Der Spanische Bürgerkrieg als (Anti)Humanistisches Laboratorium: Literarische und mediale Narrative aus Spanien, Italien und Österreich [1 ed.] 9783737009447, 9783847109440

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Der Spanische Bürgerkrieg als (Anti)Humanistisches Laboratorium: Literarische und mediale Narrative aus Spanien, Italien und Österreich [1 ed.]
 9783737009447, 9783847109440

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Broken Narratives

Band 4

Herausgegeben von der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien

Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.

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Marlen Bidwell-Steiner / Birgit Wagner (Hg.)

Der Spanische Bürgerkrieg als (Anti)Humanistisches Laboratorium Literarische und mediale Narrative aus Spanien, Italien und Österreich

Mit 16 Abbildungen

V& R unipress Vienna University Press

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Veröffentlichungen der Vienna University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien sowie des Rosita Schjerve-Rindler-Gedächtnisfonds.  2019, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung:  Gabi Damm, datadive Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2366-3596 ISBN 978-3-7370-0944-7

Inhalt

Vorwort ........................................................................................................................... 7 Hanno Ehrlicher (Tübingen) Im Krieg und zwischen den Extremen: Hora de España im Medienkontext ..... 13 Marlen Bidwell-Steiner (Wien) Poetische Propaganda: Dichter mit Erde an den Füßen gegen Dichter der Dreifaltigkeit ............................................................................................................ 27 Javier Muñoz Soro (Madrid) Antonio Machado: ein Dichter im Krieg Spaniens und der politische Umgang mit seinem Andenken .................................................................................. 47 Linda Erker (Wien) Fortschritt, Front und Franco-Regime: Die drei ideologischen Transformationen der Universidad Central de Madrid zwischen 1931 und 1945 ................................................................................................................ 63 Amanda Hinteregger (Wien) Auf den Spuren von María Teresa León ................................................................... 79 Matilde Eiroa (Madrid) Narrative der Guerra Civil in der digitalen Gesellschaft: Dimension und Beiträge .................................................................................................................... 93 Paola Lo Cascio (Lissabon/Barcelona) Nicht nur internationale Politik. Wie das faschistische Italien den Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) erzählt ................................................... 109

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Inhalt

Renate Lunzer (Wien) »Heute in Spanien, morgen in Italien!« Carlo Rosselli, Emilio Lussu und der Spanische Bürgerkrieg. Theorie und Praxis .............................................. 125 Ingo Pohn-Lauggas (Wien) Ein rechter Antifaschist. Die vielfach gebrochene Geschichte des Conte Edgardo Sogno ................................................................................................................ 143 Elisabeth Fraller (Wien) »Die Revolution entflammt in allen Provinzen« – Faschistische Kinowochenschauen im Spanischen Bürgerkrieg ................................................... 153 Joachim Gatterer (Innsbruck) Egon Erwin Kisch im Spanischen Bürgerkrieg......................................................... 171 Romana Radlwimmer (Tübingen) »Dónde acabo yo y dónde empiezas tú.« Arturo und Ilse Bareas sublime Wortarbeit am spanischen Bürgerkrieg ..................................................................... 187

Vorwort

Dieser Konzeptband versammelt Beiträge von Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftlern, Historikerinnen und Historikern, Filmwissenschaftlerinnen sowie Medienwissenschaftlerinnen aus Spanien, Italien, Deutschland und Österreich. Er stellt den Anspruch, die Ereignisse des Spanischen Bürgerkriegs – und die kohärenten oder brüchigen Erzählungen, die über ihn überliefert sind – aus spanischer, italienischer und österreichischer Sicht zu beleuchten, waren doch die respektiven Länder zum damaligen Zeitpunkt alle mit faschistischen oder zumindest mit autoritär zu nennenden Regimes konfrontiert – aber eben auch mit dem Widerstand gegen diese. Wesentlich ist dabei der inter- und transdisziplinäre sowie dezidiert postnationale Ansatz, der nicht vorrangig auf eine innerspanische Analyse zielt, sondern die europäische Dimension des Spanischen Bürgerkriegs reflektiert. Dieser Band verhandelt Lebensgeschichten, Diskursgeschichten, Institutionengeschichten – manche davon brüchig, mache durchaus linear. Damit reiht er sich idealtypisch in das Programm der Reihe ›Broken Narratives‹, die Brüche nicht nur als historisches Phänomen, sondern auch im Hinblick auf ästhetische Zugangsweisen in den Blick nimmt. Aufgrund innovativer Massenmedien wurde die Guerra Civil nicht nur an der Front, sondern als Propagandakrieg auch international ausgetragen und konsolidierte die Verfestigung der Antagonismen in Links und Rechts, welche den politischen Diskurs im 20. Jahrhundert prägen sollten. Propaganda als Instrument zur Steuerung – oder von der Linken oft positiv didaktisch gewandt – zur Erziehung der Massen verdeutlicht die Schlüsselrolle von Intellektuellen und Kunstschaffenden: Pablo Picassos Guernica bei der Weltausstellung in Paris 1937 und der 2. Internationale Schriftstellerkongress im selben Jahr sind nur zwei Beispiele für die Mobilisierung von Künstlerpersönlichkeiten, deren avancierte Ästhetik sich in gleichem Maße an europäischen Avantgarden orientierte wie das nationalistische Programm der Generäle um Francisco Franco an den aufkommenden Faschismen anderer europäischer Nationen. Dies betrifft insbesondere Italien und Österreich, weshalb dieser Band das Engagement von Intellektuellen aus diesen Ländern auf beiden Seiten der Bürgerkriegsparteien auch als komparatistische Perspektive anbietet.

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Vorwort

Der austrofaschistische Ständestaat fungierte als Modell für die franquistische Diktatur. Die Ideologie eines feudalistischen und katholischen Nationalstaates verband sich im Sinne Walter Benjamins mit einer Ästhetisierung der Politik, die archaische Kulturmanifestationen mit der Bildersprache der Moderne verband. Wesentlich differenzierter war die Rolle von Kunst und Wissenschaft im italienischen Faschismus, der ein weiteres Identifikationsprogramm der spanischen Rechten darstellte. Das antihumanistische Pathos futuristischer Manifeste etwa macht die Erotik des Krieges als Verführung der Massen unmittelbar greifbar und stellt damit – manchmal unfreiwillig – die Weichen für die Propaganda der aggressiven und expansiven Politik Mussolinis. Da faschistische Regimes die symbolische Artikulation von Tod und Maschinenästhetik der Avantgarden für ihre kriegerischen Ziele buchstäblich rückübersetzten, ähneln sich die Formensprachen beider Bürgerkriegsparteien auf geradezu unheimliche Weise. Intellektuelle im Spanischen Bürgerkrieg hatten nicht nur Anteil an propagandistischen Medien, sie verstanden ihr Engagement auch als Laboratorium innovativer Lebensentwürfe. Das verdeutlichen die Kulturmilizen, in denen etwa auch Frauen aktive Partizipation möglich war. Nach der fatalen Koinzidenz der Etablierung der spanischen Diktatur mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird der/die engagierte Intellektuelle zu einer brüchigen Figur. In diesem Zusammenhang erscheint inzwischen auch das Pathos der Kriegslyrik kaum mehr zugänglich. Auch der radikale Antihumanismus, der innerhalb der europäischen Moderne richtungsweisende Positionen hervorgebracht hatte, war nach seiner Aneignung von Seiten faschistischer Regimes desavouiert. Und schließlich verengten sich die Freiräume für Gesellschaftsreformen zusehends. Aus der Distanz von mehr als drei Generationen zielt dieser Band darauf, die unbewältigten Narrative, die gescheiterten Versuche einer Politisierung der Ästhetik und die Rücknahme internationaler Solidarisierung zugunsten nationaler Programmatiken, wie sie den Ausgang der Guerra Civil markieren, aus einer dezidiert kulturwissenschaftlichen Perspektive auf ihren epistemologischen Nutzen für die gegenwärtigen Krisen innerhalb Europas zu befragen. Diese Erkundung beginnt im Zentrum der Ereignisse, in Spanien. HANNO EHRLICHER bettet seine Analyse des intellektuellen Wettstreits in eine medienhistorische Betrachtung der erstaunlich lebendigen Periodika-Produktion während des Bürgerkriegs. Im Zentrum seiner Untersuchung steht die Zeitschrift Hora de España, die gleichsam ein Who is who der spanischen Intelligenzija des frühen 20. Jahrhunderts darstellt. Die Zeitschrift verfolgt keine vordergründig propagandistisch-politischen Anliegen. Aus heutiger Sicht handelt es sich vielmehr um ein faszinierendes Dokument einer lebendigen Kulturszene, versammelt sie doch unterschiedlichste Beiträge zu Theater, Literatur, bildender Kunst und Philosophie. Das Bemühen, in Zeiten des Krieges kulturelle Aktivitäten

Vorwort

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hervorzuheben, wertet Ehrlicher als wahrhaft humanistische Haltung, die er einerseits gegen eine Propagandazeitschrift der Falangisten abgrenzt, andererseits stellt er ihr El Mono Azul gegenüber, also jene von Rafael Alberti ins Leben gerufene republikanische Frontzeitung mit Flugblattcharakter. Diese war u.a. durch die Veröffentlichung des sogenannten Romancero de la Guerra Civil beliebt, den Ehrlicher als propagandistische Gebrauchsdichtung einem Freund-FeindSchema folgend problematisiert. MARLEN BIDWELL-STEINER widmet sich in ihrem Beitrag dieser genuin spanischen Lyriktradition, an die beide Kriegsparteien anknüpfen, um die jeweiligen Beweggründe zu legitimieren und Sympathisantinnen und Sympathisanten zu mobilisieren. In einem Close Reading zweier für die beiden Lager exemplarischer Romanzen arbeitet sie an verblüffend ähnlichen Motiven die semantischen Unterschiede heraus. In Anlehnung an zeitgenössische Reflexionen zum Zusammenhang von Ästhetik und Ethik schlägt Bidwell-Steiner eine differenziertere Betrachtung von Propagandakunst vor. Denn republikanische Dichter verfolgten mit Mitteln der Kunst tatsächlich eine ästhetische Bildung, die eine angemessene Formensprache für jene Schichten hervorbringen sollte, die aus dem elitären Kulturleben bislang ausgeschlossen waren. Dass einige republikanische Intellektuelle in der Erziehung der Massen eine Lebensaufgabe sahen, lässt sich durch die traurige Tatsache belegen, dass sie aufgrund ihres Engagements den Tod fanden, wie etwa Miguel Hernández oder aus Erschöpfung nach der Flucht Antonio Machado. Für diesen bereits zu Lebzeiten kanonisierten Autor zeichnet JAVIER MUÑOZ SORO eine Rezeptionsgeschichte voller Brüche und Widersprüche nach. Machado hatte sich gewissermaßen wider Willen erst auf Druck der Ereignisse politisiert. Doch aufgrund seiner in den Neunzehndreißiger Jahren bereits unbestrittenen dichterischen und philosophischen Autorität wurde er zur Vaterfigur der republikanischen Intellektuellen, der unter dem Pseudonym Juan de Mairena just in der von Ehrlicher analysierten Zeitschrift eine propagandistische Kunst forderte. Diese klare Parteinahme wurde in der Literaturgeschichtsschreibung der franquistischen Diktatur geflissentlich ausgespart. Diese reduzierte Machado auf seine Rolle als Vorreiter einer neuen Nationaldichtung, ohne den bei ihm damit verbundenen internationalistischen und republikanischen Anspruch zu erwähnen. Umgekehrt tat sich die spanische Exilgemeinde in Lateinamerika mit dem der nationalen Erneuerung verpflichteten Frühwerk Machados schwer und stilisierte den zu Kriegsbeginn bereits Sechzigjährigen zum engagierten Paradeintellektuellen. Als Identitätsmarker vor allem kommunistischer Exilantinnen und Exilanten wirkte vor allem das von ihm geprägte Motto der »Dos Españas«. Ausgerechnet unter diesem Leitspruch eignet sich das Regime der Transición Machado als Dichter der Versöhnung der beiden Lager an.

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Eine der schillerndsten weiblichen Intellektuellen, die sich im Spanischen Bürgerkrieg engagierten, verbrachte den Großteil ihres Lebens im Exil vor allem darauf, Reformwille, Enthusiasmus und Solidarität der Alianza de Intelectuales Antifascistas in Erinnerung zu halten. AMANDA HINTEREGGER analysiert in ihrem Beitrag zwei Memoria-Texte von María Teresa León, den Roman Juego Limpio (1959) und die Autobiographie Memoria de la melancolía (1970). Dabei arbeitet sie heraus, wie die Autorin wegen des Fehlens einer kollektiven Erinnerungskultur gegen das Vergessen anschreibt und den Gruppengeist beschwört. Diese Strategie, sich als Gedächtnis einer verlorenen Gemeinschaft zu setzen, zieht ein sattsam bekanntes Frauenschicksal nach sich: Heute ist Teresa León hauptsächlich als Lebensgefährtin von Rafael Alberti bekannt, ihr eigenes Schaffen weitgehend unbeachtet. Nahezu unheimlich ist dabei außerdem, dass die zeitlebens loyale Chronistin eines verlorenen Kulturkampfes im Alter die Kraft des Erinnerns verliert und an Alzheimer erkrankt. Nicht nur Biographien, auch Institutionen erfahren in bewegten Zeiten gewaltige Brüche. Das zeichnet LINDA ERKER für die Geschichte der Universidad Central de Madrid nach: Zunächst ein liberal-demokratisches Vorzeigeprojekt der ersten Republik, wird der Campus in den Kriegsjahren zu einem der vielen Schlachtfelder, um schließlich nach Ende des Bürgerkriegs einer erbarmungslosen ›Säuberungsaktion‹ im Geist der Sieger unterworfen zu werden. Dieser historische Beitrag verdeutlicht damit auf struktureller Ebene, wie die Figur des kritischen Intellektuellen eliminiert wurde. MATILDE EIROA SAN FRANCISCO zeigt in ihrer Analyse der Narrative in den heutigen digitalen Medien, dass der Streit um die (Be-)Deutungsmacht des Spanischen Bürgerkriegs unvermindert fortdauert und ein Überwinden der Brüche zwischen den beiden Lagern bis auf weiteres nicht in Sicht ist. Neben diesem pessimistischen Befund kann sie aber auch darlegen, dass soziale Medien eine neue Historiographie »von unten« ermöglichen und so die Ahnenreihe an Heldinnen und Helden durch die alltäglichen Biographien bislang gesichts- und geschichtsloser Menschen ergänzen. Von italienischer Seite sind indes zunächst Heldennarrative zu verzeichnen: Zum Beispiel Carlo Rossellis Einsatz auf der republikanischen Seite des Spanischen Bürgerkriegs und sein Kampf gegen die faschistische Diktatur in Italien, begleitet von seinem Freund und »gran capitano« des Ersten Weltkriegs, Emilio Lussu, erzählt von RENATE LUNZER. Ebenso finden sich aber auch ›brüchige‹ Lebensläufe wie der des Grafen Sogno, der in seinem peripetienreichen Leben sowohl auf der Seite der Franquisten in Spanien als auch in der italienischen Resistenza kämpfte, ein wohl singuläres Schicksal – und der dieses, wie es scheinen mag, widersprüchliche Engagement selbst als durchaus kohärente Entscheidungen empfinden konnte, so INGO POHN-LAUGGAS. Die ausführliche an die

Vorwort

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Landsleute gerichtete italienische Berichterstattung über die spanischen Ereignisse erfolgte in allen damals verfügbaren Medien: So zum Beispiel in den cinegiornali (Wochenschauen) des Regimes, die mit geschickt eingesetzten kinematographischen Mitteln ein manichäisches Bild der ›Guten‹ (der aufständigen Truppen, v.a. aber des italienischen Corpo Truppe Volontarie) und der ›Bösen‹ (der »rossi«, der roten Kirchenschänder) zeichnen, wie ELISABETH FRALLER in ihrem Beitrag analysiert. Allerdings war das Narrativ, das in Italien über den Verlauf des Krieges vermittelt wurde, durchaus Veränderungen, ja auch Brüchen unterworfen, je nach Kriegsverlauf und den außen- und innenpolitischen Notwendigkeiten der Propaganda. PAOLA LO CASCIO untersucht diese verschlungene Entwicklungslinie anhand der Presse, der cinegiornali und mehr oder minder wissenschaftlichen Monographien, wobei sie deutlich machen kann, dass je nach dem intendierten Publikum durchaus unterschiedliche Geschichten konstruiert wurden. Zu ergänzen ist, dass das italienische Engagement auf Seiten der Franco-Truppen von literarischer Seite vorbereitet und begleitet wurde. So hat Filippo Tomaso Marinetti, der Gründer des italienischen Futurismus, unter seinen zahlreichen Manifesten bereits 1910 eines Spanien gewidmet, nämlich Contro la Spagna passatista, in dem er mit der Gewalt feiernden Sprache, die die seine war, unter anderem zur Auslöschung der Mitglieder des Klerus aufruft – eine Forderung, die später … von Gegnern angeeignet werden sollte. Interessant ist das Faktum, dass diese Schrift von Ramón Gómez de la Serna in seiner Zeitschrift Prometeo in Übersetzung publiziert wurde. Zur Blütezeit des italienischen Faschismus, 1931, gibt Marinetti das Manifest Spagna veloce e toro futurista in Druck: eine kuriose Mischung aus dem futuristischen Mythos der Maschine (hier des Rennautos) und der archaischen, virilen Kraft des Kampfstiers, der im Text quasi zu einem zu Unrecht besiegten faschistischen squadrista mutiert. Auch das ist ein Beispiel für die verbale Gewaltsamkeit, die insbesondere den Manifesten des Futurismus, aber nicht nur ihnen, zu eigen war: Excitable speech, um mit Judith Butler (1997) zu sprechen, Sprache, die der physischen Gewaltausübung den Weg bereitet. ROMANA RADLWIMMER rekurriert ihrerseits auf das von der US-amerikanischen Philosophin jüngst entwickelte Konzept der Vulnerabilität, um die brüchigen Welten zu fassen, die das Ehepaar Arturo Barea und Ilse Barea-Kulcsar erleben und nachzeichnen. Sie legt dar, wie daraus ein schriftstellerischer Bund entsteht, in dem die Grenzen zwischen Du und Ich zerfließen. Die gemeinsame »Wortarbeit« des spanischen Arbeiterschriftstellers und der österreichischen Intellektuellen zielt denn auch auf eine Grenzauflösung zwischen Subjektivität und Objektivität, zwischen Kognition und Emotion, um das Kriegserleben ganzheitlich zu rekonstruieren. Radlwimmer geht aber auch auf die Rezeptionsgeschichte

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des künstlerisch und politisch kooperierenden Paars ein, die bis heute die Übersetzungsarbeit von Ilse Barea-Kulcsar und darüber hinaus ihren Anteil an der Romantrilogie, die unter Arturos Namen erschienen ist, recht widersprüchlich bewertet. Der Band enthält am Ende auch einen Beitrag über einen Autor, der den Spanischen Bürgerkrieg zur Schicksalsfrage der europäischen Intellektuellen erklärte. JOACHIM GATTERER beleuchtet Egon Erwin Kischs Engagements im Spanischen Bürgerkrieg, das parallel zum Kriegsverlauf von euphorischem Optimismus bis zur völligen Ernüchterung geprägt ist. Kisch schien jedoch schon früh die historische Dimension seiner Arbeit im Blick zu haben, plante er doch auch einen Sammelband mit Narrationen einfacher Frontsoldaten, den er allerdings nicht mehr realisieren konnte. Auch viele seiner eigenen Reportagen, die vor allem eine drastische figurative Sprache auszeichnet, sind noch nicht ausreichend erfasst und erforscht. Und wenn dieser Band dazu beitragen kann, weitere Bruchstücke dieses europäischen Narrativs zu erforschen, haben wir unser Ziel erreicht – in Zeiten, in denen ideologische Verwerfungen und das mit ihnen verbundene Freund-Feind-Schema eine neue, unheimliche Aktualität erfahren. Die Herausgeberinnen danken Manuel Chemineau herzlich für die Unterstützung bei Lektorat und Layout. Wien, im März 2019

Marlen Bidwell-Steiner Birgit Wagner

Hanno Ehrlicher (Tübingen)

Im Krieg und zwischen den Extremen: Hora de España im Medienkontext

Der Beginn des Spanischen Bürgerkriegs durch den Putsch der Militärs unter Leitung Francisco Franco Bahamondes und anderer hochrangiger Generäle im Juli 1936 bedeutete einen zivilisatorischen Bruch auf allen Ebenen: den politischen Bruch mit der zwar umstrittenen, aber durch demokratische Wahlen legitimierten Regierung der Zweiten Republik, aber auch den Bruch mit deren kulturellen Überzeugungen, die leitend für eine ganze Reihe von Reformen im Bildungsbereich gewesen waren. Dass der Ausbruch des Kriegs zugleich den Abbruch der Kontinuitäten im noch jungen Kulturleben der Republik implizierte, ist eine logische Konsequenz und zeigt sich unter anderem in der Einstellung der bis dato zentralen Kulturzeitschriften in all ihren vielfältigen Formaten, von den kleinen Literaturzeitschriften wie Caballo verde para la poesía über die ambitionierten neuen Kulturzeitschriften wie Cruz y Raya bis zur längst etablierten Revista de Occidente, die über Jahrzehnte hinweg die Kulturlandschaft dominiert hatte.1 Erstaunlicher als diese vielen Abbrüche sind jedoch die ebenfalls zahlreichen Neugründungen nach dem Kriegsausbruch.2 In einem kulturellen Feld, dessen sonst relative gesellschaftliche Autonomie unter dem Druck der Ereignisse und dem Primat der militärischen Auseinandersetzung schlagartig verloren gegangen war und das sich nun heteronom nach dem alles beherrschenden politischen Code der Freund-Feind-Unterscheidung ausrichtete, formierten sich neue Zeitschriften, die den militärischen Kampf in beiden Lagern begleiteten und ihn kulturell überformten. In den meisten Fällen bedeutete dies eine propagandistisch engagierte Literatur, die auf Mobilisierung der emotionalen Ressourcen Empathie für den ›Freund‹ und Antipathie bzw. Empfindungslosigkeit gegenüber dem ›Feind‹ ausgerichtet war.

1 Einen Überblick über die Zeitschriftenlandschaft in Spanien zwischen 1930 und 1939 mit spezifischen Fokus auf die Literaturzeitschriften bietet Osuna 1982. 2 Die ganze Breite der Periodika der Bürgerkriegszeit wurde erstmals in der Ausstellung Revistas y Guerra 1936–1939 im Museum Reina Sofía in Madrid im Jahr 2007 ausgelotet.

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Beispielhaft für dieses ideologisch-propagandistische Engagement der Literatur im und für den Krieg kann auf republikanischer Seite El Mono Azul angeführt werden, Hoja semanal de la Alianza de Intelectuales Antifascistas para la Defensa de la Cultura.3 Die militärisch-politische Logik der Feindschaft wird in ihr aufgegriffen, um den Kampf mit den Mitteln der Literatur fort- und weiterzuführen. Dabei werden besonders populäre Formen der Poesie genutzt, allen voran der seit dem Mittelalter in Spanien beliebte Romance, eine balladenartige epische Versdichtung mit 8-silbigen Versen, die in jeder zweiten Zeile einen Vokalreim aufweisen. Der ganz überwiegende Teil der Dichtung im Mono Azul ist in dieser Form gehalten, als Romancero de la Guerra zieht sie sich anthologisch durch die ersten elf Ausgaben. Diese eingängige Form des Erzählens ist dabei funktional gekoppelt an das Anliegen der symbolischen Mobilisierung von Kampfbereitschaft. An Felipe C. Ruanovas in der ersten Nummer erschienenem Romance »No disparéis, camaradas« (»Schießt nicht, Kameraden«) lässt sich dies veranschaulichen. In ironischer Verkehrung seiner Titelsemantik zielt die Erzählung nämlich gerade nicht auf eine Hemmung des Waffengebrauchs, sondern auf Enthemmung durch Gefühlskälte gegenüber einem Feind, dem alles Menschliche abgesprochen wird. Der Priester, der in dieser Geschichte aus dem Krieg von einer Gruppe Milizionäre aufgegriffen wird und verzweifelt um sein Leben bettelt, hat in der narrativen Inszenierung von vornherein sein Lebensrecht verwirkt. Er erscheint nur als ein schwarzes unförmiges Bündel, »un bulto negro y grueso/ un vientre y una sotana«. Sein Flehen, ihn überleben zu lassen und das Beteuern, sich zur republikanischen Seite bekehrt zu haben und im Geiste nun ein ganz ›anderer‹ Mensch geworden zu sein, wird sarkastisch beantwortet mit dem Befehl, lediglich den »aufständigen« Körper zu erschießen, der dann aber eben doch alles gewesen sein wird, was zum Leben notwendig war: ¡Perdonádme, compañeros! ¡No disparéis, camaradas!, [...] ¡Por Dios!… digo, no...¡por Rusia!, no disparéis, camaradas, que hoy siento nacer en mí un hombre nuevo. ¡Caramba! no mirarme de ese modo, que se me corta hasta el habla. ¿No os digo que he de ser otro?... ¡Eso está bien! Camaradas –dice un milicano– vamos a ver si es verdad que cambia; matad la parte facciosa 3 Zu dieser Zeitschrift kurz García Gabaldón 2005, ausführlich Monleón 1979.

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y dejad la parte honrada. ¡Apunten!, ¡Disparen! ¡Fuego! Y todas sus partes eran lo mismo que su sotana.4

Die krude ideologische Pointe des Gedichtes, dass der ›neue‹ Mensch, von dem der Kommunismus in seiner materialistischen Weltsicht spricht, inkompatibel ist mit dem ›homo novus‹ im Augustinischen Sinne, der nach spiritueller Reinigung durch Reue und Bekehrung aus dem ›homo vetus‹ entstehen kann und auf den sich der feindliche Priester beruft, ist komisch nur dann, wenn man mit Henri Bergson Gefühlskälte und eine »vorübergehende Anästhesie des Herzens«5 als eine Grundbedingung des Komischen ansieht und dessen Funktion in einem auf Exklusion des sozial Anderen basierenden Verlachen festmacht. Das gewählte Beispiel ist in seiner grausamen Zuspitzung von Militanz und auch in seiner ästhetischen Qualität zwar nicht unbedingt repräsentativ für den gesamten Romancero de la Guerra, verdeutlicht aber doch symptomatisch die ethische Problematik einer Literatur, die sich direkt im Kampf engagiert und damit auch dessen antizivilisatorischer Logik zu folgen bereit sein muss. Eine Logik, in der es keine Grautöne geben kann und in welcher der Bruch mit den zivilisatorischen und ethischen Grundnormen wie der Achtung vor den Menschenrechten durch eine möglichst bruchlose ideologische Narration kaschiert werden muss. Obwohl Hora de España personell in der Zusammensetzung der daran beteiligten Autorinnen und Autoren deutliche Überschneidungen zu El Mono Azul aufweist, wahrte diese Zeitschrift doch deutliche Distanz zu einer derart grausamen Kulturmilitanz, die eine Entmenschlichung ganz anderer Art betreibt als jene Deshumanización del arte, die 1925 von Ortega y Gasset mit Blick auf die nicht-figurativen Darstellungsweisen der ›neuen‹ Kunst beschrieben worden war. Bei allem Engagement für die Republik versuchte Hora de España doch gleichzeitig Abstand zu halten von einer Kriegsliteratur, die zugunsten ihrer Zielsetzungen das Maß des Ethischen verlor. Der Abstand ist dabei schon geographisch bedingt, denn Hora de España erschien ab Januar 1937 bis Oktober 1938

4 »›Verzeiht mir, Genossen! Schießt nicht, Kameraden!/[…] Um Gottes, …äh, nein…, um Russlands Willen/ schießt nicht, Kameraden!/ Denn heute fühle ich in mir die Geburt eines neuen Menschen!/ Zum Donnerwetter, schaut nicht so!…/ es verschlägt mir schier die Sprache/ Hab ich euch nicht gesagt, dass ich ganz sicher ein anderer bin!‹/ ›Es ist gut! Kameraden‹/, spricht ein Milizionär, ›lasst uns sehen/ ob es wahr ist und er sich ändert/. Tötet den aufständischen Teil/ und lasst den ehrenwerten am Leben/ Legt an und Feuer!‹/ Und all seine Teile waren/ genauso wie die Sotane.« (El Mono Azul, 1936/ 1, S. 4). Hier und in allen weiteren Fällen Übersetzung H.E. 5 »Le comique exige donc enfin, pour produire tout son effet, quelque chose comme une anesthésie momentanée du cœur. Il s’adresse à l’intelligence pure« (Bergson 1959, S. 389).

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in Valencia, das zu diesem Zeitpunkt weit entfernt von den Fronten lag.6 Der Abstand von den kriegerischen Zeitläuften zeigt sich dann aber auch medial im Format der Zeitschrift, denn Hora de España ist nicht als mehrblättrige Flugschrift gestaltet mit dem Ziel einer möglichst unkomplizierten Produktion, Distribution und Rezeption, sondern orientiert sich als kulturelle Monatszeitschrift an den Standards von Layout und Druckqualität, wie sie Kulturzeitschriften vor dem Krieg gesetzt hatten. Innerhalb des formalen Spektrums der Zeitschrift, das vom Buch auf der einen Seite und von der Zeitung auf der anderen bestimmt wird, besetzt Hora de España eine Mitte, die in diesem besonderen Falle auch durchaus weltanschaulich verstanden werden kann, denn ideologisch zielte die redaktionelle Gestaltung nicht auf Extrempositionen, sondern auf deren Vermittlung und einen republikanischen Konsens auf humanistischer Basis. Wenn mit Hilfe von El Mono Azul der Abstand zu den militanten Blättern der Republik ermessen werden konnte, soll die falangistische JERARQVÍA dazu dienen, den zu den Kulturzeitschriften abzustecken, die im Lager der Nationalisten produziert wurden. Innerhalb des intermediären Spektrums der Zeitschriften ist sie ganz eindeutig am Extrempol der Buch-Zeitschrift verortet.7 Die nur insgesamt vier Bände signalisierten ihren Anspruch in die Ewigkeit einzugehen, schon in Layout und Typographie des Einbands. In Goldlettern auf schwarzem Grund gedruckt will sich diese Zeitschrift nicht nur über die Niederungen des Krieges, sondern über die Zeitlichkeit schlechthin erheben und religiös-metaphyisch inspirierte Gedanken in die Welt tragen. Ángel María Pascual erläutert diese Metaphysik der Form im zweiten Heft als eine doppelte, spirituelle und materielle Aufgabe: »Die Aufgabe, das Denken der nationalsyndikalistischen Intellektuellen auf eine angemessene, exaltierte und würdige Weise zu verbreiten, so wie sich in den Chören der großen Abteien der Morgengesang erhebt. Und die Aufgabe, ihm eine greifbare Form zu verleihen mit Hilfe der Kunst der Typographie und des Drucks. Und da die Zeit angebrochen ist, halb Mönche und halb Soldaten zu sein, machten wir ein kleines Chorbuch im Quartformat«8. Die metaphysische Ausrichtung von JERARQVÍA verfolgte nicht weniger ideologische Ziele als die Militanz des Mono Azul. Wo diese den Bruch mit ethischen Normen in Kauf nimmt zugunsten eines Angriffs auf den Feind, der 6 Eine konzise Übersicht zu den äußeren Daten und wesentlichen Inhalten der Zeitschrift bietet Fernández Hoyos 2005. Es gibt daneben eine ganze Reihe von Forschungsergebnissen, von denen ich für diesen Beitrag profitiert habe, auch wenn für meine Argumentation keine direkten Bezüge darauf nötig waren: insbesondere Salas 1978, Jiménez Millán 1982 und Villar Dégano 1986. 7 Zu den Zeitschriften der Falange allgemein Mainer 1971, S. 20–46, speziell zu Jerarquía S. 38–42. 8 »El oficio de lanzar el pensamiento de los intelectuales nacionalsindicalistas de un modo acorde, exaltado y grave, como en los coros de las grandes abadías se levanta el canto de la mañana. Y el oficio de darle forma tangible por medio del Arte Tipográfica, del oficio de imprimir. Y como vienen días de ser medio monjes y medio soldados, hicimos un pequeño libro de coro en un cuartel.« (Orella Martínez 2011, S. 267f.).

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geschlossene Reihen und ungebrochenen Glauben an die eigene Kraft verlangt, verbrämt die falangistische Zeitschrift eine militärische Auseinandersetzung, in der Menschen in Massen starben, zu einer Vorsehung Gottes und huldigt den Toten der eigenen Seite als notwendige Opfer dieses göttlichen Plans, deren irdisches Ende sub specie aeternitatis nicht weiter betrauernswert ist. Zwischen beiden menschenverachtenden Positionen versucht Hora de España, die Werte humanistischer Kultur aufrechtzuerhalten. Liest man die in der Zeitschrift erschienenen Texte zusammen als ein kollektives Narrativ, so erscheint dieses wesentlich vielstimmiger und in sich differenzierter als die alternativen Narrative, die sich in den Zeitschriften finden, die ich als Vergleich herangezogen habe und die ideologisch wesentlich homogener und geschlossener auftreten. Man kann also von einem in sich gebrochenen Narrativ sprechen, das jedoch, und darin liegt die eigentliche kulturelle Leistung von Hora de España, gerade aufgrund seiner ihm inhärenten Differenziertheit und Pluralität vom Willen zur Aufrechterhaltung der Zivilkultur zeugt, mit der andere in dieser Zeit des Krieges schon längst abgeschlossen hatten. Ich werde im Folgenden versuchen, diese These an zwei Themenkomplexen auszuführen, die den Kern des ethischen Projekts der Zeitschrift berühren: das Verhältnis zum Volk, in dessen Dienst man programmatisch die Kunst stellen wollte, und die Verarbeitung des im Krieg zwar allgegenwärtigen, in den Kriegsideologien aber weitgehend verdrängten Todes.

Kampf und Kunst im Dienste des › Volkes‹ Der Spanische Bürgerkrieg wurde von beiden Seiten im Namen des Volkes und angeblich für das Volk geführt, das allerdings jeweils ganz unterschiedlich bestimmt wurde. Wenn der Generalísimo Franco in seinem Discurso al imperio de las Españas9 in der zweiten Ausgabe von JERARQVÍA sich ans Volk richtet, so ist »nuestro pueblo« als eine durch äußere Führung gelenkte und hierarchisch 9 Der Plural der »Spanien« erklärt sich allerdings nicht direkt aus dem Text Francos, der vielmehr auf nationale Einheit und Einheitlichkeit der Nationalisten drängt und gleich zu Beginn ein »einheitliches, großes, freies und universales Spanien« (»una España grande, libre y universal«) beschwört. Vermutlich referieren die Españas im Titel auf die Vorstellung der zwei Reiche (das himmlische Gottes und das weltliche des irdischen Cäsars), die der für die Zeitschrift verantwortliche Herausgeber Fermín Yzurdiaga Lorca vertritt und gleich im Einleitungstext der ersten Ausgabe von JERARQVÍA erläutert: »Die Einheit der Spanien. Zwei Imperien. Zwei Schwerter. Gott und der Kaiser« (Orella Martínez 2011, S. 48). Die Überschrift zur Rede von Franco dürfte deshalb auch nicht von diesem selbst verfasst worden sein, sondern vom Redakteur gewählt, um den Nationalpatriotismus des Caudillos besser an die eigene, katholisch geprägte Imperiumskonzeption anschließen zu können.

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strukturierte Einheit definiert, von der Disziplin und Opferwillen gefordert wird und werden kann, da die »Mission« des Führers eine gottgewollte ist: »In diesem Moment, in dem Gott uns das Leben unseres Vaterlands in die Hände gelegt hat, damit wir es lenken, bündeln wir eine lange Kette von Anstrengungen, vergossenes Blut und Opfer, die wir verinnerlichen müssen, damit sie fruchtbar werden […]«.10 Von nationalistisch-falangistischer Seite wird das Volk so stets autoritär von oben herab adressiert, seine Rolle erfüllt sich in der Selbstaufgabe für höhere metaphysische Ziele, die aus einer Geschichte abgeleitet werden, an der das Volk nicht als Subjekt teilhat, sondern das ihm providenziell bestimmt ist. Dieses Volksverständnis steht dem der republikanischen Seite, das von Hora de España vertreten wird, diametral gegenüber. Schon der Untertitel der Zeitschrift – »Ensayos, poesía, crítica al servicio de la causa popular« – und dessen Illustration auf der ersten Innenseite macht unmittelbar deutlich, dass das Volk, in dessen Dienst man die Literatur stellt, als revolutionäres Subjekt verstanden wird. Soweit die erwartbaren ideologischen Grundsatzdifferenzen. Zur Begründung meiner schon formulierten These ist entscheidender als diese ideologische Kluft zum ›Feind‹ aber die interne Differenziertheit des Volkskonzeptes, das von Hora de España vertreten wird, denn ›Volk‹ wird darin nicht als statische nationale Einheit proklamiert und instrumentalisiert, sondern in ganz unterschiedlichen Formen diskursiv durchaus kontrovers verhandelt und ästhetisch zur Anschauung gebracht. Beispielhaft für die diskursive Verhandlung ist Rosa Chacels Beitrag zu »Cultura y pueblo« in der ersten Ausgabe der Zeitschrift.11 An ihm wird auch die behauptete Position der Zeitschrift zwischen den Extremen deutlich, denn Chacel markiert gleich zu Beginn ihres Textes, dass die Forderung nach einer Volkskultur gegenwärtig von »allen Stimmen« (»todas las voces que llenan el momento actual«) erhoben werde, situiert sich also in einer Debatte, in der sie die eigene Konzeption von Volkskultur gegen konkurrierende Ansätze begründet. Die erste Abgrenzung erfolgt dabei gegenüber der Sowjetunion und ihrem Modell von Revolution, das im Bereich der Kulturpolitik schon zu dieser Zeit (d.h. nach dem Beschluss der KP zur »Liquidierung der Assoziation proletarischer Schriftsteller« von 1932) bereits eine Festlegung auf einen sozialistischen Realismus als einzig legitime offizielle Ästhetik implizierte. Gegenüber dem sowjetischen Weg reklamiert Chacel die Freiheit zur eigenen Entwicklung: » Eine Revolution wiederholt man nicht wie einen Geschichtstext in unterschiedlichen Klassenzimmern: sie wird von einem Volk gelebt und kein anderes kann 10 »En este instante en que Dios ha confiado la vida de nuestra Patria a nuestras manos para regirla nosotros recogemos una larga cadena de esfuerzos, de sangre derramada y de sacrificios que necesitamos incorporar para que sean fecundos « (Orella Martínez 2011, S. 168). 11 Hora de España 1937/1, S. 13–22.

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sie in gleicher Weise noch einmal leben«.12 Die zweite Abgrenzung erfolgt wesentlich ausführlicher gegen Versuche eines »neuen Romantizismus«, ein Stichwort, das durch José Díaz Fernandez schon 1930 lanciert wurde und die Literaturdebatte bereits vor dem Bürgerkrieg stark beeinflusst hatte.13 Chacel führt diese Diskussion im veränderten Kontext weiter und kommt dabei zu einer entschiedenen doppelten Ablehnung, die sich ebenso gegen eine rein auf konservative Bewahrung ausgerichtete Folklorekunst richtet wie gegen eine ungebrochene Reaktualisierung von populären historischen Kunstformen. Der Seitenhieb gegenüber dem in El Mono Azul betriebenen Projekt eines Romancero de la Guerra könnte nicht deutlicher sein: »Eine Motorbrigade kann ihre Heldentaten nicht in Romanzenform verkünden, ohne sich in ein völlig amphibienhaftes anachronistisches Monstrum zu verwandeln. Darüber besteht kein Zweifel: der Romance und ein Fünftaktmotor können nicht gleichzeitig existieren«.14 Soweit zur argumentativ ausgetragenen Suche nach einer republikanisch engagierten Kunst für das Volk. Eigentlich anschaulich wird sie in Hora de España aber in unterschiedlichen erzählerischen Formaten, in denen das Volk als aktives Subjekt erscheint, das Geschichte schreibt. Sie sind gerade in ihrer Unterschiedlichkeit symptomatisch dafür, dass die proklamierte Nähe der Intellektuellen zum Volk kein bloßes Postulat bleibt, sondern sich in Anstrengungen zu einer konkreten ästhetischen Erfahrung von Volk äußert. Das narrative Spektrum umfasst dabei Texte, deren Fiktionsgehalt zwar unterschiedlich stark ausgeprägt ist, die aber trotz dieser Unterschiede doch insgesamt darauf zielen, das abstrakte Konzept von ›Volk‹ zu konkretisieren und seine Subjekthaftigkeit in einer exemplarischen Geschichte nachvollziehbar zu machen. Juan Gil-Alberts Testimonialbericht En tierras aragonesas und Max Aubs Kurzgeschichte El cojo sind in diesem Sinne trotz ihrer Gattungsdifferenz doch gut vergleichbar in ihrem Versuch, dem ›einfachen‹ Volk auf dem Lande Protagonismus und geschichtliche Würde zukommen zu lassen. Die Erzählung nimmt dabei die fast ethnographische Perspektive des Städtebewohners ein, für den das ländliche Aragon zunächst eine unbekannte und unwirtliche Fremde darstellt, die dann aber dem konkreten Erlebnis der Landschaft und der ebenso konkreten Begegnung mit den Dorfbewohnern weicht, aus denen ein elementar-humanes »tiefes Gefühl von Solidarität« entspringt15, das am Ende den Sinn des Kampfes für das Volk bestätigt. Was Juan Gil-Albert (mit eigentlichem Namen Juan de Mata Gil 12 »Una revolución no se repite como un texto de historia en diferentes aulas: la vive un pueblo y ningún otro puede volver a vivir la misma« (ebd., S. 14). 13 Vgl. Aznar Soler 2010, Bd. 1, S. 178–199. 14 »una brigada motorizada no puede recitar su gesta en romance sin convertirse en el monstruo de anacronismo más anfibio. Esto no admite discusión: el romance y el pentamotor no pueden coexitir en una hora« (Hora de España 1937/1, S. 19). 15 Hora de España 1937/2, S. 37.

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Simón) in seinem grundsätzlich faktenbasierten, aber hochliterarisch stilisierten Bericht zu erreichen versucht – das ›einfache‹ Volk erfahrbar zu machen – versucht mit anderen Mitteln auch Max Aubs Kurzgeschichte vom klumpfüßigen, auch im Dorf marginalisiert lebenden besitzlosen Landarbeiter (den alle wegen seiner Behinderung nur El cojo nennen), der sich die längste Zeit seines Lebens unpolitisch verhalten hat, den Landbesitz, der ihm durch die Revolution im Dorf zuteil wird, dann aber bis zum letzten Atemzug zu verteidigen bereit ist. Die Freiheit des fiktionalen Erzählens ermöglicht es Aub, dabei konsequent die vordergründig ideologiefreie Innensicht seiner Figur einzusetzen und dem Leser so dessen elementare Motivation zum Kampf, den Stolz auf den Wert seiner Arbeit und der damit verbundenen eigenen Würde, intim erfahrbar zu machen. Im detailreichen realistischen Nachvollzug der Wahrnehmungswelt des Protagonisten zwingt uns der Erzähler am Ende gleichsam auf Tuchfühlung mit dem Boden, der tierra, die vom Helden der Geschichte unter Einsatz des eigenen Lebens verteidigt wird: El Cojo se enriscaba en la tierra, sentía su cintura y su vientre y sus muslos descansar en el suelo y su codo izquierdo hundido en la tierra rojal. A la altura de su pelo llegaban dos pedruscos pardos sirviéndole de aspillera. [...] El Cojo buscaba una palabra y no daba con ella, defendía lo suyo, su sudor, los sarmientos que había plantado y lo defendía directamente: como un hombre. Esa palabra el Cojo no la sabía, no la había sabido nunca, ni creído jamás que se pudiera emplear como posesivo. Era feliz.16

Die Außensicht des Testimonialberichts und die Innensicht der Erzählung ergänzen sich, gerade weil sie ›Volk‹ jeweils als individuelle Erfahrung zu konkretisieren versuchen: als individuelle Begegnung und Näheerfahrung des Berichterstatters bzw. als die vom Leser empathisch nachvollziehbare Weltsicht eines Individuums. Natürlich ist das Individuelle dabei symbolisch generalisiert und im humanistischen Sinne so angelegt, dass es universalisiert werden kann und soll. Dennoch bleibt diese Konzeption von Volk menschlich, weil sie anders als völkisch-nationalistische Konzepte den Wert des Einzelnen nie aus den Augen verliert.

16 »Der Hinkende grub sich in die Erde wie ein Fels. Er fühlte seine Lenden, seinen Bauch und seine Schenkel auf dem Boden ruhen und den linken Ellbogen ins rote Erdreich gegraben. Zwei braune Steinbrocken reichten ihm ans Kopfhaar und dienten ihm so als Schießscharte. […] Der Hinkende suchte nach einem Wort und fand es nicht. Er verteidigte das Seine, seinen Schweiß, die Reben, die er gepflanzt hatte; und er verteidigte es ganz direkt, wie ein Mann. Doch das gesuchte Wort kannte er nicht. Er hatte es auch nie gekannt und nie hätte er geglaubt, dass man es auf sich beziehen könnte: Er war glücklich.« (Hora de España 1938/17, S. 88). In der Erstausgabe der Erzählung folgt auf die zitierte Passage zwar noch ein weiterer Absatz, den Max Aub später aber umgestellt hat, sodass in allen darauffolgenden Veröffentlichungen der Abschnitt, der zweifellos den dramatischen Höhepunkt der Geschichte markiert, auch tatsächlich am Schluss steht.

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Im Angesicht der vielen Toten: Ästhetik an der Grenze des Darstellbaren Noch deutlicher als an der Bestimmung des Volkes, in dessen Namen der Krieg jeweils geführt wurde, lässt sich der Abstand zwischen dem in sich gebrochenen, mehrstimmigen humanistischen Kriegsnarrativ von Hora de España zu dem zwar mehrhändig ausgeführten, aber autoritär-monologisch geschlossenen in JERARQVÍA an dem zeigen, was das Reale des Krieges ausmacht: der Tod. Er ist das Reale im Sinne Jacques Lacans, insofern er als psychisch wahrgenommenes Phänomen weder symbolisierbar ist, also in die Struktur der Sprache überführt werden kann, noch imaginär, sondern als der unverfügbare Rest bleibt, der sich jeder direkten Darstellung entzieht. Vom Tod wird in der Kriegspropaganda deshalb auch besser geschwiegen, und wenn davon überhaupt die Rede ist, dann nur in sublimierter und verdrängter, symbolisierbarer Form. In der »schwarzen Zeitschrift der Falange«, wie JERARQVÍA dank ihres Erscheinungsbildes auch genannt wurde, zeigt sich die propagandistische Instrumentalisierung der Gefallenen in ihrer mythifizierenden Überhöhung zu Opfern, die im Dienste der metaphysischen Mission zu Unsterblichkeit gelangen. Fermín Yzurdiaga Lorca beginnt seine programmatischen Erläuterungen zu »Hierarchie. Schema einer Mission« im ersten Heft denn auch mit einer solchen Mythifizierung: He vuelto del Frente, el alma en agonía, las manos mojadas de sangre, los ojos cegados por la angustia del fuego. Mi amigo [...] hacía, de la muerte, bromas, en el parapeto de la raya de Francia. –¡Ya no cargan!, dijo: y estirando los brazos, en un anhelo delirante de alas, saltó fuera. La ráfaga de la ametralladora ardió, un instante, su llama seca de acero. Le vi erguirse, en el choque bárbaro del plomo con la carne joven y jugosa. –¿Llegó hasta el firmamento de un salto? –: sobre la camisa azul, unos hilos de sangre dibujaban las flechas, el haz: era todo el corazón en una ofrenda de ansías, por España: y la espuma roja de los labios, como la rosa viva de la primavera azul [...]17

17 »Ich bin von der Front zurückgekehrt, die Seele im Todeskampf, die Hände nass von Blut und die Augen geblendet vor Angst vor dem Feuer. Mein Freund [...] witzelte über den Tod, an der Brüstung zur Grenze Frankreichs. ›¡Die laden nicht mehr!‹, sagte er und breitete die Arme aus und sprang im taumelnden Wunsch nach Flügeln nach draußen. Die Salve einer Maschinenpistole leuchtet für einen Moment auf mit ihrer trockenen Eisenflamme. Ich sah, wie er sich aufbäumte unter dem barbarischen Zusammenstoß des Bleis mit seinem jungen und saftigen Fleisch. Ob er direkt in den Himmel gesprungen ist? Über seinem blauen Hemd malten Blutfäden die Pfeile, das Bündel [d.h. das Zeichen der Falange]. Das ganze Herz war eine Gabe voll Begehren nach Spanien: und der rote Schaum der Lippen war wie die lebendige Rose des blauen Frühlings […]« (Orella Martínez 2011, S. 47).

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Die vermeintlich persönliche Erinnerung an den Tod des Freundes geht sofort über in eine euphemistische, metaphorisch verblümte Auferstehungsparabel, die direkt an die florale Bildlichkeit anschließt, die auch in der Falange-Hymne Cara al Sol bemüht wird. Der Tote wird in dieser ideologischen Konstruktion zum Opfer, das angesichts seiner metaphysischen Entrückung in den Himmel gar nicht erst betrauert werden muss, der Fall nach dem Sprung, der logisch zwingend folgen müsste, wird in der Narration elliptisch ausgespart, um einen sofortigen, bruchlos kontinuierlichen vertikalen Aufstieg in höhere Sphären des Sinns unmittelbar im Akt des Sterbens suggerieren zu können. Als schöne Märtyrer ästhetisiert, werden die Toten der Falange so zwar einleitend ostentativ ausgestellt (vor dem Text ist den »zu Wasser, zu Lande und in der Luft Gestorbenen der Falange« auch schon ein pompöses symbolisches Grabmal errichtet worden), die Zeitschrift kann in ihrem ideologischen Narrativ dann aber ungestört über sie hinweggehen und widmet ihr intensives Nachdenken lieber geschichtsphilosophisch-theologischen Begründungen des ›Kreuzzugs‹ gegen den Feind als einzelnen Menschen, die in einem vermeintlich ›gerechten‹ Krieg ihr Leben lassen mussten. Im Vergleich zu dieser martyriologischen Instrumentalisierung der Toten fällt die Beschäftigung mit dem Tod in Hora de España wesentlich komplexer aus. Zunächst ist dies quantitativ belegbar durch die schiere Anzahl von Texten, in denen nicht nur der Krieg allgemein thematisiert wird, sondern auch das damit verbundene Sterben konkreter Menschen. Neben dem Andenken an prominente Schriftsteller und Künstler, die kriegsbedingt starben (allen voran García Lorca18, später aber auch Gerda Taro19 und Juan Barnés20) finden sich auch häufiger Todes- und Sterbeszenarien in der Dichtung, die in Hora de España einen ebenso prominenten Platz einnimmt wie in El Mono Azul, aber eben in anderen Formen und unter Vermeidung des Romanzenverses. Man kann nicht behaupten, dass die Toten dabei nicht auch häufiger instrumentalisiert würden zugunsten einer erbaulich-positiven Botschaft, die auf eine Stärkung des Kampfes- und mit zunehmendem Kriegsverlauf auch des Durchhaltewillens abzielt, dennoch finden sich auch existentialistische Töne, die im Kontext von JERARQVÍA völlig undenkbar wären, aber auch im militanten republikanischen Pendant El Mono Azul

18 Ihm ist im dritten Heft Manuel Altolaguirres »Elegía a nuestro poeta« gewidmet, wie sich auch ohne explizite Namensnennung erkennen lässt (S. 36–38), zusammen mit einem Nachruf von Pablo Neruda in der gleichen Nummer, S. 65–78. Es folgt eine weitere »Elegía a un poeta muerto« von Luis Cernuda (Heft 6, S. 33–36), die »Estancia en la muerte con Federico García Lorca« von Emilio Prados (Heft 7, S. 49–54), die »Poesía en la muerte de Federico García Lorca« von Juan GilAlbert (Heft 15, S. 90–94) und eine weitere Hommage an Lorca von Luis Cernuda (Heft 18, S. 13– 20). 19 Vgl. Luis Pérez Infante: ›A Gerda Taro, muerte en el frente de Brunete‹ (Heft 17, S. 71). 20 Ramón Diestro: ›A Juan Barnés, poeta muerto en Garabitas‹ (Heft 17, S. 71).

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keinen Platz hätten. Antonio Machados Sonett »La muerte del niño herido« ist so ein Beispiel, das sich ganz der Existenz des Einzelnen widmet, ohne dieses einzelne Leben sofort in eine kollektive Zukunftsvision einzugemeinden und Hoffnung aus dem Tode zu schöpfen (»¿Duermes, oh dulce flor de sangre mía? / El cristal del balcón repiquetea. – Oh, fría, fría, fría, fría, fría!«21). In anderer Form, im Rahmen seiner Überlieferung der Gedanken des fiktiven Alter Ego Juan de Mairena, ist Antonio Machado überhaupt die dominante Stimme innerhalb der Zeitschrift und verbreitet dabei eine Haltung der systematischen Skepsis gegenüber allen ideologischen Gewissheiten, »una duda sincera, nada metódica, por ende, pues si yo tuviera un método, tendría un camino conducente a la verdad y mi duda sería pura simulación«.22 Es mag der vom Wissen um den Kriegsverlauf geprägte Blick des nachgeborenen Lesers sein und ist schwer objektivierbar, aber bei der sukzessiven Lektüre des Kriegsnarrativs von Hora de España scheinen sich derartige skeptische und existentialistische Töne doch zunehmend zu häufen. Ganz sicher und nachweisbar aber ist, dass Hora de España in seinem letzten Heft ganz offen die Gebrechlichkeit des eigenen Republikanischen Projektes ausstellt. Diese letzte Nummer, die dreiundzwanzigste, die turnusgemäß im November 1938 hätte erscheinen sollen, entstand unter höchstem Zeitdruck in Barcelona, wo die republikanische Regierung seit Anfang 1938 ihren Sitz bezogen hatte, nachdem auch Valencia unsicher geworden war. Sie wurde zu einem Zeitpunkt fertiggestellt, als die Einnahme auch dieses letzten verbliebenen Zufluchtsorts durch die franquistischen Truppen unmittelbar bevorstand. Unter diesem Eindruck des nahenden militärischen Endes der Republik legt Antonio Machado seinem Double Juan de Mairena als letzte, posthume Botschaft eine Metaphysik des Stolzes in den Mund, die darin besteht, den »carácter faltusco, la esencial insuficiencia del existir humano« zu erkunden, um mit diesem Wissen um die eigene Zerbrechlichkeit vor Gott zu treten »para rendirle estrecha cuenta de nuestra conducta y a pedirle cuenta, no menos estrecha, de la suya«23. Hier, im letzten und erst längst nach dem faktischen Zusammenbruch der Republik veröffentlichten Heft findet sich auch die eindrucksvollste poetische Gestaltung des 21 »Schläfst du, oh süße Blume meines Blutes? / Von den Scheiben am Balkon klingt es monoton zurück/ Oh Kälte, Kälte, Kälte, Kälte!« (Hora de España 1938/18, S. 7). 22 »der ehrliche und deshalb ganz unmethodische Zweifel, denn wenn ich eine Methode besäße, hätte ich einen Weg, der zur Wahrheit führt und mein Zweifel wäre nur simuliert« (Antonio Machado: ›Algunas ideas de Juan de Mairena sobre la guerra y la paz‹, in: Hora de España 1938/10, S. 5–12, zit. S. 11). 23 »Am Tag unserer größten Bescheidenheit werden wir zu einer wahrhaften Metaphysik des Stolzes gelangen, sagte Juan de Mairena zu seinen Schülern, wenn wir den Fehlcharakter, die essentielle Mangelhaftigkeit des menschlichen Seins, erkundet haben und zu Gott streben, um ihm gegenüber genau Rechnung zu tragen über unser Verhalten und ihm eine ebenso genaue Rechnung über seines abzuverlangen« (Antonio Machado: ›Mairena póstumo‹, in: Hora de España 23, S. 13, Kursivsetzung im Original).

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Sterbens, in César Vallejos posthum veröffentlichten Gedichten aus dem Spanienzyklus España, aparta de mí este cáliz. Imaginiert wird dabei ein toter Kombattant, der trotz seines Todes nicht zu Ende sterben kann. Die repetitive Wiederholung der letzten Verszeile am Schluss jeder der ersten vier Strophen – »Pero el cadáver ¡ay! siguió muriendo« – dehnt dieses paradoxe Weiterleiden in die Länge und fordert dabei die Empathie des Lesers, der sich damit einreiht in den Reigen der Menschen, die sich voll Mitgefühl um den Sterbenden scharen und dabei von Strophe zu Strophe zahlreicher werden. Die letzte Strophe aber bringt die Wende, als »todos los hombres de la tierra«, die gesamte Menschheit, sich in diesem Mitleid vereint, und der Sterbende gerührt aufsteht und geht.24 Eine Auferstehungsszene ganz ohne metaphysischen Ausblick auf ein Jenseits, eine durch und durch weltimmanente Transzendenz des Menschlichen und eine paradoxe Sterbeszene, in der noch einmal das humanistische Ethos poetischen Ausdruck findet, das grundsätzlich auch die Zeitschrift Hora de España getragen hat. Dieses Ethos ist eine Hinterlassenschaft, die trotz der Vergänglichkeit der republikanischen Staatsform Gültigkeit bewahrt hat, gerade weil es die Gebrechlichkeit des Menschen anerkennt und aus ihr den Auftrag zur Bewahrung des Menschlichen bezieht. Ein solches Ethos im Bürgerkrieg über den Zivilisationsbruch des Mordens aufrecht erhalten zu haben, scheint mir eine erinnerungswürdige kulturelle Leistung, die Hora de España auch heute noch lesenswert macht.

Bibliographie Aznar Soler, Manuel: República literaria y revolución (1920–1931). 2 Bde. Sevilla 2010. Bergson, Henri: ›Le rire. Essay sur la signification du comique‹ [1900], in: Œuvres. Hrsg. von André Robinet, eingeleitet von Henri Gouthier. Paris 1959, S. 383–495.

24 »Al fin de la batalla,/ y muerto el combatiente,/ vino hacia él un hombre/ y le dijo: »No mueras; te amo tanto!« / Pero el cadáver ¡ay! siguió muriendo.// Se le acercaron dos y repitiéronle:/ »¡No nos deje! ¡Valor ! ¡Vuelve a la vida!« / Pero el cadáver ¡ay! siguió muriendo.// Acudieron a él veinte, cien, mil, quinientos mil,/ clamando: »¡ Tanto amor y no poder nada contra la muerte!« / Pero el cadáver ¡ay! siguió muriendo.// Le rodearon millones de individuos,/ con un ruego común: »¡Quédate hermano!« / Pero el cadáver ¡ay! siguió muriendo.// Entonces todos los hombres de la tierra/ le rodearon; les vió el cadáver triste, emocionado;/ incorporóse lentamente,/ abrazó al primer hombre; echóse a andar...«; »Am Ende der Schlacht/ als der Kombattant tot war, kam ein Mensch zu ihm/ und sagte ›Stirb nicht, ich liebe Dich so.‹/Aber der Leichnam – ach! – er starb weiter.// Es kamen zwei zu ihm und wiederholten:/ ›Verlass uns nicht! Mut! Kehr zurück ins Leben!‹/ Aber der Leichnam – ach! – er starb weiter.// Es drängten zu ihm zwanzig, hundert, tausend, fünfhundert tausend/ und riefen ›So viel Liebe und keine Macht gegen den Tod.‹/ Aber der Leichnam – ach! – er starb weiter.// Da versammelten sich alle Menschen der Erde um ihn;/ und der Leichnam sah sie traurig und bewegt/ erhob sich langsam/ umarmte den ersten Mensch; und begann zu gehen…« (César Vallejo: ›España, aparte de mí este cáliz‹, in: Hora de España 23, S. 17–18).

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Fernández Hoyos, Sonia: ›La visibilidad de Hora de España. Notas para su estudio‹, in: Ramos Ortega, Manuel J.: Revistas literarias españolas del Siglo XX (1919–1975). Bd. 1. Madrid 2005, S. 519–555. García Gabaldón, Jesús: ›Cultura antifascista miliciana y literatura de guerra en la defensa de Madrid: El Mono Azul‹, in: Ramos Ortega, Manuel J.: Revistas literarias españolas del Siglo XX (1919–1975). Bd. 1. Madrid 2005, S. 477–492. Hora de España: Revista mensual. Valencia/ Barcelona 1.1937–23.1938. Reprint Glashütten/Liechtenstein 1972–1974. Jiménez Millán, Antonio: ›La intelectual republicana y la revista Hora de España‹, in: Analecta malacitana: Revista de la Sección de Filología de la Facultad de Filosofía y Letras 1982/5, 2, S. 343–39. Mainer, José-Carlos (Hg): Falange y Literatura. Barcelona 1971. Monleón, José: ›El Mono Azul‹. Teatro de urgencia y Romancero de la guerra civil. Madrid 1979. El Mono Azul. Madrid. 1.1936–47.1939. Reprint Glashütten/ Liechtenstein 1975. Orella Martínez, José L. (Hg.): JERARQVÌA. La revista negra de la Falange (1936–1938). Madrid 2011. Ortega y Gasset, José: La deshumanización del arte. Madrid 1925. Osuna, Rafael: La revistas españolas entre dos dictaduras. 1931–1939. Valencia 1982. Revistas y Guerra. 1936–1939. Katalog der Ausstellung des Museums Reina Sofia. Madrid 2007. Salas, Horacio: ›Hora de España o la posibilidad del humanismo‹, in: Cuadernos hispanoamericanos 1978/340, S. 182–187. Villar Dégano, Juan Felipe: ›Ideología y cultura en Hora de España (1937–1938)‹ , in: Letras de Deusto 1986/16, 35, S. 171–200.

Marlen Bidwell-Steiner (Wien)

Poetische Propaganda: Dichter mit Erde an den Füßen gegen Dichter der Dreifaltigkeit

Portbou ist ein kleiner spanischer Ort an der Grenze zu Frankreich. Ein Ort der Passage und des Bruchs, zwischen unwegsamen Gebirgspässen und der Öffnung zum Mittelmeer, zwischen dem Land der Aufklärung und jenem der schwarzen Legende, zwischen Leben und Tod. Ein lieu de mémoire,1 an dem sich Walter Benjamin im September 1940 das Leben nahm. Er war auf der Flucht vor den Nazis, wie viele vor und nach ihm, die über die Pyrenäen gingen, um von dort aus nach Portugal und weiter nach Amerika zu gelangen. Nur dreizehn Kilometer auf der anderen Seite der Grenze liegt ein weiterer kleiner Ort, der emblematisch für Vertreibung, Lagergrauen und Tod steht, weil in ihm Antonio Machado begraben wurde, der 1939 am Ende des Spanischen Bürgerkriegs wie viele Republikaner und Republikanerinnen hier in Collioure interniert wurde und unmittelbar darauf starb.2 Außer dem Tod nach dem Passieren der Grenze verbindet den Schöpfer des Passagenwerks und den Dichter der Campos de Castilla auf den ersten Blick wenig. Und doch repräsentiert nicht nur das Ende der beiden Intellektuellen, sondern auch ihre Reflexionen zum Zusammenhang von Ethik und Ästhetik das Thema dieses Beitrags.3 Die wechselseitigen Inanspruchnahmen von Politik und Kunst im Rahmen der Guerra Civil werden im Folgenden ausgehend von der Analyse einer in Spanien wirkmächtigen populärkulturellen Form erörtert. Wie Benjamin treffend formuliert, unternehmen politische Akteure nämlich häufig einen »Tigersprung ins Vergangene«,4 um Umbrüche historisch zu legitimieren. Was für Robespierre das 1 Begriff nach Pierre Nora 1984. 2 Zur herausragenden Bedeutung von Antonio Machado innerhalb der prorepublikanischen Intellektuellen siehe Muñoz Soro in diesem Band, S. 47. 3 Dieser »symbolische Geographie der Opfer« und einer ähnlich fragmentarischen und materiellen Schreibweise in Bezug auf Benjamin und Machado hat sich Birgit Wagner in anderem Zusammenhang ganz ähnlich angenähert, siehe dazu Wagner 2001, S. 229. 4 Benjamin 2011, S. 964.

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antike Rom war, ist für die Kontrahenten im Spanischen Bürgerkrieg die auf orale Traditionen des Spätmittelalters bzw. der Renaissance zurückgehende Versform des Romance, die meist eine heldenhafte Chronik verdichtet.

Romanzen zwischen Links und Rechts Im Nachweis, wie »derselbe Sprung unter dem freien Himmel der Geschichte«5 auf Seiten der Linken völlig andere Semantiken hervorbringt als in der faschistischen Poesie, werden zwei Romanzen exemplarisch einander gegenübergestellt: Romance de Castilla en armas (1938) des franquistischen Poeten Federico de Urrutia und Llamo a la Juventud (1937) des Republikaners Miguel Hernández. Zunächst arbeite ich die semantischen Unterschiede heraus. Diese Binnenuntersuchung wird eingebettet in die Geschichte des sogenannten Romancero de la Guerra, also jener breitenwirksamen Lyriksammlung der Republikaner, die Hanno Ehrlicher in diesem Band als ethisch fragwürdige, weil propagandistische Gebrauchskunst diskutiert.6 In der Kontextualisierung der aus heutiger Sicht tatsächlich oft brachial anmutenden Verse innerhalb einer linken Gesellschaftsutopie möchte ich den Begriff der Propaganda allerdings aus seiner einseitigen Inanspruchnahme als militante Machttechnologie lösen. Denn wenn wir den dezidiert aufklärerischen Erziehungsanspruch der republikanischen Propaganda ernst nehmen, erschließen sich aktuelle Phänomene von symbolischer Exklusion und Entdemokratisierung vielleicht besser. Bei der Auswahl des Vergleichsmaterials legte ich Wert darauf, zwei wirkmächtige Gedichte zu untersuchen.7 Die Mehrzahl der Dichter, die in den spanischen Literaturkanon ausgerechnet als »silbernes Zeitalter« (edad de plata) eingehen, standen auf Seiten der Republik, und tatsächlich ist ihre Lyrik in Bezug auf Quantität und Qualität jener der gegnerischen Seite überlegen. Gleichwohl gibt es auch unter den Falangisten einige, die sich auf hohem Niveau mit eigenen Traditionen, aber auch mit den europäischen Avantgarden auseinandersetzen.

Die franquistische Dreifaltigkeit Einer der avanciertesten nationalistischen Dichter ist Federico de Urrutia, Chefredakteur von Vértice, einer der anspruchsvollsten Zeitschriften der Falange. Romance de Castilla en armas ist Teil seiner 1938 veröffentlichten Poemas de la 5 Ebendort. 6 Siehe Hanno Ehrlicher, S. 13ff. 7 Carlos Saura trifft in seinem berühmten Streifen ¡Ay Carmela! eine ähnliche Auswahl wie ich, denn sein Protagonist deklamiert vor republikanischem Publikum Antonio Machados Ode an Líster und vor den Franquisten das hier analysierte Gedicht von Urrutia.

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Falange eterna und enthält viele historischen Versatzstücke, die als propagandistische Codes in Romanzen beider Lager wiederkehren: Por la parda geografía de la tierra castellana, cara al sol de los trigales los falangistas cantaban.8

Bereits zu Beginn bedient sich Urrutia buchstäblich eines Topos, den die Generación del 98 im Rückgriff auf Traditionen des Siglo de Oro wiederbelebte: Kastilien als identitätsstiftendes Kerngebiet Spaniens. Dabei scheint es den Autor nicht zu stören, dass dieser Topos ausgerechnet von jenem Intellektuellen begründet wurde, der emblematisch für die Republik steht: Antonio Machado. Und tatsächlich werden hier nicht dessen Campos de Castilla besungen, denn »¡cara al sol!« – Titel der Hymne der Franquisten – bricht die bukolische Ruhe der goldfarbenen Weizenfelder Machados. So offenbaren schon die ersten Verse eine wiederkehrende Technik franquistischer Propaganda: eine Neusemantisierung vertrauter Kulturzitate durch veränderte Montage, Verdrehung oder Inversion. Doch Urrutia schafft nicht nur Rupturen, sondern vor allem Kontinuitäten: Kastilisches Gold kehrt im sonnenbeschienen Kirchturm wieder. Allá en la plaza del pueblo, bajo la iglesia dorada, las mozas están llorando… ¡Madre, los mozos se marchan!9

Hier weist sich Urrutia als Kenner der Romanzentradition aus, da diese häufig direkte Reden als affektiv aufgeladene wiederkehrende Muster enthält. Gleichzeitig knüpft die Klage der jungen Mädchen aber an eine noch ältere Literaturgattung an: Sie richtet sich an die Mutter, was an mittelalterliche Frauenlieder, sogenannte Cantigas de Amigo erinnert, eine der ältesten Lyrikformen der iberischen Halbinsel, die in Galizisch–Portugiesisch verfasst waren und den kastilischen Villancicos ähneln.10 Doch die Fokalisierung wendet sich von den weinenden Mädchen unvermittelt der Männerwelt zu, Dreschflegel und Hacke, deren Schärfe allerdings wiederum durch den goldfarbenen Grundton – hier des Heus – gemildert wird, das mit der stickenden Braut unter dem Kirchturm zurückbleibt. Und das Wort

8 »In der goldbraunen Geographie der kastilischen Erde sangen die Falangisten mit dem Gesicht zur Sonne der Kornfelder.« (Urrutia 1938, S. 116). Hier und in allen weiteren Fällen Übersetzung MBST. 9 »Dort auf dem Dorfplatz unter der goldenen Kirche weinen die Mädchen: Mutter, die Jungen gehen fort«. (Ebendort). 10 Siehe dazu Tietz 2006, S. 19f.

