne Zweifel die Furcht vor der Ungnade der Fürsten" um dann noch festzustellen, daß diese Furcht nicht „ungegründet seyn" könne, „wenn man theils einen Blick wirft, auf das politische Schicksal der meisten Vertheidiger der Wahrheit; theils die Grundsätze erwägt, die bey so manchen Regierungen angenommen zu seyn scheinen, und welche so wenig mit den Lehren jener Wissenschaft übereinstimmen" 125. Auch Svarez bemerkt in seinen Kronprinzenvorträgen - offenbar in der Annahme, es müsse dem Kronprinzen unangenehm sein, sich durch die Normen des Allgemeinen Staatsrechts in seiner Machtfülle begrenzt zu sehen - gleichsam entschuldigend, daß er „mitunter dreiste Wahrheiten" gesagt habe 1 2 6 . Gleichzeitig macht er aber auch prägnant deutlich, daß „Stärke allein nie ein Recht geben" kann 1 2 7 . Er begründet dies nicht nur rechtstheoretisch mit dem hergeleiteten normativen Geltungsanspruch des Allgemeinen Staatsrechts, sondern auch anschaulich-praktisch, indem er auf die Gefährlichkeit einer gegenteiligen Auffassung in ihrer Allgemeingültigkeit gerade für den Regenten hinweist. Dieser könne dann nämlich umgekehrt von einer eventuell faktisch stärkeren Fraktion des Volkes ebenfalls rechtmäßigerweise seiner Rechte enthoben werden 1 2 8 . Ähnlich wandte sich bereits Huber in einem eigenen Kapitel von „De Jure Civitatis libri très" mit von ihm so bezeichneten „Ermahnungen" („monita") 129 an die Macht124

Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, Vorrede S. XVII. 125 Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, Dedicatio S. 2. 126 Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. VI v. 127 Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 118 r. 128 Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 120 v., 121.

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haber, um ihr „Herrschaftsrecht richtig zu leiten" 13°. Darin beschreibt er zunächst, inwieweit die tatsächliche zeitgenössische politische Situation von den durch das Allgemeine Staatsrecht aufgestellten Rechtsgrundsätzen abweiche. So sei es eine allgemeine Regel, daß Fürsten, die die Macht hätten, das Volk zu unterdrücken und es seiner angestammten Freiheitsrechte zu berauben, diese Macht auch zum Schaden des Volkes ausnutzt e n 1 3 1 , so wie dies gerade in „diesem jetzigen 132 Jahrhundert" („hoc seculo") 133 besonders - vor allem durch die stehenden Söldnerheere der Fürsten 134 - der Fall sei. Diese faktische Macht der Fürsten könne aber nicht darüber täuschen, daß ihr Vorgehen Unrecht sei 1 3 5 . Vielmehr bestehe die Gefahr, daß das Volk seinerseits die Rechte der Fürsten, bzw. die Pflicht zur Geduld, ebenfalls mißachte, um „sich nicht der Schande der Knechtschaft zu beugen " 1 3 6 . Der Ratschlag, bzw. die Ermahnung Hubers an die Adresse der Fürsten ist demzufolge, ausgehend von den Rechtsgrundsätzen des Allgemeinen Staatsrechts, daß die jeweiligen Herrscher diese 117 118 Rechtsgrundsätze „zu ihrer eigenen Sicherheit" respektieren sollten . Dies hat aber, vor allem auch im Kontext des restlichen Kapitels - ähnlich wie bei Svarez 139 , mehr den Charakter einer nur schlecht verhohlenen Drohung 1 4 0 , denn den einer „ E r m a h n u n g Ü b e r h a u p t legt Huber immer 129

Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 61. „... qua jus imperìi absolutum temperarì possit" (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 61). 131 „Quandoquidem si in tali statu sint principes, ut si velini, leges et jura populorum invadere et obtenere possint, statuendem est, hoc ipso esse futurum, ut it etiam velini " (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 62). 132 Nämlich dem 17. Jahrhundert. 133 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 61. 134 „Id equidem satis constat, omnium usu seculorum ; ubi militia perpetua et numerosa mercenaria est in manu et pendei a nutu unius, ibi leges et jura vel libertates ordinum populique non esse unius assis ... ." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 62). 135 „Quomodo autem militatis unius potestas impedienda sit, est ... politicum, non juridicum" (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 62). 136 „... ut legem patientiae, cui submittere se deberent, adspernari, quam flagitia dominationis ferre malint" (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 62). 137 „... sed etiam securitati suae ... ." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 62). 138 „... melius consulunt principes, qui jus suum eo quod decet majestatem suam publicoque expediat, metiuntur" (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 62). 139 s.o., Kronprinzenvorträge, Fol. 118 r. 140 An anderer Stelle erklärt Huber dann auch noch etwas deutlicher, daß seine Lehren Gefahren in sich bärgen, denen „besser als mit den von den Politikern ausgearbeiteten Weisheiten durch die Befolgung des Rechts" zu begegnen sei („Denique, nec ita periculis obsepta est sententia nostra, quin obviam ellis iri ac anteverti possis, remedio non tantum prudentiae, qualia excogitare politicorum est, sed juri consentaneo " Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 82). 130

1 5 0 4 . Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts wieder Wert darauf, festzustellen, daß es sich beim Inhalt des Allgemeinen Staatsrecht um Rechtsregeln handle, die für den Bestand des Staates und der Herrschaft möglicherweise gefährlich sein könnten, nämlich dann, wenn der Fürst sich nicht an sie halte 1 4 1 . Dieser Gefahr, die dem Staat, bzw. dem Inhaber der höchsten Gewalt drohe, könne aber dadurch begegnet werden, daß man mit dem Allgemeinen Staatsrecht vereinbar regiere, anstatt sich der Lehren der Politik zu bedienen 142 .

III. Die Begründung der normativen Wirkung mit Hilfe der Staatsvertragslehre Abgesehen von dem Verrechtlichungseffekt, der alleine schon in der Subsumtion der tatsächlichen Verhältnisse im Staat unter die rechtlichen Kategorien des Allgemeinen Staatsrechts liegt, fließt die grundsätzliche Rechtsqualität der Lehren des Allgemeinen Staatsrechts dogmatisch insbesondere aus dem Modell der Staatsvertragslehre.

1. Naturzustand und vertragliche

Staatsgründung

Ausgehend vom Naturzustand und dem Staatszweck, zu dessen letzteren Verfolgung unter Aufgabe des ersteren ein gesellschaftlicher Zusammenschluß und eine staatliche Herrschaft etabliert worden sein sollte, schafft das Allgemeine Staatsrecht ein bestimmtes System von Regeln, nach denen der Staat organisiert und regiert werden muß. Alle Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts haben für die Etablierung der staatlichen Herrschaft und die Begründung für sie die gleiche Modellvorstellung, nämlich die eines Naturzustandes, aus dem die Menschen mittels wie auch immer gearteter Gesellschafts- und Herrschaftsverträge als Bürger eines Staatswesens hervorgegangen sind. Dabei kommt der Theorie vom Naturzustand zentrale Bedeutung zu. Diese ist viel älter als das Allgemeine Staatsrecht selbst und basiert auf verschiedenen, teils miteinander verwobenen Traditionen 143 . In die naturrechtliche Diskussion der Aufklä141

Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 82. Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 82. 143 Nämlich von antiken, einerseits aus der stoischen Philosophie der Selbsterhaltung, dem Sozialtrieb bei Piaton und der christlichen Vorstellung vom Paradies, wobei die ersten beiden beispielsweise bei Pufendorf kombiniert werden, während letztere unter anderem in der Zivilisationskritik Rousseaus mündet (vgl. Hoffmann, Hasso, Zur Lehre vom Naturzustand in der Rechtsphilosophie der Aufklärung, in: Brandt, Reinhard (Hrsg.), Rechtsphilosophie der Aufklärung, Symposium Wolfenbüttel, Berlin 1982, S. 13-46, 16, 21). 142

. Die Begründung der normativen Wirkung

151

rung eingeführt hat sie Thomas Hobbes mit seiner berühmten These vom „homo homini l u p u s " 1 4 4 Vom Naturzustand zum Staatswesen kam man über die Vorstellung von sogenannten Staatsverträgen. Der Gedanke der Etablierung von Herrschaft durch Staatsverträge kommt schon in den Digesten vor und war für die römischen Caesaren Legitimationsgrundlage für ihren Absolutismus 145 . Auch für den neuzeitlichen Absolutismus, der im 17. und 18. Jahrhundert seinen Höhepunkt erlebte, hatte dieses Modell etwas Verlockendes. Zwar mag es sein, daß in der Staatsvertragslehre auch älteres, ständisches Gedankengut seinen Niederschlag gefunden hat, das tendenziell für die Begrenzung der fürstlichen Macht stand 1 4 6 , doch leitete es zunächst die Konstruktion neuartiger, „radikaler" Herrschaftsverhältnisse 147 ein. Der Unterschied zu der alleine die ständischen Strukturen rechtfertigenden älteren Staatsvertragstheorie liegt nämlich darin, daß diese von der Uranfänglichkeit staatlicher Herrschaft ausging, also von einem Vertrag zwischen Volk und Herrscher in einem schon bestehenden Staatswesen, während nun unter Bezugnahme auf die Fiktion des Naturzustandes die Schaffung des Staates selbst durch einen konstituierenden Staatsvertrag angenommen wurde 1 4 8 . Konkret handelte es sich bei der Vorstellung von der Erschaffung der staatlichen Gesellschaft und Herrschaft üblicherweise um die Kombination zweier Verträge, nämlich des Gesellschafts- und des Herrschafts Vertrages. Während Huber schon von deren drei ausgegangen w a r 1 4 9 , beschreibt etwa Eggers - besonders detailverliebt - gar deren vier, nämlich „1) den Vereinigungsvertrag, wodurch das gesellschaftliche Band geknüpft wird (pactum unionis), 2) den Vertrag, wodurch gewisse Gesellschaftsgesetze verabredet werden (contractus societatis), 3) den Vertrag, wodurch die Staatsgesellschaft sich der Regierung einer gewissen Person unterwirft (pactum subiectionis), 4) den Vertrag, wodurch die Staatsgesellschaft die Regierungsform und die Staatsgrundsätze bestimmt (pactum ordinationis)" 150. 144

Vgl. Hoffmann, Zur Lehre vom Naturzustand, S. 20. Link, Rechtsstaatsgedanken, S. 779 f., Hoffmann, Zur Lehre vom Naturzustand, S. 16. 146 So Link, Rechtsstaatsgedanken, S. 781, der die Staatsvertragslehre als ein konkretes Erklärungsmodell für reale Vorgänge mit den Ständen und nicht nur als eine theoretische Figur ansieht, ihr also auch praktische Bedeutung beimißt. 147 Hoffmann, Zur Lehre vom Naturzustand, S. 20. Er spricht insoweit auch von einer „Monopolisierung" der Staatsgewalt (S. 30). 148 Grimm, Dieter, Europäisches Naturrecht und Amerikanische Revolution, in: Coing , Helmut (Hrsg.), Ius Commune, Bd. 3, Frankfurt 1970, S. 120-151 (126). 149 Dies hängt aber lediglich damit zusammen, daß er den Gesellschaftsvertrag in zwei getrennte Verträge, nämlich den, sich gegenseitig nicht zu schaden und den, den Willen aller zu bündeln, aufteilt (s. o.). 145

1 5 2 4 . Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts Über diese Denkfigur gelangte dann auch die Souveränität und mit ihr die Gesetzgebungsbefugnis ein für allemal in die Hand des Herrschers. Dies war ein wichtiger Faktor im Streit um die Macht und Landeshoheit zwischen Landesfürsten und Ständen und förderte den Prozeß der antiständischen Konzentration der Macht im Staate zugunsten des Fürsten 151 . Allerdings rechtfertigte die Staatsvertragstheorie auch die Einschränkung der fürstlichen Macht durch die Einführung der sogenannten, die höchste Gewalt bindenden, Fundamentalgesetze. Diese erhielten, wenn sie sich auf konkrete historische Vereinbarungen bezogen, das ständische Element aufrecht 1 5 2 , waren darüber hinaus aber über die Figur der aus der Natur der Sache und der Vernunft entspringenden, stillschweigend vereinbarten Beschränkungen der Herrschermacht überhaupt ein Garant für bestimmte Freiheitsrechte und ein gewisses Maß an Freiheit 1 5 3 . Insofern diente die Staatsvertragslehre nicht nur dazu, die fürstliche Macht zu stärken und zu untermauern, sondern gleichzeitig dazu, sie zu beschränken 154 . Wichtig dabei ist, daß die Lehre vom Naturzustand und den Staatsverträgen offensichtlich normativ in dem Sinne verstanden wurde 1 5 5 , daß sie tatsächliche Rechte und Pflichten begründet und somit praktische rechtlich-politische Bedeutung hatte 1 5 6 . Es wird nämlich zum Beispiel ausdrücklich angenommen, daß zur Errichtung des Staates „rechtliche Handlungen" notwendig seien. Scheidemantel führt dazu etwa aus: „Die Staatsverfassung gehört zu dem hypothetischen Zustand der Menschen und deswegen sind rechtliche Handlungen zu seiner Errichtung notwendig, d. i. solche, die auf rechtmäßige Art die Menschen unter einem gemeinschaftlichen Oberhaupt und der Absicht bürgerlicher Gesellschafter vereinen" 157.

150 Egg e r S i Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, S. 27 f., ähnlich zuvor aber auch schon Höpfner in seinem „Naturrecht des einzelnen Menschen, der Gesellschaften und der Völker", S. 159. 151 s. infra, auch 6. Kap. Fußn. 34. 152 Vgl. auch Dilcher, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, S. 177 f., der davon ausgeht, daß gerade der ständische Status einen (förmlichen oder nichtförmlichen) vertragsartigen Umgang der Träger von Standesrechten, einschließlich des Fürsten, miteinander ermöglicht habe und dessen Grundlage sei. 153 Ygi z β Scheidemantel, Das Staatsrecht nach der Vernunft und den Sitten der vornehmsten Völker betrachtet, Bd. 1, S. 74: „Selbst die Majestät verehrt diese Hauptgesezze, entweder nur allein deswegen, weil sie durch das Wesen der Staaten bestimmt werden, oder auch zugleich aus dem Grunde, weil der Regent, als er den Tron bestieg, ausdrücklich versprach, er wolle während seiner Regierung die ihm vorgelegten Entwürfe vertragsgemäß beobachten. Aus ienen Ursachen entstehen die natürlichen Grundgesetze, aus diesen aber die willkürlichen 154 Hoffmann , Zur Lehre vom Naturzustand, S. 29 spricht von einer „Doppelfunktion der Legitimierung und Limitierung von Gewalt". 155 Hoffmann, Zur Lehre vom Naturzustand, S. 19. 156 Link, Rechtsstaatsgedanken, S. 781.

III. Die Begründung der normativen Wirkung

153

Die freiheitsrechtliche, staatsmachtsbeschränkende Stoßrichtung dieser Lehre wird deutlich in der konsequenten Herstellung des ausschließlichen alle Rechte des Regenten entspringen dem Herrschaftsvertrag - kausalen rechtlichen Zusammenhangs zwischen Staatsvertrag und Gehorsamsverpflichtung der Untertanen. Diese manifestiert sich etwa in der Äußerung: „Die Regierung kann nie anders als durch einen Vertrag übergeben werden. Sonst müßte man gezwungen werden können, etwas zu thun, wozu man nicht verbunden ist" 1 5 8 . Besonders konkret und anschaulich wird dies auch von Schmier erläutert, wenn er ausführt: „Wenn ich mich einem Fürsten unterwerfe, verspreche ich ihm Gehorsam und er mir dafür Schutz. Vor diesem Versprechen ist weder er mir gegenüber zur Gewährung von Schutz verpflichtet, noch ich zum Gehorsam. Wer wollte eine solche Handlung von der Klassifizierung als Vertrag ausschließen?"159. Ausdrücklich unterstrichen wird diese skizzierte freiheitssichernde rechtliche Implikation der Staatsvertragslehre noch durch eine weitere Überlegung Schmiers, nämlich die originelle Begründung für die Notwendigkeit der Annahme zumindest eines zweiten, dem ursprünglichen Sozietätsvertrag nachfolgenden Vertrages, also den Herrschaftsvertrag, mit dem das Recht zur Ausübung der höchsten Gewalt auf deren Inhaber übertragen wird. Es ist dies die durch den ursprünglichen Sozietätsvertrag selbst aufgrund seines Inhaltes und der daran als teilnehmend vorgestellten Vertragspartner nicht zu leistende Möglichkeit, im Herrschaftsvertrag Beschränkungen der Rechte der höchsten Gewalt aufzunehmen und zu vereinbaren, um zu verhindern, daß „allen Königen eine wahrlich absolute und unbegrenzte Macht beigelegt werde", wie dies einige Autoren, insbesondere Hobbes, die eine solche Möglichkeit leugneten, wollten 1 6 0 . In letzter Konsequenz führt dies dann dazu, daß der Herrscher, der die normativ verstandenen Beschränkungen, die ihm die konkret-partikularen, aber auch die abstrakt-generellen Funda157

Scheidemantel, Das Allgemeinen Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 36. 158 Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, S. 25. 159 „Dum ultro Principi me subjicio, obsequium ipsi promitto, defensionem mihi stipulor. Princeps, dum me civem recipit, defensionem mihi promitit, obsequium a me stipulatur. Ante eam promissionem neque ego ipsi obsequi, neque iste me defendere, saltern ex obligatione perfecta, tenebatur. Quis ejusmodi actum ex classe pac torum velit excludere?" (Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis, S. 44). 160 „Alterum quidem pactum, quo, qui coeunt in societatem, Imperanti se obstringunt, negant aliqui cum Hobbesio, volentes nimirum ... omnibus Regibus vere talibus absolutam et illimitatam potestatem adstruere, et consequenter omne hinc pactum, velut praecipuum limitandae potestatis fraenum, exterminare" (Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis, S. 44).

154

4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

mentalgesetze nach dem Allgemeinen Staatsrecht auferlegen, nicht beachtet, sich außerhalb des Vertrages und damit außerhalb des Rechts begibt, oder, wie Svarez es in aller Kürze und Prägnanz formuliert: „Überschreitet der Regent diese Grenzen, so bricht er den bürgerlichen Vertrag" 161 . Trotz dieser teilweise recht konkreten Darstellungsweise der der Staatsvertragslehre zugrundeliegenden rechtlichen Handlungen lag der Modellcharakter der Staatsvertragslehre doch im Grunde auf der Hand und war auch den Bearbeitern des Allgemeinen Staatsrechts durchaus bewußt 1 6 2 . Kant etwa greift dies auf, wenn er den Staats vertrag als „Akt, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat konstituiert, eigentlich aber nur die Idee desselben" 163 bezeichnet 164 . Ansonsten würde es nämlich auch keinen Sinn ergeben, daß oft die „tatsächliche" historische Entwicklung zusätzlich abgehandelt wird, wobei in der Regel ausgegangen wird von Zusammenschlüssen einzelner Familien zu immer größeren Einheiten 1 6 5 . Dem Staatsvertragsmodell als abstraktem Prinzip wird also unter dessen Kennzeichnung als Fiktion eine weitere Erklärung des Phänomens Staat aufgrund historisch-soziologischer Betrachtung gegenübergestellt 166 , wenn etwa gesagt wird: „Regierungen sind älter als wissenschaftliche Philosophie; und ehe an die Deductionen des Civilvertrags, nach welchen man sie beurtheilt, gedacht war, gab es Regierungen" 161, so daß „der Ursprung einer Republik in jure naturae absoluto eben nicht, sondern als res meri facti in der Geschichte aufzusuchen" sei 1 6 8 . Dieses Nebeneinander von - angenommener oder tatsächlicher - historischer Entwicklung und der rechtlichen Fiktion des 161

Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 119 v. Etwas anderes wurde offenbar nur ganz vereinzelt angenommen, etwa in: A short Essay on Whigs and Tories (Anonymus) in: Essays on Political Subjects, London 1791, zitiert nach Dickinson, Harry T., The Theory of Natural Rights in Late 18th and Early 19th Century Britain, in: Dann, Otto/Klippel, Diethelm (Hrsg.), Naturrecht - Spätaufklärung - Revolution, Hamburg 1995, S. 23-47 (27). 163 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 169. 164 Zur Bedeutung des Modells auch für die Kodifikationsbestrebungen im ausgehenden 18. Jahrhundert vgl das Wort von Kant zur „Idee des Gesellschaftsvertrages als Probierstein der Gesetzgebung" (Kant, Immanuel, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? in: Berlinische Monatsschrift Bd. 4 (1784), S. 481 ff., vgl. auch Krause, Peter, Naturrecht und Kodifikation, S. 26). 165 Besonders ausführlich insoweit etwa Justi, Natur und Wesen der Staaten, S. 20 ff. 166 Vgl. etwa Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 33, für die Etablierung von Herrschaft: „Man sezze noch hinzu, daß Klugheit, Stärke und Regierungssucht auf einer Seite, auf der andern aber Einfalt und Schwäche dazukommen ...". 167 Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 94. 162

III. Die Begründung der normativen Wirkung

155

Gesellschafts- oder Staatsvertrages, bzw. die Aufrechterhaltung dieser rechtlichen Fiktion angesichts des Wissens um oder zumindest der Annahme einer davon losgelösten tatsächlich-historischen Entwicklung lassen Rückschlüsse auf die damit verfolgte Absicht zu. Die juristische abstrakte Staatsgründungstheorie tritt an die Seite der konkreten historischen und ergänzt diese um den Legitimationsgrund für die staatlichen (Rechts-) Verhältnisse, oder: „Dem sey, wie ihm wolle, allemal wird ein pactum hierbey supponirt, welches auf Seiten des Unterthans den Gehorsam, auf Seiten des Regenten den Schutz, mithin auch Friede, Ruhe, Sicherheit und gemeine Wohlfahrtsverschaffung erheischt, woraus mutuam obligatio entspringt" 169. Daß diese juristische Theorie und Argumentation der historischen vorgehen und diese gewissermaßen unter ihr Statut stellen sollte, wird beispielhaft präzisiert durch die Aussage: „Wollte man auch nur Gewalt zum Grunde der Unterwerfung annehmen, so fing der Staat doch immer erst mit der Vereinigung der Kräfte und des Willens an, wenn die Unterworfenen dem Zwange nachgaben"170, oder die, daß „besonders in älteren Zeiten die ersten Stifter der Königreiche sehr oft nur glückliche Usurpateurs gewesen, aber das, was anfänglich nur Anmaßung war", „durch eine andere entweder bei ihnen selbst oder doch bei ihren Nachkommen hinzugekommene Sanktion", nämlich „dasjenige, was wir den bürgerlichen Vertrag Recht geworden " sei 1 7 1 .

nennen

„ wirkliches

Damit wird aber deutlich, daß man aus dem Bewußtsein der Modellhaftigkeit 1 7 2 der Staatsvertragslehre heraus auf Absicht und Zweck, mit ihrer 168

Kreittmayr,

Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechts,

Kreittmayr,

Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechts,

S. 5.

169

S. 5.

170

Pföter, A. J. Betrachtungen über die Quellen und Folgen der merkwürdigsten Revolutionen unseres Jahrhunderts, über die Entstehung der Staaten, und die verschiedenen Verfassungen derselben; nebst einer gelegentlichen Untersuchung, welchen Einfluß die Aufklärung auf das Wohl der bürgerlichen Gesellschaft habe, Wien 1794, S. 344. 171 Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 291. 172 Eine interessante, quasi positvistische, religiöse, von der jüdischen Herkunft des Verfassers geprägte Variante der Begründung des Staatsvertragsmodells, die aber letztendlich zum gleichen Ergebnis führt, findet sich bei Isaak Iselin (Versuch über die gesellige Ordnung, Basel 1772, S. 109): „Es ist hier nicht nöthig zu einem chimärischen gesellschaftlichen Vertrage Zuflucht zu nehmen, um zu beweisen, daß der Mensch ohne Ungerechtigkeit dem Menschen unterthänig sein könne. Diese Unterwürfigkeit hat einen unendlich verehrungswürdigeren Ursprung. Der Urheber

156

4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

Hilfe echte - im Sinne von rechtsgültigen - Rechte und Pflichten von Fürst und Untertanen herauszuarbeiten und zu begründen, schließen kann. Allein die Annahme des Bestehens eines Staatsvertrages schafft nämlich den Unterschied zwischen einer auf rein tatsächlichen Machtverhältnisssen beruhenden und einer rechtmäßigen Herrschaft, denn „soll ein Unterschied zwischen Räuberbande und Regirung seyn, so muß freies Belieben in die Mitte treten" 173. Einzige Legitimation und einziger rechtlich anerkannter und anzuerkennender Grund von Herrschaft ist insoweit die - auch stillschweigende 1 7 4 - Einwilligung der Untertanen, die willentliche Unterwerfung unter einen Herrschaftsvertrag 175 und dessen Einhaltung 1 7 6 , wie es auch etwa in Rousseaus berühmter Formulierung vom „plébiscite de toujours" zum Ausdruck kommt, „denn da jemand im Staate geboren und erzogen wird, wird er ein Mitglied desselben und unterwirft sich" 111. Der weitere Aspekt der mittels der „supponirten" abstrakten „mutuam obligatio" eingeführten und beabsichtigten Möglichkeit der Rechtmäßigkeitskontrolle hoheitlichen Handelns wird deutlich erkennbar, wenn gesagt wird, sie habe die Aufgabe, „die Machthaber in jedem Staate zu erinnern, daß ihre Macht nur dann rechtmäßig sei, wenn sie von ihnen so angewandt werde, wie es der allgemeine Wille in dem Fall erfordern würde, wenn wir uns den Staat als durch Vereinbarung entstanden gedächten4'178. Daß die durch das Allgemeine Staatsrecht mit Bezug auf die Staatsvertragslehre postulierten Rechte und Pflichten bindende Wirkung haben sollten, ist insoweit gewissermaßen auch schon deshalb anzunehmen, weil die Tatsaaller Ordnung und aller Vollkommenheit hat einen Vertrag gestiftet, welchen weder die Beherrscher noch die so beherrschet werden ungestraft verletzen können 173 Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, S. 12. 174 Vgl. auch Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 19: „Auch ein stillschweigender [Staatsvertrag] ist hinlänglich 175 Folgerichtig wird daher auch der Staatsvertrag zu einem Merkmal des Staatsbegriffes, wenn etwa Justi erklärt: „Die Freyheit des eignen Willens ist der wesentliche Charakter der natürlichen Freyheit. Die Aufgebung dieses Willens und die Vereinigung mit seinen Mitbürgern in einen einzigen Willen, ist der unterscheidende Charakter der bürgerlichen Verfassung " (Natur und Wesen der Staaten, S. 37). 176 Vgl. etwa auch Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, S. 5: „Man brauchte nur zu bemerken, daß MenschenGlück one Verein, und dauernder Verein one Stat, nicht möglich sei: so unterwarf man sich freiwillig; oder falls auch die erste Unterwerfung erzwungen war, so harrte man gern in derselben fort". 177 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 35. Deutlich insoweit auch etwa Justi: „Niemand ist gezwungen in derjenigen [Regierungsform] zu bleiben, unter welcher er gebohren ist. Wenn er also darunter lebt; so scheint er sich dieselbe selbst erwählet zu haben " (Natur und Wesen der Staaten, S. 178). 178 Hegewisch, Dietrich Herrmann, Übersicht der verschiedenen Meinungen über die wahren Quellen des allgemeinen Staatsrechts, S. 52.

. Die Begründung der normativen Wirkung

157

che ihrer Herausarbeitung und Begründung selbst ansonsten überhaupt nicht sinnvoll zu erklären wäre. Etwas anderes würde auch der dem wissenschaftlichen Diskurs der Aufklärung zugrundeliegenden Anerkennung und beigelegten Kraft des rational erschlossenen Arguments nicht gerecht. Es ist daher falsch, der Staatsvertragslehre ihre rechtliche Bedeutung absprechen zu wollen mit dem Hinweis darauf, sie sei lediglich eine Hypothese. Gerade das Gegenteil ist richtig. Wäre die Annahme der Existenz eines Staatsvertrages faktisch zu verstehen gewesen, hätte sie sich sofort der Kritik ausgesetzt gesehen, daß es für sie keinen oder zumindest nicht immer einen konkreten historischen Anhaltspunkt gebe, ihr Allgemeingültigkeitsanspruch wäre haltlos geworden 179 . Darüber hinaus wäre man bei einem tatsächlichen Vorliegen eines Staatsvertrages auf dessen Inhalt festgelegt gewesen. Mit der Fiktion eines dem Staat und der Herrschaft zugrundeliegenden Staatsvertrages konnte dagegen das Verhältnis zwischen Untertanen und Herrscher den wechselnden tatsächlichen Gegebenheiten und auch den juristischen und gesellschaftlichen Überzeugungen angepaßt werden. Doch bereits auf einer dem eben Dargelegten gewissermaßen gedanklich voranstehenden Stufe erfüllte die Staatsvertragslehre eine für die juristische Diskussion und Argumentation überaus wichtige weitere Funktion. Mittels dieser Hypothese gelingt es nämlich, den Gegensatz zwischen der - an sich durch die Staatsvertragslehre erst rational und allgemein begründeten Souveränität des Inhabers der höchsten Gewalt einer- und seiner rechtlichen Bindung, seiner - dem Konzept der Souveränität prinzipiell zuwiderlaufenden - Unterwerfung unter eine rechtliche Verpflichtung andererseits, theoretisch auszuräumen. Der Ansatz ist hier der, daß es zwar nicht möglich sein soll, dem Souverän bestimmte Gesetze vorzuschreiben, daß aber die vertragliche Verpflichtung - in Verbindung mit dem allgemein anerkannten und feststehenden naturrechtlichen Satz des „pacta sunt servanda" - gesetzesgleiche Wirkung entfaltet. Schon Huber war in diesem Zusammenhang in dem Bemühen um eine Begründung für die rechtliche Möglichkeit der Vereinbarung von auch den Inhaber der höchsten Gewalt bindenden Funda179

Vgl. auch etwa wiederum Kant, Über den Gemeinspruch, S. 297: „Allein dieser Vertrag ... ist keineswegs als ein Factum vorauszusetzen nöthig (ja als ein solches gar nicht möglich); gleichsam als ob allererst aus der Geschichte vorher bewiesen werden müßte, daß ein Volk, in dessen Rechte und Verbindlichkeiten wir al Nachkommen getreten sind, einmal wirklich einen solchen Actus verrichtet, und eine sichere Nachricht oder ein Instrument davon uns, mündlich oder schriftlich, hinterlassen haben müsse, um sich an eine bestehende bürgerliche Verfassung für gebunden zu halten. Sondern es ist eine bloße Idee der Vernunft, die aber ihre unb zweifelte (praktische) Realität hat: nämlich jeden Gesetzgeber zu verbinden, daß er seine Gesetze so gebe, als sie aus dem vereinigten Willen eines ganzen Volkes haben entspringen können, und jeden Unterthan, so fern er Bürger sein will, so anzusehen, als ob er zu einem solchen Willen mit zusammengestimmt habe".

158

4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

mentalgesetzen davon ausgegangen, daß bei deren Abschluß das Volk - zur Umgehung des dieser Konstruktion immanenten Widerspruchs zu seiner eigenen These, daß die höchste Gewalt im Staate per definitionem nichts Gleichwertiges neben sich haben könne - auf der Ebene des Völkerrechts der höchsten Gewalt gleichwertig gegenüberstehe 180, oder, wie auch gesagt wird, das Volk seine Rechtspersönlichkeit nie verliere 1 8 1 und der Herrscher zur Beachtung der in den Fundamentalgesetzen vorbehaltenen Rechte angehalten sei 1 8 2 . Umgekehrt wird auch angenommen, daß - infolge der vertraglichen Verpflichtung - „in Beziehung auf die Absicht des Staats" „der Souveräns selbst die natürliche Freiheit" verliert, „er muß regieren, solange er Regent seyn will" 183. Besonders ausführlich und insbesondere mit jenem Gedanken gewissermaßen ringend, erörtert diesen Problembereich auch Oertel in seiner bereits erwähnten Dissertation aus dem Jahre 1743. Auch er geht davon aus, daß den Herrschenden von den Untertanen keine Gesetze vorgeschrieben werden könnten. Sie könnten jedoch verpflichtet werden, zum gemeinen Besten sich an die Verträge zu halten, auch wenn die Fundamentalgesetze und die Kapitulationen keine Gesetze im strengen Sinne seien. In ihrer Wirkung, der Pflicht zum Gehorsam und damit der rechtlichen Bindung, unterschieden sich diese Verträge nämlich nicht von Gesetzen und richtigerweise müsse man sagen, daß die Verträge den Vertragspartnern Gesetze gäben. Der Unterschied zwischen Verträgen und Gesetzen rühre lediglich aus dem Unterschied ihres Wirksamkeitsgrundes her. Bei den Gesetzen handele der Gesetzgeber kraft seiner Autorität und

180 „Obligatio quae ex fundamentalibus oritur legibus, haud alia esse potest, quam naturalis quae et juris gentium dicitur. ...In nostra autem specie duo contrahentes, hactenus pares, intelliguntur." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 89). Durch diese kleine logische Inkonsequenz ist es Huber aber unter anderem auch möglich, die faktisch vorhandene ständische Opposition gegen den Absolutismus im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts einzuordnen und rechtlich abzusichern, wobei durchaus auch seine persönliche politische Neigung einfließen und offenbar werden mag. 181 Diese Argumentation, die etwa Kuriki, Die Rolle des Allgemeinen Staatsrechts in Deutschland, S. 583, unter Berufung auf Jordan, Silvester, Versuche über allgemeines Staatsrecht in systematischer Ordnung und mit Bezugnahme auf Politik, Marburg 1828, S. 392, erst für das 19. Jahrhundert beobachtet haben will, ist also in Wirklichkeit dem Allgemeinen Staatsrecht von Anfang an inhärent und für seinen normativen Anspruch auch unerläßlich. 182 „Populus quilibet sustinet personam moralem" und „... iura legibus fundamentalibus sibi reservare possunt eaque Imperans conservare tenetur" (Fritsch, Conspectus Iuris Publici Universalis, S. 7). 183 Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 61. In die gleiche Richtung führt es auch, wenn etwa Schlözer (Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, S. 107), wohl das Wort Friederichs des Großen vom Fürsten als „erstem Diener seines Staates" aufgreifend, in Bezug auf den Untertanen sagt: „Er dienet nicht, der Herrscher dienet ihm

III. Die Begründung der normativen Wirkung

159

die Untertanen würden durch die erlassenen Gesetze verpflichtet. Die Wirksamkeit der Verträge beruhe in diesem Fall dagegen auf dem Willen der Vertragsparteien. Es stehe aber außer Zweifel, daß ein solcher Vertrag nicht nur den Regenten, zu dessen Gunsten ein Erlaubnistatbestand aufgenommen worden sei, verpflichte, in der Ausübung dieses Rechts nicht weiter zu gehen, als ihm nach dem Vertrag erlaubt sei, sondern auch die Untertanen verpflichte, ihn nicht bei der Ausübung der abgetretenen Rechte zu stören, wie dies auch im Privatrecht der Fall wäre 1 8 4 . Oertel geht also von einer normativen, gesetzesgleichen Kraft des Herrschaftsvertrages und der darauf beruhenden Fundamentalgesetze aus, die den Regenten eben auch dann binden und verpflichten, wenn sie nicht auf einen Gesetzgebungsakt, sondern eine fiktive oder tatsächliche gegenseitige Vereinbarung zurückgehen, wobei sich - abstrakt gesehen und für das Denkgebäude des Allgemeinen Staatsrechts besonders wichtig - der Vertragsinhalt gerade nicht (nur) aus den tatsächlichen, historischen Fundamentalgesetzen ergeben muß, sondern ganz allgemein aus dem Wesen des Staates selbst, wie es sich auch in der von einigen Vertretern des Allgemeinen Staatsrechts bewußt getroffenen Unterscheidung zwischen den „Grundgesezzen des allgemeinen Staatsrechts, in so weit sie nämlich aus dem Wesen des gesitteten Staats für sich betrachtet hergeleitet werden" einer- und den „genauer bestimmten Staatsgrundgesezzen, und diese sind teils natürlich, teils willkürlich " 1 8 5 andererseits manifestiert. Insgesamt kann man demnach feststellen, daß gerade die von den Bearbeitern des Allgemeinen Staatsrechts durchweg angenommene Fiktion des Staatsvertrages dessen normative Wirkung und die des Allgemeinen Staatsrechts überhaupt begründet und belegt. 184

„Iuris universalis praeceptivi ac permissivi forma consistit in vi obligandi ad obsequium, per hanc enim constituitur ius, et differì a pacto et Consilio. [Hier zitiert er Thomasius]. Obligatio itaque a lege separari non potest, et pertinet ad eius essentialia, uti supra dictum. Unde facile potest iudicari, Imperanti et pari legem non praescribi, sed illos obligari ad bonum publicum promovendum pacto interveniente, et leges regni fundamentales sive capitulationes proprie non esse leges. In effectu legum et pactorum obligationis non differunt, et recte dicitur, pacta dare legem contractibus; longa autem differentia obliationis legum et pactorum occurit ratione causae efficienti s, in illis superior sive imperans es legis auctor, et inferiores sive subiectos obligat suos per legem latam; in his vero, scilicet pactis, causa efficiens sunt pacifentes. Iuris permissivi forma consistit in concessione facultas circa res publicas et statum disponendi; quare alii dubitabant de hoc iure, an obliget , sed extra omnem dubitationis aleam esse positum iudico, ius permissivum non solum eum ipsum, in cuius favorem est concessum, obligare, ne exercitium iuris ultra permissum extendat, sed in subditos obligare ne alium in exercitio facultatis concessae turbent, quod etiam in iure privato obtinent", Oertel, Meditationes de lure Publico Universali, S. 37. 185 Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 248.

1 6 0 4 . Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts Inhaltlich beruht der normative Charakter der Staatsvertragslehre insbesondere darauf, daß der Naturzustand den Menschen angeborene subjektive Rechte verleiht 1 8 6 und aus eben diesen subjektiven Rechten über die Staatsvertragslehre die durch das Allgemeine Staatsrecht herausgearbeiteten Rechte im Verhältnis von Obrigkeit zu Untertanen und damit letztlich auch die Herrscherrechte abgeleitet werden. Eine zentrale Rolle spielen dabei die angenommene ursprüngliche Freiheit und Gleichheit der Individuen im Naturzustand 187 . Indem der Staatsbürger Partei des Staatsvertrages ist, hat er selbst Anteil an der staatlichen Souveränität. Dies wird auch deutlich in der üblichen vom Allgemeinen Staatsrecht vorgenommenen und vor allem mit der französischen Revolution besondere praktische Relevanz entfaltenden und spätestens dann in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommenen begrifflichen Unterscheidung zwischen Bürger und Untertan: „Die Ausdrücke Bürger und Unterthan sind nicht gleichbedeutend. Letzteres bedeutet einen jeden im Staat, der den Befehlen des Regenten gehorchen muß, ohne daß bei ihm ein Theil der Grundgewalt des Staates ist" 1 8 8 . Die Vorstellung von einem Vertragsschluß, um dem Naturzustand zu entsagen und eine staatliche Herrschaft zu errichten, bedarf nämlich bei der von den Vertretern des Allgemeinen Staatsrechtes vorgenommenen streng juristischen Betrachtungsweise als Voraussetzung auch der Vorstellung von einer Ansammlung grundsätzlich freier und gleicher Individuen mit entsprechenden Rechten im Naturzustand, die im Austausch gegen Mitgliedschafts- und Teilhaberechte oder andere Errungenschaften der Staatlichkeit aufgegeben bzw. in das Gemeinwesen eingebracht werden können, um diesen Vertrag überhaupt rechtsgültig werden zu lassen 189 . Ausdrücklich wird insoweit auch tatsächlich argumentiert: 186

Auf diese Weise die allgemeine Rechtsfähigkeit des Menschen überhaupt begründet zu haben, ist dem Naturrecht der Aufklärung als herausragende Leistung anzurechnen (vgl. Krause, Peter, Naturrecht und Kodifikation, S. 10). 187 Ob diese Rechte nun, wie etwa bei Wolff, ursprünglich Gleichheitsrechte waren und die Freiheitsrechte nur aus eben dieser anfänglichen allgemeinen Gleichheit abgeleitet wurde, oder ob dem Einzelnen, wie beispielsweise bei Darjes, die Freiheitsrechte unmittelbar zuerkannt wurden und die Gleichheit wiederum aus ihnen abzuleiten war, ist in diesem Zusammenhang irrelevant. Das Konzept der natürlichen Freiheit geht jedenfalls schon auf die Stoa, die römischen Juristen und die Kirchenväter zurück (vgl. Carlyle, A. J., Political Liberty. A History of the Conception in the Middle Ages and Modern Times, London 1963, S. 72f.). 188 Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, S. 25, vgl. aber bereits Pufendorf\ Elementorum Jurisprudentiae universalis libri II, S. 471 ff., oder etwa Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis, S. 400ff. („Idemne sit , Subditum aut Civem esse"). 189 So wird auch gesagt, über den Staatsvertrag sei ein „staatsrechtliches Vertretungssystem" geschaffen worden, wobei das Individuum zum - alleinigen - Schöp-

. Die Begründung der normativen Wirkung

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„Ueberhaupt müssen die Handlungen [zur Gesellschafts- und Staatsgründung] so beschaffen seyn, daß von einer Seite die Befugnisse rechtmäßig erworben und von der anderen Seite rechtmäßig erteilet werden. Beides setzt schon ohnedes die sittliche und physische Möglichkeit zum voraus . . . . Diese Kennzeichen findet man 1) bei der Vereinigung mehrerer freier Menschen zur gemeinschaftlichen Sicherheit, Bequemlichkeit und Nahrungsstand. 2) wenn sich diese Gesellschaft den Befehlen eines gemeinschaftlichen Oberhauptes unterwirft" 190 . Die sich aus dem Vertragsverhältnis ergebenden gegenseitigen Rechte und Pflichten konnten unter Zugrundelegung dieser Ausgangshypothese dann anhand des Gesichtspunktes herausgearbeitet werden, welche Regelung vernünftigerweise unter Berücksichtigung des Staatszweckes getroffen worden wäre, modern gesprochen nach dem „objektiven Empfängerhorizont". Dies bot selbstverständlich der Interpretation und inhaltlichen Ausgestaltung einen breiten Spielraum. So bestand wohl tatsächlich einerseits die Gefahr, daß auf diesem Wege der Inhaber der höchsten Gewalt zur Verfolgung aller möglichen und denkbaren Staatszwecke ermächtigt und jede durch die Staatsgewalt verfügte Rechts- und Freiheitsbeschränkung der Untertanen zur Verwirklichung von gemeinschaftlichen Zwecken nach dem Grundsatz „volenti non fit injuria" gerechtfertigt werden konnte. Wichtiger, und dem Rechtsverständnis des Allgemeinen Staatsrechts angemessener, ist jedoch andererseits die Möglichkeit der Begrenzung der Herrschergewalt auf die Verfolgung von als als solche - ebenfalls mit Hilfe des Allgemeinen Staatsrechts - erkannten legitimen Staatszwecken zu beschränken 191 . Denn da nach dieser Fiktion alle Bürger dem Vertrag anfangs zugestimmt haben mußten, ließ sich daraus schließen, daß bestimmte Dinge nicht enthalten sein konnten, nämlich solche, von denen vernünftigerweise nicht angenommen werden konnte, daß sie die Zustimmung aller gefunden hätten. Die Freiheitsrechte des Einzelnen dürfen danach nämlich nur insoweit eingeschränkt werden, wie es der Staatszweck erfordert, die „positiven Gesellschaftsgesetze dürfen also nicht über den Zweck der Gesellschaft sich erstrecken, indem sonst die natürliche Freyheit des Gesellschaftsglieds eingeschränkt werden würde, in Dingen, die nicht die Gesellschaft betreffen" 192, fer seiner staatsrechtlichen Umwelt geworden sei (Hoffmann , Zur Lehre vom Naturzustand, S. 19 f.). 190 Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 37. 191 Vgl. Krause, Peter, der Monarch als Depositar des Allgemeinwillens, in: Gose, Walther/Würtenberger, Thomas (Hrsg.), Zur Ideen- und Rezeptionsgeschichte des Preußischen Allgemeinen Landrechts, Stuttgart 1999, S. 155-184 (S. 160). Eine zu starke Gewichtung dieses Punktes findet sich etwa bei Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, S. 111, vgl. infra, 6. Kap. Fußn. 68. 192 Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, S. 10. 11 Schelp

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4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

oder, noch deutlicher: „Die Menschen haben nur so viel von ihrer natürlichen Freiheit aufgeopfert, als notwendig geschehen mußte, um diesen Zweck ihrer Verbindung zu erreichen. Der Regent im Staat ist also nicht berechtigt, irgend etwas zu tun, was diesem gemeinschaftlichen Zweck zuwider wäre" 193 . Wie stark diese Freiheitsrechte betont wurden 1 9 4 und wie lose das staatliche Band zuweilen geknüpft zu sein scheint, wird deutlich, wenn teilweise gar von einer „bedingten Entsagung" der Freiheitsrechte gesprochen wird und der Staatsvertrag sofort erlöschen soll, sobald der durch die Entsagung der Freiheit gewonnene Vorteil vereitelt wird. Denn wenn der Einzelne „also derselben [der natürlichen Freiheit] in gewissem Maaße entsaget, und sie einschränken läßt, so thut er es nur in der Maaße, daß der dadurch verlohrene Theil derselben durch überwiegendes daraus entstehendes Gute ersetzt werde. Mehr kann er nach seiner angebohrnen Natur nicht verliehren wollen, und es steht ihm daher auch frey, wieder in seine vorige Rechte zurückzutreten, die er vor der Entsagung hatte, wenn ihm dieses Gute durch andere entzogen oder vereitelt wird" 1 9 5 . 2. Der Staatszweck Aus diesem Grunde war aber die Frage nach dem Staatszweck ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil der Staatsvertragslehre, der durch das Allgemeine Staatsrecht erörtert wurde und neben der Figur der ursprünglichen Freiheit des Menschen im Naturzustand für die normative Wirkung der Staatsvertragslehre und damit des Allgemeinen Staatsrechts unabdingbar. Denn durch den Staatszweck konnte, über den römisch-rechtlichen 196 Grundsatz „jus ad finem dat jus ad media", oder „weil der Regent als caput reipublicae diesen Zweck auf alle thunliche Weise zu erreichen suchen soll" und daher „auch die hiezu benöthigte Mittel zu ergreifen berechtigt" i s t 1 9 7 , determiniert werden, welche Rechte und Pflichten aus dem jeweiligen - fiktiven - Staatsvertrag entspringen sollten. Da der Staatsvertrag nämlich nur zur Erreichung des Staatszwecks eingegangen worden war, mußte alles, was außerhalb des Staatszweckes lag, auch außerhalb der 193

Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 292 v. Später wird auch versucht, die durch die Unbestimmtheit der Gemeinwohlbindung bedingte potentielle Gefährdung der individuellen Freiheit dadurch zu vermeiden, daß gefordert wird, das „Gemeinwohl" müsse gesetzlich bestimmt werden, etwa bei Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 119 r.: „Die allgemeinen Gesetze sind Ausspruch des allgemeinen Willens" (vgl. Krause, Peter, Der Monarch als Depositar des Allgemeinwillens, S. 159, Anm. 9). 195 Fredersdorf, System des Rechts der Natur, S. 153. 196 Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, S. 117. 197 Kreittmayr, Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechts, S. 15. 194

ΠΙ. Die Begründung der normativen Wirkung

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Verpflichtung aus dem Staatsvertrag liegen. Auch dieser Staatszweck war normativ zu verstehen, also abzugrenzen von bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen. Insoweit bedingen Staatsvertrags- und Staatszwecklehre einander hinsichtlich ihres normativen Anspruchs und ihrer normativen Wirkung. Der Staatsvertrag kann nur wegen seiner inhaltlichen Ausrichtung auf den Staatszweck normative Geltung beanspruchen, der Staatszweck wiederum gilt als normativer Handlungsauftrag und Eingriffsermächtigung allein aufgrund der Legitimation durch den auf diesen Zweck hin ausgerichteten Staatsvertrag. Handlungen der höchsten Gewalt sind an ihm zu messen. Denn aus dem „Staatsendzweck" „ersieht man nun die Quelle, aus welcher die besonderen Pflichten der Regenten, und der ihnen zugegebenen Beamten, welche an der Regierung, oder an der Ausübung der bürgerlichen Oberherrschaft einen Antheil haben, fliessen, nämlich, daß sie von den Mitteln oder den Majestätsrechten einen rechtmässigen Gebrauch 1QQ

machen . Über die Frage des „rechtmäßigen Gebrauchs" entscheidet aber wiederum das Allgemeine Staatsrecht selbst. Der Staatszweck determiniert also gleichzeitig die Ziele und die Grenzen des staatlichen Handelns als rechtlich gebotene. Beides ist zu unterscheiden und beides wird mit Hilfe des Allgemeinen Staatsrechts ermittelt. Zunächst legt das Allgemeine Staatsrecht rechtmäßiges hoheitliches Handeln - über die Staatsvertragslehre - auf die Verwirklichung des Staatszweckes fest. In einem zweiten Schritt, nämlich über die Interpretation dessen, was der Staatszweck eigentlich ist, konkretisiert es diese Rechtmäßigkeitskontrolle. Dafür kommt es entscheidend auf die inhaltliche Ausgestaltung des Staatszweckes an. Gewöhnlich wird er mit der Förderung des Allgemeinwohles im weitesten Sinne gleichgesetzt 199 . Insofern war tatsächlich über den unbestimmten Rechtsbegriff der Allgemeinwohlbeförderung breiter Spielraum für Interpretationen gegeben. Die technische Frage, auf welchem Wege das entsprechende Ziel zu erreichen war, mußte dann in einem weiteren Schritt festgestellt werden, der ebenfalls wieder einer Rechtmäßigkeitskontrolle durch das Allgemeine Staatsrecht unterlag, nämlich dem aus der Denkfigur der ursprünglichen allgemeinen Freiheit hergeleiteten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz der Wahl des mildesten Mittels zur Zweckerreichung. So folgt nämlich aus der 198

Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 97. Hierzu, aber auch zu der damit einhergehenden rechtlichen Bindung beider Vertragsteile, vgl. etwa Eggers (Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, S. 30): „Folglich ist der höchste Grundsatz des natürlichen Staatsrechts, welcher aus der Absicht der Staaten fließt: befördere das Wohl der Staatsverbindung. Dieser bindet alle Bürger sowohl als den Regenten, und bestimmt das Maas der Einschränkungen der natürlichen Gerechtsame der Bürger durch die Staatsverbindung." 199

11'

1 6 4 4 . Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts „Deduktion aus dem Hauptgrundsatze des allgemeinen Staatsrechts, daß der Staat die Freiheit der einzelnen nur insoweit einzuschränken berechtigt sei, als es notwendig ist, damit die Sicherheit und Freiheit aller bestehen könne" 200 und gibt „die Vernunft selbst ein, daß man bey der Auswahl die leichtere den schweren, die sichere den gefährlichen, die ordinari den extraordinari Mitteln vorzuziehen habe. Sonst wird auf einer Seite weit mehr verdorben, als auf der andern gut gemacht, mithin der Zweck verfehlt, folglich auch jus ad media verlohren" 201. Dies geht sogar so weit, daß gesagt wird: „Solange das Übergewicht nicht evident ist, muß es bei der natürlichen Freiheit bleiben" 202 . Das Allgemeine Staatsrecht bestimmt also über die Figur der Staatsvertragslehre und die damit zusammenhängende Festlegung des staatlichen Handelns auf die Verfolgung des Staatszweckes sozusagen nicht nur das „Ob" dieses staatlichen Handelns, sondern über die Definition des Staatszweckes selbst ebenso das „Wie" und das „Wieweit". Seiner Bedeutung gemäß war daher der Staatszweck auch immer schon Teil des Staatsbegriffes überhaupt gewesen, der Staat also über seinen Zweck definiert. Bei Huber etwa hatte sich eine „Ansammlung von Familien ... um der Gunst willen, Rechtssicherheit und ein selb st genügsame s Leben zu genießen, unter einer höchsten Gewalt" vereinigt 2 0 3 . Später wurde ein weiterer unbestimmter Rechtsbegriff in diese Definition eingeführt, nämlich der der „Glückseligkeitwie beispielsweise bei Herrmann Friedrich Kahrel, für den die „civitas" eine „Gesellschaft ist mit dem Zweck, das gemeinsame Wohl und die gemeinsame Glückseligkeit mit vereinten Kräften zu befördern " 204. 200

Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 134 v., ebenso nochmals Fol. 119 v.: „Er [der Regent] muß die natürliche Freiheit seiner Unterthanen nur insoweit einschränken, als es notwendig ist, um die Sicherheit und Freiheit aller zu schützen und aufrechtzuerhalten ". 201 Kreittmayr, Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechts, S. 61. Vgl. auch etwa Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 53: „Daher hat auch der Regent nicht das Recht zu strengern Mitteln, so lang gelindere hinreichend sind", oder Johannsson (Montin), Die bürgerliche Regierung nach ihrem Ursprung und Wesen betrachtet, S. 123: „Meine Absicht ist also zu zeigen, wie weit die Obrigkeit in Ansehung der Wohlfahrt des gemeinen Wesens und im dringenden Nothfalle gehen könne, oder was für Absichten sie hierbey aufzuopfern berechtiget sey, um die allgemeine Wohlfahrt des gemeinen Wesens zu befördern?". Ähnlich Justi, Natur und Wesen der Staaten, S. 30: „... so mache ich aus dem allen den Schluß, daß es die Pflicht und Schuldigkeit einer jeden Regierung ist, die natürliche Freyheit ihrer Unterthanen so wenig einzuschränken, als es nur immer mit dem Endzwecke der Republiken bestehen kann ". 202 Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 134 v. 203 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 36, s.o.

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Dieser Begriff der Glückseligkeit ist also im Zusammenhang mit der Allgemeinwohlbeförderung ein zentrales Element des Staatszweckes und damit des Staatsbegriffes und des Allgemeinen Staatsrechts überhaupt. Denn es ist die Glückseligkeit, nach der die einzelnen Bürger streben und derentwegen sie sich zu einer Gesellschaft zusammengeschlossen haben. Aus dem Begriff der Glückseligkeit fließt demnach der Inhalt des Gemeinwohls, der bei der Interpretation des Staatszweckes berücksichtigt werden muß und letztlich Rechte und Pflichten von Herrscher und Untertanen determiniert. Was die Glückseligkeit des Einzelnen umfaßt, ist dabei wiederum eine Frage der Interpretation und wird bei den verschiedenen Autoren unterschiedlich beantwortet. Kahrel etwa unterteilt Gemeinwohl und Glückseligkeit in zwei hauptsächliche Aspekte, nämlich einerseits die Möglichkeit der Untertanen, das zum Leben Notwendige zu erwerben und andererseits die Aufrechterhaltung von Ruhe und Sicherheit 205 . Allgemeiner drückt sich Brunnquell aus, wenn er sagt: „Zu der Glückseeligkeit gehöret alles dasjenige, was dessen [des Menschen] Daure befördert und sein Leben conserviret" und „die Daure des Menschen Geschlechts wird befördert durch dessen innerliche und eusserliche Ruhe und Frieden" 206 . Eine ausführlichere und strukturiertere Auslegung des Glückseligkeitsbegriffes findet sich etwa bei Scheidemantel. Er arbeitet drei Komponenten heraus, die die angestrebte Glückseligkeit ausmachen und die der Staat gewährleisten muß, will er seinen Zweck erfüllen. Es handelt sich dabei erstens um „bürgerliche Sicherheit" nämlich „derjenige Zustand, vermöge dessen der Staat und seine einzelnen Mitglieder mit Wahrscheinlichkeit nichts Böses zu befiirchten habenzweitens um die „Bequemlichkeitdie 204

„... esse societatem, eo initam fine , ut communis salus felicitasve, conjunctis viribus, promoveatur" (Kahrel, Jus Publicum Universale, S. 8). Ebenso Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis, S. 39: „ Civitas est societas perfecta, cum debita Imperantium et parentium subordinatione, propter civilem beatitudinem coadunataVgl. auch Svarez' formelhaft umschriebenen Staatszweck, „die gemeinschaftliche Glückseligkeit zu erhalten und zu befördern " (Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 291 v.) oder Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, S. 30: „Die Absicht der Staaten ist die Beförderung der Glückseligkeit aller Mitgliederbzw. Justi, Natur und Wesen der Staaten, S. 45: „Dieser Endzweck kann kein andrer seyn als das allgemeine Beste, die Wohlfahrt aller und jeder Familien, die sich solchergestalt miteinander vereinigen, kurz, die gemeinschaftliche Glückseligkeit des gesammten Staats 205 „Cernitur autem haec salus ac bonum publicum in duabus inprimis rebus, primum in perceptione eorum, quae ad vitae necessitatem, commoditatem, jucunditatemque requiruntur; ac in usu subsidiorum felicitatis, deinde in tranquilitate ac securitate publica " (Kahrel, Jus Publicum Universale, S. 8). 206 Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 15.

