Spanien aus deutscher Sicht: Deutsch-spanische Kulturbeziehungen gestern und heute [Reprint 2015 ed.] 9783110924909, 9783484529205

For over 30 years, German-Spanish cultural relations have been a central concern in Dietrich Briesemeister's resear

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Spanien aus deutscher Sicht: Deutsch-spanische Kulturbeziehungen gestern und heute [Reprint 2015 ed.]
 9783110924909, 9783484529205

Table of contents :
Vorwort
I. Hintergründe
Zusammenhänge
– Die Iberische Halbinsel und Europa. Ein kulturhistorischer Rückblick
– Katalonien und Deutschland. Ein Überblick über die kulturgeschichtlichen Wechselbeziehungen
– Spanische Kunst in europäischen Reiseberichten
Fallstudien
– Die deutschen Frühdrucker in Spanien
– Ein anonymer spanischer Bericht über Preußen aus der Zeit des Siebenjährigen Kriegs
– Berlin und Spanien. Ein Streifzug durch die Geschichte
II. Das deutsche Spanienbild
Zusammenhänge
– »Die spanische Verwirrung«. Zur Geschichte des Spanienbildes in Deutschland
– Die spanische Landeskunde in Deutschland nach 1945
– Spanien in der deutschen Essayistik und Zeitungsberichterstattung der Jahre 1945 bis 1968
Fallstudien
– »allerhand iniurien schmehkarten pasquill und andere schandlose ehrenrürige Schriften und Model«. Die antispanischen Flugschriften in Deutschland 1580–1635
– Der satirische Bilderbogen vom »Signor Spangniol«
– Spanien im Wandel. Beobachtungen ausländischer Reisender in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
III. Spanische Literatur in Deutschland
Zusammenhänge
– Hispanica Guelpherbytana. Spanische Drucke des 16. und 17. Jahrhunderts aus dem Besitz der Herzog August Bibliothek
– Die Verbreitung der spanischen Literatur durch neulateinische Übersetzungen des 17. Jahrhunderts
– Die Rezeption der spanischen Literatur in Deutschland im 18. Jahrhundert
– Bertuchs Bedeutung für die Aufnahme der spanischen und portugiesischen Literatur in Deutschland
– Deutsche Übersetzungen aus dem Spanischen (1945–1991)
Fallstudien 1: Von der Celestina zu Gracián
– Die lateinische Celestina. Kommentar und Übersetzung (1587-1658)
– Zu Christoph Wirsungs deutschen Celestina-Übersetzungen (1520 und 1534)
– Vives in deutschen Übersetzungen (16.–18. Jahrhundert)
– Der Einfluß von Alfonso de Valdés in Deutschland
– Die lateinischsprachige Rezeption der Werke von Teresa de Jesus in Deutschland
– Neulateinische Gracián-Übersetzungen aus dem 18. Jahrhundert in Deutschland
Fallstudien 2: Calderón
– Calderón und das Jesuitentheater in München und Ingolstadt
– Der Arzt seiner Ehre und Das große Welttheater in deutschen Übersetzungen und Bearbeitungen
– Zu Joseph von Eichendorffs Übersetzung der autos sacramentales
– Die deutsche Calderón-Forschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
– Max Kommereil und seine Calderón-Studien
– Das »Einsiedler Welttheater«
IV. Geschichte der deutschen Hispanistik
– Die Institutiones in linguam hispanicam (Köln 1614) des Heinrich Doergangk
– Kaspar von Barth (1587–1658) und die Frühgeschichte der Hispanistik in Deutschland
– Zwischen Irrationalismus und Wissenschaft: die hispanistische Forschung im Deutschland des 19. Jahrhunderts
– Der Aufstieg der deutschen Hispanistik (1918–1933)
– Victor Klemperer, Spanien und die Renaissance
Personenregister

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BEIHEFTE ZUR IBEROROMANIA

Herausgegeben von Dietrich Briesemeister, Rolf Eberenz, Dieter Ingenschay, Volker Noll, Klaus Pörtl, Michael Rössner, Bernhard Teuber Band 20

Dietrich Briesemeister

Spanien aus deutscher Sicht Deutsch-spanische Kulturbeziehungen gestern und heute Herausgegeben von Harald Wentzlaff-Eggebert

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 2004

Gedruckt mit Unterstützung des Programms ProSpanien des Ministerio de Educación, Cultura y Deporte de España und der Fundación Xavier de Salas

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-52920-2

ISSN 0177-199X

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2004 http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Satzbüro Oli Heimburger, Mössingen Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen Einband: Verlags- und Industriebuchbinderei Nädele, Nehren

Inhalt

Vorwort I. Hintergründe

VII 1

Zusammenhänge

- Die Iberische Halbinsel und Europa. Ein kulturhistorischer Rückblick - Katalonien und Deutschland. Ein Überblick über die kulturgeschichtlichen Wechselbeziehungen - Spanische Kunst in europäischen Reiseberichten

3 22 42

Fallstudien

- Die deutschen Frühdrucker in Spanien - Ein anonymer spanischer Bericht über Preußen aus der Zeit des Siebenjährigen Kriegs - Berlin und Spanien. Ein Streifzug durch die Geschichte

59 71 81

II. Das deutsche Spanienbild

95

Zusammenhänge

- »Die spanische Verwirrung« (J. W. von Goethe). Zur Geschichte des Spanienbildes in Deutschland - Die spanische Landeskunde in Deutschland nach 1945 - Spanien in der deutschen Essayistik und Zeitungsberichterstattung der Jahre 1945 bis 1968

97 113 134

Fallstudien

- »allerhand iniurien schmehkarten pasquill vnd andere schandlose ehrenrürige Schriften vnd Model«. Die antispanischen Flugschriften in Deutschland 1580-1635 - Der satirische Bilderbogen vom »Signor Spangniol« - Spanien im Wandel. Beobachtungen ausländischer Reisender in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

145 175 190

III. Spanische Literatur in Deutschland

203

Zusammenhänge - Hispanica Guelpherbytana. Spanische Drucke des 16. und 17. Jahrhunderts aus dem Besitz der Herzog August Bibliothek - Die Verbreitung der spanischen Literatur durch neulateinische Übersetzungen des 17. Jahrhunderts - Die Rezeption der spanischen Literatur in Deutschland im 18. Jahrhundert - Bertuchs Bedeutung für die Aufnahme der spanischen und portugiesischen Literatur in Deutschland - Deutsche Übersetzungen aus dem Spanischen (1945-1991)

205 214 228 256 268

Fallstudien 1: Von der Celestina zu Gracián - Die lateinische Celestina. Kommentar und Übersetzung von Kaspar von Barth (1587-1658) - Zu Christoph Wirsungs deutschen Ce/esi/na-Übersetzungen (1520 und 1534) . . . . - Vives in deutschen Übersetzungen (16.-18. Jahrhundert) - Der Einfluß von Alfonso de Valdés in Deutschland - Die lateinischsprachige Rezeption der Werke von Teresa de Jesús in Deutschland . - Neulateinische Gracián-Übersetzungen aus dem 18. Jahrhundert in Deutschland . .

290 296 302 317 332 344

Fallstudien 2: Calderón - Calderón und das Jesuitentheater in München und Ingolstadt - Der Arzt seiner Ehre und Das große Welttheater in deutschen Übersetzungen und Bearbeitungen - Zu Joseph von Eichendorffs Übersetzung der autos sacramentales - Die deutsche Calderón-Forschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts . . . . - Max Kommereil und seine Calderón-Studien - Das »Einsiedler Welttheater«

358 380 387 398 407

IV. Geschichte der deutschen Hispanistik

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- Die Institutiones in linguam hispanicam (Köln 1614) des Heinrich Doergangk . . . - Kaspar von Barth (1587-1658) und die Frühgeschichte der Hispanistik in Deutschland - Zwischen Irrationalismus und Wissenschaft: die hispanistische Forschung im Deutschland des 19. Jahrhunderts - Der Aufstieg der deutschen Hispanistik (1918-1933) - Victor Klemperer, Spanien und die Renaissance

429

Personenregister

351

440 460 475 489 509

Vorwort

Die im vorliegenden Band versammelten Aufsätze sind zwischen den Jahren 1970 und 2002 entstanden. Allein die numerische Relation von 34 Beiträgen in gut 30 Jahren zeigt, daß die deutsch-spanischen Kulturbeziehungen einen kontinuierlichen Arbeitsschwerpunkt im breitgefächerten wissenschaftlichen Werk1 von Dietrich Briesemeister gebildet haben und auch weiterhin bilden, wie jüngste Veröffentlichungen, Arbeitsvorhaben und unser gemeinsames Teilprojekt »Weimar-Jena und Spanien« innerhalb des Jenaer DFG-Sonderforschungsbereichs »Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800« belegen. Den Ausschlag für diese Sammelpublikation anläßlich des 70. Geburtstages von Dietrich Briesemeister gab jedoch die Tatsache, daß die 34 Studien ein unerwartet stark vernetztes Ganzes bilden. Obwohl sie mehrheitlich sehr konkreten Einzelphänomen aus verschiedenen Epochen und Gegenstandsbereichen gewidmet sind, besteht eine Vielzahl mehr oder weniger offensichtlicher Bezüge. So trägt das Wirken deutscher Frühdrucker in Spanien gegen Ende des 15. Jahrhunderts zur frühen Blüte des Buchdrucks in Spanien bei, was nicht zuletzt auch das Entstehen bedeutender deutscher Sammlungen - wie der Hispanica Guelpherbytana - zur Zeit der spanischen Habsburger nach sich zieht; so korrespondiert der anonyme Bericht eines Spaniers über die Organisation des preußischen Staatswesens unter Friedrich dem Großen mit den Berichten deutscher Spanienreisender über gleichzeitige erste aufklärerische Reformen in Spanien; heftige antispanische Propaganda um 1600 findet ihr Gegenstück in der nicht weniger tendenziösen Verklärung der autos sacramentales durch Joseph von Eichendorff; die deutschen Übersetzungen der Werke des lateinisch schreibenden spanischen Humanisten Vives sind ebenso zeittypisch wie die in Deutschland entstehenden neulateinischen Übersetzungen der auf Spanisch verfaßten mystischen Texte von Santa Teresa de Jesús; die humanistische Auslegung der Celestina als Morallehre ist ebenso zeitbedingt wie die Vereinnahmung Calderóns für die katholische Sache durch Teile der hispanistischen Forschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts; das vorbehaltlose Engagement des glühenden Katholiken und Frühhispanisten Heinrich Doergangk für die cosas de España vor 400 Jahren fällt nicht weniger entschieden aus als die Negierung einer spanischen Renaissance durch den italienbegeisterten Romanisten Victor Klemperer. Über diese unterschwelligen Bezüge hinaus kommt die Vernetzung durch explizite Verweise in den Fußnoten und - wie insbesondere im Fall Calderóns - durch die Bildung thematischer Schwerpunkte in der Gliederung des Bandes zum Ausdruck. Zudem sind eine Reihe von Untersuchungen selbst bereits als kulturhistorische Rückblicke auf die Entwicklungen in einzelnen Teilbereichen angelegt: von der Aufmerksamkeit, die spanische Kunst 1

Die Breite seines wissenschaftlichen Interesses, das außer der Hispanistik im weitesten Sinn vor allem noch der Lusitanistik und dem neulateinischen Schrifttum gilt, ist in den beiden ihm gewidmeten Festschriften zum 60. und 65. Geburtstag festgehalten: De orbis Hispani Unguis litteris historia moribus. 2 Bände. Hrsg. Axel Schönberger/Klaus Zimmermann, Frankfurt am Main: Domus Editoria Europaea 1994 (Schriftenverzeichnis, S. 1867-1879) und Dulce et decorum estphilologiam colere. 2 Bände. Hrsg. Sybille Große/Axel Schönberger, Berlin: Domus Editoria Europaea 1999 (Schriftenverzeichnis, S. 1871-1894).

VIII in europäischen Reiseberichten erfährt, bis zur Besprechung der in Deutschland zwischen 1945 und 1991 erschienenen Übersetzungen. Bei den Aspekten der deutsch-spanischen Kulturbeziehungen, die man in diesem Band vermissen wird, handelt es sich in der Regel gerade nicht um Forschungslücken. Vielmehr gehören etwa die Rezeption der spanischen Romanzen um 1800, die des Don Quijote oder innerhalb der Calderön-Studien die von Goethe ausgelöste Flut von Aufführungen auf deutschsprachigen Bühnen, zu den bereits mehr oder weniger genau untersuchten Phänomenen. Dietrich Briesemeister geht es von jeher weniger darum, in einen wissenschaftlichen Disput über die Forschungsergebnisse anderer einzutreten als selbst Forschungslücken zu schließen. Seine Arbeit wird getragen von der Freude am Auffinden und Auswerten unbekannten oder noch nicht berücksichtigten Quellenmaterials. Ihn faszinieren Handschriften oder Flugblätter genauso wie unbeachtete Bücher zum Thema und diese können in lateinischer, spanischer oder deutscher, aber auch in portugiesischer, katalanischer, französischer, italienischer, englischer oder niederländischer Sprache verfaßt sein: Auch wenn es immer um die Kulturbeziehungen zwischen Spanien und Deutschland geht, so werden diese doch - wie im Fall des »Satirischen Bilderbogens vom Signor Spangniol« oder der über Frankreich vermittelten Übersetzungen aus zweiter Hand< - in ihrem erweiterten Kontext gesehen und in eine letztlich gesamteuropäische Perspektive gerückt. Schon ein Blick in Inhaltsverzeichnis und Register der vorliegenden Aufsatzsammlung, aber noch mehr die Lektüre der diachronisch angelegten Beiträge zeigt, wie sehr - trotz Celestina und Calderön - wenig bekannte Autoren und Texte im Vordergrund stehen. Diese enzyklopädische Kenntnis von Primärliteratur wird jedoch nicht allein zur differenzierten Darstellung von Einzelaspekten und größeren Zusammenhängen genutzt, sondern bildet auch die Grundlage für die Beurteilung der - zwischen >schwarzer< und >goldener< Legende - schwankenden Einstellungen gegenüber Spanien, seiner Kultur und Literatur sowie den sie tragenden ideologischen Positionen und propagandistischen Absichten. Das signalisieren bereits Titel wie »Zwischen Irrationalismus und Wissenschaft: die hispanistische Forschung im Deutschland des 19. Jahrhunderts« oder »Der Aufstieg der Hispanistik (1918-1933)«, wird aber auch in Arbeiten wie denen zur Landeskunde, Essayistik und Zeitungsberichterstattung nach 1945 deutlich. Insofern bilanziert der Band nicht nur die Ergebnisse jahrzehntelanger Forschung, sondern bezeugt die stets verspürte innere Verpflichtung Dietrich Briesemeisters gegenüber dem so leicht in Vergessenheit geratenden ursprünglichen Bedeutungsgehalt des Wortes >Professorzwei Spaniern im 19. Jahrhundert Der Abstand zu Europa wuchs unaufhaltsam. Während in England, Deutschland und Frankreich die industrielle Revolution fortschritt, lähmten Bürgerkriege und Militärputsche Spaniens Entwicklung. Die Auseinandersetzung zwischen Traditionalisten und Fortschrittlichen kennzeichnete die innenpolitische und geistige Situation des 19. Jahrhunderts. Zwei Spanien standen sich mit ihren Heilserwartungen für Generationen unversöhnlich gegenüber. Das Verhältnis zu Europa war gespalten. Die Konservativ-Bürgerlichen, für die Demokratie, Sozialismus und Liberalismus Teufelswerk und Glaubensfeinde darstellten, widersetzten sich um der Bewahrung des »echten« Spanien willen jeder Öffnung und Erneuerung, wie sie, gestützt durch die philosophische Strömung des Krausismus und die bis 1939 einflußreiche pädagogisch-wissenschaftliche Reformeinrichtung der Institución Libre de Enseñanza, von Intellektuellen und Politikern wie Joaquín Costa betrieben wurde. Der Diplomat Donoso Cortés (1809-1853), dessen Ansehen in Deutschland über Carl Schmitt bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg reichte, bezeichnete in seiner Rede über die allgemeine Lage Europas (1850) Spanien als Bollwerk gegen Säkularisierung und modernistischen Ungeist. Spanien bilde die große Ausnahme, eine »Oase in der Wüstenei Europas«. »Wenn Sie je den Wunsch verspüren sollten«, schrieb er 1849 an Louis Veuillot, »das geistige Europa hinter sich zu lassen, ohne jedoch über die Grenzen des geographischen Europa hinauszugehen, dann kommen Sie nach Spanien!« Der Philosoph Jaime Balmes griff die verbreitete Meinung auf, daß Spanien ein »Land der Anomalien« sei und drehte den Spieß um, indem er behauptete, Spanien ist ganz anders, aber nur eben leider zu wenig bekannt. Auf deutscher Seite stellte Alban Stolz in dem Buch Spanisches für die gebildete Welt (1853) den katholisch-christlichen Geist der spanischen Nation als ideales Maß Spaniens und Europas, als Beispiel unerschütterlichen Glaubens für die deutschen Christen hin. Wenig später entdeckte Pius Bonifaz Gams Spanien als Bundesgenossen gegen das »voltairianische, demokratische und imperialistische Frankreich«. Deutsche Protestanten hingegen wie Friedrich von Wolzogen, der sich selbst als einen »in Culturländern großgezogenen Eu-

6 ropäer« bezeichnete, meinten wie Heinrich von Treitschke, daß von Spanien, einer »sterbenden Nation mit verdorrtem Nationalgeist«, einem Land der Toten und der Ruinen, nichts mehr zu erwarten sei. Die Wiedereinführung der Monarchie (1875) nach einem kurzlebigen Experiment mit der Republik verhieß den Spaniern unter der Zauberformel der »Regeneration« die Heilung von den Krankheiten des Vaterlandes. Die entscheidende Schwäche war und blieb das Bürgertum, das nicht wie in anderen westeuropäischen Gesellschaften den modernen Umbruch mittrug, sondern im Gegenteil den Veränderungen mißtrauisch und ablehnend gegenüberstand. Es suchte seine Vergewisserung nicht im Erfolg, sondern im Rückgriff auf nationalistische Ideale und mit einer verschwommenen Wesensschau, die Minderwertigkeitskomplexe ausgleichen mußten, zugleich aber auch Ressentiments gegenüber Europa bestärkten. Der Aragonese Joaquin Costa (1846-1911), der als Bauemsohn und überzeugter Republikaner das Problem Spanien vor allem in seiner sozialen Dimension erfaßte, war zugleich der leidenschaftlichste Verfechter eines politischen Reformprogramms zur »Wiederherstellung und Europäisierung Spaniens«. Kann Spanien eine moderne Nation werden?, fragte er nach der 1898 besiegelten vernichtenden Niederlage der Kolonialmacht, die auf den Stand einer jener »asiatischen, dekadenten und versteinerten Nationen« herabgesunken sei, die niemand mehr beachte. Mit einem heroischen Kraftakt versuchte er in diesem von einer Handvoll Kranker regierten »Land von Eunuchen« die Tendenz zur »Afrikanisierung« umzukehren, die Spanien immer wieder aus dem europäischen Verbund hinaustrieb, überzeugt, daß auch Europa nicht länger einen »mittelalterlichen Volksstamm in fossilem Zustand« als Anhängsel und Hemmschuh für den Fortschritt dulden werde. Costa verlangte, daß die Staatsausgaben für eine Europäisierung, das heißt für eine Modernisierung des Landes und die Steigerung der Produktivität, erhöht, für die Rüstung jedoch gesenkt werden müßten. Spanien habe sich nicht gegen Frankreich, England oder sonst jemanden in Europa zu verteidigen, sondern es gelte allein, die Armut und den Bildungsnotstand zu beseitigen, die Landbewässerung und das Verkehrswesen zu verbessern. Das nannte er die zweite Reconquista des Landes, und nur so werde jenes neue Spanien entstehen, in dem es genug zu essen gibt, das gebildet ist und denken kann und das sich vor allem »nicht mehr fremd zu fühlen braucht außerhalb der eigenen Grenzen, als wäre es auf einem anderen Planeten oder in einem anderen Zeitalter«. So sehr Costa die Europäisierung mit dem Weckruf »Schulen und Speisekammern« verkündete, so wenig meinte er damit eine desespanolizaciön, den Verlust spanischer Eigenart. Costa war ein Europäer, weil er überzeugter Patriot war, und niemand konnte für ihn ein echter Patriot sein, wenn er nicht im europäischen Zusammenhang dachte. »Versperrt das Grab des Cid (maurischer Beiname des spanischen Nationalhelden Rodrigo Diaz, t 1099 bei der Wiedereroberung - Reconquista der christlichen Herrschaftsgebiete von den Mauren im mittelalterlichen Spanien) mit einem dreifachen Schloß«, forderte er gegenüber jenen, die immer wieder nur die vergangene Größe des alten Spanien beschworen, ohne die Gegenwart zu verstehen.

7 Europäisierung oder Einkehr in die »Spanische Seele« Die Niederlage im Krieg mit den USA 1898 und die Aufgabe der letzten bedeutenden Kolonialgebiete (Kuba, Puerto Rico, Philippinen) wurden als Liquidierung der ehemaligen spanischen Großmacht verstanden. »Wir haben den Status einer amerikanischen Nation verloren und sehen uns nun zurückverwiesen auf einen europäischen Rang, werden aber von ganz Europa in unserer Schwäche und Niederlage verspottet«, klagte Rafael M. de la Labra. Die nationale Katastrophe nach einigen Jahren relativen Wohlstands führte zu einer Neubesinnung darüber, wie sich das Land von diesem Schlag erholen könnte. Es fehlte nicht an Diagnosen und Empfehlungen von Heilmitteln für das nationale Problem, die sich in Erwartung einer Wiedergeburt zwischen kosmopolitischen Träumereien, Utopien und der Rückbesinnung auf die geheimnisvollen Tiefen ewigen Spaniertums bewegten. Die Spanienverdrossenheit, aber auch die Sorge um Bestand und Bestimmung der Nation bildeten eine wichtige Motivgröße der spanischen Literatur, die bei den Vertretern der sogenannten Schriftstellergeneration von 1898 wieder deutlich hervortrat. Im »Leiden an Spanien« gab Europa im positiven wie im negativen Sinn ständig den Maßstab der Erfahrung ab. Spanien, ein leidender oder ein schlafender Riese? Manchen erschien die Öffnung der Fenster zu Europa hin, die Zufuhr frischer Luft als einzige Chance für das Überleben. Spanien hatte den Krieg verloren gegen ein Land der Neuen Welt, fast ohne Geschichte, aber mit einem bedrückenden Potential von Industrie, Wissenschaft, Technik und Geld. Dieser Krieg, unverhüllter Ausdruck der Auseinandersetzung zwischen der angelsächsischen und lateinischen >Rassefeindliche Brüder< im philosophischen Streit um ein Spanienkonzept Miguel de Unamuno (1864-1936), ein baskischer Gelehrter, Dichter und Schriftsteller, der zum eifernden Verteidiger kastilischen Wesens wurde - für Hermann Graf Keyserling der »ewige Spanier«, »Excitator Hispaniae« nach den Worten von Ernst Robert Curtius - , war mit seinen Widersprüchen und irrationalen Gedankensprüngen auch ein Spiegel alter Zwiespälte im Verhältnis Spaniens zu Europa. Zunächst zeigte er sich, von sozialistisch-marxistischen Ideen beeindruckt, wie viele fortschrittlich gesinnte junge Leute, Europa gegenüber sehr aufgeschlossen. In seinem Essay Über das echte spanische Wesen (1895) wird Spaniens geistige Stagnation auf die Abschirmung zurückgeführt, in der die Inquisition das Land gehalten und seine Reform vereitelt hatte. Die Europaidee war jedoch als Möglichkeit in Spanien durchaus vorhanden; daher wollte Unamuno »die Fenster öffnen für die frischen Winde aus Europa«, »das kontinentale Ambiente in sich aufsaugen«, sich europäisieren, damit neue Lebensformen erstünden in dem moralisch versteppten Spanien. »Spanien bleibt zu entdecken, und nur europäisierte Spanier können es entdecken«. Dann schlug Unamunos Verhältnis zu Europa plötzlich um in einen antieuropäischen Affekt, der das Spanische schlechthin als Gegensatz zu Europa bestimmte. Im Kontrast zu diesem Widerpart sollte das eigene Wesen um so deutlicher hervortreten. In einem berühmten Aufsatz über die Europäisierung (1906) warnte Unamuno vor der spirituellen Verfremdung

10 Spaniens durch eine Annäherung an das moderne Europa. Dagegen setzte er auf »unsere alte, afrikanische Weisheit«, die letztlich religiös gegründet ist, und sprach von einer »infamen Vermischung« mit Europa, von dem »abscheulichen, geistigen Mestizentum«. Den echten Spaniern stellte er die Entwurzelten gegenüber, die ihre Wesensform verraten haben, also »unspanisch werden« (desespanolizar) und aus der Art fallen (descaracterizar). Gegen den Weckruf der Europäisierung Spaniens setzte Unamuno auf die umgekehrte, paradoxquijoteske Formel, daß Europa gleichsam in einem Prozeß der Verdauung Spanien anzuverwandeln sei: »Die echte und eigentliche Europäisierung Spaniens, das heißt unsere Verdauung jenes Teils des europäischen Geistes, der unserem Geist gemäß aufgenommen werden kann, setzt erst dann ein, wenn wir daran gehen, uns der geistigen Ordnung Europas aufzuprägen, den Europäern unser Wesen, das unvermischt echte Spanische zu schlucken geben im Austausch für das Ihrige, bis wir versuchen, Europa zu hispanisieren.« Diese mit der Physiologiemetaphorik ausgedrückte geistige Assimilation bedeutete bei Unamuno nicht, daß die Welt am spanischen Wesen genesen müsse, wie es fast gleichzeitig Kaiser Wilhelm II. vom deutschen Wesen behauptete, sondern diese Weise der Einverleibung sollte den dialektischen Vorgang einer Ausfilterung der (metaphysischen) Essenz des unvergänglich Spanischen (castizo) umschreiben. Europa bildete dafür sozusagen nur eine Negativfolie: »Andere Völker haben uns vor allem Institutionen, Bücher hinterlassen, wir haben Seelen hinterlassen.« Die Heilige Theresia wiege jedes Institut, jede Kritik der reinen Vernunft auf. Auf die Klage, Spanien habe wenig geleistet für den wissenschaftlichen Fortschritt, entgegnete der Philologe und Philosoph: »Erfinden sollen die anderen!« Spanien habe seine Seele zu retten als Botschaft für die Welt. Er blieb überzeugt, »daß wir Spanier immer wir sein werden, und wenn die Sintflut von außen über uns kommen sollte«. Unamuno sah die eigentlichen Brüder nicht in Europa, sondern in Spanisch-Amerika: »Dort ist unser Blut, unsere Sprache, dort liegt unsere Zukunft. Die iberoamerikanische Rasse ist die große lateinische Rasse«. Um die eigene Geschichte zu verstehen, müßten die Spanier den Blick auf die Neue Welt richten und sich gleichsam hispanoamerikanisieren (hispanoamericanizar). Vom Ausblick auf die arabisch-afrikanische Welt hielt er dagegen nichts. Der Essayist José Maria Salaverrfa (1873-1940), der zunächst das Alte Spanien (1907) kritisch analysierte, dann aber auf erzkonservative, rechte Positionen umschwenkte, tat die von Costa propagierte Europäisierung als Aberglauben ab. Europäisierer waren für ihn »Agenten der Zersetzung und Auflösung«. »Diese unruhigen Europäisierer wollen Europa mit einem Schlag, mit Taschenspielertricks nach Spanien verpflanzen.« Aber Europa sei Spanien, so Salaverrfa, feindlich gesinnt, es brauche ein schwaches Spanien: »Europa schaut uns immer wie ein gefährliches Wesen an, das man bewachen und zügeln muß.« Protestanten, Freimaurer, Aufklärer, Republikaner, Liberale, Sozialisten und das internationale Judentum hätten sich gegen Spanien verschworen. Wider die Verachtung und Verleumdung Spaniens setzte Salaverrfa trotzig die Spanische Selbstbehauptung (1917): »Wir sind anders, wir sind nicht meßbar mit den üblichen und allgemeinen Maßstäben.« Zugleich beansprucht er aber alles »echt Europäische« für Spanien, die europäische Nation schlechthin. Spanien befinde sich nicht nur in innerer Übereinstimmung mit Europa (die Abweichler sind die anderen), sondern habe trotz seiner geographischen Randlage auch lange Zeit die Achse Europas gebildet. Spanien sei ohne Problem - wie später nach Francos Sieg - , weil es seiner Bestimmung getreu alle Fremdkörper ausscheide und dort weitermache, wo 1648 die Entwicklung abbrach.

11 Am entschiedensten hat der Philosoph Ortega y Gasset (1883-1955) fast ein halbes Jahrhundert hindurch über das spanisch-europäische Wechselverhältnis nachgedacht. Sein fundamentaler Ansatz lautete: »Spanien ist nur möglich, wenn man es von Europa her betrachtet.« Bereits in der programmatischen Besprechung der Zeitschrift Europa (1910) verstand er Europa nicht als bloße Antithese und Negation zum Spanien jener Zeit, sondern als Grundlage für ein dialogisches Zusammenleben und als Ausgangsbasis zur Überwindung des nationalen Tiefstandes. Europa sei die Bedingung für Spanien; Spanien stelle eine europäische Möglichkeit dar. Die Europäisierung zeige Wege und Verfahren auf, um ein neues Spanien aufzurichten und das »Problem Spanien« zu lösen. Der »Tibetanisierung« Spaniens setzte er die Integration in eine gemeinsame Landschaft Europa entgegen; er glaubte nicht an eine radikale Spaltung zwischen Spanien und Europa. Man könne zwischen ihnen nicht als Alternative wählen, vielmehr sei die Einheit notwendig und zugleich wirklich. In der Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa sah Ortega die einzige Möglichkeit für das Überleben und den Schutz vor dem Totalitarismus. In der Weimarer Zeit, als Oswald Spengler den Untergang des Abendlandes prognostizierte, suchte Ortega in seinen Analysen (Aufstand der Massen, Spanien ohne Rückgrat) nach Wegen zur »Bewahrung des Abendlandes«. Ortega, seinem Bildungsgang nach der deutschen Philosophie verbunden, kam bereits 1949 wieder nach Deutschland. Sein Zuspruch als Europäer und die Absage an jeglichen Nationalismus als Sackgasse sicherten ihm über ein Jahrzehnt lang hierzulande ein großes Ansehen. Seine Rede vor Studenten der Freien Universität Berlin (1949) »De Europa meditatio quaedam« und seine Münchener Vorlesung »Gibt es ein europäisches Kulturbewußtsein?« (1953) wirkten als programmatische Erklärungen tief auf die Europabegeisterung in der jungen Bundesrepublik.

Spanien als Vorbild Der bereits bei den deutschen Romantikern beliebte Gedanke der Vörbildlichkeit Spaniens für eine europäische Neuordnung und für eine neue, nicht-klassische Dichtung wurde sowohl in der Weimarer Zeit als auch nach dem Zusammenbruch 1945 aufgegriffen, in Zeiten, da die Idee einer europäischen Union aus dem Erlebnis der Niederlage Auftrieb bekam. »Spanien wird Mode«, stellte der berühmte Romanist Ernst Robert Curtius fest, der sich ab 1924 eingehend mit den spanischen Dingen zu beschäftigen begann. Geographisch und geistig gesehen war Spanien für ihn ein »exzentrisches Land«, aber eben deshalb auch ein besonderer »Vorposten« für einen europäischen Beobachter. »Das junge Spanien« - so der Titel einer von Werner Krauss besorgten Anthologie - trat in den Kreis der »geistigen Großmächte« ein. Ganivets Idearium war 1921 unter dem Titel Spaniens Weltanschauung und Weltstellung in deutscher Übersetzung erschienen. Mit dem Satz »Spanien wird wieder Großmacht« pries ein anderer bekannter Hispanist 1939 den Sieg der Nationalspanier. Die deutsche Beschäftigung mit dem Ausland war pädagogisch begründet im Versuch, über bestimmte Lehrprogramme im Fremdsprachenunterricht die Selbsterkenntnis des deutschen Wesens (»Deutschtumkunde«) zu fördern und im völkerpsychologischen Kontrast mit fremden Kulturen zu vermitteln. Während England und Frankreich vielfach vorbelastet wa-

12 ren, übte Spanien als Freiraum eine besondere Anziehung aus, die gefühlsmäßig zwar durch literarische Vorstellungen geprägt war, aber bald auch politische Stoßkraft erhielt. Karl Vossler stellte 1929 Die Bedeutung der spanischen Kultur für Europa heraus. Für den Kulturphilosophen und Reiseschriftsteller Hermann Graf Keyserling, der eine »Spektralanalyse« Europas vornahm (1929), stand Spanien »ethisch an der Spitze der heutigen europäischen Menschheit«. Zwanzig Jahre später urteilte der Engländer Charles Duff mit fast denselben Worten über das »Ethos Spaniens«: »Spanien ist wahrscheinlich der einzige überlebende Repräsentant der westlichen Zivilisation!« Keyserling suchte unter dem Eindruck von Unamuno erneut eine Antwort auf die alte Streitfrage der französischen Aufklärung, was man denn Spanien verdanke. Im Gegenzug zu der in Spanien vielfach erhobenen Forderung, das Land müsse sich Europa öffnen (»europäisieren«), spekulierte Keyserling wie Unamuno mit dem Gedanken einer Hispanisierung Europas. »Nur wenn es >Spanien< bewußt in sich aufnimmt, wird Europa die Krisen dieser Übergangszeit im Guten überwinden. Muß der Europäer der Zukunft nicht unter allen Umständen, soll er seine Völlendung erreichen, als ethisches Wesen Spanier werden?« stellte Keyserling fest, obwohl er in seinen Visionen vom edlen Spanien auch die bekannte Behauptung wiederholte: »Für sich gehört Spanien nicht zu Europa, sondern zu Afrika« (und daran schließt sich der Preis der »schönen Wüste« sowie des von Hause (!) aus donquichotten Wüstenbewohners an). Hier war »hispanizare« wieder das Zauberwort der spirituellen Rettung, wie schon in der Romantik und im deutschen politischen Katholizismus des 19. Jahrhunderts.

Spanien nach 1945, der Aufbau Europas und die Verteidigung des Westens Zwanzig Jahre nach Keyserlings spanischem Capriccio rückten Spanien und Europa im Zeichen des Kalten Krieges nach selbstauferlegter und von außen sanktionierter Isolierung einander wieder näher. Schon 1949 sah Charles Duff in seinem Buch Spanien - Stein des Anstoßes dieses Land als Eckpfeiler Europas und zusammen mit Hiroshima sogar als »moralischen Fingerzeig« für die Menschheit. Die großen physischen und moralischen Reserven Spaniens müßten genutzt, nicht geächtet werden. Die spanische Frage könne nicht isoliert behandelt, sondern nur als europäisches Problem gelöst werden. »Antikes Volk im Atomzeitalter« lautete 1951 eine Schlagzeile in der »Weltwoche«, die zugleich die Ratlosigkeit und Faszination gegenüber einem Land ausdrückte, das in wichtigen geschichtlichen Zwischenphasen aus dem allgemeinen Bewußtsein ausgeblendet war. Mit seiner strategisch wichtigen Lage und antikommunistischen Haltung spielte Spanien im weltpolitischen Kalkül eine völlig anders gewichtete Rolle als Frankreich oder England, die Franco ächteten. Spanien befand sich auf dem Weg vom Boykottierten zum Alliierten, obwohl es im Gegensatz zum ebenfalls seinerzeit undemokratisch regierten Portugal, mit dem es im Iberischen Pakt verbündet war, nicht in die NATO aufgenommen wurde. Der Caudillo »von Gottes Gnaden« ließ auf die Ächtung nach Kriegsende selbstbewußt verlauten, daß sein Land weder um irgendeinen Sitz in internationalen Organisationen nachsuchen noch eine Mitgliedschaft antreten werde, die nicht in Übereinstimmung mit Spaniens Vergangenheit, dem Volk und seinem Beitrag zu Frieden und Kultur stünden.

13 Der Generalissimus wurde bündnisreif. Obwohl Spanien angeblich nur für »geistige Werte« eintrat, irdische Dinge geringschätzte und der Charakter des Volkes genügsam war, verstand er es im Gegenzug für das Militärabkommen neben der NATO eine beträchtliche Finanzhilfe herauszuschlagen, die in der nach den Kriegen aussichtslosen Wirtschaftslage neuen Auftrieb verschaffte. Die Verbesserung der Straßen und Schienenwege schuf eine wichtige Voraussetzung für den bald einsetzenden Massentourismus. Die offizielle Werbung im Ausland bediente sich dabei übrigens zur Überwindung der Isolierung geschickt des Slogans »Spanien ist anders«. »Spanien tritt ins Glied«, so lautete 1952 eine bezeichnende Zeitungsüberschrift, die dem franquistischen politischen Selbstverständnis entsprach, wie es in Deutschland der Marqués de Valdeiglesias verbreitete: »Spanien hat sich durch den Bürgerkrieg wieder in die internationale Politik eingeschaltet. Es knüpft wieder bei den Soldaten von Lepanto und den Theologen von Trient an. Sein Abkommen mit den Vereinigten Staaten stellt es wieder in die erste Reihe der Verteidiger des Westens.« Als »Verbündeter Europas« nahm Spanien zwölf Jahre nach Beendigung des Bürgerkrieges eine Schlüsselstellung ein. Dieselbe militärische Bedeutung hatte der Historiker Hermann J. Hüffer 1942 hervorgehoben. Es werde »künftig die gesamte kulturelle Arbeit beider Länder (Spaniens und Deutschlands) getragen sein von der stolzen Erinnerung an die enge Waffenbrüderschaft unserer Völker gegen den bolschewistischen Weltfeind Europas«. In der Blauen Division komme alter spanischer Geist »als Vormauer und Hort unserer verjüngten Kulturgemeinschaft« wieder zum Vorschein. Joseph Gregors Buch Das spanische Welttheater (1943) deutete ebenfalls anstelle des früher verpönten spanischen Fanatismus Widerstand (»Bollwerk gegen den Bolschewismus«) und Kampfgeist positiv. Auch hier wurde die geistige Brüderschaft von ehedem in Waffenbrüderschaft umgepolt: »Was damals (im spanischen Weltreich) die Welt bewegte - Idee Gottes, Idee des Adels und des reinen Blutes - , nimmt sich wie ein Vorspiel der Ekstasen des Schicksals aus, die wir selbst erleben!« Wenige Jahre später konnte Hüffer dann Spanien bruchlos sub specie aeternitatis in die christliche, tausendjährige Einheit Europas einordnen. Die Wallfahrt nach Santiago de Compostela zu Jakobus, dem Maurentöter, wurde als starkes Bindeglied der abendländischen Gemeinschaftsidee verherrlicht. Die Spanienpolitik der USA erweckte indes Unbehagen bei ideologisch völlig entgegengesetzten Lagern auf der Linken ebenso wie bei den katholischen Konservativen. Die einen befürchteten Spaniens Ausverkauf an die Macht des Geldes, des Materialismus, der Freimaurer, die anderen mißbilligten die wirtschaftliche Unterstützung, die der Aufwertung des autoritären Regimes diente. Spanien war Europas Außenseiter (Reinhold Schneider prägte das mißverständliche Wort von den Fremdlingen in Europa), ähnlich wie Deutschland nach dem Ende der Naziherrschaft. Die Frage »Wo ist das wahre Spanien?« berührte sich wieder mit jener nach dem wahren Deutschland. Die oft beschworene Schicksalsverbindung beider Länder erhielt eine neue Aktualität. In den ersten Jahren der Bundesrepublik waren der Gedanke der europäischen Einheit, der traditionellen deutsch-spanischen Freundschaft und die Idee des christlichen Abendlandes die Themen der Beschäftigung mit Spanien. »Ohne Spanien geht es nicht«, war ein Zeitungskommentar 1951 überschrieben. Ein anderes Blatt begrüßte »Spaniens Rückkehr nach Europa«; Reinhold Schneider bestätigte 1953 mit beschwörender Geste: »Spanien gehört zu Europa.«

14 Das Ende der Isolierung wurde im Vergleich zur westdeutschen Situation aufmerksam verfolgt. Adenauers politisches Ziel war die Einbindung der Bundesrepublik in ein vereintes Europa. Als 1954 die diplomatischen Beziehungen zu Franco-Spanien wieder aufgenommen wurden, kam das Wort von der »Achse Madrid-Bonn« allerdings nicht von ungefähr. Zehn Jahre später stellte Botschafter Allardt Spanien in einem Artikel immer noch »an der Schwelle Europas« vor. Schon 1957 aber hatte sich Bonn zum Fürsprecher der Aufnahme Spaniens in die NATO gemacht. In die Europabegeisterung, mit der Spanien seinerzeit entdeckt wurde und die tiefen Schatten über dem autoritären Regime geflissentlich zudeckte, mischten sich auf deutscher wie auf spanischer Seite unterschiedliche Motive. Begriffe wie Europa und Reich wurden in Deutschland als Antwort auf die Verirrungen der Hitlerzeit aus geschichtsphilosophischer und -theologischer Schau christlich überhöht, während sich das franquistische Spanienverständnis zur historischen Rechtfertigung auf das unter Isabella der Katholischen und Ferdinand begründete hispanische Imperio berief und sogar eine neue Zeitrechnung vom »Jahr des Sieges« (1939) an einführte. Die Sieger im Bürgerkrieg, die das wahre und ewige Spanien gerettet haben wollten und in einer Art Verfassung Spanien zum »Träger ewiger Werte« erklärten, versuchten die internationale Ächtung zu überspielen durch die Berufung auf eine mittelalterliche, religiöse Reichsidee und Sendung. Spanische Verteidigung der europäischen Kultur hieß der Titel einer der zahlreichen falangistischen Geschichtsapologien, die in einzelnen Abschnitten hymnische Europabezüge herstellten: Europa und die Kirche, Europa und Spanien (im 16. Jahrhundert), Philipp II. und sein Kampf für die Seele Europas, Spaniens Kultur, Lehrmeisterin und Vorbild Europas... Ernesto Giménez Caballero, einflußreicher faschistischer Theoretiker des »Spanischen Genius«, behandelte noch 1949 in seinem Buch Spaniens Beziehungen zur göttlichen Vorsehung^.). In Berlin pries Außenminister Castiella 1964 Spanien mit einer kühnen Schiffahrtsmetapher als »geistigen Bug des Kontinents«. Ähnliche Bilder waren sehr beliebt (z.B. Bruno Geuter, Spanien, Vorposten des Abendlandes, 1956).

Spaniens Mission und Europa Was hat das »ewige Spanien« für den Neuaufbau eines unabhängigen Europa beizutragen?, fragten 1954 die Verfasser eines francofreundlichen Spanienhandbuches (Richard Pattee und Anton Maria Rothbauer). Die Antwort darauf war die genaue Übernahme der konservativen spanischen Selbstdeutung. Eine rege Publizistik bemühte sich in der frühen Adenauerzeit, Spaniens Europäertum in seiner vergangenen und künftigen Bedeutung herauszustellen. Ein Beispiel hierfür ist die 1946 gegründete katholische Zeitschrift Neues Abendland, die sich als Sammelbecken konservativer Erneuerung verstand. Spanien stellt darin seit den fünfziger Jahren eines der Leitthemen dar. Unter der Überschrift »Spanien, echtes Abendland« präsentierte ein Autor 1950 die Übersetzung der Lobeshymne von Marcelino Menéndez Pelayo auf die spanische Tradition als »eines der echtesten Dokumente abendländischer Gesinnung«. Ein Sendbote der Franco-Hierarchie, Mitbegründer der Acción Española und Präsident des Europäischen Dokumentationszentrums in Madrid, dozierte in einer Aufsatzreihe über Spaniens Botschaft an Europa und Spaniens Rolle in der europäischen politischen Gemeinschaft; die Aufgabe

15 Spaniens sei es, die Zukunft des Kontinents von einer höheren idealistischen Warte aus zu betrachten und die »ewigen Werte« zu verteidigen. Dadurch werde es zu einem gewichtigen Faktor der europäischen »Wiedererhebung«. Durch die Brückenfunktion zu Spanisch-Amerika trage es außerdem dazu bei, Europa aus der unwürdigen Lage einseitiger Abhängigkeit von den USA zu befreien. Bei diesen geistigen Überbau-Konstruktionen war ein antiamerikanischer Zungenschlag unüberhörbar. »In kastilischer Sicht wird Europa zuerst eindeutiger und dann auch größer als von der Warte der Pariser Redaktionsbuden, der Straßburger Konventikel, der Washingtoner strategischen Büros und der Bonner Auseinandersetzungen zwischen Adenauer und seiner Opposition«, schrieb denn auch 1953 ein deutscher Kommentator. Den Vereinten Nationen und den Vereinigten Staaten von Europa wurde der hispanoamerikanische Völkerbund als Beispiel einer funktionierenden, echten Familiengemeinschaft gegenübergestellt, in der Spanien als Mutterland den Zusammenhalt sicherte. Spanien, dem die profanen Vereinten Nationen zunächst die Mitgliedschaft versagten, hatte schon längst zuvor eine Universitas Christiana, »ein Gebilde globaler Katholizität« (Alexander von Randa) geschaffen, das die Neue Welt dem Reiche Gottes zuführte. Der Marqués de Valdeiglesias sah Spanien, »das arme Land an der Spitze des abendländischen Abwehrwillens«. Ohne das Opfer seines Blutes wäre Europa längst ein sowjetischer Satellit geworden. »Was Spanien dem Ausland geben kann, kann fundamental sein für die Wiedergeburt des Abendlandes. Es ist das durch Humanismus, Rationalismus und Liberalismus unterdrückte Leitbild einer christlich-universalen Staats- und Weltordnung«, kündete der Funktionär in nostalgischer Erinnerung an eine unwiederbringlich entschwundene Vergangenheit. Als erhabene Symbolgestalt wurde in diesem Zusammenhang Kaiser Karl V. zum Ahnherrn Europas erklärt (im Titel einer Biographie von Gertrude von Schwarzenfeld, 1955), ganz im Gegensatz zur Geschichtsdeutung eines Ganivet oder Unamuno, für die dieser Herrscher aus dem »germanischen Norden« die Mission Spaniens verfälscht und den Niedergang der Nation herbeigeführt habe. Als letzter »Weltenkaiser« habe er die Wiederherstellung der Einheit Europas betrieben, um jene Ordnung zu stiften, »die immer vor den destruktiven Kräften des Unglaubens, des Materialismus und der Menschenvergötzung bewahren kann« (Otto von Habsburg). Karl V. wurde als Schöpfer eines katholischen Commonwealth gepriesen, der Europa und Amerika gegen eine von Osten drohende Gefahr vereinte (Alexander von Randa). Dieser Kaiser habe den europäischen Reichsbegriff mit einem amerikanischen Einheitsstaat (!) vereint und allein aus der politischen Einsicht heraus gehandelt, daß ein Europa ohne Spanien kein Europa sei. Demgegenüber erschienen dem Universalhistoriker von Randa die Vereinigten Staaten von Europa heute (1962) wie ein Scherbenberg, den armselige Politiker notdürftig zusammenkleistern wollen. »Unter ihm, mit ihm und durch ihn erschloß Spanien sich den burgundischen wie den kaiserlichen EuropabegrifF und wuchs zugleich von einem Brückenglied zwischen Europa und Amerika zu einem wahren Weltvolk heran.« Mit dieser geradezu christologischen Weiheformel wurde Karl, »der einzige echte Europäer eines abendländischen Jahrtausends« (!), als Gallionsfigur einer neueren, nicht ausdrücklich christlich geprägten Europabewegung entrückt und als Repräsentant eines ewigen Ideals von Europa sozusagen zur Ehre der Altäre erhoben. »Plus ultra« lautete Karls vielsagende Devise.

16 Von Randas Darstellung (1962) des Weltreichs als einer Weltenföderation ist zwanzig Jahre nach entsprechenden nazistischen Deutungen des Weltreiches und der Großmacht Spaniens der Höhepunkt und Abschluß der geschichtstheologisch begründeten Europavision in der Zeit Adenauers, die den hispanischen Weltstaat als eine auf Erden vorweggenommene >Civitas Dei< dem apokalyptischen Zwangsreich des Widerchrist, dem Götzenreich des atheistischen Kommunismus entgegensetzt. Das habsburgische Reich, in dem die Sonne nicht untergeht, stellt die ideelle Vorform und das Urbild für globale Staatenbünde dar. In eben diesen sechziger Jahren sind freilich auch zwei gegenläufige Bewegungen festzustellen: Zum einen tritt die Krise des Europäismus deutlich zutage. Andererseits zeichnet sich im Franco-Spanien eine stärkere Hinwendung zu Europa ab, wie umgekehrt bei den europäischen Nachbarn die Erwartung wächst, daß gerade die Einbindung Spaniens in die europäische Gemeinschaft die Franco-Herrschaft verändern und deren Ablösung ermöglichen könnte. 1962 stellte Spanien den Antrag auf Assoziierung in die EWG. Im Frühjahr 1962 fand ein Kongreß der Europäischen Bewegung in München statt, bei dem eine gemeinsame Deklaration spanischer Exilsozialisten und geduldeter Christdemokraten verabschiedet wurde, die für eine politische Liberalisierung eintraten. Betrachtet man den Beitritt Spaniens zur EG am 1. Januar 1986, so ist in diesem Zusammenhang auch stets das Spannungsverhältnis zu berücksichtigen, das durch die spezifischen Bindungen Spaniens zur spanisch-amerikanischen Welt gegeben ist. Das spanische Verhältnis zu Europa stand in dauernder Konkurrenz zum »amerikanistischen Programm«. Seit den Unabhängigkeitserklärungen der spanisch-amerikanischen Länder zu Beginn des 19. Jahrhunderts gibt es nicht nur den Wunschgedanken eines amerikanischen Staatenbundes, eines Vereinigten Amerika, sondern vor allem auf der spanischen Seite auch den Glauben an eine Gemeinschaft aller spanischsprachigen Völker in einer übergreifenden geistigen Patria, die auf gemeinsamer geschichtlicher Erfahrung, kultureller Überlieferung und der Einheit von Sprache und Glaube gründet.

Die Idee der Hispanität, eines spanischen Völkerbundes Dieser Panhispanismus, in dem übrigens ein gerütteltes Maß an eurozentristischem Gedankengut zusammenfließt und dem politisch-ideologisch ähnliche Verbrüderungs- und Verschmelzungsbewegungen im europäischen 19. Jahrhundert zur Seite stehen (Pangermanismus, Panslawismus, Panhellenismus), ist bis in die Gegenwart eine schillernde ideologische Größe geblieben, deren programmatische Bestimmung je nach den politischen Verhältnissen ausfällt. So wurde der Hispanidad sogar mit kirchlicher Bestätigung schon vor über hundert Jahren ein eigener Feiertag gewidmet (12. Oktober), die Fiesta de la Raza (Fest der spanischen Rasse). Der Panhispanismus ist in mehrfacher Hinsicht eine Ersatzgröße. Der Gedanke einer Brüderschaft aller hispanischen Völker mit ihrer gemeinsamen Sendung - so schrieb noch das Franco-Grundgesetz offiziell Spanien als die Mutter einer großen Völkerfamilie fest wurde schon früh geprägt durch eine Rassentrennung zwischen lateinischen und germanischen Völkern mit ihren jeweiligen Führungsansprüchen und Glaubensunterschieden. Euge-

17 nio d'Ors, der als entschiedener Europäer (»Mi voto es por Europa«) den Weltkrieg als Bürgerkrieg empfand, rief sogar mit seinem Manifest der Freunde der moralischen Einheit Europas (1914) »Lateiner und Germanen gegen die Slawen und ganz allgemein gegen den Osten« auf. Noch bis in die fünfziger Jahre hielt eine Lateinische Union ihre Kongresse ab, auf denen Portugal wiederholt Mißtrauen angesichts der spanischen Führungsansprüche zum Ausdruck brachte. Gegenüber dem mit Argwohn und Ablehnung beobachteten angelsächsischen Nordamerika formierte sich als Gegengewicht ein Block, dessen irreführende politische Bezeichnung »Lateinamerika« erst um die Jahrhundertwende aufkam. Die Hispanidad richtete sich in diesem Umfeld gegen das Yankeetum, als Bund gegen die USA und ihren Einfluß. Zumal unter dem Eindruck der Vierhundertjahrfeier der Entdeckung Amerikas (1892) herrschte allseits unter den Spaniern eine optimistische Einschätzung der (vor allem wirtschaftlichen) Möglichkeiten vor, die die Neue Welt bot. Ein Traum, der schon bald verging, da Spanien 1898 den Charakter einer »amerikanischen Nation« verlor. Als Spanien im Ersten Weltkrieg, im Gegensatz zu Portugal, die Neutralität erklärte und die meisten spanisch-amerikanischen Staaten diesem Beispiel folgten, erstarkte das Bewußtsein einer weltweiten spanischen Familie des Friedens. Im Blick auf den so gefestigten moralischen Bund der Länder hispanischen Bluts wandte sich Spanien nach 1918 enttäuscht ab vom Genfer Völkerbund; eine ähnliche Reaktion erfolgte gegenüber den Vereinten Nationen, in die Spanien erst 1955 aufgenommen wurde. Die hispano-amerikanische Ökumene wurde dafür in beiden Momenten demonstrativ herausgestellt. Für ein großes Spanien. Die Einheit der hispanischen Rasse betitelte Máximo Vergara 1925 programmatisch ein Buch. In den vierziger Jahren kam es zu einer publizistisch-propagandistischen Aufwertung der alten spanischen Reichsidee im faschistischen Sinn. Camilo Barcia Trelles konnte es sich in seinem im »Jahr des Sieges« veröffentlichten Werk über Die vier Himmelsrichtungen der internationalen spanischen Politik sogar leisten, Europa auf der Windrose gar nicht anzuzeigen: Die erste Richtungsangabe betrifft Spanien und die arabische Welt, die zweite Spanien und die Philippinen, schließlich wird die »geniale hispanische Deutung Amerikas« gepriesen. In der Nachkriegszeit fand die spanische Vision vom Verhältnis zwischen Hispania-Europa-Hispanidad auch in Deutschland Anklang, wobei hochgestellte Vertreter der FrancoHierarchie eine Vermittlerrolle spielten und in kirchlichen Kreisen Unterstützung fanden. Hispanidad und Universitas Christiana deckten sich gegenseitig. »Wenn sich das katholische Gleichgewicht (!) in der Welt wieder einstellen soll, dann beuge sich Europa dem, der diesem Geist so großartig zu dienen wußte und zu dienen wissen wird, dem Geist Spaniens«, schrieb Giménez Caballero 1932 in seiner frühen faschistischen Fibel vom Geist Spaniens. Otto von Habsburg, der sich 1957 zu Recht gegen das »bequeme Schlagwort vom NichtEuropäertum Spaniens« wandte, sah damals das Land an der Spitze eines »unsichtbaren Reiches«. Im Gegensatz zum britischen Empire, das immer mehr in seinem politischen Zusammenhalt an Kraft verloren hatte, gewann Spanien moralisch gestärkt zusehends an Prestige. Otto von Habsburg wollte sogar das »Wachsen eines neuen Reiches, einer freien Gemeinschaft der Völker der Hispanidad« beobachten, eine groteske Verkennung der politischen und sozialen Realitäten in Lateinamerika und in Spanien. Die Verbindung Spaniens mit »Lateinamerika« stellte er als von höchstem europäischen Interesse dar. »Spanien bringt daher

18 mehr nach Europa ein, als wir ihm bieten können«, lautete seine überraschende, paradoxe Umkehrung zum spanischen Weckruf um die Jahrhundertwende. »Man kann mit Recht sagen, daß nicht so sehr Spanien Europa, als Europa Spanien braucht.« Der Enkel des letzten Habsburgerkaisers verstieg sich zu der in ihrer vereinfachenden Zweideutigkeit ungeheuerlichen Feststellung: »Iberoamerika ist nichts anderes als ein überseeisches Europa.« Als Klammer der beiden Hemisphären der christlich-abendländischen Welt sei Spanien für Europas Sicherheit von lebensnotwendiger Bedeutung. Aus dieser >Kommunion< fließe die Kraft, die »allein den Sieg unserer europäischen Gemeinschaft über den modernen Barbaren aus dem Osten gewährleisten wird«. Auch im Geschichtsbild spanischer Liberaler spielt die Hispanidadidee eine bedeutende Rolle. »Spanien müßte die Plaza Mayor Hispanoamerikas sein«, schreibt der Philosoph Julián Marías, »der Ort, an dem sich die hispanischen Völker Amerikas neu erkennen und zusammenleben können. Und umgekehrt der Ort, von dem aus Europa dieses Amerika verstehen könnte, das es heute verzeichnet und verkennt.«

Portugal und Europa Portugal, seit dem 12. Jahrhundert eigenständig und seither auch in seinen nationalen Grenzen unverändert, führte im allgemeinen geschichtlichen, kulturellen und politischen Bewußtsein trotz seiner Bedeutung als Kolonialmacht in der frühen Neuzeit (Portugal war immerhin nicht nur der Schrittmacher der überseeischen Ausdehnung der Europäer, sondern auch die erste und - bis 1975 - letzte europäische Kolonialmacht) ein bescheidenes Dasein im Schatten des größeren Nachbarn, es wird sogar immer wieder kaum ein Unterschied zu ihm gemacht. Spanien und Portugal bilden jedoch weder sprachlich noch kulturell eine Einheit. Das Verständnis der iberischen Nationen ist seit frühen Zeiten nicht frei von Belastungen und Empfindlichkeiten, zumal nach der langen Zeit der Personalunion mit der spanischen Krone (1580-1668). Das kleine Portugal hatte sich einst mit Spanien die Herrschaft über einen großen Teil der im 16. Jahrhundert bekannten Erde geteilt. »Portugiesen kennen Asien und Amerika besser als Europa«, schrieb der dachende Philosoph< Karl Julius Weber (1767-1832). Anders als Spanien litt Portugal weniger unter extremen Pendelausschlägen im Verhältnis zu Europa. Es hatte im Gegenteil alte und enge Bindungen zu England und Frankreich. Aber es litt unter seiner eigenen Geschichte, in der Größe und Niedergang nahe beieinander lagen. Diese Geschichte wurde als Erinnerung und Verfall erfahren. Der Versuch, eine neue staatliche und ökonomische Ordnung zu schaffen nach der Unabhängigkeitserklärung Brasiliens (1822), das Portugals Reichtum ausmachte, schlug fehl. Die von den Regeneradores erstrebte Erneuerung ging in ständigen innerpolitischen Wirren, Machtkämpfen, Revolten und Regierungswechseln unter. Almeida Garretts geschichtsphilosophische Betrachtung über Portugal in der europäischen Waagschale (London 1830) steht als Versuch einer Bestandsaufnahme des Problems Portugal aus europäischer Perspektive einzig da. Außenpolitisch blieb Portugal durch die Interessen der großen europäischen Mächte ohnehin nur ein enger Handlungsspielraum. Der Preis für die Modernisierungspolitik der zweiten Jahrhunderthälfte des 19. Jahrhunderts war eine immer größere Abhängigkeit der Wirt-

19 schaft vom Ausland und von fremdem Kapital. Vor allem Großbritannien wollte als wichtigster Handelspartner Portugals seinen Markt zu den vorteilhaftesten Bedingungen erhalten. Im kulturellen Leben machte sich der französische Einfluß stark bemerkbar, der zuweilen auch als Belastung empfunden wurde. Frankreich galt als »Herz Europas«. Die Frage einer politischen Union oder Föderation mit Spanien kam unter dem Eindruck der italienischen Einigung, der Gründung des Zweiten Deutschen Reiches und der Suche nach einem spanischen Thronfolger (1868) erneut auf. Während die einen dabei den Verlust der Selbständigkeit befürchteten, faszinierte die anderen die Morgenröte einer neuen Zeit, in der die »iberische Mission« voll zur Geltung kommen würde. Junge.Intellektuelle, Schriftsteller, Dichter, die 1871 mit den Demokratischen Vorträgen in Lissabon an die Öffentlichkeit drängten, vertraten ein neues Portugal: europäisch-modern in ihrer geistigen Orientierung, antiklerikal, republikanisch gesinnt mit sozialistischen Neigungen, vom Glauben an die Wissenschaft erfüllt und fest entschlossen, das Land zu verändern. Das schockierend wirkende Programm zielte auf die Schaffung eines europäischen Bewußtseins. Das demütigende englische Ultimatum von 1890, das Portugal zwang, die Ansprüche auf südafrikanisches Gebiet zwischen Angola und Mocambique aufzugeben, verursachte eine tiefe nationale Erschütterung, machte aber auch deutlich, wie sehr Portugal in einem völlig »unökonomischen Imperialismus« weniger auf Europa ausgerichtet war denn auf die verbliebenen Reste an Kolonialbesitz in Afrika, die nun die Begehrlichkeit der Großmächte, auch des kaiserlichen Deutschland, erregten (es verhandelte mit England insgeheim über die Aufteilung der portugiesischen Kolonien). Expeditionen sollten der Welt demonstrieren, was die alte Entdeckernation noch zu leisten imstande sei. »O ihr Helden der See, o edles Volk, erneuert Portugals Glanz! / Europa künde aller Welt, daß Portugal besteht!«, hieß es in der Nationalhymne der 1910 ausgerufenen Republik. Das britische Ultimatum und die Großmachtträume gewisser Kreise im Nachbarland verstärkten patriotisch-nationalistische Tendenzen; sie vermischten sich teilweise auch mit utopisch-messianischen Erwartungen, die in Portugal auf einer alten Tradition beruhen. Die Bewegung des Integralismo Lusitano kultivierte dieses Gedankengut und förderte die Mystik des Nationalcharakters (»Portugiesische Seele«). Kosmopolitisch, sozialdemokratisch und reformerisch denkende Literaten und Gelehrte traten in der Gruppe »Neue Saat« seit 1921 dieser Horizontverengung radikal entgegen, die ideologisch frühfaschistischen Tendenzen Vorschub leistete, nachdem die Republik einen verzweifelten Kampf geführt hatte, um dem Land in der Bewunderung für das Vorbild der englischen Demokratie und den französischen Republikanismus den Anschluß an Europa zu eröffnen. Dieser rückte allerdings unter der fast vierzigjährigen autoritären Staatsform, die die Republik ablöste, in weite Ferne. Die Marienerscheinungen von Fätima im Jahr der bolschewistischen Oktober-Revolution und im Ersten Weltkrieg, an dem das Land unter großen Opfern auf Seiten der Alliierten teilnahm, wurden wie das Erdbeben von Lissabon 1755 zum großen Menetekel für die Welt. Die Marienverehrung bekam mit der Forderung einer Weihe Rußlands an die Unbefleckte Empfängnis zur Errettung der Welt vor dem Kommunismus eine politisch bis heute sehr brisante Note. Fätima wurde zum »Altar der Welt« erhoben, und die Wallfahrt dorthin stellte Weltbezug her, der Portugal in weltlichen Dingen längst verlorengegangen war. Die angebliche prophetische Botschaft an die Hirtenkinder von Fätima sollte auch innenpolitisch nach der (sogar unter Salazar beibehaltenen) Trennung von Kirche und Staat erheb-

20 liehe Auswirkung auf die religiöse Situation haben. Unter Salazars Neuem Staat (1933) stellte die Abkapselung ein Mittel zum Zweck der verheißenen Gesundung dar. Salazar verstand sich als Hüter der Tradition und sittlichen Werte. Die Kontaktarmut des Machthabers, seine »fast keusche Abgeschlossenheit, seine gesuchte Isoliertheit« (Friedrich Sieburg) übertrug sich fatal auf das Gemeinwesen. Der Rückgriff auf die Fiktion einer historischen und zivilisatorischen Sendung Portugals in der Welt wurde bis zum bitteren Ende unbeirrbar aufrechterhalten: Portugals Kolonien hießen daher demonstrativ »überseeische Provinzen«, deren integraler Zusammenhang mit der europäischen Metropole durch die ideologische Vorstellung von der »vielrassigen Gesellschaft« konstruiert wurde. Portugal gab demnach (wie auch Brasilien) der Welt ein Beispiel für das friedliche Zusammenleben von verschiedenen Rassen und Religionen. Die parallel zur Hispanidad-Idee oft beschworene luso-brasilianische Kulturgemeinschaft (als Familienfesttag am 22. April gefeiert) wurde 1953 durch einen Freundschaftsund Konsultationsvertrag mit Brasilien besiegelt, der freilich praktisch ebenso bedeutungslos war wie die Akademievereinbarung zur Vereinheitlichung der portugiesischen Rechtschreibung. 1942 hatte man immerhin das Inlandsporto für den Briefverkehr über den Atlantik vereinbart. Mit dem Gespür für die große Geste wurde anläßlich der 150-Jahrfeiern der Unabhängigkeit Brasiliens (1972) nicht nur ein Abkommen mit Brasilien über gegenseitige Gewährung der Bürgerrechte geschlossen, das keine konkrete Auswirkung haben konnte, aber einem ähnlichen Vertrag von 1825 entspricht und Ausdruck der »Einheit in der Zweiheit« sein sollte, die schon beschworen wurde, als 1826 der Kaiser von Brasilien auf die Krone Portugals verzichtete. Man überführte sogar die sterblichen Reste Pedros I., dem bei der Krönung 1822 der Titel »konstitutioneller Kaiser und ständiger Verteidiger Brasiliens« gegeben wurde, im Triumphzug nach Säo Paulo, obwohl dieser Herrscher, mehr an Portugal interessiert und in manche Affären verwickelt, 1831 abdankte, um in Portugal gegen seinen Bruder Miguel einen Bürgerkrieg zu führen. Als um 1960 die Unruhen in Portugiesisch-Afrika heftiger wurden, formierte sich, durch eine Reihe von Verträgen gestützt, ein luso-brasilianischer Block, der Portugal helfen sollte, seine politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu bewältigen, zumal nach der Ächtung der portugiesischen Afrikapolitik durch eine UN-Resolution und der weltweiten Kampagne gegen den »lusitanischen Popanz«. Mit Spanien hatte Salazar nach Francos Sieg bereits 1939 den Iberischen Pakt, einen Beistands- und Nichtangriffspakt, der eine Friedenszone auf der Halbinsel schaffen sollte, geschlossen, aber das nicht besonders innige Verhältnis wird allein dadurch deutlich, daß sich ihre Führer während ihrer langen Herrschaft nur einmal offiziell gegenseitig besucht haben. Der Vater des spanischen Königs Juan Carlos lebte im portugiesischen Exil. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem das Land zwar neutral blieb, aber dennoch Wolfram an beide kriegführenden Parteien verkaufte und die Azoren den Alliierten als Stützpunkt zur Verfügung stellte, wurde Portugal 1949 Gründungsmitglied der NATO. Sein antikommunistischer Kurs, seine Loyalität gegenüber dem englisch-portugiesischen Bündnis, sowie strategische Argumente - Portugals »atlantische Bestimmung« - überwogen die Bedenken gegenüber einer autoritären Verfassung. Ein Jahr zuvor war Portugal auch schon der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit beigetreten, während Spanien vom Wiederaufbauprogramm des Marshallplans ausgeschlossen blieb.

21 Das umstrittene Buch des Generals Spinola mit dem Titel Portugal und die Zukunft war nicht unwesentlich am Ausbruch der »Nelkenrevolution« 1974 beteiligt, die in der wohl schwersten Krise der Geschichte Portugals den verschlungenen Weg zur Demokratie eröffnete. Die Revolution stellte nicht nur das Verhältnis Europas zu Portugal auf eine harte Probe, sondern im Verlauf der revolutionären Bewegung selbst war die Frage einige Zeit heftig umstritten, ob überhaupt die Bindungen zu Europa aufrechterhalten werden sollten. In die spannungsreichen Beziehungen zwischen Spanien, Portugal und Europa mischen sich so seit Jahrhunderten politische Ansprüche, wirtschaftliche Notwendigkeiten und ideelle Wertvorstellungen, die sich oftmals fassen lassen als dialektischer Zusammenhang zwischen Mißverständnis und Selbstreflexion, Abkapselung und Aufbrach, Austausch mit der Welt und Rückzug in die Abgründigkeit der eigenen Seele, und die für Isolierung, Unterentwicklung und die ständige Bedrohung durch innere Zwietracht und Diktatur verantwortlich waren.

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Katalonien und Deutschland. Ein Überblick über die kulturgeschichtlichen Wechselbeziehungen Wenn von Spanien die Rede ist, herrscht bei uns nicht selten die Vorstellung von einem national-staatlich fest geschlossenen, gleichsam »einförmigen« Land vor. Daß es eine solchermaßen vereinheitlichende und auch vereinfachte Schau von Spanien gibt, ist nicht bloß ein Sehfehler bei dem weiter entfernt lebenden ausländischen Betrachter. Dieses die Vielfalt aufhebende, alles vereinnahmende und verkürzte Spanienbild entspringt einem in Kastilien lange herrschenden zentralistischen Selbstverständnis, das in der einheitsstaatlichen Ideologie des Franco-Regimes gipfelte. Dadurch wird der Blick für die historische Vielfalt, für die kulturelle Vielgestaltigkeit, für die Mehrsprachigkeit im Lande in verhängnisvoller Weise eingeengt. Katalonien ist ein altes, durch seine Geschichte sowie die eigene Sprache und Kultur fest umgrenztes Kernland auf der Iberischen Halbinsel, dem schon im 9. Jahrhundert eine wichtige Brückenfunktion sowohl nach Mitteleuropa, zum Frankenreich, als auch zum Mittelmeer (bis nach Byzanz) zukam. Nach dem Erwerb der Grafschaft Provence, der Vereinigung von Katalonien und Aragonien, der Eroberung Mallorcas und der Befreiung des Königreiches Valencia von islamischer Herrschaft bauten die Katalanen im Hochmittelalter ein mittelmeerisches Imperium auf, das sich über Sardinien, Korsika, Sizilien und Neapel zeitweilig bis nach Griechenland erstreckte. Athen war von 1311-1388 katalanisch. Durch die Heirat Isabellas und Ferdinands wurden die Kronen von Kastilien und Aragonien 1479 zum ersten Mal für 25 Jahre dynastisch verbunden. Mit dem Tode Isabellas 1504 waren die beiden Länder allerdings wieder getrennt, und Ferdinand heiratete Germana de Foix 1506; dies übergeht die kastilische Historiographie gerne. Als 1516 alle Königreiche der Iberischen Halbinsel mit Ausnahme Portugals (dieses erst 1580) an die Habsburger fielen, zeichnete sich ab, daß Kastilien in Zukunft eine Führungsrolle beanspruchen würde. Daß sich Katalonien zwischen 1640 und 1659 in einem Befreiungskrieg von dem kastilischen Nachbarn zu trennen suchte - Portugal gewann 1640 seine Unabhängigkeit zurück, unter anderem auch weil die dort stationierten kastilischen Truppen nach Katalonien abgezogen wurden kennzeichnet die fortdauernden Spannungen und Gegensätze. Noch einmal spielte Katalonien während des Krieges mit Frankreich und im anschließenden Erbfolgekrieg eine Rolle im Ringen der Mächte um ein europäisches Gleichgewicht. Der seit 1695 in spanischen Diensten stehende Landgraf Georg von Hessen-Darmstadt avancierte sogar zum Vizekönig von Katalonien und fiel, von den Bourbonen seines Amtes enthoben, 1705 vor Barcelona. Am 11. September 1714 mußte Barcelona vor den angreifenden spanisch-bourbonischen Truppen kapitulieren. Das eroberte Katalonien wurde von Spanien annektiert; die katalanischen Selbstverwaltungsinstitutionen wurden abgeschafft, und Madrid regierte fortan über Katalonien. Durch Madrids Anspruch auf Katalonien wird es schwierig, die Wechselbeziehungen zwischen den katalanischen Ländern (also auch unter Einschluß der Balearen und Valencias) und dem deutschsprachigen Raum herauszustellen. Diese Kontakte konnten sich nicht isoliert entfalten und lassen sich auch nicht immer säuberlich abgrenzen, denn sie wurden immer durch die bestimmende Größe »Spanien« kanalisiert. Die Selbständigkeit und Eigenart anderer Territorien konnte weder einen deutlichen Ausdruck finden noch wurde sie vom

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Ausland her wahrgenommen. Eine kultursoziologische, geistesgeschichtlich gewachsene und politisch bedingte Unschärferelation führt also dazu, daß Nationalitätenunterschiede innerhalb Spaniens bis heute kaum erkannt werden. Daß jedenfalls die katalanische Sprache von der spanischen verschieden ist, gehört zu den frühesten Erfahrungen deutsch-katalanischer Begegnung. Eines der kostbarsten Zeugnisse hierfür ist das katalanisch-deutsche Wörterbuch mit dem werbekräftigen Titel »Sehr nützliches Wörterverzeichnis zum Erlernen der deutschen und katalanischen Sprache«. Das nur noch in einem Exemplar erhaltene Büchlein wurde 1502 in Perpinyä, das damals noch nicht von Frankreich erobert war, von Johann Rosenbach aus Heidelberg gedruckt. Es ist das erste katalanische Wörterbuch für eine moderne Fremdsprache, erst 140 Jahre später gab Pedro de Lacavallerfa ein lateinisch-französisch-katalanisches Lexikon heraus. Wörterbücher stellen unerläßliche Hilfsmittel menschlicher Verständigung und kulturellen Austauschs dar. Daß der Vocabolari schon so früh erschien - er zählt überhaupt zu den ältesten gedruckten Wörterbüchern in der Volkssprache - , kennzeichnet die Bedeutung des Katalanischen im Verhältnis zu den Ländern deutscher Zunge. Es muß Interesse, ja das Bedürfnis bestanden haben, engere Verbindungen zwischen Mitteleuropa und dem Land am Mittelmeer zu knüpfen. Als der dichtende österreichische Ritter Oswald von Wolkenstein (1378-1445), der etwa hundert Jahre zuvor eine Reise durch Katalonien und Aragonien unternahm, behauptete, er spreche »zehen Sprach«, darunter »kathlonisch« und »kastilianisch«, stand ihm ein solches praktisches Hilfsmittel noch nicht zur Verfügung. Bücher waren damals teuer; gedruckt wurde nur, was auch gebraucht wurde und mit dem breiten Absatz entsprechend Gewinn abwarf. Handel und Gewerbe boten wohl den stärksten Anreiz, die fremde Sprache zu erlernen. Es gaben offensichtlich weniger philologisch-gelehrte Interessen als vielmehr Erwägungen der Nützlichkeit im täglichen Leben den Ausschlag für den Druck des Sprachführers. Das ist auch daran ersichtlich, daß der unbekannte Verfasser den Grundwortschatz nicht mehr wie die Humanisten auf dem Lateinischen aufbaut, sondern seine »1000 Wörter katalanisch-deutsch« nach dem Muster eines damals weitverbreiteten deutsch-italienischen Sprachbüchleins eingerichtet hat, in Sachgruppen geordnet, und nicht, wie bei Wörterbüchern üblich, in alphabetischer Reihenfolge. Da werden etwa unter der Rubrik »Körper« verzeichnet: los labis moch Boffetada Les tetes La panxa Lo cul

di leffzen Rocz Maulschtreich Di tuten Die wampen Der ars

(llavis - Lefzen, Lippen) (moc - Rotz) (bufetada - Ohrfeige) (tetas - Brüste) (panxa - Wanst, Wampe) (cul - Arsch)

Rosenbach hat übrigens 1510 noch ein katalanisches Briefmusterbuch für die Handelskorrespondenz auf den Markt gebracht, das sich gleichfalls an die Kundschaft der Schreiber, Kaufleute und Gewerbetreibenden in der immer schon geschäftigen katalanischen Region richtet. Die Handelsbeziehungen mit Katalonien und Aragonien beherrschte im 15. und frühen 16. Jahrhundert die Große Ravensburger Handelsgesellschaft, die aus der iberischen Levante Zucker, Seide, Farbstoffe, Safran und Früchte importierte. Die von ihren deutschen Buchhaltern und Faktoren verwendete Wirtschaftsfachsprache ist mit zahlreichen katalani-

24 sehen Ausdrücken durchsetzt (z.B. recapta - Warenbestand; requesta - Nachfrage; mercería - Warengut; pretzio - Preis; nadal - Weihnachten), die im Deutschen allerdings nicht weiterleben, nachdem um 1530 die Firma an Bedeutung verlor und schließen mußte. Das Wörterbuch ist mit einem prachtvollen Titelblatt als Blickfang geschmückt. Der Holzschnitt zeigt merkwürdigerweise schon zwei Klischeegestalten: nämlich den Deutschen als Lan?aman, also als Landsknecht (>Lanzenmann< mit Hellebarde). Ihm zur Linken steht der Spanyol, der die Gitarre schlägt. Der Lanzenmann mit seinem militärischen Image lauscht gebannt den Klängen des musischen Spaniers, des Spielmanns. Sollte diese frühe bildliche Darstellung der Begegnung der beiden Völker in ihren vornehmsten Vertretern im Vorspann des Sprachlehrbüchleins schon auf die gängigen Stereotypen vom Deutschen als Kriegshandwerker und dem lebenslustigen Spanier - mit Kastagnetten, Tanz und Gesang anspielen? Das Bild bietet einen sehr frühen Beleg für eine lange Motivkette der völkerpsychologischen Typologie. Allerdings genossen schon über ein Jahrhundert zuvor deutsche und flämische Musikanten (Spielleute) am Hof der Krone von Aragonien eine außerordentliche Hochschätzung. Im Laufe des 15. Jahrhunderts zogen zahlreiche Bauleute, Maler, Steinmetzen, Stempelschneider, Orgelbauer und schließlich Drucker nach Spanien. Das wiederum entspricht der Beobachtung eines spanischen Reisenden in Köln 1435, der in den Deutschen vornehmlich die überlegenen technischen Spezialisten und hervorragenden Handwerker sah. Bemerkenswert ist ferner, daß »Lan£aman« als Fremdwort wie selbstverständlich gleichbedeutend für »Alemany« steht (in einem freilich sehr breiten Sinn), daß umgekehrt aber »Lo Catalan« aus dem Buchtitel bildlich umgesetzt wird mit dem Schriftzug Spanyol auf dem Spruchband. Sprachliche Eigenheiten des Wörterbuchbearbeiters deuten auf seine Herkunft aus dem bayerisch-österreichischen bzw. schwäbischen Raum. Seine katalanischen Kenntnisse hat er im täglichen Umgang erlernt, nicht studiert. Er schaute den Leuten, mit denen er es zu tun bekam, wie Luther einfach aufs Maul. So nahm er nicht nur derbe Ausdrücke auf, sondern auch manche Regionalismen oder dialektale Varianten. Schließlich erweiterte er seine Vorlage mit allerlei Zusätzen, Wörtern und Redewendungen, die ihm wichtig erschienen. Um die herausragende Bedeutung des Vocabulari zu würdigen, muß man sich vergegenwärtigen, daß es vierhundert Jahre dauern sollte, bis Eberhard Vögel, ein Aachener Gymnasialprofessor, Spanischlektor und Katalonienliebhaber, 1911-1916 im Langenscheidtverlag das erste umfassende katalanisch-deutsche Wörterbuch veröffentlichte: ein deutliches Zeichen für das jahrhundertelange In-den-Hintergrund-Treten einer der alten europäischen Nationalsprachen. Das Katalanische war auf den Provinzrang zurückgefallen. Als Kuriosität sei erwähnt, daß ein Katalane, Carlos de Gimbernat, Sohn eines bekannten Arztes und korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, fast genau 300 Jahre nach dem Vocabulari nun umgekehrt in Deutschland aus der Not der Verständigung eine Tugend machte. Der Naturwissenschaftler weilte gerade am Münchener Hof, als spanische Truppenteile, die sich aus Italien abgesetzt hatten, nach Bayern zogen und dort sogleich als Schützenhilfe für den Napoleonfeldzug nach Russland mobilisiert wurden. Für diese herumziehenden Soldaten verfasste der spanische Landsmann 1807 eine anspruchslose Handreichung, die als seltener Steindruck von großem Wert ist (Diccionario español y alemán zusammen mit dem Manual del soldado espannol en Alemania).

25 Die beiden deutsch-katalanischen Wörterbücher (Guàrdia/Ritter: Diccionari alemany català, català - alemany, Barcelona: Pòrtic, und Batlle/Haensch: Diccionari alemany català, Barcelona: Enciclopédia catalana) erschienen 1981 in Barcelona, obwohl beide in Deutschland erarbeitet wurden. Erst 1991 wurde das letztgenannte um den zweiten Teil, das Handwörterbuch Katalanisch - Deutsch, bearbeitet von Lluis C. Batlle, Günther Haensch, Tilbert Stegmann und Gabriele Woith ergänzt. Auch ist es kein Ruhmesblatt für die führenden Verleger eines breitsortierten Angebotes von Sprachlehrwerken in Deutschland, daß lange Jahre das einzige Lehrbuch der katalanischen Sprache für Deutsche aus Barcelona bestellt werden mußte (Artur Quintana: Handbuch des Katalanischen, Barcelona: Barcino, 21981). Lediglich der Hueber Verlag hat nach längerem Zögern 1984 Jens Lüdtkes Katalanisch: Eine einführende Sprachbeschreibung herausgebracht. Der Romanistische Verlag (Bonn) publizierte verdienstvollerweise 1987 als ersten Band seiner neuen Reihe »Bibliothek romanischer Sprachlehrwerke« eine Einfiihrung in die katalanische Sprache von Karl-Heinz Röntgen. Der Blick auf die Hilfsmittel sprachlicher Verständigung zeigt wie in einem Spiegel mit allerlei blinden Flecken den Stand der gegenseitigen Kenntnis voneinander an. Daß das Katalanische eine eigenständige Literatursprache ist, geriet seit dem 16. Jahrhundert weitgehend in Vergessenheit bzw. wurde bei der Festigung des Einheitsstaates verdrängt; »Eine Sprache, ein Reich«, lautete die Devise unter Franco. Angesichts der Geltung und des Prestiges der kastilischsprachigen Literatur schrieben (und schreiben) Katalanen in der Amtsund Staatssprache. Über zwei Jahrhunderte hinweg »desertierte« die katalanische Oberschicht zum Spanischen - vor allem bei Druckveröffentlichungen. Ausländische Reisende, die über Katalonien nach Spanien gelangen, verfügen meist nur über unzulängliche Sprachkenntnisse. Ihre Aufzeichnungen halten oft das Befremden darüber fest, daß sie sich in Katalonien (ähnlich wie im Baskenland) nicht gut verständlich machen können, weil man dort - was sie nicht wissen - nicht kastilisch spricht; sie beurteilen aber die Sprechweise der Landesbewohner, wenn überhaupt, am Maßstab des Kastilischen als Norm. Bezeichnend für dieses Miß-Verständnis ist die Bemerkung des Hieronymus Welsch in seiner Reiss-Beschreibung (Stuttgart 1659): »Die Sprach ist sehr schlecht und corrupt [in Katalonien], also daß ich - als der rechten Spanischen Sprach selbst noch nicht genugsam berichtet gewesen - gar übel zurecht kommen mögen«, eine enttäuschende Erfahrung, die sich unzählige Male wiederholt haben mag. In einer Zusammenstellung von Daten zur Geschichte des Unterrichts in den modernen europäischen Sprachen im deutschen Raum, Linguarum recentium annales (Augsburg 1980-1985), findet sich bezeichnenderweise für den Zeitraum 1500-1800 kein einziger Nachweis für das Katalanische. Das Verdikt über seinen »korrupten« Zustand im Vergleich zum »reinen« Kastilisch sitzt sehr tief. Johann Jakob Volkmann beurteilt in seiner Neuesten Reise durch Spanien (Leipzig 1785) die Situation in Katalonien so: »Die übrigen Spanier verstehen den hiesigen Dialekt nicht, der sich dem Gascognischen und Provenzalischen nähert. Überhaupt muß man auch die Sitten und Gebräuche Spaniens nicht nach Catalonien beurtheilen, weil sie sehr verschieden sind. Die Katalonier wissen dies auch, sie sehen sich gleichsam als ein abgesondertes Land an«. Noch in Meyers Konversationslexikon (41890) heißt es: »Selbst die gebildeten Stände sprechen unter sich meist den rauhen, dem Provenzalischen verwandten katalanischen Dialekt«. Schon Giovanni Botero sprach in seiner Allgemeinen Weltbeschreibung dreihundert Jahre zuvor von »certa asprezza« (Unge-

26 schlachtheit), von der »natura vehemente e capricciosa« der Katalanen, die sich in ihren Liedern, der Sprechweise und Wesensart niederschlage. Unter den Sprachwissenschaftlern des 18. Jahrhunderts herrschte die Lehrmeinung vor, daß das Okzitanische, die Sprache der Troubadours, in Wirklichkeit mit dem Katalanischen identisch sei. Man verwendete die Bezeichnung »Limousinisch« als hypothetischen gemeinsamen Oberbegriff. Das Ansehen der okzitanischen Dichtersprache wurde für die Aufwertung des Katalanischen in Anspruch genommen. August Wilhelm Schlegel hielt im Rahmen seiner Philosophie der Kulturgeschichte das Provenzalische, Katalanische und Limousinische für eine Sprache von zentraler Wichtigkeit innerhalb der sprachlich-literarischen Entwicklung mittelalterlicher Kultur. Im Gegensatz dazu betrachtete die Romanische Philologie, die sich in Deutschland seit den frühen Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entwickelte, das Katalanische lange als eine dialektale Spielart des Provenzalischen aus dem einfachen Grund, weil man die provenzalische Sprache und ihre mittelalterliche Literatur hierzulande besser kannte und intensiver studierte als die katalanische. Wilhelm von Humboldt berichtete Goethe nach seiner Spanienreise (1799/1800) aus Paris von typisch französischer Warte: Katalonien wird von Französischen Reisenden nicht selten noch als eine Fortsetzung Frankreichs angesehen. In der That erhalten sich auch noch bis Barcelona hin gewissermassen Französische Sitten und Französische Gemütlichkeit [!]; die Sprache des Landes ist nur ein verschiedener Dialekt von der des mittäglichen Frankreichs, und diese ganze Küste des Mittelmeeres theilte lange Zeit hindurch dieselben Schicksale, (aus: Der Montserrat bei Barcelona, Berlin [1926].)

Ein entscheidender Meilenstein in der Romanistik und Katalanistik war dann Gustav Gröbers Grundriss der Romanischen Philologie (1. Band, Straßburg: Trübner, 1888), in dem Alfred Morel-Fatio dem Katalanischen einen eigenen ausführlichen Artikel (S. 669-688) widmete, der in der Neuauflage von 1906 beträchtlich von J. Saroihandy erweitert wurde (S. 837877). Dennoch reicht die Diskussion über die Stellung des Katalanischen innerhalb der romanischen Sprachen bis in unser Jahrhundert hinein. In Deutschland hat sich Wilhelm Meyer-Lübke, einer der großen romanistischen Fachgelehrten, erst 1925 in dem Buch Das Katalanische von seiner anfänglichen Auffassung der Nichtselbständigkeit des Katalanischen eindeutig distanziert. Es war also nicht immer leicht, der katalanischen Sprache und Kultur den ihr gebührenden Platz zuzuweisen. Nun hat allerdings die wissenschaftliche Beschäftigung mit katalanischer Sprache und Literatur in Deutschland im Vergleich etwa zu Frankreich oder England eine ansehnliche Tradition. Sie reicht zurück in die Romantik mit ihrem Interesse für Volks- und Regionalliteraturen. Schon von der Gründerzeit der Romanischen Philologie her ist dem Katalanischen in sprachgeschichtlicher Sicht (bei Friedrich Diez etwa) große Beachtung geschenkt worden. Dabei stand das Mittelalter im Vordergrund. Der Blick auf die Gegenwartsverhältnisse, auf die zeitgenössische Literatur wird selten riskiert. Wenn schon, dann interessiert wie bei anderen Provinzen des In- und Auslandes vorwiegend das Malerische, Antiquarische, Folkloristische.

27 Katalanische Geschichte Es sei hier nur hingewiesen auf Ethnographische Denkmale vom Königsreich Spanien. Catalonien in malerischer Beziehung dargestellt (Darmstadt 1828) mit Begleittexten des Darmstädter Bibliothekars Heinrich Schaefer, dem auch im Rahmen der Handbuchreihe Geschichte der europäischen Staaten (1844) eine wertvolle Darstellung der katalanisch-aragonesischen Geschichte im Mittelalter zu verdanken ist. Ihr gingen voraus das umfangreiche Werk von Ernst Alexander Schmidt Geschichte Aragonien's im Mittelalter (Leipzig 1828) und die Gegenschrift dazu von Georg Gottfried Gervinus Versuch einer inneren Geschichte von Aragonien bis zum Ausgang des Barcelonesischen Königsstammes (Frankfurt 1833). Im Zeitalter des Historizismus ist es nicht überraschend, wenn vor allem die politische Geschichte Aragoniens aus den Quellen erarbeitet wird. Ramon Muntaners Chronik, ein auch literarisch bedeutendes Zeugnis katalanischer Geschichtsschreibung aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, erschien 1842 in einer deutschen Fassung und danach in der Originalsprache in der Bibliothek des Litterarischen Vereins zu Stuttgart. Nach dem Berliner Gelehrten Gotthold Heine machte der Wiener Bibliothekar Rudolf Beer bis heute grundlegende Archiv- und Handschriftenforschungen in Katalonien. Diese wissenschaftlichen Bemühungen um die ältere katalanische Geschichte gipfeln nach der ausführlichen Darstellung F. W. Schirrmachers (1893) in Heinrich Finkes Forschungen an der Universität Freiburg/Breisgau. Finke, der zuerst 1892 nach Spanien reiste, wertete vor allem die reichen Quellenmaterialien des Archivs der Krone von Aragonien in Barcelona aus für seine Untersuchungen zur Kirchen- und Kulturgeschichte, Diplomatie und der allgemeinen politischen Entwicklung in den Ländern der aragonesischen Krone. Die 1908 bis 1922 veröffentlichten ActaAragonensia (Berlin 1908) sind die Frucht dieser intensiven Forschertätigkeit. Finke hat eine eigene Schule begründet; allein über 40 Dissertationen über spanisch-katalanisch-aragonesische Themen sind daraus hervorgegangen. Unter seinen Schülern befinden sich namhafte Historiker wie Fritz Baer, Paul Kehr, Michael Seidlmayer und vor allem Johannes Vincke, der in Freiburg das Werk seines Lehrers jahrzehntelang fortsetzte. Freiburg wurde damit hierzulande zur Hochburg der historischen, theologiegeschichtlichen und philosophischen Studien über Katalonien und führt auch heute noch diese Tradition mit dem von Friedrich Stegmüller begründeten, danach von Charles Lohr geleiteten Raimundus Lullus-Institut an der Theologischen Fakultät weiter, das an der kritischen Ausgabe der Werke des katalanischen Philosophen beteiligt ist. Außer der Geschichtswissenschaft haben auch Forscher aus anderen Disziplinen Beiträge zur Kenntnis katalanischer Kultur geleistet, etwa Adolf Schulten, der Entdecker von Numantia, auf dem Gebiet der archäologischen Grabungen, Konrad Haebler bei der Erforschung der Frühgeschichte des Buchdrucks, Aloys Schulte für die Geschichte der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit Deutschland und Wilhelm Neuß mit seinen Untersuchungen über die Handschriften und Buchmalerei des Apokalypsen-Kommentars des Beatus von Liebana, oder der Musikwissenschaftler Marius Schneider, der den Zusammenhang von Architektur und musikalischer Harmonie (»Singende Steine«) in der Kreuzganganlage des Klosters Ripoll aufgezeigt hat. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß der reiche Ertrag deutscher Forscherleistung eines Jahrhunderts das Bild von Kataloniens großer Vergangenheit wesentlich bereichert hat. Die neuere Forschung hat nichts annähernd Gleichwertiges vorzuweisen.

28 Katalanische Studien Anders ist die Lage auf dem Gebiet der sprach- und literaturwissenschaftlichen Studien. Diese konnten sich im Unterschied zur Geschichtswissenschaft aus Gründen der spezifisch deutschen Universitätsentwicklung im 19. Jahrhundert erst verhältnismäßig spät institutionell abgesichert entfalten. Innerhalb des großen Faches der Romanischen Philologie ist die Katalanistik bis heute ein Anhängsel geblieben. Es gibt Lehrstühle, Forschungseinrichtungen für Orchideenfächer oder geographisch und kulturell weit entfernte Spezialgebiete, aber nicht für katalanische Sprache, Literatur und Kultur, deren europäische Ausstrahlung, gemessen an der territorialen Ausdehnung der katalanischen Länder, erstaunlich groß war und nach einer Periode der Unterdrückung in der Franco-Zeit ständig gewachsen ist. Was die Sprachstudien betrifft, so ist der wichtigste Anstoß zur Begründung der modernen Katalanistik Bernhard Schädel (1878-1926), zunächst Professor in Halle, dann in Hamburg, zu verdanken. Entsprechend der wissenschaftlichen Orientierung der Romanistik im 19. Jahrhundert konzentriert sich sein Interesse auf die historische Lautlehre und Mundartforschung, doch reichen sein Blick und seine persönlichen Beziehungen weit darüber hinaus. Für den 1906 veranstalteten Ersten Internationalen Kongreß für Katalanische Sprache (der zweite fand 1986 statt) entwarf der Philologe ein programmatisches Forschungskonzept zu einem sprachpolitisch für die Entwicklung und Normierung des modernen Katalanisch entscheidend wichtigen Zeitpunkt. Das zehnbändige Diccionari catalä-valenciä-balear (1930-1962) wurde von A. M. Aleover (1862-1932) mit wichtigen Anregungen seines Freundes Schädel begonnen. Ihm ist es zu verdanken, daß die Beschäftigung mit dem Katalanischen vom Geruch bloßer Folklore und der patois-Studien befreit wurde und sich in strenger philologischer Methode entfalten konnte. Schädel erwirkte drei Stipendien für junge katalanische Wissenschaftler, die in Halle Romanische Philologie studieren konnten; es waren dies der spätere Möns. Antoni Griera, Manuel de Montoliu und Pere Barnils. Man nannte sie »eis alemanys«, die Deutschen, in einer Zeit, die nicht immer deutschfreundlich eingestellt war. Aleover, ein uneingeschränkt Germanophiler, hatte im Ersten Weltkrieg die Zeitschrift Aurora begründet, um der antideutschen Einstellung vieler spanischer Intellektueller entgegenzutreten und die »Wahrheit« über Deutschland zu verbreiten. Die beiden Gelehrten Manuel Milä i Fontanals und Antoni Bergnes de las Casas gingen ihm um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Katalonien mit dieser Sympathie für Deutschland voran; Bergnes begründete ebenfalls eine Zeitschrift, La Abeja (Die Biene), die das katalanische Publikum mit dem zeitgenössischen literarischen und geistigen Leben in Deutschland vertraut machen wollte. Noch manch anderer, später bekannt gewordene Katalane sollte in den zwanziger Jahren nach Deutschland kommen: der Dichter und Übersetzer Carles Riba studierte in München bei Karl Vossler, auch Higini Angles, Ramon Aramon i Serra, Pere Bosch i Gimpera erhielten ihre akademische Ausbildung teilweise in Deutschland. An das Ibero-amerikanische Forschungsinstitut in Hamburg (1918) berufen, setzte Schädel unter günstigen Voraussetzungen die katalanischen Studien fort, die dort auch dank seines Einsatzes in schwieriger Zeit einen bemerkenswerten Aufschwung erfuhren mit einem modernen auslandskundlichen Programm. Unter den katalanischen Lektoren in Hamburg sind Manuel de Montoliu und Jordi Rubiö i Balaguer zu erwähnen. Amado Alonso hat in Hamburg seine berühmte Untersuchung über die Einordnung des Katalanischen innerhalb der romanischen Sprachen geschrieben.

29 Fast gleichzeitig wurde 1921 in Barcelona ein Centro de Estudios Alemanes de Intercambio begründet, das bis zum Bürgerkrieg eine wichtige Vermittlerrolle bei den deutschkatalanischen Kulturbeziehungen spielte. Nach Schädels frühem Tod übernahm sein Assistent und Schüler Fritz Krüger den Hamburger Lehrstuhl. Er vertrat die Richtung »Wörter und Sachen«, die Sprachgeographie und volkskundliche Kulturgeographie in enger Verbindung pflegte. Aus dieser Feldforschung ging die mehrbändige Veröffentlichung Die Hochpyrenäen hervor (1935-1939), die nicht nur von der landschaftlichen Gliederung, sondern auch von Haus, Hof, Hirtenkultur, ländlicher Arbeit, Tracht, Gewerbe und den traditionell verwendeten Geräten handelt. Das volkskundliche Interesse am katalanischen Raum war in Deutschland übrigens bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert erstaunlich rege. Die frühesten genauen Beobachtungen auf diesem Gebiet teilte Christian August Fischer in seinem Gemälde von Valencia (1803) mit, der wohl ersten modernen landeskundlichen Beschreibung eines der Pai'sos Catalans, die in Deutschland herauskam. Die Balearen hatte der österreichische Erzherzog Ludwig Salvator von Habsburg (1847-1915) als schönes Refugium entdeckt. Aus seiner Feder stammen zahlreiche naturkundliche, geographische und volkskundliche Veröffentlichungen über die Inseln, ihre Märchen- und Volksliedüberlieferung. 1910 wurde der Erzherzog wegen seiner Verdienste um den Naturschutz und die volkskundliche Forschung zum Ehrenbürger von Mallorca ernannt. Nach 1945 kamen die katalanischen Studien in der Bundesrepublik seit etwa 1950 wieder in fast der alten, breiten Ausrichtung in Gang. In der Schweiz bildete sich seit 1967 vor allem an der Universität Basel unter Germä Colon ein neuer Schwerpunkt. Nur wenig später versuchten engagierte Katalanisten hierzulande auf die prekäre Lage der katalanischen Sprache und Literatur unter Franco aufmerksam zu machen, bevor es Mode wurde, sich für bedrohte Minderheitenkulturen einzusetzen. In Tübingen veranstalteten sie Ende 1970 die Joes Florais de la llengua catalana, »Blumenspiele«, die seit 1939 jedes Jahr in einem anderen Land im Exil stattfanden und Informationen über eine verkannte, unterdrückte Kultur vermitteln sollten. Johannes Hösle, der aus diesem Kreis hervorgegangen ist, hat sich durch Übersetzungen, essayistische Beiträge und Forschungen verdient gemacht um die Verbreitung der Kenntnis moderner katalanischer Literatur in Deutschland. An der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main ist dank der Initiative von Tilbert Didac Stegmann, der auch die »Katalanischen Wochen in Berlin« (1978) veranstaltet hat, die umfangreichste katalanische Spezialbibliothek in Deutschland aufgebaut worden. Im Rahmen der »Setmanes Catalanes a Berlin« wurde erstmals das breite Spektrum katalanischer Kunst und Literatur der Gegenwart vorgeführt. 1983 wurde eine Deutsch-Katalanische Gesellschaft begründet (ähnliche Vereinigungen gibt es auch in Großbritannien, den USA und Italien). Die wissenschaftlichen Bemühungen um die Erforschung der katalanischen Sprache und Literatur können sich im internationalen Vergleich sehen lassen. Daß die öffentliche Aufmerksamkeit für Katalonien in Deutschland belebt wurde, ist einigen Fachleuten zu verdanken, die immer wieder den elfenbeinernen Turm ihrer Wissenschaft verlassen haben, um einem breiten Publikum mit ihren Veröffentlichungen und Veranstaltungen den Reichtum des katalanischen Kulturraums im europäischen Zusammenhang zu vermitteln. Hierein fügt sich auch die von der Badischen Landesbibliothek gemeinsam mit der Biblioteca de Catalunya,

30 Barcelona, im Herbst 1986 veranstaltete Ausstellung von Handschriften und Büchern, die erste dieser Art überhaupt in der Bundesrepublik.

Katalanische Literatur Wenn wir uns dem Bereich der Schönen Literatur und der Dichtung zuwenden, so zeigt sich die gleiche Verwirrung, von der schon eingangs die Rede war. Daß es in Spanien außer der spanischen auch eine katalanische, galicische, baskische Literatur gibt, ist im Ausland leider nicht selbstverständlich bekannt. Dabei hatten in Deutschland die Studien zur katalanischen Geschichte und Philologie den Weg für die Aufnahme der Literatur in Übersetzungen günstig vorbereitet. Wie für andere Sprach- und Kulturräume, so stand auch hier das Mittelalter im Vordergrund als bevorzugtes Arbeitsgebiet der Forscher. Viktor M. O. Denk, einer der gelehrten Liebhaber, die im 19. Jahrhundert so viel für die Vermittlung spanischer Literatur getan haben, vollbrachte mit seiner 500-seitigen Einführung in die Geschichte der catalanischen Literatur (1893) eine für die damalige Zeit bewundernswerte Leistung, doch reicht die Darstellung nur bis zum 18. Jahrhundert. Man betrachtete in Deutschland literarische Entwicklung bevorzugt unter dem Gesichtswinkel der »Nationalliteratur«. Katalonien bot dafür ein markantes, bislang freilich kaum bekanntes Beispiel. Umgekehrt bewunderten katalanische Nationalisten die mit der Reichsgründung 1871 vollzogene nationale Einigung Deutschlands und seine durch die klassische und romantische Dichtung verkörperte Nationalliteratur. In seiner sprachwissenschaftlichen Dissertation Neucatalanische Studien (1886) beurteilte Eberhard Vögel die moderne katalanische Literatur, ihre Lebensfähigkeit und politische Rolle noch recht skeptisch, doch schon wenige Jahre später sollte er ihr begeisterter Fürsprecher werden und in der Vermittlung moderner Literatur seine Lebensaufgabe sehen. Zwischen 1909 und 1920 hat er eine Reihe von Übersetzungen zeitgenössischer katalanischer Prosa und vor allem das erste umfassende katalanisch-deutsche Wörterbuch (Berlin 1911; deutsch-katalanischer Teil: Berlin 1916) herausgebracht. Schlagartig setzte 1890 in Deutschland die Beschäftigung mit moderner Dichtung aus Katalonien ein; fast gleichzeitig brach in Barcelona eine wahre Wagnerbegeisterung aus. 1890 veröffentlichte Johannes Fastenrath (1859-1908), ein begüterter Kölner Kaufmannssohn und Spanienfreund, seine mit einer »Übersicht der catalanischen Literatur« versehene zweisprachige Sammlung Catalanische Troubadoure der Gegenwart, eine Anthologie heute völlig vergessener Lyriker. Der anachronistisch-metaphorische Ausdruck »Troubadoure« ist bezeichnend für den Versuch, auf die mittelalterliche okzitanische Kunstdichtung zur Legitimation des erneuerten Traditionszusammenhangs mit der Moderne zurückzugreifen, obwohl in formaler Hinsicht (Metrik, Themen, Gattungen, Sprachstil) und im gesellschaftlichen Umfeld (höfische Dichtung - bürgerliche Poesie) keine Gemeinsamkeiten gegeben sind. Auch die suggerierte Gleichsetzung zwischen Okzitanisch und Katalanisch ist irreführend, selbst wenn an katalanischen Höfen zuweilen okzitanische Dichtkunst gepflegt wurde. Typisch für das schwärmerische Interesse am Mittelalter war auch Fastenraths Versuch, die okzitanisch-katalanischen Dichterwettbewerbe mit Preisverteilung (Joes Florais, seit 1859 in Katalonien wiederbelebt) 1899 in Köln einzurichten »als ein Gegengewicht gegen

31 das nüchterne, hastende Treiben des Geschäfts- und Fabriklebens«. Solche literarische Folklore sollte die rheinisch-westfälische Provinzdichterszene beleben, und sie konnte sich in wilhelminischer Zeit bis zum Kriegsausbruch 1914, sogar unter Beteiligung katalanischer Autoren, halten. Viele der sehr mittelmäßigen deutschen Beiträge wurden ins Katalanische übertragen und im Jahrbuch der Kölner Blumenspiele veröffentlicht. Fastenrath übersetzte auch das historische Musikdrama in drei Bildern Die Pyrenäen (Leipzig 1892) von Victor Balaguer, einem der führenden Köpfe der katalanischen Erneuerung, mit dem er befreundet war. Es verherrlicht die Nationwerdung Kataloniens im hohen Mittelalter und seine darauf gründende kulturelle Eigenart. Der Jesuit Alexander Baumgartner berichtete in den Stimmen aus Maria-Laach, einer einflußreichen katholischen Zeitschrift, 1890 über das Wiederaufleben der katalanischen Poesie und preist vor allem Jacint Verdaguer (1845-1902) als »Troubadour der göttlichen Liebe« und als »neuen Homer«. Abgesehen von derselben Assoziation mit den Minnesängern wie bei Fastenrath wird hier auf das epische Genus hingewiesen, das als Nationalgesang zu verwirklichen der große Traum deutscher Dichter war. Das Interesse an der zeitgenössischen katalanischen Dichtung wird weitgehend beherrscht von einer katholischen Verdaguer-Begeisterung, die bis zum Weltkrieg andauert und den zeitgenössischen Entwicklungen in der deutschen Literatur völlig entgegengesetzt ist. Verdaguer wird als moderne Leitfigur für die nach dem Kulturkampf auftrumpfende Erneuerung katholischer Literatur in Deutschland vereinnahmt. Verdaguer konnte daher als universaler Priesterdichter neben dem Klassiker Calderón und als »eine wirkliche Bereicherung unserer Literatur« (A. Baumgartner) angepriesen werden. In diesem Sinne schrieb auch Eberhard Vögel für die Zeitschrift Gottesminne (1907) einen Aufsatz über Verdaguer als katholischen Epiker und Lyriker. Clara Commer (1856-1937), eine im preußisch-protestantischen Berlin lebende Katholikin, hatte unter dem Titel Catalanische Lieder bereits 1891 Gedichte Verdaguers in deutscher Übertragung vorgelegt. Sie übersetzte dann auch sein sprachgewaltiges Epos Atlantis, bei dem Herkules die Königin Hesperis rettete. Aus ihrer Verbindung entsteht Spanien, das neue, von Gott für die Entdeckung der Neuen Welt (als Neuem Atlantis) durch Kolumbus auserwählte Volk. Von Verdaguers geistlichen Gedichten erschienen in Commers Übersetzungen Blumen vom Kalvarienberge. Ein Buch des Trostes für Viele (1904), Eucharistische Lieder (1907) und der Traum des heiligen Johannes (1909). Bemerkenswert aus dieser ersten Epoche der Aufnahme katalanischer Literatur in Deutschland ist andererseits gegenüber Verdaguer die Wirkung des erfolgreichsten naturalistischen Dramas Terra Baixa (1896), und zwar nicht über die Sprechbühne, sondern über die Opernbearbeitung von Eugen d'Albert (1903). Das Libretto dafür lieferte Rudolph Lothar, Verfasser eines merkwürdigen Buches über die »Seele Spaniens«. In dieser Fassung hatte das Drama einen riesigen internationalen Erfolg. Es wurde sogar, auch das ist außergewöhnlich, in Deutschland zweimal verfilmt: 1922 und 1940 (von Leni Riefenstahl). Nach dem Einschnitt des Ersten Weltkrieges fand Katalonien, abgesehen von Rudolf Grossmanns Anthologie Katalanische Lyrik der Gegenwart (1923) und der Übersetzung von Narcis Ollers Vampyr (1920), wieder geringere Beachtung. Unter der Diktatur Primo de Riveras sollte der Katalanismus ausgerottet werden, so daß Katalonien auch im gesamtspanischen Kulturbetrieb jener Jahre nicht sonderlich hervortreten konnte. In der Zweiten Republik erreichte es zwar für wenige Jahre erstmals die Autonomie, die jedoch nach dem Bürgerkrieg

32 mit harter politischer und kultureller Repression zurückgenommen wurde. Im Dritten Reich von Katalonien zu sprechen, war nach dem Sieg Francos entsprechend dessen von der Hitlerpropaganda übernommenen Maßregelungen nicht opportun. Katalonien war ein Zentrum erbitterten republikanischen Widerstands, València zum Schluß des Bürgerkrieges die Hauptstadt der rechtmäßigen Regierung. Toledo, der Alcázar, die imperiale Größe, die kastilischen »ewigen Werte« rückten demonstrativ in den Vordergrund der offiziellen ideologischen Selbstdarstellung. Es wurde versucht, Katalonien zu kastilisieren und dadurch gefügig zu machen, z.B. durch das radikale Verbot des Unterrichts und der Verwendung der katalanischen Sprache im öffentlichen Bereich (Behörden, Presse, Rundfunk, Buchdruck). Damit war das literarisch-kulturelle Leben in Katalonien für zwei Jahrzehnte lahmgelegt. Erst um 1960 trat eine gewisse Lockerung für Veröffentlichungen in katalanischer Sprache ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg, der wiederum eine tiefere Zäsur verursachte und zusammen mit dem vorausgehenden Bürgerkrieg die Kontakte unterbrach, kommt Katalonien daher in Deutschland zunächst nicht zu Wort. Es fehlt an den elementarsten Informationen über die tatsächliche Lage in Franco-Spanien, das die Nachrichtenpolitik steuerte. Zwischen 1945 und 1960 gibt es in Deutschland nach meinen Feststellungen keine einzige monographische Veröffentlichung über Katalonien (abgesehen von einfachen Reiseführern in Zusammenhang mit dem touristischen Boom auf Mallorca und der katalanischen Mittelmeerküste). Über die katalanischen Länder zu berichten, war und ist bis in die Gegenwart fast nur Reisejournalisten vorbehalten, die dies jedoch in der Mehrzahl ohne Kenntnis der katalanischen Sprache tun zu können glauben. Während des Dritten Reiches hatten sich kleine Kolonien emigrierter deutscher Schriftsteller und Künstler auf Mallorca und Eivissa gebildet. Sein pikarisches Leben, seine Erlebnisse auf Mallorca beschreibt Albert Vigoleis Thelen in Die Insel des zweiten Gesichts (1953); er war dort zeitweilig Privatsekretär des Publizisten Harry Graf Kessler. Neben Frank Arnau, Franz Blei, Karl Otten lebte auch der Lyriker Erich Arendt auf Mallorca, der sich später um die Übersetzung moderner spanischer und lateinamerikanischer Lyrik verdient machte. Eine breitere Veränderung im deutschen Verständnis für Katalonien konnten sie freilich angesichts der besonderen Exilsituation nicht bewirken. Walter Benjamin nahm sich 1940 auf der Flucht vor der Gestapo aus Verzweiflung über den Erpressungsversuch eines spanischen Grenzbeamten in Portbou das Leben. Eine zweite Phase der Zuwendung zur katalanischen Literatur der Gegenwart wurde 1970 durch die »Blumenspiele« in Tübingen eingeleitet. In Ost-Berlin erschien im gleichen Jahr Víctor Moras Roman Die Platanen von Barcelona, die erste Nachkriegsübersetzung eines katalanischen Autoren in der DDR, der allerdings eine französische Übertragung zugrunde lag. Die Zahl der deutschen Übersetzungen ist bis heute immer noch bescheiden im Vergleich zur regen katalanischen Übersetzertätigkeit auf dem Gebiet der deutschen Gegenwartsliteratur. Das lange schmerzlich vom Austausch mit der Weltliteratur abgeschnittene Land holt stürmisch auf, erobert neue literarische Räume und schöpft dabei immer weiter die Möglichkeiten der eigenen Sprache aus. Veröffentlichungen wie die zweisprachigen Ausgaben von Salvador Esprius Stierhaut und Ende des Labyrinths in der Übersetzung von Fritz Vogelgsang (anläßlich des Todes des großen katalanischen Dichters 1985) im Frankfurter Vervuert-Verlag ebenso wie die bei Suhrkamp veröffentlichten Bücher von Mercè Rodoreda sind leider eine seltene Ausnahme.

33 Mehr Aufmerksamkeit als die katalanische Literatur haben hierzulande die berühmten Künstler katalanischer Herkunft gefunden: Salvador Dali, Joan Miro, Pau Casals, Antoni Täpies sowie Antoni Gaudi. Diese Ausstrahlung der katalanischen Kunst (so der Titel einer in Bern 1978 erschienenen Schrift) wurde eindrucksvoll mit der bisher umfangreichsten Ausstellung der katalanischen Kunst des 20. Jahrhunderts zu den Katalanischen Wochen in Berlin 1978 dokumentiert.

Der Montserrat Eine Betrachtung über die katalanische Literatur und die literarisch vermittelte Vorstellung von Katalonien wäre unvollständig ohne den Hinweis auf ein berühmtes, legendäres Motiv, den Montserrat. Dieser heilige Berg, als solcher schon ein uraltes, religionsgeschichtlichvolkskundliches Phänomen, wurde häufig von den mittelalterlichen Santiago-Pilgern aufgesucht und in Wallfahrerliedern erwähnt. Der frommen Legende nach haben Engel mit goldenen Sägen aus dem Fels Thron und Altar für die Himmelskönigin herausgeschnitten. Außerdem wurde die Gralsüberlieferung auch mit dem Montserrat als heiliger Gralsburg (Munsalvasche, Montsalvatsch) in Verbindung gebracht. In der Kathedrale von Valencia wird noch heute die Reliquie des heiligen Kelches verehrt. In der oberdeutschen Volksfrömmigkeit haben sich katalanische Motive bis in die neuere Zeit hinein erhalten, etwa Montserrat-Bruderschaften. Ein in Spanien seit dem 16. Jahrhundert wiederholt aufgelegtes Buch über die Geschichte des heiligen Berges und die Wunder der Schwarzen Madonna erschien in deutscher Fassung 1588 in München (erneut 1605). Benediktinermönche der reformierten Observanz von Montserrat wurden zu Anfang des 17. Jahrhunderts in den Donauraum und nach Prag entsandt. Noch heute erinnert in Wien die Schwarzspaniergasse an klösterliche Ableger des Montserrat. In Reiseberichten des 18. und 19. Jahrhunderts wird der Montserrat häufig erwähnt und beschrieben. Die berühmteste deutsche Beschreibung des Felsmassivs stammt von Wilhelm von Humboldt aus dem Jahre 1800. Sie ist an Goethe gerichtet, der sich daraufhin den Montserrat als eine Art Freimaurer-Rosenkreuzer-Berg vorstellte (im Faust II), als symbolische Zufluchtsstätte beschaulichen Lebens in der Einsamkeit. Ganz allein könne der Mensch nur auf seinem eigenen Montserrat Glück und Ruhe finden, heißt es in dem epischen Fragment Die Geheimnisse (1816). Damit wurde ein wahrer literarischer MontserratTaumel in Deutschand ausgelöst. Es erschienen nicht wenige Romane, in denen sich das bei den Romantikern wieder so beliebte Einsiedler-Motiv in schwärmerischer Weise mit dem Montserrat verbindet. Dafür sind Titel bezeichnend wie Caroline Pichlers Der Einsiedler auf dem Montserrat (1829), Ignaz A. Fesslers Alonso, oder der Wanderer nach Montserrat, (1808) oder Ch. v. Ahlefelds Der Mohrenknabe oder die Wallfahrt nach dem Montserrat (1821). Den Endpunkt dieser Mode bildet die deutsche Übertragung von Victor Balaguers Montserrat. Sagen, Legenden und Geschichten (1860). Für die katholische Restauration bedeutete der Montserrat, mit dem sich auch die Erinnerung an Ignatius von Loyola und seine Bekehrung verknüpfte, ein Symbol des christlichen Spaniens als Bollwerk gegen Modernismus und Glaubens verfall (Franz Lorinser). Eines der ersten deutschen Spanienbücher nach 1945 trug den Titel Zwischen Fätima und Montserrat (1952).

