Der Unsichtbare Staat: Machtabbau oder Machtverschleierung? [1 ed.]
 9783428480760, 9783428080762

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WALTER LEISNER . DER UNSICHTBARE STAAT

Der Unsichtbare Staat Machtabbau oder Machtverschleierung?

Von

Prof. Dr. Walter Leisner

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Leisner, Walter: Der unsichtbare Staat: Machtabbau oder Machtverschleierung? / Von Walter Leisner. - Berlin: Duncker und Humblot, 1994 ISBN 3-428-08076-9

Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: SiB Satzzentrum in Berlin GmbH, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-08076-9

Vorwort Der demokratische Staat gilt als das "Öffentliche - Veröffentlichte" - als das Sichtbare schlechthin. Die Forderung nach" Transparenz" seiner Organisations- und Handlungsformen ist höchstrangiges Verfassungsgebot der Rechtsstaatlichkeit; selbst von den für diesen Staat handelnden führenden Politikern wird immer nachdrücklicher eine geradezu gläserne Durchsichtigkeit gefordert, bis in ihr Privatleben hinein. Zugleich aber läuft, wenig bemerkt, eine große Entwicklung in eine ganz andere Richtung: Mit dem Niedergang spätfeudal-großbürgerlicher gesellschaftlicher Formen hat in dem zu Ende gehenden Jahrhundert etwas wie eine "Ent-Uniformierung", Ent-Pathetisierung, ja EntFormalisierung auch die Staatlichkeit in all ihren Bereichen ergriffen. Offizielle Beamtenkleidung verschwindet, Staatsarchitektur wandelt sich zum ökonomischen Zweckbau, in Bürgernähe sollen Ton und Inhalt staatlicher Anordnungen die Bedrohlichkeit der "obrigkeitlichen Gewalt" vergessen lassen. Auf einer großen Privatisierungswelle bewegt sich der Hoheitsstaat hin auf die Gleichordnungs-Ebene seiner Bürger. Aus Gewaltunterworfenen immer mehr zu Partner geworden, sehen viele in all dem nur einen großen Machtabbau, und sie begrüßen ihn. Verwirklicht sich hier nicht endlich die immer wieder geforderte "Einheit von Staat und Gesellschaft", wird darin nicht sogar etwas wirksam wie das "Absterben des Staates" - nun nicht mehr in den utopischen Formen des Marxismus, sondern in einer demokratischen Bürgerordnung? Wenig ist bisher darüber grundsätzlich nachgedacht worden, ob in all dem sich nicht ein "Marsch aus der Öffentlichkeit" vollzieht, der Rechtsstaat, Demokratie und Freiheit gefährden könnte. Stehen wir in der Entwicklung zu einem" Unsichtbaren Staat", zu neuen Formen der Machtausübung im Verborgenen, ohne Theatralik, aber nur um so wirksamer, weil schwerer durchschaubar? Was gewinnt die Bürgerfreiheit, wenn nicht mehr hart befohlen wird, sondern weich subventioniert, wenn ordensgeschmückte Regierende durch Parteipolitiker ersetzt werden, die aus gesellschaftlicher Deckung heraus herrschen und die selbst im Staatsapparat häufig in großer Bürokratie untertauchen? Ist der "Staat" dafür nicht der ideale Aktionsraum, er, der stets im letzten wesentlich Unfaßbare - Unsichtbare?

6

Vorwort

Wenn sich etwas zu formieren beginnt, aus vielen Bereichen heraus, wie ein Unsichtbarer Staat, so könnte, hinter so manchem wirklichen Machtabbau, leicht etwas ablaufen wie Machtverschleierung. Nichts aber war für die Freiheit je gefährlicher als Kryptogewalten, geheime Mächte. Der Bürger reagiert darauf mit Ängsten, wie sie heute schon immer mehr umgehen; doch die zahllosen feingesponnenen Netze unsichtbarer Staatlichkeit - kann er sie zerreißen? Diese Untersuchung will neue Formen der Machtausübung - denn um nichts anderes geht es - ins Bewußtsein heben, in ihrer freiheitsgefährdenden Dimension; und dabei stehen keineswegs die "klassischen" Formen der Geheimpolizei im Vordergrund, auf die kein Gemeinwesen gänzlich verzichtet. Gestellt wird vielmehr die Frage, ob man heute bereits mit etwas leben muß wie einem "Unsichtbaren Staat", der sich weiter perfektioniert. Es sind dies Betrachtungen zu neuen Techniken der Macht, die aus dem Licht der Freiheit fliehen. Die Rudolf Siederleben'sche Otto-Wolff-Stiftung hat großzügig diese Arbeit durch eine Spende gefördert. Mein Dank gilt dafür vor allem Herrn Professor Dr. Gunter Hartmann. Meiner Assistentin, Frau Assessorin Beate Borysiak, danke ich herzlich für ihre intelligente und sorgfältige Mitarbeit. München, am 2. 2. 1994

Walter Leisner

Inhaltsverzeichnis A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit -

ein Problem staatlicher Macht

13

1.

Die Fragestellung -

Begriffe und Aktualität. . . . . . . . . . . . . . . . . ..

13

II.

Sichtbarkeit als Form der Ausübung von Staatsgewalt. . . . . . . . . . .

20

Sichtbarkeit von Staatsgebäuden und Staatssymbolen . . . . . . . "Sichtbare Würde" - von der Festung bis zum Monument. . . Begründungslosigkeit der Macht als "sichtbare Staatsexistenz· . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Sichtbare als Macht der Einschüchterung. . . . . . . . . . . . . . Sichtbarkeit - mehr als nur "Fühlbarkeit" der Macht. . . . . ..

20 23 26 29 33

III. Sichtbarkeit als Stärkung der Staatsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

35

Integration als Staatsgrundlegungs-Lehre der Demokratie. . . . Das "Sichtbare" als Integrationszentrum . . . . . . . . . . . . . . . . .. Die Integrationskraft der Verfassung - das "sichtbare Recht"

35 37 40

1.

2. 3. 4. 5.

1.

2. 3. IV.

sichtbare Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

44

Die Legalität - vorveröffentlichte Staatlichkeit . . . . . . . . . . . .. Bestimmtheit......................................... Überschaubarkeit und Kontrollierbarkeit "sichtbarer" Staatsgewalt.. . .. . .. ... . .. . .. ......... . ... ..... .. . ... ... ... Sichtbarkeit - staatlicher Machtgewinn auch im Rechtsstaat

44 46 50 52

Öffentlichkeit: Sichtbarkeit der Staatsgewalt. . . . . . . . . . . . . . . . . ..

58

Öffentlichkeit als Rechtsprinzip aller Staatlichkeit. . . . . . . . . . . a) Medienrechte: Zwang des Staates in die Öffentlichkeit. . .. b) Der rechtliche Drang in die "Öffentlichkeit": Notwendigkeit der Wahldemokratie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Öffentliche Sichtbarkeit als "Quelle der Staatsgewalt" . . . .. Entwicklungslinien "öffentlicher" Staats-Sichtbarkeit. . . . . . .. a) Vom "Staatsgeheimnis" - zur "Ablenkungs-Öffentlichkeit" b) Von der Öffentlichkeit der "vollendeten Tatsachen" zur Sichtbarkeit der Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . ..

58 59

Der Rechtsstaat -

1.

2. 3. 4. V.

1.

2.

60 63 65 65 68

Inhaltsverzeichnis

8 3. 4.

5.

Der Prototyp Parlamentsöffentlichkeit - Sichtbarkeit von Motiven und Umfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffentlichkeit als Staatsgrundsatz: Sichtbarkeit im Zweifel und immer mehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) .. Staatsgeheimnis als Bürgergeheimnis" . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die ständige Verstärkung der Öffentlichkeit als Staatsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..Unsichtbarer Staat" - illegale Krypto-Gewalt? . . . . . . . . . . .

71 75 76 78 83

B. Legitimation des "Unsichtbaren Staates". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

Geistig-historische Entwicklungsstufen der Staatsmacht - zur Unsichtbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

I.

1.

2. 3. II.

Ent-Menschlichung der Herrschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Staat als Über-Mensch - im Unsichtbaren verankert b) Die Demokratie zwischen .. abstrakter Staatsgewalt .. und .. Gewaltaneignung durch Öffentlichkeit" . . . . . . . . . . . . . . . Staat - der stets wesentlich .. unsichtbare Gott auf Erden" . . . ..Herrschaft als Hilfe" - Gegenwärtigkeit unsichtbarer Macht

Unsichtbarkeit als Machtverstärkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1.

2.

Keine Weckung von Gegenmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Sichtbarkeit als Provokation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Grundrechte - wider den sichtbaren Staat. . . . . . . . . . . .. c) Die Gewaltenteilung als Institutionalisierung von Gegengewalten - und ihre Abschwächung mit dem .. Zurücktreten der Staatsgewalt" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Wenig .. Normwiderstand" gegen "unsichtbare GesetzesBefehle" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. e) Gleiches Gesetz - unfühlbare Macht. . . . . . . . . . . . . . . . .. f) Verfassungsgerichtliche Normenkontrolle - Bürgerwiderstand gegen .. sichtbar werdende Gesetze"? . . . . . . . . . . . .. g) Die Flucht des Staates aus der Sichtbarkeit des formalisierten Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ..Unsichtbare Macht" - Verhinderung der .. Staatsaneignung"? .................... ................ .. ...... .. a) Der Kampf um die "Macht in der Auslage". . . . . . . . . . . . .. b) .. Machtinformationen" durch veröffentlichte Staatsgewalt c) Verschleierung des" Willens zur Macht" . . . . . . . . . . . . . . .. d) Revolutionsneigung bei öffentlich sichtbarer Staatlichkeit? e) Machtwechsel - Ordnung der Machtaneignung in Sichtbarkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

87 87 91 93 97 100 100 100 105

108 112 115 117 118 122 122 124 126 129 133

Inhaltsverzeichnis

9

f) Machtnachahmung - im Unsichtbaren Staat vermieden . .. g) "Aneignung auch der Unsichtbaren Staatlichkeit"? . . . . . .. Unsichtbarkeit - die Flucht des Staates aus dem Machtneid. . a) Wille zur Machtzerstörung aus Sichtbarkeit. . . . . . . . . . . . .. b) "Unsichtbarer Staat gegen Staatsneid " - historisch eine staatsformübergreifende Technik der Macht. . . . . . . . . . . .. c) Staat - wesentlich organisierte Neidablenkung . . . . . . . . .. d) Der Eigentums-Neid - daher Staats-Herrschaft, nicht Staats-Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. e) Demokratie - Staatsform des institutionalisierten MachtNeides? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. f) Der Gleichheitsneid. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. g) Unsichtbarkeit zur Neidvermeidung - eine Grundsatzfrage ..............................................

138 146 148 148

c. Der Unsichtbare Staat: Machtabbau oder Geheimmachtl. . . . . . . . . . ..

176

3.

I.

Machtabbau 1.

2.

3.

152 161 162 166 170 173

Staatsabbau: eine demokratische Versuchung . . .. 176

Machtabbau - "gemeinsame Ideologie des neueren Staatsdenkens" ............................................ a) Freiheit als Ideologie des Machtabbaus . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Von der Aufklärung zum Liberalismus. . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Christliches Staatsdenken: wünschenswerter Abbau weltlicher Machtzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Sozialistisches Denken: Machtabbau bis zum Sterben des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Demokratie - Staatsform des Machtabbaus .... . . . . . . . . . .. a) Machtabbau - institutionalisiertes Credo demokratischer Staatsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Der Staat als solcher - ein Instrument des Machtabbaus Oder doch: Machtverschleierung in vielen kleinen Schritten?

176 177 180 182 183 186 186 187 190

D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 193 doch in systematischer Entwicklung. . . . . . .. 193

I.

Einzelphänomene -

H.

Das Ende des Staatstheaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 195 1.

2.

Staat ohne Hoheitszeichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Hoheitszeichen: Von der Machtdemonstration zur Staatsmarkierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Vorfahrt den Privaten, ihren werbenden Zeichen. . . . . . . .. c) Macht ohne Machtzeichen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Staats gebäude ohne Staatsarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

195 195 197 198 199

10

Inhaltsverzeichnis 3.

Der entuniformierte Staat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

201

4.

Vom Staatstheater zum Volksvergnügen . . . . . . . . . . . . . . . . ..

205

5.

Staatstheater als Medienspektakel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

207

HI. Der Staat der "leichten Hand" ............................. ,

210

IV.

1.

Die "Flucht ins Privatrecht" als "Flucht auf die Bürgerebene" 210

2.

Gleichheit von Staat und Bürger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

212 215

3.

Der Rückzug der Polizei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

4.

Die unsichtbare Wehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

218

5.

Straf-Spektakel- oder diskrete Betreuung? . . . . . . . . . . . . ..

221

6.

Unfühlbare Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

225

Staatshilfe in und durch Privatheit. . . . . ..

229

Der Staat als Bürger -

1.

Der Service-Staat - als Hilfe verkleidete Macht . . . . . . . . . ..

229

a) Staatshilfe als Freiheitsschutz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

229

b) Staatshilfe als Eingriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

231

c) Der Service-Staat - eine große Machtverschleierung . . . ..

233

d) Der Staat der Dienstleistungen - flächendeckende Macht der Zukunft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 235 e) Die "unsichtbare Service-Maschine" als Staats-Macht. . .. 2.

3.

V.

240

a) Förderung als verunsichtbarte Hilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

240

b) Die schwer kontrollierbare Subventionsgewalt. . . . . . . . . ..

243

c) Die Lenkungsmacht der Staatshilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

249

d) Von der Kryptogewalt der Staats geschenke . . . . . . . . . . . ..

251

"Privatisierung" - eine Form der Staatsverschleierung . . . ..

253

a) Die drei Privatisierungsbegriffe ..................... "

253

b) Die "private Staatsgesellschaft" als Machtabbau? . . . . . . ..

255

c) Entpolitisierung - Entmachtung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

256

d) Public-Private-Partnership - verdeckte Staatlichkeit . . . ..

258

e) Privatisierte Staatlichkeit: Kryptogewalt . . . . . . . . . . . . . . ..

259

Demokratie -

1.

2.

237

Der Staat der Subventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

Schranke oder Dynamik des Unsichtbaren Staates?

261

Mit Staatsform-Prinzipien gegen Macht-Technik? . . . . . . . . ..

261

a) Zusammenschau der Ergebnisse: Der Unsichtbare Staat als "Machttechnik in fieri" ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

261

b) Die Grundfrage: Staatsprinzipien gegen Staatstechnik? . ..

263

Demokratie - ein Staatsgrundsatz gegen den Unsichtbaren Staat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 266

Inhaltsverzeichnis 3. 4.

Eine demokratische Verunsichtbarungstendenz: die "autonome Klein-Demokratie" ............................... Die Parteiendemokratie - von der Schattengewalt zum Unsichtbaren Staat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Die politischen Parteien - staatsfern im Schatten der Macht ............................. '" ........ , .... b) Die Regierungspartei als verschleierte Staatsgewalt ..... " c) Oppositionspartei: Von offener Kritik zur Teilnahme am Parteien-Geheimnis .................................. " d) Parteien-Kryptogewalt in die Gesellschaft hinein ....... "

E. Ausblick auf einen Unsichtbaren Staat

11

267 270 270 271 274 276 279

Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 281

A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeitein Problem staatlicher Macht I. Die Fragestellung - Begriffe und Aktualität "Staat" ist im heutigen l - aber auch bereits im antiken2 - Verständnis das Wort für den nicht- oder übennenschlichen Träger der höchsten Macht3 . Sie kann nur als eine Befehlsgewalt - als ein imperium4 - gedacht werden, die von ihren physischen Trägem, von den tatsächlich Macht-Ausübenden getrennt ist. Da dieser Staat stets vor allem eines war: Entmachtungsmechanismus der mächtigen physischen Personen5 , konnte er nur, im anthropomorphen Denken der abendländischen Geistigkeit seit den Griechen, über diese Mächtigen treten, wenn er selbst zur Person6 wurde, zum Herrn über andere - Subjekte des Rechts, seines Rechts. Diese Staatlichkeit ist also Zurechnungspunkt der Macht, sie ist aber noch mehr: Ein wirklicher Träger der öffentlichen Gewalt, welche sie ebenso innehat wie die natürlichen Personen ihr Eigentum (dominium)7.

l Isensee, J., Staat und Verfassung, in: IsenseelKirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HdbStR), Bd. 1, 1987, § 13 Rdnr. 71 ff.; Kelsen, H., Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 292 f.; Smend, R., Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl. 1968, S. 521 f. 2 Vgl. dazu vor allem von Mohl, R., Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, I, 1855, S. 217 ff.; III, 1858, S. 339 ff.; von Arnim, H., Die politische Theorie des Altertums, 1916. 3 Im traditionellen französisch-staatstheoretischen Sinn der Souverainete en Droit interne, klassisch dargest. v. Carre de Malberg, R., Contribution a la Theorie generale de l'Etat, Paris 1920, 11, S. 167 ff. 4 Zu diesem Begriff des Imperiums vgl. etwa Meyer, E., Römischer Staat und Staatsgedanke, 1964, S. 117 ff. 5 Im Deutschen Staats-Wörterbuch (Bluntschli/Brater), 1. Aufl. 1865, IX, S. 611 heißt es schon zur historischen Entwicklung: "Der Staatskörper diente vorerst dem Ganzen; indem der Staat sich vervollkommnete, wurde das Gesamtdasein vollkommener, dann erst diente er den Einzelnen." 6 Bluntschli/Brater (Fn. 5), S. 611 f.; Ermacora, F., Allgemeine Staatslehre 1910, S. 1075 ff.; Kelsen, H., Allgemeine Staatslehre 1925 (Neudruck 1966), S. 71 ff. 7 Krüger, H., Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 821 f.

14

A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

Wenig Sinn hat es, diese höchste Machtpersönlichkeit als eine "Abstraktion" 8 zu qualifizieren: Da ist nichts, wovon Staatlichkeit "abgezogen" würde, nichts, was einer solchen Abstraktion als Halt dienen könnte, nichts auch, was ein Staat als "abstrakte Idee,,9 "höher", "vollendeter" darstellen könnte. Die rein physische Macht der Regierenden wird einem anderen Träger nicht nur zugerechnet, sondern ihm geradezu übertragen. Doch sie bleibt, ihrer Natur nach, diese selbe höchste, letzte Zwangsgewalt, gleich ob sie nun von einem Tyrannen oder Monarchen, oder vom modemen Rechtsstaat ausgeht. Der Unterschied liegt nicht in dem Wesen dieser höchsten Macht, das immer dasselbe bleibt, sondern in ihrer Legitimität lO , darin, daß sie von den Herrschenden nicht als eigene ausgeübt, von den Beherrschten nicht als eine vom Menschen kommende angenommen wird. Dieser Staat kann also nur gedacht werden als eine geistige Wesenheit, wobei es zunächst gleich bleibt, ob man dies im Sinne einer rein menschlichen Setzung, also einer Fiktion 11, versteht, oder ob man von einem geistigen Wesen ausgeht, das, im Sinne der höchsten Steigerung des Idealismus in der Philosophie Hegels 12 , "an sich" über allen natürlichen Personen steht. Wie immer die Antwort ausfällt: Aus diesem seinen geistigen Wesen heraus kann der Staat, und zwar ganz wesentlich, als ein unsichtbarer vorgestellt werden. Personifiziert mag er, muß er wohl, wie gesagt, werden, als solcher mag er dann dem Sokrates begegnen 13 , den er auch im Angesicht des Todes nicht verlassen will. Doch all dies bleiben unsichtbare Vorgänge, und so scheint denn die ganz einfache Folgerung zu sein: Der Staat ist als solcher unsichtbar 14 , etwas an8 Heller, H., Staatslehre 1934, 6. rev. Aufl. 1983, S. 259 f.; Jellinek, G., Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1913,7. Neudruck 1960, S. 140. 9 Wie er vor allem Gegenstand der griechischen Staatslehre war, vgl. Jellinek (Fn. 8), S. 55. 10 Hier liegt wohl das eigentliche Zentrum des Legitimitätsbegriffs (earl Schmitt, Legalität und Legitimität 1932; Ermacora (Fn. 6), S. 348 f.; Zippelius, R., Allgemeine Staatslehre, 11. Aufl. 1991, § 16); denn auch für die monarchische Legitimität kommt es selbst in ihrer strengen Ausprägung bei Joseph de Maistre (Betrachtungen über Frankreich: Über den schöpferischen Urgrund der Staatsverfassungen 1924) oder K. L. von Haller (Restauration der Staatswissenschaften I, 2. Aufl. 1820) darauf an, daß die Macht dem Monarchen "von oben geliehen" ist. 11 Heller (Fn. 8), S. 259 f.; Jellinek (Fn. 8), S. 163. 12 Vgl. Jellinek (Fn. 8), S. 229. 13 Kriton, 50 A. 14 Zumindest der "Staat als Objekt" im Sinne von Jellinek (Fn. 8), S. 164 f., während dieser Autor sich ja als erster bemüht hat, ihn auch als "Subjekt" zu erfassen, in einer "Realität", welche der der natürlichen Personen wenn nicht gleich, so doch vergleichbar ist (aaO., S. 169 ff.).

I. Die Fragestellung - Begriffe und Aktualität

15

deres kann er nie sein; seine Vertreter sind Repräsentanten des Unsichtbaren, so wie die Priester einen unsichtbaren Gott entweder vor den profanen Augen verbergen oder, ganz einfach, zu vertreten vorgeben. Und doch wird dieser Unsichtbare Staat nicht wie ein Gott geglaubt, er erscheint sogar als höchste Realität, ist er doch dauernd fühlbar für jedennann in den fortgesetzten Akten der Staatsorgane 15 . Irgendwo muß also doch, so scheint es, ein Unterschied sein zwischen der transzendenten Unsichtbarkeit eines Gottes und der sehr diesseitigen der Staatlichkeit. Die Staatsrepräsentanten stehen offenbar dem Staat doch sehr viel näher als die Priester dem Schöpfergott, da an der Existenz des Staates so wenig gezweifelt wird. Oder sollte es so sein, daß jeder derartige Zweifel sogleich im Keime dadurch erstickt wird, daß jedes dieser Staatsorgane, sobald auch nur ein leiser anarchischer Zweifel an der Existenz des Staates aufkommt, sogleich voll "an seine Stelle tritt" - so wie es eben der Abgeordnete in der demokratischen Repräsentation des Volkes eindrucksvoll vOrlebt 16 , "ist" nicht auch er, in gewissem Sinne, das "peuple en miniature,,17? Ist mithin die Staatlichkeit, gerade in ihrer modernen Ausprägung der Demokratie, wesentlich stärker" verkörpert", damit doch schon zur "Realität" geworden, als jegliche religiöse Macht - mag diese auch immer wieder eine ähnliche Realitätsnähe durch Inkarnation versucht haben - so muß sich daraus mit Notwendigkeit zugleich eine andere Bedeutung der Unsichtbarkeit dieser staatlichen Macht ergeben als im Falle göttlicher Wirkkräfte. Als erstes Fazit bleibt festzuhalten: Als geistige Wesenheit mag der Staat wesentlich unsichtbar sein, doch in seiner politischen Verkörperung 18 durch die Herrschenden wird er, zumindest in seiner Fühlbarkeit, doch auch faßbar - sichtbar. So wie wundertätige Heilige machen diese Politiker den Unsichtbaren durch fühlbare Wirkungen zur immer noch unsichtbaren, aber doch wirkmächtigen Realität. Könnte man dann nicht annehmen, die Problematik der Unsichtbarkeit des Staates stelle sich - abgesehen von gewissen äußeren Zeichen der Existenz des Unsichtbaren Staates, den" Staatssymbolen ,,19 eben - nur als eine Frage der Wirksamkeit, wobei eben die Wirkungen lediglich nicht mehr physischen Trägern, sondern einem geistigen Träger zugeschrieben Kelsen (Fn. 6), S. 262 ff.; Jellinek (Fn. 8), S. 540 ff.; Zippelius (Fn. 10), § 14. Herzog, R., Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 214 ff.; Jellinek (Fn. 8), S. 566 ff.; Schmitt, c., Verfassungslehre, 1928,7. Neudruck 1989, S. 208 ff. 17 Macht doch dieser Begriff die Vertreter geradezu - "zu Vertretenen". 18 Ermacora (Fn. 6), S. 540 ff.; Jellinek (Fn. 8), S. 560; Kelsen (Fn. 6), S. 265 ff.; Schmitt (Fn. 16), S. 206 ff. 19 Klein, E., Die Staatssymbole, in: IsenseelKirchhof, HdbStR (Fn. 1), § 17. 15

16

16

A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

würden? Da es auf Fühlbarkeit allein ankäme, wäre "Sichtbarkeit des Staates" als solche überhaupt kein Problem. Doch damit kann die Problematik des "sichtbaren oder Unsichtbaren Staates" nicht einfach weggebogen werden. So wie die Wirkungen der Staatsgewalt nicht nur geistig fühlbar, sondern sehr real "sichtbar" sind, im weitesten Sinne des Wortes, gerade dann wirken, wenn ihnen diese Sichtbarkeit zukommt, so geht diese real feststellbare Wirkung auch von einem durchaus sichtbaren Phänomen aus: von den Vertretern der Staatlichkeit, von den Herrschenden und ihren ganz sichtbaren Machtveranstaltungen. Eines Gottesbeweises 20 bedarf auch der modeme Staat nicht, wenn seine besten Vertreter ihre Panzer auffahren lassen eben weil die Staatlichkeit hier höchste Sichtbarkeit demonstriert. Und dies ist nun die Ausgangs- und Grundfrage dieser Untersuchung: Inwieweit ist der Staat, sind die Erscheinungsformen seiner Macht nicht nur fühlbar, sondern geradezu sichtbar, fühlbar jedenfalls in einer Evidenz (im eigentlichen Sinne des Wortes), welche zur Sichtbarkeit wird? Inwieweit muß der Staat sich sichtbar oder in einer zur Sichtbarkeit gesteigerten Fühlbarkeit laufend zeigen, um seinem wesentlichen Machtanspruch zu genügen? Inwieweit muß "sein Wort Fleisch annehmen und unter uns wohnen", damit wir ihn über uns anerkennen - oder inwieweit darf er sich unseren Blicken entziehen, wenn er nur noch fühlbar bleibt? Oder kann er umgekehrt - dies ist eine dritte Stufe - auch ganz oder doch wesentlich "im Verborgenen wirken als eine wahre Geheimmacht, die gerade in ihrer Unfaßbarkeit unüberwindlich wird, darin, daß sie zwar gefühlt wird, aber nicht - als solche? Hinter der scheinbar so einfach auftretenden Problematik der "Sichtbarkeit staatlicher Macht", von den Staatsbauten21 bis zum Staatstheater, sodann zu der bis ins Evidente gesteigerten Fühlbarkeit, vom harten hoheitlichen Befehl bis zur watteweich-erdrückenden Unentrinnbarkeit 22 - hinter all dem steht doch die dritte, die schwierigste Frage, die der Krypto-Gewalt, in welche gerade heutige demokratische Staatsgewalt in Formen alter Arkan-Staatlichkeit zurücklenken könnte. U

20 So ist denn auch in der allgemeinen Staatslehre nicht von "Staatsbeweisen ", sondern von Staatsrechtfertigung die Rede, Jellinek (Fn. 8), S. 184 ff.; Heller (Fn. 8), S. 245 ff.; Zippelius (Fn. 10), § 17. 21 Krüger (Fn. 7), S. 225; weiterführend: Rodenwaldt, G., Römische Staatsarchitektur, in: Das Neue Bild der Antike, hgg. von H. Berve, 11, 1942; V. L. von Seckendorff, Teutscher Fürsten-Staat 1656, Ausgabe 1700. 22 Die ja gerade die Rechtfertigung dafür abgibt, daß auch dies als" Verwaltung" angesehen wird (Ernst Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, Allgemeiner Teil, 10. Aufl. 1973,S. 368 ff.), und dafür, daß hier auch Beamte eingesetzt werden müssen, weil ein "hoheitsgleiches Verhältnis" vorliegt, vgl. die erweiternde Auslegung des "Funktionsvorbehalts" bei Art. 33 Abs. 4 GG (Klein,

I. Die Fragestellung - Begriffe und Aktualität

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Aus der Sicht einer staatlichen Macht-Lehre stellt sich diese Problematik wie folgt dar: Wie äußerlich sichtbar, wie faßbar muß Staatlichkeit sein, damit sie überhaupt noch wirken kann, damit sie insbesondere den im folgenden eingehend zu behandelnden Einschüchterungseffekt durch Greifbarkeit zu erzielen vermag - dies ist die Frage nach den äußeren Formen der Staatlichkeit, ihrer Bedeutung für die Macht. Es schließt sich an die Frage nach der Fühlbarkeit, nach der inhaltlichen, deutlichen, offenen Wirksamkeit der staatlichen Macht - muß sie nicht sozusagen in ihrem Spiegelbild, in der Wirkung beim Gewaltunterworfenen, derart fühlbar sein, daß sie in diesem Spiegel eben doch - sichtbar wird? Kann schließlich auf das eine wie auf das andere verzichtet werden, und wie weit, ohne daß der Staat sich in religionsähnlicher Transzendenz verlöre? Die Antworten des Staatsrechts unserer Zeit, wenn nicht sogar der Allgemeinen Staatslehre, auf diese Fragen scheinen ganz einfach: Die moderne Demokratie bedarf der sichtbaren Staatlichkeit nur minimal: Da das Volk selbst die Macht trägt23, braucht ihm diese nicht von anderen sichtbar repräsentiert zu werden, würde dies doch nur odios zeigen, daß sie sich appropriiert haben, was ihnen nicht zusteht. Um so deutlicher muß dann, so scheint es, die "innere Staatlichkeit", die Fühlbarkeit der Macht ausgebildet sein, eben weil dieses Volk den absoluten Herrschaftsanspruch seit der Französischen Revolution immer, stets nur noch deutlicher, erhoben hat 24 . Da jedoch dabei die Freiheit zu wahren ist, gilt es, die Fühlbarkeit in Grenzen zu halten - das Prinzip der Verhältnismäßigkeit reguliert dies. Damit ist allerdings, und dies muß an dieser Stelle schon ausgesprochen werden, noch nicht geklärt, ob diese "Staatswirksamkeit ohne Staatstheater im weiteren Sinne", diese "äußerlich entformalisierte" und doch effektive Staatlichkeit, sich nicht doch mit etwas wie einer "exemplarischen Fühlbarkeit" begnügen kann. Reicht es nicht aus, daß weniges, dies aber besonders wirksam und eindrucksvoll, geregelt und befohlen sei, damit der Staat doch in seiner Existenz noch erkannt und anerkannt werde, und damit, jederzeit, als die große Reservegewalt, wenn nötig, auf weiteren Feldern in Erscheinung treten könne? F., in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Komm. zum GG, 7. Aufl. 1990, Art. 33 Rdnr. 11; Maunz, Th., in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Losebl., Stand: 1992, Art. 33 Rdnr. 39 ff.). 23 Schmitt (Fn. 16), S. 236 f.; Stern, K., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 593 f.; krit. insbes. Sternberger, D., "Nicht

alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" 1971. 24 Jellinek (Fn. 8), S. 456 ff., 707 ff.; Kelsen (Fn. 6), S. 313 f.

2 Leisner

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

Selbst die modeme Demokratie, mag sie noch so wenig von äußeren Formen der Staatlichkeit halten, kann in diesem, eben beschriebenen Sinne der Sichtbarkeitsproblematik nicht völlig ausweichen. Nun mag man einwenden, dies habe mit Sichtbarkeit im eigentlichen Sinne nichts mehr zu tun, hier gehe es lediglich noch um Effektivität der Staatsgewalt25 . Doch auch dies lenkt wieder zum Sichtbaren, geradezu "äußerlich Faßbaren", zurück: Einerseits haben eben derart wirksame, fühlbare Machtäußerungen ihre Evidenz auch in einer gewissen äußeren Sichtbarkeit, mag sie sich, wie beschrieben, hier nur spiegeln; andererseits bleibt auch bei einer weitgehend auf Sichtbarkeit verzichtenden Staatsgewalt-Ausübung, die aber sehr wirksam sein will, die Frage gestellt, ob dies nicht doch voraussetzt, daß eben die Staatsorgane, von denen diese Wirkungen ausgehen, sich in irgendeiner, wenn auch minimaler, äußerer Form dem Bürger präsentieren, damit sie den Staat repräsentieren. Dies kann - in Grenzen - auch durch Förmlichkeitsanforderungen an das Verwaltungshandeln geschehen 26 . Auch für die so "einfach" sich gebende Demokratie stellen sich also sowohl das Problem der äußeren Sichtbarkeit der Staatlichkeit wie das der inneren, zur Evidenz und damit zur "gespiegelten Sichtbarkeit" gesteigerten Fühlbarkeit - wieder als ein Sichtbarkeitsproblem. Und das dritte erwähnte Problem schließlich wird erst recht zur Schicksalsfrage der gegenwärtigen Demokratie: Kann sie es in ihrem unzweifelhaften - Abbau von äußeren Sichtbarkeiten der Machtausübung vermeiden, daß diese Staatsgewalt als eine unsichtbare überall zurückkehrt, ja sogar noch als eine unfühlbare, gerade deshalb als eine besonders gefährliche - Krypto-Gewalt? Viel tiefer muß also die Untersuchung eindringen als lediglich bis zu den äußeren Formen der Staatlichkeit, wo sie rasch sich mit einer allzu billigen Ironisierung traditioneller Sichtbarkeitsformen der Staatlichkeit 25 Im Sinne schlechthin der Macht-Existenz, nicht etwa einer "Effizienz", der es um die Zweck-Mittel-Relation geht, vgl. zum letzten Leisner, w., Effizienz als Rechtsprinzip, 1971. Eher ist hier schon die "funktionierende" Staatsgewalt angesprochen, dazu LecheIer, H., "Funktion" als Rechtsbegriff? in: NJW 1979, S. 2273 ff. 26 Die gesetzlichen Förmlichkeitsanforderungen im deutschen Verwaltungsrecht (Badura, P., Allgemeines Verwaltungsrecht, hgg. von Erichsen, H.U.I Martens, w., 9. Auf!. 1992, § 41 Rdnr. 5 ff.i Mayer, F./Kopp, F., Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Auf!. 1985, §§ 12 III, 16 III 1, 21 IIIi Maurer, H., Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Auf!. 1992, § 10 Rdnr. 11 ff., § 14 Rdnr. 29 ff.) dienen also nicht nur der Rechtsstaatlichkeit und der Erleichterung administrativer und gesetzlicher Kontrolle, sondern auch einer Sichtbarkeits-Legitimation der Staatsgewalt.

1. Die Fragestellung - Begriffe und Aktualität

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begnügen könnte: daß es keine Krönungen mehr geben soll, keine Unifonnen - das erschöpft das hier sich stellende Problem gewiß nicht; und auch damit kann man es nicht umgehen, daß man abkürzend aus dem "geistigen Wesen des Staates,,27 argumentiert. Gerade dieses unsichtbare Wesen könnte ja besonderer Fonnen der Sichtbannachung unbedingt, aus Gründen wirksamer, höchster Macht bedürfen - erst recht dann, wenn es sich aus gewissen "äußeren Fonnen" zurückzieht. Gerade heute ist diese Frage von besonderer Aktualität: Der demokratische Staat scheint in den drei Stufen des Gesamtvolkes, der befehlenden Mehrheit und der notwendig mitwirkenden Betroffenen derart natürlich schon verkörpert zu sein, daß man allzuwenig die doch gerade jetzt wesentliche Frage nach seiner Sichtbarkeit stellt, im Grunde nur deshalb, weil man immer weniger mit Kategorien juristischer Staatlichkeit argumentiert, immer mehr mit solchen der politologischen Machterkenntnis. So versteht sich denn diese Untersuchung auch als Wiederaufnahme der alten Frage nach der Macht gerade des Staates, nicht (nur) der Herrschenden, die ihn verkörpern. In diesem Sinne aber ist über die Unsichtbarkeit des Staates noch längst nicht genügend nachgedacht worden. Die Machttheorie muß sich nicht in einzelnen Nutzanwendungen für "Regierende" verlieren. Zunächst muß die Fragestellung der Unsichtbarkeit des Staates noch in der Klärung einiger Kriterien verdeutlicht werden, welche die Untersuchung leiten. Dabei ergeben sich dann etwa folgende Probleme: - Wie lassen sich die Begriffe der Sichtbarkeit und der Fühlbarkeit des Staates näher bestimmen, wie gehen sie unter Umständen ineinander über? - Kann der Staat "im wesentlichen unsichtbar" bleiben - oder ist er "gerade sichtbare Gewalt"? - Gibt es vielleicht eine wesentliche Tendenz der Staatlichkeit hin zu oder weg von der Sichtbarkeit? - Welche "Vorteile" bringt Unsichtbarkeit dem Staat, bedeutet Unsichtbarkeit auch das Verschwinden der Staatsgewalt - oder ist dies eine Verschleierungstechnik der Macht? Um das Wesen des Staates geht es bei all dem, auf dem Weg über die tiefere Erkenntnis der Strukturen seiner Macht. Denn dieses geistige Wesen wird - um auf die ersten Ausführungen dieses Kapitels zurückzulenken - nie" an sich", stets nur in dieser seiner Macht faßbar. Wer aber von der Unsichtbarkeit des Staates sprechen will, muß mit dessen Sichtbarkeit beginnen. 27



Zum "Staat als geistig-sittlicher Organismus" vgl. Jellinek (Pn. 8), S. 148 ff.

20

A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

11. Sichtbarkeit als Form der Ausübung von Staatsgewalt 1. Sichtbarkeit von Staatsgebäuden und Staatssymbolen

Sichtbarkeit mag zunächst durchaus im üblichen Wortsinn des (auch) visuell Wahrnehmbaren verstanden werden, ohne Rücksicht auf die Wirksamkeit der von ihm ausgehenden Staatstätigkeit. In diesem Sinne tritt die Staatlichkeit in die Sichtbarkeit und Faßbarkeit hinaus vor allem zum einen in ihren Symbolen, den äußeren Zeichen der als solcher unsichtbaren Hoheit, zum anderen im sichtbar abgegrenzten Hoheitsraum, insbesondere in dem, was man die "umbauten Räume der Staatshoheit,,28 nennen könnte. - Um mit diesem letzteren zu beginnen, denn hier liegt am klarsten die äußere Sichtbarkeit vor: Stets wird das "Staatsgebäude" im weiteren Sinne Kern des unbestreitbaren Imperiums sein; ein Gebäude, in welchem "Macht stattfindet", ist selbst steingewordene Staatsgewalt. Hier macht das Staatsrecht eine geistige Anleihe bei jenem Zivilrecht der Immobiliargüter, das sich auch in der sachenrechtlichen Klarheit vor allem bewährt29 . Es ist fast, als nehme auch das so stark vergeistigte Herrschaftsrecht seinen Ausgangspunkt von den unbestreitbar-sichtbaren sachenrechtlichen Lagen, wo die Tatsächlichkeit am eindeutigsten zum Recht wird, um sodann erst fortzuschreiten zu jenen Regelungen des "Handelns", wie wir ihnen im bürgerlichen Obligationenrecht begegnen und in den Lehren vom Verwaltungshandeln - dies betrifft staatliche - und private - Phänomene, die als solche weit weniger "sichtbar" sind. Mit anderen Worten: Die "Staatsgebäude" , durchaus in dem weiteren Sinn all dessen, was im Rahmen der Travaux publics geschaffen wird, der Kern des öffentlichen Sachenrechts im Sinne der deutschen Dogmatik30 , dies alles ist die erste, rechtlich geordnete Sichtbarkeit der Staatsgewalt. Hier liegt der richtige Kern der patrimonialstaatli28 In der Staatsarchitektur spiegelt sich sogar die "Qualität" dieser Staatsgewalt, Krüger (Pn. 7), S. 225; weiterführend: Rodenwaldt (Pn. 21); von Seckendorff (Pn.21). 29 Bassenge, P., in: Palandt, BGB-Komm., 53. Aufl. 1994, Einl. Vor § 854 BGB Rdnr. 4; Baur, F./Stürner, R., Lehrb. des Sachenrechts, 16. Aufl. 1992, § 1 H 2; Schwab, KH.lPrütting, H., Sachenrecht, 24. Aufl. 1993, § 3 H. 30 Mayer/Kopp (Pn. 26), § 47; Papier, H.-J., Recht der öffentlichen Sachen, 2. Aufl. 1984; Pappermann, E.lLöhr, R.-P./ Andriske, W, Recht der öffentlichen Sachen, 1987.

H. Sichtbarkeit als Form der Ausübung von Staatsgewalt

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chen Rechtfertigungstheorien des Staates aus einem "Eigentumsrecht" im weiteren Sinne, das durchaus deshalb noch nicht als ein vorstaatliches gedacht werden muß wie bei Haller31 : Die Staatshoheit wird hier real dadurch, daß sie Faßbares okkupiert, aus dem heraus sie sodann hoheitlich wirkt. Hier liegt der tiefere Sinn der Widmung, deren Dogmatik im Verwaltungsrecht entfaltet worden ist32 . Die Tatsache, daß darin eine wesentlich sichtbare Macht eines wesentlich unsichtbaren Rechtsträgers effektiv wird, schafft ein besonderes, eben das "hoheitliche Eigentum". Durch Bezeichnungen, Sperren, Benutzungsordnungen33 wird der Staat als hoheitlicher Eigentümer sachenrechtlich evident. Zunächst bezieht sich dies nur auf das Bestehen eines sachenrechtlichen Herrschaftsraums. Doch das Eigenartige der Widmung liegt darin, daß sie darüber hinaus, in diesem selben Raum, sozusagen potentiell sichtbar werden läßt, was sich von dort ausgehend abspielen wird: eine ihrem Wesen nach nicht notwendig sichtbare Herrschaft. In diesem Sinne also sind staatliche "Gebäude der Macht" nicht nur Zentren der Gewalt, von den Parlamenten zu den Kasernen und Gefängnissen, sondern auch "staatliche Monopolbauten" wie Eisenbahn- und öffentliche Straßen-Trassen, letztlich alles, was in konzessionsähnlicher Form an baulichen Veranstaltungen daraus abgeleitet wird, wie Über- und Unterspannungstrassen der Versorgungsleitungen 34 . Überall tritt hier die Verbindung der Hoheitsgewalt mit ihren sehr "realen Grundlagen" ins Blickfeld. Darin wird aber sehr viel mehr sichtbar als nur Grundlagen der Hoheitsgewalt; diese "Staatsräume" bedürfen nicht der "Belebung" durch Verwaltungsakte und Dienstleistungen, um existent zu werden, sie sind es als solche, unabhängig davon, was aus ihnen heraus geschieht, als eine Art von "äußerer Vergegenständlichung der unsichtbaren Macht" in deren potentiellen Aktionsräumen. In diesem Sinne haben Staatsbauten im weitesten Sinne, hat jene Staatsarchitektur, welche sie gestaltet, nicht nur einen Symbolwert, als äußeres Zeichen für das, was sich hinter diesen Fassaden, aus ihnen heraus nun (Fn. 10), S. 340. (Fn. 30), S. 36 ff.; Pappermann/Löhr/Andriske (Fn. 30), S. 13 ff.; Wolff, H.J.lBachot, 0., Verwaltungsrecht, Bd. I, 9. Auf!. 1974, § 56. 33 Forsthott (Fn. 22), S. 503 ff.; Woltt, H.J.lBachot, O.lStober, R., Verwaltungsrecht, Bd. H, 5. Auf!. 1987, § 99 H. 34 Leisner, w., Grundeigentum und Versorgungsleitungen, 1973; Kimminich, 0., Die Pflicht zur Duldung von Energieversorgungsleitungen, in: ZRP 1978, 31 von Haller

32 Papier

S. 185 ff.

22

A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

abspielen wird35 ; sie sind selbst bereits faßbar in ihrer sachenrechtlichen Position. In ihrer "realen" Existenz sind sie sowohl "anschaulich" als auch, eben darin, indiskutabel- eben "existent", und damit bereits wirksam. Nicht umsonst wird immer wieder die Veranschaulichung des Staates mit dem Begriff des " Gebäudes " verbunden 36 , die der an sich unsichtbaren Normen in einem Pyramidenbild 37 , das von den mächtigsten Staatsbauten aller Zeiten abgezogen ist: Weil diese "Gebäude der Macht und für Macht" sichtbar vor Augen stehen, sind sie, eben deshalb, "existent" und der Staat ist es mit ihnen, in jenem Raum, den er besetzt hat, aus dem er, mit der öffentlichen Eigentumsrechtlichkeit des Imperium und des Dominium, zugleich "jeden anderen ausschließt" (§ 903 BGB)38. - Ebenfalls sichtbar und doch auf einer anderen, bereits höheren Stufe der Vergeistigung über das Auge wirksam, tritt der Staat evident wahrnehmbar in den Staatssyrnbolen39 in Erscheinung. Hier braucht nicht vertieft zu werden, inwieweit das Syrnbolon, als äußeres Zeichen für ein dahinterstehendes Weiteres, Größeres, Höheres, geradezu als sichtbar-faßbarer Ausgangspunkt eines Glaubensbekenntnisses im theologischen Sinne, auch vom Staat appropriiert werden konnte 40 . Alles was ein "Hoheitszeichen" trägt, wird zuallererst einmal, vom Völkerrecht 41 bis zum innerstaatlichen Strafrecht42 , "geschützt", in einer eigentümlichen Form erweiterter Eigentumsrechtlichkeit. Dies gilt sehr sichtbar für die Waffen, welche die Zeichen führen, für Schiffe und Militärflugzeuge; es trifft aber auch zu für jene natürlichen Personen, welche sichtbar das Hoheitsgewand 35 Krüger (Fn. 7), S. 226; Arndt, A., Die Demokratie als Bauherr, 1961; Schieder, Th., Symbole und Namen des Nationalstaates, in: Das deutsche Kaiserreich als Nationalstaat, 1961, S. 72 ff. 36 So ist dann eben auch vom "Zusammenbruch des Staates" die Rede (BVerfGE 41, S. 126 (151 f.)), mit deutlichem Bezug auf ein Gebäude, weniger klar in diesem Sinne Gibbon, B., The History of the Decline and Fall of the Roman Empire, London 1844. 37 Kelsen (Fn. 1), S. 228 ff.; Stern (Fn. 23), S. 80 ff., 105 ff. 38 Denn dieses Eigentum steht ihm jedenfalls zu, mag es auch nicht grundrechtlichen Schutz genießen (vgl. für den Fall der Gemeinden ablehnend BVerfGE 61, S. 82 ff., positiv BayVerfGHE 37, S. 101 (105 ff.); 29, S. 105 (119 ff.)). 39 Klein (Fn. 19). 40 Vgl. dazu Schlesinger, M., Geschichte des Symbols, 1912. 41 Berber, F., Lehrbuch des Völkerrechts, I. Bd. 1975, S. 207; Ipsen, K., Völkerrecht, 3. Aufl. 1990, S. 337. 42 Dreher, E./Tröndle, H., Komm. zum StGB, 46. Aufl. 1993, § 90 a StGB Rdnr.6; Schönke, A.ISchröder, H., StGB-Komm., 24. Aufl. 1991, § 90 a StGB Rdnr. 13 ff.

11. Sichtbarkeit als Fonn der Ausübung von Staatsgewalt

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der staatlichen Uniform43 tragen: Auch sie sind, in einem weiteren Sinne, als Personen dem "Staate gewidmet". Was immer sie nun tun, als solche sind sie lebendiger, sichtbarer Existenzbeweis der Staatlichkeit, wie die Priester in ihren heiligen Gewändern; Militär ist in diesem Sinne säkularisierte Liturgie. Letztlich ist auch hier bereits die Existenz schon mächtig, nicht erst die von ihr ausgehende Wirkung. Sie muß nicht zu den Gewaltunterworfenen kommen, als solche bereits zieht sie diese an, ihren Blick auf sich, schlägt sie sie in ihren Bann, in einem eigentümlichen Neben-Sinn jener Bannmeile44 , die letztlich durch solche manus militaris geschützt wird. Die modeme demokratische Vorstellung von der VerteidigungsMacht findet hier eine vertiefende Bestätigung: Panzereinsätze und Bombardierungen sind nicht notwendig, um die Existenzberechtigungen dieser bewaffneten Macht zu begründen, und längst nicht nur deshalb, weil modeme Staaten mit einem Mal so friedlich wären: Die Hoheit ruht überall in sich, sie beweist sich dort - dann aber auch sogleich und mit letzter Macht - wo sie angegriffen wird. Etwas von dieser letzten "Defensiv-Hoheit,,45 liegt in jeder Staatssymbolik, und jede Kriegsmarine ist dann erst wirklich weltbeherrschend, wenn sie eine "Fleet in being" ist und wesentlich bleiben kann. In all dem liegt immer eines: Die Macht der sichtbaren Staatsexistenz, der Sichtbarkeit allein durch ihr Sein, das der Begründung nicht bedarf.

2. nSichtbare Würde" - von der Festung bis zum Monument Das öffentliche Recht versucht, heute mehr denn je, alles was es an sichtbarer Staatlichkeit noch anerkennt, möglichst unmittelbar auf "Hoheitsgewalt" zurückzuführen, in einem immer noch engeren Sinne, das Beamtenrecht ist ein faßbares Beispiel: Zuerst werden diese Staatsdiener äußerlich entuniformiert, sodann auf den - angeblichen - innersten Existenzkern der Staatlichkeit, die "eigentliche Hoheitsgewalt " , beschränkt46 . Bildlich gesprochen dominiert immer mehr, in ganz er-

43 Berber

Rdnr.2.

(Fn. 41), 11. Bd. 1969, S. 140 ff.; Dreherl1"röndle (Fn. 42), § 89 StGB

44 Badura, P., Staatsrecht, 1986, E 43; Maunz, Th.lZippelius, R., Deutsches Staatsrecht, 28. Aufl. 1991, § 45 III 3. 45 Kirchhof, F., Bundeswehr, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 3, 1988, § 78 Rdnr. 10, 24 ff.; Stern (Fn. 23), Bd. 11, 1980, S. 860 ff. 46 Zu dieser Problematik des "Funktionsvorbehalts ", vgl. Leisner, w., Der Beamte als Leistungsträger - Die Anwendbarkeit des beamtenrechtlichen

24

A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

staunlicher Weise in einer Zeit der Verteidigungs-Friedlichkeit, die Vorstellung vom Staat als Festung, besetzt gehalten gegenüber der "Gesellschaft" von sie verteidigenden, wenn auch nicht uniformierten, so doch von Beamten, die sichtbar in einem besonderen Status stehen. In der Tat ist die Festung stets der äußerlich sichtbare Kern einer eben "festen" - Staatlichkeit gewesen. Hier gilt ein inneres, zuhöchst gesteigertes Sonderrecht einer Staatsgewalt, die sich ihrer selbst darin ganz unmittelbar, unbedingt sicher sein will, hinter Türmen und Wällen, heute noch im "inneren Recht" der Kasernen47 . Die "Festung-Werdung" der Staatlichkeit ist ein Zug, der alle Zentren der Staatlichkeit durchwirkt, seit langem bereits, bis hin zu einer Judikative, die von sich aus nicht tätig wird, wesentlich "Rechts-Defensive" betreibt48 . Und in der Tat steht wieder etwas wie eine VerteidigungsVorstellung ganz im Zentrum dieser zuallererst, wenn nicht allein, durch ihre Sichtbarkeit wirkenden Staatlichkeit: Sie muß "angegangen werden", sie wird ihrem ganzen Wesen nach "auf Antrag tätig" eben weil jedermann weiß, "wo sie zu finden ist"; die sichtbare Unbestreitbarkeit ihrer Existenz prägt bereits ihre Machtstruktur: Wesentlich wird sie in ihren Ausfällen aus ihren Festungen heraus tätig; und hier führt die liberale Rechtsstaatlichkeit in eigentümlicher Weise zurück zu weit früheren Beherrschungsformen "aus Burgen heraus", mit denen die modeme Territorialstaatlichkeit begonnen hat. Doch auch eine Gegenthese ist plausibel: Ein wie groß immer sichtbarer Staat zwingt als solcher noch nicht, ihm fehlt also die letzte, typische Mächtigkeit des öffentlichen Rechts; es genügt eben nicht, im Sinne des Verwaltungsrechts, daß "die öffentlichen Interessen sichtbar verkörpert werden", sie müssen in der letztlich unwiderstehlichen Hoheitsgewalt nach außen treten. Gerade jener Liberalismus, der in der Französischen Revolution erstmals das Wesen dieser Hoheitsgewalt so eindeutig erfaßt, darauf alle Staatlichkeit gegründet hat, glaubte, in seinen weiteren Entwicklungsphasen, den Staat weithin auf die reine Sichtbarkeit der äußeren Staatsarchitektur zurücknehmen zu können - Staatssichtbarkeit als Existenzbeweis in der Entwicklung von der Festung zum Funktionsvorbehalts (Art. 33 Abs. IV GG) auf die Leistungsverwaltung, in: Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat (hgg. v. W. Leisner) 1975, S. 121 ff.; LecheIer, H., Die Beamtenaufgaben nach dem Funktionsvorbehalt des Grundgesetzes, 1986, m. w. Nachw. 41 Welche etwa den allgemeinen Polizeikräften nicht ohne weiteres zugänglich sind, Kirchhof (Fn. 45), § 78 Rdnr. 3; Stern (Fn. 23), Bd. 11, 1980, S. 861 f. 48 Bis hin zum BVerfG, dem antraglose Tätigkeit versagt ist (Pestalozza, Ch., Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, § 2 Rdnr. 31; Löwer, W, Zuständigkeiten und Verfahren des BVerfG, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 2, 1987, § 56 Rdnr. 2).

II. Sichtbarkeit als Fonn der Ausübung von Staatsgewalt

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Monument49 . Dahinter steht die optimistische Überzeugung von der Lehrbarkeit der Staats rechtfertigung, welche in dieser Hochzeit des Liberalismus ihre Spitze erreicht hatSO, davon, daß es genügt, wenn der Staat zuallererst mahnt. Die machtgigantomanische Wucht der spätliberalen Staatsarchitektur - denn so, nicht als spätkonservative Festungsarchitektur ist sie wohl zu deuten - von den drohenden Kasernen bis zu den türmenden Justizpalästen, bedeutet nicht nur, im letzteren Fall, den Versuch einer Spiritualisierung der Normen in Stein, der an sich schon eine eigenartige Vorstellung beinhaltet hätte. Im Vordergrund steht vielmehr der Monument-Charakter der Staatlichkeit, die wiederum durch ihre sichtbar-grandiose Existenz wirkt, sich dadurch sogar noch über die Mächtigkeit der liberalen Bankpaläste erheben kann. Um sichtbare Würde des Staates geht es, um eine Faßbarkeit, die nicht mehr durch Kanonen auf Festungswällen, sondern durch Karyatiden und Riesenstandbilder der Gerechtigkeit dem Auge undiskutabel geboten wird. Dieser "Würde des Staates"Sl ist eine ganz andere rechtliche Struktur und Bedeutung eigen als der "Menschenwürde", die, als ein Kind der Grundrechtlichkeit, schon dadurch von jener entscheidend abgehoben ist, daß die Staatsgewalt nicht grundrechtlich gesichert, sondern wesentlicher Gegner aller Freiheitsrechte stets istS2 . Nachdem in diesem heute entscheidenden Punkt der Grundrechtlichkeit die Personifizierung der Staatlichkeit endet, der Staat sich dadurch auch von allen anderen juristischen Personen wesentlich unterscheidet - was zuwenig beachtet wird - kommt seiner" Würde" , durch welche er - im wesentlichen als ein sichtbarer - in Erscheinung tritt, eine besondere Bedeutung zu: Sie muß aus sich selbst heraus, aus ihrer Existenz wirken, sich selbst auch verteidigen können, nachdem sie nicht von Kräften des gerichtlichen Rechtsschutzes normativ umhegt wird. Wiederum ergibt sich daraus, wie es oben bereits im Verhältnis des Staates zu den transzendenten Mächten des Religiösen gezeigt wurde, die besondere Notwendigkeit und Bedeutung einer äußeren Sichtbarkeit, in welcher der Staat seine Existenz selbst wahren und über sie auch wirken kann. Darin liegt auch der letzte Sinn der Monumentalität des Staates: daß er mit dem 49 Leisner, w., Der Monumentalstaat: "Große Lösung" - Wesen der StaatIichkeit, 1989, S. 270 ff. 50 Eindrucksvoll und in nie wieder erreichter Grundsätzlichkeit bei lellinek (Fn. 8), S. 184 ff. 51 Partsch, K.l., Von der Würde des Staates, 1967. 52 BVerfGE 6, S. 34 (41); 27, S. 1 (6); 27, S. 344 (3S0 f.); 32, S. 373 (378 f.); 33,

S. 367 (376).

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

Selbstgewicht seiner Existenz wirke, gerade mit einer ganz großen Sichtbarkeit derselbenS3 . Und in diesem Sinne ist Würde des Staates all das, was durch seine Sichtbarkeit, letztlich allein durch Existenz wirkt - auf "höchste Weise". Noch nichts ist darüber ausgesagt, wie hoch hinauf diese Fassade der Würde gebaut sein muß, ob sie nicht auch in kleineren Dimensionen zu beeindrucken vermagS4 . Sichtbarkeit ist ihr aber aufgegeben, in den - besonderen - "Zügen der Würde", die auch dies wieder mit den Staats-Gebäuden gemeinsam hat, daß sie eben zuallererst ist, nicht wirkt.

3. BegrüDdungslosigkeit der Macht als "sichtbare Staatsexistenz"

Der Staat ist als solcher, seinem Wesen nach, von begründungsloser Existenz und daher "ganz er selbst, wo er einfach sichtbar wird". Insoweit jedenfalls wird er stets versuchen, an allen Rechtfertigungsanstrengungen vorbeiSS , "ganz einfach wirksam zu bleiben", als eine "Selbstverständlichkeit", die nirgends größer ist als dort, wo sie herkömmlich in Erscheinung, eben sichtbar ins Blickfeld immer getreten ist. Traditionelle Sichtbarkeit als Staatsrechtfertigung - dies ist ein wenn nicht neuer theoretischer, so doch sicher ein laufend praktizierter Ansatz. Sinn aller Evidenzlehren war es doch noch immer, das "auf der Hand Liegende", eben das Sichtbare, jeder Art von Begründungsnotwendigkeit zu enthebenS6 . Herkommen allein mag schwach seinS7 , die "versteinerte Tradition der Sichtbarkeit" ist in hundert Spielarten stets zur Staatsbegründung genutzt worden, und hier war sich gerade die monarchische Legitimität durchaus der Schwäche ihrer transzendenten Begründungen bewußt, sie eben hat stets darum versucht, dies durch (Fn. 49), S. 271. Was in "Der Monurnentalstaat" (Fn. 49) für das Schweizer Modell nachgewiesen wurde, S. 246 ff. 55 Alle Staatsrechtfertigungslehren (Jellinek (Fn. 8), S. 344; Zippelius (Fn. 10), § 16) befassen sich denn auch wesentlich mit der Legitimität, nicht mit der Existenz der Staatsrnacht. 56 Dies gilt hin bis zu der Evidenztheorie im Fall des nichtigen VA, Wolffl Bachof (Fn. 32), § 51 I c 4; Vogel, K., Die Lehre vom Verwaltungsakt nach Erlaß derVerwaltungsverfahrensgesetze, in: BayVBl. 1977, S. 617 (621 f.). 57 Obwohl dem "Herkommen" im Verfassungsrecht durchaus Bedeutung zukommt, und nicht nur bei den "hergebrachten Grundsätzen" des Berufsbeamtenturns (Art. 33 Abs. V GG, vgl. dazu BVerfGE 8, S. 332 (343); 1S, S. 167 (195 f.); BVerfGE 21, S. 378 (388)). 53 Leisner

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11. Sichtbarkeit als Form der Ausübung von Staatsgewalt

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die äußere Sichtbarkeit ihrer Bauten und Veranstaltungen zu kompensieren. Hier werden auch alle kantischen Fragen überspielt: Das Sichtbare braucht nicht, kann letztlich gar nicht bewiesen werden, es "ist" auch nicht, im cartesianischen Sinn, "weil es denkt", in seiner geistigen Wirkung, sondern weil es vor aller Augen existiert, und sei es auch nur in Stein und Waffen. Begründungsfreie Sichtbarkeit ist in der Praxis jedenfalls ein politisches StaatspriviIeg, etwas wie ein "Domaine reserve" des Staates als solchen. Daran hat auch Kelsens Staatslehre nichts ändern können: Im letzten mündet ihr Recht in das Sein der "einfach existierenden", als solche postulierten Grundnorm, in ihrem Namen erhält dann alle Staatlichkeit das Recht, letztlich "im Namen von Existenz". Legitimation in diesem Sinne ist auch nicht nur ein Regime-, sondern ein Staatskonstitutivbegriff58 : Sie beginnt schon in der machtvollen Sichtbarkeit der Staatlichkeit, und darin braucht sie nicht nur nicht, sie kann gar nicht begründet werden. Hier zeigt sich bereits die Mächtigkeit des Staates in seiner Sichtbarkeit, die Vorteile, die sie für alle öffentliche Macht bringt. Vertieft wird dies noch an anderer Stelle; doch angedeutet werden soll hier doch der nächste Schritt, der aus der Begründungslosigkeit des Existierenden für die Staatlichkeit sogleich folgt: die Frage nämlich, ob sie denn nicht, als eine wesentlich begründungsfreie gesehen, auch in ihren Handlungen der Legitimation im einzelnen nicht mehr bedürftig sei. Mit einem solchen typisch staatlichen Stat pro ratione voluntas hat der Rechtsstaat radikal brechen, die Begründung geradezu, umgekehrt, als Wesen aller staatlichen Willensäußerung herausstellen wollen. Nicht nur, daß die staatliche Rechnungslegung nunmehr in allen Einzelheiten begründet werden muß 59 , - für jede Handlung gilt grundsätzlich die Begründungspflicht, welche Rechte des Bürgers berühren kann 60 . Dort, wo der Staat vor allem "in Wirksamkeit ist", wo Regelungsgewalt transzendiert in die Sphäre des Bürgers, da wirkt er eben vor allem, er "ist" nicht primär. So mag ihn hier der rechtliche Begründungszwang ebenso treffen wie den Gewaltunterworfenen, der von einem anderen im Namen des Rechts etwas verlangt. Wo aber der Bürger an ihn herantritt, von ihm etwas fordert, da kehrt sich die Begründungslage um, weitgehend bereits 58 Dieser Unterschied zwischen Regime- und Staatsrechtfertigung wird in der Allg. Staatslehre nicht immer klar gesehen, insbesondere wenn es um die Legitimität des monarchischen (Jellinek (Fn. 8), S. 669 ff.) oder des demokratischen Regimes geht (Zippelius (Fn. 10), § 17 I1I; vgl. Schmitt (Fn. 10)). 59 Maunz, in: MaunzlDürig, Art. 114 GG Rdnr. 10 ff. 60 Forsthoff (Fn. 22), S. 238; WolfflBachof (Fn. 32), § SOlId 2.

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

in der Verpflichtungsklage 61 , noch deutlicher dort, wo es um ein Konzessionsverlangen geht62 . Rechtlich mag diese Veränderung der BegTÜndungslage noch aus - im weiteren Sinne - Eigentumsvorstellungen heraus gerechtfertigt werden: Hier greift eben der Bürger über in den staatlichen Bereich, darin liegt übrigens auch eine der ganz großen Gefahren der Ausweitung des Status positivus für die Rechtsstaatlichkeit: Nicht mehr der Staat, sondern der Bürger wird beweispflichtig63 . Unmittelbar ist dies noch nicht eine Sichtbarkeitsproblematik der Staatlichkeit, wohl aber weist sie dahin indirekt einen Weg: Soweit die Staatsgewalt sozusagen "in sich ruhen bleibt", unterliegt sie, auch in ihren Einzeläußerungen, insbesondere in der Defensive ihrer Einrichtungen, keinem Begründungszwang. Besonders deutlich ist dies dort, wo sie sozusagen von außen angegriffen wird: Die Erklärung des Verteidigungszustandes64 bedarf wohl kaum einer Begründung, Maßnahmen der Landesverteidigung sind zumindest de facto ausgenommen von einer Begründungspflicht, insoweit eben, als die "überragenden Gemeinschaftsbelange,,65 hier mit einem Wort jede Begründung ersetzen. Und nicht umsonst ist selbst bei einem Angriff auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung die Polizei die noch immer am wenigsten begründungspflichtige Staatsgewalt. Neben manch anderer Begründung mag hier auch eine solche aus der Sichtbarkeit der Staatsgewalt stehen: Nicht umsonst sind Polizei und bewaffnete Macht, im weiteren Sinn, eben die manus rnilitaris des Staates, die uniformierten, zuallererst durch ihre Existenz und im übrigen eher defensiv wirkenden Äußerungsträger der Staatlichkeit. Es ist mehr als eine Gewohnheit, daß hier Einzelbegründungen durch Allgemeinformeln ersetzt werden66 . Dies ergibt sich nicht nur aus einer - angeblichen - "Natur der Sache": Warum sollten denn nicht auch Militäreinsätze begTÜndbar sein? Etwas jedenfalls schwingt hier mit von einer VwGO-Komm., 9. Aufl. 1988, § 86 Rdnr. 8 ff. Vgl. Henke, w., Das Recht der Wirtschaftssubventionen als öffentliches Vertragsrecht, 1979, S. 159 ff.; Stober, R., Wirtschaftsverwaltungsrecht, 8. Aufl. 1993, S.298. 63 Mag dies auch im Sinn der objektiven Beweislast zu verstehen sein; vgl. Kopp, F., VwGO-Komm., 9. Aufl. 1992, § 108 Rdnr. 12 ff.; Schmitt Glaeser, w., Verwaltungsprozeßrecht, 12. Aufl. 1993, Rdnr. 544. 64 Vgl. Herzog, R, in: MaunzlDürig, Art. 115 a GG Rdnr. 38 ff.; Stern (Fn. 23), Bd. 11, 1980, S. 1401 ff. 65 Im Sinn von BVerfGE 7, S. 398 ff. (Apothekenurteil). 66 So jedenfalls bei den "Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung", vgl. Götz, v., Allg. Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 1993, Rdnr. 115 ff.; Drews, B.lWacke, G.lVogel, K.lMartens, w., Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 437 f. 61 Eyermann, E.lFröhler, L.,

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II. Sichtbarkeit als Fonn der Ausübung von Staatsgewalt

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Vorstellung, nach der in diesen Bereichen das Zentrum der staatlichen Existenz liegt, und so läßt sich, wenn überhaupt, eben auch die "Begründungslosigkeit begründen". Nicht von ungefähr aber sind dies auch die Räume der deutlichsten Sichtbarkeit des Staates. Kann aber dergestalt Begründung - bis zu einem gewissen Grad durch Sichtbarkeit ersetzt werden, so ist bewiesen, daß die Sichtbarkeit der Staatlichkeit an sich schon ein ganz wesentliches Phänomen der Macht ist, und hier erweist sich sogar, daß es sich um eine rechtliche Problematik handelt; denn wodurch würde denn die Macht deutlicher zum Recht, dieses wiederum zur Macht, als eben in der Begründung?

4. Das Sichtbare als Macht der Einschüchterung Je deutlicher die Träger der Macht sichtbar sind und ihre Instrumente, desto stärker ist unzweifelhaft die Einschüchterungswirkung auf die Gewaltunterworfenen; auch, ja vor allem auf solche Weise wird ihr Gehorsam laufend erneuert (Herbert Krüger)67. Das geltende Recht, vor allem im Straf- und Polizeibereich, setzt dies denn auch systematisch ein. Dies nicht zuletzt ist auch der Sinn der Prävention, vor allem im Recht der Sicherheit und Ordnung68 , welche durchaus auch generalpräventive Wirkungen69 zeitigen soll, wiederum in besonderer Weise dort, wo die Staatsgewalt als eine deutlich sichtbare in Erscheinung tritt. Es geht nicht nur darum, künftigen Rechtsbruch zu verhindern, mindestens ebenso wichtig ist das, was man eine Minimierung des Verlustes an Machtenergie nennen könnte: Wird eine Rechtsverletzung rechtzeitig verhindert, so zieht sie nicht nur nicht Folgelasten der Repression nach sich, sondern andere vergleichbare Rechtsbrecher werden schon im Vorfeld demotiviert, die Rechtsverletzung im Keim erstickt. Dies reicht hin bis in die neuen Formen einer weit vorverlegten Vorsorge-Prävention 70 . Werden Umweltstandards sehr hoch gesetzt - oder sehr niedrig -, so wirkt eben dies bereits "vorsorglich", in Fernwirkungen disziplinierender Art gegenüber allen potentiellen Übertretern. In all dem (Fn. 7), S. 983 ff. Drews/Wacke/Vogel/Martens (Fn. 66), S. 220 ff.; Knemeyer, E-L., Polizei-

67 Krüger 68

und Ordnungsrecht, 5. Auf!. 1993, Rdnr. 63 f. 69 Im strafrechtlichen Sinn, Maurach, R.lGÖssel, K.H.lZipi, H., Strafrecht Allgemeiner Teil, Teilbd. 2, 7. Auf!. 1989, S. 584 ff.; vgl. auch Götz (Fn. 66), Rdnr. 138. 70 Darnstädt, Th., Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge, 1983; Kloepfer, M., Umweltrecht 1989, S. 74 ff.; Ossenbühl, F., Vorsorge als Rechtsprinzip im Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutz, in: NVwZ 1986, S. 161 ff.

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

liegen eindeutige Einschüchterungseffekte, welche zwar vielleicht nicht als solche bewußt sind, jedoch weit über den unmittelbaren Nutzen derartiger Festlegungen hinausgehen. Bemerkenswert ist nun, daß auch diese und ähnliche Einschüchterungs-Phänomene sich vor allem im Bereich der herkömmlichen Hoheitsgewalt finden, wo diese in besonders sichtbarer Weise in Erscheinung tritt, und um evidente Präsenz ist ja heute vor allem der Umweltschutz, als modernste Form der früheren "Polizey", laufend bemüht71 . Das Ideal wäre geradezu, daß man sich mit massiv präventiv wirkender Regelung begnügen, diese dann im einzelnen gar nicht mehr sanktionierend durchsetzen müßte. Einschüchterung ist aber überhaupt ein Ersatz für machtkräfteverbrauchende Sanktionen. Sie wirkt schon dadurch ungemein machtverstärkend zugunsten der Staatlichkeit, daß die Einschüchterung stets über jede Form der Sanktion hinausgeht, überdies noch mit einer notwendigen Virtualität, welche ihre Effekte verviellachen mag: Zwar verlangt der moderne Rechtsstaat die Berechenbarkeit72 aller staatlichen Handlungen, doch zugleich begünstigt er, wiederum unter Hinweis auf Verhältnismäßigkeit73 , die ratgebende und warnende 74 Staatlichkeit, welche insbesondere mit Ankündigungen einschüchtert, damit sie nicht einzugreifen brauches. Dabei wird eine letzte Unbestimmtheit der Auswirkungen solchen Publizitäts drucks durchaus in Kauf genommen; sie hängt ja auch von der jeweiligen Aufnahme durch den Betroffenen ab, dieser kann sich also kaum darauf berufen, hier sei ihm gegenüber die Berechenbarkeit verletzt worden. Diese und ähnliche Einschüchterungsphänomene sind an sich durchaus bekannte Erscheinungen moderner - und auch schon früherer staatlicher Machtausübung, mögen sie sich auch nicht immer in die en71 Kloepfer (Fn. 70), S. 75; Schwerdtfeger, G., Das System der Vorsorge im BImSchG, in: WuV 1984, S. 217 (217). 72 Herzog, in: MaunzlDürig, Art. 20 Anm. VII Rdnr. 62; Klein (Fn. 22), Art. 20 Rdnr.10. 73 Dechsling, R., Das Verhältnismäßigkeitsgebot, 1989; Grabitz, E., Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des BVerfG, in: AöR 98 (1973), S. 568 ff.; Hirschberg, L., Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981. 74 Robbers, G., Schlichtes Verwaltungshandeln, in: DÖV 1987, S. 272 (278); Schulte, M., Informales Verwaltungshandeln als Mittel staatlicher Umwelt- und Gesundheitspflege, in: DVBl. 1988, S. 512 (512 f.). 75 Bohne, E., Der informale Rechtsstaat, 1981, S. 139; ders., Informales Verwaltungs- und Regierungshandeln als Instrument des Umweltschutzes, in: VerwArch. 1984, S. 343 (365 f.); Bulling, M., Kooperatives Verwaltungshandeln (Verwaltungshandlungen, Arrangements, Agreements und Verträge) in der Verwaltungspraxis, in: DOV 1989, S. 277 (289).

11. Sichtbarkeit als Fonn der Ausübung von Staatsgewalt

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gen Rahmen der Rechtsstaatlichkeit einzwängen lassen 76 . Ein besonderes Licht fällt auf sie aber, betrachtet man sie unter dem Gesichtspunkt der deutlichen Wahrnehmbarkeit, der Sichtbarkeit der Staatlichkeit. Hier nämlich zeigt sich, daß diese als solche zu einer Form wirksamer Machtausübung werden kann: Was sich klar erkennbar vor den Gewaltunterworfenen aufbaut, braucht gar nicht in Aktion zu tretenj machtmäßig wirkt es durch seine Existenz und über diese hinaus, durch die Virtualität der hier gezeigten vires, der Kräfte, in denen die Herrschaft sich organisiert hat. Und nur am Rande bemerkt: Hier liegt übrigens auch ein Schnittpunkt von Freiheitsrechtlichkeit und Staatsorganisationsrecht77 : Je mächtiger dies letztere sich aufbaut, scheinbar zunächst einmal ohne jede Wirksamkeits-Berührung mit der Bürgersphäre, desto deutlicher liegt eben darin bereits eine Freiheitsgefährdung, durch die von der staatlichen Organisationsgewalt ausgehenden Einschüchterungseffekte. Wenn sich dann im Verfahren zeigt, was diese mächtige Staatlichkeit hier alles vermag, so ist nicht erst die Kompetenzausübung eine Grundrechtsberührung, als welche sie seit langem erkannt ist78 , eine solche liegt möglicherweise bereits im noch weiteren Vorfeld der Machtorganisation. Je sichtbarer diese ist, desto mehr wächst ihre Virtualitätj was in seiner Existenz eindeutig ist, dem wird man Wirksamkeit zutrauen, auch wenn sie nicht unter Beweis gestellt wird. Mit der Kraft der Furcht geht die Intimidationswirkung weit über die Existenzeffekte hinaus. Je mehr es überdies der Staatlichkeit gelingt, sich "überall zu etablieren", ein Netzwerk von Verwaltungen einzurichten, dessen wesentliche Stützen herausragend sichtbar sind, desto mehr werden auch weithin unsichtbare, vielleicht auch nur vermutete, Vernetzungen ihre Wirkung tun. Ein Ideal früherer Militär- und Polizeistaatlichkeit, des "Staates in Uniform" überhaupt, mag es gewesen sein, "überall so viele Posten aufzustellen", daß man nirgends "an diesem höchst sichtbaren Staat vorbeikommen konnte." Der Unifor-

76 Berg, w., Die behördliche Warnung - eine neue Handlungsfonn des Verwaltungsrechts?, in: ZLbmR 1990, S. 565 (568); Oebbecke, J., Die staatliche Mitwirkung an gesetzesabwendenden Vereinbarungen, in: DVBI. 1986, S. 793 (797); Ossenbühl, F., Umweltpflege durch behördliche Warnungen und Empfehlungen, 1986, S. 38. 77 Es gibt eben nicht nur "Freiheitsschutz durch Staatsorganisation ", vgl. dazu schon Leisner, w., Grundrechte und Privatrecht 1960, S. 5, sondern ebenso Freiheitsgefährdung, allein schon durch staatliche Organisation, vor allem wenn diese sichtbar, "drohend" erscheint. 78 BVerfGE 56, S. 216 (242); Kopp, F., VwVfG-Komm., 5. Aufl. 1991, § 3 Rdnr. 2; Laubinger, H.-W., Grundrechtsschutz durch Gestaltung des Verwaltungsverfahrens, in: VerwArch. 1982, S. 60 ff.

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

mierte erschien dann als eine Art von personifizierter Generalprävention 79 mit nahezu beliebig-unbestimmter Wirksamkeit. Aus all dem ergibt sich also, daß Sichtlhlrkeit der staatlichen Machtausübung eine besondere Form der Gewaltausübung darstellt - paradoxerweise gerade seitens des als "unsichtbar" geltenden Staates. Sie zeigt überdies ein in besonderer Weise rundblickendes Doppelgesicht: einerseits in der Unmittelbarkeit und UnveITÜckbarkeit der Wirkungen des "existierenden Staates", die sich leicht zu Unentrinnbarkeit steigern können, zum anderen in der, ebenfalls durchaus realen, qualitativen Meßbarkeit der staatlichen Präsenz - und sogar in der Steigerung zu einer geistig wirkenden Unbestimmtheit, durch den Eindruck auf die Gewaltunterworfenen, durch die Spiegelung, welche diese Machtexistenz in deren Freiheitssphäre erfährt. Die Kraft des Sichtbaren darf also nicht verwechselt werden mit "äußeren Effekten" oder gar mit denen der realen Durchsetzungsgewalt. Sie wirkt vielmehr als eine Art von "psychologischem Staats beweis " ,jedenfalls auf drei Stufen in durchaus geistiger Wirkmächtigkeit: als Existenz beweis der Staatlichkeit; als Beleg für die in deren Räumen ablaufende, als solche "unsichtbare" Staats aktivität; schließlich, über all dies noch weit hinaus, durch die Einschüchterungswirkung einer dahinter angenommenen, befürchteten Machtvirtualität, die um so größer ist, je weniger sie in Erscheinung tritt BO . Daß also die "Sichtbarkeit" des Staates ein wesentliches Instrument seiner Mächtigkeit jedenfalls darstellt, dürfte damit bereits, auch aufgrund von Entwicklungen des geltenden Rechts, nachgewiesen sein. Dafür mußte gar nicht eine Begründung aus der Rechtsstaatlichkeit bemüht werden, welche ja auch die EindeutigkeitB1 des staatlichen Handelns verlangt - und wo wäre sie stärker als dort, wo schon die Machtorganisation, aus der dies dann kommen kann oder könnte, derart eindeutig, sichtbar-existent ist? Um die demokratische Legitimation der bewaffneten Macht insbesondere wird man sich solange ohne letzte Überzeugungskraft bemühenB2 , wie nicht zugleich in den Blick genommen wird, daß hier ein besonders sichtbares Existenzphänomen aller Staatlichkeit gegeben ist; und dies mag sogar bis zu einer Legitimation 79 Hinter dieser Uniform, der "Ein-Form" (vgl. Nietzsche, F., Also sprach Zarathustra, I, Vom Kriegsvolk) steht die eine Staatsrnacht, von welcher diese auch notwendig einheitliche Generalprävention ausgeht. 80 Der durch Verwaltungshandeln hervorgerufene und auch zu gerichtlichem Vorgehen legitimierende Rechtsschein (vgl. z.B. Forsthoff (Fn. 22), S. 227; Schmitt Glaeser (Fn. 63), Rdnr. 139 f.) ist dafür ein (nur teilweiser) Beleg. 81 Badura (Fn. 44), F 15; Forsthoff (Fn. 22), S. 219. 82 Kirchhof (Fn. 45); Stern (Fn. 23), Bd. 11, 1980, S. 860 ff.

11. Sichtbarkeit als Form der Ausübung von Staatsgewalt

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der allgemeinen Wehrpflicht tragen, welche in besonders sichtbarer Weise in den gesamten sozialen Körper hineinwirkt. Das alles legt schon die hier noch nicht zu vertiefende Frage nahe, ob ein Rückzug aus dieser eindeutigsten Form der sichtbaren Staatsgewalt durch die Entwicklung anderer Sichtbarkeitsformen kompensiert werden kann oder gar muß83 , mögen diese auch "ganz andere", eben wesentlich "zivile" sein.

5. Sichtbarkeit -

mehr als nur nFühlbarkeit" der Macht

Eingangs war die Kategorie einer "Fühlbarkeit" der Staatsgewalt neben die der Sichtbarkeit gestellt worden, damit die Fragestellung nach dieser letzteren nicht allzu rasch auf äußere Erscheinungsformen der öffentlichen Gewalt verengt werde. Die Wirkungen des "sichtbaren Staates" dürfen ja nicht auf das beschränkt werden, was er an Reaktionen beim Bürger auslöst, der seine Fassade ängstlich betrachtet; "sichtbar" wird die Staatlichkeit auch in ihrer Spiegelung, in den Wirkungen, die sie auslöst - bei Adressaten und anderen Gewaltunterworfenen; je deutlicher diese sich zeigen, desto "sichtbarer", wenn auch im Spiegelbild, wird hier der Staat. Und wenn dies der Fall ist, so tritt damit deutlich die Realität der Kräfte hervor, welche derartige Wirkungen ausgelöst haben. Dennoch soll nun im folgenden der Begriff der "Sichtbarkeit" im Mittelpunkt stehen, nicht eine Fühlbarkeit, welche vielmehr stets an ersterer gemessen wird. Beiden Kriterien kann unschwer der Vorwurf der Unbestimmtheit gemacht werden, und zugunsten der Fühlbarkeit ist immerhin darauf hinzuweisen, daß sie in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Rechts bereits näher behandelt, ja vertieft worden ist, etwa bei der Fühlbarkeit von Steuererhebungen84 oder bei der Durchsetzung von staatlichen Zwangsmaßnahmen, insbesondere von Bußgeldem85 . Auch ist Verwaltung als solche kaum ein "Sichtbarkeitsbegriff" , während sie in ihrer Tätigkeit ständig auf ihre Fühlbarkeit zu untersuchen

83 Wie im Fall des Ersatzdienstes, Blumenwitz, D., (Hrsg.), Wehrpflicht und Ersatzdienst, 1978. 84 Kirchhof, P., Staatliche Einnahmen, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 4, 1990, § 88 Rdnr. 26 ff; Steuern in Deutschland (Hrsg. Karl-Bräuer-Institut, Heft 72), 1991, S. 7 ff., 66 ff. 85 Drews/Wacke/Vogel/Martens (Fn. 66), S. 557 ff.; Heckmann, D., Der Sofortvollzug staatlicher Geldforderungen, 1992, S. 85 ff.

3 Leisner

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

ist, und sei es auch nur in dem an alle ihre Handlungen anzulegenden Kriterium der Verhältnismäßigkeit. Dennoch spricht für die Beibehaltung der Sichtbarkeit als Untersuchungsbegriff jene Frage, in welche die Ausführungen am Ende münden wollen, welche ihr tieferer Grund ist: Inwieweit ein Rückzug aus der Sichtbarkeit der Staatlichkeit Krypto-Gewalt begünstigen kann, was vielleicht zu einer Schicksalsfrage gerade künftiger Demokratie wird. Ferner soll hier ja auch versucht werden, laufend Entwicklungen des geltenden öffentlichen Rechts im Lichte dieser Fragestellung fruchtbar zu machen, zusammenzusehen. "Öffentlichkeit" und "Geheimnis", d.h. aber eben doch: Sichtbarkeit in einem weiteren Sinne - versteckte Staatsgewalt, all dies sind weit eher gängige Kategorien auch des Rechts, als die, welche man mit dem Begriff der "Fühlbarkeit" in Zusammenhang bringen könnte; hier wird immer die Gefahr bestehen, daß die Betrachtung einerseits in Überlegungen zur Belastungsschwere, also zur Verhältnismäßigkeit abgleitet, zum anderen sich allzusehr an der Begrifflichkeit der Effizienz86 orientiert. Beides aber liegt letztlich auf anderen Ebenen, denn das erstere ist bei den Rechten des Bürgers, nicht bei einer Betrachtung des Wesens der Staatsgewalt zu prüfen, das letztere wird nur allzuleicht in durchaus legitime, aber hier nicht im Mittelpunkt stehende Überlegungen zur Bedeutung betriebswirtschaftlicher Effizienzmessungen im Staatsbereich einmünden87 . Wenn also bewußt bleibt, daß "Sichtbarkeit" nicht im Sinne rein äußerlicher Wahrnehmung, sondern stets auch in dem der "Evidenz" jeglicher Machtauswirkung zu verstehen ist, so wird man wohl der hier angesprochenen Problematik noch immer am nächsten kommen. Überdies soll ja das" Sichtbare" im engeren Sinn des Wortes der" greifbaren äußeren Wahrnehmung" durchaus nicht nur Ausgangspunkt, sondern auch Kern der folgenden Betrachtungen bleiben: Schon jetzt hat sich gezeigt, daß es als solches ein besonderes Machtphänomen darstellt. Die Fühlbarkeit dagegen ist die Erweiterung der Problematik, im Sinne einer gewissen Spiritualisierung der Sichtbarkeit, vielleicht auch ihrer Rationalisierung: Soweit die Gewaltausübung nur fühlbar bleibt, läßt sich auf Sichtbarkeit verzichten; was in warnenden Kontrollen verhindert werden kann, braucht nicht in spektakulärem Polizeieinsatz gebrochen werden. Auch das Umgekehrte mag allerdings gelten, und auch dies beweist, daß beide Machtbegriffe nicht voll sich decken: Manche sichtbare Machtdemonstration hat, durch den Beweis der ExiW, Effizienz als Rechtsprinzip, 1971. Effizienz und innere Sicherheit, in: Nutzen-Kosten-Analyse und Programmbudget (Hrsg. H.C. Recktenwald) 1970, S. 249 ff. 86 Leisner,

87 Recktenwald, H.C.,

III. Sichtbarkeit als Stärkung der Staatsmacht

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stenz der Gewalt, die Gewaltanwendung verhindert - wiederum zeigt es die polizeiliche Praxis, bei Großeinsätzen mit im Grunde weit überproportionalen Mitteln dort, wo an sich auch wenige Maschinenpistolen hätten genügen können 88 . Dies alles zeigt, daß der eigentlich interessante Begriff nicht der einer stets nur sehr unsicher feststellbaren Fühlbarkeit sein kann, sondern der der Sichtbarkeit, in der der Staat aus seinem Geheimnis der unfaßbaren juristischen Person heraustritt. Schließlich wird stets, solange überhaupt noch von Staatlichkeit die Rede sein kann, Konsens darüber bestehen, daß das Gewaltmonopol89, das Exklusiv-Recht der am stärksten fühlbaren Macht, nur bei ihr liegen kann. Reizvoll bleibt es dann, der Frage nachzugehen, ob dem irgendeine besondere Sichtbarkeit entsprechen muß oder doch sollte, ob das Gewaltmonopol in Gefahr gerät, wenn die Staatlichkeit in äußerer Unsichtbarkeit auch innerlich zu verdämmern droht. Der "Unsichtbare Staat" - diese Frage stellt sich also im folgenden in dem Sinn, ob die eindeutige, evidente Wahrnehmbarkeit der Existenz der Staatlichkeit, ihre "Präsenz", insbesondere in gerade äußerlich wahrnehmbaren Formen, als solche Machtgewinn oder aber vielleicht gar, gerade in der Gegenwart der Demokratie, Machtverlust bedeuten kann.

IH. Sichtbarkeit als Stärkung der Staatsmacht 1. Integration als Staatsgrundlegungs-Lehre der Demokratie

Die Sichtbarkeit darf aber nicht nur betrachtet werden als eine - vor allem indirekte - Form der Ausübung von Hoheitsgewalt, als eine Möglichkeit oder Fernwirkung derselben. Mag der Eingriff das Handlungszentrum der Staatlichkeit und für diese zentral-typisch und somit konstitutiv bleiben - es geht stets um die Voraussetzungen für den Einsatz dieser Gewalt, die nicht allein aus ihren Rechtsfolgen definiert werden können. Die Sichtbarkeit des Staates wirkt nicht nur als vermuteter, befürchteter, vorweggenommener Einsatz von Hoheitsmacht; sie 88 Verhältnismäßigkeit als Rechtsbegriff stellt eben primär ab auf die Wirkung einer Maßnahme gegenüber dem Adressaten, nicht auf die Belastungen des Staates; dies zeigt die Entwicklung der "Verhältnismäßigkeit" zur "Zumutbarkeit", vgl. Badura (Fn. 44), G 26. 89 Isensee (Fn. 1), Rdnr. 74 f.; ders., Die Friedenspflicht des Bürgers und das Gewaltmonopol des Staates, in: FS f. K. Eichenberger, 1982, S. 23 ff. 3•

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

schafft, gerade nach den Erkenntnissen der neueren Staatslehre, erst einmal den Träger dieser eigenartigen Höchstrnacht und bringt damit sogleich gewisse typische Machtausübungsformen hervor, welche schon vor und auch noch jenseits von jedem Einsatz der eigentlichen Hoheitsgewalt wirken. Dies ist der Sinn der klassischen Integrationslehre Rudolf Smends90 , darum kreisen auch neuere Versuche, Bürgerkonsens91 als Staatsgrundlage zu erweisen. Auch sie sind nichts als ein Weiterdenken der Integrationskategorie. Die vorliegende Untersuchung muß dies einbeziehen und daher fortschreiten von der Untersuchung der Bedeutung von "Sichtbarkeit des Staates" für die "Staatlichkeit als solche", im Sinne der Ausübung unbedingter höchster Gewalt, zu den spezifischen Formen, in denen gerade demokratische Staatlichkeit legitimiert und ihre Äußerungsformen früherer einseitiger Herrschaftsstaatlichkeit gegenübergestellt werden. Dabei ist diese die Hoheitsgewalt ergänzende Integrationswirkung nicht als eine ausschließliche Besonderheit des Wesens gerade der Volksherrschaft zu verstehen. Die Integrationslehre darf keineswegs allein als ein Versuch ihrer Grundlegung gedeutet werden, sie ist, ganz im Gegenteil, von dem Bestreben getragen, auch gewisse "vordemokratische " Elemente der Staatsgrundlage der Volkssouveränität als Basis des Gemeinschaftslebens hinzuzufügen und so insbesondere die Wirksamkeit "machtloser Autoritäten" zu erklären. In diesem Sinne hat sie ihre eigentlichen Grundlagen im Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, wo es vor allem darum ging, die Integrationskraft des Monarchen als Institution gegenüber der politischen parlamentarischen Macht ins Bewußtsein zu heben 92 . In diesem Sinne stellen Smends Überlegungen eine besondere Leistung dar, in ihrer zugleich rückwärts- und zukunftsgewendeten Form der Integrationslehre. Denn im Namen dieser Theorie ist dann doch ein wesentlicher Fortschritt in der Grundlegung gerade der Demokratie gelungen, über Rousseau hinaus: Hatte dieser Volksherrschaft immer wieder auf den 90 Smend, R., Verfassung und Verfassungsrecht, 1928; ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl. 1968, S. 415 ff.; BartIsperger, R., Die Integrationslehre Rudolf Smends als Grundlegung einer Staats- und Rechtstheorie, Diss. Erlangen-Nümberg 1964; Zippelius (Pn. 10), § 11. 91 Leisner, w., Zur Legitimität politischen Entscheidungshandelns - Vom Mehrheits- zum Minderheitsprinzip?, in: Konsens und Konflikt (Hrsg. A. Randelzhofer u. a.) 1986, S. 281 ff.; Zippelius, R., Zur Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips in der Demokratie, 1981; ders. (Pn. 10), § l11II. 92 Laband, P., Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., 4. Aufl. 1901, S. 191 ff.; von Seydel, M., Bayerisches Staatsrecht, 1. Bd., 2. unveränd. Abdruck 1881, S. 351 ff.; Zöpfl, H., Deutsche Rechtsgeschichte, 2. Bd., 4. Aufl. 1812, S. 350 ff.

III. Sichtbarkeit als Stärkung der Staatsmacht

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Entscheidungsakt der Mehrheitsbildung zurückgeführt, war er jedenfalls im wesentlichen so verstanden worden 93 , so liegt der Integrationslehre die Erkenntnis zugrunde, daß sich dieser Konsens auch noch in vielen anderen Formen bildet als gerade in denen des Sieges der Mehrheit, vom stillschweigend akzeptierten Weiterwirken früherer Staatssymbolik bis hin zu neuen Werten, "in deren Namen das deutsche Volk einig sein will". Das Geheimnis der Konsensbildung hat Smend genauso unerklärt lassen müssen wie Rousseau seinen "Allgemeinen Willen"; er hat aber dessen Erkenntnisse, über den Bereich der Abstimmungssiege und -niederlagen hinaus, wesentlich erweitert - und gerade hinein in den Raum, der sich bei einer Betrachtung der Sichtbarkeit des Staates erschließt94 .

2. Das " Sichtbare " als Integrationszentrum Gerade in den hier bereits mehrfach erwähnten Erscheinungen der herkömmlichen besonderen Sichtbarkeitsformen der Staatsexistenz hat die Integrationslehre Entstehung und Wirksamkeit der modemen Staatlichkeit zu erklären versucht. Da ist in erster Linie die "greifbar-sichtbare Staatssymbolik ", die Hoheitszeichen95 und Staatsnamen, die Flagge 96 und, so könnte man heute hinzufügen, der Ort, an dem sie zuallererst gezeigt wird: die Hauptstadt97 . Alles, worum sich Menschen physisch versammeln, wozu sie aufschauen können, hat diese zentrale, ganz deutliche Integrationsfunktion zuallererst, es zieht sie durch seine symbolhafte Sichtbarkeit in ihren Bann. Ähnliches gilt dann weiter für alle Räume, im weitesten Sinne, in denen die Bürger irgendwie zusammentreffen im Namen ihres Staates: Integration sucht nicht nur nach den Symbolen um die, sondern nach den Bereichen in denen das Zusammenwachsen zur Staatsgemeinschaft sich vollzieht. Wenn jede Staatstheorie deutlich faßbarer Ausgangspunkte bedarf, von denen aus sie sich hoch- und in den Staat hineinrechnen läßt alle Integrationslehren werden sich stets in den äußerlich sichtbaren Existenzzeichen der Staatlichkeit finden, die sich damit eben ihren 93 Schmitt

(Fn. 16), S. 229 f.

94 Smend, R., Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, S. 42 ff.

95 Smend (Fn. 94), S. 48 f.i Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 22 GG Rdnr. 3 ff., 24 ff.i Stern (Fn. 23), S. 276 ff., 282 f. 96 Siehe Fn. 95. 97 Häberle, P., Die Hauptstadtfrage als Verfassungsproblem, in: DÖV 1990, S.989 ff.i Rummel, A. (Hrsg.), Bonn, Sinnbild deutscher Demokratie, Zur Debatte um Hauptstadt und Regierungssitz, 1990 (mit Beitr. u.a. von Ehmke, Heintzen, Gräfin Dönhoff).

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

" Umstand" 98 schafft im Sinne des alten deutschen Rechts und seiner wesentlichen, in der Schweiz bewahrten Früh-Demokratizität. Nicht anders geht ja auch der Dezisionismus aus von dem Prototyp der faßbaren, geradezu sichtbaren Entscheidung, dem militärischen Befehl, die Kelsen-Merklsche Stufenlehre von dem in der Unterscheidung der zentralen Staatsorgane geradezu evidenten normativen Über-/Unterordnungsverhältnis Gesetz-Verordnung99 . Aus all diesen Unbestreitbarkeiten wird sodann in die gesamte Staatlichkeit hinein "hochgerechnet" bis die Theorie an ihre Grenzen stößt. Daß aber die Sichtbarkeit als solche eine wesentliche Erkenntniskategorie nicht nur der Staatsgewalt, sondern der modemen Formen der Staatsexistenz schlechthin darstellt, ist gerade durch die Integrationslehre und ihre großen, in der Wertlehre 100 der Verfassung fortdauernden Erfolge bereits bewiesen: Zuallererst im Namen des Sichtbaren sind die Bürger einig, fühlen sich die Menschen als solche zusammengehörig. Doch das bleibende Verdienst der Integrationslehre liegt, darüber hinaus, noch darin, daß sie dieses "Sich-Zusammenschließen um etwas" nicht auf die rein physische Sichtbarkeit der unmittelbaren Staatssymbole beschränkt, sondern diesen Begriff entscheidend erweitert, ihn jedoch nicht sogleich von der Sichtbarkeit völlig gelöst hat. Wenn Staatsfeiern und -feiertage ihre Integrationskraft entfalten, so mag auch hier noch ein geradezu physisch faßbarer zeitlicher Raum sichtbar werden, im Stillstand aller professionellen Bürgeraktivitäten. Doch die Integrationslehre kann ihren Anwendungsbereich, weit darüber hinaus, erweitern, bis in jene Staatsspitze hinein, welche durch das Staatsoberhaupt "sichtbarlieh symbolisiert", nicht nur eben "repräsentiert" wird. Die Betrachtung der Figur des Reichspräsidenten war dafür ein günstiger, erklärungsbedürftiger Weimarer Anlaß 101 . Hier konnte gezeigt werden, wie das Organisationsrecht der Demokratie Staatlichkeit als solche sichtbar werden läßt; und anders kann die Figur des Ehren-, des Protokollpräsidenten letztlich auch nie erklärt werden, denn als in einer Person sichtbar gewordener ständiger Aufruf zur Staatseinung. Nicht Uffi98 Brunner, H., Deutsche Rechtsgeschichte, 1. Bd., 3. Aufl. 1961, S. 204; Mitteis, H./Lieberich, H., Deutsche Rechtsgeschichte, 19. Aufl. 1992, Kap. 1011 2. 99 Kelsen, H., Allgern. Staatslehre, 1925 (Neudruck 1966), S. 235 f. 100 Dürig, G., in: Maunz!Dürig, Art. 1 Abs. I GG Rdnr. 1-16; ders., Der Grund-

rechtssatz von der Menschenwürde, Entwurf eines praktikablen Wertsystems der Grundrechte aus Art. 1 Abs. I in Verbindung mit Art. 19 Abs. 11 des GG, in: AöR 81 (1956), S. 117 ff. 101 Smend (Fn. 94), S. 139 f.; Schmitt, c., Der Hüter der Verfassung 1931, 3. unver. Nachdruck 1985, S. 156 ff.

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sonst gehört es zu den traditionellen Kompetenzen dieses Staatshauptes, gerade staatliche Sichtbarkeiten zu zelebrieren, vom Staatsempfang allgemein und dem der Botschafter im besonderen über die Ernennungsakte des auf urkundlicher Sichtbarkeit beruhenden Beamtenrechts, bis hin zu jenen Orden, Titeln und Ehrenzeichen, die nicht anders als durch ihre Sichtbarkeit wirken 102. Und wenn der Präsident auch nichts anderes wäre als ein Staatsnotar - gerade darin würde er sich als "Materialisator" , als der große Evidenz-Schöpfer der Staatlichkeit bewähren und zugleich die Integration um diese Evidenz eindeutig beweisen. Das Staatsoberhaupt schließlich als ruhend-existentes im Gegensatz zum wesentlich "handlungsbezogenen" Organ der Regierung, oder wie alle die mehr oder weniger präzisen, oft romantisierenden Umschreibungen lauten mögen - überall kommt die Integrationskraft des Sichtbaren zum Ausdruck, bis hin zu einem Protokoll103 , das seinem Wesen nach nichts anderes ist als erste, reine "Sichtbarkeit", wirksam überhaupt nur mehr in einer Äußerlichkeit, die man kritisieren mag, in der sich aber immer noch Integration vollzogen hat. So ist denn der Integrationslehre nicht nur der Nachweis gelungen, daß der Zusammenschluß zum Staat in der modemen Demokratie vom Standpunkt sichtbarer Unbestreitbarkeit aus erlaßt werden muß; sie ist ihm auch nachgegangen bis hinein in die integrativen Wirkungen des Staatsorganisationsrechts, in seinen Erscheinungsformen der äußerlich sichtbaren Staatlichkeit, bis hinauf zu jenem Staatshaupt, das alle Sichtbarkeiten, bis hin zur bewaffneten Macht, symbolhaft anführt, das den Staat nicht nur repräsentiert, sondern wirklich "der Staat ist" - in "reiner Sichtbarkeit", auch ohne jede Wirksamkeit. Ist damit nicht etwas gelungen wie der Beweis der Wirkungskraft machtloser Sichtbarkeit 104 ? Nur so erklärt sich die sanktionslose Wirkkraft der "StaatsWürde" , die weit über Präsidialämter hinaus - und bis in kleine Rathäuser 105 hinabreicht.

102 Schlaich, K., Die Funktionen des Bundespräsidenten im Verfassungsgefüge, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 2, 1987, § 49 Rdnr. 3 ff.; Stern, K., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. H, 1980, S. 218 ff. 103 Ursprünglich war dies ja das amtlichen Akten" vorgeleimte " Titelblatt, das erste also, was von ihnen" ins Auge fiel" . 104 Leisner, w., Der Staatspräsident als "demokratischer Führer", in: FS für J. Broermann, Demokratie in Anfechtung und Bewährung, 1982, S. 433 (451 ff.); Schlaich (Fn. 102), § 49 Rdnr. 1 f.; Stern (Fn. 102). 105 Knemeyer, F.-L., Bayerisches Kommunalrecht, 7. Aufl. 1991, Rdnr. 191; von Mutius, A, Rechtsstellung und Funktionen des "Bürgermeisters" im deutschen Gemeinderecht, in: Staats- und Kommunalverwaltung, 1975, S. 203 ff.

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

3. Die Integrationskraft der Verfassung das "sichtbare Recht"

Der Gegenpol der Integrationslehre ist von jeher in der Theorie jene Reine Rechtslehre gewesen, welche das Wesen des Staates in der Rechtsordnung selbst sieht, nicht in deren Setzung und Bewahrung durch Konsens oder Macht l06 . Wenn aber "Staat" mit Kelsen nur als "Recht" gedacht werden kann, wenn aus ihm alle normative Kraft des Faktischen verschwindet - ist dann nicht auch alle Sichtbarkeit wegzudenken aus diesem spiritualisierten Gebilde? Sie mag in dieser Sicht beliebige politische Inhalte in sich aufnehmen können, die als solche auch "real sichtbar sind"; seinem innersten Wesen nach aber bleibt der Staat in der unsichtbaren Rechtswelt des Sollens. Nicht nur im Extrem der Reinen Rechtslehre - immer dort, wo das Wesen des Staates in der Setzung und Bewahrung des Rechtswertes gesehen wird, scheint damit auch die Sichtbarkeit als Erkenntnis-, weit mehr noch als Wirksamkeitskategorie der Staatlichkeit völlig eliminiert. Gesucht wird nicht nur "L'Esprit des Lois" - diese Gesetze sind wesentlich Geist, unsichtbar wie er l07 . Wenn aber Staatswerdung nicht "um das Gesetz als etwas Sichtbares" stattfindet, ist sie dann nicht im letzten doch ein wesentlich unsichtbares, sich um Nicht-Evidentes vollziehendes Zusammenwachsen der Bürgerschaft zum Staat? Und kann es überhaupt noch Sinn haben, von staatlicher Sichtbarkeit dort zu sprechen, wo das Wesen der Macht in der Bewahrung des unsichtbaren Gesetzes liegt, seines nichtfaßbaren Sollens? Zwingend ist all dies nur bei voller Gleichsetzung von Staat und Recht, nicht aber dann, wenn mit der heute wohl doch ganz herrschenden Auffassung das Wesen der Staatlichkeit in der Durchsetzung der Sollensordnung, deren Wesen wieder in einer - wie immer bestimmten - Sanktion erblickt wird l08 . Werden dergestalt Staat und Recht nicht schlechthin identifiziert, so bedarf die Rechtsordnung erst recht zu ihrer Wirksamkeit dann des sichtbaren Staates, wenn sie nur mit dessen Faßbarkeit selbst greifbar wird, in die Sichtbarkeit der Evidenz hinaustritt, aus der letzten Unverbindlichkeit des Sollens in die Sichtbarkeit und Fühlbarkeit des Müssens.

106 Kelsen, H., Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 289 ff., 319 f.; ders., Allgem. Staatslehre, 1925 (Neudruck 1966), S. 16 ff. 107 Für Montesquieu sind die Gesetze Emanationen der Raison primitive des unsichtbaren Schöpfers (De l'Esprit des Loix, I, 1). 108 Ryffel, H., Rechtssoziologie 1974, S. 324 ff.; Zippelius, R., Rechtsphilosophie, 2. Aufl. 1989, § 28 III.

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Doch die Integrationslehre zeigt die Bedeutung staatlicher Sichtbarkeit selbst im eigentlichen, zentralen Bereich der Normen: Gerade sie werden zu Integrationszentren dort, wo sie etwas erreichen, das sich mit Kategorien der Evidenz, ja einer Sichtbarkeit in einem erweiterten Sinne fassen läßt. Auszugehen ist von jener Normkategorie, für die gerade Rudolf Smend die Integrationskraft der demokratischen Gesetzesstaatlichkeit überzeugend beweisen konnte, wo sie auch heute noch die Verfassungsrechtsprechung zuallererst findet: vom Legitimationszentrum der Verfassung, der Grundrechtlichkeit 109 . Verdienst der Verfassungsgerichtsbarkeit war es, die Einhaltung dieser Grundnormen zu sanktionieren, damit aber ihre Bedeutung in erster Linie als die einer höheren Normschicht, bei den Grundrechten als die der höchsten überhaupt, herauszustellen. Dies sind "rein geistige", in den Kategorien der Reinen Rechtslehre sich abspielende Erkenntnisund Bewertungsvorgänge. Doch das darf den Blick nicht für Wesen und Bedeutung der Verfassung, und vor allem der Freiheitsrechte, als Staats grundlage , als Gegenstand, ja als Zentrum der Integration trüben. Die Integrationslehre geht davon aus, daß die Bürger gerade im Namen dieser Grundrechte einig sein, einen Staat konstituieren wollen, daß diese höchsten Normen damit letztlich an die Stelle früherer Monarchen treten, als jene Nomoi, deren Personifizierung Sokrates vor seinem Tode noch begegnet llO . Und sollte dabei, über derartige Prosopopöie hinaus, nichts an Sichtbarkeit zu finden sein? Hier muß, so scheint es, in bisher nicht geläufigen Kategorien einer Norm-Evidenz gedacht werden, welche allein solche Integrationskräfte entfalten kann, auf denen heutige Staatlichkeit beruht. Das Bekenntnis zu vor- und überstaatlichen Rechten, zu den Grundrechten als - in ihrem Kern zumindest 111 - derartigen Regeln des Rechts erschöpft sich nicht in der praktischen Wirkung, daß damit dem Verfassungsgericht das letzte Wort bleibt, gegenüber jeder parlamentarischen Normsetzung. Darin liegt auch die Feststellung einer besonderen Normevidenz, welche diesen Gesetzen etwas verleiht, was allein das Recht "sichtbar" machen kann: Unmittelbare "Einsichtigkeit" , über jeder Macht, die sie willensmäßig setzen könnte. Wenn solche Einsichtigkeit die Sichtbarkeits109

Smend (Fn. 94), S. 82 ff.

