Der Wucher: Eine socialpolitische Studie [1 ed.] 9783428562190, 9783428162192

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Der Wucher: Eine socialpolitische Studie [1 ed.]
 9783428562190, 9783428162192

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Der Wucher Eine socialpolitische Studie Von Leopold Caro

Duncker & Humblot reprints

Der Wucher.

Der Wucher.

Eine socialpolitische

Studie

Dr. Leopold Caro.

Leipzig·, Verlag

von Duncker 1893.

&

Humblot.

Alle Rechte vorbehalten.

Sr.

Η ο c h w ο h 1 g e b ο r e li

Herrn Dr. Thaddäus von Pilat, Professor des Verwaltungsrechts u n d der Statistik u. s. Z. Rector magnificus der Universität Lemberg, Mitglied der Krakauer Akademie der Wissenschaften, Landtagsabgeordneten, Vorstand des statistischen Bureaus i m galizischen Landesausschusse, Mitglied des österr. Eisenbahnrates etc. etc.

als Zeichen

treuer E r g e b e n h e i t u n d a u f r i c h t i g e r

Verehrung

widmet dies Buch der

Verfasser.

Vorwort. Mein Essay:

„Die Judenfrage

eine ethische Frage"

(Leipzig, Fr. W. Grunow 1892),

das an Stelle des bis-

herigen,

aber total unwirksamen

gewifs wohlgemeinten,

Vertuschungssystems eine andere Methode der Bekämpfung des Antisemitismus vorschlug, die Methode strenger Wahrhaftigkeit und unnachsichtlicher Preisgebung der Schuldigen, wurde von den Juden mifsverstanden und ich selbst mit niedrigen Schmähungen überhäuft;

von den Antisemiten

dagegen, deren offener aber loyaler Gegner ich stets war und bleiben w i l l ,

wurde dasselbe Buch meistens gelobt

und zum Ausgangspunkt

neuer,

von mir

gewifs uner-

wünschter und unbeabsichtigter Angriffe gegen das Judentum im allgemeinen gemacht.

Ich kann mir diesen un-

erwarteten Erfolg

die leidenschaftliche

nur

durch

Ver-

blendung deuten, die sich beider Parteien im Kampfe bemächtigt hat und jede objektive Diskussion schon im vorhinein unmöglich macht. Es ist nicht ausgeschlossen, dafs auch dieses Buch schon vermöge seines Themas einem ähnlichen Lose nicht entgehen wird.

Diese Befürchtung kann jedoch meinen

VI

Vorwort.

Standpunkt

in keiner Weise beeinflussen.

Derselbe ist

durch die Worte, die Prof. Graf Leo Piniriski am 13. Februar 1890 im

österreichischen

Abgeordnetenhause

gesprochen

hat, treffend gekennzeichnet. Ich sowohl als meine Kollegen sagte der Redner, waren bestrebt, Bestimmungen, welche gegen die unredliche Ausbeutung gerichtet

sind,

soweit

dieselben mit den allgemeinen ttechtsgrundsätzen

verein-

bar waren, durchzusetzen und es ist uns dies auch zum Teil gelungen.

In allen diesen Angelegenheiten aber traten

wir n i e d e n J u d e n entgegen, sondern immer n u r d e r Ausbeutung. Auch dieses Buch fassung fest.

hält unverrückt

an dieser Auf-

Es will den Bösewicht nicht vor dem Arm

der strafenden Gerechtigkeit in Schutz nehmen, es will die Wahrheit nicht ängstlich verheimlichen, weil sie dem oder jenem unangenehm klingen mag, es will dem allgemeinen Wohle und dem socialen Frieden dienen, indem es die immense Gefahr zu veranschaulichen trachtet, die gerade dem Gros der Bevölkerung: dem Landmann, dem Kleingewerbetreibenden und dem Arbeiter vom Wucherer droht; es will endlich zum unerbittlichen Kampf gegen denselben auffordern und eben dadurch zur Milderung bestehender Gegensätze und

zur Versöhnung der anständigen Leute

unter Christen und Juden beitragen. Für die Wissenschaft giebt es jedenfalls nur ihrer würdigen Standpunkt. Amicus Plato ,

einen

Der ist im Satze enthalten:

magis amica Veritas. Man braucht dem

armen unwissenden Dorfwucherer,

der tief in Fanatismus

und Elend steckt und sein Lebtag nichts besseres gelernt hat, seine Teilnahme nicht zu versagen und man darf ihm

VII

Vorwort.

dennoch nicht gleichgültig den Grundstock und das Mark der Bevölkerung zu ungestörter Ausbeutung überlassen. Was schliefslich die gebildeten Beschützer des Wuchertums anbelangt, welche ihre lichtscheuen Sonderinteressen als identisch mit denen der Allgemeinheit ausgeben und als die Vertreter und Wortführer des Judentums gelten wollen, so werde ich nicht aufhören,

sie nach Gebühr zu ver-

achten, wie sie nicht aufhören werden, mich auf die erbärmlichste und verlogenste Weise anzugreifen. mir bereits

Sie haben

einmal anläislich jenes Essays wider ihren

Willen so viel Freunde geschaffen, dafs ich sie nur bitten kann, mit ihren Angriffen auch fürderhin nicht zurückzuhalten.

Es wird mir eine Ehre sein, mich mit ihnen

nie eines Sinnes zu wissen. Doch genug, mehr als genug des Persönlichen — ich überlasse meinem Buche das Wort.

Entweder bedarf es

keiner Verteidigung oder es nützt ihm keine.

Jedenfalls

soll es selbst für sich sprechen.

Der Verfasser.

Inhaltsübersicht. Einleitung. Der Wucher auf dem Lande in Bayern, Baden, Westfalen, Ostpreufsen, Posen. — Die Wucherfrage in Europa und in den Vereinigten Staaten. — Die Gleichgültigkeit der Regierungen gegenüber der Landbevölkerung. — Traurige Lage der Landbevölkerung. — Aufgabe der Wissenschaft S. 1—10.

Litteratur. 18. Jahrh. S. 11. 19. Jahrh. Gegner der Wuchergesetze S. 12. Geschichtliche Arbeiten S. 12. Anhänger des kirchlichen Standpunktes S. 13. Anhänger der Wuchergesetze S. 13. Der Wucher auf dem Lande insbesondere S. 15. Erstes Kapitel.

Wucherfreiheit und Wuchergesetze. Was ist Socialpolitik? Ist die Wucherfrage eine socialpolitische Frage? S. 17. Frühere Auffassungen S. 18. Adam Smith S. 20. Jeremias Bentham S. 20. Wucherpatent Kaiser Josefs II., Turgot S. 23. Einflufs auf die Gesetzgebung in Frankreich, Code Napoleon S. 24. Traurige Folgen der Wucherfreiheit in Österreich S. 25. Wucherpatent von 1803 in Österreich S. 26. Gesetz von 1807 in Frankreich, die Motive Jauberts S. 27. Gesetz von 1850 S. 28. Antrag Jules Favre S. 29. Jean Bapt. Say, Μ. Chevalier, J. St. Mill, Mac Culloch S. 30. Kampf gegen die Wuchergesetze in ganz Europa S. 31. Reichensperger S. 33. Das preufsische Herrenhaus S. 34.

χ

Inhaltsübersicht.

Lasker, Wagener S. 35. Urteil von Rodbertus über die Wucherfreiheit S. 36. Folgen des preufsischen Gesetzes vom 14. November 1867. Entfesselung der Spekulation, Eugen Richter erklärt städtische Leihämter fur überflüssig S. 37. Das österreichische Justizministerium S. 38. Gesetz vom 14. December 1866, Jaques S. 39. Gesetz vom 14. Juni 1868, Spekulationswut in Wien, Börsenkrach S. 39. Folgen der Wucherfreiheit in Galizien, Initiative des galizischen Landtages S. 41. Galizisches Wucher- u. Trunkenheitsgesetz S. 42. Menger, Dunajewski S. 43. Umschwung der öffentlichen Meinung, Schorlemer-Alst, Schels, Solothurner Gesetz, deutsche Novelle zur Gewerbeordnung S. 45. Reichensperger, Kleist-Retzow S. 46. Ungarn S. 47. Rede Rizys im österreichischen Herrenhause 1881 S. 48. Zweites Kapitel.

Zinstaxen und moderne Wuchergesetze. Reine und komplizierte Zinstaxengesetze S. 51. Zwittergesetze S. 52. Moderne Wuchergesetze S. 53. Deutsches u. österreichisches Gesetz S. 53. Bern S. 55. Darlehenswucher, Kreditwucher, Wucher bei zweiseitigen Verträgen überhaupt S. 56. Österreichischer Strafgesetzentwurf von 1891 S. 58. Kritik der Zinstaxengesetze S. 61. Kritik der modernen Wuchergesetze, beiden Richtungen gemeinschaftliche Mängel S. 63. Statistische Ergebnisse (richtig gestellt für Deutschland in den „Berichtigungen") S. 66. Neuere Anhänger der Zinstaxen, Schweitzer, Rydzowski, Reichensperger, Graf Bismarck S. 67. Bähr, Lilienthal, Ratzinger S. 69. Enquète des Vereins für Socialpolitik, ihre Folgen, Dr. Hagen, y. Miaskowski, v. Cuny S. 70. Wirklicher Erfolg der modernen Wuchergesetze S. 71. Aufgabe des Richters S. 72. Drittes Kapitel.

Der Wucherbegriff in der Wissenschaft. Die Preisfrage Kaiser Josefs II. S. 73. Proudhon, Rodbertus, Sonnenfels S. 74. Bentham, Mill, Mario, Schäffle S. 75. Stein S. 77. Roscher, Ratzinger, Eheberg S. 80. Platter, v. Miaskowski S. 81. Das Gemeinschaftliche aller Definitionen, Verschiebung des Schwerpunktes nach der Seite des Schuldners hin, Ausdehnung des Wucherbegriffs S. 82.

Inhaltsübersicht.

XI

Viertes Kapitel.

Wesen und Begriff des Wuchers. Einführung S. 84.

A. Der Zins und die Berechtigung des Zinses. Verschiedene Definitionen des Zinses S. 85. Die Definition von Knies S. 86. Meine Definition S. 87. Böhm-Bawerk, Erklärung des Zinsproblems aus individuell-psychologischen Vorgängen S. 88. Anwendung der Grenznutzentheorie auf das Zinsproblem, Kritik derselben S. 90. Resultate S. 94. Diskretions- und Celeritätsprämie S. 96. Wert der Grenznutzentheorie für das Zinsproblem S. 99. Kapital und Zins S. 100.

ß. Die ethischen Grenzen des wirtschaftlichen Verkehrs. Freiheit und Ethik S. 101. Der Grundsatz der Bewertung der Leistung nach der Gegenleistung und der Grundsatz der Leistungsfähigkeit, Aristoteles S. 102. Thomas von Aquino, die kanonistischen Rechtslehrer S. 103. Die individualistische Schule S. 105. Reaktion gegen dieselbe S. 106.

C. Angehot und Nachfrage. Die wirtschaftlich-ethischen Grenzen des Zinses. Natürliche Zinstaxen. Gelten die obigen Gesetze auch im Bereiche des Zinses? S. 108. Angebot und Nachfrage S. 110. Die Ungerechtigkeit und Unsittlichkeit dieses Gesetzes S. 110. Bedeutungslosigkeit desselben S. 113. Aufserachtlassung desselben in der Praxis S. 114. Wofür wird thatsächlich ein Zins zuerkannt? S. 114. Heterogene Auffassung bei höheren und geringeren Einnahmen S. 116. Versuch einer Anwendung der ethischen Gesetze des wirtschaftlichen Verkehrs auf den Darlehen szins vertrag, Analogien aus dem Pachtvertrag S. 116. Österreichisches Recht, Code Napoleon S. 117. Preufsisches Landrecht S. 118. Anwendung S. 121. Die wirtschaftlich - ethischen Grenzen des Zinses S. 123. Der ortsübliche Zinsfufs, Heranziehung der Behörde S. 124. Einwände S. 125. Ansicht Jauberts S. 126. Zweckmäfsigkeitsgrundsätze für den heutigen Verkehr S. 127. Bewegliche Zinstaxen, Befugnis des Richters S. 129. Der Niedergang des Zinsfufses S. 131. Der legale Zinsfufs hat den ortsüblichen zu Grunde zu legen S. 133.

I

nhaltsübersicht.

D. Was ist Wacher? Einführung S. 135. a. Böse A b s i c h t . Aufgabe der Gesellschaft S. 136. Gefährlichkeit des Wuchers S. 137. Gleichgültigkeit der bösen Absicht für den Wohlfahrtszweck des Staates S. 138. Die menschlichen Handlungen unterliegen dem allgemeinen Kausalgesetz; hl. Augustinus, Calvin, Luther, Spinoza, Proudhon, Owen, Ferri S. 139. Die Willensfreiheit eine Hypothese S. 140. Garofalos Definition des Verbrechens, Definition von Schuld und Strafe nach Janka S. 141. Anwendung, Ausschlufs der bösen Absicht aus der Definition S. 142. b.

U n w i r t s c h a f t l i c h e E i g e n s c h a f t e n des S c h u l d n e r s .

Allgemeines Vorkommen der Notlage, des Leichtsinns wie der Unerfahrenheit , Ansicht Hagens, Anton Mengers, der Motive zum österreichischen Wuchergesetz S. 143. Schlufsforderung , Entfernung der unwirtschaftlichen Eigenschaften des Schuldners aus der Definition S. 144. c. F o l g e n des zu s t ä n d e gekommenen R e c h t s v e r h ä l t nisses für den Schuldner. Kredit- und Zug- um Zuggeschäfte S. 145. Meine Definition von Wucher und Ausbeutung S. 146. Begründung S. 147. Erpressung und Betrug S. 147. Delikte in und aufser dem Verkehr S. 148. Lohn-, Preis- und Zinswucher S. 148. Fünftes

Kapitel.

Die Bewucherung des kleinen Mannes. Besondere Darlehensgesetze für kleinere Summen in der Vergangenheit S. 150. Antrag v. Schweitzer S. 151. Ratenhandel in Österreich S. 152. Trunkenheitsgesetze S. 159. Bodenwucher S. 160. Notwendigkeit verschiedener Behandlung des armen und des reichen Mannes S. 162. Unterschied zwischen Städter und Bauer S. 163. Ergebnisse der Enquète des Vereins für Socialpolitik S. 165. Kritik derselben S. 170. Vernachlässigung der Interessen des Bauernstandes S. 172. Die Haltung der liberalen Partei in Österreich S. 173.

Inhaltsübersicht.

XIII

Sechstes K a p i t e l .

Der Wucher auf dem Lande in ftalizien. Notwendigkeit lokaler Forschung S. 176. Allgemeiner Nutzen derselben S. 177. Lage in Galizien seit 1848, Epoche der Wucherfreiheit S. 179. Zahl der exekutiven Feilbietungen, Bericht der Rechtssektion des galizischen Landtags 1874 S. 180. Behauptung Rydzowskis S. 181. Die Sprache der Bevölkerung, der Fragebogen der 1876er Kommission S. 182. Berichte der Bezirkshauptmannschaften und Bezirksausschüsse über die Wirkung des Wuchergesetzes von 1877 S. 188. Aufgabe des Verfassers S. 185.

A. Privatwucher vor dem Wuchergesetze von 1877. Anlafs zu Darlehen S. 186. Kreditverhältnisse S. 187. Zinsen S. 188. Berechnung pro Gulden und Woche S. 189. Kurze Darlehensfristen, Zweck derselben S. 190. Geschäftsgebarung, Resultat, Beispiele S. 191. Darlehen in Naturalien, Dokumente und Sicherstellung S. 192. Pactum antichreticum 193. Erstattung der Darlehen in Naturalien S. 194. Zinsen in Naturalien S. 195. Erstattung der Darlehen in Feldarbeit S. 196. Unterschied in der Behandlung unverschuldeter und verschuldeter Lohnarbeiter S. 197. Einst und Jetzt S. 198. Trostlose Lage des Landmanns S. 199. Auswanderung 200. Relativ günstiger Einflufs der Wucherbanken S. 201. Allgemeine Verschuldung, Vorschläge S. 203.

B. Privatwucher nach dem Wuchergesetze von 1877. Anfangliche Panik S. 204. Umschlag S. 205. Gröfsere Strenge der Wucherer, Risiko - (Entdeckungs-)prämie S. 206. Umgehen des Gesetzes S. 207. Zuschlag der Zinsen zum Kapital, pactum antichreticum, Nutzungskauf auf einen bestimmten Zeitraum S. 208. Pacht- und Rückkaufsverträge, Verkauf des Getreides auf dem Halm S. 209. Weidebenutzung, Naturalleistungen, Viehleihvertrag, Kramläden, Winkel-Pfandleihanstalten S. 210. Fiktiver Zahlungsort S. 212. Vorschläge S. 212.

C. Die Rustikalbank (1868—1884). I. Einleitung S. 213. Gründung, Statuten S. 215. Wirklichkeit S.217. VerzugszinsenS. 220. Fälligkeit der Raten S. 221. Pfandbriefkurs

I

nhaltsübersicht.

und Provision S. 221. Assekuranzgebühr S. 222. Faktische Höhe der Zinsen S. 228. Berechnung der Dividenden und Zinsen zu Gunsten der Mitglieder S, 228. Übervorteilung derselben S. 224. Fälligkeit der Darlehen im Todesfälle des Schuldners S. 225. Konsequenzen S. 226. Börsenspekulationen S. 227. Pfandbriefe ohne gesetzmäfsige Grundlage S. 227. Nachtragsdarlehen S. 228. Merunowicz S. 229. Vergünstigungen für die Schuldner S. 229. Verteidigungsschrift der Bank, Würdigung derselben S. 280. Philanthropischer Kothurn S. 235. Änderung der Statuten S. 236. Öffentliche Mifsstimmung, Petitionen an den Landtag, Graf Krukowiecki S. 237. Landtagsbeschlufs S. 238. Anwendung des Wuchergesetzes auf Kreditanstalten, Neuerliche Petitionen an den Landtag S. 239. Zwangseskontierung bewilligter Darlehen in Folge Geldmangels der Anstalt S. 241. Weitere Vergünstigungen für die Schuldner — auf dem Papier, Antrag Krukowiecki S. 242. Hilfe der Länderbank, Kündigung der Assignaten, Bestellung eines Kurators der Pfandbriefbesitzer S. 243. Auflösung der Anstalt, Ernennung eines Kurators, Inventuraufhahme S. 244. Neue Mifsbräuche kommen zum Vorschein, Irreführung des Landvolks, Konkurs oder Liquidation? S. 245. Das Hilfskomitee S. 246. Wahl des Liquidationskomitees, der Ausgleich, Thätigkeit des Komitees S. 247. II. Bilanz des der Landbevölkerung zugefügten Schadens: Gesamtzahl, Gesamthöhe und Durchschnittshöhe der erteilten Darlehen; Schlüsse S. 249. Rückzahlungen seit 1884 S. 250. Zahl und Höhe der erteilten Darlehen in jedem einzelnen Jahre, Schlüsse S. 251. Flächeninhalt und Schätzungswert des bei der Rustikalbank verschuldeten Kleingrundbesitzes, Durchschnittliche Verschuldungshöhe und Schätzungswert pro Joch Feld, Durchschnittsgröfse einer verschuldeten Bauernwirtschaft (Tab. A) S. 252. Bewegung der Darlehen in deu einzelnen Bezirken S. 254. Westgalizien und Ostgalizien S. 255. Bewegung der Darlehen in den einzelnen Monaten S. 256. Anteil der Rustikalbankforderungen an der allgemeinen Verschuldung des bäuerlichen Kleingrundbesitzes S. 258. Anteil an der Gesamtsumme der öffentlichen Feilbietungen S. 259. Zahl der geklagten Schuldner und der öffentlich feilgebotenen Bauernwirtschaften S. 260. Welcher Prozentsatz der galizischen Bauern war bei der Rustikalbank verschuldet? S. 261. Die Hebung des materiellen Wohlstandes die Grundbedingung des intellektuellen und sittlichen Fortschrittes S. 263.

Inhaltsübersicht.

D. Gegenwart. Statistische Ergebnisse des Wuchergesetzes für ganz Osterreich und insbesondere für Galizien (Tab. Β u. C) S. 265 u. 266. Beleuchtung derselben S. 267. Abnorm hohe Anzahl der Bagatellprozesse S. 271. Typische Wucherfälle aus der letzten Vergangenheit S. 273. Trostlose Lage insbesondere in Ostgalizien S. 281. Notwendigkeit einer Enquete S. 282. A n h a n g I.

Entwurf eines Fragebogens S. 285. A n h a n g II.

Das neue deutsche Wuchergesetz S. 294. Autorenregister S. 307. Nachträge und Berichtigungen S. 309.

Einleitung. \ογ

nunmehr

vier

Jahren 1 hatte

der Verein

für

Socialpolitik über die Ergebnisse der von ihm veranstalteten Wucherenquete in Frankfurt a. M. verhandelt. landwirtschaftliche

Presse Deutschlands

hatte

Die

allerorten

den eingelaufenen Berichten beigepflichtet und dieselben als wahrheitsgetreu anerkannt;

blofs ein Teil der städti-

schen Presse und einige Gelehrte versuchten, die erzielten Resultate abzuschwächen, indem sie einzelnes herausgriffen, die angewandte Methode anfochten, die Fragestellung beanstandeten 2 .

Wenn aber jene Kritik des angewandten

Verfahrens auch in manchen Punkten begründet war, so entsprechen trotzdem die zur

öffentlichen Kenntnis ge-

langten Beschreibungen des Wuchertreibens auf dem Lande in Deutschland auch heute der Wirklichkeit.

1

am 28. und 29. September 1888. Der Wucher auf dem Lande. Eine Kritik des Fragebogens etc. von Dr. Julius Zuns. Frankfurt a. M. 1888. Zur Methodologie socialer Enqueten von Dr. Schnapper-Arndt. Frankfurt a. M. 1888. 2

Caro,

Der Wucher.

1

Einleitung.

2

Dies haben von neuem einige Publikationen der jüngsten Vergangenheit nachgewiesen. W i r entnehmen einer nach amtlichen Quellen verfafsten und im Jahre 1890 erschienenen Denkschrift über die Landwirtschaft

in Bayern 3 ,

dafs in den letzten Jahren

wohl der eigentliche Geldwucher abgenommen hat, dafs jedoch die verschiedenen Verschleierungen desselben, die Übervorteilung beim Viehkauf durch Unterhändler,

insbe-

sondere beim Viehkauf auf Borg und beim Güterhandel nach wie vor wurden

im

auftreten.

Königreich

In

den Jahren

Bayern

1880—1888

17 200 Grundstücke

129 000 ha Grundfläche zwangsweise veräufsert.

mit

Im Jahre

1886 gelangten hiervon 1348, im Jahre 1887 blofs 1111, im Jahre 1888 bereits 1514 landwirtschaftliche Anwesen zur Vergantung. Von denselben entfielen regelmäfsig 80 °/o auf den kleinen Grundbesitz. Dafs diese überraschend hohe Zahl von Vergantungen häufig auf Überschuldung infolge wucherischer Darlehen zurückzuführen ist, beweist der Jahresbericht des GeneralKomitees des landwirtschaftlichen Vereins in Bayern das Jahr 1887 (S. 7 u. 8).

für

Reichsrat Dr. Buhl wufste

noch auf der Centraiversammlung desselben Vereins am 6. Oktober 1890 von Viktualienwucher

zu erzählen und

führte beispielsweise an, dafs von einem Händler 4 Mark für den Centner Viehsalz verlangt

wurden.

Gleichzeitig

wurde über die Agitation Klage geführt, die die wucherischen Händler und Krämer, häufig mit Erfolg, gegen die

3

Die Landwirtschaft München 1890.

in Bayern.

Nach amtlichen Quellen.

Einleitung.

Konsumvereine in Scene setzen, von denen sie sich in ihrer wucherischen Ausbeutung bedroht sehen. Auf der Karlsruher vierten Abgeordnetenversammlung des Verbandes schaften

im

der

landwirtschaftlichen

Grofsherzogtum

Baden

Kreditgenossen-

erzählte H. Maier-

Bodmann am 9. April 1888 von Grundwucher und Wucher durch Übervorteilung bei Abrechnungen. Der Jahresbericht der Königlich, landwirtschaftlichen Gesellschaft zu Celle für das Jahr 1890 vermittelt uns zwei interessante Berichte der Hauptvereine über das Fortbestehen des Wuchers.

So teilt

der Hauptverein Aren-

berg-Meppen m i t , dafs der Geld wucher hauptsächlich in jenen Kreisen fortexistiere, wo sich keine Darlehenskassen befänden.

Aufser

dem Geldwucher

trete

Warenwucher

auf, hauptsächlich beim Tauschhandel von Wolle, Fellen, Butter, Eiern etc.

Der Hauptverein Osnabrück

berichtet

über Waren wucher besonders im Kreise Bersenbrück, wo am häufigsten Tauschgeschäfte von Vieh und Waren vorkommen, bei denen der Landmann übervorteilt werde. In ganz Preufsen waren im Jahre 1886 3°/o sämtlicher Zwangsvollstreckungen landwirtschaftlicher Anwesen durch Geldwucher

verursacht;

davon entfielen auf

den

4

Regierungsbezirk Kassel 25 Wucherfälle . Aus dem Osten Deutschlands sind in

den

letzten

Jahren blofs vereinzelte Fälle von Geldwucher zur öffent-

4 Dr. Arthur Cohen, Die Statistik der Zwangsversteigerungen landwirtschaftlicher Anwesen. (Allgem. Statist. Archiv red. von Dr. Georg v. Mayr 1892.)

Einleitung.

4

lichen Kenntnis gelangt 5 , um so stärker tritt jedoch der Grund wucher hervor,

um

mäfsige Gutszertrümmerer

so häufiger

kaufen gewerbs-

gröfsere Flächen Landes auf,

um sie dann in langen Handtuchparzellen von IV2—3 ha mit 5 0 % Preisaufschlag an landhungrige Bauern zu verkaufen 6 .

Nicht minder hat sich in den letzten Jahren in

Ostpreufsen eine eigentümliche und bisher zu wenig beachtete Art von Getreidewucher verbreitet, über den ein Bericht des landwirtschaftlichen Provinzialvereins für für 1889 nachstehendes Kommissionären,

mitteilt:

„Der

Ostpreufsen

Kredit bei den

den Verkaufsvermittlern,

erfordert

zu

seiner Unterlage in der Regel einen Wechsel in der angeführten Höhe des Saldos mit nur einer Unterschrift und wird im allgemeinen bis zu einer gewissen Höhe, das heifst bis zu etwa 50 Mark pro ha leicht gewährt·,

an

Zinsen werden etwa 2°/o über Bankdiskont berechnet. Es wird oder setzt,

dann entweder wenigstens dafs

der

Erzeugnisse durch

den

an

ausdrücklich

abgemacht

stillschweigend

vorausge-

betreffende Getreide,

betreffenden

Landwirt Wolle,

seine

Spiritus

Kommissionär

ver-

k a u f t , e b e n s o s e i n e n B e d a r f an D ü n g e m i t t e l n , Futtermitteln,

5

Sämereien

d u r c h dessen

Ver-

Vgl. für die 80er Jahre aufser dem Buche über den Wucher auf dem Lande (s. Litt.) „Bäuerliche Zustände in Deutschland", veröffentlicht vom Verein für Socialpolitik 1883, Bd. XXII. Der Jahresbericht des landwirtschaftlichen Provinzialvereins für Posen für das Jahr 1889 erwähnt nur einen eklatanten Fall von Geldwucher. 6 Zur ländlichen Arbeiterfrage im Osten Deutschlands, von Dr. C. A. Zakrzewski (Schmollers Jahrb. 1890, S. 899 ff.).

Einleitung.

i n i t t l u n g e i n k a u f t u n d die V e r s i c h e r u n g

gegen

Hagel und Feuer bei denjenigen Gesellschaften nimmt, treten

welche durch werden.

den K o m m i s s i o n ä r

ver-

Das Kontokurrent pflegt halbjährig,

bisweilen auch vierteljährig abgeschlossen und der Saldo einschliefslich

der ermittelten Zinsen

vorgeschrieben

zu

werden, so dais nach Verlauf von 3—6 Monaten für die Zinsen wiederum Zinsen berechnet werden und zu zahlen sind.

Dieser verhältnismäfsig

leicht zu erhaltende

und

sehr bequem zu benutzende Kredit ist s c h o n m a n c h e m Landwirt

r e c h t g e f ä h r l i c h g e w o r d e n , wenn der-

selbe in zu grofsem Umfange in Anspruch genommen wird und zu dem durch Vermittlung des Kommissionärs bewirkten

Umsatz

in

keinem

richtigen Verhältnis

steht.

Wenn die Schuld im Verhältnis zum Umsatz zu grofs ist, sich auch nicht vorübergehend vermindert und die Umsatzprovision kleiner wird, dann läfst wohl der Kommissionär aus Besorgnis für die Sicherheit seiner Forderung dieselbe hypothekarisch sicherstellen und dringt später auf Rückzahlung oder auf Verkauf des Gutes, um auf diese Weise zu seinem Gel de und Verdienst zu kommen." Geradezu verzweifelt klingen die ausführlichen Berichte, die die „Grenzboten" 1892 über das Treiben des Wuchertums in Hessen erstatteten und eine Beschreibung, die ein Artikel der „Nordd. Allgem. Zeitung" vom Jahre 1890 über den Wucher in der Provinz Posen brachte, ist so wichtig und bezeichnend für das Treiben des Wuchertums, dafs hier wenigstens einige Stellen folgen mögen : „Die Meisten glauben, der Wucher bestehe darin, sich für

bare Darlehen

dafs der Wucherer

unverhältnismäfsig hohe Zinsen

Einleitung.

6

und Konventionalstrafen versprechen läfst. den wir den e i n f a c h e n der

Wucher nennen möchten, ist

allerunschuldigste

aber ist der,

den

wir

Dieser Wucher,

Der den

regelmäfsige Wucher

betrügerischen

nennen

möchten. . . . Der polnische Bauer, der sonst mifstrauisch ist, läfst sich von dem Wucherer blindlings leiten und thut, was dieser von ihm verlangt.

Er ist ihm 100 Mark schul-

dig, eine Schuld, die durch den einfachen Wucher vielleicht verdreifacht ist. Jetzt drängt ihn der Wucherer und schlägt ihm endlich vor, er solle mit ihm zum Schiedsmann gehen und die Schuld anerkennen, dann solle er Ruhe haben.

Das thut der Bauer ganz arglos.

Es wird

ein schiedsmännischer Vergleich aufgenommen, die Ausfertigung reicht der Gläubiger sofort bei Gericht ein, beantragt die Eintragung im Grundbuche der Wirtschaft des Bauern und die Eintragung erfolgt. zu Jahr.

Das wiederholt sich von Jahr

I n jedem Vergleich wird die Schuld eben anders

eingekleidet und so wird dieselbe vier- bis fünfmal hintereinander

eingetragen.

des Bauern

subhastiert.

Schliefslich Er

ist

wird

das Grundstück

nicht imstande zu be-

weisen, dafs alle diese Forderungen, die inzwischen zum Teil in andere Hände übergegangen sind, identisch sind und er ist zu Grunde gerichtet. . . . Oder es kommt auch so vor. Ein Wechsel wird prolongiert und an dessen Stelle ein neuer ausgestellt. Der Wucherer verspricht dem Bauern, den alten zurückzugeben, thut es aber nicht oder er zerreifst

den alten Wechsel in des Bauern Gegenwart zum

Schein vor Zeugen, in Wahrheit aber zerreifst er ein anderes Stück Papier und der Wechsel wandert in andere Hände.

Prozesse,

Exekutionen,

Eintragung im Grund-

Einleitung.

buch folgen.

Die Kunst besteht hauptsächlich in der Ver-

vielfältigung

einer Forderung,

darüber

Warenschuld,

Darlehen :

werden Wechsel über Wechsel ausgestellt und

Vergleiche über Vergleiche abgeschlossen, so dafs dieselbe Forderung stets in neuer Gestalt

erscheint

Das

Raffinement ist so grofs, dafs der junge Jurist, der in die Provinz kommt, erst eine Reihe von Jahren braucht, bis er den Zusammenhang

aller dieser Manipulationen ver-

stehen lernt." Diese Beispiele werden hoffentlich

genügen, um so-

wohl die Ergebnisse der vom Verein für Socialpolitik veranstalteten Enquete vollinhaltlich zu bestätigen, als auch um darauf hinzuweisen, dafs man es bei den bestehenden Wuchergesetzen nicht bewendeil lassen dürfe und dafs erst eine Reihe präventiver und repressiver Maisregeln

dem

Wucher auf allen seinen vielverschlungenen Pfaden folgen könne. Mit jedem Jahre rückt die Wucherfrage näher und näher, eine klaffende

Wunde

des

gesamten wirtschaft-

lichen Verkehrs, ein Hemmschuh der Landwirtschaft und wird, wenn man sich die einschlägigen Verhältnisse Galiziens, 7

Ungarns,

Rumäniens,

Rufslands 7 ,

Italiens 8 ,

Ir-

Vgl. das vortreffliche, ja für die Verhältnisse von RussischPolen epochemachende Werk von Bloch: Ziemia i jéj odfuzenie. Warszawa 1891. (S. Abdr. aus der Monatsschrift: „Biblioteka Warszawska".) 8 s. insb. G. Bernardi, Die bäuerlichen Zustände Italiens. Bericht eines Augenzeugen (Schmollers Jahrb. 1881). Vidari erzählt im Jahre 1881 in Ferraris Annuario delle scienze sociali e politiche (Di alcune nuove leggi contra l'usura), dafs für einen Scheffel im November geliehenen Saatgetreides 1V4 Scheffel nach der Ernte zurück-

Einleitung.