34 Ramon Llull Ein geistesgeschichtlich überaus interessantes, glanzvolles Kapitel deutsch-katalanischer Verbindung ist die Wirkung des universalen Philosophen, Mystikers, Missionars und Dichters Ramon Llull (1233/35-1315/16), des Schöpfers der katalanischen Literatur- und Wissenschaftssprache im 13. Jahrhundert. Der »doctor illuminatus«, wie er genannt wurde, übte hierzulande über die Jahrhunderte hinweg eine große Ausstrahlung aus. Hier können nur einige Stationen im Laufe dieser Wirkung hervorgehoben werden. Kardinal Nikolaus von Kues, der bedeutendste deutsche Philosoph im 15. Jahrhundert, trug in seiner (noch heute in Kues erhaltenen) Bibliothek zahlreiche Handschriften mit Werken des Katalanen zusammen, der sein Denken nachhaltig geprägt hat. In der Bayerischen Staatsbibliothek in München sind bei der Aufhebung der Klosterbibliotheken zu Beginn des 19. Jahrhunderts fast 200 Llull-Handschriften zusammengekommen. Klösterlicher Herkunft ist auch die herrliche illustrierte Handschrift von Llulls Autobiographie, dem Breviculum, das die Badische Landesbibliothek in Karlsruhe besitzt. Schon im späten Mittelalter war Llull mit alchimistisch-geheimwissenschaftlichen Spekulationen in Verbindung gebracht worden. Über 80 Schriften sind ihm fälschlich zugeschrieben worden (einige davon auch ins Deutsche übersetzt). Llull stellte geradezu die Idealfigur des Alchimisten, Zauberers und Gottsuchers dar. Noch in der Zeit des Humanismus schätzten ihn sowohl Agrippa von Nettesheim, der Schöpfer eines großen Systems der Geheimwissenschaft, als auch Beatus Rhenanus. Der Einfluß des medizinisch-alchimistischen Lullismus ist natürlich auch im Werk des Theophrast von Hohenheim (Paracelsus) greifbar. Llulls Ars Magna, eine logische Begriffskombinatorik, und seine Idee einer Universalsprache wirkt über den Jesuiten Athanasius Kircher bis in die Zeit der Aufklärung und auf Leibniz. Zahlreiche Ausgaben in Nürnberg, Köln, Basel und Frankfurt am Main zeugen von dieser großen Bedeutung des Katalanen bis in die frühe Neuzeit. Im 18. Jahrhundert erlebte der Lullismus, in Katalonien und anderwärts inzwischen längst überholt, vor allem in Mainz noch einmal eine späte Nachblüte. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts plante man in Würzburg sogar die Errichtung eines lullistischen Lehrstuhls. Unter der Leitung von Ivo Salzinger, einem österreichischen Geistlichen, der sich am Düsseldorfer Hof mit Unterstützung des Kurfürsten Johann Wilhelm den Llull-Studien widmete, erschien in Mainz der erste Versuch einer Gesamtausgabe (1741^-2) des Riesenwerkes in acht Foliobänden. Seither sind die Llull-Studien bis heute sehr intensiv in Deutschland betrieben worden, wie die von Rudolf Brummer 1976 zusammengetragene Spezialbibliographie erkennen läßt. Den bedeutendsten Beitrag lieferte der Franziskaner Platzek. Das mystische Buch vom Liebenden und Geliebten hat der Freiburger Bibliothekar Ludwig Klaiber 1948 übersetzt. Llull ist bis heute der am meisten übersetzte katalanische Autor; erst 1985 erschien als Taschenbuch eine Auswahl Die Kunst, sich in Gott zu verlieben sowie 1986 das Buch vom Heiden und den drei Weisen im Herder-Verlag. Reinhold Schneider hat die Bekehrung des Ramon Llull in einer Erzählung gestaltet, die zu dem Band Taganrog gehört.

35 Sabunde, Balmes, Vilanova, Ferrer, Vives und Turmeda Die andere herausragende Philosophengestalt nach Llull ist Ramon Sabunde (oder genauer Ramon Sibiuda), ein aus Barcelona stammender Priester und Mediziner (gest. 1436), dessen Uber creaturarum in der Renaissance zum Erfolgsbuch wurde. Nikolaus von Kues erwarb schon 1450 eine Handschrift des für sein Denken ebenfalls wichtigen Werkes, das in Dialogform bearbeitet unter dem Titel Viola animi oft aufgelegt und gerade auch auf protestantischer Seite bis in das 18. Jahrhundert hinein wirkte. Diese fundamentaltheologische Verteidigung des Glaubens wurde im 19. Jahrhundert erstaunlich oft untersucht und erschien 1852 auch in einer Neuausgabe. In jener Zeit der katholischen Restauration und Apologetik wandte man sich auch mit Eifer dem Werk des katalanischen Priesterphilosophen Jaume Balmes (1810-1848) zu, einem Krisen-Denker und erfolgreichen Journalisten. Seine Briefe an einen Skeptiker (von 1841), der Versuch der Widerlegung antireligiöser Vorurteile und vor allem Der Protestantismus verglichen mit dem Katholizismus (1842/43) wurden übersetzt und mehrfach aufgelegt. Mehrere Dissertationen beschäftigten sich sogar noch während des Dritten Reiches und nach dem Krieg mit Balmes. Schließlich hat noch ein Landsmann Llulls in Deutschland seine Spuren hinterlassen, der valencianische Arzt und Laientheologe Arnau de Vilanova (1238/407-1311). Auch ihm wurden wie Llull zahlreiche alchimistische Abhandlungen zugeschrieben. Die Chymischen Schriften erschienen noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Wien unter seinem Namen. Seine gesammelten medizinisch-naturwissenschaftlichen Werke wurden in Basel von Theodor Zwinger in Druck gegeben und einzeln bis in das 17. Jahrhundert immer wieder aufgelegt. Das erste ins Deutsche übersetzte und gedruckte Buch eines katalanischen Autors ist Arnaus Loblich Tractat [...] von bereytung und brauchung der wein zu gesundhet der Menschen (zuerst Esslingen 1478), ein sehr erfolgreiches Schriftchen, das wegen seines verheißungsvollen Titels verständlicherweise sogleich nachgedruckt und wiederholt abgeschrieben wurde. Es ist das früheste Zeugnis für das Lob auf den katalanischen Wein, das als Motiv in der Literatur eine lange Tradition haben sollte. Arnaus Kommentar zum Regimen sanitatis wurde schon im 14. Jahrhundert übersetzt und spielt eine Rolle in der Ausbildung der heilkundlichen deutschen Fachprosa des späten Mittelalters. Zwei weiteren Valencianern war ebenfalls eine nachhaltige Wirkung in den deutschsprachigen Ländern beschieden, dem Dominikaner Vicent Ferrer (1350-1419) und Joan Lluis Vives, einem bedeutenden Humanisten. Der Heilige Vicent Ferrer, einer der berühmtesten mittelalterlichen Bußprediger, kam auf seinen weiten Reisen auch nach Mitteleuropa, und seine Predigten erschienen hier schon sehr früh und häufig im Druck. Sein Traktat De fine mundi wurde 1556 für Herzog Albrecht von Bayern verdeutscht. Unübersehbar ist der Einfluß von Joan Lluis Vives (1492-1540) im deutschen Geistesleben und Erziehungswesen des 16. und 17. Jahrhunderts. Weder in England, wo er zeitweilig lebte, noch in Frankreich oder Italien, geschweige denn in seiner Heimat, sind so viele Schriften dieses universalen, europäischen Geistes übersetzt worden wie gerade in den deutschsprachigen Ländern (Schweiz, Elsaß, Deutschland): es sind insgesamt 16 Werke, die in 24 verschiedenen deutschen Übersetzungen vorliegen, etwa über das Armenwesen, die Ehe, die Erziehung der Frau, christliche Spiritualität - Weisheit, Frieden, Gebete - und den Religionsvergleich. Bei Katholiken und mehr noch auf protestantischer Seite waren diese

36 Schriften weit verbreitet. Die Colloquia bildeten im Latein- bzw. Fremdsprachenunterricht für Generationen von Schülern das Elementarbuch. Herzog August von BraunschweigWolfenbüttel hatte die Gestalt des Vives so beeindruckt, daß er die wohl umfangreichste Sammlung seiner Werke (über 80 Druckausgaben) in Deutschland vereinigte, die sich, teilweise mit seinen eigenen handschriftlichen Randbemerkungen versehen, in der Wolfenbütteler Bibliothek befinden. Den Beschluß des Streifzuges durch die vielfältigen geistesgeschichtlichen Kontakte zwischen Katalonien und Deutschland soll der Hinweis auf die Gestalt des Franziskaners Anselm Turmeda (ca. 1352/55-1423) aus Mallorca bilden, der nach seiner Konversion zum Islam in Tunis lebte und dort die Disputa de l'ase schrieb (1419), ein ironisches Zwiegespräch mit dem Esel über die Rangstellung von Tier und Mensch. Jacob Rathgeb aus Speyer, der sich auch als Übersetzer von Amadis-Romanen hervortat, hat dieses Fabelbüchlein ins Deutsche übersetzt; es erschien 1606 in dem damals zu Württemberg gehörenden Montbéliard. Auch wenn hier nur einzelne Gestalten vorgeführt werden konnten, so lassen sich dennoch komplexere geistesgeschichtliche Zusammenhänge erkennen, welche die Bedeutung und Wirkung der deutsch-katalanischen Beziehungen beleuchten.

Deutsche Buchdrucker in Katalonien Für den deutsch-katalanischen Austausch sind vor allem Bücher wichtig geworden. Unter den Frühdrucken fallen eine Reihe deutscher Druckernamen auf. In der Tat ist der Anteil von Buchdruckern aus Deutschland und der Schweiz an der Verbreitung des Buchdrucks in den Ländern der katalanisch-aragonesischen Krone kultur- und wirtschaftsgeschichtlich beachtenswert. Die aus Mitteleuropa zugewanderten Fachleute für das »Werk der Bücher« setzen zu ihrem Vornamen vielfach nur die Herkunftsbezeichnung alamanus, alemany, gleichsam als empfehlendes Markenzeichen wie »made in Germany«, z.B. Fadrique Alemán = Friedrich Biel; Christopherus de Alemania = Christoph Cofman oder Kaufmann; Juan Alamany. Einige katalanisieren ihren Namen, so etwa völlig unkenntlich Vendel Ortuhey (vielleicht Wendel Ortwein?) oder Lope de Roca. Das zeigt auch, bis zu welchem Grad die soziale Eingliederung, die Anpassung dieser frühen »Gastarbeiter« trotz wirtschaftlicher und sprachlicher Schwierigkeiten ging. Sie gründeten nicht nur ihre familiäre Existenz in Katalonien, sondern bekamen auch Unterstützung reicher, ehrgeiziger, einheimischer Geldgeber (Kaufleute, Advokaten, Magistratsherren, Klöster) für die Einrichtung der Werkstatt oder für die Drucklegung von Büchern. In Valencia, wo seit 1473 Bücher gedruckt wurden, arbeitete eine Druckerei für den Kaufmann Jakob Vitzlant (Weißland), den Geschäftsführer der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft..Der Kaufherr meinte, es sei billiger, Bücher am Ort selbst herstellen zu lassen als sie im Ausland in Auftrag zu geben oder einzuführen. Die Ironie des Schicksals wollte es, daß sein Betrieb schließen mußte, weil der italienische Geschäftspartner nicht rechtzeitig Papier anliefern konnte. Vitzlandts Bruder Hermann ließ dann 1478 die prachtvolle valencianische Bibel drucken (der älteste romanische Bibeldruck überhaupt). Valencia wird in dieser Zeit zum Mittelpunkt des katalanischen kulturellen Lebens. Hans Rix aus Chur druckte hier 1490 den Roman Tirant lo Blanch in einer Auflage von

37 715 Exemplaren, nur drei davon haben sich bis auf unsere Zeit erhalten. So steht der Frankfurter Fischer-Verlag, der 1990 zur 500-Jahr-Feier des Tirant eine deutsche Übersetzung von Fritz Vogelgsang herausbrachte, in einer alten Tradition. Ausländer sind es vorwiegend, die Werke der katalanischen Literatur beziehungsweise Übersetzungen drucken und sich dabei der Mithilfe einheimischer Korrektoren versichern müssen. Paul Hurus (aus Konstanz), Nikolaus Spindeler (er wirkte in Barcelona, Valencia, Tortosa und Tarragona) sowie der Heidelberger Johann Rosenbach, »impressor oculatissimus« (höchstangesehener Drucker), der vierzig Jahre lang in Katalonien lebte und technisch hervorragende Drucke herstellte (z.B. Eiximenis'Llibre de les dones): sie alle trugen entscheidend zur Verbreitung der katalanischen Literatur mit Hilfe der neuen Kunst bei. Im Kloster Montserrat druckte Hans Luschner, von Ulmer Gesellen unterstützt, im Auftrag der Benediktiner religiöse und liturgische Bücher sowie etwa 180.000 Ablaßbriefe. Die Fülle der innerhalb weniger Jahre herausgebrachten katalanischen Drucke auf dem Gebiet der schönen Literatur, des Rechtes und des Erbauungsschrifttums führt die geistige Lebendigkeit, das sprachliche Selbstbewußtsein und die Marktmöglichkeiten beim Absatz katalanischer Bücher deutlich vor Augen. Schon im frühen 16. Jahrhundert führten dann aber wirtschaftliche Zwänge des Buchhandels über die Grenzen hinweg zu einer wachsenden Kastilisierung der Buchproduktion, besonders in Valencia. Symptomatisch dafür ist die Veröffentlichung des im 16. Jahrhundert zu einem Verkaufserfolg gewordenen Cancionero General 1511 in Valencia durch Cofman. In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts geht auch die Tätigkeit deutscher Buchdrucker zurück, nachdem sie mit ihrer vielgerühmten Kunst zunächst so wirkungsvoll die Verbreitung der einheimischen Literatur gefördert und einen neuen Gewerbezweig in Katalonien begründet hatten. Bücher waren es vorwiegend, welche die Brücke zwischen Katalonien und Deutschland geschlagen haben und das Bild vom jeweils anderen Land prägen. Über die Jahrhunderte hinweg hat sich ein reger Austausch entwickelt. Die kulturellen Wechselbeziehungen zu unseren europäischen Nachbarn wären erheblich ärmer ohne den unverkennbaren eigenen Beitrag aus den Ländern katalanischer Zunge.

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38 Bertrana, Prudenci (unter dem Namen J. Pons y Pagés): Josaphat, Übers. Eberhard Vogel, München 1918. Burgos, Pedro: Warhafftige und gründliche historia vom ursprung auch zunemung des gotteshausz Montis Serrati, München 1588. Casellas, Raimon: Lazarus' Tod, Übers. Eberhard Vogel, Köln 1909. Català, Victor: Sankt Pons, Übers. Eberhard Vogel, Berlin 1909. Dali, Salvador: Unabhängigkeitserklärung der Phantasie und Erklärung der Rechte des Menschen auf seine Verrücktheit. Gesammelte Schriften, Übers. Tilbert D. Stegmann, München 1974. Espriu, Salvador: Die Stierhaut/La pell de brau, Übertr. Fritz Vogelgsang, Frankfurt am Main 1985. - Ende des Labyrinths/Final del laberint, Übertr. Fritz Vogelgsang, Frankfurt am Main 1986. Fastenrath, Johannes: Catalanische Troubadoure der Gegenwart, Leipzig 1890. Gimferrer, Pere: Antoni Tàpies und der Geist Kataloniens, Übers. Tilbert D. Stegmann, Frankfurt am Main/Berlin 1976. Grossmann, Rudolf: Katalanische Lyrik der Gegenwart, Hamburg 1923. Hösle, Johannes/Antoni Pous: Katalanische Lyrik im zwanzigsten Jahrhundert, Mainz 1970. - Katalanische Erzähler, Zürich 1978. Karlinger, Felix/Ulrike Ehrgott: Märchen aus Mallorca, Köln/Düsseldorf 1968. Lang, Peter: Katalanische Volkslieder und andere hispanische Früchte, Dresden 1900. Ludwig Salvator, Erzherzog: Märchen aus Mallorca, Würzburg 1896. - Rondayes de Mallorca, Würzburg 1895. - Die Balearen in Wort und Bild, Würzburg 1869-1891. Llull, Ramon: Das Ave Maria des Abtes Blanquerna, Übers. Joseph Solzbacher, Paderborn 1954. - Das Buch vom Liebenden und Geliebten, eine mystische Spruchsammlung, Übers. Ludwig Klaiber, Ölten 1948; Köln 1967. - Das Buch vom Liebenden und Geliebten, geistliche Gleichnisse, Übers. Maurice Aubry, Zürich o.J. - Felix: Ein katalanisches Thierepos, Übers. Konrad Hofmann, München 1872. - Die treulose Füchsin: Eine Tierfabel, Übers. Joseph Solzbacher, Freiburg/Br. 1953. - Das Leben des seligen Raimund Lull: Die Vita coetanea und ausgewählte Texte zum Leben Lulls aus seinen Werken und Zeitdokumente, Übers. Erhard W. Platzeck, Düsseldorf 1964. - Die Kunst, sich in Gott zu verlieben, Übers. Erika Lorenz, Freiburg: Herder 1985. - Das Buch vom Freunde und vom Geliebten, herausgegeben, eingeleitet und übersetzt von Erika Lorenz, Zürich/München: Artemis 1988. - Das Buch vom Heiden und den drei Weisen, Freiburg : Herder 1986. [mit vier Essays] - Das Buch vom Heiden und den drei Weisen, Übers. Theodor Pindl, Stuttgart: Reclam 1998. - Die neue Logik, Übers. Vittorio Hösle, Walburga Büchel, Hamburg 1985. - Lo desconhort. Der Desconhort, Übers, und mit einer Einführung von Johannes und Vittorio Hösle. München: Fink 1998. March, Ausiàs: Gedichte. Übers. Hans-Ingo Radatz, Frankfurt 1993. Mora, Victor: Die Platanen von Barcelona, Roman, Berlin (Ost) 1970. Muntaner, Ramon: Chronik des edlen En Ramon Muntaner, Übers. K. Lanz, Leipzig 1842. Oller, Narcis: Der Vampyr, Übers. Otto Hauser, Weimar 1920 (erneut München 1954). Pous i Pagès, Josep: Gori, der Rebell, Übers. Eberhard Vogel, Frankfurt 1910. - Das Tomatenbeet, 1912. Rodoreda, Mercè: Auf der Plaga del Diamant, Übers. Hans Weiss, Frankfurt am Main 1979. - Reise ins Land der verlorenen Mädchen: Poetische Prosastücke, Übers. Angelika Maass, Frankfurt am Main 1981. - Der zerbrochene Spiegel, Übers. Angelika Maass, Frankfurt am Main 1982. - Der Fluß und das Boot: Erzählungen, Übers. Angelika Maass, Frankfurt am Main 1986. - Aloma, Übers. Angelika Maass, Frankfurt am Main 1990. Rövenstrunck, Bernart: Cangoner català: Katalanisches Liederbuch, Hamburg/Berlin 1976.

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41 Erstveröffentlichung in Vorträge der Badischen Landesbibliothek für Katalanistik 1 (1988), S. 11-35.

Karlsruhe 12 (1987) und Zeitschrift

Spanische Kunst in europäischen Reiseberichten

Spanien war nie in dem Umfang wie Italien oder Griechenland zum Ort, Anlaß und Leitbild einer neuen ästhetisch-künstlerischen Erfahrung für reisende europäische Betrachter geworden. Dennoch enthalten die Berichte über Spanienreisen zahlreiche verstreute Hinweise auf Baudenkmäler und Kunstwerke, die ausländische Besucher bei der ersten, unvermittelten Begegnung mit einer für ihren Geschmack und ihr Empfinden anderen, fremden Ausdruckswelt und Formensprache niederschrieben. Das allmählich wachsende Interesse für Kunst, das spontane Wahrnehmungsvermögen und die ästhetische Wertung der Beobachtungen liefern stückweise Aufschluß über den Fortgang der Rezeption spanischer Kunst jenseits der Pyrenäen, zumal in Zeiten, da weder in Ansätzen kunstgeschichtliche Kenntnisse und wissenschaftliche Kategorien noch besondere Möglichkeiten der Bildreproduktion zu Gebote standen. Diese Zeugnisse wurden bislang noch kaum zusammenhängend gesichtet und erschlossen. Die Kunstbetrachtung wird zunächst überlagert von der unmittelbaren Erfahrung einer ungewohnten Lebenswelt im Alltag, von der Begegnung mit anderssprachigen Menschen und ihren Vörstellungsformen sowie vom Landschaftserlebnis. Auf einer nächsten Stufe verstellt die Beschäftigung mit der spanischen Literatur den Blick für die künstlerischen Hervorbringungen in dem Maß wie der Spanier und die spanische Landschaft vorwiegend im Medium dichterischer Gestaltung wahrgenommen und verarbeitet werden. Die Entdeckung der spanischen Literatur geht im gesamten europäischen Kontext der Zuwendung zur Kunst zeitlich lange voraus. Im Unterschied zur Aneignung eines literarischen Werkes durch die Übersetzung in eine andere Sprache bestand für Kunstwerke damals keine Möglichkeit der Wiedergabe. Gemäldegedichte oder Bildbeschreibungen leisten dafür nur unzulänglich Ersatz. Reiseberichte verzeichnen zudem mehr Nachrichten über das literarische Leben (Schauspielaufführungen, Romane, Zeitschriften, Tertulias u.a.) als über Malerei oder Musik. Manche Reisebücher des 18. Jahrhunderts enthalten sogar literargeschichtliche Abrisse und Bücherverzeichnisse. Auch die auf der alten Humoralphysiologie beruhenden Nationalcharakteristik berücksichtigt in ihrem starren Typenrepertorium der Völkerindividuen zwar genius, mores oder lingua der Spanier im Vergleich etwa mit den Franzosen, Italienern oder Deutschen, nicht jedoch deren Verhältnis zu den Künsten. In den beliebig ausgeweiteten Aufzeichnungen von Merkmalen und Eigenschaften werden zwar gestus, vox, conversatio, cantus, humanitas, oratio, amor, negotia, militia u.a. gegenübergestellt, nicht jedoch Kunstfertigkeit oder Kunstpflege. Die Kataloge der viri illustres führen nach dem überkommenen System der Artes liberales Maler, Bildhauer, Baumeister ebenfalls nicht auf, wohl aber Theologen, Philosophen, Philologen und Dichter. Kunstreisen, das heißt Reisen, die eigens zum Zweck der Erkundung von Kunstschätzen unternommen werden, sind im Vergleich sowohl zur Gesamtmenge europäischer Reiseberichte über Spanien als auch im Hinblick auf die italienische Kunstliteratur selten und auch erst verhältnismäßig jungen Datums. Künstlerreisen auf der Iberischen Halbinsel bleiben, gemessen an der obligaten Pilgerschaft nach Italien, über Jahrhunderte hinweg eher die Ausnahme. Die europäische Reiseliteratur über Spanien weist bis in das späte 17. Jahrhundert nur ein schmales Angebot gedruckter Werke auf. Spanien lag abseits von den bevorzugten Zie-

43 len der frühneuzeitlichen Kavalierstouren und Bildungsreisen, obwohl das Land selbst mit Santiago de Compostela in der Geschichte der abendländischen Pilgerfahrten seit dem Hochmittelalter eine große Anziehungskraft ausübte, die sich mit Rom und Jerusalem messen konnte. Zum Reiseland wurde Spanien erst seit dem späten 18. Jahrhundert. Dementsprechend nehmen seitdem auch die Berichte zu. Vorher stand nur das geographisch-länderkundliche enzyklopädische Schrifttum seit dem frühen 16. Jahrhundert zur Verfügung, geriet aber mit seinem antiquarisch-philologischen Bildungsballast zusehends in Konflikt mit dem neuen, aus Erfahrung gewonnenen Wissen. Die in der Antike bereits der Buntschriftstellerei, der poikile historia, zugerechnete Länderbeschreibung verfestigte sich im Lehrund Schulbetrieb und wurde zum Sammeltopf eklektischer Gelehrsamkeit, die allerlei Wissenswertes und Merkwürdiges anhäufte, aber auch Klischees und zählebige Vorurteile weitertrug. Gemäß dem Interesse der frühneuzeitlichen Erdkunde für die forme de vivre anderer Völker, die Vielfalt der mores und Verschiedenheit menschlicher Kulturentwicklung finden sich in diesen Kompilationen natürlich auch zahlreiche Hinweise auf Kunstwerke, Sehenswürdigkeiten, Schätze und Städte entlang bestimmter Routen. Vornehmliches Ziel sowohl des länderkundlichen Schrifttums als auch der frühen Reiseberichte ist es, sozusagen ein Icon animorum (John Barclay, 1614), ein »Seelenbild« des spanischen Nationalcharakters in Vergleichen und Gegenüberstellungen zu zeichnen, sowie Kenntnisse über Staat, Geschichte und Wirtschaft zu vermitteln. Den Künsten kommt in diesem Zusammenhang kein besonderer Stellenwert zu. Auch die Reisenden des 18. und 19. Jahrhunderts versuchen weiterhin, ihre Erfahrungen und Beobachtungen zu einem Wesensbild des Spaniers zusammenzufügen. Der Geographieprofessor Martin Zeiller, der Spanien nie persönlich bereist hat, versteht den Schelmenroman Lazarillo de Tormes bereits als Quintessenz des spanischen Wesens. Die schöne Literatur vermittelt eine subjektive, poetische, gebildete, fiktionale und idealtypische Spanienvorstellung, die aber von den Lesern immer wieder mit der Wirklichkeit von Land und Leuten schlechthin gleichgesetzt wurde. Das Bild des Spaniers und die Auffassung von Spanien haben sich sowohl in der volkstümlich verbreiteten Meinung als auch in den europäischen Literaturen seit dem 16. Jahrhundert in verwirrender Widersprüchlichkeit niedergeschlagen. Die Schwankungen und Wandlungen in der Wertung der cosas de España hängen mit den politisch-wirtschaftlichen und religiösen Konflikten und dem jeweils zeitgebundenen Geltungsanspruch eines bestimmten Kulturmodells unter den europäischen Völkern zusammen. Dabei fällt auf, daß bei der zu verschiedenen Zeiten beschworenen Musterhaftigkeit Spaniens für Deutschland ausgerechnet der Bereich der Bildenden Kunst ausgespart bleibt, hingegen Dichtungstheorie, Poesie, Roman, Nationaldrama, aber auch die moralisch-religiöse Kraft des Spaniertums als Vorbild für die mögliche oder notwendige Erneuerung hervorgehoben werden. Im folgenden sollen einige wichtige Stationen den Entwicklungsgang der ästhetischen Annäherung und systematischen Erfassung spanischer Kunst durch europäische Reisende verdeutlichen. Sie bilden gleichsam die Prologomena zu einer Geschichte der spanischen Kunstgeschichtsschreibung. Nach dem Itinerarium Hispanicum (1494/1495) des Nürnberger Arztes und humanistischen Gelehrten Hieronymus Münzer, der in diplomatischer Mission die Iberische Halbinsel berei-

44 ste,1 zeugt erst wieder der Bericht der Reise aus den Jahren 1525-1526 des venezianischen Literaten und Gesandten Andrea Navagero {II viaggiofatto in Spagna, publiziert 1563)2 von einer damals ungewöhnlichen Sensibilität für spanische Kunst, insbesondere die Baukunst. Der Unterschied wird umso deutlicher sichtbar, wenn man Francesco Guicciardinis Relazione di Spagna (1512) daneben hält, eine nüchterne politisch-statistische Analyse der mächtigen spanischen Doppelmonarchie, die vielleicht aus einem bei Italienern verbreiteten geistigen Überlegenheitsgefühl heraus auf die kulturelle Verfassung des Landes nicht näher eingeht. Navagero dagegen, dessen denkwürdige Begegnung mit dem Dichter Juan Boscán in Granada (1526) von diesem als entscheidende Wende zur Erneuerung der spanischen Dichtkunst im Sinne des italienischen Formverständnisses hochstilisiert wurde, war ein gebildeter Beobachter, der als Bürger der venezianischen Republik ein feines Empfinden für Stadtarchitektur und Kunst mitbrachte. Er betrachtet die spanische Wirklichkeit mit den Augen und Maßstäben eines Italieners, ohne dabei freilich den Vergleich - wie angesichts der zeitgenössischen Machtrivalitäten durchaus üblich - zu Ungunsten der Spanier zu ziehen. Er sucht u.a. die Hauptorte Burgos, Valladolid, Segovia, Sevilla und Granada auf. Die knappen Einträge des Reisetagebuchs lassen trotz gewisser stereotyper superlativischer Ausdrucksweisen (»sehr groß und schön«, »prachtvoll«, »reich geschmückt«) das unmittelbare begeisterte Empfinden des Betrachters spüren. Als Beispiel für die Festungsarchitektur erwähnt Navagero Coca, den Geburtsort des Kaisers Theodosius, dessen mit achteckigen Wehrtürmen umgebenes Kastell auch heute noch zu den eindrucksvollsten Burganlagen Spaniens zählt. Es wurde von Morisken erbaut und weist entsprechende stilistische Besonderheiten auf. Die eigenartige Mauertechnik mit Backsteinen ergibt herrliche Musterverzierungen und Lichtwirkungen, die den Venezianer sichtlich beeindruckten. Die Erwähnung von Coca ist nach Münzers Hinweisen auf die Mudéjarkunst einer der ältesten Belege für deren ästhetische Wirkung auf Nichtspanier. Beim Besuch von Segovia rühmt Navagero, mit römischen Altertümern wohlvertraut, den Aquädukt als eines der Wunderwerke in Spanien. Beim Besuch von Burgos erwähnt er die »schöne, aber düstere und kalte« Kathedrale, deren Inneres von der reich geschmückten achteckigen Kapelle des Kondestabels hinter dem Hauptaltar geprägt wird, sowie das Zisterzienserkloster Las Huelgas. Am eindrucksvollsten sind seine Schilderungen der Baudenkmäler in Sevilla und Granada. Das aufsteigende, reiche Sevilla als Tor zur Neuen Welt erinnert ihn mit seinen Palästen und Kirchen wie kein anderer Ort in Spanien an Italien. Insbesondere hebt er die Kathedrale hervor, die weiträumiger ist als die von Toledo - in der Tat der größte gotische Kirchenbau - , wenngleich nicht so reich ausgestattet, den berühmten Orangenhof mit dem Giralda-Turm und seinem stufenlosen Aufgang im Inneren, der bequemer sei als der im Turm von San Marco, sowie den im arabischen Stil erbauten Alcázar mit seinen patios, Wasserspielen und Gärten. In der Nähe der Stadt sucht Navagero auch die römischen Ruinen von Italica auf sowie die Kartause, bei deren Anblick er vom Einklang zwischen Naturschönheit und Architektur so begeistert ist, daß ihm die (leicht ironische) Bemerkung entfährt, welch treffliche Vorstufe doch den Mön-

1

2

Vgl. dazu auch Silke Tammen: »Kunsterfahrungen spätmittelalterlicher Spanienreisender«, in: Noehles-Doerk, Gisela (Hrsg.): Kunst in Spanien im Blick des Fremden, Frankfurt 1996, S. 49-71. Vgl. Iris Lauterbach: »Die Gärten Spaniens im Spiegel der europäischen Reiseliteratur«, in: Noehles-Doerk, op. cit., S. 109-130, hier S. 110, Anm. 5 und S. 113-115.

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chen gegeben sei, um von hier aus in das himmlische Paradies hinaufzusteigen. Wie schon Münzer, so hat auch Navagero einen sicheren Blick für den Einklang von Natur, gestalteter Landschaft und Baukunst. Das wird auch besonders deutlich bei der begeisterten Schilderung Granadas, die zusammen mit der von Hieronymus Münzer dreißig Jahre zuvor zu den frühesten Zeugnissen der Bewunderung für die maurische Alhambra gehört. »Tutto è bello, tutto è piacevole a meraviglia«, bekennt er und kann sich nicht genugtun in der Aufzählung des Wand- und Deckenschmucks, der Einlegearbeiten, Gartenkunst, des Löwenhofes und der Bäderanlagen: »in somma al loco non par a me che vi manchi cosa alcuna di bellezza et piacevolezza, se non uno che'l cognoscesse, & godesse, vivendosi in quiete, & tranquillità di studij, & piaceri convenienti a huomo da bene, senza desiderio de più«3. Es ist ein irdisches Paradies für das otium cum dignitate, ein Vivarium als vollkommene weltliche Entsprechung zum Kloster der Kartäuser. Wie bereits vor ihm Hieronymus Münzer, so beobachtet auch der Venezianer den Anteil der Moriskenbevölkerung und nicht nur ihre schmucke Wohnkultur, sondern auch den Niedergang, der mit der Abwanderung der Morisken und dem Verfall des Gewerbefleißes wie der Landwirtschaft einhergeht. Navageros Aufzeichnungen lassen zugleich die tiefgreifende Umgestaltung der Stadt durch die rege Bautätigkeit nach der Eroberung erahnen, etwa bei der über einer Moschee seit 1523 entstehenden Kathedrale. Hier erwähnt der Diplomat die noch nicht fertiggestellte Königliche Grabkapelle mit dem herrlichen schmiedeeisernen Gitter vor den Grabmälern aus Marmor der Isabella von Kastilien und Ferdinands von Aragonien sowie den reichen Kirchenschatz. Es entgehen ihm auch nicht die beiden Herrschaftsbildnisse in betender Stellung am Hauptaltar als Ausdruck monarchischer Selbstdarstellung. Er erwähnt ferner das von den Katholischen Königen gegründete, noch nicht vollendete Hieronymitenkloster, das »groß und schön« zu werden verspricht und die um 1516 begonnene Kartause. Navageros Bericht gibt eine bemerkenswert detaillierte und lebhafte Vorstellung von christlichen und arabischen Baudenkmälern in Spanien als Ausdruck der Traditionen und des Selbstverständnisses im iberischen Herrschaftsbereich Karls V., der sich 1526 im Alcázar von Sevilla mit Isabella von Portugal vermählte und in der Alhambra zu diesem Zeitpunkt den »reinsten« Renaissancebau Spaniens aufführen ließ. Eine beliebte literarische Kunstübung der Humanisten, die nicht selten auch große Reisende waren, bilden die sogenannten >HodoeporicadeliciaeWeltreise< entschließt, fuhr 1633 von Genua über Marseille nach Spanien und beschreibt in Wahrhafftige Reiß Beschreibung auß eigener Erfahrung (Stuttgart 1658) seine Spanienerlebnisse, zum Beispiel Stierkampf, Karwochenprozession und Fronleichnamsfeier mit dem geballten Aufgebot des religiösen Bildapparats sowie Aufführungen eines Schauspiels über Wallenstein. Welsch betrachtet ebenfalls den Escorial als achtes Weltwunder und bietet eine ausführliche Bechreibung des königlichen Palastes in Madrid mit summarischem Verzeichnis der Kunstschätze und Sehenswürdigkeiten in der Rüstkammer.

48 Die beiden aus dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts stammenden Beschreibungen von Kunstgegenständen im Escorial stellen den wohl frühesten Versuch im deutschsprachigen Bereich dar, Bestände einer spanischen Sammlung katalogartig zu erfassen und für Besucher die verborgenen Schätze zu erschließen. DerAnonymus wie auch der die Welt bereisende Hofbeamte legten ihre Verzeichnisse aus dem Geist museal-gelehrter Sammelleidenschaft an. Eine kuriose Mischung zwischen geographischem Bilderbuch und emblematischer Sinnbildkunst bietet Daniel Meisners Libellas novus politicus emblematicus civitatum (Nürnberg 1638) mit seinen 26 Städte- und Architekturansichten aus Spanien (etwa dem Escorial). Diese symbolische sciographia cosmica oder Weltkunde soll einem Weltreisenden Klugheitsmaßregeln auf den Weg in die Fremde mitgeben. Einige der Emblemkupfer, die mit der auf der Vedute detailgetreu dargestellten topographischen Wirklichkeit nichts zu tun haben, spielen auf die in den zeitgenössischen Lasterkatalogen den Spaniern zugeschriebenen Nationalfehler an, wie zum Beispiel Großmäuligkeit, Machthunger, Habgier, Verschlagenheit, Hochmut, Heuchelei. So steht etwa unter der inscriptio mit dem Motto: »in foedera quaedam nostrorum temporum« der Prospekt Barcelonas mit einem Saitenspieler und der subscriptio »Cur mihi rauca chelys sonitu discordât inerti? Namque ligata male est chordis faucia ruptis« (»Ich hab ein gutes saytenspiel,/ Wie komts daß es nicht lauten will?/ Du darfst dich nicht verwundern deß,/ Die Bündt sind falsch, die sayten böß«). Der Löwener Rhetorikprofessor Nicolaus Vernulaeus handelte in einer seiner zahlreichen akademischen Prunk- und Musterreden das Thema Reisen ab und erörterte mit spitzfindiger Dialektik die Streitfrage »Hispaniae perlustrationem peregrinationibus omnibus aliis esse praeferendam«. Bei dem Redekunststück in den Dissertationum politicarum stylo oratorio explìcatarum decas prima et secunda (Löwen 1646) verlegt er sich besonders auf das topische Städtelob. Der Escorial wird in der topographischen Beispielreihe als Weltwunder gepriesen und in überbietendem Vergleich mit den Pyramiden gesehen. Die französischen Reiseberichte des 17. Jahrhunderts zeichnen ein Spanien und den Spanier im allgemeinen nicht wohlgesonnenes Bild, das sich mit seinen Vorurteilen und Klischees auf lange Zeit nachhaltig auswirken sollte. Antoine de Brunei faßte 1655 die abschätzige Meinung über die spanische Kunst ironisch so zusammen: »Les Espagnols se connoissent si bien en tableaux, que les moindres leur semblent des Chefs-d'Oeuvre«. Weder El Greco noch Velázquez oder Zurbarán werden erwähnt. So überrascht es nicht, wenn in der Darstellung von José María Diez Borque über La Socieda española y los viajeros del siglo XVII (Madrid 1976) zwar von Arbeit und Festen, Kirche und Macht, Sitten und Gebräuchen die Rede ist, aber nicht vom reichen Kunstleben der Zeit. Eine Stimme wie die des Predigers Jean Muret, der in einem Brief aus Madrid 1667 naiv begeistert von seinem dreistündigen Besuch im Retiro-Palast berichtet und meint, in ganz Paris gebe es nicht so viele Gemälde wie in den Sälen, Galerien und Treppenaufgängen der königlichen Residenz, ist die Ausnahme; aber auch Muret nennt keine Namen, sondern Themen (Schlachten- und Historienbilder, Akte, sowie »eine Unmenge caprichos«). Die französische Literatur des Grand Siècle ist trotz der heftigen Polemik um die antipathia Gallorum et Hispanorum erfüllt von spanischen Stoffen, Motiven, Übersetzungen, Nachahmungen, Einflüssen.

49 Die Beschäftigung mit spanischer Kunst spielt jedoch bis in das 18. Jahrhundert hinein nur eine geringe Rolle. In dem Handbuch Etat politique, historique et moral du Royaume d'Espagne (1765) wird übereinstimmend mit Madame d'Aulnoy (1672-1697) festgestellt, daß es derzeit kaum Künstler gebe, und die wenigen seien zudem meist Ausländer. Spanien habe überhaupt keine guten Maler oder Bildhauer aufzuweisen. Lediglich die spanische Literatur sei beachtlich und vielen anderen weit überlegen. Allerdings gibt es im 18. Jahrhundert auch Ausnahmen. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht der Bericht eines gewissen Monsieur Martin (Voyages faits en divers temps en Espagne, en Portugal [...] et ailleurs, Amsterdam 1699) etwa mit einer langen Beschreibung des Escorial, seiner Fresken und Gemälde. Der Verfasser erkennt beispielsweise sowohl das komplizierte Bildprogramm der Fresken von Pellegrino Tibaldi im Hauptsaal der Bibliothek als auch die politische Bedeutung des Escorial als »Kunst-Bauwerk«. Etienne de Silhuettes (1729-1730 durchgeführte) Voyage en Espagne (Paris 1770) ist gleichfalls bemerkenswert wegen der frühen Diskussion über den gotischen Stil und die arabische Kunst am Beispiel der Alhambra. Erst die englische Reiseliteratur, die alsbald in Übersetzungen in Deutschland rasche Verbreitung fand, leitet seit Mitte des 18. Jahrhunderts eine Umwertung im Verständnis spanischer Kultur, Kunst und Literatur ein. Der Reisebericht entwickelt sich nun vielfach zur aktuellen Reportage, zum Augenzeugenbericht, der eine bunte Fülle von aktuellen Informationen über das literarische, künstlerische und gesellschaftliche Leben, Wirtschaft, Politik und persönliche Beobachtungen aus dem Alltag darbietet. Spanien, das unbekannte Land am Rande Europas, übt plötzlich eine unwiderstehliche Faszination aus. Auch wenn Aberglaube - die Kirche und Inquisition - die Entwicklung von Wissenschaften und Künsten so lange verzögert hätten, seien unter der Bourbonenherrschaft merkliche Veränderungen eingetreten. Das Interesse für Schöne Literatur und literarische Kritik nimmt breiten Raum ein, aber schon Edward Clarke (Briefe von dem gegenwärtigen Zustande des Königreichs Spanien, Lemgo 1765) stellt fest, daß es noch viele Kunstschätze im Lande zu entdecken gibt. Er führt das am Beispiel des Escorial eindrucksvoll vor. Der Italiener Giuseppe Baretti (Reisen von London nach Genua durch England, Portugal, Spanien und Frankreich, Leipzig 1772, zuerst italienisch 1763, englisch 1770) lehnt als aufklärerisch gesinnter Beobachter die häßlichen wundertätigen Marienbilder und Marterdarstellungen ab, die aus einer Zeit des künstlerischen Verfalls stammen. Er richtet jedoch besondere Aufmerksamkeit auf das unbekannte arabische Spanien und empfiehlt nachdrücklich die Beschäftigung mit den noch erhaltenen Resten und Ruinen. Zu diesem Zweck informiert er auch über arabische Schriften im Escorial und übersetzt auszugsweise aus Casiris Bibliotheca hispano-arabica escurialensis. Nicht von ungefähr erscheinen später die berühmten Arabian Antiquities ofSpain von James Cavanah Murphy oder Owen Jones' Planwerk der Alhambra in England. Galt der Spanier ehedem als »halb Jude, halb Araber«, so wurde jetzt die Verherrlichung des »edlen Maurentums« nicht nur in der Literatur Mode. Herder gelangte über die Darstellung des ritterlichen Mauren in der Romanzendichtung zur Auffassung, daß die Araber die »Lichtbringer der europäischen Kultur« und die Spanier folglich (kulturell) »veredelte Araber« seien. Das einst wegen der schon in der Sprache erkennbaren »orientalischen Einmischungen« so geschmähte Spanien erscheint nunmehr durch die Berührung mit dem orientalischen Genius als Wiege und Grundlage einer neuen Kultur. »Spanien war die glückliche Gegend, wo für Europa

50 der erste Funke einer wiederkommenden Cultur schlug«, schreibt Herder (Briefe zur Beförderung der Humanität, Brief 84, 1796 in: Sämtliche Werke, hrsg. von B. Suphan, 1877— 1913, Bd. 18, S. 33 und 56). Damit bricht der Gedanke einer europäischen, nicht auf der lateinisch-romanischen Kultur beruhenden Renaissance durch mit der uralten mythischen Heilserwartung »Ex oriente lux«. Orient und Okzident vereinigen sich, Spanien im äußersten Westen (Hesperien) hat »mit halbem Geist des Morgenlandes« teil an diesem neuen Zeitalter des Lichts, und das im Siècle des Lumières! In diesem Zusammenhang wagt Herder einen seltsamen Kulturvergleich: »Ihr (der Spanier) Leben und Charakter, ihre Verwandtschaft mit den Arabern, ihre Verfassung, selbst ihr stolzes Zurückbleiben in Manchem, worauf die Europäische Cultur treibt, macht sie gewissermaßen zu europäischen Asiaten«. Dieser Paradigmenwechsel kommt in der Maurophilie zu Beginn des 19. Jahrhunderts voll zum Tragen: Wenn der Wanderer in Italien aus der Gegenwart in die Vergangenheit, aus der Vergangenheit in die Gegenwart entrückt wird, drängt ihn in Spanien Alles auf frühere, längst entflohene Zeiten zurück. Das Land erscheint nur als der Träger der mächtigen Wandlungen, die es erfahren, es soll Zeugnis alter Dynastien, alter Grösse, alter Pracht geben; es soll mahnen, dass es hier einst anders war, und die Torso's verschiedener Epochen fordern den Reisenden auf, mit seiner Phantasie ergänzend nachzuhelfen, wo ihm nur einzelne Züge entgegentreten. Wie in einem Zauberspiegel schauet er Trümmer entflohenen Glanzes und ausgelebter Herrlichkeiten. (Thomas Roscoe, Ansichten von Spanien, Bd. 2: Andalusien, Wien 1835)

Um die Mitte des 18. Jahrhunderts vollzieht sich ein folgenreicher Wandel in Geschmack und ästhetischer Theorie, den auch die Reiseliteratur unmittelbar widerspiegelt. Spanien wird nicht nur zu einem »wichtigen Land« und zählt wieder zu den »policirtesten Nationen«, sondern gilt zugleich - mit einem neuen ästhetischen Begriff - als »Vaterland des Romantischen« schlechthin. Wilhelm Gerstenberg gab in einem fingierten Briefwechsel aus Madrid folgende Einschätzung des Landes: »Spanien hat eine sonderbare Verschiedenheit romantischer Gegenden, und die Fehler selbst, die dem Anbau und der Bevölkerung so nachteilig sind, verschaffen der Phantasie ein viel freyeres Feld als die besten Einrichtungen eines andern Reiches in Europa« (Briefe über Merkwürdigkeiten der Litteratur, Stuttgart 1890, S. 258-259.). Herder spricht ebenfalls von Spanien als »diesem abgeschloßnen romantischen Lande der Schwärmerei«. >Spanien ist anders< lautet die neue Losung bei der Suche nach dem Originellen und nach dem National-Genie. Kein Land verdient daher nach Meinung des Diplomaten Christopher Plüers (Reisen durch Spanien, Leipzig 1777, S. 3637) mehr »von einem aufmerksamen und wissbegierigen fremden Reisenden besucht zu werden« als eben diese so lange vom übrigen Europa abgeschottete Halbinsel. »Man sieht, höret und lernet hier, was man in anderen Ländern vergeblich suchet, und wozu man sonst nirgends in der Welt Gelegenheit hat«! In dieser Aufbruchstimmung kommt der Kunst wieder ein höherer Stellenwert zu, da mit der Entdeckung der neuen Kategorie des Romantischen durchaus eine Verschiebung von Sehweisen, eine Änderung visueller Wahrnehmung einhergeht. Termini aus der Malerei erscheinen immer häufiger in den Titeln der Landesbeschreibungen (Gemälde von Spanien, Ansichten, Bilder, Tableau, Skizzen, Szenen, pittoresk). Alexandre Louis Labordes Buch führt den Titel Malerische und historische Reise in Spanien (Leipzig 1809-1811) und F.A.W. Bratring entwirft ein »Landes- und Volksgemälde« von Spanien und der spanischen Nation.

51 Das Spanienerlebnis insgesamt wird jedoch nicht wie bei Italien von der Kunsterfahrung geprägt, sondern ist bei den deutschen Romantikern wesentlich von der spanischen Literatur - von Cervantes und Calderón - bestimmt, auch wenn sich Herder und Friedrich Schlegel sowie später Carl Gustav Carus und Schack intensiv sowohl mit Italien, italienischer Kunst als auch mit Spanien befaßten. Die Umkehr und Umwertung im Spanienbild am Vorabend der Französischen Revolution drückt sich auffällig in der deutschen Bearbeitung der Neuen Reise durch Spanien vom Jahre 1782 bis 1788 (Jena 1789-1790, französische Ausgabe Paris 1788) von Jean François de Bourgoing aus. Der französische Adelige ist beispielsweise bereit, in Kirchen zu Valladolid polychromierte religiöse Plastik »aus der Epoche der Wiederherstellung der Künste [!] in Spanien« zu bewundern, »die auch dem aufgeklärtesten Zeitalter Ehre machen würden«. An anderer Stelle würdigt er die Wirkung der Akademie der Schönen Künste für den »guten Geschmack in Spanien auf den Trümmern der Barbarey« und weist eigens auf Goyas Kunst als Kupferstecher hin. Spanien befinde sich auf breiter Front »im Aufschwung«. Impulse des Wandels werden auf verschiedenen Gebieten aufmerksam registriert. Besonders »mit der Schriftstellerey und Leetüre geht die Aufklärung in gleichen Schritten fort«. Bei allem »Mangel an Cultur« als Folge der vorausgehenden dürftigen Zeiten stellt auch Christian August Fischer (Reise von Amsterdam über Madrid und Cadiz nach Genua in den Jahren 1797 und 1798, Berlin 1799) wie Bourgoing sichtbare »Fortschritte des Geschmacks« fest.4 War eine Fahrt nach Spanien um die Mitte des 18. Jahrhunderts noch »wie eine Reise an das Ende der Welt« (S. 195), in ein »verwildertes Land« , und mußte die Nation »die Bahn der Cultur gleichsam von neuem antreten« (S. 222), so entwickelt sie jetzt jene »Kräfte im Stillen, um im nächsten Jahrhundert Aufmerksamkeit zu erregen« (S. 221), eine Ahnung, die in der Tat für verschiedene Bereiche in Erfüllung gehen sollte. Auch der Zuspruch Fischers »Reiset ruhig nach Spanien! Die Zeiten der Finsterniß sind vorüber« (S. 332) wurde beherzigt, so daß auch die deutsche Reiseliteratur über Spanien im 19. Jahrhundert kräftig anwuchs. Spanien, der »schlafende Riese« erscheint unversehens als Land der nahezu unbegrenzten Möglichkeiten. »Spanien könnte der erste Staat in Europa seyn, könnte seine Bewohner zu den glücklichsten Menschen machen, und sein von Natur so gesegnetes Land zu einem Elysium umschaffen, wenn es nur wollte«, meint Kaufhold mit dem Blick auf die über ein Jahrhundert später von den Spaniern selbstkritisch erfahrene abulia. Infolge der zunehmenden wissenschaftlichen Spezialisierung erscheinen seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in zunehmendem Maß gelehrte Reisewerke, die sich ausschließlich einem bestimmten Fachgebiet widmen, zum Beispiel Bibliotheksreisen zur Erforschung von Handschriften, antiquarische Reisen zu archäologischen Stätten, botanische oder mineralogische Studienreisen und natürlich Kunstreisen. Epochemachend für Kunstreisen nach Spanien sind die Lettere d'un vago italiano ad un suo amico, die ohne Nennung des Verfassers in vier Bänden zwischen 1759 und 1767 in Mailand erschienen. Der Verfasser ist der lombardische Hieronymitenmönch Norberto Caimö, der

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Zu Christian August Fischer vgl. Josef Huerkamp/Georg Meyer-Thurow: »Die Einsamkeit, die Natur und meine Feder, dies ist mir ein Genuß«. C. A. Fischer (1771-1829), Schriftsteller und Universitätsprofessor, Bielefeld 2001.

52 Spanien 1755 bereist hatte. Keine bis dahin veröffentlichte Reisebeschreibung enthält so zahlreiche, neue, ergiebige Nachrichten über spanische Kunst und Kunstwerke in spanischen Sammlungen oder Kirchen wie diese. Der gelehrte Ordensmann unternimmt aus »edler Neugierde« eine Kunstreise und entdeckt unterwegs buchstäblich künstlerisches Neuland. Er reist als Augenmensch mit einem ausgesprochen musealen Interesse und Spürsinn nicht nur für Altertümer (römische Ruinen und Inschriften), sondern seine Aufmerksamkeit richtet sich gleichermaßen auf Architektur, Städtebau, Malerei, Kunsthandwerk und Manufakturen (Gobelinwirkereien), Gartenkunst, Theater und zeitgenössische Literatur. Systematisch sucht er Museen, Schatzkammern und Naturalienkabinette auf. Gleichzeitig behält er den Gesamtzustand der spanischen Gesellschaft und Kultur im Auge. So weiten sich seine Aufzeichnungen zu einem Inventar der Kunstwerke und Denkmäler. Das Werk Caimös stellt ein regelrechtes Repertorium der Kunsttopographie Spaniens dar, ein Unternehmen, auf das Antonio Ponz im Viage de España o cartas en que se da noticias de las cosas mas apreciables y dignas de saber que ay en ella (1772-1794) voller Anerkennung für die ungewöhnliche Leistung des Italieners Bezug nimmt. Jaime Villanueva wird es im Viage literario a las iglesias de España (1803-1852) systematisch fortführen, ebenfalls in der Sorge um die Bestandserfassung und -Sicherung des nationalen Kulturerbes mit dem Ziel, den schlechten Geschmack< zu vertreiben (»desterrar el mal gusto«), so wie sich Jahrhunderte zuvor der andalusische Humanist Antonio de Nebrija mit seiner lateinsichen Grammatik als »debelador de la bararie« in seinem Lande fühlte. Am Schluß des Buches führt Caimö in einem kommentierten Verzeichnis die erfaßten Kunstwerke nach Orten auf. Er stellt gleichsam einen imaginären Bildersaal der Meisterwerke zusammen. Bibliographische Hinweise und erläuternde Anmerkungen belegen nicht nur seine umfassenden Kenntnisse, sondern machen das Werk auch zu einem handbuchartigen Kunstführer. Caimö sucht neben Museen auch Bibliotheken auf und forscht dort nach wertvollen Handschriften und seltenen Büchern. Er stützt sich auf den »Vasari español«, Antonio Palomino de Castro y Velasco mit seiner Historia de los pintores, escultores y arquitectos españoles (1715-1724). Eine deutsche Fassung dieses Werkes erschien, vermehrt mit der Lebensbeschreibung von Raphael Mengs, 1781, bezeichnenderweise in Dresden, und damit stand für die frühe Beschäftigung mit spanischer Kunst ein Nachschlagewerk zur Verfügung. Caimö verläßt sich allerdings nicht allein auf Buchwissen, sondern untersucht die Kunstwerke selbst gewissenhaft, bezieht kritisch Stellung zu Wertungen und Zuschreibungen, vergleicht Gemälde und Maler bei der Behandlung von sujets, ordnet die Werke historisch ein - und genießt die Kunst. So ergeben die aneinandergereihten zahlreichen Einzelbemerkungen, Exkurse und Beobachtungen zu Komposition, Maltechnik, Themen, die Beschreibungen von Bildprogrammen (etwa der Fresken im Escorial) eine Art Kompendium der Kunst vom 16. bis 18. Jahrhundert, das Mittelalter fällt aus. Der Darstellung kommt die offene Form entgegen, in der Caimö seinen Bericht gibt. Er bedient sich der literarischen Einkleidung des (fingierten) Briefes, der die lebhafte, persönliche, scheinbar undogmatische Darstellung in der Art von Essays ermöglicht und den unmittelbaren Eindruck des betrachteten Kunstwerks wiederzugeben erlaubt. Der Brief ist die beliebte Form der Kritik und unpedantischen Belehrung. Die Brieffolge, der lose Zusammenhang, ergibt eine kunstgeschichtliche Handreichung im vertrauten Gespräch mit einem als Leser gedachten Partner. Caimö rezensiert auf diese Weise die Werke von Dutzenden spanischer Künstler aus zwei Jahrhunderten mit erstaunlich sicherem Blick, der an der gro-

53 ßen italienischen Malerei geschult ist. Caimò äußert beim Betrachten spontan seine ästhetischen Empfindungen, seinen Geschmack, seine Vorlieben, begutachtet Komposition, Pinselstrich, Farbtechnik, Lichtwirkung und Darstellung mit erstaunlicher Einfühlung. Da Illustrationen noch nicht möglich oder zu aufwendig sind, werden Bilder oder Bilderfolgen manchmal ausführlich beschrieben. Dabei stellt Caimò Zusammenhänge, Unterschiede, Vorbilder, Schulen fest. Seine Aufmerksamkeit gilt naturgemäß auch den Italienern: Tizian, Raffael, Andrea del Sarto, Palma il Vecchio, Tintoretto, Paolo Veronese. Dennoch wird die italienische keineswegs gegen die spanische Kunst ausgespielt. Auffallende Vergleiche und Prädikate, wie Alonso Berruguete als spanischen Buonarroti, Juan Carreño als Tizian Spaniens, oder der »göttliche Morales«, der seine Farbtöne von Tizian, die Komposition von Buonarroti gelernt habe, sind als Versuch zu verstehen, die Bedeutung und Stellung von Künstlern vergleichend in geschichtlich-internationalem Zusammenhang zu bestimmen. Caimò spricht von Velázquez mit bewundernder Distanz. El Greco nennt er einen »schönen Genius«, eine Qualifikation, die Grecos Manier eigens hervorhebt. Als Schüler Tizians habe er dem Meister zunächst so vollendet nachgeeifert, daß beide immer wieder verwechselt wurden. Dennoch sei es ihm gelungen, die eigene unverwechselbare und außergewöhnliche Malweise zu finden. Auch Morales wird als Vertreter tiefreligiöser Malkunst besonders beachtet. Hieronymus Bosch, den Philipp II. sehr schätzte, wird jedoch als »kapriziöser« Maler abgetan. Er habe Raffael, Tizian und andere große Meister zu übertreffen versucht, sie aber auch nicht annähernd erreichen können. Allerdings widmet Caimò dem berühmten Heuwagenbild eine ausführliche Würdigung. Die Beschreibung des Escorial weitet sich in zwei Briefen zu einer monographischen Abhandlung aus. Das Pantheon der Könige stellt Caimò in einem eigenen Brief (XII) vor. Es wäre aufschlußreich, das Vokabular der ästhetischen Wahrnehmung und die kunstkritischen Begriffe zu untersuchen, um neben der Fülle von sachlichen Informationen, die Caimò zusammengetragen hat, auch die künstlerische Sensibilisierung zu belegen, die durch diesen Brieftraktat zur Kunst in Spanien in einzigartiger Weise befördert wird. Er vermittelt erstmals eine Vorstellung vom Rang Spaniens als Kunstlandschaft. Ergänzend zu diesem Grundwerk, aber damit zugleich auch kritisch-rivalisierend, legt Antonio Ponz seine achtzehnbändige Viaje de España vor, die von 1772 bis 1794 erschien und eine imponierende Leistung darstellt. Ponz hatte an der Academia de Bellas Artes de San Fernando in Madrid und 1750-1751 in Rom studiert. Nach der Aufhebung des Jesuitenordens (1765) erhielt er den Auftrag, die in den andalusischen Kollegien der Gesellschaft Jesu vorhandenen Gemälde zu inventarisieren. Diese Aufgabe regte ihn dazu an, Spanien zu bereisen, um Kunstwerke, Altertümer, Baudenkmäler zu verzeichnen. Von 1771 bis zu seinem Tod zog Ponz durch weite Teile des Landes (er gelangte allerdings weder nach Granada noch nach Galicien) und legte zunächst (die ersten zwei Bände) unter dem Pseudonym don Pedro Antonio de la Puente die Früchte seiner Sammeltätigkeit vor und bereiste außerdem noch Frankfreich, Holland und Flandern. Lessing wurde auf die ersten Bände des Repertoriums aufmerksam und regte eine Übersetzung an, um der verbreiteten Unkenntnis und Geringschätzung der kulturellen Entwicklung Spaniens Abhilfe zu schaffen. Die Übersetzung der beiden ersten Bände besorgte Johann Andreas Dieze, einer der Begründer der wissenschaftlichen Hispanistik in Deutschland, welcher der Reise durch Spanien (Leipzig 1775) wie schon im Fall seiner Bearbeitung der spanischen Literaturgeschichte von José

54 Luis Veläzquez zahlreiche Anmerkungen und Ergänzungen beigab. In einer zeitgenösssischen Rezension aus dem Jahr 1777 wird gerühmt, daß »das ganze Werk erhellte, daß von den Werken der großen Meister der schönsten Zeitalter eine große und vielleicht die größere Anzahl in Spanien zu suchen ist« 5 . Die Briefe über die vornehmsten Merkwürdigkeiten wurden zu einem der am meisten gelesenen Spanienbücher der Zeit und trugen wesentlich dazu bei, »daß Spanien nun auch als Land der Kunst« beachtet wurde. Johann Jacob Volkmann gibt denn auch seinen Neuesten Reisen durch Spanien (Leipzig 1785) schon ein Kapitel über die Schönen Künste bei. Der Dresdener Gelehrte Christian August Fischer greift bei seinem Verzeichnis von Gemälden und Fresken sichtlich auf Ponz zurück. Philipp Joseph Rehfues (Spanien nach eigener Ansicht im Jahre 1808, Frankfurt 1813) begnügt sich nicht nur mit umfangreichen Exkursen über seiner Meinung viel zu wenig bekannte Kunstschätze in Spanien und deren Wert, sondern versucht aus den Werken heraus eine Deutung des spanischen Wesens abzuleiten, und zwar am Beispiel des für ihn größten Malers, den das Land hervorgebracht hat, Murillo: »[...] was ihn am meisten karakterisiert, ist die Innigkeit und Gemüthlichkeit seines Karakterausdrucks, worin er wohl kaum übertroffen wird,und die plastische Arbeit seiner Werke, die sich gleichsam über die Fläche erheben, und lebendig herauszutreten scheinen« (I, S. 138). Den Realismus dieser Kunst beobachtet er im Volksleben auf der Plaza Mayor in Madrid: Hierher muß man kommen, um die Originale von einer gewissen Gattung der spanischen Kunst aufzusuchen. Schon ehe die Gemälde der Niederländer in diesem Lande bekannt waren, gab es in demselben diese, wenn nicht geschmackvolle, doch wahre Darstellungen aus dem gemeinen Leben und ihrer Natur, und es würde vielleicht nicht schwer zu beweisen seyn, daß die Kunst der Niederländer aus Spanien selbst diese sonderbare Richtung erhalten hat. Man hat von den ersten Künstlern dieses Landes, von Murillo, Veläzquez usw. dergleichen Werke, die an Reichthum der Erfindung und überraschender Wahrheit alle Flamänder übertreffen. (I, S. 190)

Die Spanienbegeisterung der deutschen Romantik steht ganz im Zeichen der dichterischen Aneignung, der Übersetzung, der Entdeckung als neuer literarischer Provinz: Spanien als Land der Sehnsucht, als Muster, wurde vorwiegend im Spiegel der Dichtung und der großen literarischen Gestalten erfaßt. Das bedeutendste Zeugnis der Begegnung mit der Kunst Spaniens in der frühen Romantik ist leider Fragment und nur zum geringsten Teil erhalten geblieben: es sind die über 250 Gemäldebeschreibungen, die Caroline von Humboldt auf ihrer Reise 1799-1800 anfertigte, einer brieflichen Anregung Goethes folgend, der Wilhelm von Humboldt unter dem 26. Mai 1799 nach Paris schrieb: »Dann wünschte ich, Sie oder Ihre liebe Frau machten es sich zum Geschäft, alles, was Sie in Spanien antreffen, recht genau zu bemerken, es seien nun alte oder moderne Arbeiten, damit wir erführen, was sich daselbst zusammenbefindet und wel-

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Zitiert bei Werner Brüggemann: »Die Spanienberichte des 18. und 19. Jahrhunderts und ihre Bedeutung für Formung und Wandlung des deutschen Spanienbildes«, in: Spanische Forschungen der Görresgesellschaft. Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 12, Münster: Aschendorff 1956, S. 1-146, hier S. 25. Für die Reiseberichte im 18. Jahrhundert vgl. neuerdings Christian v. Zimmermann: Reiseberichte und Romanzen. Kulturgeschichtliche Studien zur Perzeption und Rezeption Spaniens im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts, Tübingen 1997, S. 40-257.

55 che Gestalt der spanische Kunstkörper eigentlich habe« 6 . Die Tradition der Bildbeschreibung von Wilhelm Heinse und Karl Philipp Moritz zu der von Caroline von Humboldt wäre eine eigene Untersuchung wert. Zur gleichen Zeit verschiebt sich aber im Spanienbild auch wieder eine wichtige Perspektive hin zur arabischen Vergangenheit und zum Mittelalter, vor allem genährt durch literarische Texte, wie die Romanzen oder die Übersetzung von Ginés Pérez de Hitas Guerras civiles de Granada von 1595 (Geschichte der bürgerlichen Kriege in Granada, Berlin 1821). Dieser malerisch verklärten Vision des edlen Maurentums und heroischen Mittelalters verleiht Karl Elias J. Ferdinand von Jariges in seinen Bruchstücken einer Reise durch das südliche Frankreich, Spanien und Portugal (Leipzig 1810, S. 211) beredten Ausdruck: All jenen romantischen Zauber, der aus den altspanischen Romanzen, den wahrhaft epischen Gedichten der Spanier, uns anwehen, besonders jenes phantastische Gemisch von sarracenischen und christlichen Sitten und Ansichten, das uns so wunderbar anspricht, erfüllen hier die Phantasie, wo bekanntlich der Hauptsitz der Mauren und die Residenz ihrer mächtigsten Könige war. Die Paläste und Lustgärten, deren Pracht und Schönheit in den romantischen Guerras civiles de Granada verherrlicht wurden, sind noch vorhanden.

Der historische Roman von Pérez de Hita erscheint »wie ein dem geschichtlichen Grunde aufgetragenes romantisches Gemälde«, und die Alhambra steht als Sinnbild für das arabische Spanien. Granada, Toledo und Sevilla genießen als Symbolorte besondere Wertschätzung. Graf Schack gelangt bezeichnenderweise auf einer Dienstreise über Italien, Sizilien, Malta, Griechenland, Konstantinopel, den Libanon schließlich von Gibraltar aus nach Granada, dem Ziel seiner »besonderen Sehnsucht« schon seit der Jugendlektüre von Friedrich Maximilian Klingers Bildungsroman Geschichte Raphaels deAquillas (1793). Auch Schack sieht »Kunst und Literatur als treue Spiegelbilder des geistigen Gehalts« der spanischen Nation. Sein maurisches Spanienbild und Granadiner Kunsterlebnis ist vor allem literarisch vermittelt durch die von Pérez de Hita vorgestellte »romantische Welt«. In seinen Lebenserinnerungen schreibt Schack, wie ihn der Wunsch nach Anadalusien zog, dort die Architekturwerke der Araber zu studieren und ein Buch zu schreiben, worin der Bildungszustand, die Kunst und die unbekannte Poesie der Araber in Spanien dargestellt werden (Poesie und Kunst der Araber in Spanien und Sicilien, Berlin 1865). Ähnlich wie die Dichtung, so wird die Kunstbetrachtung mit Deutungen überfrachtet, die weltanschauliche Standpunkte und Bekenntnisse abstützen sollen. Der Geistliche Alban Stolz verweist in seinem Buch Spanisches für die gebildete Welt (Freiburg 1853) als Gegenbild zu den negativen Spanienklischees (Spanier seien dumm, abergläubisch, faul, grausam) auf spanische Gemälde und polychrome Holzskulpturen als übersinnlichen Ausdruck christkatholischer Gläubigkeit und echt spanischer Geistigkeit. Bei Friedrich Wilhelm Hackländer (Ein Winter in Spanien, Stuttgart 1855) erscheint beispielsweise Toledo als verwunschene, romantische Hauptstadt des Spanien von ehedem, stumm auf Felsen gebaut, unter denen nach der Legende das Grab Adams liegen soll, »trauernd über das Verschwinden ihrer alten Größe«. Granada dagegen »ist ein verkörperter Traum, eine verwirklichte Phantasie«. Ar-

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Vgl. auch Gisela Noehles-Doerk: »Spanien und Weimar - Caroline und Wilhelm v. Humboldt 1799/ 1800 in Spanien«, in: Noehles-Doerk, op. cit., S 153-169; hier S. 154-155 und S. 157.

56 thur Stahl (Spanien, Leipzig 1866) befällt beim Anblick des Escorial »ein unbeschreiblich erstarrendes Gefühl von Geistesdruck, ein Ersterben aller Lebensfreude, Kälte, Grabesodem, eine Luft erfüllt von Miasmen mönchischer Bigotterie, Inquisition und Todesurteilen«, wohingegen Toledo sich ihm darbietet als »ein Gedicht, welches man Jahre lang durchblättern könnte«. Als Wunder Spaniens schlechthin gilt ihm die Alhambra, »das poesie- und prachttrunkene Epos der Mauren«. Der Historiker Heinrich von Treitschke schreibt allerdings 1886 aus Granada, daß Spanien recht eigentlich »ein Land der Todten« sei, man wandele unter lauter Ruinen. »Alles, aber auch alles Schöne und Gute [...] ist durch die Mauren geschaffen [...] Man könnte hier Muhammedaner werden«. 7 Vor allem wird der Escorial in der deutschen Reiseliteratur immer wieder als Schanddenkmal für das häßliche Spanien abqualifiziert. Umso erstaunlicher ist Carl Justis Weg nach Spanien. 8 Justi unternahm die erste Reise zu den Quellen der Kunst in Spanien im Jahr seiner Berufung nach Bonn als Vierzigjähriger 1872. Zum letzten von zehn Aufenthalten brach er 1892 auf und verbrachte somit dort etwa insgesamt drei Jahre. Er fand den Zugang zu Spanien über Italien und trotz seiner Italienliebe. Es ist bemerkenswert, daß der protestantische Gelehrte zu Beginn des Kulturkampfes zu der in Fachkreisen seinerzeit unüblichen Kunstreise nach Spanien aufbrach. Justis spanische Kunstreisen stellen den Höhepunkt dieser Form im 19. Jahrhundert dar. »Kunstreisen haben ihre eigene Logik«, bekannte er 1882 in einem Brief an die Mutter und Geschwister, »macht keinen Versuch, diese Logik zu ergründen«. Verlief die erste Fahrt noch »ohne bestimmte oder literarische Absichten«, so wurden die folgenden zu »selbst auferlegten Pilgerfahrten«, gar zu »Jagden« eines Wissenschaftlers, der sich nach seinen eigenen Worten als »Sklave der Augenlust« fühlte. Die Briefe an die Mutter und Geschwister legen denn auch viel stärker als die aus Italien Zeugnis ab von der geradezu zwanghaften Verbindung von Reisen und kunstwissenschaftlichen Studien, von unverdrossenem, oft mühsamem Suchen und Vermessen von Baudenkmälern. Für Justi, der in Italien zum Kunsthistoriker geworden war, erschlossen die Spanienreisen den Zugang zu einer »Denkmälerwelt« mit dem »Reiz und Vortheil des Unerforschten«. Er vermag auch den Augenblick seiner Bekehrung zu Spanien im Frühjahr 1867 genau zu bezeichnen. Es war ein fulminantes Bilderlebnis - kein Bildungserlebnis - in Rom vor dem Porträt des Papstes Innozenz X. von Velázquez. Erst zwanzig Jahre danach war sein Kaiser Friedrich III. gewidmetes epochemachendes Werk über Velázquez (erschienen 1888) abgeschlossen, dem ein Motto aus Shakespeares Love's Labour Lost voransteht. Der Ertrag der Erkundungen in Spanien liegt in zwei Bänden gesammelt vor unter dem nüchtern-bescheidenen Titel Miscellaneen aus drei Jahrhunderten spanischen Kunstlebens (1908). Justi wurde zum Entdecker und enthusiastischen Künder der Kunst Spaniens im Siglo de Oro, der Architektur, Plastik und Malerei in ihrem lebendigen Zusammenhang betrachtet und auch die Dichtung einbezieht in die »gegenseitige Erhellung der Künste«. Die bilderreichen spanischen Dichter des Goldenen Zeitalters - Calderón, Lope de Vega, vor allem Góngora und unter den Portugiesen Camöes - seien im Grunde genommen

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Zitiert nach Brüggemann, op. cit., S. 138. Vgl. dazu auch Karin Hellwig: »Neu und unerforscht: Carl Justi entdeckt Spanien für die deutsche Kunstgeschichte 1872-1892«, in: Noehles-Doerk, op. cit., S. 201-219. Ferner Anja Gebauer: Spa-

nien. Reiseland deutscher Maler 1830-1870, Petersberg 2000.

57 »wahre Maler« gewesen. Justi spricht sogar treffend von der »poetischen Bilderdialektik« Calderöns und seines mundus pictoricus. Der Kunsthistoriker zeigt hier seine erlesene Empfindung für die malerische Qualität der spanischen Barockdichtung. Er liest sie mit den Augen des Kunstliebhabers. Die Literatur wurde für Justi zur ständigen Reisebegleitung, er bewegte sich in der großen Dichtung mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit und großem Kenntnisreichtum. Veläzquez steht für Justi als wahrer nationaler Maler, ähnlich wie Cervantes durch die Auslegung des Don Quijote für Dichtungstheorie und philosophische Spekulation seit Friedrich Schlegel zur Leitfigur der deutschen Romantik wurde. In Veläzquez betrachtete die spanische Nation »ihr eigenstes Selbst und ihr besseres Selbst«. Er ist der spanischste aller spanischen Maler. Justi bezieht sowohl die Dichtung als auch die Kunst Spaniens auf die Nation und die Erklärung ihres geheimnisvollen Wesens. Die Reisen und die Beobachtung von Szenen und Typen des Alltags liefern das Anschauungsmaterial dazu (etwa bei der Deutung der Bodegones-Malerei oder des Wasserträgers von Sevilla). Sie dienen umgekehrt auch der Erläuterung und Erkenntnis der in der Kunst dargestellten Wirklichkeit. Daß sich Justi schließlich bereit erklärte, für Baedeckers Reiseführer Spanien den Beitrag zur Kunstgeschichte zu schreiben, ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert: »Hätte ich Zeit für andere Dinge, so könnte ich manche merkwürdige Notizen über spanische Dinge sammeln, die natürlich für das Publikum von weit größerem Interesse wären, als meine alten Bilder«, bekennt er 1881. Justis kunsthistorische Erkundungen fallen in die gleiche Zeit, da auch andere deutschsprachige Fachleute ihre gelehrten Streifzüge auf der Hispania durchführten: der Inschriftenforscher Emil Hübner, der Archäologe Adolf Schulten, der Handschriftenbibliothekar Rudolf Beer, der Mediävist Paul Ewald, der Inkunabelspezialist Konrad Haebler, der Architekturhistoriker Adolf Haupt. Es ist die Gründerzeit der deutschen Spanienforschung. Justis Veläzquez-Buch hat seine Spuren auch in der folgenden Reiseliteratur hinterlassen, etwa bei Max von Boehn (Spanische Reisebilder, 1904), Richard von Engelhardt (Skizzen aus Spanien, 1905) und schließlich auch bei Julius Meier-Graefe (Spanische Reise, 1909).9 Goethes bewegte Frage, welche Gestalt der »spanische Kunstkörper« eigentlich habe, wurde zum guten Teil durch die Beobachtungen und das Urteil von reisenden Kunstliebhabern wenn nicht beantwortet, so doch der Kenntnis nähergebracht. Spanien hat für das Kunstempfinden in Deutschland nie die Rolle gespielt wie Italien, dennoch hat die Beschäftigung mit spanischer Kunst ihren Rückstand seit Ausgang des 18. Jahrhunderts dank der Aufmerksamkeit, die Reisende darauf lenkten, beträchtlich aufgeholt. Spanien wird zum Reiseland. Reiseberichte vermitteln nicht nur die Kunde von der Erfahrung geographisch-kulturell ferner Räume, sie erweitern nicht nur die Vergewisserung über das Andere und Fremde in der Welt, sondern ihre geschichtliche Entwicklung eröffnet zugleich auch den Einblick in die Geschichte des Sehens. Reisebeschreibungen sind ein Gang durch die Entfaltung ästhe-

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Vgl. dazu auch Martin Warnke: »Julius Meier-Graefes Spanische Reise, ein kunsthistorischer Paradigmenwechsel«, in: Noehles-Doerk, op. cit., S. 221-228.

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tischen Anschauens und Urteilens. Die aufgezeigten Stationen aus vier Jahrhunderten lassen die allmähliche Ausweitung und Verfeinerung des Beobachtungsspektrums ermessen, die sich im Kunstverständnis, in der Erschließung der »Denkmälerwelt« (Carl Justi) und in der Aneignung einzelner Künstler - Veläzquez, El Greco, Murillo, Goya - vollzogen hat. Die Spaniendeutung wird in zunehmendem Maß geprägt von der Erfahrung und Sichtweise spanischer Kunst. Erstveröffentlichung in Kunst in Spanien im Blick des Fremden. Reiseerfahrungen vom Mittelalter in die Gegenwart. Hrsg. Gisela Noehles-Doerk, Frankfurt am Main: Vervuert 1996, S. 13-32.

bis

Die deutschen Frühdrucker in Spanien Es ist keineswegs als Zeichen der »kulturellen Verspätung«1 oder des technischen und wirtschaftlichen Unvermögens der Spanier zu werten, wenn das von Gutenberg erfundene Verfahren zum Druck mit beweglichen Lettern wahrscheinlich erst vier Jahre nach dessen Tod 1468, das heißt etwa siebzehn Jahre nach Erscheinen der berühmten Bibel von 1455/56 auch in Spanien zur Anwendung gelangte. Das bedeutet freilich auch nicht, daß erst durch sie das gedruckte Buch in Spanien bekannt geworden wäre. Es ist durchaus möglich, daß der Blockdruck schon vorher angewandt wurde. Selbst nach Italien brachten deutsche Drucker erst 1465 die für die moderne Kulturgeschichte umwälzende technische Neuerung. Während ihre Pressen dort allerdings einheimischen Druckern den Vorrang lassen mußten, bleibt der Beitrag deutschsprachiger Drucker zur Buchproduktion auf der Iberischen Halbinsel im letzten Viertel des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts eindrucksvoll. Er ist zu Beginn des Goldenen Zeitalters die Frucht der regen Verbindungen, die im Verlauf der vorangehenden beiden Jahrhunderte zwischen Deutschland und Spanien geknüpft worden waren.2 Die Pilgerfahrten nach Compostela zum angeblichen Grab des Apostels Jakobus sowie zum Montserrat schlagen eine wichtige Brücke. Am aragonesischen Hof wurden deutsche und flämische Spielleute, Musikanten sehr geschätzt. Noch in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stellten deutsche Orgelbauer in Barcelona und Valencia Instrumente her. Goldschmiede und Stempelschneider, zwei für den frühen Buchdruck wichtige Berufe, Bildhauer, Maler, Bauleute und andere Handwerker haben vielfältige Zeugnisse ihrer Tätigkeit in Spanien hinterlassen. Sie bedienten vorwiegend gehobene Ansprüche und Luxusbedürfnisse. Aus der Zeit unmittelbar vor Einführung der Buchdruckkunst und aus dem späteren 15. Jahrhundert stammen die Meisterwerke Roderichs des Deutschen in Toledo, die Arbeiten deutscher Baumeister und Steinmetze an der Kathedrale zu Burgos sowie der Alabasteraltar in der Seo in Zaragoza. Der kastilische Reisende Pero Tafur spricht ein sicherlich allgemein geteiltes Urteil über die Deutschen aus, wenn er 1438 anläßlich seines Besuches in Köln vermerkt, er habe dort »gente muy sotil mayormente en estas artes que dixe mecanicas« angetroffen.3 Die Bezeichnung Deutscher ist allerdings nicht immer eindeutig. Damit waren sowohl Deutsche als auch Elsässer, Österreicher, Schweizer und gelegentlich Flamen gemeint. Neuankömmlinge legten sich gern den Beinamen Alemán zu, zum Beispiel Juan Alamany, Fadrique Alemán (aus Biel), Christopherus de Alemania (Cofmann oder Kaufmann). Die Herkunftsbezeichnung hatte eine werbende Wirkung. In einem Notariatsinstrument ist von einem »Johannes rix de cura mercator alamannus« die Rede (Johann Rix aus

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Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. 2. Aufl. Bern, München 1954, Exkurs XX: »Spaniens kulturelle >VerspätungSchneid< und >schneidig< sind denn auch doppeldeutige Modewörter der Zeit: sie meinen Mannhaftigkeit und gutes Aussehen, aber auch Mut, Verwegenheit und Gewandtheit der Soldaten. Außerdem umfaßt ihre Bedeutung Stolz, Hochmut und launisches Wesen. Der Spanier bewundert die Stattlichkeit der Truppe (191 a), das berühmte Gardemaß. Andererseits führen die Offiziere »ein Sklavenleben« (191 a). Ihre Grundhaltung ist von Zwang und Anstrengung geprägt; als Belohnung für ihren aufopfernden Dienst genießen sie allerdings hohes gesellschaftliches Ansehen und gewisse Vorrechte am Hof. Mit einem kritischen Seitenblick auf die Art, in der in Spanien der obligatorische Militärdienst geleistet wird, erwähnt der kastilische Beobachter das vorbildliche preußische Rekrutierungssystem mit seinen Registern, in welchen alle Männer bei ihrer Geburt eingetragen werden, sowie die Aufgliederung des Landes in Militärbezirke (Kantone). Dabei erwähnt er sogar den Ausdruck Kantonist (192 a), der im übertragenen Sinne bis heute verwendet wird: »jemand ist ein unsicherer Kantonist« bedeutet, daß er wenig vertrauenswürdig ist, daß man sich nicht auf ihn verlassen kann. Zur Zeit Friedrichs II. war damit ein junger Wehrdienstverweigerer gemeint, der sich der Aushebung zu entziehen versuchte. Dem Reisenden entging indessen auch das schwerwiegende Problem der Desertionen nicht, welches die verzweifelten jungen Männer im Extremfall bis in den Selbstmord trieb (190 b—191 a). Die Behörden versuchten der Fahnenflucht der Wehrdienstpflichtigen mit drakonischen Kontroll- und Strafmaßnahmen Herr zu werden. Der Bericht nennt als beispielhafte Institutionen die Kadettenanstalt und das Invalidenhaus, registriert minutiös Einzelheiten zu den Fragen von Besoldung, Dienstgraden, Beförderungen, Ausbildungsreglement, Truppenaufstellung und Bewaffnung. Seine Aufmerksamkeit erregen vor allem »die Reinlichkeit und der Glanz der Waffen« (191 a), sowie die Übungen der Reservisten und die Uniformen: »In der Kleidung behandeln sie den Soldaten wie eine Dame und ersparen ihm auch diese Qual nicht« (191 a). Die Soldaten, »immer mit gepuderter Lockenfrisur«, erscheinen herausgeputzt »in sauberen Hemden und geschniegelt von Kopf bis Fuß« (191 a), was wiederum zum ästhetischen Eindruck der »Schönheit der Truppe« beiträgt, bei der beinahe erotischen Anziehungskraft der gepflegten Militärkleidung. Ohne es so auszudrücken, stellt der im gesamten positive Bericht das preußische Heerwesen als Vorbild für die Reformen dar, welche in Spanien während der Regie-

75 rungszeit Ferdinands VI. eingeleitet wurden. Die Beschreibung der Streitkräfte gipfelt in einem schmeichelhaften Porträt des Königs, dem Schöpfer und Oberbefehlshaber der Armee. Der Briefpartner hatte gefragt, »welchen Charakter man diesem Herrscher zuschreiben müsse, der in Europa solches Aufsehen erregt« (184). Und der Verfasser des Schreibens vermittelt ihm aufgrund seiner eigenen Erfahrung »ein Bild von seiner Lebensart, von Heer, Hof, Staat und Haus«, kündigt jedoch genauere Ausführungen für einen späteren Brief an. Der in solchen Lobreden als Topos übliche Vergleich fußt auf dem Prinzip der Überbietung, und so wird in diesem Falle angedeutet,4 Friedrich der Große übertreffe Alexander den Großen und Cäsar (184 a). Es war damals üblich, den preußischen Monarchen entweder als Helden zu preisen oder als Verkörperung eines böswilligen Angreifers vom Schlag des zu trauriger Berühmtheit gelangten französischen Banditen Louis Mandrin zu geißeln. Unser kastilischer Beobachter »auf Reisen« (189 a) hingegen versucht, sich im Sinne der skeptischen Philosophie von Pyrrhon eine kritische Meinung zu bilden. Pyrrhon aus Elis hatte seinerzeit in Abrede gestellt, daß der Mensch je zur Wahrheit gelangen könne. Jedes Wesen sei einer dauernden Erneuerung unterworfen. Man könne nur den äußeren Schein erkennen, da sich bei den Menschen auf Schritt und Tritt Irrtümer, Widersprüche und Sinnestäuschungen einschlichen. Die Suche nach der Wahrheit könne sich nie auf feste Grundlagen stützen. Folglich solle, wer klug und weise sei, kein Urteil abgeben, sondern sich an den äußeren Schein halten, ohne ihn zur Wahrheit zu erklären. So versteckt sich der anonyme Verfasser hinter der Erkenntnislehre und Ethik eines heidnischen Skeptikers: ein aufklärerisches Glaubensbekenntnis? Jedenfalls ist es eine für Spanien kühne Anrufung einer nicht ganz linientreuen Autorität. Der Verfasser des Briefs vereint eine Reihe von Beobachtungen, »Charakterzügen« und Anekdoten, welche in ihrer Ausdruckskraft und Bewunderung eine lebendige Vorstellung vom preußischen Herrscher geben. Friedrich - dem der Spanier bereits den Beinamen «der Große« gibt - genießt vor allem den Ruf, ein »Meister des Kriegs« zu sein: »Man kommt nicht umhin, dem König von Preußen den Ruhm eines Meisters des Krieges zuzugestehen, eine Kunst, die heute zu höchster Völlendung gelangt ist und deshalb als Wissenschaft gelten darf; in ihr ist er so hervorragend, daß er seine Schüler fürchten muß und die Politik nicht vergessen darf; eine nicht weniger bedeutende Wissenschaft, für die er seine ganze Klugheit aufwenden muß, um in Kenntnis seiner Kräfte und der Aufgeklärtheit, welche heu-

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In seinen Discursos mercuriales económico-políticos schreibt der Journalist Juan Enrique de Graef 1754: »König Friedrich II. von Preußen ist der Caesar unserer Zeit. Einerseits zeichnen ihn seine Siege aus, andererseits hat er sich mit seinen Schriften Unsterblichkeit erworben. Der Antimachiavell und die Mémoires pour servir ä l'histoire de Brandebourg, beides Werke aus der Hand des Königs und seinem Genie zu danken, werden noch den kommenden Jahrhunderten zeigen, daß heute Berlin das ist, was Rom zur Zeit von Caesar und Augustus war. Am Hof dieses Fürsten gibt es, genau wie an jenem der großmütigen römischen Kaiser, Persönlichkeiten wie Mäzenas und Agrippa; hier findet man Männer wie Livius, Cicero, Martial und Vergil, ferner tapfere Kriegshelden, welche von überall herbeiströmen, um den Hof mit ihren Talenten und Taten zu bereichern und zu schmücken. Wen erstaunt es angesichts dieser wahrhaft königlichen und gütigen Haltung und all der Privilegien und Gunstbezeugungen, welche er den Ausländern erwiesen hat, dass in seinem Reich die Künste und Wissenschaften, die Manufakturen, der Handel und die Landwirtschaft blühen? Wen wundert es, wenn die unwirtlichen und menschenleeren Wälder Preußens und Pommerns heute anstatt Gestrüpp anmutige Blumen und köstliche Früchte hervorbringen?«

76 te in Europa zu Tage tritt, nicht danach zu trachten, als Held zu gelten und dabei den Beinamen »der Große« zu verlieren.« (184 b) Der preußische König empfand seinerseits Hochachtung für die Réflexions militaires (1724-1730) des spanischen Offiziers und Diplomaten Alvaro Navia Osores, Marqués de Santa Cruz de Marcenado (1753 ebenfalls ins Deutsche übersetzt). Außerdem hatte Friedrich 1754 eben das Libretto der Oper Montezuma vollendet. Wie bereits bei der Analyse des Heeres, tritt uns der König im Charakterporträt als Vorbild des modernen, aufgeklärten Herrschers entgegen. Er erscheint als »Ausbund von Fleiß« (189 a), ist »immer gewissenhaft und geistesgegenwärtig« (188 b), »unermüdlich bei der Arbeit«, leistet sich nur vier Stunden Schlaf; stellt, kurz gesagt, »Für alle Alles« dar. Er ist General, Direktor, Intendant, Kommissär, Feldwebel und Gefreiter in einem (189 a), erfährt alles, ist nach seinen eigenen Worten der »erste Diener des Staats« und reist ununterbrochen durch seine Länder. Manchmal begibt er sich unter die Leute auf der Straße, um das öffentliche Leben kennenzulernen, »vergleicht Nachrichten, prüft nach« und erkundigt sich nach der Meinung der Menschen. So erzählt man sich die Anekdote, daß er 1740 inkognito auf einem Lastkahn den Rhein hinunter bis nach Amsterdam fuhr. Er trug ein zimtfarbenes Kleid und eine schwarze Perücke und gab sich zum Spaß als Kapellmeister des Königs von Ungarn aus. Friedrich unternimmt »höchste Anstrengungen« zur Förderung der politischen Geschäfte, des Heeres, der Wirtschaft und der Justiz, liest und schreibt viel. »Sein Stil ist sehr lebhaft [gemeint ist das nervosum dicendi genus mit seiner besonderen Qualität der rhetorischen Ausschmückung, die den kraftvollen Stil auszeichnet], behend und klar; er gleicht demjenigen Voltaires, mit dem er häufig zu tun hatte«, wie erwähnt wird (189 b). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Beurteilung des Stils des in der französischen Kultur lebenden Königs, gemäß dem bekannten Ausspruch: »le style, c'est l'homme«. Der Herrscher schreibt einen Teil seiner Korrespondenz eigenhändig. Auf seinem Schreibtisch und Kanapee sieht man Tintenflecken, auf dem Fußboden liegen Bücher herum. Der Philosophenkönig und Verfasser von Le philosophe sans souci ist zugleich Dichter und Schriftsteller. In der knapp bemessenen Freizeit spielt er Flöte und andere Instrumente. Als Sekretär dient ihm der Abbé Jean-Martin de Prades, ein aufgeklärter, liberaler Theologe, berühmt für seine »aufsehenerregenden Schlußfolgerungen« (189 b), wie unser Autor - ohne auf die heikleren Einzelheiten der Diskussion über seine Ideen einzugehen - erwähnt. De Prades, der dem König von Voltaire als Lektor empfohlen worden war, bereitete Buchauszüge vor, sah die Veröffentlichungen auf dem Gebiet »der Literatur und der schönen Künste« durch und wählte aus, was den König interessieren konnte. Unser Briefschreiber zeichnet im Gegensatz zu den umlaufenden Gerüchten ein lebendiges und sympathisches Bild des »berühmten Monarchen«, der zum Inbegriff des modernen Herrschers wird. Dieses Bild entsprach ganz und gar nicht der Vorstellung, die seine Landsleute von einem König hatten. Der Aphorismus: »Ganz Europa geht bei ihm in die Schule, und nur die nehmen es mit ihm auf, die ihm am meisten nacheifern« (190 a) macht diese positive Auffassung implizit zur politischen Richtschnur für die Regierungsführung in Spanien.5

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Jaime Villa-López veröffentlichte Pensamientos escogidos de las máximas filosóficas de Federico II actual Rey de Prusia (Madrid 1758); besprochen im Memorial literario, November 1758.

77 Der Informant betont mit Nachdruck, daß alles, was er berichtet, der Wahrheit entspreche; alles, was er sonst noch über den König gehört hatte, scheint ihm »Geschwätz und belangloses Zeug« (190 a). Eine kurz vorher erschienene »kleine Geschichte« seines Lebens konnte er aber nicht einsehen (184 a). Was den Hof angeht, so ist er ein getreuer Spiegel des genügsamen Charakters Friedrichs und seiner Art zu regieren. Der Bericht zu diesem Thema ist in zwei Abschnitte gegliedert: er bietet eine Art offiziellen Führer mit Angaben über die Hochzeit und die in Potsdam und Berlin abgehaltenen Festlichkeiten. Der ausländische Gast wird mit »tausend Gunstbezeugungen« überschüttet und nimmt außerdem an den »wichtigsten Tischrunden« - auch coterias (ein Gallizismus, 185 b) genannt - teil, wobei sich zwölf bis fünfzehn Personen zum Kartenspiel (Comète, Médiateur, Dreisieben, Hundertspiel und Whist) versammeln eine aufschlußreiche Bemerkung zu den Vergnügungen der besseren Gesellschaft. Höhepunkt des Besuchs ist der Augenblick, in dem unser Autor dem König vorgestellt wird, der wie immer sein schmuckloses blaues Kleid trägt. Auch die übrigen Würdenträger des Hofs tragen an ihrer Livree »nichts Teures oder besonders schön Gearbeitetes« zur Schau (187 b); dies steht in auffallendem Gegensatz zu Prunk und Zeremoniell des Bourbonenhofs. Die Beschreibung von Schloß Charlottenburg scheint in dieser Hinsicht ebenfalls typisch. Allerdings wird weder das 1745-1747 erbaute Sanssouci (ein »palais à l'italienne«) erwähnt, noch das alte Königsschloß im Zentrum von Berlin. »Der Sitz Charlottenburg«, schreibt er, »ist ein kleines Dorf mit zumeist schönen Landhäusern und vor allen Dingen dem Palast: groß und prachtvoll, besitzt er entsprechende Nebengebäude und erscheint stattlich sowie architektonisch geschmackvoll, schön gelegen, von gut angelegten Gärten umgeben und mit köstlichen Möbeln ausgestattet« (187 a). Bei der Trauung in der berühmten Kapelle des Eosander von Göthe zeigt sich unser Katholik, der den König nicht für einen Calvinisten hielt, überrascht darüber, daß es keinen Altar, sondern nur eine Kanzel gab; der Hofprediger trug einen schwarzen Talar (anstatt des weißen Meßgewands der katholischen Priester). Weder beim Gottesdienst noch bei der Theateraufführung beobachtete er eine feste Sitzordnung (wiederum im Gegensatz zur strengen spanischen Hofetikette). Am folgenden Tag wurde ein italienisches Singspiel mit dem sinnreichen Titel Amors Tempel aufgeführt. Die Vorstellung mit Tanzeinlagen fand in der Galerie der Orangerie statt, einem Gewächshaus, das zu diesem Zwecke eigens umgebaut worden war und in dem gewöhnlich 2500 Orangenbäume vor der Kälte geschützt wurden. Nach der Theateraufführung wurde eine Stunde lang ein Feuerwerk abgebrannt »mit allegorischen Lichterfunken«, »geschmackvoll und großartig« - »das beste, das ich je gesehen habe« (188 a). Abermals bemerkt der ausländische Beobachter mit einem kritischen Seitenblick auf die Festlichkeiten am Madrider Hof, daß die Kosten für die Inszenierung der Schauspiele bescheiden waren, und dies trotz der nächtlichen Beleuchtung der Palastgärten: »Es war eine Augenweide zu sehen, wie die Feuerwerkskörper über das Wasser schwirrten und knapp über der Oberfläche zerbarsten, sodann die Farben des Feuers zu bewundern, vor allem das äußerst natürliche Grün«. (188 b) Die Festlichkeiten endeten mit einem Abendessen und dem großen Dominomaskenball (»diese Verkleidung ist üblich, damit der Akt einheitlicher, glänzender, aber auch weniger kostspielig wird«, 188 b). Allerdings zog sich der König bereits zu Beginn des Balls zurück. Die Lustbarkeiten gingen um ein Uhr morgens zu Ende, »eine Zeitersparnis, die sich auch auf den Geldbeutel auswirkt«, wie unser Autor nicht ohne Hintergedanken bemerkt. Am fol-

78 genden Tag, dem 29. September 1755, wurde die Opera buffa Die Schullehrerin in deutscher Sprache und mit einem Pantomimen-Intermezzo aufgeführt. Darauf folgte ein Bankett in Monbijou, dem Palast der Königin, eine Serenade in der Residenz des Jungverheirateten und andere Feste in Privathäusern, an welchen der kastilische Reisende mit Vergnügen teilnahm, obwohl er den Hof als »schneidig« und »kriegerisch« bezeichnet, genau wie das preußische Heer (189 a). Am Schluß dieses Briefs über »Kriegsgetöse« und »Annehmlichkeiten des Hofs« findet sich eine eindrückliche Betrachtung zur »Philosophie des Reisens und der Lektüre im Studierzimmer« (193 a); einerseits also eine Art Apodemik, andererseits ein Bekenntnis zum erzieherischen Wert der Lektüre; beide werden als Wege, die Welt kennenzulernen, dargestellt. Dieser Abschnitt des Briefs enthält letztlich ein Programm aufgeklärter Bildung, wobei die eigenen Erfahrungen im Ausland herangezogen werden. Was dem kastilischen Reisenden an Preußen und seinem Herrscher vor dem Antritt seiner Grand Tour fremd und seltsam vorkam, erscheint ihm am Ende »normal«, das heißt, vernünftig, methodisch, klug und zweckmäßig (193 a). Die Reise setzt einen Bewußtwerdungsprozeß in Gang, der - immer geleitet von den Grundsätzen der Vernunft und der Erfahrung - zum »Verständnis der Welt« bzw. zu einer »Vorstellung von der Welt« führt. Das 18. Jahrhundert war für Deutsche, Engländer und Franzosen das Zeitalter der Grand Tour, der Bildungsreise. Nach und nach nahmen auch Spanier an dieser europäischen und internationalen Bewegung teil. 6 Reisen ist eine »ehrbare Grille« (193 a), es dient sowohl dem Vergnügen wie der Belehrung, muß aber auf jeden Fall einen Zuwachs an Erkenntnis und Bildung mit sich bringen. Reisen und Lektüre sind die beiden Seiten derselben Münze, ein Heilmittel gegen die Unwissenheit. Als guter Patriot ist unser Reisender bemüht, im Ausland »das Ansehen und die Ehre unserer Nation hochzuhalten« (186), wobei ihm allerdings dank seiner Reiseerfahrungen die Rückständigkeit Spaniens nicht entgeht: »Ich kenne die Zurückgebliebenheit unserer Nation« (186 a). Zugleich aber weist er die opportunistische und unbegründete Kritik jener zurück, welche »Geschichten erfinden und grobe Lügen weitergeben« (186 a). Dabei wendet er sich gegen das herabwürdigende Spanienbild sowohl seiner eigenen Landsleute wie schlecht informierter Ausländer: »Ich habe bemerkt, daß verschiedene unserer Landsleute in Unkenntnis ihres Landes mit den Ausländern einiggehen in der Auffassung, welche diese aufgrund ihrer mangelhaften Information von ihm gewonnen haben« (186 a). Er gibt vor allem zu, daß im »Erziehungssystem« (der Ausdruck findet sich so im Text, 193 a) und in der Gesellschaft beträchtliche Unterschiede bestehen, »welche uns zum Schaden gereichen, die wir nicht leugnen können, und die wir möglichst ausgleichen müssen«. In seiner intellektuellen Neugier und Kritik am damaligen Spanien zeigt der anonyme Kastilier seine Sympathie für die Reformbewegung der Aufklärung, wie aus dem häufigen und demonstrativen

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Francisco Sánchez Blanco: La prosa del siglo XVIII, Madrid: Júcar 1992, S. 84 notiert, daß die Kenntnis anderer Länder »den Reisenden zum Philosophen macht, mit anderen Worten, zum Menschen, der über gesellschaftliche und moralische Autorität nachdenkt, und zwar ohne Bevormundung durch obrigkeitliche Lehrmeinungen und indem er sich einzig nach den Gesichtspunkten des Verstandes richtet«; und meint weiter (85), »die damalige Erziehungswissenschaft setzt ihre ganze Hoffnung in diese Gegenüberstellung der Erfahrungen, und ihr Ziel besteht darin, dem Geist die Beweglichkeit des Weltbürgers und die kritische Einstellung des Skeptikers zu verleihen.«

79 Gebrauch von Licht- und Feuermetaphern hervorgeht: »die Vorstellungskraft erhellen«, »den Geist entzünden«, «die Fähigkeiten (Talente) jedes Einzelnen leuchten lassen«, usw. (193 a). In einer langen Aufzählung, welcher seinen Ausführungen einen einhämmernden, pathetischen Ton gibt, erwähnt er eine ganze Reihe von Maßnahmen, die zu einer erfolgreichen Erneuerung des Erziehungssystems notwendig sind: »den Unterricht ausbauen«, »die Gedanken schärfen«, »den guten Geschmack bilden«, »die Erkenntnis pflegen«, »auf Prinzipien bauen«, usw. (193 a). Dazu empfiehlt er vor allem die Lektüre guter Bücher, welche »die Verbreitung der Unwissenheit für alle Zeiten verunmöglicht«. Sein Plädoyer für Lesen und Reisen dient dazu, »nützliche - vielleicht auch große - Menschen heranzubilden« (193 a). Nützlichkeit ist ein Schlüsselbegriff der europäischen Aufklärung. Dabei geht es nicht um individuellen Nutzen, sondern um Bildung, Schulung und Erziehung des Bürgers zum Wohl der Allgemeinheit. Alles Tun dient dem Gedanken »in utilitatem generis humani«. So wird die Nützlichkeit zum allgemeinen Kriterium bei der Wahrheitssuche, was nichts mit trivialem Utilitarismus zu tun hat. Unser spanischer Reisende glaubt an den Fortschritt, den einzig Bildung und Erziehung befördern können. Diese Botschaft und der eindringliche Ton, mit dem der Verfasser in seinem Bericht für das Projekt der Aufklärung eintritt, gehen über den Rahmen eines Privatbriefs und Reiseberichts hinaus. Vielleicht ist dies ein weiterer Hinweis darauf, daß hier nicht eigentlich ein Brief vorliegt, sondern ein Memorandum, das zur Vorsicht in Briefform abgefaßt ist, sozusagen als vertrauliche Denkschrift zu politischen Fragen und Maßnahmen, die getroffen werden sollten. Der Autor unterstreicht mehrmals, daß er mit seinen Überlegungen einen Bericht niederschreibe (185) - eine Erzählung seiner Reiseerfahrungen und ein Überblick über die durchzuführenden Reformen. Er betont, er sammle Nachrichten und lege ein paar »schlecht geordnete Notizen« vor (190 a, 193 a) bzw. Überlegungen, die mit persönlichen, aphoristisch gehaltenen Gedanken vermischt seien und auf persönlichen Beobachtungen beruhten. Der Brief enthält nur »Einfälle« (185 a) - Skizzen und Gedanken - die ihm gekommen seien. In einem weiteren Brief würde er dann weitere Einzelheiten vorlegen über »Herrschaftsgebiet, Regierung, Handel, Stand der Wissenschaften und Künste, Sitten, und weitere Denkwürdigkeiten« von Preußen; Bereiche also, mit welchen sich im 18. Jahrhundert die Statistik und die eben entstehende Staatskunde beschäftigte. Die Persönlichkeit Friedrichs II. und Preußens Streitkräfte bilden den Hintergrund dieses Briefberichts, in welchem aus kritisch vergleichender Distanz Betrachtungen über ein mögliches Spanien angestellt werden, ohne jedes Minderwertigkeitsgefühl Preußen und den Deutschen gegenüber: »das kühle, harte und arbeitsame Wesen vor allem der Norddeutschen hat sich unter Trommelwirbel herausgebildet« (192 b) und kann nicht ohne weiteres nach Spanien verpflanzt werden. Das Beispiel Preußens zeigt jedoch, wie durch eine entschlossene Politik der Heeres- und Landwirtschaftsreform »Schwert und Pflug miteinander in Einklang gebracht werden können« (192 b). Viele Jahre bevor Luciano Francisco Cornelia die Figur des König von Preußen auf die Bühne bringt, bevor zwischen Madrid und Berlin diplomatische Beziehungen aufgenommen werden (1782) oder José Vicente Rustana in seinen Décadas de la guerra en Alemania, Inglaterra y España (Madrid, 1765) ein Loblied auf Friedrich anstimmt, zeichnet unser anonymer Briefschreiber - sozusagen als >curioso impertinente< - in seinem Text von 1755 ein unumwunden schmeichelhaftes Bild von Preußens Herrscher und dessen Regiment. Dagegen hatte der Beichtvater Ferdinands VI., der Jesuiten-

80 pater Francisco Rávago (welcher 1755 seine Stellung verlor), eben noch vor diesem »kriegerischen König« gewarnt, »der keine andere Religion kenne als seinen Vorteil und seine Freigeisterei, und von dem man ohne Übertreibung behaupten könne, er strebe nach Welteroberung und Weltherrschaft«; ein Verdacht, den die Protestanten zwei Jahrhunderte lang gegen Spanien erhoben hatten.

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Berlin und Spanien. Ein Streifzug durch die Geschichte

Berlin und Madrid haben nicht nur den Bären im Stadtwappen gemeinsam, sondern sind beide als Hauptstädte auch erst spät und unter erheblichen Spannungen in die Geschichte ihrer Länder und Nationalstaaten - Deutschlands und Spaniens - eingetreten. Berlin und Madrid stehen pars pro toto für Deutschland und Spanien, die sich auf traditionell gute Beziehungen berufen. Neuerdings sind Berlin und Madrid durch eine Städtepartnerschaft verbunden. Bei näherer Betrachtung wird allerdings deutlich, daß sich das Verhältnis in Sprüngen, ja widersprüchlich gestaltete, und daß es vielfältig mit dem Wechsel der politischen Umstände verwoben bleibt. Über die Verbindung zwischen beiden Hauptstädten zu sprechen, führt unweigerlich mitten hinein in die bewegte Geschichte beider Länder in den vergangenen zwei Jahrhunderten. Die frühesten Kontakte zwischen Spanien und dem fridericianischen Berlin fallen nach dem Erbfolgekrieg in die Zeit der Bourbonen. Im Todesjahr Friedrichs des Großen 1786 hielt Carlo Denina (1731-1813), ein italienischer Geistlicher und Gelehrter aus Piémont, in der Akademie der Wissenschaften zu Berlin traditionsgemäß am 26. Januar, dem Geburtstag des Königs, auf französisch die Festrede zur Verteidigung der spanischen Kultur und als Entgegnung auf die Frage »Que doit-on à l'Espagne?«, die der französische Geograph und Publizist in seinem Beitrag »Espagne« zur Encyclopédie méthodique im ersten Band der Géographie moderne (Paris 1782, S. 554-568) aufgeworfen hatte. Masson de Morvilliers griff damit in die seinerzeit aktuelle Auseinandersetzung ein um die Bewertung des spanischen Beitrags zur Wissenschaft, Philosophie und Kultur Europas in der Neuzeit. Seit dem frühen 16. Jahrhundert hatte die Frage nach dem Verhältnis Spaniens zu Europa tiefe Gräben von Vorurteilen aufgerissen. Einst wegen des Führungsanspruchs der Universalmonarchie als Schreckgespenst in ganz Europa gefürchtet und verhaßt, stempelte aufklärerische Kritik »das Volk von Pygmäen« im 18. Jahrhundert zu einem lächerlichen, rückständigen Außenseiter und exotischen Wilden. Spanien erschien als unzivilisierte Nation, ausgeschlossen vom Kommerz der Vernunft und des Fortschritts: ein Schandfleck auf der Landkarte jener erleuchteten Zeiten. Massons polemischer und, gemessen an den wissenschaftlichen Ansprüchen der Encyclopédie méthodique, unausgewogener, schwacher Artikel erregte sofort Aufsehen und löste nicht nur diplomatische Demarchen des Grafen Aranda in Paris sowie den Eingriff der Inquisition, sondern auch eine Reihe von apologetischen Entgegnungen aus. Der Valencianer Naturforscher José Antonio Cavanilles brachte bereits 1784 in Paris die Observations de M. l'abbé Cavanilles sur l'article Espagne de la nouvelle Encyclopédie heraus. Die deutsche Fassung erschien mit dem für eine Landeskunde gebräuchlichen Titel »Über den gegenwärtigen Zustand von Spanien« vor Deninas Rede 1785 in Berlin. Die Madrider Real Academia Española schrieb im November 1784 die Preisfrage aus über das Thema »Una apología o defensa de la Nación, ciñéndose solamente a sus progresos en las ciencias y artes, por ser esta parte la que con más particularidad y empeño han intentado obscurecer su gloria algunos extranjeros«. Daraufhin reichte Juan Pablo Forner im Sommer 1785 seine Apología de la literatura y artes de España ein, die Akademie konnte sich jedoch nicht dazu durchringen, ihm den Preis zuzuerkennen. Im darauffolgenden Jahr wollte sich

82 Forner an die spanische Bearbeitung von Deninas Réponse machen, die er mit ausführlichen Anmerkungen versah (Oración apologética por la España y su mérito literario: para que sirva de exornación al Discurso leído por el Abate Denina en la Academia de Ciencias de Berlín respondiendo a la cuestión ¿Qué se debe a España?, Madrid 1786). Daran schloß sich eine längere Auseinandersetzung in Zeitschriften wie El Censor an. Denina (1731-1813), Professor der Beredsamkeit und Literaturgeschichte der Universität Turin, geriet nach der Veröffentlichung seiner Werke über die Rivoluzioni d'Italia (17691770) und Dell'impiego delle persone (1776) in Schwierigkeiten mit den piemontesischen Zensurbehörden und wurde seines Postens enthoben. Der preußische Gesandte in Turin machte Friedrich II. auf Denina aufmerksam, der bereits eine Abhandlung über die Rivoluzioni della Germania plante. Der König berief ihn 1782 in die Akademie. Adolf von Harnack nannte den Italiener zu Unrecht »einen recht unbedeutenden Vielschreiber«, der seine Mitgliedschaft in der Akademie nur der etwas merkwürdigen Vorliebe des Herrschers für Priester verdanke, die sich mit ihrer Kirche überworfen hatten. Denina befand sich im Zwiespalt. Er mußte zunächst schon 1784 auf der öffentlichen Sitzung zur Preisfrage über die französische Sprache Stellung nehmen (»Sur le caractère des langues et particulièrement des modernes«) und erklärte sich gegen den Discours sur l'universalité de la langue française des Grafen Rivarol, der keinen Zweifel an seiner Geringschätzung der italienischen Literatur ließ und verkündete, man spreche heute von monde français wie früher von der römischen Welt. Der König, Berlin und die Akademie sind der französischen Sprache und Kultur gegenüber freundlich eingestellt. Denina selbst spricht französisch und war weder mit der deutschen Sprache noch mit dem literarischen Leben vertraut. In Deutschland, zumal in protestantischen Ländern, herrschte weiterhin eine Spanien abgeneigte öffentliche Meinung, die allerdings bald in eine ebenso irrationale Schwärmerei umschlagen sollte, nicht zuletzt bestärkt durch Herder. In der Zeit der Spätaufklärung galt Spanien vielfach als Inbegriff von Ignoranz, Intoleranz und Fanatismus. Denina jedoch bezieht gegen den Vorrang und Geltungsanspruch Frankreichs Stellung. Die Verteidigung Spaniens gegen die voreingenommenen und wenig sachkundigen Ausführungen von Masson bot Denina auch Gelegenheit, mit Rivarols abschätzigem Urteil über die italienische Literatur abzurechnen. Denina hat sich in den folgenden Jahren in Berlin wiederholt mit Sprachvergleich und Sprachgeschichte befaßt (»Comment la langue espagnole et la portugaise diffèrent de l'italienne et de la française, De quelle manière la langue française et l'espagnole se sont formées de la latine et de la celtique, gothique et teutonique, 1796«), Mit den innerspanischen Auseinandersetzungen, die hinter den Streitschriften eines Cavanilles, Forner, Cadalso und anderen standen, dürfte Denina allerdings kaum vertraut gewesen sein. Umgekehrt wurde jedoch seine Verteidigungsschrift in Spanien in Übersetzungen von Manuel de Urcullu und Forner 1786 zur Kenntnis genommen. Wenig später erschien außerdem Deninas Briefwechsel zu dieser Frage (Cartas críticas para servir de suplemento al discurso sobre la pregunta ¿Qué se debe a la España?, Madrid 1788). Das Lob auf Spanien aus dem Munde eines Italieners - Italien hatte sich in der antispanischen Polemik besonders hervorgetan - im fridericianischen Preußen und von der hohen Warte der Akademie aus steht in einem größeren Zusammenhang mit der symptomatischen Abkehr von dem in Europa lange und weit verbreiteten negativen Spanienbild. Abbé Denina löste den Umschwung zwar nicht mit seiner Streitschrift aus, aber sie entstand zur Zeit eines

83 bemerkenswerten kulturellen Paradigmenwechsels, der in Deutschland zur überschwenglichen Aufnahme spanischer Literatur sowie in deren Gefolge zu einer schwärmerischen Spanienverehrung führte. Spanien wurde von den Romantikern zum Vorbild und zur Weltanschauung erhoben. Der Berliner Ludwig Tieck war eine der Schlüsselfiguren in dieser Bewegung. Preußen hatte 1782 diplomatische Beziehungen zu Spanien aufgenommen, nachdem sich beide Länder zuvor in wechselnden Bündnissen feindlich gegenübergestanden hatten. Friedrich der Große korrespondierte mit dem Schriftsteller Tomás de Iriarte (1750-1791) und dem Naturforscher Antonio de Ulloa. Der König hatte nicht nur eine Vorliebe für Tabak aus dem spanischen Kuba, sondern nahm den Don Quijote und Gracián in französischen Übersetzungen zur Kenntnis. Graf Aranda (1719-1798) besuchte als Generalkapitän Friedrich II. 1753 in Potsdam und studierte das von den Spaniern bewunderte preußische Militärwesen. Die »Marcha Granadera« (Grenadiermarsch), die er als Abschiedsgeschenk vom König erhielt, wurde zur spanischen Nationalhymne (»Marcha Real«) umgestaltet. Spanische Militärs weilten mehrfach in Berlin, und das preußische Reglement blieb in Spanien bis 1842 in Kraft. Georg Keith, Feldmarschall und Berater des Königs, hatte mehrere Jahre in Valencia verbracht und war ein begeisterter Spanienfreund. Spanische Geldspenden förderten sogar den Bau der ersten katholischen Kirche in Berlin. Umgekehrt wurden der Alte Fritz und Preußen in Spanien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Gegenstand einer überraschend umfangreichen Literatur. Es entstand ein verklärtes Bild vom König, der als Salomon des Nordens, Reformer und Philosoph auf dem Thron gefeiert wurde und als Feldherr wie als Förderer der Wissenschaften angesehen war. Luciano Francisco Cornelia y Villamitjana (1751-1812) brachte ihn in einer Trilogie auf die Bühne (17881792), eine für die spanische Literatur ungewöhnliche Behandlung zeitgenössischer Geschichte. Ein Stück daraus, Federico II rey de Prusia, wurde sogar ins Portugiesische (1794) und Italienische (1796) übersetzt. Ein weiteres Schauspiel über Friedrich II. verfaßte Gaspar Zavala Zamora (t 1813). Bereits 1768 erschien in Madrid eine Historia de Federico el Grande actual rey de Prusia von dem Historiker, Schriftsteller und Zensor Ignacio López de Ayala. Kurz nach dem Tod des Königs lagen auch schon die Vida de Federico II in Bearbeitung von Bernardo María Calzada (Madrid 1788) sowie die Eloge des Conde de Guibert (1787) vor. Zum Tode Friedrichs II. brachte die Königliche Druckerei 1786 das Kleinepos El héroe del Norte von José María Merás Alfonso heraus. Deninas Akademieschrift riß mit ihrer Verteidigung Spaniens Mauern nieder. Die frühe wissenschaftliche Erkundung Spaniens, die Neugier auf die cosas de España wird wesentlich von Berlin aus vorangetrieben. Zuvor war schon einmal von der Berliner Akademie der Wissenschaften ein die République des Lettres bewegender Streit ausgegangen um eine Frage, die auch mit Spanien zu tun hatte. Der Abbé Cornelius de Pauw schloß 1768 seine Recherches philosophiques sur les Américains ou Mémoires intéressants pour servir à l'histoire de l'espèce humaine in Berlin ab (Berlin 1768-69), in der er gegen die Vorstellung vom Edlen Wilden polemisiert und Amerikas naturgeschichtliche Entwicklung insgesamt als minderwertig, ja als Degeneration darstellt. Dagegen wandte sich der (Ex)Benediktiner Antoine Joseph Pernety (1716-1801), der zeitweilig als Bibliothekar das Vertrauen des Königs besaß, in der Akademie mit einer »Dissertation sur l'Amérique et les Américains, contre les

84 Recherches philosophiques«, in der er Amerika und die amerikanischen Ureinwohner in Schutz nimmt. De Pauw entgegnete darauf mit einer »Défense« seiner Recherches philosophiques (26.3.1770), der Pernety mit dem Examen des Recherches philosophiques sur l'Amérique et des Américains et de la Défense de cet ouvrage (Berlin 1771) noch eine Widerlegung entgegenstellte. Den Forschungen von Alexander von Humboldt ist es zu verdanken, daß das spekulative Amerikabild durch wissenschaftliche Erkenntnis von Grund auf revidiert wurde. Bereits in seiner Freiberger Studienzeit hatte Humboldt Freundschaft geschlossen mit dem Spanier Andrés Manuel del Río, der ihm als Schüler des französischen Chemikers Lavoisier wichtige Anregungen vermittelte. Von Paris aus reiste Humboldt in Begleitung seines Freundes Aimé Bonpland, eines Arztes und Botanikers, im Spätjahr 1798 nach Marseille, um von dort aus über Nîmes und Perpignan nach Barcelona zu wandern. Nach einem Abstecher zum Montserrat erreichten beide über Tarragona, Valencia, Murcia durch die Mancha im Februar 1799 Madrid. Humboldt nahm auf der Reise zahlreiche Orts- und Höhenbestimmungen vor und machte vor allem meteorologische und geologische Beobachtungen, während Bonpland Pflanzen sammelte. Humboldt entwarf erstmals das Relief von Spanien in zwei Höhenquerschnitten, die erst 1823 im Atlas géographique et physique du Nouveau Continent erschienen und daher auch lange nicht in ihrer Bedeutung gebührend gewürdigt wurden. Während des Aufenthalts in Madrid erlangten Humboldt und Bonpland auch nach zähen Bemühungen durch Vermittlung von Philipp Baron von Forell bei einer Audienz die Erlaubnis Karls IV. zur Reise in die spanischen Besitzungen in Amerika, nachdem sie in einer Denkschrift die wissenschaftlichen Ziele der Expedition dargestellt hatten. Die Seereise auf der spanischen Fregatte Pizarro begann am 7. Juni 1799 in La Coruña und führte über Teneriffa, wo Humboldt den Teide bestieg und beschrieb, nach Cumaná in Venezuela und nicht, wie ursprünglich geplant, nach Mexiko (Veracruz). Sein Bruder Wilhelm trat Ende 1799 zusammen mit Frau Caroline, drei Kindern (ein viertes war unterwegs) in Begleitung eines Hauslehrers und Kindermädchens kurz danach die erste siebenmonatige Reise über die Pyrenäen an. Sie gelangten von Paris über Orléans, Bordeaux, das Baskenland nach Burgos, besuchten den Escorial, Madrid, Toledo, Córdoba, Sevilla, Cádiz, Málaga und kehrten über Granada, Murcia, Valencia und Barcelona zurück. Goethe, der die Reise Wilhelm von Humboldts lebhaft begrüßte, verfolgte nicht nur die Route aufmerksam anhand einer Karte, die er an der Tür zu seinem Arbeitszimmer anbrachte, sondern fühlte sich durch das ungewöhnliche Unternehmen auch selbst zur Beschäftigung mit spanischer Dichtung angeregt. Für Goethe, der wissen wollte, »welche Gestalt der spanische Kunstkörper eigentlich habe«, machte Caroline Aufzeichnungen zur bildenden Kunst, während sich Wilhelm u.a. Studien über die baskische Sprache widmete. »Mir von fremden Eigentümlichkeiten einen anschaulichen Begriff zu verschaffen, war, was ich vorzüglich bei meinen Reisen beabsichtigte«, bekannte Wilhelm. Um das Ausland wissenschaftlich zu kennen, ist es nur selten nötig, es selbst zu besuchen; Bücher und Briefwechsel sind dazu weit sichrere Hilfsmittel, als eigenes Einholen immer unvollständiger und selten zuverlässiger Nachrichten. Aber um eine fremde Nation eigentlich zu begreifen, um den Schlüsse! zur Erklärung ihrer Eigentümlichkeit in jeder Gattung zu erhalten, ja selbst nur um viele jener Schriftsteller vollkommen zu verstehen, ist es schlechterdings notwendig, sie mit ihren eige-

85 nen Augen gesehen zu haben. - Auch die treuesten und lebendigsten Schilderungen ersetzen diesen Mangel nicht. Wer nie einen spanischen Eseltreiber mit seinem Schlauch auf einem Esel sah, wird sich immer nur ein unvollständiges Bild Sancho Pansas machen; und Don Quixote (gewiß ein unübertreffliches Muster wahrer Naturbeschreibung) wird doch nur immer demjenigen ganz verständlich sein, der selbst in Spanien war und sich selbst unter Personen der Klassen befand, welche ihm Cervantes schildert. Der andere wird oft, statt der wahren Gestalten, nur Karikaturen sehen; und da er bloß die Züge verbinden kann, welche die Dichter abgesondert heraushob, so werden ihm die meisten ergänzenden und mildernden Nebenzüge mangeln. (Ges. Schriften, Bd. 3, 173 f.)

