Transkulturation: Literarische und mediale Grenzräume im deutsch-italienischen Kulturkontakt [1. Aufl.] 9783839405208

Globalisierung, wachsende Mobilität und Beschleunigung bringen die gesellschaftliche Reflexion über fortlaufend changier

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Transkulturation: Literarische und mediale Grenzräume im deutsch-italienischen Kulturkontakt [1. Aufl.]
 9783839405208

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
DASTRANSKULTURELLE ANTLITZ DER GESCHICHTE
Alla cieca
Claudio Magris' Alla cieca: Blindheit und Erfindungskraft der Geschichte. Überlegungen zur Transkulturation des Historischen
TRANSKULTURATION ALS WISSENSCHAFTSPARADIGMA
Kulturwissenschaften in Italien. Ein Paradigma
Postmoderne und Massengesellschaft. Einige Überlegungen
TRANSNATIONALE SCHREIBWEISEN IN GRENZRÄUMEN DER ITALIENISCHEN LITERATUR
Kulturelle Komponenten und verschiedene ethnische Gruppen einer Stadt und einer Region: Triest und Friaul-Julisch Venetien
Naturraum, Grenzraum, Erinnerungsraum: Mario Rigoni Sterns Erzählen vom Altipiano di Asiago
Vom totalitären zum anthropologischen Raum des Fremden in der Narrativik Boris Pahors
TRANSKULTURATION ALS PROVOKATION KULTURELLER IDENTITÄTSMUSTER: IN DEUTSCHLAND LEBENDE ITALIENISCHE AUTOREN
Schreiben in mehreren Sprachen: Chiara de Manzini-Himmrich, Giuseppe Giambusso, Sonja Guerrera, Piero Salabe
Zwischen den Kulturen: Die Literatur zeitgenössischer italienischer Schriftsteller in Deutschland
MEDIALE TRANSKULTURATION
Aspekte des Hybriden im Roman Branchie von Niecola Ammaniti
Medien und Vertextungsstrategien in Giuseppe Culicchias Paso Doble und Christian Krachts Faserland: Ein transkultureller Vergleich
Polychromie und Intermedialität: Lucarellis Giallo Noir Blue
Autorenverzeichnis

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Vittoria Borsl), Heike Brohm (Hg.) Transkul tura tion

VITTORIA ßORSÖ, HEI KE ßROHM (HG.)

Tra nsku lturation. Literarische und mediale Grenzräume im deutsch-italienischen Kulturkontakt

[transcript]

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

©

2007

transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Luigi Spacal, >>L'eco della valle«, 50 x 70 cm, 1986, Serigraphie, Giorgio Valentinuzzi, aus: Arte & Natura: lo spirito della Terra, herausgegeben von I Contemporanei a.c. Lektorat & Satz: Silvia Caravaggi und Karolin Viseneber, Düsseldorf Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-520-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www. transcript-verlag. de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: injo@transcript-verlag. de

INHALT

Vorwort V !TTORIA BORSO

7 Einleitung HEIKEBROHM

9 DASTRANSKULTURELLE ANTLITZ DER GESCHICHTE

Alla cieca CLAUDIO MAGRIS

23

Claudio Magris' Alla cieca: Blindheit und Erfindungskraft der Geschichte. Überlegungen zur Transkulturation des Historischen V !TTORIA BORSO 45 TRANSKUL TU RATION ALS WISSENSCHAFTSPARADIGMA

Kulturwissenschaften in Italien. Ein Paradigma MICHELE COMETA

65 Postmoderne und Massengesellschaft. Einige Überlegungen MARINA P ALADINI MUSITELLI

87 TRANSNATIONALE SCHREIBWEISEN IN GRENZRÄUMEN DER ITALIENISCHEN LITERATUR

Kulturelle Komponenten und verschiedene ethnische Gruppen einer Stadt und einer Region: Triest und Friaul-Julisch Venetien ELVIO GUAGNINI

111

Naturraum, Grenzraum, Erinnerungsraum: Mario Rigoni Sterns Erzählen vom Altipiano di Asiago RUDOLF BEHRENS

131 Vom totalitären zum anthropologischen Raum des Fremden in der Narrativik Boris Pahors HEIKEBROHM

149 TRANSKUL TURATION ALS PROVOKATION KULTURELLER IDENTITÄTSMUSTER: IN DEUTSCHLAND LEBENDE ITALIENISCHE AUTOREN

Schreiben in mehreren Sprachen: Chiara de Manzini-Himmrich, Giuseppe Giambusso, Sonja Guerrera, Piero Salabe lMMACOLA TA AMODEO

163 Zwischen den Kulturen: Die Literatur zeitgenössischer italienischer Schriftsteller in Deutschland CHIARA DE MANZ!Nl-HIMMRICH

179 MEDIALE TRANSKUL TU RATION

Aspekte des Hybriden im Roman Branchie von Niecola Ammaniti BIRTE VÖLKER

199 Medien und Vertextungsstrategien in Giuseppe Culicchias Paso Doble und Christian Krachts Faserland: Ein transkultureller Vergleich SERKAN GÜNER

229 Polychromie und lntermedialität: Lucarellis Giallo Noir Blue SILVIA CARA V AGGI

251 Autorenverzeichnis

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VORWORT

VITTORIA BORSÖ

Der vorliegende Band ist aus der Tagung »Spazi letterari e mediatici tra lingue e culture/Literarische und mediale Räume zwischen Sprachen und Kulturen« hervorgangen, die am 11. und 12. Dezember 2005 in Düsseldorf stattfand. »Triest als Grenzstadt«, der thematische Schwerpunkt der Beiträge, verkörpert das Thema dieses Bandes: Transkulturation. Zwischen dem offenen Meer und den mäandrierenden Inseln der Lagune, denen Spuren einer zweitausendjährigen Geschichte Europas eingeschrieben sind, ist Triest ein Ort, an dem die Setzung territorialer oder nationaler Grenzen unmittelbar als ein widersinniger Akt erscheint, ein Akt, der das teilt, was sich nicht teilen lässt: den gemeinsamen Raum von Kulturen. Grenzen sind pragmatisch notwendig, denn ohne Grenzen besteht keine Ordnung. Ordnungen setzen aber Grenzen. Grenzen sind deshalb nachträgliche, fiktionale, oft auch gewaltsame Eingriffe, und genau diese Einsicht ändert die Optik auf den Raum: An Grenzen vollziehen sich unweigerlich Übergänge, seien diese in transkulturellen Kontakten und Migrationsbewegungen, oder auch in der individuellen und kollektiven Erinnerungsarbeit begründet. Derartige Theoreme heutiger topalogischer Forschung werden an der historischen und aktuellen Kulturdynamik der Grenzstadt Triest unmittelbar einsichtig. Nicht zufällig eröffuet Claudio Magris, Triestiner und Autor von Weltrang, die Beiträge dieses Bandes. Seine Romane und Essays sind ein Reservoir an Reflexionen über den Raum. Sein Schreiben entfaltet das imaginäre Potential des Raums und verkörpert das Denken des »Dazwischens«: zwischen Kulturen und ihrem reichen Geflecht von Beziehungen, Identitäten und Differenzen, welche in historischem Verlauf wiederkehren, sich verdoppeln, identifizierende Gesten vollziehen und wieder aufheben. Transkulturation ist in den Beiträgen dieses Bandes mehr als nur ein Ergebnis der Netzwerkstruktur moderner Technologien. Fragen werden aufgeworfen, Wege beschritten und Räume aufgesucht, in denen sich Prozesse der Transkulturation als immer wieder emergente Bedingung des Kulturellen erweisen. Wenn man diese Dynamik bedenkt, so ändert sich die Ethik und Pragmatik des Umgangs mit 7

VITTORIA BORSÖ

Differenzen entscheidend, und es fällt leichter, auf die Herausforderungen der Aktualität, aber auch der verschiedenen historischen Stufen der Globalisierung, angemessen zu antworten. Denn Transkulturation organisiert die Welt anders: Zwischen den Kulturen und den Sprachen haben exkludierende Fonnen kultureller Identitäten keinen Platz. Die Herausgeberinnen danken den Autoren und denjenigen, die mit ihrer professionellen Arbeit die Publikation des Bandes ermöglicht oder begleitet haben: Neben der Koordinatorin, Frau Karolin Viseneber, richtet sich unser Dank insbesondere an die Mitarbeiterinnen Silvia Caravaggi, Julia Sielaff, Jasmin Bütthofund Jenny Jensen. Düsseldorf, im Juni 2007

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EINLEITUNG

HEIKEBROHM

Zu den Faktoren, die gegenwärtige Gesellschaften tiefgreifend verändern zählen vor allem Mobilität, wirtschaftliche und mediale Vernetzung sowie institutionelle Internationalisierungsmaßnahmen. Sie stellen den Menschen in immer anspruchsvollerer Weise vor die Aufgabe, kulturelle Identität nicht mehr lediglich als wesenhaft gegeben zu begreifen. Vielmehr verlangen sie ihm ab, Identität und Alterität als veränderliche Konstrukte zu erfahren. Dem Ideal nachhaltig friedfertigen Zusammenlebens werden sich Menschen in Gesellschaften, die nicht mehr nach nationalen, ethnischen, ideologischen oder religiösen Aspekten voneinander unterschieden werden können, nur anzunähern vermögen, wenn sie auf die Frage »Wie fremd ist das Fremde?« 1 weder ausgrenzend noch integrativ antworten, sondern die Irrkommensurabilität des Fremden anerkennen. Von steigender Bedeutung ist der Erwerb von Wissen über die konstitutive Bedeutung, die das kulturell Fremde hinsichtlich des sogenannten kulturell Eigenen besitzt. Nicht, in welcher Beziehung Eigenes und Fremdes zueinander stehen, ist die zentrale Frage im Zusammenleben von Kulturen, sondern wie sie kulturelle Differenz konstituieren, im Sinne einer prozesshaft sich vollziehenden difß!rance miteinander aushandeln, in Frage stellen, relativieren. Für all dies gilt als Prämisse das Anerkennen des dem sogenannten Eigenen innewohnenden radikalen Fremden. Ein solches Anerkennen kann sich nur aus der Überwindung monadischer Kulturkonzepte sowie aus der Erkenntnis ergeben, dass kulturelle Identität niemals ganz bei sich sein kann, sondern in dem Versuch, sich selbst zu definieren, immer bereits auf Fremdes rekurriert und antwortet und die >eigene< Alterität somit immer bereits in sich trägt. 2

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Vgl. Ortrud Gutjahr, »Wie fremd ist eigentlich das Fremde?« in: KulturPoetik 3, 1 (2003), s. 113-188. Diesem Gedankenzusammenhang geht Bernhard Waldenfels systematisch in zahlreichen Schriften nach, darunter: Der Stachel des Fremden, Frankfurt!Main: Suhrkamp 1990 und zuletzt: Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden, Frankfurt!Main: Suhrkamp 2006.