8

l a n d s 9 , j a selbst N o r d a m e r i k a s 1 0 , vergegenwärtigt, zu einer socialen Frage

erster

Bedeutung,

die

allerseits

so

bald

als möglich erwogen zu werden verdient. D e r Bauer ist durch seinen gesunden Konservatismus, durch die T r e u e ,

mit

der er am hergebrachten Glauben

hängt, durch seinen H a n g am Bestehenden und das grundsätzliche Mifstrauen, das er j e d e r Reform, j e d e r Neuerung entgegenbringt,

allerorten

die sicherste

Stütze einer

be-

stehenden Gesellschaftsordnung. gegeben werden (Eheberg, Wucherfrage in Theorie und Praxis seit 1880 (Schmollers Jahrb. 1884, S. 836). Vgl. auch Agrarische Zustände in Italien von K. Th. Eheberg (Schriften des Vereins für Socialpolitik 1886) und Werner Sombart, Die römische Campagna. Leipzig 1888. 9 Gumbeen-mans (Landwucherer in Irland), s. insb. Julius Frei, Die irisch-englische Agrarbewegung (Schmollers Jahrb. 1880). 10 Max Sering teilt in seinem im Jahre 1887 erschienenen vortrefflichen Werke über „Landwirtschaft, Kolonisation und Verkehrswesen in den Vereinigten Staaten und Britisch-Nordamerika" mit, dais aufser einem blühenden Grundwucher in den westlichen Staaten überdies Geld- und Warenwucher namentlich beim Ankauf von Maschinen und Waren auf Kredit sehr häufig vorkomme. In den Baumwollstaaten komme es allgemein zu Verpfändung der wachsenden Ernte. Dem Preise der kreditierten Waren werden in Georgia oder Alabama gewohnheitsmäfsig 50% zugeschlagen, und infolgedessen seien 45°/o aller Farmer in Alabama hoffnungslos verschuldet; meist sei neben dem mafslos erhöhten Preis noch ein Zins von 15—20% zu zahlen. Nach dem amtlichen Jahresbericht des Commissoner of Agriculture zu Washington für das Jahr 1886 ist es in Texas eine gewöhnliche Praxis, dafs die Krämer dem Farmer einen Vorschufs von 3 $ per acre kultivierten Landes gewähren, versteht sich gegen Verpfändung der Ernte, wobei der Zinsfufs 12%, der Preisaufschlag 25—50% beträgt. Vgl. auch Annecke, Die Lage der Landwirtschaft in den Vereinigten Staaten von Nordamerika (Schmollers Jahrb. 1891 S. 385) und Ruhlands Verschuldungsstatistik von Nordamerika (Tüb. Zeitschrift 1890).

Einleitung.

Während

nun sowohl

gerechten

als

übertriebenen

Forderungen industrieller Lohnarbeiter bereitwilligst nachgekommen wird, weil dieselben sie durch die Organisation und Zielbewufstheit ihres Auftretens zu unterstützen wissen, steht der Staat,

der nur aus der Not eine Tugend zu

machen scheint, der Landbevölkerung, die in Wahrheit sein Schirm und Hort sein sollte, meist gleichgültig oder doch ratlos gegenüber und schaut mit verschränkten Armen der überhandnehmenden Verschuldung des Grundbesitzes

zu,

nicht achtend, dafs diese, wie Schmoller 1 1 schon treffend hervorhob,

eine

allgemeine Eigentumsverschiebung

und

damit auch eine Modifikation in der Verteilung von Grund und Boden zur Folge haben müsse. Eine bedrohliche Organisation von Kleingrundbesitzern ähnlich d e r industrieller Lohnarbeiter ist gewifs weder zu wünschen noch zu erwarten.

Das Landvolk begnügt sich

mit passivem Widerstand, indem es teils in stumpfsinnigen Fatalismus verfällt und den Halbreformen der Gegenwart kein Gehör schenkt, teils den stiefmütterlichen Heimatsboden verläfst, um in anderen Weltteilen ein neues Heim zu suchen. Aber eben deshalb mufs es Sache der Wissenschaft sein, dem Staate immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, was Rodbertus nahezu vor einem Vierteljahrhundert gesagt h a t 3 2 , dafs der Grundbesitz gleich dem Kapital und der Arbeit eine zweckentsprechende Gesetzgebung und angemessene Unterstützung zu fordern 11

berechtigt sei und

„Die neuesten Publikationen über die Lage des preufsischen und deutschen Bauernstandes" (Schmollers Jahrb. 1883, S. 613 u. ff.) 12 Zur Erklärung und Abhülfe der heutigen Kreditnot des Grundbesitzes von Rodbertus-Jagetzow. Jena 1869. II. Vorrede X X V I I I .

Einleitung.

10

dafs erst, wenn diese Forderung erfüllt werde, der Staat sich zu einem harmonischen Bau erheben und das Gleichgewicht i n der Gesellschaft wiederherstellen könne. Nicht Vorrechte,

blofs eigentümliche Rechte und in

erster Reihe ein besonderes Erbrecht und ein besonderes Schuldrecht verlangt der Grundbesitz.

Nicht:

Jedem das

Gleiche, sondern : Jedem das Seine mufs der Grundgedanke einer friedlichen socialen Reform werden. Und wenn nur Jeder sich damit bescheidet, dies grofse Werk in seinem beschränkten Wirkungskreis nach Kräften zu fördern, so wird der Erfolg nicht ausbleiben.

Möge es

dem Verfasser beschieden sein, die Anerkennung zu erringen, dafs er hierzu auch sein Scherflein beigetragen hat.

Litteratur. Adam Smith, Inquiry into the nature of riches of people 1776.

I. Buch 8. Kap. und I I . Buch 4. Kap.

Bentham, Defense of Usury 1787, deutsch unter dem Titel: Verteidigung des Wuchers, übers, von Eberhard.

Halle

1788. Turgot, Mémoire sur le prèt à interèt et sur le commerce de fers.

Paris 1789, auszugsweise wiedergegeben in

Joh. Arn. Günther's Versuch einer vollständigen Untersuchung über Wucher

und Wuchergesetze.

Hamburg

Sonnenfels, Über Wucher und Wuchergesetze.

Eine Vor-

1790. stellung.

Wien 1789.

Sonnenfels, Uber die Aufgabe: was ist Wucher und welches sind die besten Mittel, demselben ohne Strafgesetze Einhalt zu thun.

Wien 1789.

Kees, Über die Aufhebung der Wuchergesetze. Wien 1791. Den manchesterlichen Standpunkt vertreten: Braun u. W i r t h , Die Zinswuchergesetze vom Standpunkt der Volkswirtschaft, legislativen Politik.

der

Rechtswissenschaft

Mainz 1856.

und

der

Litteratur.

12

Berndt, Die Wuchergesetze.

Berlin 1857, 1860.

Jaques, Die Wuchergesetzgebung und das Civil- und Strafrecht.

Wien 1867.

Anonymus (Pfeifer),

Gegen die Schrift des Dr. Th. Rizy

über Zinstaxen und Wuchergesetze. Schober,

Das Bundesgesetz

vom

Stuttgart 1859.

14. November

1867.

Leipzig 1867. Randa, Zur Lehre von den Zinsen und der Conventionalstrafe.

Wien 1869.

Röhrich, Empfiehlt sich die Wiedereinführung von Zinstaxen und Wuchergesetzen? Goldschmidt,

„Wucher"

Stuttgart 1879.

in Bluntschlis Staatswörterbuch

X I 219. Glaser, Die Aufhebung der Zinstaxe und die Abänderung des Wuchergesetzes in Österreich (Allg. österr. Gerichtszeitung 1867) auch in:

Gesammelte kleinere Schriften

I 213. Geschichtliche Arbeiten liefern: Endemann, Studien in der romanisch-kanonistischen Wirtschafts- und Rechtslehre bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Endemann,

Berlin I 1874. I I 1888. Nationalökonomische

Grundlagen

der cano-

nistischen Wirtschafts- und Rechtslehre (Conrads Jahrbücher 1863). Endemann, Entwickelung der Justizgesetzgebung des deutschen Reichs in den Jahren 1879 und 1880 (Hirth, Annalen des deutschen Reichs 1881). Neumann, 1654.

Geschichte

des Wuchers

in Deutschland

bis

Halle 1865.

Roscher, Geschichte der Nationalökonomie in Deutschland.

Litteratur.

Schmoller,

Zur Geschichte der nationalökonomischen An-

sichten in Deutschland während der Reformationsperiode (Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft X V I . Bd. S. 461 u. ff.) Schmoller,

Die

öffentlichen

Leihhäuser

im

Mittelalter

Berlin 1876 und 1879.

Erste und

(Holtzendorff-Brentano, Jahrbuch 1880). Knies,

Der Kredit.

zweite Hälfte (auch vom dogmatischen Standpunkt sehr bedeutend, ja vielleicht das Beste,

was über diesen

Gegenstand geschrieben wurde). Vom kirchlichen Standpunkt behandeln die Frage: Funk, Zins und Wucher.

Tübingen 1868.

Vogelsang, Zins und Wucher. 1884.

Ein Separatvotum.

Wien

(Österr. Monatsschrift f. christl. Socialreform.)

Ratzinger, Die Volkswirtschaft in ihren sittlichen Grundlagen.

IV. Abschnitt.

Zins und Wucher.

Freiburg i. Br

1881. Für Wuchergesetze

aus juristischen,

sittlichen

und

socialpolitischen Gründen treten ein: Merkel, Über den Zinswucher.

Heidelberg 1855.

Rizy, Über Zinstaxen und Wuchergesetze. „

Wien 1859.

Zur Wucherfrage. Rede, gehalten im österr. Herren-

hause am 3. Mai 1881 (Grünhuts Zeitschrift

für das

Privat- und öffentl. Recht der Gegenwart 1881). Chorinsky, Der Wucher in Österreich. Reichensperger, gesetze.

Wien 1877.

Gegen die Aufhebung

der

Zinswucher-

Berlin 1860.

Reichensperger, Die Zins- und Wucherfrage. Stein, Der Wucher und sein Recht.

Berlin 1879.

Wien 1880.

Litteratur.

14

Stein,

Die drei Fragen des Grundbesitzes und seine Zu-

kunft.

Stuttgart 1881.

Geller, Die Wucherfrage (S.-A. aus der „Gerichtshalle"). Wien 1879. Geller,

Über die Grenzen des Rechtsschutzes der Zins-

freiheit (S.-A. a. d. G.). v. Thüngen - Rofsbach, Vortrag.

Wien 1880.

Die Wucher-

und Wechselfrage.

Berlin 1879.

v. Mirbach, Zur Währungs- und Wucherfrage. träge.

Zwei Vor-

Berlin 1880.

v. Lilienthal,

Die

Wuchergesetzgebung in

Deutschland

unter besonderer Berücksichtigung derselben im preufsischen Staate. (Conrads Jahrbücher. N. F. I 140 u. 366.) Eheberg, Über den gegenwärtigen Stand der Wucherfrage (Holtzendorff-Brentano, Jahrbuch 1880). Eheberg, Die Wucherfrage in Theorie und Praxis seit 1880 (Schmollers Jahrbuch 1884). Schwarze,

Das Reichsgesetz betreffend den Wucher vom

24. Mai 1880.

Erlangen 1881.

Pietak, Ο istotnych znamionach czynnosci kredytowych wedle ustawy lipcowéj ζ. r. 1877 (Über die wesentlichen Merkmale der Kreditgeschäfte 1877).

nach dem Gesetz vom Juli

Lemberg 1878.

Käubier, Was ist strafbarer Wucher. Weifsmann, Die Wucherfrage.

Dr. Klonkavius, Die Wucherfrage. v. Spiethoff,

Das Wuchertum

Leipzig 1881.

Chur 1880. Amberg 1880.

und

dessen Bekämpfung

durch Vorschufs- und Kreditvereine. dorf 1868.

2. Aufl.

Düssel-

Litteratur.

Geffcken, Zur Wucherfrage (Allg. conservat. Monatsschrift 1879.

Heft 1 u. 2).

Wagener, Staats- und Gesellschaftslexicon X X I I , 433. v. Canstein, Vorschlag zur Wuchergesetzfrage (Allg. österr. Gerichtszeitung 1880). Unser Wuchergesetz.

„Grenzboten" 1884, Heft 1, S. 6.

Weibel, Zur Wucherfrage.

Ein Referat für den schweize-

rischen Juristenverein (S.-A. aus Zeitschrift für schweizerisches Recht).

Basel 1884.

Blodig, Der Wucher und seine Gesetzgebung, histor. und dogm. bearbeitet.

Wien 1892.

Den Wucher auf dem Lande behandeln insbesondere: Pilat, Executive Feilbietungen ländlicher und kleinstädtischer Realitäten in Galizien während der Jahre 1807—1868 und 1873—1874.

(Statistische Monatshefte I 506.)

Platter, Der Wucher in der Bukowina.

Jena 1878.

Bäuerliche Zustände in Deutschland (Schriften des Vereins für Socialpolitik. I. Bd.

Bd. X X I I , X X I I I u. XXIV).

3 Bde.

S. 173. 181. 207. 232. 235. 260. 309.

II. Bd.

S. 20. 47.

I I I . Bd. S. 18. 75. 157. 168. 175. 194.

215. 295. Fassbender, Die Rettung des Bauernstandes aus den Händen des Wuchers.

Münster 1886.

Der Wucher auf dem Lande.

Berichte und Gutachten,

veröffentlicht vom Verein für Socialpolitik. Leipzig 1887. Verhandlungen der am 28. u. 29. September 1888 abgehaltenen Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik.

Leipzig 1888.

v. Lilienthal, Der Wucher auf dem Lande (Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 1888.

Bd. VIII).

Litteratur.

16

L. Fuld,

Die Bestrafung des Wuchers auf dem Lande.

(Hirth, Annalen des deutschen Reichs 1888). Zuns, Der Wucher auf dem Lande, eine Kritik des Fragebogens etc.

Frankfurt 1888.

Schnapper - Arndt,

Zur Methodologie

socialer Enqueten.

Frankfurt 1888. Barre, Der ländliche Wucher.

Berlin 1890.

Naumann, Der Wucher und seine Bekämpfung. Gotha 1890. Der Landwucher von *

* (Grenzboten 1891.

I I I . Bd.)

Erstes Kapitel.

Wucherfreiheit und Wuchergesetze. D i e Socialpolitik hat bisher keine allgemein gültigen Wahrheiten zu Tage gefördert und dies ist auch nicht ihre Aufgabe. wisser

Sie ist die Lehre von der Zweckmäfsigkeit ge-

wirtschaftlicher

Einrichtungen

zeitlich beschränktem Gebiete.

auf räumlich und

Sie begnügt sich daher

mit der Feststellung von lokal und temporär als richtig anerkannten Grundsätzen,

die als das Resultat exakter

Einzelforschung erscheinen und unter Voraussetzung der gleichen konkreten Bedingungen sich jedesmal in den Thatsachen des wirtschaftlichen Lebens verkörpern müssen. Die Wucherfrage ist gleichfalls eine Frage der Socialpolitik, ja sie steht mehr im Flufs des Werdens, wie jede andere ethische oder gesetzgeberische Frage. also: Ist der Wucher i n d e n h e u t i g e n

Sie lautet

wirtschaft-

l i c h e n V e r h ä l t n i s s e n gerechtfertigt, social indifferent, oder gemeinschädlich — und im letzteren Falle, worin besteht seine Schädlichkeit in der Gesellschaft und was für Mittel lassen sich dagegen anwenden? C a r o , Der Wucher.

2

Erstes Kapitel.

18

Deshalb k a n n zu i h r e r Entscheidung weder das klassische A l t e r t u m , noch das M i t t e l a l t e r , weder die lex L i c i n i a de modo a g r i 1 u n d die lex G e n u c i a 2 Roms, noch Aristoteles'

Nikomachische

rustica

4

Ethik3,

herbeigezogen

oder Catos W e r k

werden.

Weder

De

die Lehren

re des

göttlichen H e i l a n d s 5 , Thomas' von A q u i n , des hl. Alphons von L i g u o r i und M a r t i n Komödie,

in

Gotteslästerern des

siebenten

Luthers6,

noch Dantes Göttliche

welcher der Dichter die Wucherer m i t

den

u n d Sodomiten i n die unterste A b t e i l u n g Kreises

der H ö l l e

wirft 7,

noch auch

der

Abscheu Shakespeares gegen seinen Shylock können für uns hier mafsgebend sein.

W e d e r die kirchliche Gesetzgebung

vom

(325 n. Chr.) bis zum Concil

Concil zu Nicäa

von

1 Sie sprach die Unverzinslichkeit aller zur Zeit bestehenden Geldforderungen aus und bestimmte, dafs die vom Gläubiger bereits behobenen Zinsen bei der Rückzahlung des Kapitals abzuziehen seien. 2 Sie verbot das Zinsennehmen unter römischen Bürgern überhaupt (332 v. Chr. Geburt). Die lex Sempronia dehnte dieses Verbot auch auf die Socii, und die lex Gabinia auch auf die Provinciales aus. 3 IV. 1. Hier stellt Aristoteles die Wucherer mit Hurenwirten zusammen. Vgl. auch Aristoteles Politik I 10 und I I I 23. 4 Cato bezeichnet hier in der Vorrede die Wucherer für gemeinschädlicher als die Diebe. 5 Mag das bekannte Wort: Mutuum date, nihil inde sperantes (Ev. Lucä V I 34) blofs die Bedeutung eines Sitten- nicht Rechtsgebotes oder nach Knies (Kredit I 333 ff.) eines Gebotes, auch den Armen zu leihen, besitzen, so hat es doch das kirchliche Zinsenverbot hervorgerufen, welches noch heute treffliche \rerteidiger findet. (S. darüber insbesondere: Vogelsang w. o.) 6 Sermon vom Wucher 1519. Tractat vom Ivanfhandel und Wucher 1524. 7 Inferno Canto X I vers. 109 et sequ.

Wucherfreiheit und Wuchergesetze.

19

Viennes (1411), noch die weltliche von den Kapitularen Karls des Grofsen (789) bis zum Sachsenspiegel (1235) und von da bis zu den Wuchergesetzen der Königin Anna von England 8 und der Kaiserin Maria Theresia von Österreich 9 kann zur Aufklärung unserer Frage wesentlich beitragen.

Die theoretischen Definitionen und Ansichten ver-

gangener Zeiten fufsten auf wesentlich andern Gesellschaftsverhältnissen und Staatseinrichtungen, als es die heutigen sind; sie konnten den technischen und wirtschaftlichen Aufschwung des 19. Jahrhunderts vermuten und überdies

war

die

nicht im entferntesten dem Menschen

inne-

wohnende Selbstsucht. im klassischen Altertum durch die Rücksicht auf das Staatswohl, im christlichen Mittelalter durch die treue Hingebung an die Kirche in höherem Grade gedämpft und niedergehalten, als es heute der Fall ist.

Für die von der Religion der Liebe durchdrungenen

Heiligen, Dichter und Gelehrten galt das Erdenleben blofs als Vorbereitung zu einem göttlichen, erhabenen Dasein, galt die Aufopferung für das allgemeine Wohl, das altruistische Princip

als etwas schlechthin Notwendiges,

das

Gefühl der Zusammengehörigkeit als der vornehmste K i t t von Nationen und Staaten und das Gebot der Pflichterfüllung als der einzige nie irreführende Leitstern der Individuen und Völker. Wissenschaften

Der ungeahnte Aufschwung der

im 16. und 17. Jahrhundert

trug

nicht

wenig dazu bei, diesen Glauben zu erschüttern, doch erst

8

Vol. II. 9

H. J. Stephens, New commentaries on the Laws of England. London 1842, p. 141 (st. 12 Anna cap. 16). Patent vom 26. April 1751. 2*

Erstes Kapitel.

20

die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hat den modernen Skepticismus und Individualismus gezeugt. Von diesem Augenblick erst ist daher eine Beobachtung widerstreitender Ansichten

über

unsere Frage von

mafsgebender socialpolitischer Bedeutung. Adam Smith10

hatte es noch nicht gewagt,

die

äufsersten Konsequenzen aus seiner Lehre für den Wucher zu ziehen.

Er behauptete noch 1776, dafs es notwendig

sei, Zinstaxen und zwar nicht zuviel über den niedrigsten Marktpreis festzusetzen,

damit das Kapital nicht in die

Hände derer gelange, die es wahrscheinlich verschwenden und durchbringen würden. Gegen diese Ansicht trat jedoch J e r e m i a s h a m in seiner Schrift: Defence of Usury Beredsamkeit eines Sophisten auf.

11

Bent-

mit der ganzen

Der Staat könne sich

in diese Angelegenheit nicht mengen,

meinte er,

denn

wenn es eine Thorheit sei, dafs ein Blinder den andern führe, was müsse man erst von dem sagen, der, wie der Staat, notwendig blind, darauf bestehe, die Sehenden zu führen 1 2 .

Es sei weder zur Erhaltung noch zur Ruhe der

Gesellschaft notwendig, Erwachsenen ein Gängelband anzulegen, um zu verhüten, dafs sie sich nicht selbst Schaden thun13.

Wenn überhaupt viel Geld aus dem Beutel des

Verschwenders in die Sparbüchse des frugalen Kaufmanns wandere,

10 11 12 13

sei es zum mindesten fraglich,

s. Litteraturverzeichnis. s. Litt. Bentham a. a. 0. S. 106. S. 12.

ob dies dem

Wucherfreiheit un

Staate Nachteil bringe 1 4 .

Wuchergesetze.

21

Was die Armen anbelangt, so sei

es besser, ihnen die Erlangung von Darlehen zu höheren Zinsen zu ermöglichen, als sie von der Wohlthat des Kredits ganz auszuschliefsen,

denn der Entleiher wisse am

besten, was ihm Vorteil bringe und der Staat, der dazwischentrete

und

ein Zinsmaximuni

festsetzen

wolle,

dränge ihm nur ungebeten seinen Rat auf, obwohl er von der Sache nichts verstehe und dies sei eine ausgemachte Thorheit 1 5 .

Gegen den möglichen Einwand, dafs ja der

Arme auch einfältig oder unbedachtsam sein könne, legt Bentham im voraus Protest ein; es sei notwendig, sagt er, jede der entleihenden Klassen, also die Verschwender, die Armen, die Unbedachtsamen und die Einfältigen besonders (!) zu betrachten und nicht etwa sich den Armen gleichzeitig als einfältig vorzustellen (!), ja k e i n e n

be-

sondern Fehler in Jemandes B e u r t e i l u n g s k r a f t o d e r T e m p e r a m e n t v o r a u s z u s e t z e n , der ihn mehr verleiten könnte, als den gewöhnlichen Schlag von Menschen — im Gegenteil vom Grundsatz auszugehen, dafs der E i n e s e i n e n V o r t e i l

so gut wie der Andere ver-

stehe und eben so geneigt und fähig (!) sei, ihm nachzugehen 16 .

Man sieht,

es ist eine Art

Isolations-

m e t h o d e , die nicht von wirklichen Menschen, sondern von Schemen ausgeht, die nur immer je einen Fehler besitzen dürfen,

wie

dies ja für eine im voraus gesetzte

Konstruktion am besten passen mufste.

14 15 16

Bentham S. 20. S. 23 und 24. S. 22 und 75.

Erstes Kapitel.

22

Bentham macht mit Recht auf die ungeahndeten Übervorteilungen aufmerksam,

welche bei Kauf und Verkauf

von Waren, Vieh u. s. w., bei Bodmerei- und Pfandverträgen vorkommen, doch weit entfernt davon, hierin eine Lücke der Gesetzgebung zu sehen, kommt er im Gegenteil zum Schlüsse, dafs eine positive Gesetzgebung sowohl hier wie dort überflüssig sei.

Das Vorurteil gegen den

Wucher führt Bentham auf die christliche Lehre vom Verzicht auf irdische Güter, auf den Judenhafs und auf Neid überhaupt zurück, ohne auch mit einem Worte der gemeinschädlichen Wirkungen des Wuchers zu erwähnen 1 7 . So sind ihm die Wucherer eine verdienstvolle Menschenklasse, welche sowohl in Betracht ihrer Klugheit, als auch in Betracht ihrer Wohlthätigkeit,

mit der sie zur Linde-

rung menschlichen Unglücks beitragen, mehr Lob als Tadel verdient 1 8 .

Sonach müsse ein Gesetz gegen den Wucher

blofs die unbeabsichtigte Wirkung hervorrufen,

dafs sich

das Angebot von Kapital am Geldmarkt bedeutend vermindere und daher die übrig gebliebenen Kapitalisten der ungeschwächten Nachfrage gegenüber um so höhere Forderungen stellen, als sie nun eine Risikoprämie für den Fall der Entdeckung ihres verbotenen Gewerbes zu den früher beanspruchten

Zinsen hinzurechnen 19 .

Zinseszinsennehmens

Ein Verbot

des

sei nichts anderes als eine Ermun-

terung, welche das Gesetz dem Meineid, der Unbilligkeit und der Nachlässigkeit angedeihen lasse 20 . 17 18 19 20

Bentham S. 60. S. 36. S. 34 und 35, 69 und 70. S. 72.

Wucherfreiheit un

Wuchergesetze.

23

Ähnliche Ansichten erfüllten damals ganz Europa und der edle Kaiser Josef I I . , der jedoch nach dem bekannten Ausspruch

Friedrichs

des Grofsen

immer

den zweiten

Schritt zu machen pflegte, bevor er den ersten gethan, gewährte denselben schleunigst Einlass in das Gesetz, indem er mit Patent vom 29. Januar 1787 alle bisher bestandenen Wuchergesetze aufhob,

„um dem durch gesetz-

mäfsige Bestimmung der Zinsen gehemmten Privatkredit Erleichterung zu verschaffen und durch Befreiung vom Fiscalzwange den Zusammenflufs der Darleiher zu vermehren". Zinsen über ein bestimmtes Maafs hinaus waren zwar nicht klagbar, konnten jedoch unbehindert vereinbart und entrichtet werden.

Drei Jahre nachher erschien der schon

1769 verfaiste Aufsatz des berühmten Staatsniinisters Turgot : Mémoire sur le prèt à interèt et sur le commerce de fers 2 1 . In Frankreich galt in Übereinstimmung mit dem

kirch-

lichen Zinsverbote jedes selbst mäfsige Zinsennehmen als Wucher, welcher mit grofsen Geldstrafen, Verbannung, ja im Wiederholungsfalle mit Konfiskation der Güter gestraft wurde. Nun ereignete es sich, dafs in Angoulèmes zahlungsunfähige oder böswillige Schuldner, um sich von ihren Schulden zu befreien, ihre Gläubiger denunzierten und dieselben ins Unglück brachten.

Dieser Vorfall

veranlafste

nun Turgot als Provinzialintendanten zu einem Berichte an die Regierung, in dem er von dem einzelnen Falle ausgehend und denselben als notwendige Folge der Wuchergesetze auffassend nicht nur für die Gestattung des Zinsennehmens, sondern für die Aufhebung jeder Beschränkung 21

s. Literaturverzeichnis.

24

Erstes Kapitel.

schlechthin plaidiert.

Geld sei nichts anderes als W a r e 2 2 ,

sagt er, und der Preis des Geldes werde, wie der Preis jeder andern Ware durch das Verhältnis derer, die es ausbieten, zu der Anzahl derer, die es suchen, bestimmt. Dadurch und durch das Risiko der Anleihe, durch das Bedürfnis derselben und durch die davon zu hoffenden Vorteile bestimme sich die Höhe des Zinsfufses.

Der Umstand,

ob der Schuldner wirklich jene gehofften Vorteile mit dem fremden Gelde erlangt hat, sei gleichgültig und könne bei der Bestimmung des Zinsfufses nicht in Betracht kommen. Der Eigentümer dürfe für

die Überlassung seines Eigen-

tumes an einen andern so viel fordern, als ihm gut dünke und immerhin bleibe es für den Schuldner eine Wohlthat, in

seiner Not Hülfe gefunden zu haben.

Deshalb seien

alle Wuchergesetze und Zinstaxen aufzuheben und es werde alsdann die Freiheit des Geldhandels Konkurrenz, diese aber niedrigen Zinsfufs veranlassen. Die Wirkung,

die Benthams und Turgots Schriften

hervorriefen, war aufserordentlich.

Wenn auch in Fraük-

reich kein ausdrückliches Gesetz die Wucherfreiheit deklarierte und das Gesetz vom 12. Oktober 1789, welches einen legalen Zinsfufs von 5 °/o festsetzte, nicht aufgehoben wurde, so blieb es doch in der Praxis, dank diesen Werken, vollkommen unbeachtet.

Die von dem Nationalkonvent und

der Direktorialregierung in Unmassen herausgegebenen Assignaten waren dergestalt im Werte gefallen, dafs die Gläu-

22

Diese Auffassung hat sich das Gesetz vom 17. (20.) Mai 1791, desgleichen vom 6. Flor. an. ΙΠ. (23. April 1795) angeeignet (Rizy, Zinstaxen und Wuchergesetze, S. 135 u. 136).

Wucherfreiheit un

Wuchergesetze.

25

biger, um sich einigermafsen gegen weitere unvorhergesehene Verluste zu sichern, gezwungen waren, höhere Zinsen zu verlangen.

Die durch Napoleon geordneten poli-

tischen Verhältnisse brachten es jedoch mit sich, dafs der Kapitalwert nicht weiter sank und die Kapitalisten den ganzen unverhofften Nutzen an ungeschmälertem Kapital und hohen Zinsen einheimsten.

Dieser faktische Zustand

wurde nun zum legalen erhoben durch art. 1907 des im Jahre 1804 promulgierten code civil, welcher unbeschränkte Zinsenfreiheit bestimmte und blofs einen schriftlichen Vertrag über die Höhe der bedungenen Zinsen vorschrieb. I n Österreich gewann in Folge des Josefinischen Gesetzes der Wucher bald in dem Grade die Oberhand, dafs man an der Richtigkeit des soeben noch mit Emphase proklamierten Grundsatzes der Wucherfreiheit zu zweifeln begann. Die Bestimmung, dafs die Gerichte blofs die Eintreibung von 4°/o Zinsen bei hypothekarisch sichergestellten bez. von 5°/o Zinsen bei den übrigen Darlehen gestatten dürfen, wurde auf die Weise umgangen, dafs die Wucherer nun die den gesetzlichen Zinsfufs übersteigenden Zinsen bei Auszahlung des Darlehens im voraus in Abzug brachten. Und so schrieb denn Sonnenfels schon 1789, also zwei Jahre nach dem Inslebentreten des Josefinischen Gesetzes 23 : „Durch das Josefinische Gesetz sind die Schuldner der Unersättlichkeit der Gläubiger nur um so stärker preisgegeben worden; die Habsucht macht, da sie nun durch nichts mehr in Schranken gehalten wird, nur desto unverschämtere Forderungen; die Vampire der Gesellschaft, eine 28

Über Wucher- und Wuchergesetze, S. 12 u. 13.

Erstes Kapitel.

26

verworfene Art von Menschen, die sich die Not oder Thorheit ihrer Mitbürger zur Glücksbahn wählen, vermehren sich täglich und das Verderbnis ist in dem Grade gestiegen, dafs

die Grofsen

wuchern

und

die

Wucherer

G r o f s e werden." Eine Rat- und Hilflosigkeit sonder Gleichen bemächtigte sich der Regierung.

Kaiser Josef II. schrieb eine

Preisfrage über den Gegenstand aus, was Wucher sei und durch welche Mittel demselben ohne Strafgesetz

Einhalt

zu thun wäre. Eine reichhaltige Litteratur entstand, in der die Einen für Kapitalfreiheit, Lanze brachen.

die Andern für Wuchergesetze eine

Hie: ewiges Naturgesetz, hie: Volkswohl

und Sitte war die Parole.

Sechzehn Jahre hatte die Fehde

gedauert; schliefslich behaupteten die Anhänger der Wuchergesetze als Sieger den Kampfplatz.

Kaiser Franz erliefs

das Wucherpatent vom 2. Dezember 1803, welches in den Eingangsworten

die bitteren Erfahrungen schildert,

die

Österreich in der Epoche der Kapitalsfreiheit gemacht hat. „Eine vieljährige, durch häufige Beispiele bestätigte Erfahrung", so heifst es dort, „hat die Erwartung, in welcher die vormals gegen den Wucher erlassenen Gesetze aufgehoben wurden, n u r z u s e h r w i d e r l e g t .

An die Stelle

der beabsichtigten freieren Verwendung der Kapitalien trat ungemäfsigte Gewinnsucht, die auf die Thorheit der Verschwendung und die Drangumstände des Bedürfnisses spekulierte, Fleifs und Betriebsamkeit mutlos machte, den Privatkredit unterdrückte und die schädlichsten Folgen auf Sitten und Gesinnungen verbreitete." I n Frankreich hatten inzwischen die Folgen der im

Wucherfreiheit un

Wuchergesetze.

27

Jahre 1804 proklamierten Zinsenfreiheit nicht lange auf sich warten lassen. Staatsrat Jaubert

Zeitgenossen, wie der Tribun Goupil, und Andere beschreiben

in beredten

Worten das schamlose Treiben der Wucherer, ihre nichtswürdige Spekulation und rücksichtslose Habgier. Die Epoche 1804—1807 in Frankreich entsprach ganz der Epoche 1787 bis 1803 in Österreich.

So mufste denn das Gesetz vom

3. September 1807 zu stände kommen, in dem die Höhe der durch Vertrag bedungenen Zinsen bei gewöhnlichen Darlehen auf 5 °/o, bei Handelsschulden auf 6 % festgesetzt und der Darleiher verpflichtet wurde, das ungebührlich empfangene Übermafs

zurückzustellen oder es sich am

Kapital abziehen zu lassen. Überdies konnte der Wucherer vor das Zuchtpolizeigericht gestellt, für Gewohnheitswucher mit Geldstrafen bis zur halben Höhe des dargeliehenen Kapitals und für Prellerei (escroquerie) aufserdem mit Gefängnis bis zu 2 Jahren bestraft werden.