Man mag es bedauern, daß Humboldt seine umfangreichen Tagebuchnotizen, Beobachtungen und Reisebriefe nicht zu einem Spanienbericht ausgearbeitet hat, wie er es ursprünglich vorhatte, und daß die meisten der über 250 Bildbeschreibungen Carolines verschollen sind. Beide Aufzeichnungen hätten der Spanienrezeption in Deutschland zweifellos wichtige Impulse vermittelt. Die Reise hatte eine außerordentliche geistesgeschichtliche Bedeutung für die Formung des neuen deutschen Spanienbildes. Bisher brachten Italienreisen die entscheidenden Bildungserfahrungen. Mit Caroline und Wilhelm von Humboldt trat eine Wende ein. 1801 reiste Humboldt in Begleitung des Hamburger Kaufmanns Bokelmann erneut nach Spanien, um sich im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen über den menschlichen Sprachbau mit dem Baskischen zu befassen, ohne dabei jedoch die materielle Kultur und volkskundliche Überlieferung des Baskenvolkes zu vernachlässigen. Humboldt wurde damit zum Begründer der modernen Baskenstudien, als deren Vorort im 19. Jahrhundert Berlin galt mit Karl August Friedrich Mahn (Denkmäler der baskischen Sprache, Berlin 1857). 1886 wurde von Theodor Linschmann und K. Hannemann sogar die Gründung einer Berliner Baskischen Gesellschaft betrieben. Die auch ins Spanische übersetzte Abhandlung Prüfung der Untersuchungen über die Urbewohner Hispaniens vermittelst der Vaskischen Sprache (1821), die Landschaftsstudie Cantabrica, das baskische Reisetagebuch und das Werk Die Vasken zeugt von der intensiven Beschäftigung und Kennerschaft Humboldts. Die 1810 gegründete Universität verhieß zunächst einen vielversprechenden Anfang hispanistischer Studien in Deutschland, bevor Friedrich Diez in Bonn die Romanische Philologie systematisch als Fachwissenschaft entwickelte. An der Berliner Reformuniversität war eine Professur für Beredsamkeit und schöne Wissenschaft geplant, gleichsam eine Vorwegnahme von Germanischer und Romanischer Philologie, auf die nach dem Wunsch von Minister Altenstein 1818 August Wilhelm Schlegel berufen werden sollte, der schon 1801-1803 in Berlin Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst gehalten hatte, die grundlegend wurden für die romantische Dichtungsästhetik und Literaturwissenschaft. Zur gleichen Zeit wollte Friedrich Buchholz mit seinem Handbuch der spanischen Sprache und Literatur (Berlin 1801-1804) den »Kaltsinn« gegenüber der spanischen Dichtung bekämpfen und zu deren Studium ermuntern. Schlegel verhandelte aber gleichzeitig auch mit Bonn, wo er schließlich blieb, so daß sich hier ein frühes Konkurrenzverhältnis Bonn - Berlin abzeichnet. Der Lehrstuhl sollte dann Ludwig Tieck (1773-1853) angeboten werden, einem hervorragenden Kenner spanischer Dichtung, der er sich seit 1793 widmete, doch Tieck lehnte ab, seine Berufung nach München auf einen Lehrstuhl für Ästhetik scheiterte ebenfalls.

86 August Wilhelm Schlegel regte Tieck zur Don Quijote-ÏJbertragung an, deren erster Band 1799 vorlag, eine der großartigsten Leistungen deutscher Übersetzerkunst. Die Arbeit an Cervantes, die Tieck sein Leben lang beschäftigte, führte ihn auch zu Lope de Vega und Calderón. Das spanische Theater erschien als Muster für die Erneuerung der deutschen Bühne und als Vorbild für die Schaffung eines deutschen Nationaldramas. 1841 gelang unter König Friedrich Wilhelm IV. schließlich doch noch eine Berufung Tiecks in Berlin: er durfte bei Hof lesen und inszenieren. Die Professur jedoch war 1822 an Friedrich Wilhelm Valentin Schmidt (1787-1831) gegangen, einen Berliner, der sich 1819 mit einer Untersuchung von Calderóns Cisma de Inglaterra im Vergleich mit Shakespeares Henry VIII habilitiert hatte. Schmidt ist einer der Gründer der Vergleichenden Literaturgeschichte. Er befaßte sich mit Calderón, der für die Deutschen so wichtig geworden war, weniger spekulativ, sondern in nüchtern philologisch-literaturwissenschaftlicher Art. Von Schmidt stammen die ersten bedeutenden deutschen Studien zu Calderóns Schauspielen und zur mittelalterlichen spanischen Literatur. In seinen Vorlesungen behandelte Schmidt auch das spanische Drama des Goldenen Zeitalters. Eine schillernde Figur der frühen Berliner Hispanistik war Victor Aimé Huber (18001869), Mediziner, Theologe, später Philologe und Sozialpolitiker, erst liberal, dann konservativ gesinnt. Er lehrte 1843-1851 an der Berliner Universität und hatte zuvor einige Zeit in Spanien verbracht. Aus dieser Erfahrung stammen die journalistisch-romanhaften Skizzen aus Spanien (1818-1823). Seit 1821 befaßte sich Huber mit der Romanzendichtung und dem Cid-Stoff, den beiden wichtigsten Interessengebieten der frühen Beschäftigung von Übersetzern und Forschern mit spanischer Literatur in Deutschland seit Herder. Huber hielt seine Berliner Antrittsvorlesung 1844 auf lateinisch: »De studiis literarum recentiorum dignitate et necessitudine«. Ihr war die Abhandlung De primitiva cantilenarum popularium epicarum (vulgo Romances) apud Hispanos forma (Berlin 1844) vorausgegangen. Im Jahre nach Hubers Abdankung als Ordinarius promovierte Paul Heyse, Nobelpreisträger von 1910, als erster in Berlin in »Romanenses literae«, nachdem er baskische und spanische Studien betrieben hatte. Zusammen mit Emanuel Geibel wurde der gebürtige Berliner Heyse Mittelpunkt des Münchener Dichterkreises (1852-1872), dessen Mitglieder (»Nordlichter«), darunter der Privatgelehrte Adolf Friedrich Graf von Schack, eine rege Übersetzungstätigkeit entfalteten. An der Berliner Universität läßt sich das Ringen um die akademische Institutionalisierung des Studiums der modernen Fremdsprachen, insbesondere auch des Spanischen sowie der Status des Lektors exemplarisch verfolgen. Die Auseinandersetzung ist kennzeichnend für die Universität und das Wissenschaftsverständnis des 19. Jahrhunderts. Die Tätigkeit der Lektoren für Fremdsprachen galt als nicht wissenschaftlich und rein praxisbezogen. Der berühmte Berliner Germanist Karl Lachmann hielt noch 1843 das Spanische nur mit Einschränkungen - »vielleicht« - für würdig, um an der Universität gelehrt zu werden, befürwortete andererseits aber die Errichtung einer Dante- und Shakespeareprofessur neben dem neuphilologischen Ordinariat. Zwischen 1840 und 1850 wurde eine heftige Debatte geführt über die »Notwendigkeit, auf den Universitäten Professuren der neueren Sprachen zu begründen«. Englisch und Französisch blieben daher bis zum Ende des Jahrhunderts organisatorisch unter einem Dach verbunden.

87 Ludwig Herrig (1816-1889), ein Schulmann an der Berliner Kgl. Kadettenanstalt, begründete 1846 das noch heute bestehende Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen sowie die Berliner Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen (1857), in denen allerdings Spanisch (wie auch Portugiesisch) als Nichtschulsprachen zunächst eine untergeordnete Rolle spielten. Dies gilt ebenfalls für das von Herrig ins Leben gerufene Lehrer-Seminar. Erst 1877 wurden fest besoldete, beamtete Lektoren in den universitären Lehrbetrieb eingebunden und unter die Aufsicht des Ordinarius gestellt. Zuvor mußten die Studenten ihren Sprachmeister selbst suchen und - wie später den Repetitor - unterhalten. Als 1887 das Seminar für orientalische Sprachen in Verbindung mit der Berliner Universität für die Ausbildung künftiger Kolonialbeamter, Kaufleute und Missionare eröffnet wurde, fanden dort als »sehr willkomene Neuerung« u.a. Spanischkurse statt. Ein Blick auf die akademische Biographie zweier Lektoren des Spanischen mag deren Situation beleuchten. Karl Friedrich Franceson (1782-1859), ein Theologe französischer Herkunft aus Brandenburg, absolvierte das Französische Gymnasium in Berlin und wurde Lektor für Französisch und Spanisch. Für seine Studenten verfaßte er 1822 eine Grammatik der spanischen Sprache sowie ein deutsch-spanisches Wörterbuch, das in vielen Neuauflagen Generationen von Spanischstudenten ein unentbehrliches Hilfsmittel blieb. Als Ergänzung zum Sprachunterricht hielt Franceson außerdem ab 1823 Seminare über Cervantes (»El Coloquio de los perros«), Don Quijote, Calderón, Garcilaso de la Vega, Lope, Quevedo und Moreto. Alvar Agustín de Liaño war aus Vélez Málaga nach Berlin gekommen und rühmte sich der altadligen Abstammung von der Familie Laso de la Vega; er konvertierte und trat der Berliner französischen Kirchengemeinde bei, nahm aber 1832 wieder den katholischen Glauben an. Dank persönlicher Beziehungen zu König Friedrich Wilhelm III. erhielt Liaño 1822 eine Stelle an der Königlichen Bibliothek zusätzlich zu seinem Lehrauftrag für Französisch und Spanisch an der Universität. Auch er verfaßte das notwendige Lehrmaterial für die Studenten selbst und besserte mit dem Erlös sein Salaire auf. Das Répertoire portatif de l'histoire de la littérature des nations espagnole et portugaise (Berlin 1818) ist ein dürftiger Abriß der Literaturkunde, den Liaño später überarbeitete (Noticias literarias e históricas, anuncios críticos útiles para completar y corregir los mejores libros sobre la historia de la literatura castellana y sobre la biografía de los escritores que la han creado, conservado, enriquecido y corrompido, Aachen 1829, mit deutscher Parallelfassung). Als es 1867 endlich geglückt war, die preußische Regierung zur Errichtung einer Professur für Romanische Philologie zu bewegen, wurde der Schweizer Adolf Tobler berufen, ein Sprachwissenschaftler und Schüler von Friedrich Diez in Bonn, der sich aber in seiner 43jährigen Berliner Lehrtätigkeit nur gelegentlich mit dem Spanischen befaßte. In den übrigen akademischen Disziplinen spielte Spanien keine Rolle. Lediglich in der Geschichts- und Altertumswissenschaft sind einige große Leistungen zu verzeichnen. Der Berliner Privatdozent Ernst Alexander Schmidt legte 1828 die Geschichte Aragoniens im Mittelalter vor aufgrund umfangreicher eigener Quellenforschungen. Dieses Werk markiert den Beginn einer langen Reihe bedeutender deutscher Forschungsbeiträge zur Geschichte der Krone von Aragonien im 13. und 14. Jahrhundert. In Berlin widmete sich Paul Fridolin Kehr in den zwanziger Jahren wieder diesem Beieich.

88 Andreas Daniel Berthold Schepeler (1780-1849), ein ehemaliger preußischer Offizier, der 14 Jahre auf der Iberischen Halbinsel verbrachte, schrieb seine Geschichte der Revolution Spaniens und Portugals (Berlin 1826-1827) und die Geschichte der spanischen Monarchie von 1810 bis 1823 (1829-1834) aufgrund einer reichen Quellensammlung des Cortes-Abgeordneten Isidoro Antillón für Spanien im frühen 19. Jahrhundert, die Schepeler später an die Kgl. Bibliothek Berlin verkaufte, und die dem Historiker Hermann Baumgarten die Quellen für seine Geschichte Spaniens vom Ausbruch der französischen Revolution bis auf unsere Tage (Leipzig 1865-1871) lieferte. Seine Beiträge zur Geschichte Spaniens, enthaltend Ideen und Notizen über Künste und spanische Maler (Aachen 1828), bilden ein wichtiges Zeugnis für das Interesse an spanischer Kunst; Schepeler hatte selbst eine beachtliche Sammlung spanischer Gemälde zusammengetragen. Leopold von Ranke, seit 1825 Professor in Berlin und 1841 zum Historiographen des Preußischen Staates berufen, verfügte über eine erstaunliche Kenntnis der älteren und neueren spanischen Geschichtsschreibung. Sein Interesse für Spanien wurde geweckt durch die zeitgeschichtlichen Ereignisse, die seit 1820 die öffentliche Aufmerksamkeit verstärkt auf die Pyrenäenhalbinsel lenkten. In seinem berühmten Essay »Zur Kritik neuerer Geschichtsschreiber« (1824) beschrieb Ranke ausführlich seine Beschäftigung mit der spanischen Historiographie. Er las aber nicht nur historisches Fachschrifttum, sondern auch schöne Literatur, insbesondere Don Quijote und Lope de Vega. Sein zweites Werk behandelt Die Osmanen und die spanische Monarchie (1827). Das Angebot, für die Europäische Staatengeschichte von Heeren und Uckert den Band zur spanischen und portugiesischen Geschichte zu schreiben, lehnte Ranke im Hinblick auf die Komplexität (»eine Geschichte, die häufig aus vier bis sechs, und immer aus zwei Geschichten besteht«) und die Quellenlage (etwa aus dem arabischen Raum) ab. Statt dessen wollte er »Erklärungen der neueren Geschichte« geben, die zu einer ausgewogenen Beschreibung der spanischen Monarchie im 16. und 17. Jahrhundert anwuchsen, ein großartiges Werk, das noch vor wenigen Jahren neu aufgelegt wurde. Seinem Nachfolger Heinrich von Treitschke (seit 1874) erschien hingegen Spanien als »recht eigentlich ein Land der Toten«, wie er angewidert von einer Spanienreise 1886 schreibt und froh ist, »wieder in die protestantische Welt zu kommen«. Die andere bedeutende altertumswissenschaftliche Leistung ist die von Emil Huebner im Auftrag der Preußischen Akademie herausgegebene monumentale Sammlung der Inschriften. Unter den Altphilologen hat sich übrigens auch der Aristoteles-Herausgeber Immanuel Bekker immer wieder mit dem Spanischen befaßt. Interessant ist der Aufenthalt zweier spanischer Schriftsteller und Diplomaten in Berlin fast gleichzeitig zwischen 1844—1848. Der Romancier Enrique Gil y Carrasco kam 1844 in diplomatischer Mission nach Berlin und nahm sich hier 1846 das Leben. Bis 1987 war er auf dem Friedhof der St. Hedwigsgemeinde bestattet. Während seines kurzen Aufenthalts lernte er auch Alexander von Humboldt kennen und überreichte König Friedrich Wilhelm IV. seinen 1844 erschienenen Ritterroman aus dem mittelalterlichen Spanien Der Herr von Bembibre. Juan Donoso Cortés, Marqués de Valdegamas (1809-1853), wurde 1848 zum spanischen Botschafter ernannt, um »in Berlin zu schlafen, wie man es dort zu tun pflegt«. Er fand auch kaum gesellschaftlichen Anschluß und gab in wachsendem Pessimismus dem Liberalismus

89 und Konstitutionalismus die Schuld an allen Übeln der Zeit, die er im Strudel der Revolution versinken sah. In einem Brief bekannte er, kein Freund Preußens, der preußischen Politik und Größe zu sein. Die Existenz dieses Staates stehe im Zeichen des Bösen. »Preußen lebt im Protestantismus, durch ihn und für ihn«. Und mit dem Protestantismus werde es auch zugrundegehen. Europas Schicksal sei aufs engste mit Preußen verknüpft. »Wenn ich mich nicht täusche, wird von hier Europas Heil oder Verderben kommen«. Preußen halte Deutschlands Schicksal in den Händen. Von König Friedrich Wilhelm IV. hatte Donoso Cortés keine besonders gute Meinung. 1851 wurde Donoso Cortés zum Botschafter in Paris ernannt, nachdem er Berlin bereits 1849 verlassen hatte. Sein Discurso sobre la situación europea (1850) wurde auch in Berlin sofort zur Kenntnis genommen und auszugsweise in der Presse in Übersetzung abgedruckt. Donoso Cortés hat vor allem in konservativ-reaktionären katholischen Kreisen Deutschlands als Geschichtsprophet und politischer Theologe sowie im Denken von Carl Schmitt eine breite Spur hinterlassen. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam der spanische Journalist Julio Camba nach Deutschland und verbrachte einige Zeit in Berlin. Seine »Reportagen« aus dem Berliner Leben sind ironisch-satirisch zugespitzte Skizzen, die eher Unbehagen und Befremdung denn freundliches Interesse zeigen. Julio Camba entwickelt in einer seiner Glossen das 70 Jahre später in Mode kommende Bild vom europäischen Haus. Es steht im wilhelminischen Berlin. Im Erdgeschoß wohnen seit kurzem die Deutschen, gut eingerichtet, aber sichtlich mit schlechtem Geschmack. Sie sind bei den Nachbarn unbeliebt, arbeiten viel und sind reich, wissen aber nicht zu leben. Ihr Dienstpersonal, aus Polen, spricht hinter vorgehaltener Hand auch nur schlecht über sie. Hinten im Hof, im Gartenhaus, wohnen diskret die Engländer in patriarchalischer Ordnung. Auf die Deutschen schauen sie verächtlich herab. Die Franzosen logieren auf der Beletage, lustig, gesprächig, sympathisch. Sie sind demokratisch, wie die Concierge sagt, essen gut, sind manchmal etwas freizügig, verlieren aber nie die Vernunft. Mit den Deutschen kommen sie gar nicht aus. Im zweiten Stock wohnen die Italiener, umgeben von Kunst und Antiquitäten. Sie singen viel und stören damit die Nachbarn. Irgendwo hausen auch die Russen, Griechen, Türken, Österreicher - und Spanier in der Rumpelkammer zwischen Spinnweben und alten Sachen. Jeden Tag sagen sie, daß sie nun die Wohnung in Ordnung bringen, tun es aber nie. Sie treten auf wie feine Herrschaften, wo doch jedermann weiß, wie sie wohnen. Aber Camba schreibt aus dem Erdgeschoß: er hat bei den Deutschen Unterschlupf gefunden »bei Frau Grube«. Im Dezember 1912 sollen in Berlin sogar an mehreren Sonntagen Stierkämpfe (novilladas) stattgefunden haben mit dem Matador José Quirós (»Carpinterito«). Der Erste Weltkrieg und die Weimarer Republik markieren tiefe Einschnitte in den Beziehungen zu Spanien und Wandlungen in den hispanistischen Studien, die sich nun einerseits der praktischen, nutzbringenden Anwendbarkeit, etwa in Wirtschaft und Handel, zuwenden, andererseits aber auch in einer spektakulären Seelen(kultur)kunde das Wesen des Spaniertums zu ergründen versuchen und in Spanien das Heil und Vorbild einer möglichen konservativ-nationalen Erneuerung erblicken. Die Berliner Universität nimmt zwar in der Hispanistik jener von einer Woge der Spanienbegeisterung getragenen Zeit zwischen den beiden Weltkriegen keinen hervorgehobenen Platz ein, dennoch fallen in die Jahre zwischen 1930

90 bis 1945 intensive Beziehungen zu Spanien, die allerdings zugleich auch am stärksten ideologisch belastet waren und in die politischen Interessen der »Achse« gerieten. Das 1930 gegründete Ibero-Amerikanische Institut stand im Mittelpunkt vielfältiger Aktivitäten, die das deutsch-spanische Verhältnis und darüber hinaus auch die Beziehungen zu den iberoamerikanischen Ländern förderten. Herausragender gesellschaftlicher Anlaß war alljährlich der Día de la Raza (12. Oktober, zugleich der Gründungstag des Ibero-Amerikanischen Instituts), der erstmals 1931 in Anwesenheit des Botschafters der Spanischen Republik Américo Castro feierlich begangen wurde. Der damals bereits berühmte Gelehrte hatte zuvor ein Lektorat an der Berliner Universität inne. Den Anfang noch vor der Machtergreifung kennzeichnen zwei Ereignisse. Im November 1930 kam es im Reichstag zur Gründung der Deutsch-Spanischen Gesellschaft, die dann ab 1932 als eingetragener Verein unter Vorsitz eines Freiherrn von Humboldt ihre Veranstaltungen im Ibero-Amerikanischen Institut abhielt, das zunächst im ehemaligen Marstall nahe dem Schloß untergebracht war. Später wurden »gleichgeschaltete« Zweigstellen in München, Leipzig und Frankfurt gegründet. Ebenfalls seit 1930 hielt die Spanische Reichsarbeitsgemeinschaft Deutscher Philologen, die ein Instrument der Kulturkundebewegung der zwanziger Jahre im Bereich des höheren Schulwesens war, Sprachkurse am Ibero-Amerikanischen Institut in Verbindung mit der Spanischen Botschaft ab. Darüber hinaus sollten öffentliche wissenschaftliche Vorträge das Interesse für die Iberische Halbinsel und Iberoamerika in breiten Kreisen wecken und vertiefen. Umgekehrt hatte die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft schon 1917 und erneut 1920 den Vorstoß unternommen, in Madrid ein Deutsches Historisches Institut zu errichten. Daraus wurde schließlich 1925 die deutsche Wissenschaftliche Arbeitsstelle Madrid, die drei Periódica herausbrachte (Investigación y Progreso del Centro de Intercambio Intelectual Germano-Español, Conferencias dadas en el CIGE sowie ein Boletín Bibliográfico) und eng mit der Spanischen »Forschungsgemeinschaft« (Junta para Ampliación de Estudios e Investigaciones Científicas) zusammenarbeitete. Außerdem wurde 1929 ein Comité Hispano-Alemán ins Leben gerufen, das den deutsch-spanischen Kulturaustausch unterstützen sollte. Im gleichen Jahr eröffnete auch die Görres-Gesellschaft ihr Madrider Institut. Bekannte Namen der deutschen Spanienforschung und spanische Wissenschaftler erscheinen auf den vielseitigen Veranstaltungsprogrammen. Die Vorträge in Berlin sollen stark besucht worden sein. Im Anschluß daran pflegte man geselliges Beisammensein. Die Öffentlichkeitswirkung war beabsichtigt, aber auch anfällig für Propagandazwecke, die alsbald in den Vordergrund traten. Schon früh wurden nicht nur Lichtbilder- und Filmvorführungen, sondern auch Rundfunkübertragungen (speziell nach Südamerika) bei der Kulturarbeit des Ibero-Amerikanischen Instituts eingesetzt. Das Reichspostministerium sagte 1936 im Vorfeld der Olympischen Spiele bereits die Aufstellung eines Fernsehapparates zu für die seit 1935 eingerichtete ständige Wirtschaftsausstellung im Institut (eine Art Mustermesse). Richtstrahler für Kurzwellensendungen wurden ebenfalls im Marstallgebäude installiert. Unter den Besuchern befanden sich zahlreiche Pressevertreter, Zeitungsherausgeber und Verleger aber auch Militärs, Politiker und Funktionäre, die in die nationalsozialistisch-faschistische Propagandaarbeit eingebunden wurden. Sehr schnell entstand so ein Netzwerk von offiziellen Einrichtungen, öffentlichen Veranstaltungen und privaten Gruppeninitiativen, die mit dem Institut zusammenwirkten. Zum Dia de la Raza 1934, als der frühere Staatsminister Otto Boelitz abgesetzt war und General Wil-

91 heim Faupel die Leitung übernommen hatte, lud das Ibero-Amerikanische Institut gemeinsam mit der Deutsch-Ibero-Amerikanischen Gesellschaft, der Bolívar- und Humboldt-Stiftung und dem Deutschen Wirtschafts verbünd für Süd- und Mittelamerika ein. Der Reichskanzler Adolf Hitler sandte Grußworte nach Südamerika, und der spanische Geschäftsträger würdigte die Bedeutung des Tages für die »Mutter Spanien« als Symbol für die »volkliche« (sie) und weltanschauliche Verbundenheit aller Länder der großen iberoamerikanischen Familie. So tönte die offizielle Festrhetorik als Stimmführung der Hispanidad-Idee. Faupel war ehemaliger Militärberater in Peru, Chile und Argentinien. Im Weltkrieg erhielt er den Orden Pour le Mérite und führte danach zeitweilig ein Freikorps. Seit 1933 gab er eine militärwissenschaftliche Zeitschrift Ejército - Marina -Aviación in spanischer Sprache in einem Berliner Verlag heraus, betrieb die Gründung einer Deutsch-Iberoamerikanischen Ärzteakademie und übernahm 1935 den Vorsitz in der Gesellschaft für Volksbildung in Berlin. Im Hotel Adlon und Esplanade organisierte Faupel Wohltätigkeitsveranstaltungen für iberoamerikanische Studenten in Berlin, später auch Kameradschaftsabende für spanische Gastarbeiter in Berliner Rüstungsbetrieben, für Soldaten der Blauen Division in einem Genesungsheim in Friedrichshagen, Empfänge, Konzerte, Ausstellungen usw. Mit Unterstützung des Ibero-Amerikanischen Instituts richtete die Berliner Ortsgruppe der Falange beispielsweise einen Wohltätigkeitstanzabend aus. 1936 ernannte Hitler General Faupel, der sich viel auf seine »südlichen Erfahrungen« zugutehielt, zum ersten Botschafter bei der Nationalspanischen Regierung in Salamanca, jedoch mußte Faupel nach Zerwürfnissen mit dem Generalísimo Franco und dem Kommandeur der Legion Condor General Sperrte wieder abberufen werden. Faupel leitete das Ibero-Amerikanische Institut bis zu seinem Selbstmord im April 1945. Er unterhielt Verbindungen zu verschiedenen Falange-Gruppierungen und versuchte auch etwa über das deutsche Wissenschaftliche Institut in Madrid auf innerspanische Angelegenheiten Einfluß zu nehmen. Von Reichsminister Ribbentrop unterstützt, erfolgte 1941 in Madrid die Gründung einer Asociación hispano-germana unter Vorsitz des Alcázar-Verteidigers General Moscardó, gleichsam die spanische Partnereinrichtung für Faupels Unternehmungen zwischen Auswärtigem Amt, NSDAP und ihrer Auslandsorganisation sowie dem Militär. Das Ibero-Amerikanische Institut erhielt Zuwendungen des Reichserziehungsministeriums, des Auswärtigen Amtes und des Reichspropagandaministeriums (bzw. des Reichssicherheitshauptamtes). In seiner Außen Wirkung und öffentlichen Tätigkeit war das Institut eingebunden in Propaganda und Politik des Dritten Reiches. Schon 1935 nahm Ribbentrop (noch im Botschafterrang) an einem Festakt teil. 1942 dankte der spanische Botschafter dafür, daß die geistige Auslese der Falange mit Unterstützung des Ibero-Amerikanischen Instituts und der Deutsch-Spanischen Gesellschaft das gegenwärtige Deutschland von Grund auf kennengelernt und von der Doktrin und Technik des Nationalsozialismus fruchtbare Einflüsse empfangen habe. Die vorgeführten Querschnitte lassen sowohl die Spannbreite als auch Lücken und Schlagseiten der deutsch-spanischen Beziehungen erkennen, die sich im Verlauf der letzten 200 Jahre, nach Schwerpunkten regional unterschiedlich und auch je nach dem Sachgebiet zeitlich versetzt, in Wellenbewegungen der Annäherung und Distanz ausgebildet haben. Berlin ist nicht Deutschland, aber am Schnittpunkt vielfältiger Vermittlungswege bleibt die Stadt

92 ein empfindlicher Seismograph für diesen Austausch, der sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg - wiederum unter neuen Umständen - in bereits früher angelegten Traditionen fortsetzt.

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II. Das deutsche Spanienbild

»Die spanische Verwirrung« (J. W. von Goethe). Zur Geschichte des Spanienbildes in Deutschland Die Nachrichten, die wir von Spanien haben, können in drey Classen getheilt werden; nemlich in Romane und in Alte und Neue [...] Die romanhaften Nachrichten von Spanien haben die schlechte Wirkung auf uns, daß sie sich einigermaßen in der Vorstellung, die wir uns von Spanien machen, eingeschlichen haben [...] Die zweyten Nachrichten, die wir von Spanien haben, sind die veralteten [...] Die dritte Art von Nachrichten sind [...] die neuen, und hievon haben wir nichts, das nur erträglich richtig und glaubwürdig ist. (Edward Clarke: Briefe von dem gegenwärtigen Zustande des Königreiches Spanien geschrieben zu Madrid

1760 und 1761 [1765]) Das Bild der Spanier und die Vorstellungen über Spanien haben sich sowohl in der sogenannten Volksmeinung als auch in der Literatur seit dem 16. Jahrhundert in verwirrender Widersprüchlichkeit niedergeschlagen. Diese vielfältigen Schwankungen und Wandlungen hängen unmittelbar mit der politisch-wirtschaftlichen, religiösen und geistigen Geschichte Deutschlands und Spaniens in der Neuzeit zusammen. Sie sind zugleich eingebunden in die europäischen Machtkonflikte, in deren Mittelpunkt die Spanische Universalmonarchie bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts stand, sowie in den international immer breiter verflochtenen kulturellen Austausch unter den Ländern Europas. In jenem ununterbrochenen Prozeß überlagern sich die Nachwirkungen jahrhundertealter, vorgeformter Meinungen und Einstellungen mit neuen, durch Reisen und mannigfache Kontakte geprägten Anschauungen. Genauere Einsicht überholt tradiertes Wissen, während die Propaganda alte Vorurteile ausnützt und neue Fehl- oder Feindbilder verbreitet. Die schöne (!) Literatur vermittelt eine poetische, >gebildeteeinbildenIch sehe Bilder, also bin ichSpanisch Pfeffer säenJemanden spanisch erwartenSpanische Possen sehen lassen< bezog sich nicht auf lustige Unterhaltung, sondern war eine harte körperliche Züchtigung. Sprache und Mensch werden seit altersher gleichgesetzt. Durch schlechte Erfahrungen im Umgang mit spanischen oder vermeintlich spanischen Bösewichten, von denen Gerüchte, Flugblätter, Zeitungen, Bilder, Spottverse, Pamphlete und Bücher über Bücher zu berichten wußten, geriet die spanische Sprache schon früh ins Zwielicht. Die Abwertung wurde verstärkt durch den Kampf der deutschen Sitten- und Sprachreiniger des 17. Jahrhunderts gegen die Verderbnis der Alamode-Zeit. Für Freunde wie Feinde drückt das Spanische unmittelbar die spanische Wesensart aus. Heinrich Doergangk, Verfasser der ersten spanischen Grammatik in Deutschland (1614), verteidigte als Katholik das Kastilische als heilige Sprache inmitten einer Spanien gegenüber verständnislosen, feindseligen Welt. Nach seiner politischen Philologie ist die Sprache des neuen, auserwählten Gottesvolkes »voller Erhabenheit, königlicher Würde und heldischen Großmuts«. Freunde Gottes seien auch immer Freunde Spaniens! Folglich lieben nur jene die Spanier, die auch Gott und Christus lieben. Schon durch seine Verwandtschaft mit dem Latein sei das Kastilische eine heilige Sprache (Herder: »Fast eine heilige Kirchensprache«); es sei wahr, weil die Spanier die Wahrheit liebten, offen und ehrlich, weil dies dem Wesen der Spanier entspräche. Daher würden auch alle geschriebenen Buchstaben klar ausgesprochen. In der Aussprache überwögen ferner die klaren (!) Laute a,o, und u. Man braucht diese übersteigerten Aussagen und die manchmal heute noch beliebte Lautsymbolik nur umzukehren und erhält die mit allen schlechten Eigenschaften besetzte Sprachauffassung der >Feinde SpaniensHeuchelei treibenStatistik< - ein 1749 von

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Travels through Spain, with a view to illustrate the natural history and physical geography ofthat kingdom, in a series of letters [...] with notes and observations relative to the arts, and descriptive of modern improvements. London 1778; 2 1780. Deutsche Übersetzung: Reise durch Spanien, welche wichtige Beobachtungen aus der Naturgeschichte, über den Handel, die Fabriken, den Ackerbau, nebst einem Auszug der merkwürdige Sachen aus Don Guillermo Bowles Einleitung in die Naturgeschichte und physikalische Erdbeschreibung von Spanien enthält, Leipzig 1782. 10 Letters concerning the Spanish nation written at Madrid during the years 1760 and 1761, London 1763, S. IV; deutsche Ubersetzung: Briefe von dem gegenwärtigen Zustande des Königreichs Spanien. " Statistik und Staatsbeschreibung in der Neuzeit vornehmlich im 16. bis 18. Jahrhundert. Hrsg. Mohammed Rassem und Justin Stagl, Paderborn 1980.

194 Gottfried Achenwall geprägter Begriff - umfaßt die Summe des praktischen Wissens, das der >StaatsmannStatus< als Beschreibung des gegenwärtigen Staates entspricht stets dem Resultat eines Prozesses; er ist nicht die schiere Summe von Daten und Beobachtungen, sondern ein System von Interdependenzen, die von vielen variablen Faktoren abhängen. >Status< ist ganz und gar kein unbeweglicher Zustand, sondern im Gegenteil etwas sehr Bewegliches. Demzufolge registriert die >Statistik< die aufeinanderfolgenden Neuerungen, die Entwicklung von Wirtschaft und Handel, den Fortschritt der Demokratie u.s.f. Es handelt sich demnach um einen dynamischen Begriff, der per definitionem Entwicklungsperspektiven mit einschließt. Die Veränderung (von Werten, Gesellschaften, Begriffen) ist eine fundamentale Kategorie des Geschichtsverständnisses und der Philosophie des 18. Jahrhunderts. Das Universalgesetz erlaubt keine Ausnahmen; auch Spanien ist ihm unterworfen, trotz den Befürwortern eines ewigen Spaniens und trotz den Verleumdern, die das Bild zur Karikatur verzerren möchten. Auffallend ist die Vielfalt der Ausdrücke für das Bedeutungsfeld >Veränderung< in den Reiseberichten. Die Autoren sprechen beispielsweise von »Umänderung« (Bourgoing II, 50) oder »merklichen Veränderungen«. Bourgoing bezieht sich auf einen »beständigen Umlauf in der Geschichte«, auf eine konstante Revolution, nicht im modernen Sinn eines revolutionären Umbruchs in der Geschichte, sondern als Gleichlauf der Nationen, auch wenn diese unterschiedliche Rotationsgeschwindigkeiten aufweisen im globalen Zyklus der Abfolge von Imperien und Mächten. Revolution ist eine Metapher für Geschichte, die sich aus den kosmischen Umläufen herleitet, wie sie die Gestirne unablässig in ihren Bewegungen mit den aufeinanderfolgenden Phasen von Aufgang, Zenit, Untergang und Finsternis vorführen. Häufig sind femer Wörter wie: improvement, progress, advancement, Zunahme, langsamer Fortgang, Vörschritte (so der Übersetzer von Bourgoing II, 6, der damit progressus ins Deutsche wendet), unaufhaltsamer Fortschritt; Reformen, Verbesserung, Gesittung (gemäß dem bekannten historiographischen Schema Zivilisation gegen BarbareiNationalcharakter< ein ernstes Hindernis dar, denn diese stützt sich auf >ewige< Konstanten, die aus einer mysteriösen Wesenheit alles Spanischen hervorgehen. Dementsprechend ist eine der Folgen der neuen Beobachtungen die Diagnose, daß auch die >typisch< spanischen Laster und Tugenden Veränderungen unterworfen sind. Für Baretti gibt es keine unabänderlichen Merkmale oder gewissermaßen eingeborene Volkseigenschaften. Was sich hingegen verändere, sind die individuellen und historischen Umstände wie auch der Blickwinkel des Beobachters. Er widersetzt sich Pauschalurteilen und Verallgemeinerungen, denn für ihn steht fest, daß es äußerst schwierig und heikel ist, die »Moralität ganzer Nationen« so zu definieren, als handele es sich um ein Individuum. Bourgoing verkürzt die Schwierigkeit auf eine simple Alternative: »Der Charakter der Spanier wurde entweder sehr verkannt, oder er hat sich sehr verändert« (S. 373). In beiden Fällen müsse man zugeben, daß tiefgreifende Umbrüche unabweisbar eine Revision des Spanienbildes im Lichte neuer Gegebenheiten erfordern. »Mehr noch als die Weisheit, ändert und bildet die Zeit allmählig und stufenweise die Sitten eines Volkes« (Bourgoing II, 29). Auch Baretti will nicht Komplize werden einer »moralischen Arithmetik«, die zu beweisen trachtet, welchem Volk die schlimmsten Wesenseigenschaften eigneten. Jardine hingegen nimmt eine mittlere Position ein, distanziert sich aber vom Negativbild des spanischen Nationalcharakters. Er meint sogar, die moralischen Eigenschaften der Spanier seien ausgesprochen wertvolle Ele-

197 mente im Gesamtbild des menschlichen Charakters, sie seien jedoch mißbraucht und verdorben worden durch die Exekutiv- und Legislativgewalten, die man sich schlimmer nicht vorstellen könne. »They are the best sort of people and under the worst kind of government of any in Europe« (II, 374). Die Spanier brauchten - und verdienten - ein Regime der Freiheit und Sicherheit »as a necessary incitement for the good and proper remedy of its bad qualities«. Das Volk sei gut, die Regierung durch und durch schlecht: so die seltsame Schlußfolgerung Jardines wenn er versucht, den Konflikt zwischen charakterologischen Schematisierungen und empirischen Beobachtungen zu lösen. Die vermeintlich kennzeichnenden Züge der Spanier verwischen sich bei Angehörigen der Oberschicht durch den Kontakt mit Ausländern und unter dem Einfluß der »französischen Zierlichkeit«, wie schon Clarke beobachtet. Die Reisenden weisen zutreffend auf das Phänomen des afrancesamiento hin, auf den französischen Einfluß. Bourgoing stellt einen »auffallenden Contrast« fest zwischen den Nationalcharakteristiken, wie sie sich in der Oberschicht der städtischen Gesellschaft zeigen, wo »das Characteristische der Nation so sehr verwischt oder gemildert« wird (337) einerseits, und andererseits dem Volk mit seiner konservativen und traditionellen Orientierung. Es sei dies ein Gegensatz, der etwa bei der Damenmode offensichtlich werde. Man verweist aber auch auf Verbesserungen der »Polizey« (gemeint sind die Werke der öffentlichen Hand): Bau neuer Straßen, Gesundheitswesen, Kanäle, Post usw. Kaufhold erwähnt die nächtliche Straßenbeleuchtung in der Hauptstadt. Madrid, früher ein »Dreckort« oder »ein elender Flecken« wird jetzt zu einer der schönsten europäischen Städte befördert. Fischer beobachtet »Fortschritte des Geschmacks« nicht nur in der Hauptstadt, sondern etwa auch in der Architektur von Bilbao: dort werden bei Neubauten Eisengitter verwendet anstatt Holzbalkone. Die auffälligsten Indikatoren des materiellen Fortschritts und Wohlstands sind die Manufakturen - der Beginn des Industrialisierungsprozesses - und der Handel. Das Interesse der reisenden Autoren an sozio-ökonomischen und politischen Fragen läßt sich an den weitschweifigen Kommentaren und detaillierten Informationen ablesen, die sie in ihre Berichte einflechten. Im Unterschied zu früheren, eher impressionistischen Berichten nehmen die Reisenden nunmehr häufig Bezug auf aktuelle, thematisch breit gestreute Angaben über Bodenbeschaffenheit, Anbau, Verwaltung, Staatshaushalt, Löhne und Preise, Bewaffnung und Heer, Transportwesen, Einnahmen, Steuern, Exporte, Güterproduktion, demographische Entwicklung usw. Infolge dieser neuen Interessenlage verändern sich die Berichte auch gattungsmäßig: sie nähern sich der Reportage, geben also Informationen, die zu jener Zeit weder die Zeitungen noch die gelehrten geographischen oder historischen Werke bieten konnten. Sogar der Reisezweck wird ein anderer. Das Reisen nimmt jetzt den Charakter einer regelrechten Expedition an, auf der das Land in seiner physischen Beschaffenheit und in seinem politisch-kulturellen Zustand erkundet werden soll. So stellt etwa Twiss eine Art Inventar der Ressourcen und Kulturgüter Spaniens zusammen, da seiner Ansicht nach die Vorurteile über das Land von Tag zu Tag abnehmen und er so einen Reiseführer vorbereiten kann für jene nicht mehr ferne Zeit, da Spanien wie jedes andere Land ein Ort der Toleranz und der Kultur sein wird. Twiss versteht somit die Funktion des Reiseberichtes gleichzeitig als Zeugenaussage und als Anstoß zur Veränderung. Als Beobachter begleitet er einen unaufhaltsamen Transformations- und Verstehensprozeß.

198 Das neue Bewertungskriterium in den Reiseberichten bilden nunmehr der Produktivitätsindex und das Arbeitswesen, also die Faktoren des sozio-ökonomischen Wandels im Lande. Sie verdrängen fortan die herkömmlichen Charakterisierungen des Spaniers mit seiner Verachtung für Technik und manuelle Arbeit. Townsend zögert nicht, Spanien hinsichtlich Kreativität und technischer Findigkeit in der Spitzengruppe zu platzieren. In diesem Zusammenhang ist Bourgoings Neugier aufschlußreich, der, kaum in Spanien angelangt, sich über den Schiffbau und die Hafenanlagen informiert. Er sieht in den entstehenden öffentlichen Bauten ein Modell für alle anderen Länder und den Beweis, »daß daselbst ebenso gut als irgend anderswo mit Liebe zum Guten und einem recht thätigen Willen alles zu unternehmen ist« (I, 17). Dementsprechend gewähren die Reiseberichte nun den Informationen über die Manufakturen und über den Handel breiten Raum. Auch wenn ein gewisser Rückstand im Industrialisierungsprozeß eingeräumt wird, stimmen sie in der Feststellung überein, daß sich unter dem Einfluß neuer politischer und wirtschaftlicher Orientierungen ein beträchtlicher Fortschritt ergeben hat. Die Beschreibung von Kupferminen, Fabriken für Salpeter, Tabak, Glas, Öl oder Waffen, auch die Ausführungen über die Wollproduktion verleihen den Spanienberichten nun ein anderes Gesicht, auch wenn Kritik oder Vorschläge für effizientere Reformen nicht ausbleiben. Insgesamt entsteht das Bild eines produktiven, keineswegs mehr verschlafenen und trägen Spaniens. Townsend war besonders beeindruckt von Barcelona, einem »echten Ameisenhaufen« (anthill), und schreibt: »In jedem Land, durch das der Reisende kommt, stets wird er einem technischen Hilfsmittel oder einem Verfahren zur Arbeitsbeschleunigung begegnen, das neu entdeckt wurde oder wenigstens für ihn neu ist; ich neige zu der Annahme, daß eine eingehende Prüfung der Sachlage ergeben würde, daß kein Land so viele Beispiele hierfür aufweist wie Spanien«. Unterwegs von Bilbao nach Burgos ist Fischer begeistert vom Ausmaß der Industrialisierung und hält gleichzeitig den Gegensatz zwischen der alten Welt und dem neuen eisernen Zeitalter fest: »In der Ferne leuchteten die Eisenhämmer und die Töne der Ambosse vermischten sich mit dem sanften Klang der Maulthierglocken« (125). Der Zuwachs der nationalen Produktion und der »artes mecánicas« ließ dermaßen aufhorchen, daß in Bilbao schon verschiedene ausländische Handelsdelegationen ihr Geschäft aufgaben. Kaufhold erstellt in seinem Bericht eine Liste von Fabriken in Madrid (Klavier, Orgel, Schirme, Teppiche, Porzellan, Brauerei, Drehbänke, Stoffe), wenngleich er bezüglich des »Industrie-Geistes« der Spanier seine Vorbehalte macht und auch die »Sociedades Patrióticas« (Vaterländischen Gesellschaften) nicht besonders schätzt, während andere deren verdienstvolle Tätigkeit anerkennen. Als Beispiel zitiert er das Scheitern einer Uhrenfabrik, die von einem wohlbestallten Geistlichen geleitet wird, der jedoch von der Unternehmenspraxis überhaupt nichts versteht. Als Folge des Interesses für Handel und Industrie rückt nun auch die regionale Vielfalt Spaniens in den Blick. Das Baskenland ist eine »Freystätte des Kunstfleisses und der Freiheit« (Bourgoing), und nicht länger eine unwirtliche Landprovinz. Verbessert hat sich auch der Bergbau, dank der Zusammenarbeit mit ausländischen Fachleuten und dem neuen Berufsschulwesen, wie es die Vaterländischen Gesellschaftern (Sociedades Patrióticas de Amigos del País) förderte. Die jungen Chemiker sind in Schweden und in Deutschland ausgebildet worden. Fischer sieht in Valencia die »Quelle des neuen Lichts« (438) für alle anderen Provinzen Spaniens und Bourgoing zählt diese Stadt gar unter die »Fabrikstädte«, erwähnt dazu als Beispiel seine 4000 Webstühle, stellt aber gleichzeitig den deutlichen Mangel an Gelehrten

199 und Literaten fest. Alle diese aufschlußreichen Einzelheiten, obwohl sie noch ungeordnet und auch widersprüchlich sind, verleihen den Reiseberichten eine spezifische Note und verkünden für die insgesamt hoffnungsvolle Zukunft einen materiellen Fortschritt, den bis vor kurzem niemand für möglich gehalten hätte. Freilich werden auch die Hindernisse und die Gefahren nicht verschwiegen, die den Fortgang der Modernisierung bedrohen. Das Geistesleben ist ein weiteres, umfangreiches Gebiet, auf dem die Beobachter aus dem Ausland Umbrüche beobachten. Der Blick auf die literarischen Neuerungen etwa - die »reseña literaria« - ist ein obligater Teil mancher Berichte. Baretti, Twiss, Dillon u.a. bringen Resümees zur Literaturgeschichte, Buchkritiken und Hinweise auf Neuerscheinungen. Bevorzugt werden Autoren, die für den Wandel von Geschmack, Ideologie, Thematik etc. stehen. Die Galionsfigur ist diesbezüglich Padre Feijoo mit seiner »schönen Stachelschrift Fray Gerundio«, den Edward Clarke in seinen Briefen ausführlich vorstellt als »that Spanish Swift« (1758; 172): Feijoo »hat den gemeinen Vorurtheilen und Irrthümern den Krieg angekündiget und viel freyer geschrieben als diejenigen, die im Zirkel der Inquisition schreiben« (212). Als Beispiel für die angestrebte Reform der Kanzelberedsamkeit bringt er den Text von Fray Gerundios Predigt am Tag der Heiligen Anna (217 ff.) sowie zwei Essays von Feijoo über die Naturwissenschaften und die Medizin (die deutsche Übersetzung auf den Seiten 184—203 war bislang nicht bekannt). Feijoo führt auch den Katalog zeitgenössischer spanischer Schriftsteller und Gelehrter an (206-230). Trotz seiner Kritik an der Situation, in der sich damals die spanische Universität und das Geistesleben im Lande ganz allgemein befanden, zeigt Clarke auch die andere Seite der Medaille. Sein bibliographisches Repertorium der Gelehrten (Mayans, Pérez Bayer u.a.) widerspricht der internationalen Geringschätzung der spanischen Wissenschaft. Der Engländer wertet die Literatur als Instrument und als sensibles Barometer für den kulturellen Wandel. Für ihn hat Feijoo mehr zur zeitgemäßen Bildung und zur geistigen Reife seiner Mitbürger beigetragen als irgendeiner seiner Vorgänger. So entdecken die Reisenden auch die Literatur und erkennen ihre soziale Funktion. Dillon situiert die spanische Literatur in einem vergleichenden Kontext, indem er eine Neubewertung gegenüber der französischen vornimmt, welche bislang die Vorbilder geliefert hatte. Wenngleich sein Schema der Entsprechungen naiv erscheint (Lope de Vega - Shakespeare; Quevedo - Pope; Petrarca - Boscán; Petronius - Arcipreste de Hita), gewinnt die diachronisch-vergleichende Weitung des kritischen Horizonts große Bedeutung für die literarische Ästhetik und für die Debatten über die poetischen Kanones im 18. Jahrhundert. Aber man stellt auch innerhalb der spanischen Literatur das Siglo de Oro - den Höhepunkt der Künste und Literatur, als Spanien »Vorgänger und Lehrer« Europas war - der nachfolgenden Dekadenz gegenüber, während der die »Mittheilung fremder Aufklärung« aufhörte.13 In der zeitgenössischen Literatur zeige sich nun das Phänomen einer Regeneration, aber nicht als bloße Reproduktion von Vergangenem, sondern als qualitativer Sprung. »Würde es auch gerecht seyn, einen Ercilla oder Camoens, oder Lope de Vega im achtzehnten Jahrhundert zu

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Otis H. Green: »Sir John Talbot Dillon and his letters on Spanish literature«, in: Hispanic Review 41 (1973), S. 253-260. Franco Meregalli: »Giuseppe Baretti e la letteratura spagnola«, in: Studi in onore di B. Revel, Florenz 1965, S. 4 1 5 ^ 2 2 .

200 erwarten?«, so fragt sich Tychsen. »Die poetischen Zeiten der europäischen Nationen sind vorüber« (333). Nun seien es die Philosophen, die den Ton angeben. Der interessanteste Beleg für den neuen literarischen Geist in Spanien gegen Ende des 18. Jahrhunderts ist zweifellos das Werk von Bourgoing, das zusammen mit dem Anhang von Tychsen ein weites intellektuelles und kulturelles Panorama bietet, unter dem Titel »Der Geist der Nation ist aufgeregt«: es ergebe sich eine gegenüber dem Rückstand und der Sterilität, die in früheren Spanienbeschreibungen unweigerlich beklagt wurden, eine völlig neue Lage. Nun werde eine bislang verkannte Provinz der literarischen Republik entdeckt. Schon Baretti beklagte die beschämende Verkennung der spanischen Gelehrsamkeit, und Bourgoing stellt fest: »Mit der Schriftstellerey und Leetüre geht die Aufklärung in gleichen Schritten fort. Man findet schon überall in Spanien eben so aufgeklärte, von Nationalvorurtheilen freye Männer als anderswo« (II, 337). Mehrfach wird wiederholt, daß es in Spanien »aufgeklärte Männer« gebe, »denn sie haben solche und viele, du magst sagen, was du willst«, oder auch »Es giebt deren weit mehrere als unser herabwürdigender Leichtsinn glaubt« (I, 149). U.a. werden Campomanes, Antonio Ponz und Floridabianca erwähnt. Man weist auf die »Reform ihrer Literatur« (II, 50) und die Anstrengung der Akademien hin, »auf den Trümmern der Barbarei« den guten Geschmack einzuführen (I, 150). Man sieht in den Akademien Bastionen der Aufklärung. »Die gegenwärtigen Akademisten [...] sind viel aufgeklärter und nicht minder arbeitsam als ihre Vorgänger« (155). Tychsen bringt ein recht aufschlußreiches Bild zur Charakterisierung der Funktion von Gelehrten, indem er sie als »Thermometer des Standes der Wissenschaften« bezeichnet (292), ist doch das Thermometer per definitionem ein Instrument, um variable Größen in einem bestimmten Zustand zu messen. Da die Aufklärung jetzt einen bestimmten Grad erreicht habe, nimmt der Fortschrittsprozeß so unwiderstehlich seinen Lauf wie eine Naturkraft. Merkwürdig ist allerdings, daß Tychsen zwei >reaktionäre< Phänomene hervorhebt, die sich dem Neuen entgegenstellen. Er lobt den in Spanien stark verwurzelten Sinn für literarische Tradition als etwas Positives im Vergleich zu Deutschland, wo er im literarischen Geschmack eine destabilisierende Suche nach Neuem beobachtet. Und zweitens zweifelt er, im Hinblick auf eine echte Förderung der Aufklärung in Spanien, am Wert der allzu zahlreichen Übersetzungen aus dem Französischen ins Spanische. Er befürchtet, diese könnten einen zu heftigen Umschlag von einem Extrem ins andere bewirken: »Aufklärung hört auf wohltätig zu seyn, wenn sie nicht für Zeit und Ort abgemessen ist, und erlernte Aufklärung ist oft nur ein Tausch der Traditionen« (338). Er setzt seine Hoffnung eher auf die Entwicklung der Bildungsanstalten als auf die ausschließliche Übersetzung französischer Philosophen, deren Werte auf Vorstellungen basieren, die der konkreten Lage Spaniens noch nicht entsprechen. Die Reisebücher liefern uns auch einige hochinteressante Aussagen bezüglich der Lesersoziologie als operationalem Faktor des Sinneswandels. Zwei Beispiele müssen hier genügen. Baretti beobachtet zwar die geringere Lesefreudigkeit der Spanier (was, etwa im Vergleich zu England, ein geringeres Wachstum der verlegerischen Aktivitäten zur Folge habe), er weist jedoch darauf hin, daß in den oberen Schichten der Gesellschaft »die neumodischen Schriften der Franzosen« verschlungen werden, trotz des kirchlichen Verbotes (479) der Werke von Rousseau und Voltaire. An den Kirchentüren waren öffentlich Listen verbotener Bücher angeschlagen, doch die Adligen lasen alle modischen Autoren und scherten sich wenig um die himmlischen Strafen,

201 die man ihnen androhte. Dies ist ein Symptom für den Wandel der Religiosität in Spanien. Die ausländischen Autoren reden wiederholt davon und betonen dabei den Widerspruch zu bestimmten typischen Merkmalen des spanischen Katholizismus. Als sich Fischer im Hause eines Dorfarztes nach dessen Büchern umsah, stellte er »con gusto« (68) fest, daß die Bibliothek den Fortschritt im Lande schön widerspiegele, während sich Kaufhold in seiner Analyse der Volkslektüren (297-306) diesbezüglich weniger euphorisch zeigt. Die Medizin erweist sich, wie im Falle von Clarke, als Gradmesser des wissenschaftlich-kulturellen Fortschrittes, wenngleich die diesbezügliche Lage noch viel zu wünschen übrig läßt. In seiner langen bibliographischen Übersicht (228-234; 256-328) erwähnt Fischer vor allem Bücher über Naturwissenschaft, Medizin, Landwirtschaft, Reisen und Technik, eine Auswahl von Fachgebieten also, in denen sich die Modernisierung am deutlichsten niederschlägt. Unter den Zeitschriften zieht er als Beispiel die »Gaceta de los niños« heraus als Beweis für die einsetzenden Verbesserungen im Bereich von Erziehung und Kinderlektüre. Die Betonung von Fortschritten darf auf der anderen Seite den Blick für die Kritik, die Widersprüche und die Vorbehalte nicht verstellen, die von den Reisenden in ihren Berichten über die Zustände in Spanien im Vergleich mit anderen europäischen Ländern vorgebracht wird. Indes, indem sie die Veränderungen festhalten, vermitteln sie dem Leserpublikum ein nuanciertes, aktualisiertes und objektiveres Bild dieses so lange mißverstandenen Landes. Die Veränderungen stellen einen wichtigen Schritt dar bei der Überwindung der jahrhundertelangen Isolierung. Man sieht zwar, daß es sich um eine langsame Entwicklung handelt (»gleichwohl langsamer Fortgang der Kenntnisse«, Bourgoing II, 13; »allgemeine Veränderung, die Spanien bevorsteht«, Fischer), doch man grenzt Spanien nun nicht mehr wegen seines Beharrungswahns und seiner Rückständigkeit aus. Zwar gibt es noch immer viele alte Stereotypen, aber eine Veränderung erscheint doch möglich und ist für alle zur Pflicht geworden. »Der Spanier, der nach Aufklärung strebt, hat eine herkulische Arbeit vor sich« (Kaufhold 305). Erstveröffentlichung unter dem Titel »Percepciones de cambio en los relatos de viajes por España en la segunda mitad del siglo XVIII«, in: La secularización de la cultura española en el Siglo de las Luces. Hrsg. Manfred Tietz/Dietrich Briesemeister, Wiesbaden: Harrassowitz 1992 (Wolfenbütteler Forschungen 53), S. 33-45. [Deutsche Fassung von Gustav Siebenmann, St. Gallen]

III. Spanische Literatur in Deutschland

Hispanica Guelpherbytana. Spanische Drucke des 16. und 17. Jahrhunderts aus dem Besitz der Herzog August Bibliothek

Es wäre unbillig, wollte man den Wolfenbütteler Bestand an älteren spanischen Drucken nur seinem Umfang nach messen an der unübersehbaren Gesamtproduktion von Büchern im »Goldenen Zeitalter« und in einem Reich, in dem, wie es hieß, die Sonne nicht untergeht; oder an jenen berühmten Sammlungen außerhalb Spaniens, die, wie beispielsweise die British Library in London, die Bibliothek der Hispanic Society of America in New York oder die Bayerische Staatsbibliothek in München, erst später aus verschiedenen Provenienzen zusammengesetzt und, mit reichen Mitteln ausgestattet, sich in einer Zeit ausweiteten, als Wolfenbüttel in Vergessenheit geraten war. Gotthold Ephraim Lessing, der hier seit 1770 als Bibliothekar wirkte und bei seinem hispanistischen Interesse auf einer Italienreise 1775 die letzten bedeutenden Ankäufe zur Ergänzung des Altbestandes tätigte, hatte die feine Unterscheidung getroffen zwischen Bibliotheken, die >entstandenangelegt< wurden. Zu diesen wenigen gehört das gazophylacium, das Schatzhaus der Bücher, das Herzog August zu Braunschweig-Lüneburg (1579-1666) als Herrscher über ein weder politisch mächtiges noch finanziell vermögendes, kleines Fürstentum in über sechzigjähriger eigener Sammlertätigkeit aufzubauen vermochte. Die widrigen kriegerischen Zeitumstände waren für die Beschäftigung mit den >cosas de Espana< nicht eben förderlich. Die Erwerbungsgrundsätze des schon zu seinen Lebzeiten wegen der riesigen Büchersammlung berühmten Herzogs »sind nicht die eines modernen wissenschaftlichen Bibliothekars [...] Er war nicht Forscher, eher Gelehrter, der mehrere Fakultäten der damaligen Universität kennen und sich darin zu bewegen gelernt hatte. Gerade aber die der strengen Wissenschaftlichkeit nicht unbedingt zuträgliche Universalität der Interessen war eine notwendige Voraussetzung für den Aufbau einer Bibliothek mit universalem Sammelanspruch« 1 . Unter den 135.000 Titeln, die sie bei seinem Tod umfaßte, bilden die Hispanica nur einen sehr geringen Anteil. In der Beschränkung und qualitätsvollen Auswahl liegt freilich gerade der Wert des spanischen Buchbestands im Rahmen der ganzen Sammlung, die in einzigartiger Weise auf die Persönlichkeit des Herzogs und seine enzyklopädische Bildung vor dem Hintergrund des späthumanistisch-barocken Wissens zugeschnitten ist. Ungeachtet der konfessionellen Unterschiede und tiefen Umwälzungen der europäischen Machtverhältnisse bleibt Spanien im protestantischen Norden und in Augusts geistigem Horizont stets gegenwärtig. Der geschlossene Bestand spanischer Bücher des 16. und 17. Jahrhunderts wird damit zu einem höchst bemerkenswerten Zeugnis für Spaniens Ausstrahlung und Bedeutung im kulturellen Haushalt einer Epoche, in der schon längst der Niedergang der Weltmacht besiegelt war. Nun schlägt sich allerdings die Präsenz der iberischen Welt in der herzoglichen Sammlung nicht nur in der Zahl der auf spanisch gedruckten Bücher nieder. Daraus ergäbe sich ein unzulängliches Bild vom Reichtum der Wolfenbütteler Bibliothek an Materialien, die unmittelbar auf Spa-

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Helmar Härtel: »Herzog August als Büchersammler. Zum Aufbau seiner Bibliothek«, in: Sammler, Fürst, Gelehrter. Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg 1579-1666. Katalog zur Ausstellung, Wolfenbüttel 1979, S. 315-334, hier S. 317.

206 nien Bezug haben und die außerordentliche Breitenwirkung spanischer Literatur im Barockzeitalter zeigen. Allein die Geschichte der literarischen Beziehungen zwischen Spanien und Deutschland vom 16. bis 18. Jahrhundert ließe sich eindrucksvoll dokumentieren aus dem Büchervorrat von Herzog August. Eine seiner Vorlieben galt der romanischen Dichtkunst, die er auch in Übersetzungen erwarb, wie es das Beispiel der Celestina so eindrucksvoll belegt. Die Fruchtbringende Gesellschaft, unter deren Mitgliedern sich einige besonders mit spanischer Literatur befaßten (Hans Ludwig Knoche, Georg Philipp Harsdörffer), nahm Herzog August 1634 in ihren Kreis auf. Die Verbreitung der spanischen Ritterromane, die Wirkung der novela picaresca, der Schäferbücher, der höfischen Didaktik, Cervantes', Quevedos, Graciäns sollten in einer besonderen Ausstellung vorgeführt werden. Interessant ist übrigens die systematische Zuordnung eines großen Teils dieser volkssprachlichen Prosawerke zur Gruppe der »Ethica« innerhalb der Bibliotheksaufstellung. In diesem Überblick können spanische Autoren aus verschiedenen Gebieten - Recht, Philosophie, Theologie, Geschichte, Philologie, Naturkunde - , die lateinisch schrieben und den Ruhm spanischer Gelehrsamkeit im Ausland begründeten, nicht berücksichtigt werden, obwohl gerade sie in zeitgenössischen Repertorien für Bibliographie und Literärgeschichte (Andreas Schott, Hispaniae bibliotheca, 1608; Valerius Andreas, Catalogus clarorum Hispaniae scriptorum, 1607) allein berücksichtigt wurden. Wieder andere Spanier sind lediglich in Übersetzungen vertreten. Für seine Studien über das Schachspiel erwarb Herzog August zum Beispiel auf einer Bildungsreise in Italien (1599/1600) die italienische Bearbeitung (Venedig 1584) des Libro de la invencion liberal y arte del juego del axedrez von dem spanischen Geistlichen und Schachtheoretiker Ruy Lopez de Sigura. Auf dem Titelkupfer seiner Abhandlung über Das Schach- oder König-Spiel (1616) ließ sich der Herzog (»Gustavus Selenus«) von dem Stecher Lucas Kilian als Kolumbus darstellen! Für Bildungsgang und Spiritualität des Herzogs sowie für die Erziehung seiner Kinder waren die Schriften des Valencianer Humanisten Juan Luis Vives besonders wichtig. 2 Etwa siebzig alte Ausgaben und Übersetzungen, manche mit Randbemerkungen Herzog Augusts versehen, zeugen von der Hochschätzung, die er zeitlebens für die religiösen und pädagogischen Schriften des Exilspaniers bewahrte. Über Jahrzehnte hinweg läßt sich anhand von Katalogeinträgen feststellen, wie er seine Vivesiana planmäßig ergänzte. Schon der Dreizehnjährige besaß ein Exemplar der Intmductio ad veram sapientiam. Wenn ihm seine Tochter Sibylle Ursula, Herzogin von Schleswig-Holstein, 1649 zum 70. Geburtstag davon eine selbst gefertigte handschriftliche Übersetzung ins Deutsche schenkte (Cod. Guelf. 56.7 Aug. 4°), bestätigt dies, wie hoch der Fürst das Weisheitsbuch des Spaniers geschätzt haben muß. Es erschien übrigens gedruckt in einer anderen, anonymen deutschen Übersetzung 1656 in Wolfenbüttel. Zuvor hatte August eine deutsche Übersetzung aus dem 16. Jahrhundert von drei Erbauungsschriften des Vives als Geschenk erhalten (Cod. Guelf. 38.30 Aug. 4°). Sein Sohn Ferdinand Albrecht übersetzte schließlich 1655 Philipp Georg Harsdörffers Nathan und Jotham ins Lateinische (Cod. Guelf. 54.3 Aug. 4°), eine Sentenzen-Sammlung, die im

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Maria von Katte: »Vives' Schriften in der Herzog August Bibliothek und ihre Bedeutung für die Prinzenerziehung im 16. und 17. Jahrhundert«, in: Juan Luis Vives. Arbeitsgespräch Wolfenbüttel 1980, Hamburg 1981 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung. Bd. 3), S. 193-210.

207 Anhang hundert Sinnsprüche der spanischen Karmeliternonne, Mystikerin und Heiligen Teresa de Jesús enthält! Herzog August war an Sprachen immer lebhaft interessiert, wie seine für die Geschichte der Sprachwissenschaft so aufschlußreiche Sondersammlung von Lehr- und Gesprächsbüchlein, Grammatiken, Lexika, Briefstellern und Formelbüchern zeigt, die auch für den Kanzleiverkehr benötigt wurden. Er selbst sprach italienisch, aber nicht spanisch. An der Helmstedter Universität, der er im Turnus vorstand, war die Stelle eines Lektors für die »exoticae linguae« - die modernen Fremdsprachen Italienisch, Französisch und Spanisch eingerichtet. Der Sprachmeister bezog dort 1650 ein Jahresgehalt von 50 Talern, ebenso viel wie Bücheragenten des Herzogs im Haag, in Hamburg, Köln und Speyer, während Johannes Georg Anckel in Augsburg 300, Monsieur Jean Beck in Paris sogar 400 Taler als Fixum erhielten. 1688 verfügten Rudolf August und Anton Ulrich in der Satzung für die neugegründete Ritterschule zu Wolfenbüttel, die englische und spanische Sprache solle den Akademisten neben Deutsch, Lateinisch, Französisch und Italienisch »privatim doziert« werden, denn die »Wissenschaft fremder Sprachen« gereiche dem Adel zu besonderem Schmuck.3 Über die Wege und Vermittler, durch die spanisches Schrifttum nach Wolfenbüttel gelangte, liegen noch keine genauen Untersuchungen vor. Der erste, von Herzog August selbst angelegte Bücherkatalog entstand 1611/1612 und verzeichnet den Bestand der 1572 eingerichteten Bibliothek. Der sechsbändige, systematische »Bücherradkatalog« stellt zugleich ein Zugangsverzeichnis dar, das eine ziemlich genaue zeitliche Bestimmung bei Neuerwerbungen seit 1627 erlaubt. Zusammen mit dem alphabetischen Verfasserregister ließe sich hier die Vermehrung nicht nur des spanischen Bestands über Jahrzehnte hinweg verfolgen, was sehr selten bei Bibliotheken aus jener Zeit möglich ist. Erst durch den Augsburger Patrizier und Buchagenten Philipp Hainhofer, mit dem Herzog August seit 1613 bis zu dessen Tod 1647 in reger persönlicher und brieflicher Verbindung stand,4 kam es zu gezielten Beratungen und Aufträgen. Für die frühen Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts weist nämlich der chronologisch geordnete Sprachenkatalog zum Augusteer und Helmstedter Bestand einen deutlich ansteigenden Zugang aus. Bei antiquarischen Käufen übte Herzog August dagegen Zurückhaltung. In seine Erwerbungspolitik geben ferner die erhaltenen Kaufunterlagen, Warenbegleitbriefe für Büchersendungen, Angebotslisten, bibliographische Notizen für Katalogkontrolle und Desiderata sowie Aufzeichnungen über Kaufverhandlungen genauen Einblick. Auch dieses für die Geschichte des Buchhandels einzigartige Material müßte noch ausgewertet werden. Herzog August unterhielt, wie andere Fürsten der Zeit, ständige Verbindung zu Informanten und Bücheragenten in vielen Städten, zum Beispiel in Amsterdam, Augsburg, Hamburg, Köln, Nürnberg, Paris, Rom und Wien. Diese Mittelsmänner lieferten Nachrichten aller Art, berieten bei Ankäufen, bahnten Geschäfte an, suchten Bücher, unterbreiteten Angebote. Herzog August besuchte außerdem selbst die Frankfurter Buchmessen.

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Linguarum recentium annales. Der Unterricht in den modernen europäischen Sprachen im deutschsprachigen Raum. Bd. 1,1500-1700, bearbeitet von Konrad Schröder, Augsburg 1980, n° 450. Der Briefivechsel zwischen Philipp Hainhofer und Herzog August dem Jüngeren von BraunschweigLüneburg, bearbeitet von Ronald Gobiet, München 1984.

208 Ein kostbares Dokument für diesen Nachrichtenaustausch ist der Briefwechsel, den August mit dem gebildeten, weitgereisten Augsburger Hainhofer führte, der auch für den Bayernherzog tätig war. Als Freie Reichsstadt sowie dank der gewachsenen Beziehungen der Fugger und Welser zur spanischen Welt behauptete Augsburg seine Stellung als wichtigster Umschlagplatz für spanische Bücher. Außerdem öffnete sich für Herzog August hier ein Tor zum französisch-italienischen Raum. Obwohl die Devise für die Agenten lautete »gleichviel quoad materiam, wenn es nur etwas Gutes und Rares sei«, so kaufte der Auftraggeber dennoch nicht wahllos. Er nahm sich selbst des Geschäfts mit den Büchern an, die sein eigentliches Reich waren. Überblickt man den Bestand an spanischen Druckwerken, der im wesentlichen kurz vor Ausbruch und während des Dreißigjährigen Krieges in Wolfenbüttel zusammenkam, so überrascht die vielseitige Auswahl, die Sachkunde sowohl bei den leistungsfähigen Lieferanten als auch beim herzoglichen Bibliothekar verrät. Beide, Sammler und Händler, müssen ein Gespür für Wert besessen haben, denn es gibt nur wenig Zufälliges, Belangloses unter den Neuzugängen. Diese kommen nicht nur von der Iberischen Halbinsel herüber, sondern auch aus anderen Ländern, in denen spanische Bücher gedruckt werden: aus den Niederlanden, Frankreich, England, Italien, Portugal, selbst aus Deutschland und der Neuen Welt, darunter auch ausgesprochene Seltenheiten. Der spanische Bücherbestand spiegelt wie die gesamte Bibliothek getreu die geistigen Interessen ihres Besitzers. Das religiöse Schrifttum läßt erkennen, wie sehr Herzog August um Ausgleich und Verinnerlichung bemüht war und aufmerksam die theologische Entwicklung in den Konfessionen beobachtete. Er beschaffte sich daher auch katholisches Schrifttum, wenngleich natürlich nicht in dem Umfang, wie Dogmatik, asketische Literatur und Erbauungsbücher in süddeutschen Bibliotheken vertreten sind. Bei seinen bibelwissenschaftlichen Interessen durfte die berühmte Polyglotte des Kardinals Cisneros aus Alcalá nicht fehlen. Die verhältnismäßig breite Streuung von Andachtswerken in spanischen Ausgaben des letzten Viertels des 16. Jahrhunderts fällt jedoch auf (zum Beispiel Thomas Kempis' Imitado Christi in der Übersetzung von Luis de Granada, Juan de Avilas Audi filia, Malón de Chaides Conversión de la Magdalena, Pedro de Ribadeneyras Tratado de la religión y virtudes que deve tener el principe christiano sowie Guevaras Werke). Es ist selbstverständlich, daß er sich daneben für die Veröffentlichungen spanischer Protestanten und wegen ihres Glaubens verfolgter Flüchtlinge interessierte. So befinden sich in seinem Besitz neben spanischen Bibelübersetzungen von Francisco de Enzinas und Casiodoro de Reina beispielsweise Drucke von exilierten spanischen Juden aus Amsterdam oder ein sehr seltener, wohl in London gedruckter Katechismus. In diesen Zusammenhang fügt sich außerdem eine Reihe seltener (später) spanischer Erasmusübersetzungen und Ausgaben von Alfonso de Valdés. Die in zahlreichen Auflagen des 16. und 17. Jahrhunderts auch in Deutschland in lateinischer Sprache gedruckten Werke theologischer, asketischer und mystischer Schriftsteller aus Spanien hat der Herzog selten berücksichtigt. Auf dem Gebiet der Dichtung bietet seine Sammlung eine hervorragende Auswahl von Meisterwerken des ausgehenden 15. und 16. Jahrhunderts: Mena, Encina, Rojas und Torres Naharro, Garcilaso, Boscán, Espinel, Diego de San Pedro, Gil Polo, weltliche und geistliche Ritterromane, Lazarillo de Tormes, der Cancionero und die epische Dichtung (Zapatas Carlo famoso und Ercillas Araucana) stechen dabei hervor. Daneben interessierten Herzog Au-

209 gust die Varia-Literatur (Mexias Silva de varia lección, Antonio de Torquemadas Jardín de flores curiosas, moralphilosophische Dialoge und polyhistorische Gelehrsamkeit, wie Pérez de Moyas Philosophia secreta) ebenso wie die Sprichwörter-Sentenzensammlungen (Juan Rufo, Santa Cruz de Dueñas). Auch aus der Literatur des 17. Jahrhunderts sind große Namen würdig vertreten (Lope de Vega, Cervantes, Góngora, Gracián, aus Portugal zudem Camöes), Lyrik und Theater treten allerdings hinter der Prosa deutlich zurück (Pérez de Montalbáns Para todos, La picara Justina, Mateo Alemán, Salas Barbadillo, Gonzalo de Céspedes, Jerónimo de Contreras, Antonio de Eslava). Lessing hat später die von Herzog August gewiesene Ausrichtung weitergeführt bis in das 18. Jahrhundert (z.B. Feijoo-Ausgaben und Clavijos Pensador). Ein besonderes Merkmal der Literaturabteilung bilden spanische Übersetzungen klassischer und italienischer Autoren in Ausgaben zumeist aus den fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts (beispielsweise Homer, Plutarch, Vergil, Ovid, Apuleius, Lukian, Plautus, Livius; daneben Boccaccio, Leone B. Alberti, Pietro Aretino und Ariosto). Auch andere Sammler spanischer Bücher in Deutschland seit der Mitte des 16. Jahrhunderts (Johann Jakob Fugger, Welser, Lamberg) nahmen volkssprachliche Übersetzungen antiker und italienischer Werke auf. Umgekehrt beachtete August jedoch auch neulateinische Fassungen spanischer Literatur (u.a. Celestina, Gil Polos Diana, Lazarillo, Mateo Alemán). Das Nebeneinander von Original und bibliophilen Übersetzungen zeigt besonders schön das Beispiel der Celestina - bis hin zur modernen Illustrationskunst eines Pablo Picasso. Den dritten, hervorragend bestückten Bereich bildet das geographisch-historisch-politische Schrifttum aus und über Spanien. Spanien, die Monarchia Universalis, die Reichtümer der Neuen Welt bleiben beherrschende, wenn auch umstrittene Themen für die Zeit Herzog Augusts. Daneben konnte er sich aber auch durchaus an einem Gelegenheitsdruck mit dem kuriosen neulateinischen »Lehrgedicht« über Beso las Manos bei den Spaniern (von Nicolaus Mameranus, um 1550) belustigen. Die Bücher der Geschichte dieser großen Nation dienen der selbstbewußten Zurschaustellung ihrer Macht. Der Fürst hat die Prachtausgaben zur Geschichte Spaniens, seiner Teilreiche (Valencia, Aragonien, Granada), berühmten Städte (Toledo, Madrid, Segovia) und hervorragenden Orte (Escorial, Montserrat) bei sich versammelt. Kirchengeschichte und Ritterorden fehlen ebenso wenig wie die Genealogie der Adelsfamilien und die Altertümer. Insbesondere faszinierten die überseeischen Unternehmungen der Spanier und Portugiesen. Aus dem Material über die Neue Welt ließe sich wiederum eine eindrucksvolle Bücherschau veranstalten. Land- und Seekarten, Weltbeschreibungen, Geschichtsbücher, Traktate zur Seefahrt, Naturkunde, Rechtsabhandlungen und Alfonso de Molinas Vocabulario en lengua castellana y mexicana (Mexiko 1571) bezeichnen den weitgespannten Kreis der herzoglichen Sammlung. Bemerkenswert ist die Berücksichtigung der Zeitgeschichte, etwa die Vertreibung der Morisken (1609-1614), der Aufstand in den Niederlanden, die Guerras civiles de Granada, die Jesuitenberichte, sowie die internationale Pamphletliteratur gegen Spanien seit dem späten 16. Jahrhundert. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis angebracht, daß wahrscheinlich in Wolfenbüttel das erste regelmäßige Nachrichtenblatt erschien, Aviso Relation oder Zeitung (1609), wobei im Titel u.a. auch Spanien eigens als Gegenstand der Berichterstattung erwähnt wird. Die Informationen kamen vermutlich über eine Augsburger Agentur. Der Zugang an Handschriften enthält ebenfalls zahlreiche auf Spanien bezügliche Dokumente und Quellen: italienische

210 Botschafterberichte, Flugblätter und Abschriften von Pasquillen. Veröffentlichungen über berühmte Personen und spektakuläre Fälle - Karl V., Antonio Perez, Olivares - sind sichtlich gezielt gesammelt worden. Auf dem Gebiet der Geographie, die für die politisch-diplomatische Aktivität des weltoffenen Fürsten bedeutsam war, wird alles über Land und Leute zusammengetragen: Reisebeschreibungen, Routenbüchlein mit Entfernungsangaben, landeskundliche Darstellungen, Trachtenwerke, Handbücher über Maße und Gewichte, Handel und Gewerbe, Bodenschätze... In der politischen Philosophie, Staatslehre und Rechtswissenschaft sind spanische Autoren führend. Herzog August verfügte über die wichtigsten Texte in der Diskussion um Staatsräson, Universalmonarchie und die Auseinandersetzung mit Macchiavelli. Fürstenspiegel und Pflichtenlehre des Herrschers bilden einen weiteren Schwerpunkt, der eng zusammenhängt mit der Gruppe Höflingsliteratur. Es überrascht nicht, wenn gerade beim höfisch-didaktischen Schrifttum Spanisches besonders hervortritt. (Guevara, Amadis als Handbuch des guten Tons; Castiglione und Giovanni della Casa in spanischen Fassungen, Graciän Dantisco; Graciän). Die spanischen Briefsteller des 16. Jahrhunderts sind einschließlich der Carcel de amor von Diego de San Pedro nahezu vollständig und manchmal zudem in verschiedenen Auflagen angeschafft worden. Über die Liebe und die Frauen liegen spanische Bücher in einer bemerkenswerten Auswahl vor. Pietro Aretino, Coloquio de las damas (1545), Juan de Espinosa, Dialogo en laude de las mugeres (1580) und Juan de Enzinas, Diälogo de amor (1593). Aretinos Werk - die dritte Giornata aus dem ersten Teil der berühmt-berüchtigten Ragionamenti - figurierte bereits im Katalog spanischer Drucke aus dem Besitz von Johann Jakob Fugger, dort allerdings mit dem roten Vermerk: »Hic unicus liber inter omnes Hispanicos prohibitus«. Herzog August brauchte auf den Index expurgatorius librorum keine Rücksicht zu nehmen. Über die Vergnügungen des Hofes, die Jagd, Falknerei und Pferdezucht, sowie für Spiel und Zeitvertreib wurden ebenfalls einschlägige spanische Werke aufgestellt. Dem Liebhaber der Musik entging natürlich nicht die hervorragende theoretische Veröffentlichung von Francisco de Sahnas. Eine Sammelhandschrift (75.1 Aug. 8°) aus dem späten 16. Jahrhundert enthält Proben der spanischen Madrigal- und Liedkunst. Obwohl Herzog August ein kunstsinniger, friedliebender Mensch war und militärisch keine Macht besaß, schaffte er aus der umfangreichen spanischen Traktatliteratur nicht wenige Bücher über Kriegskunst, Festungsbau und Heerwesen an, etwa Diego de Salazar, Tratado de re militari (1590), Diego de Alaba y Viamont, El perfeto capitan (1590) und Bernardino de Mendoza Theorica y practica de guerra (1596). Auch die Naturwissenschaften vernachlässigte Herzog August nicht. Die Entdeckungen hatten die botanischen und pharmazeutischen Kenntnisse wesentlich erweitert (Juan Fragoso, Discursos de las cosas aromaticas, arboles yfrutales, 1572), andererseits bestand weiterhin Interesse an der magischen Geheim- und Naturlehre (Arnaldo de Vilanova; Llull bzw. pseudo-Llullianische Schriften in Cod. Guelf. 16.5 Aug. 4°). Eine ausgeprägte Neigung besaß August zudem für Mathematik, Astronomie, Geometrie, Vermessungskunde sowie für Medizin (Juan Valverdes Anatomie erschien in Rom). Auf dem Gebiet der Philosophie weist der Bestand Kostbarkeiten auf. Abgesehen von der Wertschätzung für Juan Vives und die politische Philosophie sind die bedeutenden Strömungen des spanischen Denkens genau erfaßt. Die Dialoghi d'amore des nach Italien ge-

211 flüchteten spanisch-portugiesischen Juden und Arztes Judah Abrabanel (Leon Hebreo), ein Grundwerk des Neuplatonismus im 16. Jahrhundert, stehen in zwei verschiedenen spanischen Fassungen bereit. Mit Juan Huarte de San Juans Examen de ingeniös para las sciencias (1575) ist ein weiteres einflußreiches Hauptwerk der spanischen Geistesgeschichte präsent, das Lessing als Magisterarbeit 1752 ins Deutsche übersetzt hatte unter dem Titel Prüfimg der Köpfe zu den Wissenschaften. Möglicherweise gelangten einige der in Wolfenbüttel vorhandenen Huarte-Drucke über ihn in die Bibliothek. Aus dem gleichen Grenzgebiet zwischen Naturphilosophie, Medizin, Physiologie und Seelenkunde stammt ein drittes berühmtes Werk, die Nueva filosofia de la naturaleza del hombre (1587), die lange einer Frau, Dona Oliva Sabuco, zugeschrieben wurde. Heute gilt als Verfasser dieses Dialog-Traktats ihr Vater Miguel Sabuco y Älvarez, ein Vertreter der »Außenseitermedizin« im 16. Jahrhundert. Wie auf dem Gebiet der schönen Literatur, so bestehen in der Schulphilosophie vielfältige Verbindungen zwischen Spanien und Deutschland. Wie mit Dichtern, so pflegte Herzog August mit Gelehrten Umgang, denen spanische Kultur vertraut war, zum Beispiel mit dem Jesuiten Athanasius Kircher in Rom, der in der Ars magna sciendi llullistische Ideen aufnimmt. Auch Leibniz, der zeitweilig die Wolfenbütteler Bibliothek verwaltete, war mit Llulls Ansatz für eine Universalsprache vertraut. Im Raum Hannover-Wolfenbüttel bestand in der Aufklärung eine gewisse Beziehung zu Gregorio Mayans y Siscar; eine Mayans-Vita erschien 1756 in Wolfenbüttel. Will man Herzog Augusts Leistung und Eigenart als Sammler spanischer Bücher würdigen, so lohnt es, zum Vergleich einen Blick auf Bibliophile zu werfen, die kurz vor ihm oder fast gleichzeitig in Deutschland Hispanica sammelten. Einige aufschlußreiche Verzeichnisse und Bestände sind uns erhalten geblieben. Den Grundstock für ihre reiche hispanistische Büchersammlung verdankt die Bayerische Staatsbibliothek bekanntlich dem Umstand, daß der Augsburger Patrizier Johann Jakob Fugger (1516-1575) infolge seiner Sammelleidenschaft so tief in Schulden bei seinem Freund, dem Herzog Albrecht V. (fl579) von Bayern, geriet, daß er ihm schließlich seine Schätze überlassen mußte. Agenten hatten in Italien, Spanien und den Niederlanden sowohl Handschriften als auch Drucke für ihn erstanden. Ein Catalogus librorum hispanicorum (Cod. Bav. Cat. 110) verzeichnet den vielfach aus Fuggers Besitz stammenden spanischen Kernbestand5 zusammen mit Büchern, die der Tiroler Ritter Anselm Stockei aus Spanien mitgebracht hatte, 277 Titel, von denen viele noch heute in München lagern. Hainhofer berichtete schon (1611/13) von den dortigen Reichtümern, zumal »in lingua Hispanica«, und kannte sicher die Jesuitenbibliotheken in Augsburg wie in München, »nach dem Escurial in Spagna [...] das fürnembste Collegium inn gantz Europa«. Stockei hatte überwiegend historische Werke aus den siebziger Jahren erstanden. Die im Katalog von 1582 aufgeführten Bücher sind allesamt vor 1558 gedruckt und geben einen hervorragenden Querschnitt durch die Buchproduktion in der Regierungszeit Karls V. Bei den literarischen Texten zeigen sich nicht wenige markante Übereinstimmungen mit Herzog Augusts Bestand (Celestina, Mena, Encina, Torres Naharro, Boscän, Garcilaso, Lazarillo, Ritterromane, Diego de San Pedro,

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Karl. L. Selig: »A German collection of Spanish books«, in: Bibliothèque d'Humanisme et Renaissance 19 (1957), S. 56-79.

212 Romanzen, Briefsteller, Guevara, spanische Übersetzungen griechischer und römischer Klassiker in Antwerpener Drucken), stärker vertreten ist bei dem Süddeutschen jedoch religiös-erbauliches katholisches Schrifttum. Was dem reichen Fuggersproß zum Verhängnis geriet, die Geldausgaben für seine Bücher, das verstand August über Jahrzehnte hinweg mit Geschick und Umsicht einzurichten. Bei Albrechts Tod zählte die von ihm erworbene Bibliothek etwa 31.000 Bände, sie war damit dreimal so umfangreich wie die des Fuggers zu dem Zeitpunkt (1571), als er sich von ihr trennen mußte. Über die Bibliothek einer anderen reichen Augsburger Familie, der Welser, gibt es ebenfalls zuverlässige Erhebungen. Ihre Büchersammlung, darunter »haud pauci itálico ac hispánico idiomate«, umfaßte ungefähr 2300 Bände. Ein 1633 gedruckter Katalog der Augsburger Stadtbibliothek, wo sie zunächst verwahrt wurde, verzeichnet 108 spanische und vier portugiesische Drucke. Umfangreicher und interessanter ist der Catalogus bibliothecae [...] Antonii Velseri (Augsburg 1619); Anton Welser war Dompropst zu Freising. Die Aufschlüsselung nach Sprachen ergibt für religiöse und historische Werke jeweils 140 spanische Titel, überwiegend Veröffentlichungen aus der zweiten Hälfte des 16. und vom Anfang des 17. Jahrhunderts in einer für ihre Zeit ausgezeichneten Auswahl (zumal bei schöner Literatur), die Herzog August ernsthafte Konkurrenz gemacht haben dürfte. Im Dienst der Welser arbeitete der Kaufmann Bartholomäus May etwa 1540-1550 in deren Madrider Kontor und sammelte spanische Bücher. 68 Drucke aus den Jahren 1549-51 sowie über 20 aus der Zeit davor brachte er nach Augsburg zurück, darunter sehr wertvolle spanische Erasmusausgaben, philosophische Bücher, ein knappes Dutzend dichterische Texte sowie einige naturwissenschaftliche, medizinische und juristische Werke, die teilweise noch in der Bayerischen Staatsbibliothek erhalten sind. 6 Eine andere Privatsammlung, die bei der Säkularisation an die Münchener Bibliothek fiel, war von Johann Jakob von Lamberg (1561-1630), einem Domherrn zu Passau und Salzburg, der 1603 den Gurker Bischofsstuhl erhielt, zusammengetragen worden. 7 Lamberg, weitläufig verwandt mit den Fuggern, besaß neben zahlreichen italienischen und französischen Drucken auch 89 spanische, vorwiegend aus den Jahren 1511-1560, von denen heute immerhin noch 63 nachgewiesen sind. Bei den 18 Werken spanischer Dichtung sowie den spanischen Übersetzungen klassischer Schriftsteller fallen wiederum eine Reihe von nicht zufälligen Übereinstimmungen sowohl mit dem Fuggerverzeichnis als auch mit Herzog Augusts Beständen ins Auge. Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf den Fortbestand des literarischen Kanons und der literarischen Wertungsmaßstäbe in einer Zeit, die noch keine veröffentlichte Literaturkritik oder gar Literaturgeschichtsschreibung im modernen Sinn kannte. Die klösterlichen Bibliotheken des 17. Jahrhunderts in Bayern können zwar ihrem Umfang nach nicht konkurrieren mit der des Herzogs im protestantischen Norddeutschland, beschränken sich jedoch keineswegs auf theologisches, exegetisches und philosophisches

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Irmgard Bezzel: »Bartholomäus May (ca. 1515-1576) aus Bern, ein Sammler spanischer Drucke«, in: Iberoromania 1 (1969), S. 235-243. Verzeichnis in Cod. bav. Cat. 549/9 der Bayerischen Staatsbibliothek; ferner Irmgard Bezzel: »Die Bibliothek des Gurker Bischofs Johann Jakob von Lamberg (1561-1630)«, in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Frankfurt, Nr. 89, 5.11.1968, S. 2919-2928.

213 Fachschrifttum. Der Anteil spanischer Literatur und Hilfsmittel zum Spracherlernen liegt überraschend hoch. Die Kapuziner in München besaßen zum Beispiel die Brüsseler QuijoteAusgabe von 1611, Lopes Rimas (1611) und den Lazarillo de Tormes. Eine systematische Überprüfung der erhaltenen Kataloge würde die kulturelle Vermittlerfunktion der Klosterbibliotheken erhellen. Die kaiserliche Bibliothek in Wien mit ihrer privilegierten Stellung ausgenommen,8 gibt es in den deutschsprachigen Ländern in jenen sieben Jahrzehnten, da der Herzog seine Sammlung aufbaute, dem Umfang nach wohl keinen vergleichbaren und annähernd so vielseitigen Bestand an spanischen Drucken wie in Wolfenbüttel.9 Daß Spanien in diesem Kosmos der Bücher den ihm angemessenen Platz gefunden hat und mit dem Ertrag der wichtigsten Epoche seiner geistig-politischen Entwicklung auch noch aus heutiger Sicht »bibliographisch« gediegen vertreten ist, bleibt eine bewundernswerte Leistung barocker Universalgelehrsamkeit und musealen Sammlergeschicks. In der Frühgeschichte der deutschen Hispanistik, die sich in den ersten Dezennien des 17. Jahrhunderts zu formieren beginnt (etwa mit Heinrich Doerganks Institutiones in linguam hispanicam, 1614, und Kaspar von Barths Abhandlung über die Celestina, 1624), ist diese von Herzog August »Deo et posteritati« geschaffene Einrichtung ein Glanzstück. Erstveröffentlichung in Frühe spanische Drucke und Malerbücher spanischer Künstler. Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek (Ausstellungskatalog 46) 1985, S. 8—42.

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Alfred Noe: Die Präsenz der romanischen Literaturen in der 1655 nach Wien verkauften Fuggerbibliothek. Bd. 1 und 2 (ohne Musicales), Amsterdam, Atlanta: Rodopi 1994-1995. Die reichen alten Hispanica-Bestände der 1691 gegründetem Herzogin Anna Amalia-Bibliothek in Weimar stellt Albrecht Graf Kainein vor: »Weltliteratur y provincia: acerca de los fondos hispánicos de la Herzogin Anna Amalia-Bibliothek, Weimar«, in: Jaime de Salas/Dietrich Briesemeister (Hrsg.); Las influencias de las culturas académicas alemana y española desde 1898 hasta 1936, Frankfurt am Main/Madrid: Vervuert/Iberoamericana 2000, S. 239-265.

Die Verbreitung der spanischen Literatur durch neulateinische Übersetzungen des 17. Jahrhunderts

Zu Ende seiner Überblicksdarstellung La littérature latine de la Renaissance konstatiert Paul van Tieghem 1944 in Bezug auf die Übersetzungen moderner Volkssprachen ins Lateinische: »Ce curieux mouvement de traduction d'une langue vivante en une langue morte, ou soi-disant telle, mériterait d'être étudié pour lui-même, dans son ensemble et de près« 1 . Unser Beitrag wird dieser Anregung folgen, obgleich er auf eine Skizze neulateinischer Fassungen von literarischen Werken (im weitesten Sinne), die während des 17. Jahrhunderts mehrheitlich in Deutschland erschienen, beschränkt bleiben soll. 2 Bereits aus dem Hochmittelalter sind Übersetzungen volkssprachlicher Literatur ins Lateinische als unveränderliche Kunstsprache bekannt. 3 Es war eine traditionelle schulische Übung, insbesondere lyrische Dichtungen in lateinische Metren zu transponieren. 4 Nicht nur in Deutschland blieb es das 16. und 17. Jahrhundert hindurch bei einer grundlegend zweisprachigen Kultur, und lateinische und volkssprachliche Texte standen selbstverständlich weiterhin nebeneinander, wenn auch die Rivalität zwischen beiden Traditionen zu stetig wachsenden Spannungen führte. Die romanischen Idiome hatten bereits seit geraumer Zeit die Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Mutter, dem Lateinischen, aufgenommen. 5 Im Deutschland des 17. Jahrhunderts stehen die neulateinischen Versionen spanischer Werke nicht nur in deutlicher Konkurrenz mit der Ende des 15. Jahrhunderts einsetzenden deutschen Rezeption spanischer Auto-

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Reprint Genève: Slatkine 1966, S. 239. - W. Leonard Grant: »European vernacular works in Latin translation«, in: Studies in the Renaissance 1 (1954), S. 120-156. Grant plante eine exhaustive Untersuchung des Themas und schreibt auf Seite 127: »A sizeable monograph [...] could be written on Latin versions made from Portuguese, Spanish, German and French«. - Nicht einsehen konnte ich den Beitrag von J. Hurtado Jiménez: »Traducciones latinas de clásicos castellanos«, in: Revista Calasancia 13 (Madrid 1925), S. 353-374. Adam Schneider: Spaniens Anteil an der deutschen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts, Straßburg 1898, behandelt kaum neulateinische Übersetzungen. Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 2. Auflage, Bern: Francke 1954, S. 36, Anm. 2. - Dietmar Jürgen Ponert: Deutsch und Latein in deutscher Literatur und Geschichtsschreibung des Mittelalters, Stuttgart: Kohlhammer 1975. Diesbezüglich interessant erscheint die lateinische Version von Jorge Manriques Coplas, die vermutlich Juan Hurtado Mendoza anfertigte und die dem Infanten Philipp (dem späteren König Philipp II.) gewidmet war. »La traduction latine des Coplas de Jorge Manrique«, ed. Raymond Foulché-Delbosc, in: Revue Hispanique 14 (1906), S. 9-21. Las Coplas de Jorge Manrique. Ed. Tomás González Rolán und Pilar Saquero, Madrid 1994. - Guillermo Antolín: »Sobre el traductor latino de las Coplas de Jorge Manrique«, in: Revue Hispanique 14(1906), S. 22-34, sowie in: Ciudad de Dios 138 (1924), S. 241-265. Werner Bahner: Beitrag zum Sprachbewußtsein in der spanischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts, Berlin: Rütten und Loening, 1956. - José Francisco Pastor: Las apologías de la lengua castellana en el Siglo de oro, Madrid 1929. - Miguel Romera-Navarro: »La defensa de la lengua española en el siglo XVI«, in: Bulletin Hispanique 31 (1929), S. 204—255. - Harald Weinrich: »Das spanische Sprachbewußtsein im Siglo de Oro«, in: Spanische Literatur im Goldenen Zeitalter. Festschrift für Fritz Schalk. Hrsg. Horst Baader/Erich Loos, Frankfurt: Klostermann 1973, S. 524-547.

215 ren, die lateinisch schrieben, sondern ab dem 16. Jahrhundert vor allem auch zu den zahlreichen deutschen Übersetzungen spanischer Bücher in den verschiedensten Bereichen (insbesondere geistliche Literatur und Belletristik).6 Es steht wohl außer Frage, daß diese - teilweise stark verzögerte - Rezeption ausländischer und insbesondere spanischer Literatur durch neulateinische Übertragungen in diesem Ausmaß nur in Deutschland stattfand.7 Andererseits gibt es auch deutsche Ausgaben von bekannten neulateinischen Dichtungen.8 Einen Großteil aller Übersetzungen, sowohl ins Deutsche als auch in die offizielle Kirchensprache, macht die religiöse Literatur aus, da Spanien zu Zeiten der Gegenreformation und des Barock entscheidenden Einfluß auf die Geisteswelt des katholischen Europas nahm. Es kann als Kuriosum gelten, daß oftmals bis ins 18. Jahrhundert neben deutschen verschiedene lateinische Bearbeitungen des gleichen religiösen Textes bestehen, obwohl in Spanien im Laufe des 16. Jahrhunderts die Volkssprache die Verwendung des Lateinischen für das asketische und fromme Schrifttum bereits größtenteils abgelöst hatte. Gerade in protestantischen Ländern sowie von protestantischen Autoren werden große Anstrengungen unternommen, dem klassischen Kulturerbe einen neuen Sinn zu verleihen, indem man nicht nur Unterhaltungsliteratur übersetzt und studiert, sondern in einem wahrhaft ökumenischen und toleranten Geist genauso auch didaktische, philosophische und sogar theologische Werke aus Spanien.9 Auf den ersten Blick erscheint es widersprüchlich, daß sich das Interesse der humanistischen Gelehrten und Philologen auf die in der Volkssprache verfaßte spanische Literatur ausweitet. Hier ist die spezifische soziokulturelle Situation im damaligen Deutschland in

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Das Spektrum reicht vom großen Erfolg des Speculum vitae humanae von Rodrigo Sánchez de Arévalo (übersetzt von Heinrich Steinhöwel, Augsburg, ca. 1475) über das gute Dutzend deutscher Übertragungen von Juan Luis Vives' lateinischen Werken im 16. Jahrhundert bis hin zu den zwei Fassungen der Celestina von Christoph Wirsung. - Gerhart Hoffmeister: Spanien und Deutschland. Geschichte und Dokumentation der literarischen Beziehungen, Berlin: Erich Schmidt 1976. [Vgl. auch die entsprechenden, in diesem Band unter III abgedruckten Beiträge] Hermann Flayder (1596-1640), Professor an der Tübinger Universität, übersetzte beispielsweise die Trionfi von Petrarca und die Aminta von Tasso. Noch Mitte des 18. Jahrhunderts erscheinen zwei gereimte lateinische Übersetzungen von Fénelons Aventures de Télémaque in Berlin (1743) und Augsburg (1764). Vgl. weitere Beispiele bei Grant, S. 121f. Von Luis de Camöes' Lusiadas sind drei neulateinische Übersetzungen bekannt: von Frei Tomé de Faria: Lusiadum libri X, Lisboa 1662, von Frei Andre Baiäo (auf 1625 datierte Handschrift, Faksimileausgabe Lissabon: Junta de Investigaföes do Ultramar 1972) und von Frei Francisco de Santo Agostinho Macedo, Lissabon 1880. - In Frankreich finden sich neben Du Bartas' La Sepmaine, La Fontaines Fabeln, Pascals Lettres provinciales oder Voltaires Henriade ebenfalls nicht wenige Beispiele. Die Argenis (1621) von John Barclay übersetzte Opitz 1626. Zwei deutsche Übertragungen erschienen von den Epigrammata des John Owen (1602): eine von Johann Peter Titz (1643) und die andere von Valentin Loeber (1653). Diese erstaunliche Verkehrung der konfessionellen Fronten wird besonders offensichtlich in der lateinischen Übersetzung der Guía espiritual von Miguel de Molinos (Rom 1675), die der bekannte protestantische Theologe August Hermann Francke (1663-1727) publizierte. Die Manuductio spiritualis erschien 1687 in Halle, die deutsche Version von Gottfried Arnold, einem weiteren pietistischen Theologen, datiert von 1699. - Ernst Lewalter: Spanisch-jesuitische und deutsch-lutherische Metaphysik des 17. Jahrhunderts, Hamburg: Ibero-amerikanisches Institut 1935 (Reprint Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1967).

216 Rechnung zu stellen.10 Die deutsche Barockliteratur wird von gebildeten Dichtern geschrieben und ist letztlich das Monopol einer elitären und kosmopolitischen Gemeinschaft von Gelehrten." Das bedeutsamste Charakteristikum der eruditio bestand in der Beherrschung des Lateinischen, dieses überregionalen sowie überkonfessionellen Bildungsidioms, das als Medium der internationalen Kommunikation den Zugang zur res publica litteraria eröffnete: »Die wichtigste inhaltliche Bestimmung, mit der man im 17. Jahrhundert die Gelehrtheit des Poeten zu beschreiben pflegt, ist sein materiales Vielwissen, seine Polyhistorie, bzw. Polymathie.«12 So löst sich der Widerspruch der Beschäftigung humanistischer Gelehrter mit moderner spanischer Kultur auf. Die Übersetzungen sind das Sammelbecken ihrer polygraphischen Interessen und dokumentieren die ganze Wucht des immensen spanischen Einflusses, der sich von Theologie, Mystik und Asketik über Philosophie, politisch-didaktische Literatur, Philologie, Archäologie, Historiographie und Naturwissenschaften bis hin zur Schönen Literatur erstreckt. Die neulateinischen Übersetzungen sind dabei Teil einer umfassenden Tendenz des deutschen Barock, nämlich der über Imitation, Adaption und Übertragung laufenden Rezeption nicht nur des klassischen, sondern ebenso des französischen, italienischen und englischen Schrifttums. Die Ausübung der Dichtkunst galt als integraler Bestandteil der Bildung und suchte den Zeitgenossen die anerkannten Vorbilder künstlerischen Schaffens ebenso wie Europas reichen Schatz an didaktischem Schrifttum vor Augen zu führen.13 Bei dieser literarischen und kulturellen Verpflanzung spielen viele örtliche Akademien und literarische Gesellschaften, die sich der Verbreitung zeitgenössischer Literatur aus dem Ausland in Deutschland verschrieben haben, eine herausragende Rolle. Im 17. Jahrhundert sind dem Humanismus und seinem bemerkenswerten Eifer die engen Grenzen des späteren Konzepts einer Nationalliteratur noch fremd. Darüber hinaus werden die Poetiken nicht müde, die Übersetzung als Propädeutik der eigentlichen Dichtkunst zu empfehlen. »Es ist fast so löblich eine Sache wol übersetzen als selbsten aus eigenem Gehirne etwas zu Papier bringen«, bekräftigt Georg Philipp Harsdörffer. 14 Begleitet wurde diese Übersetzertätigkeit von einem ausgeprägten, fast obsessiven Sprachbewußtsein. Gewiß wurde die Verbreitung der spanischen Literatur in Deutschland, wo zunächst die Reformation und im Anschluss der Dreißigjährige Krieg ihre Spuren hinterlassen hatten, von den politischen und äußeren Gegebenheiten in keiner Weise begünstigt. Zwischen 1580 und 1635 entsteht eine heftige und polemische Propaganda gegen Spanien, während Spanien gleichzeitig den Zenit seiner kulturellen und geistigen Strahlkraft im europäischem Kon-

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Max Wehrli: »Latein und Deutsch in der Barockliteratur«, in: Akten des V. Internationalen Germanisten-Kongresses Cambridge 1975. Hrsg. Leonard Forster/Hans-Gert Roloff, Bern, Frankfurt, München: Lang, 1976, Heft 1, S. 134-149. Richard Alewyn: Deutsche Barockforschung, Köln: Kiepenheuer und Witsch 1965, S. 12. Wilfried Barner: Barockrhetorik, Tübingen: Niemeyer 1970, S. 233. »Es war aus Nationalstolz, daß die deutschen Barockdichter den Anschluß an die Meisterwerke des europäischen Auslands zu finden suchten, denn sie hofften, dadurch den Erweis zu erbringen, daß sie in ihrer Muttersprache ein Gleiches leisten könnten« (Gerhard Dünnhaupt: Diederich von dem Werder. Versuch einer Neuwertung seiner Hauptwerke, Frankfurt, Bern: Lang 1973, S. 7). Daraus erwächst der Widerstand gegen das Latein und der Wunsch, sich »von dem fremddrukkenden Sprachenjoch« zu befreien. Zitiert nach Karl F. Otto: Die Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts, Stuttgart: Metzler 1972, S. 66.

217 text erreicht. Insbesondere zwei Phänomene, die mit der gängigen Aversion der öffentlichen Meinung gegenüber den cosas de España kontrastieren, gilt es als Voraussetzung für den >Übersetzungsboom< zu beachten: die Zunahme von historisch-geographischen Publikationen über Spanien und die Erstellung spanischer Grammatiken, die zur Erleichterung ihrer internationalen Verwendung auf Lateinisch abgefaßt waren; hinzukommen die Fortschritte in der polyglotten Lexikographie. Von etwa 1580 an erscheinen in lateinischer Sprache eine Reihe wissenschaftlicher Werke über Spaniens Geschichte, die die alten, eher summarischen Chroniken und Genealogien ersetzen. 15 Der Großteil der Quellen, die Robert Beale (1541— 1601), Staatssekretär von Königin Elisabeth I. von England, in Rerum Hispanicarum scriptores (Frankfurt 1579-1581) aufnahm, findet Eingang in die monumentale Sammlung Híspanla illustrata (Frankfurt 1603-1608) von Andreas Schott; es handelt sich um eine Apologie der großen Nation, die der Niederländer zu Ehren seiner altera patria 16 mit dem Ziel abfaßte, den Mangel an lateinisch gedruckten Materialien - worüber die anderen bedeutenden Königreiche bereits verfügten - für die Erforschung der Geschichte zu beheben. In Ergänzung dazu veröffentlichte Schott 1608 in Frankfurt die Hispaniae Bibliotheca seu De academiis ac bibliothecis, ein Handbuch, dessen zweiter Teil einen bibliographischen Katalog spanischer Autoren (sofern sie lateinisch schrieben) enthielt, ähnlich dem Catalogus clarorum Hispaniae scriptorum, qui latine disciplinas omnes humanitatis, iurisprudentiae, philosophiae, medicinae ac theologiae illustrando etiam trans Pyrenaeos evulgati sunt (Mainz 1607), den sein Schüler Valerius Andreas (ebenfalls niederländischer Herkunft) verfaßt hatte. Zu jenen bibliographischen Registern und historischen Quellen gesellen sich zahlreiche Werke zu Geographie, Epigraphik und Numismatik 17 wie auch Aktuelles über die Neue Welt, so beispielsweise Bartolomé de las Casas' Regionum Indicarum per Hispanos olim devastatarum acutissima descriptio (Frankfurt 1598; Offenbach 1614; Heidelberg 1664) und José de Acostas De natura novi orbis libri II (Köln 1596).18 In diesem Umfeld sind auch Übertragungen naturkundlicher Werke zu nennen, wobei sowohl Juan Fragosos

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Beispielweise Johannes Vasaeus: Rerum Hispaniae memorabilium annales, Köln 1577. Die Cartas und Relaciones von Kolumbus und Hernán Cortés wurden lateinisch und deutsch publiziert. Er beklagt in Bezug auf Spanien: »adeo paucos Latinos ibi historíeos, eosque non admodum disertos, ut illa ferebant tempora, exstitisse« (Band 1, f. 3r, Prolog). Vgl. auch Quintín Aldea: »Das Spanienbild in der Hispania ilustrata von Andreas Schott«, in: Hans Juretschke (Hrsg.): Zum Spanienbild der Deutschen in der Tieit der Aufklärung, Münster 1997, S. 10-41. Zum Beispiel Ludovicus Nonius: Hispania, Antwerpen 1607; Johannes de Laet: Hispania, Leiden 1629; Antonio Agustín: Antiquitatum Romanarum Hispanarumque in nummis veterum dialogi XI, Antwerpen 1617; Juan de Mariana: Historiae de rebus Hispaniae libri XXX, Mainz 1605 (mit Appendix, Frankfurt 1606). Tommaso Campanellas Monarchia Hispanica erschien 1623 auf Deutsch, die lateinische Übertragung 1653 in Amsterdam. Ferner existieren eine deutsche Fassung der Historia peruana von Diego de Torres Bollo (Würzburg 1604) sowie eine lateinische Übersetzung (Mainz 1605); der 1609 erschienene Bericht Australia des Pedro Fernández de Quirós kam 1611 in Augsburg in deutscher und im folgenden Jahr in Amsterdam in lateinischer Sprache heraus. Die Übertragung von Antonio Cervera de la Torres Testimonio auténtico y verdadero de las cosas notables que passaron en la dichosa muerte del rey Phelippe II, 1599, erscheint 1609 in Freiburg im Breisgau unter dem Titel De felici excessu Philippi II libri III. Weiterhin zu nennen sind: Fernando del Pulgar: Epistolae, Amsterdam 1670 und Antonio Pérez: Ad comitem Essexium et ad alios epistolarum centuria una, Paris ca. 1598.