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HEIKE BROHM

Die Gründe für eine solcherart radikale Fremdheit hat die Phänomenologie aufgezeigt. Maurice Merleau-Ponty arbeitete heraus, dass die Existenz des Menschen ein Zur-Welt-Sein ausmacht, dass der Mensch leiblich auf eine Welt hin existiert, deren relationaler Charakter den Menschen nie ganz bei sich sein lässt, sondern ihn in ständig neuen Konstellationen zum Kreuzungspunkt der Verflechtungen zwischen Sichtbarkeit und prinzipieller Unsichtbarkeit werden lässt? Identität - auch kulturelle Identität - erscheint als flüchtiger und sich unablässig neu herausbildender Reflex komplexer Differenzierungsprozesse zwischen Eigenem und Fremdem. Merleau-Ponty verdeutlichte die leibliche Alterität am Beispiel des >EinwohnensStachel des Fremden< in sich trägt und zu Fremdem immer schon in einem Verhältnis der Responsivität in Beziehung tritt. 5 Ein solches Aushandeln kultureller Differenzierung, das sich unvermeidbar im Antlitz kultureller Fremdheit immer erst vollzieht, soll im Folgenden mit dem Begriff der Transkulturation bezeichnet werden. Dieser auf den chiastischen Prozess der Vernetzung von Heterogenem und zugleich das Herausbilden von kulturell Verschiedenem verweisende Terminus betont den Prozesscharakter innerhalb einer kulturwissenschaftlichen Debatte im Kontext der Transkulturalitätsforschung, die aktuell den essentialistischen Kulturbegriff mithilfe differenztheoretischer Netzmetaphern zu überwinden sucht. 6 Die vorliegenden Beiträge stellen literarische und mediale Grenzgänge dar und thematisieren diese im deutsch-italienischen Kulturkontakt Sie basieren auf den Vorträgen zu der Tagung »Spazi letterari e mediatici tra lingue e culture/Literarische und mediale Räume zwischen Sprachen und Kulturen«, die am 11. und 12. Dezember 2005 in Düssel3

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Diese Ideen finden sich als wiederkehrende Leitgedanken in Maurice Merleau-Ponty: Phenomenologie de Ia perception, Paris: Gallimard 1945 und in dem postum erschienen Werk: Le visible e ['invisible, Paris: Gallimard 1964. Vgl. Merleau-Ponty, Phenomenologie de la perception, 5. 114-120 und 5. 162. Vgl. Fußnote 2. Vgl. Wolfgang Welsch in mehreren Publikationen, darunter: »Transkulturalität. Lebensformen nach der Auflösung der Kulturen", in: Kurt Luger/Rudi Renger (Hg.), Dialog der Kulturen. Die multikulturelle Gesellschaft und die Medien, Wien: Österreichischer Kunst- und Kulturverlag 1994, 5. 147-169; ders.: "Netzdesign der Kulturen«, in: Zeitschrift für Kulturaustausch 1 (2002): http:/ /cms.ifa.de/index.php?id=welsch vom 2. Juni 2007.

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EINLEITUNG

dorf stattfand und im Jahr des 50. Jubiläums des deutsch-italienischen Anwerbeabkommens die Eröffuung des deutsch-italienischen Promotionsprogramms »lnterculturalita e comunicazione/Interkulturalität und Kommunikation« der Universitäten Düsseldorf und Triest vorbereitete, das nunmehr zum Sommersemester 2007 die ersten Promovenden unter dem Dach des Deutsch-Italienischen Hochschulzentrums aufuehmen konnte. Der deutsch-italienische Kulturkontakt ist nicht nur über Jahrhunderte gewachsen und hat zahlreiche Imagologien auf beiden Seiten hervorgebracht, die im Spannungsfeld der Projektionen mediterraner amoenitas und nordischen Barbarentums (einschließlich seiner romantisehen Verklärung) angesiedelt wurden und durch die Analyse transkultureller Prozesse zu problematisieren sind. 7 Heutzutage zählt Deutschland zu den wichtigsten Handelspartnern Italiens und unterhält nach Auskunft des Auswärtigen Amtes in Italien so viele Institutionen wie in keinem anderen Land. 8 Als Folge einer intensiven Arbeitsmigration bilden Italiener gegenwärtig die zweitgrößte und älteste Migrantengruppe in Deutschland. Nicht zuletzt im Horizont solcher Entwicklungen hat das Bewusstsein der Transkulturation im Wissenschaftsdialog und in den Literaturen beider Länder einen besonderen Stellenwert erlangt. Sei es die zum Teil gemeinsame, oft schmerzhafte Geschichte in Grenzregionen wie der von Nordostitalien und den benachbarten Gebieten, die wie Norditalien selbst im Laufe der historischen Ereignisse zahlreichen Grenzverschiebungen unterworfen waren; sei es der kritische Dialog verschiedener kulturwissenschaftlicher Disziplinen in beiden Ländern; sei es die Arbeit an der kulturellen Identität von in Deutschland lebenden italienischen Autoren und Autorinnen; seien es die Wirklichkeitskonstitutionen im Spannungsfeld medialer Vernetzungen in der deutschen und italienischen Literatur: Immer geht es um Prozesse der Transkulturation in ihrer konstitutiven Bedeutung für Kulturen und der mit ihnen verbundenen Gedächtnisarbeit Der den Band eröffuende Beitrag stammt von dem italienischen Autor und Germanisten Claudio Magris. Mit einer Sentenz eröffnet Magris seinen Essay zur Entstehung seines letzten Romans Alla cieca (2005), dessen deutsche Übersetzung von Ragni Maria Gschwend im September 2007 erscheint. Ein Text, sagt Magris dort, sei oft klüger als der, der ihn geschrieben hat. Damit gibt der Autor zugleich das Thema seines Artikels vor: Nicht etwa geht es ihm um eine henneneutische Erläuterung 7

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Vgl. Vittoria Borso, »Italien", in: Klaus Stierstorfer (Hg.), Deutschlandbilder im Spiegel anderer Nationen. Literatur, Presse, Film, Funk, Fernsehen, Reinbek: Rowohlt 2003, 207-228, hier: 208. Auswärtiges Amt: »Italien. Beziehungen zwischen Italien und Deutschland", http: I lwww .auswaertigesamt.de/ diplo/ de/ Laenderinformationen/ Italien/ Bi latera.html vom 2. Juni 2007.

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HEIKE BROHM

seines eigenen Textes, sondern um die Auseinandersetzung mit dem Antlitz des Fremden. Der Text aber hebt das Fremde nicht etwa auf, ganz im Gegenteil: Gerade dadurch, dass der literarische Text die Unerklärlichkeit und Absurdität einer nur vermeintlichen historischen Logik aushält, wird er zu einem kognitiven Instrument, der Alterität als innersten und unerreichbaren Kern der Identität nachzuspüren. Der Protagonist des Romans, Salvatore, ist eine historisch wie psychisch gespaltene Persönlichkeit und steht als solche in typischer Weise für das Schicksal vieler Menschen an Italiens Ostgrenze. Er gehört zu jenen, die durch die Ironie der Geschichte vom glühenden Anhänger einer Ideologie - hier des Kommunismus - gerade von den kommunistischen Machthabern als Verräter an gerrau dieser Ideologie verurteilt werden. Salvatore Cippico Cipiko - Cipico ist ein Heimatloser in jeglicher Hinsicht: ethnisch (italaslawischer Herkunft), ideologisch (Kommunist, aber als Faschist vom Tito-Regime verurteilt), biographisch (seine Geschichte vermischt sich mit derjenigen Jorgen Jorgensens, eines dänischen Abenteurers des 19. Jahrhunderts, der unter englischer Flagge segelt, sich selbst zum König von Island ernennt und der die tasmanische Hauptstadt Hobart Town gründet, jenen Ort, an dem er später selbst zu Zwangsarbeit verurteilt seine Strafe verbüßt), psychisch (wer spricht?- Salvatore, Jorgen, Salvatores Arzt, Salvatores überspielte oder seine aktuelle Stimme auf dem Tonband?). Das Buch, das Magris präsentiert, handelt von der Angst vor der Auslöschung in der Postmoderne, vor der Serialisierung und Entpersönlichung. Es handelt aber auch vom Überleben der und durch die Literatur: von der Genauigkeit als Grenzerfahrung zwischen Ethik (Respekt vor dem Anderen) und Manie (Delirium des Phantastischen). Es ist ein Buch über den Menschen als Galionsfigur, der sein Antlitz- geradezu im Sinne Levinas'- den Stünnen der Geschichte und der Existenz aussetzt, aber auch ein Buch der >blindlings< diesem Antlitz zugefügten Gewalt. Dem Essay folgen eine »Anmerkung« zu zwei im Laufe der Entstehung des Romans wieder gestrichenen Passagen sowie die beiden Textfragmente selbst, mittels derer die Leser nachvollziehen können, wie das ursprünglich vorgesehene Projekt über das ozeanische Imaginäre der Geschichte des Gulags von Goli Otok wich. Eine zweite Passage beschreibt den verfremdeten und verfremdenden Blick von vier »Wilden« im zivilisierten London, und zeigt, wie intensiv der Autor an der literarischen Begegnung mit dem (kulturell) Fremden und den damit verbundenen Fragen der epistemologischen wie ethischen Konsequenzen gearbeitet hat, die schließlich den Text nicht nur auf der expliziten Ebene durchdringen, sondern sozusagen zu seiner Ersten Philosophie und Ästhetik geworden sind.