Jaubert, Referent

des neuen Gesetzes im Staatsrat, sprach damals die bedeutsamen Worte:

„Abstrakte Vernunftgründe könnten hier

nur zu Verirrungen führen.

Der Grundsatz, welcher hier

alles beherrscht, ist derjenige der Erhaltung lichen Ordnung.

der bürger-

So oft ein Gegenstand einen direkten

und unmittelbaren Bezug auf die bürgerliche Gesellschaft hat, mufs das Gesetz verhindern, dafs dieselbe durch die Handlungen der Bürger nicht gestört werde" und weiter: „Neben dem Grundsatze, welcher will, dafs ein Jeder von seiner Sache Gebrauch machen könne, giebt es noch einen andern, der ebenso wahr i s t , dafs nämlich dem Staate daran gelegen sein mufs, darüber zu wachen, dafs das Vermögen nicht verschleudert, die Familien nicht ausgesogen

Erstes Kapitel.

28

werden und dafs das augenblickliche Bedürfnis listige und gewandte Menschen nicht in die Lage bringe, sich des Eigentums Anderer um einen Spottpreis zu bemächtigen" 24 . Diese Worte sind so treffend und überzeugend, dafs ihnen nichts hinzuzusetzen ist. Durch das Gesetz vom 19. Dezember 1850 (loi relative au délit d'usure) wurde das Gesetz von 1807 nicht unbedeutend verschärft. 1.

dafs

das Vergehen

Es

wurde

nämlich

des Gewohnheitswuchers für die

Zukunft aufser den Geldbufsen a u c h m i t strafen

festgesetzt

Gefängnis-

von 6 Tagen bis zu 6 Monaten zu belegen, 2.

dafs beim Bückfalle in dieses Vergehen s t e t s das M a x i mum der erwähnten Strafen

z u v e r h ä n g e n und

das Gericht ermächtiget sei, dieselben n a c h U m s t ä n d e n s o g a r a u f das D o p p e l t e

zu e r h ö h e n ,

3. dafs als

rückfällig schon derjenige zu betrachten sei, welcher i n n e r h a l b f ü n f J a h r e n nach einer wegen Wucher erlittenen Verurteilung sich neuerlich a u c h n u r e i n e r wucherischen

Handlung

einzigen

schuldig gemacht hat,

4.

dafs endlich die mit dem Vergehen des Wuchers verbundenen Prellereien m i t

Gefängnis

von

1—5 J a h r e n

und Geldbufsen zwischen 50—3000 Franken zu belegen seien, w o b e i es d e n G e r i c h t e n ü b e r d i e s a n h e i m gestellt

wird,

je nach der

gehens noch insbesondere

Schwere

des

zu v e r o r d n e n ,

Verdafs

d a s e r g a n g e n e S t r a f u r t e i l a u f K o s t e n des V e r u r t e i l t e n auszugsweise gedruckt und in einigen Z e i t u n g e n des D e p a r t e m e n t s e i n g e r ü c k t w e r d e 2 5 . 24 25

Näheres bei Rizy, Zinstaxen und Wuchergesetze, S. 156 u. ff. s. Rizy a. a. 0. S. 164.

Wucherfreiheit un

Wuchergesetze.

29

Vierzehn Jahre nachher beantragte Jules Favre im Corps législatif , dem Zeitgeist entsprechend, die Aufhebung der Wuchergesetze.

Aber gerade Frankreich sollte von

diesem Experiment verschont bleiben.

Es wurde zwar eine

Enquete über die Wucherfrage veranstaltet und die Handelskammern erklärten sich, wie zu erwarten stand, für Aufhebung der Wuchergesetze, aber die Notare, die vermöge ihrer Berührung mit kleinen Kapitalisten,

Handwerkern

und Grundbesitzern sich ein richtigeres Bild von der Sache machen konnten, äufserten sich so energisch dagegen, dafs es bei den alten Gesetzen sein Bewenden hatte und die Abolitionisten sich mit der schon errungenen Konzession 26 zufrieden geben niufsten, dafs der Bank von Frankreich gestattet war, höhere als die legalen Interessen zu fordern und dafs die Banquiers, welche ihren Zinsfufs danach einrichteten, strafgesetzlich nicht verfolgt wurden.

(Vgl. Er-

gebnisse dieser Enquete in „Enquete sur la législation relative au taux de l'intérét de l'argent" Paris 1865 2 volumes.) I n den übrigen weniger glücklichen Ländern hatten sich indessen andere Ideen Bahn gebrochen und weil der Wucher denn trotz der Wuchergesetze noch immer nicht ausgerottet war, sowie dies überhaupt noch kein Strafgesetz mit irgend einem Verbrechen zu Wege gebracht hat, begann man mit immer wachsendem Erfolg die Wuchergesetze dafür verantwortlich zu machen.

Man war zwar

schon so weit fortgeschritten, nicht die Existenz des Wuchers schlechthin zu leugnen oder gar die Wucherer als verdienstvolle und kluge Männer zu preisen, wie es Bentham 26

vgl. Gesetz vom 9. Juni 1857.

Erstes Kapitel.

30

gethan, aber man hoffte von der Befreiung der wirtschaftlichen Kräfte eine billige Lösung der Frage, die durch menschliches Hinzuthun fruchtlos versucht worden war. Die Vorkämpfer der neuen Schule in Frankreich und England, Jean Baptiste Say und M. Chevalier 2 7 , J. St. Mill, Mac Culloch und Andere stellten den Grundsatz auf, es käme blofs darauf an, dafs sich jeder um sein persönliches Wohl nach Kräften bemühe, dafs sich daraus das Wohl der Gesamtheit ergeben müsse, die ja blofs eine Summe von Einheiten sei;

dafs es einen berechtigten Egoismus

gebe, demzufolge die Schwachen vom Taygetos heruntergeworfen werden dürften und nur den Starken, den Widerstandsfähigen die Welt gehöre. Man sog begierig die Lehren eines ebenso flachen wie einseitigen Materialismus ein, der fortan jeder Ausbeutung, jedem Raub Wissenschaftlichkeit

den Mantel

umzuhängen bestimmt wurde ;

verspottete die Menschenfreunde,

der man

nannte sie wohl auch

Philantröpfe, dachte blofs an die möglichste Anspannung und Vermehrung der Produktion ins Unendliche, bezeichnete jeden Konsumtionskredit als wirtschaftlich schädlich, proklamierte mit Emphase die Heiligkeit, Unantastbarkeit und Unbeschränktheit des Eigentums, wogegen man die Heiligkeit

religiöser

mit den Füfsen trat.

und ethischer

Lehren hohnlächelnd

Der Preis war dieser Schule nichts

als die Diagonale wirtschaftlicher Kräfte, das Durchschnittsresultat ewiger Oscillation des Wertes zwischen Angebot und Nachfrage, dieser Scylla und Charybdis der klassi27

dessen Lehren jedoch bekanntlich in die französische Gesetzgebung nicht Eingang gefunden hatten.

Wucherfreiheit un

Wuchergesetze.

31

sehen Nationalökonomie, denen man bei Leibe nicht zu nahe kommen dürfe, weil der Wert selbst, einem Perpetuum mobile gleichend, sich seit Erschaffung

der Welt

in den vom Schöpfer vorgezeichneten Bahnen und Grenzen bewege und vermöge göttlicher Naturgesetze jedesmal von selbst in diejenige Lage gelange, die für das allgemeine Wohl die erspriefslichste sei. blofs

Der Zins galt jener Schule

als Preis der Kapitalnutzung und so mufste der

generelle Grundsatz von der Unantastbarkeit des Preises als Produkt notwendiger Naturgesetze jedenfalls auf den speciellen Fall Anwendung finden. Nicht zurückgeschreckt durch die unglücklichen Erfahrungen der Vergangenheit, ging man somit eifrig daran, die Grundfesten der Willkür, wie man sie nannte, einzuäschern und sowohl in Österreich das Patent von 1803 wie in Preufsen § 263 des Strafgesetzbuches 28 aufzuheben. Dafs sich diese Anschauungen allgemein Bahn gebrochen hatten, beweisen die gleichzeitigen Werke von Braun und Wirth über die Zinswuchergesetze,

von Spittlers Politik

und von Kudlers Vortrag über den Wucher 2 9 , wie auch das bekannte auf dem extremen Benthamschen Standpunkt 28 § 263 des St.G.B. vom 14. April 1851 lautete: „Wer sich von seinem Schuldner höhere Zinsen, als die Gesetze zulassen, vorbedingt oder zahlen läfst und entweder diese Überschreitung gewohnheitsmäfsig betreibt oder das Geschäft so einkleidet, dafs dadurch die Gesetzwidrigkeit versteckt wird, ist wegen Wucher mit Gefängnis von drei Monaten bis zu einem Jahre und zugleich mit einer Geldbufse von 50—1000 Thalern und zeitiger Untersagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte zu bestrafen." 29 In den Sitzungsberichten der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien (histor.-phil. Klasse Oktober 1851).

Erstes Kapitel.

32

fufsende Witzwort Krugs: Namen nicht

dafs die Wuchergesetze ihren

davon tragen,

weil sie den Wucher be-

schränken, sondern weil sie ihn erzeugen 30 .

Es galt ge-

radezu als Abgeschmacktheit und Ignoranz, anderer Meinung zu sein 3 1 .

Sismondi, der noch im Jahre 1819 die

Nationalökonomie eine ethische Wissenschaft genannt und als Aufgabe des Staates bezeichnet hatte, sich derjenigen anzunehmen, die sich nicht selbst zu vertreten im stände seien 3 2 , der überhaupt vom Staate verlangte, die Schwachen und Armen gegen die Starken und Reichen zu schützen und thätig einzugreifen,

um das gestörte Gleichgewicht

33

wiederherzustellen , — der geniale Sismondi, der prophetischen Blicks die heutige wissenschaftliche Nationalökonomie ahnte,

wurde ungerechterweise

als Socialist ver-

schrien und blieb unbeachtet 34 .

30

Dagegen bemerkt Knies treffend (Kredit I 354), dafs man ebenso sagen könne: die Steuer erzeugt die Defraudation, der Zoll den Schmuggel, die Strafe das Verbrechen u. s. w. 81 Raus (Grundsätze der Volkswirtschaftspolitik, Heidelberg 1844, § 322) und Roschers (Grundlagen der Nationalökonomie, Stuttgart und Tübingen 1854, § 194) gegenteilige Ansichten verklangen unbeachtet. 32 Sismondi, Nouveaux principes de l'économie politique ou de la richesse dans ses rapports avec la population. Paris 1819. I 459. 33 ebenda I 52. Vgl. Näheres in dem vorzüglichen Aufsatze von Elster über Sismondi (Conrad's Jahrb. N. F. XIV, S. 321 u. if.). 34 Friedrich List wagte es bekanntlich gleichfalls, etwas von ethischen Principien fallen zu lassen, aber auch er wurde ungerechterweise als Merkantilist verhöhnt und in den Staub gezerrt. S. insb. die vorzügliche Einleitung Ehebergs zu Lists Nationalem System der politischen Oekonomie. Stuttgart 1883. Dasselbe gilt von Adam Müller; sie waren eben alle ihrer Zeit zu weit vorausgeeilt.

Wucherfreiheit un

Wuchergesetze.

33

Endlich begannen auch die Regierungen der neuen Zeitströmung Rechnung zu tragen. England hatte mit Gesetz vom 10. August 1854 die Zinsbeschränkungen aufgehoben; diesem Beispiel folgte Dänemark 1855,

Spanien

1856, Sardinien, die Niederlande und Norwegen 1857, die industriellen Hauptkantone der Schweiz 1855, 1857, 1862, 1864, 1865 und 1867, Schweden 1864, Belgien 1865. Mit Gesetz vom 1. Februar 1862 wurde in Preufsen die lex Anastasiana (Vorschrift, dafs der Cessionar von dem Schuldner nicht mehr einfordern dürfe, als er selbst für die Forderung gegeben hat) aufgehoben.

I n Deutschland und Öster-

reich hatte in demselben Jahre das allgemeine Handelsgesetzbuch wenigstens den Verkehr zwischen Kaufleuten von allen Zinsbeschränkungen befreit.

Gleichlautende Ge-

setze für den gesamten Verkehr sollten folgen. I n Preufsen hatten die Provinzialstände sich schon 1844 für Aufhebungaller Wuchergesetze erklärt, der Posensche Landtag war im Jahre 1851 dieser Ansicht beigetreten und schliefslich hatte auch das preufsische Abgeordnetenhaus im Jahre 1856 seinen Wunsch in diesem Sinne geäufsert.

So war denn

die preufsische Regierung im Jahre 1857 einstweilen zur Suspension der Zinsbeschränkungen zunächst für drei Monate geschritten.

Im Jahre 1859 erklärte sich der zweite

volkswirtschaftliche Kongrefs zu Frankfurt für Aufhebung der Wuchergesetze, in demselben Jahre erneuerte das Abgeordnetenhaus seinen diesbezüglichen Antrag und infolge dessen leistete die Regierung bereits im Jahre 1860 demselben Folge.

Das Abgeordnetenhaus trat denn auch dem

Regierungsentwurfe bei und in der Kommission war der Abg. Peter Reichensperger der einzige, der es wagte, jener C a r o , Der Wucher.

3

Erstes Kapitel.

34

pseudo-wissenschaftlichen Strömung des Regierungsentwurfs Opposition zu machen.

Blofs das Herrenhaus verweigerte

seine Zustimmung mit der Motivierung, „dafs der Wunsch nach Beseitigung der Wuchergesetze mehr auf Seite der Darleiher als der Kapitalsuchenden sich finde und dafs es äuiserst bedenklich auf das Rechtsbewufstsein des Volkes wirken müsse, wenn so verächtliche und verachtete Handlungsweisen, wie die des Wucherers, ungestraft blieben, ja sogar die daraus hervorgegangenen Ansprüche auf dem Wege des Rechtes erzwingbar werden sollten 3 5 . Doch die Haltung des Herrenhauses wurde allgemein als reaktionär gerügt und ein zweiter Regierungsentwurf ging selbst weiter als der erste.

Er beseitigte auch das

frühere Verbot des Anatocismus und die lex Anastasiana. Das Herrenhaus blieb dagegen der einmal gefafsten Überzeugung treu und brachte auch diese Vorlage zu Fall.

So

gab nun die Regierung eigenmächtig durch die vorläufige Verordnung vom 12. Mai 1866 die vertragsniäfsigen Zinsen bei nicht

hypothekarisch

sichergestellten

Darlehen

frei.

Als diese Vorlage nach freudiger Genehmigung derselben seitens des Abgeordnetenhauses wieder ans Herrenhaus gelangte, legte die Kommission des letzteren einen Gesetzentwurf vor, wonach die Regierungsvorlage verworfen und der Zinsfufs bei nicht hypothekarisch sichergestellten Darlehen nur bis zur Höhe freigegeben

werden sollte.

des jedesmaligen Bankdiskonts Dieser Gesetzentwurf wurde

auch thatsächlich zum Beschlufs erhoben, aber das Abge-

35

s. Lilienthal, Die Wuchergesetzgebung etc. (Conrads Jahrb. 1880) S. 154.

Wucherfreiheit und Wuchergesetze.

35

ordnetenhaus trat demselben, wie zu erwarten war, nicht bei. Bei der abermaligen Beratung der Begierungsvorlage sah sich daher das Herrenhaus aus Rücksicht auf die Regierung

gezwungen,

der

vorläufigen

Verordnung

vom

12. Mai 1866 ihre Bestätigung zu geben. Jetzt handelte es sich noch um den Grundbesitz ; diesen wollte nun das Herrenhaus absolut den Wucherern nicht ausliefern

und verwarf

deshalb

das Laskersche Gesetz,

welches im Abgeordnetenhause am 18. Januar 1867 mit überwiegender Majorität genehmigt wurde.

Um diese Zeit

erklärte sich Professor Goldschmidt auf dem VI. Deutschen Juristentag (28. August 1867) mit der gröfsten Entschiedenheit gegen alle Wuchergesetze 36 und das, sowie der einstimmige Beschlufs des Kongresses gaben den Ausschlag zu Gunsten der Abolitionisten.

Nach der

ablehnenden

Haltung des Herrenhauses wurde die Angelegenheit dem Reichstage des Norddeutschen Bundes vorgelegt. es wieder die konservative Minderheit,

Hier war

die gegen den

Strom zu schwimmen versuchte. Der Regierungsrat Wagener erinnerte an den von Friedrich dem Grofsen ausgesprochenen Grundsatz „dafs der Stein der Weisen jeder Gesetzgebung die richtige

Regulierung

des Verhältnisses

von

Gläubiger und Schuldner sei und dafs die Regierung, indem sie dieses Verhältnis regulieren wolle, sich ihrerseits 36

Goldschmidt betonte hier insbesondere, dafs es nicht Pflicht des Staates sein könne, jede Unsittlichkeit zu ahnden, vertragsfähige Personen gegen Gefahren im Verkehr zu schützen oder gar deren Benachteiligung durch freien Vertrag unter Strafe zu stellen (s. Verhandlungen des VI. Juristentages, Berlin, I 271). Gerade das Gegenteil hiervon entspricht unserer Auffassung. *

Erstes Kapitel.

36

immer

auf

den Standpunkt

des armen Mannes stellen

müsse" (Sten. Ber. S. 335 ff.).

Aber diese wie andere

Ausführungen waren vergebens.

Mit Leichtigkeit gelang

es Lasker, einem im besten Glauben handelnden Juristen, aber zugleich verrannten Theoretiker 3 7 , am 12. Oktober 1867 die Annahme seines Gesetzes im Reichstag des Norddeutschen Bundes durchzusetzen und so kam es endlich, nachdem der Bundesrat diesem Beschluis beigetreten war, nach vieljährigem Mühen und Trachten der Abolitionisten zur Promulgierung des heifsersehnten Gesetzes vom 14. November 1867, welches den Zinsfufs

für Preufsen

völlig

freigab. Doch auch diesmal liefsen die Folgen nicht lange auf sich warten.

Rodbertus schrieb in weiser Vorahnung der

Dinge schon zehn Jahre früher in seinem Aufsatz:

„Über

Handelskrisen und die Hypothekennoth des Grundbesitzes", dafs für

eine ansehnliche Zahl von Grundbesitzern die

Aufhebung der Wuchergesetze einer Kur

ähnlich sei, bei

der man einen Patienten in ein Klima schickt, wo er zwar leichter atmet,

aber früher stirbt.

Diese geistreiche Pro-

phezeiung traf thatsächlic.h ein. Die Zinsfreiheit hatte eine vorübergehende Abhilfe

der Kreditnot zur Folge, der nur

zu bald eine übermäfsige Zahl

von zwangsweisen Ver-

äufserungen grofsen und kleinen Grundbesitzes auf dem Fufse folgte.

Man konnte

grofsen Mediziners sagen:

füglich

mit dem Worte des

„Die Operation ist gelungen,

der Kranke gestorben". 37

Vgl. die vortreffliche Charakteristik Laskers in Schmollers Aufsatz: Lasker und Schulze - Delitzsch (Zur Literaturgeschichte der Staats- und Socialwissenschaft. Leipzig 1888.

Wucherfreiheit un

Nun entfesselte

Wuchergesetze.

sich ein Kampf

37

zwischen Überflufs

und Not, zwischen Hinterlist und Unerfahrenheit, zwischen Zielstrebigkeit und Leichtsinn — die manchesterliche Richtung feierte in den nächsten fünf Jahren Orgien, wie sie nicht selbstvergessener und mafsloser sein konnten.

Hier-

her gehört der von Lasker selbst, wenn auch nur teilweise und parteiisch angegriffene Eisenbahnen- und Gründungsschwindel.

Erst der grofse Börsenkrach von 1873 ver-

schaffte ersehnte Abkühlung der Gemüter, aber trotzdem war die Fiktion vom freien unbehinderten Walten wirtschaftlicher Kräfte keineswegs verschwunden. für ein besonders krasses Beispiel genügen.

Möge hierAls die See-

handlung der Stadtbehörde Berlin im Sommer 1874 die Übernahme der Berliner Leihhäuser gegen angemessene Entschädigung anbot, erwiderte der Magistrat der Reichshauptstadt, dafs es nach Aufhebung der Wuchergesetze keinem reellen Bürger mehr schwer falle, Darlehen zu erhalten, die Leihämter würden daher gemifsbraucht werden und die Generaldirektion der Seehandlung könne die Leihämter unbedenklich schliefsen. Eugen Richter

billigte

Der freisinnige Abgeordnete

diese Antwort

vollkommen

und

sagte damals, dais man durch die Beibehaltung der Leihämter b l o f s d i e V e r g n ü g u n g s s u c h t u n d V ö l l e r e i der A r b e i t e r

h a u p t s ä c h l i c h in der K a r n e v a l s -

zeit

würde.

fördern

Und trotzdem

befanden sich

gleichzeitig in Berlin 1000 private Pfandleihgeschäfte,

die

auf 8 0 % liehen und Rückkaufsgeschäfte, die Gegenstände Geldbedürftiger mit Nutzen von 60—96°/o mit dem Vorbehalt des Rückkaufes an sich brachten 3 8 . 38

Ygl. Schmoller, Die öffentlichen Leihhäuser, s. Litt.

38

Erstes Kapitel.

Ähnlieh waren die Dinge auch in Österreich gediehen. Auch hier stand ein Teil der Regierung,

die Ministerien

des Innern, der Finanzen und des Handels schon 1855 auf dem Standpunkt der vollständigen Wucherfreiheit das Justizministerium Herrenhauses

hatte

übernommen.



die Rolle

des preufsischen

Es führte

aus,

„dafs

die

kleinen Grund- und Gewerbebesitzer überhaupt und in den kapitalärmeren Ländern, in welchen der habgierige Jude niedrigster Sorte fast Alleinherrscher des Geldmarktes sei, durch plötzliche Auflassung

der Wuchergesetze

traurigsten Zustand geraten könnten,

dafs die

in

den

kleinen

Grund- und Gewerbebesitzer ihre Darlehen seltener

bei

bemittelten Leuten, welche vor allem auf Sicherheit sehen, bekommen können, dafs für diese Geldbedürftigen daher nur jene Klasse von Menschen erübrige, welche das Gelddarleihen als eine eigentliche Gewinnunternehmung

be-

trachten, das heifst die Wucherer von Gewerbe und vorzugsweise die Juden.

Diese — so schliefst das Justiz-

ministerium — würden die Aufhebung der Wuchergesetze mit Jubel begrüfsen und sogleich dazu benützen, mit ihren Forderungen ungemessen in die Höhe zu g e h e n 3 9 " . es sich später um

die Erhöhung

maximums von 5 °/o auf 6 %

Als

des gesetzlichen Zins-

bei hypothezierten Forde-

rungen handelte, sprach sich der Justizminister Graf Nadasdy in seinem am 9. März 1858 erstatteten allerunterthänigsten Vortrage

dagegen aus, indem er

unter Hin-

weisung auf die gleichzeitigen Forderungen einer gänzlichen Freigebung der Kapitalsbewegung und einer Abschaffung der 39

Chorinsky a. a. 0. S. 42.

Wucherfreiheit un

Wuchergesetze.

Wucherstrafen hervorhob, d a f s setzgebung zu z w e i f e l n , Standpunkt

eingefallen

es

sei,

Handlungen, öffentlicher

39

noch k e i n e r Gean i h r e m welche

Moral

Rechte

aus

dem

verwerflich,

auch für b ü r g e r l i c h s t r a f b a r zu e r k l ä r e n . Doch auch hier mufste Einsicht

schliefslich

liberalen Theorien und

lationsgelüsten Platz machen.

staatsmännische

selbstsüchtigen Speku-

Zuerst wurde in dem Ge-

setz vom 14. Dezember 1866 Z. 160 R.G.B. versucht, mit den verhafsten Zinstaxen zu brechen und dennoch das Wucherdelikt beizubehalten — aber nicht auf lange.

Der

spätere Justizminister Glaser kritisierte in einem Aufsatz der „Allgemeinen österr. Gerichtszeitung" 1867 mit Recht die Dehnbarkeit des neuen Wucherbegriffs 40 und der spätere Reichstagsabgeordnete Jaques trat in einer besonderen Schrift

für vollständige Zins- und Wucherfreiheit

ein41.

Hier nannte Jacques unter Wiederholung Benthamscher Ausführungen

den Schutz

des

leichtsinnigen

Schulden-

machers, sowie des waghalsigen Projektenmachers falsche Sentimentalität, behauptete, dafs vom Wucherer produktivere Anwendung des Kapitals zu erwarten sei, als von dem Bewucherten dieser Sorte — wies schiefslich darauf 40 Vgl. oben Litt. Nach diesem Gesetz war derjenige wegen Wuchers strafbar, „welcher die Notlage, den Leichtsinn, die Unerfahrenheit oder Verstandesschwäche des Anleihers zu dessen empfindlichem Nachteile mifsbrauche, um für sich oder Andere unter was immer für einer Form einen Vorteil zu bedingen, welcher zu dem am Orte üblichen Zinsenmafse und zu den mit seiner Leistung etwa verbundenen Auslagen, Verlusten oder sonstigen Opfern in auffallendem Mifsverhältnis stehe." 41 s. Litt.

Erstes Kapitel.

40

hin, dafs der Wucherer, der dem Leichtsinnigen zu hohen Prozenten geborgt hat, o h n e d e n s e l b e n z u m B o r g e n zu v e r l e i t e n ,

nicht strafbar sei, da man ihn ja auch

nicht gestraft hätte, wenn er dem Leichtsinnigen zu überspannten Preisen Waren verkauft

hätte42;

wenn er ihn

aber zu solchen Darlehen verleitet habe, er gleichfalls unbestraft ausgehen müsse, weil durch eine solche, wenn auch unsittliche Thätigkeit das Recht des

grofsjährigen,

dispositionsberechtigten Leichtsinnigen nicht verletzt werde. Schliefslich proklamierte das Gesetz vom 14. Juni 1868 Z. 62 R.G.B, für Österreich, der X X X I Gesetz-Artikel von 1868 für Ungarn — kaum sieben Monate nach dem deutschen Bundesgesetze vom 14. November 1867 — die langersehnte vollkommene Wucherfreiheit — oder wie man es damals nannte: Freiheit der Kapitalsbewegung.

Jetzt war

man endlich an dem ersehnten Ziele und begann nun müfsig zuzusehen, wie sich wohl die Dinge ohne die beengenden Fesseln des Gesetzes entwickeln würden.

Doch

anstatt der geträumten Blüte der Landwirtschaft und des Handels kam der wirtschaftliche Aufschwung der Bau- und Maklerbanken am Wiener Spekulationswut,

nete und Minister,

42

Platze

und eine

die bald Hoch und Niedrig, sowie

Börsenjobber

und

allgemeine AbgeordZeitungs-

Diese an sich richtige Bemerkung findet sich gleichfalls schon hei Bentham, doch weit entfernt davon eine Entkräftung der Wuchergesetze zu enthalten, ist sie im Gegenteil ein Hinweis, dafs diese Gesetze einer Ausdehnung auch auf andere zweiseitige Verträge bedürfen. Vgl. die schweizerische Cantonalgesetzgebung in Kap. II, die Definitionen Marios, Schäffles, Miaskowskis u. a. in Kap. I I I und meine Definition des Wuchers in Kap. IV.

Wucherfreiheit unci Wuchergesetze.

Schreiber erfaiste 43 .

41

Dem grofsen Börsenkrach von 1873

war es auch hier bestimmt, die Blöfsen des wirtschaftlichen Liberalismus schonungslos aufzudecken. Erst nach diesem bedeutsamen Jahre begann man langsam die unfruchtbaren Theorien aufzugeben oder sie wenigstens einzuschränken und zu verklausulieren — und man wurde sich schliefslich bewufst, dafs die frühere Siegesgewifsheit angesichts so beredter Thatsachen gröfserer Bescheidenheit das Feld räumen müsse. Der galizische Landtag erwarb sich in dieser Frage bei Freund und Feind die Anerkennung

politischer Reife und unbeeinflufster,

von

toten Formeln unabhängiger Urteilskraft 4 4 . Er war der erste in Österreich, der zur Umkehr, zum Aufgeben des bisher eingenommenen

unfruchtbaren

Standpunktes

aufforderte.

Schon im Oktober 1874 wies die Rechtssektion des galiz. Landtages in einem eingehenden Bericht die Verderblichkeit des Gesetzes vom 14. Juni 1868 nach und machte ihm zum Vorwurf, dafs es die sittliche Aufgabe des Staates gänzlich verkenne.

Auf Grund dieses Berichtes, der die

trostlose Lage der Dinge beredt schilderte 45 , beschlols der galizische Landtag, die Regierung zur Erlassung eines Gesetzes aufzufordern, welches zwar die Zinsfreiheit principiell beibehalten und von Strafgesetzen gegen den Wucher absehen, aber den Höchstbetrag der vertragsinäfsigen Zinsen, die im gerichtlichen Wege einzutreiben wären, mit 12 von 43 s. Schaffte, Der Börsenkrach von 1873 (Tübinger Zeitschrift f. die ges. Staatswissenschaft 1874). 44 s. die Schriften Chorinskys, Gellers, Thüngens. 45 s. Näheres unter Kap. V I „Der Wucher auf dem Lande in Oalizien".

Erstes Kapitel.

42

Hundert für's Jahr festsetzen sollte. Die vom Wucher im ganzen Lande angerichteten Verheerungen wurden sowohl im Berichte der Rechtssektion als auch in der Diskussion von einzelnen Rednern so ausführlich dargestellt, die allgemeine Notlage so deutlich aller Augen vorgeführt, dafs man hätte erwarten sollen, die Regierung werde sich mit den bescheidenen Wünschen des Landtags nicht zufrieden geben, sondern mit dem gröfsten Eifer daran gehen, den Notstand zu entfernen.

Doch war es die vis inertiae der

früheren österreichischen Bureaukratie, war es die voreingenommene Verranntheit in manchesterliche Doktrinen, es bedurfte erst dreier Beschlüsse des galizischen Landtags hintereinander und harter Kämpfe im Abgeordnetenhause, die denn die polnischen Abgeordneten — in dieser Frage unter

Führung

wacker

des

unermüdlichen

ausfochten,

galizischen

es

Gerichten

mufste

Dr. Rydzowski

eine Enquete bei

vorangehen,

die denn auch

— den die

haarsträubendsten Einzelheiten zu Tage förderte, bis sich die

Regierung

nicht

ohne

inneres

Widerstreben

zur

Ausarbeitung eines neuen Wuchergesetzes

auf Grund des

alten 66er Gesetzes und mit Verwerfung

der vom galiz.

Landtage befürworteten Zinstaxen entschlofs, den Wirkungskreis desselben jedoch

ausschliefslich

auf Galizien

be-

schränkte, bis das Parlament auf ausdrücklichen Wunsch der bukowinaer Abgeordneten das neue Gesetz auch auf die Bukowina ausdehnte. und

die Bukowina

Gleichzeitig wurde für Galizien

ein Gesetz

zur Hintanhaltung

Trunkenheit erwirkt (dato 19. Juli 1877.

der

Z. 67 RGB.),

welches mit Anlehnung an die Polizeistrafgesetze für Hannover von 1847, für Bayern von 1861, für Baden von 1863

Wucherfreiheit un

Wuchergesetze.

43

und für Frankreich vom 23. Januar 1873 — Forderungen an Gäste für die Verabreichung geistiger Getränke in Gastoder Schankräumlichkeiten für nicht klagbar erklärte, wenn der Kreditnehmer zur Zeit der Verabreichung eine frühere Schuld gleicher Art an denselben Gläubiger noch nicht bezahlt hat. Befestigung

Pfand- und Bürgschaftsverträge, solcher

Forderungen

welche zur

abgeschlossen

werden,

wurden für ungültig erklärt und bestimmt, dafs jede Umgehung dieses Gesetzes durch Scheingeschäfte oder Ausstellenlassen von Urkunden insbesondere auch Wechselerklärungen mit Arrest bis zu 2 Monaten oder an Geld bis oder

zu

zweihundert

dauerndem

Gulden

Verlust

der

eventuell

mit

zeitlichem

Schankkonzession

gestraft

werden solle. Wie schmerzlich die „liberale" Partei, die noch unlängst das berüchtigt gewordene: „laissez aller,

laisser

passer, le monde va de lui mème" auf die Spitze getrieben hatte, diesen „schmählichen Rückschritt" empfand, läfst sich aus den in der Wucherdebatte gehaltenen Reden der Abgeord. Menger und Hönigsmann unschwer ermessen.

Was

dieselben vorbrachten, war aus Bentham und Turgot, ja häufig aus den ihnen nachhumpelnden und sie verwässernden deutschen, französischen und österreichischen Schriftstellern entnommen und beschränkte sich auf Phrasen von Freiheit der Kapitalsbewegung, freier Konkurrenz, Angebot und Nachfrage,

Berücksichtigung

der Gefahr

des Dar-

leihers u. s. w. Als der Abg. Menger in seiner Rede vom 26. April 1877 ausdrücklich betonte, dafs im rohen Zinse, den der Darlehensnehmer zahle, nicht blofs der Entgelt für die Kapitals-

Erstes Kapitel.

44

nutzung sondern auch die Assekuranzprämie und namentlich bei kleineren Darlehen auch ein gut Teil Arbeitslohn enthalten sei, entgegnete ihm der Abgeordnete und spätere österreichische Finanzminister Dunajewski, „Arbeitslohn" glücklich persiflierend:

den Ausdruck

„Man mufs zunächst

den Landmann dahin bringen, dafs er ein Bedürfnis nach Geld empfindet, ein Bedürfnis, das den Ertrag seines Grundstückes übersteigt.