110 Kriton, 50 A ff.

111 BVerfGE 6, S. 32 (41); 27, S. 1 (6); 32, S. 373 (378 f.); 35, S. 35 (39); 38, S. 312 (320); 54, S. 143 (146); 80, S. 367 (373 f.); std. Rspr. bis hin zum Bodenreform-Urteil, BVerfGE 84, S. 90 (121).

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

kategorie der Rechtserkenntnis ist, so kommt sie in der Verfassung nicht den Regeln des organisatorischen Staatsrechts, sondern den Grundrechten zu, welche in diesem Sinn als nicht äußerlich, wohl aber "innerlich sichtbare Normen" die Staatlichkeit tragen, um sie Integration herstellen. Dies ist nicht der einzige, wohl aber einer der tieferen Sinngehalte der Aussage, daß diese Normen auch ohne staatliche Setzung, vor ihr, bereits erkannt werden können 112 - Selbstverständlichkeit als rationale Form einer Evidenz als Sichtbarkeit. Doch darauf beschränkt sich die "Norm-Sichtbarkeit" der Verfassung nicht. Sie wird sozusagen nach außen getragen in vielfachen Formen: Von der gesteigerten Öffentlichkeit der Verfassungs-Diskussionen allgemein bis zur gesteigerten Unveränderlichkeitsgarantie gerade der Grundrechte. Die Forderung besonderer Übersichtlichkeit l13 der Verfassung ist nicht nur eine Ausprägung allgemeinen rechtsstaatlichen Klarheitsstrebens: Hier soll die Sichtbarkeit in einer Weise gewahrt werden, welche in moderner Form die alten erzenen Tafeln ersetzt; denn auch das Unübersichtliche ist ein Gegensatz zur Sichtbarkeit. Diese ist schließlich um so größer, je weniger die Normgeltung in ihrer Dauer sich ändert, erneuert wird. Das im Grundsatz immer gleiche GrundGesetz wächst zu einer geradezu physischen Sichtbarkeit hinauf 114 , welche der ständig modifizierten einfachgesetzlichen Regelung auch im übertragenen Sinne niemals eigen sein kann. Dies muß noch nicht eine Klarheit bedeuten, welche der Auslegung nicht bedürfte - im Gegenteil: Gerade das Sichtbare am Staat bleibt immer von einer Grauzone umgeben, oft umhüllt, welche aus der letzten Unsichtbarkeit des Trägers kommen mag. In seiner UnveITÜckbarkeit aber bleibt das Normengebirge der Grundrechtlichkeit auch dann in seinen - entscheidenden! - Umrissen "sichtbar", wenn die wesentlichen Einzelheiten, oder gar alle, noch erschlossen werden müssen. Ein Blick in die Gegenrichtung beweist es: Eine Krypto-Staatsgewalt ist vorstellbar, eine Krypto-Grundrechtlichkeit niemals. Untertauchen kann der Staat gerade in den vielen kleinen Bewegungen ständig sich wandelnder Normen, in ihrer wachsenden Flut, in deren trüben Wassern verbirgt sich eher ein Unsichtba112 Darauf beruht insbes. die Strafrechtsprechung zu Taten während der nationalsozialistischen oder kommunistischen Herrschaft, BGHSt 10, S. 294 (301); BGH MDR 1952, S. 693 (694). 113 Vgl. Art. 79 Abs. I GG, Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 79 Abs. I GG Rdnr. 12 ff. 114 In diesem Sinn ist (größere) Verfassungsrevision immer zugleich auch Verfassungsabschwächung; das wenig revidierte GG war bisher, als "beruhigte Verfassung" (vgl. dazu Leisner, w., Verfassungsreform des öffentlichen Dienstrechts?, in: Das Parlament 1991, Beil. 49/91, S. 29 (29 L)) in besonderer Weise konsensgetragen - sichtbar.

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rer Staat, wenn er eben hinabtauchen kann in die unteren Normschichten ständig sich wandelnden Verordnungs- und Satzungsrechts, in ihre Unübersichtlichkeit 115 . Die Spitze der Normenpyrarnide mag fern sein, doch sie bleibt sichtbarer als die unteren Stufen, welche im Schatten sich wandelnder Macht liegen. So ist es also der Integrationslehre gelungen, die Sichtbarkeit selbst der Normen uns nahe zu bringen, welche für die großen Tafel-Gesetzgeber der Frühzeit noch zum Wesen der Gesetze gehört hat. Nicht umsonst hat die Veröffentlichung der Gesetze 116 , die heute so weit in den Hintergrund getreten, geradezu zur rechtstechnischen Detailfrage geworden ist, stets die Verfassunggeber beschäftigt, weil sie einen hohen staatsgrundsätzlichen Rang einnimmt: "Die Gesetze müssen sichtbar werden", sollen sie anstelle sichtbarer Menschen herrschen, überall muß man sie erblicken können, weit mehr noch als die Herrschenden und ihre Hoheitszeichen. Nur aus solcher Normsichtbarkeit kommt jene Befolgung, welche die eindeutigste Form der Integration ist, das SichScharen um die nicht nur veröffentlichte - um die voranwehende Fahne des staatlichen Gesetzesbefehls. So eröffnet denn jene Integrationslehre, welche als recht allgemeine Beschreibung politischer Vorgänge erscheinen mochte, ohne viel dogmatischen Gehalt im einzelnen, tiefe Einsichten gerade in die Bedeutung einer durchaus auch als eine äußere verstandene Sichtbarkeit der Staatlichkeit, mit Folgerungen, welche bis in die Einzelheiten der Staatsorganisation hineinreichen. Vor allem aber werden hier Grenzen der politischen Mehrheitsdynamik sichtbar, wie sie gerade das Recht und in seinem Namen die Verfassung aufrichtet, damit sich die Staat115 Weshalb ja auch die Unübersichtlichkeit des Rechts durch steigende Normenflut seit langem besonderer Kritik ausgesetzt ist, vgl. Berner, G., Inflation im Recht, in: BayVBl. 1978, S. 617 ff.; Brandt, H., Thesen zur sogenannten Gesetzesflut, in: Die Neue Gesellschaft 1979, S. 1090 f.; Hillermeier, K., Eindämmung der Gesetzesflut, in: BayVBl. 1978, S. 321 ff.; lellinek, H., Ursachen und Reduktionsmöglichkeiten der Uberfülle von Rechtsvorschriften, in: VuF 1978, S. 62 ff.; Leisner, w., Rechtsstaat - ein Widerspruch in sich? in: JZ 1977, S. 537 ff.; ders., "Gesetz wird Unsinn ... ", in: DVBl. 1981 S. 849 ff.; Lenz, C.O., "Gesetzesflut" und ihre Eindämmung, in: FS für F. Schäfer 1980, S. 66 ff.; Redeker, K., Gesetzesrationalität und verständliches Recht, in: NJW 1977, S. 1183 ff.; Schulz, P., Gesetzesflut im sozialen Rechtsstaat - ein unvermeidbares Ärgernis?, in: Die Neue Gesellschaft 1979, S. 1083 ff.; Steinbach, H., Die Gesetzesflut, in: DÖD 1978, S. 69 ff.; Vogel, H.l., Zur Diskussion um die Normenflut, in: JZ 1979, S. 321 ff. 116 Giese, F., Verkündung und Gesetzeskraft, in: AöR 76 (1950/1), S. 464 (mit eingehendem rechtsgeschichtlichen Überblick, S. 467-472); Maunz, in: Maunz/ Dürig, Art.82 GG Rdnr. 6 ff.; Maunz, Th./Zippelius, R., Deutsches Staatsrecht, 28. Auf!. 1991, § 37 III 1 c.

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

Werdung der Bürgerschaft auch noch in anderen Fonnen der Integration vollziehe, um Sichtbares herum und in seinem Namen, das nicht in ständigem, planlosem Nonnwechsel allzusehr verunklart werden darf. In diesem Sinne ist "Sichtbarkeit der Staatlichkeit" gerade eine Forderung jenes Verfassungsstaates, der angetreten ist als der "äußerlich unsichtbare" Nachfolger früherer greifbarer - darin aber auch angreifbarer - Herrschaft.

IV. Der Rechtsstaat -

sichtbare Staatsgewalt

Die Bedeutung des Sichtbaren als Machtinstrument der Staatlichkeit läßt sich in jeder Fonn organisierter Gemeinschaft nachweisen. Integrationswirkungen, welche um Greifbares stattfinden, sind auch dem modemen Verfassungsstaat geläufig, auf ihn aber nicht beschränkt. Spezifisch auf ihn bezogen ist dagegen die Frage nach der Bedeutung "sichtbarer Staatlichkeit" gerade im Rechtsstaat.

1. Die Legalität -

vorveröffentlichte Staatlichkeit

Daß das gängige Bild einer vergeistigten Herrschaft unsichtbarer Gesetze der Wirklichkeit ebensowenig entspricht wie der Theorie des Gesetzes, wurde schon in dem vorstehend Dargelegten deutlich - im Gegenteil: Mit der Bindung der gesamten Staatlichkeit an Gesetz und Recht tritt jene nicht aus der Sichtbarkeit in eine Welt vergeistigten Sollens, sie drängt sogar in besondere Fonnen der Evidenz im engsten Wortsinn deutlicher Sichtbarwerdung. Und gerade hier läßt sich diese gewiß nicht allzu klare Kategorie nun noch näher verdeutlichen. Erster und wichtigster Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit ist die Legalität im engeren Sinne, die Bindung der Verwaltung an das Gesetz 117 . Der Verwaltung wird damit der Wille des Gesetzgebers vorgegeben, darin bewährt sich die Gewaltenteilung 118 . Was also die Staatsgewalt später verwirklichen wird, hat bereits vorher die wesentlich öffentliche Phase der Gesetzgebung, wenn auch nur in allgemeiner Fonn, durch117 Jesch, D., Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968; Schmidt-Aßmann, B., Der Rechtsstaat, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 1, 1987, § 24 Rdnr. 58 ff.; Stern (Fn. 102), Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 801 ff. 118 Doehring, K, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. 1984, S. 232 ff.; Maunz/Zippelius (Fn. 116), § 12 III 4; Ossenbühl, F., Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 3, 1988, § 62 Rdnr. 1 ff.

IV. Der Rechtsstaat - sichtbare Staatsgewalt

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laufen; rahmenmäßig ist es in diesem Sinne sichtbar geworden als Äußerung der Staatlichkeit. Auch eine weitere Bedeutung der Legalität wirkt in diese Richtung, daß nämlich in der Gesetzesbindung der Verwaltung auch deren strenge Unterwerfung unter die Gleichheit stets wirksam bleibe, der das Gesetz ja verpflichtet ist 119 ; auch darin kommt eine besondere Sichtbarkeit jeder staatlichen Machtäußerung zum Tragen, weil diese nicht nur in einem Fall, sondern in vielen "gleichen" gleichermaßen - "in Erscheinung treten" muß, für diese bereits Bedeutung hat. Am bedeutsamsten im Sinne einer "Sichtbarwerdung des Staates in der Legalität" ist jedoch bei der Gesetzesbindung der Verwaltung, daß sich diese zentrale Staatsgewalt auf solche Weise gezwungen sieht, sich ausdrücklich zu ihrer Staatlichkeit zu bekennen, zu allen besonderen Formen von gerade deren staats spezifischem Tätigwerden. Nicht zuletzt deshalb flieht ja der Proteus der staatlichen Verwaltung in immer neue Trägerschaften und Handlungsformen, weil er sich auf diese Weise dem Bekenntnis zu seiner Rechtsträgerschaft und zu seiner Handlungsverantwortung entziehen möchte; diese aber ist im Gesetz, das den Staat als Verwaltung bindet, wenn auch nur rahmenmäßig, bereits vor-veröffentlicht, damit nicht nur sichtbar, sondern sogar bereits "vorhersehbar" geworden - eine gesteigerte Form der Sichtbarkeit. In der "Flucht ins Privatrecht,,120 umgekehrt, aus der strengen Legalität des öffentlichen Rechts heraus, entzieht sich der Staat nicht nur der Grundrechtsbindung und der strikten Rückführung seiner Erscheinungsformen und -inhalte auf das Gesetz, er tritt überhaupt nicht als der potentiell stets besonders gefährliche, typische Gegner der Freiheiten des Bürgers auf 121 ; er erscheint, geradezu für die Sicht des Bürgers "verkleidet" , nur mehr als Rechtsträger, nicht als Machtträger. Das politische, stets "weiterreichende " Wollen verschwindet, alles scheint nur auf eine Art von Profit gerichtet, den der Bürger für so begrenzt halten mag, wie es seine eigenen Profitvorstellungen notwendig sind. Die Legalität jedoch will den Staat des offenen Visiers erzwingen, der sich nicht nur als Urheber nennt, sondern sich auch, in jeder Einzelheit seiner Äußerungsformen und -inhalte, zu dieser besonderen Rechtsqualität, und damit auch zu seiner Macht, bekennt - offen, "sichtbar". Die Angabe der Rechtsgrundlage im Verwaltungsakt 122 , der ErmächtiMaunzlDürig, Vorbem. Art. 19 im Gefüge des GG, Rdnr. 10. Mittel staatlichen Handelns, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 3, 1988, § 59 Rdnr. 43; Leisner, w., Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 176, 199 ff. m. weit. Nachw. 121 BVerfGE 7, S. 198 (204 f.); 13, S. 318 (325 f.). 119 Herzog, in:

120 Kirchhof, P.,

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

gungsnormen in der Verordnung 123 hat zuallererst den Sinn der Ermöglichung gerichtlicher Kontrolle. Doch dem voraus noch liegt der Legalitätssinn der Sichtbarwerdung der staatlichen Urheberschaft und der spezifischen Rechtsformen, welche dieser Träger zu beachten hat. Da er als solcher unsichtbar bleibt, wird er ver-öffentlicht in allen Handlungsformen, die nur und gerade ihm eigen sind. Die Gesetzesbindung ist also eine wesentliche Form der Sichtbarmachung von Staatlichkeit, und durchaus nicht nur - worauf allerdings heute der Schwerpunkt liegen mag - im staats beschränkenden Sinn, sondern zugleich auch in dem der Staats rechtfertigung, ja der Erweiterung der Wirksamkeit der Staatstätigkeit: Nicht selten zeigt erst der Blick in das Gesetz dem Anwendenden, was er eigentlich alles vermag, und die Erwähnung der Norm weist dem Betroffenen nicht nur seine Rechte, sondern auch die Berechtigung des Staates; die Vorbehalte beim begünstigenden Verwaltungsakt machen gerade im Einzelfall deutlich, daß sich die Verwaltung ihrer weitergehenden Rechte aus der gesetzgeberischen Vorveröffentlichung ihrer Tätigkeit durchaus bewußt ist. Die Bezeichnung des Verwaltungsrechts als "Sonderrecht" mag nicht in jeder Hinsicht glücklich sein, sichtbar macht sie jedenfalls deutlich die Einmaligkeit dieser öffentlichen Rechtsträger und ihrer besonderen Äußerungen. Es ist, als werde damit die gesamte Staatlichkeit zurückgetragen in jene parlamentarische Sichtbarkeit, aus der das Gesetz kommt. Wenn schließlich der Richter hier zwischen Staat und Bürger entscheidet wie zwischen zwei Gewaltunterworfenen, so tritt auch in dieser Verwaltungsgerichtsbarkeit der Staat für jedermann sichtbar hervor, durch kein Staats- oder Amtsgeheimnis eines Einzelfalles gedeckt. Wie immer auf seiner Grundlage entschieden werden mag - sichtbar macht dieses Recht die Gewalt.

2. Bestimmtheit Eine wichtige modeme Form der Verdeutlichung von Staatsmacht und damit der Sichtbarwerdung des Staates selbst ist der rechtsstaatliche Grundsatz der Bestimmtheit staatlichen Handeins. Ebenso wie die Gesetzesbindung der Verwaltung zielt er zwar in erster Linie auf Beschränkung der Macht, er kann jedoch, durch deren Eindeutig122 Forsthoff, E., Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, Allgern. Teil, 10. Auf!. 1973, S. 243 f.i Maurer, H., Allgern. Verwaltungsrecht, 8. Auf!. 1992, § 10 Rdnr. 15. 123 Forsthoff (Fn. 122), S. 136i Maurer (Fn. 122), § 14 Rdnr. 4.

IV. Der Rechtsstaat - sichtbare Staatsgewalt

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keit, durchaus auch zu ihrer Verstärkung führen. In dieser Ambivalenz ist er, wie die Rechtsstaatlichkeit überhaupt, stets zu sehen, und dies muß dann auch Folgen haben für Phänomene unsichtbarer Staatlichkeit: In ähnlicher Ambivalenz führen sie einerseits zur Machtverstärkung aus erschwerter Kontrollierbarkeit, wie auch, zum anderen, zu einer Verundeutlichung der Staats kräfte , welche eher machtabbauend wirkt. Der Bestimmtheitsgrundsatz, eines der vier klassischen, aus dem Polizeirecht entwickelten Prinzipien 124 allen StaatshandeIns, ist unter ihnen am wenigsten dogmatisch und in der Rechtsprechung vertieft entwikkelt 125 . Faßbar wird er im Gebot der Klarheit der Anordnungsinhalte 126 gegenüber dem Bürger, doch wird man ihn, darüber hinaus, als eine Voraussetzung der Rechtsverbindlichkeit im Rechtsstaat überhaupt ansehen, ihn also etwa auch auf das Gebot deutlich bestimmter Organisationsstrukturen, also auf eine "Organisationsklarheit" ausdehnen müssen 127 . Da die Bestimmtheit als Rechtsprinzip ihre Sanktion im wesentlichen aus der Gerichtsbarkeit erfährt, wird sie in erster Linie als eine Voraussetzung für die judikative Kontrolle faßbar: Der Richter kann nur überprüfen, was klar determiniert ist - also ist auch nur dies im Rechtsstaat rechtlich existent. Dann allerdings stellt sich die Frage, ob hier überhaupt ein Specificum staatlicher Organisation und gerade ihrer Aktivität vorliegt: Auch im Verhältnis zwischen Bürgern ist eine solche Art des Handelns und Forderns unumgänglich; nur über bestimmte Anträge kann der Zivilrichter entscheiden 128. Dennoch sieht man im Bestimmtheitsgrundsatz mit Recht einen besonderen Ausdruck der staatlichen Organisations- und Anordnungsklarheit: Rechtsrelevantes Bürgerhandeln mag sich ebenfalls auf Gesetze gründen, in erster Linie findet es seine rechtliche Basis in der allgemeinen Privatautonomie 129 , in seiner Gestaltungsfreiheit muß es sich nicht im einzelnen auf einen "bestimmten" Gesetzesbefehl zurückfüh124 Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 435 ff.; Knemeyer, F.-L., Polizei- und Ordnungsrecht, 5. Aufl. 1993, Rdnr. 208. 125 Stern (Fn. 102), Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 829 ff.; BVerfGE 1, S. 14 (60); 8, S. 274 (307 ff.); 15, S. 153 (160); 38, S. 61 (83); 49, S. 89 (133); 59, S. 104 (114). 126 Drews/Wacke/Vogel/Martens (Fn. 124), S. 435; Kopp, F., VwVfG, 5. Aufl. 1991, § 37 Rdnr. 4.

127 Immerhin wirkt ja zumindest die Kompetenzordnung rechtlich auch "nach außen", gegenüber dem Bürger (Ossenbühl, F., Rechtsverordnung, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 3, 1988, § 64 Rdnr. 17; Schmidt-Aßmann, E., Der Rechtsstaat, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 1, 1987, § 24 Rdnr. 79). 128 Hartmann, P., in: Baumbach, A./Lauterbach, W./Albers, J./Hartmann, P., ZPO, 51. Aufl. 1993, § 253 Rdnr. 38 ff.; Rosenberg, L./Schwab, K.H., Zivilprozeßrecht, 15. Aufl. 1993, S. 547 ff.

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ren lassen, braucht daher auch insoweit nicht ebenso bestimmt zu sein wie dieser. Der Staat der präzisen Gesetze dagegen muß bestimmt handeln wie diese. Auf sie muß er sich stützen, sein Wille kann nicht in gleicher Weise wie im Privatrecht, insbesondere im Vertragsrecht, aus den konzertierten, abzuwägenden und nach allen Umständen auslegend zu bestimmenden Willens äußerungen der Beteiligten erschlossen werden - wesentlich bleibt das staatliche Recht ein solches der einseitigen Gewalt, selbst wenn es in vertraglichen Formen auftritt 130. Aus dem Wesen dieser gesetzesdeterminierten Einseitigkeit heraus muß es in ganz anderer, weit höherer Form "bestimmt" sein als Willensäußerungen, welche nur privatrechtlich wirken. Vor allem aber steht die Macht des Rechtsstaates unter dem Gebot eines in dubio pro Libertate 131 , welches als Bestätigung und Spiegelbild des Bestimmtheitsgrundsatzes zu erkennen ist: "Graue Zonen", welche zu rechtlicher Unklarheit des rechtlich Gewollten und der Folgen der Handlungen führen könnten, sind im staatlichen Bereich nicht im Wege der Interpretation aufzuhellen, sie gehen voll zu Lasten der Staatsmacht, zugunsten der Bindungslosigkeit des Gewaltunterworfenen. In seinem Interesse wie in dem des staatlichen Handlungsträgers liegt also gleichermaßen eine Bestimmtheit, in welcher der Staat "klar sein Gesicht zeigen muß" . Hier tritt nun im Gebot der Bestimmtheit des Staatshandelns die Staatsgewalt sichtbar hervor, soweit es um ihre Tätigkeit, nicht nur um ihre Organisation geht. Nur der bestimmte, in seinen Inhalten nachvollziehbare Befehl läßt das Gesicht des Anordnunggebers, seine staatliche Identität, in voller Klarheit erkennen; nur dann kann der Gewaltunterworfene die Anordnung auslegen, die Eingriffsgrenzen einigermaßen klar abstecken, wenn in dieser Bestimmtheit selbst der anordnende, eingreifende Staat sichtbar wird, mit allem, was an öffentlichen Interessen, an politischen Bestrebungen nun gerade hinter ihm steht. Je offener Hoheitsgewalt eingesetzt wird, desto höher sind die Anforderungen notwendig an solche Bestimmtheit, erheblich herabgesetzt dann, wenn 129 Larenz, K., Allg. Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, 7. Aufl. 1989, S. 1, 40 f.; Heinrichs, H., in: Palandt, BGB, 53. Aufl. 1994, Überbl. 1 vor § 104 BGB. 130 Maurer (Fn. 122), § 14 Rndr. 8 ff.; WolfflBachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl. 1974, § 44 II. 131 Das ergibt sich schon daraus, daß die Staatsgewalt nur bei Eingriffsennächtigung die Grundrechtssphäre der Bürger beeinträchtigen darf, und es zeigt sich etwa praktisch in der Regelung der objektiven Beweislast im Fall der Anfechtungsklage (EyermannIFröhler, VwGO-Komm., 9. Aufl. 1988, § 86 Rdnr. 5 ff.; Schmitt Glaeser, w., Verwaltungsprozeßrecht, 12. Aufl. 1993, Rdnr. 543 ff.).

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der Hoheitsträger zu weniger fühlbaren Formen indirekter Lenkung übergeht 132 . Hier kann er weithin offenlassen, was er eigentlich will, Finalitäten bleiben sein Geheimnis, über sie mag sich der Subventionsnehmer Gedanken machen, beim Streitfall der Richter, wenn dieser Richter überhaupt so weit geht, eine Prüfung des Staatshandelns an dessen Zielen vorzunehmen. Wenn schließlich das "Antlitz des Staates" sichtbar wird erst oder doch vor allem in seinen hoheitlichen Handlungen, so darf es auch nicht in einer Verwirrung der Gesetzessprache undeutlich werden, welche in ihrer Widersprüchlichkeit mit der Rechtsstaatlichkeit unvereinbar ist 133 . Hier wird der Staat nicht nur inkontrollabel, er versteckt sich hinter seinen eigenen Äußerungen, und nichts anderes geschieht, wenn auch nur an einem wichtigen Punkt offenbleibt, was er wirklich gewollt hat. Staatliche Handlungsbestimmtheit zeigt nicht nur Staatsidentität, sie konstituiert dieselbe. Die bereits erwähnte machtpolitische Ambivalenz der Wirkungen unbestimmten Staatshandelns ist hinsichtlich des Machtverlustes ohne weiteres einsichtig: Was nicht bestimmter Befehl ist, kann weniger an Gehorsam wecken, durch Auslegung unterlaufen, abgeschwächt, ja aufgehoben werden. Doch auch die machtverstärkende Seite der Unbestimmtheit wird rasch sichtbar: Die nicht hinreichend präzisierte Untersagungsbefugnis muß vom Betroffenen "vorsorglich" extensiv interpretiert werden, von der unbestimmten Sperre wird sie zur Sperre des Unbestimmten. Das öffentliche Recht hat sich geradezu in diesem Zentrum entwickelt: in der Domestizierung der Polizeigewalt durch die Gerichtsbarkeit, in den Versuchen der Zurückführung der stets wesentlich weniger bestimmten präventiven auf repressive Maßnahmen 134, welche ihre höhere Bestimmtheit aus der der schon überschaubaren Einzelfall-Taten ziehen, gegen die sie sich wenden. Umgekehrt lag in einer eigenartigen Verbindung über-sichtbarer Majestät mit noch-nicht sichtbarem Imperium sogar weithin das Wesen, die Kraft des vorrechtsstaatlichen Herrschens: Vom goldschimmemden, weit sichtbaren Thron aus der unbestimmte Befehl, die sichtbare Macht mit Wirkungen, die noch im 132 Götz, v., Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, S. 281 ff.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht III, 4. Aufl. 1978, § 154 IV, V. 133 BVerfGE 17, S. 306 (314); 21, S. 73 (79 f.); 49, S. 343 (362); 52, S. 1 (41). 134 Jedenfalls gibt es heute nicht mehr den vorrechtsstaatlichen Vorrang des - unbestimmteren - Präventiven vor der Repression (Berner, G.lKöhler, G.M., Polizeiaufgabengesetz, 12. Aufl. 1991, Art. 11 BayPAG Rdnr. 18; Schwan, E., Die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Regeln des Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfolgungsrechtes von dem des Rechtes der Gefahrenabwehr, in: VerwArch. 70 (1979), S. 109 ff.). 4 Leisner

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Dunkeln bleiben - darin bewahrte die auf dem beleuchteten Staatstheater sichtbare Machtgestalt etwas von ihrem Machtgeheimnis. Doch die Bestimmtheit ist auch zum Machtinstrument geworden, in ihr kommt dem Rechtsstaat der blutleer erscheinenden Norm-SollensBefehle viel an sehr realer Kraft zurück. Die Verwaltung wird hier "in die Befehle gezwungen", und nicht selten damit auch in das Übermaß; wenn sie nichts offenlassen darf, alles auch ebenso bestimmt zu begründen hat, so steht sie immer wieder vor dem Entweder-Oder rechtsstaatlicher Eingriffszwänge, welche ihr privatrechtstypische Nuancierungen versagen. Die" bestimmt" auftretende Staatsgewalt darf gar nicht allzuweit entgegenkommen, wenn sie überhaupt auftreten will. In die weicheren Formen des verwaltungsrechtlichen Vertrages mag sie ausweichen; doch auch dort wird sie der Bestimmtheitsgrundsatz einholen 135 , der eben den Staat, dies zeigte sich schon, mehr und anders bindet als den Privaten, welcher in einer weitgehenden Umbestimmtheit verharren darf - wie seine Privatautonomie. Der Bestimmtheitsgrundsatz ist eine Herausforderung der Rechtsstaatlichkeit an die Staatsrnacht: Offen soll sie ihre Farben zeigen oder die Segel streichen. Der hart-punktuelle militärische Befehl ist nicht mehr das Ideal des staatlichen Herrschens, sein Prototyp bleibt er. In der Bestimmtheit wird die anordnende Gewalt - sichtbar.

3. Überschaubarkeit und Kontrollierbarkeit "sichtbarer" Staatsgewalt

Das "Gesicht des Staates" soll dem Bürger nicht nur in jedem Augenblick, in jeder Erscheinungsform seines Handeins stets deutlich sein, er soll seinen Ausdruck geradezu "vorhersehen " können, in die Zukunft hinein, in den vertrauenschaffenden Forderungen der Überschaubarkeit und Berechenbarkeit aller Staatsgewalt, welche allein zu ihrer Kontrollierbarkeit führen kann. Diese laufend verwendeten Begriffe zeigen bereits, daß hier ein Sichtbarkeitsproblem sich stellt 136 , eine über die Gegenwart hinaus gesteigerte Deutlichkeitsfrage an die Identität des Unsichtbaren Staates. Nun steht dies zwar in einem letztlich nicht auflösbaren Gegensatz zu jener demokratischen Dynamik des Volkswillens, welche dem Bürger das Vertrauen auf die gegenwärtige Gesetzeslage verbieten will 137 . Die (Fn. 78), § 37 VwVfG Rdnr. 3. in: Maunz/Dürig, Art. 20 Anm. VII Rdnr. 57 ff.; Maunz/Zippelius (Fn. 116), § 12 I 1. 135 Kopp

136 Herzog,

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weitgehende Beschränkung des Rückwirkungsverbots auf die "echte Retroaktivität" läßt es zu, daß der Staat dem Bürger täglich ein neuesund oft wieder ein altes - Gesetzes-Gesicht zeigt. Was nicht vorhersehbar ist, bleibt für die - stets entscheidende - Zukunft unsichtbarj eine Staatsgewalt, welche in plötzlicher Machtüberraschung aus diesem Dunkel tritt, um alsbald wieder in die Unbeachtlichkeit einer Vergangenheits-Dämmerung zurückzufallen, liegt nicht in der klaren Sichtbarkeit aufrechterhaltener Traditionen. In seinen Übergangsbestimmungen138 diktiert der Rechtsstaat letztlich dem Bürger, was er an Staatlichkeit voraussehen, was ihm daher letztlich von ihr sichtbar sein soll, will er nicht, bildlich gesprochen, seine Augen nur auf dem Rücken tragen, in die Vergangenheit richten. Die Kritiker der Normflut 139 - besser sollte man von Normgezeiten sprechen - haben klar erkannt, wieviel an Rechtsstaatlichkeit der Staat der Gesetze hier geopfert hat, früheren Ordnungen gegenüber, in denen etwa der Monarch der sichtbare Garant von ihm und seinen Vorfahren erlassener Gesetze war, welche er gerade in seiner sichtbaren Person ebenfalls in auf Zeit bleibende Sichtbarkeit hinaufhob. So mag denn die rechtsstaatliche Überschaubarkeit und Berechenbarkeit staatlicher Machtäußerungen mehr Staatsprogramm sein als wirksames Rechtsprinzip, und dies alles beweist sicher, daß der Rechtsstaat mit seiner normativen Spiritualisierung des Herrschens auch viel von dessen Sichtbarkeit opfern mußte. Doch umgekehrt erweist sich auch gerade hier die rechts staatliche Bedeutung sichtbarer Staatlichkeit. Bei ihren traditionellen Kernerscheinungen wird Berechenbarkeit gewahrt, Kontrollierbarkeit schließt sich anj die uniformierte, sich ausweisende Polizei wird in ihren Aktionen stets ganz anders nicht nur überschaubar, sondern vorhersehbar sein als jede Form von Geheimdiensten 140 - ein entscheidendes Argument für die Rechtsstaatlichkeit staatlicher Uniformen. Hoheitszeichen bedeuten, daß "hier Staat ist", sichtbar, überprüfbar, daß er aber auch nicht von anderswoher droht, in unvorhersehbarem Einsatz. Die Bestandskraft des Eingriffsaktes zeigt den Staat mit Brief und Siegel, in seiner endgültigen Macht, 137 BVerfGE 13, S. 261 (271); 18, S. 429 (439); 32, S. 111 (123); 50, S. 177 (193 f.); Maurer, H., Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 3, 1988, § 60 Rdnr. 11 ff. 138 Badura, P., Staatsrecht, 1986, F 58, L 2. 139 Vgl. die Nachw. unter Fn. 115. 140 Brenner, M., Bundesnachrichtendienst im Rechtsstaat - zwischen geheimdienstlicher Effizienz und rechtsstaatlicher Kontrolle, 1990; Rieger, T., Der BND im demokratischen Rechtsstaat, 1986; Schimpft, Th., Die rechtliche Stellung der Nachrichtendienste, Diss., Frankfurt/M. 1990, S. 63 ff.

4 •

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aber auch in deren Grenzen; die selten berechenbaren, kaum je überschaubaren Wirkungen indirekter staatlicher Lenkung werden erst in dem Verhalten der Geförderten sichtbar, welches ihre Effektivität vermittelt, wirklich überprüfbar sind sie als staatliche Machtäußerungen kaum. Unkontrollierbar wird die Staatsgewalt dort, wo sie sich in solcher Weise hinter dem Bürger versteckt, wo im wesentlichen nur er sichtbar ist, in seinen privaten, geschäftlichen Erfolgen, welche dem Staat nicht unmittelbar zugerechnet werden, für welche er nicht einmal offen die Verantwortung zu übernehmen hat. Die Folge kann nur sein: Die in solcher öffentlicher Förderung wenig oder gar nicht sichtbare Staatlichkeit kann kaum als solche unmittelbar, sie wird und muß daher indirekt "über das Bürgerverhalten ", in ihm, überwacht werden; und dies dient dann den Rechnungshöfen zur Legitimation ihrer "staatlichen Rechnungsprüfung Privater,,141. Wo immer also der Staat, trotz der Wahrheitsforderungen der Rechtsstaatlichkeit, aus der Sichtbarkeit seiner Rechtsträgerschaft und seiner Machtäußerungen fliehen kann, geht die "Legalität des offenen Visiers" nicht nur verloren, die Kontrollanstrengungen degenerieren sogar noch zur Überwachung jenes Bürgers, hinter dem sich "sein" helfender Staat geschickt versteckt. Die Rechtsstaatlichkeit kann also nur eines fordern: maximale und optimale Sichtbarkeit staatlicher Organisationen und der gesamten von ihnen ausgehenden Staatstätigkeit, damit diese den besonders strengen Formen öffentlich-rechtlicher Gerichtskontrolle unterworfen werden oder damit sie solcher gar nicht bedürfen, in einer Demokratie, welche auf sie das kritische Auge der Öffentlichkeit aber nur dann zu richten vermag, wenn sie auch als solche offen in Erscheinung treten.

4. Sichtbarkeit -

staatlicher Machtgewinn auch im Rechtsstaat

In der auf Freiheitsgewinn fixierten Betrachtung der Rechtsstaatlichkeit wird diese vor allem als Gewaltbeschränkung verstanden; die Legalitätsforderung nach möglichst sichtbarer Staatsgewalt ist daher in erster Linie so zu deuten, daß damit deren Beschränkung, vielleicht nur sie, erreicht werden so1l142. Dies könnte wiederum zu dem Kurzschluß führen, "sichtbare Staatlichkeit" sei jedenfalls im Rechts141 Zu deren Problematik, vgl. Leisner, w., Staatliche RechnungspfÜfung Privater, 1990 m. Nachw. 142 Badura (Fn. 138), D 44; Stern (Fn. 102), Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 93.

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staat von vornherein nur Machtabbau, nie Machtgewinn, weil ein solcher durch die rechtsstaatlichen Kontrollen sogleich wieder aufgehoben werde. Darin könnten sich nun aber jene bestätigt fühlen, welche vor allzuviel offener Machtausübung, ja vor der Sichtbarkeit des Staatlichen überhaupt, deshalb warnen, weil auf diese Weise auch das erforderliche Minimum an Ordnungskraft nicht mehr gewährleistet sei, die eben nicht immer im rechtsstaatlichen Rampenlicht stehen dürfe. Leicht kann sich dies sogar zu einer grundsätzlichen Befürwortung von Formen der Kryptogewalt steigern, mag sie auch kaum je offen sich zeigen, in der Wirklichkeit gerade der Verwaltung hat sie sicher ihren Platz. Andererseits nährt die Vorstellung einer mit der machtbeschränkenden Rechtsstaatlichkeit eng verbundenen, notwendig vorgegebenen Sichtbarkeitstendenz aller Staatsgewalt die Illusion, es genüge bereits, Staatlichkeit sichtbar werden zu lassen, darin allein werde sie in rechtsstaatlichen, mehr noch: in demokratischen Kontrollen von allen Seiten relativiert, letztlich abgebaut. Diese Untersuchung ist von der machtpolitischen Ambivalenz der Sichtbarkeitskategorie ausgegangen, dies soll auch hier nochmals, aus der Sicht der Rechtsstaatlichkeit, betont werden: Der Rechtsstaat fordert die sichtbare öffentliche Gewalt nicht nur, um sie dann sogleich zu beschränken, aus seiner Sicht, mit dem Einsatz seiner Kategorien, kann sich hier durchaus auch ein Machtgewinn, eine Gewaltverstärkung ergeben. Mit anderen Worten: Sichtbarkeit ist nicht schon deshalb "gut oder schlecht", weil sie "immer weniger Staatsgewalt" bringt oder "nicht genug von dieser" gewährleistet. Rechtsstaatliches Denken fordert die Sichtbarkeit der Macht - zu ihrer Beschränkung, aber auch zu ihrer Wirksamkeit 143 . Dies letztere mag nicht auf der Hand liegen, es läßt sich dennoch erweisen und damit aufzeigen, daß Sichtbarkeit auch im Rechtsstaat ein effektives Herrschaftsinstrument ist, auf das sich die Staatlichkeit stützen kann, und daß wahre Macht nicht nur in ihrem Gegenbild, der Kryptogewalt, gefunden werden kann. Hier sind allerdings Überlegungen anzustellen, welche die üblichen Bahnen der rechtsstaatlichen Dogmatik verlassen und gerade dem Praktiker der Verwaltung auf den ersten Blick wenig einleuchten mögen, nicht zuletzt deshalb, weil sie als solche nicht in gerichtlichen Erkenntnissen ausgesprochen werden können - doch sie stehen hinter diesen.

143 In diesem Sinn ist Effektivität - oder "Effizienz" - durchaus auch ein Kriterium rechtsstaatlicher Verwaltung (LecheIer, H., Verwaltungslehre, 1988, S. 234 f.; Thieme, w., Verwaltungslehre, 4. Auf!. 1984, Rdnr. 156,424).

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Die Rechtsstaatlichkeit wirkt nicht nur dadurch als Befestigung der öffentlichen Gewalt, daß sie deren Träger in eine Sichtbarkeit zwingt, welche Einschüchterungswirkungen hervorruft. Die Verfestigung der Staatsmacht durch "Evidenz" zeigt sich vor allem etwa in folgenden Effekten: - Rechtsstaatlichkeit zwingt zum Aufbau und zur Unterhaltung eines umfangreichen Behördenmechanismus und eines zahlenstarken Beamtenapparats, dessen Schwerfälligkeit oft beklagt wird. Doch dies alles bringt nicht nur, wie in der Betrachtung des Föderalismus betont 144 , die vielberufenen Reibungsverluste; um die Staatlichkeit dennoch funktionsfähig zu erhalten, muß dann eben ihr Apparat immer weiter verstärkt werden, zuallererst in der Rekrutierung rechtlich geschulten Personals, aber auch weit darüber hinaus, bleibt doch das Staatshandeln nur dann einigermaßen bestimmbar und berechenbar, genügt es nur dann den strengen Anforderungen der Rechtsstaatlichkeit, wenn auch andere Spezialisten eingesetzt werden, die Staatlichkeit selbst zur hochtechnisierten Spezialistenorganisation sich entwickelt 145 . Der ständige Begründungszwang, gegenüber dem Bürger, und sodann vor den Gerichten, führt zu einer entscheidenden Qualitätssteigerung beim staatlichen Personal, insbesondere im Bereich der Beamtenschaft, wo dies im Grundsatz unbestritten ist. Die geistige Überlegenheit der Staatsorgane, welche sich alsbald im Umweltschutz auch gegen die Interessen des Bürgers wenden und weitestgehend wohl durchsetzen wird, bringt nicht nur sichtbar mehr an Staatsapparat, sie steigert sogleich dessen Qualität, damit aber auch Herrschaftsfähigkeit - ein Effekt, an den die Bürokratiekritik wohl zuwenig denkt. Im Ancien Regime stand eine aristokratisch beherrschte Staatsmaschinerie von oft durchaus bescheidenen geistigen Qualitäten am Ende einer Volksmacht gegenüber, welche von der breiten bürgerlichen Spitzenintelligenz des Landes befehligt und bald, von Napoleon an, wirkungsvoll verwaltet wurde. Ihr gegenüber konnte sich nach 1815 die Restauration nicht mehr durchsetzen. Der damals zuerst in Breitenwirkung sichtbare Staat der Legalität - wenn auch noch nicht der deutsche "Rechts144 Maunz/Zippelius (Fn. 116), § 14 II 3 f; Frenkel, M., Föderalismus und Bundesstaat, Bd. I Föderalismus, 1984, Rdnr. 431 ff., 521 ff. 145 Neuerdings zeigt sich dies etwa in einer bemerkenswerten "Biologisierung des Umweltrechts " oder in der immer größeren Bedeutung der "technischen Standards" im Immissionsschutzrecht (Bender, B.lSparwasser, R., Umweltrecht, 1988, S. 57 f.; Hoppe, W./Beckmann, M., Umweltrecht, 1989, S. 405; Rengeling, H.-W., Der Stand der Technik bei der Genehmigung umweltgefährdender Anlagen, 1985).

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staat" - hat die französische Verwaltung hoch qualifiziert und ihre Herrschaftsfähigkeit gerade darin entscheidend gesteigert, in der sichtbar durch Hoheitszeichen, Brief und Siegel vervielfältigten Staatlichkeit. Und hier liegt übrigens eine Schnittstelle der Verwaltungslehre, als einer Vertiefung des organisatorischen Staatsrechts, mit der Dogmatik des Rechtsstaats 146 . - Der Rechtsstaat zwingt die Verwaltung vor die Gerichte; doch wo diese ihre Akte bestätigen, verleihen sie der Administration damit zugleich die im Rechtsstaat höchste Weihe der Rechtskraft. Daß sie der allein durch Zeitablauf eintretenden Bestandskraft der Verwaltungsakte etwas Wesentliches hinzufügt 147 , kann selbst dann nicht zweifelhaft sein, wenn die Verwaltung auch bei Rechtskraft berechtigt bleibt, unter ähnlichen Voraussetzungen ihre Entscheidungen zurückzunehmen oder abzuändern. Unzweifelhaft wird durch die gerichtliche Bestätigung den Verwaltungsakten eine Legitimationsverstärkung zuteil, welche der Administration weit stärker zugute kommt, als sie es wohl selbst in vielen Fällen erkennt. Abgesehen davon, daß die gerichtliche Bestätigung auch als ein Schutz der "niederen", "technisch-unpolitischen" Verwaltungsinstanzen wider gegenläufige Anordnungen aus dem politischen "Regierungsbereich" dienen mag - was der Richter bestätigt hat, muß und wird so leicht nicht "von oben" verändert werden 148 - es vollzieht sich hier innerhalb des Staatsorganbereichs auch eine psychologisch sicher nicht zu unterschätzende Bewußtwerdung eigener Macht-Legitimität. Dem Bürger gegenüber aber verstärkt sich die Richtigkeitsvermutung der so in gerichtlicher Sichtbarkeit bestätigten Staatsakte, denen die Gerichtsöffentlichkeit erhöhte Sichtbarkeit verleiht. Zur legitimierenden Qualifikation der Verwaltungsbeamten tritt schließlich noch die Begründungskraft einer weiteren sachkundigen, bestätigenden gerichtlichen Instanz. Politischer Widerstandswille der Gewaltunterworfenen aber sieht sich dort entmutigt149, wo die Unabhängigkeit der Verwaltungs gerichte "Herrschaft zum Recht hat 146 Stichwort ist hier die Qualitäts-(Ausbildungs)Anforderung an das moderne Verwaltungspersonal, vgl. Lecheler (Fn. 143), S. 201 ff.; Thieme (Fn. 143), Rdnr. 660. 147 Kopp, F., VwVfG, 5. Aufl. 1991, Rdnr. 20, 23 f. vor § 35; ders., VwGO, 9. Aufl. 1992, § 121 Rdnr. 1 ff. 148 "Nichtanwendungserlasse" stehen auf dem Absterbeetat, vgl. dazu Leisner, w., Die allgemeine Bindung der Finanzverwaltung an die Rechtsprechung, Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler, Heft 48, 1980. 149 Kröger, K., Widerstandsrecht und demokratische Verfassung, 1971, S. 8 ff.; vgl. allg.: Isensee, J., Das legalisierte Widerstandsrecht, 1969; Schneider, H., Widerstand im Rechtsstaat, 1969.

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werden lassen" - diese Verbindung von Sachverstand und Unabhängigkeit wirkt gerade in der Verwaltungs gerichtsbarkeit, wo darauf besonderer Wert zu legen ist, eindeutig legitimitäts-, damit aber in einer Demokratie herrschaftsverstärkend: durch verfahrensmäßig potenzierte Sichtbarkeiten der Staatlichkeit. - Die Rechtsstaatlichkeit zwingt die Verwaltung nicht nur vor die Schranken der Gerichte, sie" treibt sie auch ins System" , in der erforderlichen Rückbindung an die notwendig stärker als die Verwaltungsentscheidung systematisch konzipierten Gesetze. Damit wird die Verwaltung von einer punktuell, nicht selten zufällig zuschlagenden Staatsgewalt - und dies hat ja die härteste Kritik an ihr, die des "Arbiträren", der Willkür einst begründet - zu einer systematischen, der Gleichheit entsprechenden Staatstätigkeit - die aber gerade darin ihre Macht entscheidend steigern kann, daß sie nun eben überall sein, alle Bürger gleichmäßig treffen muß. Dieser "Zwang zum System" bindet den Gesetzgeber nicht in gleicher Weise 150 - die Verwaltung aber unterliegt weitgehend dieser Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit; sie wird darin zugleich sichtbar, durchschaubar - und auch stärker in der doppelten "Systemwirkung": einerseits durch die Begrundungskraft der Folgerichtigkeit, zum anderen in der Entdeckung neuer Aktionsräume, welche ihr der Blick auf das rechtsetzende Gesetz erst bewußt macht. Der mit der egalitären Reclitsstaatlichkeit notwendig einhergehende Durchsetzungszwang schließlich 151 kompensiert weitestgehend einen Machtverlust, den die Gesetzesbindung ausgelöst hatte. Wieder aber ist dies eine Form der Sichtbarmachung der Staatlichkeit: "Sichtbar" werden deren gesetzliche Äußerungen eben in der systematischen Durchsetzung der Normen. - Die Verfassungsgerichtsbarkeit gilt mit Recht als die höchste Steigerung der Rechtsstaatlichkeit 152 . Doch gerade sie ist ständig, nur zu oft geradezu ängstlich, nicht nur auf Erhaltung der Staatsmacht, sondern sogar auf deren Erweiterung bedacht. Die Grunde mögen nicht zuletzt in der vergleichsweisen politischen Schwäche der wenigen Richter gegenüber der Macht der massierten Volksvertreter liegen; 150 Zur "Systembindung" des Gesetzgebers im Verfassungsstaat vgl. Degenhart, Chr., Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976; Peine, F.-J., Systemgerechtigkeit, 1985; Stern (Fn. 102), Bd. I, 2. Auf!. 1984, S. 837 f. 151 Vgl. neuerdings dazu BVerfG (E 84, S. 239 ff. - Zinsbesteuerungsurteil).

Überdies greift hier auch weitgehend die Sanktion der Rechnungsprüfung ein. 152 ErmacoTa, F., Der Verfassungsgerichtshof, 1956, S. 8; Stern (Fn. 102), Bd. I, 2. Auf!. 1984, S. 788, 843 f. und Bd. H, 1980, S. 954 f.

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diese letztere und die ebenso massierte Macht der parlamentarisch kontrollierten Großbürokratien gewinnt daraus bedeutsame Machtverstärkung, daß laufend die "weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers" in den Gerichtsurteilen hervorgehoben wird, ohne daß je juristisch zu definieren wäre, wie weit diese nun reicht, selbst dann nicht, wenn dies mit Beiworten wie "besonders" noch unterstrichen wird 153 . Die herausgehobene Institution des Verfassungsgerichts, das große juristische Staatstheater der Staatsprozesse, die vor ihm ablaufen, heben in ganz besonderer Weise die "unsichtbaren Gesetze" in die Sichtbarkeit der existenten und zugleich wirksamen Staatlichkeit. Erst spätere zusammenfassende Betrachtung wird vielleicht einmal Bilanz ziehen, ob damit im Ergebnis mehr für die Freiheit, ihre Erweiterung, Legitimation, durch die "Sichtbarmachung" der Staatsmacht getan worden ist. Gerade die Schranken der Grundrechte, welche so oft, etwa bei der Ausgestaltung des Eigentums durch den Gesetzgeber, nur als "so feme" aufgezeigt werden 154 , mögen die Staatsgewalt geradezu herausfordern, immer wieder bis an eben diese Grenzen zu gehen, selbst wenn ihr das Verfassungsgericht nicht sogar noch ausdrücklich sagt, was ihr noch alles gestattet ist. Diese Institution hat bewiesen, daß den juristisch im politischen Bereich Entscheidenden eine erstaunliche, den Vertretern herkömmlicher Staatsgewalt oft durch tägliche Betriebs- und Machtblindheit verschlossene Machtphantasie eigen sein kann 155 . Haben nicht überhaupt rechtliche Grenzen stets die machtverstärkende Nebenwirkung, daß man sich innerhalb ihrer ganz offen - eben "sichtbar", bewegen darf? Staatliche Sichtbarkeit kann, alle ihre geschichtlichen Phänomene zeigen es, stets nur eine begrenzte sein, nur in Schranken kann sie wirken, auf dem umhegten Raum der Staatsbühne; Schrankenziehungen können daher auch einen Bühneneffekt hervorrufen - in machtverstärkendem Staatstheater. Rechtsstaatlichkeit bedeutet Rationalisierung der Staatlichkeit in dem doppelten Sinne des Wortes, wie ihn bereits die Aufklärung entfaltet hat: Einerseits in der Begrenzung auf das "Rationelle" der Machtausübung, zum anderen in der Vergeistigung eines vernunftdurchwirkten Machteinsatzes. In beiden Richtungen aber vermag Rationalisierung durchaus machtverstärkend zu wirken, in der ersteren als Konzentration

153 BVerfGE 13, S. 39 (43); 24, S. 203 (215); 27, S. 253 (270, 283); 41, S. 126 (150, 153); BVerfG NJW 1991, S. 1597 (1600). 154 BVerfGE 25, S. 112 (117 f.); 50, S. 290 (340 f.); 52, S. 1 (29 f.). 155 Diese zeigt sich etwa dort, wo dem Gesetzgeber Gestaltungsmöglichkeiten beispielhaft aufgezeigt werden (BVerfGE 77, S. 308 (337); 78, S. 350 (363)).

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

auf das Wesentliche, im zweitgenannten Sinn in der gesteigerten rationalen Begründung und damit Unwiderstehlichkeit der Macht. Beide Bewegungen vollziehen sich auch in Richtung auf eine Sichtbarwerdung, eine Evidenz der Staatlichkeit im eigentlichen Wortsinn: Nur das "voll Rationalisierte" tritt überzeugend und entschieden vor den Blick des Bürgers, wird für ihn "geistig voll sichtbar", und eine begründungsstarke Staatlichkeit bedarf mancher äußerlicher Zeichen gar nicht mehr, wenn sie deren einschüchternde Wirkungen auf den Betrachter durch etwas wie innere "zwingende Evidenz" zu ersetzen vermag. Es ist kein Paradoxon: Der Rechtsstaat ist die Staatsform, welche die Staatsgewalt in der Unsichtbarkeit ihrer Normen, Systeme und Kontrollen "geistig sichtbar werden" läßt. Für den Sichtbarkeitsbegriff jedoch bringt dieses Kapitel die Erkenntnis, daß er zwar zur Erfassung der äußeren, der physischen Wahrnehmbarkeit zuallererst taugt, daß er darüber hinaus jedoch wenigstens insoweit erweitert werden muß, hinein in die Räume einer geistigen, rational wahrnehmbaren Evidenz, als diese dann letztlich doch auch wieder zurücklenkt in auch "äußerlich" faßbare Phänomene, von der allgegenwärtigen Großbürokratie bis hin zur Gerichtssitzung im Staatsprozeß.

v. Öffentlichkeit: Sichtbarkeit der Staatsgewalt 1. Öffentlichkeit als Rechtsprinzip aller Staatlichkeit

Ausdrücklich ist ein Grundsatz der Öffentlichkeit, nach welchem alle Staatsgewalt, von jedermann wahrnehmbar, auf jeweils einen "sichtbaren" Träger der Hoheitsgewalt zurückführbar sein und dessen Tätigkeit in all ihren Phasen in einer ebenso allgemein wahrnehmbaren Form ablaufen müßte, im Verfassungsrecht der Demokratie nicht verankert. Dieses kennt vielmehr gewisse traditionelle Öffentlichkeitsformen, im Bereich der Gerichtsbarkeit, vor allem aber hat es für die Erste Gewalt eigenartige, inzwischen ebenfalls bereits herkömmliche Publizitätsformen entwickelt. Für die Verwaltung, den "großen, zentralen Rest" der Staatsgewalt, gilt jedoch, nach wie vor, ein allgemeines Öffentlichkeitsprinzip nicht, es müßte auch, schon zur Sicherung der Bürgerinteressen, durch weitreichende Geheimhaltungsverpflichtungen durchbrochen werden. Allzuviel scheint sich also hinsichtlich der "Staatsöffentlichkeit" gegenüber früheren, ja sogar "vordemokratischen" Zuständen auch in der gegenwärtigen Demokratie nicht verändert zu haben; und doch wird ganz allgemein in stillschweigendem Konsens, im übrigen mit Selbstverständlichkeit davon ausgegangen, daß "Öffentlichkeit" ein

V. Öffentlichkeit: Sichtbarkeit der Staatsgewalt

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Wesenszug nicht nur moderner Staatstätigkeit, sondern gegenwärtiger Staatlichkeit überhaupt ist 156 . In der Tat läßt sich dies im Wege einer vielfach abgestützten Rechts-, ja sogar einer wahren Verfassungsanalogie aus vielfachen, nur zum Teil neuartigen, jedenfalls aber neuartig interpretierten herkömmlichen Verfassungsbestimmungen zusammenfassend erschließen. Alle diese Bestimmungen zielen auf die Herstellung einer Öffentlichkeit im Sinne möglichst eindeutiger Wahrnehmbarkeit aller Staatstätigkeit, nicht nur des Einsatzes der Hoheitsgewalt, und nicht allein der Entscheidungen als solcher, in welcher Form immer sie getroffen sein mögen, sondern von deren gesamter Entstehung, ja ihrer politischrechtlichen Motivation 157. Dahinter steht, wie selbstverständlich, daß auch die staatliche Trägerschaft als solche in dieser Öffentlichkeit steht, so daß dem Bürger klar wird, welcher juristischen Person dies alles zuzurechnen ist, von welchem ihrer Organe derartige Handlungen und Unterlassungen gesetzt werden. a) Medienrechte: Zwang des Staates in die Öffentlichkeit

Sichtbarkeit der Staatsgewalt im eigentlichen, engsten Sinne der klaren, möglichst physischen Wahrnehmbarkeit soll also gewährleistet sein, und die modemen Medien stellen sie, in den wichtigsten Bereichen, im wahren Wortsinn her. Im Fernsehen ist diese Sichtbarkeit seit langem weit mehr schon als eine Möglichkeit, der Staat drängt sich, in oft aggressiver Weise, in seinen wesentlichen rechtlich-politischen Äußerungen und Selbstdarstellungen dem Bürger der Demokratie geradezu in dieser seiner Sichtbarkeit auf. Entscheidender rechtlicher Ausgangspunkt für die Schaffung dieser Tatsachenlage ist dabei zunächst das Grundrecht des Bürgers auf Information. Sie werden nicht so sehr von ihm selbst wahrgenommen, erstritten, etwa in dem als Bürgerrecht einigermaßen unterentwickelten Bereich der Informationsfreiheit l58 . Vielmehr sind es die Medienträger 156 Ermacora, F., Allgemeine Staatslehre, 1925 (Neudruck 1966), S. 690 f.; Zippelius, R., Allgemeine Staatslehre, 11. Aufl. 1991, § 23 II 6, § 28 III 3.

157 Dies ist der tiefere Sinn jener "Verfahrensöffentlichkeit" , welche auch schon, an nicht unwichtigen Stellen, Eingang in das Verwaltungsverfahrensgesetz gefunden hat; Kopp, F., VwVfG, 5. Aufl. 1991, § 73 Rdnr. 16 ff, 55 ff.; Kühling, J., Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Fachplanungsrecht, in: DVBl. 1989, S. 221 (227 f.); Ronellenfitsch, M., Die Planfeststellung, in: VerwArch. 80 (1989), S. 92 (101 ff.). 158 Herzog, in: MaunzlDürig, Art. 5 Abs. I, 11 Rdnr. 81 ff.; Klein, F., in: SchmidtBleibtreu/Klein, Komm. zum GG, 7. Aufl. 1990, Art. 5 Rdnr. 6.

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

mit ihren Rechten, allen voran die Presse, welche in der Durchsetzung ihres Öffentlichkeits anspruchs 159 zu einer entscheidenden Entschleierung der Staatstätigkeit beigetragen haben. Hier ist sogar die traditionell verdeckte Staatsgewalt der Administration in weiten Bereichen sichtbar geworden. In Lehre und Rechtsprechung zum Öffentlichkeitsanspruch der Medien finden sich die eigentlichen verfassungsrechtlichen Grundlagen, aus denen heraus sich diese wahrhaft neue Sichtbarkeit der Staatsgewalt durchsetzen konnte. Entscheidend ist eben, daß die Berichts- und Wertungsfreiheit Privater mit grundrechtlichem Anspruch die Staatlichkeit ans Licht ziehen darf; deren Verpflichtung, dem zu entsprechen, wird dann wie selbstverständlich anerkannt, auch wenn sie als solche in keiner Verfassungs bestimmung sich findet, oder dort, wo sie für staatsähnliche Organe, wie die Parteien, ausschließlich verankert ist, doch weitgehend in der Praxis leerläuft 160 . Die Medien als "Veröffentlichungs-Organe" der Staatlichkeit dürfen sich, eben deshalb, geradezu auf die Erfüllung einer "öffentlichen Aufgabe,,161 berufen - rein sprachlich wird damit eine Brücke geschlagen zwischen dem "Öffentlichen" im Sinne des allgemeinen Interesses und der "Öffentlichkeit" im Sinne der Sichtbarkeit, einer klaren Wahmehmbarkeit, welche diesen Allgemeinbelangen eigen sein muß; den Staat als Träger des "öffentlichen Rechts" kann es eben nur "in der Öffentlichkeit" geben - vom ius publicum zum "publiken Recht".

b) Der rechtliche Drang in die "Öffentlichkeit": Notwendigkeit der Wahldemokratie

Dem Staat, insbesondere der politisch bestimmten Hoheitsgewalt gegenüber muß aber diese gesteigerte Medien-Öffentlichkeit heute in der Regel gar nicht mehr rechtlich erzwungen werden; daher ist dies auch nur mehr in vergleichsweise wenigen Fällen ein rein öffentlich-rechtliches Auskuntts-, in weitaus zahlreicheren dagegen ein Problem der Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Staatsausküntte 162 , darin aber nicht selten eigentlich ein Streit zwischen Privaten. Denn der 159 Jerschke, H.-U., Öffentlichkeitspflicht der Exekutive und Inforrnationsrecht der Presse, 1971, S. 168 ff.; Sobotta, J., Das Infonnationsrecht der Presse, Diss., Bonn 1972, S. 65 ff. 160 Klein (Fn. 158), Art. 21 Rdnr. 16; Maunz, in: MaunzlDürig, Art. 21 Rdnr. 78 ff. 161 Bullinger, M., Freiheit von Presse, Rundfunk, Film, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 6, 1989, § 142 Rdnr. 67 ff.; Herzog, in: MaunzlDürig, Art. 5 I, II Rdnr. 119 ff. 162 BVerfG NJW 1988, S. 403; BVerfG BayVBl. 1988, S. 431 f.; BVerwGE 59, S. 319 (325).

V. Öffentlichkeit: Sichtbarkeit der Staatsgewalt

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"Staat" und seine Organe setzen einer derartigen Ver-Öffentlichung schon deshalb meist rechtlichen Widerstand nicht entgegen was nicht ausschließt, daß andere, rechtlich schwer faßbare Widerstände dort aufgebaut werden - weil diese Medien-Sichtbarkeit nur die notwendige Folge der Wahl- und Mehrheitsdemokratie ist. Der Staat der Volkssouveränität hat nicht nur den Willen der Bürger zu vollziehen, er ist im letzten nichts anderes als ihre Verkörperung; daher muß er ihnen ständig sichtbar gegenübertreten, um seine Legitimationen durch ihre Wahlentscheidungen werben, sich ihrer Kritik stellen im Hinblick auf künftige Entscheidungen, ihren Gehorsam mehr durch Überredung als durch Zwang ständig erneuern 163 . All dies kann nur durch die vielberufene "Bürgernähe" geschehen, welche zuallererst eines verlangt: deutliche Sichtbarkeit der Staatlichkeit, eben in "Sichtweite" zum kritisch betrachtenden Gewaltunterworfenen. Rechtsgrundsätzlich gesehen ist also diese Öffentlichkeit, in welcher sich die Demokratie bewegt, vor allem anderen eine unmittelbare Folge der Wahl-Demokratizität; und rechtsmethodisch wird hier, in teleologischer Auslegung, aus der Notwendigkeit des "Funktionierens,,164 der demokratischen Wahlmechanismen die rechtliche Forderung abgeleitet, es müßten auch deren tatsächliche Voraussetzungen gewährleistet sein 165 . Da dies, wie es scheint, garantiert werden kann, ohne daß dabei allzuviel an Gütern umverteilt werden müßte, braucht gar nicht vertieft darüber nachgedacht zu werden, daß eine derartige "Verfassungsauslegung nach dem Funktionieren-Müssen von Verfassungsinstitutionen" , auf die Grundrechte übertragen, durchaus auch in die Nähe der Forderung nach Sicherung der "realen Grundlagen der Freiheit" 166 geraten kann, was ja, über die Sozialstaatlichkeit, zum Teil schon zu massiven materiellen Umverteilungseffekten geführt hat. Wie dem auch sei - "reale" notwendige Grundlagen ihrer Existenz kennt jedenfalls die Wahl-Demokratie der wechselnden Mehrheiten durchaus, zuallererst gehört dazu die Sichtbarkeit der Staatsgewalt "in der Öffentlichkeit". Diese wird um so selbstverständlicher hergestellt und ständig erweitert, als die Staatlichkeit hier dem Bürger und seiner Freiheit nicht jenen typischen Hoheits-Widerstand entgegensetzt, der 163

BVerfGE 63, S. 230 (242 ff.); BVerwG NJW 1991, S. 1770 ff.

LecheIer, H., "Funktion" als Rechtsbegriff? in: NJW 1979, S. 2273 ff.; sowie neuerdings Lerche, P., "Funktionsfähigkeit" - Richtschnur verfassungsrechtlicher Auslegung, in: BayVBl. 1991, S. 517 ff. 164

165 Typisch in den Urteilen zur Regierungskritik an radikalen Parteien und Sekten, BVerfGE 40, S. 287 (290 ff.l; 57, S. 1 (5 ff.l; BVerwG NJW 1991, S. 1770 ff. 166 Häberle, P., Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), S. 43 (55 ff.).

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A. Unsichtbarkeit und Untühlbarkeit

bei anderen Grundrechten ständig überwunden werden muß; dort kann sie meist nur gegen eine Freiheit regieren, welche ihr Schranken setzen will, hier kommt ihr die eigentliche Herrschaftskraft gerade aus dem, was auch für den Bürger sogar noch ein Freiheitswert zu sein scheint: aus der Sichtbarkeit ihrer Gewalt. Einen "Öffentlichkeitsanspruch" macht also nicht nur der Bürger geltend, wirksam unterstützt durch seine Informationsmedien, er geht ebensosehr, wenn nicht weiterreichend, von der Staatlichkeit selbst aus, mag er auch hier noch nicht - wie aber bereits für die Kirchen 167 unter dieser Bezeichnung thematisiert worden sein; der laufende, vor allem politische, aber auch rechtliche Kampf um "Zugang zu den Medien" 168 zeigt, wie der Staat sich selbst in die Öffentlichkeit drängt, mit den Mitteln seines eigenen Rechts. Die Öffentlichkeitsarbeit von Regierungen und Verwaltungen 169 schließlich, diese rasch sich entwickelnden neuen Formen werbender Staatlichkeit, dürfen nicht vorwiegend unter dem Gesichtspunkt einer Privatisierung gesehen werden, in welcher sich eben der Staat als Großorganisation der Methoden privat-kommerzieller Public relations bedient. Hier entfaltet sich etwas höchst Bedeutsames und Besonderes, blickt man auf das Wesen der Staatlichkeit, nicht nur in den speziellen rechtsstaatlichen Grenzen, die dem gesetzt sind, sondern auch in der staatsgrundsätzlichen Bedeutung dieser Aktivitäten: Vergangen sind die Zeiten, in denen es "der Staat nicht nötig hatte, selbst an die Öffentlichkeit zu gehen", vielleicht schon deshalb, weil er in anderen Formen seines" Staatstheaters" sichtbar werden konnte, aber auch weil er weithin in sich selbst ruhte, in der sichtbaren Kraft seiner Monumentalität 170 . Nunmehr sieht er sich, demokratisch dynamisiert, in eine Bewegung geworfen, welche ihn in die Öffentlichkeit drängt, ihm deren neue Formen medialer Sichtbarkeit aufzwingt - wiederum: "damit er optimal funktioniere". Sichtbarkeit wird damit zur herausragenden Pflicht der Staatlichkeit gegen sich selbst, zur Erhaltung und Befestigung ihrer eigenen Macht. 167 Frhr. von Campenhausen, A., Staatskirchenrecht, 2. Aufl. 1983, S. 71; Schlaich, K., Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen, in: HdbStKirchR, Bd. 11, 1975, S. 231 ff. 168 BVerfGE 12, S. 205 (263 t.), 47, S. 198 (227). 169 Leisner, Öffentlichkeitsarbeit der Regierung im Rechtsstaat, 1966; LecheIer (Fn. 143), S. 178; Püttner, G., Verwaltungslehre, 1982, S. 370 t.; Schürmann, F., Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, 1992. 170 Zu historischen Aspekten dieser "Monumentalstaatlichkeit" vgl. Leisner,

w.,

w., Der Monumentalstaat, 1989, S. 41 ff., zu "Staatsgröße und Staatsöffentlichkeit" ebenda, S. 207 ff.

V. Öffentlichkeit: Sichtbarkeit der Staatsgewalt

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c) Öffentliche Sichtbarkeit als" Quelle der Staatsgewalt"

Diese Öffentlichkeit darf nicht, wie es aber meist geschieht, lediglich als Beschreibungsbegriff heutiger Staatlichkeit eingesetzt oder gar nur wiederum als deren Beschränkung verstanden werden. Wohl ergeben sich Grenzen des Staates auch aus diesen Formen moderner Sichtbarkeit: Gleichheitsverletzende Willkür und Begründungslosigkeit werden verhindert, Freiheitsgefährdungen frühzeitig offenbar, private Machtaneignung läßt sich aufdecken. Wesen rechtlicher Betrachtung, vor allem in einer Ordnung der Rechtsstaatlichkeit, ist immer zuallererst das Denken in derartigen Beschränkungen, im Staats bereich übrigens grundsätzlich nicht anders als in der längst vorher entwickelten "privaten Rechtsstaatlichkeit" des Zivilrechts 171. Doch solche Beurteilung verliert allzuleicht, und gerade auch hier, aus dem Blick die positive Seite dieser neuen Staats-Sichtbarkeit: den großen Machtzuwachs, der damit verbunden ist; die demokratische Öffentlichkeit, in welcher sich Staatlichkeit heute abspielt, wird zu deren kaum zu überschätzender Legitimitätsverstärkung . Legitimationskraft des Öffentlichen entfaltet sich unmittelbar aus der Basisbegründung der demokratischen Staatsgewalt, insbesondere ihrer Gesetzgebung: daß sie aus dem Prozeß von trial and error erwächst, damit erhöhte Richtigkeitsvermutung in sich trägt; für sie spricht eine hohe Wahrscheinlichkeit gerade dann, wenn niemand in einem "öffentlichen Prozeß" widersprochen hat, sich dort mit seiner Kritik durchsetzen konnte. In diesem Sinn haben die Erörterungen im Gesetzgebungsverfahren, seine Vorbereitung in der öffentlichen Diskussion, selbst für die Verfassungsgerichtsbarkeit weit später noch den Wert eines gewichtigen Richtigkeitsindizes 172 . Die sichtbare Staatsgewalt stellt sich damit aller ja auch potentieller, eben jeder möglichen Kritik; wird sie nicht, verspätet oder nur schwächlich vorgebracht, so gilt sie sozusagen, wie nach jenem gerichtlichen Vorbild, das ja die angelsächsische Demokratievorstellung stets geprägt hat, als präkludiert 173 . Welche Macht hier durch rasches, entschlossenes Staats handeln in der Öffentlichkeit ausgeübt, wie politische Widerstände überspielt werden 171 Das deutlichste Beispiel ist das private Eigentumsrecht: Bei den Kommentierungen des § 903 BGB steht nicht der Inhalt des Rechts im Vordergrund, sondern seine Schranken; vgl. Säcker, F.J., in: Münchener Komm. z. BGB, Bd. 4, 2. Auft. 1986, § 903 Rdnr. 23 ff.; Seiler, H.H., in: Staudinger, BGB, Bd. III, 12. Aufl. 1989, § 903 Rdnr. 13 ff. 172 BVerfGE 54, S. 277 (297 ff.); 80, S. 1 (23); 80, S. 137 (157 f.). 173 Eyermann/Fröhler, VwGO, 9. Aufl. 1988, § 86 Rdnr. 3; Kopp, F., VwGO, 9. Aufl. 1992, § 86 Rdnr. 11 f., § 173 Rdnr. 3.

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

können, zeigen Beispiele von vor allem im Steuerrecht feststellbaren "Schnellgesetzen " 174, ganz allgemein der ständige Kampf der Opposition gegen vermeintliche oder tatsächliche" überstürzte Gesetzgebungen" der Mehrheit. Öffentlichkeit wirkt nicht nur retardierend, sie löst auch Handlungs-, ja Beschleunigungszwänge aus, wirkt damit effizienz-, letztlich machtsteigernd. Öffentlichkeit legitimiert eben an sich; was das Licht des Tages nicht zu scheuen braucht, hat nicht nur die Vermutung der sachlichen Richtigkeit, sondern sogar noch eine solche der moral1schen Wertigkeit für sich. Die Staatsgewalt wird nicht nur gezwungen, sich zu zeigen was an sich schon von Vorteil sein kann - sie erhält eben dadurch zugleich die Chance, überzeugende, beeindruckende, ja prächtig-faszinierende Staatsfassaden aufzubauen. "Flucht in die Öffentlichkeit" hat schon so manches politische Unheil abzuwenden vermocht - hier wird sie dem Staat vom Recht geradezu aufgezwungen; dadurch wird er laufend stärker, daß er gewissermaßen den Boden tier Bürgerschaft unter den Füßen nicht verliert, daß ihn die unzähligen Augen" tragen", auch über seine unsichtbaren Fehler hinweg. Daß sich aus dieser Öffentlichkeit heraus, welche so allgemein das staatliche Handeln nicht nur zeigt, sondern von Anfang an prägt, eigenartige Formen der Öffentlichkeitsarbeit als Machttechnik entfalten, ist bereits erkannt worden. Rationalisierung und Technisierung der Macht werden sich eines so bedeutsamen Mediums der Legitimationsverstärkung und der Machtvervielfachung immer mehr bemächtigen, die Wirksamkeit der Staatsgewalt erfährt damit eine kaum mehr meßbare Steigerung. Sichtbarkeit als Machtinstrument wirkt, um noch ein letztes zu erwähnen, vor allem in der Zeugenfunktion, welche "die Öffentlichkeit", das Parlament 175 oder gar das "große Publikum" nun für die Staatsgewalt und ihre Legitimität erfüllt: Die Staatsorgane rufen gewissermaßen den Bürger, die gesamte Bürgerschaft, als Zeugen an für die Richtigkeit und Wertigkeit ihrer Aktionen. Wenn diese die Öffentlichkeit passieren, so sehen sie sich, wenn nicht von der Akklamation, so doch von dem im Ergebnis nicht minder gewichtigen Negativ-Zeugnis öffentlicher Duldung getragen, von einem Negativ-Testat im eigentlichen Wortsinne.

174 Vogel, K., Verbot des Verlustausgleichs für bestimmte ausländische Verluste, in: BB 1983, S. 180 (180 f.). 175 Weshalb denn gerade die Regierung nicht selten die Parlamentsöffentlichkeit sucht, in Regierungserklärungen oder Anfragen der Regierungsfraktionen, vgl. §§ 100 ff. GeschOBT; Stern (Fn. 102), Bd. 11, 1980, S. 55 fL; Zeh, w., Parlamentarisches Verfahren, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 2, 1987, § 43 Rdnr. 49 ff.

V. Öffentlichkeit: Sichtbarkeit der Staatsgewalt

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2. Entwicklungslinien .. öffentlicher" Staats-Sichtbarkeit

Was im Zusammenhang mit modemen Formen der Öffentlichkeit und der Öffentlichkeitsarbeit mit Blick auf die Sichtbarkeit des Staates diskutiert werden kann, schöpft diese Problematik sicher nicht aus, doch es beleuchtet besonders wichtige Seiten derselben. Hier vor allem zeigt sich, was alles sichtbar werden kann an diesem Staat, wahrnehmbar geworden ist in seiner geschichtlichen Entwicklung, in Stufen und Ausgriffen, und wie sich damit die Formen der Machtausübung entfaltet und erweitert haben. Hier werden allerdings auch gewisse Phänomene der "Staatsöffentlichkeit als Machtverschleierung" sichtbar, die entlarvt werden muß; vertieft werden kann dies erst in späterem Zusammenhang.

a) Vom "Staatsgeheimnis" -

zur "Ablenkungs-Öffentlichkeit"

Die "Staatlichkeit der Staatsgeheimnisse" muß, aus der Sicht heutiger Öffentlichkeitsvorstellungen, als wesentlich "vordemokratisch " gelten, als überwunden nicht erst in der Gegenwart der vollen Staatspublizität, sondern bereits in den jeweiligen Vorstadien von deren Durchsetzung. Das gilt für das Ende der priesterlichen Arkanauslegung des römischen Rechts 176 in der erhöhten Volkspublizität ebenso wie für die Durchsetzung der Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren gegenüber der Schriftlichkeit früherer, insbesondere kanonischer l77 Prozesse. Zuletzt wurde dann die Geheimpolizei der Lettres de cachet in der systematisierten Parlaments- und Gerichtsöffentlichkeit der Französischen Revolution gebrochen 178 . Aus allen drei Staats gewalten schien nun das Staatsgeheimnis in Staatssichtbarkeit verdrängt. Die nicht selten von aufklärerischem Pathos getragene Überzeugungsfreude über solche Errungenschaften hat lange Zeit den Blick dafür getrübt, in welche anderen Formen der Unsichtbarkeit, ja einer wah176 Durch die Priester, vgl. Mommsen, Th., Römisches Staatsrecht, Bd. 11, Nachdruck der 3. Aufl. 1952, S. 44 ff.; Sohm, R., Institutionen des Römischen Rechts, 17. Aufl. 1949, S. 54 f.; Wieacker, F., HdbAW X.3.1.1., Römische Rechtsgeschichte, 1. Abschnitt 1988, S. 306. 177 Droste, F., Disciplinar- und Criminal-Verfahren gegen Geistliche, 1882, S. 99; Roberti, F., De Processibus, Vol. I, Editio quarta 1956, S. 467 ff.; Sägmüller, J. B., Lehrb. des katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl. 1909, S. 755. 178 Bezeichnenderweise geht Mirabeau in seinem "Des Lettres de cachet" (vgl. Ausgabe Hamburg 1782, S. 42) gerade von den Präzedentien der priesterlichen Arkangewalt aus.

5 Leisner

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

ren Arkanstaatlichkeit, die öffentliche Gewalt aus dieser Öffentlichkeit hat fliehen können; sie sind Gegenstand späterer Betrachtungen. Hier ist die Warnung vorauszuschicken, allzu rasch gewisse herkömmliche Formen als wirkungsvolle, ja sogar hinreichende Phänomene der Staats sichtbarkeit herauszustellen und damit, im Namen heutiger Öffentlichkeit, diese Problematik für beendet zu erklären. Noch wesentlicher aber ist, im Zusammenhang mit der vielgescholtenen Arkanstaatlichkeit, eine andere historisch bekannte Erscheinung, welche hier keines vertiefenden Beleges bedarf: Wo immer die öffentliche Gewalt sich in Staatsgeheimnisse zurückzuziehen begann, mußte sie sich, ganz natürlich und zugleich, des damit verbundenen Sichtbarkeitsverlustes bewußt werden, der auch schon in "vordemokratischer" Zeit offensichtlich als Legitimationsdefizit empfunden wurde. Sogleich lassen sich jedenfalls, fast in der Regel, Versuche beobachten, dem durch andere Formen der Sichtbarwerdung öffentlicher Gewalt, in welchen Formen immer diese auftreten mochte, entgegenzuwirken. Für priesterliche Macht, welche kultische oder auch bereits profane schriftliche Machtgrundlagen monopolisieren wollte, ergab sich die Möglichkeit einer Sichtbarkeits-Kompensation durch andere Formen eben dieser Liturgie, durch goldschimmernde Erscheinungen. In reformatorischer Einfachheit konnte dies abgebaut werden, als die Publizität des Volksgottesdienstes und die Öffentlichkeit der Schrift hergestellt wurden. Da aber das Gottesgeheimnis als solches letztlich in Randbereichen rationalisiert werden mochte, in seinen Zentren aber stets ein wesentlich unsichtbares Machtzentrum des Herrschafts-Gottes der monotheistischen Religionen bleiben mußte, war hier mehr an Öffentlichkeit nicht zu gewinnen als die der Gemeinde, in der Sicherheit, daß Er mitten unter jenen sein werde, die sich in seinem Namen versammeln, in ihrer Öffentlichkeit - doch unsichtbar bleibend mit seinen Geheimnissen, vor allem dem der Gnade. In einer bereits zur Staatlichkeit säkularisierten Herrschaft setzen sich ähnliche Entwicklungen fort. Die germanische Fürsten-, die frühe deutschrechtliche Königsherrschaft war in ihrer Macht noch nicht voll abgelöst von religiös-kultischen Geheimnissen und celebrierte diese auch in liturgie ähnlichen Formen; doch sie bedurfte kaum in größerem Stil kompensierender Formen der Sichtbarkeit für eine in der Öffentlichkeit des "Umstandes" doch sehr abgeschwächte Arkangewalt 179 . Anders bereits spätmittelalterliche Fürstlichkeit, bis hinab in die Formen der späten Territorialmonarchie: Mit der Entwicklung der Hof- und 179 Vgl. dazu die klassische Darstellung von Schramm, P. E., Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen, Neudr. 1965.

V. Öffentlichkeit: Sichtbarkeit der Staatsgewalt

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der späteren Kabinettsregierung zog sich die Staatstätigkeit in ihrer Vorbereitung, ja in ihrem Ablauf, weitgehend hinter neue Formen des secret d'Etat zurück, in die secrets de la Cour 180 . Mit der Entwicklung der neuen permanenten Fürstenhof-Diplomatie entfalteten sich auch dort Formen jener Geheimdiplomatie, die, trotz aller Versuche des beginnenden 20. Jahrhunderts 181 , die internationalen Beziehungen bis heute prägen. In dem Maße jedoch, in welchem die Staatlichkeit überall sich mit neuen Unsichtbarkeiten umgab, aus jeder, nicht nur einer "demokratischen" Öffentlichkeit floh, das Geheimnis sogar innerhalb der Spitzenbereiche der Machtträgerschaft kultivierte, entwickelten sich zugleich neue Formen der Staats-Sichtbarkeit, weithin ganz bewußt entfaltet als etwas wie eine theatralische Kompensation der Unsichtbarkeit dessen, was in Palastkorridoren und Vorzimmern das Licht jeder Öffentlichkeit scheute: Die Politik wurde sichtbar in der Staatsarchitektur der Schlösser symbolisiert, der Staat war ebenso der Sonnenkönig wie sein Versailles. Protokolle und Zeremonielle verdeckten sorgsam umhegte Geheimdiplomatie, und nicht nur im Bereich der Auswärtigen Gewalt. Das Staatstheater der Zeremonien, Umzüge und Feste ließ eine Staatlichkeit sichtbar erscheinen, deren eigentliche Zentren von Geheimnis umgeben blieben 182 . Dieses Spannungsverhältnis von innerem Geheimnis und äußerem Prunk ist weit mehr als eine erklärende oder beschreibende Sicht historischer Vorgänge. Staats grundsätzliches , ja rechtliche Bedeutung für das Verständnis der "Öffentlichkeit" der Staatlichkeit in der Gegenwart gewinnt es aus folgender Erkenntnis: Überall versuchen offenbar Arkangewalten, die in ihren Machtzentren aufgegebene Sichtbarkeit durch etwas zu kompensieren, was man eine "Ablenkungs-Öffentlichkeit" nennen könnte. Mit ihr wird eine bestimmte Form der Publizität besonders hoch gesteigert, jene vor allem, welche in eindrücklicher, wenn nicht sogar einschüchternder Hoheit auf Existenz und allgemeine Macht der Träger öffentlicher Gewalt hinweisen will - damit, gerade deshalb, deren eigentliche Machtausübung, ihre Motive, ihr Ablauf, ja sogar ihre Wirkungen, im Dunkeln bleiben, aus ihm heraus wirken kön180 Von ihnen gibt eine eindrucksvolle Beschreibung aus der Spätzeit des Absolutismus Mirabeau in seiner Histoire secrete de la Cour de Berlin, 2 Bde., Alent;on 1789. 181 Berber, F., Lehrbuch des Völkerrechts, I. Bd., 1975, S. 462 ff.; Geck, W. K., Die Registrierung und Veröffentlichung internationaler Verträge, in: ZaöRV 1962, S. 113 (122 ff.). 182 Diese arcana imperii im taciteischen Sinn wurden meist erst posthum gelüftet, vgl. die - allerdings nicht durchgehend authentische - Literatur der "testaments politiques", zusammengestellt etwa im "Recueil des Testaments politiques" (Richelieu, Colbert u.a.), 4 Bde., Amsterdam 1749. 5•

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

nen. Die Blicke der Gewaltunterworfenen werden zwar nicht in eine falsche Richtung gelenkt, jedoch in Äußerlichkeiten festgehalten, damit sie nicht kritisch auf das fallen, was sie eigentlich betrifft. Etwas von solcher Ablenkungs-Öffentlichkeit liegt sogar noch in der Entwicklung des Staats-Begriffs selbst, seit dem Ende des 18. Jahrhunderts: Zahlreiche Phänomene öffentlicher Gewalt, in Autonomieräumen auf lokaler und höherer Ebene, werden in einer einzigen Erscheinung zusammengefaßt, in einem Träger, dem "Staat", der dann auch als solcher des ebenso allgemeinen, näherer Begründung nicht mehr bedürftigen "öffentlichen Interesses" erscheint. Hinter der einen Person Staat sinken die oft eigentlich handelnden Machtträger zwar nicht in Unsichtbarkeit, wohl aber zu geringerer Intensität der Beachtung hinab. Die Bedeutung für rechtliche Öffentlichkeitsdogmatik der Gegenwart liegt aber darin: Besonders kritisch gilt es, alle Erscheinungen einer Staats-Sichtbarkeit zu untersuchen, die in erster Linie als Verschleierungsformen der Macht, nicht als wahre Macht-Evidenzen gewollt sein könnten. Es ist auch nicht anzunehmen, daß nach so vielen kunstvollen, so oft gelungenen Versuchen einer Ablenkungs-Staats-Sichtbarkeit derartige Bestrebungen nun im hellen Licht der modemen Staatsöffentlichkeit überhaupt keinen Winkel mehr finden könnten, ja daß sie nicht gerade deren Scheinwerfer auf sich lenken wollten, um von anderem abzulenken, was auch am demokratischen Staat "nicht allzu sichtbar" werden soll. Der Unsichtbare Staat hinter der Sichtbarkeit verborgen dies wird die Untersuchung noch beschäftigen.

b) Von der Öffentlichkeit der" vollendeten Tatsachen 11 zur Sichtbarkeit der Entscheidungsfindung

Die nähere Betrachtung des meist allzu allgemein eingesetzten Begriffs der "Öffentlichkeit" darf, gerade wenn die Frage nach der Sichtbarkeit des Staates gestellt wird, nicht immer nur die Bereichsfrage aufwerfen: wo denn nun diese Publizität hergestellt werde, als Gerichtsoder Parlamentsöffentlichkeit. Öffentlichkeit als Macht- oder als Entmachtungsinstrument, in diesem Sinne also als eine typische Staats-Kategorie, erschließt sich vielmehr vor allem dann, wenn differenziert wird nach den "Entwicklungsstufen der Machtäußerungen ", so wie sie das Recht des Verwaltungshandelns oder auch das des Gesetzgebungsverfahrens seit langem unterscheidet: Wenn es zutrifft, daß "Verfahren Staatlichkeit sichtbar macht", in besonderer Weise, so zeigt es auch, in deren Entfaltungsphasen, erscheinungs- und machtmäßige Bedeutungsstufen der Öffentlichkeit.

V. Öffentlichkeit: Sichtbarkeit der Staatsgewalt

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Die Öffentlichkeit im Bereich des Staates wird keineswegs "als solche", im ganzen, hergestellt oder ausgeschlossen, mag auch vereinfachende Demokratiebegeisterung von ersterem überzeugt sein. Wenn der Staat nicht mehr überall Öffentlichkeit nur als Ablenkungstheater bietet, nicht mehr versucht, sich insgesamt "als ein ganz anderer" zu spiegeln, so werden die Herrschenden in aller Regel Ergebnisse zuallererst veröffentlichen, Abläufe aber und Motive, mehr noch die Hintergründe ihres Vorgehens im Dunkeln lassen. Man darf hier von Formen einer " Öffentlichkeit der vollendeten Tatsachen" sprechen. Nicht als ob staatliche Machtausübung bereits immer "vollendet" wäre, oft bleibt ja gerade ihre Vollstreckung und Durchsetzung noch zu leisten. Ein fait accompli wird dennoch insoweit in die Öffentlichkeit getragen, als die staatliche Willens bildung abgeschlossen ist, als in diesem Sinn eine VerÖffentlichung von Ergebnissen stattfindet. Der rechtliche Prototyp dafür ist jener Verwaltungsakt, der zu einem bestimmten Zeitpunkt "nach außen hervortritt", wenn irgend möglich nur von einer Behörde erlassen 183 , nicht nur, damit die Verantwortung den Betroffenen gegenüber klargelegt sei, sondern auch um das Licht der Öffentlichkeit nicht allzusehr in den Erlaßvorgang selbst hineinfallen zu lassen, in Ablaufphasen oder gar Motive des staatlichen Handelns. Vorsichtig ist denn auch die Verwaltung in aller Regel darauf bedacht, sich nicht allzu früh zu offenbaren, sie wird wohl grundsätzlich immer bei dieser Form der Ergebnis-Öffentlichkeit stehenbleiben. Dem Bürger gegenüber läßt sich dies unschwer damit rechtfertigen, daß ja auch erst das Endgültige, nicht aber irgendwelche Vorphasen der Entscheidungsfindung, von ihm vor Gericht angegriffen werden kann; diese (stets virtuelle) judikative Sichtbarwerdung der Staatlichkeit, sogar im vollen Licht der Gerichtsöffentlichkeit, gestattet es gerade, sich auf eine Publizität der Ergebnisse staatlicher Willensbildung zurückzuziehen. Solange dieser staatliche Befehl nicht ergeht, ist verwaltungsrechtlich schlechthin - nichts vorhanden. Daß dem, aus der Sicht der Öffentlichkeit jedenfalls, nicht so sein müßte, daß diese weit tiefer in die Kulissen hinein ihr Licht fallen lassen könnte, zeigt gerade die moderne Parlamentsöffentlichkeit 184 - die noch keineswegs zur allgemeinen Norm-Öffentlichkeit geworden ist, behält doch die Verfassung für die Verordnungen die Beschränkung auf Ergebnis-Öffentlichkeit bei. (Fn. 122), § 9 Rdnr. 22 ff.; WolfflBachof (Fn. 130), § 46 H. Die parlamentarische Verhandlung, 1979, S. 16 ff.; Martens, w., Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 59 ff.; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 42 Rdnr. 1 ff. 183 Maurer

184 Achterberg, N.,

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

Daß das Gesetz zu veröffentlichen ist 185 , sichtbar vor die Bürger hingestellt, mochte bereits als großer Fortschritt erschienen sein, als eine entscheidende Überwindung alter Arkanstaatlichkeit. Hier wurde im Grunde jener Zustand erreicht, auf dem auch heute noch die Verwaltung stehen bleibt: Ergebnisse werden herausgestellt, rechtliche Staatstatsachen sichtbar gemacht. Doch beim Gesetz wurde auch noch der nächste Schritt getan: die Herstellung der Ablauf-, ja der Motiv-Öffentlichkeit; es ist, als sähe der Gewaltunterworfene die Staatlichkeit einherschreiten, gewissermaßen "auf sich zUkommen,,186, bis sie ihn dann im Gesetzesbefehl berührt. Hier liegt im Grunde das Zeitproblem der Öffentlichkeit, die nicht nur gewissermaßen räumlich zu verstehen ist, im Sinne etwa der "Sichtbarkeit von allen Seiten her": Es geht um eine Früherkennung staatlicher Entscheidungen, auf sie - und naturgemäß auch ihre rechtzeitige Beeinflussung - ist aller Lobbyismus orientiert, im parlamentarischen Bereich bisher erfolgreicher als gegenüber einer Verwaltung, die an ihrer "Ergebnis-Öffentlichkeit" festzuhalten sucht. Die heute im Verwaltungsrecht unternommenen Versuche, dem Bürger gegenüber bereits in Vorphasen der Verwaltungsentscheidung eine gewisse Öffentlichkeit herzustellen, vor allem über das ihm zu gewährende rechtliche Gehör 187 , müssen nicht nur verstanden werden als eine Erleichterung späterer Rechtsverfolgung, sie bedeuten zugleich eine prinzipielle Erweiterung der Öffentlichkeit in die Zeit hinein und ein Sichtbarwerden von Hintergründen der Staatlichkeit und ihres Handelns. Recht verstandenes rechtliches Gehör ist vorverlegte Staatstransparenz, ein Abgehen von der reinen Ergebnis-Sichtbarkeit; denn ein Staatsorgan, das den Bürger reden läßt, muß ihn auch fragen, darf ihn nicht überraschen, ebensowenig wie der Richter 188 . 185 Diese "Sichtbarkeit in Form allgemeiner Lesbarkeit" des Staatswillens erscheint heute als eine nur mehr in technischen Details problematische allgemeine Selbstverständlichkeit; Schneider, H., Gesetzgebung, 1982, S. 246 ff.; Stern (Fn. 102), Bd. 11, 1980, S. 633 ff.; Werner Weber, Die Verkündung von Rechtsvorschriften, 1942. 186 Im Rahmen der Rückwirkungsproblematik ist anerkannt, daß der Bürger sogar schon von der Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens an mit der Änderung der Gesetzeslage rechnen, sich auf sie einstellen muß (BVerfGE 13, S. 261 (271 ff.); 30, S. 367 (387 f.)). In diesem Sinne löst bereits das "Gesetz in fieri" Normwirkungen aus. 181 König, H.-G., Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs im verwaltungsbehördlichen Verfahren, in: DVBl. 1959, S. 189 ff.; Muyer/Kopp, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Auf!. 1985, § 43 11 3 e; Renkl, G., Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren, Diss., München 1971; Weides, P., Die Anhörung der Beteiligten im Verwaltungsverfahren, in: JA 1984, S. 648 ff.

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Das Verwaltungsrecht orientiert sich also wohl dahin, auch sozusagen in der zeitlichen und kausalen Dimension mehr an Öffentlichkeit in die Staatlichkeit hineinzutragen, immer allerdings mit einer wesentlichen Einschränkung: daß das hier Entschiedene zunächst einmal, und solange es nicht die Gerichtsöffentlichkeit erreicht, nur eine Art von "Parteiöffentlichkeit" gewinnt, nicht "jedermann sichtbar" wird. Doch auch dies ist bereits, die Wortwahl zeigt es, eine Versichtbarlichung des Staates, an dessen Aktionen eben nicht alles jeden zu interessieren braucht, solange er nicht dadurch betroffen wird; und daß auch entfernter Betroffene in diese Öffentlichkeit einbezogen werden sollen, ist ja in zunehmendem Maß wiederum ein intensiv verfolgtes Anliegen des modemen Verwaltungsverfahrensrechts mit seinen (rechtzeitigen) Informationen und Anhörungen l89 . Überall ist also die Staatlichkeit doch auf dem Wege in mehr zeitlich und kausal vertiefte Öffentlichkeit, auf dem Weg zum sichtbaren Staat. Dieser aber bleibt" unsichtbar" noch immer - dies gilt es stets zu bedenken - soweit erst das Entschiedene ins Licht tritt, nicht das Entscheidende.

3. Der Prototyp Parlaments öffentlichkeit Sichtbarkeit von Motiven und Umfeld Die Parlaments öffentlichkeit galt früher, insbesondere im 19. Jahrhundert, als der entscheidende Fortschritt der Staats-Veröffentlichung; durch dieses Fenster konnte die Presse das Zentrum der Staatlichkeit sichtbar werden lassen. Inzwischen gibt es derart viele Foren, auf denen sich der Staat in der Öffentlichkeit zeigt, sind überdies andere Bühnen noch um so viel leichter medien-zugänglich geworden, daß die Parlamentsöffentlichkeit als Prototyp der Öffentlichkeit in politicis, als Sichtbarwerdung der Staatlichkeit, kaum mehr allgemein bewußt ist. Dennoch sollte klar sein, daß hier der große Versuch gemacht wurde bis in die Theatralik der Nationalversammlungen der Französischen Revolution 190 - den Staat als solchen in ganz großem Staatstheater 188 Kopp (Fn. 173), § 86 VwGO Rdnr. 22 ff., § 104 VwGO Rdnr. 3; Redeker, K./ von Oertzen, H.-J., VwGO-Komm., 11. Aufl. 1994, § 86 Rdnr. 17 ff.; BVerwG

NVwZ 1983, S. 607. 189 HilI, H., Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 297 f.; Schmidt-Aßmann, E., Verwaltungsverfahren, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 3, 1988, § 70 Rdnr. 4. 190 Deren beste rechtlich-politische Analyse wohl auch heute noch die Untersuchung von Egon Zweig darstellt, Die Lehre vom Pouvoir constituant, 1905.

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

voll transparent werden zu lassen. Keine Ablenkungs-Theatralik sollte hier geboten werden, nicht allein Ergebnispublikationen des StaatswilIens; die Aufgabe der Parlamentspublizität war es vielmehr, sozusagen das Leben des Staates als das Leben der ihn tragenden Bürgerschaft vor aller Augen ablaufen zu lassen 191 , und darin liegt der tiefere Sinn des Parlaments als peuple en miniature. Die konsequente Fortentwicklung dieser Sichtbarwerdung der gesamten Staatlichkeit an einem Punkt konnte nur eine weitgehende Aufhebung der Gewaltenteilung im Gouvernement d'Assemblee 192 sein, welche die Regierung zum Parlamentsausschuß degradierte. Die Jakobinerverfassung bedeutet die höchste Steigerung der Staatsöffentlichkeit als Parlamentsöffentlichkeit, wie in diesem Staat überhaupt alles publik war, bis hin zur Guillotine. Diese Öffentlichkeit konnte als eine Legitimation von unvergleichbarer Intensität erscheinen, sie wurde auch nicht entfernt von der in Geschworenensitzungen demokratisierten Gerichtsbarkeit erreicht 193 . Dort war der Ablauf der zum Ergebnis des Urteils führenden Staatstätigkeit zwar grundsätzlich öffentlich, doch die entscheidende Phase der Urteilsfindung wurde durch das besonders intensive Beratungsgeheimnis nicht nur in Mehrheitsentscheidung anonymisiert, sondern schlechthin den Augen der Öffentlichkeit entzogen. Dadurch, daß im Parlament der Gesamtablauf grundsätzlich sichtbar blieb, wurde hier ein entscheidender Ver-Öffentlichungs-Schritt der Staatlichkeit über alles bisher Bekannte hinaus getan. Besonders deutlich wurde und wird dies noch heute im Gesetzgebungsverfahren. Sichtbar soll hier alles werden: die Motive der Gesetzesinitiative in der RegierungsbegTÜndung, in einer Weise, welche in der Verwaltung etwa keine Entsprechung findet, gerade nicht im Normerlaßverfahren der Verordnungen; die GesetzesbegTÜndungen, die auch die Einzelinhalte der zu erlassenden Normen erklären; die Diskussionen, welche den Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens begleiten; nicht zuletzt soll das durch die Vervielfältigung der Lesungen erzwungene, wiederholte und länger diskutierende Nachdenken als eigenartige Form eines BegTÜndungszwanges vor den Augen der Öffentlichkeit wirken. Am Ende steht, nach der offenen Beratung, die möglichst offene 191 "Die Öffentlichkeit und die durch dieselbe vermittelte, fortwährende Wechselwirkung zwischen dem Reichstage und der öffentlichen Meinung gehört zum Wesen aller parlamentarischen Tätigkeit", Laband, P., Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 4. Aufl. 1901, S. 320. 192 Zu diesem vor allem in Frankreich entwickelten Rechtsbegriff JosephBarthelemy/Duez, Traite de Droit Constitutionnel, Paris 1933, S. 148 f. 193 Vgl. zu deren Wesen und Entwicklung die klassische Darstellung von Heinrich Brunner, Die Entstehung der Schwurgerichte, 1872.

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Abstimmung, welche ein Schlaglicht wirft ebensowohl auf die Intensität des parlamentarischen Willens, wie er in der jeweiligen Mehrheit zum Ausdruck kommt, als auch auf dessen politische Motivation im einzelnen, indem deutlich wird, wie gerade nun diese Mehrheiten zusammengesetzt sind. Mit der Verlegung der - meist bestimmenden - Vorentscheidungen in die in der Regel nicht öffentlich tagenden Parlamentsausschüsse 194 hat sich das Parlament entscheidend von seiner Öffentlichkeit als Prototyp aller Staats-Sichtbarkeit entfernt. Dem sollte gewiß auch durch die inzwischen eingeführte Anhörungs-Praxis entgegengewirkt werden, wird sie auch mehr mit einer notwendigen Verbesserung der Information der Parlamentarier denn als Verstärkung der Publizität gerechtfertigt, die freilich, als Form einer "Verbandsöffentlichkeit" keineswegs zu unterschätzen ist 195 . Hier aber stand zunächst wohl mehr das Gerichtsverfahren mit seinen Zeugen- und Sachverständigenvernehmungen Pate; es wird nicht mehr primär, wie in der ursprünglichen, insbesondere französisch-revolutionären Parlamentsöffentlichkeit, gerade die für alle sichtbare Staatlichkeit als solche angestrebt. Immerhin erweitert sich damit in bemerkenswerter Weise, was früher die Parlamentsöffentlichkeit auch bringen sollte: alles, was man als eine Art von "Urnfeldöffentlichkeit" bezeichnen könnte, das sichtbare Hineinwirken der gesellschaftlichen Ambiance in die Entfaltung der Staatlichkeit; hier wird dies nun durch die Aktionen der Verbände gewährleistet und darin, in der vorgängigen oder nachfolgenden "Verbandsöffentlichkeit", durchaus auch publik. Es war aber nicht nur der Zug hin zu den faktisch meist beschließenden Parlamentsausschüssen, die vielbeklagte Entmachtung des Plenums 196 , seine Degeneration zur Abstimmungsmaschine und zum Fenster, aus dem hinaus politische Fernsehreden gehalten werden, an den konkret anstehenden Entscheidungen vorbei, die der Parlamentsöffentlichkeit ihren besonderen Rang genommen und damit unzweifelhaft einen Legitimationsverlust der Volksvertretung mit sich gebracht hat. Drei Entwicklungen sind es vor allem, welche der Parlamentsöffentlichkeit heute nicht allein politisch-faktisch, sondern geradezu mit rechtlicher Notwendigkeit ihren Spitzenrang in der Sichtbarwerdung 194 § 69 Abs. 1 S. 1 GeschOBT; dazu Achterberg, N., Die parlamentarische Verhandlung, 1979, S. 152 ff.; Zeh, w., Parlamentarisches Verfahren, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 2, 1987, § 43 Rdnr. 59 f. 195 Appolt, w., Die öffentlichen Anhörungen ("Hearings") des Deutschen Bundestages, 1971; Stern (Fn. 102), Bd. H, 1980, S. 66 f. 196 Frost, H., Rechtsgestalt und Funktion der Parlamentsausschüsse, in: AöR 95 (1970), S. 38 (82 ff.); Zeh (Fn. 194); Zippelius (Fn. 156), § 41 III.

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

der Staatlichkeit, in deren Legitimation aus Öffentlichkeit, streitig machen: - Die "Macht des ersten Wortes" der Regierung steigert sich, wie schon der hohe Anteil der Regierungsvorlagen an den Gesetzesentwürfen 197 zeigt, zu denen noch die "indirekten" zu zählen sind, welche die Exekutive über Abgeordnete der Regierungsfraktionen einbringen läßt. Diese Machtverschiebung vom "letzten Wort (des Parlaments) zum ersten Wort (der Regierung)" ,welches in so vielen Fällen den Gegenstand der parlamentarischen Tätigkeit nahezu völlig bestimmt, hat zugleich auch die Bedeutung der Regierungsbegründungen entscheidend zunehmen lassen, was sich auch in Begründungen der Verfassungsgerichte niederschlägt198. Damit aber dringt das weit strenger gewahrte Exekutiv-Geheimnis auch in den parlamentarischen Bereich ein, in zunehmend festzustellenden Fassaden-Begründungen, hinter denen sich die eigentlichen Regierungsintentionen verbergen können, unsichtbar bleiben müssen, wenn sonst ihre Mehrheitsfähigkeit im Parlament zweifelhaft wäre. Keine wissenschaftliche Untersuchung wird das zwar jemals überzeugend im einzelnen nachweisen können; es scheitert gerade an der im Regierungsbereich wesentlich eingeschränkten Öffentlichkeit. Dennoch muß davon ausgegangen werden, daß die oben als "Sichtbarkeit der vollendeten Tatsache" dargestellte, gerade im Bereich der Exekutive weit verbreitete Ergebnis-Sichtbarkeit auf diese Weise auch die Parlamentsarbeit entscheidend prägt, ihre Vollpublizität wesentlich einschränkt. - Der Fraktionszwang ist der wohl entscheidende rechtliche Schlag gegen die Parlamentsöffentlichkeit 199 . Der "Staatsablauf" wird aus dem Plenarsaal in die Nichtöffentlichkeit der Fraktionssäle verlegt, mehr noch: Die Funktion der noch verbleibenden Parlarnentsöffentlichkeit wandelt sich damit, vom entscheidungsrelevanten Prüfstand zur vorweggenommenen Begründung - oder Kritik - des zu setzenden Staatsakts. Exegese des Staatswillens wird geboten, nicht seine Sichtbarwerdung im Ablauf, was aber doch für die Parlamentslegitimation einst entscheidend war. Die Staatlichkeit wird nicht mehr im Parlament offen gefragt, sie kann später nur noch, ausgehend von Parlamentsindizien, hinterfragt werden.