218 Aromatum, fructuum et simplicium aliquot medicamentorum ex India utraque in Europam delatorum (Straßburg 1601) als auch Cristóbal de Acostas Tractado de las drogas (lateinische Fassung: Antwerpen 1582) stets von dem weit bekannteren Werk des Portugiesen Garcia da Orta: Aromatum, et simplicium aliquot medicamentorum apud Indos nascentium historia, in den Schatten gestellt wurden, das mehrmals zwischen 1567 und 1605 überarbeitet sowie neu aufgelegt wurde. 19 Analog zum wachsenden Interesse für Spaniens Historie entstehen philologische Arbeiten. César Oudin, »secretaire interprète du Roy ez langues germanique, italienne et espagnolle«, hatte zunächst in Paris (1597) eine Grammaire espagnolle herausgebracht, die neben mehreren Neuauflagen im 17. Jahrhundert 1607 unter dem Titel Grammatica Hispanica in lateinischer Übersetzung in Köln erschien, »ut omnibus Europae nationibus usui possit esse«. Sieben Jahre später gibt Heinrich Doergangk in Köln seine Institutiones in linguam Hispanicam, deren Prolog ein flammendes Plädoyer für den spanischen Nationalcharakter enthält, in Druck. Das Lob des Spanischen als »lingua vera, sincera, aperta, et plena maiestatis, et gravitatis regiae, et heroicae magnanimitatis« (S. 2V) geht mit der Empfehlung von unter anderem Luis de Granada (Hispanorum Cicero), der Celestina und Antonio de Guevara (Libro áureo de Marco Aurelio und Menosprecio de corte y alabança de aldea) als stilistischen Vorbildern einher. 20 Weitere Autoren werden in der Folge die spanische Sprache ob ihrer gravitas und proprietas sowie der Tatsache loben, daß sie den übrigen modernen Idiomen wegen ihrer größeren Affinität mit der >sacra lingua Latinacommercia linguarum< werden international noch viel enger verflochten. Die Rezeptionsvorgänge werden vielschichtig und komplizierter durch das Nebeneinander von älterer (verspätet übersetzter oder wieder aufgelegter) und moderner Literatur sowie durch die Überlagerung mit Reflexen spanischer Literatur in England und Frankreich. Die dabei entstandenen Werke wirken wiederum nach Deutschland herüber, doppelt gefiltert entweder als Übersetzungen aus zweiter Hand oder in Bearbeitung sowie als Anregung und Vorbild für eigene Schöpfungen. Es bildet sich eine andere literarische Öffentlichkeit, die aus ihrem gesellschaftlichen und ästhetischen Horizont auf spanische Werke reagiert. Die bürgerliche Leserschaft löst das humanistisch-höfische Publikum ab. Zeitschriften und literarische Kritik leiten und begleiten die Rezeptionsvorgänge. Theoretische, dichtungsästhetische Diskussionen geben für die Beschäftigung mit spanischer Dichtung einen neuen Rahmen und andere Schwerpunkte. In der literarischen Geographie treten Gebiete und Städte aktiv hervor in Mittel- und Norddeutschland, die den bislang führenden katholischen Ländern Konkurrenz machen und sie ablösen. Das religiöse Schrifttum aus Spanien, das im katholischen Barock dominiert hatte, geht stark zurück, dafür schieben sich nun andere Themen, Formen und Gattungen in den Vordergrund. Das Spanienbild, das die international verbreiteten Reiseberichte, die polyhistorische Gelehrsamkeit und nicht zuletzt auch die literarische Darstellung in fiktionalen Werken prägen, beeinflußt entscheidend Verständnis und Aneignung der spanischen Dichtung. Zwei völlig gegensätzliche Einschätzungen kennzeichnen genau zu Anfang des Jahrhunderts die gelehrte Kenntnis von der spanischen Literatur. Daniel Georg Morhof und Nikolaus Hieronymus Gundling vertreten die ablehnende Einstellung. Sie sind voreingenommen in der Abneigung gegenüber den >cosas de Espana< oder leiten ihre Kritik aus den deterministischen Schablonen der Humoralphysiologie ab. Morhof vertritt die Auffassung von der kulturellen Verspätung und biologischen Deformation der sprachlich-literarischen Ent1

Herbert O. Lyte: Spanish literature and Spain in some of the leading German magazines of the second half of the eighteenth century, Madison/Wisc. 1932. Gerhart Hoffmeister: Spanien und Deutschland. Geschichte und Dokumentation der literarischen Beziehungen, Berlin 1976. Barbara Becker-Cantarino: »The rediscovery of Spain in enlightenment and romantic Germany«, in: Monatshefte für den Deutschunterricht 72 (1980), S. 121-134. Hermann Tiemann: Das spanische Schrifttum in Deutschland vor der Renaissance bis zur Romantik, Hamburg 1936. Kurt Schnelle: »Zur Wirkungsgeschichte der Literatur des Siglo de Oro in der deutschen Frühaufklärung«, in: Beiträge zur Romanischen Philologie. Sonderheft Cervantes, Berlin 1967, S. 131-41. Siegfried Jüttner: »Spanien - Land ohne Aufklärung? Zur Wiedergewinnung eines verdrängten Erbes«, in: Siegfried Jüttner/Jochen Schlobach (Hrsg.): Europäische Aufklärung(en). Einheit und nationale Vielheit, Hamburg 1992, S. 249-268.

229 wicklung bei den Spaniern, die »etwas späte zu der heutigen Poeterey« gekommen seien und sich zuvor mit »einigen gemeinen Moren-Liedern vergnüget« hätten. 2 »Es ist aber ihr Trieb zu der Tichterey mit vielen seltzamen Romainschen Gedancken als wie mit einer Kranckheit eingenommen«. Sie seien schlechthin kaum der »Poetischen Zierlichkeit« fähig. Als >Spaniologi< bezeichnet man schon im Dreißigjährigen Krieg, die Schwulstredner, Großsprecher. Wie Morhof spricht auch Gründling, 3 ein Professor der Beredsamkeit, den Spaniern jegliche poetische Begabung ab, sie seien nur für die subtilen, abstrakten Wissenschaften, Scholastik, Recht, Theologie, tauglich. »Ihre Oratorie gehet auf Steltzen [...] Ihre Poesie aber hat ihnen nicht geglücket, weilen sie zu wenig Anmuth haben« und die Kunstregeln mißachten. »Der Geschmack für das Abenteuerliche verdreht die Natur«, urteilt der Schweizer Arzt Johann Georg Zimmermann 1763, 4 ein Nachklang französischer Einschätzungen (Madame d'Aulnoy, Montesquieu u.a.). Im Gegensatz dazu singt der Hamburger Christian Heinrich Postel mit De linguae Hispanicae difficultate, elegantia et utilitate meletema (1704) ein begeistertes Lob auf Cervantes, Quevedo, den >summus Gracianusmagnus GongoraVon der Spanier Poetereypicaresque< de Lesage: emprunts littéraires, empreintes culturelles, Bordeaux 1984. Reiseeindrücke aus Spanien im Winter, 1871-1872, Berlin 1873. Jürgen von Stackelberg: Von Rabelais bis Voltaire. Zur Geschichte des französischen Romans, München 1970, S. 243. Dieter Reichardt: Von Quevedos >Buscón< zum deutschen >Avanturier>, Bonn 1970. Hans Gerd Rötzer: »Die Metamorphosen des Pikaro. Einige Anmerkungen zur Wirkungsgeschichte des Buscón«, in: Daphnis 10 (1981), S. 257-268.

242 te unter Zugrundelegung der neueren Forschungsergebnisse über Lesage Aufschluß geben sowohl über die Entwicklung der Übersetzungstheorie und die Motivgeschichte, als auch über die Wirkung des Schelmenromans bis hinein in die Trivialliteratur. Die Aufnahme von Lesages Gil Blas erfolgte im Zeichen eines »Mißverständnisses«. Die erste anonyme Übersetzung knüpft im Titel an einen anderen bekannten Typ an: Der Spanische Robinson, oder Sonderbahre Geschichte des Gil Blas von Santillana (Wien 1726, erneut 1730, 1736, 1742). Nachdem bereits Nachahmungen und Fortsetzungen von Defoes Robinson Crusoe (deutsch 1720) unter dem Titel Holländischer, Teutscher, Sächsischer, Französischer Robinson vorlagen,39 fehlte in der geographischen Serie u.a. noch Spanien. Obwohl von Motiven und Tendenzen her sehr verschieden, wird Lesages Gil Blas daher im Rahmen der Robinsonadenflut vermarktet, parallel zu den Avanturier-Romanen, die an Des Spanischen Ritters Don Francisco de Quevedo [...] Sehr Lustige und sinnreiche Schriften (Hamburg 1704, enthält: Buscons seltzamer Lebens-Lauff und die Briefe des Ritters von der Sparsamkeit sowie Die sieben Visiones oder Gesichter nach der französischen Version von Jean Raclot) anschließen. »Das Wort Robinson hat seit einiger Zeit bey Uns Teutschen eben die Bedeutung angenommen, die sonst das französische Wort Avanturier hat«: Abenteuergenre und niederer Picaroroman lassen sich also leicht zu Robinsonaden umfunktionieren durch Austausch der Typenbezeichnungen. 40 Erst die zweite deutsche Übersetzung von Johann Daniel Heyde (Dresden 1768) greift auf den Originaltitel Geschichte des Gil Blas von Santillana zurück. Inzwischen hatte der Erfolgsroman auch schon einen ungenannten »Lohnscribenten« zu einer Fortsetzung angeregt (Geschichte des Don Alphonsus von Liris, eines Sohnes des Gil Blas, Hamburg 1744). In Lessings theatralischem Nachlaß findet sich eine Skizze zu dem in Salamanca handelnden Schauspiel Ludwig und Aurora, in dem Aurora Gil Blas zu ihrem Vertrauten macht. Die dritte deutsche Übersetzung von Christhelf Sigmund Mylius, der u.a. auch Smolletts Roderick Random 1790 neu übertrug, fällt in die Zeit einer sprunghaft steigenden Produktion von Romanen im Zeitraum 1770-1790;41 sie erlebte sogar bis in das 19. Jahrhundert hinein mehrere Neuauflagen. Mylius nutzte 1774 die Gunst des Augenblicks, als einerseits Laurence Sternes Sentimental Journey through France and Italy (deutsch 1768) eine Flut empfindsamer deutscher Reiseromane auslöste, andererseits Erfahrungspsychologie und Beschreibung alltäglicher Wirklichkeit in den Vordergrund rückten, das Interesse an der Autobiographie zunahm und die Reisebeschreibung an sozialkritischer Schärfe gewann.42 Gil Blas konnte hierfür jeweils passende Aspekte unterhaltsam bereithalten. Darüber hinaus deuten jedoch die Anmerkungen, die Mylius zusammenstellte, auf ein

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Jürgen Fohrmann: Abenteuer und Bürgertum. Zur Geschichte der deutschen Robinsonaden im 18. Jahrhundert, Stuttgart 1981. H. Ullrich: Robinson und Robinsonaden. Bibliographie, Geschichte, Kritik, Nendeln 1977. Eine merkwürdige Verknüpfung von Don Quijote und Robinson: Die Wundersamen Abentheuer Des in der Welt herumirrenden Neuen Don Quixotte oder Schwäbischen Robinson, aus dem Holland, übersetzt von Chevreuil, Leipzig 1742. Der Sächsische Robinson oder Wilhelm Retchirs [...] Wahrhaftige Beschreibung seiner [...] Reisen 1722-23, Frankfurt 1970, Vorrede. Vgl. außer Weber-Mithal auch Michael Hadley: Romanverzeichnis. Bibliographie der zwischen 1750-1800 erschienenen Erstausgaben, Frankfurt, Bern 1977. Günther Niggl: Geschichte der deutschen Autobiographie im 18. Jahrhundert, Stuttgart 1977.

243 neues Interesse, Bildung zu verbreiten. In der Tat enthält Lesages Roman eine Fülle von Realien über Spanien, die einer Erklärung für den Leser bedürften. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang etwa Lesages Auseinandersetzung mit Göngora und dem Gongorismus (VII, 13),43 seine Begeisterung für die spanische Volksdichtung und seine Kenntnis auf dem Gebiet der comedia (etwa des Lob Moretos), die sich mit entsprechenden Tendenzen der frühen hispanistischen Kritik in Deutschland treffen. Die vierte Bearbeitung von Lesages Roman im 18. Jahrhundert trägt den Titel Der französische Gil Blas, oder Abenteuer Heinrich Lausons, übersetzt von Johann Wilhelm Heuberger (Neuwied 1790-91). Die Übersetzung von Lesages komisch-satirischem Roman Le diable boiteuxder wiederum auf El diablo cojuelo (1641) von Luis Vêlez de Guevara fußt, sind im 18. Jahrhundert sogar noch zahlreicher als die des Gil Blas. Lesage übernahm aus der spanischen Vorlage zunächst nur einige Kapitel, deren Episodenabfolge er jedoch anders anordnete und aus verschiedenen anderen Quellen erweiterte. Diese erste Fassung (1704) liegt den beiden deutschen Ausgaben Der lahme Teufel (1711) und Der Hinckende Teufel des berühmten Möns, le Noble. In einem sehr angenehmen Roman, wegen seiner Curieusitäten [...] (Köln 1711) zugrunde. Die späteren Übersetzungen gehen zurück auf die von Lesage wesentlich erweiterte Fassung (1726): Asmodeus oder der hinckende Ehe-Deuffel, Hamburg 1730 (übersetzt von Rudolf August Heyland), Der hinkende Teufel. Ein komischer Roman (Hamburg 1764 und eine weitere Ausgabe ohne Ort und Jahr), Der lahme Teufel (übersetzt von Carl Heinrich Seyfried, Freiberg 1789) sowie Der hinkende Teufel (übersetzt von Heß, Wien 1802). Wie Gil Blas, so enthält auch Der hinkende Teufel spanisches Erzählgut in freiem Arrangement. Während Lesage weniger an der Gesellschaftssatire als an Charakterporträtstudien im Sinne von La Bruyère interessiert war, rückt in der deutschen Rezeption die unmoralisch-derbe, burlesk-phantastische Welt, die ironische Betrachtung der abenteuerlichen Aspekte menschlicher Existenz beherrschend in den Vordergrund. Auch bei Le bachelier de Salamanque (1736-38) handelt es sich um eine Weiterentwicklung der spanischen Pikareske. Der spanische Rahmen ist zwar wieder nur eine literarische Verkleidung, doch wurden die dargestellten satirischen Episoden und die Verwilderung der Sitten entsprechend der herrschenden Vorstellungen über Spanien durchaus für eine authentische Spiegelung der Wirklichkeit gehalten. Die erste anonyme deutsche Übersetzung bringt den Baccalaureus D. Chérubin de la Ronda publikumswirksam in Verbindung mit dem komischen Studenten- und Professorenroman: Schulstaub und Hoflufi, oder der glücklich gewordene Hofmeister (Leipzig 1782),45 die zweite Übersetzung gibt zum Teil den Originaltitel wieder, zum anderen ersetzt sie die »mémoires« durch >Abenteuer< und reiht den Roman damit in die Masse der Unterhaltungsschriften ein.

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W. Pabst geht auf diese Bemerkung nicht ein. Hermann Willers: »Le diable boTteux (Le Sage) - El diablo cojuelo (Guevara). Ein Beitrag zur Geschichte der frankospanischen Literaturbeziehungen«, in: Romanische Forschungen, 49 (1935), S. 215-316. Uwe Holtz: Der hinkende Teufel von Guevara und Lesage. Eine literatur- und sozialkritische Studie, Wuppertal 1970. 45 Ludwig Fertig: Die Hofmeister. Ein Beitrag zur Geschichte des Lehrerstandes und der bürgerlichen Intelligenz, Stuttgart 1979. 44

244 Die zahlreichen Übersetzungen und Neudrucke von Lesages drei Romanen bilden nur einen Teilaspekt der Rezeption pikaresker Stoff- und Erzähltradition in Deutschland auf dem Umweg über französische Vorlagen (Gil Blas erschien übrigens auch in der Originalsprache, Leipzig 1755 und 1756). Mit Lesage verbunden sind ferner eine Reihe von Übersetzungen spanischer Schelmenromane, die Lesage nicht nur in seine Werke einbaute (z.B. La valise trouvée, 1740, mit Passagen aus Espinéis Marcos de Obregón, aus Castillo Solórzano u.a.), sondern die er auch selbst frei übertrug.46 Aufgrund seiner französischen Bearbeitung (1734) von La vida i hechos del Estevanillo González, Hombre de buen humor (1746) entstanden die beiden deutschen Fassungen Geschichte des lustigen Estevanillo Gonzales (Hamburg 1762) und Geschichte des Estevanille Gonzalez mit dem Zunamen des Lustigen (Wien 1791), die vom spanischen Originaltext allerdings durch zahlreiche eingeschobene Episoden z.B. aus Marcos de Obregón, der cervantinischen novela ejemplar Rinconete y Cortadillo sowie der Vida de Gregorio Guadaña von Antonio Enríquez Gómez erheblich abweichen. Auch Gusmann von Alfaraches lustige Lebensgeschichte (Leipzig 1782) folgt Lesages französischer Übersetzung von Mateo Alemán, der in Deutschland bereits seit dem frühen 17. Jahrhundert rezipiert wurde. Eine voraufgehende Übersetzung von Friedrich Wilhelm Beer, Lustige Lebensgeschichte Gußmanns von Alfarache. Andern zum Beyspiel von ihm selbst beschrieben und ihres besonderen Inhalts wegen in Deutsche übersetzt (Leipzig 1751-52)47 - mit der apokryphen Fortsetzung - wurde von Lessing 1751 zweimal rezensiert, der das Werk für eine »Nachahmung des spanischen Romans Lazarillo de Tormes« hielt.48 Wichtiger sind Lessings Bemerkungen zur Übersetzung, durch die nämlich »unzähliche Schönheiten der Urschrift verlohren« gingen, weil der Autor - Sébastien Brémond - der ihr zugrundeliegenden französischen Version diese »allzu sehr nach dem französischen Geschmacke einzurichten gesucht hat«. Lessing beobachtet treffend den Substanzverlust, der durch drei verschiedene Übersetzungen (Bearbeitungen) von Lesage eingetreten war. »Ce n'est pas Gil Blas qui a sécularisé le roman, se sont les traducteurs des romans picaresques espagnols« (Cioranescu, op. cit., 497). In Lessings Besprechung sind noch zwei weitere Hinweise aufschlußreich. Zum einen bemängelt er, daß nicht wenigstens eine italienische Übersetzung des Ausgangstextes herangezogen wurde, die dem spanischen Original näher steht, zumal auch dieses hierzulande »eben so selten nicht« ist. Zum andern erkennt Lessing genau die Gattungseigenart dieses nach »Erfindung, Moral und Satyre« so gelungenen Werkes als »Lebensbeschreibung eines Bettlers, welchen der Spanier ohne Zweifel wehlte, damit er die Aufzüge des allerniedrigsten Lebens schildern könne, worinne die Abwechslungen des Glücks, ohne in das Große zu fallen, am Sonderbarsten und empfindlichsten zu seyn pflegen«.

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Alexandre Cioranescu: Le masque et le visage. Du baroque espagnol au classicisme français, Genève 1983, S. 514 ff. E. R. Moore: »Estabanillo González, travels in southern Europe«, in: Hispanic Review 8 (1940), S. 24-45. Hans Gerd Rötzer: Picaro-Landtstörtzer-Simplicius. Studien zum niederen Roman in Spanien und Deutschland, Darmstadt 1972, S. 55-127. Marquis de Granges de Surgères: Les traductions françaises de Guzman d'Alfarache, Paris 1896. Rolf Greifelt: »Die Übersetzungen des spanischen Schelmenromans in Frankreich im 17. Jahrhundert«, in: Romanische Forschungen 50 (1936), S. 51-84. Sämtliche Schriften, Bd. 4, Stuttgart 1889, S. 266-269, S. 360.

245 An der Spitze der Beliebtheit des Schelmenromans behauptet sich mit sieben deutschen Ausgaben und Übersetzungen im 18. Jahrhundert der Lazarillo de Tormes,49 der nicht nur bereits im 17. Jahrhundert mehrmals ins Deutsche übertragen wurde, sondern nunmehr ebenfalls über französische Fassungen erneut vermittelt wird. Das Verhältnis der verschiedenen deutschen Ausgaben zu ihren französischen Vorlagen sowie die Nachwirkung der älteren deutschen Versionen bedürfen einer genauen Untersuchung. Hier kann nur auf die massierte Präsenz des ersten spanischen Schelmenromans hingewiesen werden, dessen Popularität dazu beigetragen hat, daß man lange Zeit in den satirisch-komischen Romanen überhaupt die Quintessenz der spanischen Literatur sah. Die Lebensbeschreibung des Lazarili von Tormes (Leipzig 1701) eröffnet die Reihe der deutschen Lazarillos im 18. Jahrhundert. Die zweite Übersetzung (1709) nach der Histoire facétieuse dufameux drille Lazarille de Tormes (1697) gibt mit ihrer Titelfassung einen Anhaltspunkt für das Gattungsverständnis und den Rezeptionszusammenhang der Picaresca: Curieuses und Lesens-würdiges Leben Eines Der Grösten doch Klügsten Narren in der gantzen Welt. Denen klugen Narren aber zum Ruhm. Der Picaro, bei Albertinus zum Pilger zu Gott hin umgedeutet, wird hier der Narrenrevue einverleibt, die mit Christian Weises Die Drey ärgsten Ertz-Narren in der gantzen Welt, auss vielen närrischen Begebenheiten hervorgesucht (1672) schon vor der Wende zum 18. Jahrhundert zusammen mit den Simpliziaden einen großen Erfolg verbuchen konnte gegenüber dem hohen höfisch-didaktischen Staatsroman. 50 Da den Erznarren auch eine Reise nach Spanien und Portugal keine Gewißheit darüber brachte, wem die Krone der Narrheit gebühre, bietet sich eine »Fortsetzung« durch Lazarillo mit einer ganz ähnlichen Episodenstruktur geradezu an, zumal hier wie im sogenannten >politischen< Roman die niedrige Welt des dritten Standes beschrieben wird. Als Motivation wird wie bei Weise und anderen die Curiosität bemüht, 51 die sich »an neuen, an unerhörten und auch unerhofften Dingen« belustigt. Dem pikarischen Abenteurer, dem Narren, steht die Lebensklugheit gegenüber, die im gelehrten Schrifttum zeitlich parallel vor allem über die Rezeption Gracians entwickelt wird. Narrheiten sind also die Wechselfälle des Glücks, Klugheit bedeutet dagegen die mit Hilfe der moralischen Verhaltenslehre erlangte Glücksseligkeit. Mit der Übernahme des Lazarillo aus dem Französischen rückt allerdings das Possenhafte (»Histoire facétieuse«) einseitig in den Vordergrund. Die Gattungskonvention des niederen Romans setzt sich durch mit dem Typ des Schelmen. Überraschenderweise werden Lesages Bearbeitungen spanischer Picaro-Stoffe erst im späteren 18. Jahrhundert nach Deutschland übernommen. Zunächst überlagerte der Erfolg von Gil Blas das Interesse für andere einschlägi-

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Rötzer, a.a.O., S. 1-54; ferner Cioranescu, S. 491-94. E. R. Sins: »Four seventeenth century translations of Lazarillo de Tormes«, in: Hispanic Review 5 (1937), S. 316-32. G. Laplane: »Les anciennes traductions françaises du Lazarille de Tormes«, in: Hommage à Ernest Martinenche, Paris 1938, S. 143-55. Monique Lambert: »L'image de l'Espagne en France à la fin du XVIe siècle et au XVIIe siècle à travers les éditions françaises de Lazarille de Tormes«, in: Bulletin de la Bibliothèque Nationale 5 (1980), S. 70-79, 134-36; und »Les diverses continuations de Lazarille de Tormes en France, in: Revue française d'histoire du livre 49 (1980), S. 623-56. Alberto Martino: Il »Lazarillo de Tormes« e la sua ricezione in Europa (1554-1753), Pisa 1999.

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Über Klugheit - Narrheit im politischen Roman vgl. Rolf Grimminger, in: Hansers der deutschen Literatur, Bd. 3,2, München 1980, S. 648 ff. Ebenda Bd. 3,1, München 1980, S. 222 ff.

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Sozialgeschichte

246 ge Werke. So ist aus den Jahren 1724-1732 nur eine Neuauflage von Cervantes' Rinconete y Cortadillo sowie Leben und seltsame Begebenheiten der Dona Rufine, einer beruffenen spanischen Courtisane (Frankfurt/Leipzig 1732) von Alonso de Castillo Solórzano {La garduña de Sevilla) zu verzeichnen. Donna Rufina und Die Harpyen von Madrit oder die Postkutsche erscheinen erneut 1791 in Wien. Merkwürdig ist die dritte deutsche Übersetzung des Lazarillo durch Ludwig Karl Schnering (Rostock/Neubrandenburg 1741) in der Wirkungsgeschichte des spanischen Schelmenromans; dieser wird hier zum Sprachlehrbuch für das Französische benutzt von einem Schulmeister, der es immerhin wagte, seinen Schülern einen ungewöhnlich amüsanten Lesestoff zur Auflockerung langweiliger Grammatikübungen vorzustellen.52 Die vierte deutsche Lazarillo-\Jbersetzung im 18. Jahrhundert präsentiert einen »von den anstößigen Sachen gereinigten und zu einem unschuldigen Zeitvertreibe eingerichteten« Text (Lustige Begebenheiten des Spaniers Lazarillo von Tormes, Ulm 1769), wahrscheinlich ebenso nach einer französischen Vorlage wie die fünfte Fassung Abentheuer, Ungemach, Launen und Busse Lazarillos, von Tormes (Leipzig 1782). Die sechste (Wien 1790) schreibt den Lazarillo Hurtado de Mendoza zu und schließt die Fortsetzung von Juan de Luna ein. Nach einer weiteren Ausgabe Leben des Lazarillo von Tormes (Zittau 1794) behauptet Carl August Freiherr von Soden, Das Leben eines leonischen Bettlers, von ihm selbst beschrieben, erstmals aus dem spanischen Original übersetzt zu haben. (Leipzig 1802). In der Hälfte des 18. Jahrhunderts verbindet sich mit der reichen Überlieferung pikarischer Erzählung noch die Wirkung dreier damit ebenfalls verbundenen Autoren: von Paul Scaron, Tobias Smollett und Francisco de Quevedo. In Scarrons Roman comique (1651/57); deutsch Comischer Roman, Hamburg 1752-53, 1782, 1794) über das Leben einer Schauspielertruppe,53 sind vier Erzählungen episodisch eingebaut - drei von Castillo Solórzano und eine von Maria de Zayas Sotomayor - , die Scarron, der Cervantes und die spanische Novellistik hochschätzte, frei übersetzt und umgestaltet. Fast gleichzeitig mit Scarrons schon über hundert Jahre altem Roman wurden 1755 Die Abenteuer Roderick Randoms von Tobias Smollett übersetzt,54 der sich ausdrücklich auf Gil Blas als Modell für den pikarischen Roman beruft. Auf dieser Linie liegt auch John Bunyans The life and death of Mr. Badman (1680), übersetzt unter dem Titel Mr. Quasts Leben und Sterben oder Eines Gottlosen Reise nach dem ewigen Verderben (Hamburg 1685, 1767). Jean Perus, 1672, ein Jahr nach der deutschen Übersetzung des Buscón erschienen - das ist Richard Heads Life ofMeriton Latroon (latro = Strolch, Wegelagerer) von 1665, sowie die

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Vie et avantures de Lazarille de Tormes. Das ist, Leben und wunderbare Begebenheiten Lazarchen (!) von Tormes eines gebohrnen Spaniers, Nebst denen darinnen befindlichen, und andern denselben ähnlich oder wiedriglautenden eintzelen Wörtern, gantzen Redens-Arthen, Constructionibus und Idiotismis wie auch Kurtzen Vorbericht Von den Participes und Gérondifs der Frantzösischen Sprache. Raymond Cadorel: Scarron et la nouvelle espagnole dans le Roman comique, Aix-en-Provence 1960. Frederick Alfred de Armas: The four interpolate stories in the Roman Comique, their sources and unifying function, Chapel Hill 1971. Cioranescu, a.a.O. George Sebastian Rousseau: »Smollett and the form of Picaresque literature«, in: ders.: T. Smollett, Essays of two decades, Edinburgh 1982, S. 55-79. Regine Rosenthal: Die Erben des Lazarillo. Identitätsfrage und Schlußlösung im pikaresken Roman, Frankfurt, Bern 1983.

247 Fortsetzung von Francis Kirkman The English Rogue, 1671- bilden den Auftakt dazu. Head stützt sich übrigens auf La Geneste. 55 Zur Trias der berühmtesten spanischen Schelmenromane gehört neben dem Lazarillo de Tormes und Guzmán de Alfarache Quevedos Historia de la vida del Buscón, llamado Don Pablos, exemplo de vagamundos y espejo de tacaños. Die Rolle des »príncipe de la vida buscona« bei der Entstehung der deutschen Aventurier-Romane hat Dieter Reichardt untersucht. Der Buscón war erstmals 1671 ins Deutsche übersetzt worden, und zwar ähnlich wie der Lazarillo als >histoire facétieuseMaurenroman< geliefert, 61 der in Frankreich seit dem 17. Jahrhundert außerordentlich beliebt war. In Deutschland stieß die maurische Geschichte mit der Entdeckung der arabischen Kultur seit Herder auf reges Interesse. Das maurische Spanien, Themen aus der heroischen Zeit der Reconquista, der Fall Granadas, werden bis in die romantische Dichtung aufgenommen. Die neue Maurophilie kündigt sich an in Übersetzungen von Florians Gonzalvo von Cordova oder die Wiedereroberung von Granada (Berlin 1793) oder in Mme de la Fayettes Zayde. Histoire espagnole (1670/71; deutsch 1790), nachdem bereits um die Mitte des Jahrhunderts Johann Elias Schlegel in dem Drama Die Braut in Trauer die Auseinandersetzung zwischen Mauren und Spaniern dargestellt hatte und Almahide, oder Geschichte des Königlichen Hofes zu Granada, ein Roman von Georges Scudéry, in Nürnberg 1750 herausgekommen war. Gewisse Elemente des Schäferromans verbinden sich mit einer phantastisch ausgeschmückten, mittelalterlichen Ritterwelt in den >Historien von Amadis aus FrankreichKurzfassung< des Comte de Tressan folgen (Amadis aus Gallien, Leipzig 1782). Goethe pries (am 14. Oktober 1805 Schiller gegenüber) die späte Entdeckung des Lesestoffs: »ein vorzügliches Werk«. Wielands Neuer Amadis (1771, 2 1794) hat inhaltlich nichts gemein mit dem Amadiskomplex, dessen Überlieferung im Vorwort beschrieben wird. Die Anspielung im Titel auf den berühmten Namen, der »ich weiß nicht was für einen romantischen Klang hat«, zeigt, daß die Erwartung des Lesers zu Vergleich und Distanzierung herausgefordert werden soll. Die im späten 18. Jahrhundert verbreiteten Ritter- und Räuberromane wurden auch wiederholt durch die Häufung aller haarsträubenden Un Wahrscheinlichkeiten parodiert (etwa Ekto von Ardeck und Elika von Rollerhausen. Ritterroman aller Ritterromane, Kothen 1794, Christian Friedrich Timme, Faramonds Familiengeschichte in Briefen 1779-1781). Das Interesse an der literarischen Kontrafaktur, am heroisch-komischen Epos und an der Satire war im 18. Jahrhundert sehr rege und leitete auch das Verständnis des Don Quijote als Satire. Carl Friedrich Flögel widmet in seiner Geschichte der komischen Litteratur (Leipzig 1784-1787) im zweiten Band den spanischen Satirenschreibern ein eigenes Kapitel. Die Beliebtheit von scherzhaften Heldengedichten, Parodien, klassischer und italienischer Epen, Spottversen und Satiren mag zum einen das ungewöhnliche Nachleben der Historia del famoso predicador Fray Gerundio von José Francisco de Isla S. J. in Deutschland erklären. Andererseits ist die Kritik an der schwülstigen, gedanklich verwahrlosten Predigt sowohl auf protestantischer als auch auf katholischer Seite schon seit Beginn des 18. Jahrhunderts heftig. Bemühungen um die sprachliche und literarische Hebung der kirchlichen Beredsamkeit begleiten seit Molsheim und Gottsched die innerkirchlichen Reaktionen, zumal in pietistischen Kreisen. Neben Romanen und Reisebeschreibungen bildete der Absatz von Predigten wohl den größten buchhändlerischen Erfolg des Jahrhunderts. Gegen die Vorherrschaft der Predigt regte sich deutlicher Widerspruch etwa Lessings, Wielands und Herders. Unter den führenden Schriftstellern zwischen 1730-1740 waren viele Theologen oder theologisch Gebildete. Die Gestalt des Predigers spielt in der zeitgenössischen Literatur eine wichtige Rolle: Oliver Goldsmiths Dorfprediger von Wakefield erschien übersetzt 1767, Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker von Friedrich Nicolai kam 1773-76 heraus, Jakob Michael Reinhold Lenz, Der Landprediger. Eine Erzählung 1777; Karl Arnold Kortums Leben, Meynungen und Thaten von Hironimus Jobs, dem Kandidaten folgte 1784, Andreas Hartknopfs Predigerjahre von K. Ph. Moritz 1790. Dazwischen liegt die Geschichte des berühmten Predigers Bruder Gerundio von Campazas, sonst Gerundio Zotes, aus dem Englischen (!) übersetzt von Friedrich Justin Bertuch (Leipzig 1773, 2 1777), der wenig später auch Lopes Gatomaquia (im Magazin der spanischen und portugiesischen Literatur, Bd. 1,1780) vorlegte. Bertuch versuchte, entgegen den umlaufenden Berichten über Inquisition und Rückständigkeit ein der Aufklärung zugeneigtes Spani-

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Siegmund J. Barber: Amadis de Gaule and the German Enlightenment, New York/Bern/Frankfurt 1984, ferner H. Weddige, op. cit. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius, einer der produktivsten Übersetzter und Bearbeiter seiner Zeit, brachte 1749 sogar noch den Sonnenritter von Pedro Hernández Villaumbrales, einen Ritterroman a lo divino von 1552, auf Deutsch heraus.

250 en vorzustellen und deutete Fray Gerundio als Zeugnis der Öffnung und Wende.63 Eine Rezension im Teutschen Merkur (IV, 1773, 3, 270) lobt es als »merkwürdiges Nationalproduct«, ein anderer Rezensent (ebenda III, 1773, 2, 195-203) verbindet seine wohlwollende Besprechung mit einem »Fingerzeig auf die Spanische Literatur überhaupt«, die leider noch zu wenig bekannt sei in Deutschland. Karl Goedeke verzeichnet eine weitere Übersetzung von David Christoph Seybold, Rektor in Speyer und Grünstadt, Geschichte des Gerundio von Campazzas, eines Predigers, Leipzig 1777.64 Seybold hatte schon zuvor pseudonym Predigten des Herrn Sebaldus Nothanker, aus seinen Papieren gezogen (1774) veröffentlicht, zeitkritische Predigt-Essays. In der Folge kamen nun einige Nachahmungen und Verulkungen heraus, die mit dem spanischen Original kaum etwas zu tun haben, obwohl sie sich darauf beziehen: Des berühmten Predigers Gerundio von Kampazas sonst Gerundio Zotes, Lotterie für die Herren Prediger, 1777. »Eine Übersetzung aus dem Spanischen des Gerundio selbst. Kanzelburg bey veridicus Ernst dem ältern« (ein böhmischer oder bayerischer Druck). Der Benediktiner Beda Mayr (1742-1794), seit 1767 Professor in Donauwörth, verfaßte »nach dem Beyspiele des Bruders Gerundio von Compazes, sonst Zotes« Des wohlerwürdigen Predigers zu Sangersdorf Straff- und Sittenpredigt auf seine Bauern (Berlin 1775). Ein anderer bayerischer Ex-Benediktiner, Bernhard Buz, Domprediger und Professor in Passau, schrieb Gerundio von Campazes, der Jüngere, (o.O. 1779). Don Quijote wurde zu ähnlichen satirischen Szenenfolgen herangezogen (Lustige Abenteuer eines geistlichen Don Quixote, Pater Gassners, Teufelsbeschwörers in Ellwangen, Berlin 1775). Am besten ist bisher die deutsche Cervantes-Rezeption vor der Romantik untersucht worden.65 Das hat allerdings auch nicht unerheblich dazu beigetragen, daß sich das Bild von der Wirkung der spanischen Literatur in Deutschland etwas einseitig darstellt. Gemessen an seinem enormen Ansehen in der Aufklärungszeit ist die Zahl der deutschen Übersetzungen des cervantischen Romans eher bescheiden, nachdem Bodmer in Kritischen Betrachtungen über die poetischen Gemähide der Dichter (1741) das Werk für die Deutschen erstmals als Vorbild (und als Frauenlektüre) empfohlen hatte. Seine Wirkung geht auch nicht so sehr unmittelbar auf deutsche Übersetzungen oder die Kenntnis und Lektüre des Originals zurück, sondern beruht einerseits auf Bewertungen der literarischen Kritik, zum anderen auf den vielfältigen Spiegelungen in eigenständigen Schöpfungen, die Cervantes in der europäischen Literatur hervorgerufen hat und die nun ihrerseits wieder in Übersetzungen, Nachahmungen auf Deutschland zurückwirken. Auch die Beliebtheit der Satire in der Aufklärung, die im Belachen das wirksamste Mittel sah, um Mißbräuche oder Fehler zu bessern und auszumerzen, trägt zur Cervantes-Begeisterung bei. Um die Mitte des Jahrhunderts gewinnt das

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Campomanes' Abhandlung von der Unterstützung der gemeinen Industrie in Spanien wurde von K. A. Gönz übersetzt (Stuttgart 1778). K. Goedeke: Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung, Bd. 4, 1, Dresden 1916, S. 594. Tjard W. Berger: Don Quixote in Deutschland und sein Einfluß auf den deutschen Roman 16131800, Diss. Heidelberg 1908. Franco Meregalli: »Profilo storico della critica cervantina nel Settecento«, in: Rappresentazione artistica e rappresentazione scientifica nel Secolo dei Lumi, Firenze 1971, S. 181-210. Werner Brüggemann: Cervantes und die Figur des Don Quijote in Kunstanschauung und Dichtung der deutschen Romantik, Münster 1958. Cioranescu, a.a.O., sowie Stackelberg, Übersetzungen (für Filleau). Zimmermann, op. cit., S. 288-308.

251 Werk als »Modell für eine in der Romantheorie kaum problematisierte Beziehung des von der Erbauungsliteratur herkommenden Lesers zum Umgang mit fiktionalen Texten« Bedeutung (Weber/Mithal, op. cit., 75). Das positive Urteil über den Don Quijote gibt Daniel Schiebelers Überblick »Einige Nachrichten, den Zustand der spanischen Poesie betreffend« (in Neue Bibliothek der Schönen Wissenschaften 1, 1766, 209-234) wieder: »Daß der Don Quixote aber sehr viel Gutes bey den Spaniern ausgerichtet, und ihre verdorbene Einbildungskraft die einen so großen Einfluß auf ihre Handlungen hatte, wieder hergestellt hat, ist wohl nicht zu läugnen: wieviel Verehrung aber verdient ein Mann, der seine ganze Nation bessert« (S. 232). Aus dieser Wertung lassen sich die leitenden Gesichtspunkte für die weitere QuijoteDeutung ablesen, der gemeinhin als Satire auf den spanischen Adel, die spanische Nation und die spanische Literatur verstanden wurde, als »Narrenspiel aller spanischen Verstiegenheiten«, die dem spanischen Wesen nach der damaligen Typologie der Nationen zugeschrieben wurden. Zwischen dem Roman des Cervantes und dem spanischen Nationalcharakter entsteht schon früh ein enger Bezug. Die literarische Fiktion wird unmittelbar als Aussage über Wirklichkeit verstanden - und verstellt damit das Verständnis für die cosas de Espana, so wie sie wirklich sind. Heinrich Wilhelm von Gerstenberg faßte Don Quijote als »attische Satire« auf und versuchte daraus Rückschlüsse auf Geschichte und Eigenart der Spanier zu ziehen. In seiner Begeisterung schwebt ihm sogar eine Verschmelzung von romantischem und germanischem Geist, von Shakespeare und Cervantes als Ideal des Über-Dichters vor {Briefe über Merkwürdigkeiten der Literatur, Bd. 1,1767,22f.). Herder verändert die nationalcharakterologische Deutung des Don Quijote qualitativ: dieser erscheint ihm als »unvergleichlicher National-Roman« (1784), der wie die Romanzen »dem Gewächs der spanischen Sprache und Denkart« zugeordnet wird. Cervantes gilt nun nicht mehr in erster Linie als Satiriker, sondern als »Volksdichter«, der in seinem Werk der Volksseele Ausdruck verleiht und damit zur Ausbildung der Nationalliteratur den entscheidenden Beitrag liefert. Angesichts der großen Übersetzungsschwierigkeiten verwundert es nicht, wenn französische Vorlagen und Bearbeitungen bei der deutschen Vermittlung zugrundegelegt werden. Bereits Der Spannische Waghalß: Oder des von Lieb bezauberten Ritters Don Quixott von Quixada Gantz Neue Ausschweifung auf seiner Weissen Rosinanta (Nürnberg 1696) ist eine Übersetzung der französischen Fortsetzung von Filleau de Saint-Martin. Dieser hatte eine Fortsetzung des Don Quijote erfunden, die er als Werk eines bekehrten Arabers ausgibt. Im Umkreis solcher apokrypher Umdeutungen und Folgen steht auch Die verliebte Verzweiflung in einem anmuthigen spanischen Roman nebst ganz neuen Abentheuern des Ritters Don Quixote (Aus dem Französischen; Leipzig 1718). Französische Nachahmungen des Don Quijote waren schon früh nach Deutschland gedrungen (z.B. Laurent Bordeion, Histoire des imaginations extravangantes de Monsieur Oufle, Paris 1710, deutsch Danzig 1712) und begleiteten den gesamten weiteren Rezeptionsverlauf. Die erste anonyme Übertragung im 18. Jahrhundert, Des berühmten Ritters, Don Quixote von Mancha, lustige und sinnreiche Geschichte (Leipzig 1734) fußt auf Arnaults französischer Übersetzung: die schlechte Übertragung einer nicht eben brauchbaren Vorlage (Neuauflagen 1753 und 1767). David Fassmann nahm in die Sammlung Angenehmes PasseTemps, durch welches zwey Freunde einander mit nützlichen und lustigen Discoursen vergnügen (Leipzig 1734-35) einige Passagen aus Don Quijote auf. Erst Bertuch beherzigte

252 Diezes (op. cit., 325) Empfehlung: »Alle Uebersetzungen [...] erreichen das Original nicht und sind, was Cervantes selbst von Uebersetzungen sagt, umgewandte Tapeten [...] sonderlich sind die französischen und deutschen sehr schlecht. 66 Wer alle Schönheiten in Don Quixote empfinden will, muß ihn spanisch lesen, zumal da er auch in Ansehung der Sprache claßisch ist«. Für die Verdeutschung, Leben und Thaten des weisen Junckers Don Quixote von la Manchen (1775-77; Neuausgaben u.a. 1780-81 mit den berühmten Kupferstichen von Daniel Chodowiecki; 1785, 1798) greift Bertuch auf das Original zurück unter Zuhilfenahme weiterer Übersetzungen. Für die Fortsetzung Avellanedas zieht er jedoch Lesages französische Version heran. Bertuch bemüht sich weniger um die Wiedergabe des typisch Spanischen, sondern verpflanzt den Roman in ein deutsches Ambiente mit gelegentlichen Kürzungen (»El curioso impertinente«, »El cautivo«) und veränderter Kapiteleinteilung. Die Spuren des Don Quijote im 18. Jahrhundert sind außerordentlich breit. Wie Amadis, so erscheint auch Don Quijote schon als Titelgestalt für Opern, Singspiele und ballettartige oder pantomimische Aufzüge (u.a. Der irrende Ritter von Don Quixotte de la Mancha, Hamburg 1690, Libretto von Heinrich Hintze mit der Musik von Ph. Förtsch; Samuel Müller schrieb den Text zur Oper Don Quixotte im Mohren-Gebirge, Hamburg 1722 mit Musik von Francisco Conti; Don Chiscotte am Hofe der Herzogin, 1728; Georg Philipp Telemann, Don Quichotte der Löwenritter 1761, Karl Ditters von Dittersdorf, Don Quixote derZweyte, 1795). Das Vorwort zur Neuauflage der >lustigen und sinnreichen Geschichte< (1767) empfiehlt den Roman als geeignete Jugend-Lektüre, nachdem es den Frauen schon zuvor von Bodmer ans Herz gelegt wurde. Die Kinder- und Jugendliteratur nahm im späten 18. Jahrhundert mit erfolgreichen Bearbeitungen von Erwachsenenbüchern für Kinder (etwa Robinson Crusoe) einen großen Aufschwung. Christian Karl André bearbeitete Leben und Thaten des weisen Junkers Don Quixote von Mancha für die >Lustige Kinderbibliothek< (Marburg 1787-89).67 Seit den sechziger Jahren verstärkt eine Reihe von Übersetzungen englischer Werke, die erklärtermaßen Cervantes' Vorbild verpflichtet sind, die Wirkung des Don Quijote in Deutschland, etwa Henry Fieldings Joseph Andrews »written in imitation of the manner of Cervantes« (1742, erstmals übersetzt 1765 mit dem Titel Fieldings Komischer Roman) sowie Tom Jones. Huidibras von Samuel Butler fand zwischen 1765 und 1787 drei Übersetzer. Johann Gottfried Gellius übersetzte Richard Graves' The Spiritual Quixote, or, The Summer Ramble ofMr. Geoffry Wildgoose (London 1773; Der geistliche Don Quixote, Leipzig 1775). Von den englischen burlesken Fortsetzungen wird Don Quixote im Reifenrocke, oder, die abentheuerlichen Begebenheiten der Romanheldin Arabella (Hamburg 1754) der Charlotta Lennox (The Female Quixote, 1750) von Hermann Andreas Pistorius nach Deutschland gebracht. Ein reiches Kapitel der Quijote-Nnchfoige bilden schließlich die Parodien und Satiren. Um deren Effekt zu erfassen, ist beim Leser eine Vertrautheit mit dem Original vorauszuset-

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Bettina Kronacher: Bertuchs Don Quijote-Übersetzung [...], Diss. München 1923; Martin Wolf: Avellanedas Don Quijote, sein Verhältnis zu Cervantes und seine Bearbeitung durch Lesage, Diss. Leipzig 1907. Theodor Brüggemann/Hans Heino Ewers: Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur von 17501800, Stuttgart 1982, S. S. 338-348; Hans Heino Ewers: »Der Don Quijote als Jugendlektüre im 18. Jahrhundert«, in: Die Schiefertafel 3 (1980), S. 3-29.

253 zen. Sie zeigen aber natürlich auch bei den Schriftstellern eine genaue Auseinandersetzung mit Technik, Motiven und Eigenart des Don Quijote. Am Anfang steht Der Teutsche Don Quichotte, oder die Begebenheiten des Markgrafen von Bellamonte. Komisch und satyrisch beschrieben von Wilhelm Ehrenfried Neubauer (Breslau 1753),68 den Lessing rezensierte. Der Held ist ein junger Kaufmannsgehilfe, der die in französischen galanten Romanen vorgespiegelte Phantasiewelt mit der Wirklichkeit verwechselt. Er glaubt, ein Graf zu sein und zieht in Begleitung seines Sancho nachempfundenen Dieners aus, um Abenteuer zu bestehen und Tapferkeit und Edelmut zu erproben. Er muß den Abstand zwischen schönen Idealen und banalem Alltag erkennen und findet so zu seinen gutbürgerlichen Pflichten zurück. Auch Don Sylvio in Christoph Martin Wielands Sieg der Natur über die Schwärmerey oder die Abentheuer des Don Sylvio von Rosalva (1764), eine Satire auf das Junkertum, läßt sich von der Lektüre französischer Feenmärchen den Kopf verdrehen und zieht aus, um seine Märchenfee zu suchen. Die in den Roman eingeschobene >Geschichte des Prinzen BiribinkerAnti-CatoBegebenheiten< vielfach auf die >Lebens-< bzw. >Liebesgeschichte< als Gattungskennzeichen zurück (Liebesgeschichte der schönen Spanierin, oder wunderbare Geschichte der Marquisin de los Rios, Frankfurt 1749; Lebensgeschichte des Ferdinand de Luna und der Donna Angélica, ein lustiger Roman, Köln 1749). Auch die Reisebeschreibung fließt dem Zeitgeschmack und einem beliebten Kompositionsprinzip in die Liebes- und Lebensgeschichte ein (Des Spanischen Marcantons Reise-, Liebes- und Lebensgeschichte, Frankfurt, Leipzig 1751 als Fortsetzung Des verliebten und galanten Spaniers merkwürdige und seltsame Liebes-Geschichte, 1749, 3 1754). Wohlklingende spanische Namen zieren die Titelhelden und werden durch Zusätze wie >ein spanischer Romaneine spanische Erzählung< graphisch situiert (Christian August Vulpius, Fernando und Kaliste, ein spanischer Roman, Zittau 1792, sowie Don Pedro, Berlin 1785; D. Carl Friedrich Bahrdt, Alvaro und Ximenes, ein spanischer Roman, Halle 1790; Friedrich Maximilian Klinger, Raphael de Aquillas, 1793; Karl Grosse, Novellen des Grafen Vargas, 1792). Mit der Quellenangabe >aus dem Spanischen< wird natürlich auch gern ein literarisches Versteckspiel getrieben (L. Wekhrlin, Das Leben und die Narrheiten des Don Pantaleone Rodríguez Papefigurira, Riga 1778; Johann Gottwerth Müller, Laura di Sola, eine spanische Geschichte in Briefen, durch mündliche Tradition überbracht, Hamburg 1782-83). Angaben über eine Quelle (»nach dem Spanischen«) können fingiert oder auch echt sein (Johann G. Müller, Der Ring, eine komische Erzählung, 1777; Chr. A. Vulpius, Die Zigeuner, 1802). Mit der neuen Beliebtheit spanischer Themen spielen an der Schwelle zum 19. Jahrhundert Titel wie Spanische Novellen (Karl Grosse, 1794). Blickt man abschließend auf die literarischen Kontakte zwischen Deutschland und Spanien im 18. Jahrhundert zurück, so stellen sie sich zumindestens was die weltliche Literatur betrifft, nicht weniger intensiv als im Barock dar. Christian Gryphius hat den Gang der Dinge gar nicht so falsch vorausgesehen, als er in Der deutschen Sprache unterschiedene Alter (Breslau 1708, 165) Spanien den Rat an Deutschland in den Mund legte, sich künftig nach Quevedo, Gracián, Saavedra (wohl Cervantes), Hurtado de Mendoza, Alemán und Úbeda zu richten, damit es »an zulässiger und sonderlich gelehrter Belustigung nicht ermangele«. Gracián, Pícaro-Roman, Don Quijote machen jedoch nur einen Teil der Bilanz aus, auch das Theater und die Lyrik sind vertreten. Wenn Spanien nach dem Erbfolgekrieg auch völlig aus dem politischen Gesichtskreis Europas verschwand und obwohl französische Sprache, Literatur und Lebensformen vorherrschten, so blieben dennoch die letras españolas nicht unbeachtet; ihre Vermittlung nimmt allerdings manchen Umweg über französische Bearbeitungen und Übersetzungen. Bei den deutschen Versuchen, eine Nationalliteratur, ein Nationaltheater, einen Nationalroman zu begründen, spielt das spanische Paradigma letztlich eine wichtigere Rolle als das französische. Die Weichen für die Spanienbegeisterung der deutschen Romantiker waren im 18. Jahrhundert längst gestellt worden. Erstveröffentlichung in Das Achtzehnte Jahrhundert 8 (1984), S. 173-197.

Bertuchs Bedeutung für die Aufnahme der spanischen und portugiesischen Literatur in Deutschland

Bertuchs Bemühungen 1 um Kenntnis und Verbreitung der spanischen und portugiesischen Sprache und Literatur bilden den Höhepunkt in einer Entwicklung im 18. Jahrhundert, die zum entscheidenden Wandel im deutschen Spanienbild und in der Bewertung der spanischen Dichtkunst hinführt.2 Bertuchs Interesse für die beiden iberoromanischen Literaturen leitet in der späten Aufklärungszeit über zum fruchtbaren Neuansatz in der Beschäftigung etwa mit Cervantes und dem spanischen Theater sowie mit dem portugiesischen Nationalepos der Lusiaden von Luis de Camöes um 1800. 3 Die Rezeption war im 18. Jahrhundert zwar nie unterbrochen worden, sie stellt sich aber vielschichtiger und komplizierter dar durch das Ineinandergreifen und Nebeneinander in der Vermittlung älterer und neuerer Literatur, beispielsweise bei der Romanzendichtung, vor allem aber durch die Überlagerung internationaler Rezeptionsvorgänge, die sich nicht nur in den zahlreichen Übersetzungen aus zweiter Hand beziehungsweise Bearbeitungen - insbesondere aus dem Englischen und Französischen zeigt, sondern auch in der Wirkung der vom cervantinischen Vorbild geprägten neuen Romankunst der Engländer.4 Sowohl die theoretische, dichtungsästhetische Diskussion als auch die Literaturhistorie nehmen verstärkt auf spanische Zeugnisse Bezug. Lessings hispa-

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Vgl. Siglinde Hohenstein: Friedrich Justin Bertuch (1747-1822), bewundert, beneidet, umstritten. Übersetzer mit Verdiensten. Dichter ohne Talent. In Weimar kluger Verwalter der fürstlichen Privatschatulle, erfolgreicher Herausgeber und Verleger, Freund Goethes. Ein Kapitalist und Philanthrop der Aufklärung. Berlin und New York 1989, sowie Jochen Heymann: »Ein Wegbereiter der Hispanistik: Friedrich Johann Justin Bertuch (1747-1822)«, in: Das Spanieninteresse im deutschen Sprachraum. Beiträge zur Geschichte der Hispanistik vor 1900. Hrsg. von Manfred Tietz. Frankfurt 1989, S. 34-49 (Editionen der Iberoamericana III, 27). Vgl. Christian von Zimmermann: Reiseberichte und Romanzen. Kulturgeschichtliche Studien zurPerzeption und Rezeption Spaniens im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts. Tübingen 1997; Bärbel Becker-Cantarino: »Die >schwarze Legendem Zum Spanienbild in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 94 (1975), S. 183-203; Werner Brüggemann: »Die Spanienberichte des 18. und 19. Jahrhunderts und ihre Bedeutung für die Formung und Wandlung des deutschen Spanienbildes«, in: Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 12 (1956), S. 1-146. Vgl. Hugo Laitenberger: »Os Lusíadas na Historia da Literatura Portuguesa de Frederico Bouterwek (1805)«, in: Estudos sobre cultura e literatura portuguesa e alemä. Hrsg. Ludwig Scheidl. Coimbra 1997, S. 13-26; Dietrich Briesemeister: »Camöes in Deutschland (18. und 19. Jahrhundert)«, in: Aufsätze zur portugiesischen Kulturgeschichte 20 (1988-1992), S. 254-267. Vgl. Gerhard Kurz: »Die Originalität der Übersetzung. Zur Übersetzungstheorie um 1800«, in: Zwiesprache. Beiträge zur Theorie und Geschichte des Übersetzens. Hrsg. von Ulrich Stadler. Stuttgart und Weimar 1996, S. 52-63; Annelies Senger: Deutsche Übersetzungstheorie im 18. Jahrhundert (1734-1746). Bonn 1971; Dietrich Briesemeister: »Die Rezeption der spanischen Literatur in Deutschland im 18. Jahrhundert. Ein bibliographischer Bericht«, in: Das XVIII. Jahrhundert 8 (1984), S. 173-197 [Wiederabdruck in diesem Band], sowie Andreas Poltermann: »Die Erfindung des Originals. Zur Geschichte der Übersetzungskonzeptionen in Deutschland im 18. Jahrhundert«, in: Die literarische Übersetzung. Fallstudien zu ihrer Kulturgeschichte. Hrsg. von Brigitte Schultze. Berlin 1987 (Göttinger Beiträge zur Internationalen Übersetzungsforschung 1), S. 46ff.

257 nistische Studien hatten einen Paradigmenwechsel ausgelöst und die vorherrschende Geltung der französischen Norm erschüttert. 5 Mit der Geschichte der spanischen Dichtkunst (Göttingen 1769) und der Darstellung über Die mittlere und neuere Geschichte von Spanien und Portugal (Leipzig 1774) bot Johann Andreas Dieze für die damalige Zeit die zuverlässigsten Nachschlagewerke. 6 Reiseberichte vermittelten darüber hinaus landeskundliche Kenntnisse, und die Zeitschriften widmeten allmählich auch spanischen Werken mit Besprechungen mehr Aufmerksamkeit. 7 Literarische Kritik, Dichtungstheorie und Reiseberichte fördern im Verein die Entdekkung einer neuen literarischen Provinz, die in der Romantik zum Vorbild der Erneuerung, zum Inbegriff einer nationalen Literatur erhoben werden sollte. Der Hamburger Daniel Schiebeier (1741-1771), ein Zeitgenosse Bertuchs und Kenner spanischer Literatur, veröffentlichte in der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste (Bd. 1, 1766, S. 209-234) »Einige Nachrichten, den Zustand der spanischen Poesie betreffend« in Briefform, die über die Schwierigkeiten bei der Beschäftigung mit spanischer Literatur beredte Klage führen: über die herrschenden Vorurteile, den Mangel an Informationen und Hilfsmitteln, unzureichende Sprachkenntnisse und die Beschwerlichkeiten bei der Bücherbeschaffung. Weimar gehörte vor Bertuch nicht zu den Zentren hispanistischer Studien und Sammeltätigkeit wie Göttingen, Hamburg, Kiel oder Lübeck. Die seinerzeit zur Verfügung stehenden Hilfsmittel für die Beschäftigung mit Spanien, Portugal und der Literatur dieser Länder waren noch spärlich. Johann Andreas Diezes deutsche Bearbeitung der Origenes de la poesia castellana von Luis José Veläzquez (1769) bot den einzigen geschichtlichen Abriß und bibliographischen Führer für die spanische Literatur, der »ein neues und noch unbekanntes Feld der Literatur« zu eröffnen versprach. 8 Als Anhang fügte der Göttinger Professor ein Kapitel »Von der portugiesischen Dichtkunst« an und beklagte deren geringe Bekanntheit in Deutschland. Daher faßte er den kühnen Plan zu einer eigenen portugiesischen Literaturgeschichte, der jedoch leider nicht verwirklicht wurde. Daß auch noch keine vollständige deutsche Camöes-Übertragung vorlag, bestärkte ihn im Gedanken, das Epos ins Deutsche zu übertragen, aber auch dieses Vorhaben vermochte Dieze nicht auszuführen. Bertuch wurde 1772/1773 nach dem abgebrochenen Studium der Rechte und Theologie in Jena Mitarbeiter Wielands am Teutschen Merkur und erbot sich sogar, Wieland in die spanische Sprache einzuführen, mit der sich Bertuch erst als Hauslehrer in der Familie des Frei-

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Vgl. Manuel-José González-García: »Lessings Kenntnisse der spanischen Literatur und Kultur«, in: Zum Spanienbild der Deutschen in der Zeit der Aufklärung. Hrsg. von Hans Juretschke. Münster 1997, S. 133-148. Vgl. Hans Juretschke: »Die Anfánge der modernen deutschen Historiographie über Spanien (1750— 1850)«, in: Homenaje a Johannes Vincke, Bd. 2, Madrid 1962-1963, S. 867-923. Reimer Eck: »Entstehung und Umfang der spanischen Büchersammlung der Universitätsbibliothek Göttingen im 18. Jahrhundert«, in: Zum Spanienbild der Deutschen in der Zeit der Aufklärung. Hrsg. von Hans Juretschke, Münster 1997, S. 87-132 (Spanische Forschungen der Görresgesellschaft II, 33); Manfred Tietz (Hrsg.): Das Spanieninteresse (Vgl. Anm. 1). Vgl. Theodor Berchem: »Diezes Versuch einer Gesamtschau der spanischen Geschichte und Kultur«, in: Hans Juretschke (Hrsg.): Zum Spanienbild der Deutschen in der Zeit der Aufklärung (Vgl. Anm. 7), S. 187-206.

258 herrn Ludwig Heinrich Bachoff von Echt (1725-1792) befaßt hatte. Sein Dienstherr war 1758 bis 1760 dänischer Gesandter am Madrider Hof gewesen. Im Familienbesitz befand sich eine ansehnliche Büchersammlung, die nicht wenige spanische Titel enthielt. Auch der Weimarische Superintendent Herder, dem Spanisch als »fast heilige Kirchensprache« galt, nahm im Winter 1777/1778 während der Arbeit an den Volksliedern Spanischstunden bei Bertuch, der seiner Einschätzung nach allerdings nicht viel könne.9 Immerhin hatte Bertuch aber 1775 mit der Herausgabe seiner Don ßwiyote-Übersetzung begonnen, der ersten ziemlich vollständigen, nach dem spanischen Original und nicht, wie damals zumeist üblich, anhand von Zwischenübersetzungen angefertigten deutschen Fassung.10 Deren Entstehung versuchte Bertuch gleichsam mit Ursprungslegenden eindrucksvoll zu überhöhen. Im Hause Bachoff habe er innerhalb von nur sechs Wochen durch die Lektüre des Don Quijote in Nachtschichten, unter Fieberanfällen und unmäßigem Kaffeegenuß Spanisch gelernt. Der Roman des Cervantes habe ihm sogar das rechte Augenlicht gekostet. Mit nur einer kurzen Pause zur Mittagszeit verbrachte er täglich zwölf Stunden am Schreibtisch sitzend mit seinem »lieben Ritter«. Bertuch erlaubt sich allerdings größere Freiheiten im Umgang mit ihm und greift in den Text und dessen Struktur etwa durch Straffungen und sogar die Auslassung ganzer Episoden und Novelleneinschübe ein. Für die Methode des Fremdsprachenerwerbs ist außerdem die praktische Hilfe bemerkenswert, die Bertuch bei der Übertragung der refranes - der volkstümlich überlieferten Spruchweisheit - im Munde von Sancho Panza in Anspruch nahm, nämlich die Befragung eines Dieners im Hause der Bachoffs, der längere Zeit in Kastilien verbracht hatte. Daß sich Bertuch zielstrebig mit der Sprachvermittlung befaßte, beweist auch seine letzte hispanistisch einschlägige Veröffentlichung: das Handbuch der spanischen Sprache für Anfänger (Leipzig 1790). Sie zeigt zudem seinen tüchtigen verlegerischen Geschäftssinn. Die durch Handel und das wachsende Interesse für die Literatur belebte Nachfrage nach Lehrwerken zum Selbststudium und Wörterbüchern versprach ein durchaus einträgliches Geschäft. Bertuch soll immer wieder Zuschriften erhalten haben, in denen er um Rat gefragt wurde nach empfehlenswerten Hilfsmitteln für das Sprachstudium und Lesebüchern." Daraufhin stellte er eine umfangreiche Anthologie mit Lese- und Übungstexten zusammen. Das Erlernen der Sprache wird durch die Textlektüre gestützt, die zur Nachahmung von literarischen Mustern anregt. Das Handbuch enthält einen Prosa-Teil sowie einen »poetischen« Teil, jedoch keine Beispiele aus der Theaterliteratur. Bei der Prosa werden historische, theoretisch-philosophische und landeskundliche Textauszüge vorgestellt, zum Beispiel

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Vgl. Andreas F. Kelletat: Herder und die Weltliteratur. Zur Geschichte des Übersetzens im 18. Jahrhundert. Frankfurt u.a. 1984 (Europäische Hochschulschriften I, 760); sowie Miguel Angel Vega: »Herders Spanienbild und dessen gelehrte Quellen«, in: Hans Juretschke (Hrsg.): Zum Spanienbild der Deutschen in der Zeit der Aufklärung (Vgl. Anm. 7), S. 149-172. 10 Vgl. Bettina Kronacher: Bertuchs Don Quijote-Übersetzung unter Einbeziehung der ihm nächstfolgenden Übersetzungen von Tieck und Soltau. Diss. München 1923 (masch.). " Vgl. Martin Franzbach: »Die spanische Sprache in Deutschland im 18. Jahrhundert«, in: Martin Franzbach: Kritische Arbeiten zur Literatur- und Sozialgeschichte Spaniens, Frankreichs und Lateinamerikas. Bonn 1975 (Studien zur Literatur- und Sozialgeschichte Spaniens und Lateinamerikas 1), S. 24-41, hier S. 33.

259 aus Luzäns Poetik (1737, 1789), Essayistisches aus Clavijos Pensador sowie eine Sammlung von refranes, burlas und chistes, gleichsam als Proben der Umgangssprache. Im poetischen Teil finden sich Romanzen von Göngora und Quevedo, Gedichte der Gebrüder Argensola, Fabeln von Iriarte, Verse von Boscän und Garcilaso de la Vega, aber auch Gedichte des Anakreontikers Esteban Manuel de Villegas, Auszüge aus dem Epos Araucana (1589) von Alonso de Ercilla und aus der spanischen Übersetzung der Ars poetica (1591) durch Vicente Martinez de Espinel. Diese Auswahl spiegelt einen Kanon von Autoren, die im wesentlichen auch Dieze in seiner Literaturgeschichte oder Giuseppe Baretti in seinen Reisen von London nach Genua (Leipzig 1772) erwähnen. Sie entspricht der überkommenen und in der Aufklärungszeit besonders hervorgehobenen Auffassung von der Nützlichkeit der Literatur. Mit den Auszügen aus Musterautoren des spanischen Goldenen Zeitalters kommt das Handbuch auch dem publizistischen Konzept des Magazins der Spanischen und Portugiesischen Literatur entgegen, das Bertuch 1780-1782 herausgab. Die spanische Grammatik, das von Ernst August Schmid erarbeitete Wörterbuch und das Handbuch für Anfänger sollten »den ganzen Apparat Spanisch« zur Verfügung stellen, wie Bertuch in seinem Vorwort schreibt. Damit verbindet er die hochgestimmte Erwartung, daß »sich dieß interessante Studium in Deutschland bald schneller verbreiten werde«. Mit diesem sowohl verlegerischen als auch sprachdidaktischen Programm gab Bertuch für das Spanischstudium einen nachhaltigen Anstoß.'2 Zuvor hatte er bereits seinen Freund Friedrich Gottlieb Bahrdt, einen Schuldirektor, zu einer Kurzgefaßten spanischen Grammatik (Erfurt 1778) angeregt, die allerdings trotz der weiten Verbreitung in mehreren Auflagen (1788, 1797 und 1807) nicht sonderlich zuverlässig ist, so daß sich Bertuch sogar zu einer kritischen Besprechung in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek veranlaßt sah. Um 1790 scheint regelrecht eine Konjunktur für Sprachlehrbücher geherrscht zu haben. Der Genuese Giovanni Battista Calvi, Sprachmeister in Göttingen und Lektor an der dortigen Universität, brachte eine deutsch und französisch geschriebene Grammatik des Spanischen heraus (Spanische Sprachlehre und Chresthomathie, Helmstedt 1790). Ihm folgte ein Spanisches Lesebuch für Anfänger von Johann Daniel Wagener (Hamburg 1793), das ebenfalls schlechte Rezensionen bekam. Erst die Spanisch-deutschen Gespräche über Gegenstände des gemeinsamen Lebens, der Politik und der Handlung von Christian August Fischer (Dresden 1799) bieten ein praxisorientiertes, sprachlich wie didaktisch gelungenes Konversationslehrbuch. Bertuch regte außerdem noch das seinerzeit maßgebliche zweibändige spanisch-deutsche und deutsch-spanische Wörterbuch (1795-1805) an, das der Weimarer Bibliothekssekretär Ernst August Schmid zusammentrug, der seiner Auswahl der Lemmata auf Bertuchs Anraten hin den Diccionario de Autoridades der Königlichen Spanischen Sprachakademie zugrunde legte. Für das Portugiesische erschienen zu jener Zeit, als sich Bertuch mit den iberischen Sprachen und Literaturen befaßte, ebenfalls die ersten wichtigen Handreichungen. Für die frühe Beschäftigung mit Luis de Camöes ist die erwähnte Geschichte der spanischen Dichtkunst Johann Andreas Diezes (1769) grundlegend. In dem Zusatzkapitel »Von der portugiesischen Dichtkunst« beklagt Dieze deren geringe Kenntnis in Deutschland. Zwölf Seiten widmete Dieze den Lusiadas des Camöes. Johann Andreas von Jung gab anonym die

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Vgl. ebenda.

260 erste Portugiesische Grammatik nebst einigen Nachrichten von der portugiesischen Litteratur (Frankfurt/Oder 1778) heraus, die allerdings stark hispanisiert ist. Wenig später veröffentlichte Abraham Meldola seine Nova grammatica portugueza (Hamburg 1785; 2. Aufl. 1789) mit einem umfänglichen Anthologieteil. Der bereits erwähnte Johann Daniel Wagener legte schließlich seinen Novo Diccionario Portuguez-Alemäo e Alemäo-Portuguez vor (Leipzig 1811-1812), der den Umweg über portugiesisch-lateinische Wörterbücher erspart. Bertuch selbst hatte im Magazin der Spanischen und Portugiesischen Literatur auf die unbekannten, vergessenen Schätze der portugiesischen Dichtung hingewiesen. Die Klage über deren verbreitete Unkenntnis kehrt bei den Camöes-Übersetzern und auch in den wenigen literaturgeschichtlichen Abhandlungen topisch immer wieder. Ähnlich wie im Falle des Spanischen ist es auch für Portugal ein reisender Naturforscher, der den nüchternen Blick für Land und Leute, Sprache und Literatur bewahrte: Heinrich Friedrich Link verteidigte in seinen Bemerkungen auf einer Reise durch Frankreich, Spanien und vorzüglich Portugal (1801) das Land gegen seine Verächter und die von ihnen verbreiteten, völlig verzeichneten Vorstellungen.13 Die Unkenntnis über Spanien (und Portugal) hängt wiederum ursächlich mit den Schwierigkeiten zusammen, überhaupt Bücher aus Spanien oder aus Bibliotheken zu beschaffen, beziehungsweise aus Büchern verläßliche Informationen über Land und Leute zu schöpfen. Ein nicht genannter Rezensent schlägt im Teutschen Merkur 1773 (August, S. 195-202) bei der Besprechung der Bertuchschen Übersetzung des Fray Gerundio von José Francisco Isla allen Ernstes vor, daß deutsche Verleger mit amtlicher Unterstützung Ausgaben der besten spanischen Autoren nachdrucken sollten. Ein offizielles Programm von Raubdrucken würde also dem guten Zweck der Verbreitung des spanischen Buches hierzulande dienen. Der im Buchgeschäft erfahrene Bertuch bedauert den Zustand, in dem spanische Bücher nach Deutschland gelangen: »Halbzerrissen, ganze Bogen Defekte, von unleserlicher Hand hineingeschrieben, auf gelbes Löschpapier zum Theil gedruckt, in widrigem unbrauchbaren Formate, so bekommt der Liebhaber die schönsten Früchte der Spanischen Musen nach langem Harren, vieler Mühe und schweren Kosten«14. Um dem Abhilfe zu schaffen und »durch Proben und Bruchstücke der besten Schriftsteller beyder Nationen [Spanien und Portugal], Prosaisten und Dichter, unser Publikum aufmerksam auf ihre Literatur machen« zu können durch Übersetzungen, gründete Bertuch sein Magazin und 1785 die Allgemeine Literaturzeitung. Seine verlegerischen Unternehmungen im Industrie-Comptoir fanden keineswegs die ungeteilte Zustimmung bei den Zeitgenossen. Zuvor war er bereits mit eigenen Übertragungen hervorgetreten, die in immer dichterer Folge auf den Markt gelangten. Den Anfang machte die Geschichte des berühmten Predigers Bruder Gerundio von Campazas sonst Gerundio Zotes (Leipzig 1773) des Jesuitenpaters José Francisco Isla, auf den die beiden Spanienreisenden Edmund Clarke und Giuseppe Baretti bereits hingewiesen und dabei auch die Nähe zum Don Quijote herausgestellt hatten. Reisebücher bilden

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Vgl. Erich Kalwa: »Die portugiesische Literatur in Lehre und Forschung an deutschen Universitäten im 19. Jahrhundert«, in: Lusorama 26 (1995), S. 5-71, besonders 7-13; sowie Michael ScottiRosin: »Frühe Lusophilie? Die Anfänge der deutschen Lusitanistik«, in: Lusorama 29 (1996), S. 5 19; dazu Dieter Messner, in: Lusorama 30 (1996), S. 52-54. Der Teutsche Merkur XXIX (1782), 3, S. 88f.

261 eine wichtige Quelle für die aktuelle und »kritische« Information über das literarische Leben. Bertuch brachte den satirischen Roman bezeichnenderweise nicht nach dem spanischen Originaltext ins Deutsche, sondern aufgrund der englischen Übertragung von 1771. Wie er in der Vorrede zu seiner Übertragung feststellt, sah der Jesuit Isla »mit Unwillen und Mitleiden den abscheulichen Mißbrauch, den man in seinem Vaterland von der Kanzel machte, und faßte den rühmlichen Vorsatz, die Rotte der elenden Prediger, mit Cervantes Geißel in der Hand, zu verfolgen, und seiner Nation die Augen über die Marktschreyerei zu öffnen«. Damit macht Bertuch seine Absicht deutlich, ein Spanien vorzustellen, das anders ist als das verbreitete Zerrbild und auf seine Weise an der Aufklärung teilhat durch die Kritik an dem Bildungsnotstand, dem schlechten Geschmack sowie an den Fehlformen der kirchlichen Verkündigung und der volkstümlichen religiösen Praxis. In einer Besprechung im Teutschen Merkur (III, 1773, 2, 200) heißt es dann auch: »Nur selten trift man in unserm Vaterlande einen Liebhaber und Kenner dieser so fruchtbaren und angenehmen Litteratur an. Wie gut wußten sie nicht einige Franzosen und Italiener zu nutzen, und wie vorteilhaft könnten nicht die Werke des Geistes einer so ganz dichterischen Nation vielen unserer Dichter, sonderlich dramatischen seyn.« Ein anderer Rezensent in Der Teutsche Merkur (IV, 1773, 3, 270) bezeichnete das Werk als »ein merkwürdiges Nationalproduct«. In der Beispielsammlung zu seiner Theorie und Literatur der schönen Wissenschaften (Berlin 1795, Bd. 8, 2,216) lobt Johann Joachim Eschenburg insgesamt die »sehr glückliche Verdeutschung dieses launigen und überaus unterhaltenden komischen Romans, der durchgängige Satire auf die spanische Geistlichkeit und besonders ihre schlechte Predigtmethode enthält, zuweilen aberdoch ins Niedrige und Weitschweifige fällt«. Die zeitgenössische Rezeption des Fray Gerundio in Deutschland war beachtlich. Sie hängt einerseits damit zusammen, daß bei Protestanten wie Katholiken gleichermaßen nach den Klagen über die Verflachung der geistlichen Beredsamkeit eine breite Erneuerung eingesetzt hatte. Wie in Spanien dem Jansenismus, so kommt dabei in Deutschland dem Pietismus ein entscheidendes Verdienst zu. Viele der führenden Dichter und Schriftsteller im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts waren Geistliche oder besaßen zumindestens eine theologische Vorbildung. Zum anderen war es die komisch-satirische Literatur, die das Interesse der bürgerlichen Leserschaft in der Aufklärungszeit fand. 1785 brachte Karl Friedrich Flögel seine Geschichte der komischen Litteratur heraus. Unter diesem Zeichen wurde auch Cervantes' Don Quijote aufgefaßt. Lopes burleskes Epos über den »Katzenkrieg« fand Aufnahme in Bertuchs Magazin. Quevedos Sueños und El Buscón erschienen in den achtziger Jahren auf deutsch. Eine breite Spur von Nachahmungen hinterließ Isias Roman in der zeitgenössischen deutschen Literatur. David Christoph Seybold, Professor in Jena, soll 1777 in Leipzig eine Übersetzung der Geschichte des Gerundio von Campazzas, eines Predigers zum Druck gegeben haben, der dort 1776 Predigten des Herrn Sebaldus Nothanker, aus seinen Papieren gezogen, vorausgegangen waren. Es handelt sich dabei um »Essays« in Anspielung auf Christoph Friedrich Nicolais Predigerroman Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker (1773— 1776). Zwei bayerische Benediktiner, deren Orden der Jesuit Isla bei seinen spöttischen Ausfallen gegen das kirchliche Bildungswesen verschonte, nahmen sich für ihre Kontrafakturen die Satire des Spaniers vor, zuerst Beda Mayr, Professor in Donauwörth, mit Des

262 wohlerwürdigen Predigers zu Sangersdorff Straff- und Sittenpredigt auf seine Bauern, nach dem Beyspiele des Bruders Gerundio von Compazes, sonst Zotes (Berlin 1775), danach Erhard Buz, Domprediger und Professor in Passau, mit Gerundio von Compazes, der Jüngere (1779). Dazwischen liegt Modestus Hahn mit Des berühmten Predigers Gerundio von Kampazas, sonst Gerundio Zotes, Lotterie für die Herrn Prediger, Kanzelburg (wohl Konstanz) bey Veridicus Ernst dem ältern 1777. In dieser Lotterie gibt es »keine Fehler, lauter Treffer« bei der Ziehung von Ratschlägen, wie sich der Kanzelredner über alle Bourdaloue, über alle Maßilon (Massillon) und Fleschier (Fléchier) erschwingen könne. Mit der spanischen Vorlage haben sie freilich kaum etwas gemein. Bertuch traf mit seiner Übertragung von Islas Fray Gerundio offensichtlich genau den Geschmack der Zeit an Predigerromanen. Auch seine Cervantes-Übersetzung Leben und Thaten des weisen Junkers Don Quixote von la Mancha (Weimar und Leipzig 1775-1777, in sechs Bänden) zusammen mit Alonso Fernández de Avellanedas apokrypher »Fortsetzung« erspürt die allgemeine Empfänglichkeit des Leserpublikums genau. Der Erstausgabe sind neben einer auf Gregorio Mayans y Sisear beruhenden Lebensbeschreibung des Cervantes fünf Kupferstiche von Daniel Chodowiecki beigegeben. Zunächst sollte Georg Melchior Kraus die Illustrationen liefern, der jedoch nur einige Vignetten schuf. Die zweite Ausgabe (1780-1781) enthält zwölf Stiche nach Chodowiecki, die im letzten Heft des Teutschen Merkur für 1779 besprochen werden (S. 293f.). Sie fanden bei Goethe starke Beachtung. Daß der Übersetzung das spanische Original zugrundeliegt (Bertuch zieht allerdings auch andere Übersetzungen zu Rate), wurde von Christian Friedrich Daniel Schubart im 75. Stück seiner Deutschen Chronik (15. Dezember 1774) wortreich gepriesen: Freu dich, Leser, der du feinen Witz, gesunde Vernunfft, und wahre Laune liebst; wir bekommen einen deutschen Don Quixote nicht mehr aus dem französischen, sondern aus dem spanischen Original ins Deutsche übersetzt, und mit der launischen, aber höchst seltnen, und unter uns Deutschen gar nicht bekannten Fortsetzung des Avellaneda bereichert. Ein Mann unternimmt das Werk, der dem Ding gewachsen ist [...]. Möchte doch mein Liebling Chodowiecki, der im Berliner Calender schon gezeigt hat, was er zu leisten vermag, die Zeichnungen dazu liefern. Liebes Publikum, unterstütze doch dieß Werk, ohne Subskription kanns der Verleger nicht unternehmen, und dann kännst du ja mein grosses und wirkliches Vergnügen. Schau, darfst nur eine Redoute weniger besuchen: darfst nur eine Schlittenfahrt einstellen: so sind schon die 4 Thaler bezahlt, die dich dieß originelle Werk kost't.

Das von Bertuch im Teutschen Merkur zur Subskription gestellte Werk wurde ein großer buchhändlerischer Erfolg. Raubdrucke erschienen 1776-1778 und 1785 in Karlsruhe. Die reguläre zweite Auflage kam in Leipzig 1780 auf den Markt. Eine weitere, reich illustrierte Ausgabe erschien 1798 in Wien. In einem aufschlußreichen Vorwort weist Bertuch auf den Nutzen des Romans hin und meint, es gäbe »wenig Bücher in der Welt, welche ernsthafter gelesen und öfter wiedergelesen zu werden verdienten, als der Don Quixote; ja, wir erdreisten uns zu behaupten, daß ein Professor, der dazu angestellt würde öffentliche Vorlesungen über den Don Quixote zu halten, der studierenden Jugend und dem gemeinen Wesen weit nützlicher seyn würde, als ein Professor des Aristotelischen Organs«. Freilich sollte es noch lange dauern, bis Hispanistikprofessuren an den deutschen Universitäten eingerichtet wurden. Bemerkenswert ist übrigens, daß Bertuch auch die bildliche Verarbeitung des Don Quijote wahrnimmt: »Mahler, Zeichner, Kupferstecher, Bildhauer (!)

263 und Tapetenwircker bearbeiteten Gegenstände aus dem Don Quixote, und thun es noch«. Chodowiecki erbat von Bertuch Vorschläge, für welche Szenen und Motive er insbesondere Illustrationen wünsche. August Wilhelm Schlegel zollte Bertuch zwar Anerkennung, ohne ihn mit Namen zu nennen, als »gelehrten Kenner der spanischen Sprache und Literatur«, der »den noch so gut wie völlig fremden Don Quixote in Deutschland einführte« 15 , damit Beifall fand und auch den richtigen Weg einschlug (immerhin ist Don Quijote bereits zum »weisen Junker« - ingenioso = Witz/weise - geworden und gilt nicht mehr bloß als lächerliche Gestalt), aber im weltanschaulichen Umbruch der Cervantes-Deutung der Romantiker fand Bertuchs Leistung keine Gnade mehr. Schon Friedrich Schlegel meinte 1799 in einer Rezension im Athenäum: »Die bisher in Deutschland gangbare Übersetzung des Don Quixote war ganz spaßhaft zu lesen, nur fehlte - die Poesie, sowohl die in den Versen als die der Prosa«. 16 Kurz zuvor hatte Ludwig Tieck in einem Brief an August Wilhelm Schlegel sich recht abschätzig über Bertuchs Leistung geäußert: »der Bertuch [ist] gar kein Don Quixote, es ist ein ganz anderes Buch, in dem bloß dieselben Begebenheiten ohngefähr sind, für das eigentlich Romantische der Novellen, für die herrlichen Verse, für die süßen Schilderungen der Liebe hat es gar keinen Sinn gehabt [...]. Wie wenig ist überhaupt die wahre Herrlichkeit dieses Romans erkannt? Man hält es doch immer nur für ein Buch mit angenehmen Possen« 17 . Tiecks Übersetzung und ihr Erfolg stellte den Vorgänger völlig in den Schatten. Mit dem Magazin der Spanischen und Portugiesischen Literatur (drei Bände, 17801782) vollbrachte Bertuch eine weitere Pioniertat von beträchtlicher Breitenwirkung. Als Verleger, Übersetzer und Publizist wußte Bertuch geschickt die Gunst der Stunde auf dem wachsenden literarischen Markt für Spanien zu nutzen und lancierte sein Magazin nach dem Muster von ähnlichen Periodica für ausländische Literatur, wie etwa die Brittische Bibliothek (1756-1776, hrsg. von Karl W. Müller), die Russische Bibliothek (1772-1789, hrsg. von H.L.C. Bacmeister), oder Brittisches Museum für die Deutschen (1777-1780, hrsg. von Johann Joachim Eschenburg). Wilhelm Gottfried Becker gab in Leipzig 1780-1781 das Magazin der neuern französischen Litteratur und Christian Joseph Jagemann 1780-1785 das Magazin der italienischen Litteratur und Künste (zunächst in Weimar) heraus. Das auffällige Titelwort »Magazin« (etwa nach dem Vorbild englischer literarischer Wochen- oder Monatsschriften wie »The English Magazine« 1774) dokumentiert den seriösen, umfassenden und aktuellen Informationsanspruch. 18 Das Magazin wurde mit einer Auflage von schätzungsweise 1.500 Exemplaren zum Verkaufserfolg. Bertuch spielt im Vorwort zum 1. Band auf die Nachfrage für die Literatur der Ausländer an: »Wir Teutschen waren von je her, und seitdem unsre Väter die Künste und sanfteren Musen aufnahmen, die Bienen fremder Literaturen. Keine Nation lernte allgemein und lieber die Sprachen aller andern, und durchsuchte ihre gelehrten Schätze so gern als wir. Nicht einheimische Armuth, nein, Wißbegierde und unser geschäftiger Nationalgeist war die Triebfeder davon.« (S. III) Trotz dieser so hoch ge-

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Friedrich Schlegel: Kritische Schriften. Hrsg. von Emil Staiger. Zürich und Stuttgart 1962, S. 294. Friedrich Schlegel: Kritische Ausgabe. Hrsg. von Ernst Behler. 1. Abt., Bd. 2, Charakteristiken und Kritiken. Zürich 1967, S. 281. Zitiert nach Henry Lüdeke: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Frankfurt a.M. 1930, S. 37. Vgl. Wilmont Haacke: »Das >Magazinmágico prodigioso< in der deutschen Geistesgeschichte zwischen Romantik und Restauration im 19. Jahrhundert. Dieser »fremde Calderón« - so der programmatische Titel einer berühmten Schrift von Hugo Friedrich (1955) - bleibt immerhin der am häufigsten untersuchte spanische Autor in der Nachkriegszeit, nachdem schon vor dem Zusammenbruch Max Kommerell und Ernst Robert Curtius den Anstoß gaben für den späteren Neuansatz der Calderón-Forschung um Hans Flasche. Über zwei Dutzend Dissertationen, kommentierte Textausgaben, monographische Untersuchungen, eine Computer-Konkordanz zu den Autos sacramentales, die Schriftenreihe Hacia Calderón und Calderoniana sowie ein monumentales bibliographisches Handbuch sind Zeugnisse dieser auf Calderón konzentrierten Bemühungen. Wie bei Cervantes überwiegen auch bei Calderón die Neuauflagen von Übersetzungen aus dem vorigen Jahrhundert (August Wilhelm Schlegel, Johann Diederich Gries, Joseph von Eichendorff). Hinzu kommen neue Einzelübersetzungen und Bühnenadaptationen; La dama duende erfreute sich besonderer Beliebtheit auf der Bühne (noch im Rahmen des Programms zur Frankfurter Buchmesse 1991 fand eine Aufführung des Werkes in spanischer Sprache statt) und brachte es auf sieben verschiedene Fassungen. In der Nachkriegszeit waren außerdem das Große Welttheater mit fünf Übersetzungen sowie Das Leben ein Traum und Der standhafte Prinz sehr erfolgreich. Hans Magnus Enzensberger versuchte Die Tochter der Luft, nach Goethe »das herrlichste von Calderóns Stücken«, durch eine radikale Rekonstruktion für die Bühne zu retten (1992). An dritter Stelle folgt nach Cervantes und Calderón der pikarische Roman. Wiederkehr und Wandlung der Schelmengestalt in der deutschen Literatur nach 1945 (z.B. bei Albert Vigoleis Thelen, Die Insel des zweiten Gesichts, 1953; Thomas Mann, Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull, 1954; Günter Grass, Die Blechtrommel, 1959; Heinrich Boll, Ansichten eines Clowns, 1963) hängen möglicherweise mit der Lebenserfahrung der Wiederaufbauzeit und dem Versuch der Demaskierung gesellschaftlicher Verhältnisse zusammen. Seit Kriegsende (beginnend mit Marcos de Obregón in der Tieckschen Fassung, 1946) erscheinen die wichtigsten Zeugnisse des picaro-Romans auch in der DDR immer wieder auf

276 deutsch. Vom Lazarillo de Tormes liegen sogar acht verschiedene Fassungen vor. Außer zwei Anthologien von Werner Peiser, Spitzbuben und Vagabunden (1950), und Horst Baader (1964-1965) gibt es Übersetzungen der Pícara Justina, der Lozana andaluza, des Guzmán de Alfarache und des Estebanillo González. Quevedos Buscón erscheint zwischen 1956 und 1984 in drei verschiedenen Fassungen. Sonderfälle in der Langzeitwirkung klassischer Literaturwerke bilden die Celestina (mit sechs Übersetzungen seit 1959) und Graciáns Oráculo manual in der Schopenhauerschen Fassung (1832/1862). Allein in den Jahren der Währungsreform und der Gründung der Bundesrepublik erscheinen sechs Ausgaben dieser Lebens- und Verhaltenslehre. Neben solchen »Bestsellern« fällt die übrige Auswahl von Werken der älteren spanischen Literatur deutlich ab. Immerhin liegen drei verschiedene Fassungen des Cid-Epos, zwei des Libro de buen amor, Calila e Dimna in nacherzählter Form, die Eichendorffsche Fassung des Conde Lucanor, der Amadis und die Diana Montemayors (in der barocken Übersetzung von 1646) sowie Auszüge aus dem Criticón von Gracián vor. Das bereits im 19. Jahrhundert so bewunderte »Nationaldrama« der Spanier übt auch in der frühen Nachkriegszeit eine erstaunliche Anziehungskraft aus. Die spanische Comedia (Lope de Vega, Tirso de Molina, Calderón) bleibt beim Theaterpublikum außerordentlich beliebt. Einen beispiellosen Erfolg erzielt Tirsos Don Gil de las calzas verdes (etwa sechzig Inszenierungen und um tausend Vorstellungen zwischen 1947 und 1970). Lope de Vega hatte beispielsweise von 1957 bis 1967 mit La dama boba und El caballero del milagro durchschlagenden Erfolg (33 Inszenierungen, etwa 600 Aufführungen). Zwischen 1960 und 1975 brachte Hans Schlegel in zwölf Bänden die Übersetzungen von 71 comedias Lopes heraus, die inzwischen kaum noch auf den Spielplänen erscheinen. Auch in der DDR erschienen einige anthologische Zusammenstellungen zum spanischen Theater. Mehrere Besonderheiten und Schwerpunkte fallen in diesem Zusammenhang noch ins Auge. Zum einen kontrastiert die ständige Beschäftigung mit Don Juan - als Symbolgestalt für den spanischen Mann - , die sich in einer Reihe von essayistischen Deutungen niederschlägt (Übersetzungen von Gregorio Marañón, 1954, Ortega y Gasset und Madariaga, sowie Werke von Alfred Rosenberg, Hans Mayer, H. Gnüg, B. Wittmann, Friedrich Dieckmann u.a.) mit der geringen Zahl der Textausgaben bzw. Aufführungen. Don Juan Tenorio von Zorrilla erschien in deutscher Fassung 1947, ohne weitere Spuren zu hinterlassen. Überraschend ist hingegen das Interesse an der Celestina. Seit 1959 erschienen in beiden Teilen Deutschlands sechs verschiedene Fassungen einschließlich eines Faksimilenachdrucks der ersten deutschen Übersetzungen von Christoph Wirsung (1520/1534). Die Celestina wurde nicht nur als Lesedrama verstanden, sondern es sind seit 1948 auch mehrere Bühnenbearbeitungen und Aufführungen zu verzeichnen. In der DDR deutete Karl Mickel das Werk als proletarisches Drama in Versen (1975). Ihr ging dort die Übersetzung von La hija de Celestina von Alonso de Salas Barbadillo voraus. Zur gleichen Zeit schrieb der Österreicher Herbert Lederer das Textbuch zu der Oper La Celestina von Karl-Heinz Füssl, die 1976 in Karlsruhe zur Aufführung gelangte. Den Höhepunkt der deutschen Celestina-Rezeption stellt Fritz Vögelgsangs Neuübersetzung (1989) dar. Diesem Erfolg steht die merkwürdig späte und gescheiterte Aufnahme von Valle-Incláns Theater auf der deutschen Bühne gegenüber. Mehrere Anläufe, das in seiner dramaturgischästhetischen Konzeption so moderne Drama zu inszenieren, schlugen trotz der hervorragen-

277 den Übersetzungen von Fritz Vogelgsang fehl. Weder die Kritiker noch das Publikum nahmen die Herausforderungen Valle-Incláns an. Die massive Wirkung von Garcia Lorcas Dramen auf den deutschsprachigen Bühnen im Zeitraum von über vierzig Jahren bildet ein eigenes Kapitel. Die Rezeption beruht auf den unantastbaren und in zahlreichen Auflagen verbreiteten Fassungen von Lorcas Werken aus der Feder von Enrique Beck. Übersetzungen und das dahinter stehende Textverständnis bedingen Einseitigkeiten, Mißverständnisse und Willkürlichkeiten des deutschen Lorca-Bildes, das ähnlich wie bei Calderón geradezu mythische Dimensionen der Verehrung erreichte. Mit 218 Aufführungen liegt Lorca in der Statistik der Spielzeit 1985/86 (die deutschen Uraufführungen von El público und Comedia sin título fanden 1986 statt) noch vor Ionesco, Camus und Thornton Wilder. Lorca hat weitgehend die Aufmerksamkeit für das spanische Theater der Gegenwart in Übersetzungen und Aufführungen in den Hintergrund gedrängt. Doch La muralla von Joaquín Calvo Sotelo wurde bereits ein Jahr nach dem Madrider Erfolg in Deutschland gespielt (1955) und von der Kritik bezeichnenderweise als Erneuerung des religiösen Dramas in Spanien gefeiert. Antonio Buero Vallejo ließ seine Stücke in der DDR verlegen. Dennoch wurden En la ardiente oscuridad und Historia de una escalera bereits um die Mitte der fünfziger Jahre mit Erfolg auch in der Bundesrepublik aufgeführt. Nach einer längeren Unterbrechung folgten dann El sueño de la razón (1973), La fundación (1975) und El concierto de San Ovidio (1977). Hin und wieder wagte sich ein Regisseur an einen Casona, Sastre, Paso, Mihura, Arrabal, Javier Torneo oder Sanchis Sinisterra heran. Wie schwierig es inzwischen geworden war, dem deutschen Publikum und den Regisseuren moderne spanische Stücke zu vermitteln, zeigte das Experiment der Spanischen Theaterwoche Contact in Mainz (1990) mit ihren Aufführungen und Diskussionsveranstaltungen. Die spanische Lyrik findet zunächst keine Beachtung. Erst etwa ab 1950 kommt es zur begeisterten Entdeckung der modernen Dichtung, wobei in seltener Konjunktur wissenschaftliche Beschäftigung und Übertragung bzw. Nachdichtung einander ergänzen. Ernst Robert Curtius, der sich vor dem Krieg in Forschungen zum Mittelalter und der klassischen Überlieferung zurückgezogen hatte, wendet sich wieder der zeitgenössischen Literatur zu und stellt 1952 Jorge Guillén mit einer Auswahl aus Cántico vor, während Karl Voßler dem Siglo de Oro treu bleibt (mit Büchern über die Poesie der Einsamkeit in Spanien, 21950, Luis de León, 1946, und der Anthologie Romanische Dichter, 31946). Die erste Dissertation nach 1945 über einen modernen spanischen Dichter legt Georg Rudolf Lind 1952 mit seiner Motivstudie zum Cántico vor. Zum Auftakt des Spanienprogramms bei Suhrkamp besorgt Karl August Horst die Übersetzung von Dámaso Alonsos Los hijos de la ira (1954). Wenig später räumt Hugo Friedrich in seinem Buch über Die Struktur der modernen Lyrik (1956) dem spanischen Beitrag breiten Raum ein. Weitere wissenschaftliche Untersuchungen fördern in rascher Folge das neu erwachte Interesse (Hildegard Baumgart, Der Engel in der modernen spanischen Literatur, 1958, Erika Lorenz, Der metaphorische Kosmos der modernen spanischen Lyrik, 1959, bis hin zu Gustav Siebenmanns Habilitationsschrift Die moderne Lyrik in Spanien. Ein Beitrag zu ihrer Stilgeschichte (1965), Hugo Laitenbergers Werk über Antonio Machado (1965) und Egon Hubers Untersuchung der Metaphorik bei Garcia Lorca (1963). Zwei Nobelpreise für spanische Dichter (Juan Ramón Jiménez 1956 und Vicente Aleixandre 1977) lenken die Aufmerksamkeit auf den Reichtum und Rang der spa-

278 nischen Gegenwartsdichtung. In diesem Zusammenhang ist auf die wichtige Vermittlerrolle der Anthologien für die Hinführung zur Lyrik zu verweisen (insbesondere Erwin Walter Palm, Rose aus Asche, 1955, Rudolf Grossmann, Gedichte der Spanier, 1948, Hans Magnus Enzensberger, Museum der modernen Poesie, 1960, und 1992 Ich bin der König aus Rauch, von Gregor Laschen und Jaime Siles herausgegeben). Daß namhafte Dichter, wie Karl Krolow, Rudolf Hagelstange, Bernward Vesper, Georg Britting, Hans M. Enzensberger so entschieden für die spanische Poesie des 20. Jahrhunderts eintreten, hat deren Stellung im Verlagsgeschäft sicherlich gestärkt. Das größte Verdienst gebührt in jenen Jahren Erich Arendt und seiner Frau in der DDR, die u.a. Alberti, Aleixandre, Cernuda und Miguel Hernández übersetzten. Spätere Lyrikveröffentlichungen in der DDR erschöpfen sich darin, Gedichte aus dem »spanischen Freiheitskampf« zu präsentieren, dem Arendt schon 1952 seine berühmte Bergwindballade gewidmet hatte. In der Bundesrepublik beginnt Fritz Vogelgsang 1964 mit Antonio Machado. Alberti, Aleixandre, Juan R. Jiménez, Góngora und Rosalía de Castro erschienen in dichter Folge zu einer Zeit, die für Lyrikbände angeblich keinen sonderlich günstigen Absatzmarkt bietet. Immerhin wendet sich die Bibliothek Suhrkamp nunmehr den Lücken zu, die trotz aller Sachkunde und Begeisterung für die 27er Generation im Panorama der modernen spanischen Dichtung geblieben sind: 1991 erscheint eine Auswahl der Gedichte von Pedro Salinas (La voz a tí debida, 1934) sowie Luis Cernudas Die Wirklichkeit und das Verlangen. Verheißungsvoll ist auch die Tatsache, daß bei den Literaturveranstaltungen in Deutschland nunmehr nicht nur Prosaschriftsteller, sondern auch Lyriker auftraten (u.a. Francisco Brines, José Angel Valente, Jaime Siles und José Manuel Caballero Bonald). Enrique Beck hatte sein ganzes Leben der Verdeutschung von Garcia Lorcas Werk verschrieben. Als er sich in seiner Entdeckerfreude dem in der Hitler- und Francozeit als poète maudit nicht genehmen Granadiner zuwendet und 1948 Gedichte sowie 1953 die Zig e une r romanze n auf deutsch herausbrachte, gab es noch keine Lorca-Exegese. Die Lorca-Deutung lag in Händen von Essayisten und Kulturkritikern, die den Dichter tiefsinnig etwa als Mystagogen, als »Führer zum Seelenleben des Spaniers« empfehlen. In dem umfangreichen Sammelwerk Denker und Deuter im heutigen Europa (1954) setzen die Herausgeber Lorca an die Seite von Unamuno und Ortega als Repräsentanten des modernen Spaniens. Der Schweizer Kulturphilosoph Jean Gebser trägt 1949 eine psychoanalytische Deutung Lorca und das Reich der Mütter vor, die noch fast dreißig Jahre später unverändert und ohne Erwähnung der inzwischen veröffentlichten Forschungsergebnisse zu Lorcas Leben und Dichtung nachgedruckt wurde. Das erste Lorca-Buch in deutscher Sprache verfaßte 1961 ein Journalist, Günter W. Lorenz, die Hispanisten Egon Huber und Carlos Rincón folgten mit ihren Untersuchungen erst einige Jahre später. Das Gedenkbuch des Suhrkamp-Verlages zum 50. Todestag wurde leider überhaupt nicht dazu genutzt, die Irrungen und Winringen der Lorca-Rezeption, ein Stück bundesrepublikanischer Geistesgeschichte, zu kommentieren und zu erhellen. Neben Cervantes, Calderón und Lope de Vega hat kein anderer spanischer Dichter so tief die literarische Begegnung zwischen Deutschland und Spanien geprägt wie Lorca. Aber ähnlich wie bei Calderón ist die Begegnung mit Lorca auch die Geschichte eines fruchtbaren Mißverständnisses. Die Freigabe der Übersetzungsrechte, die neuen Übersetzungen des Diván de Tamarit und der Sonette durch Rudolf Wittkopf und Lothar Klünner, der Suites durch Hans

279 Jürgen Heise oder des Romancero gitano durch Werner von Koppenfels eröffnen einen neuen Abschnitt der Annäherung an Garcia Lorca. Anders als beim Theater hat die klassische Lyrik der Spanier die deutschen Übersetzer weniger intensiv beschäftigt. Überraschend ist allerdings die Zahl der Übersetzungen und Ausgaben der mystischen Gedichte des Juan de la Cruz. Aber auch Luis de León, Góngora, Quevedo und Lope de Vega haben u.a. Erich Arendt, Werner von Koppenfels, Fritz Vogelgsang und Wilhelm Muster zu gelungenen Übertragungen inspiriert. Die volkstümlich überlieferte Dichtung, coplas und canciones, Kinderlieder, Spruchweisheit und soleares finden dagegen nur gelegentlich Beachtung. Vom Umfang her überwiegt naturgemäß die Prosa bei der Rezeption nach 1954. Hier ist es aufschlußreich, die Interessenschwerpunkte und Themen im Wechsel ihrer zeitlichen Abfolge zu betrachten. Zwischen 1945 und 1955 gelangen einzelne mehr oder weniger zufällige Übersetzungen auf den Markt (z.B. Ignacio Agustí, Azorín, Bécquer und Valera in Schweizer Verlagen). Der literarischen Bedeutung unangemessen und unerklärlich ist der Erfolg des Dreispitz von Pedro Antonio de Alarcón (neun deutsche Übersetzungen seit 1946). Auch andere Erzählungen von Alarcón erscheinen in den fünfziger und sechziger Jahren mehrfach. Auf dieser Linie liegen ferner Peredas »Heimatroman« Peñas arriba (1950) sowie La esfinge von Concha Espina (die zweite deutsche Übersetzung innerhalb von gut zwanzig Jahren!). Einige der Leyendas von Gustavo Adolfo Bécquer gehören zu den ersten Übersetzungen aus dem Spanischen nach dem Krieg (1946/1949; vollständig als Phantasiestücke von F. Vogelgsang erst 1982 übertragen). Daneben werden jedoch einige Romane von Blasco Ibáñez (La barraca, Sangre y arena, Los muertos mandan) in Übersetzungen aus den zwanziger Jahren wieder aufgelegt. La lucha por la vida von Pío Baraja, dem deutschen Publikum unter dem geglätteten Titel Spanische Trilogie vorgestellt (1948), kündigt mit seiner düsteren Sicht auf die Lebensverhältnisse der Madrider Unterschichten in gewisserWeise bereits Celas Pascal Duarte (1942) an, wird aber später kaum noch rezipiert. Zusammen mit Nada (so auch der Titel der deutschen Fassung 1948) von Carmen Laforet bringen diese beiden wichtigen Romane unvermittelt die Begegnung mit der Gegenwartsliteratur und den Problemen Spaniens im Schatten des Bürgerkriegs. Die deutsche Übersetzung der »autobiographischen« Trilogie La forja de un rebelde (Hammer oder Amboß sein) von Arturo Barea konfrontiert das Leserpublikum 1955 erstmals mit einem in Westdeutschland ausgesparten Thema: dem Bürgerkrieg aus republikanischer Sicht im Spiegel literarischer Gestaltung. Die Übersetzungen von Cela, Laforet und Barea leiten die geballte Präsentation zeitgenössischer spanischer Romankunst in Deutschland zwischen 1955 und 1965 ein, die den moralischen Umbruch, die gesellschaftlichen Spannungen und die Diskussion um die Deutung der neueren spanischen Geschichte austrägt. Hier geschieht jene kritische Bestandsaufnahme, der sich die apologetische Landeskunde im Rückzug auf den aus literarischen Belegen zusammengefügten künstlichen und idealen Dauerspanier versagte. Gleichzeitig kommt es zum ersten Versuch einer Annäherung an den realistischen Roman und Galdós. La hermana de San Sulpicio (1889) von Armando Palacio Valdés erscheint unter dem für deutsche Ohren vertrauter klingenden Titel Die Andalusierin (1955), doch Clarins Meisterwerk La regenta (1884) sollte zunächst in der DDR (1971) und dann mit dreizehnjähriger Verzögerung erst 1984 in der Bundesrepublik herauskommen. Pérez de Ayala, auf den Ernst Robert Curtius schon 1931 aufmerksam gemacht

280 hatte, hält ebenfalls erst viel später Einzug in Deutschland: Belarmino y Apolonio (von 1920) erschien schließlich 1958. Tigre Juan (von 1928) und Caída de los limones (von 1916) folgten 1959. Für den spanischen Roman der Gegenwart regte sich damals im Unterschied zur Lyrik keine berufene Stimme im Kreis der zuständigen Fachgelehrten. Im Gegenteil: Herbert Auhofer, der 1953 über die Soziologie von Jaime Balmes promoviert hatte, ereifert sich darüber, daß die spanische Dichtung nicht mehr der Spiegel der spanischen Seele sei, sie habe ihre »menschliche Echtheit« eingebüßt nach der »extrem individualistischen, unruhig-liberalen, kirchenfeindlichen Generation der 98er«, mit dem »sozialutopischen« Pío Baroja, dem »traditionsfeindlichen« Azorin, dem »kalten, skeptischen Wahlkastilier« Antonio Machado, dem »Zola-Schüler und Sozialisten« Blasco Ibáñez. Daß die Zensur Werke wie La familia de Pascual Duarte oder La vida como es von Zunzunegui (ein »bezeichnend falscher Titel«) durchgelassen habe, findet er befremdlich wegen des »nackten, vordergründigen Realismus dieser Werke« und ihrer »abseitigen Milieuschilderung ohne sozialen Bezug«. La noria von Luis Romero (deutsch 1955): nichts anderes als eine Abfolge von 24 Anekdoten. Nach Auhofers Urteil gilt Plaza del Castillo von Rafael García Serrano (1951) als bester spanischer Nachkriegsroman. Die gegenwärtige Lyrik sei hingegen arm an Talenten. Gegenüber solchen wenig kompetenten Maßregelungen beschreibt Hilde Domin die Wissbegier und Entdeckerfreude ihrer Generation angesichts der neuentdeckten literarischen Provinz: Als wir nach dem Krieg gleichsam mit einem großen Scheinwerfer die uns lange verschlossene Welt absuchten, kam vor etwa zehn Jahren auch Spanien für uns ins Licht. Die spanische Lyrik ist uns seither nähergekommen. Die spanische Prosa ist ein halbentdeckter Kontinent, auf unsern Karten nur ungenau eingetragen, die Funde werden uns pêle-mêle auf den Tisch gelegt, als rührten sie aus einer lebendigen Ausgrabung, einem idealen und unhistorischen Raum von mythischen Ausmaßen: dem Vaterland Federico García Lorcas. (Vorwort zur Anthologie Spanien erzählt, 1964)

Viele der Romane, die nun auf dem deutschen Buchmarkt erhältlich sind, vermitteln ein Spanienbild, das sich merklich unterscheidet von dem der schönfärbenden, überschwänglichen Reiseberichte. Es läßt sich allerdings nicht feststellen, inwieweit deutsche Leser aus ihrer Optik der Wirtschaftswunderwelt heraus die Botschaft dieser Romane verstehen konnten. Vielleicht sahen sie in ihnen so etwas wie den exotischen Widerschein der eigenen, gerade überstandenen Erfahrungen. Mit der Entdeckung spanischer Gegenwartsliteratur fällt zeitlich auch die Veröffentlichung von Werken deutscher Exilschriftsteller zusammen, die sich eindringlich mit spanischen (historischen) Themen auseinandergesetzt haben, wie etwa Lion Feuchtwanger (Spanische Ballade, 1955, und Goya, 1951), Bertolt Brecht, Hermann Kesten (Die Kinder von Gernika), Gustav Regler, Edgar Maass (Der Traum Philipps II.). Nie zuvor kam es in Deutschland zu einer so dichten Rezeption spanischer Literatur fast ohne zeitliche Versetzung. Die DDR nimmt an dieser Bewegung jedoch nicht teil. Hier bleibt der Spanische Bürgerkrieg weiterhin der einzige Bezugspunkt für die Annäherung an Geschichte und Kultur Spaniens. In der Bundesrepublik wird das Thema eher gemieden. Die »Sicht der Besiegten« zeichnet sich lediglich in Umrissen ab aus der Perspektive persönlicher Zeugnisse (Barea; Juan Goytisolos Trauer im Paradies, 1958; Ramón José Senders Der König und die Königin, 1962, und das Requiem für einen spanischen Landmann, 1964; Max

281 Aub, Die bitteren Träume, 1962, einem Teilstück der Trilogie Laberinto mágico). Außerdem bleibt die literarische Aufarbeitung der Spanienproblematik nicht wirkungslos, die jene spanischen Exilautoren leisten, deren Romane zum Teil aus dem Französischen übersetzt werden (außer Juan Goytisolo, Jorge Semprún und Arrabal z. B. Michel del Castillo mit Manège espagnol, 1962, Elegie der Nacht, 1958, und Der Plakatkleber, 1961, sowie José Luis de Vilallonga mit Ein Mann allein, 1959, Allegro bárbaro, 1969, Fiesta, 1972 und Furia, 1975). Auch die berühmten Werke von Malraux, Hemingway, Bernanos und Orwell liegen in Übersetzung vor und bringen die andere Seite der Front zu Gehör. In Westdeutschland wird dennoch José María Gironellas Roman Los cipreses creen en Dios zum großen Verkaufserfolg. Der als spanischer Plivier hochgelobte katalanische Autor vertritt mehr oder weniger die offizielle Deutung des Bürgerkriegsgeschehens, und das Erscheinen des umfangreichen Romans in Deutschland fällt zusammen mit ähnlichen Kriegssagas (Josef Martin Bauer, Soweit die Füße tragen, 1954; Willi Heinrich, Das geduldige Fleisch, 1955), die in jenen Jahren eine breite Leserschaft bewegten. Auch Gironellas zweiter Roman aus der Bürgerkriegsserie Un millón de muertos erscheint noch mit dem euphemistischen Titel Reif auf Olivenblüten (1963), aber für die Veröffentlichung des Schlußteils aus dem Triptychon »Frieden«, war der richtige Augenblick 1966 schon verpaßt. Eine andere persönliche Sicht der Kriegserfahrung entwickeln Ricardo Fernández Reguera (Schwarze Stiere meines Zorns, 1958; Wehrlos unter Waffen, 1962) und Ana María Matute mit der Mercaderes-Trilogie (1965-1973). Als einziger der spanischen Bürgerkriegsromane durfte die Krämer-Folge in der DDR erscheinen. Zu Beginn der sechziger Jahre liegen die wichtigen realistisch-sozialkritischen Romane auf deutsch vor: Rafael Sánchez Ferlosio mit Am Jarama (1960) und im Jahr darauf mit die Abenteuer und Wanderungen des Alfanhui, Ignacio Aldecoa, Miguel Delibes (mit drei Werken 1961 bis 1964), Jesús Fernández Santos, Juan García Hortelano, Angel María de Lera (ebenfalls mit drei Romanen zwischen 1960 und 1963), Ramón Pinilla, der als einziger dieser Autoren in der DDR verlegt wurde, sowie zwei katalanische Schriftsteller, Tomás Salvador und José Vidal Cadellans, die auf das in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend ausgeblendete Problem Katalonien aufmerksam machten. Bemerkenswert ist die Neuauflage von Nada (1959) zu Beginn des spanischen »Booms«, wohingegen Celas La colmena (von 1951) erst gegen dessen Ende (1964) auf deutsch herauskommt. Gonzalo Sobejano, der mehrere Jahre an der Universität zu Köln lehrte, stellt seiner Anthologie Moderne spanische Erzähler (1963) den einzigen damals verfügbaren Überblick über den spanischen Gegenwartsroman voran. Anthologien erfüllen wie für die Lyrik so auch für die Erzählprosa eine wichtige Leitfunktion. Erstaunlicherweise kommen jedoch diese Auswahllesebücher (oft nach Themen angelegt: Weihnachten, Liebe, Bürgerkrieg, Frauen) erst nach dem großen Romanschub auf den Markt: z.B. Hans Leopold Davi, Spanische Erzähler der Gegenwart (1968), Hans Gerd Roetzer, Wege der spanischen Literatur (1969), Andreas Klotsch, 21 spanische Erzähler (1969), Karl-August Horst, Mut zu leben (1969). Nachdem sich die Bürgerkriegsthematik ideologisch in zunehmendem Maße als ungeeignet erwiesen hat, gehen die Verlage in der DDR die Bewältigung des Spanienproblems der jüngeren Generation mittels Übersetzung sozialkritisch ausgerichteter Werke an: Von Antonio Ferres, Los vencidos (Paris 1965, im gleichen Jahr auch deutsch) über José López Pacheco (1978) bis hin zu José Neira Vilas Tagebuch einer Kindheit in Galicien (1984).