Das i s t e i n e g e w i s s e M ü h e .

Man

lockt ihn in ein öffentliches Lokal, zeigt ihm gewisse Waren für seine Frau oder gewisse Spielsachen für sein Kind, man sagt ihm, wenn er eine Hochzeit oder eine Taufe zu feiern hat und nicht die Mittel besitzt, um recht grofsartig aufzutreten — dafs man ihm auf Borg und Kredit Getränke liefern Arbeit.

werde:

das i s t

auch

eine

gewisse

Man mufs von ihm Grundstücke als Pfandobjekt

verlangen, man mufs ihn dazu bringen, vor einem Notar oder einem Privatschreiber irgend einen Schuldschein oder Wechsel auszustellen.

Dann werden genaue Bedingungen

über die Zeit der Zahlung und die Konventionalstrafen festgestellt, wenn die Zahlung nicht zum festgesetzten Termin geleistet wird.

Ist das Alles geschehen, dann handelt es

sich für den Gläubiger darum, sich vom Landmanne, der ja wie jeder Schuldner am Anfang seiner Laufbahn redlich und gewissermafsen furchtsam ist, wenn er einen kleinen Betrag angesammelt hat und sich dann zum Gläubiger begiebt, um die Schuld pro parte rata oder im ganzen zu bezahlen, sich nicht zu Hause finden zu lassen. auch eine

Arbeit!

Diese

einen strafgerichtlichen

Arbeit

Das i s t

verdient



Lohn!"

Als das Wuchergesetz von 1877 endlich zu Stande

Wucherfreiheit un

Wuchergesetze.

45

kam, fühlte man sich allgemein — nicht nur in Galizien — wie von einem Banne gelöst.

Aus Mähren, Böhmen und

andern Provinzen wurde stürmisch petitioniert, das Gesetz auf die ganze Monarchie auszudehnen. brachte

im

preufsischen

Im Jahre 1878

Abgeordnetenhause

der

Abg,

v. Schorlemer-Alst die Wucherfrage zur Sprache, im Jahre 1879 stellte in der 2 ten bayerischen Kammer der Abg. Schels

einen Initiativantrag

auf Wiedereinführung

des

Wuchergesetzes, im Kanton Solothurn kam 1879 ein neues Wuchergesetz zu Stande. Schliefslich begann auch die deutsche Regierung sich mit der Frage ernstlicher zu beschäftigen.

Man veran-

staltete eine Enquete, doch anstatt Notare und Kleingrundbesitzer einzuvernehmen, wendete man sich mit der Bitte um Auskunft an die Reichsbankanstalten, die sich — wie doch zu erwarten war — fast durchweg gegen die Wuchergesetze aussprachen. Der Umschwung der öffentlichen Meinung war jedoch so entschieden, dafs dieses Ergebnis keinen mafsgebenden Einflufs mehr auf die Gesetzgebung ausüben konnte.

Mit

Gesetz vom 28. Juli 1879, betreffend Abänderung einiger Bestimmungen der Gewerbeordnung, wurde die Zulassung von Pfandleihern und Rückkaufshändlern an Orten, wo dies ein Ortsstatut erlaubte, auch von dem B e d ü r f n i s der Bevölkerung abhängig gemacht und den Centraibehörden der Einzelstaaten das Recht gegeben, über Umfang der Befugnisse und Verpflichtungen derselben sowie über ihre Buchführung

und polizeiliche

Rahmens der Landesgesetze

Kontrolle

innerhalb

Bestimmungen

zu

des

treffen.

Bald darauf erschien die Ausführungsverordnung für Bayern.

rtes Kapitel.

46

Nach derselben durfte der Pfandleiher höchstens 1 °/o pro mese (12°/ο) beanspruchen, für die Ausstellung und Erneuerung der Pfandscheine sich höchstens 5 Pfennige zahlen lassen,

die verpfändeten Gegenstände blofs

in

hellen,

trockenen, gut ventilierten und gut verschliefsbaren Lokalitäten aufbewahren, mufste die Behörde von der Wahl der Lokalität verständigen, die Gegenstände versichern, eine angemessene Kaution erlegen, ein Pfandbuch führen, den Darlehensnehmern

Pfandscheine ausstellen, jederzeit der

Polizei Zutritt in sein Geschäftslokal gestatten und Mitteilungen über verlorene und gestohlene Gegenstände noch ein Jahr nach Einlangung aufbewahren.

Dabei durfte er

schliefslich sich nur aus dem Erlös des Pfandobjektes durch öffentliche Versteigerung, nicht aber durch Verfallserklärung derselben oder durch ein pactum antichreticum befriedigen und höchstens 5 °/o des Erlöses zur Bestreitung der Gerichtskosten verwenden 46 .

Die Folge dieser Verordnung war,

dafs viele Pfandleiher ihr Gewerbe ganz aufgaben. I n demselben Jahre (1879) überreichte der Abg. Reichensperger, derselbe, welcher schon 1860 für Wuchergesetze eingetreten war, mit 62, der konservativen Partei angehörenden Genossen, einen Initiativantrag auf Wiedereinführung der Wuchergesetze, welcher aus zwei event. Gesetzentwürfen bestand.

Gleichzeitig überreichten die Abg. v.

Kleist-Retzow, Flottwell und Freiherr von Marschall einen von dem Reichenspergerischen verschiedenen Antrag, auch mit geringen Abweichungen Gesetzeskraft

der

erlangte.

So kam das deutsche Gesetz vom 24. Mai 1880 zustande. 46

Schmoller, Die öffentlichen Leihhäuser, s. Litt.

Wucherfreiheit und Wuchergesetze.

47

Auch in Österreich mufste man schliefslich dem Andrängen der öffentlichen Meinung und der Landtage nachgeben und das Partikulargesetz

von 1877 mit

unbedeu-

tenden Modifikationen auf alle im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder ausdehnen. I n Ungarn waren schon mit Ges.-Art. V I I I von 1877 höhere als 8 °/o Zinsen für nicht klagbar und nicht intabulationsfähig anerkannt und bestimmt worden, dafs dieselben auch in öffentlichen Dokumenten oder Notariatsakten nicht stipuliert werden können. Mit Gesetz-Art. X X V . vom 17. April 1883 wurde diese Bestimmung noch dahin ausgedehnt, dafs auch das Gesetz nicht höhere als 8°/oige Zinsen zuerkennen dürfe und der Wucher als kriminelles Delikt anerkannt, dessen Strafbarkeit jedoch nur auf Antrag des Beschädigten und blofs dann von Amtswegen zu erfolgen habe, wenn in Folge des Wuchers die Verarmung ganzer Gegenden eingetreten

sei.

Zugleich wurde be-

stimmt, dafs die Rückgabe unrechtmäfsigen Vorteiles mit 6 °/o Zinsen

zu erfolgen

Wirtshausschulden

sollte

habe.

Bei

schliefslich

Einklagung nach

von

ungarischem

Gesetz blofs ein Betrag zuerkannt werden, den das Municipium bezüglich

seines Gebietes in den Grenzen von

2—8 fl. mit Genehmigung des Ministeriums festsetzt.

Wer

mehr kreditiert,

bevor die erste Schuld

eingeklagt und gerichtlich zuerkannt Forderung

47

des Innern

ist, verliert seine

.

47 Diese Bestimmung erscheint uns praktischer, als die des galizischen Gesetzes zur Hintanhaltung der Trunkenheit, da das letztere notwendig umgangen werden mufs und auch thatsächlich umgangen wird, da es doch nicht anzunehmen ist, dafs der Wirt jede Zech-

rtes Kapitel.

48

v. Rizy, der noch 1859 gegen die Schwärmer für Wucherfreiheit mit dem ganzen Nachdruck seines Wissens und seiner Überzeugung aufgetreten war, konnte 1881 als Mitglied des österr. Herrenhauses, mit Stolz auf den Kampf eines Menschenalters zurücksehend, die vernichtenden Worte sprechen, die wir als die Grabrede des wirtschaftlichen Liberalismus bezeichnen möchten: „Die führenden Patrone der Kapitalsfreiheit sahen sehr bald eine so übergrofse Menge glaubensfester Verehrer um ihre Fahnen versammelt, dafs man beinahe versucht ist, es verzeihlich zu finden, wenn sie schliefslich erklärten, sich in eine weitere Diskussion über ihre Grundsätze gar nicht mehr einlassen zu wollen, da ja ohnehin so ziemlich alle vernünftigen und wohl unterrichteten Leute mit denselben einverstanden seien.

Dieser auf dem Felde der Wissen-

schaft unerhörte Erfolg, welchen die Kulturgeschichte jeden-

schuld von einigen Kreuzern besonders einklagen wird. Das ungarische Gesetz bestimmt einen Maximalbetrag zwischen 2—8 fl. und ist daher ausführbar — wogegen in Galizien und in der Bukowina die grofse Zahl der der Übertretung des Gesetzes vom 19. Juli 1877 Z. 67 R.G.B. schuldig Erkannten fast ausschliefslich aus Ärgernis erregenden Trunkenbolden, nicht aber auch aus Gläubigern, die das Kreditverbot durch Scheingeschäfte und Urkunden jeder Art zu umgehen wissen, besteht. An dieser Stelle möge noch erwähnt werden, dafs, als das niederländische Parlament über das Trunkenheitsgesetz vom 28. Juni 1881 (Staatsblatt 97) beratschlagte, der liberale Abgeordnete Dr. Schaepmann die charakteristischen Worte sprach: „man solle den Arbeiter doch seine zwei Schnäpse täglich ruhig trinken lassen." Wie edel gedacht ! Jedes Herz eines echten Manchestermannes mufste bei diesen Worten höher schlagen. Das niederländische Gesetz kam aber doch, wenn auch gekürzt und stark beschnitten, zustande.

Wucherfreiheit und Wuchergesetze.

49

falls unter den seltsamen Erscheinungen des Jahrhunderts zu verzeichnen haben wird — dieser unglaubliche Erfolg erscheint noch seltsamer, wenn man bemerkt, dafs ein grofser Teil dieser Anhängerschaft einer wissenschaftlichen Theorie sich im Besitze einer Art von nationalökonomischem Katechismus befindet, mit dessen Hilfe auch solche Leute, welche sonst mit den Geheimnissen der Wissenschaft nicht im entferntesten Zusammenhange stehen, über die Wucherfrage ex c a t h e d r a auch öffentlich zu sprechen sich getrauen." „Die Proben einer in so wunderlicher Weise erworbenen nationalökonomischen Weisheit sind uns denn auch seit einer langen Reihe von Decennien nicht nur aus Österreich sondern aus dem gesamten Deutschland in unglaublicher Fülle entgegengekommen.

Denn um nichts von den zahl-

reichen Prefserzeugnissen

und von den unzähligen Be-

richten, Petitionen und Denkschriften der verschiedensten Behörden und Korporationen zu reden, welche das offenliegende Gepräge des oberflächlichsten Dilettantismus an sich tragen, so haben wir ja in den Sälen der Parlamente, bei Wanderversammlungen und wo sonst noch ein so beliebter Gegenstand zur Sprache kam, jene wohltönenden Reden bis zum Überdrusse hören müssen, in denen der Sachkundige nichts anderes als die einfache Reproduktion der alten Schulauszüge aus jenen bekannten 18 Briefen erkannte, mit welchen der alte Bentham im Jahre 1787 die Verteidigung des Wuchers so mannhaft hatte.

übernommen

Und in allen diesen sich zum Verwechseln ähnlich

sehenden Kundgebungen findet man den Gegenstand in einer Weise besprochen, als ob es sich dabei nicht um das C a r o , Der Wucher.

4

rtes Kapitel.

50

Glück der Bevölkerung, sondern nur um eine schrankenlose Vermehrung der Güter; als ob es sich einzig und allein um den Gewinn der Reichen und Mächtigen und nicht auch um die Existenz des Armen und Ohnmächtigen handelte." Und er durfte schliefslich die Worte Jherings wiederholen, die auch diesen Abschnitt beschliefsen mögen : beschränkte Verkehrsfreiheit

„Un-

ist ein Freibrief zur Erpres-

sung, ein Jagdpafs für Räuber und Piraten mit dem Rechte der freien Pürsch auf Alle, die in ihre Hände fallen — wehe dem Schlachtopfer! D a f s d i e W ö l f e n a c h F r e i heit

schreien,

ist begreiflich.

W e n n aber die

S c h a f e i n i h r G e s c h r e i e i n s t i m m e n , so b e w e i s e n sie d a m i t n u r , d a f s s i e e b e n S c h a f e s i n d . "

Zweites Kapitel.

Zinstaxen und moderne Wuchergesetze.

Innerhalb der Gesamtheit der Wuchergesetze machen sich zwei Richtungen bemerkbar:

Die eine,

repräsentiert

durch die sogen. Zinstaxengesetze, bezeichnet als Wucher entweder schlechthin die Überschreitung

einer positiven

Zinstaxe ohne weitere Merkmale oder versteht unter strafbarem Wucher erst die gewerbsmäfige, verschleierte oder unter

Ausnutzung

Darlehensnehmers

unwirtschaftlicher erfolgte

diesem Sinne würden wir Kategorien einteilen: plizierten

Eigenschaften

des

Zinstaxenüberschreitung.

In

die Zinstaxengesetze in zwei

in die r e i n e n und in die k o m -

Zinstaxengesetze.

Als Vorläufer der modernen Richtung mufs das Badener Strafgesetzbuch vom 6. März 1845 gelten.

Nach

dem-

selben (§ 533) ist strafbarer Wucher jede Ausbedingung übermäfsiger Vorteile sowohl bei Darlehen als auch bei andern „belasteten" Verträgen und zwar bei Unmündigen und den ihnen rechtlich gleichgestellten Personen ohne weitere Beschränkung,

bei vertragsberechtigten 4*

dagegen

etes Kapitel.

52

erst dann, wenn Ausbeutung unwirtschaftlicher Eigenschaften des Darlehensnehmers und Verschleierung der wucherlichen Vorteile in der Urkunde hinzutritt oder wenn der Vertrag so abgefafst ist, dafs daraus die betrügerische Absicht des Darlehensgebers wahre

Verhältnis

hervorgeht, der

seinen Schuldner über

Leistung

und Gegenleistung

das zu

täuschen. Als Z w i t t e r g e s e t z e möchte ich bezeichnen diejenigen, welche strafbaren Wucher sowohl bei Überschreitung des gesetzlichen Maximums, wie auch bei Ausbedingung übermäfsiger Vorteile im allgemeinen annehmen.

Hierher ge-

hören die Strafgesetzbücher von Hessen-Darmstadt, Nassau und Sachsen-Weimar-Eisenach.

Die beiden ersten (vom

17. September 1841 Art. 400 u. 401 bez. vom 14. April 1849 Art. 394 u. 395) bezeichneten als Wucher sowohl die Überschreitung des gesetzlichen Maximums, als auch den Mifsbrauch

des Leichtsinns,

der Leidenschaft

anderer unwirtschaftlicher Eigenschaften Unmündiger

oder und

ihnen rechtlich gleichgestellter Personen j e d o c h n u r b e i Abschliefsung später in

von

Darlehensgeschäften.

Das

den meisten thüringischen Staaten eingeführte

Gesetzbuch von Sachsen-Weimar - Eisenach (vom 20. März 1850 §§ 2 8 6 - 2 9 0 ) versteht unter Wucher gleichfalls sowohl die Überschreitung

der gesetzlichen Zinstaxe,

als

auch die Ausnützung des Notstandes oder des Leichtsinns eines Andern, jedoch mit

dem Unterschiede,

dafs

hier

Wucher sowohl bei Darlehen, als auch b e i a n d e r n V e r t r ä g e n vorkommen konnte und mit dem weiteren Unterschied, dafs jede Übervorteilung Personen als Wucher galt.

auch

eigenberechtigter

Zinataxen und moderne Wuchergesetze.

53

Die modernen Wuchergesetze, die sich auf Grund des Badener Strafgesetzbuches gebildet

haben,

sind

und der Zwittergesetze

das österreichische

14. Dezember 1866, das österreichische

Gesetz

ausvom

Partikulargesetz

von 1877, das Solothurner Gesetz von 1879, das deutsche Gesetz von 1880 und das österreichische Gesetz von 1881, sowie die Gesetze einer Reihe von schweizerischen Kantonen im letzten Jahrzehnt, wogegen das belgische Gesetz vom 8. Juni 1867 (Art. 494), das Luzerner Gesetz und das. ungarische Gesetz (Gesetz - Artikel X X V den

komplizierten

Zinstaxengesetzen

von 1883)

zugezählt

werden

dürften. Schon unter den Zwittergesetzen wurde ein principieller Unterschied hervorgehoben, Strafgesetzbücher Wucher

von

der darin bestand, dafs die

Hessen - Darmstadt

und

Nassau

blofs bei Darlehensgeschäften anerkannten, wo-

gegen das Strafgesetzbuch von Sachsen-Weimar-Eisenach, allgemeiner als das thüringische Strafgesetzbuch bekannt, nach dem rühmlichen Vorgange des Badener Strafgesetzbuches Wucher auch bei andern belasteten Verträgen annahm.

Derselbe Unterschied läfst sich auch bei den mo-

dernen Wuchergesetzen feststellen. Das Solothurner

Gesetz

von

1879

bezeichnet

als

Wucher die Ausbeutung der Not oder geistigen Beschränktheit

eines

Geldsuchenden

den herrschenden Geldpreisen

durch übertriebene, und

dem

mit

übernommenen

Risiko in einem offenbaren Mifsverhältnis stehende Zinsen oder Provisionen. Hier ist blofs von einem Geldsuchenden, also offenbar nur von Darlehen die Rede. Das deutsche Gesetz vom 24. Mai 1880 bezeichnet

etes Kapitel.

54

als Wucher jede absichtliche Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines Andern, welche sich darin äufsert, dafs der Gläubiger für e i n D a r l e h e n oder im F a l l e

der S t u n d u n g einer

rung

einem Dritten Vermögensvorteile

sich oder

Geldfordever-

sprechen oder gewähren läfst, welche den üblichen Zinsfufs dergestalt überschreiten, dafs nach den Umständen des Falles die Vermögensvorteile in auffälligem Mifsverhältnis zu der Leistung stehen. Auch hier ist blofs der Darlehenswucher unter Strafe gestellt (vgl. Schwarze und Fuld, s. Litt.), wiewohl eine „Geldforderung' 4 doch eigentlich auch aus anderen belasteten Verträgen resultieren könnte.

Da-

gegen will das österreichische Gesetz vom 28. Mai 1881 unter Wucher die absichtliche Ausbeutung des Leichtsinnes, der Notlage, Verstandeschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung

des Kreditnehmers behufs Sicherung von

übermäfsigen Vermögensvorteilen verstanden wissen, wenn dieselben das wirtschaftliche Verderben des Kreditnehmers herbeizuführen

oder

zu befördern

geeignet

sind.

Das

deutsche Gesetz unterscheidet sich somit vom österreichischen nicht blofs durch seine engere Begriffsbestimmung, sondern auch zu seinem Vorteile dadurch, dafs es: a. die Ausbeutung der Verstanclesschwäche und Gemütsaufregung nicht besonders hervorhebt, b. das Hinzielen auf den Ruin des Kreditnehmers

nicht als notwendiges Kriterium

des

Wuchers betrachtet, c. dafs es auf einen üblichen Zinsfufs hinweist, in dessen Überschreitung der deutsche Richter schon einen bestimmteren Fingerzeig besitzt, als dies beim österreichischen Richter der Fall sein kann, der vor eine vage Begriffsbestimmung gesetzt, vollkommen sich selbst

Zintaxen und moderne Wuchergesetze.

überlassen ist,

d. dafs es, anstatt

55

im allgemeinen von

„übermäfsigen Vermögensvorteilen" zu sprechen, wie das österreichische Gesetz, diesen Begriff dahin erläutert, dafs darunter ein Vorteil zu verstehen sei, der in auffälligem Mifsverhältnis zur Leistung stehe. Aus diesen Gründen ist

das deutsche Gesetz dem

österreichischen bedeutend vorzuziehen.

Dagegen hat das

letztere die Eigenschaft, dafs es sich nicht nur auf Darlehen, sondern auch auf andere Kreditgeschäfte, wenn auch nicht auf alle belasteten Verträge überhaupt bezieht. Dafs sich der Ausdruck Kreditgeschäft auf a l l e Rechtsgeschäfte beziehen soll, durch welche eine Kreditgewährung eintritt, also auch auf die Kreditierung des Kaufpreises etc., beweisen die Motive zum Entwurf des gàlizischen Gesetzes gegen den Wucher von 1877 1 .

Die Vereinigung der Vor-

züge beider Gesetze, des österreichischen und des deutschen,

findet

sich im Gesetze des Kantons Bern

26. Hornung 1888.

Hier heilst es:

tung der Notlage, der Gemütsaufregung, der Verstandesschwäche

oder

der

vom

„Wer unter Ausbeudes Leichtsinns,

Unerfahrenheit

eines

Andern bei Gewährung oder Verlängerung von Kredit oder bei Vermittlung eines Darlehens sich oder einem Dritten in irgend einer Form Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läfst, zulässige

welche den üblichen Zinsfufs

Vermittlungsprovision

dermafsen

oder

die

überschreiten,

dafs nach den Umständen des Falls die Vermögensvorteile

1 Vgl. auch Pietak (s. Litt.), nicht minder Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes zu Wien vom 17. Januar 1885 und 16. Dezember 1885 (Gellers Justizgesetze, V. Bd.).

etes Kapitel.

56

in auffälligem Mifsverhältnis zu der Leistung stehen, macht sich des Wuchers schuldig." Auch bei

den komplizierten Zinstaxengesetzen

der

Neuzeit läfst sich eine principielle Unterscheidung zwischen Darlehens- und Kreditwucher machen.

Das belgische Ge-

setz versteht unter Wucher das Überschreiten des legalen Zinsfufses, sowohl w e η η es unter Ausnützung unwirtschaftlicher

Eigenschaften

auch w e n n

des Darlehensnehmers

erfolgt,

es gewohnheitsmäfsig betrieben wird.

wie Das

Wuchergesetz von Luzern stimmt mit dem belgischen überein, nur dafs überdies das Nehmen von Zinseszinsen als Wucher bezeichnet wird.

Sowohl hier wie dort kann also

nur beim Darlehensvertrag von Wucher die Rede sein. Das ungarische Wuchergesetz dagegen bezieht sich ähnlich wie das österreichische

auf alle Kreditgeschäfte und ist

übrigens nichts als eine ungeschickte Verquickung beider mit den Zinstaxengesetzen.

Dasselbe definiert den Wucher

als K r e d i t i e r u n g

Gewährung

lungsaufschubes

oder

eines

Zah-

mit Ausbeutung der Bedrängnis, des

Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines Andern unter Bedingungen, welche vermöge der übermäfsigen, dem Gläubiger oder einem Dritten zugewendeten Vermögensvorteile den materiellen Ruin des Schuldners oder des Bürgen herbeizuführen oder zu fördern geeignet sind oder welche so beträchtlich sind,

dafs mit Rücksicht auf die obwaltenden

Umstände ein auffallendes Mifsverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung sich ergiebt — jedoch nur dann, wenn der Zinsfufs acht vom Hundert übersteigt. Den Reigen beschliefst

eine letzte

Gesetzesgruppe,

welche sich der weiten Begriffsbestimmung des Badener

Zintaxen und moderne Wuchergesetze.

57

und Thüringer Strafgesetzbuches anschliefst und jede Übervorteilung bei zweiseitigen Verträgen überhaupt — ohne Unterscheidung zwischen Kredit- und Bargeschäften — als Wucher

bezeichnet.

Hierher

gehören

das Appenzeller

Strafgesetzbuch vom 28. April 1878 (§ 135), das Thurgauer Gesetz vom 8. März 1887,

das Aargauer Gesetz

vom

26. September 1887, das Walliser Gesetz vom 30. Novbr. 1887, das Züricher Strafgesetzbuch (§ 181a), das Schaffhausener Strafgesetzbuch (§ 230) und das Tessiner Gesetz. Das Appenzeller, Aargauer und Züricher Gesetz giebt sich mit einer allgemeinen Bezeichnung jeder Ausnützung der ökonomisch bedrängten Lage eines Andern 2 als Wucher zufrieden;

das Thurgauer

und Walliser

Gesetz

erklärt

überdies das Überschreiten eines Zinsmaximunis von 5 ° ο beim Darlehensvertrag Gesetz schreitet nur

für

strafbar;

dann

ein,

das Schaffhausener

wenn der übervorteilte

Kontrahent minderjährig war oder aus der Fassung des Vertrages der wirkliche Inhalt desselben nicht klar erkennbar i s t 3 ; das Tessiner Gesetz bezeichnet als strafbar blofs die Übervorteilung gewisser,

besonders

schutzbedürftiger

Personen, sowie im allgemeinen jede betrügerische (auf Täuschung berechnete)

Einwirkung

Lebensmitteln, Waren etc. 2

auf den Preis

von

4

„Wer im g e s c h ä f t l i c h e n V e r k e h r , insbesondere bei Gewährung oder Verlängerung von Kredit unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns, der Verstandesschwäche oder Unerfahrenheit eines Andern sich Vermögensvorteile leisten läfst, die zur Leistung in auffallendem Mifsverhältnis stehen u. s. w." (Aargau und Zürich.) 3 Blodig a. a. 0. S. 66. 4 Blodig a. a. 0. S. 29, 67.

etes Kapitel.

58

Der letzte österreichische Strafgesetzentwurf von 1891 giebt endlich in den § § 3 1 3 und 314 eine Definition des Wuchers, die sich in zwiefacher Hinsicht vom Gesetz vom 28. Mai 1881 unterscheidet.

Während nach diesem zum

Begriff des Wuchers erforderlich ist, dafs die dem Kreditnehmer auferlegte Verpflichtung durch ihre Mafslosigkeit geradezu das wirtschaftliche Verderben des Kreditnehmers herbeizuführen oder zu befördern geeignet sei, genügt nach dem neuen österreichischen Entwurf im Anschlul's an das deutsche Wuchergesetz

von 1880 das Versprechen oder

Gewährenlassen eines Vermögensvorteils, welcher nach den Umständen des Falls in auffälligem Mifsverhältnis zu der Leistung steht.

Der zweite Unterschied ist der, dafs aus

der Aufzählung der Zustände, in welchen sich der Kreditnehmer zur Zeit seiner Ausbeutung befinden mufs, wenn die Ausbeutung Wucher begründen soll — die Kategorien: Verstandesschwäche wurden,

und

Formen eines unerfahrenen äufsern."

Gemütsaufregung

ausgelassen

„weil diese beiden Zustände sich stets in den (Motive

oder leichtsinnigen Gebarens

zum Reg.-Entw. 210 der

Beilagen

δ

X L Session 1891) . δ

Die auf den Wucher Bezug habenden Paragraphen des neuen Strafgesetzentwurfes lauten wörtlich: § 313. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre, womit Geldstrafe bis zu 2000 fl. verbunden werden kann, wird wegen Wucher bestraft: 1. Wer bei Gewährung oder Verlängerung von Kredit die Notlage, den Leichtsinn, die Unerfahrenheit des Kreditnehmers dadurch ausbeutet, dafs er sich oder einem andern Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läfst, welche nach den Umständen des Falles in auffälligem Mifsverhältnisse zu der Leistung stehen; 2. wer eine Forderung erwirbt und weiter veräufsert oder geltend macht, von der er weifs, dafs sie auf die in Ζ. 1 angegebene

Zintaxen und moderne Wuchergesetze.

59

W i r haben gesehen, dafs die Neuzeit eine Reihe von Gesetzen hervorgebracht

hat,

die eine dogmatische Be-

Art entstanden ist. Wer den Wucher gewohnheitsmäfsig betreibt, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft, womit Geldstrafe bis zu 4000 fl. verbunden werden kann. § 314. Die Strafe des Gefängnisses bis zu einem Jahre, womit Geldstrafe bis zu 2000 fl. verbunden werden kann, tritt ein: 1. wenn zur Verdeckung eines im § 313 bezeichneten Geschäftes ein Scheinvertrag geschlossen, eine Urkunde, welche unwahre Umstände enthält, errichtet oder über eine noch nicht bestehende Forderung ein gerichtliches Erkenntnis, ein gerichtlicher Vergleich oder schiedsgerichtlicher Spruch erwirkt wurde; 2. wenn sich der Kreditgeber die Erfüllung der aus einem der im § 313 bezeichneten Geschäfte eingegangenen Verpflichtung unter Verpfändung der Ehre, eidlich oder unter ähnlicher Beteuerung versprechen läfst. Dieselbe Strafe trifft denjenigen, welcher in Kenntnis dieser Umstände eine Forderung erwirbt und weiter veräufsert oder geltend macht. § 315. Wer in gewinnsüchtiger Absicht den Leichtsinn oder die Unerfahrenheit eines Minderjährigen dazu mifsbraucht, um sich von demselben die Zahlung einer Geldsumme oder die Erfüllung einer andern vermögensrechtlichen Verpflichtung versprechen zu lassen, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder an Geld bis zu 500 fl. bestraft. Dieselbe Strafe trifft denjenigen, welcher eine Forderung, von der er weifs, dafs sie auf die angegebene Weise entstanden ist, erwirbt und dieselbe weiter veräufsert oder geltend macht. Bei wiederholter Verurteilung, oder wenn Geschäfte dieser Art gewerbsoder gewohnheitsmäfsig betrieben werden, kann auf Gefängnis bis zu sechs Monaten und auf Geldstrafe bis zu 1000 fl. erkannt werden. § 316. Mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und an Geld bis zu 1000 fl. wird bestraft: 1. Wer um seines Vorteiles willen die ihm bekannte Notlage eines Andern dadurch ausbeutet, dafs er ihn zu einer ihn bedrückenden, durch die eingetretenen Umstände nicht gerechtfertigten Abänderung eines mit ihm eingegangenen Vertrages bestimmt; 2. wer sich der Erfüllung einer übernommenen Vertragspflicht in der Absicht entzieht, um aus der dadurch geschaffenen Notlage des anderen Vertragsteiles sich zu dessen Nachteil einen durch die Umstände nicht gerechtfertigten Vorteil zu verschaffen." § 316 führt

60

etes Kapitel.

Zeichnung des Wuchers zu geben versuchen und die das von altersher angewandte Aushilfsmittel eines ziffermäfsigen Zinsmaximums fallen gelassen haben.

Es soll nun ausge-

führt werden, inwiefern diese Tendenz berechtigt ist und ob

eine bisher zu unbekannte Bestimmung sowohl gegen Ausbeutung des Arbeiters durch seinen Brodherrn wie des Brodherrn durch seinen Arbeiter ein. Vgl. damit meine Definition des L o h n w u c h e r s in Kapitel IV. Charakteristisch ist, dafs der erste, den Schutz der Arbeiter bezweckende Absatz des § 316 schon im Reg.-Entw. von 1889 enthalten war, jedoch in der Ausschufsberatung des Abgeordnetenhauses gestrichen wurde, angeblich darum, weil im Falle des Zustandekommens eines neuen Vertrages eben von keinem Kontraktbruch, wie in Abs. 2, die Rede sein könne. Der Reg.-Entw. von 1891 stellte jedoch die frühere Fassung wieder her, mit der Motivierung, dafs der neue, den zweiten Kontrahenten bedrückende Vertrag nur deshalb zu stände komme, weil der erste Kontrahent mit seiner Leistung in Kenntnis der Notlage des andern innehalte. Es gebe also zum Abschlufs eines neuen Vertrages der vorangegangene Kontraktbruch allerdings Anlafs. Gegen den W a r e n w u c h e r richtete sich § 326 des Entwurfes von 1889, der in der Ausschufsberatung des Abgeordnetenhauses blofs auf den Wucher beim Ratenhandel eingeschränkt wurde. In dieser Fassung lautete er wie folgt: „Wer bei Veräußerung beweglicher Sachen gegen ratenweise Bezahlung den Leichtsinn, die Verstandesschwäche oder Unerfahrenheit des Erwerbers dadurch ausbeutet, dafs er denselben zu Anschaffungen beredet, welche den wirtschaftlichen Verhältnissen desselben offenbar nicht entsprechen oder dafs er sich oder einem Dritten Gegenleistungen gewähren oder versprechen läfst, welche den Wert der veräufserten Sache mafslos übersteigen, wird, wenn er solche Geschäfte gewerbsmäfsig betreibt, mit Gefängnis bis zu einem Jahre und an Geld bis zu 2000 fl. bestraft." Aus dem Entwurf von 1891 wurde dieser Paragraph ausgeschieden, weil inzwischen ein besonderer Gesetzentwurf gegen den Ratenhandel dem Parlamente zur verfassungsmässigen Behandlung vorgelegt wurde. S. darüber Kapitel V.

Zintaxen und moderne Wuchergesetze.

61

das, was man an die Stelle der überwundenen Zinstaxen setzte, besser und richtiger war. Gegen die Zinstaxengesetze wurde geltend gemacht, dafs sie in höchstem Grade willkürlich seien, dafs z. B. der Kaufmann bedeutend mehr zahlen könne, als die Zinstaxen vorschreiben — und dafs auch sonst die produktive Verwendung des Darlehens häufig die Folge habe, dafs auch der höchste Zins für den Entleiher noch immer eine Wohlthat sein könne — dafs diese Gesetze überall überschritten würden, ja den Wucher erst recht grofs gezogen hätten, weil sich, durch die Zinstaxen veranlafst,

viele

Gelddarleiher vom Geschäft zurückzögen, und die übriggebliebenen sich dann bei vermindertem Angebot einen um so höheren Zins zahlen liefsen, der auch eine ansehnliche Risikoprämie für den Fall gerichtlicher Entdeckung enthalten miifste — wohl auch, dafs sich der Wucher, aus dem Darlehensvertrage verdrängt, um so ungestörter auf andern Gebieten wirtschaftlichen Verkehrs breit gemacht habe und dafs diesem verschleierten Wucher häufig schon wegen des gemeinschaftlichen

Interesses

von Gläubiger

und Schuldner gar nicht beizukommen sei. Es läfst sich nun nicht bestreiten, dafs in dieser Kritik viel Wahres enthalten war,

wenn sie auch die Übel, die

sie schilderte, übertrieb und weit entfernt davon, die Möglichkeit einer Verbesserung der Zinstaxen ins Auge

zu

fassen, aus ihren Mängeln den wohl unberechtigten Schlufs auf gänzliche Abschaffung

derselben zog.