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haben nun auch die Männer, die der madre eine noch erhabenere Mutterfigur zur Seite stellen, die Heimat: El traje de los domingos, el trillo, el heno y la azada, los caballos de la feria y la novia que bordaba. ¡Todo ha quedado en la aldea bajo la iglesia dorada! –¿Por qué te vas a la guerra? –¡Madre, la Patria me llama!11

Hier bereitet sich jene metaphorische Kohärenz vor, die etwas später wieder aufgegriffen wird. Doch zunächst konkretisiert sich der Ruf der Mutter Erde. Nicht mehr die Weite der kastilischen Landschaft, sondern die geschichtsträchtigen Königsstädte Spaniens werden besungen: Ávila yace en silencio en su muralla apretada. Segovia en recogimiento dormita bajo su Alcázar. En Toledo se apagaron los idilios de la Cava. Burgos y Valladolid marcharon a la Cruzada.12

Avila, während des Bürgerkrieges für seine besondere Treue zu Franco bekannt, und Segovia, Krönungsstadt der katholischen Königin Isabel, sind offenbar schon von jenem ewigen Frieden erfüllt, der andernorts erst von den jungen Männern (wieder) hergestellt werden muss. Denn in Toledo offenbart sich die Dynamik des Schlachtrufs und kulminiert in der franquistischen Kernmetaphorik des Kreuzzugs als legitimer Kampf, der in diesen Versen über mehrere Motive, ja eigentlich über zwei historische Figuren namens Rodrigo, eingeführt wird: La Cava ist eine umstrittene Frauenfigur aus dem spanischen Legendenfundus. Wie Helena Establier Pérez ausführt,13 leitet sich das Epitheton Cava aus dem Arabischen ab und bedeutet sinngemäß »leichtes Mädchen«. Die Legende verarbeitet die Umstände um die Kapitulation des letzten westgotischen Königs, Rodrigo, zur Zeit der maurischen Eroberungen, welcher Florinda, die Tochter 11 »Der Sonntagsrock, Dreschflegel, Heu und Hacke, die Kirtagspferde und die stickende Braut. Alles ist im Dorf unter der goldenen Kirche zurückgeblieben. – Warum ziehst du in den Krieg? – Mutter, die Heimat ruft mich!« (Urrutia 1938, S. 116). 12 »Avila liegt in Stille an seine Mauer gedrängt, Segovia in Sammlung unter seinem Alcázar schlafend. In Toledo sind die Idyllen der Cava verlöscht. Burgos und Valladolid sind in den Kreuzzug gezogen.« (Ebendort). 13 Establier Pérez 2012.

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des Grafen Julián, begehrt. Aus Rache an der Verführung bzw. Vergewaltigung seiner Tochter – die Versionen widersprechen sich – verbündet sich letzterer mit den Mauren und wird somit Verräter am eigenen Volk. Der Stoff wurde über den arabischen Geschichtsschreiber Al-Razi bis zu zahlreichen spätmittelalterlichen Chroniken weitererzählt. Dabei verschiebt sich die Schuld am Geschehen allmählich von Rodrigo auf Florinda, wie der Romancero General darlegt: »Si dicen quién de los dos / La mayor culpa ha tenido / Digan los hombres: La Cava, / Y las mujeres: Rodrigo« 14 Somit greift Urrutia den zuvor eingeführten Perspektivenwechsel zwischen weiblicher und männlicher Sicht wieder auf, verweist aber gleichzeitig auf den Verräter im eigenen Land, der wegen einer Eskapade seiner Tochter das Schicksal Spaniens aufs Spiel setzt (und nimmt ganz Spanien in die Pflicht,15 heißt es im Romancero general). Als aktueller Subtext schwingt hier mit, dass der Verräter im eigenen Land – die republikanische Linke – auch für mehr bürgerliche Rechte und Freiheiten der Frauen eintritt. Dem gegängelten Rodrigo wird freilich ein Namensvetter gegenübergestellt, der tatsächlich die Ehre seiner Töchter retten muss, dabei aber nicht die heiligeren Pflichten um seine christliche Heimat vernachlässigt: Rodrigo Díaz de Vivar alias El Cid, der heldenhafte Heerführer der Reconquista, den das spanische Nationalepos besingt. Der Historiographie nach stammt dieser nämlich aus Burgos, das im Bürgerkrieg auch Sitz der franquistischen Regierung ist. In den letztzitierten Versen wird somit die Engführung von El Caudillo, Francisco Franco, und El Cid vorbereitet, der in Folge tatsächlich auftritt: El Cid – lucero de hierro – por el cielo cabalgaba, con una espada de fuego en fraguas del sol forjada.16

Hier wandelt sich der Goldton der Sonne zum Feuerstrahl und kontrastiert mit dem Stahlglanz des reitenden Cid. Und nach den Metropolen Spaniens werden nun Schauplätze des Bürgerkriegs abgerufen, die mit Gräueltaten der Republikaner und großen Opferzahlen auf Seiten der Franquisten verbunden sind: El agua se volvió sangre en la margen del Jarama. Y cerca de San Servando el Tajo, que antes bañaba 14 »Wenn sie sagen müssen, wer von beiden größere Schuld hatte, sagen die Männer: die Cava, und die Frauen: Rodrigo.« (Durán 1945, S. 586). 15 »/y obligada toda Espana« (Ebendort). 16 »Der Cid – ein Leuchtstern aus Eisen – ritt über den Himmel mit einem Feuerschwert, das in der Esse der Sonne geschmiedet wurde.« (Urrutia 1938, S. 162).

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milagros de verde fruta por la vega toledana, mirando al Alcázar roto por las noches suspiraba.17

In Jarama ließ das legendäre fünfte Regiment der Linken als Vergeltung für die Erschießung von 1500 Republikanern in der Stierkampfarena von Badajoz mehr als tausend aufständische Soldaten hinrichten. Und der Alcázar von Toledo ist schließlich ein herausragender lieu de mémoire franquistischer Erinnerungskultur, denn die Anlage wurde über sechzig Tage von den Republikanern belagert und verknüpft ihren Symbolcharakter der Reconquista mit einem modernen Heldennarrativ: Angeblich habe der franquistische Oberst José Moscardó auf ein Ultimatum der Belagerer hin seinen Sohn geopfert, was historische Forschungen allerdings als moderne Legende entlarvten.18 Unerwähnt bleibt dabei ein auf die Rückeroberung des Alcázar folgendes Massaker nicht nur an republikanischen Soldaten, sondern auch an der Toledanischen Zivilbevölkerung. Franco inszenierte sich in Folge über die mythologische Aufladung des Ortes erstmals als uneingeschränkter Führer, als Caudillo. Urrutia verdichtet aber nicht nur el Cid und el Caudillo, deren religiöse Mission wird zugleich metaphysisch erhöht: En el Cerro de los Ángeles, que los ángeles guardaban, ¡han fusilado a Jesús! ¡Y las piedras se desangran!19

In der Aufzählung nationalistischer Erinnerungsorte folgt somit ein zehn Kilometer südlich von Madrid gelegener Hügel, der zum Schauplatz einer symbolischen Hinrichtung wurde. Da befand sich das Denkmal des Sagrado corazón de Jesús, einer Christusstatue von enormen Ausmaßen, die die Republikaner zu Kriegsbeginn sprengten. Urrutia nutzt damit erneut die Gattungskonvention, indem er Chronotopien aus der Verknüpfung von aktuellen Schauplätzen mit transzendentaler Symbolik schafft: Der Kalkstein wird metonymisch anthropomorphisiert, womit es der Mensch Jesus ist, der getötet wurde. Die Leserinnen und Leser des Textes wissen indes genau, dass der Märtyrertod Christi im Narrativ der Franquisten mit dem Tod von José Antonio Primo de Rivera verschmolzen wird, dem »ewig präsenten« Gründer der Falange, den die Republikaner zu 17 »Am Rande des Jarama verwandelte sich das Wasser in Blut. Und nahe von San Servando seufzte der Tajo in den Nächten, der vormals die Wunder der grünen Früchte an die Toledanische Au spülte, als er den zerstörten Alcázar erblickte.« (Ebendort). 18 Vgl. Reig Tapia 1998, S. 101–129, vor allem S. 111ff. 19 »Am Cerro de los Ángeles, den die Engel bewachten, haben sie Jesus erschossen! Und die Steine bluten aus!« (Urrutia 1938, S. 161).

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Beginn des Krieges exekutiert hatten. Wir haben hier also eine Art franquistischer Trinität versammelt mit el Cid als Geist Spaniens, Franco als der großen Vaterfigur und José Antonio als dem irdischen Sohn, dessen Opfer die Adepten, die franquistischen Soldaten, auf den rechten Weg des Glaubens zurückführt. Parallel dazu schafft der Autor eine mütterliche Dreiheit mit der Gottesmutter Maria, dem bereits erwähnten Mutterland (Patria) und den im Dorf zurückgebliebenen Müttern. ¡Pero no te asustes, Madre! ¡Toda Castilla está en armas! Madrid se ve ya muy cerca. ¿No oyes los gritos de ¡Arriba España!? La hidra roja se muere de bayonetas cercada.20

Die Mater Dolorosa veredelt gewissermaßen den Schmerz tausender anonymer Soldatenmütter, die in Folge auftreten: miles de madres rezaban por los hijos que se fueron vestida de azul el alma.21

Durch die metaphorische Kohärenz legt sich das in der christlichen Ikonographie vertraute Himmelsblau des Mantels der Gottesmutter auf die Söhne, die in den falangistischen Blauhemden gegen die rote Hydra losziehen, und in die am Ende des Romance sogar der Cid gehüllt ist: Y el Cid, con camisa azul, por el cielo cabalgaba...22

Urrutia verarbeitet somit die volkstümliche Romanzentradition, zwängt sie allerdings gleichzeitig in ein klassizistisches Formkorsett, indem er etwa Vaterund Mutterfiguren triangulierend verschränkt. Diese harmonisierende Ästhetik entspricht jenen Paradigmen, die der falangistische Chefideologe Ernesto Giménez Caballero in seinem Genio de España vorgab.23 Die männliche Aktivität wird mit dem Cid, der insgesamt dreimal besungen wird, an den Mythos des christlichen Kreuzzugs geknüpft, gleichzeitig wird die weibliche Passivität dadurch ebenfalls in eine überzeitliche Ordnung gestellt. Der Cid als reitender Leuchtstern aus Eisen evoziert aber auch die Luftangriffe der Achsenmächte, die 20 »Aber schrecke dich nicht, Mutter (Gottes), ganz Kastilien ist in Waffen! Madrid sieht man schon aus der Nähe. Hörst du nicht die Schreie »Hoch lebe Spanien!? Die rote Hydra stirbt von Bajonetten eingekreist.« (Ebendort). 21 »Tausende Mütter weinten um die Söhne, die weggingen, die Seele in Blau gehüllt.« (Ebendort). 22 »Und der Cid reitet in blauem Hemd über den Himmel.« (Ebendort). 23 Vgl. Giménez Caballero 1983.

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erheblich zum Sieg der Franquisten beitrugen. Und in diesem Kontext taucht er im folgenden Vergleichsmaterial auf.

Der Cid als Naturgewalt Mit Llamo a la juventud liegt uns ein Romance von Miguel Hernández vor, der viele der bei Urrutia analysierten Elemente verarbeitet: Die Anrufung (»llamo«), also Mobilisierung der jungen Männer, die Frauen im Hinterland, die Personifizierung der Landschaft und vor allem das Motiv des Cid. Doch während Urrutia eine überzeitliche, gewissermaßen prästabilierte Harmonie bemüht, betont Hernández die Zeitachse, indem er das Futur mit dem Begriff Erinnerung (»memoria«) chiastisch verknüpft: Los quince y los dieciocho, los dieciocho y los veinte... Me voy a cumplir los años al fuego que me requiere, y si resuena mi hora antes de los doce meses, los cumpliré bajo tierra. Yo trato que de mí queden una memoria de sol y un sonido de valiente.24

Doch die Stunden und Jahre, die hier abgezählt werden, sind nicht anonymisierte Kriegsverläufe, sondern die Lebenszeit des lyrischen Ich, das seine Jugend opfert und sich damit modellhaft für ein anderes, ein solidarisches Spanien in Stellung bringt: Si cada boca de España, de su juventud, pusiese estas palabras, mordiéndolas, en lo mejor de sus dientes: si la juventud de España, de un impulso solo y verde, alzara su gallardía, sus músculos extendiese contra los desenfrenados que apropiarse España quieren, 24 »Fünfzehn und achtzehn, achtzehn und zwanzig... Ich werde die Jahre vollenden zum Feuer, das mich fordert, und wenn meine Stunde vor den zwölf Monaten schlägt, werde ich sie unter der Erde vollenden. Ich trachte danach, dass von mir eine Erinnerung an Sonne und ein Klang des Mutigen bleiben.« (Hernández 2017, S. 79).

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sería el mar arrojando a la arena muda siempre varios caballos de estiércol de sus pueblos transparentes, con un brazo inacabable de perpetua espuma fuerte.25

Im Gegensatz zum vorangegangenen Romance wird hier nicht der Geist der Vergangenheit beschworen, sondern im Konditionalmodus Möglichkeiten im Hier und Jetzt fokussiert. Die Atemlosigkeit, mit der die Bedingungen solidarischen Handelns durchgespielt werden, dynamisiert die Verse wesentlich stärker als der getragene Ton bei Urrutia. Während dessen Farbsymbolik die Blauhemden in Antithese zur roten Hydra stellt, eint bei Hernández das Grün, das für Aufbruch und Frische steht, die Jugend in einem gemeinsamen Impuls gegen die zügellosen Gegner, die als Invasoren identifiziert werden. Diese emphatische Anrufung eines metonymischen jugendlichen Volkskörpers verzichtet auf den Manichäismus des Bruderkrieges zugunsten eines Feindbildes im Außen, das über den Cid, durch den Lorbeerkranz ebenfalls in Grün metaphorisiert, näher identifiziert wird: Si el Cid volviera a clavar aquellos huesos que aún hieren el polvo y el pensamiento, aquel cerro de su frente, aquel trueno de su alma y aquella espada indeleble, sin rival, sobre su sombra de entrelazados laureles: al mirar lo que de España los alemanes pretenden, los italianos procuran, los moros, los portugueses, que han grabado en nuestro cielo constelaciones crueles de crímenes empapados en una sangre inocente, subiera en su airado potro y en su cólera celeste

25 »Wenn jeder Mund Spaniens, seiner Jugend, diese Worte führen würde, sie mit dem besten seiner Zähne beißen würde: Wenn die Jugend Spaniens, in einem einzigen grünen Impuls ihre Würde erheben, ihre Muskeln ausdehnen würde, dann würde das Meer mit seinem unendlichen Arm von ewigem Schaum gestärkt gegen jene Zügellosen, die sich Spanien aneignen wollen, sämtliche Mistgäule aus seinen lichtdurchfluteten Dörfern auf den immer stummen Sand schleudern.« (Hernández 2017, S. 79–80).

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a derribar trimotores como quien derriba mieses.26

Während die Einheit der Jugend als Körpermetapher des integren Leibes beschworen wird, hat sich die Figur des Cid der Natur und Landschaft Spaniens gänzlich einverleibt: die Stirn ein Hügel, die Seele ein Donner und die Wut eine himmlische Kraft. Letztere steht antithetisch zu den grausamen Konstellationen, die die Feinde von außen – Deutsche, Italiener, Mauren und Portugiesen – dem spanischen Himmel zugefügt haben. Als einzigen klar identifizierbaren Verweis auf aktuelle Ereignisse thematisiert Hernández somit die Bombardements der Achsenmächte; zeitgleich zur Drucklegung dieser Verse löst die Auslöschung des baskischen Dorfes Guernica durch die Legion Condor bekanntlich international Bestürzung aus. Die Dreimotorenflugzeuge sollen so niedergestreckt werden wie Getreidegarben: Somit wird der imaginierte Cid zum Sensenmann, der Schnitter als (gerechter) Tod ist in der Volksliteratur und vor allem in der republikanischen Plakatpropaganda ein beliebtes Motiv. Der Appellcharakter des Romance lebt von der Verknüpfung des geeinten spanischen Volksleibes mit der Landschaft und der Natur, die im Cid auch eine prominente Prosopopöie findet und den feindlichen Achsenmächten, deren Legionären und deren grausamen und kalten Kriegstechnologien gegenübergestellt werden. Diese antithetische Konstruktion findet sich auch in den weiteren Versen, wobei sich nun der Volksleib in die Körper der würdigen Spanier ausdifferenziert, denn der angerufenen Jugend wird die Realität des Frontlebens vorgeführt: Bajo una zarpa de lluvia, y un racimo de relente, y un ejército de sol, campan los cuerpos rebeldes de los españoles dignos que al yugo no se someten, y la claridad los sigue, y los robles los refieren.27

26 »Wenn der Cid zurückkehren würde, um die Knochen, die noch immer schmerzen, den Staub und die Gedanken, jene Erhebung seiner Stirn, jenes Grollen seiner Seele, und jenes unfehlbare Schwert, konkurrenzlos, auf den Schatten des verschlungenen Lorbeerkranzes zu heften: beim Anblick dessen, was mit Spanien die Deutschen vorhaben, die Italiener versuchen, die Mauren und die Portugiesen, die in unseren Himmel grausame Konstellationen von in unschuldiges Blut getränkte Verbrechen eingeprägt haben, würde er auf seinen zornigen Hengst steigen und in seiner himmlischen Wut die Dreimotoren niederstrecken, wie man Getreide niederstreckt.« (Hernández 2017, S. 80). 27 »Unter der Klaue des Regens und einer Traube an Kühnheit und einem Regiment der Sonne kampieren die rebellischen Körper der würdigen Spanier, die sich dem Joch nicht unterwerfen, und die Helligkeit folgt ihnen und die Eichen tragen sie weiter.« (Hernández 2017, S. 80–81).

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Signifikant ist hier das Adjektiv »rebellisch«, denn die würdigen Spanier Hernández’ sind ja das rechtmäßige republikanische Volksheer und die Franquisten die Aufständischen. Doch zur Jugend, die in diesem Romance emphatisch angerufen wird, gehört eben die Rebellion, weshalb die Aneignung des Motivs von Seiten der Gegner auch durch das Joch konterkariert wird. Dieses ist ein wichtiges Symbol der Faschisten, das sie von den Katholischen Königen entlehnen. Somit eignet es sich hervorragend, die Unterjochung Spaniens zu argumentieren und hält gleichzeitig die Spannung der metaphorischen Antithesen eines Volkes im Einklang mit den Zyklen der Natur gegenüber den leblosen und kalten Machttechnologien der Gegner aufrecht. Doch unmittelbar darauf folgt eine Ruptur: Entre graves camilleros hay heridos que se mueren con el rostro rodeado de tan diáfanos ponientes, que son auroras sembradas alrededor de sus sienes. Parecen plata dormida y oro en reposo parecen.28

Mit den totgeweihten Verletzten auf ihren Tragen fokussiert Hernández die andere Seite des Heldenepos. Das sozialrealistische Element dient ihm indes dazu, ein modernes heroisches Narrativ zu etablieren: das des gebrochenen Helden. Wenn sie auch sterben, so strahlen die Verletzten doch Ruhe aus, symbolisiert in den Edelmetallen Silber und Gold. »Aurora«, die Morgenröte, die sich im Sterben einstellt, verweist auf ewige Jugend. Diese sublime Ruhe des sterbenden Antlitzes verdankt sich offenbar der richtigen Causa, wie die nachfolgende direkte Rede verdeutlicht: Llegaron a las trincheras y dijeron firmemente: ¡Aquí echaremos raíces antes que nadie nos eche! Y la muerte se sintió orgullosa de tenerles.29

Das Wurzelschlagen nutzt jene bereits vertrauten Isotopien aus dem Quellbereich Natur, um in einer weiteren Verknüpfung der bisherigen Metaphernketten 28 »Zwischen den ernsten Trägern finden sich Verletzte, die sterben, das Gesicht von so durchscheinendem Dämmerlicht umrahmt, dass es wie Morgenröte rund um ihre Schläfen gestreut wirkt. Sie scheinen wie schlafendes Silber, wie Gold in Ruhe scheinen sie.« (Hernández 2017, S. 81). 29 »Sie erreichten die Schützengräben und sprachen unbeirrbar: Hier werden wir Wurzeln schlagen, bevor uns jemand verjagt! Und der Tod war stolz darauf sie zu haben.« (Ebendort).

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die jungen Soldaten heroisch zu erhöhen.30 Denn die Verschmelzung der Soldatenkörper mit der Natur schafft eine parallelisierende Kohärenz mit der Repräsentation des Cid, der ja ebenfalls als Naturgewalt auftritt. Mit der Einbindung der auf Vergangenheit referierenden direkten Rede im Futur greift Hernández strukturell die chiastische zeitliche Organisation des Romanzenbeginns wieder auf. Unmittelbar darauf erfolgt ein weiterer Bruch des Heldennarrativs: Pero en los negros rincones, en los más negros, se tienden a llorar por los caídos madres que les dieron leche, hermanas que los lavaron, novias que han sido de nieve y que se han vuelto de luto y que se han vuelto de fiebre; desconcertadas viudas, desparramadas mujeres,31

Auch Hernández wechselt damit die Fokussierung von den Schützengräben auf das Hinterland, wo nicht von Sicherheit spendenden goldenen Kirchtürmen, sondern von düsteren Winkeln die Rede ist. Dort weinen Mütter und Schwestern und Bräute, und für sie gibt es keinen Trost. Anders als Urrutia führt uns Hernández nicht vollständig passive und damit eigentlich den Ereignissen enthobene Frauen vor. Sie haben die Männer in deren Kindheit gestillt und sie gewaschen, und sie fallen nicht aus der Zeit, sie verändern sich. Denn sie bringen in diesem Krieg, der sie verwirrt und in Trauer zurücklässt, ebenfalls Opfer. Diese Berücksichtigung des weiblichen Anteils am Geschehen dient aber auch bei Hernández nur der weiteren Konturierung der jugendlichen Helden, erfahren wir vom Leid der Frauen letztlich doch wieder nur aus dem männlichen Blickwinkel, denn es wird den Soldaten in Briefen und Fotografien an der Front gegenwärtig: »cartas y fotografías / que los expresan fielmente, [...]«.32 Dieser Schwenk auf das schwarze Hinterland, wo die Frauen trostlos herumirren, steht denn auch in krassem Gegensatz zu den darauffolgenden Versen, die den eigentlichen Appell an die »sonnige Jugend Spaniens« (Juventud solar de España)33 aussprechen. Dabei begegnen uns die bereits vertrauten Metaphern aus

30 Vgl. dazu Alarcón Serra 2015, S. 58–59, der in anderem Zusammenhang in der Poesie Hernández’ die Metapher der Krieger als Erdwesen diskutiert und dies mit dem griechischen Mythos von Cadmos und Jason in Verbindung bringt. 31 »Aber in den düsteren Winkeln, in den allerdüstersten, kauern die Toten zu beweinen, Mütter, die sie stillten, Schwestern, die sie wuschen, Bräute, die wie Schnee waren und nun in Trauerkleider und in Fieber gewandelt sind, verwirrte Witwen, verstreute Frauen.« (Ebendort). 32 »Briefe und Fotos, die das getreu ausdrücken.« (Ebendort). 33 Ebendort.

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dem Quellbereich lebendiger Natur, die kurz darauf folgendermaßen legitimiert werden: Sangre que no se desborda, juventud que no se atreve, ni es sangre, ni es juventud, ni relucen, ni florecen. Cuerpos que nacen vencidos, vencidos y grises mueren: vienen con la edad de un siglo, y son viejos cuando vienen. La juventud siempre empuja la juventud siempre vence, y la salvación de España de su juventud depende.34

Das überströmende Blut knüpft an das Bild der Meereswellen am Gedichtanfang an, die blühende Jugend an das Grün des Impulses, des Mutes. Hernández zeichnet die Initiative der Jugend als Handlungsimperativ, denn alles andere wäre vorzeitige Vergreisung. Gerade über das zuvor recht unverbunden eingeschobene und letztlich unaufgelöste Narrativ der Frauen, dem die fließenden Energie der anderen Strophen gänzlich fehlt, artikuliert der Dichter die Alternativlosigkeit des (männlichen!) Kampfes: Das Grau des vorzeitigen Alterns rückt so nämlich in tropologische Nähe zu den Frauen, die gänzlich dem Dunkel – der poetischen Bilder und der Geschichte! – anheimgestellt werden. Die Möglichkeit einer Verweigerung des Appells, im Kampf das Leben zu riskieren, käme Feminisierung gleich. Von der darauffolgenden Anrufung, die das Ungestüme und Überbordende der Jugend im rhetorischen Gestus geradezu didaktisch nachbildet, wechselt die Stimme in der letzten Strophe wieder auf eine Einheit, diesmal personalisiert im »Uns«, das im kollektiven Ausruf am Ende wieder ein Ich wird, womit sich der rhetorische Kreis zum Romanzenanfang hin schließt: ¡Ay España de mi vida, ay España de mi muerte!35

Diese direkte Rede am Ende des Gedichtes stellt der grauen Existenz nicht gelebten Lebens somit den (Helden)Tod als Sieg gegenüber, der gleichsam mit dem

34 »Blut, das nicht überströmt, Jugend, die sich nicht traut, sind nicht Blut und nicht Jugend, noch strahlend, noch blühend. Körper, die besiegt geboren werden, sterben besiegt und grau, und sind schon alt, wenn sie zur Welt kommen. Die Jugend drängt immer, die Jugend gewinnt immer, und die Rettung Spaniens hängt von seiner Jugend ab.« (Hernández 2017, S. 82). 35 »Ach Spanien meines Lebens, ach Spanien meines Todes.« (Ebendort).

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Versprechen einhergeht, wie der Cid als lieux de mémoire buchstäblich in die Erde Spaniens einzugehen.

Poetische Propaganda – ein Oxymoron? Dieser forcierte Materialismus, der die gesamte Kriegspoesie Hernández’ charakterisiert, hat ihm auch Kritik von Freunden eingebracht.36 Das Medium dafür ist jene Zeitschrift, die Hanno Ehrlicher in seinem Beitrag37 zurecht als das anspruchsvollste republikanische Druckwerk bezeichnet: Hora de España. Darin missbilligt der Dichter Manuel Altolaguirre die Passage mit dem Cid, der die Dreimotorflugzeuge wie Ähren vom Himmel mäht, als materialisierendes Delirium.38 Und wenig später wirft ihm der Maler und Schriftsteller Ramón Gaya vor, seine dichterische Begabung zu sorglos einzusetzen: Diese Unstimmigkeit zwischen Dichtung und Wahrheit ist die einzige Erklärung dafür, dass wir in seiner Dichtung neben einem Vers gleichsam in Ton und Geste eines Garcilaso eine Zeile wie aus einem Zeitungsbericht herausgenommen finden.39

Aitor L. Larrabide meint, diese Argumentation des Freundes hätte Miguel Hernández sicher missfallen.40 Selbst wenn das postulierte Heldentum inzwischen wie Männerkitsch anmutet, wirkt die Verdichtung von Erhabenem mit Alltäglichem aber immer noch modern. Ich bin überzeugt davon, dass Hernández bedacht mit einer avantgardistischen Ästhetik formbewusster Gegenwelten, wie sie etwa die Generación 27 vertrat, bricht. In allen seinen Fronttexten reklamiert er emphatisch die existentialistische Transzendenz der einfachen Menschen, für die Dreschflegel und Gezeiten, aber im Krieg eben auch Lagerpost und Dreimotoren unumgängliche Wahrheiten darstellen. Guillermo Carneo führt in diesem Zusammenhang den Begriff der Authentizität ein.41 Und es stimmt, was Hernández hier besingt, das lebt er auch. Er hatte sich bereits zwei Monate nach Kriegsausbruch freiwillig zum fünften Regiment gemeldet. Nachdem er zunächst Schützengräben aushebt, gehört er bald der Kultureinheit an

36 Auch die wissenschaftliche Rezeption diskutiert bald schon die ausgeprägte Körpermetaphorik seiner Gedichte, etwa Chevallier 1977, S. 301; Le Bigot, 1977, S. 65; Salaün 1993, S. 437–438; Martín Gijón 2012. 37 Siehe S. 13ff. in diesem Band. 38 Altolaguirre 1937, S. 77. 39 »esta desunión entre poesía y verdad es lo único que explica que en sus poemas encontremos junto a un verso de tono y ademán casi a lo Garcilaso, un reglón como desprendido de una crónica periodística.« (Gaya 1938, S. 51). Prosatexte werden hier wie im gesamten Band im Lauftext als Übersetzung mit dem Original in Fußnote geführt. 40 Aitor L. Larrabide 2015, S. 102. 41 Carneo 2013, S. 4.

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und ist für Front-Flugblätter, Bibliothek, Lesungen sowie Alphabetisierungsprogramme verantwortlich. Wenngleich eine Gleichsetzung des lyrischen Ichs mit der Person des Autors unzulässig ist, bedingt die Ausnahmesituation des Krieges hier doch eine Art von Beglaubigung, denn die Verse wurden nicht nur vom Soldatendichter42 geschrieben, er hat sie den Kämpfern an der Front auch vorgetragen. Gleichzeitig erweisen sich Referenzen auf die Biographie im Falle Hernández’ aber als ambivalenter Zugang, führen sie doch manchmal zur Geringschätzung seines Werks. Denn mit dem Wissen um seine rurale Herkunft und um seine mangelnde formale Bildung wird Hernández’ Absage an reines Formbemühen nur allzu leicht als naiv-militante Propagandaübung diffamiert. Der Gestus des erhobenen Zeigefingers zeitgenössischer Dichterkollegen scheint auch den kubanischen Schriftsteller Juan Marinello gestört zu haben: Als ich Miguel Hernández in Spanien kennenlernte, in den Tagen von Quiorna y Brunete, begegnete mir mehr als einmal der alarmistische Gestus irgendeines jungen Herren der Literatur, der nur deshalb auf jener Seite war, weil ihn die Wellen des Flusses auf das linke Ufer geworfen hatten. Für sie […] konnte der Dichter Miguel Hernández nicht weit kommen, denn er hatte zu viel Erde an den Füßen. Ein Bauer durfte mit seinen Zornsalven nicht im Salon der spanischen Lyrik, in dem jede noch so hinterlistige Formel ihren bestimmten Ort hatte, Unordnung stiften.43

Einige Selbstaussagen Hernández’ belegen, dass er nicht beliebige Gebrauchsverse für den Korpsgeist seiner Kameraden reimte, sondern dass der Bruch, den der Bürgerkrieg für sein Leben und sein Spanienbild bedeutete, mit einer Ruptur seiner ästhetischen Überzeugungen einherging: »Man muss die Kunst dorthin erheben, wohin sie der Krieg befiehlt«.44 Der Bruch war für ihn nicht nur traumatisches Erlebnis, sondern auch Aufbruch. Dahinter stand die Hoffnung auf eine neue Gesellschaftsordnung, in der Menschen seiner bescheidenen Herkunft Anteil am politischen und kulturellen Leben hätten und auch entsprechend symbolisch repräsentiert wären. Die Repräsentation eines anderen Spaniens ist mit jenem bildungsbürgerlich-manierierten Stil, den Ortega y Gasset auf die Formel der deshumanización – Entmenschlichung zugunsten einer »reinen«, nicht referentiellen Kunst – bringt, nicht einholbar. Hernández verzichtet aber keineswegs auf avantgardistische 42 Zu der Klassifizierung von Hernández als ›poeta soldado‹ siehe z.B. Martín 2010. 43 »Cuando conocí a Miguel Hernández en España, en los días de Quiorna y Brunete, tropecé más de una vez con el gesto alarmado de algún señorito de la Literatura que estaba del lado de acá sólo porque la crecida del río lo había lanzado sobre la orilla izquierda. Para ellos [...] el poeta Miguel Hernández no podía ir muy lejos porque tenía demasiada tierra en los pies. Un campesino no debía intentar, con sus ráfagas broncas, el desorden del salón de la lírica española en que cada alevosa gala tenía señalado su lugar.« (Marinello 2009, S. 60 zit. nach Larrabide 2015, S. 103). 44 »Hay que ascender las artes hacia donde ordena la guerra.« (Hernández 1992, S. 2235).

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Innovation. Gerade die Kontamination der bukolischen Landschaft mit profanen Alltagsgeräten und die dynamische Syntax zeugen von Formbewusstsein, das eine intensive Auseinandersetzung mit der europäischen Moderne offenbart. Gleichzeitig hält Hernández an der populären Ausdrucksform der Romanze auch dann noch fest, als im Freundeskreis die Präferenz anderer Gattungen diskutiert wurde. Nach der Kompilation des Romancero de la Guerra hielten viele Intellektuelle die Gattung für ausgereizt. Die Sammlung entstand nach einem Aufruf der Alianza de Intelectuales para la Defensa de la Cultura in ihrem Parteiorgan Mono Azul, die Frontsoldaten mögen der Redaktion eigene Gedichte zuschicken, was in den Erinnerungen einer Initiatorin, María Teresa León, alle Erwartungen übertraf: In kurzer Zeit sind so viele eingegangen, dass beschlossen wurde, den Romancero des Bürgerkriegs zu publizieren. Wir widmeten ihn Federico García Lorca [...]. Jenes schnelle Zeugnis, fast simultan zu den Ereignissen, wurde in einem Band vereint, ausgewählt aus den mehr als dreihundert bei der Redaktion eingelangten.45

Lorca war nicht nur eines der ersten Opfer unter den republikanischen Intellektuellen, er hatte mit seinem Romancero gitano die Gattung auch für Hernández richtungsweisend aktualisiert: Verbindung von Tradition und Innovation sowie die Einbeziehung profaner Lebenswelten. Und neben Lorca hatte auch Antonio Machado mit Tierra de Alvargonzález die mittelalterliche Romanze belebt, jener republikanische Intellektuelle also, der ungewollt zu deren Emblem wurde und der ganz im Sinne von Hernández eine »ética de la estética«46 forderte. Beiden, Hernández und Machado, geht es um jene Politisierung der Ästhetik, die Benjamin einer faschistischen Ästhetisierung von Politik gegenüberstellt. Propaganda bedeutet dabei Erziehung der Massen zur Selbstermächtigung und zur adäquaten symbolischen Form. Das ist der gemeinsame Nenner engagierter Ästhetik. Und darin offenbart sich auch der Unterschied zwischen franquistischer und republikanischer Propaganda: Für die Franquisten verkörpert der Cid den Kampf gegen eine linke Ideologie, welche scheinbar ewige Werte infrage stellt, Werte, die sich der Geschichte entziehen (por encima de la historia).47 Demgegenüber reklamiert die Linke einen Cid, welcher der von Aristokratie und Klerus postulierten Hierarchie, die im Krieg mit Hilfe ausländischer Aggressoren wiederhergestellt werden soll, entgegentritt. Nationale Einheit wird hier gegen 45 »Al poco tiempo [...] se habían recibido tantos que se decidió publicar el Romancero de la Guerra Civil. Se lo dedicamos a Federico García Lorca. [...] Ese testimonio rápido, casi simultáneo a los hechos, se reunió en un volumen, seleccionado entre los más de trescientos que había recibido la dirección.« (Leon 1990, S. 157.) Zu dieser wichtigen republikanischen Intellektuellen siehe den Beitrag von Amanda Hinteregger in diesem Band, S. 79ff. 46 Diese Forderung macht er interessanterweise auch am Cid fest, den er als den protobürgerlichen Kämpfer gegen eine sklerotische Aristokratie beansprucht. Vgl. dazu Machado 1937, S. 11–19. 47 Monleón 1979, S. 97.

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Klassendistinktion ausgespielt, was angesichts der internationalen Ausrichtung linker Politiken durchaus nicht unproblematisch war. Dass republikanische Intellektuelle diese Spannung reflektierten und dabei auch individuelle Unterschiede keineswegs nivellieren wollten, bezeugt der Beitrag der Delegation der Alianza zum II. internationalen Schriftstellerkongress in Valencia: Wir sind verschieden, und in unserer Funktion als Schriftsteller und Künstler streben wir danach, es immer mehr zu sein; aber vorweg haben wir etwas gemeinsam: die spanische Revolution, die aus Gründen historischer Koinzidenz entsteht und sich zeitgleich mit unserem eigenen Leben entwickelt. […] Diese Epoche […] ist einerseits jene der Kommentatoren und Reinen; andererseits jene eines wirren Revolutionismus. Es gab keine gemeinsamen Lösungen; jene, die dabei die Kultur befriedigten, negierten die Vitalität, und umgekehrt. Im Volk sahen wir den Impuls; aber eben nur den Impuls und das halten wir für unzureichend. […] Eine Reihe von Widersprüchen quälte uns. Das Reine, als das Antihumane, konnte uns im Grunde nicht befriedigen, das Revolutionäre, in seiner Form, bot lediglich schwache Zeichen einer Propaganda, deren soziale Notwendigkeit wir nicht verstanden und deren inhaltliche Einfältigkeit uns nicht reichen konnte. So verfluchten wir einerseits den Ästhetizismus, andererseits konnten wir das absolute Fehlen von Ästhetik, die sich uns als einzige Möglichkeit bot, nicht ertragen.48

Miguel Hernández ist einer der Unterzeichner dieses Manifests, und zwar der einzige, der nicht dem Bürgertum entstammt. Der Text ist eine Poetik der Kriegsliteratur, er ist aber auch ein Vermächtnis des Dichters, der 31-jährig im faschistischen Gefangenenlager verstarb. Die franquistische Seite siegte, aber ihre klassizistische Dichtung ist heute weitgehend vergessen. Vielleicht ist es angesichts neuer breitenwirksamer Kommunikationstechnologien an der Zeit, sich die Frage einer ästhetischen Bildung der Massen trotz des Scheiterns linker Staatsformen neu zu stellen.

48 »Somos distintos, y aspiramos a serlo cada vez más, en función de nuestra condición de escritores y artistas; pero tenemos de antemano algo en común: la revolución española, que por razones de coincidencia histórica nace y se desarrolla simultáneamente con nuestra propia vida. […] Ese período […] es, por un lado, el de los comentaristas y los puros; por otro, el de un confuso revolucionarismo. No había soluciones comunes; las que satisfacían por entonces la cultura, negaban la vitalidad, y a la inversa. En el pueblo veíamos el impulso; pero solamente el impulso, y éste creíamos que no bastaba. […] Una serie de contradicciones nos atormentaba. Lo puro, por antihumano, no podía satisfacernos en el fondo; lo revolucionario, en la forma, nos ofrecía tan sólo débiles signos de una propaganda cuya necesidad social no comprendíamos y cuya simpleza de contenido no podía bastarnos. […] De manera que, por un lado, habíamos abominado del esteticismo; mas por otro no podíamos soportar la ausencia absoluta de estética que se nos brindaba como única posibilidad.« (Ponencia colectiva, abgedruckt in der Zeitschrift Hora de España, 8/1937, S. 83–95).

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Marlen Bidwell-Steiner

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Javier Muñoz Soro (Madrid)

Antonio Machado: ein Dichter im Krieg Spaniens und der politische Umgang mit seinem Andenken

Der gerettete Dichter Heute erscheinen uns Kriege von Grund auf als unmenschlich. Und doch war ihre Rhetorik historisch oft humanistisch, im Namen eines »neuen Menschen«, einer spirituellen Wiedergeburt, einer besetzten Heimat, die überfallen worden war, und anderer moralischer Werte, die als heilig galten. Antonio Machado legte dies seinem Protagonisten Juan de Mairena in den Mund: Wenn die Menschen zu den Waffen greifen, endet die Mission der Rhetorik. Denn es geht nicht mehr darum zu überzeugen, sondern zu siegen und den Gegner zu schlagen. Dennoch gibt es keinen Krieg ohne Rhetorik. Und die Kriegsrhetorik zeichnet sich dadurch aus, dass sie für beide Kriegsführenden die gleiche ist, so als ob die beiden die gleiche Gesinnung teilten und über die gleichen Wahrheiten eine Übereinstimmung erzielt hätten.1

Die Metaphern des keltiberischen Numantia, das Widerstand gegen die römischen Legionen leistete, oder jene des Unabhängigkeitskrieges von 1808 gegen die Franzosen, dienten beiden Parteien gleichermaßen.2 Machado glaubte, dass man »Faschist sein könne, ohne deshalb aufzuhören Spanier zu sein«3, jedoch keinesfalls dürfe man »das Territorium oder etwa das Schicksal Spaniens an das imperialistische Bestreben des faschistischen Italiens oder des deutschen Rassismus aushändigen.« Genau dieser »Überfall auf die Heimat« überzeugte Machado

1 Cuando los hombres acuden a las armas, la retórica ha terminado su misión. Porque ya no se trata de convencer, sino de vencer y abatir al adversario. Sin embargo, no hay guerra sin retórica. Y lo característico de la retórica guerrera consiste en ser ella la misma para los dos beligerantes, como si ambos comulgasen en las mismas razones y hubiesen llegado a un previo acuerdo sobre las mismas verdades.« (Antonio Machado: Consejos, sentencias y donaires de Juan de Mairena y de su maestro Abel Martín«, Hora de España, Valencia, enero de 1937/1, S. 8–9). Übersetzung M.S. 2 Xosé M. Núñez Seixas, ¡Fuera el invasor! Nacionalismos y movilización bélica durante la guerra civil española (1936–1939), Madrid, Marcial Pons, 2006. 3 »ser fascista sin por ello dejar de ser español«. (Machado 1983, S. 296).

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davon, von einem »Beobachter der Politik« zu einem »leidenschaftlichen Akteur«4 zu werden; mit anderen Worten: sich zu engagieren. Als deklarierter Gegner neobarocker Dichtung, wie sie von der später so genannten generación del 27 (»Generation von 1927«) ausging; der Distanzierung von gelebter Realität, wie sie von den Avantgarden betrieben wurde; der Entmenschlichung der Kunst, über die bereits Ortega y Gasset5 geschrieben hatte, folgten Machados Reflexionen auch während des Krieges einem tiefen philosophischen Humanismus, ohne jedoch auf Paradox und Ironie zu verzichten. Tatsächlich vertraute er darauf, dass der Krieg »unsere besten Dichter vom Fetischismus der Bilder« und einer gewissen »ästhetischen Frivolität« fernhalten werde, um ihnen ein von »Vernunft und Menschlichkeit« geprägtes Thema näherzubringen. So könne die Dichtkunst den Krieg humanisieren, »im besten Sinne des Wortes humanisieren, womit ich meine, dass er dem Kampf zwischen den Menschen humane Motive verleiht.«6 Machado selbst interpretierte den Konflikt mit ethischen Begriffen, ausgehend von einem im Christentum verwurzelten Humanismus und von einem nationalen Regenerationismus (regeneracionismo) der sogenannten generación del 98, welcher in Spanien zur Krise der Jahrhundertwende aufgekommen war. Weit entfernt vom Zerrbild der Republik als »Gegen-Spanien«, das die Aufständischen predigten, bezog Machados Humanismus auch die Feinde mit ein, da sie »mit all ihren Fehlern und all ihren Sünden doch Spanier waren.« Ein Band, das »nicht einmal der unerbittlichste Bürgerkrieg« trennen könne7. Unter diesen anderen Spaniern fand sich sein eigener Bruder Manuel, der zu dieser Zeit eine ganz andere Poesie betrieb, einen schwülstigen und manierierten Klassizismus, jedoch mit einem nicht weniger humanistischen Anspruch. Dies verdeutlicht beispielsweise seine Oración a José Antonio Primo de Rivera. Dieses Gebet an den Gründer der Falange, der faschistischen Partei Spaniens, der in der republikanischen Zone hingerichtet worden war, begann folgendermaßen: »José Antonio, Meister! […] Auf welchem Gestirn, auf welcher Sonne, auf welchem Wanderstern hältst du Wache? Wenn ich in das himmlische Gewölbe blicke, erwarte ich deine Antwort«8. Auch Antonio Machado machte Propaganda, etwa in 4 »entregar el territorio y los destinos de España a la codicia imperialista del fascio italiano o del racismo alemán«, »invasión de mi patria«, »un espectador de la política«, »actor apasionado« (Machado 1983, S. 296). 5 José Ortega y Gasset, 2005, Band III, S. 909–916. 6 »a nuestros mejores poetas del fetichismo de las imágenes« ,«frivolidad estética«, »racional y humano«, »en el mejor sentido del vocablo humanizar, quiero decir que da motivos humanos a la lucha entre los hombres«. (Machado 1983, S. 193). 7 »con todos sus yerros, con todos sus pecados, eran españoles«, »ni con la más enconada guerra civil«. (Machado 1983, S. 295). 8 » José Antonio, ¡Maestro!... ¿En qué lucero, en qué sol, en qué estrella peregrina montas la guardia? Cuando a la divina bóveda miro, tu respuesta espero«. (Rodríguez Puértolas 2008, S. 166).

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jenen während des Krieges meistrezipierten Versen seiner gesamten literarischen Produktion, die er dem Kommandanten Enrique Líster widmete, dem kommunistischen Anführer der Truppen am Ebro: »Wenn meine Feder so viel vermöge wie deine Pistole, würde ich zufrieden sterben«.9 In diesen und anderen Schriften ließ sich Machado von der politischen Leidenschaft des Moments anstecken. Darauf wies Jahre später auch Juan Ramón Jiménez hin, als er diejenigen kritisierte, die das gesamte frühere Werk Machados im Lichte seiner dogmatischsten und banalsten Verse interpretierten.10 Aber seine Kritiker taten ihm Unrecht, da Machado seinen inneren moralischen Konflikt angesichts eines unerwünschten und von anderen ausgelösten Krieges sogar innerhalb der klaren Grenzen seiner Prosa Juan de Mairena reflektierte. Angesichts einer solchen Katastrophe durfte sich der Intellektuelle nicht heraushalten, sondern musste jeglichen Elitismus und Solipsismus aufgeben, um sich auf Seiten der Besten den Umständen zu stellen. Gemeint ist das Volk, jene antifaschistischen Milizionäre, die gegenüber den Verrätern, die den Krieg angezettelt haben, die Volksseele vertreten. Machado, der während des Ersten Weltkrieges ein pro-alliiertes Manifest unterzeichnet hatte11, wollte – in Anlehnung an den berühmten Text von Romain Rolland – nicht »Au-dessus de la mêlée« (»Über den Schlachten«) sein, und glaubte, dass ein Friede um jeden Preis absurd sei angesichts des unausweichlichen moralischen Dilemmas, dass man entweder nur untätig zuschauen oder für die Wahrheit und Gerechtigkeit kämpfen konnte. Obwohl Machados Bild der »dos Españas« (»zwei Spanien«) bis zum Überdruss verwendet wurde, führte ihn dieses Dilemma weder zur Äquidistanz, noch hielt er jenes »tercera España« (»drittes Spanien«) für möglich, von dem bereits andere gesprochen hatten. Er täuschte sich nicht, wenn er dessen Verschwinden mit dem Triumph des Faschismus vorhersah. Auch Julien Benda hatte bestätigt, dass die Mystik des Friedens fast so schädlich sei wie jene des Krieges, denn sie relativiere den Gerechtigkeitssinn und hebe den Angreifer und den Angegriffenen auf dieselbe Ebene. Dies schrieb er 1927 in seinem berühmten Pamphlet La trahison de clercs, in dem er den Verrat der Intellektuellen anklagte, weil sie im Namen der Verherrlichung von Politik und Nation auf die universelle Wahrheit verzichtet hatten. Zehn Jahre später, im Jahre 1937, nahm Benda am Segundo Congreso Internacional de Escritores para la Defensa de la Cultura teil, der in Valencia, der nunmehrigen Hauptstadt der spanischen Republik, abgehalten wurde. In ihrem gemeinsamen Kongressbeitrag definierten die spanischen Intellektuellen Humanismus »als Versuch, dem 9 »Si mi pluma valiera tu pistola de capitán, contento moriría«-. »A Líster, Jefe en los ejércitos del Ebro«, Hora de España, 1938/18, S. 222–223). 10 »Historias de España y Méjico. Un enredador enredado«. (zitiert in Gullón 1964, S. 87). 11 Fuentes Codera 2014.

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Menschen das Bewusstsein seines Wertes wiederzugeben und die moderne Zivilisation von der kapitalistischen Barbarei zu reinigen.«12 Aber Machado war weit davon entfernt sich als Marxist zu bezeichnen, denn er hielt den historischen Materialismus für grauenvollen ökonomistischen Reduktionismus. Machados Humanismus war republikanisch und sozialistisch, auf der Basis von Freiheit und Menschenwürde. Tatsächlich hätten sich dieser Definition des Humanismus wohl auch Intellektuelle verschrieben, die sich auf dem ideologischen Gegenpol situierten, wie etwa die Falangisten. Diese hätten freilich eine religiöse Referenz hinzugefügt, die den Menschen als Gefäß »ewiger«, mit jenen des Katholizismus identifizierbarer Werte begreift. Im Namen des Humanismus gab es jedenfalls nach Machados Tod in Collioure im Februar 1939 einen frühen Versuch seiner Vereinnahmung vonseiten faschistischer Intellektueller rund um die Zeitschrift Escorial. Eine paradoxe Rettungsaktion in Anbetracht der Bitterkeit, die der neue Staat bei der Verfolgung des Dichters an den Tag legte. So wurde Machado etwa im Mai 1941, obwohl schon mehr als zwei Jahre lang tot, definitiv aus dem Dienst als Gymnasiallehrer entlassen, und zwar mit Einverständnis eines anderen Dichters: José María Pemán.13 Der hervorragendste jener falangistischen Dichter »der Führungsriege«, Dionisio Ridruejo, legte in seiner Funktion als Generaldelegierter für Propaganda auf Befehl von Innenminister Serrano Súñer im Escorial seinen Prolog zu den vollständigen Werken Antonio Machados vor. Ridruejo beschrieb ihn als leichtgläubigen Mann, ohne wahre politische Überzeugung, als einen provinziellen Dichter, der sich bis zum Schluss von kommunistischen Lügen blenden hatte lassen. Ridruejo begriff Machado als einen »Fall moralischer Entführung«, eines »propaganda-infiltrierten Propagandisten«, der »ein Feind war, ohne dass er es hätte sein müssen«14. Für jene intellektuellen Faschisten des »literarischen Hofes« von José Antonio (Primo de Rivera)15 war Machado der Nationaldichter schlechthin, der in Büchern wie Campos de Castilla die spanische Seele am besten widerspiegelte:

12 »como el intento de restituir al hombre la conciencia de su valor, de trabajar para limpiar la civilización moderna de la barbarie capitalista« (Francisco Caudet 1993, S. 254). 13 Die Tilgungsakte [expediente de depuración] über Machado wird wiedergegeben in Coy 1997, S. 290–291. 14 »secuestro moral«, el de un »propagandista propagandeado«, que »no debió de serlo, pero fue un enemigo«. (Ridruejo in Escorial 1940/1, S. 93–94). 15 Vgl. dazu Carbajosa y Carbajosa 2003.

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Der Dichter, der – zum ersten Mal in der spanischen Lyrik – zärtlich die Geographie und reale Landschaft Spaniens entdeckte und auch seine Ängste und seinen Ekel, und seine Seele als erhaben, transzendent, gefühlvoll, nackt und streng besang.16

Deshalb konnten sie sich nicht damit abfinden, Machado als »verbotenen und feindlichen« Dichter zu sehen. Sie mussten sich bemühen, »das zu retten, was unabhängig von Zeit und Umständen – auf ewig die Ehre und das Erbe Spaniens darstellte.«17 Dieser Wille, Intellektuelle verschiedener Herkunft in einem Projekt der nationalen Wiedervereinigung zu integrieren, drückte sich in faschistischen Begriffen aus und folgte einem bestimmten Modell: der Kulturpolitik des italienischen ventennio18. Darüber hinaus einte die Mitglieder der 98er-Generation wie Unamuno und Machado ihr essentialistischer Nationalismus und ihre Ontologie der kastilischen Landschaft, in den Worten von Marie-Aline Barrachina ihre »Liebe zu Spanien, die sich in der unerbittlichen Kritik der Gegenwart und der geduldigen Suche nach einer nationalen Essenz in der Vergangenheit offenbarte, was gänzlich auf einem hochgradig bewussten philosophischen Irrationalismus gründet«.19 In falangistischer Lesart distanzierte dieser kritische Regenerationismus und ihre Leidenschaft für Spanien die 98er-Generation vom Rationalismus der Institución Libre de Enseñanza und deren proeuropäischen und internationalistischen Allüren20. Pedro Laín Entralgo veröffentlichte 1945 seine Studie La generación del 98, in der Antonio Machado als Vorreiter der integrativen Mission der Falange präsentiert wurde und von nichts weniger als »der einzig möglichen Mission Spaniens mit dem Ziel einer Hispanisierung, einer genuin spanischen Neuschöpfung der Errungenschaften des modernen Menschen«21 die Rede war. Laín anerkannte das Verdienst jener Vorläufer der Jahrhundertwende, ihr stilistisches, ästhetisches und patriotisches Erbe, denn mit ihrer Kritik an der folkloristischen und volkstümlichen Rhetorik hätten sie die »so ersehnte Synthese Spaniens«22 initiiert, die nun mit ihnen, den falangistischen Enkelkindern und ihrer

16 »el poeta que tan tiernamente descubrió –por primera vez en verso castellano– su geografía y su paisaje real y que cantó su angustia y su náusea, su alma elevada, trascendente, amorosa y desnuda y severa« (Ridruejo 1940/1, S. 93–100). 17 »rescatar lo que más enteramente –por menos temporal y tocado de circunstancias– era honra y patrimonio de España« (Ridruejo 1940/1, S. 93–100). 18 Vgl. dazu Santos Juliá 2002, S. 4–23 und Santos Juliá 2004, S. 343. 19 »l’amour de l’Espagne, révélé à travers la critique implacable du présent et la recherche patiente de l’essence nationale dans le passé, le tout fondé sur un irrationalisme philosophique hautement revendiqué«. (Barrachina 1998, S. 121). 20 Mainer 1971, S. 19. 21 »una posible misión de España en la tarea de españolizar, de recrear a la española las creaciones del hombre moderno« (Laín Entralgo 1970, S. 273). 22 »esa tan esperada síntesis de España« (Laín Entralgo 1970, S. 273).

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Politik eines neuen Stils und einer neuen Strenge ihren Höhepunkt erreicht habe23. Trotzdem stieß dieses ambitionierte totalitäre Projekt der kulturellen Integration innerhalb wichtiger Sektoren des Regimes auf eine breite Front des Widerstands, die von der Kirche über die vereinte und bürokratisierte Falange bis zur Armee reichte. Ein faschistischer, antiliberaler und revolutionärer Nationalismus, der im Regenerationismus der Generation von 98 sein kulturelles Substrat hatte, stand einem nationalkatholischen, reaktionären und kontrarevolutionären Nationalismus gegenüber, welcher einen großen Teil vom säkularen Erbe des Vorkriegsliberalismus ausschloss. Artikulierte sich die erste Position über das Buch España como problema (»Spanien als Problem«, 1949) von Pedro Laín Entralgo als Auseinandersetzung mit dem Wesen und dem Problem Spaniens, so antwortete die zweite im selben Jahr mit dem Buch España, sin problema (»Spanien, ohne Problem«) von Rafael Calvo Serer, einem Intellektuellen des Opus Dei. Das totalitäre Projekt der kulturellen Integration Machados war in seiner Rhetorik parteiisch und eigennützig, und Ridruejo zensierte in seinem Prolog aus dem Jahr 1941 lange Passagen des Juan de Mairena, insbesondere jene, die sich religiösen und sozialen Fragen widmeten24. Erst mehr als drei Jahrzehnte später, nachdem er sich längst völlig vom Franquismus abgewandt hatte, wird Ridruejo schreiben: von außen und aus der Ferne betrachtet, musste das alles als Farce erscheinen, als falsches Zeugnis, als eine List berechnender Menschen, die dazugewinnen und mit dem Gewinn die Sache, der sie dienten und deren Kehrseite der Terror war, legitimieren wollten.25

Die zumindest relative Niederlage der falangistischen Intellektuellen bei ihrem Versuch, innerhalb der franquistischen Koalition die politische und kulturelle Vormacht einzunehmen, manifestierte sich zwischen 1941 und 1942 in der Absetzung von Serrano Súñer und 1945 im Zusammenbruch der Achse. Das bewog sie schließlich dazu, ihren militanten Diskurs aufzugeben und die Humani-

23 Gracia 2004, S. 226–227. Eine Interpretation des Faschismus als Synthese des säkularen Erbes findet sich in Griffin 2010. 24 Santonja 2000, S. 108–112. 25 Ridruejo 1976, S. 224. In seinem Buch Sombras y bultos (Barcelona, Destino, 1977) gab er auch schonungslos zu: »Als ich das Vorwort für Antonios Dichtung schrieb – womit ich seine Geheimhaltung für weiß Gott wie viele Jahre verhinderte – belegte ich ihn mit mehr als einer Dummheit: eine manichäische Sicht des Feindes, eine frivole Geringschätzung von Machado, dem Denker und Kritiker, eine Verzerrung der Beweggründe für seine Stellung«. (»Cuando yo escribí el prólogo para las poesías de Antonio –con lo que evitaba su ocultamiento para Dios sabe cuántos años– puse en él más de una tontería: visiones maniqueas del enemigo, subestimaciones frívolas del Machado pensador y crítico, deformaciones de la impulsión causal que lo puso donde había estado«, S. 35).

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sierung der Kunst gegen den Radikalismus der Avantgarde sowie die Universalität der Poesie als über den sozialen und historischen Gegebenheiten stehend zu verteidigen26. Daher rührt die Vereinnahmung des lyrischen Dichters der Soledades in den Cuadernos Hispanoamericanos, die von Laín Entralgo geleitet wurden. Anlässlich seines zehnten Todestages im Jahr 1949 wurde in dieser neuen Zeitschrift der Gruppierung der »echte, ursprüngliche und zu seinem wahren Sein erwachte Antonio Machado« verteidigt, während man die während des Bürgerkriegs entstandenen Werke als historischen Unfall zensierte. Doch diese gereinigte Version des falangistischen machadismo währte nicht lange. In derselben monographischen Ausgabe der Zeitschrift widersprachen zwei junge Dichter der Interpretation von Machado als intimistischen Dichter. Eugenio de Nora betrachtete ihn vielmehr als Wegbereiter »einer gänzlich volkstümlichen Dichtung«, während José María Valverde die Aufmerksamkeit auf die Qualität der Prosareflexionen des Juan de Mairena lenkte27. Ohne es zu wissen, befanden sich die beiden damit mit jenen Interpretationslinien im Einklang, die zu dieser Zeit auch im Exil vorherrschten.

Der Volksdichter Die Republik erkor Machado zu ihrem bedeutendsten Intellektuellen, und nach seinem Tod wandelten sich die Konturen seiner Legende allmählich von Autor zu Autor und von Epoche zu Epoche, jedoch immer innerhalb des epischen und tragischen Rahmens des Bürgerkrieges. In Mexiko, Frankreich oder Argentinien blieb die Stimme Machados für immer an die Erinnerungen des Bürgerkrieges geknüpft, an den Direktor der Casa de la Cultura de Valencia, an den Mitarbeiter der Zeitschrift Hora de España sowie an den Autor, der die Elegie an den in Granada ermordeten Federico García Lorca verfasst hatte. Machados Bild der »dos Españas«, eines siegreichen und eines besiegten Spaniens, wurde zu einem Identitätszeichen der Exilanten, zu einer symbolischen Form des fortdauernden Widerstands im Exil. »In dieser ungerechten, ungleichen und erzwungenen Rollenverteilung, fielen die Erzbischöfe auf die Seite der Harcas und die Dichter auf die Seite des Exodus«, sollte León Felipe in einem seiner frühen Gedichte schreiben, das dem Andenken Machados gewidmet war28. Ein vor allem kulturell motivier26 Iravedra 2001. 27 Nora: »Machado ante el futuro de la poesía lírica«, S. 583–592, und José María Valverde, »Evolución del sentido espiritual de la obra de Antonio Machado«, S. 399–414, in Cuadernos Hispanoamericanos 1949/11–12. 28 »En este reparto injusto, desigual y forzoso, del lado de las harcas cayeron los arzobispos y del lado del éxodo, los poetas« (León Felipe, Español del éxodo y del llanto, in Obras completas, 1963,

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ter Wille zum Widerstand führte zur Gründung von Institutionen wie der Junta de Cultura Española und des Verlags Séneca, welcher unter der Leitung von José Bergamín mit einem Projekt zur Neuauflage von Machados Gesamtwerk seinen Anfang nahm, was jedoch schließlich nicht umgesetzt werden konnte. Es war allerdings nicht so sehr Machados Werk, das begeisterte, sondern seine ethischen und humanen Werte sowie das Opfer, das er für das Volk erbracht hatte. So war es die volksnahste, heroischste und aufopferndste Interpretation Machados, die sich im Exil durchsetzte. Der Literaturkritiker und Philologe Guillermo de Torre schrieb im Jahr 1948 in seinem Tríptico del sacrificio über das Beispiel Machados: »Der Autor des Sonetts an Líster hat nicht einmal in dieser Dichtung Propaganda gemacht; in seinen Versen betrieb er keine soziale Predigt oder ähnliches. Er machte Poesie, ›die sich den Umständen stellte‹, nicht mehr und nicht weniger.« Aus seinem Leben und aus seinem Werk wurden literarische, ethische und politische Lehren gezogen, denn jene »vermeintliche Willkürlichkeit, die der Lyrik zugeschrieben wird, entbehrt jeder Grundlage, wenn sie authentisch und aus vitaler Substanz gemacht ist.«29 Diese Feststellung stand am Anfang dessen, was bald als »poesía social« bekannt werden sollte. Aber auch unter den exilierten Dichtern fanden sich solche, die dieses vereinfachte Bild von Machado nicht teilten. So etwa der Nobelpreisträger des Jahres 1956, Juan Ramón Jiménez, oder Jorge Guillén, der seine Kanonisierung als Laienheiliger kritisierte, als »Mythos eines San Antonio de Colliure (sic!), der, parallel zu jenem von Padua, dabei hilft die verlorene Inspiration zu finden«30. Und dennoch wurde der Mythos um Antonio Machado im Exil von allen Parteien und allen Kulturpolitikern geteilt. In der Bearbeitung seiner Legende stachen bald die Kommunisten heraus, die Machado in heroischen Tönen verherrlichten, welche seiner Persönlichkeit nur mit Mühe entsprachen. Diese Bestrebungen gingen mit einer neuen Annäherungspolitik an jene innerspanischen »Kulturkräfte« einher, die darauf abzielte, junge Akademikern und intellektuelle Dissidenten anzulocken31. In ihrer »Mensaje a los intelectuales patriotas« (»Botschaft an die patriotischen Intellektuellen«) vom April 1954 präsentierte sich die kommunistische Partei Spaniens als »die Partei von Miguel Hernández, der

S. 169. In diesem Fall, ist »harca« eine abwertende Anspielung auf die aufständischen Soldaten von 1936 [ursprünglich wurden die nordafrikanischen Söldnertruppen Francos so genannt, Anm. der Übersetzerin]. 29 »El autor del soneto a Líster no ha hecho, ni siquiera en esa poesía, obra de propaganda; no ha hecho prédica social en verso ni cosa parecida. Hacía poesía ›a la altura de las circunstancias‹, nada más y nada menos que eso«; »la supuesta gratuidad atribuida a la lírica cae por su base cuando ésta es auténtica, cuando está hecha de sustancia vital. « (de Torre 1948, S. 92). 30 »el mito de un San Antonio de Colliure (sic), que ayuda a encontrar, paralelo al de Padua, la inspiración perdida« (Guillén 1973 zitiert in Olivio Jiménez 1979, S. 27). 31 Siehe Muñoz Soro 2008, S. 201–221.

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letzten Lebens- und Arbeitsjahre von Antonio Machado und als Partei von Pablo Picasso.«32 Eben dieser PCE organisierte am 22. Februar 1959 in Collioure unter der Berichterstattung eines Komitees von Intellektuellen wie Louis Aragon, Jean Paul Sartre, Marguerite Duras oder Simone de Beauvoir eine Würdigung Machados, für die Picasso mit der Anfertigung einer Grafik beauftragt wurde. Der Akt wurde zum Vorwand für eine Wiederannäherung zwischen dem Exil und der innerspanischen Opposition, unter Anwesenheit des Schriftstellers Jorge Semprún. Zu diesem Anlass fanden sich aus Spanien junge Schriftsteller ein, unter anderem Blas de Otero, Caballero Bonald, José Ángel Valente, José Agustín und Juan Goytisolo, Jaime Gil de Biedma, Carlos Barral und Josep María Castellet. Während der Zeremonie erklärte der republikanische Ex-Botschafter von London, Pablo de Azcárate, die Grenze zwischen den »zwei Spanien« für aufgehoben. Es handelte sich um einen generationenübergreifenden Festakt und mit der Anthologie Veinte años de poesía española sowie der poetischen Verlagsreihe Collioure, beide von Josep María Castellet gefördert, um den Ausgangspunkt eines größeren politisch-literarischen Unterfangens. Auf diese Weise wandelte sich die Person Antonio Machados zu einem Symbol des Widerstandes gegen die franquistische Diktatur und zu einem Ort der Begegnung zwischen Exil und Heimatland. Denn auch innerhalb Spaniens galt das Andenken an Machado als Bezugspunkt für die sozialen Unruhen von Studierenden, die in den franquistischen Organisationen aufgewachsen waren. Jene Jugendlichen, die an der Würdigung in Frankreich teilnahmen, hatten kurz davor in Zeitschriften der regimenahen falangistischen Jugend - insbesondere in jenen des Sindicato Español Universitario (SEU) (»studentische spanische Gewerkschaft«), wie beispielsweise La Hora und Acento Cultural in Madrid oder Laye in Barcelona - Machado rehabilitiert. Paradoxerweise erschienen seine Zitate neben solchen von José Antonio, denn, wie Laín Entralgo 1955 während der Würdigung des kürzlich verstorbenen Ortega y Gasset bekräftigte: ein für uns ideales Spanien ist jenes, in dem, geschützt von der Wahrheit Christi, der Geist des Heiligen Thomas mit dem Geist von Ortega y Gasset zusammenleben könnte, um denjenigen zu nennen, den wir gerade verabschieden; der Geist Vater Arinteros mit dem von Antonio Machado, jener des Heiligen Ignatius mit dem von Unamuno und jener von Menéndez Pelayo mit dem von Ramón y Cajal.33

32 »el partido de Miguel Hernández, el de los últimos años de vida y trabajo de Antonio Machado, el partido de Pablo Picasso« (Aubert 1990, S. 5–51). 33 »una España ideal para nosotros, es aquella en que, amparada por la verdad de Cristo, pudiera convivir el espíritu de Santo Tomás con el de Ortega y Gasset, por citar el que ahora festejamos; el del Padre Arintero, con el de Antonio Machado; el de San Ignacio, con el de Unamuno, y el de

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Es war der Schwanengesang des alten falangistischen Projekts einer kulturellen und politischen Synthese, nämlich jener von den falangistischen Intellektuellen geförderten »Integration von allem in das nationale Leben, was geistig oder seelisch wertvoll ist«34. Dieses Projekt wurde ab 1951 unter der Schirmherrschaft von Joaquín Ruiz Giménez im Bildungsministerium wiederbelebt. Seine Einstellung im Jahr 1956 markierte nicht nur das abrupte Ende dieses Experiments, sondern auch den Ausgangspunkt einer immer weiter um sich greifenden Abwanderung von Intellektuellen aus den franquistischen Jugendorganisationen hin zum Antifranquismus. Trotzdem versuchte das Regime diesem Bild von Machado entgegenzuwirken und sich einstweilen mit dem Prestige, das jener unter den neuen Generationen erlangt hatte, zu legitimieren. So organisierte die Regierung anlässlich Machados zwanzigstem Todestag Hommagen in Segovia und Soria. In diesen Jahren versuchte die spanische Regierung, die sterblichen Reste des Dichters nach Spanien zu bringen, ein Vorhaben, das aufgrund der Opposition seines einzigen überlebenden Bruders, José Machado, und des Hispanisten Marcel Bataillon scheiterte35. Wie schrieb Gloria Fuertes stimmig: »Und sogar deine Feinde/ rezitieren heute Machado.«36

Der Dichter der Versöhnung In den Neunzehnsechziger Jahren verkörperte Antonio Machado weiterhin das erneuerte Ansehen eines politisch engagierten Intellektuellen, auch wenn sein Mythos nun der systematischen Infragestellung von Seiten der jungen Rebellen der neuen revolutionären Linken nicht entging, welche sie dem gesamten kulturellen Erbe einschließlich jenem des Exils zuteilwerden ließen. Eduardo García Rico wies etwa in der Zeitschrift Triunfo, einer Ikone fortschrittlicher antifranquistischer Kultur, auf die Unzulänglichkeit in Machados Denken hin, da er sich dem Marxismus nicht voll angeschlossen hätte37. Der exilierte Historiker Manuel Tuñón de Lara lieferte in seinem Buch Antonio Machado, poeta del pueblo (»Antonio Machado, Volksdichter«, 1967) die elaborierteste und einflussreichste marxistische Interpretation des Dichters als jemand, »der von einem republikanischen, kleinbürgerlichen Intellektuellen zu

Menéndez Pelayo con el de Ramón y Cajal« (Rede von Laín Entralgo in der Zeitung Ya, 19/11/1955, S. 4). 34 »de integración, de todo lo que sea valioso, intelectual o afectivamente, en la vida nacional« (Rede von Ruiz-Giménez anlässlich der Amtsübernahme, zitiert in García Escudero 1987, S. 250). 35 Muñoz Soro 2013, S. 123–145. 36 »¡Y hasta tus enemigos / hoy recitan Machado!« (»Tarjeta postal para Antonio Machado«, in VVAA, Versos para Antonio Machado, París, Ruedo Ibérico, 1962, S. 57–58. 37 Triunfo, 292 (6/01/1968), S. 5 (zitiert in Plata 1999, S. 89).