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4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

„uns die Bewirkung unserer Vorhaben" erleichtert und drittens um den „Nahrungsstand", durch den der „Erwerb der Dinge, die wir zu unserem Unterhalt nötig haben" befördert w i r d 2 0 7 . Angedeutet bereits in dieser Begrifflichkeit von „Nahrungsstand" und „Bequemlichkeitnoch ausgeprägter jedoch bei jüngeren Autoren, fließt in den Glückseligkeitsbegriff später zusätzlich ein weiteres Kriterium ein, das an den aus dem anglo-amerikanischen Gedanken des „personal pursuit of happiness" angelehnt zu sein scheint und dementsprechend den Staat gewissermaßen zur Schaffung und Erhaltung der Möglichkeit des Einzelnen, sein individuelles Aus- und Fortkommen zu sichern und „sein Glück zu machen", bzw. etwaige Hindernisse hierfür auszuräumen, verpflichten soll. So befindet Martini in seinem „Allgemeinen Recht der Staaten" von 1788: „Die ganze äussere Glückseligkeit aber besteht in einem ununterbrochenen Fortgange zu grössern Vollkommenheiten; welche gerade durch Unsicherheit, wo man seine Güter der Seele, des Leibes und des äussern Zustandes nicht einmal bewahren, vielweniger dieselben vermehren kann, am meisten gehemmet wird" 2 0 8 . Fredersdorff führt dazu um das Jahr 1790 aus: „Die gesetzgebende Macht bestimmt durch die Gesetze die Mittel, die zur Erhaltung der einzelnen nothwendigen Zwecke, welche die Summe der Menschenwohlfahrt ausmachen, nöthig sind. Hiedurch wird jedes einzelne Glied der Gesellschaft in den Stand gesetzt, sein individuelles Wohl sich zu verschaffen" 209 und Eggers sagt etwa zur gleichen Zeit: „Da in dem Wohl aller Mitglieder des Staats das Wohl jedes einzelnen enthalten ist, so handelt jeder Bürger der Absicht des Staats vollkommen gemäß, wenn er

207 Scheidemantel, Das Allgemeinen Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 31. Noch weitergehend, offensichtlich mit christlich-katholischem Missionseifer „äußere" und „innere" Glückseligkeit trennend, wobei letztere bestehen soll in der Möglichkeit, „Gottes Wahrheit zu erkennen", Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis, S. 40: „Itaque finis civitatis est partim beatitudo externa, in abundantia bonorum temporalium, pace et tranquilitate, securitate vitae, praesidio et protectione sita; partim et principaiter beatitudo interna, in actione virtutis, honestate, et justitia posita, conformiter effato Apostolico ... jubenti fieri obsecrationes pro Regibus et omnibus , qui in sublimate sint, ut quietam et tranquillam viatm agamus in omni pietate et castitate; addita ratione: hoc enim bonum est, et acceptum coram Salvatore nostro DEO, qui omnes homines vult salvos fieri et ad agnitionem veritatis venire 208 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 5. Ganz ähnlich auch Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 289 v.: „Jeder Mensch nämlich ist von Natur berechtigt, alles zu tun, was seine Glückseligkeit erhält und befördert; er hat die vollkommendste Freiheit, die Kräfte seines Körpers, die Fähigkeiten seines Geistes, zu bilden, z üben und durch den Gebrauch derselben die Summe seiner physischen und moralischen Güter beständig zu vermehren 209 Fredersdorfs'f, System des Rechts der Natur, S. 453.

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sein eignes Wohl befördert, selbst wenn ein andrer Bürger darunter leiden sollte; denn dies gehört zu den natürlichen Gerechtsamen des Bürgers" 210. Vereinzelt kann dies dann, konsequent weiterverfolgt, sogar zu einer modern gesprochen - Schaffung und Begründung von Individualgrundrechten bzw. Individualgrundrechtsschutz führen, wenn etwa, erinnernd an Art. 12 des heutigen deutschen Grundgesetzes, für ein Recht auf Chancengleichheit bei der Berufsausübung mit folgender Argumentation plädiert wird: „Was aber die Ungerechtigkeit der Monopolien am auffallendsten darstellt, ist die Betrachtung, daß dergleichen Gesetz jedem Einwohner des Staats zugunsten des Monopolisten einen Weg verschließt, auf welchem er seinen Unterhalt hätte erwerben und seinen Wohlstand befördern können. Dies ist ein unmittelbarer Eingriff in das natürliche Recht eines jeden Menschen, seine Fähigkeiten und Kräfte zur Beförderung seines Wohls ohne Beleidigung andrer frei anwenden zu dürfen" 211 . Aufbauend auf diesem Verständnis vom Staatszweck werden dann zum Teil auch eine ganze Reihe weitgehender praktischer Pflichten des Staates postuliert. Darunter fallen nicht nur solche, die wir heute etwa als die Pflicht zum Aufbau einer ausreichenden Infrastruktur bezeichnen, sondern sogar solche, die wir unter den Begriff der Daseinsvorsorge oder des Sozialstaatsgedankens212 fassen würden. Danach muß die Regierung etwa die allgemeine Sicherheit und den allgemeinen Wohlstand befördern und dazu bestimmte „Anstalten machenunter anderem die „ Wegräumung aller der Gesundheit und dem Leben nachtheiligen Dinge" und „gute Anstalten den Nothleidenden zu helfen" oder darauf sehen, „daß alle Arten von Gewerbe auf den höchsten Grad der Vollkommenheit gebracht" werden 2 1 3 . Dabei ist aber zu beachten, daß es sich bei diesen erst relativ spät in die Diskussion im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts aufgenommenen, aus dem Staatszweck der Herstellung der größtmöglichen Glückseligkeit der Mitglieder des Staates abgeleiteten staatlichen Leistungspflichten, lediglich um gewissermaßen sekundäre handelt, während der ursprüngliche Gedanke der Verrechtlichung der Verhältnisse im Staat und zwischen höchster Gewalt und Untertanen, des Ausgleichs zwischen persönlicher, natürlicher Freiheit des Einzelnen und staatlicher Machtausübung, immer vorherrschend bleibt. Vor diesem Hintergrund ist auch die berühmte Kontroverse zwischen Johann Georg Schlosser und Ernst Ferdinand Klein aus den 210

Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts,

S. 31. 211

212 213

Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 309, 309 v. Näheres zum Wohlfahrtsaspekt des Allgemeinen Staatsrechts siehe infra. Fredersdorf?,\ System des Rechts der Natur, S. 456f., 463.

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4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

Jahren 1789 und 1790 zum Allgemeinwohlbegriff zu verstehen, in deren Verlauf sich Schlosser zu der auch oben bereits angedeuteten Gefahr äußert, daß mittels des auslegungsbedürftigen Allgemeinwohlbegriffs, insbesondere unter dem Leistungsaspekt, jegliche Eingriffe staatlicherseits in die bürgerlichen Freiheits- und Eigentumsrechte gerechtfertigt werden könnten 2 1 4 . Dem widerspricht Klein, indem er die Emphase des Gemeinwohlbegriffs auf die Freiheitssicherung legt, etwa wenn er sagt: „Meines Erachtens ist der Grundsatz der möglichsten Freiheit die Hauptregel, nach welcher sowohl das, was Recht, als das, was Gut ist, beurtheilt werden muß. ... Ein Staat ist glücklich, wenn er aus Menschen besteht, welche ungehindert nach ihrer eigenen Überzeugung handeln, und der Zwang, der darin Statt findet, muß nur gebraucht werden, um diejenigen einzuschränken, welche gewaltthätige Eingriffe in die Freiheit anderer wagen" 1 5 . Weitergehende Freiheitsbeschränkungen seien dagegen lediglich ein Mißbrauch des Allgemeinwohlbegriffes 216 . Auf den Punkt bringt dies insbesondere wiederum auch Svarez, der sich ebenfalls intensiv mit diesem - zu der Zeit offenbar vieldiskutierten - Problem beschäftigt und in einem etwa gleichzeitig mit seiner Arbeit an den Kronprinzenvorträgen hierzu vor der Berliner Mittwochsgesellschaft gehaltenen und zur Diskussion gestellten Vortrag aus dem Jahre 1791 „Über den Zweck des Staats" 217 erklärt: „Ich gebe auch gern zu, daß Sicherheit der Person und des Eigentums der erste und nächste Zweck der Staatsverbindungen sein möge", während der weitergehende Leistungsaspekt nur dann durch den ursprünglichen Staatszweck gedeckt sein soll, 214

Schlosser, Johann Georg, Briefe über die Gesetzgebung überhaupt, und den Entwurf des preussischen Gesetzbuchs insbesondere, Frankfurt/Main 1789, Erstes Schreiben, S. 3Iff. Zur Kritik Schlossers im einzelnen s. auch infra. 215 Klein, Ernst Ferdinand, Annalen der Preußischen Gesetzgebung, in: Schlosser, Johann Georg, Fünfter Brief über den Entwurf des Preussischen Gesetzbuchs insbesondere über dessen Apologie in den Annalen der preussischen Gesetzgebung, Frankfurt/Main 1790, S. 18 f. 216 „Alles, was Herr Schlosser gegen die Idee des gemeinen Wohls vorträgt beruhet auf dem Misbrauche derselben. ... Die zu weit ausgedehnte Mach der Fürsten scheint mir immer noch daher zu kommen, daß man zu viel von dem landesherrlichen Interesse und zu wenig von dem gemeinen Wohl spricht " (Klein, Annalen der Preußischen Gesetzgebung, S. 12 f.). 217 Svarez, Carl Gottlieb, Über den Zweck des Staats, Berlin 1791, in: Conrad, Hermann/Kleinheyer, Gerd (Hrsg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), Köln 1961, S. 639 ff. Daß überhaupt das Allgemeine Staatsrecht auch im Rahmen der Mittwochsgesellschaft eine wichtige Rolle gespielt hat und dort widerholt diskutiert worden sein muß, ergibt sich im übrigen auch schon aus dem einleitenden Satz dieses Vortrages: „Materien aus dem Allgemeinen Staatsrecht sind schon seit einiger Zeit der Gegenstand unserer gesellschaftlichen Unterhaltungen gewesen " (Svarez, Über den Zweck des Staats, S. 639).

IV. Das Allgemeine Staatsrecht als ungeschriebene Rechtsordnung

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„wenn man das Seinige, wobei ein jeder durch den Staat geschützt werden soll, im weitläufigsten Sinne nimmt, in welchem auch der freie Gebrauch und die Ausbildung der Kräfte und Fähigkeiten eines jeden, so wie er solches zum Zweck seiner Glückseligkeit oder Vollkommenheit nach seiner eigenen Einsicht und Überzeugung für gut befindet, darunter mitbegriffen ist". Konkret kommt er insoweit zu dem Ergebnis, daß der Staat unter Rückgriff auf den Staatszweck dann unter anderem dazu berechtigt sei, etwa „ Unterrichts- und Erziehungsanstalten und überhaupt alles, was zur Beförderung wahrer Aufklärung gereichtaus den für eine entsprechende Verwendung eingetriebenen Steuermitteln einzurichten 218 .

IV. Das Allgemeine Staatsrecht als ungeschriebene Rechtsordnung Die Staatsvertragslehre, unter Zugrundelegung der Lehre von der allgemeinen Rechtsfähigkeit und den subjektiven individuellen Freiheitsrechten, machte jedenfalls die Wissenschaft des Allgemeinen Staatsrechts erst mögl i c h 2 1 9 , dessen Konzeption ausnahmslos auf ihr aufbaut, da alle von ihm postulierten Verpflichtungen von Herrscher und Untertan letzten Endes auf sie zurückgehen. Die Einführung der allgemeinen Rechtsfähigkeit, der individuellen Freiheitsrechte und der darauf aufbauenden Staatsvertragstheorie hatte nämlich naturgemäß konkrete Folgen auf die Rechtmäßigkeit der Handlungen der höchsten Gewalt. So wurde bereits von Zeitgenossen vereinzelt die - keinesfalls unumstrittene - Schlußfolgerung gezogen, daß der Fürst auch den einfachen Landesgesetzen selbst unterworfen sei, denn: „Der Herrscher ist aus der Mitte seiner MitBürger genommen, und bleibt auch nachher Bürger; ist selbst sowol den alten Natur-, als den neuen positiv-Gesetzen, und hätte er solche auch auf Auftrag ganz allein gemacht, unterworfen" 220. Eine bis heute nachwirkende Folge ist die - bereits angesprochene - Erarbeitung des modernen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der - grundsätzlich - auf den Gedanken der allgemeinen Freiheit zurückgeht und 218

Svarez, Über den Zweck des Staats, S. 640, 643. In diesem Zusammenhang nimmt Svarez auch die Rechtmäßigkeit weitergehender staatlicher Maßnahmen und Gesetze zur Förderung des Wohles Einzelner auf Kosten der Allgemeinheit an, wenn „sie nur sonst mit Weisheit und Mäßigung abgefaßt sind", da sie „ungemein viel dazu beitragen, den Wohlstand eines Staats zu befördern und die Summe der bürgerlichen Glückseligkeit zu vermehrenauch wenn er zugibt, daß „wir doch [hierzu] nach dem Rechte der Natur keineswegs gezwungen werden können " und er auch insgesamt die nähere dogmatische Begründung, etwa aus der Staatsvertragsund Staatszwecklehre, für diese Annahme schuldig bleibt (Svarez, Über den Zweck des Staats, S. 642). 219 Hoffmann , Zur Lehre vom Naturzustand, S. 29 nennt sie „das entscheidende Kriterium des Rechts neuzeitlicher Gemeinwesen". 220 Schlözer, Allgemeines StatsRecht und StatsVerfassungsLere, S. 96.

1 7 0 4 . Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts darauf, daß, wie Kant es ausdrückt, das Recht „ der Inbegriff der Bedingungen [ist], unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann" 221. Für die Materie des Allgemeinen Staatsrechts bedeutete dies, daß die staatlichen Einschränkungen der persönlichen Freiheit, getreu dem in diesem Zusammenhang aufkommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, im Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck gesehen und an diesem - insbesondere im Hinblick auf deren im heutigen Sprachgebrauch so genannten „Erforderlichkeit" - gemessen werden sollte. So wird beispielsweise hinsichtlich der Gesetzgebung gesagt: „Das zweyte wesentliche Erfordernis eines Gesetzes ist, daß es die natürliche Freyheit nur so weit einschränke, als die Nothwendigkeit es erfordert; daß es unter mehren Arten der Einschränkung die leichteste ... wähle" 222 . Bei Johann Stephan Pütter klingt darüber hinaus mit dem zusätzlichen Abstellen auf „die Gebühr" sogar das von der heutigen Doktrin der Verhältnismäßigkeit geforderte Element der „Angemessenheit" an, wenn er erklärt: „So lange es also irgend möglich ist, den Zweck der gemeinen Wohlfahrt ohne, oder doch mit einer geringem Einschränkung der natürlichen Freyheit zu erhalten: so ist es unrecht, diese ohne Noth oder über die Gebühr einzuschränken"223. Insoweit kann man das Allgemeine Staatsrecht durchaus als den Versuch der Erstellung einer ungeschriebenen Rechtsordnung oder sogar eines ungeschriebenen Verfassungsrechts des absolutistischen Staates bezeichnen. Dieser Charakter des Allgemeinen Staatsrechts als ungeschriebene Rechtsordnung, bzw. als ungeschriebenes Verfassungsrecht äußert sich auch, wie schon bei Huber mit großer Deutlichkeit vertreten, im absoluten Vorrang der Rechtmäßigkeitsgesichtspunkte vor der Staatsraison 224 . Die Staatsraison darf nur befolgt werden, wenn sie dem Recht nicht widerspricht. Durch das Allgemeine Staatsrecht wird somit auch die Sicherheit der objektiven staatlichen Rechtsordnung geschützt. Sieht man nämlich den Vorrang des Rechts vor der Staatsraison selbst als einen Rechtssatz des All221

Kant, Metaphysik der Sitten, S. 33. Fredersdorf, System des Rechts der Natur, S. 173. 223 Pütter, Johann Stephan, Beyträge zum Teutschen Staats- und Fürstenrechte, Teil 1, 1777, S. 354. Vgl. auch Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 379 r.: „Das was einzelne Bürger bey solchen Aufopferungen verlieren, darf nie das übersteigen, was der Staat dabey gewinnen kann". 224 Der Monarch dürfe die Staatsräson nur befolgen, wenn sie mit den Grundsätzen des Rechts vereinbar sei, ansonsten sei sie von großem Übel, vgl z.B. Kahrel, Jus Publicum Universale, S. 120 („Itaque horrendem illam pestiferamque hydram comprimere debet, falsam nimirum rationem imperii sive status, neque ullam aliam spectarì, nisi quae cum justitia est conjuncta ")· 222

V. Rechtsfolge und Sanktion von Rechtsverletzungen

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gemeinen Staatsrechts an, so darf aus Nützlichkeitserwägungen auch nicht gegen einfach- bzw. positiv-rechtliche Vorschriften verstoßen werden 2 2 5 , was einer Art Rechtsstaatsgebot gleichkommt. Ebensowenig ist ein Konflikt zwischen speziellen Allgemeinwohlerwägungen und Allgemeinem Staatsrecht denkbar, da das Allgemeinwohl als normatives Element dem Allgemeinen Staatsrecht inhärent i s t 2 2 6 . Überhaupt wird nämlich offenbar von der Vorstellung ausgegangen, daß nur das rechtmäßige Herrschaftshandeln auch das Gemeinwohl fördert und deshalb auch für den Staat am zweckmäßigsten ist. Dies verdeutlicht etwa Oertel in differenzierter Weise, wenn er von den Zielen des Allgemeinen Staatsrechts handelt. Das Nahziel sei, die Anwendung der Regeln des Allgemeinen Staatsrechts auf die Umstände, für die i m Staat Gesetze erlassen würden oder i m zwischenstaatlichen Bereich, wo kein positives öffentliches Recht existiere, sicherzustellen, das mittelfristige Ziel, daß Gerechtigkeit walte bei der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten, das Fernziel aber das Wohl des Staates 227 .

V. Rechtsfolge und Sanktion von Rechtsverletzungen Untermauert wird der normative Geltungsanspruch des Allgemeinen Staatsrechts dadurch, daß ein Verstoß gegen seine Gebote, in den Augen der Autoren des Allgemeinen Staatsrechts also eine Rechtsverletzung, bestimmte Rechtsfolgen auszulösen vermochte, letzten Endes sogar mit einer schweren Sanktion bedroht war. Als Rechtsfolge von nach dem Allgemeinen Staatsrecht rechtswidrigen Handlungen der höchsten Gewalt kam grundsätzlich die Nichtigkeit des gegen das Allgemeine Staatsrecht verstoßenden Aktes in Frage, die „Nullität einzelner Handlungen" 22* wie dies auch regelmäßig angenommen w i r d 2 2 9 , denn 225

Kahrel, Jus Publicum Universale, S. 120, prangert in diesem Zusammenhang zum Beispiel die Aufhebung des Ediktes von Nantes durch Ludwig den XIV. als von der Staatsräson geleitete und gegen das Allgemeine Staatsrecht verstoßende Maßnahme an. 226 Vgl etwa Kahrel, Jus Publicum Universale, S. 74 f. 227 „... finis proximus est, adplicatio legum publicarum universalium ad ea facta, circa quae in republica leges feruntur, vel quae inter gentes occurunt, ubi deficit ius publicum positivum; finis intermedius est iustitiae administratio in negotiis publicis; finis ultimus est salus publicae " (Oertel, Meditationes de Iure Publico Universali, S. 39). 228 Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 145. 229 Vgl. etwa schon Huber, der dies für Handlungen der höchsten Gewalt annimmt, die gegen Fundamentalgesetze verstoßen (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 80, s.o.).

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4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

„niemand hat ein sittliches Vermögen zu dem, was ungerecht ist, und keiner kann aus dem, daß er einen andern beleidiget, ein Recht erhalten; die Handlung ist daher in beiden Fällen gleich ungiltig Noch größeres Gewicht bei der Durchsetzung des Geltungsanspruches, zumindest jedoch für die theoretische Begründung der Rechtsqualität des Allgemeinen Staatsrechts, mußte aber die Androhung der Möglichkeit einer Sanktion im Falle der Nichtbeachtung der sich aus dem Allgemeinen Staatsrecht ergebenden Gebote und Verpflichtungen haben. Dabei handelt es sich in erster Linie um das aus dem Modell der Staatsvertragslehre abgeleitete Widerstandsrecht 231 . Da der Herrschaftsvertrag - wie bereits gesehen - einzig und allein zur Durchsetzung des Staatszweckes geschlossen ist, wird ein Regent, der dem Staatszweck zuwider handelt, vertragsbrüchig und setzt sich ins Unrecht. Die rechtliche Folge davon ist, daß die Untertanen ihrerseits von dem Vertrag frei werden und dem Regenten keinen Gehorsam mehr schulden 232 , ihnen darüber hinaus aber als letzte Konsequenz sogar ein Widerstandsrecht zustehen kann. „Die Nation fällt " nämlich „nun in Beziehung auf den Tirannen in die natürliche Freiheit, in den Zustand der Gleichheit zurück, und dann gilt das Verteidigungsrecht, welches das Naturrecht allen Menschen wider ihren Feind gestattet"233.

230 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 162, ausdrücklich gegen Grotius, für den Fall eines Verstoßes gegen „ Grundgesetze " seitens des Herrschers. 231 Vgl. dazu auch Dilcher, Vom ständischen Herrschafts vertrag zum Verfassungsgesetz, S. 178, der - allerdings wohl für ein ständisch begründetes Widerstandsrecht - ebenfalls davon ausgeht, daß die Tatsache, daß ein Widerstandsrecht einen etwaigen Rechtsbruch sanktioniert, Beweis dafür ist, daß die Möglichkeit des Rechtsbruches im absolutistischen Staat durchaus bestand und demgemäß ein zu brechendes (Verfassungs-) Recht existiert haben und anerkannt gewesen sein muß. 232 „Da man nicht annehmen kann, daß der vernünftige Mensch, um den Beschwerlichkeiten des natürlichen Zustandes zu entgehen, sich einem weit heftigem Feind und größern Mühseligkeiten überlassen haben wollte, daß er auch, weder sich noch der Majestät die wesentlichen Pflichten der Natur und der bürgerlichen Gesellschaft erlassen dürfe, so muß man auch sagen, daß unter gesezten Umständen, und weil die benennte Hypothese, diese Ursach der bürgerlichen Gesellschaft hinwegfällt, die Grundgewalt der Nation in so weit wieder tätig wird, als es notwendig ist, das gemeinschaftliche Wohlsein durch eigene Kräfte zu bewirken " (Scheide mantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 255). Ähnlich bei Svarez z.B. Kronprinzenvorträge, Fol. 119 v. und 292 v., oder, sogar mit Rückgriff auf eine Analogie zu anderen Rechtsinstituten, Justi: „Zu behaupten, daß die Unterthanen beständig ihre Verbindlichkeiten behalten, der Regent mag sich betragen, wie er will, das ist ebenso ungereimt, als der Satz, daß eine Vollmacht nie wiederrufen werden könne, wenn auch der Bevollmächtigte dem Endzwecke der Sache und seinem Auftrage gerade entgegen handelt" (Natur und Wesen der Staaten, S. 239). 233 Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 265.

V. Rechtsfolge und Sanktion von Rechtsverletzungen

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Besonders diesen letzten Schluß hinsichtlich der Möglichkeit eines aktiven Widerstandsrechts ziehen allerdings nicht alle Autoren des Allgemeinen Staatsrechts gleichermaßen ausdrücklich und kompromißlos 234 . Vielmehr werden sowohl auf der Tatbestandsebene wie auch auf der Rechtsfolgenseite stark variierende und abgestufte Meinungen vertreten, die Möglichkeit eines Widerstandsrechts auch teilweise vollständig abgelehnt, etwa mit der ebenfalls auf dem Staatsvertragsmodell beruhenden, rechtsdogmatischen Begründung, daß man „in solchen Fällen" „zur Geduld seine Zuflucht nehmen " müsse, „nicht zwar, als wenn der Regent rechtmässig handelte, sondern wegen der Verbindlichkeit der Unterthanen gegen einander, in so weit sie Gesellschafter, und durch den Vereinigungsvertrag mit einander verbunden sind" 235 . Wenn man auch insgesamt feststellen kann, daß die Art und Weise, mit der die Erörterung des Widerstandsrechts vorgenommen wurde, mit der Zeit an Stringenz und Deutlichkeit zunimmt und etwa in den Jahren vor der Französischen Revolution zum Teil schon beinahe zum Allgemeinplatz geworden war, wird eine etwaige zeitliche Tendenz in dieser Richtung, ein wirkliches, praktikables Recht auf Widerstand expressis verbis zu bejahen, nicht sichtbar. Denn auch in frühen Werken - wie etwa bei Huber (s. o.) finden sich schon erstaunlich klare Worte und Ansichten, wobei allerdings zu beobachten ist, daß bei der Behandlung des Widerstandsrechts - wie dies für das Allgemeine Staatsrecht generell der Fall ist - in besonderem Maße Erwägungen der Staatsraison, bzw. der Opportunität Eingang in die Überlegungen finden. So soll es beispielsweise nach der Auffassung Gribners (aus dem Jahre 1717) insbesondere in den „absoluten Herrschaften" kaum möglich sein, das Vorliegen einer Tyrannei mit Sicherheit festzustellen, denn es komme nicht auf Verdächtigungen, sondern auf die „allerklarsten Beweise " an. Umgekehrt läßt er aber auch keinen Zweifel daran, daß, wenn feststehe, daß es sich um eine Tyrannei handele, man es den Bürgern nicht verbieten könne, „ihr Heil selbst zu verfolgenWiderstand zu leisten und das „Joch der Herrschaft mit Waffengewalt abzuschütteln" 236. Insoweit machen bereits diese Autoren zumindest im Grundsatz 234

Bei Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 120 v., fällt die Warnung verhältnismäßig deutlich aus: „ ... der Despot handelt (a) wider seine Pflicht, (b) wider seine Sicherheit... ". 235 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 151 f. 236 „In absolutis imperiis vix est, ut de tyrannide certo constare possit. Nam, non suspicionibus, sed luculentissimis probationibus opus est. Quod si de ea omnibus constet, saluti suae prospicere cives non prohibentur und „Sicuti autem in primis in absolutis regnis de tyrannide non, nisi difflcillime , ferri potest iudicium, cum civibus in actus ac rationes Imperantis vix liceat inquirere : ita, si tyrannis manifesta sit , populo resistendi iugumque excutiendi potestas denegati nequit ; si modo universam Rempublicam opprimere conetur tyrannus, ac cives in conservanda salute pa-

1 7 4 4 . Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts unmißverständlich deutlich, daß das Volk bei Vorliegen einer Tyrannei was natürlich erst, und zwar nach den Regeln des Allgemeinen Staatsrechts, festgestellt werden m u ß 2 3 7 - gegen den Tyrannen aufstehen darf. Aus diesem Grunde ist auch die bis heute vertretene Unterteilung des Allgemeinen Staatsrechts in eine ältere, den Absolutismus begünstigende und eine Einschränkung von Freiheitsrechten in Kauf nehmende sowie eine spätere, aufgeklärte und tendenziell freiheitssichernde Phase 238 , wie sie sich sinngemäß etwa schon bei Schlözer 239 finden läßt und offenbar die Rezeption des Allgemeinen Staatsrechts in dieser Hinsicht geprägt hat, unscharf und so nicht haltbar. Es kommt für die Stringenz und Konsequenz, mit der die sich aus der Staatsvertragslehre ergebenden rechtlichen Sanktionsmöglichkeiten zu Ende gedacht und formuliert wurden, vielmehr auf Temperament, Charakter und womöglich auch persönliche Umstände der jeweiligen Autoren des Allgemeinen Staatsrechts an, weniger auf den Entstehungszeitpunkt des Werkes selbst, da grundsätzlich die theoretische rechtliche Implikation der Staatsvertragslehre im Allgemeinen Staatsrecht von Anfang an vorhanden und auch gesehen und ausgedrückt worden ist. Inhaltlich sind für die Frage nach dem Vorliegen eines Widerstandsrechts im einzelnen mehrere Problemkreise zu unterscheiden. Zum einen gibt bereits die Unklarheit auf der Tatbestandsseite, nämlich die Feststellung, wann genau der Staatszweck in dem Maße vernachlässigt wird, daß der Vertragsbruch angenommen werden kann, gewisse Spielräume. Ein zweites und besonders schwerwiegendes Problem war die Frage, wer überhaupt dazu berufen und befugt sein sollte, letztinstanzlich über das Vorliegen des das Widerstandsrecht auslösenden Tatbestandes zu entscheiden. Und schließlich herrschte auch eine gewisse Uneinigkeit über die an die Tatbestandserfüllung anknüpfenden Rechtsfolgen, das „Wie" und insbesondere das „Wie weit" des Widerstandsrechts. Das erste große praktische Problem hinsichtlich der Lehre vom Widerstandsrecht ist demnach die Feststellung seines Vorliegens. Insoweit ist als Tendenz festzustellen, daß bei der - theoretischen - Prüfung, ob der Fall des Widerstandsrechts eingetreten ist, im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts ein äußerst restriktiver Maßstab angelegt wird. Huber etwa fordert ausdrücklich, daß für den Inhaber der höchsten Gewalt - auch zur Vermeitriae ulterius, quam necessitas exegit, haud progrediantur" (Gribner, Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV, S. 243). 237 „Der wirkliche Tirann [wird] nicht nach den Privatgesezzen, sondern nach dem Staats- Natur- und Völkerrecht behandelt" (Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 267). 238 Vgl. Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, S. 203 ff., dazu auch näher infra, 4. Kap. Fußn. 288. 239 Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, S. 90 f.

V. Rechtsfolge und Sanktion von Rechtsverletzungen

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dung von im Gegensatz zum nach dem Allgemeinen Staatsrecht rechtmäßigen Widerstand schädlicher und unrechtmäßiger Rebellion - immer die Vermutung sprechen müsse, im Zweifel handle er rechtmäßig 240 . In der Regel wird vertreten, das Volk dürfe - wohl auch aus dem rechtlichen Gesichtspunkt einer gewissen vertraglichen Fürsorge- und Treuepflicht nicht einfach bestimmen, daß der Herrscher zum Tyrannen geworden sei, denn möglicherweise handle es sich bei ihm lediglich um einen schlechten Regenten, aber noch nicht direkt um einen „ F e i n d " 2 4 1 , und auch der Vorwand der „Häresie" und der „Unfrömmigkeit" reiche auf keinen Fall zu einer solchen Einschätzung aus 2 4 2 . Die Untertanen seien so lange nicht von ihrer Gehorsamspflicht befreit, wie der Bestand des Staates noch nicht aufgelöst sei und seine Ordnung noch bestehe 243 , was übrigens i m Grunde die gleiche Auffassung ist, wie sie noch heute i m Zusammenhang mit dem grundgesetzlichen Widerstandsrecht aus Art. 20 Abs. 4 GG allgemein vertreten w i r d 2 4 4 . Eine Tyrannei liege aber dann vor, wenn der rechtmäßig eingesetzte Herrscher seine Macht mißbrauche und die „öffentlichen wie die Privatvermögen der Bürger verprasse und deren Wohl seinen Gelüsten opfere" 245, oder, noch restriktiver im Hinblick auf das Postulat eines Vor240

Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 322. „... die Glückseligkeit des Ganzen, diese Schutzgöttin schwebt über die ganze Versammlung. Wer sie verachtet, ist ein Feind der Gesellschaft, er sey Regent ode Untertan " (Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 254). 242 „Sed voluntatum submissione semel facta imperanti etiam duro, impio, et infìdeli parendum, nec sub praetextu impietatis aut haereseos ei obedientia deneganda" (Böhmer, Introducilo in lus Publicum Universale, S. 592f.). 243 „Notae saepe tales sunt, ut non statim hostem, sed pessime imperantem ostendant. Hinc subditi necessitate obsequendi tamdiu non sunt liberati, quamdiu reipublicae essentia non est intercisa et constat eius compages" (.Buddeus, Institutiones Juris Naturae et Gentium S. 51). 244 Vgl. Maunz, TheodorIDürig, Günther, Kommentar zum Grundgesetz, München, Stand 1994, Art 20 Abs. 4, Randnr. 7 ff., Münch, Ingo v./Kunig, Philip, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 4. Aufl., München 1992, Art. 20, Randnr. 50, Jarass, Hans D./Pieroth, Bodo, Grundgesetz für die Bundesrepuplik Deutschland, 2. Aufl., München 1992, Art. 20, Randnr. 86, Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Klein, Franz, Kommentar zum Grundgesetz, 8. Aufl., Neuwied 1995, Art. 20, Randnr. 22, Model, Otto/ Müller, Klaus, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 11. Aufl., Köln 1996, Art. 20, Randnr. 40. 245 „ Tyranni exercitio dicuntur, qui imperio legitime quaesito in perniciem Reipublicae abutuntur, qui publicas privatasque civium fortunas evertere, eorumque bona ac vitam suae libidini consecrare, salutem Reipublicae susque deque habere, non dubitant. Definitio tyrannorum dijficilis: Exempla passim memorantur, sed pleraque dubia sunt, et incerta. Neque enim qui in unum, vel alterum, civem crudelis exitit, statim tyrannus dici potest. Non in regnis solum, sed in Aristocraticis imperiis, tyranni occurrunt" (Gribner, Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV, S. 242 f.). 241

1 7 6 4 . Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts liegens eines subjektiven tatbestandsausfüllenden Elements in der Person des Tyrannen: „Die wirkliche Tirannei (tirannis realis) ist eine vorsetzliche und tätige Feindschaft der Majestät wider ihre Untertanen. Sie opfert das öffentliche Wolseyn ihren ungerechten Leidenschaften auf, sie unterstützt das Unrecht mit Gewalt" 246 . Dennoch sei die Bestimmung des Tyrannen in der Praxis schwierig und nicht alles was dem einen oder anderen Bürger grausam vorkomme, tatsächlich sofort eine Tyrannei 2 4 7 . Denn je komplexer die Staatsaufgaben und -geschäfte werden, desto schwieriger wird es, zu determinieren, wann ein entsprechender Fall eingetreten ist, der ein Recht zum Widerstand auslöst, oder: „Je zusammengesetzter das Interesse eines Volkes ist, je mehrere Hinsichten sein Wohl erfordert, je verwickelter die mancherley Verhältnisse ... sind, je schwerer wird es zu bestimmen, ob die Einschränkungen der Freyheit gemindert werden können, ob sie eine Härte oder eine Wohlthat sind" 248 . Insofern gilt die bereits angesprochene, schon bei Huber postulierte 249 grundsätzliche Rechtmäßigkeitsvermutung für den Inhaber der höchsten Gewalt: „Wann es zweifelhaft ist, ob eine Handlung des Regenten seinen Pflichten und dem Staatsbesten gemäß sey: so streitet die Vermuthung für ihn, so lange bis das Gegentheil erwiesen wird. Denn jede Handlung wird im Zweifel für pflichtmäßig und nicht pflichtwidrig gehalten, und der Regent ist besser als der Unterthan im Stande zu beurtheilen, ob eine Handlung dem Staatsbesten gemäß oder nicht gemäß ist" 2 5 0 . Zum Teil wird auch eine präzisere Begriffsbestimmung dadurch angestrebt, daß ein Unterschied gemacht wird zwischen Tyrannei und Despotie. Bielfeld etwa versucht, beides in der Weise voneinander abzugrenzen, daß der Tyrann ein Herrscher sein soll, der sich über die bestehenden Fundamentalgesetze hinwegsetze, während der Despot lediglich ein von Gesetzen ungebundener Fürst sei. Bemerkenswert ist dabei, daß er in diesem Zusammenhang erklärt, mit Ausnahme des Ottomanischen Reiches gebe es keine Despotie in Europa 2 5 1 , er damit also impliziert, daß alle Fürsten im sogenannten „absolutistischen" Europa rechtlich in irgendeiner Form, zumindest durch das Allgemeine Staatsrecht, gebunden sind. 246

Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 261. 247 Gribner, Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV, S. 243. 248 Fredersdorf\ System des Rechts der Natur, S. 159. 249 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 322, vgl. 3. Kap. Fußn. 173 bzw. 4. Kap. Fußn. 240. 250 Höpfner, Naturrecht des einzelnen Menschen, der Gesellschaften und der Völker, S. 167. 251 Bielfeld, Lehrbegriff der Staatskunst, S. 45-47.

V. Rechtsfolge und Sanktion von Rechtsverletzungen

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In der Regel werden die Begriffe Despot und Tyrann jedoch nicht streng getrennt und als Bezeichnung für einen rechtswidrigen, dem Allgemeinen Staatsrecht widersprechenden Zustand gewissermaßen synonym verwandt, wobei der Gebrauch von letzterem Begriff vorzuherrschen scheint. Eine gewisse Relativität des Tyrannenbegriffs deutet darüber hinaus beispielsweise Gribner an, wenn er mit Blick auf den auch seiner Meinung nach zur Tyrannei führenden Bruch bestehender Fundamentalgesetze sagt, daß in beschränkten Königreichen vieles schon Tyrannei genannt werde, was in absoluten noch vollkommen rechtens wäre 2 5 2 . Für den Despoten ist es demnach, um in den engeren Begriffskategorien zu bleiben, schwieriger, zum Tyrannen zu werden, als für den durch Fundamentalgesetze eingeschränkten Fürsten. Allerdings muß hierbei beachtet werden, daß grundsätzlich auch der unbeschränkt herrschende Fürst an die ungeschriebenen Rechtssätze des Allgemeinen Staatsrechts gebunden bleibt und deren Übertretung zur Erfüllung des Tatbestandes der Tyrannei ausreicht und die Rechtsfolge des Widerstandsrechts auszulösen vermag. Was den zweiten Aspekt der allgemein-staatsrechtlichen Subsumtion unter den Tyrannenbegriff, nämlich die Entscheidung über das Vorliegen eines Eintrittsfalles des Widerstandsrechts angeht, so herrscht Einigkeit, daß es eine „sehr schwere Frage" sei, festzustellen, wem es zukomme, zu beurteilen, ob der Fürst „gegen die Fundamentalgesetze gesündigt" habe. Dies sei erstmals diskutiert worden vor und nach dem „Königsmord" der Engländer 253 , ein Vorgang, der häufig als Beispielsfall des angewandten Widerstandsrechts gebraucht wird, über dessen Rechtmäßigkeit jedoch Uneinigkeit besteht 254 . Als Lösungsmöglichkeiten kommen mehrere Verfahren in Betracht, die allerdings alle als unbefriedigend empfunden zu werden scheinen. Hier bleiben die Ausführungen bei fast allen Bearbeitern des Allgemeinen Staatsrechts ganz besonders vage, wie etwa die Aussage, „daß einzelne oder ein geringer Teil der Untertanen nicht befugt sind, die Majestät einer Tirannei rechtskräftig zu beschuldigen, es wäre denn, daß ihnen die Regierungsform diese hohe Befugnis unleugbar erteilte", „die ganze Nation, oder der beste Teil derselben" 252

„In limitatis imperiis saepius ad tyrannidem referuntur, quae summo iure fiunt in absolutis" (Gribner, Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV, S. 242 f.). 253 „ Gravissima quaestio , cui competat cognitio causae, si Princeps in leges fundamentales pecasse dicatur, saepius agitata, in primis ante et post regicidium Anglicanum" ( Gribner , Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV, S. 211). 254 Ablehnend z.B. Beck, Christian August, Kern des Natur- und Völkerrechts zum Unterricht eines großen Prinzen entworfen, ca. 1755, in: Conrad, Hermann, Recht und Verfassung des Reiches, S. 297. 12

Schelp

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4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

jedoch durchaus 255 . Probleme bereiten insoweit offenbar nicht nur die Praktikabilität solcher Verfahren, sondern auch der darin liegende Widerspruch zu der Souveränitätsdoktrin, „dann obschon der Regent vor alles, was der gegen Pflicht und Gewissen thut, seiner Zeit Gott Rechenschaft geben muß, so hat er doch hier auf Erden keinen Richter, und wann er auch einen hat, so ist es nur iudex mere arbitrarius vel compromissarius ex lege fundamenti vel alia conventione speciali" 256 . Schon Huber bietet deshalb beispielsweise für die Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung von Fundamentalgesetzen die freiwillige, nicht bindende Unterwerfung beider Parteien unter den Schiedsspruch eines unabhängigen Schiedsrichters a n 2 5 7 . Ein andermal sollen „die Weisen, Gutdenkenden und Einsichtsvollen aus allen Ständen des Volkes ... hier einzig und allein die Richter seyn, nicht die Großen des Volkes, noch auch der große Hauffe desselben"258. Weitere Vorschläge zur Vermeidung eines Krieges sind beispielsweise unter anderem „freundschaftliche Gespräche" oder „das Los oder ähnliche 259 Mittel" . Eine ganze Reihe von - abgestuften - Möglichkeiten zur Konfliktbewältigung, nämlich „ordentliche und außerordentliche, einheimische und auswärtige Schiedsrichter, Ausspruch der ganzen Nation und endlich der Krieg " bietet auch etwa Scheidemantel an, der zugleich anmerkt, daß es sogar Beispiele gebe, „wo große Souverains ihre Streitsachen gutwillig durch die Landesgerichte entscheiden ließen" 260. Nur selten wird daher, wie etwa in einem Spätwerk des Allgemeinen Staatsrechts, bei Eggers, in so selbstverständlicher und gewissermaßen ruhiger Weise einfach festgestellt: „Die Absetzung des Regenten muß förmlich geschehen, d. i. in einer Nationalversammlung durch die Mehrheit der Stimmen, welche entweder ausdrücklich oder stillschweigend gegeben werden. Man muß sie dem bisherigen Regenten kund machen, und will er die Regierung nicht niederlegen, so hat die Nation gegen ihn alle Gerechtsame des Beleidigten gegen den Beleidiger , . . " 2 6 1 . 255 Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 267. 256 Kreittmayr, Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechts, S. 63. 257 s.o. 3. Kap. Fußn. 91. 258 Fredersdorf?, System des Rechts der Natur, S. 525. 259 „... nullum aliud remedium superit quam helium, si per amicum Colloquium, arbitros, sortem vel similia media arma vitari nequeant" (Vittriarius, Oratio de Usu Juris Publici Universalis, S. 24). 260 Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 431. 261 Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, S. 222.

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Als weiteres Problem der Praktikabilität des Widerstandsrechts wird jedoch gemeinhin angesehen, daß, wenn man dem ganzen Volk oder einer Versammlung von Edlen die Macht zuspreche, über eine solche Sache zu entscheiden, dies leicht zu Bürgerkriegen und Sezessionen führe. Wo die Stände mit dem Fürsten zusammenarbeiteten in Versammlungen und sie ein Recht hätten, sich mit den Staatsgeschäften selbst zu beschäftigen, sei es dagegen leichter festzustellen, ob ein Gesetzesverstoß vorliege. Auf jeden Fall dürfe ein Fürst nur dann von der Herrschaft entfernt werden, wenn seine Tyranneneigenschaft unzweifelhaft feststehe 262 . Insoweit jedoch als denkbarer Weg der Konfliktbewältigung die vorgeschlagenen Verhandlungen zwischen den Ständen oder anderen gesellschaftlichen Repräsentativorganen und dem Inhaber der höchsten Gewalt über den Inhalt der durch den Staatsvertrag festgeschriebenen Fundamentalgesetze in Betracht kommen, darf nicht übersehen werden, daß diese - gerade mit Blick auf die Vertragsschlußhypothese - naturgemäß immer unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit der Unterwerfung beider Teile, also auch und besonders des Souveräns, unter ein solches Vertragsstatut stehen. Man kommt für diesen Lösungsvorschlag also stets zu dem Ergebnis, daß der Inhaber der höchsten Gewalt letzten Endes nicht - jedenfalls nicht rechtlich, sondern allenfalls tatsächlich - zu der Annahme einer bestimmten, als nach dem Allgemeinen Staatsrecht rechtmäßig postulierten, Entscheidung gezwungen werden kann. Dagegen denkt an die Möglichkeit einer Gerichtsentscheidung seitens einer unabhängigen Judikative, der sich der Regent unterordnen müßte, im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts offensichtlich zunächst niemand. Der Gedanke des „judicial review" manifestiert sich vielmehr erstmals in Amerika, nämlich in etlichen Entscheidungen der höchsten Gerichte einzelner amerikanischer Staaten zwischen 1776 und 1787 2 6 3 . Dabei hätte es gerade 262 „Universus populus si conventibus et comitiorum in iure primis destituatur, vix potent de violatis legibus fundamentalibus queri, aut cognoscere: Facile in seditiones et bella civilia erumpunt cives, si ipsis cognitio de factis Principis relinquatur. Ubi ordines in conventibus cum Principe agendi, inque res ab eo gestas inquirendi potestam habent, quae in dubio ipsis neutiquam competit, facilius de violatis legibus ferri potest iudicium (hier bezieht er sich auf Huber). Nunquam tarnen Princeps, nisi cognita causa, etiamsi lex adsit commissoria, regno privati debet " (Gribner, Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV, S. 21 If.). 263 Nicht erst in der berühmten Entscheidung Marbury v. Madison aus dem Jahre 1803 (so aber Lauf er, Heinz, Verfassungsgerichtsbarkeit und politischer Prozeß, Tübingen 1962, S. 504f.), vgl. Stourzh, Gerald, Vom Widerstandsrecht zur Verfassungsgerichtsbarkeit: Zum Problem der Verfassungswidrigkeit im 18. Jahrhundert, Graz 1974, S. 6, 20, 29 m. w.N., Heideking, Jürgen, The Law of Nature and Natural Rights. Die Positivierung von Naturrecht im Amerika des ausgehenden 18. Jahrhunderts, in: Dann, Otto/Klippel, Diethelm (Hrsg.), Naturrecht - Spätaufklärung - Revolution, Hamburg 1995, S. 48-60, (53 und 58). 12*

1 8 0 4 . Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts in Deutschland wegen der Existenz des Reichskammergerichtes und der über den Reichsständen stehenden Instanz des Kaisers besonders nahegelegen, eine solche Kompetenz wenigstens theoretisch anzunehmen 264 . Daß dies von den Bearbeitern des Allgemeinen Staatsrechts nicht getan wird, läßt sich nur so erklären, daß sie zu sehr dem Gedanken an die Souveränität der höchsten Gewalt verpflichtet waren, um die Möglichkeit eines Richtspruchs über diese höchste Gewalt anerkennen oder gar fordern zu können, bzw. vom Konzept einer Einheit der Souveränität in der Hand des Herrschers nicht zugunsten einer Gewaltenteilung mit Unterwerfung unter die Rechtsprechung abrücken wollten. Die gewisse Hilflosigkeit, mit der sie diesem Problem begegneten, läßt sich anschaulich mit der vom kaiserlichen Prinzenerzieher und Wiener Staatsrechtslehrer 265 Christian August v. Beck vorgetragenen Formel illustrieren, nach der es zur Feststellung des Eintritts des Falles eines Bruches der „Grund-Gesetze" oder Kapitulationen durch die höchste Gewalt „keines richterlichen Ausspruches" bedürfe. Die vorgenommene Handlung sei nämlich „an und für sich selbst schon ungültig da „der Regent durch seine Zusage sich selbst das Urteil gesprochen" habe 2 6 6 . Daß damit die Frage, wer darüber entscheidet, ob ein Fall des Verstoßes gegen die entsprechenden Grundgesetze bzw. Kapitulationen auch tatsächlich vorliegt, immer noch nicht beantwortet ist, wird dabei - möglicherweise absichtlich - übersehen. Andererseits spricht auch viel für die Annahme, daß eine Verfassungsgerichtsbarkeit, insbesondere ein Messen von Handlungen der legislativen Gewalt an Verfassungsprinzipien, erst mit dem Vorhandensein einer geschriebenen Verfassung aufkommen konnte, wie das amerikanische Beispiel verdeutlicht. Gerade dieses Problem der Justiziabilität wird teilweise auch verknüpft mit der dritten Prüfungs- und Diskussionsebene, der Frage nach den durch eine tatbestandliche Feststellung und Bejahung eines Widerstandsrechts ausgelösten Rechtsfolgen, insoweit nämlich, unter konsequentem Rückgriff auf 264

Ansätze dazu - sogar unter ausdrücklichem Rückgriff seitens des Reichskammergerichts auf das Allgemeine Staatsrecht - sind allerdings vorhanden, insoweit das Reichskammergericht eine Art verfassungsgerichtliche, den Grundsätzen des Allgemeinen Staatsrechts verpflichtete Rolle eingenommen haben und Eingriffe in die Rechtssphäre des Bürgers vielfach unter Berufung auf die natürliche Freiheit und das Allgemeine Staatsrecht aufgehoben haben soll (vgl. Würtenberger, Thomas, Verfassungsrechtliche Streitigkeiten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Klein, Eckart (Hrsg.), Grundrechte, soziale Ordnung und Verfassungsgerichtsbarkeit, Festschrift für Ernst Benda zum 70. Geburtstag, Heidelberg 1995, S. 443 ff., S. 452, 455). 265 An der theresianischen Ritterakademie. Später wurde Beck „Hofrath und Geheimder Reichs-Hof-Raths-Referendarius" und in den Reichsfreiherrenstand erhoben (vgl. Weidlich, Christoph, Biographische Nachrichten von den jetztlebenden Rechtsgelehrten in Teutschland, Halle 1781). 266 Beck, Christian August, Kern des Natur- und Völkerrechts, S. 297.

V. Rechtsfolge und Sanktion von Rechtsverletzungen

181

die Staatsvertragsdogmatik, ein Rückfall der Vertragsparteien in den ursprünglichen Naturzustand angenommen wird, etwa wenn es heißt: „Weil man keinen gemeinschaftlichen Richter hat, der eine gehörige Macht besitzet; und die Obrigkeit sowohl, als die Unterthanen, wieder in den natürlichen Stand treten: so setzet die auf der einen Seite gemisbrauchte Macht beyde in den Stand des Krieges, und das Volk hat die Freyheit, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, und die Mittel zu ergreifen, wodurch es sich wider alle Feinde der Gesellschaft in Sicherheit setzet", allerdings mit der Einschränkung: „nur muß es nicht weiter darinn gehen, als das Vertheidigungsrecht es erlaubet" 2 6 7 . Schon diese letzte Einschränkung zeigt aber auch, daß es, was die Intensität des Widerstandsrechtes angeht, eine Vielfalt von unterschiedlichen, zumeist vermittelnden und - relativ zu absolutistischen auf der einen und sogenannten „monarchomachischen" Extrempositionen auf der anderen Seite - ausgewogenen Meinungen gibt, wie etwa, daß eine Unterscheidung getroffen wird zwischen „ Widersetzlichkeit" und bloßem „ Ungehorsam also zumindest ein gewissermaßen passives Widerstandsrecht mangels Rechtsverbindlichkeit der rechtswidrigen Befehle etc. der höchsten Gewalt anerkannt w i r d 2 6 8 , oder eine Abfolge von Sanktionsmöglichkeiten nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, „Grade der Verteidigungangenommen werden, nämlich beispielsweise daß „ Vorstellungen, Schiedsrichter, Mitregiment, oder wie die Russische Instruktion sagt, Vormundschaft" „den gewaltsamen Mitteln und unter diesen die Aufkündigung des Gehorsams, der Gefängnis und Tod vorgezogen werden" müssen 269 . Bisweilen wird auch, unter Ausschluß eines aktiven Widerstandsrechts, lediglich ein Recht der Untertanen auf Auswanderung angenommen 270 . Andererseits wird aber oft auch unmißverständlich deutlich gemacht, daß „zu den Mitteln, welcher sich das Volk alsdann bedienen darf, um den Staat wider die offenbare Gewalt des Regenten zu sichern„im Nothfall" auch „Waffen" gehören und: „Widersetzt sich der Regent, so entsteht ein bürgerlicher Krieg", was dann sogar so weit gehen kann, daß rechtliche Ausführung über die Verteilung 267

Johannsson (Montin), Die bürgerliche Regierung nach ihrem Ursprung und Wesen betrachtet, S. 19. 268 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 152, mit der Begründung: „Die Sicherheit wird genug gehandhabt, wenn ihm Niemand beisteht, wenn ihm alle in unerlaubten Dingen den Gehorsam versagen" (S. 155). 269 Scheidemantel, Das Allgemeinen Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 207. 270 Vgl. etwa Böhmer, Introductio in lus Publicum Universale, S. 602: „obligatio tarn arcta ad parendum, non aufert singulis, libertatem emigrandi et pristinas sedes derelinquendi ...".

1 8 2 4 . Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts und Tragung der „Kosten gemacht werden 2 7 1 .

eines rechtmäßigen

bürgerlichen

Kriegs"

Das Widerstandsrecht ist im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts also ganz eindeutig eine rechtliche und, mit gewissen Einschränkungen, auch eine tatsächliche Option, wenn auch als ultima ratio. Die Argumente dagegen sind in der Regel, abgesehen von dem genannten rechtsdogmatischen Ansatz der Stillhalteverpflichtung der Untertanen gegeneinander aus dem Gesellschaftsvertrag, der insoweit eine Ausnahme bildet, rein praktischer, nicht juristischer Natur, wie die Beweisbarkeit und rechtsverbindliche Feststellbarkeit des Vorliegens einer Tyrannei und die Gefahr des Bürgerkrieges. An der Rechtslage selbst ändert dies jedoch nichts. Insoweit sind für die juristische Subsumtion im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts bezogen auf das Widerstandsrecht hier im Ergebnis mehrere Ebenen zu beobachten. Erstens postuliert das Allgemeine Staatsrecht, daß der Fall des Widerstandsrechts eintritt, wenn der Fürst die bestehenden positiven Fundamentalgesetze bricht und begründet dies. Zweitens stellt es auch selbst Normen auf, die vom Herrscher zu beachten sind und deren Mißachtung dem Allgemeinen Staatsrecht gemäß den Eintritt des Widerstandsrechts nach sich zu ziehen in der Lage ist. Drittens bestimmt das Allgemeine Staatsrecht - wenn auch zum Teil unklar und widersprüchlich - Art und Verfahren der Determinierung des Vorliegens des die Rechtsfolge des Widerstandsrechts auslösenden Tatbestandes. Jene Rechtsfolge wiederum wird schließlich ebenfalls durch das Allgemeine Staatsrecht erarbeitet, begründet und legitimiert. Charakteristisch für das Allgemeine Staatsrecht ist in diesem Zusammenhang auch, daß sich die angebotenen Lösungsansätze vorwiegend innerhalb der bestehenden Rechtsordnung bewegen. Denn selbst wenn Gerichte, bzw. Schiedsgerichte oder ähnliche Einrichtungen, einzelne Akte des Fürsten für unrechtmäßig, weil dem Allgemeinen Staatsrecht zuwiderlaufend, erklären könnten oder Verfassungskonflikte auf dem Verhandlungswege beigelegt würden, wäre damit noch nicht das Problem gelöst, wie in der Praxis zu verfahren ist, wenn die bestehende Rechtsordnung durch ein Abgleiten der Herrschaft in eine Tyrannei quasi nihiliert wird und wer dann befugt ist, das tatbestandliche Vorliegen einer Tyrannei rechtsverbindlich festzustellen. Insofern überschattet die Frage des „Quis iudicabit" die gesamte Diskussion um das Widerstandsrecht und relativiert gleichzeitig zu einem erheblichen Grad dessen praktische Bedeutsamkeit 272 . Wenn im Ernstfall nämlich 271

Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, S. 220f. 272 So sagt etwa Kreittmayr auch: „die Quästion, ob man einem Tyrann, oder seinen Befehlshabern widerstehen möge, ist mehr speculativ als practisch" (Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechts, S. 69).

V. Rechtsfolge und Sanktion von Rechtsverletzungen

183

unklar bleibt, wer darüber zu entscheiden hat und verbindlich feststellen kann, daß der Regent sich in dem Maße außerhalb der Rechtsordnung begeben hat, daß er zum Tyrannen geworden und ein Fall des legitimen Widerstands eingetreten ist, bleibt das theoretisch zugestandene Widerstandsrecht in der Praxis nur schwer durchsetzbar. Die Lösung dieses Problems bleibt das Allgemeine Staatsrecht schuldig. Es vermag es nicht, die Antinomie aufzuheben zwischen der Souveränität der höchsten Gewalt einerseits und der Notwendigkeit der Rechtmäßigkeitskontrolle ihrer Handlungen andererseits und damit die „Grenzsituation des Widerstandes in die Normalität eines Verfahrens" zu überführen 273 . W i l l man also nicht auf einen - potentiell rechtswidrigen - Bürgerkrieg ausweichen, muß man sich im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung halten und sich mit etwaigen einzelnen Rechtsbrüchen des Herrschers abfinden und diese erdulden. Durch die grundsätzliche Rechtmäßigkeitsvermutung für das Handeln des Inhabers der höchsten Gewalt entsteht die aus heutigem rechtsstaatlichen Verständnis paradoxe Situation, daß in der Praxis letztendlich über eine Verletzung der durch das Allgemeine Staatsrecht postulierten Rechtspflichten in der Regel der entscheidet, an den sich diese Rechtspflichten auch und vorrangig richten. Die mit Hilfe des Allgemeinen Staatsrechts erarbeitete Rechtslage bringt aber dennoch zum einen zumindest schon deshalb einen gegenüber einer etwaigen reinen absolutistischen Willkürherrschaft enormen Vorteil, daß dem Fürsten im Rahmen der Beurteilung seiner Rechtspflichten und der wie auch immer gearteten Auseinandersetzung um ihre Inhalte eine Begründung hinsichtlich der in Anspruch genommenen Rechte und damit eine Legitimationsanstrengung abverlangt werden kann. Zum anderen behält das Widerstandsrecht - oder die jedenfalls theoretische Möglichkeit eines solchen - gerade deshalb seinen Legitimationsgrund und seine Bedeutung i m System des Allgemeinen Staatsrechts, weil es, nachdem die Rechtsprechung als Kontrollinstanz nicht in Frage kommt, das einzige Mittel ist, die Normativität des Allgemeinen Staatsrechts zwar nicht zu begründen, aber doch potentiell zu sichern und gegebenenfalls durchzusetzen. Denn die Unsicherheit der Bestimmung des Eintrittsfalles des Widerstandsrechts ändert nichts daran, daß die Frage der Rechtmäßigkeit der Handlungen des Souveräns anhand des Allgemeinen Staatsrechts determiniert werden kann und der Fürst sich daran halten oder sich zumindest daran messen lassen muß. Die grundsätzliche Normativität des Allgemeinen Staatsrechts, wie des Rechts überhaupt, wird nämlich nicht dadurch negiert, daß zuweilen dagegen verstoßen wird, oder, wie bezüglich der Geltung des Allgemeinen Staatsrechts ausdrücklich bemerkt wurde:

273

Wahl, Der Vorrang der Verfassung, S. 491.