Beschränkung des Wuchervergehens

auf

So hat sich die den Darlehens-

vertrag durch eine Reihe schon von Bentham und vor ihm von den kanonistischen Rechtslehrern hervorgehobener ver-

etes Kapitel.

62

schleierter

Wucherfälle

gerächt;

so haben wortbrüchige

Schuldner, die selbst in ihrem kaufmännischen Berufe mehr als die vereinbarten, wenn auch an sich hohen Zinsen erzielt hatten, nicht selten die Zinsenzahlung nach erteiltem Darlehen verweigert und ihre Gläubiger wohl noch den Gerichten angezeigt, wie in dem von Turgot citierten Fall von Angoulèmes.

Die Zinstaxen waren zweifellos willkür-

lich und konnten hie und da unbillige Härten für den Gläubiger enthalten, aber man übersah, dafs dieses Übel allen Institutionen des materiellen wie des formellen Rechts, in denen irgend eine bestimmte, ziffermäfsige Grenze gesetzt wird,

in demselben Grade anhaftet — dafs ebenso

die Volljährigkeitsgrenze, die Zeit der Jahre des Vermifstseins behufs Zulassung der Todeserklärung, der Normalarbeitstag,

die Fristen des Prozefsrechtes etc. nichts als

„willkürlich" in demselben Sinne sind und auch nicht anders sein können.

Ebenso wie ein auf dem Schlachtfeld

angeblich schwer Verwundeter und durch mehr als drei Jahre Abwesender gesund nach Hause zurückkehren kann, nachdem er bereits nach österreichischem Recht vom Gerichte

als tot erklärt wurde

und

seine Gattin sich zum

zweitenmal verehelicht hatte, so kann auch ein besonders rüstiger Arbeiter leicht auf die Dauer ohne Schaden für seine Gesundheit mehr als zehn Stunden arbeiten, wie es in Österreich und der Schweiz vorgeschrieben ist und gewiis mehr als acht Stunden, trotzdem die sogenannte Achtstundenbewegung für blofs acht Stunden als normale Arbeitszeit in ganz Europa eintritt. Es kann durch die erste Vorschrift dem Gatten, durch die zweite dem Fabrikanten in dem einen oder andern Falle ein angebliches Unrecht

Zintaxen und moderne Wuchergesetze.

63

geschehen, aber trotzdem wird es dem einsichtigen Gesetzgeber nicht einfallen, auf solche Einzelfälle, sondern auf die allgemeine Norm sein Augenmerk zu richten und somit wird er es vorziehen, allgemein wohlthätige Gesetze zu schaffen, als sich von ihrer Schöpfung durch engherzige Rücksichten auf unabwendbare, aber relativ selten zu Tage tretende Mängel zurückhalten zu lassen. legale Zinsfufs,

Übrigens ist der

der bei Quasikontrakten,

Delikten

und

Quasidelikten zur Anwendung kommt, ebenfalls „willkürlich" und trotzdem wurde er als notwendig in der Wissenschaft noch niemals ernstlich angefochten. Den allseits hervorgehobenen Mängeln der Zinstaxengesetze sollte das deutsche und österreichische Wuchergesetz gründlich abhelfen.

Zu dem Behufe wurde

äufserst dehnbarer Wucherbegriff konstruiert —

aber die zwei Hauptmängel der Zinstaxengesetze entfernt:

ein

übrigens nicht

1. ihre Beschränkung auf Darlehensgeschäfte (in

Österreich mit formaler aber in der Gerichtspraxis nur ausnahmsweise

beachteter

überhaupt) —

Ausdehnung

auf

Kreditgeschäfte

und 2. der Zuschlag einer hohen Prämie

für den Fall der Entdeckung des strafbaren Wuchers, die das wucherische Darlehen sowohl unter der Herrschaft der Zinstaxen wie der modernen Wuchergesetze noch teurer machte. Dafs sich ein Wuchergesetz nicht auch auf andere als Darlehensgeschäfte beziehen könne, bewies man mit Hinweis sowohl auf die historische Entwickelung des Wucherbegriffs wie auf den gewöhnlichen Sprachgebrauch — ja man behauptete, dafs wirtschaftliche Vermögensunterschiede zwischen den vertragschliefsenden Parteien nur bei Dar-

etes Kapitel.

64

lehensverträgen schädliche Folgen nach sich ziehen und dafs daher blofs hier das Eingreifen des Staates angezeigt sein könne. Gegen die Entdeckungs- oder Zuchthausprämie wandte wohl Stahl im preufsischen Herrenhause 1860 ein, dafs eine Prämie nur da zulässig sei, wo der Empfänger nicht nur thatsächlich, sondern auch rechtlich Gefahr des Verlustes trage 6 .

Auch Knies 7

erklärte sich gegen die

Annahme einer besonderen Risikoprämie aus dem Titel der befürchteten Entdeckung des Wuchervergehens und betonte, dafs man sich in der Wirtschaftswissenschaft auf das Gebiet des Wirtschaftlichen handeln beide

die

beschränken müsse. Wucherfrage

als

Dennoch be-

volkswirtschaftliche

Frage, wenn auch der Wucher keine wirtschaftliche Thätigkeit sondern ein Kriminaldelikt ist.

So beweisen sie selbst,

dafs die Volkswirtschaft im weiteren Sinne das Thatsächliche des Gesamtlebens umfassen, ein Spiegelbild desselben sein und sich auf alle Thatsachen des Verkehrs, auf ihre Licht-

und

Schattenseiten

ausdehnen müsse.

Aus der

Welt liefs sich freilich die Entdeckungsprämie weder durch die Zinstaxen noch durch

die modernen Wuchergesetze

schaffen und wird sich überhaupt erst dann ganz entfernen lassen, wenn durch geeignete Kreditorganisationen das Risiko selbst entfernt oder doch auf das geringste Mafs herabgedrückt sein wird. Abgesehen von diesen zwei Mängeln,

die aus den

Zinstaxengesetzen in die modernen Wuchergesetze herüber 6 Verhandlungen des preufsischen Herrenhauses vom 17. März 1860 p. 375. 7 Kredit I I 26.

Zintaxen und moderne Wuchergesetze.

65

gewandert sind, enthalten jedoch die letzteren einen angeblichen Fortschritt: sie sind nicht mehr willkürlich und zwingen nicht mehr den Richter, die differenzierten Gestaltungen des modernen Wirtschaftslebens der öden Einförmigkeit des Gesetzes unterzuordnen. schritt ist nur scheinbar.

I n Wahrheit

Aber dieser Fortist an Stelle der

Willkürlichkeit des Gesetzes die Willkürlichkeit des Richters getreten.

Derselbe mufs sich nun bei jeder Anklage wegen

Wuchers nach dem gewundenen Wortlaut der modernen Wuchergesetze, bevor er zur Urteilsschöpfung schreitet, drei Fragen vorlegen:

Hat der Gläubiger die Notlage, den

Leichtsinn, die Unerfahrenheit des Schuldners gemifsbraucht? Ist dies in böser Absicht geschehen? Und ist dies auf die Weise geschehen, dafs hierdurch ein Mifsverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung entstand, wie das deutsche — oder gar, dafs dadurch das wirtschaftliche Verderben des Schuldners hervorgerufen oder doch gefördert wurde, wie das österreichische Gesetz verlangt? Fehlt nur ein Merkmal von diesen dreien, so kann die Verurteilung natürlich nicht erfolgen.

So brachte der

Verein gegen den Wucher im Saargebiet in einer 1888 an den Deutschen Reichstag überreichten Petition einen besonders eklatanten Wucherfall zur Sprache, wo feststand, sowohl dafs der Angeklagte sich durch seine „Thätigkeit" im Laufe der Jahre ein Vermögen von ca. 900000 Mark gemacht hat, wie dafs er jeden Sonntag 100—200 Interessenten empfing, um ihnen Darlehen zu erteilen, Güterkomplexe, Cessionen etc. abzukaufen, als auch, dafs die ganze Gegend in Furcht vor ihm lebte unci sich meistens in der C a r o , Der Wucher.

5

etes Kapitel.

66

Notlage zu ihm begab, allgemein aber so leichtsinnig und unerfahren war, sich keine besondern Aufzeichnungen über geleistete Zahlungen zu machen und sich ganz auf die Notizen ihres Gläubigers verliefs — wie endlich, dafs die bedungenen Vorteile jedesmal so enorm waren, dafs füglich nicht allein von einem Mifsverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, sondern geradezu von der bedrohten wirtschaftlichen mufste.

Existenz des Schuldners

die Rede sein

Trotzdem befreite das Gericht den Angeklagten,

weil es „die böse Absicht als nicht erwiesen" annahm 8 . Bei einer durch die Häufung der gesetzlichen Merkmale so wesentlich erschwerten richterlichen Aufgabe kann es nicht Wunder nehmen, dafs einerseits das strafrechtliche Ergebnis der modernen Wuchergesetze nur äufserst geringfügig war und dafs andererseits sich seit jeher gewichtige Stimmen für die Beibehaltung der Zinstaxengesetze erklärten. In

erster

Beziehung hat Lilienthal im Jahre 1888

für Deutschland die betreffenden Daten zusammengestellt. Dem unten erwähnten Kommissionsbericht

entnehme ich

folgende Zahlen: I m Jahre 1882 wurden angeklagt 261 ; wurden verurteilt 153 -

-

1883

-

-

-

1884

-

-

207

-

-

-

1885

-

-

131

-

8

262

-

141 104

-

54

XII. Bericht der Kommission für die Petitionen, Bd. II, Nr. 172, Fall Cain Kaufmann in Merzig. Hierzu vgl. die der Wichtigkeit des Gegenstandes nicht gerecht werdende, oberflächliche Diskussion im Deutschen Reichstag am 8. März 1888. 56. Sitzung, S. 1366-1372.

Zinstaxen und moderne Wuchergesetze.

67

Für Österreich sind die Ergebnisse des Wuchergesetzes von 1877, ausgedehnt auf die grofse österreichische Monarchie mit Gesetz von 1881, die folgenden: Im Jahre 1880 wurden angeklagt

? verurteilt 17 54 ?

1881 1882

96

59

1883

109

64

1884

129

70

1885

138

70

1886

117

64

1887

69

Sollten diese Ziffern

angesichts der

439 unaufhörlichen

Klagen der Gesamtbevölkerung wirklich ein wenn auch nur annäherndes Bild des Wucherwesens in Deutschland und Österreich geben? Auf diese Frage wird die im V. Kapitel

folgende

in Deutschland,

summarische

Darstellung

des

Wuchers

sowie die im V I . Kapitel folgende aus-

führliche Darlegung der betreffenden Verhältnisse in einem Kronland Österreichs, Galizien, Antwort zu geben versuchen. Dafs der Wunsch nach Wiedereinführung der Zinstaxengesetze vielfach rege geworden war, ist schon oben gesagt worden. Noch 1867 verlangte der Abgeordnete von Schweitzer im Augenblick des allgemeinen Enthusiasmus für die einzuführende Zins- und Wucherfreiheit eine Zinstaxe bis 6°/o wenigstens für

Darlehen oder

kreditierte

Forderungen bis 100 Thaler. 1877 verlangte der Abg. Rydzowski im österr. Abgeordnetenhaus im Einklänge mit den 9

Genauere Angaben sollen im Kapitel V I „Der Wucher auf dem Lande in Galizien, d) Gegenwart" folgen. 5*

etes Kapitel.

68

dreimaligen Beschlüssen des galizischen Landtages die Einführung einer Zinstaxe von 12°/o für Galizien und das österreichische Abgeordnetenhaus forderte bei Beratung des galizischen Gesetzes von 1877 die Regierung auf, ein Zinstaxengesetz

vorzulegen mit der

Unklagbarkeitserklärung

der das Zinsmaximum überschreitenden Zinsen.

1879 be-

antragte der Abg. Reichensperger im Deutschen Reichstag die Einführung einer civilrechtlichen Zinstaxe von 8 ° ο für Kaufleute, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, gewerbliche Hilfskassen, die auf Gegenseitigkeit beruhenden Versicherungsanstalten, den Staat und die unter seiner Aufsicht bestehenden Korporationen — und von 6°/o für andere nicht begünstigte Gläubiger. Alle was immer für Namen habenden Vorteile, Provisionen, Konventionalstrafen etc. sollten insgesamt die Zinstaxe nicht überschreiten dürfen.

Jede

gewohnheitsmäfsige oder verschleierte Überschreitung der Zinstaxe sollte als Wucher gelten und Benutzung der Notlage , Unerfahrenheit oder des Leichtsinns blofs als Straferhöhungsgrund

in

Betracht

kommen.

Der

Abg. Graf

Bismarck beantragte die Einführung einer strafrechtlichen Zinstaxe von 8°/o für hypothezierte, von 15°/o für nicht hypothezierte Forderungen — deren einfache (nicht gewohnheitsmäfsige oder verschleierte) Überschreitung kriminelle Bestrafung nach sich ziehen sollte.

Blofs im Falle der

Schuldner protokollierter Kaufmann wäre, sollte das Gesetz keine Anwendung finden. 1881 wurde von der Kommission des österr. Abgeordnetenhauses im Einklang mit dem Antrag des Abg. Weber ein Zinsmaximum von 10°/o beantragt, kam jedoch nicht dagegen erklärte.

zustande,

weil sich das Herrenhaus

Zintaxen und moderne Wuchergesetze.

69

Von den Zinstaxengesetzen Frankreichs,

sowie von

den komplizierten Zinstaxengesetzen Belgiens, Luzerns und Ungarns ist schon oben die Rede gewesen.

Auch in den

meisten Staaten der nordamerikanischen Republik bestehen Zinstaxengesetze.10 Hatte die Praxis zähe an den alten Zinstaxengesetzen festzuhalten geglaubt, so machten sich nicht minder in der volkswirtschaftlichen Litteratur Zweifel über die Güte der modernen Wuchergesetze geltend. So schrieb Reichsgerichtsrat Dr. Bähr in der Hessischen Morgenzeitung: „Beim Mangel jeder objektiven Grundlage wird persönliche Gunst oder Ungunst mindestens dem Anscheine nach darüber entscheiden, Aver auf die Anklagebank gesetzt und bestraft werden soll.

Weit entfernt, die

Moral zu fördern, wird so das Gesetz den Glauben an Recht und Gerechtigkeit zerstören.

Denn nichts vernichtet

diesen Glauben so sehr, als wenn dieselbe Handlung bei dem Einen gestraft wird und bei dem Andern ungestraft bleibt."

Prof. Lilienthal erklärte sich im Anschlufs an den

Antrag Bismarck dafür, dafs der Darleiher,

der weniger

als 15°/o nimmt, niemals, derjenige, der mehr als 15° ο beansprucht, dagegen nur dann kriminell bestraft werden soll, wenn auch die übrigen gesetzlichen Momente eintreffen.

Dann könne man auch unter 15°/o herabgehen.

Bekanntlich hat das ungarische Gesetz von 1883 diesen Antrag Lilienthals acceptiert und das Zinsmaximum

mit

8°/ 0 bestimmt. Ratzinger erklärt sich im allgemeinen für 10

mit Ausnahme von Washington, Näheres Kapitel IV C. Anmerkung.

niedrige

Californien und Maine.

etes Kapitel.

70

Zinstaxen und zwar für besondere für jeden Produktionszweig; blofs für den Handelsverkehr wünscht er die bisherige Zinsfreiheit beizubehalten.

Auch die „Grenzboten"

erklärten sich 1884 in einem bemerkenswerten Aufsatz für Wiedereinführung

eines Zinsmaximums.

Doch

keinem

dieser Anträge, mit Ausnahme des Lilienthalschen war es beschieden, durchzudringen oder auch nur wenigstens die öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen.

Man beschäftigte

sich zu wenig mit der ganzen Frage und hielt sie durch die neuen Wuchergesetze für abgethan. Erst nachdem der Verein für Socialpolitik durch seine Publikationen über die „Bäuerlichen Zustände in Deutschland" und sodann durch die veranstaltete Enquete über den „Wucher auf dem Lande" die ganze Frage wieder in Flufs gebracht hatte, begann man endlich sich auch in weiteren Kreisen die Frage vorzulegen, was eigentlich an dem hartnäckigen Fortbestehen des Übels die Schuld trage. Die Einen machten nun die modernen Wuchergesetze, die Andern die ungenügende

volkswirtschaftliche

Ausbildung

des Richterstandes dafür verantwortlich. Beide hatten Recht. So erklärte einerseits der Kommissarius des Reichsjustizamts Dr. Hagen in der Kommission für die Petitionen 1 1 die Abnahme der Zahl der Anklagen und Verurteilungen beim Wucherdelikte vor allem aus der Schwierigkeit, einen so allgemein gehaltenen Thatbestand, wie ihn das deutsche Wuchergesetz von 1880 enthält, auf bestimmte Fälle anzuwenden. Und andererseits tadelte Prof. von Miaskowki in

11

1887/88.

XII. Bericht der Kommission Nr. 172 der Anlagen II. Session

Zintaxen und moderne Wuchergesetze.

71

seinem lichtvollen und tiefdurchdachten Referat über den Wucher auf der Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik die ungenügende volkswirtschaftliche Ausbildung der Richter und der deutsche Abg. von Cuny machte im Jahre 1888 darauf aufmerksam, dafs sich der Richterstand in der Ausübung des Wuchergesetzes allzu enge Grenzen ziehe 1 2 . Der einzige Erfolg, den die modernen Wuchergesetze aufzuweisen haben, beschränkt sich auf den Darlehenswucher und auch dieser Erfolg ist nicht in dem Sinne zu nehmen, dafs es gut, sondern blofs, dafs es besser geworden ist, als früher.

Ja selbst dieses Resultat hätte der sinkende

Zinsfufs an und für sich, sowie irgend ein anderes — auch das schlechteste Gesetz in gleichem Grade zu erzielen vermocht, wenn es nur durch die angedrohten Strafen ähnlich abschreckend

gewirkt

hätte.

Aber

gleichzeitig

auf allen andern Gebieten des wirtschaftlichen

ist

es

Verkehrs

schlechter geworden oder ebenso schlecht und traurig geblieben, wie bisher und die durch die Enquète des Vereines für Socialpolitik zur öffentlichen Kenntnis gelangten Thatsachen über den Grundstücks-, Cessions-, Vieh-, Waren12

Dafs die Schwierigkeit der Handhabung des Wuchergesetzes und die Notwendigkeit einer besondern Ausbildung der Richter für dieses Delikt schon früh erkannt wurde, beweist z. B. der gewifs charakteristische Umstand, dafs das österreichische Wucherpatent von 1803 die Urteilsschöpfung in Wuchersachen dem Landrechte und nicht den gewöhnlichen Strafgerichten überantwortete, um so für eine gröfsere Provinz Gleichmäfsigkeit der Richtersprüche herzustellen und specielle Kenner des Wucherdeliktes heranzubilden. An diese Bestimmung des Wucherpatentes von 1803 knüpft sich der in Wagners Zeitschrift von 1842 veröffentlichte Vorschlag eines ungenannten Justizbeamten aus Galizien, die Wucheruntersuchungen an die politischen Behörden zu überweisen.

etes Kapitel.

72

und Viktualienwucher haben endlich Allen die Augen darüber geöffnet. Nun war es ersichtlich,

dafs die modernen Wucher-

gesetze im allgemeinen ihre Aufgabe nicht erfüllt hatten. Dem Richter war hier eine legislatorische Thätigkeit übertragen und eine überaus schwierige Aufgabe gestellt, deren individuell richtige Erfüllung die ungenügende nationalökonomische Vorbildung des in manchesterlichen Begriffen auferzogenen

(namentlich älteren) Richterstandes nahezu

unmöglich machte. Andererseits hatten sich die Zinstaxengesetze, welche die Rechtsprechung erleichterten und gleichmäfsiger gestalteten, nicht frei von Mängeln erwiesen. Um so schwieriger erscheint nun die Schaffung eines Gesetzes, welches möglichst frei von den beiderseitigen Mängeln, die Vorzüge beider Systeme vereinigen könnte.

Der Weg

zu einem solchen Gesetz mufs jedenfalls über den Begriff ^es Wuchers führen, da nur gegen das Übel mit Aussicht auf Erfolg gekämpft werden kann, welches von Grund aus erforscht ist.

Und so soll in den folgenden Abschnitten

eine Auseinandersetzung über den Wucherbegriff

in der

Wissenschaft sowie eine Untersuchung über Wesen und Begriff des Wuchers folgen.

Drittes Kapitel;

Der Wiicherbegriff in der Wissenschaft. K a i s e r Josef I I . hatte einen Preis für die Lösung der Aufgabe:

„was Wucher sei", ausgeschrieben.

Jene Preis-

frage könnte auch noch heute füglich aufgeworfen werden. Denn so viele Gesetze es auch gegen den Wucher in der Gegenwart giebt. keines liefert schöpfenden Begriff desselben. zweiten Kapitel, reits überzeugt,

was die Gesetzgebung anbelangt,

be-

Dafs wir hier bis zum heutigen Tag noch

im Finstern tappen, beweist Umstand,

einen richtigen und erW i r haben uns davon im

wohl der charakteristische

dafs die deutsche Reichstagskommission

noch

1879 die Schwierigkeit der Begriffsbestimmung des Wuchers einfach umgehen wollte, indem sie vorschlug, den Wucher schlechthin (wie in § 185 des Str.G.B. die Beleidigung) als strafbar zu erklären, ohne sich in eine Definition überhaupt einzulassen.

Dem Richter sollte das Kopfzerbrechen

darüber, was Wucher sei, in jedem einzelnen Falle überlassen bleiben. führung.

Freilich kam diese Idee nicht zur Aus-

r t e s Kapitel.

74

Aber auch in der Wissenschaft ist man bisher durchaus nicht

über

den Begriff

Grenzen einig geworden. principieller Bedeutung,

des Wuchers

und

dessen

Diese Erscheinung gewinnt an wenn der Widerspruch bedacht

wird, der zwischen klarem Volksbewufstsein, welches den Wucher seit jeher verdammt hat und unklarer, sich häufig widersprechender Präcisierung des Wucherbegriffs in der Wissenschaft besteht. Die Socialisten erklären meist alles Zinsennehmen für Wucher und Proudhon that dies in seiner Polemik gegen Bastiat in der von ihm redigierten „Voix du peuple" 1849 mit den Worten : „la société me doit le crédit et l'escompte sans intérèt.

L'intérèt, je Tapelle v o i " 1 .

Nicht so weit

geht Rodbertus, der wenigstens die Berechtigung des Zinses an sich in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung

zu-

giebt, wenn er auch jede Rente und somit nicht minder jenen Teil derselben, welcher als Zins an den Kapitalbesitzer

übergeht,

als Schmälerung

des Arbeitsertrages

auffafst („Zur Beleuchtung der socialen Frage" 2 ).

Eine

wissenschaftliche Definition

vom

des Wuchers ist

somit

Standpunkt des Socialismus überflüssig. Dagegen finden wir in der theoretischen Nationalökonomie tionen.

eine Reihe einander

widersprechender Defini-

Sonnenfels schrieb 1789:

„ I n der Sprache des

bürgerlichen Lebens heifst Wucher jeder übermäfsige Gewinn, auf welche Art und von welchem Geschäfte er gezogen werde. 1

Nach dieser viel umfassenden Bedeutung

Oeuvres complètes. Paris 1871, Tom. X I X 188. Berlin 1875, Abdruck des 2. u. 3. socialen Briefes an Kirchman, S. 115. 2

Der Wucherbegriff in der Wissenschaft.

75

ist schon zu wohlfeiler Einkauf und sehr teurer Verkauf Wucher, ist jeder Betrug Wucher,

welcher Gewinn ver-

schafft.

Die rechtliche Sprache aber hat den allgemeinen

Begriff

des Wuchers

auf solchen übermäfsigen

Gewinn

insbesondere beschränkt, den jemand von einem Anlehen zieht." Während Sonnenfels dem Begriff des Wuchers wenigstens in dem damaligen Sprachgebrauch die weitest möglichen Grenzen steckt, existiert für seinen Zeitgenossen, Jeremias Bentham, überhaupt kein Wucher.

Auch John

Stuart Mill huldigt derselben Ansicht 3 . Anders die deutschen Nationalökonomen.

Mario 4 be-

zeichnet den Wucher als Mifsbrauch der Not des Nebenmenschen zu dem Zwecke, ihn zu einseitigen Wertübertragungen zu nötigen.

Diese Definition ist insoferne un-

vollständig, als sie blofs die Notlage des zweiten Kontrahenten berücksichtigt und insoferne zu ausgedehnt, als sie nicht zwischen Kredit-

und Komptantgeschäften

unter-

scheidet· Schäffle giebt eine

im

zwei Definitionen des Wuchers.

„Gesellschaftlichen

Wirtschaft".

System

der

Die

menschlichen

H i e r 5 gilt ihm als Wucher die Ausbeutung

der Not und Unwissenheit des Beliehenen zu einem, Nutzungswert überschreitenden Zinse.

den

Gegen diese Defi-

nition ist einzuwenden, dafs sie Wucher blofs beim Dar3 Grundsätze der politischen Ökonomie, übersetzt von Adolf Soetbeer, zweite deutsche Auflage. Hamburg 1864, S. 692 u. ff. 4 Organisation der Arbeit oder System der Weltökonomie. I I I 25. 5 I I 359.

r t e s Kapitel.

76

lehensvertrag anerkennt und aufser Not und Unwissenheit keine weiteren Momente unterscheidet, die gleichfalls den Willen des Schuldners in einem dem Gläubiger günstigen Sinne beeinflussen können; schliefslich, Unwissenheit

nicht

alternativ,

dafs sie Not und

sondern kumulativ

setzt;

dagegen ist der Nachdruck, der hier auf die Überschreitung des Nutzungswertes

gelegt

wird,

ein

anerkennens-

werter Fortschritt im Verhältnis zu der mehr allgemein gehaltenen Behauptung Marios von einseitigen Wertübertragungen.

I n „Bau und Leben des socialen Körpers"

kommt Schäffle noch einmal auf den Wucher zu sprechen und er sagt h i e r 6 :

„Die Eigentümlichkeit des Wuchers

besteht darin, dafs der Schmarotzer als Mittel der Aussaugung selbst Vermögen anwendet (zum Unterschied von den übrigen Parasiten des socialen Körpers) 7 , um in irgend einer Art von Güterverkehr, in Kauf- und Leihgeschäften fremde

Not,

auszubeuten."

Leichtfertigkeit,

Unwissenheit,

Sinnlichkeit

Hier ist die Definition allgemein, es wird

jedoch ähnlich wie bei Mario zwischen Kredit- untf Komptantgeschäften im Verkehr

nicht

unterschieden und jede Ausbeutung

als Wucher bezeichnet.

Neben

der schon

früher hervorgehobenen Notlage und Unwissenheit werden hier noch Leichtfertigkeit und Sinnlichkeit als Motive des verirrten Willens des übervorteilten Kontrahenten hervorgehoben.

Die Grenze

zwischen erlaubtem Vorteil

und

Wucher, welche der ersten Definition wesentlichen Wert verliehen hat, fehlt dafür hier gänzlich.

6 7

B. u. L. d. soc. K. Tübingen 1878, I I 395 u. 396. Ein ähnlicher Gedanke findet sich schon bei Mario 1. c. I I I 653.

Der Wucherbegriff in der Wissenschaft.

77

Einen sehr eng gesteckten und willkürlichen Begriff des Wuchers giebt Stein 8 .

Er behauptet, nur derjenige,

der die RückZahlungstermine im vorhinein so setzt, dafs der Schuldner seinen Verpflichtungen nicht nachkommen könne, blofs derjenige also, der nicht sein Geld zurückbekommen, sondern den Schuldner zu seinem Zinssklaven machen und sein gesamtes Kapital und Einkommen an sich reil'sen wolle, sei Wucherer — jeder Andere und mag er auch 20—50 °/'o sich ausbedingen, begehe kein Unrecht. Dies ist so barock und dem Volksbewufstsein so widersprechend, dafs es auffallen mufs, wie ein so ausgezeichneter Gelehrter nur eine solche Ansicht aussprechen konnte. Ich halte dafür, dals der von Stein angenommene Fall sich blofs auf eine besonders gefährliche Species des Wuchers beziehe, dafs aber auch derjenige,

der keine so weiten

Pläne habe, wie der erste und blofs sein Geld mit 2 0 % und mehr Prozenten zurückerhalten wolle, in den meisten Fällen ein Wucherer sei und es dürfte hierin das allgemeine Volksbewufstsein auf meiner Seite stehen. Seiner Auffassung gemäfs definiert Stein den Wucher nach seinem wirtschaftlichen Begriff als dasjenige Kreditgeschäft, in welchem ein Gewinn dadurch gesucht wird, dafs die Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners durch ein Schuldversprechen absichtlich erzeugt wird, dem kein Darlehen entspricht und dessen Rückzahlung und Verzinsung daher, da eine wirtschaftliche Verwendung des Darlehens nicht vorhanden ist, entweder den Schuldner zwingt, durch

8

Der Wucher und sein Recht, s. Litteratur.

r t e s Kapitel.

78

Hingabe des Vermögens den Betrag eines nicht geliehenen Kapitals oder

durch Zahlung der Zinsen das Recht

den Ertrag seiner ganzen Lebensarbeit hinzugeben.

auf

Diese

Auffassung des Wuchers nach seinem wirtschaftlichen Begriff ist meines Erachtens, wie schon betont wurde, viel zu eng gegriffen, weil Stein sowohl verlangt, dafs einerseits von

einem Schuldversprechen

ausgegangen werde,

dem

absolut kein Darlehen entspreche, was faktisch wohl selten der Fall sein wird, und dai's andererseits jedesmal Hingabe des ganzen schuldnerischen Vermögens oder des Ertrages seiner ganzen Lebensarbeit an den Gläubiger erforderlich sei, diesen zum Wucherer zu stempeln. Es dürfte wohl heute niemandem einfallen, den Diebstahl oder den Betrug besonders nach seinem wirtschaftlichen, juristischen und sittlichen Begriff zu ;definieren. Stein findet es jedoch für angemessen, seinem wirtschaftlichen Wucherbegriff einen besondern ethischen und juristischen beizufügen.

Er sagt, nach seinem sittlichen Be-

griff sei der Wucher dasjenige K r e d i t g e s c h ä f t ,

welches

die Not und die UnWirtschaftlichkeit des Schuldners benütze, um denselben durch ein blofses Versprechen entweder um die Grundlage seiner Selbständigkeit , sein Vermögen oder um die Grundlage seiner Freiheit, seinen Erwerb zu bringen, ohne dafür entsprechendes zu leisten. Nach seinem juristischen Begriff sei der Wucher dasjenige Rechtsgeschäft, bei welchem die Not oder die Unwirtschaftlichkeit des Schuldners a b s i c h t l i c h benützt wird, um ein Schuldversprechen zu erzeugen, d e m k e i n D a r l e h e n e n t s p r i c h t — um eine Leistung zu beanspruchen,

Der Wucherbegriff in der Wissenschaft.

die

durch

die Gegenleistung des Gläubigers

79

nicht

be-

gründet ist. Zwischen diesen beiden Definitionen derselben Sache, die Stein besonders geben zu müssen geglaubt hat, bestehen nun meines Erachtens nachstehende Unterschiede. Anstatt : Kreditgeschäft im sittlichen Wucherbegriff sagt er im juristischen : Rechtsgeschäft. Dies ist aber etwas wesentlich Anderes und Kreditgeschäft ist bekanntlich blofs eine Art von Rechtsgeschäft.

Im juristischen Begriff

kommt

noch das Wörtchen „absichtlich" vor, welches im sittlichen, wo es ebenso gut am Platze wäre, ausgelassen ist. Schliefslich macht Stein noch einen Unterschied zwischen dem nur civil rechtlich zu behandelnden Wuchergeschäft und dem strafrechtlich verbrechen.

zu ahndenden Wucher-

Bei diesem werde der Schuldner zu unwirt-

schaftlichen Versprechungen verleitet und so seine Not planmäfsig erzeugt, während beim civilrechtlichen Wuchergeschäft ganz oder teilweise darlehenslose Schuldversprechungen auf Grundlage einer

bereits

Not in habsüchtiger Weise erprefst

vorhandenen

werden.

Ich

halte

dafür, dafs auch ein Wuchergeschäft wie das letztere, strafrechtlich zu ahnden sei und dafs die Unterscheidung Steins auch hier nicht das Rechte trifft. Man sieht, die Betrachtung desselben Begriffs

von

drei verschiedenen Seiten hat keine wesentliche Klarheit in die Wucherfrage gebracht und ist blofs ein neuer Beweis der Einseitigkeit Steins geblieben,

der bei

seinen

immensen Kenntnissen und Fähigkeiten immer der streng logischen Analyse aus dem Wege ging und der seine —

r t e s Kapitel.