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EINLEITUNG

Vittoria Borso geht der Ethik und Ästhetik des Romans Alla cieca von Claudio Magris nach und setzt sich mit dem Verhältnis der ausgelassenen Fragmente zur Komposition des Romans auseinander. Alla cieca wird als eines der beeindruckendsten Beispiele aktueller Formen dessen gelesen, was Johann Wolfgang von Goethe »Weltliteratur« nannte, jene Literatur »mit einem großen Atem und grenzüberschreitendem Horizont«, die heute als »transkulturell« und »interdisziplinär« bezeichnet werden könnte. So stehe Magris im Dialog mit denjenigen Schriftstellern der »Weltliteratur«, die wie Jorge Luis Borges oder Italo Calvino auf die Herausforderungen einer globalen Welt antworten. Borso identifiziert die Besonderheit der Arbeit am Historischen durch das transkulturelle Imaginäre von Alla cieca, nämlich ein Imaginäres, das sich nicht durch die Grenzen des Erkennbaren einzäunen lässt. So stelle der Roman die für die Historiographie vielleicht schwierigste Frage nach der topalogischen Einstellung des Subjektes bei Erinnerungsprozessen (oder des Historikers bei der Suche nach der Wahrheit der Geschichte). Wie einige der sogenannten neuen historischen Romane stelle sich Magris an den Punkt, »an dem sich die Schicksale kreuzen und die Wege verzweigen«, zeige »die Blindheit trennender Ordnungen in der politischen oder historischen Verwaltung der Wirklichkeit« und biete eine grundlegende Diagnose über die Schwierigkeit, politische Ordnungen zu finden, die der kulturellen Ressource von Grenzkulturen gerecht werden. Das was Magris selbst das »Schreiben an der Grenze« nennt (Utopia e disincanto ), wird von Borso im zweiten Teil des Aufsatzes mit poetologischen, kultur- und ethiktheoretischen Überlegungen im Zusammenhang des Schriftstellers gegenüber der »Erfindungskraft der Wirklichkeit« und der Geschichte beleuchtet. Auf die Schrift angewendet, bedeutet Transkulmration eine Suche nach dem Anderen an der Grenze der Sprache (Magris). Die Grenze der Sprache ist das in der Sprache selbst bestehende Außen (Deleuze); es sind akustische, optische, sinnliche Spuren einer Exteriorität, die sich nicht in Bildern offenbart, sondern nur in Spuren einer Widerfahrnis erfahren werden kann (Levinas, Waldenfels). Diese Funktion übernehmen - neben dem Argonautenmythos - die für Alla cieca genealogischen Galionsfiguren, zugleich vorgefundenes Material und Ornament, in dem sich die Erfindungskraft des Lebens manifestiert, dem sich der Schriftsteller verpflichtet fühlt, und Medium des »Deliriums« der Sprache unterwegs zum Anderen und Fremden. Borso zeigt die Kontinuität einer solchen Ethik und Ästhetik von Magris bis hin zu den ausgelassenen, in diesem Band publizierten Fragmenten, in denen die Beschreibung der alten, von Salvatore geretteten Frau jenen Holzrelikten ähnelt, deren Sammeln »an den Ufern des Flusses der Geschichte« die Aufgabe des Schriftstellers und sein Ethos ist, Resistenzen gegen den

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HEIKE BROHM

Totalitarismus zu leisten (Utopia e disincanto ). Transkulmration ist kein versöhnlicher Zwischenraum. Wurde am Paradigma von Alla cieca das Verhältnis von Transkulmration und Geschichte analysiert, so untersuchen die weiteren wissenschaftlichen Aufsätze dieses Bandes den Beitrag, den Literatur und Medien zur Förderung eines transkulturellen Dialogs zwischen den Sprachen und Kulturen leisten. Dies erfolgt in vier weiteren Themenbereichen: 1. Micheie Cometa und Marina Paladini untersuchen auf der Metaebene aktueller Wissenschaftsparadigmen kulturwissenschaftliche Diskurse als Wirkfaktoren, die das politische und ökonomische Denken zu irritieren und zu unterlaufen vennögen. In diesen Bereich gehören die Cultural Studies (Michele Cometa) und die Postmodeme (Marina Palladini). 2. Elvio Guagnini, Rudolf Behrens und Heike Brohrn analysieren den Zusammenhang zwischen empirisch erfahrener Multiethnizität in Grenzräumen und dem Entstehen transversaler Denkfiguren als strukturelle, epistemologische Antwort auf die politische und kulturelle Erfahrung in Grenz- und Migrationsräumen. 3. Die Beiträge Immacolata Amodeos und Chiara de Manzini-Himmrichs besprechen die Schreibweisen von in Deutschland lebenden italienischen Autoren, die zwischen zwei oder mehr Sprachen schreiben. 4. Die massenmedialen Prämissen transkultureller Prozesse und die daraus erwachsenden kognitiven Leistungen der Literatur diskutieren die Artikel der Nachwuchswissenschaftler Birte Völker, Serkan Güner und Silvia Caravaggi. Dass die aktuellen Kulturwissenschaften nicht nur über Transkulmration debattieren, sondern selbst von ihren Prämissen her als transkulturelle Diskurse aus dem Anderen schöpfen, zeigt der Beitrag von Micheie Cometa. Er benennt für Italien eine »kulturwissenschaftliche Mentalität«, die sich aus der Rezeption angelsächsischer Cultural Studies, der französischen Postmodeme (Barthes, de Certeau, Latour) sowie der deutschen Kulturwissenschaften, hier insbesondere der Visual Studies und der Bildwissenschaft, gleichermaßen herleitet. Dabei erscheint Italien als intellektueller Raum, in dem diese Diskurse zunehmend rezipiert werden, in dem zugleich aber durch die Arbeiten italienischer Theoretiker diese Debatten ante litteram vorbereitet wurden. Doch versteht Cometa diesen Befund nicht als selbstgenügsame Bestätigung einer erfolgreich in Italien wie auch generell in Europa sich etablierenden »kulturwissenschaftlichen Mentalität«, sondern zugleich als Aufforderung zum Disput über die po-

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EINLEITUNG

litischen Voraussetzungen eines solchen cultural turns. Den Beitrag der italienischen Intellektuellen in der Debatte um die Kulturwissenschaften sieht Cometa nicht etwa im Anspruch eines italienischen Paradigmas begründet, sondern vielmehr in der Erfahrung internationaler Rezeptionsprozesse, die Formen der »Refraktion« und des »Rhizomatischen« hätten und beispielsweise - auch dies eine Form von Transkulturationzu einer theoretisch erneuerten Rezeption des kritischen Beitrags Gramscis zur italienischen Identität, der Verdienste Pasolinis im Bereich der (Massen-)Medien oder De Martino für das kulturelle Gedächtnis geführt hätten. Dass die Literatur ein Ort ist, an dem unterschiedliche (Medien-) Kulturen und (mediale) Sprachen miteinander in Kontakt gebracht werden, zeigt sich in der Gegenwart im Umfeld der sogenannten Postmoderne. Marina Paladini geht der Frage nach, welches die distinktiven Merkmale jenes Phänomens, das von Lyotard begrifflich benannt und dennoch bis heute inhaltlich umstritten bleibt, seien. Methodologisch auf den Spuren der Literatursoziologie und der marxistischen Literaturtheorie (Giuseppe, Petronio, Frederic Jameson) entlarvt sie die Abgrenzung der Postmoderne gegenüber der Moderne als Fiktion und lenkt zugleich (mit Ulrich Schulz-Buschhaus) den Blick auf die besondere Bedeutung soziologischer Faktoren des Kulturbetriebs für die neuen und neuesten Ästhetiken. Vor diesem Hintergrund erfährt die viel zitierte und kritisierte Beliebigkeit der Postmodeme eine neue Deutung, welche die verkürzende Gleichsetzung zwischen marktorientiertem Schreiben und Trivialität überwindet und vielmehr die Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenkt, dass viele der >postmodemen< Autoren die Ökonomisierung bzw. Kommerzialisierung des Literaturgeschäfts gleichsam autopoietisch mit dessen eigenen Instrumenten kritisch hinterfragen und so einen wesentlichen Erkenntnisgewinn über die Bedingungen der Entmaterialisierung der Wirklichkeit zu erzielen in der Lage sind. Die Literatur der Region Friaul-Julisch Venetien steht im Vordergrund der Analyse von Elvio Guagnini. Sie manifestiert sich als ein Raum, innerhalb dessen kulturelle Widersprüchlichkeit von Gesellschaften ausgehalten werden kann. Typisch für die Region ist eine grundsätzliche Inkongruenz der politischen, ethnischen und sprachlichen Grenzen. Schon diesem komplexen Gefüge einen Namen verleihen zu wollen, ist ein schwieriges Unterfangen, legen doch z. B. die in der Italianistik gebräuchlichen Begriffe der letteratura del nordest oder der Literatur der Ostgrenze Italiens eine Blickrichtung fest, die die wissenschaftlichen Beiträge gerade nicht in dieser Eindimensionalität anstreben, oder vernachlässigt die Rede von den interkulturellen Kontakten der östlichen Adriaregion (abgesehen von der historisch gesehen nicht unproblemati-