184

4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

„Mißbräuche in einzelnen Fällen ... ändern nichts ab, wenn sie nicht zur Regel werden, so wie der Dieb durch sein zuweilen strafloses Stehlen das Gesetz gegen Diebstahl nicht unkräftig macht" 274 . Auch wenn die Bestimmung des Eintrittsfalles des Widerstandsrechts sich als schwierig erweist und in der Praxis vage bleibt, wird also in im Ergebnis die grundsätzliche Existenz eines solchen Rechtes an sich dadurch nicht angezweifelt. Auch geht der durch den Sanktionscharakter des Widerstandsrechts untermauerte Anspruch auf Normativität der Staatsvertragslehre und der daraus abgeleiteten Lehren des Allgemeinen Staatsrechts nicht aufgrund dieses Umstandes verloren. Das Allgemeine Staatsrecht gibt für diese Diskussion das wissenschaftliche Fundament vor, vertraut aber für die Praxis in der Regel auf den Inhaber der höchsten Gewalt und dessen Einsicht und Selbstbeschränkung. Darüber hinaus steht dennoch auch die letzte Konsequenz des legitimen Widerstandes gegen den illegitim herrschenden Fürsten immer i m Raum und wird vereinzelt sogar tatsächlich historisch relevant 275 . Unter diesem Aspekt ist und bleibt das Allgemeine Staatsrecht ein System von sanktionsbewehrten Rechtssätzen mit eindeutig normativem Charakter

VI. Die Anwendbarkeit des Allgemeinen Staatsrechts aufgrund seiner normativen Wirkung Die Frage, wie sich die aufgezeigte Rechtsqualität und Normativität des Allgemeinen Staatsrechts faktisch manifestieren und auswirken, wird allerdings, ohne daß jedoch an deren grundsätzlicher Gültigkeit gezweifelt würde, von seinen Bearbeitern häufig nicht eindeutig beantwortet. Insoweit herrscht über die konkrete praktische Anwendung des Allgemeinen Staatsrechts, ihre Möglichkeiten und Bedingungen, eine gewisse Uneinigkeit oder zumindest Unklarheit, die auf eine unpräzise, lückenhafte, bzw. zurückhaltende oder gänzlich fehlende Beschäftigung mit diesem Punkt zurückzuführen sind. Allgemein wird etwa gesagt, daß das jeweilige spezielle bzw. partikulare Staatsrecht an den Prinzipien des Allgemeinen Staatsrechts zu messen sei, oder: „Auch wenn es in jeder Republik oder jedem Staat spezielle Gesetze gibt zu deren jeweiligem speziellen Nutzen, so hindert dies nicht, daß dort auch andere und allgemeingültige Gesetze genauso in Kraft sind, die zum gemeinsamen Vorteil des gesamten Menschengeschlechts dienen. Vielmehr müssen diese speziellen Gesetze, auf daß sie gerecht und gesetzmäßig seien, mit den allgemeingültigen 274

Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte,

S. 97. 275

Siehe infra.

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Gesetzen, die für jedes beliebige Volk in Ansehung seiner selbst und seiner Beziehungen zu anderen Völkern gelten, übereinstimmen" 276. Sehr weitgehend wird insoweit auch behauptet, daß selbst die Gesetze, die „ihren Ursprung nicht direkt im Allgemeinen Staatsrecht" hätten, „in Wahrheit nur aufgrund der Prinzipien des Allgemeinen Staatsrechts bindende Kraft entfalten" könnten 2 7 7 . Einer der wenigen Autoren, der sich, sogar schon recht frühzeitig, dieses Themas ausdrücklich und differenzierter annimmt, ist etwa Abraham Jacob Oertel, der darauf hinweist, das Allgemeine Staatsrecht sei sehr nützlich und notwendig, da es erstens einen sehr großen Teil des partikularen Staatsrechts bestimme und zweitens unbezweifelbare Prinzipien aufstelle, die das, was durch das partikulare öffentliche Recht nicht bestimmt sei, genau entscheiden könnten. Sie beschrieben nämlich das, was jeder Herrschende zu allen Zeiten bei der Gesetzgebung beachten müsse und welche einzelnen Rechte im Staat bestünden. Weil aber darüber hinaus das Allgemeine Staatsrecht die Grundlage so vieler Partikularrechte sei, könne deren Natur und natürliche Beschaffenheit aus dem Allgemeinen Staatsrecht herausgearbeitet werden 2 7 8 . Das Allgemeine Staatsrecht ist hier demnach einmal eine Hilfe für die Gesetzgebung, richtige, also rechtmäßige Gesetze zu schaffen, einmal subsidiäres Recht, wenn kein Partikularrecht existiert und einmal Auslegungshilfe 279 , mit der 276 „Quod autem in unaquaque Republica vel Civitate speciales leges in illius speciale commodum inveniantur, nullatenus impedii , quo minus Leges aliae et Universales, ad commune totius humani generis emolumentum adaptatae, ibidem vigeant: etenim ipsaemet Leges speciales, ut justae sint et legales, Legibus Universalibus, pro qualibet Gente tarn quoad se quam quoad Gentes exteras ordinatis, concordent, opus est: alioquin ne quidem nomen Gentis aut Populi merebitur Civitas, quae ab institutis Gentium et Populorum deflectit" (Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis, S. 3). 277 „... ipsae tarnen illae leges, non fundantur modo in iure publico universali, verum etiam ex eiusdem principiis vim suam obligandi habent ..." (Steger, Adrian, Dissertatio de Iure Naturae Iuris Publici Imperii Romani Germanici Principio, Leipzig 1747, S. 21). 278 „Utilitas et nécessitas huius iuris in re publica se se exferit, cum maximam iurispublici particularis partem definiat, atque principia ponat indubitata, ex quibus ea, quae legibus publicis particularibus adhuc non sunt decisa, accurate possunt decidi; modum enim et exercitiu illae tantum circumscribunt, quomodo summus Imperans omni tempore agere valeat, et quid iuris singulis in republica competat, ius publicum universale autem manet fundamentum, adeo, ut quam plures leges publicae particulars tanquam conclusiones de nostro universali sind considerandae, earum natura et indoles ex hoc sind desumendae et addiscendae... " (Oertel, Meditationes de Iure Publico Universali, S. 38). 279 Ganz ähnlich, teilweise wortgleich mit Oertel, bereits Böhmer, Introductio in lus Publicum Universale, S. 102f.: „Nam (L) conducit haec diciplina, ut ius publicum particulare inde solide interpretari, et quid iuris singulis in Rep. competat, docere possimus. Porro utilitas (II.) sese exferit, quod ein eo, ubi deficit ius positivum publicum, ad hoc sit recurrendum" oder auch Schmier, Jurisprudentia Publica

1 8 6 4 . Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts Begründung, die meisten Gesetze gingen ohnehin auf die Grundsätze des Allgemeinen Staatsrechts zurück 2 8 0 . Beachtet werden muß dabei, daß bei den jeweiligen Bearbeitern des Allgemeinen Staatsrecht unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, wie weitreichend der Geltungsanspruch des Allgemeinen Staatsrechts und damit auch seine praktische Wirkung bzw. Wirkungsmöglichkeit sein soll. Man könnte hier auch von einer Unklarheit der „Geltungsintensität'4 sprechen. Im einzelnen sind drei hauptsächliche Möglichkeiten der Anwendbarkeit des Allgemeinen Staatsrechts in der juristischen Praxis zu unterscheiden. Einmal handelt es sich dabei um die - subsidiäre - Anwendbarkeit auf das Landesstaatsrecht in Bezug auf das Verhältnis Staat-Bürger. Daneben konnte es in Ermangelung positiver verfassungsrechtlicher Bestimmungen gewissermaßen als Ersatzverfassungsrecht zur Kontrolle einfachgesetzlicher Normen und des Regierungshandelns dienen. Schließlich bestand noch die Möglichkeit, es als eine Art überpositives Verfassungsrecht auf bestehende Vorschriften mit Verfassungsrang, etwa bestimmte Fundamentalgesetze und Kapitulationen, anzuwenden und jene daran zu messen 281 .

1. Die subsidiäre Anwendung im Landesstaatsrecht Was seine Relevanz für die Staatsrechtspraxis angeht, so wird das Allgemeine Staatsrecht tatsächlich sogar häufig als Rechtsquelle des deutschen Staatsrechts genannt 282 . Sein Gebrauch setzt aber „einen Mangel an positivem Recht voraus" 2* 3. Im einzelnen soll dies erst dann der Fall sein, wenn alle anderen Möglichkeiten der Rechtsfindung erschöpft sind. „Denn in einem wirklichen Staate leidet doch das allgemeine Staats- und Völkerrecht eher nicht Anwendung, als wenn weder Gesetze und Herkommen, noch Observanz und Analogie eine Bestimmung bey einem gegebenen Falle gewähren" 284. Die Anwendbarkeit des Allgemeinen Staatsrechts muß somit Universalis, S. 5 (mit Verweis auf Böhmer): „Jurisprudentiae Publicae munus proprium sit, et Legibus decernendis, ut justitiae conveniant, assistere ; et, ubi decretae sunt, earum mentem, intentionem, et obligationem scrutari sectarique". 280 Oertel, Meditationes de Iure Publico Universali, S. 38. 281 y g l z g Beck, Kernd des Natur- und Völkerrechts, S. 417, der an einem Beispiel erläutert, daß etwa die Goldene Bulle als Reichsgrundgesetz am natürlichen Recht zu messen sei. 282 Z.B. Cotta, Einleitung in das allgemeine Statsrecht der teutschen Lande, S. 63, vgl. auch Steger, De Iure Naturae Publici Imperii Romani Germanici Principio, S. 23: „ius publicum universale fundamentum et quasi fontem omnis iuris publici particularis ...", oder oben, etwa 4. Kap. Fußn. 65. 283 Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauche des allgemeinen Staatsrechts, S. 29. 284 Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 68 f.

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- teilweise aufgrund eines komplizieren Stufenverhältnisses, wie es etwa der Stuttgarter Staatsrechtler Christoph Friedrich Cotta als „Ordnung der Quellen des allgemeinen Staatsrechts der teutschen Lande bei ihrer Anwendung" vorsieht - genau ermittelt werden. Als dem Allgemeinen Staatsrecht vorgehend erweisen sich danach, in dieser Reihenfolge, „schlechterdings gebietende oder verbietende Reichs-Geseze oder Gewohnheiten, Verträge oder Herkommen, und deren Analogie; in deren Ermangelung derlei Landes-Geseze oder Gewohnheiten, Verträge oder Herkommen, und deren Analogie", „Verträge und Herkommen der Interessenten und deren Analogie", „Landes-Verträge oder Herkommen und deren Analogie; in deren Ermangelung Landes-Geseze oder Gewohnheiten und deren Analogie", „Reichs-Verträge oder Herkommen und deren Analogie, in deren Ermangelung Reichs-Geseze und deren Analogie; wenn aber auch diese feien die Analogie des Reichs-Statsrechts und des besonderen Statsrechts einzelner Lande" bis hin zu „aufgenommenen fremden Rechten und deren Analogie". Erst „zuletzt kommt endlich: das allgemeine Staatsrecht und dessen Analogien" 285 . Es soll danach also lediglich auf der sechsten Ebene dieser Abstufung und sozusagen widerwillig - angewandt werden, was aber jedenfalls seinem grundsätzlichen normativen Geltungsanspruch keinen Abbruch tut. Etwas einfacher, aber in der Frage der grundsätzlichen Normativität umso eindeutiger, wird etwa zur gleichen Zeit gesagt: „Wenn gar keine deutschen Gesetze, kein Herkommen, keine Analogie, keine Observanz im Reiche und in den Territorien Entscheidungsgründe angäben: so müßte allerdings das allgemeine Staatsrecht eintreten. Dabey aber könnte nur das strenge Recht, nicht eine oder andre Regel der Klugheit, gelten" 286 . Zumindest sollen aber seine Grundsätze bei Übereinstimmung mit dem positiven Recht dieses bestätigen. Darüber hinaus wird aber auch gefordert, das Allgemeine Staatsrecht in das positive Recht einzuarbeiten 287 .

285

Cotta, Einleitung in das allgemeine Statsrecht der teutschen Lande, S. 72 f. Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 177. Vgl. auch beispielsweise Pütter, Neuer Versuch einer Juristischen Encyclopädie und Methodologie, S. 68f.: „Und in Fällen, wo es sowohl an Gesetzen als Gewohnheits-Rechten fehlet, auch keine Analogie eintritt, müssen selbst positive Rechte oft durch allgemeine Grundsätze des Rechts der Natur ergänzet werden 287 Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauch der Wolffischen Philosophie, S. 121. 286

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4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts 2. Die Verfassungsrechtsqualität

Von der grundsätzlichen, allgemeinen Anwendbarkeit des Allgemeinen Staatsrechts auf das Landesstaatsrecht gesondert betrachtet werden muß seine Rolle als ungeschriebenes „Ersatzverfassungsrecht" 288 in dem Sinne, daß positves Recht und selbst positives Verfassungsrecht, sofern vorhanden, an seinen Grundsätzen gemessen und i m Falle ihrer Nonkonformität mit diesen als unrechtmäßig angesehen und verworfen werden sollen 2 8 9 . Schon Huber erhebt insoweit die Forderung der Vereinbarkeit des positiven Rechts mit dem darüberstehenden allgemeinen Recht, ansonsten das positive Recht seine Bindungswirkung verlieren s o l l 2 9 0 . Für einfache Gesetze wird in diesem Zusammenhang gesagt, sie „ . . . müssen also dem Rechte der Natur nicht zuwider seyn. Der mindeste Widerspruch mit demselben macht sie fehlerhaft und ungerecht" 291, oder: „Die positiven Gesetze dürfen den natürlichen nicht widersprechen ... " 2 9 2 , bzw. soll das Allgemeine Staats288 Vgl. z.B. Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, S. 184f. und Würtenberger, Thomas, An der Schwelle zum Verfassungsstaat, S. 79 f., wobei letzterer sich dabei allerdings auf Bielfeld, Lehrbegriff der Staatskunst, S. 154, bezieht, der dies so nicht sagt. Klippel wiederum will dies nur für die letzten beiden Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts gelten lassen (S. 185). Dies rührt daher, daß er eine Einteilung des Naturrechts und mit ihm auch des Allgemeinen Staatsrechts in mehrere Epochen vornimmt und ihm für die jeweiligen Epochen unterschiedliche politische Stoßrichtungen attributiert. Dem kann so aber nicht gefolgt werden. Vielmehr stellt sich die Entwicklung des Allgemeinen Staatsrechts als mehr oder weniger kontinuierliche dar. Zwar sind Variationen bezüglich der inhaltlichen Schwerpunkte bzw. der Schärfe der Formulierung der gezogenen Schlußfolgerungen durchaus möglich und erkennbar. Diese ergeben sich aber eher aus der Tatsache, daß einerseits die verschiedenen Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts von unterschiedlichem Temperament gewesen sein mögen, zum anderen daraus, daß sich mit der Zeit die Schwerpunkte verschoben und Problemstellungen, für die Lösungen gefunden und angeboten werden mußten, sich änderten. Mit fortschreitender Aufklärung war es auch möglich geworden, Dinge zu diskutieren und beim Namen zu nennen, die vorher nicht direkt und konkret, sondern nur versteckt angesprochen werden konnten. Die gesamte Entwicklung des Allgemeinen Staatsrechts durchzieht aber aufgrund der Staatsvertragstheorie von Anfang an und unabhängig von bestimmten Schwerpunkten die Tendenz, als allgemeingültiges Recht normative Geltung einzufordern und durch die Verrechtlichung der Beziehung zwischen Fürst und Untertan die Ausübung der fürstlichen Macht zu kontrollieren und gegebenenfalls zu begrenzen. Die Annahme, dies sei erst und nur gegen Ende des 18. Jahrhunderts so gewesen, ist deshalb nicht richtig. 289 Der Gedanke, daß Gesetze, die gegen Recht und Vernunft verstoßen, nichtig seien, kommt beispielsweise in England schon im Jahre 1610 im Fall „Bonham" vor (Vgl. Stourzh, Vom Widerstandsrecht zur Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 14). 290 „... lex ... vim suam perdit , cives obligandi, quoniam juris naturae et divini prior ac superior haud dubie est obligatio" (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 558). 291 Fredersdorf?, System des Rechts der Natur, S. 167.

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recht „die Gränzen der Gesetzgebung bestimmen" und „anzeigen, wo sie anfangen und wie weit sie gehen soll" 293. Ausdrücklich soll auch etwa bei Streitigkeiten zwischen den Untertanen der deutschen Länder und ihren Territorialfürsten, „ganz besonders das Allgemeine Staatsrecht neben den partikularen Fundamentalgesetzen und dem Reichsrecht" 294 beachtet werden. Hergeleitet wird diese Normenkontrollfunktion insbesondere aus dem der Staatsvertragslehre zugrundeliegenden Gedanken der allgemeinen Freiheit. Dieser führt, wie bereits gesehen, de facto zu einem Gesetzesvorbehalt und der Rechtswidrigkeit von nicht durch den Staatszweck gerechtfertigten staatlichen Eingriffen und Freiheitsbeschränkungen. „Die bürgerliche Freiheit " ist nämlich „der Zustand, wo der Bürger durch keine andern Gesetze eingeschränkt ist, als welche die allgemeine Wohlfarth merklich befördern, wo er alles uneingeschränkt thun kann, was dem Endzweck nicht entgegen ist. Sie wird gekränkt; 1) Durch Gesetze, welche nicht auf die allgemeine Wohlfarth abzielen, welche Handlungen beschränken, die keinen Einfluß auf den höchsten Endzweck haben .. ." 2 9 5 . Darüber hinaus wird, allerdings nur teilweise, sogar davon ausgegangen, daß positives Recht im Verfassungsrang an den Grundsätzen des Allgemeinen Staatsrechts zu messen sei. Klar und apodiktisch erklärt insoweit etwa Scheidemantel: „Das allgemeine Staatsrecht und die Natur des Menschen sind nicht allein subsidiarische Entscheidungsregeln, sondern sie müssen auch bei willkürlichen Staatsgrundgesetzen beobachtet werden " 296. Ähnlich heißt es später bei dem hohen Verwaltungsbeamten und späteren Geheimen Obertribunalsrat Christian August Günther 2 9 7 : „Bei aller Mannigfaltigkeit bleibt das natürliche Staatsrecht immer der Probierstein, nach welchem die Aechtheit oder Unaechtheit einer jeden Verfassung beurtheilet werden kann und muß, weil keine davon demselben gerade zu entgegengesetzt sein darf, ohne den Vorwurf der Ungerechtigkeit zu verdienen" 298. 292 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 36. Vgl. auch etwa Justi, Natur und Wesen der Staaten, S. 324f.: „... alle Gesetze der Staaten müssen auch die natürlichen Gesetze als ihren ersten Grund voraus setzen und vor die Unverletzlichkeit derselben eine große Ehrerbietung haben; ja sie können nichts verfügen, was denen natürlichen Gesetzen entgegen ist". 293 Hufeland, Gottlieb, Versuch über den Grundsatz des Naturrechts, S. 9. 294 „ Quodsi igitur eiusmodi querelae ad Imperium delatae fuerint, in iis decidendis, praeter leges illas fundamentales, iuraque Imperii nostri propria, quam maxime quoque ad ius publicum universale respiciendum erit" ( Steger , De Iure Naturae Publici Imperii Romani Germanici Principio, S. 23). 295 Pföter, Betrachtungen, S. 346 f. 296 Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 432. 297 Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 10, Leipzig 1879, S. 167 f. 298 Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 193.

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4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

Weniger radikal wird einerseits etwa die Abänderung von positiven Fundamentalgesetzen durch den Herrscher aus Gründen des Allgemeinwohls mit Rekurs auf die Staatsvertragstheorie unter einen Zustimmungsvorbehalt „derer, die es angeht", gestellt 2 9 9 , andererseits in Bezug auf das Verhältnis zwischen Allgemeinem Staatsrecht und positivem Verfassungsrecht dagegen auch noch vertreten, daß es auch hier, ähnlich wie im Bezug auf das einfache positive Landesrecht, eine Stufenfolge der Anwendung geben müsse, die auf den lex specialis-Grundsatz zurückgeführt w i r d 3 0 0 . Danach muß „auf die individuelle Grundgesetzgebung jedes Landes, sie mag nun ausdrücklich vorhanden oder analogisch erweislich seyn, vor allen übrigen Gattungen zunächst und unmittelbar gesehen werden". „In Ermangelung derselben beruht die Bestimmung des vorliegenden Falls auf den allgemeinen, hie und da von Reichswegen verglichenen Landgrundgesetzen oder einer daraus erweislichen Analogie. Wo diese Quelle des allgemeinen Landstaatsrechts nicht zureicht, so nimmt man seine Zuflucht zu einer anderen, noch entfernteren Quelle desselben zu der Analogie des Reichsrechts. Wenn aber endlich auch hieraus nichts rechtsbeständiges erwiesen werden kann, so muß man sich mit den allgemeinen Grundsätzen des Staatsverhältnisses so lang behelfen, bis Zeit und Umständen nach, ein positives Gesetz für dergleichen Fälle zu Stande gebracht werden kann" 301 . Wieder ergibt sich hier der grundsätzliche normative Geltungsanspruch aus dem Staatsvertragsmodell, aus „der Grundgesetzgebung des Staates". Diese wird „theils aus der Natur dieses Verhältnisses [das der bürgerlichen Ordnung] selbst, und den dabey zum Grunde liegenden Absichten gefolgert, theils nach Willkühr und Umständen von jeder Bürgerschaft für sich bestimmt" 302. Die sich aus der Natur des Herrschaftsverhältnisses ergebenden Folgerungen sind demnach den - ohne Zweifel rechtlichen Charakter beanspruchenden - Verträgen zwischen Herrscher und Untertanen qualitativ gleichgesetzt und begründen so die gleiche Art von Rechten und Pflichten wie jene, werden auch ausdrücklich „natürliche Rechtsverpflichtungen" 303 genannt. Schon Brunnquell bemerkt im Jahre 1721, das Jus Publicum Universale seien „diejenigen Schuldigkeiten aber so die Oberherren und Unterthanen untereinander zu Erhaltung der Republique Ruhe und Friedens in 299

„Neutiquam vero imperanti ius concedimus, sub pretextu melioris status introducendo leges fundamentales, quibus ipse ligatur, dissolvendi et annullandi, atque alium statum adornandi, nisi fiat consensu eorum, quorum interest " (Böhmer, Introducilo in lus Publicum Universale, S. 363). Ohne diese Einschränkung etwa Johannsson (Montin), Die bürgerliche Regierung nach ihrem Ursprung und Wesen betrachtet, S. 38 ff. 300 Majer, Teutsches weltliches Staatsrecht, S. 12. 301 Majer, Teutsches weltliches Staatsrecht, S. 12. 302 Majer, Teutsches weltliches Staatsrecht, Bd.l, S. 8. 303 Majer, Teutsches weltliches Staatsrecht, Bd.l, S. 8.

VI. Die Anwendbarkeit des Allgemeinen Staatsrechts

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acht zu nehmen verbunden sind" 304. Das Naturrecht soll i m Staat weiterbestehen und hat „auch von dem absolutesten Regenten gegen seine Unterthanen in acht genommen zu werden". Der einzige Unterschied zu den „positiven Rechtsverpflichtungen " bestehe darin, daß die natürlichen „allen Staaten gemeindie positiven „mannigfaltig" seien 3 0 5 . Schon die Wortwahl mit dem Gebrauch von Begriffen wie „Schuldigkeit" und „Rechtsverpflichtungen" - letztere besonders in der Parallelität von „positiver" und „natürlicher" - machen den dem Allgemeinen Staatsrecht dadurch auch auf sprachlicher Ebene beigelegten normativen Charakter deutlich, ebenso wie das direkte Abstellen auf den „ absolutesten Herrscher ". Wie selbstverständlich der Gedanke der normativen, den Herrscher bindenden Kraft des Allgemeinen Staatsrechts bereits im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts geworden war, zeigt die Tatsache, daß etwa Johann Christian Majer 1776 ohne weiteres postuliert, die „Bestimmungen des öffentlichen Verhältnisses zwischen dem Oberherrn und den Unterthanen" lägen „außer dem Umfange der gesetzgebenden Gewalt" 306, stünden also nicht zur Disposition des Fürsten alleine. Das Allgemeine Staatsrecht bekommt damit den Charakter eines überpositiven, den Fürsten in seiner Macht einschränkenden Rechts. Allerdings wird weitgehend angenommen, daß der Inhaber der höchsten Gewalt nicht an die „bürgerlichen Gesetze" gebunden sei, wenn auch sehr wohl an die „göttlichen" 301. Über den Gedanken der Rechtsstaatlichkeit im modernen Sinne, also der Bindung der höchsten - exekutiven - Gewalt auch an das einfache Gesetz, ist damit allein allerdings noch nichts gesagt und er kommt anfangs auch noch nicht explizit in die Diskussion. 3. Rechtsstaatliche Ansätze Im Laufe der Zeit wandelte sich aber das Bewußtsein in diesem Punkt zunehmend und geht das Allgemeine Staatsrecht noch einen Schritt weiter. Schon bei Huber finden sich Ansätze für ein rechtsstaatliches Verständnis 304

Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 23. Majer, Teutsches weltliches Staatsrecht, Bd. 1, S. 8. Vgl. dazu auch Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 102: „Jetzt stimmt man ziemlich darinnen überein, daß, auch in Ermangelung aller positiven Grundgeseze, schon aus der Natur und dem Begrif eines Staates, gewisse wesentliche Grundsäze fliessen, nach welchen das Verhältnis zwischen Regenten und Unterthanen, und ihre wesentlichen Rechte und Verbindlichkeiten beurtheilet werden müssen ...". Das Allgemeine Staatsrecht dient hier also in seiner Allgemeingültigkeit auch für Staaten ohne positive Grundgesetze als Verfassungsersatz. 306 Majer, Teutsches weltliches Staatsrecht, Bd. 1, S. 17. 307 y gi e t w a Brunnquell y Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 23. 305

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4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

des Allgemeinen Staatsrechts im engeren, modernen Sinne. Dies manifestiert sich insbesondere in seiner Forderung nach der Sicherung der (Freiheits-) Rechte der Untertanen durch Schaffung und Wahrung bestimmter Verfahrensrechte bzw. Einhaltung von entsprechenden Verfahrensvorschriften. So sollen beispielsweise für besonders schwere Eingriffe in die Rechte der Bürger, wie die Verhängung der Todesstrafe, ein ordnungsgemäßes Verfahren oder eine Abstimmung notwendig sein und dem Einzelnen ein Anspruch auf rechtliches Gehör zustehen 308 . Der angesprochene Bewußtseinswandel rührt aber vor allem auch aus einem veränderten Verständnis von der Qualität der dem Fürsten und den Untertanen unter Berücksichtigung des Allgemeinen Staatsrechts zustehenden Rechte her. Waren nämlich ursprünglich die Rechte und Pflichten von Regent und Untertanen im gemeinrechtlichen Sinne als den Parteien jeweils zustehende subjektive Rechte zu verstehen, veränderte sich diese Anschauung im Laufe der Zeit hin zu dem Verständnis von einer objektiven Rechtsordnung, die einzuhalten sei. Bei Svarez beispielsweise läßt sich dies im Ansatz schon erkennen, wenn auch noch nicht konsequent durchdacht. In den Kronprinzenvorträgen spricht er einerseits von „Mitteln, welche der Staat anzuwenden berechtigt" 309 sei, ein andermal allerdings wieder davon, daß der „Regent im Staat" ein auf dem „bürgerlichen Vertrag" beruhendes Recht habe, etwas Bestimmtes zu tun, was möglicherweise doch wiederum auf die ältere Vorstellung von einem subjektiven Recht des Herrschers zu herrschen hindeutet 310 . Auch etwa bei Gribner, also schon rund 50 Jahre zuvor, finden sich bereits Hinweise auf eine Objektivierung der staatlichen Herrschaft, nämlich wenn er erklärt, daß der Fürst, der sich mehr Macht anmaße, als er vom Staat erhalten habe, den Herrschaftsvertrag verletze 311 . Danach soll also der Herrschaftsvertrag zwischen Fürst und Staat abgeschlossen sein, nicht zwischen ihm und den einzelnen Bürgern. Der Staat wird auf diese Weise institutionalisiert und der Fürst ist gewissermaßen nur noch sein 308

Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 42. Er lehnt allerdings, wie oben gesehen, die Bindung der höchsten Gewalt mit Hinblick auf den Souveränitätsgedanken ab, fordert sie jedoch, wenn auch nicht aus rechtlichen, so immerhin aus praktischen Gründen {Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 327, s.o. 3. Kap. Fußn. 60. 309 Fol. 135 v., im Zusammenhang mit den Polizeigesetzen. In die maßgeblich von Svarez beeinflußte preußische Kodifikation des ALR fließt dieses Verständnis dann auch ein, indem nämlich § 1 Einleitung ALR normiert, daß Gesetze zwischen Staat und Bürger gelten, (vgl. auch Kleinhey er, Gerd, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten vom 1. Juni 1794: An der Wende des Spätabsolutismus zum liberalen Rechtsstaat, Heidelberg 1995, S. 13). 310 Z.B. Fol. 292 v. 311 „Princeps, qui plus sibi potestatis vindicat, quam a Republica accepit, pactum cum ea initum violât " (Gribner, Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV, S. 209 f.).

VI. Die Anwendbarkeit des Allgemeinen Staatsrechts

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Repräsentant 312 . Später wird dies direkt an- und ausgesprochen, wenn es von den Regenten, den „Depositaren des Volkswillens" 3 1 3 , heißt: „Sie haben weiter nichts als den von dem Volke zu seinem gemeinen Besten entsagten und ihnen abgetretenen Theil seiner Freyheit. ... Sie sind Verwalter und, innerhalb der ihnen angewiesenen Grenzen, Gebieter. Keineswegs aber unumschränkte Oberherrn. Denn der Begriff der Willkühr läßt sich da nicht denken, wo gewisse Bestimmungen nach vorgesetzten Zwecken sind" 314 . Dies ermöglicht es dann den Autoren des Allgemeinen Staatsrechts, sich bisweilen noch weiter vor und an ein objektiv-rechtliches Verständnis von den Herrschaftsrechten innerhalb der staatlichen Rechtsordnung selbst heranzutasten. So führt nämlich Svarez aus, der Regent müsse „seine Gewalt nur nach den vorhandenen allgemeinen Gesetzen ausüben, weil nur diese die Aussprüche des allgemeinen Willens sind" 315, dem der Regent kraft seiner Stellung und des Herrschaftsvertrages verpflichtet ist. Deutlicher noch arbeitet dies etwa Fredersdorff heraus, daß die Fürsten nicht nur an etwaige überpositive Rechtssätze, sondern gerade auch an ihre eigenen Gesetze, also - modern gesprochen - an Gesetz und Recht gebunden sind 3 1 6 , indem er sagt: „Es ist ihre Pflicht die dem Volke gesetzten Gesetze selbst zu befolgen. Eine kriechende Schmeicheley ist es, dem Fürsten vorspiegeln zu wollen, daß er über die Gesetze sey. Wenn er sie mit Überzeugung, daß sie gut sind, giebt, so müssen sie ihn fester binden als andere, welche sie nicht so durchschaun .... Wie könnte er sie also nicht befolgen, ohne zugleich das Bekenntnis abzulegen, daß sie das nicht sind, was sie sein sollen?" 312

Vgl. Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, S. 24, der wörtlich sagt, der Regent sei „Repräsentant des Staates 313 Vgl. Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 292 v.: „die Obergewalt im Staat ist also gleichsam der Verwahrer; der Depositarius des allgemeinen Willens und der ge meinschaftlichen Kräfte der ganzen Gesellschaft" (Vgl. hierzu ausführlich Krause, Peter, Der Monarch als Depositar des Allgemein willens, S. 155 ff.). So auch schon erheblich früher im angelsächsischen Raum, vgl etwa Price, R., Observations on the Nature of Civil Liberty, 7. Aufl., London 1776, S. 6f. (zitiert nach Dickinson, The Theory of Natural Rights, S. 29): „And all magistrates are trustees or deputies for carrying these regulations [die auf dem Gemeinwillen basieren] into execution 314 Fredersdorff, System des Rechts der Natur, S. 164. 315 Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 292 v. An anderer Stelle begründet er dies zusätzlich - mit fast dem gleichen Wortlaut - auch aus dem Schutz der wohlerworbenen Rechte heraus: „Er muß seine Gewalt nur nach den vorhandenen allgemeinen Gesetzen ausüben, weil Willkür mit der Sicherheit des Eigenthums und der Rechte nicht bestehen kann" (Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 119 v.). 316 Dagegen sind etwa Huber und seinem Allgemeinen Staatsrecht unabhängige Richter oder eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Rechtsprechung noch unbekannt, ebenso wie die Unterwerfung der höchsten Gewalt unter die Gerichtsbarkeit selbst bei privatrechtlichem Handeln, was er mehrfach ausführlich anspricht (vgl. u.a. Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 605). 13

Schelp

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4. Kap.: Der normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts

Der Regent sei nämlich Mitglied der Gesellschaft und die Gesetze seien eben gerade zum Besten dieser Gesellschaft geschaffen worden 3 1 7 . Wenn auch nur wenige Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts diesen Schritt angesichts des offenbar für unlösbar gehaltenen Problems des Konfliktes einer Bindung des Inhabers der höchsten Gewalt an das innerstaatliche Recht mit seiner Souveränität tatsächlich und in der vollen Konsequenz explizit vollziehen, soll doch die Bindung an Recht und vor allem auch Gesetz nach dem Allgemeinen Staatsrecht in jedem Fall für die Staatsbeamten gelten. So führt etwa Martini aus: „Noch einleuchtender wird die Nothwendigkeit der Gesetze, wenn man überlegt, daß diejenigen, denen die Ausübung der Majestätsrechte anvertrauet ist, auch Menschen seyn, bei welchen oft Gnade für Recht gelten könnte, die ihre Leidenschaften haben, und zwischen Freund und Feind einen Unterschied zu machen wissen. Die Gesetze hingegen sind taub und unerbittlich, schützen die Armen gegen Unterdrückung der Mächtigen, lassen bei Vergehungen keine Nachsicht hoffen" 318 . Das Allgemeine Staatsrecht gebietet demnach nicht nur, daß der Regent, zumindest aber die ihm unterstehende Exekutive, sich - modern ausgedrückt: im Verfassungsleben - an das Allgemeine Staatsrecht selbst zu halten haben, das ihm über den Herrschaftsvertrag sein subjektives Herrschaftsrecht gibt, sondern auch, daß sein Handeln, gemessen an der innerstaatlichen - positiven - Rechtsordnung, objektiv rechtmäßig ist. Damit wird also bereits im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts mit aller Deutlichkeit eine Art Rechtsstaatsgebot postuliert, das den aus der Volkssouveränität abgeleiteten Vorrang der Gesetzes schon vorwegnimmt.

4. Zwischenergebnis Insgesamt bleibt damit festzustellen, daß das Allgemeine Staatsrecht über die Erfassung und Einordnung von administrativen sowie politischen Geschehensabläufen i m neuzeitlichen Staat der Aufklärung in rechtliche Kategorien und Begrifflichkeiten, aber auch von seiner ganzen Konzeption, seinem „Auftreten" und seiner rechtlichen Dogmatik her, insbesondere durch den Rückgriff auf die rechtliche Fiktion der Staatsvertragslehre und die daraus abgeleiteten Schlußfolgerungen, durchaus Rechtsqualität und normative Geltung zu beanspruchen fähig ist und diesen Anspruch je nach Temperament oder Charakter seiner einzelnen Bearbeiter mehr oder weniger deutlich, konsequent und vehement einfordert.

317 318

Fredersdorf,f 9 System des Rechts der Natur, S. 522. Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 33.

5. Kapitel

Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts Nachdem der Geltungsanspruch des Allgemeinen Staatsrechts klar zutage getreten ist, bleibt die Frage zu erörtern, inwieweit dieser Anspruch seine tatsächliche Umsetzung in der zeitgenössischen politischen Alltagswelt gefunden hat. Insgesamt kann man dazu feststellen, daß gerade für das Verfassungsrecht, noch eher als für das innerstaatliche Recht, das Allgemeine Staatsrecht Geltung als allgemeingültiges Recht nicht nur beanspruchen können, sondern auch tatsächlich erhalten mußte zu einer Zeit, zu der positives Verfassungsrecht besonders der Territorien nicht existent oder nur ansatzweise herausgebildet war. Es entsprach damit offensichtlich auch einem dahingehenden Bedürfnis. Anerkennung findet dann auch, daß „in so weit das Verdienst dieser Schule um Verfassungen unverkennbar" war 1 . Besondere Bedeutung wird ihm vor allem für das Staatsrecht in den deutschen Ländern - im Unterschied zum Reichsstaatsrecht - zugeschrieben. Danach gelten seine Grundsätze als „positive Landesgrundgesetzgebung" in den deutschen Staaten, „in so weit sie den reichsabhängigen teutschen Staaten anpassend sind" 2. Sie stehen also, was ihre Normativität angeht, grundsätzlich gleichberechtigt neben den übrigen, teils geschriebenen Verfassungsgrundsätzen, entsprechend ihrem Rechtscharakter und der damit einhergehenden normativen Geltung 3 . So heißt es dann auch ausdrücklich und deutlich bezüglich der tatsächlichen Anwendung der Grundsätze des Allgemeinen Staatsrechts in der Praxis: „ ... nirgends ist diß [das Allgemeine Staatsrecht] anwendbarer als im Landesstatsrecht, und da wird es auch oft, zum Wol und Wehe mehrerer Tausende, wirklich angewendet" 4. 1

Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 69. Majer, Teutsches weltliches Staatsrecht, Bd. 3, S. 4. Er wendet das Allgemeine Staatsrecht allerdings nicht als Quelle für das Reichsrecht an, sondern nur für das Landesrecht. Daher wird die Beziehung zwischen Kaiser und Landesfürsten allein durch die tatsächlichen Reichsgrundgesetze, die Reichsrechtsanalogie und das Reichsherkommen (Bd. 1, S. 118) determiniert, was wohl politische Gründe hat. 3 Vgl. auch Würtenberger, Thomas, Verfassungsrechtliche Streitigkeiten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der ebenfalls zu dem Schluß kommt, daß das Naturrecht, insbesondere das Allgemeine Staatsrecht, als Verfassungsersatz diente, bevor es geschriebene Verfassungen gab (S. 448 f., m.w.N.), ähnlich auch Krause, Peter, Naturrecht und Kodifikation, S. 12. 2

13*

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5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

I. Fürstenerziehung Eine vorzügliche Möglichkeit des Allgemeinen Staatsrechts, auf das politische, gesellschaftliche und insbesondere das verfassungs- oder überhaupt öffentlich-rechtliche Geschehen im absolutistischen Staat einzuwirken, war auf dem Wege über die Fürstenerziehung. So soll es sogar schon nach dem Allgemeinen Staatsrecht selbst die „ erste Pflicht " der Regenten sein, „daß sie den Staat, in welchem sie leben, kennen, dessen Endzweck, Zustand, Kräfte, seine Rechte und Verbindlichkeiten deutlich einsehen, dann den beständigen und fortwährenden Willen haben, nur das zu thun, was zur guten Regierung desselben erfordert wird". Für den Fürsten sei es daher „nothwendig, die allgemeinen sowohl, als die besonderen Staatsgesetze, ... dann auch die Rechte des Volkes zu kennen" 5. Insoweit soll es dann, ganz explizit, „nach und nebst dem Christenthum keine nöthigere Wissenschaft [geben], worinnen ein junger Fürst informieret werden solte, als das Recht der Vernunft. Denn da lernet er aus demselbigen, in Sonderheit aus dem Jure Publico universali, die wahren Grentzen seiner Macht, und wieweit die Gewalt eines OberHerrn über seine Unterthanen gehet"6. Es handelte sich dabei um das von der Aufklärungsbewegung propagierte Ideal, den Herrscher zum Weisen zu erziehen und auf diese Weise der Aufklärung zu noch mehr Einfluß und Fortschritt zu verhelfen 7 , indem sie nämlich gleichzeitig Erfolg und Ausgangspunkt weiterer Aufklärung von oben sein konnte. Aufklärerisches Gedankengut wird hier mit den Mitteln der Aufklärung zu weiterer Umformung der Gesellschaft im aufklärerischen Sinne und weiterer Verbreitung dieses Gedankengutes genutzt. Vor allem Friedrich II. der Große von Preußen verkörperte in der allgemeinen Meinung und auch in seiner Selbstdarstellung dieses Ideal des „roi philosophe" in besonderer Weise. Insoweit verfügte auch das Allgemeine Staatsrecht im Wege der Fürstenerziehung über ein enormes praktisches Einwirkungspotential. Deutlich wird dies insbesondere am Beispiel von Carl Gottlieb Svarez, der in den Jahren 1791 und 1792 die Erziehung des preußischen Kronprinzen und späteren Königs Friedrich Wilhelm III. in der Materie des Rechts vornahm 8 . Wie aus seinen später veröffentlichten „Kronprinzenvorträgen" 4

Cotta, Einleitung in das allgemeine Statsrecht der teutschen Lande, S. 172. Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 98. 6 Glafey, Adam Friedrich, Vollständige Geschichte des Rechts der Vernunft, Leipzig 1739, S. 1 ff. 7 Schneiders, Die Philosophie des aufgeklärten Absolutismus, S. 35. 8 Dabei sollte nicht vergessen werden, daß auch auf etwas weniger exponierter Ebene die Erziehung junger adliger zukünftiger Erben in den Händen und der Ein5

I. Fürstenerziehung

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hervorgeht (und an anderer Stelle oben bereits ausgeführt wurde), lag ein besonderer Schwerpunkt des Rechtsunterrichts dabei auf dem Allgemeinen Staatsrecht, natürlich mit Bezügen zu der Situation in Preußen 9. Daß diese Unterweisung des späteren Inhabers der höchsten Gewalt auch tatsächlich eine praktische aufklärerische Wirksamkeit entfalten sollte und entfaltet haben muß, geht beispielsweise hervor aus der Einschätzung Simons in seiner „Allgemeinen Vorerinnerung" zur ersten Ausgabe der Kronprinzenvorträge von 1815, nach der es „bei diesen Vorträgen" darauf angekommen sei, „auf den künftigen Herrscher zu wirken" (zu wirken offenbar im Sinne des Allgemeinen Staatsrechts) und Svarez dabei in diesem Sinne sogar noch erfolgreicher gewesen sei, „die schöne Zeit der wir uns jetzt erfreuen herbeizuführenals durch seine Mitarbeit an der Gesetzgebung10. Gleiches trifft aber auch etwa für Österreich zu, wo die Erziehung, bzw. der Rechtsunterricht, des späteren Kaisers Joseph II., der durch seine aufklärerischen Reformen bekannt geworden ist, von 1755 bis 1760 in der Hand von Christian August Beck 1 1 lag. Auch hier bildete das Naturrecht und insbesondere das Allgemeine Staatsrecht einen Schwerpunkt des Unterrichts 12 . Der Bruder von Joseph, der Erzherzog, danach Großherzog von Toskana - und in dieser Eigenschaft der Initiator eines aufsehenerregenden Verfassungsgebungsprojektes für dieses Territorium 13 - und spätere Kaiser Leopold II., wurde ab 1761 dann von Karl Anton v. Martini in der Materie des Rechts unterrichtet 14 , wobei angesichts dessen, daß Martini ein umfangreiches Werk zum Allgemeinen Staatsrecht geschrieben hat, ohne weiteres davon flußsphäre von Vertretern des Allgemeinen Staatsrechts lagen, wie etwa der Autor des Werkes „Prodomus Juris Publici Universalis", Christian Matthias Knesebeck, der der Hausjurist des Grafen von Wedel und Hofmeister seiner Söhne war (vgl. 5. Kap. Fußn. 124 und 125). 9 Dazu ist allerdings anzumerken, daß bei seinen Ausführungen durchaus Rücksicht nehmen mußte auf seine Rolle, beispielsweise insofern, als er die in Preußen herrschende Regierungsform als „uneingeschränkte Monarchie" bezeichnet und sie zur angemessensten Regierungsform erhebt, was sich sprachlich in so subtiler Weise äußern kann, daß er alle übrigen Regierungsformen als mit „Mängeln " behaftet ansieht, während in der Monarchie lediglich die „ Gefahr " des Despotismus verborgen liege (Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 120 v.). 10 Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. II F. 11 Conrad, Hermann, Recht und Verfassung des Reichs, S. 8 f. 12 „L'on commença par le droit de nature et des gens. ... L'on entra dans un détail exacte sur les devoirs d'un prince envers son peuple ... . En traitant des divers formes de gouvernement , Von en montra le fort et le faible et les différentes façons , dont les droits de souveraineté peuvent être exercés ." aus: Zusammenfassender Bericht über die Erziehung und den Unterricht des Erzherzogs Joseph (1759), in: Conrad , Hermann, Recht und Verfassung des Reichs, S. 85 ff. (104). 13 Vgl. dazu Zimmermann, Joachim, Das Verfassungsprojekt des Großherzogs Peter Leopold von Toskana, Heidelberg 1901, Wandruszka, Adam, Leopold II., 2 Bde., München 1963, Bd. 1, S. 368 ff.

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5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

auszugehen ist, daß dieses einen gewichtigen Teil des Unterrichts ausgemacht und die späteren rechtlichen Reformbestrebungen Leopolds maßgeblich beeinflußt hat 1 5 . Umgekehrt läßt aber auch die Tatsache, daß diese Kronprinzen gerade in der Materie des Allgemeinen Staatsrechts unterwiesen wurden, wiederum auf dessen Bedeutung und vor allem auf die prinzipielle Anerkennung seiner normativen Kraft schließen. Denn für den - als solchen ausdrücklich ausgewiesenen - Rechtsunterricht dieser auszubildenden zukünftigen Herrscher kann es nur sinnvoll gewesen sein, sie über die Unterweisung in „ihren", für sie unmittelbar relevanten, partikularen Rechten und Gerechtsamen hinaus in der Materie des Allgemeinen Staatsrechts zu unterrichten, wenn jenem selbst auch die entsprechende Rechtsqualität beigemessen worden ist. Wie weit die Lehren des Allgemeinen Staatsrechts in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schon zum selbst von den Regierenden anerkannten, gewissermaßen „verinnerlichten", Gemeingut geworden waren, verdeutlicht auch der von Wedekind - übrigens offensichtlich genau zu diesem Zwecke - berichtete Vorfall, wonach König Stanislas August von Polen im Jahre 1784 in einer Rede auf dem Reichstage zu Grodno gesagt haben soll: „Aber steht es dem Könige an blos seiner Neigung zu folgen? Nein vor allem muß man zuerst fragen was man dem Staate schuldig sey" 16 . Nicht nur, aber auch auf dem Wege der Fürstenerziehung war es mithin möglich, die praktische Wirksamkeit des Geltungsanspruches des Allgemeinen Staatsrechts erheblich zu beeinflussen. Ein wichtiger Aspekt dabei war, die allgemeine Anerkennung der Durchdringung der Regierungs- und Verwaltungsarbeit durch das Recht, insbesondere den Primat des Rechts über die Politik bzw. die Nützlichkeit, zu fördern und zu untermauern, indem schon die Staatsspitze von der Richtigkeit und Notwendigkeit dieser Auffassung überzeugt werden konnte. Signifikant bemerkbar wird dies etwa auch in der Rückgängigmachung von bestimmten Regierungsakten des Vorgängers durch den neuen Regenten, wenn jene Regierungsakte - etwa gemäß dem Allgemeinen Staatsrecht - als Unrechtshandlungen erkannt worden waren 17 . Dem lag die durch das Allgemeine Staatsrecht begründete 14

Vgl. Conrad, Herrmann, Reich und Kirche in den Vorträgen zum Unterricht Josephs II, in: Repgen, Konrad/Skalweit, Stephan (Hrsg.), Spiegel der Geschichte, Festgabe für Max Braubach, Münster 1964, S. 602, 612. 15 Wiirtenberger, An der Schwelle zum Verfassungsstaat, S. 72. 16 Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt, S. 34. 17 Vereinzelt wird sogar die Bestrafung der Handlanger durch den neuen Machthaber verlangt, etwa bei Justi, der erklärt: „Niemand war schuldig, ihnen [den gegen das Allgemeine Staatsrecht verstoßenden Fürsten] zu gehorchen; und diejenigen, so ihnen bey Ausrichtung dieser Befehle hülfliche Hand leisteten, waren allemal strafbar und konnten von dem Nachfolger in der Regierung oder bey

I. Fürstenerziehung

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und auf seinem Geltungsanspruch beruhende Überzeugung zu Grunde, daß Rechte oder Akte, die auf eine dem Allgemeinen Staatsrecht zuwiderlaufende Art erworben bzw. erlassen worden waren, keinen Rechts- und Vetrauensschutz genießen und keinen Bestand haben können 18 . So sagt etwa Scheidemantel in diesem Zusammenhang ausdrücklich: „In so weit der Nachfolger mit dem Vorfahren gleiche Regierungsrechte hat, in so weit kann ersterer die Gegenstände der vorigen Regierung untersuchen und nach den Staatsrechten bestimmen, ob er das Geschehene anerkennen müsse oder nicht" und gibt einige für ihn einschlägige Beispiele, etwa „die Veräusserung beweglicher und unbeweglicher Staatsgüter und Regalien, wenn sie ohne Recht geschehen ist" 19 . Vom neuen Regenten wurde offenbar erwartet, bzw. wurde er sogar geradezu für verpflichtet gehalten, daß er geschehenes Unrecht wiedergutzumachen und rechtmäßige Zustände wiederherzustellen habe, wogegen ein Pochen auf etwaige „wohlerworbene Rechte" wirkungslos sein sollte. Schon etwa Gribner macht in diesem Sinne in seinem Werk aus dem Jahre 1717 geltend, daß Handlungen, die gegen die Kapitulationen verstießen, nichtig und die Fürsten darüber hinaus gehalten seien, in ihrem Namen dem Staat Genugtuung zu verschaffen und den vorherigen Zustand wiederherzustellen 20 . Ausdrücklich weisen darauf später auch - bemerkenswerterweise sogar in den den Kronprinzen vorgetragenen Manuskripten - die Prinzenerzieher Carl Gottlieb Svarez und der Rechtslehrer des späteren Kaisers Joseph II., Christian August Beck 2 1 , hin. Ersterer legt diesen Gedanken in seinen Ausführungen gar an mehreren Stellen als Prinzip zugrunde. So erklärt er etwa: „Der Staat kann also keine Monopolia erteilen, und wenn er es gleichwohl getan hat, so bleibt er doch berechtigt, eine solche widerrechtliche Einschränkung seiner Bürger zu allen Zeiten wieder aufzuheben" 22 und im Hinblick auf das Machtspruchverbot: verändertem Zustande des Staates mit vollkommenem Rechte zur Strafe gezogen werden " (Natur und Wesen der Staaten, S. 269). 18 s.o. 4. Kap. Fußn. 229. 19 Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 300 f. 20 „actus, qui contra capitulationem suscipiuntur, nulli sunt, teneturque Princeps eo nomine Reipublicae satisfacere, rem in pristinum statum redigere" (Gribner, Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV, S. 210). 21 „... was jenen [den „Grund-Gesetzen" oder Kapitulationen] zuwider vorgenommen, bleibt nichtig und ohne WirkungBeck, Christian August, Kern des Natur- und Völkerrechts zum Unterricht eines großen Prinzen entworfen, ca. 1755, in: Conrad, Hermann, Recht und Verfassung des Reiches, S. 297. 22 Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 309 v.

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5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

„Wenn daher auch in Zukunft ein das Zutrauen seines Herrn mißbrauchender Minister od. ein Mächtiger Favorit Mittel finden sollte, einen Machtspruch in seinen RechtsAngelegenheiten zu erschleichen, so würden die Gerichte nach ihren Pflichten schuldig seyn, Gegenvorstellungen zu machen. Wenn aber auch auf diese nicht geachtet werden sollte, so würden zwar Gerichte und Partheyen sich vor der Hand das gefallen laßen müßen, was sie durch rechtmäßige Mittel nicht ändern können. Der aber, welcher einen solchen Machtspruch erschlichen hätte, würde bey den sich dadurch verschafften Vortheilen niemals sicher seyn, sondern stets der Gefahr ausgesetzt bleiben, daß sein Gegner, sobald die Umstände sich ändern, und wenn nicht eher, doch unter einer neuen Regierung gegen den Machtspruch reclamire und die Wiederherstellung seiner ihm dadurch wieder die Gesetze entzognen od. vorenthaltnen Gerechtsame antrage" 23. Das Machtspruchverbot führt also gemäß dem Allgemeinen Staatsrecht zu einer, wenn auch nicht sofort durchsetzbaren - mehr vermag das Allgemeine Staatsrecht wegen der Verwurzelung im Souveränitätsgedanken nicht zu leisten - Nichtigkeit, die dem Begünstigten keinerlei Rechtssicherheit hinsichtlich des unrechtmäßig Erworbenen zugesteht und die baldmöglichste Herstellung rechtmäßiger Zustände verlangt 24 . In der Tat hat beispielsweise auch Friedrich Wilhelm II. sofort nach Amtsantritt die nach der Müller-Arnold-Affäre in Ungnade gefallenen Richter voll rehabilitiert 25 .

23

Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 374 r. An anderer Stelle, nämlich in einem vor der Berliner Mittwochsgesellschaft gehaltenen Vortrag, spricht Svarez - ganz in dem dargelegten Sinne - auch von „sicheren, fortdauernden Grundsätzen über Recht und Unrecht", die „besonders in einem Staat, welcher keine eigentliche Grundverfassung hat, die Stelle derselben gewissermaßen ersetzen" sollten und die „gleichsam die Feste" sei, „in welche sich die durch [diesen Grundsätzen zuwiderlaufende, rechtswidrige] Zeitgesetze gedrängte Freiheit zurückziehen und aus der sie unter günstigeren Umständen zur Wiedererlangung ihrer gekränkten Rechte mit gestärkten Kräften zurückkehren kann" (Svarez, Carl Gottlieb, Über den Einfluß der Gesetzgebung in die Aufklärung, Berlin 1789, in: Conrad, Hermann/Kleinheyer, Gerd (Hrsg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746-1798), Köln 1961, S. 636). 25 Krause, Peter, Die Überforderung des aufgeklärten Absolutismus Preußens durch die Gesetzgebung, Zu den Hemmnissen auf dem Weg zum Allgemeinen Landrecht, in: Reformabsolutismus und ständische Gesellschaft, Zweihundert Jahre Preußisches Allgemeines Landrecht, Beiheft 3 der Zeitschrift „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, N. F., Berlin 1998, S. 131-211, S. 160. 24

II. Gesetzgebung

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II. Gesetzgebung 1. Das Allgemeine Staatsrecht und die Kodifikationsbestrebungen der Aufklärung Wie im Zusammenhang mit dem Geltungsanspruch des Allgemeinen Staatsrechts gesehen, mußten sich die partikularen positivrechtlichen Staatsrechte an ihm messen lassen. Auch sollte das Allgemeine Staatsrecht neben diesen gelten, sie gegebenenfalls ersetzen und, wenn nötig, korrigieren. Damit erschöpft sich die Wirkung des Allgemeinen Staatsrechts aber noch nicht. Es hat nämlich auch und gerade in der Schaffung von neuen, seinen Lehren konformen Regelungen seinen Niederschlag gefunden. Grundsätzlich machen nämlich „die bürgerlichen Gesetze ... das Naturrecht zu einem positiven Gesetze, indem sie die Anordnungen desselben der Willkühr und der eignen Entscheidung in Streitfällen entziehen, und bestimmte Entscheidungen demselben gemäß, festsetzen" 26 . Das positive Recht wird also vom Vernunftrecht determiniert. Insoweit besteht auch für das Allgemeine Staatsrecht eine äußerst wichtige Möglichkeit, auf das positive Staatsrecht inhaltlich Einfluß zu nehmen. Darüber hinaus besteht aber nach dem Allgemeinen Staatsrecht in dieser Hinsicht sogar ein aktiver Gesetzgebungsauftrag an den Inhaber der höchsten Gewalt. Denn „nach dem Naturrecht sind auch die ältern Gesetze entweder zu verbessern oder abzuschaffen. Jene natürlichen Gesetze aber, an deren genauer Beobachtung dem Staate besonders gelegen ist, sollen durch neue Sanktionen befestiget werden" 27. Darin drückt sich auch der noch weitergehende Anspruch und das noch weitergehende Bedürfnis nach einer neuen, nach wissenschaftlichen Grundsätzen entworfenen, systematischen Rechtsordnung aus. Nach dem Allgemeinen Staatsrecht wird nämlich dann „die bürgerliche Gesetzgebung vollkommen seyn, wenn die von dem Orte, der Zeit und andern Umstände herzunehmenden Gesetze mit denjenigen, welche aus der Wesenheit des Staates fließen, übereinstimmen"28. Dies entspricht aber der Überzeugung der Aufklärung von der grundsätzlichen „Machbarkeit", zu der die Möglichkeit, Recht systematisch neu zu schaffen, gehört. Diese Überzeugung wird wiederum untermauert durch die Staatsvertragstheorie, die aufgrund ihrer Modellhaftigkeit nicht nur Bestehendes zu legitimieren vermochte, sondern es auch erlaubte und 26 27 28

Fredersdorfsf y System des Rechts der Natur, S. 167. Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 99. Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 32.