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einem Dichter und Schriftsteller wurde, der, ideologisch gesprochen, sein Brot mit täglicher Arbeit verdiente.«38 Auch der in Paris exilierte Anarchist José Martínez nutzte den Mythos um Machado für sein Abenteuer des Verlags Ruedo Ibérico, indem er den Preis Premio Antonio Machado für Romane und Dichtung etabliert hatte. Während dieser Jahre erreichte die Literatur Antonio Machados dank populärer Ausgaben seiner Bücher und seines Gesamtwerkes, das von Guillermo de Torre für den argentinischen Verlag Losada im Jahr 1964 verwirklicht wurde, so viele Menschen wie nie zuvor. Außerdem erstellte Aurora de Albornoz für den Verlag Edicusa die seit 1970 bis heute wichtigste publizierte Anthologie innerhalb Spaniens. Das bedeutet jedoch nicht, dass die franquistische Zensur ihre Aktivitäten eingestellt hätte. Seit den fünfziger Jahren hatte das Regime die Publikation einiger der politischsten Werke Machados genehmigt, besonders den seit 1939 verbotenen Juan de Mairena, allerdings »mit Beschränkung der Ausstellung und Anpreisung des Werkes, das weder in Schaufenstern gezeigt noch außerhalb des Katalogs beworben werden durfte«39. Noch im Jahr 1970 wurde die Unterdrückung »einiger verschleierter oder kurzer Anspielungen an die Republik« und an »unseren Bürgerkrieg« sowie der Gesamttext Los milicianos de 1936 veranlasst; außerdem Begriffe wie »Militärrevolte« oder »Ermordung« in Bezug auf den Tod Federico García Lorcas in Granada und das »Spanien des Hasses, des Fanatismus und des Grolls« in Bezug auf die Erschießung von Leopoldo Alas, Rektor der Universität von Oviedo und Sohn des Autors von La Regenta. Sogar trotz dieser Modifikationen verweigerte das Ministerium für Information und Fremdenverkehr im Jahr 1972 die Publikation und entschied sich für administratives Schweigen, um die kontraproduktive Wirkung, die eine Veröffentlichung einer expliziten Ablehnung nach sich ziehen hätte können, zu vermeiden.40 38 »pasó de ser el intelectual republicano pequeñoburgués a ser el poeta y el escritor, ideológicamente hablando, de los que ganan su pan con el trabajo diario« (Tuñón De Lara 1967, S. 71). 39 »limitando la exhibición y publicidad de la misma, la cual no podrá ser destacada en los escaparates ni anunciada fuera de catálogo« (Bericht der Generaldirektion für Propaganda an Espasa-Calpe, 9 Oktober 1951, Generalarchiv der Administration (AGA), Alcalá de Henares, Kulturfonds, Akte 21/06392). 40 »Es kann nicht durchgehen, dass man von den Milizionären mit ihrer authentischen Verbrechermiene sagt, sie hätten aufgrund der noblen Würde ihres Antlitzes das Aussehen von Hauptmännern, noch, dass man behauptet, dass die jesuitische Erziehung tief anti-christlich und vollkommen anti-spanisch sei«. (»No puede consentirse que se diga de los milicianos –con auténtica cara de facinerosos– que tenían aspecto de capitanes, por el noble señorío de sus rostros, ni que se afirme que la educación jesuítica es profundamente anticristiana y perfectamente antiespañola, Dossier 3240 vom 3.07.1958, S. 108–109). »Wenn die betreffenden Texte auch erheblich gereinigt wurden, enthalten sie dennoch weiterhin Anspielungen an unseren Bürgerkrieg, genauso wie an die Denkweise des Autors (…). Abschließend befinde ich, dass das Werk nicht zu veröffentlichen, sondern dem administratives Schweigen zu überlassen ist«. (»Si bien los indicados textos están bastante expurgados, no por eso dejan de existir alusiones a nuestra guerra civil, así como la forma

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Zugleich verzichtete das Regime jedoch nicht darauf, sich des Andenkens Machados zu bemächtigen oder zumindest zu vermeiden, dass dieses definitiv mit der antifranquistischen Bewegung assoziiert würde. So wurde etwa 1966 in Baeza die Einweihungsfeier zu einer vom Bildhauer Pablo Serrano geschaffenen Büste des Dichters verboten. Die Zeremonie endete mit dem Eingreifen der Polizei, mehreren Verhaftungen und Geldstrafen, die sich auf ungefähr drei Millionen Peseten beliefen. Diese Schulden konnten nur dank einer Gemäldeversteigerung in Paris bezahlt werden, für die KünstlerInnen wie Picasso, Miró, Calder, Max Ernst, Sartre oder Simone de Beauvoir Bilder und Manuskripte zur Verfügung stellten. Währenddessen führte man im Ministerium für Information und Fremdenverkehr unter der Leitung von Manuel Fraga die Bestrebungen, Machados Gebeine in die Heimat zurückzubringen, mit denselben bescheidenen Resultaten fort. Als sich das Ende der Diktatur abzeichnete und obwohl sie ihren repressiven Charakter beibehielt, wandelte sich vonseiten des Antifranquismus die politische Lesart von Machados Werk von einem Symbol der Konfrontation in ein Symbol der Versöhnung. Der Historiker Tuñón de Lara hatte schon zuvor in Machado einen Vorreiter der »absoluten Dringlichkeit unserer Zeit, der des Dialogs« gesehen. Diese Idee greifen fortschrittliche Intellektuelle wie der Dichter Ángel González, der Priester José M. González Ruiz, der sozialistische Jurist Elías Díaz oder der katholischen Soziologe und Kommunist Alfonso C. Comín in den Cuadernos para el Diálogo, einer weiteren dissidenten Zeitschrift, auf.41 Der Diskurs über den »Dichter der Versöhnung« zog die Reaktivierung jenes der »zwei Spanien« unvermeidbar nach sich, die von Liedermachern wie Joan Manuel Serrat und Paco Ibáñez verbreitet wurden, wie in den berühmten Versen »Españolito que vienes al mundo, te guarde Dios / Una de las dos Españas ha de helarte el corazón«. [Kleiner Spanier, der du zur Welt kommst, möge Gott dich beschützen. Eines der beiden Spanien wird dir das Herz einfrieren.«]42 Der Geist des Konsenses, der nach dem Tod von General Franco im November 1975 und besonders in der Zeit zwischen den ersten freien Wahlen nach vierzig Jahren im Juni 1977 bis zu der im Dezember 1978 verabschiedeten Verfassung aufkam und den politischen Übergang zur Demokratie dominierte, wirkte

de pensar del autor (…) Entiendo en definitiva que la obra no debe autorizarse, sino por silencio administrativo«, Dossiers 4142 vom 8.04.1972 und 4660 vom 14.04.1972). 41 Tuñón de Lara 1997, S. 320; Comín, »Dos inspiradores del diálogo: Mounier y Machado«, 1966/38, S. 29–32; Izquierdo, »La coherencia personal en la obra de Antonio Machado« 1966/29, S. 26–28; Albornoz und Díaz in 1968/57–58, S. 44–45; González 1969/71, S. 23–26; J. M. González Ruiz, »Antonio Machado y el ›nacionalcatolicismo‹«, 91 (April 1971), S. 23–26, alle in Cuadernos para el Diálogo. 42 In der Übersetzung von Fritz Vogelgsang: »Spanierlein, frisch hergeraten, Gott behüt dich, denn ich weiß, einer von diesen zwei Paten überzieht dein Herz mit Eis.« (Machado 2001, S. 29–32).

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– wie könnte es anders sein – auch auf das öffentliche Andenken Machados. Seinen charakteristischen Ausdruck fand es in der Losung, die unversöhnlichen »zwei Spanien« zu überwinden, welche in andauernder Konfrontation zueinander stünden, wie etwa Adolfo Suárez 1978 anlässlich der Präsentation der neuen Verfassung im Parlament bestätigte.43 Dieser Diskurs machte Machado zu jemanden, der er nie hätte sein wollen, nämlich zum Repräsentanten eines vermeintlich »dritten Spaniens«, äquidistant zu den anderen zwei Spanien. Wie die Soziologen Del Águila und Montoro jedoch aufzeigten, wurde das Paradigma der »zwei Spanien« zu einer Referenz, die anklagte oder die politischen Gegner delegitimierte44. Während der »Transición« wurde Antonio Machado immer wieder in politischen Auseinandersetzungen zitiert, es wurden ihm Schulen sowie Bibliotheken gewidmet und es wurde die veraltete Debatte um die Überführung seiner sterblichen Überreste nach Spanien mit schöner Regelmäßigkeit erneut aufgenommen. Anlässlich seines fünfzigsten Todestages im Jahr 1989 deklarierte der damalige Kulturminister Jorge Semprún, ein Schriftsteller, Überlebender der »Vernichtungslager« der Nazis und antifranquistischer Widerstandskämpfer, dass »es historisch vollkommen gerechtfertigt sei, dass Machado in Collioure verbleibe«. Damit diskreditierte er ein für alle Mal jenes Zerrbild der Äquidistanz, da »die Gründe, die er verteidigte und die es Machado heute erlauben universell zu sein (…) genau jene der demokratischen Vernunft sind.«45 Aber nicht einmal die damaligen sozialistischen Regierungen veranlassten eine wahrhafte öffentliche Rehabilitierung seines Andenkens, die in die spanische Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts eingebettet ist. Das postfranquistische Spanien benötigte nun keinen Nationaldichter mehr und auch keine Gründungsmythen, auf denen ein großes nationales Narrativ errichtet werden musste, außer vielleicht jenem über den eigenen Erfolg des politischen Übergangs zur Demokratie. In der Gegenwart bleibt Machados Andenken aufrecht durch weniger ambitionierte, dafür umso normalisiertere Initiativen, die sich größeren institutionellen Interventionen verdanken. So beispielsweise das Forschungsprojekt über den Dokumentbestand Palabras en el tiempo des Archivs der Fundación Antonio Machado de Collioure, das über zehntausende von Briefen, Schriften und Gedichten umfasst, die über viele Jahre von Bürgern in einem Briefkasten hinterlassen wurden, der über Machados Grab angebracht war. Damit wurde eine außergewöhnliche sentimentale Brücke zu der Bewegung der Memoria histórica 43 Diario de Sesiones del Congreso de los Diputados, 5/10/1978, S. 3387. (zitiert in Águila/Montoro 1984, S. 60). 44 ebd, S. 189–192. 45 »es totalmente justo históricamente que Machado permanezca en Coilloure«, »son precisamente las razones que él defendió (...) de la razón democrática y que le permiten a Machado hoy ser universal« - »Alución de Jorge Semprún (ebd., S. 20). Zur Wirkung des Bildes Machados als »Volksdichter« während der sozialistischen Ära siehe auch VVAA 1990, S. 139–148.

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geschlagen, die sich in den letzten Jahren in Spanien zu der sogenannten mirada de lo nietos (Blick der Enkel) entwickelt hat, wie eines dieser anonymen Gedichte in Erinnerung ruft: Dejad que vuelen las palabras, llorad la riqueza de los sentimientos. Nos enriquece el recuerdo de tu poesía, nos enorgullece ser los nietos justos y sensatos de la injusticia sufrida por ti. [Lasst die Worte fliegen, beweint die Fülle der Gefühle. Uns bereichert die Erinnerung an deine Dichtung, uns erfüllt es mit Stolz, die wahrhaften und richtigen Enkel jener Ungerechtigkeit zu sein, die du erleiden musstest.]46

Aus dem Spanischen von Marisol Schlössinger

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46 Verónica Sierra, »Palabras en el tiempo: el archivo vivo de Antonio Machado en Collioure«, in Actas del II Aula Juan de Mairena. Machado, el exilio español, Segovia, 2015 auf http://macha do.turismodesegovia.com/es/noticias/generales/485-libro-de-actas-del-iii-aula-juan-demairenamachado-el-exilio-espanol, Zugriff am 12.08.2017.

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Linda Erker (Wien)

Fortschritt, Front und Franco-Regime: Die drei ideologischen Transformationen der Universidad Central de Madrid zwischen 1931 und 1945

Evita Perón, die argentinische First Lady, begann ihre legendäre Europatour im Jahr 1947 in Spanien. Argentinien unterstützte die Diktatur unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs maßgeblich mit Nahrungsmittellieferungen (v.a. Weizen) und setzte sich auch auf dem diplomatischen Parkett für den international isolierten spanischen Caudillo Francisco Franco ein.1 Der Besuch hatte für beide Regime Signalwirkung: Der letzte derartig prominente Staatsbesuch eines ausländischen Politikers oder hohen diplomatischen Repräsentanten lag für Madrid bereits sieben Jahre zurück. 1940 war es Heinrich Himmler gewesen, der sich mit Franco traf.2 Nun also folgte Evita Perón Francos Einladung mit dem Ziel, sowohl für die politischen Agenden ihres Mannes Juan Perón als auch um politische Freundschaften zu werben.3 Für Spanien war es ein Schritt aus der Isolation. Gewissermaßen als Gegenleistung wurde Perón medienwirksam empfangen, sei es an der Plaza de Oriente, in der Stierkampfarena oder am 14. Juni 1947 in der Universidad Central de Madrid: Überall wurde Perón von begeisterten Menschenmassen begrüßt. Gerade auch der Besuch an Francos wichtigster Universität war symbolträchtig. Denn der Campus war in den vorangegangen gut fünfzehn Jahren baulich wie ideologisch mehrfachen Transformationen unterworfen worden. Mit dem Besuch von Argentiniens Primera Dama konnte die Indienstnahme der Universität für Francos politische Zwecke legitimiert und zugleich medial groß inszeniert werden. Im Folgenden soll rekonstruiert werden, wie sich die drei politischen Systembrüche von 1931 bis 1945 auf Spaniens Zentraluniversität ausgewirkt haben und wie sie die Universitätsstadt (Ciudad Universitaria) verän-

1 Vgl. Preston 1993, S. 570f. 2 Vgl. ebenda, S. 571. 3 Collado Seidel 2015, S. 179.

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derten, die als humanistisches Leuchtturmprojekt begann, dann zum Schlachtfeld wurde und danach zu Francos Elitenschmiede.4

Madrider Campus: Humanistische Bildungsvisionen (1931 bis 1936) Im Jahr 1924, also bereits während der Diktatur von Miguel Primo de Rivera (1923 bis 1930), entschied König Alfons XIII., in Madrid eine Universitätsstadt am Rand der Hauptstadt bauen zu lassen. Der König engagierte für die Planungen eine Reihe von Politikern, Architekten und Universitätsprofessoren (ausschließlich Männer), die sich Junta Constructora de la Ciudad Universitaria de Madrid nannte und unter seiner Führung arbeiten sollte. Bis dahin hatte Madrid kein geschlossenes Universitätsareal, die Fakultäten waren über die ganze Stadt verteilt. Der Monarch widmete dem Bauvorhaben 320 Hektar Land, damit diese neue Universität ein ganz im Zeichen des Fortschritts stehendes Aushängeschild Spaniens werden konnte. Auf Recherchereisen in Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und den USA besuchten die Vertreter der Junta Constructora verschiedene Hochschulen und ließen sich von unterschiedlichen Universitätsbauten und v.a. auch von Universitätscampus sowie dem dortigen Gemeinschaftsleben der Studierenden und Lehrenden inspirieren. Schließlich sollten Campusbauten aus Nordamerika, wo in den Jahrzehnten zuvor die Hochschulen einen großen Aufschwung erfahren hatten, zum Vorbild für die neue Zentraluniversität Spaniens werden. 1931 wurde die Zweite Spanische Republik ausgerufen, der spanische Monarch musste abdanken, das Land verlassen und ging zunächst ins Exil nach Paris, später nach Rom. Die neue linke Regierung griff das Bauprojekt von Alfons XIII. auf und machte es zum zentralen Projekt ihrer Bildungspolitik, die Gegenstand des politischen Machtkampfs zwischen RepublikanerInnen und der (katholischen) Rechten war.5 Neben den monumentalen Bauten der einzelnen Fakultäten wuchsen die Entwürfe für die Stadt in der Stadt. Es sollte ein eigenes Rektoratsgebäude am Beginn der architektonischen Hauptachse entstehen, dazu waren mehrere Bibliotheken, eine Universitätsklinik, ein Konzertsaal, Sportplätze, ein Theater sowie Wohnheime für Studierende geplant. Die Idee der Ganzheitlichkeit stand im Mittelpunkt der Universitätsplanungen. So sollten HochschülerInnen am Campus alles Notwendige für ihr tägliches akademisches und soziales Leben vorfinden, und moderne Einrichtungen der einzelnen Gebäude, insbesondere der Hörsäle und Bibliotheken, waren Teil des Konzepts. Für viele der wegweisenden Entwürfe 4 Vgl. Box Varela 2008, S. 425. 5 Vgl. Miclescu 1985, S. 55.

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zeichnete die Schule der Generación del 25 verantwortlich. Das war eine Gruppe von Architekten, die zwischen 1918 und 1925 in Madrid ihre Abschlüsse gemacht hatten und später zu Pionieren einer neuen modernen Stilrichtung wurden. An den Plänen für die Universitätsklinik zeigt sich ihr Anspruch, bauliche und soziale Anforderungen zu kombinieren. Die Klinik sollte nicht nur auf die individuellen Bedürfnisse der PatientInnen, sondern auch auf die der Lernenden und Lehrenden Rücksicht nehmen. Als erstes Gebäude der Ciudad Universitaria öffnete die Fakultät für Geisteswissenschaften im Jänner 1933 ihre Hörsäle.6 Doppeldeckerbusse verbanden das Zentrum Madrids mit der Universität, ein Paternoster-Aufzug im Fakultätsgebäude wurde zum Symbol für die neue Mobilität, der Filmprojektor war der modernste seiner Art in Spanien und das Heizungssystem war das technisch Fortschrittlichste der ganzen Stadt. Zum Modernisierungskonzept gehörte auch die erste studentische Mensa mit Selbstbedienung.7 In der »Republik der Professoren« (República de los Profesores),8 wie die republikanische Regierung wegen ihres hohen Anteils an Universitätslehrern genannt wurde, feierte man die Fakultätseröffnung wie ein nationales Großereignis. Als Symbol für die politische Zeitenwende stellten Frauen in Hörsälen ein beliebtes Fotosujet dar, auch wenn sie nur knapp zehn Prozent der rund 10.000 Studierenden ausmachten. Im Landesschnitt waren es sogar nur knapp über sechs Prozent.9 Zum Vergleich: Bei ähnlichen Studierendenzahlen waren an der Universität Wien im Wintersemester 1932/33 bereits 26 Prozent aller HochschülerInnen Frauen; der Großteil dieser 3.368 Hörerinnen studierte an der Philosophischen Fakultät.10 In Mitteleuropa lag der durchschnittliche Anteil der Frauen bei den Studierenden 1930 bei 15 bis 26 Prozent.11 Ganz im Gegensatz zu den Entwicklungen in Wien, deren Universitäten bereits seit den 1920er-Jahren von katholischen und deutschnationalen, ab den frühen 1930er-Jahren auch von nationalsozialistischen Studierenden und Lehrenden dominiert wurde, führte die Spanische Republik zu dieser Zeit über eine pädagogische Reformbewegung, die Institución Libre de Enseñanza, neue liberale Lehrpläne ein. Diese Initiative zielte darauf ab, die Freiheit der Lehre und v.a. der 6 Vgl. Rodríguez López 2015, S. 33. 7 Vgl. »El edificio de las ilusiones«, in: Tribuna Complutense vom 28.11.2008, S. 5 sowie vgl. González Cárceles 2008, S. 136f. 8 Morente 2015, S. 187. 9 Vgl. Rodríguez López 2008a, S. 482. Die erste Frau, die sich in Spanien an einer Universität einschrieb, war 1873 María Elena Maseras in Barcelona. Vgl. dazu ebenda, S. 476 und Rodríguez López 2015, S. 36 sowie Instituto Nacional de Estadística 1947, Tabelle »Alumnos universitarios«, o.S. 10 Vgl. UAW, RA 70 aus 1932/33, Statistische Ausweise über die Inskriptionsergebnisse im laufenden Studienjahr. 11 Vgl. Lenk 2015, S. 574.

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Lehrstühle auszubauen, Studierenden politisches Mitspracherecht einzuräumen und ihr Leben weniger zu reglementieren.12 Damit sollte auch an den Hochschulen, wie schon im schulischen Bildungssektor, der Einfluss der katholischen Kirche weiter zurückgedrängt werden.13 Durch die größere Hochschulautonomie galt es zugleich eine Öffnung der Universität hin zur Gesellschaft zu bewirken, um eine Reformbewegung in Gang zu setzen. Auch wenn einige Madrider Lehrende exponierte Linke waren und als solche einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Universidad Central hatten, darf nicht vergessen werden, dass die Mehrheit der Lehrenden selbst im kirchlichen Umfeld sozialisiert worden war, stark von der Kirche geprägt war und dementsprechend zum konservativen Katholizismus tendierte.14 Sie trugen die republikanischen Veränderungen in der Ciudad Universitaria nach 1931 zwar in weiten Teilen mit, waren aber keine aktiven Vorreiter eines Systemwechsels, was sie ab 1939 wiederum unter Franco als Lehrende qualifizierte.15 All die politischen Eingriffe nach der Abdankung des Monarchen, die technischen Innovationen und die Aufbruchsstimmung konnten aber schlussendlich kaum etwas daran ändern, dass der Besuch einer spanischen Universität auch 1931/32 aus sozioökonomischen Gründen nur sehr wenigen jungen SpanierInnen landesweit möglich war, nämlich konkret 33.633 Studierenden.16

Die Universitätsstadt, ein Schlachtfeld (1936 bis 1939) Als während der Sommerferien 1936 der Putsch des rechten Flügels des Militärs gegen die demokratisch gewählte Regierung in Madrid begann, war der Campus der Ciudad Universitaria fast fertiggestellt. Nur wenig später war die Universitätsstadt Frontabschnitt, Schlachtfeld und Sinnbild der landesweit harten und blutigen Kämpfe. Francos Truppen begannen nach dem Aufstand im Protektorat Spanisch-Marokko im Juli 1936 mit der Eroberung Spaniens. Auf Seiten dieser »Aufständischen« kämpften als nationale »Internationalisten«17 rund 78.000 Marokkaner, in der Fremdenlegion 8.000 Portugiesen und noch rund 2.000 weitere Ausländer (ohne der Beteiligung Italiens oder der deutschen Legion Condor gerechnet).18

12 Vgl. Morente 2015, S. 189. 13 In der Verfassung vom 9.12.1931 wurde die Trennung von Staat und Kirche festgelegt, vgl. Miclescu 1985, S. 55, sowie vgl. Jiménez de Asúa 1933, S. 264. 14 Vgl. Kössler 2010, S. 193. 15 Vgl. Ruiz Carnicer 2003, S. 108. 16 Vgl. Instituto Nacional de Estadística 1947, Tabelle »Alumnos universitarios«, o.S. 17 Matscheko 2015. 18 Ebenda, S. 19.

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Mindestens 140 Österreicher kämpften ebenfalls auf Francos Seite.19 Wie die österreichischen Interbrigadistas waren auch sie auf ganz unterschiedlichen Wegen nach Spanien gekommen und wurden zu Komplizen von Francos Eroberungspolitik.20 In Madrid setzten die Kampfhandlungen im November 1936 ein, als die rebellierenden Truppen den Universitätscampus als Einfallstor für Madrid zu stürmen versuchten. Die 30.000 Putschisten scheiterten bei ihrem Vorstoß zunächst an den knapp 20.000 republikanischen Soldaten.21 Die Kämpfe brachten in den Folgemonaten kaum Geländegewinne mit sich, die Einnahme bzw. Verteidigung der Universität wurde zu einem der Hauptschauplätze des Spanienkriegs und war dabei mit besonderer Bedeutung aufgeladen: Fiel die Universität, so fiel Madrid und damit die Republik. Beide Kriegsparteien setzten sich daher über die gesamte Zeit der militärischen Auseinandersetzung das Ziel, Madrid einzunehmen bzw. zu verteidigen. Die Berichte über die Kämpfe erreichten auch Wien. Die Zeitung »Der Morgen« meldete zu Beginn der militärischen Auseinandersetzung Mitte November 1936 auf der Titelseite: »Franco beschließt: Madrid wird zusammengeschossen«.22 Einen Monat später rief die »Österreichische Hochschulzeitung«, das Publikationsorgan der gleichgeschalteten studentischen Einheitsvertretung im Austrofaschismus,23 zur gemeinsamen Front gegen den »Bolschewismus« auf. Spanien wurde in den Berichten sowohl als Beispiel für die »Kommunistische Internationale und deren verderblichen Zersetzungserscheinungen« als auch als »letzte Mahnung« für ein »Zusammenstehen« dargestellt.24 Moralischen Rückhalt erhielten die spanischen Regierungstruppen in der Universitätsstadt hingegen von anderen internationalen ReporterInnen, die 1937 direkt aus dem Schützengräben berichteten und v.a. auch durch Ansprachen prominenter PolitikerInnen wie der Kommunistin Dolores Ibárruri Gómez, auch »La Pasionaria« genannt.25 Ibárruri Gómez skandierte im Zuge der ersten Kämpfe um Madrid den berühmten Revolutionsspruch »¡No pasarán!« und

19 Der Historiker Jakob Matscheko konnte rund 140 Namen und teilweise auch Schicksale von Österreichern dokumentieren, die gegen die Spanische Republik auf Seiten Francos kämpften. Matscheko geht dabei auch von noch zusätzlichen Freiwilligen österreichsicher Herkunft aus, die Aktenlage ermöglichte vorerst aber »nur« die Bestätigung von 140 Unterstützern, womit er ein bedeutendes Forschungsergebnis vorlegte. Vgl. ebenda, S. 211. 20 Vgl. Erker 2016. 21 Vgl. Rodríguez López 2015, S. 47. 22 »Franco beschließt: Madrid wird zusammengeschossen«, in: Der Morgen vom 16.11.1936, S. 1. 23 Vgl. Erker 2015. 24 »Gemeinsame Front gegen den Bolschewismus«, in: Österreichische Hochschulzeitung vom 1.12.1936, S. 5. 25 Vgl. Lugschitz 2016.

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besuchte im März 1937 in Begleitung von Antonio Ortega Gutiérrez, dem Oberst der »roten« Streitkräfte, medienwirksam die Soldaten am Campusgelände.26 Die Kommunistische Internationale hatte im Oktober 1936 die Brigadas Internacionales gegründet, und knapp 1.900 Interbrigadistas bezogen über mehrere Monate ihr Quartier in der Fakultät der Geisteswissenschaften, die auch zum Motiv vieler literarischer Erinnerungen an den Krieg wurde.27 So schrieb der kubanisch-französische Schriftsteller Alejo Carpentier im Rückblick darüber, wie französische Interbrigadisten die Fakultät besetzten und aus den Büchern der Bibliothek Barrikaden bauten, v.a. aus den Werken von »Kant, Goethe, Cervantes, Bergson … y hasta Spengler«:28 Aber noch besser geeignet waren Autoren, die mehrbändige Werke geschrieben hatten, denn Pascal, San Juan de la Cruz, Epiktet hätten sie mit nur einem Schuss mit großkalibriger Munition glatt durchschossen. Was hier half, waren die 70 und mehr Bände von Voltaire, die 70 von Victor Hugo, die vollständige Werkausgabe von Shakespeare […] hier wusste ich, dass die Geisteswissenschaft abseits ihres tatsächlichen Inhalts noch einen anderen Nutzen hatte. Dabei, den Gewehrlauf meiner Waffe zwischen den Bänden von Galdós […] konnte ich mit Mallarmé sagen: la chair est triste, hélas! et j'ai lu tous les livres.29

Die Front zwischen den »nationalen« und den republikanischen Einheiten verlief quer durch den Campus, dabei waren die ausgehobenen Schützengräben oftmals nur 40 bis 50 Meter voneinander entfernt. Unter den hier stationierten Interbrigadisten befand sich auch Heinrich Kämpf, Bauschlossergehilfe aus Wien. Kämpf aber fiel bereits am 19. November 1936 bei der Verteidigung des Campus von Madrid.30 Der Österreicher Johann Imlinger war zeitgleich mit Heinrich Kämpf nach Spanien gefahren. Er bezeichnete in einer 1986 veröffentlichten Publikation über die 1.400 ÖsterreicherInnen im Spanischen Bürgerkrieg, die frühen Entwicklungen und ersten Erfolge an der Madrider Front 50 Jahre zuvor als »Wunder von Madrid«: Madrid ist zuversichtlich und seine Bevölkerung heldenhaft. Setzt Artilleriebeschuß ein, so wechselt man in den toten Winkel auf die gegenüberliegende Straßenseite, gibt es Verletzte, setzt jeder Vorbeikommende ganz selbstverständlich sein Leben aufs Spiel, um sie zu 26 Vgl. »En la Ciudad Universitaria«, in: ABC Madrid vom 24.3.1937, S. 3. 27 Vgl. Rodríguez López 2015, S. 77ff. 28 Carpentier 1996, S. 110. 29 »Pero mejor cuando eran autores de muchos tomos, porque a Pascal, a San Juan de la Cruz, a Epicteto, los hubiesen traspasado con una sola bala de fuerte calibre. Lo que allí servía eran los setenta y cuatro tomos de Voltaire, los setenta de Victor Hugo, las obras completas de Shakespeare […] Ahí supe […] que las letras y la filosofía podrían tener una utilidad ajena a la de su propio contenido … Ahí, metiendo el cañón de mi fusil entre tomos de Galdós […] pude decir como Mallarmé: La chair est triste, hélas! et j'ai lu tois les livres«. (ebd.). Übersetzung hier und in der Folge von der Verfasserin. 30 Vgl. DÖW, Spanienarchiv, Personendossier Heinrich Kämpf und Spanienarchiv online, Eintrag zu Heinrich Kämpf.

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bergen. Das Leben in der Frontstadt ist hart, schwer und gefährlich. Es fehlt an Waffen und Munition, an Lebensmitteln und Kleidung.31

Das Motto, das Imlinger in der Publikation zitiert, lautete »Madrid kämpft, Madrid verteidigt sich, Madrid ergibt sich nicht«.32 Doch letztlich konnte die Unterstützung der über 40.000 Interbrigadistas an der Seite der Spanischen Republik den Sieg der Franco-Truppen nicht verhindern. Nach über drei Jahren Abwehrkampf wurde Madrid am 29. März 1939 als eine der letzten spanischen Städte von den Truppen unter General Franco eingenommen. Am 1. April 1939 war der Krieg offiziell beendet. 40 Prozent der Ciudad Universitaria in Madrid lagen in Trümmern, tausende RepublikanerInnen und ihre UnterstützerInnen waren in den Kämpfen um die Stadt verwundet oder getötet worden. Nach derzeitigen Forschungen ermordeten RepublikanerInnen in ihren Gebieten bis zum Ende des Kriegs knapp 50.000 Aufständische, die dreifache Anzahl soll es auf der Gegenseite gewesen sein. Die Zahlen sind bis heute jedoch umstritten, v.a. deshalb, weil noch immer nicht alle ermordeten Republikaner in den (Massen-)Gräbern identifiziert sind.33 Neben der Hinrichtung von mindestens sechs Lehrenden der Universität Madrid durch Putschisten zwischen 1936 und 1939 setzte Franco beim Lehrpersonal zu weiteren Maßnahmen an.34 Er begann bereits 1936 die von seinen Truppen eroberten Universitätsstädte von politischen GegnerInnen zu »säubern«. Dabei lag vom ersten Tag der Kampfhandlungen an die Stadt Salamanca, nur 180 km von Madrid entfernt, im Einflussbereich der Putschisten. Im Oktober 1936 deklarierte sich die Universidad de Salamanca als erste »nationale« Hochschule. Ihre Lehrenden rechtfertigten den militärischen Putsch in einem öffentlichen Schreiben und verteidigten ihn propagandistisch überhöht als Befreiungsschlag gegen die kommunistische Bedrohung, mit dem Ziel der Erhaltung der westlichen katholischen Werte – die Idee des Kreuzzeugs war von Beginn an eines der Leitmotive des Aufstands gewesen.35 Wie in Salamanca setzte auch in allen weiteren Universitätsstädten, die von Francos Truppen zwischen 1936 und 1939 Schritt für Schritt besetzt wurden, die Arbeit einer fünfköpfigen »Säuberungskommission A« ein,36 die aus national 31 Imlinger 1986, S. 80. 32 Ebenda, S. 80. 33 Vgl. Preston 2001, S. 22f. 34 Da die Madrider Hochschule kriegsbedingt rasch geschlossen wurde und 1937 nach Valencia übersiedelte, gelang es verhältnismäßig vielen WissenschafterInnen, sich durch den Weg ins Exil den Repressionsmaßnahmen der Franquisten nach 1939 zu entziehen. Bei sechs MitarbeiterInnen der Universidad Central konnten Forschungen offenlegen, dass sie zwischen 1936 und 1939 von den Franquisten hingerichtet wurden. Vgl. Otero Carvajal 2006/2007, S. 11. Mit einer Ausnahme waren sie alle Teil der 486 untersuchten Angehörigen der Universidad in Madrid ohne Lehrstuhl. Vgl. Claret Miranda 2006, S. 304. 35 Vgl. Morente 2015, S. 193. 36 »Comisión para la Depuración del Personal Universitario A«.

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gesinnten Hochschulangehörigen bestand.37 Diese Tribunale, die Juntas Depuradoras genannt wurden, überprüften nach einem vorgegebenen Ablauf die verbliebenen Lehrenden der Universität auf Basis von Fragebögen und zusätzlichen Nachforschungen wie Gesprächen mit den Betroffenen und gaben ihre abschließende politische Bewertung ab.38 Viele der Kommissionsmitglieder verstanden ihre Arbeit in den »Säuberungstribunalen« als Dienst an der neu aufzubauenden spanischen Nation,39 die langsam die Republik zurückdränge. Manche von ihnen legten ihre Arbeit sogar als Teil einer heiligen Mission (Sagrada Misión) für ein besseres Spanien aus.40 Die »Säuberungskommissionen« interessierten sich daher nicht nur für die wissenschaftlichen Arbeiten ihrer KollegInnen, sondern auch für das Privatleben, die religiösen und moralischen Einstellungen, Freundschaften, und sogar die Bücher der Privatbibliotheken wurden durchleuchtet.41

Universidad Central: Falangistisch inszenierte Wiederauferstehung ab 1939 Am Morgen des 19. Mai 1939 läuteten in ganz Spanien die Kirchenglocken. General Franco feierte den erfolgreichen Putsch mit einer militärischen Parade in den Straßen der Hauptstadt. Geladene Gäste aus Portugal und Deutschland nahmen zwar an der Veranstaltung teil,42 wobei absichtlich auf die Teilnahme von Hermann Göring und Italiens Außenminister Galeazzo Ciano verzichtet wurde, denn Franco wollte die Parade als das glorreiche Ende seines eigenen Befreiungskampfs inszenieren. Die allerhöchsten diplomatischen Vertreter Deutschlands und Italiens hätten die Strahlkraft des Siegs aus eigener Kraft nur unnötig geschmälert.43 Gekleidet war der Caudillo, der neue Diktator Spaniens, demonstrativ in einer militärischen Uniform, dem falangistischen Blauhemd und einem roten Barett der Karlisten, als Zeichen der Vereinigung der drei politischen Lager unter dem Dach der Falange Española Tradicionalista y de las Juntas de Ofensiva Nacional Sindicalista (FET y de las JONS).44 In seiner Rede richtete er sich auch an die BewohnerInnen der Hauptstadt und würdigte ihr Durchhaltevermögen in Zeiten der »roten Tyrannei«, die er für beendet erklärte.45 Die falangistischen 37 Vgl. Claret Miranda 2006, S. 62 sowie Lobo 2007, S. 206. 38 Ruiz Carnicer 2003, S. 110. 39 »Servicios a la Causa Nacional« vgl. Claret Miranda 2006, S. 63. 40 Ebenda, S. 64. 41 Vgl. Ruiz Carnicer 2003, S. 110. 42 Vgl. die gesamte Ausgabe der Zeitung ABC vom 20.5.1939. 43 Vgl. Collado Seidel 2015, S. 132. 44 Der Parteiname verweist auf den Zusammenschluss mit den Karlisten (Tradicionalista) und der Vereinigungen der Nationalsyndikalistischen Offensive (JONS). 45 Rede Francos vom 19.5.1939 in Madrid, vgl. Franco 1939.

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Studierenden, zur Zeit der Republik eine relativ unbedeutende extreme Splittergruppe, veröffentlichten aus diesem Anlass einen offenen Brief, in dem sie ihre Zukunftsvisionen skizzierten. Ihr Ziel war es, die Hörsäle so rasch wie möglich mit treuen Studierenden zu füllen, die bereits in Zeiten des Kriegs dem »Ruf des Vaterlands« gefolgt waren und sich nach dem Sieg Francos am Wiederaufbau beteiligen wollten.46 Mit dem faschistischen Gruß »ARRIBA ESPAÑA«, schloss der Vertreter der faschistischen Studentenbewegung SEU (Sindicato Español Universitario) seine Grußbotschaft an das neue Spanien. Bald nach Kriegsende druckte die gleichgeschaltete spanische Presse Bilder der Universitätsruinen ab und wollte damit den Beweis für die moralische Niedertracht der RepublikanerInnen liefern, die den Campus und die Hörsäle zerstört zurückgelassen hätten. Nach ersten Überlegungen, die zerschossene Ciudad Universitaria als mahnende Ruine – ähnlich wie im Fall der Stadt Belchite – unberührt zu lassen, wurde die Instandsetzung des Campus in Angriff genommen. Im Herbst 1939 nahm die größte Hochschule des Landes bereits wieder den provisorischen Studienbetrieb auf, und 1940 veröffentlichte das Unterrichtsministerium die ersten Ausschreibungen für Lehrstühle, die durch den politisch motivierten Ausschluss (angeblich) republikanischer Lehrender vakant geworden waren. Die mediale Berichterstattung legte den Grundstein für die symbolische Überhöhung der Ciudad Universitaria, deren materieller Wiederaufbau zum Prestigeobjekt des Regimes wurde. Dabei betonte die Inszenierung immer wieder sowohl den Sieg über die Republik als auch die neue nationale Einheit und die vermeintlich historische Überlegenheit der spanischen Nation. Besuche des spanischen Erziehungsministers José Ibáñez Martín auch in Begleitung von internationalen Politikern wie dem italienischen Außenminister Galeazzo Ciano im Juli 1939 vereinnahmten den Campus bzw. zunächst dessen Ruinen und hatten den Zweck, diesen zu einem nationalen Mythos zu formen.47 Eines der ersten nationalen Großereignisse in der Universidad Central war die Überstellung des von RepublikanerInnen zum Tode verurteilten und im November 1936 hingerichteten Falange-Gründers José Primo de Rivera im November 1939. Seit dem ersten Kriegsjahr lagen Primo de Riveras sterbliche Überreste in einem Grab in Alicante, knapp 400 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Im November 1939 exhumierten seine AnhängerInnen den Leichnam des politischen Märtyrers und überführten ihn medienwirksam in die monumentale

46 Vgl. »La Universidad de Falange Española Tradicionalista y de las J.O.N.S.«, in: ABC vom 20.5.1939, S. 13. 47 Vgl. Rodríguez López 2015, S. 87, vgl. »La flecha clavada en Madrid«, in: ABC vom 16.6.1939, S. 38, vgl. Box Varela 2008, S. 418.

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Schloss- und Klosteranlage El Escorial nahe Madrid.48 Dieser von tausenden SpanierInnen begleitete Trauer- und gleichzeitige Siegeszug führte zum einen vorbei an den wichtigen Stationen des Lebens von Primo de Rivera. Zum anderen wurde sein Leidensweg an Orten Madrids inszeniert, die zu Orten des nationalen Triumphs umgedeutet wurden. Vertreter der katholischen Kirche führten den prozessionsartigen Zug an, Männer in Blauhemden trugen den Sarg, ihr Weg war gesäumt von einer emotionalisierten Menschenmenge, aus der immer wieder Frauen hervortraten und Blumen vor den Sarg warfen. Die Universitätsstadt wie auch der Leichnam wurden beide als Symbol der »roten Barbarei« inszeniert, der man mit dem Sieg über die Volksfront ein Ende gesetzt hatte. Es sollte nicht die letzte Großveranstaltung sein, mit der man die Universität zur Arena franquistischer Machtdemonstration machte. Am 12. Oktober 1941 konnte Franco nach knapp zweijährigen Rekonstruktionsarbeiten die ersten Universitätsgebäude demonstrativ am Kolumbus-Tag (Día de la Hispanidad oder auch Día de la Raza), dem Jahrestag der »Entdeckung Amerikas«, eröffnen. Die Wahl des 12. Oktober war nicht zufällig. Das Regime zelebrierte dieses nationale Schlüsselereignis und damit seine eigene (historische) Größe in symbolisch enger Verknüpfung mit der Eröffnung der Universitätsstadt, um den Feierlichkeiten noch zusätzliche Bedeutung zu verleihen. Der tatsächliche Höhepunkt des Wiederaufbaus fand zwei Jahre später statt, wieder an einem 12. Oktober. Der Tag der Inauguration 1943 begann unter Francos Anwesenheit mit einer katholischen Feldmesse vor einem 18 Meter hohen Kreuz.49 Das spanische Militär defilierte vor der Tribüne, auf der General Franco sowie die Staatsspitze und geladene Politiker, u.a. aus Brasilien, Portugal und den USA, dem Schauspiel folgten. Die Meldungen in den wichtigsten Zeitungen des Landes machten diese Veranstaltung am 12. Oktober zum nationalen Spektakel.50 Parallel dazu widmeten sich ganze Ausgaben der »Zeitschrift zur Nationalen Erziehung« und der »Zeitschrift zur Nationalen Architektur« dem neuen Universitätsprojekt und betonten das revolutionär Neue der Universidad Central im Bereich der Hochschulerziehung wie im Städtebau. Der 12. Oktober 1943 stand aber für mehr als nur die Inszenierung der Auferstehung der Universität aus den Ruinen des Kriegs. Dieser Tag markierte auch das Datum, mit dem das franquistische Universitätsgesetz, die Ley de Ordenación Universitaria (LOU), in Kraft trat.51 Gemeinsam mit der Wiedereröffnung läutet dieses über 100 Artikel umfassende Gesetz den Beginn einer neuen Etappe der 48 Vgl. »El enterramiento de José Antonia Primo de Rivera«, online unter: http://www.rtve.es/alacarta/videos/documentales-b-n/presente/2847619 (26.12.2016) und vgl. Box Varela 2008, S. 172. 49 Vgl. Rodríguez López 2002, S. 242f. 50 Vgl. AGUCM, Inauguración Ciudad Universitaria, D-1724 und vgl. AGUCM, Actos inauguración Ciudad Universitaria, 1765-2. 51 Vgl. BOE 212/1943 vom 31.7.1943, S. 7406–7431.

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Universitäten unter Franco ein.52 Nach all der Erneuerung der vergangenen vier Jahre stellte das LOU die ideologische Krönung des neuen Universitätssystems dar, dessen »Säuberung« von politisch unliebsamen WissenschafterInnen 1943/44 abgeschlossen wurde. Von den 124 Lehrstuhlinhabern, die noch im Juli 1936 im aktiven Personalstand der Universidad Central in Madrid aufgelistet waren, wurden 55 Personen in unterschiedlicher Form sanktioniert: 45 der 55 betroffenen Lehrstuhlinhaber wurden entlassen, acht Personen ihrer Aufgaben ohne zeitliche Einschränkung enthoben und eine Person für vier Jahre von allen Aufgaben entbunden. Im Fall eines Lehrenden nahm das Ministerium eine Strafversetzung vor.53 Mit 17 von 28 Lehrenden war die medizinische Fakultät in Madrid am stärksten betroffen.54 Da aber nicht alle wissenschaftlichen Universitätsangehörigen auch in den Personallisten der Hochschule angeführt wurden, ist es für den erweiterten Bereich der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen besonders schwer, genaue Zahlen anzuführen. In einer Studie zu diesem MitarbeiterInnenkreis wurden »Säuberungsakten« von 486 Personen untersucht, knapp 44 Prozent von ihnen wurden im Zuge der Erneuerung des Lehrkörpers sanktioniert.55 38 Prozent aus diesem Beschäftigungskreis wurden von der Universität Madrid dezidiert ausgeschlossen.56 Der materielle wie geistige Wieder- und Neubau sollte nachhaltig Wirkung zeigen, und daher umfasste die politische Kontrolle auch das Leben der Studierenden. Erst mit dem Sieg der Franco-Truppen hatte die bereits 1933 in Madrid gegründete Studentenvertretung SEU durch die nun rasant gewachsene Mutterpartei, die Falange, den nötigen politischen Rückenwind erhalten. Bis 1936/39 war sie eine politisch klar antirepublikanische, deklariert falangistische Studentenvertretung in Opposition zum landesweit noch führenden Verband der Hochschüler (Federación Universitaria Escolar, FUE).57 Die neuen strukturellen Rahmenbedingungen ab 1939, zu denen Wohnheime ebenso gehörten wie neue Studienpläne, ermöglichten es der SEU, das private und das berufliche Leben von Studierenden ideologisch neu zu strukturieren und nach ihren revolutionär-nationalsyndikalistischen Zielen zu formen bzw. es zumindest zu versuchen.58 Eine neue Generation sollte in den universitären Kaderschmieden zur spanischen Elite erzogen werden, um die künftigen Schlüsselpositionen im Staat einzunehmen. Die katholische Kirche war der größte Konkurrent der SEU und reklamierte das Erziehungswesen traditionell als ihre Agenda. So gründete sie am 52 Vgl. Morente 2015, S. 40 sowie Rodríguez López 2008b, S. 71. 53 Vgl. Otero Carvajal 2006, S. 318. 54 Otero Carvajal 2006/2007, S. 10f. 55 Vgl. Otero Carvajal 2006, S. 82. 56 Otero Carvajal 2006/2007, S. 11. 57 Vgl. Ruiz Carnicer 1996, S. 51. 58 Vgl. Ruiz Carnicer 2003, S. 112.

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Madrider Campus 1943 das Colegio Mayor Ximénez de Cisneros, ein eigenes Studentenwohnheim, das einen Kontrapunkt zur Falange und der SEU bilden sollte.59 Anfangs stellte die SEU einen umfassenden Anspruch auf die Durchdringung aller Lebensbereiche der Studierenden, egal, ob das studienrelevante, sportliche oder kulturelle Aktivitäten betraf. Es war eine umfassende Kontrolle,60 die sich auf den Kino- oder Theaterklub erstreckte, auf den Ruderverein oder den Debattierklub. Die SEU gab den Rahmen vor, der die Studierenden letzlich langsam gleichschaltete.61 Die spanischen Studierenden im Geiste der Falange zu erziehen, bestand aus einem umfassenden Programm: Man verankerte ideologische Pflichtfächer, Hochschullager in der Freizeit, aber auch einen obligatorischen Arbeitsdienst (nach dem Vorbild NS-Deutschlands) im Lehrplan. Auf symbolischer Ebene wurde der Kult um den Parteigründer Primo de Rivera gepflegt, der auch Namensgeber eines weiteren von der SEU geführten Madrider Studentenwohnheims werden sollte.62 Die Kontrolle der SEU umfasste auch das Stipendienwesen. Im Ausland durften nur katholische HochschülerInnen mit spanischer Staatsbürgerschaft studieren, doch von diesen auch nur jene, die als eheliche Kinder geboren wurden, zwischen 18 und 24 Jahre alt waren, gute universitäre Leistungen vorwiesen und nicht bereits im öffentlichen Dienst standen.63 In einer Stipendienausschreibung für Berlin im Jahr 1943, dem letzten Jahr der Kriegsbeteiligung der spanischen Blauen Division (División Azul), war darüber hinaus vermerkt, dass Kriegsversehrte und ehemalige Kämpfer auf Seiten Francos bevorzugt würden.64 Die Privilegierung sollte garantierten, dass nur politisch »gefestigte« Studierende ins Ausland, speziell nach Deutschland, Italien oder Portugal (den drei »befreundeten« Kriegsnationen, naciones amigas) reisten und ohne abweichendes Gedankengut an ihre Heimatuniversität zurückkehrten.65 Sich im Krieg für das nationale Spanien eingesetzt zu haben, war für mehr als nur für einen Studienaufenthalt im Ausland wichtig. Engagement für das Regime öffnete auch an spanischen Hochschulen so manche Tür. Dies legen zumindest handschriftliche Notizen eines Universitätsmitarbeiters auf Bittbriefen von Studierenden nahe, die bei ihrer Inskription darum ansuchten, bestimmt Kurse, wie

59 Vgl. Rodríguez López 2002, S. 242. 60 Vgl. Ebenda, S. 245. 61 Vgl. Schlee 1999, S. 192. 62 Vgl. Ruiz Carnicer 2003, S. 115. 63 Vgl. AGUCM, Comunicaciones de incidencias de Personal, P-227, Real Colegio Mayor de San Clemente de los Españoles en Bolonia, Convocatoria vom 11.7.1942. 64 Vgl. AGUCM, Comunicaciones de incidencias de Personal, P-227, Becas de Reciprocidad con Alemania, Schreiben vom 5.7.1943. 65 Vgl. Claret Miranda 2006, S. 60.

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beispielweise jenen zur Weltanschauungskunde, nicht belegen zu müssen. In den Dokumenten ist bei schriftlichen Ansuchen der Studierenden handschriftlich »es ex-combatiente« (»ist ehemaliger Kämpfer«) und »D.A.« (División Azul) notiert, was zur Freistellung von den Pflichtveranstaltungen geführt haben dürfte. Gerade an diesen Beispielen wird deutlich, dass Treue zum Regime nicht nur bei den Lehrenden, sondern auch bei den Studierenden zumindest bis 1945 belohnt wurden.66

1945: Eine Zäsur für Spaniens Hochschulen 1943 wurde zunächst zum Schlüssel- und Wendejahr für das franquistische Regime – nicht nur, aber auch an seinen Hochschulen. In diesem Jahr führte der Verlauf des Zweiten Weltkriegs und der Sturz des Duce del Fascismo, Benito Mussolini, in Italien dazu, dass sich die innerspanischen Entwicklungen nachhaltig destabilisierten. Der außenpolitische Rückhalt begann zu schwinden und das Ende der »Epoche des Faschismus« kündigte sich an.67 Damit einher ging auch der weitere Machtverlust der Falange zu Gunsten der katholischen Kirche bzw. des Nationalkatholizismus.68 Der Kriegsverlauf und das nahende Ende des Zweiten Weltkriegs verlangten von Spanien und seinem Diktator Franco eine neue Positionierung innerhalb der europäischen (Nach-)Kriegsordnung. Es kam zu nach außen wirksam gesetzten Schritten der »Entfaschisierung«: Die Betonung des Faschistischen in den Inszenierungen wurde immer mehr von katholischen Elementen abgelöst, und im Gegenzug verstärkte das Regime den Antikommunismus. Noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs verurteilten die Teilnehmer der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 Francos Diktatur, und Spanien wurde von der Mitgliedschaft in der UNO ausgeschlossen. Im März 1946 hatte Frankreich seine Grenzen zu Spanien als Sanktion gegen das Regime geschlossen, im Dezember 1946 hatte eine UN-Resolution den Abzug fast aller Botschafter aus der spanischen Hauptstadt zur Folge. Es stellten sich lediglich Argentinien, Portugal und der Vatikanstaat weiter hinter Francos Spanien und intensivierten über die Jahre ihre politischen Beziehungen.69 Die wirtschaftliche Notlage bestimmte das Leben der nun europaweit isolierten SpanierInnen – so auch den Alltag in der Ciudad Universitaria.

66 Vgl. AGUCM Sección Secretaría General (SG) 1213, 1943. 67 Vgl. Nolte 1963. 68 Vgl. Bernecker 2017, S. 150. 69 Vgl. Collado Seidel 2015, S. 179.

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Franco musste also neue politische und v.a. auch wirtschaftliche Verbündete suchen. An der Universität Madrid bemühte man sich um die Vertiefung der neuen politischen Partnerschaften und verlieh 1946 dem portugiesischen Erziehungsminister José Caeiro de Matta das Ehrendoktorat der Fakultät für Politikund Wirtschaftswissenschaften.70 Die Beziehungen zu Portugal unter Diktator António de Oliveira Salazar sollten damit gefestigt werden. Dazu trug auch bei, dass Portugals Botschafter medienwirksam den Campus der Universidad Central besuchte, um die politischen Bindung zum Nachbar weiter zu vertiefen.71 Aufmerksamkeit und Anerkennung erhielt die Hochschule auch durch einen weiteren symbolträchtigen Besuch, der am Beginn dieses Texts stand: Auch Eva Perón machte im Zuge ihrer »Regenbogentour« im Frühsommer 1947 in der Ciudad Universitaria Halt.72 Aber auch in den Jahren nach Peróns Staatsbesuch war die Universidad Central eine vom Wandel geprägte Institution. Parallel zur Machtverschiebungen zwischen Falange, katholischer Kirche und dem Opus Dei bildete sich dabei auch eine neue Generation von HochschülerInnen heraus. Ab Mitte der 1950er-Jahre kehrte sich die Rolle der Universität beinahe um, und sie wurde mit ihrer wachsenden Studierendenbewegung gegen das Regime zur Achillesferse Francos und prägten damit erneut das Bild des Universitätscampus. Aber das ist eine andere Geschichte.

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70 Vgl. AGUCM Doctor Honoris, P-216, 1946. 71 AGUCM OM-0005 1948, Schreiben vom 4.5.1948. 72 Vgl. Rodríguez López 2015, S. 115.

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Archivbestände Archivo General de la Universidad Complutense (AGUCM): Actos inauguración Ciudad Universitaria / Comunicaciones de incidencias de Personal / Inauguración Ciudad Universitaria. Archiv der Universität Wien (UAW): Rektoratsakten (RA) 70. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW: Spanienarchiv, Personendossier Heinrich Kämpf.

Amanda Hinteregger (Wien)

Auf den Spuren von María Teresa León

Einleitung Sekretärin der Alianza de Intelectuales Antifascistas, Stütze des spanischen politischen Theaters, erste geschiedene Frau der zweiten Republik, Leiterin des Comite de Agitación y Propaganda Interior de la Alianza, Herausgeberin der Zeitschriften Octubre und Mono Azul, Leiterin der Junta de Protección del Patrimonio Artístico, Autorin mehrerer Romane, Kurzgeschichten, Drehbücher und einer Autobiografie: María Teresa León Goyri (1903–1988) nimmt unter all den politisch engagierten Intellektuellen, die sich in der Zweiten Republik und im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Republik gegen den Faschismus und für das Wohl der Arbeiter und Arbeiterinnen engagierten, einen herausragenden Platz ein. Das politisch-kulturelle Wirken im Kreis der Alianza de Intelectuales Antifascistas1 – »die hellsten Tage meines Lebens«2 – war eine identitätsstiftende Erfahrung, welche – gerade im Exil, gerade angesichts der Niederlage gegen die Faschisten – erzählt werden sollte; immer wieder aufs Neue. Die Autorin selbst setzt dem persönlich erlebten Kampf gegen den Faschismus in mehreren Werken ein Denkmal. Durch literarische Texte können dabei Grenzen überwunden werden, die physische ErzählerInnen nicht zu übertreten vermögen.3 Leóns Texte wären wohl nicht in der Form entstanden, wäre die kollektive Erinnerung an die Erfahrung möglich gewesen. Doch inwiefern vermag die Kraft der Narrative den 1 Die von José Bergamín geführte Alianza de Intelectuales Antifascistas para la Defensa de la Cultura vereinte Menschen aus der Politik und der Kunst aus dem In- wie dem Ausland (Varela Fernández 2013, S. 622). Die Organisation mit Sitz in Madrid und später Valencia wurde mit Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs am 30. Juli 1936 gegründet. Sie gilt als nationaler Ableger der 1935 im Zuge des I Congreso Internacional de Escritores para la Defensa de la Cultura gegründeten, länderübergreifenden Asociación Internacional de Escritores en Defensa de la Cultura (vgl. Aznar Soler 2017). 2 »los días más luminosos de la vida« (León 1999, S. 96), diese und alle weiteren Übersetzungen von A. H. 3 Quirós-Fernández 2009, S. 158–165.

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Bruch zwischen der zurückliegenden Erfahrung und der veränderten Gesellschaft und Politik des franquistischen Spaniens zu überbrücken?

Erinnern in Juego Limpio und Memoria de la melancolía Das schriftstellerische Schaffen von León veränderte sich mit ihrem politischen Engagement zunehmend: Nach drei Kurzgeschichten in der Ästhetik der Generación del 27 führte sie Experimente mit sozialrealistischer Literatur durch, die effektiver gegen soziale Ungerechtigkeit und Unterdrückung vorgehen und Klassenbewusstsein schaffen sollte.4 Während des Exils arbeitete sie im Radio, als Drehbuchautorin und verfasste mehrere Romane, die vor allem auf Frauen bezogene, gesellschaftskritische Diskurse beinhalteten oder thematisch an die erinnerte Erfahrung des Bürgerkriegs bzw. des Exils angelehnt waren. Die Autorin griff literarisch einige Felder des kulturellen und politischen Schaffens im Kreise der linken Intellektuellen auf, wie die Gemeinschaft in der Alianza de Intelectuales Antifascistas und die Junta de Conservación y Protección del Tesoro Artístico sowie vor allem den Theaterbetrieb. Im Folgenden werden zwei Werke näher betrachtet, Juego Limpio und Memoria de la Melancolía. Juego Limpio (1959)5 ist ein Roman, den die Autorin im argentinischen Exil verfasste und in welchem die Alianza de Intelectuales Antifascistas, insbesondere die Guerrillas de Teatro und der politische Theaterbetrieb während des Bürgerkriegs im Zentrum stehen.6 Das Gebäude in der Calle Marqués de Duero, Sitz der Alianza, ist Hauptschauplatz der Handlung. Das Leben in der Gemeinschaft wird ästhetisch verarbeitet, wobei den LeserInnen im Sinne des Programms der memoria contra el olvido die Stimmung in der Alianza verdeutlicht wird. Sie wird vom Kommen und Gehen der Intellektuellen, von den Winkeln und Ecken des herrschaftlichen Hauses, das vom ständigen Lärm der Bomben und Granaten umgeben ist, und den immer wieder eintrudelnden Nachrichten von Todesfällen und militärischen Ereignissen charakterisiert.

4 Vgl. León 1933. 5 Zitiert wird nachfolgend aus der Ausgabe von Visor Libros, 2000. 6 Das antibürgerliche, politische Theater als Medium zur Darstellung von Themen der ArbeiterInnen, zur Verbreitung antifaschistischer Ideen und als Ort der Erbauung und des ästhetischen Genusses für das Volk steht in der Tradition des revolutionären Theaters. León wurde, gemeinsam mit Alberti, bereits während der Zweiten Republik durch Studienreisen in die UdSSR, Deutschland und auf internationale Kongresse zu europäischem und revolutionärem Theater Expertin dafür (Aznar Soler 2000, S. 38). In der von ihr mitgegründeten Zeitschrift Octubre, dem Ausdrucksorgan der linken Intellektuellen, publizierte León Artikel über das Theater der ArbeiterInnen und Ästhetik, sowie Dramenskizzen (z.B León, María Teresa: Huelga en el puerto, in: Octubre 1933/3, S. 77–80).

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Jene erhabenen und dunklen Säle schwer von Möbeln, die trotz unseres Lachens weiterhin ihre Schwärze bewahrten, waren für drei Jahre unsere Bühne. Die Freude unserer Jugend wurde weder durch das Hinabsteigen in den Keller während der Bombardierungen noch durch jene Glocke geschmälert, von der wir nie herausfinden konnten, wer sie zum Läuten gebracht hatte und die mir dazu diente, meinen Roman Juego Limpio zu untermauern.7

Die Autobiografie Memoria de la Melancolía erschien 1970 in Argentinien8 und wurde in den 1960er Jahren im römischen Exil verfasst. In diesem Werk schreibt León über ihr gesamtes Leben und legt dabei einen Schwerpunkt auf die Erlebnisse und Begegnungen in der Zeit der Zweiten Republik und des Spanischen Bürgerkriegs. Es ist geprägt von der Notwendigkeit des Erinnerns in Anbetracht des nicht enden wollenden Exils und der Weigerung Spaniens, die Geschichte von Seiten der vencidos zu hören: Warum erinnere ich mich heute an diese Dinge? (…) Manchmal denke ich, dass man vergessen hat, unseren kleinen Krieg in den vielen Büchern zu behandeln, die über Militärkampagnen geschrieben wurden.9

Dies ist insofern wichtig, als sich die Autorin ab dem Zeitpunkt des Exils bewusst war, dass ihr politisches, historisches, literarisches Wissen und ihre Erfahrung (und die der anderen Linken) in Spanien nicht anerkannt waren, jedoch überliefert werden sollten. Dabei steht aber nicht das Erinnern an ihre eigene Person im Vordergrund, sondern jenes an das Netz der linken Intellektuellen und politisch Tätigen, deren Mitglied und Zeugin sie war. Viele biografisch motivierte Anekdoten aus der Zeit des Bürgerkriegs werden in Juego Limpio verarbeitet, und die dialogische Struktur und die Vielstimmigkeit des Romans, dessen einzelne Kapitel alternierend von verschiedenen Erzählinstanzen in der ersten Person erzählt werden, bieten Raum für Reflexionen über den Krieg und die Kunst. Parallel dazu wird in der Autobiografie Memoria de la melancolía durch detaillierte Aufzählungen aller anwesenden Personen eine Vorstellung davon geliefert, wie die Alianza ein Raum der Begegnungen und des Austauschs unter Intellektuellen war, die sich mit ihrer Auseinandersetzung am Kampf gegen den Faschismus beteiligten. Dabei wird mit emphatischen Mitteln die Kraft des Gemeinschaftsgefühls und der Einsatzbereitschaft in der einzigartigen Situation des Krieges dargestellt: »Tage ohne Wiederkehr. Diese armen

7 »Aquellos salones solemnes y oscuros, pesados de muebles que seguían conservando su negrura a pesar de nuestra risa, fueron durante tres años nuestro escenario. La alegría de nuestra juventud no la empeñaba ni el tener que bajar al sótano para refugiarnos durante los bombardeos, ni aquel timbre que jamás conseguimos descubrir quién lo hacía soñar y me sirvió para apoyar mi novela Juego Limpio.« (León 1999, S. 282). 8 Zitiert wird nachfolgend aus der Ausgabe von Castalia, 1999. 9 »Por qué recuerdo hoy esto? [...] A veces pienso que esta nuestra pequeña guerra se olvidan de tratarla en tantos libros como se han escrito sobre las campañas militares.« (León 1999, S. 286).

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Leute ohne Gewehr, mit nicht mehr als einer Feder, um den Faschisten gegenüberzutreten!«10 In Juego Limpio scheinen viele Figuren und viele »kleine Geschichten« auf, die vermitteln, wie vernetzt der Kreis der linken Kunstschaffenden war, und durch das Fehlen von Einzelhelden und -heldinnen rückt die Gruppe in den Vordergrund. In der Autobiografie findet sich eine Vielfalt an Namen, wie auch in der Autobiografie-Serie La Arboleda Perdida von Leóns Partner Rafael Alberti.11 Herrmann stellt heraus, dass das »name dropping« bei León stärker die Motivation des kommunalen Erinnerns trägt als die der Selbsterhöhung, da das erinnerte Selbst – die junge León – nur insofern als erwähnenswert dargestellt werde, als sie die Gruppe zusammengehalten hat.12 In Memoria de la melancolía nehmen die Ereignisse rund um die Junta de Conservación y Protección del Tesoro Artístico13 einen gewissen Raum ein, und in Juego Limpio ist diese Erfahrung eine von mehreren Geschichten, die von Nebenfiguren erzählt werden. Entsprechend der Vielstimmigkeit des Romans werden in dieser Sequenz auch der Republik feindliche Gerüchte aus jener Zeit aufgegriffen und Nebenfiguren in den Mund gelegt, wie etwa, dass die Linken der Alianza die Kunstwerke aus den Museen entnommen hätten, um sie »den Russen zu verkaufen«.14 Im Gegenzug dazu wird in der Erzählung der Rettungsaktion ein Schwerpunkt auf die Unterstützung von Arbeitern gelegt, die namenlos ihren Beitrag zur Wahrung der Kunstschätze leisteten. Auf die Aussage hin, dass ihre Namen in die Geschichte eingehen würden, weil sie sich für die Kunst eingesetzt hätten, tun sie das Lob mit folgenden Worten ab: »Kamerad Alberti, wir haben recht wenig gemacht. Es ist die Partei, verstehst du?«15 Diese Sequenz wie auch andere untermalen die Hauptthemen von Juego Limpio: die Kraft der Gemeinschaft sowie die Rolle der Kultur auf der Seite der Linken, und die Republik als jene Institution, welche gewährleisten möchte, dass Kultur aus dem Volk für das Volk zur Verfügung gestellt werden sollte und über die kollektive Produktion und Rezeption ein Gefühl der Einheit entstehen könnte. Die Darstellung dieser Episode in Memoria de la melancolía ist – durch 10 »Días sin retorno! [...] ¡Esta pobre gente sin fusil, con una pluma nada más para oponerse a los fascistas!«(León 1999, S. 283). 11 Vgl. Alberti 2002. 12 Herrmann 1998, S. 220–228. 13 1936 wurde die Junta de Conservación y Protección del Tesoro Artístico gegründet, um Kulturgüter des Prados und Escorials sowie Greco-Bilder aus Toledo vor Bombardierungen und Raub zu schützen. Bei dieser Initiative übernahm León wichtige Aufgaben. Die Aktivität wird in mehreren Texten Leóns aufgegriffen: der 1943 erschienene Roman La historia tiene la palabra (Noticia sobre el salvamento del tesoro artístico español) nimmt diese Episode als Haupthandlung auf. 14 »Sacar los cuadros para vendérselos a los rusos.« (León 2000, S. 151). 15 »Camarada Alberti: nosotros hemos hecho bien poco. Es el Partido. ¿Comprendes?´« (León 2000, S. 151).

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die biografische Gattung – verstärkt auf das Erleben Leóns ausgerichtet. Vor allem werden die Rettungsaktion in Toledo und die Gefahren, denen die Milizen dadurch ausgesetzt waren, ästhetisch eindrucksvoll beschrieben.16 Während des Bürgerkriegs übernahm León einen Posten im Bereich der Kulturpolitik im Ministerio de Instrucción Pública y Bellas Artes und die Leitung des Teatro de Arte y Propaganda der Republik.17 Santiago Ontañon war dabei ihr wichtigster Partner. Im Roman Juego Limpio ist die Figur des Regisseurs Claudio an Ontañon angelehnt, durch dessen innere Monologe Reflexionen einerseits zum politischen Geschehen, andererseits über die Dramaturgie und Ästhetik des revolutionären Theaters transportiert werden, wie auch die Hintergründe des Agitproptheaters18 in Spanien: Wie einfach und trivial war unsere Freude! Es war nicht das erste Mal, dass ein Theaterbus sich auf den Weg zu spanischen Dörfern macht. Das gleiche hatten die ›Misiones Pedagógicas‹ mit Casona und das ›Teatro Universitario la Barraca‹ mit Federico García Lorca getan.19

Somit setzt die Autorin auch den Theaterbetrieb innerhalb der Diegese in die Tradition der spanischen Agitproptheatergruppen. Sie spielten an der Front und in Fabriken hinter der Frontlinie und waren auf die Unterhaltung und Erbauung der Massen unter den speziellen Umständen des Kriegs ausgerichtet, wie León in Memoria de la melancolía ausdrückt: Die kleine Gruppe, die sich ›Guerrillas del Teatro‹ nannte, gehorchte den Gegebenheiten des Krieges. Es war unser kleiner Krieg. Der Krieg hatte uns dazu gezwungen, das große Theater Zarzuela zu schließen, und der Krieg hatte auch die Schauspieler zu Soldaten gemacht. Dieser Ruf zu den Waffen zwang uns zu einem Entschluss, und den trafen wir. Warum nicht zur vordersten Linie der Front mit unserem Theater? So machten wir es […].20

16 Vgl. León 1999, S. 306–325. 17 In dieser Funktion war León verantwortlich für die Verbreitung und Auswahl von Stücken mit revolutionärer Ästhetik: Sie stellte entsprechende Kurse für Theaterschaffende zur Verfügung, um das Teatro de Urgencia, ein auf die politischen Umstände und mangelnden Ressourcen im Ausnahmezustand reagierendes Theater, voranzutreiben, welches nicht nur ideologisch, sondern auch ästhetisch wertvoll sein sollte (Lentzen 2012, S. 150–154). Dabei wurde dem Verbund für zwei Monate das Teatro Español de Madrid zur Bespielung gewährt, und León konnte das Teatro de la Zarzuela als festes Theaterhaus für Dramen revolutionärer Ästhetik öffnen. León war dabei teilweise in der Regie tätig. 18 Auf Befehl des Ministerio de Instrucción Pública y Bellas Artes wurden die mobilen Theatergruppen, die Guerillas de Teatro gegründet, auch wenn diese Agitpropgruppen auch bereits vorher aus Eigeninitiativen heraus existierten (Aznar Soler 2000, S. 52). 19 »Qué sencilla y trivial era nuestra alegría! No era la primera vez que un ómnibus teatral se encaminaba hacia los pueblos españoles. Lo mismo habían hecho ›Las Misiones Pedagógicas‹, con Casona y el ›Teatro Universitario la Barraca‹, con Federico Garcia Lorca.« (León 2000, S. 85). 20 »El pequeño grupo que se llamó ›Guerrillas del Teatro‹ obedecía a las circunstancias de la guerra. Fue nuestra guerra pequeña [...]. La guerra nos había obligado a cerrar el gran teatro de la Zarzuela

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Aufbauend auf ihr bisheriges Schaffen, ist die Agitpropgruppe jener Verbund, durch welchen León auch rückblickend betrachtet das politische Wirken der Kunst am deutlichsten sieht. In ihrer Autobiografie bringt sie die starke Identifikation mit den Guerrillas zum Ausdruck: »Wenn ich an etwas gebunden bin, dann an die Gruppe, die sich ›Guerrillas del Teatro del Ejército del Centro‹ nannte.«21 Die Bedeutung dieser Gruppe verdankt sich der unterstützenden Haltung der Republik gegenüber kulturellen Manifestationen, ein zentrales Thema in mehreren biografisch motivierten Romanen Leóns, vor allem in Juego Limpio. Die Guerrillas de Teatro verstärken die kulturaffine Haltung der Republik, der zufolge aus allen Lebens- und Arbeitsbereichen heraus ein Beitrag für die Causa geleistet werden kann. Die Erbauung der Soldaten durch Theater an der Front zeigt, auf welche Art der Zusammenhalt und die Kraft der Republikaner geschaffen wird. Das Motiv der alegría, des freudigen und fröhlichen Zusammenseins unter belastenden Umständen, wird in Juego Limpio eindrücklich dargestellt: einerseits im oft heiteren Zusammenleben der SchauspielerInnen in der Alianza, obwohl die Schrecken des Lebens im belagerten Madrid allgegenwärtig sind, andererseits in der kraftspendenden Aufgabe des Fronttheaters, wie hier von der Figur Claudio dargestellt: Unser Soldat ist nicht mehr als ein naiver Bauer oder ein armer Kerl aus der Stadt, der wenig ins Theater ging; die Guerrillas sind eine Waffe des Kriegs. Der Mitkämpfer an den stabilisierten Fronten ist ein Arbeiter ohne Arbeit, er braucht Moral. Die Moral hat Flügel, um den Geist der Menschen zu heben, man nennt sie Freude. Wir sind das Vergessen und die Freude. Und ihr wisst schon, die Guerrilleros fragen nie, bitten nie, werden nie müde, und kommentieren nie das, was sie gesehen habe. Verstanden?22

Auch in der Figurenrede in Juego Limpio und in reflexiven Exkursen der Erzählerin in Memoria de la melancolía wird die alegría in ihrer Funktion als Kraftquelle reflektiert, die auch noch in der Retrospektive wirkt. Dies betrifft einerseits die Erzählerin der Memoiren in Memoria de la Melancolía:

y también la guerra había convertido a los actores en soldados. Este llamamiento a las armas nos hizo tomar una resolución y la tomamos. ¿Por qué no ir hasta la línea de fuego con nuestro teatro? Así lo hicimos […]« (León 1999, S. 112). 21 »Si a algo estoy encadenada es al grupo que se llamó ›Guerrillas del Teatro del Ejército del Centro‹« (León 1999, S. 112). 22 »Nuestro soldado no es más que un campesino ingenuo o un muchacho pobre de ciudad que fue poco al teatro; las Guerillas son un arma de guerra. El combatiente en los frentes estabilizados es un obrero sin trabajo; necesita moral. La moral tiene un ala para levantar el espíritu del hombre: se llama alegría. Nosotros somos el olvido y la alegría. Y ya sabéis: los guerrilleros no preguntan jamás, no piden nada jamás, no se cansan jamás, no comentan lo que han visto jamás. ¿Entendido?« (León 2000, S. 85).