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HEIKE BROHM

sehen Begrifflichkeit) die deutschsprachigen Komponenten. In seinem Beitrag wechselt Guagnini konsequent die Seiten. Als eine der schillerndsten Autorenpersönlichkeiten in dieser Region erscheint Scipio Slataper, dessen Texte eine aus heutiger Sicht ambivalente Mischung aus Patriotismus und Transkulturalität ante litteram darstellen. Von ihm ausgehend begegnen uns die großen Namen: Saba, Stuparich, Tomizza, Pahor, Merku, Kosuta, Cergoly, Fölkel, in aktueller Zeit Magris, Mattioni, Rosso, Burdin, Dedenaro, Bartolini, Zannier - um nur einige der von Guagnini besprochenen Autoren zu erwähnen. Dabei zeigt sich als Grundphänomen dieser Literatur, dass das 1960 von Milano eingeführte Epitheton »letteratura di frontiera« auf eine Literatur zielt, die nach Wegen eines emanzipierten und konstruktiven Umgangs mit dem politischen und kulturellen Phänomen der Grenze sucht. Ein komplexer Grenzraum im Nordosten Italiens ist die Hochebene von Asiago, die ebenso wie das Triestiner Hinterland oder Istrien im Laufe der Geschichte zwischen die Fronten nationalistischer Interessen geriet. Rudolf Behrens widmet seinen Artikel dem Schriftsteller Mario Rigoni Stern und analysiert die literarischen Semantisierungen dieser transkulturellen, durch die zimbrische Tradition geprägten, seit der nationalstaatliehen Einigung zu Italien gehörenden Region als Natur- Grenzund Erinnerungsraum. Ausgehend von den aktuell diskutierten Raumtheorien Foucaults, de Certeaus u. a. entlarvt Behrens die nationale Grenze als »Scheinnaturalisierung« und schreibt der Literatur die Funktion zu, der Transkulturalität nachzuspüren, die in verdrängter Form jeder nationalen Grenze zugrunde liegt und sich im literarischen Text neuen Raum verschafft, um die genannten Homogenisierungen zu zersetzen. Am Beispiel der beiden Texte Storia di Tönle und Le Stagioni di Giacomo zeigen sich insbesondere zwei Tendenzen, die nach Behrens die literarischen Topographien Rigoni Sterns kennzeichnen: Durch die Archäologie kultureller Differenzen in Fonn des Nebeneinanders von Sub- und Superstraten wird erstens eine »Rettung« der in Vergessenheit geratenen Transkulmration durch den Erinnerungsraum der Literatur angestrebt. Den zu diesem Zweck aufgespürten Traumata wohnt zweitens ein ethischer Impetus inne, welcher sich der vom nationalistischen Denken ausgehenden Gewalt widersetzt. In besonderer Weise hat sich die Triestiner Literatur um die phänomenologische Sensibilisierung gegenüber dem Phänomen der Transkulturation und der Responsivität kultureller Identität verdient gemacht, die sich angesichts einer radikalen unauslöschlichen Fremdheit offenbart. Dennoch läuft auch sie Gefahr, in der Rezeption zum idealistischen Klischee zu werden, indem die kulturelle Heterogenität und ihre Differenziationsprozesse Gefahr laufen, in der Begriffsbildung der Literaturkritik

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EINLEITUNG

als objektive Kategorie domestiziert zu werden (vgl. z. B. den >Schmelztiegeltoposeigene< Verhältnis zum Fremden beständig neu und kritisch zu hinterfragen. Immacolata Amodeo rückt in ihrem Aufsatz über die in Deutschland lebenden italienischen Schriftsteller Chiara de Manzini-Himrnrich, Giuseppe Gimabusso, Sonia Guerrera und Piero Salabe eine über lange Zeit hinweg marginalisierte Literatur in den Vordergrund. Alle besprochenen Autoren prägt ein Schreiben zwischen der italienischen und der deutschen Sprache. Chiara de Manzini-Himmrichs beispielsweise schrieb zunächst überwiegend italienische Texte, die teilweise ins Deutsche übersetzt wurden. In den letzten Jahren wurden ihre Texte zunehmend zweisprachig, wobei die Wahl einer sprachlichen sich immer auch mit der Wahl einer je kulturell verschiedenen, und psychologischen Perspektive verbindet. Giuseppe Giambusso wird als Autor vorgestellt, der maßgeblich an der kreativen Diffusion bestimmter Topoi der italienischen Immigration nach Deutschland beteiligt ist. So wird z. B. der Topos des Koffers zum Ausdruck der Projektion einer bestimmten Vorstellung von >Fremde< sowie zu einer Praxis des kulturellen Gedächtnisses. Giambussos Texte charakterisiert zudem das Bewusstsein für eine weitgehende Polyglossie, in der neben dem gesprochenen sizilianischen Dialekt das Italienische die Sprache der schriftlichen Sozialisation und damit der Mythos vom Italienischen als Sprache der Heimat dekonstruiert wird. Sonia Guerreras Bilingualität prägt die jiddische Sprache, durch die sich die Erinnerung an die Shoah einschreibt und Schreiben zur Trauerarbeit wird. Irritationen der »Selbstbetrachtung und -erkenntnis« kennzeichnen schließlich die Texte des jüngsten dieser Autoren, Piero Salabe, dessen

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HEIKE BROHM

Produktion sich mühelos in Italienisch und Deutsch vollzieht. So seien die genannten Autoren Beispiele für eine »produktive >Wurzellosigkeit«< innerhalb der aktuellen »postnationalen Konstellation« kultureller Identitätskonstrukte. Chiara de Manzini-Himmrich untersucht in ihrem Beitrag die transkulturelle Funktion literarischer Topoi am Beispiel der Literatur italienischer in Deutschland lebender Autoren. Diese Topoi sind insbesondere der bereits erwähnte >KofferFremde< und die Sprache (als >Fremde>natürlichen« Übernahme der deutschen und Österreichischen antiken und modernen Kulturwissenschaften - die sich auch in einer bemerkenswerten Übersetzungstätigkeit der Klassiker gezeigt hat (von Warburg, 28 dessen Atlas inzwischen in verschiedenen Formaten erhältlich ist, bis hin zu Assmann29 ) - fehlen dagegen im italienischen Verlagsbereich die neuesten Beiträge der deutschen und Österreichischen Kollegen fast vollständig. Ich beziehe mich hier auf einige Studien von Friedrich Kittler, Hartmut Böhme, Ute Daniel, Ralf Konersmann, Ansgar Nünning und Rainer Winter, um nur einigen zu erwähnen. Es ist klar, dass nur durch eine fruchtbare Auseinandersetzung mit diesen gegenwärtigen Erfahrungen von einem tatsächlichen »Zusammenfluss« deutscher, österreichischer und italienischer Kulturwissenschaften gesprochen werden kann. Die Dringlichkeit und Weitläufigkeit, mit der sich die »kulturwissenschaftliche«30 Forschung in Österreich entwickelt hat, ist sicherlich in erster Linie mit der Neubestimmung der »europäischen« Grenzen ver-

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Luca Crescenzi: »Neostoricismo", in: M. Cometa, Dizionario degli Studi Culturali, 5. 321. lda Fazio: »Microstoria••, in: M. Cometa, Dizionario degli Studi Culturali, 5. 283ff. Aby Warburg: Mnemosyne. L' Atlante della memoria di Aby Warburg, lvo Spinelli/Roberto Venuti (Hg.), Roma: Artemide 1998; ders.: Mnemosyne. L'Atlante delle immagini, Martin Warnke (Hg.), unter der Mitarbeit von Claudia Brink, Massimo Ghepardi, Torino: Aragno 2002; Kurt Forster/Katia Mazzucco: lntroduzione ad Aby Warburg e all' Atlante della Memoria, mit CDRom, Monica Centenni (Hg.), Milano: Mondadori 2002. Vgl. auch Aby Warburg: La rinascita del paganesimo antico. Contributi alla storia della cultura raccolta da Gertrud Bing, Firenze: La Nuova ltalia 2000 und die neue Edition: Torino: Aragno 2003. Vgl. Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München: Beck 1999; it.: Ricordare. Forme e mutamenti della memoria culturale, übersetzt von Simona Paparelli, Bologna: ll Mulino 2002; Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München: Beck 1992; it.: La memoria culturale. Scrittura, ricordo e identita politica nelle grandi civilta antiche, übersetzt von Francesco De Angelis, Torino: Einaudi 1997. Micheie Cometa: "[[ ritorno dei Cultural Studies••, in: C. Lutter/M. Reisenleitner, Cultural Studies, 5. lXff.

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bunden, einem Problem, welches sowohl österreichisch als auch italienisch ist, wie die Diskussion um die neue »kulturelle« Ordnung im Mittelmeerraum hervorhebt. Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist die italienische Region aus der ich komme, nämlich Sizilien, 31 welche sich durch die zahlreichen Immigrationsströme und die Gründung neuer Ansiedlungen innerhalb des heimatlichen Landesgebietes rasch auf dem Wege zu einer Neubestimmung der eigenen Kulturgrenzen befinden wird. Es geht also darum, sich in Italien - wie auch in Österreich und in Deutschland - kritisch über die gesellschaftlichen Voraussetzungen des kürzlich erfolgten cultural turn der Geisteswissenschaften zu befragen, die von der Auseinandersetzung mit dem Anderen stimuliert wird, anstatt sich im Lichte der »gemeinsamen« und »natürlichen« (komfortablen) idealistischen, henneneutischen und kommunikativ-semiotischen Ursprünge zu sonnen.

Kulturwissenschaften in Italien? Man kann die Frage bezüglich des institutionellen Niederschlags der Kulturwissenschaften in Italien von einem vornehmlich kulturellen und theoretischen Gesichtspunkt her angehen (Restbestände philosophischen Idealismus, Desinteresse und Desillusion gegenüber der marxistischen Tradition usw.), oder indem man die Rückständigkeit und jetzt auch das wesentliche Scheitern der Reformversuche des italienischen Schul- und Universitätswesen berücksichtigt. Man mag in dem bisher Gesagten noch etwas Wichtiges vermissen. Ich habe von »ausländischen« und »inländischen« Forschungstraditionen gesprochen, die sich auf die Anglistik und Germanistik beziehen, auf Geschichtsphilosophie und Anthropologie, auf Medienwissenschaften und Semiotik usw. Wer sich aber mit Cultural Studies beschäftigt, weiß dagegen, dass die vornehmste Pflicht eines »kulturwissenschaftlichen« Ansatzes eine Kritik betreffs der eigenen »Lokalisierung« und also der eigenen »Identität« sein muss. Die beinahe vollständige Abwesenheit der Italianistik ist daher symptomatisch in dieser Debatte. 32 Sie ist noch schwerwiegender, wenn man bedenkt, dass diese kritische Untersuchung 31

Zum Subjekt der Kulturwissenschaften vgl. Micheie Cometa: »lntroduzione", in: M. Cometa, Dizionario degli Studi Culturali, S. 15ff.; dt.: »Literaturwissenschaft vs. Kulturwissenschaft. Eine Scheinalternative«, in: Germanistentreffen Deutschland-Italien 8.-12. Oktober 2003. Dokumentation der Tagungsbeiträge, Bann: DAAD 2004, S. 79-98. 32 Unter den wenigen Ausnahmen: Tullio De Mauro: La cultura degli italiani, Interview mit F. Erbani, Bari, Roma: Laterza 2004 und Ernesto Galli della Loggia: L'identita italiana, Bologna: ll Mulino 1998.