282 Angesichts der gegenwärtigen Betonung der Frauenliteratur mag die Beobachtung überraschen, daß die spanischen Schriftstellerinnen gemäß ihrer Bedeutung für die literarische Entwicklung in der Nachkriegszeit schon früher durchaus angemessen bei den Übersetzungen berücksichtigt wurden. Neben Carmen Laforet und Ana María Matute finden sich Werke von Mercedes Salisachs (1963), Elena Quiroga, Carmen Kurtz (mit einem Dokumentarroman über die Rückkehr von Spaniern aus der Sowjetunion, 1963), Susana March, Gloria Fuertes, Marta Portal, Carmen de Icaza, Constancia de la Mora, zu denen sich später Eva Forest, Esther Tusquets, Consuelo García, Rosa Montero, María Zambrano, Adelaida García Morales, Cristina Fernández Cubas gesellen. Unter den heutigen spanischen Autoren hat Juan Goytisolo die dichteste Rezeption erfahren, seit 1958 seine beiden ersten Romane Die Falschspieler (von 1954) und Trauer im Paradies (von 1955) erschienen. Im gleichen Jahr kam auch die Übersetzung von Las afueras (Auf Wegen ohne Ziel) seines Bruders Luis Goytisolo heraus. Fiestas (von 1957) folgt 1960 (Das Fest der anderen), La isla (von 1961) erscheint 1963 als Sommer in Torremolinos. La resaca (Paris 1958), eine Reportage über die Vororte seiner Heimatstadt Barcelona, wird als einziges seiner Bücher 1965 in der DDR im gleichen Jahr wie Los vencidos von Ferres gedruckt. 1966 beschließt die Spanische Gewissensforschung als eindringlicher, beschwörender Mahnruf die Erfolgsserie der spanischen Romane. Das »Sachbuch« Spanien und die Spanier (1969) begleitet und beeinflußt die Ansätze zum kritischen Nachdenken über das Bild vom Ewigen Spanien. Erst nach einer Unterbrechung und nach Francos Tod kommen die großen Romane der Abrechnung mit den spanischen Mythen heraus: Señas de identidad (1966, deutsch 1978), Reivindicación del conde Don Julián (1970, deutsch 1976) und Juan sin tierra (von 1975, deutsch 1981). Möglicherweise haben sie durch die zeitliche Verschiebung ihrer deutschen Übertragung auch von ihrer ikonoklastischen Stoßkraft und politischen Wirkung während der Zeit der Transición eingebüßt. Asynchronien fallen allerdings noch stärker ins Auge, wenn man den Verlauf der Rezeption von Klassikern der Moderne betrachtet. Pérez Galdós war bis 1960, als Hans Hinterhäuser seine Bonner Habilitationsschrift über die Episodios Nacionales vorlegte und die Übersetzung von Miau erschien, nicht präsent. In rascher Folge wurde diesem Mangel abgeholfen. Kurioserweise kamen Misericordia (1962) und Doña Perfecta (1963) in der DDR heraus, während Amigo Manso und Fortunata y Jacinta in der Manesse Bibliothek der Weltliteratur (1961 und 1963) Aufnahme fanden. Tristana, ein Werk, das durch Buñuels Verfilmung bereits 1970 bekannt geworden war, mußte allerdings bis 1989 auf eine deutsche Übersetzung warten. Es gibt nicht wenige Beispiele für solche zeitversetzten Übernahmen: 1958, zu Beginn der spanischen Romanwelle, verfällt jemand auf den Gedanken, Juanita la larga (1895) von Juan Valera zu übersetzen, und als 1973 Übersetzungen aus dem Spanischen fast völlig versiegen, erscheint La gaviota (1849) von Fernán Caballero wie bestellt zur nostalgischen Bestärkung der Andalusienstereotype. 1958 kommt nicht nur eine Auswahl der kühnen Greguerías von Ramón Gómez de la Serna heraus, die Hans Carl Artmann faszinierten, sondern auch - zweiundzwanzig Jahre nach seinem Tod - das erste Werk von Valle-Inclán auf deutsch (Sonata de estío), gefolgt von Tyrann Banderas (1961). Der zögerliche Verlauf der weiteren Übersetzungen läßt trotz der Qualität der deutschen Fassungen (von Fritz Vogelgsang) und verlegerischen Betreuung (Klett-Cotta) die Schwierigkeiten im Umgang mit Valle-Inclán erkennen.

283 Schließlich ist das Kapitel Unamuno in Deutschland zu erwähnen. Curtius hatte den Basken schon 1926 als europäische Figur und excitator Hispaniae rühmend vorgestellt. Die Übersetzung seiner Hauptwerke erschien in sieben Bänden zwischen 1925 und 1929. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Unamuno zusammen mit Ortega und Lorca erneut als eine der »Gestalten unserer Zeit« gefeiert, obwohl alle drei im Franco-Spanien als Heterodoxe umstritten waren. Lorca umgeben politische und persönliche Tabus, der häretische Unamuno steht auf dem Index, und Ortega fehlt der Glaube. Dieser Zweispalt zwischen Mißtrauen in Spanien und Wertschätzung hierzulande fällt niemandem auf. Im Gegenteil: Reinhold Schneider macht sich bei seinem Ringen um das persönliche Glaubensverhältnis aus einer Seelenverwandtschaft heraus zum Fürsprecher Unamunos, der dann zur geheimnisvollen Leitfigur eines grüblerisch suchenden christlichen Existentialismus wird. Seit 1951 liegen eine Reihe von Dissertationen über Unamuno vor. Der Spanienjournalist Hans-Joachim Seil gründet eine Deutsche Unamuno-Gesellschaft, der Romanist Friedrich Schürr verfaßt 1962 eine Taschenbuchmonographie, 1963 wird die Biographie von Luis S. Granjel übersetzt, später wird ein Unamuno-Preis gestiftet. In diesem Umfeld erscheint 1961 die Übersetzung von San Manuel Bueno, mártir und 1965 eine überarbeitete Fassung von Niebla. Wegen urheberrechtlicher Schwierigkeiten gerät die Auflage weiterer Werke in Verzug. War das Interesse für Unamuno zu seinem 100. Geburtstag noch sehr lebhaft, so wurde seines 50. Todestags 1986 kaum noch gedacht, und Tía Tula erschien versprengt-verspätet unter der Etikette Frauenliteratur. Der Verleger Peter Seiinka nimmt sich neuerdings wieder des Werkes an {Abel Sánchez, 1987, Nebel, 1988, und drei nivolas in neuer Übersetzung von Wilhelm Muster (Ein ganzer Mann, 1989, darunter auch erneut San Manuel Bueno)). In den achtziger Jahren ist wieder eine verstärkte Hinwendung zur jüngeren spanischen Literatur festzustellen. Die Anthologie von Ricardo Bada und Felipe Boso Ein Schiff aus Wasser (1981, unveränderte Neuauflage 1991) markiert dieses Interesse und stellt die verschiedenen zeitgenössischen Entwicklungen mit ihren Vertretern vor. Weitere Anthologien erkunden in der Folge die neuen Bereiche, etwa Spanische Reise. Literarischer Führer durch das heutige Spanien (1987) oder in Konkurrenz dazu Spanien im Schatten der Sonne. Eine literarische Reise in 26 Etappen (1989) und Die Orange ist eine Frucht des Winters. Spanisches Lesebuch (1991). Veranstaltungen wie die Auslandskulturtage in Dortmund (1984), die Spanien gewidmet waren, das Hamburger Iberoamericana-Festival (1986) und die Reihe La España actual 1989 schaffen Foren für die Annäherungsversuche mit Lesungen, Podiumsgesprächen und Workshops. Wichtige Werke der hier auftretenden Schriftsteller und Schriftstellerinnen liegen inzwischen - mit Ausnahme der Lyriker - auch in Übersetzungen vor: Juan Benet, José María Guelbenzu, Rosa Montero, Montserrat Roig, Javier Tomeo, Eduardo Mendoza, Antonio Muñoz Molina, Alvaro Pombo, Juan Madrid, Julio Llamazares, Juan Marsé, Manuel Vázquez Montalbán, Juan José Millás... Schon die Aufzählung der Namen läßt erkennen, daß durchaus wieder Anschluß gewonnen wurde an das zeitgenössische literarische Schaffen in Spanien. Juan Ramón Jiménez (Platero y yo, 1985) und Gonzalo Torrente Ballester (Los gozos y las sombras, 1991) gehören zu den spät nachgeholten Entdeckungen dieser Jahre. Der Überblick über die Verbreitung spanischer Literatur in Deutschland bliebe unvollständig ohne Berücksichtigung des nichtfiktionalen Schrifttums. Gerade hier sind die neben Cervantes und Lorca spektakulärsten Verkaufserfolge spanischer Autoren im Nachkriegs-

284 deutschland zu verzeichnen, nämlich Ortega y Gasset und Salvador de Madariaga, die beide vorwiegend von der Deutschen Verlagsanstalt betreut wurden. Ortegas Prestige als Deutschlandfreund reicht zurück in die Weimarer Republik, als Curtius ihn 1924 inmitten der Krisenzeit empfahl. Curtius weist auch nach dem Zusammenbruch von 1945 auf Ortegas Bedeutung für die geistige Neuorientierung hin und schlägt ihm vor, Deutschland anläßlich der Zweihundertjahrfeier von Goethes Geburtstag zu besuchen. Die denkwürdige Reise nach München, Hamburg und Berlin findet ein außerordentliches Echo. Ortega wendet sich, mit beschwörender Geste um »Goethe von innen bittend«, an die Deutschen und spricht ihnen Mut zu. Sein Hinweis auf die europäische Erneuerung bestärkt die Europabegeisterung als Schutz vor dem Rückfall in die Verirrungen der voraufgegangenen Schrekkensherrschaft. Paradoxerweise sollte sich dieser Paneuropäismus mit jenen Vorstellungen imperialer Sendung und christlicher Berufung Spaniens zum Schutz des Abendlandes treffen, wie sie die franquistische Propaganda geschickt zu verbreiten verstand zur Abwehr der Isolierung des Regimes. Ein weiterer Faktor für die Konjunktur Ortegas ist zweifellos sein Buch La rebelión de las masas (1930), dessen deutsche Übersetzung eine Auflage von etwa einer halben Million Exemplare erzielte. Das Thema Masse und Elite, die Verteidigung des Individuums und die Bildung neuer Führungsschichten waren eine vordringliche Aufgabe beim Wiederaufbau und zum Schutz vor den Gefährdungen durch Materialismus, Totalitarismus und Kollektivismus. Es ist merkwürdig, daß Ortega trotz dieser Popularität in den akademischen Kreisen der Universitätsphilosophie keinen Einfluß gewann. Sein Ansehen beruht vielmehr auf seiner Funktion als öffentlich-politischer Meinungskatalysator. Zwischen 1945 und 1950 gewinnt noch ein anderer spanischer Philosoph, Juan Donoso Cortés (1809-1853), Bedeutung in konservativen Kreisen. Er hatte bereits in der katholischen Restauration des 19. Jahrhunderts eine Rolle gespielt. Die deutsche Fassung seines Ensayo sobre el catolicismo, el liberalismo y el socialismo (1851) löste schon beim Erscheinen 1854 heftige Polemik aus. Die zweite Übersetzung dieser katholischen Geschichts- und Gesellschaftsphilosophie erschien bezeichnenderweise im Jahr der Machtergreifung Hitlers unter dem programmatischen Titel Der Staat Gottes (Nachdruck 1966). Der Staatsrechtslehrer Carl Schmitt, der mit seinen Auffassungen von Recht, Macht und Staat zur Aushöhlung der Weimarer Republik beigetragen hatte, widmete Donoso Cortés sowohl 1930 als auch 1950 Untersuchungen »in gesamteuropäischer Inteipretation«. Unter dem Titel Der Abfall vom Abendland erschien in Wien 1948 eine Auswahl aus den Reden und Schriften des Antiliberalen, dessen Ansichten, moralischer Rigorismus und apokalyptisch-prophetischer Anspruch dem Denken gewisser Kreise durchaus entgegenkam. 1988 kommt es zu einer dritten Übersetzung seiner politischen Schriften, Reden und Kommentare. Die außerordentliche Verbreitung der Essays, politischen Reden und Aufsätze, Biographien über Bolívar, Kolumbus und die Conquistadoren, Romane sowie geschichtlichen Darstellungen von Salvador de Madariaga ist ein Phänomen der Nachkriegszeit, das weniger auf der Bedeutung des Schriftstellers beruht als vielmehr auf seinem Prestige als weltläufiger, intellektueller Liberaler und den politisch-ideologischen Zeitumständen. 24 Bücher Madariagas wurden zwischen 1951 und 1983 in der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz verlegt. Der Exilspanier, Professor, Politiker und Kosmopolit prägt vierzig Jahre hindurch die Auffassung von der neueren spanischen Geschichte. Sein Buch über Spanien, »eines der Schlüs-

285 selländer der Welt«, das zuerst 1930 auf deutsch erschien, bleibt für Jahrzehnte die einzige Überblicksdarstellung zur Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Madariaga hat es in zwei entscheidenden Momenten überarbeitet und erweitert: 1955 und nach Francos Tod 1979. Wert und Bedeutung dieses Werks werden erkennbar beim Vergleich mit Spanien, Mythos und Wirklichkeit von Richard Pattee und Anton M. Rothbauer (1954), einer apologetischen Enzyklopädie ganz im Sinne des national-spanischen Geschichtsverständnisses und der konservativ-christlichen Weltanschauung der frühen Nachkriegszeit. Was andererseits Madariaga Abbruch tut, ist der völkerpsychologische Ansatz zur Erklärung des spanischen Wesens. Der umstrittene und in seiner kulturgeschichtlichen Schematisierung auch mißverständliche Essay Engländer, Franzosen, Spanier. Ein Vergleich (von 1928) kam 1966 gerade in dem Augenblick wieder auf den Markt, da sich, angestoßen von der »Spanischen Gewissensforschung«, ein kritisches Nachdenken über die spanische Geschichte formierte. Ähnlich wie im Bereich der Schönen Literatur herrscht in der Geschichte eine ausgesprochene Vorliebe für das Siglo de Oro. So werden Gregorio Marañóns Biographien von Antonio Pérez und Olivares bereits 1948 als Meditation über Politik und Macht übersetzt, ein Thema, das auch die Beschäftigung mit Philipp II. und Karl V. (zumal 1958 anläßlich des 400. Todestages des »letzten Kaisers der Christenheit«) verständlich macht. Auf die Frage nach dem Sinn der spanischen Geschichte gaben Werke von Américo Castro (mit dem demonstrativ veränderten Titel Spanien, Vision und Wirklichkeit, 1957, für La realidad histórica de España), Ramón Menéndez Pidal (Die Spanier in der Geschichte, 1955) und Jaime Vicens Vives' knappe sozialwissenschaftlich ausgerichtete Synthese unterschiedliche Antworten und Deutungsansätze. Die von Ortega mit seinen Vorträgen »De Europa meditatio quaedam« und »Gibt es ein europäisches Kulturbewusstsein« von 1949 und Madariaga (Portrait Europas, 1952) bestärkte Europabegeisterung wirkt bis zur Übertragung des Buches von Luis Diez del Corral (El rapto de Europa, 1959) nach. Neben diesen biographisch-kulturgeschichtlichen Werken stehen überraschend zahlreiche Übersetzungen von spanischen Quellentexten zur Entdeckung und Eroberung von Amerika (z.B. Briefe und Bordtagebuch des Kolumbus, Berichte des Hernán Cortés, Las Casas, Bemal Díaz del Castillo, Inca Garcilaso de la Vega, Fray Bernardino de Sahagún, Núñez Cabeza de Vaca, Alonso de Contreras). Mit den Diskussionen zum Gedenkjahr der Entdekkung Amerikas, der Vertreibung der Juden und dem Fall der Maurenherrschaft rücken diese umstrittenen Probleme der spanischen Geschichte wieder stark in den Vordergrund. Von der Gegenreformation über die Barockzeit und katholische Erneuerungsbewegung im 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein hat die spanische Erbauungsliteratur - Theologie, Mystik, Spiritualität - einen tiefen Einfluß ausgeübt. Rein quantitativ dürfte dieser Bereich im gesamten Verlauf der Vermittlung spanischen Schrifttums in Deutschland seit dem 16. Jahrhundert sogar die schöne Literatur bei weitem überwiegen. Nach 1945 sind die geistlichen Schriften der Hl. Theresa von Avila, des Johannes vom Kreuz und Ignatius von Loyola (das Exerzitienbuch erlebte sogar 1978 eine Auflage in der DDR!) sowie anderer geistlicher Autoren mehrfach übersetzt und in zahlreichen Auflagen verbreitet worden. Auch das Opus Dei vertreibt seit 1957 die Schriften seines Gründers José María Escrivá de Balaguer in deutschen Fassungen. Schließlich sei noch hingewiesen auf eine wenig beachtete, aber für unsere Zeit durchaus bezeichnende Randerscheinung kulturell-sprachlicher Symbiose. In Deutschland leben

286 und schreiben seit Jahren eine Reihe spanischer Schriftsteller und Intellektueller: Victor Canicio, Ricardo Bada, Heleno Saña, Manuel Moral. Sie haben Spanien unter dem Druck der Umstände verlassen und sich zum Leben in Deutschland entschieden. Dadurch sind sie zu Vermittlern, Übersetzern, Grenzgängern und sensiblen Beobachtern zwischen zwei Ländern, Sprachen und Kulturen geworden, deren Stimme und Erfahrung auch zum Aufnahmevorgang spanischer Literatur in Deutschland zählt. Der Verlauf dieser Aneignung seit 1954 führt eindrucksvoll Glanz und Elend der Übersetzung vor Augen. In der gesamten neuzeitlichen Geschichte der deutsch-spanischen literarischen Beziehungen sind nicht so viele Titel übersetzt worden wie in 45 Jahren Nachkriegszeit. Eine ideale Literaturgeschichte als Reader's Digest läßt sich dennoch nicht daraus ablesen. Zu verwirrend wirkt die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die Überlagerung der Stimmen aus verschiedenen Zeiten, Stilen, Gattungen, Techniken. Spanische Literatur ist hierzulande in einer Dichte und Breite vom Mittelalter bis zur jüngsten Gegenwart in Übersetzungen zugänglich wie kaum in einem anderen Land. Aus keiner anderen europäischen Literatur wurden nach 1945 so viele Titel übersetzt und verlegt wie aus der spanischen. Und dennoch bleibt angesichts dieser eigentümlichen Form von Intertextualität und ansehnlichen Bilanz ein gewisses Gefühl der Ratlosigkeit, der Fremde gegenüber der spanischen Literatur. Wie gegenwärtig ist dieser virtuelle Schatz im Bewußtsein der Lesepraxis und der geistigen Auseinandersetzung? Dem Fachkenner wird es nicht schwer fallen, weiterhin Lücken, Einseitigkeit und Fehler, bedauerliche Versäumnisse, vertane Übersetzerchancen, Nachholbedarf, verstärkte Verlegerbemühungen anzumahnen. Aber die außerliterarischen Zwänge und ökonomischen Gesetze in Buchproduktion und -markt lassen sich schwerlich in Einklang bringen mit Idealvorstellungen wie literarische Bildung, Weltliteratur, Kanon. Gerade weil das Jahr 1945 keine grundlegende Zäsur im literarischen Austausch mit Spanien bedeutet, können Erwartungen und Wertungen aus früheren Zeiten nachwirken, die im Rezeptionsverlauf der frühen Nachkriegszeit im Unterschied zum Verhältnis gegenüber den Literaturen Englands, Frankreichs oder Italiens belastend sind. Deutsche Romantiker hatten ihre Vorstellung von der Vorbildlichkeit der spanischen Nationalliteratur auf enthusiastische Theorien über Cervantes und Calderón als Musterautoren gestützt. Diese emotionale Hochschätzung überdauert die Baisse von der Gründerzeit bis zum Ersten Weltkrieg. Bei der Bewältigung von Krisenzeiten - sowohl nach 1918 als auch nach 1945- richten sich auf die spanische Literatur Erwartungen, wie sie vergleichsweise eben nicht an die englische, französische oder italienische Literatur in jenen Zeitumständen herangetragen werden. Sie sollte Wegweisung sein, Lebenshilfe, Trost, Erbauung gewähren, große Vergangenheit vergegenwärtigen, tragende Weltanschauung vermitteln. Erwartungen also, die Literatur überfordern mußten und die Ernüchterungen herausfordern. Die dichte Rezeption spanischer Literatur in Deutschland seit 1945 fällt in Jahre, die mit zunehmendem Druck erfüllt sind durch die Aufarbeitung dessen, was gemäß einem berühmten Buchtitel von 1955 mit »Spanien als Problem« umschrieben wird und die innerspanische Auseinandersetzung nach dem Bürgerkrieg aufs heftigste bewegte, während in beiden Teilen Deutschlands die Bewältigung der eigenen jüngsten Vergangenheit anstand. So bewegt sich die Annäherung an die spanische Literatur hierzulande zwischen der Attraktion durch das Phantom des typisch Spanischen von gestern - »Spain is different« lautete der zweideutige Werbeslogan für Franco-

287 Spanien in den fünfziger Jahren - und der Wahrnehmung jenes »Übergangs zur Normalität«, den Spanien vollzieht.

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Die lateinische Celestina. Kommentar und Übersetzung von Kaspar von Barth (1587-1658)

Die Blüte neulateinischer Übersetzungen spanischer Werke während des 17. Jahrhunderts in Deutschland ist bemerkenswert und kontrastiert mit der gleichzeitigen Rezeption der spanischer Literatur, die schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts eingesetzt hatte. Auf den ersten Blick erscheint es widersprüchlich, daß das traditionell auf Italien gerichtete Interesse der humanistischen Gelehrten und Philologen sich auch auf die spanische Literatur in der Volkssprache ausdehnt. Das Ausdrucksmittel der enzyklopädischen Barockgelehrsamkeit war das Latein, das als Hochsprache der internationalen Kommunikation jenseits aller konfessionellen Konflikte und politischen Differenzen der Zeit den Zugang zur »res publica litteraria« als Wissenschaftsgemeinschaft der Gebildeten eröffnete. Die neulateinischen Übersetzungen sind entsprechend das Vehikel der vielfältigen Interessen der Humanisten, das zugleich den enormen Einfluß der spanischen Kultur in all ihren Facetten dokumentiert, von der Theologie über die Musik, Asketik, Philosophie, die politisch-didaktische Literatur, die Philologie, die Archäologie, die Geschichte, die Wissenschaften bis hin zu den schönen Künsten. Die neulateinischen Übersetzungen gehören ihrerseits zu einem breiteren Trend barokker Gelehrsamkeit in den deutschsprachigen Ländern, die nicht nur das Erbe der klassischen Literatur Griechenlands und Roms kultiviert (z.B. mit Editionen, Kommentaren oder - im Wettstreit mit den kanonischen Modellautoren - mit ihrer eigenen poetischen oder gelehrten Produktion in lateinischer Sprache), sondern auch und vor allem die französische und italienische Literatur in neulateinischen Adaptationen, Nachahmungen und Übersetzungen. Die Ausübung der literarischen Kunst setzte vor allem Bildung voraus und zielte darauf ab, dem zeitgenössischen Publikum in kultureller Umsetzung die größten europäischen Leistungen dichterischer Erfindung und geistiger Schöpferkraft anzubieten. Kaspar von Barth (1587-1658) war es, der sich am intensivsten mit neulateinischen Übersetzungen von Werken der spanischen Literatur beschäftigte. Er war eine skurrile Person. Als Wunderkind hatte er seine Zeitgenossen schon durch die Fähigkeit verblüfft, Terenz zu rezitieren und lateinische Gedichte zu verfassen. Als Philologe und Dichter gehört der vielgereiste protestantische Gelehrte zur europäischen Gelehrtenrepublik; er stand u.a. mit Scaliger, Heinsius und Schott in Briefkontakt. Er übersetzte nicht nur aus dem Spanischen, sondern hatte schon als Schüler Euripides, Homer, Herodot und andere Klassiker vom Griechischen ins Lateinische übertragen. Weil er den historischen Darstellungen der Vergangenheit keinen Glauben schenkte, übersetzte er zum zweiten Mal die Erinnerungen von Philippe de Commynes (Commemorationum rerum gestarum libri octo, Frankfurt, 1629) und einen Dialog über die Plünderung Roms 1527/1528 ins Lateinische. Seine Origines Hispaniae wurden nie publiziert und sind verlorengegangen. Er besaß wohl gute Kenntnisse des Spanischen, und seine Bibliothek enthielt eine stattliche Anzahl spanischer Bücher. Seine Adversaria (Frankfurt 1649), ein Wust universaler Gelehrsamkeit, enthalten viele Beobachtungen zur spanischen Sprache und Literatur. »Magna nos delectatione cepit Castilianismus hodiernus, in quo sane non longissimo spatio temporis tantum profecimus, ut et loqui et scribere possimus nec inepte, nec adeo sinistro Genio, ut defuerint qui Hispani Hispanum arbitrarentur« (S. 2213), bekennt er selbst. Er erlaubt sich festzustellen, daß das Spanische

291 allen anderen modernen Sprachen durch seine »gravitas et proprietas« überlegen sei. Deshalb gebe es auch mehr Schriftsteller, deren Werke »venustas« und »utilitas« vereinen (ganz im Gegensatz zu dem, was die nicht immer objektive Kritik der Humanisten seit dem 16. Jahrhundert behauptete), »adeo quidem ut si qua in caeteris, Gallicae praecipue, delectabilia simul et utilia talia scripta prodeant, pleraque vel inventionibus Hispanorum, vel, illustrationibus debeantur« (Pornoboscodidascalus, Frankfurt 1624, Dissertatio, S. 8). Barth verfolgte das ehrgeizige Projekt, eine dreißigbändige Anthologie der Weltliteratur in lateinischer Sprache vorzulegen, Milesianarum narrationes, doch nur sehr wenige Bände dieser außergewöhnlichen Reihe erblickten das Licht der Welt. Zu ihnen sollten die Nockes de invierno (1609) gehören, damals sehr bekannt und 1649 auch ins Deutsche übersetzt, nicht aber der Don Quijote. »Nobis visum fuit ad Europae nostrae idiomata proficisci, et inde, communi mortalitatis bono, egregiorum ingeniorum tradita Latino sermoni inducere, ut publice aeque ab omnibus litteratis legantur, quae in iis peculiaria optima delitebant hactenus« (Pornoboscodidascalus, Dissertatio, S. 6). Die Absicht dieses Projektes bestand nicht einfach darin, die verschiedenen Nationalliteraturen vorzustellen, sondern darin, »doctrina« (Modelle und Argumente) zu liefern wie auch »exempla morum et affectuum componendorum regulae dirigendae vitae, monita insignia et ex medio rerum usu petita« (moralische Ermahnungen). Alles dies unter dem Etikett der Gemeinnützigkeit, aber als »consiliarius perpetuus« besonders heilsam für die Jugend. Aus demselben Grund übersetzte Barth bereits vor der Celestina auch Fernando Xuarez' - seiner Ansicht nach schon moralisch abgemilderte - spanische Version der Ragionamenti von Pietro Aretino (Pornoboscodidascalus, seu Colloquium muliebre, Frankfurt 1623), »ut juventus Germana pestes illas diabolicas apud exteros, utinam non et intra limites, obvias cavere possit cautius« (Untertitel). Auf die Celestina wird 1625 die neulateinische Übersetzung der Diana enamorada von Gaspar Gil Polo folgen. Bei der Abhandlung, die dem Text der neulateinischen Übersetzung der Celestina vorausgeht, handelt es sich um die erste wissenschaftliche Monographie, die in Deutschland einem Meisterwerk der spanischen Literatur gewidmet worden ist. Barth erläutert sodann in einem Kommentar bestimmte Wörter und Details oder rechtfertigt seine Art zu übersetzen. Zusammen mit der vorangestellten historischen Studie kann man in diesem Kommentar durchaus den Beginn der deutschen Hispanistik und der Textkritik im heutigen Sinne sehen. Barth unterwirft zum ersten Mal einen modernen literarischen Text den Methoden und analytischen Kriterien, die bislang von der Klassischen Philologie bei der Behandlung griechischer und lateinischer Denkmäler verwendet und verfeinert worden waren, und steht so für die Geburt der modernen und vergleichenden Literaturwissenschaft aus dem Geist der Antike. Vom methodischen Zugriff, wissenschaftlichen Gehalt und von der Länge stellt er alles, was Prologe bis dahin boten, in den Schatten, etwa den naiven Dialog zwischen Urbanus und Amusus, mit dem Christoph Wirsing die revidierte Ausgabe seiner deutschen Übersetzung der Celestina (1534) einleitet, und in dem die beiden Gesprächspartner sich nicht über die moralische Nützlichkeit (»nutzparkeit«) der Tragikomödie einigen können und der spezifisch historisch-literarische Wert des Werkes unberücksichtigt bleibt. Die Abhandlung zeugt von dem Eifer, mit dem der vielseitige Humanist sich der spanischen Sprache und Literatur (dem »hispanismus hodiernus«) gewidmet hat. Barth bewundert, um seinen Ausdruck zu gebrauchen, das »ingens heroicae huius linguae Privilegium«

292 (S. 18), die rhetorisch-sprachliche Ausdruckskraft des Spanischen, und hebt insbesondere den Ernst (»gravitas«) der Sprache hervor, einen grundlegenden Wesenszug und sogar Fehler des spanischen Volkscharakters, die »proprietas« ebenso wie den »ornatus«, beides rhetorische und stilistische Kategorien, die Rang und Wert einer Sprache hervorheben. In einem für die Zeit seltenen Vergleich der französischen und der spanischen Literatur hebt Barth die Überlegenheit der spanischen gegenüber der französischen hervor und empfiehlt die Celestina als stilistisches Modell und Quelle moralischer Weisheit schlechthin. Reine Sprachvergleiche waren relativ häufig, in denen für das Spanische wegen seiner weitgehenden Übereinstimmung mit dem Lateinischen eine Vorrangstellung reklamiert wurde. Auf eine solche »Übereinstimmung« stützt sich seine Legitimation der Sprache des spanischen Weltreichs in der Nachfolge der Sprache Roms. Barth gibt an, die Celestina in einer Anwandlung von Enthusiasmus innerhalb von zwei Wochen ins Lateinische übersetzt zu haben. Eine unglaubliche Leistung des jungen neulateinischen Dichters, die von der Flüssigkeit zeugt, mit der die Humanisten des Barock noch die Sprache Latiums handhabten. In Übereinstimmung mit zeitgenössischen Wertungen bezeichnet er die Tragikomödie als unvergleichliches Meisterwerk (»opus plane divinum«). In dieser überschwenglichen Einschätzung geht ihm der Sprachlehrer Heinrich Doergangk voraus, ein glühender Katholik aus Köln, der 1614 in der ersten in Deutschland erschienenen spanischen Grammatik in lateinischer Sprache (und selbstverständlich auch strukturell und formal auf ihr basierend) schon die stilistische, d.h. literarische Qualität des Werkes betont, das er trotz ernstlicher moralischer Bedenken als Lektüreübung zur leichteren Erlernung des Spanischen empfiehlt. Im 16. Jahrhundert diente auch die italienische Version als Lektüretext, um in Verbindung mit einem grammatischen Anhang und einem Grundwortschatz die spanische Sprache zu erlernen. Noch in Unkenntnis der verwickelten Geschichte der verschiedenen Drucke der Celestina geht Barth von der Hypothese zweier Autoren aus: einem gelehrten Autor, der den ersten Akt schrieb (Juan de Mena oder Rodrigo de Cota), und Fernando de Rojas, der die übrigen 20 Akte verfasste. Sowohl das Titelblatt der Ausgabe von Barth wie die Abhandlung, die der neulateinischen Übersetzung vorausgeht, heben die außergewöhnliche Qualität der Tragikomödie hervor, nicht nur im Kontext der modernen, sondern auch im Vergleich mit der klassischen Literatur (»a quo certe longe abest quicquid Graecorum aut Latinorum monumentorum ad nos pervenit«, S. 6 r-v). Eine erstaunliche Bewertung im Munde eines eifrigen Philologen, ex officio geneigt, die kanonische, durch die Tradition und das künstlerische Kriterium des Wettstreits (oder der Imitation) bestätigte Überlegenheit des klassischen Modells anzuerkennen. Gewissermaßen in Vorwegnähme der »Querelle des anciens et des modernes« nimmt Barth entschieden Partei für die Moderne. Worin besteht diese Modernität? Barth situiert die Celestina in einer vergleichenden Perspektive innerhalb der historischen Entwicklung des Theaters und bezeichnet sie als »ludus« (Schauspiel, Stück). Er bietet seine Übersetzung dem »communi Europae theatro« an, dem Publikum und dem dramatischen Erbe Europas, als aufschlußreiches Beispiel einer neuen Gattung, ohne die schon gedruckt vorliegenden deutschen, französischen, englischen und niederländischen Versionen zu kennen. Er versteht das Werk als »Lesedrama« (»ad lectionem vocat et velut spectaculum«, S. 19) in der Tradition des klassischen und des Renaissancedramas. Die historische Interpretation und das Bewußtsein eines literarischen Fortschritts kennzeichnen die Hochachtung, die Barth für die ausländische Literatur in der

293 Volkssprache zeigt - er räumt dieser Literatur den gleichen Rang ein wie den Literaturen des klassischen Altertums. Unter dieser Voraussetzung gelingt es Barth, die theatralische Besonderheit des Textes und seiner dramatischen Personen zu erfassen: »nos figmentorum illorum utilitatem magnopere commendabilem arbitramur, que eventus, fortunas et consilia hominum, aequa atque iniqua, velut in scenam producunt, ut sine periculo suo quisque discere valeat quod vitandum expetendumque ordo temporum ferat«. Einen breiten Raum nehmen naturgemäß Barths Gedanken zur Übersetzung einer lebenden Sprache ins Lateinische im Rahmen der theoretischen Konzepte des Humanismus ein, wobei er vor allem die semantischen und lexikographischen Schwierigkeiten analysiert. Mitunter fügt er in seinen Kommentar Alternativen ein bzw. spanische Zitate, um seine eigene Übersetzung (oder gelegentliche Auslassungen und Änderungen, die vorzunehmen er nicht zögert) abzusichern. Es ist für seine Zeit absolut neu und außergewöhnlich, wie entschieden Barth die Prinzipien, die für die klassische Philologie zwingenden Methoden und Kriterien auf eine andere, moderne Schreibweise anwendet. Ohne das komplizierte Textgeflecht der Celestina-Editionen zu entwirren, gelingen ihm einige kritische Emendationen, die moderne Herausgeber erst sehr viel später in Unkenntnis der Erläuterungen und Verbesserungen Barths vornehmen sollten. Zum ersten Mal widmet sich in Deutschland ein detaillierter Kommentar einem Werk der spanischen Literatur nach den Regeln der klassischen Philologie: eine Auszeichnung, die im spanischen 16. Jahrhundert allein den Gedichten von Juan de Mena und Garcilaso de la Vega oder im 17. Jahrhundert in Portugal den Lusiaden zuteil wurden. Die Celestina ist für Barth mit einem hyperbolischen Ausdruck ein »liber plane divinus« (oder »liber aureus«, »opus aureum«), eine Einschätzung, die nicht bloß einer rhetorischen Konvention entstammt, sondern der Sensibilität, mit der Barth bei der Übersetzungsarbeit Wert und literarische Bedeutung des Werkes erfaßt. Seine Adversariorum commentaria von 1648, ein Foliant mit 1500 zweispaltigen Seiten, vermitteln eine Vorstellung von der Arbeit humanistischer Philologen. Die Sammlung von sprachlichen und grammatikalischen Beobachtungen ist so etwas wie eine Textwerkstatt oder ein riesiger Zettelkasten. Unter dem Einfluß der klassischen Studien findet hier die Geburt der modernen Romanischen Philologie statt. »Adversaria« ist ein terminus technicus der Handelssprache zur Bezeichnung eines Merk- und Kassenbuches. Im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts verlassen die Druckereien unzählige Bücher mit gelehrten Anmerkungen, Exzerpten, Kommentaren, Randglossen, kritischen Studien über antiquarische Details, in ihrer enzyklopädischen Anhäufung der gelehrte Ertrag der aus der Antike überlieferten Masse griechischer und lateinischer Texte. Die Arbeit und die wissenschaftliche Technik von Barth stehen in dieser Tradition philologischer Exegese. Mit seiner Gelehrsamkeit und der für die Zeit eigentümlichen Neugier eines Polyhistors war Barth in Deutschland ein Pionier, dessen Absicht es war, die spanische Sprache und Literatur in vergleichender Sicht textkritisch und systematisch für die »res publica litteraria« zu erschließen. Als Vorläufer vereint er in seiner Arbeit den ganzen Apparat der klassischen Gelehrsamkeit, um ein Werk der Moderne zu interpretieren, das, wie wir heute wissen, nach den Modellen des humanistischen Dramas konzipiert ist. Die lateinische Fassung der Celestina fügt sich, auch wenn es paradox erscheint, in den Prozeß der Herausbildung eines literarischen Kanons ein. Indem er die Celestina mitten im Barockzeitalter und in Deutschland ins Lateinische übertrug, mach-

294 te Barth das Werk zum Gegenstand philologischer Analyse und strengster wissenschaftlicher Kriterien. Kommentar und lateinische Übersetzung bilden eine homogene Einheit. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die neulateinischen Übersetzungen spanischer Werke entgegen dem ersten Eindruck keineswegs Launen einiger Pedanten oder mehr oder weniger einfallslose, anachronistische Schulübungen sind. Es erscheint seltsam und ist doch charakteristisch, daß solche Übersetzungen in einer Epoche zirkulierten, in der sich die deutsche Literatursprache in einem Klima der Polemik gegen das Latein und die Nachahmung ausländischer Vorbilder herausbildete. Die Rezeption der spanischen Literatur findet gleichzeitig über lateinische und volkssprachliche Übersetzungen statt, ohne daß beide miteinander konkurrieren, weder in der Publikumsgunst noch im Editionsgeschäft. Im Gegenteil, es existiert eine Art literarischer Osmose zwischen ihnen. Die Verbreitung von Literaturwerken in lateinischen Übersetzungen ist in diesem Umfang in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein ausschließlich deutsches Phänomen. Das hängt zusammen mit der besonderen soziokulturellen Situation des deutschen Barock, in dem weder das städtische Bürgertum noch die Aristokratie in der Lage waren, eine rein deutsche Literatur zu schaffen und aufrecht zu erhalten. Die neulateinischen Übersetzungen konnten selbstverständlich nur im gebildeten Milieu von Adligen und Gelehrten zirkulieren. Der Zugang zur spanischen Welt über lateinische Übersetzungen, der in keiner Weise von den historischen und politischen Umständen der Zeit begünstigt wurde, mag heute als ungeschickte Verfälschung, als unnötige Verkleidung erscheinen. In Wirklichkeit ist es oft der einzige ernsthafte Versuch, spanische Werke des Siglo de Oro genauer kennen zu lernen. Den deutschen Fassungen fehlen im allgemeinen so gelehrte und substantielle Vorworte wie die von Barth oder Caesar mit den dort entwickelten Vorstellungen über die Aufgabe des Übersetzers und die Kriterien der Übersetzung. Diese Vorreden geben außerdem den Blick auf die Interpretation der Übersetzer frei, die die didaktisch-moralische Bedeutung der präsentierten Werke hervorheben, ohne deren ästhetische und literarische Eigenheiten aus den Augen zu verlieren. Die konfessionellen Grenzen und die Zwistigkeiten zwischen der katholischen Welt der Gegenreformation, die wesentlich von Spanien getragen wurde, und den protestantischen Ländern lösen sich beim Studium der Literatur auf. Stattdessen bildete sich ein intellektueller und ökumenischer Austausch heraus, der schon das Goethesche Konzept der Weltliteratur erahnen läßt.

Bibliographie Pornoboscodidascalus Latinus. De lenonum, lenarum, conciliatricum, servitiorum dolis, veneficiis, machinis, plusquam diabolicis, de miseriis iuvenum incautorum quiflorem aetatis amoribus inconcessis addicunt; de miserabili singulorum periculo et omnium interitu. Liber plane divinus. Lingua Hispanica ab incerto auctore instar ludi conscriptus Celestinae titulo, tot vitae instruendae sententiis, tot exemplis, figuris, monitis plenus, ut par aliquid nulla fere lingua habeat. Caspar Barthius inter exercitia linguae castellanae cujus fere princeps stilo et sapientia hic ludus habetur Latio transcribebat, Frankfurt 1624. Bataillon, Marcel: »La Célestine selon Fernando de Rojas«, in: Revue de littérature comparée 30 (1957), S. 321-340. Becker-Cantarino, Bärbel: »La Celestina en Alemania. El Pornoboscodidascalus (1624) de Kaspar Barth«, in: La Celestina y su contorno social. Hrsg. Manuel Criado de Val, Barcelona 1975, S. 3 7 7 382.

295 Briesemeister, Dietrich: »La difusión europea de la literatura española en el siglo XVII a través de traducciones neolatinas«, in: Iberoromania NF 7 (1978), S. 3-17. [Deutsche Fassung in diesem Band] - »Kaspar von Barth (1587-1658) und die Frühgeschichte der Hispanistik in Deutschland«, in: Manfred Tietz (Hrsg.): Das Spanieninteresse im deutschen Sprachraum. Beiträge zur Geschichte der Hispanistik vor 1900, Frankfurt 1989, S. 1-21. [Wiederabdruck in diesem Band] - »Neulateinische Übersetzungen romanischer Literaturwerke«, in: Spanische Literatur. Literatur Europas. Wido Hempel zum 65. Geburtstag. Hrsg. Frank Baasner, Tübingen: Niemeyer 1996, S. 5974. Hoffmeister, Johannes: Kaspar von Barths Leben, Werke und sein Deutscher Phoenix, Heidelberg 1931. Hurtado Jiménez, J.: »Traducciones latinas de clásicos castellanos«, in: Revista Calasancia 13 (Madrid 1925), S. 353-374. Erstveröffentlichung unter dem Titel »La Celestina latina. Comentario y versión humanista de Kaspar von Barth (1587-1658)«, in: Teatro español del Siglo de Oro. Teoría y práctica. Hrsg Christoph Strosetzki, Frankfurt am Main/Madrid: Vervuert/Iberoamericana 1998, S. 61-67. [Deutsche Fassung von Christiane Sander und Sebastian Neumeister, Berlin]

Zu Christoph Wirsungs deutschen Celestina-Übersetzungen (1520 und 1534)

Als 1520 die erste deutsche CWeiima-Übersetzung von Christoph Wirsung im stadtbürgerlichen, humanistischen Augsburg erschien, waren ihr bereits während des 15. Jahrhunderts die Bemühungen mehrerer Generationen von Übersetzern unter den Frühhumanisten vorausgegangen, die neben klassischen und mittelalterlichen lateinischen Werken vor allem italienische Erzählliteratur einzudeutschen begonnen hatten. 1 Ohne den Wert dieser auf dem Umweg über eine italienische Fassung entstandenen Version zu schmälern, die schon deshalb für die Geschichte der neusprachlichen Übersetzungskunst besonders aufschlußreich bleibt, weil ihr Wirsung 1534 eine gründliche Neubearbeitung folgen ließ, kann man dennoch nicht uneingeschränkt behaupten, die beiden frühen Ce/eiima-Übersetzungen ragten »wie ein erratischer Block aus der literarischen Landschaft der deutschen Renaissance« 2 hervor. Gewiß blieben sie nach dem anhaltenden Erfolg des Speculum vitae humanae (Der spiegel menschlichs Lebens, erstmals Augsburg 1475) von Rodrigo Sánchez de Arévalo für längere Zeit das einzige bedeutende Werk eines Spaniers in deutscher Übertragung. Aber wie kam es zu dieser durch keinerlei unmittelbare literarische Verbindungen angebahnten, überraschenden, wenngleich nicht bloß zufälligen Übernahme jenes Meisterwerks, das in Spanien während der rund zwanzig Jahre seit seinem Erscheinen etwa 1499 bereits fast ein Dutzend heute noch bekannter Neuauflagen erlebt hatte? Wirsung (geboren um 1500, gestorben 1571)3 war als junger Mann für »etliche jar« nach Venedig gegangen, das Augsburgs wichtigstes Handelstor zum Mittelmeer darstellte. Von dort brachte er 1519 die schon seit 1506 in mehreren Ausgaben (u.a. Venedig 1515, 1519 und 1535) erfolgreiche italienische Übersetzung 4 des spanischen Humanistendramas mit.

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Zu den bedeutendsten Übersetzern gehören nach Erhart Groß (gest. um 1450) Niklas von Wyle (gest. 1478), Albrecht von Eyb (1420-1475) sowie Heinrich Schlüsselfelder; zusammenfassend dazu Hans Rupprich: Die deutsche Literatur vom späten Mittelalter bis zum Barock. 1. Teil: Das ausgehende Mittelalter, Humanismus und Renaissance 1370-1520. München, 1970. Hermann Tiemann: Das spanische Schrifttum in Deutschland von der Renaissance bis zur Romantik, Hamburg, 1936, S. 14. Die Übersetzungen tragen die Titel Ain Hipsche Tragedia von zwaien liebhabenden mentschen ainem Ritter Calixstus und ainer Edlen junckfrawen Melibia genant deren anfang müesam was das mittel sieß mit dem aller bittersten jr bayder sterben beschlossen. Augsburg, 1520 (Exemplar auf der Bayerischen Staatsbibliothek, München sowie Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel) und Ainn recht Liepliches büchlin vnnd gleich ain traurige comedi (so von den Latinischen Tragicocomoedia genant wirt) darauß der leser vast nutzlichen bericht von schaden und gefarfleischlicher lieb untrew der diener aufsetz der gemaynen weyber list und geytzigkait der kupier und gleych als inn eytiem spiegel mancherlay sitten vnnd aygenschafft der menschen sehen und lernen mag. Augsburg, 1534 (Exemplar der Stadt- und Staatsbibliothek Augsburg und Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel). Faksimileausgabe beider Fassungen: Die Celestina-Übersetzungen von Christof Wirsung. Mit Holzschnitten von Hans Weiditz. Hrsg. und eingeleitet von Kathleen V. Kish und Ursula Ritzenhoff, Hildesheim, Zürich, New York 1984. Über ihn vgl. Wilhelm Fehse: Christof Wirsungs deutsche Celestinaübersetzungen. Diss. Halle, 1902. Mir stand zur Verfügung: Tragicomedia de Calisto et Melibea nuovamente tradotta de lingua castigliana in italiano idioma (von Alfonso Ordóñez). Venedig, 1535 (Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek); vgl. auch Emma Scoles: »Note sulla prima traduzione italiana della Celestina", in:

297 Dieser Weg literarischer Vermittlung über die aus Italien zurückgekehrten deutschen Studenten erklärt zu einem guten Teil nicht nur die verbreitete Kenntnis vom Humanistendrama - seiner Stoffe und Technik - überhaupt, sondern auch die neue Begeisterung für das Theater in deutschen Humanistenkreisen. Die im vorreformatorisehen Deutschland entstandene, in ihrer Fülle noch kaum genau überschaubare dramatische Literatur der Humanisten nahm wesentliche Anregungen von italienischen Vorbildern auf und eiferte vor allem der römischen Komödie und Seneca nach. Augsburg besaß zudem auf dem Gebiet des Schuldramas bereits eine lebendige Tradition, 5 und die spätere Verbindung Wirsungs als Leiter des Stadtschulamts mit dem Dramatiker Sixtus Birck seit 1531 bestärkte den Übersetzer der Celestina sicherlich in dem humanistischen Interesse gerade an der didaktischen »Nutzbarkeit« des Theaters. Ob Wirsung freilich an eine szenische Aufführung seiner Celestina gedacht hat, ist nicht zu belegen. Immerhin geben die Titelfassungen beider Ausgaben zu erkennen, daß er das Werk nicht ausschließlich als Lesedrama verstand. Das kurze Vorwort zur ersten Fassung (1520) erläutert, daß das Werk Comedia - Spiegel des täglichen Lebens und »biltnus der warhait« - genannt werde wegen der »erliebung zwayer iungen« und wegen der Darstellung der Untreue von Dienern und Dirnen sowie »sunst manigerley gewerb und handlung der mentschen«. Im Sinn der damals geläufigen gattungspoetischen Vorstellungen versteht er es als Drama, dessen Anfang »muesam«, dessen Höhepunkt »sieß« und dessen Ausgang bitter, j a tödlich sei. Die Tragödie nimmt einen »frölichen anfangk«, der jedoch in »traurige endung« mündet. Im Dialog zwischen Urbanus und Amusus als Vorspann zur Fassung von 1534 wird die dramatische Eigenart der Celestina ebenfalls deutlich hervorgehoben. Vielleicht erhoffte sich Wirsung tatsächlich eine glänzende Vorstellung, als er trotz seiner Jugend und eingestandenen Unerfahrenheit seinem »geliebten Vetter«, dem aus Augsburg gebürtigen Kardinal Matthäus Lang von Wellenburg (1468-1540) 6 die Celestina-Übersetzung von 1520 widmete, die »in vnnser Teutsche sprach zu pringen« ihm in Italien beim Lesen von »Historien« 7 und »Büchern der Sitten« in den Sinn gekommen war. Denn der prunkliebende Kirchenfürst und Gelehrtenfreund hatte schon 1516 an seinem Hof die deutsche Fassung des Eunuchus von Terenz unter der Regie des Humanisten Caspar Ursinus aufführen lassen. 8 Ob Wirsung tatsächlich den literarischen Rang der spanischen Celestina erkannt hat, ist wenig wahrscheinlich. Zwar kommt es im Dialog zwischen Urbanus und Amusus zu einer kleinen Querelle des anciens et modernes, die durchaus mit einem gewissen Stolz auf die Errungenschaften der neuen Literatur hinweist: »Mainst du dann es sey alle kunst vnd geschicklicheyt mit den alten gestorben vnd begraben worden vnd das nicht auff diesen tag so gewaltige jngenia als vorzeyten mügen gefunden werden? Soltend die so leben gar nicht

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Studi Romanzi 33 (1961), S. 157-217. 1516 kam sogar eine spanische Ausgabe in Italien heraus, und ein jüdischer Arzt übersetzte die Celestina in Rom ins Hebräische. Übrigens geht auch die französische Celestina-Fassung (1578) auf eine italienische Vorlage zurück. Etwa Joseph Grünpecks Comoediae utilissime. Augsburg, 1497-1498. Über diesen vgl. Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben, Bd. 5, S.45-69. Vgl. Enea Silvio de' Piccolomini: »ain histori zwayer liebhabenden menschen«, d.i. Euryalus und Lukretia, in: Niclas von Wyle: Translationen, herausgegeben von Adelbert Keller, Stuttgart 1861, S. 20 (Bibl. des Litt. Vereins, 57). W. Creizenach: Geschichte des neueren Dramas. Halle, 2 1911, Bd. 3, S. 249.

298 geschriben haben wa werend souil loblicher geschafften so jetz inn allen künsten herfür kommen beliben?« Doch nichts deutet darauf hin, daß Wirsung mit seiner Übertragung einen neuen Stoff, ein literarisches Vorbild, ein Sprachmuster vorstellen wollte. Sicherlich war inzwischen der Sinn für realistische Darstellungsweisen gewachsen. Es mehrten sich sowohl die Ansätze zu persönlicheren, dramatischen Gestaltungen als auch die Versuche, eine Konflikte tiefer motivierende Seelenschilderung zu bieten, wie es auch das Beispiel der Celestina zeigen könnte. Auf das »zierlich lernen reden« aber, das für einen Niklas von Wyle in den Translatzen neben Unterhaltung und moralischer Exempelhaftigkeit im Vordergrund gestanden hatte, verwendet Wirsung kein Wort. Das ist umso erstaunlicher, als seine spätere Celestina-Fassung eine beachtliche Verfeinerung der Übersetzungstechnik und Sprachbeherrschung erkennen läßt. Mehr als ein geschärftes Übersetzerbewußtsein, mehr als die Vervollkommnung des deutschen Sprachinstrumentars nach klassischem Vorbild und im Sinne der elegantia (»wolgesatzte zierlich wort«), mehr als der Wunsch, dem städtischen Bildungsbürgertum fremde Literatur in der Muttersprache zu unterbreiten, zog Wirsung, wie die meisten humanistischen Dramatiker, die lehrhafte Anschaulichkeit, die moralische »nutzparkeit« seiner Vorlage an. Sie herauszustellen, bemüht er sich vor allem mit der späteren Fassung (1534). Er verstand die Tragicomedia als ein großes »exempel« zur Warnung und Belehrung der unerfahrenen Jugend, so wie Albrecht von Eyb (1420-1475) seine postum in Augsburg 1511 und 1518 erschienenen Übersetzungen von Plautus' Bacchides, der Menaechmi und des neulateinischen Schwanks Philogenia von Ugolino Pisani als literarisches Exempel für verkehrte Sitten seinem »Spiegel der Sitten« erläuternd beigegeben hatte. Den Kern des apologetischen Disputs zwischen Urbanus, einem feinsinnigen »geleiten«, und Amusus, dem unbelehrbaren Banausen, dem »diß Hispanier büchlin nit gefeit«, bildet die Frage, ob die Beschäftigung mit dieser oder anderen »Comoedien vnd Tragoedien« moralisch nützlich sei. Solche Erörterungen entsprechen Gepflogenheiten für die Vorreden von vielen humanistischen Komödien. Im Streit über den Wert des Lesens, ja über das Verhältnis von Literatur und Sittlichkeit, stoßen zwei gegensätzliche Überzeugungen aufeinander. Während Amusus die Literatur als »narrenwerck« schlechthin abtut, meint Urbanus ironisch, wie man in den Wald hineinrufe, so schalle es auch heraus: »nach dem du ein syn und begird hast darnach werden dir alle bücher schmecken«. Mit ähnlichen Argumenten sprechen Niklas von Wyle und Wirsung damit auf einen bekannten Bildungskonflikt an. »Es ist aber kain kunst so gut, daz sy nit durch verkerung der miszbruchenden in böse Übung mug gezogen werden«.9 Wyle verglich die Suche des Lesers nach dem verborgenen Nutzen eines Buches mit den Bienen, »die von blumen das beste inen fügig vnd bekomlich zu irem wercke samelnt vnd hinweg tragent, vnd das arg fügende still ligen lassen«. Urbanus wirft Amusus vor, »das du mit deinem lesen der spynnen art an dich genommen hast die eben auß der blumen darab die jmmen das süß honig samlen das bitter gifft souget«. Hatte Wyle seine Translation von Euryalus und Lukretia des Enea Silvio de' Piccolomini drucken lassen, »vmb daz die menschen vil klüger dingen dar inne begriffen vnd so zewissen gut sint ouch anteilhäftig werden möchten«,10 daß sie aus dieser Erzählung die Folgen »bülscher liebe« -

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Wyle, a.a.O., S. 14. Ibid., S. 7 und 3.

299 »mer bitterkait dann süsse vnd mer laides dann fröiden« - erkennten, so verheißt Wirsungs spätere Titelfassung, die erklärte belehrende Absicht des Originals mit wortreicher Umschreibung noch verstärkend, einen »nutzlichen bericht von schaden vnd gefar fleichlicher lieb«, aus dem der Leser wie aus einem Spiegel »mancherlay sitten vnnd aygenschafft der menschen sehen vnd lernen mag«. Im Streitgespräch zwischen Amusus und Urbanus wird in volltönenden Tiraden das Exemplarische an der Tragicomedia und ihren Gestalten hervorgehoben. Auch die etymologisierende Deutung der Eigennamen in der Übersetzung weist darauf hin, etwa die Schreibung Scelestina, bei der die Charakterisierung als »astuta, sagaz en quantas maldades ay« die Gedankenverbindung mit scelus nahelegte; Melibea kann als »honigsüß leben« verdeutscht werden (Ausgabe 1534, f. 119 r); Sosias wird mit sözein in Zusammenhang gebracht: »ein knecht, der allerley in aim hauß zu behalten vnnd zu versorgen hat« u.ä. Es ist bemerkenswert, daß diese Interpretation im Sinne moralischer Abschrekkung und Lehre auch achtzig Jahre später in einer empfehlenden Lektüreliste wieder auftaucht, die Heinrich Doergangk seiner lateinisch geschriebenen Grammatik des Spanischen beigab, der ersten übrigens, die in Deutschland erschien," bevor ihr 1624 der Barockhumanist Kaspar von Barth mit seiner lateinischen und kommentierten Übersetzung der Celestina erneut zur Geltung verhalf.12 So klar sich Wirsungs Übersetzungsversuche literarhistorisch zwischen das humanistische Schuldrama und das volkstümliche Schauspiel einordnen lassen, so wenig erheben sie selbst ausdrücklich den Anspruch, als kunstvolles Muster für die Bühne zu gelten. Sichtbare Nachwirkung sollte ihnen auch nicht beschieden sein. Das Übergewicht des Wortes, des Dialogs, über die Handlung blieb bestehen. Wird doch aucto 1520 als »wirckung« mißverstanden und erst 1534 mit »gespräch« wiedergegeben! Das bei der Neufassung eher noch verstärkte Interesse an der exemplarischen Deutungsmöglichkeit, nicht am Stoff selbst, hatte bei dem Übersetzer das rein sprachlich-literarische Anliegen weithin überdeckt. Und dennoch vollbrachte Wirsung eine großartige sprachliche Leistung, die den in »sollicher arbayt Tranßferierens« zunächst Unerfahrenen immer ehren wird, zumal die Übersetzung trotz doppelter Brechung dem Original in bewundernswertem Umfang gerechnet wird.13 Im Zwiegespräch zwischen Amusus und Urbanus lastet Wirsung die »verenderung viler sententz den Truckern« an, ein beliebter und gewiß auch oft gerechtfertigter Klagetopos unter humanistischen Schriftstellern, doch erscheint die zweite Celestina-¥as,s\mg so gründlich verändert, daß man über die Berichtigung von Druckfehlern oder anderen Entstellungen des Textes hinaus von einer völlig neuen Übersetzung sprechen muß. Selten hat ein Autor,

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Institutiones in linguam hispanicam, admodum faciles, quales antehac nunquam visae. Köln, 1613; auf VI, f. 5 v: Horrerem itaque et ego hunc libellum de Celestina in manus tradere hominum, nisi scirem omnes vias rimas, et progressus quibus homines insanis illaqueantur amoribus in ea tradi, non ut imitentur, sed ut mature eas praeludant et evitent, ne similem cum Celestina, et eius amatore miserandum sortiantur casum et exitum [...] ut homines tragico illo exitu a vanis amoribus absterreat (f. 3 v); doch empfiehlt er die Celestina wegen ihrer sprachlich-stilistischen Vorzüge. Dazu Marcel Bataillon: »Caspar von Barth: Interprète de la Célestine«, in: Revue de littérature comparée 31 (1957), S. 321-340. Erst in den vierziger Jahren betätigte sich Wirsung erneut als Übersetzer einer Reihe von polemischtheologischen Schriften des ehemaligen italienischen Kapuzinergenerals Bernardino Ochino, der wie Wirsung Protestant geworden war.

300 zumal in so früher Zeit, derart intensiv mit den Problemen der Übersetzung gerungen und uns durch die Veröffentlichung zweier verschiedener Versionen desselben Werkes zugleich einen Blick in seine Werkstatt, in die eigene Übersetzerkritik ermöglicht. Diesen aufschlußreichen Prozeß hat Fehse bereits im einzelnen und im Hinblick auf die Entwicklung der deutschen Sprache, aber auch des persönlichen Stilempfindens, des Textverständnisses und des Nachschaffens bei Wirsung dargestellt. Deshalb mögen hier nur einige Hinweise auf Besonderheiten genügen. Die Wiedergabe der sprichwörtlichen Wendungen bereitet natürlich erhebliche Schwierigkeiten nicht nur beim Erfassen ihrer Bedeutung, sondern auch bei der Suche nach den treffenden Entsprechungen im Deutschen. Ähnlich wie Eyb und später der geistreiche anonyme Bearbeiter von Cervantes' Rinconete y Cortadillo (Augsburg 1617) fand Wirsung manche vortreffliche Eindeutschung. Für »pan y vino anda Camino« zum Beispiel setzte er nach dem Italienischen »pane e vino fanno andar Camino« die Entsprechung »brot vnnd wein ringeret all pein«. Für »a dineros pagados, bragos quebrados« setzt er über »a denari pagati brazzi spezzati« schließlich »bezalter knecht thut selten recht«. Die in der überarbeiteten Fassung öfters als Randglossen angeführten Sprichwörterbelege verdeutlichen die moralisierend-didaktische Intention der Übersetzung. Der Gebrauch von Fremdwörtern14 - abconterfecten, suptil, confectionieren, figurieren, glorifizieren, fatzelen (Taschentücher), materi, fantasey, apparat machen (seltsame Gebärden), constellation usw. - geht in der späteren Fassung erheblich zurück, dafür holte Wirsung mit Vorliebe zu umständlichen Umschreibungen oder Erklärungen aus. Köstliche Übersetzungen findet Wirsung für Ausdrücke aus der familiären, deftigen, zuweilen anzüglichen Umgangssprache. Auch Mundartliches fließt ihm gelegentlich in die Feder. Unübertrefflich zeigt sich der Apotheker Wirsung, der Verfasser eines im 16. Jahrhundert weit verbreiteten Rezept- und Arzneibuches - bei der Schilderung von Celestinas Hexenküche, die er 1520 (fol. 16 v s.) bei der Aufzählung der Pulver, Kräuter und Ingredienzen noch gekürzt hatte, deren Beschreibung er aber 1534 (fol. 20 r s.) umso ausführlicher und gewandter mit eigenen Zusätzen und erklärenden Einschüben wiederzugeben versucht. Dabei nimmt er manche abergläubischen und volkstümlichen Vorstellungen seiner Heimat in den fremden Text auf. Nur einen einzigen größeren Eingriff in den Originaltext erlaubte sich Wirsung am Schluß der Fassung von 1520. Damit wird zugleich deutlich, daß der Übersetzer zunächst wohl stärker aus einem gewissen dramaturgisch-literarischen Interesse an die Celestina herangetreten sein dürfte. Nach Pleberios Totenklage über die Tochter hielt es Wirsung für notwendig, zur Wiederherstellung des dramatischen und szenischen Gleichgewichts auch die Mutter Melibeas zum Schluß noch einmal auftreten zu lassen. Er zeigt sie in ihrer Schmerzensohnmacht und legt ihr ebenfalls eine längere Klagerede in den Mund, die freilich in platten Worten nur etwas ausführt, was der Dichter mit seiner ursprünglichen dramatischen Ökonomie nicht beabsichtigt hatte. Denn Pleberios' Charakter erscheint dadurch in einem ganz anderen Licht. Daß Wirsung 1534 das Anhängsel fortließ, beweist nur, daß er die

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Eine besonders merkwürdige Fehlleistung ist die zweimalige Übernahme von »la philosomia del uiso« (erw. italienische Ausg., f. XIII r); im Text von 1520 (f. 12r, 19r): »philosomia des gesichts«. Doch 1534 heißt es richtig »Physionomia« (f. 16r) bzw. »physionomey« (f. 22 v.).

301 »Nachdichtung« für nicht mehr mit dem philologischen Grundsatz der Werktreue vereinbar hielt, dem er stets so aufmerksam gedient hatte. Erstveröffentlichung in Sprache, Literatur, Kultur - Romanistische Beiträge [=Festschrift für Rudolf Brummer]. Hrsg. Dietrich Briesemeister, Frankfurt am Main: Peter Lang 1974, S. 50-57.

Vives in deutschen Übersetzungen (16.-18. Jahrhundert)

Kein spanischer Autor vor Cervantes ist im deutschen Sprachbereich so oft gedruckt und übersetzt worden wie Juan Luis Vives. Auch kein anderer zeitgenössischer Humanist, von Erasmus abgesehen, 1 erreichte im 16. Jahrhundert eine so hohe Zahl von deutschen Übertragungen. Weder in England, wo Vives mehrere Jahre verbrachte, noch in Frankreich oder Italien und erst recht nicht in seiner spanischen Heimat liegen Übersetzungen so vieler Einzelschriften vor wie in den Ländern deutscher Zunge. Die Verbreitung der Vives'schen Werke ist hier der Leistungsfähigkeit und dem Geschäftssinn von Druckern und Verlegern im Dienst des Humanismus, der Gelehrsamkeit sowie der Tagesaktualität zu verdanken. Die rege Übersetzertätigkeit spiegelt darüber hinaus jedoch eine geistige Ausstrahlung des Vives im Zeitalter der Reformation sowohl in katholischen als auch in protestantischen Gebieten, die sich im Unterschied zu Erasmus bislang erst in Umrissen erfassen läßt. Im folgenden wird der Komplex der deutschen Vives-Übersetzungen bibliographisch vorgeführt, die das Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts (VD 16) (I, Bd. 21, Stuttgart 1994, S. 285-307) keineswegs vollständig beschreibt. Es ergibt sich, anders als bei Erasmus, das Bild einer gleichbleibend erfolgreichen, dichten Rezeption im deutschsprachigen Raum nicht nur im 16. Jahrhundert, sondern auch darüber hinaus bis in die späte Barockzeit. Die Spuren dieser breiten Nachwirkung sollen hier in einigen bildungs- und ideengeschichtlichen Zusammenhängen aufgezeigt werden und im Sinne einer von Otto Herding 2 bereits vor Jahren gewiesenen Richtung zu genaueren Einzeluntersuchungen anregen, etwa über die eifrigsten Übersetzer wie Heinrich Pantaleon, Georg Lauterbeck oder Heinrich von Eppendorff. Vives, der noch nicht dreißigjährig bereits in Europa berühmt war, hatte auch in Deutschland schon früh »ein grosse authoritet erlanget« (Heinrich Pantaleon). Indem er eloquentia vollendet mit sapientia vereinigte, stellte er jenseits der konfessionellen Auseinandersetzungen die Erfüllung des Ideals der docta pietas dar. Seine deutschen Übersetzer priesen ihn daher auch mit fast gleichlautenden Formulierungen als »frummen hochgelerten vnd theüren mann« (Kaspar Hedio), als »hochberühmpten theüren und Christlichen mann Gottes« (ebenfalls Hedio) oder als »Fürtrefflichen vnd Hochgelahrten Herren« (Stephan Agricola). Christoph Bruno erwähnt in einer Randbemerkung in der Vorrede zur Vnderweysung ayner Christlichen Frauwen (1544), daß Vives in Brügge »vil schöne bücher geschriben vnd die kunst des wolredens mit grossem lob dasselbst geleret« habe und dort verstorben sei. Albert Oelinger verglich 1587 den »weisen, verständigen« Denker mit Erasmus, verwies auf die Freundschaft und den Briefwechsel der beiden mit berühmten Zeitgenos-

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Heinz Holeczek: Bibliographie der deutschen Übersetzungen von Schriften des Erasmus von Rotterdam 1518-1550, Stuttgart 1981, Bd. 1. Erasmus von Rotterdam, Deutsche Übersetzungen des 16. Jahrhunderts, Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek 25. 2.-3. 5. 1980, bearbeitet von Irmgard Bezzel, München 1980. Otto Herding: »Über einige Richtungen in der Erforschung des deutschen Humanismus seit etwa 1950«, in: Humanismusforschung seit 1945, Bonn 1975, S. 107 (Mitteilung II der Kommission für Humanismusforschung der DFG).

303 sen sowie nicht zuletzt auf den großen Erfolg der Bücher des Vives bei Lesern aus allen Ständen. Mit ihren umfangreichen Würdigungen stellen der Züricher Polyhistor Konrad Gesner (in der Bibliotheca universalis, Zürich 1545, Bl. 430 v ^31 r ) und Huldrich Coccius, der die erste lateinische Gesamtausgabe der Opera (Basel 1555) besorgte, die beiden wichtigsten Quellen dar für die im deutschen Sprachraum nach Vives' Tod bis Daniel G. Morhof andauernde Hochschätzung, wie sie sich im bibliographischen Abriß niederschlägt, den Pantaleon 1571 seiner Übersetzung von De veritate fidei christianae voranstellte: »Er was ein weyser hochgelehrter mann, darzu in der wolredenheit treffentlich geübet: er lag one vnderlaß ob den Bücheren, vnd begeret die guten künst vnd tugent nach seinem vermögen zu fürderen«. Er unterscheidet sein Wirken als Sprachgelehrter (wie man Sprachen erlernt, Briefe schreibt, die Studien reformiert) von dem des Philosophen und Theologen, hebt aber eigens hervor, daß er »mit grossem ernst vnnd andacht« für Laien als auch für Gebildete schrieb und sich »alle geleerten ab seinem verstandt vnnd weyßheit verwunderen«. Es wäre eine eigene lohnende Aufgabe, die in Widmungsvorreden oder bei Zitaten verstreuten Zeugnisse für diesen europäischen Nachruhm aufzuspüren. Als spätes Beispiel aus Deutschland sei Johann Thomas Freige (1543—1583)3 erwähnt, zeitweise Rektor in Altdorf und Rhetorikprofessor in Basel, dessen häufig aufgelegte Erläuterungen zu Vives' Colloquia einen neuen Abschnitt in der Geschichte des Lateinunterrichts einleiteten. Der Schulmann bekannte 1582, daß er schon früh seinen Vives >liebteveracior< als Widerspruch zu >sincerierenSophistiker< - scholastischer Haarspalter - werden hier gleichgesetzt. Im Bewußtsein einer übergreifenden Respublica literaria wehrt sich jedoch der Philologe dagegen: »Nec me movet quod Hispanus natione fuerit. Petrus Ramus Gallus est, Erasmus Batavus, Sigonius Italus [...] Melanchthon Germanus. Ego nationem non fugio, cum habeo eruditionem quam sequar« (op.cit., S. 5). Gäbe es doch

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Vgl.: Allgemeine Deutsche Biographie 7, S. 341 ff. Colloquia sive exercitatio latinae linguae, Nürnberg 1582, S. 3. Sebastian Münster: Cosmographia, Basel 1544, S. 47.

304 unter uns mehr Männer, die wie Vives - »ad vivum id non reseco«, fügt er im Wortspiel mit dem Namen hinzu - Wissenschaft mit Frömmigkeit und Gottesgelehrsamkeit vereinten, dann hätten die Spanier schließlich etwas, das sie gut und gern selbst ihren Feinden nachmachen könnten. Wären umgekehrt die Spanier, die so sehr auf Ehre und Moral bedacht sind, mit den Schriften ihres Landsmannes besser vertraut als mit den Spitzfindigkeiten mancher Neuerer (»quorundam recentium sophismata«, Neuscholastik), dann könnten sie anderen Ländern ihre Überlegenheit nicht nur durch Gold und Macht, sondern auch durch echte Weisheit und Wissenschaft zeigen. Vives wird hier in nachtridentinischer Zeit einerseits als überkonfessionell verbindendes Vorbild, andererseits - jenseits aller nationalstaatlichen Rivalitäten - als universale Geistesgröße verstanden, und zwar an einer bedeutsamen Wende, da sich die Ausstrahlung der spanischen Scholastik auf die protestantische Schulmetaphysik bereits deutlicher abzuzeichnen begann. Das Schicksal des Emigranten und der jüdischen Familie - die fatalis calamitas, von der Vives nur in Andeutungen sprach, - wird in diesem Abriß einer geistigen Biographie freilich nicht erkannt. Für die Übertragung der Schriften des Vives gibt es Anknüpfungspunkte und Motive, die wiederum nur vor dem Hintergrund der politischen und geistig-religiösen Zeitlage verständlich werden. Abhandlungen zur Theologie, Logik, Metaphysik oder Seelenlehre standen natürlich ebenso wenig an zur Übersetzung in die Volkssprache wie die Fachschriften auf dem Gebiet der Philologie und Rhetorik. Diese hatten ihr internationales Leserpublikum, die Gelehrtenrepublik. Dagegen wurden die Stellungnahme zum Zeitgeschehen und zu sozialen Fragen, die praktischen Unterweisungen für den Ehestand und die Kindererziehung, die im Unterricht verwendeten Schülergespräche und die Bücher zur christlichen Spiritualität in deutschen Fassungen für eine breitere Laienleserschaft zugänglich gemacht. 1532, vergleichsweise spät also, erschien in Straßburg bei Balthasar Beck als erste Schrift von Vives auf deutsch Wie der Tiirck die Christen haltet so vnder jm leben. Johannis Ludovici Viuis Valentini gschrifft. Sampt der Türcken ursprung fürgang vnd erweiterung biß auffden heüttigen tag in der Übersetzung von Kaspar Hedio6 und mit der Widmung an Martin Seyler, Schultheiß in seiner Geburtsstadt Ettlingen. Der Übersetzung von De conditione vitae Christianorum sub Turca (1529) sind auf ff. E iijv-ivr einige kurze Auszüge beigefügt aus Band III und V Wie die Disciplin vnd kunst sollen fürgeben werden (über die Sprache und über die Caritas), als Hinweis darauf, daß der Straßburger Geistliche und Schulmann Hedio nicht nur De disciplinis von 1531 schon kennt, sondern auch die Bedeutung dieses epochemachenden Werkes gegenüber einer aus der unübersehbaren Flut von Drucken über die Türkengefahr7 keineswegs herausragende Gelegenheitsschrift von 1529 erkennt. Deren Übersetzung gehört jedenfalls zu den frühesten volkssprachlichen Fassungen eines Vives'schen Werkes überhaupt. Vorausgeht die Utilissima consultatio de bello Turcico

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Vgl. Neue Deutsche Biographie 8, S. 188 f. Carl Göllner: Turcica. Die europäischen Türkendrucke des 16. Jahrhunderts (Bd. 3: Die Türkenfrage in der öffentlichen Meinung Europas), Baden-Baden 1961-1978 (Bibliotheca Bibliographica Aureliana). E. Herrmann: Türken und Osmanenreich in der Vorstellung der Zeitgenossen Luthers, Diss. Freiburg/Br. 1961. Jean-Claude Margolin: »Conscience européene et réaction à la menace turque d'après le De dissidiis Europae et bello turcico de Vivès (1526)«, in: August Buck (Hrsg.): Juan Luis Vives, Hamburg 1982, S. 107-140.

305 inferendo (1530) von Erasmus, die verkürzt bereits 1531 auf deutsch herausgekommen war. Eine weitere Übersetzung von Vives' Pamphlet findet sich in einer großformatigen Sammlung von Türkentraktaten, die 1540 in Straßburg bei Hans Schotten erschien: Türckischer Keyßer Ankunfft Kryeg vnd Händlung gegen vnd wider die Christen, biß ynschlyeßlich vff den yetzt regyerenden Solymannum (Bl. LXV ff.), »verdolmetscht« von Heinrich von Eppendorff, einem Freund Huttens, der durch seine Auseinandersetzungen mit Erasmus bekannt wurde. Der Titel lautet Wie erbärmklich vnder dem Türcken den Christen zu leben sey ein kurtze meidung Johannis Ludovici Viuis von Valentz in Hispanien mit einer Initiale aus Holbeins Totentanzalphabet. Vorangestellt sind zwei weitere Schriften: Ein Gespräch [...] Von der Zwytracht so vnder den Christen in Europa schwebt vnd vom Türckischen kryeg (Bl. XXII-LI), das ist der in Brügge 1526 geschriebene Dialog De Europae dissidiis et bello Turcico, sowie der Brief an den englischen König Heinrich VIII. »De regni administratione, bello et pace« vom 8. Oktober 1525: Wie sich ein christlicher Fürst halten gegen seinen vnderthanen Wie hoch er sich auch den friden näheren vnd kryegßübel vß angeborner frommkeyt flyehen fürkummern vnd abwenden soll (Bl. LII-LXIIII). Auch diese beiden Texte schmückt eine Totentanzinitiale. Eine spätere Auflage der Zusammenstellung erschien 1545 ebenfalls bei Schotten unter dem Titel Annal Buch Der Römischen Küningen Burgermeysteren vnd Keyßeren nammhafftige Kryegßhändel. 1533 und 1534 erschien wiederum in Straßburg die deutsche Fassung von De subventione pauperum (1526) bei Balthasar Beck oder Johann Prüss.8 Kaspar Hedio widmete die VonAlmusen geben Zwey büchlin dem »Ersamen Radt vnnd frummer burgerschafft zu Straßburg« und preist sie als »Allen Policeyen nutzlich zu lesen« an. Die zweite Auflage 1534 erhielt eine veränderte Titelfassung, die den programmatischen Inhalt der Schrift rekapituliert Wannenher Ordnung menschlicher beywonung Erschaffung der speyß anfang der Sta'tt allerley handthierung außteylung der guter Vrsprung der Mintz wie die Metall in die weit kummen Von Schul vnnd lermeistern. Wie man sol guts thun mit radtschlag fleiß arbeit vnderrichtung gelt Das großer Herrn macht auff den underthonen rüget Von warem Gemeinem nutz. Wie man der Betlerey weren vnd der Armut in Repub. bey zeit sol zuhilff kummen Von zucht armer leiit kinder Von dem Meinen vnd Deinem dadurch all unrug in der weit entstadt Das Christenthumb sey in wolthat. Vnd wie vil vnd auff was weiß einem jeden seye guts zu thun. Wie die Oberheiten jeder statt vnd Pollicey dem verarmen yrer burger begegnen. Von Spitälen Weysenheiisern. Von gemeinem almusen gegen armen gefangnen im krieg 8

H. Grimm: »Luther's contributions to sixteenth century organization of poor relief«, in: Archiv für Reformationsgeschichte 61 (1970), S. 222-234. Miriam Usher Chrisman: Strasbourg and the Reform, A study in the process of change. New Haven/London 1967. Rudolph William Mienert: The care of the poor as seen in sixteenth century Protestant Church Ordinances, Diss. Rutgers University, New Jersey 1974, S. 113-124. Marcel Bataillon: »J. L. Vivès, réformateur de la bienfaisance«, in: Bibliothèque d'Humanisme et Renaissance 14 (1952), S. 141-158; auch in: ders.: Erasmo y el erasmismo, Barcelona 1978, S. 179-202. A. Saitta, »II >De subventione pauperum< di Luis Vives«, in: Critica Storica 1972, S. 585-630. Thomas Fischer: Städtische Armut und Armenfürsorge im 15. und 16. Jahrhundert, Göttingen 1979. Christoph Sachsse/Florian Tennstedt: Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Bd. 1, Stuttgart 1980. Otto Winckelmann: Das Fürsorgewesen der Stadt Straßburg vor und nach der Reformation bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts, Leipzig 1922 (Reprint 1971). Robert Stupperich: »Das Problem der Armenführsorge bei Juan Luis Vives«, in: August Buck (Hrsg.), op. cit., S. 49-62.

306 verbrenten Schiffbrüchigen Jungkfrawen bey eren zubehalten Christen vom Türcken zu entledigen Vom leisten willen der Stijfter. Fast hundert Jahre später veröffentlichte der protestantische Theologe Johann Valentin Andreae nach seiner utopischen Beschreibung des wahren christlichen Gemeinwesens Reipublicae Christiano-politanae descriptio (1619) eine neue Übersetzung von De subventione pauperum 1627 in Durlach: Zwey Bücher Ioannis Ludovici Vivis, welche in sich begreiffen, wie man solle die Armen vnderhalten. Das 1. handelt de subventione privata, was ein jeder nach seiner Person, das 2. de subventione publica, was ein Statt ins gemein thun soll. Im Umkreis des markgräflichen Hofes hatte sich, ähnlich wie in Wolfenbüttel um Herzog August, seit Oelinger ein lebhaftes Interesse für Vives erhalten, das bei Andreae bestärkt wurde durch die Suche nach der idealen Verfassung für ein radikal christliches Gemeinwesen. De communione rerum lag schon 1536 unmittelbar nach der Niederlage der Wiedertäufer in Münster auf deutsch vor: Von der gemeynschaft aller dingen. Durch Hans Ludwig Vinis beschrieben, gedruckt in Straßburg bei Jakob Kamerlander und übersetzt von Hans Schweintzer.9 In den Jahren nach dem Tod des Erasmus wandten sich die deutschen Übersetzer vorwiegend den moralisch-didaktischen und geistlich-theologischen Schriften von Vives zu. Nach der ersten deutschen Version von De concordia et discordia in humano genere (1529) durch Leo Jud, einen der engsten Mitarbeiter Zwingiis in Zürich, Ein gar schon jaa nit minder nutzlichs büchlin in latin vßgangen durch den hochgeleerten herrn Ludwigen Viues. Wohar Eintrechetikeit vnd ouch zwitracht des die weit voll ist komme vnnd erwachse (gedruckt in Basel bei Wolfgang Frieß 1537)10 entstand zunächst eine Pause, bis 1544, nachdem Vives gestorben war, die beiden Übersetzungen von De officio mariti (1529) und De institutione feminae christianae (1524) im gleichen Jahr erschienen, die 1566, zu einem Handbuch vereinigt, erneut herauskamen (Von Gebirlichen Thun vnd Lassen aines Ehemanns vnd Von vnderweysung ayner Christlichen Frauwen, zuerst bei Heinrich Stainer in Augsburg, dann in Frankfurt bei Christian Egenolff gedruckt). Der Übersetzer ist der Rechtslizenziat und »poetische Lehrer« Christoph Bruno im Dienst des Herzogs von Bayern in München. Beide Prachtausgaben zieren 26 Holzschnitte von Hans Schäuffelein, Hans Burgkmair, Hans Weiditz und dem Petrarcameister. Von Johann Jakob Galt stammt eine unveröffentlichte deutsche Fassung der Institutio feminae christianae, die 1606 Maria Anna, der Gemahlin König Ferdinands II. gewidmet wurde (Österreichische Nationalbibliothek, Wien, ms. 11848). 1545 erschien in Ingolstadt bei Alexander Weyssenhorn, ebenfalls von Bruno übertragen, zunächst das Satellitium animi (1524). Die Titelfassung des der englischen Königin Katharina gewidmeten Satellitium sive symbola spricht Inhalt, Funktion und Leserkreis des Spruchbüchleins an: Zwayhundert vnd dreyzehen außerlesner Trabanten durch wolcher getrewe belaytung nit allain Fürstliche vnnd Hochadeliche personen sonder auch ain jeder

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Vgl. Allgemeine Deutsche Biographie 33, S. 364 f. Vgl. Neue Deutsche Biographie 10, S. 636. Irmgard Bezzel: »Leo Jud (1482-1542) als Erasmusübersetzer, ein Beitrag zur Erasmusrezeption im deutschsprachigen Raum«, in: Deutsche Vierteljahresschrift 49 (1975), S. 628-644. Karl-Heinz Wyss: Leo Jud. Seine Entwicklung zum Reformator 1519-1523, Bern 1976. Leo Weisz: Leo Jud, Ulrich Zwingiis Kampfgenosse 1482-1542, Zürich 1942.

307 mensch zu bewarung leibs vnd lebens vor allem lüst vnd argem betrug der Widersacher gewüßlich versichert wúrt. 1546 folgte ebenda die erste deutsche Fassung der Introductio ad veram sapientiam (1524), Anlaitung zu der rechten vnd waren Weyßheit. Ro. Kii. Ma. Auch derselben Kiiniglichen geliebten Kindern zu Inspruck zu aller vnderthanigster erzaigung verteutscht durch Christoph Bruno. König Ferdinand I., dem das Werk gewidmet ist, hatte die Underweysung ainer Christlichen frawen gelesen und Bruno daraufhin ermutigt, auch die Introductio zu übersetzen. Die Bruno'sche Übertragung war in ihrer Zeit nicht die einzige. In einem Brief vom 23. August 1540 aus Glarus teilt der Schweizer Reformierte mit, er habe soeben die deutsche Fassung der Introductio fertiggestellt 11 und schicke Bullinger das Manuskript zu mit der Bitte um Durchsicht vor der Drucklegung, zu der es dann jedoch aus unbekannten Gründen nicht kam. Brunner pries das Werk als Summe echter Gottesweisheit und Gelehrsamkeit, als sicheren Weg zur Frömmigkeit für einfache wie für gebildete Leute und als wahrhaft »güldenes Buch«. Im 17. Jahrhundert ist mit der deutschen Übersetzung der Einleitung zur wahren Weisheitt, welche die älteste Tochter von Herzog August, Sibylla Ursula, Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg, ihrem Vater 1649 zum 70. Geburtstag schenkte, ein bemerkenswerter Rückgriff auf Frömmigkeit und Weissheit des Spaniers in adeligen Kreisen zu verzeichnen (unveröffentlichtes Autograph im Cod. Guelf. 56.7. Aug. 4° der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel). Die Introductio kam beispielsweise in Helmstedt 1615 und 1630 sowie in Braunschweig 1657 in lateinischer Ausgabe heraus. Die 1656 in Hamburg und Wolfenbüttel zusammen mit Erasmus' De civilitate morum puerilium gedruckte Anführung zu der Weissheit, die der Übersetzer nicht namentlich zeichnet, ist jedoch nicht identisch mit der Übertragung der Herzogin. 1673 und 1690 erschien eine Neuauflage der Hamburger Ausgabe unter dem Titel Introductio ad veram sapientiam, das ist Ein gar herrliches büchlein des berühmten Johann Ludovici Vivis, genant Anführung zur weissheit, der studierenden jugend zu nutz in beyden sprachen herausgegeben als Schule für Frömmigkeit und Sprache. Auch aus dem 18. Jahrhundert sind noch mindestens zwei deutschsprachige Ausgaben zu verzeichnen (Nürnberg 1714, Breslau 1756). Zurück zur chronologischen Abfolge der Übersetzungen von Vives' Schriften: nach den beiden Büchern zum Ehestand kam erst 1559 wieder ein Werk auf deutsch in Erfurt heraus: Dialogus. Das ist ein Gesprech Von der Kinderzucht oder von den Sitten der Jugendt, übersetzt von Stephan Agricola dem Älteren. Während der zweiten und dritten Periode des Tridentinischen Konzils (bis 1563) erschienen keine weiteren deutschen Vives-Übersetzungen. Erst in den 70er Jahren entstand eine bemerkenswerte neue Bewegung, die 1571 eröffnet wird mit Heinrich Pantaleons Übertragung von De veritate fidei christianae libri V (1543) unter dem Titel Warhafftige Bestätigung des Christlichen Glaubens, inn Fünff Bücheren ordenlich begriffen. In diesen ist wider alle Philosophen, Juden, Machometisten, Türcken, Sarracenen, Tartaren, Araben, Heyden, vnnd aller andern außerlendischer Nationen Secten, oder falsche Christen, mit Göttlichen, Prophetischen, Natürlichen, Historischen vnnd vernünfftlichen Argumenten krefftiglichen bewiesen, daß [...] Jesvs Christvs der wäre Gottes Sun [...] auf das treüwlichest verteutschet [...] Also daß der fleyssige Läser ein grossen verstandt hertzlichen trost vnnd gewüsse 11

Juan Luis Vives: Epistolario, Hrsg. J. Jiménez Delgado, Madrid 1978, S. 630 f.

308 Versicherung

seines heyl in dieser leisten gefehrlichen

zeyt hie zu erlernen.

E s bleibt u n g e -

klärt, ob Pantaleon die von dem Hebraisten und Theologen Konrad Pellikan angefertigte Übersetzung von De veritate, Band III, die nicht erhalten ist, in seine Ausgabe übernommen hat. Pellikan war ein großer Bewunderer von Vives in Zürich. Die zweite deutsche Übersetzung von De concordia vollendete Georg Lauterbeck, ein gebürtiger Bayer, Doktor der Rechte, Stadtschreiber zu Naumburg und Kanzler im Mansfeld, kurz vor seinem Tod. Sie trägt den Titel Ioannis Ludovici Vivis Des Weitberühmbten Hochgelehrten Herrn vier schöner herrlicher vnd nützlicher Bücher von Einigkeit vnd zwytracht in dem menschlichen Geschlecht [...] jetzundt gemeiner Teutscher Nation vnd allen Friedliebenden Menschen hohes vnd nidrigen Standes zu nutz und gutem ins Teutsch gebracht Auß welchen zu sehen und mit schönen Exempeln auß den besten Historien und Sprüchen der H. Schrift bewiesen vnd außgeführt was Fried vnd Einigkeit für nutz und was die verfluchte Discordia und Zwytracht für Schaden in der Welt pflegen anzurichten. Interessanterweise nimmt der Übersetzer (Bl. 61-78) »einige Gebet« (Preces et meditationes quotidianae) auf und fügt auch noch an Ein herrlich schön und nützliches Büchleinf...] De pacificatione, das ist von Christlichen vertrügen Oder wie ein jeder Christ für sich zu Fried und Eintracht sol geneiget seyn Und immer einer den andern auß Christlicher hertzlicher Liebe und Treuwe zu Friede wie er kan und mag erinnern und anhalten, ein Werk, das Vives nach Abschluß der Kaiser Karl V. gewidmeten De concordia 1529 verfaßte. Die Concordia hatte (wie die Entwicklung der Friedensidee) große Bedeutung.12 Den Abschluß der Übersetzungen bilden im 16. Jahrhundert die Exercitationes linguae Latinae Zwölf nutzliche Gespräche ... aus Lateinischer vnd Frantzösischer In die hochteutsche Sprache gebracht der Jugend vnd Liebhabern derselbigen zue gueten zu sammengetragen von Albert Oelinger, Hofrat in Durlach (Speyer 1587). Die Vorrede zu dieser Auswahl ist Johann Kasimir Pfalzgraf bei Rhein gewidmet. Oelinger stellt darin fest, daß es wohl keine deutsche Übersetzung gebe »von den mercklichsten vnd nutzlichsten gesprechen« und es sei bedauerlich, »das diselbigen sonderlich dem gemeinen man so der lateinischen unerfahren nit zu nütz kommen vnnd allein im Latein bleiben sollten«. Die Schülergespräche13 erfreuten sich bis in das 18. Jahrhundert hinein großer Beliebtheit. Um 1613 gab der Schulreformer und Marburger Professor Christoph Helwig (15811617) Familiaria colloquia heraus, die eine Auswahl von Texten des Erasmus und Vives mit deutscher Übersetzung enthalten. Dieses Lehrbuch erfuhr bis 1663 mindestens sechs Auflagen in Marburg und wurde noch 1687 in Nürnberg nachgedruckt.

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Gerhard Müller: Sebastian Francks Kriegsbüchlein des Friedens und der Friedensgedanke im Reformationszeitalter, Diss. Münster 1954. Otto Herding: »Humanistische Friedensideen am Beispiel zweier Friedensklagen«, in: Die Humanisten in ihrer politischen und sozialen Umwelt, Hrsg. O. Herding/Robert Stupperich, Bonn 1976. S. 7 - 3 4 (Mitteilung III der Kommission für Humanismusforschung). J. A. Fernández-Santamaría: The State, War and Peace. Spanish political thought in the Renaissance 1516-1559, Cambridge u.a. 1977. Jean-Claude Margolin: Guerre et paix dans la pensée d'Erasme, Paris 1973.1. Thürlemann: Erasmus von Rotterdam und Juan Luis Vives als Pazifisten, Diss. Freiburg/Schweiz 1932.

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Louis Massebieau: Les colloques scolaires du seixième siècle et leurs auteurs. 1480-1570, 1968 (Reprint).

Genf

309 Um die Mitte des 17. Jahrhunderts erweiterte sich der Kreis der Schriften des Vives auf deutsch noch einmal mit dem Buch der Erweckungen des Gemuets gegen Gott, der Auslegung zum Gebett des Herren sowie Jegliche Gebett und Betrachtungen, die alle ungedruckt blieben (Cod. Guelf. 12. 5. Aug. 4°). Georg Fehlau, Prediger an der Danziger Marienkirche, nahm 1661 Verdeutschte kurtze, aber sehr geistreiche Andachten und Gebehte von dem Morgen an bis in die Nacht in sein lutherisches Andachtsbuch Heilige Morgen- und Abendwache vnd Gott-gefälliger Tag vnd seelige Nacht (Amsterdam 1661). Das Ergebnis dieser chronologischen Übersicht zur deutschen Vivesrezeption in zwei Jahrhunderten ist überraschend. Demnach kennen wir die stattliche Zahl von 17 Schriften in 25 verschiedenen Übersetzungen, die zum Teil mehrfach in Druck erschienen, zum Teil aber auch unveröffentlicht blieben bzw. verloren gingen. Am häufigsten wurde die Introductio ad veram sapientiam übersetzt (4 Versionen, davon eine verschollen). Die Preces erfuhren drei Übersetzungen. Jeweils zwei verschiedene deutsche Fassungen liegen vor von De conditione vitae Christianorum sub Turco, De subventione pauperum, De concordia et discordia und der Linguae Latinae exercitatio. Jeweils einmal wurden übertragen De institvtione feminae christianae, De Europae dissidiis, der Mahnbrief an Heinrich VIII., De communione rerum, De officio mariti, Satellitivm, De veritate Christiana, De ratione studii, De pacificatione, die Excitationes animi in Deum sowie der Commentarivs in Orationem Dominicam. Damit überflügelt Vives bei weitem Antonio de Guevara und andere spanische zumeist geistliche Autoren, die sich im 16. und 17. Jahrhundert in Deutschland großer Beliebtheit erfreuten. Eine vergleichbar dichte Vives-Rezeption fand in Frankreich statt, allerdings mit anderen zeitlichen und thematischen Schwerpunkten sowie unter anderen politisch-religiösen Umständen. Von der Institutio feminae christianae und Introductio ad veram sapientiam gibt es hier sogar jeweils drei verschiedene Fassungen (1541/42, 1579, 1587 bzw. die Divine philosophie 1550 und 1553). De officio mariti, Exercitationes linguae latinae und die Preces liegen in je zwei französischen Versionen vor. De subventione pauperum kam erst 1583 auf französisch heraus. Überraschend sind hingegen Übersetzungen der Kommentare zu Augustinus De civitate Dei (Paris 1570) und zu Sueton. Wenngleich Erasmus noch häufiger als Vives ins Deutsche übertragen wurde, so erstreckt sich die deutschsprachige Rezeption des Vives bis weit in das 17. Jahrhundert hinein. Die Druckorte der deutschen Vives-Übersetzungen liegen im 16. Jahrhundert hauptsächlich im oberdeutsch-schweizerischen Raum, mit Straßburg und Basel im Westen, Augsburg und Ingolstadt im Osten. Hinzu kommen Frankfurt, Erfurt und Speyer, aber auch Dillingen und Leipzig finden sich unter den Verlagsstädten, die überwiegend der Reformation anhingen (außer Ingolstadt und Dillingen, die stark jesuitisch geprägt waren). Die lateinischen Drucke kamen hauptsächlich aus Baseler14 und Kölner Pressen. Die Übersetzer gehören auffälligerweise alle bis auf den Bayern Christoph Bruno15 zum protestantischen Lager.

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Carlos Gilly: Spanien und der Basler Buchdruck bis 1600, Basel/Frankfurt 1985. Karl v. Reinhardstöttner: »Zur Geschichte des Humanismus und der Gelehrsamkeit in München unter Albrecht dem Fünften«, in: Jahrbuch für Münchner Geschichte 4 (1890), S. 45-174, hier S. 64-74.

310 Vives wird über die Reichsstadt Straßburg durch den aus Mainz gekommenen Theologen und Domprediger Kaspar Hedio oder Heyd (1494-1552), einen der führenden Männer in der reformatorischen Bewegung, mit einer überaus aktuellen Gelegenheitsschrift in deutscher Sprache vorgestellt. Hedio, der sich zusammen mit Johannes Sturm dem Aufbau des öffentlichen Schulwesens widmete und auch die städtische Armenfürsorge neu organisierte, stellt Vives als einen politischen Autor vor, der »gar treülich die historien ersucht hat und allhie summieret« zur Warnung vor der Türkengefahr. Er »verdolmetscht« das Büchlein als propagandistische Handreichung für jene, die in den Krieg ziehen, sich schon auf Heerfahrt befinden oder aber daheim bleiben und informiert werden müssen. Wie schon zur Zeit der frühen Entdeckungen in der »Neuen Welt« war Straßburg ein Umschlagplatz für die europäische Nachrichtenübermittlung und einer der bedeutendsten Orte für den Buchdruck und Buchhandel. Mit der bezeichnenderweise dem Rat und der Bürgerschaft von Straßburg gewidmeten Übersetzung von De subventione pauperum griff Hedio zu einem frühen Zeitpunkt in eine umstrittene Angelegenheit ein, in die Auseinandersetzungen um die aus der kirchlichen Zuständigkeit herauszulösende Armenfürsorge, die Luther 1520 mit der Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation entfacht hatte. Als Vorspann zu seiner Übersetzung bietet Hedio einen Bericht über den vorbildlichen Stand der städtischen Wohlfahrtspflege mit Lucas Hackfurt als erstem vom Rat bestellten Wohlfahrtspfleger seit 1523 und späteren Prinzipal an Lateinschulen. In diesem Amt erfüllte er zeitweilig mit den Wiedertäufern sympathisierende »Aufsichtsbeamte« bereits eine der wichtigen Forderungen aus der 1526 dem Stadtrat von Brügge gewidmeten kühnen Programmschrift De subventione pauperum zur Neuorganisation des Armenwesens in weltlicher Zuständigkeit. Vives hatte möglicherweise Kenntnis von den Straßburger Regelungen. Die deutsche Übersetzung gab den Behörden und verantwortlichen Bürgern einen Leitfaden der öffentlichen Fürsorge und Armenerziehung zur Hand, dessen »prophetischer Pragmatismus« die bereits gemachten Erfahrungen positiv wertet und bestätigt aufgrund der Analyse menschlicher Lebensbedürfnisse sowie der damit verbundenen sozialen Probleme, zugleich aber auch den Rahmen absteckt für die noch der Lösung harrenden Probleme im Bereich der Armenhilfe. Alle Überlegungen zielen darauf ab, die gesellschaftliche Ordnung aufrechtzuerhalten und abzusichern. Der umständliche deutsche Titel der zweiten Auflage unterstreicht wie der Maßnahmenkatalog eines Projekts die Intention der Schrift als praktischer Handlungszuleitung. Ganz im Sinne von Hedios seelsorgerischem Eifer wird dabei der Nachdruck auf die sittliche, persönliche Verhaltensänderung bei den Armen selbst gelegt, die unterstützt werden muß durch flankierende Maßnahmen wie Gesundheitsfürsorge, Schulunterricht, Darlehen für junge Handwerker, Arbeitsplatzbeschaffung, Beseitigung sozialer Ungerechtigkeit und Benachteiligung der Schwachen. Hedio gibt sich wie Vives und andere über die sozialen Zustände der Zeit besorgten wachen Geister nicht ab mit der Erklärung, daß Armut und Elend den Menschen von Gott als Geißel auferlegt seien. Vielmehr sind sie wie der Krieg Folgen menschlicher Fehler und Schuld. So kommt es nicht von ungefähr, daß auch die dritte der politisch-sozialen Schriften von Vives in Straßburg übersetzt und gedruckt wurde: Von der gemeynschqfft aller dingen (1536 bei Jakob Kamerlander). »Diß Büchlin gehört jetzt uff die ban/ Obs viln mißfalt da ligt nit an« lautet das Motto auf dem Titelblatt des von Hans Schweintzer übersetzten Werkes über

311 den Besitz und das Gemeinwesen. Schweintzer, ein Schlesier und Anhänger des Kaspar von Schwenckfeld, mit dem er 1529 nach Straßburg geflüchtet war, versuchte wie Hackfurt und seine Gleichgesinnten das Ideal einer christlichen Gesellschaft radikal zu verwirklichen. Die Übersetzung von De communione rerum richtete er an alle Fürsten, Grafen, Herren, Richter, Räte und Amtsleute zur Belehrung über den Geist echter Gemeinschaft. Übersetzen bedeutete ihm Dienst am Nächsten, Caritas. Daß er, um die >brüder inn Christo< zu einem verinnerlichten Verständnis der Heiligen Schrift hinzuführen, auf den »fromm vnd wol gelert Hans Ludwig genannt Viuis« zurückgriff, ist bezeichnend für den tätig-reformerischen Aufbruch im Straßburger Stadt- und Kirchenregiment, dessen Anliegen Vives mit seiner Erfahrung sowohl aus dem spirituellen wie sozial-wirtschaftlichen Raum der Niederlande anzusprechen vermochte. Religiöse Motive, praktischer Bezug und geistiges Programm stehen miteinander in Einklang. In diesen Wirkungskreis der um Ausgleich und Frieden bemühten politisch-philosophischen Schriften des Vives fügt sich schließlich die Übersetzung Ein gar schon jaa nit minder nutzlichs buchlin in latin vßgangen durch den hochgeleerten herrn Ludwigen Viues. Wohar Eintrechtikeit vnd ouch zwitracht des die weit voll ist komme vnnd erwachse (Exemplar Bibliothèque Nationale, Paris, Rés. R. 1358) durch Leo Jud (14821542). Der Geistliche hatte bereits 1520/21 eine Reihe wichtiger Schriften des Erasmus übersetzt (Enchiridion, Ein klag des Frydens und Ein nutzliche vnderwisung eines Christlichen fürsten wol zu regieren). Auch in den dreißiger Jahren widmete er sich weiterhin dem Übersetzen. Nach den Worten seines Sohnes wollte er den »gelehrten und ungelehrten leyen, die damalen alle bûcher mit grossem fleiss lasend, dienen, damit sy evangelischer Warheit berichtet wurding«. Die besten und bedeutendsten Werke, die den Glauben festigen und fördern, sollten daher ins Deutsche übertragen werden. Weisz berichtet in diesem Zusammenhang, leider ohne Quellenangabe, von einer Übersetzung des Vives'schen >Ehebuchs< durch Leo Jud 1533, die er jedoch nicht zum Druck gegeben habe, weil in Straßburg im gleichen Jahr eine andere deutsche Fassung dieses Buchs erschienen sei (op.cit., S. 110). Gedruckte deutsche Übersetzungen der Institutio feminae christianae und De officio mariti sind jedoch erst elf Jahre später festzustellen. Es handelt sich also vielleicht um ein letztlich doch nicht verwirklichtes Vorhaben oder um ein Mißverständnis. Ein Jahr nach Veröffentlichung der berühmten Konkordienformel erschien sie in Frankfurt 1578 in einer zweiten deutschen Übertragung. Damit blieb das große Anliegen der Erziehung zum Frieden im politischen und konfessionellen Bereich auf eindrucksvolle Weise gegenwärtig. Auch De pacificatione beschwört in einer biblisch-exegetischen, theologischen, moralischen und anthropologischen Betrachtung über die Friedfertigen (pacifici) die Friedenspflicht des wahren Christen. Alle Menschen müssen Frieder (pacificatores) sein. Die Schrift ist eine fromme Handreichung, die im großen anthropologischen Aufriß einer Societas Christiana aus der Sicht der Bergpredigt eine praktische Anleitung zum Friedenstiften und Friedenerhalten bietet. Der Friede begründet als contrat social die Gemeinschaft der Menschen und deren himmlische Bestimmung. Die deutschen Fassungen der beiden >Ehebücher< von 1544 führen uns in einen ganz anderen Rezeptionszusammenhang. Als Prachtausgaben unterschieden sie sich äußerlich durch das Folio-Format und durch reiche künstlerische Ausstattung von den übrigen deutschen Vives-Übersetzungen. Während die Institutio feminae christianae in spanischer Übersetzung schon seit 1528, ebenfalls mit prächtigen Holzschnitten geschmückt, vorlag und zu

312 einem großen Bucherfolg wurde (sechs Neuauflagen bis 1555), erschien die früheste von drei französischen Fassungen nur wenige Jahre vor der deutschen (um 1541/42), die italienische Version folgte zusammen mit De l'Ufficio del marito 1546. Im deutschen Sprachraum - und nicht nur hier (vgl. etwa Joäo de Barros: Espelho de Casados, Porto 1540; Vives hatte ihm seine Excitationes animi in Deum zugeeignet, ferner die kastilische Übersetzung Carro de las donas [Valladolid 1542] des Libre deles dones von Francesch Eximeni? [Barcelona 1495]) - häufen sich auffällig um die vierziger Jahre Ausgaben von Ehestandsbüchern. Das Thema beschäftigte die Humanisten, gewann aber auch in der konfessionellen Standesliteratur zusammen mit Fragen der Erziehung und Schulorganisation große Bedeutung. Die bereits 1526 veröffentlichte Christiani matrimonii institutio des Erasmus, die ebenso wie Vives' Institutio feminae christianae der ersten Gemahlin von König Heinrich VIII., Katharina von Aragonien, gewidmet ist, wurde erst 1542 ins Deutsche übertragen und bei Balthasar Beck in Straßburg verlegt (Bezzel Nr. 95), obwohl Erasmus schon viel früher volkssprachliche Fassungen seiner erbaulichen Schriften befürwortet hatte. In Augsburg erschienen im gleichen Jahr auch seine Jugendschrift Encomium matrimonii und 1545 die Colloquia (Bezzel Nr. 87) auf deutsch. Daneben steht ein überaus erfolgreiches Ehebüchlein traditionellen Zuschnitts von Albrecht von Eyb (gest. 1475),16 das Heinrich Steiner in Augsburg 1540 mit Holzschnitten in 12. Auflage herausbrachte. Derselbe Drucker warf aber auch 1545 Ein schön herlich Büchlin einer trewen unnd seligen underweisung wie sich zwey Eeleut gegen einander halten sollen von dem »hochberiimbten gelerten mann« Plutarch auf den Markt, in der Übersetzung des neulateinischen Dramatikers und Professors Hieronymus Ziegler (1514-1562). Die erste spanische Übersetzung der Introductio wurde in der Antwerpener Ausgabe 1551 mit Plutarchs Carta a los casados zusammen gedruckt. Die Coniugalia praecepta waren andererseits in Eppendorffs deutscher Ausgabe von Plutarchs Guter Sitten einvndzwentzig Bücher (Straßburg 1535) enthalten. Außerdem nahm sie Albert Drach in Eyn schöne auszbündige Ehetafel (Marburg 1546) auf. Neben dem spätmittelalterlichen Typ der Eheunterweisung (Eyb), der antiken Moralistik (Plutarch) und Erasmus ist schließlich im unmittelbaren Umkreis der Erscheinung von Vives' beiden epochemachenden Schriften auf die reformatorische Lehre und insbesonders auf das bedeutendste Ehebuch der Reformation von Heinrich Bullinger Der Christlich Eestand (1540) hinzuweisen.17 Der Organisator der Zürcher Kirche stützte sich wesentlich auf Gedanken von Erasmus und Vives, führte sie aber zugleich auch weiter und bildete eine Brücke zum Familienbuch in England durch die Übersetzung von Miles Coverdale (The Christen State of Matrimonye, 1541, fortgesetzt 1552). Damit sind nur einige Perspektiven in dem breiten Feld zeitgenössischen Ehe- und Standesschrifttums umrissen, welche die Aufnahme von Vives' Underweysung ayner Christlichen Frauwen (Augsburg 1544) und Von Gebirlichen Thun vnd Lassen aines Ehemanns (ebenda) kennzeichnen. Beide Übersetzungen stammen von einem der bedeutendsten Vertreter des bayerischen Humanismus, Christoph Bruno, »Poet der löblichen und hochberümpten Statt München«, »poetischer Lerer« daselbst, Lizenziat der Rechte und herzög-

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Vgl. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon, Berlin 1978, Bd. 1, S. 180 ff. - Erstausgabe Nürnberg 1472, siehe GW 9520-9528. Alfred Weber: Heinrich Bullingers Christlicher Ehestand, seine zeitgenössischen Quellen und die Anfänge des Familienbuches in England, Diss. Leipzig 1929.

313 licher Hofrat. Bemerkenswert für das katholisch-bayerische Umfeld der Lehrtätigkeit Brunos ist die Abhandlung in Buch 1, Kapitel V »Welche Scribenten zu lesen und wölche nit zu lesen sind«, mit der Verurteilung auch in Deutschland inzwischen beliebter Lesestoffe: Ritter* und Liebesromane wie Amadis und Kercker der lieb (Diego de San Pedro) sowie der Celestina, die von Christoph Wirsung aus Italien mitgebracht, in Augsburg übersetzt und dort zweimal in herrlicher Aufmachung gedruckt wurde (1520 und 1534). Das Streitgespräch zwischen Amusus und Urbanus als Prolog zur Ausgabe von 1534 entwickelt hundert Jahre vor Kaspar von Barths Abhandlung die früheste kritische Diskussion über die Deutung der Tragicomedia. War die Institutio der Herzogin Jacoba von Bayern und ihrer Tochter Mechthild zugeeignet, so widmete Bruno die deutsche Fassung von De officio mariti dem Bürgermeister und Rat der Stadt München. Es ist beachtenswert, daß die Übersetzung dieser beiden für eine fortschrittliche Mädchen- und Frauenbildung 18 so bedeutsamen Bücher im katholischen Bayern entstanden und von dort aus zur Verbreitung der Lebenslehre des Vives beitrugen. In seiner Vorrede zum Gebirlichen Thun vnd Lassen aines Ehemannes stellt Bruno zur Rechtfertigung seiner »auß rechter Brüderlicher liebe« zum öffentlichen Nutzen gefertigten Übersetzung fest: Es ist bißher in mancherlay spraachen von den aller schlechtesten und geringsten dingen als unter anderen wie man ain roß erkennen, zäwmen und artzneyen soll vom kochen bawen fechten und dergleichen mit höchstem fleiß gschriben und gelert worden: Aber was für aine oder wie man ain weyb aufferziehen erwölen nemen lieben und regiern Darzu wie man ainen Haußwürdt suchen außerlesen und inn erren halten solte daruon haben gar wenig ja schier kainer und dasselbig schlechtlich und oben hin unterweysung geben.

Die Wirkung der erbaulichen Schriften, Sprach- und Gebetssammlungen war bei Altgläubigen wie bei Anhängern der Reformation in den deutschen Ländern gleichermaßen ausgeprägt. Die evangelische, verinnerlichte und menschlich gewinnende Frömmigkeit des Vives übte jenseits des Theologengezänks, der Apologetik und der konfessionellen Territorialgrenzen eine über Generationen hinweg ungebrochene Anziehung aus und schuf eine eigene Ökumene. Innerhalb weniger Jahre erschienen hintereinander zwei spanische und drei französische Übersetzungen der Introductio ad veram sapientiam,19 die für die Suche nach einer neuen intimen Religiosität in der von Glaubenskämpfen erschütterten, verunsicherten Christenheit sprechen. Zwei Jahre nach der spanischen Introduccion para ser sabio (Sevilla 1544), übersetzt von Francisco Cervantes de Salazar, der wenig später seinen Lateinunterricht als Professor an der Universität Mexico anhand der um einige mexikanische Dialoge vermehrten

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Foster Watson: Vives and the Renaissance education of women, New York 1912. Wilhelm Ruhmer: Pädagogische Theorien über Frauenbildung im Zeitalter der Renaissance, Diss. Bonn 1915. J. G. Wuterich: Juan Luis Vives, The instruction of the christian woman, A critical evaluation and translation, Diss. Boston College 1969. Ruth Kelso: Doctrine for the Lady of the Renaissance, Urbana 1956. G. Bochi: L'educazione femminile dall'Umanesimo alla Controriforma, Bologna 1961. Eugene F. Rice: The Renaissance idea of wisdom, Cambridge/Mass. 1958. M. L. Tobriner: J. L. Vives ' introduction to wisdomIns Feuer! Ins Feuer!< riefen, als Luther sich unter Protest von der Reichsversammlung zurückzog.5 Der

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»Cartas inéditas de Alfonso de Valdés sobre la Dieta de Augsburgo«, Hrsg. Giuseppe Bagnatori, in: Bulletin Hispanique 57 (1955), S. 353-374. Im folgenden zitiert als BH mit der entsprechenden Seitenzahl. Fermín Caballero, Conquenses ilustres. Bd. 4. Alonso y Juan de Valdés. Madrid 1875, S. 93, deutet im Zusammenhang mit einer Gesandtschaft nach Deutschland im Jahre 1516 die Möglichkeit an, Valdés habe schon zu diesem Zeitpunkt Mercurino Gattinara getroffen. Zur Biographie von Alfonso de Valdés vgl. Dorothy Donald/Elena Lázaro: Alfonso de Valdés y su época. Cuenca 1983. Opus epistolarum Pétri Martyris Anglerii. Amsterdam 1670 (Erstausgabe Alcalá 1530), epistolae 689 und 722. Erasmo y España. México 1966, S. 105. Margherita Morreale: »Alfonso de Valdés y la Reforma en Alemania«, in: Les cultures ibériques en devenir. Essais publiés en hommage à la mémoire de Marcel Bataillon. Paris 1979, S. 289-295; Ludwig Pfandl: »Das spanische Lutherbild des 16. Jahrhunderts«, in: Historisches Jahrbuch der Görresgesellschaft 50 (1930), S. 4 6 4 - 4 9 7 , 51 (1931), S. 4 7 - 8 5 und S. 485-537; Melquíades Andrés: »La imagen de Lutero en España hasta 1559«, in: Lutero y la Reforma. Simposio de la Universidad de Extremadura sobre Martín Lutero (1483-1546), Cáceres 1985, S. 55-85.

318 >Wahn< (insania), die Hartnäckigkeit und das übergroße Vertrauen auf seinen Triumph, die Luther in der Öffentlichkeit zeigte, erregten bei Valdés ein tiefes Mißtrauen. Für ihn sind dies klare Anzeichen der menschlichen Neigung zum Bösen. Neun Jahre später sollte er dem Kardinal von Ravenna anvertrauen: »Estas cosas de Lutero téngolas desde que estauamos en Wörmes muy platicadas«, weshalb er an der Illusion festhält, er könne auf dem Reichstag zu Augsburg »aprouechar mucho« (BH, 373). An Pedro Mártir wie auch an Accolti schickt er eine Art Briefprotokoll, um sein Handeln zu dokumentieren. In den Briefen von Valdés läßt sich der beständige Drang feststellen, ausführlich Bericht (»larga cuenta«) über das zu erstatten, was er tut oder denkt. Einige Briefe bilden geradezu Denkschriften und sind gleichzeitig Gewissensprüfung, apologetische Rechtfertigung seiner Absichten zur Verteidigung gegen Verschwörer oder Gegner und bewußte Darstellung der eigenen Bedeutung. Darüber hinaus ist Valdés durch seine berufliche Kanzleitätigkeit gewohnt, Berichte, offizielle Akten mit dokumentarischem Wert, zu verfassen. »He querido scrivir esta hystoria« (BH, 363)6, und zwar die seiner Augsburger Verhandlungen. Valdés ist dem Wesen nach ein Mann des Dialogs, der Überlegung und schließlich der Eintracht (concordia), ein Schlüsselwort in seinem politischen und spirituellen Denken.7 Verlorengegangene Eintracht und abgebrochener Dialog sind für ihn eine Tragödie. In diesem metaphorischen Sinn spricht er häufig von >tragoediapláticatragoedia< ist also keine hyperbolische Ausdrucksweise, sondern steht für ein konfliktives inneres Erleben von Valdés." Insbesondere im Sommer 1530, als sich das unvermeidliche Scheitern der Verhandlungen über die Confessio Augustana abzeichnet, fließen aus der Feder von Valdés bittere und pessimistische Formulierungen: »tengo muy poca speran§a que esta cosa (gemeint ist »esto de los luteranos«, BH, 364) se aya de acabar bien« (BH, 363). Er hegt Befürchtungen: »dexando la cosa muy más rota y en muy peores términos que nunca estouo« (BH, 373) und konstatiert großes Übel: »de verdad mucho más mal ay de lo que nadje penssaua« (ibid.).12 Alle diese Sätze lassen die schwere Besorgnis durchscheinen, die Valdés erlebte, zumal er den Ereignissen eine zutiefst religiöse Dimension im Drama des Heils zuschrieb, in bezug auf eine schwerwiegende Frage, in der die wichtigsten Persönlichkeiten der Welt eine Rolle spielten (Papst, Kaiser, Fürsten). In einem menschlich nicht lösbaren Konflikt konnte der Ausgang nur vernichtend sein. Hierin liegen alle Elemente versammelt, die die Tragödie (im traditionell-mittelalterlichen Sinne) ausmachen. Als kleiner Schauspieler in einer großen Intrige von Interessen und Macht auf die Bühne gestellt, wird Valdés sich immer mehr seiner Unfähigkeit bewußt, die unheilvolle Richtung zu ändern, welche die Dinge nehmen. In der Phase der Protasis oder Exposition - um uns an die der Dramaturgie eigene Terminologie zu halten - , konnte das Treffen von Valdés mit Philipp Melanchthon unabsehbare Auswirkungen sowohl für die deutsche Politik als auch für die Theologie und die Geistesgeschichte haben. Gegenüber dem berühmten Humanisten und Theologen nennt sich der kaiserliche Sekretär bescheiden »vn mancebo seglar, que no ha visto, mas solamente de lexos adorado, la sacra Theologia« (BH, 362). Gegen die Verdächtigungen und Anklagen, die Castiglione von Berufs wegen aufgreift, erklärt er ohne Umschweife: »Yo no soy, ni

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Opus epistolarum, S. 381; in einem Brief an den Kardinal von Ravenna: »Como cada vno tiene más respeto a sy que a Dios, procura y trata las cosas a su gloria, no a la de Dios« (BH, 362, außerdem 369: »querer cada vno mirar lo que le cumple y no lo que deue«; »tener ojo a hauer vn beneficio«, 374). An Johannes Dantiscus schreibt er am 12. September 1527 (Boehmer, op.cit., S. 391): »Si haberem erasmicam eloquentiam, non gravarer totam tragoediam tibi describere [...]«. Luis Núñez Coronel schrieb kurz zuvor (in Fermín Caballero, op.cit., S. 339) an Valdés: »Magna est enim in manibus tragedia, ut facienti libros nullus sit finis«. In einer Bemerkung zu den Schwierigkeiten mit der Publikation seines Diálogo de las cosas acaescidas en Roma teilt er Maximus Transylvanus mit: »Habes primum tragoediae actum, secundum accipe« (22. April 1529, Fermín Caballero, op.cit., S. 433). Genauso äußert er sich in einem Brief an Johannes Dantiscus: »Habeo enim papistarum tragoediam in meum dialogum Romanensem« (E. Boehmer, op.cit., S. 396 sowie S. 403). In einem lobenden Abschnitt über Melanchthon meint er, dieser solle besser »apartarse desta tragedia« (BH, 366). Außerdem möchte er nicht »adiuinar el mal« (BH, 364); er sieht »mui mala sennal«, (368), »muchos males« (373); »veremos mayor fuego que antes, sy Dios no lo remedja, pero a la verdad que a my ver nondum venit hora« (363); »nos aquí revueltos ... y la cosa rota« (368).