80

ich möchte fast sagen — Systemfreudigkeit niemals los zu werden vermochte 9 . Roscher 10 Wuchers.

giebt

keine

eigentliche

Definition

des

Er sagt blofs, der Ausdruck Wucher sollte nur

da in der Wissenschaft vorkommen, wo absichtlich, wohl gar betrügerisch Notpreise herbeigeführt

oder gesteigert

werden. Diese gar nicht präcisierte Auffassung des Wuchers soll hier trotz

des charakteristischen

„wohl gar" uner-

örtert bleiben, weil Roscher nicht die Absicht gehabt hat, eine wissenschaftliche Definition des Wuchers zu geben. Nach Ratzinger 1 1 ist Wucher immer vorhanden, wenn der Darleiher von dem aus Kapital und Arbeit geschaffenen Werte als Kapital Vergütung einen so hohen Prozentsatz wegnimmt, dafs der Entleiher aus dem Arbeitsertrage Verzinsung und Reproduktion des Kapitals nicht mehr erschwingen kann. Diese Definition entspricht ganz der Überschreitung des Nutzungswertes bei Schäffle, sie bezieht sich jedoch ausschliefslich auf den Darlehensvertrag,

wiewohl

12

der Verfasser an anderer Stelle zugiebt , dafs in abgeleiteter Weise das Wort Wucher auch bei andern Verträgen Anwendung findet. Nach Eheberg 1 3 ist Wucher dann gegeben, wenn der 9 Selbst Menger kann ihm in seinem schönen Nachruf (Conrads Jahrb. 1891) einen ähnlichen Vorwurf nicht ersparen. 10 Grundlagen der Nationalökonomie, 20. Aufl. Stuttgart 1892, § 113. 11 Verfasser des vortrefflichen und leider zu wenig gewürdigten Buches „Die Volkswirtschaft in ihren sittlichen Grundlagen". Freiburg 1881. 12 S. 215. 13 Die Wucherfrage in Theorie und Praxis, seit 1880 (s. Litt.).

Der Wucherbegriff in der Wissenschaft.

81

Kreditgeber Notlage, Unerfahrenheit, Verstandesschwäche, Aufregung und Leichtsinn des Kreditnehmers benützt, um sich aus*seiner Forderung Vermögensvorteile zu verschaffen, die mit seiner Leistung in auffallendem Mifsverhältnisse stehen und die wirtschaftliche Abhängigkeit oder den wirtschaftlichen Untergang des Kreditnehmers geeignet sind.

herbeizuführen

Diese Definition ist eine Paraphrase des

österreichischen Gesetzes, wobei auch hier, wie oben bei Schäffle, der Irrtum mit unterlaufen ist, dafs die Motive des verirrten Willens (Notlage,

Unerfahrenheit etc.) ku-

mulativ und nicht alternativ, wie es sein sollte, gesetzt wurden. P l a t t e r 1 4 sagt:

„Ein Darlehen zu einem Prozentsatz,

den wirtschaftliche Thätigkeit auf die Dauer niemals oder überhaupt im Durchschnitt nicht einbringen kann, nenne ich Wucher." frei,

Diese Definition wäre vollkommen einwands-

wenn hier nicht blofs

von Darlehen,

sondern von

Kreditgeschäften überhaupt die Rede wäre. v. Miaskowski 1 5 definiert schliefslich den Wucher als Benutzung des faktischen Monopols im Verkehrsgewerbe, in dessen Besitz sich bestimmte Personen befinden lediglich zu ihrem Vorteil und zum Schaden, ja zum Ruin dritter Personen.

Diese Definition nimmt die Möglichkeit

des Wuchers

im Bereiche

des gesamten Verkehrs

an,

unterscheidet

geflissentlich

nicht zwischen Kredit-

und

Komptantgeschäften, indem sie sich auf den allgemeinen Sprachgebrauch beruft — sie macht jedoch keine Erwäh-

14 16

s. Litt. Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik X X X V I I I , S. 7.

C a r o , Der Wucher,

6

r t e s Kapitel.

82

nung von dem bei Schaffte, Ratzinger und Platter hervorgehobenen Merkmal der Grenze zwischen erlaubtem und unerlaubtem Vorteil, indem sie sich mit der Konstatierung des vorhandenen Monopols,

welches

die Überschreitung

jener Grenze ermöglicht, zufrieden giebt 1 6 . W i r haben hier die namhaftesten nationalökonomischen Schriftsteller

mit

ihrer Auffassung

passieren lassen. heit

ihrer

Trotz

Ansichten

der

des Wuchers

mannigfachen

Revue

Verschieden-

springen bei aufmerksamem

Ein-

dringen in die einzelnen Definitionen zwei gemeinschaftliche Züge in die Augen, die einen Hinweis auf die zukünftige Gestaltung des Wucherbegriffs enthalten und deshalb nicht ohne principielle Wichtigkeit sind. Erstens

wird

der

Schwerpunkt

des Wucherbegriffs

immer deutlicher und unverkennbarer vom Gläubiger nach der Seite des Schuldners hingerückt, Schäffle, Ratzinger und Platter. Schriftsteller,

so insbesondere bei

Während die früheren

sofern sie die Existenz

%

des Wuchers nicht

leugneten, nur ganz exorbitante Vorteile als Wucher gelten liefsen und zugleich seine Existenz von einer Reihe unwirtschaftlicher

Eigenschaften

des Schuldners

abhängig

machten, gelangen die späteren langsam zur Erkenntnis, dafs vor allem

auf die Lage des Schuldners reflektiert

werden müsse und dafs schon überall dort Wucher vor16 Blodig (s. Litt.) versteht unter Wucher eine Übervorteilung des Mitkontrahenten bei Abschlufs zweiseitiger Verträge unter Benützung g e w i s s e r schon vorhandener äufserer Verhältnisse. Hier erscheint der Ausdruck: „Übervorteilung" selbst erklärungsbedürftig und der Hinweis auf „gewisse schon vorhandene äufsere Verhältnisse" kann nicht zur Klärung des Wucherbegriffs beitragen.

Der Wucherbegriff in der Wissenschaft.

83

handen sei, wo die dem Gläubiger gebotenen Vorteile die Leistungsfähigkeit des Schuldners übersteigen. Zweitens läfst sich leicht die Tendenz beobachten, den Begriff des Wuchers immer mehr auszudehnen.

Während

ursprünglich der Wucher blofs bei Darlehen vorkommen konnte,

dehnt Eheberg diesen Begriff

auf alle Kredit-

geschäfte — und Mario, Schäffle, Ratzinger und Miaskowski überhaupt auf alle onerosen Verträge aus. Es wird nun unsere Aufgabe sein, zur Lösung des Problems beizutragen, indem wir eine eingehende Erörterung sowohl unserer Auffassung des Zinses überhaupt wie der wirtschaftlich ethischen Grenzen desselben folgen lassen und uns erst dann der Beantwortung der Frage nach dem Wesen und Begriff des Wuchers zuwenden.

6*

Viertes Kapitel.

Wesen und Begriff des Wuchers. Sowohl die theoretischen Ausführungen wie die gesetzlichen Definitionen

haben das Wesen des Wuchers

nicht erschöpfend erörtert, wiewohl sie vielfach der Wahrheit ganz nahe gekommen sind.

Eines ist jedoch sowohl

1

den meisten unter ihnen , als auch dem

gewöhnlichen

Sprachgebrauch 2

Wucher

gemeinsam,

übermäfsiger Kapitalzins sei.

dafs nämlich

ein

Aber sowohl darüber, was

Zins, wie was „übermäfsig" bedeute, ist man im Unklaren, der Begriff des Zinses wie die Grenze zwischen wirtschaftlich erlaubtem und wirtschaftlich schädlichem Zinsennehmen steht in der Wissenschaft noch heute nicht fest.

Und so

liegt es wohl am nächsten, sich über die speciellen Eigenschaften des Wuchers vorerst durch Konstatierung seiner 1 Hier sind blofs die schweizerischen Gesetze, sowie in der Wissenschaft die Definitionen Marios, * Schaff les, Ratzingers, Platters und v. Miaskowskis auszunehmen. 2 Der dem Sonnenfelsschen (s. oben Kapitel III) schnurstracks zuwiderläuft. Vgl. hierzu Ratzinger S. 215 Z. 21.

Wesen und Begriff des Wuchers.

85

generellen, mit dem Zinse überhaupt gemeinschaftlichen, klar zu werden.

A. Der Zins lind die Berechtigung des Zinses. Der Begriff des Zinses hat ähnliche Wandlungen wie der des Wuchers erfahren.

Der Schwerpunkt ruhte an-

fangs ausschliefslich auf dem Gläubiger und rückte immer mehr nach der Richtung zum Schuldner zu. Anfangs hiefs die landläufige Definition, Zins sei ein Teil des Produktionsertrages, welcher dem Kapitalbesitzer vermöge seines Eigentumsrechtes an den Produktionsmitteln zukommt.

Diese Definition beschäftigt sich ausschliefslich

mit der Person des Gläubigers, indem sie von Bestimmung und Verwendung des Kapitals vollkommen absieht. Analog den Anschauungen

Seniors

sagt Hermann,

Zins sei die Vergütung für die Entbehrung der Nutzung des eigenen Vermögens

seitens des Verleihers.

Da jedoch

gerade im Verleihen die Ermöglichung der Nutzung des Vermögens besteht, so enthält diese Definition einen unlösbaren Widerspruch. in

dieser Definition

Hier

genüge der Hinweis,

zum erstenmale

dafs

von Nutzung

die

Rede ist. Schäffle versteht unter Zins den Lohn für eine vom Kapitalisten zur allgemeinen Produktion beigesteuerte Arbeit.

In dieser Definition ist zweifellos

die begründete

Ansicht enthalten, dafs Zins nur insofern berechtigt sei, als er sich von der Arbeit herleiten lasse. Nach Say, Roscher, Thünen, Carey und Leroy-Beaulieu ist Zins vermöge der Produktivität

des Kapitals

nichts

Viertes Kapitel.

86

anderes, als der durch das Kapital, sei es unmittelbar, sei es mittelbar, erzeugte Mehrwert. Für die Produktivität des Kapitals und den j e d e r z e i t geschaffenen Mehrwert haben zwar die Autoren dieser Theorie den Beweis nicht geliefert, immerhin ist mit der Ansicht von der Produktivität des Kapitals eine weitere Schwenkung nach der Seite des Schuldners hin gemacht, die darauf hinweist, dafs blofs dasjenige Kapital,

welches

produktiv sei und Mehrwert erzeuge, auch Zinsen bringen könne. Knies 3 sagt, unter Zins sei der Preis für die Überlassung der Nutzung eines Kapitals zu verstehen.

Hier

ist schon nicht mehr von ideeller Arbeit, auch nicht von Produktivität des Kapitals, was wohl in den meisten Fällen, jedoch nicht immer zutreffen kann, die Rede. Die Nutzung des Kapitals durch den Schuldner deckt sich hier mit dem Begriff des Kapitalzinses. hypothetischen

Es ist keine ideelle, aus der

Produktivität

des

Kapitals

Nutzung, sondern eine effektive, konkrete,

geschlossene wahrhaftige.

Damit geht nun, wie beim Wucherbegriff, der Schwerpunkt auf die Seite des Schuldners über.

Ich würde mir nur

erlauben, diesen Gedanken etwas modifiziert zum Ausdruck zu bringen.

Subjektiv genommen

zahlt zwar Jeder

im

Zins den Preis für die Überlassung der Kapitalnutzung, aber stets in der Hoffnung, dafs das überlassene Kapital auch thatsächlich dem Entleiher Nutzen bringen wird.

Ist

3 Geld und Kredit (s. Litt.) Vgl. auch Schaff le, Mensch und Gut in der Volkswirtschaft (Gesammelte Aufsätze. Tübingen 1885, S. 166).

Wesen und Begriff des Wuchers.

87

dies nicht der F a l l , so ist auch der Entleiher Zinsen zu zu zahlen nicht im stände. Nicht die Überlassung selbst, sondern der

durch das dargeliehene Kapital vermittelte

Nutzen mufs im Auge behalten werden und die Definition des Zinses mufs also meines Erachtens dahin lauten, Z i n s sei

der

Preis

des

Nutzens,

lassene K a p i t a l dem E n t l e i h e r

den

das

gebracht

überhat4.

Gegen diese Auffassung kann nun geltend gemacht werden: dafs ja dann der Zins in jedem Berufe, ja bei jedem Entleiher verschieden sein würde, da ein jeder Beruf ein verschiedenes Erträgnis abwerfe und auch innerhalb desselben Berufes

es ja dem Einen gut und dem Andern

schlecht gehen könne — dann bliebe am Ende

nichts

übrig, als den Zins erst nach der Benutzung des Kapitals, also ex post zu bestimmen, was dem Begriff des Darlehenszinsvertrages widerspreche.

Dieser Einwand ist jedoch, so

berechtigt er auf den ersten Blick scheinen mag, nicht dazu angethan, unsere Auffassung des Zinses umzustofsen. Näheres darüber soll in der Abteilung C. dieses Kapitels über die wirtschaftlich-ethischen Grenzen des Zinses gesagt werden.

Hier genüge die Andeutung, dafs der Darlehens-

zinsvertrag eben durch seine willkürliche Yorherbestimmung erst später eintretender wirtschaftlicher Vorgänge in seiner heutigen Fassung dem wirtschaftlichen Bewufstsein

nicht

gerecht wird, sowie dafs grofse Kreditverbände mit oder ohne Staatshilfe jedes Risiko entfernen und den „rohen" 4 Nachdem ich diese Zeilen bereits niedergeschrieben hatte, finde ich zu meiner Freude in Wolfs geistreichem Buche: „Socialismus und kapitalistische Gesellschaftsordnung" (Stuttgart 1892) S. 459 ff. eine ähnliche Auffassung vertreten.

Viertes Kapitel.

88

Zins überall auf das Niveau des „reinen" Zinses herabsetzen würden. Anders stellt sich zu der Frage B ö h m - B a w e r k 5 . Dieser scharfsinnige und klare Denker bezeichnet das Darlehen als Tausch gegenwärtiger auf Zukunftsgüter und den Zins als Preis dieses Tausches, der seine Berechtigung daraus herleite, dafs Gegenwartsware mehr wert sei als Zukunftsware, da der Besitzer gegenwärtiger Güter ohne Verlust auch auf das Zustandekommen des Tausches verzichten könne, sein Partner aber häufig auf den Erwerb gegenwärtiger

Güter

um jeden Preis

schätzen aber, so fährt er fort,

angewiesen sei.

Wir

die gegenwärtigen Güter

höher als die zukünftigen aus drei Gründen: Die beiden ersten haben einen subjektiven Charakter: vermöge des einen hofft der Entleiher in der Zukunft auf eine bessere Lebenslage, die ihm erlauben werde, mehr als er erhalten hat, zurückzuerstatten, vermöge des andern sind ihm künftige Unbequemlichkeiten, die aus dem Darlehen entspringen könnten, weniger mifslich, weil sie eben in die Zukunft gerückt sind, als die Verlegenheit, in der er sich augenblicklich befindet. tive

fehlen,

W o diese b e i d e n Mo-

käme gleichsam blofs

suppletorisch ein

drittes, objektives, welches darin bestehe, dafs die gegenwärtigen Güter

sich durch

mehren lassen.

Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein,

produktive Anwendung ver-

diese Theorie auf ihre Originalität zu prüfen und etwa

5 Kapital und Kapitalzinstheorie. Kapitalzinstheorien. Innsbruck 1889.

II. Bd.

Zur Kritik

der

Wesen und Begriff des Wuchers.

89

darauf hinzuweisen, dafs bereits Mario 6 , Knies 7 , Wagner 8 und Ratzinger 9 vor Böhm - Bawerk ähnliches haben.

behauptet

Hier kommt es uns blofs darauf an, diese gleich-

viel von wem ursprünglich

herrührende Theorie in

der

Fassung und Begründung auf ihre Richtigkeit zu prüfen, die ihr Böhm-Bawerk gegeben hat. Die beiden ersten Motive, die der scharfsinnige Verfasser für die höhere Wertschätzung gegenwärtiger Güter ins Treffen führt,

sind an sich psychologisch vollkommen

richtig, aber sie reichen nur hin für die Individualwirtschaft — für die Gemeinwirtschaft erklären sie gar nichts, eben deshalb, weil sie zu viel erklären. Wenn der Zins sich herleiten dürfte von der subjektiven Hoffnungsfreudigkeit

des Entlehners,

der auf eine

bessere Zukunft baut, von der subjektiven Genufssucht oder dem Leichtsinn des Individuums, welchem die Zukunft nichts, die Gegenwart alles ist, dann gäbe es überhaupt für den Zinsfufs keine Grenze —

er würde einfach auf

subjektiver Wertschätzung seitens des Schuldners und auf 6

Organisation

der Arbeit

oder

System

der Weltökonomie

I I I 469. 7

Knies, Erörterungen über den Kredit (Tüb. Zschft. 1859 S. 568 ff.), sowie „Der Kredit" I 68. 8 s. Handwörterbuch der Volkswirtschaftslehre von Rentzsch. Leipzig 1866. Artikel „Kredit" von Adolf Wagner. Hier ist eine ausführliche Erläuterung des Kreditbegriffs ganz in dem Sinne gegeben, den sich Böhm-Bawerk angeeignet hat. 9 Die Volkswirtschaft in ihren sittlichen Grundlagen, S. 295 und 298. Vgl. auch Dühring, Kursus der National- und Socialökonomie. Berlin 1873, S. 185 und Oeuvres complètes de P. J. Proudhon. Paris 1871, Tome XIX, S. 297.

Viertes Kapitel.

90

Annahme des Versprechens oder der Leistung seitens des Gläubigers

beruhen — dann hätten Bentham und Mill

allerdings Recht, dafs man sich in einen zustande gekommenen Vertrag nicht mengen dürfe und dafs es Wucher überhaupt nicht gebe. Doch dagegen kommt nun Böhm-Bawerk mit der von ihm acceptierten Stanley-Jevons-Mengerschen Grenznutzentheorie.

Er behauptet, dafs der Preis der Kapitalnutzung

bei einer gröfsern Anzahl sich darbietender Kapitalien stets auf den Wert des letzten, geringsten, des sogen. Grenznutzens herabsinke dauernder

und dafs

dadurch jede Furcht

einseitiger Bestimmung des Zinsfufses

schlossen sei.

Zwar giebt

er z u 1 0 :

„Unter

vor

ausge-

besonders

günstigen Voraussetzungen kann wohl ein einzelner Specialzweig andauernd einen abnormen Agiosatz sich erhalten. Die

Abneigung

der

meisten wohlhabenden

Leute,

ihr

Kapital in kleinen Beträgen ohne Pfandsicherheit an dürftige Leute zu verleihen, von denen es nicht ohne starke persönliche moralisch

Bemühung,

Aufsicht,

lästige Prozesse

peinliche Exekutionsführungen

wieder

und

zurück-

zuerhalten ist, hält wohl fast überall das Angebot auf dem eben bezeichneten Darlehensmarkt d a u e r n d abnorm niedrig und das Agio d a u e r n d abnorm hoch — auch a b gesehen

von j e n e m

Zinszuschlag,

schon aus dem Titel einer mufs."

Risicoprämie

der natürlich hier erfolgen

Nicht minder behauptet Böhm-Bawerk selbst, dafs

im allgemeinen für Produktionslustige eine gegenwärtige Darlehenssumme desto weniger Wert besitze, für eine je 10

I I 455.

Wesen und Begriff des Wuchers.

91

längere Produktionsperiode jene bereits aus sonstigen Mitteln ausgerüstet sind.

Das heilst nun mit dürren Worten :

Wer schon selbst Geld hat, kann es zu niedrigerem Zinsfufs erlangen, als wer keines hat.

Dies ist nun vollkom-

men richtig, läfst sich aber mit der Grenznutzentheorie nicht in Einklang bringen. Schliefslich giebt noch Böhm-Bawerk

zu,

dafs die

Höhe des Zinses zwischen dem Wert der Gegenwartsware für den Besitzer als Untergrenze und ihrem Wert für den Bewerber

als Obergrenze variiere.

einem von einem

reichen Manne

Das heifst nun erteilten

bei

Konsumtiv-

darlehen, bei welchem der Wert für den Bewerber der Erhaltung seines Lebens gleichkommt, aber sehr gering ist,

für

den Besitzer

weil er ja leicht auf das Zustande-

kommen verzichten kann, so viel wie, d a f s d e r Z i n s fufs

sich

hier bis

zur

höchsten Stufe,

ja

bis

z u r P r e i s g e b u n g d e r F r e i h e i t des S c h u l d n e r s 1 1 steigern müsse.

Aber wie richtig und dem Leben abge-

lauscht auch die Konsequenz wäre, Böhm-Bawerk hat sich offenbar gescheut, dieselbe auszusprechen. Wie lassen sich nun die der Wirklichkeit seitens des Verfassers gemachten Konzessionen mit der Grenznutzentheorie vereinbaren? Böhm - Bawerk

versucht

diese Unmöglichkeit

nicht.

Die Behandlung des Zinses vom socialpolitischen Standpunkt, das heifst hier vom Standpunkt der Realität, hatte der Verfasser zwar im ersten Bande 1 2 seines Werkes in 11 s. insbesondere Kapitel V I „Der Wucher auf dem Lande in Galizien", A u. B. 12 I 375.

Viertes Kapitel.

92

Aussicht genommen, im zweiten aber wohlweislich fallen gelassen.

Hier heilst es schon, dafs ein solcher Ausbau

eine Sache für sich sei — und trotzdem er anderswo behauptet:

„Die Unrichtigkeit

einer Theorie erweist sich

daran, dafs sie nicht für alle vorkommenden Fälle eine befriedigende Lösung zu geben vermag" 1 3 , so acceptiert er doch vorbehaltlos nicht nur

die ganze Grenznutzen-

theorie, sondern stützt auch auf dieselbe

seine

eigene

14

Theorie des Kapitalzinses . Die Abweichungen vom „ideellen" Zinsfufs,

welche

sowohl temporär als dauernd 1 5 auftreten, sind seiner Ansicht nach höchst wichtige Erscheinungen.

Ich will hinzu-

fügen, dafs nur durch ihre eingehende Behandlung „das grofse Hauptgesetz der Zinshöhe" erprobt, beschränkt oder zurückgewiesen werden könnte.

Hat aber der Verfasser

dies geflissentlich zu thuu unterlassen, so möge mir hier bei der eminenten Bedeutung des Buches und der Anerkennung, gezollt

wird,

die der Grenznutzentheorie gestattet

im

allgemeinen

sein, einige Zweifel

gegen ihre

Anwendung auf das Gebiet des Zinses laut werden

zu

lassen. Betrachten wir die Anwendung der Grenznutzentheorie innerhalb wirtschaftlich

hoch entwickelter Völker.

Hier

soll ja das Terrain sein, in dem das Princip des Grenznutzens stolz

ausnahmslos

sagt,

13 14 15

für alle

wirkt

und,

wie Böhm - Bawerk

vorkommenden Fälle eine

I I 384. I I 457. s. sein Zugeständnis II, 455.

befrie-

Wesen und Begriff des Wuchers.

digende Lösung zu geben vermag 1 6 .

93

So wie früher das

Gesetz aufgestellt wurde, dafs das Kapital der höchsten Fruktifizierung nachstrebe und daher aus den Ländern mit niedrigem Zinsfufs nach den Ländern mit höherem Zinsfufs entfliehen müsse, so wird von den Grenznutzentheoretikern nunmehr die gerade entgegengesetzte Behauptung gewagt. Nun sehen wir aber das merkwürdige Schauspiel, dafs der Bankdiskont in den verschiedenen europäischen hoch entwickelten Staaten trotz der Internationalst des Kapitalsmarktes durchaus nicht derselbe ist. 1

I n England beträgt

a

er z . B . 2 /a—2 U °/o, in Deutschland 3 V 2 % , in Österreich und Ungarn 4V2 °/o u. s. w. Theorie

Die Zeit sollte nach jener

alle Verschiedenheiten

doch ist dies nicht der Fall.

wieder

ausgleichen

und

Diese Unterschiede bestehen

allgemein und seit jeher; ja während sich die englischen Kapitalisten ganz ruhig im März und April 1888 die sechste Konversion der Staatsschuld gefallen liefsen, trotzdem sie von 3°/o auf 2 3 / 4 % und von 1913 auf 2 l / 2 % gekürzt worden s i n d 1 7 , haben neuerdings die Gläubiger der österreichisch - ungarischen

Staatsbahngesellschaft

eine Aktion

in Scene gesetzt, um eine Reduzierung der Zinsen von 3,8% 16

auf 3 , 4 %

zu verhindern 1 8 .

Seit jeher

hat in

I I 384. Vgl. Der Zinsfufs von D'Aulnis de Bourrouil, Conrads Jahrb. 1889, N. F. Bd. 18, S. 379. 18 Die Prioritäten der österreichisch - ungarischen Staatseisenbahngesellschaft tragen zwar nominell blofs 3 % , da jedoch der Durchschnittskurs 188 fl. für je 500 Francs beträgt und die Prioritätenbesitzer noch überdies die Verlosungschance haben, in welchem 17

Viertes Kapitel.

94

Frankreich und England ein niedrigerer Zinsfufs Deutschland, standen. ja

hier

ein niedrigerer

als in

als in Österreich be-

Aber auch in den Grenzen e i n e s Kronlandes,

einer

Stadt

fufses vor,

kommen Verschiedenheiten

die mit

des Zins-

der Grenznutzentheorie im schärf-

sten Widerspruche sind. So ist es allgemein bekannt, dafs der landesübliche Zinsfufs in Galizien und in der Bukowina höher steht, als z. B. in Böhmen oder Niederösterreich.

In einer Stadt wie Lemberg, die über 120 000 Ein-

wohner zählt,

läfst

sich die Filiale der österreichisch-

ungarischen Bank, die galizische Sparkasse und die galizische Landesbank 5—5 V2 °/o, die Hypothekenbank 7 °/o, die Vorschufsvereine 7—8 °l 0, Privatgeld Verleiher und Banquiers 9—12 % zahlen und ein jeder von ihnen findet Reflektanten.

Ähnliche Verhältnisse sind überall.

Es ist

wohl richtig, dafs der weniger Garantien bietende Entlehner einen höhern Zins zahlen müsse, da in demselben eine immer mehr anwachsende Risikoprämie enthalten sein soll; dann hätte aber die Grenznutzentheorie

blofs

auf

den reinen, nicht auf den rohen oder Gesamtziiis Anwendung.

Doch auch gegen eine solche Behauptung liefse

sich zweierlei einwenden. bei jedem Mangel

Erstens:

dafs in diesem Fall

eines sichern und konstanten Wert-

Falle sie nicht den Tageskurs, sondern für jede Priorität 200 fl. in Gold (237 fl. 25 kr. nach einem Frankskurs von 47,65 fl.) erhalten, so dürfte ein Zinsenerträgnis von 3,8 % eher zu niedrig als zu hoch gegriffen sein. Der Verwaltungsrat verlangt nun, dafs die Gläubiger die Einkommensteuer von nun an aus Eigenem bezahlen und hat dieselbe bei Auszahlung des Koupons bereits in Abzug gebracht.

Wesen und Begriff des Wuchers.

95

messers des Risikos 1 9 , die Risikoprämie leicht nach Belieben hinauf-

und heruntergerückt werden könnte, um

nur den reinen Zins überall in derselben Höhe zu erhalten, was ja zu immerfortigen Willkürlichkeiten Anlafs geben müfste. Zweitens,

dafs

sich der Zins auch bei gleichem

Risiko nicht immer gleich bleibe.

Kommt es doch vor,

dafs zwei gleich wohlhabende und gleiche Garantien bietende Unternehmer

zu verschiedenem Zinsfufs Geld auf-

nehmen, ja dafs häufig ein und derselbe von verschiedenen Summen Geldes trotz gleicher Marktlage und unverändertem Angebot verschiedene Zinsen zu zahlen sich entschliefst. Allen Schuldnern ist das Motiv gemeinschaftlich, ihre Vermögensverhältnisse

in möglichstes Geheimnis zu

hüllen

und dies gilt sowohl von dem Bauer, wie von dem Fabrikanten und Grofskaufmann.

Er

wird

daher nach Dar-

leihern nicht zu viel Umschau halten; vielleicht dort, wo er auf Diskretion rechnen kann, gerne ein Prozent m e h r zahlen — er wird mit einem Wort die Nachfrage vermindern und trotzdem gröfseren Nutzen erzielen, als wenn er zwar das Geld billiger bekommen hätte, aber zugleich

19 Knies (Kredit I I 21, 22) sagt treffend hierüber: „Obwohl die Höhe der Risikoprämie für jeden einzelnen Fall im voraus abgegrenzt ist, kann es sich doch in keinem solchen Falle um das Ergebnis einer eigentlichen „Berechnung" der Gröfse der Gefahr handeln. Der wirkliche Ausgang enthält niemals eine Bestätigung, immer nur eine Desavouierung des Prämienansatzes, ist ebendeshalb aber auch nicht geeignet für dritte Personen, Irrungen des Gläubigers über die Gröfse der ihm drohenden Gefahr nachzuweisen — eine wichtigste Thatsache für Kreditwirtschaft und Recht"!

Viertes Kapitel.

96

es bekannt geworden wäre, dieser Umstand

dafs er Geld aufnimmt

entweder zum Schaden seiner

und

Kredit-

würdigkeit gedeutet würde oder seine Konkurrenten veranlafst hätte, seinen Geschäftsgeheimnissen nachzuspüren, etwa die Absicht der Vergröfserung seines Betriebes vorauszuahnen etc. schäftsmann

wie

Nicht minder ist sowohl für für

den Bauer

den Ge-

Schnelligkeit

wichtig.

Während er in der Bank eine Reihe von Formalitäten erfüllen, wohl gar die Giros zweier protokollierter Kaufleute beistellen, dem Vorschufsvereine beitreten, die Sitzung abwarten mufs etc., bekommt er von dem Privatgläubiger das Geld sofort

auf sein eigenes Giro und

zahlt

allerdings mehr, als er in der Bank zahlen würde. Zinsenaufschlag im ersten Falle will

ich nun

dafür Den

Diskre-

t i o n s - , im zweiten C e l e r i t ä t s p r ä m i e nennen. Dafs auch im wirtschaftlichen Leben andere Motive als der Eigennutz nicht undenkbar sind, wie z. B. beim pretium affectionis und dafs dann die ganze Grenznutzentheorie auch nicht die entfernteste Anwendung findet , soll hier unerwähnt bleiben.

Es genügt wohl darauf hinge-

wiesen zu haben, dafs auch dort, wo der Eigennutz die herrschende Triebfeder menschlicher Handlungen ist, innere seelische Vorgänge ihn in solche Bahnen zu lenken vermögen, dafs die Höhe

des Zinses sich nicht nach dem

Grenznutzen richtet, sondern dafs die Risikoprämie nicht selten noch um die Höhe einer willkürlich bestimmten Diskretions-

u n d C e l e r i t ä t s p r ä m i e anwächst, ja

selbst dafs der Zins bei verringertem Angebot bis zum Monopolpreis emporsteigt. wina zwei Tabellen (für

Platter stellt

für die Buko-

das Jahr 1876 und 1877) zu-

Wesen und Begriff des Wuchers.

97

sammen, die nicht sowohl wegen der Höhe der Durchschnittszinsen, als wegen des Kontrastes zwischen kleineren und gröfseren Darlehen hier in Betracht kommen. Durchschnitttl. Prozentsatz Bei Schulden

1876

I. bis 50 fl.

1877

29,88 °/o

36,71 ü /o

II. von 50—100 fl.

34,90



37,59 „

III. von 100—500 fl.

35,99



34,52 „

IV. von 5 0 0 - 1 0 0 0 fl.

29,50



31,32 „

12,63



10,33 ,

V. über 1000 fl.

Der Unterschied zwischen kleinen und mittleren Darlehen existiert hier fast gar nicht — erst die grofsen Darlehen über 1000 fl. ö. W. zeigen einen rapiden Niedergang des Zinsfuises.

Dies hat wohl Böhm-Bawerk zuge-

geben, aber er hat blofs von besonders günstigen Voraussetzungen und besondern Specialzweigen gesprochen,

in

denen sich ein abnorm hoher Agiosatz dauernd erhalten könne (II, 455).

Dies ist nun unrichtig und zwar nicht

nur bei kleinen und mittleren Darlehen, bei denen es eher besonders günstiger Voraussetzungen bedürfte, damit die Grenznutzentheorie Anwendung,

als damit sie keine An-

wendung finde — sondern auch ohne Beschränkung der Darlehenssumme überall, wo die von mir oben nachgewiesene Diskretions- oder Celeritätsprämie einen Bestandteil des rohen Zinses bildet.

Die Grenznutzentheorie hat

also nicht einmal dort ausnahmslos Anwendung, wo das Angebot der Waren, des Kapitals oder der Arbeit in derselben Stärke auf dem Markte erscheint, in welcher es der Realität entspricht.

Wenn man nun die willkürlichen und

d a u e r n d e n Aufhaltungen des Preisniederganges berückCaro, Der Wucher.

7

Viertes Kapitel.

98

sichtigt, die durch Kartelle oder T r u s t s der Unternehmer entstehen ; wenn man die Zuriickstemmung der Lohnniedergänge beobachtet, die durch das Wirken der trades unions erfolgt, wenn man schliefslich in Erwägung zieht, dafs auch die kleinen Kapitalisten in Galizien,

Deutschland 20 und

anderswo, sowie die grofsen Finanzbarone sich bei ihren finanziellen Operationen durchaus keine Konkurrenz machen, sondern das Terrain sorgsam teilen,

um einander nicht

ins Gehege zu kommen, dafs also auch zwischen ihnen ein geheimer Ring besteht, so mufs man zu dem Schlüsse gelangen,

dafs

die sich

immer

häufenden

Interessen-

verbindungen die Regelung des Preises, Lohnes und Zinses wesentlich beeinflussen und das Herabsinken derselben bis zum Grenznutzen unmöglich machen.