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nach der eigenen nationalen und disziplinären Identität innerhalb der zitierten Auslandsphilologien und Geisteswissenschaften bereits eingeführt worden ist. Kürzlich hat sich Gian Piero Piretto33 - ein Slavist aus Mailand- sogar dem Problem einer kritischen Analyse der Identität der Slavistik in Italien gestellt, und zwar im Rahmen des weiter greifenden Kontextes einer Kritik der italienischen Universität, die durch die neuen gestuften Studiengänge (das sogenannte »3+2«) in eine schwere Krise gestürzt wurde. Und die Italianisten? Wenn man einige lobenswerte Initiativen zur italienischen Identität ausschließt, welche von Verlagen wie Il Mulino und den Editori Riuniti gefördert wurden - im Besonderen die nunmehr 45 Bände der Reihe L 'Jdentita italiana34 und die Storia fotografica della societa italiana von Giovanni De Luna und Diego Monnorio geleitet - die allerdings außerakademisch sind, so ist die Lage tatsächlich peinlich. Umso mehr, da in den Vereinigten Staaten und in England die Italian Cultural Studies oft mit Erfolg praktiziert werden. 35 Der einzige italienische Studiengang, der nach der Reform der Universität geplant wurde, ist in Rom an der Universität La Sapienza - das wichtigste Athenäum der Hauptstadt - eingerichtet worden, und zwar mit dem Titel Studi culturali italiani. 36 Auch dieser ist nur eine wortwörtliche Wiederholung der allertraditionellsten Curricula der modernen Literaturwissenschaften, mit ihrer Literaturgeschichte, Philologie, Didaktik usw. Weder die Geschichte der Frauen, die Kolonialgeschichte, noch die neuen Medien- und Gender Studies oder gar die italienische Filmgeschichte, welche im Ausland zu einem Kernpunkt der italienischen Identitätsforschung geworden ist, spielen in diesem Studiengang eine Rolle. Wenn man vom Beispiel des Studienganges von Chambers in Neapel, Studi Culturali e postcoloniali absieht (der nur dank einer Versetzung des Dozenten zur Fakultät der Politischen Wissenschaften möglich wurde), wird der Ausdruck »Kulturwissenschaften« lediglich von wenigen Dozenten gebraucht, unter denen man Ugo Fabietti, Anthropologe in 33

Gian Piero Piretto: »Prospettive e limiti della degli studi culturali nella slavistica italiana«, in: eSamizdat 3 (2005), 5. 15-19: http: I /www.esamizdat. itltemi/piretto1.htm vom 8. Juli 2006. 34 Die Bände behandeln Themen wie: Mirafiori, Carosello, La mamma, Amedeo Nazzari, La pasta e la pizza, Coppi e Bartali, ll liceo classico, L'altare della Patria, Persönlichkeiten wie D'Annunzio, Bruno, Gentile, Verdi, Mattei, und geographisch-politische Fragen wie La Romagna, Le Alpi, ll Piave, L'autostrada del Sole etc. 35 Vgl. Zygmut G. Baranski/Rebecca J. West (Hg.): The Cambridge Campanion to Modern ltalian Culture, Cambridge: CUP 2001 und David Forgacs/Robert Lumley (Hg.): ltalian Cultural Studies, Oxford: OUP 1996. 36 Vgl. http:/ /lettere.uniroma1.itlpagine/nuovo_ordinamento_02-03/03/03_ Studi_cult_ita.html vom 8. Juli 2006.

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Mailand Bicocca, und die Historikerirr Paola Di Cori der Universität von Urbino nennen muss, die »Studi culturali e di genere« lehrt. Im Übrigen fehlen die Cultural Studies vollkommen im Lehrplan der neuen Studiengänge, wenngleich das Wort »Kultur« beinahe zwangsläufig in fast allen Studiengängen von Fremdsprachen und Literatur vorkommt. Innerhalb der fremdsprachlichen Fakultäten wurde ja Kulturgeschichte bisher gelehrt, allerdings auch in diesem Fall nur am Rande und der Literatur untergeordnet. Es scheint jedoch, als zeigten die Studiengänge nach dem Universitätsdiplom, die sogenannten masters, eine gewisse Vitalität. Aber auch hier sind es Initiativen, die- wenngleich auch von hohem Niveau- sporadisch bleiben. Dies ist beispielsweise der Fall bei dem von mir in Palenno geleiteten Masterlehrgang Comunicazione e Cultura Visuale, der von den Prinzipien der amerikanischen und europäischen visual culture angeregt wird. Ein weiterer ist der Masterlehrgang Studi culturali, comunicazione e cultura visuale, der in Bari von Paola Zaccaria und Patrizia Calefato mit einer klaren semiotischen Anlage geleitet wird. Wir bewegen uns jedenfalls wiederum außerhalb der italienischen Identitätsforschung, innerhalb der Grenzen der internationalen »visual studies«, die sich mit »italienischer Kultur« nur marginal auseinandersetzen. Ein wachsendes Interesse einzelner Dozenten für einige typische Aspekte der Kulturwissenschaften ist sichtbar, wie etwa für die postkoloniale Forschung, den Multikulturalismus, die Gender Studies, sowie die Gay and Lesbian Studies, 37 die Cyberculture. 38 Aber solche Lehrtätigkeit oder Forschung wird - nicht ohne Widerstand - innerhalb traditioneller Literatur-Lehrgänge, der Kultursoziologie, oder innerhalb der Kulturanthropologie unternommen, ohne dass sich eine wahrhaftige Transversalität entwickeln könnte, und noch weniger ein öffentliches Bewusstsein für diese Disziplinen. Man könnte paradoxerweise sagen, dass viele der innovativsten Angebote innerhalb der klassischen Disziplinen wie z.B. der theoretischen Philosophie, der Philosophiegeschichte, der Ethnographie ans Licht kommen. Die platzraubende Präsenz der Facolta di Beni Culturali - die sicherlich für die italienische Identität von entscheidender Wichtigkeit ist - und die Lehrgänge Interkulturelle Pädagogik oder Kulturelle Mediation haben dagegen auf institutioneller Ebene den Gebrauch der Bezeich-

37 Marco Pustianaz: »5tudi gay e lesbici« und »5tudi queer", in: M. Cometa, Dizionario degli 5tudi Culturali, 5. 436ff. und 5. 441ff. 38 Francesca Balestra: "(ultura cyborg", in: M. Cometa, Dizionario degli 5tudi Culturali, 5. 146ff., und Federica Frabetti: "Postumano", in: M. Cometa, Dizionario degli 5tudi Culturali, 5. 338ff., und Rino 5chembri: »Realta virtuale«,in: M. Cometa, Dizionario degli 5tudi Culturali, 5. 344ff.

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nung »kulturell« im italienischen Universitätssystem inflationiert, ohne jedoch eine wahre Interdisziplinarität zu fördern. Dieser institutionellen Unsicherheit muss man noch hinzufügen, dass außerakademische Initiativen nur vereinzelt vorkommen. Umgekehrt hat wenn überhaupt das italienische Ministerium für Unterricht, Universität und Forschung in seinem Sonderprogramm zu »Forschungsprojekten von besonderer nationaler Wichtigkeit« interdisziplinäre und interuniversitäre Forschungsgruppen finanziert, die sich mit typischen Themen der Kulturwissenschaft beschäftigen. Sogar die mutigsten außerakademischen Unternehmen, wie der schon erwähnte Meltemi Verlag in Rom - dem die Einführung von Klassikern wie Spivak, Bhabha, Zizek, Appadurai, Butler, Chow, Clifford, Gilroy, Loomba, Mirzoeff und eine Reihe von original italienischen kulturwissenschaftlichen Forschungen zu verdanken ist- Zeitschriften wie Agalma (Rom), Studi Culturali (Bologna), Comunicazioni sociali. Rivista di media, spettacolo e studi culturali (Mailand), sowie einige onlineInitiativen (Arcojourna/, 39 Culture 40 ) und die Portale für Cultural Studies (Visual Anthropology,41 Culturalstudies 42 ), leben von einem ständigen Austausch mit der Universität und der Universitätsdidaktik und machen unter Umständen erst deren Defizite deutlich.

Ein Paradigma Doch möchte ich mich hier kurz einem anderen theoretischen Problem zuwenden, von dem meines Erachtens die Zukunft der Kulturwissenschaften in Italien abhängt. Ich beziehe mich auf den dritten Teil meines Titels, in dem ich von einem »Paradigma« für die italienischen Kulturwissenschaften spreche. Ich bin mir wohl bewusst, dass die Idee eines »Paradigmas« - sei es nun historisch oder methodologisch - im Sinne eines »Kanons« im Falle der Kulturwissenschaften recht suspekt aussieht, selbst wenn man sich- wie es beim Dizionario degli Studi Culturali oder bei den deutschen und Österreichischen Vorbildern der Fall ist- nur auf ein Panorama der wichtigsten Tendenzen und Traditionen, oder gar auf einen Syllabus beschränkte. Außerdem stünde die Idee eines »italienischen« Paradigmas im Widerspruch zu den theoretischen Voraussetzungen der Kulturwissenschaften, wie immer man sie auch verstehen will.

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http: I /www.arcojournal.unipa. it/index_it.html vom 8. Juli 2006. http:/ /www.club.itlculture/culture2003/sommario.html vom 8. Juli 2006. http:/ /www.visualanthropology.net vom 8. Juli 2006. http:/ /culturalstudies.it vom 8. Juli 2006.