Stern (Fn. 102), Bd. 11, 1980, S. 618 f. BVerfGE 78, S. 331 (336 f.). 199 Badura, P., Staatsrecht, 1986, E 28; Klein, H.H., Status des Abgeordneten, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 2, 1987, § 41 Rdnr. 13 ff. 197

198

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- Die kaum mehr übersehbare Spezialisierung und die damit verbundene Technisierung aller Parlamentsarbeit200 hebt mit einer auch rechtlich wirksamen Kraft der Natur der Sache weitestgehend eine Parlaments öffentlichkeit auf, in welcher weder der einzelne Abgeordnete noch der gleichzeitige, ja kaum noch der spätere Betrachter, "den Staat wirklich sehen kann", vor all seinen rechtstechnischen Räderwerken. Nur einzelne Punkte werden noch in Debatten näher beleuchtet, alles andere bleibt in der Verdunkelung der Spezialisierungen. Wenn es überhaupt eine Spezialistenöffentlichkeit gibt, so ist sie nur in seltensten Fällen in der Demokratie stark genug, die "große Öffentlichkeit" zu mobilisieren, ihre allein wirksamen Augen auf solche Staatlichkeit zu lenken. An der Unmöglichkeit allgemeinen Verstehens endet der sichtbare Staat. Also wird um Vordergründiges, meist Zweitrangiges, aber immerhin noch allgemeiner Begreifliches gekämpft, hinter ihm bleibt die effektive Staatlichkeit durch die Kulissen des Rechts gedeckt, aus denen heraus sie aber dann bald wirken kann. So ist denn die viel beklagte Krise des Parlamentarismus zugleich auch eine solche der Sichtbarkeit der Staatsgewalt, die hier in einen Bereich zurückgedrängt wird, wo sie einst total hergestellt werden, von dem aus sie in alle Bereiche hinein erhellend wirken sollte. Und wer Formen der unsichtbaren Staatlichkeit aufzeigen will, muß schon mit solchen Illusionen von Sichtbarkeit beginnen. Dennoch bleibt eine grundsätzliche Feststellung: Die demokratische Staatsform findet ihre institutionelle Legitimität zuallererst im Parlament, dieses wieder die seine in erster Linie in der dort hergestellten Staatssichtbarkeit. Gerade wer dort verunklarende Entwicklungen aufzeigt und beklagt, hat von der Staatsgrundsätzlichkeit der sichtbaren Staatlichkeit auszugehen und muß versuchen, sie vor allem im Parlament, von dieser Spitze aus auch in andere Bereiche der Staatsorganisation 201 hinein zu verstärken. 4. Öffentlichkeit als Staatsgrundsatz: Sichtbarkeit im Zweifel und immer mehr

Wenn die Funktion des Staatsoberhaupts vor allem in der Sichtbarmachung der Staatlichkeit liegt, wenn die Erste Gewalt des Staates 200 Zeh, w., Das Ausschußsystem im Bundestag, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, hgg. von Schneider, H.-P./Zeh, w., 1989, § 39 Rdnr. 32 ff. 201 Insbesondere etwa über das parlamentarische Fragerecht; dazu Stern (Fn. 102), Bd. H, 1980, S. 55 ff.; Zeh (Fn. 194), § 43 Rdnr. 49 ff.

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A. Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit

sich zu einem Prototyp öffentlicher Transparenz hinaufentwickelt, dem Grundsatz nach diesen auch heute noch bietet, wenn die Grundentscheidung der Wahldemokratie die permanente Ansprache des Bürgers zur Gewinnung seiner Zustimmung verlangt, die nur in der Öffentlichkeit wirksam möglich ist - dann bedeutet all dies, daß Öffentlichkeit nicht nur irgendeine, auch nicht nur eine zentrale Erscheinungsform der entwickelten Demokratie darstellt, daß hier vielmehr eine wahre Grundentscheidung dieser Staatsform liegt: Sie will politisch und soll daher rechtlich sichtbar werden in der engen Verbindung ihrer rechtlichen Träger und der sie vertretenden Organwalter, sichtbar sein aber auch laufend nicht nur in der Öffentlichkeit ihrer Willensentscheidungen, sondern auch in der Sichtbarkeit ihrer Willensbildung. Das hat schwerwiegende, auch rechtlich faßbare Wirkungen. a) " Staatsgeheimnis als Bürgergeheimnis "

Das "Staatsgeheimnis", das, was an staatlicher Existenz und staatlichem Wissen den Augen der Allgemeinheit entzogen ist, kann, als Geheimnis der "Person Staat", in einem solchen der Öffentlichkeit verpflichteten Staat in keiner Weise mit privaten Geheimhaltungsinteressen verglichen werden. Einen Datenschutz für Staatlichkeit um deren selbst willen kann es begrifflich nur zur Sicherung dahinterstehender Bürgerinteressen oder in einem öffentlichen Interesse geben, welches aber einer besonderen, gerade diese Unsichtbarkeit legitimierenden Begründung bedarf. Dies ergibt sich bereits daraus, daß die "Person Staat", die Rechtspersönlichkeit aller juristischen Personen des öffentlichen Rechts, nicht wie die des Bürgers und seiner Zusammenschlüsse durch das Persönlichkeitsrecht der Verfassung gesichert ist202 . Nirgends kann der Staat der Demokratie der wesentlich oder auch nur nach seinem Belieben Unsichtbare sein, nirgends darf es zu seinen Gunsten zu einer Geheimhaltung kommen, welche als solche mit der Privacy des Bürgers konkurrieren, von derselben Art sein dürfte wie die des Gewaltunterworfenen. Deshalb schon kann es eine eigene wirtschaftliche Konkurrenz des Staates mit seinen Bürgern letztlich nicht geben, weil dies zum Aufbau von "staatlichen Geschäftsgeheimnissen" führen müßte, welche aber die grundsätzliche Öffentlichkeit dem Staat versagt 203 . in: Maunz/Dürig, Art. 2 I Rdnr. 66 f. Dem steht nicht entgegen, daß auch der Eigenbetrieb der öffentlichen Verwaltung oder die staatlich beherrschte AG rein rechtsformal ein "Geschäftsgeheimnis" wahren darf; abgesehen vom fehlenden Grundrechtsschutz - all 202 Dürig,

203

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Nachdem also der Begriff eines "staatlichen Geschäftsgeheimnisses" unvollziehbar ist, kann eigentlich nur mehr dann, und gerade insoweit auch begründet, eine geheimhaltende Staats-Unsichtbarkeit in Betracht kommen, als die Staatsinstanzen in solcher Geheimhaltung zugleich auch wesentliche Bürgerinteressen vor verletzender Öffentlichkeit schützen dürfen. Dies ist überall dort berechtigt, wo andere aus solcher Veröffentlichung unberechtigte Konkurrenzvorteile ziehen könnten, und damit lassen sich auch, weit über die Bewahrung anvertrauter Privatgeheimnisse hinaus, allgemeinere Amtsgeheimnisse 204 legitimieren, deren Bruch eben sogleich auch einen solchen der Wettbewerbsgleichheit zur Folge haben müßte. Diese Überlegung trägt weiter zur Legitimierung des Schutzes aller "Staatsgeheimnisse", soweit sie sich als "Monopolgeheimnisse " begründen lassen: Sie sichern nun die Gleichheit dadurch, daß nicht irgend jemand aus dem Monopol größeren Vorteil erlange als sein mitbenutzender oder mit-zuliefernder Konkurrent. Derartige Überlegungen tragen sogar bis zur Legitimation des Staatsgeheimnisses im Bereich der Auswärtigen Politik und insbesondere der Landesverteidigung: Hier liegen Staatsmonopole, hier werden gebündelte Bürgerinteressen in ExkIusivität von der Gemeinschaft wahrgenommen, ihre Sichtbarmachung im einzelnen würde zu einem Ausverkauf von Gemeinschaftsinteressen im In- und Ausland durch und an einige wenige führen, damit aber zu einer Pervertierung dieser "Staatsmonopole zur Wahrung von Einzelinteressen". Es ist kein Paradox, daß gerade das, was ausschließlich allen nützen soll, allen auch (zunächst) verborgen bleiben darf, damit es nicht allzu rasch einigen oder gar Außenstehenden zugute komme. Durchaus folgerichtig ist es also, daß derselbe Staat, welcher seine übrigen hoheitlichen Veranstaltungen, bis hin vor allem zur Gesetzgebung, in maximale Offenheit hinein sich entwickeln läßt, hier das Staatsgeheimnis als kollektives Bürgergeheimnis hütet. Denn Gesetze und andere, nicht speziell einzelne Bürger schützende Veranstaltungen der Hoheitsgewalt sind etwas wie eine "Konkurrenzmaterie innerhalb der Bürgerschaft": Jeder kann und soll daraus seine Vorteile im Wettbewerb ziehen, daher muß ihm all dies auch sichtbar sein und bleiben. Im letzten sind es also durchaus Wettbewerbskonzeptionen, aus welchen heraus die Abgrenzung von Öffentlichkeit und Geheimnis der Staatlichdies steht unter dem Vorbehalt der im Zweifel eben doch wesentlich gesteigerten Publizitätspflicht der, im wahren Sinn, "öffentlichen Hände". 204 Vgl. die Kommentierungen zu § 30 VwVfG, Bonk, H. J., in: Stelkens, P.I Bonk, H. J.lSachs, M., VwVfG, 4. Auf!. 1993, § 30; Kopp, F., VwVfG, 5. Auf!. 1991, § 30.

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keit zu leisten ist, wie ja auch die Öffentlichkeit für den Konkurrenzbegriff von besonderer Bedeutung ist 205 : Er setzt allgemein sichtbare und zugängliche Räume voraus; in ihnen darf sich dann, gerade um des Wettbewerbs willens, privates Bürgergeheimnis, nicht Staatsgeheimnis, entwickeln und halten. Staatsbewahrung, Außenpolitik und Landesverteidigung aber sind einerseits keine Materien, um die Bürgerkonkurrenz, in welcher Form immer, stattfinden dürfte; zum anderen werden hier dem Staat anvertraute Kollektivinteressen unter dem Siegel einer Art von Globalgeheimnis bewahrt. Von solchen Bereichen abgesehen bleibt es aber dabei: Staatsgeheimnis gibt es in der Öffentlichkeits-Demokratie nur als anvertrautes Bürgergeheimnis, nicht zu einem "allgemeinen Schutz des Apparats", seines Prestiges, seiner großen und kleinen Organisationsvorteile. Hier müssen noch weit entschiedener als bisher Reste früherer Staatsgeheimnis-Staatlichkeit eliminiert werden. Wird der Staat als Bewahrer anvertrauter Bürgerinteressen ernst genommen - und daß dies nicht hinreichend geschieht, daß sie insbesondere den neidvollen Augen anderer zu rasch preisgegeben werden, darin liegt eine große Gefahr so kann das ohne weiteres für eine öffentliche Gewalt genügen, die sich ja aus demokratischem Altruismus, nicht aus aristokratischem Egoismus legitimiert. Nur darf es eben nicht dahin pervertiert werden, daß der zu veröffentlichende Staat zur Veröffentlichung seiner Bürger mißbraucht wird. Wird diese Schranke beachtet und die der Gleichheit aller zu wahrenden Bürgerinteressen, so bedarf der Staat des Staatsgeheimnisses in seiner ursprünglichen, staats egoistischen Form überhaupt nicht mehr; und hier wird deutlich, wie grundsätzlich und zugleich praktisch verändernd die neue demokratische Sichtbarkeit des Staates wirkt, seine grundsätzliche Öffentlichkeit.

b) Die ständige Verstärkung der Öffentlichkeit als Staatsgrundsatz

In der gegenwärtigen Demokratie bedeutet Öffentlichkeit nicht nur, daß im Zweüel die gesamte Staatlichkeit, alle Formen der Staatstätigkeit, sichtbar, allgemein wahrnehmbar ablaufen müssen, und daß diese Sichtbarkeit mehr ist als eine Möglichkeit für den Bürger, staatliche Existenz zu erkennen, daß sich diese ihm vielmehr geradezu aufdrängen muß. Die Staatsgrundsätzlichkeit der Publizität wirkt - in einer Weise, die ihr übrigens allgemein eigen ist - in einer doppelten 205 Baumbach, A./Hefermehl,

Rdnr.5.

w.,

Wettbewerbsrecht, 17. Aufl. 1993, Allg.

V. Öffentlichkeit: Sichtbarkeit der Staatsgewalt

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Form zugleich politisch und verfassungsnormativ: einerseits im Begründungszwang für jede Art von nicht-öffentlicher Staatlichkeit, was bereits am praktischen Beispiel der Staatsgeheimnisse erläutert wurde, zum anderen in der Dynamik des durch die Öffentlichkeit konstituierten Sichtbarkeitsbegriffs der Staatlichkeit. In der theoretischen Grundsätzlichkeit bedeutet der damit statuierte rechtliche Begründungszwang für alle Formen und Bereiche des" Unsichtbaren Staates" sehr viel: Im Rechtsstaat ist die Staatsrnacht in allem stets beweispflichtig, was ihre Existenz oder irgendeine Form von deren Wirksamkeit betrifft, und diese Verpflichtung umfaßt nun auch die Sichtbarkeit: Was sich nicht in der Öffentlichkeit abspielen will, "ist grundsätzlich nicht legitime Staatlichkeit", es darf sich auf keines der Attribute der Staatsrnacht berufen, vom unbedingten Gehorsam bis zum Gewaltmonopol206. Damit steigert sich die Sichtbarkeit der modemen Demokratie zum höchsten Staatsdogma: Die traditionelle Unsichtbarkeit dieses Zurechnungspunkts der staatlichen Gewalt, das begriffliche Zentrum dessen, was die Demokratie "als Staat geerbt hat", wird damit, in der Sichtbarwerdung aller Staatstätigkeit, geradezu in sein Gegenteil verkehrt - der Staat soll die am eindeutigsten wahrnehmbare, die nur mehr in " Faßbarkeit wirksame" politische Erscheinung überhaupt sein. Aufgabe der praktischen Demokratieentfaltung in nächster Zukunft wird es sein, die praktischen Folgerungen aus diesem Aspekt des Staatsprinzips der "öffentlichen Staatlichkeit" in allen Bereichen zu ziehen, nicht nur in der spektakulären Medienwirksamkeit politischer Auftritte im Vorfeld staatlicher Aktionen, sondern in diesen selbst, in einer Offenlegung ihrer Motive, Abläufe und Ergebnisse. In diesem Sinne bedarf auch die westliche Demokratie durchaus einer neuen Glasnost. Wenn staatlich nur ist, was in der Sichtbarkeit des Öffentlichen steht, was ein ius publicum im doppelten Sinn der Allgemeinwohlwahrung und der Sichtbarkeit darstellt, wenn der staatliche Existenzbeweis aus dem der Sichtbarkeit zu führen ist, so bedeutet dies den Abschied von nicht wenigen Formen staatlicher Existenz- und Machtäußerung, die bisher aus einer in sich ruhenden, sich aus sich selbst begründenden, des Lichtes der Öffentlichkeit nicht grundsätzlich bedürftigen Staatlichkeit legitimiert wurden: die bewaffnete Macht als " Lebensäußerung des Staates,,207, die Polizei als Hüterin einer öffentlichen Ordnung, die wie206 Isensee, J., Staat und Verfassung, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 1, 1987, § 13 Rdnr.77. 207 Nicht genügen kann hier also zivile und "innere Führung" - etwas wie "innere Sichtbarkeit" ist für die Demokratisierung der Streitkräfte gefordert; Stern, K., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 11, 1980, S. 847 ff. m. weit. Nachw.

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derum oft in unklarer Weise mit einer "Staatsexistenz im Inneren" gleichgesetzt wurde, aber auch eine staatliche Bildungs- und Kulturpolitik, welche ihre Rechtfertigung weniger fand in dem hier sichtbar zum Ausdruck kommenden kollektiven Bürgerinteresse, als vielmehr in einer, ebenfalls wenig klaren, dem Staat angeblich abgeforderten Transpersonalität des kulturellen Schaffens 208 . Nur eine haltbare Begründung für staatliche Nicht-Öffentlichkeit kann es auch in diesen Bereichen geben: daß die organisierte, hoheitlich tätige Gemeinschaft zugleich als Wahrerin von Bürger-Privacy auftrete, deshalb nicht allgemein sichtbar agieren dürfe. Staats unsichtbarkeit zum Schutz der Privacy - damit schließt sich der Kreis der allgemeinen Öffentlichkeit: Sie ist, wahrhaft grundsätzlich, "überall im Staat" - nur dort nicht, wo dieser Nicht-Staatliches beschützt, seine Bürger, die eben nur als Träger ihrer kleineren privaten Geheimnisse in ihm wirksam leben, konkurrieren können. Damit fällt das Licht der Öffentlichkeit nicht nur auf einzelne Phänomene der Staatlichkeit, es beleuchtet ihr Wesen. Die große Versuchung einer so in Beweispflicht genommenen Staatlichkeit wird aber gerade darin deutlich - und dies lenkt schon zur Problematik des im folgenden im Mittelpunkt stehenden Unsichtbaren Staates über - daß sich nun die Hoheitsmacht derartigen Legitimationszwängen zu entziehen versucht, denen sie in der Vergangenheit in vergleichbarer Weise nie unterlag, als es ihr stets noch möglich war, Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit ihrer Lebensäußerungen frei nach Machtopportunität, je nach Wahl der Intimidationstechniken, einzusetzen. Dieser neuartigen Öffentlichkeitsverpflichtung vermag die Staatsgewalt zu entgehen, wenn sie sich, einmal in Unsichtbarkeit hinabgetaucht, weder mehr vor der Rechtsstaatlichkeit in der Eingriffs-Existenz ihrer Machtäußerungen beweisen, noch diese in voller Öffentlichkeit ablaufen lassen muß. Wirkt sich nicht gerade der staatsgrundsätzliche Zwang, überall nicht nur einige, sondern maximale Glasnost herzustellen, geradezu als Versuchung aus, dieser überhaupt zu entkommen, in unsichtbarer Staatlichkeit? Schlägt nicht eine überschießende Sichtbarkeitsforderung um in eine Flucht aus der Sichtbarkeit? Derartige Fragen öffnen schon den Weg in die Problematik des Unsichtbaren Staates, sie werden noch drängender, wenn auch die andere Hauptform der staatsgrundsätzlichen Wirksamkeit des Öffentlichkeitsprinzips im Blick behalten wird: Sichtbarkeit nicht als ein statischer, 208 Dies schwingt heute noch immer deutlich mit bei der Behandlung der Kunstförderung durch den Staat, vgl. dazu allg. Grimm, D., Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, in: VVDStRL 42 (1984), S. 46 ff.; Steiner, V., Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, in: VVDStRL 42 (1984), S. 7 ff.; ders., Kulturpflege, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 3, 1988, § 86.

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sondern als ein dynamischer, entwicklungsfähiger Begriff, hin zu immer noch klarerer, schärferer Sichtbarkeit der Träger und aller Handiungsformen der Staatsgewalt. Ein "Staatsprinzip" kann normativ nur faßbar werden, wird es als "Staatsaufgabe " gedeutet, welche der gesamten Staatlichkeit überall, in allen Richtungen und in allen Formen zu immer höherer, vollständigerer Verwirklichung aufgegeben ist 209 . Der Kanon der festen rechtsstaatlichen Formen mag hier, allzu rasch, auch eine das Recht prägende Mentalität des "Es ist erreicht" begünstigt haben, in welcher weitere Verwirklichungsstufen und -formen als nicht mehr diskussionswürdig oder Probleme geradezu als "grundsätzlich gelöst" erscheinen mochten; dann beginnt ein solcher Staatsgrundsatz regelmäßig abzusterben210. Noch mehr gilt dies dann, wenn ein Staatsgrundsatz wie der Föderalismus lange Zeit mehr in der Dynamik seiner Einschränkung als in der seiner Entfaltung gesehen wird211 . Allein die "Sozialstaatlichkeit" - eigentlich müßte es ja heißen: "die Rechtsstaatlichkeit in ihrer sozialen Ausprägung,,212 - konnte sich, unter dem Druck politischer Kräfte, welche sich durch liberale Grundrechtlichkeit aus ihren Zentralforderungen gedrängt sahen, die Virtualität eines wahren Staatsgrundsatzes bewahren, in der stufenweisen Steigerung ihrer Inhalte ebenso wie in deren Erstreckung auf immer neue Bereich der Verwirklichung 213 . Diese so unterschiedliche Entwicklung und deshalb kaum vergleichbare Bedeutung verschiedener Ausprägungen des Begriffes "Staatsgrundsatz" sollte übrigens zur Vorsicht bei der Normierung neuer Verfassungsprinzipien führen 214 . 209 In diesem Sinne sind die Verfassungsgrundsätze des Art. 20 GG "Staatsprinzipien zur weiteren Verwirklichung", was gerade in der Dynamik der Sozialstaatlichkeit deutlich wird; vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Anm. VIII Rdnr. 7; BVerfGE 36, S. 73 (85). 210 So etwa im Falle der "Republik", aus der erst neuerdings wieder dynamisch argumentiert wird; vgl. Isensee, J., Staat und Verfassung, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 1, 1987, § 13 Rdnr. 104 ff.; ders., Republik - Sinnpotential eines Begriffs, in: JZ 1981, S. 1 ff. 211 Kimminich, 0., Der Bundesstaat, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 1, 1987, § 26 Rdnr. 36 ff.; Stern (Fn. 207), Bd. I, 2. Auf!. 1984, S. 660 ff. 212 So wurde sie früher noch - zu Recht - gedeutet; vgl. etwa Forsthoff, E., Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: VVDStRL 12 (1954), S. 8 ff. 213 Stern (Fn. 207), Bd. I, 2. Auf!. 1984, S. 890 ff. m. weit. Nachw. 214 Was gerade in der Diskussion um "Umweltschutz als Staatsprinzip" deutlich geworden ist; dazu Rauschning, D., Aufnahme einer Staatszielbestimmung über Umweltschutz in das Grundgesetz? in: DÖV 1986, S. 489 ff.; Rupp, H.H., Ergänzung des Grundgesetzes um eine Vorschrift über den Umweltschutz? in: DVBI. 1985, S. 990 ff.; Zuck, R., Verfassungsrechtlicher Umweltschutz, in: MDR 1988, S. 14 ff.

6 Leisner

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Für die Öffentlichkeit aber, einen echten, wenn auch ausdrücklich nicht nonmerten Staatsgrundsatz, muß es dabei bleiben, daß sie der Demokratie zu immer noch weiter gesteigerter und verbreiterter Realisierung aufgegeben ist, ohne daß es hier je ein Zurück geben dürfte, liegt doch eine "Einbahnstraße" im Prinzip wirksamer Staatsgrundsätzlichkeit, wie gerade wiederum die Sozialstaatlichkeit beweist215 . Jedes Phänomen eines" Unsichtbaren Staates" müßte in dieser Sicht nicht nur erscheinen als eng zu begrenzende Ausnahme, welche der wohlbegründeten Legitimation bedarf; sie sollte eigentlich, im Laufe der Entwicklung, immer weniger legitim werden, bis derartige Formen überhaupt keinen Platz mehr finden in der Demokratie; denn in einem Zug zum "Unsichtbaren Staat" kehrt sich deren ganze Entwicklung geradezu um, ihr großer Fortschritt wird rückgängig gemacht, der doch, wie bei keiner anderen Staatsform, traditionell zum staatsbegründenden Wesen gerade dieser Ordnung gehört. Doch darin zeigt sich auch die "prinzipielle Gefahr der Staatsgrundsätzlichkeit": Ihre Dynamik kann positiv, aber eben auch negativ sich wenden, wie es sich beim Föderalismus zuzeiten gezeigt hat, mit der leichten, rechtspositivistischen Begründung, dies sei "eben nur ein Grundsatz", eine Regelvermutung216 ; die Staatsgewalt unterliege insoweit keiner verfassungsgerichtlichen Sanktion, als sie sich von derartigen Zielvorgaben mehr oder weniger weit entferne. Gerade weil dem geltenden Verfassungsrecht derartige Entwicklungen nicht unbekannt sind, könnte selbst eine zum Staats grunds atz hochgesteigerte Öffentlichkeit Türen öffnen in dunkle Räume des "Unsichtbaren Staates". Hegelianisches Denken allerdings möchte wohl in dem Umschlag aus gesteigerter Öffentlichkeit in den "Unsichtbaren Staat" die Entfaltung einer Antithese begrüßen, über der am Ende die Synthese eines Gesichtes der Staatlichkeit stehen würde, dessen eine Hälfte im Lichte der Öffentlichkeit sichtbar, dessen andere aber in das geheimnisvolle Dunkel der Kryptogewalt getaucht bleibt.

215 Denn in ihr liegt ja vor allem ein Zug zur Verwirklichung der materiellen Gleichheit, die ihrerseits insgesamt in eine solche Einbahn drängt. Vgl. dazu eingehend Leisner, w., Der Gleichheitsstaat - Macht durch Nivellierung, 1980, vor allem S. 136 ff., 304 ff. 216 Und der Charakter der Regelvermutung ist der Staatsgrundsätzlichkeit an sich eigen, auch wenn sie nicht ausdrücklich nur "in der Regel" gelten soll; daß dann ein Verfassungs befehl geradezu in sein Gegenteil umschlagen kann, zeigt etwa der "Funktionsvorbehalt" des Art. 33 IV GG ("Beamte zur Ausübung hoheitlicher Befugnisse"); vgl. LecheIer, H., Der öffentliche Dienst, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 3, 1988, § 72 Rdnr. 23 ff.; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 33 Rdnr. 32 ff.

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5. "Unsichtbarer Staat" - illegale Krypto-Gewalt?

In dem hier schließenden Kapitel ging es um die grundsätzliche Sichtbarkeit des Staates, vor allem in der gegenwärtigen Volksherrschaft. Es hat sich gezeigt, daß hier ein echtes, typisches und herkömmliches Phänomen der Staatsrnacht Gegenstand der Betrachtung ist, und daß die Sichtbarkeit der Machtträger und ihrer Machtäußerungen durchaus nicht notwendig und in allem Entmachtung der Staatlichkeit bedeuten muß. Vielmehr versucht gerade die gegenwärtige Demokratie in ihrer grundsätzlichen "Staatlichkeit als Öffentlichkeit" sogar neue Formen und Legitimationen der Macht aufzubauen. Für diese Staatsöffentlichkeit als Kriterium der Staatlichkeit ist allerdings solcher Machtgewinn nicht die eigentliche Legitimation, sondern allenfalls eine staatsbegünstigende Konsequenz. Der Staat wird, politisch und staatsethisch, nur akzeptiert, weil und soweit er in die Sichtbarkeit tritt, seine Kryptogewalt ist als solche illegitim, auch wenn sie sich hinter Formen des Rechts verbirgt. Doch es stellt sich eine weitere Frage, die ins Rechtliche hineinreicht: Ist nicht der Unsichtbare Staat geradezu illegal, rechtswidrig aus der Sicht des demokratischen Staatsrechts? Diese totale und absolute Absage an staatliche Kryptomacht ist in der Tat das Ergebnis demokratischer Rechtsgrundsätzlichkeit, der Rechtsstaatlichkeit wie des Bekenntnisses zur Öffentlichkeit des Staates; die herkömmlichen machtpolitischen Vorteile der Sichtbarkeit werden damit in deren Rechtsgrundsätzlichkeit normativ verfestigt. Auf diesen Wegen ist aus einer Frage politologisch zu untersuchender Machttechnik eine solche nicht nur der Staatslehre, sondern des geltenden demokratischen Staatsrechts geworden. Die "Kryptogewalt", all das also, was sich in seiner staatlichen Trägerschaft oder in den Äußerungsformen der Staatsrnacht der allgemeinen Sichtbarkeit ganz oder teilweise entzieht, entfernt sich in eben diesem Maße auch von den rechtlichen Vorgaben aller öffentlichen Gewalt, im weitesten Sinne des Wortes. Der" Unsichtbare Staat" ist als solcher, aus der Sicht des demokratischen Staatsrechts, nicht nur illegitim, er ist letztlich illegal217 . Daran ändert es auch nichts, daß es zum Wesen des noch näher zu betrachtenden Hinabtauchens der Staatsgewalt in eine wie immer zu definierende "Unsichtbarkeit" gehört, daß dies nicht stets vollständig und gerade in sei-

217 Im Sinne der klassischen Unterscheidung, nach Carl Schmitts Legalität und Legitimität, 1932; Winckelmann, J., Die verfassungsrechtliche Unterscheidung von Legitimität und Legalität, in: ZgesStW 1956, S. 164 ff.; Zippelius, R., Allgemeine Staatslehre, 11. Aufl. 1991, § 1611. 6·

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nen Kryptoerscheinungen rechtlich nur schwer im einzelnen definierbar erfolgt; Abweichungen von normativ nicht eindeutig Vorgegebenem verschieben nicht bereits die Problematik von der Illegalität zur Illegitimität. Das Zentralproblern des "Unsichtbaren Staates" liegt naturgemäß darin, daß seine Phänomene schwer faßbar, daß er als solcher in seinem Gefahrenpotential für die demokratischen Grundprinzipien nur in "Hochrechnungen" und in einer Zusammenschau faßbar wird, bei der häufig die letzte, rechtliche Präzision fehlt. Der "Unsichtbare Staat", wenn es denn etwas Derartiges gibt, kann immer nur gedacht werden als eine "Macht auf dem Weg,,218, nicht als eine festgefügte Institution, welche als solche sogleich in das Licht der demokratischen Öffentlichkeit und ihrer Sichtbarkeit treten müßte: Wenn die folgenden Betrachtungen also mehr institutionellen Degenerationserscheinungen als normativ klar faßbaren Rechtsverletzungen nachgehen müssen, so kann von ihnen nicht erwartet werden, daß sie auch sogleich das normative Heilmittel bereithalten, vor allem wenn ein solches wesentlich in gerichtlichen Sanktionen gesehen wird, wie es rechtsstaatlichem Denken entspricht. Der große Weg in die Unsichtbarkeit wird - das kann schon an dieser Stelle vorwegnehmend gesagt werden - weit mehr über eine organisationsrechtliche Verfassungsverbiegung 219 in vielen kleinen Bewegungen führen, als daß er sich in größeren Schlägen der Verunsichtbarung der Staatsgewalt ankündigt. Deshalb stellt sich hier auch nicht immer sogleich die Sanktionsfrage, sondern regelmäßig die eines Gegenwirkens mit denselben, wesentlich organisationsrechtlichen Mitteln. Das harte staatsgrundsätzliche Urteil über die demokratische Illegalität jeder Kryptogewalt muß auch nuanciert werden, zumindest in einem dreifachen Sinn: - Immerhin könnte es ja sein, daß sich in einer solchen "Verunsichtbarung von Staatsgewalt" deren Abbau ankündigt oder bereits vollzieht. Dies aber wäre im Sinne der Rechtsstaatlichkeit grundsätzlich nur zu begrüßen, wie es heute auch vielfach geschieht220 . Solche

Wie es unter zeitlichen Aspekten bereits früher dargestellt worden ist, vgl. w., Imperium in fieri, in: Der Staat 1969, S. 273 ff. 219 Zu dem Begriff vgl. Leisner, w., Die Verfassungsverbiegung. Durch "kleine Schritte" zu einem anderen GG, in: Politische Studien 1979, Sonderheft 218

Leisner,

2, S. 55 ff.

220 Schon aus dem Erforderlichkeitsgrundsatz heraus ("soviel Staatsgewalt wie nötig"); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Anm. VII Rdnr. 71 ff.; Zippelius (Pn. 217), § 30 I 2.

V. Öffentlichkeit: Sichtbarkeit der Staatsgewalt

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Überlegungen gehören daher in die folgenden Betrachtungen des " Unsichtbaren Staates" . - Gewisse Verunsichtbarungen der Staatsgewalt können durch andere, etwa neu entwickelte Sichtbarkeiten, bis zu einem gewissen Grade wenigstens, kompensiert, in ihrer Illegalität entschärft werden; Beispiele zeigen sich sogar in "vordemokratischen " Perioden etwa in Formen des "Staatstheaters", was allerdings im helleren Licht der demokratischen Öffentlichkeitsvorstellungen kritisch zu betrachten ist. - Die Staatsgewalt darf nicht nur, sie muß überall dort "unsichtbar" bleiben, wo dies zum Schutze von Interessen der Gewaltunterworfenen erforderlich ist, in einer Ordnung grundsätzlicher BürgerKonkurrenz. Daraus können sich Rechtfertigungen im einzelnen selbst dann ergeben, wenn bestimmte Formen der Staatsorganisation allgemeinere Verschleierungstendenzen begünstigen. Dies ist als ein genereller Vorbehalt zu sehen, unter dem im folgenden allgemeinere Ausführungen immer stehen. "Sichtbarkeit" als "allgemeine Wahrnehmbarkeit" zeigt allerdings einen wesentlichen Gleichheits-Aspekt, sie verlangt grundsätzlich die gleichmäßige Wahrnehmbarkeit durch alle Bürger. Insoweit aber darf es grundsätzliche Einschränkungen nicht geben; diese Egalität steht nicht unter einem so allgemeinen Vorbehalt der Verfassungsgerichtsbarkeit, daß sie aus allen vernünftig-verhältnismäßigen Überlegungen heraus ausgestaltet oder gar gebrochen werden dürfte 221 . Eine derartige Betrachtung würde die Öffentlichkeit schllechthin der Macht-Opportunität der Herrschenden opfern. Als Ausdruck der Egalität ist die gleichmäßige öffentliche Sichtbarkeit vielmehr als ein besonderer, unbedingt zu wahrender Gleichheitssatz zu verstehen. Damit ist in diesem Kapitel der Hintergrund dargestellt worden, auf dem nun "der Unsichtbare Staat deutlich werden" kann, nicht sogleich in seinen einzelnen Formen, in denen er sich ja gerade dem Blick des Betrachters zu entziehen versucht, sondern in einer Zusammenschau, welche seine globale Gefährlichkeit -- oder Unentrinnbarkeit - auch - oder gerade - in der Demokratie sichtbar werden läßt. Und wäre dies nicht ein Beitrag zu einer Dogmatik der Öffentlichkeit, zu einer Sichtbar-Werdung des Staates?

221 BVerfGE 70, S. 230 (240 f.); 81, S. 208 1224); 82, S. 126 (146).

B. Legitimation des rr Unsichtbaren Staates" Der Staat wurde bisher als eine wesentlich sichtbare, jedenfalls in seiner modemen Entwicklung in Wahrnehmbarkeit drängende Machterscheinung betrachtet. Dies gipfelte dann in der rechtlichen Begründung der Staatsgrundsätzlichkeit der gegenwärtigen Demokratie, aus deren Öffentlichkeitsvorstellungen heraus Kryptogewalt grundsätzlich nicht nur illegitim, sondern sogar illegal erscheinen muß. Und dennoch häufen sich, wie schon eingangs gesagt, gerade in letzter Zeit allgemeine Anzeichen für das Wachsen eines "Unsichtbaren Staates". Erfassung und Bewertung dieser Entwicklung muß, vor einer Beschreibung von ihren Phänomenen im einzelnen, beginnen mit den grundsätzlichen Begründungsmöglichkeiten für diese unfaßbare Staatlichkeit. Am Anfang können dabei nicht Grundsätze oder gar Einzelnormen geltender Verfassungsordnungen stehen. In Überlegungen, welche mehr einer allgemeinen Staatslehre zuzuordnen sind, gilt es zuallererst aus dem Wesen jener Staatlichkeit heraus zu argumentieren, welche schließlich auch die gegenwärtige Demokratie geerbt und institutionell in ihren Grundlinien übernommen hat. Zwar mag diese Volksherrschaft heute nur mehr "eine Staatslehre ihres Regimes" akzeptieren, wie dies etwa in den Versuchen typisch demokratischer Staatsrechtfertigung in besonderer Weise deutlich wird 222 j sie kann sich dennoch nicht vollständig absetzen von allen in "vordemokratische Perioden" hinaufreichenden Staatslegitimationen, welche zugleich solche der Macht an sich sein können, und daher vielleicht mit historischer, im demokratischen Gemeinwesen ja nicht grundsätzlich geleugneter, Notwendigkeit legitimierend auch heute noch zu wirken vermögen. Damit ist dies ein Kapitel über Legitimationsversuche unsichtbarer Staatlichkeit, es sind aber zugleich Betrachtungen über mögliche vordemokratische Legitimationen demokratischer Staatsentwicklungen. Letztlich steht dahinter auch die Problematik der historischen Begrenztheit der sich nicht selten vor- und überstaatlich gebenden Volksherrschaft: Fallen staatliche Unsichtbarkeitsschatten bis hinein in das Licht ihrer Öffentlichkeit, aus dem Wesen des Staats und seiner Macht? Kelsen, H., Allgemeine Staatslehre, 1925 (Neudruck 1966), S. 27 ff.; Zippe(Pn. 217), § 17 III.

222

lius

1. Geistig-historische Entwicklungsstufen der Staatsmacht

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I. Geistig-historische Entwicklungsstufen der Staatsmacht - zur Unsichtbarkeit 1. Ent-Menschlichung der Herrschaft

Der modeme Staat versteht sich, jedenfalls in seinen "demokratischen" Fonnen, als Aufhebung der Herrschaft von Menschen über Menschen, als eine Übertragung der Macht auf den vergeistigten Träger Staat oder geradezu als ihre volle Spiritualisierung, in einem transpersonalen, geistigen Selbstand 223 , unter diesem selben Namen. Derartige Entwicklungen laufen seit dem Beginn der näher bekannten Geschichte nahezu ununterbrochen ab, sie setzen sich in der Demokratie fort, welche geradezu als Vollenderin solcher Evolutionen erscheint.

a) Der Staat als Über-Mensch -

im Unsichtbaren verankert

Was immer die ursprünglichen Bedeutungen und Funktionen der Götterbilder gewesen 224 , wie sie sich entwickelt haben mögen - hier hat sich eine "Verbildlichung der Macht" als solcher vollzogen, welche nicht mehr der menschlichen Person von Herrschenden zugeschrieben wurde, diese übten sie vielmehr nur für einen anderen aus; dies mochte zunächst einmal eine neue Fonn der Sichtbarwerdung der Macht bedeuten. Daß darin Vorstufen einer Staats-Werdung lagen, kann nicht zweifelhaft sein, wenn man derartige Erscheinungen in ihrer Entwicklung über die Götterbilder der Polis und der Göttin Roma 225 bis zu den Staats symbolen verfolgt. Überall wird darin "Herrschaftsausübung für einen anderen" bezeugt, in seinem Namen jedenfalls, nicht im eigenen der Herrschenden. Noch nicht eine Ent-Persönlichung findet statt, wohl aber eine Ent-Menschlichung, sie war auch stets letzte Grundlage der theologisch begründeten Legitimation monarchischer Macht 226 . Im Sinn von Othmar Spanns "Wahrem Staat", 4. Aufl. 1938. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß weder im Griechischen das Agalma, noch im Lateinischen das Simulacrum ursprünglich und primär das "Götterbild" bezeichnet, vielmehr nur das "Abbild", die Vergegenständlichung von Lebewesen oder Sachen, vgl. Pape, w., Griechisch-Deutsches Handwörterbuch, 1914, Agalma; Georges, KE., Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch, 1918, Simulacrum. 225 Vgl. Livius, Hist., 43, 6, 5; Tacitus, Annalen 4,37. 226 Jellinek, G., Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1913, 7. Neudruck 1960, S. 186 ff.; von Haller, K L., Restauration der Staatswissenschaften, 2. Aufl. 1820, S.340. 223

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B. Legitimation des "Unsichtbaren Staates"

Darüber hinaus fragt es sich aber, ob eine derartige Ent-Menschlichung nicht von jeher, seit eben von einer Staatlichkeit die Rede sein kann, zum Wesen von deren Legitimation gehört. Mag diese auch noch so deutlich sichtbar gemacht werden, damit die Herrschaft faßbar sei, vom Götterbild bis zur Fahne - dahinter steht doch immer die Vorstellung von einem Wesen dieser höchsten Gewalt, die nicht nur mehr, sondern vor allem etwas ganz anderes ist als das, was von irgendeinem physischen Träger und seinem Willen an Macht ausgehen könnte. Selbst dort, wo der Träger der Staatlichkeit den Gewaltunterworfenen noch als eine Persönlichkeit zum Glauben vorgestellt wird, vom Herrschergott der monotheistischen Religionen über den divinisierten früheren Machtinhaber, den auf die Altäre erhobenen römischen Kaiser oder die Heiligen, bis hin zu dem ihre Stelle im Geiste der Bürger vertretenden republikanischen Monument227 - stets ist da mehr als menschliche Macht, und selbst aus den Standbildern des Volkstribunen 228 spricht die von ihm geführte höhere Macht des ganzen Volkes, besser noch: der auf dieses noch übergreifenden überzeitlichen Nation 229 . Im Transpersonalismus schließlich als Machtlegitimation, wie er sich aus "unmittelbar vordemokratischem Denken" bis in die materiale Wertlehre 230 der Demokratie hinein fortsetzt, wird wiederum die Bedeutung des Menschen, seiner Kräfte und Werte, bis ins Über-Menschliche gesteigert. Wenn dies aber Phänomene der Machtstaatlichkeit schlechthin sind, wie sie sich im theokratischen Staat ebensowohl feststellen lassen wie in der römischen Militärstaatlichkeit, im Fürstenstaat des 19. Jahrhunderts wie in den demokratischen Staatsgrundlagen vor- und überstaatlicher Werthaftigkeit - was anderes wäre denn auch die Legitimation aus einer "Menschenwürde,,231 - so liegt eben etwas von der hegelia-

So ist denn auch die Idee des "Monumentalstaates" (siehe dazu Leisner, Staatlichkeit als "Große Lösung", 1989), im Grunde gerade republikanisch, wenn nicht demokratisch begründet. 228 Mit denen die liberal-demokratische Staatlichkeit seit dem 19. Jahrhundert die westlichen Länder überzogen hat, von Dantons Monument in Paris bis in die Höhen amerikanischer Berge mit Präsidentenköpfen. 229 Siehe dazu Curre de Mulberg, R., Constribution a la Theorie generale de l'Etat, Paris 1930. 230 Dürig, G., Die Menschenauffassung des Grundgesetzes, in: JR 1952, S. 259 ff.; ders., vgl. Zitate in Fn. 100. 231 Mag diese nun von der individuellen Würde des Einzelmenschen ausgehen (vgl. zur h.L. Nipperdey, H.G., Die Würde des Menschen, in: NeumannlNipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, 2. Bd. 1954, S. 1 (3); Stern (Fn. 207), Bd. IIII1, 1988, S. 11 f.; vgl. zur Rspr. BVerfGE 45, S. 187 (228)), oder - eher transpersonal- von einer" Würde der Menschheit" (so der BayVerfGH in E n.F. I, S. 29 (32); 2, S. 85 (91)). 221

w., Der Monumentalstaat -

I. Geistig-historische Entwicklungsstufen der Staatsrnacht

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nischen Vorstellung vom "Staat als Über-Mensch,,232 tief im Wesen der Staatlichkeit überhaupt verankert, von einer Macht, die im wahren Wortsinne "vom Menschen abgezogen", eben eine "abstrakte" geworden ist. Wenig Unterschied macht es dann, ob da ein päpstlicher Hohepriester ist oder ein aufgeklärter preußischer Monarch, beide werden tätig in der Ausübung einer ent-menschlichten Macht, die daher weder ihnen noch irgendeinem anderen voll zugerechnet werden kann. Doch damit beginnt ein Rückzug aller Staatsgewalt aus der Sichtbarkeit, welche eine volle für Menschen immer nur in der Inkarnation durch eine natürliche Person sein kann. Die Staatsgewalt wird in ihrer Sichtbarkeit auf gewisse Äußerlichkeiten beschränkt, die ihre Existenz nur mehr symbolisieren, mögen auch ihre Handlungen eindeutig als die der physisch Herrschenden erscheinen. Wenn aber über diesen der Staat als Über-Mensch im hegelianischen Sinne stets zu denken ist, darf er dann überhaupt voll in die Sichtbarkeit der natürlichen Personen herabgezogen werden, muß nicht immer etwas, ja etwas Wesentliches bleiben von seinem unsichtbaren, nicht Hinter-, sondern Höher-Grund? Dieser Problematik kann man nicht mit den einfachen Kategorien der Rechtsfähigkeit einerseits, der Handlungsfähigkeit233 andererseits entgehen, jene dem Staat, diese den für ihn herrschenden Menschen zuschreiben. Wenn der Staat seinem Wesen nach entmenschlichte Macht ist, so kann er wohl kaum "vollständig sichtbar bleiben". Wenig Sinn hat dann aber die politische Forderung - und das ist an dieser Stelle nun entscheidend - all seine Äußerungen in maximale Öffentlichkeit hineinstellen zu wollen; denn dies bedeutet ja nichts anderes, als daß diesen Herrschaftsäußerungen - gerade die wesentliche Staatsqualität und deren Legitimation wieder genommen wird, daß sie nämlich aus dem Über-Menschlichen, und damit letztlich Unsichtbaren, kommen. Die Demokratie vor allem könnte sich dann leicht dem Vorwurf eines primitiven Anthropomorphismus aussetzen, wollte sie einfach das sichtbare "Volk" mit ihrem "Staat" gleichsetzen. Wenn aber das "Volk" auch in ihr immer nur als erstes Organ des Staates gedacht werden darf234 , so kann doch auch jene real-faßbare Öffentlichkeit, die nichts 232 Hegel, G. W. F., Grundlinien der Philosophie des Rechts, 4. Auf!. 1955, §§ 257 ff.

233 Die ja nach herkömmlichem Prozeßrecht immer nur eine solche der "inkarnierenden " physischen (Herrscher-)persönlichkeiten sei (Hartmann, P., in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 51. Auf!. 1993, § 52 Anm. 1 B; Kopp, F., VwGO, 9. Auf!. 1992, § 62 Rdnr. 14). 234 Nämlich das Volk als Kompetenz-Träger, vor allem als Wahl-Volk, wie es ja letztlich auch Art. 20 GG zugrunde liegt ("Alle Macht geht vom Volke aus"), Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 28. Auf!. 1991, § 10 III 1; Stern (Fn. 207), Bd. 11, 1980, S. 11 ff.

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B. Legitimation des "Unsichtbaren Staates"

anderes bedeutet als "alle Bürgeraugen, die sich auf alle Staatlichkeit richten sollen", den Staat nie voll sichtbar machen. Im Kern muß auch hier die über-menschliche Macht, schon um dieses ihres Wesens willen, eine unsichtbare bleiben; und daher ist es dann auch ein echtes Hoheits-Zeichen für sie, wenn sich dies in bedeutsamen Staats aktivitäten bewährt, die nicht alle in Sichtbarkeit "hervorzutreten" brauchen,schon deshalb nicht, weil damit ihr Träger allzusehr "vermenschlicht" würde. Ist Staats sichtbarkeit also, in allem und jedem, nicht ein primitivierender Rückschritt in eine anthropomorphe Staatsanschauung, und sei es auch in kollektiver Personifizierung der Volkssouveränität, wird damit nicht eine Spiritualisierungsentwicklung von vielen Generationen rückgängig gemacht? Liegt es nicht in dieser Entwicklung, ganz allgemein, daß sich die souveräne Macht des Staates immer weiter zurückzieht aus "Äußerlichkeiten", "Inkarnationen", aus allem" Menschlichen - Allzumenschlichen" , damit aber eben auch aus vielen Formen einer Staats-Sichtbarkeit? Nun mag man dagegen einwenden, gerade deshalb gelte es, diesen "im Kern unsichtbaren Staat" immer wieder, und heute besonders, faßbar zu machen in der Öffentlichkeit seiner Machtäußerungen, damit diese nicht dem Bürger gefährlich werden könnten und seiner Freiheit. Doch wer so Staatssichtbarkeit begründen will, muß wissen, daß er damit nicht mehr aus "dem Wesen des modernen Staates" argumentiert, sondern - dagegen, zu seiner machtmäßigen Begrenzung. Mit derselben Problematik ist dies belastet, wie der bekannte Versuch, "den Staat auf Freiheit zu gründen" - mit der Bremse als Motor zu fahren (Herbert Krüger). Wenn einmal das Wesen der Staatlichkeit als in die Unsichtbarkeit hineinreichend erkannt wird, so fällt es weit schwerer, seine Machtäußerungen doch wieder ins Licht einer Öffentlichkeit zu heben, die dann ihrerseits stets unter dem Begründungszwang steht, sie wolle ja nur Freiheitsgefährdung vermeiden. Ist der Staat schon in seiner ÜberMenschlichkeit wesentlich im Unsichtbaren verankert, so wird die demokratische Staatsform für ihre Öffentlichkeitsforderung beweispflichtig, sie kann diese dann nicht mehr aus dem Staatsbegriff selbst heraus legitimieren. Und der "unsichtbare Rest der Staatlichkeit" könnte dann, mit der Dynamik seiner wesentlichen Über-Menschlichkeit, bald größer werden, entscheidend. Wer sich also auf Ent-Menschlichung der Staatsgewalt, auf den Staat als "abstrakte Macht" beruft, in welchem Zusammenhang immer235 , der ist dabei, die demokratische Beweislast der 235 Etwa im Zusammenhang mit dem "Machtmonopol", der unwiderstehlichen Macht des demokratischen "Allgemeinen Willens" oder dem Recht des

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grundsätzlichen Staats-Öffentlichkeit umzukehren, diese "beweispflichtig" zu machen, aus der Freiheitssicherung heraus. Diese aber kann, die Grundrechte zeigen es, immer nur in Grenzen, oft nur punktuell wirken. Alles andere am Staat dürfte dann "unsichtbar bleiben" , vielleicht sogar die Macht in ihren eigentlichen Zentren, und manchen Demokraten mag die Sorge beschleichen, das Licht seiner Öffentlichkeit könne nie in diese Mittelpunkte einer Macht hineinreichen, deren abstraktes, nicht-menschliches Wesen doch gerade als so große Errungenschaft der Volkssouveränität erscheint. Grundsätzlich gilt also: Der Weg zur ent-menschlichten Staatlichkeit ist eine Straße zum" Unsichtbaren Staat".

b) Die Demokratie zwischen " abstrakter Staatsgewalt" und" Gewaltaneignung durch Öffentlichkeit"

Auf solchen allgemein-historischen Grundlagen läßt sich nun sogar etwas wie eine demokratische Theorie des Unsichtbaren Staates als Träger über-menschlicher Gewalt entwickeln. Abstrakt ist diese, "abgezogen" von der Person der physisch Herrschenden in jenen Gesetzen, deren Geltung an die Stelle der Gewalt von Mensch über Mensch tritt. Unter ihnen erst stehen die Gewaltträger, so wie es die Devise der Frühzeit der Französischen Revolution ausdrückt: La Loi et le Roi236 . Abstrakt bleibt das Wesen des Souveränitätsträgers auch in der revolutionären Folgephase der jakobinischen Volkssouveränität. An dieses Volk wird nicht primär die Frage nach seiner Sichtbarkeit oder Nicht-Wahrnehmbarkeit gestellt, "irgendwie abstrakt" steht es über den realen Gewaltunterworfenen, den Bürgem237 , noch deutlicher gilt dies für die Nation der "Souverainete nationale", den Träger der französischen republikanischen und revolutionären Tradition 238 .

Staates, seine eigenen Aufgaben (weitestgehend) zu definieren, Bull, H.P., Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 213 ff.; Hesse, G., Staatsaufgaben. Zur Theorie der Legitimation und Identifikation staatlicher Aufgaben, 1. Aufl. 1979. 236 Die vor allem über den normativen Akten der früheren Revolutionszeit steht, vgl. den Recueil des Lois et Decrets ("Recueil Seguin"), Paris 1789 ff. 237 Dazu näher Leisner, w., Volk und Nation als Rechtsbegriffe der französischen Revolution, in: Festschr. für Hans Liermann, Erlangen 1964, S. 97 ff. 238 Carre de Malberg, R., Contribution a la Theorie generale de I'Etat, Paris, 1930, insbes. S. 101 ff.

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B. Legitimation des" Unsichtbaren Staates"

Im Mittelpunkt heutiger Demokratie steht ebenfalls ein Abstractum als Träger der Macht: Der GleichheitsbÜIger als eine "abstrakte Figur", mit Konturen, welche von der Unauswechselbarkeit des Einzelmenschen gewissermaßen "abgezogen" sind, obwohl diese doch sonst in der Grundrechtstheorie stets besonders betont wird239 . Gerade im Interesse dieses Gleichheitsbürgers, eines Gewaltunterworfenen mit all den Zügen, die sich auch in allen anderen, "Seinesgleichen", wiederfinden, zum Schutz dieser eben doch abstrakten Bezugsperson aller demokratischen Staatlichkeit, wird jene Öffentlichkeit hergestellt, in welcher der Staat sichtbar werden soll. Heißt dies aber nicht, daß es der Demokratie nicht so sehr um "reale Faßbarkeit" der Herrschaftsträger und ihrer Handlungen geht, daß diese vielmehr immer nur in einer Abstraktion auftreten sollen - in einer Weise eben, welche so vieles und geradezu Entscheidendes im Bereich einer Staatsunsichtbarkeit beläßt, welche sich eben hinter solchen "Abstraktionen" verbergen kann? Konkret: "Sichtbar" wäre dann nur der Gleichheitsstaat zu machen in der Demokratie, wesentlich" unsichtbar", im Sinne des Nicht-Öffentlichen, dürften die Gewaltäußerungen jener Einzelentscheidung bleiben, in denen aber doch so häufig das eigentliche Wesen der zugreifenden Gewalt erst gefunden werden kann; und der gleichheitsbewahrenden Gesetzespublizität steht ja in der Tat das wesentliche Adrninistrativgeheirnnis gegenüber. Der demokratische Staat wird also der Forderung nach" totaler Sichtbarkeit aller Staatlichkeit in Öffentlichkeit" den Grundsatz einer (nur) "abstrakten Öffentlichkeit" entgegensetzen, einer "Gleichheits-Sichtbarkeit", die sich auf das beschränkt, was die Gewaltunterworfenen egalisiert, im wesentlichen auf die Gesetzespublizität. Allenfalls der in Gleichheit sichtbare Staat kann also Dogma der Demokratie sein - gerade darin bleibt diese weithin bei jener "Staats-Abstraktion" stehen, auf die sich letztlich eine Theorie des" Unsichtbaren Staates" , wie dargelegt, gründen läßt. Wenn der geschützte Bürger, nur als Abstraktion sichtbar zu machen ist, kann dann nicht die auf ihn zugreifende Staatsgewalt im Einzelfall auch vieles verbergen? Gerade der demokratische Staat setzt schließlich konsequent fort, was alle Staatlichkeit vor ihm auch schon mit dem Begriff "Staat" verbunden hat: Gebrochen werden soll die Aneignung der Macht durch deren physische Träger, sie muß daher stets als eine irgendwie abstrakte, über ihnen stehende gedacht werden. Einer radikalen "Sichtbarkeits-Theorie" könnte nun aber der Vorwurf gemacht werden, gerade sie begün239 Vor allem im Zentralbereich der Menschenwürde, der Persönlichkeitsentfaltung und ihrer Ausstrahlungen, vgl. die in Pn. 230 und 231 Zitierten.

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stige eine derart weitgehende "Verkörperung" der Macht durch die ausübenden Organe, daß dies praktisch nur in einer Machtaneignung wieder enden könne, in welche diese physisch Herrschenden durch die ständig intensivierte Öffentlichkeitsforderung geradezu gedrängt würden: Praktisch läßt sich dies unschwer verdeutlichen: Wird der Staatsoder Regierungschef, eben um der gesteigerten Machtfülle seiner Funktion wegen, in eine "volle Publizität" gestelit240 , so begünstigt dies bei dem Medienbetrachter notwendig eine immer vollere Identifikation von realer Person und abstrakter Macht, diese letztere tritt wirklich nur mehr in ihrer Innehabung in Erscheinung, "in der Person" eben des Staatsorgans. Dann aber bringt doch Sichtbarkeit das Gegenteil dessen, was sie demokratisch legitimieren sollte: nicht klar definierte Kontrollierbarkeit, Machtminimierung durch die vielen auf den Staat gerichteten Augen, sondern Machtverstärkung durch einen Zusammenfall von "abstrakter" über-menschlicher Staatsgewalt und konkretem Herrschaftswillen einer physischen Person. Anders gewendet: Steht die Demokratie nicht in einer "Vermenschlichungs-Gefahr" ihrer Staatsgewalt, durch die Wirkungen ihrer übersteigerten Öffentlichkeit, lenkt sie damit nicht sogar zu den Anfängen organisierter Staatlichkeit zurück, in die doch nun wirklich wesentlich "vordemokratischen " Praktiken einer Persönlichen Gewalt241 ? Kann diese nun nicht nur dadurch wieder zurückgedrängt werden, daß der übermenschlich-abstrakte Charakter der Staatsträger und all ihre Wirksamkeit in einer wenigstens im Kern noch gewahrten Unsichtbarkeit erhalten bleibt, welche vielleicht allein die offene Machtaneignung durch Einzelne verhindert? Muß also nicht gerade die Demokratie ihre Macht "in den Unsichtbaren Staat hinein" entwickeln, in Sicherheit bringen?

2. Staat - der stets wesentlich "unsichtbare Gott auf Erden" Die historische Entwicklung der Staatsidee läßt sich nicht nur über eine laufende Entfaltung und Steigerung von deren Abstraktion als ein Weg zum" Unsichtbaren Staat" deuten, dieser kann nicht nur darin eine grundsätzliche auch und gerade demokratische Begründung finden. Noch klarer folgt eine solche aus der Betrachtung einer weiteren Stufe 240 Wie dies gerade hier mit dem sog. Kanzlerprinzip sogar einer verfassungsrechtlichen Grundentscheidung entspricht, Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 62 Rdnr. 10; Stern (Fn. 207), Bd. 11, 1980, S. 301 ff. 241 Zu deren wesentlich "vordemokratischen" Wurzeln Leisner, w., Der Führer - Persönliche Gewalt - Staatsrettung oder Staatsdämmerung? 1983.

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B. Legitimation des "Unsichtbaren Staates"

in der Entwicklung des Begriffs öffentlicher Gewalt, die vielleicht gar als solche "wesentlich unsichtbar" gedacht wird. Die abstrahierende Trennung der absoluten Gemeinschaftsgewalt von denjenigen, welche sie ausüben wollen, ist ja nur ein erster Schritt in Richtung auf eine Vergeistigung, die allerdings auch bereits als solche, wie eben dargelegt, Zentren der Macht und ihrer Legitimation in die Unsichtbarkeit verlegt. Diese letztere wird, darüber hinaus, als solche zum legitimierenden Wesen der Staatlichkeit immer dort, wo die sie tragende, jedenfalls im Kern rechtfertigende göttliche Gewalt als eine wesentlich unsichtbare verehrt wird. Diese Entwicklung von der Abstraktion zur Unsichtbarkeit vollzieht sich historisch wohl auf verschlungenen Einzelwegen, jedenfalls aber in dem Augenblick entschieden und im Großen, wo der wesentlich unsichtbare Herrschergott der Christen die Civitas Dei konstituiert und lenkt. Hier kann die Frage nur gestellt, allenfalls im Ansatz beantwortet werden, ob sich damit nicht eine entscheidende Spiritualisierung des gesamten Staats begriffs vollzogen hat: von Staatlichkeitsvorstellungen, die zwar der Abstraktion platonischer Ideenvorstellungen verpflichtet sein mochten, sich aber bis in die Cäsaren-Divinisierungen hinein auf potente Sichtbarkeit stützten - nunmehr hin zu einer in all ihren zentralen Kräften wesentlich unsichtbaren Staatlichkeit. Daß das christlich geprägte Mittelalter eine solche Unsichtbarkeits-Spiritualisierung des Staates so weit gesteigert hat, daß dieser geradezu verdämmerte, über den realen, brutalen Phänomenen der tatsächlichen Macht, daß hier eines der Zentralprobleme des mittelalterlichen Denkens über Staat und Reich zu suchen ist, belegt gerade Dantes Staatsdichtung, in welcher erst im unsichtbaren Jenseits die Ordnung der Macht wahrhaft gelingt. Das protestantische Staatsdenken trägt solche Traditionen erkennbar weiter, in einem oft bis ins Ikonoklastische gesteigerten Abbau von Staats-Äußerlichkeiten, die einhergehen mit einer um so entschiedeneren Spiritualisierung und Rationalisierung nicht nur der Staatsträgerschaft, sondern aller Erscheinungsformen des Staatshandelns 242 . Damit kommt es zunächst schon zu einer Entformalisierung vieler Staatstätigkeiten, welche diese aus früherer "Sichtbarkeit" drängen. Historische Forschung könnte auf diesen Wegen vielleicht die moderne Staatsentwicklung, bis in ihre aufklärerischen Grundrechts-Spiritualisierungen hinein 243 , erweisen als eine Abkehr von äußerlicher Staats-

242 So entsteht in Preußen das Beamtentum als Träger der Staatstätigkeit als ein Dienst an diesem abstrakt-unsichtbaren Gemeinwesen, im Wohlfahrtsstaat, der "ganz großen protestantischen Gemeinde", vgl. Hintze, 0., Der Beamtenstand, 1911.

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Sichtbarkeit. Die bisherigen Betrachtungen legen bereits nahe, daß dies nicht ohne Auswirkungen bleiben konnte auf alle Fonnen der Wahrnehmbarkeit von Staatsphänomenen: Verdämmern diese an einer Stelle, werden sie nicht sogleich durch Ersatz-Sichtbarkeiten kompensiert, und seien es solche der "Ablenkung" , so wird die Staatlichkeit auch in anderen Bereichen in eine dann als selbstverständliche Nonnalität empfundene Unsichtbarkeit zurückfallen. Deutlich zeigt sich dies in der Entlonnalisierung der Verwaltungsverfahren, im Abbau äußerer Fonnen der Ausübung von Staatsgewalt, welche dem Kampf gegen staatliche "Äußerlichkeiten" zum Opfer fallen. Der wesentlich unsichtbare Gewaltinhaber kann auch in den Äußerungen seiner Macht entfonnalisiert werden, bis sich dann im neue ren Verwaltungsrecht das Prinzip der Formfreiheit244 ebenso durchsetzt wie im Zivilrecht, weil eben auch dort die staatliche Legitimation nicht mehr aus der besonderen Autorität von Siegeln und Urkunden, von Fonneln und Titeln sich ergibt. Doch darin erschöpft sich die Vergeistigungs-, damit aber Verunsichtbarungswirkung der hier betrachteten Entwicklung nicht. Die absolute, potentiell jedenfalls grenzenlose Macht, fortgedacht im "Gewaltmonopol", der virtuell jedenfalls unbegrenzte Reichtum des Staates, und sei es auch nur für ein heute praktisch schrankenloses Steuererhebungs- und Steuererfindungsrecht245 - all dies läßt sich doch nur legitimieren aus geistigen Anleihen bei jener unsichtbaren, absoluten Macht des Herrschergottes, den gerade der modeme Staat auf Erden ersetzt - oder vertritt. Muß er dann nicht in seinem Kern so werden wie jener, unsichtbar "also auch auf Erden", wie der göttliche Wille, der in Seinem Reich auch zu uns kommen soll? Die grundrechtlichen Schranken seiner Allmacht schließen dies nicht grundsätzlich aus, lassen sie sich doch ebenso auf jene wesentlich unsichtbare Macht zurückführen 246 , liegt doch ihr Zentrum in einer unsichtbar-spiritualisierten Freiheit, welche ihrerseits wieder als Staatsgrundlage erscheint. Solchen Überlegungen kann entgegengehalten werden, sie verwechselten Spiritualisierung und Unsichtbarkeit des Staates, wobei doch er243 Die ihrerseits wieder im engen Zusammenhang stehen mit der eben erwähnten protestantischen Macht-Spiritualisierung, vgl. dazu Jellinek, G., Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 2. Aufl. 1904. 244 Kopp (Fn. 204), Vorbem. § 1 VwVfG Rdnr. 27 ff.; Obermayer, K., Komm. z. VwVfG, 2. Aufl. 1990, § 10 Rdnr. 2 ff. 245 Tipke, K./Lang, l., Steuerrecht, 13. Aufl. 1991, S. 72 ff.; Vogel, K., Der Finanz- und Steuerstaat, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 1, 1987, § 27. 246 So versucht es jedenfalls die Imago-Dei-Lehre des christlichen Naturrechts (vgl. dazu Messner, loh., Das Naturrecht, 5. Aufl. 1966).

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B. Legitimation des" Unsichtbaren Staates"

stere faßbare Machtträgerschaft und deren Handlungsphänomene keineswegs ausschließe. Selbst als säkularisierter Gott auf Erden könne der Staat in einer politischen Öffentlichkeit sichtbar werden, wie er dies auch in seiner Kirche stets gewesen sei. Doch gerade an dieser Stelle zeigt sich eben das eigenartige Wesen einer in ihrem Zentrum unsichtbaren Gewalt: Liegt der eigentliche Mittelpunkt der Legitimation des Staates außerhalb der Sichtbarkeit desselben, so bedarf er weder deren Halt, noch kann, darf er vollständig in ihr von der Öffentlichkeit kontrolliert werden. Rechtlich zu ordnen sind dann zwar seine "äußeren Seiten", hinter ihnen liegt aber, und tritt immer wieder hervor "das eigentlich Göttliche" - "eigentlich Staatliche", das in kein menschliches, normatives oder politisches Gefäß zu fassen, dort voll zu erkennen ist. Der Staat als "Gott auf Erden" wird zwar immer wieder sichtbar hervortreten, seine Propheten schicken, vielleicht einen Messias, doch seine eigentliche Macht bleibt im Unsichtbaren; keine Staatsform darf sie dann voll ins Licht der Öffentlichkeit führen; solche Staatssichtbarkeit wäre nichts als ein Rückfall in einen geradezu heidnischen Anthropomorphismus247 . Hier geht es nicht um die Frage, ob solche Ableitungen historisch zwingend sind, ob sie durch staatsphilosophische Gegenkonstruktionen widerlegt werden könnten; unzweifelhaft ist die Wirkkraft religiöser Analogien bis in die heutige Staatsbegründung hinein, in diesem Sinne gehört die theologische Staatsrechtfertigung noch längst nicht der Vergangenheit an 248 . Das ius publicum war als ein solches der Kirche längst vor dem römischen Staatsrecht ein wirkmächtiger Vorläufer moderner Staatlichkeit249 , als eine stets nur teilweise, ja punktuelle Ordnung gewisser äußerer Erscheinungen einer in ihrem Wesen letztlich im Unsichtbaren verharrenden Macht, einer Gewalt, die sich aus diesem ihrem Wesen heraus gerade legitimiert und stets auch zu neuer RandSichtbarkeit auflädt. Solche staatstheologischen Hintergründe können gerade dann nicht ignoriert werden, wenn selbst die Kirchen, als Träger eigenartiger öffentlicher Gewalt250 , in eine Öffentlichkeit hineindrän247 In diesem Sinne ist den Ausdrucksformen moderner Faschismen - bis hin zum Stalinismus - ein Zug zum Paganismus im Führertum ihrer Persönlichen Gewalt durchaus eigen, damit aber eine grundsätzliche Spannung zu christlichen Kirchen- und Staatsvorstellungen, mehr aber noch zum jüdischen, völlig unsichtbaren, Monotheismus. 248 Und sei es auch nur in Ausstrahlungen der "Analogia entis" iSv. Przywara, E. (Analogia entis, 1932). 249 Zum letzteren noch inuner grundlegend: Koschaker, P., Europa und das römische Recht, 4. unveränd. Aufl. 1966. 250 BVerfGE 18, S. 385 (387 f.).

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gen251 , ohne daß dies aber den Verlust ihrer sie letztlich legitimierenden Unsichtbarkeit bedeuten müßte. Könnte nicht auch die Demokratie, in Analogie zu solchen Entwicklungen, in ihrer Öffentlichkeitssuche lediglich als eine "Vertreterin unsichtbarer Staatlichkeit" verstanden werden, deren letzte Macht gerade deshalb stets im Dunkel bleiben muß? Wenn ein "Unsichtbarer Staat" aus solchen Gedanken auch nur unklarirrationale Sympathien gewinnen mag, so können diese ihn doch aus den Zwängen einer totalen Ver-Öffentlichung aller seiner Machterscheinungen befreien. Wo aber sind überzeugende Grenzen? Wird dann nicht doch Unsichtbarkeit zum Grundprinzip der Staatlichkeit? Am Ende dieser Betrachtungen mag die These stehen: Die Idee einer unsichtbaren Göttlichkeit kann, jenseits aller faßbaren Erscheinungen, zur Machtlegitimation und zum politischen Kraftquell des Staates werden, gerade in ihrer Unbestimmtheit; und hier ging es nur darum, gewisse ferne Koordinaten aufzuzeigen, welche heutige Staatsorganisation aber oft bis in Einzelheiten orientieren. 3. "Herrschaft als Hilfe" - Gegenwärtigkeit unsichtbarer Macht

Politische Mächtigkeit wurde, in der Entwicklung des Staates, zunächst durch Abstraktion von ihren politischen Trägern entpersönlichend getrennt, sodann, in ihrem Zentrum, in die Unsichtbarkeit eines gottähnlichen Gewaltträgers hineinverlegt - auf beiden Stufen in deutlichen Legitimationsansätzen für eine weitreichende unsichtbare Staatlichkeit. Eine gerade in der Demokratie sich heute vollziehende weitere Metamorphose des Begriffes der Staatsgewalt gilt es noch zu betrachten, in ihrer möglichen Bedeutung für eine theoretische Grundlegung des "Unsichtbaren Staates"; und dies leitet bereits über zu dem Problemkreis" Unsichtbarkeit - Abbau von Staatsgewalt", der im folgenden noch in den Mittelpunkt treten wird. Um diese Staatsmutation geht es nun: Macht soll heute in erster Linie verstanden werden als Zuständigkeit und Möglichkeit einer Hilfe für die Glieder der Gemeinschaft, vor allem die Schwächeren unter ihnen. Derartige Konzeptionen beschränken sich nicht auf Umverteilungsideologien, sie haben im Dienstleistungs-, im sozialen Staat252 ein ständig 251 Frhr. von Campenhausen, A, Staatskirchenrecht, 2. Auf!. 1983, S. 71; Schlaich, K., Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen, in: HdbStKirchR, Bd. 11,

1975, S. 231 ff.

252 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Anm. VIII Rdnr. 36 ff.; Tomuschat, Ch., Güterverteilung als rechtliches Problem, in: Der Staat 12 (1973), S. 433 ff.

7leisner

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B. Legitimation des "Unsichtbaren Staates"

sich erweiterndes Anwendungsfeld gefunden; dort findet eine Transformation eben der Hoheitsgewalt in etwas statt, das man als "Hoheitshilfe", als Staats-Dienst in einem ganz neuen Sinn bezeichnen könnte. Es muß hier schon deshalb bereits grundsätzlich betrachtet werden, weil sich bei den Phänomenen der Unsichtbar-Werdung der Staatlichkeit vor allem solche einer neuen Service-Gemeinschaft finden werden. Dann aber fragt es sich, ob dies nicht in einer tieferen, grundsätzlichen Mutation grundgelegt ist, auf einer gerade jetzt bewußt erreichten Stufe der Entwicklung des Staats-Begriffes. In den täglichen politischen Auseinandersetzungen der Demokratie läßt sich, um dies in politischen Selbstverständlichkeiten auszudrücken, schon längst nicht mehr allein in Kategorien von Macht und Gewalt argumentieren, all dies wandelt sich in Begrifflichkeiten einer " Gewalt als Hilfe"; dann aber stellt sich doch die Frage, ob ein " Unsichtbarer Staat" nicht ganz allgemein daraus sich legitimieren könnte, bei dem es dann aber vor allem auf diesen Service ankommt, während hier Öffentlichkeit und Wahrnehmbarkeit weit weniger bedeutsam sind als Effizienz. Wenn schließlich Staatsgewalt legitim nur mehr ist als Staatshilfe, so stellt sich in besonderem Maße die Effizienzproblematik in einer neuartigen Fragestellung: Ein demokratisches Gütesiegel trägt dann alle Staatsveranstaltung insoweit, als sie in dieser ihrer Hilfe wirksam ist während Gewalt-Effizienz in einem Rechtsstaat letztlich nicht ein Ziel an sich sein kann253 sie würde ja im "totalen Staat" enden. Geht es aber zuallererst um Steigerung der Wirksamkeit des Staates, so könnte die gesamte demokratische Sichtbarkeitslegitimation, die der öffentlichen Kontrollen, hinter der doch immer in erster Linie die Begrenzung der eingreifenden Staatsrnacht steht, überhaupt zurücktreten, als solche vielleicht gar überholt sein. Ob und inwieweit der Staat als solcher "sichtbar" sein soll, ist dann nicht mehr entscheidend; wesentlich ist nur mehr, wie effizient er hilft - offen oder auch "im Stillen". Dies letztere aber kann wirksamer sein als Fassaden und spektakuläre Existenzbeweise der helfenden Instanz; private, oft geradezu anonyme Hilfsveranstaltungen zeigen es; ihr "unbürokratisches", d.h. aber meist: "nicht spektakuläres" - unsichtbares Wirken wird dem Staat geradezu als Modell vorgehalten. Kurz gesagt: "Staatlichkeit als effizienter, allgegenwärtiger Dienst" ist etwas ganz anderes als sichtbare eindrucksvolle "Macht " . Zwar bedarf auch dieser helfende Sozialstaat zur Wahrung der Gleichheit öffentlicher Kontrollen. Doch er wird nie jene Sichtbarkeit anstreben, in der der Eingriffsstaat einschüchternd seine Existenz be253

Vgl. Leisner,

w., Effizienz als Rechtsprinzip, 1971.

I. Geistig-historische Entwicklungsstufen der Staatsmacht

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weisen muß und sogar seine Zwangsanstrengungen minimieren kann. Deshalb muß sich auch der Service-Staat in den Formen seiner Tätigkeit nicht wesentlich von privaten Veranstaltungen unterscheiden, für die "Sichtbarkeit" nie eigentlich zum Problem geworden ist. In Verbindung bringen läßt sich übrigens auch diese Entwicklungsstufe der Staatlichkeit mit den theologischen Parallelen zur transzendenten Macht, welche bereits gezogen wurden, vom Götterbild bis zum unsichtbaren Herrschergott. Auch bei diesem letzteren bleibt ja die Betrachtung religiöser Mächte nicht stehen, seit langem vielmehr, heute aber in besonderem Maße, rückt sie den gerade in seiner unsichtbaren Allmacht helfenden, den gütigen Gott in den Mittelpunkt. Daß auch hier wieder allgemeinere geistige Strömungen in dieselbe Richtung tragen, im kirchlichen Bereich etwa vom Recht der ordnenden und strafenden Institutionen zur Lex charitatis 254 , bedarf in einer Zeit keiner näheren Belege, in welcher auch die kirchliche Karitas als Gottesdienst, als geradezu liturgische Sichtbarmachung christlicher Nächstenliebe vom Staatsrecht der Demokratie anerkannt ist 255 . Wenn der Bürger im Namen des "Unsichtbaren" dem Nächsten seine Hilfe gewährt, wenn der eigentliche Träger allerhöchster Gewalt gerade darin auf Erden überzeugend sichtbar wird, dürfte dann nicht auch sein säkularisiertes Abbild, die Staatlichkeit, in jener Unsichtbarkeit, Anonymität verharren, die als solche nie gefährlich werden kann, solange sie es gerade ist, welche Staats-Karitas erst effizient ermöglicht? Dann müßte sich die Frage anschließen, ob es nicht gerade gewisse Unsichtbarkeiten des Staatlichen sind, welche solche Staats-Karitas in besonderer Weise ermöglichen. Genügt es nicht, wenn der Staat nur in seiner individuellen Hilfe sichtbar wird, nicht vor den Augen aller, die ihn, in übersteigerten öffentlichen Kontrollen, eher hemmen? In diesem Abschnitt ging es um mögliche Fragestellungen, welche die "Sichtbarkeit" nicht als ein notwendiges Wesen der Staatlichkeit und ihrer Macht zeigen, sondern umgekehrt zu der Erkenntnis führen könnten, daß eine teilweise oder gar in ihren Zentren außerhalb allgemeiner Sichtbarkeit bleibende Staatsgewalt, gerade als solche, sowohl in sich selbst machteffizienter, als auch für den Bürger hilfs-effizienter wirken könnte als eine in der Öffentlichkeit zerredete, in Normen und Formalien mechanisierte Apparatur, die sich letztlich in Selbstbetrachtungen, in Beschäftigung mit sich selbst256 , verliert - in einem Staatstheater, das nur Öffentlichkeits-Spiele bietet, nicht das so viel wichtigere Brot dem Bürger. 254 255



Klassisch beschrieben von HeckeI, loh., Lex charitatis, 1953. BVerfGE 53, S. 366 (392 f.); 70, S. 138 (163).

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B. Legitimation des "Unsichtbaren Staates"

Die hier am Ende noch aufgeworfene Frage nach den Auswirkungen einer Wandlung der Staatlichkeit von der Gewalt zur Dienstleistung hat übrigens, in diesem Sinne, auch Legitimationskraft für die Staatsgewalt im traditionellen, eingreifenden Sinn: Ist nicht letztlich jeder Eingriff Hilfe, bis hin zur heilenden Hilfe des staatlichen Zwanges im platonischen Sinn? Wenn überall der unsichtbare Gott der Gütige ist - könnte nicht allenthalben der Unsichtbare Staat der "gute" sein, im vollen, Richtigkeit und Moralität zugleich umfassenden Sinn? Wird dann der "Unsichtbare Staat" nicht zugleich zum großen Thema der Spiritualisierung und der Moralisierung der Staatsgewalt? Doch bei diesen allgemeinen Betrachtungen kann die Untersuchung nicht stehen bleiben, sie muß nun fortschreiten zu weiteren möglichen Begründungen unsichtbarer Staatlichkeit, die sich auch aus machtpolitischen Kategorien ergeben, die rechtliche Durchsetzbarkeit der Staatsmacht erleichtern.

11. Unsichtbarkeit als Machtverstärkung 1. Keine Weckung von Gegenmacht a) Sichtbarkeit als Provokation

Der unsichtbare Inhaber der Macht weckt nicht jenen Widerspruch, jene Kritik, welcher sich jeder aussetzt, der mit sichtbaren Formen, mit "evidenten", faßbaren Thesen an die Öffentlichkeit tritt. Dies ist eine tägliche Erfahrung für alle Herrschenden, welche Organmacht des Staates ausüben: Öffentlichkeit macht sie kenntlich als Zielscheibe von Angriffen möglicher Gegenmächte, die sich an solchen Auftritten erst formieren. Dauerpräsenz in den Medien mag potentielle Gegner entmutigen - sie ruft sie auch hervor, allein schon in ihrem Überdruß, mehr noch in den immer zahlreicheren Angriffsflächen, welche sie bietet. Wenn die Macht als solche personifiziert ist, so mag auch für sie der Grundsatz des bene vixit gelten - solange sie in diesem Versteck nicht in Vergessenheit gerät. Jenseits derartiger banaler Erfahrungen der Politik gilt Vergleichbares aber auch für die Macht einer, wie immer definierten, Staatlich256 Bis hin zur Bürokratisierungsgefahr, die ja in über-sichtbarer Selbstbeschäftigung kulminiert. Gebhardt, w., Die Eigengesetzlichkeit der Bürokratie, in: Erdrückt uns die Bürokratie? hgg. v. Bayer. Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, o. J., S. 17 ff.

11. Unsichtbarkeit als Machtverstärkung

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keit als solcher, die eben, in diesem machtpolitischen Sinn, nicht beschränkt bleiben kann auf die Erscheinung physischer Herrschaftsträger. Ein überall und in allem präsenter, maximal sichtbarer Staat weckt durch eben diese Wahrnehmbarkeit Gegenkräfte von vergleichbarer Intensität: Der Zusammenbruch der kommunistischen, äußerlich allgegenwärtigen Staatlichkeit hat es bewiesen. Die Demokratie leugnet dies nicht; doch sie geht mit ihrer Öffentlichkeitsforderung von dem Dogma aus, daß die" Weckung von Gegengewalt durch Diskussion", oder doch deren Möglichkeit, wiederum so weit entschärft werden kann, daß die lastenden äußeren Fonnen der Staatsrnacht nicht mehr odios erscheinen. In der Tat dürften die jüngsten Erfahrungen eines wohl bestätigen: Die Entfaltung einzelner Formen der Staatssichtbarkeit, ihrer nur äußeren Aspekte, der Hoheitszeichen, Unifonnen, die Veröffentlichung ständiger Gewaltergebnisse all das kann nur in der Weckung von Gegenrnächten enden, welche einen solchen Staats koloß zerschlagen müssen, weil sie nicht in sein Inneres, in vertiefender Öffentlichkeit, vordringen können. Und umgekehrt kann sich eine Staatsfonn der vollen, auch der Motiv- und Ablauföffentlichkeit, der "Gewalt in Diskussion" eben, auch weit mehr an sichtbaren äußeren Fonnen leisten, weil sie die Unterworfenen der Gewalt hinter deren Fassaden blicken läßt, die zuallererst den Widerstand wekken, Gegengewalt provozieren. Eines aber bleibt unbestreitbar: An der unsichtbaren Staatlichkeit und ihrer Gewalt werden viele mögliche Angriffe vorbeilaufen, gegen sie schon gar nicht sich formieren können. Die greifbare Staatsgewalt dagegen ist nicht nur Angriffsziel, sie ruft den Stunn auf die Höhe hervor, auf welcher ihre Fahne gehißt wird. "Provokation" ist kein allgemein anerkannter Rechtsbegriff. Das Problem der juristischen Bewältigung des Hervorrufens fremder Machtreaktionen muß auf ganz unterschiedlichen Wegen bewältigt werden. Das Zivilrecht, das nicht primär in Mächtigkeiten und Freiheiten denkt, sondern in Abgrenzungen, welche durch Verschulden und gefahrträchtige Risikobereitschaften überschritten werden 257 , behandelt die Provokation vor allem im Begriff des Mitverschuldens 258 : Wer seinerseits zu weit geht, provoziert rechtswidriges Verhalten und fremdes Verschul257 Daher ist auch der "Hoheitsstaat nicht als solcher gefährlich", wie vor allem in der früheren französischen Lehre von responsabilite pour risque angenommen wurde (vgl. dazu Leisner, w., Gefährdungshaftung im öffentlichen Recht, VVDStRL 20 (1963), S. 185 ff.); die Staats-Gefährdungshaftung bleibt insgesamt im Kern doch eine Institution des zivilen Haftungsrechts (vgl. dazu üssenbühl, F., Staatshaftungsrecht, 4. Auf!. 1991, der mit Recht von den zivilrechtlichen Entwicklungen ausgeht, S. 305 ff. und zutr. eine allgemeine öffentlich-rechtliche Gefährdungshaftung für entbehrlich hält).

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B. Legitimation des. Unsichtbaren Staates"

den, an dem er mitschuldig wird. Entscheidend daran ist, daß er selbst noch gar nicht, isoliert betrachtet, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben muß, jedenfalls nicht in einer Weise, welche die Reaktion des Rechts sofort hervorbringt, und daher vom rechtswahrenden Staat geahndet werden müßte. In der durch die Provokation in Gang gesetzten Mechanik des Verschuldens aber wird das provozierende Verhalten selbst zum Mit-Unrecht. Das Wesen solcher Mitverschuldens-Provokation ist, daß sich jemand, in einer gewissen Mächtigkeits-Position, "zu deutlich hinstellt vor andere" und ihre Rechte, daß er an sich unberechtigte Reaktionen hervorruft, deren Folgen als solche sein Tun zwar nicht rechtfertigt, welche er jedoch in Mitverschulden mitzutragen hat. Ein Sichtbarkeitsphänomen löst also diesen Verschuldens-Kreislauf aus, nicht nur ein eindeutiges Überschreiten der eigenen Grenzen, sondern ein sich überdeutliches Aufrichten innerhalb von ihnen, welches der Provozierte als eine Form von Vor-Bedrohung empfindet, die erst in seiner Reaktion - in Wahrheit: Aktion - zum rechtlich zu bewältigenden Phänomen wird. Im Strafrecht wird die Erscheinung der Provokation in das Über-Unterordnungsverhältnis Staat-Bürger übertragen: Der strafende Staat geht gegen solche Mitschuld 259 vor, er muß verhindern, daß sie kriminelle Prozesse in Gang setzt. Noch immer vollzieht sich dies primär im Verhältnis der Gleichgeordneten zueinander, nicht die Staatsrnacht ist meist die provozierte - und doch wird sie durch den Bürgerstreit zu eigenem Machteinsatz aus der Festung ihrer Gewalt gerufen. Auch dies ist nun ein Sichtbarkeitsphänomen: Der Täter hat nicht mehr nur seinesgleichen in dessen Rechten bedroht und wird deshalb in seine zwischenbürgerlichen Schranken zurückgewiesen; er hat die höchste Macht als solche herausgefordert. Der Schlüsseltatbestand aller Provokation im öffentlichen Recht bleibt daher der Widerstand gegen die Staatsgewalt260 seitens dessen, der das sichtbare Eingreifen des Staates hervorgerufen, es dazu hat kommen lassen. In all diesen Rechtsbeziehungen geht die Provokation vom Privaten aus, vom Bürger, der einen anderen und dann zu dessen Schutz die Staatsgewalt herausfordert - oder die Staatsrnacht unmittelbar. Doch gerade beim Tatbestand des Widerstandes gegen die Staatsgewalt stellt 258 Grunsky, w., in: Münchener Komm. z. BGB, Bd. 2, 2. Auf!. 1985, § 254 Rdnr. 29; vgl. auch Schmidt, R., Die Obliegenheiten, 1953, S. 105 ff.; Venzmer, K. J., Mitverursachung und Mitverschulden im Schadensersatzrecht, 1960, S. 92 ff. 259 Lenckner, Th., in: Schönke/Schröder, StGB, 24. Auf!. 1991, § 32 Rdnr. 54 ff.; Spendel, G., in: StGB, Leipziger Komm., Bd. 2, 10. Auf!. 1985, § 32 Rdnr. 281 ff. 260 Von Bubnoff, E., in: Leipziger Komm. (Fn. 259), § 113 StGB Rdnr. 4 ff.

11. Unsichtbarkeit als Machtverstärkung

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sich nun auch die umgekehrte Frage, ob nicht die Staatsrnacht ihrerseits sich provokativ verhalten und damit die .. Gegenrnacht des Bürgers" auf den Plan gerufen hat: Das Strafrecht zeigt uns auch den in Über-Sichtbarkeit provozierenden Staat261 . Vom Strafrecht führt denn auch der Weg zur Erkenntnis der Provokation als eines stillschweigenden Zentralbegriffs des Polizeirechts: Die sichtbare, uniformierte Ordnungsmacht darf sich eben nicht allzu rasch herausfordern lassen, sonst wird sie mitschuldig am polizeiwidrigen, ja am kriminellen Handeln des Bürgers. Und in diesem Sinne der Provokation im Über-Unterordnungsverhältnis des Bürgers gegenüber der Staatsgewalt ist dieser Begriff ein politischer, ist er allgemein bekannt und zum Problem geworden: in einer Art von Mitverschulden des allzu deutlich sich in seiner Macht aufrichtenden allzu früh und gewaltig aus ihr heraus handelnden Staates, der" unverhältnismäßig" reagiert 262 . Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schöpft diese Problematik der Provokation zwar nicht aus, unter dem alles polizeiliche Handeln zuallererst steht, immerhin ist sie aber eine der wichtigsten Fragenbereiche derselben. Wirft sich der Staat selbst zu stark, vor allem aber zu deutlich in die machtgeschwellte Brust, dann muß er mit einer Reaktion des Bürgers rechnen, die er selbst hervorgerufen hat, an der er nun Mitschuld trägt. Den Polizeiorganen ist es aufgegeben, die Verhältnismäßigkeit nicht nur zu wahren im Verhältnis zwischen den Belastungen, welche ihre Eingriffe unter verschiedenen Bürgern hervorrufen, verteilen 263 ; sie muß auch verhältnismäßig handeln in der Beziehung zwischen ihren eigenen, grundsätzlich unbegrenzten Machtmitteln und den Wirkungen, welche sie damit legitimerweise hervorbringen darf264 . Die Provokation wird in diesem Sinne, im Lichte der Verhältnismäßigkeit, erst recht zu einem Zentralbegriff des gesamten Polizeirechts, weil dessen hoheitliche Organe immer mit einer Zurückhaltung zu reagieren haben, welche ihrer grundsätzlich unendlichen, jedenfalls unwiderstehlichen, vor allem aber besonders sichtbaren Macht das Odium der Herausforderung nimmt. 261 Mag sich dies strafrechtlich auch meist darin manifestieren, daß dann eben

kein strafbarer Widerstand gegen die Staatsgewalt vorliegt, wenn diese an sich schon "zu weit gegangen" ist (Eser, A., in: Schönke/Schröder (Fn. 259), § 113 Rdnr. 1, 18 ff.; von Bubnoff (Fn. 260), § 113 StGB Rdnr. 18 ff.) 262 Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 391; Knemeyer, F.-L., Polizei- und Ordnungsrecht, 5. Auf!. 1993, Rdnr. 228. 263 So etwa bei Abwägungen zwischen Bürgern, Drews/Wacke/Vogel/Martens (Fn. 262), S. 289 (301 ff.); Götz, v., Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 1993, Rdnr. 185 ff. 264 So etwa bei der Verhältnismäßigkeit in der Abwägung öffentlicher und privater Interessen (vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens (Fn. 262), S. 401 ff.).

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B. Legitimation des" Unsichtbaren Staates"

Zahllose, tägliche Phänomene des Demonstrationsrechts belegen dies deutlich, hier wächst der Begriff der Provokation eindeutig in politische Dimensionen hinauf: Gerade weil sie so sichtbar ist, in ihren Uniformen und Waffen, darf sich die Polizei nicht über-sichtbar bewegen, durch übersteigerte Präsenz Unruhen aufstacheln; durch besonders "handgreifliche" Hoheitsäußerungen, Befehle und Gesten ruft sie sonst einen Widerstand hervor, der sich seinerseits gerade an ihren staatlichen Äußerungsformen, bis hin zum Waffengebrauch265 , orientiert und damit zur staats ähnlichen Gegenmacht emporwachsen will. Darin also liegt eine Weisheit gegenwärtiger Polizei-Staatlichkeit, daß sie sich aus den martialischen, furchterregenden Einsätzen zurückzieht, bis hin zum "Freund und Helfer", der spielende Demonstranten-Kinder begleitet; wenn nicht solche Verniedlichung politischer Absichten gerade wieder provokativ wirkt ... Der Anti-Provokationsgrundsatz aber trägt weit über die Bewältigung gefährlicher Demonstrationen hinaus, auch über die strengen Regeln des Schußwaffengebrauchs; je größer der Gewalteinsatz werden, je machtvoller er wirken kann, desto mehr Zurückhaltung ist von der Staatsgewalt gefordert. Die Verhältnismäßigkeit, welche auch etwa provozierte Wirkungen einbeziehen mUß 266 , in besonders sorgfältiger Abwägung, gebietet, mögliche Über-Effekte achtunggebietender Sichtbarkeit durch vorsichtigen Rückzug in unsichtbare Präsenz abzuschwächen. Wenn der zivilisierte, demokratische Staat schon nur mehr wenig an brutaler Macht überhaupt noch einsetzen darf, so muß er diese erst recht in Unsichtbarkeit zurücknehmen, damit er nicht Gegenkräfte wecke, die sich heute noch in einem Bastille-Sturm entladen könnten. Die Gefahren der Provokation mahnen den Staat, seine "unwiderstehliche Gewalt" zu verstecken; weil sie der Lebensatem einer unsichtbaren Staatlichkeit ist, muß sie im letzten wesentlich unsichtbar bleiben, sonst kann sie nicht souverän sein und handeln - in jedem Sinne dieses Wortes 267 . 265 Dessen Sonderregelungen (vgl. Drews/Wacke/VogellMartens (Fn. 262), S. 544 ff.; Götz (Fn. 263), Rdnr. 311 ff.; Schenke, W.-R., Polizei- und Ordnungsrecht, in: Besonderes Verwaltungsrecht (Hrsg. U. Steiner), 4. Aufl. 1992, II, Rdnr. 196 ff., sowie Sundermann, H.-G., Schußwaffengebrauch im Polizeirecht, Diss., Heidelberg 1984) rechtfertigen sich nicht nur aus der Bedeutung der geschützten Rechtsgüter und im Hinblick auf die hohe Wahrscheinlichkeit von deren Verletzung, sondern auch mit Blick auf die Sicherheit und die damit verbundene Provokationsgefahr. 266 Vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens (Fn. 262), S. 391. 267 Im Völkerrecht vor allem ist ja anerkannt, daß die "Souveränität" des Staates, welche in eine "äußere" und "innere" zu teilen ist, "nach innen" die absolute Durchsetzungsfähigkeit verlangt (Berber, E, Lehrbuch des Völkerrechts, I.

11. Unsichtbarkeit als Machtverstärkung

b) Grundrechte -

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wider den sichtbaren Staat

Freiheitsrechte sind geboren aus Freiheitsmißtrauen gegen die Staatsmacht268 . Gegen bekannte und noch unbekannte, unerwartete Eingriffe dieser Macht wenden sich die Grundrechte, ihre Formeln sind deshalb so weit, damit sie auch gegen jenen Staat schützen, der mit einem Mal unerwartet Schleier abwirft. So scheinen sie sich denn zuallererst zu richten gegen eine "noch gar nicht voll bekannte", ja eine unbekannte Macht - und doch war es wieder gerade die sichtbare Staatsgewalt, welche diesen auf höchster Ebene organisierten "NormWiderstand gegen den Staat" hervorrief, den wir Grundrechte nennen. An ihrem Anfang stand nicht ein Staat, der sich sogleich in die geheimpolizeilichen Nachtaktionen der lettres de cachet zurückzog - nur allzu sichtbar waren selbst diese seine "unsichtbaren" Waffen geworden, unüberhörbar seine Verhaftungen für Bürgerclubs und Salons. Die Unsichtbarkeit der Geheimpolizei war immer ein letzter untauglicher Versuch, aus einer Staatlichkeit zu fliehen, die als eine über-sichtbare die Gegenrnacht der Bürger weckt269 . Nicht gegen einen Unsichtbaren Staat ist das Kraut der Grundrechte gewachsen, sondern allein gegen das, worauf man mit Fingern zeigen, dem man den Namen Staat geben konnte, und gegen dies alles. Nicht umsonst hat sich die Grundrechtsbewegung in einer Zeit durchgesetzt, in welcher der alte, kraftvolle Feudalstaat sich in der reinen Sichtbarkeit eines geradezu operettenhaften Staatstheaters zu verlieren begann, wo die Macht, unter Perücken und Goldtressen versteckt, kaum mehr zu foltern wagte, wo sogar die Verhaftung zu Staatstheater zu verblassen begann. Im Absolutismus hatte der Staat eine außerordentliche Fassaden-Mächtigkeit erreicht, die Über-Sichtbarkeit eines Sonnenkönigs, der so glänzend am politischen Himmel steht, daß ihn niemand mehr anzusehen wagt. Der Glanz erlosch bald, doch auf solche SichtbarkeitsFormen setzte der Staat weiter, damit aber provozierte er die Gegenmacht der Grundrechte, den Aufstand jener Bürger, welche dem allem die neue, unsichtbare Gewalt ihrer Normen, eine wahre, nicht eine Fassaden-Macht, entgegensetzten. Zu spät versucht das verbürgerlichende Bd., 2. Aufl. 1975, S. 121 ff; Kelsen, H., Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, unveränderter Neudruck der 2. Aufl. 1960). 268 Jellinek, G., Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1913, 7. Neudruck 1960, S. 419 ff.; Stern (Fn. 207), Bd. 1II/1, 1988, S. 57 ff. 269 Vgl. z.B. Huber, E. R., Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1957, S. 732 ff.; Bd. U, 1960, S. 125 ff., 309 ff., 451 ff. zum Vorgehen der staatlichen (Geheim-)polizei gegen die liberalen Bewegungen 1815-1848 (vor allem um 1830, 1846-1848 in Österreich).

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B. Legitimation des "Unsichtbaren Staates"

Königtum der Zeit Ludwig XVI., ein neues, bourgeoises Staatstheater aufzuführen 270 - während es zugleich doch auch die riesigen monumentalen Formen der klassizistischen Staatsarchitektur wiederbelebt, die "reinen Sichtbarkeitsfassaden" der Staatlichkeit, die aber fast schon an antike Ruinen erinnern sollen ... Durch sie wurde erst recht die neue Bürgermacht provoziert; daß sie sich dann hinter diesen Fassaden einrichtete, war nur ein weiterer Akt der Tragödie des sichtbaren Staates. Die sichtbare Staatlichkeit hat aber die freiheits rechtliche Gegenmacht nicht nur auf den Plan gerufen mit ihren Uniformen und Zwangsbefehlen gegen die persönliche Freiheit; auch die andere große Säule heutiger Grundrechtlichkeit ist damals gewachsen, auch sie gegen den sichtbaren Staat: im heiligen, unverletzlichen Recht des Eigentums vor allem. Hier war die Staatsmacht nicht so sehr sichtbar wirksam geworden in äußeren Zeichen ihrer Hoheit, in den Formen ihres Handelns, als vielmehr in dessen faßbaren Wirkungen, dagegen wurde nun eine faßbare, unerschütterliche grundrechtliche Gegenposition aufgebaut 271 : Das Grundeigentum, sichtbar, faßbar par excellence in seiner sachenrechtlichen Abgegrenztheit, sollte der Staat dem Gewaltunterworfenen nicht nehmen, auf ihm sollten seine feudalen Repräsentanten nicht jagen und fischen. Es war die Eindeutigkeit der "radizierten Belastungen", deren nicht nur Fühlbarkeit, sondern geradezu in die Augen springende Sichtbarkeit, Lokalisierbarkeit, die den Gegensturm der Freiheit auslöste: Wieder provozierte die Staatssichtbarkeit darin grundrechtliche Gegenrnacht, die sich bald auch greifbar auf den Barrikaden verkörperte, bis das Staatstheater des Ancien Regime zusammenbrach. Diese zweite Säule der Grundrechte war, im Grunde, die der wirtschaftlichen Freiheit, und so ist sie im ganzen Raum der beruflichen Aktivitäten gewachsen, dort, wo sich die Gewerbefreiheit entfalten konnte. Auch hier waren es wieder die vielberufenen Verkrustungen des Zünftewesens 272 , welche als blinde Fassaden sich ihre Gegen270 Eindrucksvoll dargestellt in den Kritiken der Royalisten und Revolutionäre in den Memoires historiques et politiques du Regne de Louis XVI. von lean-Louis Soulavie, Paris 1801 ff., wo etwa Marie-Antoinette als "princesse en spectade" erscheint (I, S. VII) und der Verlust an sichtbarer Größe geschildert wird, bis hin zur Religionspolitik (vgl. etwa S. 212 ff.). 271 Wie in der" unsterblichen Nacht" des 4. August 1789 dieses neue, faßbare Eigentum aufgerichtet wurde - um dann bald wieder vom revolutionären Sozialismus in Frage gestellt zu werden, beschreibt klassisch Thiers, A., De la propriete, Paris 1848, insbes. S. 12 ff. Gebrochen wurde die kraftstrotzende, über sichtbare "Barbarei der Feudalrechte ", Condillac, Etienne B. de, Etude de l'Histoire et logique, Oeuvres XXI, 1798, S. 129. 272 Vgl. die unübertroffene Darstellung bei Otto von Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht I, 1868 (Nachdruck 1954).

H. Unsichtbarkeit als Machtverstärkung

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mächte schufen. Dies war nur die mächtigste revolutionäre Lektion des Kampfes der neuen Inhalte gegen die erstarrten alten Formen, sie wird immer wiederholt werden, wo ein Staat seine Macht in reiner Sichtbarkeit sucht, wo er blenden will, nicht leuchten. So sind denn die Grundrechte die Bürgerantwort auf die Groß-Provokation der Staatlichkeit, sie wenden sich in erster Linie gegen deren äußere Sichtbarkeiten, und gegen jede derartige Evidenz. Die Allgemeinheit der so hervorgerufenen Gegenmacht entspricht der Allgemeinheit der Staatsgewalt. So konnte es, in naiver Umkehrung der historischen Entwicklung der Freiheit als "provozierte Gegenrnacht ", sogar zu der heute oft unkritisch verbreiteten Auffassung kommen, daß der Staat geradezu auf diese Grundrechte gegründet sei273 ; denn in ihrer Allgegenwart jedenfalls entspricht die herausgeforderte Macht-Antithese der Freiheit der alles besetzenden Mächtigkeit des Staates, und diese Freiheit wird ebenso "grundsätzlich unendlich gedacht" wie die Staatsgewalt unwiderstehlich, eben souverän gesetzt wird. Sichtbar aber wird der Freiheitsschutz nur dort, wo er von dem sichtbaren Staat herausgefordert wird; die anderen Freiheiten bleiben, einstweilen, gewissermaßen virtuell, im Schoße des Muttergrundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit geborgen, bis eine neu faßbare Staatsmächtigkeit sie herausruft274 . Die Grundrechte - hervorgebracht durch den sichtbaren Staat, das erklärt auch, warum es letztlich nur eine einzige Begrenzung für diese hohen Normen geben kann: daß sie eben gegen den Hoheits-Staat allein sChützen275 , gegen alles, was seinen darin besonders sichtbaren Namen trägt: Gegen Hoheitszeichen werden die Fahnen der Freiheit gehißt. Wer aber besorgt ist, daß die Staatsgewalt damit übermäßig und überall eingeengt werde, einem Vehikel gleich, das nur mit Bremsen, ohne Motor fahren will, dem gibt diese Entstehung des Grundrechtsbewußtseins aus der Provokation sichtbarer Staatlichkeit die Lehre: Rückzug in die unsichtbare Staatsgewalt, Abtauehen aus der Hoheitsgewalt in die Gleichordnung, der Staat unter der Tarnkappe des Privatrechtssubjekts, damit nicht Freiheiten geweckt werden. Wo dies aber nicht möglich ist: Ausweichen in unzählige kleine Zwänge, die allseitig das tägliche Leben begleiten, ohne daß Schlagstöcke gezogen werden, Panzer auffahren müßten. Dies letztere gelingt dem Steuerstaat, der dem 273 Zu dieser Frage vgl. weiterführend Badura, P., Staatsrecht, 1986, D 7; Stern (Fn. 207), Bd. I, 2. Auf!. 1984, S. 561 f. 274 Dürig, in: MaunzlDürig, Art. 2 Abs. I Rdnr. 6 ff.; Nipperdey, E.G., Freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: Die Grundrechte IV/2, 1962, S. 758 f. 275 Badura (Fn. 273), C 3; Klein, F., in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 7. Auf!. 1990, Vorbem. vor Art. 1 Rdnr. 5; Stern (Fn. 207), Bd. III/1, 1988, S. 558 ff.

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B. Legitimation des "Unsichtbaren Staates"

Bürger nicht gegenübertritt, sondern sein tägliches Leben umringelt und aussaugt, "als wär's ein Stück von ihm". Und schließlich gelten ja beide Gleichungen: Alle sichtbare Staatsmacht provoziert, der Unsichtbare Staat aber untertaucht die grundrechtlichen Sperren.

c) Die Gewaltenteilung als Institutionalisierung

von Gegengewalten - und ihre Abschwächung mit dem" Zurücktreten der Staatsgewalt"

Jene selbe über-sichtbare, provokatorische Staatlichkeit des Absolutismus, welche die Grundrechte als Gegengewalt der Bürger auf den Plan rief, hat als Reaktion den Gedanken der provozierten Gegenmacht geradezu zum Verlassungsprinzip werden lassen: in der Gewaltenteilung276 , welche der monarchischen Sichtbarkeit eine andere Sichtbarkeit gegenüberstellte, die parlamentarische, mit ihren politischen Debatten, ihrem staatsrechtlichen Lärm eine andere Form von greifbarem Staatstheater; und schließlich eine Judikative, deren staats-theatralische Sichtbarkeit vor allem in England im traditionellen Verhandlungsprunk einen Teil der früheren Vollgewalt von König und Volk fortsetzte. Auch hier wieder hat die Sichtbarkeit der königlichen Gewalt eine Gegenmacht geradezu provoziert, historisch in des Wortes wahrer Bedeutung, nun aber in ähnlichen, jedenfalls vergleichbar sichtbaren Formen wie die jener Mächtigkeit, von welcher die Provokation ausgegangen war. Die sichtbare These hat die evidente Antithese erzeugt, der Staat sich seine eigene Gegenmacht geboren. Und wenn man mit Hegel sagen wollte, diese Antithetik der sichtbaren getrennten Mächtigkeiten in der klassischen Gewaltenteilung werde überhöht durch die Synthese der Staatseinheit, so mag dies der philosophischen Systematik des deutschen Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert ebenso entsprochen haben wie dem im Grunde zu jener Zeit doch noch herrschenden politischen Konservativismus. In Wahrheit aber verdämmerte dieser überwölbende Staat von Anfang an, politische Wirkungen dagegen entfalteten die checks and balances vor allem der Ersten und Zweiten Gewalt in ihrer spannungs geladenen Gegen-Mächtigkeit, indem Monarch und Volksvertretung, gegeneinander jeweils ihr Staatstheater spielend, auf der staatlichen

276 Zu dieser Entwicklungsgeschichte der Gewaltenteilung vgl. Imboden, M., Montesquieu und die Lehre von der Gewaltentrennung, 1959; Kägi, w., Zur Entstehung, Wandlung und Problematik des Gewaltenteilungsprinzips, Diss., Zürich 1937; Stern (Fn. 207), Bd. H, 1980, S. 513 ff.