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5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

erleichterte, Neues zu schaffen und zu begründen. Ein wichtiges Kriterium für die so eröffnete Möglichkeit der Kodifizierung des Rechts war aber gerade die Anerkennung der normativen Geltung des Allgemeinen Staatsrechts. Wäre es nämlich lediglich als moralische Verpflichtung verstanden worden 29 , wäre es wesentlich schwieriger gewesen, eine Kodifizierung in Angriff zu nehmen. Da nämlich der Fürst als Gesetzgeber verantwortlich für den Inhalt der Gesetzgebung war, hätte er, bei einer wissenschaftlichen oder politischen Auseinandersetzung über diesen Inhalt, mit dem Vorwurf des Unmoralischen belegt werden müssen. Über ein System des Rechts, das die Wissenschaft erstellt, bzw. herausgearbeitet hat und das positiviert werden soll, läßt sich dagegen ohne weiteres streiten. Im übrigen muß, um überhaupt eine Gesetzgebung möglich werden zu lassen, zuvor schon eine Rechtsordnung bestehen, auf der aufgebaut werden kann und die den Gesetzgebungsakt legitimiert. Wenn also beispielsweise im „Allgemeinen Gesetzbuch für die Preußischen Staaten" von 1791 positiv geregelt wird, daß der König die Gesetzgebungsbefugnis hat (§§ 1, 2, 3, 78 Einleitung AGB), dann muß er, da gerade dieses Gesetz ebenfalls von ihm erlassen wird, jene Befugnis schon zuvor gehabt haben. Sie aber ergibt sich aus dem Allgemeinen Staatsrecht, nach dem das Gesetzgebungsrecht eines der wichtigsten Majestätsrechte i s t 3 0 und insbesondere wieder aus der Staatsvertragslehre, denn: „Es gehört zu den nothwendigen Einschränkungen und Aufopferungen, die ein jeder bey dem Eintritt in die bürgerliche Gesellschaft um größerer Vortheile willen sich gefallen lassen muß, daß er nicht nur seinen Willen, sondern auch seine Einsichten, so weit es auf die Bestimmung seiner äußern Verhältniße gegen andere ankommt, dem Willen und den Vorschriften des Gesetzes, als des allgemeinen Willens unterwerfe" 31. In gewisser Weise zeigt sich hier auch eine weitere Parallele zwischen dem Allgemeinen Staatsrecht und dem Gemeinen Recht. Beide gingen ursprünglich auf eine wissenschaftliche Schöpfung durch die Rechtslehre zurück, auch wenn das Gemeine Recht im Unterschied zum Allgemeinen Staatsrecht immerhin über einen überkommenen Textkörper verfügte, an und mit dem gearbeitet werden konnte. Beiden Rechten wurde auch schon vor ihrer Positivierung normative Geltung attributiert. Was für das Gemeine Recht durch die Figur der „translatio imperii" oder die der lückenlosen Rezeption „in complexu" erreicht werden sollte, beruht für das Allgemeine Staatsrecht, wie gesehen, auf dem Modell des Staatsvertrages. Und ebenso 29

So etwa bei Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, S. 53, m.w.N. Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 5 f. 31 Vgl. Schreiben Carmers an Danckelmann vom 8. November 1793, abgedruckt bei: Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, S. 135, Anm. 262. 30

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wie das Gemeine Recht seine Fixierung und damit unmittelbare Geltung zumindest teilweise in den zahlreichen Kodifikationen dieser Zeit und später etwa im BGB fand, wurde das Allgemeine Staatsrecht zu weiten Teilen in den geschriebenen Staatsverfassungen zunächst in Amerika und Frankreich, im 19. Jahrhundert auch in Deutschland, niedergelegt, und auch etwa das bereits erwähnte Verfassungsgebungsprojekt des Großherzogs und späteren Kaisers Leopold II. in der Toskana geht mit Sicherheit auf den entsprechenden, durch seinen Lehrer Karl Anton v. Martini vermittelten Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts zurück 32 . Neben seiner Positivierung in Verfassungen ist das Allgemeine Staatsrecht aber auch mit den großen Kodifikationsvorhaben des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, über ihre grundsätzliche Legitimation hinaus, sogar inhaltlich eng verbunden, insbesondere insoweit sie zum Verhältnis Bürger-Staat Stellung nehmen. Eine der ersten dieser Gesetzgebungen waren etwa die bayerischen Codices mitte des 18. Jahrhunderts 33 . Sie hat Alois v. Kreittmayr, namhafter Autor eines Lehrbuches des Allgemeinen Staatsrechts, gleichzeitig auch hoher Staatsbeamter in Bayern (s.o.), maßgeblich beeinflußt und mitentworfen 34 . Ähnlich verhält es sich mit dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches in Österreich, das im Jahre 1797 zunächst in West- und dann auch in Ostgalizien eingeführt wurde. Der Entwurf stammte wiederum von Karl Anton v. Martini und enthielt Vorschriften über das Wesen des Staates, dessen Zwecke und die Rechte der Bürger, in denen sich die Lehren des Allgemeinen Staatsrechts widerspiegeln 35 , sogar einige - später wieder gestrichene - Grundrechtsbestimmungen 36. 32

s.o. Dabei muß allerdings eine Differenzierung getroffen werden zwischen ersteren, die gewissermaßen originär revolutionäre Verfassungsprojekte waren und letzterem, das noch „Ausdruck eines Reformstrebens als Revolution von oben" (vgl. Dippel, Horst, Der Verfassungsdiskurs im ausgehenden 18. Jahrhundert und die Grundlegung einer liberaldemokratischen Verfassungstradition in Deutschland, in: Dippel, Horst (Hrsg.), Die Anfänge des Konstitutionalismus in Deutschland, Texte deutscher Verfassungsentwürfe am Ende des 18. Jahrhunderts, Frankfurt 1991, S. 7 ff., S. 16) gewesen sind. Nur letzteres kann wirklich als im Sinne des Allgemeinen Staatsrechts angesehen werden (s. infra). 33 Codex Juris Bavarici Criminalis von 1751, Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753 und Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756. 34 Schöll, Werner, Der Codex Juris Bavarici Judiciarii von 1753 im Vergleich mit den prozeßrechtlichen Bestimmungen der bayerischen Gesetzgebung von 1616 und mit dem Entwurf und den Gutachten von 1752/53, München 1965, S. 21 m.w.N. 35 Vgl. Conrad, Hermann, Recht und Verfassung des Reiches, S. 2 f., 15, m. w. N., Thoman, Marcel, Die Bedeutung der Rechtsphilosophie Christian Wolffs in der juristischen und politischen Praxis des 18. Jahrhunderts, in: Thieme, Hans (Hrsg.), Humanismus und Naturrecht in Berlin-Brandenburg-Preußen, Berlin 1979. 36 Hofmeister, Neue Deutsche Biographie, S. 301.

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Die Rezeption des Allgemeinen Staatsrecht und seine Transformation vom Produkt der Staatsrechtslehre zu praktisch bedeutsamen, staatlich sanktionierten und anwendbaren Rechtsnormen, konnte sich aber auch auf direkterem Wege vollziehen. So soll Nettelbladts System des Naturrechts, zu dem auch das Allgemeine Staatsrecht als staatsrechtliches Naturrecht gehört haben muß, auf Anordnung Zarin Katharinas der Großen „subsidiarische ausschließliche Auctorität erhalten" haben 37 , d.h. in einem Teil des russischen Reiches als subsidiär geltendes Gesetzbuch eingeführt worden sein 38 . Außerdem bestand für das Allgemeine Staatsrecht anerkanntermaßen auch die Möglichkeit, aufgrund langdauernder Übung zu Gewohnheitsrecht zu werden. In diesem Sinne ist auch die Bemerkung des Hallenser Juristen und Professors für Geschichte, Statistik und Heraldik, Johann Christoph Krause 39 , in seinen „Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte" zu verstehen 40 : „oefters wiederholte Anwendungen des nemlichen Systems geben Observanz und sperren andern Systemen den Zugang"41.

2. Die Preußische Kodifikation Herausragende Bedeutung hat in diesem Zusammenhang aber vor allem das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 (ALR). Es ist nicht nur die erste, sondern auch die umfassendste Kodifikation dieser Art und kam in einem langwierigen Prozeß, der die grundlegenden Fragen nicht nur danach, wie am besten zu verfahren, sondern auch, ob ein solches Vorhaben überhaupt möglich und opportun sei, unter reger Beteiligung des aufgeklärten Publikums zustande. Wenn man davon ausgeht, daß Kodifikationen ihrem Wesen nach am Ende einer längeren Rechtsentwicklung stehen und deren Ergebnisse zusammenfassen 42, so läßt sich mit Blick auf das Verhält37

S. 67. 38

Krause,

Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte,

Allgemeine Deutsche Biographie, Leipzig 1882, Bd. 23, S. 464. Weidlich, Christoph, Zuverlässige Nachrichten von denen ietztlebenden Rechtsgelehrten, Nachträge, Halle 1783. 40 Zu beachten ist hierbei jedoch, daß das Allgemeine Staatsrecht auf diesem Wege dadurch Gesetzeskraft erlangen soll, daß es von den Fürsten befolgt wird, während andererseits diese Gesetzeskraft schon vorher postuliert worden war und das Allgemeine Staatsrecht gerade deshalb angewandt wird. Die Argumentationsstränge für die Begründung des Rechtscharakters des Allgemeinen Staatsrechts sind also teilweise uneinheitlich und führen vereinzelt, wenn man sie nicht isoliert und jeweils systeminhärent betrachtet, sogar zu einem Zirkelschluß. 41 Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 74. 42 Kleinhey er, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten, S. 22. 39

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nis von Allgemeinem Landrecht und Allgemeinem Staatsrecht zumindest so viel sagen, daß im Allgemeinen Landrecht wesentliche Gedanken des Allgemeinen Staatsrechts eingeflossen sind. So bemerkt schon der Haupt-Verfasser des Allgemeinen Landrechts, Carl Gottlieb Svarez, in seinen Kronprinzenvorträgen hinsichtlich der „ Verhältniße des Staats gegen seine Unterthanen „Alle diese Sätze sind bereits im Allgemeinen StaatsRechte vorgekommen und erwiesen worden. Hier werden sie nur als der bestimmt erklärte Wille des Gesetzgebers, mithin als positives Gesetz vorgetragen und auf den Preußischen Staat näher angewendet"4 und auch die Allgemeine Deutsche Bibliothek stellt mit Blick auf den Entwurf des Gesetzbuches fest, es sei darin „die echte reine Lehre des allgemeinen natürlichen Staatsrechts" ausgesprochen 44. Dabei ging die Intention der Gesetzgeber nicht einmal dahin, eine umfassende Kodifikation der Lehren des Allgemeinen Staatsrechts zu schaffen, sondern jene wurden eher beiläufig und als Grundlagen der Kodifikation der übrigen Rechtsgebiete behandelt und dieser zugrundegelegt. Es verhält sich demnach aber durchaus so, daß das Allgemeine Landrecht als Verrechtlichung der Beziehungen zwischen Bürger und Staat eine teilweise Niederlegung der Lehren des Allgemeinen Staatsrechts beinhaltete und zugleich auch ein Ergebnis dieser Lehren darstellt 45 . Die Kodifikation war also nicht nur im Sinne des Allgemeinen Staatsrechts, sondern auch von seinem Geiste durchdrungen. Der Einfluß des Naturrechts, wie es sich im Allgemeinen Staatsrecht niedergeschlagen hat, ist demnach sowohl bei der Bewältigung dieser Aufgabe sowie auch im späteren Resultat selbst unübersehbar 46. Dies war auch ausdrücklich sogar schon vom ersten, ursprünglichen königlichen Gesetzgebungsauftrag, der Kabinettsordre Friedrich Wilhelms I. von 1714 an die juristische Fakultät der Universität Halle 4 7 , beabsichtigt. Danach waren die „principia juris naturae " „allenthalben einzuhalten iA*. Auch die Kabinetts43

Fol. 372 r. An anderer Stelle sagt Svarez bemerkenswerter Weise auch, die Kodifikation entspreche jeder Forderung, die das Allgemeine Staatsrecht an eine aufgeklärte Gesetzgebung stelle (Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem, Repositur 84, Abteilung XVI, Band 07, Nr. 88, Fol. 12, vgl. auch Krause, Peter, Die Überforderung des aufgeklärten Absolutismus Preußens durch die Gesetzgebung, S. 170). 44 Vgl. Hubrich, Eduard, Die Grundlagen des monarchischen Staatsrechts Preußens, insbesondere mit Rücksicht auf den Begriff der gesetzgebenden Gewalt, VerwArch 16 (1908), S. 389 ff., 443, Anm. 152. 45 So soll sogar die Systematik des ALR der der Naturrechtssysteme folgen, vgl. Link, Aufgeklärtes Naturrecht und Gesetzgebung, S. 40. 46 Vgl. auch Dann, Naturrecht - Spätaufklärung - Revolution, S. 2, der feststellt, es sei „in die Sprache der reformorientierten Gesetzgebung in breiter Front eingedrungen".

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ordre Friedrichs des Großen von 1780 schrieb als Richtschnur für die Ausarbeitung des Allgemeinen Gesetzbuchs vor, daß die aufgenommenen Regeln mit dem „Naturgesetz" übereinzustimmen hätten 49 . Carl Gottlieb Svarez wiederum, der maßgebliche Autor der Kodifikation, ist selbst ebenfalls nachhaltig vom Allgemeinen Staatsrecht geprägt und hat dessen Grundsätzen und Regeln dementsprechend Eingang in diese verschafft 50 . Als Lehrer des Kronprinzen und späteren Königs Friedrich-Wilhelm III. hat er auch mit Sicherheit einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Akzeptanz des Werkes auf Seiten des Staatsoberhaupts, was man durchaus auch auf dessen Vertrautheit mit den dergestalt vermittelten Lehren des Allgemeinen Staatsrechts zurückführen kann. Ebenso leisteten etliche Autoren des Allgemeinen Staatsrechts wichtige Beiträge zur Kodifikations-Diskussion überhaupt 51 und auch bei der eigentlichen Ausführung der preußischen Kodifikation, beispielsweise durch die Einsendung der sogenannten „Monita", die auf die Veröffentlichung des „Entwurfs eines allgemeinen Gesetzbuches für die preußischen Staaten" von 1784-1788 folgte 5 2 und die in das spätere „Allgemeine Gesetzbuch für die preußischen Staaten" (AGB) eingearbeitet wurden. Aber schon die Legitimation für das Kodifikationsvorhaben selbst kommt aus dem Allgemeinen Staatsrecht (s.o.). Aus diesem Zusammenhang und der Verbindung des Allgemeinen Staatsrechts mit der Staatsvertragslehre erklärt sich auch die häufige Bezugnahme des Allgemeinen Landrechts auf das „gemeine W o h l " 5 3 , bei der der Staatszweck der größtmöglichen allgemeinen „Glückseligkeit" anklingt 54 . Überhaupt verstand sich das Allge47

An deren juristischer Fakultät, wie bereits gesehen, zu dieser Zeit neben Christian Thomasius auch Justus Henning Böhmer u.a. das Allgemeine Staatsrecht lehrte. 48 Vgl. Krause, Peter, Naturrecht und Kodifikation, S. 21 und Krause, Peter, Das gemeine Recht und seine Kodifikation durch das Allgemeine Landrecht, in: Wolff, Jörg (Hrsg.), Das Preußische Allgemeine Landrecht, Politische, rechtliche und soziale Wechsel- und Fortwirkungen, Heidelberg 1996, S. 69-95 (S. 74). 49 Hubrich, Die Grundlagen des monarchischen Staatsrechts Preußens, S. 443 f. 50 Hubrich, Die Grundlagen des monarchischen Staatsrechts Preußens, S. 443. 51 So widmen, wie bereits erwähnt, etliche Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts der Frage nach der Gesetzgebungsbefugnis der höchsten Gewalt und deren Ausübung, meist im Zusammenhang mit den Majestätsrechten und - mehr oder weniger deutlich - mit Bezug auf die laufenden Kodifikationsbestrebungen, besonders breiten Raum, wie beispielsweise auch Kahrel, Jus Publicum Universale, S. 72-86, zum Thema „De f erendi legibus" in einem langen Kapitel Form und Inhalt zu erlassender Gesetze beschreibt und vor allem davon spricht, daß diese ein ganzes „Corpus Juris" ergeben sollten. 52 Unter anderm wurden beispielsweise die berühmten Staatsrechtler Pütter und Schlözer, aber auch etwa Nettelbladt sogar direkt zur Stellungnahme aufgefordert (vgl. Gose, Walther, in: Krause, Peter/Gose, Walther, Aufklärung und Gesetzgebung, Trier 1988, S. 64).

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meine Staatsrecht ohnehin, wie oben gesehen, als Hilfe für den Herrscher bei der Gesetzgebung55. M i t dem Kodifikationsvorhaben konnte es diesem Anspruch und dieser Rolle, die es sich selbst beigelegt hatte, nunmehr umfassend gerecht zu werden versuchen. Hinzu kam der politische Aspekt, dieses theoretische Recht auch praktisch zur Geltung zu bringen, gerade um den aus dem Staatsvertrag fließenden Souveränitätsanspruch geltend zu machen 56 . Dieses durch das Allgemeine Staatsrecht postulierte und begründete Gesetzgebungsrecht wurde mit der preußischen Kodifikation also ausgeübt und gewann so gleichzeitig eine neue Dimension, die auch wieder auf das Allgemeine Staatsrecht selbst zurückstrahlt. Die Umsetzung des nach der Lehre des Allgemeinen Staatsrechts bestehenden Rechtes in die Praxis verleiht so diesem zuvor eben doch zunächst nur theoretisch begründeten Recht eine neue praktische Qualität und Bedeutung, die sich grundsätzlich auch in anderen Bereichen niederschlagen kann. Konkrete Einwirkungen des Allgemeinen Staatsrechts lassen sich insoweit hinsichtlich der Systematik wie des Inhalts des Gesetzgebungswerkes feststellen. Wenn nämlich beispielsweise argumentiert wird, daß „... nach den Grundsätzen des algemeinen Statsrechts die Befugnisse des Regenten hier mir aus der Natur dieser Sachen zu entstehen scheinen,..., so würde auch diese Materie wenigstens ebenso bequem bei dem Sachenrecht abgehandelt werden" 57, oder: „Ich glaube nicht, daß der hier angegebene Grund der Gerichtsbarkeit zu enge sein wird, denn die Criminalgerichtsbarkeit scheint mir eigentlich nach den Grundsätzen des algemeinen Statsrechts zu der bloßen exekutiven Macht zu gehören ..." 5 8 , 53 Kleinhey er, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten, S. 14, Hattenhauer, Hans, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten v. 1794, 2. Aufl., Berlin 1994, Einführung S. 23. 54 s.o., vgl. auch, in diesem Zusammenhang besonders eindeutig, Kahrel, Jus Publicum Universale, S. 73, nach dem alle Gesetzgebung von dem Grundsatz auszugehen hat, daß die „salus publica " die „suprema lex " sein muß, wobei er sich übrigens ausdrücklich auf Montesquieu bezieht. 55 So sieht beispielsweise Kahrel, Jus Publicum Universale, S. 138, den Nutzen des Allgemeinen Staatsrechts unter anderem darin, daß es die, „die die Gesetze entwerfen, beraten" soll. 56 Vgl. etwa Kleinheyer, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten, S. 11 f. 57 Eggers, Christian Ulrich Detlev v., Nachtrag zu den Anmerkungen über die drei ersten Abtheilungen des Gesetzbuches vom 27. Januar 1788, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem, Repositur 84, Abteilung XVI, Nr. 07, Bd. 70, Fol. 152ff (156). 58 Eggers, Christian Ulrich Detlev v., Nachtrag zu den Anmerkungen, S. 164.

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so macht dies deutlich, daß hier das Allgemeine Staatsrecht zur Begründung der Systematik des Allgemeinen Gesetzbuches herangezogen wird. Inhaltlich wiederum läßt sich der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts etwa schon daran erkennen, daß, genau wie das Allgemeine Staatsrecht die Verteilung der Rechte und Pflichten im Staat zwischen Bürgern und Herrschern zu erfassen und zu regeln suchte, nach § 1 der Einleitung zum Allgemeinen Landrecht, die Kodifikation „die Vorschriften, nach denen die Rechte und Verbindlichkeiten der Einwohner des Staats ...zu beurteilen sind" enthalten soll. Auch der Kernpunkt des Allgemeinen Staatsrechts, die Staatsvertragslehre mit der Vorstellung von der Aufgabe der natürlichen Freiheit zur Erreichung des Staatszweckes, findet sich konkret wieder in § 56 Einl. zum 1. Teil des Entwurfs zu einem allgemeinen Gesetzbuch für die preußischen Staaten (§ 79 Einl. AGB), der lautet: „Der Staat kann die natürliche Freyheit seiner Bürger nur in so fem einschränken, als das Wohl der gesellschaftlichen Verbindung solches erfordert". Im übrigen entsteht, indem der Bürger erstmals überhaupt und bewußt zum Adressaten der gesetzlichen Norm wird, nachdem sich Gesetze bisher lediglich an Behörden und Gerichte gewandt hatten 59 , eine direkte staatsrechtliche Beziehung zwischen Herrscher und Untertanen, die das Allgemeine Staatsrecht zuvor - unter anderem auch durch Svarez (s.o.) - theoretisch erarbeitet und postuliert hatte und die vom Gesetzgeber mit dieser Kodifikation anerkannt und sanktioniert wird 6 0 . Diese Beziehung ist aber nun nicht mehr personal, wie in der mittelalterlichen staatsrechtlichen Lehre, sondern territorial. Das Allgemeine Landrecht stellt eine Kodifizierung für alle preußischen Territorien gleichermaßen dar 6 1 . Politisch wird damit das Zusammenwachsen zu einem einheitlichen Territorialstaat gefördert, was auch ein ursprüngliches Anliegen der Lehre des Allgemeinen Staatsrechts war, indem in ihr die Entwicklung hin zum modernen Staat wissenschaftlich aufgearbeitet wurde und dies eben auch gerade im Interesse der Landesfürsten (s.o.). Juristisch besteht dadurch die Rechtsbeziehung nicht mehr zwischen Regent und Untertan, sondern zwischen Bürger und Staat, wobei darin auch die Vorstellung vom Regenten als Staatsdiener ihren Ausdruck findet 62 . Dadurch, überhaupt durch die Kodifizierung, entstand für den 59

Kleinhey er, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten, S. 12. Daß der Staat auf diese Weise und in dieser Art neues Recht schuf, erregte bei manchen Zeitgenossen Anstoß und war einer der Gründe, warum das Inkrafttreten des Allgemeinen Gesetzbuches 1791 verhindert wurde und erst drei Jahre später unter dem Namen Allgemeines Landrecht, der - freilich der Sache nach zu Unrecht statt der Schaffung neuen Rechts eine Sammlung schon vorhandenen Rechts suggerierte, stattfinden konnte (vgl. Hattenhauer S. 18 f., Krause, Peter, Aufklärung und Gesetzgebung, S. 5). 61 Kleinhey er, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten, S. 15. 62 Kleinheyer, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten, S. 19. 60

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Regenten das Problem, daß er sich nicht mit den von ihm selbst geschaffenen Gesetzen in Widerspruch setzen durfte, um nicht unglaubwürdig zu werden 63 , was de facto zu einer quasi-rechtsstaatlichen gesetzlichen Bindung der gesamten Verwaltung mit dem Herrscher an der Spitze führen konnte 64 . Darüber hinaus kann man unabhängig von der umstrittenen Frage 65 , ob das Allgemeine Landrecht Verfassungscharakter gehabt bzw. eine Ersatz-Verfassungs-Funktion wahrgenommen hat - solches ließe sich zumindest auch auf den Geltungsanspruch des sich in der Kodifikation manifestierenden Allgemeinen Staatsrechts zurückführen - jedenfalls eindeutige Parallelen ziehen zwischen dem, was Svarez dem Kronprinzen als Regel des Allgemeinen Staatsrechts vorgestellt hat, und einer Vielzahl von Vorschriften, die sich im Allgemeinen Gesetzbuch und teilweise auch noch im Allgemeinen Landrecht selbst wiederfinden. Verwiesen sei hier nur auf die Religionsfreiheit (§§ I f . I I 11 ALR) und den Eigentumsschutz (§§ 74, 75 Einl. A L R ) 6 6 , aber auch auf das Machtspruchverbot (§ 6 Einl. A G B ) 6 7 63

Kleinhey er, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten, S. 21. Dies ist aber sowohl in der zeitgenössischen Literatur, das Allgemeine Staatsrecht (s.o.) ebenso wie die Kodifikation selbst betreffend (für Letzteres siehe etwa Krause, Peter, Die Überforderung des aufgeklärten Absolutismus Preußens durch die Gesetzgebung, S. 131 f.), als auch in der modernen Einschätzung des ALR umstritten (u.a. Kleinheyer, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten, S. 21 m.w.N.). Svarez jedenfalls erklärt eindeutig, der Herrscher müsse „seine Gewalt nur nach den vorhandenen allgemeinen Gesetzen ausüben, weil Willkür mit der Sicheheit des Eigentums und der Rechte nicht bestehen kann " (Svarez, Kronprinzenvorträge Fol. 119 r.). 65 Vgl. insbesondere Hattenhauer, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, Einführung S. 20, Conrad, Hermann, Das Allgemeine Landrecht von 1794 als Grundgesetz des friderizianischen Staates, Berlin 1965, einerseits, andererseits Birtsch, Günter, Zum konstitutionellen Charakter des Preußischen ALR von 1794, in: Kluxen, Kurt/Schieder, Theodor (Hrsg.), Politische Ideologien und nationalstaatliche Ordnung, Festschrift für Theodor Schieder, München 1968, S. 97115. 66 Vgl. etwa Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 305: „... daß Eigenthum und schon wirklich erworbene Rechte durch Polizeigesetze nicht gekränkt werden müs sen und daß, wenn je in ein oder anderm außergewöhnlichen Falle der Staat sich genötigt sieht, über das Eigenthum eines einzelnen Bürgers zum Zwecke der allgemeinen Sicherheit zu disponieren, er auch schuldig sei, einen solchen Eigenthümer für den dadurch entstehenden Nachteil vollständig zu entschädigen 67 Bei Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 125 v., mit der Begründung, der Regent habe das Richten den dazu Ausgebildeten und Berufenen zu überlassen und überdies verstoße es gegen den aus dem Allgemeinen Staatsrecht zu begründenden Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn Urteile im Einzelfall durch den Regenten abgeändert würden (vgl. auch Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 133, 297 v.). Daß dies auch unter den Vertretern des Allgemeinen Staatsrechts selbst nicht unumstritten gewesen ist, zeigt etwa die Ansicht Scheidemantels, nach der der Inhaber der höchsten Gewalt den Gerichten gegenüber ohne weiteres weisungsberechtigt bleiben soll und deswegen das Recht behält, „in nähern oder entfernten Instanzen, ja bis64

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Schelp

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und das Erfordernis der Prüfung von Gesetzen durch die Gesetzkommission als Bedingung für deren Inkrafttreten ( § 1 2 Einl. A G B ) 6 8 oder den aus der Staatsvertrags- bzw. Staatszwecklehre stammenden Sozialstaatsgedanken (II 19 § 1 A G B / A L R ) 6 9 . Erkannt und diskutiert wird dies schon während der öffentlichen Debatte über den Entwurf des Allgemeinen Gesetzbuches. Dieses Bewußtsein der Zeitgenossen der Gesetzgebung, daß Elemente des Allgemeinen Staatsrechts in diese einflossen, erzeugte aber auch gewisse Bedenken, aus denen man allerdings andererseits wieder auf das Vorhandensein eben jenes Bewußtseins schließen kann. So wird in den Monita etwa geltend gemacht, daß „zu besorgen steht, daß fast das ganze Jus universale civile und ein großer Teil des iuris publici universalis möchte inseriert werden so daß „das preußische subsidiarische und das aber allerlezt zu aplicierende jus civile divinum in einem Gesetzbuch zusammen " erfaßt würde. Dies berge die Gefahr, daß „manch einfältiger Richter" die Anwendungshierarchie und Reihenfolge der verschiedenen Rechte verwechseln könne 70 . Auch der Kopenhagener Staatsrechtler Christian Ulrich Detlev v. Eggers schreibt in einem Monitum 7 1 , daß durch die Aufnahme der entsprechenden Vorschriften betreffend das Verhältnis Bürger und Staat in die Kodifikation „die Vorschriften des algemeinen Statsrechts, welche das Algemeine der Statsverbindung betreffen, in der preußischen Monarchie die Kraft eines positiven Gesetzes erhalten Durch die Verbindung mit dem zweiten Satzteil: „ . . . und ausgeschlossen sind dagegen alle Verfügungen, welche Einrichtungen betreffen, die sich nur auf die preußische Monarchie als einen eigenen Stat beziehen" ergibt sich aber, daß Eggers - wie dies auch in dem ersten Monitum zum Ausdruck kommt - Bedenken dahingehend hegt, daß die Subsidiarität der Normen des Allgemeinen Staatsrechts, die hier offensichtlich vorausgesetzt wird, durch seine Positivierung aufgehoben werden könnte. Daraus kann man aber zumindest auch schließen, daß die grundsätzliche Geltung und Rechtsqualität des Allgemeinen Staatsrechts, unabhängig von seiner Positivierung, hier nie in Zweifel gezogen wird. In diesem Zusammenhang ist im Hinblick auf den normativen Geltungsanspruch des Allgemeinen Staatsrechts auch bemerkenswert und bezeichweilen in eigner Person Recht zu sprechen " (,Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 149). Für ein Machtspruchrecht, zumindest soweit es „utilitas vel necessitas publica" erfordern, auch etwa Kreittmayr, Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechts, S. 21. 68 Bei Svarez, Kronprinzenvorträge Fol. 124 und 296 v. 69 Vgl. Krause, Peter, Kant und das Allgemeine Landrecht, S. 433. 70 Extractio monitorum, Nachträge, Mon. 1 zur Vorerinnerung, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem, Repositur 84, Abteilung XVI, Bd. 07, Nr. 74, Fol. 3. 71 Eggers, Christian Ulrich Detlev v., Nachtrag zu den Anmerkungen, S. 152.

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nend, daß von Seiten der Urheber der Kodifikation bezüglich der in die Kodifikation eingeflossenen Sätze des Allgemeinen Staatsrechts behauptet wird, man habe „bisher noch keinen einzigen namhaft machen können, der ... in unserer gegenwärtigen Staatsverfassung nicht schon wirklich gegolten hätte, und der nicht erforderlichen Falls mit ausdrücklichen Verordnungen, Erklärungen und Äußerungen sowohl des Höchstseeligen, als des jetzt regierenden Königs Mayestät belegt werden könnte"72. Die so entstandene Rechtsordnung des Allgemeinen Gesetzbuches umfaßte im Einzelnen eine ganze Reihe von Bereichen, in denen das Allgemeine Staatsrecht Normen zur Einschränkung der fürstlichen Macht entworfen hatte, eben beispielsweise die Religionsfreiheit (§§ I f . I I 11 ALR) und den Eigentumsschutz (§§ 74, 75 Einl. ALR), während weitergehende Beschneidungen, wie das Machtspruchverbot (§ 6 Einl. AGB) und das Erfordernis der Prüfung von Gesetzen durch die Gesetzkommission als Bedingung für deren Inkrafttreten (§ 12 Einl. AGB) als zu weitgehend angeprangert 73 und im Allgemeinen Landrecht entfernt wurden 7 4 Insgesamt herrschte aber bei den Gesetzgebungsarbeiten offenbar die - aus dem Allgemeinen Staatsrecht stammende und insbesondere von Svarez propagierte - Meinung vor, daß die natürliche Freiheit nur i m geringsten zur Zweckerreichung notwendigen Maße eingeschränkt werden dürfe 75 , was dem Bürger einen erheblichen rechtlich gesicherten Freiraum ließ. Dieser war von der in der Praxis weitgehend unabhängigen Rechtsprechung - auch ein Postulat des Allgemeinen Staatsrechts - aufgrund der Positivierung durch die Kodifikation in weit besserem Maße zu schützen und auszugestalten als zuvor 7 6 . 72

Schreiben von Carmer an Danckelmann vom 21. September 1793, abgedruckt in Stölzel, Adolf, Carl Gottlieb Svarez, Ein Zeitbild aus der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, Berlin 1885, S. 376-378. Hubrich, Die Grundlagen des monarchischen Staatsrechts Preußens, S. 442, schreibt es als Entwurf für Carmer Svarez selbst zu. 73 Vgl. etwa die Denkschrift des preußischen Ministers Heinrich Julius Goldbeck für König Friedrich-Wilhelm II. vom 6. Dezember 1793 (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem, Repositur 86, Nr. 227A, Acta des Kabinetts Friedrich-Wilhelm II., Fol. 32 ff.): „Zum § 6. Dieser Satz ist der verwerflichste von allen. Denn der Sinn ist, daß ein landesherrlicher Befehl in Sachen, worüber ein Prozeß schwebt, nicht gelten solle; ... höchstunzulässig ist es, einen Befehl des Regenten in einer rechtshängigen Sache blos deshalb für ungerecht zu achten, weil er ohne rechtliches Gehör ertheilt ist, und zugleich, welches das schlimste, einen jeden von der Befolgung dieses Befehls zu entbinden 74 Krause, Peter, Die Überforderung des aufgeklärten Absolutismus Preußens durch die Gesetzgebung, z.B. S. 185, Kleinhey er, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten, S. 17, 19. Solche Beschneidungen der fürstlichen Macht waren übrigens auch im Allgemeinen Staatsrecht höchst umstritten (s. o.). 75 Vgl. dazu auch etwa Kleinheyer, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten, S. 18. 14*

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5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

III. Revolution Daß die Lehren des Allgemeinen Staatsrechts nicht nur ein reformerisches, sondern, losgelöst von den gemäßigten Absichten ihrer ursprünglichen Verfechter, auch ein revolutionäres Potential hatten, versteht sich von selbst. Insbesondere die Lehre von der Legitimität des Widerstandsrechts unter bestimmten Voraussetzungen konnte, in den Händen von radikaleren Kräften, die Gefahr des Versuchs eines gewaltsamen Umsturzes bergen. Juristisch kam es für diese Legitimität des Widerstandes nur darauf an, daß die zuvor postulierten und weitgehend akzeptierten Voraussetzungen des Eintrittes des Widerstandsrechts vorlagen, was, wie gesehen, der Interpretation durch interessierte Kreise verhältnismäßig weite Spielräume ließ. Herausragende Beispiele dafür sind etwa bereits die sogenannte „Glorious Revolution" von 1689 in England, die ausdrücklich damit begründet wurde, daß der König sich ins Unrecht gesetzt habe „by breaking the original contract between king and people" 11 und hundert Jahre danach die Französische Revolution, aber auch der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg. Hingewiesen sei dabei beispielsweise darauf, daß das Allgemeine Staatsrecht über die Rezeption des deutschen Naturrechts im französischen Sprachraum - vor allem durch die Vermittlung von Emer de Vattel mit seinem Werk „Le Droit des Gens ou Principes de la Loi Naturelle, appliqués à la Conduite et aux Affaires des Nations et des Souverains" 78 - verbreitet waren 79 und die juristische und politische Debatte in Frankreich 80 ebenso wie in Amerika 8 1 stark beeinflußt haben. Insoweit spielte also sowohl bei der amerikanischen Revolution von 1776 82 wie auch bei der französischen Revolution von 1789 das Gedankengut des Allgemeinen Staatsrechts eine wichtige Rolle und fand in den Menschenrechtserklärungen und den im Anschluß an die Revolutionen geschaffenen Verfassungen seinen Niederschlag 83 . Aber auch etwa die Brabanter - um ein weniger bekanntes und augenfälliges, 76 Zumindest grundsätzlich, auch wenn aus heutiger Sicht vereinzelt bemängelt wird, daß er einer gerichtlichen Kontrolle weitgehend entbehrte (vgl. Kleinhey er, Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten, S. 21). 77 Vgl. Stourzh, Vom Widerstandsrecht zur Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 8 m. w.N. 78 Genf 1758. 79 Zur „Kette" der Verbreitung des Wolff #chen Gedankengutes vgl. etwa Würtenberger, An der Schwelle zum Verfassungsstaat, S. 59 m.w.N. 80 Vgl. etwa Thoman, Marcel, Rechtsphilosophische und rechtsgeschichtliche Etappen der Idee der Menschenrechte im 17. und 18. Jahrhundert, in: Kroeschell, Karl, Gerichtslaubenvorträge, Sigmaringen 1983, S. 73-83, m.w.N. 81 Ein Beispiel dafür findet sich etwas bei Stourzh, Vom Widerstandsrecht zur Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 16. 82 Vgl. etwa Grimm, Europäisches Naturrecht und Amerikanische Revolution, S. 122.

IV. Das allgemeine Staatsrecht als staatsrechtliches Grundlagenfach

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jedoch nicht minder signifikantes Beispiel zu nennen - beriefen sich bei ihrem Widerstand gegen die von Joseph II. eingeführten Reformen darauf, daß dieser ein Fundamentalgesetz verletzt habe, indem er die seit dem 14. Jahrhundert als eine Art Landesverfassung geltende „Joyeuse Entrée" abgeschafft habe und nahmen dies zum Anlaß für einen Aufstand, mit dem sie die Rückgängigmachung der Reformen erreichten. In Deutschland wurde von der Möglichkeit des „verfassungskonformen Widerstands" unter Heranziehung des Allgemeinen Staatsrechts beispielsweise bei der Anrufung der auswärtigen Garantiemächte durch die württembergischen Stände im Konflikt um die durch König Friedrich oktroyierte Verfassung von 1815 Gebrauch gemacht 84 .

IV. Das allgemeine Staatsrecht als staatsrechtliches Grundlagenfach Der dem Allgemeinen Staatsrecht schon aufgrund seiner Methode und seiner Entstehungsgeschichte inhärente Allgemeingültigkeitsanspruch brachte es mit sich, daß es sich nicht nur für die staatsrechtliche Praxis, sondern in ganz besonderem Maße - gewissermaßen bereits einen Schritt zuvor ansetzend - auch für die juristische Ausbildung als Grundlage anbot. Denn „weil es als ein Theil des natürlichen Rechts alle Staaten in der Welt ohne Unterschied verbindet, also, daß kein particulier Staatsrecht kan gefunden werden, welches sich auf das universelle nicht gründen solte muß, „wer in jenem ein wohl eingerichtetes und nützliches Gebäude aufzurichten gedencket„dieses zum Grundstein legen"* 5. Anders ausgedrückt, ist „das allgemeine Staatsrecht ... eine juristische Metaphysik, oder die Grundwissenschaft der ganzen Rechtsgelahrtheit in Staaten"* 6. Insofern konnte es einerseits zu einer Vereinheitlichung der universitären Ausbildung im Bereich des Staatsrechts und damit zur Einführung eines standardisierten Wissensniveaus der Hochschulabsolventen in diesem Bereich, zum anderen als Hilfe bei der praktischen Arbeit der mit staatsrechtlichen Pro83

Vgl. etwa Thoman, Marcel, Revolution der Gesellschaft durch Naturrecht? in: Mohnhaupt, Heinz, Extreme Formen der Veränderung von Recht und Gesellschaft, Frankfurt 1988, S. 39-59, oder Sandweg, Jürgen, Rationales Naturrecht als revolutionäre Praxis, Untersuchungen zur „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" von 1789, Berlin 1972, der sogar sagt, alle Arikel der französischen Menschenrechtserklärung ließen sich als Positivierung „bislang nur theoretisch gültiger" Naturrechtsnormen verstehen (S. 296). 84 Vgl. Dilcher, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, S. 178, 162 m. w. N. 85 Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen, S. 10. 86 Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 25.

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5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

blemen konfrontierten, entsprechend ausgebildeten Entscheidungsträger dienen. Paradigmatisch macht dies etwa Scheidemantel deutlich, wenn er sagt: „Gewis, die Nothwendigkeit und der Nuzzen des allgemeinen Staatsrechts zeigen sich sehr deutlich bei der Erlernung und Anwendung der Rechtsgelahrtheit. Als ein vernünftiges und natürliches Recht ist diese Wissenschaft die erste Grundlage aller Gesezze, die in Staaten vorkommen und alle bürgerliche gute Gesezze sind als ihre genauer bestimmte Folgen anzusehen. Wie will man wol die bürgerlichen Vorschriften erlernen, wenn man ihre ersten Grundsäzze nicht versteht? Ohne sie kann man die wesentlichen Staatsrechte von dem Zufälligen nicht unterscheiden; Regent, Minister und Gesezgeber irren ohne ihre Begleitung in der Dunkelheit herum, ... kurz das ganze Rechtssystem wird ohne solche ungewis"87 und bereits Böhmer forderte, daß die Wissenschaft des Allgemeinen Staatsrechts besonders deshalb auf den Universitäten zu lehren sei, da die, denen „die Sorge um das Wohl des Staates einst übergeben " werde, dort anhand seiner die „bürgerliche Ruhe" befördernden Lehrsätze geschult werden müßten 88 . 1. Bedeutung für die Lehre Ganz allgemein kann man - auch unter dem oben schon angesprochenen Gesichtspunkt des Allgemeinen Staatsrechts als Hilfsmittel bzw. Quelle der deutschen Staatsrechtswissenschaft - sagen, daß das Allgemeine Staatsrecht als Wissenschaft zur Systematisierung und besseren logischen Durchdringung des gesamten Staatsrechts und damit auch des positiven Staatsrechts in Deutschland beigetragen hat. So wird dazu etwa angemerkt, das deutsche Staatsrecht habe seit Einführung des Allgemeinen Staatsrechts „deutlich an sorgfältiger Anwendung und besserem Lehrvortrag gewonnen", wobei es durchaus möglich ist, daß letzteres ersteres bedingt hat, und man könne „ es durch Vergleichung der älteren und neueren hierher gehörigen Schriften am besten sehen, wie weit richtiger und bestimmter alles worden ist, wie viel besser es zusammen hängt, wie weit natürlicher eins aus dem andern gefolgert wird" 89, oder aber, ganz knapp und apodiktisch, das deutsche Reichsstaatsrecht könne ohne das Allgemeine Staatsrecht nicht wirklich erlernt werden 90 . Das Allgemeine Staatsrecht habe daher das „Verdienst eines lichtvollen gelehrten Vortrags, welcher die Vergleichung des positiven 87 Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 25. 88 „Imo haec disciplina in academiis eo magis tractanda est, cum hi, quibus aliquando cura reipublicae simul tradenda est, in hoc loco instrui, et animus eorum eis doctrinis praeparari debeat, quae civilem tranquilitatem promovent" (Böhmer, Introductio in lus Publicum Universale, S. 97). 89 Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 205.

IV. Das allgemeine Staatsrecht als staatsrechtliches Grundlagenfach

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deutschen und des allgemeinen Staats= und Völkerrechts erleichtert" und überhaupt die „heilsamsten unmittelbaren Wirkungen ... auf die systematische Bearbeitung des Staatsrechts gehabt" 91. Die mit dieser Systematisierung einhergehende Vereinfachung des Lehrstoffes für die Studenten hatte aber bekanntlich auch schon Huber in seiner „Oratio" als einen der zu erwartenden Vorteile der Wissenschaft des Allgemeinen Staatsrechts bezeichnet 92 . Damit wird gleichzeitig ein elementares Anliegen der Aufklärung verwirklicht, nämlich die Zugänglichmachung von Wissen durch Systematisierung in einem wissenschaftlichen System, die Verwissenschaftlichung von Lebenssachverhalten überhaupt. Entsprechend erklärt auch bereits Böhmer, der insoweit noch einen erhöhten „Rechtfertigungsbedarf 4 für die isolierte systematische Beschäftigung mit dem Allgemeinen Staatsrecht als eigenständigem Fach verspürt haben mag, ausführlich in der Vorrede zu seiner „Introductio in lus Publicum Universale", viele Bearbeiter des öffentlichen Rechts hielten das Allgemeine Staatsrecht deshalb für überflüssig, weil sie bei Rechtsfragen auf die „Diplomatik", die „Alte Geschichte„Gesetze" oder andere „Grundlagen" zurückgriffen. Dies sei aber ungenau, unsicher und schädlich. Insofern sei es notwendig, solche universellen Grundsätze des öffentlichen Rechts zu schaffen, die den „ Geist aufs Beste vorbereiten und verhindern, daß er in jenen Verwirrungen scheitert" 93. Hinsichtlich der Lehre kommt jedoch, wie bereits angedeutet, noch ein weiterer wichtiger Punkt hinzu. Das Allgemeine Staatsrecht erlaubte es nämlich, dem Studenten, der an einer bestimmten Univer90

„Jus publicum Imperii sin iure publico universali solide collocari ne quit" (Fritsch, Conspectus Iuris Publici Universalis, S. 2). 91 Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 71. 92 Huber, Oratio, S. 54. Umgekehrt nimmt Huber aber in seinem Lehrbuch auch immer wieder auf die konkreten Zustände in Friesland Bezug, was wiederum die Praxis- und Ausbildungsbezogenheit seiner Wissenschaft für die Studenten an der Universität von Franeker demonstriert (etwa: Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 620). Ähnlich geht der schwedische Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts Johann Martin Johannsson (Montin) im Rahmen seiner Erörterungen wiederholt konkret auf das schwedische „Riksdags-Manna-Rätt" ein (vgl etwa: Die bürgerliche Regierung nach ihrem Ursprung und Wesen betrachtet, S. 20, 42 etc.), oder der preußische Prinzenerzieher Carl Gottlieb Svarez - naturgemäß - auf die preußischen Verhältnisse. 93 „Et qui aliter fierei potuit, cum plures publici iuris Doctores, quibus disciplina huius iuris universalis commendata esse debeat , illam vel contemnant, vel ut superfluam et minus necessariam iudicent, nullam quaestionem iuris publici esse affarentes, quae non ex diplomatibus vel antiquitatibus historicis vel legibus aliis fundamentibus decidi possit ita, ut de hisce recte iudicar posit , adgerenda sunt necessario haec fundamenta universalia, quae animum optime praeparant, simulque praecavent, ne in tot confusiones, contradictiones aliosque scopulos indie amus " (.Böhmer, Introductio in lus Publicum Universale, Praefatio, S. 2).

5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

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sität ausgebildet worden war, ein System an die Hand zu geben, das ihm ermöglichte, das Landesrecht in dem Territorium, in dem er später Anstellung finden sollte, besser und schneller zu verstehen 94 . Anschaulich formuliert dies Johann Christian Majer in der Vorrede zum dritten Band seines Werkes „Teutsches weltliches Staatsrecht". Das Allgemeine Staatsrecht soll hier dazu dienen, „um also diesen allgemeinen Theil vom positiven Landstaatsrechte systematisch vorzutragen, und darneben zugleich, zur Erleichterung des Studiums vom individuellen Staatsrechte jedes einzelnen teutschen Landes, einen allgemeinen Grundriß eines ordentlichen Rechtssystems an die Hand zu geben ..." und "... daß jeder Leser im Stande wäre, durch Hinzufügung der individuellen Bestimmungen seines Landes die Lücken vollends zu ergänzen, und sich daraus selbst, zu seinem Gebrauche ein vollständiges Handbuch mit desto leichterer Mühe zu machen" 9 5 . Aus diesem Grunde stellt er es - wie dies überhaupt für entsprechende Werke weitgehend üblich war 9 6 - seiner umfangreichen Abhandlung vom deutschen Reichs- und Landesrecht auf über hundert Seiten voran. Er entwirft hier ein System des Allgemeinen Staatsrechts, um später nach denselben systematischen Regeln sein Lehrbuch vom positiven Staatsrecht aufzubauen. Es hat also in diesem Zusammenhang vor allem den Charakter eines Ordnungssystems, das dazu dient „alles auch wirklich so zusammen zu ordnen, damit jedes in seiner natürlichen Lage von der rechten Seite betrachtet werden kann" 91. Ebenso bedient sich etwa der Göttinger Rechtslehrer Johann Jacob Schmauß für seine „Academischen Reden und Vorlesungen über das teutsche Staatsrecht" des Allgemeinen Staatsrechts als selbstverständliche und vorauszusetzende Grundlage und systematisches Ordnungsprinzip, an dem die von ihm zum Lehrgegenstand gemachten spezial-staatsrechtlichen Institute und Materien ausgerichtet und gemessen QO

werden . Eine anschauliche Beschreibung dieser Vorgehens- und Wirkungsweise des Allgemeinen Staatsrechts und seiner Einflußnahme infolge der von ihm vorgenommenen Systematisierung und Verwissenschaftlichung liefert insoweit auch vermittels eines konkreten Beispiels die folgende Passage: 94

Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, S. 291. Majer, Teutsches weltliches Staatsrecht, Vorrede Bd. 3, S. 2. 96 Vgl. etwa Kreittmayr u.a., s.o. 97 Majer, Teutsches weltliches Staatsrecht, Bd. 1, S. 17. 98 „ Von diesem iure publico universali wird hier nicht gehandelt, weil man solches voraus setzen mus. Doch werden bei jeder Materie die principia iuris publici universalis recapitulieret werden " (Schmauß, Academische Reden und Vorlesungen über das teutsche Staatsrecht, S. 7). 95

IV. Das allgemeine Staatsrecht als staatsrechtliches Grundlagenfach

217

„Der Ausdruck Majestät gieng aus der römischen Staatssprache vermittelst der Kaiserwürde zu den Deutschen über, und von da aus in die Schriften der Rechtsgelehrten und Philosophen. Die Abfassung systematischer Schriften machte es nothwendig, diesem Ausdrucke allgemeinere Begriffe unterzulegen; und das stand frey, sobald ein Verfasser den Begriff genau bestimmte. Solche philologische Bestimmungen hat man nun wieder in die Sprache des positiven Staatsrechts aufgenommen und davon Anwendungen gemacht"99. 2. Übertragung auf die staatsrechtliche

Praxis

a) Hilfe bei der Entscheidungsfindung Die Tatsache, daß das Allgemeine Staatsrecht sich in der Lehre an den Universitäten mehr und mehr durchsetzte, konnte nicht ohne Auswirkungen auf die Praxis bleiben. Durch die relative Vereinheitlichung des Stoffes und die Herausarbeitung der Grundprinzipien der Rechtsbeziehungen zwischen höchster Gewalt und Untertanen, die aufgrund der Universalität des Allgemeinen Staatsrechts in allen Territorien gleichermaßen anwendbar waren, konnte das Allgemeine Staatsrecht in Ermangelung partikularen Rechts oder bei dessen Zweifelhaftigkeit herangezogen werden und so Einfluß auf die Entscheidungsfindung nehmen. Insoweit besteht also „der Charakter dieser Schule ... darinne, daß man in dem Systeme des positiven deutschen Staatsrechts nicht nur die Anordnung der Materien nach dem Zuschnitte des allgemeinen Staatsrechtes vornimmt, sondern auch die Grundsätze des allgemeinen Staatsrechts und des positiven Völkerrechts auf die deutsche Verfassung anwendet, und aus den gegebenen allgemeinen Begriffen von Staat, Regent, Majestät, Staatsgewalt, Regierung, Unterthänigkeit, gemeinem Besten usw. Folgerungen ableitet" 100 . Auf diesen Umstand wurde sogar - für die Studenten im Hinblick auf spätere Berufschancen, aber auch an die Adresse der Fürsten als deren potentielle Arbeitgeber gewandt - in gleichsam werbendem Ton ausdrücklich hingewiesen, etwa wenn festgestellt wird: „An solchen Rechtsgelehrten aber, welche im Stande sind, ihrem Landesherrn und dem State unmittelbare Dienste zu leisten, seine Gerechtsame zu verteidigen, ein Land regieren zu helfen, findet sich der größte Mangel" 101 , ein Mangel, der durch das Studium des Allgemeinen Staatsrechts behoben werden können soll. Deutlicher noch erklärt Brunnquell: 99

Krause,

Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte,

S. 77. 100

Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte,

S. 66 f. 101

Heldman, Johan Albert Herman, in seiner Vorrede zu „Johan Jacob Schmaußens Academische Reden und Vorlesungen über das teutsche Staatsrecht, S. 4.

218

5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

„Der größte Vortheil aber wächst aus der Excolirung des allgemeinen Staatsrechts solchen Personen zu, welche einmal Occassion bekommen dasjenige, was sie auf Universitäten erlernet, selbsten ad praxim zu bringen, ich will sagen denjenigen Räthen und Ministern, welchen von denen Regenten ein Theil der Regierungslast auf die Achseln geleget wird. Denn einem solchen Minister, der das allgemeine Staatsrecht excoliret hat, wird es niemals an Geschicklichkeit fehlen bey aller Gelegenheit die höchste Gewalt seines Landesfürsten in geist- und weltlichen Affairen zu mainteniren .. ." 1 0 2 . Außerdem könne ein solchermaßen geschulter Beamter „denjenigen, die aus einer beliebten Papentzerey und falschen Begriff der Majestät und landesfürstlichen Hoheit dieser höchsten Gewalt Eingriff zu thun, und die hohen Gerechtsahmen eines Landesfürsten zu schmälern sich unterfangen, gehörigermassen entgegen gehen, auch den Urgrund ihres Unternehmens aus wahrhafftigen Principiis können entdecken", also denen mit Hilfe juristischer Argumente Einhalt gebieten, die die Majestätsrechte einschränken wollen 1 0 3 . Durch „kluge Consilia " werde er andererseits auch das Verhalten des Landesfürsten beeinflussen können, die Verträge mit seinen Untertanen zu halten und den Endzweck des Staates, die Glückseligkeit der Untertanen, zu befördern helfen 1 0 4 . Dadurch war es möglich, auch konkrete Verbesserungen zu erreichen, denn das Allgemeine Staatsrecht „hat den Gesetzgebern in Deutschland vorgeleuchtet, und eine Menge Staatsanstalten, besonders in der Staatspolizey veranlaßt, an welche ehedem nicht gedacht wurde" 105. Besonders relevant wird dies, wenn man bedenkt, daß es vor allem die entsprechend ausgebildeten Beamten waren, die in der Praxis für den Gebrauch der Staatsgewalt und die Anwendung des Rechts zuständig waren und sich dabei des Allgemeinen Staatsrechts bedienen konnten, denn „diese eigentlich regiren den Stat, ziehen die Maschine auf, und brauchen von jeher die Herrscher oft nur als Bleigewicht, um die Dauer ihrer Bewegung zu sichern" 106. Daraus folgt dann, „daß gewöhnlich nicht die Gelehrten dieser Schule unmittelbaren Einfluß haben, sondern daß vielmehr thätige Regenten und deren Rathgeber ihren eigenen Ver102 Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 40 f. Vgl. dazu auch den direkt an die Studenten des Allgemeinen Staatsrechts gerichteten Ausruf von Vittriarius am Ende seiner „Oratio de Usu Juris Publici Universalis" (S. 30): „Haec ergo si summa ope et alacri studio tractaveritis, spes Vos pulcherrima sovebit Rempublicam in partibus Vobis credendis f e licite r gubernari posse 103 Brunnquell, Eröffnete Gedancken von dem Allgemeinen Staatsrechte, S. 41. 104 Brunnquell S. 41. 105 Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 69. 106 Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, S. 22.

IV. Das allgemeine Staatsrecht als staatsrechtliches Grundlagenfach

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stand, ihr Herz, ihre Erfahrungen, nach Maaßgabe der vorhandenen Staatsbedürfnisse zu Rathe zogen und nach diesen Eingebungen ... regierten" 107. Das Allgemeine Staatsrecht ist insoweit also eine Hilfe für die Regierenden, insbesondere die Beamten und hat i m Rahmen seiner Kontroll- und Leitfunktion ein enormes faktisches Einwirkungspotential auf die tatsächlichen Verhältnisse und die praktische Rechtsanwendung in den deutschen Territorien 108 . b) Hilfe bei der Rechtsfeststellung Weiterhin diente das Allgemeine Staatsrecht auch zur Rechtsfindung oder zumindest als Auslegungshilfe. Wie schon gesehen, wurde es herangezogen, wenn im positiven Staatsrecht Lücken bestanden oder Unklarheiten herrschten. Es sollte „Licht in die Absichten und das Ansehen" des positiven, gewillkürten, besonderen Staatsrechts bringen 1 0 9 . Nettelbladt zählt es unter diesem Aspekt zu den „ohne Zweifel größten unter denen mittelbaren Verdiensten" des Naturrechts (und insbesondere seines Lehrers Wolff), daß es sich „auf eine dreyfache besondere Art ... um die positive Rechtsgelahrtheit Verdienste erworben habe, nämlich 1) durch die darin enthaltene Erklärungen der iuristischen Kunstwörter; 2) durch die Ausführung vieler Lehren, welche sonsten von den Lehrern dieses Rechts, zum Schaden der positiven Rechtsgelahrtheit, verabsäumet zu werden pflegen, und 3) durch die häufig angebrachten Anmerkungen, welche in die positive Rechtsgelahrtheit einschlagen"110 Die praktische Relevanz dessen führt beispielsweise Kreittmayr vor Augen, wenn nach dessen Anmerkungen zu den bayerischen Codices deren Verständnis „solida fundamenta ... aus dem allgemeinen Staatsrecht ... voraussetzen" m soll. Ein noch weitergehender, besonders willkommener und ausdrücklich festgestellter Effekt ist dabei die Schaffung von Rechtssicher107

Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte,

S. 68. 108

Vgl. dazu etwa auch die Äußerung Justis: „Ich muß mit Vergnügen bemerken, daß ich dergleichen vortreffliche Grundregeln schon hin und wieder entdecke. Frey heit und Eigenthum der Unterthanen und daß das Ministerium niemals seine Hände in den Lauf der Justiz einschlägt, sind die vornehmsten Grundregeln der hannoverischen Regierung ..." (Natur und Wesen der Staaten, S. 95). 109 Kahrel, Jus Publicum Universale, S. 138: „Quo fixo, patet, jus publicum naturale, sive universale, lumen praeferre in voluntario jure populi cujusque et esse quasi cynosuram, cujus facem nisi intentis semper oculis et acerrime contemplentur ii, qui se jurisprudentiae dant, in tenebris vagabuntur et vix ac ne vix quidem portum tene bunt". 110 Nettelbladt, Daniel, Von Verdiensten des Freyherrn von Wolf um die positive Rechtsgelahrtheit, in: Hallische Beyträge zu der juristischen Gelehrten=Historie, Bd. 1 Halle 1755, S. 207 ff. (227).