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Glückliche Tage. Glücklich, die Tage des Kriegs? Sind Sie verrückt? Und ich füge hinzu, um den Angriff jener, die nicht verstehen, abzuwenden: die besten unseres Lebens.23 Ich habe es viele Male erzählt. Gut, María Teresa, es reicht, du hast es schon zwanzigmal erzählt. Aber ich mache weiter, weil es die Rückkehr in das Glück ist, das einen Moment dauert. Ich konstruiere mich immer wieder neu, wie es die Kinder in ihren Spielen machen […]. Ja, es war sehr angenehm, das brennende Spanien zu durchqueren, das uns noch gehörte.24

Jedoch auch im retrospektiven Erzählen der Figur Camilo in Juego Limpio kommt die Wehmut angesichts der Vergänglichkeit und der Unwiderruflichkeit des Vergangenen zum Tragen: Angenehme, angenehme vollendete Ferien! Wir werden sterben, die wir in jenen aufregenden Stunden zusammengelebt haben, es werden unsere Kinder sterben und die Kinder ihrer Kinder und alles wird vergessen sein, weil jedes Leben kaum ein kleines Tuch voller Tränen ist; es wird die Erinnerung sterben und das zarteste Gesicht der Erinnerung, und niemand wird wieder daran denken, was uns passiert ist.25

Wie bereits an den Pronomen in den gewählten Textauszügen ersichtlich wird, ist im literarischen Erinnern zumeist die Rede von einem erinnernden »Ich« an ein erlebtes »Wir«. Die Konstruktion des Schreibprozesses zielt nicht auf ein autobiografisches Erinnern ab, sondern will auf das Vorhandensein einer Gemeinschaft aufmerksam machen. In Juego Limpio gibt es die Nebenfigur María Teresa León, die im Geschehen zwar präsent ist und eine gewisse Autorität innehat, deren Charakter aber nicht weiter ausgearbeitet wird. Protagonismus erfährt die Figur auch nur in der Sequenz, in der der Hund Niebla verschwindet und sie auf ihre Begegnung mit dem Tier aufbauend die Episode des Kriegsbeginns auf Ibiza erzählt. In der Autobiografie wird von der Epoche des Kriegs hauptsächlich im »Wir« berichtet, was laut Herrmanns Untersuchungen zum Sprachgebrauch beim Erinnerungserzählen von milicianas und insbesondere in den Autobiografien Albertis und Leóns in der kommunistischen Ideologie der Gemeinschaft und der Nostalgie begründet ist.26 An einer Stelle aber wird durch ein retrospektives »Ich«, welches von der Angst vor dem Vergessen geprägt ist, der Beitrag Leóns 23 »Días felices. ¿Felices los días de guerra? ¿Está usted loca? Y yo añado, para evitar la agresión de los que no entienden: los mejores de nuestra vida.« (León 1999, S. 380). 24 »Lo he contado muchas veces. Bueno, María Teresa, basta, ya lo has contado veinte veces. Pero yo sigo porque es el regreso de la felicidad que dura un instante. Yo vuelvo a reconstruirme como lo hacen los niños con sus juegos [...]. Sí, era muy dulce atraversar la España ardiendo que aún nos pertenecía.« (León 1999, S. 114). 25 »¡Dulces, dulces vacaciones perfectas! Morirán los que vivimos reunidos aquellas horas exaltadas, morirán sus hijos y los hijos de sus hijos y todo se olvidará, porque cada vida es apenas un breve pañuelo de lágrimas; morirá el recuerdo y el rastro más sutil del recuerdo, y nadie volverá a pensar en lo que nos ocurrió.« (León 2000, S. 13). 26 Herrmann 1998, S. 233–248.

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zur alegría dargestellt, jener Kraft, welche es ermöglichte, unter den bedrohlichen Umständen zu arbeiten: Wir gewöhnen uns an Menschen, die sterben müssen und an Dinge, die bleiben werden. Ich werde nicht hier bleiben, aber wenn ich mich dann nicht mehr erinnere, erinnert ihr die Male, die ich mich vom Sessel erhob, den Kaffee, den ich euch machte, die Nachsicht, die ich hatte, als ich sah, wie ihr meine Arbeit verschlangt, ohne mir etwas zu sagen. Erinnert unsere kleine, gemeinsame Freude […].27

Das Theater, das in Leóns Leben einen hohen Stellenwert einnahm und so auch in Juego Limpio den Kontext darstellt, wird in der Autobiografie ebenso als Metapher aufgegriffen, um über die Wertschätzung und Autorität im öffentlichen Raum zu sprechen: Sie rufen uns: »He, gehen Sie. Ihre Rolle ist zu Ende. Verlassen Sie die Bühne. […] Ziehen Sie sich zurück, bitte, es müssen andere eintreten. Wie hartnäckig Sie sind. Sehen Sie nicht, wie das Publikum gähnt? […] Das Bleiben ist ein Vertrauensmissbrauch. […] Die Sache ist, dass ich traurig bin. Werden Sie nicht wütend, ich gehe ja schon. Aber, wer wird diese traurige Geschichte erzählen können, wenn ich es nicht mache? Ich weiß schon, der Text ist nicht von mir, […] wir sind alle die Lautsprecher von jemandem […]. Wir sind voller fremder Phrasen, […]. Glauben Sie, ich klage, weil ich von der Bühne gehen muss? Nein, nein, es ist, weil ich die Zeitung von heute Morgen gelesen habe und mir die Knochen wehtun und knirschen.28

Das Bedürfnis, die als kollektiv wahrgenommene Erfahrung an eine Öffentlichkeit zu tragen, welche sie aber nicht hören will, wird mit ungewünschten »Sondereinlagen« von Menschen verglichen, welche sich auf eine Bühne drängen, die nicht für sie bestimmt ist. Die andere dargestellte Variante ist der resignierte Rückzug in den Hintergrund:

27 »Nos aficionamos a gente que se debe morir y a cosas que se van a quedar.Yo no quedaré, pero cuando yo no recuerde, recordad vosotros las veces que me levanté de la silla, el café que os hice, la indulgencia que tuve al veros devorar mi trabajo sin decirme nada. Recordad nuestra pequeña alegría común [..] (León 1999, S. 303). 28 »Nos están llamando: ›Eh, váyase.‹ Su papel no da para más. Salga de la escena. [...] Retírese, por favor, tienen que entrar los otros. Qué insistente es usted. ¿No vé como bosteza el público? [...] El quedarse es un abuso de confianza [...]. Es que estoy triste. No se enfade, ya me marcho. Pero ›¿quién podrá contar esta triste historia‹ si yo no lo hago? Ya sé que el verso no es mío, [...] todos somos altavoces de alguien. [...] Estamos llenos de frases ajenas, [...] ¿Piensa que me lamento porque tengo que salir de escena? No, no, es porque he leído el diario de esta mañana y me duelen los huesos y me crujen.« (León 1999, S. 325–326).

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Ich versuche immer jene Schritte nachzuvollziehen, die ich so viele Jahre gemacht habe, während ich alt werde, weiß werde, mich zurückziehe wie jemand, der von der Bühne geht, nachdem seine Rolle erfüllt ist. Dies ist das Schicksal der verbannten Spanier.29

Das starke Wir liegt in der Vergangenheit, in der Gegenwart leben isolierte Ichs, deren Erinnerung an das kommunale Wir niemand hören will. Es wurde der lebensgeschichtliche Zusammenhang zwischen Erfahrung und deren Literarisierung aufgezeigt. Wie lässt sich nun erfassen, was im literarischen Spiel des Erinnerns durch die Narrativierung von Erfahrung geschieht?

Eine broken narrative? Grundlegend ist zunächst die sinnstiftende Funktion der Narrative durch Verzeitlichung: Es wird »die Zeit in dem Maße zur menschlichen […], in dem sie sich nach dem Modus des Narrativen gestaltet«, während umgekehrt »die Erzählung ihren vollen Sinn erlangt, wenn sie eine Bedingung der zeitlichen Existenz wird«.30 Die Sinnstiftung durch das Setzen von Anfang und Ende in der narrativen Vermittlung ordnet die Willkürlichkeit allen Geschehens, wobei die »Kompositionskunst« es schafft, »diese Dissonanz als eine Konsonanz erscheinen zu lassen«.31 Diese Dissonanz ist ein Bruch, der Veränderung hervorruft, und dieser lässt sich »in all seinen verschiedenen Bedeutungen […] demzufolge nicht einfach als simple historische Tatsache begreifen, sondern als eine Form des narrativen Emplotments.«32 Von der »simplen historischen Tatsache«, die einem narrativ konstituierten Bruch vorausgeht, wird hier als »Ereignis« (event) gesprochen, und dies ist in den Beispielstexten generell das Ensemble aus (langjährigem und nicht absehbar endendem) Exil, Niederlage im Kampf gegen den Faschismus und die Trennung von geliebten Angehörigen und geschätzten Persönlichkeiten der Kultur durch die Diaspora oder den Tod. Müller-Funk, der zwischen »Bruch« (rupture) und Brucherzählung (broken narrative) unterscheidet, vergleicht die positive oder negative Konnotation eines »Bruchs« mit dem Opfer- und Tätermotiv.33 Handelt es sich um einen Bruch als Zusammenbruch, der individuell oder kollektiv, historisch oder biografisch als traumatisierendes Ereignis wahrgenommen wird, wie etwa die Situation des Exils, leiden Betroffene als passive Opfer des Geschehens. Solch ein unwider29 »Estoy siempre yendo hacia aquellos pasos dados por allá durante tantos años, mientras me voy envejeciendo, emblanqueciendo, retirándome como quien se va de la escena después de cumplido su papel. Ha sido el destino de los españoles desterrados.« (León, 1999, S. 461). 30 Ricoeur 1988, S. 86. 31 Ricoeur 1988, ebd. 32 Müller-Funk 2016, S. 21. 33 Ebd.

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ruflicher Bruch ermöglicht keine Erzählung, durch welche dieser überwunden werden kann und stellt somit die zentrale narrative Funktion des Sinnstiftens und die der Selbstheilung durch das Erzählen in Frage. So verweisen broken narratives auf eine »Kultur, in der die zentrale Funktion von Narrativisierung nicht länger funktioniert.«34 Der Titel von Leóns Memoiren gibt bereits deren Programm preis: »la reiteración de palabras tristes« ist Bestandteil der melancholischen Verarbeitung des individuellen und kollektiven Traumas und wiederholt dieses, ohne es zu heilen.35 Dem gegenüber steht eine positive Konnotation des Bruchs als Aufbruch, bei welchem das Vergangene überwunden und etwas Neues geschaffen wird, wobei die Tätigkeit der Zerstörung des Vorhergehenden nicht als schädigend gilt. Die beiden Arten der Brucherzählung neutralisieren sich aber nicht gegenseitig, weshalb dem Bruch eine gewisse Ambivalenz innewohnt, der Kennzeichen »eines spezifizierten Modernismus ohne Illusion« ist.36 Auf den Erzählebenen nach Genette lässt sich eine broken narrative strukturell feststellen. Nach Nünning/Nünning sind Merkmale von Brüchen in broken narratives Diskontinuität, Unabgeschlossenheit, Fragmentierung und Anzeichen von dem Bewusstsein, dass das Geschehene ein großes Ausmaß annimmt.37 Diese manifestieren sich 1) im Ereignis (event) der histoire, 2) dem Bruch (rupture), der auf der Ebene des discourse durch Emplotment hervorgebracht wird und 3) im Erzählakt (récit) der Brucherzählung (broken narrative). Ein Bruch der histoire findet sich in beiden Textbeispielen durch das Ereignis (event) des Siegs des Faschismus und des dadurch eingeleiteten Exils der linken Intellektuellen bzw. deren Isolation durch Trennung oder Tod. Auf der Ebene des discourse werden diese Ereignisse durch lokale und temporale (Dis)-Kontinuitätsstiftung als einschneidender Bruch in der Biografie der Figuren bzw. der autodiegetischen Erinnerungserzählerin generiert: Die Trennung der Figuren in Juego Limpio lässt den Protagonisten zutiefst verstört zurück, und vor ihm liegt eine ungewisse Zukunft, in der keine mögliche Anbindung an das Erfahrene besteht. Jedoch hat die Retrospektive eine gewisse heilende Wirkung und kann das Erzählte abschließen. Der autodiegetischen Erinnerungserzählerin der Memoiren aber wird durch den Bruch des Exils und des Alters ein geschlossenes Ende der Erzählung verwehrt, wie auch das gesamte Werk den Charakter des Fragmentarischen besitzt. Zuletzt kann »Brüchigkeit« auf der Ebene des performativen Erzählaktes (récit) identifiziert werden, worauf in Juego Limpio die multiperspektivische Erzählweise hinweist, während in Memoria de la melancolía die Distanznahme der Erzählerin zum eigenen Erinnerungsvermögen und andere 34 Müller-Funk 2016, S. 22. 35 Vgl. Herrmann 1998, S. 227–233. 36 Müller-Funk 2016, S. 24. 37 Nünning/Nünning 2016, S. 49–50.

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erzählerische Mittel, welche Unzuverlässigkeit signalisieren, den Akt der Sinnund Kohärenzstiftung durchkreuzen.38 Wir haben es also mit zwei Erzählungen zu tun, von denen die eine, Juego Limpio, als ein Aufbruch, als eine aktive Bruch-Überwindungserzählung gesehen werden könnte. Das gesamte retrospektive Erzählen, welches multiperspektivisch angelegt ist und sich einerseits chronologisch und perspektivisch überlappt und andererseits einen episodischen Erzählrahmen verfolgt, kommt am Ende wieder zusammen in der Erinnerung des schreibenden Camilo, der sich durch das Niederschreiben der Worte, die niemand (innerhalb der Diegese) lesen wird, Frieden verschafft. Dadurch überwindet er den Bruch in der Erzählung, der nach Müller-Funk bedeutet, »sich noch immer in einer paradoxen Beziehung zu jenen Personen und zu jenen Projekten zu befinden, mit denen man gebrochen und die man verworfen hat« und »mit einer Idee von Kultur verknüpft [zu sein], die in permanentem Konflikt nicht nur zu ihrer Vergangenheit, sondern zu sich selbst, zu ihrer Gegenwart und zu ihrer Zukunft steht.«39 Innerhalb der Diegese ist die Lösung dieses Konflikts möglich, weil die Figur zu der Erkenntnis kommen kann, dass die Erfahrung des Zusammenlebens in der Alianza die wichtigste ihres Lebens war und in ihrer niedergeschriebenen Erinnerung wertvoll bleibt. Dass das Erzählte niemand lesen wird, schmälert seinen Wert nicht. Memoria de la melancolía könnte dagegen vollständig als broken narrative eingestuft werden. Narratologisch interessant an Autobiografien ist nach Nünning/Nünning die Beziehung zwischen erzählendem Ich und erlebendem Ich der Vergangenheit.40 In herkömmlichen Autobiografien ist zwar eine (zeitliche und moralische) Distanz zwischen den beiden Instanzen erkennbar, aber dennoch bleibt klar, dass es sich um dieselbe Person mit psychologischer Kontinuität handelt. Bei broken narratives aber ist die Übereinstimmung zwischen beiden so gering, dass die Vorstellung von Identität in Frage gestellt werden kann, welche aus der Erzählung hervorgeht: […] broken narratives, […] they are not given, on the level of the story, but are rather retrospectively constructed or projected onto that level by a narrator endowed with the benefit of hindsight who fails to make any coherent sense of his life.41

So auch bei der Erzählerin León, die laufend ihr eigenes Erinnerungsvermögen hinterfragt, die von ihrem kindlichen Ich in der dritten Person und von ihrer Teilnahme an den Kreisen der linken Intellektuellen im »Wir« spricht. Über den »brüchigen« Charakter von Memoria de la melancolía wurde bereits in unterschiedlichen Kontexten geschrieben: Alda Blanco illustriert den Zusammenhang 38 Vgl. Allrath 2005 und Nünning 2013, S. 27–28. 39 Müller-Funk 2016, S. 26–27. 40 Nünning/Nünning 2016, S. 64. 41 Nünning/Nüning 2016, S. 70.

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zwischen persönlichem und kollektivem Gedächtnisverlust.42 Karla Zepeda untersuchte die aus dem Exil hervorgebrachte Konstruktion spanischer Identität.43 Auch Ofelia Ferrán stellt in ihrer Analyse der Performanz der Autobiografie eine exilbedingte (Dis)-Identification fest.44 Herrmann unterwirft den Text der psychoanalytischen Interpretation von »Melancholie« und literarischer Trauerarbeit.45 Loureiro untersucht den Text in Hinblick auf die »Ruinen der Erinnerung« in Autobiografien nach subjekttheoretischen Ansätzen nach dem ethical turn.46 María-Teresa Quiros-Fernández beschäftigt sich schließlich mit dem stereophonen Charakter der Autobiografien Albertis und Leóns.47

Conclusio Im Folgenden wird eine weitere Art des Bruchs vorgeschlagen: die Identifizierung einer transgenerischen broken narrative. Wie oben illustriert, stellt León ihr schriftstellerisches Schaffen in den Dienst ihrer politischen Aktivität. Je nach Entstehungskontext beinhalten ihre Texte die Intention der Verbreitung von Ideen, Aufklärung, Erbauung, Solidarisierung – v.a. während der Zweiten Republik und während des Bürgerkriegs – oder aber sie tragen zum kollektiven Erinnern an die politische und kulturelle Vergangenheit bei, was in sämtlichen Werken des Exils der Fall ist. Dabei schafft die Bewegung von fiktionalen Gattungen hin zu nicht-fiktionalen Memoiren eine neue Bedeutung, die nur werkübergreifend zu verstehen ist: Die Werke der frühen Exiljahre, wie Juego Limpio, zeugen noch von dem Vertrauen in die sinnstiftende und heilende Kraft der Narrative, die es schafft, gesellschaftliches Bewusstsein über Vergangenes und auch Gegenwärtiges zu verändern, also Medium des kollektiven Gedächtnisses zu werden.48 Das Verstreichen einiger Jahrzehnte geht mit der Frustration darüber einher, dass sich an der Situation der Exilierten und der politischen Lage in Spanien nichts Wesentliches geändert hat, was zu einem Perspektivenwechsel in Bezug auf die Geschichte geführt hätte. Somit vergeht auch die Kraft der Erzählung, die nur wirken kann, wenn sie sich von der Schwärze des beschriebenen Blattes lösen und in Form von Bildern und Ideen in der Vorstellung von Leserinnen und Lesern aufsteigen kann. Im italienischen Exil, abgetrennt von den Kontakten, die León in Argentinien noch besaß, schien die Grenzen aufbrechende Wirkung der 42 Vgl. Blanco 1991. 43 Zepeda 2012, S. 45–70. 44 Vgl. Ferrán 2005. 45 Vgl. Herrmann 1998, S. 200–283. 46 Vgl. Loureiro 2000, S. 64–99. 47 Vgl. Quirós-Fernández 2006. 48 Vgl. Erll 2005, S. 254–256.

Auf den Spuren von María Teresa León

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Fiktion wohl zu schwach, um das Desinteresse an einer spanischen Gedächtniskultur zu überwinden. Was zunächst dem Lebensabend der Autorin angemessen erscheint, erweist sich in diesem Kontext als eine neue Art des Erzählens: Die Wahl der fragmentierten, wahrhaft melancholischen Memoiren trachtet nämlich nicht danach, einen Bruch zu überwinden. Sie dokumentiert vielmehr einen Zusammenbruch, in dem – durch die Gattung – die offene Fiktion verweigert wird, aber gleichzeitig – durch die unzuverlässige Erinnerungserzählerin – die Möglichkeit des nicht-fiktionalen Erzählens der historischen Wahrheit hinterfragt wird. Somit wird die Autorinnenfunktion werkübergreifend Teil des narrativen Spiels, welches sich stets um das Ereignis des Verlusts dreht. In diesem Sinn kann das Gesamtwerk von Teresa León als eine transgenerische Brucherzählung betrachtet werden.

Bibliographie Allrath, Gaby: Unreliable Narration und Gender. Fay Weldons »Life Force« als Beispiel für eine geschlechterkritische Funktionalisierung unzuverlässigen Erzählens, in: Liptay, Fabienne/Wolf, Yvonne (Hrsg.): Was stimmt denn jetzt? Unzuverlässiges Erzählen in Literatur und Film. München: Edition Text+Kritik (Boorberg Verlag), 2005, S. 233–247. Aznar Soler, Manuel: María Teresa León y el teatro español durante la guerra civil, in: Stichomythia 2000/5, S. 37–54. Aznar Soler, Manuel: »Si mi pluma valiera tu pistola« Segundo Congreso Internacional de Escritores para la Defensa de la Cultura (1937). 2017, verfügbar unter http://www.uv.es/Cultura/c/docs/exppesetsegoncongresplumapistola07cast.htm (09.08.2017). Blanco, Alda: Las voces perdidas: silencio y recuerdo en Memoria de la melancolía de María Teresa León, in: Anthropos, 1991/125 (10 ), S. 45–49. Erll, Astrid: Literatur als Medium des kollektiven Gedächtnisses, in: Erll, Astrid/Nünning, Ansgar (hg.): Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft: theoretische Grundlegung und Anwendungsperspektiven. Berlin: de Gruyter, 2005, S. 249–276. Ferrán, Ofelia: Memoria de la melancolía by María Teresa León: The Performativity and Desidentification of Exilic Memories, in: Journal of Spanish Cultural Studies, 2005/6.1 (03), S. 59–78. Foucault, Michel: Was ist ein Autor? [o. J. 1969.], in: Jannidis, Fotis (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart: Reclam, 2000. S. 198–232. Genette, Gérard: Die Erzählung. 3., durchgeseh. u. korr. Aufl. München: Fink, 2010. Herrmann, Gina: The self writing war: memory texts of the Spanish Civil War and the antifascist resistance. Ithaca, N.Y.: Cornell University Press, 1998. Inestrillas, María del Mar: Exilio, Memoria y Autorrepresentación: La escritura autobiográfica de María Zambrano, María Teresa León y Rosa Chacel. Diss. The Ohio State University 2002. Lanser, Susan S.: Fictions of authority: women writers and narrative voice. Ithaca, NY: Cornwell University Press, 1992.

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La voz. Diario independiente de la noche.Madrid, 30.07.1936 /4.854, S. 3, verfügbar unter http://www.filosofia.org/hem/193/var/9360730.htm (09.08.2017). Lentzen, Manfred: Spanische Literatur im historischen, politischen und kulturellen Kontext. Goldenes Zeitalter, Aufklärung, 20. Jahrhundert. Berlin: Erich Schmidt, 2012. León, María Teresa: Huelga en el puerto, in: Octubre 1933/3, S. 77–80. León, María Teresa: El teatro y la revolución, in: Muchachas, 05/3, 1936. León, María Teresa: A las mujeres españolas, in: El Mono Azul, 1936/13. León, María Teresa: Memoria de la melancolía. [o.J. 1970] Ed. De Gregorio Torres Nebrera. Madrid: Castalia, 1999. León, María Teresa: Juego Limpio. [o.J. 1959] Madrid Visor Libros, 2000. López, Helena: Algunas claves para una lecutra feminista de Memoria de la melancolía, de María Teresa León, in: Journal of Iberian and Latin American Studies, 2004/10/2. S. 147– 167. Loureiro, Angel G.: The ethics of autobiography: replacing the subject in modern Spain. Nashville: Vanderbilt Universitiy Press, 2000. Müller-Funk, Wolfang: Broken Narratives. Die Moderne als Tradition des Bruchs, in: Babka, Anna/Bidwell-Steiner, Marlen, Müller-Funk, Wolfgang (Hg.): Narrative im Bruch. Wien: V&R unipress 2016, S. 19–36. Nünning, Ansgar: Unreliable Narration zur Einführung: Grundzüge einer kognitiv-narratologischen Theorie und Analyse unglaubwürdigen Erzählens, in: Nünning, Ansgar (Hg.): Unreliable Narration. Studien zur Theorie und Praxis unglaubwürdigen Erzählens in der englischsprachigen Erzählliteratur.2 Trier: WVT, 2013, S. 3–40. Nünning, Ansgar/Nünning, Vera: Conceptualizing »Broken Narratives« from a Narratological Perspective, in: Babka, Anna/Bidwell-Steiner, Marlen, Müller-Funk, Wolfgang (Hg.): Narrative im Bruch. Wien: V&R unipress 2016, S. 37–86. Quirós Fernández, María Teresa: Stereophonie der Autobiographie: Begriff und Modell zur Analyse des autobiographischen Schreibens von Paaren am Beispiel von María Teresa León und Rafael Alberti. Tübingen: Niemeyer, 2006. Ricoeur, Paul: Zeit und Erzählung. Bd. 1: Zeit und historische Erzählung. Übersetzt von Rainer Rochlitz. München: Fink, 1988. Serra, Maria Josep: Valencia recuerda el Congreso de Escritores Antifascistas de 1937, in: El País, 05.07.2017, verfügbar unter https://elpais.com/ccaa/1017/07/04/valencia/1499193368 _307136. html (09.08.2017). Varela Fernández, Julia: La larga lucha por la emancipación de las mujeres. Carmen Baroja y Nessi, Zenobia Camprubí Aymar y María Teresa León Goyri, in: Revista de sociología, 2013/98 (4), S. 611–627. Zepeda, Karla: Exile and identity in autobiographies of twentieth-century Spanish women. N.Y./Wien: 2012.

Matilde Eiroa (Madrid)

Narrative der Guerra Civil in der digitalen Gesellschaft: Dimension und Beiträge1

Der Bürgerkrieg ist innerhalb der spanischen Geschichte eines jener Ereignisse mit den am längsten anhaltenden Nachwirkungen. Seit seinem Ende im April 1939 stellt er ein wiederkehrendes, vieldiskutiertes Thema dar, und zwar sowohl während der langen Jahrzehnte der franquistischen Diktatur, während der politischen Übergangsperiode hin zur Demokratie, als auch gegenwärtig. Regierungen und unterschiedlichste soziale Kollektive fanden in ihm ein Instrument, um ihre Positionen zu legitimieren und zu verteidigen oder um ihre Gegenwart zu deuten. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts schenkte die sogenannte generación de los nietos (»Generation der Enkel«) und die damit assoziierte Bewegung dem Konflikt und seinen Folgen besondere Aufmerksamkeit, und sie zeigten sich entschlossen, sich mit der traumatischen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Verbreitung und Nutzerfreundlichkeit neuer Informationstechnologien trugen entschieden dazu bei, dass diese verstärkt in sozialen Netzwerken aktiv wurden und sich dabei am »kollektiven Gedächtnis« orientierten, einem Konzept, das M. Halbwachs definierte um zu verstehen, in welcher Form Erinnerungen an eine Epoche geteilt werden.2 Davon ausgehend ist das Ziel dieser Arbeit eine Analyse der Narrative, die der Bürgerkrieg im digitalen Umfeld hervorbringt, in dem alle sozialen Agenden des Erinnerungsphänomens zusammenlaufen. Diese basiert auf den Schlagzeilen der digitalen Medien mit der größten Reichweite und auf der Datenbank des Forschungsprojekts Hismedi, welche die Auswertung und Klassifizierung von ungefähr tausend digitalen Objekten – Webseiten, Blogs, sozialen Netzwerken, digitalen Bulletins, Videos sowie Dokumentarfilmen zur Historia y Memoria

1 Dieser Artikel fasst Ergebnisse des Projekts Historia y Memoria Histórica on line. Retos y oportunidades para el conocimiento del pasado en Internet (HAR-2015-63582-P MINECO/FEDER) zusammen. 2 Vgl. dazu Halbwachs 1992.

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Histórica en España (Geschichte und Historisches Andenken in Spanien) umfasst.3 Selbstverständlich ermöglichen die Charakteristika des Web 2.0 – Hypertextualität, Multimedialität und Interaktivität – eine andere Lektüre und Visualisierung des Konflikts. Einerseits begünstigt der Zugang, den Bürger zu sozialen Medien und zu verschiedenen Internetformaten haben, die Verbreitung von historischem Wissen und formt eine am User orientierte Narration, in der die einfache und distanzlose Erzählung vorherrscht. Andererseits kann man, vor allem seit der Verabschiedung der Ley de Memoria Histórica de 2007 (»Gesetz des historischen Andenkens«), das Nebeneinander vielfältigster Perspektiven auf den Krieg beobachten, auch wenn der Aspekt der Zurückforderung [der Erinnerung der Besiegten, A.d.Ü.] dominiert. Im Folgenden werden die Dimensionen dargelegt, die der Bürgerkrieg anlässlich seines achtzigsten Jahrestages annahm, also einer Netz-Episode, die ein großes Potenzial birgt, symbolische Bezüge, Bilder, Texte, und Stimmen höchst unterschiedlicher Gesichtspunkte und Absichten zu verbreiten.

Eine instruktive Narration: die kulturelle Produktion rund um den Bürgerkrieg Der Bürgerkrieg löste eine enorme kulturelle Aktivität in einem weit gespannten Rahmen aus, der Publikationen, Foto- und Malereiausstellungen sowie Theaterund Filmvorführungen umfasst. Diese Produktion lässt sich im Kontext der Phänomene der »postmemory« verorten. Dieses Konzept wurde in einem Artikel von Marianne Hirsch geprägt und taucht im Kern der Debatten um die Narrative des Holocaust auf.4 Der Terminus bündelt die Erzählungen derjenigen, die im Umfeld der Zeugen der dramatischen Ereignisse aufwuchsen und diese aus deren Worten und Erinnerungen kennen. Es handelt sich also um das »erworbene« Gedächtnis der Kinder oder Enkelkinder, die das Trauma erbten und die den Wunsch nach einer Wiedergutmachung für die totgeschwiegenen und jahrelang vergessenen Opfer haben. Darüber hinaus bezieht sich das Konzept auch auf die Erinnerungsarbeit unterschiedlichster Fachgebiete, wie der Geschichte (Pierre Nora), der Soziologie (Maurice Halbwachs), der Philosophie (Tzvetan Todorov), der politischen Theorie (Karl Mannheim) oder der Kulturwissenschaften (Andreas Huyssen).

3 Ziele und Materialien des Projektes finden sich unter: http://uc3m.libguides.com/hismedi. Die Datenbank ist zugänglich unter dem Tabreiter »Base de datos«, oder direkt unter: http://hismedi.evilinhd.com/om/. 4 Hirsch 2012, Hirsch 2008, S. 103–128, Hirsch 1992, S. 3–29.

Narrative der Guerra Civil in der digitalen Gesellschaft: Dimension und Beiträge

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In Spanien ist diese postmemory an eine Aufarbeitung der nationalen Vergangenheit aus kultureller Perspektive geknüpft, die sich auf die Erforschung der literarischen und filmischen Produktion des Spätfranquismus und der politischen Transition hin zur Demokratie konzentriert.5 Im digitalen Umfeld liegt der Fokus woanders und ist vielfältiger, da nicht nur Spezialisten intervenieren, sondern auch Bürger, die öffentlich ihre Meinung äußern. Neue Publikationen nehmen einen großen Teil des akademischen Diskurses über den Bürgerkrieg im digitalen Umfeld ein. Überdies ist es einfach, Nachrichten zur historiographischen Produktion und der damit einhergehenden Polemik unter den Spezialisten zu finden, welche oft den angebotenen Interpretationen der Ereignisse entgegentreten. Daran haben unterschiedliche Akteure und Sichtweisen Anteil, von Historikern, Journalisten und Mitgliedern des movimiento por la memoria histórica (»Bewegung für das geschichtliche Angedenken«), bis hin zu Revisionisten, Anhängern der sogenannten La Otra Memoria (»Das andere Gedächtnis«)6 und der neo-franquistischen Strömung. Letztere folgen weiterhin der während der Diktatur gültigen Darstellung der Republik als revolutionäre und kommunistische Regierung. Sie vergleichen die linken Republikaner mit Verbrechern, wobei als einer der wichtigsten Beweise das Massaker in Paracuellos del Jarama als Reaktion auf den drohenden Angriff auf Madrid von Seiten der Aufständischen im Herbst 1936 herangezogen wird. Mit besonderem Nachdruck wird die Regierung der Zweiten Republik diskreditiert, wobei Studien verteilt werden, die Wahlergebnisse und Tricks zur Erreichung des Wahlsiegs des Frente Popular (»Volksfront«), jener linken Koalition, die im Februar 1936 die Wahl gewann, analysiert werden. Das Hauptargument dieser Studien beruht auf der Delegitimierung der Republik als gültige Regierung des Landes, mit dem Ziel, den Militärputsch vom 18. Juli zu legitimieren.7 Einige dieser Erzählungen 5 Vgl. dazu die Bibliographie in Quílez/Rueda 2017. 6 Dieser Terminus wurde als Reaktion auf den verbreiteten Gebrauch des Terminus »Memoria Histórica« geprägt. Er bezieht sich auf die Reklamation der Opfer republikanischer Gewalt und mystifiziert die sogenannte Cruzada de Liberación Nacional (Kreuzzug zur nationalen Befreiung) als den Staatsstreich im Juli 1936. Im Allgemeinen versuchen sie auf ihren Webseiten die Opfer franquistischer Gewalt gegen Gräueltaten in der republikanischen Zone abzugelten und damit zu zeigen, dass alle gleich waren oder dass die Republikaner sehr gewalttätige Menschen waren, folglich sei der Militärputsch gerechtfertigt gewesen. Unter den vielen Beispielen seien hier genannt:.«La otra Memoria,« http://hismedi.evilinhd.com/om/items/show/380. »Los otros nombres: Héroes y Mártires (1936–1939)«, http://hismedi.evilinhd.com/om/items/show/399. »Los otros nombres. Toledo Héroes y Mártires,« http://hismedi.evilinhd.com/om/items/show/400. »Los otros nombres. Badajoz. Héroes y Mártires«, http://hismedi.evilinhd.com/om/i-tems/show/401. Alle Seiten wurden am 22. Mai 2017 abgerufen. 7 Einige Artikel, die diese Argumentation illustrieren finden sich auf Ángel Luis López Villaverde: »Lo que la ›verdad‹ esconde. A propósito de fraudes y violencias en 1936«, Ctxt. Contexto y acción, 3. Mai 2017, http://ctxt.es/es/20170503/Firmas/12537/II-republica-frente-popular-golpede-estado-alvarez-tardio-rob-erto-villa.htm. Ebenso auf Francisco Espinosa: »Receta antigua:

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bedienen sich einer Argumentation, die jener während der Diktatur ähnelt, als der freie Zugang zu Archiven verboten und eine akademische und journalistische Debatte nicht möglich war. Diese Bewegung, die sich auf andere europäische Länder ausgebreitet hat, steht den Gruppierungen der europäischen Ultrarechten und der Strömung der Holocaustleugner nahe. In Spanien artikulieren sie sich in verschiedenen Kommunikationsmedien, auf Youtube und auf einigen Webseiten.8 Vielfach wird dabei die Vergangenheit benutzt, um ein Narrativ zu konstruieren, das den PSOE und die linken Parteien mit der Politik der Dreißigerjahre, mit dem öffentlichen Chaos, der Radikalität und der von Führungskräften der Linken verbreiteten Gefahr in Verbindung bringt. Weiters verteidigen sie die Beibehaltung von Monumenten und Straßennamen, die Helden des Franquismus verherrlichen, betonen die republikanische Gewalt und verschweigen oder verniedlichen die franquistische, oder aber stellen sie als legitime Reaktion auf die Gewalttätigkeit der Volksfront dar. In den meisten Fällen jedoch verbreiten sie lediglich die Nachricht über ein neues Buch, begleitet von einem Interview mit seinem Autor, wie etwa jenes mit dem Titel El ›silenciado‹ genocidio de Córdoba capital« (der verheimlichte Genozid von Cordoba Stadt), die eine Rezension des Werks des Historikers Francisco Moreno Gómez über im Sommer 1936 von den Aufständischen in Córdoba verübten Massaker beinhaltete.9 Fiktionale Neuerscheinungen über den Krieg bilden ein fest verankertes literarisches Korpus mit einer beachtlichen Resonanz. David Becerra bekräftigt in seinem Aufsatz La guerra civil como moda literaria (»der Bürgerkrieg als literarische Mode«), es handle sich dabei um eine Thematik, in der das historische Ereignis wie eine Landschaft fungiere, um persönliche Geschichten mit dem Ziel zu erzählen, den Konflikt zu entideologisieren und zu entpolitisieren.10 Seiner Ansicht nach sei die Erzählung, die sie vermitteln, trivialisiert und postmodern und entwerfe eine Gleichsetzung der Konfliktparteien oder eine »Gleichgewalt«(equiviolencia), also die Idee, dass alle gleich waren und die gleichen Verantwortlichkeiten teilten. In diesem Kontext wären Soldados de Salamina (»Soldaten von Salamis«) von Javier Cercas oder La noche de los tiempos (»Die Nacht der Zeit«) von Muñoz Molina zu verorten, wohingegen Luna Lunera von Rosa »Fraude electoral 1936« al horno, Eldiario.es, 3. Mai 2017, http://www.eldiario.es/tribunaabierta/Receta-antigua-Fraude-electoral-horno_6_639796034.html. 8 Ein Beispiel ist etwa die Website der Fundación Francisco Franco: http://www.fnff.es/, ebenso wie www.generalisimofranco.com, oder der Blog der Asociación para la Divulgación de la Verdad Histórica (Vereinigung zur Verbreitung der Historischen Wahrheit): http://divulgacion-historica.blogspot.com.es/. 9 María Serrano Velázquez: »El ›silenciado‹ genocidio de Córdoba capital«, Público.es http://www.publico.es/politica/silenciado-genocidio-cordoba-capital.html, Zugriff 30. Oktober 2016. 10 Siehe dazu Paula Corroto, »La guerra civil todavía no ha sido narrada«, eldiario.es, http:// www.eldiario.es/cultura/libros/Guerra-Civil-todavia-narrada_0_365713812.html, Zugriff 12. März 2015.

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Regás oder Los girasoles ciegos (»Die blinden Sonnenblumen«) von Alberto Méndez Werke wären, die weder dem franquistischen Mythos noch der Äquidistanz zwischen den beiden Lagern verfallen. Generell hatten diese Werke eine wichtige Medienberichterstattung und viele erzielten große Verkaufserfolge, wie der Roman El tiempo entre costuras (»das Echo der Träume«) von María Dueñas, der fürs Fernsehen als Serie mit hoher Einschaltquote adaptiert wurde. Gelegentlich scheinen sich diese Werke in Substitute für Erinnerungsorte und in Bande mit den Besiegten zu verwandeln, mit dem Ziel sie für die Geschichte der Nation zu vereinnahmen.11 Auch andere kulturelle Aktivitäten, wie das Theater oder Foto- und Kunstausstellungen, fanden in den digitalen Medien großes Echo. Mit diesen Veranstaltungen wohnt man den traumatischsten menschlichen Erfahrungen des Konflikts bei, wie dem Verlust von geliebten Personen. Davon erzählt etwa das Werk Exhumación, Materia Cruda (»Exhumierung, Rohmaterial«)12 oder die Ausstellung Paisajes de una guerra (2015) (»Landschaften eines Krieges«), welche Fotografien, Modelle und Objekte umfasst, die bei Ausgrabungen an Kampfschauplätzen gefunden wurden und so die Katastrophe des Angriffs auf Madrid materiell rekonstruiert.13 Schließlich erweist sich der Krieg auch im Freizeit- und Unterhaltungsbereich als äußerst präsent. So wird die Nutzung der Kriegsgeographie als Attraktion für Kulturtourismus immer üblicher. Verschiedene Facebook-Gruppen teilen Routen, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad den Pfaden der Kampfverläufe folgen, um die Archäologie des Konflikts kennenzulernen.14 Darüber hinaus gibt es in den sozialen Netzwerken eine gewisse Sammelaktivität in Bezug auf Kriegsmaterial, Fotografien, Postkarten und Briefmarken.15 Dieses Interesse bedeutet jedoch nicht unbedingt eine Banalisierung des Konflikts, sondern ist vielmehr Ausdruck der Begeisterung für Geschichte oder kulturelle Unterhaltung.

11 Vgl. u.a. López 2017, S. 111–126; Cruz/González 2013, Cuñado 2007. 12 Es handelt sich um ein Werk von Mercedes Herrero, in dem vier achzigjährige Frauen vom Verschwinden ihrer Eltern erzählen. Vgl. dazu Alfonso Álvarez-Dardet, »La vergüenza del olvido«, Público.es, Zugriff 14. Februar 2015, http://www.publico.es/ culturas/vergueenza-del-olvido.html. 13 Die Ausstellung wurde von der Universidad Complutense de Madrid in der Casa de Velázquez organisiert, die in der Ciudad Universitaria liegt. Die Dokumentation dazu findet sich in der FacebookGruppe @centroartecomplutense: https://www.facebook.com/permalink.php? story_fbid=10153857 677530400&i-d=221493565399&fref=nf, geposted am 28. April 2015. 14 Ein Beispiel dafür wäre Asociación Tajar, https://www.facebook.com/asociaciontajar, o die persönliche Website von Nick Lloyd, Spanish Civil War Tours, https://www.facebook.com/nick. lloyd.5?fref=ts. 15 Unter anderem auf https://www.facebook.com/Spanish-Civil-War-Stamps-1623602431221107/, https://in-stagram.com/toledogce/, https://twitter.com/batallaebre, http://www.guerracivil.org/ juegos.html, etc.

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Der Bürgerkrieg und die politische Narration: Rückforderung und Präsenz der Vergangenheit in unserer Zeit Wie bereits erwähnt, stellt der Bürgerkrieg einen Markstein in der Geschichte Spaniens dar und behält bis in die Gegenwart den Charakter einer Konfrontation, die nicht nur im kulturellen oder akademischen Bereich, sondern auch von der politischen Klasse getragen wird. Bezugnahmen auf diese Geschichte hatten an den Auseinandersetzungen von Parlament und Parteien Anteil, und diese müssen als eine auch im Laufe der Demokratie nicht gelöste Spannung interpretiert werden. Als im Jahr 2007 im spanischen Parlament die Ley de Memoria Histórica verabschiedet wurde, war der Schlagabtausch besonders heftig und blieb ein wiederkehrendes Thema in den Parlaments- und Kommunalwahlen, oder wenn gedenkpolitische Initiativen präsentiert wurden, wie etwa die Prozesse um Exhumierungen, Änderungen der Straßennamen oder Abriss von Monumenten. Manchmal wurde der Krieg in verschiedenen Reden von Politikern erwähnt, um Kritik an den linken Parteien zu üben, die dieses Gesetz unterstützten oder den Partido Popular (PP) dazu gedrängt hatten, den Staatsstreich vom 18. Juli 1936 im Parlament ausdrücklich zu verurteilen. Die Erklärungen einiger Abgeordneter oder parlamentarischer Sprecher, generell in einem abschätzigen Ton geäußert, tadelten das Streben, mit den Geistern der Vergangenheit weiterzumachen, oder die Toten zu wecken und »aficionado a las cunetas« [Grabfans] zu sein – in Anspielung auf die Forderung nach Investitionen in die Exhumierungen von Verschollenen, die noch immer an unbekannten Orten begraben liegen. Kommentare wie diese oder ähnliche führten die Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica (»Vereinigung zum Wiedererlangen des historischen Gedächtnisses«) dazu, die Äußerungen des Sprechers des PP, Rafael Hernando, bei der Bundesstaatsanwaltschaft anzuzeigen, was in Kommunikationsmedien und sozialen Netzwerken für großen Aufruhr sorgte.16 Eine ziemlich geläufige Metapher ist die des Konflikts von 1936 als Beispiel einer Radikalisierung, um die Ängste der Bevölkerung vor neuen politischen 16 Vgl. dazu u.a. das Posting auf der Website der ARMH: http://memoriahistorica.org.es/s1-news/ c1-ultimasnoticias/la-armh-lleva-a-hernando-ante-la-fiscalia-por-su-burla-a-las-victimas-del-fran quismo/. Als Quelle dient eine Nachricht der digitalen Tageszeitung Público.es vom 7. Februar 2017, http://www.publico.es/politica/armh-lleva-hernando-fiscalia-burla.html. Eine Analyse dieser Art von Diskurs gab Pedro Paniagua unter dem Titel Formas de herir la memoria. Repercusión en las redes sociales de las declaraciones de los diputados del Partido Popular Rafael Hernando y Pablo Casado (Formen, wie die Erinnerung verletzt wird. Resonanz der Erklärungen der Abgeordneten des Partido Popular, Rafael Hernando und Pablo Casado, in den sozialen Netzwerken) auf dem Internationalen Kongress La España Actual. Cuarenta años de historia (1976–2016), der von der Asociación de Historia Actual y la Asociación de Historiadores del Presente in der Universität Cádiz von 10. bis 12. Mai 2017 organisiert wurde.

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Parteien wie etwa Podemos zu schüren. Trotzdem gab es bei den Parlamentswahlen vom 20. Dezember 2015 in den Kampagnen der verschiedenen Kandidaten kaum Anspielungen auf den Bürgerkrieg, was einige Meinungsführer sogar dazu veranlasste, endlich von einem Ende des Konflikts auszugehen.17 Die Vereinigungen und Bewegungen für das Andenken hielten dessen ungeachtet an ihrem Kurs des Gedenkens an die Opfer des Krieges und des Franquismus fest, um ihnen Anerkennung zu verschaffen und um die in den Wahlen siegreiche neue Regierung dazu zu bewegen, sich mit den Forderungen nach »verdad, justicia y reparación« (»Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung«) auseinanderzusetzen. Mit dieser Absicht wurde in den sozialen Netzwerken für den 22. November 2015 zu einem Aufmarsch in Madrid aufgerufen, dem außerordentlich viele Menschen folgten.18 Im Umgang der Parteien mit dem Krieg sticht jene der katalanischen Unabhängigkeitsgruppen heraus, die auf einige historische Figuren wie Francesc Cambó und Lluís Companys verweisen. Ihr Gebrauch der Geschichte soll die Unstimmigkeiten zwischen Katalonien und der spanischen Zentralregierung zeigen und die Probleme der aktuellen katalanischen Regierung jenen gleichstellen, die sie mit der republikanischen Regierung 1936 hatte, um so die Einzigartigkeit der Situation Kataloniens verständlich zu machen.19 Rückerstattungsforderungen haben im Druck auf Straßennamensänderungen und Beseitigung von Monumenten, die den Franquismus verherrlichten, mit enormer Intensität Gestalt angenommen. Bei den Gemeinderatswahlen im Frühling 2015, deren Ergebnisse das politische Panorama zahlreicher lokaler Regierungen veränderten, wurden diese Ansprüche wiederbelebt. Anlässlich des Ungehorsams vieler Gemeindeverwaltungen bei der Umsetzung der Ley de la Memoria Histórica, klagte der Anwalt Eduardo Ranz 38 Bürgermeister von Städten wie Madrid, Salamanca oder Zaragoza, weil sie die franquistische Symbolik nicht aus dem öffentlichen Raum verbannt hatten.20 Nach und nach begann man jedoch damit, die antidemokratische Nomenklatur des Straßennetzes abzuändern. Mit der Schlagzeile »Los ayuntamientos del cambio recuperan la memoria« (»Die Gemeinden des Wandels stellen das Andenken wieder her«) wurden auf Público.es am 19. November 2015 die von den neuen Bürgermeistern ergriffenen 17 So etwa Jorge M. Reverte, der am 3.12.2015 in der Online-Ausgabe von El País schrieb: »Se acabó la Guerra Civil« (der Bürgerkrieg ist zu Ende), siehe dazu El País.com, http://elpais.com/elpais/ 2015/12/02/opinion/1449069488_682336.html. 18 Die Kampagne kann man sehen auf Facebook: https://www.facebook.com/ encuentromemoria, und auf Twitter wurde sie unter dem Hashtag #22nYoVoy: https://twitter.com/ encuentromemoria verbreitet. 19 Artikel dazu finden sich auf ABC.es vom 19. Jänner 2015; El Mundo.es, vom 13. August und vom 10. Oktober 2015. 20 Dazu wurden viele Nachrichten publiziert. Unter anderem etwa jene in El Mundo.es vom 11. Februar 2015 oder in Eldiario.es (10. Februar 2015).

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Maßnahmen verkündet. So wurde in Alicante beispielsweise ein Amt des Stadtrats eingerichtet, das die Memoria Histórica einbezog, um den Bürgern die Geschichte der Stadt in Zeiten des Bürgerkriegs zu vermitteln. In Barcelona schlug die Bürgermeisterin Ada Colau einen Aktionsplan für den öffentlichen Raum vor, der »el reconocimiento del dolor y los hechos« (»die Anerkennung des Schmerzen und der Taten«) einschließen sollte. In Madrid allerdings stieß Manuela Carmena aufgrund der Ablehnung des Partido Popular und der starken Polemik, die in den digitalen Foren konservativer Medien aufgekommen war, bei dem Versuch, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen, auf große Schwierigkeiten. Carmena wurde beschuldigt, Wunden der Vergangenheit wieder aufzureißen und sich um Angelegenheiten zu kümmern, die keine Beziehung zur Gegenwart hätten.21 José Utrera Molina, während der franquistischen Diktatur Wohnbauminister und Generalsekretär der sogenannten nationalen Bewegung (= franquistische Einheitspartei, A. de Ü.) verurteilte Carmenas Initiative entschieden, da sie seiner Ansicht nach dem Wunsch entspreche, »sich in unzeitgemäße Siegende eines Kampfes zu verwandeln, den einige nicht mit Ehre zu verlieren wussten«.22 Ein ungelöstes Problem, das eine große Entfremdung hervorruft, ist das Schicksal des Valle de los Caídos, dem in der Sierra de Guadarrama nahe Madrid während der ersten Jahre des Franquismus errichteten Mausoleum, für dessen Bau politische Gefangene herangezogen wurden. Wurde es 1959 mit dem Ziel der Versöhnung zwischen den beiden Spanien und als Grabstätte von Franco und José Antonio Primo de Rivera eingeweiht, so steht es aktuell als größtes Massengrab Spaniens, das um die 30.000 Leichen von Getöteten und Verschollenen des Bürgerkrieges und der Nachkriegszeit beherbergt und in dem der Diktator mit seinen Opfern zusammenliegt, im Zentrum einer großen politischen und sozialen Kontroverse. Die soziale Bewegung für die Memoria, die Angehörigen der im Valle Begrabenen, sowie die linken Parteien fordern eine Entfernung von Francos Leichnam aus der Basilika und eine Umgestaltung des Geländes zu einem Informationszentrum. Unterdessen verweigern die Benediktiner, der für die Basilika zuständige religiöse Orden, sowie die Angehörigen des Diktators die Überführung 21 Das Projekt für Madrid lässt sich nachlesen in Público.es vom 6. Juli 2015 und in Infolibre vom 22. Dezember 2015. Einige Kritiken konservativer Medien sind auf ABC.es vom 22., 23. und 25. Dezember 2015 zu sehen. 22 »convertirse en vencedores extemporáneos de una contienda que algunos no supieron perder con honor«. Siehe dazu José Utrera Molina: »Las calles agraviadas por el rencor« auf Ad.Alerta digital am 29. Dezember 2015. Der Artikel verbreitete sich in Windeseile auf den Webseiten und sozialen Netzwerken, die von der extremen Rechten frequentiert werden, unter anderem auf: http://www.plataforma2003.org/hemos_leido/317.htm, http://www.arribalfu.com/2015/12/la-s-calles-agraviadas-por-el-rencor-por.html, http://www.fnff.es/Las_calles_agraviadas_por_el_rencor_3-030_c.htm.

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seiner Gebeine an einen Friedhof. Sogar der Oberste Gerichtshof lehnte es im Februar 2017 ab, Francos Gebeine zu bergen.23 Diese bislang ungelöste Angelegenheit bringt einerseits das Narrativ der Rückforderung zugunsten der Exhumierungen und der Suche nach republikanischen Verschwundenen hervor, andererseits aber ein Narrativ von historischem Charakter, in dem die sozialen Netzwerke und die Kommunikationsmedien die Geschichte der Errichtung des Valle und die Zielsetzung, die Franco damit verfolgte, rekonstruieren.24 Im Bloßlegen des Fehlens eines Entwurfs zur politischen Gedenkkultur in Spanien, welcher dem anderer europäische Länder entspricht, lässt sich schließlich ein politisches Narrativ ablesen.25

Die sozialen Netzwerke und ihre Narration über die Geschichte gewöhnlicher Männer und Frauen Die verschiedenen Internetformate und sozialen Netzwerke, vor allem Facebook und Twitter, entwickeln sich zu so etwas wie »digitalen Erinnerungsorten«, auf denen Bürger private Dokumente von Angehörigen, die den Bürgerkrieg erlebt hatten, verbreiten, so etwa Fotografien, Briefe oder Tagebücher, die zu wertvollen Primärquellen für Historiker wurden. Das gilt unter anderem für den Blog von Mª José Barreiros über einen Verwandten, der Soldat in einem republikanischen Bataillon war,26 jenen von Isabel Goig über den 1936 von den aufständischen Truppen hingerichteten Bürgermeister eines Dorfes in Navarra,27 oder jenen von Cristina Calandre über ihren Großvater Luis Calandre, einen namhaften republikanischen Kardiologen, der während der Diktatur im sogenannten »inneres Exil« verharrte.28 23 Unter anderen Artikel kann man zum Beispiel nachlesen bei Gustavo García, »Las víctimas del franquismo lamentan que Franco siga en el Valle de los Caídos« auf http://www.elboletin.com/nacional/146266/victimas-franquismo-francp-valle-caidos.html vom 28. Februar 2017; Julia Tena: »Paul Preston: »El mausoleo de Franco en el Valle de los Caídos es mantener un sitio de peregrinación para sus forofos« auf http://www.elespanol.com/opinion/20170224/196230594_0.html (26. Februar 2017). 24 Siehe dazu Julio Martín, »Franco no ordenó su entierro en el Valle de los Caídos: la tumba se improvisó en tres días« auf Elconfidencial.es, http://www.elconfidencial.com/cultura/2017-0302/franco-valle-de-los-caidos-entierro-tumba_1341378/ (2. März 2017). 25 Auf der Website des European Observatory on Memories (EUROM) sind die Arbeiten, die andere Nationen in dieser Hinsicht geleistet haben, leicht einsichtig: http://europeanmemories.net/ 26 Barreiro, Mª José (2007): »Juan López de Gamarra Orozco. Salvando vidas«. (18. Mai 2017), http://hismedi.evilinhd.com/om/items/show/55. 27 Goig Soler, Isabel (2010): »La Vara de la Libertad«. Zugriff am 18. Mai 2017, http://hismedi.evilinhd.com/om/items/show/413. 28 Calandre Hoegnisfeld, Cristina (2017): »Dr. Luis Calandre Ibáñez«. Zugriff am 18. Mai 2017, http://hismedi.evilinhd.com/om/items/show/376.

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Diese für die Sozialgeschichte des Bürgerkrieges wertvollen Materialien stellen eine interessante Bereicherung für die Rekonstruktion von Mikrobiografien gewöhnlicher Leute dar, die unter den Folgen des Konflikts litten. Gewissermaßen fließt diese Erweiterung in die sogenannte »Geschichte von unten« ein, jene Narration der Sozialgeschichte, die aus der marxistischen Historiographie hervorgegangen ist und versucht, die Ereignisse der Vergangenheit ausgehend von unbekannten Figuren der Arbeiter- und Bauernklasse zu rekonstruieren.29 Mithilfe dieser Mittel ist es möglich, Wahrnehmungen und Subjektivitäten ebenso wie konkrete Aspekte des alltäglichen Lebens im Bürgerkrieg sowie in der Nachkriegszeit zu beobachten und die User der menschlichsten Seite jener, die die Epoche erlebten, näher zu bringen. Projekte wie Todos los Nombres (»Alle Namen«), Todos los Rostros (»Alle Gesichter«) oder Nomes e Voces (»Namen und Stimmen«) erarbeiten Mikrobiographien mittels unveröffentlichter Lebensläufe von Männern und Frauen, die in den Kampf verwickelt und Opfern seiner Folgen waren.30 Neben den digitalisierten Materialien dieser sozialen Narration »von unten« finden wir mündliche Geschichten ›gewöhnlicher‹ Bürger, die mit ihrer Stimme, ihrer Gestik und ihrer Mimik von ihren Erinnerungen an den kriegerischen Konflikt erzählen. Diese lebendigen Zeugnisse müssen mit anderen Quellen abgeglichen werden, um ihre Richtigkeit und Glaubwürdigkeit zu belegen. Trotzdem bilden sie ein Gefüge von Stimmen, das mit einiger Stringenz die Informationen der Archivdokumentation und der historiographischen Produktion untermauern. Unter zahlreichen Beispielen bestechen etwa der Dokumentarfilm Del olvido a la memoria. Presas de Franco (»Von der Vergessenheit zur Erinnerung. Gefangene von Franco«), in dem einige Frauen, die aufgrund ihrer Aktivitäten während des Bürgerkrieges und der Nachkriegszeit inhaftiert worden waren, von ihren Erfahrungen im Gefängnis berichten; das baskische Projekt Herri Memoria, das mündliche Erzählungen von Bürgerkriegsgeschädigten aus dem Baskenland umfasst; oder die Reportage Mi Manzanica (»Meine Manzanica«), in der Opfer des Franquismus von ihren Erfahrungen erzählen.31 29 Der Begriff wurde vom französischen Historiker Georges Lefebvre vorgeschlagen und von einer Gruppe marxistischer Historiker in Großbritanien wie Christopher Hill, Eric Hobsbawm, Raphael Samuel, R. Hilton und E.P. Thompson weiterentwickelt. 30 Andalusischer Gewerkschaftsbund. »Todos los Nombres,« http://hismedi.evilinhd.com/om/ items/show/70. Jerez, Paco de (2008). »Todos los Rostros,« http://hismedi.evilinhd.com/ om/items/show/102. Universität von Santiago de Compostela. »Nomes e voces,« http://hismedi. evilinhd.com/om/items/show/71. Zugriffe am 19. Mai 2017. 31 Montes Salguero, Jorge (2015): »Del olvido a la memoria. »Presas de Franco«. Zugriff am 18. Mai 2017, http://hismedi.evilinhd.com/om/items/show/494. Universidad de Oviedo, Fundación Fermín Zapico. (2000). Asociación Elkasko (2016). »Herri Memoria«. Zugriff am 1 Juni 2017, http://hismedi.evilinhd.com/om/items/show/955. PuntdeGir (2016). »Mi Manzanica«. (18 Mai 2017), http://hismedi.evilinhd.com/om/items/show/511.

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Die großen Protagonisten jener Ereignisse lassen sich auf Youtube auffinden, in dessen Dokumentarfilmen und Reportagen es möglich ist, die Stimmen von Manuel Azaña, Präsident der zweiten Republik, oder von Dolores Ibárruri, Generalsekretärin des PCE, anzuhören.32 Den dramatischsten Aspekt dieses sozialen Narrativs bilden jedoch zweifellos die Verschollenen, also jene Menschen, die erschossen und am Tatort begraben wurden oder ohne angemessene Registrierung und ohne Benachrichtigung der Angehörigen in Massengräber überstellt wurden. Das Ausmaß dieses Phänomens ist daran ersichtlich, dass Spanien nach Kambodscha im internationalen Ranking der spurlos Verschollenen den zweiten Platz einnimmt. Diese europäische Sonderstellung wird durch die Tatsache verschärft, dass nach wie vor kein einziges Urteil des Militärgerichts der Diktatur überprüft oder annulliert worden ist.33 Exhumierungen und Funde von Massengräbern bilden in den sozialen Netzwerken die tragischsten und aufwühlendsten Berichte. Sobald menschliche Überreste aus den Gräbern geborgen werden, teilen die diversen Kollektive die Entdeckungen über das Netzwerk des kollektiven Gedächtnisses. Die Untersuchungen an füsilierten Körpern geben Aufschluss über die Art und Weise ihres Todes. Persönliche Gegenstände wie Liebesbriefe, religiöse Symbole, Hygieneartikel oder Fotos von Angehörigen zeichnen den Charakter ihrer Eigentümer als Personen unterschiedlicher Lebensbedingungen und Glaubensvorstellungen, der in den meisten Fällen nicht jenem Profil von Atheisten und Delinquenten entspricht, welches ihnen Jahrzehnte lang zugeschrieben wurde. Die Erben der Opfer fanden im Web 2.0 den geeigneten Ort, um sich über Schwierigkeiten bei der Suche nach den Körpern ihrer Verstorbenen auszutauschen und um eine große virtuelle Gemeinde zu schaffen, die vom Staat Maßnahmen zur würdevollen Bestattung ihrer Toten fordert. Darauf konzentrieren sich die Webseiten einiger Vereinigungen, wie die Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica und ihre regionalen Zweigstellen, die Vereinigung Nuestra Memoria (»Unsere Erinnerung«), Desaparecid@s asesinad@s (»Verschwundene Ermordete«), memoria y justicia… (»Gedenken und Gerechtigkeit…«), la Asociación por la Recuperación de los Desaparecidos en el Franquismo (»Vereinigung zur Bergung der Verschollenen während des Franquismus«) oder der Dokumentarfilm Te sacaré de aquí, abuelo (»Ich bring dich hier raus, Opa«), der die Suche nach einem Vorfahren thematisiert, dessen Körper ohne

32 Docu 3 (2014). »Manuel Azaña, discurso: Paz, piedad y perdón, en el Ayuntamiento de Barcelona el 18 de julio de 1938«, https://www.youtube.com/watch?v=DzOFcKJLMR4. Ilya Ivanov (2014). »Voz de Dolores Ibárruri«, https://www.youtube.com/watch?v=o3iKa8jOweA. (19. Mai 2017). 33 Gutmaro Gómez Bravo, »El poder del 18 de julio«, El País.es, http://elpais.com/elpais/2015/07/14/ opinion/1436888693_209804.html, 18. Juli 2015.

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Autorisierung der Angehörigen ins Valle de los Caídos überführt wurde.34 Manche dieser Seiten stellen sich in den Dienst der Gesellschaft, indem sie Lagepläne von Gräbern und bereits durchgeführten Exhumierungen verbreiten, die eine nationale Geographie der Gewalt nachzeichnen. Sogar in Gegenden wie Burgos oder Salamanca, wo der Staatsstreich nicht als später Triumpf erfolgte, lassen sich Schauplätze von Erschießungen und Massengräber auffinden.35 Unter den im Netz veröffentlichten Straflagern wird vor allem die Präsenz von Gefängnissen – sowohl für Männer als auch für Frauen – und Konzentrationslagern betont, in denen besiegte Republikaner eingesperrt waren. Besonders zahlreich sind Seiten über Lager der Nazis wie Mauthausen, Gusen oder Auschwitz, da dort viele Spanier ihr Leben ließen. Im Allgemeinen werden Listen über Republikaner, die Opfer der Nationalsozialisten waren, sowie Informationen über ihren Verbleib geliefert. Die spanischen Lager hingegen sind kaum im digitalen Umfeld repräsentiert, obwohl es historiographische Forschungen über das sich quer über ganz Spanien ausdehnende Phänomen der Konzentrationslager gibt.36 Unter den im Netz präsenten Lagern treten vor allem jene in Albatera (Alicante) und in Casturera (Badajoz) hervor, wurden sie am Ende des Krieges von den franquistischen Obrigkeiten doch als besonders grausame Unterdrückungszentren geschaffen. Die leidvollen Lebensbedingungen in diesen Stätten der Repression konnten nun durch Karten, Bilder und Stimmen einiger Überlebender offengelegt werden.37

34 Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica (2015). »Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica,« http://hismedi.evilinhd.com/om/items/show/155. »Asociación »Nuestra Memoria«. Desaparecid@s, asesinad@s... memoria y justicia...,« http://hismedi.evilinhd.com/om/items/show/916. Asociación por la Recuperación de los Desaparecidos en el Franquismo (ARDF) (2016).«Asociación por la Recuperación de los Desaparecidos en el Franquismo (ARDF),« http://hismedi.evilinhd.com/om-/items/show/897. TV3 a la carta (2013). »Te sacaré de aquí, abuelo,« http://hismedi.evilinh-d.com/om/items/show/865. Zugriffe am 18. Mai 2017. 35 Unter den vielen Websites seien genannt: Spanische Regierung: »Mapa de fosas y memoria histórica« (»Karte von Massengräbern und historische Erinnerung«), http://hismedi.evilinhd.com/om/items/show/25. García García, Carmen und ihr Forschungsteam: »Mapa de Fosas comunes de Asturias« (»Karte von Massengräbern in Asturias«), http://hismedi.evilinhd.com/om/ items/show/322. Junta de Andalucía, Kulturrat: »Mapa de Fosas« (»Karte von Massengräbern«), http://hismedi.evilinhd.com/om/items/show/235. Generalitat de Catalunya: »Fosses i Repressió« (»Massengräber und Repression«), http://hismedi.evilinhd.com/om/i-tems/show/221. Zugriffe am 19. Mai 2017. 36 Beispielsweise auf http://lahistoriaenlamemoria.blogspot.com.es/p/carceles-madrid.html. Zu Frauengefängnissen: Hernández Holgado, Fernando.«Memoria Prisión de Mujeres de Les Corts. Barcelona, 1939–1955,« Zugriff am 25. Mai 2017, http://hismedi.evilinhd.com/om/ items/show/190. 37 Neben anderen Arbeiten seien hier Egido/Eiroa 2005 und Rodrigo 2005 und Rodrigo 2006 genannt.

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Eine schicksalhafte Folge des Bürgerkrieges war das Exil, also die unfreiwillige Ausreise, zu der sich mehr als 400.000 Republikaner verurteilt sahen, wollten sie ihr Leben noch vor der militärischen Besetzung ihrer Heimatstädte retten. Man geht davon aus, dass ungefähr die Hälfte von ihnen zwischen 1939 und 1940 zurückkehrte, der Rest sich jedoch über Frankreich, Mexiko und andere europäische, amerikanische und nordafrikanische Länder zerstreute. Der Verlust dieses Reichtums an menschlichen Ressourcen für die spanische Gesellschaft der Nachkriegszeit beschäftigt gleichermaßen Historiker, öffentlichen Einrichtungen, Vereinigungen und Gemeinschaften der Nachkommen jener, die fliehen mussten. Auf ihren Webseiten erscheinen Namenslisten, Fotografien, künstlerische, intellektuelle oder literarische Werke von Exilanten, der Beitrag der Geflohenen in ihren Zielländern, und vor allem ihre tiefe Liebe zu Spanien und ihre Sehnsucht nach Rückkehr.38 Schlüsselereignisse und Kampfschauplätze nehmen ebenfalls einen wichtigen Teil der Aktivitäten in sozialen Netzwerken ein. Im Allgemeinen handelt es sich um Facebook-Gruppen oder Twitter-Konten wie etwa @inesgce, @Guerra Civil 2.0, @19391936 @Amigos-Brigadas oder @guerraenlauniversidad, die Bilder, Dokumente und Nachrichten bereitstellen und mit ihren Veröffentlichungen einen Weg zu mehr öffentlicher Aufmerksamkeit und Wissen über die Geschichte des Konflikts bahnen.

Schlussbemerkungen Das Internet und die sozialen Netzwerke haben die Bedeutungszusammenhänge des Bürgerkrieges reaktiviert und vervielfacht. Seine kulturelle Aktualität lässt sich schon allein ob der enormen historiographischen Produktion zum Krieg, die neue Problemfelder einbezieht und unbekannte Perspektiven eröffnet, nicht leugnen. Daneben existiert auch die neo-franquistische Interpretation, die sich an politische Positionen der extremen Rechten anlehnt. Darüber hinaus finden sich vermehrt Informationen über Neuerscheinungen fiktionaler Texte von großem ökonomischem Erfolg. Und schließlich bietet das Netz auch den kulturellen Aktivitäten von Künstlern, wie etwa Ausstellungen oder Theaterstücken, ideale Distributionsbedingungen. 38 Campos, Antonio (2015).«Campo de concentración de Albatera,« Zugriff am 19. Mai 2017, http://hismedi.evilinhd.com/om/items/show/690. AMECADEC (Asociación Memorial Campo de Concentración de Castuera). (2008). »Asociación Memorial Campo de Concentración de Castuera,« Zugriff am 19. Mai 2017, http://hismedi.evilinhd.com/om/items/show/287. Mariodime (2011), »Campo de concentración San Isidro de Albatera«, Zugriff am 20. Mai 2017, https://www.youtube.com/watch?v=RyG1hoHuUdk.

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Neben der kulturellen ist in den digitalen Medien auch die politische Dimension, die der Krieg erlangte, leicht ersichtlich. Darin wird auf Spannungen zwischen den Parteien ob des Gedenkens an den Krieg und die Diktatur hingewiesen, die sich im öffentlichen Raum, auf Straßen oder Denkmälern, offenbaren. Die Ablehnung diese zu ändern sowie die Weigerung, die Ley de Memoria de 2007 umzusetzen, spielen eine große Rolle in parlamentarischen Diskussionen und den Autonomiedebatten. Ein anderes Narrativ steht in Zusammenhang mit der Verbreitung von Geschichte und Erinnerung ›kleiner Leute‹, die im Web 2.0 durch die Digitalisierung materieller Beweisstücke den besten Ort zur Verbreitung lebendiger Erfahrungen finden. Kleine oder große Heldentaten, lokale Erfolge, die nicht in den großen Geschichtsbüchern vorkommen, die Verschollenen, die geraubten Säuglinge, die Massengräber oder Frauen, die von Repressalien betroffen waren, erhalten eine Sichtbarkeit, die für das Verständnis der traumatischen Geschichte notwendig ist. Der Beitrag dieser digitalen Objekte besticht sowohl auf informativer als auch auf kreativer Ebene, aber vor allem wird damit eine große Plattform geschaffen, die das Gedenken der besiegten Republikaner und die notwendige Umsetzung der drei juristischen Prinzipien, »verdad, justicia y reparación« (»Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung«) einfordert. Es stellt sich nun die Frage, ob Spanien darauf hinsteuert, den Bürgerkrieg aus dem öffentlichen Raum zu beseitigen und ob es ihm nach seinem achtzigsten Jahrestag an seinem natürlichen Platz in der Geschichte verortet. Im Moment gibt es allerdings keine Indizien dafür, dass er sich in einen von vielen historischen Konflikten wandelt. Seine Verschränkung mit der nachfolgenden franquistischen Diktatur, sein internationaler Charakter, der eingeschränkte Zugang zu bestimmten Archiven und die ungelösten Themen, die einer ineffizienten Gedenkpolitik geschuldet sind, verwandeln dieses historische Episode in ein Ereignis mit anhaltender Gültigkeit und vielfältigem Einfluss. Die Zäsur, die der Ausbruch des Putsches vom 18. Juli 1936 und vor allem sein Ausgang bedeuteten, erscheint im Netz als semantischer Bruch auf allen Ebenen des politischen, ökonomischen und sozialen Lebens der SpanierInnen. Dank der kulturellen, politischen, historischen, ja sogar freizeitbezogenen Dimension, die der Krieg im Zusammenspiel der unterschiedlichsten AkteurInnen erlangte, bleibt er in der Gegenwart als Schlüsselereignis der Nationalgeschichte erhalten; eine Vergangenheit, die unter uns bleibt und sich weigert, Teil der Annalen spanischer Geschichtsschreibung zu werden. Aus dem Spanischen von Marisol Schlössinger

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Bibliographie Cruz, Juan Carlos / González, Diana (Hg.), La memoria novelada II: ficcionalización, documentalismo y lugares de memoria en la narrativa memorialista española, Bern 2013. Egido, Ángeles / Eiroa, Matilde (Koord.): Los campos de concentración franquistas en el contexto europeo, Ayer, nº 57 (1), Madrid 2005. Halbwachs, Maurice: On Collective Memory. Chicago 1992. Hg. und übersetzt von Lewis A. Coser. Hirsch, Marianne: ›Family pictures: Maus, Mourning and Post-Memory‹, in: Discourse. Journal for Theoretical Studies in Media and Culture, 15/2 (1992), S. 3–29. Hirsch, Marianne: ›The generation of Postmemory‹, in: Poetics Today, 29/1 (2008), S. 103–128. Hirsch, Marianne: The generation of postmemory: writing and visual culture after the Holocaust. New York 2012. López, Francisca: ›Memorias mediadas: pasado, género y novela‹, in: Quílez / Rueda 2017, S. 111–126. Quílez, Laía / Rueda, José Carlos: Posmemoria de la Guerra Civil y el Franquismo. Narrativas audiovisuales y producciones culturales en el siglo XXI. Granada 2017. Rodrigo, Javier: Cautivos: Campos de concentración en la España franquista, 1936–1947, Barcelona 2005.