11. Unsichtbarkeit als Machtverstärkung

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Bühne sichtbar erschienen. Wieder war es im Grunde eine durch Sichtbarkeit, durch Überdeutlichkeit der Machtentfaltung einer Gewalt provozierte Institutionalisierung der parlamentarischen und judikativen Gegengewalten, und wiederum entfalteten sich diese nach den Vorbildern der großen "öffentlichen", der fürstlichen Staatsgewalt. Der gesamte Konstitutionalismus beruht auf dieser "gleichgewichtigen Sichtbarkeit" . Doch wieder wirkt nun auch das gegenläufige Gesetz, welches schon die Grundrechtsentwicklung gezeigt hat: Wo die Staats macht ihre sichtbaren Formen ablegt, nicht Machtlosigkeit, wohl aber Unsichtbarkeit um sich verbreitet, dort schwächen sich sogleich auch die Gegengewalten ab; deutlich belegt dies gerade die Entwicklung der Gewaltenteilung. In ihrer Bedeutung hat sie sich unzweüelhaft grundlegend verändert, dies ist Allgemeingut: Nicht mehr politische Gegenmächte treten heute in institutionalisierter Form gegeneinander an; die eine politische Parteienwirklichkeit durchwirkt die Erste und Zweite Gewalt, bewirkt ihre weitgehende Gleichschaltung277 . Mehr noch: Aus der wenigstens in den Anfangsphasen der Französischen Revolution noch streng durchgeführten Gewaltentrennung ist eine Gewaltenverschränkung geworden278 , eine Kooperation von Staatsinstanzen, die Kembereiche ihrer Kompetenzen 279 - denn mehr ist es nicht mehr - lassen sich nur schwer noch definieren. In all dem aber geht es nur um eines: die Verteilung der Macht auf verschiedene Staatsorgane, nicht mehr um das Gegeneinandertreten politisch originärer Mächte, deren eine in ihrer Sichtbarkeit die andere erst geweckt, formiert hat. Am Anfang dieser grundlegenden Veränderung der Gewaltenteilung stand sicher der entscheidende, rasch sich verstärkende Machtverlust der Exekutive, hinter dem die Abschwächung der Legitimation durch das Gottesgnadentum stand. Diesem braucht nun nicht mehr, auf Seiten des Parlaments, die Legitimation der Volkswahl entgegengehalten zu werden, von der Judikative die Legitimation des reinen Dienstes am Recht. Der Legitimationsverlust einer Gewalt hat die tiefere, grundsätzliche Legitimation der anderen überflüssig werden lassen, die Gewaltenteilung wandelt sich in technische Kooperation. 277 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Anm. V Rdnr. 29 ff.; Weber, w., Die Teilung der Gewalten als Gegenwartsproblem, in: H. Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltentrennung, 1969, S. 185 ff.; ders., Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 3. Aufl. 1970, S. 160 ff. 278 Vgl. BVerfGE 7, S. 183 (188); 22, S. 106 (111); 34, S. 52 (59). 279 Vgl. BVerfGE 9, S. 268 (280); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Anm. V Rdnr. 66 ff.

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B. Legitimation des "Unsichtbaren Staates"

Doch all dies ist zugleich auch - darum aber geht es hier - ein deutliches Phänomen der Staatssichtbarkeit. Wenn die monarchische Gewalt der "sichtbare Staat par excellence" war, so verliert sich eben die Staatssichtbarkeit im Niedergang gerade der Fürstenmacht, weil der Bürgerkönig den BÜTgerrock trägt, über den prächtigen Paraden sich ein Hauch von Anachronismus ausbreitet. Verlieren sich die Uniformen und Hoheitszeichen, die Titulaturen und Amtsautoritäten, so ist kaum etwas mehr deutlich von all dem, wogegen einst die Bürger mobil gemacht haben, diesem uniformierten, fürstlichen Staatstheater ihr eigenes parlamentarisches Debatten-Theater entgegensetzend. Der Monarch mochte im 19. Jahrhundert die Kammern kaum betreten, seine in jedem Wappen allenthalben überdeutliche Staatsgewalt war immer wieder der sichtbare Angeklagte vor dem Tribunal des parlamentarisierten Volkes. Die Verfassung hatte die von ihm provozierte Gegengewalt der Volksvertretung zum Staatsorgan erklärt, und ihre große Sichtbarkeit, ihre Parlaments-Öffentlichkeit280 , war die evidente Gegenmacht wider die sichtbare Macht der Bajonette, die dem Fürsten gehörte. Dies war die große Wette des Parlamentarismus, daß zwar ein kleiner Leutnant mit wenigen Männern ein Parlament sprengen konnte, daß aber dessen" nationale Evidenz" , in Versammlung und Wort, an politischer Mächtigkeit einer ganzen Armee gewachsen war. Mit dem Niedergang der innenpolitischen Mächtigkeit der Uniformen bereits ist das Parlament in seine tiefe Krise geraten, was brauchte man nun noch die Verkörperung, die Sichtbarwerdung der Bürgerschaft, warum sollte sie als eine "getrennte Macht" rechtlich in der Gewaltenteilung sorgsam umhegt werden? Je mehr sich also die Exekutive, die zentrale Staatsgewalt, aus Formen der Sichtbarkeit, der Fühlbarkeit in konkreten, großen politischen SChlägen281 , zurückzieht auf die Gleichordnungsebene mit dem Bürger oder in die unzähligen kleinen Begleitschritte von deren privatem Leben, welche, wie etwa die indirekten Steuern, geradezu als eine Teilnahme des Staates an diesem erscheinen - desto weniger gibt es eigentliche, originäre "Parlamentsmaterien ", Gegenstände, zu deren Behandlung gerade diese Form der Sichtbarwerdung des "Volkes im kleinen" geeignet, ja geschaffen wäre 282 . Das Parlament war seinerzeit 280 Ermacora, F., Allgemeine Staatslehre, 1970, S. 690 f.; Herzog, R., Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 355. 281 Mit der Exekutive des Ancien Regime war stets untrennbar verbunden die Vorstellung von der Legitimität, wenn schon nicht Legalität, des "Coup d'Etat". 282 Und daher ist ein "materielles Verfassungsrecht" , das "eigentlich" zum formellen werden müßte, stets problematisch geblieben: Auch die - wohl

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ein Versammlungsort gegen die militärisch-administrative Macht des Fürsten, ein Forum, auf dem dessen kleine und große, eben all seine "sichtbaren" Staats-Streiche diskutiert werden konnten. Von alledem ist vor allem geblieben das Parlament als Skandal-Echo, wenn die Medien die Skandal-Töne angestimmt haben. Die Volksvertretung ist in alldem allenfalls etwas wie Staats-Spiegelung, nicht Staatssichtbarkeit, oder doch nur eine solche aus zweiter Hand. Damit aber muß sich ihre Aufgabe tiefstgreifend wandeln: von der Bewährung einer trotzigen, von sichtbarer Macht provozierten Gegenmacht hin zu einer verschlungenen Kooperation der wenig "sichtbaren" technokratischen Exekutiv-Politik mit der von Gewählten des Volkes, die sich auch ihrerseits nun gerne in die politische Unsichtbarkeit der Lobby-Gespräche und der höchst effizienten Ausschußarbeit zurückziehen. Dies aber bedeutet für das Kapitel Gewaltenteilung des Staatsrechts: Es verliert zentrale Inhalte mit dem Niedergang der Sichtbarkeit des Staates; denn was nicht mehr politischen Widerstand durch Über-Evidenz provoziert, das muß, das kann gar nicht durch Gegenkräfte in Schach gehalten werden, die sorgsam teilend in seinen Räumen konserviert werden. Man mag einwenden, mit dem Parlament bleibe doch die große, sichtbare Gegenmacht bestehen - es wird dann aber zu fragen sein, ob dies nicht eher den Mut zur sichtbaren Ohnmacht bedeutet, oder ob hier überhaupt noch Staats-Sichtbarkeit ist und nicht vielmehr eine Form der Transparenz des gesellschaftlich-politischen Lebens überhaupt. Doch solche Betrachtungen sind noch zu vertagen. Hier bleibt aber die Erkenntnis, daß dasselbe Fallbeil, das den Bourbonen getötet hat, die Sichtbarkeit des Königlichen Staates - auch das Palais Bourbon getroffen hat, das Parlament, mag auch sein Amphitheater heute noch in sichtbarer Staatshoheit prangen; und da die Kronen vergangen sind, ist es recht, daß die Richter ihr Barett ablegen. Wenn hier das Thema aber hieß: Machtverstärkung durch Unsichtbarkeit, so kann ein Blick auf die Entwicklung der Gewaltenteilung dies nur bestätigen: Hört die Provokation durch die sichtbare Staatsmacht auf, so werden Gegenkräfte überflüssig, ja illegitim, die einst so bedrohliche Einheit der Staatsgewalt darf dann wiederhergestellt werden, in neuen Formen der Kooperation. Ein Staat, der nicht mehr provoziert, warum sollte er zerstückelt werden, mit den japanischen Zauberern Rousseaus 283 ? Und wird dann die Staatsmacht nicht entscheidend stärimmer unklare - Wesentlichkeitstheorie des BVerfG (E 33,S. 125 (163); 47, S. 46 (78 ff.); 49, S. 89 (126 ff.)) wird daran wenig ändern. 283 Welche die Gewaltentrennungs-Stücke (der Macht) in die Luft werfen und dann doch wieder den Gesamtkörper (des Staates) unversehrt auffangen wollen (Rousseau, J.J., Du Contrat social, 11, 2).

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B. Legitimation des "Unsichtbaren Staates"

ker, wenn die Gewaltenteilung im Grunde nichts mehr ist als ein überholtes Prinzip, angesichts zurücktretender Staatlichkeit? d) Wenig" Normwiderstand 11 gegen" unsichtbare Gesetzes-Befehle"

Der Rechtsstaat, der so vieles an Macht veröffentlicht, ist dennoch zugleich auch ein Weg zum" Unsichtbaren Staat". Selbst in seinen publizierten Normbefehlen entgeht er meist sogar noch der Provokation von Machtwiderstand. Die Gesetze begegnen dem Bürger nicht wie dem Sokrates vor dessen Hinrichtung, ihr Wesen liegt in der Unsichtbarkeit des Staats befehls , der nicht mehr von greifbaren Menschen gesetzt, auf sie rückbezogen werden kann. Die Gesetzgeber treten hinter das Gesetz zurück; der Aufruf zum Normwiderstand "Zerbrecht mir die alten Tafeln!" ruft keine formierte Gegenmacht mehr. Die Fluten der Normen, ihr ständig sich änderndes Auf und Ab können sowenig Gegenmächte finden wie das wogende Meer, das die festesten Dämme mit unsichtbarer Gewalt über- und unterspült. Die Norm-Werdung der Staatlichkeit ist zuallererst etwas wie eine Meer-Werdung ihrer Gewalt. Täglich anders, ständig sich wandelnd, mehr Befehlslagen schaffend als Befehle gebend, überlebt die Demokratie in der Unfaßbarkeit einer Ordnung, die in Normfluten ein- und aus ihnen, unversehens, wieder emportaucht, und so wird sie, im Meer der Normen, zur unwiderstehlichen Ordnung284 , in die sich "ihre Gewalt gesetzlich auflöst". Immer mehr zeigt sich: Die Kassandrarufe über den Untergang des Rechts in den Gesetzen, über das Ersticken des Rechtsstaats in der Normenflut wenden sich, in tiefem Mißverständnis, gegen die stärkste Kraft der demokratischen Staatsform: die immer schwerere Faßbarkeit ihrer Befehle. Warum wir darüber in Kapiteln sprechen, welche der Sichtbarkeit des Staates gewidmet sind? Weil hinter der "Normflut" dieses Problem steht, auf das schon der tägliche Sprachgebrauch des Rechts hinweist: Die Normlagen werden unübersichtlich, schwer überschaubar. Dies ist aber eine Kritik, der jedes Recht vom Anfang unserer Rechtskultur an unterlag: zuerst als Macht der Arkan-Befehle, welche sich, von Priestern gehütet, den Augen der Bürger entzogen, sodann in den fremdsprachig-gelehrten Formeln einer früheren Hochkultur, mit jenem römi284 Hier liegt ein Problem, das die "Kritik der Normflut" (vgl. die Nachw. oben Fn. 115) meist völlig ausklammert: Sie führt nicht nur zur Unklarheit der Normlagen, damit zur Abschwächung der Staatsmacht, sondern zugleich zu einer "Unwiderstehlichkeit des ständig Wechselnden". Daher wird die Staatsgewalt auf dieses Machtinstrument nie mehr verzichten.

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schen Recht, welches nur die unsichtbaren Mächte vergeistigter Wissenschaftlichkeit erschließen konnten, und nun, da die Normbefehle in der Muttersprache ertönen, in der modemen Unübersichtlichkeit ihres unabsehbaren täglichen Wechsels. Letztlich darf es ein Gesetzesvertrauen auch in der Demokratie nicht geben 285 ; es wäre die Negation ihrer tiefsten Legitimation, des "täglichen Plebiszites", damit aber der erschwerten Faßbarkeit ihrer Befehle. So waren denn die Gesetze, einst und jetzt, stets zugleich auch etwas wesentlich Unsichtbares, die Schleier, hinter die sich die Staatlichkeit zurückzieht. Wenn sie, da und dort, aus ihnen hervortritt, gestaltend und strafend, so ist doch auch all dies stets von der Hoffnung getragen, daß solche Sanktionen die Ausnahme bleiben, weil der Regelfall der Normgehorsam ist 286 , in dem unsichtbaren Dialog, in welchem der Bürger zu seinen unsichtbaren Begleiterinnen steht; und daß sie ihm überall hin folgen, bis in die letzten Winkel seiner Privatheit, dafür sorgt die Perfektion einer hier in Unsichtbarkeit wirkenden Befehlsmacht. Schwächer mag sie werden in der Widersprüchlichkeit dieser wechselnden Normlagen; Unsichtbarkeit und Auflösung der Macht liegen eben nahe beisammen, wenn nicht im Gemenge, dies ist ja auch eine Grundfrage unserer Betrachtungen. Doch eines, um das es hier geht, erreicht die in Entmenschlichung entsichtbarte Normenmacht sicher: Gegenmacht wird hier selten nur geweckt, weil da nichts ist, was als Macht offen in Erscheinung träte. Der Iustitia haben die Bürger die Binde vor die Augen gelegt, doch in Wahrheit sind sie es, die sie tragen: Das Recht der Gesetze bleibt ihnen unsichtbar - und damit im letzten unwiderstehlich. Über Normwirksamkeit ist vieles gesagt worden, über Normwiderstand weit weniger; und in der Tat: Das unsichtbare Gesetz fordert nicht als solches eine Gegenrnacht zum Normwiderstand heraus. Entscheidend für die Norm ist ihr vom Normgeber abgelöster Befehlscharakter; was den Normenstaat zentral legitimiert, daß hier nicht mehr Menschen über Menschen herrschen sollen, wird durch die Gesetze verwirklicht, hinter sie tritt der Gesetzgeber zurück, er selbst wird ebenso zur Abstraktion wie sein Staat, dessen erstes Organ er ist. Unter 285 Weshalb denn auch gelehrt wird, daß der Bürger auf die Aufrechterhaltung der Gesetzeslage nicht vertrauen darf (BVerfGE 38, S. 61 (83); 68, S. 193 (222)). Zum Begriff des "Gesetzesvertrauens" vgl. Leisner, w., Das Gesetzesvertrauen des Bürgers. Zur Theorie der Rechtsstaatlichkeit und der Rückwirkung der Gesetze, in: FS f. F. Berber, 1973, S. 273 ff. 286 Die lex imperfecta darf es eben geben (vgl. Schneider, H., Gesetzgebung, 1982, Rdnr. 628 ff.; Stammler, R., Theorie der Rechtswissenschaft, 1911, S. 567 f.). Unter diesem Gesichtspunkt ist das Zinsbesteuerungsurteil (BVerfGE 84, S. 239 ff.) des BVerfG sehr bedenklich.

8 Leisner

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B. Legitimation des" Unsichtbaren Staates"

dem Normschleier, der die "Macht" verunsichtbaren soll, liegt auf ihr noch eine Verschleierung: der " Gesetzgeber" , der politisch-machtmäßig "keine Figur ist", sondern nur eine juristische Abstraktion, der als solcher unsichtbar bleibt, hinter dem sich die Parteien, ihre Politiker und Mehrheiten verstecken können. "Sichtbar" wird der Träger des Staatswillens nur mehr, als papierener Gesetzgeber, in Gerichtsentscheidungen287 . Wie könnte sich eine Gegenmacht wider ihn entwikkeIn? Gegen Unsichtbares gibt es Unzufriedenheit, nicht Widerstand, er entfaltet sich erst, wenn etwas "sichtbar" wird, eine "irgendwie personifizierte Staatsgewalt"; von solchen Erscheinungen geht auch das demokratische Widerstandsrecht aus 288 . So ist denn Normwiderstand als solcher selten und kein eigentliches Phänomen der Demokratie. Sie lenkt ihn - und selbst dies geschieht weithin" unsichtbar", in politisch-parlamentarischen Kanälen, in immer neue Verschleierungen hinein, in Gesetzesänderungen, andere Befehle, die noch weniger übersichtlich und damit fühlbar sein sollen. Jedermann weiß, es hat in der Normgebung Macht und Gegenrnacht gegeben, doch sie sind nun beide verschwunden hinter der Abstraktion der Gesetze. Diese aber provozieren schon deshalb nur in seltenen Fällen, weil sich in ihnen meist eine eigentümliche "Machtverzögerung" vollzieht, die vom allenfalls durch die Gesetze "herausgeforderten " Normadressaten als eine - wenn auch schwer faßbare - Gewaltabschwächung gefühlt wird: Der Befehl muß in aller Regel ja vollzogen werden, und wenn auch der Bürger nach unserer Rechtsordnung grundsätzlich mit seinem Widerstand nicht warten muß, bis ihn schwere Sanktionen treffen289 - irgendwie steht die Staatsgewalt mit dem Gesetzeserlaß "noch nicht sichtbar vor ihm", vielleicht erreicht sie ihn erst Jahre später, durch Polizeivollzug und Steuerbescheid. Diese "Nachträglichkeit" der Gesetzeswirkung ist eine der mächtigsten Unsichtbarkeitskräfte des Gesetzesstaates. Nur weil er im Grunde stets erst in "irgendwie abgeschlossenen Tatbeständen" in Erscheinung triU290 , 287 Selbst das BVerfG spricht ständig (vgl. etwa BVerfGE 9, S. 237 (248); 75, S.246 (268)) vom "Gesetzgeber" , nicht von der parlamentarischen Mehrheit, deren Willen es beurteilt; Rousseaus Theorie von der volonte generale ist voll übernommen worden, sie bleibt als Fiktion - erst recht - unsichtbar. 288 Isensee, J., Das legalisierte Widerstandsrecht, 1969, S. 17 ff.; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Anm. IX Rdnr. 23 ff. 289 Das zeigt sich sogar darin, daß er Straf-(ähnliche)Sanktionen nicht abzuwarten braucht, bevor er Verfassungsbeschwerde erhebt (BVerfGE 81, S. 70 (82 f.)). 290 Dies bewährt sich insbesondere im Rückwirkungsverbot der Gesetze, das auch nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG (E 63, S. 343 (353); 72, S. 200 (242)) an Tatbestände der Vergangenheit anknüpft.

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ist der Gesetzeswiderstand so gering, konnte, gegen eine wahrhaft gewaltige Abgabenbelastung, der Steuerwiderstand291 oft in solchen posthumen "Normwiderstand vor den Gerichten" sich verflüchtigen.

e) Gleiches Gesetz -

unfühlbare Macht

Überdies kann die unsichtbare Norm auch noch in eine andere Unfühlbarkeit fliehen: über ihr Wesen, die Gleichheit. Gefühlt wird, Gegenrnacht weckt zuallererst provozierende Ungleichheit. Die Unfühlbarkeit des Gesetzesstaates, im Grunde die der Gleichheit, wird zur Verunsichtbarung der Staatsgewalt überhaupt: Hier geht es ja darum, daß nirgends mehr die Höhen der Privilegien sichtbar werden, daß die Staatsrnacht aber auch nicht vor den Gräben der Diskriminierung aufgehalten werde. Wenn keine Erhebungen sichtbar sind am Machthorizont der Staatsgewalt, dann kann sich auch nirgends mehr eine Gegenmacht bilden und zeigen, Normwiderstand ist nicht zu erwarten. Je "gleicher,,292 das Gesetz wird, desto perfekter funktioniert der nirgends provozierende Staat; denn der Jedermann läßt sich nicht provozieren. Das Ungleichheitsgesetz, die Gruppenregelung ist es also, welche Widerstand hervorruft, den der "Unterprivilegierten". Hier wird der an sich unsichtbare Normbefehl fühlbar, er tritt ins Bewußtsein, wird sogar sichtbar personifiziert in der Zuordnung des "ungleichen Gesetzes" zu denjenigen, welche die Inegalität wollen und durchsetzen; der ungleiche Befehl ruft sich ja seinen Urheber, der sich vor ihn stellen muß. Doch Normwiderstand löst nur der echte Ungleichheits-Normbefehl aus, derjenige, welcher neue, bedeutsame, Inegalitäten auf Dauer hervorruft. Trifft er nur ungleich, um mehr Gleichheit zu schaffen, so ballen sich Gegenrnächte allein dann zusammen, wenn zu große, weite Erhebungen abgetragen werden sollen, mit einem Mal. Staatskunst und Gesetzgebungstechnik lehren die Herrschenden von heute, solche odiose Evidenzen sorgsam zu vermeiden, langsam zu nivellieren. Im letzten ist also auch die Gleichheit ein Unsichtbarkeitsphänomen der Staatlichkeit; soweit es ihr gelingt, die Bürgerebene durch unsichtbare 291 Holtgrewe, K.G., Der Steuerwiderstand. Das Verhalten des Steuerpflichtigen im Lichte der modemen Psychologie, 1954; Reichardt, P., Steuerbelastung und Belastungsgefühl im Handwerk, 1962; Schmölders, G., Allgemeine Steuerlehre, 4. Auf!. 1965, S. 102 ff. 292 Daß es den Begriff des "gleicheren" Gesetzes gibt, zeigt sich schon darin, daß das BVerfG in seiner Egalitätsrechtsprechung gewisse Ungleichheiten hinnimmt, solange diese nicht "unerträglich" werden (BVerfGE 15, S. 167 (201 f); 27, S. 253 (286); 49, S. 343 (360); 84, S. 90 (128 ff.)). 8•

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Gesetze allgemein zu planieren, braucht sie nicht die nur allzu sichtbaren Nivellierungstrupps der durchsetzenden Macht auszusenden, gegen welche sich der Widerstand auf den einzuebnenden Höhenzügen eingräbt. Hier liegt eine gewisse Gefahr vor allem für das moderne Steuerrecht mit seinen unzähligen Ausnahmetatbeständen. Mögen auch die einzelnen, jeweils "nicht hinreichend privilegierten Gruppen" begrenzt und schon deshalb nicht immer stark genug sein, sich zu Gegenrnächten zu formieren, aus ihrem Unisono kann sich dennoch eine Gegen-Grundstimmung entwickeln, welche zum allgemeineren und bedenklichen Steuerwiderstand sich zusammenballt. Doch zwei Kunstgriffe modemen Herrschens haben, trotz so vieler und augenscheinlicher Ungleichheiten, die" Unsichtbarkeit des Gesetzes", im Sinne seiner Unfühlbarkeit, und damit seine Unwiderstehlichkeit, auch hier immer wieder bewahren können: zum einen die Vielfalt, Unterschiedlichkeit und Unübersichtlichkeit des Begünstigten und Benachteiligten, ein divide et impera, zum anderen der gemeinsame Zug all dieser Ausnahmen hin zu einer größeren Gleichheit, hin sogar auf das Fernziel der vollen materiellen Egalität. Wenn sich am Horizont die große Ebene der "sozialen Gerechtigkeit" öffnet, so lassen sich kleinere und größere politische Erhebungen, die davorliegen mögen, immer wieder in politischem Sturmangriff überwinden. Nicht nur, daß sich die Macht stets rasch wieder, wenn eine Widerstandsgruppe zerschlagen ist, in die Unfühlbarkeit des egalitären Herrschens zurückziehen kann - sie ist doch zur großen Egalität jedenfalls unterwegs, ihre Kolonnen verlieren sich in deren unsichtbarer Herrschaft. Dem Staat aber, der in Unsichtbarkeit Gegenmächte vermeiden will, ist zu raten, er möge das Instrument der Norm nicht als eine beliebig verwendbare Form seiner Machtäußerungen einsetzen, Maßnahmegesetze vielmehr in engsten Grenzen halten: Nicht nur, weil er damit Gleichheitsprobleme im Rechtsstaat vermeidet, sondern vor allem, weil das Maßnahmegesetz ihn sichtbar werden läßt, weil er hier seine konkrete Machtäußerung nicht mehr hinter der allgemeinen Norm verbergen kann, denn "hier und jetzt" tritt eben die Maßnahme, auch in Gesetzesform, sichtbar hervor293 .

293 Deshalb muß es ja auch immer beim Maßnahmegesetz ein Gleichheitsproblem geben, wie es schon Art. 19 GG nahelegt; es steht eben in notwendiger Nähe zur privilegierenden Ausnahmeregelung (Huber, K., Maßnahme gesetz und Rechtsgesetz, 1963; Zeidler, K., Maßnahmegesetz und "klassisches" Gesetz, 1961).

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f) Verfassungsgerichtliche Normenkontrolle Bürgerwiderstand gegen" sichtbar werdende Gesetze "?

Ruft sich nun aber nicht gerade auch die Nonn ihre Gegenmacht, ist nicht die Verfassungsgerichtsbarkeit ein Phänomen der GegengewaltProvokation durch Gesetze? Am Ausgangspunkt der Verfassungskontrolle, in der Staatsgerichtsbarkeit, ging es gewiß nicht darum, den Widerstand von Nonnadressaten gegen die Nonn zu organisieren; zu stark wirkte noch die große Tradition der Französischen Revolution mit ihrem grundsätzlich unwiderstehlichen Gesetzesbefehl294 . Nur die Gewaltenteilung sollte vor dem Verfassungs gericht ihre Sanktionen finden. Den Bürger als solchen, der nicht vor diesem Gericht stehen durfte, konnte auch das verfassungswidrige Gesetz nicht zum Widerstand herausfordern; ihm gelang allenfalls, in der Nichtanwendung der Nonn, die Abwehr im Einzelfall, nicht eigentlicher Nonnwiderstand, der sich gegen die Gesetzesgeltung als solche wendet. Mit den Verfassungsbeschwerden scheint sich dies gewandelt zu haben. Wird nun nicht echter Nonnwiderstand ausgelöst und prozessual in die Staatsspitze gelenkt, zu den Trägem des "letzten Wortes", den Verfassungsrichtern? Wird hier nicht der Nonnwiderstand sichtbar vor aller Augen, im spektakulären Staatsprozeß? Sicher - der Nonnenstaat tritt damit aus seiner Unsichtbarkeit heraus, er organisiert sogar etwas wie ein Staatstheater der Gesetze und ihrer Überprüfung. Wirkungen hat dies sicher bereits gezeitigt, in einer gewissen Abschwächung des unbedingten Gesetzesgehorsams, in einem immer mehr sich verbreitenden Bewußtsein, daß Macht durch Nonnen ausgeübt werde, daß sich Widerstand gegen diese Gesetze vor höchsten Staatsinstanzen lohne. Das Gesetz tritt also aus seiner Unsichtbarkeit heraus, nicht nur im parlamentarischen Verfahren, sondern auch und gerade in jenem Inkrafttreten, das früher praktisch eher eine Verunsichtbarung der Gesetzesbefehle und ihrer Wirkungen eingeleitet hat - jetzt kann auch noch das Gerichtsspektakel sich anschließen, können sich politische FreundFeind-Konstellationen vor den Schranken von Karlsruhe, für jedennann sichtbar, aufbauen. Doch man überschätze diese Sichtbarwerdung der Gesetze im Richterstaat295 nicht: Der Bürger wird mit seiner Verfassungs beschwerde 294 Unübertroffen dargestellt von Carre de Malberg, R., La loi - expression de la volonte generale, Paris 1931; ders., La constitutionnalite des lois et la constitution de 1875, in: Revue parlementaire et politique, 1932, S. 339 ff. 295 Der gerade auch in dieser bisher kaum beachteten Versichtbarung der Gesetze und im "jurisdiktionellen Normwiderstand" an die Stelle des "Geset-

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nicht wirklich zur Gegengewalt, vor den Schranken des Verfassungsgerichts formiert sich keine eigentliche Macht wider die demokratisch Herrschenden, vor allem nicht eine solche, welche diese gerade durch ihre Gesetze provoziert hätten 296 . Insgesamt mag hier eine gewisse Mäßigung der Macht gelingen, immer mehr aber ist es nur die Verfeinerung von deren Instrumenten, die Verfassungsgerichtsbarkeit wirkt als ein Instrument der Selbstperfektionierung des Normenstaates: Eigentliche Machtphänomene, die sich in Gewalt und Gegengewalt entladen, die sich gegenseitig provozieren - all dies spielt sich auf einer politischen Ebene ab, welche Verfassungsrichter letztlich stets zu meiden suchen. Und so wird denn die Judikatur dieser Gerichte immer weniger Ausdruck von Normwiderstand, immer mehr Normverbesserung: Darin aber perfektioniert sich der Normenstaat, der ausnahmsweise auch einmal sichtbar vor die Schranken des Gerichtes tritt, letztlich doch in der Kraft seiner unsichtbaren Befehle. Gelingt es aber dem Gesetzesstaat auch hier, sich in seinem Normensystem zu vervollkommen, so entwickelt sich dies, von "außen", vom Bürger aus gesehen, zu einer derart vielfältig-verfeinerten Ordnung, daß sie "unüberschaubar" wird, zugänglich nur mehr den Technikern der Macht; "sichtbar" bleibt sie dann allenfalls noch ihnen, welche täglich die Normen mit Leben erfüllen. Die Perfektionierung des Gesetzesstaates im Verfassungsprozeß macht jenen für den Gesetzesunterworfenen immer weniger übersichtlich, damit wird er zum Machtinstrument - erst recht.

g) Die Flucht des Staates aus der Sichtbarkeit des formalisierten Verwaltungsverfahrens

Die frühere Staatlichkeit und ihre "Polizey" erschienen wohl in voller Sichtbarkeit, bis hin zu martialischem äußeren Auftreten. Doch das Verfahren ihrer Machtausübung blieb ganz wesentlich ihr bürokratischer Innenraum, sichtbar, angreifbar wurde er meist nicht in formalisiertem Verwaltungsverfahren. Hier hat sich eine bemerkenswerte Wendung in den letzten Jahrzehnten vollzogen: In demselben Maße, in welchem zesstaates" treten könnte, iiri Sinne der von R: Malcie Beschriebenen Bewegung "Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat" , 1957. 296 Ausnahmen mag es allerdings geben - sie liegen schon in der Nähe zur klassischen "Staatsgerichtsbarkeit wenn durch große "normative Schläge" Grundlinien der bisherigen Staatspolitik verändert werden sollen, von den Ostverträgen (BVerfGE 40, S. 141 ff.)bis zum Ausländerwahlrecht (BVerfGE 83, S. 37 ff.): dann wird "verfassungsgerichtlicher Widerstand" provoziert. U

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man äußere Erscheinungsformen der Machtträgerschaft abbaute, wurde das Verwaltungsverfahren auch von außen her faßbar, formalisiert 297 , in diesem Sinne leichter lesbar, sichtbar, angreifbar. Fast scheint es, als sollten diese neuen Verdeutlichungsformen des Staatswirkens die alten Staatsembleme ersetzen: Formblätter, Anhörungen, Belehrungen statt Uniformen. Der Rechtsstaat akzeptiert "diese Veröffentlichung seiner Macht", seiner Gewaltanwendungen, in einer Formalisierung des Verwaltungsverfahrens, die immer wieder, auf stets neuen Stufen, eine auch "judikative Sichtbarwerdung" zur Folge hat, in den Verwaltungsprozessen vor allem. An zahllosen, potentiell an allen Punkten wird durch solche Formalisierung und damit Verdeutlichung grundsätzlich Gegenkraft geweckt, in unzähligen Verwaltungsprozessen. Retardierend wirkt sie sich jedenfalls auf die Staatsgewalt aus. Zur Veröffentlichung der Gesetze tritt die weit wirksamere Veröffentlichung im formalisierten Verwaltungsablauf; mag der Gesetzeswiderstand nicht provoziert werden, ein Durchsetzungswiderstand ist, als Folge so weitgehender Formalisierung des Verwaltungsverfahrens, eine täglich zu beobachtende Erscheinung, und die Scheu vor solchem Widerstand wirkt hemmend oft schon im Vorfeld der Staatstätigkeit. Aktive Gegenmächte werden so wohl nicht provoziert, wohl aber werden nun Blockaden auf den Plan gerufen, die sich leicht zum System verdichten können. Der modernen Staatlichkeit ist diese Gefahr wohl bewußt, die sich aus einer immer stärkeren Versichtbarlichung in der Formalisierung ihres Verwaltungsverfahrens ergibt. So begegnet sie dem mit einer Doppelstrategie: Rechtsstaatlich-demokratischen Öffentlichkeits- und RechtsklarheitsanspTÜchen sucht sie mit immer weiterem Ausbau von Verfahrensvorschriften zu genügen, bis hin zu den oft geradezu kleinlich wirkenden Befugnisnormen des Polizeirechts. Doch auf der anderen Seite flieht sie aus der "Sichtbarkeit der Verwaltungstätigkeit" in zwei Formen vor allem: - In den rasch an Bedeutung gewinnenden Erscheinungen des informellen Verwaltungshandeins, in Einigungen mit dem Bürger, bis hin zu einer Quasi-Vertraglichkeit, welche den strengen Bindungen der Eingriffsverwaltung nicht mehr unterliegt298; in zahllosen Gesprächen und "Orientierungen" , welche ein Eingreifen des Staates über297 Ule, C.H.lLaubinger, H.-W., Verwaltungsverfahrensrecht, 3. Aufl. 1986, § 5; von Unruh, E.-Ch., Kodifiziertes Verwaltungsrecht, in: NVwZ 1988, S. 690 ff. 298 Bohne, E., Der informale Rechtsstaat, 1981, S. 126 ff.; Robbers, G., Schlichtes Verwaltungshandeln, in: DÖV 1987, S. 272 ff; Schulte, M., Informales Ver-

waltungshandeln als Mittel staatlicher Umwelt- und Gesundheitspflege, in: DVBl. 1988, S. 512 ff.

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B. Legitimation des "Unsichtbaren Staates"

flüssig machen sollen, in Wahrheit es nur zu häufig vorwegnehmen; schließlich in Warnungen299 , bis hin zu Drohungen, die nichts mehr anderes sind als vorweggenommene hoheitliche Eingriffsakte; leicht lassen sie sich mit "Vorsorge" rechtfertigen, ja sogar im Namen einer Verhältnismäßigkeit, welche hier doch den harten Eingriff durch Warnung zu ersetzen vorgibt. Bei näherer Betrachtung liegen in alldem Versuche der Verunsichtbarung der Staatsgewalt, die sich einem formalisierten Verfahren entziehen will, weil dieses einen ebenso formierten, bis in die Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren hineinwirkenden Durchsetzungswiderstand auslösen könnte. Der Unsichtbare Staat flieht aus dem Verwaltungsverfahren, er taucht ein in die Gespräche mit dem Bürger, in einer vorgeblichen Bürgernähe, welche Widerstand schon gar nicht aufkommen lassen soll: Sollte es dazu kommen, daß allgemein der Verwaltungsakt, als das "letzte Mittel" , auch noch die Ausnahme wird, so hört die "Verfahrens-Provokation" des Bürgers durch den Staat vollends auf, sie verliert sich im Gespräch. Wie viele aber sehen nicht gerade darin heute einen entscheidenden Fortschritt, daß sie dem Hoheitsstaat "nicht mehr so deutlich ins Auge schauen müssen" . - Einem Durchsetzungswiderstand, der durch formalisiertes, hoheitliches Vorgehen geweckt werden könnte, entgeht die Verwaltung zunehmend durch Flucht in die Handlungsformen des Privatrechts300 . Hier geht es nicht, wie bisher stets angenommen, primär nur darum, der Bindungswirkung der Grundrechte zu entgehen, die ja nun dem nicht hoheitlich handelnden Staat gegenüber nahezu mit gleicher Schärfe eingesetzt werden wie gegenüber der Hoheitsgewalt301 . Dieser Entwicklung liegt vielmehr auch eine Sichtbarkeitsproblematik der Staatlichkeit zugrunde: Eine Hoheitsrnacht, welche als Aktiengesellschaft auftritt, Verträge mit dem Bürger schließt wie jeder Dritte, in Gleichordnung mit ihm vor den Zivilgerichten auftritt und auf Selbstdurchsetzung ihres eigenen Willens verzichtet - wie könnte hier noch der Staat "sichtbar werden", mit seiner ganzen odiosen, letztlich unendlichen Macht? Nicht so sehr den Grundrechten, als vielmehr einem formalisierten Verwaltungsverfahren im weiten Sinne des Wortes entgehen die Herrschaftsträger auf diesen We299 Berg, w., Die behördliche Warnung - eine neue Handlungsfonn des Verwaltungsrechts? in: ZLbmR 1990, S. 565 ff.; Ossenbühl, F., Umweltpflege durch behördliche Warnungen und Empfehlungen, 1986, S. 38 ff. 300 Einem seit langem beschriebenen - und beklagten - Phänomen, Leisner, w., Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 176, 199 f. m. weit. Nachw. 301 Ehlers, D., Verwaltung in Privatrechtsfonn, 1984, S. 212 m. weit. Nachw.; Löw, K., Fiskalgeltung der Grundrechte? in: DÖV 1957, S. 879 ff.

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gen, und nicht nur in seinen Handlungsfonnen, sogar schon in den dadurch bedingten Organisationsfonnen sucht der Staat zu fliehen, letztlich nicht aus den Grundrechten, sondern aus der Staatlichkeit selbst. In diesen meist wirtschaftlichen Bereichen kann er auf den Einschüchterungseffekt des Staatsnamens und seiner hoheitlichen Handlungsfonnen unschwer verzichten, ist er doch der ökonomisch potente, finanziell unendlich leistungsfähige Partner. Unwiderstehlich bleibt er nicht durch die Fonn, sondern durch den Inhalt seiner Entscheidungen. Die Verunsichtbarungswirkungen und den damit verbundenen potentiellen Widerstandsabbau bei den Bürgern sollte man dabei nicht unterschätzen: Von vorneherein entsteht eine ganz andere Grundstimmung im wirtschaftlichen Gleichordnungsgespräch, als sie sich in der behördlichen Überordnungsbeziehung entwickeln kann; hier ist sie eben durch Fonnalisierung, durch staatstypisches Verhalten geprägt, die Macht wird schlechthin als solche sichtbar und durch spätere Anfechtungsmöglichkeiten zudem noch geschwächt. Hier ist dann auch "Widerspruch" als solcher schon eine juristische Denkkategorie; in sie wird der Gewaltunterworfene schon deshalb gedrängt, weil ihm ein anderes nicht bleibt: Die Hoheitsgewalt zwingt wesentlich in Widerspruch und Widerstand. Auf der Gleichordnungsebene dagegen, bis hin zu deren uneigentlichen Ausprägungen in finanzieller Förderung302 , ist "Widerstand gegen Macht" meist kein Thema: Hier "kommt es zum Geschäft - oder nicht". Nur in Extremfällen wecken ökonomische Potentiale etwas wie eine "Gegenmacht" , und auch nur, vor allem, auf jenem Markt, der über Konkurrenz funktioniert. Eben diesem Wettbewerb aber stellt sich ja der privatrechtlich handelnde Staat nicht immer - insbesondere nicht in der Leistungsverwaltung in privatrechtlichen Fonnen - so daß er auch nicht die Gegenmächte der Konkurrenz mobilisieren oder gar provozieren könnte. Privatrechtliches Handeln außerhalb des Wettbewerbs - hier verunsichtbart sich der Staat in einer besonders geschickten Weise, damit läßt er eigentlich dem Bürger nur mehr die Chance der Zusammenarbeit, er "zwingt ihn in Kooperation"; dies aber ist geradezu die Gegen-Definition der offenen Provokation. Die Staatsgewalt entgeht dann also der Gefahr der Provokation von Gegenmächten, wenn sie auf sich als solche nicht hinweist, oder doch nicht in ihrem "Verfahren" Staatstypisches zum Ausdruck bringt. Denn nach mehr als 200 Jahren erfolgreichem Liberalismus - daran führt 302 Durch welche natürlich auch - verdeckt - Macht ausgeübt wird, man denke nur an die "Lenkungsauflagen " (vgl. Leisner, w., Die Lenkungsauflage, 1982).

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kein Weg vorbei - ist "Staat" nicht an sich mehr ein "gutes Wort", kein positives äußeres Zeichen. Es muß gewissermaßen "neutralisiert" werden: Vom "Staatsbürger" zum "Bürger", vom "Staatsgesetz" zum "Gesetz" - und schließlich von der "Staatsverwaltung" zur Verwaltung schlechthin, oder noch besser: zum "wirtschaftlichen Handeln mit Gemeinwohlbezug" . All dies aber sind Verunsichtbarungen des Staates und eben darin Beschwichtigungen eines möglichen Bürgerwiderstandes, sie lassen ihn gar nicht erst entstehen. Ein Problem wird für diesen Staat sein, ob er sich als eine "widerstandslose Macht" behaupten kann, ob sich seine Waffen nicht erst in dauerndem politischen Kampf mit Gegenmächten schärfen. Doch der Unsichtbare Staat kämpft nicht ...

2. "Unsichtbare Macht" - Verhinderung der "Staatsaneignung"? a) Der Kampf um die "Macht in der Auslage"

In diesem Kapitel geht es nicht mehr um Widerstand, den offen sich zeigende Staatlichkeit wecken, um Gegenmächte, welche sie damit auf den Plan rufen kann, um die Frage also, ob sie durch Flucht in die Unsichtbarkeit solchen Selbstschwächungen zu entgehen vermag. Die sichtbare, vor allem die allzu deutliche Macht läuft ja noch eine andere Gefahr, welche weniger die in Machtkämpfen stehende Herrschaft als solche schwächen, als vielmehr die konkreten Inhaber der Macht gefährden kann: "Macht in der Auslage" weckt den Willen zur Macht, das Gelüste, sich diesen Schatz von Strukturen und Instrumenten zu appropriieren, vor allem um in bekannten Bildern zu bleiben, den Mehrwert der Macht. Nicht immer nur in Machtteilungen und Machtkämpfen muß gedacht werden, sondern durchaus auch mit Blick auf die Einheit der Herrschaftsgewalt oder wesentliche Bereiche derselben, um die als solche, als einheitliche, gekämpft wird. Dann aber gilt es nicht nur, nach historischen Vorbildern, römische Bürgerkriege zu beschreiben, sondern den "Kampf um Rom". Daß sich das öffentliche Recht erschöpfe im Prozeß State versus Man im rechtlichen Widerstand gegen den Staat, das ist fast etwas wie ein liberaler Mythos. Entzaubert wurde er in unserer Zeit schon durch die mächtigen Teilhabe-Bewegungen, in denen sich die kombinierte Kraft der Berufung auf den Status activus und den Status positivus, über den Status negativus weit hinaus, auf Staatsaneignung zu richten beginnt303 . Und der Anspruch auf Staatsleistungen ist letztlich eben nicht ein aliud ge-

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genüber der Mitbestimmungsforderung bei der Staatsgestaltung: Leistungen lassen sich letztlich am besten über Mitwirkungsrechte durchsetzen, "Mitbestimmung im Staat" ist dann nur eine globalere Art derselben - beide zielen darauf, sich ein "wesentliches Stück vom Staatskuchen " zu sichern, nicht nur vom "Staatsreichtum " , sondern von der Staatsrnacht als solcher. Hier werden nicht mehr die Fragen der Anarchie, hier wird nicht mehr die Macht selbst in Frage gestellt, sie bleibt vielmehr vorausgesetzt, so wie es einer hochentwickelten, ordnungs bedürftigen Welt wohl ansteht. Machtschwächende Verteilungskämpfe innerhalb der Staatsgewalt sind nicht mehr das eigentliche Problem; sie soll eher größer werden noch und breiter nach den Gelüsten derjenigen, denen sie allzu sichtbar sich zeigt. Der Demokratie ist hier seit Jahrhunderten anderes nicht eingefallen als die Predigt vom geordneten Machtwechsel. Doch dies trifft nur die äußere, formale Seite, die Frage nach der Staatsaneignung führt tiefer, vor allem darf sie nicht ausgehen von der Idealvorstellung, daß sich hier nur Politik-Beamte um Ämter auf Zeit bewerben, um Bürgerinteressen zu wahren. Politisch gekämpft wird nie allein in einem Altruismus, der anderen Gutes tun möchte mit der Kraft des staatlichen Rechts; vielmehr wird hier ein Schatz erstrebt und verteidigt, eine "Beute", wie es amerikanische Unbekümmertheit entwaffnend nennt304 . Sie soll genossen werden, wie es eben nur Eigentum zuläßt; und deshalb mag sich das Eigentumsdenken im Recht der Demokratie abschwächen, verschwinden wird es solange nicht, wie dort noch etwas von wahrer Mächtigkeit bleibt; denn sie ist als solche eigentumsfähig - aneigenbar. Hier aber geht es um die Sichtbarkeit dieser Schätze: Laden hohe Mauern des Staates, besonders sichtbare Machtstrukturen, zur Besetzung einer Festung ein, in der dies alles dann in stolzer Sichtbarkeit genossen werden kann, oder gilt auch für den Machtgenuß, daß bene vixit qui bene latuit, mit der Macht, ungestört vor allem? In erster Linie geht es dabei, wir erwähnten es schon, um die Interessen der Besatzer des Staates, nicht um den Bürger; doch auch er wird hineingezogen in die Kämpfe um die Besetzung des sichtbaren - oder unsichtbaren - Staates, aufgerufen vielleicht, in sie einzugreifen. Hier kommt es nicht vor 303 Häberle, P., Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), S. 43 ff.; Haverkate, G., Rechtsfragen des Leistungsstaates, 1983; Stern, K., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IIII1 1988, S. 687 ff.

304 Und wie es deutsche Ämterpatronage bereits unbekümmert praktiziert; vgl. dazu Eschenburg, Th., Ämterpatronage, 1961, S. 12 ff.; Thieme, w., Verwaltungslehre, 4. Auf!. 1984, Rdnr. 578.

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allem auf Stärke und Schwäche eines Regimes an, sondern primär auf die Ruhe, in der es sich halten kann. Wo immer an den "Staat" gedacht wird, ist stets etwas vorgestellt, das ruhig ruht über aller Politik, ein Träger der Macht, nicht ein Gegenstand ihrer Gelüste. Hier kommt eine neue Dimension hinzu: Der Staat - zugleich Träger der Macht und ihr Spielball - bleibt er ruhiger liegen in Unsichtbarkeit, wird er selbst dadurch stärker, nicht nur seine Besitzer?

b) "Machtinformationen 11 durch veröffentlichte Staatsgewalt

Von der Befestigung der Staatsrnacht in Öffentlichkeit war schon die Rede. Hier fragt es sich nun, ob sie nicht durch eben diese Publizität in die Unruhe von Gelüsten des Besitzwechsels geworfen wird. Daß Information über Staatsgeschehen an sich gut sei, ist heute ein widerspruchslos hingenommenes demokratisches Dogma. Die Medien drängen die Staatsgewalt in immer neue Formen der Sichtbarkeit, sie versprechen ihr Stärkung und Bestätigung in allgemeinem Konsens. Doch in all dem werden nicht nur Gegenmächte, sondern auch Ersatzrnächte aufgerüstet, Personen, Gruppen, vielleicht Institutionen, welche den Platz der bisher Herrschenden einnehmen können und wollen. Stärken und Schwächen eines Regimes werden klar erkannt, Reformziele lassen sich wirksam formulieren, das Bisherige wirft im hellen Licht der Öffentlichkeit auch lange SchaUen. Doch nicht nur seine Schwächen muß das Regime damit offenlegen, wenn "alles sichtbar werden soll", und wie rasch werden sie dem Staat als solchem angelastet, der damit nur noch weiter geschwächt wird, daß er, weil "wenig befestigt", als leicht einnehmbar erscheint. Weit wichtiger für künftige Staatsaneignung durch andere Freunde des Machtbesitzes sind Machtinformationen über MachUechniken, die nunmehr aus "allgemein zugänglichen Quellen" fließen 305 , geradezu einem Informationsrecht des Jedermann unterliegen. Und hier nimmt die jedenfalls virtuell voll sichtbare Staatsgewalt der Demokratie nicht geringe Risiken in Kauf, oder sie wiegt sich in Illusionen, welche der Unsichtbare Staat vermeiden kann. Begünstigt werden diese Öffentlichkeitsillusionen dadurch in der Demokratie, daß es dort Machtäußerungen eigentlich nur als Recht geben 305 Hier wird das so definierte Infonnationsrecht, bei dem ja der Hauptakzent auf der "politischen Infonnation" von Anfang an liegt (Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, 11 Rdnr. 82 ff.), zu etwas wie einem Staatsaneignungsrecht.

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soll; alles andere erscheint geradezu als "Skandal". Machtausübung gibt sich als Staatsverwaltungstechnik - doch sie bleibt eben Machttechnik, die erlernbar ist. Selbst jene "Rechtstechnik ", die, weithin sichtbar, als eine entpolitisierte vorgestellt wird, kann zur Machttechnik und als solche in einem "Sichtbarkeitsregime " erlernbar werden. Nicht nur darin wird die Staatsgewalt aneigenbar, daß sie sich große Häuser und Einrichtungen schafft, die zur Besetzung einladen, gefördert wird all dies vor allem in der Sichtbarkeit ihrer Herrschaftstechniken. Die Geschichte der Ver-Öffentlichung der Machttechniken durch Offenlegung des Herrschaftsgeheimnisses ist wohl so alt wie das Staatsrecht, mit ihm hat sie sich entwickelt. Lehrbücher über Staatskunst, für den guten Fürsten, den perfekten Thronnachfolger geschrieben, haben die Macht an der Schwelle zur Demokratie rational durchleuchtet306 . In diesem Sinne haben sie die Macht aber auch appropriierbar werden lassen. Schon Macchiavelli, den allzu leichte Kritik zum Theoretiker des einsamen Machtkalküls des verschlagenen Fürsten machen wollte, hat mit dem Großerfolg seines Buches das Gegenteil bewirkt307 : Er hat die monarchische Staatsform in die Öffentlichkeit gezerrt, aus der Kabinettspraxis der Herrschaft ist ein Lehrbuch der Macht geworden, die nun eigentlich jeder ergreifen kann, nicht nur Herrscher von Gottes Gnaden. Fort setzt sich das heute bis hinein in jene Staatsbürgerkunde, in welche die Demokratie die "Schule der Nation" verlegen will. "Gelehrt wird hier Macht" mit wissenschaftlichem Anspruch, in Staatsrecht und Politologie, in "Schulen für Politiker", denen so Machtinformationen geliefert, die großen und kleinen Geheimnisse der Machttechnik preisgegeben werden. Machtausübung erscheint als erlernbare Kunst im rechtlichen Rahmen der Staatstechnik, in jener Gesetzgebungsiehre308 vor allem, welche sichtbar macht, wie sich Rechtstechnik als Machttechnik geschickt einsetzen läßt. Nicht zuletzt aber ist es die noch gar nicht voll erkannte Bedeutung der Verwaltungslehre, daß sie Lehrbücher der Administrativ-Macht hervorbringt, das Rüstzeug liefert durch Machtverdeutlichung - zur Machtaneignung; ihr volles Gewicht gewinnen sie dann, wenn sie mehr von angehenden Politikern gelesen werden als von Juristen. In alldem entsteht die" bis zur Sichtbarkeit bekannte öf306 Selbst dann, wenn vieles von zeitgenössisch moralisierendem Machtpietismus verdeckt wird, wie im berühmtesten Buch dieser Gattung, F{melons Telemaque. 307 Man vergleiche etwa Kap. XVII des "Principe" mit den Ratschlägen der Minerva für den Thronfolger a.E. des XVIII. Buches des Telemaque. 308 Hill, H., Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982; Schneider, H., Gesetzgebung, 1982.

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fentliche Gewalt", und so will es ja eine Staatsfonn, die auf den noch zu erörternden Machtwechsel setzt. Wenn es umgekehrt im Unsichtbaren Staat darum geht, die Staatlichkeit in kampfloser Ruhe und deren Besitzer im ruhigen Genuß zu lassen, so muß man versuchen, diese Machtinfonnationen in Grenzen zu halten, vor allem aber, sie an den äußeren Fassaden der Herrschaftsausübung auszurichten und enden zu lassen, möglichst wenig über die "inneren Machttechniken " eines Regimes auszusagen, diese vielmehr im Geheimbesitz politischer Spitzenzirkel zu bewahren. Darüber aber gibt es wohl weit größeren Konsens, auch zwischen rivalisierenden Parteien, als es gemeinhin angenommen wird. Soweit es gelingt, die Machtinfonnationen auf rein rechtliche Mechanismen zu beschränken, werden letztlich eben doch nur Machtfassaden gezeigt, nicht der erregende, verlockende Machtbesitz und Machtgenuß, der hinter ihnen stattfindet. So sollte denn auch diese Versichtbarlichung der Staatsgewalt durch Machtinfonnationen nicht allzu hoch eingeschätzt werden, gerade sie lenkt das Licht der Öffentlichkeit auf viel Macht-Unwichtiges, auf die Fassaden des wahren Herrschens. Vielleicht werden sie in all diesen Ver-Öffentlichungen letztlich auch in einem falschen Lichte dargestellt: in dem einer rationalen Ordnung als Selbstzweck, aus welcher der "Wille zur Macht", der eigentliche Anreiz zur Staats an eignung, eliminiert erscheinen soll. Fast ist man versucht zu sagen, die Fülle der staatstechnischen Infonnationen verdecke letztlich das Wesen der Staatsrnacht - und deshalb wird diese meist nicht von den Männern der Erkenntnis, sondern von instinktgetragenen Persönlichkeiten mit Machtgefühl ergriffen, angeeignet. Der Unsichtbare Staat aber wird stets versuchen, Machtinfonnationen auf "technische Fassaden-Beschreibungen" zu beschränken; sie wecken keine Machtgelüste. Deshalb entwickelt sich denn auch das Staatsrecht, vor allem in der Verfassungsgerichtsbarkeit, immer mehr zu einem "Verfahrensrecht der Staatsgewalten ,,309. c) Verschleierung des" Willens zur Macht"

Offen sich zeigende Staatlichkeit lehrt nicht nur die Technik der Machtaneignung, sie reizt auch den unauslöschlichen "Willen zur 309 Dies zeigt sich vor allem bei jener, immer allgemeineren, Verhältnismäßigkeitsprüfung der Grundrechte, in welcher letztlich materielle Machtentscheidungen durch Abwägungs-Verfahren ersetzt werden (vgl. dazu Hirschberg, L., Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981; Schlink, B., Abwägung im Verfassungsrecht, 1976).

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Macht" zur Besetzung der Schaltstellen der Staatsgewalt; nicht nur Versuchung des Geistes bedeutet sie, sondern auch des Willens künftiger Herrschender, damit trägt sie Unruhe in die fingierte Kontinuität der Herrschaft: Der Unsichtbare Staat will die Mächtigen "liegenlassen und besitzen,,310, sein Ideal ist die statische Institution, nicht die dynamische Machtappropriation. So zeigt sich denn, gerade im Öffentlichkeitsstaat der Demokratie, Erstaunliches: Je mehr an Machtmechanik dort veröffentlicht wird, desto entschiedener wird "Macht" eben dort geleugnet. Der "sichtbare Staat" kann sich eben zeigen, so scheint es, als gäbe es gar keinen" Willen zur Macht" hinter seinen Fassaden - dann wird eine solche Macht doch auch nicht, von außen kommend, hinter diese vordringen, sich gar dort verstecken: Denn ganz sichtbar, im hellen Licht der Öffentlichkeit, dürfen sich solche Gelüste ja nicht zeigen, sonst werden sogleich sie gebrochen und ihre Träger. So ist denn das Dogma der veröffentlichten Staatlichkeit nicht nur: "Veröffentlichung der Machttechnik ist ungefährlich", sondern noch viel mehr: "Machtgenuß gibt es nicht". Gerade hinter dieser Öffentlichkeits-Fassade des demokratischen Gesetzesstaates richtet sich jedoch wieder der Unsichtbare Staat ein, in der Verschleierung des "Willens zur Macht" seiner Herrschenden. In der Tat -läßt sich denn die "Freude an der Macht", das Ziel des Willens zu ihr, "veröffentlichen"? Ist nicht "Machtprofit " als solcher, der Mehrwert der Mächtigkeiten, ebenso privat und daher wesentlich geheimzuhalten wie jeder andere Gewinn? Nach der sich brüstenden politischen Macht - und im wilhelminischen Deutschland zugleich mit ihr - kam der sich brüstende privatkommerzielle Profit herauf, im Plutokratismus wollte er sich an die Stelle der schimmernden fürstlichen Vergangenheit stellen. Nun scheinen beide zusammen vergangen: Schamhaft wird das Machtstreben "funktionalisiert", es zieht sich in Kapitel der Verwaltungslehre über Führung, Ausbildung und Einsatz von Eliten zurück 311 , in das gerade noch gewagte Wort vom "gesunden Ehrgeiz" dieser "künftig" Herrschenden. Da die Macht aber doch zum "Eigentum" wird, so umgibt sie sich auch mit dem Eigentums-Geheimnis, der ersten und wichtigsten Wirkung dieses Rechtes: jeden anderen vom Gebrauch eines Gutes auszuschließen, ihn dieses also auch schon gar nicht sehen zu lassen312 .

310 Nach dem Wort des Drachen im 11. Akt des "Siegfried" von Richard Wagner. 311 Lecheler, H., Verwaltungslehre, 1988, S. 190 ff.; Püttner, G., Verwaltungslehre, 1982, S. 181 ff.; Thieme (Fn. 304), Rdnr. 620 ff.

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Ganz läßt sich allerdings die anziehende Macht nicht verbergen, früher zeigten die schimmernden Fassaden der Krönungen und des ganzen Staatszeremoniells nicht nur apotropäische Majestät, mit Einschüchterungseffekt, sondern auch "genossene Macht", jedenfalls wurde diese in den Palästen vermutet: Mag die Zeremonie heute zum Protokoll geschrumpft sein313 , auch in ihm wird noch, medienöffentlich sogar besonders wirksam, ein Abglanz des Purpurs der Macht sichtbar. Neue Formen eines Machtgenusses, der sich zeigen darf und willig in die Sichtbarkeit hervortritt, haben sich entwickelt: der Politiker, welcher den Kontakt mit den Vertretern der Medien genießt, die Befragung durch sie, der im "Bad in der Menge" nur zu oft ganz nackte Machtfreude demonstriert; und wer kann wissen, welche der geschüttelten Hände eines Tages nach seiner Macht greifen wird ... Dennoch: "Der Palast deckt den Machtgenuß", nach außen dringen Herrschaftspflichten. So war es bereits, als ein Bossuet um einen Thron Todesschauder in seinen Leichenreden verbreitete, die Nacht der Sterblichkeit um einen Sonnenkönig, der in gleißender Über-Sichtbarkeit unfaßbar hatte werden wollen. Thronbesitz und Thronnachfolge als harte Pflicht zeigen die Hausgesetze der regierenden Familien einem immer selbstbewußteren Volk im beginnenden Konstitutionalismus. Nur mehr mit puritanischen Moralisierungen, als "Erste Diener des Staates", treten die Fürsten in die Sichtbarkeit des Öffentlichen; wie ihre Polizey sind sie immer im "Dienst" - oder sie genießen ihre Macht nur mehr in bürgerlicher Bescheidenheit, die sie ja auch dann, als "Bürgerkönige" , getrost nach außen zeigen können, in den verbürgerlichten Gemächern der Schlösser. Die möglichen Träger eines "Willens zur Macht", die große Bourgeoisie vor allem, wird weithin abgelenkt in den Machtgenuß des plutokratischen Liberalismus. Erst mit seiner Abschwächung in sozialisierender Gleichheit wird die Sichtbarkeit der Staatlichkeit wirklich gefährlich, zeigt sie doch, wie attraktiv der Genuß einer Macht sein kann, die für frühere aristokratische Staatsrepräsentanten, wie etwa viele preußische Landräte im 19. Jahrhundert, eher etwas darstellte wie eine lästige Last. So könnte denn ein erstaunlicher Rat lauten: In ärmeren, nivellierten Staatswesen sollte sich die Macht eher verstecken, weil viele Hände sich nach ihr ausstrecken, während der Wille zur Macht in Gesellschaften mit plutokratischen Spitzen eher dorthin abgelenkt wird; 312 Mag auch im bisherigen Verständnis des bürgerlich-rechtlichen Eigentums dieser Aspekt nicht im Vordergrund stehen; vgl. Säcker, J., in: Münchener Komm. z. BGB, Bd. 4, 2. Auf!. 1986, § 903 Rdnr. 5; Seiler, H.H., in: Staudinger, Komm. z. BGB, Bd. I1I, 12. Auf!. 1989, § 903 Rdnr. 11. 313 Besonders deutlich im Völkerrecht, vgl. Berber, F., Lehrbuch des Völkerrechts,1. Bd., 2. Auf!. 1975, S. 294 f.

II. Unsichtbarkeit als Machtverstärkung

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die erfolgreiche Konkurrenz der "Wirtschaft" gegenüber dem "Staatsdienst" in der Bundesrepublik Deutschland ist dafür heute ein Beweis. Soweit aber sichtbar-glänzende gesellschaftliche Positionen den Machtwillen nicht auf sich ziehen, ihn vom Staat ablenken, soll die Fassade des Rechts den Genuß der Macht gegen fremde Gelüste decken. Der Rechtsstaat ignoriert ganz wesentlich die Attraktivität der Macht, er fingiert all ihre Ausübung als eine "an sich rechtliche", mit seiner Legalität deckt er alles Streben zu ihr, alle Freude an ihr zu: Der Staat zeigt eine juristische Fassade, eine Sichtbarkeit, die im Grunde - so paradox dies scheinen mag - die dahinterstehende Macht verbergen soll, denn es sind ja "Normen", die herrschen, nicht "Menschen". So wird denn das Staatsrecht des Rechtsstaats zugleich zum Instrument der Verunsichtbarung der Staatsgewalt, ihre institutionellen Fassaden werden zwar deutlich sichtbar aufgerichtet - zugleich aber versteckt sich, kaum faßbar, hinter dieser "einseitigen Sichtbarkeit" jene Freude an der Prämie der Macht, welche den Aneignungswillen anderer wecken und damit die Herrschaft gefährden könnte. Staatssichtbarkeit als Anreiz zur Besetzung der Macht tritt also rechtlich nur in Randerscheinungen hervor, dort etwa, wo die Attraktivität des Herrschens auch in Demokratien gesteigert werden soll, wie bei den Bezügen von Abgeordneten und Ministern und ihrer Versorgung. Nach dem bewährten Vorbild der Alimentation der Beamten wird dies aber selbstverständlich ebenfalls mit einer rechtsstaatlichen Fassade verkleidet: Der Aneignungsanreiz der Macht wird nur gezeigt als ein Instrument, um die "Unabhängigkeit der Funktionsträger" zu garantieren, Korruptionsgefahren zu bannen314 . Nur soweit dies gelingt, darf das Erstrebenswerte an der Macht noch sichtbar werden; wenn im übrigen allein die puritanische Fassade einer "Macht als Dienst" erkennbar bleibt, dürfen die Herrschenden ohne Gefahr für ihre Position, kann der Staat ohne Gefährdung kontinuierlich effektiver Machtstrukturen "sichtbar" bleiben. Machtnutzen und Machtfreude aber dürfen - und werden - im Rechtsstaat der Gesetze nie allzu deutlich hervortreten. d) Revolutionsneigung bei öffentlich sichtbarer Staatlichkeit?

Die großen revolutionären Bewegungen der neuesten Zeit sollten eine Antwort darauf geben, ob die allgemeine, systematische und gewaltsame Machtaneignung im Wege des staatsrechtlichen Umsturzes durch Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit der Macht begünstigt wird, ob insbe-

314 Vgl. BVerfGE

9 Leisner

21, S. 329 (345); 44, S. 249 (265).

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sondere ein Zurücktreten äußerer Formen der Gewaltausübung eine Ordnung gegen revolutionäre Appropriationsversuche zu immunisieren vermag. Hier geht es nicht mehr nur um jenen ersten Anreiz zur Revolution, der in der Provokation durch allzu sichtbare Staatsmacht liegt, davon war bereits die Rede. Vielmehr ist nun zu fragen, ob die evidente Staatlichkeit als Versuchung wirkt, solche Macht nicht nur zu bekämpfen und zu beschränken, sondern sie sich anzueignen, sich in ihr als Nachfolger einzurichten. Die Frage lautet also: "Revolutionsneigung sichtbarer Staatsgewalt" - sollten sich die Herrschenden, die Staatsmacht als solche im Namen der Kontinuität, möglichst in Formen unsichtbarer Staatlichkeit zurückziehen? Für die Französische Revolution wird ganz allgemein die These vertreten, zu ihr und ihrer staatsrechtlichen Fortsetzung im republikanischnapoleonischen Verwaltungsstaat habe es nur kommen können, weil die grundsätzlichen Staatsstrukturen bereits, allgemein sichtbar, im Absolutismus geschaffen worden seien, dessen königliche Macht sich die absolut herrschende Nation, wenn nicht sogar das "Volk", angeeignet habe. Der französische Staat war in der Tat 1789 bereits in einer für die damalige Zeit extremen Weise "sichtbar", faßbar für den Bürger, die Reformbedürftigkeit des Staatsapparats fiel eben deshalb in die Augen, weil er derart hervortrat. Die Machttechniken waren durch eine Flut staatswissenschaftlicher Veröffentlichungen "nach außen getragen" worden. Attraktivität des Machtbesitzes wurde in Versailles zur unwiderleglichen Vermutung. Alle Verlockungen eines Willens zur Macht standen den Trägern revolutionärer Bestrebungen deutlich vor Augen: dem großen Bürgertum und den Intellektuellen. Zu spät kamen die Versuche der Monarchie, sich in einfacheren Lebensgewohnheiten der Zeit Ludwig XVI. aus sichtbarer Macht in nicht allzu hervortretende Einfachheit zurückzuziehen. Das aus heutiger Sicht erstaunliche, geradezu theatralische Pathos, mit dem das Volk der Revolution eine sichtbar bestehende Macht übernahm315 , die eher noch sichtbarer werden sollte, erklärt sich gerade aus der Bekanntheit und Deutlichkeit der besetzten Machtstrukturen. Ihnen fügte die neue Volksmacht noch weitere "rationale Evidenz" hinzu, etwa die Staatsgeometrie der Departement-Verfassung. Alles in allem: Die Sichtbarkeit des französischen Monarchie-Staates hat den "Willen zur Macht" der Revolutionäre gerufen, welche dann die Staats evidenz sogar noch steigern konnten. Und diese Entwicklung hat angehalten, über die ganzen revolutionären Bewegungen in Frankreich 315 Von den Huldigungen, welche fremde Völker in der Nationalversammlung darbrachten, bis zu den Zeremonien auf dem Marsfeld.

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hinweg, bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts: Kaum irgendwo in Europa tritt auch heute noch der "Staat als solcher" so sichtbar hervor wie in Frankreich - sicher ist dies ein Grund für die Revolutionsfreudigkeit in diesem Land: Man weiß, was es zu besetzen gibt, und man kann auf eine Administration zählen, die jedem Souverän dienen wird316 . Ist also Frankreich das geradezu klassische Land der Weckung von Macht-Appropriationsgelüsten durch Sichtbarkeit des Staates, so müssen die revolutionären Entwicklungen in Rußland, von 1917 bis 1991, wohl differenzierter gesehen werden. Stellt man hier die Frage, ob sichtbar gezeigte Staatsmacht zu einer Aneignung reizt, die Herrschenden daher, in ihrem eigenen wie im Interesse des Staates, gut beraten sind, sich in Unsichtbarkeiten zurückzuziehen, so liegt eine andere Antwort nahe: Im Osten hat gerade ein Staats-, ein Herrschaftsvakuum in die Revolution von 1917 geführt. Wohl war auch hier, im Liberalismus der letzten Zarenzeit, vieles an Staats- und Administrativstrukturen nach westlichen Vorbildern aufgebaut und offen gezeigt worden, was jungen insbesondere intellektuellen Revolutionären nicht nur Machtinformation, sondern auch Anreiz zur Ergreifung einer Macht bieten konnte, die sie ebensogut oder besser handhaben zu können glaubten als die verfallende Aristokratie; insoweit sind in den bürgerlichen Vorund Anfangsphasen der Russischen Revolution Parallelen zur Französischen festzustellen. Doch der eigentliche, der mächtige Anstoß ging von jenen proletarischen Massen aus, welche eher die Staatsabsenz, den "allzu weiten Zaren" verwünschten, und von ihren bürgerlich-intellektuellen Führern, die eine ganz neue, höchst sichtbare Ordnung errichten, nicht eine alte sich aneignen wollten. Das Ancien Regime ist dort also nicht an einer revolutionsgeneigten Sichtbarkeit zugrunde gegangen, welche den "Willen zur Macht" der Bolschewiki geweckt hätte. Doch nach deren Machtergreifung stellte sich bald ein Phänomen ein, das doch in diesen Zusammenhang gehört: Die Entwicklung der Staatssichtbarkeit zur Staatsfassade, hinter sie Flucht in die Staatsunsichtbarkeit des Polizeiapparats, um der gefürchteten Konterrevolution zu entgehen. Zunächst einmal war doch die Russische Revolution und die bolschewistische Herrschaft ein mächtiger Aufschwung zur Sichtbarmachung der Staatlichkeit ihrer ganzen, total-neuen Form, sie sollte bis in die letzten Winkel früherer Privatheit getragen werden, diese erset316 In diesem Sinne ist die als "Staatstreue" gelobte Dienstbereitschaft der Beamten gegenüber neuen Mächtigen u. U. sogar ein weiterer Anreiz zur Staatsbesetzung: Ob der oft zitierte Beamtenstreik beim Kapp-Putsch (vgl. z.B. Morsey, R., "Deutsches Reich", Sp. 591, in: Evangelisches Staatslexikon, Bd. 1,3. Aufl. 1987) wirklich ein Gegenbeispiel ist, mag hier offenbleiben. 9 •

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zen. Hier war alles auf einschüchternde Öffentlichkeit angelegt, in wahrhaft ungeheuren Staatsgebäuden, in jedem Sinne dieses Wortes. Die typisch westlich definierte Gefahr, eine so aufgebaute Macht würde von Gegenkräften als Versuchung zur Aneignung gesehen und als solche besetzt werden, konnte es in diesem Regime kaum geben: Keine andere Gruppe von Herrschenden stand bereit, derartige Machtstrukturen zu besetzen, keine andere Ideologie war in der Lage, sie auszufüllen. Hier ist also eine derart einmalige Staatssichtbarkeit, eine erdTÜkkende Über-Evidenz, geschaffen worden, daß eine Revolutionsneigung sich daraus nicht zu entwickeln vermochte. " Konterrevolution " konnte ihre Chance nur, später, im Zerfall dieser über-sichtbaren Machtstrukturen finden. Die Lehre unter dem Blickwinkel der Staatssichtbarkeit könnte also sein, daß eine martialische Sichtbarkeit der Macht jede Revolutionsneigung ausschließt, daß es also nur darauf ankomme, die Sichtbarkeit ins Extreme zu steigern. Doch dieses politische Riesenexperiment hat auch ein zweites gezeigt: Eine derart über-sichtbare Macht kann nur als Machtfassade in Erscheinung treten, gehalten werden allein durch hinter dieser stehende unsichtbare Machtausübung, in welche sich die "außen" allzu sichtbare Macht flüchtet: Das Sowjetreich lebte zwischen der Übersichtbarkeit der uniformierten Staatlichkeit auf der einen und der totalen Unsichtbarkeit und Verunsicherung in der Geheimpolizei auf der anderen Seite. Revolutionsgefährdet war dieses Regime lediglich darin, daß es unterirdisch-oppositionelle Gegenkräfte durch seine übersteigerte Sichtbarkeit provozierte, nicht darin, daß es diesen einen Staat vorstellte, dessen Aneignung sich für sie gelohnt hätte; dies letztere kann offenbar nur dann in Betracht kommen, wenn die Sichtbarkeit des Staates sich so entfaltet, daß dessen Macht auch als eine von Gegenkräften "übernehmbare" erscheint. Dafür geriet aber das östliche Zwangsregime in eine andere Revolutionsgefahr, gerade aus seiner Über-Sichtbarkeit heraus: In die einer anarchisierenden Machtzerstörung, die am Ende auch eingetreten ist. Man könnte es geradezu nennen: "Die Appropriation der Macht durch die Anarchie", den Machtwechsel zu ihr. Die Sichtbarkeit der Macht weckt hier nicht den "Willen zur (kollektiven) Macht", sondern " einen Willen zur privaten Macht" - zur Freiheit: Diese Revolution kann nur solange zUTÜckgestaut werden, wie hinter der allgegenwärtig-sichtbaren Machtfassade das ebenso allgegenwärtige wie unsichtbare Wirken der Staatssicherheitsorgane sich abspielt. Und daher ist das russische Großexperiment der bedeutendste Beweis für die Notwendigkeit, mit der eine sichtbare Staatlichkeit in den Unsichtbaren Staat fliehen muß. Zwei Sichtbarkeiten können, offensichtlich, nebeneinander nicht von

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Bestand sein: Überall gezeigte Staatsmacht und deren Öffentlichkeit, welche sich in freier Diskussion bewährt. In diesem Sinne ist der sichtbare Staat jedenfalls revolutionsgeneigt - gefährdet durch den" Willen zur Bürger-Macht", nicht zur Besetzung des Staates, sondern zu seiner Befreiung.

e) Machtwechsel- Ordnung der Machtaneignung in Sichtbarkeit?

Lädt sichtbare Macht schon zu einer Besetzung ein, gibt es da nicht einen Weg, auch diese Vorgänge in Sichtbarkeit ablaufen zu lassen, müssen sich die Herrschenden in den "Unsichtbaren Staat" flüchten, kann nur durch eine solche Ver-Unsichtbarung der Staatsgewalt der Verlust der Staatsmacht, ihre Gefährdung in Kämpfen um die Macht verhindert werden? Die Demokratie glaubt, ein Heilmittel zu besitzen: den institutionell-versichtbarten Machtwechsel, der in all seinen Phasen vor aller Augen abläuft, der in ihrer Ordnung geradezu das große Staatstheater darstellt. Wenn der" Wille zur Macht" sich in dieser Öffentlichkeit befriedigen kann, warum sollte er dann zu einer Gefahr der Machtappropriierung werden, der nur durch Zurücktreten des Staates in die Unsichtbarkeit begegnet werden kann? Die demokratische These lautet: Der Staat braucht sich nicht mehr zu verstecken, nur damit niemand angelockt wird zur Besetzung seiner Macht, er darf diese ebenso deutlich zeigen wie er den Weg offenlegt, auf dem sich der Machtwechsel vollzieht; damit wird Sichtbarkeit aus Machtgefährdung zur Machtbefestigung in Kontinuität. Dieser Mechanismus setzt jedoch voraus, daß die Staats macht und ihre Inhaber, die konkret politisch Herrschenden, sich grundsätzlich vollständig trennen lassen, daß die Staatlichkeit im Machtwechsel keinen Schaden nimmt und daher auch nicht versucht sein muß, diesem durch Verschleierung im Unsichtbaren Staat zu entgehen. Und weiter ist Voraussetzung, auf der Seite der Machtinhaber, daß sie alle das Wechselspiel in voller Loyalität mittragen, ohne ihre einmal erworbene Macht in Unsichtbarkeiten hinein in Sicherheit bringen zu wollen. Beides aber, das zeigt die Entwicklung der modemen Demokratie, sind weit mehr Annahmen als Selbstverständlichkeiten oder auch nur unschwer beweisbare Thesen. Zunächst kann schon keine Rede davon sein, daß die Macht einer Staatlichkeit, ihr Durchsetzungsvermögen, ihre Ordnungskraft völlig unabhängig davon wären, wie häufig und vollständig ein politischer Machtwechsel stattfindet. Dies letztere mag ein Dogma der Demokratie sein, doch letztlich kommt es aus eher vor-demokratischer Zeit. Die englischen Parteien des 18. und 19. Jahrhunderts konnten sich um die

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Macht streiten, sich in deren Besitz ablösen, ohne daß diese als solche Schaden nahm, weil eine noch immer starke Krone 317 den Staat als solchen hielt, seine Macht als sichtbare Beute des geordneten Kampfes vorstellte. Die Macht als solche mußte darunter nicht allzusehr leiden, war doch ihre entscheidende Kontinuität an der Spitze durch den Monarchen gesichert und alles, was von ihm fürstenähnliche Macht ableitete, bis hin zum Richter-König318 . Die Staatsgewalt der monarchischen Ordnung war als solche noch derart transpersonallegitimiert und gehalten, daß ihre Abschwächung im Machtwechsel eher weniger befürchtet zu werden brauchte als für den Fall des Thronwechsels. Von alldem kann heute kaum mehr gesprochen werden, in einer Zeit, in welcher die "Macht des Staates als solche" so wenig bedeutet, wo sie jedenfalls so nahe bei den jeweilig Herrschenden liegt: Wird die Machtdauer der sichtbar Herrschenden eingeschränkt, so ist nicht nur ihr konkreter Einfluß geschwächt, die Staatsmacht als solche ist es, wenn sie zwar sichtbar bleibt, auch über den Wechsel der Herrschenden hinweg, ihre "Inkarnationen" aber immer wieder andere sind. Die MachtwechseI-Mechanismen der Demokratie kanalisieren diese Vorgänge nicht nur, letztlich sind hier doch solche Machtablösungen gewünscht; und wenn sie in der Sichtbarkeit des Öffentlichen befördert werden, so soll im Ergebnis ja doch Macht abgebaut werden. Zwar wendet man sich zuallererst gegen die "persönliche Aneignung" der Macht, gegen ihren allzu sicheren, unbestrittenen Besitz. In Wahrheit wird damit aber auch die Staatsmacht als solche geschwächt, wenn sie nicht "sichtbar immer von den gleichen Trägem gehalten wird" . Aus der Sicht der Staatlichkeit bedeutet also institutionalisierter, organisierter Machtwechsel mit Sicherheit auch einen erheblichen Abbau der Macht, bis hin zur Gefährdung des Staates überhaupt durch ständige Fluktuationen der Herrschenden, selbst innerhalb "äußerlich stabiler" Mehrheitsverhältnisse, wie dies in Italien viele Jahrzehnte zu beobachten war. Derartige Sichtbarkeit des Machtwechsels kann zur StaatsKomödie entarten, welche die Bürger der Volksherrschaft zwar erfreut, die Kräfte der Staatlichkeit aber längst erschöpft hätte, würde diese nicht weiter funktionieren in Prozessen, welche weithin unsichtbar ablaufen. Soweit also Sichtbarkeit der Macht zugleich deren Abbau bedeuten soll, ist auch der geordnete ja periodische Machtwechsel ein Weg dort317 Vgl. die Darstellung bei Gneist, R., Englische Verfassungsgeschichte, 1882, S. 684 ff.; Hatschek, J., Englisches Staatsrecht, 1905, S. 611 ff. 318 Zu dessen Bedeutung bis in die neueste Zeit vgl. Kelsen, H., Allgemeine Staatslehre, 1925 (Neudruck 1966), S. 243 f.

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hin, im Unsichtbaren Staat kann sich dann mehr an Staatsrnacht erhalten. Damit mag die Gefahr abnehmen, daß derart reduzierte Macht immer wieder von anderen angestrebt und daß der Staat als solcher im Kampf um seine Macht Schaden leide - doch dies erreicht man nur um den hohen, vielleicht allzuschweren Preis des Abbaus der Staatsgewalt als solcher. Hier erweist sich also die Ver-Öffentlichung des Machtwechsels nicht etwa als die Ausschaltung jener Gefahr, die aus dem "Willen zur Macht" droht, es wird vielmehr nur die mögliche Beute kleiner, wenn nicht auf die Dauer überhaupt nahezu eliminiert, in anwachsender Anarchie. Der These, der Staat bedürfe zur Aufrechterhaltung seiner höchsten, unwiderstehlichen Macht einer gewissen Unsichtbarkeit, kann daher nicht entgegengehalten werden, mit der Organisation des sichtbaren Machtwechsels sei es doch gelungen, den Staat zwar als aneigenbares Beuteobjekt deutlich zu zeigen, dennoch aber alle Gefahren auszuschalten, die sich für ihn aus einem Kampf um die Macht ergeben könnten. Nicht widerlegt ist also die Auffassung, der Unsichtbare Staat sei es doch, welcher weit weniger zum Kampf um die Macht verlocke und diese darin schwäche. Problematisch ist aber auch die andere Voraussetzung dafür, daß der institutionalisierte Machtwechsel die Gefahren ausschließen kann, welche sich aus der Sichtbarkeit der Macht und deren Verlockung ergeben: daß nämlich zwar die Machtfülle des Staates als solche unangetastet bleibe, der Machtgenuß aber, der eigentliche Anreiz des "Willens zur Macht", dadurch entscheidend abnehme, daß hier eben nur eine zeitlich und gegenständlich begrenzte Kompetenz zu erobern sei. Dann mag nämlich die Frage naheliegen: Warum sollte sich der Staat, warum sollten sich seine Herrschenden verstecken müssen in Formen unsichtbarer Staatlichkeit, wenn es doch, gerade infolge des laufenden Machtwechsels, nur um stets prekäre, in ihrer Bedeutung begrenzte Zuständigkeiten geht, um Dienst, nicht um Machtgenuß? Macht dadurch nicht doch der sichtbar organisierte Machtwechsel die Macht weniger attraktiv? Dagegen erhebt sich allerdings sogleich ein Bedenken: Es ist keineswegs sicher, daß sich das Machtstreben derer, welche sich Herrschaft aneignen wollen, lediglich an einer durch institutionelle MachtwechselMechanismen weniger attraktiv gestalteten sichtbaren Macht orientiert; vielmehr ist leicht vorstellbar, daß dieses Machtstreben einer ganz anderen Selbstgesetzlichkeit der Macht folgt und einfach "mehr Macht" für den Staat will, als die Demokratie zu geben bereit ist, um sich diese Macht dann anzueignen. Wenn dem aber so ist, dann geht die "Sichtbarkeitsrechnung" der Volksherrschaft nicht auf: Der Machtwechsel, wie geordnet immer er gedacht sein mag, setzt die Attraktivi-

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tät der zu erobernden Herrschaft nicht herab, er steigert sie eher noch, weil der" Wille zur Macht" eben nicht eine in Sichtbarkeit geschwächte Staatsrnacht anstrebt, sondern eine andere, weit vollere. Die Volksherrschaft unterstellt also, daß die ihre Herrschaft innehabenden politischen Akteure sich ihren Öffentlichkeits-Spielregeln voll und aus innerer Überzeugung unterwerfen, daß der Wille, die Macht als etwas zu besetzen, das diese Anstrengung wirklich verdient, völlig zurücktritt. Nicht dies ist aber zu vermuten, sondern eher das Gegenteil: daß" volle Sichtbarkeit", gerade des Machtwechsels, eine Staatsbegehrlichkeit weckt, welche die Staatsrnacht durchaus nicht als eine durch ständigen Wechsel relativierte anstrebt. Dies sind keineswegs nur theoretische Konstruktionen. Die Mitglieder einer demokratischen Regierung mögen sich noch so ablösungsbereit geben, im Grunde will keine Regierung ihre Macht nur auf Zeit behalten, keine Opposition sie auf Zeit allein erringen. Nach den hier allein wichtigen Vorstellungen der Machtprätendenten von dem, was sie wirklich erstreben, kann die Macht letztlich nur als eine ewige und sogleich als eine, etwa durch Ausnutzung von Reformchancen, immer größer werdende gedacht werden. Deshalb treten ja auch Oppositionsparteien nicht etwa an mit Reformprogrammen, nach denen es nun "immer weniger zu tun geben soll" im Staat, und selbst wenn sie "weniger Staat" auf ihre Fahnen schreiben, so denken sie gewiß nicht daran, daß dies auch "weniger Macht für sie selbst" bedeuten soll. Die Demokratie mag noch soviel veröffentlichen von der Macht, welche sie zu verleihen bereit ist, von den Vorgängen, in denen sich dies alles vollziehen sollte - der "Wille zur Macht" wird immer dahinter auch das sehen, was einem erfolgreichen Machtstreben erreichbar erscheint, was in dessen Namen noch hinzugefügt werden kann. Die juristischen Formen des Machtwechsels sind etwas Äußerliches, den Machtdruck derjenigen können sie letztlich nicht aufheben, welche bereit sind, um die Besetzung dieser Gewalt zu kämpfen. Das Spiel um die Macht mag nach festen Regeln ablaufen, sein Einsatz wird nie allein durch das Recht bestimmt, sondern vor allem durch den "Willen zur Macht". Deshalb sind die Bestimmungen über den organisierten Machtwechsel keine Antwort auf die Frage, wie der Gefahr begegnet werden kann, daß sichtbar gezeigte Macht - oder eine solche, die man, ausgehend von dem heute Sichtbaren, glaubt aufbauen zu können - zur Verlockung werden kann, den Kampf um die Herrschaft zu wagen. Hier ist Streben nach einer wenigstens teilweisen Verunsichtbarung innegehabter Macht eine weit bessere Antwort. Es geht dann darum, den einmal eroberten Staat gewissermaßen "in Unsichtbarkeiten hinein in Sicherheit zu bringen", damit seine Macht, dort nicht allzu deutlich

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aufgebaut, in Ruhe genossen werden kann; denn appropruert im wahren Sinne ist die Staatsrnacht ja auch nur dann, wenn sie in solcher verdeckten Ruhe genossen werden darf. Der organisierte Machtwechsel in der Demokratie bringt also die äußeren Spielregeln der Innehabung oder Besetzung der Schalthebel der Staatsgewalt, sie liegen im Licht der Öffentlichkeit, mehr aber nicht. Auch Wahlkämpfe sind eben Erscheinungen eines vordergründigen Staatstheaters, Fassaden, hinter denen der eigentliche Einsatz verborgen bleibt vor den Augen des Bürgers, dem weithin gar nicht klar ist, weshalb denn so erbittert um die Besetzung dieser Macht gekämpft wird. Die Regierung hat ein Interesse daran, die Macht, ihre Instrumentarien und Möglichkeiten, wie einen versteckten Goldschatz zu hüten, der Opposition kann nicht daran gelegen sein, allzuviel von dem aufzudecken, was sie selbst später als Verschleiertes besitzen und genießen möchte. Also besteht schweigender Konsens darüber, daß die wirklichen Machtgenuß-Geheimnisse der Demokratie nicht alle aufgedeckt werden. Eines allerdings hat sich in der parlamentarischen Regierungs-Oppositions-Demokratie früheren, vor allem französischen, Zuständen gegenüber gewandelt: Es mag zwar immer noch die besonders sichtbar gezeigte Macht sein, welche zu ihrer Aneignung, zum Kampf um diese, verlockt, doch sehr viel auch von dem, was der "Unsichtbare Staat" an Machtgeheimnissen aufbauen läßt, ist heute den eigentlichen Machtprätendenten, vor allem den Oppositionsparteien, wohl bekannt, vor allem in einem föderalen System, wo weitgehend eine kooperative Regierung aller großen Parteien schon Wirklichkeit ist. Deshalb kann es dort nicht genügen, sich in Formen wenig in die Augen fallender Machtausübung zurückzuziehen, nur um die Attraktivität des Machtgenusses nicht allzu deutlich werden zu lassen. Vielmehr entwickelt sich ein schweigender Konsens darüber, daß es für die Macht an sich, und alle diejenigen, welche sie innehaben könnten, besser ist, daß vieles von ihren Techniken, Möglichkeiten und ihrem Nutzen im Dunklen bleibt, auch nicht in das helle Licht der Wahlkämpfe gerückt wird. Dieser Konsens wird nur dort gebrochen, wo Gruppierungen, die man gerade deshalb gerne als "radikal" bezeichnet, Regierungsmächtigkeiten und übermächtigkeiten schonungslos in die Sichtbarkeit des Öffentlichen zerren. Auf diese Weise steigern sie den Einsatz im Spiel um die Macht, sie gefährden die politisch Herrschenden und die mit diesen alternierenden, zum Teil schon gemeinsam regierenden Oppositionellen. Diese werden dann alles versuchen, derartige Ver-Öffentlichungen der Macht als Gefährdung nicht etwa ihrer Herrschaft, sondern der Staatsgewalt als solcher, eben durch "Radikale", hinzustellen. Große, sich an der

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Macht ablösende .. Volksparteien" sind dagegen, das deutsche Beispiel zeigt es, eine Gewähr dafür, daß vieles an Attraktivität und Bedeutung der Macht unerwähnt bleibt - in einer "politischen Form des Unsichtbaren Staates" . Wer also einmal angekommen ist in der Macht oder - und dies ist für die Demokratie entscheidend - ihr auch nur zum Greifen nahe erscheint, wird ein Interesse daran haben, daß vieles im Gemeinwesen "Unsichtbarer Staat" bleibt. Wer auch hier noch für unbedingte Sichtbarkeit eintritt, schwächt eine Macht, die er sich doch aneignen will und deshalb muß er, ihr einmal nahegekommen, sogleich in die gegenläufige Tendenz zur Unsichtbarkeit, und damit wieder zur Stärkung der zu appropriierenden Macht verfallen. Das Ergebnis dieser Betrachtungen zum Problemkreis "Sichtbarkeit und organisierter Machtwechsel in der Demokratie" ist daher nahezu paradox: Aus einem Instrument der Ver-Öffentlichung der Staatsgewalt, der Prozesse ihres Ablaufs, wird immer mehr eine neue StaatstheaterFassade der politischen Macht, es wird über das gesprochen und juristisch das auch geregelt, was von den eigentlichen Einsätzen, von den Anreizen des "Willens zur Macht" eher ablenkt. Diese aber werden in Unsichtbarkeit gehalten, solange es um "geordnetes Regieren zwischen etablierten Parteien" geht, wo man ohnehin weiß, wie attraktiv der Machtbesitz ist, den man schon deshalb als einen grundsätzlich ewigen anstrebt. Der Versuch zu einer extremen Sichtbarmachung der Machtabläufe hat also gerade zu ihrem Gegenteil geführt: Der Unsichtbare Staat wird von allen hoch geschätzt, welche im Besitze der Macht sind oder denen diese zum Greifen nahe ist. Diejenigen aber, welche, weiter von ihr entfernt, sie schonungslos sichtbar machen wollen, um Bundesgenossen zu ihrer Besetzung zu sammeln, werden die politisch Herrschenden und mit ihnen herkömmlich Alternierenden erst recht dazu treiben, nicht allzuviel sichtbar werden zu lassen von Technik, Nutzen, Schönheit der Macht. f) Machtnachahmung -

im Unsichtbaren Staat vermieden

Die bisherigen Betrachtungen haben gezeigt, daß Formen des Unsichtbaren Staates sowohl die Staatsrnacht als solche stärken, als auch die jeweils politisch Herrschenden in ihrer Machtstellung festigen können: Machtprovokationen durch allzu sichtbare Staatsorganisation werden vermieden, und der "Wille zur Macht" etwaiger Prätendenten wird nicht dadurch geweckt, daß der Machtbesitz als allzu attraktiv erscheint. Hier schließt sich die Frage an, ob der "Unsichtbare Staat" nicht auch gegen eine weitere Gefahr schützen kann, die gerade heute

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auftritt, und nun nicht nur aktuelle Machtbesitzer, sondern die Staatsgewalt und ihr Monopol als solches bedroht: die Machtimitation sichtbarer, vor allem allzu deutlich gezeigter äußerer Formen der Herrschaft. Hier geht es um gewisse Vorformen der Machtappropriierung, durch im weiteren Sinn gesellschaftliche Gewalten, welche durchaus nicht endgültig den Staat besetzen wollen, auch nicht Gegengewalten gegen ihn aufzubauen bestrebt sind, ihn vielmehr, sozusagen von unten, in seiner Wirksamkeit relativieren, wenn nicht aushöhlen. Und die Grundfrage lautet: Ist gegenüber solchen Tendenzen, die heute gemeinhin als demokratiegefährdend eingestuft werden - man denke nur an den Verbände_319 , den Parteien-, den Gewerkschaftsstaat - ein gewisses Zurücktreten äußerer Formen der Staatlichkeit ein Mittel zur Erhaltung und Befestigung der Staatsmacht als solcher? Auszugehen ist von einer nicht begründungsbedürftigen historischen Erfahrung: Nur sichtbare Macht läßt sich im außerstaatlichen Bereich wirksam kopieren, nur sie weist sozusagen parastaatlich über sich hinaus, in die Gesellschaft hinein. Nur wenn es gesellschaftlichen Gewalten gelingt, sich auf Dauer parastaatlich, d.h. unter Nachahmung sichtbarer Formen der Staatlichkeit, zu organisieren, ergeben sich für sie Chancen, als wahre Feudalmächte auf niederer Stufe Herrschaft in der Gemeinschaft auszuüben. Der Staat muß dann versuchen, sie zu brechen, wie die "Zwischengewalten" in der Französischen Revolutionoder sie in die Staatlichkeit emporzuheben, wie dies bei den Kommunen weitgehend gelungen, bei den öffentlichen Kammern jedenfalls mit Erfolg durch Aufgabenübertragungen geschehen ist320 . Allerdings könnten derartige "Staatskopien " dem Bürger, gerade in der autonomiebewußten Demokratie, als bessere, wirksamere Auflagen der Staatlichkeit erscheinen, die damit in eine tödliche Gefahr gerät - die einer "Feudalisierung von unten". Nicht umsonst war ja bereits in der Weimarer Zeit321 und ist auch heute noch immer wieder von den "sozialen Gewalten" die Rede, in denen auch echter "Wille zur Macht" zum Tragen kommt, und deshalb soll an dieser Stelle von ihnen noch kurz die Rede sein. 319 Herzog, R., Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 342 ff.; Zippelius, R., Allgemeine Staatslehre, 11. Auf!. 1991, § 26 IV ff. 320 Jamss, H.D., Wirtschaftsverwaltungsrecht und Wirtschaftsverfassungsrecht, 2. Auf!. 1984, § 6 Rdnr. 1 ff.; Stober, R., Wirtschaftsverwaltungsrecht, 8. Auf!. 1993, § 3 VI, § 43 11. 321 Vgl. die Nachw. bei Leisner, w., Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 292 ff.; insbes. Anschütz, G., Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1933, 14. unveränd. Nachdruck 1960, Art. 159 Anm. 1; Richter, L., Vereinigungsfreiheit, in: VerwArch. 32 (1927), S. 1 (10); Sinzheimer, H., Steno Bericht über die Verhandlungen der verfassunggebenden Nationalversammlung, S. 1749 C.

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Außerstaatliche Machtkopien sichtbarer Staatsgewalt finden sich in ganz unterschiedlichen Bereichen, in recht verschiedenartiger, teilweise auch nur entfernter Anlehnung an ihr staatliches Sichtbarkeits-Vorbild. - Ob es etwas wie para-staatliche "Hoheitszeichen" im außerstaatlichen Bereich gibt, mag zweifelhaft sein, ebenso wie die Absicht, hier besonders sichtbare Staatserscheinungen zu imitieren nicht durchgehend nachweisbar ist. Immerhin erweist sich das private Warenzeichen im Ergebnis, gerade bei Großunternehmen, als etwas wie ein äußeres Zeichen oft geradezu parastaatlicher Wirtschaftsrnacht, selbst wenn seine eigentliche und ursprüngliche Funktion die eines Schutzes geschäftlicher Errungenschaften in einem Wettbewerb ist, den ein Staat nicht kennt, den ja sein Hoheitszeichen gerade aus allem Wettbewerb herausheben soll. Dennoch - als ein äußeres Zeichen unverwechselbarer Bedeutung strahlen beide, staatliche wie private Schutzzeichen, etwas ab wie sichtbare Mächtigkeit. - Staatsarchitektur322 ist ein wichtiger Ausdruck äußerer Sichtbarkeit der Staatshoheit, sie dokumentiert den Anspruch auf unvergleichliche Macht nach außen. Im 19. Jahrhundert und bis noch vor wenigen Jahrzehnten entsprach dem eine Großunternehmens-Architektur, die in ihrer eindrucksvollen Mächtigkeit durchaus einen ähnlichen, staatskopierenden Hoheitsanspruch erhob. Die Bankpaläste des 19. Jahrhunderts etwa sind mehr als nur architektonische Kopien sichtbarer Staatsrnacht. Neuerdings sind hier die privaten Mächte der Neuzeit durchaus bestrebt, jenen Staat, der sich eher in Formen der Unsichtbarkeit zurückzieht, an majestätischen, geradezu einschüchternden Fassaden zu übertreffen: Machtbedeutung hat es schon, wenn nunmehr die Städte nicht mehr von den öffentlichen Machtzeichen der Stadt- und Kirchtürme überragt werden, sondern von den Hochhaus-Monumenten des privaten Kapitals. Und ein Staat, der aus "Äußerlichkeiten" fliehen will, sollte derartige Monumente - denn es sind wirklich "Mahnungen" nicht übersehen. - Die äußere Form gesellschaftlicher, insbesondere wirtschaftlicher Mächtigkeit ist heute vor allem die in vielen Richtungen sichtbare Werbung. Der Staat hat diese modeme Art beeindruckender Sichtbarkeit erst vor kurzem entdeckt323 , und seine Repräsentanten glauben, deren Formen im Namen bescheidener, auf Abbau gerichteter Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 225. Zu der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung vgl. Leisner, w., Öffentlichkeitsarbeit der Regierung im Rechtsstaat, 1966; Schürmann, F., Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, 1992; Stern (Fn. 303), Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 310 f. 322 Krüger, H., 323

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Staatlichkeit noch immer in engen Grenzen halten zu können, wenn nicht zu müssen. Hier ist es auch nicht der Staat, den die Wirtschaft in solchen Formen kopiert, der Weg ist eher umgekehrt gegangen worden. Doch abgesehen davon, daß auch die Staatsgewalt früher gerade für eindeutige Hoheitstätigkeit auch durch gewaltbedingte Formen der Sichtbarkeit geworben hat - von den militärischen "Werbern" bis hin zu ihren glänzenden Uniformen - etwas typisch Staatliches strebt jede Wirtschaftswerbung in ihrem Bereich an: Sie ist darauf gerichtet, daß im Geist des Werbungskonsumenten etwas entstehe wie eine Überzeugung von der Überlegenheit des Werbenden 324 ; damit aber ist sie im Grunde auf ein Monopol hin unterwegs, das der Hoheitsstaat, in diesem Sinne ihr Vorbild, bereits erreicht hat 325 . Darüber hinaus aber bedienen sich nunmehr gerade Großunternehmen und -banken jener typischen Form staatlicher "indirekter Werbung", mit der die Herrschaftsgewalt stets den Bürger für sich einnehmen wollte: werbliche Förderung allgemeiner, öffentlicher Belange. Das Spektrum reicht von Wirtschaftskonsortien als beliehene Unternehmer der wirtschaftspolitischen Staatsgewalt über massive gemeinnützige Spenden bis hin zu einem Mäzenatentum, in welchem die privaten Großunternehmen längst weithin an die Stelle eines Staates getreten sind, der darin früher eine der vornehmsten Formen seiner Sichtbarkeit gefunden hatte 326 . Schließlich sind es ja Staatsaufgaben im weiteren Sinne, die hier erfüllt werden, vor allem aber in äußeren Formen, die sich von denen eines Staatsauftrags nicht mehr unterscheiden. So entwickelt sich etwas wie ein "Firmentheater als Para-Staatstheater"; und selbst wenn Bankangestellte nicht mehr wie früher "Beamte" sich nennen, wenn Flugzeuge bedeutender Privatfirmen noch nicht den Rang der Staatsflugzeuge erreicht haben - als äußere Beweise privater Macht stehen sie sichtbaren Zeichen der Staatshoheit im Bewußtsein der Bürger kaum mehr nach. In einigen dieser Bereiche ist auch das Be324 Dies gilt auch dann, wenn man die Werbung zutreffend jeweils dem Grundrechtsbereich zuordnet, auf dem der Werbende tätig werden will, die im weiteren Sinne "politische", also Art. 5 GG (Lerche, P., Werbung und Verfassung, 1967; vgl. insbes. Scholz, R., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rdnr. 327). Die grundsätzliche Bejahung der Pluralität steht ja auch dort dem Überlegenheitsstreben - bis hin zur Verdrängung - nicht entgegen. 325 Und zwar bis in Aktivitäten hinein, welche private Märkte wesentlich beeinflussen (Badura, P., Das Verwaltungsmonopol, 1963; Lerche, P., Rundfunkmonopol 1970; Mayer, H., Staatsmonopole 1976; Stücke, A., Eigentum an Wirtschaftssubventionen, 1991). 326 Graul, H., Künstlerische Urteile im Rahmen der staatlichen Förderungstätigkeit, 1970; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 III Rdnr. 40, 79 f.

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streben deutlich, den Staat nachzuahmen, ihn darin noch zu übertreffen. - Staatsaneignung durch Nachahmung gerade sichtbarer Staatlichkeit vollzieht sich wohl am deutlichsten dort, wo auch die Staats macht in äußeren Zeichen in besonderem Maße faßbar wird: bei den uniformierten Kräften, Polizei und Armee. Schon im äußeren Auftreten kopieren private Sicherheitskräfte zunehmend Erscheinungen staatlicher Polizeimacht, in ihrer Organisation lehnen sie sich an diese an, schon weil sie nicht selten als etwas wie "beliehene Unternehmer" einer Staatsgewalt erscheinen, die sich zunehmend auf die Abwehr von Angriffen auf ihre Zentren beschränken muß, den größeren "Außenraum" aber privaten Sicherheitsbemühungen immer weitergehend überläßt. Hier ist die Staatsgewalt, in der Entwicklung dieser Privatpolizeien327 , im Begriff, ihr wichtigstes Gewaltmonopol zu verlieren, das der äußerlich sichtbaren Zeichen. Der historisch bekannteste, geradezu klassische Fall einer Machtformenkopie zum Zwecke der Staatsunterwanderung, bis hin zur Staatsaneignung, vollzieht sich in dem wesentlich ver-äußerlichten, im uniformierten Bereich der am deutlichsten sichtbaren Macht: der Armee. Bürgerwehren und Milizen, vom Staat in Notzeiten nicht selten gerufen, übernehmen rasch die äußeren, militärischen Zeichen des Gewaltmonopols. So sind Braun- und Schwarzhemden in den Staat marschiert, mit den sichtbaren Zeichen einer öffentlichen Reserve-Gewalt; durch Staatsimitation wurde rasch aus der Gegengewalt die Staatsaneignung. Zerfallende Staatlichkeit wird in ihren Teilen aufgenommen durch parastaatliche Milizen, die sich dann, in Jugoslawien und anderswo, durchsetzen gegen die von ihr kopierte, zerfallende äußere Macht des früheren Staates; und das Völkerrecht unterwirft diese "Aufständischen" und "Kriegführenden" schon im Vorfeld der Machtergreifung den Regeln der von ihnen in ihren sichtbaren Formen übernommenen staatlichen Gewalt328 . Der Unsichtbare Staat aber sucht sich also aus guten Gründen, gerade aus der äußerlich, gesellschaftlich wirkenden Armee-Uniforrnierung zurückzuziehen; früher sollten diese Uniformen schon der Jugend Freude 327 Bracher, Ch.-D., Gefahrenabwehr durch Private, 1987; Mahlberg, L., Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsuntemehmen, 1988; allg. zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private vgl. Gallwas, A-U. und Ossenbühl, F., in: VVDStRL 29 (1971), S. 137 ff., 211 ff. 328 Wobei nach Völkerrecht gerade das "äußere Auftreten", die Uniformierung vor allem, eine bedeutsame Rolle spielen kann, vgl. Berber, F., Lehrbuch des Völkerrechts, I. Bd., 2. Auf!. 1975, S. 242 f. und II. Bd., 2. Auf!. 1969, S. 144 ff.

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an Wehrhaftigkeit vermitteln, inzwischen haben bittere Erfahrungen gelehrt, daß stattdessen rasch Staatsaneignung droht; der" Unsichtbare Staat" kann eher diese Versuchung vermeiden. - Was aber sind die Milizen meist anderes als militarisierte Faktionen, als Parteiungen in den Formen" von außen" sichtbarer Staatsgewalt? Werden diese äußeren Abzeichen der Staatlichkeit nur durch Kokarden und Kampfanzüge nachgeahmt, nicht auch im Wege einer ebenfalls durchaus "nach außen wirkenden" Parteiorganisation, welche die des Staates widerspiegelt? An diesem Punkt steht die Demokratie heute: Die Parteien sind in ihr legitim, gerade weil sie sich den Staat aneignen wollen, wie immer man dies mit Machtwechsel-Kategorien verbrämen und relativieren mag. Der Wille zur Machtübernahme definiert den Begriff der politischen Partei329 . Nicht nur ein Schattenkabinett wird sie daher dem Bürger bei Wahlen vorstellen, eine ganze Schattenorganisation muß sie, schon vorher, aufbauen, noch weiter ausbauen, wenn die institutionelle Machtablösung zu ihren Gunsten gelungen ist. Dann entstehen wahre Parallelstrukturen zur sichtbaren Staatsorganisation, ebenso werbend-sichtbar wie diese im Bereich der siegreichen Faktion, die damit erst wirklich "staatstragend " wird - bis hin zur "Staatspartei " . In staatsparallelen Organisationsformen, in ressort-entsprechenden Arbeitskreisen etwa, schiebt sich diese Staatspartei ganz offen in die Staatlichkeit hinein. Die Macht verlagert sich nicht aus den Ministerien in die Parteiorganisation, diese letztere zieht geradezu sichtbar in die Hallen des Staates um, dessen äußere Formen sie vorher imitiert hatte. In diesen Vorphasen der Nachahmung sichtbarer Formen der Staatlichkeit werden die Parteien vom demokratischen Gesetzgeber geradezu normativ begleitet, der ihnen "innere Demokratizität" verordnet330 -, die damit doch auch äußerlich wahrnehmbar und von der Bürgerschaft kontrolliert werden soll. Darüber wird noch zu sprechen sein. In vielfachen, kaum mehr systematisierbaren Formen übernimmt der "Verbändestaat" dann vom Gemeinwesen und von den staatsnachahmenden politischen Parteien gerade deutlich faßbare Formen staatli329 von Arnim, H.H., Politische Parteien, in: DÖV 1985, S. 593 (593); Grimm, D., Die politischen Parteien, in: Handbuch des Verfassungsrechts der Bundes-

republik Deutschland (E. Benda u.a. (Hrsg.)). Vgl. unten D IV 4, 1983, S. 317 (327 f.). 330 Der Schwerpunkt dieser "inneren Demokratie" liegt in der Gewährleistung des Mehrheitsprinzips und der Meinungsfreiheit (Dux, G., Meinungsfreiheit als innere Ordnung der politischen Parteien, in: DVBI. 1966, S. 553 H.; Grimm (Fn. 329), S. 339 ff.); aber die Bedeutung des Grundsatzes geht darüber hinaus, reicht bis in eine staatsähnliche Parteienorganisation hinein - damit stellt sich mit der" Transparenz-" auch die Sichtbarkeitsfrage.