320 presumo ser Teologo«, 13 bekennt sich jedoch als »bueno y fiel cristiano«. Die Unbestimmtheit, Unentschlossenheit und Mäßigung von Valdés (wie natürlich auch die des Kaisers) in theologischen Fragen springt ins Auge. Beide bewegen sich innerhalb des traditionellen Glaubens der Kirche, lehnen jede Häresie ab und schließen sich noch nicht einmal theologisch oder kirchenrechtlich zurückhaltenden Auffassungen an. Ein solcher Mangel an Differenzierung oder Präzision muß keineswegs als Schwäche angesehen werden, sondern bietet Valdés ganz im Gegenteil einen viel breiteren Spielraum für Verhandlung und gedankliche Harmonisierung. 14 In einem Abschnitt seiner Berichte an Kardinal Accolti hebt Valdés gerade die geschickte Zurückhaltung des Kaisers in bezug auf umstrittene theologische Aussagen hervor: »no era su profesión lo que ally se tractaua« (BH, 374). Bereits vor dem Reichstag trat Valdés anläßlich einer protestantischen Gesandtschaft nach Piacenza im Gefolge des Kaisers im Jahre 1528/1529 mit Melanchthon in Kontakt. Über das Augsburger Zusammentreffen besitzen wir von beiden Nachrichten in den Briefen. Diejenigen Melanchthons, verstreut in einer umfangreichen Korrespondenz, sind ungleich dürrer.15 Am 19. Juni 1530 teilt er Joachim Camerarius, einem bedeutenden Philologen und Polygraphen, mit, daß er Valdés als Vermittler zwischen dem Kaiser und dem päpstlichen Abgesandten Lorenzo Campeggio gewonnen habe. Die Confessio Augustana enthält sämtliche nach Melanchthons Ansicht wesentlichen Punkte, wie er als ihr Hauptautor gegen alle Kritiken, die gegen ihn gerichtet wurden, bestätigt. 16 Unter demselben Datum teilt er dasselbe dem nach Coburg verbannten Luther mit und gibt dabei außerdem die Meinung von Cornelius Schepper wieder, daß nach dem Tod von Gattinara (4. Mai 1530) kein Ratsmitglied zum Frieden bereit sein würde. Tatsächlich war dessen Tod ein schrecklicher Schlag: »faltóme al mejor tiempo el Gran Canciller, por cuyo medjo yo penssaua obrar« (BH, 373). Campeggio setzt sich im Gegensatz zum Kaiser, der es auf viel vorsichtigere und nachsichtigere Weise tut, für die harte Unterdrückung der Protestanten ein. Mit feiner Ironie gibt Valdés sein Urteil über die Rolle des Gesandten ab, wenn er an Kardinal

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Fermín Caballero, op.cit., S. 363. Außerdem Erich Loos: »Der Briefwechsel zwischen Alfonso de Valdés und Baldassare Castiglione«, in: Spanische Literatur im Goldenen Zeitalter. Festschrift Fritz Schalk. Frankfurt 1973, S. 269-288; Joseph V. Ricapito: »Literature, life and history in 16th-century Spain: the case of Erasmus, Alfonso de Valdés and Castiglione«, in: Josep Maria Sola-Solé: Homage, Homenaje, Homenatge. Miscelánea de estudios de amigos y discípulos, Hrsg. Antonio Torres-Alcalá. Barcelona 1984, S. 185-197; Margherita Morreale: »Para una lectura de la diatriba entre Castiglione y Alfonso de Valdés sobre el Saco de Roma«, in: Nebrija y la introducción del Renacimiento en España. Hrsg. Víctor García de la Concha. Salamanca 1983, S. 65-103.

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Horst Rabe: »Befunde und Überlegungen zur Religionspolitik Karls V. am Vorabend des Augsburger Reichstags 1530«, in: Confessio Augustana und Confutatio. Der Augsburger Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche. Hrsg. Erwin Iserloh. Münster 1980, S. 100-112. Philipp Melanchthons Briefwechsel. Hrsg. Heinz Scheible, Bd. 1. Stuttgart 1977, Nr. 933. Zur Gesandtschaft nach Piacenza vgl. Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe, Bd. 7 (1527-1529). Stuttgart 1935, S. 362. W. Maurer, »Studien über Melanchthons Anteil an der Entstehung der Confessio Augustana«, in: Archiv für Reformationsgeschichte 51 (1960), S. 158-207; Herbert Immenkötter: Um die Einheit im Glauben. Die Unionsverhandlungen des Augsburger Reichstages im August und September 1530. Münster 1974.

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321 Accolti schreibt, »no todos son buenos para todo« (BH, 369). Der letzte Brief, in dem sich Melanchthon ausdrücklich auf Valdés bezieht, ist auf den 26. Juni 1532 datiert. Valdés spricht seinerseits immer in gehobenem Ton der Bewunderung, des Respekts und Vertrauens von Melanchthon. Er skizziert ihn für Accolti als »el más docto y menos malo de todos estos lutteranos«, als »un hombre cuerdo« inmitten von »confusión y mal arte« und als »blando y dispuesto para qualquier bien« (BH, 362). Die wertvolle Sammlung von sieben erhaltenen Briefen von Valdés an den Kardinal von Ravenna (verfaßt zwischen dem 12. Juli und dem 24. September 1530) bildet eine erstrangige Quelle, um die Gedanken, die Psychologie und den Eifer des spanischen Sekretärs einzufangen. In einer »larga cuenta« (BH, 373) - ein Ausdruck, den er auch in seiner Antwort an Castiglione verwendete - rechtfertigt er sich zur Entlastung seines Gewissens. Valdés handelt als Sprecher im ausdrücklichen Auftrag des Kaisers, was ihn auch den Pfeilen all jener aussetzt, die an seiner Orthodoxie zweifeln. Getreu berichtet er Karl V. alles, »lo que con ellos [nämlich den Protestanten] hauja passado«, er übersetzt ihm zum besseren Verständnis die von Melanchthon abgegebenen Stellungnahmen und nimmt an den Expertensitzungen teil, die vom Kaiser gesondert einberufen wurden. 17 Die an Accolti versandten Briefe liefern von der dramatischen Auseinandersetzung eine regelrechte >hystoriadie Geister der Deutschen besänftigen< (BH, 370), >dieses Wüten beschwichtigen (BH, 362), »paresfianos a nosotros que no conuenía exasperar el negocio syno entrar primero mansamente«, >anlocken< (BH, 366). Valdés stößt es zutiefst ab, sich >tollkühn< (temerario) zu gebärden, wie Castiglione es vermutet haben mag. Die Bereitschaft, Zugeständnisse zu machen, charakterisiert sein intellektuelles Verhalten und seine Taktik in den Verhandlungen im Hinblick auf ein überraschendes Ziel, wie es der Sekretär selbst ausdrückt: »no dexemos más lutheranos que hallamos« (BH, 367). Unbeweglichkeit und Maximalforderungen bringen die Sache in ihrer doppelten, religiösen und politischen Dimension in Gefahr: »por no conceder parte, perdemos el todo« (BH, 369), schreibt Valdés im Hinblick auf die unnachgiebige Haltung des päpstlichen Gesandten. Um die vitale Notwendigkeit eines Kompromisses noch stärker zu unterstreichen, greift er auf die volkstümliche Sprichwortweisheit zurück.21 In beinahe flehentlichem Ton warnt er wiederholt vor der Gefahr, den Kompromiß aufs Spiel zu setzen, der die Einheit wiederherstellt: »acá y allá nos arrepentiremos de hauerlo a poca costa podido y no querido remediar, y que querremos y no podremos hazerlo« (BH, 369). Die Theologen sind es, die sich einer friedlichen Lösung widersetzen. »Más aptos para estoruar, que para hazer conciertos« (BH, 374), schreibt er mit gewollt drastischer Offenheit

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Vgl. meinen Artikel »Vives in deutschen Übersetzungen (16.-18. Jahrhundert)«, in: Christoph Strosetzki (Hrsg.): Juan Luis Vives. Sein Werk und seine Bedeutung für Spanien und Deutschland. Frankfurt/Main: Vervuert 1995, S. 229-246. [Wiederabdruck in diesem Band] »Como dizen en mi tierra, que mucho abarcan, poco aprietan«, »quando pensemos hauer hecho algo nos hallemos llenas de moscas las manos« (BH, 368), »tengo miedo no ayamos venido por lana y boluamos trasquilados« (367), »nunca vi buen fin de querer lleuar las cosas por el cabo, immo summum jus summa injuria« (369); vgl. Margherita Morreale: »Sentencias y refranes en los Diálogos de Alfonso de Valdés«, in: Revista de Literatura 12 (1957), S. 3-14.

323 an den kirchlichen Würdenträger von Ravenna: »algunos son muy enemigos de la secta lutherana sed non secundum scientiam« (BH, 363; vgl. dort auch die Formel »están muy exacerbados contra los lutheranos«); die Theologen legten dem Kaiser eine Antwort vor, »más aparejada para irritar que para aplacar este fuego«, »muy áspera« (366) und »tan agra que paresgía más inuectiua que respuesta ny admonición Christiana«, 364, 370). Aber er widersetzt sich auch der Haltung einiger protestantischer Fürsten, die Melanchthon vorschlugen, »quitar algunas cosas que offendieran y no aprouecharan« (BH, 363). Offensichtlich handelt es sich hier nicht um bloße stilistische Korrekturen an der Formulierung der »scriptum«, wie sie die Fürsten eigens für den Reichstag vorbereitet hatten, denn auch Melanchthon gelang es nicht, die auf seiner Seite Stehenden aufeinander abzustimmen (BH, 363).22 In einem Brief an Erasmus (15. Mai 1529) verweist Valdés auf seine gleichermaßen mit Theologen und Ordensbrüdern auftretenden Schwierigkeiten, wobei er sie zu den Obskurantisten23 zählt - ein sehr gewagtes und eindrückliches Urteil. Durch Melanchthon wußten die deutschen Protestanten Bescheid über das Verständnis, mit dem der Sekretär für ihre Sache eintrat, obwohl (oder gerade weil) er nicht als Theologe dachte und handelte. Der Briefwechsel mit Accolti spiegelt die unterschiedlichen Verhandlungsstadien sehr gut wieder: dazu gehören der Austausch von Gutachten, Ausschußberatungen, Zurechtweisungen, Gespräche und persönlicher Umgang: »yo les truxe a my posada, y ally, burlando y beuiendo - nosti mores hominum - , emendamos nuestra escriptura de manera que satisfizo a todos« (BH, 366). Im Ausschuß entwickelte sich die Debatte weniger vergnüglich denn »con harto trabajo«; schließlich jedoch kam man zu einer Übereinkunft, »aunque las opiniones ayan sido muy diuersas [...], como todos vamos enderes^ados a vn fin, no nos podimos apartar dél« (BH, 366). Valdés verspricht Melanchthon die spezielle Gunst des Kaisers, »porque jncline los ánimos de sus príncipes a esta concordia«. Melanchthon seinerseits verspricht Valdés, er werde Wunder vollbringen (BH, 366). Dieser Satz zeigt, wie weit die Zuversicht der beiden Akteure gediehen war. »Yo muy cierta toue la concordia« (BH, 373). Doch gerade in dieser entscheidenden Phase wird Valdés ausgeschlossen: »no sé por qué causa no ha buelto Melancton más a my« (BH, 363), wundert er sich; er nimmt auch nicht mehr an den Beratungen teil. Hierin liegt die große tragische Enttäuschung von Valdés, der sich unversehens ausgeschlossen sieht vom »negocio lutherano«, der im Zentrum sowohl seines Denkens wie auch seines Dienstes für den Monarchen stand, dessen Vertrauen er besaß. Doch hatte er auch das Vertrauen von Cobos? Die genauen Gründe, aus denen Alfonso de Valdés isoliert wurde, sind nicht bekannt. Gab es ein Interesse daran, die von beiden Seiten so stark ersehnte Einigung scheitern zu lassen? Die Kritik am schlechten lateinischen Stil des Sekretärs Valdés, die vereinzelt aus Rom laut wurde, kann nicht mehr als ein armseliger Vorwand sein. Wegen der naiven Offenheit, mit der er ohne Umschweife seine Überzeugungen vertritt, wird Valdés für andere lästig. Oder liegt es daran, daß er seine Einflußmöglichkeit überschätzt und die Grenzen nicht sieht, die ihm durch sein Amt wie auch durch das situations-

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Herbert Immenkötter (Hrsg.), Die Confutatio der Confessio Augustana vom 3. August 1530. 2. Aufl., Münster 1981; auf den Seiten 210-212 findet sich ein Entwurf des kaiserlichen Dekrets für die vorgesehene Drucklegung der Confutatio, den möglicherweise Valdés in der kaiserlichen Kanzlei verfaßt hat. Fermín Caballero, op.cit., S. All.

324 bedingte Interessengeflecht gesetzt sind? In den Erklärungen, die Valdés zu geben versucht, verweist er auf die allgegenwärtigen Rivalitäten und auf den unstillbaren Drang, allen Beteiligten Hindernisse in den Weg zu legen. In dieser Situation gibt Valdés mit seiner geistigen Unabhängigkeit, seinem unerschütterlichen Mut und seiner moralischen Integrität ein bewundernswertes Beispiel. »Yo [...] soy libre y claro, y quando veo la ne§essidad y el peligro no puedo dexar de dezir libremente lo que me paresse [...]. Hasta agora lo he hecho assy, y piensso que o porque las orejas no huelgan de oyr verdades o porque alguna sospecha, han tractado la cosa syn my« (BH, 371). 24 Valdés vollzieht die »retirada en su posada« auf eine psychologisch sehr geschickte Art und Weise, die gleichzeitig seine menschliche Größe beweist. Er zeigt keinerlei Unwillen oder Verbitterung, sondern ordnet sich diskret und loyal wieder in der zweiten Reihe ein, im Vertrauen auf den Wert seiner bislang dem Kaiser geleisteten Dienste. Obgleich er sachlich kompetent ist, »no me quise entremeter por no dar gelosia a ninguno, ny me quisieron escuchar por no dar causa que se me diesse más crédito del que a algunos« (BH, 373).25 Diese vertrauliche Bemerkung des Sekretärs über seine Diskretion und Zurückhaltung macht nochmals deutlich, wie schwer es ist, eine endgültige Antwort auf die Frage nach der unmittelbaren Reichweite des Einflusses zu geben, den Valdés während der Augsburger Verhandlungen ausüben konnte. Das Streben von Valdés, Eintracht und >Einklang< (concerto) unter den Christen wiederherzustellen, hat nichts mit der modernen Vorstellung ökumenischer Toleranz zu tun, und ebensowenig mit einer fügsamen und nivellierenden Geisteshaltung, die allen Streitparteien etwas Recht geben will. Die »reformación« (BH, 374), von der Valdés spricht, soll eng mit der Selbstkritik aller einhergehen. Sie erhält ihre moralische Rechtfertigung einzig aus der vorausgehenden grundlegenden Selbsterkenntnis (dem sokratisch-christlichen gnothi seauton), die zur brüderlichen »correctio« führt. Darin liegt das Heilmittel und das irenische Prinzip, das uns der Erasmist aus Cuenca im Dienste Kaiser Karls V. empfiehlt: »tengo por cierto que nunca ellos se emendarán sy primero nosotros no nos emendamos« (BH, 364). 26 Die edle Erwartung von Valdés wurde zunichte. Dennoch besaß er in der protestantischen Geschichtsschreibung über die Confessio Augustana hinaus bis weit ins 17. Jahrhun-

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An anderen Stellen drückt er sich ähnlich aus: »con dezirlo y dolerme de que no se haga cumplo con lo que deuo a Djos, a su Santidad y a Su Majestad« (BH, 370); »no dexé de dezir mi pares§er, y aun dílo por scripto. Pares§io a algunos que no conuenia que se viesse, no porque se me diesse más auctoridad de la que a ellos conuernía« (373); »quando vi que se apartaron los nuestros de la práctica que yo hauja comentado y quisieron guiar la cosa por otros términos y andar en capítulos y respuestas [eine weitere unterschwellige Kritik am Vorgehen der Theologen] a la hora les dixe que lo errauan y que gastarían la negociación, como la han errado y gastado« (373).

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Vgl. ferner die Stelle: »nunca entendí en nada sino syendo llamado. Nunca lo fui syno teniendo de my necessidad« (BH, 373). Es gibt noch einen weiteren Beleg für diese seltene Auffassung, daß das politische Handeln mit einem ethischen Imperativ einhergehen muß: »Pluyesse a Dios que nos conosfiéssemos todos y procurasse cada vno de corregir sus faltas, y no a tuerto y a derecho defenderlas, y veríamos quán fácilmente se corregirían los lutheranos; mas pues esto no queremos hazer, quánto mejor sería tomar lo que se pudiesse que por hauerlo todo poner en condigion de perder el resto« (BH, 363). Dies entspricht auch dem, was Lactancio im Diálogo de las cosas ocurridas en Roma. Hrsg. J. Montesinos, Madrid 1928, S. 64, Zeile 20-26, sagt.

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325 dert ein hohes, leicht verklärtes Ansehen. Es gründet offenbar auf einem vorsätzlichen oder wohlmeinenden Mißverständnis. Alfonso de Valdes war weder Protestant, noch Kryptooder Protolutheraner, wie es Saubert andeutet, wenn er behauptet, Gott habe Valdes erleuchtet, die evangelische Wahrheit nicht nur für sich selbst zu erkennen, sondern sie sogar der kaiserlichen Majestät »muy discretamente« zu erläutern.27 Saubert greift das Zeugnis von Georg Spalatin auf, einem Chronisten des Kurfürsten von Sachsen und bedeutenden Verbindungsmann zwischen Luther, Melanchthon und dem Hof. Dieser spricht am 10. Juli 1530, ähnlich wie Melanchthon, von den »klugen und weisen Gutachten der Spanier über unsere Sache«, »dergleichen wir gewisslich in allen deutschen Landen schwerlich gefunden hetten«.28 Andererseits brachten die Katholiken den Verdacht des Lutheranismus gegen Alfonso de Valdes vor allem wegen seines Diälogo de Lactancio und seiner vorherigen Briefe an Papst und Kardinäle zur Verteidigung des Kaisers auf, unter dessen speziellem Mandat Valdes vor der Inquisition geschützt war.29 In derselben Linie der Glorifizierung der die Reformation begründenden Bewegung liegt auch die ansonsten für eine Persönlichkeit seines Standes sehr seltene Tradition der Bilddarstellung von Valdes in Deutschland. Sie beginnt mit dem auf eine Medaille geprägten Porträt des Künstlers Christoph Weiditz, Autor von sehr interessanten Trachtenzeichnungen, die 1529 auf einer Spanienreise entstanden. In einigen Exemplaren der Miraculae Augustanae Confessionis von Saubert ist daneben ein >Porträt< des kaiserlichen Sekretärs erhalten, zu dem der Schriftzug (Nr. 45) »Ein sonderlicher Liebhaber und Patronus der Evangelischen Lehr« am Seitenrand gehört.30 Das Schicksal der Werke von Alfonso de Valdes in Deutschland löst sich völlig vom Nachruhm seiner Persönlichkeit, da keine der gedruckten Fassungen den Namen des Autors trägt. Die beiden Dialoge von Valdes werden in Deutschland zu einem Zeitpunkt außergewöhnlichen Aufschwungs der Gattung des Dialogs bekannt, innerhalb einer kritischen und gleichzeitig sehr deutlich polemischen Strömung der deutschen Reformationsliteratur. Das

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M. Johannes Saubert, Miracula Augustanae Confessionis, Wunderwerck der Augspurgischen Confession, Nürnberg 1631, S. 220-222. »Alphonsus Waldesius [...] Welchen der liebe Gott sonderlichen regieret vnd erleuchtet, dass er nicht allein für seine Person die Evangelische Warheit gesehen, sondern auch zeitlich so bald Keys. Maj. nach Augspurg kommen Derselben die Sach der, Protestirenden auffs glimpfflichste vorgetragen vnd erkläret«. Auf S. 221 bezieht er sich auf ein langes Gespräch zwischen Valdes und dem Kaiser, um ihm zu erklären, »dass sie (die Protestanten) gantz nichts wider die Kirche glauben«. Ein weiteres Lob auf den mäßigenden Geist Alfonsos de Valdes findet sich auf S. 9: »Es hat aber Gott sonderlich gefügt, dass nach absterben dess ermelten Mercurini, Alphonsus Waldessius auch Cantzler obiger Meynung starck beygepflichtet vnd dahero Keyser Majestät Gemüth zum gelinden Wege so viel möglich gelencket«. Aus der Reihe der historischen Schriften über die Confessio Augustana sollte auf David Chytraeus, Historia der Augspurgischen Confession. Frankfurt/Leipzig 1578, 3. Ausg. 1580 und Georg Coelestin, Historia Comitiorum anno MDXXX Augustae celebratorum. Frankfurt, Leipzig 1577, 1597, 1603, hingewiesen werden.

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Philipp Melanchthon, Werke in Auswahl. Gütersloh 1957, Bd. 7,2, S. 208,4ff.; S. 211,19ff.; S. 212, 15ff.; S. 227, 6ff. Die Texte wurden mehrfach sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern herausgegeben. Vgl. Palau y Dulcet, Manual del librero hispano-americano, 2. Aufl., Nr. 347342-352. M. Bataillon, op.cit., S. 429, mit Abbildung.

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326 Religionsgespräch - Disput unter Theologen - wird als das Hauptinstrument organisiert, mit dem die theologisch-dogmatische Diskussion über die am heftigsten umstrittenen Fragen bezüglich der römischen Kirche und der neuen reformatorischen Strömungen gelenkt wird. Im Umkreis der Aufsehen erregenden Dunkelmännerbriefe (Epistolae obscurorum virorum) entstand eine ganze Serie anonymer dialogischer Satiren. So beinhalten die Dialogi septem (1520/1521) ein Gespräch mit dem Titel Momus über die politische und religiöse Situation zum damaligen Zeitpunkt. Ein anderer Dialog namens Carolus legt in einer Szene den Besuch dar, den Karl V. seinem Großvater Maximilian im Reich der Schatten abstattet. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts nimmt die, wenngleich partielle Kenntnis der Dialoge von Lukian in deutschen und lateinischen Fassungen zu.31 Ulrich von Hutten ( f l 5 2 3 ) fand im Dialog lukianischer Prägung die angemessenste Form, seine kritischen Ideen über Politik und Kirche auszudrücken. Unmittelbar nach dem Wormser Edikt gegen Luther (1521) wurde der poeta laureatus (seit 1517) öffentlich zum unerbittlichen Gegner des Kaisers. Hutten übersetzte vier seiner angriffslustigsten antipapistisehen Dialoge unter dem Titel Gespräch buchlin (1521) ins Deutsche. Im Phalarismus (1517) erscheint Phalaris im Traum dem Herzog Ulrich von Württemberg und befiehlt ihm, in die Unterwelt zu reisen, um dort Unterweisungen über die bösen Machenschaften des Tyrannen zu erhalten. Merkur führt ihn zu Charon, und nicht ohne Schwierigkeiten überqueren sie den Styx, um zu Phalaris zu gelangen. In Inspicientes (1520) sprechen Phaeton und Sol über die Geschehnisse auf der Erde. Sie sehen die Welt in Kriegen zwischen Italienern, Spaniern und Deutschen zerfleischt und das Leben der Christen in vollständigem Verfall. Schließlich wurde ein weiterer Totendialog von Juan Luis Vives, De Europae dissidiis (1526) im Jahre 1540 ins Deutsche übersetzt (Neuausgabe 1542). Er zeigt das traurige Schauspiel einer entzweiten und untereinander verfeindeten Christenheit. Alle diese Werke, deren Themen trotz aller Unterschiede denen von Valdes nahestehen, schaffen ein sehr günstiges, für die Rezeption vor allem in protestantischen Kreisen geeignetes Klima. Wie zu vermuten, verbreiteten sich die Nachrichten über den Sacco di Roma (1527) in Deutschland umgehend (diplomatische Briefe, persönliche Erzählungen, Flugblätter). Der Diälogo de las cosas acaescidas en Roma war in handgeschriebenen Kopien im Umlauf und verschaffte seinem Autor unerhörte Berühmtheit. Castiglione bedauert diese erstaunliche Verbreitung des Werks, das er lieber beschlagnahmt sehen wollte: »Dopo l'haver pubblicato il libro, e mandatolo in Allemagna, in Portugallo e in diversi altri luoghi, dite di volerlo mendare« 32 .

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Zu Lukian vgl. Christopher Robinson: Lucian and his influence in Europe. London 1979; Antonio Vives Coli: Luciano de Samosata en España 1500-1700. La Laguna 1959; John Rutledge: The dialogue of the dead in 18th century Germany. Frankfurt, Bern, New York 1974; O. Gewerstock: Lucian und Ulrich von Hutten. Zur Geschichte des Dialogs im 16. Jahrhundert. Berlin 1924; Michael O. Zappala: Lucian in Italy and Spain. Diss. Harvard University 1976. F. Caballero, op.cit., S. 234; im Exemplar der Bibliothek Menéndez Pelayo findet sich die eigenhändige Anmerkung von Menéndez Pelayo, daß Castiglione nicht auf die veröffentlichten Exemplare anspielt, sondern auf die Manuskriptkopien, die auch in Spanien zirkulierten. Vgl. zu diesem Detail den Brief von Valdés an Erasmus (15. Mai 1529, op.cit., S. 476), wo es heißt: »Dedi [...] Dialogum de capta ac diruta Roma [...] multaque his admiscui quae ex tuis lucubrationibus excerpseram«. Auch der Brief an M. Transylvanus (22. April 1529, op.cit., S. 432-34) beschreibt den großen Auf-

327 Ein kostbares Zeugnis der frühen Verbreitung der Dialoge von Valdés bietet uns die Bibliothek des Humanisten und Philologen Johann Albrecht Widmannstetter (1506-1557), der Alfonso de Valdés wahrscheinlich zu seinen Studentenzeiten in Bologna (1529) kennengelernt hatte. Das Exemplar mit der eigenhändigen Signatur des Gelehrten wird in der Bayerischen Staatsbibliothek aufbewahrt. Widmannstetter besaß auch den Diálogo de las cosas acaescidas en Roma, den die Bibliothek 1858 auf einer Versteigerung verkaufte.33 Zwar ist keine deutsche Fassung bekannt, doch die italienischen Übersetzungen waren auch in Deutschland verbreitet, wie man aus der Anzahl der in deutschen Bibliotheken erhaltenen Exemplare schließen kann (vgl. E. Boehmer, op.cit., Nr. 62, 65, 67 und 68). Allerdings schuf der Gelehrte und Barockdichter Kaspar von Barth (1587-1658), Übersetzer verschiedener spanischer literarischer Werke ins Lateinische (Celestina, Diana enamorada) eine gewisse Verwirrung, als er auf dem Titelblatt des Pornodidascalus, seu colloquium muliebre Petri Aretini Frankfurt 1623, Meißen, 2. Aufl. 1660) behauptet: »Addita Expugnado urbis Romae ab exercitu Caroli Quinti historia paucis nota et in dialogo memorata, eodem (Kaspar von Barth) ex Itálico interprete«. Daher lautet der Titel im Buchinneren anders: Direptio expvgnatae vrbis Romae ab exercitv Caroli Quinti. Compendio recensita, licet fusius vix vsquam reperiatur [...] Historia non inanis miraculorum Dei. Derselbe Text wurde zwei Jahre später in Frankfurt (1625) veröffentlicht, und zwar unter dem Titel Halosis [in griechischen Buchstaben] Romae sive narrado Histórica, quo pacto urbs Roma [...] ab exercitu Caroli VImperatoris [...] oppugnata, capta, direpta, vastataque sit, exfide dignis exemplaribus Itálico Hispanicoque idiomate scriptis fideli opera studioque in linguam latinam translata, ut fusius pluribusque circumstantiis ad rei gestae veritatem pertinentibus pertractata vix usquam reperiatur,34 Sowohl E. Boehmer als auch Marcelino Menéndez Pelayo (Historia de los heterodoxos españoles, 2. Aufl., Bd. 3, Santander 1963, S. 159) hatten darauf hingewiesen, daß es sich nicht um das Werk von Valdés handelte, wie es der Titel, den Barth ihm gab, glauben machen könnte. Die Zuschreibung wird weiterhin irrtümlich im Manual del librero hispano-americano von Palau y Dulcet (2. Aufl., Nr. 347369) aufgrund einer Anmerkung im Buch von Fermín Caballero (op.cit.) wiederholt. Vermutlich hatte Barth als der spanischen Sprache und Literatur sehr zugeneigter Philologe indirekte und vage Kenntnis des Diálogo de Lactancio und identifizierte ihn ohne weiteres mit dem Text, den er in italienischer Sprache bearbeitete. In Wirklichkeit handelt es sich um eine anonyme, kurz nach dem SaCco di Roma entstandene Kompilation, die auf verschiedenen spanischen

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rühr wegen des Dialogs. Sollte er nicht verbrannt werden, meint Johannes Alemannus mit gewollter Übertreibung, würde es dazu kommen, »ut universa Hispania in Lutheri verba iuraret«, op.cit., S. 433. E. Boehmer: Bibliotheca Wiffeniana. Spanish reformers of two centuries. Bd. 1. Straßburg 1874, S. 102-103. Nachgedruckt in Nova scriptorum ac monumentorum partim rarissimorum, partim ineditorum collectio. Bd. 1. Ree. Christ. Gottfried Hoffmann (Leipzig 1731), S. 529-550; weiterhin F. Fernández Murga: »El saco de Roma entre los escritores italianos y españoles de la época«, in: Doce consideraciones sobre el mundo hispano-italiano en tiempos de Alfonso y Juan de Valdés. Roma 1979, S. 39-72; Hans Schulz: Der Sacco di Roma. Karls V. Truppen in Rom 1527-1528. Halle 1894; Ana Vian Herrero: El Diálogo de Lactancio y un arcidiano de Alfonso de Valdés: obra de circunstancias y diálogo literario. Roma en el banquillo de Dios. Toulouse 1994.

328 und italienischen Quellen beruht. Sie ermangelt offensichtlich der dialogischen Struktur und ist nicht mehr als eine Erzählung der Ereignisse, die in gewisser Weise Nähe zum äußerst volkstümlichen deutschen Flugblatt Warhafftige vnd kurtze berichtung [...] wie es yetzo durch Römischer Keyserlicher Maiestet kriegsvolck, Inn eroberung der Stat Rom ergangen ist biss auffden XXI tag Junij (ohne Ort und Jahr, ca. 1527) aufweist, von dem es mindestens vier unterschiedliche Drucke gibt. Die Übereinstimmungen mit dem Dialog von Valdés beschränken sich auf das Faktische. Bemerkenswert ist, daß es in dem Zeitraum, in dem die deutsche Fassung des Diálogo de Mercurio y Carón (1609, 2. Aufl. 1613) erschien, ein Interesse für das Ereignis gegeben haben muß, das ein Jahrhundert vorher die Geister so erschüttert hatte. In Frankfurt erschien 1625 zusammen mit der lateinischen Ausgabe eine freie deutsche Fassung (Ausführlicher Bericht, Vnd Gründliche Historische Beschreibung, welcher gestalt die Statt Rom den sechsten Tag Mayens im Jahr Christi Tausent fünffhundert zwantzig sieben, von Keyser Caroli dess fünfften Kriegshöer, Bestürmet, Erobert, Geplündert, vnd verberget worden. Niemals hiebevorn mit dergleichen vmbständen vnd partikulariteten an Tag geben oder öffentlich gesehen. Auss denen hiebevor publicisten Italienisch, Spanisch vnd Lateinischen Exemplarien verteutscht. Vnd wird der Leser sonder Zweiffei in dieser Geschieht handgreiffliche Exempel der Wunder Gottes). Eine zweite deutsche Übersetzung von David Heinrich Brandt, die auf der Neuausgabe des lateinischen Textes von Barth beruht, wurde in Altenburg 1668 gedruckt, und zwar unter dem Titel Gedencke, o Rom, derer vorigen Zeiten. Eine sehr nachdenckliche Historia, welcher gestalt die Stadt Rom im Jahr Christi 1527 am 5. Maii von dess demaligen Glorwürdigsten Rom. Käysers Caroli V. Armee bestürmet und erobert worden. Allem Anschein nach verdankt diese lange Wirkungsgeschichte des Themas dem Werk von Valdés nichts Konkretes. Dagegen wurde der Diálogo de Mercurio y Carón vermutlich im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts ins Deutsche übersetzt, allerdings ist der aktuelle Verbleib der am Ende des 19. Jahrhunderts von den Buchhändlern Kubasta und Voigt in Wien verkauften Handschrift leider unbekannt. 35 Das Werk erscheint bereits im Index librorum prohibitorum (Dillingen 1564, f. 28) und wurde im Laufe des 16. Jahrhunderts verbreitet.36 Die erste deutsche Druckversion verließ 1609 in Amberg (vier Jahre später nachgedruckt) mit dem Titel Discours Vber Kayser Carolen dess Fünfften mit dem Khönig aus Franckreich Francisco Valesio gehaltener Schlacht vor Pavien die Druckerpresse von Michael Förster. Matthäus Merian sollte diesen Titel 1643 bei der Veröffentlichung der anonymen, kaum überarbeiteten Übersetzung in Frankfurt verändern (DIALOGVS oder Gespräche Vber Kayser Carolen dess Fünfften mit Francisco Valesio Königen zu Franckreich gehaltener Schlacht vor Pavia vnd was nach dessen Losslassung sichbegeben. In welchem Mercurius vnd Charon vnterschiedlichen Ständen Personen so respective verdammet vnd selig worden mit eingeführet: Männiglichen von hohen vnnd nidern Standt Geistvnd Weltlichen

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Arturo Farinelli: »Spanien und die spanische Literatur im Lichte der deutschen Kritik und Poesie«, in: Zeitschrift für Vergleichende Literaturgeschichte NF 13 (1899), S. 429. E. Boehmer weist die Herkunft des heute in der Bodleian Library, Oxford, erhaltenen Exemplars aus der Bibliothek der Jesuiten in Augsburg nach, Bibliotheca Wiffeniana, Nr. 56.

329 vmb trefflicher Lehren willen nöhting nutzlich vnd lusting zu lesen. Vmb demalige Zeiten von einem gebornen Spanier beschrieben nachmals ins Hochteusche versetzet nunmehr aber denen so weder Frieden noch Reformation finden können zum besten in weitern Track befördert). Die Übersetzung aus dem 16. Jahrhundert ist äußerst originaltreu und elegant. Sie fügt sich in eine beginnende Strömung, die dem deutschen Publikum eine große Breite spanischer literarischer und religiöser Werke zugänglich macht. Der Übersetzer stammt möglicherweise aus österreichischen Landen (Böhmen / Schlesien), deren Zentren Prag und Wien unter der Herrschaft des Kaisers Rudolf II. (1576-1612), der in Spanien aufgewachsen war, stark von der spanischen Kultur geprägt waren. Nicht zufällig verlegt die kongeniale Übersetzung des Rinconete y Cortadillo aus den cervantinischen Novelas ejemplares von Nikiaus Ulenhart (1617) die Handlung und die Personen in die Prager Unterwelt. Die ersten lateinischen und deutschen Fassungen des Lazarillo stammen von Geistlichen aus Breslau. Die Übersetzung des Diálogo de Mercurio y Carón erschien erstmals in einer kleinen, damals calvinistischen Ortschaft, seinerzeit Hauptstadt der Oberpfalz und nicht allzu weit von Prag entfernt, aber bedeutungslos für das Geistesleben. Das Datum dagegen ist sehr bedeutsam. Wenige Jahre trennen es vom Dreißigjährigen Krieg und vom Aufstand Böhmens (1618) infolge der religiösen Auseinandersetzung, die sich in dieser Region verschärfte. Ganz in der Nähe, in Bayern, hatte die Gegenreformation eine Bastion errichtet, von der die katholische Propaganda kräftig ausstrahlte. In diesem Zusammenhang ist der Rückgriff auf ein Werk wie den Diálogo de Mercurio y Carón sehr bezeichnend, nicht allein für die Suche nach neuen Formen aufgeklärter Frömmigkeit, sondern auch für eine streng antirömische Haltung. Sie begegnet der überaus starken katholischen Apologetik nicht mit direkter Polemik, sondern mit einem kritischen Dialog im Gewand einer »Erzehlung von Historien«, der trotz dem Abstand von fast einem Jahrhundert die Botschaft des Werks in seiner vollen Aktualität einfängt, als Beispiel einer verantwortungsbewußten Reflexion über die Essenz des Christentums. Die dritte deutsche Ausgabe erschien kurz vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges mit dem pleonastischen Titel DIALOGVS oder Gespräche [...] und ist denen gewidmet, »so weder Frieden noch Reformation finden können«. Damit erhält das Werk erneut eine aktuelle Bedeutung und drückt in berührender Weise die Sehnsucht nach Frieden und Versöhnung aus, die die innigsten Wünsche von Valdés selbst so gut trifft: »Pax dormit, quid dixi, dormit? Immo sepulta est« (Brief an Erasmus, 25. Februar 1529, F. Caballero, op.cit., S. 414-416). Merkur sagt von sich, er selbst sei »amigo de concordia« (auf deutsch »Friedensmann«, Ausg. von 1643, S. 12). Hier wird darüber hinaus der höchst wichtige Bezug auf die Gattung des Dialogs wieder eingeführt. Der den beiden vorherigen Ausgaben auferlegte Titel »Discours« ordnete das Werk der suasorischen Gattung des Discursus politicus zu, der in der zeitgenössischen politischen Literatur weit verbreitet war, um theoretische Probleme oder konkrete Fälle zu diskutieren. Das Verständnis des Werks unter diesem Aspekt knüpft selbstverständlich an einige Züge an, die ihm der Autor schon bei der Abfassung gegeben hatte (Einfügung offizieller Dokumente, Analyse der internationalen politischen Situation, Verfechten einer bestimmten ideologischen Haltung, historische Exempla). Die Spur des Diálogo de Mercurio y Carón verlängert sich noch weiter. Im letzten Jahr des Spanischen Erbfolgekrieges (1714) widmet ein Berater des sächsischen Hofes, Johann Georg Leib, dem Prinzen und Thronfolger seine kommentierte Ausgabe des zweiten Buchs

330 des Dialogs (El buen rey y consejos del rey) als Institutio principis christiani. Über eine unbekannte Zwischenquelle übernimmt er wörtlich die entsprechenden Kapitel der Übersetzung von 1643. Der Titel hat keine Verbindung mehr zum Originalkontext: Instruktion Kaiser Karls V. an seinen Sohn Philipp II. Des Grossen Kaysers Caroli V. Regier-Kunst, oder Väterliche Instruction, Wie sein Sohn Philippus II. König in Spanien wohl und glücklich regieren sollen, denn dort äußert der bereits verstorbene König, was hier als Ratschlag und Botschaft des Kaisers an Philipp II. präsentiert wird. Bemerkenswert ist dabei die Darstellung der entscheidenden Abschnitte, die Valdes als ideale Verhaltensregel und kritische Mahnung für seinen Herrn entworfen hatte, als authentischer Ausdruck und Summe des Lebens des Kaisers. Es handelt sich mithin um eine tiefgreifende Verschiebung der Perspektive. Das Büchlein hat mit keinem der fünf Testamente etwas zu tun, die Karl V. zwischen 1522 und 1554 hinterließ. 37 Darüber hinaus überrascht die positive Einschätzung des Kaisers, »den in der That grossen Keyser«, »den grossen Carolum V.«, »diesen unvergleichlichen Keyser«, als Ideal und Hoffnungsträger in einer Epoche, in der sich die Historiographie der Herrschaft Karls gegenüber kritisch zeigt, vom Bild Philipps II. gar nicht zu reden. Leib, der in Leipzig und Frankfurt (1708-10) vier Proben, wie ein Regent Land und Leute verbessern [...] könne, veröffentlicht hatte, präsentiert die beiden aus dem Dialog von Valdes entnommenen Kapitel als Handbuch der Regierungskunst, ohne ihre Herkunft und Autorschaft zu kennen. Er verleiht dem Text eine neue Aktualität zu einem Zeitpunkt, an dem sich die französische Hegemonie in Europa durchsetzt und, wie der Kommentator vermerkt, die Freiheit Deutschlands bedroht. Der Höfling stellt sein Werk als außerordentlich wichtig dar (»das sehr importante Werck«), nicht als utopisches Bild (das »eine andere Rempublicam Piatonicam gleichsam statuiret«), sondern als Summe dessen, was der Kaiser in seiner ruhmreichen Herrschaft (»glorieuser Regierung«) erreichte. Wie es der Prolog der »RegierKunst« deutlich macht, ist das Büchlein Teil der Erneuerung der politischen Wissenschaft mit pietistischer Prägung, die sich gegen den Machiavellismus und die erdrückende Traktatliteratur über die Staatsräson stellt. Bislang wurden der Fortbestand und die Transformation der Gattung De regimine principum im spätabsolutistischen Zeitalter, als Vernunft und Glaube sich erneut vereinen, um die Staatsautorität zu stärken, noch nicht untersucht. Kurfürst Friedrich August, der 1697 aus dynastischen Gründen zum Katholizismus übergetreten war, machte, als er 1705 sein politisches Testament Regel pour la posterrites [sie] schrieb, deutlich, wie die politische Tradition Sachsens als Heimat des lutheranischen Protestantismus ihrer zutiefst melanchthonschen Prägung treu blieb, leitete er doch eine Phase der überkon-

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Karl Brandi, Die Testamente und politischen Instruktionen Karls V., insbesondere diejenigen der Jahre 1534/44. Göttingen 1935. Die Instructions de l'Empereur Charles Va Philippe II Roi d'Espagne. Et de Philippe II au Prince Philippe son fils. Mises en françois pour l'usage de Monseigneur le Prince Electoral, par Antoine Teissier, Conseiller et hist. De S. S. E. de Brandebourg. Berlin 1699; 2. Aufl. La Haye 1700, unterscheiden sich vom Text von Leib. Berthold Beinert: »Die Testamente und politischen Instruktionen Karls V. für den Prinzen Philipp«, in: Karl V. Der Kaiser und seine Zeit. Hrsg. Peter Rassow und Fritz Schalk. Köln 1960, S. 21-34. 1716 verfaßt Leib das Flugblatt »Abfertigung des Unfugs des Neuen Bibliothec oder Nachrichten und Urtheile von neuen Büchern, wegen Caroli V. Regier. Kunst« gegen einige Kritiken, die in La nouvelle bibliothèque choisie où l'on fait connaître les bons livres (1714) gegen ihn gerichtet wurden.

331 fessionellen Politik ein, die zugleich die Grundlage für die glänzende Blüte des Pietismus sichert. Erstveröffentlichung unter dem Titel »La repercusión de Alfonso de Valdés en Alemania«, in: El erasmismo en España. Hrsg. Manuel Revuelta Sañudo/Ciríaco Morón Arroyo, Santander: Sociedad Menéndez Pelayo 1986, S. 441-456. [Übersetzt von Roger Friedlein, Berlin]

Die lateinischsprachige Rezeption der Werke von Teresa de Jesús in Deutschland

Die Aufnahme der spanischen spätscholastischen Metaphysik und Theologie an den deutschen Universitäten sowie die Wirkung der spanischen asketischen und mystischen Literatur auf das geistliche Schrifttum beider Konfessionen ist neben der Dichtung ein wichtiger Bereich der Kulturbeziehuhgen zwischen Spanien und Deutschland in der Barockzeit. Die Volksfrömmigkeit hat in den katholischen deutschen Gebieten unter den Habsburgern viele Anregungen von Spanien übernommen. In diesem Vermittlungsprozess spielen entgegen der verbreiteten Meinung keineswegs nur deutsche Übersetzungen, sondern gerade auch lateinische Versionen spanischer Werke eine entscheidende Rolle. Waren zunächst seit dem späten 15. Jahrhundert in wachsender Zahl sowohl volkssprachliche als auch lateinische Schriften spanischer Autoren auf deutsch herausgekommen, etwa Rodrigo Sánchez de Arévalos erfolgreiches Speculum vitae humanae (Der spiegel menschlichs Lebens, Augsburg 1475, von Heinrich Steinhöwel übertragen) und ein gutes Dutzend der Werke von Juan Luis Vives im Laufe des 16. Jahrhunderts, so kehrt sich nach der Mitte des 16. Jahrhunderts das Verhältnis wieder um zugunsten des Lateins: spanische Bücher aus verschiedenen Sachgebieten (Geschichtsschreibung, Naturwissenschaft, Geographie, schöne Literatur) wurden verstärkt in lateinischen Ausgaben verbreitet,1 ganz besonders auf dem Feld des theologischen und erbaulichen Schrifttums. Bibliographisch ist es noch völlig unzureichend erfaßt und daher auch in seiner Ausstrahlung auf Spiritualität, Seelsorge und Volksfrömmigkeit der nachtridentinischen Zeit kaum zu übersehen angesichts der Fülle von Übersetzungen und Verarbeitungsweisen (Florilegien, Spruchsammlungen, Gebetbücher, Kompilationen, Plagiate, Predigt u. a.). Allein schon der Umfang dieser Buchproduktion verbietet die Annahme, es handele sich bei solchen (neu-)lateinischen Übersetzungen spanischer Werke um anachronistische Gelehrtenübungen oder fromme, aber müßige Spielereien. Nicht nur in Deutschland war das kulturelle und geistige Leben im 16. und 17. Jahrhundert weitgehend zweisprachig geblieben.2 Offensichtlich ist jedoch spanisches Schrifttum nur hierzulande in diesem Umfang sowohl über deutsche als auch lateinische Fassungen rezipiert worden.

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Vgl. meinen Überblick »La difusión europea de la literatura española en el siglo XVII a través de traducciones neolatinas«, in: Iberoromania 7, (1978), S. 3-17, sowie »Die gedruckten deutschen Übersetzungen von Vives' Werken im 16. Jahrhundert«, in: Juan Luis Vives. Hrsg. August Buck, Hamburg 1981, S. 177-191. [Beide Aufsätze finden sich im vorliegenden Band. Ersterer in deutscher Übersetzung unter dem Titel »Die Verbreitung der spanischen Literatur durch neulateinische Übersetzungen des 17. Jahrhunderts«, letzterer in einer erweiterten Fassung von 1995: »Vives in deutschen Übersetzungen (16.-18. Jahrhundert)«.] Kühlmann, Wilhelm: »Apologie und Kritik des Lateins im Schrifttum des deutschen Späthumanismus«, in: Daphnis 9 (1980), S. 33-64; Deutsche Barockliteratur und europäische Kultur. Hrsg. Martin Bircher/Eberhard Mannach, Hamburg 1977 (darin L. Forster, »Die Bedeutung des Neulateinischen in der deutschen Barockliteratur«, S. 53-71, vgl. auch S. 205-215); Dieter Breuer: »Besonderheiten der Zweisprachigkeit im katholischen Oberdeutschland während des 17. Jahrhunderts«, in: Gegenreformation und Literatur. Beiträge zur Erforschung der katholischen Reformbewegung. Hrsg. J.-M. Valentin, Amsterdam 1979, S. 145-163.

333 Lateinische Übersetzungen der Werke Santa Teresas sind also, obwohl aus heutigem Verständnis ein Widerspruch in sich schon angesichts des eigentlich von ihr angesprochenen Leserkreises, keineswegs Einzelerscheinungen, sie stehen vielmehr in einem größeren Zusammenhang und sind rezeptionsgeschichtlich sehr aufschlußreich. Drei Jahre vor der von Fray Luis de León betreuten Salmantiner Erstausgabe der Werke Teresas (1588) erschien beispielsweise in Köln Fray Diego de Estellas Libro de la vanidad del mundo zuerst nach der italienischen Übersetzung von Gieremia Foresti (1573) auf lateinisch unter dem Titel De contemnendis mundi vanitatibus (1585). Ihr folgte 1587 ebenfalls in Köln eine nach dem spanischen Text gefertigte zweite lateinische Version, die bis 1624 mindestens acht weitere Auflagen erfuhr. Außerdem gibt es noch eine Reihe Kölner lateinischer Ausgaben, die den Titel Contemptus vanitatum mundi tragen (1617, 1638 u. ö. bis ins 18. Jahrhundert). Die lateinische Übersetzung der Meditaciones devotissimas del amor de Dios des Franziskanertheologen beruht auf der französischen Fassung von Gabriel Chappuys (Paris 1586) und erschien 1602 in Köln (De amore Dei meditationes piissimae). Erst anhand der lateinischen Versionen entstanden dann schließlich, häufig nachgedruckt, deutsche Übersetzungen beider Schriften (Weltlicher eytelkeit Verachtung, Köln 1586, sowie Hundert von der Liebe Gottes schöne außerlesene und andechtige Betrachtungen, Köln 1607). Bereits dieses eine Beispiel läßt erkennen, wie verästelt die europäische Wirkung und Verbreitung religiöser spanischer Literatur ist. Infolge der geringen Verbreitung spanischer Sprachkenntnisse werden vielfach Übersetzungen von Übersetzungen gemacht, die zu allen anderen Schwierigkeiten hinzu der getreuen und verständlichen Wiedergabe des Originals nicht gerade dienlich sind. Diese Gebrauchs- und Andachtsliteratur ist auch nicht um gepflegten Stil und korrektes Latein besorgt. Die Übersetzung dient vorrangig seelsorgerischen Zielen. Die Übersetzer, vielfach Geistliche, bedienen sich des Kirchenlateins als einer Umgangs- und Fachsprache. Auf dem internationalen Buchmarkt wird der spanischen religiösen Literatur durch die lateinischen Übersetzungen eine enorme Verbreitung gesichert: im Osten bis nach Polen und über Konfessionsgrenzen hinweg auf protestantische Theologen. Eines der interessantesten Beispiele für die Beschäftigung pietistischer Kreise gerade auch mit spanischer Mystik (Teresa de Jesús, Juan de la Cruz) bietet Pierre Poiret (Theologiae mysticae idea generalis, 1702, und Bibliotheca mysticorum selecta, 1708). Die katholische Erbauungsliteratur bleibt zweisprachig, wenngleich natürlich zwischen Volkssprache und kirchlicher Amtssprache eine gewisse Osmose stattfindet. Die lateinische Literatur erreicht hauptsächlich die höhere Geistlichkeit, den Mönchsklerus, Professoren und aktive Mitglieder der Marianischen Kongregationen. In der Muttersprache findet das religiöse Schrifttum hingegen Verbreitung unter dem niederen Klerus, den Laienbrüdern und Nonnen, sowie in Kreisen des Kleinadels, der Beamten und gebildeten Bürger. Das Nebeneinander von Latein und Deutsch zeigen sinnfällig die Titelfassungen nicht weniger Übersetzungen aus jener Zeit (z.B. Pedro de Ribadeneiras Tratado de la tribulación bekommt den Titel Fons vitae et consolationis Der Brunn deß Lebens und Trostes, München 1600; Alonso de Orozcos Vergel de oración y Monte de contemplación erscheint als Hortus Sacer Oder der Heilig Garten, München 1605, die erste deutsche Ausgabe der Werke Teresas erschien 1649 in Köln unter dem Titel Opera Oder Alle Bücher und Schriften). Nachdem die heiße Phase der gegenreformatorischen Polemik abgeklungen war, nimmt in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts die Zahl lateinischer Übertragungen und

334 Drucke spanischer geistlicher Autoren (Prediger, Theologen, Kirchenrechtler, Philosophen, Mystiker und Asketiker, Hagiographen, Andachtsschriftsteller) sprunghaft zu: etwa Pedro de Alcántara, De oratione et meditatione libellus, Köln 1618; die Werke von Jesuiten wie Baltasar Alvarez, Diego Alvarez de Paz, Francisco Arias, Juan de Cartagena, Alonso Rodríguez, Luis de la Puente; ferner die Schriften des Luis de Granada, Tomás de Villanueva, Antonio de Guevara, Cristóbal de Fonseca. Besonders hervorzuheben sind schließlich die Werke jener Karmeliter, die noch vor der Heiligen Teresa in Deutschland auf lateinisch verlegt wurden, wie Domingo de Jesús María, Juan de Jesús María oder Tomás de Jesús. Im Rahmen der vom Tridentinischen Konzil zur allgemeinen Erneuerung des katholischen Geistes erlassenen Richtlinien erreicht diese Buchproduktion ihren Höhepunkt. Die Verbreitung der neuen Massenliteratur geschieht durch spezialisierte Verleger und Offizinen, deren Schwerpunkte in den Niederlanden (Antwerpen, Brüssel), in Köln und Mainz sowie in Bayern (München, Ingolstadt, Dillingen) liegen. Innerhalb weniger Jahre werden in einem geballten Schub zahlreiche Werke der spanischen Mystik und Aszetik in lateinischen und natürlich auch deutschen Übersetzungen bekannt, allerdings mit einer bedeutenden Phasenverschiebung. Als diese Werke, auch die teresianischen Schriften, hierzulande erscheinen, war die große Zeit des Aufbruchs und der Beschreibung mystischer Erfahrung unwiederholbar vorüber. Nun gingen die theologischen Wissenschaftler und manchmal auch Seelenführer, die zwar noch Umgang mit übernatürlich begnadeten Menschen hatten, aber wie die Theologen selbst keine mystischen Zustände kannten, daran, jene Mitteilungen, Weisungen und Visionen in Handbüchern, Traktaten, Summen, Kommentaren systematisch »faßlich« aufzuarbeiten und für pastorale Anwendung und frommen Nutz zu schematisieren. Damit geht einher die Fixierung und Vereinheitlichung der theologischen Fachterminologie, die das mystische Vokabular nicht nur aus der Volkssprache umsetzt, sondern auch mit den Definitionen der theologischen Wissenschaft mißt, um so die Orthodoxie gegen jeglichen Verdacht des Subjektivismus und Spiritualismus aus der reformatorischen Bewegung zu schützen. Der alte Konflikt zwischen Mystikern und Intellektualisten, zwischen spiritueller Erfahrung und kirchlichem Lehramt wird durch diese Umklammerung im Sinne des letzteren >gelöstTheologia mystica< , (nachdem das Grundwerk des Harphius in purgierter Fassung seit der Kölner Ausgabe von 1555 wieder zur Verfügung stand), der aber die Unmittelbarkeit mystischer Erfahrung und Lebensweise unter den veränderten Umständen schon abhanden gekommen war. Im gleichen Jahr, da Fray Juan de Jesús María (1564—1615) zum Ordensgeneral der Unbeschuhten Karmeliter bestellt wurde, autorisierte er auch den Kölner Nachdruck seiner Theologia mystica (1611), die vor

335 allem die karmelitanische Tradition handlich darbietet. Vom Fachwortschatz her gesehen, bot die Übertragung der Werke Teresas, die selbst keine theologische Bildung besaß, also keine außergewöhnlichen Schwierigkeiten. Sie wird damit allerdings auch integriert in die Theologie, der sie in schlauer Bescheidenheit nie Konkurrenz zu machen wagte: »los letrados mejor lo darán a entender« (Vida 27,3) oder »como no tengo letras mi torpeza no sabe decir nada« (Moradas VI, 5,9). Sie konnte selbst auch kein Latein - »nos feminae doctrina caremus« - und viele in der Rechtschreibung fehlerhafte biblische Stellen in ihren Schriften zeigen, daß sie die aus Liturgie und Predigt vertrauten Belege lediglich nach dem Gehör memoriert (»sin entender la claridad del latin en romance«). Das Verbot der Lektüre erbaulicher Werke in den Völkssprachen durch den Index (1559) traf sie hart (Vida 26,6). Wenn Teresa de Jesús nach »neuen Worten« sucht, um ihren inneren Weg zu Gott zu beschreiben, so ist das nicht in erster Linie eine Frage des »rudo y desierto romance castellano«, sondern der Möglichkeit (und Begrenzung) menschlichen Sprechens über das unsagbare Mysterium. Dafür stellt auch die Volkssprache keine grundsätzlich anderen oder besser geeigneten Mittel zur Verfügung. Wenn seit dem Spätmittelalter zwischen Theologie, die sich der lehramtlichen Sprache des Lateins bedient, und der christlichen Spiritualität, die immer drängender den Ausdruck in der Muttersprache sucht, eine Kluft wächst, so ist dies Ausdruck theologischer Systemkrisen und weniger ein bloß sprachliches Problem. Es ist eine seltsame Umkehrung, daß Teresas Werke aus dem niederländisch-rheinischen Raum heraus auf lateinisch verbreitet werden, nachdem erst gut ein Jahrzehnt zuvor die Schriften der Eckart, Ruysbroeck, Tauler, Harphius, die Imitatio Christi (zum Teil auch übersetzt) nach Spanien hineinwirkten und jenes geistliche Klima schufen, aus dem auch Teresa de Jesús lebte.3 Für die Kenntnis und Verbreitung ihrer Werke ist die Entwicklung des reformierten Karmel in Deutschland die Grundlage. Die Unbeschuhten Karmeliter kommen aus den südlichen (spanischen) Niederlanden herüber, wo sie seit 1610 Klöster besitzen, die Tomás de Jesús (f 1627) als Provinzial in Brüssel, Löwen, Liège, Antwerpen usw. gründete. In der Suma y compendio de los grados de oración (Rom 1610, zahlreiche Nachdrucke), der auch einige Werke Teresas beigefügt sind, unternimmt es der bedeutende mystische Gottesgelehrte als erster, aus dem Gesamtcorpus einen Abriß der geistlichen Weisung zusammenzustellen und in Escholios theologisch zu kommentieren. Mit Tomás de Jesús befreundet und seit 1607 in den Niederlanden ansässig, stellt Jerónimo Gracián de la Madre de Dios (f 1614), ein Beichtvater Teresas, noch die unmittelbare Verbindung zu den Lebzeiten der Heiligen her. In seinen Brüsseler Veröffentlichungen zeigt sich nicht nur innige Vertrautheit mit ihren Gedanken (Dilucidario del verdadero spiritu, 1608), sondern auch der unermüdliche Einsatz für das Vermächtnis der Seraphischen Mutter (Erstausgabe der Conceptos del amor de Dios, 1611, mit Anmerkungen, sowie eine Declamación [...] de la perfecta vida y virtudes heroycas de la B. Madre Theresa de lesus, y de las fundaciones de sus Monasterios, 1611). Gleich zu Beginn des missionarischen Wirkens der Karmeliter im flämischen Raum erschien in Brüssel auch eine spanische Ausgabe der Obras (1610), die durch das 17. Jahrhundert immer wieder aufgelegt wurde. Die Cartas erschienen dort ebenfalls (erstmals 1661, deutsch Köln 1700). Die rührige Priorin Ana de

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Orcibal, Jean: La rencontre du Carmel thérésien avec les mystiques du Nord, Paris 1959.

336 Jesús ( t 1621), in die Teresa schon als Novizin großes Vertrauen gesetzt hatte, ermutigte von Brüssel aus den Augustiner Fray Basilio Ponce de León (1570-1629), einen in Salamanca lehrenden Neffen des Fray Luis de León, statt der Vita Teresas zunächst die lateinische Übersetzung ihrer Werke voranzutreiben, die er plante, jedoch nicht ausführte. 4 Dieses Vorhaben sollte wenig später ein spanischer Flame verwirklichen. Ana de Jesús gab ferner einen Bilderzyklus Vita Beatae Virginis Theresae a Jesu (Antwerpen 1613) in Auftrag bei den Kupferstechern Adrian Collaert und Theodor Gallé. Graphische Ausdrucksmittel werden auf diese Weise wirkungsvoll in den Dienst sowohl der Werbung für die Frömmigkeitsideale des Karmel als auch der laufenden Kampagne zur Kanonisierung Teresas (Seligsprechung 1614, Heiligsprechung 1622) gestellt. Die Stiche tragen lateinische Spruchbänder mit teresianischen Kernsätzen und prägen den ikonographischen Typ der Heiligendarstellung nachhaltig bis in das 18. Jahrhundert, als ähnliche Kupferstichfolgen erschienen: etwa Anastasius a Cruce, Decor Carmeli in splendoribus Sanctorum, Stiche von I. A. Pfeffel, Augsburg o. J.; Vita S. V. et M. Theresae a Jesu solis Zodiaco parallela, Stiche von K. Klauber, Augsburg o. J.5 In zwei >EmblembüchernDoctrix et Directrix< für die 1970 von Papst Paul VI. als erste Frau zum Doctor Ecclesiae erhobene Heilige und Patronin der spanischen Schriftsteller (»ut inter theodidactos non immerito referri posse videatur«). Den Opera steht schließlich eine interessante Widmungsvorrede des Verlegers Kinckius an den polnischen Adeligen Stanislas Lubomirsz voran; die hier anklingende Beziehung nach Osten wird erneut deutlich bei der lateinischen Ausgabe der Werke des Johannes vom Kreuz, die der polnische Karmelitermönch Andreas a Jesu 1630 in Köln drucken ließ. Johannes Kinckius war einer der zahlreichen Verleger in der Stadt, die sich, wie schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts, besonders rührig der Verbreitung theologischen, religiös-asketischen Schrifttums annahmen. Die Unbeschuhten Karmeliter hatten dort 1613 ihre erste Niederlassung gegründet.

338 Die von Kinckius vier Jahre nach der Heiligsprechung Teresas auf den Buchmarkt gebrachte Sammelausgabe enthält bis auf die Cartas, Constituciones, Cuentas de conciencia und Poesías (abgesehen von einer Probe) alle Werke der Ordensreformerin: - Vita S. Matris Teresae de Iesu (De vita sua); - Libri fundationum monasteriorum monialium discalceatarum; - Conceptus amoris divini super quaedam Cantici Canticorum verba; - Tractatus de ratione visitandi conventus monialium Discalceatarum O. C.; - Septem meditationes in Orationem Dominicam (ein apokryphes Werk, das wohl von einem Theologen verfaßt wurde und sich am zweiten Teil des Camino de perfección inspiriert; auch einzeln gedruckt Köln 1628); - »Cantio [...] qua cor suum ignitis erga Sponsum suum desideriis plenum exhalare solebat« (das berühmte Gedicht über »Vivo sin vivir en mí«, dessen rhythmische Fassung Martínez bereits seiner 1620 erschienenen lateinischen Übersetzung der Ribera-Vita beigegeben hatte). Der zweite Teil der Opera umfaßt: - Via perfectionis; - Mónita et documenta monialibus suis tradita; - Tractatus Castellum animae vel Septem mansiones dictus; - Exclamationes vel meditationes animae ad Deum suum. Die übersetzungskritische Erörterung aufschlußreicher Einzelfragen (etwa im Blick auf Teresas »trastornar la retórica« - Vida 15,9; Bilder und Vergleiche, Sprachschichten, Diminutive, Verhältnis zur ersten deutschen Gesamtübersetzung des Würzburger Priors Matthias a Sancto Amoldo) muß an anderer Stelle weitergeführt werden. Hier soll der Hinweis auf die lateinische Nachdichtung (I, 608-610) eines der berühmtesten Gedichte der spanischen Lyrik genügen, »Vivo sin vivir en mí«. Volkssprachliche Dichtung ins Lateinische umzusetzen, ist auch in Spanien eine alte, gelehrte Virtuosenübung, man denke an die von Juan Hurtado de Mendoza dem Infanten Felipe gewidmete lateinische Paraphrase der Coplas von Jorge Manrique. Das berühmte anonyme Sonett >No me mueve, mi Dios< lief unter der Zuschreibung Suspiria Sancti Xaverii gleichfalls auf lateinisch um.7 Die Kölner Ausgabe der Opera mystica (1630) des Johannes vom Kreuz enthält sogar den >Cántico espiritual , >En una noche oscura< und >Llama de amor viva< im spanischen Originaltext auf gegenübergestellten lateinischen Fassungen. Unter dem Titel Flamma amoris viva erschien in Kölnl710 eine zweibändige Ausgabe der Opuscula. Der Polyhistor Kaspar von Barth lobt im Erotodidascalus (Hanau 1625), der lateinischen Übertragung von Gaspar Gil Polos Diana enamorada, ausdrücklich die lyrischen Einlagen im spanischen Schäferroman und übersetzt sie als Musterstücke einer neuen Gattung. Mathias Martínez zeigt eine bemerkenswerte poetische Genauigkeit und Wendigkeit bei der Übertragung von Teresas Gedicht. Es gelingt ihm, den mystischen Gedankengang und die paradoxale Ausdrucksweise treffend in seinen nach mittelalterlicher Sequenzenart akzentuierenden und gereimten Versen zu erfassen:

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Hatzfeld, Helmut: Estudios literarios sobre mística española, Madrid 1955, S. 46.

339 I Vivo ego iam non ego, Sine vita vitam dego, Quodque vivam, morior. Morior, dum cesso mori Tacta spe sublimiori Vitae, de qua glorior, [...] II Illa divae caritatis Vincla, quae me implicant, Deum meae potestatis Et captivum indicant. Indicant captivum Deum, Et in libertatem meam Cor ligando vindicant. Sed dum video captivum, Me tenente, Deum vivum, Prae dolore morior. Morior, dum cesso mori, [-..] III Heu me vita, longa vita! Heu durum exilium! Heu, queis haeret irretita Mens pertaesa vilium. Career, compedes, catasta, Domus mortis, terra vasta E quibus effugium Dum iam spero, iam non spiro Omni voto dum requiro, Prae dolore morior Morior, dum cesso mori, [...] IV Vita tristis, piena fellis, Quae Deo non pascitur Dulciori favo mellis, Quod Hyblaeis nascitur. Amor dulcis, amor Dei; Sed amara mora spei; Nec amor spem patitur. Amans et amate, tolle Onus ferro minus molle, Nam dolore morior. Morior, dum cesso mori, [...]

340 V Sola diu morientem Spes mortis vivificati Illa flentem et lugentem Sola spes laetificat. Nam spem vitae quae in Luce, Huius vitae mors caducae Firmat et ratificat. Datrix vitae mors, festina: Te vocantem ne declina; Nam, quod vivo, morior, Morior, dum cesso mori Tacta spe sublimiori. VI Ecce, quanta vis amoris, Quam fortis dilectio! In hac mihi intus foris Omnis est refectio, Fuge vita: satis fui: Erigit iacentem tui Sola me deiectio. Perdam te, ne perdam. Veni, Mors arnica, luctum leni: Nam, quod vivo, morior, Morior, dum cesso mori, [...] VII Vita quae in coelo sita, Quae supernae sortis est, Illa demum vera vita, Et ignara mortis est. Nisi vita moriatur, Non est vita. Vita datur, Quando mors in portis est. Veni, ne sis mihi dura Mortem mors abolitura; Non vivo, ni morior. Morior, dum cesso mori. VIII Quid in me viventi dono, Vita, Deo muneris, Nisi te pro ilio pono Onus facta funeris? Nisi cum iactura tui Non licebit ilio frui Cum beatis numeris. Ut hoc fruar, mori volo, Est quod volo, in hoc solo: Nisi fruar, morior. Morior, dum cesso mori.

341 IX Quam te sine vitam agam, Deus vita mentium? Vitam luctum, vitam plagam, Vitam indigentium, Quavis morte duriorem, Quovis malo tristiorem, Vitam morientium. Ut me mei pudet, piget, Dum sie malum meum viget Ut dolore moriar! Morior, dum cesso mori. (Teil 1, S. 608-610)

Die Gesamtausgabe der Opera Teresas erlebte keine Neuauflage. Die fromme Leserschaft bevorzugte offensichtlich entweder die systematische Zusammenschau, wie sie die Fachtheologen in raffinierter Ausgliederung der Stufen und Zustände verbreiteten, oder gleich die konzentrierte handliche Kurzfassung - wie etwa Theresianum animae humane castellum [...] abbreviatum (1779) - mit schnell ans Ziel führenden Rezepten für die Praxis des religiösen Lebens in den verschiedenen Ständen. Bezeichnend für diese Mentalität und sekundäre Aufarbeitung theresianischer Spiritualität sind die Apotegmata sacra pro qualibet hebdomadae et anni die accommodatae ex scriptis S. Theresiae Jesu et Joannis a Cruce desumpta von P. Angelus a Sancto Joseph (München 1642, erneut 1648 als Sententiae spirituales). Dieses Betrachtungsbrevier zirkulierte sogar in deutscher, französischer und holländischer Fassung. Die Vorliebe der Zeit für einprägsame Sinnsprüche und Sentenzen schlägt sich übrigens auch in Georg Philipp Harsdörffers Zusammenstellung der »Teresa geistreiche Denk-Sprüche« (im Anhang T. 1 zu Natham und Jotham, Nürnberg 1650) nieder. Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts fand ein Diarium excerptum ex scriptis S. Theresiae nunc latinitate donatum a Theophilo Mariano (Frankfurt 1715) seine Abnehmerschaft. Innerhalb der theresianischen Frömmigkeitsgeschichte und pastoralen Didaktik nimmt die schon erwähnte anonyme Idea vitae teresianae8 sowie ihre ungefähr hundert Jahre jüngere Augsburger Bearbeitung eine Sonderstellung ein durch die Verknüpfung von Wort und Bild zu einem Katechismus - als bande dessinée - , der die Grundbegriffe des vollkommenen geistlichen Lebens veranschaulichen soll. Den jeweils über hundert Kupferstichen sind lateinische Bildlegenden unterlegt. Die fünf Teile stellen dar: sui cognitionem, sui mortificationem, virtutum acquisitionem, mentalem orationem sowie divinam contemplationem. Lediglich die beiden letzten Abschnitte lehnen sich mehr oder weniger vage an Teresas Weisungen an, das übrige Material stammt aus dem Gemeingut der dogmatischen und spätscholastischen Überlieferung. Nicht wenige der graphischen Motive sind der Iconologia des Cesare Ripa (erste illustrierte Ausgabe Rom 1603, zahlreiche spätere Auflagen) entnommen. Die von bayerischen Karmelitern in Augsburg 1779 aufgrund der Idea zusammengestellte »Ichnographia« ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. In einer Epoche, der späten

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Ich danke Santiago Sebastián López, Valencia, für den Hinweis auf dieses von ihm aufgefundene Buch, das er in Contrarreforma y barrocco. Lecturas iconográficas e iconológicas, Madrid 1982, S. 82-86, sowie ausführlicher und mit Abbildungen im Boletín del Museo e Instituto Camón Aznar 10 (1982), S. 15-68, untersucht hat (»Iconografía de la vida mística teresiana«).

342 Aufklärung, da die Emblematik längst vergessen war, sollen diese popularisierenden Schaubilder durch die Erinnerung an die Emblemliteratur aufgewertet und mit einem gewissen Bildungsanspruch versehen werden. Die Auflösung der ganz traditionellen geistlichen Unterweisung in eine katechetische Bildfolge ist dazu bestimmt, der »geistgeheimen GottesWissenschaft« im Zeitalter der Verstandesphilosophie eine Bresche zu schlagen: »Sola fere tineas inter et pulveres inculta hodie neglectaque jacet Theosophia Mystica. Rem plane indignam!« (S. 3). Das Buch richtet sich nicht mehr ausschließlich an Ordensleute oder gar nur Karmeliter, sondern spricht alle Stände, vorab das »andächtige Frauengeschlecht unseres lieben Vaterlandes« an. Um auch jene, die nicht Latein können, zu erreichen (Frauen, Laien), ist eine deutsche Fassung der Merkverse beigedruckt. »Damit aber die Geistlehre, welche in Reimen verfasset [...] desto leichter verstanden, und besser angenommen werde, hat man für gut und rathsam gehalten, dieselbe mit schicklichen Sinnbildern [...] durchaus zu beleuchten« (ein weiterer Hinweis auf das gründliche Mißverständnis der Emblematik). Im Vergleich zur Antwerpener Vorlage sind eine Anzahl von Stichen in den Motiven verändert, dem Geschmack der Zeit angepaßt und in eine bürgerliche, klassizistische Aufmachung versetzt worden, etwa bei der Darstellung der passiones unter >Timor, verecundia, honestas< eine weibliche Gestalt (= die Seele, mit Flügeln an den Füßen) im Boudoir (Blatt M 3), >Voluntas< als geflügelter Jüngling mit dem Dreispitz in der Hand. Der Bezug zur hl. Theresia kommt im Schlußstück stärker zum Ausdruck, indem entweder ihr Name erscheint oder ikonographisch bekannte Stationen ihrer innerlichen Erfahrung gezeigt werden (Durchbohrung des Herzens mit dem Liebespfeil, Verzückung, geistliche Vermählung). Einfache Merkverse geben Erläuterungen, etwa zum Volatus Spiritus (Blatt X 4) (vgl. Vida 20): A Theresia declaratur, quod volatus hic vocatur raptus in substantia. Sed in modo concitato per volatum indicato insit differentia.

Johannes vom Kreuz wird in die graphische Darstellung ebenfalls einbezogen (>ingressus in divinam caliginemStaffeln des innerlichen Gebets< auf deutsch erschienen war. Nur das Römische Brevier behielt noch lange einige Lesungen in lateinischer Sprache bei, und in einem Hymnus des klösterlichen Stundengebets erklang dieses schablonenhafte Lob auf die Spanierin: Ave o Theresa Saeculi pertaesa Mente coelis haerens Solum Deum quaerens.10

Wie bei Guevaras Werken und ihrer breiten Spur in Deutschland waren es auch bei Teresa de Jesus zunächst und zu einem guten Teil lateinische Ausgaben, die ihre Lehren seit Beginn des 17. Jahrhunderts bekannt machten, im Unterschied zu Frankreich, wo Jean de Brétigny und du Chèvre schon 1601 Vida, Camino de perfección und Moradas ins Französische übersetzten und wo die geistlichen Weisungen Teresas zunächst in kleinen, frommen Kreisen (Mme Acarie) aufgenommen, dann aber auch von den großen geistlichen Reformströmen (um Angélique Arnaud, Marguérite d'Arbouze, Arnauld d'Andilly) getragen wurden." Erstveröffentlichung in Iberoromania 18 (1983), S. 9-21.

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Sánchez Regueira, Manuela: »Un libro sobre Teresa de Ávila, escrito por un teresianista alemán del siglo XVIII«, in: Revista de Espiritualidad 42 (1983), S. 331-338, hier 335. 10 Schreiber, Georg: Spanien und Deutschland. Volkskundliche und völkerkundliche Beziehungen, Düsseldorf 1936, S. 257. " Vermeylen, Alphonse: Sainte Thérèse en France au XVIIe siècle, Louvain 1958; dazu J.-P. Massaut, in: Revue belge de philologie et d'histoire 38 (1960), S. 540-545. Vgl. ferner van Gemert, Guillaume: »Teresa de Avila und Juan de la Cruz im deutschen Sprachgebiet. Zur Verbreitung ihrer Schriften im 17. und 18. Jahrhundert«, in: Chloe. Beihefte zum Daphnis, Bd. 2, Frömmigkeit in der Frühen Neuzeit, Amsterdam 1984, S. 77-107.

Neulateinische Gracián-Übersetzungen aus dem 18. Jahrhundert in Deutschland

Neulateinische Übersetzungen von Werken der spanischen Literatur waren in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert weder müßige, anachronistische Gelehrtenspielereien noch pedantische Stilübungen der Sprachmeister. Die Rezeption spanischer Literatur erfolgte vielmehr sowohl im Medium lateinischer Versionen als auch in deutschen Übersetzungen,1 die nebeneinander laufen, ohne sich gegenseitig Konkurrenz zu machen; sie ergänzen sich im Zugang und in der Wirkung bei verschiedenen Leserschichten. Bildungsleben und Kultur waren zumindest bis Ende des 17. Jahrhunderts weitgehend zweisprachig geblieben. Als Sprache der Gelehrsamkeit und höheren Bildung behielt das Lateinische nahezu ungebrochene Geltung trotz wachsender Spannung und Rivalität mit der Volkssprache und deren selbstbewußter Verwendung in der Dichtung. Die lateinischen Fassungen richteten sich zumeist entweder an geistliche oder mehr noch an höfisch-adelige und gelehrte Kreise. Auf lateinisch vollzog sich die Einbeziehung spanischer Literatur und Wissenschaft in die internationale Gelehrtenrepublik jenseits der je nach Konfession und Region unterschiedlich heftigen Publizistik, die Spanien aus der geistig-kulturellen europäischen Gemeinschaft ausgrenzen wollte. Lateinische Übersetzungen stellten zudem die frühen ernstzunehmenden Versuche kritischer Beschäftigung mit der spanischen Literatur dar (etwa in Vorreden, Kommentaren), die ansonsten von der auf die klassisch-antiken Literaturwerke fixierten Philologie jener Zeit nicht geleistet wurde.2 Didaktisch-politische Schriften aus Spanien übten in Deutschland seit der Wende zum 17. Jahrhundert in lateinischen Bearbeitungen eine erstaunliche Wirkung in adelig-höfischen Kreisen und gerade in protestantischen Gegenden aus. I m s ä c h s i s c h e n T o r g a u e r s c h i e n 1601 d a s Horologium Aurelii Imperatoris

libri III. Axiomatis

politicis

et exemplis

principum memorabilibus

sive De vita refertissimi,

Marci eine

lateinische Übertragung von Guevaras Relox de principes (1529) und Libro áureo de Marco

Aurelio emperador (1528), die Johann Wanckel, Rektor der Universität Wittenberg und Sohn eines Lutherfreundes, dem jungen Kurfürsten Christian II. widmete. Mit drei weiteren Auflagen diente dieses Werk als Handbuch der Regierungskunst und christlicher Fürstenspiegel. In der Vorrede geht Wanckel auf die philologischen Grundsätze seiner unter Heranziehung zweier französischer sowie der italienischen und deutschen Fassungen erarbeiteten lateinischen Übersetzungen ein. Sie stellt also das Ergebnis einer sorgfältigen Textexegese dar, für die eine Aneignung in lateinischer Sprache kein Umweg ist, sondern die fachgemäße Aufbereitung und das Verständnis des Gehalts ermöglicht. Bei dem noch nicht erforschten Einfluß Guevaras auf die höfisch-politische Traktatliteratur des Barocks müßte etwa in Sammlungen politischer Merksprüche und Verhaltensregeln auch Guevaras Menosprecio de la corte y

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Dietrich Briesemeister: »La difusión europea de la literatura española en el siglo XVII a través de traducciones neolatinas«, in: Iberoromania 7 (1978), S. 3-17. [Deutsche Fassung in diesem Band] Dietrich Briesemeister: »Kaspar von Barth (1587-1658) und die Frühgeschichte der Hispanistik in Deutschland«, in: Das Spanieninteresse im deutschen Sprachraum. Beiträge zur Geschichte der Hispanistik vor 1900. Manfred Tietz (Hrsg.), Frankfurt am Main 1989, S. 1-21. [Wiederabdruck in diesem Band]

345 alabanza de la aldea berücksichtigt werden. Guevaras Epístolas familiares blieben auf lateinisch bis in das 18. Jahrhundert hinein ein Dauererfolg. Die Beliebtheit des Franziskanerbischofs und Hofpredigers Karls V. sollte im 18. Jahrhundert abgelöst werden durch den Jesuiten Gracián mit einem ähnlichen zeitlichen Verschiebungseffekt. Mit zwei bedeutenden Werken ist die politische Philosophie des späten Siglo de Oro in lateinischer Gewandung verbreitet worden: Quevedos Vida de Marco Bruto (1645; In Plutarchi Marcum Brutum Excursus politici, Den Haag) sowie Politicus Prudens, sub persona Marci Bruti (Amsterdam 1669) bereits mit dem für die Gracián-Rezeption kennzeichnenden Stichwort der politischen »Klugheit« sowie Diego Saavedra Fajardos Idea principis christiano-politici (1649, einer Übersetzung der 1640 auf spanisch herausgekommenen empresas). Wie bei Guevara so bleibt auch die außerordentlich breite Nachwirkung dieser Embleme auf das politische Traktatschrifttum der Zeit noch eingehend zu erforschen. Im Zusammenhang mit der späteren Verbreitung Graciáns ist auf die lateinische Übersetzung von Juan de Borjas Empresas morales (1581 erschienen) hinzuweisen, die 1697 in Berlin veröffentlicht wurde, als die Mode der »Moralischen Sinn-Bilder« - so der Titel der deutschen Fassung (Berlin 1698) - längst abgeklungen war. Die Beschäftigung mit Gracián war in Deutschland vorwiegend die Sache von Gelehrten im Umkreis von protestantischen Universitäten und Höfen. Die frühe Wirkung verbreitete sich hierzulande allerdings über eine französische Version des Oráculo manual von Nicolas Amelot de la Houssaie (Paris 1684) unter der folgenreichen Veränderung des Titels in L'Homme de Cour,3 die auch in deutschen Ausgaben beibehalten wird, so wie zuvor etwa auf Titelblättern von deutschen Guevara-Übersetzungen als Blickfang die lateinischen Formulierungen voranstehen. Die Umdeutung des Titels weist bereits eindeutig auf völlig veränderte Rezeptionsbedingungen für das Werk hin. Der junge Privatdozent Christian Thomasius hielt allerdings seine epochemachende Vorlesung im Wintersemester 1687/1688 in Leipzig über »Gratians Grund-Regeln vernünftig klug und artig zu leben« auf deutsch, ganz im Gegensatz zur weiteren von Thomasius ausgelösten Wirkung Graciáns im 18. Jahrhundert gerade über lateinische Fassungen. Wie schon bei Guevara und Saavedra Fajardo, so ist auch bei Gracián der Zusammenhang seines außerordentlichen Erfolgs mit dem Aufbau einer »politischen Wissenschaft« seit der Frühaufklärung und der Ausbildung der systematischen Klugheits- und Anstandslehre in zahllosen (lateinischen) Kompendien noch längst nicht hinreichend untersucht. 4 In die erste Hochzeit der deutschen Gracián-Rezeption fällt die lateinische Übersetzung der Werke Graciáns durch Adam E. Ebert (1653-1735), einen Professor der Rechte an der Universität Frankfurt/Oder. Er stammt aus einer alteingesessenen Gelehrtenfamilie und wandte sich bereits mit seiner Dissertation einem spanischen Thema zu: De justitia actionum Philippi II Hispaniae et Indiarum regis (Frankfurt 1687), in der Fragen des Völkerrechts erörtert werden in Verbindung mit Betrachtungen über die Inquisition und das Schick-

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Jürgen von Stackelberg: Übersetzungen aus zweiter Hand, Berlin 1984, S. 91-124; Knut Forssmann: Baltasar Gracidn und die deutsche Literatur zwischen Barock und Aufklärung (Diss., Universität Mainz, 1976). Gert Ueding: »Popularphilosophie«, in: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, Bd. 3,2, München 1980, S. 605-634; Gerhard Sander: »Christian Thomasius«, ebenda Bd. 3,1, S. 239-250; Rolf Grimminger: »Aufklärung, Absolutismus, bürgerliche Individuen«, ebenda Bd. 3,1, S. 36-39.

346 sal des Infanten Don Carlos. Über die obligate Kavalierstour berichtete Ebert unter dem Pseudonym Aulus Apronius: Reise-Beschreibung durch Chur-Brandenburg, durch Teutschland, Holland und Braband, England, Franckreich [...] gantz Italien, nach Sicilien und dem Aetna. Erzählung von englischen frantzösischen und turinischen Höfen (Frankfurt 1723; 21724). Spanien lag damals außerhalb des Gesichtskreises für Bildungsreisen, dennoch kam Ebert bis in die Provence und nach Katalonien. Die Verbindung des Berichts mit der beginnenden »Statistik« zeigt sich am Einschub besonderer »Discourse von Religion, privat- und publique Conduite, wie auch galante remarquable Conversation, in Europa«. Von seiner Reise brachte er »verschiedene in hoher Schreibart abgefaßte spanische und französische Bücher« zurück, den Grundstock zu einer größeren Büchersammlung.5 Über Jahrzehnte hinweg widmete er sich der Übersetzung französischer, spanischer und auch englischer Werke ins Lateinische, das auch für ihn als Provinzjuristen immer noch die »langue générale« der europäischen Gebildeten und Gelehrten war. Seine wissenschaftlichen Ansprüche erläutert Ebert in einem umfangreichen Vermächtnis unter dem Titel Geist aller Gelehrten in gantz Europa. Er bemühte sich mit einer gewissen Aufdringlichkeit um Kontakte zum preußischen Hof, zum Hofadel, wie die Widmungen der handschriftlichen Kopien dieser Übersetzungen in prachtvollen Ledereinbänden mit Goldschnitt zeigen, die heute in der Staatsbibliothek zu Berlin liegen (Ms. theol. lat. fol. 199; vgl. auch 191, 192, 197, 200 und 201) und aus der ehemaligen königlichen Bibliothek stammen. Die von Ebert erwähnten 19 Werke sind bis auf die Vita Caroli V Sandovals und Luis Cabrera de Córdobas Biographie Philipps II. (Mailand ? 1715) ungedruckt geblieben. Wenngleich die Übersetzungen sicherlich mit Blick auf eine Drucklegung erfolgten, so überschätzte Ebert entweder seine Talente oder die Situation auf dem Büchermarkt. Im Verlauf von über 25 Jahren brachte er eine Reihe bedeutsamer historischer Werke ins Lateinische. Die während des 17. Jahrhunderts wiederholt aufgelegte Biographie Karls V. von Prudencio de Sandoval (Vida y hechos del imperador Carlos Quinto, 1604-1606) trägt die Widmung an König Friedrich I. von Preußen (1702): »Historia vitae et gestorum imperatoris Caroli Quinti« und verrät ein für die Geschichtsschreibung der Zeit typisches Interesse an der wohlwollenden Deutung Kaiser Karls V. im Zwiespalt zwischen Konfessions- und Reichspolitik. Voraus ging das Testamentum Caroli Quinti (1695) als Beispiel für die »RegierKunst«, ein Text, der zusammen mit den Instruktionen Philipps II. für seinen Sohn sowohl am brandenburgischen als auch am sächsischen Hof zu jener Zeit kommentiert und verlegt wurde. Johann Georg Leib brachte in Frankfurt 1708/1710 Proben, wie ein Regent Land und Leute verbessern [...] könne heraus, die Auszüge aus Alfonso de Valdés' Diálogo de Mercurio y Carón enthalten. 1712 vollendete Ebert die lateinische Übersetzung von Luiz Cabrera de Córdobas Biographie Philipps II. (von 1619). Mit der spanischen Geschichte hängt ferner die Historia Ferdinandi Columbi zusammen (1723 fertiggestellt), die Beschreibung von Leben und Taten des Christoph Columbus durch seinen unehelichen Sohn Hernando Colón nach einer von Alfonso de Ulloa gefertigten italienischen Fassung Historie della vita dell'ammiraglio Christoforo Colombo (zuerst Venedig 1571) (Ms. theol. lat. fol. 200). Außerdem übertrug Ebert die berühmte Sammlung von Fabelerzählungen Kaiila und Dimna, 5

C.G. Jöcher: Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Th. 2, Leipzig 1750, s.v., S. 264.

347 sichtlich ohne Kenntnis der schon seit Jahrhunderten vorliegenden Fassung von Johannes von Capua, ferner die Mémoires von Brantôme, Thomas Hobbes' Schrift über Oliver Cromwell, George Herberts Leben Heinrichs VIII. und sogar Auszüge aus Pierre Bayles Dictionnaire Critique. Eine besondere Kuriosität innerhalb dieser rastlosen, umfangreichen Übersetzertätigkeit bildet Eberts lateinische Wiedergabe der Werke Graciáns mit Ausnahme der Agudeza y arte de ingenio (Ms. theol. lat. fol. 199 und 200). Vermutlich hat er eine der Antwerpener Gesamtausgaben dafür benutzt (von 1702?), die Graciáns Schriften in derselben Reihenfolge anordnet, wie sie Ebert übertrug: El Criticón, El Discreto, El Político Don Fernando el Catholico, El Héroe, Oráculo Manual, El Comulgatorio. Warum er La agudeza y arte de ingenio ausließ, läßt sich nicht mehr klären. Es wäre nun ein Leichtes, die Übersetzungskritik vorzunehmen und dabei die zahlreichen Mißgriffe, Fehler und hilflosen Fehldeutungen nachzuweisen. Ebert verfügte über keine speziellen Kenntnisse der spanischen »Litterärgeschichte« und vermochte Graciáns Werk auch überhaupt nicht einzuordnen. Die immer wieder beklagte obscuritas ist Ausdruck seiner Verständnislosigkeit nicht nur im sprachlich-stilistischen Bereich. Die Übertragung wird weiterhin erschwert durch fehlende oder unzulängliche Hilfsmittel (Wörterbücher, Kommentare). Als Dokument der Gracián-Rezeption steht Eberts Bemühung einzigartig dar. Im Gegensatz zu den auf Zwischenübersetzungen fußenden Versuchen seiner Zeitgenossen folgt Ebert offensichtlich der spanischen Originalfassung. Mehr noch als die Übersetzung in eine moderne Fremdsprache bringt die Rückübersetzung ins Lateinische eine starke terminologisch-stilistische Reduktion mit sich, die wiederum ein ganz bestimmtes Verständnis prägt. Jede Übersetzung ist zugleich die Entscheidung für eine zeitgebundene, persönliche Deutung zumal vor dem Hintergrund der Ausdrucksmöglichkeiten des klassischen Lateins. Für die Bildungsgeschichte und lateinische Kultur ist der Umstand gleichermaßen bemerkenswert, daß im preußisch-protestantischen Norden fast das gesamte Werk eines Jesuiten im Übergang zur Frühaufklärung übersetzt wurde. Die Übersetzungen verteilen sich über die Jahre 1712 bis 1718, also dem Höhepunkt der frühen deutschen Gracián-Rezeption. Sie sind dem »Salomo Preußens und Brandenburgs«, dem jungen Kronprinzen Friedrich und späteren König Friedrich II., dem Großen, gewidmet. 1716 war der Hugenotte Jacques Egide Duhan de Jandun (1685-1746) von König Friedrich Wilhelm I. zum »informator« des vierjährigen Kronprinzen bestellt worden, den Friedrich zeit seines Lebens schätzte. Duhan legte den Grund für die französische Prägung der Bildung des Thronerben. Neben Bibel und religiöser Unterweisung spielten die Fächer Geschichte, Geographie und Naturrecht eine große Rolle. Als Unterrichtswerk diente dafür das Theatrum Europaeum. Das Lateinische wurde nun allerdings verboten, so daß Friedrich die Werke der klassischen Literatur allenfalls in Übersetzungen zur Kenntnis nehmen konnte. Eberts lateinischer Gracián war damit im Grunde hinfällig. Vielleicht gelangte deshalb keine seiner Übertragungen zum Druck. Er übergab sie alle der Hofbibliothek zur getreuen Verwahrung als Zeugnis seines gelehrten Fleißes. Der bürgerliche Ebert versuchte mit Hilfe seiner lateinischen Gelehrsamkeit den Adel der Wissenschaft zu erlangen und in den erlauchten Kreis der Gelehrsamkeit Eingang zu finden. Leider gibt er über die Umstände der Entstehung seiner Übersetzungen keine Auskünfte und legt als Jurist auch nicht Rechenschaft ab über seine Verfahrensweise. Als

348 Motiv nennt er lediglich ganz lapidar die »Staats-Politic«, ihn interessieren wesentlich Inhalte, nicht die literarische Kunst. (Ms. theol. lat. fol. 199, fol. 6 r -423 r , 1713-1714 verfaßt). Am besten scheint die Cni/con-Übersetzung gelungen zu sein, die sich in eine Reihe großartiger lateinischer Fassungen spanischer Prosawerke in Deutschland einfügt (Kaspar von Barth mit der Celestina und Gil Polos Diana; Lazarillo; Mateo Alemáns Guzmán de Alfarache). Die Wiedergabe des Titel-Schlüsselwortes »Discreto« (fol. 428 r -477 r ) durch den Hendiadyoin »vir prudens et circumspectus« führt mitten hinein in die Auseinandersetzung um die Begriffe Klugheit, Privat- und Staatsklugheit, Weltklugheit in der frühen Aufklärung, nun nicht mehr auf den Hofmann, sondern auf den aufstrebenden Bürger gemünzt. Daß Ferdinandus Politicus et Catholicus (fol. 4 7 9 - 5 1 l v ) nach über hundertjähriger antispanischer Polemik in protestantischen Kreisen als Werk der politischen Theorie mit Ferdinand als idealtypischer Herrschergestalt vorgestellt werden konnte, ist ebenso erstaunlich wie die Darbietung des Libellus Sacrae Coenae (Ms. theol. lat. fol. 204, fol. 198-286 r , geschrieben 1717/18) mit eucharistischen Betrachtungen. Die aphoristischen Passagen von El Héroe (Ms. theol. lat. fol. 199, 515 r -534 r ) über die allgemeinen Vorbedingungen für ein erfolgreiches Leben boten dem Übersetzer offensichtlich wenig Schwierigkeiten. Für die lateinische Fassung des Oraculum manualepoliticum sive l'homme de Cour (!) (f. 538-610 r ) hat Ebert angeblich nur knapp sechs Wochen benötigt. Allerdings greift er auch mit Paraphrasierungen und Raffungen erheblich in den Text ein. Zahlreiche Sinnentstellungen und Fehlübersetzungen verderben die Lektüre. Möglicherweise hat Ebert auch die französische Version von Amelot de la Houssaie oder deren deutsche Übersetzung herangezogen, wie die Titelfassung nahelegt. Eberts lateinische Fassungen sind nicht der einzige Versuch der späten Aneignung von Graciáns Werk in humanistischem Sinn. Noch zu Lebzeiten des Rechtsgelehrten erschien in seiner Heimatstadt Frankfurt (Oder) 1731 die wahrscheinlich schon erheblich früher entstandenen Übersetzung des Oráculo manual durch Franciscus Glarianus Meldenus aus Konstanz: Balthasaris Graciani, Hispani, AVLICVS, sive de prudentia civili et máxime aulica líber singularis olim hispanice conscriptus, postea et gallice, italice, germanice editus, nunc ex Ameloti versione latine redditus, et regulis meliore et naturali ordine dispositis informam artis redactus, mit einer Vorrede von Johann Gottlob Heineccius. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich ein »vir patrum memoria celeberrimus«, der die Amelotsche Version ins Lateinische brachte und mit umfangreichen Anmerkungen sowie einem Register versah. Der Text selbst ist thematisch-systematisch neu angeordnet. Fußnoten und Arrangement zeugen von einem exegetischen Ansatz zum Verständnis des Werkes. Ebenfalls noch zu Eberts Lebzeiten erschien 1734 (1741?) eine weitere lateinische Version des Oráculo manual von dem Würzburger Professor der Rechte Philipp Adam Ulrich, L' homme de Cour notum Graciani Oraculum Prudentiae, depromptum in sententiarum politicarum centurias III. A breviloquii Hispani ambiguitate et obscuritate explicatum et universali Latinorum lingua loquens. Ulrich kritisiert häftig die Sprachkunst des Glarianus Meldenus (»tarn male Latina, imo male Christiana«), preist aber das Oráculo manual als Brevier der Lebensklugheit und Tugendratgeber an. Ulrich übertrug außerdem das Comulgatorio unter dem Titel Meditationes ad usum communicantium, cum sacerdotum, tum laicorum (1744), eine der späteren Übersetzungen spanischer Andachtsliteratur im süddeutschen katholischen Raum. In Münster kam 1750/51 eine weitere lateinische Fassung in Druck (Praxis communicandi). Ebenfalls auf

349 Amelot de la Houssaie geht die schon 1692 von Andreas Wibern gefertigte lateinische Übertragung des Oráculo manual unter dem Titel De homine áulico zurück (Schloßbibliothek Linköping). 6 Die Verbindung von Sprachunterricht und moralischer Belehrung belegt die Anthologie des protestantischen Geistlichen Johann Georg Meintel, La petite école de la morale et des langues, das ist: Die kleine Sitten- und Sprachenschule (Nürnberg, Frankfurt, Leipzig 1732), die 200 Maximen aus Fénelons Télémaque und 50 Maximen aus dem »Homme de Cour« Graciáns in sechs neueren Sprachen sowie auf lateinisch enthält. Das Büchlein gehört »zum Merkwürdigsten, was die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte Graciáns in Deutschland zu bieten hat« (Forssmann, S. 231). Fénelons >Bildungsroman< wurde seinerzeit als Utopie Staatsroman - einer weisen, freiheitlich verfaßten Welt verstanden, in dem die Vor- und Nachteile der verschiedenen Staatsformen erörtert und das Idealbild des Herrschers für schwierige sittlich-politische Konfliktsituationen gezeichnet wurden. In Deutschland sind, abgesehen von mehreren Fassungen in der Landessprache seit 1700, allein drei lateinische Übersetzungen des Télémaque entstanden (Berlin 1743, Frankfurt 1744, München 1759). Meintel war der erste der hierzulande das berühmte Werk im Auszug auf Lateinisch vorstellte und daraus ein Lehrbuch für die Jugend machte. Die beiden um die Mitte des 18. Jahrhunderts veröffentlichten lateinischen Télémaque-Versionen heben schon im Titel die Bedeutung des Werkes für die politische Wissenschaft hervor. Der Ulmer Prälat und Kaiserliche Rat Gregor Trautwein preist es als »addiscendae Christianae politices methodum«, für den Hofrat Joseph C. Destouches des bayerischen Kurfürsten Maximilian Joseph stellt es eine >exercitatio ethica moralis< dar. Eberts Bemühungen um einen lateinischen Gracián blieben sichtlich ohne Erwiderung im brandenburgisch-höfischen Umfeld. Wie aber der Blick auf andere Länder am Rande des alten Reiches zeigt, waren sie durchaus nicht ungewöhnlich. In Ungarn etwa wurden im 18. Jahrhundert lateinische Übersetzungen französischen Schrifttums gefertigt, 7 darunter auch der Télémaque (1706), obwohl die Kenntnis des Französischen in gebildeten Kreisen dort durchaus verbreitet war. Eberts gescheiterter Versuch, die Werke des spanischen Jesuiten in protestantischen Kreisen in der Sprache Roms zu vermitteln, dürfte weniger Ausdruck weltanschaulicher Toleranz sein als vielmehr eine Folge der Amelotschen Umdeutung des Oráculo manual zum Handbuch für den Homme de Cour und nicht für den sogenannten >Weltweisen< jenseits von gesellschaftlichen Abgrenzungen. Während der Ostpreuße Johann Christoph Gottsched, der sich in Leipzig seit Mitte der 20er Jahre des 18. Jahrhunderts mit literarisch-ästhetischen und philosophischen Fragen befaßte, Gracián als Verderber des guten Geschmacks und der schönen Schreibart sowie als Verführer der witzigen Köpfe (unter Berufung etwa auf den Criticón) verurteilte, so pries der in Hamburg als Advokat tätige Christian Heinrich Postel (1658-1705) in seinem litterärhistorischen Abriß De linguae hispanicae difficultate, elegantia ae utilitate (1704) Gracián zuvor als unübertrefflich in der ganzen Welt, ja er vermöge einen »aufmerksamen und verständigen Leser regelrecht in Ekstase zu versetzen«. Der Predigersohn empfiehlt selbst das

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Baltasar Gracián: Obras completas. Hrsg. Arturo del Hoyo, Madrid: Aguilar 21960, S. CCLIV. Andor Tarnai: »Lateinische Übersetzungen französischen Schrifttums im Ungarn des 18. Jahrhunderts«, in: Acta Conventus Neo-Latin Amstelodamensis, München 1978, S. 976-982.

350 Comulgatorio, da papistische Phrasen darin selten sind und den erbaulichen Nutzen der Lektüre auch kaum schmälern. 8 Ebert steht zwischen diesen beiden gegensätzlichen Wertungen, wenngleich sichtlich näher dem Standpunkt Posteis im Ausformungsprozeß der Lehre von der politischen Klugheit im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert. Inwieweit Ebert deutsche Fassungen von Gracián kannte oder heranzog, läßt sich nicht genau ausmachen. Die Übersetzung des Criticón durch Caspar Gottschling (1710 gedruckt), der in brandenburgischen Diensten stand und Bibliothekar war, könnte Ebert für seine 1713 entstandene lateinische Version benutzt haben. El Discreto kam erst 1729 auf deutsch heraus, während Ebert seine Arbeit am 16.5. 1715 abschloß. Der Político lag seit 1672 in Lohensteins Übertragung vor, Ebert vollendete den lateinischen Text am 17.11.1712. Der Traktat El Héroe wurde überhaupt nicht ins Deutsche gebracht. Dem lateinischen Oráculo manual (Frühjahr 1712) hat die erst 1711 gedruckte deutsche Fassung von Christian Weißbach (Silentes) sicher nicht vorgelegen, die zudem die französische Textanordnung von Amelot wiedergibt. Auch die Kommunionbetrachtungen erschienen im katholischen Süddeutschland erst später in deutscher Sprache. Somit ergibt sich für die lateinischen Versionen der Werke Graciáns bezeichnenderweise ein zeitlicher Vorsprung vor den meisten deutschen. Erstveröffentlichung in El mundo de Gracián. Hrsg. Sebastian Neumeister/Dietrich Briesemeister, Berlin: Colloquium Verlag 1991, S. 221-231.

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Herausgegeben von Camille Pitollet, in: Revista de Archivos, Bibliotecas y Museos 25 (1911), S. 406-421.

Calderón und das Jesuitentheater in München und Ingolstadt

Die bedeutende Rolle Calderöns bei der Entwicklung des Barocktheaters in Deutschland findet immer wieder in Studien zur Literaturgeschichte Erwähnung, ohne daß bislang jedoch die Reichweite seines Einflusses genau bestimmt worden wäre, wenn man einmal von allgemeinen formalen und thematischen Anklängen absieht.' Gewißheit herrscht lediglich darüber, daß gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Spielverzeichnisse der Wandertruppen einige Werke Calderöns aufwiesen, die über Neubearbeitungen durch die Niederländer zum Teil auch in Deutschland bekannt waren.2 Das kulturell katholisch geprägte Süddeutschland bot den fruchtbarsten Boden für die Aufnahme und die Verbreitung der Werke Calderöns. Etwa seit 1580 war München zusammen mit Augsburg, Ingolstadt und Dillingen neben Wien im Süden des Landes zu einem der bedeutendsten Brückenköpfe geworden, über den spanische Literatur und Religiosität eindrangen.3 Im geistlichen Leben des bayerischen Barock stellen die für die spanische Heiligenverehrung so typischen Motive eine feste Größe dar.4 Ihre Ausbreitung verdanken sie größtenteils den Jesuiten, die zwischen 1557 und 1773 eine rege Tätigkeit entfalteten. Bereits im 16. Jahrhundert lehrten an der Universität Ingolstadt berühmte spanische Professoren, die der Gesellschaft Jesu angehörten. Der Augsburger Patrizier Philipp Hainhofer bestätigt im Jahre 1609 anläßlich seines Besuchs der Residenzstadt, daß die Residenz der Jesuiten in München »das distinguierteste Kollegium Europas [...] nach dem Escorial in Spanien«5 sei. Im Laufe des 16. und 17. Jahr-

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Vgl. etwa Wolfgang Menzel: Deutsche Dichtung von der ältesten bis auf die neueste Zeit, Bd. 2, Stuttgart 1859, S. 255ff, Max Martersteig: Das deutsche Theater im 19. Jahrhundert, Leipzig 1904, S. 63: Die Jesuiten »waren die Ersten, die die relativ reife Kunst Lopes de Vega und die reiche Calderöns auf die deutsche Bühne verpflanzten« (!). Werner Brüggemann: Spanisches Theater und deutsche Romantik, Bd. 1, Münster 1964, S. 104—109: »Angesichts der sich stellenden Problematik und der größtenteils noch undurchsichtigen Zusammenhänge ist es [...] verfrüht, die Bedeutung des spanischen Theaters für das deutsche Barock-Drama auf äußere Gesichtspunkte zu beschränken [...]; unter Berücksichtigung der unmittelbaren Berührung des Jesuitendramas mit den Schöpfungen Calderöns wird sich vielleicht zeigen lassen, daß auch der spirituelle und symbolische Sinn der Stoff- und Motivwelt Calderöns seine Aufnahme im deutschen Kulturraum im Zeitalter des Barock gefunden hat.« S. 209. Henry W. Sullivan: Calderón in the German Lands and the Low Countries. His Reception and Inßuence 1654-1980, Cambridge 1983.

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Franz Trautmann: »Deutsche Schauspieler am bayerischen Hofe«, in: Jahrbuch flir Münchener Geschichte 3 (1889), insbesondere S. 301: »La vida es sueño und die Rolle des Theaterdirektors Michael Daniel Treu«; C. Heine: »Calderón im Spielverzeichnisse der deutschen Wandertruppen«, in: Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte, NF 2 (1889), S. 165-175; 395^103; A. Dessoff: »Über spanische, italienische und französische Dramen in den Spielverzeichnissen deutscher Wandertruppen«, ibid., 4 (1889), S. 1-14; Herbert Junkers: Niederländische Schauspieler und niederländisches Schauspiel im 17. und 18. Jahrhundert in Deutschland, Den Haag 1936; Brüggemann, op.cit., S. 105ff; Sullivan, op.cit., Kap. 3.

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Vgl. Hermann Tiemann: Das spanische Schrifttum in Deutschland von der Renaissance bis zur Romantik, Hamburg 1936 (=Ibero-Amerikanische Studien 6). Vgl. Georg Schreiber: Deutschland und Spanien. Volkskundliche und kulturkundliche Beziehungen, Düsseldorf 1936 (=Forschungen zur Volkskunde 22-24). In: Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 8 (1881), S. 109f.

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352 hunderts kommt es in Bayern zu einer Ausbreitung des kulturellen Lebens, mit ausgeprägten Eigenheiten. Die barocke Vorliebe für prunkvolle Aufführungen und die Leidenschaft für das Theater prägen seine literarische Entwicklung und bieten das geeignete Klima für eine außergewöhnliche Blüte des geistlichen Schultheaters. Angesichts der lang andauernden und engen Beziehungen zu Spanien mag jedoch die Tatsache verwundern, daß in den Bibliotheken bayerischer Klöster, und selbst bei den Jesuiten, kaum Werke Calderóns nachgewiesen sind. Es wäre freilich verfehlt, daraus vorschnell Schlußfolgerungen für die Beziehungen zur spanischen Literatur zu ziehen, sofern diese sich lediglich auf das Vorhandensein oder Fehlen von Titeln in den Katalogen stützen. Doch die Annahme, daß angesichts des bedeutenden Einflusses Calderóns auf das religiöse Barocktheater seine Stücke, wie auch die anderer Autoren, eine weitere Verbreitung hätten erfahren müssen, erscheint naheliegend. Die Hofbibliothek in München hatte bereits Ende des 16. Jahrhunderts aufgrund ihres Bestandes an »libri hispanici« Berühmtheit erlangt.6 Einige Sammler7 hatten bemerkenswerte Schätze spanischer Bücher zusammengetragen, unter denen sich jedoch nur vereinzelt Theaterstücke befinden. Der Katalog der ehemaligen Bibliothek der Jesuiten in München ist bei der Aufhebung des Ordens verlorengegangen. Die Bücher wurden zwar in die Hofbibliothek überführt, doch die alten Ausgaben von Calderón, die heute in der Bayerischen Staatsbibliothek lagern, stammen nicht aus dem Besitz der Jesuiten. Die Bibliothek der Augustinereremiten barg eine umfangreiche Sammlung an Theaterstücken des 16. und 17. Jahrhunderts in lateinischer, französischer und italienischer Sprache, darunter findet sich jedoch kein einziges von Calderón. In der Bibliothek der Unbeschuhten Karmeliter, die ebenso reich an literarischen Werken war, befand sich der Amadisroman, Don Quijote, Montaigne, Goldoni und Lesage, aber trotz der engen Beziehungen des Ordens zu Spanien kein Text von Calderón. In den Regalen der Kapuziner von Straubing standen Werke von Molière und andere »comoediae«, aber keine von Calderón. Ein Blick in die Kataloge der alten Klöster der Kaiserstadt und Oberschwabens, die sich in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg befinden, führt zu dem gleichen Ergebnis. Lediglich Otto Graf von Schallenberg (1655-1773), Domherr in Augsburg, besaß eine damals einzigartige Sammlung spanischer Dramen, von der sich heute noch ein Teil in der Bayerischen Staatsbibliothek befindet. Sie umfaßt Ausgaben von Mira de Amescua, Pérez de Montalbán, Lope de Vega und Calderón.8 Insgesamt scheint Calderón also in den Bibliotheken Oberdeutsch-

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Karl-Ludwig Selig: »A German Collection of Spanish Books«, in: Bibliothèque d'Humanisme et Renaissance 19 (1957), S. 56-79. Vgl. Irmgard Bezzel: »Die Bibliothek des Gurker Bischofs Johann Jakob Lamberg (1561-1630). Eine Bibliothek romanisch-sprachiger Drucke des 16. Jahrhunderts«, in: Archiv für Buchgeschichte 9 (1968/69), Sp. 1509-1528; sowie dies., »Bartholomäus May (ca. 1515-1576) aus Bern, ein Sammler spanischer Drucke«, in: Iberromania 1 (1969), S. 235-243; Catalogus bibliothecae admodum Reverendi et Nobilis Domini Antonii Velseri (Welser), quondam Ecclesiae Cathedralis Frisingensis (Freising) Praepositi, Augsburg 1619. Vgl. Ludwig Pfandl: »Graf Schallenberg (1655-1733) als Sammler spanischer Dramen«, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 36 (1919), S. 97-118; außerdem codex bavaricus monacensis 540. Einzelheiten zu Beständen monastischer Bücher (Bettelorden) in Paul Ruf: Säkularisation und Bayerische Staatsbibliothek, Bd. 1, Wiesbaden 1962, passim.

353 lands nur wenige Spuren hinterlassen zu haben, was zur Dämpfung allzu großer Erwartungen in die Verbreitung seiner Werke verpflichtet. Tatsache ist auch, daß die unter den Jesuiten anerkanntesten Theoretiker der Dichtkunst wie Jakob Masen (1606-1681), Franz Lang (1654-1725) Ignaz Weitenauer (1709-1783) und Franz Neumayr (1697-1765) 9 den Namen Calderöns nicht erwähnen. Weitenauer und Neumayr haben sich ganz dem französischen Klassizismus verschrieben. Der Münchener Jesuit Heinrich Scherer widmet in seinem umfangreichen Handbuch Geographia politica, sive historia geographica exhibens totius orbis terraquei statum et regimen politicum, München 1703, unter der Überschrift »Hispani rhetores et poetae« (S. 62f) der Dichterin Aloysia Sigaea aus Toledo 28 Zeilen. Nachstehend bemerkt er nüchtern: »Petrus Calderön de la Barca Eques ordinis Sancti Jacobi insignis comicus«. Auch Lope de Vega wird nur kurz als »insignis poeta« angeführt. Wie es scheint, kann also von Kenntnis und näherem Umgang mit der spanischen Literatur seitens der Jesuiten in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg kaum die Rede sein.10 Darüber hinaus ist es bemerkenswert, daß die Spielverzeichnisse, die Programme (>Periochenneuen Schule< des überschwenglichen Calderonismus, sondern als Übersetzer seinen gleichsam philologisch vermittelnden Beitrag liefern. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts schuf Adolf Friedrich Graf von Schacks Geschichte der dramatischen Literatur und Kunst in Spanien (Bd. 3, Frankfurt 2 1854) eine neue Grundlage für das literarhistorische Verständnis von Calderóns Theaterkunst gegenüber den eher kunsttheoretischen romantischen Deutungen der Brüder Schlegel. Schacks trotz aller Vorbe-

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Don Pedro Calderón: Eine Auswahl deutscher Übertragungen. Hrsg. Ludwig Goldscheider, Stuttgart u.a. 1924, Bd. 1, S. 143-226, Übersetzung von Carl August West, d.i. Joseph Schreyvogel. Moritz Carriere: »Calderóns Arzt seiner Ehre und Shakespeares Othello«, in: Nord und Süd 1881, S. 235-252. Z.B. Pedro Calderón de la Barca: Dramen, München 1963, S. 3 6 3 ^ 8 0 .