Paola Lo Cascio (Lissabon/Barcelona)

Nicht nur internationale Politik. Wie das faschistische Italien den Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) erzählt

1. Einleitung Die beeindruckende, vielschichtige und vielfältige Geschichtsschreibung zum Spanischen Bürgerkrieg konzentrierte sich auf die Ursachen, die die Bürger, die öffentliche Meinung, die Parteien und die Intellektuellen ganz Europas sowie der ganzen Welt dazu brachten, sich für die Republik und gegen die aufständischen Generäle zu stellen, welche den Konflikt 1936 losgebrochen hatten. Wie Helen Graham zu Recht geschrieben hat, hat sich das Überleben der demokratischen Republik Spanien nach 1945 deutlich als »letzte große Causa« im Kampf gegen den Angriff des internationalen Faschismus durchgesetzt und in der Folge die gesamte historiographische Reflexion geprägt.1 Dieser Umstand hat dazu geführt, dass dagegen Untersuchungen zu den Ursachen, die zwischen 1936 und 1939 Regierungen, politische Parteien und Intellektuelle dazu gebracht haben, sich auf die Seite Francos zu stellen, nur in fragmentarischer Form erfolgten. Der Reihenfolge nach waren das diplomatische und militärische Erwägungen2 sowie solche der religiösen und politischen Zugehörigkeit3. In gewisser Weise fehlte dabei eine ganzheitliche Reflexion über die politische und ideologische Tragweite einer antidemokratischen und reaktionären Antwort auf die spanische Krise und ihre letzten Ursachen. Bereits in der Mitte der 1960er Jahre wurde der Fall der faschistischen Intervention Italiens Gegenstand einer umfassenden Analyse John F. Coverdales.4 Die Untersuchungsergebnisse des amerikanischen Historikers legten in gewisser Weise die Koordinaten der Beiträge fest, die sich darauf konzentrierten, die

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Graham 2002. Viñas 2010; Heiberg 2003. Moro 1993. Coverdale 1977.

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faschistische Intervention in Spanien als eine der Phasen der italienischen Außenpolitik zu lesen. Die Interpretationen, die von der Gesamtdarstellung Coverdales herrühren, erhellen gewiss einen beträchtlichen Teil der Motivationen, die Mussolini dazu brachten, sich im spanischen Konflikt zu engagieren. Vor Kurzem wurde dieses Thema von Javier Rodrigo wiederaufgegriffen, der das traditionelle Paradigma anzukratzen begann, indem er die Beweggründe der Kämpfer des CTV5 und die propagandistischen Maßnahmen des Regimes zur ideologischen Mobilisierung der Soldaten ins Auge fasste: Gewalt wurde dabei als grundlegender Wert eines Projekts der europäischen Faschisierung, die im Spanischen Bürgerkrieg eine ihrer wichtigsten Etappen erlebt hatte, ins Zentrum gerückt.6 Gewiss, doch mit der teilweisen – und mittlerweile zeitlich weit zurückliegenden – Ausnahme der Untersuchungen Alberto Acquarones und teilweise jenen Luciano Casalis,7 fehlte bislang eine Analyse darüber, wie die Entscheidung – nach dem Interventionsbeschluss – denn kommuniziert, gerechtfertigt und konzeptualisiert worden ist: und zwar weniger den Kämpfenden als vielmehr der nicht notwendigerweise politisierten öffentlichen Meinung. Wenn auch absolut sicher ist, dass der Faschismus in Spanien interveniert hat, ohne Rechenschaft über diesen Schritt geben zu wollen oder zu müssen, weder den Repräsentationsorganen (die 1936 schon seit einiger Zeit eliminiert worden waren) noch einer öffentlichen Meinung, die fähig gewesen wäre, sich in Italien als Kritik zu organisieren (der Großteil der Antifaschisten war zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis, in der Verbannung oder im Ausland), ist es doch richtig, dass es zumindest scheinbar sehr schwierig war, das italienische Engagement zu rechtfertigen. Die Fragestellungen, die zur Realisierung dieser Forschungsarbeit geführt haben, nehmen hier ihren Ausgangspunkt: Welchen politischen Diskurs hat der Faschismus für die öffentliche Meinung konstruiert, um Argumente für die Unterstützung eines langen, belastenden und in ökonomischer und menschlicher Hinsicht sehr teuren Engagements zu liefern? Ist er den anfänglichen Prämissen treu geblieben oder hat er im Laufe der Jahre eine Entwicklung erfahren? Und falls die Antwort auf die letzte Frage zu bejahen ist: in welchem Sinne? Mit welchen Argumenten? Es wird hier nicht möglich sein, diese Fragestellungen vollständig zu beantworten. Zweifelsohne scheint es aber nützlich, sich solche Fragen zu stellen, vor allem aus zwei Gründen, welche eng miteinander verknüpft sind. 5 Anmerkung der Übersetzerin: Die Abkürzung CTV steht für Corpo Truppe Volontarie, ein Freiwilligenkorps des italienischen Faschismus, das das Franco-Regime unterstützte. 6 Rodrigo 2016. 7 Acquarone 1966; Casali 1984.

Nicht nur internationale Politik

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In erster Linie, weil sie zu verstehen helfen, wie und in welchem Ausmaß das politische und militärische Engagement von Seiten des Regimes in einem besonders heiklen Augenblick für dessen Selbstrepräsentation verwendet worden ist. Es handelt sich um jene Jahre, die den Moment der größten Popularität des Faschismus darstellen und zu der Entscheidung führen, das Schicksal des Regimes endgültig an den deutschen Nationalsozialismus zu binden, was schließlich zum Kriegseintritt führte.8 Aus diesem Blickwinkel scheint die Beteiligung am iberischen Konflikt entscheidend gewesen zu sein, nicht nur in strategischer Hinsicht für die Außenpolitik, sondern auch für die Bereitstellung materieller und immaterieller Bedingungen einer zukünftigen Beteiligung an einem neuen weltweiten Konflikt. In zweiter Linie bedeutet eine Analyse der Art und Weise, wie der Faschismus das Engagement in Spanien interpretiert, kodiert und verbreitet hat, auch zu reflektieren, welche Rolle die Erfahrung dieses Kriegs gespielt haben mag, – und wenn, mit welchen Charakteristiken – : bei dem Versuch einer Überlagerung nationaler Identität und politischer Zugehörigkeit, die eine der wichtigsten Dimensionen der Diktatur darstellte.9 Um erstmals zu versuchen, einige der formulierten Fragen zu beantworten, wird dieser Beitrag in drei Teile gegliedert. Im ersten wird eine Überblicksdarstellung der medialen Produktion erfolgen, die vom italienischen Faschismus über den Spanischen Bürgerkrieg produziert wurde, sowie eine Analyse der gängigen Erzähltopoi und Kommunikationsstrategien, die das Regime auf diesem Gebiet einsetzte. In einem zweiten Teil wird hingegen eine mögliche Periodisierung mit zwei charakteristischen Phasen vorgestellt und versucht werden, eine Entwicklung des politischen Narrativs über den Kriegsverlauf zu rekonstruieren, wobei gleichbleibende und innovative Elemente ins Licht gerückt werden sollen. Ein letzter abschließender Teil wird sich hingegen damit beschäftigen, Schlüsse aus der durchgeführten Analyse in Hinblick auf die eingangs gestellten Fragen zu ziehen und einen ersten Interpretationsansatz zu liefern.

2. Instrumente, Themen und Ebenen Die Gesamtheit der vom Regime zwischen 1936 und 1939 direkt oder indirekt (also von Dritten, aber politisch Tolerierten) ausgehende mediale Produktion über den Spanischen Bürgerkrieg, die für die öffentliche Meinung bestimmt war, scheint in quantitativer Hinsicht relevant und besonders vielfältig in Hinblick auf Typologie, behandelte Themen und Erzählregister. 8 Colarizi 1991. 9 Rochat 2005.

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Erstens nimmt die große Tagespresse, die ein steigendes und qualitativ unterschiedliches Interesse für den Krieg zeigte, einen entscheidenden Platz ein. In dieser Hinsicht stellt sie eine unverzichtbare Quelle dar, vor allem wegen ihrer Zugänglichkeit: Der Diskurs, der über die große Presse verbreitet wurde, hat ja die Haupteigenschaft, sich in eine den Lesern bereits bekannte Kommunikationssituation einzubetten, die keine Anstrengung einer weiteren Vertiefung erforderte, da sie in gewisser Weise bereits vorhanden und sogar konstitutiv für den routinierten Informationserwerb war. Zweitens scheinen auch die Wochenschauen des Istituto Luce eine entscheidende Rolle gespielt zu haben.10 Es gilt dieselbe Überlegung wie für die Presse: Die Nachrichten über Spanien wurden in einen Kontext einfacher und besonders unmittelbarer Rezeption eingefügt. Allerdings mit einigen wichtigen Unterschieden im Vergleich zum Druckmedium: Aufgrund ihrer charakteristischen Eigenschaften – Bilder, Musik und Wörter werden in der bestimmten Zeitspanne der Sendung kombiniert – scheinen die audiovisuellen Produkte vor allem wegen ihrer Suggestionskraft zu bestechen.11 Drittens ist es von Bedeutung, die enorme Anzahl an Monographien über den Konflikt zu berücksichtigen, die von Soldaten, Diplomaten, Journalisten und in geringerem Ausmaß auch von Politikwissenschaftlern publiziert wurden. Diese Form von Erzählung entwickelt sich stetig und nachhaltig, zumindest bis 1941. Dutzende Titel, die von verschiedenen Verlagen in ganz Italien publiziert wurden, waren gewiss für ein alphabetisiertes Publikum gedacht, das bereits an politischen Fragestellungen interessiert war und in gewisser Weise nach einer Vertiefung verlangte.12 In Bezug auf die Inhalte ist hervorzuheben, wie präsent große Erzähltopoi sind, die generell in allen analysierten Medien anzutreffen sind. Ein erster bezieht sich auf den so genannten »antikommunistischen Kreuzzug«. Dieser Argumentationstopos, den man in größerem oder kleinerem Ausmaß in der Presse, in den Wochenschauen, den Monographien und den offiziellen Publikationen finden kann, besteht in der Rhetorik, die Intervention als ein italienisches Engagement zur Verteidigung der westlichen (und oft auch »lateinischen«) Zivilisation zu beschreiben, die durch den Angriff des internationalen Bolschewismus gefährdet würde. Ein zweiter Topos ist hingegen an die Konstruktion eines Bildes der spanischen Republik geknüpft, ferner an das einer im Krieg befindlichen Repu-

10 Anmerkung der Übersetzerin: Die cinegiornali, die im Kino gezeigt wurden, werden durchgehend mit dem entsprechenden deutschsprachigen Terminus Wochenschau übersetzt. Vgl. den Beitrag von Elisabeth Fraller in diesem Band. 11 Pizarroso 1990. 12 Die ersten Ergebnisse der Forschungen zu diesem Punkt in: Lo Cascio 2015.

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blikzone als Ort des Martyriums für Katholiken. Dank des großen Erfolgs bei der öffentlichen Meinung des konservativen Spektrums der demokratischen Länder nimmt dieser Topos auch einen privilegierten Platz im faschistischen Diskurs ein, insofern er erlaubt, die Militärintervention als humanitären Einsatz zu begreifen. Ein dritter Topos wird hingegen von der militärischen Macht des Regimes geliefert. Er durchläuft vor allem am Anfang und aufgrund der internationalen diplomatischen Unsicherheit eine schwierige Entwicklung, die im Laufe der Zeit ins Maßlose auszuufern scheint und ihn zu einem entscheidenden core issue werden lässt. Schließlich ist wichtig daran zu erinnern, wie die Gesamtanalyse dieser Quellen suggeriert, dass die Diktatur einen Erzählansatz gewählt hat, der auf verschiedenen Ebenen durchdacht war. Der erste von diesen kann als informativ beschrieben werden, er richtet sich auf ein nicht notwendigerweise interessiertes (sowohl in Hinsicht auf Alphabetisierung als auch Überzeugung) Mittel- und Unterschichtspublikum und wird von konventionellen Kommunikationsmedien, vor allem der Tagespresse, und den Wochenschauen, vermittelt.13 Eine zweite, jedoch viel strukturiertere Ebene stellen die Monographien dar, die, obwohl sie unterschiedliche Inputs verarbeiten (die vom Interesse für Kampfhandlungen zu geopolitischen Überlegungen oder schlicht zur Verfassung von Memoiren reichen), eine komplexere Botschaft, die Vorkenntnis des Themas voraussetzt, vermitteln. Schwierig ist es, in diesem Beitrag die offizielle mediale Produktion zu kategorisieren, nicht nur weil sich darunter Beispiele von Diskursen unterschiedlicher Sprachregister befinden, sondern auch weil sich ihre Gestaltung gänzlich jeder Marktlogik entzieht und sie deshalb weniger einer vorschnellen Beurteilung des anvisierten Publikums unterliegen.

3. Die Konstruktion einer »italienischen Etappe« in zwei Phasen

3.1 In crescendo: vom exotischen Krieg nach Guadalajara

Obwohl das Mussolini-Regime eine lange Aufmerksamkeitsspanne für die spanische Innenpolitik hatte,14 die von dem klaren Willen geprägt war, in faschistischem und antirepublikanischem Sinne durch die Kontakte mit der Falange

13 Aus Gründen der Verfügbarkeit der Quellen war es nicht möglich, an dieser Stelle die ebenfalls wichtigen Rundfunkprogramme zu berücksichtigen. 14 Saz 1986.

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Einfluss zu nehmen, ist der Kommunikationsansatz zu Beginn des Krieges eigentlich von einer gewissen Vorsicht gekennzeichnet. Es war unwichtig, dass sich der italienische Faschismus schon seit Ende Juli 1936 – wenige Stunden vor Kriegsbeginn – auf eindeutige Weise zu Gunsten Francos engagiert hatte. Wenn die Operation, die die Landung der Truppen aus Marokko auf der Halbinsel möglich gemacht hatte, nicht erfolgt wäre, wäre für die aufständischen Truppen jegliche Erfolgsaussicht ernsthaft unterminiert worden. Und dennoch, als die ersten Nachrichten in den Zeitungen über die Ereignisse in Spanien erschienen waren, strotzten sie vor Konditionalformen, wie im Fall der Nachricht über den Putsch in Marokko: Über die ersten Auseinandersetzungen wurde fast mit nüchterner Terminologie berichtet.15 Es dominierte noch eine gewisse erzählerische Abwartehaltung: Die Franquisten wurden oft als »weiße Spanier« beschrieben, ein Ausdruck, der eindeutig dem russischen Bürgerkrieg entlehnt ist. Die audiovisuellen Medien, die ebenfalls schnell reagierten, schlossen sich der gleichen Linie an: Einen ersten Bericht über den Krieg in Spanien enthalten die Nachrichten vom 19. August 1936. Ausgehend von der Meldung der Evakuierung der ausländischen BürgerInnen wurde von den ersten dramatischen Momenten des Krieges auf republikanischem Gebiet berichtet und militärische und zivile Aspekte des Konflikts aufgezeigt. Das daraus resultierende Porträt war eindeutig dantesk, aber gleichzeitig auch distanziert. Kurzum, der Faschismus wollte in diesen ersten Momenten von einer dramatischen, aber entfernten, fast exotischen, Realität berichten.16 Ein erstes erzählerisches Ausweichmanöver fällt mit dem Ende des Sommers 1936 zusammen, als bereits der Grundsatz des Nichtangriffs-Pakt beschlossen worden und erstmals die französischen, britischen, deutschen und sowjetischen Positionen zum Konflikt klar und festgeschrieben waren. Auch die Durchführung einer Militärkampagne half: Als Andalusien und ein Teil des Nordens unter nationalistischer Kontrolle waren und nach der Schlacht um den Alcázar von Toledo – der die Presse und die Wochenschauen viel Platz einräumten –17 ließ alles vermuten, dass es für die aufständischen Generäle sehr einfach sei, nach Madrid zu gelangen und den Auseinandersetzungen ein Ende zu setzen. Gleichzeitig hatten sich die anfänglichen Unsicherheiten über die Führungsqualitäten Francos verringert, und die großen italienischen Kommunikationsmedien setzen eine regelrechte Maschinerie in Gang, um die Persönlichkeit des Kolonialgenerals für die öffentliche Meinung aufzubauen. Ab Oktober 1936 konzentrierte sich die Kommunikationsstrategie des Regimes auf die Erstellung eines sehr genauen 15 Vgl. Rivolta militare in Marocco 1936, S. 1. 16 Giornale Luce B0938 1936; Giornale Luce B0939 1936; Giornale Luce B0941 1936; Giornale Luce B0941 1936. 17 Giornale Luce B0978 1936.

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Profils, das den Italienern präsentiert werden sollte: Franco war ein politischer Führer, dem Mussolini-Regime nahestehend, ein entschlossener General und vor allem unbesiegbar.18 Aber erst nach der Kampagne in Málaga, die erste, an der faschistische Truppen aktiv teilgenommen hatten, erfolgte ein qualitativer Sprung zu einer entschlossenen Befürwortung des Krieges. In der Schlacht, die die andalusische Stadt im Februar 1937 mit Blut überzog und mit dem franquistischen Sieg endete, nahmen die kleinen Kampfwagen des CTV und die italienischen Panzer eine bedeutende Rolle ein. Das Ereignis in Málaga – eine Bestätigung für die Effizienz des italienischen Militärs – brachte Mussolini dazu, eine noch weitreichendere und vor allem autonomere Beteiligung der italienischen Truppen einzufordern. Kurz gesagt, man wollte einen klar definierten, möglichst kriegsentscheidenden Platz für die italienischen Manöver im Kontext der franquistischen Operationen beanspruchen, die unaufhaltsam schienen. Diese Beteiligung, welche ihre politisch-militärische Umsetzung in der Schlacht von Guadalajara hatte, bewirkte eine entscheidende Veränderung im Narrativ, mit dem das Regime vom Spanischen Bürgerkrieg berichtete. Es beschränkte sich nicht auf das populärste Kommunikationsniveau, sondern erreichte durch die ersten »wissenschaftlichen« Darstellungen auch die höchsten und kultiviertesten Sektoren der Bevölkerung. Das trifft auf das Buch von Marco Alessi zu, La Spagna dalla monarchia al governo di Franco.19 Es ist Teil einer prestigereichen Reihe, behandelt die wichtigsten Etappen der rezenten Geschichte Spaniens und stützt sich dabei vor allem auf die republikanische Epoche. Gut geschrieben und gut gegliedert, lieferte es eine Lesart der iberischen Begebenheiten, die ganz und gar auf den Schwächen des Staats und dem Regimewechsel von 1931 aufbaut. In dieser Darstellung wurde beispielsweise Primo de Riveras Diktatur als unreifer und ungelöster Versuch betrachtet, Spanien mit einer modernen politischen Struktur auszustatten. Die divergierenden inneren, territorialen, sozialen und ökonomischen Spannungen waren demnach wie ein fruchtbarer Boden, auf dem sich gefährliche »kommunistische« Tendenzen entwickelt hatten, die im Wesentlichen von Auslandsagenten fremdbestimmt wurden. In dieser Hinsicht war der spanische Konflikt ein erster Prüfstand für einen weitreichenderen Konflikt, der sich bald auf 18 Dieses Porträt zeichnete beispielsweise die Turiner Tageszeitung La Stampa: »Franco, der sich von ganz unten zum General hochgearbeitet hat, ist heute eine sehr populäre Figur in Spanien. Während seiner Jugend – er ist erst 44 Jahre alt –, der brillanten Militärkarriere, die er Schritt für Schritt vom Unteroffizier bis zum Staatsoberhaupt absolvierte, ist er immer oder fast immer wegen Kriegsverdiensten aufgestiegen: durch die aufeinanderfolgenden Kampagnen in Marokko, dann bei den arabischen Truppen, dann führte er die spanische Fremdenlegion an, deren erstes Regiment er 1921 gegründet hatte, und die erste ›bandera‹, all das sind für den Großteil und die Besten des spanischen Volkes Vorzeichen neuer Erfolge der Zivilregierung Spaniens«. Burgos in festa 1936, S. 2. 19 Alessi 1937.

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ganz Europa ausweiten sollte. Letztendlich war der Krieg in Spanien, wie der Autor schrieb, nur eine »erste große Phase des großen Kampfes für die Rettung der europäischen und lateinischen Zivilisation, welche von den bolschewistischen Barbareien bedroht wurde«.20 Mit diesen Argumenten, die mit der Ideologie und außenpolitischen Ansprüchen verbunden waren, vervollständigte das Regime seine Berichterstattung über den Spanischen Bürgerkrieg für die gebildetsten Bereiche der Bevölkerung: Es reduzierte die manichäischen und karikierenden Übertreibungen und situierte die italienische Beteiligung dafür in einer umfassenderen Darstellung, die sich auf die Rolle bezog, zu der das faschistische Italien im internationalen Kontext aufgerufen war. In der Presse ließen die faschistischen Nachrichten zu Guadalajara nicht nur jegliche Besonnenheit, sondern auch jede nüchtern analytische Sprache vermissen. Der Faschismus setzte auf die Rhetorik der großen Gelegenheiten: Guadalajara sei die entscheidende Schlacht des spanischen Konflikts gewesen.21 Alle großen Namen des italienischen Journalismus wurden dafür aufgeboten, und zwar mit Nachdruck. Obwohl zuerst noch eine gewisse Vorsicht dominierte, welche die Offensive zum Beispiel als eine allgemein »nationale« zu präsentieren erlaubte, änderte sich die Tonart schnell, sobald der Sieg zum Greifen nah schien, und die »Legionäre« wurden im Grunde zu den uneingeschränkten Protagonisten der Erzählung. Aus dieser Perspektive bildet das in der Beschreibung der militärischen Aktion am meisten auffallende Element die Sprachwahl, die zu diesem Zeitpunkt in vielen prestigereichen Tageszeitungen geradezu »italienisch« wurde. Ein prestigeträchtiger Korrespondent wie Sandro Sandri von La Stampa sprach beispielsweise von dem »Schauspiel des Vormarschs«, das wortwörtlich als »fantastisch« beschrieben wurde. Eine ästhetisierende Sprache, die die harte Realität des Krieges zu einer ästhetischen Kategorie erhebt.22 Als Resultat einer genauen Richtlinie des Minculpop23, der anordnete, den »spanischen Operationen wenig Platz einzuräumen, solange diese nicht in einer Endphase angelangt sind«, verschwand Guadalajara – vorhersehbarer Weise – fast von den Seiten der Tageszeitungen und den Leinwänden der Kinos, als sich

20 Alessi 1937, S. 8. 21 Zum Beispiel Luigi Barzini schrieb in Il Popolo d’Italia: »Die große Schlacht, die vielleicht den Krieg entscheiden wird, hat diesen Vormittag begonnen, als die Legionskolonnen des Tercio, denen die rasante Eroberung Málagas zu verdanken ist, ungestüm zum Angriff auf die roten Positionen hinabgestiegen, auf der sogenannten Straße von Frankreich, die Madrid und Barcelona verbindet, nachdem sie plötzlich aus den rauen Schluchten der Sierra del Muedo und Torreochuela herausgebrochen waren. […] In Madrid muss das Toben des Sturmes, der von Norden kommt, zu hören sein«. Barzini 1937. 22 Sandri 1937, S. 8. 23 Ministero della Cultura Popolare – Kultur- und Propagandaministerium des italienischen Faschismus (Anm. der Übers.).

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die militärischen Angelegenheiten zum Schlechten wendeten.24 Die harschen Reaktionen Mussolinis auf diese Angelegenheit sind weitbekannt. Die Presse verleugnete offenbar schlicht die Existenz einer Niederlage, doch das bedeutete keine Erhöhung der Vorsicht im Umgang mit Informationen. Ganz im Gegenteil, denn genau durch die Art und Weise, wie die Tageszeitungen das, was man im Ausland als das spanische Caporetto zu bezeichnen begann, interpretierten, verarbeiteten und propagierten, erlaubt es, einen wichtigen Abschnitt des Reifungsprozesses des faschistischen Diskurses über den Krieg zu rekonstruieren. Was nämlich am meisten verärgerte, war der Rückgriff der öffentlichen Meinung anderer Länder (und vor allem Frankreichs) auf den Stereotyp des italienischen Feiglings und der operettenhaften Armee. Ein Journalist von Rang und Namen wie zum Beispiel Concetto Pettinato beklagte die Tatsache, dass über Guadalajara wie von einer Art »neulackiertem und dem Geschmack der Zeit angepassten Adua« berichtet worden sei.25 Der Rückgriff auf Adua ist kein Zufall: Es ging darum, das militärische Schicksal des spanischen Abenteuers in ein historisches Kontinuum einzugliedern, das italienisch war, noch bevor es faschistisch wurde. Guadalajara hatte in jedem Fall – und trotz der harten Niederlage – einen entscheidenden Wendepunkt markiert: Von diesem Zeitpunkt an verinnerlichte der Diskurs des Regimes die Idee, dass die Schande um jeden Preis gerächt werden solle, und schritt zu einer – tatsächlich – definitiven Vereinnahmung des Spanischen Bürgerkriegs als eindeutig italienischen Krieg. Ein gutes Beispiel war die Art und Weise, wie der Faschismus über die Kampagne von Santander berichtete, als im August 1937 die Truppen der Divisione Littorio – eine reguläre Einheit der Armee – und die Fiamme Nere in die Stadt eindrangen und sie besetzten, und zwar im Wesentlichen aus zwei Motiven. In erster Linie, weil im Vergleich zum bisherigen Vorgehen in keiner Weise gezögert wurde, Vor- und Nachnamen sowie die Biographien der Offiziere, die an der Offensive teilgenommen hatten, publik zu machen.26 Und in zweiter Linie, weil in dem Moment, in dem man sich endlich eines klaren und eindeutigen 24 Zit. nach: Allotti 2012, S. 66. 25 Pettinato 1937, S. 2. 26 »Bei der Berichterstattung und Kommentierung des mitreißenden und siegreichen Vormarschs, der zur Kapitulation und zur Besetzung von Santander geführt hat, dürfen in dieser wunderbaren Stunde die Namen der tapferen italienischen Generäle nicht vergessen werden, von denen mehrere jenen, die im Abessinienkrieg gekämpft haben, teuer sind. Wir nennen die Generäle Bastico, Roatta und Perti, den Leiter der Schwarzhemden General Teruzzi und die Befehlshaber der Truppen, die den eisernen Widerstand der Roten gebrochen haben, nämlich die Generäle Frusci, Piazzoni, Bergonzoll und Francisci; alles Männer von hohem Wert, fester politischer Überzeugung und Kriegserfahrung, aber vor allem mitreißende Männer, das heißt Feldherren im italienischen und faschistischen Sinn des Wortes. Neben ihnen erinnern wir auch an die Generäle Biscaccianti, Velardi, Manca und den General und Leiter der militärischen Verwaltung Favagrossa«. La Stampa Sera 1937, S. 1.

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Sieges rühmen konnte,27 die faschistische und italienische Natur des Krieges geltend gemacht wurde, indem eine Verbindung mit der politischen und militärischen Geschichte des Landes hergestellt wurde, die spätestens mit dem Ersten Weltkrieg und nicht erst mit dem Aufkommen des Faschismus begonnen hatte.28 Die Legionäre, die im Laufe aller militärischen Operationen in Spanien gestorben waren (seit den ersten Monaten des Konflikts, wie La Stampa in Erinnerung rief), sind als Italiener, als Faschisten, gestorben, wie »im Ersten Weltkrieg, wie in der faschistischen Revolution, wie in den äthiopischen Feldzügen«.29 Sie aber waren letztendlich vor allem deswegen als Italiener und Faschisten gestorben, weil sie auch als siegreiche Krieger starben.30

3.2 Ein italienischer Krieg, ein faschistischer Sieg

Die militärischen Ereignisse von 1937 und vor allem die Kampagne im Norden hatten ein wichtige Wende markiert. Das zunehmende Engagement Italiens, das 27 Giornale Luce B1156 1937; Giornale Luce B1159 1937; Giornale Luce B1164 1937; Giornale Luce B1165 1937; Giornale Luce B1167 1937. 28 »Erinnert ihr euch an die Freiwilligen, die in den ersten Monaten des Konflikts auf Spaniens Boden gestorben sind? Aus verschiedenen Überlegungen heraus waren sie und ihre Namen von einem geheimnisvollen Schatten verdeckt; heute nicht mehr. Seit größere Einheiten in neun konzentrischen Kolonnen die außergewöhnliche Verteidigung Málagas überwältigten, seit sie in Guadalajara eine heldenhafte Seite schrieben, die nur wegen zufälliger Umstände nicht in den glänzendsten Sieg verwandelt werden konnte, seitdem in Bermeo und gegen den ›Eisenring‹ Bilbaos zugleich die roten Schutzwälle und die niederträchtigen Lügen der Komplizen eingerissen wurden, funkelten die heiligen Namen im Licht des Heldentums. […] Gestorben für Italien wie im Ersten Weltkrieg, wie in der faschistischen Revolution, wie in den äthiopischen Feldzügen; die Kontinuität des Heldentums findet sich nicht nur auf Denkmälern, sondern in Taten, in der Geschichte. Unvorstellbar wäre die Abwesenheit Italiens von den Schlachtfeldern Spaniens, auf die der Bolschewismus mit Hilfe der Freimaurerei setzte, um den Mittelmeerraum zu bedrohen, indem er, um die Pyrenäen zu umgehen, die Granitbarriere der Achse Rom-Berlin hinterrücks angriff; doch eine solch demütigende Fiktion durfte keinen Bestand haben. Aus der Bewunderung für die Gefallenen erwächst die Begeisterung der Freiwilligen, die für die Idee kämpfen, erwächst das Bewusstsein der großartigen Aufgabe, die der Faschismus für die Zivilisation, für Spanien, für sich selbst erfüllt und erfüllt hat«. Ebd. 29 La Stampa Sera 1937, S. 1. 30 Im Fall der Wochenschauen denke man an den sehr langen Bericht vom November 1937 (etwa 4 Minuten, was im Fall des Formats der Wochenschau wirklich eine Ewigkeit war), der sich der Verleihungszeremonie der Entschädigungen für die Familien der in Spanien gefallenen Faschisten widmete: Bilder einer übervollen Piazza Venezia und eines eindrucksvollen Militäraufmarschs. Im Zentrum des Geschehens, legte der Duce zuerst einen Kranz am Vittoriale nieder und verteilte dann persönlich die Medaillen an die Familien der Gefallenen. Im Hintergrund rief der Ton in Originalübertragung die Ordensträger mit Namen auf und erläuterte deren militärische Verdienste. Die Gefallenen, sagte die Stimme des Erzählers, sind für Italien, den Duce und den Faschismus gestorben. Interessanterweise ist zu bemerken, dass viele der Medaillen für Soldaten bestimmt waren, die gerade in Guadalajara gefallen waren. Giornale Luce B1193 1937.

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dem siegreichen Vormarsch der nationalistischen Truppen folgte, wurde bestätigt, gesegnet und propagiert. Der Frühling 1938 sollte diese Tendenz verstärken: Die Kampagne in Aragon und die Ankunft der italienischen faschistischen Soldaten an der Mittelmeerküste von Vinaròs im April – ein Manöver, das das republikanische Katalonien isolierte und in der Tat die Fähigkeit, das Schicksal des Konflikts zugunsten der demokratischen Autoritäten zu wenden, ernsthaft bezweifeln ließ – sollte endgültig den Einsatz der italienisch faschistischen Truppen als einen der Akteure im Konflikt bestätigen. Diese Veränderung hatte bedeutende Auswirkungen darauf, wie und wie viel das faschistische Regime für die öffentliche Meinung Italiens über den Krieg und das Schicksal der über fünfzigtausend Italiener, die sich in Spanien engagierten, berichten würde. Ausgerechnet 1938 wurde zum Beispiel die vermutlich vollständigste und ernsthafteste Monographie über den Krieg veröffentlicht. Es handelt sich um das Buch von Nello Quilici, Spagna.31 Trotz der unvermeidbaren Rhetorik handelt es sich um eine gut gegliederte, ausführliche Forschungsarbeit, man erhält eine detaillierte Analyse der politischen und institutionellen Kräfteverhältnisse während der Republik und der Rolle der Armee seit dem 19. Jahrhundert. Mit der italienischen Beteiligung beschäftigte es sich in dem Kapitel, das der Internationalisierung des Konflikts gewidmet war. Als wesentliche Beweggründe für die Entscheidung Mussolinis wird die Notwendigkeit genannt, den Bolschewismus zu stoppen, vor allem aber die Notwendigkeit, eine aktive Rolle in der Erhaltung der militärischen und diplomatischen Gleichgewichte des Kontinents zu spielen, und zwar als eine der Prioritäten der italienischen Außenpolitik. Aber auch die Presse und die Wochenschauen folgten den spanischen Ereignissen im Jahr 1938 aus der Nähe. Letztere engagierten sich beispielsweise in der Neubestimmung eines Feindbildes sowie der italienischen Präsenz im Konflikt. Im Frühling 1938 zeigte ein Bericht Bilder des republikanischen Exodus Richtung Frankreich.32 Sofort nach den Ereignissen an der aragonesischen Front schien der Sieg wirklich sehr nahe, und der Bericht gab zu verstehen, dass unter den Flüchtlingen auch politisches Führungspersonal und republikanisches Militär war. So wurde letztlich das Bild eines bereits besiegten Feindes gezeichnet. Im Juni komplettierte eine neue Reportage über republikanische Gefangene,33 die mit zerschlissener Kleidung und ausgehungerten Blicken porträtiert wurden, das neue Profil, das für die Repräsentation der »Roten« gewählt worden war. Waren sie zuvor als »mordende Bestien«, als untermenschliche Wesen, gezeichnet worden, so nun als Kämpfer, die von der militärischen Stärke der nationalistischen 31 Quilici 1938. 32 Giornale Luce B1290 1938. 33 Giornale Luce B1315 1938.

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Truppen und der Legionstruppen besiegt worden waren und Menschlichkeit zurückerlangten. San Sebastián wurde wenig später der Gegenstand einer anderen Reportage, die diesmal der Feier des zweiten Jahrestages des Kriegsbeginns gewidmet war:34 Obwohl der einzige Italiener, der zitiert wurde, der beim Defilee anwesende Botschafter war, zeigten die Bilder italienische und deutsche Soldaten und vor allem einen Wald römischer Grüße, die den Vormarsch der Truppen begleiteten. Schließlich wollte man die Idee einer institutionellen und politischen Präsenz des italienischen Faschismus in Spanien vermitteln. Die entscheidende Wende kam jedoch Ende 1938 mit dem Beginn der Kampagne in Katalonien. Nicht nur hatte die Regierung Mussolinis eindeutig die internationale Vereinbarung vom September verletzt, welche den Rückzug der Freiwilligentruppen vorsah, sondern das Regime war auch entschlossen, die »gesta« der italienischen Legionäre für die interne Propaganda maximal zu nützen. Vom 23. Dezember 1938, als die italienischen und franquistischen Truppen über die Brückenköpfe von Seròs und Balaguer in das katalanische Gebiet eindrangen, bis Mitte Februar 1939, als sie die Grenze zu Frankreich erreichten, waren die spanischen Ereignisse ein zentrales Element der Schlagzeilen aller großen italienischen Tageszeitungen. Jeden Tag lange Berichte, fast immer auf der ersten Seite und mit großgedruckten Titeln, fast immer von verschiedenen graphischen Zeugnissen begleitet, oft von Luftbildfotos, welche die Auswirkungen der Bombardierungen dokumentierten. Eine gegenläufige Präsenz, verglichen mit dem, was in der restlichen internationalen Presse vor sich ging, wo die Ereignisse in Spanien bereits seit dem Frühling 1938 deutlich an Bedeutung verloren. Die Episode des Falls von Barcelona (oder der Eroberung oder auch der Befreiung, wie sie zum Beispiel vom Corriere della Sera beschrieben wurde35) war ein großes informatives Ereignis für die italienische Tagespresse. Im Allgemeinen gewöhnten alle Titel das Publikum daran, sich mit der Kriegslandschaft in Katalonien vertraut zu machen: Jeden Tag wurden Karten vom Vormarsch der Truppen veröffentlicht; Fotos feiernder Bevölkerung in den befreiten Dörfern; Reportagen über das, was umstandslos als »rote Hölle« beschrieben wurde; viel, wirklich viel, Aufmerksamkeit erhielt die Aktivität der Luftfahrt. Dieses letzte Element scheint besonders bedeutsam: Der Luftkrieg nimmt im Plot der Erzählung des Regimes über die Kampagne in Katalonien eine besondere Rolle ein, die in gewisser Weise den höchsten Ausdruck der ideologischen Bedeutung für den faschistischen Einsatz in Spanien darstellt. Die Piloten der Luftfahrtlegion waren Protagonisten und unerschrockene Helden, sie vereinten kriegerischen Eifer, Gleichgültigkeit gegenüber der Gefahr, die Lust an der Tat 34 Giornale Luce B1348 1938. 35 Il Corriere della Sera 1939.

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und moderne Kompetenzen, um sehr schnelle, perfekte und tödliche Maschinen zu steuern; als wären sie eine Art Sublimierung des neuen faschistischen Mannes.36 Der Fall Madrids und das Ende des Krieges werden dann von einer langen Informationskampagne begleitet, in der die italienischen Legionäre eindeutig als ausschlaggebend für den Sieg Francos geschildert wurden, wie auch die im Nachhinein veröffentlichten offiziellen Dokumente belegen.37

Schlussfolgerungen Diese erste versuchsweise Gesamtanalyse der medialen Produktion, die der Faschismus zum Spanischen Bürgerkrieg hervorgebracht hat, suggeriert das Entstehen eines Diskurses, der sich im Laufe des Krieges entwickelt, verändert und anreichert, und zwar auf allen berücksichtigten Ebenen, wozu sich erste Gesamtüberlegungen anstellen lassen. Die erste bezieht sich auf die Vielfalt der verwendeten Medien. Das Regime sucht und findet vielfältige Kommunikationskanäle mit teilweise verschiedenen Inhalten und Tonlagen, je nach dem adressierten Publikum. Sprache, Andeutungen, Verweise und Argumentationen sind in der Tat nicht dieselben im Fall eines gebildeten Publikums, das einen Essay über die spanische Situation liest, wie für jemanden, der von einer Erzählung über den Krieg in erster Person angezogen wird (sei es das Werk eines Journalisten oder eines Soldaten) sowie für jemanden, der sich über die Tagespresse informiert oder für jemanden, der einfach im Kino über den Krieg, der bis zu diesem Zeitpunkt als weit entfernt betrachtet wurde, beinahe »stolpert«. Die Unterschiede zwischen diesen Narrativen zeigen ein Bewusstsein von der Einschätzung der Situation, das bisher nicht beachtet wurde: Die »wissenschaftlichen« Monographien und einige Erinnerungen von Journalisten zeigen eine ausgeprägte Fähigkeit, über die instinktive und unmittelbare Propaganda hinauszugehen, um sich so eine systematischere Argumentation zu

36 Als die Kampagne im Grunde abgeschlossen war, schrieb Marino Massai beispielsweise im Corriere della Sera: »Man darf nicht vergessen, dass die grundlegende Funktion der Luftwaffe – dieser Streitkraft, der die Weitsicht Mussolinis Unabhängigkeit und eine großartige Entwicklung verschafft hat – eine andere, unersetzbare und furchtbare ist, denn der Himmel ist offen, die Geschwindigkeit nimmt jeden Tag zu und folglich schwinden die Distanzen, die Möglichkeiten der explosiven Ladung sind groß, und man kann jeden Lebensnerv des Feindes, jedes Produktionsund Kommunikationszentrum erreichen, treffen und zerstören: Es ist ein Krieg gegen die Medien, die den Widerstand des Gegners nähren können, auch wenn man die unvermeidliche Wirkung auf die Masse der Zivilbevölkerung, die Douhet voraussieht, ausschließen will – falls es möglich ist, so etwas in einem schlimmen Konflikt auszuschließen –, wenn man berücksichtigt, dass bereits ganze Nationen und nicht nur traditionelle Streitkräfte in den Kampf involviert sind«. Massai 1939, S. 1. 37 Ministero della guerra 1939; PNF 1939; Coord. Varo Varanini 1940; Catalogna 1939.

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eigen zu machen, die auch die Schwächen, die Fehler und die Verantwortung der spanischen Rechten beim Ausbruch der Krise aufzeigt und hervorhebt. Die zweite Betrachtung, die ebenfalls an die Vielzahl von Medien und Erzählthemen geknüpft ist, schlägt vor, einen ergänzenden Ansatz für die Lesart des Krieges anzubieten, die in gewisser Weise alle Aspekte, vom ideologischen über den militärischen bis zum kulturellen, »abdecken« soll. Drittens ist es möglich, trotz der gerade erwähnten Vielfalt, eine deutliche Veränderung festzustellen, die mit der Wandlung der internationalen Situation einhergeht, vor allem aber mit der inneren Dynamik des Krieges, die die Argumentation von einem Rechtfertigungs- zu einem Vereinnahmungsdiskurs wechseln lässt. In diesem Rahmen sind die immer günstigeren militärischen Ereignisse für die italienischen Streitkräfte das Schlüsselelement, welches das Regime dazu bringt, den Spanischen Bürgerkrieg komplett für sich zu vereinnahmen. Eine letzte Randbemerkung betrifft die Auswirkung der Diskursinhalte und ihr Fortleben in den folgenden Jahrzehnten: Der Zweite Weltkrieg, der Zusammenbruch des Faschismus und die Einführung der Republik sollten die faschistische Beteiligung am spanischen Konflikt in Vergessenheit geraten lassen. In dieser Hinsicht ist es von Bedeutung, dass die einzigen Publikationen der italienischen republikanischen Epoche, in denen man Vereinnahmungen dieser Ereignisse finden kann, genau solche sind, die von der Armee, von Historikern, welche dem militärischen Milieu nahestanden, oder von wenigen Zeugen stammen.38 Dies führt dazu, eine zweifache Frage zu stellen, die an dieser Stelle aus naheliegenden Gründen ohne Antwort bleiben muss. Geschah das nur wegen einer unvermeidlichen ideologischen Schamhaftigkeit, welche die faschistischen Aktionen im Spanischen Bürgerkrieg bagatellisiert und vernachlässigt hat? Oder weil im Grunde die hauptsächliche Bedeutung dieser Intervention, so wie sie geplant, zu Ende geführt und vom Faschismus vermittelt wurde, in gewisser Weise das Regime überlebte, indem sie sich ganz einfach für einige Teile der Bevölkerung in einen der wenigen militärischen italienischen Siege tout court verwandelt hat?39 Aus dem Italienischen von Stefanie Öller

38 U. a.: Puddu 1965; Rovighi / Stefani 1992; Santamaria 1965; Cordedda 1996. 39 In dieser Hinsicht ist ein Abschnitt des Buches, das Pedriali am Ende der 1980er Jahre über die Luftwaffenlegion geschrieben hat, von Bedeutung: »Ich überlasse es meinen Lesern selbst zu beurteilen, ob dieser bescheidene Essay seine Ziele erreicht hat. Vielleicht kann er – weil er die Beteiligung des italienischen Militärs am Spanischen Bürgerkrieg zum Gegenstand hat – nicht von allen gleichermaßen geteilt werden. Mich beruhigt jedenfalls die Tatsache, dass sich heute die Ansicht zu verbreiten beginnt – wie für alle Kriege nach der Einigung Italiens –, dass auch der Spanische Bürgerkrieg zur Geschichte unserer Streitkräfte gehört. Welche – es sei nebenbei gesagt – in Spanien den letzten Sieg erlangten«. Pedriali 1992, S. 13.

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Renate Lunzer (Wien)

»Heute in Spanien, morgen in Italien!« Carlo Rosselli, Emilio Lussu und der Spanische Bürgerkrieg. Theorie und Praxis

1. Eine Hoffnung für die fuorusciti1 »Italiener, der italienische Antifaschismus lebt! Nie war er lebendiger als jetzt… Der italienische Antifaschismus hat in Spanien […] seine große Kraft gezeigt. Jetzt ist Schluss mit den Verleumdungen eines italienischen Proletariats, das unfähig sei, auf den Faschismus zu reagieren. Jetzt ist vor allem auch Schluss mit der reinen ›Exil-Akademie‹, zu der uns ein undankbares Schicksal zu verurteilen schien…Das Italien im Kopf eines Amendola, Matteotti, Gobetti hat endlich einen Arm bekommen, die Aktion…«2 Es war Carlo Rosselli, der diese Worte ausrief, Rosselli, der großherzigste, originellste, leidenschaftlichste unter den führenden Köpfen der antifaschistischen Emigration und Kommandant der ersten italienischen Einheit, die den revolutionären katalanischen Milizen sogleich nach dem Beginn der Feindseligkeiten zu Hilfe eilte. Und es war ein Wechsel von einer vorwiegend »theoretischen« Position im Rahmen der liberal-sozialistischen Widerstandsbewegung Giustizia e Libertà zu einer lebensgefährlich »praktischen« in den aragonesischen Schützengräben, in einem Kampf, der »heute noch spanisch, morgen italienisch« sein würde (wie Rosselli am 23. August 1936 hoffnungsvoll an seine Frau schrieb). Diesen Wechsel schaffte Emilio Lussu, Weltkriegsheld und leader der Sardischen Aktionspartei, erst Monate später. Ihm war 1929 gemeinsam mit Rosselli die abenteuerliche Flucht aus dem faschistischen confino in Lipari gelungen. Danach gründeten sie in Paris und lenkten gemeinsam, wenn auch nicht einhellig, Giustizia e Libertà, von Rosselli (siehe oben) ironisch als »Exil-Akademie« bezeichnet. Lussu, zu Beginn des Spanienkriegs nach schwerer Krankheit noch 1 fuoruscito ꞊ politischer Emigrant. 2 Rosselli 1967, S. 104 u. 112. Übersetzung hier wie bei den folgenden Zitaten, wenn nicht anders angegeben, von der Autorin.

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rekonvaleszent, konnte seine Solidarität mit dem Freund und seinen Spanienkämpfern dennoch mit einer Reihe von Artikeln über die »Legione Italiana in Ispagna« beweisen, mit denen er nachhaltig die Bemühungen Rossellis unterstützte, seine kämpfende Colonna Aragonese zu einer großen revolutionären Einheit zu erweitern – bevor sich das rivalisierende, von Madrid bevorzugte Battaglione Garibaldi konstituierte. Wir kommen am Ende unserer Darstellung darauf zurück. Zunächst aber soll ein kurzer flashback den Weg der beiden Exponenten von GL3 bis ins Pariser Exil und den Spanischen Bürgerkrieg näher darstellen.

2. Von Lipari nach Paris. Gründung und Aktivitäten von Giustizia e Libertà »Und wir kamen zur Insel Äolia. Undurchdringlich erhebt sich rings um das schwimmende Eiland/ eine Mauer von Erz und ein glattes Felsengestade«4. Eben dort, auf der Strafinsel Lipari, langte der Abgeordnete Lussu, einer der unerschrockensten Gegner Mussolinis, im November 1927 in einem äußerst bedenklichen Gesundheitszustand ein, den ihm ein Jahr faschistischen Kerkers eingebracht hatte. Später Abkömmling der sardischen Kriegeraristokratie, Interventionist und Kriegsfreiwilliger im Jahr 1915, legendärer Hauptmann der Brigata Sassari, gründete er nach dem Krieg die autonomistische und föderalistische Sardische Aktionspartei (PSdA). – Im Exil sollte er das faszinierendste Buch über den Krieg von 1915–1918 schreiben, das ich kenne, Un anno sull’Altipiano (Paris 1937; dt. Ein Jahr auf der Hochebene, Wien 1968). Es entkleidet den Krieg seiner sakralen Aura, demontiert den Mythos, den der Faschismus um ihn aufrichtete, und provoziert(e) das andauernde Wehgeheul der Militaristen5. 1921 für die Camera dei Deputati nominiert, gehörte Lussu zu jenen Abgeordneten, die 1924 nach der Ermordung Giacomo Matteottis unter Protest das Parlament verließen (Secessione Aventiniana). Da es jedoch trotz des Aventin zu keiner Verhaftung Mussolinis und keiner Ausschreibung von Neuwahlen kam, ging diese Strategie letztlich ins Leere. Wiederholte Angriffe faschistischer Schläger auf Lussu gipfelten 1926 in einer Belagerung seiner Rechtsanwaltskanzlei in Cagliari durch eine aufgehetzte Menge, gegen die er sich ganz allein verteidigen 3 Wir verwenden ab nun dieses Kürzel zur Bezeichnung der Bewegung Giustizia e Libertà. 4 Homer, Odyssee X, 1–4. Äolia [=Lipari] ist die Insel des Windgottes Äolus, dessen Gastgeschenk, den verschlossenen Windschlauch, die Gefährten des Odysseus in habgieriger Verblendung zu ihrer aller Unglück auflösen. 5 Um nur ein Beispiel für die beharrlich negativen Reaktionen der Militärzeitschriften zu geben, zitiere ich den Rezensenten des Il nuovo pensiero militare vom 30.5.1965 (!), der Un anno sull’Altipiano als »absoluten Höhepunkt des Defätismus, das schlimmste von allen Büchern, die in Italien über die beiden Weltkriege erschienen sind« bezeichnet. Vgl. Falaschi 1996, S. 196f.

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konnte, wobei er allerdings einen der Angreifer erschoss6. Während der darauf folgenden Kerkerhaft erkrankte er an Tuberkulose. Obwohl der Untersuchungsrichter ihn freisprach – es hatte sich um einen klaren Fall von Notwehr gehandelt – wurde Lussu dennoch auf Betreiben Mussolinis zu fünf Jahren Internierung (confino) auf der Insel Lipari verurteilt. Im Jänner 1928 landete auf dieser Insel ein junger Mann, »ein Riese mit klaren, offenherzigen Zügen und lachenden blauen Augen hinter seinen Brillengläsern«7. Es ist Carlo Rosselli, er kommt aus einer reichen jüdischen Bürgersfamilie patriotisch-demokratischer Mazzinianer. Carlo wächst Seite an Seite mit seinem Bruder Nello auf, zusammen mit ihm und anderen liberalen Sozialisten, die sich in Florenz um die charismatische Gestalt des antifaschistischen Historikers Gaetano Salvemini sammelten, ruft er 1925 die erste antifaschistische Zeitung Non mollare! ins Leben. Das Blatt treibt Mussolini vor allem wegen der Enthüllungen über den Mord an Matteotti zur Weißglut; als es durch Verrat auffliegt, zerstreuen sich die Redakteure. Salvemini gelingt es zu fliehen, er wird fünf Jahre später zusammen mit Rosselli in Paris den heroischen Kampf wiederaufnehmen. Obwohl die faschistischen Sturmtruppen Carlo selbst schon auf den Fersen sind, kann er gegen Ende des Jahres 1926 noch die Flucht des alten sozialistischen Parteiführers Filippo Turati und des jungen Rechtsanwalts Sandro Pertini8 ins Ausland organisieren. Bei der Rückkehr von dieser Rettungsaktion wird er zusammen mit seinem Fluchthelfer-Gefährten Ferruccio Parri9 verhaftet. Den darauf folgenden Prozess verkehrt Rosselli mit unglaublicher Courage zu einer flammenden Anklage gegen das Regime, das, »einzig und allein verantwortlich, Millionen von Bürgern […] zu Kettensklaven gemacht und sie vor eine tragische Alternative gestellt habe: unterwürfige Anpassung, Hunger oder Exil«10. Zu drei Jahren Konfinierung verurteilt, wird auch er schließlich nach Lipari gebracht. »Rosselli besuchte mich gleich am Tag nach seiner Ankunft. Lachend, mit einem Reiseführer durch Lipari in der Hand, sah er mehr einem Touristen ähnlich […]. Ich lag immer noch mit Fieber zu Bett«11, berichtet Lussu über ihre erste Begegnung. »Wir haben dann nur noch von Flucht gesprochen, bis […] wir nicht mehr konnten. Flucht […] im Ruderboot, Flucht im Motorboot, Flucht mit dem Dampfschiff, mit dem Flugzeug […] Flucht, Flucht, Flucht«, erzählt Rosselli12. 6 Eine genauere Darstellung des Vorfalls ist in der Biographie Lussus von Giuseppe Fiori nachzulesen (Fiori 2000, S. 171ff.). 7 Nitti 1930, S. 202. 8 Pertini war vom 8. Juli 1978 bis zum 23. Juni 1985 siebenter italienischer Staatspräsident. 9 Parri war eine der Schlüsselfiguren (Deckname »Maurizio«) der Resistenza und des kurzlebigen Partito d’Azione. 1945 stand er als Ministerpräsident der ersten italienischen Nachkriegsregierung vor. 10 Catini 2016, S. 91. 11 Lussu 1977, S. 314. 12 Rosselli 1944, S. 41.

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Die waghalsige Flucht gelang eineinhalb Jahre später. Sie war ein organisatorisches Meisterstück und eine gewaltige Schlappe für den faschistischen Polizeiapparat; die sensationelle Nachricht machte die Runde durch die Weltpresse13. Nach ihrer Ankunft in Paris gründeten Rosselli und Lussu zusammen mit dem dritten Fluchtgefährten Franscesco Fausto Nitti14, mit Salvemini, Alberto Tarchiani15 und anderen die revolutionäre Bewegung Giustizia e Libertà. Das Hauptquartier von GL war Paris, das Zentrum ihrer Aktivitäten sollte freilich die Arbeit im Untergrund in Italien sein. Während die massenhafte italienische Emigration nach Frankreich am Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem aus wirtschaftlichen Gründen erfolgte, finden wir nach der Machtergreifung der Faschisten eine Elite italienischer Politiker, Exponenten der wichtigsten antifaschistischen Strömungen (Francesco Saverio Nitti, Gaetano Salvemini, Piero Gobetti, Giovanni Amendola) im französischen Exil. Nach der Einführung der faschistischen Sondergesetze (»leggi fascistissime«) ab Ende 192516 kam es dann zu einem wahren Exodus bedeutender Persönlichkeiten (Sozialisten verschiedener Prägung wie Filippo Turati, Pietro Nenni, Bruno Buozzi, Giuseppe Modigliani, Claudio Treves, Giuseppe Saragat, Republikaner wie Cipriano Facchinetti und Mario Bergamo, Katholiken wie Don Sturzo), aber auch viele Demokraten aus der Basis dieser Gruppierungen wanderten aus. 1924 konstituierte sich in Frankreich die sogenannte Concentrazione antifascista, die eine stabile Allianz für die Zusammenarbeit der antifaschistischen Kräfte im Exil garantieren sollte. Die »Konzentration« stellte sich aber eher als Koalition heraus, innerhalb derer alle Parteien im Hinblick auf einen möglichen Fall des Faschismus ihre Identität bewahren wollten; durch eine ähnlich sterile Erwartungshaltung war schon der Aventin gescheitert. Dagegen war die leitende Idee von Rosselli, Lussu, Salvemini und den übrigen Gründungsvätern von GL, »eine Aktionseinheit aller antifaschistischen Kräfte zu 13 Lussu berichtete über die Flucht und andere Ereignisse des Jahrzehnts gleich nach der Ankunft in Paris in La catena (1929), während der dritte Fluchtgefährte Francesco Fausto Nitti zunächst in Escape (1929) auf Englisch das Abenteuer schilderte. Sein vielgelesenes Le nostre prigioni e la nostra evasione erschien ein Jahr danach und nochmals 1946. 14 Francesco Fausto Nitti, ein Verwandter des Ministerpräsidenten Francesco Saverio Nitti, war Antifaschist der ersten Stunde, kämpfte in Spanien, dann im Untergrund in Frankreich und schließlich in der Résistance. Nach dem Krieg stieg Nitti im Rahmen des Grande Oriente d’Italia zu den höchsten Stufen der Freimaurer-Hierarchie auf. Vgl. Ramella 2007. 15 Alberto Tarchiani, einer der Organisatoren der sensationellen Flucht aus Lipari, war bis 1925 Chefredakteur des Corriere della Sera, dann im Pariser und im amerikanischen Exil als unermüdlicher Antifaschist tätig, nach dem Krieg höchst verdienstvoller italienischer Botschafter (1945– 1955!) in Washington. 16 Am 25.12.1926 erließ Mussolini das Gesetz Nr. 2008: »Provvedimenti per la Difesa dello Stato« (Maßnahmen zur Staatsverteidigung). Artikel 4 enthielt das Verbot der Neugründung von Organisationen und politischen Parteien, die aus Gründen der Wahrung der öffentlichen Sicherheit aufgelöst worden waren, somit aller Parteien, abgesehen von der faschistischen.

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schaffen. Der Faschismus sollte nicht nur ideologisch bekämpft werden, man musste sich auf einen bewaffneten Kampf und schließlich einen Aufstand vorbereiten. Die Organisation sollte im Inneren durch die enge Vernetzung von Gruppierungen erfolgen, die bereit waren zu riskanten Unternehmungen mit hohem propagandistischem Wert.«17 Die Aktionsgemeinschaft der verfügbaren Kräfte sollte auf einem Minimalkonsens beruhen (Freiheit, soziale Gerechtigkeit, republikanische Gesinnung), die eigentliche, ethische Antriebskraft musste jedoch »die Notwendigkeit einer grundlegenden Erneuerung des sozialen und moralischen Zustands des Landes«18 sein. Die theoretischen Grundlagen der Bewegung hielt Rosselli im Essay Socialisme Libéral19 fest, der 1930 in Paris erschien. Zum Unterschied von den sozialistischen Maximalisten und den Kommunisten, die sowjetische Positionen vertraten, glaubte Rosselli an die Möglichkeit der Verbindung von liberaler Demokratie und Sozialismus. In seinem Werk verknüpfte er das Prinzip der Freiheit untrennbar mit der Existenz demokratischer Institutionen und kritisierte den marxistischen Sozialismus, der in der Sowjetunion den Wert der Freiheit im Namen der Diktatur des Proletariats relativiert hatte. Die aufsehenerregenden Propagandaaktionen von GL – wie der halsbrecherische Flug Giovanni Bassanesis20 über Mailand, wo er Abertausende von Flugzetteln mit dem Motto von GL »Insorgere! Risorgere!«21 abwarf – konnten nicht einmal von der faschistischen Presse verschwiegen werden. In diese Aktionen floss das beträchtliche Privatvermögen von Carlo Rosselli ein. Zwischen 1930 und 1934 wurden jedoch einige Netzwerke von GL in Mailand und Turin zerschlagen und ihre Mitglieder, darunter Spitzenexponenten wie Ernesto Rossi und Riccardo Bauer sowie Leone Ginzburg, Giulio Einaudi, Carlo Levi, Cesare Pavese verhaftet und teils zu schweren Kerkerstrafen verurteilt. Daraufhin gab man die Pläne zu einer unmittelbar bevorstehenden Erhebung auf und wandte sich mehr dem Langzeitprogramm zu. In den Beziehungen der Vertreter von GL mit der Concentrazione antifascista kam es 1934 zum endgültigen Bruch. Die pazifistische Haltung der Concentrazione – die berühmte Politik der »Nichteinmischung« – führte nach Meinung von Lussu und Rosselli nur dazu, den Expansionsgelüsten der totalitären Regime freien Raum zu lassen, ohne den Ausbruch eines unmittelbar bevorstehenden Konflikts verhindern zu können – eine von der Weltgeschichte bald nur allzu grausam bestätigte Einschätzung. 17 Brigaglia 2008, S. 37f. 18 Rosselli: Per l’unificazione del proletariato italiano, in: Giustizia e Libertà, 14.5.1937. 19 Die italienische Ausgabe Socialismo liberale erschien erst 1979, herausgegeben von Rossellis Sohn John, mit einer Einführung des italienischen Rechtsphilosophen Norberto Bobbio. 20 Zur Biographie Bassanesis vgl. Nebiolo 2006. 21 Mit Beibehaltung des Wortspiels könnte man »Aufstand! Auferstehung!« übersetzen. Das Motto stammt von Lussu.

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Die Proklamation der Republik in Spanien 1931 und der dezidierte Antifaschismus vieler führender Republikaner rief bei den faschistischen Bonzen in Rom nicht wenig Besorgnis hervor. Republikanische Spitzenpolitiker pflegten engen Kontakt mit den italienischen Antifaschisten im Pariser Exil, von denen einige bald in Madrid ihre Aufwartung machten22. Noch vor Ende April 1931 trafen Rosselli, Tarchiani und »Überflieger« Bassanesi in Madrid Prieto, Azaña und Ramón Franco, der als Flieger-Ass weitaus bekannter war als sein Bruder Francisco. Von den drei Spaniern zeigte sich Franco als der eifrigste bei der Befürwortung eines Projekts, den römischen Palazzo Venezia zu bombardieren. Der Bruder des zukünftigen Caudillo, ein politisches Chamäleon, der damals kurzfristig die Ideale der spanischen Linken vertrat und in den die fuorusciti große Hoffnungen setzten, erklärte sich auch mehrmals bereit, die Bombardierung der Villa Torlonia, Residenz des Duce, zu organisieren23. Im Mai besuchten Tarchiani und Rosselli neuerlich Madrid und besprachen mit Azaña, der damals Kriegsminister der provisorischen Regierung war, Propagandaaktionen in Italien. Mitglieder der Menschenrechtsorganisation LIDU (Buozzi, Facchinetti, Treves, Campolonghi) trafen sich im gleichen Monat mit Edoardo Ortega y Gasset (Zivilgouverneur von Madrid und Bruder des berühmten Philosophen), Ramón Franco und Indalecio Prieto, damals Finanzminister24. Obwohl diese und weitere Aktivitäten italienische Exilpolitiker in Madrid wenig praktische Konsequenzen hatten, steigerten sie doch Mussolinis Furcht, das republikanische Spanien könne seine Tore dem Kommunismus öffnen. »Heute stellt sich nicht mehr die Frage Republik oder Monarchie, sondern Kommunismus oder Faschismus«, meinte der Duce in einem Kommentar zum Fall der spanischen Monarchie25.

3. Erste Hilfe für die spanische Republik: Colonna italiana Rosselli Als im Juli 1936 der Putsch der rechtsgerichteten Generäle gegen die demokratisch gewählte Volksfront-Regierung ausbrach, bemühte sich Rosselli im vollen Bewusstsein der internationalen Dimension dieses Putsches sogleich mit der üblichen Tatkraft, ein Hilfskorps zur militärischen Unterstützung der Republikaner aufzustellen. Die fatale Folge des alzamiento, der Bürgerkrieg, in dem sich die gewählte Regierung, so ineffizient und unglücklich manche ihrer Entscheidungen auch gewesen sein mögen, gegen die Verschwörung radikalisierter Militärs

22 Coverdale 1977, S. 37. 23 Grassia 2012, S. 3. 24 Angaben aus einem Telegramm, nachzulesen bei Coverdale 1977, S. 56f. 25 Zitiert bei De Felice 1974, S. 825.

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und der reaktionärsten Elemente des Landes verteidigen musste, war für Rosselli das erste Aufflammen eines in weiten Teilen des »faschistisierten« Europa schwelenden Konflikts, der bald in voller Stärke entbrennen würde. Bei einer Ende Juli von GL in Paris initiierten Zusammenkunft der Repräsentanten der antifaschistischen Gruppen versuchte Rosselli vergeblich, den Widerstand der Sozialisten und Kommunisten gegen eine direkte Intervention in Spanien zu überwinden. Diese hielten sich jeweils an die Positionen ihrer Internationale und der französischen Linken, die sich zu diesem Zeitpunkt höchstens auf einen »RotkreuzKrieg« einlassen wollten, wie es Lussu sarkastisch zusammenfasste. Für eine Intervention entschieden sich nur GL, die sozialistischen Maximalisten, die Anarchisten und andere kleinere Fraktionen. Rosselli nahm Kontakte mit Waffenfabrikanten und Händlern auf und beteiligte sich gleichzeitig am Aufbau (d. h. an der Anwerbung von Freiwilligen) von André Malraux’ Fliegerstaffel España26. Er befand sich schon in Barcelona, als der französische Ministerpräsident Léon Blum Anfang August den Vorschlag zu einem internationalen Nichteinmischungsabkommen in den spanischen Konflikt machte. Eine Verpflichtung, die bekanntlich von den demokratischen Staaten zum immensen Schaden der spanischen Republik respektiert wurde, nicht aber von den europäischen Diktaturen. Geschick und Glück erlaubten Rosselli, mit Hilfe von Diego Abad de Santillán27, dem Verantwortlichen für die Organisation der Milizen im Antifaschistischen Komitee der Milizen Kataloniens, das de facto die Regierungsgeschäfte übernommen hatte, die erste italienische Brigade ins Leben zu rufen. Die Gruppe von Freiwilligen um Rosselli und die Freimaurer, die mit Mario Angeloni, dem Sekretär der Republikanischen Partei im Exil, der spanischen Republik zu Hilfe geeilt waren, mussten sich mit schwierigen Verhältnissen auseinandersetzen: Sie hatten sich als eine über den spanischen Parteien stehende Einheit formieren wollen, aber die Colonna italiana war nur möglich als autonome Formation im Rahmen der Milizen der CNT (Confederación Nacional del Trabajo), der Konföderation der spanischen anarchosyndikalistischen Gewerkschaften, welche die katalanische Generalitat in Barcelona dominierte. Die Aufstellung der Colonna italiana an der aragonesischen Front im Verband der katalanischen Milizen erfolgte also nicht nur, weil Katalonien in Nachbarschaft zur französischen Grenze der natürliche Sammelplatz von Freiwilligen war, sondern aufgrund der besonderen sozialrevolutionären Umstände, die der Region eine Zeitlang höhere 26 Vgl. Garosci 1973, S. 400f. 27 Aldo Garosci, Kampfgefährte und Biograph Rossellis, erinnert sich, dass Rosselli zu dem vielbeschäftigten Santillán nicht vorgedrungen wäre, hätte ihm nicht das Buch seines Bruders Nello Mazzini und Bakunin, »das in Bibliotheken von Intellektuellen, aber auch von anarchistischen Arbeitern häufig zu finden war«, als »Pass« gedient - der anarchistische Theoretiker Santillán war auch Übersetzer einer Bakunin-Biographie (Garosci 1973, II, S. 178).

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politische Energie verliehen als der Hauptstadt Madrid. Katalonien war eine Hochburg des Anarchosyndikalismus, in Barcelona hatte eine profunde Revolution stattgefunden, die niemand besser beschrieben hat als George Orwell in Homage to Catalonia28. Zu diesem Zeitpunkt waren die katalanischen Anarchisten die leidenschaftlichsten Befürworter des internationalen Volontariats. Die Frage, wie sehr die Waffenbrüderschaft mit den Anarchisten für Rosselli ein Abrücken von manchen der theoretischen Grundsätze des liberalen Sozialismus bedeutete, kann hier nur angedeutet und muss jedenfalls unter dem Aspekt des unmittelbaren, dramatischen Handlungsbedarfs gesehen werden. Die Zenturie Rossellis zählte 130 Mann, darunter italienische Anarchisten, die sich schon vorher in Barcelona aufgehalten hatten. Sie erlebte ihre Feuertaufe am 28. August an der Front von Huesca, am Monte Pelato, wo sie allein ein paar Hundert mit einem Panzer anrückende Putschisten siegreich zurückwerfen konnte. Allerdings zum Preis von sieben Toten, unter denen Angeloni selbst war. Sie beteiligte sich noch an anderen Gefechten, aber Ende November, nach dem »nicht eingelösten Sieg«29 bei Almudébar (einem wichtigen Stützpunkt der franquistas), brach in der Colonna GL eine seit längerer Zeit latente Krise aus, unter anderem wegen der von der Madrider Regierung mit Nachdruck erhobenen Forderung nach einer »Militarisierung« der Freiwilligenverbände, d.h. nach ihrer Umwandlung in reguläre Heereseinheiten, was natürlich von den gegen Autoritätsstrukturen unduldsamen Anarchisten zurückgewiesen wurde. Dieser und andere Kontraste zwischen der anarchistischen Komponente der Colonna – zu ihr gehörte auch Camillo Berneri, einer der bedeutendsten Intellektuellen des libertären Universums – und den anderen Elementen (Sozialisten, Kommunisten, Republikaner) führten schließlich in einer ideologischen Frage zu einer Stellungnahme der Mehrheit gegen den Kommandanten Rosselli30. Im Dezember gab er das Kommando ab, die Anhänger von GL, die Republikaner und die Kommunisten traten aus der Formation aus und gründeten das Battaglione Matteotti. Das Bewusstsein, dass der spanische Krieg die lang ersehnte Gelegenheit bot, mit der Waffe in der Hand und mit offenem Visier den Faschismus zu bekämpfen – wir haben eingangs darauf hingewiesen – war für viele italienische Emigranten die Triebfeder, nach Spanien zu eilen31. Noch vom Krankenbett aus fasste 28 »[…] die geistige Atmosphäre des Sozialismus herrschte vor. […] Die normale Klasseneinteilung der Gesellschaft war verschwunden. […] Natürlich konnte dieser Zustand nicht andauern. Es war einfach ein zeitlich und örtlich begrenzter Abschnitt in einem gewaltigen Spiel […]. Aber es dauerte lange genug, um jeden, der es erlebte, zu beeindrucken.« (Orwell 1975, S. 132f.). 29 »Storia di una vittoria mancata« (Bericht an das Oberkommando der aragonesischen Front), Castillo de San Juan, 28. 11. 1936, in: Rosselli 1967, S. 78. 30 Als Rosselli den tapfer kämpfenden praktizierenden Katholiken Ottorino Orlandini, einen toskanischen Freiwilligen, zum Offizier ernennen wollte, machte er sich den Großteil der Anarchisten zum Feind, was schließlich, laut Garosci, am 6. 12. 1936 zu seinem Rücktritt führte. 31 Vgl. Brigaglia 2008, S. 161.