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Hier soll natürlich kein »italienischer Weg« zu den Kulturwissenschaften geschaffen werden und auch kein Ruhmeslied auf die Errungenschaften der Kulturwissenschaften Italiens gesungen werden. Es wäre allzu leicht, sich auf Vico zu berufen, oder auf den Formen der Kulturgeschichte ante litteram zu bestehen, oder aufzuzeigen, dass es außerordentliche Werke wie die Abhandlung Sui costumi degli italiani von Giacomo Leopardi gibt einschließlich ihrer Aktualisierungen im 20. Jahrhundert. Ich werde im Gegenteil eine Annäherung an die italienischen Kulturwissenschaften vorschlagen, welche aus der »Refraktion« der Physiognomie einiger italienischer Wissenschaftler im Spiegel des »Anderen« erwächst. Dies ist ein Vorgang, welcher zumindest eine kritische Sicht auf das eigene Ich erlaubt, wie Kulturwissenschaftler wissen. Aber nicht allein dies. Diese »Refraktion«, dieser »Durchgang« - eine Passage? - durch vollkommen anderes Gebiet, bringt noch einen weiteren Vorteil. In gewissem Sinne weckt dieses Verfahren das in den Texten unbeachtet schlummernde Potenzial - im besonderen Falle auch das im Leben der Autoren schlummernde Potenzial; Energien, welche nur aus einer weiter entfernten transnationalen Perspektive erkennbar werden. Es ist jene »zweite Jugend«, die Goethe in den eigenen Werken nach der Auseinandersetzung mit anderen Sprachen und Kulturen erkannte, wie man in der großartigen Abhandlung zur Weltliteratur lesen kann. Gerrau das ist italienischen Autoren wie Gramsci, Pasolini und De Martino geschehen und geschieht noch. Gramsei ist wohl der sichtbarste Fall, wenn man bedenkt, dass er nach Italien »zurückkehrt«, und zwar durch die »Refraktion« der amerikanischen oder indianischen Cultural Studies und der deutschen und österreichischen43 Kulturwissenschaften. Es ist nicht nur eine Frage der Inhalte oder der spezifischen Studienobjekte einer kulturwissenschaftlichen Forschung. Es ist bekannt, dass Gramscis Kulturtheorie vollkommen dem »whole way of life« der angloamerikanischen Cultural Studies entspricht, und sein Beitrag zur Forschung über die »italienische Frage«, über die italienische Identität unschätzbar ist. Dasselbe gilt sicher für Pasolini und seine »Medienwissenschaft«, in welcher er die Entwicklung der italienischen mass-media und der Generationen, die solche »neuen Medien« (Radio, Fernsehen, Film) benutzen, 44 besonders aufmerksam 43 Vgl. Giorgio Baratta: Le rose e i quaderni. ll pensiero dialogico di Antonio Grarnsci, Rorna: Carocci 2003, 5. 176ff; dt.: Das dialogische Denken Antonio Gramscis, übersetzt von Leonie Schröder, Frankfurt/Main: Lang 2003. 44 Vgl. zumindest Pier Paolo Pasolini: Saggi sulla politica e sulla societa, Walter Siti und Silvia De Laude (Hg.), mit einem Essay von Piergiorgio Bellocchio, Zeittafel von Nico Naldini, Milano: Mondadori 1999.

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verfolgte. Auch die intensive Arbeit De Martinos 45 über das kulturelle Gedächtnis und zum Verhältnis zwischen Psychopathologie und Ethnologie, insbesondere in Bezug auf den Süden Italiens, muss erwähnt werden. Es handelt sich hier um Intellektuelle, deren Arbeit weit über die akademische Forschung hinausreicht; sie haben auf unterschiedliche Art mit ihrer politischen und publizistischen Arbeit dazu beigetragen, die Gesellschaft und die Kultur Italiens tiefgreifend zu verändern. Sie waren drei »Ethnographen der Gegenwart« im edelsten Sinne des Wortes, die aufmerksam das Verhältnis von intellektueller Produktion und Konsum, von Technik und Wissenschaft (wie später nie wieder), von Emigration und Integration verfolgten. Ihre »Ethnologie der Gegenwart« vergisst keinen Bereich der italienischen Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts, von den Medien bis zur Mode, von der Sexualität zur Folklore, von der Jugendkultur zu den archaischen Resten innerhalb der modernen Psyche. Einige heute unvermeidbare Fragen sind bereits weitreichend vorgezeichnet und analysiert: so diejenige zur Globalisierung und dem Verhältnis zwischen globalen und lokalen Kulturen (Pasolini spricht in diesem Zusammenhang von genocidio - von »Völkennord«), oder zum Verhältnis zwischen archaischen Bewusstseinsresten, also zwischen Erinnerung und Vergessen, innerhalb des Aufbaus von kulturellen Identitäten (De Martino ). Dieser »Kanon« könnte beliebig erweitert werden auf bedeutende Namen wie Carlo Levi, Rocco Scotellaro u.a. Dennoch ist es nicht dieser »Kanon«, den ich suche, wenn er auch möglich und bedeutend sein könnte. In den Werken dieser Autoren will ich nicht so sehr die Innovation der Inhalte hervorheben, die oftmals sogar den Cultural Studies von Birmingham voraus sind, sondern ich möchte hier einen Hinweis festhalten, den Birgit Wagner vor ein paar Jahren in einer wichtigen Abhandlung über »Denken (und Schreiben) in Netzwerken« 46 gegeben hat, die Gramsci, Benjamin und Machado gewidmet ist und in einem für die deutsch-österreichischen Kulturwissenschaften wichtigen Buch erschien, nämlich in Die Werkzeugkiste der Cultural Studies, herausgegeben von Udo Göttlich, Lothar Mikos und Rainer Winter. In diesem Essay hebt Wagner die Analogien hervor, die 45 Vgl. Ernesto De Martino: ll mondo magico, Torino: Bollati Boringhieri 1948 und ders.: Sude magia, Milano: Feltrinelli 1959. 46 Birgit Wagner: »Denken (und Schreiben) in Netzwerken: Antonio Gramsci, Walter Benjamin und Antonio Machado", in: Udo Göttlich u.a. (Hg.), Die Werkzeugliste der Cultural Studies. Prespektiven, Anschlüsse und Interventionen, Bielefeld: transcript 2001, S. 223-242; dies.: "[ quaderni alla luce delle scienze culturali••, in: Rita Medici (Hg.), Gramsci. lllinguaggio della politica, Bologna: Clueb 1998, S. 89-99. Vgl. auch Johanna Borek u.a. (Hg.): Gramsci, Pasolini: Ein imaginärer Dialog, Wien: Verlag für Gesellschaftkritik 1987.

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zwischen diesen ganz besonderen »Schriften im Augenblick der Gefahr« bestehen: das Passagenwerk (1927-1940) 47 von Walter Benjamin, die Quadernidel Carcere (1929-1935) von Antonio Gramsei und der Juan de Mareina (1934-1939) von Antonio Machado. Der Weg, den Wagner weist, zeigt sich also als besonders ergebnisreich, wenn man den unvollendeten Roman von Pasolini Petrolio (1992t 8 hinzufügt, und das ebenso unvollendete opus magnum von Emesto De Martino, La jine del mondo. Contributo all 'analisi delle apocalissi culturali (1977), 49 berücksichtigt. Diese Werke blieben aus verschiedenen Motiven unvollendet: die ersten drei, wie man weiß, aus existenziellen und politischen Gründen, die anderen wegen ihrer stark progressiven Schreibart und - das wäre Anlass zu einer eingehenden Untersuchung - ihres Montage-Charakters, den mancher heute vielleicht als »rhizomartig« bezeichnen würde und der typisch für die Kulturwissenschaften ist. Ein Ausbau der Thesen Wagners führt nun zu wahrhaft ungewöhnlichen Ergebnissen, die nicht nur für die Vergangenheit der italienischen Kulturwissenschaften von großer theoretischer Bedeutung sind, sondern für die Zukunft der Kulturwissenschaft taut court. Es handelt sich um Schreibweisen, welche - wenn auch aus verschiedenen Gründen - eine experimentelle und stark antiakademische Form aufzeigen. Welch äußere Notwendigkeit auch immer zu diesen Schreibformen führte - seien es Gefängnis, Exil, Krankheit oder früher Tod- das, was für uns zählt ist die Tugend, die sie beinhalten; ich würde es ihre theoretische Virtualität nennen. Aus der Not eine Tugend: Es geht darum, innerhalb dieser »Verwandtschaft«, dieser »Familienähnlichkeit«, um es mit Wittgenstein zu sagen, ein gewisses »Etwas« zu finden, das über zufällige und historisch festlegbare Einzelheiten hinausgeht. Besonders, wenn wir diese Schriften anderen textuellen und visuellen Experimenten gegenüberstellen, wie dem bereits zitierten Atlas (1927-1929) Warburgs, dem foucaultschen Archiv und Levi-Strauss' Bricolage. Dabei darf man natürlich nicht in die Falle des rein analogischen Denkens gehen: Zwischen Benjamins Fragmenten und den Notizen Gramscis gibt es wesentliche Unterschiede, sowohl betreffs der Intentionen als auch der Schreibart. Es geht nicht um die sichtbare Fonn dieser beiden brouillons. Gramsei weiß nichts von Montage oder Sammlung als Schreibform, die in Benjamin ausdrücklich

47 Walter Benjamin: Das Passagenwerk, Frankfurt/ Main: Suhrkamp 1982; it.: I ·passages• di Parigi, übersetzt von Renato Solmi, Torino: Einaudi 2002. 48 Pier Paolo Pasolini: Petrolio, Silvia De Laude (Hg.), mit einer philologischen Notiz von Alberto Roncaglia, Milano: Mondadori 2005. 49 Ernesto De Martino: La fine del mondo. Contributo all'analisi delle apocalissi culturali, Clara Gallini (Hg.), mit einer Einführung von Clara Gallini und Marcello Massenzio, Torino: Einaudi 1977.

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theoretisiert sind. Dennoch, wenn man die »Arbeitsweise« beider betrachtet, versteht man viele Ähnlichkeiten. Ich kann sie hier nur aufzählen und eine ausfuhrliehe Analyse auf eine spätere Untersuchung verschieben: die Metareflexionen (das Verhältnis zwischen Text- Anmerkung- Notiz), die Aufmerksamkeit gegenüber Details, die Annahme der aphoristischen Dimension dessen, was Gramsei die »Philosophie der Praxis« 50 nennt, will heißen die Progressivität des Verhältnisses zwischen Theorie und Praxis, schließlich die Praktiken der semantischen Umfunktionierung usw. Hayden White 51 hat uns gelehrt, wie man die Gattungen der Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts interpretieren soll. Die oben zitierten Werke wären wahrscheinlich in die Gattung der Satura/Satyre einzuschließen - jener Fonn von Kulturgeschichte, welche, »wie die Philosophie, grau zu grau fugt«, der eigenen Unzulänglichkeit als Abbild der Wirklichkeit bewusst wird. Das ist die Lektion, die uns gerade die internationalen Kulturwissenschaften erteilen. Deshalb muss man Sammler sein - um einen gelungenen Ausdruck von Thomas Macho52 wieder aufzunehmen - nicht auf die »rhapsodische Unschuld« 53 verzichten - wie Adorno gegen Benjamin behauptet-, mit Gramsei jene »Katastrophen des Charakters« 54 sprechen lassen, die eine wahrhaft innovative Forschung ausmachen, die Fähigkeit also, »aus der Not eine Tugend zu machen«, 55 die für die Schreibformen im Angesicht der Gefahr so charakteristisch ist.