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chen Wirkens; sein Lobbyismus wird auf die sichtbaren Organisationsformen der staatlichen und parteilichen Partner hin modelliert331 . Wo immer der Verbände staat sich wahre Staatlichkeit aneignet, da verläuft dies, wenigstens in den Schlußphasen, nicht nur in Zufallsvorgängen, sondern in systematisch organisierter Staatsimitation, in staatsparalleler "Gesprächspartnerorganisation ". Die Demokratie aber sieht dies sogar mit Wohlgefallen, scheint sich doch hier die "Gesellschaft" in äußerlich faßbaren Formen, geradezu in ihren "Institutionen" , staatsanalog zu " demokratisieren ,,332. Wo immer also der Staat besonders sichtbar, veröffentlicht wird, heute nicht mehr so sehr in Uniformen und Hoheitszeichen als vielmehr in demokratischen Erscheinungs- und Handlungsformen, da ist der machtaneignungswillige Bürger zu seiner Nachahmung unterwegs. Meist wird es ihm nicht gleich gelingen, in solcher Uniformierung in die staatliche Festung besetzend einzuziehen; dennoch gefährdet dieser Prozeß wiederum gerade die sichtbare Staatlichkeit, denn sie vervielfältigt sich nun durch "Staatsabspiegelung in der Gesellschaft", die Einmaligkeit des Monopols der Staatsgewalt droht verloren zu gehen. Jedes Monopol bedarf äußerlich sichtbarer Erscheinungsformen, die ihm nicht nur die Rechtsmacht, sondern auch jene Tatsächlichkeit sichern, ohne die es als Ausschließlichkeitsrecht auf Dauer nicht vorstellbar ist333 . Sein "Gewaltmonopol" muß also auch der Staat mit solchen Formen äußerer Sichtbarkeit umgeben; doch weil dies alsbald aus der Gesellschaft heraus imitiert und dann kopiert wird, droht das Gewaltmonopol des sichtbaren Staates zu degenerieren zur Sichtbarkeit des Vollstreckungsstaates, der sich nur mehr durch seine manus militaris von "privater Macht", von den "sozialen Mächten" unterscheidet. Wie gefährlich dies für die Staatsmacht werden kann, hat der mittelalterli331 Badura, P., Staatsrecht, 1986, D 16, Zippelius (Fn. 319), § 26 III.

Hier liegt ein traditioneller und nicht unberechtigter Ausgangspunkt der Bemühungen um eine gewisse "Demokratisierung der Gesellschaft" (Maunz, Th./Herzog, R., in: Maunz/Dürig, Art. 20 I Rdnr. 50, Maihofer, w., Epochale Krise und demokratische Revolution, in: Handbuch des Verfassungsrechts (Fn. 329), S. 1383 (1387 f.), Stern (Fn. 303), Bd. I, 2. Auf!. 1984, S. 629 f.), die allerdings in den 70er Jahren weit übersteigert gefordert wurde (vgl. dazu die Literaturübersicht bei Greiffenhagen, M., (Hrsg.), Demokratisierung in Staat und Gesellschaft, 1973, sowie die in diesem Sammelband enthaltenen Beiträge), dies zeigt sich gerade für Bereiche, die, wie die Familie, Formen der Staatsöffentlichkeit und Staatssichtbarkeit nicht zugänglich sind. 333 Eine gewisse "Tatsächlichkeit" der Ausschließlichkeit ist Wesenszug des Monopols, wie sich auch in deren besonderer Bedeutung, ihrer eben auch allein das Monopol konstituierenden Faktizität, nach dem GWB, zeigt, vgl. Kersten, H.-Ch., in: Frankfurter Kommentar zum GWB (H. Glassen u.a. (Hrsg.), LosebI., Stand: Dez. 1991, § 22 Rdnr. 122 ff.). 332

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che Staat erfahren müssen, der sich nur mehr durch die äußeren Formen seines "weltlichen Armes" von jener Kirche unterschied, die sich im übrigen eine perfekte Rechtsordnung, ja eine geistige Machtorganisation nach dem Vorbild des römischen Staates sichtbar aufgebaut hatte; dies ist vielleicht das größte Beispiel posthumer Staatsimitation, die bis zur stillen Staatsokkupation vordringt. Aus dieser "Vollstreckungs-Sichtbarkeit" zieht der Staat auch nur sehr begrenzten Macht-Nutzen: Werden die eindrucksvollen, wirkmächtigen Seiten seiner Sichtbarkeit weithin durch außerstaatliche Mächte imitiert, wenn nicht okkupiert, so bleibt ihm das eigentlich odiose Machtmonopol der letzten Durchsetzung, als eine wahrhaft ungeliebte Seite der Staatssichtbarkeit334 . Die Staats-Kopie äußerlich sichtbarer Formen durch außer- oder parastaatliche Mächte gefährdet die Staatsrnacht durch etwas wie eine "Feudalisierung von unten", in welcher Gegengewalten sich ins sichtbare Staatsgebäude schieben, dieses besetzen: Hier ist nicht ein Imperium, das in Feudalmächte zerfällt wie das Heilige Römische Reich, die Staatsimitation sichtbarer Formen baut sich von unten auf, aus der Basis heraus, in einem" typisch demokratischen Prozeß". Doch die Wirkungen der Machtnachahmung sind in beiden Fällen doch vergleichbar. In seinem Traumschloß wollte einst der Minister Ludwigs XlV. die Sichtbarkeit der Macht imitieren, stolz sie seinem König zeigen - es war sein Ende, denn der künftige Sonnenkönig wußte um die Gefahren offen gezeigter Macht, er vernichtete sogleich deren Imitator und steigerte seine eigene Machtsichtbarkeit bis nach Versailles 335 . In seinem Jahrhundert konnte er den Sichtbarkeitswettlauf der Macht gegen die Fronde auf solche Weise gewinnen, die nach Machtaneignung strebenden Feudalmächte vernichten. Im 19. Jahrhundert tritt dann noch einmal der Sichtbarkeitsstaat an mit staatsromantischen Bau- und anderen Äußerlichkeitsanstrengungen336 , gegen das staatsimitierende Bürgertum und sein immer stärkeres Kapital. Diesen Sichtbarkeitswettlauf der Macht hat 1918 die Monarchie, der alte Staat hat ihn nach 1945 verlo334 Krit. wird dies vor allem dann betrachtet, wenn hier insbes. "private Interessen als öffentliche Interessen" durchgesetzt werden, Leisner, w., Privatinteressen als öffentliches Interesse, in: DÖV 1970, S. 217 ff.; Häberle, P., Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970. 335 Wie der "Vaux-Ie-Vicomte-Effekt" das Ende Fouquets gebracht hat, schildert anschaulich Morand, P., Fouquet ou le solei! offusque, Paris 1961; und sein glücklicher Rivale Colbert war ganz der Gestalter "sichtbarer Staatsorganisation" . 336 Von der Vollendung des Kölner Doms bis zu den Schlössern Ludwig 11. von Bayern.

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ren, jenseits des Atlantik von Anfang an, wie die Skylines der Neuen Welt beweisen. Denn dem privaten, nur gewisse äußere Formen der Staatlichkeit nachahmenden Konkurrenten und bald Okkupanten der Macht hilft eine Doppelstrategie: Sichtbar-beeindruckende Formen der Staatlichkeit kann er übernehmen - deren machtschwächender öffentlicher Kontrolle entgeht er im letzten Geheimnis seiner unantastbaren privacy337. Aus einem solchen Macht-Optimum äußerlich eindrucksvoller, jedoch nicht durch Publizität geschwächter Erscheinungs- und Handlungsformen wird der Staat der demokratischen Sichtbarkeit immer mehr gedrängt; Staatsnachahmung aber bringt Machtappropriation über die von ihr übernommenen "äußeren Formen", welche die Fassaden bilden, hinter denen sich versteckte Gewalt einrichten kann. Ist es also nicht das Schicksal des sichtbaren Staates, imitiert und dann okkupiert zu werden?

g) "Aneignung auch der Unsichtbaren Staat1ichkeit"?

Der Auffassung, daß nur "Sichtbares am Staat" zu Machtappropriation durch außerstaatliche Kräfte und damit zur Staatsschwächung führe, könnte nun die Antithese entgegengesetzt werden: Gerade unsichtbare Staatsrnacht werde geschwächt durch Aneignungsschübe seitens nichtstaatlicher Mächte, denn es könne hier eben leicht zu einer Krypto-Auszehrung der Staatsgewalt kommen. Dies liege sogar weit näher als die Wirkungen eines Anlockungseffektes allzu deutlich zur Schau getragener Staatsrnacht. Beweise könnte man wiederum in jenem staatsgefährdenden "Verbändestaat,,338 finden. Ihm wird vorgehalten, er könne doch seinen Lobbyismus viel leichter in den Grauzonen kaum sichtbarer Staatsidentität entfalten, in welchen die Staatsrnacht auftrete "wie ein Privater", wo man mit Staatsinstanzen verhandle, die nichts von privatem Management unterscheide, in Handlungsformen, welche nicht mehr das staatliche Siegel auf der Stirn trügen. Neigt nicht gerade der Parteienstaat in para-vertraglicher Verbrüderung mit einflußreichen Bürgern zur

337 Soweit es nicht dem Staat gelingt, auch den Privaten in seine Rechnungskontrolle mit einzubeziehen, wo dieser mit gemeinwohlorientierter Tätigkeit subventioniert - Staatsanstrengungen teilt und damit weithin imitiert oder sie unter Auflagenzwang nachahmen muß. Solche Probleme stehen hinter der Frage der "staatlichen Rechnungsprüfung Privater" (vgl. dazu Leisner, W, Staatliche Rechnungsprüfung Privater, 1990). 338 Stern (Fn. 303), Bd. 1,2. Auf!. 1984, S. 461 ff. m. zahlr. Nachw.

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Gefährdung der bürgefÜbergreifenden Staatsgewalt? Zeigen nicht jene Subventionen, bei denen der Staat nur zu oft mit der Diskretion einer Großbank auftritt 339 , daß die unsichtbare Staatlichkeit weit stärker korruptionsgefährdet ist als eine "wahrhaft öffentliche Gewalt", welche sich in ihre Ordensbrust wirft? Kann sich der Staat nicht nur in gesteigerter Sichtbarkeit, gerade durch sie, wirksam gegen derartige Formen der Aussaugung durch eine Krypto-Privatgewalt, gegen "Privateigentum an Staatsfunktionen,,340 in einem weiteren Sinne, verteidigen? Wenn schon nicht jede Form von Machtverschleierung vermieden werden kann, ohne die Privatautonomie und damit die Freiheit zu opfern, ist dann nicht das Beste ein voll sichtbarer Staat, der vielleicht Machtwillige anzieht, bei dem eine Machtübernahme aber jedenfalls bemerkt, damit kontrolliert und in Grenzen gehalten werden kann? Sicher kommt es überall dort, wo "Staatlichkeit nicht vor aller Augen abläuft", zu zahllosen Formen von "GeheiInpakten" , in denen Teile der Staatsgewalt, bis in deren Zentrum hinein, von außerstaatlichen Mächten okkupiert werden 341 . Sie ersetzen die konkreten de iure Herrschaftsberechtigten durch de facto-Herrschende, ohne daß dies der Öffentlichkeit bekannt würde, so daß viele staatspaktierte Machtstrukturen tatsächlich unsichtbar bleiben. Doch darin muß sich weder die Staatsrnacht als solche noch die der konkreten Herrschaftsbesitzer notwendig abschwächen; derartige" unsichtbare" Macht-Okkupations-Abkommen können vielmehr, dauernd-institutionell wie für bestimmte Inhaber der Staatsgewalt, durchaus eine Verstärkung derselben bedeuten, schon weil keine ihrer Gegengewalten mit Sicherheit ermessen kann, wie weit ihr Geflecht in para- oder außerstaatliche Sektoren hineinreicht. Die befürchtete "Staatsauszehrung" ist letztlich nichts als eine Form des Machtwechsels in den Räumen des" Unsichtbaren Staates"; sie vollzieht sich - macht begünstigend - ohne äußere Erschütterungen. Entscheidend aber ist, daß nichtsichtbare Staatsrnacht eben auch nicht zur Aneignung oder zu einer diese vorbereitenden Nachahmung reizt, ebensowenig zu immer weiteren "Informationsbegehren" über Staatsgeheimnisse in einem weitesten Sinne; insoweit wird also auch 339 Götz, v., Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, S. 50 ff.; Knemeyer, F.-L., Geheimhaltungsanspruch und Offenbarungsbefugnis im Verwaltungsver-

fahren, in: NJW 1984, S. 2241 ff. 340 Grundlegend Rupp, H.H., Privateigentum an Staatsfunktionen?, 1963. 341 Vgl. Bauer, H., Informelles Verwaltungshandeln im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: VerwArch. 78 (1987), S. 241 (254 ff.); Erichsen, H.U., Das sogenannte informale Verwaltungshandeln, in: Erichsen, H.U./Martens, W., Alig. Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, § 35. 10 •

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die Bildung einer Gegenmacht nicht begünstigt. In einer Welt der Marktwirtschaft, in der jeder Wert sich durch Anreiz zu bilden hat, lebt die Staatsrnacht im Verborgenen weit sicherer, wenn sie ihre Schätze in Staatstresoren hütet, nicht ihre Fassaden vergoldet - Anreiz zum Paktieren mit dem nur teilsichtbaren "Geschäftspartner Staat" ist für diesen längst nicht so gefährlich wie eine mächtige Fassade, welche zum Einzug in seine Hallen einlädt. Geschäfte mit seinen Bürgern mögen der demokratische Staat und seine Herrschenden immer machen, sie gefährden sie weniger, wenn sie vom Geschäftsgeheimnis342 auch bei dem nur in Umrissen sichtbaren öffentlichen Partner gedeckt werden; es sind jene Macht-Transaktionen, im eigentlichen Sinne des Wortes, welche gerade die Volksherrschaft stets mit ihrer Gesellschaft wird eingehen müssen. Den Willen zur Macht dagegen verstärkt die Möglichkeit der öffentlichen Aneignung sichtbarer Macht als solcher. So führt also doch im Ergebnis gerade die Sichtbarkeit zu staatsrnachtgefährdenden Aneignungsgelüsten, damit zur Staatsschwächung . Soweit er dagegen unsichtbar bleibt, kann der Staat seine Macht ohne Gesichtsverlust stets von neuem in "Machtgeschäften" mit para- und außerstaatlichen Gewalten wieder aufladen und sie, vom Odium der offenen Gewalt frei, in diskreter Form ausüben. Muß denn öffentliche stets auch offene Gewalt sein? Damit kehrt die Untersuchung wieder zum Ausgangsbegriff der "Provokation durch Sichtbarkeit" zurück, die eben dem Odium der Macht stets ausgesetzt bleibt. Dies ist nun noch zu vertiefen, und hier erreichen wir eine zentrale Rechtfertigung des" Unsichtbaren Staates" .

3. Unsichtbarkeit - die Flucht des Staates aus dem Machtneid a) Wille zur Machtzerstörung aus Sichtbarkeit

Vielen erscheint die Demokratie als Staatsform der Mißgunst; nirgends wird denn auch der "schöpferische Neid" lauter gepriesen als in der Volksherrschaft: Was sich über die Gleichheit erhebt, muß unterminiert und gebrochen werden im Interesse aller Gleichen - im öffentlichen Interesse. Die freiheitliche Demokratie hat den Staat und seine freiheitsbewahrende Macht nicht leugnen wollen, damit aber eine fun342 Muß dies nicht viel weitergehend, vor allem den Medien gegenüber, gewahrt werden als ein "Amtsgeheimnis", schon weil hier auch Grundrechtsbindungen aus der Privatsphäre des Art. 2 I GG zu beachten sind? Vgl. Maurer, H., Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Auf!. 1992, § 19 Rdnr. 22.

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damentale Ungleichheit anerkannt: zwischen der Macht und ihren Besitzern einerseits, den Gewaltunterworfenen zum anderen. Die Ordnung der Demokratie gründet in diesem Sinne auf einer großen Ungleichheit343 , mag auch die "Obrigkeit" zur "Hoheitsgewalt" umbenannt oder gar jeder Unterschied zwischen ihr und dem Bürger auf den zwischen "öffentlichen" und "privaten" Belangen nominell reduziert werden. Gleichheitsstreben und verbale Verniedlichungen der Macht dürfen aber eines nicht verschleiern: Mit der Existenz öffentlicher Gewalt ist heute wie eh und je eine fundamentale Ungleichheit verbunden, die Staatlichkeit weckt daher ganz wesentlich den Neid der Bürger gegen ihre Inhaber, und, darüber hinaus, gegen eine Mächtigkeit als solche, die dann überhaupt nicht mehr hingenommen wird, wenn ihre Inhaber sich allzu deutlich über andere erheben. Mißtrauisch begegnet man ihr selbst dort, wo dies (noch) nicht der Fall ist; in diesem Sinne reicht der Machtneid weiter als der Neid gegen die Mächtigen. Nicht sie sind, Macht als solche ist gefährlich; dieser geistige Zustand - denn um nicht weniger handelt es sich - ist in unseren Tagen sicher weithin erreicht. Staatsorganisatorische Formen des Machtwechsels, der Machtaneignung überhaupt, mögen diesen unauslöschlichen Staats-Neid der Gleichen in Grenzen halten, während dort, wo sich der Bürger übergangslos vor und unter die Macht gestellt sieht, daraus nur ein Streben nach völliger Machtvernichtung erwachsen kann. Dennoch bleibt es dabei: Der elementare Staatsneid des Bürgers ist mit dem Staatsbegriff selbst vorgegeben, als ein Grundproblem der Staatslegitimation und der Staatsverteidigung. Nicht zu lösen ist es durch rechtsstaatliche Tendenzen zur möglichsten Machtminimierung; dies ist nur eine Stufe auf einem Weg, der viel weiter führt, bis in eine negative Unendlichkeit: die Aufhebung der Staatsrnacht als solcher. Der Staats-Neid in dem Sinn, der uns hier beschäftigen soll, muß ja verstanden werden als Anarchieform344 , als eine Vorstufe der Herrschafts ablehnung schlechthin. Da ist etwas wie kupierte Anarchie, die als solche keine volle Durchsetzungschance sieht, daher sich in einzelnen Negationen dreht, im Unbestimmten verharrt. Wie immer ihre kaum faßbaren Wirkungsweisen verlaufen mögen, eines steht fest: Durch alle Formen sichtbarer Staatlichkeit wird der Staatsneid laufend 343 Bezeichnend ist übrigens, daß innerhalb der demokratisch-föderalen Staatsstrukturen der Gleichheitssatz nicht gilt, etwa im Verhältnis der Gliedstaaten untereinander; vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 I Rdnr. 291 und Art. 19 III Rdnr. 33 ff.; BVerfGE 35, S. 263 (271). 344 Dazu vertiefend Leisner, w., Die demokratische Anarchie, Verlust der Ordnung als Staatsprinzip, 1982, insbes. S. 20 ff.

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genährt, verstärkt. Mag er die Kraft zur Bildung einer Gegenmacht entfalten, bis zur Aneignung des Staates dringen oder nicht - hier ist der tiefere Nährboden für alle diese bereits beschriebenen Erscheinungen, und er reicht weit über sie hinaus, gerade darin im wahren Sinne des Wortes staatsgefährdend: Konkrete Ziele setzt sich eine solche Staatsablehnung nicht, hier entstehen und wirken Staatsgrundstimmungen, welche institutionell weder leicht kompensiert, noch gar eliminiert werden können. Staatsrnachtabschwächende Wirkung aber geht von dieser negativen Staatsauffassung mit Sicherheit aus. Das Thema dieses Kapitels ist, ob dies nicht gerade durch eine Verunsichtbarung der Staatsgewalt vermieden werden kann, darüber hinaus aber stellt sich eine grundsätzliche Frage: ob Staatlichkeit nicht als solche immer und vor allem ein Versuch war, diesen die Macht nicht erobernden, sondern zersetzenden Tendenzen sich und die eigene Kraft zu entziehen. Invidia - dieses Wort für einen Neid, der nichts Gutes läßt an anderen Menschen wie an dem von ihnen gestalteten und besetzten Staat, führt mitten hinein in die Sichtbarkeitsproblematik: Da ist das "Hineinsehen" in den Bereich des "daneben Liegenden", die Wahrnehmung beim Nachbarn. Wo sie sich gegen den Staat richtet, da erscheint dieser mit seiner Macht geradezu als Besitz des Nachbarn oder selbst als benachbarte Größe, in einer modemen Gemeinschaftsorganisation wird er schlechthin zum "überall Nächsten". Die Ausgrenzungsvorstellung der Grundrechte mit ihrer Abwehrmacht des status negativus 345 muß heute diese Vorstellung von einer bedrohlichen staatlichen Macht-Nachbarschaft nur noch verstärken, damit aber die invidia beflügeln, welche sorgenvoll und mißgünstig in dieses Naheliegende und immer noch näher Rückende hinüberblickt. Diese Mißgunst hat ganz allgemein, besonders aber in ihrer Erscheinungsform des Staats-Neides, einen deutlichen Sichtbarkeitsbezug: Geweckt wird sie durch gesehene Macht, die Fragestellung der Sichtbarkeit des Staates findet hier geradezu eine Bestätigung ihrer staatsgrundsätzlichen Berechtigung. Je plastischer und eindeutiger die Machtstrukturen und ihre Inhaber in Erscheinung treten, desto mehr entsteht ein Neid, der andererseits nur Sorge bleibt, wo lediglich feme Umrisse wahrzunehmen sind. Denn eines gibt es nicht: Neid gegen nur Vermutetes, also auch, in unserer Fragestellung, keinen Staatsneid gegenüber einer Krypto-Macht. Evidenz trägt den Neid, geweckt wird er durch jene "äußeren Zeichen des Reichtums", gegen welche sich die nivellierende Steuermacht unwidersprochen wenden darf346 , und äu345 Schmitt Glaeser, w., Schutz der Privatsphäre, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 6, 1989, § 129 Rdnr. 22; Stern (Fn. 303), Bd. IIII1, 1988, S. 427 ff.

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ßerlich sichtbare Machtstrukturen sind eben derartige Zeichen auch beim Staat selbst. Neid wird aus der Sichtbarkeit geboren, schon als eine Vorstufe jenes Widerstandes, den dann übersteigerte Evidenz erst hervorbringt. Je mehr also die Staatsgewalt in wenig oder gar nicht sichtbare Formen zurücktritt, desto weniger hat sie mit staatsverneinendem Neid zu rechnen; muß daraus die Staatslehre nicht geradezu eine Tendenz zur Verunsichtbarung ableiten, die mit der Kraft der Dynamik "möglichst viel an unsichtbaren Machtstrukturen " verwirklicht, weit über das noch hinaus, was zur Vermeidung gegengewaltschaffender Provokation erforderlich sein könnte? Die Extremthese, der Staat müsse überhaupt verschwinden, um dem Machtneid der Gleichen zu entgehen, hat die extrem egalitäre kommunistische Lehre vom Absterben des Staates folgerichtig vertreten. Diese Legitimation des "Unsichtbaren Staates" erscheint schon auf den ersten Blick weit bedeutsamer noch als alles, was einen Rückzug aus der Evidenz als Abdeckung gegen mögliche Gegenrnächte oder Machtgelüste bisher hat rechtfertigen können. Gegenüber dem Staats-Neid wirken auch kaum mehr jene Einschüchterungseffekte, welche sichtbare Formen der Staatlichkeit noch immer haben legitimieren, auch Machtrivalen haben in Schach halten können, die eben durch Staatsdeutlichkeit hervorgerufen oder angezogen werden. Der Neid läßt sich nicht einschüchtern, denn er ist negativer Wille. Drohende Evidenz drängt ihn nur noch tiefer hinab in eine Basis, die sprachlos, darin aber besonders gefährlich ist, weil er dort in die Breite wirken kann, wo er Solidarität findet. Die Neidhaltung gegenüber der Staatsgewalt ist an sich schon etwas wesentlich "Uninstitutionelles" etwas Unsichtbares; können ihr nicht nur diejenigen entgehen, die ihrerseits aus den Institutionen fliehen, in unsichtbare Wirkungsformen hinein? So werden wir denn auch in diesem Kapitel nur wenige institutionelle, kaum rechtliche Anknüpfungspunkte unserer Betrachtungen finden. Staatsneid kommt als solcher im Verfassungsrecht nicht vor; er darf nicht verwechselt werden mit jenem Mißtrauen, welches die Grundrechte gegenüber ihrem "natürlichen Gegenspieler, dem Staat,,347, in346 Diese "signes exterieures de richesse" sind im Steuerrecht letztlich immer konstitutiv für die Luxussteuem gewesen; vgl. Flämig, eh., Stichwort "Luxusgegenstand" , in: Handwörterbuch des Steuerrechts (HwStR) 1972; Häuser, K, Luxusbesteuerung, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften (HdSW), hgg. von E. von Beckenrath u. a., Bd. 7, 1961, S. 74 f.; Schmölders, G., Die Luxussteuer, in: Handbuch der Finanzwissenschaften (HdF), hgg. von W. Gerloff und F. Neumark, Bd. 2, 2. Aufl. 1956, S. 691 ff. 347 BVerfGE 7, S. 198 (204 f.); 21, S. 362 (371 f.).

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stitutionalisiert, verfestigt haben. Kann der Staat den Staats-Neid vielleicht nur aus seiner Unsichtbarkeit heraus bekämpfen?

b) "Unsichtbarer Staat gegen Staatsneid" historisch eine staatsformübergreifende Technik der Macht

Die Historia magistra hat ein Lehrbuch dieser Anti-Staatsneid-Technik des" Unsichtbaren Staates" geschrieben; drei Kapitel seien hier herausgegriffen: aal Die theokratische Herrschaft ist weit mehr als eine historische Zufälligkeit, die sich nunmehr schlechthin überlebt hätte, ihre Grundideen verdienen nach wie vor Behandlung in der Dogmatik einer allgemeinen Staatslehre 348 • Hier wird nicht etwa machtlose Herrschaft versucht, selbst der Heilige Stuhl übt Gewalt aus, und sei es auch nicht diejenige, welche ein Element gerade der Staatlichkeit ist349 . Entscheidend ist vielmehr, daß hier alles auf die Macht eines Unsichtbaren zUTÜckbezogen wird, daß das Zentrum aller Gewalt verunsichtbart, Macht gewissermaßen ins Jenseits verlegt wird. Damit entgeht das theokratische Denken optimal dem Machtneid, bis hin zu den Formen religiöser Herrschaft des islamischen Fundamentalismus. Der Herrschergott ist und bleibt Person - und doch steht er über jedem Neid, daher muß er wesentlich unsichtbar sein; auf Erden erscheint er inkarniert nur, um die Vertreter seiner unsichtbaren Macht zu bestimmen, so dann fährt er alsbald gen Himmel. Nur einmal konnte gegen ihn der Neid aufstehen, als er allzudeutlich-triumphal in Jerusalern einzog. Nun ist die Negation auf ewig besiegt, das ist der Sinn des Engelsturzes, bei dem niemand mehr die Grundfrage gegen den Herrschemeid beantworten konnte: Wer ist wie Gott? Sie hebt auch alle Legitimationszweifel am theokratischen Staat auf. Eine derart befestigte Macht darf dann sogar staats barocke äußere Formen vor sich hertragen, goldschimmemd-sichtbare Fassaden. Denn wer wollte neidisch sein auf das Gold des Unsichtbaren? In seinen Kirchen war es noch immer zwar nicht absolut, aber doch weit stärker ge348 Wo sie aber, seit Georg Jellinek (Allg. Staatslehre, 3. Aufl. 1913, 1. Neudruck 1960, S. 289 ff.) fehlen oder nur mehr im wesentlichen historisch behandelt werden (vgl. Zippelius (Fn. 319), § 25 I 2). 349 Weshalb ihm denn auch nicht, mit dieser Begründung, die Qualität eines Völkerrechtssubjekts streitig gemacht wird, vgl. Berber, F., Lehrbuch des Völkerrechts, I. Bd., 1915, S. 162 f.; Verdross, A./Simma, B., Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, § 412.

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schützt als durch Anneen, welche sichtbar Herrschende verteidigen350 . Da das Zentrum der Macht verborgen bleibt, können, müssen vielleicht sogar gewisse Ausübungsformen derselben überdeutlich sichtbar werden, weil sie ja immer auf einen Gegenstand des Glaubens zurückgeführt werden, in seiner sogar noch gesteigerten Form der Verunsichtbarung des eigentlichen Trägers der Macht. Selbst aus einer letzten Unsicherheit, welche die Existenz des Schöpfergottes umgeben mag, zieht die theokratische Staatlichkeit des Unsichtbaren noch Kraft: Könnte man den beneiden, den es vielleicht nicht gibt - wenn nur alles in seinem Namen geschieht - gibt es Mißgunst gegen eine Fiktion? Nur wenn das Machtzentrum, allzuweit entfernt, zu verdämmern scheint, wenn selbst der Glaube seiner Vertreter auf Erden seine Existenz nicht mehr nahelegt, dann wird das Gold des Unsichtbaren zur odiosen Fassade, aus der allmächtigen wird die tote Hand, es erfolgt der historische Umschlag aus dem Gold des Staatsbarocks in die spartanische Rationalität einer Französischen Revolution, welche Kirchengüter plündert. Heutige Staatlichkeit stützt sich noch immer auf derartige "Unsichtbarkeits-Legitimationen" der Theokratien, und sei es auch in gebrochener, säkularisierter Form: Die Anrufung Gottes in der deutschen Verfassungspräambel ist nicht zuletzt das Bekenntnis zur Existenz einer unsichtbaren letzten, auch staatstragenden Macht351 ; unsichtbar bleiben die letzten Grundlagen der Staatsgewalt. Dem nahe kommen dann auch jene vorstaatlichen, ungeschriebenen Grundsätze, zu denen sich unsere Ordnung bekennt, die sie in das positive Recht übernommen hat352 . Dies sind unsichtbare Tafeln, auf welchen Menschenrechte geschrieben stehen, die heute von geradezu religionsähnlicher Freiheitsverehrung getragen werden. In ihnen ist noch einmal die Göttin Liberte der Französischen Revolution an die Spitze des Staates getreten, in theokratischer Unsichtbarkeit. Auf niederen, schon "politischen" Ebenen verläßt gerade die deutsche Demokratie jene "Staatsmoral " nicht, welche durchaus eine säkularisiert-religiöse Dimension der Unsichtbarkeit aufweist: Das Staatsoberhaupt, an sich Organ des sichtbaren Staates, wird, in ihrer Verkündung, zu etwas wie einem Hohepriester unsichtbarer Staatlichkeit353 . 350 So ist denn der "Kirchendiebstahl" ein besonders zu bestrafendes Delikt

w., in: Leipziger Kommentar, 5. Bd., 10. Auf!. 1989, § 243 StGB Rdnr. 22 ff.), da es letztlich um das Eigentum des unsichtbaren Souveräns geht. 351 Klein, F., in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 7. Auf!. 1990, Präambel Rdnr. 2; Maunz, in: MaunzlDürig, Präambel Rdnr. 17 ff.; von Münch, I., in: v. MÜllch! Kunig, GG-Komm., Bd. 1,4. Auf!. 1992, Präambel Anm. 5 ff. 352 BVerfGE 1, S. 14 (18,61); 1, S. 208 (243 f.); 3, S. 225 (233); 41, S. 126 (157). (Ruß,

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Doch über solche konkreten Erscheinungen führt die theokratische Staatslehre, heute wie einst, weit hinaus. Ihre Botschaft ist: Man verlege das Legitimationszentrum, die "eigentliche Person" des Machtträgers, ins Unsichtbare; dann kann vieles andere am und im Staate sichtbar bleiben und werden, ohne die Gefahr des vernichtenden, anarchischen Machtneides. bb) Die entwickelte, von ihrer aristokratischen Basis abgelöste Monarchie ist eine weitere Institutionalisierung der Flucht vor dem politischen Neid in verunsichtbarte Herrschaftsformen, eine systematische VorForm bereits der Staatsunsichtbarkeit. In ganz anderer Entfernung ist sie den Augen, der Lebenssphäre der Gewaltunterworfenen entrückt als die mit täglichen Lebensformen doch eng noch verbundenen aristokratischen Herrschaftsmechanismen. Diese beruhten stets wesentlich auf dem Sichtbarsten, dem Grundeigentum; in ihrem eigentlichen Machtzentrum, dem Familienbesitz, lag ihre Machtbasis evident vor aller Augen. Nur darin konnte noch eine gewisse, neidabschwächende Anonymisierung gelingen, daß es eben "das Haus", die Familie war, die solche Herrschaft trug, nicht der einzelne Inhaber, der ihr im aristokratischen Familienverständnis eher zu dienen, den Besitz zu erhalten und ungeschmälert weiterzugeben hatte. In gewissem Sinn zurück traten also allenfalls hier die Herrschenden, nicht die Macht als solche. Anders die Monarchie. Von der Aristokratie unterscheidet sie sich, nach der klassischen aristotelischen Einteilung, sicher zuallererst durch die Zahl der institutionalisiert Herrschenden: Einer oder wenige - das wird zum fundamentalen Regimeunterschied schon darin, daß die Aristokratie eben in ganz anderer, gesteigerter Weise ständiger Einung bedürftig und zugänglich ist354 . Doch ein weiteres Unterscheidungskriterium der beiden Staatsformen liegt in der hier untersuchten Sichtbarkeit: Die Machtbasis des Monarchen ist begrifflich nicht sein Hausbesitz, auf dessen Größe gestützt er sich einst über seine aristokratischen Rivalen erheben konnte, sondern immer etwas wie ein Obereigentum, das sich unsichtbar und doch allgegenwärtig allem anderen Besitze überlagert, auch dem der Macht. Gerade in der deutschen Feudalgeschichte sind hier sicher zwei Entwicklungen zu unter353 Herzog, in: MaunzlDürig, Art. 54 Rdnr. 92 ff.; Schlaich, K., Die Funktionen des Bundespräsidenten im Verfassungsgefüge, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 2, § 49 Rdnr. 52 ff. 354 Im Sinne der staatsschaffenden Kraft der Einung, wie es näher dargestellt wird in Leisner, w., Staatseinung - Ordnungskraft föderaler Zusammenschlüsse, 1991, wo insbesondere die Einungsprobleme der Demokratie untersucht werden (S. 161 ff.).

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scheiden: Einerseits eine Belehnung, welche letztlich aus der Idee des Reiches und der Königsherrschaft heraus erfolgt, den Herrschenden, auf allen Stufen der Feudalpyramide, mit einer höheren, in diesem Sinne für die dem konkreten Eigentum Unterworfenen" unsichtbaren" Macht umgibt; diesen Mächtigkeiten bleibt etwas eigen von der verdämmernden Unfaßbarkeit der Spitze der Feudalpyramide, eines Reiches, das nicht mehr von den über-sichtbaren Legionen getragen wird; es ist dies das Imperium. Damit aber verbinden sich, sozusagen von unten sich entwickelnd und aufsteigend, Eigentumsbefugnisse im heutigen Sinn, welche der Fürst, über seinen eigenen, konkreten Vollbesitz hinaus, auch anderem Eigentum gegenüber durchzusetzen vermag, das Dominium im domaine reserve. Gemeinsam ist also einem solchen in vielfachen Formen entwickelten Obereigentum355 etwas wie eine wesentliche "Unsichtbarkeit": Es schwebt gewissermaßen über den konkreten einzelnen Eigentumsbefugnissen als ein höheres, virtuell vollständigeres Recht - und doch konkretisiert es sich immer nur in einzelnen Belastungen und Befugnissen, jenen konkreten Dienstbarkeiten, mit denen die Herrschaft gewissermaßen in die Sichtbarkeit heraustritt. Im übrigen bleibt es "virtuell", verkümmert in vielen Bereichen zur Aufsicht und Kontrolle, in die es nach dem Durchbruch des vollen privaten Bürgereigentums in der Französischen Revolution insgesamt zurückfällt. Diese große politische Umwälzung bringt also eine letzte, globale Verunsichtbarung des fürstlichen Eigentums, über das monarchische Obereigentum zur Staatskontrolle. In dieser Stellung des weithin unsichtbaren Obereigentums, das der Fürst erst in Beleihungen an nachgeordnete aristokratische Herrschaften sichtbar werden läßt, ist der Monarch selbst, seinem Volk gegenüber, der wesentlich "Feme", entrückt vor allem dem Odium der Macht und ihres Mißbrauchs. Dafür ist er letztlich nicht zuständig, wenn auch vielleicht verantwortlich; ein "Si le roi savait ... " , entzieht ihn dem Herrschafts-Neid. Seine Statthalter auf Erden dagegen, die vielen aristokratischen "Herren", können nicht zu ebensovielen "Göttern auf Erden" werden, allzusehr sind sie sichtbar, mit ihren kleinen EigentumsHerrschaften, Statthalter des weit entfernten Monarchen; gegen sie also wendet sich zuallererst der Haß des Volkes in der antifeudalen Französischen Revolution, in deren erster Phase der König der große Hoffnungsträger bleibt. Er ist der "Gott auf Erden", in seiner Unsichtbarkeit; nur in ihr gewinnt er etwas von wirklicher theokratischer Legitimation, 355 Kelsen, H., Allgemeine Staatslehre, 1925 (Neudruck 1966), S. 332 f.; Jellinek, G., Allgemeine Staatslehre, 3. Auf!. 1913, 1. Neudruck 1960, S. 612.

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B. Legitimation des "Unsichtbaren Staates"

nur in ihr bekommt die Formel "von Gottes Gnaden" ihren eigentlichen Sinn - auch sie ist ja nichts als eine Entschuldigung vor dem MachtNeid der Gewaltunterworfenen, ist es doch unsichtbare Gnade, nicht greifbares, diskutables Verdienst, was den femen Herrscher legitimiert. Damit verlegt auch die Monarchie ihr eigentliches Machtzentrurn zwar nicht in die volle Unsichtbarkeit des Göttlichen, wohl aber in eine Eigentums- und Machtfeme, die kein Neid so leicht erreicht; die Monarchie wird zu einer Gewalt, die "entrückt behütet" ist, in Re-servat-rechten - zu einem wirklichen Reserve Power. Nur in den Letzten Dingen tritt sie ganz hervor, in der schrecklichen Evidenz des Krieges - wie der unsichtbare Gott, der hier seine Geißel schwingt. So ist denn die Monarchie stets in ganz anderem, höheren Sinne "staatsgewendet" als aristokratische Herrschaft; sie braucht bereits wesentlich die spätere Unsichtbarkeit des Staates, gerade weil ihre gekrönten Fassaden so über-sichtbar sind. Um aus dem Neid zu fliehen, bedarf sie schon des unsichtbaren Trägers, der später im Staat systematisch gefunden wird, ihn hat sie bereits vorgeformt im Gottesgnadentum, nicht erst in der Stellung des Fürsten als des "Ersten Dieners des Staates". Als die Monarchie dann in der Restauration einen "Rückweg" antreten wollte in die "persönliche Gewalt" des Monarchen, da war dies nicht nur ein historischer Anachronismus, sondern ein staatsgrundsätzlicher Fehler. "Le roi regne et ne gouverne pas" - daraus hat die Monarchie immer gelebt, nicht erst in ihren liberalen Ausprägungen, denn .regieren" bedeutet eben Machtausübung aus einer letzten Unsichtbarkeit, einer neidentrückten Feme heraus. In diesem Sinne ist auch die entwickelte Monarchie noch immer wesentlich theokratisch legitimiert. Wenn der Monarch der Staatsrepräsentant sein soll, der nicht beneidet wird, so muß er zwei Voraussetzungen erfüllen: Besitzen darf er nicht allzuviel, sein Hausgut zieht ihn in die neidumwitterte Sichtbarkeit herab, daher ist dieses Gut bald zum Herrschaftsrisiko geworden 356 . Vor allem aber muß er mit seiner Macht, ihren Zentren wenigstens, stets im Unsichtbaren bleiben, der König muß zur Krone werden, wahrnehmbar nur mehr als ein Symbol. Das Geheimnis des Palastes deckt diese Macht, das "Geheimnis der Krone"; und so schirmt die Crown in England bisher noch immer in undurchdringlicher Diskretion eine wesentlich unsichtbare Macht ab, selbst gegen Neid und Kritik an den menschlichen Schwächen der (Familie der) Träger. Zum Symbol aber ist der Monarch nicht erst heute geworden, aus diesem Begriff hat 356

Zum "Hausgut" und dessen -

einschränkendem -

Rehm, H., Modernes Fürstenrecht, 1904, S. 323 ff.

Verständnis vgl.

11. Unsichtbarkeit als Machtverstärkung

157

er immer seine letzte Legitimation, wahre Herrschergewalt gezogen; und ein Symbol muß wesentlich unsichtbar sein und bleiben. Das Staatsrecht unserer Zeit aber muß Lehren ziehen aus dieser weithin historisch vergangenen monarchischen Welt: In Unsichtbarkeit dem Neid entrückte Macht kann sich befestigen in einem staatlichen Obereigentum, das erst in "Konzessionen" heraustritt in die Faßbarkeit. Deshalb gerade darf es volles Staatseigentum nur in den engen Grenzen geben, in denen früher das monarchische Hausgut auch dem Neid der Gewaltunterworfenen noch erträglich erschien. Denn bald wird das Staatseigentum nicht anders beneidet als großes Bürgergut; der Kommunismus hat es erlebt. Überhaupt müssen die konkret Herrschenden, die Vertreter des demokratischen Staates, weithin auf sichtbares Privateigentum verzichten, mit ihm begeben sie sich in die Zone eines Neides, der schon Größere, die Monarchen, gestürzt hat, sie treten sichtbar unter "ihresgleichen", die sie doch als Herrschende nie sein können. Stets muß schließlich die Macht rückbezogen werden auf einen wesentlich unsichtbaren Träger, und auch der Staat darf nicht allzu faßbar werden, sonst wird seinen greifbaren Repräsentanten, den Staatsorganen, nicht mehr geglaubt, daß sie "ganz anderes" vertreten. Wer aber in solche Sichtbarkeit hinaustritt, daß ihm ein "L'Etat c'est moi" zugeschrieben werden kann, dessen Sturz bereitet sich bereits vor - es ist jedoch letztlich nicht sein Fall, sondern der des sichtbaren Staates. Die entwickelte Monarchie hat es verstanden, das bonum commune letztlich in dem Sinne undefiniert zu lassen, daß mit dem Begriff eine unfaßbare Verbindung konkreter Herrscherinteressen mit Untertanenbelangen hergestellt wurde. In diesem Sinn muß auch in der Demokratie das "öffentliche Interesse" im letzten undefiniert, "offen", damit aber eigentlich" unsichtbar" bleiben, selbst für die Argusaugen des politischen Neides. Private Interessen als öffentliche Interessen357 , als solche deutlich erkennbar - das war das Ende der Monarchie, so wird es immer sein, weil dann "angeeignetes öffentliches Interesse" in politischem Neid zerstört wird. cc) "Staatssouveränität" - der Apparat gegen den Neid: So wie die theokratische Staatsneid-Vermeidung noch in der späteren Stufe der Monarchie weiter wirksam bleibt, so leitet diese zu einer dritten Phase der Verunsichtbarung der Macht über, welche im Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts erreicht wird. Als "Souveränität des Staates" wird sie der Volkssouveränität und der "nationalen Souveränität" der Französischen Revolution gegenübergestellt358 , verbunden bleibt sie mit 357 Vgl. Leisner, S.217ff.

w., Privatinteressen als öffentliches Interesse, in: DÖV 1970,

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B. Legitimation des" Unsichtbaren Staates"

dem Namen von Paul Laband. Der Staat, die abstrakte Rechtsperson, wird nun zum Zurechnungspunkt aller Gewalt, jedenfalls der höchsten Macht, darin erreicht "Neidvermeidung durch Unsichtbarkeit der Herrscherperson" ihren vollendeten Ausdruck. Dies war nicht nur eine geistig notwendige, es war vor allem eine politisch unausweichliche Entwicklung. Die anarchisierenden Negativwirkungen des Macht-Neides gingen nun ja nicht mehr nur von den Untertanen, den Gewaltunterworfenen aus; die politische Invidia betrat eine neue, gewissermaßen horizontale Dimension: Die "Pouvoirs", in welche die eine monarchische Macht zerfallen war, deren Kreis sich mit dem Aufstieg sozialer Mächte ständig erweiterte, von Aristokratie und Kirche bis hin zu den Bürgern, der "Gesellschaft" - sie alle wurden darin zu einer Gefahr für die Einheit der öffentlichen Gewalt, daß keiner von ihnen mehr hoffen konnte, den Staat wirklich zu besetzen359 , daß also ihre Machtrivalität in verneinendem Machtneid hätte enden können. Einbezogen in diesen gefährlichen Kreislauf war selbst der weithin entmachtete Monarch. Nur eine Konstruktion konnte helfen, eine ferne Gralsburg weit über allem politischen Neid: der Staat als solcher, begrifflich schon das unsichtbare Wesen. Dies muß als eine historische Phase der Verunsichtbarung der Staatsgewalt gesehen werden, selbst wenn dieser Staatsbegriff noch heute das Staatsrecht prägt, vielen als eine geradezu überzeitliche Selbstverständlichkeit erscheint: Das Staatsrecht ist aber, aus demokratischen Überzeugungen heraus, nunmehr auf dem Wege zu neuen Verkörperungen der Staatsgewalt, die in einer Versichtbarung derselben enden könnten: vor allem in der Hinwendung zum souveränen Volk, ja zur realen Basis, welche die Macht trägt. Dann aber könnte der "Unsichtbare Staat" leicht zur nur noch begrifflich weiterwirkenden Über-Struktur werden, die eines Tages völlig in juristischer Dogmatik verdämmert und dann gerade deshalb politisch durch neue Sichtbarkeiten der Macht ersetzt werden muß. Wir glauben jedoch, daß der Staat, diese höchste Form der Verunsichtbarung der Gewalt, auch dann noch in eine solche "realitätsnähere" staatsrechtliche Zukunft hineinwirken wird. Deshalb seien dieser "Staatssouveränität" hier nochmals einige Worte gewidmet, vor allem mit Blick auf die Formen, in denen sie die Machtstrukturen der Staatlichkeit dem systematischen Mißtrauen in seiner kaum definierbaren Ausgangsform, dem politischen Neid, entziehen will.

358 Vgl. dazu Capitant, R., Revue Internationale d'histoire politique et constitutionelle, 1954, S. 153 ff. 359 Spektakulär versucht für den 3. Stand von Emmanuel Sieyes in seinem "Qu'est-ce que le Tiers Etat?", 1789.

11. Unsichtbarkeit als Machtverstärkung

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Die Lehre vom souveränen Staat des Gewaltmonopols stellt diese Person, wie früher den Hohepriester, dann den Monarchen, in die große Schiedsrichterrolle, welche der Liberalismus der öffentlichen Gewalt in der Gesellschaft zuerkennt, die sie heute noch im wesentlichen legitimiert 360 . Da gilt es nun, die konkreten Gewaltträger, die Herrschenden im Verständnis dieser Untersuchung, nicht nur zu verbergen hinter den papierenen Fassaden der Institutionenlehre des Staatsrechts; sie müssen auch in der politischen Realität allem Neid entrückt, also weithin "unsichtbar" werden, wenn dies die Legitimation einer Staatlichkeit ist, deren Spuren wir hier suchen. Auf zwei Wegen hat der Konstitutionalismus dies eingeleitet und uns hinterlassen, in zwei Materien des öffentlichen Rechts, die vorher als solche, und vor allem in ihren machtverunsichtbarenden Strukturen, nur in Ansätzen vorhanden waren: im Beamtenrecht und im Staatsorganisationsrecht. Die Beamten "sind" der Unsichtbare Staat; unzählig wirken sie und greifbar - doch fast immer unfaßbar für den Staats-Neid. Ihre Unsichtbarkeit liegt darin, daß der Prototyp dieses Staatsdieners der "kleine Beamte" ist, seinem Wesen nach das Gegenteil neidanziehender Macht, die gerade hinter seiner großen Zahl verschwindet. Nicht als ob nicht dies oder jenes Privilegium dieser Staats stützen in der Vergangenheit wie auch heute beneidet worden wäre 361 - wobei immer dann auch rasch etwas von Macht-Neid mitschwang - insgesamt aber waren es doch stets Liliputaner, die den freien Bürger-Gulliver überraschend fesselten. Das Beamtenrecht, das sich in hoher Komplexität und Technizität den Augen der Bürgerschaft und ihres jedenfalls stets potentiellen Neides entzieht, hat denn auch etwas gebracht wie eine "Verunsichtbarung von Herrschenden in Personalorganisation " . Dies war der zweite, noch grundsätzlichere Schritt des Konstitutionalismus: die Entfaltung eines Staatsorganisationsrechts. Eine Organisation beneidet als solche niemand, wenn ihr Räderwerk in Beamtlichkeit zerfällt, sind deren Vertreter zu schwach und klein. Machtträger, konkret Herrschender scheint hier wirklich - niemand zu sein, jedenfalls verschwinden diese Personen vollständig hinter unpersönlichen, neidabweisenden Fassaden. So soll denn die wirksamste 360 Nur in diesem Sinne konnte denn auch der Reichspräsident, als "Vertreter des Staates", als machtvoller Schiedsrichter, in der Weimarer Zeit gesehen werden, vgl. Schmitt, G., Der Hüter der Verfassung, 1931, unver. Neudruck 1985, S. 141 ff. (143). 361 Man denke nur an die Alimentation oder eine Arbeitsplatzsicherheit, die ständig, oft fast krampfhaft, mit der Notwendigkeit gerechtfertigt wird, die souveräne Schiedsrichterrolle des Staates vor Druck aus der Gesellschaft zu schützen (Scheerbarth, H. W.IHöffken, H., Beamtenrecht, 5. Aufl. 1985, § 23 11).

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B. Legitimation des" Unsichtbaren Staates"

Flucht aus dem Neid in die Macht der personifizierten Organisation gelingen, hinter der dann sogar die Beamten unsichtbar werden in Bürokratie 362 . Schon gegen den "Staat" gibt es eigentlich keine Revolution, solange er sich noch zugleich als Schütz er der Freiheit versteht, wie es dem grundrechtsgeprägten Konstitutionalismus selbstverständlich war. Noch weniger war bisher eine solche "gegen die Organisation" vorstellbar; in diesem Sinne konnte man OUo Mayers Wort abwandeln: "Politische Verfassungsmacht der Herrschenden vergeht, Verwaltungsmacht der Bürokraten besteht". Der Kommunismus hat diese Staatskunst bis ins Extrem steigern und mit jener Egalisierung verbinden wollen, welche den Neid schon an der Wurzel töten sollte: Gleiche unter Organisation - was konnte, was brauchte hier noch machtzersetzend negiert werden? Der Zusammenbruch dieser Staatskonzeption hat, daran ist kaum zu zweifeln, der dort ins Extrem gesteigerten Staatssouveränität einen schweren Schlag versetzt, welcher vielleicht schon ihr Ende ankündigt: Wenn die Herrschenden sich völlig verbergen wollen hinter ihrem Staat, dann vermutet sie gerade dort die Phantasie des politischen Neides, die Personen werden vor die allzu sichtbaren unpersönlichen Fassaden gezerrt - und gestürzt. Dennoch sind die Lehren des Konstitutionalismus und seiner Staatssouveränität gegen den politischen Neid, auch heute noch, wohl zu bedenken. Stets sollte ein Staat, der sich in Unsichtbarkeit zerstörerischer Negation entziehen kann, seine Beamten hinter seine Organisation zurücktreten lassen, "Beamten-Unsichtbarkeit" ist eine gute Form der Staats-Verunsichtbarung363 . Dies in vielfältigen Normgeflechten zu leisten' dabei durchaus immer wieder "kleinzuschneiden" , ist eine Aufgabe des Beamten-, insbesondere auch des Besoldungsrechts. Wird der sichtbare Beamte Gegenstand des Neides, so ist der Unsichtbare Staat in Gefahr. Öffentliche Machtorganisationen schließlich dürfen nicht allzu transparent werden, mit einzelnen Persönlichkeiten nicht identifizierbar erscheinen, sonst werden diese und durch sie die Institutionen selbst zum Gegenstand des Neides. Neidfrei bleibt nur die Staatsorganisation, nicht die Staatsorganisatoren. Eine gewisse Ent-Öffentlichung des Staatsorganisationsrechts ist also eine historisch ratsame, neidvermeidende Verunsichtbarung. In diesem Sinn ist das Dienst- und Organisa362 Man denke nur an die in diesem Sinne hochentwickelten Fonnen des "Organisationsverschuldens" bei der Amtshaftung, Ossenbühl, F., Staatshaftungsrecht, 4. Auf!. 1991, S. 62 m. w. Nachw. 363 Und dies hat sich ganz grundsätzlich vollzogen, in der Wendung vom Beamtenhaftungsrecht zum Staatshaftungsrecht, Ossenbühl (Fn. 362), S. 6 ff.; Papier, H.-J., Staatshaftung, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 6, 1989, § 157 Rdnr. 4. ff.

11. Unsichtbarkeit als Machtverstärkung

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tionsgeheimnis, zusammengefaßt im Begrilf des Amtsgeheimnisses 364 , eine Sicherung gegen alle Anarchie, in den Zentren der Staatsgewalt, welche immer bei der Exekutive liegen werden. Die weitgehende Veröffentlichung der Ersten und Dritten Gewalt dagegen, welche die Demokratie unternommen hat, wird in dieser Sicht der Vermeidung des Staats-Neids zum Problem, dann vor allem, wenn die Volksvertreter beneidet werden als Träger von ihnen lobbyistisch vertretener privater Interessen. Dann nämlich trilft der Neid auch die interessenschützende Staatsorganisation, unauslöschlicher Reichtumsneid wandelt sich in Staatsneid. Die Einheit des neidabstoßenden Staatsapparats darf nicht dadurch gebrochen werden, daß Teile von ihm allzu sichtbar werden; denn es gilt immer die Einheit der Souveränität, des Staates als Souveränitätsträger zu wahren, nur er lenkt Mißgunst ab. c) Staat - wesentlich organisierte Neidablenkung

Die Ablenkungsanstrengungen des systematischen Machtneides, wie sie hier beschrieben wurden, sind sicher nicht nur Randerscheinungen der Staatlichkeit, welche lediglich die Exzesse ihrer Gewalt in Grenzen halten, von ihnen allein zersetzende Kräfte abzuhalten versuchen. Alles spricht vielmehr dafür, daß mit den Verunsichtbarungen des Staates nicht nur gewissermaßen eine Nebenfunktion dieses Begrilfes erfüllt wird. Vielmehr erscheint nun "Staat" geradezu als ein Wort für möglichst neidfreie allgemein-allgegenwärtige Macht. Hier wird doch etwas geboten wie ein Alibi-Begrilf dieser politischen Mächtigkeit, welche am besten aus der Unsichtbarkeit heraus wirken kann, gedeckt durch eine Macht-Tarnkappe, hinter welche sich Herrschaft von Menschen über Menschen versteckt, deren Besetzung für die Machtunterworfenen unfaßbar wird. Der" Unsichtbare Staat" hebt damit im letzten eben auch die machtgefährdenden Wirkungen eines Denkens auf, das uns immer wieder, und ganz unwillkürlich, begleitet: das Mißtrauen gegenüber einer Aneignung der Macht. Sie scheint es hier dem Grundsatz nach nicht mehr geben zu können, denn die Staatsgewalt wird begrilflich von ihren physisch-greifbaren Trägern getrennt, eben in ihrer ganz wesentlichen Unsichtbarkeit. Hier zeigt sich: "Staat" ist seit langem für uns ein ganz natürliches Denkmodell für allgemein-absolute Macht geworden; seine Unsichtbarkeit erscheint als eine uns eingepflanzte Denkkategorie der

364 Mühl, 0., in: Gesamtkommentar öffentliches Dienstrecht (hgg. v. Fürst, W.), LosebI., Stand: April 1992, § 61 BBG Rdnr. 3 ff.

11 Leisner

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B. Legitimation des "Unsichtbaren Staates"

politischen Mächtigkeit, welche nur so ihrer Negation, der Auflösung in Machtneid, entgehen kann. Dies würde nun allerdings für eine möglichst weitgehende Unsichtbarkeit aller Macht sprechen, dafür zumindest, daß ihre sichtbaren Seiten nur als Ablenkungs-Fassaden überhaupt zu dulden wären, als Ausdruck von etwas anderem, das nicht Macht, d.h. wesentlich Zwang ist. Und dies wieder würde dazu führen, daß der Staat der perfekten Neidvermeidung nur mehr in einem in Erscheinung treten darf: Allein in den Hilfestellungen der Service-Staatlichkeit dürfte er aus seiner wesentlichen Unsichtbarkeit heraustreten, denn sich verströmendes, politisch gesprochen: umverteilendes Helfen kann doch nie beneidet werden. Die Gleichsetzung von Staatlichkeit und Unsichtbarkeit scheint somit geradezu staatsphilosophisch notwendig, unausweichlich, aus einem Staatsbegriff heraus, der allein auf diesem Wege dem Odium der Macht entgehen kann. Zum Problem wird dann, in der perfektionierten Staatlichkeit, eigentlich nur mehr eines: ob eine zur wesentlichen Neidvermeidung sich in Unsichtbarkeiten zurückziehende Macht überhaupt noch der Macht-Mühe wert ist, weil der öffentliche Gewalt-Genuß fehlt, der bereit ist, sich in triumphierenden Posen über den Neid hinwegzusetzen. Etwas von dieser Machtfreude muß, die uns bekannte Geschichte hat es immer wieder gezeigt, offenbar doch erhalten bleiben, die Schönheit wenigstens einzelner Macht-Stücke muß sich zeigen dürfen, sonst tritt zu dem bösen Wort von der lißerte inutile das noch weit gefährlichere des pouvoir inutile, der nur in Anarchie enden kann. Dies alles spricht dafür, daß im Wesen der organisierten Staats-Macht eine Balance gehalten werden muß: Soviel an Unsichtbarkeit, daß eine nur in kleinen Stücken zu ergreifende Macht in neidungefährdeter Sicherheit genossen werden kann - dennoch aber soviel Staats-Sichtbarkeit, daß noch Freude an der Macht bleibt, ein Herrschen trotz dem und über den Neid.

d) Eigentums-Neid -

daher Staats-Herrschaft, nicht Staats-Eigentum

Macht darf nicht allzu sichtbar werden, sonst wird sie in Neid aufgelöst: Ein Blick auf das Eigentum bestätigt dies. Eigentum war immer, und in all seinen Erscheinungsformen eines: Die feste rechtliche Form einer "wesentlich sichtbaren Herrschaft", die sich später vom Macht-Odium dadurch abheben wollte, daß sie über Sachen, nicht über Menschen ausgeübt wird. Doch damit hat sich diese scheinbar so technische Rechtsform nicht der Wertung als politische

II. Unsichtbarkeit als Machtverstärkung

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Herrschaftsform entziehen können, schon aus einem Grunde nicht: Weil eben diese Sachherrschaft eine wesentlich sichtbare bleibt, weil in ihr das Recht aus der noch immer nicht sicher herrschenden, sondern nur fordernden Ansprüchlichkeit hinübertritt in die abgrenzende, endgültig in sich ruhende, andere ausschließende Beherrschung365 . Gelungen ist damit nur - marxistisch gesprochen - der Übergang vom "Skalvenhalter" zum "Feudaleigentümer" . Allerdings war das lange Zeit in seiner liberalen Privatheit so machtfern erscheinende Eigentum, das nie zu herrschen, stets nur auszugrenzen schien, so weit entfernt von der Dynamik der politischen Macht, daß die Herrschenden der spätfürstlichen Zeit geradezu aus ihrer Macht in dieses Eigentum flüchteten 366 , vom Imperium ins Dominium - doch bald hat dieses selbe Privateigentum die größte Zusammenballung politischen Neides hervorgebracht, von dem die Geschichte berichtet, in Sozialismus und Kommunismus. Nicht nur, daß die Theorien von Marx es als politische Herrschaftsform entlarvten, in der Mehrwert-Mechanik seine Macht-Dynamik bloßstellten - es erfolgte nun eine grundsätzliche Wende: Alle Macht wurde in Eigentumskategorien gesehen, versichtbart, dem Neid gerade darin ausgesetzt, schließlich mit seinen destruktiven Kräften die gesamte Machtstruktur total vernichtet. Aufgebaut wurde nun eine neue Staatsrnacht, die nichts mehr von "Eigentum" kennen sollte, daher, wie man meinte, nicht mehr in der Angst leben mußte vor Formen genießerischen Macht-Eigentums. Daher brauchte diese neue Gemeinschaft auch keine Scheu zu haben vor kolossalstaatlicher Sichtbarkeit, hatte sie doch alles Eigentum geradezu im Staatsbegriff aufgehoben 367 , und wenn sie auch nur alles diesem Staat übertragen hatte. Die Sorge, daß diesem Staats-Eigentum gegenüber eines Tages ein ähnlich gewaltiger, nun wahrhaft staatszerstörender Neid sich entfalten könnte - dagegen schien das Regime durch die Zukunftsvision des absterbenden Staates gefeit. Doch hier zeigte sich der schicksalhafte Fehler der kommunistischen Herrschaft: Die Bürger sahen am Ende das Eigentum nur mehr in frem365 Weshalb denn das Eigentum, ganz unbekümmert, mit dem in der Demokratie doch an sich schon fragwürdigen Begriff der "vollen (Sach -)Herrschaft" immer noch beschrieben wird (Bassenge, P., in: Palandt, BGB, 53. Aufl. 1994, Überbl. vor § 903 BGB Anm. 1). 366 Das fürstliche Hausgut etwa zeigt diese Entwicklung, Rehm (Pn. 356), S. 324 ff. 367 Genauer: Im "Volkseigentum", in welchem die Güter" allen gehörten" , so daß es, grundsätzlich-begrifflich, gar kein "Eigentum" mehr geben konnte, das eben wesentlich Aussperrung anderer bedeutet, oder, wie es die Praxis dann zeigte, daß dieses Eigentum "niemandem" gehörte - weil eben dem .Unsichtbaren Staat".

11'

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B. Legitimation des" Unsichtbaren Staates"

den Händen, in denen eines Staates, der es weder brauchte noch verdiente, vor allem aber argwöhnten sie es doch im Besitz der tatsächlich Herrschenden, welche eben hinter die kolossalische Sichtbarkeit des von ihnen aufgebauten Apparates nicht gänzlich zurücktreten konnten, mit diesem und seiner Sichtbarkeit vielmehr zunehmend identifiziert wurden. Hinzu kam dann noch die neidige Begehrlichkeit gegenüber dem Eigentum "ganz anderer, Ferner", der Bürger der reichen, westlichen Welt. Zerstört werden mußte also die Macht, welche den Zugang zu diesen Gütern versperrte; und so ist der über-sichtbare Staat des kommunistischen Staats-Eigentums an jenen Kräften gescheitert, aus denen er sich einst aufgebaut hatte: am Eigentumsneid als Machtneid. Die Staatslehre aber muß beherzigen, daß Sichtbarkeit der öffentlichen Macht immer auch mit Kategorien des Eigentums gesehen werden wird, schon weil mit ihnen allein der Gewaltunterworfene geistig das erfassen kann, aus dem er ausgegrenzt bleibt: Macht. Demgegenüber aber genügt es nicht - das kommunistische Experiment zeigt es Macht und Eigentum begrifflich zu trennen, das Eigentum aufzuheben und das Ende der Macht zu versprechen; dies kann nur dazu führen, daß dann eine in "ganz großem Staatseigentum sichtbare Macht" als Träger allen Eigentums beneidet und gestürzt wird. Hier nun liegt eine bedeutsame, eine erstaunliche Rechtfertigung liberaler Privatisierungen: Der Staat müßte sich eigentlich möglichst vollständig trennen von allem, was er zu Eigentum besitzt, in jener gefährlichen, neidanziehenden Sichtbarkeitsform. Imperium sollte klar abgehoben bleiben vom Dominium. Eigentum des Staates kann sich nur dort - und sehr in Grenzen -legitimieren, wo es wirkliche und unabdingbare Grundlage der Machtausübung ist, wie etwa im Recht der Hoheitsgewaltausübung gewidmeter öffentlicher Sachen. Im übrigen aber müßte Staatseigentum ebenso in die Unsichtbarkeit zurücktreten wie die Zentren der Macht selbst - sonst reißt der Eigentumsneid diese letzteren in einen allgemeineren Machtneid hinein. Da aber Staatseigentum, aus dem Begriff dieses Rechtes heraus, nicht wirklich verunsichtbart werden kann, mag das auch über "Staatstätigkeit in den Formen des Privatrechts" versucht werden, was noch zu erörtern sein wird - muß im Grunde ein Rückzug des Staates aus allen Sichtbarkeitsformen des Eigentums gefordert werden, die nicht mit dem notwendigen Minimum der Macht-Sichtbarkeit verbunden sind. Dies müßte wohl zu einer grundsätzlichen Absage an privaten, fiskalischen Staatsbesitz führen 368 , ein Staats-Sachenrecht kann dann nur mehr als ein der Hoheit 368 Ehlers (Fn. 301), S. 78; Jellinek, druck 1966, S. 25.

w., Verwaltungsrecht, 3. Auf!.

1931, Neu-

II. Unsichtbarkeit als Machtverstärkung

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gewidmetes öffentliches gedacht werden. Der Weg unserer Staatlichkeit vom feudalen Herrschafts-Eigentum in das privatrechts ähnlichfürstliche Domanialeigentum, der über die Fiskustheorie im fiskalischen Staatseigentum endete, muß wieder rückwärts gegangen werden, so wie es ja auch der Liberalismus von Anfang an konsequent gefordert hat. Alle Formen der früheren Fiskustheorie369 , welche die ganze Staatlichkeit in privatrechtlichen Formen, insbesondere in denen des Eigentums, umkonstruieren wollte, sind zu vermeiden, von der Enteignung als Zwangskauf bis zum Staatsbeamten als privatem Arbeitnehmer. Wo der Staat auftritt, sich nun schon einmal zeigen muß, da sollte es auch in den ehrlichen Formen des öffentlichen Rechts geschehen, nicht in einer Flucht ins Privatrecht, an deren Ende dann der ja doch immer verstärkten Kontrollen unterliegende Staat in den Eigentums-Neid seiner Bürger gezerrt wird, aus einer letztlich machtgefährdenden Unsichtbarkeit heraus. Die Mahnung hat historische Dimensionen: Das kommunistische Staatseigentum hat die odiose Eigentumssichtbarkeit nicht aufgehoben, sondern eher noch gesteigert; deshalb darf der Staat nicht allzuviel Eigentum haben, sonst bricht er die Sichtbarkeitsbalance der Macht, von welcher oben die Rede war, er tritt zu weit in die sachenrechtliche Deutlichkeit des privaten Besitzes heraus - und wird in ihr vom Neid geschlagen. In diesem Sinne ist es richtig: Das Beste (für die Macht) ist ein Befehl, nicht ein Besitz, in dem sie in unpolitischer Untätigkeit erschlaffen müßte. Der Staats drache darf, um in dem wagnerianischen Bild des Siegfried zu bleiben, nicht untätig liegen, besitzen und schlafen, darauf wartend, daß er vom mündigen Bürger geweckt wird, der ihm den nun wirklich "neidigen" Schatz nehmen will. Am Eigentum werden die Gefahren der Sichtbarkeit nicht nur für den immer umverteilungsbedrohten Bürger, sondern auch für den Staat deutlich; aus ihm sollte er sich zurückziehen, gerade um seiner - vielleicht notwendigen - Unsichtbarkeit Willen.

369 Es genügt wohl kaum zur Abwehr des Staatseigentums-Neides, einerseits den Fiskus auch zum Grundrechtsadressaten zu machen (Stern (Fn. 303), Bd. III/ 1, 1988, S. 1396 ff. m. Nachw.; BayVerfGHE 37, S. 101 (105 ff.); 29, S. 105 (119 ff.), andererseits ihm die Eigentumsgrundrechtsfähigkeit abzusprechen, so BVerfGE 61, S. 82 ff.).

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B. Legitimation des" Unsichtbaren Staates" e) Demokratie -

Staatsform des institutionalisierten Macht-Neides?

aal Wenn der Staat zu allen Zeiten, ganz wesentlich also, eine Institution der Neidvermeidung war, durch grundsätzliche Verunsichtbarung der Macht, in ihrem Träger jedenfalls - gilt dies dann nicht erst recht in der Staatsform der heutigen Massendemokratie? Ist sie nicht geradezu eine Staatsform des Macht-Neides in dem hier zugrunde gelegten Verständnis einer Negativeinstellung, welche die Herrschaft zwar nicht, wie der Anarchismus, grundsätzlich leugnet, sie jedoch durch kritische Distanz ständig abschwächt? Die These, daß die Volksherrschaft das Reich des politischen Neides sei, mag schon deshalb plausibel klingen, weil sich nirgends diese Distanz-Kräfte in solcher Freiheit äußern können, wobei doch ihre eigentliche Kraft nur darin liegt, daß sie in Erscheinung treten, damit eine Grundstimmung schaffen, in gebündelten Effekten. Demokratietheorie mag dem entgegenhalten, diese Staatsform fördere den Machtneid nicht, sie hebe ihn geradezu auf: Machtträger sei ja das physische Volk, welchem die Souveränität zugerechnet werde, damit aber eine Allerwelts-Vielheit - zu der ja auch die Neidträger gehören - die als solche überhaupt nicht beneidet werden könne. Doch die These, daß es "Staat" hier nicht zu geben braucht, Neid nicht geben kann, weil die Macht nun sichtbar beim Volk liege, widerspricht ebenso den Grundstrukturen der Volksherrschaft wie allen historischen Erfahrungen, und daraus könnte sich dann ergeben, daß keine Staatsform stärker die Unsichtbarkeit suchen sollte als eben die der Vielen. Zunächst schafft die Demokratie schon alle Voraussetzungen, um die kritische Neiddistanz immer weiter zu verstärken: In ihrer Öffentlichkeit werden alle Informationen geboten, welche nicht nur den Aufbau von Gegengewalten oder die Besetzung der Macht durch andere Träger ermöglichen; alles ist hier auf Mitteilungen gerichtet, welche beim Adressaten vor allem die Distanz zur Macht ständig bewußt werden lassen, nicht immer zu Unrecht wird den Medien vorgehalten, daß sie sich darin kampagnenhaft erschöpften. Machtrnißtrauen wird ständig geschürt: Dem Volk steht zwar verbal die höchste Gewalt zu, doch es hat nie genug von ihr, die Entwicklung zur Basisdemokratie ist nicht eine Entartung, sondern eine notwendige Entfaltung der Volksherrschaft370 . Da die Basis aber immer noch weiter von der Macht not370

Heute in der Verfassungsdiskussion um "mehr direkte Demokratie", von

Arnim, H.H., Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 512 ff.; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 28. Aufl. 1991, § 10 V.

II. Unsichtbarkeit als Machtverstärkung

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wendig entfernt ist als die Elite-Spitzen des Volkssouveräns, wird diese Kluft am Ende nur durch eines mehr überbrückt: den Macht-Neid. Nicht zuletzt aber wird eine durchaus im Negativen verharrende, eine destruktive Invidia hier in einer Weise institutionalisiert, daß sie geradezu schöpferisch wirkt, als solche denn auch bezeichnet werden konnte: In Wahlen und Abstimmungen, einfach im Bürgerverhalten läßt sich in dieser Staatsform etwas wie eine Grundstimmung schaffen, die zwar als solche keine neue Macht aufbaut, meist nicht einmal neue Herrschende einsetzt, welche aber doch den Machtwechsel dem Neid zumindest als Negativ-Erfolg verspricht. Die Demokratie nimmt die Macht-Kreativität des Neides in voller Breite auf, bis hin zu jenen Nichtwählern, die nichts ausdrücken als ein Nein zu allen gegenwärtigen Machtansprüchen371 . Neidbegünstigend ist aber vor allem das Verhältnis der Vielen zur Macht in der Demokratie darin, daß ihnen einerseits alle Macht lobend zugesprochen wird - sie andererseits aber immer klarer erkennen, wie politisch schwach sie institutionell bleiben müssen; gerade dieses Spannungsverhältnis aber braucht das machtdestruktive Phänomen, welches wir hier betrachten. Die Vielen können, alle politische Erfahrung lehrt es, auch in der Demokratie allzuvieles gezielt jedenfalls nicht verändern; Machtphantome ziehen sie daher an - und stoßen sie ab zugleich, nicht wirkliche Einflußkräfte. Bewußt wird dies dem Bürger, wenn er sich in die trotzig-fordernde Position des "kleinen Mannes" wirft, der ja ganz wesentlich nie politisch "groß" sein wird, dem also nichts bleibt als - der Macht-Neid. Diese Bürgerschaft muß, bildlich gesprochen, in ihren Volksversammlungen letztlich immer sitzen bleiben, nur für Augenblicke darf sie sich erheben, niemals bis in die Macht hinein aufsteigen. Die Bürger mögen die Mächtigen überwachen; doch immer bleibt ihnen so viel weniger an Einfluß als diesen, und wer kennt nicht die "Mißgunst der Kontrolleure", die bürokratischen Selbstkontrollen der hochentwickelten Staatlichkeit setzen sie erfolgreich ein, bis hin in die Rechnungskontrollen. Diese Machtfeme, in welcher die eigentliche politische Gewalt dem Bürger oft nur wie eine Fata Morgana am Horizont trügerisch erscheint, sie steht nun in Spannung zu einer Nähe, in der demokratische Macht die Hand dem Bürger hinstreckt: Wird der Neid nicht gerade dadurch hochgetrieben, daß fast jedem die Illusion fast schon zur Sicherheit wer-

371 Nicht abzustimmen ist also, auch als solches, eine klare Entscheidung für eine Alternative, die dem Wahlbürger nicht abgeschnitten werden darf. Problematisch ist daher grundsätzlich jede Form der Wahlpflicht, vgl. Klein, F., in: Schmidt-BleibtreulKlein, GG, 7. Auf!. 1990, Art. 38 Rdnr. 18.

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B. Legitimation des "Unsichtbaren Staates"

den kann, daß auch er solchen Einfluß "eigentlich hätte haben können"? In diesem Auseinanderfallen der objektiven Möglichkeit, Macht in der Gemeinschaft auszuüben und des subjektiven Unvermögens, dies zu erreichen - daraus wächst politischer Neid. Und das allgemeine politische Reifezeugnis der Wählbarkeit bescheinigt jedem, daß er machtmäßig weit mehr sein könnte als er ist. So ist denn dieser negative Blick auf die Macht in der Demokratie wahrhaft institutionalisiert. An einem zentralen Punkt wird dies deutlich, bei aller Freiheitlichkeit der Volksherrschaft: Hier sind die Vielen zugleich die Herren über das Eigentum, dies legitimiert letztlich die Volksherrschaft: daß aller Gut zur Disposition aller steht. Doch auch hier bleibt die neidschaffende Spannung bestehen: Letztlich gehören den Vielen alle Reichtümer - und doch werden sie damit nicht reich: Also kommt es nur zu jener ständigen Machterosion, welche sich in der modernen Eigentums- und Sozialgesetzgebung gegenüber dem Eigentum als der sichtbaren Herrschaftsmacht vollzieht372 , vor allem aber zu einer immer weiter gesteigerten begehrlichen Negation, welche dann vom Eigentumsneid zum Machtneid umschlägt. Die moderne Eigentumsentwicklung mit ihrer vielbehandelten "Verstärkung der Sozialbindung,,373 ist eine typisch demokratische; und wenn sich davor das Eigentum verstecken muß und fliehen, sollte dies nicht für andere Formen der Macht ebenso gelten oder noch mehr? bb) Die historisch bedingte Hochschätzung der Demokratie in ihrer institutionellen Form, welche sie im Lande der amerikanischen Unbekümmertheit finden konnte, hat hierzulande zu einem erstaunlichen geschichtlichen Vergessen geführt: Der elitezerstörende Grundzug der Demokratie, welche ihre härtesten Kritiker auf den Plan gerufen hatte, um mit Platon zu beginnen, wird nur mehr am Rande, in der Diskussion um die Notwendigkeit politischer Führungs- oder Verwaltungseliten noch erörtert374 . Die Geschichte des Ostrakismus wird nicht fortge372 Es geht hier nicht mehr nur um ein "ausgewogenes Verhältnis" von Eigentum und Sozialbindung (BVerfGE 26, S. 112 (117)) oder darum, daß "die Unterschiede nicht allzu groß werden" (BVerfGE 5, S. 85 (198); 27, S. 253 (283)), sondern um eine "Machtannäherung" von Besitzschwachen an Besitzstarke, welche systematisch gefördert wird - und doch immer neue Räume des NeidAbstands eröffnet. 373 Leisner, w., Umweltschutz durch Eigentümer, 1987, S. 59 ff.; ders., Sozialbindung des Eigentums, 1972; Maunz/Zippelius (Fn. 370), § 24 I 1, § 28114. 374 Rechtlich finden sich fast nur mehr Spurenelemente in der Diskussion um die elite bildenden Aufgaben politischer Parteien (Ermacora, F., Allgemeine Staatslehre, 1970, S. 294 ff.), in der Verwaltungslehre Ansätze ohne weiterreichende Realisierungschancen (vgl. Lecheier, H., Verwaltungslehre, 1988, S. 201 ff.).

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schrieben oder gar institutionell vertieft, von jenem Trauma der attischen Demokratie, vom Miltiades- und Themistokles-Effekts, von der Verbannung der Volksretter, ist kaum mehr die Rede; all dies erscheint als systemimmanent oder gar als verdienter Ausdruck eines Berufsrisikos - eben dem hochpotenzierten Macht-Neid. Und doch frißt nicht nur die Revolution, die Demokratie frißt ihre Kinder. In den Hauptstaaten der westlichen Welt haben ganz unterschiedliche Entwicklungen zu dieser scheinbaren Verdämmerung des Phänomens des Macht-Neids in der Demokratie geführt: In Frankreich bleibt der großen Revolution gerade noch Zeit, frühere Herrschende zu stürzen, in jakobinischem Neid einige neue Spitzen zu brechen, zu Machtverbrauch in einer Grundstimmung des Neides kommt es nicht in dieser begeisterten Zeit. Napoleon baut so rasch eine neue Elite auf, so fest institutionalisiert in Verwaltungen und Schulen, daß sie bis in die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts hinein den machtabschwächenden Wirkungen demokratischer Staats kritik widerstehen kann. In England mag sich elitäres Denken ständig abschwächen - doch es hat nie eine geschlagene Elite dem systematischen Macht-Neid Recht gegeben; Tradition und Krone schützen mit einer Grundstimmung, die weit stärker ist als Verfassungsinstitutionen es je sein können, die sichtbaren persönlichen Spitzen des Staates weithin vor allzu rasch zerstörender Mißgunst. Warum sollten sie in Amerika sogleich unter einem Neid leiden, der sich immer zuerst gegen aristokratie-ähnliche Verfestigungen wendet? Und in diesem Kontinent ist der Weg der Elite noch immer, auch aus der Politik heraus, dahin frei, wo der Neid am unzweifelhaften Erfolg abprallt: in die Wirtschaft. Deutschland schließlich hat den systematischen Machtabbau, nicht nur der konkret Herrschenden, sondern der Staatsgewalt als solcher, in seiner neuen Demokratie aus verschiedenen Gründen nicht so bewußt erlebt wie antike demokratische Vorbilder: Hier brach nach 1945 nicht demokratischer Neid zuallererst hervor, sondern ein politisches Vertrauen, als Relikt der Vergangenheit oder auferlegt von den Besatzungsmächten. Die Macht der neuen Demokratie wuchs auch, viele Jahre hindurch, nur zaghaft nach innen, vor allem aber nach außen; das Volk der Besetzten war an fremde und so viel härtere Macht gewohnt, daß es der wiedergewonnenen eigenen nicht gleich mit systematischem Mißtrauen begegnen mochte. Sie war ja auch um so viel schwächer als das, was die Deutschen früher erlebt hatten; ihre erste Sorge konnte es nicht sein, neue Regierende in demokratische Wüsten zu schicken, es überwog die Dankbarkeit, daß sie eine neue Staatlichkeit überhaupt aufbauten.

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B. Legitimation des "Unsichtbaren Staates"

Vor allem aber hatte in Deutschland, wie in anderen europäischen Ländern, der Ostrakismus viel von seiner Macht-Neid-Kraft verloren dadurch, daß Berufspolitiker an die Stelle früherer, durch Standes- oder Bildungsunterschiede "weit entfernter" Mächtiger getreten sind. Damit ist nicht so sehr die Macht näher zum Bürger gekommen, als daß dieser vielmehr deren Vertreter nicht mehr als "ganz andere" beneidet, sieht man sie doch als eine Gruppe von Berufstätigen. cc) Professionalisierung, Spezialisierung führt sicher zu Neidabbau, auch in der Demokratie, sie ist dort die beste Form der Elitenbildung, muß daher sorgfältig gepflegt werden. Dennoch sind Bürger der Volksherrschaft derart in Macht-Mißtrauen sensibilisiert, daß sie nunmehr auch relativ bescheidene Mächtigkeit nicht mehr ohne Neid passieren lassen; so findet geradezu ein Wettlauf statt zwischen Machtaufbau in Professionalisierung und steigendem Selbstbewußtsein der Bürger. Das machtgefährdende Phänomen dieser "Kritik bis zur Negation" löst sich in der Volksherrschaft auch nicht in Arbeitsteilung auf, ebensowenig wie diese den ökonomischen Neid hat entschärfen können. Nach wie vor liegt es, wie eingangs dargelegt, im Wesen dieser Staatsform, in jedem politischen Augenblick kann es sich erneut und mit ungeahnter Macht entfalten; eine Staatsform des virtuellen Neides jedenfalls bleibt die Demokratie. Dann aber bleibt auch die Eingangsthese plausibel, wenn nicht bewiesen, daß gerade hier eine Verunsichtbarung der Staatsmacht nötiger wird als in anderen Regimen, daß in keiner Staatsform der "Staat" notwendiger ist, als etwas unsichtbar Gedachtes, soweit der Demokratie nicht wirklicher Machtabbau gelingt - von ihm wird noch die Rede sein - der dann dem Macht-Neid seinen Gegenstand nicht verhüllt, sondern entzieht. Die Geschichte des Staatsbegriffs belegt doch wohl - dieses Kapitel sollte es zeigen - daß offener Machtbesitz nicht ohne Gefahr für die Herrschaft gezeigt werden kann. Eine Staatsform der Öffentlichkeit wie die Demokratie muß daher in besonderen Anstrengungen versuchen, die Macht einem Neid zu entziehen, der um so intensiver wird, auf je weniger Gegenstände, sichtbare Unterschiede, er sich noch zu konzentrieren hat.

f) Der Gleichheitsneid

Neid ist die gesellschaftlich-politische Sanktion der Gleichheit; gegen alles muß er sich wenden, was das eigene Niveau übersteigt, und das systematisch. Die Straße, welche von der Gesellschaft in die politische

11. Unsichtbarkeit als Machtverstärkung

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Macht der Demokratie führt, ist voll besetzt durch Gleichheitsprinzipien. Gleiches Wahlrecht, gleiche Durchsetzungschancen durch Meinungsfreiheit und, vor allem, auch kein Privileg für ungleich großes Eigentum im politischen Raum; Eigentum soll nicht durch Spenden zu Macht werden, jedenfalls nicht in odioser Sichtbarkeit375 . Die Gleichheitsgrundstimmung der Demokratie verstärkt laufend alle Kräfte des politischen Neides, welche sich eben auf Sichtbarkeiten konzentrieren. Demokratische Staatstheorie hat stets versucht, dem Macht-Neid der gleichen Bürger dadurch die Spitze zu nehmen, daß sie die Inhaber der Macht nicht als "ungleiche Bürger" herausstellen wollte. "Gleichheit" sollte innerhalb der Staatsstrukturen überhaupt keine Bedeutung haben, dem Bürger gegenüber allenfalls als Waffengleichheit vor den Gerichten. Doch mit derartigen juristischen Konstruktionen läßt sich Macht-Mißgunst nicht einfach auflösen. Auch in der Demokratie bleibt hier, über alle Grundrechtstheorie hinweg, ein wesentliches, immer deutlicher gefühltes Gleichheitsproblem zwischen Bürgern und Herrschenden und unter diesen. Deshalb braucht keine Staatsform den "Staat" so dringend wie die Demokratie, denn er allein, der Unsichtbare, ist darin bereits wesentlich ungleich und darf es daher in allem sein. Dies strahlt dann auf die Inhaber der Macht aus, wenn sie nur als beschränkte Kompetenzverwalter des Unsichtbaren erscheinen, sind sie dem Neid entrückt, nicht aber dann, wenn sich der von ihnen vertretene "Staat" allzu sichtbar ins Licht stellt, wenn die konkreten Machtinhaber allzusehr mit seinem Zentrum identifiziert werden können. Nicht vergessen werden darf auch die politische Grunderfahrung, daß Macht-Neid, bis hin zur zerstörerischen Revolution, nicht durch die großen, sondern die kleinen Unterschiede, etwa zwischen bisher herrschenden und aufsteigenden Klassen, entsteht; die Französische und Russische Revolution zeigen es. Wenn es wahr ist, daß große Emanzipationsbewegungen noch bevorstehen oder gerade erst anlaufen, so ist die große Stunde des Macht-Neides noch gar nicht gekommen. Wenn es ferner zutrifft, daß Gleichheit ein dynamischer Entwicklungsbegriff ist, stets auf den "Endsieg" der totalen Nivellierung hin ausgerichtet376 , so ist mit machtabschwächenden Neidbewegungen in zunehmendem Maße in der gegenwärtigen Volksherrschaft zu rechnen - dann aber 375 Hinter der immer wieder erneuerten Parteispendenfrage (von Arnim, H.H., Verfassungsfragen der Parteienfinanzierung, in: JA 1985, S. 121 ff., 207 ff.; Kunig, Ph., Parteien, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 2, 1987, § 33 Rdnr. 69 ff.) steht nicht nur Gleichheitsstreben, sondern auch eine Frontstellung gegen "sichtbare gesellschaftliche Macht" - sie wandert dann rasch in Kryptoformen ab. 376 Leisner, w., Der Gleichheitsstaat Macht durch Nivellierung, 1980, S.117ff.

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B. Legitimation des" Unsichtbaren Staates"

muß die Macht in die Unsichtbarkeit sich zurückziehen, damit die wesentliche Ungleichheit des Staates und seiner Okkupanten nicht allzusehr auffalle und zerstörerische Gegenkräfte wecke. Wesentlich ist nun eine Gleichheitserkenntnis: Diesem Rückzug in den machtbewahrenden Unsichtbaren Staat steht die Egalität als solche nicht im Wege. Zwar hat sie stets, zwischen Bürgern jedenfalls, Öffentlichkeitsbereitschaft, wenn nicht Transparenzfreudigkeit gefördert ("Gleiche haben nichts zu verbergen"). Andererseits gibt sie sich aber auch mit vergleichsweise wenig Publizität durchaus zufrieden377 - nur so ist sie ja letztlich zu halten, daß man die kleinen Unterschiede verbergen darf. Was aber die anderen Gleichen nicht wissen, fordert ihren Neid nicht heraus. Egalität ist als solche bisher noch nicht ein Entlarvungsprinzip, ein Zwang zur Aufdeckung unsichtbarer Mächtigkeiten. Für den Unsichtbaren Staat aber bedeutet dies eine wichtige Lehre: Die der Demokratie so wesentliche Gleichheit kann ohne weiteres eine unfaßbare Staatsgewalt hinnehmen, ja einsetzen, denn die Egalität folgt weit mehr der Öffentlichkeit, und aus ihr, als daß sie eine solche erzwänge. Sie beschäftigt sich auch ganz wesentlich mit privater Bürgergleichheit, läßt Staat und Herrschende in der hingenommenen Ungleichheit der Macht, solange diese nicht allzusehr in Erscheinung tritt und daher als Mißbrauch gedeutet wird. Egalität ist stets ein gewisser Äußerlichkeitsbegriff, gebrochen erscheint sie immer nur - und dies ist geradezu ein allgemeiner Rechtsgrundsatz - bei "evidenter" Ungleichheit; hier findet die oft als gleichheits-aus schleifend kritisierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eben doch ihre Bestätigung, welche im Ergebnis den evidenten Gleichheitsbruch verlangt378. Was aber aus dem Unsichtbaren Staat heraus geschieht, wird nur selten diese offen gleichheits gefährdende Evidenz erreichen. Egalitätsneid als typisch demokratische Machtgefährdung ist immer und wesentlich etwas wie Eigentums-Neid; er knüpft damit an die offene Innehabung der Macht an, er wirkt dort, wo etwas umzuverteilen ist, darin will er sich befriedigen. Versteckte Macht aber kann nicht umverteilt werden, sowenig wie verborgener Reichtum379 . Solange die Machtinhaber nicht als "machtmäßig leistungsfähig" offen sich zeigen - um hier die nahe371 Die egalitäre Demokratie schützt denn auch sorgfältig eine Intimsphäre (BVerfGE 54, S. 148 (151 ff.); Kunig, Ph., in: v. MünchlKunig, GG, Bd. 1, 4. Auf!. 1992, Art. 2 Rdnr. 32) als den "Hort der kleinen Ungleichheiten", als letzte Sicherung der Freiheit gegenüber der Gleichheit. 378 BVerfGE 47, S. 168 (178); 48, S. 346 (357). 379 Hier hat nun allerdings das Zinsbesteuerungsurteil des BVerfG (E 84, S. 239 ff.) vielleicht doch eine Wende gebracht: Egalität als Zwang zu versichtbarenden Kontrollen.

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liegende Brücke zur Steuergieichheit380 zu schlagen - läßt sie der Egalitäts-Macht-Neid in Ruhe. Die Herrschenden müssen daher eines stets bedenken: Die Macht der Staatlichkeit kann in ihrem Kern nicht eigentlich umverteilt werdenj sie muß ein hohes Maß an Konzentration behalten, gerät daher leicht in die Schußlinie des Gleichheits-Neides der Demokraten. Wenn aber deren Staatsform geradezu die laufende Umverteilung der Staatsrnacht wünschen muß, aus Egalitätsprinzipien heraus, so drängt sie zu einer Machtabschwächung, der nur einer entgeht: der Unsichtbare Staat. Dies ist schon eine Grundaussage von Gewicht: Der Egalitätsstaat muß versuchen, seine Macht zu verunsichtbarenj hier muß nicht nur an langer, es muß an unsichtbarer Leine geführt werden, sonst wird eine Staatlichkeit gänzlich aus der Macht geworfen - wenn nicht in grundsätzlicher Anarchie, so doch in tatsächlicher Neid-Blockade - nachdem die Gewalt ja nicht umverteilend in kleinen Stücken genommen werden kann.

g) Unsichtbarkeit zur Neidvermeidung -

eine Grundsatzfrage

Bisher mochte imponierende Eindrücklichkeit der Staats erscheinung - oder ihr "Rückzug aus den Uniformen" - vor allem als eine Opportunitätsfrage erscheinen, als ein Problem der Staatskunst, nur als ein Kunstgriff der Machttechnik. Mögliche Auswirkungen übersteigerter Staatssichtbarkeit - der Aufbau von Gegengewalten oder der Anreiz zur Besetzung der Staatsgewalt - erscheinen doch oft als so fern in ihrer Allgemeinheit, daß ein "Mehr oder Weniger an Staatserscheinungen " fast nur als Zufall, nicht aber grundsätzlich zu sehen wäre. All dem was man "Machttechnik " nennen kann, mag eine derartige Flexibilität der Zweckmäßigkeitsbetrachtung immanent seinj in diesem Kapitel hat sich aber doch gezeigt, daß die Vermeidung des Macht-Neides gerade in der Demokratie zu einer Grundfrage der Staatsform wird, in einem doppelten Sinne: Läßt sich die Staatsgewalt an sich, inkarniert durch die konkret Herrschenden - und beides kann man hier nicht trennen - vor dieser Destruktion in Unsichtbarkeit hinein in eine Sicherheit bringen, in der sie unerschüttert ausgeübt werden kann, unbemerkt geradezu? Oder vollzieht sich in dieser Verunsichtbarung zu-

380 Und ihrer offen in Erscheinung tretenden "Leistungsfähigkeit" (Tipke, K./ Lang, J., Steuerrecht, 13. Aufl. 1991, S. 57 ff.; Schmölders, G., Allgemeine Steuerlehre, 4. Auf!. 1965, S. 213 ff.).

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gleich ein Machtabbau? Dieser würde dann ähnliche Wirkungen hervorbringen - dem Neid der Vielen wäre tatsächlich, nicht nur in rechtlicher Fiktion, sein eigentlicher Gegenstand entzogen. Das Ergebnis dieses Abschnitts darf also jedenfalls lauten: Weitgehendes Zurucktreten aller staatlichen Erscheinungen aus Evidenz und allzu fühlbarer Wirksamkeit ist anzustreben, bis hin an die Schwelle, wo die zur Gemeinschaftsordnung nötige Macht in der Volksherrschaft sich gerade noch behaupten kann. In der Demokratie wird dies doch wohl eindeutig zu einer ganz drängenden, zu einer wahren Grundsatzfrage, weil hier gerade der MachtNeid so hoch entwickelt, geradezu institutionalisiert erscheint. Da aber ebenso staatsgrundsätzlich die Volksherrschaft stets in die Öffentlichkeit drängen muß, um überhaupt zu legitimieren, was ihr an Macht doch immer noch bleiben muß, so stehen wir hier vor einer staatsformimmanenten schweren Spannung, wenn nicht tiefen Gegensätzlichkeit von zwei Staatsprinzipien, welche die Machttechnik der Demokratie heute und in absehbarer Zukunft prägt. Öffentlichkeit erscheint als die These - das letztlich von der Gleichheit erzwungene Zuriicktreten der Macht in die Unsichtbarkeit als die Antithese. Demokratisches Staatsaxiom ist es, hier gerade einen Gegensatz nicht zu sehen, vielmehr darin Machtabbau als Folge der Verunsichtbarung der Staatsgewalt, als Wirkung der Öffentlichkeit, zu begriißen, den Unsichtbaren Staat solange zu fördern, wie er nur diese Machtreduktion bewirkt. Damit würde sich die Antithese auflösen: Sichtbarer oder Unsichtbarer Staatüberall wäre Machtmäßigung, Machtabbau. Doch es fragt sich nun eben, ob die Unsichtbarkeit nicht in einem anderen Sinne zur Öffentlichkeit eine machttechnische Antithese darstellt: daß in ihr nämlich nicht der von der Öffentlichkeitslehre versprochene Machtabbau eintritt, weil sich hier neue Formen gefährlicher Kryptogewalt entwickeln. Die erste ZentraHrage dieser Untersuchung stellte sich dahin, ob eine Verunsichtbarung der Staatsrnacht diese schwäche oder gar zu stärken geeignet sei. Das Fazit weist eher in die letztere Richtung. Damit aber wird die zweite Grundfrage drängender: Ob die Machttechnik des modemen Staates nicht durch neue Formen der Öffentlichkeitsvermeidung im Ergebnis sogar noch mehr an Gewalt, vor allem aber eine gefährlichere Macht zusammenballen kann, als wenn er sich in sichtbar-uniformierter Hoheit ergeht. Hat hier nicht ein Weg von der grob-kolossalen Machtmaschine zu einer kaum mehr sichtbaren Elektronik der Machttechnik geführt, die sich aber nun, in selbstlaufender Verselbständigung gegenüber jeder Kontrolle, entfalten kann - vielleicht gar noch von dem Begriff der "Autonomie der Träger der Staatsorganisation ", einem doch "guten Wort", gedeckt?

11. Unsichtbarkeit als Machtverstärkung

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Bisher mochte der Unsichtbare Staat als eine List der Vernunft erscheinen, mit der sich die Staatsgewalt über Freiheitsanfechtungen durch den mündigen Bürger hinwegsetzen konnte. Nun folgt die zweite, weit drängendere Problematik: Ob damit nicht eine neue Macht, neue Mächte vielleicht, schon im Marsch sind - freiheitsgefährdend.

c. Der Unsichtbare Staat: Machtabbau oder GeheimmachU I. Machtabbau - Staatsabbau: eine demokratische Versuchung 1. Machtabbau -

"gemeinsame Ideologie des neueren Staatsdenkens"

Ideologie ist heute zum Schlagwort geworden, weithin hat es jeden faßbaren Sinn verloren 381 - oder es entwickelt sich zum Negativbegriff. Im Faschismus und im Nationalsozialismus wurde es, als Weltanschauung, zur philosophischen, religionsähnlichen Staatsgrundlage, im Kommunismus generationenlang zur blockhaften Staatsdoktrin verfestigt. Die westlichen Demokratien stellten diesen "Ideologien" einerseits ihren Pragmatismus entgegen, zum anderen, und vor allem, eine Freiheit, welche all dessen nicht zu bedürfen schien, geradezu als Gegensatz zu dem auftrat, was die Kraft der politisch-weltanschaulichen Ideologie ausmachte. Spätestens in der Ost-West-Konfrontation der 50er und 60er Jahre unseres Jahrhunderts ist jedoch offensichtlich geworden, daß auch die "Ordnungen der Freiheit" von etwas getragen werden, das man Ideologie nennen muß, will man dem Wort auch nur noch jenen Minimalinhalt geben, der ihm als Angriffsziel politischer Polemik zukommt. Das Sektenhafte, Realitätsfeme, das der "Ideologie" im politischen Tageskampf zugeschrieben werden mag, ist ja nur eine überzeichnende Vergröberung geistiger Kräfte, aus denen heraus hier politisch gewirkt wird. Auf zwei Ebenen vor allem liegen sie, prägen das, was man, im politischen Raum, Ideologie nennen kann: - Da ist zunächst und in jedem Fall eine systematische Geschlossenheit des politisch-weltanschaulichen Denkgebäudes. Wer seine, meist axiomatischen, Ausgangspunkte nicht annimmt, nicht bereit ist, aus ihnen sodann eine flächendeckende Systematik zu entwerfen, für die gesamte öffentliche Ordnung, wenn nicht überhaupt für sein ganzes Denken, der bleibt außerhalb stehen, extra muros 381 Matz, U. (Hrsg.), Die Bedeutung der Ideologien in der heutigen Welt, 1986; Zippelius, R., Allgemeine Staatslehre, 11. Aufl. 1991, § 7 11; deTs. Rechtsphilosophie, 2. Auf!. 1989, § 17 I.

I. Machtabbau - Staatsabbau: eine demokratische Versuchung

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dieser Gesamtschau, die sicher, als solche, immer etwas Imperiales sich überall bewahrt; aus ihren römischen Ursprüngen heraus tritt sie mit dem Öffentlichkeitsanspruch der Macht an. Dies ist ein ganz wesentlich deduzierendes Staatsdenken, welchem gerade deshalb das induktive, traditions- und überhaupt erfahrungsverhaftete angelsächsische Staatsdenken kritisch gegenübertreten muß. Doch das Wesen des Ideologischen liegt hier nicht nur in einer Flächendeckung, die niemandem mehr einen anderen "Standpunkt" erlaubt, im wahren Sinne des Wortes; entscheidend ist die Allgegenwart, die bis in jede Einzelheit vordringende gedankliche Osmose, die keinen noch so unwichtig erscheinenden Bereich ausspart: Überall wirkt die Ideologie, das Führerprinzip 382, die proletarische Revolution. Und dieses systematische Denken vor allem hat gerade die Deutschen immer wieder in Ideologieverdacht, in Ideologiegefahr gebracht, will man den Begriff negativ wenden. - Doch es ist nicht nur die begriffliche Allgegenwart, mit der hier der Geist wirken will, er schreibt sich auch besondere Kräfte zu, welche er mit hochgesteigerter Intensität, an jedem Punkt, in unvergleichlicher Tiefenwirkung einsetzen will; zur horizontalen Systematik tritt die vertikale Vertiefung. Die Überzeugung und Überzeugungskraft dieses Denkens läßt sich kaum anders erfassen als mit religiösen Vorstellungen, als deren Säkularisierung ja stets Ideologie auch begriffen worden ist383 : Hier werden unbedingte Wahrheiten gepredigt, für die sich der totale Einsatz lohnt, bis hin zum Opfer des Lebens. Und nur der Ideologe kann überzeugt auch in der Politik das theologische Kemwort sprechen, daß seine Anhänger keine anderen Götter haben dürfen.

a) Freiheit als Ideologie des Machtabbaus

Allseitigkeit und Unbedingtheit charakterisieren also den Ideologiebegriff, und, nach unserer Meinung, sie allein. Gewaltbereitschaft mag eine Konsequenz aus derartigen Intensitäten sein, Realitätsfeme ebenso, wenn nicht bereits eine Degenerationserscheinung der Ideologie; ihren Begriff konstituiert das alles nicht. 382 Huber, E. R., Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. VI, 1981, S. 288 f.; Moscovici, S., Das Zeitalter der Massen 1984, S. 216 ff.

383

Vgl. die Zitate oben Fn. 381.

12 Leisner

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c. Der Unsichtbare Staat

Warum wir dies an die Spitze der Betrachtungen dieses Kapitels stellen? Weil wir uns mit der These beschäftigen wollen, ob es nicht etwas gibt wie eine geradezu als Ideologie zu bezeichnende Grundüberzeugung der Welt, die man so lange nun die westliche genannt hat, und zwar im Namen von ihrem Grundwert, der Freiheit, und ob sich aus dieser wirklichen Freiheitsideologie nicht notwendig die Grundthese von einem immer weitergehenden Abbau der Macht im staatlichen Bereich ergeben muß, für alle zentralen Strömungen westlichen Staatsdenkens. Ist davon aber auszugehen, so liegt eines ganz nah, was bei einer Betrachtung des "Unsichtbaren Staates" von zentraler Bedeutung sein muß: Jedes Phänomen des Zurücktretens einer Macht in die Unfaßbarkeit, aus den Uniformen heraus in zivile Bescheidenheit, wird dann notwendig stets und zuallererst doch gewertet werden als Machtabbau, als solcher begrüßt. Die Grundfrage unserer Untersuchung geht aber dahin, ob die Überzeugung, vielleicht Begeisterung, aus der heraus ein solcher Machtabbau gewünscht, ja angestrebt wird, nicht so intensiv wirken, daß sie den Blick verdunkeln für andere Seiten des Unsichtbaren Staates, an denen dieser nicht auf seine Macht verzichtet, diese vielmehr im Rückzug in graue und dunkle Zonen erst recht befestigt. Denn daß derartige Auswirkungen der Verunsichtbarung der Staatsgewalt grundsätzlich durchaus vorstellbar, plausibel, wenn nicht beweisbar sind, das haben schon unsere bisherigen Betrachtungen ergeben. Hier geht es also darum, einer naiven Machtabbau-Begeisterung entgegenzutreten, welche den Blick für neue Formen der Gewalt verdunkeln könnte; kehren sie, aus den sichtbaren Toren an den Fassaden des Staates vertrieben, durch die Hintertüren der neuen, unsichtbaren öffentlichen Gewalt zurück? Zu welchem Ergebnis immer man kommen mag - die Gefahr, daß staats kritisches Denken versagt, ist um so größer, je bedeutsamer die Versuchung wird, nach Formen des Machtabbaus überall intensiv zu suchen. Deshalb gerade haben wir hier mit dem Thema "Freiheit als Ideologie des Machtabbaus " begonnen, zur Verdeutlichung der allgemeinen Fragestellung. Denn was wir als Wesenszug der politischen Ideologie erkannten - systematische Allgegenwart und religionsähnliche Intensität - dem gerade begegnen wir im Zentralbegriff der westlichen Freiheit, in dessen Namen, wie nun noch näher nachzuzeichnen sein wird, der Staatsabbau und, in erster Linie, der Machtabbau überall und immer weiter verstärkt gesucht werden. Der "Freiheit" ist gerade das eigen, was wir als Wesenszug der Ideologie erkannten: die systematisierte Libertät, welche überall dort anerkannt sein will, wo sie von der Staatsgewalt nicht ausdrücklich und begründet zurückgedrängt wird. Nicht entscheidend ist es dabei, ob man

I. Machtabbau - Staatsabbau: eine demokratische Versuchung

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von einem Grundsatz des in dubio pro libertate nach geltendem Recht auszugehen hat 384 ; der Rechtsstaat steht und fällt mit dem Verbot des Eingriffs in Freiheit und Eigentum des Bürgers ohne gesetzliche Grundlage 385 . Darin aber liegt eine grundsätzlich flächendeckende Freiheit. Die Grundrechte sind von punktuellen Beschränkungen der Macht zur systematischen Staatsgrundlage der Freiheit entwickelt worden, gerade in Deutschland386 . Solche Systematik führt jedenfalls in die Richtung dessen, was man seit langem Ideologie nennt. Nicht anders steht es um die Intensität, mit welcher all dies verfolgt wird. Der Konsens über die Freiheit wird als ein so eindeutiger, unwiderleglicher, gerade heute durch historische Groß-Erfahrungen bewiesener unterstellt, daß der Ungläubige zum Häretiker verkommen muß. Und im Namen der Freiheit wird auch die Begeisterungsdimension ausgefüllt. Nur auf die von ihr gewährte Freiheit Andersdenkender kann sich diese Freiheitsüberzeugung berufen, um dem Ideologie-Vorwurf zu entgehen. Damit ist sie in der Tat stets eine Ideologie sui generis gewesen. Doch in unserem Zusammenhang ist nun eines entscheidend: Dies mag Durchsetzungsfreude und Gewaltneigung bei dieser Freiheits-Ideologie entscheidend schwächen387 , darin wirklich einen Grundunterschied zu autoritären oder gar totalitären Ideologien konstituieren - mit Blick auf unsere Frage nach dem" Unsichtbaren Staat" ändert das nichts an der ideologischen Kraft der Freiheit: Denn gerade darin, daß sie Andersdenkenden Entfaltungsraum gewährt, verfolgt sie das, was man nun doch ihre ideologische Grundströmung nennen kann: eine Art von "negativer Staatsideologie" , die Überzeugung von der Notwendigkeit des allseitigen, nachdrücklichen, wenn nicht endgültigen Machtabbaus. Die staatsgrundsätzliche Schubkraft der großen Sympathie für den Machtabbau wird also nicht schwächer, auch wenn sich unser Denken keineswegs in autoritären Bahnen mehr bewegt - im Gegenteil: Damit stellt sich erst recht grundsätzlich die Frage, ob wir nicht damit rechnen müssen, daß alle Formen des Zurücktretens der Staatsgewalt schon deshalb begrüßt werden, weil zunächst und vordergründig jeder Bürger 384 Vgl. Leisner, w., Selbstbedienungsgroßhandel und Verfassungsrecht 1986, S. 109 f.; von Münch, I., in: v. Münch/Kunig, Bd. 1,4. Auf!. 1992, Vorb. Rdnr. 51. 385 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Anm. VI Rdnrn. 55 ff.; Stern (Fn. 303), Bd. I, 2. Auf!. 1984, S. 801 ff. 386 MaunzlZippelius, Deutsches Staatsrecht, 28. Auf!. 1991, § 9 II; Stern (Fn. 303), Bd. I, 2. Auf!. 1984, S. 625 ff. 387 Obwohl sich eine letzte Bereitschaft dazu erhält, in der "wehrhaften Demokratie"; dazu Badura, P., Staatsrecht, 1986, D 4; MaunzlZippelius (Fn. 386),

§ 45.