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Lussu diesen Bewusstseinsstand lapidar zusammen: »[…] ich erlaube mir zu behaupten, dass wir es nötiger haben nach Spanien zu gehen, als die Spanische Republik uns benötigt«32. Und Rosselli gab in der denkwürdigen Rede, die er am 13. November in Radio Barcelona hielt, die Devise aus: »Heute in Spanien, morgen in Italien!« Es war die erste Botschaft der Spanien-Freiwilligen an die Heimat und wurde zum »Leitmotiv der absoluten Identifikation des Spanischen Bürgerkriegs mit dem offenen Konflikt in dem Land, das als erstes den Faschismus ertragen musste«33. Rossellis leidenschaftlicher Appell, der den Moment der Morgenröte, wenn man so sagen darf, des bewaffneten Widerstands gegen den Faschismus markiert, ist unvergessen. Eine auch rhetorisch brillante Rede mit ihrem bewegenden Ritornell: Genossen, Brüder in Italien, hört mir zu. Ein italienischer Freiwilliger spricht zu euch von Radio Barcelona aus, um euch die Grüße von Tausenden italienischer Antifaschisten im Exil zu überbringen, die in den Reihen der revolutionären Armee kämpfen […].34

Doch bevor Rosselli seine historische Rede hielt, hatten in Paris Sozialisten und Kommunisten bereits mit der Republikanischen Partei einen Pakt über die Aufstellung einer italienischen Legion im Dienst der Madrider Regierung geschlossen. Die Komintern hatte im September 1936 endlich den Beschluss zur Aufstellung internationaler Brigaden bekanntgegeben. Die italienische Legion, zunächst Battaglione Garibaldi, wurde kommandiert vom Weltkriegshelden und Ex-Sekretär der Republikanischen Partei, Randolfo Pacciardi, und rückte 1937 zur Brigade Garibaldi der Interbrigaden auf. Die »verzweifelten Versuche« Rossellis, die Legion nach Katalonien »umzuleiten«, oder man möge »die bereits existierende italienische Kolonne wenigstens berücksichtigen, scheiterte an einer Kräftekonstellation«35, die ungünstig für ihn selbst und für Katalonien war.

4. Die libertäre Revolution im Gegenwind Angesichts der Nichteinmischungspolitik der europäischen Demokratien und angesichts der sofort erfolgten Intervention des faschistischen Italien und des nationalsozialistischen Deutschland reagierte die Sowjetunion mit offener Unterstützung der bedrohten Republik, forderte dafür aber eine ihren Interessen gemäße Politik ein, wozu die Ausschaltung des Schwergewichts der Anarchisten – Stalin betrieb aus Gründen außenpolitischer Taktik entschieden den Rückbau der libertären Revolution in Spanien – und die Kontrolle der zahlreichen von 32 Lussu, Giustizia e Libertà, 28.8.1936. 33 Garosci 1959, S. 434. 34 Rosselli 1967, S. 70ff. 35 Garosci, Einleitung zu Rosselli 1967, S. XXVII–XXIX.

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Madrid unabhängigen militärischen Formationen gehörte. Die Machtfülle der zuvor unbedeutenden spanischen Kommunistischen Partei (PCE) nahm enorm zu, die Kommunisten traten auch ins Kriegsministerium des Sozialisten Largo Caballero ein. Die Anarchosyndikalisten der CNT, die Anarchisten der FAI (Federación Anarquista Ibérica) und die kleine Arbeiterpartei der marxistischen Einheit (POUM), die sich als Alternative sowohl zur sozialistischen wie zur kommunistischen Partei verstand, wandten sich gegen die Auflösung ihrer Parteimilizen zugunsten der Volksarmee, in der sie ihren Einfluss durch die Politoffiziere der Kommunistischen Partei schwinden sahen. An den gegen die Träger der sozialen Revolution gerichteten Säuberungsaktionen waren von Anfang an Funktionäre des sowjetischen Geheimdienstes NKWD und der Komintern beteiligt. Die stalinistische Terrorwelle, in der die republikanische Zentralregierung die Rolle des Zauberlehrlings spielte, gipfelte in den Ereignissen (man könnte auch sagen der Konterrevolution) von Barcelona im Mai 1937, dem »Bürgerkrieg im Bürgerkrieg«, den George Orwell, Freiwilliger in den Reihen der als trotzkistisch oder als Handlangerin Francos verleumdeten POUM, in Homage to Catalonia so eindringlich beschrieben hat36. Die blutigen Auseinandersetzungen endeten mit der Übernahme der Militär-und Polizeigewalt durch die Zentralregierung. Als der alte Arbeiterführer und Ministerpräsident Largo Caballero sich weigerte, die POUM zu verbieten, provozierten die Kommunisten eine Regierungskrise und zwangen ihn zum Rücktritt. Es folgte das zweite Volksfrontkabinett unter dem Rechtssozialisten Juan Negrín, der als Finanzminister den Goldschatz der Bank von Spanien in die Sowjetunion verlagern hatte lassen.37 Die Revolution war zerschlagen, die Basis schwer getroffen in ihrem Elan, und dies höhlte in der Folgezeit auch den kollektiven Widerstandsgeist gegen die Invasion des spanischen Faschismus und seiner italienischen und deutschen Helfershelfer aus. Auf den Waffenstillstand in Barcelona folgte eine Verhaftungswelle, die sich vor allem gegen die Führung der POUM richtete. Ihr Gründer und Leader Andreu Nin wurde verschleppt und unter ungeklärten Umständen ermordet. Am Mordkomplott beteiligt soll auch der Kommandant des kommunistischen »Fünften Regiments«, der Triestiner Vittorio Vidali (in Spanien trat er als Carlos J. Contreras auf) gewesen sein. Nach der Darstellung eines führenden Aktivisten der POUM, Julián Gorkin, der sich auf den kommunistischen Ex36 In diesem Zusammenhang sind das 10. und 11. Kapitel von Orwells Bericht besonders relevant. In 11 zeigt der Autor minutiös die Strategie der falschen Anschuldigungen gegen die POUM auf. 37 »Es ging Stalin wohl in Wirklichkeit gar nie ernsthaft darum, Franco zu besiegen […], sondern den Anarchismus in Katalonien, die spanische Revolution zu vernichten. Was konnte ihm Schlimmeres zustoßen mit […] seinem Revolutionsmonopol, als daß […] anderswo eine Revolution erfolgreich verlaufen wäre, und womöglich noch libertär, mit menschlichem Gesicht. Das außenpolitische Kartenhaus wäre zusammengestürzt, die Komintern auseinandergefallen. In Spanien wurde eine drohende Konkurrenz im Keim vernichtet.« (Rohrwasser o.D.).

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Minister Hernández beruft, war Vidali (»Carlos Contreras, der entartete […] Mitarbeiter General Orlows«38) sogar der unmittelbare Mörder Nins39. Allerdings wurde der zwielichtige »Comandante Carlos«, der jahrelang in verschiedenen Ländern für die Komintern arbeitete, mit der Liquidierung einer Reihe von »Abweichlern« (darunter fälschlicherweise Leo Trotzki) in Zusammenhang gebracht, was er jedoch immer wortreich abstritt40. Nach der Rückkehr seiner Heimatstadt Triest in den italienischen Staatsverband im Jahr 1954 saß Vidali als einflussreicher Vertreter des stalinistischen Flügels des PCI im römischen Parlament. Ein anderes prominentes Opfer der stalinistischen Säuberungen41 war Camillo Berneri, anarchistischer Theoretiker und Mitkämpfer in Rossellis Colonna. Sein berühmter Offener Brief42 an die anarchistische Gesundheitsministerin der Regierung Largo Caballero widmet sich dem Problem der untrennbaren Einheit von Revolution und Sieg im Bürgerkrieg. Am Höhepunkt der Maikrise in Barcelona wurde Berneri entführt und, wie Nin, unter ungeklärten Umständen ermordet. Während die Spanische Republik zunehmend in Abhängigkeit von Moskau geriet, was die erwähnten gravierenden innenpolitischen Veränderungen und den dominierenden Einfluss der Kommunisten im Militärwesen zur Folge hatte, bemühte sich Rosselli vergeblich, den Nukleus seiner Einheit von Freiwilligen ohne Verlust ihres revolutionären Potentials der neuen politischen Situation anzupassen oder sie als unabhängiges Korpus dem Garibaldi-Bataillon einzugliedern. Die Verantwortlichen des Bataillons, Vertreter der drei »historischen« italienischen Parteien, waren zwar bereit, Elemente verschiedener Provenienz aufzunehmen, aber als Individuen, nicht als politische Einheit GL43. Rosselli teilte zutiefst die libertäre Begeisterung, die viele Tausende im Kampf für ihr Verständnis von der Herrschaft des Volkes und von Sozialismus einte; es war die Vision einer brüderlichen Menschheit, die auch einen Hemingway, einen Malraux, einen Koestler und nicht zuletzt einen Orwell bei seiner Ankunft in Barcelona faszinierte: »All das war seltsam und rührend. […] Aber ich erkannte sofort die Situation, für die zu kämpfen sich lohnte.«44. Rosselli »wollte […] den Anarchismus 38 Hernández 1974, S. 180f.; Alexander Orlow war der Kopf des NKWD in Spanien. 39 Gorkin 1978. 40 Eine seiner zahlreichen autobiographisch inspirierten Publikationen ist: Comandante Carlos, Roma 1983. 41 Roy Medwedew (1973, S. 277) schreibt (als KPdSU-Mitglied) in seiner Geschichte des Stalinismus: »Sehr wahrscheinlich hat Stalin mehr Spanienkämpfer erschießen lassen, als durch die Kugeln der Faschisten in Spanien gefallen sind.« 42 ›Guerra o rivoluzione? Lettera aperta alla compagna Federica Montseny‹, in: Guerra di classe, 14.4.1937. 43 Umfangreiche Details berichtet Garosci 1975, II, S. 444ff. (»Verso nuove formazioni«). 44 Orwell 1975, S. 10.

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und den Syndikalismus der Katalanen einfließen lassen in einen europäischen Humanismus, und er wollte vor allem die spanische Revolution und das in ihr kämpfende italienische Volontariat in einen direkten Konflikt […] mit dem italienischen Faschismus münden lassen«45. Er sah in Katalonien eine neue Art von sozialer Demokratie entstehen, »die theoretisch-praktische Synthese der russischen Erfahrung mit dem Erbe des Westens«46: libertärer Humanismus, Kommunismus, der vom einzelnen ausgeht, nicht von der Masse, wie er in einem bemerkenswerten Artikel in GL47 ausführte. Natürlich bleibt hier die Frage offen, wie sehr der liberale italienische Sozialist die Aktionen der Anarchosyndikalisten in Katalonien und Aragonien im Licht seiner eigenen Hoffnungen interpretierte, wie sehr er den alten, niemals realisierten Traum vom »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« träumte, die humanistische Revolution, die wahre giovinezza48, nicht jene, die der Faschismus monopolisierte.

5. Für eine italienische Legion in Spanien Lussu, der alte Soldat, der noch an den Folgen seiner Pneumothorax-Operation litt, begleitete nunmehr die Versuche des Freundes, in Katalonien eine neue motorisierte Division aufzustellen, mit der ganzen Autorität seiner gloriosen militärischen Vergangenheit in einer Reihe von Beiträgen für die Zeitung GL unter dem Titel »La Legione Italiana in Ispagna«49, die zwischen Ende September und Mitte Dezember 1936 erschienen, das heißt zwischen dem Sieg der Kolonne GL am Monte Pelato und dem Tag, als ihr Gründer das Kommando abgeben musste. Lussu und Rosselli stimmten weitgehend überein in ihrer Auffassung vom spanischen Krieg als Krieg des gesamten europäischen Antifaschismus50 und als direkte und notwendige Voraussetzung und Vorbereitung einer Aktion in Italien. Lussu bereicherte die Diskussion mit präzisen technisch-organisatorischen Daten und Vorschlägen (»ohne militärische Disziplin kann man höchstens Krieg mit den Artischocken führen«51) und mit der Auffassung, dass die Aktionseinheit 45 Ebd., S. 432. 46 Rosselli 1967, S. 59. 47 Catalogna, baluardo della rivoluzione, in: Giustizia e Libertà, 6.11. 1936. 48 Giovinezza (=Jugend) war die Triumphhymne des Partito Nazionale Fascista, vorher die der Arditi (Elitetruppe im Ersten Weltkrieg). 49 In: Giustizia e Libertà, 28.9.; 2.9.30.10, 13.11.; 18.12.1936. 50 Lussu veröffentlichte etwa gleichzeitig mit den Artikeln für GL 1936 in Paris seinen großen Essay Teoria dell’insurrezione, in dem er die Vorbereitung und Durchführung einer bewaffneten Erhebung mit darauf folgender sozialpolitischer Revolution theoretisiert; ein Kapitel ist den Februarkämpfen 1934 in Österreich, insbesondere der Kritik an den unzulänglichen militärischen Strategien der Sozialdemokraten gewidmet. 51 La Legione…, 30.10.1936.

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der italienischen Legion mit der politischen Einheit einhergehen müsse, genauer gesagt mit der Vereinigung aller sozialistischen Gruppierungen, d.h. PSI, Maximalisten, GL, ARS (die linksrepublikanische Gruppe von Schiavetti), verschiedene sozialistische und philosozialistische, teils marxistische, teils nicht marxistische Elemente. Eine solche Legion sollte sich nach Lussu durch Konvergenz der anderen Parteien um Rossellis Kolonne formieren, die sich schon Ruhm erworben hatte, und konnte »die Vorbotin einer großen, demokratischen und revolutionären sozialistischen Bewegung im Ausland und in Italien52 sein. »Eine sozialistisch-kommunistische Einheit [wäre] erst der nächste Schritt«53. Lussu verteidigte Rosselli gegen die Vorwürfe, ausgerechnet das anarchistische Katalonien als Basis für seine militärische Intervention ausgewählt zu haben: Die italienischen Freiwilligen kämpften zwar brüderlich Seite an Seite mit den Anarchisten, seien aber immer, militärisch und politisch, autonom geblieben. Als sich dann im November die Unmöglichkeit eines Verbandes der Kolonne Rossellis mit dem Garibaldi-Bataillon unter dem Kommando Pacciardis herausstellte, bedauerte Lussu: Wenn die Colonna italiana und das italienische Bataillon, das zur internationalen Brigade in Madrid gehört, und alle anderen italienischen Freiwilligen, die in Spanien kämpfen, sich in einer einzigen Formation sammelten, hätte man schon, wenn auch im kleinen, die italienische Legion, die bald die große Legion werden könnte […]. Unglücklicherweise sind aber innerhalb des italienischen Antifaschismus zwei Volksfronten entstanden […]. Das ist unsinnig. […] Ich lade insbesondere die Kommunisten ein, einen Blick auf ihr Sündenregister zu werfen […].54

Das Garibaldi-Bataillon ging am 10. November an die Front und erlebte am 13. eine blutige Feuertaufe bei Cerro de los Angeles, einem Vorort von Madrid, bei dessen Verteidigung es eine wichtige Rolle spielte. Was die von Lussu erwähnten Konflikte während der erfolglosen Einheitsbemühungen zu einer italienischen Legion betrifft, so warfen später nicht nur der Kommandant der »Garibaldiner«, Randolfo Pacciardi55, sondern auch andere prominente Zeugen und Spanienkämpfer wie Leo Valiani56 einen pseudo-harmonischen Schleier über die unleugbare Tatsache, dass man den Mann zur Seite schob, der den ersten italienischen Kampfverband in Spanien in Aktion gesetzt hatte, »wobei er einem spontanen Impuls […] gehorchte, ohne Drängen von außen oder komplizierte Absprachen«57. Jedenfalls dürfte der letzte Monat, den Rosselli an der Front verbrachte, 52 Lussu hatte die Gründung einer europäischen Partei im Auge, die alle sozialistischen Kräfte zu einer antifaschistischen Revolution zusammenfassen sollte. 53 La Legione…., 30.10.1936. 54 La Legione…, 13.11 1936; vgl. Brigaglia 2008, S. 163. 55 Pacciardi 1945, S. 29 et passim. 56 Valiani 1999, S. 197ff. 57 Rosselli, Brief an die Gruppe von GL in Lyon, 24.1.1937, in: Rosselli 1967, S. 107.

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seine menschenfreundliche Natur auf eine harte Probe gestellt haben, wie man einem Brief an seine Frau Marion Cave entnehmen kann: Ich liebe das Menschengeschlecht als Abstraktion und den Menschen im Konkreten. Aber die Gruppe, der Verein scheint mir von Tag zu Tag unzulänglicher, manchmal unerträglich.58

6. Der Mord von Bagnoles de l’Orne Rosselli lag Anfang Dezember 1936 schon mit einer Wunde, die sich an seinem Bein geöffnet hatte, in der Schweizer Ambulanz von Castillo de San Luis. Am 6. Dezember legte er, wie gesagt, das Kommando seiner Colonna zurück, und im Jänner begab er sich nach Frankreich, um seine akut gewordene Phlebitis auszukurieren. Doch war er keineswegs niedergeschlagen und hatte die Absicht, seine Energie und Kampfeslust so bald wie möglich wieder in Spanien einzusetzen, wo ihm viele seiner Kameraden treu geblieben waren und sich als Colonna Matteotti neu organisiert hatten. Die Kommunisten der aufgelösten Colonna Rosselli hatten sich zum Anschluss an ihre Parteigenossen an der Madrider Front entschlossen. Bei den Interbrigaden, zu denen das Garibaldi-Bataillon gehörte, nahmen italienische Kommunisten wie Luigi Longo und Vittorio Vidali relevante Funktionen ein. Im März 1937 stieß das Bataillon in der Schlacht von Guadalajara zum ersten Mal mit Mussolinis Legionären zusammen, die eine schmähliche Niederlage erlitten. Der Sieg der Republikaner bei Guadalajara vereitelte Francos Hoffnungen, mit der Einnahme von Madrid dem Krieg eine entscheidende Wendung zu geben; für Mussolini war das schlechte Abschneiden seines Corpo Truppe Volontarie äußerst peinlich, hatte er sich doch persönlich für dessen Eingreifen eingesetzt. Rosselli wertete die Befragungen und Briefe der gefangenen Schwarzhemden, darunter viele gedrängt von wirtschaftlicher Not, ohne Kampfmoral und eigentlichen Kampfesgrund, in dem berührenden Artikel »Briefe von Gefangenen«59 in seiner Zeitung aus. Er war »wahrscheinlich derjenige, der die Bedeutung von Guadalajara am besten interpretiert[e]«60 und mit dem langen Arm seiner ironischen Anti-Propaganda61 gnadenlos die verlogene Politik des Duce traf, der, wie man weiß, ein eifriger Leser von Exilzeitungen war:

58 Ders., Brief an die Ehefrau, 16.12.1936, in: Ders., 1967, S. 461. 59 Lettere di prigionieri, in: Giustizia e Libertà, 16.4.1937. 60 Garosci 1975, S. 500. 61 Garosci, Introduzione a Rosselli 1967, S. XXXII.

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Nein, Herr Mussolini. […] Alles hat seine Grenzen, auch der Betrug, auch die Spekulation.[…] Der Großteil des italienischen Volkes, Faschisten inklusive, ist gegen das Unternehmen in Spanien. […] Ihr wisst es, Ihr spürt es, Ihr spürt von unten die Verdammung, die Verachtung […] aufsteigen. […] Ihr seid empört, weil die Zeitungen auf der ganzen Welt […] ausführlich von der Niederlage der vier motorisierten faschistischen Divisionen bei Guadalajara berichtet haben. Weil das Faksimile Eures Telegramms […], mit dem Ihr den »Legionären« einen überwältigenden Sieg und die blitzartige Einnahme von Madrid angeordnet habt, überall lautes Gelächter erregt. […] Aber was verlangt Ihr eigentlich? Dass die Welt Eurer schändlichen Intervention Beifall klatscht? Dass sie das doppelte Spiel Eurer Politik bewundert, die unglaubliche Position, in die Ihr Euch – und mit Euch das Land – gebracht habt, als Ihr ein Speditionskorps nach Spanien geschickt habt, über das Ihr nicht reden könnt? Euer Spiel ist abscheulich. Niemals war Italien so tief heruntergekommen.62

Nach Guadalajara kehrte Lussu noch geschwächt, doch mit vernarbter Operationswunde, nach Paris zurück, wo er seine Arbeit in der Gruppe von GL wieder aufnahm. Schwerpunkt seiner Diskussionen mit Rosselli, die manchmal in Streit ausarteten, war die Frage nach der Möglichkeit einer vereinigten italienischen Linken. Ihr letztes Gespräch Ende Mai, vor Lussus Abreise an die spanische Front, war dermaßen stürmisch, dass der alte sardische Krieger immer mit ein wenig Bitterkeit daran zurückdachte63. Für Rosselli hatte sich schon seit Monaten die Mordmaschine in Bewegung gesetzt. Die faschistischen Polizeiakten dokumentieren, wie hoch das Regime die Gefahr einschätzte, die von GL und vor allem von ihrem einfallsreichen Gründer und Animator ausging. Ein Befehl von Galeazzo Ciano, »der aber eindeutig die Marke Mussolini trug«64, war an die cagoulards (oder »schwarze Faschisten«), eine französische Terrororganisation, ergangen. Sie beobachteten Rosselli, folgten ihm, spionierten seine Wege aus. Im Juni reiste Carlo mit seinem Bruder Nello nach dem Badeort Bagnoles de l’Orne in der Normandie, der bekannt war für die Heilkraft seiner Thermen bei Phlebitis. In einem Waldstück schnitten die Meuchelmörder den Brüdern die Straße ab, indem sie eine Panne simulierten. Als die beiden aus dem Auto ausstiegen, trafen sie die Kugeln, doch leisteten sie mit der ganzen Kraft ihrer hünenhaften Konstitution Widerstand, so dass man sie schließlich mit Messerstichen niedermetzelte. Ihre entstellten Leichen fand man erst zwei Tage später.

62 Il diversivo che non funziona, in: Giustizia e Libertà, 14.5.1937. 63 Fiori 1985, S. 305. 64 Garosci, Introduzione, in: Rosselli 1967, S. XXXII.

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Die Trauer und die Empörung, die das Verbrechen auslöste, waren gewaltig65. Lussu kehrte gemeinsam mit Pietro Nenni, damals Politkommissar bei den Interbrigaden, gerade noch rechtzeitig aus Spanien zurück, um am Begräbnis teilnehmen zu können. Die Straße, die zur Pariser Maison des Syndicats führte, wo man die Toten aufbahrte, hatte sich in ein Menschenmeer verwandelt. Die beiden roten Särge verschwanden fast gänzlich unter den roten Kränzen, den roten Schleifen, den Eichen- und Lorbeerblättern. 150.000 Demokraten begleiteten die Toten auf den Friedhof Père Lachaise. Auf Carlos Bahre lag seine Milizionärsuniform und sein Tropenhelm66. Man begrub sie an der Mur des Fédérés neben Gobetti, Turati, Treves… Die Leitung von GL ging auf Lussu über. Acht Tage nachdem Carlo Rosselli und sein Bruder von Mussolinis Killern ermordet worden waren, gab dieser im »Popolo d’Italia« endlich die Schlappe von Guadalajara zu. »Nachdem er seine Rache vollzogen hatte, konnte er auch die Niederlage eingestehen« 67, merkt Salvemini an. Mit dem Mord in Bagnoles de l’Orne hatte vorerst la muerte den Sieg davongetragen über das Leben, konzentriert in einem starken, lächelnden Mann von hellster Intelligenz und grenzenloser Liebe zu den Menschen. »Aber das Verbrechen bewahrte seinen Urheber nicht vor der Saat, die die beiden Märtyrer im politischen Leben Italiens gestreut hatten«68. Einige Jahre später ließ sich die Resistenza gegen das Mussolini-Regime in hohem Maß »von der leuchtenden Spur der moralischen Grundsätze leiten, die Carlo Rosselli beseelt«69 und die in seinem heldenhaften Engagement in Spanien ihren Gipfelpunkt erreicht hatten.

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Renate Lunzer

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Ingo Pohn-Lauggas (Wien)

Ein rechter Antifaschist. Die vielfach gebrochene Geschichte des Conte Edgardo Sogno

Im Spanischen Bürgerkrieg standen einander Italiener auf beiden Seiten der Barrikaden feindlich gegenüber. In den Reihen des von Mussolini entsandten Corpo Truppe Volontarie kämpfte als Freiwilliger auch der italienische conte Edgardo Pietro Andrea Sogno Rata del Vallino di Ponzone (1915–2000), dessen bemerkenswerte politische Biographie außerhalb Italiens kaum bekannt ist. Als 17jähriger Adelsspross in die faschistische Armee eingetreten (um eine diplomatische Karriere anzubahnen), führt ihn sein virulenter Antikommunismus als Freiwilliger nach Spanien an die Seite Francos; 1942 bewirbt er sich (allerdings vergeblich) um einen Einsatz an der Sowjetfront an der Seite der Nationalsozialisten, um sich dann aber zum Hochverräter zu machen, weil er – im Angesicht der Judenverfolgung auch in Italien – den Alliierten lautstark den Sieg im Weltkrieg wünscht; so reiht er sich 1943 in die norditalienische Partisanenbewegung ein und führt als »Franco Franchi« waghalsige Operationen durch, die ihn in deutsche Gefangenschaft führen; nach 1945 versucht er erfolglos, das Ergebnis des Referendums anzufechten, das die Erste Republik begründete, tritt nach einer ebenso vergeblichen Parlamentskandidatur für die Monarchisten 1953 in den diplomatischen Dienst und beteiligt sich im Dunstkreis von Gladio und der Geheimloge P2 an ›gaullistischen‹ Putschplänen in den 70er Jahren, die ihm aber trotz Untersuchungshaft nicht nachgewiesen werden können; in den 90ern ein letzter Versuch, auf der Liste von Gianfranco Finis Alleanza Nazionale ins Parlament zu kommen, nach dessen Scheitern er sich aus der Politik zurückzieht. Kurz vor seinem Tod hinterlässt Edgardo Sogno in Form eines Interviewbandes sein Testament eines Antikommunisten,1 in welchem er in all diesen Wegen keinen Bruch erkennen mag.

1 Testamento di un anticomunista. Dalla resistenza al golpe bianco: storia di un italiano (Sogno/Cazzullo 2000).

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Ingo Pohn-Lauggas

Wer also war dieser Mann, den man heute zu den übelsten Feinden der Republik2 Italien zählen kann, der Mussolini genauso verachtete wie Stalin, Juden rettete und Linke drangsalierte, von Umberto Eco, der als Elfjähriger fasziniert den verschlüsselten Botschaften an »Franchi« auf Radio London lauschte, als Held seiner Kindheit bezeichnet wird und mit Norberto Bobbio einen intellektuellen Briefkontakt unterhielt?3 Und der, was im vorliegenden Band vor allem von Interesse ist, einer der ganz wenigen sein dürfte, der sowohl für Francos Nationalisten als auch in der italienischen Resistenza kämpfte. Mein Beitrag wird diese Frage nicht beantworten, sondern lediglich einen genaueren Blick auf die 1930er und 40er Jahre werfen und zeigen, wie sie sich in Edgardo Sognos Augen darstellen. Seine Rolle im Nachkriegsitalien, vor allem seine Verwicklung in den geplanten sogenannten »weißen Putsch«4 kommt nur insofern in den Blick, als sie sich offenkundig stringent in einen Lebensweg einreiht, der dem Kampf gegen den Kommunismus gewidmet war.

Spanienkämpfer Im Jahr 1998 ist Edgardo Sogno an der Herausgabe eines bemerkenswerten Buches beteiligt: Unter dem Titel Due fronti werden »die Motivationen und Leidenschaften« derer einander gegenübergestellt, »die sich am Spanischen Bürgerkrieg auf gegensätzlichen Barrikaden beteiligten«, wie es im Klappentext heißt.5 Zu Wort kommen u.a. der antifaschistische Spanienkämpfer Giuliano Bonfante und Sogno selbst, der seine Motive, mit Mussolinis Corpo Truppe Volontarie (CTV) nach Spanien aufzubrechen, so umreißt:

2 I nemici della Repubblica (Satta 2016). 3 Vgl. Aldo Cazzullos Einleitung zum Interview mit Edgardo Sogno (Sogno/Cazzullo 2000, S. XII bzw. XIV). 4 Sogno war an der Gründung der Comitati di Resistenza Democratica beteiligt, die einen rechten Putsch mit vorgeblich linken ideologischen Versatzstücken vorbereiteten, mit welchem die Neofaschisten gleichermaßen marginalisiert werden sollten wie die Kommunisten aus dem Spiel gebracht. Das Parlament sollte aufgelöst und Einheitsgewerkschaften gegründet werden, die Regierung hätte den Streitkräften unterstellt werden sollen. Der Turiner Untersuchungsrichter Luciano Violante nahm 1974 Ermittlungen auf, die auch zu einer vorläufigen Inhaftierung Sognos führten, und trug umfangreiches Material zusammen, welches aus heutiger Sicht die offensichtliche Nähe zu Licio Gellis erst später aufgedecktem »Plan der demokratischen Wiederauferstehung« im Rahmen der Geheimloge P2 belegt (vgl. hierzu Grassi 1997, S. 200). Violante konnte auch die finanzielle Verwicklung mächtiger Wirtschaftskreise, nicht zuletzt der FIAT, in diese Pläne nachweisen, musste Sogno schlussendlich jedoch aus Mangel an Beweisen 1978 freilassen. 1991 wurde er durch den Staatspräsidenten Cossiga offiziell rehabilitiert. Zum golpe bianco siehe die jüngste materialreiche Aufarbeitung in Satta 2016 (S. 364–371), aber auch Silj 1998, S. 135ff. 5 »Le motivazioni e le passioni di chi partecipò alla guerra civile spagnola su opposte barricate« (Isaia/Sogno 1998). Diese wie alle weiteren Übersetzungen vom Verfasser.

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Von ein paar nebensächlichen Impulsen persönlicher Natur abgesehen hatte ich zwei Hoffnungen: die Monarchie wiederherzustellen, die mir in ihrer demokratisch verfassungsmäßigen Form untrennbar von der Existenz und der Einheit der spanischen Nation schien, und die Kommunisten aus diesem europäischen Hinterland zu entfernen, von dem aus man der Verteidigung der westlichen Kultur in den Rücken fallen konnte.6

Es muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass dieses »Freiwilligencorps«, mit dem Mussolini Franco zeigen wollte, »wie man die Roten bekämpft«,7 nur zu einem kleinen Teil tatsächlich aus Freiwilligen bestand.8 Neben faschistischen Schwarzhemden standen erfahrene Soldaten, die schon in Abessinien gekämpft hatten, vor allem aber auch tausende reguläre Soldaten, die nach Spanien abkommandiert wurden und auf diese Weise ihren Wehrdienst ableisteten. Viele Freiwillige waren vorbestraft, stammten aus dem Süden Italiens und meldeten sich eher aus ökonomischen denn aus ideologischen Erwägungen, da ihnen für den Einsatz auch Arbeitsplätze in Aussicht gestellt wurden. Viele waren nicht eben jung, und die Mitglieder der Division Littorio berichteten sogar, sie seien in der Meinung eingerückt, für die Produktion von Carmine Gallones Monumentalfilm Scipione l’Africano als Komparsen gebraucht zu werden.9 Die Zahlenangaben zu den auf Francos Seite kämpfenden Italienern schwanken und reichen bis zu 70.000 Personen,10 realistischer dürfte die Zahl 50.000 sein.11 Ihnen standen 4.000 Italiener in den Internationalen Brigaden gegenüber – und zwar buchstäblich: In der Schlacht von Guadalajara im März 1937 kämpft der faschistische CTV gegen die kommunistische Garibaldi-Brigade, was auch einen propagandistischen Nebenschauplatz der Schlacht eröffnet. Republikanische Flugzeuge werfen Flugblätter in italienischer Sprache ab, die italienischen Faschisten werden – zum Teil mit Erfolg – zum Überlaufen aufgefordert. Sergio Romano jedenfalls betont in seiner Einleitung zum oben angesprochenen Buch, in welchem Edgardo Sogno als Herausgeber die Erlebnisse der faschistischen und der kommunistischen »Spanienkämpfer« auf eine Stufe zu stellen scheint, dass diese in Wahrheit zwei verschiedene Kriege führten, und die

6 »A parte qualche impulso secondario di natura personale avevo due speranze: restaurare la monarchia, che nella forma democratica costituzionale mi sembrava inseparabile dall’esistenza e dall’unità della nazione spagnola, ed estromettere i comunisti da quel retroterra europeo da cui si poteva colpire alle spalle la difesa della civiltà occidentale« (Sogno 1998, S. 66). 7 Alpert 2004, S. 91. 8 Zum faschistischen Engagement im Spanischen Bürgerkrieg vgl. Coverdale 1977; Rovighi/Stefani 1992. 9 »There were even some fugitives from justice and others later claimed that they thought they had been recruited as extras to film the epic Scipio Africanus in Libya. This was the case with the Littorio division, which consisted of older men. Its commander […] claimed to a journalist that they had two thousand men with grey hair. «(Alpert 2004, S. 93). 10 Z.B. Aga-Rossi 1998, S. 270. 11 Vgl. Schwartz 1972, S. 264; Alpert 2004, S. 85.

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Geschichtsschreibung täte in seinen Augen gut daran, »diese als zwei unterschiedliche Ereignisse der politischen Geschichte Europas zwischen den beiden Kriegen zu untersuchen«12. Sogno nämlich sei erst in den Bürgerkrieg eingetreten, als dieser sich gewissermaßen ideologisch gewandelt hatte, als es kein Krieg mehr zwischen Faschismus und Antifaschismus war, sondern einer zwischen Faschismus und Kommunismus. Macht ihn das zum Faschisten? Sogno selbst gibt das Bonmot von der Unvereinbarkeit von Faschismus, Intelligenz und Anständigkeit13 zum Besten und berichtet in dem Buch, dass mehrere Offiziere seines Regiments keineswegs überzeugte Faschisten gewesen seien: Sie waren lediglich Antikommunisten. Ich jedenfalls habe erst später entdeckt, dass der Antikommunismus eine gute Seite des Faschismus war. […] Ich sah in Franco einen möglichen Restaurator der spanischen Monarchie, deren Fall in meinen Augen der kommunistischen Diktatur den Weg geebnet hätte. Und der Kommunismus in Spanien hätte bedeutet, dass sich ganz Europa in Stalins Zange befunden hätte.14

Dies kann man dem Aristokraten Sogno also durchaus abnehmen: Es ging ihm weniger um Franco als um die Monarchie als antikommunistische Bastion: »Ich kämpfte nicht für Franco, sondern um die Monarchie wiederherzustellen. Ich war überzeugt, dass ein so verschiedenartig zusammengesetztes Land wie Spanien ohne König zerbrechen würde.«15 Und noch weniger ging es ihm um Mussolini, für den er vor allem Verachtung übrig hatte. Als Monarchist war ihm die Rolle der Krone in der Geschichte des italienischen Faschismus ein Dorn im Auge. Im Interview erzählt er, wie sehr ihm eine Schlagzeile wie »Mussolini hat den Thronfolger empfangen« zusetzte, denn es hätte der Thronfolger sein müssen, der Mussolini empfängt: »Diese Dinge störten uns entsetzlich: Für uns repräsentierte der König den Staat oberhalb der politischen Kräfte.«16 Im April 12 »In realtà fecero due guerre diverse che gli storici […] farebbero bene a studiare come avvenimenti distinti della storia politica europea fra le due guerre.« (Romano 1998, S. IX). 13 Hierzulande häufig Gerhard Bronner zugeschrieben: »Es gibt drei Dinge, die sich nicht vereinen lassen: Intelligenz, Anständigkeit und Nationalsozialismus. Man kann intelligent und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig. Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligent. Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi.« (https://de.wikiquote.org/wiki/Gerhard_Bronner [19.11.2017]). Bei Sogno: »Se sei fascista e intelligente non sei in buona fede, se sei intelligente e in buona fede non sei fascista, se sei in buona fede e fascista sei un fesso.« (Zitiert nach Sogno/Cazzullo 2000, S. 1). 14 »Erano soltanto anticomunisti. Ad ogni modo solo più tardi avrei scoperto che l’anticomunismo era un aspetto positivo del fascismo. […] Vedevo in Franco un possibile restauratore della monarchia spagnola, la cui caduta ritenevo avrebbe aperto la strada alla dittatura comunista. E il comunismo in Spagna voleva dire l’Europa presa nella tenaglia di Stalin.« (Sogno 1998, S. 72). 15 »[Io] non combattevo per Franco, ma per restaurare la monarchia. Ero convinto che senza il re un paese composito come la Spagna sarebbe andato a pezzi.« (Sogno/Cazzullo 2000, S. 24). 16 »Mussolini ha ricevuto il principe ereditario. No, doveva essere il principe ereditario a ricevere Mussolini. Queste cose ci davano un fastidio tremendo: per noi il re rappresentava lo Stato al di sopra delle forze politiche.« (Ebd., S. 13).

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1943, als Sogno schon längst zum offenen Antifaschisten geworden ist, wendet er sich gemeinsam mit einem Freund direkt an den König, mit einem Schreiben, das sie etwas großspurig mit »Zentrales Exekutivkomitee der liberalen monarchistischen Gruppen Italiens« unterzeichnen: »Sire, löst das Schicksal dieser Nation von jenem einer größenwahnsinnigen und grausamen Faktion. Wir brennen darauf, an der Seite der Vereinten Nationen gegen die nazistische Barbarei zu kämpfen.«17

Gelber Stern, Marseillaise und Hochverrat Noch bevor Edgardo Sogno diesen Kampf in den Reihen der Partisanen des Comitato di Liberazione Nazionale Alta Italia (CLNAI)18 aufnimmt, schreibt er sich mit drei bemerkenswerten individuellen Aktionen in den weniger bekannten Teil der Geschichte des italienischen Antifaschismus ein. Zu dem Zeitpunkt, als er nach Spanien aufbricht, empfindet er zwar einen gewissen Widerwillen gegen das Regime und die Stimmung im Land – »die ansteigende Welle an unkritischem Konsens irritierte mich«19 –, die massive Verfolgung von Juden und Jüdinnen hatte in Italien aber noch nicht eingesetzt. Allerdings hatte Mussolini schon die antisemitischen Rassengesetze implementiert, was Sogno dazu veranlasste, sich einen gelben Stern aufzunähen und so ausstaffiert demonstrativ durch die Turiner Öffentlichkeit zu schreiten, da er diese Vorgänge inakzeptabel und furchtbar fand.20 Von Aldo Cazzullo danach gefragt, wie man sich diese nicht ungefährliche öffentliche Solidaritätsbekundung mit den Opfern des Antisemitismus sozusagen am Vorabend der Abreise nach Spanien, um im Namen des faschistischen Regimes Franco beizustehen, erklären soll, antwortet Sogno einerseits mit fragwürdigen philosemitischen Gemeinplätzen, wonach er die »Sensibilität« der Juden liebe, ihre »Intelligenz, die Kultur, die Tiefe«, die er in ihnen wahrgenommen habe; dann überführt er dies allerdings in ein, wenn man so will, metapolitisches Bekenntnis: »Aber vielleicht war das Hauptmotiv ihre Zerbrechlichkeit. Sie der Verfolgung ausgesetzt zu wissen weckte meinen Geist eines Don Quijote.« Und schlussendlich: »Außerdem war ich in ein jüdisches Mädchen verliebt.«21 17 »Sire, separate il destino di questa nazione da quello di una fazione megalomane e brutale. Siamo ansiosi di combattere a fianco delle Nazioni Unite contro la barbarie nazista.« (Zitiert nach ebd., S. 32). 18 Vgl. Bocca 1995, S. 122f. 19 »l’onda crescente del consenso acritico mi irritava« (Sogno 1998, S. 71). 20 »So che trovavo inammissibile e orrendo quel che accadeva.« (Sogno/Cazzullo 2000, S. 26). 21 »Per la sensibilità, l’intelligenza, la cultura, la profondità che avvertivo negli ebrei. Ma forse il motivo principale era la loro fragilità. Il saperli esposti alle persecuzioni sollecitava il mio animo da donchisciotte. E poi ero innamorato di una ragazza ebrea.« (Ebd., S. 25).

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Nach seiner Rückkehr aus Spanien tritt Edgardo Sogno in den diplomatischen Dienst ein und beginnt, in Rom in liberalen antifaschistischen Kreisen zu verkehren: mit Benedetto Croce, vor allem aber mit Giaime Pintor, dem älteren Bruder des deutlich bekannteren späteren Protagonisten der linken manifestoGruppe, Luigi Pintor. Giaime Pintor hat sich mit einem berühmten Brief in die Geschichte des Widerstands eingeschrieben, in welchem er im November 1943 argumentiert, dass bestimmte historische Momente es notwendig machten, als Intellektueller die Schreibfeder beiseite zu legen und zur Waffe zu greifen; nur wenige Tage später fällt er auf dem Weg, sich den Partisanen anzuschließen, einer Mine zum Opfer.22 Edgardo Sogno war Pintor eng verbunden,23 was gewiss auch an der Gemeinsamkeit lag, antifaschistisch zu empfinden, ohne deshalb Kommunist zu sein. Im Nachhinein kommentiert Sogno, der Pintor noch vom Aufbruch zu den Partisanen abzuhalten versucht haben will,24 mit bitterer Ironie: »Giaime flog in die Luft, und die KPI hat ihm eine Sektion gewidmet, obwohl er kein Kommunist war. Wenn ich gestorben wäre, gäbe es heute vielleicht eine Sektion ›Edgardo Sogno‹.«25 Das allerdings darf bezweifelt werden. Doch als am 10. Juni 1940 Benito Mussolini in einer berühmt-berüchtigten Rede den Kriegseintritt Italiens verkündet, setzt Sogno eine bemerkenswerte Handlung. Er öffnet alle Fenster seiner Wohnung und beschallt seine Nachbarschaft lautstark mit der symbolträchtigen Hymne jener Nation, der Italien soeben den Krieg erklärt hat: der Marseillaise! Und nicht gerade linear geht es weiter: Zwei Jahre später wird Sogno wieder in militärische Dienste gestellt und ersucht ausdrücklich darum, an die Ostfront entsandt zu werden, um ausgerechnet an der Seite der Deutschen Wehrmacht zu kämpfen. Ein Widerspruch zu seinem Antifaschismus? Nicht in Sognos Augen, denn es ging ja gegen die Sowjetunion, und außerdem: »In Opposition zu einem Regime zu sein entbindet nicht von der Militärpflicht.«26 Sognos Wunsch wird allerdings nicht entsprochen, stattdessen geht es nach Nizza. Dort widerfährt ihm im Mai 1943 ein Schlüsselerlebnis, da er Zeuge des Aufbruchs eines Judentransportes wird und somit erstmals unmittelbar mit der Shoa in Berührung kommt: »Ein furchtbares Schauspiel, ein Verbrechen, in dessen Angesicht ich nicht an mich halten konnte. Ich schrie, auf Französisch: ›Wir sind mit euch, wir warten

22 Zu dieser wirklich bemerkenswerten intellektuellen Persönlichkeit siehe Biasiolo 2010, die auch die Schlüsselpassagen des angesprochenen Briefes abdruckt (S. 88). 23 Vgl. den von Giovanni Falaschi herausgegebenen Sammelband über »Giaime Pintor und seine Generation« (2005), in welchem auch Sogno mit einem kleinen Beitrag vertreten ist. 24 Vgl. Sogno 1998, S. 103. 25 »Giaime saltò in aria, e il PCI gli dedicò una sezione, anche se non era comunista. Se fossi morto io, magari oggi ci sarebbe una sezione ›Edgardo Sogno‹.« (Sogno/Cazzullo 2000, S. 37). 26 »Essere all’opposizione di un regime non libera dal dovere militare.« (Ebd., S. 34).

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auf die Landung der Alliierten in Süditalien, um uns zu erheben!‹«27 Dies trägt ihm, wenig überraschend, eine Anklage wegen Hochverrats ein, und so erfährt er vom Sturz Mussolinis als Häftling in einer Turiner Kaserne. Von einem Tag auf den anderen ist Sogno aber nun kein inhaftierter Verräter mehr, sondern ein Held mit einem Monat Sonderurlaub. »Siehst du, wie die Welt läuft?«, sagt sein Oberst zu ihm.28

Organizzazione Franchi Mit dem 8. September 1943 beginnt Edgardo Sognos ruhmreiche Partisanenkarriere: Neben von den Briten unterstützten geheimdienstlichen Aktivitäten rettet er politisch Verfolgten und Juden das Leben, und legendär ist sein Versuch, in einer gefälschten SS-Uniform den Partisanenführer Ferruccio Parri aus einem Mailänder Gefängnis zu befreien, was allerdings misslingt und ihn selbst bis Kriegsende in Haft bringt.29 Dieser Teil seiner Biographie verschafft Sogno bis heute Anerkennung in der italienischen Öffentlichkeit, er wurde dafür auch mit der »Medaglia d’oro al valor militare« für seinen »wertvollen Beitrag zur Befreiung« ausgezeichnet.30 Edgardo Sogno leistete diesen Beitrag allerdings – anders als das Gros der italienischen Partisanen – »ohne Fahne« in der Hand, wie auch seine diesbezüglichen Erinnerungen in signifikanter Weise betitelt sind.31 Nach der spanischen Erfahrung war es in der Tat eine prekäre Situation, nun Seite an Seite mit den Kommunisten zu kämpfen, die ja ihrerseits zum Teil Veteranen des Spanischen Bürgerkriegs in den Reihen der Internationalen Brigaden waren. Doch habe sich dies zunächst nicht als Problem erwiesen, man habe einander vertraut und gut kooperiert: Guadalajara habe nicht zwischen ihnen gestanden, behauptet Sogno. Zumindest gelte dies für die Führungsebene: Keiner der kommunistischen Anführer, denen ich während der Resistenza begegnet bin, […] hat mir je Spanien zum Vorwurf gemacht. Die Kommunisten an der Basis, die schon,

27 »Uno spettacolo orrendo, un crimine davanti a cui non seppi trattenermi. Gridai, in francese: ›Siamo con voi, attendiamo lo sbarco degli Alleati nel Sud dell’Italia per ribellarci!‹« (Ebd., S. 35). 28 »Alla notizia dell’arresto del Duce, il mio colonello mi diede un mese di licenza premio, dicendomi: ›Visto come va il mondo? Fino a ieri eri un traditore, oggi sei un eroe‹.« (Ebd.). 29 Zu Sognos Rolle in der Partisanenbewegung vgl. z.B. die entsprechenden Einträge in Bocca 1995. 30 Vgl. die durchaus ambivalente Würdigung Sognos auf der Homepage des Italienischen Partisanenverbandes A.N.P.I.: http://www.anpi.it/donne-e-uomini/2317/edgardo-sogno-rata-del-vallino [1.12.2017]. 31 Guerra senza bandiera (Sogno 1995).

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die sahen in mir den Faschisten, der auf Francos Seite gestanden hatte. Die Anführer respektierten meine Entscheidung.32

Für Sogno selbst sind sein Kampf in Spanien und der im Widerstand kaum miteinander zu vergleichen: 1938 habe er in der Überzeugung gekämpft, das Richtige zu tun, weil er einen Sieg der Kommunisten verhinderte – aber er habe den Feind nie gehasst. Gegen den Nationalsozialismus hingegen habe er »unbändigen Hass« empfunden, und zwar nicht zuletzt wegen der Judenverfolgung: »Die Verfolgung der Juden war einer der Aspekte, die meinen Antifaschismus stärkten.«33 Dies war durchaus verträglich mit einem Kampf an der Seite der Kommunisten, der sich für Sogno an seinem Lebensabend auch nicht als solcher problematisch darstellt. Was er vielmehr bereue, sei, sich in ihnen getäuscht zu haben: Er habe tatsächlich geglaubt, die Kommunisten seien in der Lage, ihren »Klassenhass« aufzugeben, um die nationale Befreiung auch gemeinsam mit ihren liberalen Widersachern zu erkämpfen, um gemeinsam eine neue Demokratie aufzubauen. Doch das sei ein Irrtum gewesen: »Sie wollten keine Demokratie, sondern die Revolution.«34 Dieses Dilemma zweier Antifaschismen hat Sogno bis an sein Lebensende nicht losgelassen: dieser ›Kalte Krieg‹ zwischen Antitotalitarismus und Revolution, der in seinen Augen schon innerhalb der Reihen des Widerstands verwurzelt war und das ganze Jahrhundert prägen sollte.

Kein Bruch? Edgardo Sogno war es ernst mit seinem Antikommunismus: Mit seinen Putschplänen der 1970er Jahre, die ihm wie gesagt nicht nachgewiesen werden konnten, die er in seiner Lebensbeichte, in der wir hier gelesen haben, aber offen eingesteht, wollte er die Linke tatsächlich mit Hilfe der Militärs aus der politischen Arena entfernen und am liebsten ins sardische ›Niemandsland‹, wie er sich ausdrückt, verbannen.35 All dies schien ihm in den Spannungen, welche die italienische Geschichte nach 1945 prägten, notwendig, »um die demokratische Freiheit zu verteidigen und den Staat auf seinen historischen und risorgimentalen Grundlagen wiederzuerrichten«.36 Wenn ihm je etwas zu schaffen gemacht hat, dann 32 »Nessuno dei capi comunisti che incontrai durante la Resistenza […] mi ha mai rinfacciato la Spagna. I comunisti della base, quelli sì, mi indicavano come il fascista che stava con Franco. I leader rispettavano la mia scelta.« (Sogno/Cazzullo 2000, S. 25). 33 »La persecuzione degli ebrei fu uno degli aspetti che fortificarono il mio antifascismo.« (Ebd.). 34 »Non volevano fare la democrazia, ma la rivoluzione.« (Ebd., S. 38). 35 Ebd., S. 131–177. 36 »Io non avevo dubbi […] di compiere un atto dovuto, nella difesa della libertà democratica e per la ricostruzione dello Stato sulle sue basi storiche e risorgimentali.« (Ebd., S. VII).

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war dies der Umstand, dass die Intellektuellen und die Linke Italiens seine Verdienste in der Resistenza nicht oder nur widerwillig würdigten: Sie schienen sie mit seinem Einsatz in Spanien aufzuwiegen, als wäre der gleichzusetzen mit der Rolle der Protagonisten von Mussolinis Nazi-Regime in Salò.37 Im Angesicht dessen, was wir heute zusätzlich über den »weißen Putsch« der 70er Jahre wissen, tritt aber auch Vladimiro Satta, der jüngst die aktuellsten Erkenntnisse dazu zusammengetragen hat, einer »schleichenden Rehabilitierung« Sognos entgegen: Edgardo Sogno war ein Held der Resistenza, und das wird von seiner Rolle in den 70er Jahren nicht angefochten, während diese aber ihrerseits nicht gerechtfertigt werden kann, indem man sich auf die Verdienste beruft, die der Mann ein Vierteljahrhundert zuvor gehabt hatte.38

Sogno eine »widersprüchliche Persönlichkeit« zu nennen, wie es in zahllosen Nachrufen anlässlich seines Todes zum Jahrhundertwechsel zu lesen war, ist zwar eine schnell gefundene Formulierung, wird der Sache jedoch nicht gerecht. Die nur schwer einleuchtende Gleichzeitigkeit von Monarchismus, Liberalismus, Antifaschismus und Antikommunismus habe aus Sogno eine »lebende Anomalie« gemacht, mit der allerdings auch »ein weiteres Stück unserer Geschichte« verschwinde, wie La Stampa schrieb.39 Eine gerade in Italien offensichtlich ambivalente Geschichte, die das 20. Jahrhundert prägte, und deren antagonistische Kräfte auf spanischem Boden unmittelbar aufeinandertrafen. Sogno selbst konnte jedenfalls keine Widersprüche in seinem Weg erkennen, er sah sich immer, wie er schreibt, »ohne den geringsten Zweifel auf der richtigen Seite«.40 In Bezug auf die historischen Faschismen zitiert er selbst nicht ohne Stolz einen italienischen Diplomaten, der über ihn gesagt hat: »Er ist einer der wenigen, dem es gelungen ist, tatsächlich auf beiden Seiten zu gewinnen.«41

37 Vgl. Sogno 1998, S. 99. 38 »Non sono accettabili […] riabilitazioni striscianti del Sogno eversore. Edgardo Sogno fu un eroe della Resistenza e ciò non può essere inficiato dai suoi comportamenti degli anni Settanta mentre questi ultimi, a loro volta, non possono essere giustificati richiamandosi ai meriti che l’uomo aveva avuto un quarto di secolo prima. « (Satta 2016, S. 370). 39 »Edgardo Sogno è stato un personaggio contraddittorio [...]. Con lui scompare un altro pezzo della nostra storia, fatto di orgoglio per la nazione e di resistenza antifascista, [una contraddizione] per molta storiografia di sinistra, per la quale un personaggio come Sogno, monarchico, liberale, antifascista e anticomunista era una anomalia vivente. « (Rusconi 2000, S. 10). 40 Sogno 1998, S. 102. 41 »È uno dei pochi che sia riuscito a vincere sul serio da tutte e due le parti.« (Zitiert nach ebd., S. 100).

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Elisabeth Fraller (Wien)

»Die Revolution entflammt in allen Provinzen« – Faschistische Kinowochenschauen im Spanischen Bürgerkrieg

Der Augenblick der Verantwortung ist gekommen […] die Filmschaffenden müssen an Spanien denken, als Italiener, als Europäer, als Künstler und vor allem als Faschisten. Ich möchte damit sagen: was Ernest Hemingway, André Malraux, Ilja Ehrenburg für ihren Glauben geleistet haben, sind auch wir bereit für unseren zu tun. Den falschen liberalen aus Amerika muss man wahrhafte Dokumentarfilme gegenüberstellen, hundertprozentig nationale und faschistische Filme. Ich habe in Spanien die Kameramänner des LUCE gesehen. Sie sind einfache und unerschrockene Männer, die Material ersten Ranges gesammelt haben […]. Ich bin überzeugt, dass das italienische Kino den spanischen Krieg nicht vernachlässigen wird, so wie es auch den Krieg in Afrika nicht vernachlässigt hat.1

Dieser Appell des Journalisten, Drehbuchautors und militanten faschistischen Intellektuellen Gian Gaspare Napolitano2 an die italienischen Filmschaffenden, auf Filme wie Espoir von André Malraux oder The Spanish Earth, dessen Drehbuch von Ernest Hemingway verfasst wurde, mit faschistischen Werken zu antworten, illustriert den großen Widerhall, den der Spanische Bürgerkrieg in der faschistischen Propaganda Italiens fand. Der Konflikt war auch ein Krieg der Bilder und Ideologien. Sowohl das Lager der spanischen Republik als auch das von Italien und Deutschland unterstützte Franco-Regime lieferten sich in diesem ersten Krieg in 1 Napolitano 1937, zit. nach Brunetta 1993, S. 143: »E arrivato il momento della responsabilità […] tra gente di cinema bisogna pensare alla Spagna. Bisogna pensarci come italiani, come europei, come artisti e soprattutto come fascisti. Voglio dire che quel che hanno fatto, per la loro fede, Ernest Hemingway, André Malraux, Ilia Ehrenburg noi siamo disposti a farlo per la nostra. Ai falsi liberali d’America bisogna rispondere con veri documentari, con film nazionali e fascisti al cento per cento. In Spagna ho visto gli operatori del Luce. Sono delle anime semplici e intrepide che hanno raccolto materiale di prim’ordine […]. Sono certo che il cinema italiano non diserterà la guerra spagnolo come non ha disertato la guerra d’Africa.« [Übersetzung aller Zitate und Wochenschaukommentare von der Autorin]. 2 Unter anderem verfasste Napolitano die Drehbücher zu den Propagandafilmen Passaporto rosso von Guido Brignone (1935) und L’uomo della legione von Romolo Marcellini (1940), und er berichtete als Korrespondent vom Spanischen Bürgerkrieg.

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der Geschichte, der durch neue massenmediale »Bedingungen internationalisiert und zur Abbreviatur einer weltanschaulichen Kontroverse«3 wurde, einen Wettkampf um die Verbreitung von ideologisch aufgeladenen Bildern und die damit verbundene Deutungshoheit über den Konflikt. In Italien berichteten die Fotografen und Kameramänner des Istituto LUCE, ein dem Regime unterstelltes Filmunternehmen zur Produktion von Kinowochenschauen (cinegiornali), regelmäßig von den Kriegsschauplätzen und schufen das Bild eines über Spanien hinausgehenden »Glaubenskriegs« zwischen »Gut« und »Böse«. Im Folgenden werden Hintergründe und Konsequenzen der Zusammenarbeit zwischen der italienischen Filmindustrie und dem nationalistischen Spanien beleuchtet und anschließend eine Auswahl von italienischen Kinowochenschauen und kürzeren Dokumentarfilmen, die im Rahmen der militärischen Intervention Italiens im Spanischen Bürgerkrieg entstanden sind, analysiert.

Die italienische Militärintervention im Spanischen Bürgerkrieg Einen Monat nach dem Militärputsch vom 17./18. Juli 1936 berichtete die Kinowochenschau Nr. 938 vom 19. August 1936 erstmals von der antirepublikanischen Erhebung in Spanien. Den Vorgaben des Regimes entsprechend – noch verhielt sich Mussolini zurückhaltend –, war die Berichterstattung relativ neutral: die republikanischen Truppen wurden als »Reguläre« (»regolari«), die Aufständischen als »Freiwillige« (»volontari«) bezeichnet. Doch bereits in den darauffolgenden cinegiornali wurde der Ton rauer, und es wurde offen Partei für die franquistischen Putschisten ergriffen: Die Revolution entflammt in allen Provinzen, und das wahre Spanien, das Spanien der großen Traditionen, erklärte der Regierung in Madrid einen unerbittlichen Krieg, jener Regierung, die unfähig ist, die extremistischen Parteien, die das Land in den Kommunismus führen wollen, in Zaum zu halten. […] Auch viele Priester versuchen vor dem religiösen Hass der Kommunisten zu flüchten […].4

Neben der antikommunistischen Propaganda zielte die Propaganda auch auf die religiösen Gefühle des Publikums: Der rote Pöbel hat seine Instinkte an einer Marmorgruppe (einem sterbenden Christus) ausgelassen, und wie diese wurden auch Bauwerke, Kirchen und Kunstwerke zerstört. Die

3 Stiegler 2015, S. 54. 4 Nr. 939, 19.8.1936: »La rivoluzione divampa in tutte le Province e la lotta ad oltranza fra la vera Spagna, la Spagna delle grandi tradizioni è stata dichiarata contro il Governo di Madrid ormai impotente di tenere a freno i partiti estremisti che vogliono portare il Paese verso il comunismo. […] Anche molti sacerdoti cercano scampo con la fuga di fronte alla fobia religiosa dei comunisti.«

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Zivilbevölkerung hat die Städte und Dörfer verlassen. Trümmer und Zerstörung. Zerstörte Häuser und Gegenstände. Das ist die tragische Bilanz dieser traurigen Tage des roten Wahnsinns.5

Dieser Tenor bestimmte auch die Argumente, mit denen das faschistische Regime seinen militärischen Beistand für Franco nur wenige Monate nach dem formalen Ende des Abessinienkriegs (1935–1936) rechtfertigte. Tatsächlich ist die italienische Intervention aber vor dem Hintergrund von Mussolinis geopolitischen Zielen zu sehen: Mussolini wollte sich die Vormachtstellung im Mittelmeer sichern – Italien erhob Anspruch auf die Balearen und Ceuta – und mit der Unterstützung der Nationalisten das Risiko eines linksliberalen französisch-spanischen Blocks, der ein Hindernis für seine expansionistische Außenpolitik darstellen hätte können, ausschalten. Außerdem sollte ein faschistisches Spanien in die eigene Einflusszone integriert werden. Ideologische Motive spielten dabei zwar auch eine Rolle, aber der aggressiv vorgetragene Antikommunismus, mit dem Italien – so wie Deutschland – die militärische Intervention rechtfertigte, hatte vor allem eine strategische Funktion.6 Ende Juli trafen erste Flugzeuge aus Italien zur Unterstützung Francos in Spanien ein. Nachdem sich Großbritannien und Frankreich zu einer Politik der Nichteinmischung bekannt hatten, begann Italien offen Franco zu unterstützen, und im November erkannten Italien und Deutschland die in Burgos residierende Junta der Putschisten als rechtmäßige Regierung Spaniens an. Italien garantierte den Aufständischen Waffenlieferungen und sicherte sich im Gegenzug Rohstoffe aus Spanien. Ab diesem Zeitpunkt befand sich Italien de facto im Kriegszustand mit der spanischen Republik. Im Dezember willigte Mussolini ein, zur Unterstützung Francos das Expeditionskorps Corpo Truppe Volontarie (CTV) zu entsenden. Insgesamt erreichte die Truppenstärke der Italiener bis zu 75.000 Mann.7 So leistete Italien mit seinen großzügigen Waffenlieferungen und der Entsendung von Truppen einen wesentlichen Beitrag zum Sieg der Putschisten und der anschließenden Errichtung der Diktatur in Spanien.

5 Nr. 940, 19.8.1936: »La plebaglia rossa ha sfogato i suoi istinti contro il gruppo marmoreo (un Cristo morente) e come questo molti altri monumenti, chiese e opere d’arte sono andati distrutti. Le popolazioni civili hanno abbandonato le città ed i villaggi: macerie e distruzioni. Case e cose divelte: ecco il tragico bilancio di queste tristi giornate della follia rossa.« 6 Vgl. Graham 2008, S. 65. 7 Vgl. Thomas 1977, S. 978.

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Filmkooperationen zwischen Italien und dem nationalistischen Spanien In den dreißiger Jahren erlebte die italienische Filmwirtschaft dank staatlicher Eingriffe und der Unterstützung durch das Regime einen Aufschwung, Filminfrastruktur und technische Ausrüstung zählten zu den modernsten Europas. Die spanischen Filmstudios hingegen waren in der Zone der Republikaner verblieben.8 So war es nur verständlich, dass Italien auch auf diesem Gebiet Franco beistand. Doch wie die militärische war auch die Unterstützung im Bereich der Filmproduktion nicht uneigennützig: Italien sicherte sich durch Filmabkommen mit dem nationalistischen Spanien neue Absatzmärkte für die eigene Filmindustrie und verbreitete durch die Wochenschauen des LUCE die faschistische Ideologie in Spanien. Zu spanisch-italienischen Spielfilmkoproduktionen kam es aber erst nach dem Ende des Bürgerkriegs. Der erfolgreichste Film war L’assedio dell’Alcázar / Sin novedad en el Alcázar (Augusto Genina, 1940), der sowohl in einer italienischen wie auch einer spanischen Version erschien. Doch zunächst wurden im Zuge der Entsendung des Freiwilligenkorps Reporter des Istituto LUCE nach Spanien beordert, um die militärischen Einsätze zu dokumentieren. Da die technische Ausrüstung nur rudimentär war, wurden die Negative nach Rom geschickt, wo sie in den Filmlabors des Istituto LUCE entwickelt, montiert, synchronisiert und kopiert wurden. Dabei wurden jeweils unterschiedliche Versionen für Italien und Spanien produziert, die sich nicht nur in der Sprache des Kommentars, sondern auch in der Auswahl der Beiträge unterschieden.9 Der Istituto LUCE (Akronym für L’Unione Cinematografica Educativa10) war 1924 als Zusammenschluss von mehreren Dokumentarfilmproduktionsfirmen entstanden und 1925 zu einem staatlichen Organ »für Propaganda und Kultur durch das Kino« umgewandelt worden.11 1926/1927 wurden alle Kinosaalbetreiber per Gesetz dazu verpflichtet, die cinegiornali vor jedem Hauptfilm zu zeigen, und im selben Zeitraum wurde LUCE unter die vollständige Kontrolle von Mussolini selbst gestellt. Dadurch sicherte sich das Regime das Monopol über die Kinowochenschauen. Auch in Schulen und den Organisationen des Dopolavoro12 wurden die Wochenschauen gezeigt, und mobile Kinos brachten sie bis in die entlegensten Regionen des Landes, in denen die Informationsverbreitung durch die Presse aufgrund der hohen Analphabetenrate begrenzt war. Während die 8 Vgl. Diez Puertas 1999, S. 95. 9 Vgl. Diez Puertas 1999, S. 92f. 10 »Verband für erzieherische Kinematographie«. 11 Vgl. Gigli 1981, S. 83. 12 Kurzbezeichnung für »Opera Nazionale Dopolavoro«; Freizeitorganisation im faschistischen Italien.

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Spielfilmproduktion im faschistischen Italien von den so genannten »Filmen der weißen Telefone« (»Cinema dei telefoni bianchi«), leichten Unterhaltungskomödien, die vor allem dem Modell des Hollywood-Unterhaltungskinos folgten, geprägt waren, wurden die Kinowochenschauen, neben den öffentlichen Radioübertragungen, zum bevorzugten Propagandamedium des Regimes, das eine feinmaschige Verbreitung seiner Ideologie erreichte. Im Laufe des ventennio nero entstanden rund 3000 Kinowochenschauen,13 eigenständige Dokumentarfilme von kurzer und mittlerer Länge sowie Dokumentarfilme mit fiktiven und inszenierten Szenen. Mit den Kinowochenschauen sollten der italienischen Bevölkerung und dem Ausland die Errungenschaften des Faschismus auf allen Gebieten vor Augen geführt werden. Der Filmhistoriker Gian Piero Brunetta bezeichnet sie als »Bilder- und Wortfluss zur Auslöschung der Wahrheit beziehungsweise zur Schaffung von Scheinwahrheiten«.14 Dabei seien die Auslassungen genauso wichtig wie das, worüber berichtet wurde.15 Italien wurde als das beste aller Länder präsentiert, das dank Mussolini eine Vorrangstellung in allen Bereichen habe. Die Leistungen des Regimes wurden aufgebläht und glorifiziert, Bilder von Elend, Armut, Arbeitslosigkeit oder sozialen Unruhen waren nie zu sehen. Negative Themen, wie Naturkatastrophen oder soziale Unruhen, waren auf das – nicht mit Italien verbündete – Ausland, bevorzugt die USA, beschränkt. Explizit propagandistische cinegiornali, die Erfolge, Siege oder Aufmärsche des Regimes zeigten, waren in eine Abfolge harmloser und unpolitischer Berichte aus Italien und dem Ausland zu verschiedensten Ereignissen eingebettet – sportliche oder kulturelle Veranstaltungen, religiöse und folkloristische Feste, landwirtschaftliche Messen oder auch königliche Hochzeiten –, wobei die Themenauswahl jener von Illustrierten oder Wochenendbeilagen von Tageszeitungen ähnelte.16 Dadurch fügte sich die offene Agitationspropaganda17, die je nach politischer Notwendigkeit Konsens herstellen oder die Massen mobilisieren sollte, in einen »neutralen« Informationsfluss ein. Die faschistische Ideologie sickerte so unmerklich ins Bewusstsein des Publikums ein. Besondere Aufmerksamkeit erhielten expansionistische Unternehmungen des Regimes wie der völkerrechtswidrige Angriffs- und Eroberungskrieg gegen Abessinien (1935–1936) oder die Besetzung Albaniens (1939). In diesen Fällen sollte die Zustimmung für diese Politik innerhalb der Bevölkerung durch eine 13 In den 1970er Jahren wurden die von den Amerikanern konfiszierten Negative der cinegiornali dem italienischen Staat restituiert. Der fast vollständige Bestand wird im historischen Archiv des Istituto Luce-Cinecittà aufbewahrt und kann digitalisiert auf http://www.archivioluce.com abgerufen werden. 14 Brunetta 1995, S. 180. 15 Brunetta 1993, S. 99. 16 Ebd., S. 101. 17 Vgl. dazu Ellul 1973, S. 71f.

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regelmäßige und tendenziöse Berichterstattung erreicht werden. Auch über die Intervention im Spanischen Bürgerkrieg wurde ausführlich berichtet: Von August 1936 bis April 1939, dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs, widmeten sich insgesamt 89 Wochenschaubeiträge diesem Thema.18 Bereits im Sommer 1936 waren Kameramänner des LUCE nach Spanien gefahren, um Filmmaterial für die ersten, oben erwähnten Kinowochenschauen sowie propagandistische Dokumentarfilme wie ¡Arriba España! und Organizzazioni Falangiste a Palma di Majorca zu drehen. Doch erst nach dem Eintreffen des Corpo Truppe Volontarie wurden Mitarbeiter des Istituto LUCE im Jänner 1937 nach Salamanca entsandt mit der Aufgabe, eine Abteilung für Foto und Film (»sezione fotocine«) innerhalb des italienisch-spanischen Presse- und Propagandabüros (Ufficio Stampa e Propaganda) einzurichten.19 Sie waren Teil des Propagandaapparates, der, wie bereits im Abessinienkrieg, die italienischen Truppen bei ihren militärischen Einsätzen begleitete und in regelmäßigen Abständen vom Spanischen Bürgerkrieg berichtete. In einem offiziellen Schreiben vom Februar 1937 wurden ihre Aufgaben wie folgt beschrieben: Die Abteilung für Foto und Film ist betraut mit der fotografischen und filmischen Aufnahme von Zerstörungen, Vandalismen und Gräueltaten, die von den Roten verübt wurden; von desolaten Zuständen in den von den Kommunisten befreiten Zonen, der raschen Wiederaufnahme des normalen Lebensrhythmus an den Orten, die von den nationalen Truppen nach und nach besetzt werden. Fotos und Filmaufnahmen illustrieren die Auswirkungen des Kriegs auf das Volk. Besondere Aufmerksamkeit soll der Dokumentation des italienischen Beitrags zum Krieg gegeben werden.20

Neben der Verbreitung antikommunistischer Propaganda sollten die cinegiornali also die italienische Bevölkerung über die Erfolge der italienischen Truppen in Spanien informieren – Niederlagen, wie jene in Guadalajara im März 1937, wo Mussolinis Truppen auf Freiwilligenverbände der italienischen Garibaldi-Brigade trafen und ihre erste Niederlage erlitten, wurden natürlich verschwiegen – und das spanische Publikum sollte über die Errungenschaften des italienischen Faschismus erfahren. So wurden zum Beispiel Dokumentarfilme über die Trockenlegung von Sümpfen, Mutterhilfswerke, Maßnahmen zum Schutz der Arbeiter oder über Mussolini selbst und propagandistische Spielfilme wie Camicia nera (Giovacchino Forzano,1933), Lo squadrone bianco (Augusto Genina, 1936), 18 Vgl. Diez Puertas 1999, S. 93. 19 Vgl. Diez Puertas 1999, S. 92. 20 »La sezione fotocine cura la ripresa fotografica e cinematografica di distruzioni, vandalismi e atrocità commesse dai rossi; degli aspetti desolati delle zone evacuate dai comunisti, del rapido riprendere del ritmo normale di vita nei luoghi che le truppe nazionali vanno occupando; fotografie e riprese cinematografiche illustrano gli aspetti popolari della guerra. Si ha speciale cura nel documentare l’apporto italiano alla guerra.« (Telespresso Nr. 115, 23.2.1937, zit. nach Pizzaroso Quintero, S. 269).