361 halte gegenüber dem »fremden Calderón« von Bewunderung für die ästhetische und dramatische Vollendung von El médico de su honra erfüllte Deutung ist nicht ohne Folgen geblieben. In seinem Handbuch der spanischen Literatur (Leipzig 1856, Bd. 3, S. 676ff.) bietet Ludwig Lemcke als Textbeispiel für Calderóns weltliche Schauspiele allein Auszüge aus dem Arzt seiner Ehre dar, eine ungewöhnliche Entscheidung angesichts der bislang maßgebenden Urteile und Vorlieben. Einige bühnenstatistische Vergleichszahlen mögen die neuen Tendenzen veranschaulichen.6 Am Frankfurter Stadttheater wurde im Zeitraum 1849-1886 Das Leben ein Traum fünfzehn Mal, Der Arzt seiner Ehre immerhin dreizehn Mal gespielt. Am Berliner Hoftheater brachten es zwischen 1849 und 1899 Der Arzt seiner Ehre und Der Richter von Zalamea jeweils auf dreizehn Aufführungen, Das Leben ein Traum auf fünfzehn, Der Maler seiner Schmach auf dreiundzwanzig und Dame Kobold schließlich auf dreiunddreißig Aufführungen. An der Rangfolge auf den Spielplänen - Dame Kobold, Das Leben ein Traum und Der Richter von Zalamea - sollte sich bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nichts mehr ändern. Interessanterweise pflegte Richard Wagner die Calderón-Lektüre über viele Jahre hinweg mit geradezu ritueller Regelmäßigkeit.7 In seiner Autobiographie vermerkt er, daß der Spanier einen »tiefen und nachhaltigen Eindruck« auf ihn gemacht habe. Als Leitfaden diente ihm Schacks Geschichtshandbuch (Schack war sein Nachbar in München), und in Wagners Bibliothek befinden sich auch nicht wenige Textausgaben. 1857, in der Zeit, als Wagner am Musikdrama Tristan und Isolde arbeitete, spricht er erstmals von der Lektüre des Médico de su honra. Bald darauf wollte er in Frankfurt die Aufführung von El secreto a voces (Das laute Geheimnis) sehen, kam jedoch erst, als das Stück schon vom Spielplan abgesetzt war. Man verwies ihn auf Don Gutierre mit Friederike Meyer als Mencia. Wenn auch ihre Kraft für das »gewaltige Pathos« dieser Gestalt nicht ausreichte, so zeigte sich Wagner dennoch »von der Aufführung der Calderónschen Tragödie im ganzen sehr befriedigt«. 1881 hat er zusammen mit Cosima nochmals den Arzt seiner Ehre gelesen, leider wieder ohne seine Gedanken über das Werk niederzuschreiben. In einem Brief an Franz Liszt (1858) spricht er jedoch von seiner Bewunderung für die in Calderóns Dramen zum Ausdruck gebrachte Ehrauffassung. Die eingreifendsten Darstellungen des Dichters haben den Conflikt dieser >Ehre< mit dem tief menschlichen Mitgefühl zum Vorwurf; die >Ehre< bestimmt die Handlungen, welche von der Welt anerkannt, gerühmt werden; das verletzte Mitgefühl flüchtet sich in eine fast unausgesprochene, aber desto tiefer erfassende, erhabene Melancholie, in der wir das Wesen der Welt als furchtbar und nichtig erkennen. Dieses wunderbar ergreifende Bewußtsein ist es nun, was in Calderón so bezaubernd schöpferisch gestaltend uns entgegentritt, und kein Dichter der Welt steht ihm hierin gleich. 8

Die beiden 1880/84 und 1891/96 erschienenen mehrbändigen Ausgaben ausgewählter Schauspiele Calderóns enthalten nicht den Arzt seiner Ehre. Die erste, von Schack eingelei-

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Angaben nach Helmut Schanze: Drama im bürgerlichen Realismus 1850-1890, Frankfurt 1973, Anhang. Richard Wagner: Mein Leben. Hrsg. Martin Gregor-Dellin, München 1977, S. 567f., 696; Sebastian Neumeister: »Wagner und Calderón«, in: Aufstieg und Krise der Vernunft, Komparatistische Studien zur Literatur der Aufklärung und des Fin-de-siecle. Hrsg. Michael Rössner/Birgit Wagner, Wien: Böhlau 1984, S. 253-267, hier S. 266. Zitiert bei Neumeister, S. 257 (Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt, Leipzig 1887, Bd. 2, S. 187f.).

362 tete, bietet acht der schon klassischen Übersetzungen von Schlegel und Gries (darunter Der wundertätige Magus, Der standhafte Prinz, Das Leben ein Traum, Der Richter von Zalamea, Die Dame Kobold und Das laute Geheimnis: sie gehören zum Standardrepertoire). Die andere - im katholischen Herder-Verlag von Konrad Pasch besorgte - Ausgabe bringt 14 bislang noch nicht übersetzte Stücke Calderóns. Dazwischen und in einer Zeit, da insgesamt nur noch wenige Calderón-Ausgaben herauskamen, veröffentlichte Adolf Wilbrandt 1889 in Berlin eine Einzelausgabe mit einer neuen Bearbeitung des Médico de su honra »für die deutsche Bühne«. Inzwischen war Calderóns Bewertung durch die Literaturkritik und -historie nicht zuletzt als Folge des Kulturkampfes in das Gegenteil der Begeisterung im ersten Jahrhundertdrittel umgeschlagen. Die schon mit Grillparzer angebahnte Bevorzugung Lopes gegenüber Calderón kommt in Adolf Schaeffers Geschichte des spanischen Nationaldramas (Leipzig 1890, Bd. 2) deutlich zur Geltung. Nach den das ganze Jahrhundert hindurch geführten Diskussionen über die Einteilung des dramatischen Schaffens von Calderón eröffnet Schaeffer seine Gesamtdarstellung des spanischen Dichters völlig überraschend mit El médico de su honra (S. 2-7), nicht, weil er dieses »berühmte Trauerspiel« für das wichtigste hielt, sondern weil er Calderón die Verfasserschaft schlichtweg abspricht. Es sei im Aufbau »eine nahezu sklavische Nachbildung« einer Vorlage von Lope de Vega (eine Zuschreibung, die sich heute nicht mehr aufrechterhalten läßt), Lope gebühre das Verdienst der Erfindung und Disposition der Handlung, Calderóns Anteil hingegen sei verschwindend gering zu veranschlagen. Im Bemühen, Calderón abzuwerten und Lope umso höher auf den Schild zu heben, nimmt Schaeffer eine im Stil der damaligen philologisch-kritischen Quellenforschung aufsehenerregende neue Zuschreibung vor. Sie hatte freilich keinen Bestand und war nur einer anticalderonischen Voreingenommenheit entsprungen.9 Die letzte (und damit siebente) deutsche Fassung von Dr. Rudolf Presber (1868-1935), einem Journalisten und Schriftsteller aus Frankfurt, erschien 1907.10 Presber wollte zunächst nur eine »wesentliche Umarbeitung« in Gestalt eines Dramas mit vier Aufzügen, um Calderón vor Calderón zu schützen und »dieser Tragödie die Bühne zu erobern«. Zu diesem Zweck reinigt er das Stück »vom Staub des Allzuspanischen und Antiquierten«. Was echt spanisch ist, meint Presber aus landläufiger Vorstellung zu wissen, auf die er sich mit dem Bühnenbild beruft: Garten mit Aussicht auf sonnige Ebene, Mandolinenklänge (!) im Hintergrund, maurisches Interieur, exotische Wohlgerüche. Diese Details sollen dem Stück »just die abstoßenden Eigentümlichkeiten« nehmen. Presber, der sich gegen die Bildungsheuchelei jener deutschen Bildungsbürger ereifert, die vorgeben, ihren Calderón zu kennen, fällt offenkundig selbst einem Spanienklischee zum Opfer. Vom Dichter weiß er nur mitzuteilen, daß er über 100 Dramen »mehr improvisiert, als in behutsamer Arbeit ersonnen« habe! Seine Bearbeitung ist in Blankverse gefaßt, aus den drei jornadas der Vorlage werden vier Akte (mit mehreren Szenenwechseln). Presber gibt ebenfalls die komische Figur auf

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Schon in der von Heinrich Dohm herausgegebenen Darstellung Die Spanische National-Literatur in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Berlin 1887, heißt es: »El medico de su honra ist ein grauses Trauerspiel [...]. In einer wundervollen Sprache ist die tragische Idee dieses Stückes ausgeführt, die Träger derselben jedoch, Mencia und Gutierre, sind nichtsbedeutende Charaktere [...]« (S. 449, 451). Der Arzt seiner Ehre. Drama in vier Aufzügen. Für die deutsche Bühne übersetzt und bearbeitet von Rudolf Presber, Berlin 1907.

363 und führt unter anderem neu ein Don Ottavio, Gouverneur von Sevilla, einen Vetter Don Gutierres. Kräftigen Kürzungen stehen Akzentverlagerungen und Erweiterungen an anderen Stellen gegenüber. Die Elemente des Glaubens (der im Original übrigens eine erstaunlich geringe Rolle spielt) sowie der Ehre hat er nach eigenem Eingeständnis eigenmächtig gemildert. Dementsprechend wird eine Mencia vorgeführt, die Enrique erklärt, daß sie ihren kindlichen Glauben an Gott längst verloren habe und in dieser kompromittierenden Situation vollends an seiner gütigen Vorsehung zweifle. Presber verändert ebenfalls das für modernes Empfinden »schlankweg unannehmbare Ende der Tragödie«, dem er auch die früheren Mißerfolge zuschreibt. Einen antisemitischen Zungenschlag bringt die Umbenennung des Arztes in Eleazar mit sich. Von Gutierre mehrfach als Jude angesprochen, vollführt dieser die grausige Tat und tötet statt zu heilen, um sein eigenes Leben zu retten. Gutierre bietet dem Scheusal dafür Geld. Tod der Mencia und Totenwache mit vier betenden Nonnen werden melodramatisch ausgestaltet. Der König, der von einem nächtlichen Streifzug inkognito durch Sevillas Amüsierviertel in Gutierres Haus eintritt, spricht unmittelbar vor der Totenbahre Recht. Er mißbilligt zwar Gutierres leidenschaftliche Verblendung, erblickt jedoch im Infanten Enrique, seinem eigenen Bruder, den wahren Schuldigen. Dieser versucht nämlich, eine Verschwörung anzuzetteln. Gutierre soll mit einem Heerbann gegen die Rebellierenden ausziehen. Als Bewährungsprobe und Strafe nimmt er den Auftrag an und sieht bereits den Sieg voraus: Mein Haß ist tot, und meine Liebe lebt! Und wenn sie mich in allen Gassen preisen, Als deiner edlen Krone Schwert und Hort, Will ich den Kranz von dieser Stirne reißen Ich war es nicht, der siegte - jene dort (auf die tote Mencia deutend) (S. 220).

Mit dieser Wiederherstellung der Gerechtigkeit sowohl durch das Schuldgeständnis als auch durch zugleich sühnende und siegende Loyalität gegenüber dem Herrscher meinte Presber, dem Ehrkonflikt die Spitze genommen zu haben. Das ist ihm gewiß auch gelungen, freilich um den Preis einer Verstümmelung des Calderónschen Werkes, das er doch eigentlich »als Lebendiges für das deutsche Publikum« hatte anbieten wollen. Die Beschäftigung der deutschen Theaterregisseure und Übersetzer mit El médico de su honra fand mit dieser Umarbeitung des Dramas durch Presber ein Ende. Unter den Stücken Calderóns, die nach 1945 auf deutschen Bühnen aufgeführt wurden, befindet sich der Arzt seiner Ehre nicht mehr, lediglich die deutsche Fassung von Johann Diederich Gries wurde wieder aufgelegt. Das Interesse an diesem »Trauerspiel der Ehre« war von Anfang an in Deutschland hineingezwängt in die Vorstellung vom »Schicksalsdrama«. August Wilhelm Schlegel gab dazu das bezeichnende Stichwort, als er die Ehre bei Calderón als »feindseliges Schicksal« bezeichnete und in ihr zugleich die Poetisierung des auf die Spitze getriebenen theatralischen Effekts erkannte. Doch gerade diese Erkenntnis haben die Nachfolgenden offensichtlich kaum beherzigt, denn im Verlauf des 19. Jahrhunderts setzte sich immer stärker eine historisierende Deutung durch, die das »befremdliche, ja abstoßende« dramatische Geschehen als Abspiegelung spanischer Gesellschaft, Sitte und Wesensart verstand. Eine solche Sichtweise bestätigt zugleich immer mehr die Unzeitgemäßheit, »die ferne, sehr spanische Größe«, wie sie etwa auch Karl Vößler empfand, der Calderóns Schauspie-

364 le mit ihrem »veralteten Ehrbegriff« für »kaum mehr genießbar« hielt." Andererseits hat das Werk nicht aufgehört, Bearbeiter im Zeichen modischer Publikumswirksamkeit des Typs Schicksalstragödie zu faszinieren, nur verfremden sie Calderón dabei zusätzlich aus einer landläufigen Spanienvorstellung heraus. An El médico de su honra wird der Fehlschlag jener krampfhaften Bemühungen besonders deutlich, die Calderón im 19. Jahrhundert mit aller Macht für das deutsche Theater zu vereinnahmen und >einzurichten< trachteten. Das Theater der Ehre und das Große Welt-Theater, das Rollenspiel der Menschen vor Gott und das der Menschen untereinander, mit einem Bogen zu umspannen, ist nicht einfach. Der Gedanke, daß Calderón als poeta theologus mit seinem - christlichen Wertvorstellungen zutiefst widersprechenden - furchtbaren Ehrendrama El médico de su honra die sündhafte Situation einer Welt hätte zeigen wollen, in der selbstgesetzte Normen den Menschen ausweglos gefangenhalten und sogar die stärkste seiner Seelenkräfte, die Liebe, heillos zugrunderichten, diese hintergründig mögliche geistliche Bedeutung der Arztmetapher kam spätgeborenen, laizistisch denkenden Zuschauern oder Theaterprofessionellen in einem gewandelten gesellschaftlich-geschichtlichen Umfeld nicht in den Sinn. Gab es doch schon längst große Verständnisschwierigkeiten mit den geistlichen Schauspielen selbst. Als »geistliche Possenspiele«12 waren Calderóns autos sacramentales nicht nur von der neoklassizistischen Literaturtheorie und aufklärerischen Kritik des 18. Jahrhunderts abgelehnt worden; sie entsprachen auch nicht mehr dem veränderten religiösen Empfinden und den Möglichkeiten, Glaubensinhalte mit den Mitteln darstellender Künste sinnfällig-allegorisch zu erklären. Die Aufführung von autos war in Spanien verboten worden. Ihre Wiederentdeckung geschah in der deutschen Frühromantik beim Versuch einer Neubegründung der Poesie aus dem Geist der christlichen Religion. Friedrich Schlegel sah im Werk Calderóns, des Dichter-Theologen schlechthin, den »Inbegriff romantischer Kunst und christlicher Sinnbildlichkeit«. Im Vordergrund des neuen Interesses gerade auch an den religiösen Fragen des Calderónschen Theaters standen allerdings nicht die autos, sondern Dramen wie El mágico prodigioso, La devoción de la cruz, La vida es sueño, El príncipe constante, wenngleich F. Schlegel etwa die autos sacramentales durchaus kannte und auch 1803 erstmals den für das Calderón-Verständnis des 19. Jahrhunderts immer wieder herangezogenen Vergleich mit Dante anstellte. Die Verbindung Calderóns mit der »Literatur des Katholizismus« sollte sich in den ideologischen Auseinandersetzungen des 19. und 20. Jahrhunderts und den Versuchen einer religiösen Restauration als besonders folgenreich erweisen. »Calderóns autos sind in der gedrängtesten Form gerade das, was Dantes Divina Commedia in ihrem majestätischen Umfang ist: christlich allegorische Darstellungen des Universums«, sagte Schlegel in den Berliner Vorlesungen.13 Dante gleiche mehr einem Propheten des Alten Bundes, Calderóns Poesie hingegen sei wie die Offenbarung des Johannes. Diese >typische< Wertung gilt es, zumal im Blick auf das Große Welttheater, gegenwärtig zu halten. Die autos, die eigentlich zum Sehen und Hören geschrieben waren, die ganz aus oder nur mit der sinnenhaft szenisch gespielten Vergegenwärtigung des Wortes leben, sie wurden zu Lesedramen. An eine Aufführung als Schauspiel war überhaupt nicht zu denken. Es

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Karl Voßler: Aus der südlichen Romania, Leipzig 1950, S. 206. Karl Friedrich Flögel: Geschichte des Groteskkomischen, Liegnitz/Leipzig 1788, S. 73. Zitiert bei Brüggemann, S. 186, Anm. 36.

365 ist trotz Schlegels Hinweis auf die kunsttheoretische und spirituelle Bedeutung der autos auffällig, wie spät und zögerlich sich Übersetzer daran wagten. 1829 veröffentlichte der spätere Kardinal Melchior von Diepenbrock die erste deutsche Fassung eines autos {La vida es sueño bezeichnenderweise). 1846 erschien Joseph Freiherr von Eichendorffs Auswahlübersetzung der Geistlichen Schauspiele, darunter an zweiter Stelle Das Große Welttheater. Zehn Jahre später eröffnete der Breslauer Domherr Franz Lorinser seine 18bändige Übertragung aller Geistlichen Festspiele (man beachte den Wechsel der Gattungsbezeichnung!) mit dem Großen Theater der Welt (21882). Dieses Stück steht also an hervorgehobener Stelle innerhalb der neueren deutschen Rezeption von Calderóns autos, ja die insgesamt hierzulande wenig erfolgreichen Wiederbelebungsversuche des auto sacramental beschränken sich eigentlich auf Übersetzungen und Bearbeitungen dieses einen Werkes; es gibt ein Dutzend davon. Eine gleiche Zahl von Übersetzungen erreicht, vielleicht wegen seines Bezugs zum Faust-Problem, El mágico prodigioso. Nur in Deutschland ist den autos, und insbesondere dem Großen Welttheater, so viel Aufmerksamkeit gewidmet worden und ein nachhaltiger >Erfolg< beschieden gewesen; merkwürdigerweise fallen die Nachweise für die erste französische, italienische, portugiesische und ungarische Übertragung allesamt in das Jahr 1938, lediglich eine englische Fassung lag bereits 1856 vor. Gleichwohl wurden die autos hier auch, ähnlich wie das »Theater der Ehre und der Eifersucht«, zu einer Herausforderung, nachgerade zum Ärgernis für Publikum, Dramaturgen und Kritiker. Nietzsche formulierte diese Abneigung gegen das »unausstehliche superlativische Christentum des Calderón« am schärfsten. Allerdings erlaubt das auto keine so radikalen Eingriffe in die Textgestalt, wie wir sie bei El médico de su honra feststellten, um die Bühnenaufführung zu erzwingen (oder zu retten). Es ist überrschend, daß El gran teatro del Mundo erst seit der Zeit des ausgehenden Biedermeier und innerhalb restaurativer Geistesströmungen beachtet wurde. Motiv und Wort sind indessen schon länger bekannt. Die im Barock beherrschende Bildvorstellung vom theatrum mundi, von der scena vitae, war auch den Romantikern, wenn auch mit verändertem Bedeutungsakzent, durchaus vertraut (Novalis, Wackenroder, Jean Paul, Nachtwachen des Bonaventura). Zusammen mit »Schiffbruch« und »Buch des Lebens« gehört sie zum festen Bestand an überlieferten Metaphern für das menschliche Dasein. Die frühesten Belege für »Weltentheater«, »Weltbühne« oder »Weltschaubühne« stammen nach Auskunft des Deutschen Wörterbuchs (»Grimm«, Bd. 14, Leipzig 1955, 1704-06) aus dem 18. Jahrhundert. Der Historiker Ranke verwendet das Bild der »Weltschaubühne«. Goethe und Friedrich Schlegel gebrauchen den Ausdruck »Weltschauplatz«. Unabhängig von Calderón bleibt die Metapher vom Welttheater auch in der Sprache der Biedermeierdichtung verbreitet. Erst als die mit der Vorstellung des Welttheaters verbundene spezifisch christliche Bedeutung in Frage gestellt wird oder verlorengeht, wird die Metapher entweder pessimistisch-ironisch verkehrt zum großen Marionettenspiel, zur Maskerade (Schopenhauer) oder ersetzt durch verwandte Bilder wie Zirkus, Karneval, Jahrmarkt oder Tollhaus. Für Heinrich Heine erscheint der liebe Gott als »Direktor eines bankrotten Theaters« der Welt.14

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Rudolf Majut: Lebensbühne und Marionette, Berlin 1931 (= Germanistische Studien 10); Alexander Demandt: Metaphern für Geschichte. Sprachbilder und Gleichnisse im historisch-politischen Denken, München 1978, S. 3 3 2 ^ 2 5 .

366 Eichendorffs Hinwendung zu Calderóns geistlichen Schauspielen (»Opferdarstellungen« nennt er sie auch) entspringt der Flucht aus der »gegenwärtigen Ideenkonfusion«, aus dem »Weltspektakel« (!) sowie der Suche nach Trost und Gewißheit im alten Glauben. Sie stellt zugleich den Versuch dar, die religiöse Erneuerung der Dichtung, zumal des Dramas, mit dem Vorbild der Spanier zu begründen. Poesie ist für Eichendorff »geheimnisvolles Organ zur Wahrnehmung wie zur Mitteilung der göttlichen Dinge«. Zusammen mit Dante gilt ihm Calderón als größter Vertreter der »Poesie der Theologie.«15 Lorinser liest die autos sacramentales als »das sublime Epos der Theologie«. Die Übersetzung des Großen Welttheaters, die Max Kommerell für Eichendorffs schönste hielt, erschien 1846. Da sie bis in die Gegenwart hinein am weitesten verbreitet ist, hat sie auch die deutschsprachige Rezeption dieses Stückes nachhaltig beeinflußt; das von Hofmannsthal benutzte Exemplar der Eichendorffschen Fassung befindet sich heute im Freien Deutschen Hochstift (Frankfurt). Der Schwierigkeiten, Calderóns theologische Begrifflichkeit und seine Verssprache wiederzugeben, war sich Eichendorff durchaus bewußt. Seine Leistung ist angesichts der verfügbaren Hilfsmittel und seines Kenntnisstandes sowohl der spanischen Sprache und Literaturgeschichte als auch der theologischen Sachfragen zu bewundern, wenngleich man die Schwächen und Mißverständnisse nicht übersehen kann, etwa wenn er die allegorische Gestalt der »Discreción« in die männliche Figur des »Weisen« umwandelt oder »Autor« in Unkenntnis des spanischen Bühnenbetriebs der Zeit mit »Meister« wiedergibt. Der Versuch, die metrischen Eigenheiten der spanischen Vorlage nachzubilden, führte zu sprachlichen Zwängen, Unschärfen und Verkürzungen. Für eine szenische Darbietung eignet sich Eichendorffs Fassung schwerlich, sie macht vielmehr aus der von Calderón so ganz und gar bühnengemäß gedachten Gestaltung der Schauspielmetapher ein lyrisch-erbauliches >LesestückEine wahre Ehrensache für uns Katholikenc Franz Lorinser (1821-1893), traductor y comentarista de los autos sacramentales de Calderón«, in: Manfred Tietz (Hrsg.): Das Spanieninteresse im deutschen Sprachraum. Beiträge zur Geschichte der Hispanistik vor 1900, Frankfurt am Main 1989, S. 131-148.

367 bezeichnend, daß Lorinser El gran teatro del Mundo als erstes Stück seiner Gesamtübersetzung der autos sacramentales gleichsam wie eine heilsdramatische Ouvertüre voranstellt, obwohl es chronologisch nicht das früheste auto ist. Der Protestant von Schack hatte übrigens trotz seiner vorsichtigen Bewunderung für die geistlichen Schauspiele und einer für seine Zeit außergewöhnlichen Kenntnis des spanischen Theaters im Siglo de Oro gerade dieses >Spiel im Spiel< nicht in seine Reihe von Beispielen und Erläuterungen aufgenommen. Zur wichtigsten Stütze für den Dauererfolg des Gran teatro del Mundo wurden in den letzten 120 Jahren die Festspiele im deutschsprachigen Gebiet. Ihren Veranstaltern bietet das barocke Stück im Zusammenwirken eines historisch-architektonischen Ambientes mit dem Aufgebot von Musik, Choreographie, Licht- und Toneffekten die geradezu ideale Vorlage für die Inszenierung von totalem Theater als Großschauspiel. Die Wiederbelebung der Festspielidee hat verschiedene Wurzeln. Einen wichtigen Anstoß geben zweifellos die Bayreuther Festspiele. Daneben steht jedoch auch eine ältere volkstümliche Überlieferung, die entweder ungebrochen fortbesteht oder die wiederaufgenommen und neubelebt wird durch die Laienspiel- oder Volksschauspielbewegung. Entscheidende Impulse kommen außerdem aus religiösen Erneuerungsbestrebungen, die das Mittel theatralischer Schaustellung biblisch-spiritueller Vorgänge oder Gestalten nach dem spätmittelalterlichen Traditionsmuster aufgreifen. Schon in der Romantik wurde der (nicht sonderlich erfolgreiche) Versuch gemacht (etwa von Zacharias Werner), das geistliche Spiel des Mittelalters als Alternative zum modernen Kunstdrama wiederzuerwecken. Am Ende des 19. Jahrhunderts und vor allem in den drei ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zeigt sich in Österreich, in Deutschland, aber auch in Frankreich und England ein auffallendes Interesse am religiösen Schauspiel. Um die Jahrhundertwende entdecken österreichische Literarhistoriker und Dichter den Barock als Epochalformel, die den Anspruch einlösen soll, die kulturelle Vergangenheit und das geistige Erbe zu deuten, gleichzeitig daraus aber auch für das eigene Schaffen neue Anregungen und Maßstäbe zu gewinnen. Den politisch-restaurativen Rückgriff auf das auto sacramental kennzeichnet in dieser Zeit Richard von Kraliks Bearbeitung von El segundo blasón de Austria, das als »Weihfestspiel« zu Ehren des Kaiserjubiläums 1897 im Wiener Rathaus gespielt wurde (gedruckt Wien 1898). Schon Eichendorff hatte sich daran versucht. In England kommt es zur gleichen Zeit zum »Church Drama Movement« nach William Poels Inszenierung des Everyman (1901). Hofmannsthal erfuhr zwei Jahre später davon durch Clemens von Franckenstein. Nach Salzburg und Einsiedeln (um nur die berühmtesten Orte zu nennen) kommt es in Canterbury ab 1929 zu Festspielen. Cristopher Fry bleibt bis in die späten 40er Jahre der bedeutendste Vertreter des religiösen Festspiels in England. Für Frankreich sei lediglich darauf hingewiesen, daß Paul Claudel den Soulier de Satin zwischen 1919 und 1924 schrieb, ein Drama in vier >jornadasLiturgische Bewegung< um Kloster Beuron und das Wirken Romano Guardinis geweckt. Die Liturgie mit ihren Riten, Gesten, Zeremonien, heiligen Gewändern, Zeichen, Sinnbildern wurde wieder mehr als heiliges, theatralisches Handeln (als Heilsdrama) von Priester und Gemeinde vor Gott verstanden und gefeiert. Bevor Hugo von Hofmannsthal seine Umdichtung der Calderönschen Vorlage als Salzburger großes Welttheater herausbrachte, hatten Bernhard Schuler eine frömmelnde kurze Prosaversion (München 1919) und K. Mayr-Frich (Salzburg 1922) eine mit Musik und Chören begleitete >volkstümliche< Bühnenfassung vorgelegt. Nach dem Zweiten Weltkrieg griff Florian Ammer in Die Nachtwachen des Don Pedro Calderön de la Barca (1952) noch einmal den Gedanken auf, in Prosa verkürzt lediglich die Fabel, die >Moral der Geschichten unter Verzicht auf die dramatische Gestalt der spanischen Vorlage wiederzugeben. Unter den Stationen dieser mahnenden Nachtwache in düsteren Zeiten befindet sich das Große Welttheater, das als »Spiel von des Menschen ersten und letzten Dingen«, für die Völksbühne eingerichtet, sowohl 1933 als auch 1953 erschienen war. Einen besonderen Ruf innerhalb der religiösen Laien-Festspiele genießt die Schweizer Benediktinerabtei Einsiedeln. Ihr Programm besteht ausschließlich aus Calderöns El gran teatro del Mundo, das ursprünglich im Abstand von fünf Jahren gespielt werden sollte. Die verschiedenen Spielkonzeptionen und ihr Wandel seit Begründung der »Gesellschaft der Geistlichen Spiele« 1924 gewähren einen aufschlußreichen Einblick in die Deutungs- und Rezeptionsgeschichte von Calderöns berühmtem Werk im deutschsprachigen Raum, zumal hier die Krisen in der Darstellbarkeit religiöser Schauspiele angesichts der tiefgreifenden Wandlungen religiöser Erfahrungen in den letzten drei Generationen aufbrechen.17 Die Gründung der Festspielgesellschaft Einsiedeln erfolgte 1924 im bewußten Gegenzug zu Salzburg mit seiner >weltlichen< Festspielkonzeption. Am altehrwürdigen Wallfahrtsort sollte in Anknüpfung an eine mittelalterlich-barocke Theatertradition der geistliche katholische Charakter der Aufführungen gewahrt bleiben, die im Unterschied zu Salzburg auch nicht von Berufsschauspielern, sondern von einheimischen Laiendarstellern getragen wer-

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Zur Geschichte der Welttheaterspiele vgl. Anne-Christine Gnekow: »In Maske und Gestalt von Don Pedro Calderön de la Barca«. Die Einsiedler Welttheaterspiele von 1924-2000, Lizenziatsarbeit Universität Bern 2000; abgedruckt in Andreas Kotte (Hrsg.): Theater der Nähe, Zürich 2002, S. 13-190.

369 den. Von Anfang an bezieht die Regie dabei als imposante Kulisse die Architektur der spätbarocken Kirchenfassade und die Natur der alpenländischen Umgebung in die sacra rappresentazione ein. Die erste der inzwischen dreizehn Spielzeiten begann 1924 unter dem Rheinländer Peter Erkelenz, der wenig später als Regisseur nach Hollywood berufen wurde. Er tat sich noch sichtlich schwer, die riesigen Raumdimensionen mit dem Welt-Spiel Calderóns auszufüllen. Die Textfassung seiner den sakralen, liturgischen Charakter des auto betonenden Inszenierung beruht ohne Berücksichtigung der spanischen Vorlage auf einer Kombination der so unterschiedlichen Übersetzungen von Eichendorff und Lorinser, wobei die Regie weitere erhebliche Eingriffe vornimmt. Es ist auffallig, daß hier bereits nicht nur der Tod in figura auftritt, sondern auch die Gnade (wenngleich nicht so radikal wie in der letzten Spielzeit des 20. Jahrhunderts) umgestaltet wird zu einer männlichen, »mosesähnlichen, mächtigen, dunklen Gestalt«, die sich als »Gottes ewiges Gesetz« ausgibt. Die Inszenierung der Spielzeit 1930 nutzte den Hintergrund der barocken Klosteranlage, unterstützt durch eine eigens komponierte Bühnenmusik, schon eindrucksvoller. In den frühen dreißiger Jahren kommt es zu verstärkten Bemühungen, Einsiedeln als ein Zentrum der geistlichen Spiele aufzubauen, die seinerzeit in der Zentralschweiz Konjunktur hatten; unter anderem wurde El mágico prodigioso (Ciprianus der große Magier) von Calderón aufgeführt. Seine Glanzzeit erlebte das Einsiedler Welttheater unter der Regie von Oskar Eberle (ab 1935), einem Schüler Max Reinhardts, der die barocke Schaustellung und Zeigegeste des Stückes durch prachtvolle Ausstattung und choreographische Bewegung der Darsteller im Raum sowie unter Zuhilfenahme von Licht und effektvollen, episodischen Einschüben herausarbeitete. So tritt die »Welt« mit großem Gefolge von Dienern auf, die »Stimme« bei Calderón wird szenisch umgesetzt als Tod, den maskenhafte Totengeister begleiten. »Schönheit« umgibt sich mit Damen, der »Reiche« mit Prassern und Zechgenossen, »Discreción« mit Nonnen, der »Bauer« mit Volk. Der »König« wird ähnlich wie bei der Aufführung 1925 in einer erweiterten Schauszene gekrönt. Die Musik unterstreicht eindringlich mit wagnerianischer Leitmotivtechnik das sinnbildliche Geschehen. Interessant ist die gespielte Entsprechung der fünfgliedrigen Disposition der Fassadenarchitektur im fünfteiligen Aufbau des auto sacramental. Nach der kriegsbedingten Unterbrechung wurden die Spiele 1950 bezeichnenderweise unter der Perspektive europäischer Theatertradition wiederaufgenommen. Die Regieführung von Erwin Kohlund, der mit dem bekannten schweizerischen Komponisten Heinrich Sutermeister zusammenarbeitete, hob die spirituell-theologische Aussage des imposanten Spectaculum als Mahnung an die Zeit hervor: Reinhold Schneider, der sicher ein kongenialer Deuter der Kunst und Botschaft Calderóns gewesen wäre, erhielt den Auftrag, die Übersetzung Eichendorffs für die Einsiedler Spiele zu bearbeiten. Doch starb er zu Ostern 1958. Daraufhin wurde der Jesuit, Theologe und Übersetzer Hans Urs von Balthasar beauftragt, eine neue Übersetzung zu fertigen, die der Autor 1959 in seinem Johannes Verlag in Einsiedeln herausbrachte. Der Benediktinerkonvent lehnte jedoch den Text, eine Nachdichtung, als ungeeignet für die Aufführung durch Laienspieler ab. Hans Urs von Balthasar nähert sich dem auto sacramental aus der Perspektive des Theologen und, ähnlich wie Franz Lorinser im 19. Jahrhundert, aus einer tiefen spirituellen Sorge heraus. Er verfügt allerdings nicht nur über eine ausgeprägtere ästhetisch-literarische Sensibilität, sondern auch über eine umfassendere theologische Bildung als der Breslauer Domherr. Der Schweizer Ex-Jesuit Baltha-

370 sar (1905-1988) - Priester, Schriftsteller, Essayist, brillanter Redner, Konzilsbeobachter beim Zweiten Vaticanum, Herausgeber, Übersetzer, Literaturkritiker, Verleger - der kurz vor seinem Tod wie Melchior von Diepenbrock in den Kardinalsrang erhoben wurde, ohne die Bischofswürde zu besitzen, war einer der bedeutendsten deutschsprachigen Theologen des 20. Jahrhunderts. Er verstand es, die Strenge wissenschaftlicher Forschung, vor allem auf dem Gebiet der griechischen Patristik, mit philosophisch-theologischer Spekulation, reicher literarischer Bildung und beeindruckender meditativer Kraft zu verbinden. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils war er einer der führenden Theologen, ein Denker, der stets seine Unabhängigkeit bewahrte, aber auch ein unruhiger, streitbarer Geist sein konnte, wenn es erforderlich war. Um sich ein Bild von seiner intellektuellen Leistung und Vielseitigkeit zu verschaffen, genügt ein Blick auf das erlesene Programm des Johannes Verlags, den er viele Jahre lang geleitet und in dem er zahlreiche eigene Bücher, geistliche Schriften und Übersetzungen veröffentlicht hat. Es bietet einen Querschnitt durch die Geistesgeschichte des renouveau catholique der Nachkriegszeit. Balthasar interessiert sich für Calderón als poeta theologus und für seine Dichtung als >verborgene Theologien Dem zufolge ist die Übersetzung, die er geschaffen hat, nicht nur ein kommunikativer Akt der Übertragung von einer Sprache in die andere, sondern auch eine hermeneutische Aktualisierung der impliziten dogmatischen Botschaften des Textes. Aus der Übersetzung wird so eine Art >LehreTheaters auf dem Theater< steckenden dramatischen Möglichkeiten erlaubt) als auch hinsichtlich ihrer metaphorisch-religiösen Reichweite. Dennoch stellt er einen tiefen Abgrund fest, der sich zwischen dem menschlichen Spiel und Gott auftut, zwischen der dem Menschen nach göttlichem Ratschluß zugedachten Rolle und der Interpretation derselben oder ihrer freien und selbstverantwortlichen Ausführung durch jeden Einzelnen im Laufe seines Lebens. Er vermißt eine wie auch immer geartete Form von Vermittlung. Gott tritt nur als Schöpfer und Richter in Erscheinung. In keinem Augenblick scheint die biblische Vorstellung auf, der zufolge der Mensch als Person »Abbild und Ebenbild« Gottes ist. Er ist ausschließlich der von Gott beauftragte Schauspieler. Auch findet sich kein Hinweis auf Christus als Mittler zwischen Gott und Menschheit - außer indirekt in der Schlußapothese der Eucharistie. Zwar ist vom freien Willen die Rede, von menschlicher Freiheit und Gewissen, nicht jedoch vom Heiligen Geist als Führer und Erleuchter des Menschen. Auch die Funktion der Kirche, auf die nur beiläufig die Figur der Discreción anspielt, wird nicht deutlich. In dem Gesetz (der Göttlichen Gnade) kommt nicht der neutestamentarische Charakter zur Geltung, so daß sich insgesamt der Eindruck eines scheinbaren - und bei einem Autor wie Calderón, der selbst Priester mit solider theologischer Ausbildung war - unerklärlichen Deismus ergibt. Diese Sicht erklärt sich jedoch dadurch, daß Calderón hier aus didaktischen und dramaturgischen Gründen darum bemüht ist, als einziges Movens das der Theateraufführung herauszustellen. Andere autos behandeln ausführlich die erwähnten Elemente und Aspekte. Um für die Aufführung von Das Große Welttheater jene trinitarische Dimension zurückzugewinnen, derer sich Calderón natürlich bewußt war, schlägt Balthasar eine stumme szenische Darstellung vor, die er aus dem Text des Prologs gewinnt, wo die Figur der Welt die Vorstellung der drei Zeitalter (der Natur, des Gesetzes, der Gnade) darlegt, eine Theologie der Heilsgeschichte, die die Kirchenväter als schrittweise Enthüllung des Mysteriums der Trinität interpretierten. So läßt Balthasar in einer Regieanweisung nach den Worten des Autors una fiesta hacer quiero [...] y es representación la humana vida (V. 3 9 ^ 6 )

aus dem Bühnenhintergrund die Figuren der drei Weltzeitalter auftreten, während die Welt in ihrer Rede die drei entsprechenden Akte evoziert (V. 99/178/199). Diese bilden allmählich eine Statuengruppe, die sich an der Rampe über der Bühne der Welt aufstellt. Was die Welt in hochrhetorischen Beschreibungen entwickelt, wird also gleichzeitig in Bildern mit sinnfälligem Symbolgehalt ausgedrückt, die den gesamten Theaterraum unter das Zeichen der drei Phasen des göttlichen Heilsplans stellen. Text und Idee Calderóns stehen in vollkommener Weise mit dieser Erklärung im Einklang.

372 Das Schicksal und die Figur des Bettlers war für Hofmannsthal Stein des Anstoßes und beunruhigte den österreichischen Dichter so sehr, daß er in seiner vollständigen Neufassung des Calderónschen Werks den Bettler mit den ernsten soziopolitischen Problemen der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in Verbindung bringt (Revolution, Anarchismus, Proletariat, Ungerechtigkeit). Auch Balthasar beunruhigt die Figur des Bettlers, aber er verbindet sie mit der Christologie, ohne deshalb die soziale Frage aus den Augen zu verlieren. Er läßt der Rede des Bettlers mehr Raum: sie gibt nun nicht nur die Klagen Hiobs in Prosaform wieder, sondern entwickelt auch ein breites Panorama menschlichen Elends, das auf eine soziale Philosophie und eine Metaphysik der Armut verweist. Der Bettler spricht aus der »Höhle des Nichts«, und seine Rede ist voll bitterer Klagen und Fragen: weshalb das Leid, weshalb die Erniedrigung, weshalb das Elend? Hier streicht Balthasar die biblische Bedeutung des Bettlers als Figura Christi heraus. Der arme Bettler wird zum geheimen Zeugen Christi, zum Freund Gottes. Seine Mission in der Welt der Arbeit besteht darin, die verlorene Gnade in Erinnerung zu rufen, sowie die Präsenz der neuen Gnade und der Erlösung zu verkünden. Der Bettler wird so zur authentischen und notwendigen Präfiguration der Kenosis (Entäußerung) Christi, der als Gottes Sohn, dem Vater gehorchend, Mensch geworden ist bis zu seinem Tod am Kreuz. Auch wenn der Arme - nach Balthasar - nie so weit kommt, seine Situation ganz zu verstehen, so stellt er doch (im doppelten Wortsinn) die >Armut Gottes< dar, einen paradoxen Begriff, den besonders die mittelalterlichen Mystiker schätzten. Zweifelsohne hat Balthasar hier in seinem Bemühen um dogmatische Aktualisierung die spekulative Interpretation durch eine Sinngebung überfrachtet, die den Begriffen von Gesellschaft, Arbeit, usw. fremd ist, welche der das bestehende Ordnungssystem verteidigende Calderón vor Augen hatte. Zudem vernachlässigt er sowohl den traditionellen Charakter des Gegensatzpaares Reicher/Armer in der Konfiguration der Darsteller als auch das altbekannte konventionelle Schema der literarisch-moralischen Behandlung dieses Paares mit seiner Vorgeschichte im Evangelium (Lukas 16, 19ff.). Eine im auto nur gering motivierte Episode, die auf Balthasar - und auf den modernen Zuschauer - befremdend wirkt, ist jene, in der die Discreción (die Kirche) strauchelt und der König ihr die Hand reicht (V. 926). Hofmannsthal läßt diese Stelle weg und hebt damit die vorangehende, stark konfliktive Szene mit dem Bettler noch mehr heraus, reduziert zugleich aber das theologische Mysterium auf einen unmittelbar drohenden sozialen Konflikt zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Wiederum entscheidet sich Balthasar nicht für eine radikale Lösung, sondern versucht, in die spirituelle Botschaft des Werks einzudringen. Wenn der Bettler das »Almosen des Brotes« erhält - eine offensichtliche Anspielung auf das Meßopfer, das die Kirche stets aufs neue in Vergegenwärtigung des Opfertodes Christi darbringt - , dann fällt die Discreción zugleich weinend in eine Ohnmacht, für die das unausrottbare Elend und die Armut der Welt verantwortlich sind. Der Bettler wiederum bricht in eine Art eucharistische Anrufung aus, die in einer Amplificado von Vers 921-922 des Calderón'schen Textes besteht, und breitet die Arme wie in der Geste des betenden Liturgen aus. Balthasar legt der zu Boden gestürzten Discreción nun einen planctus ecclesiae in den Mund, der den Konflikt zwischen der Sendung der Kirche und ihrer Hilflosigkeit zum Ausdruck bringt: Meister, ich kann es nicht, es ist zu schwierig! Die Welt hab ich verlassen, wie Dein Sohn

373 Gefordert hat, um in Gebet und Buße Der Welt zu zeigen, was die Kirche ist: Dein Reich der Liebe mitten in der Schöpfung, Dein Licht der Welt! (S. 39)

Hilflos breitet sie die Arme aus wie der Bettler an ihrer Seite. Ein Lichtstrahl erhellt das Kreuz, dessen Querbalken das Gesetz der Gnade trägt. Einen Moment lang erblickt man den Gekreuzigten in seiner Qual, ebenfalls mit ausgebreiteten Armen. Nach langem Schweigen reicht der König der auf den Knien kauernden Kirche die Hand. Die lakonische Antwort der Discreción (vv. 927-928) wird von Balthasar in zweideutiger Weise verstärkt: Kirche und Welt sind zueinandergesunken, um damit die dogmatische Rolle von Christologie und Ekklesiologie zu unterstreichen. Die weitere Änderung des Theologen bezieht sich auf die Eschatologie oder die Letzten Dinge des Menschen. In diesem Kontext empfiehlt er die Streichung der Rolle des Kindes und mildert die dogmatischen Aussagen über den Limbus ab. Infolgedessen nimmt Balthasar auch leichte Änderungen am Ausgang des Stückes vor, indem er dem Lob der Eucharistie die trinitarische Doxologie hinzufügt, die als Verheißung und Vorgeschmack der ewigen visio beatifica auf die vier Letzten Dinge des Menschen ausstrahlt. Was den dramatuigischen und dichterischen Aspekt betrifft, hat Balthasar offensichtlich Mühe mit dem Dilemma, vor das die Allegorie den modernen Leser und jede Theateraufführung stellt. Schon Eichendorff hatte die Discreción als Weisheit durch die männliche Figur des Weisen ersetzt, was einen gewaltsamen Bruch der Symmetrie mit der Schönheit darstellt, die er als solche beläßt. Außerdem entsprechen Weiser und Weisheit nicht genau dem, was Calderón unter discreción verstand, so wie A.A. Parker es in seiner bekannten Studie herausgearbeitet hat. Balthasar entscheidet sich für >Weise Frau< und >Schöne Frauweise< ist weit von der Bedeutung von >discreto< entfernt. »La Discreción estudiosa« wird so in einer spitzfindigen Paraphrase folgendermaßen gedeutet: Ich soll die Weisheit spielen, Das Hoch- und Höherzielen.

Aber discreción schließt eben die Gabe der Unterscheidung auf dem Weg der moralischen Vervollkommnung mit ein. Außerdem bewahrt Balthasar die Figur der Welt, die Hofmannsthal in die Welt und den Vorwitz (eine Arlecchino- oder Gracioso-Figur) aufgespalten und damit das so dichte biblische Konzept des Mundus zerstört hatte. Und dennoch kürzt Balthasar die wunderbare Rede, mit der die Welt sich im Vorspiel an den »autor generoso« wendet, und die eine Beschreibung der Bühne des Großen Theaters enthält, um fast die Hälfte, wendet sich jedoch auch gegen die völlige Streichung des Prologs. Natürlich führt diese Kürzung zum Verlust des höchst kunstvollen Charakters der Rede, die zugleich ihres funktional-argumentativen Aufbaus beraubt wird. Die Rhetorik, der Bilderprunk, das Summationsschema der Beschreibungen, die komplizierte logische Konstruktion sind keine lediglich dekorativen und zufälligen Elemente, sondern erfüllen bei der Aufführung eine deiktische und persuasive Funktion ersten Ranges. Sie sind ebenso wichtige Ausdruckselemente wie die Musik, das Licht, der visuelle Eindruck, der Tanz, die Kostüme und die tramoya. Vernachlässigt man die Rhetorik, dann verstümmelt man das auto.

374 Schließlich bleiben noch einige Details der Übersetzung zu erwähnen, die den Sinn des auto sacramental berühren. So übersetzt Balthasar »autor« durch »Meister« und behält damit in gewisser Weise den Sinn der Metapher Deus poeta bei, verliert jedoch die Bedeutung des Direktors einer Schauspieltruppe. Der mehrfach als Leitmotiv wiederholte Titel, den der Autor seiner »comedia misteriosa« gibt, lautet »Obrar bien, que Dios es Dios« (V. 439), ohne daß ausgeführt würde, worin konkret dieses >gute Handeln< bestehen soll. Die Übersetzung, die Balthasar wählt, drückt zwar seine von dem Evangelisten Johannes geprägte Spiritualität treffend aus, entspricht aber nicht dem Original, wo dem »obrar bien« im Rahmen der Theateraufführung ein Doppelsinn zukommt: gute Werke tun, um den Lohn des ewigen Leben zu gewinnen und die von Gott aufgetragene Rolle gut spielen. Die Formel »Gott ist Dein Freund. Du bist sein Diener. Amen« verweist auf die Botschaft des Neuen Testaments von der Menschenfreundlichkeit Gottes, sie überträgt aber nicht das Zwingende und Ermahnende der elementaren Lebensregel. Damit verlieren viele Anspielungen auf die performance der Akteure, auf Proben und Improvisieren im Theater, oder auch auf die Verantwortung jedes einzelnen Darstellers für die Ausgestaltung der Rolle, die er bei der einzigen und entscheidenden Aufführung der >comoedia des Lebens< übernommen hat, ihren Sinn. Die Übersetzung und Bearbeitung des Großen Welttheaters, die Hans Urs von Balthasar geschaffen hat, wird wahrscheinlich nie zur Aufführung auf einer Bühne gelangen. Ihre Verwendbarkeit für ein Schauspiel ist angesichts der schwierigen, oft affektierten, hochtrabenden, manchmal archaisierenden und ebenso oft alltäglichen und schmucklosen Sprache sehr begrenzt. Die Klostergemeinschaft von Einsiedeln hatte recht, die Fassung des gelehrten Landsmannes für die Neuinszenierung nicht anzunehmen. Balthasar hat das auto endgültig in ein Lesedrama verwandelt. Es ist die letzte, reife Frucht der theologischen und poetologischen Spekulationen, die Calderön in der deutschen Romantik ausgelöst hatte. Was Balthasars Interpretation Gewicht verleiht, ist, daß sie Teil eines kühnen Entwurfs theologischer Synthese (der >TheodramatikRepräsentationJenseits< zu den Kreaturen, den Rollenträgern spricht, die ihren Part manchmal gehörig verfehlt haben, wird in einer stummen Szene ausgedrückt. Das Urteil Gottes entzieht sich der Sprache der Menschen. Das Bild der zur eucharistischen Mahlgemeinschaft Berufenen läßt sich nicht mehr wie bei Calderón als Apotheose zeigen. Das Stück mündet in ein distanzierendes Schweigen. Immerhin wird die Gemeinschaft der Darsteller gezeigt, die einer draußen unhörbaren Belehrung ihres Meisters lauschen. Wer Ohren hat zu hören und Augen zu sehen, der höre und sehe die Botschaft des Schauspiels.19 Die merkwürdigste Version des Calderónschen Welttheaters lieferte der neoklassizistische Dramatiker Wilhelm von Scholz (1874-1969), seit 1933 Mitglied der Deutschen Akademie der Dichtung: Das deutsche große Welttheater (Uraufführung in Karlsruhe 22. Mai 1941, wiederaufgenommen 1943 im Wiener Volkstheater). Schon als Gymnasiast war Scholz in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts tief beeindruckt von Das Leben ein Traum. Als Dramaturg in Stuttgart (1914—1922) begann er dann, sich intensiv um einen »erneuerten Calderón« zu bemühen. Die Frucht dieser Beschäftigung mit Calderón im Dritten Reich sind Bühnenbearbeitungen und Inszenierungen von El mayor encanto amor, El alcalde de Zalamea (1937), und La vida es sueño (1933). 1940 kehrte er erneut zu Calderón zurück, um sich »von dem furchtbaren Zeitgeschehen abzulenken« mit El gran teatro del Mundo. Es ist die

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Programmheft Pedro Calderön de la Barca: Das Große Welttheater. Schiller-Theater, Berlin 1988. Besprechung von Günther Grack im Tagesspiegel, 8. Mai 1988, S. 4.

377 Zeit, als sich auch Max Kommereil im Kreis um Rudolf Bultmann und Werner Krauss in Marburg mit Calderón auseinandersetzte, La vida es sueño, und La hija del aire übersetzte, allerdings weniger um sich abzulenken, sondern um einen Akt inneren Widerstands gegen die Diktatur zu leisten. Scholz fesselt als Mann des Theaters an Calderóns Stück weniger dessen spiritueller Gehalt als vielmehr die theatralische Möglichkeit des Spiels im Spiel, die Verknüpfung - Scholz nennt es das Zusammenschweißen - von Weltschöpfung, Totentanz und Theater. Calderón erscheint ihm als der »geborene Theatraliker«. Scholz gibt dem ursprünglich für eine Freilichtaufführung vor dem Straßburger Münster bestimmten Werk demonstrativ »seine deutsche Gestalt«, und damit ist eben keine Übersetzung aus dem Spanischen gemeint, sondern eine freie Umarbeitung, die den »Rohstoff« [sie] der Calderónschen Vorlage »mit eigenem zusammengeknetet« hat. Ohne daß Hofmannsthal erwähnt wird - er paßt weder in Scholzens Konzeption noch war er dem nazistischen Literaturkanon genehm - , setzt sich Das deutsche große Welttheater offensichtlich auch gegen das Salzburger große Welttheater ab, selbst wenn es ungenannt bleibt. Pikanterweise erscheint fast zur gleichen Zeit Das Spanische Welttheater (1943) von Joseph Gregor, eine Darstellung von »Weltanschauung, Politik und Kunst der großen Epoche Spaniens«, die mit einer rauschhaften Vision des Endsiegs Hitlers als Weltgericht endet: Spaniens Großmachtzeit wird als »Vorspiel der Ekstasen des Schicksals« im gegenwärtigen Krieg gedeutet. Scholz gerät in eine fatale Nähe zu der seit 1935 von der nationalsozialistischen Propaganda geforderten (und geförderten) nationalen Feierdichtung im Freien unter dem spektakulären Aufgebot von Architektur, Massen und Musik. Der Gegensatz des alten spanischen »Feierspiels«, so Scholz, mit dem neuen deutschen Welttheater sei die beste Möglichkeit, die nicht mehr kirchliche Auffassung von Welt und Leben polemisch, aber doppelt vernehmlich sichtbar werden zu lassen. Es muß als Quadratur des Kreises erscheinen, wenn Scholz den kirchlichen Gehalt des Großen Welttheaters ausfiltern zu können glaubt, gleichzeitig aber die Vorstellung von Weltenschöpfung und Totentanz (zumindest dramaturgisch) beibehält. Er löst das spanische Werk aus seinem religiösen Spielsinn heraus, von dem er durchaus Kenntnis hat, und macht ein in gewisser Weise neutralisiertes »Neuwerk« daraus, nachdem der ursprüngliche kirchlich-dogmatische Gehalt längst »leeres Wort« geworden sei. Calderóns auto wird so im Sinne der Deutschen Christen als Sermon an einen neuen Glauben angepaßt. In der Geschichte der schöpferischen Aneignung und Deutung von Calderóns Großem Welttheater bildet Hugo von Hofmannsthal sowohl eine Ausnahme als auch einen Höhepunkt. 20 Er hat als einziger eine freie Bearbeitung, eine Umdichtung der berühmten spanischen Vorlage gewagt. Andererseits steht er in der Reihe der voraufgegangenen Übersetzungsversuche und Interpretationsbemühungen: seine Gestaltung des Welttheaters bildet eine Lesart, die wiederum den unumgänglichen Markstein für die Nachfolgenden setzt bei Inszenierungen, Übersetzungen und jeder modernen Exegese des im deutschen Kulturraum bekanntesten auto sacramental von Calderón. Hofmannsthals Beziehung zu Calderón ist

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Peter Michelsen: »Das >Große Welttheater< bei Calderón und Hofmannsthal«, in: Theodor Berchem/ Siegfried Sudhof (Hrsg.): Pedro Calderón de la Barca, Berlin 1983, S. 29-47. Cynthia Walk: Hofmannsthals >Großes WelttheaterCollaborationwork in progressGesamtkunstwerkConde LucanorUnd die Welt hebt an zu singenDas Romantische selbst ist eine ÜbersetzungLandeskunde< und des >Nationalcharakters< einen so flammenden, ja geradezu fanatischen Ausdruck verleiht. Das Sprachstudium wird zuoberst einem Heilszweck zugeordnet (»potius animas lucrari ad vitam aeternam quam linguas instruere ad loquendum«). Bloße Sprachfertigkeit genügt nicht. Wissen und Lesen müssen auf den Weg des Heils führen. Sprachlehre ist daher zugleich auch immer ein Stück Seelsorge. Das Sprachstudium berge freilich gewisse Gefahren, weil die Jugend leicht zu verführen sei und mit der fremden Sprache auch schlechte Sitten übernehmen könne. Dagegen bieten jedoch die Fülle der »libri pii et sancti« und die strenge Rechtgläubigkeit der Spanier - als Verteidiger der wahren Religion - den besten Schutz und damit die Gewähr für heilsamen Erfolg beim Spracherlernen. Das Studium des Spanischen wird damit zum geistlichen Heilmittel und Instrument der Apologetik. Der Kölner Sprachzuchtmeister geht dabei von der Annahme aus, daß die Sprache den Charakter eines Volkes offenbare: »ex lingua cognoscitur homo« (Bl. f 6V). Daraus entwickelt er eine Seelenstilkunde des spanischen Volkes und wendet César Oudins Begründung des Spanischstudiums in das Gegenteil. Der Fremdsprachensekretär und Dolmetscher am französischen Hof rechtfertigte sich auf die Vorhaltung, er leiste mit seiner Grammatik des Spanischen 1597 zu einer Zeit, da sich die dynastischen Auseinandersetzungen mit dem Nachbarn jenseits der Pyrenäen zuspitzten, der Verbreitung der Sprache »unserer Feinde« Vorschub, mit dem Argument, die von ihm vermittelte Sprachkenntnis diene allein dem Ziel »know your enemy« und erlaube es, die Schlechtigkeit und Gefährlichkeit der Spanier zu durchschauen. Auch Oudin ordnet also die Sprachkenntnis als Werkzeug einer politischen Nutzbarkeit zu und setzt Sprache und Mensch gleich. »An der Sprache erkennt man den Menschen«: diese ursprünglich auf die Unterscheidung von Lügenhaftigkeit oder Wahrheitsliebe eines Menschen hindeutende Spruchweisheit wendet Doergangk im moralischen Sinn auf die Sprachgemeinschaft der Spanier an. »Regularitas et convenientia«, Regelhaftigkeit und Harmonie der spanischen Sprache werden als Seelenspiegel eines Volkes gedeutet, das immer nur die »Gebote und das geschriebene Gesetz« befolge. Nebrija hingegen hatte als Philologe die Kodifizierung und Normierung der Grammatik als Voraussetzung für die dauernde Bewahrung des erreichten >höchsten< Sprachstandes, als Schutz gegen Sprachverfall durch Veränderung verstanden. Doergangk sieht einen unmittelbaren Zusammenhang gegeben zwischen >Sprachgeist< und der bei den Spaniern so ausgeprägten Pflege von Theologie und Rechtswissenschaft: »In Hispania [...] sacrae litterae [Heilige Schrift] et mandata Dei, Ius Canonicum et Civile ad unguem observantur« (S. t 7r). In der frühen vergleichenden Völkerpsychologie und Nationentypologie werden den Spaniern meistens Scharfsinnigkeit und Gottesgelehrtheit zugeschrieben. Die Spanier seien zu Verteidigern des wahren Glaubens und unbeugsamen Hütern des Rechts berufen, daher also »Gottes auserwähltes Volk«, das »den Unglauben auslöscht, Heiligkeit verbreitet und die Häresie bekämpft«, argumentiert Doergangk. Sowohl Valerius Andreas (Catalogus clarorum Hispaniae scriptorum [...], Mainz 1607) als auch Andreas Schott (Hispaniae Bibliotheca seu de academiis ac bibliothecis, Frankfurt 1608) entwickeln aus der spekulativen Anthropologie des Spaniers dessen intellektuelle und moralische Fähigkeiten sowie die

435 darin begründeten Merkmale der spanischen Literaturerzeugnisse. »Nunquam gentium plures reperiet, qui aut firmius ac validius pro Orthodoxia Dei Ecclesiae propugnarint, aut disciplinas omnes laudandas que artes, quibus et Ecclesia et Respublica continetur, acutius quam Iben iurisprudentiam [...] ac philosophiam pertractarint«, schreibt Valerius Andreas. Doergangk preist in diesem Zusammenhang nicht nur die »Inquisitio Hispanica divina« als Geschenk des Himmels und die Vertreibung der Juden als rechtmäßige politische Großtat, sondern weitet die Betrachtung spanischer Religiosität und Rechtsgelehrsamkeit aus zu einer Verteidigung der Katholischen Kirche bzw. zu einer Schimpftirade auf die Irrgläubigen und jene, die die Inquisition zu bekämpfen wagen.9 Eingeschobene Anekdoten bieten Beispiele für die Wesenskunde des Spaniers, der mit allen guten Eigenschaften ausgestattet und zum Vorbild emporstilisiert wird. Auch das ausführlich erzählte Schicksal des Infanten Don Carlos wird als Exempel für den unerbittlichen Gerechtigkeitssinn des Herrschers sogar gegenüber dem eigenen Sohn gewertet. Glaubenswahrheit und »Wahrheit der Sprache« werden schließlich mit Hilfe der Phonetik miteinander verbunden. Doergangk spricht von der »vera, sincera, aperta et sancta lingua Hispanica«. Diese Sprachcharakteristik weicht von den üblichen Attributen ab, die das Spanische als »gar eine schöne und gravitetische Sprach« erscheinen lassen (so etwa Sumarán). Die gravité, der Stolz, gilt natürlich auch als ein hervorstechender Wesenszug des Spaniers. Der übliche Vergleich der großen europäischen Nationen im Schema des Rangstreites bezieht sich beim Stichwort >sermo< auf Merkmale der Intonation und Aussprache mit folgender Gegenüberstellung: »Germanus ululat, Hispanus loquitur, Italus delirat, Gallus cantat, Anglus flet« (Wander, Sp. 650, Nr. 34). Wahr ist die spanische Sprache nach Doergangks Deutung als Wesensausdruck des Spaniers, der die Wahrheit liebt und verteidigt. »Sincera« und »aperta« nennt er die spanische Sprache, weil die Spanier ehrlich, aufrecht und offenherzig seien. Das zeige sich schon an der Tatsache, daß Aussprache und Schreibweise übereinstimmten. Alle Buchstaben, die geschrieben stehen, werden auch ausgesprochen. Außerdem überwiegen im Spanischen die hellen Klänge (»clariora elementa«) wie a, o und u, - eine Lautsymbolik, welche die modernen phonetischen Beschreibungsmerkmale jedenfalls auf den Kopf stellt. Die Spanier sind das neue, auserwählte Volk Gottes, das die Vorsehung zur Herrschaft über die Welt berufen hat (»Possident Hispani ambitum totius terrae«) und das auf Erden mehr tut für die Sache Gottes als die Juden. Darum erweckte Gott in diesem Volk so viele Heilige, Gelehrte, Helden und Herrscher, daß es »wie die Sonne unter allen übrigen Gestirnen« glänzt. Und darum zähle das Spanische auch zu den heiligen Sprachen (Hebräisch, Griechisch und Latein). Die Freunde der Spanier sind zugleich Gottes Freunde. Nur die Feinde Gottes hassen die Spanier.10 9

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»Insani ergo sunt, haeretici sunt, Mahumetani sunt, politici hypocritae sunt, mali Catholici sunt, pessimi Christiani sunt, vitiorum defensores sunt, haeresum altores sunt, blasphemiarum et [...] sogarum, veneficorum, [...] et magorum fautores sunt, et omnium malorum et diabolicarum artium [...] et peccatorum amici, pessimae et carnalis libertatis porci sunt [...] qui vere caelitus demissam Inquisitionem Hispanicam odio prosequuntur, contemnunt« (ttl v )»Ament ergo Hispanos, qui Deum et Christum amant, venerentur Hispanos, qui Deum sibi cupiunt propitium, defendant Hispanos, qui a Deo et Christo defendi volunt«, usw. ( t t t t t t l v ) - »Eant cum Hispanis ad praelia, qui justa bella exercere et veram gloriam et honorem referre et reportare expetunt, pacem cum Hispanis colant, qui veram pacem et tranquillitatem habere flagitant«.

436 Damit ist die politische Bühne der damaligen Zeit in zwei unversöhnliche Lager aufgeteilt: Hier die Widersacher Gottes und der Spanier, dort die guten Spanier mit ihren Bundesgenossen. Rhetorische Tiraden denunzieren die Gegner Spaniens als Feinde Christi ganz im Sinne von Quevedos España defendida (1609). Doergangk entwickelt die Laus Hispaniae aus dem Geist der spanischen Sprache und preist die Spanier als Heilbringer und Friedensstifter in der Welt. Die spanische Sprache zu erlernen, erscheint demnach geradezu als Christenpflicht und Gebot der Stunde: »Appetant, prosequantur, et summo studio et diligentia, amore et favore addiscant linguam Hispanicam, venerentur eam, colant eam, loquantur eam qui linguam veram, sinceram, apertam, et plenam majestatis, et gravitatis regiae, et heroicae magnanimitatis, nec non, quod omnium primum est, refertam verae pietatis et sanctitatis [...] habere, et ex se audiri ornarique tali desiderant« (VI 2V). Doergangk verteidigt das Kastilische als »heilige Sprache« inmitten einer Spanien gegenüber feindseligen Welt. Erst Herder sollte aus anderer Sicht das Spanische als »fast eine heilige Kirchensprache« wiederentdecken. Man braucht die Lobeserhebungen nur umzukehren und erhält dann das in Flugschriften jener Zeit verbreitete und mit allen schlechten Eigenschaften besetzte Gegenbild vom bösen Spanier. Eine der beliebten Anekdoten über das Spanische, das als scharf, gemessen, kraftvoll, tiefsinnig und reich an Sprichwörtern charakterisiert wurde, überliefert pointiert die Abneigung gegenüber der Sprache der Weltmacht: »Die spannische Sprach seye die lieblichste under allen Sprachen, in massen die Schlang, da sie Evan betriegen wollte, habe spanisch geredt« (Theophilus Wahrmundt von Tottenheim, Wessen man sich gegen Spanien versehen soll, o.O. 1618). Spanisch also die Sprache des Teufels. Der Teufel lernte seine Schliche nicht umsonst in der Schule der spanischen Sprache. In Pamphleten wird häufig von Schönrednerei, Doppelzüngigkeit, Verstellungskunst und Vertragsbrüchigkeit gewarnt, die man gemeinhin den Spaniern zuschrieb: »Gleich wie sie änderst Schreiben unnd änderst lesen, also auch sagen und Reden sie änderst als sie thun«, behauptet Julius Wilhelm Zincgref in seinen Apophthegmata genau umgekehrt zu Doergangks Argument für die lingua sincera der Spanier. Das Titelbild der Flugschrift Spannische Haderkatz (1618) zeigt Katzen, die um einen Kerzenleuchter herumjagen. Die nach abergläubischer Auffassung als Begleiter des Teufels und der Hexen gefürchteten Tiere sollen sinnbildlich zur Warnung vor falschen Menschen dienen, die vorn lecken und hinten kratzen: es sind die »Maußfallenmacher«, die Spanier, deren Sprache und Verhalten als hinterlistig, falsch und tückisch galt. »Sinceriren« wurde zum ironisch-euphemistischen Inbegriff spanischer Verhandlungstaktik. Spottverse verballhornten den Ausdruck »Sinceration« zu Zins-ehr-atz-ich-ohn. Ein satirischer Spruch aus der burlesken Kompilation Noua Nova Antiqua Continuationis derNewen Zeitungen (o.O. 1621, Bjr) besagt, »Daß ein Spanier unnd Rhodomont oder Großsprecher Termini convertibiles Seyen«. Damit wird auf den bekannten Karikaturentyp des Spaniers als lügenhafter fanfarrón, Prahlhans und Aufschneider angespielt. Spaniologi, »Spanischsprecher«, war ein Schimpfwort für verdächtige Sympathisanten der Spanier. Kaspar von Barth, ein Zeitgenosse Doergangks, bezeichnet die spanische Sprache als »hispanismus« oder »castilianismus«. Nachdem Doergangk für das Sprachstudium einen theoretischen Überbau errichtet hat, wendet er sich dem über das Spanische zu vermittelnden Bildungsanspruch zu. Seine Landeskunde schloß bereits ganz im Stil der späthumanistischen Geschichte der Gelehrsamkeit einen Katalog der »viri illustres« ein, die Spaniens Ruhm auf allen Gebieten des Wissens

437 ausweisen. Auch im Rhetorikunterricht der Zeit fand übrigens die landeskundliche Spanienenzyklopädie zuweilen ihren Platz, wie die häufig aufgelegten Consultationes des Tübinger Juristen Thomas Lansius (ab 1613) zeigen. Da Sprach- und Stilschulung eng mit der sittlichen Bildung zusammenhängen, empfiehlt Doergangk weltliche und geistliche Musterautoren in einer ungewöhnlichen Zusammenstellung. Im Lektürekanon steht, als »Hispanorum Cicero« gepriesen, Luis de Granada (15041588) an erster Stelle, dessen ins Lateinische übersetzte Vita aus der Feder von Francisco Diago in Köln im gleichen Jahr erschien wie die Institutiones in linguam hispanicam. Doch wird nicht eine der verbreiteten Schriften des Dominikaners als Stilmuster zur Nachahmung empfohlen, sondern seine im 16. Jahrhundert mit über drei Dutzend Auflagen höchst erfolgreiche spanische Übersetzung der Imitatio Christi (Contemptus mundi, o menosprecio del mundo, zuerst 1536), die auf die Laienfrömmigkeit in Europa nachhaltigen Einfluß hatte. Ihm folgt der Jesuit Pedro de Ribadeneyra ( t l ö l 1) mit der Historia eclesiastica del scisma del reyno de Inglaterra (Antwerpen 1588, 2 1594), ein Werk der Geschichtsschreibung, das Doergangk wohl weniger aus literarischen oder stilistischen denn aus kontroverstheologischen Gründen empfiehlt als Rüstzeug bei der Auseinandersetzung mit den Protestanten. An dritter Stelle steht wiederum ein europäischer Erfolgsautor, Antonio de Guevara mit dem Libro de Marco Aurelio sowie Menosprecio de corte y alabanza de aldea. Denjenigen, die Spanisch erlernen wollen, rät er, sich diese vier Bücher zu kaufen und sie immer wieder zu lesen (»diurna nocturnaque versentur manu«). Insbesondere sollte man die Imitatio Christi ständig in der Westentasche mit sich tragen (»in sinu circumgeratur«) und so oft lesen, bis man sie auswendig wisse. Heilslehre und Stilbildung lassen sich bruchlos miteinander verbinden. Erstaunlicher als diese Empfehlung asketisch-didaktischer Erfolgsbücher von europäischer Verbreitung nimmt sich dagegen im Munde Doergangks der Hinweis auf die Celestina als »klassisches« Literaturwerk aus. Als Begleitlektüre zum Spracherwerb wurde sie schon früher verwendet, wie etwa eine venezianische Ausgabe von 1533 belegt, der »una exposition de muchos vocables Castellanos en lengua ytaliana« von Alfonso de Ulloa beigegeben ist. Trotz moralischer Bedenken gegen Liebesgeschichten im allgemeinen empfiehlt Doergangk zehn Jahre vor Kaspar von Barth die Celestina als bedeutendes Sprachkunstwerk aus der Feder eines Humanisten." Der Leser werde darin »purum et tersum sermonem Hispanicum« finden. Als einzig mögliche Rechtfertigung für die Lektüre stellt er ebenso wie Barth deren abschreckend-belehrende Wirkung auf die Jugend heraus: »Qui etiam amoribus delectantur, legant libellum cui titulus est La Celestina, hunc libellum propterea commendo quod a Doctore in Academia Salmantica doctissime et politissime est conscriptus, non ut amores doceat, sed ut homines tragico illo exitu a vanis illis amoribus absterreat, et ut discant matrimonia contrahere non clam, sed palam coram Sacerdote« (VI 3V). Die »libri amorum« hingegen, allen voran Ritterbücher vom Schlage des Amadis, vielleicht auch Schäferromane und die novela sentimental sowie die Romanzen (»Cantus lascivi«) verurteilt Doergangk als unmoralisch und unnütz. Er verfügte gewiß noch weniger über

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Dietrich Briesemeister, »Kaspar von Barth und die Frühgeschichte der Hispanistik in Deutschland«, in: Das Spanieninteresse im deutschen Sprachraum. Beiträge zur Geschichte der Hispanistik vor 1900. Hrsg. Manfred Tietz, Frankfurt 1989, S. 1-21. [Wiederabdruck in diesem Band]

438 literarhistorische denn über philologische Kenntnisse im eigentlichen Sinne. Aber daß er schon den Wert der modernen spanischen Literatur für den Sprachunterricht zumindestens ahnte, macht seinem frühen Entwurf für ein Grammatiklehrbuch Ehre. Im 17. Jahrhundert werden ihm im deutschen Sprachraum nur wenige folgen: Sumarán in München und Ingolstadt, Nikolaus Mez von Braidenbach in Wien (1666), Christian Gottfried Reinhardt (1696). Welche Wirkung Doergangk gehabt haben mag, läßt sich nicht ausmachen. Es gibt keine spätere Auflage oder Bearbeitung. Immerhin erwähnt ihn noch 1706 der Leipziger Spanischprofessor Juan Sotomayor in seiner Llave capital con la qual se abre el curioso y rico

thesoro de la lengua castellana. Das erste spanisch-deutsche Wörterbuch nach der gegen Ende des 16. Jahrhunderts verebbenden Polyglottenwelle erschien 1670,12 mit beträchtlicher Verspätung im Vergleich mit zweisprachigen Lexika in Italien, Frankreich und England. Doergangk entwickelte in den Institutiones in linguam hispanicam ein gegenreformatorisches Programm für das Spanischstudium als Apologie Spaniens. Es ist erstaunlich, daß die Beschäftigung mit Sprache und »cosas de España« in Deutschland von Anfang an unter dem Anspruch von Bewahrung und Vorbildlichkeit stand und heftigen Widerspruch erregte. Doergangk wollte den Erwerb spanischer Sprachkenntnisse als Heilmittel verstanden wissen. Sie sollten dem alten Glauben und den bedrohten überkommenen Werten Schutz gewähren und in einer Zeit des Umbruchs ein umfassendes, aber eben restauratives Bildungsideal vermitteln. Sprache, Literatur, Kultur, Wesensart und geschichtliches Wirken der Spanier erscheinen als »Träger ewiger Werte« und Vorbild für eine Welt ganz unter hispanischen Zeichen. Fast könnte man sagen, am spanischen Wesen solle die Welt genesen! Der Gedanke der Vorbildlichkeit Spaniens erhielt zu verschiedenen Zeiten und aus unterschiedlichen Motiven heraus immer wieder Auftrieb: Spanien als Verheißung und Quelle der Regeneration. Immer wieder wurde dabei der gefährliche Versuch unternommen, Spaniens Essenz spekulativ aus Sprache, Dichtung, literarischen Gestalten herzuleiten und in ein »geistiges Charakterbild«, in eine griffige »Kulturformel« umzusetzen. Die Verbindung von Sprachunterricht und Wesensschau mit dem Anspruch, das wahre Spanien in einer Seelenkulturkunde zu ergründen mittels Sprache und Literatur als Spiegel des Volksgeistes, lasten als Hypothek auf Sprachpädagogik und Lehrplandiskussion. Im Grunde nimmt Doergangk bereits die Diskussion um den Stellenwert der Landeskunde im Spanischunterricht vorweg. Spanienbild und Spanischunterricht stehen bis in die Gegenwart hinein in einem gespannten Verhältnis, das sich oft genug in Polemik entladen hat. »Hispanizare« - spanisch sprechen, sich mit spanischen Dingen beschäftigen, ein Freund Spaniens sein - war nicht nur für Doergangk die verführerische Zauberformel einer Erneuerung aus dem Geist spanischer Humanitas. Bereits zu seinen Lebzeiten war »hispanizare« zum Schimpfwort geworden für jene, die mit Spaniern kollaborierten, vom spanischen Unwesen infiziert waren und die Spanier in Sprache, Kleidung, Manieren oder Überzeugungen nachäfften. Noch dreihundert Jahre nach Doergangk greift Hermann Graf Keyserling 1928 im Anschluß an Miguel de Unamuno den Gedanken einer Hispanisierung Europas als Weg zur Erneuerung nach dem Zusammenbruch,

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Nicolás Mez: Diccionario muy copioso de la lengua española y alemana, Wien 1670; vgl. Hausmann, Franz Josef: »Diccionario muy copioso des Nicolás Mez 1670. Ein frühes deutsch-spanisches Wörterbuch«, in: Navícula Tubigensis. Studio in honorem Antonio Tovar, Tübingen 1984, S. 167— 172.

439 als Ausweg aus der Kulturkrise auf: »Muß der Europäer der Zukunft nicht unter allen Umständen, soll er seine Vollendung erreichen, als ethisches Wesen Spanier werden?« Als in der Weimarer Zeit der Sprachunterricht durch Kulturkunde und Auslandswissenschaft reformiert werden sollte, entdeckte man auch erneut »die Bedeutung der spanischen Kultur für Europa« (so der Titel einer Programmschrift des Romanisten Karl Vossler 1929). Spanien wird zur Mode, stellt ein anderer berühmter Romanist, Ernst Robert Curtius, fest und tritt in den Kreis der »geistigen Großmächte« ein. Er fordert mit Nachdruck: »Wenn die Auslandsstudien wahrhaft fruchtbar werden sollen [...] dürfen sie nicht bloß Sachkunde sein, sie müssen Seelenkunde werden. Wir brauchen nicht nur Hispanisten. Wir brauchen vor allem Hispanophile«. Nichts anderes war freilich schon das erklärte Ziel und die einzige Sorge des Sprachmeisters Doergangk für seine studierende Jugend und gegen die Gebildeten unter den Verächtern Spaniens. Erstveröffentlichung in Fremdsprachenunterricht 1500-1800. Hrsg. Konrad Schröder, Wiesbaden: Harrassowitz (Wolfenbütteler Forschungen 52), 1992, S. 2 9 ^ 2 .

Kaspar von Barth (1587-1658) und die Frühgeschichte der Hispanistik in Deutschland

Aus den Anfängen des spanischen Sprachunterrichts und der hispanistischen Studien in Deutschland ist wenig bekannt. Mehr Beachtung fanden dagegen die deutschen Übersetzungen aus dem Spanischen, deren Auftakt die beiden Celestina-Fassungen von Christoph Wirsung (1520/1534) bilden; ihre Zahl steigt langsam, aber stetig an bis zum Höhepunkt in der Barockzeit. Sprachlehre und die dazugehörigen Hilfsmittel (Wörterbücher, Sprachführer, Grammatiken), spanische Landeskunde und literarische Übersetzertätigkeit entwickeln sich in gegenseitiger Abhängigkeit im Verlauf des 16. Jahrhunderts. Schon der Lizenziat Villalón erkannte in der Vorrede zu seiner Gramatica Castellana (Antwerpen 1558) zutreffend, daß das Spanische unter Kaiser Karl V. internationale Geltung gewonnen hatte und damit Nebrijas Losungsanspruch von der »lengua compañera del imperio« vollends eingelöst wurde. Allerdings dürfte es kaum den Tatsachen entsprechen, vielmehr dem Zweckoptimismus und der Werbungsabsicht zuzuschreiben sein, wenn der Philologe feststellte, es seien »todas las gentes inclinadas a esta dichosa lengua y que les aplaze mucho y se precian de hablar en ella. El Flamenco, el Italiano, Ingles, Francés. Y aun en Alemania se huelgan de la hablar«1. Die in zahlreichen Spielarten bis ins 17. Jahrhundert überlieferte Anekdote von Karl V., er bete zu Gott auf spanisch wegen der Erhabenheit dieser Sprache, verhandle mit Fürsten auf italienisch wegen der imponierenden Beredsamkeit, unterhalte sich mit den Frauen französisch wegen der Eleganz und rede die Feinde (oder Hunde) deutsch an wegen des schreckeneinflößenden Tones, spiegelt sowohl eine Wertung im Rangstreit der europäischen Nationalsprachen als auch eine bestimmte Funktionsverteilung in Bildung und Gesellschaft wider. Das geflügelte Wort »Spanien ist der Mund Europas«2 läßt sich zwar positiv wie negativ (das Spanische als Hauptund Weltsprache bzw. der Spanier als Rodomont, fanfarrón) auf seine Sprache deuten, beruht jedoch insofern auf einem Mißverständnis von lateinisch os = Mund, Gesicht, als allegorische Kartenbilder des späteren 16. Jahrhunderts Europa in Gestalt einer edlen Frau darstellen, mit Hispania als gekröntem Haupt, die das schöne Gesicht der Neuen Welt zuwendet. Der Anstoß zur Beschäftigung mit der spanischen Sprache ging zunächst nicht von Philologen oder gar Literaten aus. Praktische Interessen und Notwendigkeiten (Handel, Diplomatie, Reiseverkehr, Krieg) bestimmten den Wunsch, die Sprache zu erlernen. Auf den Nut-

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Faksimileausgabe Madrid 1967; auch in LaViñaza: Biblioteca histórica de la filología castellana, Madrid 1893, S. 483. A. Roldán Pérez: »Motivaciones para el estudio del español en las gramáticas del siglo XVI«, in: Revista de Filología Española 58 (1976), S. 201-226. Karl Friedrich W. Wander: Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Bd. 4, Leipzig 1876, S. 647; vgl. auch S. 650: »Hispanus pauca scribit, Germanus multa scribit, Italus bene scribit multa, Anglus bene scribit, Gallus medius scribit« oder »Hispanus loquitur, Italus delirat, Gallus cantat, Anglus flet, Germanus aululat«. Über die Sprachanekdoten um Karl V. vgl. Harald Weinrich: Wege der Sprachkultur, Stuttgart 1985, S. 181-192. Manuel Alvar: »Carlos V y la lengua española« in: Homenaje a Hans Flasche. Hrsg. Karl-Hermann Körner/Günther Zimmermann, Stuttgart 1991, S. 417-435. Fernando González Ollé: »Actitudes y actuaciones de Carlos V respecto a la lengua española«, in: Contribuciones al estudio de la lingüística hispánica. Homenaje a Ramón Trujillo, Madrid 1996, S. 309-332.

441 zen weisen daher auch die im 16. Jahrhundert von den Niederlanden, später von Köln, Basel und Straßburg aus in zahlreichen Auflagen verbreiteten mehrsprachigen Wörterbücher hin, die schon seit 1520 das Spanische berücksichtigen. Sie enthalten manchmal in Dialogform eine Einführung in die Sprache des Alltags, einen Abriß der Grammatik sowie Briefmuster und Vertragsformulare. Die gelehrte Literatur befaßt sich nicht näher mit der Völkssprache, sondern beschränkt sich auf stereotype Urteile, die aus dem Nationalcharakterschema abgeleitet wurden (etwa die »ruhe sprach« bei Sebastian Münzer, für gravis) oder nimmt gefühlsmäßig bestimmte Wertungen vor. »Sie haben eine schwer sprach, ettwas auf die italienische sich neigende, doch männischer unndt prechtig, haben viel wort von den moren oder Araberen, darinn die Castilianer, weil auch deß königs hoff in Castilien zu Madrid ist, für andere gerümbt werden«, notiert der Basler Arzt Thomas Platter in seinem Reisetagebuch 1599 ganz im Sinn der geläufigen Vorstellung von der spanischen Sprache.3 Um 1600 setzt eine regere Beschäftigung mit Spanien, seiner Geschichte und seiner Sprache ein im Rahmen des späthumanistischen polyhistorischen Wissenschaftsverständnisses. Geographie, Geschichte, Landeskunde und Literärgeschichte werden dabei miteinander verbunden. Es herrscht durchaus nicht mehr ausschließlich ein antiquarisches Interesse für spanische Geschichte, lateinische Auetores, antike Münzen oder Inschriften vor, sondern angesichts der machtpolitischen Rivalitäten unter den großen Nationalstaaten und der konfessionellen Spaltung schärft sich auch der Blick für die neue Zeit. Reiseberichte vermitteln eine eher realistische Landeskenntnis. Das commercium litterarum wächst. Standen zunächst bislang Italien und Frankreich im Vordergrund, so wird nun zunehmend auch Spanien als literarische Provinz im europäischen Zusammenhang entdeckt. Valerius Andreas brachte 1607 in Mainz das erste bio-bibliographische Repertorium für die spanische Gelehrtenwelt heraus (Catalogus clarorum Hispaniae scriptorum). Die volkssprachlichen Dichter und Schriftsteller sind darin mit ihren Werken jedoch noch nicht verzeichnet. Wie schon in der Abhandlung Pro adserenda hispanorum eruditione des Alfonso García de Matamoros (1553), so beherrscht auch diese Kompilation eine apologetische Absicht: die Verteidigung spanischer Kultur gegen ihre Verleumder und Verächter im Ausland. Andreas Schott ergänzte in der Hispaniae Bibiliotheca seu de academiis ac bibliothecis (Frankfurt 1608) diese Art gelehrter Landeskunde mit einem Schriftstellerverzeichnis (Band 2), das neben den lateinischen Dichtern auch Frauen und vulgares poetae aufführt (Mena, Garcilaso, Ercilla, Teresa de Jesús). Es ist das bedeutendste Nachschlagewerk zur spanischen (und portugiesischen) >Literärgeschichte< vor Nicolás Antonio (1672/1696). Andreas Schott vereinigte außerdem alles, was humanistischer Forschung seinerzeit an Quellen und Materialien für Spanien zu Gebot stand, in den vier Foliobänden der Hispania illustrata (Frankfurt 1603-1608). Dieses imposante lateinische Sammelwerk ist die Frucht eines langjährigen Forschungsaufenthaltes in Spanien und eine einzige Laus Hispaniae. Spanien war für den gebürtigen Niederländer, der mit Gelehrten wie Antonio Agustín, Covarrubias, Mariana, Ribadeneyra, García de Loaysa in Verbindung stand, zur zweiten Heimat geworden. Sein Handbuch - es ist die erste Spanienenzyklopädie überhaupt - hat die Beschäftigung mit der Iberischen Halbinsel während der Barockzeit nachhaltig geprägt. 3

Beschreibung der Reisen durch Frankreich, Spanien, England und die Niederlande Hrsg. Rut Keiser, Basel 1968, S. 382.

1595-1600.

442 Neben Geschichtsschreibung und Landeskunde ist ein wachsendes Interesse an der Sprache zu verzeichnen. Spanien gehört zwar nicht zu den üblichen Zielen der Cavalierstouren und Bildungsreisen, aber Spanisch wird neben Französisch und Italienisch häufiger an Ritterakademien, Adelsschulen und Universitäten gelehrt. Man bezeichnet die neueren Sprachen als »exoticae linguae« (exoticae linguae populares) oder als »linguae peregrinae«. In Marburg, Gießen und Kassel wurden in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts Professuren für die neueren Fremdsprachen eingerichtet. Auch die Hof- und Sprachmeister4 spielten eine große Rolle beim Aufbau des fremdsprachlichen Unterrichts. Wie der Themenbereich Spanien im Schulbetrieb bei der Adelserziehung behandelt wurde, davon geben die im Laufe des 17. Jahrhunderts häufig aufgelegten Consultationes des Tübinger Professors Thomas Lansius eine Vorstellung. Die 1613 als rhetorische Redeübung durchgeführte »consultado de principatu inter nationes« führt im dialektischen Für und Wider das gesamte Wissen über Spanien vor als Entscheidungshilfe für fürstliche Kabinettsberatungen. »Sprachmeister« waren es auch, die zuerst die zum Erlernen des Spanischen benötigten Lehrbücher verfaßten oder selbst verlegten. Einer der Geschäftstüchtigsten dieser Zunft war der Baske Juan Angel de Sumarán, dem der Münchener Stadtrat 1612 die Erlaubnis erteilte, Spanisch, Italienisch und Französisch zu »docieren« als »tanz- und sprachmaister«. Der Jugend jeglichen Standes bot er zunächst sein Tyrocinium gallicum, italicum et germanicum (München 1617) an, um »in kurtzer zeit mit wenig gelte« auf der Grundlage des Lateins moderne Fremdsprachen zu erlernen. Vier Jahre später verlegte er in München auf eigene Kosten Das newe Sprachbuch, dem »jungen teutschen Adel« gewidmet, mit dessen Hilfe man »die Vollkommenheit der vier fürnembsten Sprachen, die man in Europa pflegt zu reden, gar leichtlich erraichen kann« (erweiterte Auflage 1623). Zu den Hauptsprachen zählt nun schon selbstverständlich das Spanische, »gar eine schöne vnt grauitätische Sprach«. Im gleichen Jahr, als in Ingolstadt sein Thesaurus linguarum zweimal erscheint (1626), verbietet ihm die Universität, den Titel Ordinarius zu führen, den er sich zugelegt hatte, um die Bedeutung seiner Lehrtätigkeit zu steigern. Der Erfolg seiner beiden vorausgehenden Lehrbücher ermutigte Sumarán zu einer Neuauflage des Thesaurus mit Widmung an den spanischen Botschafter in Deutschland. Gegenüber dem Diplomaten beklagt der Professor einerseits das mangelnde Interesse seiner Landsleute an fremden Sprachen - »cosa muy indigna de vna Nación tan nombrada en estos siglos« - und hebt demgegenüber den Nutzen von Fremdsprachenkenntnissen für Kaufleute, Reisende, Diplomaten, Gelehrte und Soldaten hervor. Flamen und Deutsche seien besonders begierig, fremde Länder zu bereisen und die Sitten anderer Völker kennenzulernen; »darumb sihet man auch vnter ihnen der Länder vnd der Sprachen erfahrnere als vnter den andern Nationen inn der gantzen Welt«. Am Ende des Sprachführers steht ein mehrsprachiger nomenclátor, in dem auch etwa einhundert sprichwörtliche Redensarten verzeichnet werden. Einen umfassenden Tesoro Vniversal de lenguas oder »grande Vocabulario Español, Francés, Italiano, Latino y Alemán« stellte Sumarán zwar in Aussicht, erschienen ist das Lexikon jedoch nicht. Wahrscheinlich hat Sumarán die Schwierigkeiten eines solchen Un-

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Ludwig Fertig: Die Hofineister. Ein Beitrag zur Geschichte des Lehrerstandes und der bürgerlichen Intelligenz, Stuttgart 1980. Nachweise für Spanischunterricht in: Linguarum recentium annales. Der Unterricht in den modernen europäischen Fremdsprachen im deutschsprachigen Raum. Bd. 1, 1500-1700. Bearb. Konrad Schröder, Augsburg 1980.

443 ternehmens nicht richtig eingeschätzt. Der Markt war international mit Covarrubias Tesoro de la lengua castellana (1611), Girolamo Vittoris Tesoro de las tres lenguas francesa, italiana y española (1606-1616), Oudins seit 1607 häufig aufgelegtem Thresor sowie der Bearbeitung der Janua linguarum (Straßburg 1624) des Jesuiten William Barth gut bestückt mit Wörterbüchern. 5 Neben Lexika und Gesprächsbüchlein für den Unterricht stehen Grammatiken des Spanischen, die seit dem späten 16. Jahrhundert im Ausland gedruckt werden. Als Vorbild für eine Reihe späterer Darstellungen hat die zuerst 1597 erschienene Grammatik von César Oudin, Grammaire et observations de la langve Espagnolle eine lange Wirkung gehabt. In dem Augenblick, da sich die französisch-spanischen Auseinandersetzungen zuspitzen, wirft der Fremdsprachensekretär des französischen Königs sein Werk auf den Markt, um »enseigner la langue de nos ennemis« nach dem bis in die Gegenwart hinein befolgten Prinzip »know your enemy«. Diese Grammatik erschien 1607 in Köln in lateinischer Fassung, »ut ómnibus Europae nationibus usui possit esse«. Daß die Grammatik einer modernen Fremdsprache auf lateinisch herauskommen konnte, ist im 17. Jahrhundert keine Seltenheit. Sumarán erklärt den allgemein gültigen Grundsatz für den Sprachunterricht der Zeit: »der einen andern die Sprache will lehren und unterweisen, erstlich soll [...] die lateinische Sprache können, dann die Sprache des Landes, indem er lehrt«. Das Lateinische gibt die international gebräuchliche Trägersprache ab. Für die Beschreibung des Aufbaus einer modernen Fremdsprache liefert die lateinische Grammatik weit über das 17. Jahrhundert hinaus das Muster. Neben Straßburg war Köln eines der wichtigsten Verlagszentren für Fremdsprachengrammatiken auf lateinisch. Nachdem Michel Potier d'Estain hier eine französische Schule aufgemacht hatte, gab er 1603 in Köln auch eine Grammatica Gallica heraus.6 Dadurch offensichtlich angeregt, veröffentlichte sein Konkurrent Heinrich Doergangk im Jahr darauf die Institutiones in linguam gallicam, admodum fáciles, quales antehac nunquam visae und mit der gleichen Titelfassung auch eine italienische Sprachlehre. 7 Hier interessieren jedoch aus der Zeit des jungen Barth und seiner Beschäftigung mit den >cosas de España< die Institutiones in linguam hispanicam, admodum fáciles, quales antehac nunquam visae (Köln, im Selbstverlag 1614). Die umfangreiche Vorrede, die fast ein Viertel des Lehrbuchs ausmacht, ist sehr auf-

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Einen Einblick in die zeitgenössische Sammlung von Wörterbüchern und Grammatiken vermittelt Hans-Jürgen Niederehe: »Die spanische Sprache im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert. Die Bestände der Herzog August Bibliothek«, in: Frühe spanische Drucke und Malerbücher spanischer Künstler. Ausstellungskatalog der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel 1985, S. 43-57. Vgl. A. Streuber: »Französische Grammatik und französischer Unterricht in Frankreich und Deutschland während des 16. Jahrhunderts«, in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 74 (1964), S. 342-361; 75 (1965), S. 31-50; S. 247-273; 77 (1967), S. 235-267; 78 (1968), S. 6 9 101; 79 (1969), S. 172-191; S. 328-348. Die Grammatik des Joannes Serreius (1598) erlebte allein bis 1629 neun weitere Auflagen (u.a. Köln 1621). Bonaventura Vulcanus, ein in Basel ansässiger Niederländer, plante eine Grammatica hispanicae linguae et dialogus de vita et moribus hispanorum, multum habens festiva (um 1565), die aber nicht zum Druck gelangte. Zu Doergangk vgl. auch die Dissertation von Katrin Wippich-Rohäckovä: »Der Spannisch Liebende Hochdeutscher«. Spanischgrammatiken in Deutschland im 17. undfrühen 18. Jahrhundert, Hamburg 2000.

444 schlußreich. Sie entwickelt ein gegenreformatorisches Programm der Spanischstudien und der Landeskunde als Apologie Spaniens. Doergangk beschreibt eine Art idealistischer Sprachwissenschaft avant la lettre. Er versucht, Sprachgestalt und -entwicklung durch das zu erklären, was für den Geist eines Volkes charakteristisch ist. Der Sprachgeist wird für ihn zum Spiegel des Volksgeistes und der Kultur. Sprachkunde ist Seelenkunde. Doergangks Sprachbetrachtung nimmt ihren Ausgang von dem (ursprünglich wohl moralisch zu verstehenden) Satz: »ex lingua cognoscitur homo« (f.*6v). Weil die spanische Sprache Regelhaftigkeit (regularitas) und Harmonie (convenientia) aufweise, so folgert der Sprachmeister daraus, würden die Spanier auch gemäß den richtigen Lebensregeln und sittlichen Normen leben. Doergangk überträgt Quintilians Auffassung von der Rhetorik als »sittlicher Leistung« und Wissenschaft des guten Redens (ars bene dicendi) auf die Sprache zurück. Die in der Kunstlehre wichtige, von Moralphilosophie und Konvention bestimmte Schicklichkeit (decorum) im richtigen Sprechen wird als Qualität der spanischen Sprache selbst beansprucht. »Quae enim gens, quae natio tarn strenuos, tarn constantes, et tarn zelosos legum tarn divinarum quam humanarum, verae Religionis (in qua rectitudo vere consistit) propugnatores et defensores [...] Semper habuit, et modo habet, quam Hispanica? profecto nulla«. Für Doergangks theologische Linguistik sind die Spanier das erwählte Volk Gottes und Verteidiger der wahren Religion. Der glaubenseifrige Sprachmeister, der Sprachlehre zugleich auch als Seelsorge betrachtete, entwickelt daraus nun eine Seelenstillehre, welche die Spanier zu Gottesgerechten und idealen Herrenmenschen erhebt. Die Inquisition verteidigt er als Geschenk des Himmels. Nur Gottesfeinde können sie bekämpfen. Landeskunde hat bei Doergangk einen gewichtigen Beitrag zur konfessionellen Apologetik zu leisten. Kirchen- und Zivilrecht würden in Spanien peinlich genau gewahrt. Bilder- und Marienfrömmigkeit, Wallfahrtseifer, Gerechtigkeitssinn, Gastfreundschaft, Mäßigkeit im Trinken (im Gegensatz zur Trunksucht der Deutschen), unerbittliche Strenge gegenüber Juden und Ketzern sind Vorzüge und Tugenden, welche die Spanier zu Gottes liebstem Volk machen. Wegen seines frommen Eifers für den Glauben erweckte Gott in diesem Volk so viele Heilige, Gelehrte, Helden und Weise als Vorbilder für alle Welt. Der Katalog dieser viri illustres ( f . * * * * * 6 v ff.) wird zum Ausweis für Spaniens Vorrang unter allen Ländern der Erde. Ihm gebührt daher nach dem Willen der Vorsehung die Herrschaft über die Erde (»possident Hispani ambitum totius terrae«!), auf daß sich die Verheißung (Joh 10, 16) der einen Herde unter einem Hirten sowohl im geistlichen als auch im weltlichen Bereich erfülle (allerdings wohl kaum im ursprünglichen Sinn der Worte Jesu). Doergangks nationalcharakterologische Argumentation zugunsten Spaniens gipfelt in einer Sprachtypologie der »vera, sincera, aperta et sancta lingua hispanica« (f. * * * * * * lv). Wahr sei die spanische Sprache, weil die Spanier die Wahrheit liebten und verteidigten. Wahrhaft und offen sei sie, weil die Spanier ein offenes und rechtschaffenes Herz hätten. Einen zusätzlichen Beweis dafür liefert ihm die Lautsymbolik, es gäbe keine offenere und klarere Aussprache als die spanische, »nam omnes litterae in ea efferuntur et omnia clariora elementa ut sunt a, o et u, in ipsa dominantur«. Heilig schließlich sei die spanische Sprache, weil sie wie das Hebräische Sprache des Volkes Gottes sei und die Spanier mehr noch als die Juden die Sache Gottes verteidigten. Ursprünglich rechnen zu den heiligen Sprachen, in denen die biblischen Schriften überliefert werden, Hebräisch, Griechisch und Latein. Die möglichst große Ähnlichkeit, j a Kongruenz mit der Sprache Roms nachzuweisen, erschien spanischen Philologen im 16. und 17. Jahrhundert als der Weg, um im Wettstreit der National-

445 sprachen die Überlegenheit des Kastilischen in der Nachfolge der römischen Weltsprache zu begründen. 8 Nachdem Doergangk die theologisch überhöhten Vorzüge der spanischen Sprache beschrieben hat, überträgt er nun seine Argumente auf die Sprachpraxis. Wer also Gott und Christus liebe, müsse auch die Spanier lieben und ehren! Gegner Spaniens werden kurzerhand zu Feinden Christi erklärt, nur die Feinde Gottes hassen auch die Spanier. Dagegen hielten die »Barbarae nationes« in der Neuen Welt die Spanier bei ihrer Ankunft sogar für Götter und verdankten ihnen für immer Friedensherrschaft und Wohlstand. So ist es selbstverständlich, daß jeder Freund der Spanier auch ihre Sprache erlernen und schätzen müsse. Spanisch lernen wird gleichsam zu einer Art Gottesdienst emporgelobt und zu einer geistlichen Verpflichtung, schon allein wegen der »unzähligen frommen und heiligen Bücher«, die es in spanischer Sprache gibt. »Appetant, prosequantur, et summo studio et diligentia, amore et feruore addiscant linguam hispanicam, venerentur eam, colant eam, loquantur eam qui linguam veram, synceram, apertam, et plenam Majestatis, et grauitatis regiae, et heroicae magnanimitatis [...] refertam verae pietatis et sanctitatis«. Abschließend gibt Doergangk praktische Ratschläge zum Sprachenlernen. Als Musterautoren empfiehlt er zur Stilbildung Fray Luis de Granada, den »spanischen Cicero«, und unter seinen Werken insbesondere die Übersetzung der Imitatio Christi (1594), die man immer in der Westentasche tragen (»in sinu circumgeratur«) und so oft lesen solle, bis man sie auswendig beherrscht. An zweiter Stelle steht Pedro de Ribadeneyra, S.J., mit der Historia ecclesiastica del scisma del Reyno de Inglaterra (1588). Doergangk empfiehlt diese Geschichte des anglikanischen Schismas offensichtlich weniger wegen ihrer sprachlich-literarischen Qualität, sondern als Buch der Mahnung (»historia magistra vitae«). Von Antonio de Guevara empfiehlt der Kölner Sprachmeister den Libro aureo de Marco Aurelio (1528) bzw. Relox de principes und den Menosprecio de Corte y alabanza de aldea (1539), die beide in Deutschland eine außergewöhnliche Verbreitung und Beliebtheit erlangt hatten. Die Bücher dieser drei Autoren solle man kaufen und lesen, dann werde man nicht nur ein »politus, tersus et optimus Hispanus«, sondern auch ein anständiger, in weltlichen und religiösen Fragen gebildeter Mensch. Nach diesen erbaulichen Lesestoffen überrascht umso mehr der empfehlende Hinweis auf La Celestina (f. ****** 3v), trotz der Warnung vor »libri amatorii« und »cantilenae lascivae«: Qui etiam amoribus delectantur, legant libellum cui titulus est la Celestina, hunc libellum propterea commendo quod a doctore in Academia celeberrima Salmantica doctissime et politissime est conscriptus, non ut amores doceat, sed ut homines tragico illo exitu a vanos illis amoribus absterreat, et ut discant matrimonia contrahere non clam, sed palam coram Sacerdote. (f. ****** 3v) 9

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Vgl. meinen Aufsatz über »Rodrigo de Valdés, S. J. (1609-1682) y la tradición poètica en latin congruo y puro castellano«, in: Ibero-Amerikanisches Archiv 12 (1986), S. 97-122. In diesem Zusammenhang ist die Beobachtung des Nürnberger Arztes Hieronymus Münzer in seinem Reisetagebuch (1494) bemerkenswert: »Ydeoma hispanicum propinquius est laüno quam ytalicum, et Hispanus facile intelligit latinum. Et ideo non curarunt hactenus latinum elimatum«, im Itinerarium Hispanicum Hieronymi Monetarii (1494-1495), Hrsg. Ludwig Pfandl, in: Revue Hispanique 48 (1920), S. 1-179, hier S. 132. Vgl. f. a ****** 5v zur lehrhaften Deutung: »Horrerem itaque et ego hunc libellum de Celestina in manus tradere hominum, nisi scirem omnes vias rimas, et progressus quibus homines insanis illaqueantur amoribus in eo tradi, non ut imitentur, sed ut mature eas praeludent et evitent ne similem cum Celestina, et eius amatore miserandum sortiantur casum et exitum.«

446 Schon zehn Jahre vor Barth vertritt der militante Katholik und Hispanophile Doergangk die didaktische Interpretation der Celestina (abschreckende Wirkung des amor insanus - amor loco), auf die Marcel Bataillon als besonders bemerkenswerte Intuition Barths hingewiesen hatte. Aber weder für Doergangk noch für den humanistischen Gelehrten gab es eine andere Möglichkeit, die Lektüre der Celestina überhaupt zu rechtfertigen. Beide erkennen den stilistisch-literarischen Wert der ansonsten gefährlichen Liebesgeschichte an. In der Tat wurde die Celestina schon früher als Begleitlektüre für den Sprachunterricht verwendet, wie etwa die venezianische Ausgabe der Tragicomedia von 1556 zeigt, der Alonso de Ulloas spanische Grammatik und ein erklärendes Celestina-Vokabular (von 1553) beigegeben sind. Sprachstudium und Lektüre bilden für Doergangk eine Einheit, jedoch bleibt es oberstes Ziel, hinzuführen »in viam salutis«. Wichtiger ist es, Seelen für das ewige Leben zu gewinnen als bloße Sprachfertigkeit zu entwickeln. Sprachlehre ist zugleich Seelsorge. Der eigentliche Grammatikteil in Doergangks Institutiones besteht aus sieben Kapiteln: Lectio, Pronunciatio, Genera, Declinationes, Coniugationes, Syntaxis sowie Copia verborum. In der Lautlehre werden z.B. bei der Behandlung von /h/ («atsch«) Belege für die Entwicklung von /f/ > /h/ gegeben oder die häufige Verwechslung von Ibi und Ivi vermerkt. Beim Gebrauch von Diminutiva rät Doergangk zur Vorsicht und Beachtung des »bonum authorum usus«. Interessant sind ferner die Versuche zu einer kontrastiven Sprachbetrachtung (lateinisch-spanisch und spanisch-italienisch sowie lateinisch-romanisch). Schließlich widmet sich Doergangk der Idiomatik, den Anredeformen und der Verwendung von ser/ estar. Überraschend ist bei dem Puristen und Moralisten die Berücksichtigung der Umgangs- bzw. Vulgärsprache: S. 292ff listet er Schimpfwörter, Flüche (S. 260ff) und Ersatzbezeichnungen für Kraftausdrücke auf. Doergangk ist der erste deutsche Verfasser einer spanischen Sprachlehre. Die Reihe lateinisch geschriebener Grammatiken reicht über E. Choppin (Grammatica trilinguis idiomate trino italico, gallico, hispanico, München 1636) über Carlos Rodrfguez (1662) bis zu Matthias Cramers Grammatica et syntaxis linguae hispanicae (Nürnberg 1702) und Ignaz Weitenauers Modus addiscendi intra brevissimum tempus linguas, Gallicam, Hispanicam, Italicam, Graecam (Frankfurt 1756).10 Der Umfang der Einleitung zu Doergangks Grammatik läßt das Bemühen erkennen, dem Sprachunterricht eine theoretische Grundlage zu geben in der fortan so umstrittenen Landeskunde und dem, was später als »Bildungswerte« der spanischen Sprache und Literatur bezeichnet werden sollte. Doergangk formuliert dabei schon den Gedanken der Weltsprache Spanisch. Auf dem Gebiet der Philologie vollzieht sich hier das, was Ernst Robert Curtius im Blick auf die Weimarer Zeit den Eintritt Spaniens in den Kreis der geistigen Großmächte genannt hat. Deutlich werden spanische humanitas und spanische Kultur bei Doergangk als Vorbild, als »Träger ewiger Werte« gepriesen. In einer weltanschaulich und politisch krisenhaft zugespitzten Situation hat Spanien den Deutschen etwas zu sagen. Bezeichnenderweise hat der Kölner Lehrer auf einer Wallfahrt Spanien kennengelernt. Sprachunterricht und Wesensschau werden von ihm erstmals in einer Weise miteinander verquickt, die auf die Kulturkunde der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts vor-

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Vgl. auch noch Christian H. Postel mit »De linguae Hispanicae difficultate, elegantia ac utilitate melétema«, in: Nova literaria Maris Baltici 1704, S. 218 ff, abgedruckt in Revista de Archivos, Bibliotecas y Museos 25 (1911), S. 406-421.

447 ausweist mit ähnlichen politisch-ideologischen Motivationen. Die »Ergründung des wahren Spaniens« geschieht mittels der Lektüre zeitgenössischer Literatur. Die Auslandsstudien müßten Seelenkunde werden, hieß es in der Kulturbewegung. Doergangk hatte sich im Grunde begeistert jener Forderung verschrieben, die Ernst Robert Curtius zum Idealtyp erheben sollte: »Wir brauchen nicht nur Hispanisten. Wir brauchen vor allem Hispanophile«. Der Lutheraner Barth unterscheidet sich von der apologetisch-doktrinären Spanien- und Sprachauffassung des Kölner Katholiken. Bei aller Begeisterung für das Spanische bleibt er Philologe, ohne aus der Beschäftigung mit der Sprache eine Heilslehre zu machen. Gerade in jenen Jahren, als Barth seine neulateinischen Übersetzungen spanischer Literaturwerke herausbrachte, verschärfte sich auch die antispanische Propaganda und Polemik in Deutschland, zumal während des Dreißigjährigen Krieges. Zwangsläufig gerät damit auch die spanische Sprache ins Zwielicht. Das Adjektiv »spanisch« nimmt eine überwiegend negative Färbung an. Die Redewendung »das kommt mir spanisch vor« ist bezeichnenderweise erstmals 1620 belegt in einem Flugblatt. Eine der zahlreichen Spruchweisheiten über das Spanische, das immer wieder als besonders scharfsinnig, gravitätisch, kraftvoll, reich an Sprichwörtern und tiefsinnig charakterisiert wurde, überliefert in satirischer Verkehrung die tiefsitzende Abneigung gegenüber der Sprache jener, die die »Universalmonarchie« die Weltherrschaft - aufzurichten gedachten. »Die spannische Sprach seye die Lieblichste vnder allen Sprachen, in masse die Schlang, da sie Evan betriegen wollte, habe spanisch geredt«, spottet eine Flugschrift von 1618. Julius Zincgref gibt den älteren Spottspruch wieder, daß Gott, als er Adam und Eva aus dem Paradies verstieß, sein »Urtheil in dieser grausam lautenden Sprach« (gravis!) gesprochen habe. Der Typ des Großsprechers und aufschneiderischen Rhodomont steht schlechthin für die Spanier, die zwar wegen ihrer Redekunst berühmt waren, aber auch mit ihrer übersteigerten Ruhmredigkeit fremden Ohren zusetzten. Vertragsbrüche, Verstellungskunst, Schönrednerei und Doppelzüngigkeit wurden etwa in Flugschriften den Spaniern oft angelastet und verstärkten noch das ohnehin schon negative Erscheinungsbild. »Gleich wie sie änderst Schreiben, unnd änderst lesen, als auch sagen und Reden sie änderst, als sie Thun«, urteilt Zincgref ganz im Gegensatz zu der ansonsten von Schulmeistern immer wieder als »einfach« dargestellten spanischen Aussprache, in der alle Buchstaben artikuliert werden. Wenn Doergangk die »vera, sincera, aperta et sancta lingua Hispanica« preist, so weisen die spanienfeindlichen Pamphlete auf die »Syncerationes« der Spanier hin: »sinceriren« und »aequivociren« stehen hier als Inbegriffe heuchlerischer, betrügerischer Verhandlungsführung der Spanier und ihrer Bundesgenossen. Heftige Kritik richten sodann die Sprachreiniger in der Sorge um die »alte redliche herrliche teutsche Hauptsprache« gegen modische Fremdtümelei und Sprachmischung (ausländische Redewendungen, Lehnwörter). In der contentio de primatu linguarum, die in Frankreich, Spanien und Italien schon im 16. Jahrhundert ausgetragen wurde, erscheint nun auch in Deutschland das Spanische. Caspar Dornau erörtert im Charidemus politicus (1616) die nicht nur akademisch-rhetorische Streitfrage »An lingua Germanica sit inferior Hispanica?«. Wenig später legt sein Schüler Martin Opitz in Aristarchus, sive de contemptu linguae Teutonicae (1618) dar, daß die deutsche Sprache weder der »Hispanorum majestati, neque Italorum decentiae neque Gallorum venustae volubilitati« nachstehe.11 Die Amadfr-Übersetzungen führt er als Beweis für die vortreffliche Aus-

448 druckskraft des Deutschen an. Übersetzungen sind Mittel zum Zweck der immer feineren Sprachausbildung. Insofern stellen sie nur eine Sonderform der imitatio dar. Was war in Deutschland in der Zeit, als Kaspar von Barth seine spanischen Studien betrieb, vom spanischen Schrifttum bekannt oder erreichbar? Die Frage läßt sich generell natürlich nicht mehr beantworten. Gewisse Anhaltspunkte liefern zeitgenössische Büchersammlungen und Bücherverzeichnisse, die Aufschluß geben über hispanophile Interessen und die Möglichkeiten des commercium litterarum. Barth selbst besaß wohl eine ansehnliche Privatbibliothek, die im Dreißigjährigen Krieg (1633) mit seinem Wohnsitz durch Feuer vernichtet wurde. Ob Barth über seine Kontakte mit spanischen Büchern versorgt wurde und was er von seinen langen Auslandsaufenthalten in Italien, Frankreich und den Niederlanden an Kenntnissen oder Büchern nach Hause brachte, läßt sich nicht mehr feststellen. Einige Beispiele aus der noch kaum bekannten Bibliotheksgeschichte des frühen 17. Jahrhunderts müssen genügen zur Skizzierung eines Überblicks über die Verbreitung spanischer Literatur hierzulande. Eine genauere Vorstellung davon kann erst die Überprüfung der Frankfurter Meßkataloge und vor allem das umfassende bibliographische Verzeichnis der Übersetzungen spanischer Werke in Deutschland bzw. der hier veranstalteten Ausgaben spanischer Autoren vermitteln.12 Im protestantischen Norddeutschland, dessen intellektuellem Umkreis auch Barth zuzurechnen ist, trug der mit ihm fast gleichaltrige Herzog August zu Braunschweig-Lüneburg (1579-1666) in seiner Residenz in Wolfenbüttel eine für jene Zeit außergewöhnliche Bibliothek zusammen, deren erlesener spanischer Buchbestand die Bedeutung der spanischen Kultur im geistigen Haushalt der Epoche auch im protestantischen Raum sehr gut widerspiegelt. Auffällig ist die Vorliebe des fürstlichen Bücherliebhabers und Bibliothekars für die Celestina, die er in Originalausgaben sowie in italienischer, französischer, deutscher und lateinischer Übersetzung besaß. In dem von ihm entworfenen älteren Aufstellungssystem für die Bücher steht die Celestina in der Gruppe der »Ethica«, zusammen übrigens mit anderen literarischen Prosawerken in Völkssprachen. Auf dem Gebiet der Dichtung weist die Sammlung des Herzogs einen hervorragenden Querschnitt durch die Produktion des 15. und 16. Jahrhunderts auf. Neben Juan de Mena und Fernando de Rojas sind Encina, Torres Naharro, Garcilaso de la Vega, Boscán, Diego de San Pedro, Gil Polo, weltliche und geistliche Ritterromane, Romancero, Ependichtung (Ercilla und Zapata), der Schelmenroman vertreten. Hinzu kommen eine eigene Sammlung Vives', vermischte Literatur (etwa Mexias Silva de varia lección, Pérez de Moya, Antonio de Torquemada), Sprichwörter- und Sentenzensammlungen, Briefsteller, Grammatiken und Wörterbücher, Klassikerübersetzungen und Geschichtsschreiber. Außerdem ist die geographische und polemische Literatur über Spanien reichlich vertreten.

" Zitiert nach Teutsche Poemata, Straßburg 1624, S. 110; Caspar Domavius: Orationum aliorumque scriptorum tomi II, Görlitz 1677, t. 1, S. 354^120, hier S. 406; s.a. Peter Schaeffer: »Baroque Philology. The Position of German in the European Family of Languages«, in: Gerhart Hoffmeister (Hrsg.): German Baroque Literature. The European Perspective, New York 1983. S. 72-84. 12 Vgl. als wichtige Vorarbeit Carlos Gilly: Spanier und der Basler Buchdruck bis 1600. Ein Querschnitt durch die spanische Geistesgeschichte aus der Sicht einer europäischen Buchdruckerstadt, Basel/ Frankfurt 1985.