12 •

C. Der Unsichtbare Staat

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sich durch die Freiheit gesichert wähnt gegen alle Staatsmacht, sichtbare wie unsichtbare. Wie könnte dies anders sein, wo diese Überzeugung doch jahrhundertelang durch mächtige historische Ströme zu uns getragen worden ist?

b) Von der Aufklärung zum Liberalismus

Im Mittelpunkt aufklärerischen Denkens 388 steht die Bewußtwerdung der Staatsgewalt als solcher, es ist die Zeit, in welcher "die Macht" dem Bürger erstmals real faßbar gegenübertritt; sie ist nicht mehr der gottgegebene Raum, in dem er zusammen mit den Herrschenden wohnt, sich mit ihnen, durch ihren Schutz, entfalten kann. In dieser Bewußtwerdung der Macht in der Aufklärung liegt zugleich nichts anderes als eine große Versichtbarung des Staates; die Lichter des siede des lurnieres beleuchten zuallererst den Staat. Alle seine sichtbaren Hoheitszeichen werden nun als Beweis seiner Macht erkannt, sogleich ins Licht der Kritik gerückt. Dies fällt denn auch zusammen mit einer Periode, in welcher "der Staat als solcher" erstmals, in den Hoheitsbereichen der Territorialfürstentümer, eindeutig und flächendeckend sichtbar wird, überall faßbar in den feudalen und kirchlichen Besitz- und Herrschaftsstrukturen. Also muß sich diese Aufklärung in erster Linie gegen den sichtbaren Staat wenden, ihn zurückdrängen, seinen Abbau verlangen. Unbekannt sind ja noch die raffinierten Machttechniken späterer Zeit389 , welche gerade aus der Verschleierung heraus operieren. So konnte also die Fragestellung "Unsichtbarkeit des Staates als Machtverschleierung" damals nur am Rande auftreten, in ersten Berührungen des Bürgers mit den Geheimpolizeien der Fürsten390 . Und im übrigen mußte der Aufklärer davon überzeugt sein, daß jedes Zurücktreten der Staatsgewalt auch deren Abbau bedeute; dies entsprach der Hochschätzung der äußeren Form ganz allgemein, ihrer beeindruckenden, einschüchternden Effekte insbesondere im politischen Raum. Selbst die Geheimpolizei aber und ihre so gefürchteten Praktiken konnten gerade nicht die Frage Allgemeine Staatslehre, 1970, S. 90 ff. Insbesondere die "normative Machtausübung" durch die Vertreter des Volkssouveräns "im Namen der Freiheit", gegen die sich ja erst bewußt in der Weimarer Zeit die Verfassungsgerichtsbarkeit organisiert (Leisner, w., Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 57 ff.). Wesentlich war hier die These von Leibholz, G. (Die Gleichheit vor dem Gesetz, 2. Aufl. 1959, S. 123 ff.), der zuerst (in der 1. Aufl. 1925) systematisch die Wirkung der Gleichheit gegenüber dem Gesetzgeber begründet hat. 390 Vgl. Kimminich, 0., Deutsche Verfassungsgeschichte 1970, S. 244 ff. 388 Ermacora, F.,

389

I. Machtabbau - Staatsabbau: eine demokratische Versuchung

181

"Staatsunsichtbarkeit als gefährliche Form der Staatlichkeit" aufwerfen: Sie erschienen nur als Rückzugsgefechte eines aus der offenen Macht geworfenen Staates, und mit einer aus heutiger Sicht erstaunlichen Naivität glaubte man, dem mit äußeren Kontrollen begegnen zu können, immer in der Überzeugung, daß Gefahr der Bürgerfreiheit nur dort drohe, wo Macht sichtbar ausgeübt werde. Der Liberalismus hat all diese Überzeugungen von der Aufklärung geerbt, in dieser Sicherheit der Gleichsetzung von sichtbarer und gefährlicher Macht gehen beide Bewegungen geradezu bruchlos ineinander über. Auch im 19. Jahrhundert wird Geheimpolizei nur in diesem Rahmen als gefährlich gesehen und bekämpft391 , in der Überzeugung, daß die eigentliche Macht hier nur noch ihre letzten Rückzugsgefechte liefere, vor dem Durchbruch der vollen demokratischen Freiheit. Später hat man es als Naivität belächelt, daß man den grundrechtsgefährdenden Staat im früheren Liberalismus nur in der Exekutive gesehen habe, nicht in den Handlungen des freiheitsbeschränkenden Gesetzgebers. Letztlich lag darin nur die herkömmliche Überzeugung, welche Sichtbarkeit und Gefährlichkeit der Macht gleichsetzte, war doch der Staat evident eben in seiner Polizei, verschleiert und noch gar nicht als Macht erkannt in den" unsichtbaren Gesetzen". Die klarere Erfassung dessen, was an der Staatsgewalt für die Grundrechte gefährlich werden kann, wie die daraus folgende Systematisierung des grundrechts schützenden Liberalismus bis hinein in die Verfassungsgerichtsbarkeit - all dies sind nur Wege zu ganz neuen Fragestellungen, nach der Gefährlichkeit auch "weniger sichtbarer" Staatlichkeit, die bereits im Kleid der demokratischen, parlamentarisch geübten Freiheiten einhergeht. Aufklärung und Liberalismus aber, das zeigen diese Betrachtungen, ist eine "machtnaive" Grundhaltung gemeinsam: Verunsichtbarung der Macht ist letztlich Machtabbau, daher als solche zu begrüßen, eine gefährliche Kryptogewalt kann es begrifflich nicht geben, wird doch der Staat rational-geometrisch konstruiert, sodann in seiner vollen Transparenz kontrolliert. Dieses liberale Credo, daß unsichtbare Macht nicht existiere, daß es letztlich genügt, der Staatsgewalt ihre äußerlichen Eindrucksmittel zu nehmen, um sie abzubauen, zu beseitigen - dies tragen liberale Strömungen fort, bis auf den heutigen Tag, in das gegenwärtige Parteienspektrum hinein.

391 Vgl. Forsthoff, E., Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 2. Auf!. 1961, S. 78 ff.

C. Der Unsichtbare Staat

182

c) Christliches Staatsdenken: wünschenswerter Abbau weltlicher Machtzeichen

Religiösem, insbesondere christlichem Staatsdenken sollte eigentlich das Phänomen unsichtbarer Macht vertraut sein: Die letzten Quellen und Legitimationen aller Gewalt liegen beim Schöpfergott392 . Nicht nur, daß seine unsichtbare Macht allgegenwärtig ist in der Civitas Dei - äußere Formen sind nur vorübergehende, vielleicht nützliche, kaum aber ernst zu nehmende Phänomene der wahren Mächtigkeit. So läßt denn dieses Staatsdenken mit Zurückhaltung schauen auf überdeutliche Formen weltlicher Gewaltsamkeit, denen wesentlich mißtraut werden muß, eben weil sie ein Zeichen dafür sein könnten, daß sich allzu selbstsichere Weltlichkeit an die Stelle des eigentlichen Gewaltinhabers setzen will. Müßte man daraus nicht die Folgerung ziehen, daß der" Unsichtbare Staat" für christliches Staats denken an sich etwas Gutes bedeute, daß hier insbesondere Formen der Kryptogewalt nicht an sich schon abgelehnt werden, daß in ihnen vielmehr eine begrüßenswerte Fortsetzung der eigentlichen, der göttlichen Macht gesehen werde? Hier braucht nicht entschieden zu werden, ob es reale Grundlagen für die historischen Ängste vor einer Geheimmacht des Jesuitismus gibt oder nicht 393 ; daß die große Weltkirehe jedenfalls verschleierte Mächtigkeit als solche bejaht und einzusetzen bereit ist, das ergibt sich schon aus ihrem wesentlichen Rückzug aus aller diesseitigen Gewaltsamkeit394 . So können also diese Ideen eigentlich kaum zu der Überzeugung führen, daß Machtverunsichtbarung notwendig Machtabbau bedeute, näher läge das Gegenteil: Die Gewalt wird ihrem Urgrund ähnlicher, wenn sie aus der Evidenz flieht. Und doch haben, erstaunlicherweise, derartige Strömungen kaum je einem Abbau sichtbarer Staatlichkeit entgegenwirken wollen, fast immer haben sie ihn, zusammen mit ihren liberalen Gegenspielern, auch noch befördert: Zu tief saß die Überzeugung, daß allzuviel sichtbare Staatsgewalt sich an die Stelle der eigentlichen, unsichtbaren Macht setzen möchte, deren letztes Monopol aber immer die aus der Unsichtbarkeit des Religiösen heraus wirkende Kirche beanspruchen muß. Deshalb wird für christliches Denken eine Verunsichtbarung der Staatsmacht stets zuallererst begrüßenswert sein 392 393

1873.

Vgl. Messner, J., Das Naturrecht, 2. Aufl. 1950, S. 153 ff. Zu den Anti-Je suiten-Phobien vgl. f. viele Huber, Joh., Der Jesuitenorden,

394 Mitteis, H.lLieberich, H.,

28112.

Deutsche Rechtsgeschichte, 19. Aufl. 1992, Kap.

1. Machtabbau - Staatsabbau: eine demokratische Versuchung

183

als ein Rückzug aus übersteigerten Ansprüchen weltlicher Gewalt. Der Abbau sichtbarer Machtformen hat also doch auch den Segen dieser Überzeugungen, als eine Form des Rückzugs jener konzentrierten Staatsgewalt, der stets das tiefe Mißtrauen des christlichen Denkens gegolten hat 395 . Im unsichtbaren, "einfach werdenden" Staat fürchtet man eben nicht so sehr neue Kryptoformen der Gewalt, man begrüßt vielmehr deren Rückzug aus einer weltlich-äußerlichen Übersteigerung, die vielleicht gar noch in Konkurrenz treten möchte zu äußeren Formen kirchlichen Wirkens.

d) Sozialistisches Denken: Machtabbau bis zum Sterben des Staates

Die stärkste Schubkraft hin zu immer weiterem Abbau äußerer Formen der Machtausübung geht aber heute, wie vor einem Jahrhundert, vom Sozialismus aus; wenn dieser etwas von einer politischen Weltanschauung hat, so liegt hier ihr Mittelpunkt. Die kommunistische Ideologie hat es bis zur Forderung nach dem Sterben des Staates im perfekten Kommunismus gesteigert396 ; nur in einer, allerdings immer länger werdenden Zwischenzeit sollte eine besonders sichtbare, gewaltsame Staatlichkeit das durchsetzen, was dann ihr eigenes Ende ermöglicht. Der sichtbare Staat ist also gut nur als Weg in den Machtabbau, bis hin zur Machtvernichtung, auf den alle Anstrengungen zu richten sind397 . Dann aber können Unsichtbarkeit und Machtabbau letztlich nur gleichgesetzt werden, denn einen gefährlichen, aber nicht faßbaren Staat kann es begrifflich kaum geben. Dem steht nun aber doch entgegen die mächtigste, geradezu erdrückende Form unsichtbarer Staatlichkeit, welche die Geschichte je hervorgebracht hat: der Geheimdienst-Staat der kommunistischen Spätzeit. Rechtfertigt er nicht gerade die Frage nach den Gefahren einer 395 Wie es besonders deutlich im Subsidiaritätsdenken zum Ausdruck kommt; denn das "Hinabverlegen der Macht" in kleinere Einheiten, etwa die Familie, bedeutet ja immer auch Machtabbau und Verunsichtbarung der Staatsgewalt zugleich; vgl. Isensee, J., Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht 1968; Messner (Fn. 392), S. 200 f. 396 Krüger, H., Allgemeine Staatslehre, 2. Auf!. 1966, S. 145; Zippelius, R., Allgemeine Staatslehre, 19. Auf!. 1991, § 18 IV, § 2511 6. 397 Dem entspricht es auch, daß die Parteiprogramme der SPD sich traditionell nicht so sehr mit der Staats- als mit der Wirtschaftsordnung befassen; vgl. dazu Hennis, w., Organisierter Sozialismus: Zum "strategischen" Staats- und Politikverständnis der Sozialdemokratie, 1977.

184

C. Der Unsichtbare Staat

"Staatsgewalt in Zivil", die viel wirksamer sein kann, werden muß, als die in äußeren, sichtbaren Zeichen einherschreitende Staatsgewalt? Hat damit aber nicht gerade der Sozialismus bewiesen, daß Verunsichtbarung des Staates keineswegs zugleich Machtabbau bedeutet, und kann dann nicht diese These als gerade in den letzten Jahren eindeutig widerlegt gelten? Sicher liegt auf den ersten Blick die Annahme nahe, nun werde niemand mehr äußerliche Formen der Ausübung staatlicher Gewalt nur deshalb mindern wollen, weil er sich daraus Machtabbau an sich erwarte; nun, so könnte man sagen, sei doch die These vom Machtabbau durch Verunsichtbarung endgültig widerlegt, weil Regime, die das Ende der Macht postuliert und grundsätzlich Machtabbau stets gepredigt hätten, in der totalen Geheimmacht geendet hätten. Ist damit nicht das Staatsdenken auf Generationen immunisiert gegen eine übersteigerte Frontstellung wider sichtbare Formen der Staatlichkeit, weil es einfach erkennen muß, daß damit die gefährliche Macht in ihre gefährlichsten, in die geheimen Formen, gedrängt wird? Wäre dem so, so könnte die Untersuchung spätestens hier abbrechen, der Zusammenbruch des Kommunismus wäre zugleich der des Unsichtbaren Staates; mit dem Ende seiner Geheimpolizei wären auf immer die Gefahren der Machtverschleierung gebannt. Doch in der Demokratie könnte gerade dies auch ganz anders gesehen werden. Hier mag vielmehr die naive Überzeugung wachsen, heute vielleicht allgemein werden, im demokratischen Gemeinwesen "immunisiere Öffentlichkeit gegen den Geheimdienststaat" , deshalb könne es einen Abbau äußerer Zeichen der Staatlichkeit ohne echten Rückgang gefährlicher Staatsrnacht nicht mehr geben, die Wege zu allen Formen der Kryptogewalt seien damit versperrt, die Gleichung "Unsichtbarer Staat - Milchtabbau" nunmehr endgültig perfekt. Dies könnte dann zu dem für die Demokratie schicksalhaften Irrtum führen, daß sie sich immun gegen Entwicklungen wähnt, welche aber gerade in ihr wachsen, ihren Öffentlichkeitsstaat letztlich nicht offen und von außen zerstören, sondern unterminieren und zum Einsturz bringen könnten. Die naive Vorstellung, wo immer das Hoheitszeichen des Staates verschwinde, höre Staatsgewalt auf, der Unsichtbare Staat sterbe in Machtabbau, wird aber auch durch die Entwicklung des Kommunismus keineswegs widerlegt, im Gegenteil: Für den überzeugten Kommunisten war ja der Rückzug in die Geheimpolizei auch bereits ein Rückzugsgefecht der Staatlichkeit; er empfand dies als einen großen Fortschritt gegenüber den offenen Attacken der Dragoner des Zaren. Irgendwie konnte das Regime lange Zeit die Überzeugung wohl verbreiten, gerade damit der Staat nicht überall den Bürger ständig bedrücke, dürfe, müsse er aus der Unsichtbarkeit heraus dafür sorgen, daß die wenigen

I. Machtabbau - Staatsabbau: eine demokratische Versuchung

185

Krebsgeschwüre an der sozialistischen Gesellschaft wie von unsichtbarer Hand entfernt würden, als stürben sie gewissermaßen von selbst ab. Die ganze Verlagerung der Staatsgewalt in die kommunistische Partei hinein war ja letztlich, grundsätzlich-systematisch, auch nur als eine Verunsichtbarung der Staatsgewalt gedacht, in der dann diese selbe Gewalt eben absterben sollte, zunächst in einem Zustand gesellschaftlicher Mächtigkeit, im Sozialzwang, sodann in einer gesellschaftlichen Lage, welche der Macht überhaupt nicht mehr bedürfte. Auch der Kommunismus hat also immer weiter die Illusion genährt, Verunsichtbarung der Staatsgewalt bedeute automatisch deren Abbau, und dahin habe sich alles zu bewegen. Warum sollte also heute, nachdem die großen Gefahren auf dieser Straße als endgültig beseitigt erscheinen, der Weg als solcher nicht doch, in sozialistischer Überzeugung, weiter gegangen werden, gegen alle äußeren Formen der Staatlichkeit, und eben nur in einer Vorsicht: daß nicht neue Geheimpolizei organisierte Kryptogewalt aufbaue? Man kann auch so fragen: Läßt sich die Problematik des Unsichtbaren Staates als Machtverschleierung nicht einfach reduzieren auf die Gefahren der geheimen Staatspolizei? Das folgende Kapitel wird zeigen, daß so einfach die Macht sich nicht erfassen, nicht fesseln läßt, daß sie wie ein Proteus in völlig neue Formen sich wandeln kann, gerade gedeckt durch gewisse Verunsichtbarungseffekte moderner Organisationsformen. Dieser Abschnitt hat aber vor allem eines bewußt werden lassen: Alle wichtigen Grundströmungen des heutigen politischen Lebens tragen eine große These von der Notwendigkeit des Abbaus staatlicher Macht, bejahen also alles, was dahin führen könnte; dabei gehen sie, weithin unkritisch, davon aus, daß jeder Abbau äußerlich sichtbarer Hoheit an sich und im Zweifel ein Schritt in die richtige Richtung sei - hin zu eben diesem Machtabbau. Ungebrochen ist also seit über zwei Jahrhunderten die historisch einheitliche Schubkraft zum Machtabbau. Wir aber haben zu fragen, ob sie sich nicht an den Fassaden aufhält, hinter denen sich Kryptogewalt neu formiert. Nirgends ist die Staatsgewalt dem Bürger gefährlicher, als wenn er sie nur dort bekämpft, und immer damit auch zurückzudrängen glaubt, wo er sie sichtbar wahrnimmt.

C. Der Unsichtbare Staat

186

2. Demokratie - Staatsform des Machtabbaus a) Machtabbau - institutionalisiertes Credo demokratischer Staatsformen

Machtabbau des Staates ist nicht nur eine politische Doktrin, die aus vielen geistigen Quellen ständig gespeist wird, hier liegt das institutionalisierte Wesen der Demokratie, ihre Staatsorganisation will ein großes Instrument des Selbstabbaus sein. Demokratische Überzeugung mag die Fragestellung "Demokratie Selbstzerstörung einer Staatsform,,398 zur Kenntnis nehmen; letztlich geht sie über diese dramatische Schicksalsfrage in Ruhe zur Tagesordnung über, und sie kann es, denn sie akzeptiert den" Verlust der Ordnung als Staatsprinzip,,399, in der Überzeugung, daß diese Entwicklung vor der völligen Selbstzerstörung zum Stehen kommen wird. Die Aufgabe äußerer Formen der Machtausübung ist für sie eben nicht das Ende eines Staates, von dem sie in unzerstörbarem Optimismus annimmt, daß die Herzen der Bürger ihn weitertragen werden. In dieser Überzeugung institutionalisiert sie den Machtabbau, fingiert ihn in ihrem Recht, erhebt ihn zum Axiom. Von den Toren der Staatlichkeit werden drohende Schilder entfernt. "Im Namen des Volkes" geschieht alles, von dem jeder weiß, daß es immer wieder Gegenstand, nicht Träger der Macht sein wird; was also überhaupt noch bleibt an äußeren Zeichen der Hoheit, ist Symbol, wenn nicht bereits Fiktion400 . Die ständig wechselnden Machtverhältnisse in demokratischen Instanzen sind nur legitim, ja eigentlich politisch nur erträglich, als Formen laufenden Machtabbaus, der überall sogleich kleinschneidet, was sich erheben will, und sei es auch nur in der Zeit. Die revolutionäre Grundstimmung verläßt eine Staatsform nicht, die daraus geboren ist, daß es eine andere Legitimität als die ihre nicht geben kann, daß sie damit das Recht besitzt, sich zu jeder Zeit durchzusetzen, in welchen Formen immer401 . Nachdem aber diese Revolutionen legitim nur aus Freiheitsstreben sein können, müssen sie letztlich auf Machtabbau im398

1979.

Vgl. dazu Leisner,

w.,

Demokratie -

Selbstzerstörung einer Staatsform?

399 Leisner, w., Die demokratische Anarchie, Verlust der Ordnung als Staatsprinzip, 1982, S. 59 ff. 400 Das gilt nicht zuletzt gerade von der wuchtigen Formel "Im Namen des Volkes"; zu deren Bedeutung Engelhardt, H., in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 3. Aufl. 1993, § 268 Rdnr. 1; Gollwitzer, w., in: Löwe/Rosenberg, StPO, 3. Bd., 24. Aufl. 1988, § 268 Rdnr. 14. 401 Zur demokratischen Revolutionstheorie vgl. Leisner (Fn. 399), S. 203 ff.

I. Machtabbau - Staatsabbau: eine demokratische Versuchung

187

mer gerichtet sein, die Demokratie will, daß sie in institutionalisierter Form ablaufen, stets hin auf dieses Ziel. Die neuen Tendenzen zur Verstärkung plebiszitärer Eiemente402 finden ja letzte Rechtfertigung nur in dem Versuch, die Macht dort auch wieder abzubauen, wo sie sich in jenen Einrichtungen erneut festigen konnte, den Parteien, welche ursprünglich doch nur auf Machtabbau gerichtet waren. Denn trotz seiner vielbeklagten machtverstärkenden Effekte ist ja der Volksentscheid selbst dort, wo er zum Plebiszit wird, immer noch wesentlich ein Versuch der Machtminderung: Entscheidungen werden auf diejenigen übertragen, welche wesentlich der Macht unfähig sind, diese ihre eigenen Dezisionen auch niemals realisieren können. Die Demokratie treibt also hier den institutionalisierten Machtabbau letztlich voran, und dies sogar noch in sichtbaren, geradezu theatralischen Formen. Minderheitenschutz403 schließlich, um nur noch ein weiteres Grundprinzip der Volksherrschaft zu erwähnen, läßt sich letztlich nur begreifen als ein Machtabbau, in dem der demokratische, an sich allmächtige Allgemeine Wille Rousseaus auf sein vornehmstes Attribut verzichtet: seine Gewalt auch noch im Namen und zum Besten der staatsrechtlich Unterlegenen auszuüben. Da es aber eine Grundtendenz heutiger Demokratie ist, ihr Volk gewissermaßen in eine Reihe von Minderheiten zerfallen zu lassen404 , die sich dann erst unter großen politischen Anstrengungen zu einer Mehrheit zu integrieren haben, wird Minderheitenschutz, damit aber Machtabbau, zum Grundprinzip der Staatsorganisation. b) Der Staat als solcher -

ein Instrument des Machtabbaus

Der Staat der Demokratie kann geradezu, als solcher, begriffen werden als eine Institutionalisierung ständigen Abbaus seiner eigenen Macht405 . So erstaunlich es auf den ersten Blick erscheinen mag, wenn 402 Bachmann, V., Plebiszitäre Elemente in der repräsentativen Demokratie, in: ZRP 1992, S. 27 ff.; KlUis, K., Mehr Demokratie durch mehr Volksentscheid? in: Politische Studien 1991, 2. Sonderheft, S. 40 ff. 403 Vgl. Schmitt, c., Verfassungslehre, 1928,7. Neudruck 1989, S. 231 f.; Leisnel (Fn. 399), S. 133 ff. 404 Dies geschieht sowohl "horizontal" in den Parteien, als auch" vertikal", in den "Teilvölkem der Gliedstaaten" im Föderalismus; Stern, K., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Auf!. 1984, S. 657 ff. (666); Zippelius (Fn. 396), § 39 IV 2, § 42 II 5. 405 Unter einem anderen Blickwinkel, dem der "Hinnahme des Ordnungsverlustes ", wurde dies bereits früher eingehend dargestellt; vgl. Leisnel, w., Die demokratische Anarchie, 1980.

188

C. Der Unsichtbare Staat

man in den hergebrachten Bahnen des allumfassenden Molochs Staat denkt, dessen Aufgaben dem Gesetz ständiger Steigerung unterworfen sind406 : Historisch steht der Begriff Staat für trimmer weniger Macht", mit seiner stärker werdenden Bewußtwerdung ist grundsätzlicher Machtabbau einhergegangen. Mit der Rechtsstaatlichkeit, diesem Synonym für beschränkte, sich selbst begrenzende Macht407 , ist, so könnte man es wohl formulieren, der Staat ein "Abbaubegriff seiner selbst" geworden. Manche "konservativen" Kräfte mögen im Wort "Staat" einen Macht-Restaurationsbegriff erblicken, in den sich die Hoheitsgewalt nach dem Ende der zunächst nach 1815 zurückgekehrten FürstenMacht, also etwa ab 1848, hat flüchten können - in größerem Zusammenhang betrachtet war dies ein historischer Irrtum. Derartige Macht-Konservierung kann, jedenfalls nach außen hin, der Staat nur vorübergehend leisten. Alle seine einzelnen Institutionen sind auf Machteinschränkung, ja auf immer weitergehende Begrenzung der Macht geradezu dynamisch angelegt: Immer deutlicher wird der Unsichtbare Staat abgesetzt VOn seinen sichtbaren Organen, den unzähligen Beamten; in ihrer Verkleinerung wie in ihrer wachsenden Entfernung zu dem "Träger" ihrer Macht, in der damit abnehmenden Inkarnierung der Staatsgewalt, vollzieht sich deren grundsätzliche, laufende Reduktion. Die zunehmende Verrechtlichung aller Staatstätigkeit will die eigentliche, die politische Macht immer mehr aus dem Staat verdrängen, dort Recht als machtlose Herrschaft etablieren. Im Recht soll der Staat gewissermaßen machtfrei aufgehängt sein in immer höheren Prinzipien. Der Rechtsstaat als Richterstaat408 , die Regierung im Namen des Rechts, durch un-verantwortliche, aber wesentlich machtlose Spruchkörper - all dies ist nicht nur theoretisch ständiger Machtabbau, es wirkt auch in der täglichen Praxis als eine laufende Entmachtung von Exekutive und Parlament.

406 Die ökonomische These Adolf Wagners, es gebe ein Gesetz wachsender Staatsaufgaben, hat sich auch in der öffentlich-rechtlichen Behandlung des vor allem im Namen der Sozialstaatlichkeit ständig erweiterten Staatsbereichs niedergeschlagen, vgl. Bull, H.P., Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 1973, passim (insbes. S. 214 ff.); Hesse, G., Staatsaufgaben, 1. Auf!. 1979; Isensee, J., Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, in: HdbStR (Fn. 1), § 57; Stern (Fn. 404), S. 79 ff. m. weit. Nachw. 401 Herzog, in: MaunzlDürig, Art. 20 VII Anm. 42; Stern (Fn. 404), S. 93; Zippelius (Fn. 396), § 30. 408 Von Edouard Lamberts Gouvernement des Juges, Paris 1936, bis zu Rene Marcics "Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat ", Wien 1957; vgl. auch Krüger, H., Allgemeine Staatslehre, 2. Auf!. 1966, S. 792 ff.; Neumann, H., Uferlose Verwaltungsgerichtsbarkeit - der zum Richterstaat pervertierte Rechtsstaat, in: Auf dem Weg zum Richterstaat, hgg. von G.-K. Kaltenbrunner, 1979, S. 152 ff.

I. Machtabbau - Staatsabbau: eine demokratische Versuchung

189

So scheint der Staat etwas zu werden wie ein Formelkompromiß der Machtmüdigkeit einer Gemeinschaft, die im Abbau ihrer sichtbaren, nur allzuoft als allein wirksam angesehenen Formen, dem Staats-Neid zu entgehen sucht; dies war bereits ein Gegenstand der Betrachtung. Dann aber spricht doch vieles dafür, daß diese demokratische Staatlichkeit überall dort, wo sie aus der Sichtbarkeit zurücktritt, nun wirklich auch "kleiner werden will", daß alle Verunsichtbarung nicht etwa Machtverschleierung sein soll, sondern getragen wird von dem großen demokratischen Strom des Machtabbaus. Nur unter diesem Druck wird denn auch, so scheint es, der heute allenthalben zu beobachtende Abbau der "äußerlichen Formen der Hoheitsausübung" zur allgemein konsens getragenen Staatsmaxime, nach dem Motto: "Macht, die man nicht sieht, existiert nicht". Dies mag als voreilig erscheinen, als unbewiesen, als eine vereinfachende Hoffnung; doch wenn die ganze Staatsform, so wie wir es eben historisch und institutionell entwickelten, auf Machtabbau ganz grundsätzlich gerichtet ist, so hat doch eine derartige Maxime, dem freiheitsbewußten Volkssouverän gegenüber, Entscheidendes für sich: Immer wieder wird man ihn davon überzeugen können, es müsse eben noch eine der äußerlich sichtbaren Formen der Hoheit fallen, dann werde sogleich auch die Macht des gefährlichen Leviathan weiter abnehmen. Daß also weniger Staat sichtbar sein soll, im Namen des allseits begrüßten Machtabbaus, das läßt dann alles populär werden an Forderungen gegen die hergebrachten äußeren Formen der Machtausübung. So wird denn die Verdrängung des Staates aus seinen Uniformen, seinen Hoheitszeichen, den früher stolz getragenen Abzeichen seiner Würde, nunmehr zu einer systematischen, sie ist offen als solche gewollt; mit ihr stiehlt sich nicht eine Macht aus der Sichtbarkeit, um ihre Gewalt in den Unsichtbaren Staat hinein in Sicherheit zu bringen. Und wenn sich all dies so flächendeckend und von allen Seiten vollzieht, wie es die noch näher zu würdigenden Phänomene der Verunsichtbarung der Staatsgewalt nahelegen, sollte sich der demokratische Bürger nicht beruhigen dürfen, daß da nichts ist als ein Machtabbau, den ihm seine Demokratie von jeher verheißt? Wenn der Bürger hinter all dem Kryptogewalt wittern wollte, so müßte er entweder daran glauben, daß im Staatsbegriff die Macht eine List der Vernunft im größten Umfang sich aufgebaut habe - oder er müßte unter dem Eindruck einer wirklichen Dämonisierung der Staatsgewalt stehen, die ihn gerade dann bedroht, wenn sie ihn zu verlassen scheint. Eine derartige Dämonisierung der Macht aber läßt sich, bei allem Machtrnißtrauen der Bürger, in der heutigen Demokratie nur mehr schwer vermitteln; populär kann sie dort nicht sein, wo Fortschritts-

190

C. Der Unsichtbare Staat

gläubigkeit herrscht, welche nicht zuletzt auch durch verfassungsrechtliche "Staatsziele" belegt wird409 . Man mag dies Herrschenden zutrauen, welche generationenlanger Umgang mit der Macht zu deren kalten Technikern hat werden lassen; doch warum sollten solche Metternich-Ängste heute wachsen, in einer Ordnung, an deren Schalthebel sich immer "neue Männer" von unten drängen, die, mit meist naivem "gesundem politischen Ehrgeiz", ganz offen das Management einer Staatsgewalt betreiben, deren fortschreitende Privatisierung sie doch weder verhindern können noch, ihrer Herkunft nach, verhindern wollen? Und irgendwann wird wohl die Öffentlichkeit der gegenwärtigen Demokratie so übermächtig, daß kaum mehr Freude über oder auch nur Raum für jene Entlarvung der Macht und ihres Mißbrauchs besteht, ohne welche es deren Dämonisierung nicht geben kann. So liegt denn viel näher die naive Sicherheit des heutigen Bürgers, daß der allseits gewünschte, seit Generationen ihm versicherte Machtabbau sich in unserer Zeit erst recht vollzieht, im erfolgreichen Kampf gegen alle äußeren Formen der Obrigkeit, in dem dann die Macht wirklich abstirbt, sich nicht nur zur Kryptogewalt, noch weit gefährlicher, wandelt.

3. Oder doch: Machtverschleierung in vielen kleinen Schritten? Man darf sich nicht blenden lassen durch die Äußerlichkeiten des Abbaus sichtbarer Staatsgewalt. Die Versuchungen zu einem "Unsichtbaren Staat" hatten sich uns in den früheren Kapiteln nur allzu deutlich gezeigt. Nun gilt es, im einzelnen zu prüfen, ob da nicht doch mehr an Verschleierung der Macht am Werke ist als Abschied von ihr; wachsen nicht die verbürgerlichten Teilinstitutionen, in die der alte, so lange feudal-aristokratisch geprägte Hoheitsstaat zerfallen ist, doch wieder, und aus vielen Wurzeln, zusammen zu einer neuen, nun aber unsichtbaren Macht - ebenso wie ja auch einst die Fassaden des sichtbaren Staates aus vielen Steinen der Macht gebaut wurden? Liegt nicht die eigentliche, große Gefahr für den Bürger und seine Freiheit darin, daß er, ge-

409 Vgl. Bull (Fn. 406), S. 44 ff.; Isensee (Fn. 406), Rdnr. 115 ff.; Stern (Fn. 404), Bd. IIII1, S. 877 ff. m. weit. Nachw.; Wahl, R., Grundrechte und Staatszielbestimmungen im Bundesstaat, in: AöR 112 (1987), S. 26 ff.; aus der neueren Diskussion um "Staatsziel Umweltschutz" vgl. für viele Rauschning, D., Aufnahme einer Staatszielbestimmung über Umweltschutz in das Grundgesetz? in: DÖV 1986, S. 489 ff.

I. Machtabbau - Staatsabbau: eine demokratische Versuchung

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wiegt in der Sicherheit des Machtabbaus, es gar nicht für möglich hält, daß sich gerade hier etwas so Unerwartetes entwickelt wie eine neue Technik der Macht? Eine derartige Theorie - oder auch nur Grundannahme - über eine Globalentwicklung des Herrschaftsrechts wird allerdings gerade heute wohl wenig Überzeugungskraft entfalten können, will sie aus allgemeinen Plausibilitäten heraus deduzieren. Unterstellt werden müßte hier, so scheint es doch, eine Dämonisierung der Macht, welche der Bürger wohl früheren, in Geheimpolitik bedrohlichen Feudalkabinetten unterstellen würde, nicht aber heute seinen machttragenden Staatsorganen, die "so klein geworden sind wie er selbst". Die Machtdämonisierung ist ohnehin schwer vorstellbar dort, wo allenfalls Gefahr zu drohen scheint aus großen, unübersichtlichen Machtapparaten, aus einer Bürokratie, die ohne gezielten Willen, nur sozusagen aus ihrer unbewußten Existenz heraus, niederdrückend, freiheits gefährdend wirkt410 . So ist es weit mehr das Gefühl der Ohnmacht, welches heute verbreitet ist, sich nicht selten in Anarchismen entlädt, als der Argwohn, einer Geheimrnacht gegenüberzustehen, der heutige Staatsgrundstimmung prägt. Dämonen sind dann jene Führergestalten der Vergangenheit, die als endgültig überwunden erklärt wird, nicht die Geister einer neuen Machttechnik, die es schon begrifflich gar nicht geben zu können scheint. Und schließlich ist der Optimismus der Demokratie doch stark genug, selbst bei den Herrschenden die Bosheit macchiavellistischen Machtkalküls gerade nicht zu unterstellen, dessen der kleingewordene Bürger so unfähig ist, daß er es, anders als das frühere Großbürgertum, nicht einmal mehr zu argwöhnen vermag. Eine Theorie der Freiheitsgefährdung durch Verunsichtbarung der Macht, oder auch nur Warnungen vor ihr, kann also allenfalls hinweisen auf die kleinen Schritte, in denen sich heutige, so ganz tagtäglich wirkende Machtausübung, mit einem Mal und unversehens, wieder zurückentwickeln könnte in einen Zustand des Ausgeliefertseins an eine nicht nur anonymisierte, sondern geradezu unfaßbare - eben eine unsichtbare Macht. Dieser Weg in die freiheitsbedrohende ungreifbare Macht setzt schon etwas voraus wie eine listig-eifrige, vor allem aber eine allseitig entfaltete Aktivität, die den an sich offenen Vorgang der Verunsichtbarung und darin des Abbaus der Macht überlagert mit einem gefährlichen Krypto-Effekt und damit die Staatsgewalt eher noch verstärkt.

410 Zu dieser Anonymität der Bürokratie im weiteren Sinne, vgl. LecheIer, H., Verwaltungslehre, 1988, S. 103 f.

192

c. Der Unsichtbare Staat

Diese wahrhaft komplexe Fragestellung ist nun heranzutragen an einzelne, beispielhaft ausgewählte, Phänomene heutiger Staatsorganisation und Machtausübung. Jeweils ist zu fragen, ob sich hier echter Gewaltabbau vollzieht - oder nicht doch die Hinwendung zu einer Kryptomacht, die um so gefährlicher für die Freiheit erscheint, als sie vielleicht weder bewußt noch gar gewollt ist, späteren Machtinhabern aber als ein Erbe hinterlassen wird, das sie im öffentlichen Interesse glauben nutzen zu müssen, jedenfalls nicht aufgeben zu dürfen. Auf jedem Einzelfeld erhebt sich die Frage, ob die betreffende Form der Machtausübung - ja bereits ihre sie ermöglichende organisatorische Form, sozusagen als Vorstufe - ihrem Wesen nach nicht doch auf unsichtbare Macht hin ausgelegt ist, ob sich all dies wenigstens unschwer in solchem Sinne instrumentalisieren, wenn nicht potenzieren läßt. Eine solche Untersuchung ist jedenfalls in dem Sinn zu legitimieren, daß es hier wohl mehr zu entfalten gilt als lediglich eine weitere Steigerung des der Demokratie immanenten Staatsmißtrauens. Immerhin haben ja die bisherigen Ausführungen ergeben, daß wichtige Voraussetzungen unserer folgenden Untersuchungen mit Sicherheit gegeben sind: Die heutige Entwicklung ist getragen von einer Staatsverunsichtbarung auf breiter Front. Diese nützt, in Machtneid-Vermeidung, der Staatsgewalt; sie wird als eine Form - vermeintlichen Machtabbaus von allgemeinem Konsens getragen. Diese Gesamttendenz ist sicher stärker als eine solche, welche durch Aufbau immer neuer Staatsfassaden, einschüchternder Staatssichtbarkeit, Macht befestigen möchte. Selbst wo der Staat ins volle Licht gestellt wird, soll dies doch immer nur dem Machtabbau und damit wieder dem Zurücktreten der Staatsgewalt in die Unsichtbarkeit dienen. Alle Positionen sichtbarer Staatsgewalt könnten dann aber nur mit der Hypothek belastet sein, daß sie letztlich nur auf Staatsunsichtbarkeit gerichtet sein sollen. Ob das aber weniger Staat - oder nur weniger sichtbare Staatsgewalt bedeutet?

D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt I. Einzelphänomene - doch in systematischer Entwicklung Dem Wesen des Staates entspricht es, sich zu verschleiern, in entscheidenden Seiten seiner Gewalt. So verzichtet er zwar auf Einschüchterungseffekte, bleibt aber unfaßbar, dem Neid entzogen, in den Zentren seiner Macht, aus denen er unversehens heraustreten, in welche er sich immer wieder zurückziehen, ja flüchten kann. Viel ist seit Jahrzehnten die Rede von der Flucht des Staates ins Privatrecht411 - die Entwicklung ist größer: Es findet eine Flucht des Staates aus der Hoheitsgewalt412 in die Unsichtbarkeit statt. Solche Phänomene wurden, unsystematisch als Beispiele, bereits erwähnt. Nun soll nochmals eine - vorsichtige - Zusammenschau versucht werden, mit Ansätzen zu einer Systematisierung. Sie erst kann zeigen, ob hier mehr oder weniger zufällige Einzelvorgänge ablaufen, oder ob dies alles doch Methode hat - obwohl am Ende des vorhergehenden Abschnitts eher von der Wahrscheinlichkeit unbewußter und ungewollter Verunsichtbarungs-Entwicklungen ausgegangen werden mußte als von einer heute kaum glaubhaften Dämonisierung einer Tarnkappen-Macht, welche die Freiheit bedroht. Derartige Entwicklungen müssen aber nicht gewollt, schon gar nicht geplant ablaufen, dennoch können sie in einer Weise zusammenwirken, welche etwas wie Systematik erreicht; und nur auf diesem Wege wächst dann eine solche Entwicklung in eine Staatsgrundsätzlichkeit hinauf, die eine Gesamtbetrachtung rechtfertigt, Überlegungen nicht zuletzt auch darüber, ob sich aus der hier angestrebten Bewußtwerdung des 411 Ehlers, D., Verwaltung in Privatrechtsform, 1984; Leisner, w., Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 199 f. Naumann, R., VVDStRL 11 (1954), S. 131 f. 412 Häufig geht es ja vor allem darum, um ein "Untertauchen" in die privatrechtliehe Macht-Unsichtbarkeit, wie sie bereits dem Wahlrecht des Staates zwischen Organisations- und Handlungsformen des öffentlichen und des privaten Rechts zugrunde liegt; Erichsen, H.-V., in: Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, §§ 31, 44; Gusy, eh., Die Bindung privatrechtlichen Verwaltungshandelns an das öffentliche Recht -Zugleich ein Beitrag zur .Freiheit der Formenwahl", in: DÖV 1984, S. 872 ff.; Hauser, w., Die Wahl der Organisationsform kommunaler Einrichtungen, 1987.

13 Leisner

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Groß-Vorganges Folgerungen ergeben und Forderungen, ihn anzuhalten, umzukehren - oder verstärkt fortzusetzen. Von konkreten Absichten oder allgemeineren Grundüberzeugungen getragen mögen hier nicht einheitlich alle Erscheinungen sein; im einzelnen liegen ihnen sicher derartige Vorstellungen zugrunde, die eben dann auch über das betreffende Phänomen hinausreichen, sich in anderen wiederfinden. Dies zu erkennen wäre besonders wichtig, hier könnte etwas wie eine unbewußte, gerade deshalb besonders wirksame Systematik aufgedeckt werden. Das Interesse, ja der Reiz einer solchen Betrachtung liegt darin, daß sie nicht aus einer Staatsideologie zu deduzieren versuchen muß, an die ohnehin heute kaum jemand glaubt, daß sie vielmehr in der induktiven Betrachtung von Einzelphänomenen immer wieder dieselben Überzeugungen und Zielsetzungen feststellen könnte, welche aus vielfacher Machttechnik etwas entstehen lassen wie Staatsprinzipien - zugleich wäre dies ein Beweis für den engen Zusammenhang dessen, was man gemeinhin Staatsgrundsätze nennt413 , mit den von ihnen immer wieder abgekoppelten und in rechtstechnischer Einzelbetrachtung verselbständigten Herrschaftsmechanismen. Zu beginnen ist mit einer Betrachtung gewisser Erscheinungen, die gerade deshalb, weil sie die Staatssichtbarkeit im engeren Sinne betreffen, oft nur indirekte rechtliche Wirkungen zeitigen, nachdem sie zunächst im Atmosphärischen bleiben. Nicht weniger bedeutsam sind dennoch die Effekte, welche von dort ausgehen, bis in Einzelakte der Staatsgewalt hinein fühlbar werden. Folgende Fragen sind es vor allem, die bei jedem einzelnen Phänomen zu beantworten sind: - Wie stark ist der jeweilige Verunsichtbarungseffekt der Staatlichkeit, tritt diese wirklich gerade darin zurück? - Wieviel an echtem Machtabbau ist damit verbunden, ist da weniger Staat - oder ist er nur weniger sichtbar? - Muß mit der Gefahr der Entwicklung von Kryptogewalt gerade hier gerechnet werden? Der Fragestellung nach dem" Unsichtbaren Staat" entsprechend wird "spektakulären" Entwicklungen besondere Aufmerksamkeit zu schenken sein, weil in ihnen Machttechnik sichtbar und faßbar wird, gerade wenn sie die Unsichtbarkeit sucht. Und diese Vorbemerkung sollte schließlich die Notwendigkeit zeigen, stets die Einordnung von Einzelphänomenen in einen größeren Zusammenhang zu versuchen, in dem 413

Vgl. Stern (Fn. 404), S. 551 ff.

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Staatsgrundsätzlichkeit sichtbar werden könnte, aber auch Gefahren für die Freiheit, welche über deren punktuelle und stets hinzunehmende Beschränkungen weit hinausgehen.

11. Das Ende des Staatstheaters 1. Staat ohne Hoheitszeichen a) Hoheitszeichen: Von der Machtdemonstration zur Staatsmarkierung

Hoheitszeichen haben sich heute gewandelt vom Herrschaftsbeweis 414 , ja -instrument zum Wegweiser des Bürgers. Daß sich hier eine Entwicklung von staats grundsätzlicher Bedeutung vollzogen hat, wird den meisten nicht mehr bewußt sein, und doch hat sich darin eine besonders deutliche Staatsverunsichtbarung angebahnt, mit wichtigen Wirkungen auf Grundstimmungen, ja Einzelformen der Machtausübung. Staatssiegel und Staatswappen, ob sie nun Grenzübergänge zieren, Behördeneingänge oder amtliche Schriftstücke, waren lange Zeit, und noch vor kurzem, weit mehr als romantisierende Staatsheraldik, in welche dies nun gelegentlich zurückzufallen scheint. Hier wollte die Macht ihr Gesicht zeigen, in der Unantastbarkeit dieser Gewaltsymbole als ein Durchgangsverbot, eine Verkehrsregelung für private Aktivitäten. Angebracht auf den Stirnseiten der Staatsbauten, oder wo immer, sollten diese Symbole Macht abstrahlen und Majestät, soweit wie nur immer sie sichtbar sein konnten. Und die hohen Stadttürme waren doch nichts anderes als weithin sichtbare Macht der Bürgerschaft, Stein gewordene hohe Wappen der Stadt. Hier vielleicht zuallererst hat das Absterben der Staats sichtbarkeit eingesetzt, die Macht ist zur romantischen Nostalgie verkümmert. Was Mächtigkeit zeigen sollte, bewies bald nur mehr Einstigkeit, wurde als Staatsromantik, selbst im 19. Jahrhundert bereits, belächelt. Die gewaltsamen Restaurationen der Hoheitsadler haben daran nichts zu ändern vermocht. Die machtvolle Schönheit der Staatssiegel verkümmerte zu 414 Vgl. dazu die Ausführungen oben A 11, 1, zu Staatssiegel und Staatswappen, siehe Hartmann, J., Selbstdarstellung der Bundesrepublik Deutschland in Symbolen, Zeremoniell und Feier, in: Staatsrepräsentation, J.-D. Gauger/J. Stagl (Hrsg.), 1992, S. 175 (182); Hattenhauer, H. Deutsche Nationalsymbole, 1984, S. 72 ff.; Klein, E., Die Staatssymbole, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 1, 1987, § 17 Rdnr.

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immer einfacheren amtlichen Briefköpfen, die Beweiskraft der Siegelführung zu punktuellen, oft immer noch widerleglichen Richtigkeitsvermutungen415 . Fast scheint es, als seien Staatsarchive nicht mehr, wie einst, Bergwerke der Macht, gerade in der Sichtbarkeit ihrer Pergamente und Schriftzüge, sondern nur mehr Informationsquellen416 . Daß der Angriff auf ein Hoheitszeichen Majestätsbeleidigung bedeuten könnte, ein Attentat auf die hier symbolisierte Staatsgewalt - all dies ist längst aus dem allgemeinen Bewußtsein verschwunden. Der Schutz der Hoheitszeichen hat sich ins Strafrecht zurückgezogen417 , allenfalls im Verbot des vollstreckungsrechtlichen Siegelbruchs418 ist dem Bürger heute noch etwas von seiner früheren Unbedingtheit bewußt; doch gerade hier ist der Staat meist nur mehr Vollstrecker privater Mächtigkeit, letztlich ihr Diener. Systematische Aufzählungen der Hoheitszeichen419 sind staatsrechtliche Marginalien geworden; für den Bürger des demokratischen Gemeinwesens hat all dies keine aktuelle Bedeutung mehr. Die Achtung vor den Hoheitszeichen ist ein Bereich, aus dem sich wohl bald selbst das internationale Recht immer weiter zurückziehen wird, eben weil auch hier Machtromantik das Recht in Courtoisie verwandelt420 . Diese Machtdemonstration des sichtbaren Staates ist zur Markierung geworden. Wichtig ist allein, daß Täuschungsgefahr ausgeschlossen bleibt, und wielange wird man noch die ererbten Formeln weiterschleppen von der "besonderen Sachkunde der Behörden" 421, von der "besonderen Bedeutung", welche der Bürger amtlichen Schriftstücken, den Hoheitszeichen beimißt, welche diese von allen anderen Herkunfts415 Vgl. Hartmann, P., in: BaumbachlLauterbach/AlberslHartmann, ZPO, 51. Aufl. 1993, §§ 417, 418. 416 Und nicht einmal mehr "allgemein zugängliche"; Herzog, in: Maunzl Dürig, Art. 5 Abs. I, 11 Anm. 87 ff.; Windsheimer, H., Die "Information" als Interpretationsgrundlage für die subjektiven öffentlichen Rechte des Art. 5 Abs. 1 GG, 1968, S. 131 ff. 417 Krutzki, G., "Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole", Eine Dokumentation zu § 90 a StGB, in: KJ 1980, S. 294 ff.; Maurach, R.lSchroeder, F.Ch.lMaiwald, M., Strafrecht, BT, Teilbd. 2,7. Aufl. 1991, § 84 Rdnr. 69 ff.; Willms, G., in: Leipziger Kommentar, 4. Bd., 10. Aufl. 1988, § 90 a StGB. 418 Berghaus, H., Der staatliche Schutz der Zwangsvollstreckung, 1967, S. 122 ff.; von Bubnoff, B., in: Leipziger Kommentar (Fn. 417), § 136 Rdnr. 16 ff.; MaurachlSchroederlMaiwald (Fn. 417), § 72 Rdnr. 19 f. 419 Klein (Fn. 414), § 17; Stern (Fn. 404), S. 275 ff. 420 Berber, F., Lehrbuch des Völkerrechts, I. Bd., 2. Aufl. 1975, S. 73 f.; Dahm, G.lDelbrück, J.lWolfrum, R., Völkerrecht, Bd. 111, 2. Aufl. 1989, S. 74 f. 421 Z.B. BVerwG NJW 1986, S. 2777 f.; BVerwG NJW 1991, S. 1766 ff.; LG Stuttgart, NJW 1989, S. 2257 ff.

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zeichen abheben sollen? Der Weg von der sichtbaren Macht zur sichtbaren Urheberschaft ist heute schon fast zu Ende gegangen; das Recht der Hoheitszeichen wird zu einem Kapitel des Markenzeichenrechts422 .

b) Vorfahrt den Privaten, ihren werbenden Zeichen Vor Hoheitszeichen verneigt man sich nur mehr in immer seltener werdendem, hier und dort noch medienwirksamem Staatstheater. Machtwirksamkeit entfalten ganz andere, höchst sichtbare, eben wahrhaft visuell wirkende Zeichen: Die Vorfahrt gebührt den neuen "privaten Hoheitszeichen", dem Signet der Großfinnen, das schier unzerstörbare Bonität ausstrahlt über die Zentren der Städte, in neuer ökonomischer Macht. In ihren türmenden Hochbauten wird das sichtbar, was die Staatlichkeit nie mehr wird erreichen können: effektive, nichtrechtliche Machtfiktion. Die Zukunft, bereits die Gegenwart, gehört dem "werbenden Zeichen", das in sich "nichts ist, alles aber werden kann", wie es Sieyes423 einst jenem Dritten Stand verhieß, dem Bürgertum, das heute die Werbung zu erreichen versteht, nicht der Staat mit seinen Wappen. Einst zogen die Wappen an, mit dem Schutzversprechen ihres Schildes; heute markieren sie nur mehr eine ungeliebte, allein als Ordnungsnotwendigkeit hingenommene staats polizeiliche Existenz. Der Versuch der "Staatswerbung" ist immer zum Scheitern verurteilt in einer Demokratie424 , die sich mit ihren Hoheitszeichen aus der Hoheit entwickelt hat, der Machtwerbung wesentlich verboten ist, die nur mehr "polizeiliche" Warnungen425 von sich geben darf. Lotsensignale sind dies, nicht mehr Schüsse vor den Bug, in denen einst die Pax Britannica die Meere mit englischer Hoheitsgewalt überzog. Werber war früher der Staat, er allein, und mit dem innersten Zentrum seiner Macht, wenn er seine Fahnen aufpflanzte und die Trommeln seiner Soldaten-Werber dröhnen ließ. Heute ist die Macht abgewandert in die Warenzeichengesetz, 6. Auf!. 1990, Einf. Rdnr. 5 ff. Qu'est-ce que le Tiers Etat? Paris 1789. 424 Häberle, P., Öffentlichkeitsarbeit der Regierung zwischen Parteien- und Bürgerdemokratie, JZ 1977, S. 361 ff.; Kempen, O.E., Zwischen Gemeinwohlpostulat und demokratischen Verfahrensgarantien, Der Staat Bd. 18 (1979), S. 81 ff.; Leisner, w., Öffentlichkeitsarbeit der Regierung im Rechtsstaat, 1966. 425 Dolde, K.-P., Behördliche Warnungen vor nicht verkehrsfähigen Lebensmitteln, 1987; Ossenbühl, F., Umweltpflege durch behördliche Warnungen und Empfehlungen, 1986; Sodan, H., Gesundheitsbehördliche Informationstätigkeit und Grundrechtsschutz, DÖV 1987, S. 858 ff.; Schulte, M., Informales Verwaltungshandeln als Mittel staatlicher Umwelt- und Gesundheitspflege, DVBl. 1988, S. 512 ff. 422 Busse, R.lStarck, J., 423 Sieyes, E.,

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neuen Hoheitszeichen der Werbung. Haben Symbole so wenig Bedeutung, daß das Ende der Hoheitszeichen nicht zugleich auch das Ende der Hoheit bedeutet? Majestät existiert, sie wirbt nicht für sich; die in Hoheitszeichen verkörperte Staatswürde, wenn es denn eine solche noch gibt, muß nicht, darf nicht für sich werben. Wird sie daran sterben? c) Macht ohne Machtzeichen?

Hier sogleich stellt sich die so oft wiederkehrende Frage: Was verliert, was gewinnt eine solche Staatsgewalt, welche ihre Hoheitszeichen abzulegen im Begriffe ist? Der Staat verzichtet darauf, allein mit seinem Namen zu wirken, mit dem Einschüchterungseffekt der hinter diesem stehenden Gewalt. Im Grunde ist dies aber doch nur die Folge ganz anderer, noch darzustellender StaatsTÜckzüge aus sichtbarer Macht: Der Bürger muß eben nicht mehr mit den harten Hoheitsreaktionen rechnen, wenn er Hoheitszeichen angreüt, in ihnen den Staat demütigen will. Ein Verlust einschüchternder Macht liegt darin sicher, wirksam ist er bereits im Vorfeld der Gewaltanwendung, dort, wo sich diese noch durch den Respekt vor Zeichen ersetzen läßt426 . Unterschätzt werden dürfen daher sicher nicht die machtpsychologischen Auswirkungen eines solchen Rückzugs aus der Staatssichtbarkeit, gerade in einer immer weniger von außen, sondern vielmehr in sich geordneten, sozialstrukturierten Bürgerschaft, der auf solche Weise immer mehr sogar die Orientierungsmarken der Macht entzogen werden. Und daß der Staat dort vergessen wird, wo man seine Hoheitszeichen nirgends mehr sieht, das sollte gewiß nicht gering geachtet werden. Doch die Staatsmacht hat auch manches zu gewinnen in diesem Hinabtauchen aus den Hoheits- in ganz schlichte "Markenzeichen des öffentlichen Interesses": Der Staat kann sich nun, mit seinen Verwaltungen, überall einrichten, in hoheitsloser Bescheidenheit. Erstaunt mag dann der Bürger wohl feststellen, wo sich schon wieder und mit welcher Größe mit einem Mal eine neue Administration niedergelassen hat427 . 426 Ist das Zeichen nicht der "geringste Eingriff" der Hoheitsgewalt, ihre fernste warnende Ankündigung, im Sinne der Verhältnismäßigkeit? 427 Und nur sehr in Grenzen ist ja das Staatsorganisationsrecht sozusagen "weithin sichtbar" normativiert, vgl. Rudolf, w., in: ErichsenlMartens (Fn. 412), § 56; Schmidt-Aßmann, B., Verwaltungsorganisation zwischen parlamentarischer Steuerung und exekutivischer Organisationsgewalt, in: FS. f. H. P. Ipsen 1977, S. 333 ff.

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Da sie auf den Schutz der Hoheitszeichen verzichtet, wie eine Firma sich in Etagen einzurichten beginnt, kaum je anders in Erscheinung tritt als ein Unternehmen mittlerer Qualität, kann dieser selbe Staat auch seine Machtträger beliebig verbergen, er ist nicht mehr" blockhaft einer" , als solcher angreifbar. Gegen Hoheitszeichen richteten sich in der Vergangenheit die ersten und wuchtigsten Angriffe der Revolutionäre. Welche Bastillen sollten sie heute stürmen, welche Kronen heute herunterschlagen, welche Wappen ausmeißeln? Die Briefbögen der Verwaltungen können sie sogleich übernehmen, sie bezeichnen nur Funktionen, die nahezu jeden Machtwechsel überdauern. Dieser nicht mehr "hoheitlich bezeichnete Staat" schafft durch einen verhältnismäßig unbedeutenden Verlust von Einschüchterungspotential die Voraussetzungen dafür, daß er ganz unversehens in die Haut der Privaten schlüpfen kann, als eine ihrer unzähligen Gesellschaften erscheint. Der bezeichnungslose, nur zu oft allerdings dann auch unbezeichnend wirkende Staat legt hier Grundlagen für die Entfaltung einer Kryptogewalt, wenn es ihm gelingt, auch in dieser neuen Umgebung Handlungsformen zu entfalten, die "an sich schon stark genug sind", also auch anonym eingesetzt werden können, wenn er sich nicht auf Formen der Machtausübung festlegt, die nur etwas bedeuten, weil sie unter dem Etikett der Staatlichkeit mit der Deutlichkeit auch die Macht gewinnen. Im Grunde verzichtet der Staat nur auf etwas wie Ehrfurcht seitens seiner Bürger, die in einer emanzipierten Welt ohnehin kaum großes Gewicht mehr beanspruchen kann. Er gewinnt damit aber eine para-privatliche Beweglichkeit, er hat sich Räume eröffnet, in denen er, ohne allzu deutliche Bezeichnungen, Kryptogewalt einsetzen kann. Denn zu den Hoheitszeichen mußte er sich früher ja dann auch bekennen; ihr Ende hat etwas Bemerkenswertes gebracht, etwas Bedenkliches sogleich: "neue Freiheit für den Staat,,428.

2. Staatsgebäude ohne Staatsarchitektur

Die öffentlichen Gebäude, jene Wandelhallen der Staatsgewalt, haben die Staatsarchitektur von den Bauweisen der großen Kirche geerbt, und von ihrer eigenen einschüchternden Festungs-Vergangenheit. Hier wurden steinerne Hoheitszeichen gesetzt, hier warb die Macht mit un428 Wie er sie als "offene Hoheitsgewalt" im Grundrechtsstaat nie gewinnen konnte, Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. III Rdnr. 33 ff.; ders., Der Staat und die verrnögenswerten öffentlich-rechtlichen Berechtigungen seiner Bürger, in: FS f. W. Apelt, 1958, S. 13 (37 ff.).

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übersehbarer Stärke, mit den Mitteln des unendlich reichen Staates. Jedes Regime, nicht nur jede Regierungszeit, entwickelte ihre Architektur, und nicht sie allein, sondern ihren von jener geprägten künstlerischen LebenssW, bis hinein in Einrichtungsgewohnheiten, welche die Untertanen von Fürsten und Adel übernahmen. All dies ist Vergangenheit, die StaatssWe haben den fürstlich-aristokratischen Staat nicht überlebt. Nach seinem Ende wurden von Diktatoren nochmals StaatssWe aus dem völkischen Boden gestampft; sie wirken in sich widersprüchlich, denn der Staat des Volkes braucht keine Staatsgebäude in Staatsarchitektur; er errichtet sich Volksbauten in der unbezeichnenden Bauweise des Jedermann, und sogar noch ohne die werbliche Größe des privaten Profitstrebens. Noch weit mehr als die Hoheitszeichen sind "Staatsgebäude in Staatsarchitektur" Vergangenheit, nur an wenigen Stellen, von heftigem Widerspruch begleitet, vermag sich Nostalgie hier noch durchzusetzen. Letztlich ist all dies Staatsromantik, der ewig und wesentlich angespannte öffentliche Haushalt verlangt den radikalen Zweckbau. Kapitel über Staatsarchitektur429 brauchen nicht mehr in Allgemeinen Staatslehren zu erscheinen. Dieser vielleicht eindeutigste Sichtbarkeitsverlust der Staatlichkeit, nachdem noch die Liberalen des vergangenen Jahrhunderts in riesigen Justizpalast-Burgen die Staatshoheit hatten symbolisieren wollen - für ihn gilt alles, was soeben über das Ende der Hoheitszeichen gesagt wurde. Machtzentren, die in Etagen untergebracht sind, werden weniger leicht gestürmt von Revolutionären, mit ihnen bricht nicht symbolisch ein Staat zusammen. Wenn eine Armee aus Baracken heraus wirksam herrschen kann, warum sollte es der zivile Staat nicht vermögen? Doch andererseits ist der Machtverlust erheblich, der in der Aufgabe der steinernen Hoheitszeichen liegt. Ihre majestätischen Fassaden beeindrucken noch heute den Bürger des Gleichheitsstaates, sie zwingen ihm Staatsgefühl auf, selbst wenn er sich dagegen wehrt. Ohne all dies muß er nun auskommen, seine Macht ohne jene Monumentalität weitertragen, welche sie in der Vergangenheit so sichtbar befestigt hatte. Ohne die architektonische Größe und die Krönung der Kuppeln hat er weiterhin zu beweisen, daß er für Größe steht, für jene "große Lösung,,430, welche mehr denn je der Staat der Gleichen von ihm fordert - eben zugleich für alle. Fassaden sind die Gesichter der Bau-

429 Wie noch bei Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 225 f. 430 Wie sie näher beschrieben wurde in Leisner, w., Der MonurnentalstaatStaatlichkeit als große Lösung, 1989.

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werke. Hat nicht der Staat mit dieser seiner staatsarchitektonischen Sichtbarkeit - sein Gesicht verloren? In diesen Hallen und Sälen - dies ist ein anderer und nicht minder wichtiger Aspekt der Staatsarchitektur - sollte sich etwas wie die Weihe der Steine auch auf die Majestät der Staatsakte übertragen, unter einer riesigen Iustitia konnte kein Staatshandel stattfinden. Durch große Portale schleicht die Bestechung431 schwerer in den Staat, als wenn sie ihn in Gemeinschaftsküchen erreichen kann. Daß der Genius loci abfärbt auf Entscheidungen, die dort getroffen werden, ist ebenso unbestreitbar wie rechtlich unfaßbar. Und sollte nicht das öffentliche Interesse gewahrt werden in Räumen, die abgehoben erscheinen von den Behausungen und Arbeitsstätten des Jedermann? Doch solche Fragen sind müßig. Es bleibt das Ergebnis, daß das Ende der Staatsarchitektur vielleicht einiges an Verschleierungsmöglichkeiten gebracht hat. Wird aber die Gefahr der Kryptogewalt dadurch wesentlich größer, daß sie in Mehrzweckbauten vorbereitet wird?

3. Der entuniformierte Staat

Die Zeit, da Uniformen, welcher Art immer, das Straßenbild prägten, gesellschaftlichen Kontakten auf allen Stufen ihre Farben verliehen, ist vollständig und endgültig vorbei. Kaum bewußt aber ist, daß sich damit ein großer Rückzug der Staatlichkeit aus der Sichtbarkeit in Anonymität und Unfaßbarkeit vollzogen hat. Hier ist mehr zu Ende gegangen als leicht kritikable Eitelkeit von Paradeuniformen und Hofgewändem, ein Staatsdienertum, das sich in Galons und Tressen bezahlen ließ, darin übrigens die angespannten Haushalte segensreich entlastend: Die Staatsmacht ist, in der täglichen Äußerlichkeit des Lebens, kaum noch erkennbar, die Bindung an sie verlangt ihren Repräsentanten keine besondere, machteindTÜckliche Haltung mehr ab. Wiederum muß die Frage lauten: Ist hier wirklich nur weniger Staat, in einfacheren, durch die Rationalität des technischen Zeitalters geprägten Formen - oder bauen sich in derartigen Vereinfachungen neue, eben auch höchst rational-wirksame Kräfte der politischen, nunmehr entuniformierten Macht auf? 431 Im wesentlichen definiert sie sich doch durch den "nicht-privaten" Charakter der erkauften Tätigkeit (Dreher/Tröndle, StGB, 46. Auf!. 1993, § 334 Rdnr. 4; Maurach/Schroeder/Maiwald (Fn. 411), § 18 Rdnr. 19 ff.). Dieser aber wirdneben vielem anderen - auch durch die "örtliche Atmosphäre" wenn nicht geprägt, so doch dokumentiert.

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Uniformen erschienen am Ende als Verkleidungen - verkleidet sich heute der Staat als Bürger? Die weißen Helmbüsche wurden abgelegt, weil sie dem Feind ein Ziel boten, ohne sie sind die Armeen schlagkräftiger, furchtbarer geworden; sollte dies für die Staatlichkeit allgemein gelten? Die entuniformierende Entwicklung hat sich in mehreren Stufen vollzogen, deren letzte gerade zum Abschluß kommt. Am Anfang stand die allgemeine "Zivilisierung" der äußeren Formen der Machtzentren, der Fürstenhöfe, die seit der Restauration begannen, bürgerliche Kleidung als Staatstracht anzuerkennen. Der allgemeine Staatsdienst folgte bald, die Beamten trugen nun "Zivil", in ihren Amtsstuben und außerhalb. Schon vor dem Ersten Weltkrieg setzte die Funktionalisierung der Armeekleidung ein, die Paraden starben wohl noch vor den Paradeuniformen. Der "Bürger in Uniform" der bescheiden sich gebenden demokratischen Staatsgewalt der Geschlagenen nach dem zweiten Weltbrand, war letztlich mehr ein Soldat im Bürgerrock, im Arbeitsanzug, in einer Kleidung, die keinen Stolz auf Hoheit hervorbringen sollte und konnte. Die technisierte Staatsgewalt warf sich in die Monteuranzüge ihrer höchst effizienten privaten Wirtschaft. Geblieben war bald nur mehr der Service-Staat, gerade er hatte sich, sichtbar vor allem in Post und Bahn, uniformiert abgehoben von privater Dienstleistung. Doch warum sollten nun die Bediensteten privater Aktiengesellschaften Uniform tragen?432 Der Staat der Dienstleistungen stellt seinen Mitarbeitern Arbeitskleidung. Warum sollte er diese mit Hoheitsadlern schmücken? Oberflächenbetrachtung mag in all dem nichts anderes sehen und begrüßen als Entmilitarisierung, ein letztes Ende früherer Militärstaatlichkeit; doch es wäre wohl zu kurz geschlossen, wollte man den Begriff der Hoheit sich erschöpfen sehen im harten militärischen Befehl, mag dieser sie auch für Jahrhunderte geprägt haben. Und selbst wenn hier nichts wäre als das endliche Schweigen der Waffen, wenn man eine Zivilisierung in jedem Sinne des Wortes zu begrüßen hätte, es bliebe dennoch zu fragen, wie sich jene Entsichtbarlichung auf die Staatlichkeit auswirkt, die nunmehr aufhört, auf äußere Eindrücke, Einschüchterungen und Verhaltensprägungen zu setzen. Denn dies ist ja der offensichtliche Machtverlust, den solche Bürger-Macht hinnehmen muß: Sie verzichtet auf bedeutsame Wirkungen äußerer Formen, mögen sie nun in432 Noch vor wenigen Jahrzehnten hatten sie am Prestige der Äußerlichkeiten der Hoheitsmacht teilhaben wollen; man denke nur an die "Bankbeamten". Noch 1911 konnten Stengel/Fleischmann in ihrem" Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts" , 2. Aufl., Ir S. 369/370 den "Privatbeamten" einen ganzen Abschnitt widmen, die sich nach Staatsvorbild dem verschrieben hatten, was man später" Unternehmen an sich" nannte.

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timidieren oder enthusiasmieren. Sie muß auskommen ohne die tiefenpsychologischen Wirkungen menschlicher Eitelkeiten. Hier offenbart sich die Doppelwirkung dieser und mancher anderen Staats-Sichtbarkeiten: in ihrem Effekt auf die Gewaltunterworfenen und in ihrer festeren Bindung der menschlichen Träger an ihre Vorgesetzten, über denen die unsichtbare Macht steht. Bei einer machtpolitischen Wertung dieser so wichtigen Vorgänge liegt es nahe, in ihnen nichts zu sehen als äußere Auswirkungen längst vollzogener innerer Gewaltverluste, daß nämlich die Staatsdiener nichts mehr zur Schau stellen, was hindeutet auf eine Macht, welche sie nicht mehr besitzen, was als machtlose Fassade der Lächerlichkeit preisgegeben wäre. Doch gerade an diesem Punkt zeigt sich, daß solche Betrachtung nicht tief genug eindringt, wenn sie mit dem Wandel von Staatsrnacht zu Staatsarbeit, Staatsdienstleistung das Ende der Uniformen erklären, den entuniforrnierten Staat legitimieren möchte. Das Wesen der Uniform lag ja nie allein in ihrer äußerlich einschüchternden Pracht. Vor allem war diese Kleidung stets Trägerin der Rangabzeichen der Gewalt433 . Werden sie abgelegt, so treten die Befehlsstrukturen nach außen nicht mehr hervor, für jedermann sichtbar. In diesem Sinne bildeten denn auch stets "Titel" 434 und Uniformen eine Einheit, waren letztere nur das auch von weitem sichtbare Zeichen der hierarchischen Stellung. Und mit dem Ende der Uniformen ging das Verschweigen der Titel rasch einher. Sie werden nicht mehr " geführt" , nicht mehr wie eine Uniform so getragen, daß jeder sie zu grüßen hätte435 und in ihnen die Stellung des Trägers. Erst in der Enttitularisierung vollendet sich die Entuniforrnierung des Staates. So wie das große Spätbürgertum versuchte, staatlich-militärische Uniformen geradezu in der offiziellen Zwangsmode seiner Gesellschaft fortzusetzen, ebenso hatte es auch staatlich verliehene, vor allem akademische Titel als

433 In diesem Sinn sind allerdings die Uniformen soweit ersichtlich nie vertiefend als staatsrechtliches Problem behandelt worden, auch nicht im 19. Jahrhundert - bei BluntschlilBrater, Deutsches Staatswörterbuch, 1. Aufl., 1857 ff. etwa taucht das Stichwort nicht auf, neuerdings wird hier nur die "Zuordnung einer Person zu einer Institution" gesehen (Meyers Großes Lexikon, 1979, "Uniform"). 434 Die sich überdies beim Staat weithin zu Amtsbezeichnungen gewandelt haben, Ackermann, R., Amtsbezeichnungen und andere Individualisierungsmittel in unserer Demokratie, ZBR 1970, S. 147 ff.; Jorden, w., Das Recht der Amtsbezeichnungen, Diss. München 1969; Leisner, w., Amtsbezeichnung als Gebot der Rechtsstaatlichkeit, DÖV 1973, S. 145 ff.; Scheerbarth, H. W.IHöffken, H., Beamtenrecht, 5. Auf!. 1985, § 17 III 2. 435 Ackermann (Fn. 434), S. 149; Jorden (Fn. 434), S. 83 ff.; ScheerbarthlHöffken (Fn. 434), § 17 III 2 c.

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quasi-staatliche Uniformen in die Gesellschaft getragen; dort stirbt nun der Doktortitel nach der Paradeuniform. Zugleich sind, in eigentümlicher Gegenbewegung, die bürokratischen Strukturen der Macht ins Unübersehbare, geradezu ins unendlich Wirkende gewachsen, eben dieser Wildwuchs ließ sich letztlich in den einfacheren Formen der Titel und Amtskleidungen nicht mehr kanalisieren, hier wäre das Odium des wuchernden Staates dem zahlenden Bürger vollends unerträglich geworden. Doch gerade dies sollte nun zu denken geben: Ist die Entuniformierung nicht die äußere Negativ-Form, hinter der sich die großen Bürokratien aufbauen können, welche nur mehr "Sachbearbeiter" kennen und ähnlich sinnlose Bezeichnungen an Amtsstuben schreiben, nur damit niemand mehr erkenne, am wenigsten der die Macht und ihre Hilfe suchende Bürger, wer eigentlich sein Partner sei, was ihm nun gegenüberstehe. Der Verlust der Titel ist von naiver Demokratisierungsfreude immer nur als Gleichheitsgewinn begrüßt worden; wann wird man erkennen, daß hier die Transparenz des Staates einen entscheidenden Verlust erlitten hat, damit jenes Beschwerderecht des Bürgers, dem nun heute meist nur mehr der beschwerliche Gang zu den Gerichten bleibt. Nach dem Ende der Uniformen weiß der Bürger nicht mehr, welche Panzerreiter oder Kanonen in seinen Städten liegen, seine politischen Bewegungen im Keim schon ersticken können. Ebensowenig ist ihm nun klar, wo die bürokratischen Bataillone stehen, die immer siegreichen. Ein Freiheitsgewinn könnte all dies sein, wäre mit der Entuniformierung auch die Lenkbarkeit dieser Schreibtisch- und Computertruppen entfallen. Doch gerade davon kann nicht entfernt die Rede sein, Organisation ist eher leichter geworden durch den Verlust von Formen, die allzuviele Augen auf sich ziehen. Nun können neue Etagen angemietet, in ihnen Arbeitsgruppen ohne Zahl angesiedelt werden, das Monopol der Lenkbarkeit liegt in jenen Organisationsreferaten, in welche nie der Normalbürger vordringen wird. Der Demokratismus hat in seinen beispiellos blutigen Volkskriegen Blusensoldateska und entuniformierten Widerstand leichthin glorifiziert, sich über den Uniforrnzwang des klassischen Völkerrechts 436 geglaubt hinwegsetzen zu können. In der Tat war dieser Widerstand ohne Uniform oft weit wirksamer, geheiligt wurde er durch den guten Zweck des Sieges. Die Parallele zur entuniformierten Staatsgewalt und ihrer Bürokratie liegt näher als es zunächst scheinen mag: Auch hier kann sich die größte Gefahr dieser Wucherung 436 Ipsen, K., Völkerrecht, 3. Aufl. 1990, § 66 Rdnr. 34 ff.; Berber, F., Lehrbuch des Völkerrecht, 11. Bd., 2. Aufl. 1969, S. 142 ff.

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ungesehen, unkontrollierbar entfalten; und die Bürokratiekritik hilft sogar noch all diesen Auswüchsen neuer Kryptogewalt, indem sie glaubt, "Bürokratie" mit schwerfällig-Formalistischem schlechthin gleichsetzen zu können. In Wahrheit ist die Gegenbewegung längst im Lauf: Im Namen gerade des "Informellen Staates ,,437 wird ohne äußerlich sichtbare Formen organisiert und gehandelt. Und was nach außen, für den Bürger, entuniformiert, entformalisiert erscheint, kann dann ja nach innen erst recht in militärischen Rängen, in unsichtbaren Uniformen funktionieren - bis hin zur geheimen Staatspolizei. Der Verlust der Uniformen und Titel muß gewiß nicht so enden, doch Bürgermißtrauen sollte geweckt werden, damit es wenn nicht schon die titularisierte, so doch überall die bezeichnete Staatsgewalt fordert. Gerade die flächendeckende Systematik, mit der sich die Uniformierung der öffentlichen Gewalt vollzogen hat, muß zu denken geben; weiterleben kann sie doch nur in Unterwasserstrukturen, an denen die Schiffe der Freiheit scheitern könnten. Hier ist weit mehr als nur eine Möglichkeit von Kryptogewalt.

4. Vom Staatstheater zum Volksvergnügen Staatstheater hat es immer gegeben, um so bedeutender, je größer die Macht. Spektakuläre Zurschaustellung einer Gewalt, die sich selbst auf einer Bühne den Gewaltunterworfenen vorspielt, sie dabei zugleich unterhält und als Zuschauer wichtig nimmt - immer war dieses Staatstheater ein wirkliches Herrschaftsinstrument. Zu Unrecht belächeln oft Demokraten diese Staats-Theatralik als Herrschaftsschnörkel vergangener fürstlich -aristokratischer Staatlichkeit, die hier in der Macht ihr Vergnügen demonstriert habe. Stets war darin auch etwas lebendig von einer basisdemokratischen, oft allerdings in populistische Schmeichelei gewendeten Volksnähe. Immer wurden ja die Gewaltunterworfenen, die Bürger, oder wie man sie sonst nennen mochte, versammelt vor den Herrschenden und um sie, in den Prozessionen und Großgottesdiensten das Volk Gottes vor der Macht seiner Kirche, bei Herrscherjubiläen und anderen Staatsfeiern das staunende Volk vor den Mächtigen - oder vor der Größe der eigenen Stadt. Und nirgends haben sich so eng geistliche und weltliche Macht zusammengeschlossen wie im Cäsaropapismus des großen, bis zur Französischen Revolution und darüber hinaus andauernden Staats437 Bohne, E.,

Der infonnale Rechtsstaat, 1981.

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

theaters. Hier war echte Machtdemonstration, wer verstand, sich wirklich zu feiern, wie der "Kaiser der Franzosen" in Notre Dame, der stand in der Macht. Immer war wohl in diesem Gewaltaufbau zugleich auch etwas von Volksvergnügen, mit dieser Attraktion zogen die Herrschenden diejenigen an sich, denen ihre Gewaltunterworfenheit immerhin noch die Freiheit zur Freude ließ, die Entwicklung zum Volksfest prägt denn auch das Staatstheater bis heute, wenn es nicht darin gänzlich endet. Eine eigentümliche Bewußtwerdung dieser Zusammenhänge tritt uns im Staatstheater der attischen Demokratie entgegen. Nicht zufällig wurden an demselben Ort die großen Tragödien gespielt, an dem sich das Volk auch zu politischen Entscheidungen versammelte - jedenfalls war es dieselbe Versamrnlungsform, die gleiche Präsenz des Souveräns, in welcher beides ablief. Das Volk brachte noch immer die alten Könige als Tyrannen auf die Bühne, freute sich an den liberalisierenden Äußerungen seiner Dichter, welche ihnen Machtmäßigung nahelegten. Der tiefere Sinn des Wortes, in den Tragödien müßten Götter auf die Bühne kommen und Könige, zeigt sich gerade in diesem attischen, einem echten Staatstheater: Hier wurde dem Bürger Macht vorgespielt, und sei es auch nur jene, welche er vielleicht nicht mehr zu fürchten brauchte; immerhin waren es menschliche, vor allem aber auch übermenschliche Gewaltabläufe, die vor ihm sichtbar wurden, und in Mysterien und anderen öffentlichen Götterverehrungen feierte das Volk der jungfräulichen Göttin sich selbst, seine eigene Macht und die göttliche, die es beschirmte. In all dem geht ganz selbstverständlich das große Machtspiel, bis hin zu seinen göttlichen Mysterien, über in die Freude des Volksfestes. In diesen Festlichkeiten hat sich, in all seinen Formen, der Staat stets unter das Volk gemischt. Aus der Zeremonie wurde immer wieder die Belustigung. Heute aber gilt es die Staatsgrundsätzlichkeit dieser Entwicklung zu begreifen, welche sich gerade in unseren Tagen beschleunigt: daß darin zugleich ein großer Sichtbarkeitsverlust der Herrschaft liegen kann. Von den früheren Weihestunden der Macht, den Staatsprozessionen und Militärparaden, ist wenig nur geblieben; Staatsfeiertage werden noch weit weniger gehalten als die der heiligen Kirche. Würdevolle öffentliche Auftritte überschreiten kaum je das Niveau der Sonntagsreden, und fast ist es, als sollte alles möglichst rasch in heiteren Spielen enden. In eigentümlichem Mißverhältnis zum ständig wachsenden Umfang der Staatsaufgaben steht die Entwicklung des Raumes der "Staatsfreizeit ", in dem sich diese Macht einmal selbst bespiegeln, ihre Erfolge in Triumphalität darstellen darf. Der Gleichheitsstaat kann keine andere Feier letztlich dulden als die, welche vom Jedermann ge-

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geben wird und für ihn. Rasch möchte man also auch hier wieder darauf schließen, daß der Staat, im wahren Sinne des Wortes, von der Bühne der Macht abtritt, daß er aus seinem Staatstheater in den unsichtbaren Staat der Kulissen sich zurückzieht.

5. Staatstheater als Medienspektakel

Zeigt aber nicht die Medienwirksamkeit ein ganz anderes Bild? Hier werden doch Machtvorgänge an der Staatsspitze täglich, gerafft und konzentriert, in wahren, an tausend anderen Themen von geübten Journalisten erprobten Theatermodellen dem Volke vorgestellt. Sie werden eingebettet überdies in andere Darbietungen von eindeutigem Volksfest-, ja Spektakelcharakter. Erscheint dann schließlich nicht die Hohe Politik der Volksherrschaft im günstigen Falle als ein ständiges Kanzlerund Regierungsfest, bei negativer Entwicklung als eine erregende Aktfolge beginnender oder schon der Peripetie zustrebender Staatstragödie - die am Ende dann doch oft wieder durch den Deus ex machina des unerwarteten politischen Ereignisses zum Guten sich wendet? Sicher erleben wir hier eine gewisse Rückkehr des Staatstheaters, wie es eben die staatskritische Presse allein doch niemals bieten kann. Mehr noch: Viel tagtägliche Politik wird hochstilisiert, dramatisiert mit theatralischen Effekten, bis ins unwirkliche Spektakel hinein übersteigert. Vor allem die Außenpolitik sieht sich, in all ihren Phasen, theaterförrnig dargestellt, wie ein Fürstendrama von Shakespeare, in den Gesprächen der Wandelgänge und im großen Konferenzpomp. Hat sich hier nicht die Entwicklung in einen Unsichtbaren Staat hinein umgekehrt, weil täglich mehr Staatstheater geboten wird, mehr Sichtbarkeit? Doch ein Vergleich mit den wahrhaft "mächtigen" Staatszeremonien der Vergangenheit zeigt hier - vielleicht erst recht - den großen Verlust der Staatstheatralik in unserer Zeit; und er ist bewußt, ist selbst vielleicht eine Machttechnik, eben die des Unsichtbaren Staates. Nicht mehr eine staatshoheitliche Staatsbühne öffnet sich. Da ist nichts mehr Weihevolles, in sich bereits Mächtiges. Meist wechselt der demokratische Staat in seinen Feiern sogleich über in das, was ihn doch in allem tragen soll: in die Gesellschaft seiner Bürger. "Weihe" verleihen seine Organe einer Feier als Trophäenverleiher des Sportes, in den Stadien eines "National-Theaters", in welchen der Staat nur mehr ein Akteur ist, seine Fahne ein Schmuck unter vielen. Der Staat mag Feiern eröffnen und beschirmen - es sind im Grunde nicht die seinen, Machtdarstellung liegt ihnen fern. Und diese Entwicklung ist so allge-

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mein, mag sie auch nirgends programmiert werden, daß man geradezu von einem systematischen Zurücktreten der Macht hinter die Feier sprechen muß. Kein anderes, und gerade nicht das alte Staatstheater bieten die audiovisuellen Medien. Nicht mehr als Hoheit wird die Staatlichkeit in aller Regel dargestellt, sondern als eines unter vielen gesellschaftlichen Phänomenen; gerade der Vortritt wird den Staatsrepräsentanten - und auch er nicht immer - noch gelassen vor den Vertretern der Gesellschaft und ihrer Zusammenschlüsse. Nicht mehr Machtentwicklungen werden als solche demonstriert oder doch symbolisiert gezeigt, sondern meist nur allgemeine Abläufe der nationalen und vor allem der Weltpolitik; und in ihnen steht oft weit mehr die Ohnmacht der Regierung auf der Bühne als die Macht des Staates. Vor allem aber wird hier etwas aufgebaut wie jene große, allseitige Ablenkungsöffentlichkeit, von der bereits die Rede war: Während immer mehr an echten Entscheidungsräumen durch Konferenz- und Amtsgeheimnisse abgedeckt wird, werden die äußeren Seiten der Macht, die Bilder der Mächtigen gezeigt und ihrer Empfänge. Die eigentliche Machtentfaltung heutiger Staatlichkeit können die Medien dem Bürger schlechthin nicht vermitteln: die immer weiter ausgebaute, alle Freiheiten begrenzende, ja einschnürende Gewalt des Sozialleistungs- und des Steuerstaates, der geheimnisvollen Subventionsgeschenke. Frühere typische Macht war des Bühnenauftritts fähig, wenn nicht gerade ihrem Wesen nach theatralisch: die Militärgewalt in ihren Paraden; die Theatralisierung eines Arbeitsamtes, einer Kommunalverwaltung könnte weder eine Tragödie, ja nicht einmal eine Komödie leisten. Unzählige, aber gerade für die heutige Staatlichkeit typische Machtäußerungen entwickeln sich, von denen kaum jemand Näheres weiß, welche die Aufmerksamkeit der Medien nicht auf sich ziehen, eben in der Einfachheit ihrer "bürgernahen Organisation" . Die Angst vor der Medienkampagne, eine oft bis zum Komplex gesteigerte verständliche Sorge einer Beamtenschaft, die sich nicht mehr von Autoritäten gehalten und geschützt sieht, prägt die Staatstätigkeit in einer Art von "negativem Staatstheater der Verborgenheit", in der sich die kleine, nur zu oft aber wirkliche Macht des Staates geborgen weiß. Doch auch an den Staatsspitzen, dort, wo wirklich Machtentscheidungen getroffen werden, vermag das heutige Medientheater früheres Staatstheater gewiß nicht zu ersetzen, welches Macht zeigte und symbolisierte. Zwar sieht der Bürger die großen Akteure, aber meist auch nur ihre Gesichter, und er hört wenige, unverbindliche Phrasen. Die vielen, nachgeordneten Arbeitsgruppen, in denen wirklich entschieden wird - niemand wird sie je auf die Bühne bringen können.

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Dies ist also die Zeit der grauen Eminenzen, der vielen, kleinen. Je mehr Staatsspektakel stattfindet, zur Unterhaltung des Bürgers, desto tiefer werden die Kulissen, um so mehr spielt sich im Verborgenen ab. Das frühere Verhältnis von Staatsakteuren und Staatssouffleuren hat sich umgekehrt. Wie rasch nun aber untheatralische Macht zur Geheimgewalt für den medienbewußten Bürger wird, das zeigen die Ängste vor der EuropaBürokratie438 , die fast eine historische Idee zum Scheitern gebracht hätten. Hier hat sich eine gigantische Staatlichkeit modernster Form geradezu im Stillen entwickelt, wenn etwas ihr Wesen ausmacht, so ist es Untheatralik. Überall wuchert diese Mächtigkeit, zugänglich nur wenigen, ihrerseits dem Bürger nicht bekannten, ebenfalls in immer tieferen Kulissen tätigen nationalen Bürokratien. Mit einem Mal aber tritt dann diese Gewalt wieder heraus aus dem unübersehbaren Labyrinth ihrer völlig bühnenfernen, geradezu bergwerksähnlichen Behördenstollen, mit Entscheidungen, welche den Bürger überfallen, ohne daß sie ihm irgendwo "vorgespielt" worden wären, und sei es auch nur im Halbrund diskutierender Parlamente. Europa ist auf dem besten Wege, nicht nur einzelne Formen, sondern geradezu den Unsichtbaren Staat schlechthin zu entwickeln, der sich aus allem zurückzieht, was je Staatstheater war, der sogar kaum mehr medienfähig erscheint. Daß aber Unsichtbarkeit nicht Unwirksamkeit bedeuten muß, das hat diese Maschine bereits bewiesen. Der leichten, ironischen Kritik an seinen äußeren Formen ist der fürstlich-aristokratische Staat mit seinem Machttheater erlegen, vielleicht aber auch deshalb, weil er allzuviel zeigen wollte. Die Seligkeit der Verborgenen wird den Bürgern der Nationalstaaten in den Machtstollen der Europabürokratie vorgespielt - aber unsichtbar. Staatstheater - das war ein großes und letztlich ein gutes, auch freiheitsbewahrendes Wort. Wenn Theater bedeutet, daß mehr auf der Bühne gezeigt wird als Wirklichkeit, dann ist eine solche spektakuläre Staatlichkeit auch eine Form des Freiheitsschutzes, vor allem wenn sie sich selbst in ihrer ganzen Mächtigkeit offen spielt. Wo aber nun, im geraden Gegenteil, dieses Theater durch das Spektakel des Volksfestes ersetzt wird, oder im Amüsement der Medieninformation endet, da ist eben weniger geboten als die Wirklichkeit der Macht, im Grunde nur eine Verniedlichung derselben. Dahinter aber kann sich dann weit 438 Die auch im öffentlich-rechtlichen Schrifttum ihren Niederschlag gefunden haben, Follmann, R., Nach Maastricht: Mehr Fragen als Antworten?, Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 1992, S. 10 ff.; Rupp, H.H., Maastricht - eine neue Verfassung? ZRP 1993, S. 211 ff.; Schachtschneider, K.A., Maastricht: Verfallserscheinung der Demokratie, EG-Magazin 1993, S. 40 ff. 14 Leisner

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mehr an Machtwirklichkeit verbergen, überall, in allem, was Verwaltung heißen mag; Europa hat es bewiesen. Steigern kann sich dies sogar bis hin zu ganz neuen Formen "bürokratischer Einheit der Staatsgewalt" - der Gewalt eines auch in seiner Konzentration wahrhaft Unsichtbaren Staates. Laßt uns also, so möchte man ausrufen, das Staatstheater neu entdekken, damit es nicht abgelöst werde durch die größte Gefahr der Freiheit: den in Verborgenheit wohl sich vorbereitenden Staat. Das Beste, so spricht die Kryptogewalt, ist nicht ein Befehl, sondern eine Vorbereitung. "Staat" ist ein Machtbegriff, "Volk" nicht; und Theater bleibt immer etwas Mächtiges über uns. Daher kann es Staatstheater geben, das Volk kennt nur seine Feste.

III. Der Staat der "leichten Hand" 1. Die "Flucht ins Privatrecht" als "Flucht auf die Bürgerebene"

Die Verunsichtbarung der Staatsgewalt und die mit ihr einhergehende Entwicklung von Kryptomacht ist, das hat sich schon bisher gezeigt, ein im einzelnen schwer faßbarer Vorgang, geht es doch darum, das nicht selten bewußt als Verschleierung Gewollte dennoch sichtbar werden zu lassen. Dabei sind es dann ja auch immer nur einzelne Seiten der Hoheit, welche sich den Blicken der Gewaltunterworfenen entziehen, während andere, zu ihrer Ablenkung oft noch deutlicher heraustretend, voll sichtbar bleiben. Überzeugend ließ sich dies bisher nur dort zeigen, wo es in einer Art von "Entspektakularisierung der Staatlichkeit" in der zugleich doch sehr hohen Effizienz der Riesenbürokratie Europas in Erscheinung trat. Doch die Phänomene der Staatsverschleierung müssen - und dies macht auch den Reiz gerade dieser Betrachtung aus - in einem viel weiteren Umfeld gesehen werden; Schleier über die Hoheitsgewalt breiten sich auch dort aus, wo sie "zurücktritt" - wohin? In Gleichordnungsbeziehungen zum Bürger. Daß hier Gefahren für die Freiheit sich aufbauen können, ist keineswegs eine neue Erkenntnis, sie müßte nur zur allgemeinen Verunsichtbarungsproblematik erweitert werden. Die bereits mehrfach angesprochene "Flucht des Staates ins Privatrecht", die "Flucht aus der Hoheitsgewalt,,439 - das sind und bleiben die 439

Vgl. die unter Fn. 411 Genannten.

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Ausgangsfragen dieses Teiles der Untersuchung, nur darf sich diese nicht auf die engeren Räume der Daseinsvorsorge in privatrechtlicher Form beschränken, dort wieder allein danach fragen, ob freiheitsgefährdender Etikettenschwindel betrieben werden könnte 440 . Dies alles waren Techniken einer Macht, welche diese gerade - Forsthoffs berühmte Untersuchung über den Staat als "Leistungsträger" hat es gezeigt441 zu einem Zeitpunkt einsetzte, in dem sie als Hoheitsgewalt mit besonderer Mächtigkeit, ja Brutalität hervorzutreten bereit war: als " totaler Staat,,442. Die Volksherrschaft ist, im Namen der Freiheit, diese rechtstechnischen Wege ohne Zögern weitergegangen, aber mit einer ganz anderen, weit stärker systematisch ausgerichteten Zielsetzung, nunmehr im Namen eines der großen Organisations-Schlagworte der Gegenwart: der Privatisierung. Geblieben aber ist die Methode, in der sich all dies vollzieht: Die Entwicklung verschleiernder Formen der Staatlichkeit von einzelnen Punkten aus, aber auf die Dauer mit immer mehr flächendeckender Tendenz; und ebenso die Legitimation: stets und überall im Namen erhöhter Staatswirksamkeit. Doch diese Begründung steigert sich nun zu einer ganz staatsgrundsätzlichen, sie wandelt geradezu ihre Natur dadurch, daß es nicht mehr nur darauf ankommt, besser zu wirken, daß sogar Reibungs- und damit Effizienzverluste in Kauf genommen werden, wenn nur eines bewirkt wird: daß der Staat werde wie einer seiner Bürger. Man mag sich fragen, wie solche Probleme sich einfügen in Betrachtungen über den" Unsichtbaren Staat". Die Antwort kann nur lauten: Da eine Gewalt nicht aufhören kann zu existieren, welche heute, mit steigender Aufgabenlast, das immer komplexere Gemeinschaftsleben zu ordnen hat, kann sie sich nur zurückziehen aus der allzu hell beleuchteten, Machtneid anziehenden Sichtbarkeit, wo der Träger des Machtneides sich aufhält, der immer selbstbewußtere Bürger. Dieser Weg aus der Hoheit in die Gleichheit läßt gewissermaßen die großen, wuchtigen Worte und Handlungsformen früherer Staatlichkeit am Wege der Freiheit stehen, auf dem die Staatsgewalt den Bürger begleitet, in gleichem Schritt und Tritt, wie ihre Polizei die Demonstrationszüge der Staatskritik. Ist nicht die Hoffnung begründet, man werde so diesen Staat weniger und weniger sehen?

440 Dem ohnehin durch die "Fiskalgeltung der Grundrechte" (Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 I Rdnr. 475 ff.; Ehlers (Fn. 411), S. 212 ff.) ein gewisser Riegel vorgeschoben werden könnte. 441 Forsthoff, E., Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938; ders., Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, Allgem. Teil, 10. Aufl. 1973, S. 370. 442 Forsthoff, E., Der totale Staat, 1933.

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2. Gleichheit von Staat und Bürger In einem langen Marsch muß hier, so scheint es fast, eine säkulare Entwicklung rückwärts durchlaufen werden - und doch ist es, aus der Sicht der Gleichheit, nichts als ein ständiger Fortschritt. Seit der Französischen Revolution hat die Staatsgewalt sich in dauernden, immer mehr verrechtlichenden, Anstrengungen geradezu darin erschöpft, in jedem Wortsinn, ihre besondere, unverwechselbar-einmalige Stellung über der großen in Gleichheit lebenden Bürgerschaft zu befestigen. Da war es denn nur folgerichtig, daß die früher vielfältigen Kontakte der, gerade in ihren Endphasen, privatrechtsnah konstruierten Feudalgewalt zum Recht der Gleichordnung immer mehr zurückgedrängt, ja abgebrochen wurden, daß die Fiskustheorie443 aufhörte, Grundlage des Verwaltens zu sein. Mehr noch: Wo immer die Staatsgewalt auftrat, begann sie zunächst einmal "in Uniform", ihr Handeln war eben" wesentlich hoheitlich", anders als das ihrer Bürger. So wurden denn die wichtigsten staatlichen Dienstleistungen "verhoheitsrechtlicht" in vollem Umfang, nicht nur in der Vergütungsform der Abgaben, so etwa im Postbereich444 ; und die neuen Bildungsleistungen der Gemeinschaft für alle Bürger wurden in den hoheitlichen Formen der administrativen Schulordnung erbracht445 , nirgends deutlicher als hier ist "Staatssichtbarkeit im Namen der Gleichheit" herausgestellt worden. So selbstverständlich vollzog sich diese Entwicklung, daß man nicht darüber nachzudenken brauchte, daß der wesentliche Hoheits-, der "Verwaltungsakt " letztlich nichts als eine unreflektierte Übersetzung eines Begriffes bedeutete, welcher im Französischen "Verwaltungshandeln " , letztlich Staatshandeln bezeichnet. Wie mit einem Zauberstab verwandelte der Staat eben alles, was er berührte, in Hoheit, in volle Sichtbarkeit, "hoch über dem Bürger". Doch diese Entwicklung kam aus einer Idee, die in ihrer Dynamik an diesem Punkt nicht aufzuhalten war: aus der Gleichheit. Die Gleichen hatten sich diesen in seinen Machtäußerungen höchst sichtbaren, in seinem Wesen aber unsichtbaren Staat als die einzige Macht geschaffen, welche sie noch anerkennen durften, aus dem Wesen der Egalität her-

443 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts (Fn. 441), S. 112; Lassar, G., Der Erstattungsanspruch im Verwaltungs- und Finanzrecht, 1921, S. 1 ff.; Mayer, Dtto, Deutsches Verwaltungsrecht, I. Bd., 3. Aufl. 1924, S. 49 ff. 444 Der bis vor kurzem, gerade von der Rechtsprechung, in vollem Umfang hoheitsrechtlich erlaßt wurde, vgl. BGHZ 98, S. 140 (143); BVerwGE 71, S. 85 (87). 445 Forsthoff (Fn. 443), S. 373 ff.

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aus, so wie sie allenfalls noch den unsichtbaren Gott, immer weniger seine sichtbaren Vertreter, zu verehren bereit waren. Doch bald ereilte diese sichtbare Staatlichkeit das Schicksal der ihren Schöpfergott in extremer Weise sichtbar verkörpernden katholischen Weltkirche: Die Gleichen wollten den sichtbaren Staat ebensowenig über sich dulden wie die Hohenpriester des Allmächtigen. Zu derselben Zeit, in welcher massonische Herrschende die Staatskirche zerschlugen, gerade in Frankreich, dem Lande der besonders sichtbaren Hoheitsgewalt, und im Namen immer mehr ins Unsichtbare verdämmernder deistischer Ideen - in jener Wende zum 20. Jahrhundert begann auch, wiederum in Frankreich, der Rückweg aus der Hoheitsgewalt in privatrechtliche Formen des in die Gleichheit zurücktretenden "Industrie- und Handelsstaates ,,446, es setzte der Rückweg in die Gleichordnung ein. In ihren Vertretern sichtbare Mächte dürfen die Gleichen schon deshalb über sich nicht dulden, weil diese Macht ja vom einzelnen okkupiert und zur sichtbaren Herrschaft gesteigert werden könnte. Endphase dieser Gleichheitsentwicklung kann also nur sein "der Staat als Bürger,,447, damit sogleich und grundsätzlich flächendeckend verbunden der Abbau jeder Hoheitsgewalt; und zu diesem Ziel werden nun seither, bewußt und ungezielt, rechtstechnische Formen eingesetzt - letztlich stets in die Richtung des" Unsichtbaren Staates" . Der erste Schritt - er wurde im vorhergehenden Kapitel beschrieben - ist, daß der Staat die äußeren Formen seiner Hoheit ablegt. Doch dem folgt dann notwendig die zweite, weit komplexere Entwicklung: Dieser Staat darf, in Verfahren und Inhalten, überhaupt nicht mehr "anders handeln als der Bürger", daher gilt es, neue Handlungsformen, Verfahren im weitesten Sinne, für ihn zu entwickeln, überall und so systematisch, wie es das am höchsten systematische Staatsprinzip verlangt, das wir kennen: die Egalität. Hier nun erscheint am Horizont der Privatisierungsstaat als erreichbares Ideal. Doch es kann nicht damit getan sein, lediglich die rechtlichen Etiketten zu wechseln, das große französische Verwaltungsrecht möglichst rasch aus dem Staatsrecht der Gegenwart zu streichen448 . Überall muß, schon im Vorfeld, die Staatsgewalt daran gewöhnt werden, "bürger446 Zu dem dem Privatrecht unterworfenen etablissement (oder service) public industriel et commercial. 447 Die Entwicklung lief, wiederum vor allem in Frankreich, bis ins Völkerrecht hinein: Die Bürger, nicht die Staaten, als eigentliche Subjekte dieser Rechtsordnung (Berber (Fn. 420), S. 169 ff.). 448 Das es doch, nach dem Wort eben seines großen Verkünders in Deutschland, Otto Mayer (Theorie des Französischen Verwaltungsrechts, Straßburg 1886), überdauern sollte.

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näher" zu handeln, d.h. aber zuallererst: die typische "Staatshärte" abzulegen, Abschied zu nehmen von jener Unbedingtheit und oft Unerbittlichkeit, mit welcher selbst und gerade noch der liberale Staat stets eingegriffen hat in die privacy seiner Bürger. "Einer von uns" wird er nur dann, wenn er nirgends mehr ganz so vorgehen darf, "wie es keiner von uns dürfte" - und hier erreichen wir die Entwicklungsformen des "Staates der leichten Hand", als Vorstufe" privatisierter Staatlichkeit" . Vielfache, nicht zuletzt auch staats-moralisierende Tendenzen laufen darin sicher zusammen; so wie der in stets noch tiefere Unsichtbarkeit verdämmemde Gott nur immer noch gütiger werden kann, so steht permissive Milde jenem Staat wohl an, der sich in neuer Privatheit dem Bürger nähert; immer geht es ja um Angleichung an ihn, nicht um ein "Lob der Anarchie", welcher man nach wie vor, und sei es auch nur in Worten, unerbittlichen Kampf ansagt. Und auch hier wieder gilt: Nachdem der Hoheitsstaat nicht einfach verschwinden, den Bürger nicht in seinen Schwächen und Gefährdungen alleinlassen kann, wird er sich eben zurückziehen müssen, soweit wie möglich, mit leichten Händen seine übermächtigen Kräfte aufgeben. Staatsmilde bis zur Staatsschwäche ist vielleicht nicht, als solche, primär eine Verunsichtbarungsform der Staatsgewalt, und doch steht sie in derselben großen Entwicklung, welche dorthin trägt. Der Bürger, dem nicht mehr in alter Form befohlen, der nicht mehr bestraft wird, er "verliert den Hoheitsstaat aus den Augen", buchstäblich. Für diese Entwicklungen sollen nun einige Beispiele gegeben werden, die gewiß nicht erschöpfen, was sich heute, man möchte oft sagen mit einer gewissen Allseitigkeit, vollzieht. Die Frage nach der Kryptogewalt, auf welche die Betrachtungen dieses Kapitels immer wieder zurückkamen, stellt sich hier allerdings in einer besonderen Richtung: Es kann nicht erwartet werden, daß die Staatsgewalt aus sichtbaren Formen der Machtausübung unmittelbar hinabtaucht in solche gefährlich verschleierte Gewalt. Zunächst wird hier Staatsabbau geleistet, dies gerade beruhigt auch den Bürger in seiner Freiheit. Doch dann können gefährliche Tendenzen einsetzen, vielleicht sogar freiheitsgefährdende Rechtstechnik: Ordnungsdefizite, die so entstehen, müssen ja, nur zu oft, aufgefüllt werden aus anderen, zunächst wenig in Erscheinung tretenden Entwicklungen; wird so aber nicht der Staat in jene Kryptogewalt gedrängt, die er, äußerlich eben als "einer von uns", doch noch ausüben kann?