50 Antonio Gramsci: Quaderni del carcere, Kritische Ausgabe des lstituto Gram· sei, Valentino Gerratana (Hg.), 4 Bde., Torino: Einaudi 2001, Bd. 2, S. 1432: .,ßisogna pero intendersi: la filosofia della prassi nata sotto il segno di aforismi e di criteri pratici per un puro caso, perehe il fondatore ha dedicato le sue forze intellettuali ad altri problemi, specialmente economici (in forma sistematica): ma in questi criteri pratici e in questi aforismi implicita tutta una concezione del mondo, una filosofia." 51 Hayden White: Metahistory. The Historical Imagination Nineteenth-Century Europe, Baltimore, London: Johns Hopkins UP 1973; it.: Retorica e Storia, übersetzt von Pasquale Vitulano, Napoli: Guida 1973. 52 Thomas H. Macho: .. Jäger und Sammler in der Wissenschaft••, in: Freitag vom 6. August 1993 und Helmut Lethen: »Kracauers Pendulum. Thoughts on German Cultural History«, in: New German Critique 65 (1995), S. 37-47. 53 Walter Benjamin: Das Passagenwerk, Bd. 2, S. 1117, it.: l •passages• di Parigi, Bd. 2, S. 1077. 54 Antonio Gramsci: »Lettera a Tania del 6 marzo 1933«, in: ders.: Lettere dal carcere 1926-1930, Palermo: Seilerio 1996, Bd. 2, S. 692ff. und ders.: Quaderni del carcere, Bd. 3, S. 1762. 55 Antonio Gramsci: »Lettera a Tania del 22 aprile 1929", in: ders.: Lettere dal carcere, Bd. 1, S. 254: »Tuttavia io credoehe un carcerato politico deve cavar sangue anche da una rapa. Tutto consiste nel dare un fine alle proprie letture e nel saper prendere appunti se si ha il permesso di scrivere."

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Weiter heißt es, mimetische und kontextuelle Strategien zu entwickeln56 - wie bereits in den Quaderni da! Carcere zu lesen ist -, um die Methoden flexibel zu machen und dem Objekt nahe zu bringen, an eine »historische Semantik« zu glauben, anstatt an eine einzige, immerwährend gültige Methode - es ist wieder Gramsci, der hier spricht57 und der, das darf man nicht vergessen, ein Sprachwissenschaftler aus der Schule Graziadio Isaia Ascolis war- und man darf, das ist klar, keine Berührungsängste vor weit auseinanderliegenden Wissensfeldern haben. 58 Man könnte sagen, dass bei Gramsei die Philologie (die Wissenschaft der Besonderheit) im Verhältnis zur Soziologie (die Wissenschaft der großen Zahlen) steht, wie für Benjamin die Kabbalah zum Marxismus. Aber Gramsei ist sich auch immer des heuristischen Potentials der Kontamination - der Hybridisierung - bewusst. Ein Satz aus einem Brief an den Sohn Delio von 1936 ist berühmt geworden, in dem Gramsei auf der Notwendigkeit besteht, sich für »die drei kleinen Schweinchen zu interessieren, um dann ein wunderbares Gedicht von Puschkin zu lesen.« 59 Zu diesem Punkt hat De Martino eine unentbehrliche Lektion beigetragen: Er bewegt sich in seiner letzten unvollendeten Arbeit, die den »Kulturellen Apokalypsen« gewidmet ist, in einer Zwischenwelt von Ethnologie und Psychopathologie - ein Hauptweg der Anthropologie dieses Jahrhunderts -, greift aber zu der literarischen und künstlerischen Imagination, die als »Quelle« für anthropologische und psychologische Forschung gilt wie für andere auch. Dabei vergesse man nicht, dass es sich um eine Forschungsarbeit handelt, welche der apokalyptischen Kulturwissenschaft, die sich mit Blade Runner und Matrix beschäftigt, um einige Jahrzehnte vorauseilt. Die Autoren De Martinos können niemand anderes als Camus, Beckett und Sartre sein - die gnostische Partei der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Aber um Cronenberg, Philipp Dick und die Gebrüder Wachowski zu verstehen, wäre es nützlich, einige bemerkenswerte Seiten über den Körper, über revolutionären Messianismus und über die Psychose als mythischen Restbestand bei De Martino zu lesen, und zwar in dem außergewöhnlichen Work in progress, welches

56 Antonio Gramsei: Quaderni del eareere, Bd. 2, 5. 1404: »Oeeorre fissare ehe ogni ricerea ha un suo determinato metodo e eostruisee una sua determinata seienza, e ehe il metodo si sviluppato ed stato elaborato insieme allo sviluppo e alla elaborazione di quella determinata ricerea e seienza, e forma tutt'uno eon esse." 57 Ebd., 5. 1427: »La studio dell'origine linguistico-eulturale di una metafora impiegata per indieare un eoneetto o un rapporto nuovamente seoperto, puo aiutare a eomprendere meglio il eoneetto stesso, in quanto esso viene riportato al mondo eulturale, storicamente determinato, in eui sorto [ ... ]•• 58 Ebd., 5. 1429. 59 Antonio Gramsei: »Lettera a Delio del 1936«, in: ders., Lettere dal eareere, Bd. 1, 5. 774.

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die Untersuchung über die kulturelle Apokalypse ist: und das in jener »rhizomatischen« Fonn, in der uns all dies dargeboten wird. Von dieser Form haben die Kulturwissenschaften viel zu lernen. Dies ist das Paradigma, welches wir entwickeln müssen.

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KULTURWISSENSCHAFTEN IN ITALIEN

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MICHELE (OMETA

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Genannt seien hierzu nur die klassische Studie von Thomas S. Kuhn: The Structure of Scientific Revolutions, Chicago: University of Chicago Press 1962; ders.: Die Entstehung des Neuen: Studien zur Struktur der Wissenschaftsgeschichte, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1978 sowie speziell zur Herausentwicklung dieses Systems in der Frühen Neuzeit Steven Shapin: The Scientific Revolution, Chicago: University of Chicago Press 1996 und zur gegenwärtigen Situation Bruno Latour /Steve Woolgar: Labaratory Life: The Social Construction of Scientific Facts, Newbury Park: Sage Publications 1979 und Peter Gallison: Image and Logic: A Material Culture of Microphysics, Chicago: University of Chicago Press 1997. Vgl. zu diesem Prozess Gerhard Gamm: Flucht aus der Kategorie. Die Positivierung des Unbestimmten als Ausgang aus der Moderne, Frankfurt!Main: Suhrkamp 1994. Vgl. dazu Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation. Zur Erfindung eines folgenreichen Konzepts, Berlin: Ullstein 1998; Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Wege zu einer Soziologie des Raums, Frankfurt!Main: Suhrkamp 2006, S. 189ff.

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und Gesellschaftskörper, die in den frühzeitliehen Diskussionen das Instrument einer Scheinnaturalisierung der menschlichen Sozialformen war, 5 im 19. Jahrhundert in anachronistischen Varianten fortgeführt- und eben auch technizistisch instrumentalisiert und pervertiert wurde. Die Metapher diente jetzt offenbar nur noch dazu, die konzentrisch ausgerichtete Einheit eines wie biologisch gedachten Systems nach außen hermetisch abzuschließen und gleichzeitig nach innen über kollektive Identitätsbildungsstrategien umso effizienter zu machen, bis hin zu nationalistischen Ausprägungen und deren faschistischen Steigerungen. Wenn man noch weiter kulturhistorisch ausholen will, dann kann man die Paradoxie des Auseinanderlaufens von naturwissenschaftlichem Entgrenzungsstreben und staatspolitischer Begrenzung im 19. Jahrhundert spekulativ auch so erklären, dass - angesichts drohender biologischer Kontaminationen, Übergriffe und Zersetzungen- die für die Frühe Neuzeit akuten Sorgen um die Integrität des menschlichen Körpers in dem Maß kollektiv ins Feld des Politischen und Sozialen verschoben wurden, wie das Naturwissen auf die Aufhebung der Annahme schließender Systeme drängte. 6 Allerdings, und darauf kommt es uns unter dem Stichwort der Verdrängung hier an, wurde in dieser geometrisierenden Tendenz zur Ordnung und Abschließung des staatlich konsekrierten Raums über scharfe Grenzen eben vieles eingeebnet, was sich unter vormodernen Bedingungen raumpolitischer Ordnungsverfahren noch als selbstverständlich übergreifend, heteronom und überlappend verstand. So müssen wir uns heute gegen die Kraftjener Verdrängung bewusst vor Augen halten, dass vor der modernen geostrategischen Politik, wie sie sich im 19. Jahrhundert formiert, landesbezogene Grenzen keineswegs ortlose Linien waren, sondern breite und unregelmäßig sozial stratifizierte Räume des Hybriden, Zonen des Übergangs und der Transformation, Landstriche, in denen sich territoriale, kulturelle und kirchliche Hoheitsansprüche überschneiden und überlagern konnten, ohne dass dies zu nennenswerten Schwierigkeiten im Funktionieren sozialer Beziehungsgeflechte geführt hätte. 7 5

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Joseph Vogl spricht im Anschluss an Kantorowicz von den "zwei Körpern des Staates", die in der Frühen Neuzeit das dominante Denkmodell ausbilden, bis sie um 1800 verabschiedet werden. Vgl. Joseph Vogl: Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen, Zürich: Diaphanes 2004. Vgl. zu diesen körperlichen Abschlussverfahren allgemein Albrecht Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts, München: Fink 1999 und speziell zur Grenze des Körpers Claudia Benthien: Haut. Literaturgeschichte- Körperbilder- Grenzdiskurse, Reinbek: Rowohlt 2000. Hans Medick: "Grenzziehungen und die Herstellungen des politisch-sozialen Raumes. Zur Begriffsgeschichte und politischen Sozialgeschichte der Grenzen in der Frühen Neuzeit«, in: Faber/Naumann: Literatur der Grenze, S. 211224 und Merio Scattola: »Die Grenze in der politischen und juristischen Literatur der frühen Neuzeit«, in: Barbara Mahlmann-Bauer (Hg.), Scientiae et artes. Die Vermittlung alten und neuen Wissens in Literatur, Kunst und Musik, Wiesbaden: Harrassowitz 2004, S. 959-977.