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5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

heit, denn „kein ius incertum zu haben, ist schon ein großer Überhaupt nämlich

Gewinn"

112

.

„muß jeder Staat durch die Bestimmtheit des öffentlichen Rechts gewinnen, wenn auch die nach positiven Rechten nicht bestimmten Verhältnisse nach dem allgemeinen Staatsrechte ihre Normen erhalten und die gesetzgebende und vollstreckende Gewalt solche Hülfsmittel zur Hand hat" 113 .

c) Forum für die zeitgenössische aktuelle politische und rechtliche Diskussion Das Allgemeine Staatsrecht diente aber der zeitgenössischen Staatsrechtswissenschaft nicht nur dazu, zu einer gemeinsamen Terminologie und Systematik zu finden. Gleichzeitig konnten vielmehr innerhalb des Allgemeinen Staatsrechts rechtliche Fragen abgehandelt werden, die von großem politischem Interesse waren. Es konnte nämlich herangezogen werden zur rechtlichen Einordnung historischer Phänomene oder von Ereignissen der Tagespolitik, bzw. zur Erklärung - und damit einhergehender juristischen Fundierung - tatsächlicher oder vermeintlicher Rechte, die von bestimmten interessierten Seiten in Anspruch genommen wurden, wie sich konkret und paradigmatisch darin zeigt, daß etwa die Grafen von Löwenstein-Wertheim ihren Hausjuristen Fritsch offenbar damit beauftragt haben, einen knappen Abriß des Allgemeinen Staatsrechts für sie zusammenzustellen 114 , in dem der Autor selbst überdies den Nutzen des Allgemeinen Staatsrechts gerade für das Verständnis und die rechtliche Qualifizierung bzw. Durchdringung „berühmter historischer Fakten" und „aktueller politischer Auseinandersetzungen" hervorhebt 115 . 111

Krèittmayr , Wiguläus Xaverius Aloysius v., Compendium Codicis Bavarici civilis, judicarii, criminalis et Annotationum oder Grundriß der gemein= und bayrischen Privat=Rechtsgelehrsamkeit, München 1768, Vorrede S. 5. 112 Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 69. 113 Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 69. 114 „Et quoniam Sy stema tale per otium conscripsi, in quo potissimum ea capita iuris Publici Universalis, quae maxime ad lus Publicum Imperii accommodari queunt, systematice pertractavi: haud ab re duxi, nec officio meo inconveniens , in usum Illustrìssimorum Comitum fidei meae concreditorum, principia iurìs Publici Universalis in hunc conspectum eo Consilio coarctare, ut ipsis et forte aliis, quibus cordi est huic illustri studio sese dicare , in Theses et Quaestiones ... Praelectiones instituam" (Fritsch, Conspectus Iuris Publici Universalis, Vorwort S. 1). 115 „Deinde ad lus Publicum Europaeum, praecipue Imperii , accommodabo veritates Iuris Publici Universalis demonstratas; postremo earum usum ostendam in examinandis singularìbus controversis publicis et in iudicando de factis illustribus ex

IV. Das allgemeine Staatsrecht als staatsrechtliches Grundlagenfach

221

Besonders deutlich wird diese Funktion und Bedeutung des Allgemeinen Staatsrechts etwa bei dem königlich polnischen und kursächsischen Hofund Justitzrat 116 Adrian Steger, der sich in seiner Schrift „De Iure Naturae Publici Imperii Romani Germanici Principio" 1 1 7 aus dem Jahre 1747 ausdrücklich und ausschließlich mit dem Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts auf das deutsche Reichsstaatsrecht und das Staatsrecht der deutschen Länder beschäftigt, wenn er sagt, das Allgemeine bzw. „natürliche " Staatsrecht, „begründet, erklärt und bestimmt das partikulare Staatsrecht jedes einzelnen Territoriums des Deutschen Reiches und schreibt auch die Rechtsform und Art der Verwaltung des Reiches selbst v o r " 1 1 8 . Aber auch schon Huber befaßte sich im Anschluß an die abstrakte Erörterung der Möglichkeiten der Beendigung der Herrschaft im Staate in einem langen Kapitel mit dem konkreten - durchaus auch praktisch relevante rechtliche Konsequenzen nach sich ziehenden, zu seiner Zeit vieldiskutierten - Problem der sogenannten „translatio imperii", der Frage nämlich, ob das Römische Reich untergegangen sei oder im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation fortbestehe, ob also die deutschen Kaiser Rechtsnachfolger der römischen Kaiser seien, und wendet seine Systematik der Beendigung von Herrschaft auf die Erörterung jener Fragen a n 1 1 9 . Beides verneint er (in ausdrücklicher Abgrenzung etwa zu Grotius) 1 2 0 , ebenso wie später Böhmer, der als Konsequenz dessen noch weiter ausführt, daß, wenn einzelne Rechte der römischen Kaiser tatsächlich noch (subsidiär) für den Deutschen Kaiser Geltung hätten, dies lediglich aufgrund ihrer Allgemeingültigkeit überhaupt und als Ausfluß des Allgemeinen Staatsrechts geschehen könne 1 2 1 . Ähnlich geht später beispielsweise Kahrel - im Zusammenhang mit seinen allgemei-

historia Europaea recentioris aevi desumtis" {Fritsch, Conspectus Iuris Publici Universalis, Vorwort S. 3). 116 Zuvor Leipziger Ratsherr und Beisitzer des dortigen Oberhofgerichts und Konsistoriums, vgl. Meusel, Johann Georg, Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen Teutschen Schriftsteller, Bd. 13, Leipzig 1815. 117 Zum vollen Titel vgl. 4. Kap. Fußn. 277. 118 „lus naturae publicum, particulare illud singulorum /. R. G. territorium fundat, illustrât et moderatur. Eundum usum idem illud ius intuitu iuris publici /. R. G. strìctim dicti, et quatenus hoc rei publicae Germanicae formam atque earn administrandi modum définit, praestat" (Steger, De Iure Naturae Publici Imperii Romani Germanici Principio, S. 22). 119 Ähnlich beispielsweise auch Horn, Georg Michael, in seinen „Observationes Juris Gentium et Juris Publici Universalis ad Viri illustris Hugonis Grotii Libros très De Jure Belli et Pacis", Erfurt 1746, S. 45. 120 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 339 ff. 121 „lila autem usum quidem praestant in nostra republica in subsidium, sed non ideo, quod in iure Romano deprehendandur, verum quia ex iure publico universali hausta sunt, et usum in quacunque republica praestare possunt" (Böhmer, Introductio in lus Publicum Universale, Praefatio, S. 6f.).

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5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

nen Ausführungen über die Möglichkeit des Bestehens und die Rechtsnatur von Fundamentalgesetzen - davon aus, daß es in Polen und Litauen solche Fundamentalgesetze gebe, die besagten, daß das Volk von seinen Pflichten frei werde, wenn der König gegen „immerwährende und heilige Reichsgesetze" verstoße 122 . Dies läßt sich nach dem Allgemeinen Staatsrecht in dem Sinne verstehen, daß der Staatsvertrag als aufgekündigt gilt, wenn der Fürst gegen ihn verstößt. Oertel wiederum widmet circa ein Fünftel seiner Dissertation über das Allgemeine Staatsrecht der Frage, ob das Recht auf Investitur durch Kaiser Heinrich V. für allezeit aufgegeben worden sei, weil dies einen wichtigen Teil der Souveränität ausmache und prüft die historischen Geschehnisse unter diesem Aspekt 1 2 3 , während der Hausjurist und Hofmeister der Grafen von Wedel, Christian Matthias Knesebeck 124 , in seiner Schrift „Prodomus Juris Publici Universalis" aus dem Jahre 1700 1 2 5 die staatsrechtlichen Rechtsverhältnisse des Königreiches bzw. späteren Herzogtums Burgund vom Mittelalter an im Wege der Subsumtion unter das Allgemeine Staatsrecht darstellt und dabei insbesondere auf die konkurrierenden Rechte des Deutschen Kaisers und des französischen Königs eingeht. In diesem Sinne gibt es eine ganze Reihe weiterer Publikationen, in denen politische Themen mit Hilfe der Subsumtion unter das Allgemeine Staatsrecht abgehandelt wurden. Dies trifft beispielsweise auf Aufsätze mit Titeln wie: „Die Patrimonialgerichtsbarkeit aus dem Gesichtspunkt des allgemeinen Staatsrechts betrachtet" 126, 122 Kahrel, Jus Publicum Universale, S. 18. Dies kann im übrigen auch wieder als Beispiel dafür dienen, daß die Staatsvertragslehre im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts tatsächlich normative Geltung beanspruchte, wenn auch im Falle von Polen nicht abstrakt aus allgemeinen Vernunftprinzipien hergeleitete Rechtssätze gemeint sein mögen, sondern auf konkrete historische Fundamentalgesetze zurückgegriffen werden konnte. 123 Oertel, Meditationes de Iure Publico Universali, S. 20-31. 124 Jöcher, Christian Gottlieb, Allgemeines Gelehrten-Lexikon, Bd. 2, Bremen 1750. 125 Der volle, sozusagen programmatische Titel lautet: Prodomus Juris Publici Universalis, magna eruditorum exspectatione diu desiderati, continentis Praetentiones Illustres imperatoris et imperii, regum, principum ac rerumpublicarum Totius Europae, majori operi praemissus ad vindicanda S. R. J. Jura adversus Mezeraeum, Hadr. Valesium, David. Blondellum aliosque; veluti primipilares jurium et rerum gallicarum scriptores, quorum lapsus ea, qua par est, modestia deteguntur, rationibus ex historia, jure naturali et gentium petitis confutantur, cunctaque diplomatibus non unis ex archivis depromptis, Limnaeo et Conringio nunquam visis, demonstrantur ac corroborantur, Rostock 1700. Der Titel der zweiten Auflage lautet, prägnanter: Discursus de Studio Juris Publici Universalis et Praetensionibus Illustribus, Rostock 1705. 126 Liebe, K. E., Die Patrimaonialgerichtsbarkeit aus dem Gesichtspunkt des allgemeinen Staatsrechts betrachtet, Neustadt a.d. Orla 1834.

IV. Das allgemeine Staatsrecht als staatsrechtliches Grundlagenfach

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„Einige Betrachtungen über den Begriff und die Wirksamkeit der Landstände, nach den Principien des allgemeinen und natürlichen Staatsrechts"127, „Vom Ländertausch, nach dem Völker- und allgemeinen Staatsrechte"128, „Über die Frage: Wie weit geht im Staate die Gewalt des befehlenden Theils, wenn es an den Verträgen fehlet?" 1 2 9 , oder „De iure imperantis circa revocationem privilegiorum ob salutem publicam" 130 zu, aber ebenso auf die etwa von Pütter in seinem „Handbuch des Teutschen Staatsrechts" 131 als Beispiel für die praktische Bedeutung des Allgemeinen Staatsrechts aufgeführte „Erörterung der Frage: Wie fern dasjenige gelte, was einer von zwey Regierungs=Competenten während seines Besitzes im Lande vorgenommen habe?" durch den „Hr. Geh. Justizrath Westphal" 132. Ähnliches gilt auch für die oft äußerst ausführliche Abhandlung der Erbfolgeregelung in Monarchien im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts, aber auch etwa für Feststellungen wie die, daß nach dem Allgemeinen Staatsrecht Thronfolger „keineswegs verpflichtet [sind], die Schulden ihrer Vorfahren, welche sie, ohne daß es die Wohlfahrt des Staates erheischte, gemacht haben, zu bezahlen " 1 3 3 . Aber auch und gerade in Religionsangelegenheiten, an der Schnittstelle zwischen Souveränitätsrechten der höchsten Gewalt und kirchlichen Einflußansprüchen, zeigt sich die Bedeutung des Allgemeinen Staatsrechts als politisches Machtinstrument vor dem Hintergrund der aktuellen zeitgenössischen, beispielsweise im Zusammenhang mit konfessionellen Differenzen stehenden Streitfragen und dem entsprechenden Selbst- bzw. Rollenverständnis der Inhaber der höchsten Gewalt etwa hinsichtlich der Oberaufsicht über die Religionsgemeinschaften und das „Kirchenregiment", immer wieder in besonderem Maße 1 3 4 . So wird, bezeichnenderweise von einem der wenigen katholischen 127

Schmelzing, Julius, Einige Betrachtungen über den Begriff und die Wirksamkeit der Landstände, nach den Principien des allgemeinen und natürlichen Staatsrechts, Rudolfstadt 1818. 128 In: Neueste Staaten-Kunde, 1798, S. 147-166 129 Robert, Karl Wilhelm, Über die Frage: Wie weit geht im Staate die Gewalt des befehlenden Theils, wenn es an den Verträgen fehlet?, Marburg 1789. 130 Bachmann, Franz Moritz, De iure imperantis circa revocationem privilegiorum ob salutem publicam, Erfurt 1792. Interessant ist hierbei, daß das Allgemeine Staatsrecht in diesem Fall offenbar für politische Zwecke herhalten mußte, die entsprechende Reformen im Auge hatten. 131 S. 6. 132 Westphal, Deutsches Staatsrecht in wissenschaftlich geordneten und mit praktischen Ausarbeitungen bestärkten Abhandlungen, Leipzig 1784. 133 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 178, der auf diese Frage gleich an drei verschiedenen Stellen seines Werkes eingeht. 134 Vgl. für die diesbezügliche Bedeutung auch Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis, S. 10: „Estque res indubitata , partem Reipublicae non parvam aut

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5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts besonders intensiv problematisiert, hierzu ausgeführt: „Jene [die katholischen Rechtslehrer] statuiren eine geist- und weltliche, mithin doppelte Macht, deren keine der andern subordinirt, sondern jede in ihrer sphera, und zwar die Geistliche in spiritualibus et ecclesiasticis, die Weltliche aber in secularibus et profanis independent ist. Was demnach katholische Regenten weltlichen Stands in Religion, Kirchen- und geistlichen Sachen immer thun können, das geschiehet diesem principio nach entweder nur jure supremae advocatiae, protectionis vel manutenutiae implorato brachio seculari". Die Protestanten dagegen sagten „cujus est regio, ejus est religio" und ließen „kein doppeltes, sondern nur ein einfaches Regiment zu", so daß „jeder weltlicher Regent auch Bischof und Pabst in seinem Land zugleich" sei 1 3 5 . Tatsächlich vertritt für die protestantische Seite des Allgemeinen Staatsrechts, ohne allerdings dabei auf konfessionelle Unterschiede einzugehen, insbesondere Böhmer ein entsprechend weitgehendes Einwirkungsrecht der höchsten Gewalt in Kirchendinge, nämlich nicht nur, wie dies für das Allgemeine Staatsrecht ohnehin üblich ist, was die öffentliche Religionsausübung angeht, sondern auch den Ritus, die Lehre und sogar die Entscheidung theologischer Streitfragen betreffend 136 . Insoweit ist es nicht verwunderlich, daß gerade er auch ausdrücklich darauf hinweist, daß sich das Allgemeine Staatsrecht in Gegnerschaft zum „römischen Clerus" sehe und von diesem „völlig geächtet" und als „Häresie" bezeichnet werde 1 3 7 . Tatsächliche, offenkundige praktische Bedeutung und Wirkung erlangten gerade in diesem Zusammenhang entsprechende angesichts des Ergebnisses allerdings offensichtlich von der „protestantischen" Tradition geprägte - Rechtspositionen des Allgemeinen Staatsrechts unter anderem unter dem Einfluß Karl Anton v. Martinis beispielsweise in Österreich bei der Aufhebung des Jesuitenordens durch Kaiser Joseph II, nachdem seine typisch allgemein-staatsrechtliche Unterscheidung zwischen Angelegenheiten des äußeren Gottesdienstes, die der Regelung durch die Staatsgewalt unterworfen sind, und denen des inneren Gottesdienstes, die allein der in Frage stehenden Religionsgemeinschaft obliegen, eine wesentliche Fundierung des josephinischen Staatskirchenrechtssystems geliefert ignobilem componi ex personis Ecclesiasticis; nec pauca ibidem ocurrere, de rebus et personis sacris disputari solita ...". 135 Kreittmayr, Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechts, S. 58 f. 136 Ygi De j ur e imperantis circa sacra " (S. 425ff.), u.a.: „Ius decidendi controversias theologicas itidem imperanti proprium est" (Böhmer, Introductio in lus Publicum Universale, S. 475). 137 „E re cleri Romani utique fuit, ius publicum universale penitus proscribere, et Ulis notam haeresos inuere, qui ad hoc provocare ausi juerint" (Böhmer, Introductio in lus Publicum Universale, Praefatio, S. 7).

IV. Das allgemeine Staatsrecht als staatsrechtliches Grundlagenfach

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hatte 1 3 8 und wohl auch bei der etwa gleichzeitigen Abschaffung der Zünfte 1 3 9 , gerechtfertigt durch die aus dem Allgemeinen Staatsrecht fließende „Oberaufsicht" des Regenten über die Gesellschaften, die ihm das Recht geben, sie, wenn sie „dem Staate nachteilig, oder nach veränderten Umständen gefährlich werden ...zu verwerfen und als nichtig zu erklären 140.

(1) Cäsarianer und Fürstenianer Exemplarisch läßt sich die Wechselwirkung zwischen den durch das aktuelle politische Geschehen aufgeworfenen Fragestellungen und deren Niederschlag in den Abhandlungen zum Allgemeinen Staatsrecht besonders gut an der Diskussion um den Staatsbegriff anschaulich machen. Sie diente nämlich einerseits dazu, überhaupt erst einmal das Phänomen Staat zu erfassen und dabei herauszuarbeiten, wie sich die Entwicklung von der personalisierten Herrschaftsstruktur zum Flächenstaat auf jenes Phänomen, seine Erscheinungsform und seine Definition auswirkte. Dies war natürlich an sich schon eine nicht nur rechtliche, sondern auch politische Frage, da sich in der Diskussion eben die politische Wirklichkeit und Entwicklung widerspiegelt. Darüber hinaus - und damit im Zusammenhang - war aber gerade die Definition des Staatsbegriffes für Deutschland von einem weiteren, besonderen Interesse. Es ging hier um das Problem, ob die Territorien Eigenstaatlichkeit beanspruchen konnten, oder ob nur das Reich selbst als eigenständiger Staat angesehen werden dürfe, bzw. im anderen Extrem, ob das Reich überhaupt noch ein Staat sei. Die jeweiligen Anhänger der entsprechenden Lehren oder Schulen wurden, je nach ihrer Haltung, gemeinhin entweder als „Cäsarianer" oder als „Fürstenianer" bezeichnet. 138

Hofmeister, Neue Deutsche Biographie, S. 311. Vgl. auch: Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 83: „Die Verehrung Gottes ist entweder eine innerliche oder äusserliche ..." und S. 85f.: „Der Regent ist demnach vermöge der obersten Aujfsicht befugt auch die wesentlichen Handlungen der Kirche zu untersuchen ... damit nicht unter dem Vorwande der Religion andere Lehren, welche dem Staatsbe sten zuwider sind, ausgestreuet werden" oder S. 93 f.: „Auch kann er [der Regent] verdächtige Zusammenkünfte verbieten..." und hat das Recht, „... jene geistliche Personen seines Staates, die ihm verdächtig, die aufrührerisch sind, vom Kirchenregiment auszuschliessen, und dieselben zu bestrafenEindeutig insoweit auch Scheidemantel: „Insbesondere ist es ein Majestätsrecht, zu bestimmen, ob und wie eine Religion im Staate ausgeübt werden könne oder nicht. Beide widersprechen der Gewissensfreiheit gar nicht, sie beziehen sich nur auf das äusserliche ..." (Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 139). 139 Vgl. auch hierfür etwa Scheidemantel, der kurz zuvor im Rahmen seines Allgemeinen Staatsrechts postuliert hatte: „Die Mißbräuche der Zünfte und Handwerker sind einzuschränken " (Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 114). 140 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 43. 15

Schelp

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5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

Die Bedeutung, die diesem Thema beigemessen wurde, spiegelt sich, abgesehen von den zahlreichen Abhandlungen, die speziell zu diesem Thema, auch außerhalb des Rahmens des Allgemeinen Staatsrechts, erschienen sind, nicht zuletzt darin wider, daß in jeder Abhandlung zum Allgemeinen Staatsrecht - zumeist im Zusammenhang mit der Erörterung des Staatsbegriffes, den verschiedenen Regierungsformen oder der Souveränität - die Frage nach der Rechtsnatur des Reiches und den staatsrechtlichen Beziehungen zu den Territorien aufgeworfen wird. So widmet auch beispielsweise Adrian Steger in seiner Schrift „De Iure Naturae Publici Imperii Romani Germanici Principio" ein ganzes Kapitel dem Problem der Rechtsund Regierungsform des Reiches und wendet sich darin gegen die Auffassung, „die höchste Gewalt im Reich sei geteilt zwischen Kaiser und Reichsständen, die in ihren Territorien aus eigenem Recht herrschten und nicht an das Reichsstaatsrecht gebunden seien", vertritt dagegen vielmehr die Meinung, die höchste Gewalt sei immer noch beim Reich und beim Kaiser, wenn dieser sich auch an gewisse spezielle Fundamentalgesetze halten müsse 141 . Entscheidend kommt es insoweit also darauf an, wer i m Besitz der - nach dem Allgemeinen Staatsrecht zu bestimmenden - Souveränitätsrechte ist. Immer wieder wurde daher in der zeitgenössischen Diskussion zur Darstellung und Beweisführung auf die Terminologie und Systematik des Allgemeinen Staatsrechts und seiner Lehren zurückgegriffen. Paradigmatisch schreibt insoweit auch etwa der sonst der Anwendung des Allgemeinen Staatsrechts überwiegend kritisch gegenüberstehende Daniel Nettelbladt in seinen „Allgemeinen Betrachtungen über die verschiedene Arten der weltlichen gesellschaftlichen Gewalt in Teutschland" von 1773 über die „teutsche Landeshoheit ": „Der richtige Begrif derselben ist dieser, daß sie die Art der obersten Gewalt in Teutschland sei, welche von der Reichshoheit abhängig, und auf ein teutsches Reichsland eingeschränket ist'4. „Die Rechte aber, welche zu derselben gehören, heissen Territorialrechte, landesherrliche Rechte oder Regalien .. ." 1 4 2 . „ Teutschland" sei, wieder und ausdrücklich nach den Lehren des Allgemeinen Staatsrechts, „ein irregulärer monarchischer Staat, dabei ein zusammengesetzter Staat, und ein Wahlstaatin dem „verschiedene Arten der obersten Gewalt im Staate anzutreffen sind, wenn sie gleich alle von einer 141 „Quidquid sit, in eo tarnen omnes, qui saniora in iure nostro publico principia sequuntur, conspirant, summam in Imperio R. G. potestatem, ita inter Imperatorem et Status Imperli divisam esse, ut, quoad singula quidem territoria, quilibet Statuum eam proprio iure exerceat. .{Steger, De Iure Naturae Publici Imperii Romani Germanici Principio, S. 17ff.). 142 Nettelbladt, Daniel, Allgemeine Betrachtungen über die verschiedene Arten der weltlichen gesellschaftlichen Gewalt in Teutschland, in: Nettelbladt, Daniel, Erörterungen einiger einzelner Lehren des teutschen Staatsrechts, Halle 1773, S. 349 f.

IV. Das allgemeine Staatsrecht als staatsrechtliches Grundlagenfach

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höchsten Gewalt abhängig sind, und eben dieses macht, daß dennoch Teutschland ein einiger Staat geblieben ist" 143. Die Reichshoheit sei dementsprechend „die einzige oberste Gewalt in Deutschlandaber „in Absicht auf die einzelne, in der obersten Gewalt des Staates, nach dem allgemeinen Staatsrecht enthaltene, Rechte, ist sie keine vollständige oberste Gewalt des Staates, sondern sie bestehet aus Überbleibseln der in der ursprünglichen obersten Gewalt des teutschen Reiches enthaltenen Rechte , . . " 1 4 4 . Ähnlich sagt etwa auch Johann Jacob Schmauß in seinen „Academischen Reden und Vorlesungen über das teutsche Staatsrecht": „Die Landesherrn sind des Kaisers Untertahnen. ... In sensu Juris publici universalis heißt subditus, qui superiorem agnoscit"145. Deutlich wird gerade in diesen letzten Passagen auch, daß das Allgemeine Staatsrecht nicht nur die Terminologie für die Auseinandersetzung liefert, sondern auch den Inhalt der Rechte, die hier etwa der höchsten Gewalt attributiert werden, determiniert. Jedoch gerade weil sich aus dem Allgemeinen Staatsrecht auch der Inhalt der Souveränitätsrechte ergibt, w i l l beispielsweise Nettelbladt nicht zulassen, daß es als Recht auf die Verhältnisse im Reich angewandt wird. Es müsse nämlich verhütet werden, daß das Allgemeine Staatsrecht „auf etwas angewendet wird, welches in der besonderen Staatsverfassung Teutschlands seine besondere Natur und Beschaffenheit hat" 146. Insbesondere sei das Allgemeine Staatsrecht nicht vereinbar mit Landständen und Kammergütern 147 . Insgesamt ginge, wenn man das Allgemeine Staatsrecht auf die Reichsverfassung anwende, die Freiheit der deutschen Reichsstände verloren, „das edelste Kleinod der Teutschen". Außerdem könne sich die Recht der Landesfürsten nur aus dem besonderen deutschen Staatsrecht ergeben, weil ihnen vielfach die Rechte, die einem jeden Staatsoberhaupt nach dem Allgemeinen Staatsrecht zustehen müßten, nicht zustünden 148 . Nur das letztere dieser Argumente ist juristischer Natur. Die beiden anderen verleihen lediglich Nettelbladts politischer Überzeugung Ausdruck, die offenbar mehr zur Konservierung des Reiches tendiert und die Eigenstaatlichkeit der Territorien verhindern will. Begrifflich findet dies etwa darin seinen Ausdruck, daß er die Territorien als „Provincen" 1 4 9 bezeichnet. Nettelbladt befürchtet offenbar bezüglich des 143 144 145

S. 53. 146

Nettelbladt, Allgemeine Betrachtungen über die verschiedene Arten, S. 334 f. Nettelbladt, Allgemeine Betrachtungen über die verschiedene Arten, S. 335 f. Schmauß, Academische Reden und Vorlesungen über das teutsche Staatsrecht,

Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauche des allgemeinen Staatsrechts, S. 32. Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauche des allgemeinen Staatsrechts, S. 35. 148 Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauche des allgemeinen Staatsrechts, S. 34. 149 Vgl. beispielsweise Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauche des allgemeinen Staatsrechts, S. 32. 147

15=

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5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

Allgemeinen Staatsrechts, daß es der Verselbständigung der Territorien rechtlich wie politisch Vorschub leistet. Insbesondere wendet er sich dagegen, daß das Allgemeine Staatsrecht den Landesfürsten als Mittel dient, ihre Souveränität aufgrund der Lehren des Allgemeinen Staatsrechts zu begründen. Aus diesem Grunde wehrt er sich auch dagegen, daß verbriefte Rechte der Stände durch das Allgemeine Staatsrecht beschnitten werden könnten, wenn sie nicht im Einklang mit ihm stünden 150 . Umgekehrt belegt diese ablehnende Haltung Nettelbladts und anderer zum Allgemeinen Staatsrecht vor dem Hintergrund der jeweiligen persönlichen Einstellung, daß das Allgemeine Staatsrecht tatsächlich die entsprechenden territorialstaatlichen und absolutistischen Tendenzen hatte oder haben konnte, denen Nettelbladt durch die postulierte Verweigerung der Anwendbarkeit seiner Lehren auf das Reich vorzubeugen trachtet und diese Tendenzen praktische Relevanz zu entfalten vermochten, bzw. dies zumindest befürchtet wurde. Ausdrücklich sagt dies etwa der herausragende Vertreter der deutschen „Reichspublizistik" des 18. Jahrhunderts 151 , Johann Jacob Moser, in seiner Schrift „Über Teutschland und dessen Staatsverfassung überhaupt" aus dem Jahre 1766 bei der Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Bestimmung der Regierungsform des deutschen Reiches unter Zugrundelegung des Allgemeinen Staatsrechts sinnvoll sei: „Hingegen kan diese Frage schädlich werden, wenn sich nemlich jemand diese oder jene Form und Art der Staatsverfassung in den Kopf setzet, und daraus ... Schlüsse ziehet, welche den Gerechtsamen des Kaysers oder derer Reichsstände nachtheilig seynd" 152 , und, an anderer Stelle noch deutlicher: „Wäre eine Teutsche Nation, welche eine politische Einheit ausmachte; so könnte ja ein einzelner Reichs-Stand kein unabhängiger Regente seyn; und dahin sollte es doch durch das vernünftige Staats-Recht gebracht werden" 153 . So war tatsächlich gerade die Souveränitätslehre des Allgemeinen Staatsrechts naturgemäß ein Einfallstor für das Streben der Territorialfürsten nach Unabhängigkeit und Eigenständigkeit ihrer Territorien. Schon Huber etwa hatte sich bei seiner Definition des Staatsbegriffes und zusammenhängend damit im Rahmen der Bestimmung des Begriffes des „summum imperium" ausdrücklich für die Souveränität der Landesfürsten und damit die Eigenstaatlichkeit der Territorien ausgesprochen 154. Durch die seitens des Allge150

Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauche des allgemeinen Staatsrechts, S. 31. Stolleis, Michael, in: Stolleis, Michael (Hrsg.), Juristen: Ein biographisches Lexikon, S. 442 f. 152 Moser, Johann Jacob, Über Teutschland und dessen Staatsverfassung überhaupt, Stuttgart 1766, S. 549. 153 Moser, Johann Jacob, Gedancken über das neu erfundene vernünftige Staats=Recht des Teutschen Reiches, Stuttgart 1767, S. 28. 151

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meinen Staatsrechts geschaffenen rechtlichen, objektiven Kategorien kam es nämlich zur Feststellung des Vorliegens eines souveränen Staates nicht mehr auf bestimmte Äußerlichkeiten wie Titel und Ähnliches an, sondern lediglich materiell auf die Frage, wem die zur Definition der Souveränität gehörenden Rechte zustanden und von wem sie rechtmäßigerweise ausgeübt wurden. Denn: „Die Rechte eines Monarchen muß man nicht nach den Titeln eines Königs, oder Kaisers abmessen; viele haben ohne dieselben die bürgerliche Oberherrschaft" 155. Ganz deutlich gegen die Souveränität und Staatlichkeit des Reiches richtet sich in diesem Zusammenhang auch eine Bemerkung Justis, der ausführt: „Wenn es Staaten giebt, deren Mitglieder so mächtig sind, daß sie nur in so weit Gehorsam leisten, als sie sich jedesmal durch einen Vertrag, oder durch ihre Einwilligung, dazu verbindlich machen; so kann eine solche Verfassung keineswegs als ein Staat oder Republik betrachtet werden; obgleich von alten Zeiten her die äußerliche Gestalt und der Name eines einzigen Staats übrig geblieben sind" 156 . Dieser Entwicklung in besonderer Weise Vorschub zu leisten war - paradigmatisch - auch eine andere, im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts u. a. schon bei Huber 1 5 7 vertretene, Ansicht geeignet, wonach selbst das Bestehen einer Lehenspflicht das Vorliegen von Souveränität nicht hindern soll 1 5 8 . Die Lehenspflicht ergebe sich nämlich aufgrund eines Vertrages und „obschon jemand der Untreue wegen des Lehens entsetzt werden kann, so geschieht dieses doch nicht vermög einer Oberherrschaft, sondern vermög desjenigen Rechtes, welches einer im Stande der Natur gegen seines gleichen, von welchem er verletzt worden ist, ausübet"159. Das Allgemeine Staatsrecht ist in dieser Kontroverse aber nur die eine Seite der Medaille. Man muß es nämlich in diesem Zusammenhang in Verbindung mit dem ebenfalls aus dem Naturrecht abgeleiteten Völkerrecht 154

s.o. 3. Kap. Fußn. 29. Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 142. Ähnlich etwa auch Kreittmayr, Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechts, S. 5: „Endlich kann ihr [der Majestät] auch die Krönung, Titulatur und anderes äußerliches Wesen weder etwas geben noch nehmen. Alle sowohl gekrönt- als auch ungekrönte Häupter heissen summi imperantes". 156 Justi, Natur und Wesen der Staaten, S. 243 f. 157 Mit der sehr großzügigen Begründung, es genüge für das Vorliegen von Souveränität, daß die Untertanen selbst keinem höheren als dem Inhaber der höchsten Gewalt Gehorsam schuldig seien, unabhängig von dessen Verpflichtungen, s.o. 3. Kap. Fußn. 31. 158 Vgl. u.a. etwa Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 50: „Unser ... Zins-Lehns- oder Schutzherr ... und andre ähnliche Personen sind noch nicht Oberherren unsers Souveräns, ob man sie gleich bisweilen mit gefälliger Ehrfurcht (comiter venerari) behandeln muß" oder Kreittmayr, Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechts, S. 4. 159 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 29. 155

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5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

sehen, das, wo das Allgemeine Staatsrecht die innerstaatlichen Angelegenheiten regelt, auf die zwischenstaatlichen Bereiche anwendbar ist. Indem aber das Allgemeine Staatsrecht beispielsweise den Begriff der Souveränität einführt und diese innerstaatlich dem Staatsoberhaupt attributiert, macht es dieses gleichzeitig nach außen hin zum Repräsentanten eines Völkerrechtssubjekts. Dies ist aber wiederum bedeutsam für die Frage, ob die Territorien überhaupt solche Völkerrechtssubjekte sein und im Verhältnis zum Reich Eigenständigkeit beanspruchen können 1 6 0 . Die innerstaatliche Souveränität war den Landesfürsten mit Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse jedoch schlecht abzusprechen, was die entsprechenden Rückschlüsse auf ihre Legitimation nach außen zuließ 1 6 1 . Dadurch konnte man dann zu der etwa von Nettelbladt entgegengesetzten Auffassung kommen, nämlich daß es ein Haupterfolg des Allgemeinen Staatsrechts gewesen sei, „daß nemlich das Verhältniß zwischen dem Kaiser und den deutschen Reichsständen und Landesherrn ungleich mehr nach dem Völkerrechte, als nach dem langobardischen Lehnsrechte und nach dem altdeutschen Herkommen, sich bestimmt" 162 .

(2) Freiheit und Eigentum Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung des Allgemeinen Staatsrechts als Argumentationshilfe und Austragungsort für die aktuelle politische Diskussion ist die Behandlung der Frage, wie der Gegensatz zwischen den beiden Rechtsinstituten der natürlichen Freiheit einerseits und dem Schutz von wohlerworbenen Rechten andererseits zu überbrücken sei. Dies ist eines der großen Themen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts 163 . Das Problem entsteht mit der durch das Allgemeine Staatsrecht propagierten Annahme

160 Diese Wechselwirkung wird, wenn auch gewissermaßen mit umgekehrten Vorzeichen, beispielsweise auch konkret demonstriert bei Spener (Des Heiligen Römischen Teutschen Reichs vollständiger Staats=Rechts=Lehre Erster Theil, S. 363), wenn er sagt: „ Weiß ich aber aus dem Völcker- und gemeinen öffentlichen Rechte, daß iedem Staat, der seine Hoheit für sich habe, und sich im freyen Gebrauch der Maiestäts-Rechte befindet, die Abgesandschaffts-Rechte allerdings gebühren; so kan hieraus eine leichte Adplication auf unsere Stände, und wie weit einem mehr, oder weniger, diese Rechte zukommen, gemacht werden Ähnlich geht Georg Michael Horn in seinen „Observationes Juris Gentium et Juris Publici Universalis", S. 112, etwa auf die Frage ein, ob die Reichsfürsten Bündnisse mit auswärtigen Mächten schließen dürften. 161 Damit steht in Einklang, wenn nach Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 67, die Caesarianer dem neueren positiven Völkerrecht im Verhältnis Reich-Territorien keine oder nur geringe Anwendbarkeit zugestehen wollen. 162 Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 70.

IV. Das allgemeine Staatsrecht als staatsrechtliches Grundlagenfach

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von der ursprünglichen allgemeinen Freiheit und Gleichheit der Menschen im Naturzustand, die sich grundsätzlich innerhalb des Staatswesens fortsetzen kann, insofern nur der Teil der natürlichen Freiheit des Naturzustandes als aufgegeben gelten kann, der zur Erreichung des Staatszweckes notwendigerweise aufzugeben war. Dies ist ein völlig anderer Freiheitsbegriff als der zuvor vorherrschende der „Freiheiten", also der persönlichen Freiheitsrechte in Gestalt von wohlerworbenen Rechten 164 . Im Allgemeinen Staatsrecht manifestiert sich der Gegensatz zwischen diesen beiden Freiheitsbegriffen dadurch, daß, da das Allgemeine Staatsrecht entscheidend auf der These von der natürlichen allgemeinen Freiheit aufbaut, es der entgegenstehenden Konzeption entgegentreten mußte. Aus diesem Grund werden in allen Abhandlungen zum Allgemeinen Staatsrecht die Privilegien und Regalien als systemwidrig dargestellt und ihre Abschaffung in mehr oder minder radikaler Weise gefordert, sowie auch die wohlerworbenen Eigentumsrechte überhaupt zur Verwirklichung des Staatszweckes grundsätzlich der Einschränk- und Aufhebbarkeit, dem sogenannten „jus eminens" der höchsten Gewalt, unterliegen sollen. So w i l l dann beispielsweise auch schon Huber etwa den Entzug von Privilegien aufgrund einseitigen Aktes der höchsten Gewalt ohne weiteres zulassen (s.o.). Polemischer spricht später etwa Schlözer in diesem Zusammenhang von „Misbräuchen die, „ wenn sie lange ungerügt blieben, am Ende wolerworbene Rechte, gar BestandTeile der Constitution, hießen " 1 6 5 und konsequenterweise wurde dann sogar - immer mit Rekurs auf die natürliche Freiheit des Menschen und damit der Staatsvertrags- und Staatszwecklehre des Allgemeinen Staatsrechts - schließlich gefordert, daß „alles, was von konventionellen Rechten, Herkommen, Gebräuchen und Privilegien auf dieser Grundlage [der der „unveräußerlichen Rechte der Menschen als Menschen"] nicht ruhen kann und will, mit unerbittlicher und keine Rücksicht nehmender Strenge wegzuschaffen " sei 1 6 6 . Insgesamt können sich allerdings die Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts als in der Regel von der Grundeinstellung her eher Konservative zu 163

Grundlegend hat Emst Ferdinand Klein jenen Gegensatz in seinem Buch „Freyheit und Eigenthum, abgehandelt in 8 Gesprächen über die Beschlüsse der Französischen Nationalversammlung 1790", Berlin 1790, beschrieben. 164 Ironisch-pointiert hierzu, mit Favorisierung des Eigentumsrechts gegenüber dem naturrechtlichen Freiheitsegriff äußert sich immer wieder auch Justus Moser, vgl etwa Moser, Justus, Über das Recht der Menschheit als den Grund der neuen französischen Konstitution, in: Westfälische Beiträge, 1790, St. 60, Sp. 121-128, zitiert nach: Ziegler, Wilfried (Hrsg.), Justus Moser - Patriotische Phantasien (Ausgewählte Schriften), Leipzig 1986, S. 256f. 165 Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, S. 164. 166 Stuve, Johann, Über die Rechte der Menschheit, Braunschweigisches Journal 1791, S. 402 ff. (420).

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5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

der Forderung nach gänzlicher Aufhebung von wohlerworbenen Rechten offenbar meist nicht entschließen. Grundsätzlich gilt jedoch, daß je stärker die Reformorientierung eines entsprechenden Bearbeiters des Allgemeinen Staatsrechts war, er sich naturgemäß desto ablehnender dem Schutz der wohlerworbenen Rechte gegenüber zeigen mußte.

d) Verrechtlichung von Sachverhalten durch Subsumtion unter das Allgemeine Staatsrecht Dies alles verdeutlicht, daß das Allgemeine Staatsrecht ohne weiteres praktische Bedeutung insbesondere dadurch erlangen konnte, daß es sich für den Gebrauch bei der rechtlichen Einordnung und Bewertung tatsächlicher Ereignisse anbot. Es war also nicht nur theoretische Wissenschaft, sondern durchaus für den Gebrauch bestimmt 1 6 7 . Insoweit kann man von einer Wechselwirkung und Gegenseitigkeitsbeziehung zwischen dem Allgemeinen Staatsrecht und der aktuellen zeitgenössischen Politik sprechen. Dies wird etwa deutlich bei der bereits kurz skizzierten Behandlung des sogenannten „Privilegium de non appellando et non evocando". Dieses „Privilegium de non appellando et non evocando" war notwendig, um den Territorialfürsten die vollkommene Gerichtshoheit zu sichern, indem es für Rechtsstreitigkeiten das Recht der einzelnen Untertanen ausschloß, Berufung beim Reichskammergericht einzulegen. Tatsächlich wurde die Erlangung jenes Privilegs aus diesem Grunde auch von einer ganzen Reihe von Territorialfürsten angestrebt. Indem Huber dessen Vorliegen zu einer rechtlichen Voraussetzung für das Bestehen echter Souveränität erklärt 1 6 8 , bettet er diesen zunächst rein machtpolitischen Vorgang in einen rechtlichen Kontext ein. Dadurch, daß das Vorliegen eines entsprechenden Privilegiums zum Maßstab und als konstitutives Kriterium für die fürstliche Souveränität genommen wird, zeigt sich, daß einerseits im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts nach Merkmalen zur rechtlichen Einordnung und Bestimmung von tatsächlichen Phänomenen - wie etwa der Souveränität im Hinblick auf die Territorien des Reiches - gesucht wird, diese Merkmale dann aber andererseits, gerade durch ihre Formulierung und Etablierung, wiederum auf die wirklichen Verhältnisse und das politische Tagesgeschehen durchschlagen, indem sie zur Verfolgung bestimmter Zwecke und Durchsetzung bestimmter Ansprüche, wie in diesem Beispiel, erfüllt werden müssen, in anderen 167 Das unterstreicht beispielsweise auch die Äußerung Johann Christoph Krauses, das Allgemeine Staatsrecht behandle Gegenstände, „ welche praktische Brauchbarkeit behalten werden, so lange es deutsche ... Verfassungen giebt" (Krause, Johann Christoph, Vorrede). 168 „... modo subditi sunt vasallo, jus provocandi ad dominum non habeant CHuber, De Jure Civitatis libri très, S. 77).

IV. Das allgemeine Staatsrecht als staatsrechtliches Grundlagenfach

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Fällen umgekehrt aber auch gerade zu deren Verfolgung und Durchsetzung dienen können. So nutzt - um ein weiteres anschauliches Beispiel zu geben - wiederum Huber auch etwa die abstrakte Erörterung der Herrenlosigkeit von Sachen zu einer Überleitung zu der staats- bzw. völkerrechtlich relevanten Frage der Herrenlosigkeit von Gebieten, die nur gegeben sei, wenn niemand sie bewohne oder sonst besitze 169 . Die Meere jedenfalls seien grundsätzlich als herrenlos anzusehen und für alle Völker in gleicher Weise frei zugänglich. Allenfalls könne einem Volk durch stillschweigende Einwilligung infolge langdauernder Übung („per patientiam temporis immemoralis " ) 1 7 0 die Kontrolle über bestimmte Teile eines Meeres überlassen werden 1 7 1 . Diese Frage, im Text in aller Ausführlichkeit unter Bezugnahme auf Meinungen anderer Autoren behandelt (und von Thomasius zusätzlich mit langen Anmerkungen versehen), muß gerade für einen Niederländer in der historischen politischen Situation der Rivalität mit Spanien und England auf den Weltmeeren eine besondere praktische Bedeutung und Aktualität gehabt haben. Das Allgemeine Staatsrecht dient hier dazu, mit Hilfe der rechtlichen Systematik im Hinblick auf den tatsächlichen politischen Streitpunkt eine allgemeine Regel zur Bestimmung der Rechtslage im Grundsatz aufzustellen. Bei politischem Bedarf kann jene den tatsächlichen Gegebenheiten durch die Möglichkeit der Sondervereinbarung (die rechtlich als stillschweigende Einwilligung klassifizierte tatsächliche langandauernde Übung) angepaßt werden, ohne daß der Grundsatz selbst aufgegeben und vom Allgemeingültigkeitsanspruch des Allgemeinen Staatsrechts abgerückt werden müßte. Hier wird demnach der politische Konflikt verrechtlicht oder zumindest in den Kategorien des Rechts ausgetragen. Umgekehrt besteht so natürlich auch für die Politik die Möglichkeit, sich dieser rechtlichen Kategorien zur Durchsetzung ihrer Ziele zu bedienen. Durch diese Anwendung des Allgemeinen Staatsrechts auf bestimmte zeitgenössische Streitfragen wird unterstrichen, daß es trotz der grundsätzlichen Abstraktheit des Allgemeinen Staatsrechts auch Anspruch auf Bedeu169 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 451. Hier bringt Huber einen Seitenhieb auf die Spanier und die katholische Kirche und deren Behauptung zur Rechtfertigung der Inbesitznahme der Länder in der Neuen Welt, diese seien herrenlos, an (ebd.), kritisiert damit aber, gewollt oder ungewollt, die Entdeckungs- und Kolonialpolitik insgesamt, an der auch seine eigene Heimat, die Niederlande, nicht unwesentlich beteiligt waren. 170 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 456. 171 „Ex his sequitur; jus piscandi, ... in omnes terras navigandi et commercia exercendi, a nullo principe vel populo iure prohiberi posse" und „Dein conventione populorum flerì potest , ut quidam jure et usu certi maris cédant , aliique liberam ejus dominationem permittant; quod scilicet universale jus mutat ." ( Huber , De Jure Civitatis libri très, S. 452).

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5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

tung und Akzeptanz nicht nur in der (rechts-) wissenschaftlichen, sondern auch in der politischen Diskussion und der Praxis erhebt, der weit über eine Zusammenstellung und Aufzählung von denkbaren, rechtlich möglichen Fällen hinausgeht. Dadurch nämlich, daß sich etwa im von Kahrel erwähnten Beispiel 1 7 2 die polnischen und litauischen Stände bei einer etwaigen Auseinandersetzung auf die Interpretation ihrer vermeintlichen Rechte als Fundamentalgesetze im Sinne des Allgemeinen Staatsrechts hätten berufen können, ergibt sich, daß hier das Allgemeine Staatsrecht - insbesondere mit Hilfe der Staatsvertragslehre - auf dem Weg über die nunmehrige Einordnung der polnischen und litauischen Verhältnisse unter seine Begrifflichkeiten und in sein System, selbst zu geltendem Recht hat werden können. Das Allgemeine Staatsrecht bietet also für tatsächliche Phänomene eine rechtliche Begrifflichkeit und Systematik an und schafft auf diese Weise eine Verrechtlichung jener Zustände. Gleichzeitig lassen sich diese Begrifflichkeit und Systematik, bzw. die entsprechenden damit verbundenen Erkenntnisse und daraus entstehenden Rechtsgrundsätze, dann wieder als Argument in der politischen Auseinandersetzung verwenden 173 . Ganz konkret läßt sich diese Tendenz schließlich etwa daran erkennen und demonstrieren, daß Svarez in den Kronprinzenvorträgen die Beteiligung der Gesetzkommission zu einem verfassungsrechtlichen Institut des preußischen Landesrechts 174 erhebt und dies als von den Prinzipien des Allgemeinen Staatsrechts gedeckt ausweist. Bemerkenswert ist daran vor allem, daß diese Beteiligung der Gesetzkommission ursprünglich lediglich auf eine Kabinettsordre Friedrichs des Großen, nämlich auf § 14 des Patents No. X X V I , „wodurch eine Gesez-Commißion errichtet, und mit der nöthigen Instruction wegen der ihr obliegenden Geschäfte versehen wird" vom 29.5. 1781 zurückgeht, im Rang also noch nicht einmal förmliche Gesetzeskraft hatte. Die Bedeutung der Gesetzkommission wird von einer bloßen Kontrollfunktion im Auftrag des Monarchen bezüglich des Gesetzgebungsverfahrens 175 umgewandelt in ein verfassungsmäßiges Institut, das dem Gesetzgebungsprozeß zwischengeschaltet ist und nun umgekehrt zur formellen Gültigkeitsvoraussetzung für vom Monarchen gesetztes Recht avanciert. Das Allgemeine Staatsrecht verleiht so dieser auf einer bloßen Kabinettsordre beruhenden Regelung eine zusätzliche Legitimation und verkehrt sie dadurch gleichzeitig in ein die fürstliche Macht einschränkendes 172

s.o. 5. Kap. Fußn. 122. Vgl. etwa auch Schmale, Das Naturrecht in Frankreich zwischen Prärevolution und Terreur, S. 16, der mit Blick auf die Ereignisse im vorrevolutionären Frankreich feststellt, daß das Naturrecht die nötigen Gebrauchsargumente für den Alltag der betont juridisch geführten politischen Debatte geliefert habe. 174 Ein „ GrundgesetzSvarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 296 v. 175 Krause, Peter, Die Überforderung des aufgeklärten Absolutismus Preußens durch die Gesetzgebung, S. 162. 173

IV. Das allgemeine Staatsrecht als staatsrechtliches Grundlagenfach

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Fundamentalgesetz. Im übrigen wurde diese Bestimmung auch in den Entwurf und das Allgemeine Gesetzbuch eingearbeitet, sollte also als Teil der Kodifikation Gesetzeskraft erhalten, was einen weiteren Hinweis auf die Interaktion zwischen Allgemeinem Staatsrecht und der preußischen Gesetzgebung liefert, wurde in das Allgemeine Landrecht aber dann doch nicht übernommen 176 .

3. Einwirkung

auf die übrigen Rechtsdisziplinen

Neben dieser praktisch-politischen Dimension hatte das Allgemeine Staatsrecht jedoch außerdem auch einen gewissen, nicht zu vernachlässigenden Nutzen für andere Rechtsdisziplinen, in die seine Erkenntnisse und Grundsätze teilweise einflossen und Anwendung fanden und so bisweilen zu einer entscheidenden Fortentwicklung und Modernisierung jener Fächer führten. Dies trifft beispielsweise auf das Strafrecht zu. Einerseits wird nämlich schon das Strafmonopol des Staates selbst durch das Allgemeine Staatsrecht postuliert und begründet 177 . Ebenso kann das Recht des Staates, überhaupt zu strafen, mit Hilfe des Allgemeinen Staatsrechts - insbesondere über die Staatszwecklehre - hergeleitet werden. Schon Huber erklärt, dieses Recht des Staates bestehe nicht einfach nur, weil es sich bei Verbrechen um „ schändliche Taten " handle, sondern vielmehr, weil diese Taten der menschlichen Gemeinschaft schadeten 178 . Der Zweck der Strafe sei dementsprechend auch nicht nur die Genugtuung für das Opfer („satisfactio"), sondern außerdem die - erzieherische - „ Warnung" („admonitio") für den Täter, das - abschreckende - Beispiel („exemplum") für andere und die - gesellschaftliche - Vorsichtsmaßnahme („cautio"), „auf daß der Verurteilte uns nicht noch einmal schade" 119. Bei der Anwendung dieser aus dem Allgemeinen Staatsrecht gewonnenen Grundsätze auch auf die Frage nach beim Bürger zu strafendem Verhalten kommt Huber im Rahmen einer erschöpfenden Aufzählung der möglichen strafbaren Delikte vom Mord bis zur „masturpatio" dann auch unter anderem zu dem Schluß, daß beispielsweise letztere unter diesem Gesichtspunkt, auch wenn sie ansonsten eine schwere Sünde sei, außerhalb des staatlichen Strafanspruches stehe 180 . 176

Wodurch sich die Widersprüchlichkeit ergab, daß die Regelung zwar in dieser Form gescheitert war, in Form des § 14 der Kabinettsordre von 1781 aber noch Geltung beanspruchen konnte. 177 s.o., beispielsweise Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 602f. 178 „Caeterum, puniuntur non quilibet actus vitiosi, sed qui humanam laedunt societatem, ... (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 642). 179 „... ne idem qui deliquit nobis aliive rursus nocere queat." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 640).

236

5. Kap.: Der Einfluß des Allgemeinen Staatsrechts

Insofern und noch darüber hinaus fließt gerade und besonders im Strafrecht ein gewisses freiheitssicherndes Moment des Allgemeinen Staatsrechts mit ein und vermag reformerische Wirkung zu entfalten. Denn „eben jene Grundideen geben auch die besten Verhaltensregeln an die Hand. Sie zeigen dem Richter, wie weit er gehen dürfe, um nicht in die Rechte und Verhältnisse der Familien freiheitswidrige Eingriffe zu thun" 181 . Insoweit werden aber nicht nur die Strafdrohung für nach diesen Grundsätzen zu bestimmende Delikte, sondern auch das Strafmaß und nicht zuletzt das Verfahren - dem bekanntlich im Zusammenhang mit der Sicherung von Freiheitsrechten des Einzelnen besondere Bedeutung zukommt - mit Hilfe des Allgemeinen Staatsrechts bestimmbar. So leitet nämlich schon Huber aus der Geschichte des Gesellschaftsvertrages zunächst die grundsätzliche Möglichkeit von Eingriffen in die Rechte der Bürger bis hin zur Todesstrafe her, postuliert aber gleichzeitig, daß solche Eingriffe nur nach einem ordnungsgemäßem Verfahren vorgenommen werden dürften, weil wegen der natürlichen Abneigung der Menschen gegen solche Eingriffe sich die Staatsgründer nur unter dieser Voraussetzung zu deren Duldung hätten verpflichten wollen 1 8 2 . In ähnlicher Weise wird beispielsweise auch zu dem in der „Peinlichen Hals- und Gerichtsordnung (Constitutio Criminalis Carolina)" Karls V. von 1532 festgeschriebenen Instrument der Folter zur Erzwingung von Geständnissen Stellung genommen, etwa wenn es heißt: „Kein Mensch hat das Recht von einem anderen Menschen durch Marter ein Bekenntnis herauszubringen, und also haben es auch mehrere Menschen, die sich vereinigen nicht; sie können es mithin auch nicht anderen übertragen. ... allein ein Mittel, welches ein anderer nicht gebrauchen kann, weil er daran behindert wird, und ein Mittel, welches Niemand gebrauchen darf, sind sehr weit unterschiedene Dinge. Aber nun auch angenommen, die oberste Gewalt könnte sich in diesem Betracht eines so grausamen Mittels anmaaßen: so bliebe es dennoch ungerecht" 183. So werden aus den speziell auf der Staatsvertragslehre basierenden Prinzipien des Allgemeinen Staatsrechts ganz konkrete praktische Folgen hergeleitet und der grundsätzliche normative Charakter des Allgemeinen Staatsrechts demonstriert und konkretisiert. Gleichzeitig wird daran anschaulich gemacht, daß auch die Staatsmacht an dieses Recht gebunden und Macht nicht gleichbedeutend mit Recht ist. 180

Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 656. Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 204. 182 „Sed cum a morte homines efficacissime abhorreant , non potest dici , quod primi conditores civitatis, commune foedus ...ad mortem sine ulla causa et ordine judicii ferendam, durare voluerint(Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 42). 183 Fredersdorf, System des Rechts der Natur, S. 453. 181

IV. Das allgemeine Staatsrecht als staatsrechtliches Grundlagenfach

237

Was das Zivilrecht angeht, so wird etwa das Prinzip der Privatautonomie aus dem der Staatsvertragslehre des Allgemeinen Staatsrechts zugrundeliegenden Verständnis von der prinzipiellen natürlichen und allgemeinen Freiheit des Menschen hergeleitet und insoweit etwa postuliert, daß nach dem Allgemeinen Staatsrecht privatrechtliche Vorschriften „die natürliche Freiheit möglichst begünstigen ... und daher besonders bei Rechten, welche von Verträgen abhängen, die Bestimmungen derselben den Verabredungen der Parteien überlassen" müssen, „solange nur diese Verabredungen nicht wider andere Gesetze anlaufen" 184. Weiterhin soll beispielsweise die Beachtung des Endzwecks der bürgerlichen Gesellschaft, nach den Regeln des Allgemeinen Staatsrechts auf das Zivilrecht angewandt, bedingen, daß einheimische Rechtsinstitute bevorzugt werden, weil sie mit den speziellen Gegebenheiten des Staates eher zusammenhingen, als auswärtige 185 . So sei zu beobachten, daß man " . . . bei Konkurrenz deutscher und fremder Rechtsprincipien mehr auf die Staatsverfassung unserer Länder und derjenigen, wo jene Principien galten, Rücksicht zu nehmen und darnach die Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit derselben zu bestimmen angefangen hat: daher dann freilich die fremden Rechte, welche vorher alles galten, vieles von ihrem Ansehen verlieren, aber dafür die einheimischen ... sehr gewinnen musten". Dies letztere ist aber wohl eher eine vereinzelte polemische Äußerung i m Rahmen der zeitgenössischen Auseinandersetzungen um die Geltung des römischen Rechts als eine allgemeingültige Aussage hinsichtlich der Bedeutung des Allgemeinen Staatsrechts auch in diesem Bereich.