Diese Erscheinungen

sind aber so bedeutend, so allgemein und so mächtig, dafs sie keineswegs als Ausnahmen von der Regel zu gelten haben und dafs sie im Gegenteil die Tendenz aufweisen, das gesamte Wirtschaftsleben zu beeinflussen und an sich zu reifsen. Trotz alledem bin ich weit entfernt davon, die Grenznutzentheorie und ihre Anwendung auf die Frage nach der Höhe des Zinses für vollkommen unrichtig zu erklären, obgleich das stolze Wort Böhm-Bawerks, dafs diese Theorie für

alle

vorkommenden

Fälle

eine befriedigende

Lösung zu geben vermöge, und dafs eine Theorie, die dies

20 Vgl. „Der Wucher auf dem Lande, Berichte und Gutachten des Vereins für Socialpolitik" S. 115; 125, 154, 310 und „Verhandlungen" S. 8 u. 9 ; Schmoller, Die neuesten Publikationen (Jahrb. 1883, JS. 622).

Wesen und Begriff des Wuchers.

nicht

vermöchte,

unrichtig

sei ( I I ,

Kritik geradezu herausfordern würde.

99

384), eine solche Ich beschränke mich

darauf zu behaupten, dafs diese Theorie blofs die Grenze bezeichnet, bis zu welcher der Preis und der Zins etwa sinken würde,

wenn nicht andere

Hindernisse

d e r r e a l e n W e l t d e m i m W e g e s t ü n d e n . Mitandern Worten, es ist eine Gesetzesfiktion, wie das „Gesetz" der Trägheit

oder

der Gravitation

in

der Physik.

So wie

diese Gesetze blofs eine T e n d e n z , keine absolute Wahrheit ausdrücken, sondern unserem inneren Einheitsbedürfnisse entspringende und unserer Auffassung zu Hilfe kommende Verallgemeinerungen einzelner Thatsachen sind, so ist auch die Grenznutzentheorie nichts anderes, und darin ist meines Erachtens die Beschränkung der in ihr enthaltenen Wahrheit ausgedrückt. Ist aber die Grenznutzentheorie

nicht in dem Sinne

gültig, wie dies ihre Schöpfer behaupten, so mufs auch der Einwand bestehen, den wir gegen die Motivierung der Berechtigung des Zinses vorher erhoben haben. ten, nicht

die subjektive

Wir sag-

Meinung des Entlehners

von

seiner Zukunft, nicht sein Leichtsinn, der ihn die Zukunft für die Gegenwart preisgeben läfst, vermag die Berechtigung des Zinsfufses nachzuweisen, da sonst der Willkür Thür lind Thor geöffnet und der Zinsfufs überhaupt keine Grenze haben würde.

Meines Erachtens ist die Berech-

tigung des Zinses blofs in dem Mehrwert gegenwärtiger Güter im Verhältnis zu zukünftigen enthalten ; dieser Mehrwert mufs jedoch ausschliefslich auf seinen wirtschaftlichen Ursprung zurückgeführt werden. Nicht psychologisch richtige ,

aber

wirtschaftlich

wertlose

Individualmeinungen, 7*

Viertes Kapitel.

100

sondern einzig und allein die Produktivität des dargeliehenen Kapitals sicher,

wie

muis

hier

maisgebend sein.

aus vagen Hoffnungen

Gegenwartsfreuden

niemals Mehrwert

oder

Ebenso

leichtsinnigen

entsteht,

ebensa

sicher können sie dem Zinse auch Diemals eine wirtschaftliche Unterlage bieten. Kapital ist

nach Wagner ein Vorrat

wirtschaftlicher

Güter, welche als Mittel zur Herstellung bez. Gewinnung neuer wirtschaftlicher Güter

dienen.

Nur insofern,

als

diese Mission des Kapitals erfüllt ist, als thatsächlich neue Güter hergestellt oder gewonnen wurden, kann von berechtigtem Zinse die Rede sein. Der Landmann, der heute ein Darlehen empfängt und dadurch die Möglichkeit gewinnt, dasselbe in Produktion umzusetzen, übernimmt die Verpflichtung, das dargeliehene Kapital nach einem Jahre mit 6 υ/ο Zinsen zurückzustellen. Wenn er einen solchen Vertrag eingeht, so mufs die verwendete Arbeit so produktiv sein, dafs sie im Verlaufe eines Jahres die Produktionskosten deckt und daneben das> Kapital samt Zinsen abwirft.

Ist dies nicht der Fall, so

mufs der Darleiher sich entweder mit geringeren Zinsen oder mit einer späteren Zahlungsfrist, oder aber mit einem und dem andern begnügen, damit die Reproduktion des Kapitals thatsächlich vor sich gehen könne. Zukunftsware ist nicht dasjenige, was der Entlehner in der Zukunft zu leisten hat, wie Böhm-Bawerk annimmt, sondern es ist die Summe der wirtschaftlichen Güter, die der Entlehner mit Hilfe des dargeliehenen Kapitals herstellen bez. gewinnen wird. Deshalb ist auch meines Erachtens der Zins nichts

Wesen und Begriff des Wuchers.

101

anderes, als der Preis des Nutzens, den das überlassene Kapital dem Entlehner gebracht hat.

B. Die ethischen Grenzen des wirtschaftlichen Verkehrs. Bevor wir daran gehen, die gewonnenen Resultate von der Berechtigung des Zinses auf die Frage nach der Grenze desselben und das Wesen des Wuchers anzuwenden, wollen wir es versuchen, uns vorerst Rechenschaft darüber abzulegen, inwiefern die Gesetze des wirtschaftlichen Verkehrs von der Ethik beeinflufst werden, da uns erst hierdurch die Definitionen der modernen Wuchergesetze sowie der ökonomischen Wissenschaft

vollständig klar

werden

können. Wo die Freiheit

mit

der Ethik

mufs die erstere unterliegen.

in Kollision gerät,

Die Ethik ist das Prin-

cip, welches die ganze künftige Volkswirtschaft beherrschen wird und schon jetzt der wirtschaftlichen Freiheit immer mehr Raum abgewinnt.

Trotzdem bleibt für die Freiheit

noch immer ein weites, ja unermefsliches Feld in der vom ethischen Standpunkt gleichgültigen Sphäre vorhanden und andererseits wird, wenn die Ethik etwa ihre Mission erfüllt

und das menschliche Geschlecht durchdrungen hat,

dieselbe als etwas Immanentes, als eine dem Menschen angeborene Kraft,

der unbeschränkten Freiheit den Kampf-

platz lassen. Auf absehbare Zeit jedoch, bis Selbstsucht in Gemeinsinn übergeht 21 und bis die letzten Anwandlungen des 21

Ygl. die ausgezeichnete Schrift von Prof. Lothar Dargun in Krakau „Egoismus und Altruismus in der Nationalökonomie", Leipzig 1885, insbesondere S. 98.

Viertes Kapitel.

102

wirtschaftlichen Individualismus mit der Wurzel ausgerottet sind, erscheint die Eindämmung wirtschaftlicher Freiheit in ethische Grenzen notwendig und erspriefslich.

I n diesem

Sinne entspricht die konsequente ablehnende Haltung des preufsischen Herrenhauses sowie des österreichischen Justizministeriums gegen die Wueherfreiheit,

nicht minder von

Sonnenfels im 18.? Rizy, Reichensperger, Wagener, KleistRetzow, Dunajewski, Pilat, Rydzowski u. s. w. im 19. Jahrhundert für Wuchergesetze dem sittlichen und allgemeinen Fortschritt, wogegen die liberalen Nationalökonomen Bentham und Turgot, die liberale Gesetzgebung Josef II., die liberalen Abgeordneten Lasker in Preufsen und Menger in Österreich,

welche für Wucherfreiheit

eintraten und den

Wucherern wohl gar einen Arbeitslohn vindizieren wollten, in Wahrheit wenn auch unabsichtlich dem Rückschritt das Wort redeten. Wirtschaftliche

Freiheit

begrenzte Vertragsfreiheit.

ist

nach

den

letzten

dem Altertum zwei Grundsätze entgegen: d e r satz

der

Bewertung

Gegenleistung



un-

Derselben stemmen sich seit der

sowie

Leistung der

Grund-

nach

Grundsatz

der der

Leistungsfähigkeit. Schon Aristoteles unterschied zwischen dem Princip entgeltender (dem δίκαιον

το αντιπεπονΰός)

tiver oder austeilender Gerechtigkeit.

und distribu-

Nach ihm waltet

das erste im Privatverkehr zwischen Bürger und Bürger, das zweite hat zum Spielraum das Verhältnis des Individuums zum Staate.

Im Privatverkehr müssen Produktions-

kosten und Wert der Leistung bei Bemessung der Gegenleistung berücksichtigt werden, wogegen es beim Tragen

Wesen und Begriff des Wuchers.

103

öffentlicher Lasten blofs auf die Kräfte des Individuums, auf die Leistungsmöglichkeit (oder Leistungsfähigkeit) ankomme.

Doch Aristoteles bleibt bei dieser Unterscheidung

nicht stehen.

Er läfst dem Princip distributiver Gerechtig-

keit bereitwilligst Einlafs auch in den Privatverkehr, den er, wenn er auch ursprünglich auf Eigennutz beruhe, auf freundschaftliche Beziehungen (φιλίαι)

zurückführt.

Auch

die Genossen in Handelsgeschäften, die Schiffsteilhaber u. s.w. sollen nach ihm nur verlangen, was zu leisten möglich sei, nicht was dem Werte der Gegenleistung entspreche (το δυνατόν

γαρ η φιλία επιζητεί,

ον το κατ άξίαν

22

).

Das

römische Recht hat sich wenigstens das erste Princip des Aristoteles angeeignet.

Hier gab es die condictiones, eine

actio ultra dimidium und quanti ininoris, die exceptio non numeratae pecuniae, das Verbot des pactum antichreticum, und des Anatocismus, die lex Anastasiana, das SC. Macedonianum etc. Thomas von Aquino und nach ihm die anderen kanonistischen Rechtslehrer erklären sich ausdrücklich für beide Grundsätze und infolgedessen acceptieren sie auch den Begriff des römischen Rechtes von dem justum pretium und der laesio enormis. anheimgestellt bleibe,

Damit aber den Kontrahenten nicht den gerechten Wert nach Willkür

zu bestimmen, so sollen nach ihnen wenigstens bei den 22

über den weiten Begriff der φιλίαι, siehe Aristoteles, Nikom. Ethik herausg. von Kamsauer. Leipzig 1878, lib. VIII, cap. 11 u. 14, überdies cap. 16. Vgl. auch Trendelenburg, Naturrecht auf dem Grunde der Ethik. 2. Aufl. 1868. Derselbe, Historische Beiträge zur Philosophie, Bd. III. 1867. — Vor allem Fr. J. Neumann, Die Steuer nach der Steuerfähigkeit (Conrads Jahrb. 1880 u. 1881).

Viertes Kapitel.

104

notwendigsten und unmittelbarsten Lebensbedürfnissen, wie Getreide, Öl, Wein und anderen Lebensmitteln, wie nicht minder überall dort, wo an der offiziellen Preisbestimmung die Allgemeinheit ein Interesse habe, von der Obrigkeit Preistaxen festgesetzt werden.

Dieselben dürfen sich je-

doch nicht nach dem Tauschwert, sondern nach der sachlichen Güte der Ware (bonitas intrinseca; richten und für die letztere soll der gemeine Verkehrswert (communis aestimatio, cursus) als Fingerzeig dienen.

Die nämlichen Grund-

sätze sollen auch für den Verkehr mit nicht tarifierten Gegenständen mafsgebend sein.

Das subjektive Moment

soll nur subsidiär zur Geltung kommen und hauptsächlich die Arbeit, die Kosten und Auslagen und die Gefahr des Verkäufers

berücksichtigen.

Die Abweichungen, die mit

Rücksicht darauf vom justum pretium gestattet seien, müssen sich jedoch in den Grenzen zwischen einem niedrigsten und einem höchsten Preise bewegen,

wobei bei Über-

schreitung des objektiven Preismafses nicht in Anbetracht komme, ob sie absichtlich oder unabsichtlich war.

Jeder

durch Überschreitung dieses Preismafses verursachte Schaden müsse ausgeglichen werden,

und den Kontrahenten

stehe blofs frei, zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Mafs des nicht taxierten Preises ihren Vorteil zu gewinnen. Bei Verkauf auf Kredit sollte nicht mehr verlangt werden dürfen, als beim Barverkauf mit der von Paul de Castro hervorgehobenen Ausnahme, fruchttragend

war

wenn die verkaufte

Sache

und dem Käufer auch vor der Ent-

richtung des Kaufpreises thatsächlich Früchte trug.

Weitere 1

Ausnahmen von dieser Regel wurden nur für Kaufleute, Banquiers und Händler zugelassen.

Wesen und Begriff des Wuchers.

105

Dies die Grundsätze der kanonistischen Rechtslehre, welche auch heute volle Aufmerksamkeit verdienen 23 . Gegen diese Auffassung wandte sich nun die Reaktion der individualistischen Schule.

Wie

sie für

das Gebiet

des öffentlichen Lebens den Grundsatz aufstellte, der Staat gewähre

blofs Rechtsschutz, jede Steuer sei nichts als

Gegenleistung des Bürgers für die Leistung des Staates und solle demnach gleich sein, weil auch der Schutz, den der Staat allen gewährleiste, der gleiche sei (Kopfsteuern. Judensteuern, Konsumsteuern)

— so verlangt sie nicht

minder im wirtschaftlichen Verkehr unbeschränktes Walten des Privatinteresses.

Sie erklärte sich daher mit Hintan-

setzung der Forderungen der Gerechtigkeit und Billigkeit z. B. für ein sicheres und schnelles Wechselrecht, sowie für die Zulassung der laesio enormis im Handelsverkehr 24 , sie erklärte als notwendigen Bestandteil desselben die Konjunktur, den aufser dem Princip entgeltender Gerechtigkeit stehenden Zufall und gestattete damit unverhältnismäfsigen Gewinn, aber auch unerwarteten Zusammenbruch — Ausnutzung der Notlage des Schwächeren im Verkehr, aber auch zeitweisen Untergang der Stärkeren durch Handelskrisen.

Seitdem

beherrschen

aleatorische

Verträge

Börsenspekulation und Differenzspiel die W e l t ; von Haus und Landgut, Unternehmergewinn,

der Pacht- und Mietzins,

der Arbeitslohn — kurz

Brot- und Fleischpreisen

angefangen

in

der Preis alles

bis hinauf in

der von die

schwindlichte Höhe der Börsenkurse, wird teils nicht immer,

23 24

Vgl. Endemann, Ratzinger w. o. Art. 286 H.G.B.

Viertes Kapitel.

106

teils gar nicht vom Princip der Verhältnismäfsigkeit Leistung und Gegenleistung — vom

Princip

der

von

und noch viel weniger

Leistungsfähigkeit

beherrscht.

oder weniger entscheidet hier entweder e i n s e i t i g e l e n s b e s t i m m u n g des w i r t s c h a f t l i c h

Mehr Wil-

Stärkeren,

der den Preis der verkauften Ware, die Höhe des Darlehens-, Miet- oder Pachtzinses so hoch hinaufschraubt und die Höhe des Arbeitslohnes sowie den Preis der gekauften Ware so tief herunterdrückt, als dies nur irgend möglich ist; oder d i e G e s a m t l a g e die

des M a r k t e s ,

die über

Höhe des Unternehmergewinnes, über Steigen

und

Fallen der Effektenkurse und Warenpreise souverän und in letzter Instanz entscheidet.

Von Zeit zu Zeit entlädt

sich das Gewitter in periodisch gewordenen Handelskrisen. Doch diese Zeitepoche ist ihrem Untergange nahe. Schritt für Schritt erobern sich die aristotelischen Principien, durch die ätzende Kritik

des wissenschaftlichen

Socialismus gefördert, das verloren geglaubte Terrain. Schon heute bezahlt der Arbeiter in den bekannten grofsen Arbeiterhäusern Londons nur einen geringen Mietzins, der tief unter dem Werte der Miete steht; seine Theilnahme an öffentlichenVersicherungsanstalten und Versorgungskassen vermöchte ohne den namhaften Beitrag des Unternehmers den Bedarf für alle Fälle eventueller Versorgung nicht zu decken, der Anne erhält in Volksküchen und Theeanstalten

wohlthätiger

Vereine

Speise

und

Trank

u n t e r den Herstellungskosten; das Militär und der Student geniefsen ermäfsigte Einlaiskarten in die Schauspielhäuser, weil man annimmt, stände seien.

dafs sie nicht mehr zu zahlen im

Wer Einnahmen bezieht, die das sogenannte

Wesen un

Begriff des Wuchers.

107

Existenzminimum nicht erreichen, bezahlt keine Steuern, trotzdem genieist er Rechtsschutz in gleichem Mafsstabe wie der Wohlhabende.

Der unbemittelte Schüler, der seine

Prüfungen macht, wird von Schul- und Kollegiengeldern befreit; die Ärzte behandeln Arme unentgeltlich; in London giebt es selbst für Arbeiter besondere unentgeltliche Bilderausstellungen und Lehrkurse auf der Arbeiter-Hochschule in Toynbee-hall. Andererseits mufs der Reiche für denselben Rechtsschutz dein Staate, für dieselbe Dienstleistung dem Rechtsanwalt und Notar, für

dieselben Speisen und Getränke

dem Gastwirt mehr als der Unbemittelte bezahlen, und diese Summen werden nicht von dem Princip der Verhältnismäfsigkeit, sondern von dem Princip der Leistungsfähigkeit bestimmt. Diese Reihe von Erscheinungen,

die wir leicht ins

Zehnfache vermehren könnten, läfst sich in ihrer inneren Bedeutung nur begreifen, wenn wir uns jene beiden Principien vergegenwärtigen,

die im wirtschaftlichen

mehr und mehr nach Bethätigung ringen.

Leben

Der Grundsatz

der Yerhältnismäfsigkeit, den wir auch den der entgeltenden Gerechtigkeit nennen könnten, kämpft nicht selten in der Vorhut; hat er den Platz behauptet, so verlangt der zweite,

der Grundsatz der Leistungsfähigkeit oder aus-

teilenden Gerechtigkeit besondere Rechte und Pflichten für das Individuum.

Häufig ist der letztere jedoch früher am

Kampfplatz als natürliche Reaktion gegen zu hoch gespannte Forderungen einer maislosen Ausbeutung.

Jedenfalls weist

er nach, dafs summum ius summa injuria sein könne, dals objektive Yerhältnismäfsigkeit nicht immer subjektiv gleiche

Viertes Kapitel.

108

Opfer nach sich ziehe, sondern dafs im Gegenteil das gebrachte Opfer im umgekehrten Verhältnis zum restlichen Vorrat des Eigentümers stehe.

Es ist ein ius strictum

und ein ius aequum, welches sich vereint gegen jegliches Unrecht wendet, um sich dann gegenseitig den Kampfplatz streitig zu machen.

Die Auflösung dieses Konfliktes ber

steht nun in der Anerkennung beider Principien, indem Verhältnismäfsigkeit der gegenseitigen Leistungen als Regel und Leistungsmöglichkeit als ihre Ober- und Untergrenze anerkannt wird. An der Richtigkeit dieser Anschauung ändert die Thatsache nichts, dafs diese „Gesetze" in Wahrheit nicht immer befolgt werden, j a , dafs häufig ganz andere Principien als die soeben dargelegten in das Wirtschaftsleben eingreifen. Ist doch die Nationalökonomie eine ethische Wissenschaft in dem Sinne, dafs sie nicht blofs das Thatsächliche auf wirtschaftlichem Gebiete beobachten und zusammenfassen, sondern dafs sie daraus dasjenige herausschälen soll, was gemeinnützliche Wirkungen hervorbringt,

um es dann im

Interesse des allgemeinen Wohles an die Spitze der Wissenschaft zu stellen und zur Befolgung anzuempfehlen. der Erstarkung

Mit

des ethischen Bewufstseins im socialen

Menschen (ζώον πολιτικον) werden die so gewonnenen Anschauungen im Flufs der Zeiten sich zu wirklichen Gesetzen umgestalten.

C. Angebot und Nachfrage. Die wirtschaftlichethischen Grenzen des Zinses. Natürliche Zinstaxen. Wir

haben in der ersten Abteilung

dieses Kapitels

behauptet, dafs der Zins nur insofern berechtigt sei, als

Wesen un

Begriff des Wuchers.

109

seine Quelle, das Kapital, seinen volkswirtschaftlichen Beruf erfüllt, neuen Gütern zum Dasein zu verhelfen.

Die

zweite Abteilung verschaffte uns die Erkenntnis, dafs das gesamte wirtschaftliche Leben die Tendenz aufweise, sich von zweien, mit der Ethik im Einklang stehenden Grundsätzen beherrschen zu lassen: dem Grundsatz der Verhältnismäisigkeit von Leistung und Gegenleistung und dem Grundsatz der Leistungsmöglichkeit. Hier drängt sich die Frage auf, ob dieselben Schranken auch für den Zins bestehen und wie, wenn dies der Fall, sich dieselben

bethätigen?

Insbesondere, wo liegt

die

Grenze zwischen berechtigtem Zins und seinem Nachbarn, dem Wucher?

Wo ist damit die sichere Handhabe, die

uns die Preisfrage Josefs I I . , was Wucher sei, endgültig zu lösen gestattet? Die landläufige, auf individual - psychologischen Vorgängen aufgebaute und für das Gebiet des Thatsächlichen auch unbestreitbare Anschauung ist die, „dafs ein hoher Zins die Folge sowohl eines ungenügenden Angebotes von Kapital, auch eines höheren Gebrauchswertes der Nutzung und ausgiebiger Konkurrenz von Unternehmern; ein zeitweilig oder lokal sehr niedriger Zins Folge sowohl eines überwiegend vermehrten Angebotes von Kapital als auch eines geringen Gebrauchswertes der Nutzung und eines Mangels an Unternehmungen sein könne" II, 103).

(Knies Kredit

Demnach bestimmen thatsächlich den Preis der

Kapitalnutzung zwei durchaus heterogene Umstände: der &ebrauchswert der Nutzungen des Kapitals und das Verhältnis von Angebot und Nachfrage.

Jener Gebrauchswert

fliefst aus den wirtschaftlichen Eigenschaften des Gegen-

Viertes Kapitel.

110

standes selbst; dagegen ist das Verhältnis von Angebot und Nachfrage blofs der Reflex menschlicher Bedürfnisse und Meinungen über dieselben, sowie über die Eigenschaften des bewerteten Gegenstandes.

Dem stets

ab-

wechselnden Angebot und Nachfrage steht der wenigstens auf längere Zeiträume konstante Gebrauchswert gegenüber. Wenn und solange das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage den Verkehr beherrscht, kann von einem ethischen Handeln nicht die Rede sein. frage, also d a s B e d ü r f n i s ,

Je gröfser die Nach-

desto höher gestaltet sich

der Preis; je gröfser das Angebot, also d i e L e i s t u n g , desto niedriger sinkt der Preis und somit kann, so lange dieses Gesetz den Gesamtverkehr heherrschen wird, weder dem Bedürfnis

abgeholfen

noch

die Leistung

belohnt

werden. Der Arbeiter erhält verhältnismäfsig um so geringeren Lohn, je mehr er arbeitet, weil dadurch das bestimmte Arbeitsquantum schneller erschöpft wird; je mehr Hände arbeiten, leisten, Gebrauchswerte schaffen, desto weniger erhält aus eben demselben Grunde jeder einzelne Arbeiter; der Fabrikant erzielt um so niedrigere Preise, je mehr Waren er auf den Markt geliefert hat, also je besser er dem allgemeinen Bedürfnis nachgekommen ist.

Je mehr

Kaufleuten die Banken durch Eskont ihrer Wechsel geholfen haben, desto weniger mufs jeder einzelne dafür bezahlen; und je gröfser ihr Bedürfnis, desto schwieriger ihr Zutritt zur Benutzung der Geldquellen der Banken und desto höher die von ihnen geforderte Gegenleistung.

Wenfl

alle Gutsbesitzer der Welt intensiv wirtschaften würden, so müfste trotz ihres grofsen Mehraufwandes an Kosten

Wesen un

Begriff des Wuchers.

111

der Getreidepreis rapid sinken; entsteht aber irgendwo Hungersnot, dann mufs auch der ärmste Tagelöhner den höchsten Preis für sein Stück Brot bezahlen.

Der Einflufs

von Angebot und Nachfrage auf die Preise ist daher anders so auszudrücken: Je gröfser das Bedürfnis, desto höher der Preis, je gröfser die Leistung, desto geringer der Preis. Und in dieser Fassung tritt erst die ganze Ungerechtigkeit und Ulisittlichkeit dieses Gesetzes zu tage.

Es ist der

Kampf aller gegen alle, welchen dieses Gesetz ins allgemeine Bewufstsein gerufen und sanktioniert hat. Wenn

die

sich herandrängenden Arbeiter

Hunger-

löhne empfangen, so heifst es einfach, dafs das Angebot gröfser war als die Nachfrage; wenn der Fabrikant, der mit einem ungeheueren Aufwand von Mühe und Kosten eine zu grofse Masse von Gütern produziert und auf den Markt gebracht hat, nun unter dem Kostenpreis verkaufen mufs und ruiniert wird, so heifst es wieder: das Angebot war gröfser als die Nachfrage.

Wenn sich in Hungers-

nöten Bäcker oder Fleischer exorbitant hohe Preise zahlen lassen oder die Banken bei allgemeiner Notlage den Zinsfufs erhöhen, so wird das einfach mit dem Hinweis auf die Gröfse

der Nachfrage

wissenschaftliche

Werke,

gedeutet.

Wenn schliefslich

welche die epochemachendsten

Entdeckungen enthalten und die nicht selten das Ergebnis eines ganzen rastlosen Menschenlebens sind, häufig

im

Selbstverlage des Verfassers erscheinen müssen, während Heldentenore steller

und Cirkusreiter,

und Sängerinnen

der

pornographische

Variété - Theater

Schriftfür

ihre

„Leistungen" grofsartige Honorare empfangen und jedenfalls ein bequemes Leben führen können, so wird all' dieser

Viertes Kapitel.

112

klägliche Widersinn,

der uns die Nichtsheit unserer an-

geblich so hohen Civilisation recht deutlich veranschaulicht, gleichfalls

nur durch Hinweis auf jenes „grolse Gesetz"

gedeutet.

Und damit giebt sich die durchschnittliche Auf-

fassung auch meistens zufrieden.

Nicht so die wirtschafts-

politische, welche bereits in einer Reihe von Thatsachen zum Durchbruch gelangt ist. Die tonangebenden Banken des Landes erhöhen ihren Zinsfufs trotz

der durch entfesselte Spekulationswut ins

ungeheuere angewachsenen Nachfrage und ermäfsigen ihn sofort nach eingetretener Krise, trotzdem die Nachfrage bedeutend geringer wird — die Vereinigungen der Arbeiter haben es erzwungen, dafs bei Bewertung ihrer Arbeit in industriell hochentwickelten Ländern vor allem ihre Leistung selbst und in zweiter Reihe erst der aus dem Erlös ihrer unter geistiger Mitwirkung des Unternehmers zu vollführenden Arbeit erzielbare Gewinn in Rechnung gezogen wird. Schutzzölle wollen nichts als die unnachsichtliche Wirkung des Verhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage wenigstens auf einzelne Länder beschränken.

Ringe von Bäckern,

Metzgern, Bierbrauern, Fabrikanten bestimmen ohne Rücksicht auf dieses Gesetz die Preise der Waren einerseits im Interesse der Produzenten wie es Konsumvereine andererseits versuchen, sie im Interesse „des Publikums", der Konsumenten womöglich auf den Kostenpreis herabzudrücken. Behördliche Brot-, Fleisch-, Lohn-, Apotheker-, Fahrkarten-, Gebührentaxen 25 suchen „künstlich" den wechselnden Ein-

25

s. hierüber insbesondere Endemann, Studien in der romanischkanonistischen Wirtschafts- und Rechtslehre. Berlin 1883. Kurt

Wesen un

Begriff des Wuchers.

Hills von Angebot und Nachfrage

113

auf die Preise abzu-

schwächen und dem Gebrauchswert der Ware oder der Leistung ausschliefsliche Geltung bei der Preisbestimmung zu verschaffen. Ist durch so ein Verhalten der Staatsgewalt und der verschiedenen Berufsklassen erwiesen, dafs die Unsittlichkeit und die gemeinschädlichen Folgen dieses „Gesetzes" bereits hier und da erkannt worden sind, so darf auch nicht übersehen werden, dafs dieses Gesetz eigentlich gar nicht zum Verständnis wirtschaftlicher Vorgänge beiträgt. Sowohl das Angebot wie die Nachfrage hängen so sehr von neuen Erfindungen, von der Erschliefsung neuer Märkte, von der allgemeinen Besserung der Lebenslage, von staatlichen und religiösen Einrichtungen,

von der natürlichen

Vermehrung der Bevölkerung, ja selbst von Kriegen, Seuchen, Hungersnöten, von dem Fortschritt der medizinischen und aller exakten Wissenschaften, Änderung der Geschmacksrichtung und der Mode etc. etc, — ab, dafs der Satz : das Verhältnis von Angebot und Nachfrage ist für die Höhe des Preises mafsgebend — eigentlich kaum in örtlichen und zeitlichen Grenzen etwas bedeutet. So wird es vielleicht nicht mifsbilligt werden können, wenn versucht wird,

auch bei dem Preis der Kapital-

V. Kohrscheidt, Die Brottaxen und die Gewichtsbäckerei (Conrads Jahrb. N. F. 15, 1887. S. 547). Derselbe, Die Geschichte der Polizeitaxen in Deutschland und Preufsen und ihre Stellung in der Reichsgewerbeordnung (Conrads Jahrb. N. F. 17, 1888, S. 353). Derselbe, Korreferat über die Polizeitaxe und die Preise der Kleingewerbe auf der am 29. Sept. 1888 abgehaltenen Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik. Leipzig 1889. C a r o , Der Wuchcr.

8

Viertes Kapitel.

114

nutzung von dem Wirken des Angebots und der Nachfrage abzusehen und lediglich sein Verhältnis zum Gebrauchswert ins Auge zu fassen.

Dafs für diese Auffassung auch

in der Praxis bereits untrügliche Zeichen vorhanden sind, beweist der Umstand, dafs die Landschaften, Sparkassen, Landesbanken und andere nicht auf Aktien gegründete Hypothekarkreditinstitute nicht danach fragen,

bei Bestimmung des Zinsfufses

was für Änderungen im Laufe der

Zeit im Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage eintreten werden und dafs sie sich hierbei ausschliefslich oder doch in erster Reihe von der Erwägung leiten lassen, wie viel der Entlehner aus dem belasteten Erdboden im besten Falle herausschlagen könne und wie viel er daher zu zahlen im stände sei, ohne ein anderes Kapital zur Bezahlung der Zinsen angreifen zu müssen.

Dieselbe Frage legen sich

bekanntlich die Raiffeisenschen Darlehenskassen vor und auch bei ihnen handelt es sich nicht um Gewinn der Mitglieder, sondern einzig lind allein um den Gebrauchswert der Kapital nutzung für den Entleiher. Wenn vor einem österreichischen oder deutschen Richterkollegium ein Wucherfall verhandelt wird, so wird nicht selten mit richtigem Instinkt die Frage nach der V e r w e n d u n g des dargeliehenen Kapitals aufgeworfen,

denn

offenbar ist das Darlehen demjenigen mehr wert gewesen, der es in einem Handelsunternehmen verwenden konnte als demjenigen, der es zum Ackerbau verwandte.

Der

Besitzer einer Fabrik, eines Obst- oder Weingartens kann mehr zahlen als der übliche Zinsfufs beträgt, ohne dafs er bewuchert würde, und die Gerichte berücksichtigen auch regelmäfsig den Einwand des Gläubigers, dafs der Schuldner

Wesen un

Begriff des Wuchers.

115

in seinem Unternehmen mehr erziele, als der vereinbarte wenn auch „wucherische" Zinsfufs betragen habe.

Auch

die Gegner der Wuchergesetze wissen nichts besseres zu ihrer Widerlegung anzugeben,

als

dafs

häufig

mit

ge-

liehenem Gelde der technische Fortschritt gehoben werde und dafs der Unternehmergewinn im stände sei, auch hohe Zinsen zu zahlen.

Manchmal wird freilich diese Möglich-

keit auf die blofse Häufigkeit des Umsatzes im Betriebe zurückgeführt und hierdurch ein begleitender Umstand als Hauptursache gedeutet.

Nicht, dafs die Pariser Gemüse-

händlerinnen ihre Waren alle Woche einmal umsetzen, um das berühmte Turgotsche Beispiel zu wiederholen, sondern dafs sie sie mit entsprechend höherem Gewinn umsetzen, befähigt

sie,

ihren Gläubigern

173 3 /io °/o oder

3V3 °/o

wöchentlich zu zahlen, ohne Schaden dabei zu leiden. Im grofsen und ganzen wird jedoch in der Praxis wenn auch instinktiv anerkannt, dafs dem Gläubiger der Zins dafür gebühre, dafs er zur Entstehung neuer Gebrauchswerte beigetragen habe und dafs dieser Zins um so viel höher sein dürfe, als durch Hinzuthun des Gläubigers mehr und

höhere

Mitwirkung setzt, die

Gebrauchswerte hat

den Schuldner

entstanden erst

in

seien.

Seine

den Stand ge-

geschaffenen Vorteile zu erringen — ein an-

gemessener Teil der Früchte fremder Arbeit mufs ihm daher

im Rahmen der heutigen Gesellschaftsordnung

von

Rechtswegen anheimfallen. W i r sehen: hier kommt der Grundsatz der Leistungsfähigkeit als Maximalgrenze des Zinses in Betracht. so ist es in der Praxis,

Nicht

wenn das erteilte Darlehen un-

produktiv oder wenig produktiv war, also vor allem in der 8*

Viertes Kapitel.