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Verdrängtes bleibt allerdings bekanntlich nicht für immer verdrängt, sondern indiziert indirekt selbst irgendwann seine Spur. Und so kann es nicht verwundern, dass das Thema der Grenze in der späten Modeme oder besser: in der Nachmodeme wieder an die Tür des Zeitgeistes klopft. Nicht zufällig haben unter den Bedingungen des Rückblicks auf die Modeme ja auch jene Leitbegriffe an Konjunktur gewonnen, die sich in der einen oder anderen Weise am Grenzbegriff reiben. Zu denken ist an Konzepte wie die Derridasche >DifferanzHeterotopieLandschaft< im Sinne der Projektion von Wünschen und Idealen gemacht haben. Im Gegenteil, der Erzähler protokolliert nüchtern die saisonal bedingten Tätigkeiten, welche die Bauern und ihre Kinder auf den Wiesen und in den Wäldern verrichten: Vieh hüten, Holz sammeln, das Sähen, Ernte einfahren. Diese elementare Funktion des Landes ist allerdings bloß so etwas wie ein semantischer >degre zeroErnte< durch kaum zu verhindernde Detonationen zerrissen zu werden. 28 Dieser sachlich beschriebenen, zugleich aber gespenstischen Inbesitznahme der Erde durch die Bauern steht im Roman eine andere Besitzergreifung diametral entgegen, diejenige nämlich durch den Staat. In der Erzählung sind es unterschiedliche staatliche Besitzergreifungen, die den Bauern zwar eine zeitweilige geregelte Arbeit verschaffen, sie gleichzeitig aber auch mit dem planerischen Rigorismus des faschistischen Regimes konfrontieren. Als Beispiele sind zu nennen: die Errichtung eines nationalen Zeltlagers für die »Avanguardisti, figli degli Italiani all'Estero«,29 die Ausrichtung eines Ski-Turniers der Opera Nazionale Balilla, 30 die Errichtung eines protzigen Denkmals für die »Caduti della Grande Guerra« 31 und die zwangsweise Einführung einer für die Gegend ungeeigneten Rinderrasse. 32 Wie der Nationalstaat mit seinen autoritären Aktionen den angestammten Raum der >montanari< symbolisch okkupiert, so skandiert er auch deren Zeit mit Einschnitten, die ihnen fremd sind. Deshalb leben sie gleichzeitig auf zwei unterschiedlich schnell sich bewegenden Zeitachsen, der regional-lokalen und der historischen. Die erstere erleben die >contadini< als Subjekte des Handelns, die zweite als Objekte von Schikanen, Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen. Die erstgenannte Zeitachse ist zwar weitgehend kongruent mit der biographischen Linie, sie beschreibt aber weder eine Entwicklung noch eine Teleologie. Man könnte eher von einer zyklischen Zeit sprechen, die das Leben auf dieser Zeitachse gliedert. Daher auch der Doppelsinn des Titels: Le stagioni di Giacomo. Dies meint zwar die Etappen eines Älterwerdens, gleichzeitig aber auch die Jahreszeiten, die als ständig wiederkehrende Folge von Zeiteinheiten den Rhythmus des Lebens bestimmen. Im Gegensatz dazu steht die historiographisch dokumentierbare, die sozusagen offizielle Zeit. In Storia di Tonle tritt diese Zeitdimension auf der Handlungsebene noch krasser in Erscheinung, weil dort der gewaltsam erlebte Übertritt des Altipiano von Österreich-Ungarn nach Italien 1866 und die Rückeroberung 1916 durch die Österreichische Armee den zeitlichen Rahmen ausmachen. Hier, in Le stagioni di Giacomo, bilden diese territorialen Vergewaltigungen bloß den historischen Horizont, vor dem sich die herrischen Eingriffe des faschistischen Regimes in den 28 29 30 31 32

Mario Rigoni Stern: Le stagioni di Giacomo, 5. 62ff. Ebd.,S.71. Ebd., 5. 76ff. Ebd., 5. 150ff. Ebd., 5. 88ff.

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regionalen Mikrokosmos als eine Fortsetzung historischer Kontingenzen darstellen. Allerdings wird die historische Zeit auf eine signifikante Weise in der Erzählung immer mitgeführt, und zwar durch Zitate aus einem Geschichtslehrbuch, aus dem Giacomo in der Schule von Zeit zu Zeit vorlesen muss. Es sind Zitate, deren Aussagen die politische und geschichtliche Entwicklung Italiens als eine glanzvolle teleologische Erfüllung des Gedankens der Nation behaupten; aber laut vorgelesen von Giacomo enthüllen sie angesichts der Erfahrungen der >contadini< mit den desaströsen Konsequenzen dieses finalistisch gedachten Prozesses bloß eine unfreiwillige sarkastische Ironie. 33 Schon die Parameter Raum und Zeit sind in der Ausprägung, wie ich sie dargestellt habe, geeignet, dem Leser die Verluste an regionaler Identität vor Augen zu fuhren, die auf das Konto des modernen Nationalstaates gehen. Raum und Zeit - so zeigt es das Buch - werden Gegenstände einer >alienazione storicagebrochenen ItalianitaDazwischen< ist: In politischhistorischer Hinsicht ist sie das Opfer einer mehrfachen >alienazioneNationalkulturRettung< einer verlorenen regionalen Identität der Grenze abzielt, wird überlagert durch ein Moment der Mahnung, das einen ganz generellen Widerstand gegen die 35 Vgl. zu diesem Spannungsverhältnis auch Ernesto Galli della Loggia: »La morte della patria. La crisi dell'idea di nazione dopo la seconda guerra mondiale", in Giovanni Spadolini (Hg.); Nazione e nazionalita in ltalia. Dall'alba del secolo ai nostri giorni, Bari: Laterza 1994, 5. 125-160. Ebenso Gian Enrico Rusconi "L'identita nazianale e la sfida separatista«, in: G: Spandolini, Nazione e nazionalita in ltalia, 5. 223-236.

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nivellierende Kraft von Gesellschaften in modernen nationalstaatliehen Strukturen mobilisiert. 36 Rigoni Sterns Leistung bzw. diejenige seiner Texte bestünde denmach vor allem im diskreten Insistieren auf der Konkretion von Erfahrungen in einem realen und zugleich symbolischen Raumgefüge, das durch vielfältige transitorische Passagen seine Konsistenz paradoxerweise in den Spuren von Übergängen, Transgredierungen und Überlagerungen findet und damit am Rande des nationalstaatliehen Territoriums die von diesem zerstörte Fragilität eines Lebens im Dazwischen sichtbar macht.

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ln diesem Zusammenhang ist auf die klassische Analyse des Spannungsver· hältnisses zwischen nationalen und regionalen Identitätskonzepten und seiner Geschichte von Ruggiero Romano zu verweisen: Paese ltalia. Venti secoli d'identita, Roma: Donzelli 1994.

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VOM TOTALITÄREN ZUM ANTHROPOLOGISCHEN RAUM DES FREMDEN IN DER NARRATIVIK BORIS PAHORS

HEIKEBROHM

Nachhaltiger Frieden in Europa erfordert durchlässige Grenzen. Die Referenda in Frankreich und den Niederlanden haben uns aber in Erinnerung gerufen, dass der Umgang mit kultureller Fremdheit auch neues Wissen erfordert. Kulturelle Räume wie ihre Grenzen sind relationale Phänomene, innerhalb derer kulturelle Fremdheit nicht ein Daneben oder ein Jenseitiges bezeichnet, sondern als Alterität zu immer neuer Verantwortung herausfordert. Neben der Mehrsprachigkeit und der kognitiven und räumlichen Mobilität wird Fremdheit selbst zur soziokulturellen Kompetenz, zur Fähigkeit, Differenz zu sich selbst zu bilden, sich selbst immer auch als Anderen zu verstehen. Solcherlei Transkulturationsprozesse spielen in Triest und seiner geographischen Umgebung, dem Karst und der istro-kvarnerischen Bucht, eine besondere Rolle. Die historischen multiethnischen Erfahrungen in der Region ermöglichten eine Fülle von Literatur, die - aus der Triestiner Region stammend und bzw. oder über diese schreibend- die Bedeutung der Alterität für das Zusammenleben von Kulturen thematisiert. Triest, das bis 1918 zur k.u.k.-Monarchie gehörte, kam nach dem Krieg mit seinem Hinterland zu Italien. Dieses Hinterland bestand zum einen aus dem hauptsächlich von Slowenen bewohnten Karst und zum anderen aus der Halbinsel Istrien mit ihren italienisch besiedelten Küsten und dem slowenisch-kroatischen Inland. Doch während die Hafenstadt vorher einer der wichtigsten Umschlagplätze der österreichischungarischen Doppelmonarchie war, wird sie von Italien zunehmend in die nationale Peripherie gedrängt. Nicht zuletzt aus dieser Erfahrung der >mnerlösten erlösten« Stadt heraus, um ein Wort Renate Lunzers zu gebrauchen, 1 avancierte die Stadt unter dem Faschismus zur Italianissima, was eine starke Ablehnung gegenüber jeglicher kultureller Alterität Terminus geprägt durch Renate Lunzer: Triest. reichische Dialektik, Klagenfurt: Wieser 2002.

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Eine italienisch-öster-

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mit sich brachte und sich gegen die bis zu 90 verschiedenen Ethnien richtete, die hier unter der Doppelmonarchie zu finden waren. Insbesondere aber war von den sich verschärfenden nationalistischen Tendenzen die sogenannte >slawischen Komponente< in der Stadt betroffen. So wurde im Laufe der Zeit aus dem habsburgischen Tor zum Mittelmeer als Inbegriff für Weltoffenheit und Multikulturalität ein auf westlicher Seite angstvoll bewachtes >Tor zum Balkan