184 185

Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 123. Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 206.

6. Kapitel

Die Bedeutung des Allgemeinen Staatsrechts für das politische Geschehen im absolutistischen Staat I. Aufklärung, Allgemeines Staatsrecht, Absolutismus Über die bereits skizzierte politische Dimension des Allgemeinen Staatsrechts in seiner Eigenschaft als Instrumentarium zur Durchsetzung bestimmter politisch angestrebter Ziele hinaus, durchdrang das Allgemeine Staatsrecht außerdem auch das gesamte politische Leben des zeitgenössischen absolutistischen Staates und prägte sein Selbstverständnis, seine Erscheinung und sein Auftreten. Das Allgemeine Staatsrecht ist nämlich ein typisches Produkt der deutschen Aufklärung. Als solches verfolgte es nicht nur den Zweck, zur Erfassung der erfahrbaren Welt und ihrer Erklärung beizutragen, sondern auch, diese nach Möglichkeit zu verbessern. Verbesserung im Bereich des Staatsrechts konnte wiederum insbesondere erreicht werden - durch Aufklärung. Aufgeklärt werden konnten mittels der Lehren des Allgemeinen Staatsrechts einerseits der Inhaber der höchsten Gewalt, in der zeitgenössischen Realität der Fürst, andererseits aber das Volk. An beide richtete sich das Allgemeine Staatsrecht. Dabei kam seiner Verbreitung zugute, daß seit Anfang des 18. Jahrhunderts die deutsche Sprache das Lateinische in diesem Bereich mehr und mehr ablöste1, so daß schon Zeitgenossen feststellen konnten, es sei, „seit Thomasius, und noch mehr Wolf, deutsch philosophierten, eine populäre ... Wissenschaft geworden" 2. Es kann insoweit dahinstehen, ob die im Verlauf des 18. Jahrhunderts stark zunehmende Verbreitung des aufklärerischen Gedankengutes mit dem ihm innewohnenden Freiheits- und Gleichheitspotential in größeren - auch den unteren - Bevölkerungsschichten, einen signifikanten reformerischen Druck auszulösen vermochte, oder ob das mit der Zeit immer aufgeklärtere Fürstentum einen solchen ohnehin als von dem ihm vermittelten Gedankengut ausgehend empfunden hat, bzw. diese beiden Komponenten, was am wahrscheinlichsten ist, zusammengewirkt haben als Ursache nicht allein der intensivierten Bearbeitung bzw. Förderung, sondern auch und vor allem der 1 2

Vgl. dazu bereits Goldschmidt, Rechtsstudium und Prüfungsordnung, S. 139. Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 71.

I. Aufklärung, Allgemeines Staatsrecht, Absolutismus

239

fortschreitenden Beachtung und Akzeptanz des Allgemeinen Staatsrechts in der Praxis. Jedenfalls erklärt das Allgemeine Staatsrecht auf der einen Seite den Untertanen, welche Pflichten sie haben und die Gründe hierfür, so daß sie - was für die Fürsten als wünschenswert dargestellt wird - umso freudiger diese Verpflichtungen erfüllen, lehrt aber andererseits auch die Fürsten, welche Rechte der Untertanen für sie unantastbar sind. Insofern gereicht das Allgemeine Staatsrecht beiden Seiten zum Nutzen, ein Umstand, dem es wohl zu verdanken ist, daß es von den Fürsten selbst gefördert und von staatstragenden Beamten als seinen prominenten Vertretern, Vordenkern und Wegbereitern propagiert wurde. Gerade über die aufgeklärte Beamtenschaft, eine der vorrangigen Stützen und Träger des Gedankengutes und der Bewegung der Aufklärung, konnte das Allgemeine Staatsrecht sich Einfluß verschaffen auf und Eingang finden in die Staatsrechtspraxis des modernen absolutistischen Staates des 18. Jahrhunderts. Miteinander verzahnt und in Wechselwirkung stehend ist dies damit, daß, ausgehend von der Erkenntnis der Notwendigkeit einer effizienten Verwaltung zur Bewältigung der immer umfassender werdenden Staatsaufgaben und damit zusammenhängend der Herausbildung eines spezialisierten und geschulten Verwaltungsapparates, das Allgemeine Staatsrecht von den Fürsten als Mittel erkannt und genutzt wurde, entsprechende Voraussetzungen und Humanressourcen zu schaffen. So ist die anerkennende, als Zeichen fortgeschrittener Aufklärung gewertete Feststellung: „In unseren Zeiten wird für die Staatsrechtslehre für Lehrer von den Fürsten selbst gesorgt" 3, durchaus zutreffend und nachvollziehbar. In der Tat war es vielen Fürsten ein Anliegen, an ihren Universitäten das Allgemeine Staatsrecht zu fördern. Als Beispiele mögen Göttingen und vor allem die Preußischen Universitäten Jena und Halle dienen, wo auf explizite Anweisung des Preußischen Königs geforscht wurde mit dem Ziel der Handhabbarkeit des Rechts, der Rechtsvereinheitlichung und damit letztlich der Etablierung und Sicherung der Macht im Territorialstaat 4 . So kommt es dann auch nicht von ungefähr, daß etwa in Halle das Allgemeine Staatsrecht mindestens bereits seit 1708 von Christian Thomasius und seit 1710 von Justus Henning Böhmer gelesen worden sein muß 5 , nachdem an dieser Universität vornehmlich der preußische Beamtennachwuchs ausgebildet und hier auch die preußische Justizreform vorbereitet wurde, welche unter anderem von einer verbesserten Juristenausbildung getragen werden sollte 6 . 3

Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 112. Vgl. etwa Krause, Peter, Die Überforderung des aufgeklärten Absolutismus Preußens durch die Gesetzgebung, S. 146. 5 s.o., u.a. 1. Kap. Fußn. 22f. 6 Käthe, Heinz, Geist und Macht im absolutistischen Staat, 2. Bde., Halle 1980, Bd. 1, S. 81. 4

240

6. Kap.: Das Allgemeine Staatsrechts im absolutistischen Staat

Dementsprechend sagte auch der zeitweilige Inhaber eines juristischen Lehrstuhls an einer anderen preußischen Universität, der Jenaer Rechtsgelehrte Johann Salomo Brunnquell, von sich, er habe sich „vorgenommen, zum Nutzen derer Herrn Studiosorum, und Aufnahm dererjenigen Wissenschaften auf hiesiger berühmter Academie, welche zur Dirigirung und Glückseeligkeit eines Staates gereichen, ... namentlich das allgemeine Staatsrecht vorzutragen . . . " 7 . Die preußische Justizreform - und in deren Rahmen letztendlich auch das bereits angesprochene große Kodifikationsvorhaben - und das Allgemeine Staatsrecht hängen also auch auf dieser Ebene zusammen. Umgekehrt trägt das Allgemeine Staatsrecht dem auch inhaltlich selbst Rechnung, wenn es nämlich gerade davon ausgeht, daß der Inhaber der höchsten Gewalt sich zur Ausübung derselben seiner - selbstverständlich entsprechend geschulten - Beamten bedient. Denn „auch die einsichtsvollsten Fürsten können der Räthe nicht entbehren" und bei der Besetzung der Ämter ist nach dem Allgemeinen Staatsrecht darauf zu achten, „daß nicht die Aemter für die Personen geschaffen, sondern die Personen ßr die Aemter gebildet werden sollen"*. Schließlich führt dies konsequenterweise auch zu dem Postulat, daß der Inhaber der höchsten Gewalt die Anwendung des Allgemeinen Staatsrechts durch diese Beamten akzeptiert und sanktioniert, denn: „Auch würde es unnütz seyn, wenn man zwar die würdigen Männer angestellet hätte, aber ihren Reden, ihren Rathschlägen kein Gehör gäbe"9. Das Allgemeine Staatsrecht fördert also die Verrechtlichung der Politik, die Aufklärung sensibilisiert das Publikum für das Bedürfnis des Staates, nach rechtlichen Regeln vorzugehen 10 und das Allgemeine Staatsrecht liefert wiederum den theoretischen Unterbau, der für die Verwaltungsorganisation, das Verwaltungshandeln, aber auch zur Durchführung etwa der preußischen Justizreform und Kodifikation 1 1 gebraucht und von den entsprechend seinen Grundsätzen ausgebildeten und eingesetzten Staatsbeamten - durchaus auch im Sinne der Fürsten - umgesetzt wird. 7

Brunnquell S. 43. Die Angabe „auch diesen Sommer" bezieht sich offenbar auf das Erscheinungsjahr des Buches, nämlich 1721. 8 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 104 f. 9 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 107. 10 Ähnlich Dilcher, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, S. 176. 11 Zur staatsrechtlichen Relevanz des ALR vgl. beispielsweise auch Tieftrunk, Johann Heinrich, Staatskunst und Gesetzgebung - zur Beantwortung der Frage: Wie kann man gewaltsamen Revolutionen am besten vorbeugen, oder sie, wenn sie da sind, am sichersten heilen? Berlin 1791, S. 2: „Während in diesem Staate die weise Regierung an einem Gesetzbuche arbeitet ... während. man hier des Staates Wohlfahrt nach allgemeinen Regeln und Rechten der Menschheit zu gründen bemüht ist ...

I. Aufklärung, Allgemeines Staatsrecht, Absolutismus

241

Typisch für die Aufklärung ist außerdem, daß die Fürsten durch Kenntniserlangung und -erweiterung dazu gebracht werden sollen, besser und rechtmäßiger zu regieren, gleichzeitig aber auch angenommen wird, daß sie von sich aus rechtmäßig regieren wollten. Denn, wie etwa Johann Christoph Krause sich ausdrückt, „bey der Gerechtigkeitsliebe der deutschen Regenten und Unterthanen steht daher zu erwarten, daß mit der Ausbildung und Berichtigung des Systems, auch die Überzeugungen von den Rechten und Pflichten in Beziehung auf den Staat sich allgemeiner verbreiten und seegenvolle Früchte bringen werden" 12. In dieses Bild paßt auch, daß es als die „erste und heiligste" Pflicht des Regenten angesehen wird, für Aufklärung zu sorgen, „Verstand und Vernunft zu cultiviren". Dabei wird sogar so weit gegangen, daß vertreten wird, es handle sich dabei um ein Menschenrecht, das der Regent auch durch positive Gesetze nicht nehmen könne und sei sogar einer der Gründe, warum die Menschen sich zu Gesellschaften zusammengeschlossen hätten 13 . Dies bedeutet, daß es eine aus dem Staatsvertrag abzuleitende (Rechts-) Pflicht des Regenten sein soll, die Aufklärung zu befördern und voranzutreiben, die durch das Allgemeine Staatsrecht und mit dessen Instrumentarium, beides wiederum selbst Produkte der Aufklärung, festgestellt und formuliert wird. Insgesamt hatte das Allgemeine Staatsrecht jedenfalls zunächst eine aus dem Staatszweck der Allgemeinwohlbeförderung entspringende und Fürsten wie Untertanen gleichermaßen zuträgliche stabilisierende Wirkung, insofern als Zweck des Allgemeinen Staatsrechts unter anderem angeführt wird, daß unter seiner Anleitung der Staat und die öffentliche Ruhe bewahrt und gefördert würden 14 . Konkreter wird später - aus dem aktuellem Anlaß der Vorgänge in Frankreich heraus - behauptet, daß das Allgemeine Staatsrecht „die kräftigste Stüze für die bürgerliche Ruhe und Ordnung sey" und „ganz vorzüglich dazu geschikt sey, den vielleicht hie und da eingerissenen Revolutionsschwindel zu dämpfen" 15, denn „... es zeigt uns, wie widerrechtlich öfters das Murren und Klagen über Beschränkung der natürlichen Freiheit, über Bedrückung der Bürger sey, indem es den wahren Grund und die wichtigen Vortheile von diesen Beschränkungen einem jeden einleuchtend zu machen sucht; es zeigt uns wie widersinnig und unmoralisch das Schreien nach einer gränzenlosen Freyheit sey .... und so wirkt es auf 12

S. 71.

Krause,

13

Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte,

Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt, S. 19 ff. 14 „Finis iurìs publici universalis pro lege suppositi, est, ut eius praesidio status et tranquilitas publica conservetur, ac promoveatur", Oertel, Meditationes de Iure Publico Universali, S. 39. 15 Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt, S. 39. 16

Schelp

242

6. Kap.: Das Allgemeine Staatsrechts im absolutistischen Staat

diese Art gewiß ganz unverkennbar, für die Ruhe und bürgerliche Ordnung der Staaten!"1 .

II. Das Allgemeine Staatsrecht und die Modernisierung des Staates 1. Recht für den modernen Staat Ein direkter Nutzen der Öffentlichmachung und Verbreitung des Allgemeinen Staatsrechts für die Landesfürsten lag zunächst in der Möglichkeit der rechtlichen Legitimation des ausschließlichen Machtanspruchs der Territorialfürsten, der durch das Allgemeine Staatsrecht, gefördert wurde 1 7 . Bereits der Anspruch des Allgemeinen Staatsrechts, Recht zu sein, verlieh ihm schon vom Ansatz her eine wesentlich höhere Überzeugungs- und Durchsetzungskraft, als die bloßen Nützlichkeitserwägungen der Politik zu leisten im Stande waren. Aber auch inhaltlich leistet das Allgemeine Staatsrecht der Konzentration von Rechten und damit letztlich von Macht auf die Inhaber der höchsten Gewalt Vorschub, und zwar sowohl im Verhältnis nach außen, unter anderem durch die Souveränitätslehre, wie auch nach innen. So sollten die Untertanen nämlich anhand der Lehren des Allgemeinen Staatsrechts etwa erkennen, „daß, wer das Recht habe vor die eusserliche Glückseeligkeit der Republique zu sorgen, müßte auch ganz alleine die Mittel ergreifen können, welche zu Ausübung eines solchen Rechts gehören ... und daß deshalb auch zwei independente höchste Gewalten in einem einzigen Staat nicht existieren können"18. Dabei muß allerdings auch berücksichtigt werden, daß man, entgegen landläufiger Vorurteile gegen absolutistische Herrscher im allgemeinen, den Territorialfürsten nicht ohne weiteres unterstellen kann, sie hätten persönlich ein Interesse an neuen Aufgaben gehabt und sich - etwa aus reiner Machtgier - um eine Ausweitung ihrer Kompetenzen bemüht. Vielmehr ist es evident, daß auch die Erwartungen in die Inhaber der Herrschaft gestiegen waren. Dies macht etwa Johann Christoph Krause deutlich, wenn er feststellt: „Eine Regierung des vierzehnten Jahrhunderts umfaßte sicherlich nicht den zehnten Theil der Geschäfte einer heutigen" 16

Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt, S. 71. 17 So stellt schon Hubrìch (Die Grundlagen des monarchischen Staatsrechts Preußens, S. 443) im Jahre 1908 etwa mit Blick auf die Entwicklung in Preußen fest, daß die Hohenzollernregenten seit den Tagen des Großen Kurfürsten die Aufrichtung der absoluten Monarchie in ihren Landen gerade im Anschluß an die Ideen des ius publicum universale erreicht hätten. 18 Brunnquell, S. 37.

II. Das Allgemeine Staatsrecht und die Modernisierung des Staates

243

und: „Die innern und äußern Verhältnisse des deutschen Reichs und noch mehr der größern Territorien hatten aber auch ... eine von der alten wesentlich verschiedene Regierungsart notwendig gemacht"19. Die so in die Pflicht genommenen Inhaber der Macht - in Deutschland kamen dafür nur die Territorialfürsten in Betracht - mußten nun nach Wegen suchen, die geeigneten Mittel in die Hand zu bekommen, um diesen gestiegenen Erwartungen gerecht zu werden 20 . Dafür bedurften sie der Anleitung, ein Bedürfnis, das mit dem Allgemeinen Staatsrecht befriedigt werden konnte (s.o.). Dementsprechend hatten auch bereits Huber und ebenso etwa Böhmer festgestellt, daß durch das Allgemeine Staatsrecht mit der Schaffung einer allgemeingültigen Staatsordnung denen, die den Staat regieren und verwalten, (rechtlich zulässige) 21 Entscheidungshilfen bei Neuerungen oder Veränderungen an die Hand gegeben würden 2 2 und dem Fürsten - Huber sogar in einem eigenen Kapitel - ein „Recht zur Reform des Staates" eingeräumt und begründet 23 . Rein tatsächlich ist die Steigerung der Erwartungen in den Fürsten, bzw. die Regierung wohl einerseits mit dem enormen Aufbaubedarf im Anschluß an die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland und dem insbesondere vom Frankreich Ludwigs XIV. ausgehenden Modernisierungsdruck, andererseits mit dem in der Aufklärung gewachsenen Glauben an die grundsätzliche Machbarkeit bzw. die Lösbarkeit der verschiedensten Problemstellungen mit Hilfe der menschlichen Vernunft zu erklären. Seine rechtliche Entsprechung findet dies im Allgemeinen Staatsrecht vor allem in der Staatsvertragsdoktrin, nach der die Untertanen sich der Herrschaft des Fürsten nur zur Erreichung eines bestimmten Zweckes, nämlich ihrer „Glückseligkeit" unterworfen haben, was den Inhaber der höchsten Gewalt auf den Staatszweck der salus publica, des Gemeinwohls, verpflichtet. Insoweit manifestieren sich wohl mit der Forderung nach Förderung des Gemeinwohls auch Vorgaben von Seiten der Untertanen, die mit Hilfe des 19

Krause,

Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte,

S. 65. 20

Zum Einfluß allgemein vorherrschender Vorstellungen auf das Staats- und Verfassungsrecht allgemein und hier übertragbar vgl. etwa Zippelius, Reinhold, Die Bedeutung kulturspezifischer Leitideen für die Staats- und Rechtsgestaltung, S. 22 f. 21 „Ipsa media, quibus reformatur status publicus, ita debent esse comparata, ne iuri publico universali adversentur, alioquin Machiavellismum sapiunt" (.Böhmer, Introducilo in lus Publicum Universale, S. 357). 22 „... ut neminem ratio in ullius Reipubl cujus noverìt situm, judicium fugere possit ." (Huber , De Jure Civitatis libri très, S. 3). 23 „De Jure Reformandi Civitatem", Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 695 ff., entsprechend Böhmer, Introductio in lus Publicum Universale, S. 355 („ius reformandi rempublicam"). 16*

244

6. Kap.: Das Allgemeine Staatsrechts im absolutistischen Staat

Allgemeinen Staatsrechts auf eine rechtliche Grundlage gestellt werden konnten. Der moderne Staat - und damit in der politischen Wirklichkeit der Fürst, hatte also - rechtlich gesehen wegen des Postulats der Gemeinwohlbeförderung - eine ganze Reihe von in ihrer Art und ihrem Umfang neuen Aufgaben zu bewältigen. Für diese Aufgaben wurde ein rechtlicher Rahmen benötigt. Denn einerseits ist wohl richtigerweise davon auszugehen, daß die Fürsten rechtmäßig handeln wollten, so wie überhaupt vieles dafür spricht, daß die Fürsten sich überwiegend als Inhaber eines Amtes verstanden, das sie gut, gerecht und eben in rechtmäßiger Weise ausfüllen wollten 2 4 . Andererseits war es den Fürsten auch bei der Bewältigung der neuen Aufgaben schon allein in Anbetracht des auch und gerade für die damalige Zeit vorauszusetzenden, natürlicherweise in der Bevölkerung stark verankerten Rechtsbewußtseins gar nicht möglich, im rechtsfreien Raum zu operieren, zumal sie zur Durchsetzung ihrer Maßnahmen wiederum ein rechtliches Instrumentarium benötigten, um etwaige Widerstände, gerade etwa aus den Reihen der Stände, erfolgreich brechen zu können. Unter diesem Gesichtspunkt erlangt auch die Emphase, mit der die Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts ihre neue Wissenschaft als „Recht" gegen die - möglicherweise unrechtmäßige - „Nützlichkeit" der Politik abgrenzen, eine weitere Dimension, insbesondere, wenn gerade als eine der wesentlichen Aufgaben und Anwendungen des Allgemeinen Staatsrechts die saubere Trennung zwischen Erwägungen des Rechts einer und der Nützlichkeit und der Moral andererseits genannt 25 und außerdem die Notwendigkeit von durch das Allgemeine Staatsrecht geschaffenen „ leges publicae universales" damit begründet wird, daß „ Könige und freie Völker, wenn sie nicht ungesetzlich genannt werden sollen, eines obersten Gesetzes bedürfen, damit sie sich innerhalb der Grenzen der Gerechtigkeit halten, denn wo keine Gerechtigkeit ist, ist kein Staat" 26.

24 Man denke nur an die in der Regel sorgfältige Fürstenausbildung, die zum Beispiel im Falle des Kronprinzen und späteren preußischen Königs Friedrich-Wilhelm II. unter anderem ein fundiertes Rechtsstudium - sogar mit Schwerpunkt auf dem Allgemeinen Staatsrecht - beinhaltete. Zur Überzeugung der Aufklärer selbst, daß die Fürsten gesetzestreu handeln wollten, vgl. Bödeker, Prozesse und Strukturen politischer Bewußtseinsbildung, S. 29, zur zeitgenössischen Überzeugung, daß es auch im absolutistischen Staat Verfassungsrecht gebe, Dilcher, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, S. 188. 25 „Denique insignis usus huius doctrinae in eo conspicuus est, ne cum vulgo respectus diversos in negoriis occurrentes confundamus, utilitatis quaestiones a iuris, has vero rursus ab Ulis, quae ad hominum internam salutem pertinent, distinguamus" (Böhmer, Introductio in lus Publicum Universale, S. 103). 26 „ Exinde necessitatem Le gum Publicarum Universalium denuo confirmari, quod Reges et Populi Liberi, ne dicantur exleges, et in summa liberiate in omnem licentiam effundantur, vel maxime legum fraeno, ut intra limites justitiae continean-

II. Das Allgemeine Staatsrecht und die Modernisierung des Staates

245

2. Legitimation und Kontrolle Der Anspruch an den Staat auf Gemeinwohlbeförderung und die damit verbundene Kompetenzausdehnung wurden also durch das Allgemeine Staatsrecht gleichzeitig artikuliert und juristisch untermauert. Vereinzelt führt dies zwar auch bei Vertretern des Allgemeinen Staatsrechts zu dem Ergebnis einer sehr weitgehenden rechtlichen Legitimierung der absolutistischen Macht durch das Allgemeine Staatsrecht, indem etwa sogar postuliert wird, im Zweifel sei immer eher davon auszugehen, daß eine Herrschaft absolut sei und nicht beschränkt, und daß für das Vorliegen einer Beschränkung Beweis geführt werden müsse 27 . Umgekehrt ging von der mittels des Allgemeinen Staatsrechts vollzogenen Rationalisierung und Verrechtlichung der Staatstätigkeit 28 ein Legitimationsdruck auf die Inhaber der höchsten Gewalt aus, deren Maßnahmen nun anhand der Normen des Allgemeinen Staatsrechts durch die Öffentlichkeit überprüft werden konnten 29 . Rechtlich zulässig sind nämlich nach dem Allgemeinen Staatsrecht unter Berücksichtigung des auf den Staatsvertrag zurückgehenden Staatszweckes nur solche Regierungsmaßnahmen, die der Erfüllung dieses Staatszweckes dienen. Eine fürstliche Willkür wird dadurch also gerade ausgeschlossen und seine Regierung der rechtlichen Kontrolle unterstellt 30 . Dieser Aspekt der Setzung eines rechtlichen Rahmens durch das Allgemeine Staatsrecht ist aber mindestens ebenso bedeutsam wie der der fürstlichen Machterweite-

tur, indigeant: ubi enim justitia non est, non est Respublica " (,Schmier, Jurisprudentia Publica Universalis, S. 2, der als katholischer geistlicher Gelehrter hier ein Zitat von Augustinus als Beleg für seine Argumentation an den Schluß setzt - „sicut arguii Augustin lib. 19 de Civitate Dei cap. 21 ")· 27 So Gribner, Principiorum Iuris Prudentiae Naturalis Libri IV, S. 202, der mit dieser Behauptung allerdings weitgehend alleine steht („In dubio imperium potius absolutu, quam limitatum, praesumitur, cum limitatio facit sit, probarique debeat"). 28 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, S. 272. 29 Krause, Peter, Naturrecht und Kodifikation, in: Aufklärung 3, 1988, S. 7 ff. (17, 23). 30 Der Einwand, der Gemeinwohlgedanke sei als Schranke der fürstlichen Macht weder relevant noch effektiv (vgl. etwa Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, S. 53, 99, Merk, Walther, Der Gedanke des gemeinen Besten in der deutschen Staats- und Rechtsentwicklung, Darmstadt 1968, S. 61 ff.) ist so nicht haltbar. Daß die Entscheidungsprärogative darüber, was zum Gemeinwohl gehört, zunächst bei der Regierung bzw. beim Gesetzgeber liegt, ist eigentlich selbstverständlich und wird auch heute noch, etwa im Hinblick auf die verfassungsrechtliche und insbesondere bundesverfassungsgerichtliche Prüfung von Geeignetheit und Erforderlichkeit von Gesetzen, so angenommen. Dem Allgemeinen Staatsrecht deswegen und mit dem Hinweis auf die fehlende richterliche Kontrolle die Rechtsqualität und Kontrollfunktion absprechen zu wollen, ist daher falsch. Die Frage der Rechtmäßigkeit und der Existenz eines Rechtes überhaupt ist gerade auch nicht - wie bereits gesehen - abhängig von der Durchsetzbarkeit.

246

6. Kap.: Das Allgemeine Staatsrechts im absolutistischen Staat

rung 3 1 . In ihrer letzten Konsequenz führen dieser hier skizzierte, dem Allgemeinen Staatsrecht zugrundeliegende Gedankengang und die damit angestoßene Entwicklung sogar dazu, daß Untertanen teilhaben an der Souveränität des Staates und der Fürst nur noch als Repräsentant des Staates und „Depositar des Volkswillens" (s. o.) gilt. Es geht in erster Linie also darum, einen Modernisierungsschub zu vollziehen, der mit den alten Strukturen nicht machbar ist. Dies ist wiederum im Kontext mit den Zielen und dem Gedankengut der Aufklärung zu sehen, auf das auch das Allgemeine Staatsrecht überhaupt zurückgeht. Das Allgemeine Staatsrecht schafft insoweit für diesen Modernisierungsschub die entsprechenden staatsrechtlichen Voraussetzungen. Es ist daher falsch, im Allgemeinen Staatsrecht in seiner Eigenschaft als - gewissermaßen - Staatsrecht des Absolutismus, lediglich den Versuch einer Ausweitung der Fürstenmacht und der Legitimation einer souveränen Beliebigkeit in der Herrschaftsausübung 32 sehen zu wollen. Insbesondere präsentiert sich die Epoche des Absolutismus insoweit keineswegs als eine rechtlose, wie immer wieder unterstellt w i r d 3 3 , sondern im Gegenteil gerade als eine, die die Verrechtlichung des öffentlichen Lebens vorangetrieben und auf eine ganz neue Grundlage gestellt hat.

III. Der Nutzen des Allgemeinen Staatsrechts für den absolutistischen Herrscher 7. Das Allgemeine Staatsrecht und die Stände Unter diesem Aspekt der Ambivalenz muß beispielsweise auch die grundsätzlich tendenziell den Absolutismus begünstigende, im Souveränitätsgedanken angelegte, nicht zu übersehende antiständische Stoßrichtung 34 31

Illustrieren kann man dies etwa am Beispiel der Verhältnisse in Preußen. Dort hatte schon Friedrich der Große aufgrund seiner starken Machtstellung ohne weiteres über die Köpfe der Stände hinwegregieren können. Daß das später von seinem Nachfolger vorgelegte Allgemeine Gesetzbuch (AGB), das nachhaltig vom Allgemeinen Staatsrecht geprägt ist (s.o.), ebenfalls antiständische Züge trug, bedeutete also in der Praxis keine Veränderung der Sachlage. Daher kann man nicht behaupten, daß hier mit Hilfe des Allgemeinen Staatsrechts versucht worden wäre, die Macht des Königs zu erweitem. Dies zeigt aber, daß es ihm nicht um Machterweiterung gegangen sein kann, sondern eher um Machtverwaltung zum Besten des Volkes und des Landes. 32 Link, Aufgeklärtes Naturrecht und Gesetzgebung, S. 24. 33 So offenbar die landläufige Meinung. Vgl. z.B. Näf, Werner, Der Durchbruch des Verfassungsgedankens im 18. Jahrhundert, in: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte Bd. 11 (1953), S. 108-120, S. 113, der davon spricht, der absolute Herrscher habe „das Rechtsverhältnis in seinem Lande aufgehoben". 34 s.o. und vgl. auch, einseitig, Hoffmann, Zur Lehre vom Naturzustand, S. 30f., mit dem Hinweis darauf, daß nunmehr das Gesetzgebungserfordernis der repräsenta-

I . De

en des Allgemeinen Staatsrechts

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des Allgemeinen Staatsrechts betrachtet und bewertet werden. Sie geht aus der Staatsvertragslehre, dem zentralen Element des Geltungsanspruches des Allgemeinen Staatsrechts, hervor und ergibt sich aus zwei differenziert zu betrachtenden Gesichtspunkten. Erstens beinhaltet die Staatsvertragstheorie eine ursprüngliche und grundsätzliche Gleichheit aller Untertanen, bzw. setzt sie voraus. Zweitens rechtfertigt auch gerade die aus der Staatsvertragslehre entspringende Ausrichtung auf das Gemeinwohl, die salus publica, Eingriffe in ständische Rechte zu einem entsprechenden, die salus publica befördernden Zweck, wenn etwa sogar die Bindung der höchsten Gewalt an althergebrachte, positive Fundamentalgesetze, die in der Praxis dazu gedient haben, ständische Rechte zu verbriefen, explizit unter eine abstrakte naturrechtliche Kontrolle gestellt werden, die gegebenenfalls zu ihrer Ungültigkeit führen und die höchste Gewalt von ihrer Bindung an sie befreien kann 3 5 . Insoweit werden die ständischen Rechte durch das Allgemeine Staatsrecht auch herabgestuft zu - zwar dem Eigentumsschutz unterfallenden, aber zur Verfolgung des Staatszweckes grundsätzlich aufhebbaren - bloßen Privilegien 36 . Die Verengung dieses Vorgangs auf die Ausschaltung der Stände greift aber zu kurz. Es geht nämlich nicht - wie gerne unterstellt wird - alleine darum, dem Territorialfürsten durch die Verbreitung und Anwendung der Lehren des Allgemeinen Staatsrechts zu einer Ausweitung seiner persönlichen Macht oder gar zu einem „Abstreifen aller rechtlichen Fesseln" zu verhelfen 37 . Vielmehr steht im Vordergrund die Entstehung eines modernen Staates auch durch die Schaffung moderner Herrschaftsstrukturen, insbesondere eines homogenen Untertanenverbandes 38, dessen Entstehung die der Staatsvertragslehre zugrundeliegende These von der grundsätzlichen Gleichheit der Staatsbürger theoretisch untermauert. Zwar führt dies zunächst tatsächlich zur Ausdehnung und Konzentrierung der Herrschergewalt in der Hand des Fürsten. Doch muß jene Entwicklung tiven Zustimmung durch die Stände von Fall zu Fall durch die vorgängige allgemeine Legitimation einseitiger Entscheidungsgewalt ersetzt worden sei. Besonders dezidiert weist Klippel (Politische Freiheit und Freiheitsrechte, S. 94 ff.) auf die ständische Rechte vernichtende Wirkung der Staatsvertragslehre und die vermeintliche Rolle des Allgemeinen Staatsrechts als antiständisches „Fürstenrecht" hin. Vgl. zu einer Unterscheidung zwischen ständischem und naturrechtlichem Element des Volksbegriffs mit Auswirkungen auch auf die Repräsentationsfunktion bezüglich des Volks willens durch die Stände bzw. den Fürsten: NäfWerner, Der Durchbruch des Verfassungsgedankens, S. 114. 35 Johannsson (Montin), Die bürgerliche Regierung nach ihrem Ursprung und Wesen betrachtet, S. 38 ff. 36 Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, S. 94ff., 98. 37 So aber (wörtlich) Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, S. S. 99. 38 Das sieht auch Klippel (Politische Freiheit und Freiheitsrechte S. 108), der den Schwerpunkt aber auf den Aspekt der Machtausdehnung legt.

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6. Kap.: Das Allgemeine Staatsrechts im absolutistischen Staat

unter dem Aspekt betrachtet werden, daß sie für den modernen Staat mit Blick auf seinen Zweck notwendig und nur deshalb vom Allgemeinen Staatsrecht auch getragen war. Das Bewußtsein von dieser Notwendigkeit, bzw. sogar umgekehrt von der Gefahr der rechtlichen Einschränkung des Inhabers der höchsten Gewalt über Gebühr angesichts der von ihm erwarteten Aufgabenbewältigung, wird deutlich, wenn etwa ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß das Allgemeine Staatsrecht zwar grundsätzlich Einschränkungen der Befugnisse des Inhabers der höchsten Gewalt zulasse, „weil die Nation ihre Rechte mit oder ohne Beding abtreten kann, aber es sagt auch zugleich, daß man den Regenten nicht dergestalt einschränken dürfe, daß er verhindert wird, das Volk glückselig zu machen"39. Wenn nun auch der moderne omnipotente Staat zwar nicht mehr durch die alten Rechte beschränkt wird, so entwickeln sich doch dafür neue Modelle und Möglichkeiten der Freiheitssicherung durch die Staatsvertragslehre mit den aus dieser abgeleiteten Grundrechten. Im Allgemeinen Staatsrecht manifestiert sich insoweit im Laufe des 18. Jahrhunderts ein enormer Modernisierungsschub, als man sich wegbewegt von dem Verständnis historisch begründeter Herrschaft mit deren entsprechenden Einschränkungen hin zu einer abstrakt-inhaltlichen Begründung von Herrschaft mit ebenfalls abstrakt-inhaltlicher Begrenzung. Denn „auch one Eid', auch one einen besondern schriftlichen GrundVertrag, bleiben die Pflichten, die ihm das allgemeine StatsRecht auferlegt" 40 für den Inhaber der höchsten Gewalt bestehen. Es ist daher zum Beispiel auch nur folgerichtig, daß es gerade das Allgemeine Staatsrecht ist, das unter Berufung auf sein rechtlich geprägtes Konzept der Staatsgründung durch Staatsvertrag dem biblisch begründeten Absolutismus - schon früh etwa mit der Äußerung: „Die bürgerliche Gewalt und die Majestät entspringen direkt dem menschlichen, nicht dem göttlichen Willen" 41 - deutlich und vehement entgegentritt 42 . So 39

Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 256. 40 Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, S. 103. 41 „Potestas civilis et majestas a voluntate humana non divina immediata proficiscitur" (Fritsch, Conspectus Iuris Publici Universalis, S. 4). Ebenso auch etwa Höpfner, Naturrecht des einzelnen Menschen, der Gesellschaften und der Völker, S. 160: „Die bürgerliche Oberherrschaft wird also nicht unmittelbar von Gott gegeben, sondern entsteht aus Verträgen, welche die Eigenschaften haben müssen, die z einem gültigen Vertrage gehören 42 So Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt, S. 13 ff., wo er sich unter anderem mit Moser auseinandersetzt, der den Paulus-Satz „Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat... „ (Römerbriefe XIII, 1-5) als den „wahren Contrat social" bezeichnet (Moser, Johann Jacob, Neues patriotisches Archiv, Ausgabe Dezember 1791/ Januar 1792, S. 536) und dafür auch Schlözer, Allgemeines Staatsrecht und Staatsverfassungslehre, Anhang S. 173 anführt. Dazu, daß „die Regenten, so bald ihnen

III. Der Nutzen des Allgemeinen Staatsrechts

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soll nämlich die Legitimität der Herrschaftsmacht weder auf die Bibel gegründet werden, nachdem erstens die „ unmittelbare göttliche Stiftung der Regierung" daraus „so gar nicht dokumentiert werden" könne, bzw. der einzige direkt von Gott eingesetzte König, von dem die Bibel berichte, Saul, „seinem Volke" ausdrücklich „im Zorn gegeben" worden sei 4 3 und zweitens insoweit die schlechterdings unlösbare Frage aufgeworfen werde, wer bei einem Prätendenten-Streit darüber zu entscheiden habe, wer der wahre gottgewollte Herrscher sei 4 4 , noch auf das positive Staatsrecht, welches von den faktischen, möglicherweise unrechtmäßigen Machthabern gesetzt sein könnte 45 , sondern mit Sicherheit allein auf überpositives, rationales Recht, nämlich das Allgemeine Staatsrecht, zumal das Konzept des Gottesgnadentums - im Gegensatz zur Staatsvertragslehre - nicht erklären könne, auf welchem rechtlichen Grund das universelle Phänomen Herrschaft in Gesellschaften, die nicht an Gott glaubten, basiere 46 . Im übrigen war in dieser Konzeption bereits die Kompensation des Machtzuwachses des Inhabers der höchsten Gewalt bzw. des Verlustes der ständischen Partikularrechte durch die individuellen Freiheitsrechte angelegt. Nachdem das Individuum durch den Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag i m Verhältnis zum Inhaber der höchsten Gewalt ausdrücklich als staatsrechtliches Rechtssubjekt anerkannt ist und die Ausübung der Herrschaft grundsätzlich unter dem Gemeinwohlvorbehalt steht, der wiederum üblicherweise aus der Überlegung hergeleitet wird, daß der Einzelne nur so viel von seiner natürlichen Freiheit aufgegeben hat, wie notwendig gewesen ist für die Erreichung seines individuellen, auf Erlangung von „Glückseligkeit" gerichteten Vertrags- und somit Staatszweckes, ist der - allerdings erst später vollzogene gedankliche Schritt zur Ausprägung von Individualgrundrechten nicht allzu weit. Denn bereits jene Überlegung beinhaltet logisch die Notwendigkeit eines Ausgleiches zwischen dem Staatsinteresse und dem diesem unter Umständen entgegenstehenden Individualinteresse, ein Problem, das die Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts sehr wohl gesehen, aber infolge der in ihrem System typischerweise fehlenden systemimmanenten Justitiabilität

die gesammte Volksgewalt rechtmäßig übertragen ist, Statthalter Gottes" seien, vgl. beispielsweise auch Arndts, Ferdinand, Über die Nothwendigkeit der bürgerlichen Gesellschaft und den daraus entstehenden Verhältnissen zwischen Fürsten und Unterthanen, S. 31 f. 43 Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 291. 44 Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere S. 182f.: „Aber woher erklärt man denn, ob die Gewalt eines Fürsten rechtmäßig sei, oder nicht? Die Bibel bestimmt dies so wenig, wie die Gränzen der Gewalt: beides muß also anderswo untersucht werden" und: „Folglich - kan man den Satz in der unsinnigst-fanatischen Bedeutung annemen, und doch seinen König morden (wenn der Schwärmer nämlich die Frage aufwirft, wer von Gott zur Obrigkeit bestimmt sei) ...". 45 Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, S. 182 f. 46 Böhmer, Introductio in lus Publicum Universale, S. 183.

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6. Kap.: Das Allgemeine Staatsrechts im absolutistischen Staat

von obrigkeitlichem Unrecht nur ansatzweise zu lösen vermocht haben. Immerhin hat jedoch die vom Allgemeinen Staatsrecht hervorgebrachte Formulierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entscheidend den Weg zur Bewältigung der entsprechenden Probleme gewiesen.

2. Akzeptanz als Folge von Aufklärung Als ein weiterer Gesichtspunkt hinsichtlich des Nutzens des Allgemeinen Staatsrechts wird darüber hinaus ausdrücklich angesehen, „daß die Unterthanen von der geheiligten Majestät ihres Oberherrns sich lernen einen wahrhaftigen Begriff zu machen" 47, daß dieser also - so wird ihm suggeriert - vom Allgemeinen Staatsrecht, von der Aufklärung überhaupt, profitieren wird, weil die aufgeklärten Untertanen seine Regierungsarbeit besser würdigen könnten - auch in Bezug auf deren Rechtmäßigkeit. Diejenigen Untertanen nämlich, die das Allgemeine Staatsrecht kennen, wüßten, „daß nur durch willigen Gehorsam gegen die höchste Gewalt im Staate der Endzweck der bürgerlichen Gesellschaft erreicht werden könne" 4*. Der mit dem Allgemeinen Staatsrecht vertraute, aufgeklärte Bürger ist demnach „... ein besserer Diener und Unterthan für den Fürsten. Die Gesetze im Staate beruhen auf vernünftigen in der Natur der Dinge selbst gegründeten Verhältnissen. Er sieht die Folgen der Handlungen, die natürlichen Gründe der Gesetze selbst ein; es ist also für ihn auch die Verbindlichkeit größer, sie zu befolgen" 49. Die Akzeptanz obrigkeitlicher Entscheidungen seitens der Bürger soll demnach dadurch erhöht werden, daß sie aufgrund der Befassung mit den Lehren des Allgemeinen Staatsrechts in die Lage versetzt werden, diese Entscheidungen besser zu verstehen und vor dem Hintergrund des Allgemeinwohlgedankens zu evaluieren 50 . Das Allgemeine Staatsrecht sei nämlich insoweit zu „Bestärkung, und Erklärung der Justiz und Billigkeit, auf welche sich unsere Gesetze gründen, ein vieles dienlich" 51. So vermag es das Allgemeine Staatsrecht dann, dem Untertanen „den vernunftmäßigen Grund seiner Verpflichtung zum Gehorsam gegen die Gesetze und seinen Landesherrn zu zeigen, und das enge Band dieser Verpflichtung mit der 47

Brunnquell S. 37. Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt, S. 48. 49 Pföter, Betrachtungen, S. 17. 50 Vgl. auch Justi, Natur und Wesen der Staaten, S. 291: „Die stärkste Triebfeder vor verständige Wesen, um sich der Anordnung eines andern zu unterwerfen, ist da sie überzeuget sind, daß diese Anordnungen zu ihrem eignen Wohlstande und wahren Besten gereichen 51 Spener, Des Heiligen Römischen Teutschen Reichs vollständiger Staats= Rechts=Lehre Erster Theil, S. 363. 48

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III. Der Nutzen des Allgemeinen Staatsrechts Conservation der öffentlichen und PrivatGlückseligkeit machen" 52. Ausführlich macht dies auch Günther deutlich:

sichtbar

zu

„Wenn nun der Bürger nicht allein seine angebohrenen Menschenrechte, sondern auch die ihm als Mitglied eines Staates zustehenden Rechte und Verbindlichkeiten kennet, wenn er die wahre Absicht der bürgerlichen Gesellschaft, die Beförderung grösserer Glükseligkeit einsiehet, wenn er weiß, daß dasjenige, was von ihm abverlanget wird, zum gemeinen Besten gehöret, und daß dieses wiederum in der genauesten Verbindung mit seinem eigenen Wohl stehet, daß er daher durch Erfüllung derselben sich selbst nützlich wird ... so muß dieses nothwendig auf alles, was er in Hinsicht auf den Staat thut, auf die Erfüllung seiner Bürgerpflichten Einfluß haben. Nun handelt er nicht als Maschine, sondern aus Einsicht, daß er dadurch selbst gewinne"53. Das allgemeine Staatsrecht macht also dem Untertanen „erst das mannichfaltige Gute recht kennbar, was er nur allein in der bürgerlichen Gesellschaft zu genießen fähig ist" 54, weil es ihn über den Staatszweck, die Staatsgründung und die aus dem Staatsvertrag entspringenden Rechte und Pflichten unterrichtet. Der Fürst soll daher sagen: „meine Unterthanen sollen aufgeklärt seyn, um den Wohlstand dankbar zu erkennen, der ihnen durch meine Verwaltung gesichert ist" 55. Darüber hinaus lehrt das Allgemeine Staatsrecht die Untertanen aber auch, „daß es leichter sey das Band, was zwischen Unterthanen und Regenten geknüpfet ist, zu zerreissen, als dasselbe wieder anzuknüpfen" 56. Es wird daher in diesem Sinne nicht nur als wünschenswert für den Fürsten dargestellt, wenn die Untertanen aufgrund ihrer Kenntnisse des Allgemeinen Staatsrechts die Regierungshandlungen des Fürsten würdigen und akzeptieren, sondern vereinzelt sogar so weit gegangen, daß es umgekehrt als gefährlich suggeriert wird, wenn die Bürger nicht über solche Kenntnisse des Allgemeinen Staatsrechts verfügen. Denn eine Untertanenschaft, die „blos empfindet, aber nicht nach den allgemeingültigen Prinzipien des allgemeinen Staatsrechts denket, wird mit gar vielem, was die Obrigkeit thut, wenn es auch noch so gerecht und zweckmäßig ist, leicht unzufrieden werden, weil sie die Nothwendigkeit solcher Verfügungen zu dem Staatsendzweck nach allgemeinen Regeln zu bemessen nicht im Stande ist.. ," 5 7 . 52 Carmer in einem Schreiben an Danckelmann vom 8. Dezember 1793, abgedruckt bei: Thieme, Hans, Die preußische Kodifikation. Privatrechtsgeschichtliche Studien II, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Bd. 57 (1937), S. 424f. 53 Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 118. 54 Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt, S. 65. 55 Pföter, Betrachtungen, S. 18. 56 Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt, S. 48.

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6. Kap.: Das Allgemeine Staatsrechts im absolutistischen Staat

In diesem Sinne ruft dann auch der Jenaer Rechtslehrer und Sachsen-Weimarische Justizrat 58 Gottlieb Hufeland in seinem „Versuch über den Grundsatz des Naturrechts" von 1785, mit Bezug auf die Legitimation des Herrscher-Untertanenverhältnisses durch die Staatsvertragslehre und die beiderseitige vertragliche Verpflichtung daraus 59 , aus: „Gottlob! die Zeiten sind gekommen, wo man dies vor den Ohren aller Fürsten sagen kann, denn die meisten und größten unter ihnen sagen es selbst, und sie würden ihren wahren Vortheil auch ganz verkennen, wenn sie es leugneten, denn nur auf diese und keine andre Art wird ihre Macht und Würde heilig und fest gegründet"60. Der absolutistische Machthaber soll also davon überzeugt werden, daß durch das Allgemeine Staatsrecht seine Macht mittels der rechtlichen Untermauerung zementiert wird, weil die Untertanen sie nicht nur als etwas Faktisches akzeptieren, sondern ihren Ursprung und Grund erkennen und verstehen können, sie ihnen aber zudem auch als rechtmäßig bzw. zu Recht bestehend und notwendig vor Augen geführt wird. Es wird ihm suggeriert und trifft wohl auch zumindest im Prinzip zu, daß durch die Rationalität des normativen Allgemeinen Staatsrechts etwaige Legitimitätszweifel am obrigkeitlichen Handeln ebenso wie am Bestehen des Obrigkeitsverhältnisses überhaupt vermieden oder ausgeräumt werden und dadurch ein Stabilisierungseffekt erreicht wird, zumal nach dem Allgemeinen Staatsrecht wie schon insbesondere im Zusammenhang mit dem Widerstandsrecht gesehen - eine Rechtmäßigkeitsvermutung für die Akte des Inhabers der höchsten Gewalt gelten soll. 3. Nutzen für die Untertanen a) Rechtssicherheit Andererseits wird, bei Befolgung des Allgemeinen Staatsrechts, „man gewis die natürlichen Menschenrechte nicht verkennen, und ein großer Theil des menschlichen Elends hinwegfallen" 61. Auch für den Bürger kann daher das Allgemeine Staatsrecht einen - über den bereits gesehenen Stabi57 Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt, S. 48. 58 Hamberger, Georg Chûstoph/ Meusel, Johann Georg, Das Gelehrte Teutschland, Bd. 3, 5. Aufl. Lemgo 1797 und Koppe, Johann Christian, Lexicon der jetzt in Teutschland lebenden juristischen Schriftsteller und akademischen Lehrer, Rostock 1784. 59 Dies ist also gewissermaßen eine der Legitimation der Maßnahmen der höchsten Gewalt noch vorgeschaltete Ebene. 60 Hufeland, Versuch über den Grundsatz des Naturrechts, S. 282. 61 Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 111.

III. Der Nutzen des Allgemeinen Staatsrechts

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litätsgesichtspunkt, der grundsätzlich nicht nur dem Fürsten, sondern auch dem Untertanen günstig ist, hinaus - großen praktischen Nutzen haben. Dieser wird beispielsweise darin gesehen, daß klargestellt werde, daß die Untertanen trotz der Abgabe der natürlichen Freiheit immer noch ihre Rechte als Menschen hätten und außerdem der Herrscher, wenn es Verträge mit den Ständen und Untertanen gebe, diese halten müsse, wenn aber keine Verträge bestünden, er alle Pflichten als Mensch aus dem absoluten Naturrecht beachten müsse 62 . Diesbezüglich wird beispielsweise in eindeutiger Klarheit ausgeführt, „daß ein Bürger und Untertan allerdings Rechte nicht allein gegen seinen Mituntertan, sondern auch sogar gegen die Majestät selbst habe. So lange der Staatskörper eine sittliche Verknüpfung der Menschen zu einer guten Absicht ist, so lange begleiten auch den Bürger 1) die wesentlichen und notwendigen Befugnisse der Natur (ius naturae absolutum et praeceptiuum), 2) die unzertrennlichen Rechte, welche aus der Natur und Wesen der Staaten notwendig entspringen"63 und „diese Verbindung legt die höchste Obrigkeit nicht ab, wenn sie sich in den Purpur kleidet" 64 . Umgekehrt gilt ebenso, in deutlicher und abwehrrechtlicher Formulierung: „ Was nun der Endzweck des Staats nicht erfordert, das kann man auch von keinem Bürger durch majestätische Befehle verlangen" 65. Das Allgemeine Staatsrecht hatte somit eine - wie auch bereits näher ausgeführt - eindeutig freiheitliche, genauer: freiheitsrechtssichernde Tendenz, die sich in erster Linie aus der Staatsvertragslehre ergibt. Der Staat, wie ihn das Allgemeine Staatsrecht vorschreibt und anstrebt, soll dem Bürger - in der Formulierung Hubers - „in ruhiger Freiheit" 66 „die Möglichkeit, zu tun, was man will, wenn es nicht durch das Gesetz verboten ist" geben 67 . Dieses generelle persönliche Freiheitsrecht mit dem Verbotsvorbehalt gleicht im Ansatz wie auch in seiner Formulierung bereits einem modernen rechtsstaatlichen Individualgrundrecht 68 . 62

Brunnquell, S. 38 f. Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 211. 64 Johannsson (Montin), Die bürgerliche Regierung nach ihrem Ursprung und Wesen betrachtet, S. 51. 65 Scheidemantel, Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 257. 66 „... in liberiate tranquilla ... ." {Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 685). 67 „... naturalis facultas faciendi quod velis, nisi quid vi vel jure prohibeatur ... ." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 690). 68 Ganz anders Klippel (Politische Freiheit und Freiheitsrechte, S. 111), der in teilweise beinahe ideologisiert wirkender Weise von der „hoffnungslosen Lage der Untertanen" und einer einseitig freiheitsbeschränkenden, vermeintlich fürstenfreundlichen Tendenz des Allgemeinen Staatsrechts zumindest für die Zeit vor den letzten beiden Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts spricht. Hubers Aussage ist aber gut hun63

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6. Kap.: Das Allgemeine Staatsrechts im absolutistischen Staat

In diesem Sinne stellt beispielsweise auch Brunnquell fest, der Staat müsse bezüglich seiner öffentlichen Handlungen den Endzweck des Staates, „eusserliche Ruhe und Friedenbeachten 69. Damit zusammenhängend hatte etwa Huber schon fast ein halbes Jahrhundert zuvor einen weiteren, auf der Theorie von Staatsvertrag und Staatszweck beruhenden Vorteil der Rationalisierung und Verrechtlichung des Verhältnisses von Staat und Bürger für letztere erkannt und festgehalten, nämlich die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. So fielen unter den Schutz des Staates als Bürger ausdrücklich etwa auch Juden und Ungläubige 70 . Wieder zeigt sich hier die Verwurzelung des Allgemeinen Staatsrechts im Gedankengut der Aufklärung. Es ist toleranzgeprägt und - mit Einschränkungen - säkular. Geistliche Fragen sollen unberücksichtigt bleiben im Hinblick auf die Bürgerrechte und die alten irrationalen Feindbilder werden aufgegeben. An anderer Stelle bezeichnet Huber insoweit „die Zeit, in der wir leben" als „den Jahren der Unwissenheit entwachsen" 11.

b) Wohlfahrt Auch ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang wird bereits von Huber angesprochen. Aufgrund seiner Allgemeingültigkeit könne das Allgemeine Staatsrecht nämlich dazu dienen, das spezielle Recht der einzelnen Staaten jeweils auf seine Richtigkeit und seinen Gerechtigkeitsgehalt hin zu überprüfen 72 . Unter „Gerechtigkeit" versteht Huber in diesem Zusammenhang aber zum einen die durch das Recht vorgenommene Zuordnung von Mein und Dein im engeren Sinne („justitia commutativa") 13, zum anderen - weitergehend - jedoch auch das, was jedem Einzelnen aufgrund seiner Verdienste und jeder sozialen Klasse im Staat vernünftigerweise aus Billigkeitsgründen zustehen müsse („justitia distributiva") 14, weil es sonst zu den Staat gefährdenden Spannungen im Sozialgefüge kommen könne 75 . Nimmt Huber mit dieser Begründung der wohlfahrtsstaatlichen „justitia disdert Jahre älter. Dafür, daß Klippel eine „zu starke Akzentuierung der absolutistischen Elemente der Sozialvertragslehre" vornimmt, vgl. auch Wyduckel, lus Publicum, S. 191, Anm. 55. 69 Brunnquell, S. 38 f. 70 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 690. 71 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 61. 72 „Porro , qui praecepta omnigeni juris vitae suae tenore servai, is justus, et hic a justitia dicitur". (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 30). 73 „Per jus intelligit, quod piene atque perfecte ad nos pertinet." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 31). 74 „... quae docet aequalitatem servare in his quae probabilité r ad alium pertinent, ut praemia, honores, ojficia gratitudinis, misericordia et similia ... ." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 30).

III. Der Nutzen des Allgemeinen Staatsrechts

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tributiva" noch moralische und politisch-praktische Aspekte in den Wohlfahrtsgedanken des Allgemeinen Staatsrechts auf, zumal er auch selbst einräumt, daß jene gerade „kein rechtlich notwendiges" Institut, sondern nur „von Vernunft und Wahrscheinlichkeit geboten" sei 7 6 , so wird dies später auch rein rechtlich aus der Staatsvertragslehre und dem Staatszweck hergeleitet, indem nämlich angenommen werden könne, daß „der Mensch bei seinem Eintritt in den Staat ... sich auch zu Handlungen, wodurch das Wohl einzelner Mitbürger tätig befördert wird, verpflichten gekonnt und gewollt habe" 11. Konkret seien daher etwa „alle Gesetze, welche den Staatsbürgern gewisse Beiträge zur Unterhaltung der Armenanstalten abfordern gerechtfertigt 78 und auch beispielsweise Kant erklärt: „Dem Oberbefehlshaber steht ... das Recht zu, dieses mit Abgaben zu seiner (des Volks) eigenen Erhaltung zu belasten, als da sind: das Armenwesen, die Findelhäuser und das Kirchenwesen, sonst milde, oder fromme Stiftungen genannt. Der allgemeine Volkswille hat sich nämlich ... zu dem Ende sich der inneren Staatsgewalt unterworfen, um die Glieder dieser Gesellschaft, die es selbst nicht vermögen, zu erhalten" 79. Mit Blick auf den Staatsvertrag und insbesondere den Umstand, auf Dauer angelegt ist und damit eine - modern gesprochen meinschaft - herstellt, wird aber vereinzelt noch weitgehender Versorgungsanspruch gegen den Staat, bzw. die Gesamtheit der angenommen und beispielsweise folgendermaßen begründet:

daß dieser Solidargesogar ein Mitbürger

„Denn da alle die, welche eine Staatsverbindung errichten, nicht nur sich dazu vereinigen, um durch Ausführung einer gewissen Sache ihr Wohl zu befördern, sondern durch die Staatsverbindung ihre Glückseligkeit durch das ganze Leben zu erhalten suchen, so machen sie sich dadurch einander verbindlich, sich auch einander zu ernähren, wenn sie durch einen Zufall gehindert seyn sollten, auf ihrer 75 „Heac eadem creberrima seditionum inter plebem et optimates causa fuit olim ... ." (Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 31). Huber verweist hier als Beispiel auf die Plebejerausfstände im alten Rom (ebd.). 76 „... per dignitatem, quae probabili ratione debentur; non tarnen necessario, nec quae exigi possunt, ut bene meritis praemia, ... ", Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 31. 77 Svarez· , Über den Zweck des Staats, S. 642. 78 Svarez, Über den Zweck des Staats, S. 642. 79 Kant, Metaphysik der Sitten, 187. Dabei fällt jedoch auf, daß Kant sich dieses Problems erst spät, nämlich im Jahre 1797 annimmt, während er sich noch in der bereits im Jahre 1781 erschienen „Critik der reinen Vernunft" auf die Betonung des Staatszwecks als der Schaffung einer „Verfaßung von der größten menschlichen Freyheit nach Gesetzen, welche machen: daß jedes Freyheit mit der andern ihrer zusammen bestehen kann, (nicht von der größten Glückseeligkeit, denn diese wird schon von selbst folgen)" konzentriert hatte (Kant, Critik der reinen Vernunft, S. 373). Für die Annahme, daß dies mit einer „empirischen Herausforderung" in Gestalt der preußischen Gesetzgebung zu diesem Thema in II 19 § 1 ALR zusammenhängt, vgl. Krause, Peter, Kant und das Allgemeine Landrecht, S. 432.