116

Landwirtschaft.

Da ist es bekannt, dafs der Ertrag einest

Grundstückes in England und Wales sich für den Eigentümer auf 21/,2—3V3 °/O beläuft 2 6 , dafs auch in Deutschland und Österreich

kein höheres Resultat als 3—3 1 '2 °/o er-

zielt w i r d 2 7 .

Trotzdem

den Realkredit

der Aktienhypothekenbanken,

hat

es noch niemand

gewagt,

sowie den

Personalkredit der Schulze - Delitzschen Vorschufsvereine, der überall

5 °/o übersteigt, sofern

mann in Betracht kommt, Die Denkweise

er

für

den Land-

als wucherisch zu bezeichnen.

der Gläubiger hat die natürliche Logik

in dem Grade beeinflufst,

dafs eben dieselben,

welche

sich unbedingt für h ö h e r e Zinsen erklären, wofern der Schuldner h ö h e r e Einnahmen hat, sich entrüstet gegen die Forderung verwahren

werden,

dafs

der Schuldner,

welcher w e n i g e r einnimmt, auch w e n i g e r zahlen dürfe. Während sie im ersten Falle Leistung und Gegenleistung sorgsam abwägen, werden sie im zweiten blofs von dem Risiko des Gläubigers sprechen und einwenden, dafs die Annahme einer solchen Auffassung den gesamten Rechtszustand verwirren und das Vertrauen auf die Bestimmungen der Verträge untergraben würde.

Hierbei würden sie je-

doch folgendes übersehen. Beim Pachtvertrage

ist z. B. nach österreichischem

Recht (§ 1104a.b. GB.) der b e d u n g e n e Miet- oder Pachtzins nicht zu entrichten,

„wenn eine in Bestand genom-

26

Erwin Nasse, Agrarische Zustände in England (Schriften des Vereins für Socialpolitik XXVII). 27

Für Bayern und überhaupt ganz Süddeutschland Ratzinger den Reinertrag des Bodens mit 3 °/o an.

giebt

Wesen un

Begriff des Wuchers.

117

mene Sache wegen aufserordentlicher Zufälle als: Feuer, Krieg

oder Seuche,

wegen

gröfser

Überschwemmung,

Wetterschläge oder wegen gänzlichen Mifswachses gar nicht gebraucht oder benützt werden kann."

Desgleichen ge-

bührt dem Pächter ein Erlafs an dem Pachtzinse, wenn durch aufserordentliche Zufälle die Nutzungen des nur auf ein Jahr gepachteten Gutes um mehr als die Hälfte des gewöhnlichen Ertrages gefallen sind.

Der Verpächter ist

so viel zu erlassen schuldig, als durch diesen Abfall an dem Pachtzinse mangelt (§ 1105 a.b. GB.). Den geschehenen Unglücksfall mufs der Pächter dem Verpächter ohne Zeitverlust anzeigen und die Begebenheit, wenn sie nicht landkundig ist,

gerichtlich oder wenigstens durch

zwei

sachkundige Männer erheben lassen; ohne diese Vorsicht wird er nicht gehört (§ 1108).

Geht die bestandene Sache

durch einen Unglücksfall zu Grunde, so ist kein Teil dem anderen verantwortlich (§ 1112). Ähnlich bestimmt der Code Napoléon 2 8 : Wenn während der Dauer des Mietkontraktes die vermietete Sache durch Zufall ganz zerstört wird,

so ist der Kontrakt kraft des

Gesetzes aufgehoben ; ward sie hingegen nur zum Teil zerstört, so kann der Mieter den Umständen nach entweder eine Verminderung des Preises oder sogar die Aufhebung des Mietkontraktes

verlangen.

dem anderen Fall

hat keine Entschädigung statt

1722).

In

dem

einen wie in (Art.

Wenn die Verpachtung auf mehrere Jahre ge-

schehen und während der Dauer derselben eine Ernte ganz

28

Ich citiere nach der officiellen deutschen Übersetzung für das Königreich Westfalen. Strafsburg 1808.

Viertes Kapitel.

118

oder wenigstens zur Hälfte durch Zufall zu Grunde gegangen ist, so kann der Pächter einen Nachlafs an seinem Pachtgelde verlangen,

wenn er nicht durch die vorher-

gehenden Ernten entschädigt worden ist.

Ist er dadurch

nicht entschädigt worden, so kann die Bestimmung des Nachlasses erst am Ende der Pachtzeit stattfinden, wo alsdann eine Ausgleichung der sämtlichen Pachtjahre vorgenommen wird.

\ 7 orläufig kann gleichwohl der Richter dem

Pächter die Bezahlung eines Teiles des Pachtgeldes nach dem Verhältnisse des erlittenen Verlustes nachlassen (Art. 1769).

Wenn der Pachtkontrakt nur auf ein Jahr ge-

schlossen ist und der Verlust entweder auf alle, oder doch wenigstens auf die Hälfte der Früchte sich erstreckt, so wird dem Pächter ein verhältnismäfsiger Teil seines Pachtzinses erlassen (Art. 1770). Am weitesten geht das preufsische Landrecht. finden

wir

mungen29:

im I. Teil

Titel X X I

Hier

nachstehende Bestim-

Ist der Mieter eines Gebäudes durch höhere

Gewalt oder durch einen nicht in seiner Person sich ereignenden Zufall auf längere Zeit

als einen Monat des

Gebrauchs desselben ganz oder zum Teil entsetzt worden, so kann er von dem Vermieter verhältnismäfsigen Erlafs am Zinse fordern (§ 299).

Ist der Pächter einer Gerech-

tigkeit durch einen solchen in § 299 bestimmten Zufall zur Ausübung seines Nutzungsrechtes auf drei Monate oder länger völlig aufser stände gesetzt worden, so kann er auf

29 Auch hier citiere ich nach der in vier Bänden erschienenen offiziellen Ausgabe: Allgemeines Gesetzbuch für die preufs. Staaten. Berlin 1791.

Wesen un

Begriff des Wuchers.

119

einen Nachlais am Pachtzins nach Verhältnis der Zeit Anspruch machen (§ 301). Ein Gleiches gilt von dem Pächter einer andern nutzbaren Sache, die kein Landgut ist (§ 302). Ist durch die entstandene Verhinderung dem Pächter zwar nicht die Hebung wirklicher Nutzungen entzogen worden, wohl aber die nötige Zeit zu den Anstalten, welche die Hebung künftiger Nutzungen erfordert, verloren gegangen, so kann er nach dem Betrage des erweislich dadurch zu erleidenden Verlustes Remission fordern (§ 304).

Der Ver-

pächter, welcher den Erlafs nach Verhältnis der Zeit oder in dem Falle des § 304 nicht einräumen w i l l , kann auf Vorlegung einer Rechnung über die Einnahmen eines ganzen Jahres beantragen (§ 305).

Alsdann mufs aber auch der

Verpächter dem Pächter so viel am Zinse erlassen,

als

nach Ausweis dieser Rechnung durch die wirkliche Zunahme des ganzen Jahres nicht gedeckt ist (§ 306).

Ist

der Pächter des Landguts durch einen solchen, in § 299 beschriebenen Zufall, zur Ausübung seines Nutzungsrechtes auf ein oder mehrere Jahre völlig aufser stand gesetzt worden, so kann ihm für diese Zeit kein Pachtzins abgefordert werden (§ 307).

Aufser dem allgemeinen Grund-

satze des § 307 kann der Pächter einen Nachlafs an dem Pachtzinse fordern, wenn der gewöhnliche Ertrag des Gutes durch aufserordentliche Unglücksfälle beträchtlich vermindert worden (§ 478).

Hier folgt nun (§§ 478—499) die

ausführliche Auseinandersetzung,

wie diese Unglücksfälle

bei Pachtungen glaubhaft gemacht werden sollen, sodann die besondern

Vorschriften

über Partiairemissionen

bei

Mifswachs (§§ 5 0 0 - 5 1 1 ) , bei Viehsterben (§§ 512—515), bei Brandschäden (§§ 516—530), bei Fischereien (§§ 531

Viertes Kapitel.

120

u n d 532), bei M ü h l e n (§§ 5 3 3 - 552), bei

Kriegsschäden

(§§ 5 5 3 — 5 9 6 ) .

Ü b e r a l l ist bei der Aufstellung des Rech-

nungsnachweises

der

Grundsatz

i m Auge

behalten,

dafs

nicht darauf Rücksicht zu nehmen sei, was etwa nach dem Anschlage

eingenommen

oder

ausgegeben

werden

sollte

oder auf die i m Anschlage angenommenen Preise, sondern blofs

auf

gaben.

die So

Gesetzbücher

wirklichen lauten

die

Einnahmen

Vorschriften

der N e u z e i t 3 0

der

und

Aus-

bedeutendsten

über das Remissionsrecht

im

Pachtverträge. 30

§ 534 des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich lautet freilich in Anlehnung an das sächsische Gesetz (§ 1212) anders. Nach demselben wird der Pächter durch einen Zufall, welcher die Früchte oder deren Entstehung trifft, nicht von der Verbindlichkeit befreit, den vollen Pachtzins zu entrichten. Die Motive (Bd. I I , Berlin und Leipzig 1888) begründen diese Bestimmung damit, dafs der Verpächter nicht die Wirklichkeit des Fruchtbezuges zu vertreten habe, dafs eine andere Vorschrift jedes rechtlichen Fundamentes entbehre — und blofs (!) auf Billigkeit beruhe. Die gelehrten Verfasser vergessen eben, dafs rechtens nur das sein solle, was billig ist und was nicht billig ist, auch nicht Recht sein dürfe. Die Motive betonen sodann, dafs die Anerkennung des entgegengesetzten Grundsatzes sich nur rechtfertigen liefse, wenn sie durch ein dringendes praktisches Bedürfnis geboten wäre, was jedoch nicht vorläge. Dafs das Befürfhis der Praxis in erster Linie darüber entscheiden müsse, was rechtens sein solle, wird hier wie überall einfach übersehen und zum Schlüsse dieses Bedürfnis selbst geleugnet. Damit ist jedoch im Widerspruch, wenn zugegeben wird, dafs namentlich bei kürzeren Verträgen „Härten" vorkommen können. Die Beseitigung dieser Härten überläfst jedoch der Entwurf wohlgemut „der Privatautonomie der Parteien!" Natürlich das ist das bequemste. Da braucht man auch keine Fabrikgesetze, keine Einigungsämter, keine Arbeiterversicherung und keine Wuchergesetze. Man überlasse doch „die Beseitigung etwaiger Härten" der Privatautonomie der Parteien!

Wesen unci Begriff des Wuchers.

121

Man sieht, es giebt Ereignisse, welche ihre Schatten in die Vergangenheit zu werfen vermögen.

Ein rite ab-

geschlossener Pachtvertrag kann demnach den Pächter nicht verpflichten, den Pachtzins zu zahlen, wenn ein von dem AVillen des Verpächters vollkommen unabhängiges Ereignis eintritt, welches den Pächter in seiner Produktion lähmt oder sie ganz unmöglich macht.

Der Verpächter hat den

Gebrauch seines Gutes für eine gewisse Zeit und gegen einen bestimmten Preis dem Pächter überlassen und damit seine Leistung vollführt; trotzdem darf die Gegenleistung ausbleiben, wenn es der Grundsatz der Leistungsfähigkeit erheischt.

Dadurch wird aber das öffentliche Vertrauen

gar nicht untergraben. Liefse sich nun derselbe Grundsatz nicht auf den Darlehensvertrag anwenden?

Dagegen könnte hervorgehoben

werden, dafs die Leistung des Verpächters nicht in der Gestattung des Gebrauches eines Gutes schlechthin bestehe, sondern in der Gestattung des Gebrauches eines b e n u t z b a r e n Gutes und dafs diese Leistung eben in folge der eingetretenen, wenn auch vom Willen des Verpächters unabhängigen Ereignisse als nicht erfolgt angesehen werden müsse, dafs darin die Ursache des Ausfalls der Gegenleistung enthalten sei und dafs es übrigens nicht anginge, Grundsätze des Pachtvertrages,

bei welchem das Eigen-

tumsrecht bei dem Verpächter bleibe, auf den Darlehenszinsvertrag anzuwenden, bei dem das Eigentum und mit ihm jegliche Gefahr auf den Entleiher

übergehe.

Doch

beide Einwände erscheinen uns unstichhaltig. Soll nicht in der Gebrauchsgestattung des Verpächters allein, sondern erst darin in Verbindung mit der objek-

122

Viertes Kapitel.

tiven unbehinderten Verwendbarkeit des Gutes zu produktiven Zwecken die Gegenleistung erheischende

Leistung

des Verpächters erblickt werden, dann ist es ja klar, dafs auch die Gebrauchsgestattung des Darleihers allein noch keine Leistung ausmacht, die Zins erforderte, sondern erst eine solche, bei der das erteilte Darlehen zur Schaffung neuer Werte gebraucht und benützt werden konnte. Analogie ist dann vollkommen.

Die

Der Verpächter sowie der

Darleiher hat jedenfalls das Recht den Grundstock — sein Gut oder Kapital — zurückzufordern ; hat aber ein unvorhergesehener Unglücksfall die Benutzung des Gutes oder Kapitals ganz oder teilweise verhindert und ist dies notorisch bekannt oder sonstwie erweisbar, so entfällt ex p o s t trotz abgeschlossenen Vertrages jedes Recht des Verpächters oder Darleihers auf den bedungenen ganzen Pachtbez. Darlehenszins oder einen Teil desselben. Sollen dagegen deshalb beim Darlehen andere Grundsätze obwalten, als beim Pachtvertrag,

weil der letztere

keine Eigentumsübertragung enthält, so ist dagegen einzuwenden, dafs auch der Darlehensvertrag nur deshalb darauf beruht, weil bei verbrauchbaren Gütern der Gebrauch nur durch Verwendung des Kapitals selbst erfolgen kann, was bei unverbrauchbaren Gütern nicht der Fall ist. Sowohl beim Darlehenszins- wie

beim Pachtvertrag

handelt es sich nicht um das Kapital selbst, wie etwa bei Kauf und Tausch, sondern blols um die Nutzung.

Der

Unterschied ist lediglich der, dafs die Substanz unverbrauchbarer Sachen (beim Pacht - und Mietvertrag)

an

Ort und Stelle bleibt und in specie wiedergegeben wird, wogegen der Entleiher, der nicht nur Kapital, sondern auch

Wesen un

Begriff des Wuchers.

Zinsen zurückstellen w i l l , für das geliehene Geld Waren kaufen und dann dieselben verkaufen, das geliehene Saatgetreide säen und die Frucht ernten mufs, ehe er daran denken kann, das geliehene Geld oder Getreide mit Zins — nicht in specie, sondern in genere — zurückzuerstatten. Das Darlehen überträgt wohl Eigentum, aber widerruflich, und ist der Widerruf schon im Darlehensvertrage enthalten. zeitlich

selbst

Das durch ihn geschaffene Eigentumsrecht ist

begrenzt

und

besteht

überhaupt

nur

deshalb,

weil eine wirtschaftliche Benutzung der geliehenen verbrauchbaren Sache ohne dasselbe schlechterdings unmöglich wäre. Aus all dem erhellt, dals im Darlehensvertrag der Zins nach dem voraussichtlichen Ertrag des Kapitals und zwar auf die Weise festgesetzt werden soll, dafs

seine

G r e n z e n nach oben u n d nach u n t e n vom G r u n d satz der L e i s t u n g s f ä h i g k e i t

bez.

-möglichkeit

b e s t i m m t w e r d e n , dafs a b e r i n g e w i s s e n F ä l l e n auch nach Abschlufs talsbesitzer oder

die

teilweise

glaubhaft Entleihers

des V e r t r a g e s

verabredeten nachsehen

gemachtes,

von

der

Kapi-

Zinsen

ganz

müsse, dem

sofern Willen

ein de&

unbeeinflufstes E r e i g n i s die w i r t -

schaftliche Benutzung

des d a r g e l i e h e n e n

Ka-

pitals unmöglich gemacht hätte. Der Richter wäre sonach verpflichtet, jeder Aufforderung des Schuldners nachzukommen und den Zinsfufs nach diesem Grundsatze festzustellen, wobei ihm die Rücksichtnahme auf den landesüblichen Bankdiskont diese Entscheidung wesentlich erleichtern würde.

Erwiese sich anderer-

Viertes Kapitel.

124

seits,

dafs der Effekt des Kapitals

gröfser war,

als ur-

sprünglich angenommen wurde, so könnte auch in diesem Falle richterliche Hilfe angerufen werden, um wie dort entsprechende Herabsetzung, so hier angemessene Erhöhung des Zinsfufses zu provozieren.

Diese Aufgabe würde dem

Richter gewifs leichter fallen, als die heutige, die ihm die modernen Wuchergesetze auferlegen und stände im Einklänge mit der Vorschrift welche dahin lautete:

des alten römischen Rechts,

der Richter solle nötigenfalls auf

ein „iustum pretium" erkennen, womit der o r t s ü b l i c h e Zinsfufs gemeint war.

Der heutige legale Zinsfufs, welcher

dem Gebrauchswert des Geldes gleichsam vorauseilt, anstatt ihn zu erforschen und sich ihm anzupassen, mufs trotz

seiner verhältnismäfsigen

Niedrigkeit

mehr

oder

weniger willkürlich sein und diese Erkenntnis liegt auch dem spanischen Gesetz vom 14. März 1856 zu gründe, welches bestimmt,

dafs die Höhe des legalen Zinsfufses

alljährlich geändert werden solle. Die Heranziehung der Behörde zur Konstatierung und Anwendung von örtlich als zweckmäfsig anerkannten Malsregeln kommt übrigens nicht nur bei den Römern vor. I n Frankreich steht den Departementsräten die Befugnis zu, die Gröfse der unteilbaren Höfe für ihr Departement unter

Berücksichtigung

Gutdünken festzusetzen.

der

örtlichen

Verhältnisse

nach

In England ist nach der Glad-

stoneschen Bill „for the amendment of the law relating to the

occupation and ownership of land in Ireland" der

Richter auf Verlangen des Pächters verpflichtet,

gar die

Höhe des zu entrichtenden Pachtzinses auf 15 Jahre im voraus zu bestimmen.

So kann denn auch beim Dar-

Wesen un

Begriff des Wuchers.

125

iehenszinsvertrag auf Verlangen der Parteien die Bestimmung des gebührenden Zinsfufses

erfolgen,

wobei

dem

Richter nicht schwer fallen kann, die maximale Leistungsfähigkeit

des Entleihers

bezw. die

tivität des Kapitals in dessen Berufe

maximale

Produk-

annähernd zu be-

urteilen. Doch wenn jemals die hier befürwortete Änderung in der Auffassung des Darlehensvertrages Eingang ins Gesetz linden würde, dann steht zu befürchten, einseitige Berücksichtigung

dafs eine solche

des Schuldners

mit

Hintan-

setzung aller Risiko-, Diskretions-, Celeritätsprämien und Provisionen für gehabte Mühewaltung die Gläubiger voraussichtlich veranlassen würde, über die ihnen zugefügte „Ungerechtigkeit" Klage zu führen und mit der Erteilung von Darlehen einfach innezuhalten, wie dies z. B. in Galizien nach dem Wuchergesetze von 1877 kurze Zeit hindurch der Fall war - - ja es wäre wohl nicht undenkbar, dafs die kreditbedürftigen Schuldner sich selbst der argbedrängten Gläubiger annehmen würden und die Parlamente um Änderung jener „barbarischen" Gesetze angingen. Ich will gerne zugeben, dafs die wirtschaftlich Stärkeren,

die bisher

tierten, überrascht

fast ausschliefslich und entrüstet

alle Gesetze dik-

ein Gesetz aufnehmen

würden, welches versuchte, ihnen das Heft aus den Händen zu reifsen; zugeben, dafs sie die Probe machen würden, den Gesetzgeber durch einen zähen Widerstand zur Unikehr zu zwingen und dafs kurzsichtige oder notleidende Schuldner, ihres Kredites beraubt, Versammlungen einberufen und Petitionen überreichen würden.

Aber der ganze

Sturm könnte doch nur von kurzer Dauer sein.

Trefflich

Viertes Kapitel.

126

urteilt über ähnliche Motive der Staatsrat Jaubert im Jahre 1807 in seinem Bericht an Napoleon anläfslich der beabsichtigten Aufhebung der Wucherfreiheit: „Vergeblich sagt man, der Zinsfufs dürfe nur von der gegenseitigen Lage des Darleihers und des Entleihers abhängen:

des Dar-

leihers, welcher sein Kapital sonstwo viel nützlicher und sicherer anlegen könnte ; des Entleihers, dessen Lage durch den Nutzen, welchen ihm das Darlehen bringt, jedenfalls verbessert werde, selbst wenn er auch höhere Zinsen bezahle.

Allein auf einzelne Thatsachen, welche vielleicht

gerechtfertigt werden können, kann es hier nicht ankommen. Das Gesetz mufs das Allgemeine vor Augen haben und für das allgemeine Interesse Sorge

tragen.

Das Bedürfnis,

ein Darlehen aufzunehmen, hat gewöhnlich nur den Erwerb oder die Befreiung

vom Grundeigentum,

die Gründung,

Ausdehnung oder Fortführung irgend einer Industrie oder eines Gewerbes zum Gegenstande.

Daraus folgt, dafs der

Zinsfufs, damit die bürgerliche Gesellschaft nicht darunter leide, mit den Erzeugnissen des Grundeigentums und mit jenen, welche eine ehrbare Industrie hervorbringt, im Verhältnis stehen mufs.

Zerstört man dieses Gleichgewicht,

so kommt dadurch alles in Verwirrung und Nachteil. Dem Einwände,

dafs die Festsetzung eines Zinsfufses

Vielen

hinderlich sein würde, ein Darlehen zu erhalten, steht alle Erfahrung entgegen, denn wenn es Leute giebt, welche es nötig haben, Geld zu entlehnen, so giebt es auch wieder andere, welche es nötig haben, Geld darzuleihen.

Und

wäre jener Einwand auch gegründet, so dürfte der Gesetzgeber sich dadurch doch nicht abhalten lassen, den Zins-

Wesen un

fufs zu bestimmen 3 1 ".

Begriff de

Wuchers.

127

Hier ist mit eindringlichen Worten

der Standpunkt des allgemeinen Wohles gekennzeichnet, den der Gesetzgeber einnehmen soll; uns obliegt ein Weiteres, womöglich alle Parteien vor drohendem Schaden zu bewahren.

Denn nicht alles, was sein soll, ist und nicht

alles, was ist, ist so, wie es sein soll.

So mufs auch der

Staatsmann nach den ersten Ursachen des höheren Zinses forschen und er wird sie in der Notlage der Bevölkerung, in dem verschiedenen Grade des Risikos, in der mangelhaften Organisation des Kredites finden. Diese Erkenntnis wird

schliefslich die Schaffung von Kreditorganisationen

hervorrufen, die durch ihre grofsartige Anlage jedes Risiko ausschliefsen und daher im stände sein werden, den „rohen" Zins auf die Höhe des „reinen" Zinses herabzudrücken und diesen dem Gebrauchswerte des Kapitals für den Entleiher anzupassen.

Im Rahmen einer solchen Kreditorganisation

wird

die Schaffung besonderer Specialfonds auch

durch

für zinslosen Konsumtivkredit gesorgt werden können. Die Auseinandersetznng, wie dies erfolgen soll, mufs andern jedoch

Zusammenhang überlassen bleiben. eine

einem

So

lange

solche K r e d i t o r g a n i s a t i o n

nicht

z u s t ä n d e k o m m t , mufs zugegeben werden, dafs, wofern dem Darleiher

nicht

ein Kapitalsertrag

überhaupt

zuerkannt wird, jedes wirtschaftliche Motiv zur Abgabe von Kapitalnutzung an andere für ihn entfallen

würde.

Es mufs demnach jedes Kapital auch irgendwelche Zinsen tragen, selbst wenn es zu Konsumtionszwecken bestimmt war oder äufsere Umstände seine Produktivität verhindert 31

Rizy, Zinstaxen und Wuchergesetze, S. 159.

Viertes Kapitel.

128

haben.

Dies ist wohl ungerecht

aber zweckmäisig und

der stete Niedergang des Zinsfufses vermindert jene Ungerechtigkeit

vollends.

Es

darf

auch

nicht

übersehen

werden, dafs beim Darlehensvertrag die Gefahr des Kapitalverlustes thatsächlich vorhanden ist, welche beim Pachtvertrage vermöge des unverbrauchbaren Pachtobjektes wegfällt

32

.

Charakters des

Zwar ist aus der thatsächlichen.

dem Gläubiger drohenden Gefahr

durchaus nicht ersicht-

lich, warum die Risikoprämie gerade diejenigen Schuldner bezahlen sollen, bei denen gar kein Risiko obwaltete und nur diejenigen frei

ausgehen, welche jenes Risiko eben

verursacht haben. Zwar erscheint eine solche Risikoprämie als eine Strafe für die Ehrlichkeit, und Celeritätsprämie

wie die Diskretions-

als eine Strafe für Unerfahrenheit

und Notlage und man wäre versucht, diese vom wirtschaftlichen Liberalismus eingeführten Geldstrafen für viel härter zu halten, als so manche Freiheitsstrafen,

die von den

Gerichten

werden.

für

wirkliche Vergehen

diktiert

Da

wir nun aber einmal noch immer unter dem geisttötenden Banne der liberalen Ideen stehen und noch lange nicht daran denken können, unsere gesamte Gesetzgebung den Forderungen der Socialwissenschaft anzupassen, so mufs zugegeben werden,

dafs

schaftlichen Verkehr

der Gläubiger,

für

den

heutigen der

privatwirt-

nicht Schaden

32 Die hier obwaltende Gefahr der Deteriorierung des Bodens durch den Pächter wird nicht etwa, als Risikoprämie berechnet, zu dem Pachtzins geschlagen, da einem schlechten Pächter einfach nicht verpachtet wird, sondern es wird ihr im Pachtvertrage durch Bestimmung einer Kaution, Exekutionsstrengen, Schadensersatzverpflichtungen etc. begegnet.

Wesen un

Begriff des Wuchers.

129

nehmen will, gezwungen ist, höhere Darlehnszinsen zu beanspruchen , als er (Landgut,

Haus)

von einem

an Pacht-

unverbrauchbaren

oder

Mietzins

Gute

verlangen

würde. So gelangen wir zur Formulierung von zwei Zweckmäisigkeitsgrundsätzen für den heutigen Verkehr: 1.

Ein Darlehenszins mufs auch von vollständig un-

produktiven Darlehen zuerkannt werden. 2.

Im

Darlehenszins

kann unter Umständen

eine

Risikoprämie enthalten sein. Die Anerkennung dieser beiden Grundsätze führt uns dazu, uns für

die Einführung

maximums zu erklären,

welches

eines beweglichen Zinsder Ertragshöhe

spräche , die die Leistungsfähigkeit

des Schuldners

entin

seinem Berufe im besten Fall zu erreichen im stände sein wird.

Dieses Zinsmaximum könnte meines Erachtens mit

meiner — rein wirtschaftlichen — Auffassung des Darlehenszinsvertrages ,

jedoch

unter einstweiliger

Berück-

sichtigung obiger Zweckmäfsigkeitsprincipien Hand in Hand gehen in dem Sinne, dafs sich die Parteien zwar nicht auf einen,

das Zinsmaximum überschreitenden Zinsfufs ver-

einigen könnten, dafs jedoch der Richter nach Umständen auch auf eine Erhöhung des vereinbarten Zinsfufses erkennen dürfte, wenn nachgewiesen sei, dafs der Schuldner im k o n k r e t e n Fall selbst mehr als das Zinsmaximum bei produktiver Verwendung des dargeliehenen Kapitals herausgeschlagen habe.

Wäre

andererseits

erwiesen,

dafs

n i c h t n u r d e r S c h u l d n e r selbst, sondern seine Berufsgenossen im D u r c h s c h n i t t blofs einen geringeren Nutzen C a r o , Der Wucher.

9

Viertes Kapitel.

130

aus der produktiven Verwendung des Kapitals in ihrem Berufe herausschlagen können, als zwischen den Parteien, versteht sich in den Grenzen des Zinsmaximums, vereinbart war, so läge es dem Richter ob, auf Verlangen des Schuldners, den im Vertrage bestimmten Zinsfufs herabzusetzen. Kein persönlicher Unglücksfall könnte die gänzliche oder teilweise Aufhebung der Verbindlichkeit der Zinszahlung, sondern blofs eine angemessene, vom Gericht zu bestimmende Stundung der Forderung nach sich ziehen. Dafs hier zum Schaden des Schuldners

nicht auf seine konkrete

Lage und auf die eingangs erwähnten Analogien mit dem Pachtvertrage Rücksicht genommen wird, hat in den soeben genannten Zweckmäfsigkeitsrücksichten seinen Grund. Die hier befürwortete Zinstaxe unterscheidet sich dadurch von den Zinstaxen der Vergangenheit, dafs jene überhaupt nicht überschritten werden durfte, ja dafs jede Überschreitung derselben als strafbarer Wucher galt, wogegen meine Zinstaxe unter Umständen wohl überschritten werden darf

und blofs

Stetigkeit

den gesamten Kapitalsverkehr

in

dazu dienen soll,

eine gröfsere einzuführen

und die Überschreitung von einer jedesmaligen richterlichen Entscheidung abhängig zu machen. I n dem Korrektiv

der nachherigen — unter anderen

Bedingungen für den Gläubiger und unter anderen für den Schuldner — gestatteten Zinsenbestimmung wäre zugleich meines Erachtens die Sicherheit gegeben, dafs das Zinsmaximum nicht, wie die Zinstaxen, erfolglos bleiben, und wohl

gar

noch besondere Zuschläge von Risikoprämien

nach sich ziehen, sondern von beiden Parteien eingehalten sein werde, wofern zugleich jeder Verzicht auf diese Rechts-

Wesen und Begriff des Wuchers.

131

wohlthat von seite des Schuldners im voraus als ungültig erklärt würde. Der landesübliche Zinsfufs

weist wenigstens in den

hochentwickelten Ländern Westeuropas eine unverkennbare Tendenz zu allmählichem Niedergange auf. Der Hypothekenzinsfufs,

erforscht

für

die Zeit

von

1815—1883 3 3

für

37 Städte, 2 Landbezirke und einen Komplex ritterschaftlicher Güter in Deutschland, ist

von 5V2 — 6°/o durch-

1

schnittlich auf 4 /2 °/O gefallen, wobei nicht von Banken, sondern blofs von Privaten erteilte Darlehen berücksichtigt wurden.

In demselben Verhältnis ist aber auch der von

Banken

beanspruchte

Hypothekenzinsfufs

und

Wechsel-

diskont gefallen und der Kurs der Staats- und Kommunalpapiere, sowie der Pfandbriefe gestiegen.

in demselben Verhältnis

Ein weiterer stetiger Niedergang des Zinsfufses

steht schon deshalb zu erwarten, weil, wie de Bourrouill 3 4 treffend ausführt,

in den Ländern alter Civilisation die

Notwendigkeit vorherrscht, für sehr wichtige Gewerbszweige zu Arbeiten sekundären Nutzens überzugehen und weil die intensive .Landwirtschaft hier durch die immer bedrohlicher werdende Konkurrenz der anderswo entstandenen extensiven Kultur zu leiden hat; in den der Civilisation neu erschlossenen Ländern aber die Notwendigkeit entsteht, den allmählichen Zuwachs

der Bevölkerung —

der Konsu-

menten — erst abzuwarten, ohne welche an produktive 33

Geschichte des Zinsfufses in Deutschland seit 1815 von Dr. Julius Kahn, Stuttgart 1884. 34 Der Zinsfufs von D'Aulnis de Bourrouil (Conrads Jahrb. 1889, Bd. 18). Der Zinsfufs im Jahre 1889 von demselben (Conrads Jahrb. 1890, Bd. 20). 9*

Viertes Kapitel.

132

Veranlagung des Kapitals

nicht

zu denken ist — weil

schliefslich überall das fixe in Anlagen umgesetzte Kapital sich der Anwendung neuer Erfindungen in gröfserem Mafsstabe widersetzen mufs, da es sonst selbst wertlos werden würde.

Auf Grund all dieser Thatsachen prophezeit Paul

Leroy-Beaulieu 35

mit Recht für das nächste halbe Jahr-

hundert einen weiteren Niedergang des Zinsfufses auf 3 r 2Va bis 2 °/o. Innerhalb desselben Zeitraumes und Wirtschaftsgebietes macht sich eine Tendenz zur Herstellung eines gleichen Niveaus für den Reinertrag in den verschiedenartigen Kapitalverwendungen geltend und so ergiebt sich hier eine relative Konstanz des Zinsfufses, welche sich im landesüblichen oder mittleren Zinsfufs

äufsert 86 .

So ist

dem Fallen des Zinsfufses seit dem vorigen Jahrhundert ein immerfortiges

Steigen der

Grundrente

bis in

die

neueste Zeit auf dem Fufse gefolgt und wenn auch die letztere stärker gestiegen, als der Zinsfufs gefallen ist, so hat dies teils in dem Streben nach Grundbesitz an und für sich und den damit etwa verbundenen socialen Vorrechten und Vergünstigungen, teils in der Spekulation, die sich auch dieser Gebiete bemächtigt hatte, seinen Grund. Der Bodenwert ist dermalen so hoch angewachsen 37 , dafs

35

Essai sur la repartition des richesses et sur la tendance à une moindre inegalité des conditions par Paul Leroy - Beaulieu. Paris 1881. 36 37

Knies, Kredit I I 100 ff.

Nach Alf. de Foville (La France économique, Statistique raisonnée et comparative) betrug der Durchschnittspreis der Hektare:

Wesen un

Begriff des Wuchers.

133