III. Der Staat der "leichten Hand"

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3. Der Rückzug der Polizei Die Polizei ist von der Straße verschwunden, fast scheint es: aus dem privaten Leben des Bürgers. Tiefgreifende Wandlungen haben sich im Polizeirecht vollzogen, mehr noch in der kriminalistischen Wirklichkeit, dies alles zeigt die Vorstufen der Verunsichtbarung - wenn nicht schon diese selbst - der bisher am stärksten in Erscheinung tretenden Staatsgewalt. Oft hat man hier Freiheitsfortschritt gepriesen, allzu rasch vielleicht, wo nur eine Verunsichtbarung der Gewalt begann. Die teilweise Entuniformierung herkömmlicher Polizeitätigkeit, ihre Verlagerung in die "zivile" Verwaltung der Sicherheit und Ordnung449 , oder in technische Überwachungen, hat zunächst einmal Martialität in Bürokratie verwandelt. Eine gewisse Verunsichtbarung des staatlichen Ordnungsvollzugs war damit sicher verbunden, begleitet vom äußeren Anschein der Verharmlosung. Eine Polizei, welche den Bürger an Straßenecken möglichst unsichtbar beobachtet, um ihm dann Abrechnungen seines Fehlverhaltens zuzusenden, hat sicher schon viel von den Leistungsformen jener Großbetriebe entwickelt, deren Apparate sie sich bedient. Kein Weg führt daran vorbei: Das typisch Staatliche verschwindet in Handlungsformen, die schon äußerlich an Rechnungen für Energielieferungen erinnern, es sind Negativabrechnungen des Gemeinschaftslebens. Und wie oft hat nicht der verkehrssündige Bürger das Gefühl, daß es hier weniger um Hoheitsbefehl im Namen der Ordnung geht als um die Auffüllung staatlicher Kassen, die schon vor Jahrhunderten die Mächtigen privaten Unternehmern überließen. Die Polizei vollzieht hier nur das allmächtige Wort, daß "alles seinen Preis hat", Preis aber ist ein unstaatliches, ein privates Wort. Doch die Polizei zieht sich nicht nur in solche Formen privatähnlicher Bürokratie und privatwirtschaftsähnlicher Entgeltverwaltung zurück; sie nimmt ihre physische Gewalt aus dem privaten Leben des Bürgers zurück, sie schützt nur mehr immer weniger zahlreiche Fluchtburgen der öffentlichen, der politischen Macht mit ihrer sichtbaren Gewalt. Unübersehbar ist der Rückzug aus den privaten Kontakträumen der Bürger450 , von nächtlicher Ruhestörung und Feiertagsschutz bis hin zu den immer rascher als "Bagatelldelikten" bezeichneten Eigentums449 Drews/Wacke/VogellMartens, Gefahrenabwehr, 9. Auß. 1986, S. 48 ff.; Wacke, G., Das Frankfurter Modell eines Polizeigesetzes, DÖV 1953, S. 388

(390).

450 Was auch in den Polizeigesetzen zum Ausdruck kommt (vgl. Art. 2 Abs. 2 BayPAG; Berner, G.lKöhler, G. M., Polizeiaufgabengesetz, 12. Auf!. 1991, Art. 2 Anm. 14) und hier geht es nicht nur darum, daß die private Rechtsverfolgung nicht unterlaufen werde.

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

Straftaten, deren Aufdeckung privaten Detekteien, deren Folgen privater Versicherung überlassen werden. Noch vor wenigen Jahrzehnten wäre es in den meisten zivilisierten Ländern als unvorstellbar, als Ende der Ordnung, ja der Staatlichkeit erschienen, die Polizei so weit zurückzunehmen; heute wird es gedeckt durch die stärksten Begründungen des Gleichheitsstaates: die Finanzen der Bürger und ihre Freiheit. Wer hier überall eingreifen und verfolgen wollte, der müßte weit mehr aufzuwenden bereit sein, und ist es nicht besser, einiges an Ordnung zu verlieren, als überall den freiheitsbedrohenden Polizeistaat um sich zu sehen? So kann sich denn die Polizei aus dem ohnehin schon weitgehend, etwa beim Schutz der Sittlichkeit, entpönalisierten Privatleben der Gleichen zurückziehen und aus dem Schutz ihres Eigentums - sie mögen selbst darüber wachen, mit Alarmanlagen und Versicherungen, so wie der Staat sich auf den Schutz seiner eigenen Interessen immer mehr beschränkt, und auf den Schutz seiner Herrschenden: Wer den Staat im Marsch sehen will, muß ihn in Demonstrationen gefährden oder in organisiertem Verbrechen, das seinerseits der Polizei eine Sichtbarkeit der Aktionen vor Augen führt, die der Staat doch Privaten nicht erlauben darf, wenn er sich selbst aus ihr zurückzuziehen versucht. Und daß der spektakuläre Ordnungs bruch, am Ende vielleicht nur er mehr, polizeilich zu verhindern ist - könnte man darin nicht geradezu eine indirekte Form der Verunsichtbarung der Staatlichkeit sehen, indem es eben gilt, alle sichtbare Gewalt zu verhindern, am Ende nur mehr sie? Bruchlos fügt sich dies ja ein in die Grundkonzeptionen einer Öffentlichkeits-Demokratie, die eben das Spektakuläre braucht, es allein aufgreift - warum sollte die Polizei anderes nicht, auf die Dauer, vollends ignorieren? Nun mag man sicher fragen, ob hier der Staat wirklich mit seiner Polizei in "Unsichtbarkeit zurücktritt", ob er sie nicht, ganz im Gegenteil, nur an einigen besonders sichtbaren Punkten konzentriert; und ebenso ist damit die weitere Frage noch nicht beantwortet, ob sich aus all dem ein Zug zur "verdeckten Polizeigewalt" entwickeln könnte, der die Freiheit in besonderem Maße gefährdet. Insgesamt führt die Entwicklung zweifellos zu einem weiteren Zurücktreten sichtbar sich darstellender Staatsrnacht. Großeinsätze, mit spektakulärer Machtentfaltung, finden im wesentlichen nur mehr gegen politische Demonstrationen statt; hier aber ist die demokratische Staatsgewalt wesentlich in der Defensive, weit häufiger zeigt sie Ohnmacht als Macht, wenn sie sich mit dem Bürger schlägt, auf den Straßen der Gleichordnung. Wenn überhaupt irgendwo ein Unterschied zwischen Hoheit und Ordnung greifbar wird, so in derartigen Einsätzen, in welchen der Staat sichtbar nicht Machtentfaltung zeigt, sondern Selbst-

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beschränkung; die Sichtbarkeit überläßt er, ebenso wie die Initiative, den "ersten Stein", seinem Gegenüber, denen, die eben "demonstrieren" , sich ganz deutlich sichtbar - zeigen. Vor allem aber steht diese recht uneigentliehe "Anti-DemonstrationsSichtbarkeit" der Polizei in besonderem Maße unter dem obersten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der all ihre Einsätze zu leiten hat, hier jedoch, schon aus Gründen der bereits beschriebenen Vermeidung jeglicher Provokation, in besonderem Maße zu beachten ist. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne451 aber bedeutet nichts anderes als die Polizei-Staatlichkeit der "leichten Hand", die sich möglichst von jedem Zugriff zurückhalten muß, der den Bürger schwerer treffen könnte. Die Defensivpolizei der modemen Demokratie ist daher so wirksam wie nötig, vor allem aber so wenig sichtbar wie möglich. Damit muß nun nicht wesentlich Kryptogewalt verbunden sein, gewollt ist sicher und in erster Linie Machtabbau. Doch selbst bei gutem Willen zu ihm sollten Versuchungen, vielleicht schon Tendenzen, zu immer stärker verdeckter Ausübung der Polizeigewalt nicht übersehen werden; vielleicht trägt zu ihnen eine geradezu notwendige Entwicklung (aus der dargestellten "polizeilichen Grundstimmung") bei: Was nämlich die demokratische Herrschaft in besonderem Maße verabscheut, die Geheimpolizei - gerade sie ist, in immer weiteren und bedeutenderen Sektoren, die nahezu notwendige Folge ihrer eigenen Grundprinzipien. Aus dem privaten Leben und den kleinen Eigentums-Angelegenheiten des Klein-Bürgers zieht sich die Ordnungsmacht, wie dargelegt, immer mehr zurück, um sich auf jene bedeutenden Punkte zu konzentrieren, welche einerseits zum Medienspektakel taugen, zum anderen die stets gefährdeten Zentren demokratischer Macht schützen und deren Herrschende. Damit aber sind die großen Einsatzlinien vorgezeichnet: Kampf gegen politische Aktionen im weiteren Sinne - und gegen das "organisierte Verbrechen". Beides aber setzt gerade etwas voraus, was bei der Suche nach dem kleinen Eigentumstäter nicht hilft, daher nicht eingesetzt wird: Systematische, nunmehr auch technisch perfektionierte Beobachtung, Anlage flächendeckender Datenbanken, vor allem aber all dies in möglichst verdeckter Errnittlung452 . Ohne sie 451 Drews/Wacke/Vogel/Martens (Pn. 449), S. 389 ff.; Götz, v., Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Auf!. 1993, Rdnr. 249 ff. 452 Götz (Pn. 451), Rdnr. 151; Rebmann, K, Der Einsatz verdeckt ermittelnder Polizeibeamter im Bereich der Strafverfolgung, NJW 1985, S. 1 ff.; vgl. zum "Lauschangriff" Hassemer, w., Brauchen wir den "Großen Lauschangriff"? DRiZ 1992, S. 355 ff.; Kutscha, M., Die Legalisierung des Lauschangriffs, Demokratie und Recht 1992, S. 247 ff.

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

wären diese polizeilichen Entscheidungsschlachten bereits verloren, der Staat würde darin" unsichtbar", daß seine Ohnmacht sichtbar wäre für alle. Irgendwann muß die Volksherrschaft wählen, ob sie den unsichtbaren Polizei-Staat sich aufbaut oder den sichtbaren Staatskonkurs vor den Bürgern riskiert. Keine parlamentarische Überwachung453 wird es hier je verhindern können, daß die Ordnungsrnacht Züge einer echten Geheimpolizei annimmt - und welche Staatsgewalt wäre auch noch weniger geeignet, die verborgene Staatsrnacht zu kontrollieren als jene Volksvertreter, bei denen doch alles zur Öffentlichkeit stets gewendet bleiben muß. Vor allem aber wird und muß diese Polizei, auf den entscheidenden, im weiteren Sinne "politischen" Aktionsfeldern vor allem, auf die Beteiligung des Bürgers setzen, ein neues Wort für die alte Denunziation. Ohne sie, die wesentlich anonym wirkt, aus der Unsichtbarkeit des Anzeigenden heraus, müßte der Apparat polizeilicher Ermittler unangemessen wachsen - er würde geradezu organisationsrechtlich "unverhältnismäßig". Deshalb aber wird und muß sich die polizeiliche Staatsgewalt auf Dauer ein Heer namenloser Bürger rekrutieren, die aus Säuberlichkeit und Neid, vielleicht aus beidem zugleich, in "gesellschaftlicher Ermittlung auf breiter Front,,454 die Staatsgewalt in die Gesellschaft hinein fortsetzen - ein gänzlich neuer Übergang der Bereiche von Staat und Gesellschaft. Ein " Staat der leichten Hand" wird trotz allem bleiben, denn der aufgefundene Gemeinschafts-Attentäter riskiert nicht Folter und Tod; der weiche Staat aber könnte dennoch unsichtbar bald überall auftreten, nicht nur mit den elektronischen Augen der Technik, sondern mit den durch Neid geschärften Augen von jedem von uns; sie blicken aus einem Dunkel heraus allseitig, das nicht durch Polizeischeinwerfer erhellt wird. 4. Die unsichtbare Wehr Ein Ideal liberaler Revolutionäre des 19. Jahrhunderts ist volle Wirklichkeit geworden: Die demokratischen Armeen haben sich überall in 453 Die übrigens ihrerseits in der .. Unsichtbarkeit" des Ausschlusses der Öffentlichkeit arbeitet; Evers, H.U., Parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste, NJW 1978, S. 1144 f.; Klein, H.H., Verfassungstreue und Schutz der Verfassung, in: VVDStRL 37 (1979), S. 53 (90 ff.). 454 Beispiel: Die Verbände, ihre Tätigkeit, ihre Rechte im Naturschutz, Bizer, J./Ormond, Th./Riedel, U., Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, 1990; Rehbinder, E., Die hessische Verbandsklage auf dem Prüfstand der Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 1982, S. 666 ff.

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die Kasernen zurückgezogen, aus der Sichtbarkeit der Unifonnen, der bunten, martialischen Straßenbilder, der rasselnden Säbel. Gruppen von Militärtechnikern sind in der Tagtäglichkeit eines "hoheitlichen Arbeitslebens" tätig, das, in etwas wie Arbeitskleidung gehüllt, kaum mehr als solches sichtbare Staatlichkeit bedeutet. Freund und Helfer in Katastropheneinsätzen - die demokratische Annee enthält sich jeden Zugriffs auf die Bürgerschaft, und selbst in "innerer", d. h. doch "zivilisierender" Führung, bietet sie Bürgern geistigen Service an, weit entfernt von einem" Volk in Waffen". Ist hier nicht weit mehr als Staatsabbau, vielmehr eine geradezu kopernikanische Wende, weg von der aggressiven Gewalt zur defensiven Präsenz455 , dort, wo der Staat seine immer noch allerwirksamste Gewalt völlig zurücknimmt aus dem Gemeinschaftsleben? Jahrhunderte lang war die Annee nichts anderes als eine Fortsetzung der Polizei mit anderen Mitteln - und nun ist sie geradezu inexistent, nicht mehr nur unsichtbar, in bombensicheren Kasematten und eingezäunten Versuchsgeländen. Ist dies nicht der beste aller Beweise, daß Staatsunsichtbarkeit - hier sind doch nun wirklich die Gipfel der Staatsrnacht in Wolken gehüllt - das Ende der Gewalt bedeutet? Doch bleiben wir in diesem Bild der Analogie von den höchsten Erhebungen der Staatsrnacht bis in deren Verästelungen hinein: Sie verlieren sich in Unsichtbarkeit, ist da aber nicht ein Beginn neuer Kryptogewalt, überall? Immerhin hat doch die modeme Technik der heutigen demokratischen Annee etwas beschert, was es in früheren, pathetischen Militärzeiten in diesem Maße nie gegeben hat: ein Wehrgeheimnis von einer Systematik, die nun alles mit Amtsgeheimnissen verhüllt, was nicht zufällig, wie um seine Harmlosigkeit zu beweisen, auch einmal ausnahmsweise Vertretern der Medien vorgewiesen wird. Der Ernstfall, auf den alles Militärische ausgerichtet ist, der alte, schlechte Krieg, ist seit diesem Jahrhundert der in Kampfanzügen getarnten Anneen erstmals zum Raum der systematischen Lüge geworden, einer Berichterstattung, in welcher die Technik allseitige Desinfonnation erzwingt und begünstigt. Das staats grundsätzlich Bedeutsame daran ist: Die bewaffnete Macht legt um sich einen Raum vorher nie gekannter Staats-Unsichtbarkeit; nahezu alles ist dort seit langem geheim456 , und könnte dies nicht leicht zum Modell für neue, systematische Staatsgeheimnisse überall in der Exekutive werden? Ist es nicht ein faszinierendes Modell 455

Stern (Fn. 404), Bd. II, 1980, S. 843 ff.

Siehe Anfänge schon bei von Liszt, F., Der Begriff des militärischen Geheimnisses, in: FS. für H. Brunner, 1914, S. 207 ff. 456

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

für jedes Staatsorgan, daß sich die Effizienz in dem Maße steigern läßt, in welchem die Macht sich mit Geheimnissen umgibt, immer mehr in Technik abgeschirmt - und durch sie? Die Armee war stets ein Vorbild wohlorganisierter Exekutivgewalt. Könnte sie es nicht darin, in ganz neuer Weise, doch wieder werden, daß ihre Organisationsprinzipien in den zivilen Bereich - selbstverständlich mit den notwendigen Änderungen - übernommen werden, vor allem aber diese: Rückzug in verdichtetes Staatsgeheimnis; dort straffe Organisation, welche demokratische Kritik schon deshalb nicht zu fürchten braucht, weil sie in ihrer Unsichtbarkeit nicht zum Modell schlechthin werden kann, vor den Augen der Bürgerschaft. Sodann Entwicklung zu einer nach größten militärischen Vorbildern voll durchorganisierten "Fleet in being", die als unsichtbare Gewalt alles hinter den Kulissen wenn nicht beherrscht, so doch "sichert"; schließlich - immer nach englischem Vorbild, readiness is all - innere Bereitschaft zur "Verteidigung der Demokratie" ; von dort zur Vorbereitung, als Reservegewalt zu agieren, wenn alle demokratischen Gewalten fallieren ... Daß demokratische Armeen nie putschen, bleibt unumstößliches Dogma der Volksherrschaft, doch seit Chile und Frankreich 1958, italienischen Ansätzen in neue ster Zeit, stehen sie immer in undurchdringlicher Unsichtbarkeit bereit, das Volk zu schützen vor "der Verantwortungslosigkeit und Schwäche seiner Politiker". Mehr hinzuzufügen verbietet in Deutschland die Achtung vor einer Armee, die über solchem Zweifel erhaben ist, mag sie auch schwer an der Bewältigung früheren Armee-Widerstandes zu tragen haben. Zurück zur Wirklichkeit: Unsinnig wäre es, die aus der Kampf-Sichtbarkeit gezogene, allenfalls noch im Katastrophenschutz ungefährlich sichtbare Armee als Krypto-Reservegewalt leugnen zu wollen. Doch eine andere Warnung noch muß hier stehen: Auch kommunistische Armeen der letzten Vergangenheit waren, zum Glück der Demokratie, nicht einfach nur Fortsetzung der Polizei mit anderen Mitteln, auch sie blieben in schicksalhaften Augenblicken in den Kasernen. Der Rückzug des Staates in die Unfaßbarkeit hatte sich selbst in diesen so mächtigen Fassadenregimen nicht aufhalten lassen. Doch daraus gerade hatte sich, in der Grauzone zwischen tagtäglicher Ordnungsverwaltung und unsichtbarer Armee, die paramilitärisch organisierte Geheimpolizei entwickelt, in den Organisationsstrukturen der unsichtbaren Wehr-Macht, mit den Aufgaben der gesellschafts-beobachtenden Normal-Exekutive457 , in deren Raum sie immer weiter hineinwuchs. Wenn die Armee 457 Wie es sie auch im Bereich der Regierung des demokratischen Rechtsstaates geben darf, vgl. BVerfGE 82, S. 76 (80 f.).

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zwn Zentrum des Unsichtbaren Staates wird, so darf es nicht dahin kommen, daß wichtige Bereiche an den Nahtstellen zur Verwaltung der Sicherheit und Ordnung, welche sie damit äußerlich aufgibt, besetzt werden durch paramilitärische Staatlichkeit, die ebenso unsichtbar, ebenso effizient, d.h. aber militärisch organisiert ist wie sie. Denn dann würde eine Kryptogewalt größten und bestformierten Ausmaßes den Gesamtraum besetzen, der sich von der täglichen "unpolitischen Verwaltung" erstreckt bis in die letzten Kommandozentralen der militärischen Vernichtungsschläge. Dann wäre "die Kryptogewalt schlechthin", nach altem militärischen Staatsvorbild, neu geboren. Dagegen hilft kein Staatsrecht, das nie darüber Kapitel schreiben wird, kein Verwaltungsrecht, in dessen Polizeinormen man solche Unsichtbarkeit vergeblich suchen wird, sondern nur eine Bewußtseinsbildung: daß der Rückzug der Armee in die effiziente Unsichtbarkeit niemals Staatsvorbild sein darf, stets Staatsausnahme bleiben muß, in engsten Grenzen.

5. Strai-Spektakel- oder diskrete Betreuung?

Daß Strafe nicht Rache sei, sondern Heilung, ist nicht eine Entdeckung des Volks staates der "leichten Hand", schon der Demokratiekritiker Platon hat es gelehrt. Doch die Demokratie zieht daraus die systematische Folgerung: in geradezu spektakulärer Hinwendung zwn Unsichtbaren Staat. Strafurteile und ihre Vollstreckung waren, bis vor wenigen Jahrzehnten, der Prototyp sichtbarer, geradezu spektakulärer Staatlichkeit, auch, gerade, in den bedeutendsten Demokratien, vom elektrischen Stuhl bis zur Guillotine. Wurde hier nicht letztlich nur die Theorie vom "größten Glück der größten Zahl" in der Mehrheitsherrschaft zelebriert, welche einzelne sterben ließ, im Namen der wuchtigen Generalprävention? Doch gerade dort, wo sie erbarmungsloser angetreten war als ihre unmittelbaren, dekadenten fürstlichen Vorgänger, da gelang der Demokratie die volle Wende: Mit erstaunlich leichter Hand entpönalisiert sie ihre Gesetze, vor allem die Normen ihrer Verwaltung, mit immer hwnaner dosierter Strafzwnessung verwirklicht sie die Menschenwürde, beides hebt sie in die Höhe unabänderlicher Verfassungsnormen, in deren Namen sie ihren Strafanspruch abschwächt, zurückzieht458 .

458

BVerfGE 45, S. 187 (227 f.)i 72, S. 105 (113 ff.).

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

Strafrecht, Kriminologie und Staatsethik haben sich mit den kriminalistischen und moralischen Begründungen und Folgen zu befassen; hier geht es um die staatsgrundsätzliche Dimension: Der Staat der "leichten Hand" tritt darin zurück aus der öffentlichen Härte seiner alten Hoheit in die Diskretion der Bürgerbehandlung durch bessernde Staatsorgane. Als Macht wird er unsichtbar, wie überall dort, wo er als Sozialstaat hilft und heilt. Der Strafrichter als Sozialarbeiter bietet die Strafe an als Besserungsservice, den sokratischen Staat, der den Täter eines besseren belehrt, in jedem Sinne des Wortes. Dazu bedarf es doch im Grunde ebensowenig des Staates wie seiner hoheitlichen Organe, in jenem Unterricht, wo die Notwendigkeit beamteter Lehrer ohnehin in Zweifel gezogen wird459 . Der rechtlich Gefallene als Sozialfall - wer wollte dieses bedauernswerte Phänomen, diese rechtliche und so oft auch physische Behinderung, in die Öffentlichkeit ziehen, muß es nicht gedeckt werden durch eine Organisation, die Hilfe in Unsichtbarkeit gewährt? Der Richter als Arzt, als bewährter psychologischer und psychiatrischer Gutachter was soll hier die viel gepriesene Öffentlichkeit des Strafprozesses, ein gaffender Umstand unbeschäftigter Bürger? Wenn Psychologie tieferes Eindringen in Bereiche bedeutet, die sich nur dem Gespräch mit dem einmaligen Du erschließen, so ist hier Diskretion gefordert, nicht moralisierende Belehrung des Angeklagten und der Zuhörerschaft. Und wenn das Zuchthaus sich entfernt, die Einweisung immer näher rückt an die Täter, so ist doch die geheimste aller Betrachtungen gefordert, die des Psychiaters. Wenn schließlich die immer jugendlicheren Täter nicht einmal zu bessern sind, sondern zu erziehen, muß dann nicht der Bogen geschlagen werden vom Strafrichter zum Vormundschafts gericht460 , und muß nicht dann die einst so hoch gepriesene Errungenschaft der Demokratie aufgegeben werden: die Öffentlichkeit des gerichtlichen Strafverfahrens, die ohnehin zum Spektakel entartet? Wenn schließlich die Strafjustiz sich verstehen muß als Fortsetzung einer Polizei und ihrer immer verdeckteren Methoden, für die sie stets noch weitergehendes Verständnis wird zeigen müssen461 , taucht dann nicht gerade hier, an seiner bisher so sichtbaren Spitze, der Staat hinab in die Unsichtbarkeit?

w., Müssen Lehrer Beamte sein? ZBR 1980, S. 361 ff. Das die Öffentlichkeit nicht kennt, vgl. Albers, J., in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 51. Auf!. 1993, § 170 GVG. 461 Krüger, R., Verdeckte Ermittlungen im Strafverfahren und die Unverletzlichkeit der Wohnung, ZRP 1993, S. 124 ff.; Weil, S., Verdeckte Ermittlungen im Strafverfahren und die Unverletzlichkeit der Wohnung, ZRP 1992, S. 243 ff. 459 Leisner, 460

III. Der Staat der "leichten Hand"

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Ist der Rückzug des Staates in die Unsichtbarkeit gerade hier unzweifelhaft - entwickeln sich darin aber auch zugleich neue Formen von Kryptogewalt? An dieser Stelle hat die so sichtbare kommunistische Staatlichkeit allgemeine Ängste vor neuen Kryptogewalten über die ganze Welt vor kurzem noch verbreitet. Da man das Odium der bereits "geöffneten" Konzentrationslager nicht tragen konnte, selbst nicht das der noch geheimen Gulag, ging man auf breiter Front über zur "Medizinierung der Strafjustiz ", zur "Betreuung" von Tätern in Heilanstalten. Diese neuen Formen medizinisch-sozialpsychologischer Strafrechtspflege 462 sind als diktatoriale Entartungen angeprangert worden; könnte es sich nicht im Grunde um eine notwendige Entwicklung handeln, die hier allerdings aus politischen Gründen ins Extrem gesteigert wurde? Wer nicht mehr offen zu strafen wagen kann, wird er nicht bald in Watte-, am Ende in Gurnmizellen "betreuen"? Man mag dies alles als Horrorvisionen abtun, doch es gehört mit in die Betrachtung des Unsichtbaren Staates, ist es doch erweiterungsfähig selbst dort, wo es noch so gut, täter- und menschenfreundlich, gemeint ist. Über richterliche Einweisungsanordnungen reichen derartige Grundstimmungen psychologischer Betreuung ja weit hinaus. Hinter ihnen steht, auch wenn sie "unpolitisch" praktiziert werden, am Ende die Überzeugung, daß etwas wie ein betreuend-bevormundender Sozialzwang überall dort eingesetzt werden darf, wo keine offene, rechtlich angreifbare Gewalt mehr gestattet ist. Rein rechtlich läßt sich dazu allerdings wenig anmerken, wie ja auch sonst jede medizinische Betreuung hinter Türen stattfindet, die dem Recht verschlossen sind. Der "Staat der leichten Hand" lebt gerade dort in der Versuchung, immer mehr an derartiger "Betreuung" anzuregen, zu fördern, am Ende selbst zu leisten, weil dies im Namen der "unverwechselbaren" Menschenwürde 463 des Einzelnen geschieht, die dann aber doch nicht zum Objekt, zum Instrument generalpräventiv dirigierender Strafrechtspflege gemacht werden darf. Nur ist damit die staatliche Lenkung keineswegs ausgeschlossen; "betreuend" kann sie nicht nur einzelne Täter, sondern selbst größere Kreise virtuell den Herrschenden Gefährlicher buchstäblich " aus dem Verkehr ziehen" - auch aus dem politischen im weiteren Sinne. Dies alles aber läuft ab in einer wiederum von der Wahrung des Menschenwürde-Geheimnisses gedeckten Unsichtbarkeit, in der sich eben alle Gewalt in Vorsorge auflöst - in Vormundschaft. Und hier 462 Kaiser, G./Kemer, A.-J./Schöch, H., Strafvollzug, 4. Aufl. 1992, § 9; Rotthaus, K.P., in: Strafvollzug in der Praxis, hgg. von H.-D. Schwind/Go Blau, 2. Aufl. 1988, S. 87 ff. 463 Vgl. Benda, E., Die Menschenwürde, in: Handbuch des Verfassungsrechts,

E. Benda u.a. (Hrsg.), 1983, S. 107 (114 f.)

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

sind wieder allgemeinere Dimensionen der entmündigenden Sozialstaatlichkeit erreicht, die heute ja bereits politisch zum Problem geworden sind. So marschiert jene Strafrechtspflege, welche einst den Zug der Staatsgewalt in die Öffentlichkeit anführte, heute ganz vorne in den" Unsichtbaren Staat". Selbst dort aber, wo sie sich noch die spektakuläre Sichtbarkeit bewahrt hat, greift die Staatsgewalt über sie zu auf den Gewaltunterworfenen in neuen Formen der Unsichtbarkeit - in Unvorhersehbarkeit. Das zur Zeit bedeutsamste Beispiel: Entpönalisierung und milde Strafen sind seit langem politisch-staatsrechtliche Mode; nur an einem Punkt kehrt sich in letzter Zeit diese Entwicklung um: Beim Umweltschutz und zur Bekämpfung der "Wirtschaftskriminalität" im weitesten Sinne werden immer härtere Strafen gefordert und gesprochen464 , ohne politischen Widerspruch. Darin mag etwas liegen von einer KollektivAngst vor unfaßbaren Gefahren, welche dem jedermann aus diesen ihm unzugänglichen Bereichen drohen, etwas auch von einem Sozialaffekt, der dort rascher bereit ist hart zu schlagen, wo er wirtschaftlich Stärkere trifft. Bedeutsam ist aber nicht dies aus der Sicht des Unsichtbaren Staates, sondern die immer weitergehende Unvorhersehbarkeit, welche hier am Ende pönalisiert wird. Technisch-naturwissenschaftliche Fehlprognosen werden ja dem Täter meist letztlich vorgehalten, aufgrund von Strafnormen, die ihn, von ihren weiten Tatbeständen her, kaum mehr vorhersehbar treffen, mit deren Erlaß und verschärfender Anwendung die Staatsgewalt wie aus dem Dunkel einer oft eben noch unbekannten, einer unsichtbaren Gewaltanwendung gegen ihn vorgeht; und eine solche liegt ja auch bereits in der Pönalisierung von Risiko-Tatbeständen465 . Da hier technische Entscheidungen gefordert sind, zieht sich die einst so spektakuläre Gerichtsbarkeit immer mehr in "technische Wertungen", d. h. aber: in rechtliche Unsichtbarkeiten zurück. Sie eignen sich dann auch nicht mehr für eine Öffentlichkeit, welche daher immer weitergehend ausgeschlossen werden darf, ja muß, im Namen, so scheint es doch, gerade der individuellen Freiheit. In der Unvorhersehbarkeit ihrer, zudem noch rasch wechselnden, wirtschaftsund umweltkriminellen Tatbestände tritt damit aber die Staatsgewalt immer von neuem hervor - aus ihrer Unsichtbarkeit und dies dann auch noch spektakulär ... 464 Hassemer, w., Kennzeichen und Krisen des modemen Strafrechts, ZRP 1992, S. 318 (381 ff.); Meinberg, v., in: Umweltstrafrecht, hgg. von V. Meinbergl M. MöhrenschlagerlW. Link, 1. Aufl. 1989, S. 1 ff. 465 Vgl. Kloepfer, M., Umweltrecht, 1989, § 4 Rdnr. 336 ff.

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Dies alles sind Formen der Verunsichtbarung, zugleich auch noch einer diese ablenkend kompensierenden Spektakularisierung, der Staatsgewalt, deren mögliche und bereits aktuelle Anwendungsfelder im "Staat der leichten Hand" weit über die Strafjustiz hinausreichen. Zivil- und Verwaltungsgerichte des entpönalisierten Staates sind ohnehin in so vielen Bereichen an die Stelle früherer Strafgewalt getreten466 , mit wirtschaftlich ohne weiteres vergleichbaren Effekten, ganz zu schweigen von den Finanzgerichten. Dort ist zwar nicht überall staatliche "Betreuung" im Gange, wohl aber die "Judizierung des Unvorhersehbaren", nicht nur in der Bewertung der technisch-naturwissenschaftlichen, sondern auch der betriebs-marktwirtschaftlichen Prognosen des Bürgers. Er aber wird immer wieder vor unerwartete, ja wahrhaft unvorhersehbare Entwicklungen der Judikatur gestellt, welche ihn in etwas nehmen wie "Vertragsstrafen des Gemeinschaftslebens ". Gegen die Annahme einer wahren Kryptogewalt spricht dabei allerdings das Fehlen einer geschlossenen Systematik, die es im Staat der unabhängigen Richter nicht geben kann. Doch auch sie werden, oft recht allgemein, mitgezogen von den politischen Moden, die in den Gesetzen zum Ausdruck kommen, welche sie anzuwenden haben. Und dabei erlauben ihnen die immer weiteren Generalklauseln vielfache Anwendung einer stets noch weniger vorhersehbaren, einer "wahrhaft aus dem Unsichtbaren heraustretenden Staatsgewalt" .

6. Unfühlbare Steuern

Unfühlbarkeit ist nicht schlechthin Unsichtbarkeit der Staatsgewalt dies war einer der Ausgangspunkte dieser Betrachtungen - und doch kann sie zu einer höchst bedeutsamen Form derselben werden; das Steuerrecht ist das heute wohl deutlichste Beispiel. Der Staat - hier nun wirklich als eine Herrschaftseinheit auftretend, in all seinen Körperschaften und Formen - hat die Abgabenlast in einer Weise gesteigert, daß sie, offen auferlegt, den Bürger bald in Aufstände treiben würde, oder in die Resignation der Untätigkeit. So ist es denn erste Aufgabe effektiver öffentlicher Gewalt, sich gerade hier zu verunsichtbaren, "unsichtbare Steuern" sind höchstes Gebot der Staatsräson. Einst galt dabei, wie auch in anderen Bereichen: Steuerbeitreibung repräsentierte nicht nur, sie war die eigentliche Staatsgewalt, ihr 466 Schenke, W.-R., Polizei- und Ordnungsrecht, in: Besonderes Verwaltungsrecht, hgg. v. U. Steiner, 4. Aufl. 1992,11 140; Drews/Wacke/Vogel/Martens (Fn. 449), S. 559 ff.

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in der geschichtlichen Entwicklung immer sichtbarer werdender Existenz beweis, der allerdings das Risiko des Aufruhrs tragen mußte, wie er denn auch, jenseits des Atlantik, die Welt verändern sollte. Soweit dann das politische Odium nicht mehr auf die Belastung Fremder und ihrer Waren, durch Zollschranken, abgewälzt werden konnte, setzte eine groß angelegte, in ihrer Systematik sich allerdings wohl kaum selbst bewußte Entwicklung ein hin zu dem, was wir in unserem Zusammenhang nun wirklich nicht mehr nur "den Staat der leichten Hand" zu nennen haben, sondern bereits den Unsichtbaren. Beschränken wir uns auf die wichtigsten Erscheinungsformen. Zunächst, und in großem Stil, setzt der Staat die Steuergleichheit ein, mit paradoxem Erfolg: Gerade weil sie streng zu wahren ist, wirkt sie insgesamt insensibilisierend: Was alle zu tragen haben, wird weniger schwer als Last empfunden, geteiltes Leid ist eben doch halbes Leid, wie Walther Jellinek bereits früh zur Begründung der Sonderopfertheorie bei der Enteignungsentschädigung sagen konnte 467 . Doch der Steuerstaat versteckt sich noch tiefer hinter der Gleichheit: Er belastet alle nicht nur so schwer, sondern so vielfach, daß Steuerfreiheit bereits als begründungspflichtige Ausnahme erscheint, oder strafrechtlichen Verdacht erweckt. Spektakulär sichtbar - und damit politisch diskutiert - ist längst nicht mehr die Steuer, sondern die Freistellung von ihr. Die Abgabe selbst ist, wenigstens dem Grunde nach, zur Selbstverständlichkeit unter den Gleichen geworden; damit ist ein entscheidender Schritt zu ihrer Unfühlbarkeit gelungen. Doch die Staatsgewalt schafft Unfühlbarkeit - oder doch ihre Illusion - auch in einem bemerkenswerten Gegensteuern: in der Wahrung des Steuergeheimnisses 468 . Die naive Gleichung, daß diejenige Gewalt wenig sehe, welche über Gesehenes nicht sprechen dürfe, es in der NichtEinsehbarkeit ihrer Akten zu verstecken habe - sie mag dem Bürger im Einzelfall wenig nützen, wenn er sich eben doch entdeckt sieht. Staatspolitisch aber zeitigt dies bedeutsame Verunsichtbarungs-Wirkungen: Nicht überall wird in die kritische Öffentlichkeit gezogen, was der Gewaltunterworfene als schwere Last immer wieder abschütteln möchte; er darf es im Geheimen tragen, zugleich aber wird auch der Staat nicht zur Offenbarung belastender, vielleicht unbarmherziger Praktiken gezwungen. "Nach außen", den Medien und der Bürger467 Jellinek, w., Eigentumsbegrenzung und Enteignung, in: Gutachten für den 36. Deutschen Juristentag 1931, 1. Bd., 1931, S. 292 (315). 468 Mag dieses, in seiner rechtlichen Behandlung, auch vor allem als Sicherung des Steuerschuldners erscheinen, Kruse, H. w., Um das Steuergeheimnis, StuW 1968, S. 265 ff.; Tipke, K., Die Steuerrechtsordnung, Bd. 1, 1993, S. 234 ff.

III. Der Staat der "leichten Hand"

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schaft gegenüber, mag es weithin sogar scheinen, als gebe es ihn im Einzelfall gar nicht, jedenfalls läßt er sich nur schwerlich mit odiosen Einzelbeispielen seiner Gewaltausübung zitieren. Weit wichtiger aber noch sind nun die modernen Techniken der Unfühlbarkeit, in der Form der Steuererhebung selbst. Zwei Phänomene vor allem stehen im Vordergrund: - Indirekte Steuern verstärken sich dort, wo sie, wie in Deutschland, nicht die zentrale Grundlage der Staatseinnahmen früher waren; wo dies aber Tradition bedeutete, werden sie nicht gesenkt. Der Zug geht zu ihnen, nicht nur aus Gründen leichter verwaltungsmäßiger Erhebung, sondern auch weil diese Belastung weniger fühlbar ist für das Volk, jedenfalls nicht so unmittelbar wie die auf den einzelnen apriori zugreifende direkte Abgabenerhebung. Mögen auch die Preise dann steigen - etwas von marktwirtschaftlicher Freiheit scheint doch eingeschaltet zu sein, zwischen den steuererhebenden Staat und den konsumierenden Bürger. Letztlich bleibt es bei Kaufvorgängen, es kommt nicht zum "enteignend" im weiteren Sinne wirkenden Zugriff der direkten Steuern, der dem Bürger auch nicht die Freiheit des Sparens mehr läßt. So wird denn keine sozialpolitische Kritik mehr eine Entwicklung umzukehren vermögen, in welcher der Staat, nun wirklich als die" unsichtbare Macht", als schweigender Dritter teilnimmt an jedem Geschäft, zugleich unfaßbar und scheinbar ohne Gewalt. Es ist kaum übersteigert, wenn man in den Verkehrssteuern die vornehmste Art - in jedem Sinne des Wortes unsichtbarer Staatlichkeit sieht. Was immer an Gemeinschaftsbelastungen verkehrssteuerhaft auszugestalten ist, dient dem Unsichtbaren Dritten, dem Staat469 . - Doch auch bei den direkten Steuern wurden Mittel gegen allzu fühlbare Belastungswirkungen gefunden, gerade in dem, was das Gegenteil zu bewirken scheint, spektakuläre Fühlbarkeit: in der Progression. Wenn sie in der Mitte der Einkommensskala allzu stark drückt - und dies ist eine fast schon klassische Kritik an modernen Steuerreformen - so ist sie eben im Widerspruch zu dem ausgestaltet, was ihre Legitimation ausmacht: Korrektur zu sein des so laut gepriesenen und doch ständig zu korrigierenden Marktmechanismus und seiner Einkommensallokationen470 . Geschickt einge469 So wird denn auch die Leichtigkeit der Erhebung bei diesen Abgaben besonders hervorgehoben, Klein, F., Handbuch der Finanzwissenschaft, II. Bd., 2. Aufl. 1956, S. 601 (605 ff.). 470 Kirchhof, P., Staatliche Einnahmen, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 4, 1990, § 88 Rdnr. 179; Tipke (Fn. 468), S. 411 ff. m. weit. Nachw.

15 •

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

setzte Progression jedoch, die "unten" wenig belastet, die traditionell "staatstragenden " Schichten der" Mitte" nur mit Lasten, die sie eben gerade noch - um des Staates willen - bereit sind zu tragen, streng, hart aber die "besser Verdienenden oben", die den Staat so ja fühlen sollen, damit sie sich nicht über ihn erheben - wenn all dies konzertiert gelingt, so wird die Progression zum sozialpolitischen Instrument in relativer Unfühlbarkeit: Der Staat trifft nicht mehr alle gleich, er scheint, was weit wichtiger ist, gar nicht mehr primär zu schlagen - er gleicht aus, und liegt darin nicht beschlossen, daß er weniger fühlbar belastet? So wird diese so "sichtbare Progression" geradezu ein Modell des Unsichtbaren Staates: Als solcher, als "nehmende Gewalt", tritt er gar nicht mehr primär auf, sondern als Helfer, als Entlaster Schwächerer. Stirbt er damit nicht doch ab, wie Marx es einst lehrte, im Steuer-Sozialismus der Progression, die nicht herrscht, sondern Marktmechanismen korrigiert? Die staatspolitische Zukunft gehört, so scheint es, einer solchen Unfühlbarkeits-Technik, in welcher der Bürger sich in Konsum und Genuß automatisch selbst enteignet, in welcher dann der Staat mit schweren Schlägen vorgeht nur mehr gegen gefahrdrohende private Macht wirtschaftlich Starker - in Progression. All dies kann, mit den segensreichen Effekten der Unfühlbarkeit, verschleiert werden als staatliche Hilfe gegen eigene Konsumversuchung und den stärkeren Nächsten. Abgesehen davon, daß die über Steuern entzogenen Mittel in immer größerem Umfang nur "ausgleichend" weitergeleitet werden in die kleineren Haushalte anderer Bürger - diese unfühlbare Steuer wird als solche zur "Staats-Hilfe", aus ihr verschwindet jene Hoheitsgewalt, deren gefährlichste Ausdrucksform sie doch noch immer ist, bis hin zu gesellschaftsverändernder Herrschaft. Wenn es gelingt, die wirklich "unfühlbare,,471, als solche von der Mehrheit dann "angenommene" Steuerbelastung zu schaffen und weiter zu steigern, wenn über ihre Progressionswirkungen Herrschaft ausgeübt werden kann, überall dort, wo politisch Gewichtiges sich zu entfalten beginnt - dann ist "der Staat der leichten Hand" vollends in allen Bereichen zum Träger eines unsichtbaren Herrschaftsinstruments geworden, das darin etwas wie eine systematische Geschlossenheit erreicht. Wo aber diese Finanzmaschine Macht ausübt, was sollen da noch die Zwänge der Waffen, die Schaustellungen der Staatsgewalt? Sie kann zahlen, aus unsichtbar gespeisten Kassen, also gibt sie an, überall.

471 Schmölders, G., Allgemeine Steuerlehre, 4. Aufl. 1965, S. 109 f.; ders., "Unmerkliche" Steuern, FinArch. NF Bd. 20 (1959/60), S. 23 ff.

N. Der Staat als Bürger - Staatshilfe in und durch Privatheit

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IV. Der Staat als Bürger - Staatshilfe in und durch Privatheit 1. Der Service-Staat - als Hilfe verkleidete Macht

Wir kehren zurück zum Ausgangspunkt des Abschnitts: der Flucht der Staatsgewalt ins Private und ihre rechtlichen Formen. Zum "Staat der leichten Hand" geworden, hat die Herrschaftsgewalt ihre traditionellen Herrschaftsformen entdramatisiert, enthärtet, ja entsensibilisiert. Als unerkannter Ermittler in Zivil wie als unsichtbarer Teilnehmer am Marktgeschehen agiert die Macht in neuen Formen des Unsichtbaren Staates. Doch dabei bleibt sie nicht stehen; sie taucht in Formen ein, die ihre Hoheitsgewalt den Blicken des Bürgers vollends entziehen sollen, damit nur die gefahrabwehrende Hilfe bleibe, nicht die gefährliche Macht.

a) Staatshilfe als Freiheitsschutz?

Die These ist schon fast Gemeingut, wenn nicht Banalität: Im demokratischen Gleichheitsstaat wandelt sich die Hoheitsgewalt zur Staatshilfe, die ihrem Wesen nach nicht Macht ist; nur ein Monopol bleibt dem Staat: in solcher Weise Gutes dem Bürger zu tun. Mit der juristischen Theorie hat sich dieses politische Credo verbunden, begünstigt vor allem durch das Aktionendenken der Klagearten im öffentlichen Recht und durch die Status-Theorie der Allgemeinen Staatslehre: Macht, d. h. aber Hoheitsgewalt, so wird dort gelehrt, ist immer nur dort, wo der Staat eingreift in feste Rechtspositionen des Bürgers, dem dann der Abwehranspruch der negatorischen Freiheit zusteht. Darauf hatte die liberale Staatstheorie seit der Französischen Revolution die Staatlichkeit reduziert; Staatshilfe mußte ihr als das Sakrileg des Eingriffs in den freien Wettbewerb erscheinen. Doch im noch laufenden Jahrhundert entfaltete sich, immer mächtiger, die Staatshilfe, mit ihrem positiven Leistungsanspruch des Bürgers. Wie selbstverständlich entstand sie als etwas "rechtlich ganz anderes", und nur an einzelnen Punkten, wie ausnahmsweise - daher nicht machtverdächtig, machtgefährlich. Die Rechtstheorie hat schließlich versucht, sie in vielfachen Übergängen einzubinden in ihr traditionelles Eingriffs-Abwehr-Denken, anders kann sie offenbar heute noch immer kaum konstruieren. Der Obersatz, besser die Analogiebrücke, war die These: Achtung der Freiheit verlangt auch Hilfe zu ihr. Es begann, vor nicht allzu langer Zeit, mit Ver-

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

suchen des rechtsstaatlichen öffentlichen Rechts, den Staat zu verpflichten nicht nur zur Achtung, sondern zur Schaffung der "realen Grundlagen der Freiheit" 472. Daraus hätte an sich durchaus etwas entwickelt werden können wie eine große "Theorie der Staatshilfen ", aufgebaut auf eine von jedem Minimalschutz völlig abgehobene Sozialstaatlichkeit. Die Staatshilfe als solche hätte sich dann, in eigenständiger Dogmatik, in grundsätzlicher Parallelität zur herkömmlichen Eingriffsdogmatik entfaltet, zeitlich gewissermaßen als eine Vorstufe derselben, mit ihr jedoch verbunden durch das Ziel der Gewährleistung voller Bürgerfreiheit; und vielleicht wäre dann sogar der Abwehranspruch gegen Staatseingriffe weithin zur unnötigen Freiheit herabgesunken, weil die "reale Freiheit" ja ohnehin und immer von neuem vom Staat geboten worden wäre. All dies hat sich auf breiter Front nicht durchsetzen können, nicht nur deshalb, weil herkömmliche Dogmatik nicht fähig gewesen wäre, in solchen Bahnen zu denken. Gescheitert ist die Konkretisierung derartiger Teilhabeansprüche zu gerichtlich durchsetzbaren Bürger-Forderungen, damit aber eben ihre "Veröffentlichung in Form einklagbarer Rechte"473. Der tiefere Grund dafür liegt nicht in Mängeln der Rechtsdogmatik, sondern in der Grundstruktur der egalitären Verteilungsdemokratie, aus der doch gerade diese Art der Sozialstaatlichkeit hätte entwickelt werden sollen: Dieses wichtigste Souveränitätsrecht, zu helfen, wo es die Staatsrnacht will, ließ sich der bereits in Unsichtbarkeit und Unvorhersehbarkeit der Hilfen hinabtauchende Staat nicht mehr nehmen. Rechtlich wurde dies in den nie zu widerlegenden Einwand gekleidet, wo keine Mittel bereitstünden, sei eben nicht zu helfen; der "Hilfe nach Staatshaushalt" aber fehlt die Sicherheit, welche der Rechtsstaat unbedingt verlangt, und seine Freiheit. Der Zusammenbruch des "realen Sozialismus" schließlich, dessen Grundvorstellungen nicht allzuweit von solchen Theorien angesiedelt waren, hat diese Versuche der Verbindung von Hilfe und abwehrendem Freiheitsschutz wohl endgültig zurücktreten lassen. Das Grundanliegen dieser Bemühungen wird allerdings neuerdings wieder aufgenommen in der Lehre vom "grundrechtlichen Schutzanspruch des Bürgers,,474. Nicht nur den Staat selbst und seine Hoheitsgewalt soll er zurückdrängen können im Namen seiner Freiheitsrechte, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 43 (68). in: Maunz/Dürig, Art. 20 VIII Rdnr. 23; Benda, E., Der soziale Rechtsstaat, in: Handbuch des Verfassungsrechts (Fn. 463), S. 477 (544). 474 Murswiek, D., Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 216 ff. m. Nachw. 472 Häberle, P., 473 Herzog,

IV. Der Staat als Bürger - Staatshilfe in und durch Privatheit

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zur Hilfe soll er ihn rufen dürfen, woher immer diese bedroht sein mögen. Auf solcher Grundlage könnte dann der Schutz nicht nur als staatliche Abwehr fremder, freiheits gefährdender Übermacht gefordert werden, sondern bald auch, viel allgemeiner, gegen Fehlentwicklungen des ökonomischen und sozialen Systems überhaupt. Der richtige - und sicher bleibende - Ansatz ist die Erkenntnis, daß es nicht im traditionellen polizeilichen Ermessen des Staates bleiben kann, ob er elementare Rechtsgüter, wie Leben und Gesundheit, schützen will oder nicht475 . Auch zugunsten anderer Grundrechte läßt sich unzweifelhaft der Rechtsgewährleistungsanspruch des Staates auf solche Weise verfestigen, intensivieren. Dann mag "Staatsgewalt zur Grundrechts-Hilfe" werden, Hilfe aber wird damit noch lange nicht ganz allgemein zur Freiheitssicherung. Mehr ist nicht zu erwarten als eine Neuauflage der alten Drittwirkungsdiskussion, und wieder wird die Privatautonomie sich als stärker erweisen als alles Schutzbegehren des einen Bürger gegen die soziale Übermacht des anderen. Und im übrigen wird es auch dieser Lehre kaum gelingen, Ansprüche auf Herstellung realer Grundlagen der Freiheit durchzusetzen, wenn nicht in den engen Grenzen des Zugangs zu Staatsmonopolen. Dort aber bleibt dann nichts weiter übrig als die Gleichheit, nicht ein rechtlich fest gesicherter Bereich der Freiheit. "Staatshilfe als Freiheitsschutz" - diese Gleichung kann nicht allgemein, sie mag allenfalls in Randbereichen der Staatsmonopole aufgehen. Dann aber ist der helfende Staat eben gerade nicht der ungefährlich-freiheitssichernde. Das Gegenteil trifft vielmehr weithin zu:

b) Staatshilfe als Eingriff

Klar wird dies bereits bei dem allgemein anerkannten Bürgeranspruch auf gleiche Zuteilung staatlich monopolisierter Güter im weitesten Sinne, etwa von Ausbildungs- und Berufschancen476 . Wird ein Studienplatz dem einen gegeben, so ist er, eben dadurch, dem anderen, allen anderen Bewerbern entzogen. Darin liegt ein hoheitlicher Eingriff in ihre Entwicklungsfreiheit, nicht etwa nur Hilfe für den Begünstigten. Zu seinen Gunsten, zu jener Lasten wird die freiheitliche Konkurrenzlage verändert, und Konkurrentenklagen werden mit Recht in das be475

So ist heute hier ja auch bereits die Polizei zum Eingreifen verpflichtet,

Berner, G.lKöhler, G. M., Polizeiaufgabengesetz, 12. Aufl. 1991, Art. 2 Rdnr. 1; Götz, v., Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 1993, Rdnr. 76 ff. 476 BVerfGE 33, S. 303 (331 f.); 85, S. 36 (53 ff.).

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

kannte Schema freiheits schützender Eingriffsklagen eingeordnet4 77: Verteilung von Freiheitsmitteln ist nichts als Herrschaft. Nichts anderes gilt für die wirtschaftlichen Staatshilfen zur Ausübung der Berufs- und Gewerbefreiheit, Subventionen genannt. Auch hier wird nicht etwa einer begünstigt, keiner belastet; der mit Staatsmitteln geschaffene Vorsprung des einen verwandelt sich automatisch in ein Zurückfallen der Mit-Laufenden anderen. Und wenn Eigentumsgüter nichts anderes sind als zu Werten geronnene Freiheit, so erweitert eben der Staat den Freiheitsraum des Hilfeempfängers, dies kann nur zu Lasten seiner Konkurrenten gehen. Die Rechtsdogmatik hat diese Erkenntnis dadurch zu verdrängen versucht, daß sie Staatshilfen nur dort als Grundrechtseingriffe, damit als Freiheitsgefährdung, qualifiziert, wo sie die "Wettbewerbslage tiefgreifend verändern ,,478. Im übrigen müßten sich eben die Konkurrenten auch auf eine derart veränderte Wettbewerbslage einstellen, dies sei ihnen, im Namen eben dieses Wettbewerbs, durchaus zumutbar. In der Regel seien ihre Rechte schon deshalb nicht verletzt, weil niemand Anspruch auf zukünftigen Gewinn in bestimmter Höhe habe479 . Diese Kriterien sind in sich nicht überzeugend, sie bedeuten nichts anderes als eine Privilegierung des wettbewerbsverändernden Staates, als den Versuch, in einem weiteren Sinne den Service-Staat als nicht-freiheitsgefährdend zu erweisen. An diesem konkreten Punkt zeigt sich, wie wenig die rechtsstaatliche Dogmatik staatsmacht-bewußt konstruiert: Jede Auflage zu bestimmter Lagerhaltung kann vom Bürger, als hoheitlicher Eingriff. mit allen gerichtlichen Mitteln bekämpft werden - bei der massiven Subventionierung wichtiger Konkurrenten versteckt sich der "helfende Staat" hinter einem Marktmechanismus, auf den sich ja der Nicht-Unterstützte einstellen könne; mit solchen Kriterien könnten auch alle kleineren Belastungen, von vorneherein, als Nichteingriffe aus dem Freiheitsschutz völlig ausgenommen werden. In Wahrheit ist jede Staatshilfe ein "indirekter Zugriff" auf die Freiheit des Benachteiligten, der Staat tritt hinter die begünstigten Bürger, oder gar den "Marktmechanismus als solchen", zurück, überläßt ihnen sozusagen die Vollstreckung der Benachteiligung. In einer Wettbewerbswirtschaft wird dies zum rechtlichen Kunstgriff, der eben allein 477 Brohm, w., Die Konkurrentenklage, in: PS. f. Ch.-F. Menger, 1985, S. 235 ff.; FinkeInburg, K., Über die Konkurrentenklage im Beamtenrecht, DVBl. 1980, S. 809 ff.; Miebach, P., Die negative öffentlichrechtliche Konkurrentenklage im

wirtschaftlichen Wettbewerb, JuS 1987, S. 956 ff. 478 BVerwGE 60, S. 154 (159 ff.); 65, S. 167 (173 f.). 479 BVerwGE 39, S. 329 (337); BVerwG NVwZ 1984, S. 306 (307); BVerfGE 24, S. 236 (251); 28, S. 119 (142 f.).

IV. Der Staat als Bürger - Staatshilfe in und durch Privatheit

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auf die eine Seite sieht, auf den Begünstigten. In den traditionellen Hoheitsbereich hinein fortgedacht würde dies dann bedeuten, daß die Ablehnung eines Baugesuches primär als Hilfe für den baufeindlichen Nachbarn zu werten wäre, als eine Begünstigung, auf welche sich eben der Bauwerber einzustellen habe. Demgegenüber ist zu betonen: Staatshilfe ist Staatseingriff, und zwar grundsätzlich immer, nicht nur dort, wo sie - so will es ja eine weitere Verharmlosungs-Theorie der Staatsgewalt - eine "unentrinnbar-allseitige Intensität" annimmt, wo dies so gesteigert erscheint, daß der Staat den Benachteiligten geradezu erstickt, erdrosselt480 . Abgesehen davon, daß dieser Punkt ein theoretisch-gedachter stets bleiben, kaum je gerichtlich faßbar erreicht sein wird - Freiheitsbedrohung ist überall, wo auch nur etwas erscheint von Staatshilfe; und wer den Bürger darauf verweisen will, er solle eben diesem Druck ausweichen, der könnte ihm dies auch bei vielen kleinen hoheitlichen Beeinträchtigungen zur Bürgerpflicht machen. Auch über die Unentrinnbarkeitstheorie sollte der Staat der Machtkritik nicht entrinnen können: Staatshilfe ist und bleibt Staatseingriff.

c) Der Service-Staat -

eine große Machtverschleierung

Staats-Service ist nichts als ein anderes Wort für Staatshilfe. Service kann ebensowenig letztlich zum juristisch faßbaren Begriff werden wie sein Vorgänger, die "Daseinsvorsorge" es je war481 . Doch eines leistet der Begriff, etwas durchaus Freiheitsgefährdendes: Er verschleiert Staatsgewalt, er ist ein Weg der Macht in den Unsichtbaren Staat - und aus ihm heraus zum Bürger; auf zwei Ebenen vor allem wirkt diese Verschleierung: - "Service" läßt allein auf die positiven Wirkungen des Einsatzes der Staatsmacht sehen, auf die "Hilfe", nicht auf die damit verbundene Benachteiligung anderer, die es nur bei Steigerung zu einer praktisch nie erreichten Unentrinnbarkeit geben soll. - "Service" weckt den Gedanken an privaten Leistungsaustausch, der vom Begünstigten in irgendeiner Weise doch "erkauft" wird, und sei es auch nur unter Hinweis auf seine Bürger-Stellung. 480

BVerfGE 14, S. 221 (242); 17, S. 135 (137); 19, S. 119 (128 f.); 50, S. 57

(104 f.).

481 Börner, 8., Irrwisch Daseinsvorsorge, BayVBl. 1971, S. 406 ff.; Leisner, w., Werbefernsehen und öffentliches Recht 1967, S. 28 ff.; Ossenbühl, E, Daseinsvorsorge und Verwaltungsprivatrecht, DÖV 1971, S. 513 ff.

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

Mit letzterem Kunstgriff gelingt der Staatsgewalt etwas Entscheidendes: Sie schlüpft in die Kleider nicht nur des Helfers, sondern des Bürgers, sie taucht hinab in jene Privatheit, welche wir als den Raum der Dienstleistungen zu sehen gewöhnt sind. Der weite nationalökonomische Allgemeinbegriff der Dienstleistungen begünstigt dies. All dem gegenüber ist zu betonen, will man die Spuren des Unsichtbaren Staates hier aufdecken: Staatsrechtlich gesehen sollte von Service nur dort die Rede sein, wo Leistung im privaten Wettbewerb angeboten wird, ohne jeden Staatsvorsprung und ohne das Ziel, Bürgervorsprung durch Staatsservice zu erreichen. Dann aber wird der Service-Staat als Begriff vollends problematisch, sein Verschleierungseffekt ist entlarvt: Warum sollte dies alles dann nicht Privaten überlassen werden, in ihrem, wesentlich privaten, Wettbewerb? Würde dann ehrliche Konsequenz den Staat nicht zur privatisierenden Aufgabe seiner Service-Hilfen zwingen müssen, oder in ein völliges Hinabtauchen in die Wettbewerbsgleichheit mit anderen? In Wahrheit ist hier unsichtbare Staatlichkeit im Lauf, überall und in größtem Umfang. Bei all ihren vielen, notwendig "kleinen Schritten", steht sie meist gar nicht im Licht der Öffentlichkeit und wenn, so erscheint sie nicht als eingreifender Staat; sie schleicht sich in die wettbewerbs-dirigierende Macht. Verkleidet als Service-Privater - der er nie sein kann - stellt der Staat sich selbst, zudem noch moralisierend, das Zeugnis des "Guten" aus, das er tut, dem rechtliche Schranken gar nicht errichtet zu werden brauchen. Damit entgeht er nicht nur den Grundrechten, sondern dem Recht überhaupt, er handelt in Verfahrensformen, die er selbst weitestgehend bestimmt. Und wenn er eine Mehrheit subventioniert, einen "breiten Mittelstand" 482, bringt ihm dies sogar noch demokratische Legitimation. Das gesamte Staatsrecht kann er so weithin in Haushaltsrecht, in Recht im nur formellen Sinne483 , verwandeln - in Wahrheit ist es Recht in nur mehr formaler Bedeutung. Eine in Verfahrensautonomie sich weithin selbst bestimmende Staatsgewalt handelt nach "Maßgabe ihres Haushalts" . Letztlich wird dieser Service-Staat vollständig unfaßbar als Staatsgewalt; er arbeitet aus der Unsichtbarkeit eines Staatsschatzes heraus, den er mit Hoheitsgewalt vorher ansammelt. 482 Pietzcker, J., Der Staats auftrag als Instrument des Verwaltungshandeins, 1978, S. 315 ff; Püttner, G., Wirtschaftverwaltungsrecht, 1989, S. 319 ff; vgl. auch BVerfGE 21, S. 292 (299 ff). 483 vgl. auch Kisker, G., Staatshaushalt, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 4, 1990, § 89 Rdnr. 22 ff; Stern, K., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 11, 1980, S. 1200 ff.

IV. Der Staat als Bürger - Staatshilfe in und durch Privatheit

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d) Der Staat der Dienstleistungen - flächendeckende Macht der Zukunft

Diesen Veranstaltungen dienstleistender Staatshilfe könnte die Zukunft gehören, sind sie doch nahezu unbegrenzt einsetzbar, ausweitungsfähig; hier nur einige wichtige Beispiele: Das Unterrichtswesen, dessen hoheitliche Gestaltung zunehmender Kritik ausgesetzt ist484 und immer mehr unter Staats-Ideologieverdacht gerät, kann auf solchen Wegen weithin entstaatlicht - und doch wirksam in Staatshilfen gelenkt werden. Der Sozialbereich bringt dem hier nie genug "leistenden" Staat das Odium des ungenügend Aktiven, wenn er alles in eigener Verantwortung halten will, hoheitlich ordnen - weit weniger, wenn er über schwer kontrollierbare Zuschüsse 485 zur "autonomen" Sozialversicherung seine undefinierbaren Dienste anbietet. Wer will ihn hier kritisieren, daß er zuwenig helfe? Das Gesundheitswesen wird geradezu begrifflich als das Zentrum moderner Staats-Dienstleistungen gesehen; sein Anteil an den Haushalten der Bürger wird steigen, seine existentielle Notwendigkeit begründet ihre Abhängigkeit von der immer weiter wuchernden "Gesundheitsmacht" , wer immer sie ausüben mag. Kaum ein Bürger, der dieser Macht nicht nur unterworfen, sondern regelrecht ausgeliefert ist, kann das feine Geflecht von zahllosen Normen und Richtlinien durchschauen, die Staatsgeschenke bringen, damit aber Abhängigkeiten aufrechterhalten, ja verstärken. Staats- und gesellschaftsgestaltende Macht wird, davon abgesehen, noch dadurch ausgeübt, daß es hier laufend zu Umverteilungen kommt, welche einer Allgemeinheit als solche gar nicht bewußt sind, die überall nur staatliche Hilfe für Schwächere sieht. Das Verkehrswesen wird nach demselben Muster als öffentliche Dienstleistung immer weiter entfaltet, seine Bedeutung nimmt rasch zu; wenn der Bürger an etwas interessiert ist, so an diesen "Diensten", welche ja seit langem schon als ein Kembereich der "Daseinsvorsorge,,486 erkannt worden sind. Auch hier wieder ist stille Macht: Der Bürger wird 484 Sie entzündet sich insbesondere am Beamtenstatus der Lehrer, die nach herkömmlicher Auffassung hoheitliche Befugnisse ausüben, vgl. Leisner, w., Müssen Lehrer Beamte sein? in: ZBR 1980, S. 361 (362f.); Hilg, G., Beamtenrecht, 3. Aufl. 1990, § 17 I 2 a; Scheerbarth, H. W.IHöffken, H., Beamtenrecht, 5. Aufl. 1985, § 5 I 3. 485 vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 1992, § 17 Rdnr. 6; Schetting, G., Rechtspraxis der Subventionierung, 1973, S. 110 ff. 486 Forsthoff, B., Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 28; ders., Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. 1973, S. 368 (373); Schwarz, Th., Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand im Kartellrecht, 1969, S. 192.

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

in seinem beruflichen Leben, ja bis in die Intimsphäre, durch die Rahmendaten jener Verkehrsmöglichkeiten bestimmt, die ihm heute schon weithin die früher viel gepriesene Freiheitserrungenschaft des eigenen Fahrzeugs, das neue Individualbewußtsein, genommen haben. Und auch die, oft gezielte, Umverteilung wird hier, mit unentrinnbaren sozialgestaltenden Dienstleistungen, mächtig gesteigert: Dem einen wird genommen, damit der "große Verkehrsunternehmer Staat" anderen etwas bieten könne. Im Umweltschutz scheint dem Staat schließlich die Verwandlung klassischer Verwaltungsmaterien des Hoheitsbereichs vom Eingriff in Dienstleistung geradezu in undefinierter Allseitigkeit zu gelingen. Wird hier nicht Zwang überhaupt nur mehr als Hilfe eingesetzt, unter Zurückdrängung weniger Ausbeuter der Schöpfung zugunsten der Vielen? Und verkennen nicht sogar diese wenigen Umweltsünder ihre eigenen, wahren Interesseh487 , so daß sie auf den Pfad der Tugend zurückgeführt werden müssen, im Grunde nicht durch Zwang und Strafe, sondern durch sozialpsychologische, bewußtseinsbildende Hilfe? Im Umweltschutz gelingt, auf rasch und kaum absehbar sich ausweitenden Gebieten, dem Service-Staat auch, als wertvolles herrscherliches Nebenprodukt, tiefgreifende Sozialgestaltung, und dies sogar mit hoheitlichen Mitteln: Hier erfolgt, als "Dienstleistung" verkleidet, eine Abschöpfung beim einen, welche Leistungen an den anderen ermöglicht; den sogenannten "Ausgleichsleistungen,,488 dürfte hier die Zukunft gehören, und dieser neue Begriff gibt dem Hoheitsstaat in seinem Zentrum, der Fiskalgewalt, eine ganz andere Freiheit als die der streng gebundenen Entschädigung für Enteignungen489 , die niemals als "Hilfe" ausgegeben werden konnte. Dies alles sind schließlich auch Bereiche, in denen nicht nur entbeamtet werden kann, sondern, so scheint es doch, werden muß, nimmt man die Beschränkung des Beamtenstatus auf den Einsatz der Hoheitsgewalt ernst490 . Wird all dies durch privatrechtliche Bedienstete des 487 Wie etwa der Verfügungsberechtigte über ein "situationsgebundenes Gut", der ja auch entschädigungslos dulden muß, was ein" vernünftiger" Eigentümer eben hinnimmt, BGHZ 87, S. 66 (71 f.); 90, S. 4 (14 t); 90, S. 17 (24 f.); 99, S. 24 (31 f.). 488 Hoppe, WJBeckmann, M., Umweltrecht, 1989, § 21 Rdnr. 160 t m. Nachw.; Kloepfer, M., Umweltrecht, 1989, § 11 Rdnr. 163 ff. 489 Der verfassungsrechtliche Unterschied wird deutlich im BodenreformUrteil des BVerfG (E 84, S. 90 ft), welches den "Ausgleich" des Kriegsfolgenrechts der Entschädigung gegenüberstellt. 490 A.A. allerdings die h.L. im Beamtenrecht Maunz, Th., in: Maunz/Dürig, Art. 33 Rdnr. 32 ff.; ScheerbarthlHöffken (Fn. 484), § 511.

IV. Der Staat als Bürger - StaatshiHe in und durch Privatheit

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Staates geleistet - "vom Beamten zum umweltschützenden SozialHelfer" - wer könnte dann noch daran zweifeln, daß sich hier Gewaltabbau vollzogen hat, mag auch die Bürokratie bleiben491 , sich in privatrechtlicher Unübersichtlichkeit nur noch steigern, sich bald auch aus keinem Haushaltsplan mehr im einzelnen ablesen lassen. Ihre Bezahlung kann dann eher noch gesteigert werden - weithin in der Diskretion arbeitsrechtlicher Flexibilität, nicht mehr in der Offenheit der strengen staatlichen Haushaltsführung. Alles was bisher über die Verunsichtbarung der Staatsgewalt gesagt wurde, erscheint als bescheiden gegenÜber dieser riesigen "unsichtbaren Service-Maschine Staat", die überall dort läuft, wo sie den Bürger in den Zentren seiner heutigen Existenz nicht trifft, sondern lenkt, in rasch steigender Tendenz, vor allem aber, ohne daß dies auch nur irgendwie bewußt würde.

e) Die " unsichtbare Service-Maschine" als Staats-Macht

Alle diese Service-Leistungen sind, bei näherem Zusehen, nichts anderes als Machtphänomene im herkömmlichen Sinn, als solche nahezu unbeschränkt ausbaufähig. In ihnen werden sogar - der Umweltschutz zeigt es deutlich - traditionelle Zentralbereiche des Hoheitsstaats 492 zu Dienstleistungen umgebaut, ohne daß sich damit ihre bisherige Wirkung wesentlich ändert, sie steigert sich vielmehr. Dies alles aber ist weder der Bürgerschaft, noch den diese Gewalt ausübenden Staatsbediensteten, ja nicht einmal wohl den Herrschenden an den Schalthebeln der politischen Macht als modemes Gewaltphänomen deutlich; in dieser unbewußten Gewaltentwicklung, die meist erst in ihrer späten Systematisierungsphase dann zu echter "Gestaltung des Gemeinschaftslebens " zusammenwächst, liegt die eigentliche, und nun wirklich darin freiheitsgefährdende Entfaltung des Unsichtbaren Staates. Die demokratischen Strukturen begünstigen sie in besonderer Weise. Vertreter der Parteipolitik, die aus der privaten Wirtschaft ja immer häufiger kommen sollen, können derartige Instrumente handhaben, ohne sich durch die von ihnen so häufig kritisierten" bürokratisch-be491 Vgl. Dittmann, A, in: Kimminich, O.lFrhr. v. Lersner, H.lStorm, p.-eh. (Hrsg.), Handwörterbuch des Umweltrechts, Bd. 11, 1988, Sp. 115 ff. 492 Man denke nur an Wasserrecht: Von der früheren Wasserpolizei zum heutigen Gewässerschutz, einer der wichtigsten Materien des Umweltschutzes, Bender, B.lSparwasser, R., Umweltrecht, 2. Auf!. 1990, Rdnr. 668 ff.; Kloepfer (Fn. 488), § 11; Prümm, H.P., Umweltschutzrecht, 1989, S. 198 ff.

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

amtlichen" Hemmnisse beeinträchtigt zu fühlen. Gesellschaftliche, insbesondere Medien-Kritik kann es hier immer nur in einzelnen Fällen des ökonomischen Vers agens geben, kaum je systematisch an einer Gesamtordnung, einer Gesamtentwicklung. Angegriffen wird selbst dann stets Ineffizienz, nicht das in der Demokratie beargwöhnte Machtstreben der Herrschenden. Unschwer können sich diese, in den Zentren des Service-Staates, von all jenen Kartellverboten und -kontrollen befreien, die ihrem Wesen nach für die Daseinsvorsorge noch nie voll gegolten haben, weder im innerstaatlichen Bereich493 noch nach Europarecht494 . Wer gegen solche Dienste vorgehen will, wendet sich, so scheint es doch, vor allem gegen die Schwächsten; er wird dem demokratischen Odium des Angriffs gegen die schweigende Mehrheit ebensowenig entgehen wie moralischer Kritik. Angriffe gegen den Service-Staat müssen Ineffizienz rügen, also zunächst stets wesentlich einzelfallbezogen sein und ökonomisch begründet; am wirksamsten sind sie noch auf der Ebene der Kommunalvertretungen. Die größeren Parlamente dagegen sind, in all ihren Mechanismen, auf "normative Kritik" zugeschnitten, nicht auf die Behandlung punktueller Bedenken wegen mangelnder Hilfen. Die Volksvertretung würde zur Fragestunden-Instanz verkommen, wollte sie eine Effizienzkontrolle durchführen, welche sie nicht einmal dann vertiefend auch nur zur Kenntnis nehmen kann, wenn sie in Rechnungshof-Berichten aufgrund zahlloser Einzeluntersuchungen den Abgeordneten geliefert wird. Die Service-Auswirkungen im einzelnen aber vermag die Volksvertretung auch, ja gerade dann nicht zu überschauen, wenn sie deren Daten durch Haushalts- oder gar materiell normative Gestaltungen setzt. Der Service-Staat zieht sich hinter den besten Schutz zurück, welcher in der politischen Demokratie möglich ist: hinter private Verträge und Organisationsformen495 . Einzelne Skandale muß er auch hier fürchten, doch allgemeinpolitische Abwahlen stehen ihm nicht ins Haus; die Dynamik der wechselnden Mehrheiten tritt vor der Statik einer stets zu gewährenden Sozialstaatlichkeit zurück, welche doch immer gleiche existentielle Bedürfnisse des Bürgers unbedingt erfüllen muß. Der Service493 Schwarz (Fn. 486), S. 204 ff.; Ulmer, P., Die Anwendung von Wettbewerbsund Kartellrecht auf die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand beim Angebot von Waren und Dienstleistungen, in: ZHR 1982, S. 466 (474 ff.). 494 Emmerich, v., Kartellrecht, 5. Auf!. 1988, S. 566 ff. 495 Stober, R., Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, § 75 I; ders., Die privatrechtlich organisierte öffentliche Verwaltung, in: NJW 1984, S. 449 ff.; Graf Vitzthum, w., Gemeinderechtliche Grenzen der Privatisierung kommunaler Wirtschaftsunternehmen, in: AöR 104 (1979), S. 580 ff.

IV. Der Staat als Bürger - Staatshilfe in und durch Privatheit

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Staat hat sich, in seiner Unsichtbarkeit, weithin etwas geschaffen wie eine parlamentarisch-politische Unverantwortlichkeit, in welcher späte Volksherrschaften ohnehin - Bundesverfassungsgericht und Bundesbank beweisen es - das Heil vor immer weiter fortschreitender direkter Parteipolitisierung suchen. Das Odium der Politikfeindlichkeit und Politikverdrossenheit läßt sich hier überstehen. Macht? Das kennt diese Dienstleistungsmaschine nicht; sie wirtschaftet eben, mehr oder weniger erfolgreich. Alles geschieht im besten aller heutigen Namen: dem der Effizienz und daher, so scheint es, fernab von jener Hoheitsgewalt, wo "Wirksamkeit" nur höchst eingeschränkt zu überprüfen ist496 . Es mag allgemein fraglich sein, ob Macht je sich hat entfalten können außerhalb ihres "Spektakels" - hier wird es gewiß nicht geboten. So wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Kapitalismus versuchte, den verhaßten Unternehmer und Ausbeuter hinter das "Unternehmen an sich" 497 zurücktreten zu lassen, hinter eine private Service-Einheit, welche für alle da war, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, und Gemeinschaft - etwas Ähnliches versucht nun der Service-Staat: Die Mächtigen verbergen sich hinter dem "Unternehmen Staat an sich". Ob dies allerdings auf Dauer das Bewußtsein der Vielen beruhigen kann - oder täuschen - bleibt ebenso unsicher wie das "Unternehmen an sich" nicht alle Konflikte von Kapital und Arbeit hat lösen können, durch einfache Negation der Macht-Kategorie. Immer mehr muß sich ja auch dieser jedenfalls machtmäßig unsichtbare Service-Staat bewähren auf jenen Märkten, in denen er bald auf den Prüfstand wird gestellt werden. Allerdings kann er auch hier seine traditionellen Methoden unschwer verfeinern: Wer hat schon ernsthaft den Staats-Konkurs gewollt498 ? Bleibt aber Service in privatrechtsähnlichen Formen, vom Staat erbracht, nicht ein Verschleierungswort, solange nicht auch der Staat wirklich und vollständig fallieren kann?

Allgemein siehe dazu Leisner, w., Effizienz als Rechtsprinzip, 1971. Als wichtige Etappe auf einem "dritten Weg", jenseits von Kapitalismus und Sozialismus, wie es etwa Walther Rathenau vorschwebte. 498 Staatskonkurs-Denken liegt allerdings neuerdings, hinsichtlich der DDR, dem Bodenreformurteil zugrunde, BVerfGE 84, S. 90 ff. Zur Konkursunfähigkeit des Staates vgl. Kuhn, G./Uhlenbruck, w., Konkursordnung, Komm., 10. Auf!. 1986, § 213 Rdnr. 2. 496 497

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

2. Der Staat der Subventionen a) Förderung als verunsichtbarte Hilfe

Ein Risiko läuft der Service-Staat, vorstehend zeigte es sich deutlich: Der Vorwurf der Ineffizienz verfolgt ihn, heute mehr denn je, vor allem dort, wo er weiterhin Großbürokratien einsetzt, die nicht im Wettbewerb stehen; mit ihnen bleibt er auch noch als Machtphänomen sichtbar. Doch seit langem entwickelt er bereits eine Verfeinerung in vermeintlich besonders freiheitsschützender Liberalität: den Service-Staat ohne Effizienzrisiko, den Staat der Subventionen. Hier läuft eine Verunsichtbarung moderner Staatlichkeit ab, in ganz großem Stil. Von der "unsichtbaren Macht der Banken" war viel in der allgemeinen Diskussion die Rede - der finanzfördernde Staat wandelt seine Macht in Einflußmöglichkeiten einer neuen kreditgebenden Staatsbank von riesigen Ausmaßen. Den Anschluß findet er hier an die Tradition der klassischen Daseinsvorsorge, welche ja auch früher schon das öffentliche Kreditwesen als eine ihrer Hauptformen gesehen und entwikkelt hatte 499 . Entscheidend aber ist das Zurücktreten staatlicher Machtausübung hinter die vielen Fassaden jener privaten Unternehmen, welche "nach außen", in der für die Demokratie entscheidenden Öffentlichkeit, Chancen und Risiken der geschäftlichen Tätigkeit allein zu tragen scheinen. Wieviel hier der Staat im einzelnen an Lenkung leistet, bleibt dem Publikum weitestgehend verborgen; aufgedeckt wird es in der Regel nur im Einzelfall, durch Klagen benachteiligter Konkurrenten 500 , nicht in seiner flächendeckenden Systematik. Entscheidend ist ja auch immer der Einzelfall, die Wirkungen der Förderung scheinen weitgehend von dem abzuhängen, was der Bürger in seiner Freiheit aus ihnen macht. Was hat der Staat hier schon wirklich gelenkt oder gar erzwungen nur eine genaue betriebliche Prüfung, vertiefte Kenntnis des betreffenden Markts könnte je es aufdecken. Hier aber kann sich der Unsichtbare Staat hinter das Geschäftsgeheimnis der geförderten Bürger zurückziehen, es entzieht ihn den Augen der Öffentlichkeit schlechthin. In aller Regel wird ja auch nur "Anschub-Finanzierung" geleistet; ihre 499 Püftner (Fn. 482), S. 73; Rüfner, w., Daseinsvorsorge und soziale Sicherheit, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 3, 1988, § 80 Rdnr. 10. 500 Henke, w., Das Recht der Wirtschaftssubventionen als öffentliches Vertragsrecht, 1979, S. 112 ff.; Huber, P.M., Konkurrentenklagen, in: Stober, R. (Hrsg.), Rechtsschutz im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1993, S. 52 ff.; Rittner, F./Stephan, K.-D., Die Konkurrentenklage im Subventionsrecht, in: GewArch. 1985, S. 177 ff.; Stober, R., Handbuch des Wirtschaftsverwaltungsund Umweltrechts, 1989, § 57 11 3 b, § 111 IV.

IV. Der Staat als Bürger - Staatshilfe in und durch Privatheit

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Wirkungen fühlt allenfalls der Wettbewerber, die Allgemeinheit kann sie gewiß nicht erkennen, oder erst wenn sie wirkungslos bleibt; wo ist dann aber "Macht"? Jene organisatorische Einheit der Subventionsgewalt gibt es schließlich nicht, die noch immer staatliche Veranstaltungen als Macht sichtbar und kritikabel gemacht haben. Zu einem Subventionsbericht501 hat man sich mühsam durchgerungen, doch er kann nie alles erfassen, was gegeben wird, noch weniger dessen Wirkungen im einzelnen. Ein Subventionsministerium aber wird und kann man nicht einrichten, jenseits eines klassischen Finanzressorts, in dem sich immer Abgabenverschonungen und Geldhingaben in unentwirrbarem Förderungs-Gemenge finden werden502 . Die staatliche Subventionsgewalt flieht überdies aus der Einheitlichkeit ihrer Machtäußerungen immer mehr in einzelne Bundesministerien, in Landes- und Kommunalinstanzen. Nahezu unfaßbar ist die Subventionsgewalt dezentralisiert - und doch durch kurze, meist intern bleibende Kabinettsabstimmung machtmäßig unschwer lenkbar, weit wirksamer noch durch nie veröffentlichte Absprachen. Die Subventionsgewalt ist nicht nur tatsächlich unsichtbare Macht, im Bewußtsein der Bürger erscheint sie sogar oft noch als eine Form des Staats-Rückzugs aus der Gesellschaft, aus der Wirtschaft, am Ende sogar noch als ein Rückzugsgefecht der Staatlichkeit gegen vordringenden Liberalismus. Einen Eingriff bringt sie doch zunächst nicht, sondern nur ein "Staatsgeschenk". Ihr Geld setzt sie zu Aktivitäten ein, welche erst in zweiter Linie "auch,,503 die ihrigen sind, und dies zudem noch ohne das stets odiose Profitstreben des Privaten. Darin wird der Staat zur "guten Bank", die meist wenig nur zurückverlangt, kaum je dem Bürger das Fleisch aus dem Körper schneidet. Zum Wesen der Subventionen gehört es, daß der Zinsdruck abgemildert ist; es kann nie ihr Ziel sein, den Geförderten in den Konkurs zu treiben. Denn seine Aktivität erfolgt ja zugleich im öffentlichen Interesse, wie es der Definition der Subventionen entspricht504 , sein Fallit wäre also stets zugleich auch ein solcher des Staates. 501 Jarass, H.D., Wirtschaftsverwaltungsrecht und Wirtschaftsverfassungsrecht, 2. Auf!. 1984, § 14 Rdnr. 6. 502 Götz, v., Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, S. 13 ff.; Stober (Fn.500), § 110 II 2; Wolff, H.J.lBachof, 0., Verwaltungsrecht III, 4. Auf!. 1978, § 154 I 2. 503 Zulässig ist eine Subvention nur, wenn "eigentlich" der Staat selbst diese Aufgabe erfüllen dürfte oder gar müßte, Wolff/Bachof (Fn. 502), § 154 I; Zacher, H.F., Verwaltung durch Subventionen, in: VVDStRL 25 (1967), S. 308 (317 ff.). 504 vgl. Fn. 503, sowie Henke (Fn. 500), S. 271 ff.

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

Förderung ist daher stets wesentlich altruistisch erscheinende Hilfe, wobei die eigentlichen Hintergründe des Staatsengagements oft unsichtbar bleiben, jedenfalls im konkreten Fall. Wie aber könnte etwas Macht sein, was geradezu als selbstlose Hilfe sich gibt? Die staatliche Macht hat sich stets, in all ihren Traditionen, daraus definiert, daß sie fremden, entgegenstehenden Willen hat brechen wollen - hier scheint sie sich diesem ein-, ja unterzuordnen, nichts anderes verstärken zu wollen als fremde Freiheit, ohne eigene Entscheidungen im einzelnen. Diese "Macht am langen Zügel" wird weithin unfühlbar selbst für die so Gelenkten, schlechthin unsichtbar für den großen Umstand der politischen Bürgerschaft und ihrer Vertreter. Es stellt sich die grundsätzlichere Frage, ob ein Staat, dessen Aktivität wesentlich als Einschränkung privater Freiheit aufgefaßt wird, hier nicht auf den traditionellen Begriff der Macht als solchen verzichtet; im Subventions bereich ist ihm diese feine, von außen undurchsichtige Verbindung staatlicher und privater Zielsetzungen als "Machtrückzug" sicher gelungen. So wird denn diese Gewalt auch nur selten "als Macht angegriffen", mit jenen Instrumenten, welche der Rechtsstaat einst gegen die Hoheitsmacht entwickelt hat505 . Die einen werden befriedigt, die anderen streben ähnliches an, wollen es nicht durch Konkurrentenklagen verspielen, Dritte wiederum wissen gar nichts davon, die Subventionspublizität wird ein machtbewußter Unsichtbarer Staat stets in Grenzen zu halten wissen. Von "Subventionsgewalt" ist zwar immer noch die Rede, und die Zulassung zu solcher staatlicher Förderung wird in der Zweistufenlehre des Verwaltungsrechts als Hoheitsakt konstruiert 506 . Je mehr aber die egalitäre Demokratie Systeme der "Gießkannen-Förderung" entfaltet, je weiter sie die Tore ihrer Förderung öffnet, desto weniger tritt aus ihnen Macht hervor. Und überhaupt - sie scheint doch stets nur "punktuell" wirken zu können, nie mit jener Systematik, welche von lastenden, weithin sichtbaren Dirigismen erwartet wird. Sie verzichtet im Gegenteil auf große, eigenständige Organisationen, dezentralisiert sich, legitimiert sich geradezu darin, daß sie nicht selbst verwaltet, wenig nur überwacht. "Organisation" war aber stets das äußere Zeichen lastender Staatlichkeit; hier ist nur wenig mehr von ihr, selbst organisatorisch ist sie weithin unsichtbar geworden. 505 Im Wege der "Verpflichtungsklagen auf Subventionierung", nach der Zwei-Stufen-Theorie; vgl. die Nachw. oben Fn. 500. 506 Bleckmann, A, Subventionsrecht, 1978, S. 85 ff.; Maurer (Fn. 485), § 17 Rdnr. 12 ff.; Wolff/Bachof (Fn. 502), § 154 VI b.

N. Der Staat als Bürger - Staatshilfe in und durch Privatheit

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Und doch ist so der Staat überall präsent, mit einem Einfluß, der schon deshalb Macht genannt werden muß, weil er kaum zu überwachen ist mit den Mitteln des herkömmlichen öffentlichen Rechts.

b) Die schwer kontrollierbare Subventionsgewalt

Alle Versuche der Aufdeckung der Subventionen und ihrer Wirkungen, mit dem Ziel ihrer wirksamen Begrenzung, sind bisher noch immer an der Macht der Tatsachen und politischem Machtwillen gescheitert, mit Notwendigkeit, wie es fast scheint. Eine "Subventionskontrolle" kann es schon deshalb kaum geben, weil der Begriff der Subventionen als solcher stets unklar geblieben507 ist. Viele Erleichterungen und Hilfen fallen selbst durch strenge Kontrollraster, weil sie eben gar nicht als Förderung begriffen werden. Allein schon darin ist dies ein ideales Groß-Instrument der Staatsverschleierung. Nicht Wunder kann es daher nehmen, daß Subventionsrichtlinien508 nur selten wirkliche Kontrolle bringen oder auch nur ermöglichen, immer häufiger als pedantische Einengung des geförderten privaten Beliebens kritisiert werden; denn es ist nicht nur unklar, was überhaupt Subvention ist, aus ihrem Begriff ergibt sich nichts Wesentliches über Notwendigkeiten und Grenzen ihrer Überwachung. Daß sie in den Organisations strukturen der parlamentarischen Demokratie letztlich kaum kontrollabel ist, wurde bereits betont: Dies scheitert an den technischen Möglichkeiten eines gerade darin überforderten Parlaments, das die Vielschichtigkeit dieser Förderungen nicht einmal durchschauen kann. Von den Volksvertretern kann eine Kontrolle nicht erwartet werden, welche hier ja die Möglichkeit für mandatserhaltende Geschenke sehen, ihre Aufgabe jedenfalls nicht darin, diese systematisch zu begrenzen oder gar zu verhindern. Gerade in diesem Sinne aber arbeiten Vertreter der Ministerialbürokratie nur allzu gerne mit den Parlamentariern zusammen. Rechnungshöfe, die eigentlichen Kontrollinstanzen von "Staatsgesehenken" und deren ineffizienter Verwendung, können all dem nur 507 Bleckmann (Fn. 506), S. 9 ff.; Ipsen, H.P., Verwaltung durch Subventionen, in: VVDStRL 25 (1967), S. 255 (276 ff.); Karehnke, H., Subventionen und ihre Kontrolle. - Möglichkeiten und Grenzen, in: DÖV 1975, S. 623 ff. 508 Ipsen, H.P., Subventionen, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 4, 1990, § 92 Rdnr. 38 (41 ff.); Oldiges, M., Richtlinien als Ordnungsrahmen der Subventionsverwaltung, in: NJW 1984, S. 1927 ff.; Ossenbühl, F., Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 550 ff.; vgl. auch BVerwGE 58, S. 45 ff.

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sehr in Grenzen abhelfen. Oft mögen sie den Nachweis erbringen können, es sei ineffizient verwaltet, unwirtschaftlich Geld ausgegeben worden, nur selten den der ineffizienten Subventionierung. Liegt sie nahe, so wird es den Vergabeinstanzen in vielen Fällen leicht werden, ihre Fehler hinter die der Geförderten zurücktreten zu lassen, ihre Macht auch im Negativen hinter deren Freiheit zu verunsichtbaren. So kommt es denn immer häufiger dahin, daß die Vergabegewalt die Rechnungshöfe regelrecht "umlenkt zu den geförderten Privaten". Die Folge sind Staatskontrollen privaten Wirtschaftens, welche als solche gar nicht der Grundidee der Rechnungsprüfung entsprechen509 : Der Förderstaat wird nicht selbst überwacht, er kontrolliert seine Bürger dort, wo er sonst nie Zugriff hätte, zugleich sich selbst und seine Subventionen verunsichtbarend. Der "Subventions-Staat" - denn letztlich muß man bereits heute von einem solchen sprechen - wird nicht nur darin zur unsichtbaren Macht, daß die Förderung, ihrem Wesen entsprechend, in demokratischer Öffentlichkeit auch gar nicht überwachbar ist; es fehlen hier vor allem die rechtlichen Kontrollmaßstäbe, wie sie bei Eingriffen seit dem 19. Jahrhundert entwickelt worden sind: - Die Vergabegewalt hat sich vom Vorbehalt des Gesetzes entfesselt510 , eine im Grunde in einem Rechtsstaat kaum glaubliche Entwicklung, da hier doch ersichtlich überall gelenkt wird. Damit wird nichts weniger aufgegeben als die Legalität, im Sinn einer traditionellen Garantie der Staatssichtbarkeit in den modernen Formen der staatlichen Machtausübung. Kritik findet dies schon deshalb nicht, weil es sich eben, mit dem modernen Verwaltungsrecht, geradezu in seinem Rahmen, so entwickelt hat. Dieses gesamte Recht ist zugeschnitten auf die hoheitlichen Eingriffe und ihre Kontrolle, in solchen Kategorien des Eingriffs, der Zurückdrängung der Freiheit allein, nicht ihrer (angeblichen) Förderung -, kann das heutige Verwaltungsrecht letztlich denken, und in solcher Sicht ist dann die Subvention nichts anderes als ein "begünstigender Verwaltungs akt ". Dies alles mochte auch in einer Entwicklung als unschädlich erscheinen, an deren Anfängen, im frühen 20. Jahrhundert, fördernde Staatsleistungen in der Tat nur wenig bedeutsam waren.

509 Zu dieser Problematik vgl. mit zahlr. Nachw. Leisner, w., Staatliche Rechnungspriifung Privater, 1990. 510 Bleckmann (Fn. 506), S. 53 ff., 100; ders., Staatsrecht I Staatsorganisationsrecht, 1993, Rdnr. 477 ff.; Götz (Fn. 502), S. 281 ff.; von Münch, I., Staatsrecht, Bd. 1, 5. Aufl. 1993, Rdnr. 344 ff. m. weit. Nachw.

IV. Der Staat als Bürger - Staatshilfe in und durch Privatheit

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- Die Richtlinien, welche die Fördergewalt erläßt, sind in der Praxis weit mehr ein Buchungs- und Zahlenapparat, allenfalls könnte man sie noch als etwas bezeichnen wie ein "Verwaltungswerk"; meist bieten sie nicht das, was man einen strengen rechtlichen Rahmen nennen könnte. Ihre Begriffe sind häufig so allgemein, daß sie sich der Kontrolle weithin entziehen; und sie müssen es sein, wollen sie nicht die Kritik mangelnder Flexibilität und damit der Einengung der Bürgerfreiheit auf sich ziehen. Nichts ist gängiger als der Vorwurf angeblich "formalistischer" Staatsförderung, in welcher sich in der Tat die Staatsgewalt nur zu oft in ineffizienter Selbstblockade aufhebt, nicht nur verunsichtbart, in welcher sie geradezu nicht selten beginnt, gegen sich selbst zu arbeiten. Hier begegnet man wahren Sammlungen von Allgemeinbegriffen, die schon kaum mehr etwas mit unbestimmten Rechtsbegriffen zu tun haben, jedenfalls an die äußersten Grenzen dieses - ja seinerseits wahrhaft unbestimmten ... - Begriffs unseres Rechts 511 stoßen. Zielvorstellungen werden formuliert, die im Bereich der Eingriffsnormen untragbar erscheinen müßten, nicht einmal als "innere Ermessensschranken,,512 noch faßbar wären. Dies sind in sehr vielen Fällen auch nicht mehr Generalklauseln, aus denen ein Normanwender im Einzelfall mit auch nur einem Minimum von Vorhersehbarkeit Lösungen entfalten könnte 513 ; hier bleiben nur Ziele, nicht Anordnungen, welche sich der Geförderte letztlich selbst zu geben hat. Auf solchen Grundlagen hat sich eine "Antragologie" entwickelt, welche derartige VerbalInstrumentarien unschwer beherrschen, sie noch weiter ausschleifen kann. Nicht zuletzt sind diese "Richtlinien", wie ihre Umsetzung in Anträgen, im Ergebnis nichts ohne eine" Vergabe-Praxis", welche in diesem Bereich der Verwaltung, mehr als irgendwo sonst, erst das eigentliche Subventionsrecht hervorbringt, ständig wandelnd weiterentwickelt. - Dies alles führt zu einem erstaunlichen normativ-rechtlichen Defizit im Subventionsbereich, mit Notwendigkeit, lenkt man den Blick auf die Strukturen jenes Rechts, welches hier allenfalls begrenzen könnte. Der Rechtsstaat ordnet statisch, hier und jetzt, letztlich der Begriffs-, nicht der Interessenjurisprudenz verpflichtet. Für "Ziele" 511 Erichsen, H.-V., in: ErichsenlMartens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Auf!. 1992, § 10 Rdnr. 4 ff.; ders., Die sogenannten unbestimmten Rechtsbegriffe als Steuerungs- und Kontrollmaßnahmen im Verhältnis von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, in: DVBl. 1985, S. 22 ff.; Maurer (Fn. 485), § 7 Rdnr. 27 ff. 512 vgl. nur Erichsen (Fn. 511), DVBl. 1985, S. 22 (25). 513 BVerfGE 13, S. 153 (161); 18, S. 85 (92 f.).

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hat er letztlich kein Auge, das Zurücktreten der Gesetzespräambeln514 zeigt es; eine Gewalt, die "nur in Zielen spricht", wird letztlich für diesen Rechtsstaat - unsichtbar. Gerichte können schon kaum gesetzliche Zielvorstellungen als "innere Ermessensgrenzen" judizieren und damit sichtbar werden lassen, noch weniger Subventions-Ziele. Diese sind überdies meist ökonomisch-technisch definiert und daher entweder gar nicht - iudex non calculat - oder allenfalls über bestreitbare Expertisen kontrollabel. Das öffentliche Recht hat den - schon sprachlich wenig schönen - Begriff der "Prognosespielräume" entwickelt, im Staatsrecht zuerst, gewendet zur wirtschaftlich gestaltenden Verwaltung515 . Ganz natürlich muß er, selbst als solcher noch nicht vertiefend dogmatisiert, in der Lehre von den Subventionen erst recht Anwendung finden, und zwar in weiten Feldern, auf einer doppelten Ebene: Sowohl der Vergabegewalt ist diese Prognosefreiheit zuzubilligen als auch dem von ihr geförderten Privaten. Beide, nicht identischen, Spielräume kumulieren sich dann in einem noch kaum bewußten, eigenartigen Phänomen, in welchem die staatlichen Entscheidungen erst recht unsichtbar werden, in kombinierter Unfaßbarkeit. - Als Schranke der Subventionsgewalt, als Maßstab für ihre Entscheidungen wird gemeinhin vor allem, wenn nicht ausschließlich, die Beachtung der Gleichheit516 der Subventions empfänger genannt. Es entspricht der Grundphilosophie der egalitären Demokratie, daß sie aus dieser Fundamentalnorm eigentlich auch Grenzen für das gewinnen müßte, was die modernste Form ihrer Machtausübung geworden ist. Nur folgerichtig ist es also, daß alles gegenüber dieser Egalität im Subventionsbereich zurücktreten sollte. Doch es zeigen sich gerade hier die Grenzen der Gleichheit als Grenze des Rechtsstaates. Zunächst ist schon nie die "Gleichheit im Unrecht" als Rechtsprinzip 517 anerkannt worden; dem Eingriffsstaat gegenüber mag dies nicht allzu schwer wiegen, der fördernden Staatsgewalt gegenüber entwaffnet es viele förderungswürdige Bürger: Gerade dann, wenn ein Unternehmer "an sich" primär zu Unrecht begünstigt wird, kann sich darauf grundsätzlich kein anderer und nur selten, im Rahmen der Wettbewerbs gleichheit, ein KonkurSchneider, H., Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, Rdnr. 324 ff. Maurer (Fn. 485), § 7 Rdnr. 41; Püttner, G., Verwaltungslehre, 1982, S. 329 f. 516 Götz (Fn. 502), S. 264 ff.; Henke (Fn. 500), S. 105 ff.; Zacher (Fn. 503), S. 363 ff. 517 Dürig, in: MaunzlDürig, Art. 3 Abs. I Rdnr. 179 ff.; Mayer, F./Kopp, F., Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 1985, § 5 11 3. 514

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rent berufen. Dies wirkt sich praktisch häufig als Privilegierung einer bis zur Willkür fehlerhaften Staatsförderung aus. Es gestattet dies auch immer wieder im Ergebnis einen Gleichheitsbruch, der ohne gerichtliche Sanktion bleibt. Wirklich "gleich" sind überdies die in aller Regel sehr komplexen Fördertatbestände praktisch nie, jedenfalls kann die Vergabegewalt dies immer leugnen. Wenn also nicht noch andere Normen die Gleichheit näher bestimmen, die Tatbestände im einzelnen vergleichbar definieren, läuft dieses Rechtsprinzip gerade der Staatshilfe gegenüber immer wieder leer; doch gerade an solchen materiellen Normen fehlt es, die Haushaltsbestimmungen sind häufig ähnlich allgemein wie der Gleichheitssatz selbst. Aus Zielvorstellungen aber allein läßt sich die Egalität nur in den seltensten Fällen präzisieren. Ein Gleichheitsverstoß wird überdies vor den Gerichten nur verhältnismäßig selten gerügt werden, will doch der Subventionswerber seine Beziehungen zur Vergabegewalt dadurch in der Regel nicht belasten. Ihm obliegt eine zu weitgehende nicht nur Behauptungs-, sondern praktisch eben doch Nachweis-Last gegenüber der Verwaltung518 . Dies alles kompliziert die Sachverhalte in solchem Maße, daß nur selten ein Gerichtsurteil doch so rechtzeitig ergeht, daß der bereits geförderte Konkurrent noch einzuholen ist. Überdies haben Richter immer großes Verständnis gerade hier für mögliche ausufernde Folgerungen aus ihren Urteilen gezeigt, verbunden mit einer nicht selten übertriebenen Achtung vor staatlichen Sparnotwendigkeiten: Gießkannenmäßige Verbreiterung der Subventionen läßt sich in aller Regel über die Gerichte nicht durchsetzen. - Ganz allgemein zeigt sich ferner hier, wie weit der Gleichheitssatz bereits aus geschliffen ist, in der allgemeinen Verfassungs- und Verwaltungsrechtsprechung519 : Wann wird man es schon als "unvernünftig" bezeichnen können, einen Wettbewerber zu bevorzugen, wann läßt sich hierfür denn keinerlei vernünftiger Grund finden, der doch auch im Ökonomischen liegen kann und sich bereits aus einer gewissen Umsatz- oder sonstigen betrieblichen Schwäche ergeben mag, oder aus der Notwendigkeit, gerade an einem bestimmten Punkt durch Sicherung von Arbeitsplätzen Strukturpolitik zu betreiben. 518 In der Praxis geht sie meist weit über das hinaus, was sonst bei einer Verpflichtungsklage vom Kläger erwartet wird, vgl. dazu Kopp, F., VwGO-Komm., 9. Aufl. 1992, § 42 Rdnr. 98 ff.; Redeker, K.lv. Oertzen, H.-J., VwGO-Komm., 1l. Auf!. 1994, § 108 Rdnr. 13. 519 vgl. dazu f. viele Zippelius, R., Der Gleichheitssatz, in: VVDStRL 47 (1989),

S. 8 ff.

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

- Gerade die Wettbewerbsgleichheit gegenüber dem Staat ist vom Bundesverfassungsgericht nur selten sanktioniert, ja als solche hervorgehoben worden520 , sieht man von Sonderbereichen wie dem der Presse ab 521 . Eine ausgebaute Verfassungsrechtsprechung zur Wettbewerbsfreiheit gibt es nicht, noch weniger ist hier der Gleichheitsaspekt wirklich ernst genommen worden. Die wenig zahlreichen Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts zur Mittelstandsförderung 522 erkennen gerade diesen Begriff als Legitimation für ungleiche Subventionierung an - welche Subventions bedürfnisse können aber nicht auf Betriebsgrößen zurückgeführt werden, diese legitimerweise ausgleichen? Recht und Richter sind es hier ersichtlich zufrieden, daß die Staatsgewalt in diesem Bereich in einer gewissen Ungebundenheit handelt, in einer Gestaltungsfreiheit523 , welche so oft als Wesen der Verwaltung hervorgehoben wird, in der "klassischen" Eingriffsverwaltung aber immer mehr verloren zu gehen droht. Gerade deshalb vielleicht ist eine Grundstimmung entstanden, in der man den Subventionsstaat gewähren läßt. Ein Staat aber, der unkontrolliert helfen und schenken darf, ist - aus rechtsstaatlicher Sicht - unsichtbar, kaum faßbar für die vielen anderen, selbst für die Gleichen. - Die Entwicklung der europäischen Einigung zwingt schließlich immer mehr, nationale Subventionen möglichst unbedeutend erscheinen zu lassen, ja sie regelrecht zu verstecken. Legitimationen werden dafür leicht gefunden, von denen jedermann weiß, daß sie seit langem nichts mehr begründen, wie etwa die "nationale Energiesicherheit " bei der Steinkohlenförderung524 . Hier stellen sich in der Tat politische Fragen des Überlebens nationalstaatlicher Regelungsgewalt, soziale Probleme ersten Ranges; und so schleicht sich denn der Sozialstaat auch auf der supranationalen Ebene ein mit Förderungslegitimation gegenüber der Gleichheit; in solcher Grundstimmung wird es ihm nicht schwerfallen, die kaum zu definierende Begrifflichkeit des "Sozialen" auch in der europa-unabhängigen nationalen Subventionspraxis zu verstärken. Soweit aber bildet der Subventionsbegriff doch sicher eine Einheit, daß er, als eines der wenigen 520 BVerfGE 4, S. 7 (19, 24); 12, S. 354 (367); 21, S. 292 (296-301). 521 BVerfGE 25, S. 256 (265).

522 z.B. BVerfGE 19, S. 101 (111, 114, 116 ff.).

523 Badura, p., Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: v. Münch, I./Schmidt-Aßmann, E., Besonderes Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, S. 193 ff. 524 Dazu siehe Leisner, w., Die Zulässigkeit der Subventionierung deutscher Steinkohle zur Verstromung nach europäischem Recht, in: GewArch. 1990, S. 377 ff.