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6. Kap.: Das Allgemeine Staatsrechts im absolutistischen Staat

Seite an dem Zweck des Staates zu arbeiten. ... Der Staat ist also zu ihrer Versorgung verbunden" 80. Zu beachten ist dabei jedoch immer die bereits aufgezeigte prinzipielle Nachrangigkeit dieser aus dem Staatszweck abgeleiteten, sekundären, staatlichen Leistungspflichten im Verhältnis zum in der Staatszweckdiskussion präponderanten Rechts- und Freiheitsaspekt der Staatsvertragslehre und damit des Allgemeinen Staatsrechts überhaupt. Nicht nur aufgrund dieser Einschränkung, sondern auch insgesamt erscheint damit der Nutzen, der sich aus dem Allgemeinen Staatsrecht für die Untertanen ergibt, dennoch im Vergleich zur Darstellung vom Nutzen des Allgemeinen Staatsrechts für den Fürsten weniger konkret und eher verschwommen. Man kann daraus den Schluß ziehen, daß durch solche Argumentationen und Hinweise Überzeugungsarbeit zugunsten des Allgemeinen Staatsrechts vor allem und in erster Linie bei den Herrschenden geleistet werden sollte. Nichtsdestoweniger wird aber ausdrücklich behauptet, es lasse sich auch empirisch aus der „Erfahrung" beweisen, „daß, seit man angefangen hat, über solche Dinge nachzudenken, seit dem Regenten sowohl als Unterthanen ihre gegenseitigen Rechte und Verbindlichkeiten aus jenen allgemeinen Grundsätzen haben einsehen lernen, mit einem Wort, seit dem das allgemeine Staatsrecht mehr kultivirt worden ist, auch die ehemaligen Grausamkeiten und der Unterdrükkungsgeist um ein Beträchtliches abgenommen haben"81. Diese Verbesserung der Lage der Untertanen führe aber zu einer größeren Zufriedenheit, was wiederum dem Fürsten zugute komme 8 2 . Überhaupt soll auch dessen

80 Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, S. 36. Ähnlich auch etwa Scheidemantel: „Natur und Wesen des Staates ... bestätigen den Saz, daß man unschuldig verunglückten Untertanen aufhelfen muß, damit sie die entrissenen Kräfte wiederbekommen und dem Staats zum Besten sich in Tätigkeit sezzen können " (Das Allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 188) oder Böhmer: „Praeterea pauperes, languidi et debilitati sunt alendi a republica " (Introductio in lus Publicum Universale, S. 618). 81 Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 111. Auch wenn er sich hierbei auf „Erfahrung " beruft, bleibt dies nur vage und wird nicht mit konkreten Beispielen belegt, was den objektiven Wert der Aussage zwar schmälert, aber nicht aufhebt, da es durchaus wahrscheinlich ist, daß Günther damit den allgemeinen Zeitgeist widerspiegelt. 82 „... gewinnt der Herr des Sklaven wirklich dadurch, daß er so lange auf ihn losschlägt, bis er ihn gegen die Schläge fühllos gemacht hat? Er behandle ihn menschlich, so wird er ihm williger, also mehr und besser arbeiten, und dadurch nützlicher werden" (Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 105).

IV. Das Allgemeine Staatsrecht zwischen Reform und Revolution

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„eigne höchste Glückseligkeit ... allemal aus der Zufriedenheit entstehen, mit welcher er voller Überzeugung, nicht aber durch Vorspiegelung seiner Minister, zu sich selbst sagen kann, daß er seine Pflichten erfüllet und seine Unterthanen glücklich gemacht habe"83. Als Fazit wird daher auch festgehalten, daß „sich der Nuzen des algemeinen Staatsrechts nicht blos auf den Gelehrten von Profeßion " beschränke, „sondern die Grundsäze desselben, wenn sie populärer gemacht würden, könnten für jeden, der nur einigermassen mit Verstand und Geist im Staate lebt, brauchbar werden, und würden dem Staate selbst vielleicht keine geringen Vortheile gewäh-

IV. Das Allgemeine Staatsrecht zwischen Reform und Revolution Dadurch wird deutlich, wie sehr das Allgemeine Staatsrecht einerseits aus den Grundlagen der Aufklärung entspringt, andererseits von dieser wieder genutzt wird, um zu weiteren, gesellschaftlich relevanten Ergebnissen zu gelangen. Zunächst beschränkt auf die wissenschaftliche Gemeinschaft, erlangt sie gerade mit Hilfe des Allgemeinen Staatsrechts Einfluß auf die Politik über die Überzeugungsarbeit bei den Machthabern, mit der diesen suggeriert wird, daß ihnen die Verbreitung des aufgeklärten Gedankengutes, unter anderem des Allgemeinen Staatsrechts, nützlich sein kann. Dabei kann jedoch nicht übersehen werden, daß durch die Einführung dieses Gedankengutes die Stellung des Fürsten in dem Maße geschwächt wird, wie er sich nunmehr für seine Handlungen mit fortschreitender Aufklärung, die auch die breiteren Volksschichten erfaßt 85 , öffentlich verantworten muß und an den Ansprüchen, die das Allgemeine Staatsrecht an ihn stellt, gemessen wird. Die öffentliche Meinung erhebt nämlich im Wissen um das „richtige" Recht gegebenenfalls Anspruch auf Reform und mißt den Souverän daran, inwieweit er etwa das geltende partikulare Recht den Anforderungen des Naturrechts - im Bereich des Staatsrechts denen des Allgemeinen Staatsrechts - anpaßt 86 . Insoweit hat das Allgemeine Staatsrecht keineswegs nur dazu gedient, die absolutistische Machtkonzentration beim Territorialfürsten zu rechtfertigen 87 . Vielmehr muß differenzierend anerkannt werden, daß ebenso, wie der Fürst von der Legitimationskraft, 83

Justi, Natur und Wesen der Staaten, S. 223. Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 119. 85 Diese Wechselwirkung beschreibt anschaulich etwa Schlözer, wenn er sagt, um die Menschenrechte „in ihrem ganzen heiligen Umfange einzußhren, müssen wir erst eine Majorität von Menschen haben, die fähig sind, diese in ihrem ganzen Umfang auszuüben" (Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, S. 161 f.). 86 Vgl. mit Blick auf die preußsiche Kodifikation Krause, Peter, Naturrecht und Kodifikation, S. 23. 84

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Schelp

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6. Kap.: Das Allgemeine Staatsrechts im absolutistischen Staat

die vom Allgemeinen Staatsrecht auszugehen in der Lage ist, profitieren kann, er nun im Gegenzug, quasi als Kehrseite dieser Legitimationswirkung, durch das Allgemeine Staatsrecht und seine solchermaßen anerkannte Rechtsqualität in seinem umfassenden Herrschaftsanspruch eingeschränkt wird. Daß sich auch die zeitgenössischen Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts dieses Umstandes bewußt waren und ihn als ihren eigenen durchaus auch im oppositionellen Geiste geleisteten - Beitrag ansahen, zeigt sich beispielsweise in Äußerungen wie der, daß die Wissenschaft zur Wahrung der Menschenrechte dadurch beitrage, daß sie das Allgemeine Staatsrecht vermehrt lehre, ohne sich, wie früher, vor den Regenten zu fürchten und sich zurückzuhalten 88 oder der, daß das Allgemeine Staatsrecht „nur dem Fürsten gefallen kann, der seine eigene Glückseligkeit vorzüglich in dem Wohl seiner Unterthanen sucht" 89. Entsprechend kann aber auch für die Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts nicht ohne weiteres angenommen werden, daß sie den absolutistischen Fürsten gefällig sein wollen, ihnen sozusagen „nach dem Munde" geredet 90 und einseitig zur Ausweitung der absolutistischen Herrschaft und damit zur Beschneidung von Freiheitsrechten der Untertanen beigetragen hätten 91 . Vielmehr müssen sie in der Lage gewesen sein, sich - selbst als im Dienste einzelner Fürsten stehenden leitende Staatsbeamte - einen gewissen Freiraum und geistige Unabhängigkeit zu bewahren. Dies kann

87 Sehr deutlich insoweit schon früh etwa Böhmer, Introducilo in lus Publicum Universale, S. 292 f., der sich ausdrücklich und offen gegen eine „potestas illimitata'4 des Fürsten ausspricht. 88 Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 111. 89 Eggers, Versuch eines systematischen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts, Dedicatio S. 1,2, bzw 4. 90 Vgl. dazu die etwas provokante Einschätzung Johann Jacob Mosers: „Es gibt große Lande in Teutschland, welche wie unabhängige Lande beherrscht werden. Da wäre nicht räthlich, von der Landeshoheit, wie sie nach der Reichsverfassung sein sollte, von ihrer Einschränkung durch die Landes-Verträge, von ihrer Subordination unter den Kayser und die Reichsgerichte ... und von vielen anderen Materien zu schreiben. Wohl aber darf man die Rechte der Reichsstände in Ansehung des Kaysers ... und dergleichen ausdehnen, so weit man will und darff solchen Falles versichert sein, Schutz zu finden. Hinwiderum gibt es Lande und Orte, wo man den kay serlichen Hof fürchten muß ...da ist es nicht gut, in Sachen, welche den kayserlichen Hof, dessen Ministers, das Haus Österreich, ... die Religionsbeschwerden derer Evangelischen und dergleichen betreffen, änderst zu schreiben, als man es in Wien gerne höret, oder man setzt sich allerley Arten von Verdruß aus" (Moser, Johann Jacob, Neuest Geschichte der Teutschen StaatsRechtsLehre und dessen Lehrer, Frankfurt 1770, S. 36). 91 So aber etwa Brunner, Otto, Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip, in: Brunner, Otto, Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 2. Aufl., Göttingen 1968, S. 166ff., 177f.; Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, S. 46 ff.

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man zum einen daraus schließen, daß die angesprochenen Themen, insbesondere die rechtliche Einbindung des Fürsten mit den durch das Allgemeine Staatsrecht postulierten Restriktionen fürstlicher Macht, andernfalls nicht oder nicht so hätten formuliert werden können. Zum anderen lebten auch nicht alle Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts in Abhängigkeit von Territorialfürsten und in Angst vor einer wie auch immer gearteten Zensur 92 , obwohl selbstverständlich die Situationsgebundenheit bei der Evaluierung der einzelnen Werke durchaus erkennbar ist 9 3 . Der auf den ersten Blick naheliegende und zuweilen erhobene Vorwurf, die Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts hätten willfährig lediglich dem Eigennutz der machthabenden Fürsten gedient, bzw. dienen müssen, ist also so nicht gerechtfertigt. Damit ist jedoch noch nichts gesagt über eine durchaus auszumachende Tendenz des Allgemeinen Staatsrechts und seiner Vertreter zu einer gewissen konservativen Grundhaltung, die dazu geführt haben mag, daß eine grundsätzliche Rechtfertigung bestehender Zustände mit moderaten Reformen den Bearbeitern des Allgemeinen Staatsrechts regelmäßig erstrebenswerter erschien als grundlegende Umwälzungen, oder, wie Scheidemantel 94 es beispielhaft ausdrückt: „Ohne die alten Gebräuche als Sklav zu verfolgen, muß man die Neuerungen mit Behutsamkeit beschließenInsgesamt ist festzustellen, daß das Allgemeine Staatsrecht und seine Vertreter eher konservativ und bemüht sind, Verbesserungen durch Reformen und ohne große politische oder soziale Einschnitte zu erreichen. Denn: „Wir müssen den Gesichtspunkt, in dem sich alle unsere Betrachtungen vereinigen, nicht aus den Augen verlieren: eine Staatsverfassung, die verbessert werden soll, muß nicht umgestoßen werden" 95. Es bewegt sich damit auf einem Mittelweg 9 6 zwischen der klaglosen Unterwerfung unter die absolutistische Fürstenmacht und der mit der großen, 92 Man denke hier nur an Huber, der in Friesland in einer aristokratisch verfassten Gesellschaft lebte, aber auch beispielsweise an Pufendorf in Schweden oder Schlözer im liberalen Göttingen. 93 So favorisiert Huber beispielseise die Aristokratie als Regierungsform (s.o.), aber auch bei Svarez in den Kronprinzenvorterägen finden sich deutliche - wenn auch subtile - Zeichen der Situationsgebundenheit, wenn er dem künftigen Herrscher die unbeschränkte Monarchie als die günstigste Regierungsform anpreist, während etwa Justi ganz deutlich sagt: „... so muß ich bekennen, daß ich die Monarchie unter allen andern Regierungsformen vor die vorzüglichste halte " (Natur und Wesen der Staaten, S. 123). 94 Scheidemantel, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsform, S. 94. 95 Eberhard, Johann August, Ueber Staatsverfassungen und ihre Verbesserung, Ein Handbuch für Deutsche Bürger und Bürgerinnen aus den gebildeten Ständen, 2 Hefte, Berlin 1793 und 1794, Heft 2, S. 2. 17*

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6. Kap.: Das Allgemeine Staatsrechts im absolutistischen Staat

später durch die Ereignisse im Zuge der französische Revolution greifbar und drastisch vor Augen geführten, Gefahr der mit Anarchie behafteten Revolution. Daß es insoweit - selbstverständlich - verschiedene Nuancierungen und Strömungen gab, wird deutlich, wenn etwa festgestellt wird: „Sämmtliche Schriftsteller des allgemeinen Staatsrechts lassen sich füglich in drei Klassen bringen: 1) solche, die weder den Rechten der höchsten Gewalt zu nahe treten, noch auf der anderen Seite die bürgerliche Freiheit und die Rechte der Unterthanen verletzen. 2) Solche, die der despotischen Allgewalt der Regenten durch alle mögliche Kunstgriffe zu schmeicheln suchen. 3) Solche, die einer nicht ganz regelmäßigen Freiheit des Volkes zu sehr das Wort reden" 97. Doch insgesamt überwiegt bei den Vertretern des Allgemeinen Staatsrechts in aller Regel eine gemäßigte - idealerweise der ersteren Kategorie entsprechenden oder diese zumindest anstrebende - Haltung. Exemplarisch ist dafür etwa das Bekenntnis: „ Wenn ich die Meinung der Monarchomachen widerlege, so bekenne ich mich doch ebensowenig zur Sekte der Machiavellisten" 98, ebenso wie die argumentative Auseinandersetzung mit extremeren Positionen und deren - überwiegend juristisch begründete - Ablehnung 99 . 96 Ausdrücklich so etwa Höpfner, Naturrecht des einzelnen Menschen, der Gesellschaften und der Völker, S. 183: „Dieß wäre also ein Mittelweg zwischen den Lehren der Monarchenfeinde und Machiavellisten 97 Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt, S. 12. Günther (Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 99 f.) beschreibt die beiden Extrempositionen folgendermaßen: Es gebe „einige, die uns einreden wollen, daß es dem Einzelnen nicht zukomme, über Dinge zu urteilen, die außerhalb seines Privatwirkungskreises liegenWenn die geschriebenen Gesetze einen Fall unbestimmt ließen, sei danach schlechterdings keine allgemeine Regel vorhanden, nach der gehandelt werden solle, sondern alles stehe in der Willkür dessen, der die oberste Gewalt ausübe. Dies sei falsch verstandene Ehrfurcht vor den Regentenrechten. Demgegenüber neige die andere Seite, nämlich diejenigen, die die bürgerliche Gesellschaft überhaupt für widernatürlich erklärten, zu einer schwärmerischen Vorstellung vom Naturzustand. Diese wehrten sich gegen jegliche Despotie, hielten aber „jede Bemühung, welche auf Untersuchung des allgemeinen Besten im Staat abzwekte, für fruchtlos, und erklärten das ganze System einer natürlichen Staatenordnung für eine Chimäre 98 Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 148. Ganz ähnlich bereits Böhmer, Introductio in lus Publicum Universale, S. 123: „Ut duo ilia extrema, in quae Monarchomagi et Machiavellistae incide runt, evitemus". 99 Vgl. etwa den langen entsprechenden Abschnitt bei Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 148 ff., oder Johannsson, (Montin), Die bürgerliche Regierung nach ihrem Ursprung und Wesen betrachtet, S. 44 ff., sowie auch Kreittmayr, Grundriß des Allgemeinen, Deutsch- und Bayrischen Staatsrechts, S. 10 f., der beispielsweise mit Blick auf die - üblicherweise Rousseau attributierte, aber in Wirklichkeit schon viel ältere - aus der Staatsvertragslehre abgeleitete „monarchomachische" Ansicht, das Volk stehe deshalb über dem Fürsten, weil sich dessen Macht ursprünglich vom Volk ableite, erklärt, „des Regentens Macht" sei ihm „nicht cumulative, sondern abdicative übertragen worden Ähnlich auch schon Böhmer, Introductio in lus Publicum Universale, S. 591: „Quibus positis perspicuum est, populum, qui im-

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So wird schon bei Huber die Radikalität der Rechtspositionen des Allgemeinen Staatsrechts durch die Zurückhaltung bei der Bestimmung der Möglichkeiten ihrer praktischen Umsetzung relativiert. Dies könnte man als einen gewissen konservativen Realismus 100 des Allgemeinen Staatsrechts bezeichnen und rührt eher als von einer Billigung oder gar aktiven Unterstützung des Absolutismus 101 von der allgemeinen und starken Abneigung gegen die Anarchie h e r 1 0 2 , bzw. folgt es auch aus dem grundsätzlichen praktischen wie logischen - Dilemma heraus, daß eine rechtmäßige Revolution, ein in seiner Durchführung rechtmäßiger Widerstand gegen die oberste Gewalt im Staate aufgrund der Souveränitätslehre einerseits und mangels einer zur Feststellung des Rechtsbruches seitens der höchsten Gewalt berufenen Institution andererseits nicht denkbar schien 1 0 3 . Konsequent faßt dies Kant zusammen, wenn er sagt:

perium alterius paret, nullam retinere majestatem seu summam potestam, id quod statuunt Monarchomachi 100 So versucht beispielsweise Huber zwar einerseits etwa in Bezug auf das Widerstandsrecht, die Untertanen von einer Wahrnehmung dieses Rechts mit den beschriebenen Mitteln abzuhalten, andererseits aber umgekehrt auch da, wo er keine Rechtspflicht der Herrschenden etablieren kann oder will, wie zu Beispiel in der Frage der Unterwerfung der höchsten Gewalt unter die Gerichtsbarkeit (vgl. u.a. Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 605), jene zur Verbesserung der Situation der Untertanen durch praktische Ratschläge zu einem bestimmten Verhalten, wie etwa der Einhaltung auch der positiven staatlichen Gesetze, anzuregen. Andererseits geht er aber auch, unabhängig von der genau bestimmbaren Rechtslage, davon aus, daß in der Praxis im Falle einer schlechten Regierung das Volk die von Huber eigentlich als Rechtspflicht formulierte Geduld mißachtet CHuber, De Jure Civitatis libri très, S. 61), was man als deutliche Warnung verstehen kann. 101 So schreibt Huber zum Beispiel: „ Wir wollen nicht den Herrschenden schmeicheln ..." („... non adulari nos regnantibus ... ." Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 46). 102 Veens Annahme (Veen, Einleitung zu Ulric Hubers Oratio, in: Akkelman, F./ Veen, T. JJWesterbruk A. G. (Hrsg.), S. 27), daß Huber den Lehrauftrag für das Allgemeine Staatsrecht, von dem auch Veen anerkennt, daß es eine „politisch keineswegs ungefährliche Wissenschaft" gewesen sei (ebd.), nur deshalb bekommen habe, weil er selbst sehr konservativ gewesen sei, kann insofern zutreffen. Vgl. dazu jüngst auch etwa Hammerstein, Die Naturrechtslehre an den deutschen, insbesondere den preußischen Universitäten, S. 19, der von einem „statischen, bewahrenden Zug" spricht, der diese „lutherischen Juristen" insgesamt ausgezeichnet habe und (deshalb) auch im.katholisehen Reich unschwer habe rezipiert und übernommen werden können. 103 Besonders deutlich und absolut bei Kant: „Der Grund der Pflicht des Volks, einen, selbst den für unerträglich ausgegebenen Mißbrauch der obersten Gewalt dennoch zu ertragen, liegt darin: daß sein Widerstand wider die höchste Gesetzgebung selbst niemals anders, als gesetzwidrig, ja als die ganze gesetzliche Verfassung zernichtend gedacht werden muß. Denn, um zu demselben befugt zu sein, müßte ein öffentliches Gesetz vorhanden sein, welches diesen Widerstand des Volkes erlaub d. i. die oberste Gesetzgebung enthielte eine Bestimmung in sich, nicht die oberste zu sein und das Volk, als Untertan, in einem und demselben Urteile zum Souverän

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6. Kap.: Das Allgemeine Staatsrechts im absolutistischen Staat

„Eine Veränderung der (fehlerhaften) Staatsverfassung, die wohl bisweilen nötig sein mag - kann also nur vom Souverän selbst durch Reform, aber nicht vom Volk, mithin durch Revolution verrichtet werden" 104 . Berücksichtigen muß man dabei auch, daß die meisten Autoren des Allgemeinen Staatsrechts als Staatsbedienstete gerade Vertreter des Systems waren, das sie durch das Allgemeine Staatsrecht zu beschreiben, mitzugestalten und zu verbessern versuchten und an dessen Umsturz ihnen nicht gelegen sein konnte. Insgesamt läßt sich auch feststellen, daß seitens eines Großteiles der Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts eine gewisse Vorliebe für die Monarchie zu beobachten ist, wie sich aus den entsprechenden Behandlungen der verschiedenen Regierungsformen im Rahmen von deren Vorstellung ergibt, insbesondere auch aus deren Ausführlichkeit im Verhältnis zu den übrigen Regierungsformen der Demokratie und Aristokratie. Dies mag zwar einerseits von der gesteigerten praktischen Bedeutsamkeit gerade der Monarchie aufgrund der tatsächlichen historischen Gegebenheiten im Verbreitungsraum des Allgemeinen Staatsrechts in Ansehung seines Anspruches auf Praxisbezogenheit herrühren, läßt aber andererseits durchaus auch Rückschlüsse auf die politische Grundhaltung seiner Bearbeiter insbesondere unter Berücksichtigung ihrer üblichen gesellschaftlichen Stellung - zu. Zuweilen wird dies auch offen ausgesprochen, wenn es etwa dem Allgemeinen Staatsrecht als ein Zweck beigemessen wird, „ ... die Vorzüge einer weisen monarchischen Regierungsform vor den stürmischen und unstätten republikanischen Verfassungen zu schildern; durch das Gemähide der zerstöhrenden Revolutionen der Vorzeit das Verdienst der gegenwärtigen beglückenden Einrichtungen lebhaft vor Augen zu stellen; den Abschei gegen Anarchie und Unordnung zu befestigen .. ," 1 0 5 . Trotz dieser Einschätzung oder gerade wegen ihr wurde die Notwendigkeit des Allgemeinen Staatsrechts, sich gegen den in seiner Spätphase und über den zu machen, dem es untertänig ist; welches sich widerspricht und wovon der Widerspruch durch die Frage alsbald in die Augen fällt: wer denn in diesem Streit zwischen Volk und Souverän Richter sein sollte ... ." (Kant, Metaphysik der Sitten, S. 177). 104 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 178f. 105 Pföter, Betrachtungen, S. 18. Offen für eine konstitutionelle Monarchie wirbt auch etwa Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, S. 165 mit den Worten: „Kein Herrscher regiere one Stände ... Diese Stände seien auf gehörige weise organisirt... nach einem feierfreien Repräsentationssystem gewält... eine Habeas-Corpus-Acte schütze allgemeiner die persönliche SicherheitEbenso Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 167: „... so ist offenbar, daß unter diesen Regierungsformen, wenn alles übrige gleich ist, die Monarchie wohl den Vorzug verdientNoch deutlicher, wenn auch eventuell situationsbedingt, erklärt Svarez in seinen Vorträgen dem Kronprinzen: „Die uneingeschränkte Monarchie hat vor allen übrigen Regierungsformen die sichtbarsten Vorzüge" (Svarez, Kronprinzenvorträge, Fol. 295).

IV. Das Allgemeine Staatsrecht zwischen Reform und Revolution

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insbesondere nach den abschreckenden Ereignissen im Zusammenhang mit der französischen Revolution aufkommenden Vorwurf zu verteidigen, revolutionären Strömungen Vorschub zu leisten bzw. die Revolution zu fördern, im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts besonders stark gefühlt und kommt in den entsprechenden Abhandlungen zum Ausdruck. Mit Blick darauf sagt beispielsweise Wedekind in seiner apologetischen Schrift „Vorläufige Untersuchung über die Frage: Ist der Vorwurf: der Bürger werde durch das Allgemeine Staatsrecht zu Revolutionen geneigt, wirklich gegründet, oder ist nicht vielmehr die genaue Entwicklung desselben die kräftigste Stütze der bürgerlichen Ruhe und Ordnung?" aus dem Jahre 1794: „Unter allen Wissenschaften ... die man vorzüglich als Störerinnen der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit der Staaten öfters auf das schimpflichste zu brandmarken sucht, trifft keine das traurige Loos mehr, als die Wissenschaft des allgemeinen Staatsrechts .... Ja, man schämt sich nicht, öffentlich den Satz aufzustellen: daß die Bearbeitung dieser Wissenschaft, die Hauptquelle aller Empörungen und Revolutionen sei" 106 . Es wurde nämlich befürchtet, die Lehren des Allgemeinen Staatsrechts erweckten „Mißvergnügen mit der vorhandenen Constitution, und Revolutionen werden am Ende eine unvermeidliche Folge" 101. Da sich das Allgemeine Staatsrecht in der Zeit nach der Revolution gegen solche Vorwürfe wehren mußte, wurde der wissenschaftliche Diskurs verschärft 108 und es geriet in - vor allem auch politische - Bedrängnis. Wo es zuvor einen mäßigenden Einfluß auf die Regierenden ausüben konnte, mußte es von diesen nun mißtrauisch und ablehnend beobachtet werden. In diesem Sinne hatte die Revolution in Frankreich eindeutig einen kontraproduktiven Einfluß auf die Entwicklung des Allgemeinen Staatsrechts. So wurden etwa die Reformen der zuständigen Minister in Österreich zur Förderung der individuellen Freiheit im Sinne des Naturrechts durch den Ausbruch der französischen Revolution zurückgeworfen 109 und diesbezüglich auch berichtet, daß es „öffentliche Nachrichten" seien, daß man dem Kaiser angetragen habe, alle Lehrstühle des Natur- und allgemeinen Staatsrechts in Österreich aufzuheben 110 . Ebenso erlitten in Preußen die Kodifika106

Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt, S. 9, 10. 107 Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt, S. 11. 108 Vgl. dazu, durchaus positiv. Schlözer, Allgemeines Statsrecht und Statsverfassungslere, S. 93: Die Revolution habe „die Wissenschaft bisher zwar nicht mit vielen neuen Wahrheiten bereichert, aber die alten in ungleich schärferen Umlauf gebracht 109 s.o. Einführung Fußn. 14. 110 Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt, S. 10.

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tionsbemühungen einen Rückschlag, was sich insbesondere daran zeigt, daß die Teile der Einleitung des Allgemeinen Gesetzbuches, in die Lehren des Allgemeinen Staatsrechts aufgenommen worden waren, solchen Anstoß erregten, daß sie die Umsetzung der Kodifikation um zwei Jahre verzögerten, bis die entsprechenden Stellen bereinigt waren, was vor der Revolution wohl nicht nötig gewesen wäre, weil nicht diese Nervosität in den herrschenden Kreisen bestanden hätte 1 1 1 . Solchermaßen trübte die französische Revolution aber nicht nur das Vertrauensverhältnis zwischen den Fürsten und den Vertretern der Lehren des Allgemeinen Staatsrechts, sondern bewirkte außerdem, daß die Inhalte und Schwerpunkte des Allgemeinen Staatsrechts sich aufgrund des nun auf ihm lastenden Rechtfertigungsdruckes in entsprechender Weise verschoben, wie sehr schön deutlich wird etwa bei Johann August Eberhard in seiner Schrift „Ueber Staatsverfassungen und ihre Verbesserung", wo mittels der Staatsvertragslehre eine juristische Argumentation gegen ein Recht auf Revolution des Inhalts geführt wird, daß ein zweiseitiger Vertrag nicht einseitig aufgelöst werden könne: „Die Natur eines Vertrages bringt es mit sich, daß ein jeder der schließenden Theile die Bedingungen bestimmen kann, unter welchen er sich anheischig zu machen gedenkt. Haben sie sich über diese Bedingungen vereinigt und ist der Vertrag zu Stande gekommen, so steht es nun bey keinem von beyden Theilen, einseitig und wider den Willen des andern davon abzugehen. Es ist also nicht allein ein gefährliches, sondern auch ein ganz widerrechtliches Paradox, daß ein Volk von dem Unterwerfungsvertrage nach seinem Gefallen in jedem Augenblicke abgehen und die darauf gebauete Verfassung umstoßen könne" 112 . Außerdem wurde auch die Pflicht der Untertanen, sich ruhig zu verhalten, noch stärker als zuvor betont und die Vermittlung dieser Pflicht zum Ruhigverhalten als Nutzen des Allgemeinen Staatsrechts für die Fürsten besonders herausgestellt wurde. So seien auch im direkten Vergleich und Unterschied zu Frankreich insbesondere in Deutschland „die Regierungen wohltätiger und die Unterthanen weiserwas darauf zurückzuführen sei, daß es „in einer gründlichen Philosophie, in einer aufgeklärten Rechtswissenschaft ... immer dem protestantischen Deutschlande nachgestanden " habe 1 1 3 . 111

Vgl. etwa zu dem Vorwurf, die staatsrechtlichen Vorschriften des Allgemeinen Gesetzbuches seien aus der „französischen Constitution" vom September 1791 entnommen, dieser Vorwurf sei aber abwegig, Carmer, Schreiben an Danckelmann vom 8. Dezember 1793, abgedruckt bei Thieme, Hans, S. 424f., sonst auch Krause, Peter, Die Überforderung des aufgeklärten Absolutismus Preußens durch die Gesetzgebung, S. 169. 112 Eberhard, Ueber Staatsverfassungen und ihre Verbesserung, Heft 2, S. 15 f. 113 Eberhard, Ueber Staatsverfassungen und ihre Verbesserung, Heft 1, Vorbericht S. 5, Heft 2, S. 123.

IV. Das Allgemeine Staatsrecht zwischen Reform und Revolution

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Dementsprechend und insbesondere versuchte das Allgemeine Staatsrecht, das Vertrauen der Fürsten dadurch zu gewinnen bzw. zurückzugewinnen, daß es sich als stabilisierendes Element darstellte, als - wie schon gesehen - Mittel, die Rechtmäßigkeit der anhand der Regeln des Allgemeinen Staatsrechts getroffenen Regierungshandlungen festzustellen und die Untertanen von dieser Rechtmäßigkeit zu überzeugen. So werden die Fürsten etwa ermahnt, von den Lehren des Allgemeinen Staatsrechts zu glauben, „daß gerade sie die besten Werkzeuge zur Erleichterung eurer mühsamen Arbeiten bei der Erfüllung eurer Regentenpflichten sind. Nur alsdann werdet Ihr finden, daß Eure Throne nie fester nie unerschütterlicher sind, daß ihr nie mehr auf Liebe und Anhänglichkeit Eures Volkes zählen könnt" 114 . Als neuer, von einigem Selbstbewußtsein zeugender Argumentationsstrang wird in dieser Zeit auch die Überlegung in die Diskussion eingeführt, daß der Vorwurf, das Allgemeine Staatsrecht führe die Untertanen dazu, die wissenschaftlichen Regeln darüber, wie der Staat sein solle, mit den tatsächlichen Gegebenheiten zu vergleichen und stachle sie dadurch zu Aufruhr an, unhaltbar sei, da die Bürger dies ohnehin täten und es allemal besser sei, wenn sie ein wissenschaftlich fundiertes Denkgebäude und „allgemein gültige Prinzipien " als Grundlage hätten, statt „politische Kannegieserey " 1 1 5 . So macht sich das Allgemeine Staatsrecht ausdrücklich zum Verbündeten der Fürsten gegen die Revolution. Fraglich ist nur, ob dies ein Vorwand ist, der das Vertrauen der Regierenden erhalten und restaurativen Repressalien vorbeugen soll, oder ob das konservative und bewahrende, antirevolutionäre Element des Allgemeinen Staatsrechts hier tatsächlich und aus Überzeugung zum Tragen kommt. Richtig ist insoweit wohl, daß beide Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Insofern wird es dem Allgemeinen Staatsrecht jedenfalls gemeinhin wieder auch mit Blick auf die französische Entwicklung - als Verdienst angerechnet, überhaupt die Revolution verhindern zu wollen oder gar verhindert zu haben, und dies mit dem Topos erklärt, eine entsprechende revolutionäre Umwandlung sei in Deutschland angesichts der schon weit fortgeschrittenen Verfassungszustände nicht nötig 1 1 6 . Stabilisierende Wirkung kommt dabei insbesondere auch dem Umstand zu, daß nach dem Allgemeinen Staatsrecht der Regent die „Präsumtion für sich hat, daß er recht gehandelt habe, so lange nicht das Gegentheil dargethan werden kann", weil angenommen werden müsse, daß er seiner vom Allgemeinen Staats114

Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt, S. 83. 115 Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt, S. 42. 116 Dilcher, Vom ständischen Herrschaftsvertrag zum Verfassungsgesetz, S. 188.

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6. Kap.: Das Allgemeine Staatsrechts im absolutistischen Staat

recht zugewiesenen Aufgabe gerecht werde und im Gegensatz zum Bürger über einen größeren Überblick verfüge 117 . Der Fürst hat also den Vorteil und das Recht im Zweifel für sich, was ebenfalls zu erhöhter Akzeptanz von Regierungsentscheidungen führt. Für dennoch als möglich erachtete Konflikte versucht das Allgemeine Staatsrecht wiederum, Lösungen anzubieten. So soll es, beispielsweise im Falle, daß die vorhandene Staatsverfassung einige Fehler habe, zu Duldung und Vorsicht mahnen. Habe sie gravierende Fehler, helfe das Allgemeine Staatsrecht, sie im Wege der Reform zu verbessern. Doch selbst wenn die vorhandene Verfassung so schlecht sei, daß sie durch Revolution beseitigt werden müsse - diese Option wird offenbar gegen Ende das 18. Jahrhunderts schon ohne weiteres akzeptiert - sei das Allgemeine Staatsrecht notwendig, um die Folgen der Revolution zu mildern, sich der Anarchie entgegenzustemmen und eine neue, bessere Verfassung aufzustellen 118 .

117 Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts S. 114. Ähnlich aber auch schon bei Huber, De Jure Civitatis, S. 322 (s. o.). 118 Wedekind, Kurze Systematische Darstellung des Allgemeinen Staatsrechts zu Vorlesungen bestimmt, S. 58-61.

7. Kapitel

Die - zeitgenössische - Kritik am Allgemeinen Staatsrecht Zusätzlich zu dem gerade dargestellten, besonders gegen Ende des 18. Jahrhunderts erhobenen Vorwurf der Revolutionsförderung war das Allgemeine Staatsrecht aber ohnehin von Anfang an nicht unumstritten gewesen, wurde kontrovers diskutiert und blieb bis zuletzt, bis zu seinem Verschwinden, immer von Teilen der Lehre sowohl in seinem Inhalt als auch in seiner Existenzberechtigung selbst angezweifelt. So wurde insbesondere in der Frühphase des Allgemeinen Staatsrechts etwa die Zulässigkeit seiner Trennung von der Politik - wohl durchaus i m Bewußtsein der bereits erläuterten konstitutiven Bedeutung dieser Trennung für die neue Wissenschaft - in Frage gestellt. Vertreter diese Auffassung kamen, nach dem bisher Gesehenen leicht nachvollziehbar, unter anderem gerade aus den Reihen der katholisch-klerikalen Gelehrten, wie beispielsweise der zum Jesuitenorden gehörende Ingolstädter Moraltheologe Ignatius Schwarz 1 , der in seinen „Institutiones Juris Universalis" 2 - ganz orthodox argumentiert, es gebe keinen Unterschied zwischen der Politik und der jurisprudentia publica universalis, bzw. keinen zwischen Moralphilosophie, Moraltheologie und jurisprudentia universalis überhaupt, da alles, was „gerecht " sei, auch moralisch und i m „ Guten und Ehrenvollen " mit einbegriffen sei und beides, Gerechtigkeit und Moral, auch i m Grunde das gleiche Ziel hätten, nämlich „ Glückseligkeit auf Erden sowie auch im anderen, ewigen Leben", die Unterscheidung also lediglich eine formale und damit unnötig sei 3 . Daß eine solche Argumentation den Anforderungen des Allge1 Baader, Clemens Alois, Lexikon verstorbener baierischer Schriftsteller, Teil 1, München 1824. 2 Der volle Titel lautet, gewissermaßen programmatisch: „Institutiones Juris Universalis, Naturae et Gentium, ad Normam Moralistarum nostri temporis, maximè Protestantium, Hugonis Grotii, Puffendorffii, Thomasii, Vitriarii, Heineccii, aliorumque ex recentissimis adomatae, et ad crisin revocatis eorum principiis, primum fusiore, tum succinctiore methodo pro studio academico, praesertim catholico accommodatae", Augsburg 1743. 3 „Jurìsprudentia in genere, et praesertim naturalis in specie, pro fine intrinsico, et immediato, respicitJustitiam veram, hoc est, actiones non qualitercunque, sed formaliter justas: pro fine mediato respicit felicitatem, non qualemcunque, sed veram,

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7. Kap.: Die - zeitgenössische - Kritik am Allgemeinen Staatsrecht

meinen Staatsrechts an sich selbst, seiner Tragweite und seinem Selbstverständnis, aber auch den Bedürfnissen, die das Allgemeine Staatsrecht befriedigen sollte und wollte, nicht gerecht werden und langfristig für seine Anerkennung keine Gefahr oder Hemmnis bedeuten konnte, liegt auf der Hand. Dennoch wurden auch später, als sich das Allgemeine Staatsrecht bereits weitgehend allgemein etabliert hatte, seine Vertreter noch gelegentlich als „politische Gelehrte" und seine Lehren dementsprechend als der Moral zugehörig und nicht bindend bezeichnet4. Zu dieser Zeit traten jedoch in der Auseinandersetzung die rechtlichen Implikationen und die daraus resultierenden praktisch-politischen Folgen der Anwendung des Allgemeinen Staatsrechts in den Vordergrund. Vehementeste Gegner des Allgemeinen Staatsrechts in dieser Phase waren insoweit vor allem die wohl zutreffenderweise nach dem jeweiligen argumentativen Schwerpunkt der von ihnen vertretenen Meinungen so zu nennenden „Positivisten" einer- und die „Traditionalisten" andererseits, wobei diese beiden Ansätze naturgemäß miteinander verwoben und zu kombinieren waren. Herausragende Vertreter jener Schulen waren etwa Johann Jacob Schmauß, Johann Jacob Moser 5 oder Justus Moser.

I. Materielle Einwände Grundsätzlich gab es für die zeitgenössische Opposition zum Allgemeinen Staatsrecht, abgesehen von der bereits erwähnten anfänglichen vollkommenen Leugnung seiner juristischen Daseinsberechtigung durch vor allem katholisch-klerikale Kreise, eine ganze Reihe weiterer wichtiger und offensichtlicher Einfallstore für materielle Kritik an seinen Inhalten. Bereits die Staatsvertragstheorie selbst, der wichtigste dogmatische Stützpfeiler des Allgemeinen Staatsrechts, bot rechtlich-dogmatische Angriffspunkte, auch wenn die Argumentation in der Sache hauptsächlich historisch-empirischer Natur war. So wurde etwa bezweifelt, daß die Annahme, alle Menschen seien ursprünglich frei und gleich gewesen, zutreffe, da es hoc est, vitae rationali propriam, perfectam et beatitate ultima, saltem naturali , consumatami rego respicit actiones etiam internas, et felicitatem, solo vitae hujus ambitu nequaquam conclusam ...", „... ergo suo modo et saltem formaliter hae diciplina ... inadaequate distinguuntur Schwarz , Institutiones Juris Universalis, S. 5f. 4 Vgl. etwa Gonne, Gottlieb, Dica Iuris Publici Universalis qua Abusus huius Disciplinae in Iure Publico Imperii Germanici ostenditur, Erlangen 1752, S. 8, 16, 21, 41. 5 Sowohl Moser (vgl. Schömbs, Erwin, Das Staatsrecht Johann Jacob Mosers (1701-1785), Berlin 1968), als auch Schmauß (s. infra), haben jedoch insgesamt dem Allgemeinen Staatsrecht eine gewisse Bedeutung für die Staatsrechtswissenschaft und das deutsche Staatsrecht eingeräumt.

I. Materielle Einwände

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immer schon Gesellschaften und damit auch Unfreiheit und Ungleichheit gegeben habe6, aber auch etwa eingewandt, daß sich die Staaten entsprechend ihrer klimatischen und sonstigen unterschiedlichen Bedingungen auch unterschiedlich entwickelt hätten, ein Gedanke, der insbesondere durch die Montesquieu-Rezeption weite Verbreitung gefunden hatte, oder daß es eine Vielzahl von tatsächlichen Arten und Möglichkeiten gebe und immer gegeben habe, wie ein Staat und eine Regierung Zustandekommen könnten, zumal der historische Vorgang von Staatsgründungen mannigfach dokumentiert und literarisch belegt sei, während für einen generellen vertraglichen Zusammenschluß entsprechend der Staats Vertragstheorie jegliche Anhaltspunkte fehlten 7 . Damit zusammen hängt auch die allerdings tiefergehende, überwiegend methodische Kritik des Erlanger Staatsrechtslehrers und Markgräflich-Brandenburgischen Rates Gottlieb Gonne 8 in seiner Schrift „De Abusu Iuris Publici Universalis in Iure Publico Imperii Germanici" 9 , wenn er sagt, daß die Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts mit der Entwicklung der Staatsvertragslehre aus der Rückschau heraus den Vorgang der Staatsgründung mit aus der Analyse von bereits bestehenden staatlichen Strukturen ermittelten Begriffen beschrieben und dabei den ursprünglichen angeblichen Vertragsparteien Absichten - etwa hinsichtlich des Vorbehalts von Fundamentalgesetzen - und Wissen unterstellten, das diese in Ermangelung entsprechender Vorbilder und Erfahrungen gar nicht gehabt haben könnten 10 , und damit gewissermaßen „ von der Ursache auf die Wirkung " schlössen11. Dies alles taugt jedoch, wie gesehen, nur vordergründig als stichhaltiger Einwand gegen die Brauchbarkeit der Staatsvertragstheorie, wenn man die Staatsvertragstheorie - richtigerweise - nicht als wörtlich zu verstehendes, tatsächliches historisches Entwicklungsmodell, sondern als rechtliche Fiktion versteht, wie dies die Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts offenkundig getan haben (s.o.). Aber auch unter Berücksichtigung dieses Verständnisses der Staatsvertragslehre als rechtliche Fiktion gab es gewichtige, gewissermaßen intrinsische, praktische bzw. methodische, auf die Rechtsqualität des Allgemeinen Staatsrechts überhaupt abzielende, Argumente, vor allem nämlich, daß die 6

Vgl. z.B. Eberhard, Über Staatsverfassungen und ihre Verbesserung, Heft 1, S. 53 ff. 7 Gonne, De Abusu Iuris Publici Universalis, S. 10 und 12. 8 Hirsching, Friedrich Carl Gottlob, Historisch-literarisches Handbuch berühmter und denkwürdiger Personen, welche in dem 18. Jahrhunderte gestorben sind, Erlangen 1795. 9 Zum vollen Titel s. 7. Kap. Fußn. 4. 10 Gonne, De Abusu Iuris Publici Universalis, S. 16 f. 11 „Nempe cum ipsi iuris publici universalis interprétés , quicquid de originibus reipublicae suae tradunt, argumento ab ejfectis ad causam confirment " ( Gonne, De Abusu Iuris Publici Universalis, S. 23).

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7. Kap.: Die - zeitgenössische - Kritik am Allgemeinen Staatsrecht

Naturrechtstheorie auf zu uneinheitlichen Vorstellungen von dem, was der Vernunft am ehesten entspreche, aufgebaut sei 1 2 , bzw. daß, wie dies schon von Zeitgenossen - auch solchen, die dem Allgemeinen Staatsrecht grundsätzlich positiv gegenüberstanden - festgestellt wurde, über den Inhalt des Rechts der Natur Uneinigkeit herrsche 13 , und es damit inhaltlich unsicher und in gewisser Weise „beliebig" wird, und, damit zusammenhängend, daß zuweilen die naturrechtliche, normative Kraft beanspruchende Argumentation zu weit getrieben und so der normative Anspruch des Allgemeinen Staatsrechts gerade diskreditiert und teilweise sogar karikiert wurde. Was dies angeht, so muß grundsätzlich i m Auge behalten werden, daß die naturrechtlichen Prinzipien, die das Allgemeine Staatsrecht prägen, selbst wiederum nicht die etwa von - wie oben bereits dargelegt - Kant geforderten „objektiven Vernunfterkenntnisse " sind, die „nur aus der eigenen Vernunft der Menschen entspringen können" 14. Denn zwar argumentiert das Naturrecht regelmäßig mit Vernunftschlüssen und unantastbaren, dem Menschen innewohnenden Gesetzen, auf denen dann das Allgemeine Staatsrecht sein Gedankensystem aufbaut. Doch appelliert es bei der Etablierung dieser Gesetze an die Erfahrung, Beobachtung und den gesunden Menschenverstand 15 . Die hieraus resultierenden Erkenntnisse und Schlüsse aber sind notwendigerweise subjektiv in ihrer historischen Zeit- und Situationsgebundenheit 1 6 und differieren von Mensch zu Mensch entsprechend seinen Prägungen und seinem Wissensstand, sind also nicht von jedermann gleichermaßen und zu jeder Zeit an jedem Ort logisch nachvollziehbar 17 . Dieser Widerspruch, daß aus tatsächlichen, subjektiv erfahrenen und bewerteten Gegebenheiten Rückschlüsse auf objektive allgemeine Prinzipien gemacht werden, die dann wiederum als Regel für die Praxis etabliert werden sollen, wurde aber schon von Kant bemerkt und führte zu seiner fundamentalen Kritik am Naturrecht beispielsweise in der Schrift „Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis" 1 8 , in der er vom Naturrecht sagt, daß „die empirischen und daher 12

Dickinson , The Theory of Natural Rights, S. 40. So Günther, Über den Werth des allgemeinen Staatsrechts, S. 98, auch wenn er hoffungsvoll - wohl von einem gewissen Wunschdenken getrieben - hinzufügt, inzwischen habe man sich „im Allgemeinen vereinigen können" (ebd.). 14 Kritik der reinen Vernunft, S. 864/540 f. 15 „common sense", vgl. Stolleis, Michael, Staatsraison, Recht und Moral in philosophischen Texten des späten 18. Jahrhunderts, Mei Senheim/Glan 1972, S. 2. 16 „Historisch" auch in der Diktion Kants (Critik der reinen Vernunft, S. 864). 17 Krause (Krause, Peter, Naturrecht und Kodifikation, S. 11) spricht deshalb etwa auch davon, daß das Naturrecht der Aufklärung in Gefahr gewesen sei, zu einer naturalistischen Rechtslehre herabzusinken, die „beliebig empirische und pseudoempirische Triebstrukturen und Bedürfnislagen" in Gesetze umformuliere. 18 Berlin 1793, in: Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 8, Berlin 1923, S. 275 ff. 13

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zufälligen Bedingungen der Ausführung des Gesetzes zu Bedingungen selbst gemacht" 19 würden - eine Gefahr, die aus der bereits zitierten Formulierung Scheidemantels, nach der die (ihm, bzw. dem entsprechenden Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts bekannten) „gesitteten Staatsverfassungen" die Grundlage der Untersuchung bilden sollen, klar ersichtlich ist „und so eine Praxis ... die für sich selbst bestehende Theorie zu meistern berechtigt" 20 werde. Es ist daher zu beobachten, daß in die mittels Rechtsvergleichung erstellten naturrechtlichen Normen des Allgemeinen Staatsrechts mit ihrem Anspruch auf Objektivität und Allgemeingültigkeit ein breites Spektrum eher wahllos, dem Wissensstand des jeweiligen Autoren entsprechend zusammengetragener, mehr oder weniger sicher belegter Fakten einfließen und zudem noch, bzw. auch aufgrund dessen, naturgemäß deren subjektiven Vorlieben und zeitgenössisch verhafteten, gewissermaßen „modischen" Ansichten unterworfen sind, wenn auch damit eventuell dem weiteren bereits erläuterten Anspruch des Allgemeinen Staatsrechts hinsichtlich seiner Aktualität und seinem praktischen Nutzen genüge getan werden mag. Tatsächlich geht etwa Huber - um ein konkretes Beispiel hierfür zu nennen - im Rahmen des Allgemeinen Staatsrechts bei der Bearbeitung der Frage des Gewaltmonopols des Staates ausführlich auf die zu seiner Zeit virulente Problematik von Duellen mit oft tödlichem Ausgang unter dem Aspekt des Staatsrechts ein und kommt zu dem Ergebnis, daß private Zweikämpfe als offene Mißachtung dieses Monopolanspruchs der höchsten Gewalt zu verbieten und zu bestrafen seien 21 . Damit demonstriert er die Zeit- und Umstandsbezogen- bzw. -verhaftetheit des Allgemeinen Staatsrechts, infolge derer zum allgemeingültigen Gesetz erklärt werden soll, was ausschließlich den Anforderungen zur Bewältigung temporärer Erscheinungen entspringt, auch wenn dahinter natürlich tatsächlich ein zeitloses allgemeingültiges, zum Wesen des Staates gehörendes objektives Prinzip steht. Ähnlich subjektiv geprägt begründet etwa Scheidemantel aus dem Allgemeinen Staatsrecht die „Notwendigkeit des Hofstats" und des „Hof cere moniells" 22 oder rechnet Martini es zu den auf dem Allgemeinen Staatsrecht basierenden, mittels der deduktiven Methode aus der Staatsvertrags19

Kant, Über den Gemeinspruch, S. 277. Kant, Über den Gemeinspruch, S. 277. 21 Huber, De Jure Civitatis libri très, S. 603. Ebenso, trotz der Kürze seiner Schrift, Fritsch, Conspectus Iuris Publici Universalis, S. 13: „Duella iusque manuarium in statu civitatis sund illicita Bemerkensweiterweise fließen diese Gedanken mit zum Teil identischer Begründung noch über hundert Jahre später in die preußische Kodifikation ein (vgl. Anm. zu I III VIII § 571 EAGB, zitiert nach: Krause, Peter, Kant und das Allgemeine Landrecht, S. 436). 22 Scheidemantel, Das Staatsrecht nach der Vernunft und den Sitten der vornehmsten Völker betrachtet, Bd. 1, S. 132 ff. 20

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7. Kap.: Die - zeitgenössische - Kritik am Allgemeinen Staatsrecht

lehre entwickelten, grundsätzlich universellen Majestätsrechten, daß „für das Vergnügen der Bürger" gesorgt werden müsse, indem „man ihnen Anstand, Höflichkeit, Munterkeit einflößt, wenn in öffentlichen sowohl als Privatgebäuden nicht nur Festigkeit und Dauer, sondern auch Schönheit und Niedlichkeit angebracht wird; wenn es ehrbare Ergötzungen und Belustigungen gibt, wobei die Bürger ihre Geschicklichkeit üben, und sich von Sorgen erholen müssen" oder Gesetze zu erlassen, „daß niemand zur Nachtzeit ohne Licht über die Straßen gehen " solle 23 . Diese Tendenz einiger der Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts, insbesondere der von der Philosophie Christian Wolffs geprägten, die Deduktion naturrechtlicher Sätze so weit und bis in Detail weiterzubetreiben, daß sie gewissermaßen ins Groteske abgleitet, jedenfalls aber so sehr von den zeitgenössischen kulturellen und gesellschaftlichen Umständen geprägt sind, daß es schwerfällt, ihren universellen Anspruch aufrechtzuerhalten, mußte naturgemäß ein Einfallstor herber, mitunter polemische Züge annehmender Kritik sein, wie etwa, wenn Johann Jacob Schmauß - im Hinblick auf Wolff - sagt: „... und wann der Tod sich über das Publicum nicht erbarmet hätte, würde er nach seinem insanabili scribendi cacoethe vielleicht noch viele mehrere volumina von dem Jure Naturae der Schuster, Schneider und anderer Handwerker geschrieben und mit eben der Weitläuffigkeit, Grospralerey und demonstrativischen Methode bewiesen haben, daß der Schuster den Schuh, und der Schneider die Hosen, ohne Verletzung des Rechts der Natur, nicht zu weit noch zu enge machen solle .. ." 2 4 , oder wie sie sich in der, ebenfalls von Schmauß stammenden, Äußerung manifestiert, daß: „die Wolfianische Discipul gleich in dem Anfang ihrer philosophischen Studien, da sie nur die Intention gehabt haben, das Jus Naturae als einen partem philosophiae practica zu lernen, durch das weitläuffige Feld des juris civilis und feudalis geführet und also wieder all ihr vermuthen aus blosen philosophis sich in Juristen verwandelt gesehen haben. Die nun aus ihnen hemach Doctores und Professores Juris worden sind, haben als Autodidacti ... ohne die rechte Juristische Sprache zu lernen ... die herrliche Decouverten desselben in ihren Lectionibus angebracht ..." 2 5 . Andererseits weisen die Gegner des Allgemeinen Staatsrechts aber auch in ernsthafter Weise und mit besonderer Deutlichkeit gerade auf die skiz23

Martini, Allgemeines Recht der Staaten, S. 39 bzw. 51. Schmauß, Johann Jacob, Johann Jacob Schmaußens Hofraths und Professoris Juris Ordinarli zu Göttingen kurze Erleuterung und Verteidigung seines Systematis Juris Naturae, Göttingen 1755, S. 11. 25 Schmauß, Johann Jacob Schmaußens Hofraths und Professoris Juris Ordinarli zu Göttingen kurze Erleuterung und Verteidigung seines Systematis Juris Naturae, S. 15 f. 24

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zierten, methodisch bedingten inhaltlichen Unsicherheiten des Allgemeinen Staatsrechts hin und machen sich diese Schwäche zunutze in ihrem Ansinnen, seine Bedeutung und insbesondere seine normative Geltung einzudämmen. Daß nämlich die Uneinigkeit in der Lehre, die jene gewisse inhaltliche Uneinheitlichkeit mit sich bringt, einem rechtlichen Allgemeingültigkeitsanspruch des Allgemeinen Staatsrechts abträglich sein mußte, liegt auf der Hand. So führt etwa Johann Jacob Moser in seiner Schrift „Über Teutschland und dessen Staatsverfassung überhaupt" paradigmatisch aus: „Das bedenklichste dabey ist, daß die Grundsätze dieser Wissenschaft auf einem sehr seichten Grunde beruhen, nemlich auf der bloßen Einsicht eines jeden Menschen oder Schriftstellers, sein Verstand mag so durchdringend oder schwach, und von Leidenschaften so frey oder verdorben seyn als er will" 2 6 . Entsprechend gebe dann „des einen Vernunft ... den Ausschlag auf diese, und des anderen auf jene Seite " 2 7 , ganz davon abgesehen, daß auch bestimmte Eigeninteressen mit in die Ergebnisse der fraglichen Überlegungen einfließen könnten, denn: „Der Verstand sollte über den Willen Herr seyn; in praxi ist es aber gemeiniglich umgekehrt" 28. Daß hierin infolge der so auftretenden Rechtsunsicherheit auch eine potentielle Bedrohung von Rechten der Untertanen liegen kann, ist ein weiterer wichtiger Aspekt der Kritik, auf den häufig verwiesen wird. In einem ähnlichen, von der grundsätzlichen Problematik her durchaus übertragbaren Zusammenhang, äußert etwa der preußische Großkanzler Carmer in einem Schreiben an den schlesischen Justizminister Danckelmann: „Eine uneingeschränkte Verweisung auf das Jus naturale würde folglich auf die größte Ungewißheit der Rechte und auf schwankende Willkühr in den Entscheidungen führen " und sei „für die Sicherheit des Eigenthums und für die bürgerliche Freyheit allzu gefährlich" 29. Insoweit noch deutlicher und expliziter steht auch etwa für Moser fest, daß durch das Allgemeine Staatsrecht „die Grund-Vesten aller Staaten unterminirt und erschüttert werdendenn: „So helfen Verträge, Geseze, Herkommen, Freyheiten, alles nichts: Die witzige Vernunft wird allemal etwas finden, um zu erweisen, daß der Sinn nicht so, wie man es bishero verstanden, sondern so oder so, nach dem Convenienz-Recht, beschaffen, oder auf die jetzige Zeiten nicht mehr applicabel, oder dem Legi supremae, Salutis Reipublicae, (auf Teutsch: Denen Paßionen des Regentens,) 26 Moser, Johann Jacob, Über Teutschland und dessen Staatsverfassung überhaupt, S. 527. 27 Moser, Johann Jacob, Gedancken über das neu erfundene Staatsrecht des Teutschen Reichs, S. 23. 28 Moser, Johann Jacob, Gedancken über das neu erfundene Staatsrecht des Teutschen Reichs, S. 24. 29 Carmer, Schreiben an Danckelmann vom 8. November 1793 (4. Kap. Fußn. 77). 18

Schelp

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7. Kap.: Die - zeitgenössische - Kritik am Allgemeinen Staatsrecht

nicht angemessen seye; und hat man die Gewalt, es mit Macht durchzusezen, wer darf sich unterstehen, zu sagen, es seye unrecht? ... So raubet man dem Kayser, dem Mit-Stand, dem Unterthanen, was ihnen gebühret, kan ex omnibus omnia, ex quolibet quodlibet, machen ... 4 4 3 0 . Gerade die vordergründige Plausibilität des hier erhobenen Vorwurfs, die „salus publica", das Allgemeinwohl, werde in der schwankenden Auslegung dieses Begriffes zu einem Synonym für die „Paßionen des Regentens" ist, wie bereits dargelegt, eine der Staatsvertragslehre inhärente Schwäche, die naturgemäß immer wieder gesehen und aufgegriffen wurde. Besonders ausführlich und teilweise schneidend thematisiert diesen speziellen Punkt etwa Johann Georg Schlosser in seinen „Briefen über die Gesetzgebung überhaupt", wo er sagt: „Noch immer habe ich von niemand erfahren können: wo die Gränzlinie liegt, zwischen fürstlichem Eigenthumsrecht, und fürstlichem Regierungsrecht? Jedermann sagt freilich: jenes erfordert auch in dem Fürsten, Beweis des Eigenthums, wie bey dem Privatmann; dieses gründet sich nur auf das gemeine Beste: aber wo ich doch hinsehe, finde ich - wenige Fürsten ausgenommen - das gemeine Beste so zum Eigenthum des Regenten gemacht, daß, wenn seine Regierung und Cammern sich mit dem Beweiß, den der Privatmann führen muß, nicht auszukommen trauen, sie das gemeine Beste immer vorschieben können44, denn: „Was kann das Eigenthumsrecht eines Herrn ihm, für Ansprüche auf seinen Leibeignen Mann geben, welche das gemeine Beste ihm nicht auch, auf seinen Leibesfreien Unterthan geben könnte? Soll Geld gezahlt werden; was ist dem gemeinen Besten vortheilhafter als wenn der Staat Geld hat? ... Soll gefrohndet werden; wie kann das gemeine Beste ohne Festungen bestehen?44 und: „Wie handgreiflich ist das gemeine Beste dabei interessirt, wenn ein paar Tausende des Volks nach Peru und Mexiko und unter alle Grade des Meridians herum geschikt werden, um französisches, spanisches, holländisches, englisches Subsidiengeld in die Staatscasse zu bringen, aus welcher es sich wieder, zur unaussprechlichen Glückseligkeit von hundertmahl so vieler noch nicht verkaufter Unterthanen, in den Gewerbezirkel verbreitet! 4431. Dieses Raisonnement führt dann letztendlich zu der auch anderwärts erhobenen dramatischen und plakativen Einschätzung, bzw. dem Vorwurf, daß dem Herrscher in Ausübung seiner Rechte aus dem Allgemeinen Staatsrecht, sowohl Körper als auch Habe seiner Untertanen völlig ausgeliefert würden 32 , weshalb auch gerade die Einführung der Grundsätze des Allgemeinen Staatsrechts in das Staatsrecht Deutschlands „unsicher und 30 Moser, Johann Jacob, Gedancken über das neu erfundene Staatsrecht des Teutschen Reichs, S. 25 f. 31 Schlosser, Briefe über die Gesetzgebung überhaupt und den Entwurf des preussischen Gesetzbuchs insbesondere, Erstes Schreiben, S. 31 f., 34.