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Scipione l’Africano (Carmine Gallone, 1937) oder Il cammino degli eroi (Corrado D'Errico, 1938) in spanischen Kinosälen gezeigt (vgl. Diez Puertas 1999, S. 93). Auf diese Weise sollte die faschistische Ideologie bei der spanischen Bevölkerung Akzeptanz finden.

Abb. 1 und 2: Die Aufnahme einer lachenden Dolores Ibárruri, der einflussreichen kommunistischen Abgeordneten, wird den Bildern von vor dem »roten Terror« flüchtenden Frauen und Kindern kontrastiv gegenübergestellt; damit wird suggeriert, dass sie sich über das Leid der Zivilbevölkerung freue. (Screenshots aus España una grande y libre, Giorgio Ferroni,21 1939)

Eine Analyse der von LUCE produzierten cinegiornali und Dokumentarfilme zeigt, dass diese einem stets gleichen Muster folgen: Sie produzieren Stereotype und verwenden stereotype filmische Techniken. Obwohl die Aufnahmen meist neutral waren (und auch von ausländischen Filmproduktionsgesellschaften erworben wurden), verfolgten die Produzenten der Wochenschauen eine Strategie der Verfälschung von Tatsachen beziehungsweise konstruierten sie eine Wirklichkeit, die die Ideologie des Regimes bestätigte und den politischen Ambitionen Rechtfertigungen lieferte. Dies geschah in der Postproduktion durch Montage und vor allem durch einen alle anderen Elemente unterordnenden Kommentar. Durch Kontrastmontage wurde eine dichotome Darstellung der Welt produziert: Die Bilder von den Feinden sind düster, zeigen Verwahrlosung und Verwüstung, Zerstörung, Entweihung von religiösen Symbolen, Kunstwerken und Kirchen. Die Republikaner werden als brutale Horde von Barbaren, Kirchenschändern und Vergewaltigern dargestellt, die die Bevölkerung terrorisiert. Dies wird auch durch Reenactments erreicht, durch inszenierte Szenen, die in die dokumentarischen Aufnahmen eingefügt werden, beziehungsweise bereits bei der Aufnahme durch dramatisierende und formell an die Ästhetik von Spielfilmen angelehnte Kameraeinstellungen. 21 España una grande y libre wurde, so wie weitere hier besprochene Filme, von der 1938 gegründeten INCOM, die wie LUCE propagandistische Filme herstellte, produziert. Die Filme der INCOM befinden sich heute ebenfalls im Archiv von Luce-Cinecittà.

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Die Nationalisten und die italienischen Truppen hingegen werden als zivilisierte, dynamische und sympathische Helden dargestellt, die Befreiung, Wiederaufbau und Ordnung in das von den »Roten« hinterlassene Chaos bringen und von der Bevölkerung in großen Aufmärschen gefeiert werden. Die übermächtige akusmatische (männliche) Kommentarstimme ordnet die Bilder einer immer gleichen, manichäischen Weltsicht unter. Die Sprache ist »technisch« und von der Verwendung vieler Substantive gekennzeichnet. Die falangistischen beziehungsweise faschistischen Truppen werden stets mit Adjektiven wie »siegreich«, »ungestüm«, »kraftvoll«, »diszipliniert« beschrieben, während die gegnerische Seite, jene der »Roten«, der »Bolschewiken«, des »roten Pöbels« oder der »internationalen Banden von Abenteurern«, die »aus Geldgier« nach Spanien gekommen seien, als »zerstörerisch«, »chaotisch«, »unfähig« oder von »niedrigen Instinkten beherrscht« bezeichnet wird. Der bereits erwähnte Kurzdokumentarfilm ¡Arriba España! (Corrado d’Errico, 1937/1938) illustriert diese »Verfälschungstechniken«: Die Aufnahmen wurden im Sommer 1936 auf Mallorca gedreht, als die von Italien unterstützten Franquisten gegen Republikaner kämpften und schließlich die Kontrolle über die Insel erlangten. Mallorca war von den Italienern unter dem Kommando des fanatischen Faschisten Arconovaldo Bonaccorsi bis April 1939 besetzt. Hier errichteten die Italiener auch ihre wichtigste Militärbasis, von der sie Angriffe auf das republikanische Spanien flogen, zum Beispiel auf Barcelona.

Abb. 3 und 4: Reenactment in Dokumentarfilmen: Abweichler werden in den Gefängnissen der »Roten« Gehirnwäsche und Scheinexekutionen unterzogen. (Screenshots aus España una grande y libre)

Der Film beginnt eindrucksvoll mit dramatischer und düsterer Musik und zeigt eine Landkarte von Spanien, die zu brennen beginnt.

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Abb. 5 und 6: Screenshots aus ¡Arriba España! (1937/1938)

Die erste Sequenz setzt mit zwei, vermutlich inszenierten, Einstellungen voller religiöser Symbolik ein: im Rhythmus einer dramatischen und stakkatoartigen Orchestermusik fällt ein auf dem Kopf stehendes Kruzifix in Großaufnahme zu Boden.

Abb. 7 und 8: Screenshots aus ¡Arriba España! (1937/1938)

Die Bilder dieses Akts der Gewalt und Blasphemie sprechen direkt die religiösen Gefühle des (katholischen) Publikums an. In den folgenden Einstellungen kommentiert die nunmehr melodramatische Musik Aufnahmen einer zerstörten Madonnastatue und verwüsteten Kirchenmobiliars. Der Kommentator beschreibt die Republikaner als »eine von den Leidenschaften einer falschen kommunistischen Ideologie verblendete Menge«, die »Spanien mit Zerstörungen und Massakern übersät hat«. Die »zerstörerische Wut« respektiere nicht einmal die »Bilder des Göttlichen«. Die Aufnahmen zeigen Frauen und Männer der republikanischen Milizen mit Gewehren im Anschlag, gefolgt von Bildern zerstörter Gebäude und Monumente sowie Häuserruinen mit Einschusslöchern und Bombentreffern. »Die Städte und Dörfer gingen in Schutt und Asche unter. Kirchen, Denkmäler, Kunstwerke, Gebäude, Häuser, Fabriken sind versunken in einer Welle des Wahnsinns, die eine von den schlimmsten Instinkten heimgesuchten Meute erfasst hat. Die unvermeidbare Reaktion hat zum Bürgerkrieg geführt«,

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rechtfertigt der Kommentar den Militärputsch gegen die Republik. Wir sehen antifaschistische Slogans und kommunistische Symbole auf Mauern, Falangisten, die auf Einschlusslöcher hinweisen, und inmitten der Zerstörung verängstigte Frauen und Kinder. Die zweite Sequenz beginnt mit einer Nahaufnahme eines Falangisten, der auf einer Trompete zum Appell ruft. Nun ändert sich die Tonart: Beschwingte und dynamische Musik begleitet Bilder von marschierenden Falangisten. Dazu erklärt der Kommentator, dass die Notwendigkeit zur Schaffung einer »neuen Ordnung« gekommen sei. »So ist die spanische falangistische Bewegung entstanden, die mit Stärke wiederaufbaut, was der Wahnsinn zerstört hat. Freiwillige jeden Alters, aus jeder sozialen Schicht eilen herbei, um sich dem neuen Kreuzzug anzuschließen, der dem zerstörerischen Wahnsinn die lebendige Kraft eines Glaubens und einer tausendjährigen Zivilisation entgegenstellt.« Mobilmachung: Männer marschieren in Reih und Glied, und auch Frauen leisten ihren Beitrag. Doch anders als die Gewehre tragenden Frauen der republikanischen Milizen nähen sie Uniformen, rollen Zigaretten für die Falangisten. Militärische Manöver beginnen zu Land, auf See und in der Luft. Die militärische und technische Überlegenheit wird demonstriert. In Flugzeuge werden Bomben mit »Widmungen« geladen: »Für die Kommunisten«, »Für Barcelona«. Falangistische Freiwillige marschieren diszipliniert. Wir sehen Kampfhandlungen in Porto Cristo auf Mallorca, dem Ort, in dem republikanische Truppen gelandet waren und schließlich von den Falangisten mit italienischer Hilfe besiegt wurden. Die Kampfhandlungen werden ohne Musik gezeigt, auf der (nachsynchronisierten) Tonspur sind Schüsse, Maschinengewehrsalven und Explosionen zu hören. Durch totale, halbtotale und schließlich halbnahe Kameraeinstellungen wird das Publikum dramatisch in Straßen- und Häuserkämpfe miteinbezogen. Die Kamera befindet sich in unmittelbarer Nähe der in Schützengräben verschanzten Kämpfer beider Lager. Die Kameramänner des LUCE werden hier zu Embedded Journalists, die mit ihren handlicheren Kameras hautnah am Kampfgeschehen sind. Am Ende bleiben Verletzte, Tote, tote Pferde. Eine triumphierende Fanfare leitet eine neue Sequenz ein, die nun von Marschmusik begleitet wird: die Apotheose des Faschismus. Wir sehen aus der Unterperspektive Falangisten mit Trompeten, darüber ein hoher Kopfraum, der den Blick auf den Himmel (der neuen Ära) freigibt und auf eine große Zukunft verweist. Falangistische Standarten erinnern an faschistische und nationalsozialistische Masseninszenierungen oder auch faschistische Monumentalfilme wie Scipione l’africano (1937), die in der römischen Antike angesiedelt sind. Dazu der Kommentar: »Jeden Tag stoßen neue Bekehrte hinzu, und neue Siege stärken die Falange, die für religiöse und moralische Werte kämpft.«

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Abb. 9 und 10: Screenshots aus ¡Arriba España! (1937/1938)

Diese versprächen eine »neue Ära des Friedens, Fortschritts und der sozialen Gerechtigkeit«. Franco trifft nun ein und wird von seinen Anhängern begrüßt. Er steht mit Arconovaldo Bonaccorsi auf einem Balkon, und eine Menschenmenge jubelt ihnen mit dem »römischen Gruß« zu. Aufnahmen von in Reih und Glied marschierenden Männern und Jugendlichen in Uniform und der applaudierenden Zivilbevölkerung werden gegengeschnitten. Der Schriftzug ¡Arriba España!, der Schlachtruf des franquistischen Spaniens, erscheint auf Einstellungen über einer Gruppe von Buben, marschierenden Frauen sowie Mädchen in Uniformen. Der Film endet mit dem Symbol der Falange über einer Totalen einer Menschenmenge, die aus der Oberperspektive gefilmt wurde. Damit ist die Evolution der Falange, die den »Kreuzzug« gegen die »roten Horden« erfolgreich geschlagen hat, abgeschlossen. Spanien wird hier als »Parallel-Italien« dargestellt, die Masseninszenierungen gleichen jenen in Italien. Damit wird auch suggeriert, dass Spanien in den Einflussbereich Italiens gelangt ist, und Franco, mit italienischer Hilfe, Mussolinis Beispiel folgt. Eine stereotype Gegenüberstellungen der Falangisten und Republikaner, die in ein dichotomes Schema von »Gut« und »Böse«, »Tradition« und »Zerstörung«, »Zivilisation« und »Chaos« gepresst werden, findet sich auch in dem knapp zweiminütigen Wochenschaubericht I due volti della Spagna.22

22 Cinegiornale Nr. 1310, 25.5.1938.

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Abb. 11 und 12: Screenshots aus ¡Arriba España! (1937/1938)

In diesem cinegiornale werden Aufnahmen von zwei unterschiedlichen Orten – dem verwüsteten Friedhof von Huesca (Aragonien), wo sich Republikaner und Falangisten zwei Jahre lang bekämpften, und einer militärischen Zeremonie in Gandesa (Katalonien), dem Schauplatz von verbissenen Kämpfen im Rahmen der Ebroschlacht, der letzten großen Offensive der republikanischen Regierung –, die LUCE von der amerikanischen Paramount erworben hat, kontrastiv einander gegenübergestellt. Die Bilder werden dem Kommentar aus dem Off untergeordnet. Erst dieser gibt dem Visuellen die gewünschte Bedeutung: Die zwei Gesichter Spaniens: Entweihung der heiligsten Gefühle in Huesca, wo die Roten vor ihrer Flucht den Friedhof verwüstet und die Gräber abgetragen haben, in der schamlosen Hoffnung, hier begrabene Juwelen zu entdecken. – Betonung der erhabensten Gefühle in Gandesa, wo eine Dame des tausendjährigen spanischen Adels drei neue Standarten der Kavalleriebrigade des nationalen Heers übergibt, das für die Bewahrung des Glaubens und der Zivilisation kämpft.23

Die militärischen Erfolge der Falange wurden durch die Wochenschauen glorifiziert und zu »Medienereignissen« hochstilisiert. Das berühmteste Beispiel ist die Belagerung des Alcázar von Toledo durch republikanische Milizen und die Befreiung der darin eingeschlossenen Offiziere, Soldaten, Kadetten, FalangeMitglieder und ihrer Angehörigen durch Francos Truppen am 28. September 1936. Trotz der militärisch-strategisch geringen Bedeutung dieser Militäraktion erhielt sie im Nachhinein eine große symbolische Bedeutung. Die Festung Alcázar wurde zu einem mythischen Ort, einem lieu de mémoire, in dem eine militärisch unbedeutende Episode medial inszeniert und zum Gründungsmythos verklärt wurde. In der Folge ernannte sich Franco zum Generalísimo, und das Ereignis diente als Vorlage für eine gute »Story«. So wurde der Stoff in der bereits

23 »I due volti della Spagna. Profanazione dei sentimenti più sacri a Huesca, dove i rossi prima di fuggire, hanno devastato il cimitero, scoprendo le tombe nella turpe speranza di trovarvi gioielli sepolti. – Esaltazioni più nobili a Gandesca, dove una signora dell’alta millenaria aristocrazia ha regalato tre standarti e combatte per la fede e per la civiltà.«

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erwähnten erfolgreichsten Spielfilmkoproduktion zwischen Spanien und Italien, L’assedio dell’Alcázar verarbeitet. Während der Belagerung waren internationale Kamerateams anwesend, und in Wochenschauen wurde ausführlich darüber berichtet. Während aber z.B. die British Pathé relativ unparteiisch Aufnahmen von beiden Seiten zeigte und diese nur durch wenige neutrale Zwischentitel kommentierte, sehen wir im cinegiornale Nr. 978 vom 21. Oktober 1936 mit dem Titel L'entrata dei nazionalisti a Toledo Aufnahmen der Paramount, die durch den Kommentar ideologisch aufgeladen werden: Ansichten von Toledo, das von den Roten in Schutt und Asche gelegt wurde, bevor sie dem siegreichen Sturm der nationalen Truppen wichen, die die Stadt nach drei Tagen erbitterter Kämpfe befreit haben. Die Überreste dessen, was einmal eines der berühmtesten Denkmäler Spaniens war: der Alcázar. Die Generäle Franco und Veruela steigen die antike Festung hinauf, in deren Hof sich einige der überlebenden Helden der siebzig Tage währenden Belagerung, Kämpfe und Angriffe versammelt haben. […] Viele Gebäude und Kunstwerke von großem Wert sind unwiderruflich verloren.24

Größere Aufmerksamkeit widmeten die Wochenschauen jedoch den Erfolgen und dem Heldenmut der italienischen Truppen. Der Dokumentarfilm Los novios de la muerte. Il film dell'aviazione legionaria nel cielo della Spagna von Romolo Marcellino mit einem Drehbuch des eingangs erwähnten Gian Gaspare Napolitano aus dem Jahr 1937 dokumentierte die Aktivitäten der italienischen Fliegertruppe Aviazione Legionaria, die die spanischen Nationalisten in Aragonien unterstützte. Marcellino dramatisiert die dokumentarischen Aufnahmen durch nachgestellte Szenen und eine Story. Die Aufnahmen wurden vor allem aus der Luft gemacht und erinnern an Hollywood-Fliegerfilme; der Krieg ist für Marcellino ein »faszinierendes Turnier«25, in dem Männer ihre Waghalsigkeit und ihren Heldenmut erproben können. In der nachgestellten Eingangssequenz ist eine religiöse Prozession in einem kleinen Dorf in der aragonischen Ebene zu sehen. »Nichts kann die Hingabe und die Frömmigkeit dieser kleinen christlichen Gemeinschaft stören«, so der Kommentar. »Doch zweitausend Mal hat die Wut der Roten die Bevölkerung bombardiert. Cordoba, Granada, Sevilla, Palma di Mallorca, […], Saragossa. Der Tod kommt von oben.«

24 »Visioni di Toledo messa a ferro e a fuoco dai rossi, prima della ritirata dinanzi all’impeto vittorioso delle schiere nazionali che hanno liberato la città dopo tre giorni di accaniti combattimenti. I resti di quello che fu uno dei più celebri monumenti della Spagna: l’Alcázar. I generali Franco e Veruela salgano all’antica fortezza nella cui Corte sono radunati alcuni eroici superstiti di 70 giorni d’assedio, di combattimenti e d’assalti continui. […] Molti edifici e opere d’arte di grande valore sono irreparabilmente perduti.« 25 Argentieri 1979, S. 138.

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Abb. 13 und 14: Screenshot aus Los novios de la muerte (1937)

Die Sequenz endet mit der Nahaufnahme der Statue der Jungfrau Maria, die im Getöse und Nebel einer Explosion untergeht.

Abb. 15 und 16: Screenshots aus Los novios de la muerte

Die Glorifizierung der italienischen Truppen in den Wochenschauen – »enthusiastische Dankesfeiern für Italien und den Duce«; »unsere wunderbaren Legionäre, deren Ziel es ist zu erobern«; »der ganze Vormarsch war eine Abfolge von Episoden unbändigen Heldentums und unwiderstehlichem Elan« – und die Einbeziehung Spaniens in den Einflussbereich des Faschismus riefen jedoch bald den Argwohn der Franquisten hervor. Die militärischen Erfolge wurden in der faschistischen Propaganda vor allem den italienischen Truppen zugerechnet, und Mussolini ignorierte außerdem den Nichtinterventionspakt, der auch von Italien unterzeichnet worden war. Die italienische Propaganda, so die Befürchtung der Spanier, könnte von den republikanischen Medien als Gegenpropaganda verwendet werden und das Argument untermauern, die Republikaner führten einen Unabhängigkeitskrieg gegen den faschistischen Angreifer und Francos Siege seien nur durch ausländische Hilfe zustande gekommen.26

26 Vgl. Diez Puertas 1999, S. 93.

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Ein Filmabkommen zwischen den beiden Ländern 1938 führte zu Koproduktionen und erlaubte den Franquisten, auf die italienische Filminfrastruktur zuzugreifen. Neben L’assedio dell’Alcazar entstanden weitere Filme in zweisprachigen Versionen wie Carmen fra i rossi / Frente de Madrid (Edgar Neville 1939), denen aber wenig Erfolg beim Publikum beschieden war. 1942 wurde in einem weiteren Abkommen vereinbart, dass Filmproduktionen die Zustimmung beider Länder benötigten. Dadurch sollte verhindert werden, dass Filme dem anderen Land schaden könnten, so wie es im Falle der Wochenschauen in den Augen der Franquisten geschehen war. Das Vorhaben, gemeinsam mit dem nationalsozialistischen Deutschland ein »panfaschistisches Kino« zu schaffen, blieb aber erfolglos. Die cinegiornali LUCE wurden mit 1. Januar 1943 nicht mehr in Spanien vertrieben.27 Mussolini brüstete sich mit dem Sieg über die Republikaner. Der cinegiornale Nr. 1448 vom 25. Januar 1939 zeigt ihn auf einer seiner berühmten adunate, einer Massenversammlung, auf dem Balkon des Palazzo Venezia in Rom vor einer jubelnden Menge: Der Ruf eures vollkommen berechtigten Jubels verschmilzt mit dem Jubel, der in allen Städten Spaniens, die nun vollständig von den Schandtaten der Roten befreit sind [Applaus], erklingt, und dem Jubel der Antibolschewisten auf der ganzen Welt. Der glänzende Sieg von Barcelona28 ist ein weiteres Kapitel in der Geschichte des neuen Europas, das wir gerade erschaffen. [langer Applaus] Die großartigen Truppen Francos und unsere furchtlosen Legionäre [Applaus] haben nicht nur die Regierung von Negrín29 [Buh-Rufe] geschlagen. Viele andere unserer Feinde gehen besiegt zu Boden. [langer Applaus] Die Parole der Roten lautete: ¡No pasarán! [Buh-Rufe] Wir sind durchgekommen und ich sage euch: wir werden durchkommen! [frenetischer Applaus]30

Tatsächlich hatte Mussolini mit seiner Militärintervention dazu beigetragen, dass die Republikaner besiegt wurden und Franco eine Diktatur in Spanien errichten konnte. Für Italien war die Bilanz jedoch ernüchternd: Mussolini musste seine Ambitionen im Mittelmeer aufgeben; neben rund 4000 getöteten Italienern 27 Vgl. ebd., S. 94f. 28 Vom 11. bis 18. März 1938 bombardierten italienische Bombenflugzeuge auf Befehl Mussolinis Barcelona. Italienische Bomber flogen von Mallorca aus bis 1939 dutzende Angriffe auf Barcelona und Valencia. Bei den drei schwersten Angriffen vom 16.-18. März 1938 kamen dabei in Barcelona zwischen 500 und 1.000 Menschen ums Leben. Der Fall Barcelonas erfolgte am 26. Februar 1939. 29 Ministerpräsident der Spanischen Republik während des Spanischen Bürgerkriegs. 30 »Il grido della vostra esultanza pienamente legittima si fonde con quello che sale da tutte le città della Spagna oramai completamente liberata dall’infamia dei rossi e con quello degli antibolscevichi di tutto il mondo. La splendida vittoria di Barcellona è un altro capitolo della storia della nuova Europa che noi stiamo creando. Dalle magnifiche truppe di Franco e dai nostri intrepidi legionari non è stato battuto soltanto il Governo di Negrín: molti altri tra i nostri nemici mordono in questo momento la polvere. La parola d'ordine dei rossi era questa: ›No pasarán!‹ Siamo passati e Vi dico che passeremo.«

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verlor Italien rund ein Viertel der militärischen Ausrüstung.31 Damit war der Militäreinsatz auch eine enorme finanzielle Belastung für den Staatshaushalt. Doch nur eineinhalb Jahre später ließ sich Mussolini mit einem schlecht ausgerüsteten Heer auf ein weiteres militärisches Abenteuer ein und trat an der Seite Deutschlands in den Zweiten Weltkrieg ein. Im Juli 1943 landeten die Alliierten in Italien und Mussolini wurde gestürzt. Das Regime von Salò wurde von Franco nicht anerkannt.

Epilog: »Erinnert ihr euch an Spanien?« Nach der ersten Euphorie über das Ende von Krieg und Faschismus, als eine solidarische, alle Bevölkerungsgruppen einschließende Gesellschaft zumindest in den Filmen des frühen Neorealismus möglich schien, flammten in der heißen Phase des Wahlkampfs anlässlich der ersten freien Wahl von 1948 die ideologischen Lagerkämpfe in Italien wieder auf. Gruppierungen rund um die Democrazia Cristiana, die, von der USA unterstützt, eine »rote Gefahr« heraufbeschwor, bedienten sich erneut antikommunistischer Propaganda, die an die Stereotype des Faschismus erinnert. In dem Wahlkampffilm La strategia della menzogna der Comitati Civici, einer katholischen Organisation, deren Ziel es war, die Katholiken des Landes für die Wahl zu mobilisieren, wird der Generalsekretär des Partito Comunista Palmiro Togliatti als gefährlicher Demagoge im Dienste des Bolschewismus dargestellt, der das Land in Streiks, Chaos und Bürgerkrieg führen würde. Danach folgen Aufnahmen von Kirchenschändungen und der Zerstörung von Heiligenstatuen durch spanische Anarchisten, die dem faschistischen Propagandafilm España una grande y libre. Dalla barbarie rossa al trionfo della civiltà fascista aus dem Jahr 1939 entnommen sind. Dazu der Kommentator: Erinnert ihr euch an Spanien? […] Sie riefen: ›Gewissensfreiheit!‹ Doch dann zerstörten sie Kirchen, die Symbole der teuersten Gewissensfreiheit: jener des Glaubens. Leider fanden sich unter diesem Pöbel auch Frauen und Kinder. Das Volk ist leicht zu manipulieren. […] Sie tragen dir religiöse Gemälde davon, denn Besitz ist ja ›Diebstahl‹. Und die ultimative Freiheit: die ›Erschießung‹ von Heiligenstatuen, denn die echten sind unzerstörbar... Hast du begriffen, wo es beginnt und wohin es führt? Verteidige dein Land mit deiner Stimme!32

Die Strategie dieser Rhetorik, die im größeren geopolitischen Rahmen des Kalten Kriegs zu verorten ist, war erfolgreich: die Democrazia Cristiana ging mit einer überwältigenden Mehrheit von 48 Prozent als klare Siegerin aus dieser Wahl hervor, und eine Regierungsbeteiligung der einflussreichen italienischen Kommunistischen Partei wurde damit verhindert. So wurde faschistische Propaganda im 31 Vgl. Thomas 1977, S. 978. 32 Strategia della menzogna. Wahlwerbespot der Comitati civici (1948).

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demokratischen Italien »recycelt« und trug dazu bei, dass Italien in den Einflussbereich von USA und NATO gelangte. Der Spanienkämpfer Togliatti wurde wenige Monate später bei einem Attentat durch einen jungen Antikommunisten lebensgefährlich verletzt.

Bibliographie Argentieri, Mino: L'occhio del regime: informazione e propaganda nel cinema del fascismo. Rom 1979. Brunetta, Gian Piero: Il cinema italiano di regime: Da »La canzone dell'amore« a »Ossessione«. 1929–1945. Rom-Bari 2009/2015. Ders.: Storia del cinema italiano. Il cinema del regime 1929–1945. 2. Aufl. Rom 1993. Casadio, Gianfranco: Il grigio e il nero. Spettacolo e propaganda nel cinema italiano degli anni Trenta (1931–1943). Ravenna 1989. Diez Puertas, Emeterio: Cine fascista en la España en guerra (1936–1945), in: Historia 16, Nr. 276, Madrid 1999, S. 92–99. Graham, Helen: Der Spanische Bürgerkrieg, übers. von Susanne Lenz. Stuttgart 2008 [2005]. Mazzoccoli, Franco (Hg.): Film LUCE e guerra di Spagna. I cinegiornali della guerra civile spagnolo 1936–1939. Venedig 1976. Pizarroso Quintero, Alejandro: La propaganda cinematográfica italiana y la Guerra Civil española, in: García Sanz, Fernando (Hg.): Españoles e italianos en el mundo contemporáneo: I Coloquio Hispano-Italiano de Historiografía Contemporánea. Madrid 1990. Stiegler, Bernd: Fotografie und Bürgerkrieg, in: Reer, Felix / Sachs-Hombach, Klaus / Schahadat, Schamma (Hg.): Krieg und Konflikt in den Medien. Multidisziplinäre Perspektiven auf mediale Kriegsdarstellungen und deren Wirkungen. Köln 2015. Thomas, Hugh: The Spanish Civil War. 3. Aufl. London 1977.

Filmographie Kinowochenschauen (cinegiornali) des Istituto LUCE (http://www.archivioluce.com/archivio/) Nr. 938, 19.8.1936 (Alcuni episodi della guerra civile spagnola) Nr. 939, 19.8.1936 Nr. 940, 19.8.1936 Nr. 1310, 25.5.1938 (I due volti della Spagna) Nr. 978, 21.10.1936 (L'entrata dei nazionalisti a Toledo) Nr. 1448, 25.1.1939 (Manifestazione in piazza Venezia)

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Dokumentarfilme des Istituto Luce und der INCOM ¡Arriba España! (Istituto Nazionale Luce 1937–38, 14:36 Minuten) España una grande y libre. Dalla barbarie rossa al trionfo della civiltà fascista (Giorgio Ferroni, Documentari Incom 1939, 23:22 Minuten) Los novios de la muerte. Il film dell'aviazione legionaria nel cielo della Spagna (Romolo Marcellini 1937, Documentari Incom, 30:05 Minuten) Le organizzazioni Falangiste a Palma di Majorca Istituto Nazionale Luce 1937–38, 9:26 Minuten)

Weitere Filme The Republican Siege of Alcazar Fortress in Toledo (British Pathé, 1936) La strategia della menzogna (Comitati Civici 1948; VHS, hg. von Carlo Lizzani, L’Archivio audiovisivo del movimento operaio e democratico, Rom 1996)

Joachim Gatterer (Innsbruck)

Egon Erwin Kisch im Spanischen Bürgerkrieg

Es gibt kaum einen Schriftsteller, der beanspruchen kann, sein Werk sei ähnlich intensiv mit den dramatischen Entwicklungen des frühen 20. Jahrhunderts verflochten wie jenes von Egon Erwin Kisch (1885–1948). Spätestens mit seinem Buch Der rasende Reporter (1925) avancierte der einstige Prager Lokaljournalist, Weltkriegssoldat und Wiener Rotgardist im Berlin der 1920er-Jahre zur Stilikone seiner Zeit. Kischs weltweite Reisetätigkeit, gepaart mit offener Sympathie für die Unscheinbaren und Entrechteten, kulminierte in zahlreichen Publikationen, die durchwegs zwischen objektiver Berichterstattung und Parteilichkeit oszillieren. Ihren Verfasser umgaben sie solcherart mit dem Charme eines permanent in die Zeitläufe Involvierten. Auf die Feststellung des späteren ZEIT-Journalisten Josef Müller-Marein: »Sie spielen mit dem Leben«, soll der von den Nationalsozialisten verfolgte Kommunist Kisch aufschlussreich geantwortet haben: »Das Leben spielt mit mir.«1 Bei Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs im Juli 1936 zählte Kisch zu den bekanntesten Schriftstellern des antifaschistischen Exils. Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand in Berlin inhaftiert und als tschechoslowakischer Staatsbürger nach Prag abgeschoben, startete er mit einem Pressebericht über die eigenen Hafterlebnisse (In den Kasematten von Spandau) noch 1933 seine publizistische Agitation gegen das Naziregime.2 Ein Jahr darauf gelang ihm mit seiner Australienreise zum Weltkongress gegen Krieg und Faschismus ein weiterer Sensationscoup: Per Sprung über Bord machte Kisch das gegen ihn verhängte Landungsverbot öffentlichkeitswirksam publik; die Massenproteste zu seinen Gunsten erzwangen ihm schließlich die legale Einreise und verschafften dem antifaschistischen Lager in der internationalen Presse einen publizistischen Triumph.3 Nach seiner Rückkehr ins französische Exil erreichten den gefeierten Schriftsteller zum 50. Geburtstag über 1200 Gratulationen (darunter zahlreiche Freundschaftsbekundun1 Molitor 1948, verfügbar unter http://www.zeit.de/1948/15/egon-erwin-kisch [20.11.2017]. 2 Patka 1997, S. 140–144. 3 Vgl. ebd. S. 204–275.

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gen namhafter BerufskollegInnen), womit sich Kisch 1935 trotz zunehmend erschwerter Publikationsbedingungen auf einem Höhepunkt seiner Karriere befand.4 Wie sich die spanischen Ereignisse der Jahre 1936–1939 auf das weitere Leben des exponierten Exilautors auswirkten, in welcher Form sich der Bürgerkrieg in sein publizistisches Œuvre einprägte und welche Bedeutung Kischs Publikationen im Komplex der deutschsprachigen Exilliteratur zu Spanien beizumessen ist, soll in den folgenden Ausführungen in aller Kürze umrissen werden. Da ihnen keine ausführliche Archiv- und Presserecherche zugrunde liegt, können die Ausführungen nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und Abgeschlossenheit erheben. Vielmehr möchten sie zu den drei angesprochenen Fragen den aktuellen Forschungsstand5 bündeln und darauf aufbauend Antworten formulieren, die im Idealfall zu weiteren Untersuchungen Anstoß geben.

Aufrütteln, mithelfen, dokumentieren Im Vorwort zu seiner kürzlich erschienenen Anthologie über den Spanischen Bürgerkrieg hat Erich Hackl die Beschaffenheit der antifaschistischen Spanienkriegsliteratur deutscher Sprache knapp und präzise umrissen.6 Hackl unterscheidet diesbezüglich in erster Linie nach der Schreibperspektive der deutschsprachigen ExilschriftstellerInnen zwischen Texten, die auf subjektiven Erlebnissen in Spanien beruhen, und jenen Publikationen – etwa von Hermann Kesten und F. C. Weisskopf – in denen der Bürgerkrieg aus der Ferne literarisch verarbeitetet wird, ohne dass sich die jeweiligen Verfasser für längere Zeit oder überhaupt in Spanien aufgehalten haben. Unter den unmittelbar am Bürgerkriegsgeschehen Beteiligten differenziert Hackl neben ideologischen Schattierungen (Kommunisten, Trotzkisten, Anarchisten usw.) nochmals zwischen jenen Schreibenden, die sich ausschließlich als BerichterstatterInnen betätigten und ihre Texte umgehend in der internationalen Presse publizierten (z. B. Maria Osten), und jenen, die in den Schützengräben und Lazaretten selbst ins Kriegs4 ebd. S. 298. 5 Zur Biographie Kischs stellt die Arbeit von Marcus G. Patka aus dem Jahr 1997 (die u. a. eine ausführliche Bibliographie enthält) das umfangreichste und aktuellste Standardwerk dar. Patka, Marcus G.: Egon Erwin Kisch. Stationen im Leben eines streitbaren Autors, Wien u. a. 1997. Bezüglich der Texte Kischs zum Spanischen Bürgerkrieg bezieht sich der vorliegende Aufsatz im Wesentlichen auf den 1976 von Bodo Uhse und Gisela Kisch herausgegebenen Band VI der »Gesammelten Werke in Einzelausgaben« sowie auf den Band Kisch, Gisela / Uhse, Bodo (Hg.): Egon Erwin Kisch. Unter Spaniens Himmel, Berlin 1961. Eine weitere Quelle bilden die in Buchform erschienen Briefe von Egon Erwin Kisch und Gisela Lyner an Kischs tschechische Übersetzerin Jarmila Haasová. Haupt, Klaus (Hg.): Egon Erwin Kisch. Briefe an Jarmila, Berlin 1998. 6 Hackl (Hg.) 2016.

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geschehen eingriffen, von ihren Handlungen und subjektiven Eindrücken aber erst zu einem späteren Zeitpunkt literarisch Zeugnis ablegten (z. B. Ludwig Renn in seinem erst nach 1945 erschienenen Buch Der spanische Krieg).7 Aus einem umfangreichen Textkorpus eruiert Hackl weiters drei universelle Leitfragen, die viele deutschsprachige AutorInnen aus dem Umfeld der Solidaritätsbewegung für die Spanische Republik in besonderem Maße beschäftigten: 1) Wie ist es möglich, sich selbst und andere zu einer aktiven Teilnahme am politischen Kampf zu bewegen? 2) Sind sämtliche Agitationsformen, insbesondere Schreiben und Kämpfen, gleichwertig? 3) Wie wichtig ist die historische Konservierung des Erlebten im Angesicht der absehbaren Vergeblichkeit des eigenen Handelns?8 Egon Erwin Kischs Engagement für die Spanische Republik lässt sich rückblickend nicht nur entlang der von Hackl entworfenen Leitlinien einordnen; Kisch hatte während des Bürgerkriegs selbst theoretische Überlegungen über die Aufgaben des Schriftstellers angestellt, deren Umsetzung sich in seinen eigenen Publikationen und seiner Biographie nunmehr nachprüfen lässt. Es ist wenig verwunderlich, dass sich die von Hackl herausgearbeiteten Leitfragen (mit entsprechenden Antworten) auch bei Kisch wiederfinden: Auf dem Zweiten Internationalen Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur in Madrid und Valencia forderte der Reporter in seinem Referat ausdrücklich antifaschistisches Engagement ein und stellte hierbei das Schreiben nicht hinter andere Kampf- und Unterstützungsaktionen zurück (Frage 2). »Wer sich Schriftsteller nennt«, bekannte Kisch, »muß heute seine ganze Energie, seine ganze Begabung und seinen ganzen Namen in die Waagschale werfen, um seine Leser zur Hilfe für Spanien aufzurufen.«9 In einem persönlichen Gespräch mit Willi Bredel gab er hierfür wenig später auch die methodische Anleitung (Frage 1): Nicht über die Aufopferungsbereitschaft der Republikaner sei zu berichten, sondern über das Ausmaß an Unmenschlichkeit ihres Feindes, indem man etwa über die Tiere im Madrider Zoo schriebe, die von faschistischen Bomben zerfetzt wurden. Das erschüttere sogar die Gleichgültigsten.10 7 Hackl 2016, S. 9–12. 8 ebd. S. 9–10 u. 23–24. 9 Kisch, Egon Erwin: ›Auszug aus der Rede auf dem Internationalen Schriftstellerkongress, Madrid 1937‹, in: Kisch / Uhse (Hg.) 1961, S. 40. 10 Willi Bredel berichtete über Kischs Überlegungen in seinem Tagebuch am 12. August 1937 wie folgt: »Egon erzählte mir von seinem Plan, einen Essay über die Tiere des Madrider Zoo zu schreiben, die schutzlos den Bombardements ausgeliefert sind und bei dem Artilleriefeuer heulen und wimmern, wie Kinder in die äußersten Ecken ihrer Käfige kriechen und zum Gotterbarmen zittern. Er hat schon seit Wochen die Tiere beobachtet und schildert, wie jedes sich auf besondere Art fürchte; frei von Furcht sei keines, auch der Löwe nicht. Ich war empört über diese Absicht und sagte es ihm auch. Hunderttausende Menschen hätten nicht weniger Angst als die Tiere, erwiderte ich, und seien ebenfalls schutzlos diesem Granatentod ausgeliefert, nicht über die Tiere,

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Auch die von Hackl angeführte historische Dimension des Bürgerkriegs (Frage 3) hatte Kisch auf dem Madrider Kongress explizit angesprochen: »Wir Schriftsteller aus aller Welt und aus allen Lagern müssen in unseren Schriften nicht nur für die Gegenwart des spanischen Freiheitskampfes eintreten, sondern wir müssen auch dafür sorgen, daß die Geschichtsschreibung diesen heldenhaften Widerstand nicht verfälschen kann und ihn als das hinstellen muß, was er wirklich ist: ein Krieg um die Menschenrechte gegen die modernsten Gewaltmethoden der Reaktion«.11

Euphorie trotz Hindernissen Die Umsetzung der selbstgesteckten Ziele erwies sich für Kisch aus diversen Gründen als schwierig. Die Tragweite der Ereignisse war ihm zwar bereits bei Ausbruch des Bürgerkriegs unmittelbar bewusst, denn Spanien sei der Ort, schrieb er am 18. August 1936 an seine tschechische Übersetzerin Jarmila Haasová, »wo sich unser aller Schicksal entscheidet.«12 Allerdings weilte Kisch mit seiner Lebensgefährtin Gisela Lyner und zahlreichen anderen ExilschriftstellerInnen (unter ihnen Irmgard Keun, Arthur Koestler, Joseph Roth und Stefan Zweig) in dieser Zeit in den belgischen Küstenorten Ostende und Breedene, wo beide intensiv mit Schreibarbeiten eingedeckt waren: »wir konnten nicht einmal auf den Strand gehen, so hasten wir mit der Arbeit.«13 über sie solle er schreiben. Du bist ein Naivling, entgegnete Egon seelenruhig. Wen in der Welt, so fuhr er fort, interessiere schon die Todesqual der Bevölkerung von Madrid? Wenn die Menschen draußen aber erführen, wie harmlose Leoparden, Hyänen, Wölfe oder auch Affen, gar nicht zu reden von den Lieblingstieren der Menschen, Elefanten und Seehunde, von Granaten zerfetzt werden und grausam verbluten, erschüttere das auch die sonst Gleichgültigsten. Er verspricht sich von seiner Reportage, die er für eine amerikanische Zeitschrift schreibt, eine Hilfeaktion für die gefährdeten Tiere. Vielleicht, so meint er, falle dabei für die Madrider Bevölkerung etwas ab.« Hahn (Hg.) 1986, S. 287. Die Methode der ausführlichen Negativdarstellung des Gegners wurde im europäischen Ausland auch von reaktionärer Seite zur Diskreditierung der Spanischen Republik angewandt. Hierzu exemplarisch ein Auszug aus der in Bozen (Südtirol/Italien) erschienen Zeitung Volksbote vom 13. August 1936, S. 1: »Durch Spanien schreitet das Grauen. Die wildesten Ausgeburten der Vorstellungskraft werden übertroffen durch die Greueltaten, die in den vergangenen drei Wochen von kommunistischen Pöbelhorden in Madrid, Barcelona und anderwärts verübt worden sind. Man hat Leichen aus den Gräbern gerissen und einer johlenden Menge zur Schau gestellt. Priester wurden in die Flammen der Heiligtümer geworfen und bei lebendigem Leibe verbrannt, Grundbesitzer samt ihren Kindern mit Benzin übergossen und angezündet, Unschuldige gefoltert, verstümmelt, ermordet. […] Das ist das wahre Gesicht des Kommunismus. Er zeigt es heute in Spanien, er würde es überall zeigen, wo er, wenn auch nur für Stunden, zur Herrschaft gelangte.« Zitiert nach Gatterer / Stepanek 2016, S. 148. 11 Kisch, Egon Erwin: ›Auszug aus der Rede auf dem Internationalen Schriftstellerkongress, Madrid 1937‹, in: Kisch / Uhse (Hg.) 1961, S. 41. 12 Kisch und Lyner an Haasovà am 18. August 1936, zitiert nach Haupt (Hg.) 1998, S. 193. 13 ebd. S. 193. Patka 1997, S. 304.

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Vor allem die Fertigstellung von Kischs Reportagenbuch über seine Australienreise (das allerdings erst 1937 in englischer Sprache erscheinen konnte) sollte sich aufgrund der zunehmend prekärer werdenden Einkommenssituation des Reporters in den anschließenden Monaten unerwartet in die Länge ziehen. Über die eingeschränkten Lebensverhältnisse schrieb Gisela Lyner noch im November 1936 aus Versailles nach Prag: »Wir leben jetzt noch zurückgezogener und einsamer wie in Gent, wo wir keinen Menschen kannten; manchmal vergeht eine ganze Woche, ohne daß uns auch nur jemand anruft, oder wir jemanden, weil man ja auch mit dem Telefongeld sparen muß.«14 Die Ereignisse in Spanien verfolgten beide in dieser Zeit trotz der Engpässe weiterhin aufmerksam. Gisela Lyner berichtete im Dezember 1936 auch von der Teilnahme an Hilfsaktionen wie ihrem geplanten Besuch eines Pflegerinnenkurses; ebenso würden »alle für unten stricken, ich auch, vorläufig nur Schals, vielleicht werde ich mich demnächst an schwierigere Sachen herantrauen, Pullover usw. Bei mir geht es ziemlich langsam, weil ich nur in der Bahn Zeit habe zu stricken.«15 Dass Kisch erst Anfang Juni 1937, knapp ein Jahr nach Ausbruch des Bürgerkriegs, im Krisengebiet eintraf, begründete er in einem Presseinterview vor Ort mit der kurzfristigen Rückkehr zur Mutter nach Prag, die er von Dezember 1936 bis April 1937 in ihren letzten Lebensmonaten begleitet hatte. Der genannte Schriftstellerkongress vom 4.–11. Juli desselben Jahres dürfte das Anreisedatum nach Spanien ebenso mitbestimmt haben.16 In Spanien angekommen, reihte sich der 52-jährige Weltkriegsveteran nicht mehr unter die Frontsoldaten ein, sondern verstand sich als Berichterstatter und moralische Stütze der Kämpfenden17 – und er zeigte sich kurz nach seiner Ankunft euphorisch. »[I]mmerfort muß ich irgendwohin hinaus, um irgendeine Abteilung zu besuchen, wo Freunde oder Landsleute sind oder wenigstens Leser«, schrieb er am 6. Juni 1937 nach Prag. »Die Stimmung ist überall glänzend, sehr optimistisch, die Ausbildung der Truppen, davon habe ich mich überzeugt, wird von Tag zu Tag besser, – die großen Fehler, die am Anfang des Krieges vorkamen, können sich nicht mehr wiederholen.«18 Alfred Kantorowicz notierte wenige Tage später ähnliche Eindrücke vom Truppenbesuch beim Tschapajew-Bataillon in sein Tagebuch: »Kisch schloß Bekanntschaft mit allen […] sprach mit dem Koch wienerisch und radebrechte mit Leutnant Boris polnisch. Dem Adjutanten Franz schrieb er eine Widmung in

14 Kisch und Lyner an Haasovà am 9. November 1936, zitiert nach Haupt (Hg.) 1998, S. 205. 15 Kisch und Lyner an Haasová am 8. Dezember 1936, zitiert nach Haupt (Hg.) 1998, S. 209. 16 Vgl. Patka 1997, S. 305 u. 312–313. 17 ebd. S. 312. 18 Kisch an Haasová am 6. Juni 1937, zitiert nach Haupt (Hg.) 1998, S. 214–215, hier S. 214.

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sein Buch ›China geheim‹, das Franz zufällig bei sich hatte, und die Wachtposten und Küchengehilfen erfreute und erstaunte er durch seine verblüffenden Zauberkunststücke. […] Wohin wir kamen, brachen Freudenkundgebungen aus. Die Schützen streckten ihm Notizblätter, Fotografien – oftmals die ihrer Frauen oder Bräute – entgegen, damit er seinen Namen darauf schreibe. Das machte ihn verlegen, er improvisierte aber einige muntere Schüttelreime, die jeder Feierlichkeit die Spitze abbrachen.«19 Der gefühlte Optimismus übertrug sich schließlich auch auf Kischs erste Pressebeiträge aus der Kampfzone. Die Internationalen Brigaden skizzierte er in der Juliausgabe des Exilblattes Der deutsche Schriftsteller als »ein Bild der Zukunft«: »Diese Männer aus vierzig Nationen, die von allen Enden der Welt hergeeilt sind und sich hier getroffen haben wie Brüder, die zusammen für die Freiheit kämpfen, schaffen eine stärkere Bindung zwischen den Völkern als alle Regierungsbuendnisse es vermögen.«20 In den Deutschen Informationen hatte er am 17. Juni 1937 sogar eine Zeitenwende prognostiziert: »Eine neue Ära des Krieges beginnt jetzt: der Kampf einer ausgebildeten Armee gegen den Faschismus Francos. Das muß uns den Endsieg sichern.«21

Ernüchterung und Schreibblockaden In den Monaten des Spätsommers und Herbstes 1937 kühlte Kischs Stimmung bereits merklich ab. In dieser Zeit hielt er sich überwiegend in Madrid auf, wo er seine Schriftstellerkollegen Willi Bredel, Hans Marchwitza, Gustav Regler, Ludwig Renn, Bodo Uhse und Erich Weinert traf und neben der spanischen Kommunistin Dolores Ibárruri (La Pasionaria)22 auch jüngeren KollegInnen begegnete wie Theodor Balk,23 Maria Osten24 und der Fotografin Gerda Taro, die wenig später an der Front ums Leben kam.25 Kisch selbst begab sich während der

19 Kantorowicz, Alfred: Spanisches Kriegstagebuch, Frankfurt a. M. 1982, zitiert nach Gatterer 2012, S. 72–73. 20 Kisch, Egon Erwin: ›Egon Erwin Kisch zur Zeit an der republikanischen Front in Spanien‹, in: Der deutsche Schriftsteller, Juli 1937, S. 6. 21 Kisch zitiert nach Patka 1997, S. 313. 22 Bereits am 6. Juni 1937 schrieb Kisch nach Prag: »[I]ch habe eben 1 Stunde mit Pasionaria gesprochen. Ich weine fast vor Begeisterung.« Haupt (Hg.) 1998, S. 215. 23 Balk, Theodor: Wen die Kugel vor Madrid nicht traf, St. Ingbert 1996, S. 96–100. 24 In einem Kisch-Brief an Jarmila Haasová vom 28. Juli fügte Maria Osten Kischs Text ihrerseits Grüße an Haasová an und schloß mit den Worten: »Kisch kämpft wie ein Löwe – und schreibt wenig.« Haupt (Hg.) 1998, S. 217. 25 Kisch schrieb am 28. Juli 1937 an Jarmila Haasová: »Hat dir Laco das Karikaturenbuch gegeben, in das ich Dir eine Madrider Widmung schrieb? Sag ihm, daß das schöne Mädchen, das mit uns an der Front war (sie hieß Gerda Taro) vor drei Tagen gefallen ist. […] Regler hatte große Freude,

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Kämpfe um Brunete, Belchite, Quinto, Fuentes del Ebro und Teruel (die zwischen Juli 1937 und Februar 1938 stattfanden) als Beobachter an die vordersten Frontlinien, berichtete journalistisch allerdings wenig davon.26 Vielmehr waren es die kontinuierlichen Flächenbombardements in Madrid und Valencia, die in den drei größeren Zeitungsreportagen, die er im Zeitraum Juni–August 1937 fertigstellte, sichtliche Spuren hinterließen: Valenica heute, Im ausgeräumten Prado und Die Häuser und Paläste von Madrid.27 In der Darstellung der Ereignisse folgte Kisch im Wesentlichen dem propagandistischen28 Schema, das er am Beispiel der geplanten Zooreportage (die vermutlich nie erschienen ist)29 theoretisch umrissen hat: So stellt er auch in Valenica heute nicht die Aktionen der Republikaner, sondern die faschistischen Greueltaten in den Vordergrund. Franco lasse »seine Mohren den spanischen Gefangenen die Gurgel abschneiden« und »italienische und deutsche Flugzeuge knapp über die Köpfe flüchtender Frauen und Kinder schwirren und sie mit Maschinengewehren zusammenschießen«. »In diesen Häusern wohnten friedliche Menschen, sie schliefen und stürzten aus dem Schlaf in den Tod, oder – noch schlimmer – sie erwachten vorher, um mit fürchterlichem Schreien im Todeskampf ihre zerrissenen Eingeweide und ihre zerschmetterten Gliedmaßen zu fühlen. Es waren Kranke, viele Kranke unter ihnen, denn die ›Befreier Spaniens‹ haben keineswegs Ursache, die Hospitäler anders zu behandeln als Privathäuser; warum sollen denn Kranke vor dem Tod gefeit sein, wenn es Frauen und Greise und kleine Knaben und kleine Mädchen und selbst Säuglinge nicht sind?«30 In der Reportage über das Madrider Kunstmuseum Prado beschränkt sich Kisch nicht mehr auf die eindringliche Beschreibung der Bombardements, sondern er steigert sie metaphorisch zur Ermordung des Weltkulturerbes: »Eine Bombe ging über Velázquez nieder, zwei über Goya und zwei über Tizian. […] Was mit solcher leidenschaftlichen Eindringlichkeit Genosse Goya gemalt hat, der Sozialist und Emigrant, mußte weggehängt, mußte wie die anderen Werke

daß Du Dich über sein Befinden erkundigt hast […] Bodo und Kantor sehe ich oft, auch Marchwitza, Bredel und Weinert, und natürlich Renn.« Haupt (Hg.) 1998, S. 216f. 26 Vgl. Patka 1997, S. 315f. 27 Zur Abschätzung des Zeitraums vgl. die Briefe Kischs an Jarmila Haasová in Haupt (Hg.) 1998, S. 214–222. Die Reportagen erschienen später in Kisch, Gisela / Uhse, Bodo (Hg.): Egon Erwin Kisch. Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Bd. VI, Berlin u. a. 1976, S. 301–310 u. 336–345. 28 Anne Morelli hat zehn Kriterien der Kriegspropaganda eruiert, anhand derer Kischs Texte aus Spanien im Detail analysiert werden könnten. Auf die drei genannten Zeitungsreportagen treffen die folgenden drei Kriterien aus Morellis Katalog augenscheinlich zu: »4. Wir kämpfen für eine gute Sache und nicht für eigennützige Ziele / 5. Der Feind begeht mit Absicht Grausamkeiten […] 8. Unsere Sache wird von Künstlern und Intellektuellen unterstützt«. Morelli 2004, S. 5. 29 Eine Reportage zu besagtem Thema ist bis dato in der einschlägigen Forschungsliteratur nicht nachgewiesen. Vgl. Patka 1997, S. 315 u. 410–440. 30 Kisch ›Valenica heute‹ 1976 [1937], S. 303f.

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des Prado an sicherer Stelle versteckt werden, damit es nicht getötet werde, und vor dir ist das Nichts.«31 Im Text Die Häuser und Paläste von Madrid erzeugt Kisch schließlich für die gesamte Stadt eine Metapher, indem er die Bombardements zum abscheulichen Gewaltakt gegen eine fürsorgliche Mutter stilisiert: »Das breite Lachen deiner Züge, Mutter Madrid, ist zersäbelt. Dein helles Gewand ist dunkel von Blut, es ist so zerrissen, daß die Fetzen flattern, unter ihnen klaffen Wundmale und Schwären, Eingeweide dringen aus deinem Leib. […] Etwa zweimalhunderttausend Schrapnelle und Fliegerbomben sausten seit dem November des Vorjahres auf dich hernieder. Wenn jede Granate (imstande, hundert Menschen zu töten) nur fünf getötet hätte, kein einziges deiner Kinder wäre mehr am Leben.«32 Dass Kischs journalistische Produktivität ab Herbst 1937 merklich zurückging und auch seine literarische Arbeit letzten Endes nicht die von ihm gewünschte Intensität erreichte, hatte verschiedene Gründe. Mehrfach erwähnte er in Briefen aus Spanien, dass ihn die Wucht der Ereignisse überfordere: »Zu schreiben hätte ich so viel, dass ich – o dialektischer Gegensatz – gar nichts schreiben kann. So viel Eindrücke, so viel Menschen, daß das Gehirn zu bersten droht«,33 bekannte er bereits unmittelbar nach seiner Ankunft im Kriegsgebiet. Erich Weinert erinnerte sich später an eine ähnliche Klage Kischs, wonach »hier [in Spanien] jedes Erlebnis, das nach literarischer Gerinnung drängt, oft schon durch ein neues, stärkeres verdunkelt würde und man mit der Zeit statt ausgereifter Formen nur Torsi und Fragmente in der Hand habe.«34 Zur Reizüberflutung kamen die unmittelbaren Publikationsschwierigkeiten hinzu, von denen der erhaltene Briefwechsel mit der tschechischen Übersetzerin Jarmila Haasová zeugt. Da Kisch offenbar mit postalischen Schwierigkeiten rechnete, gab er Haasová bereits am 28. Juli 1937 genaueste Anweisungen, die mitgeschickten Manuskripte Der Tod um den Escorial und Mutter Madrid mehrfach zu verwerten: »Du kannst sie tschechisch veröffentlichen, wo Du willst, d. h. entweder beide im ›Rudé Právo‹ oder einen (und das wäre der ›Eskurial‹) in der ›Tvorba‹. Nachher, d. h. nachdem es erschienen ist, schicke den ›Eskurial‹ an die ›Volkszeitung‹ und ›Mutter Madrid‹ (ich glaube im Manuskript heißt der Titel ›Häuserkrieg in Madrid‹) an die ›Rote Fahne‹. ›Mutter Madrid‹ kannst Du kürzen oder ändern.«35 Nicht unerheblich ist der Beisatz, den er einem später

31 Kisch ›Im ausgeräumten Prado‹ 1976 [1937], S. 307 u. 310. 32 Kisch ›Die Häuser und Paläste von Madrid‹ 1976 [1937], S. 336. 33 Brief von Egon Erwin Kisch an Jarmila Haasová vom 6. Juni 1937, abgedruckt in Haupt (Hg.) 1998, S. 214. 34 Weinert, Erich: Camaradas, Dortmund o. J., S. 11. 35 Kisch an Haasová am 28. Juli 1937, zitiert nach Haupt (Hg.) 1998, S. 216.

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verfassten Manuskript mit auf den Weg gab: Er veröffentliche es »natürlich unentgeltlich.«36 Da sich die Antworten aus Prag u. a. aufgrund von Kischs Ortswechseln verzögerten (»Dein großer Brief vom 12. Okt. ist erst jetzt in unsere Hände gekommen. Er ging also einen ganzen Monat: Eine schöne Korrespondenz«)37 und manchmal auch verlorengingen (»Beides habe ich weder bekommen noch gelesen«)38, konnte Kisch über die Anzahl seiner Presseveröffentlichungen aus dem Spanischen Bürgerkrieg keinesfalls einen genauen Überblick behalten. Spätere Forschungen konnten Beiträge in den deutschen Exilperiodika Das Wort (Moskau), Die Neue Weltbühne (Prag), Die Volksillustrierte, Deutsche Zentral-Zeitung (Moskau), Internationale Literatur (Moskau), Pariser Tageszeitung, in der tschechoslowakischen Rudé právo, der spanischen El Mono Azul sowie in verschiedenen Frontzeitung unterschiedlicher Sprachen nachweisen.39 Kischs Texte erschienen teils mehrfach, teils in Übersetzung und teils unter verschiedenen (nicht immer von ihm verfassten) Titeln.40 Auch war er selbst nicht immer von der Qualität seiner Beiträge überzeugt: »[I]m Radio habe ich gestern eine mäßige Sache (›Erster Eindruck von Valencia‹) sehr gut gelesen, ich schick es der Gisl, aber ich glaube nicht, daß es abdruckswert ist.«41

Sammeln von Bruchstücken Dass Kisch die Begrenztheit seiner Schreibkapazitäten in Spanien früh erkannte, wird letztlich auch an seinem Aufruf an die Interbrigadisten ersichtlich, ihre Erlebnisse selbst aufzuschreiben. Er selbst wollte die Texte – im Sinne seiner Forderung nach historischer Konservierung der Ereignisse – sammeln und veröffentlichen. Es sollte ein Buch werden »für die Welt da draußen, für unsere Söhne und Enkel, ein Buch, das davon kündet, welche Fährnisse für jeden Freiheitskämpfer von Anfang an damit verbunden waren, nach Spanien zu ziehen und dort die Entscheidungsschlacht gegen den Faschismus zu schlagen.«42 Der Sammelband kam nicht zustande, doch konnte sich Kisch in den letzten Monaten des Jahres 1937 immerhin auf das Verfassen von zwei ausführlicheren 36 Kisch und Lyner an Haasová am 12. Dezember 1938, zitiert nach Haupt (Hg.) 1998, S. 231. 37 Kisch Lyner an Haasová am 15. November 1937, zitiert nach Haupt (Hg.) 1998, S. 223. 38 ebd. S. 224. 39 Vgl. Patka 1997, S. 317. In der tschechischen Zeitung Rudé právo erschien Kischs Artikel Matka Madrid [Mutter Madrid] am 15. August 1937. Ich danke Anna Hajkova für diesen Quellenhinweis. 40 Vgl. hierzu die ausführliche Bibliographie in Patka 1997, S. 412–413 u. 433–440. 41 Kisch an Haasová am 6. Juni 1937, zitiert nach Haupt (Hg.) 1998, S. 214. 42 Kisch, Egon Erwin: Wie war der Weg nach Spanien? Eine Aufforderung von Egon Erwin Kisch, in: Volksillustrierte, 26. Juli 1937, S. 6.

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Reportagen konzentrieren. Aus dem Küsten- und Lazarettort Benicàssim im Hinterland, wo er im Herbst 1937 für die zweite Hälfte seines Aufenthalts Quartier bezogen hatte (sein Bruder Bedřich arbeitete dort als Arzt), schrieb er im Dezember wieder an Jarmila Haasová: »In den letzten Tagen war ich sehr fleißig und habe zwei größere Sachen geschrieben. Die eine, ›Die drei Kühe‹, schicke ich Dir für die Verbreitung in tschechischer Sprache. Es ist, glaube ich, besonders hübsch geworden.«43 Und im Januar 1938: »Aus Prag höre ich seit Monaten kein Wort, weiß auch nicht, ob die ›Drei Kühe‹ irgendwo erschienen sind. Trotzdem schicke ich Dir heute mit gleicher Post eine neue Broschüre [vermutlich Soldaten am Meeresstrand], die Du dem Hilfskomitee für Spanien zur Veröffentlichung anbieten kannst, tschechisch und deutsch, oder nur tschechisch, wie sie wollen.«44 In beiden Texten, die sowohl in ausländischen Zeitschriften als auch als Einzelbroschüren in Spanien erscheinen konnten, richtete Kisch den Fokus nicht mehr auf die Zerstörungswut des Gegners, sondern er widmete sich nunmehr der Darstellung des republikanischen Lagers, vor allem dem Umfeld der Internationalen Brigaden. Exemplarisch für die abenteuerliche Anreise der meisten Interbrigadisten stellte er in Die drei Kühe jene des Tiroler Kleinbauern Max Bair dar. Dieser hatte seine drei Kühe verkauft, um mit dem Erlös gemeinsam mit drei Freunden per Zug über Paris nach Spanien zu gelangen. Weil katholisch und ländlich geprägt, stellte Bair unter den Interbrigadisten vordergründig eine Ausnahme dar; in seinem Text wies Kisch jedoch gerade an Bairs Courage (er war aus einem abgeschiedenen Dorf in die Welt aufgebrochen) und seinem gelebten Gemeinschaftssinn (Bair hatte die Reise für seine Freunde finanziert) jene universellen Tugenden nach, die er in den Internationalen Brigaden verwirklicht sah.45 »Diese Formationen kamen nicht als Formationen […], ja kaum gruppenweise in den Krieg gezogen«, schrieb er dann allgemeingültig in Soldaten am Meeresstrand, »beinahe jeder Mann erschien allein, einzeln, auf eigenen Entschluß hin, aus persönlicher Überzeugung. […] [U]nd noch niemals gab es Freiwillige, denen auf ihrer Fahrt zur Freiwilligkeit ein derartiges Maß von Schwierigkeiten, Strapazen, Opfern auferlegt ward. Woher das Reisegeld nehmen? … Frau und Kind daheim … die Grenze … wieder eine Grenze … wieder Paßkontrolle … wieder Verhör … wieder Haft … die Entfernung vor dir … Hunger … Fußwanderung, Fußschmerz … ein hartnäckig dich begleitender, unheimlicher Hund … als blinder Passagier im Zug, als blinder Passagier im Laderaum eines Schiffes … kommst du noch zurecht? … kommst du noch zurecht?«46

43 Kisch an Haasová am 12. Dezember 1937, zitiert nach Haupt (Hg.) 1998, S. 231. 44 Kisch an Haasová am 28. Januar 1938, zitiert nach Haupt (Hg.) 1998, S. 232. 45 Vgl. Gatterer 2017, S. 203f. 46 Kisch ›Soldaten am Meeresstrand‹ 1976 [1937/38], S. 317.

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Die tödlichen Säuberungen, die stalinistische Kader vor Ort in den eigenen Reihen durchführten, fanden in Kischs Beschreibungen der Internationalen Brigaden keinen Eingang. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass er von derartigen Vorgängen wusste. Dass er sie verschwieg, könnte damit zusammenhängen, dass er der Spaltung des eigenen Lagers durch Berichterstattung über die inneren Spannungen keinen weiteren Vorschub leisten und den stalinistischen Terror auch nicht für die Nachwelt konservieren wollte. Bereits kurz nach seiner Ankunft hatte er jedenfalls nach Prag geschrieben: »Hoffentlich kommt auch zwischen den Arbeiterparteien eine starke Einigung zustande.«47 Jef Last überlieferte später in seinen Erinnerungen Kischs Ausspruch, wonach ihn die Nachricht vom faschistischen Bombardement einer Schule dazu neigen lasse, alles zu verteidigen, was in den eigenen Reihen geschehen sei, sogar die Schauprozesse.48 In Soldaten am Meeresstrand bemühte sich Kisch augenscheinlich darum, Hingabe, Engagement und die vielfältigen Formen der Zusammenarbeit auf republikanischer Seite einzufangen, die er während seines Aufenthalts in der Lazarettsiedlung von Benicàssim beobachtet hatte. Ausführlich berichtete er von der Arbeit der Chirurgen, Zahnärzte und Krankenschwestern, wie auch von improvisierten Theatervorstellungen und Vortragsabenden, an denen sich Verwundete, aber auch Kulturschaffende wie die Sänger Ernst Busch und Paul Robeson beteiligten. »Einer unserer wichtigsten und beliebtesten Mitarbeiter ist der Kamerad Egon Erwin Kisch, der immer mit Rat und Tat hilft«, gab Alice Glasner ihrerseits einen Bericht über Kischs Engagement in einer vor Ort publizierten Broschüre wieder. »Die schönsten Abende sind die, an denen er zu unseren Kameraden spricht. Aber auch sonst können wir auf seine Mitarbeit rechnen, sei es ein guter Rat für die Wandzeitung, oder die Kritik eines Vortrages.«49 Am Ende seiner Beschreibung der internationalen Solidarität von Benicàssim scheint Kisch deren nahendes Ende jedoch bereits zu ahnen: »Mit dem Aufheulen der Sirene kommt der neue Tag, er kommt von den Balearen her, von der italienischen Flottenbasis Mallorca, als ein stumpfer Winkel langsam heranschwirrender Bomber. […] So geschieht es, daß die Bombe ein Hospital anfällt, und nichts und niemand hält sie auf, im Bruchteil einer Sekunde wird sie ihr Mordgeschäft vollbracht haben. Im Bruchteil einer Sekunde … Wir liegen da, wir tun das gleiche, was die Lenker der demokratischen Staaten tun, wir stecken den Kopf in den Sand.«50 47 Kisch an Haasová am 6. Juni 1937, zitiert nach Haupt (Hg.) 1998, S. 214. 48 »When we heard in Madrid that yet another school had been bombed, Kisch remarked: ›When you hear of such horrors, when you realize what our enemies are, then your courage returns and again you feel inclined to defend everything that has been done on our side, even the trials!‹« Jef Last zitiert nach Patka 1997, S. 315. 49 Alice Glasner zitiert nach Patka 1997, S. 316. 50 Kisch ›Soldaten am Meeresstrand‹ 1976 [1937/38], S. 334f.

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Rückzug aus Spanien, Flucht aus Europa Nach der schweren Niederlage der Republikaner bei Teruel um die Jahreswende 1937/38 nahmen Francos Söldner Kurs auf Spaniens Ostküste, dem Lauf des Flusses Ebro folgend, um das verbliebene Territorium der Regierungstruppen in zwei Teile aufzuspalten. Kurz vor dem faschistischen Durchbruch zur Küste wurde Benicàssim am 6. April überhastet evakuiert. Kisch konnte mit seinem Bruder und Gisela Lyner (die seit Anfang August 1937 in Spanien weilte) vermutlich nach Barcelona entkommen; Ende April war er mit seiner Lebensgefährtin wieder unversehrt nach Versailles bei Paris zurückgekehrt.51 Anders als drei Jahre zuvor, als Kisch, aus Australien kommend, eine Welle der Begeisterung entgegengeschlagen war, lag die Stimmung der Exilanten in Paris nach seiner Rückkehr aus Spanien (auch infolge des im März 1938 erfolgten »Anschlusses« Österreichs) am Boden. Kisch hielt sein antifaschistisches Engagement trotz der zunehmend aussichtslos werdenden Lage aufrecht, schrieb und sprach weiterhin auch über die Ereignisse in Spanien,52 doch konnte er im engsten Freundeskreis seine Zermürbung nicht mehr verbergen. »Egon auf dem Weg vom Hôtel Moderne zum Versailler Bahnhof: ›Wir können ja gar nicht siegen. Sie sind zu stark, sie sind zu stark‹«, notierte Bodo Uhse in jenen Tagen in sein Tagebuch.53 Trotz des bedingungslosen Zusammenhalts, den Kisch unter den Exilanten immer wieder beschwor, begannen sich die Ereignisse in Paris allmählich zu überschlagen. »Der Rummel bei uns ist unbeschreiblich«, schrieb er im September 1938 nach Prag, »lauter Rückkehrer aus Spanien, denen es in Anbetracht der materiellen Verhältnisse hier schlecht geht.«54 Zeitgleich blickte er wegen der Verhandlungen über die Zukunft der Tschechoslowakei (Münchner Abkommen) gebannt auf die Heimat. Der mit Schrecken erwartete Einmarsch der Wehrmacht in Prag kappte die Verbindung wenige Wochen später endgültig. »[W]as kann man schreiben!«, verzweifelte Kisch in einem letzten Brief vom 27. September an Jarmila Haasová. »Das einzige: daß ich Dir Glück wünsche. Und uns auch.«55 Mit dem Überfall auf Polen und Beginn des Zweiten Weltkriegs stand Kisch (seit 1938 mit Gisela Lyner verheiratet) in Paris dann selbst mit dem Rücken zur

51 Vgl. Patka 1997, S. 317. 52 Am 4. September 1938 präsentierte Kisch gemeinsam mit Max Bair die Broschüre Die drei Kühe auf dem Pressefest der Zeitung l’Humanité in Garches nahe Paris – einem Volksfest mit nahezu dreihunderttausend Besuchern. Gatterer 2012, S. 83–85. 53 Bodo Uhse zitiert nach Patka 1997, S. 320. 54 Kisch an Haasová am 10. September 1938, zitiert nach Haupt (Hg.), S. 237. 55 Kisch an Haasová am 27. September 1938, zitiert nach Haupt (Hg.), S. 240.

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Wand.56 »Die, die nicht sofort eingesperrt wurden, weil sie zufälligerweise tschechoslowakische, ungarische, österreichische oder italienische Staatsbürger waren, wurden von der Polizei gesucht und hatten stets einen kleinen Handkoffer bereit mit zwei Hemden, zwei paar Socken und einer Hose, für den Fall, daß die Klingel ertönt und die Polizei erscheint«, berichtete er später über jene Pariser Wochen, in denen sein Schicksal wieder einmal auf Messers Schneide stand. »Eines Tages läutete es. Mit einem Blick auf meine Handkoffer öffnete ich die Tür, und, sieh da, es war nicht die Polizei, es war ein amerikanischer Journalist aus Paris, den ich ein wenig kannte. […] Und so schwamm ich eines Tages über die große Wassergrenze zwischen Krieg und Frieden, Faschismus und Demokratie, Europa und Amerika.«57 In Mexiko, wo Kisch wie viele andere europäische Antifaschisten dank der Hilfe des Exiled Writers Commitee und des mexikanischen Botschafters Gilberto Bosques von 1940 bis 1946 Aufnahme fand,58 sollte er seine letzten beiden Bücher Marktplatz der Sensationen (seine Autobiographie) und Entdeckungen in Mexiko fertigstellen. Die Erlebnisse aus dem Spanischen Bürgerkrieg fanden in keinen der beiden Bände Eingang, obwohl beide Bücher weit stärker auf historischen Recherchen und Reflexionen gründeten als Kischs gegenwartsbezogene Reportagen aus der Weimarer Zeit.59 Erst 1961, 13 Jahre nachdem Kisch in Prag gestorben war, veröffentlichten Gisela Kisch und Bodo Uhse eine Sammlung ausgewählter Spanientexte;60 in der später zusammengestellten Werkausgabe nehmen sie nur wenig Platz in Anspruch.61 Was Kisch von seinen Erfahrungen aus dem Spanischen Bürgerkrieg bis an sein Lebensende erhalten blieb, waren die engen persönlichen Bindungen zu FreundInnen und MitstreiterInnen, die sich über die Jahre des Weltkriegs, der Verfolgung, des Widerstandskampfs und des Exils erhalten hatten. So antwortete Kisch 1946 dem einstigen Tiroler Bauernjungen Max Bair, der aus dem NSWiderstand in Jugoslawien als frischgebackener Vater und kommunistischer Parteikader in seine Heimat zurückgekehrt war: »Mit der Gisl bin ich noch immer zusammen; von Spanienkaempfern haben wir noch mit vielen Kontakt; in New York trafen wir Angel und Ruth Jensen, hier [in Prag] sind die Aerztinnen Dora und Vlasta, die Apothekerin Helénka und die Verwalterin Alice und mein 56 Vgl. Patka 1997, S. 319–326. 57 Egon Erwin Kisch auf einer Rede vor dem Exiled Writers Committee, zitiert nach Patka (Hg.) 1998, S. 200. 58 Patka 1997, S. 326f, 335 u. 340. 59 Vgl. Patka 1997, S. 318. 60 Kisch, Gisela / Uhse, Bodo (Hg.): Egon Erwin Kisch: Unter Spaniens Himmel, Berlin 1961. Der Band enthält auch zwei Reportagen Kischs, die im Verlauf einer früheren Spanienreise (Jahre vor Ausbruch des Bürgerkriegs) entstanden sind. 61 Kischs bekannte Reportagen aus dem Spanischen Bürgerkrieg finden sich im 1976 von Gisela Kisch und Bodo Uhse herausgegebenen Band VI der Gesammelten Werke.