IV. Der Staat als Bürger - Staatshilfe in und durch Privatheit

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nationalstaatlichen Reservate in künftiger europäischer Landschaft, überall sorgsam wird gehütet werden. Damit aber wird die EuropaEbene nicht nur zum verwaltungsmäßig-bürokratischen Verunsichtbarungsraum, wie es ihrem Wesen entspricht, dies steigert sich gerade einer modemen Machttechnik gegenüber, die an sich schon aus der Faßbarkeit strebt.

c) Die Lenkungsmacht der Staatshilfen

Hier genügen nur wenige Worte: Der Unsichtbare Staat entfaltet eine nicht nur in ihrer Unbestimmtheit, sondern auch in ihren bereits sichtbaren, ja verfestigten Phänomenen wahrhaft gewaltige Lenkungsmacht. Es gehört zum laufend praktizierten Repertoire der Subventionen, daß sie mit Zinserleichterungen verbunden sind. Bei den immer engeren Gewinnspannen stets noch stärker konkurrenzgeprägter Märkte hilft aber hier auch Kleinstes, zur rechten Zeit als Erleichterung gewährt, um das Überleben von Unternehmen zu sichern, ja von ganzen Branchen. Nichts anderes gilt für erleichterte Rückzahlungsbedingungen, für die Möglichkeit allein schon, hier Aufschübe zu erlangen, wenn etwa Arbeitsplätze gefährdet sind. Ganze Erwerbszweige werden daher heute geschaffen, aufrechterhalten oder sie sterben, je nachdem wie es die ihnen gegenüber wahrhaft allmächtige Subventionsgewalt des Staates will. Mag hier die Machtentfaltung der Staatlichkeit sich noch auf globalsteuernde Instrumentarien, auf die Gestaltung ganzer Wirtschaftszweige, beschränken lassen - und wie häufig, gerade großen Unternehmen gegenüber, geht sie nicht doch ins Unternehmens-Detail weitaus gezielter und damit wirklicher Machtausübung sich nähernd wirken die LenkungsauflagenS2S . Hier wird die Verbindung zum klassischen Verwaltungsrecht der Eingriffe oder Verschonungen unter Auflagen auf breiter Front erreicht. Kaum eine materielle Norm begrenzt den Staat darin, was er hier noch an Mehr verlangen, was er, vielleicht aus Bereichen ganz anderer öffentlicher Interessen, ja anderer Verwaltungsressorts, eben doch noch "draufsatteln" darf. Das "Koppelungsgeschäft"S26 mag im allgemeinen Verwaltungsrecht noch als Willkür525

Vgl. Leisner,

w., Die Lenkungsauflage, 1982, m. zahlr. Nachw.

Die Koppelung von Verwaltungsakten mit Gegenleistungen im Verwaltungswege im Bau- und Bauordnungsrecht, in: DÖV 1967, S. 662 ff.; Menger, Ch.-F., Zum Koppelungsverbot bei öffentlich-rechtlichen Ver526 v. Campenhausen, A.,

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

schranke, als Sanktion der klaren gesetzlichen Zielverfehlung wirken bei den Lenkungsauflagen taucht dies alles ein in eine rechtsstaatlich nur schwer kontrollierbare, rational oft kaum mehr nachvollziehbare Auflagenvielfalt, die aber durchaus nach einem Konzept gestaltet werden kann; seinerseits bedarf dieses allerdings weder einer ausgesprochenen Begründung, noch kann es von den Betroffenen leicht nachgezeichnet werden - hier ist eben "Unsichtbarer Staat". Damit wird dann der Geförderte zu etwas wie "zu eigenem Profit beliehener Unternehmer des Staates". Schon in diesem traditionellen Begriff des allgemeinen Verwaltungsrechts 527 verunsichtbart sich die hoheitliche Staatsgewalt, beim Vollzug der Lenkungsauflagen, welche sie ihren Subventionen beigibt, tritt sie erst recht hinter die vielen geförderten Privaten zurück. Grenzen findet dieses an sich höchst wirksame Instrument nicht so sehr in vorhersehbarem, systernimmanentem Versagen, sondern meist in eher zufälligem Nichtfunktionieren: Gleichheit schadet mit dem von ihr erzwungenen Gießkannensystem der Effizienz; "Feuerwehrsubventionen" werden von notleidenden Betrieben durch deren eigene Fehler geradezu erzwungen, damit wird die Staatsgewalt von systematischer Machtausübung durch Förderung abgelenkt; Prognosefehler, bürokratischer Formalismus, die ganze Antragsschwerfälligkeit einer Durchführung, die nicht bei überblicksstarken Generalisten liegt - dies alles schwächt hier den Unsichtbaren Staat, bis sein Machtstreben verdämmert, und dies beruhigt dann die Bürger. Doch dies alles sind Fehlerquellen, bei denen der Staat eben auch von seiner eigentlichen Legitimation der Subventions-Macht, von deren Unsichtbarkeit, abfällt, wo er gerade aus dieser Unsichtbarkeit heraustritt, ganz offen wieder in hoheitlich lenkende Erscheinung. Denn dies ist der Hauptfehler, den hier die Förderungsgewalt begeht: daß sie in Formen der Eingriffsverwaltung immer mehr zu handeln beginnt, vor allem in ihren Lenkungsauflagen; darin wird sie dann auch mit rechtsstaatlichen Mitteln angreifbar. All das mag also zwar die Effizienz dieses Instrumentariums in Grenzen halten. Dennoch ist es, wird es systematisch, nicht in zufälliger Marginalität eingesetzt, von einer noch kaum erkannten Wirksamkeit, insbesondere in seiner virtuellen Allgegenwart: Ebenso wie der Leistungsträgen, in: VerwArch. 64 -(1973), s:- 201 ff.;- Willigmiiim, K. Koppelung von Verwaltungsakten mit wirtschaftlichen Gegenleistungen, in: DVBI. 1963, S. 229 ff. 521 Siehe z.B. Maurer (Fn. 485), § 23 Rdnr. 56 ff.; Steiner, U., Der "beliehene Untemehmer", in: JuS 1969, S. 69 ff.; neuerdings Sehmitt Glaeser, w'/Maekeprang, R., Zur Institution des öffentlich-rechtlichen Beauftragten, in: Die Verwaltung, Bd. 24 (1991), S. 15 ff.

IV. Der Staat als BÜIger - Staatshilfe in und durch Privatheit

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staat, mehr noch, kann ja die Subventionsgewalt ihre Aktionsbereiche erweitern, bis hinein in kulturelle, gesundheitsfördernde, verkehrsverbessernde Hilfen. Hinter ihr steht, daran kann kein Zweifel bestehen, die Möglichkeit einer großen indirekten Finanzlenkung des gesamten Gemeinschaftslebens durch den Staat, was heute ja auch als staatspolitisches Zentralproblem bereits erkannt ist.

d) Von der Kryptogewalt der Staatsgeschenke

Bekannt ist in der Wettbewerbswirtschaft, in der Gesellschaft ganz allgemein, daß der Staat "da irgendwo mitagiert " , doch wer kann schon erkennen, wo dies geschieht, wie weit die Macht reicht. Gedeckt durch die Legitimation einer liberalen "Hilfe zur Freiheit", die dem Privaten die Entscheidung nicht ganz aus der Hand nimmt, dringt die Staatsrnacht immer weiter vor. Kontrollen fehlen, die Wirksamkeit steigt bei geschicktem Einsatz - damit sind alle begrifflichen Voraussetzungen einer Kryptogewalt erfüllt. Bleibt die entscheidende Frage nach der Freiheitsgefährdung. Einwände liegen nahe und werden immer wieder gebracht: Niemand braucht doch das Geschenk anzunehmen, volenti non fit iniuria528 . Hier aber wird politisch-ökonomische Naivität gesetzt gegen wirkliche Macht: Der Subventionswerber wird in aller Regel durch den Markt gezwungen, durch die wirtschaftlichen Gesetze des Wettbewerbs - oder durch seine eigene Geschicklichkeit, welche ja gerade wiederum diesen Markt trägt und hält. Man mag die finanziellen Schranken des Staates betonen, die Abgabenlast, mit der allein letztlich subventioniert werden kann, hat ihre politischen Grenzen; und in der Tat liegen hier die wichtigsten faktischen Schranken gegen einen systematisch-flächendeckenden Einsatz unsichtbarer Staatlichkeit, gegen ihre Zusammenballung zu einem echten, als solchem definierbaren Pouvoir. Doch ohne Zweifel ist der Staat dahin bereits auf guten Wegen. Alles ist eine Frage des richtig dosierten Einsatzes dieser Machtinstrumente, der geschickten Schachbrett-Plazierung der Subventionen. Die Herrschenden können hier von der alten britischen Stützpunktstrategie lernen, wie man mit geringem Einsatz an 528 Friauf, K. H., Zur Rolle der Grundrechte im Interventions- und Leistungsstaat, in: DVBl. 1971, S. 674 (680 f.). Es wÜIde dies ja auch allzu leicht einen Grundrechtsverzicht legitimieren, vgl. Leisner, w., Die Lenkungsauflage, 1982, S. 19 ff.; Wegener, R., Staat und Verbände im Sachbereich der Wohlfahrtspflege,

1978, S. 155.

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

der richtigen Stelle große Flächen beherrscht, aus der Unendlichkeit des Meeres der Staatsfinanzen heraus. Gelegentlich müssen sie sicher politisch das liberale Anti-Subventions-Sperrfeuer aushalten, den wuchtigen Programm-Ankündigungen des Subventionsabbaus mit Gelassenheit begegnen. Und doch ist da viel Hoffnung für den neuen, den Unsichtbaren Staat: All diese Instrumente haben ja noch kaum wirkliche, vor allem nicht eine systematische Tradition; was bedeuten schon wenige Jahrzehnte, vor allem in wirtschaftlich günstigen Wassern. Wie aber, wenn einmal Wirtschaftskrisen den Machteinsatz zur politischen Verwaltung des Mangels ermöglichen? Hier liegt wohl die eigentliche Stärke der Subventionsstaatlichkeit: Ein wirtschaftliches Hoch gibt ihr zwar die Mittel der Macht, ohne allerdings allzuviel Legitimation zu ihrem Einsatz, ein Tief dagegen kompensiert den Mangel der Mittel durch stärker konsensgetragene, weitergehend gezielt eingreifende Subvention. In allen Wirtschaftslagen bleibt also der unsichtbare Subventionsstaat präsent, mit immer neuen Begründungen. Die Kombination des Steuer- und Subventionsstaates - denn beides muß man stets zusammen sehen - entfaltet, durch die verdeckten Teile der beiden Seiten einer Medaille, immer mehr eine mächtige Kryptogewalt, die darauf hinläuft, sich letztlich völlig dem Recht und seinen Kontrollen zu entziehen. Das wird dann wirklich "ein anderer Staat sein", am Ende der Eingriffe. Ihm gegenüber muß nicht nur ein neues Bewußtsein, es müßte ein gänzlich anderes öffentlich-rechtliches Abwehrsystem für die Freiheit des Bürgers entwickelt werden als das traditionell bekannte, es wird darum gehen, den Staat erst einmal "ans Licht zu ziehen". Entscheidend wird dabei sein, ob die juristische Dogmatisierung der Wettbewerbsgleichheit gelingt, die Erfassung des Wettbewerbs als Rechtsbegriff nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Recht, gegenüber dem Staat und den von ihm GefÖrderten 529 . Wie schwer dies ist, zeigen die Grenzen der Wirkungen des Kartellrechts gegenüber der staatlichen Wirtschaft, mehr noch, gegenüber der Staatsgewalt als solcher530 . Ist es nicht so, daß immer dann, wenn öffentliches Interesse antritt, wirkliche Macht, daß dann Antitrust-Systeme rechtlich kapitulieren müssen, ist nicht die größte Kartellerlaubnis, die wir kennen, das Tarifvertragssystem, geradezu aus unserem Bewußtsein der Wettbewerbsbeschränkungen schon verschwunden?

529 Zu ersterem gute grundsätzliche Ansätze schon bei Schricker, H., Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand und unlauterer Wettbewerb, 1964, S. 113 ff. 530 Müller-Vri, R., Kartellrecht, 1989, Rdnr. 304 ff.; Emmerich (Fn. 494), S. 420 ff.; Schwarz (Fn. 494).

IV. Der Staat als Bürger - Staatshilfe in und durch Privatheit

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Die Macht des Staates versteckt sich hier in doppelter Weise: hinter dem Bürger und seiner politischen Freiheit, die sie zu fördern vorgibt, und schließlich auch noch darin, daß der Staat selbst geradezu als etwas wie ein "kreditierender Privater" anderen Bürgern gegenübertritt. Diese doppelte Camouflage der effektiven Souveränität hinter der einladenden Fassade der bürgernahen Volkssouveränität ist praktisch-politisch kaum zu durchbrechen. Auf den Krücken der Subventionen - oft werden sie nur als solche Bewegungshilfen gesehen - marschiert der Unsichtbare Staat in unübersehbare Macht.

3. "Privatisierung" - eine Form der Staatsverschleierung a) Die drei Privatisierungsbegriffe

Die größte politische Macht haben stets ambivalente Begriffe; deshalb ist die "Privatisierung" heute von solchem Konsens getragen. Hinter diesem Wort verstecken sich drei Politiken, die weder als rechtlich-ökonomische Technik, noch in ihrem politischen Machtgehalt vergleichbar sind. - Geht es um Verkäufe von Staatsbesitz531 , um Rückzug der organisierten Gemeinschaft aus der wirtschaftlichen Tätigkeit der vielen Bürger, so ist dies kaum ein Thema unserer Betrachtungen. Zwar zieht sich der Staat hier aus der Faßbarkeit seiner eigenen Produktion, ihrer marktmäßig meßbaren Erfolge und Fehlschläge zurück, aus ihren Möglichkeiten und Risiken, also aus Formen, welche dem wirtschaftsbewußten Bürger heute zunehmend "in die Augen fallen". Hier aber hat die Staatsgewalt nichts an Kryptogewalt zu gewinnen, eine solche vermag sie nicht aufzubauen, hier ist nichts als Rückgang ihrer Macht. Zieht sie sich aus der Erwerbswirtschaft zurück, so wird sie erst recht faßbar in ihren hoheitlichen Machtäußerungen, die nur ihr zustehen; die liberale Gegenüberstellung von ordnendem Staat und erwerbendem Bürger wird deutlicher, die gesamte Macht-Landschaft überschaubarer. Man sollte dies durchaus als eine Versichtbarung moderner Staatsgewalt anerkennen und begrüßen. 531 BIede, H.lpüttneI, G., Die wichtigsten Privatisierungsfonnen und ihre Eignung, ein fortdauerndes öffentliches Interesse am Unternehmen zu wahren, in: Brede, H. (Hrsg.), Privatisierung und die Zukunft der öffentlichen Wirtschaft, 1. Aufl. 1988, S. 267 (270 ff.).

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

- Nicht anders ist die vieldiskutierte Übertragung staatlicher Aufgabenerfüllung auf staatsfeme Private 532 mit Blick auf Staatssichtbarkeit zu beurteilen: Dies alles ist wirklich "Entstaatlichung", Abbau, nicht Verunsichtbarung der Staatsgewalt. - Ganz anders wirkt jedoch die Verwandlung herkömmlicher Staatstätigkeit, aus den Formen des öffentlichen Rechts, der unmittelbaren Staatsregie und den Eigenbetrieben, in solche des Privatrechts, in Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Aktienvereine 533 . Hier ist nicht darüber zu handeln, ob nicht schon ein begrifflicher, fundamentaler Widerspruch im Worte der "Staats-GmbH" liegt, ob der Staat jemals ein Rechts- und Machtträger "mit beschränkter Haftung" sein darf, wenn er denn schon konkursunfähig stets war534 . Die eigentliche Problematik der Verunsichtbarung der Staatsgewalt tritt dort sogleich auf, wo große, herkömmliche Veranstaltungen der Daseinsvorsorge, etwa Post und Bahn, in Organisationsformen des Privatrechts betrieben werden sOllen535 , wo die Kommunen nur mehr mit der beschränkten Haftung des Privatrechts agieren wollen. Betrachtet man zunächst die voll staats- oder kommunalbeherrschte juristische Person des Privatrechts, so wird sich kaum bezweifeln lassen, daß man vor Formen privatrechtlieh verschleierter Staatswirtschaft steht, insbesondere dann, wenn es Ziel dieser Gestaltungen ist, effizient zu wirtschaften, eben "so wie der Bürger", profitorientiert 536 . Erstaunlicherweise ist bisher noch kaum erkannt worden, daß in einer Periode des Zusammenbruchs einst weltbeherrsehender Staatswirtschaft auf solchen Wegen und mit dem guten Wort der Privatisierung verbrämt die Transformation öffentlicher 532 Gramlieh, L., "Öffentliche Unternehmungen" im Verfassungsstaat des Grundgesetzes - Anmerkungen zur Privatisierungsdebatte, in: BB 1990, S. 1493 ff.; LecheIer, H., Privatisierung - ein Weg zur Neuordnung der Staatsleistungen?, in: ZBR 1980, S. 69 ff.; Ronellenfitsch, M., Wirtschaftliche Betätigung des Staates, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 3, 1988, § 84 Rdnr. 42 ff. 533 Püttner, G., Die öffentlichen Unternehmen, 1985, S. 234 ff.; Stober, R., Die privatrechtlich organisierte öffentliche Verwaltung, in: NJW 1984, S. 449 (450 ff.). 534 Vgl. Fn. 498. 535 Grundlegend Windisch, R., Privatisierung natürlicher Monopole im Bereich von Bahn, Post und Telekommunikation, 1981; Büchner, L. M., Die Neugliederung der Deutschen Bundespost - Strukturen und Konsequenzen, in : JA 1990, S. 194 ff.; Schatzschneider, w., Die Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens, in: NJW 1989, S. 2311 ff. 536 Dies aber ist die primäre, wenn nicht die einzige Legitimation der tiefgreifenden Umgestaltung der großen (und kleinen) Betriebsverwaltungen, vgl. Büchner (Fn. 535), S. 198 f.

IV. Der Staat als Bürger - Staatshilfe in und durch Privatheit

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Wirtschaftseinheiten in die nunmehr allein als marktkonform geltende Privatrechtsordnung abläuft, also nichts anderes als eine neuartige Form der "Staatsverwirtschaftlichung". Hier erfolgt ja weit mehr als eine "Flucht des Staates aus der Hoheitsgewalt, ins Privatrecht": Er verschwindet als frühere, odiose Machtträger-Persönlichkeit überhaupt aus dem staatspolitischen Blickfeld, nicht aber aus der Realität der Wirtschaft. Vorsicht ist also jedenfalls geboten, will man darin vorschnell eine volle "Entstaatlichung" sehen, es könnte auch nichts anderes sein als eine privatrechtlich verschleierte Staatswirtschaft - dann eben doch: unsichtbare Staatsrnacht. b) Die "private Staatsgesellschaft" als Machtabbau?

Zur Begründung einer solchen These könnte zunächst darauf verwiesen werden, daß sich hier ja die gesamte rechtlich-ökonomische Konstellation ändere: Es werde nun nicht mehr in Machtkategorien, sondern nur in solchen der Effizienz gedacht. Und in der Tat wird die Privatisierungsdebatte nicht geführt mit Blick auf eine wie immer drohende Staatsgewalt. Es fragt sich demgegenüber aber, ob die wirtschaftliche Effizienz, bei einem an sich schon unendlich reichen Träger gesteigert, nicht eine neue, höchst wirksame Machtkategorie darstellt. Wenn man dies bereits in der Zwischenkriegszeit für die "sozialen Mächte,,537 diskutiert hat, wenn diese Art von Mächtigkeit aus dem Arbeitsrecht nie verschwunden ist, dort geradezu etwas wie einen zentralen Rechtsbegriff darstellt538 , warum sollte sie dann beim Staat als privatem Gesellschafter in Machtneutralität sich auflösen? Man wird einwenden, allein schon der Abbau der öffentlich-rechtlichen Statusformen der Bediensteten, die Entbeamtung, könne als entmachtender Effekt verbucht werden. Dem Bürger gegenüber ist dies aber ein Gewaltabbau von kaum faßbarem Gewicht; kompensiert wird er jedenfalls reichlich durch den Machtzuwachs des Staates im Innenbereich des Beschäftigungsverhältnisses: Die Beschäftigungsformen des Privatrechts geben dem Arbeitgeber eher mehr an Direktionsrechten als er sie gegenüber dem statusrechtlich streng abgesicherten Beamten hat539 ; mehr finanzieller Gewinn und damit mehr gesellschaftliches Ansehen wird jedenfalls in die Hände hochbezahlter Gesellschafts-Vorstände gelegt als in die von Spitzenbeamten. Nachw. bei Leisner, w., Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 257 f. Die "Übennächtigkeit" des Arbeitgebers, die grundsätzliche Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers, vgl. zu letzterem Schaub, G., ArbeitsrechtsHandbuch, 7. Auf!. 1992, §§ 152 ff.; Zöllner, W./Loritz, K.-G., Arbeitsrecht, 4. Auf!. 1992, § 1 I. 537

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

Daß der Staat hier Grundrechtsbindungen entflieht, ist sicher schon lange nicht mehr sein eigentliches Anliegen, unterliegt er doch auch ihrer Fiskalbindung, wenn er privatrechtlich handelt540 ; und mehr als die ausgeschliffene Gleichheit hat er ohnehin meist nicht zu fürchten. Weit schwerer wiegt, als echter Machtgewinn, jene Privatautonomie541 , deren sich Staat und Kommunen in diesen neuen Formen nun bedienen und berühmen dürfen; gerade weil sie im Wettbewerb unter Effizienzdruck stehen, muß ihnen doch auch der volle Einsatz all ihrer ökonomischen Mittel erlaubt sein, in einer Freiheit, die nicht wieder durch strenge rechts staatliche Fesseln eingeengt werden darf. Weit mehr als die grundrechtliche wirkt die generell-normative Entfesselung der Staatsgewalt machtsteigemd, und zwar in einer deutlichen Ent-Öffentlichung von Aktivitäten, die sich eben hinter das private Geschäftsgeheimnis zurückziehen können. Ihnen gegenüber greifen Haushaltsbestimmungen und Haushaltskontrollen nicht mehr in gleicher Schärfe, deren machthemmende Strenge nöch nie jemand hat bestreiten können.

c) Entpolitisierung -

Entmachtung?

Aus der Sicht vieler Bürger ist diese Privatisierung überdies von einem Verharmlosungseffekt begleitet: "Unpolitische" Manager nur sollen dort dirigieren - können aber Staatsgesellschaften ein Ausgangspunkt für machtgierige politische Potentaten sein? Daran ist sicher so viel richtig, daß nunmehr selbst in Personalunion im politischen und im wirtschaftlichen Bereich Tätige, aus Verwaltungen entsandte Vorstände, vor allem aber Aufsichtsratsmitglieder, Interessen der staats beherrschten Gesellschaften als solcher über die der Anteilseigner stellen müssen, vor allem aber die wirtschaftlichen Belange über die politischen stellen sollten. Das GmbH- und Aktienrecht mag dies allgemein vorschreiben542 , und hier und da kommt es wohl auch auf diesen Wegen zu faktischen "ministerialfreien Räumen", in denen Macht nicht 539 Deshalb wird ja der Beamtenstatus von der h.L., vor allem vom BVerfG (E 70, S. 251 (267)), gerade mit der Notwendigkeit begründet, einen unabhängigen, nur dem Recht verpflichteten öffentlichen Dienst in der Parteiendemokratie aufrecht zu erhalten. 540 Hesse, K., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 19. Aufl. 1993, Rdnr. 345 ff.; Rüfner, w., Grundrechtsadressaten, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 5,1992, § 117 Rdnr. 39 ff.; Stern (Fn. 483), Bd. III/1, S. 1411 ff. 541 Pütlner, G. (Fn. 533), S. 76 (83 f.). 542 Pütlner (Fn. 533), S. 234 ff.

IV. Der Staat als Bürger - Staatshilfe in und durch Privatheit

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sichtbar ist, weil sie als solche des Staates wirklich nicht eingesetzt wird. Doch überschätzt darf dies nicht werden: Die Einbindung derartiger "privat Herrschender" - denn sogar in der "reinen Privatwirtschaft" werden sie als solche immer mehr gesehen und geachtet - in die Staatsorganisation, ihre Unterwerfung unter politische Direktiven bleibt weitgehend erhalten. Die Wahl solcher Vorstände ist nach wie vor ein Politicum in einem weiteren Sinne, mag auch die notwendige Konsensbildung gezieltes Herrschen nicht selten erschweren. Dies gilt vor allem auf der wichtigen kommunalen Ebene. Was dort jedoch an "Politisierung" abgebaut wird, kommt dadurch häufig wieder zurück, daß eine Beamtenschaft durch Arbeitnehmer ersetzt wird, die nicht in vergleichbarem Maß unter Anti-Korruptions-Kontrollen im weiteren Sinne stehen 543 . Durch Vertrags gestaltung kann überdies eine enge Bindung auch an politische Gewalten sichergestellt werden, und was diesen an direktem Einfluß verloren geht, wird leicht durch Entöffentlichung wieder gewonnen. Allerdings mag es zu einem Wandel der hier aktiven Mächtigkeiten insoweit kommen, als nicht mehr so sehr politische wechselnde Mehrheiten und Herrschaftsstrukturen sich gezielt mit harten Schlägen durchsetzen können; vielmehr fällt die Macht immer mehr in die Hände in breitem Konsens verzunfteter Ministerial-Herrschaft. Sie ist aber ihrem Wesen nach weder weniger politisch, noch weniger lastend. Ein eigentlicher Machtrückzug findet schon deshalb nicht statt, weil die Mächtigkeit dieser "Daseinsvorsorge im weitesten Sinn" nicht so sehr aus den Persönlichkeiten ihrer Akteure kommt, ihrer Organisationsstrukturen, als vielmehr aus der monopolähnlichen oder gar völlig monopolisierten Aufgabenerfüllung, in Verbindung mit, virtuell jedenfalls, unbegrenzt zur Verfügung stehenden Mitteln. Diese beiden Grundelemente echter Macht aber bleiben, ebenso wie auch ihr nie rein ökonomischer, sondern stets, schon durch Sozialstaatlichkeit gedeckt, auch gesellschafts gestaltender Einsatz. Dies aber ist, man muß es anerkennen, nichts anderes als - modeme Politik544 . 543 Zu solchen Unterschieden zwischen .. Vorteilsannahme" durch Beamte und Schädigung des Arbeitgebers, vor allem durch Untreue, vgl. Maurach, R.I Schroeder,F.-Ch.lMaiwald, M., Strafrecht, Bes. Teil, Teilbd. 2, 7. Aufl. 1991, § 78. 544 Die Verbindung von öffentlicher Gewalt und privatem Wirtschaften wird vor allem im Gemeindebereich deutlich, wenn bei (der Aufgabe von) Beteiligungen auch die kommunale Aufgabenerfüllung als solche zu beachten ist, Püttner, G., Rechtliche Rahmenbedingungen der Privatisierung, in: Brede, H. (Hrsg.), Privatisierung und die Zukunft der öffentlichen Wirtschaft, 1. Aufl. 1988, S. 257 (264), mit Hinweis auf entsprechende Vorschriften in den Gemeindeordnungen; Stober, R., Kommunalrecht, 2. Aufl. 1992, § 11 III.

11 Leisner

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Entscheidender Machtgewinn, dies zeigte sich bereits, kommt schließlich daraus, daß sich diese Gesellschaften, schon in ihrer Vielfalt und ihrer Organisationsstruktur kaum zu durchleuchten, durch ihr Geschäftsgeheimnis zusätzlich geschützt, der politischen nicht nur, sondern auch der Medienkontrolle entziehen können, so daß alles, was hier noch an Politik erhalten bleibt, nur um so gefährlicher, weil unsichtbar wirken kann. Mit geschickt durchgeführter Anbindung an politische Instanzen kann der Staat damit in die Bürgerwelt eintauchen; und diese Machttechnik ist heute schon im Lauf, es gilt nur, sie noch zu verfeinern. Die Machtphilosophie ändert sich nicht, eine neue Machttechnik ist geboren.

d) Public-Private-Partnership -

verdeckte Staatlichkeit

In gemischtwirtschaftlicher Tätigkeit54S wird die Staatlichkeit noch weiter verschleiert: Sie tritt nun auch organisatorisch hinter den wirtschaftenden Bürger zurück, verbindet sich mit ihm in einem von außen kaum mehr zu durchschauenden Gemenge. War schon die Subvention ein Mittel der Staatsverunsichtbarung, so ist es diese Partnerschaft mit Privaten noch weit mehr als selbst eine organisationsrechtliche Verfestigung von Staatshilfen auf Dauer: Hier tritt der Staat mit Profitstreben auf, die Flucht in den privaten Bereich ist so vollständig gelungen, daß der Staatsbesitz letztlich sogar durch Berufs- und Eigentumsfreiheit gesichert wird546 , eben über die entsprechenden Rechte der privaten Gesamtgesellschaft. Für die Öffentlichkeit jedenfalls ist dies schlechthin ein privater Rechtsträger, wie soll sie komplizierte Beteiligungsverhältnisse durchschauen und dann gar noch, etwa hinsichtlich der Sperrminoritäten, den realen Machteinfluß des Staates in solchen Bereichen bewerten? Hier ist dieser nahezu vollständig privatwirtschaftlich verunsichtbart. Bestimmt der staatliche Partner im wesentlichen die Geschäftspolitik des gemischtwirtschaftlichen Unternehmens, so bedient er sich letztlich nur eines Instruments fiskalischen Profitstrebens, die Partnerschaft ist privatunterstützte Staatswirtschaft. Doch zugleich können eben auch öffentliche Interessen hier mitverfolgt werden, ja sogar aus der Sicht des 545 Fikentscher, w., Wirtschaftsrecht, Bd. 11, 1983, S. 115 ff.; Wolff, H. J./ Bachof, O./Stober,R., Verwaltungsrecht 11,5. Aufl. 1987, § 104 aI 2 b bb.

546 Auch eine inländische Gesellschaft mit öffentlicher Beteiligung genießt den Schutz des Art. 19 Abs. 3 GG, v. Mutius, A., in: Komm. zum Bonner Grundgesetz, Std. 1993, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 78 ff.

IV. Der Staat als Bürger - Staatshilfe in und durch Privatheit

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staatlichen Partners dominieren; und liberale Grundeinstellung verlangt letztlich, daß nur in solchen Fällen zu derartigen Joint ventures gegriffen werde. Dann aber ist die Verschleierungswirkung hier noch erheblich stärker, Kontrollen werden noch weitergehend abgebaut, in einem ständigen und systematischen Sich-Verstecken hinter privaten Partnern und deren hier ja nun wirklich in der Gesamtunternehmung zu wahrendem Geschäftsgeheimnis. Der äußere Eindruck, etwa gegenüber den Medien, ist der des schlechthin und gänzlich Privaten. Wenn überdies von zwei Partnern die eine Seite völlig profitorientiert, die andere ganz oder wesentlich machtorientiert wirtschaftet - soweit es derartiges geben kann - so schlägt nur zu leicht diese Macht durch. Der staatliche Partner ist eben letztlich doch der unendlich Reiche, der Konkursunfähige; und gleichzeitig bestimmt er, mit anderen Teilen seiner Großorganisation, noch dazu die wichtigen Rahmendaten der betreffenden wirtschaftlichen Aktivität, wie auch die Handhabung öffentlicher Subventionsgewalt gegenüber einem solchen Unternehmen. Dann aber wird es leicht zu einer wahren Gesetzmäßigkeit des Primates öffentlicher vor privaten Interessen kommen. So bleibt dem Staat die Wahl zwischen Wirtschaften in reinem Fiskaldenken oder einer geradezu systematisch organisierten Staatsverschleierung in der Verbindung mit Privaten. e) Privatisierte Staatlichkeit: Kryptogewalt

Alles spricht dafür, daß in dem systematischen Ausweichen der Staatlichkeit in Privatisierung nicht nur einzelne Effekte verschleierter Staatsgewalt ermöglicht werden, sondern daß diese hier sogar systematisch in eigenständiger Rechtstechnik ausgebaut werden kann. Schwer mag dies im einzelnen abzuschätzen sein, ist doch häufig nicht deutlich - oder wird bewußt verunklart - wie weit in fiskalischer Effizienz gedacht wird. Sicher aber dürfte eines sein: Mit steigender Verfeinerung des Systems wird dieses wohl doch zu einer Rückkehr der scheinbar in Privatheit verdrängten Politik führen, wird auch das privatisierte Unternehmen wieder enger der hoheitlichen Staatsorganisation zugeordnet. Diese Rückkehr der Macht in das private Staatsunternehmen, sein Rückweg zur Staatsgewalt, nach Befriedigung liberaler Wirtschaftsphilosopie und finanzieller Bedürfnisse, kann dann unschwer in einer indirekten Politisierung enden, in einer groß angelegten Ausweitung der Staatstätigkeit, welche selbst den kritischen Medien weithin verborgen bleibt. Das Privatrecht tritt hier systematisch in Erscheinung als ein großes rechtliches Verunsichtbarungsinstrument der Macht; im Schutze der 17 •

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

Privatautonomie kann die ganze staatliche Überlegenheit zum Durchbruch kommen, nicht mehr belastet durch das Odium des einseitigen Einsatzes der Hoheitsgewalt. Erweiterungsmöglichkeiten dieser Technik sind kaum Grenzen gesetzt, was könnte nicht auf solchen Wegen "privatisiert" werden? Alles, was vom Bürger in "technischer" Politikferne gesehen und nur dort letztlich gewollt wird, ist seinem Wesen nach privatisierungsfähig, damit aber die entscheidenden Bereiche der gesamten Staatstätigkeit: das Gesundheitswesen, der Verkehrsbereich, nahezu alle kulturellen Veranstaltungen, bis hin zur öffentlichen Schule, neuerdings der Umweltschutz, die Sozialverwaltung. Nun lassen sich solche Tendenzen sogar im Kernbereich staatlicher Machtausübung, bei der Vollzugspolizei feststellen547 ; was sollte ihr Übergreifen in die Bauverwaltung verhindern, wo doch auch nichts weiter angeboten zu werden scheint als technische Hilfeleistung des Staates548 ? Im Grunde ist dies eben nichts als eine Fortsetzung des Service-Staates mit anderen Mitteln. Als solcher unsichtbar wird aber "der Staat" nicht nur in einer derartigen privatwirtschaftlichen Großorganisation; hier werden seine Befehlsstrukturen auch im einzelnen unfaßbar. Beamte, die bisher in strenger Hierarchie Verwaltungs akte erließen und diese zu verantworten hatten, tauchen nun unter in betriebliche Entscheidungsgremien, hinter deren anonymen Mehrheiten sie sich verstecken können. Teamwork kann in der Organisation der Hoheitsverwaltung Entscheidungen nicht vollständig verdecken, Befehlsstrukturen unsichtbar werden lassen549 ; denn irgendwann "tritt die Entscheidung sichtbar nach außen", als Verwaltungsakt. Die allem Gesellschaftsrecht dagegen immanente Neigung zur Gremien-Dezision verunsichtbart die eigentlichen Träger der Macht. Wiederum, und in gesteigertem Maße, sehen wir daher alle Voraussetzungen einer Kryptomacht verwirklicht, bis hin zu deren Ablenkungs-Legitimation: daß es sich letztlich nur um "Entmachtung in Privatheit" handle. Die Privatisierung kann sich zwar nicht mehr, wie der Subventions-Staat, darauf berufen, daß hier dem Bürger nur Hilfe geleistet werde, von einem als Vergabegewalt immerhin noch sichtbar bleibenden Staat - hier verschwindet dieser ja sozusagen als solcher, gänzlich. Dafür tritt aber auf der anderen Seite als Legitimation die Illu547 Mahlberg, L., Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen, 1988, S. 52 ff. 548 Und deshalb neuerdings gar die - eminent hoheitliche - Baugenehmigung teilweise entfallen soll- d.h. doch: vom privaten Architekten erteilt wird. 549 Wie sie das BVerfG (seit der "Bremer Entscheidung", BVerfGE 9, S. 268) als für diesen Bereich wesentlich stets herausgestellt hat.

V. Demokratie -

Schranke oder Dynamik des Unsichtbaren Staates? 261

sion der Machtminimierung des Staates als Marktteilnehmer, als Geschäftspartner ein; sie ist eher noch grundsätzlich-überzeugender. Wird also Privatisierung systematisch-flächendeckend eingesetzt und gerade heute deutet alles in diese Richtung - so wird sich bald eine gewaltige Machttechnik entwickeln, ein Umbau der gesamten Staatlichkeit von hoheitlicher Herrschaft in privates Herrschen. Nichts anderes sollte ja der vergangene Versuch der östlichen Perestroika erreichen; nicht weil er zu groß angelegt war, mußte er scheitern, sondern weil die hoheitlichen Befehlsstrukturen über Jahrzehnte hinweg allzu hart verfestigt waren. In den westlichen Ländern haben sie sich schon so weit flexibilisiert, ja aufgelöst, daß die Chancen des in Privatheit immer unfaßbarer werdenden Staates weit höher anzusetzen sind. Alles wird davon abhängen, ob hier der Wettbewerb, faktisch und rechtlich, ausgebaut und gesteigert werden kann, der zugleich Bewährungsprobe und letzte Schranke für solche Macht wohl allein bedeutet. Der Ausblick dieses Kapitels eröffnet - ein Paradox - eine deutliche Sicht des Unsichtbaren Staates in seiner modemen Entwicklung. In vielem ist er bereits Wirklichkeit, in der politischen Grundphilosophie wie in seinen Organisationsformen. Es gilt nur mehr, seine Techniken zu verfeinern. Schranken kann diese neue Macht nur finden in einem deutlichen Bekenntnis zu einem Wettbewerb, der Subventionshilfen grundsätzlich ausschließt, zu "echten Privatisierungen", die nicht Staatsmonopole mit anderen Mittel fortsetzen, und durch die tiefere Erkenntnis, daß jede Staatshilfe, jeder Service, den die politische Macht leistet, nichts ist als freiheitsgefährdender Eingriff. Nur so könnte eine Rechtstechnik gegen die Kryptogewalt des Unsichtbaren Staates entwickelt werden, welche ihm faßbare Grenzen setzt. Sind aber heute dafür überhaupt noch Chancen erkennbar, aus der allgemeinen politischen Grundstimmung und den rechtlichen Grundprinzipien der Demokratie heraus? Mit Gedanken dazu sollen diese Betrachtungen schließen.

v. Demokratie -

Schranke oder Dynamik des Unsichtbaren Staates?

1. Mit Staatsform-Prinzipien gegen Macht-Technik? a) Zusammenschau der Ergebnisse: Der Unsichtbare Staat als" Machttechnik in fieri 11

Die Schlußfragestellung, ob es eine Chance gibt, die Kryptogewalt des Unsichtbaren Staates zu erkennen und in Grenzen zu halten, muß

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

auf den Gang der Untersuchung und seine einzelnen Resultate zurücklenken. Zunächst ergab sich, daß der moderne Staat wesentlich unsichtbar gedacht ist - und daß er doch, vielleicht eben deshalb, traditionell in besonderem Maße der Sichtbarkeit fähig und bedürftig bleibt. Sodann wurden die Formen dieser Staats-Sichtbarkeit deutlich - aber es zeigte sich auch, wie in ihnen bereits ein Zug zum Unsichtbaren Staat liegt. Im Zentrum der Untersuchung wurde ferner dargelegt, was alles auf die politische Staatsgewalt wirkt im Sinne einer "Versuchung zur Unsichtbarkeit", zuallererst die Notwendigkeit der Vermeidung des systematischen Macht-Neides. Schließlich eröffneten sich viele Wege, auf denen die Unsichtbare Staatlichkeit bereits im Lauf ist, Kryptogewalt sich vorbereitet, ja schon mächtig entfaltet. Eine Gesamtsicht dieser Entwicklung zeigt: Viele und bereits dicht systematisierte Ansätze zur Entwicklung unsichtbarer, freiheitsgefährdender Gewalt sind schon deutlich; leicht können sie sich zu echter, systematisch einsetzbarer Gesamtmacht zusammenballen. Die Entwicklungstendenz ist insgesamt eindeutig steigend. Vor allem aber bedeutet all dies wesentlich "Rechtstechnik in fieri", besser: Machttechnik, weithin am Rechtsstaat vorbei und seinen Normen, vom Staats- und Verwaltungsrecht kaum zur Kenntnis genommen, Camouflage der Macht an den Rändern des Rechtsstaats. Grenzen kann diese Entwicklung nicht so sehr finden an den Freiheiten des Bürgers, an staatsrechtlichen Sicherungen, als vielmehr an der Gefahr wirtschaftlicher Ineffizienz einer ökonomisch bisher nicht voll geschulten Staatsbürokratie, vor allem aber an einem noch nicht hinreichend systematisch gezielten Einsatz all dieser Technik. Die ungünstige Wirtschaftslage mag also dem langen Marsch des Staates aus seinen Institutionen - denn um nichts anderes handelt es sich - faktische Grenzen setzen, so wie allerdings andererseits ein wirtschaftlicher Aufschwung seine Verunsichtbarung befördern könnte. Und es steht vielleicht zu hoffen, daß es einheitlichem politischen Willen kaum mehr gelingen wird, die vielfältigen Formen solcher - im weiteren Sinne "privatisierter Staatsgewalt" noch zu echtem Machteinsatz zusammenzuballen; daß der Bürger aber insgesamt in ein immer dichteres Netz von unsichtbarer "Klein-Staatlichkeit" autonomer staatlicher Machtträger eingebunden wird, läßt diese Gefahr für seine Freiheit nicht geringer erscheinen. Bemerkenswert ist nun: In dieser ganzen Entwicklung ist von der "Demokratie", von der Staatsform, die dies doch alles in ihren weiten rechtlichen Räumen gestattet, ja befördert, kaum die Rede, ebensowenig von dem Bürger und seiner Freiheit, es sei denn in dem sehr weiten

V. Demokratie - Schranke oder Dynamik des Unsichtbaren Staates?

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Sinn, daß sie doch nichts zu befürchten hätten. Alle diese vielfachen Entwicklungen laufen, ein erstaunliches Phänomen, nahezu "staatsformunabhängig" , im weiteren Sinn geradezu scheinbar unpolitisch ab. Was hier beschrieben wurde, betrifft die Zentren der Staatsorganisation, die Mitte des herkömmlichen Staatsrechts - und doch mag es scheinen, als würden damit nur neue Entwicklungen des Verwaltungsrechts, der administrativen Organisation beschrieben. Sollte man die Untersuchung schließen oder abbrechen mit der Erkenntnis, daß hier das berühmte Wort vom Verwaltungsrecht, das besteht, vom Verfassungsrecht, das vergeht, in neuer Wendung, Wirklichkeit wird? Ist die Staatsform all dem gegenüber nicht etwas geradezu Sekundäres, kann sie dem sichtbaren oder unsichtbaren Staat mehr bieten als die eine oder andere äußere Form - allenfalls etwas mehr an Theatralik? In einer Demokratie muß dies in die grundsätzliche Frage einmünden: Lassen sich gegen derartige weithin ja doch - wir sahen es - freiheitsgefährdende Entwicklungen einer mehr Macht- als Rechtstechnik Gegengewichte, Begrenzungen entwickeln, aus der Staatsgrundsätzlichkeit der Verfassung heraus, zuallererst aus dem Demokratiebegriff550 selbst? Wenn die Staats grundsätze des Volksstaates, welche so feierlich in Unantastbarkeit aufgehängt werden, überhaupt noch normatives Gewicht haben sollen, so müßten sie eigentlich doch Groß-Entwicklungen zumindest orientieren, wenn nicht begrenzen, durch welche die Freiheit des Bürgers in kaum mehr faßbarer Weise rechtlich, längst nicht mehr nur faktisch, bedroht wird. Sozialstaatlichkeit, wie immer verstanden, wird man hier kaum bemühen können; sie drängt ja - an vielen Stellen zeigte es sich - immer nur noch stärker in solche Entwicklungen, liefert ihnen die entscheidende Legitimation für ihre "Hilfe", ihren Ausgleichseffekt. Ihre Befürworter können sich sogar darauf berufen, daß es das Wesen dieser sozialen Hilfe sei, im Stillen zu wirken - der Unsichtbare Staat nimmt dies gerne auf und redet wenig über seine unfaßbar werdende Macht. Bleibt also eine drängende Frage am Ende: Verstärkt die heute so allgemein scheinbar konsensgetragene Demokratie dies alles, oder kann sie diesen Anfängen wehren? b) Die Grundfrage: Staatsprinzipien gegen Staatstechnik?

Allgemein-grundsätzlich ist darüber bisher, soweit ersichtlich, nur wenig nachgedacht worden, allenfalls dort, wo die verfassungsrechtlichen 550 Badura, P., Die parlamentarische Demokratie, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 1, 1987, § 23 Rdnr. 27 ff; Böckenförde, E.-w" Demokratie als Verfassungsprinzip, ebenda, § 22 Rdnr. 9 ff.

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

Grundlagen des Verwaltungsrechts behandelt worden sind551 ; im übrigen entzieht sich gerade der Unsichtbare Staat der rechtlichen Gestaltbarkeit überhaupt, in seinen weithin "außerrechtlichen" Phänomenen, die sich nur unter Einzelaspekten (etwa der Gleichheit) beleuchten lassen. Immerhin hat sich in letzter Zeit gezeigt, daß Staatsformprinzipien sowohl gesellschaftsverändernde Rechtstechnik dynamisch hervorbringen können, etwa im Zuge einer "Demokratisierung,,552, wie sie andererseits auch statische Technik gewaltbeschränkend, in der Rechtsstaatlichkeit etwa, zum Einsatz gelangen lassen. Das Zentralproblem der Wirksamkeit von Staatsgrundsatznormen553 , zentralen Begriffen der Staatsform, bleibt allerdings immer: Ist dies alles nicht von so allgemeiner Normativität, daß es sehr leicht, wenn nicht geradezu wesentlich, ambivalent wirkt, gerade Entwicklungen gegenüber wie der zum Unsichtbaren Staat? Die "Demokratie" erscheint hier doch als deutliches Beispiel: Ihr Begriff ruht einerseits auf der Öffentlichkeit, er fordert und begünstigt diese in all ihren politisch wirksamen Spielarten. Andererseits erwächst aus dieser selben Demokratie die Forderung eines laufenden Machtabbaus, der aber so leicht - dies hat die Untersuchung ergeben - in die rechtstechnische Machtverschleierung des Service-Staates führen kann. Im Grunde ist diese Ambivalenz ein historisch traditionelles Schicksal gerade der Volksherrschaft: Letztlich ist sie ein geradezu machtneutraler Begriff, in dem sich zwei große Züge stets begegnen und machtmäßig neutralisieren: Die Tendenz zur Gewaltintensivierung, welche gerade dazu vielfache Machttechniken zur Verfügung stellt, man denke nur an den Allgemeinen Willen, den der mehrheitsgetragene Gesetzgeber formuliert, dem niemand widerstehen darf; zum anderen ein Machtabbau im Namen der Bürgerfreiheit, welcher ebenfalls in vielfacher, vor allem judikativ wirkender Rechtstechnik entfaltet werden soll. Wäre dies am Ende nicht eine große, wahrhaft machtneutralisierende Ambivalenz: In der Demokratie darf das Volk alles - möglichst wenig aber gegen das Volk? Kann nun von einem solchen "machttechnisch-neutralen" Begriff eine systematische Schranke gegen Entwicklungen der 551 Achterberg, N., Einwirkungen des Verfassungsrechts auf das Verwaltungsrecht, in: JA 1980, S. 210 ff.; 273 ff.; Schröder, M., Die Bereiche der Regierung und der Verwaltung, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 3, 1988, § 67 Rdnr. 16 ff. 552 Quaritsch, H., Demokratisierung - Möglichkeiten und Grenzen, in: Ein Cappenberger Gespräch, Bd. 11, 1976, S. 11 ff.; Starck, C., Die Verfassungsauslegung, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 7, 1992, § 164 Rdnr. 53 ff. 553 Maunz, Th./Zippelius, R., Deutsches Staatsrecht, 28. Auf!. 1991, § 10 III; Stern, K., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 95 ff.

V. Demokratie - Schranke oder Dynamik des Unsichtbaren Staates? 265

Rechtstechnik des Unsichtbaren Staates erwartet werden - oder schafft diese Demokratie nicht im Grunde nur einen großen machtneutralen Raum, in dem all dies sogar immer noch mehr "technisch", "staatsformneutral" dynamisiert ablaufen kann? Die Problematik "Rechtsprinzipien gegen Rechtstechnik" kann hier weder im einzelnen definitorisch umrissen noch hinreichend vertieft werden. Heutige Rechtsüberzeugungen möchten wohl gerne, der Streit um die Staatszielbestimmungen554 zeigt es, den allgemeinen Prinzipien nicht so sehr staats beschränkende als vielmehr staats dynamisierende Wirksamkeit geben, während es früher hier wohl zuallererst um eine Statik ging, welche auch aller Rechtstechnik Orientierung und Schranken setzen sollte. Allzuviel darf also in einer solchen Grundstimmung nicht erwartet werden von der demokratischen Staatsgrundsätzlichkeit. Auf die Rechtstechnik des Unsichtbaren Staates wird sie jedenfalls immer nur wirken können in den für sie typischen Formen: Nicht ge zielte Einzelgestaltungen sind zu erwarten, punktuelle Verbote, irgendwie konkrete "Gegen-Techniken"; die höchste Allgemeinheit der Supernormen verbietet all dies. Wirken können sie dagegen in Formen der Legitimation der Staatsgewalt, in der Richtung auf die Zielvorstellungen, denen die Staatstätigkeit allgemein verpflichtet ist, sowie schließlich durch Schaffung von Einrichtungen. Mögen diese auch ganz andere Aufgaben erfüllen, mag in ihnen Sichtbarkeit oder Unfaßbarkeit der Staatsgewalt kein eigentliches Kriterium sein - durch ihre Existenz allein können sie diese befördern oder hemmen. Der Unsichtbare Staat erschien im Ergebnis dieser Untersuchungen als ein Groß phänomen, das reale und damit für die Bürgerfreiheit gefährliche Macht in ganz neuen Formen entstehen läßt. Bei aller eben beschriebener Problematik des Einsatzes von Staatsgrundprinzipien gegen eine solche Staatstechnik läßt sich doch ein Gegengewicht aufbauen, gerade aus dem Wesen der zentralen Staatsgrundsatznorm, der Demokratie.

554 Vgl. zur Staatszielbestimmung "Umweltschutz" Hoppe, W./Beckmann, M., Umweltrecht, 1989, § 4 Rdnr. 9 ff.; Klein, H.H., Empfiehlt es sich ein Staatsziel Umweltschutz in das Grundgesetz aufzunehmen? in: DVBl. 1991, S. 729 ff.; Murswiek, D., Umweltschutz - Staatszielbestimmung oder Grundsatznorm? in: ZRP 1988, S. 14 ff.

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

2. Demokratie - ein Staatsgrundsatz gegen den Unsichtbaren Staat Betrachtet man die Wirkungsweisen eines Staatsgrundsatzes gegenüber sich unter ihm entfaltender Machttechnik in den eben beschriebenen Richtungen, so gibt die "Demokratie" denen durchaus Hoffnung, welche sich dieser Kryptogewalt entgegenstellen wollen, im Namen der Freiheit: - Eine Legitimation verleiht dieser Staatsform-Begriff der Unsichtbaren Staatlichkeit sicher nicht, in keiner denkbaren Richtung. Ihre vielen Bürgeraugen wollen sehen, nicht unsichtbar bedroht werden. Das öffentliche Spektakel-Bedürfnis der Volksherrschaft hält sich in Grenzen, es wird durch private Schaustellungen in den Medien weithin erfüllt, dabei aber "privatisiert" im wahren Sinne des Wortes. Auf Effizienz setzt diese rational-vereinfachende Staatsform in allem und jedem, nur in ihrem Namen wird sie gelegentlich auch ihren Grundprinzipien untreu, etwa im Fraktionszwang der Parlamente, welcher deren "Funktionieren" sicherstellen sollS55. Effizienz aber, wie immer definiert, muß, darf sich ja nicht verstecken, im Verborgenen blühen oder gefährlich wuchern. Ablenkungs-Öffentlichkeit ist sicher eine Gefahr für die Volksherrschaft; doch Demokraten werden nie etwas so unbedingt festhalten wie ihre Öffentlichkeit. Geheimnis bleibt Sünde in der Demokratie, der Unsichtbare Staat muß ihr letztlich eine illegitime Erscheinung sein. - Das Ziel aller Volksrnacht ist und bleibt stets eudämonistisch, und damit wiederum sichtbarkeitsfreundlich: Das größte Glück der größten Zahl556 kann nur angestrebt werden, wenn es offen erkannt, wenn seine Verwirklichung in jedem Augenblick sichtbar bleibt. Und wiederum gilt: Auch diese Effizienz muß, darf sich ja nicht verstecken; die Gleichheit verwirklicht sich in weitem Überblick über eine Ebene ohne verunsichtbarende ErhebungenS57 . Gerade der Unsichtbare Staat aber ist versucht, jene antiegalitären Reservate zu bilden, welche es in der Demokratie nicht geben darf; tritt er zu weit in allgemeiner Gleichheitswirkung hervor, so muß er sichtbar werden.

555 Zum Fraktionszwang vgl. etwa BVerfGE 10, S. 4 (14); zum "Funktionieren" grundsätzlich LecheIer, H., "Funktion" als Rechtsbegriff? in: NJW 1979, S. 2273 ff. 556 Vgl. dazu als Staatsziel Zippelius, R., Allgemeine Staatslehre, 11. Auf!. 1991, § 17 IV. 557 Siehe dazu allg. Leisner, w., Der Gleichheitsstaat, 1980, insbes. S. 110 ff.

v. Demokratie -

Schranke oder Dynamik des Unsichtbaren Staates? 267

- Bleiben die demokratischen Institutionen, doch auch sie begünstigen kaum den Unsichtbaren Staat in ihrer Grundstruktur, sind ihm gegenüber nicht einmal neutral oder ambivalent. Für Parlamentarismus und Gewaltenteilung gilt dies ebenso wie für das Mehrheitsprinzip; all dies kann doch letztlich nur in voller Öffentlichkeit überzeugend wirken, umgeben von einem "Apparat technischer Verfahren", welcher unsichtbare Gewalt gewiß nicht begünstigt. Plausibel ist also die These: Die Demokratie ist weit eher Schranke als Begünstigung des Unsichtbaren Staates, seine Begrenzung vielleicht nur insoweit nicht, als dies der Wirkungsweise einer Staatsgrundsatznorm eben nicht entspricht. Steigende Demokratisierung wird also die Kryptogewalt wohl kaum generell begünstigen können. Soweit eine solche Diskussion allgemein und in der Öffentlichkeit geführt wird, ist die Berufung auf die Staatsgrundnorm der Demokratie sicher eine Absage an den Unsichtbaren Staat - aber auch nur soweit dies in Öffentlichkeit geschieht, und dem Wesen der hier besprochenen Entwicklungen entspricht dies eben meist nicht. Kann also die Volksherrschaft den Unsichtbaren Staat nur dort bekämpfen, wo er gar nicht steht? Und dies ist nicht die einzige Sorge, die hier aufkommt.

3. Eine demokratische Verunsichtbarungstendenz: die nautonome Klein-Demokratie" Der Entwicklungszug heutiger Demokratie geht nicht mehr zum "großen Volk", zur einen unteilbaren Nation der Französischen Revolution. Als deutliches Ziel erscheint immer mehr die kleine völkische Einheit, als Gemeinschaft selbst in großen Nationen lebendig - in ihrer Autonomie. Ein unausgesprochenes Entwicklungsziel mag dies bereits für jene basis-demokratischen Bewegungen sein, welche seit einigen Jahrzehnten nicht nur die Herrschaft näher an das "Volk, sondern auch dieses näher an die Menschen bringen" wollten, eben in derartigen autonomen Gruppierungen. In solchen Formen der Mikro-Demokratie findet heute die Volksherrschaft ihre Stärke, ihre tiefste Legitimation: In Autonomie-Tendenzen bleibt sie, so scheint es doch, verkleinerungsfähig, lokalisierbar, in Föderalisierung, Kommunalisierung. An all dem scheitern notwendig die größerflächigen Herrschaftssysteme558 wie der frühere Zentralismus 558 Und doch ist dies noch kein Beweis gegen die "Staatlichkeit als große Lösung", die sich ja auch in der Schweizer Demokratie durch Intensivierung bewähren konnte, vgl. dazu Leisner, W, Der Monumentalstaat - "Große Lösung" - Wesen der Staatlichkeit, 1989, S. 246 ff.

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

des Ostens. Gerade solche Klein-Demokratie könnte jedoch viele Entwicklungsräume für jenen Unsichtbaren Staat bieten, von dem sich ja immer wieder gezeigt hat, daß er gerade nicht in großen, wuchtigen, damit eben auch weithin sichtbaren Gestaltungen zuallererst gedeiht. Hinter dem großen, sichtbaren Volk kann sich unsichtbare Staatsgewalt nicht verstecken, wohl aber mag sie in kleinen Räumen wenn nicht unsichtbar werden, so doch machtmäßig unbedeutend erscheinen - und dennoch weiterarbeiten, unter vielen Wassern. An sich bedeutet zwar Autonomie, daß die "Macht näher an die Augen des Volkes" gebracht werden soll, von ihnen leichter wahrzunehmen. Doch wenn sie "so klein wird", daß man sie kaum mehr bemerkt, so mag es ihr gelingen, den furchterregenden Panzer der Macht abzustreüen. In kleinen, autonomen Gemeinschaften wirkt sie leicht auch entunüorrniert. Dort vor allem kann sie "privatisiert" eintauchen in die Bürgerwelt, sich mit ihr verbinden, bis hin zur Korruption, und deren Phänomene sind in der Tat die neuen, großen Erscheinungen unsichtbarer Staatlichkeit, deren Sichtbarkeit und Kontrollierbarkeit hier im wahren Sinne des Wortes "verdorben" wird. Hier müßte nun eigentlich ein Kapitel folgen über jene MafienBildungen, welche in neuester Zeit große, demokratische Regime erschüttert, ja gewandelt haben. Längst ist erkannt, daß damit Staats ersatz versucht wird, Staatlichkeit mit anderen Mitteln dort, wo sie sich nie voll hat etablieren können, wie im Süden Italiens. Ihr eigentlicher Anwendungsbereich, weit über diese Regionen hinaus, ist die Lokalpolitik, Verständigungen, welche in kleinen Kreisen alle Kontrollen unterlaufen, weil sie "zu tief fliegen", als daß sie von rechtsstaatlichen Kontrolltürmen wahrgenommen werden könnten. In einem immer mehr systematisierten "Man kennt sich ja ohnehin" verschwindet die Politik in Hinterzimmern öffentlich zugänglicher Gebäude. Dort droht dann nicht nur die Korruption als eine - ja immer doch nur punktuelle - Ablösung tatsächlicher Macht von staatlich-rechtlicher Gewalt, sondern eine systematische Macht-Verheimlichung. Die Mafia ist, in welcher Form immer auftretend, in ständisch-zünftische, ethnisch-lokale oder in soziale Gewänder gehüllt, stets nichts anderes als der zunächst lokale, dann aber rasch überregional weiterwuchernde Unsichtbare Staat. Von der traditionellen Öffentlichkeits-Demokratie erbittert bekämpft, ist sie doch im Grunde nichts als ihre kleinere, kaum mehr sichtbare Schwester. Immer wo die Mafia auftritt, hat der Unsichtbare Staat eine hohe faktische Perfektion erreicht, beginnt er sogar, sich außerhalb des Rechts vollends zu institutionalisieren, in dem, was allein diesen Erscheinungen wesentlich ist: in möglichst voller Unsichtbarkeit, aus der er dann nur mit einzelnen, mächtigen Schlägen hervortritt. Zu lang

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schon ist all dies im Lauf, als daß es einfach nur als zeitgebundene Erscheinung abgetan werden könnte; vielleicht wurde hier der Unsichtbare Staat - vorweggenommen im Kleinen 559 . Zu Vorsicht ist deshalb der Demokratie zu raten: Keine allzu kleinen, allzu nah an stets korruptionsanfälliger Basis institutionalisierte Machteinheiten sollte es dort geben, die Staatsgewalt darf nicht zu weit an den Bürger heranrücken, sonst "versteckt er sie in seinen Taschen". Dieser Rat ist drängend, die Gefahr des Unsichtbaren Staates besonders groß im demokratischen Gemeinwesen; denn die Tendenz zu immer stärkerer Autonomisierung ist dort eindeutig, verbunden sogar mit der Überzeugung, daß dies alles nichts sei als Form des Machtabbaus, ja als verstärkte Machtsichtbarkeit - wo doch das Gegenteil, der Unsichtbare Staat, um soviel näher liegt. Und wenn diese Autonomie zu ihm nicht führt - wie leicht kann sie umschlagen in Krypto-Anarchie 560 - dieses Scheitern (selbst) des Unsichtbaren Staates ist nicht weniger freiheitsgefährdend als er selbst. Nicht "die Demokratie" also, die sich eher gegen Verunsichtbarungen der Macht wendet, sondern eben vor allem die Klein-Demokratie kann leicht sich zu unsichtbarer Staatlichkeit wandeln; jede größere Staatsgewalt dagegen wird stets notwendig "monumental" sein, damit aber "wesentlich Staat", als solcher sichtbar. Im Namen eines eigenständigen bonum commune erheben sich dann diese größeren Staatsbauten deutlich über die privaten Interessen, sie sinken nicht ab in die Perversion eines "Staates als Bürger", was hier als eine der wesentlichen Erscheinungen des gefährlichen Unsichtbaren Staates erkannt wurde. Am Ende dieser Betrachtungen über die Demokratie mag dann etwas stehen, was vielen als ein Paradox erscheint: Bürgernähe als Machtverschleierung; und doch kann die scheinbar in Stücke geschlagene Macht unsichtbar immer schwerer noch lasten. Die rechtsstaatliche Demokratie hat dagegen ein großes, vielfältiges Instrumentarium entwickelt: ihren Aufsichts-Begriff561 und seine praxisnahen Ausprägungen - doch auch er kann eine so begonnene Ent559 Eben im "Unstaatlichen - Unmonwnentalen"; und dies ist ein Beweis dafür, daß irgendwo der Staat als Monwnent stehen und bleiben muß (vgl. Fn. 558), mag man auch immer wieder, in politischer Naivität, solchen Begriffen Windmühlen-Gefechte liefern. 560 Vgl. dazu Leisner, w., Die demokratische Anarchie - Verlust der Ordnung als Staatsprinzip? 1982, S. 244 ff.; hier zeigt sich, wie nahe beieinander gegensätzliche Phänomene sich entwickeln können - im Verborgenen. 561 Salzwedel, K., Staatsaufsicht in Verwaltung und Wirtschaft, in: VVDStRL 22 (1965), S. 206 ff.; Schmidt-Aßmann, B., in: v. Münch, I./Schmidt-Aßmann, E., Besonderes Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, S. 27 ff. m. weit. Nachw.

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wicklung allein nicht wenden. In der Volksherrschaft muß eine solche Aufsicht ja fast mit Begriffsnotwendigkeit immer weiter sich abschwächen, soll hier doch mit weichen Händen behütet, nicht mit harter Hand geschlagen werden; und so wandert denn die Aufsichtsgewalt, heute schon deutlich erkennbar, immer mehr ab zu Instanzen, die aus einer gewissen Distanz zum Überwachten handeln: zu den Gerichten. Begriffsnotwendig ist es ferner für die rechtsstaatliche Aufsicht, daß sie, in Subsidiarität wirkend, nahezu grundsätzlich erst post festurn eingreift562 , in aller Regel zu spät. Sie blickt wesentlich zurück, nicht nach vorne, gerade deshalb bleibt ihr so vieles - unsichtbar. Sie sieht schließlich immer nur die großen Linien einer Verwaltungspraxis, die sich vom Recht zu entfernen beginnt, nicht die gefährliche "kleine Gewalt", die bereits völlig in Unsichtbarkeit korrumpierte. Gerade mit ihrer wiederum nahezu wesensnotwendigen Autonomisierung bringt aber die Demokratie, die Staatsform der Öffentlichkeit, diese kleine, leicht korrumpierbare Gewalt hervor. Dies sollte eine größere, über heutige Ausprägungen demokratischer Regime hinausweisende Erkenntnis bringen: Unsichtbare Gewalt ist eine Gefahr für die Freiheit des Bürgers nicht nur, ja nicht einmal so sehr, als eine große, flächendeckende, in Übermacht sich zusammenballende, sondern als eine kleine Mächtigkeit, die von den hohen Warten herkömmlicher Staatlichkeit aus nicht mehr wahrgenommen werden kann.

4. Die Parteiendemokratie - von der Schattengewalt zum Unsichtbaren Staat a) Die politischen Parteien -

staatsfern im Schatten der Macht

Neben der Autonomisierung bietet die heutige Demokratie noch ein weiteres Phänomen von grundsätzlicher Bedeutung, ohne dessen Betrachtung eine Untersuchung über den Unsichtbaren Staat nicht schließen darf, weil er hier gerade sich entfaltet, im Herzen der Rechtsordnung. Die Parteiendemokratie ist heute eine typisch demokratische, eine staatsform-notwendige Erscheinung der Volksherrschaft, mag sie in deren Verfassungen erwähnt, ja geregelt sein oder nicht563 . Mit Stober (Fn. 544), § 12 I 3. lsensee, J., Verfassungsrecht als "politisches Recht", in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 7, 1992, § 162 Rdnr. 70 ff.; Stolleis, M., Parteienstaatlichkeit - Krisensym562

563

ptome des demokratischen Verfassungsstaates?, in: VVDStRL 44 (1985), S. 7 ff.

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Notwendigkeit verstärkt sich der faktische Einfluß dieser Gruppierungen laufend, er hat bereits in unzähligen Gremien-Besetzungen die Verwaltung erreicht, in Richterwahlen die" unabhängige" Judikative. Wo immer die politischen Parteien ein Machtfeld besetzen konnten, haben sie es nie mehr, solange man zurückdenken kann, freigegeben. Nun brechen sie mit ihren Philosophien, ihren Strukturen, ihrem Personal ein gerade in jene Räume, in welchen sich auch, wie dargestellt, der Unsichtbare Staat unschwer entfalten kann, nicht zuletzt in die Bereiche privatisierter Wirtschafts-Staatlichkeit. Besonders bedrohlich ist diese Entwicklung deshalb, weil hier bereits eine Staatsverkleidung stattgefunden hat, während aber die politische Partei dem Gegenteil solcher Kryptomacht verpflichtet sein soll: der Veröffentlichung, der Entgefährdung eines "Staates als Gesellschaft "S64. Doch diese Macht kann sich eben gerade hier in vielen Formen verstecken, sich in außerstaatlichen, ja in privatrechtlichen Rechtsgestaltungen nahezu beliebig organisatorisch auflösen oder zusammenballen565 ; und diese Konzentration ist letztlich für die politische Partei doch wiederum geradezu begriffsnotwendig, gehört es doch zu ihrem rechtsdefinitorischen Wesen, daß sie sich auf die Gewinnung der zentralen Macht hin konzentriert566 . Damit aber sind bei ihr alle Voraussetzungen einer bereits "gesellschaftlich institutionalisierten vorweggenommenen Kryptogewalt" erfüllt und zwar, was besonders schwer wiegt, eingestanden, ja gewollt, in einer Volksherrschaft zentral legitimiert.

b) Die Regierungspartei als verschleierte Staatsgewalt

Besonders deutlich tritt dies bei jenen politischen Gruppierungen in Erscheinung, welche die Regierungsgewalt tragen. In ihrem Apparat wird die eigentliche Machtausübung weitgehend herausverlegt aus den von der Partei beherrschten Machtstrukturen des Staates; in diesen vollzieht sich nur die technische Vorbereitung und Ausführung von Machtentscheidungen, die letztlich außerhalb von ihnen fallen. Die eigentlichen Entscheidungen bleiben im Dunkeln, in den Parteigremien verborgen, dort werden die keinem Außenstehenden wirklich sichtbaren 564 Grimm, D., Politische Parteien, in: Benda, E. u.a. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1983, S. 317 (327 ff.). 565 Nicht zuletzt deshalb ist die "innere Demokratisierung" der Parteien (vgl. dazu Lohmar, U., Innerparteiliche Demokratie, 1963; Kunig, Ph., Parteien, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 2, 1987, § 33 Rdnr. 27 ff.) weithin ineffektiv geblieben. 566 Grimm (Fn. 564), S. 327.

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Hintergründe aufgebaut, von denen sich aber dann mit einem Mal deutlich sichtbar abheben - die gefallenen Entscheidungen. Ist das nicht bereits ein voll institutionalisiertes Modell unsichtbarer Staatlichkeil? Herausverlegt wird dann die Macht aus dem Staat in die Regierungspartei auf einer weiteren Stufe: Sie wird sogar, soweit wie irgend möglich, der innerparteilichen Sichtbarkeit entzogen; die eigentlichen Entscheidungen fallen immer häufiger in kaum bekannten parteipolitischen regierungsnahen Leitungs-Zirkeln, in sorgsam gehüteter, machtträchtiger Unsichtbarkeit. Auf einer dritten Stufe organisierter Verunsichtbarung kommt hinzu, daß die eigentlichen Dezisionen häufig gewissermaßen "von unten wachsen", in die Entscheidungsgremien der Partei hinein, aus einer immer stärker aktiven, ihrem Wesen nach aber eben doch "unsichtbaren Parteibasis ": Da sind die Wochenendreisen der Abgeordneten in ihre Wahlkreise, in denen sie sich mit Entscheidungsbedarf und Entscheidungsrat aufladen, in Räumen, die für die Sicht der Regierungszentrale ebenso unsichtbar sind wie für die Augen des gesamten Volkes. Was kann eine Öffentlichkeit der Entscheidungs-Vorbereitung - die nur zu oft die wichtigste Phase dieses wesentlichen Vorgangs darstellt - schon bedeuten, wenn sie in Landgasthöfen stattfindet, in städtischen Peripherie-Sälen und all deren zahllosen Hinterzimmern? Die Vertreter der Regierungspartei tauchen hier derart "hinab in ihr kleines Volk", in dessen gesellschaftliche Mikro-Autonomien, daß sich dann, aus diesem demokratischen Untergrund - denn um nichts anderes handelt es sich - mit einem Mal Grundwellen entwickeln, die niemand wirklich vorhersehen kann. Die politischen Parteien der Demokratie, deren angeblich stärkste Öffentlichkeits-Instanzen, zeigen eines deutlich: Diese eine Öffentlichkeit gibt es nicht, sie ist in unzähligen Partei-Öffentlichkeiten - entöffentlicht. Auf einer letzten Stufe vollendet sich schließlich dieser Unsichtbare Staat der Regierungsparteien: Sie sind Anlaufstellen und anfällig für zahllose private Lobbyismen, unvergleichbar gerade darin mit den weit deutlicher zutage tretenden Strukturen der organisierten Staatlichkeit. Dies alles mag unumgänglich sein für das Funktionieren der gesamten Staatsform; aus der Sicht des Bürgers aber bedeutet es, daß damit wesentliche Phasen der Vorbereitung, Vorformulierung staatsrnächtiger Entscheidungen seinen Augen stets verborgen bleiben werden, sucht man doch in der Lobby das unhörbare Gespräch. An dieser vielstufigen Verunsichtbarung der Parteiendemokratie scheitern weithin Versuche der "inneren Demokratisierung der Parteien". Nur in wenigen, spektakulären Eisberg-Spitzen haben die Be-

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stimmungen des Parteiengesetzes wirksame Anwendung finden können, insgesamt ist diese Gesetzgebung ein Fehlschlag geblieben567 ; so mußte es kommen, denn die eigentlichen außerrechtlichen Kraftquellen eines Regimes - die Parteien sollten doch gerade dies sein - lassen sich nicht in Normen fassen, allenfalls in Randzonen eingrenzen. Innere Opposition, ein Wesenszug der Demokratie 568 , ist gerade in Regierungsparteien mit Notwendigkeit stets zu schwach entwickelt, um Sichtbarkeit in all diese Verflechtungen zu tragen; es kann nicht geschehen, da gerade hier innere Geschlossenheit am Steuer der Macht Not tut, die Öffentlichkeit in der Vorbereitungsphase jedenfalls ausschließt. Wo immer aber innere Demokratisierung doch gelingt, wie vor allem in dem, was man tönend die "Volksparteien" nennt, mit ihren immanenten Interessengegensätzen, da kommt es rasch zu innerer Autonomisierung, mit all jenen Mafia-Gefahren, die bereits beschrieben wurden, und damit zu immer weitergehender Verunsichtbarung in den politischen Zirkeln der Regierungspartei. Das Ergebnis gibt zu denken, gerade aus der Sicht der demokratischen Staats doktrin: Machtausübung über Regierungsparteien bleibt stets weithin unvorhersehbar, in ihrem Ablauf unabsehbar, daher nur schwer von außen kritisierbar, da sie aus weithin unsichtbarer Basis kommt, in schwer zugänglichen Kulissen vorbereitet wird, nur zu oft dann erst überraschend in Sichtbarkeit hervortritt. Die Zielsetzungen solcher Entscheidungen und der Tendenzen zu ihnen müssen notwendig parteipolitisch verschleiert bleiben, denn es würde das Ende der Macht bedeuten, zugeben zu müssen, daß hier im "Namen des Staates, aber im eigenen Interesse" ständig gehandelt wird. Dies aber ist die Realität, und in ihr kehrt sich geradezu jener Treuhänderbegriff um, in dessen Namen jedoch alle Parteiarbeit für den Staat geschehen soll: in seinem Interesse, wenn auch im Namen der Regierungspartei und ihrer führenden Vertreter. Ständig kann schließlich die Entscheidung, vor allem aber ihre Verantwortung, ihre sichtbare Seite, verschoben werden von einer Instanz zur anderen, von der bereits weithin verunsichtbarten Partei zur stärker faßbaren Staatsinstanz, in deren weithin schon unübersehbaren Bürokratismen sie aber neue Zuflucht in Unsichtbarkeit finden kann - und all diese Wege wieder zurück, in die Regierungspartei hinein. Für den Blick von außen endet dies in einem 567 Und dies gilt letzlich auch für Versuche, diese Last der Judikative aufzubürden, die schwankende Parteienförderungsrechtsprechung des BVerfG (E 12, S. 276 (280); 20, S. 56 (102, 113 ff.); 24, S. 300 (335); 41, S. 399 (419); 52, S. 63 (85 ff.)) zeigt es. 568 Leisner, w., Organisierte Opposition in Verbänden und Parteien?, in: ZRP 1979, S. 275, insbes. 277 ff.

18 Leisner

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nahezu schon faktisch perfekten Modell des Unsichtbaren Staates, einer riesigen, sich auf verschiedenen Ebenen staatsähnlich zusammenballenden Kryptogewalt; es wird nicht einmal sichtbar, wo sie eigentlich organisatorisch angesiedelt ist. Die Staatlichkeit selbst schließlich taucht in diese Regierungsparteien ein, in ihre unkritisierbaren Deckungen. Beamte arbeiten, abgeordnet oder einfach "informell", zum Besten eigener Karriere, in solchen Parteigremien mit, und dies bedeutet sogar noch eine Qualitätssteigerung der Sachlichkeit für diese, wird als solche allgemein begrüßt. Dann aber bleibt weitestgehend unklar nicht nur, was Inhalt der Gewaltausübung ist, morgen sein könnte: Vor allem wird verunsichtbart, wer diese Macht wirklich besitzt. All dies geschieht schließlich im Namen des geraden Gegenteils solcher Entwicklungen, der Entmachtung des Staates, der sozusagen in die "Partei-Öffentlichkeit vorverlegt" werden soll. Hier begegnet die Untersuchung der schon mehrfach erwähnten besonderen Begründungskraft der Legitimation des Unsichtbaren Staates aus seinem Gegenteil. So setzt sich hier der alte Regierungs-Feudalismus mit anderen Mitteln fort, der auch nach außen glauben machen wollte, es seien nur "private Freunde der Fürsten", welche sich mit diesen träfen; im Grunde aber bestimmten sie Weltpolitik unsichtbar, zum letzten Mal im Großen zur Zeit Eduard VII., zwischen England und Frankreich569 . Der ParteienFeudalismus nimmt dies nahezu bruchlos auf, unsichtbare Freundschaften, aus denen dann die Sichtbarkeit großer Machtentscheidungen unversehens, im wahren Sinn des Wortes, hervortritt. In einem System regierender Parteienkoalitionen verstärkt sich all dies noch auf einer weiteren Ebene: in besonders streng bewahrten Absprache-Geheimnissen wird hier regiert, in denen eben keine Seite ihr Gesicht soll verlieren müssen - so daß dann niemand dieses wirklich zu sehen bekommt ... c) Oppositionspartei: Von offener Kritik zur Teilnahme am Parteien-Geheimnis

Dieses ganze Parteiensystem der Demokratie - denn es handelt sich wirklich um ein solches - ist heute nirgends mehr auf die regierenden Gruppierungen beschränkt. In Deutschland vor allem stellen Föderalismus und Kommunalisierung sicher, daß auch die Opposition eingebun-

569 Klassisch beschrieben bei Andre Maurois, Edouard VII et son temps, Paris 1937, insbes. S. 11 ff., 171 ff.

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den wird in das Geflecht der unsichtbaren Absprachen. Vom demokratischen Grundverständnis her sollte diese Opposition eigentlich das gerade Gegenteil leisten, nur daraus sich letztlich legitimieren: daß sie die schwer durchschaubare Ehe des Staates mit der Regierungspartei ständig ans Tageslicht zieht. Doch in einer Welt, in welcher Politiker mit immer größerem Erfolg den Schutz ihrer Intimsphäre einfordern - sollte es dort nicht auch eine Intimsphäre der Regierungspolitik, der vielfachen Formen der Cohabitation zwischen Opposition, Regierungsparteien und Staat geben, oder sollte man es besser Konkubinat nennen? Legion sind bereits heute, und selbst bei ganz deutlichen Mehrheiten, die geheimen Kompromisse, die Macht-Bündnisse von Opposition und Regierungsgruppierungen; in Erscheinung treten sie nur dort, wo die demokratische Verfassung das im Namen der Rechtsstaatlichkeit erzwingt, weil etwa hohe Mehrheiten zur Verfassungsänderung nötig sind. All diese Verschlingungen wird man stets leugnen, soweit das Recht nicht die Öffentlichkeit der Normsetzung und ihrer Absprachen verlangt. Die - entscheidenden - Details der Cohabitation müssen jedenfalls wesentlich unsichtbar bleiben. Hier wird der Unsichtbare Staat an seiner Spitze befestigt, in einem aus der Sicht der Demokratie wahrhaft erstaunlichen unsichtbaren Regieren zur gesamten Hand. Da die Oppositionspartei, nach demokratischer Überzeugung, stets leben muß in der Vorbereitung auf die Übernahme der Macht, wird sie zu jeder Zeit versuchen, sich schon in deren Vorfeld ebenso schattenmäßig zu organisieren, wie es die Regierungsparteien vorspielen. Da gilt es, Burgfrieden zu schließen und zu halten, Skandale nicht aufzugreüen; unzählige und immer geheime Gründe gibt es, warum volle Machtsichtbarkeit nicht hergestellt werden darf, welche in Unregierbarkeit enden müßte. Beamtete Parteimitglieder der Opposition arbeiten mit im Inneren der Regierungsmaschinerie; und so stellt die Oppositionspartei nicht nur ein "Schattenkabinett" dem Wähler in Sichtbarkeit vor, sie hat bereits ihre Schattentruppe in der nun wirklich "von außen unsichtbaren Beamtengruppe " , die ihr im Geiste näher steht als der Regierung, mit dieser letzteren nur durch den schillernden Begrilf der Loyalität 570 noch verbunden bleibt. 570 Hier behilft sich freilich das Beamtenrecht mit höchst formalen Formeln zur Gehorsamspflicht dieser Staatsdiener (Herzog, R., Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 191; Hilg, G., Beamtenrecht, Bd. 2, 3. Aufl. 1990, § 27 III 3). Vgl. auch Isensee, J., Der Parteienzugriff auf den öffentlichen Dienst - Normalzustand oder Alarmzeichen?, in: Baum, G. R, u.a. (Hrsg.), Politische Parteien und öffentlicher Dienst, 1982, S. 520; Rupp, H. H., Kritische Bemerkungen zum heutigen Verhältnis von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, in: FS f. C. Carstens, Bd.

11, 1984, S. 773 (786 f.). 18 •

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Die Opposition fonniert sich so allenthalben zu einer Schatten-Regierungsgewalt, und sie steht wirklich in jenem Halbdunkel, das unsichtbare Staatlichkeit braucht. Schattenkämpfe sind dann häufig die Folge mit Regierungspartei und Regierung, Streit um Fragen, die an sich nicht wirklich wichtig sind - während hinter den Kulissen eifrig kompromittiert wird: Die Instanz der eigentlichen Staatssichtbarkeit, die Opposition, wird zur Helferin der Unsichtbarkeit des Staates im großen Stil. Und hier läßt sich nicht etwa eine Degeneration der Demokratie und ihrer wesensnotwendigen Opposition feststellen, es läuft etwas ab wie eine geradezu notwendige Entwicklung. Mit zunehmendem Alter nicht immer wieder revolutionsgebrochener Volksherrschaften potenziert sich dies alles immer weiter: Jeder kennt jeden unter Machtträgern und ihren kritischen Macht-Mitträgern; alles arbeitet zusammen "zum Wohle des Volkes" , und zum eigenen, kaum jemand weiß, wie weit dies geschieht. Diese Unsichtbarkeit gerade ist es, welche die heute steigenden AntiPartei-Phobien beim Bürger auslöst. Derartige politische Angstvorstellungen - typisch für die Öffentlichkeitsdemokratie - entstehen doch immer daraus, daß Kryptovorgänge gefühlt werden, zu erdulden sind, sich aber nirgends rechtlich oder auch nur faktisch wirklich definieren lassen. Hinter all dem steht weit mehr als Kritik an der Kompetenz der Parteien und ihres Personals, und an ihrer Moral. Hier fühlt zum ersten Mal der Bürger der Demokratie, daß er unter einem öffentlichen Mantel unsichtbar regiert wird; und er reagiert mit Ängsten, die etwas an sich haben von politischer Schizophrenie.

d) Parteien-Kryptogewalt in die Gesellschaft hinein

In der Parteiendemokratie wirkt die Unsichtbarkeit über die Grenzen der Staatlichkeit - wie immer sie bestimmt werden mögen - hinaus, aus ihr heraus wirkt eine unsichtbare Gewalt in die Gesellschaft hinein und dies ist eine weitere, nicht minder bedrohliche Entwicklung für die Bürgerlreiheit. Die Entfaltung ist bekannt und in der Volksherrschaft gerade gewollt: Zunächst wird der gesamte Staatsbereich von den Parteien erlaßt und beherrscht, im Namen einer Öffentlichkeit, in welcher die "Gesellschaft" die Macht ergreifen soll. Es folgen staatsfernere "soziale Gewalten", seien sie nun para-staatlich organisiert oder wesentlich in gesellschaftlichen Zusammenschlüssen gegründet: Die Parteien wirken ein auf die öffentlichen Medien, nicht nur über Kontrollgremien, sondern in innerer Personal-Parteipolitisierung, auf die Universitäten über Leh-

V. Demokratie -

Schranke oder Dynamik des Unsichtbaren Staates? 277

rende und Lernende und schließlich auf die großen, staatstragenden Verbände, allen voran die Gewerkschaften, bis hin zu den Kirchen. In der Folgerichtigkeit dieser gesellschaftlichen Machtentfaltung kann es dann nur liegen, daß die staatsfernsten Machtzentren noch in parteipolitischer Ausstrahlung, wenigstens personell, durch Mitglieder und Sympathisanten, treue Freunde und Förderer, mobilisiert werden: die Mächte der privaten Wirtschaft. Der ständige Wechsel von Parteien zu diesen Schaltstellen gesellschaftlicher Macht und zurück ist seit langem nordamerikanische Praxis und wird, im Namen der Effizienz, in Europa als Ideal gepriesen. Verwirklicht erscheint es auch hier bereits viel weitergehend, blickt man nicht nur auf die ganz großen Gesellschaften, sondern vor allem auf eine lokale Ebene, auf der sich Parteien-Wirtschaftsverflechtungen zu selbstverständlicher Tagtäglichkeit gesteigert haben. Dies alles erfolgt in nahezu unumkehrbar gewordener Einbahn, in systematischer, ständiger Erweiterung. All diese Vorgänge laufen, gerade in der viel gepriesenen "offenen Gesellschaft", meist völlig verdeckt. Die politischen Parteien breiten sich, in ihren führenden Vertretern, "als Bürger" in die Gesellschaft hinein machtmäßig aus, in nicht selten mafienhafter Organisationsintensität. Zugleich aber bleibt oder verstärkt sich sogar noch ständige, aber eben geheime, Rückbindung dieser gesellschaftlichen Machtzentren zu denen der Staatsgewalt, über Verbindungen, frühere Freundschaften, aber auch in gegenwärtigem "Bürgerengagement in den Parteien", jenem großen Träger gesellschaftlich-staatlicher Personalunion. Gewollt und freudig begrüßt wird all dies, wenn es nicht allzusehr in Geldsummen sich ausdrückt 571 - doch ist nicht menschliches Förderungspotential meist wichtiger als finanzielles? All diese Gewaltentwicklung ist rechtlich kaum formalisiert, mag sie auch immer mehr als rechtlich neuralgischer Punkt der Demokratie ins Bewußtsein treten, in den stets wieder neuen, manchmal gequält wirkenden Parteien-Förderungs entscheidungen höchster Gerichte. Nach wie vor aber ist kaum etwas wirklich bekannt, daher kann beliebig spekuliert werden. Jeder politisch benachteiligte Wettbewerber wird versuchen, solche Phänomene in Kritik eher noch größer erscheinen zu lassen, ändern läßt sich kaum etwas, sichtbar wird weniges nur. Staat und Gesellschaft sollten einst, in marxismus-gestützter Ideologie, zur Einheit werden 572 i in der Parteiendemokratie gelingt dies, in 571

Nur dies kann die Parteienfinanzierungsrechtsprechung verhindern, vgl.

Fn.567.

572 Rupp, H. H., Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, in: HdbStR (Fn. 1), Bd. 1, 1987, § 28 Rdnr. 12.

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D. Wege der Verunsichtbarung der Staatsgewalt

weiten Bereichen, auf anderen Wegen, nahezu vollständig: Eine unübersehbare, weil eben wahrhaft unsichtbare Machtkonzentration vollzieht sich, aus unbekannten Zentralen heraus wirkt sie überall hin, über Schalthebel, die kein Hoheitszeichen tragen, an denen Staatsgewalt sich bereits "in Gesellschaftlichkeit verunsichtbaren konnte". Diese politischen Parteien werden damit, und rasch immer mehr, zu dunklen Schaltstellen der Macht zwischen Staat und Gesellschaft. Hier werden Geschenke getauscht von Macht und Geld, nein: Es sind bereits feste Geschäfte, welche der Staat der leichten, aber großen Hand über seine Parteienvertreter mit der diskreten Wirtschaft praktiziert. So schließen sich denn alle Kreise unsichtbarer Staatsgewalt um die staatlich-gesellschaftlichen Zentren der Parteizentralen. Langsam laufen die Machtwellen konzentrisch in die Gesellschaft hinein, wo immer Steine der Macht in tiefe Wasser geworfen wurden, in denen sie, unsichtbar geworden, verschwinden.

E. Ausblick auf einen Unsichtbaren Staat ... Der Gang dieser Betrachtungen hat die Sorgen gesteigert. Zuerst mochte man noch das Ende des Staats spektakels belächeln. Dann aber wuchs Nachdenklichkeit in der Erkenntnis von Techniken des Staates der Dienstleistungen, die sich so rasch perfektionieren ließen; doch es blieb die Hoffnung, hier werde der Markt und seine Effizienz Grenzen setzen. Nun zeigt sich aber am Ende ein großer Unsichtbarer Staat bereits in Wirksamkeit, seine Freiheitsgefahren spiegeln sich in der Politikverdrossenheit, in den Korruptionsängsten der Bürger. Was tun - wenig läßt sich abschätzen, weniger noch beweisen von den Wirkungsmechanismen dieser großen, unsichtbaren Staats-Gesellschaftsgewalt, und kaum etwas aufhalten, nicht die Macht der Geschenke noch die den Gleichheitsbürger umwerbenden parteilichen Schenker. All dies sind notwendige Vorgaben aus der besten aller Staatsformen heraus, der alternativlosen freiheitlichen Wahldemokratie. Und dabei wurde ein Kapitel, das gefährlichste vielleicht, des Unsichtbaren Staates bewußt ausgeklammert: die geheime Polizei; es sollte nicht alles hier Beschriebene deshalb unglaubhaft erscheinen, weil es sie - noch - nicht gibt. Einiges bleibt dennoch zu tun, damit diese Gewalt nicht vollends dem Blick sich entziehe: Staatshilfe muß als Staatsgewalt rechtlich formalisiert und damit politisch erkennbar werden; der Staat der "leichten Hände", der allzu leicht gebenden und noch leichter in Korruption nehmenden, muß aus all diesen Unsichtbarkeiten ins Licht gebracht werden, damit er sich wieder zu seiner ihm wesentlich eigenen Strenge und Härte bekenne. In Öffentlichkeit ist er zu zwingen, in seine volle, harte Verantwortung. Autonomien dürfen sodann nicht übersteigert werden, damit die Räume überschaubar bleiben, in denen sich Korruption einnisten kann. Und ein Vorgang hat ja, in großen Demokratien, bereits begonnen: Die politischen Parteien müssen sich erneuern, durch wahre demokratische Revolutionen, in ihrem Innern und unter äußerem Druck. Wo neue Parteien nicht entstehen, müssen die alten, in völlig gewandelten Strömungen, an der politischen Oberfläche für den Bürger wieder voll" sichtbar" werden. Entscheidend aber ist ein anderes noch: In allem und jedem, in jedem Bürger vor allem, muß ein neues Bewußtsein gebildet werden: Wir le-

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E. Ausblick auf einen Unsichtbaren Staat ...

ben nicht in einem Staat der vollen Öffentlichkeit. Überall sind wir vom Unsichtbaren Staat umgeben, überall gilt es, ihn als solchen ans Licht zu ziehen; die viel belächelte "Entlarvung" bleibt demokratisches Schicksal, sie darf nicht aufhören, bevor sie überhaupt wirklich begonnen hat. In dieses Licht wahrer Öffentlichkeit wird die Staatsgewalt dann zurückkehren, in Sichtbarkeit, wenn Macht und Gewalt, wenn ihre Hoheit nicht mehr schlechte Worte sind, wenn sie wieder Mächtigkeit bezeugen, deren man sich offen rühmen darf, nicht nur in verdeckter Schmeichelei. Sinnlose Retrospektive hat versucht, nicht nur übersteigerten Stolz, sondern den Staat schlechthin zu verdrängen; er muß wieder zu uns zurückkommen, in Sichtbarkeit, damit er offen angreife, bekämpft, wenn nötig beseitigt werde. Dies alles wird nicht voll gelingen, es bleibt immerhin dann ein fundamentaler Trost: Zu Beginn dieser Betrachtungen wurde der Staat zwar als der Gott auf Erden erkannt, sein erstes, vornehmstes Attribut muß daher, in letzten Machtzentren, auch die göttliche Unsichtbarkeit bleiben. Daß sie nicht in einem großen Wurf des tarnenden Mantels sich herstellen läßt, sondern immer mehr aus ständig wirkender Machttechnik sich aufbaut - wen sollte dies verwundern, der das Göttliche noch und gerade im Kleinsten zu erkennen vermag? Und ist nicht Machttechnik, wie sie hier betrachtet wurde, gerade das Göttliche am Staat? Und doch sollte uns eine Hoffnung nicht verlassen: daß PrometheusErscheinungen mit ihrem Licht, ohne Achtung vor den dämmernden Göttern, die Unsichtbarkeit des Staats-Dunkels auf Erden durchleuchten. Denn das plötzliche Auftauchen des Leviathan aus der ruhigen See des unabsehbar leicht sich bewegenden BÜTgerfriedens - das ist die schlimmste aller staatsrechtlichen Visionen; noch furchterregender wäre es, wenn er wieder abtauchen könnte, unbehelligt. Von unsichtbaren Staatlichkeiten umgeben werden vielleicht einmal Demokraten rufen, im Namen der Freiheit: Laßt uns diese Unterseeboote versenken, der Staat zeige Flagge! Es komme die Stunde der Schlachtschiffe!

Sachverzeichnis Abgeordnetendiäten 129 Alimentation 129, 159 "Allgemeiner Wille" 114, 187,264 Amtsbezeichnungen 203 Amtsgeheimnis 77, 92, 148, 161,219 f, siehe auch Staatsgeheimnis Anarchie 132, 135, 149, 162, 214, 269 Aristokratie 154 ff. Arkangewalt 66 ff, 70, 112 Armee, siehe Bewaffnete Macht Aufklärung 94, 180 f. Aufständische 142 Ausgleichsleistungen 236 Autonomie 267 ff. Bannmeile 23 Basisdemokratie 166,267 Baurecht 260 Beamte 23, 54, 131, 154 f, 188,275 Begründungszwang 27,79 Beliehener Unternehmer 142 Bestandskraft 55 Bestimmtheit staatlichen Handelns 46 ff. Beutesystem 123 Bewaffnete Macht 23,32,202,218 H. Bildungspolitik 80 Bürgernähe 61 Bürokratie 100, 160, 191, 204 f, 209, 273 Christliches Staatsdenken 182 f. Civitas Dei 94 Cohabitation 275 Daseinsvorsorge 211,235,240,257 Demokratie

- und Kryptogewalt 18 - Staatslehre der 86 - und Unsichtbarer Staat 261 ff. Demokratisierung der Gesellschaft 144,264 Demonstrationsrecht 104, 216 f. Dezisionismus 38 Dominium 13 Effizienz staatlichen Handelns 34, 98, 211,238,250,266 Eigengesellschaften der öffentlichen Hand 254 H. Eigentum - Macht als 123, siehe auch Macht als Eigentum - Neid auf 162 ff. - als Obereigentum 154 f. - und Parteienfinanzierung 171 - als Sachherrschaft 163 - des Staates 163 - an Staatsfunktionen 147 - Straftaten gegen das 215 f. - Ursprünge des Grundrechts 106 Eliten, Verstärkung der 168 f. Entbeamtung 255, 257, siehe auch Beamte Enteignungsentschädigung 236 Erdrosselung 233 Ermessen, innere Schranken 245 Eudämonismus 266 Evidenz 40 ff, 54 Fiskustheorie 165, 212 Flagge 37 "Flucht in die Öffentlichkeit" 64 "Flucht ins Privatrecht" 45, 120, 165, 193,210 ff, 255

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Sachverzeichnis

Föderalismus 81 f. Formfreiheit im Verwaltungsrecht 95 Fraktionszwang 74, 266 Französische Revolution 71 f, 105 ff, 117,130 f, 155 ff. Freiheit - Ideologie der 177 f. - Reale Grundlagen der 61 Fühlbarkeit der Staatsgewalt 15 ff. Führerprinzip 177 "Funktionieren" von Organen 61 Funktionsvorbehalt 24, 82, 235 f. Gefärdungshaftung im öffentlichen Recht 101 Geheimdienst 51, siehe auch Geheimpolizei Geheimdiplomatie 67 Geheimpolizei 105, 132 f, 180 f, 183 ff, 205, 217 f, 220 ff, 279 Gemischtwirtschaftliche Unternehmen 258 ff. Gerichtsbarkeit 24, 108 Geschäftsgeheimnis 76, 148, 240 Gesellschaftliche Gewalten, siehe Gewalten, soziale Gesetzesvertrauen des Bürgers 50, 113 Gesetzgebungslehre 125 Gesundheitswesen 235 Gewalten - gesellschaftliche (soziale) 139, 158, 255,276 f. Gewaltenteilung 108 ff. Gewaltmonopol 79,91,95, 144 f, 159 Gleichheit 45 - und Föderalismus 149 - und Machtneid 149, 171 ff. - materielle 82 - und Öffentlichkeit 92 - als "Sichtbarkeit" 85 - im Sozialstaat 98 f. - Staat - Bürger 171 f, 212 ff. - bei Subventionen 246 Götterbilder 87 - Gottesgnadentum 156

Grundeigentum und Französische Revolution 106 Grundrechte 41, 105 - Drittwirkung der 231 - als Schutzpflichten 230 f. - status negativus 150 Handlungsfreiheit, allgemeine 107 Hauptstadt 37 Hausgut, monarchisches 156 f. Hegelianisches Denken 14, 82, 88 f, 108 f. Heiliger Stuhl 152 Hoheitszeichen 22 f, 37, 189, 195 ff. - Strafrechtlicher Schutz 196 Ideologie 176 f. Imago-Dei-Lehre 95 Imperium 13 Informationsfreiheit 59 Informationsrecht 124 Informelles Staats-(Verwaltungs-)HandeIn 119, 197, 208 "Innere Führung" 79 Integrationslehre 36 ff. Intimsphäre 172, siehe auch Privatheit Kammern, öffentliche 139 Kanzlerprinzip 93 Karitas 99 Kartellkontrollen 238, 252 Kirchenrecht 96,145 Kommunismus 160, 163 f, 183 ff. Konkurrentenklage 240, 242, 246 f. Konkursunfähigkeit des Staates 239, 254,259 Konsens 36 f. Konstitutionalismus 160 Konzession 157 Koppelungsgeschäft 249 Korruption 201,268 Krone, englische 134, 156 f, 169 Kryptogewalt 53, 83 ff, 176 ff, 190 ff, 193 ff, 199,209 f, 214, 217, 219 ff, 233 ff, 237 f, 251 ff, 259 ff, 271 ff. Kulturpolitik 80 Kunstförderung, staatliche 80, 141

Sachverzeichnis Landesverteidigung 28, 77 f, siehe auch Bewaffnete Macht Legalität, siehe Rechtsstaat Legitimität 14, 75, 83 Lehnsrecht 155 Lenkungsauflage 121, 249 Lex Charitatis 99 Lex irnperfecta 113 Liberalismus 24 f, 181,241 Lobbyismus 144, 146, 161, 272 Luxussteuem 150 f. Macchiavellismus 125 Macht - als Beute 135 - als Eigentum 127, 157, 163 f. - Informationen über 124 ff. - Nachahmung der 138 fi. -Prämie (Mehrwert der) 122, 127, 129 - Wille zur 126 fi, 133, 135, 140, 148 Machtabbau 174, 176 ff, 186 ff. Machtneid 148 ff. Machttechnik 124 ff, 173, 191, 258, 261 fi, 280

Machtwechsel 123, 133 fi. Mafia 268 fi, 277 Markenzeichenrecht 197 Maßnahmegesetz 116 Medien - Informationsrecht der 60 - Öffentliche Aufgabe der 60 - Öffentlichkeitszwang durch 59 fi. - Präsenz in den 100 - wirksame Auftritte in den 207 ff. - Zugang zu den 62 Mehrheitsprinzip 36 f. Menschenwürde 88 Militärstaat 88, 202 Minderheit 187 Mitschuld 102 Mittelstandsförderung 234, 248 Mitverschulden 101 f. Monarchie 87, 154 f.

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Monumentalstaat 25 f, 62, 200 f. Moralisierung der Staatsgewalt 100 Nation 88, 91 Normenflut 42 ff, 51, 112 Normenkontrolle 117 f. Obereigentum, siehe Eigentum Öffentlichkeit 89,92, 101, 166, 172, 174 - der gerichtlichen Verfahren 65,73 - des Gesetzgebungsverfahrens 72 - und Parteienstaat 272 - als Staatsgrundsatz 58 ff, 75, 90 - als Staatslegitirnation 63 ff. - des Verwaltungsverfahrens 59 Öffentlichkeitsanspruch - des Bürgers 62 - der Kirchen 62, 96 f. - der Medien 60 f. Öffentlichkeitsarbeit der Exekutive 62, 140 f, 197 f. Oppositionspartei 137, 274 fi. Organisationsklarheit 47 Organisationsverschulden 160 Parlamentsausschüsse 73 Parlamentsöffentlichkeit 69, 71 fi, 110 Parteien 187, 270 fi. - innere Demokratisierung der 143, 272 f. Parteiendemokratie 270 ff. Parteiengesetz 273 Persönliche Gewalt 96, 156 Persönlichkeitsrecht 60, 76 Peuple en miniature 15, 72 Plebiszit 187 Plebiszit, tägliches 113 Plutokratie 127 Polizei 28, 216 f. Polizeirecht, Befugnisnormen 119 Post 254 Präambeln 153, 246 Prävention im Sicherheitsrecht 29, 49 Privacy, siehe Privatheit Privatautonomie 47, 50, 256, 260

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Sachverzeichnis

Privatheit 80, 146, 229 11. Privatisierung 62, 164, 211 ff, 253 ff. Protokoll 39, 128 Provokation 100 11. - im Polizeirecht 103 ff. Public Private-Partnership 258 ff. Putsch 220 Rationalisierung der Staatlichkeit 57 Rechnungsprüfung, staatliche 27, 167, 238,243 f. - Privater 52, 146, 244 Rechtsbegriff, unbestimmter 245 Rechtskraft 55 Rechtsstaat 27,36 f, 42, 44 ff, 129, 188, 245 f. Regierungsbegründung 74 Regierungspartei 271 ff. Reine Rechtslehre 27, 38, 40 f. Revolution 129 ff., 160, 186 f, 199, siehe auch Französische Revolution Richter-König 134 Richterstaat 117, 188 Russische Revolution 131 Sachenrecht - öffentliches 20, 164 - privates 20 Sanktion 40 .. Schnellgesetz .. 64 Schulwesen 212,235 Schußwaffengebrauch durch die Polizei 104 Service-Staat 98, 162, 202, 229 ff. - als Machtverschleierung 233 ff. Souveränität im Völkerrecht 104 Sozialbindung 168 Sozialismus 183 Sozialstaatlichkeit 61, 81 f, 97 f, 230, 238,257,263 Sozialversicherung 235 Staat - als Abstraktion 14 - als Fiktion 14 - als geistiges Wesen 19 - und Gesellschaft, Einheit von 277 f.

- Gott auf Erden 93 ff. Staatsarchitektur 21 f, 25, 67, 106, 140, 19911.

Staatsarchive 196 Staatsaufgaben 91 - Zunahme der 188, 206 Staatsaufsicht 269 f. Staatsbauten 195, 199 ff, siehe auch Staatsgebäude Staatsbürgerkunde 125 Staatseigentum 253 Staatsgebäude 20 ff, 132 Staatsgeheimnis 65 ff, 76 ff, 219 f. Staatsgerichtsbarkeit 118 Staatsgewalt - Abbau der 135, 151 Staatsgrundsatz(norrn) 81 f, 194, 26311. Staatshilfe als Eingriff 231 ff, siehe auch Service-Staat, Subventionen Staatsmonopol 257 Staatsoberhaupt 38 f, 153 Staatsorganisationsrecht 31, 159 f. Staatsprinzip, siehe Staatsgrundsatz Staatsrechtfertigung 25 ff. - demokratische 86 - theologische 96 Staatssouveränität 157 Staatssymbole 15, 20 ff, 37 Staatstheater 62, 71 f, 105, 108, 110, 117,137,141 - Ende des 195 11. Staatswappen 195 ff. Staatsziele, Staatszielbestimmungen 190,265 Steuern - direkte 227 f. - indirekte 227 - Umverteilung durch 228 - Unfühlbarkeit der 225 ff. Steuererfindungsrecht 95 Steuergeheimnis 226 f. Steuergleichheit 173, 226 Steuerprogression 227 f. Steuerstaat 107 f, 208, 252 Steuerwiderstand 115 f.

Sachverzeichnis Strafe, Wesen der 221 f. Strafverfahren, Öffentlichkeit des 222 f. Subsidiarität 183 Subventionen 147, 229 ff, 240 ff, 248 f. - gesetzliche Grundlagen 244 - und Gleichheit 246 - Kontrolle der 243 - Lenkung durch 249 - Richtlinien der 243, 245 Theokratie 88, 152 Titel 202 Tradition 26 - republikanisch-revolutionäre in Frankreich 91 Transpersonalismus 80, 87 f, 134 Übergangsbestimmungen 51 Umweltkriminalität 224 Umweltschutz 29, 235 Uniform 23, 31 f. 142, 201 ff, 204, 219 Verbändestaat 139, 143 f, 146 f. Verbandsklage 218 Verbandsöffentlichkeit 73 Verfassungsänderung 42,275 Verfassungsbeschwerde 117 Verfassungsgerichtsbarkeit 41, 56 f, 117 f. Verwaltungslehre 125 Verwaltungsverfahren - Entformalisierung des 95 - Förmlichkeit des 18, 118 ff. Volk, als Machtträger, als Staatsorgan 17,89,166 Volkspartei 138,273 Volkssouveränität 90 f.

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Vollendete Tatsachen 69, 74 Verfassungsprinzipien 81, siehe auch Staatsgrundsatz Verfassungsverbiegung 84 Verhältnismäßigkeit 30, 34, 103, 120 Verkehrswesen 235 f. Veröffentlichung der Gesetze 43, 70, 119 Vertrag, verwaltungsrechtlicher 50 Verwaltung - Gesetzesbindung der 45 Vorbehalt des Gesetzes 179 Vorsorgeprinzip 29, 120 Wahlpflicht 167 Warnungen, behördliche, siehe informelles Staatshandeln Wehrpflicht, allgemeine 33 Werbung 140 f. Wertlehre 38, 88 Wesentlichkeitstheorie 111 Wettbewerb 76, 77, 140 f, 231 ff, 240, 251, 261 Wettbewerbsfreiheit 232, 248 Wettbewerbsgleichheit 234, 248, 252 Widerstand -gegen Normen 112 - gegen die Staatsgewalt 102 f. Widerstandsrecht 114 Widmung 21 Wille zur Macht, siehe Macht, Wille zur Wirtschaftskriminalität 224 Würde des Staates 25, 39, 198 Zivilrecht, "private Rechtsstaatlichkeit" 63 Zwischengewalten 139