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gefährlich" sei 3 3 . Insbesondere die Fiktion nicht nur des Abschlusses, sondern - gewissermaßen in potenzierter Form - des sogar stillschweigenden Eingehens eines Herrschaftsvertrages durch den Regenten einer- und das Volk andererseits mußte vor allem den Vertretern eines historischen oder positivistischen Ansatzes geradezu ungeheuerlich erscheinen, wie dies auch etwa bei Gonne zum Ausdruck kommt, wenn er - teils ironisch - sagt, die Autoren des Allgemeinen Staatsrechts erzählten „Fabeln und Träume" und behaupteten „ganz opportun, ihre Verträge zur Staatengründung müßten nicht immer ausdrücklich, sondern könnten auch stillschweigend besiegelt werden, woran dann kein Zweifel mehr erlaubt ist" 34 . Trotz dieser Kritikpunkte gab es aber auch eine ganze Reihe von Schriftstellern, die insoweit das Allgemeine Staatsrecht nicht per se ablehnten, sondern sich nur gegen einen von ihnen, infolge seiner aufgezeigten Schwächen, konstatierten „abscheulichen Mißbrauch" 35 desselben wandten. Dies geschehe, etwa nach Nettelbladt, „ oft in Ansehung des allgemeinen Staatsrechts, da denn anstatt wirklicher Wahrheiten Hirngespinste zur Welt kommen" 36. Auch nach Johann Christoph Krause beinhalte das Allgemeine Staatsrecht „ . . . viel Mißbräuche allgemeiner Principien und manches schwankende aus dem positiven Völkerrechte" 31. So wird dann für den „rechten Gebrauch" des Allgemeinen Staatsrechts, etwa von Nettelbladt, gefordert, daß es einerseits „brauchbarer" und dem deutschen Staate „angemessener" abgehandelt werde, andererseits, daß unterschieden werde zwischen der Anwendung auf das Reichs- und auf das Landesrecht, daß also immer nur diejenigen Lehrsätze des Allgemeinen Staatsrechts angewandt würden, die auf die jeweilige Staatsform paßten 38 .

32 „Patent, pro iurisbus hisce exercendis, civium corpora , atque bona" (Gonne, De Abusu Iuris Publici Universalis, S. 9). 33 „... quam intutum quamque periculosum sit, ex reipublicae completae atque plane ejformatae conceptu, in ius publicum Germanicum intrudere conclusiones t( (Gonne, De Abusu Iuris Publici Universalis, S. 39). 34 „... ne fabulas atque somnia narrare videantur, origines rerumpublicarum ex pactis Ulis reipublicae constitutifs dérivantes, opportune monent, non expresse sem per ilia inita, sed aeque fieri posse, ut tacite celebrentur. Tacite pacta celebrali factis, consensum demonstrantibus, nemo est, qui vocet in dubium" (Gonne, De Abusu Iuris Publici Universalis, S. 14). 35 Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauche des allgemeinen Staatsrechts, S. 31. 36 Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauche des allgemeinen Staatsrechts, S. 25. Die starken Worte, zeigen, daß die Diskussion offenbar mit einiger Härte geführt wurde. 37 Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 72. 38 Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauche des allgemeinen Staatsrechts, S. 31. 18*

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7. Kap.: Die - zeitgenössische - Kritik am Allgemeinen Staatsrecht

Insoweit konnte grundsätzlich zumindest die praktische Bedeutung des Allgemeinen Staatsrechts dadurch gemindert werden, daß man, ohne es ansonsten in Frage zu stellen, seine Anwendbarkeit in concreto verneinte oder zumindest stark einengte. Dazu diente neben der ohnehin weitgehend auch von seinen Verfechtern angenommenen Subsidiarität des Allgemeinen Staatsrechts 39 eine weitere wichtige Einschränkung seines Geltungsanspruches, nämlich die teilweise angenommene Abhängigkeit seiner Anwendbarkeit von der Frage, ob die entsprechenden Grundsätze für die jeweilige konkrete Situation überhaupt einschlägig bzw. angemessen seien, wodurch ein weiter Spielraum für Auslegung und Ermessen entstand. Johann Christian Majer beispielsweise will, wie bereits zitiert, die Grundsätze des Allgemeinen Staatsrechts nur anwenden, „in so weit sie den reichsabhängigen teutschen Staaten anpassend sind" 40.

II. Der „positivistische" Ansatz Von diesem Ansatz bis hin zu einem rein „positivistischen" Rechtsverständnis, nach dem das Staatsrecht einzig und ausschließlich aus durch legislativen Akt geschaffenem Recht bestehen, das wissenschaftliche Vernunftrecht in dieser Systematik aber überhaupt keinen Platz haben soll, ist es jedoch, je nach der vorgenommenen entsprechenden Auslegung, nur noch ein kleiner Schritt und besteht zwischen beiden, zumindest für die Praxis, lediglich noch ein gradueller Unterschied. So soll nämlich, etwa nach Auffassung von Nettelbladt, das Allgemeine Staatsrecht gar nicht oder nur sehr beschränkt auf die Situation i m Reich anwendbar sein (s.o.). Es müsse insoweit auch immer unterschieden werden zwischen Reichs- und Landesrecht, und dürften also immer nur diejenigen Lehrsätze des Allgemeinen Staatsrechts angewandt werden, die auf die jeweiligen Eigenheiten der entsprechenden Körperschaft paßten, auf die sie bezogen würden. Außerdem sei es „wohl zu merken, daß, wenn gleich nach dem allgemeinen Staatsrecht bewiesen werden kan, dieses oder ienes Recht sei ein solches, welche überhaupt einem Regenten in einem unabhängigen oder abhängigen Staate zustehet, solches nicht so fort für ein zur allgemeinen Regierung des Reiches, oder zu der besonderen Regierung der teutschen Provinzen, gehöriges Recht angenommen werden könne. Gleichwie auch dieser Schluß umgekehrt nicht gilt, daß nämlich ein Recht für ein zur Oberherrschaft entweder des ganzen Reichs, oder der einzelnen teutschen Provinzen, gehöriges Recht nicht zu halten sei, wenn ein solches nach dem allgemei39

s.o., aber auch etwa Krause, Johann Christoph, Abhandlungen aus dem deutschen Staatsrechte, S. 73, der prüfen will, „... ob nicht deutsche positive Grundsätze vorhanden sind, neben welchen die philosophischen und völkerrechtlichen keine Anwendung finden 40 Majer, Teutsches weltliches Staatsrecht, Bd. 3, S. 4.

II. Der „ i t i i s t i s c h e " Ansatz

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nen Staatsrecht kein solches Recht ist, welches überhaupt einem ieden Staate zustehet"41. Selbst wenn also nach dem Allgemeinen Staatsrecht ein Recht besteht, soll dieses nicht automatisch für Deutschland gelten und wenn nach dem Allgemeinen Staatsrecht eine solches nicht besteht, soll es trotzdem in Deutschland bestehen können. Nettelbladt spricht damit dem Allgemeinen Staatsrecht bezüglich des besonderen deutschen Reichs- und Landesrechts die Allgemeingültigkeit und die daraus resultierende normative Kraft ab. Entsprechend geht er an anderer Stelle sogar so weit, daß er dem Allgemeinen Staatsrecht, nunmehr ganz im „positivistischen" Sinne, jeglichen Geltungsanspruch als überpositives, das positive Recht korrigierendes Recht verwehrt, wenn er etwa anläßlich seiner Auseinandersetzung mit der „Wolffischen Philosophie " sagt: "... wenn aber die positiven Gesetze von dem was natürlichen Rechts ist, abgehen, hat der Gebrauch dieser Wolffischen Sätze gar nicht statt, und wäre ein großer Mißbrauch, wenn in diesem Fall diese Sätze angenommen würden" 42. Besonders ausgeprägt vertritt in seiner Gegnerschaft zum Allgemeinen Staatsrecht den positivistischen Standpunkt aber etwa auch der Göttinger Rechtslehrer Johann Jacob Schmauß. In seinem Werk „Neues Systema des Rechts der Natur" von 1754 43 erklärt er beispielsweise bezüglich des Allgemeinen Staatsrechts, von einem „Jus publicum universale, welches statum hominis civilem supponiert, tractieret, da dann die ganze Materie von der Majestate, der potestate Legislatoria, jure vitae & necis &c. vorkomt", werde von vielen Autoren „in ihren compendiis und systematibus juris naturalis gehandelt und geglaubt", „es gehörten diese Materien in das Jus Naturae, da doch offenbahr ist, daß sie aus bioser willkührlicher Satzung der Menschen herkommen, und das ganze Jus Naturae solche ignoriret" 44. In einer daran anschließenden Auseinandersetzung mit einem anonymen Kritiker, der ihm generell vorwirft, daß er „das lus naturae nicht in dem sensu nimmt, da es ein lus cogens, eine norma vivendi, eine obligatio gennénnet werden muß" 45, nennt er das Jus Publicum Universale - noch expli41

Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauche des allgemeinen Staatsrechts, S. 31 f. Nettelbladt, Von dem rechten Gebrauch der Wolffischen Philosophie, S. 122. 43 Schmauß, Johann Jacob, Neues Systema des Rechts der Natur, Göttingen 1754. 44 Schmauß, Neues Systema der Rechts der Natur, S. 22 f. 45 Eines Anonymi eilfertige doch unpartheyische Gedancken über das in des Herrn C. Chladenius wöchentlichen Biblischen Untersuchungen gefällte scharfe Urtheil von des Herrn Hoffrath Schmauß neuen Systemate des Rechts der Natur, Göttingen 1754, S. 4. 42

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ziter - „einfältige Philosophische Grillen, mit großer Verachtung aller alten und neuen Juristen" 46, worin wiederum seine - seinen positivistischen Standpunkt bedingende, bzw. mit ihm einhergehende - Auffassung zum Ausdruck kommt, daß das Naturrecht zur Philosophie und nicht zum Recht gehöre, weshalb es ein normatives naturrechtliches Allgemeines Staatsrecht für ihn nicht geben kann. Ähnlich erklärt Johann Jacob Moser in seiner Schrift „Gedancken über das neu erfundene Staatsrecht des Teutschen Reichs" von 1767: „Und wenn der Kayser und die Stände miteinander, oder die letztere unter sich, streitig waren; so ware niemalen die Frage: was sagt die Vernunft? sondern: wie lauten die Reichs Geseze? oder, was ist sonsten, in deren Ermanglung, Herkommens?"47. Die vernunftrechtlichen Schlüsse und Erkenntnisse sollen demnach für das Staatsrecht insgesamt unbrauchbar sein. Da das besondere positive Staatsrecht letzten Endes lediglich Ausfluß eines gesellschaftlichen Interessensausgleiches sei, hätten allgemeine naturrechtliche Prinzipien hier keinen Platz, und zwar noch nicht einmal bei der Entscheidungsfindung in Streitfällen. So ist es für ihn nämlich dasjenige „jeden Orts Rechtens, wie es zwischen denen Interessenten verglichen oder sonsten mit beederseitigem guten Willen hergebracht ist. Entstehet ein Zweifel oder Streit darüber; so ist es entweder um ein Factum, oder um eine Rechts-Frage zu thun: bey jenem kann die Vernunft wieder nichts thun, als daß man untersucht und entscheidet: was Facti seye? Letzteren Falles aber muß sich die Vernunft nach der Analogie der übrigen Staats-Verfassung, nicht aber diese nach jener richten, und es kommt auf einen billigmäßigen Vergleich zwischen denen Parthien, biß dahin aber auf den Besiz, an" 48 . Einen ähnlichen Gedankengang verfolgend geht beispielsweise Gonne noch einen Schritt weiter und erklärt, die Attraktivität des Allgemeinen Staatsrechts liege vor allem gerade in der Leichtigkeit, mit der mittels seiner Lehren jedes beliebige Ziel innerhalb eines Staates nach Gutdünken als gerechtfertigt durchgesetzt werden könne, ohne daß es langwieriger Verhandlungen bedürfe 49 . 46 Johann Jacob Schmaußens Hofraths und Professoris Juris Ordinarli zu Göttingen kurze Erleuterung und Verteidigung seines Systematis Juris Naturae, Göttingen 1755, S. 8. 47 Moser, Johann Jacob, Gedancken über das neu erfundene Staatsrecht des Teutschen Reichs, S. 16. 48 Moser, Johann Jacob, Gedancken über das neu erfundene Staatsrecht des Teutschen Reichs, S. 22 f. 49 „Nempe, commendare se se, videtur, hoc institutum, facilitate qudam doctrinae; dum, quae, posito, pro lubitu, reipublicae conceptu, in quovis argumento, iusta videantur, minori longe negorio assequamur ..." (Gonne, De Abusu Iuris Publici Universalis, S. 39).

. Der „traditionalistische" Ansatz

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III. Der „traditionalistische" Ansatz Eng in Zusammenhang mit der positivistisch geprägten Opposition zum Allgemeinen Staatsrecht stehen auch die eher von der „traditionalistischen" Seite herkommenden, insoweit die historische Entwicklung und Dimension des positiven Rechts in den Vordergrund stellenden Kritiker der neuen Wissenschaft, nachdem schließlich der allergrößte Teil des positiven Staatsrechts in Deutschland historisch gewachsen und nur aus seinem historischen Kontext heraus überhaupt aufzufinden und zu verstehen war. So wendet sich etwa einer deren bekanntesten Vertreter, der publizistisch tätige Jurist und hohe Regierungsbeamte des Fürstbistums Osnabrück 50 Justus Moser, gegen die zeitgenössische Tendenz, nach der „der Staat sich nach einer akademischen Theorie regieren lassen und jeder Departementsrat imstande sein [soll], nach einem allgemeinen Plan den Lokalbeamten ihre Ausrichtungen vorschreiben zu können" 51, weil er das Allgemeine Staatsrecht als Gefahr für die bestehende Ordnung, die sich im historisch gewachsenen partikularen und positiven Staatsrecht sowie in der traditionellen Staatsverfassung manifestiert 52 , aber auch für die Freiheit des Einzelnen begreift. Insoweit sieht er zum einen im Pluralismus dieser partikularen Staaten und Staatsrechte eine Garantie für die individuelle Freiheit im Gegensatz zu der Vereinheitlichung durch allgemeine Grundsätze. Durch die Anerkennung dieser Grundsätze des Allgemeinen Staatsrechts „entfernen wir uns" nämlich „ von dem wahren Plan der Natur, die ihren Reichtum in der Mannigfaltigkeit zeigt, und bahnen den Weg zum Despotismus, der alles nach wenigen Regeln zwingen will und darüber den Reichtum der Mannigfaltigkeit verlieret" 53, denn „je einfacher die Gesetze und je allgemeiner die Regeln werden, desto despotischer, trockener und armseliger wird der Staat" 54. Dagegen war und ist für Moser die Vielfalt der Rechtsordnungen „ . . . das große Mittel, wodurch unsre Vorfahren ihre Freiheit ohne Gesetzbücher 50

Vgl. Ahl, in: Stolleis, Michael (Hrsg.), Juristen, ein biographisches Lexikon, S. 432 ff. 51 Moser, Justus, Der jetzige Hang zu allgemeinen Gesetzen und Verordnungen ist der gemeinen Freiheit gefährlich, in: Justus Mosers sämtliche Werke, Historischkritische Ausgabe in 14 Bänden. Herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin/Hamburg 1943 ff., Bd. 5, S. 22-27 (22). 52 Dies ist ohne weiteres aus seiner Biogrphie zu verstehen. Moser war als Konsulent der Regierung des Bistums Osnabrück quasi mit der Verwaltung eines deutschen Kleinsaates beauftragt und insoweit Vertreter entsprechender Interessen (vgl. Ziegler, Wilfried (Hrsg.), Justus Moser - Patriotische Phantasien (Ausgewählte Schriften), Leipzig 1986, Nachwort, S. 345 ff. 53 Moser, Der jetzige Hang zu allgemeinen Gesetzen und Verordnungen ist der gemeinen Freiheit gefährlich, S. 23. 54 Moser, Der jetzige Hang zu allgemeinen Gesetzen und Verordnungen ist der gemeinen Freiheit gefährlich, S. 23 f.

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7. Kap.: Die - zeitgenössische - Kritik am Allgemeinen Staatsrecht

erhielten ... " 5 5 . Auf die alte germanische Freiheit, die es zu erhalten gelte, stützt sich auch etwa Gonne in seiner Ablehnung des Allgemeinen Staatsrechts, mittels dessen jederzeit neue Eingriffe in diese hergebrachte Freiheit begründet werden könnten und das „die Macht der bürgerlichen Herrschaft ins Unendliche steigere, alles erlaube und rechtfertige" 56, weshalb die „willkürlichen Hypothesen" des Allgemeine Staatsrecht dem deutschen Staatsrecht nicht einfach, wie dies oft versucht würde, „übergestülpt" werden dürften 57 . Gonne demonstriert dies anhand von konkreten Beispielen, unter anderem dem des Steuererhebungsrechts der höchsten Gewalt, das nach dem Allgemeinen Staatsrecht lediglich von einer grundsätzlich jederzeit zu begründenden Notwendigkeit für das Allgemeinwohl abhänge, im Deutschen Reich jedoch nach dem historisch gewachsenen und bewährten alten Freiheitsrecht von einer ganzen Reihe vornehmlich ständischer materieller und verfahrensrechtlicher Vorbehalte, über die überdies immer noch Uneinigkeit herrsche, beschränkt werde 58 . Insoweit versteht er den Begriff der Freiheit auch in dem bereits dargelegten Sinne von Freiheit als Eigentumsrecht, nicht im Sinne des Allgemeinen Staatsrechts als grundlegendes freiheitsrechtliches Prinzip. Im daraus entstehenden Konflikt zwischen Freiheit und Eigentum bezieht aber auch etwa wieder Moser Position für letzteres, nämlich beispielsweise mit den Worten: „Die philosophischen Theorien untergraben alle ursprünglichen Kontrakte, alle Privilegien und Freiheiten, alle Bedingungen und Verjährungen, indem sie die Rechte und Pflichten der Regenten und Untertanen und überhaupt alle gesellschaftlichen Rechte aus einem einzigen Grundsatze ableiten .. " 5 9 . Aus diesem Grund setzt er sich ein für die Sicherung dieser historisch gewachsenen Eigentumsrechte gegenüber den allgemeinen Gesetzen des Allgemeinen Staatsrechts, die sich schon per definitionem über das partikulare Recht hinwegsetzen müssen, indem er postuliert: „Verträge gelten gegen Gesetze, und Besitz und Verjährung haben gleiche Rechte mit Verträgen und können, ohne große Ungerechtigkeiten zu begehen, nicht zurückgesetzet werden" 60. 55

Moser, Der jetzige Hang zu allgemeinen Gesetzen und Verordnungen ist der gemeinen Freiheit gefährlich, S. 27. 56 „... sedfacit infinita , quam supponunt, imperii civilis vis, ut iuste fieri, omnia censenda" ( Gonne, De Abusu Iuris Publici Universalis, S. 42f.). 57 „... qui Hypothesibus, ex arbitrio fictis, superstruxere iuris publici Germanici prudentiam" (Gonne, De Abusu Iuris Publici Universalis, S. 20). 58 Gonne, De Abusu Iuris Publici Universalis, S. 37 ff. 59 Moser, Der jetzige Hang zu allgemeinen Gesetzen und Verordnungen ist der gemeinen Freiheit gefährlich, S. 25. 60 Moser, Der jetzige Hang zu allgemeinen Gesetzen und Verordnungen ist der gemeinen Freiheit gefährlich, S. 26.

III. Der „traditionalistische" Ansatz

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Insoweit führt Moser hinsichtlich des Geltungsvorranges von Regelungen, deren Subsidiaritätsabstufungen, die er auch auf das Staatsrecht angewendet wissen will, aus: „Die Kontrakte eines Privatmannes gelten bei Entscheidung einer Streitsache mehr als gemeine Rechte, außerordentliche Fälle ausgenommen. Gewohnheiten, Verabredungen und Vergleiche einer Gemeinheit gelten auf gleiche Weise und eben aus demselben Grunde mehr als Provinzialordnungen und Provinzialbescheide mehr als allgemeine Landesgesetze"61. Im übrigen wurde auch im angelsächsischen Raum, der - nicht nur, aber auch - von vielen Vertretern des Allgemeinen Staatsrechts als leuchtendes Beispiel erstrebenswerter staatsrechtlicher Verhältnisse 62 angesehen wird, wobei man für diesen rechtsvergleichenden Aspekt selbstverständlich immer die weitaus fortschrittlicheren konstitutionellen Umstände dort im Auge behalten muß, dem naturrechtlichen Anspruch der Schaffung von Verfassungsrecht damit begegnet, daß auf die althergebrachten Rechte verwiesen wurde, wie sie in der Magna Charta oder der B i l l of Rights enthalten waren 63 . Insofern konnte die naturrechtliche Argumentation dort nur schwer Fuß fassen und wurde vom historischen Ansatz überlagert. Zu beobachten ist dies beispielsweise sogar bei dem berühmten Oxforder Rechtsgelehrten Sir William Blackstone, der insbesondere dem staatsrechtlichen Teil seiner „Commentaries on the Laws of England" 6 4 von 1765-1769, der ersten systematischen und geordneten Darstellung des gesamten englischen Rechts seit dem Mittelalter 6 5 , zwar einen naturrechtlichen, an das Allgemeine Staatsrecht erinnernden Vorspann voranstellt und ihn auch nach Kriterien des Allgemeinen Staatsrechts ordnet, was für die englischen Verhältnisse durchaus ungewöhnlich war und ihm in der Folge herbe Kritik eintrug 6 6 , dann aber die konkreten Ergebnisse als eine Sammlung des althergebrachten Rechts verstanden wissen w i l l 6 7 . Insgesamt kann man für die große Mehrzahl der Kritiker des Allgemeinen Staatsrechts und insbesondere für die „Traditionalisten", eine gemeinsame, ihrer gesamten Kritik - unabhängig von der sonstigen rechtlich-dogmatischen oder auch politisch-praktischen Begründung - zugrundeliegende 61

Moser, Der jetzige Hang zu allgemeinen Gesetzen und Verordnungen ist der gemeinen Freiheit gefährlich, S. 25. 62 Vgl. etwa Justi, Natur und Wesen der Staaten, S. 171, oder auch DippeU Horst, Germany and the American Revolution, A sociohistorical investigation of late eighteenth-century political thinking, Wiesbaden 1978, S. 209. 63 Z.B. Edmund Burke, vgl. Dickinson , The Theory of Natural Rights, S. 41 64 1. Aufl., Oxford 1765-1769. 65 Jones, G. (Hrsg.), The Sovereignty of the Law, Edinburgh 1973, S. 27. 66 Boorstin , D. J., The Mysterious science of the Law, S. 190, Jones, S. 36. 67 Blackstone, u.a. S. 9, 30f., 35.

282

7. Kap.: Die - zeitgenössische - Kritik am Allgemeinen Staatsrecht

Tendenz ausmachen, indem sie nämlich versuchen, das Allgemeine Staatsrecht dadurch zu diskreditieren, daß sie seine - wie bereits gesehen zumindest potentiell radikalen und revolutionären - Grundsätze konsequent zu Ende denken und diese in ihrer ganzen Radikalität auf die bestehenden Strukturen anwenden, um auf diese Weise ein düsteres und gefährliches Bild von der - vermeintlichen - praktischen Wirkung und Gefahr des Allgemeinen Staatsrechts zu zeichnen. Dabei wird - wohl absichtlich - die reformorientierte Grundtendenz verkannt, die in der Praxis Revolution und Radikalität gerade vorbeugen und verhindern wollte und sollte. Denn wenn auch die Grundlagen des Allgemeinen Staatsrechts vom Ansatz her, gerade im historischen Kontext seiner Zeit, in der Tat revolutionär gewesen sein mögen, so sind sie in der Ausgestaltung durch die Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts ihrer Schärfe in aller Regel beraubt, nachdem insbesondere das Widerstandsrecht des Volkes lediglich als Konsequenz der Staatsvertragslehre dargestellt und eventuell zur Erhöhung des reformerischen Drukkes abgehandelt wird, nicht jedoch als reale oder gar befürwortete tatsächliche Option.

Zusammenfassung und Auswertung Das Allgemeine Staatsrecht hat seine Wurzeln in der Philosophie der Aufklärung und entspringt deren Gedankengut als der staatsrechtliche Zweig des Naturrechts. Seine Entstehung als eigenständiges Rechtsgebiet und Lehrfach der Rechtswissenschaft verdankt es insbesondere seiner Abgrenzung von der Politik. Der erste, der diese Trennung bewußt und auf dieses Ziel gerichtet durchführt, ist der Niederländer Ulric Huber mit seinem Werk „De Jure Civitatis libri très" im Jahre 1672. Als ungeschriebenes, im Sinne von nicht formell durch Gesetzgebungsakt gesetztes Staatsrecht erklärt und begründet es den absolutistischen Staat der Neuzeit, gibt ihm aber gleichzeitig ein seine Machtentfaltung im Inneren einschränkendes System von verbindlichen Rechtsnormen und leitet schließlich seine Umwandlung in einen modernen, verfassungsrechtlich geprägten Rechtsstaat ein. Dies wird bereits unmißverständlich in Ulric Hubers „De Jure Civitatis libri très", offenkundig. Dieses Werk gibt Methode, System und Inhalt des Allgemeinen Staatsrechts vor, ebenso wie den grundsätzlichen Anspruch des Allgemeinen Staatsrechts auf normative Geltung, und begründet eine mehr als hundertjährige Tradition für ein von der Wissenschaft erarbeitetes, in seiner Blüte weitgehend universell akzeptiertes und geltendes Staatsrechtssystem. Inhaltlich werden aus dem anfänglichen allgemeinen Bemühen um die Begrifflichkeit des Staates und dem Bestreben, dessen mannigfaltige tatsächliche Erscheinungsformen zu ordnen und in einem System zu vereinigen, durch die Bearbeiter des Allgemeinen Staatsrechts auf dem Wege der Formulierung bestimmter - rechtlicher und auch als solche verstandener Regeln und Normen, an die die Betroffenen, nämlich Herrschende und Beherrschte, sich halten müssen, die Beziehungen zwischen Staat und Bürger und die Organisation des Staates auf eine rechtliche Grundlage gestellt und also aus einem faktischen Gebilde oder Phänomen ein juristisches. Dazu wird ganz generell von der Gültigkeit des Allgemeinen Staatsrechts als von der Wissenschaft herausgearbeitetem, zwar nicht durch einen förmlichen Gesetzgebungsakt geschaffenem, aber dennoch allgemein anerkanntem und insbesondere allgemeingültigem Recht ausgegangen, das ebenso zum Staatsrecht gehört, wie das partikulare positive oder das Gewohnheitsrecht. Die Forderung nach der Vereinbarkeit staatlichen Handelns mit den

284

Zusammenfassung und Ausweitung

Rechtssätzen des Allgemeinen Staatsrechts eröffnet dabei die Möglichkeit der Rechtmäßigkeitskontrolle dieses staatlichen Handelns anhand eben jener Rechtssätze. Methodisch entwickelt das Allgemeine Staatsrecht diese aus der als normativ verstandenen Staats- oder Herrschaftsvertragslehre und entwickelt die sich aus ihr insbesondere im Hinblick auf den abstrakt bestimmten Staatszweck, das Allgemeinwohl, ergebenden juristischen Konsequenzen. Bemerkenswert ist dabei, daß die rechtlichen Einschränkungen der Fürstenmacht durch das Allgemeine Staatsrecht etwa im Falle Hubers bereits zu einer Zeit eingefordert werden, als jene absolutistische Fürstenmacht, ausgehend vom Frankreich Ludwigs des XIV., nachgeahmt in ganz Europa, gerade ihren politischen Höhepunkt erlebt, und bereits im Jahre 1739 etwa der bedeutende Naturrechtslehrer Adam Friedrich Glafey knapp und prägnant - gewissermaßen als herrschende Doktrin - feststellen kann: „Es ist kein Potentat in der Welt so souverän, daß er nicht zum wenigsten die allgemeinen Regentenpflichten, so die Vernunft ex natura et fine rerum publicarum an die Hand giebt, solte zu beachten haben"1. Dies setzt sich für das Allgemeine Staatsrecht in seiner weiteren Entwicklung im 18. Jahrhundert fort und allgemein durch. Vor allem auch die Figur des Widerstandsrechts als Sanktion der Verletzung der durch das Allgemeine Staatsrecht normierten Regeln seitens des Fürsten, insbesondere jener Fundamentalgesetze, die das Allgemeine Staatsrecht unter Berufung auf die Staatsvertragslehre nicht nur mit Blick auf historisch gewachsene und belegbare, sondern auch als abstrakt aus dem Staatszweck fließend aufstellt und für verbindlich erklärt, unterstreicht den Anspruch des Allgemeinen Staatsrechts als gültiges, anwendbares Recht mit Rechtsfolgenwirkung und seinen entsprechenden Durchsetzungswillen, wenn auch die praktische Relevanz gerade dieses Widerstandsrechts für das Allgemeine Staatsrecht selbst aufgrund der vorwiegend staatstragenden, gemäßigten und reformorientierten Grundhaltung seiner Bearbeiter als gering einzuschätzen ist. Tatsächlichen Einfluß und Wirksamkeit in der Praxis konnte das Allgemeine Staatsrecht jedoch auf mannigfaltige Weise erlangen. Dies geschah vor allem durch die „klassischen" aufklärerischen Mittel der Erziehung, und zwar der Fürsten einer-, sowie der staatstragenden Oberschicht andererseits. Mit fortschreitendem Eingang in das allgemeine Rechtsverständnis der Zeit und umfassender Akzeptanz in Führungsschicht und Volk mußte sich naturgemäß auch die normative Kraft des Allgemeinen Staatsrechts verfestigen und praktische Wirkung im Verfassungsleben des aufgeklärten neuzeitlichen Territorialstaates des 18. Jahrhunderts entfalten. Daß dies auch wirklich 1

Glafey, Vollständige Geschichte des Rechts der Vernunft, S. 1.

Zusammenfassung und Ausweitung geschehen ist, läßt sich anhand etlicher Beispiele demonstrieren und belegen. Vor allem gibt aber das Allgemeine Staatsrecht dem Inhaber der höchsten Gewalt jenes aufgeklärten neuzeitlichen Territorialstaates ein rechtliches Gerüst an die Hand, in dessen Rahmen er die an ihn gestellten Aufgaben in rechtmäßiger - zur öffentlichen Diskussion gestellter und, auch infolgedessen, weitgehend akzeptierter - Weise wahrnehmen und bewältigen kann. Das Allgemeine Staatsrecht hat also einen wesentlichen Beitrag geleistet zur Verrechtlichung des Staates in der Neuzeit. Einerseits hat es, ausgehend von der grundsätzlichen Freiheit und Gleichheit des Individuums, über die Figur des Gesellschafts- und Herrschaftsvertrages die Bestimmung der Freiheits-, Grund- und Menschenrechte 2 geleistet. Andererseits hat es - darauf aufbauend - über die Bestimmung des Staatszwecks und des Staatsbegriffs die Staatsaufgaben und die Staatsorganisation auf eine rechtliche Grundlage gestellt. Insoweit ist es ein bedeutender Meilenstein auf dem Weg zur Rechtsstaatlichkeit. Die von einer allgemeinen Überzeugung sowohl bei Regenten und Staatsbediensteten als auch bei den Staatsbürgern von der Richtigkeit und Verbindlichkeit seiner Prinzipien getragene Staatspraxis und die Reformen von oben verliehen dem absolutistischen Staat ein hohes Maß an Stabilität, Rechtssicherheit und Legitimation. Dadurch hat es entscheidend zu einer kontinuierlichen Rechts- und Verfassungsentwicklung beigetragen und die Gefahr einer Revolution wie der in Frankreich abgewendet. Dabei muß man das Allgemeine Staatsrecht als Produkt seiner Epoche verstehen und seine feste Verwurzelung im Gedankengut der Aufklärung hervorheben. Man kann feststellen, daß es tief i m Bewußtsein der Zeit eingegraben gewesen sein muß, daß der Fürst rechtmäßig zu handeln hat im Sinne von Recht, nicht von Moral, daß er an allgemeine Rechtsregeln, wie sie ihm das Allgemeine Staatsrecht für seine Regierungsgeschäfte an die Hand gab, gebunden war und daß ein etwaiger Rechtsbruch Konsequenzen haben würde. Dieser Gedanke findet im Allgemeinen Staatsrecht zugleich seinen Ausdruck wie auch seine Förderung. Dennoch führte seine Verbreitung und Durchsetzung letzten Endes von der Begründung des Absolutismus zu dessen Überwindung. Mit dem Ende der Epoche des aufgeklärten Absolutismus und der aufkommenden Konstitutionalisierung verlor das Allgemeine Staatsrecht seine Bedeutung und Akzeptanz. Der allgemeine Konsens, mit dem es zuvor für Stabilität und Rechtssicherheit i m Staat eingetreten war und gesorgt hatte, zerfiel mit der fortschreitenden Entwicklung, die die maßgeblichen am Verfassungsleben beteiligten Kräfte aufspaltete insbe2

Schmale, Das Naturrecht in Frankreich zwischen Prärevolution und Terreur, S. 17 spricht deshalb in diesem Zusammenhang davon, daß die Menschenrechtserklärung wegen ihrer naturrechtlichen Grundlegung der „mentalitätsgeschichtliche Abschluß" des Ancien Régime gewesen sei, kein Neubeginn.

286

Zusammenfassung und Auswetung

sondere in Befürworter einer positiven Verfassungsgebung einerseits, denen das Allgemeine Staatsrecht als zu flexibel und nachgiebig erscheinen mußte und andererseits in die restaurativ-reaktionären Kreise, denen die Forderungen des Allgemeinen Staatsrechts schon zu weit gingen und die darin immer schon die Revolutionsgefahr mitschwingen sahen, wie sie sich in Frankreich manifestiert hatte. Insgesamt jedoch hat das Allgemeine Staatsrecht, indem es das juristische Handwerkszeug für einen Ausgleich von Allgemeinwohl- und Privatinteressen auf rechtlicher Basis geliefert hat, einen gar nicht hoch genug einzuschätzenden Beitrag zur Etablierung unseres auch heute noch keinesfalls überall und immer selbstverständlichen Prinzips der Rechtsstaatlichkeit geliefert. Besonders schön faßt aber bereits ein Zeitgenosse und herausragender Vertreter des Allgemeinen Staatsrechts, der maßgebliche Mitarbeiter an der preußischen Kodifikation und preußische Fürstenerzieher Carl Gottlieb Svarez, jene wichtigsten Aspekte der Bedeutung des Allgemeinen Staatsrechts wie folgt zusammen: „Es gab endlich ... eine Zeit, da die Regenten und ihre Ministers es für äußerst gefährlich hielten, wenn die Pflichten der Obergewalt im Staat und die Rechte der Untertanen zum Gegenstande öffentlicher Verhandlungen in Büchern und Schriften gemacht wurden, wenn ein Schriftsteller sich einfallen ließ, zu behaupten und wohl gar zu beweisen, daß nicht das Volk um des Regenten willen, sondern der Regent um des Volkes willen da sei, daß die Rechte des Regenten sich nicht auf seine unmittelbare göttliche Einsetzung, sondern auf seine Pflicht, sein Volk glücklich zu machen, gründen und daß der Regent, sobald er Tyrann werde, sich des Rechts, Gehorsam von seinen Untertanen zu fordern, selbst verlustig mache. Und gleichwohl können wir von dem Zeitpunkt an, wo diese Meinungen ... lauter und freimütiger haben vorgetragen werden dürfen, die Periode datieren, da unsere Fürsten angefangen haben, sich mehr um die Glückseligkeit ihres Volkes zu bekümmern, die natürliche und bürgerliche Freiheit zu schonen, sanft, gelinde und wohltätig zu regieren und die Festigkeit der Throne mehr auf die Zuneigung ihres Volks und dessen innere Überzeugung von der Güte der Staatsverfassung als auf einen blinden sklavischen Gehorsam zu gründen"3.

3

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Personen- und Ortsverzeichnis Achenwall 80 Althusius, Johannes 54, 64 Aquin, Thomas v. 51, 68 Aristoteles 19, 24, 51, 58, 87 Augustinus 19, 51, 68, 245 Beck, Christian August 180, 197, 199 Berlin 70, 77, 168 Bielfeld, Jacob Friedrich v. 139 Blackstone, William 281 Bodin, Jean 26, 52, 54 Böhmer, Justus Henning 22, 30, 33, 63, 64jf., 214, 215, 223, 239, 243 Brautlacht, Georg 57 Brunnquell, Johann Salomo 32, 33, 35, 41, 42, 44, 47, 165, 190, 217, 239, 254 Burgund 222

66,

Carmer, Johann Heinrich Casimir v. 77 Cicero, Marcus Tullius 51 Cotta, Christoph Friedrich 186 Cromwell, Oliver 52 Dänemark 52 Darjes, Joachim Georg 77 Duisburg 71 Eberhard, Johann August 264 Eggers, Christian Ulrich Detlev v. 210 Eggers, Georg Wilhelm v. 33, 79, 131, 148, 152, 166, 178 Eggers, Heinrich Friedrich v. 79 Feuerbach, Paul Johann Anselm v. 29 Franeker 30, 53, 64, 85

Frankfurt an der Oder 77 Frankreich 15, 52, 114, 202, 212, 241, 243, 263, 264, 284, 285, 286 Fredersdorff, Leopold Friedrich 49, 166, 193 Friederich II., der Große 52, 70, 196, 205, 235 Friedrich Wilhelm I. 205 Friedrich Wilhelm II. 200 Friedrich Wilhelm III. 78, 196, 206 Friesland 64, 85, 104 Fritsch, Gottfried Ernst 35, 68f., 220 Glafey, Adam Friedrich 284 Gonne, Gottlieb 269, 275, 278, 280 Göttingen 22, 40, 66, 70, 79, 239 Gribner, Michael Heinrich 43, 137, 173, 177, 192, 199 Grodno 198 Günther, Christian August 189,251 Halle 22, 65, 80, 204, 205, 239 Heidelberg 23, 24, 64 Heinrich V. 70, 222 Herborn 71 Hertius, Nicolaus 66 Hoffmann, Gottfried Daniel 28f. Horn, Johann Friedrich 61, 63 Huber, Ulric 13, 50, 53, 55, 56, 57, 58, 59, 61, 63, 64, 65, 69, 70, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 101, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 131, 136, 137, 143, 145, 149, 151, 157, 164, 170, 173, 174, 176, 178, 188,

Personen- und Ortsverzeichnis

303

Ingolstadt 72, 73 Innsbruck 72, 80

Moser, Friedrich Carl v. 81 Moser, Johann Jacob 228, 268, 273, 278 Moser, Justus 268, 278, 279, 280 Moses 51, 122 München 72

Jena 64, 66, 68, 69, 75, 239 Joseph Π. 52, 79, 197, 199, 212, 224 Justi, Johann Heinrich Gottlob v. 70f., 76

Nettelbladt, Daniel 45, 60, 61, 134, 203, 219, 226, 227, 230, 275, 276, 277 Niederlande 28

Kahrel, Hermann Friedrich 77/, 165, 221, 233 Kant, Immanuel 16, 27, 32, 34, 38, 127, 154, 170, 255, 261, 270 Karl V. 236 Katharina die Große 80, 203 Klein, Ernst Ferdinand 167 f Knesebeck, Christian Matthias 222 Konfuzius 51 Krause, Johann Christoph 204, 240, 242, 275 Kreittmayr, Wiguläus Xaverius Aloysius v. 72f., 203, 219

Oertel, Abraham Jacob 158 f., 171, 185, 221 Osnabrück 279

191, 215, 221, 228, 229, 231, 232, 235, 243, 253, 254, 255, 261, 271, 283, 284

Leipzig 43, 66 Leopold II. 72, 197, 202 Leyden 72, 143 Livius, Titus 58 Locke, John 52 Ludwig XIV. 243,284 Luther, Martin 52

69f., 131 f.,

Perezius, Anton 54 Plato 19,24,51 Plutarch 51 Pufendorf, Samuel 23 f., 52, 58, 63, 65, 84 Pütter, Johann Stephan 11, 17, 80, 170, 223 Riegger, Paul Joseph 72 Rousseau, Jean Jacques 52, 156

Sallust 51 Salomon 51 Salzburg 20, 22, 66, 67, 72, 147 Scheidemantel, Heinrich Gottfried 35, 38, 40, 46, 51, 58, 75ff, 153, 165, 178, 189, 199, 203, 259, 271 Scheidemantel, Johann Jacob 75 Machiavelli, Giacomo 25, 29, 30, 51, Schlosser, Johann Georg 167 f., 274 260 Schlözer, August Ludwig 40, 79ff, Majer, Johann Christian 191, 215, 276 174, 231 Marburg 64, 71 Schmauß, Johann Jacob 216, 226, 268, Maria-Theresia 72 272, 277 Martini, Karl Anton v. 23, 73ff., 166, Schmier, Franz 20, 22, 66ff, 153 193, 197, 202, 203, 224, 273 Schwarz, Ignatius 267 Martini, Karl Ferdinand v. 73 Seckendorf^ Veit Ludwig v. 19 Montesquieu 52, 71, 269 Sokrates 51 Morus, Thomas 51

304

Personen- und Ortsverzeichnis

Solon 51 Spener, Jacob Karl 21, 229 Stanislas August (von Polen) 198 Steger, Adrian 221, 225 Straßburg 64 Svarez, Carl Gottlieb 77/, 148, 149, 154, 168, 192, 196, 197, 199, 204, 205, 208, 209, 211, 234. 286 Sylt 79 Tacitus 51,58 Theophrast 51 Thomasius, Christian 13, 22, 58, 62, 63, 65, 82, 233, 238, 239 Tondern 79 Utrecht 64,72

Vattel, Emer de 212 Vittriarius, Johann Jacob 143 Wedekind, Karl Friedrich 198, 263 Wegrow 75 Wetzlar 72 Wien 22, 69, 70f., 73 f., 80, 180 Wilhelm IV. von Oranien 71 Wittenberg 43, 70, 79 Wolff, Christian 23, 45, 52, 219, 272, 277 Xenophon 51 Zedier, Johann Heinrich 61, 126, 130 Ziegler, Caspar 58, 60, 61, 63, 65 Zwingli 52

Sachwortverzeichnis Absolutismus 145, 151, 174, 238ff., 261, 285 Allgemeine Staatslehre 12 Allgemeines Gesetzbuch für die Preußischen Staaten (AGB) 202ff., 234, 264 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) 78, 204ff., 234 Allgemeingültigkeit s. Anspruch (auf) Allgemeinwohlbeförderung 36, 163, 165, 241, 243 Anarchie 108, 260, 261, 262, 266 Anspruch (auf) - Allgemeingültigkeit 36, 37, 55, 138, 157, 213, 233, 272, 273 (s. a.. Universalität) - Eigenständigkeit 24, 45, 56 - normative Geltung 14, 16, 34, 42, 66, 78, 84, 120, 124, 126, 133, 144, 147, 148, 163, 171, 184, 186, 190, 194, 195, 199, 201, 209, 210, 243, 247, 270, 276, 283 Aufklärung 17 ff., 49, 140, 151, 157, 169, 194, 196, 200f., 215, 238ff., 250, 254, 257, 283, 284 Auswanderung 66, 67, 114f., 181 Beamtenschaft 88,239 Bill of Rights 281 Bundesverfassungsgericht 142 Bürger 1, 21, 37, 60, 72, 74, 95, 97, 113ff., 128, 132, 150, 160, 162, 165, 167, 169, 173, 175, 185, 189, 191, 199, 203, 205, 207, 210, 250, 254, 265, 272, 283 Cäsarianer 225 (s. a. Fürstenianer) Constitutio Criminalis Carolina 236 20

Schelp

Corpus Juris Justiniani 53, 132 Daseinsvorsorge 167 Dekalog 123 Demokratie 99ff., 263 Despot 30, 176f. Despotie 176 Digesten 151 dominium eminens 91 Dreißigjähriger Krieg 52, 117, 243 Durchsetzbarkeit 140 ff. Eigenständigkeit s. Anspruch (auf) Erbfolge 49, 95, 103f. Ersatzverfassungsrecht 186, 187 Feudalverhältnis 88 f. Flächenstaat 25, 225 Freiheitsrechte 149, 152, 162, 169, 174, 230, 235, 249, 258, 285 Freiheitssicherung 168, 248 Fundamentalgesetze 43, 69, 89, 94ff., 152, 154, 158, 159, 176ff, 182, 186, 188 f., 221, 225, 233, 247, 269, 284 Fürstenerziehung 196ff. Fürstenianer 225 (s. a. Cäsarianer) Geltung, normative s. Anspruch (auf) Gerechtigkeit 31 ff., 94, 116, 130, 132, 171, 244, 254 Geschichte 21, 37, 38, 39, 46f., 51, 72, 75, 80, 85, 155, 204, 215 Gesellschaftszweck 41 (s. a. Staatszweck) Gesetzesvorbehalt 189 Gesetzes vorrang 194 Gesetzkommission 78,210,211,234

306

arverzeichnis

Gewaltenteilung 57, 71, 93, 180 Gewohnheitsrecht 131, 141, 203, 283 Glorious Revolution 212 Glückseligkeit 33, 41, 43, 44, 71, 165ff., 206, 218, 243, 247, 255, 256, 258, 267, 274, 286 Grundrechte 248, 285 (s. a. Individualgrundrecht)

Macchiavellisten 143ff., 260 Machtspruchverbot 79, 199ff., 209, 211 Magna Charta 52, 281 Majestätsrechte 43, 55, 61, 65, 70, 72 ff., 88ff, 118, 163, 193, 202, 218, 272 Menschenrechte 241, 251, 252, 258, 285 Mittwochsgesellschaft 168

Handelskompanien 115 Hilfsmittel 133,214 Hilfswissenschaft 39 f., 46, 48 Hugenotten 114

Modernisierung (des Staates) 29, 242ff.

Imperativ, kategorischer 27, 147 Individualgrundrecht 167, 249, 253 (s. a. Grundrecht) Investitur 70, 221

Moraltheologie 19, 267

judicial review 179 Juristenausbildung 239 jus civile 121 f., 124 jus civile divinum 210 jus divinum 122 ff. jus gentium 112, 121 ff. jus naturae 136, 272, 277 jus naturale 19, 132, 137, 273 jus privatum 121 jus publicum 57f., 121 Justizreform, preußische 77, 239, 240 Kirche 87, 110ff., 223 Kodifizierung 72, 143, 201, 208 Konfliktbewältigung 178 f. Konstitutionalisierung 285 Kronprinzenvorträge 78, 148, 168, 192, 196, 197, 204, 234 Legitimationskraft 257 Legitimität (von) - Erbfolge 103 - Herrschaft 14, 248 - Widerstand 212 Lehenspflicht 229

Monarchomachen 260 Moral (Abgrenzung zu „Recht") 30, 59, 62, 63, 120, 126ff, 244, 267 f., 285

Naturrecht 1, 17ff, 35, 38, 40, 42f., 49 f., 52, 59, 62, 73, 95, 121 ff., 136ff., 172, 190, 197, 203, 205, 212, 219, 229, 253, 263, 270, 278, 283 Naturzustand 67, 87, 94, 99, 145, 146 f., 150ff, 160 ff., 180, 230 Nichtigkeit 171, 200 Normenkontrollfunktion 189 Nützlichkeit 25, 30, 38, 54f., 173, 198, 242, 244 (s. a. Zweckmäßigkeit) Philosophie 11, 17, 21, 23, 24, 27, 39, 45f., 59, 133, 155, 265, 272, 278, 283 - praktische 17, 127 Politik 13, 77, 21, 24, 80, 84, 98, 104, 127, 148, 150, 198, 232f., 240, 242, 244, 257, 267, 283 (s. a. Staatsklugheit und Staatsraison) - Abgrenzung von 25, 62 f., - als Hilfswissenschaft 35 ff. - Trennung von 29ff., 55ff. Prätendenten-Streit 249 Privatrecht 48f., 53, 85, 93, 112, 132, 143f., 159 Privilegien 96, 231f., 247, 280

Sachwoitverzeichnis Quellen 39f., 46f., 72, 76, 124, 13Iff., 143, 186, 190 Rebellion 14, 175 Recht - gemeines 48ff, 85, 143f., 202 - positives 42, 46, 58, 132, 135, 141, 186ff, 194, 201, 277, 279, - römisches 48f., 64, 85, 180, 237 - überpositives 191, 193, 249, 277 Rechte (wohlerworbene) 81, 97, 199, 230f. Rechtmäßigkeit 34, 55, 119, 142, 148, 149, 169, 170, 177, 183, 250, 265 Rechtmäßigkeitskontrolle 36, 156 f., 182, 252 Rechtmäßigkeitsvermutung 176, 183, 252 Rechtsbruch 32, 261, 285 Rechtscharakter 33, 34, 55, 56, 63, 84, 126, 130, 133, 140, 148, 195 Rechtsfähigkeit 169 Rechtsordnung 182, 183, 192, 193, 211, 279 - positive 194 - objektive 120, 170, 192 - systematische 120, 201 - ungeschriebene 169ff. - verbindliche 78 Rechtsqualität 12, 45, 66, 72, 126ff., 172, 184, 194, 198, 210, 258, 269 Rechtsquelle 27, 133, 186 Rechtsschöpfung 126, 134, 142 Rechtssicherheit 86, 99, 113, 164, 200, 219, 252, 285 Rechtsstaatlichkeit 15, 32, 191, 283, 285, 286 Rechtsstaatsgebot 173, 194 Rechtssubjekt 95, 96, 249 Rechtsüberzeugung, allgemeine 137, 138, 141, 142 Rechtsunterricht 64, 73, 197f. Rechtsverletzung 171 20*

307

Rechtswissenschaft 14, 27, 28, 31, 38, 46, 60, 120, 130ff., 136, 144, 265, 283 Reform 15, 197, 213, 236, 243, 257, 259, 262, 263, 266, 285 Reformation 1, 19, 40, 52 Regierungsform 21, 36, 55, 65, 67, 71, 77, 79, 83, 94, 99, 101ff., 152, 177, 225, 228, 262 Reichskammergericht 72, 180, 232 Religionsgemeinschaften 223 Religionskriege 52, 110 Revolution 14, 15, 77, 212, 257, 260, 261, 262, 263, 265, 266, 282, 285 - amerikanische 212 - französische 14, 160, 173, 212, 260, 263, 264 Rezeption 15, 48, 50, 174, 202, 203, 212 Sanktion 155, 171 ff., 201, 285 Scholastik 19 Souveränität 26, 28f., 52, 60f., 109, 118, 141, 152, 157, 160, 177, 180, 182, 193, 221, 215, 225, 227ff, 232, 246 Souveränitätsanspruch 207 Souveränitätsgedanke 200, 246 Souveränitätslehre 228, 242, 261 Souveränitätsrechte 223, 226 f. Sozialstaatsgedanke 167, 209 Sozialtrieb 87, 94 Staatenbund 90 Staatsbegriff 73, 76, 83, 86ff, 90, 164, 165, 225, 228, 285 Staatsform 24, 72, 74, 97 f., 276 Staatsgewalt 14, 21, 88, 111, 120, 161, 217, 218, 224, 255 Staatsgründung 37, 72, 73, 74, 78, 80, 94ff, 114, 116, 145, 146, 150ff., 161, 248, 251, 269 Staatskirchenrechtssystem 224 Staatsklugheit 28, 38, 39 (s. a. Politik und Staatsraison) Staatsorganisation 55, 285

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arverzeichnis

Staatsraison 25, 29/, 170, 173 (s. a. Politik und Staatsklugheit) Staatsrecht -besonderes 11 f., 39, 47, 104, 186, 219, 227, 278 - positives 11, 27, 48, 757/., 134, 201, 214, 216, 219, 249, 278 Staatsverfassung 11, 24, 38f., 77, 93, 153, 202, 210, 227, 228, 237, 257, 262, 266, 273, 279, 286 Staatsvertragslehre 27, 55, 78, 83, 94, 96, 150ff., 169, 172, 174, 183, 188, 194, 202, 206, 207, 233, 236, 247j^, 264, 269, 274, 282, 284 Staatszweck 36, 65, 73 f., 87, 94, 96, 98, 129, 150, 161, 162jf., 167ff., 172, 174, 188, 206f., 209, 230f., 235, 241, 243, 245, 247, 249, 251, 254 ff., 284 f. Stabilisierungseffekt 252 Stände 65, 114, 115, 152, 178, 179, 213, 227ff., 233, 244, 246ff., 278 Statistik 38, 50f, 79, 204 Steuern 92, 118, 129 summa potestas 88 ff. Systematisierung 37, 55, 116, 142, 214jf. Systembildung 36 Tagespolitik 37, 220 Territorialstaat 25, 29, 84, 208, 239, 284 f. Theodizee 19 Theologie 19, 40f, 71, 79, 109 Todesstrafe 74, 101, 109, 191, 235 Tradition 16, 17, 57, 78, 283

Traditionalisten 268, 279, 282 Tyrann 52, 705jf., 174ff., 286 Universalität 36, 55, 133, 137, 217 (s. a. Anspruch auf Allgemeingültigkeit) Verfahrensrechte 192 Verfassungspositivismus 14 Verfassungsrecht 14, 27, 141f, 170, 185, 188 f., 195, - positives 27, 187, 189, 195 - überpositives 186 - ungeschriebenes 27, 170 Verfassungsrechtsqualität 187 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 164, 169f., 181, 250 Verrechtlichung 25, 29, 167, 205, 231, 233, 240, 245, 246, 254, 285 Verrechtlichungseffekt 86, 150 Versorgungsanspruch 255 Verwaltungsrecht 142 Verwissenschaftlichung 19, 37, 215 f. Völkerrecht 20, 24, 54, 64, 65, 72, 73, 74, 76 f., 95, 116, 118, 123, 158, 186, 214, 217, 229ff., 275 Widerstandsrecht 52, 77, 83, 100, 105ff., 141, 172ff, 211, 212, 252, 282, 284 Wohlfahrt 155, 166, 170, 223, 254ff. Zünfte 225 Zweckmäßigkeit 29, 30, 31, 55 f. (s. a. Nützlichkeit)