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Bruder, die alle mit uns in Benicasim waren und Dich gruessen lassen.«62 Auch Jarmila Haasová, Kischs tschechische Übersetzerin, hatte die NS-Besatzung Prags überlebt und konnte ihren Freund 1946 nach langen Jahren erstmals wiedersehen.

Fazit Egon Erwin Kisch erlebte den Spanischen Bürgerkrieg als exponierter Exilschriftsteller, dem die internationale Tragweite des Konflikts bereits im Sommer 1936 unmittelbar bewusst war. Als Publizist seit Jahrzehnten beruflich und politisch aktiv, hatte er klare Vorstellungen von den Aufgaben, die er als Antifaschist in der internationalen Auseinandersetzung zu erfüllen hatte. Im Sinne der Fortsetzung seiner Agitation gegen den europäischen Faschismus stellte sich Kisch als Kommunist klar auf die Seite der gewählten Volksfrontregierung, die er in seinen Texten während und nach Ende des Bürgerkriegs unmissverständlich verteidigte. 1937/38 reiste der 52-jährige Exilschriftsteller als Unterstützer der Republik selbst für zehn Monate nach Spanien. Dort griff er, einst Soldat im Ersten Weltkrieg, nicht mehr selbst zur Waffe, doch verstand er sich ebensowenig ausschließlich als Berichterstatter. Schreiben und Recherchieren verband Kisch durchwegs mit moralischer Unterstützung der Kämpfenden (im Rahmen von Truppenbesuchen an der Front) und Kulturarbeit (unter den Kriegsversehrten im Lazarett von Benicàssim). Auch vor und nach seinem Aufenthalt in Spanien engagierte sich Kisch gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Gisela Lyner publizistisch und materiell für (ehemalige) Spanienkämpfer. Als Schreibender verfolgte Kisch zwei Ziele: Mittels Presseberichterstattung wollte er die Weltöffentlichkeit über die gegenwärtigen Kämpfe in Spanien informieren und dabei ausdrücklich für ein Engagement zugunsten der Republik werben. Um letzteres zu erreichen, bediente er sich u. a. des propagandistischen Mittels der Diskreditierung, indem er ausführlich über die brutalen Flächenbombardements der Putschisten auf die spanische Zivilbevölkerung berichtete. Gleichzeitig wollte Kisch die Erfahrungswelt der Republikaner bereits vor Ort für die Nachwelt konservieren. In diesen Texten sparte er negative Entwicklungen wie die stalinistischen Säuberungen und den allmählichen Zerfall der Kampfeinheit durchwegs aus, um sich stärker darauf zu konzentrieren, seine Eindrücke von der gelebten Solidarität unter den freiwilligen Interbrigadisten als positive Exempel literarisch zu verewigen. 62 Brief von Egon Erwin Kisch an Max Bair vom 30. Oktober 1946, abgedruckt in Gatterer (Hg.) 2012, S. 149–151, hier S. 151.

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In seinem Gesamtwerk nehmen Kischs Texte aus dem Spanischen Bürgerkrieg quantitativ nur wenig Platz in Anspruch. Dies deshalb, weil seine journalistische und literarische Produktion bereits in Spanien durch die enorme Dichte an Ereignissen sowie schlechte Schreib- und Publikationsbedingungen erschwert war. Nach seiner Rückkehr nach Paris wurde die Verarbeitung der Bürgerkriegserlebnisse durch den faktischen Zusammenbruch der antifaschistischen Exiltätigkeit in Frankreich weiter unterbunden. Auch im mexikanischen Exil und in seinen letzten Lebensjahren in Prag gelang es Kisch nicht mehr, einen geschlossenen Reportagenband über den Spanischen Bürgerkrieg fertigzustellen; auch flossen seine Bürgerkriegserlebnisse nicht in seine Autobiographie ein. Qualitativ kann der Spanische Bürgerkrieg im Schaffensprozess des Reporters trotz der geringen Dichte an zeit- und themenspezifischen Publikationen dennoch als ein Wendepunkt identifiziert werden: Erlebte Kischs kämpferischer Journalismus der 1920er- und 30er-Jahre am Beginn des Spanischen Bürgerkriegs eine lineare Fortsetzung, so mischten sich bereits während des Aufenthalts in der Kampfzone ab Juni 1937 erste resignierende Untertöne in seine Texte. Mit der republikanischen Niederlage in Spanien, dem Bekanntwerden des Hitler-Stalin-Pakts und Ausbruch des Zweiten Weltkriegs musste der nach Paris zurückgekehrte Schriftsteller seine Arbeitsweise schließlich auch aufgrund drastisch verschlechterter Publikations- wie Lebensbedingungen ändern. Spätestens im weltpolitischen Abseits des mexikanischen Exils konnte er die öffentliche Meinung im faschistisch beherrschten Kontinentaleuropa über die Presse nicht mehr erreichen. Dies dürfte neben dem fortgeschrittenen Lebensalter des weitgereisten Reporters mit dazu beigetragen haben, dass Kisch in seinen letzten beiden Büchern von Gegenwartsbetrachtungen noch stärker zur Bearbeitung historischer und autobiographischer Themen überging. Auch diese Entwicklung hatte sich in seinen Veröffentlichungen aus Spanien latent angedeutet, zumal er den Bürgerkrieg in Reden und Texten nicht ausschließlich als erlebte Gegenwart, sondern gleichsam als Ereignis von historischer Tragweite zu erfassen suchte.

Bibliographie Balk, Theodor: Wen die Kugel vor Madrid nicht traf. Tagebuch-Roman über den Spanischen Bürgerkrieg und das Los der Spanienkämpfer, St. Ingbert 1996. Gatterer, Joachim (Hg.): Egon Erwin Kisch. Die drei Kühe. Eine Bauerngeschichte zwischen Tirol und Spanien, Bozen 2012 [1938]. Gatterer, Joachim / Stepanek Friedrich: ›Internationalismus und Region. Über die schwierige Einordnung antifaschistischer Spanienkämpfer in regionale Erinnerungsdiskurse am Beispiel Tirol und Südtirol‹, in: Geschichte und Region/Storia e regione 2016/1, S. 143–158.

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Gatterer, Joachim: ›Lokalgeschichte und Weltliteratur: Egon Erwin Kischs Spanienkriegsreportage »Die drei Kühe«‹, in: Pichler, Georg / Halbrainer, Heimo (Hg.): Camaradas. Österreicherinnen und Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939, Graz 2017, S. 197–207. Gatterer, Joachim: ›Nachwort‹, in: ders. (Hg.): Egon Erwin Kisch. Die drei Kühe. Eine Bauerngeschichte zwischen Tirol und Spanien, Bozen 2012, S. 41–129. Hackl, Erich: ›Vorwort‹, in: ders. (Hg.): So weit uns Spaniens Hoffnung trug. Erzählungen und Berichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg, Zürich 2016, S. 9–24. Hackl, Erich: So weit uns Spaniens Hoffnung trug. Erzählungen und Berichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg, Zürich 2016. Hahn, Manfred (Hg.): Willi Bredel. Spanienkrieg. II. Begegnung am Ebro, Berlin u. a 1986. Haupt, Klaus (Hg.): Egon Erwin Kisch. Briefe an Jarmila, Berlin 1998. Kisch, Egon Erwin: ›Auszug aus der Rede auf dem Internationalen Schriftstellerkongress, Madrid 1937‹, in: Kisch, Gisela / Uhse Bodo (Hg.): Egon Erwin Kisch. Unter Spaniens Himmel, Berlin 1961, S. 39–41. Kisch, Egon Erwin: ›Die Häuser und Paläste von Madrid‹, in: Kisch, Gisela / Uhse, Bodo (Hg.): Egon Erwin Kisch. Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Bd. VI, Berlin u. a. 1976 [1937], S. 336–345. Kisch, Egon Erwin: ›Egon Erwin Kisch zur Zeit an der republikanischen Front in Spanien‹, in: Der deutsche Schriftsteller, Juli 1937, S. 6. Kisch, Egon Erwin: ›Im ausgeräumten Prado‹, in: Kisch, Gisela / Uhse, Bodo (Hg.): Egon Erwin Kisch. Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Bd. VI, Berlin u. a. 1976 [1937], S. 306–310. Kisch, Egon Erwin: ›Matka Madrid‹ [Mutter Madrid], in: Rudé právo, 15. August 1937, o. S. Kisch, Egon Erwin: ›Soldaten am Meeresstrand‹, in: Kisch, Gisela / Uhse, Bodo (Hg.): Egon Erwin Kisch. Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Bd. VI, Berlin u. a. 1976 [1937/38], S. 311–335. Kisch, Egon Erwin: ›Valenica heute‹, in: Kisch, Gisela / Uhse, Bodo (Hg.): Egon Erwin Kisch. Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Bd. VI, Berlin u. a. 1976 [1937], S. 301–305. Kisch, Egon Erwin: ›Wie war der Weg nach Spanien? Eine Aufforderung von Egon Erwin Kisch‹, in: Volksillustrierte, 26. Juli 1937, S. 6. Kisch, Gisela / Uhse, Bodo (Hg.): Egon Erwin Kisch. Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Bd. VI, Berlin u. a. 1976. Kisch, Gisela / Uhse, Bodo (Hg.): Egon Erwin Kisch. Unter Spaniens Himmel, Berlin 1961. Molitor, Jan [Pseudonym von Josef Müller-Marein]: ›Egon Erwin Kisch‹, in: DIE ZEIT, 1948/15, verfügbar unter: http://www.zeit.de/1948/15/egon-erwin-kisch [20.11.2017]. Morelli, Anne: Die Prinzipien der Kriegspropaganda, Springer 2004. Patka, Marcus G. (Hg.): Egon Erwin Kisch. Eine Biographie in Bildern, Berlin 1998. Patka, Marcus G.: Egon Erwin Kisch. Stationen im Leben eines streitbaren Autors, Wien u. a 1997. Weinert, Erich: Camaradas, Dortmund o. J.

Romana Radlwimmer (Tübingen)

»Dónde acabo yo y dónde empiezas tú.« Arturo und Ilse Bareas sublime Wortarbeit am spanischen Bürgerkrieg

Den Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs schildert der Roman La llama – der letzte Band von Arturo Bareas autobiographischer Trilogie La forja de un rebelde – in jener Textstelle, die Muñoz Molina später als »unvergleichlich«1 in der spanischen Literaturgeschichte bezeichnen wird. Sie erzählt von den Ereignissen des 18. Juli 1936 im Madrider Stadtviertel Avapiés2 und hält, Kirche um Kirche, Gewalt und Zerstörung fest. Die titelgebende Flamme, La llama, bezeichnet das Brennen für und Verbrennen von Idealen und Gegenständen und sie hinterlässt, wo die Hitze abgeklungen ist, Porosität und Brüchigkeit. In diesem Szenario des Aufflammens und Auslöschens stellt sich die ontologische und epistemologische Frage, wer der Mensch sei: Vor das Geschehen der Erzählung schiebt sich ein Filter der Vulnerabilität, eine die Flammen feiernde »frenetische Menschenmenge« kontrastiert die Befindlichkeit des Protagonisten Arturo. Während andere tanzen, schreien oder hasten, setzt dieser sich tief berührt auf seinen Balkon, um seine Konflikte zu ordnen.3 Bareas eindrucksvolles Schaubild diskutiert die Idee des politischen Künstlers und künstlerischen Politikers, der sich ebenso kritisch wie verletzlich entlang von Bruchlinien bewegt. Er ist zerrissen, lehnt die Franquisten ebenso wie die Zerstörung im Namen des Freiheitskampfes ab. 1 Muñoz Molina 2017. 2 Barea folgt der alten Bezeichnung »Avapiés« für jenes Madrider Stadtviertel, das heute als »Lavapiés« bekannt ist. 3 »Esto fue lo que pasó en la noche del 18. […] El barrio entero olía a quemado y caía una lluvia finísima de cenizas. […] La iglesia de San Cayetano era una masa de llamas. […] Enfrente de la iglesia de San Lorenzo, una multitud frenética aullaba y danzaba caso en las mismas llamas. La Escuela Pía estaba ardiendo por dentro. […] Me fui a casa profundamente emocionado. Sentía un peso en la boca del estómago como si quisiera llorar sin poder. Surgían visiones de mi infancia y tenía la sensación de sentir y oler cosas que había querido y cosas que había odiado. Me senté en el balcón de la casa sin ver la gente [sic!] que pasaba […] hablando a gritos, traté de aclarar el conflicto dentro de mí. Me era imposible aplaudir la violencia. […] ¿Qué había ocurrido a la iglesia del colegio con sus viejos libros iluminados, con sus manuscritos únicos? […] Había visto demasiado de sus preparaciones para no creer que habían usado las iglesias […] como almacenes de guerra. Pero a pesar de ello, odiaba la destrucción […].« (Barea 1951b, S. 112ff.).

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Diese Position mobilisiert Widerstand gegen jene dominanten Handlungsmuster im beginnenden Bürgerkrieg, die der dichotomen Erzählung von Gewalt und Gegengewalt folgen. Widerstand ist, mit Judith Butler, zwar »im Sprechakt«, »im heroischen Kampf«, oder »in körperlichen Gesten« zu finden; der Widerstand des Protagonisten Arturo definiert sich jedoch zunächst in »der Weigerung, sich zu bewegen.«4 Der beginnende militärische Konflikt konfiguriert in La llama den Handlungsspielraum von Intellektualität neu. Mit seiner späteren Frau Ilsa leitet Arturo während der Guerra Civil die internationale Pressestelle der Republik, und an diesem intellektuellen Angelpunkt droht er zu zerbrechen. Bisher schien die Definition des »anderen (Spaniens)« abgemacht, ab sofort stehen aber zunehmend innerrepublikanische Spannungen im Vordergrund, die die vermeintlichen »dos Españas« als mehrfache, zerfurchte Versionen Spaniens entlarven. Über Gräben hinweg offenbaren sich verschiedene Versionen subjektiver Geschichtswahrnehmung. Zugleich festigt Arturo sich, quasi in einer Gegenbewegung, in dem mit Ilsa gewonnen Zwischenraum. Die »auswegslose Situation« wird so zur »paradoxen Bedingung einer gleichermaßen traurigen wie freudvollen Form« von Widerstand.5 Ilsa beginnt im Herbst 1936 im Zensurbüro zu arbeiten; Arturos erster Eindruck von ihr beschreibt sie als revolutionär und intellektuell. Arturo und Ilsa bilden bald ihr eigenes Mikronetzwerk, das sich anderen gegenüberstellt oder mit ihnen verbindet. Der urbane Raum versinnbildlicht Entzweiung und Vereinigung; in Ilsa trifft Arturo auf die, die er »schon immer, im absoluten Sinn« zu kennen glaubt.6 Diese Erzählung der Ganzheit überlagert Erzählungen des Zerrissenseins. Mit Ilsa kann Arturo aus sich selbst und einem ungeliebten Lebensentwurf ausbrechen, wird schriftstellerisch tätig und nimmt aktiv am Bürgerkriegsgeschehen teil. La llama ordnet an, was aus der Biographie der beiden Persönlichkeiten bekannt ist: die österreichische Spanienkämpferin, Autorin und Intellektuelle Ilse Kulcsar (später: Barea-Kulcsar) und der angehende Schriftsteller Arturo Barea lernen sich 1936 in Madrid kennen. Barea-Kulcsar – die Arturo Barea in seinem Roman und in biographischen Dokumenten als »Ilsa« hispanisiert – arbeitet an seinen literarischen Schriften in jeweils geringerem oder erhöhtem Ausmaß mit.7 Die gemeinsame Wortarbeit findet sowohl in der später literarisierten Zensur4 5 6 7

Butler 2016a, S. 278. Ebd., S. 35. Barea 1951b, S. 213. Barea-Forscher Nigel Townson informiert über die linguistische, intellektuelle und emotionale Bedeutung Ilse Barea-Kulcsars. Sie sei Arturo Bareas ständige Diskussionspartnerin, Stabilität und Inspiration, habe Schreibmittel besorgt, den Kontakt zur BBC vermittelt, habe seine Korrespondenz und später sein Werk posthum gepflegt. (Townson 2000, S. XXVf.).

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tätigkeit statt, als auch in der gemeinschaftlichen Suche nach differenzierten Ausdrucksformen, um den Spanischen Bürgerkrieg adäquat zu rekonstruieren.

Auflösung In La llama verwandelt der Bürgerkrieg urbane Sicherheit in poröse Struktur, trennt die Menschen voneinander und fragmentiert sie in sich selbst: »Ich zerfiel in Stücke, […] ich bemühte mich, diese meine Arme und Beine, diese Lungen und Eingeweide, die sich in nichts auflösten, wieder einzufangen. […] Und ich wußte [!], daß [!] jeden Augenblick die Explosionen wieder beginnen würden.«8 Die gestörte Körperwahrnehmung reflektiert die zerstörte Stadt. Klare Kategorien verschwimmen, im Herbst 1936 weiß in Madrid niemand mehr, »wer ein treuer Freund war; niemand war frei von Anklage oder Fehler«9. Identitäten stehen diffus gegeneinander quer; wo das »Ich« aufhört und das »Du« beginnt, wird im Kontext des Spanischen Bürgerkriegs zur spannungsgeladenen Frage. Die Erzählinstanz kontrastiert die autobiographische Erlebniswelt mit deren unterschiedlichen Akteuren und betrachtet die divergierenden Ansichten und Ereignisse als Versionen derselben unberechenbaren Größe, der Guerra Civil. Dementsprechend geht es nicht darum, Objektivität über den Krieg zu konstruieren, sondern um Subjektivität in Beziehung zu anderen Subjektivitäten und zur Außenwelt. »In der individuellen Vulnerabilität […] kann jedes ›Ich‹ potentiell erkennen, dass sein ganz eigenes Gefühl der Angst und des Scheiterns immer schon in eine größere soziale Welt eingebunden ist«10, meint Judith Butler. Persönliche Geschichten sieht Barea als Generationsgeschichten, die lange vor dem Bürgerkrieg beginnen und sich auf diesen hin zuspitzen.11 Barea-Kulcsar beschreibt den »Wunsch zu verstehen, was unter der Oberfläche der Fakten, Akte, Dinge und Gefühle passiert war«, der Barea dazu trieb, »sogar […] ephemere[n] Episoden […] irgendeine unbekannte menschliche Wahrheit abzuringen«.12 Über die Romantrilogie hinaus wird Subjektivität zum Kriterium der Erkenntnisfindung. In den essayistischen Studien setzen sich Arturo Barea und Ilse 8 »Me estaba despedazando; […] yo estaba tratando de recuperar estos brazos y estas piernas, estos pulmones y estas entrañas mías que se estaban disolviendo. […] Y yo sabía que en aquel momento iban a comenzar las explosiones«. – Barea 1951b, S. 285. (Dt. Barea 1955, S. 671–672). 9 »Nadie sabía quién era un amigo leal; nadie estaba libre de denuncia o del error«. (Barea 1951b, S. 202f.). 10 Butler 2016a, S. 33. 11 Barea 1956, S. 8f. 12 »[E]se deseo de comprender lo que había pasado bajo la superficie de hechos, actos, cosas y sentimientos, le forzaba a adentrarse aun en episodios efímeros para arrancarles alguna ignorada verdad humana.« (Barea 1988, S. 44). Diese und alle weiteren Übersetzungen, zu denen keine offizielle Fassung vorliegt, von Romana Radlwimmer.

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Barea-Kulcsar mit subjektivem Wissen im Werk von Miguel de Unamuno und Federico García Lorca auseinander – jener Intellektuellen, die sie für subtile Zusammenhänge des Bürgerkriegs als maßgeblich betrachten. In ihrem zusammen verfassten Band zu Unamuno sehen Barea und Barea-Kulcsar Subjektivität als »einzig mögliche wahrhaftige Herangehensweise«13, um Phänomene zu begreifen. Unamuno schreibe von intimen, spirituellen Bedürfnissen; kaum jemand könne gleichgültig bleiben, wenn Unamuno von seinen Sehnsüchten und Ängsten spreche.14 Intellektualität sollte mit ihrer subjektiven Perspektive bewusst umgehen; sie kann nicht nur mentale, sondern muss auch körperliche, emotionale und spirituelle Komponenten mit einbeziehen. Laut Butler verwandle sich der Körper in Artikulationsprozessen niemals »in reines Denken«, sondern tue »immer mehr und etwas anderes als das, was er gerade« artikuliere.15 Analog dazu zielt García Lorcas Poesie in Bareas Analyse mehr als bloß auf den Geist, sondern werde körperlich und emotional verstehbar. Nicht seine Relevanz in intellektuellen Kreisen habe seine Literatur so wirkungsmächtig gemacht, sondern die Gefühlsnuancen, die in seinen Gedichten und Stücken die Schützengräben Madrids erreichten, und die Verstehensprozesse, die sie dort auslösten.16 García Lorcas Poesie sei, ohne Spanien je benennen zu müssen, sensibler Übermittler spanischer Emotionen.17 Intellektuelle sind in Bareas Texten empfindsame, verletzliche und kritische Menschen, die am Leben involviert teilnehmen und inhumanen Verhältnissen öffentlich entgegentreten. Arturo Barea und Ilse Barea-Kulcsar sind selbst unter dem Gesichtspunkt von Intellektualität betrachtet worden, wobei in propagandistischen Annäherungen Ilse Barea-Kulcsar aus Bareas Schaffen eliminiert wird. Das Franco-Regime sah in Arturo Barea ein »klassisches Beispiel« eines »ultralinken [...] Intellektuellen«.18 In Lateinamerika wurde der Schriftsteller nicht nur feierlich empfangen, sondern auch als stalinistischer Intellektueller diffamiert.19 Eine völlig andere Linie vertritt diesbezüglich jene Barea-Forschung, die dem Autor in unterschwelliger oder expliziter Referenz auf seinen nicht-akademischen Bildungsweg den Status des Intellektuellen abspricht und ihn als »wenig raffinierten Schriftsteller der Arbeiterklasse«20 abstempelt. Die Bareas tragen in ihren Selbstdarstellungen

13 Barea 1952, S. 27f. 14 Hier beziehen sich Barea und Barea-Kulcsar konkret auf Unamunos Del sentimiento trágico de la vida. (Barea 1952, S. 27f.). 15 Butler 2016a, S. 231. 16 Barea 1956, S. 10f. 17 Ebd., S. 10. 18 Zitiert aus: Eaude 2009, S. 106. 19 Ebd., 106. 20 »escritor poco refinado de la clase obrera« (Townson 2000, S. XIII).

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zu dieser Interpretationsschiene bei, evaluieren freilich die eigene literarische Sympathie für die »Arbeiterklasse« nicht als intellektuellen Nachteil, sondern vom Standpunkt des epistemischen Privilegs aus. Spaniens »einfache Leute« wissen sich, so Barea, in Würde als »ganze Menschen«; ihre Fähigkeit, die Zukunft zu gestalten, sei ihr kulturelles Kapital.21 In einem demokratischen, antifaschistischen Spanien, in dem »freier spanischer Intellekt« herrsche, sollten »unsere besten Intellektuellen« mit arabischen und hispanoamerikanischen Intellektuellen in »freiem Austausch« stehen.22 In ihrem Briefwechsel mit Guillermo de Torre unterscheidet Ilse Barea-Kulcsar ihre eigene professionelle, kritische Geisteshaltung von der direkten Vision und sinnlichen Interpretation ihres Mannes.23 La llama gehe von seinem proletarischen und anti-intellektuellen »background« aus; der Verkaufserfolg des Buches verdanke sich mehr dem halbintellektuellen Publikum und weniger den »highbrows.«24 So sehr sie Intellektualität reflektieren und generieren, so sehr verabschieden Barea und Barea-Kulcsar elitäre Haltungen darüber. Sie beanspruchen jedoch von Intellektuellen wesentlich, unterschwellige Nuancen wahrnehmbar zu machen. Bareas literarische Texte und Barea-Kulcsars Übersetzungen wollen den ganzen Körper hören und verstehen, wenn Menschen nach innen sprechen, wenn ihre Worte nicht aus dem Mund kommen, sondern nach innen klingen.25 Dieser Fokus auf unausgesprochene Zwischentöne spiegelt sich in subtiler Wortarbeit, die sich betont handwerklich gibt.

Vulnerabilität Ihre programmatische Hinwendung zum oberflächlich Verborgenen, in dem verletzte und verletzliche Verhältnisse offen gelegt werden, verbinden Arturo Barea und Ilse Barea-Kulcsar mit der Vorliebe für sublime Sprachregister. Gayatri Chakravorty Spivak denkt über die »Transformation des Abgrundes […] von angsterfüllt zu sublim« nach; in Kants Klassifizierung des ästhetischen Urteils finde diese Transformation durch »die ergänzende Meditation des Verstandes« statt.26 In ihrer absichtlich »fehlerhaften«27 (also brüchigen, weil dekonstruktiven) Kritik an Kant bezieht Spivak den »Abgrund« auf die Unendlichkeit, 21 Barea 1951b, S. 59. 22 Ebd., S. 126f. 23 Barea 1946, S. 2V–2R. 24 Ebd., S. 2V. Akzentsetzung i. O. 25 »A veces, los hombres parece que hablan hacia adentro. Las palabras no salen de la boca, suenan dentro. […] Se les oye todo su cuerpo.« (Barea 1951a, S. 224). 26 »the transformation of the abyss […] from fearful to sublime through the supplementing meditation of reason« (Spivak 1999, S. 15). 27 Ebd., S. 9.

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die als schrecklich oder erhaben verstanden wird. Der Abgrund in La llama ist jedoch die im Bürgerkrieg willkürlich lauernde Endlichkeit; das darin stattfindende Leben die mögliche Unendlichkeit, die nuancenreich festgehalten werden soll. Spivak warnt davor, Verstand höher als Sensibilität zu bewerten, besonders da wir programmiert seien, Vorstellungswelten als minderwertig zu fühlen.28 Spivak stellt Kants rationaler Auffassung eine »übergeordnete Kategorie des ›dynamisch‹ Sublimen«29 gegenüber, in dem das Sublime die Möglichkeit eines »anderen Sprechens« bedeutet.30 Ihr Text verortet sich sprachlich in sinnlicher Welt; auch La llama begegnet dem Kriegsgeschehen mit Empfindsamkeit. Der Stil wird bedacht gewählt, um sich aus den medialen republikanischen Epizentren an die Guerra Civil anzunähern, und lässt sich als »Critical Intimacy«31 begreifen, jener bemerkenswerten Antwort Spivaks auf die Frage nach ästhetischer Urteilskraft. In »kritischer Intimität« entwerfen sich nach Spivak ästhetische Vorgänge, die zweifeln, zögern oder stolpern, die das Andere unbenannt lassen, Fragen verschieben oder ihnen ausweichen. »Es ist kritische Intimität, nicht kritische Distanz. Man spricht tatsächlich von Innen.«32 Das bedeutet in Phänomene hineinzugehen, um sie und sich selbst zu dekonstruieren ohne anzuklagen; umzudrehen und sich umdrehen zu lassen.33 Bareas literarische Texte und Barea-Kulcsars Übersetzungen derselben sprechen in dieser Weise aus dem Innen. Ihre Worte, niemals distanziert, loten die öffentlichen wie privaten Verbindungen von Intimität, Verletzlichkeit und Widerstand in Bezug auf die Guerra Civil kritisch aus. Diese Zusammenhänge lassen sich mit Judith Butler als narrative Strukturen beschreiben, in denen Widerstand zu Vulnerabilität führe und Vulnerabilität zu Widerstand; dabei werde Vulnerabilität zu einer potentiell effektiven Mobilisierungskraft.34 La llama geht mit dem Bürgerkrieg eine Nahbeziehung ein, betrachtet ihn von innen heraus, verletzlich, aber nicht schwach. Ein involvierter Protagonist widersteht der Distanz, wo immer er sie ortet. Als Arturo seine Wahrnehmung nicht mit der Kollegenschaft der Zensurstelle teilen kann, wird ihm der Informationsfluss gleichgültig. »Ich verlor mein Interesse an der Büroarbeit […], […] unter dem Druck einer wachsenden passiven Resistenz der Zentrale in 28 Freilich bedeutet diese Position Spivaks Teilnahme am aufklärungskritischen Diskurs postkolonialer Dekonstruktion. (Ebd., S. 10f.). 29 »the superior category of the ›dynamic‹ sublime« (Ebd., S. 11). 30 Dieses »andere Sprechen« ist für Hartley ein postkoloniales Sprechen; hier fügt sich meine Lesart ein, die sich auf Spivaks Abwendung vom rein rationalen Sprechen und die Hinwendung zum sensiblen/intimen Sprechen (das Rationalität nicht ausschließt) konzentriert. (Hartley 2003, S. 235). 31 Ebd., S. 114, S. 198, S. 242f., S. 425. 32 »It’s critical intimacy, not critical distance. So you actually speak from inside«. (Spivak 2016). 33 Spivak 1999, S. 425. 34 Butler 2016b, S. 14.

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Valencia. Mein ganzes Vorstellungsvermögen war damit beschäftigt, die Triebfedern, von denen andere Menschen in unserem Kriege bewegt wurden […], zu begreifen.«35 Sensibilität ist Teil von Vulnerabilität, die man, wie Judith Butler erinnert, »nicht ausschließlich mit Verletzlichkeit assoziieren [darf]. Unsere Empfänglichkeit für alles, was geschieht, ist immer eine Funktion und eine Wirkung der Vulnerabilität.«36 Im Kriegsgeschehen von La llama bedeutet Sensibilität die Hinwendung zu Menschlichkeit, zugleich aber die direkte, physische Auseinandersetzung mit Unmenschlichkeit. Intimität und Vulnerabilität sind auch als »politische Modalität[en] des Körpers« begreifbar, wobei dieser »eindeutig als ein menschlicher«, aber auch »als der eines menschlichen Tieres zu verstehen« ist.37 Verwundbarkeit macht aus Menschen Körper; der Bürgerkrieg entmenschlicht, in ihm sind Körper das sichtbare Ziel von Gewalt: »Die Granate, von der die alte Straßenhändlerin […] getroffen wurde, schleuderte eines ihrer Beine in die Mitte der Straße. Der November […] verwandelte [das, was ein Frauenbein gewesen war,] in die dreckigen Lumpen einer Bettlerin.«38 Ein entsetzter Erzähler nimmt Menschenkörper als Einzelteile wahr, fühlt Benommenheit, betrachtet Fleischfetzen eines Gehirns, die noch lebendig an einer Scheibe kleben.«39 Trotz ständiger körperlicher Bedrohung müssen die Madrider ihre Stadt weiter begehen, in ihr leben. »Wenn wir auf der Straße sind, dann weil wir Körper sind, die auf öffentliche Unterstützung angewiesen sind«40, definiert Judith Butler Vulnerabilität als körperliche Handlung, die im öffentlichen Raum vollzogen wird. »Wir sind […] als Körper verwundbar durch andere und durch Institutionen, und diese Vulnerabilität macht einen Aspekt der sozialen Daseinsweise von Körpern aus.«41 Die physische Ebene ist im Bürgerkriegsgeschehen die wohl offensichtlichste, aber nicht die einzige, auf der Nähe und Distanz, Verletzlichkeit und Empfindsamkeit unterschiedliche Bedeutungen generieren. Butler weist darauf hin, »dass die Benennung der Verwundbarkeit […] in dem Fall, dass sie die Form der politischen Forderung auslöscht, genau den Zustand noch stärker zemen-

35 »Perdí mi interés en el trabajo de la oficina […], manteniendo una resistencia pasiva y creciente contra los dictados de la oficina de Valencia«; »Lo que ocupaba mi imaginación era el entender los impulsos que movían en nuestra guerra a otras gentes«. (Barea 1951b, S. 286. Dt. Barea 1955, S. 672f.). 36 Butler 2016a, S. 271. 37 Butler 2016a, S. 270. 38 »La granada que mató a la vendedora de periódicos […] lanzó una de sus piernas al centro de la calle, lejos del cuerpo. Noviembre […] la convirtió de pierna de mujer en pingajo sucio de mendigo«. Barea 1951b, S. 203. (Dt. Barea 1955, S. 612). 39 »No sentí más que estupor. Miraba la piltrafa pegada al cristal […]. Todavía viva. […] La piltrafa de un cerebro humano.« (Barea 1951b, S. 273). 40 Butler 2016a, S. 181. 41 Butler 2016a, S. 269.

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tiert, den sie doch zu lindern versucht«42. Als Arturo und Ilsa angeblich zu ihrem eigenen Schutz aus Madrid weggeschickt werden, wird Vulnerabilität – und davor warnt Butler – dazu benutzt Repression auszuüben. Bei ihrer Rückkehr sind sie von der Pressestelle gekündigt. Die Instrumentalisierung von Vulnerabilität verdeutlicht in La llama die interne Brüchigkeit der republikanischen Intelligentsia; wird sie sichtbar gemacht, bleibt die Option des Menschseins bestehen. Sich verletzlichen Situationen involviert oder distanziert zu nähern, wird eine essentielle Entscheidung, von der aus sich weitere politischen Möglichkeiten eröffnen oder verschließen. La llama ist ein Plädoyer für kritische, involvierte Betrachtung, um der Unmenschlichkeit des Kriegs zu widerstehen.

Intellektualität Als anerkannt darf betrachtet werden, dass sich in Arturo Bareas autobiographischer Romantrilogie literarische und historische Qualität überlappen.43 Eine »lyrische Welt der Empfindungen«44 gibt intellektuelle Netzwerke des Bürgerkriegs wieder, die in ihrer Literarisierung eindrucksvolles Zeitzeugnis sind.45 In ihrer Pressearbeit diskutieren Arturo und Ilsa Intellektualität. Ihnen obliegt geistige Verteidigungsarbeit, sie übersetzen und bestimmen über den Nachrichtenfluss. Ich war überzeugt, dass die verfolgte Zensurpolitik dumm war. Aber wenn ich mit den Journalisten zu tun hatte, erboste mich die zynische Sicherheit, mit der sie unsere Niederlage als gegeben annahmen und Sensationen herauszupressen versuchten. Die Folge war, dass ich die offiziellen Anordnungen mit wilder Wut durchführte, als könnte ich durch das Unterdrücken eines einzigen Satzes eine verhaßte [!] und gefürchtete Tatsache ausmerzen.46

42 Butler 2016a, S. 187. 43 »La forja de un rebelde pertenece tanto a la historia de nuestra literatura como a la historia de nuestro pueblo« (Fernández / Herrera Rodrigo 1988, S. 145). Diese Rezeptionslinie hat sich seit den 1980er Jahren kaum verändert. Die Trilogie sei «uno de los mejores análisis de la […] historia de España« (Torres Nebrera 2001, S. 141). 44 Fernández / Herrera Rodrigo 1988, S. 145. 45 Der Ausdruck »novela de la guerra civil« sei ambivalent, weil damit eine zeitliche oder eine thematische Kategorie gemeint sein könne (Herrera Rodrigo 1988, S. 20). Der Fall Bareas und BareaKulcsar positioniert sich inmitten dieser Ambiguität. Sie beginnen im Bürgerkrieg zu schreiben bzw. literarisch zu übersetzen, der Großteil ihrer Bürgerkriegsnarrative wird jedoch im Exil verfasst. 46 »Me sentí convencido de que la política que se seguía con la censura […] era estúpida. Pero cuando me enfrenté con los periodistas, me encorajinó la seguridad cínica con la que daban nuestra derrota por cierta y trataban de infiltrar sensaciones en sus despachos; como consecuencia, me dediqué a cumplir las órdenes oficiales con una furia salvaje, como si, suprimiendo frases aquí o allá, estuviera suprimiendo un hecho real cuya idea me era odiosa.« (Barea 1951b, S. 173, Dt. Barea 1955, S. 587). [Hervorhebungen durch die Autorin].

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Die Wortarbeit der Zensur besteht darin, Sätze zu unterdrücken oder zuzulassen. Empfindungen werden infiltriert, eingeschmuggelt; eine vermeintlich faktisch agierende Informationspolitik gehorcht emotionalen Vorgängen, in denen Sicherheiten und Überzeugungen zwischen zynischer Distanz (der Journalisten) und zorniger Involviertheit (Arturos) schwanken. Woraus, fragt Spivak, wird Geschichte gemacht, wenn sie sie passiert?47 Um ihre »unnahbare Intimität zu begreifen«, brauche es eine Geschichtsschreibung, die nicht nur intellektuelle Analyse großer Ereignisse sei, sondern Details berücksichtige, mit denen ein »kontinuierlich-scheinendes« Selbst für das Alltagsleben zusammengesetzt werde.48 Es ginge darum, eine Vergangenheit der Erinnerung zu schreiben, die sich in verschieden verbundenen Subjekten verschiedenartig konstituiere, was Spivak als »Ausblenden« (der großen Ereignisse und ihrer objektiven Darstellbarkeit) bezeichnet, das Literatur rhetorisch zu fassen suche, von gewöhnlicher »historischer Fiktion« jedoch verleugnet werde.49 In dem Gestus, Subjektivitäten miteinander zu verbinden oder gegeneinander zu lesen, und objektive Kohärenz auszublenden, ist La llama unnahbarer Intimität auf der Spur. Der Bürgerkrieg wird kritisch aus der Insiderperspektive des Zensurbüros beleuchtet. Arturos Aufgabe, die Republik vom Schreibtisch aus zu verteidigen, ist konfliktgeladen. Arturo lehnt »kollektive Brutalität« und »Feigheit« generell und auch im republikanischen Lager ab.50 Die Falange intellektuell zu bekämpfen bedeutet nicht, die immer weiter wachsende Kluft zum republikanischen Lager zu ignorieren. Sie drückt sich etwa in dem narrativ inszenierten Misstrauen gegenüber den Amtsinhabern aus, wie gegen seinen Vorgesetzten im Ministerio de Estado, Luis Rubio Hidalgo, dem »Vertrauensmann« vom Minister Álvarez del Vayo.51 Arturo bleibt die Rhetorik der Parteispitze fremd. Seine intellektuelle Arbeit ist nicht nur mental, sondern emotional und körperlich erfahrbar und als solche bedroht. Der nächtliche Weg zum Arbeitsplatz führt durch die verwundete und verwundende Stadt.52 Als die Regierung angesichts des vermeintlichen bevorstehenden Falls Madrids nach Valencia flieht, will Hidalgo das Zensurbüro auflösen und journalistisches Material verbrennen. Im Krieg der Bilder und Emotionen nimmt Arturo die Fotos der toten Kinder aus Getafe an sich, um sie durch mediale Unterdrückung nicht noch einmal zu verwunden.53 »Bilder […], die das Elend des

47 Spivak 1999, S. 238. 48 »attempting to grasp the inaccessible intimacy«; »I am speaking of a history that can attend to the details of the putting together of a continuous-seeming self for everyday life«. (Ebd., S. 238). 49 Ebd., S. 239. 50 Barea 1951b, S. 147. Diese Textstelle bezieht sich explizit auf die Menschenmenge, die zu Beginn des Bürgerkriegs Exekutierte im Matadero Madrid beschauen. 51 Barea 1951b, S. 166. 52 Ebd., S. 166. 53 Ebd., S. 183.

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Krieges zeigen«, meint Judith Butler, stellen »eine besondere Form der ethischen Bitte« dar, »die uns dazu zwingt, uns mit Fragen von Nähe und Distanz auseinanderzusetzen«.54 Wo die Regierung sich distanziert, nähert sich Arturo an; in einem widerständischen Akt entscheidet er, die Zensurstelle weiterzuführen und ihre Leitung zu übernehmen.55 Der von innen erlebte Bürgerkrieg – vor allem die Gewalt der Belagerung Madrids 1936 – zermürbt Arturo; die gemeinsame Leitung der Pressestelle mit Ilsa erleichtert seine Gemütsverfassung jedoch. Ihr Büro wird wichtiger politischer und künstlerischer Treffpunkt, ein Ort, an dem sich ein internationales Intellektuellen-Netzwerk aufbaut. Beiläufig tauchen hier Personen wie der General auf, der Ilsa als angemessen intellektuelle Diskussionspartnerin wählt, während Arturo sich durch die Augen des Generals als romantisch, emotional und irrational darstellt.56 »Immer mehr Schriftsteller und Journalisten kamen. Ernest Hemingway traf ein […]. Dann arbeitete er mit Joris Ivens an dem Film ›Spanische Erde‹ […].Martha Gellhorn […] traf ein und wurde von Hemingway […]eingeführt«.57 Den anregenden Austausch im Zensurbüro zerfurcht jedoch der von Granaten, Angriffen und Todesopfern geprägte Alltag, der Arturos Panikattacken auslöst. Der Besuch von John Dos Passos, dessen sanftes und tiefgreifendes Verständnis Arturo und Ilsa bewundern, ist willkommene Abwechslung. Dos Passos’ spätere literarische Verarbeitung beschreibt die Zensoren als einen vom Krieg gezeichneten »leichenhafte[n] Spanier und eine rundliche kleine Österreicherin«58. Arturo ist an sich »selbst gekettet« und in sich »selbst gespalten«59. Für Judith Butler ist »die Organisation der Infrastruktur auf Engste mit dem individuellen Lebensgefühl […] verknüpft«60; in Arturos bestürzter Analyse funktioniert der Bürgerkrieg aufgrund jener von kleinen und irrationalen Dingen, welche tiefen und undefinierten Emotionen entsprächen.61 Arturo beginnt zu schreiben und gestaltet als La Voz Incógnita de Madrid Radiosendungen, die sich vom politischen Kommentar entfernen. Diese Neuinterpretation seines öffentlichen

54 Butler 2016a, S. 135. 55 Barea 1951b, S. 195. 56 Ebd., S. 251. 57 »Vinieron más periodistas y más escritores. Llegó Ernest Hemingway […]; con Joris Ivens se lanzó a producir la película ›Spanish Earth‹ […]. Llegó Martha Gellhorn y Hemingway la presentó«. (Ebd., S. 268, Dt. Barea 1955, S. 656). 58 »español cadavérico y una mujer austríaca regordeta« (Ebd., S. 280, Dt. Barea 1955, S. 667). 59 »[E]staba encadenado a mí mismo y dividido dentro de mi mismo«. (Ebd., S. 281, Dt. Barea 1955, S. 667). 60 Butler 2016a, S. 32. 61 »cosas pequeñas e irrazonables, cosas que respondían sólo a emociones hondas e indefinidas« (Ebd., S. 286).

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Auftretens wird von der Parteispitze wenig geschätzt.62 Die erste Kurzgeschichte Arturos wird in London publiziert, allerdings ebenfalls mit ironischem Hinweis auf die Art, in der der Autor und Zensor seine Rollen vermische63. Arturo entwickelt sich in seiner Rolle des künstlerischen und politischen Akteurs immer weiter. Der präsentierte Intellektualitätsentwurf basiert auf betonter Verbundenheit zur bescheidenen Herkunft, politischer Überzeugung auf Seiten der Republikaner, der entscheidungstragenden Funktion im Informationsfluss, der Interpretation des Zensurbüros als internationale intellektuelle Anlaufstelle, der wöchentlichen Radioshow, der schriftstellerischen Tätigkeit. Dabei gilt das Interesse weniger den harten politischen Fakten als dem unbewusst Verborgenden, den Emotionen, Wünschen und Träumen des Bürgerkriegs. Diese Auslegung setzt den Intellektuellen mit dem verletzlichen Beobachter gleich. Arturos Subjektivität ist in Verbindung zu Ilsa zu lesen, die im republikanischen Madrid großen »intellektuellen Einfluss«64 habe. Sie wird wiederholt für ihre Gegner, die »nicht an intelligente Frauen gewöhnt«65 waren, als »zu klug«66 und als zu gut vernetzt dargestellt: »Du kennst zu viele Menschen […]. Du weißt zu viel und bist zu gescheit. […] [E]ben deshalb mußt [!] du fortgehen«67. In der narrativen Logik des Romans ist es diese Eigenständigkeit der Kritik- und Handlungsfähigkeit, die Konflikte mit verschiedenen Kräften der republikanischen Parteispitze und vor allem mit dem kommunistischen Flügel hervorruft. Ihre intellektuellen Vernetzungen können dennoch nicht effektiv blockiert werden, da die anerkannte Autorität, die sich beide erarbeitet haben, stärker ist als offizielle Verbote und Regulierungen. Langfristig jedoch werden Arturo und Ilsa Madrid noch vor Ende des Bürgerkriegs verlassen und nicht mehr dorthin zurückkehren. Die erzählten intellektuellen Netzwerke, Tätigkeiten und Entwürfe im republikanischen Madrid sind geprägt von Brüchigkeit, die sich einerseits aus dem Kriegsgeschehen selbst erklärt, das der Protagonist als intime Erfahrung erlebt und ihn tief auf körperlicher und emotionaler Ebene erschüttert, seine Denkarbeit lenkt und ihn zu subtilen Ausdrucksformen führt, die die Risse begreifen wollen. Andererseits erklärt sie sich aus den Furchen in den republikanischen Reihen, die Ilsa und Arturo in jener widerständischen Haltung gegenüber dem Eigenen positioniert, die kritische Intellektualität generell ausmacht. Ihr Beitrag zum Spanischen Bürgerkrieg geht über die Parteidirektiven, denen sie Folge leisten sollen, hinaus, hinein in einen öffentlich engagierten, kritischen und 62 Ebd., S. 293. 63 Ebd., S. 328. 64 Ebd., S. 324. 65 Ebd., S. 333. 66 Ebd., S. 325, S. 333. 67 »Sabes demasiado, conoces mucha gente […]. Eres demasiado inteligente […], así que te tienes que marchar.« (Ebd., S. 333, Dt. Barea 1955, S. 706).

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widerständischen Intellektualitätsentwurf, der die Protagonisten in ihrer öffentlichen und privaten Rolle verletzbar macht.

Zusammenfluss Die zerbrochenen Verhältnisse des Bürgerkriegs soll die intime Verbindung des »Ichs« zum »Du« ausgleichen – sowohl in der Literarisierung subjektiver Empfindung als auch in der Übersetzungsarbeit wollen Gräben überwunden werden. Die fließend ineinander übergehende Wortarbeit von Ilse Barea-Kulcsar und Arturo Barea wird in den Texten der beiden, aber auch in der Forschung reflektiert. Ilse Barea-Kulcsar spricht von »unserer schönen und fruchtbringenden Zusammenarbeit in einundzwanzig gemeinsamen Jahren«68 und führt aus, wie die Publikationen ihres Mannes aus gemeinsamer Erzählgewohnheit erwuchsen.69 Ähnlich berichtet der autobiographische Erzähler in La llama, er habe seine erste Kurzgeschichte über einen Rekruten im Schützengraben Ilsa zu lesen gegeben; wenn sie ihm gesagt hätte, sie sei nicht gut, hätte er wohl nie wieder versucht zu schreiben, denn er meint, dies hätte bedeutet, dass er nicht in der Lage war, die geheimen Quellen der Dinge zu ergründen.70 Die Verbindung mit Ilsa erscheint aus Sicht Arturos als kathartische Auflösung. In ihr fügt sich Zerrüttetes wieder zusammen: »Meer und Himmel waren zwei Schattierungen des gleichen sanften Blaus und verschwammen in der diesigen Ferne ohne eine Grenzlinie. […] Mein Nacken lag auf ihrem nackten Arm, Haut an Haut. Ich weiß nicht mehr, wo ich aufhöre und wo du anfängst«71. Solch Zusammenfließen verteidigt, komplementär zur intellektuellen Arbeit am Bürgerkrieg und ihren erhofften sozialen und politischen Folgen, emotional erfüllte Subjektivität. Verletzlichkeit, ihrer selbst und anderer, ist Teil von Arturos und Ilsas Vereinbarung von Nähe, die sie gegen alle Widrigkeiten und über alles stellen. Judith Butler definiert Widerstandspraktiken als »Parken meines Körpers inmitten der Handlung eines anderen« und als »etwas, das aufgrund der Beziehung zwischen uns geschieht, das aus ebendieser Beziehung hervorgeht«, das »zwischen dem Ich und dem Wir laviert«.72 68 »nuestra hermosa y fértil colaboración en veintiún años de nuestra vida común« (Barea 1988, S. 45). 69 Ebd., S. 44. 70 »[E]scribí mi primer cuento sobre un miliciano en una trinchera […]. Se lo di a Ilsa […]. Si hubiera dicho que no era bueno, creo que nunca hubiera intentado volver a escribir, porque hubiera significado que no era capaz de tocar las fuentes escondidas de las cosas.« (Barea 1951b, S. 286f.). 71 »El mar y el cielo eran dos tonos distintos de un mismo azul suave, que se fundían en un resplandor lejano, sin líneas que las dividiera. […] Tenía mi cuello sobre su brazo desnudo, piel sobre piel […]. – No sé más dónde acabo yo y dónde empiezas tú«. (Ebd., S. 245, Dt.: Barea 1955, S. 638f.). 72 Butler 2016a, S. 17.

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Widerstand wird so als »Zusammenarbeit, die weder eine halluzinatorische Verschmelzung noch Verwirrung ist«73 definiert und unterscheidet nicht mehr, wo das »Ich« aufhört und das »Du« beginnt, »dónde acabo yo y dónde empiezas tú«. Wenn gegen die Unsicherheit des Bürgerkriegs narrativ inszenierte Harmonie jedoch ungefiltert auf das Leben von Barea und Barea-Kulcsar übertragen wird, verdecken sich Bruchlinien der Rezeptionsansätze. Die komplexe Beziehung von »Realität« und »Fiktion« wird dann als einfache Übereinstimmung von autobiographischer Literatur und biographischer Geschichte verhandelt. Die Lesart der Romanbeziehung Arturo-Ilsa weicht gewöhnlich wenig vom biographischen Zugang an die beiden öffentlich wirkenden Persönlichkeiten Arturo Barea und Ilse Barea-Kulcsar ab. Der perfekte Zusammenfluss mit Ilsa stimmt mit Idealvorstellung Arturos von »la mujer« überein, mit der er sein privates, aber auch sein intellektuelles und künstlerisches Leben teilen möchte. In diese Idealvorstellung wird Ilsa, als sie auftritt, bruchlos eingefügt, und mit ihrem Erscheinen wird »la mujer« zu »mi mujer«.74 Biographische Dokumente belegen den literaturwissenschaftlichen Gemeinplatz, dass literarisierte und biographische Beziehung nicht ident sein können. Ein Briefwechsel Arturo Bareas an seine Frau von 1939, den Townson in Palabras recobradas anordnet, überrascht in dem Maße, wie darin Ilse Barea-Kulcsars Stimme fehlt und Arturo Bareas Stimme sich an sich selbst reiht. Barea-Kulcsars Abwesenheit ist begleitet von diskursiver Verletzlichkeit und Widerstand gegenüber der Distanz.75 Die Einheit jener, die vergessen wollten, wo der eine aufhört und die andere beginnt, bedeutet, wo sie vom Autobiographischen ins Biographische leitet, die Übernahme der narrativ inszenierten Bruchlosigkeit in der biographischen Rezeption. Die intellektuelle Verbindung der beiden ist in die gemeinsame Editions- und Übersetzungsgeschichte eingeschrieben, die von der Forschung kritisch rekonstruiert wird, wobei die Aufmerksamkeit beinahe immer auf der Romantrilogie liegt.76 Wie allgemein bekannt ist, erscheint La forja de un rebelde zunächst auf

73 Ebd., S. 17. 74 Barea 1951b, S. 57; S. 214. 75 »Hoy no tengo carta tuya ¡Antipática! ¡Fea! ¡Bolichón! Todo eso y mucho más que no se puede escribir con muchos besitos detrás de las orejas«; »[L]a tarjeta me ha puesto de mal humor, pensando que hoy no iba a tener más noticias tuyas y me parecía una tacañería«; »Chachita mía: ¡Dos días sin carta!«; »Acabo de recibir tu carta del domingo, muy cortita. […] Bueno, aunque no haya carta tuya te escribiré, no pongas mala cara ¡feucha!«. (Barea 2000, S. 680ff.). 76 Die Rezeption zu Bareas Schaffen ist daher lückenhaft, und es besteht, wie Townson bemerkt, ein deutlicher Bruch zwischen der Berühmtheit von La forja de un rebelde und der relativen Unkenntnis des übrigen Werks. Dies erklärt Townson mit der Tatsache, dass Barea Spanien als unbekannter Autor verlässt und erst in Großbritannien zum bekannten spanischen Autor wird (Townson 2000, S. XIII). Eine andere Lesart jedoch meint, La forja de un rebelde überschatte Bareas übrige Prosa sowohl qualitativ als auch thematisch, da alle Werke immer wieder darauf zurückkehrten (Fernández / Herrera Rodrigo, S. 162f.). Torres Nebrera wiederum kritisiert, dass die Forschung

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Englisch, unter der maßgeblichen Mitwirkung von Ilse Barea-Kulcsar.77 Auf ihre brillante Leistung wurde immer wieder hingewiesen,78 ihr sublimes Vorgehen in den Blick genommen: ihre »Fähigkeit, Töne und Nuancen über den Sprachwechsel hindurch auszudrücken« ebenso wie ihr »schöner Stil«.79 »Arturo hätte ohne seine Frau keine so feinfühlige englische Übersetzung seines Meisterwerks haben können«80. Ilse Barea-Kulcsars Übersetzung verdankt sich der internationale Publikationserfolg der Trilogie, auf ihr basieren die Übersetzungen in weitere Sprachen. Die spanische Version wurde mit weniger Sympathie bedacht. Sie ist eine von Barea-Kulcsar vorgenommene Rückübersetzung aus dem Englischen, das spanischsprachige Manuskript gilt als unauffindbar. Die Erstausgabe in Buenos Aires bei Losada (1951) vermittelt Guillermo de Torre, mit dem Arturo Barea und Ilse Barea-Kulcsar im Vorfeld in Briefaustausch stehen. Im Juni 1946 schreibt Barea-Kulcsar an de Torre, ihr literarischer Agent werde die Trilogie nach Argentinien schicken; sie bedaure, dass das einzige erhaltene spanischsprachige Exemplar gerade beim französischen Übersetzer Verdevoye sei, um die Ausgabe bei Gallimard vorzubereiten. Gewiss wäre es viel interessanter, wenn de Torre die spanischen Originale lesen könnte; ihr Mann sei gerade dabei, eine Abschrift der Trilogie zu erstellen. Einen spanischen Schreiber, der diese Kopierarbeit tätigen könne, hätten sie sich nicht leisten können.81 In diesem in der Spanischen Nationalbibliothek archivierten Briefwechsel verdeutlichen sich jene europäischen und globalen Intellektuellen-Netzwerke, die kurz nach dem Zweiten sich gewöhnlich nicht die Mühe mache, Bareas facettenreiches Werk genauer zu erfassen (Torres Nebrera 2001, S. 103). 77 Wie José Rodríguez Richard zusammenfasst, ist der erste Band von The forge of a Rebel, The Forge erstmals in der Übersetzung von Sir Peter Chalmes-Mitchell 1941 in London erschienen, der zweite und dritte Band The Track und The Clash jeweils 1943 und 1946 in Ilsa Pollak de Bareas [sic!] Übersetzung. Daneben existiert eine gänzlich von Ilsa übersetzte englische Gesamtausgabe der Trilogie von Reynald and Hitchcock 1946 (Rodríguez Richard 2009, S. 71). 78 So urteilt The Oxford Magazine am 13. Juni 1946, es sei kaum vorstellbar, dass diese Bücher nicht in erster Instanz auf Englisch verfasst seien; der englische Schriftsteller Gerald Brenan kommentiert in einem (um 1953 verfassten) persönlichen Brief an Barea, Ilsas Übersetzung sei wunderbar, und jeder englische Schriftsteller wäre glücklich, so gut zu schreiben. Diese Daten sind der Archivarbeit Nigel Townsons in Bareas Privatarchiv zu verdanken und sind von demselben in »Palabras recobradas« veröffentlicht (Townson 2000, S. XXV). Anfang 2018 wird das bisher in den Händen von Uli Rushby-Smith, Ilse Barea-Kulcsars Nichte, befindliche Privatarchiv in die Archive der Oxford University (in die Bodleian Libraries) überstellt. Auffallend ist, dass die Zeitung El Ibérico, die etwa von der hörendwerten Überstellung berichtet, vom Archiv Arturo und Ilsa Bareas schreibt (El Ibérico 2018). 79 »capacity to express tone and nuance across a change in language«; »beautiful style«. (Eaude 2009, S. 184). 80 »Arturo no hubiera conseguido sin su mujer una traducción inglesa tan refinada de su obra maestra«. (Townson 2000, S. XXVI). 81 Barea 1946, S 2V.

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Weltkrieg darum bemüht sind, Bareas Bürgerkriegsnarrative zu verbreiten. Im Mai 1947 schreibt Arturo Barea an de Torre, Gallimard warte mit dem Verkauf von La forja, bis Ausschnitte daraus in Les Temps Modernes veröffentlicht werden, was Sartre im Juni tun wolle.82 Ilse Barea-Kulcsars Rückübersetzung wurden Unzulänglichkeiten vorgeworfen; unerklärlich sei, warum Arturo Barea die spanische Version seines Werks nicht noch einmal überarbeitet habe.83 Fernández und Herrera Rodrigo verteidigen etwas holprig, die »unzähligen […] syntaktischen und morphologischen Fehler, und wir könnten zudem noch einige lexikalische Ungenauigkeiten aufzeigen«, spiegelten doch bloß den spanischen Soziolekt realistisch wider; außerdem sei nicht geklärt, ob die Mängel sich wirklich in der »schlechten Rückübersetzung« begründeten oder doch in den »linguistischen Lastern« des Autors, die sich jener möglicherweise durch den Kontakt mit »ausländischen Sprachen« angeeignet habe.84 Auch Townsons sonst geneigte Lesart bezeichnet Ilsas englische Übersetzung als »in vieler Hinsicht flüssiger und polierter als die spanische Version«85. Eaude verwendet exakt dieselben Adjektive, wenn er die englische Ausgabe als »viel flüssiger und polierter als das ›Original‹ oder die Rück-Übersetzung«86 bezeichnet. Er spezifiziert nicht weiter, auf welches »Original« er sich bezieht (wir erinnern uns, es gilt als verloren), ist aber insofern aufschlussreich, als er einer Übersetzung den höchsten ästhetischen Stellenwert unter den unterschiedlichen Versionen einräumt. Dramatischer sieht Soldevila die »Rückkonvertierung ins Spanische«, mit »jenen negativen Resultaten, die bereits wiederholte Male aufgezeigt wurden«, was er selbst als »unmögliches Spanisch« bezeichnet, das obendrein fälschlicherweise Arturo Bareas Vergessen des Spanischen nach zwei Jahren Exil zugeschrieben worden sei.87 Unkenntnis oder Unfähigkeit der Übersetzerin und Passivität des Autors werden in dieser Lektüre generell beklagt. Wo die Forschung den Verlust des spanischen Originals auf diese Weise betrauert, ist sie der kritischen Intimität, die die gemeinsame, sublime Wortarbeit des Ehepaars Barea in den Raum stellt, nicht gewachsen. »Übersetzung«, weiß Gayatri Chakravorty Spivak, »ist der intimste aller Lesakte. Ich gebe mich dem Text hin, wenn ich übersetze«88. Eaude sieht in Barea-Kulcsar eine 82 Barea 1947, S. 16F. 83 Rodríguez Richard bezieht sich an dieser Stelle auf andere Untersuchungen wie jene von Ignacio Soldevila (1982) oder von Esteban Salazar Chapela (1958) (Rodríguez Richard 2009, S. 71f.). 84 »innumerables ejemplos de errores sintácticos y morfológicos, y aún podríamos señalar algunas impropriedades léxicas«. (Fernández / Herrera Rodrigo 1988, S. 145). 85 »en muchos sentidos, más fluída y pulida que la versión en castellano«. (Townson 2000, S. XXVI). 86 »far more fluent and polished […] than the ›original‹ or re-translation«(Eaude 2009, S. 184). 87 »reconversión al castellano«, »con los resultados negativos que ya se ha señalado repetidas veces«, »castellano imposible« (Soldevila 1982, S. 84). 88 »Translation is the most intimate act of reading. I surrender to the text when I translate«. (Spivak 2000, S. 398).

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ausgezeichnete literarische Übersetzerin, da sie ihre stilistische Sensibilität fein auf den zu übersetzenden Text abstimme.89 Die auf Transferfehler pochenden Studien schlagen eine distanzierte Lektüre vor. Diese ist von sich weisend, auf andere projizierend, ohne zuzugeben, dass sie hierarchischen Sprachvorstellungen folgt und, in einem sich wissenschaftlich gebenden, unterschwelligen Spiel der Emotionen und Beurteilungen, selbst brüchig ist. Bemerkenswert ist hier weniger der vermeintliche oder tatsächliche Wert der Rückübersetzung, als vielmehr das Portrait der intellektuellen Verbindung von Barea und Barea-Kulcsar. Mit dem Vorwurf der verminderten literarischen Qualität wird Verletzlichkeit auf Sprachebene verlagert. Die gemeinsame Wortarbeit wird sowohl misstrauisch beäugt als auch neu inszeniert. Bareas und Barea-Kulcsars jeweilige Beiträge erscheinen auf skandalöse Weise untrennbar; seine Worte können kaum mehr von ihren getrennt werden. An dieser zugleich brüchigen und bruchlosen Wortarbeit am Spanischen Bürgerkrieg zerbricht die Lesart der Distanz, da sie unfähig ist, diese Überschneidung und sich selbst kritisch zu reflektieren.90 BareaKulcsars Arbeit als »seltene Leistung eines nicht-muttersprachlichen Übersetzens zwischen zwei Zweitsprachen«91 und ihre gleichzeitige stilistische Sensibilität und poetische Versiertheit anzuerkennen, bedeutet hingegen eine Lesart, für die mögliche technisch gelagerte »Fehler in ihren Übersetzungen geringe Folgen«92 haben. Entscheidender – und mit ausschlaggebend für den Welterfolg – ist Barea-Kulcsars Fähigkeit, »die Liebe zwischen dem Original und seinem Schatten zu ermöglichen«93; dies nämlich ist mit Spivak die oberste Priorität intimer Übersetzungsprozesse. Ilse Barea-Kulcsar ist neben ihrer Übersetzungstätigkeit auch Co-Autorin94 und Herausgeberin. In El centro de la pista, erschienen 1960 in Madrid, versammelt sie vierzehn Kurzgeschichten Bareas.95 Ihr Vorwort unterbricht die übliche Sprechrichtung, hier erzählt nicht Arturo von Ilsa, sondern Ilsa von Arturo. Seine Schriftstellerkarriere führt sie mit dem Bürgerkrieg eng, sich selbst begreift sie als sein Sprachrohr. Alle Geschichten seien zuerst als 89 Eaude 2009, S. 184. 90 Ich meine hier »brüchig« als »fehlerhaft« im zweifachen Sinne: als Vorwurf des linguistischen Lapsus, und in Spivaks Verständnis der »fehlerhaften« als dekonstruktiven Lesart (Spivak 1999, S. 6). Mit »bruchlos« beziehe ich mich auf die intime Verbindung, die sich in den nicht mehr auf den Autor oder die Übersetzerin fix zuordenbaren Worten transportiert. 91 »rare achievement for a non-native translating between two second languages«. (Eaude 2009, S. 184). 92 »errors in her translations are of little consequence«. (Ebd, S. 184). 93 »to facilitate this love between the original and its shadow«. (Spivak 2000, S. 398). 94 Expliziert wird die Co-Autorschaft im Band über Unamuno. Obschon Arturo Barea als alleiniger Autor aufscheint, ist dem Vorwort diese Information vorgestellt: »This essay was written in collaboration with my wife, Ilsa Barea, who also translated it.« (Barea 1952, S. 5). 95 Barea 1988, S. 45.

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Übersetzungen veröffentlicht worden, generell in ihrer eigenen ins Englische – ein Umstand, den sie »hervorheben« will.96 Barea-Kulcsar folgt den textsortenspezifischen Registern eines Übersetzungsvorworts, das aber vielmehr ein Rückübersetzungsvorwort ist; es geht nicht mehr um linguistische Übersetzungsrichtungen, sondern um die kulturelle Rückadaption vom englischen in den spanischen Kontext: Ich erinnere mich lebhaft daran, wie oft ich Arturo um beschreibende Details gebeten habe, wenn ich einen seiner Sätze übersetzte, der eine jener für mich und sicher auch für so viele andere Fremde unerklärliche Andeutungen enthielt. Beim Editieren und Überarbeiten der Kurzgeschichten habe ich einige Erklärungen gelöscht, aber nicht alle. Andererseits denke ich, das durch Distanz und physische Abwesenheit gebrochene Licht erhellt unerwartete Orte.97

Barea-Kulcsars distanziertes Verständnis zu seinen Worten habe Barea einst zum Umschreiben der Kurzgeschichten bewegt, zum Anfügen von Details, wo sie übersetzerische Lücken sah. Dass die Herausgeberin die Texte posthum modifiziert, zeugt weniger von der Verletzung grundlegender Editionsethik, als von dem Selbstverständnis, mit dem sie Wortarbeit des Autors auch als ihre eigene begreift; ihre Eingriffe bekräftigenden Habitus der Co-Autorschaft zwischen Barea und Barea-Kulcsar. Der bereits erwähnte Briefwechsel mit Guillermo de Torre belegt Barea-Kulcsars und Bareas gemeinschaftliche Vorgehensweise in einem handwerklichen Sinn. Einen Brief an de Torre diktiert Arturo Barea, während seine Frau ihn maschinell tippt.98 An anderer Stelle schreibt ihr Mann nieder, was Ilse Barea-Kulcsar ihm ansagt, sogar, dass sie hoffe, »ihr Sekretär« ändere nur wenig an ihrem persönlichen Sprachgestus.99 Traditionellen Kriterien über die Vulnerabilität von Autorschaft stellt das erwähnte Vorwort im intimen Übersetzungsprozess, den Barea-Kulcsar beschreibt, polemisch in Frage. Zugleich illustriert es des Schriftstellers – dann aber auch ihre eigene – Vorliebe für das Sublime: »Andeutungen«, »unerklärlich«, und dann plötzlich noch »la luz refractada«, das gebrochene Licht. Nostalgie, »mit ihren klaren Farben, dunklen Geheimnissen und zauberhaften Illusionen«, wird ästhetische Positionierung in der Rekonstruktion »verlorener Zeiten«.100 Die Exilperspektive ist in dieser nicht 96 Ebd., S. 43. 97 »Recuerdo vívidamente cuántas veces pedí a Arturo detalles descriptivos al traducir una frase suya que contenía alguna de esas alusiones, incomprensible para mí y por supuesto para tantos otros extranjeros. Editando y revisando los cuentos, he borrado ciertas explicaciones, pero no todas. Por otra parte pienso que la luz refractada por la distancia y ausencia física ilumina lugares inesperados.« (Ebd., S. 43 f.). 98 Barea 1947, S. 16 f. 99 Barea 1946, S. 6 f. 100 »con sus colores claros, secretos oscuros y mágicas ilusiones«; »hacia los tiempos perdidos«. (Barea 1988, S. 44).

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ganz unproblematischen Romantisierungstendenz mitzudenken; doch wird diese Brüchigkeit offen gelegt: »Wie schwierig ist es doch, der unbewussten Lüge zu widerstehen, mit der wir unsere Erinnerungen verfassen!«101 Den Rekonstruktionen des Bürgerkriegs widerstehen, in dieser reflektierten Sicht, kontinuierlich einsetzende Dekonstruktionsmechanismen.

Rekonstruktion Die Guerra Civil als literarisierte, subjektive Geschichtsversion entwirft sich in Arturo Bareas und Ilse Barea-Kulcsars Rekonstruktion des Sublimen, die ihre gemeinsame Wortarbeit ausmacht. Unmenschliche Verhältnisse, in denen sich Stadt, Körper und Identitäten auflösen, betrachtet eine kritische Perspektive von innen heraus, um vulnerable Bereiche aufzuspüren; politische und militärische Ereignisse, die Geschichte augenscheinlich vorantreiben, werden als die Oberfläche gesehen, unter der Subjektivitäten und Emotionen des Kriegs eigentlicher Motor sind. Die Auflösung von Gegenständen und Gewissheiten soll der Versuch ausgleichen, Zusammenflüsse zu generieren. Dazu ist ein Verständnis von Intellektualität nötig, das körperlich erfahrbare Empfindungen einschließt und für diese öffentlich einsteht. Die autobiographische Trilogie und ihre (Rück)Übersetzung rechtfertigen und positionieren Barea und Barea-Kulcsar im rekonstruierten Bürgerkriegsgeschehen. Ihr teils zusammen verfasstes essayistisches Werk widmet sich jenen Intellektuellen, deren Vorschläge zu Subjektivität und Sensibilität im Verständnis Bareas und Barea-Kulcsars den Kontext der Guerra Civil neu evaluierbar machen: Unamuno und García Lorca. Beide lieferten Ideen, um Intellektualität in der Suche nach »geheimen Unterströmungen« festzuschreiben. Wo ihre enge Zusammenarbeit sowohl mit den Darstellungen der Romantrilogie gleichgesetzt, als auch mit skeptischem Blick auf ihre Mängel überprüft wird, tun sich Bruchlinien der Rezeptionsgeschichte zu jenem künstlerisch und politisch agierenden Paar auf, das die Intellektuellen-Netzwerke um den Spanischen Bürgerkrieg sowohl literarisch festhielt als auch öffentlich pflegte. Rekonstruktionen der von Barea und Barea-Kulcsar geschriebenen Bürgerkriegsgeschichten müssen sich mit der biographischen und autobiographischen Doppelung auseinandersetzen, die ein intimes Verständnis von gelebter und literarisierter Intellektualität des Bürgerkriegs in allzu bequeme Nähe rückt.

101 »¡Es tan difícil resistir a la mentira inconsciente con que redactamos nuestras memorias!« (Ebd., S. 44).

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