449 Ähnlich reichhaltig sortiert, wenngleich mit anderen Interessenschwerpunkten, ist die als wertvoller Grundstock der spanischen Altbestände heute noch großenteils in der Bayerischen Staatsbibliothek in München erhaltene Sammlung Johann Jakob Fuggers (Bestandsverzeichnis von 1582 im Cod. bav. Cat. 110). Dank der besonderen Beziehungen zur spanischen Welt gelang es dem Fugger, eine wertvolle Sammlung von etwa 240 Titeln aus verschiedenen Sachgebieten zusammenzutragen. Der Kuriosität halber sei vermerkt, daß Aretinos Coloquio de las damas (1548), das Barth ins Lateinische übertrug, als einziger indizierter Band unter den spanischen Büchern ausgesondert wurde: der Katalogeintrag ist rot. Dieses Exemplar der spanischen Teilausgabe der Ragionamenti erwarb jedoch Herzog August (es ist auch heute noch in Wolfenbüttel erhalten). Der reiche Hispanica-Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek fließt aus mehreren Provenienzen zusammen mit jeweils eigenen charakteristischen Schwerpunkten, etwa aus der Sammlung des Grafen Schallernberg, den Beständen bayerischer Klosterbibliotheken oder der Sammlung des Bischofs Johann Jakob von Lamberg (1561-1630), die zum Teil noch erhalten ist (Verzeichnis im Cod. bav. Cat. 549/9). 13 Im Vergleich zur Geschichte ist darin die schöne Literatur nicht so reich vertreten, doch immerhin besaß der Passauer Domherr auch eine Celestina-Ausgabe (Medina 1536). Von besonderem Interesse ist schließlich das Verzeichnis der Bibliothek des Freisinger Dompropstes Anton Welser, der bei seinem Tod etwa 6500 Bände hinterließ. 14 Darunter befanden sich zahlreiche literarische, historische und theologische Werke von Spaniern (auch in französischer oder italienischer Übersetzung), z.B. Aldretes Del origen y principio de la lengua castellana (1606), die Celestina und die Segunda Comedia de Celestina von Feliciano de Silva, La ingeniosa Helena von Gerönimo de Salas Barbadillo, Montemayors Diana, Schelmenromane, Don Quijote und Emblembücher. In der Abteilung Geschichte sind neben Mariana, politischen Schriftstellern, wie Gines de Sepülveda und Chronikausgaben auch die bedeutenden Quellensammlungen der Rerum Hispanicarum Scriptores aliquot ex Bibliotheca Roberti Beli (Frankfurt 1579) sowie Schotts Hispaniae Bibliotheca und Hispania illustrata nachgewiesen. Diese herrliche Sammlung ist leider aufgelöst worden. Diese Beispiele aus Nord- und Süddeutschland zeigen eine überraschende Präsenz ausgesuchter spanischer Drucke. Natürlich sagt deren bloßes Vorhandensein in einer Bibliothek nicht schon unbedingt etwas über die tatsächliche Lektüre, die dazu erforderliche Sprachkenntnis sowie die Fortwirkung aus. Aber der Umfang der Bestände und die Auswahlkriterien der Sammler lassen erkennen, was bei entsprechenden Interessen und Verbindungen hierzulande zur Verfügung gestanden haben mag. Kaspar von Barth (1587-1658) 1 5 verbinden mit der spanischen Literatur zwei j e für sich merkwürdige Umstände. Längst bevor überhaupt seine Bedeutung für die frühe Geschichte

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Irmgard Bezzel: »Die Bibliothek des Gurker Bischofs Johann Jakob von Lamberg (1561-1630). Eine Bibliothek romanischsprachiger Drucke des 16. Jahrhunderts«, in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel (Frankfurt) No. 89, 5.11.1968, S. 219-228. Catalogus bibliothecae [...] Antonii Velseri, Augsburg 1619. Die einzige Gesamtdarstellung über ihn stammt von Johannes Hoffmeister: Kaspar von Barths Leben, Werke und sein Deutscher Phoenix, Heidelberg 1931.

450 der Spanischstudien in Deutschland bekannt war, versuchte ihn Martín Fernández de Navarrete in seiner Vida de Cervantes (1819) als Vorbild für den scharfsinnigen, aber von einer Wahnvorstellung verfolgten »gläsernen Lizenziaten« in der berühmten cervantinischen Musternovelle zu identifizieren. Dafür aber, daß Barth schon in jungen Jahren den Ruf eines Verrückten gehabt hätte, der bis nach Spanien und zu Cervantes gedrungen wäre, gibt es in seiner verhältnismäßig gut bekannten Biographie keine Anhaltspunkte. Diese Legende ist denn auch von R. Foulché-Delbosc im Vorwort zur französischen Übersetzung Le Licencié Vidriera (Paris 1892) widerlegt worden. Der Fall des Tomás Rodaja erregte allerdings die Aufmerksamkeit von Gaspar Ens, der in seinen (seit 1631 mehrfach aufgelegten und erweiterten) Epidorpidum libri (Epidorpon bedeutet »Nachtisch«, unterhaltsame Zugabe, ähnlich entremés = »Zwischengang«, Einlage) eine geraffte lateinische Fassung Phantasio-Cratuminos sive Homo vitreus der novela ejemplar bot, ohne freilich die Autorschaft des Cervantes anzugeben. Ob Barth die Novelas ejemplares kannte oder in ihrer Bedeutung erkannte, bleibt ungewiß. Eine Don Quijote- Ausgabe besaß er jedenfalls. Er hat sich aber zwei andere Hauptwerke spanischer Literatur vorgenommen, um sie in neulateinischer Übersetzung bekanntzumachen. In der Zeit, als Barth nach zehnjährigen Bildungsreisen in der europäischen Respublica Literaria zu schreiben beginnt, herrscht in Deutschland trotz des Dreißigjährigen Krieges eine rege Übersetzertätigkeit; vor allem Dichtungen aus dem romanischen Sprachraum werden übertragen (z.B. d'Urfés Astrée 1619, 1624, 1629, Du Bartas Sepmaine 1622/31, Tassos Gerusalemme liberata 1626, Barclay s Argenis ebenfalls 1626, Montemayors Diana 1619 und die Übersetzungen des Aegidius Albertinus, etwa Mateo Alemáns Guzmán de Alfarache 1615). Neben den deutschen Übersetzungen sind gleichzeitig lateinische Fassungen keineswegs selten angesichts der fortdauernden Zweisprachigkeit des gebildeten literarischen Publikums. 16 In dieser auffälligen Häufung scheinen sie jedoch ein Kennzeichen der besonderen kulturellen Situation in Deutschland zu sein. Es wurden nicht nur moralisch erbauliche Werke und gelehrtes Schrifttum (Historiographie, 17 Philosophie, Naturwissenschaft), sondern gerade auch schöne Literatur und Gedichte auf lateinisch verbreitet, wobei sich wiederum eine Konzentration im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts beobachten läßt, zumal in den zwanziger Jahren. Italienische und französische Werke sind jedoch wegen der größeren Bekanntheit der beiden Bildungssprachen weniger oft übersetzt worden (der Tübinger Professor Friedrich Hermann Flayder etwa übertrug 1615 Tassos Aminta und Petrarcas Trionfi ins Lateinische). Guevaras Epístolas familiares erschienen 1614/1615 in Köln in lateinischer Fassung von Gaspar Ens als Epistolae ac dissertationes\ ihnen gehen verschie-

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vgl. Max Wehrli: »Lateinisch und Deutsch in der Barockliteratur«, in: Jahrbuch für Internationale Germanistik A, 2 (1976), S. 134-149, und Dieter Breuer: »Besonderheiten der Zweisprachigkeit im katholischen Oberdeutschland während des 17. Jahrhunderts«, in: Gegenreformation und Literatur. Beiträge zur interdisziplinären Erforschung der katholischen Reformbewegung. Hrsg. Jean-Marie Valentin, Amsterdam 1979, S.145-163. Schott gibt in der Widmungsvorrede an Baltasar de Stüniga im ersten Band der Hispania Illustrata einen Abriß zur Geschichte der spanischen Historiographie, die bislang im Ausland zu wenig zur Kenntnis genommen worden sei, weil sich in Spanien mehr Chronisten der Volkssprache als des gelehrten Lateins bedient hätten.

451 dene lateinische Ausgaben des Relox de principes (mit Libro dureo de Marco Aurelio emperador) sowie des Menosprecio de la corte y alabanza de la aldea voraus. Ein nachhaltiger Erfolg war auch Huarte de San Juans Scrutinium ingeniorum beschieden (Leipzig 1622, 1637, 1663), von Joachim Caesar, dem ersten deutschen Don Quijote-\Jbersetzer (1648), ins Lateinische gebracht nach sorgfältigem textkritischem Vergleich der vorliegenden französischen und italienischen Fassungen. Im Bereich der schönen Literatur sind zwei lateinische Lazarillo- Versionen18 (1614/1623) sowie Alemäns Guzmän de Alfarache zu nennen, der 1623 in Köln unter dem Titel Vitae humanae proscenium, in quo sub persona Gusmani Alfaracii virtutes et vitia, fraudes, cautiones, simplicitas, nequitia, divitiae, mendicitas, bona, mala, omnia denique quae hominibus cuiuscumque aetatis aut ordinis evenire solent aut possunt, graphice et ad vivum repraesentantur, omnis aetatis et conditionis hominum tarn instructioni quam delectationi dicata. Der umständliche, den Inhalt resümierende und zugleich in einer bestimmten Weise auch deutende Titel ist bezeichnend für die Aufnahme spanischer Literatur und die Rechtfertigung ihrer Übersetzung in lateinischer Sprache. Barth steht mit seinen im Laufe der zwanziger Jahre gedruckten Übersetzungen also in einem größeren zeitgenössischen Rezeptionszusammenhang. Wann, wie und durch wen er mit spanischer Sprache, Geschichte und Literatur in Berührung kam, ist nicht bekannt. Der später berühmt und schrullig gewordene Gelehrte war schon als Schüler ein Wunderkind, der mit neun Jahren griechische Epigramme des Poliziano ins Lateinische zu bringen wußte, seinen Terenz auswendig deklamierte und mit zwölf eine Psalmenparaphrase verfaßte; er besaß nicht nur die staunenswerte Gabe, aus dem Griechischen ins Lateinische zu übersetzen, sondern wurde später auch ein neulateinischer Dichter von Rang. Barth studierte in Wittenberg und Jena. Der Rektor der Universität Wittenberg, Johann Wanckel, brachte 1601 Guevaras Relox de principes lateinisch mit dem Titel Horologium principum heraus aufgrund eigener Vergleiche mit einer französischen, italienischen und deutschen Fassung des Werkes und preist die »linguae Castellanae vel argutias vel elegantias«. Vielleicht hat dieses Beispiel auf den Studenten gewirkt oder dieser hat die Anfangsgründe des Kastilischen, wie es Joachim Caesar in der Vorrede zum Scrutinium ingeniorum beschreibt, auf einer Bildungsreise mit einer Reisebekanntschaft erlernt. Es steht nicht fest, ob Barth Spanien aus eigener Anschauung kannte, aber es ist auffällig, daß sich seine Übersetzungen unmittelbar nach Abschluß seiner Bildungsreisen häufen. 19 Er beherrschte das Spanische sehr gut. In Mailand ebenso wie in Leiden und Paris hatte er genügend Gelegenheit, mit Spaniern zu verkehren und an spanische Veröffentlichungen heranzukommen. Außerdem stand er mit Andreas Schott in Verbindung, einem der bedeutendsten Hispanisten der Zeit. Die ungedruckte und verschollene Schrift Origines Hispaniae (1624)

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Charlotte Lang Brancaforte: Fridericus Berghius' Partial Latin Translation of Lazarillo de Tormes and its Relationship to the Early Lazarillo Translations in Germany, Madison 1983, sowie mein Beitrag in Umgangssprache in der Iberoromania. Festschrift Heinz Kröll, Tübingen 1984, S. 331— 342 (»Hablar en buen romance und facete narrare. Die erste neulateinische Übersetzung des Lazarillo de Tormes«). Unter den Geographie- und Reisebüchem jener Jahre sind zu nennen Cyprianus Eichovius: Deliciae Hispaniae (1604), Ludovicus Nonius: Hispania (1607), G. Ens: Deliciae apodemicae et index viatorius Hispaniae (1609) und die Deliciae Lusitano-Hispanicae (1613).

452 ist möglicherweise die Frucht dieses gelehrten Austausches gewesen, der die breiten Interessen Barths an den spanischen Dingen belegt. Seine erste Übersetzung ist der Pornodidascalus, seu colloquium muliebre Petri Aretini (Frankfurt 1623; Meißen 2 1660) ein Auszug aus Aretinos Ragionamenti, den Fernán Xuárez ins Spanische übersetzt hatte unter dem Titel Coloquio de las damas (Sevilla 1548; 1607); es handelt sich um die dritte Giornata des ersten Teils der Kurtisanengespräche, die Barth als simplex sermonis translatio ins Lateinische überträgt, »Ut juventus Germana pestes illas diabólicas apud exteros, utinam non et intra limites, obvias cavere possit cautius«. Er folgt der spanischen Fassung, weil diese die »Obszönität« des Originals abschwäche. Dieselbe Attitüde der moralischen Warnung und Abschreckung soll auch die Beschäftigung mit der Celestina rechtfertigen. Er plante eine sprachliche Überarbeitung (Pornoboscodidascalus * 14v) dieser ersten Übung. Merkwürdig ist deren Kombination mit dem aus dem Italienischen übersetzten Bericht eines unbekannten Augenzeugen über den Sacco di Roma (1527). Auf dem Titelblatt des Buches steht der Hinweis »Addita Expugnatio urbis Rome ab exercitu Caroli Quinti historia paucis nota et in dialogo memorata«, der lange Zeit zur irrigen Identifizierung des Werkes mit Alfonso de Valdés' Diálogo de las cosas ocurridas en Roma geführt hat. Der Innentitel des Werkes lautet Direptio expugnatae vrbis Romae ab exercitv Caroli Quinti. Compendio recensita, licet fusius vix vsquam reperiatur. Es handelt sich um eine anonyme Beschreibung der Plünderung Roms 1527 durch die kaiserlichen Truppen. Die Fakten werden nüchtern aneinandergereiht und keineswegs in dialogischer Form dargeboten oder kommentiert. 1625 erschien das Werk mit deutscher Übersetzung in Frankfurt erneut unter dem Titel Halosis (in griechischen Lettern) Romae, sive narratio Histórica [...] ex fide dignis exemplaribus Itálico Hispanicoque idiomate scriptis fideli opera studioque in linguam latinam translata [...], nun als Kompilation aus verschiedenen zeitgenössischen Berichten von Italienern und Spaniern bezeichnet, die »handgreifliche Exempel der Wunder Gottes« aufzeigen. Noch zehn Jahre nach Barths Tod wurde 1668 eine weitere deutsche Übersetzung der lateinischen Fassung gedruckt. Der bescheidene zeitgenössische Bericht über die schrecklichen Ereignisse erreichte damit eine lange Wirkung wahrscheinlich im Sinne einer antikaiserlichen und antipapistischen politischen Meinungsmache im protestantischen Lager. Einige Jahre danach wandte sich Barth nochmals der Geschichte zu und fertigte die zweite lateinische Version von Philippe de Commynes Mémoires (1489-1498) unter dem Titel Commemorationum rerum gestarumque libri octo (Frankfurt 1629), ein Werk, das offenbar im Zusammenhang mit der barocken Wissenschaft von der Politik als erlernbarer Kunst auf unvermindert reges Interesse stieß mit seinen exemplarischen Analysen, vergleichenden Exkursen und den daraus abgeleiteten Maximen für das politische Handeln aus der Schau eines aktiv am Geschehen beteiligten Mannes. Literarisch weitaus bedeutungsvoller sind die beiden anderen erhaltenen Übersetzungen Barths aus dem Spanischen, der Celestina mit dem barock volltönenden Titel: Pornoboscodidascalus Latinus. De lenonum, lenarum, conciliatricum, servitiorum dolis, veneficiis, machinis, plusquam diabolicis, de miseriis iuvenum incautorum quiflorem aetatis amoribus inconcessis addicunt; de miserabili singulorum periculo et omnium interitu. Liber plane divinus. Lingua Hispanica ab incerto auctore instar ludi conscriptus Celestinae titulo, tot vitae instruendae sententiis, tot exemplis, figuris, monitis plenus, ut par aliquid nulla fere

453 lingua habeat. Caspar Barthius inter exercitia linguae castellanae cuiusfere princeps stilo et sapientia hic ludus habetur Latio transcribebat (Frankfurt 1624) sowie Gaspar Gil Polos Diana enamorada: Erotodidascalus, sive Nemoralium libri V (Hanau 1625). Die damit zusammenhängenden lateinischen Übersetzungen von Jorge de Montemayors Diana und Feliciano de Silvas Segunda Comedia de Celestina, (auf die Barth bei einem Freiburger Buchhändler gestoßen war), gelangten nicht zum Druck. Diese Übersetzungen, die alle aus den zwanziger Jahren stammen dürften, stellen schon vom Umfang und Schwierigkeitsgrad her eine bewundernswerte Leistung dar; dahinter steht ein umfangreiches Programm. Barth verfolgte den Plan einer dreißigbändigen Bibliothek der Weltliteratur mit dem Titel Milesische Geschichten. »Milesiakä« ist der Titel einer berühmt-berüchtigten hellenistischen Novellensammlung, die Aristeides von Milet um 100 v. Chr. zusammenstellte und die L. Cornelius Sisenna auch ins Lateinische übersetzte; er wurde zum Sammelbegriff der abenteuerlichen, erotisch-frivolen Erzählung. Der Mantel der Belehrung und Abschreckung sollte die Pikanterie rechtfertigen.20 Barth beabsichtigt weniger eine Anthologie, als vielmehr ein Kompendium aus Werken der verschiedenen europäischen Volkssprachen in der überall verständlichen Universalsprache Latein darzubieten: »Nobis visum fuit ad Europae nostrae idiomata proficisci, et inde, communi mortalitatis bono, egregiorum ingeniorum tradita Latino sermoni inducere, ut publice aeque ab omnibus litteratis legantur, quae in iis peculiaria optima delitebant hactenus« (Celestina- Vorrede, f*6r). Ein Zeitgenosse Barths, Caspar Dornau, rechtfertigte diese Art eklektizistischer Übersetzung mit derselben didaktischen Absicht »ex Graecis, latinisque auctoribus, addo etiam ex Italis, Gallis, Germanis, Hispanis, apiculae instar, mellificium quoddam congerimus« und die »praecepta, historiarum deliciis convestita ad decoram in vita civili conversationem« daraus zu gewinnen. In ähnlicher Absicht hat auch Georg Philipp Harsdörffer zahlreiche italienische, französische und spanische »scribenten« ausgeschrieben für seine unterhaltsamen und zugleich belehrenden Gesprächsspiele. Im Gegensatz zu Harsdörffer, der seine Quellen genau verzeichnete, macht Barth jedoch keine näheren Angaben, welche Werke er in seine Milesiae narrationes aufzunehmen gedachte. Er erwähnt lediglich Antonio de Eslavas Noches de invierno (1609), dessen Erzählstoffe offenbar rasche Verbreitung fanden (vgl. Pornoboscodidascalus, S. 317; deutsche Übersetzung von M. Drummer 1649). Barths der Celestina vorangestellte dissertatio ist die erste monographische Untersuchung, die in Deutschland einem Meisterwerk der spanischen Literatur gewidmet wurde. Man kann sie daher zu Recht an den Beginn der modernen Hispanistik hierzulande stellen. Die Abhandlung des Altphilologen stellt ein bedeutendes Zeugnis aus der Frühgeschichte der (vergleichenden) Literaturwissenschaft und Textkritik - angewandt auf ein Denkmal der modernen Dichtung - dar. In ihrem methodischen Ansatz, Inhalt und Umfang geht sie über das hinaus, was in den allgemein üblichen Übersetzervorreden verhandelt wurde. Schon Christoph Wirsung hatte seiner überarbeiteten deutschen Ce/esi/na-Übersetzung von 1534 einen Dialog zwischen Vrbanus und Amusus beigegeben, in dem beide über die exemplarische Bedeutung, die »nutzparkeit« der Tragicomedia, disputieren. Die dissertatio Barths

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»Sic animus mihi addetur proferendi infinita alia ex Italorum, Gallorum, Hispanorum, Anglorum, Graecorum, Germanorumque thesauris, quibus junctam cum voluptate egregia utilitatem, liberalia ingenia hauriant«, Pornoboscodidascalus, *22v.

454 zeigt, wie intensiv er sich mit dem Spanischen (»hispanismus hodiernus«) und der spanischen Literatur befaßt hat. Am Spanischen bewundert er die Möglichkeiten rhetorischsprachlicher Gestaltung, die gravitas (die insbesondere auch als Merkmal des spanischen Nationalcharakters galt), und proprietas sowie vor allem den pathetischen ornatus des genus amplum, für den die spanische Literatur in reicher Fülle Beispiele biete. Darin überträfe sie jede andere zeitgenössische Dichtung im Ausland. Barth hat, vielleicht durch Zufall oder infolge des schematischen Zwanges seiner Gegenüberstellungen, den spanischen Einfluß auf Sprache und Literatur zumal in Frankreich treffend erkannt, obschon er dessen Bedeutung zweifellos überschätzt, wenn er behauptet, »si qua in caeteris, Gallicae praecipue, delectabilia simul et utilia talia scripta prodeant, pleraque vel inventionibus Hispanorum, vel illustrationibus debeantur« (*8r). Dieses Urteil über mangelnde Originalität entspringt der Absicht, die spanische Literatur als überlegenes Modell und Quelle schlechthin darzustellen. Trefflichstes Beispiel ist die Celestina, die Barth, von einem wahren Rausch der Begeisterung gepackt, in der unglaublich kurzen Zeit von knapp vierzehn Tagen übersetzte. Er nahm sich allerdings noch eine Überarbeitung mit Hilfe der italienischen Fassung vor, falls es gelänge, ein Exemplar davon aufzutreiben. Die Celestina ist für Barth ein unvergleichliches Meisterwerk, und er beruft sich für diese Auffassung auch auf das »übereinstimmende« Urteil unter den Spaniern. In Deutschland hatte Heinrich Doergangk schon 1614 trotz starker moralischer Bedenken auf die besonderen stilistischen Vorzüge des Werkes verwiesen und die Lektüre als Hilfe beim Erlernen der spanischen Sprache empfohlen. Über die komplizierte Druckgeschichte ist Barth natürlich nicht unterrichtet, er hält die Celestina für ein zeitgenössisches Werk. Interessanterweise nimmt er zwei Verfasser an, einen »gelehrten« für den ersten Akt Juan de Mena oder Rodrigo de Cota - sowie Fernando de Rojas, als Interpolator, der sich rühmt, zwanzig Akte während zweier Ferienwochen geschrieben zu haben. Nicht nur das Titelblatt sondern auch die dissertatio hebt die Sonderstellung der Celestina sowohl im Blick auf die antike als auch auf die moderne Literatur heraus: »dicendi genus tarn comtum, politum, exactum, numerosum, grave atque venerabile est in suo [...] idiomate, ut pares per universa ejus spatia paucos inveniri consensus ipsorum Hispanorum fateatur [...] a quo certe longe abest quicquid Graecorum aut Latinorum monumentorum ad nos pervenit« (6r-v), eine für Altphilologen durchaus überraschende Wertung und in der andauernden Querelle des anciens et des modernes eine eindeutige Stellungnahme zugunsten der Moderne. In einer großen vergleichenden Perspektive ordnet Barth das Werk dem Theater zu, er bezeichnet es als ludus, das er in Unkenntnis der verschiedenen deutschen, französischen, englischen, holländischen Versionen dem »communi Europae theatro« Publikum - darbieten will. Er versteht die Celestina als Lesedrama (ad lectionem vocat et velut spectaculum, f. 19v) vor dem Hintergrund der Entwicklung des klassischen Theaters und vor allem im Zusammenhang mit der »Renaissance« seit dem 15. Jahrhundert (f 4r). Diese geschichtliche Perspektive und dieses historische Bewußtsein von literarischem »Fortschritt« kennzeichnet Barths Wertschätzung der modernen volkssprachlichen Dichtung, die Gleichrangigkeit mit der antiken erreichen und beanspruchen kann (f 3v). Aus dieser späthumanistischen Sicht kann Barth, besser als spätere Kritiker, welche die Celestina etwa als novela dialogada betrachteten, die dramatische Textur des Werkes und seiner Figuren erkennen, die suavitas actionum und concinnitas personarum, immer frei-

455 lieh im Rahmen der traditionellen Funktionsbestimmung von Literatur 21 (prodesse publice, Verbindung von sententiarum comitas und eruditio, von venustas und utilitas, stilus und sapientia, doctrina litteraria und exemplorum observatio). Breiten Raum nimmt in der dissertatio die Übersetzungstheorie ein. Mit diesen Gedanken steht Barth in der humanistischen philologischen Tradition. Insbesondere setzt er sich mit den lexikographischen, semantischen Schwierigkeiten auseinander, die bei der Wiedergabe der »Idiomatis Hispani popularitas« durch das klassische Latein angesichts der zeitlichen Distanz, der kulturellen Unterschiede entstehen. Er entscheidet hier pragmatisch nach usus und experientia, nicht bloß streng nach der überlieferten Regel. Gelegentliche Auslassungen werden aus sprachlich-stilistischen Gründen gerechtfertigt: die eindrucksvolle Schilderung der Hexenküche etwa, die dem Apotheker Wirsung Gelegenheit geboten hatte, seine Fachkenntnis in die deutsche Übersetzung einzubringen, übergeht Barth mit dem geradezu aufklärerischen Hinweis, daß der Zauber nur poetisch und die Hexenküche »unwahr« seien. Übersetzungen werden üblicherweise mit ihrer Nützlichkeit und wegen des besonderen didaktischen Wertes des übersetzten Werkes gerechtfertigt, wie eine vergleichende Untersuchung von Übersetzervorreden des 16. und 17. Jahrhunderts zeigen könnte. Marcel Bataillon hat auf die moralisierend-didaktische Celestina-Interpretation bei Barth hingewiesen. Doch ist solches Literaturverständnis keineswegs nur für Barth kennzeichnend. Er ist nicht der Erfinder oder Wiederentdecker einer lehrhaft-abschreckenden Bedeutung der Tragicomedia. Schon Christoph Wirsung betonte in der Vorrede zur Übersetzung von 1520 die Notwendigkeit, »zu lernen/ das so wir in erfarung noch nitt mögen erkennen/ wie wir in disem wellenden mör die sieß donenden Syrenes fürfarn/ die List vnd Aufsetz der ungetrewen diener und die betrieglichen wort der alten hechsen vnd vnholden erlernen, dieselben fliehen vnd von unß treyben sollen«. Auch im Titelblatt der zweiten Auflage (1534) steht der Hinweis, daß man im folgenden Werk den »spiegel mancherlay sitten vnnd aygenschafft der menschen sehen vnd lernen« könne. Caspar Ens »übersetzt« Mateo Alemäns Schelmenroman in ein theatralisches Vitae humanae proscenium. Nur in dieser sinn-bildlichen Bedeutung wird die novela picaresca (etwa bei Aegidius Albertinus, 1615, oder Lazarillo de Tormes zusammen mit Cervantes' Rinconete y Cortadillo 1617), in Deutschland rezipiert. Die Sorge um die Wirkung der Lektüre (der Literatur) auf die Jugend kommt auch nicht nur bei Barth so deutlich zum Ausdruck, sondern findet sich sowohl bei Ens als auch schon bei Wirsung. Ens bezieht ausdrücklich Stellung gegen jene, die meinen, man dürfe der Jugend nur Tugendsames zur Lektüre geben und von Lastern nie reden. »Inepti profecto censores«. Wirsung läßt 1534 Amusus gegen Urbanus über Dichtung und Moral streiten; »nachdem du ein syn und begird hast / darnach werden dir alle bücher schmecken«, meint Urbanus und trägt dann seine exempla-

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»[...] nos figmentorum illorum utilitatem magnopere commendabilem arbitramur, qui eventus, fortunas et Consilia hominum, aequa atque iniqua, velut in scenam produeunt, ut sine periculo suo quisque discere valeat quod vitandum expetendumque ordo temporum ferat«, Pornoboscodidascalus Diss. p. 5v. Marcel Bataillon: La Célestine selon Fernando de Rojas, Paris 1961, S. 251-268 (zuvor in Revue de Littérature Comparée 30, 1957, S. 321-340). Bärbel Becker-Cantarino: »La Celestina en Alemania. El Pornoboscodidascalus (1624) de Kaspar Barth«, in: >La Celestina< y su contorno social. Hrsg. Manuel Criado de Val, Barcelona 1975, S. 377-382.

456 rische Deutung der Figuren vor, die sich von der Barths fast hundert Jahre später überhaupt nicht unterscheidet, der das Werk der Jugend zudem als ständigen Begleiter (»consiliarius perpetuus«, f. 22v) empfiehlt. Im Zusammenhang mit der didaktischen Interpretation der Celestina, wie sie sich im neuen Titel >Pornoboscodidascalus< (pornoboskein = Huren halten) oder in der etymologischen Assoziation Celestina < scelus dokumentiert, steht bei Barth auch sein Interesse an den proverbia, den WeisheitsSentenzen, Lebensregeln, Aphorismen, die er natürlich mit anderen humanistischen und barocken Philologen teilt. Die Übersetzung von Spruchweisheiten weist besondere Schwierigkeiten auf (f. 17v), andererseits gab es bereits Vorarbeiten für eine vergleichende Sprichwörterkunde: z.B. Gabriel Meuriers häufig aufgelegten Thresor de sentences dorees (Köln 1617) mit lateinisch-spanisch-deutsch-französischem Register; Hieronymus Megiserus, Paroemiologia polyglotta (Leipzig 1605), die u.a. italienische, spanische, französische und deutsche Sprichwörter und Sentenzen zusammenstellt; oder das von Jan Gruterus herausgegebene dreiteilige Florilegium Ethico-Politicum (Frankfurt 1610-1612), das César Oudins Refranes o Proverbios castellanos (Brüssel 1608) ausschreibt. Später wird vor allem Georg Philipp Harsdörffer auf spanische Lehrspruchüberlieferungen zurückgreifen (in der Ars apophthegmatica, Nürnberg 1655/56). Völlig neu war schließlich, daß Barth die in der Altphilologie gebräuchlichen textkritischen Prinzipien bei einem Dichtwerk in der Volkssprache anzuwenden versuchte. Obwohl er die Text- und Druckgeschichte der Celestina nicht kannte, gelangen ihm einige Emendationen, auf die CWesii'na-Philologen erst viel später und ohne Barth zu kennen stießen. Marcel Bataillon führt Beispiele dafür an, die Liste ließe sich durchaus erweitern. Zum ersten Mal wurde von Barth in Deutschland ein Werk der spanischen Literatur nach Art der klassischen Philologie mit einem ausführlichen Kommentar versehen, eine Auszeichnung, die im spanischen 16. Jahrhundert wohl nur Garcilasos Gedichten mit den Anotaciones (1580) des Fernando de Herrera widerfuhr. Barth bezeichnet die Celestina als »Liber plane divinus« (im Titelblatt). Auch wenn seinerzeit ähnliche hyperbolische Ausdrücke (etwa liber aureus, opus aureum, aureum scriptum für Werke Guevaras oder Huartes) beliebt waren, so beruht jedoch Barths Ausdrucksweise weniger auf werbekräftigen Konventionen als vielmehr auf einem erstaunlich treffenden Gespür für die sprachliche Qualität und literarische Bedeutung der von ihm übersetzten und kommentierten Tragicomedia. Mit der Übersetzung von Gaspar Gil Polos Diana (1625)22 steht Barth am Anfang der verhältnismäßig späten Entwicklung des Schäferromans in Deutschland, die zunächst von Übersetzungen angeregt wird. 1619 erschienen - ein Jahr nach Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges - d'Urfés Astrée, Montemayors Diana und Guarinis Pastorfido in deutscher Sprache, Opitz übertrug Barclays Argenis 1626. Mit der Übersetzung von Gil Polos Roman liegt Barth genau im literarischen Geschmack der Zeit. Er beansprucht sogar, mit seiner lateinischen Übersetzung das spanische Original noch zu übertreffen, das er an sich schon für ein »hervorragendes Werk« (egregia vero compositio, Vorrede f. 2v) hält. Wäre es schon vor Jahrhunderten auf griechisch oder lateinisch geschrieben worden, hätte es zweifellos bereits damals zu den Hauptwerken bukolischer Liebesliteratur gezählt. Im Gegensatz zum Pomo-

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Gerhart Hoffmeister: Die spanische Diana in Deutschland. Vergleichende Untersuchungen zu Stilwandel und Weltbild des Schäferromans im 17. Jahrhundert, Berlin 1972.

457 boscodidascalus stellt der Erotodidascalus die ehrbare Liebe vor (nulla prorsus obscaenitate, multa vere Venere, artificiose et suaviter) mit »exempla morum et affectuum« in einem Amatorius Lusus (f. 3v, Schäferspiel). Lobend hebt Barth die lyrischen Verseinlagen hervor, die er auch übersetzt und die für Opitz wichtig wurden. Überraschenderweise deutet Barth die Liebesethik der Diana enamorada als eine Art »divinarum considerationum«, als Vanitas-Lehre. Der Erotodidascalus soll ein Führer von der sinnlichen Liebe zum geistlichen eros sein. Das ist ein erstes Anzeichen für die später stärker hervortretende asketisch-verinnerlichte Einstellung bei Barth (Zodiacus vitae Christianae, Deutscher Phoenix als erstes christliches Epos in deutscher Sprache). Die lateinische Version von Gil Polos Roman lag Georg Philipp Harsdörffer 1646 bei seiner Überarbeitung und Erweiterung der Kuffsteinschen Fassungen von Montemayor/Alonso Pérez (1619) zugrunde. Barths Kenntnis des Spanischen und seine Beschäftigung mit der spanischen Literatur erweisen sich nicht nur in den neulateinischen Übersetzungen, sondern auch in seinem gelehrten Sammelwerk Adversariorum commentariorum libri LX (Frankfurt 1648). Dieser gewichtige Foliant enthält auf etwa 1500 doppelspaltigen, eng bedruckten Seiten den Ertrag seiner philologischen Forschungen bis 1624 und gewährt Einblick in die Werkstatt eines Sprachwissenschaftlers der Barockzeit. Hier kann man die Geburt der romanischen Sprachwissenschaft aus dem Geist der Klassischen Philologie beobachten. Der aus der Kaufmannsprache übernommene Fachausdruck >adversaria< bedeutet zunächst Rechnungs- und Notizbuch für Geschäftsvorgänge. Im 16. und 17. Jahrhundert bezeichnete er die Gattung der gesammelten Anmerkungen, die wissenschaftlichen Lesefrüchte eines Philologen. Das Vorbild hierfür gab der italienische Humanist Angelo Poliziano (1454-1494) mit seinen Lorenzo de Medici gewidmeten Miscellania (Venedig 1498, erste Centuria); es handelt sich hierbei um Exzerpte, Textanmerkungen, Marginalien zu Grammatik und Wortforschung, Erörterungen antiquarischer Einzelfragen sowie um Übersetzungen. Mit einer Sammlung Adversaria (Paris 1564/65) wurde auch Adrien Turnèbe (1512-1565), Griechischprofessor am Collège de France, in der Gelehrtenwelt berühmt. Sein Landsmann Isaac Casaubon (1559-1614) hinterließ nicht weniger als 60 handschriftliche Bände Adversaria, die heute auf der Bodleian Library in Oxford verwahrt werden. Barth steht als Schüler des Wittenberger Professors Friedrich Taubmann (1565-1613) in dieser späthumanistischen Wissenschaftstradition, für die der Thesaurus, die enzyklopädische Kompilation, die ideale Darstellungsweise philologischen Wissens bildete. Seine Leistung als Übersetzer spanischer Literatur wird erst vor dem Hintergrund der enormen Kleinarbeit an der spanischen Sprache deutlich, die Barth mit seiner großen Belesenheit und Akribie leistete; sie wird allerdings in ein Aufgebot lateinisch-griechischer Erudition verpackt, durch deren pedantischen Wust sich der Leser heute nur schwer einen Weg zu bahnen vermag. Nach dem Ausweis des (sicher nicht vollständigen) Sachregisters zu den Adversaria finden sich darin zahlreiche spanische Wortbeispiele, etymologisch-sprachgeschichtliche und phonetische sowie grammatikalische Beobachtungen, Erläuterungen zu sprichwörtlichen Redensarten, Bemerkungen über die spanische Sprache im allgemeinen sowie Reflexionen über Textprobleme bei der ausgedehnten Lektüre. Barth, der strenge klassische Philologe und neulateinische Dichter, zeigt sich dabei als begeisterter Liebhaber der modernen Volkssprache (»idiotismus hodiernus Hispanorum«, S. 329), ja, er flicht sogar einmal die überraschend persönliche Anmerkung ein: »magna nos

458 delectatione cepit Castilianismus hodiernus, in quo sane non longissimo spatio temporis tantum perficimus et loqui et scribere possimus nec inepte nec adeo sinistro Genio, ut defuerint qui Hispani Hispanum arbitrarentur« (S. 2213). Barth hat also, wie nicht anders zu erwarten bei seinen glänzenden Geistesgaben, innerhalb kurzer Zeit die spanische Sprache erlernt, und beherrschte sie in Wort und Schrift so gut, daß ihn Spanier mit artigem Kompliment auch für einen Spanier halten mochten. Diese Wertschätzung23 einer modernen Fremdsprache unterscheidet sich durchaus von der polemisch getrübten ablehnenden Einstellung gegenüber dem Spanischen unter Zeitgenossen. Barth betrachtet das Spanische immer im Vergleich mit dem Lateinischen, aus dem es »abstammt« (descendere). Dieses Entwicklungsverhältnis wird jedoch nicht, wie häufig, als Korruption verstanden. Das Spanische hat im Gegenteil für Barth eine besondere Nähe zum Lateinischen bewahrt, die es vor den anderen romanischen Sprachen auszeichnet. Es läßt sich allerdings nicht eindeutig feststellen, ob er hier ein in der Sprachapologetik des Siglo de Oro geläufiges Argument der Spanier aufnimmt oder ob sein Urteil über das Verhältnis beider Sprachen eigener philologischer Erkenntnis entspringt. Auffällig ist jedenfalls, daß der Lutheraner und Altphilologe dem Spanischen unter den modernen Sprachen so entschieden den ersten Rang einräumt eben aus dem Grund, weil es «plus Latinitatis« behalten habe (S. 329).24 Er stützt diese Auffassung mit dem vergleichenden sprachhistorischen Hinweis auf die besonderen Merkmale silberner Latinität sowohl bei afrikanischen als auch hispanischen Schriftstellern in der Peripherie des Imperium Romanum im Verhältnis zur sprachlichen Situation in der italischen Metropole. Die Lexikographie bietet Barth reichlich Beispiele zum Beweis der Behauptung, daß »pleraque Hispanorum hodiernorum vocabula significanter Latina sunt« (S. 493), durchaus im Gegensatz zu anderen Philologenstimmen, die etwa Paulus Merula in seiner Cosmographia (Antwerpen 1606) wiedergibt: »Hispanica lingua ex multis conflata« (S. 300). Während für ihn solche Mischsprache (auch religiös) verdächtig sein muß, bietet sie Barth weitere Beispiele für vergleichende Betrachtungen zur Sprachentwicklung. Wenn diese auch nicht systematisch angestellt werden, sondern sich punktuell auf einzelne Erscheinungen beziehen, so treffen sie dennoch vielfach zu und bezeugen eine vertiefte Sprachkenntnis. Dabei schlägt immer wieder die Bewunderung durch für die »elegantissima lingua« des Kastilischen (S. 494). Hinsichtlich der Schönheit der Sprache - elegantia und copia sind als Bewertungskriterien der klassischen Rhetorik entnommen - betrachtet Barth vor allem Änderungen in der lautlichen Zusammensetzung des Wortkörpers bei der Entwicklung vom Lateinischen zum Romanischen, den sog. barbarismus. Er geht sogar so weit, daß er das durch >usus< sanktionierte Endergebnis spät- oder mittellateinischer Barbarismen in der kastilischen Völkssprache für weitaus schöner hält. Unter den phonetischen Veränderungen weist Barth auf den Wandel von Iii zu aspiriertem /h/ in Anfangsposition hin (facere > hacer, formosus > hermoso; fabulare > hablar, fatum > hado). Neben oft gewagten etymologischen Deutun-

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Christoph Besold, ein Tübinger Professor, weist in De natura populorum (Tübingen 2 1632), cap. XXII, auf die wachsende Beliebtheit des Spanischen hin und stellte eine längere Liste von deutschspanischen »Überstimmungen« zusammen (Cota-Kutt, falda-Falt, flecha-Flitsch, gato-Katz, guisaWeise, varön u.a.). »Romanae vero linguae titulum sibi vindicant hodieque Hispani, et certe puto nullum Idiotismum illi propierum esse, nec ullus magis integra servavit verba«, S. 2213.

459 gen und lexikographischen Erörterungen (z.B. über villano, donzella, caballero, cada) stehen interessante syntaktische Betrachtungen, wie etwa über menester (est ministerium mihi illa re statt opus esse). Welche Hilfsmittel - Grammatiken und Wörterbücher - Barth bei seiner Arbeit zur Verfügung standen, läßt sich nicht mehr genau ermitteln. Unter den in seiner Bibliographie zitierten Quellen befinden sich nur wenige spanische Autoren: Nebrija, Vives, Pedro Mexia und El Pinciano. Daß aber diese Beschäftigung mit sprachlichen Fragen stets in engem Zusammenhang steht mit den Übersetzungen, zeigt die Tatsache, daß Barth wiederholt auf Passagen seiner lateinischen Celestina- Version hinweist (z.B. 2243,2283,264243) und als Textprobe sogar Gedichte aus der Diana von Gil Polo (2667s) aufnimmt, die dann im Erotodidascalus (1625) gedruckt wurden. Der sprachwissenschaftliche und textkritische Aufwand kennzeichnet die übersetzerische Leistung Barths und seinen Versuch, sich dem Kastilischen mit den vertrauten Methoden der klassischen Philologie zu nähern. Bemerkenswert ist dabei gerade im Blick auf das wachsende sprachgeschichtliche Verständnis das Interesse Barths für die mittellateinische Sprache und Textüberlieferung. In Deutschland hat der barocke Polyhistor Kaspar von Barth als erster versucht, die Beschäftigung mit der spanischen Sprache und Literatur in die Respublica Literaria seiner Zeitgenossen einzubringen. Als Philologe verfolgte er dabei methodisch einen komparatistischen Ansatz. Wenn auch bei der Beschäftigung mit der neueren spanischen Literatur ein ästhetisches Vergnügen am Text schon durchaus wirksam ist, so überwiegen neben den Fragen philologischer Textkritik bei Barths Bemühungen um die Vermittlung spanischer Werke auf lateinisch die Gesichtspunkte des Gehaltes, des Stoffes und seiner didaktischen Bedeutsamkeit. Es wäre etwas gewagt, Barth als den Begründer hispanistischer Studien hierzulande zu bezeichnen, er ist jedoch ein Vorläufer, dessen begeistertem Einsatz für den »castilianismus hodiernus« wir einen gewichtigen Anstoß zur gelehrten Beschäftigung mit spanischer Sprache und Dichtung zu verdanken haben. Erstveröffentlichung in Das Spanieninteresse im deutschen Sprachraum. Beiträge zur Geschichte der Hispanistik vor 1900. Hrsg. Manfred Tietz, Frankfurt am Main: Vervuert 1989, S.l-21.

Zwischen Irrationalismus und Wissenschaft: Die hispanistische Forschung im Deutschland des 19. Jahrhunderts

In der Geschichte der hispanistischen Forschung nimmt das deutsche 19. Jahrhundert eine herausragende Position ein. Die deutschen Romantiker hatten Spanien zum Dreh- und Angelpunkt ihrer neuen Sicht auf Europa gemacht. Das von Spanien erträumte Bild ersetzt zu einem guten Teil das klassische Griechenland in seiner Funktion als kulturelles Ideal. Die Entdeckung der Iberischen Halbinsel stellt zudem eine Reaktion gegen das bislang vorherrschende französische Modell dar. Die Romantik schickt sich an, einen fast unbekannten Bereich nicht-klassischer Literatur zu erobern. Alles Spanische ist nun, nachdem man lange Zeit ein wenig vorteilhaftes Bild dieses Landes und seiner Kultur gezeichnet hatte, überaus beliebt. Das Hispanisieren kommt in Mode. Die Dichtung erscheint jetzt als Schlüssel zum Verständnis der Seele, des wahren Wesens, der Geschichte und der Kultur der Nation. Trotz allem bleibt Spanien jedoch ein Phantasieland. Die meisten Romantiker kannten Spanien nicht aus eigener Erfahrung, sondern aus einer rein literarischen, theoretischen und idealisierten Sicht. Die Einbildungskraft spielte eine entscheidende Rolle in den poetischen Konzepten der Romantiker und in ihrer Deutung der spanischen Poesie. Schon im vorangegangenen Jahrhundert hatten Lessing und Herder für die tiefgreifende Veränderung, die sich in der generellen Wertschätzung Spaniens und seiner Literatur vollzog, neue kritische und weltanschauliche Horizonte eröffnet. Der »halb jüdische, halb arabische« Spanier, noch vor nicht allzu langer Zeit verdächtig und verhaßt, verwandelt sich nach und nach in einen »veredelten Mauren«, den der Kontakt zum Genius des Orients befähigt, die Grundlagen eines erneuerten Europas zu schaffen. Das »edle Maurentum« wird »Lichtbringer der europäischen Kultur« (Herder). An seiner Seite dienen im frühen Mittelalter die Goten als Bindeglied zur germanischen Welt. Ein spanisches Jahrzehnt eröffnet ungestüm das 19. Jahrhundert. Goethe entzieht sich der Faszination eines Calderön nicht. Mit Vorliebe beruft sich die literarische Ästhetik der Romantik auf die spanische Dichtung, die sie als Präfiguration des künftigen Typus der »Universalpoesie« sieht. Die philosophische Interpretation des Don Quijote spielt eine entscheidende Rolle bei der Ausbildung der romantischen Theorien. Neben dem ebenfalls metaphysischen Calderonismus stellt diese philosophisch-spekulative Beschäftigung mit Cervantes ein Kapitel von außerordentlicher Tragweite für die Entwicklung der deutschen Hispanistik dar. Beide Stränge verbinden sich unauflöslich mit der erstaunlichen Übersetzungstätigkeit während des 19. Jahrhunderts. Dieser für das Verhältnis zwischen Spanien und Deutschland zentrale Aspekt kann hier nur gestreift werden. Die Übersetzer sind häufig weder Spezialisten noch berufsmäßig mit der Materie befaßt, sondern Liebhaber. Aus ihren Vermittlungsbemühungen spricht eine tiefe Sympathie für alles Spanische. Im Vergleich zum rauschhaften Enthusiasmus der Romantik nimmt der Einfluß der spanischen Literatur auf die deutsche in der Zeit danach deutlich ab, die kritischen und wissenschaftlichen Arbeiten über Literatur, Geschichte und Kultur Spaniens jedoch erleben einen Aufschwung. Gleichzeitig verstärkt sich der polemische Ton, denn die Beschäftigung mit den >cosas de Espana< verbindet sich immer - wenn auch mehr oder weniger deutlich ausgesprochen - mit bestimmten ideologischen Positionen hinsichtlich Nation, Religion oder Wissenschaft.

461 Die Begründung und eindrucksvolle Entwicklung der neuen akademischen Disziplin Romanische Philologie geben den hispanistischen Arbeiten im Vergleich zu anderen Ländern damals ein festes Fundament. Sie gliedern sich in die Universität ein, und damit bildet sich der Typus des Fachgelehrten heraus. Alle deutschsprachigen Länder nehmen an diesem Prozeß teil. Dessen ungeachtet behalten die Universitäten noch lange die institutionelle Verbindung zwischen der Englischen und der Romanischen Philologie bei (die modernen Fremdsprachen werden in diesem Sinne der Klassischen Philologie oder den traditionellen Altertumswissenschaften gegenübergestellt). Im Gegensatz zu den Entwicklungen, die in Frankreich am Ende des Jahrhunderts zu beobachten sind (études hispaniques), gelingt es der deutschen Hispanistik nicht, sich als eigenständige Disziplin zu konstituieren. Sie bleibt aus wissenschaftsorganisatorischen und methodischen Gründen ein Teilgebiet der Romanischen Philologie. Im deutschsprachigen Raum hat man die einheitliche Konzeption als Merkmal dieses Zweiges der Philologie sowohl in der Sprachwissenschaft als auch in der Literaturgeschichte bis weit ins 20. Jahrhundert beibehalten. Die philologischen Prinzipien folgten dem Modell der Klassischen Philologie. Nicht selten wurden Dissertationen und Habilitationen weiterhin im gelehrten Latein abgefaßt. Das wissenschaftliche Interesse konzentriert sich auf die Erarbeitung kritischer Ausgaben mittelalterlicher Texte, auf die Stoffgeschichte und auf die Geschichte der Formen und Gattungen. Literaturgeschichte im eigentlichen Sinn bleibt die Sache nichtakademischer Kritiker und Schriftsteller. Zeitschriften wie beispielsweise die noch heute erscheinende Zeitschrift für Romanische Philologie und Jahrbücher wie das Jahrbuch für Romanische und Englische Philologie (1862-1870) werden gegründet, Textsammlungen herausgegeben. Neugegründete Verlage (Max Niemeyer Verlag in Halle) nehmen die wachsende Zahl der Forschungsarbeiten auf. Anders als bei den universitären Untersuchungen zur französischen oder italienischen Sprache und Literatur steht im Fall des Spanischen das Motiv der Verständigung und des geistigen Bündnisses zwischen beiden Völkern im Vordergrund. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts ruft Bouterwek enthusiastisch aus: »Wir sind Brüder«! Eine Devise, die später von Ferdinand Wolf und Hugo Schuchardt bereitwillig aufgenommen werden sollte. Die Eingliederung der modernen Philologie in die von Humboldt reformierte deutsche Universität gestaltete sich nicht ohne Konflikte. Zwar hat Friedrich Schlegel 1803-1804 auf die Bedeutung der Erforschung der modernen Literaturen für Universität und Gesellschaft hingewiesen, aber sein Bruder August Wilhelm lehrte nicht in den Hörsälen, sondern organisierte nach seinem Umzug in die preußische Hauptstadt Vortragsreihen für das gebildete Publikum. Weder Friedrich Schlegel noch Ludwig Tieck nahmen den Ruf auf Lehrstühle an der gerade gegründeten Berliner Universität an. Victor Aimé Huber (1800-1869), Professor in Rostock, Marburg und Berlin, widmete sich besonders dem Spanischen und unterstrich in einem Artikel für die populärwissenschaftlichen Blätter für literarische Unterhaltung (1845) die Notwendigkeit, das Studium moderner fremdsprachiger Literaturen an den Universitäten zuzulassen. Angesichts des auf diesem Feld herrschenden Dilettantismus und der sträflichen Vernachlässigung großer Wissensbereiche appelliert er an die Kulturbehörden und wirbt um mehr Verständnis für die Begründung einer modernen Philologie und Literaturgeschichte. Seit den dreißiger und vierziger Jahren war eine Reihe von Lehrstühlen für »abendländische Sprachen« geschaffen worden. In den Kontroversen über den praktischen Nutzen des Erlernens moderner Fremdsprachen und innerhalb der seit ungefähr 1880 ange-

462 regten Reformen des Unterrichts spielte das Spanische im Gegensatz zum Englischen oder Französischen keine große Rolle. Doch diese Auseinandersetzungen hatten gravierende Folgen für die Ausrichtung der Fremdsprachendidaktik und die Lehrinhalte innerhalb der damaligen >Kulturkunde< und den Auslandsstudien, als sich mit dem Ersten Weltkrieg die Bemühungen der Pädagogen und Politiker verstärkt dem Spanischen zuwandten. Ab den achtziger Jahren erscheinen Grammatiken und Gesprächshandbücher »mit besonderer Berücksichtigung des gesellschaftlichen Verkehrs«, die der Neuorientierung zu einer »realistischen Sprachenkunde« Rechnung tragen (im Gegensatz zum altsprachlichen Unterricht). Die Tatsache, daß man Spanisch unter anderem am - 1887 gegründeten - Seminar für Orientalische Sprachen an der Berliner Universität (dem Zentrum für die Ausbildung von Kolonialbeamten und Wirtschaftsfachleuten) lehrte, zeigt einerseits die Schwierigkeit, innerhalb des Ausbildungssystems einen geeigneten Ort für die praktische Erlernung moderner Sprachen zu finden, und andererseits, welches Gewicht man Fremdsprachenkenntnissen jetzt beimaß. Seit den Anfängen sind die Forschungsergebnisse der Romanischen Philologie von großer Bedeutung für die nachfolgenden hispanistischen Arbeiten. Friedrich Diez (1794—1876), Professor in Bonn, war der Begründer der neuen Disziplin. Wie La Viñaza bemerkte, haben sowohl seine Grammatik der romanischen Sprachen (1836-42; 4 1876-77)) als auch das berühmte Etymologische Wörterbuch der romanischen Sprachen (1853, 5 1887) die Wege eröffnet, »que nos han conducido á la posesión de muchos misterios filológicos«. Das Interesse richtete sich besonders auf (historische) Grammatik, Etymologie und Phonetik. Schon Lorenz Diefenbach, dem Diez sein Etymologisches Wörterbuch (1893, 5 1887) widmete, hatte sich in seiner Schrift Sur les langues romanes actuelles (1831) vor allem mit dem Kastilischen beschäftigt. In allen deutschsprachigen Ländern steuerten die Romanisten bedeutende Beiträge zur Erforschung des Spanischen bei. Hugo Schuchardt (1842-1927), seit 1870 Privatdozent in Leipzig, 1873 Ordinarius in Halle und seit 1876 Professor in Graz, beschäftigte sich in seinen Arbeiten über die Kreolsprachen mit dem Malaiisch-Spanischen, widmete sich aber auch der Untersuchung der Beziehungen zwischen dem Baskischen und dem Romanischen. Im Jahre 1879 reiste er das erste Mal nach Spanien und veröffentlichte wenig später seine Untersuchungen zu den Cantes flamencos (1881). In Österreich sind als berühmteste Vertreter neben Schuchardt der Wiener Bibliothekar Ferdinand J. Wolf und Alberto Mussafia zu nennen. Die in Berlin geborene Carolina Michaelis de Vasconcelos (1851-1925) war als Frau eine Ausnahmeerscheinung in der Universität des 19. Jahrhunderts. Ihre Arbeiten beschäftigen sich ausschließlich mit den iberoromanischen Sprachen und Literaturen (Galicisch und Portugiesisch). Rudolf Lenz und Friedrich Hanssen lenkten die romanistische Forschung auf die Neue Welt. Der in der Schweiz geborene Wilhelm Meyer-Lübke (1861-1936) begann seine Laufbahn in Jena, neben Bonn und Halle einem der traditionellen Zentren der Romanischen Philologie. 1892 erhielt er einen Ruf nach Wien und ab 1915 hatte er den Bonner Lehrstuhl inne. Die junge Disziplin legte auf dem Höhepunkt des wissenschaftlichen Positivismus eine erste, von Gustav Körting ausgearbeitete systematische Gesamtdarstellung des Fachs vor: die Encyclopaedie und Methodologie der romanischen Philologie (1884), in der dem Kastilischen und dem Katalanischen fast hundert Seiten gewidmet sind. Wenig später wird Gottfried Baist im berühmten Grundriß der Romanischen Philologie Gustav Gröbers (Band 2,2,

463 1897) den Forschungsstand der auf dem Gebiet der (mittelalterlichen) Literatur seit der Veröffentlichung des Handbuchs von Bouterwek (1804) darstellen: ein beeindruckendes Dokument des Fortschritts in der Erschließung der Quellen. Die intensiven Bemühungen um die Sprache und Literatur Spaniens erstrecken sich auch auf angrenzende Bereiche. In den Jahren 1817-1821 begründete Wilhelm von Humboldt die Erforschung der baskischen Sprache. Nach einer Epoche voller Spekulationen über den Einfluß der Araber in Spanien weckte der arabische Anteil am spanischen Wortschatz das Interesse des österreichischen Orientalisten Joseph Hammer von Purgstall (1774-1856). 1865 verfasste Adolf Friedrich von Schack sein grundlegendes Werk Die arabische Poesie und Kunst der Araber in Spanien und Sicilien. Michael Sachs und Meyer Kayserling waren die ersten, die sich mit der Geschichte, Sprache und Literatur der Sepharden beschäftigten. In den Anfängen der Völkskunde weckten die Sprichwörter das besondere Interesse einiger Philologen (Friedrich Koeler, 1845; Gottfried Baist, 1883 und als Höhepunkt die Arbeiten Joseph Hallers, 1883). Gegen Ende des Jahrhunderts wächst auch das Interesse an der katalanischen Literatur und Folklore: 1893 veröffentlichte Viktor M. Otto Denk eine Geschichte der altkatalanischen Literatur, und der Erzherzog Ludwig Salvator gab 1895-1896 seine Rondayes und Cuentos populares de Mallorca in Druck. Die sich herausbildende Vergleichende Literaturwissenschaft empfing aus den Arbeiten über die spanische Dichtkunst und das spanische Theater entscheidende Impulse. Die Brüder Schlegel waren die ersten, die die spanische Literatur in den europäischen Kontext stellten. Während des ganzen 19. Jahrhunderts bemühten sich die Literaturkritik und die Literaturgeschichte, Vergleiche aller Art zwischen den »Nationaldichtungen« anzustellen: Man verglich die französische und spanische, die spanische und italienische oder die deutsche und spanische. Dabei spielte man die berühmtesten Vertreter der jeweiligen Literatur - Dante, Shakespeare, Cervantes, Calderón - nicht nur gegeneinander aus, sondern versuchte auch auf diese Weise die Eigenart einer jeden Literatur zu ergründen. Den ersten historischen Vergleich zwischen Spanien und Deutschland entwarf der Schweizer A. Flegler im Jahre 1845. Zwei Jahre später legte Adolf Ebert, Professor für Romanische Literatur in Marburg, einen Entwurf der literarischen Wechselwirkungen zwischen Spanien und Deutschland vor. Die Forschungen des Innsbrucker Professors Arturo Farinelli (1867-1948) gingen seit seiner Doktorarbeit (Zürich 1892) systematisch in die gleiche Richtung. Adam Schneider versuchte erstmals ein bibliographisches Verzeichnis zu erstellen (Spaniens Anteil an der deutschen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts, 1898). Was Friedrich Wilhelm von Schmidt, der 1831 verstorbene Calderonist und Herausgeber der Disciplina clericalis Pedro Alfonsos, während seiner kurzen akademischen Laufbahn in Berlin begonnen hatte, führten diese Arbeiten am Ende des Jahrhunderts weiter und bilden so die Basis für die Beurteilung von einhundert Jahren deutscher Hispanophilie. Die Beschäftigung mit Sprache und Kultur Spaniens spiegelt sich in der Zunahme der vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland gedruckten spanischen Bücher. Dabei handelt es sich um wissenschaftliche und populäre Textausgaben, gelehrte Abhandlungen und Anthologien. Zum Aufschwung der Produktion trug dabei nicht nur das erwachte hispanistische Interesse bei, sondern auch die wirtschaftliche Macht und das internationale Prestige einiger Verlagshäuser wie beispielsweise Brockhaus in Leipzig. Dort wurden zwischen 1860 und 1887 48 Bände der verdienstvollen »Colección de autores

464 españoles« verlegt. Darunter befinden sich Ausgaben des Fray Gerundio, der Dichtungen von Luis de León (1853) oder Werke von Pérez Galdós (Fontana de oro, 1872) und Fernán Caballero. In Halle kam 1883 die Colección de enigmas y adivinanzas von Antonio Machado y Alvarez (Demófilo) heraus. Eine der größten herausgeberischen Leistungen ist die Veröffentlichung der Comedias Calderóns, die von Johann Georg Keil, Hofrat des Weimarer Hofes, besorgt wurde. Gil Vicentes Werke wurden 1834 in Hamburg wieder aufgelegt. Die zahlreichen Anthologien, die zum Teil mit deutschen Übersetzungen und historisch-literarischen Bemerkungen versehen waren, erfüllen eine wichtige Funktion für die Kenntnis der Sprache und für die Ausbildung eines elementaren Verständnisses von Literatur. Die berühmtesten Anthologien sind die von Johann Nikolaus Böhl von Faber (Floresta de rimas antiguas castellanas, Hamburg, 1821-1825; 21827—1843 sowie Teatro español anterior a Lope de Vega, 1832). Häufig verdanken sich die Anthologien einem didaktischen und praktischen Anliegen, ohne größere literarische Ansprüche (beispielsweise, Mariano Velázquez de la Cadena, El nuevo lector español, Frankfurt 1851 oder Federico Booch-Arkossy, Manual de la literatura española moderna, Leipzig 1857). Die von Josef Fesenmaier 1884—1889 herausgegebene »Spanische Bibliothek« und die »Bibliothek spanischer Schriftsteller« seines Konkurrenten Adolf Kressner boten dem Publikum bekannte Texte, die mit einer Einführung und mit Anmerkungen versehen waren und preisgünstig angeboten wurden. Sicherlich wäre es lohnend, die Entwicklung der im Laufe des Jahrhunderts in großer Zahl publizierten Grammatiken und Wörterbücher zu verfolgen. Von August Fuchs (1837) bis hin zu Paul Förster (1880) spiegeln sich in ihnen sowohl der philologische Fortschritt als auch die in der Didaktik beschrittenen Wege sowie die intensiven Bemühungen um die spanische Sprache. Die Gegenstände der wissenschaftlichen Arbeiten entsprechen zu einem Gutteil den thematischen Vorlieben, die sich in der Romantik entwickelt hatten. Unermüdlich verherrlichte man das spanische Mittelalter, in dem man jene große heroische Epoche sah, in der sich der spanische Nationalcharakter ausgeformt hatte. Aus diesem Grund häuften sich seit den vierziger Jahren die Publikationen alter, bislang unveröffentlichter oder wenig bekannter literarischer Denkmäler. Vor allem die Romanzen fanden seit der durch Herder angeregten Wiederentdeckung der Volkslieder das besondere Interesse der Forscher. Im 19. Jahrhundert übten sie eine große Wirkung auf die romantische Produktion aus, jedoch blieben Fehlinterpretationen nicht aus, weil Friedrich Schlegel in ihnen die »sinnreichste Kunst in der geistigsten Sprache« und eine gewisse »orientalische Farbe« gesehen hatte. Für ihn waren die Romanzen das Vorbild für eine erneuerte romantische Poesie. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Romanzen und ihre poetische Rezeption gehen Hand in Hand. Jacob Grimm, Diez und Georg Bernhard Depping beschäftigten sich zur gleichen Zeit (zwischen 1815 und 1821) mit den durch die Romanzen aufgeworfenen Problemen. In der Folge entwickelte sich unter den Gelehrten eine Kontroverse über deren Ursprung, geschichtliche Entwicklung und Einteilung. Um die Mitte des Jahrhunderts gelang es Ferdinand Wolf, viele der strittigen Fragen zu klären, nachdem er auf der Grundlage des wiederaufgelegten Romancero castellano (Leipzig, 1844) von Depping, zu dem Wolf 1846 den dritten Band, Rosa de romances (von Juan Timoneda) beisteuerte, mit Antonio Alcalá-Galiano in einen kritischen Dialog eingetreten war. Geibel, Schack und Heyse, Mitglieder des berühmten Münchner Dichterkreises, bemühten sich um deutsche Fassungen und neue Ausgaben des Romancero. Im Zusammenhang mit der Romanzendichtung übte die Heidenfigur des Cid durch das

465 gesamte 19. Jahrhundert eine starke Faszination aus. Nach dem berühmten Herderschen Gedichtzyklus über den Cid erscheinen: Romancero del Cid, Frankfurt, 1828; Der Cid. Ein Romanzenkranz, von Duttenhofer, Stuttgart, 1833 und 1841; Das Liederbuch vom Cid, C. Regis, Stuttgart, 1842 und 1850; Die Romanzen vom Cid, K. Eitner, 1871, und eine weitere Ausgabe von O.L.B. Wolff. Die erste kritische Ausgabe des Poema de Mio Cid brachte einhundert Jahre nach der Entdeckung des Werkes durch T.A. Sánchez im Jahre 1879 Karl Vollmoeller heraus. Dank des neuen historischen Bewußtseins entwickelt sich auch die Literaturgeschichtsschreibung, die über die grundlegenden Vorstellungen und Prinzipien der Aufklärung hinausgeht. Der methodologische Erneuerungseifer richtet sich hauptsächlich auf sprachhistorische Fragestellungen, während sich die Erforschung literarischer Themen und Formen so sehr Detailfragen widmet, daß sie den Blick für eine geschichtliche Synthese verliert. Die ambitioniertesten Projekte der Literaturgeschichtsschreibung gehen auf die Initiative spanienbegeisterter Kritiker und nicht philologischer Experten zurück. Friedrich Bouterweks Geschichte der spanischen Poesie und Beredsamkeit (1804) und die Bilanz der Forschungsarbeiten fast eines Jahrhunderts in Baists Grundriss der romanischen Philologie stehen für den Beginn und das Ergebnis dieser so fruchtbaren Entwicklung. Bouterwek (1766-1828), der eine Professur für Rhetorik an der Universität Göttingen innehatte, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein reges hispanistisches Zentrum darstellte, war ursprünglich Jurist. Er steht in der großen Tradition der Literärgeschichte und der ästhetischen Werte des 18. Jahrhunderts. Sein Werk, das schon 1829 ins Spanische übersetzt wurde, ist eine enzyklopädische Übersicht über das Wissen der vorangegangenen Epoche, eine bewundernswerte Pionierleistung, die gleichzeitig eine Epoche abschließt und ein »völlig unbearbeitetes Feld« eröffnet. Bouterweks Werk versucht eine pragmatische Ordnung in das »Chaos der Notizen« zu bringen und den »Zusammenhang der literarischen Ereignisse« aufzuzeigen. Außerdem will dieses Werk die Aufnahme der Literatur der Iberischen Halbinsel in Deutschland fördern, in der Hoffnung, daß »der deutsche Geist durch diese schönen Töne von Süden her zu neuer Selbstthätigkeit belebt werde«, eine Erwartung der »Renaissance«, die in Deutschland immer wieder an die Beschäftigung mit spanischer Dichtung und Theaterkunst geknüpft wurde. »Deutsches Gemüt und spanische Phantasie in kräftiger Vereinigung, was kann sie nicht hervorbringen?« Sein Handbuch versucht den »poetischen Reichthum« der Nation zu erfassen. Bouterwek schätzt insbesonders deren »hohe Eleganz« und »classische Correctheit«. 1804 publiziert Friedrich Buchholz (1768-1843) den zweiten Band seines Handbuchs der spanischen Sprache und Literatur (der erste Band war 1801 erschienen). Buchholz war studierter Theologe und arbeitete als Journalist. Dieses Handbuch ist eine Anthologie von Vers- und Prosatexten, die sich mit historischem Gespür zusammengestellt, gegen den »Kaltsinn« richtet, der solange gegenüber den Schätzen der spanischen Dichtkunst geherrscht hatte. Noch stärker sollte die historische Perspektive durch die Darstellung und Interpretationen der Brüder Schlegel betont werden. »Nationalliteratur« und »Volksgeist« sind die Grundbegriffe, auf denen sie ihr Geschichtsgebäude errichten. Von ihnen werden Periodisierung, Ausbildung des Kanons sowie Ursprung und Entfaltung der literarischen Gattungen bestimmt. Die Besonderheit des Schlegelschen Ansatzes liegt dabei in der ständigen Vermi-

466 schung von theoretischen Voraussetzungen (philosophischer, ästhetischer und religiöser Art) mit der Literatur und der Interpretation ihrer Entwicklung im engeren Sinn. Dies ruht im 19. Jahrhundert wie eine Erblast auf der Literargeschichtsschreibung und Literaturkritik. Ihre schrittweise Entwicklung prägt nicht nur die deutsche Hispanistik, sondern spiegelt zugleich das deutsche Spanienbild mit all seinen Wechselfällen wider. Spanien wurde verherrlicht oder verdammt, und immer tat man das mit Blick auf seine Geschichte oder Literatur. Für Friedrich Schlegel (1772-1839) war Spanien während seines Studiums in Göttingen und Leipzig das poetische Land schlechthin, eine »musikalische und zart dichtende Nation«. Dort hatte man länger als im restlichen Europa den ritterlichen Geist und dessen literarischen Ausdruck bewahrt. Schlegel, ein Mann genialer Eingebungen und hochgradig spekulativer Interpretationen, verweist auf die Phasenverschiebung und im Vergleich zur Entwicklung der anderen europäischen Nationen besonderen Stellung Spaniens - eine Beobachtung, die bis zu der von Victor Klemperer ausgelösten Streitfrage über die Frage, ob es eine spanische Renaissance gegeben habe und bis hin zu Ernst Robert Curtius' Aufsatz über die kulturelle Verspätung Spaniens nachwirken sollte. Der »hohe Nationalwert« der spanischen Literatur, die sich ihm als lebendiges Abbild des Nationallebens darstellte, wurde von Schlegel sehr geschätzt. Seiner Meinung nach findet sich keine andere Literatur, die einen der spanischen vergleichbaren nationalen Geist in sich trägt. Sie offenbare den Geist der Nation als streng moralisch und tief religiös, als »Geist der Ehre, der strengen Sitte und des festen Glaubens«. Der starke Akzent, der in dieser konservativen Haltung auf das kastilische Element gelegt wird, ist dabei symptomatisch. Da Kastilien zum Herrschaftszentrum Spaniens wurde, vereint seine Dichtkunst all die Schönheiten, die in den verschiedenen poetischen Provinzen des Landes verstreut lagen. In Kastilien sieht Schlegel die Quintessenz Spaniens. Die Spanier sind ein Heldenvolk, mit einer Literatur, die sich durch die Einheit von »armas y letras« auszeichnet. Wenn der Stolz und die kastilische Sprache in vergangenen Zeiten Symbole für den spanischen Anspruch auf die Weltherrschaft waren, so schien August Wilhelm Schlegel die kastilische Sprache nun - aufgrund positiver Voraussetzungen - als »stolzeste Tochter der weltbeherrschenden lateinischen Sprache«. Die bislang verdächtige Mischung der Rassen, Kulturen und Religionen empfahl sich jetzt als besonderer Vorzug und höchste Völlendung. Die Vielfalt und Andersartigkeit nährt eine organische Entwicklung, die in den allgemeingültigen Werken und Gestalten Calderóns und Cervantes' gipfelt. Geist und Leben des Mittelalters kommen in ihnen zum vollendeten Ausdruck. Noch trägt die Metapher des »Untergangs« die Konnotation von Fülle und Reife. Calderón erscheint als »letzter Nachklang wie im strahlenden Abendrot des katholischen Mittelalters«. Bei Julius Leopold Klein schlägt sie um: die spanische Literatur gleicht seinem Urteil nach einem Friedhof und Ort der Verwesung. Die philosophischen und ästhetischen Ideen, die Friedrich Schlegel in seiner Geschichte der europäischen Literatur und in seiner Geschichte der alten und neuen Literatur - stets mit Beispielen aus der spanischen Literatur - entfaltet, faszinierten seine Zeitgenossen und fanden mehr als jene seines Bruders August Wilhelm auch im Ausland Resonanz. Friedrich Schlegel, der Spanien nie bereist hatte, besaß außerordentliche literarische Kenntnisse und ein feines kritisches Gespür, aber seine scharfsinnigen Gedanken bargen durch ihre aphoristische Zuspitzung und fragmentarische Virtuosität auch Gefahren in sich. Daß er so kühn den Modellcharakter der spanischen Literatur für die >romantische< Dichtkunst herausgestellt hatte, verursachte Ver-

467 wirrung und provozierte Proteste, die im selben Maße zunahmen wie die Kenntnis der historischen Gesamtzusammenhänge anwuchs. Seit Johann Andreas Dieze mit der deutschen Bearbeitung der Orígenes de la poesía castellana von Luis José Velázquez (1769) der Hispanistik das entscheidende Werkzeug in die Hand gegeben hatte, war das literarhistorische Wissen im Laufe eines Jahrhunderts nach und nach beträchtlich angewachsen. Natürlich gab es Schwankungen, aber es ist doch bemerkenswert, daß die Handbücher der Weltliteratur mehr oder weniger umfangreiche Kapitel über die spanische Literatur enthalten, wobei etwa Bernhard Wolffs Die schöne Literatur Europas in der neuesten Zeit, dargestellt nach ihren neuesten Erscheinungen (1832) sogar die zeitgenössische Produktion berücksichtigt. Als Kuriosität sei auch ein im Berliner Exil lebender Gelehrter, Álvaro- Agustín de Liaño, erwähnt, der den Répertoire portatif de l'histoire et de la littérature des nations espagnole et portugaise (1818) und die Noticias literarias e históricas, y anuncios críticos útiles para completar y corregir los mejores libros sobre la historia de la literatura castellana (Aachen/Leipzig, 1829-1830) verfaßte. Gegen Mitte des Jahrhunderts wurde George Ticknors Geschichte (1852) mit umfangreichen Ergänzungen von Ferdinand Wolf und einem Anhang von Adolf Wolf (1867) auf deutsch veröffentlicht. Kurz vorher hatte Ludwig Clarus (ein Pseudonym für Wilhelm Volk) seine Darstellung der spanischen Literatur des Mittelalters (1846) publiziert, zu der Joseph Görres den Prolog beisteuerte. Dieses Werk ist ein eindrucksvolles Dokument der Glorifizierung des Mittelalters während der katholischen Restauration. Vorangegangen war dem ein Werk mit völlig anderer Ausrichtung: der Abriss einer dokumentirten Geschichte der spanischen Nationalliteratur (1844) von Eduard Brinckmeier, der darin ungerechterweise Bouterwek angreift. Ludwig Lemcke legte mit seinem dreibändigen Handbuch der spanischen Litteratur (1855-57) ein nützliches Werkzeug für das Studium der Sprache und Literatur vor. Ferdinand Wolf stellte seine Forschungen in den Studien zur Geschichte der spanischen und portugiesischen Nationalliteratur (1859) zusammen, die mit Zusätzen von Marcelino Menéndez Pelayo versehen, von Miguel de Unamuno (1895) übersetzt wurden. Das wichtigste Zeugnis deutscher Gelehrsamkeit und Spanienliebe, das als reife Frucht des romantischen Enthusiasmus bezeichnet werden kann, ist die dreibändige Geschichte der dramatischen Literatur und Kunst in Spanien (1845-46, 2 1854—1855; spanische Übersetzung 1885-1887) Adolf Friedrich Graf von Schacks (1815-1894). Schack vollendet sein richtungsweisendes Werk nach einem Jurastudium im Alter von 29 Jahren. Es gründet auf umfassender Quellenkenntnis, die sich der junge Forscher während seines Madridaufenthaltes in der Biblioteca Nacional angeeignet hatte. Angeleitet lediglich durch den »besonnenen Bouterweck«, Schlegel und Tieck, sowie dank der bibliographischen Unterstützung seitens Lemckes, wagte Schack als erster den Versuch einer Geschichte des spanischen Theaters. In seinen Wiener Vorlesungen über Calderón und das Theater des Siglo de Oro hatte A. W. Schlegel schon auf den dringenden Bedarf einer Geschichte des Dramas und der Ausbildung des Theaters in Spanien hingewiesen. Auch Friedrich Schlegel forderte einen zuverlässigen Leitfaden, um den verwirrenden Reichtum des spanischen Theaters überschauen zu können. Er sah in Calderón den »höchsten Gipfel der Kunst und Vollendung«. Ludwig Tieck arbeitete an einer unvollendet gebliebenen Geschichte des spanischen Theaters. Zur damaligen Zeit verstand man die Geschichte der Literatur als chronologische Abfolge von Entwicklungsstufen der drei grundlegenden Gattungen - Epik, Lyrik und Drama - in

468 einem organischen Kreislauf von Entstehung, Blütezeit und Niedergang. Beginnend mit dem Altertum untersucht Schack die Entwicklung des europäischen Theaters und konstatiert eine ununterbrochene Entwicklung, die bis zur höchsten Vollendung des Theaters in Frankreich und England führt. Einzig Spanien besitzt neben dem weltlichen Theater ein religiöses Drama, dessen Entwicklung in England durch die Reformation unterbrochen worden war. In Spanien hingegen gelangt das mittelalterliche religiöse Theater zu seinem Höhepunkt. Dabei geht Schack davon aus, daß der Geist und die Form des Dramas »auf's strengste« von der Geschichte und dem Charakter eines Volkes bestimmt werden. Wenn die Spanier eines der »edelsten Völker der Welt« sind, dann muß auch ihr Theater von höchster Völlendung sein. Kunst und Literatur sind »treue Spiegelbilder des geistigen Gehalts einer Nation«. Schack baut auf Begriffen wie »Nationalgeschmack«, »Nationalgeist« und »Geist der Nation« auf. Er versucht zu zeigen, wie »das wahrhaft Große und Originelle in der Poesie nur auf dem Boden der Volkstümlichkeit gedeihen kann«. Volkstümlichkeit wird dabei im Sinne der Romantik als die allen gemeinsame Quelle des schaffenden Geistes verstanden. Ein echtes Nationalschauspiel, das den Deutschen fehlt, erwächst nur in der Übereinstimmung mit dem »innersten Kern der Nation« sowie aus dem Zusammenhang mit dem »volkspoetischen Sagenkreis« und der nationalen Geschichte. In der Bühnendichtung laufen daher alle Stadien des »Geisteslebens der Nation, wie in einem Brennpunkte«, zusammen. Ausgehend von Hypothesen, die auf den Determinismus Hippolyte Taines beruhen, wird die Geschichte der dramatischen Gattung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollkommen anders gedeutet. Julius Leopold Klein (1810-1876), ein Berliner Arzt und Theaterkritiker, seziert in seiner Geschichte des Dramas (13-bändig und unvollendet; der Spanien betreffende Teil erschien 1874) wie ein Anatom als »doctor analyticus« das spanische Theater. Der Vergleich des Höhepunkts (des Siglo de Oro) mit der Blüte, die im organologischen Denken der Romantiker die Entfaltung höchster Völlendung bedeutete, bekommt nun eine pejorative Wendung: gibt es doch Pflanzen, die sogar in »todten Wüsten« Blüten treiben können. Indem der Kritiker die Formen der Landschaft sowie die Besonderheiten des Klimas und der Rasse in seine Überlegungen einbezieht, erschließt sich ihm ein »geistiges Charakterbild« des Spaniers. So entspricht beispielsweise die kastilische Meseta genau den stilistischen Merkmalen der spanischen Sprache (»der gedankenkahlen Erhabenheit des Bilderschwulstes«). Lag für Friedrich Schlegel die Qualität der kastilischen Poesie darin begründet, daß sie mehr von »Edlen und Ritter als von Gelehrten und bloßen Künstlern« gemacht wurde, also dem Ideal der »armas y letras« entsprach, so sieht Klein darin geradezu ihr Kernübel. Im Gegensatz zu den Franzosen, die mit der »noch lebensvollen Triebkraft der mittleren und unteren Stände eines umschwungfähigen Volkes [...] das verweste Adels- und Dynastentum« abgestoßen hätten, sei in Spanien die dichterische Schöpfungskraft weiterhin das Vorrecht des feudalen Standes geblieben, dessen kriegerische und politische Energie ebenso wie sein Kunstgenie verfallen sei. Inquisition und Habsburgerherrschaft erstickten jeden Erneuerungsversuch. Spanien ist ein erschöpftes, geistessieches Volk, eine sterbende Nation mit verdorrtem Nationalgeist und faulendem Nationalstamm. Nach dem Urteil Kleins ist die Kunst Calderöns nichts als »ulcerose Poesie« und das Ergebnis geschichtlicher und biologischer Dekadenz. Jene Mischung, die für Schlegel noch das Zeichen besonderer Lebenskraft darstellte, gilt nun als Ausdruck der Minderwertigkeit: das »Drama des celtoromanischen, arabisch-westgotischen Geistes« sei dem »Drama eines Nationalgeistes von

469 reinerer germanischer Mischung und tieferer Idealität« (wie sie etwa Shakespeare verkörpere), unterlegen. Das ist die deterministische »Culturformel«, die Klein propagierte. Adolf Schaeffer versuchte schließlich nach zehnjährigen Vorarbeiten mit der 1890 erschienenen Geschichte des spanischen Nationaldramas ein Nachschlagewerk sowohl für den Fachmann als auch für gebildete Leser zu schaffen mit dem Ziel, Orientierung im »poetischen Labyrinth der altspanischen Comödie« und »von der Sternwarte künstlerischer Beurteilung aus« zu geben. Die spanische Literatur, die in der Romantik und während der Restaurationszeit als großartiger Ausdruck des spanischen Wesens gesehen worden war, erschien in der Kulturgeschichte der Wilhelminischen Ära in einem wesentlich ungünstigeren Licht. Schon Theodor Mündt sah Spanien nach »mittelalterlichem Lebensglanz« 1853 in fortschreitendem Verfall begriffen, und er sprach ihm jede Bedeutung als »Nation der neueren Geschichte« ab. Entsprechend fehle Spanien auch die Basis für eine echte Nationalliteratur. Die Spanier seien demzufolge als »ein durch ein Erdbeben geistig verschüttetes Volk« anzusehen. Sie lebten auf einer Stufe »barbarischer Natürlichkeit« in völlig aufgelöster Nationalität. Auch Gustav Diercks betrachtete Die schöne Literatur der Spanier (1881) unter der Perspektive des Verfalls. Idealistische Positionen der Vergangenheit verkehren sich jetzt ins Gegenteil. Schack hatte die Entwicklung der literarischen Gattungen jeweils als fortschreitende Vervollkommnung aufgefaßt. Diercks hingegen vertritt die Meinung, daß nach der Erschöpfung von Epik und lyrischer Dichtung und wegen der Vorherrschaft der jesuitischen Dialektik, Scholastik und Kasuistik einzig das Theater (also jene Gattung, die so eng mit der Geschichte, den Konventionen und der Gesellschaft verbunden ist) als Freiraum für die Kräfte der Phantasie übrig bleibt. In Übereinstimmung mit dem seelischen Typus des spanischen Volkes habe sich der Zeitgeist in die Ausformung des Theaters verlegt. Diercks bedient sich dabei auch biologischer und rassentheoretischer Argumente. Der Natur der Spanier liege eine Rassenmischung zugrunde: »nordische Kraft, südliches Feuer« sieht er als tragende Elemente des spanischen Wesens. Dabei garantiert für Diercks der im Norden des Landes vorherrschende germanische Geist, daß Geschichte und Literatur Spaniens dennoch mit einer gewissen Sympathie und positiven Einschätzung rechnen können. So verheißungsvoll das 19. Jahrhundert für die Literargeschichte begonnen hatte, so enttäuschend war sein Ende. Parteilichkeit und Beschränktheit der Perspektiven, die schon Bouterwek bekämpft hatte, und die die objektive positivistische Wissenschaft eliminiert zu haben glaubte, gewannen die Oberhand. Während des gesamten 19. Jahrhunderts wurde die deutsche Hinwendung zur spanischen Kultur von politisch-doktrinär geleiteter Hispanophilie oder Hispanophobie begleitet. Als 1808 die Truppen Napoleons in Spanien einmarschierten, fand der Unabhängigkeitskrieg des spanischen Volkes ein lebhaftes Echo in den deutschen Landen und fachte die dort latent vorhandenen patriotisch-nationalistischen und antifranzösischen Tendenzen an. Begebenheiten aus dem Widerstandskampf gegen die französischen Invasoren regten Romane und Erzählungen an (so trägt ein 1809 veröffentlichtes Buch von C.G. Cramer den bedeutungsvollen Titel Anekdoten, Schreckenscenen und edle Charakterzüge aus der spanischen Insurrection). Den französischen »Kannibalen« stellte man die »edlen« Anführer des»Guerillakampfes« gegenüber, die den Tod und den Feind des Vaterlandes verachteten. In den zwei folgenden Jahrzehnten erschien in Deutschland eine Fülle von Kriegserinnerungen, Tagebüchern, Reiseberichten, Augenzeugenberichten deut-

470 scher Spanienkämpfer und Kommentaren zur Verfassung von Cádiz. Bekanntlich ist es immer die Aktualität der Ereignisse, die das Interesse des breiten Publikums hervorruft. So stellte Ignaz Aurelius Feßler Die alten und die neuen Spanier (1809-1810) in einer Art >Völkerspiegel< vor. In der Belletristik herrschte bereits ein Phantasie-Spanien vor, dem nun die in heroischer Weise verherrlichte Vorstellung eines »mythischen Volkes« (der Ausdruck findet sich 1842 bei Henrik Steffens) hinzugefügt wird. Für Steffens war der Aufstand der Spanier gegen die französischen Besatzer Ausdruck des Volkswillens, der sich gegen die brutale Gewalt eines kulturlosen Volkes (Frankreich!) zur Wehr setzte, das in seiner Voreingenommenheit keinerlei Vorstellung vom Wert jener Schätze hatte, die es auf dem Boden Spaniens zerstörte. Waren die Spanier in den Augen einiger Enzyklopädisten ein Volk von Pygmäen, so begegnete man ihnen nun mit Respekt. Dieser Wandel blieb - etwa in der Geschichtsschreibung - nicht ohne Folgen für die Spanien gewidmeten Untersuchungen. Friedrich Wilhelm Schubert steuerte zum Handbuch der Allgemeinen Staatenkunde von Europa einen Band über Die Reiche Spanien und Portugal (1836) bei, der zum Besten gehört, was die deutsche Geschichtswissenschaft im gesamten 19. Jahrhundert über Spanien hervorgebracht hat. Um die Mitte des Jahrhunderts gewinnt die Vorstellung, daß Spanien als Vorbild für die moralisch-geistige Erneuerung dienen solle, innerhalb katholischer und konservativer Kreise stark an Bedeutung. Spanien, jene »Oase in der Wüstenei Europas«, erteilte dem Rest Europas eine Lektion, weil es von den Entwicklungen der modernen Zeiten unberührt geblieben war und sich so vor deren Irrtümern hatte bewahren können. In seinen Betrachtungen Spanisches für die gebildete Welt (1853) erklärte Alban Stolz den katholisch-christlichen Geist zum idealen Maß für Spanien ebenso wie für das übrige Europa. Die deutschen Christen sollten sich an Spanien ein Beispiel nehmen. Die Bedrohung des Glaubens gehe von Frankreich aus. Entsprechend sieht Pius Bonifaz Gams, der Verfasser einer umfangreichen Kirchengeschichte von Spanien (1862-1879), die Spanier als »natürliche Bundesgenossen gegen das voltairische, gegen das demokratische und imperialistische Frankreich«. Andererseits finden sich solche antifranzösischen Losungen auch in liberalen Kreisen. Seit der Mitte des Jahrhunderts verbreitet das Regensburger Verlagshaus G. J. Manz in hohen Auflagen die Schriften der spanischen Mystik und Asketik, Lebensbeschreibungen spanischer Heiligen sowie die Werke von Balmes, Donoso Cortés und Calderón in deutscher Sprache: als Gegenmittel gegen den von der neuen positivistischen Wissenschaft und Frankreich geprägten säkularisierten Geist. Spanien, das so lange Zeit abseits gestanden hatte, wird nun auf dem politischen und geistigen Feld zum Nachbarn und Brudervolk. Während des Kulturkampfes wird eine andere Sicht auf Spanien vorherrschen. Ein deutscher Reisender, der in den Jahren 1871 und 1872 Spanien mit dem Zug bereiste, zögerte nicht, als besten Weg zum Kennenlernen des Landes die Lektüre des Romans Gil Blas von Alain-René Lesage zu empfehlen, der bereits 1715-1724 erschienen war. 30 Jahre vorher verherrlichte man die gesunde Stärke der Spanier, nun beklagt man, der Katholizismus habe die Geisteskräfte des spanischen Volkes ausgehöhlt. Friedrich von Wolzogen, der sich zugute hielt, ein »in Culturländern großgezogener Europäer« zu sein, versprach sich von Spanien nichts: »Ist Spanien ein schlafender Löwe, oder ein im Marasmus verfaulender Greis?« Während einer Reise durch Spanien wähnte sich der Historiograph des preußischenStaates Heinrich von Treitschke 1886 in einem »Land der Todten [sie]«, und er war froh, wieder in die protestantische Welt zurückzukehren. Vergleichbare Einschätzungen finden sich häufig

471 in den im ausgehenden 19. Jahrhundert populären Kulturgeschichten. Für Gustav Diercks ist das moderne Geistesleben Spaniens kulturfeindlich. Noch immer bleibt die Inquisition eines der Reizthemen der Zeit. Neben Büchern über die Lage der Kirche in Spanien (wie die Studie von Carl Joseph von Hefele über Kardinal Cisneros, die 1844 erschien und ein lebhaftes internationales Echo fand) werden grundlegende Arbeiten über die Geschichte der spanischen Protestanten veröffentlicht (beispielsweise Cornelius A. Wilkens [1888] und Ernst H. Schaefer [1902]). Die ersten Untersuchungen dieser Art sind die Eduard Boehmers, der nach seiner Tätigkeit als Dozent für protestantische Theologie ab 1868 einen Lehrstuhl für Romanische Philologie in Bonn innehatte und die Bibliotheca Wiffeniana herausgab, die Texten der spanischen Reformatoren des 16. Jahrhunderts gewidmet war. In einer Zeit voller kolonialistischer Ansprüche und der entsprechenden Machtrivalitäten widmen sich die deutschen Historiker dem Aufstieg und Fall des spanischen Weltreichs, wobei Wirtschaft und Handel im Vordergrund des Interesses stehen. Die zahlreichen Reiseberichte aus Spanien liefern anschauliche Belege für die Zwiespältigkeit und Einseitigkeit, die das Spanienbild während des 19. Jahrhunderts kennzeichnen. Ihre Informationen über das Land, seine Literatur und Geschichte sind eine Art Barometer, an dem man neben dem Grad des Interesses für Spanien auch den der Abneigung ablesen kann. Zugleich wird die Reise aber erneut zu einem wertvollen Instrument der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Iberischen Halbinsel. So verfasst der Bonner Professor Philipp Joseph Rehfues ein Werk mit dem Titel Spanien nach eigener Ansicht im Jahre 1808 und nach unbekannten Quellen bis auf die neuste Zeit (1813), das eine Teilübersetzung der Cartas marruecas von Cadalso enthält. Der Heidelberger Historiker Wilhelm Wattenbach veröffentlicht Fernreise nach Spanien und Portugal (1869), einen Reiseführer für den gebildeten Reisenden. Als Beispiel für den beginnenden deutsch-spanischen Austausch erwähnt er Julián Sanz del Río, der in Heidelberg studierte. Kunsthistoriker, Nationalökonomen und Wissenschaftler wie beispielsweise der Mineraloge Link oder der Geograph Moritz Willkomm lassen in ihre Beschreibungen wertvolle Informationen über das Land eingehen. Carl Justi (1832-1912) bereiste Spanien nicht nur mehrfach, sondern lebte dort während der vorbereitenden Studien für sein Buch Diego Velázquez und sein Jahrhundert (1888), eine umfassendeDarstellung der spanischen Kultur des Goldenen Zeitalters. In diesem Werk zieht er überraschende Parallelen zwischen Cervantes und Velázquez, zwischen Malerei und Literatur im Sinne der späteren Formel von der wechselseitigen Erhellung der KünsteIn Ihnen begegnet sich das Abendlanddas weitmaschige Wort Kulturkunde< «, in: Lendemains 21, Nr. 8184(1996), S. 116-126. Lejeune, Fritz: »Was sind uns die spanisch-redenden Länder nach dem Kriege?«, in: Zeitschrift für französischen und englischen Unterricht 18 (1919), S. 224-227. Lerch, Eugen: »Die Bedeutung der spanischen Studien«, in: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 2 (1926), S. 316-347. Nerlich, Michael: »Victor Klemperer, Romanist, oder: von Spielhagen zu Montesquieu und Voltaire«, in: Frank Fürbeth u.a. (Hrsg.): Zur Geschichte und Problematik der Nationalphilologien in Europa, Tübingen 1999, S. 771-786. - »Zu Viktor Klemperers So sitze ich denn zwischen allen Stühlen, oder wie uns Frankreich abhanden kam«, in: Lendemains 24, Nr. 95-96 (1999), S. 128-139. Neuschäfer, Hans-Jörg: »Klemperers Spanienreise. Zum Tagebuch von 1926 - oder: Über die Relativität kultureller Erfahrung«, in: Rodiek, Christoph (Hrsg.): Spanien und Dresden, Frankfurt 2000, S. 147-158. Pfandl, Ludwig: Spanische Literaturgeschichte, Bd. 1: Mittelalter und Renaissance, Leipzig 1923. - Spanische Kultur und Sitte des 16. und 17. Jahrhunderts, Kempten 1924. - Geschichte der spanischen Nationalliteratur in ihrer Blütezeit, Freiburg 1929. Pöppinghaus, Ernst Wolfgang: »Moralische Eroberungen«? Kultur und Politik in den deutsch-spanischen Beziehungen der Jahre 1919 bis 1933, Frankfurt 1999. Sepasgosarian, Ramin Alexander: Eine ungetrübte Freundschaft? Deutschland und Spanien 1918-1933, Saarbrücken 1993. Settekorn, Wolfgang: »Die Hamburger Schule. Wissenschaftliche und ideologische Implikationen«, in: Klaus Beitl, Isac Chiva (Hrsg.): Wörter und Sachen, Österreichische und deutsche Beiträge zur Ethnographie und Dialektologie Frankreichs, Wien 1992, S. 139-166. Settekorn, Wolfgang/Lütjen, Hans-Peter: »Der Fremde als Feind? Zur Rolle der Fremdsprachenphilologie zwischen 1900 und 1933«, in: 1933 in Gesellschaft und Wissenschaft, Teil 2: Wissenschaft, Hamburg 1984, S. 43-72. Vossler, Karl: »Vom Bildungswert der romanischen Sprachen«, in: Die Neueren Sprachen 30 (1922), S. 226-234.

488 - »Die Bedeutung der spanischen Kultur für Europa«, in: Deutsche Vierteljahrschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 8 (1930), S. 33-60; S. 4 0 2 ^ 1 7 . Wacker, Gertrud: Kulturkunde im spanischen Unterricht, Leipzig/Berlin 1926. Wantoch, Hans: Spanien. Das Land ohne Renaissance. Eine kulturpolitische Studie, München 1927. Erstveröffentlichung unter dem Titel »El auge del hispanismo alemán (1918-1933)«, in: Las influencias de las culturas académicas alemana y española desde 1898 hasta 1936. Hrsg. Jaime de Salas/Dietrich Briesemeister, Frankfurt am Main/Madrid: Vervuert/Iberoamericana 2000, S. 267-286. [Deutsche Fassung von Gerhard Poppenberg, Heidelberg]

Victor Klemperer, Spanien und die Renaissance

In der Geschichtsschreibung, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft kam es in Deutschland kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu heftigen fachlichen Auseinandersetzungen um die Bestimmung der Renaissance, nachdem Jacob Burckhardt mit seinem Meisterwerk Die Cultur der Renaissance in Italien 1859 den Anstoß zu einer neuen kulturhistorischen Sichtweise gegeben hatte. Der wissenschaftliche Streit um die Epochenabgrenzung von Mittelalter und Neuzeit, um Stilbegriffe und Forschungsmethoden, um Kultur- und Geistesgeschichte löste eine Grundsatzdebatte mit kulturkämpferischen Zügen über (protestantische) Reformation und (gegenreformatorisch-katholischen) Barock aus. Heinrich Wölfflins Buch Renaissance und Barock. Eine Untersuchung über Wesen und Entstehung des Barockstils in Italien (1888) bereitete den Weg für die ebenfalls um die Weltkriegszeit entfachte Diskussion über Manierismus und Barock in Kunst und Literatur, als Wölfflins Kunstgeschichtliche Grundbegriffe (1915) auch in die Literaturwissenschaft Eingang fanden. Bei der Beschäftigung mit Renaissance und Humanismus, Reformation und Barock stand vor allem Deutschlands »Eigenrenaissance« (Heinz Otto Burger) und Sonderstellung im Verhältnis zu Italien im Vordergrund. Als in der Weimarer Zeit das Spanieninteresse merklich erstarkte, wurden die Epochenkonzepte ebenfalls auf die spanische Kunst und Literatur angewandt, und zwar immer sowohl mit dem Blick auf Italien als auch im Vergleich mit Humanismus und Reformation in Deutschland. Otto Schubert brachte schon 1908 eine Geschichte des Barock in Spanien heraus. Der Darstellung der deutschen Barockdichtung von Herbert Cysarz (1924) entsprach kurz danach Helmut Hatzfelds Neuansatz zur Beschäftigung mit der spanischen Literatur des Barock, dem »Jesuitenbarock«, im Zeichen des methodischen Programms der wechselseitigen Erhellung der Künste. Georg Weise begann 1924 mit seinen grundlegenden Forschungen zur Kunst der Renaissance in Spanien. Jacob Burckhardt hatte ausdrücklich darauf verzichtet, in seine Studien zur Renaissancekultur das riesige Gebiet der Kunst einzubeziehen. Ludwig Pfandl betrachtete 1923 die spanische Literaturgeschichte unter dem im 19. Jahrhundert geprägten Begriff der Nationalliteratur und bezeichnete den Humanismus und die erasmianische »Reformation« (!) als die beiden Formen, in denen die Renaissance in Spanien in anderer Weise als in Italien wirksam wurde.1 Zur gleichen Zeit, als Marcel Bataillon mit seinen Untersuchungen über den Erasmismus auf der Iberischen Halbinsel begann, stilisierte Pfandl mit schillernden Ausdrücken Erasmus zum Vater der spanischen - und von der lutherischen völlig verschiedenen - »Reformation« empor. Die spanische Renaissance entstamme somit dem germanischen Norden, und Erasmus sei ihr Führer geworden, als sich die unter den Katholischen Königen sprachlich und politisch geeinte sowie religiös gefestigte Nation anschickte, den »Höhepunkt ihrer völkischen Entwicklung zu erklimmen«. Im Unterschied zu Deutschland, wo die Reformation Schaden gestiftet sowie Spaltung und Krieg hervorgerufen habe, wirkte sich die Reformation des mit Spanien sozusagen wesensverwandten Erasmus dort segensreich aus. Daher habe sich Spanien auch wenig empfänglich für die italienische Renaissance gezeigt. Italien habe sich in einem anderen Entwicklungsstadium befunden, als die »Revolution« der Renais1

Spanische Literaturgeschichte,

Bd. 1, Leipzig: Teubner 1923, S. 52.

490 sance die geistigen Grundlagen einer ausgeprägt mittelalterlichen Gesellschaft erschütterte. Im Gegensatz zu dieser forciert konfessionellen Auffassung hatte Heinrich Morf Spanien (und Portugal) bereits 1909 eine »eigentliche Renaissance« abgesprochen und der Neuzeit ein frühgeschichtliches, mythisches Iberien als Bewahrer und Bollwerk des ungebrochenen Mittelalters gegenübergestellt.2 Wie nicht anders zu erwarten, steht die Hinwendung zur Renaissance und zum Barock in Spanien im Zeichen jener widerstreitenden Deutungen, die in der Germanistik diskutiert wurden. Konrad Burdach zog 1918 in seiner Abhandlung über Reformation, Renaissance, Humanismus eine erste Bilanz dieser Debatten. Victor Klemperer, Schüler von Karl Voßler und seit 1920 Ordinarius für Romanische Philologie an der Technischen Hochschule in Dresden, griff 1927 mit einem Aufsatz, der schon im Titel zu erkennen gibt, daß er die Existenz einer spanischen Renaissance in Frage stellt (entsprechend jener anderen Streitfrage »Gibt es eine spanische Philosophie?«), in die aktuellen Auseinandersetzungen ein. Wissenschaftsgeschichtlich ist Klemperers Stellung sehr aufschlußreich. Sie läßt sich zudem anhand der Tagebucheintragungen auch in ihren persönlichen Hintergründen auf einzigartige Weise beleuchten.3 Klemperer, der bei Karl Voßler mit einer Arbeit über Montesquieu 1914/1915 in München habilitiert wurde und sich auch später vorwiegend der französischen Literatur des 18. Jahrhunderts widmete, konvertierte 1903 vom Judentum zum Protestantismus und nahm als Freiwilliger am Weltkrieg teil. Die Dresdener Professur nannte er sein Zaunkönigtum (Tgb. 2, 276). Vergeblich erstrebte er in den zwanziger Jahren den Ruf an eine andere Universität und auf einen angeseheneren Lehrstuhl, der ihm jedoch wegen seiner jüdischen Herkunft bis zur Amtsenthebung 1937 versagt blieb. Der Romanist bereiste Spanien zu einem Zeitpunkt, als die deutsche Spanienforschung breitgefächert in Archäologie, Buchwesen, Geschichte, Kunst, Sprach- und Literaturwissenschaft, Katalanistik, Rechtsgeschichte und Volkskunde nach Kriegsende einen raschen Aufschwung erfuhr, der unter dem Eindruck der Niederlage, des »Versailler Diktats« und der »Konservativen Revolution« stand. Diese Konstellation irritierte Klemperer zutiefst. Sie belastete sowohl seinen Annäherungsversuch an Spanien als auch sein Spanienverständnis aufs äußerste und mag teilweise die Schroffheit seiner Stellungnahme gegen die Renaissance erklären. Ihm ging allerdings auch der Ruf voraus, Freude am »Staubaufwirbeln«, am »Sensationellen«, am »Journalismus« zu haben, wie er in einem Brief an Voßler vom 10. August 1923 beklagte:4 »Was ich schreibe, wird bekämpft und bekrittelt. Aber es wirkt«, vertraute er dem Tagebuch an (2, 275) und fühlte sich allen seinen Fachkollegen überlegen.5

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Die Kultur der Gegenwart, Leipzig: Teubner 1909, Teil I, Abt. X; 1, S. 220. Klemperer, Victor: Leben sammeln, nicht fragen wozu und warum. Tagebücher 1918 bis 1932. Hrsg. Walter Nowojski und Christian Löser. 2 Bände, Berlin: Aufbau Verlag 1996. - Zitate nach dieser Ausgabe, abgekürzt: Tgb. Zitiert bei Neriich, Michael (Hrsg.): Victor Klemperer - Romanist. Dossier [= Lendemains 21, Nr. 82-83 (1996)], S. 64. Leo Spitzer erscheint ihm wie ein Kapellmeister und Prager Jude (Tgb. 2, 415), Gerhard Rohlfs mit seinem blauäugigen Herrenmenschentum (388) sieht aus wie ein Stahlhelmführer. Voßler hat im Äußeren etwas von einem nicht gutmütigen Waldaffen (438), und sein Erzrivale Ernst Robert Curtius gilt ihm gar als »schlimmster Schädling« auf romanistischem Gebiet.

491 Im Spätsommer 1925 hatten Eva und Victor Klemperer eine Südamerikareise unternommen, gleichsam »eine gute, wenn auch seltsame Vorbereitung« und Einstimmung für die iberische Welt. Die flüchtigen Eindrücke aus Brasilien und Argentinien waren recht zwiespältig.6 Nicht weniger zwiespältig verlief auch die nächste gemeinsame Unternehmung der zehn wöchigen Spanienrundreise im Frühjahr 1926, die nicht nur zur Unzeit angetreten wurde, wie Klemperer am Schluß enttäuscht feststellten musste,7 sondern zugleich unter einem bedrückenden Erfolgszwang stand: »Auch [Eugen] Lerch ist in Spanien gewesen und hat in Madrid [Friedrich] Schürr und [Alfons] Hilka getroffen. Die ganze romanistische und gebildete Welt in Spanien. Das kommt gleich nach Mah-Jong und Kreuzworträtsel«, kommentierte Klemperer abwehrend-spöttisch den gelehrten Spanientourismus und die modische Spanienbegeisterung (Tgb. 2, 56) unter Hinweis auf zwei beliebte Spielarten des Zeitvertreibs. Auch Voßler, dem Spanien früher eher unsympathisch gewesen sein soll, schwärmte plötzlich für Spanien. Klemperer fuhr nicht aus Neugier und eigenem Antrieb, sondern aus beruflichen Erwägungen nach Spanien, um die »spanische Rolle«, die man von ihm erwartete und in die er sich pflichtgemäß hineinzwängte, an der Dresdener Hochschule aufrechterhalten zu können (Tgb. 2, 236). Dazu gehörte vor allem die Aufbesserung der dürftigen Spanischkenntnisse. Das »ungemein ernst« genommene und genau geführte (2, 258) Tagebuch verrät mit erschütternder Deutlichkeit Klemperers Ringen um Spanien, mit der Sprache, mit seinen ganz persönlichen Abneigungen, Stimmungen, Vorurteilen, Gedankenverbindungen und den widrigen Umständen des Alltags, wie der »Ölpestilenz« der spanischen Küche, den Flöhen im Bett, dem schwankenden Gesundheitszustand der Frau, den Sprachschwierigkeiten, der rückständigen Lebensweise. Die Inbesitznahme - eine verräterische Metapher für das Verhältnis zu den cosas de España! - mißlang, so daß Spanien für ihn schlechthin zur Chiffre des Scheiterns wurde und sich der Gedanke festsetzte, daß die Geldausgabe für die Reise hätte besser zum Hauskauf in Dresden angelegt werden können und daß der Zeitaufwand für Spanien zu Lasten der französischen Studien geht. »Die ganze Reise ist eine Heuchelei.« (Tgb. 2, 217; 232).Wieder ist die doppeldeutige bildliche Ausdrucksweise verräterisch: »Unsere spanische Strecke [Jagdbeute/Reiseroute], unsere spanische Passion [Leiden/Leidenschaft], unser spanischer Rosenkranz [litaneiartige Wiederholung/ Perlenkette]. Zwanzig Städte!« (Tgb. 2, 264), ohne das Gefühl innerer Bereicherung. Klemperers Reise stand unter einem doppelten Widerspruch. Zum einen ist es die »spanische Lüge« (Tgb. 2, 216) - le mensonge espagnol - , die »Heuchelei« der ganzen Unternehmung, zum anderen kam Klemperer mit festen Vorstellungen, Vor-Urteilen und mit starken inneren Vorbehalten, ja geradezu mit einer Verweigerungshaltung nach Spanien. Er fühlte sich hier als Dilettant, die wahren Neigungen galten Frankreich und der französischen Literatur, seinem französischen Lebenswerk. So verstärken sich Antipathie gegen Spanien, Desillusion, Selbstzweifel und depressive Gefühle gegenseitig. Klemperer trug das quälende Gefühl mit sich, die »spanische Partie« verloren zu haben (2, 235) und fühlte sich »spanienmüde usque ad mortem« (2, 244). Er gestand sich tief enttäuscht das Versagen im Spani-

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»Mir mißfällt Argentinien noch wesentlich mehr als Brasilien. Denn in Brasilien scheint mir doch alles harmloser zu sein« (Tgb. 2, 117). »Spanien, das mir keine Freunde und viel Bitterkeit brachte« (Tgb. 2, 312).

492 sehen ein8 und betrachtete daher auch die demütigende Erfolglosigkeit seiner Bemühungen um eine Wegberufung vom ungeliebten Dresdener Lehrstuhl als verdient. Der Titel eines Aufsatzes von 1921 »Zwischen Deutschland und Spanien« kennzeichnet den inneren Zwiespalt, der noch verstärkt wurde, als sein Lehrer Karl Voßler auf dem Neuphilologentag 1922 Bestrebungen unterstützte, den Spanischunterricht zu Lasten des Französischen an den höheren Schulen auszuweiten, auch wenn er gleichzeitig davor warnte, das Spanische nur als Handelssprache zu betrachten, zu »amerikanisieren« - im Blick auf die Wirtschaftsbeziehungen mit Hispanoamerika - und dabei jene »Bildungswerte« zu vergessen, die der Sprache schon aus der Zeit der »Renaissance und der Reformation« eignen, als Spanien »die strenge Zucht, den Gehorsam und die Unterordnung in Europa vertrat«. Besorgt wandte sich Klemperer gegen die drohende Verdrängung des Französischen durch das Spanische: »Man lobt Spanisches, um implicite Französisches herabzuwürdigen.« (Tgb. 2, 200). Überaus sensibel spürte Klemperer den Zeitgeist, die Aversionen gegenüber Frankreich, die auch in der Romanistik der Nachkriegszeit durchschlugen und sah das (oder sein) Verhältnis von Deutschland zu Spanien im Zeichen der alten Spannungen in den Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich, dem Erbfeind. Daher warnte er beschwörend: »Nur keine Hymnen auf Spanien [zu] singen, weil man von Frankreich nichts mehr wissen will«.9 Der andere Konflikt ist dadurch gekennzeichnet, daß Klemperer mit der dezidierten Vorstellung nach Spanien kam, das Land sei im Grunde uneuropäisch, eine Annahme, aus der er auch seine These von der »Renaissancelosigkeit« Spaniens entwickeln sollte. An so alltäglichen Zwischenfällen wie etwa dem, daß für einen bestimmten Zug keine Fahrkarten mehr erhältlich waren, bestätigte sich für Klemperer, »daß man in Spanien und nicht in Europa ist« (Tgb. 2, 203), obgleich er gar keine außereuropäische Erfahrung neben der Schiffsreise nach Südamerika besaß. Spanien habe nur einen »aller-leichtesten Europa-Anstrich« (2, 215). Noch verhängnisvoller wirkt sich Klemperers vorgefaßte Meinung aus, daß Spanien zutiefst afrikanisch geprägt sei, eine Auffassung, die sich aus überkommenen antispanischen Ressentiments speist und der allerdings auch ein schiefes und undifferenziertes Afrikabild zugrunde liegt. Gleich bei der Ankunft in Málaga notierte Klemperer am 14. April 1926 in rein rhetorisch-paradoxaler Hypothese: »Wenn ich in Afrika reise, so weiß ich, dies ist eine Expedition ins >Eingeborene< und bin für eine Expedition ausgerüstet. Wenn ich aber in Spanien reise, so glaube ich, eine Reise innerhalb Europas zu machen und bin im Afrikanischen verloren. Wie einer, der mit Salonstiefeln und im Gesellschaftsanzug eine Hochgebirgstour unternimmt. Und auch der spanischen Literatur gegenüber gibt es bei uns die spanische Lüge« (Tgb. 2, 216). Gerade der oberflächliche Europa-Anstrich lasse erst recht »den tiefen Orient erkennen«: Afrika und Orient werden offensichtlich von Klemperer als gleichbedeutend exotisch verstanden. Südspanien, der Besuch der Moschee in Córdoba, lehrten Klemperer auch, »daß spanische Kultur arabische Kultur ist, die zertrümmert wurde vom Katholizismus« (2, 221). Hinzu kommt der Eindruck der »ungeheuren Verfallenheit« Spaniens, eines dekadenten Spanien, »das nie wieder auferstehn kann« (2, 243), vermerkt er, wäh-

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»Ich bin ja kein Philologe, mir fehlen Kenntnisse, die ein tüchtiger älterer Student besitzt« (Tgb. 2, 231). »Die Weltstellung der spanischen Sprache und Literatur«, in: Romanische Sonderart, S. 402-411, hier S. 411.

493 rend Ortega y Gasset gleichzeitig die España invertebrada sezierte, die Europäisierung Spaniens propagierte und der junge Werner Krauss, von Spaniens Erneuerung fasziniert, 1925 die Anthologie mit dem Titel Das junge Spanien zusammenstellte. Einerseits vermeinte Klemperer über Spanien Bescheid zu wissen, für ihn ist es ein afrikanisches Land, ein »Land der Toten«, wie schon Heinrich von Treitschke urteilte. Das Fazit am Ende der Reise (26.5.1926) lautet: »Meine innersten dominierenden Eindrücke: das tote Spanien und die spanische Lüge« (2, 268). Toledo, steht als Inbegriff für Verfall, Alpdruck und Tod (Tgb. 2, 243), Madrid ist die »kahlste, nichtssagendste Stadt«, der er je begegnete (2, 224), Sevilla vermag ihm nichts zu bieten. So bleibt von Spanien nicht viel übrig, das es Klemperer angetan hätte. Andererseits erfuhr er Spanien als Rätsel (Tgb. 2, 256) und seufzte: »Wer wird aus Spanien klug?« (2, 239), und zwar keineswegs nur im Hinblick auf die politischen Zustände unter der Diktatur Primo de Riveras, sondern zugleich angesichts der Kultur, Geschichte, Literatur. »Jetzt muß Spanien zu Ende studiert und gelitten werden« (Tgb. 2, 240). Durchleben und durchleiden bezeichnen die verkrampfte Anstrengung und das Gefühl der Befremdung (oder Entfremdung) durch die »spanische Passion« bei der quijotesken Suche nach der »espagnolidad« (sie), nach einem Volksgeist, den Klemperer zwar im Grunde ablehnte, den er aber benötigte, um im Widerspruch sein Bild von Land und Leuten fassen zu können. Seltsamerweise mokierte er sich gerade über diese landläufigen Vorstellungen von Spanien, wie sie Reiseberichte und -führer verbreiten, so daß er sogar eine imagologische Studie plante »Was sieht der deutsche Reisende in Spanien und wonach urteilt er?« (Tgb. 2, 203), ohne auch nur im geringsten den eigenen Standpunkt kritisch zu überdenken angesichts der bei anderen festgestellten Verständnislosigkeit, Unkenntnis, Abneigung oder überschwänglichen Begeisterung, zumal Klemperer selbst »das Irrtümliche des Bildes, das wir uns vom südlichen Spanien machen« (Tgb. 2, 242) im Gegensatz zu anderen Landesteilen erkannte und das, was er sieht, oft unvermittelt an Deutschland mißt. Die Alhambra beispielsweise beeindruckte ihn nur wenig: »für Afrikaner muß das eine Herrlichkeit sein, aber wir haben es im Harz und in 100 anderen Orten Deutschlands ebenso schön und 100 mal schöner, und müssen hier unsere Begeisterung künstlich aufbringen« (Tgb. 2, 220). In Zaragoza dachte er an Dresden (2, 258) zurück und gewann erstmals von Spanien einen »romantischen« Eindruck (!). Auf dem Montserrat fiel ihm beim Spaziergang eine »frappante Ähnlichkeit mit der Sächsischen Schweiz« auf (Tgb. 2, 263), und ausgerechnet in Irán suchte er die »Espagnolidad« (2, 252) aus der ohnehin gebrochenen literarischen Vermittlung und Erinnerung des Victor Hugo. Beim Hören spanischer Musik stellte sich sofort die Assoziation »Es ist Arabien« (2, 218) ein, »durch eine Welt von Europa geschieden«. Auch für Curtius ist übrigens Spanien »geographisch und geistig das exzentrische Land«.10 In Klemperers geradezu obsessiv wiederholter Empfindung der »spanischen Lüge«, der spanischen Illusion (Tgb. 2, 236) lassen sich mehrere Schichten ausmachen. Zunächst ist damit das Verwirrspiel jener images et mirages gemeint, welche die geläufigen Vorstellungen von Spanien bestimmen. Die »Conservierung der spanischen Lüge« besteht darin, daß gemeinhin die Faszination des Südens verallgemeinert und diese Erfahrung auf Spanien ins-

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Curtius, Ernst Robert: Kritische Essays zur europäischen Literatur. Bern: Francke 1950, S. 267.

494 gesamt projiziert wird. Die große Enttäuschung kommt auf, wenn es nicht (mehr) dem Süden entspricht. Demgegenüber hielt es sich Klemperer zugute, noch ein anderes, Europa in gewisser Weise wieder näheres Spanien entdeckt zu haben: »Auch unter diesem geographischen Gesichtspunkt muß ich der spanischen Lüge zu Leibe gehen und hier mich - als ein Positivist wird Voßler sagen - auf Taine stützen« (2, 243), das heißt den Einfluß von Rasse, Milieu und Boden auf die geschichtliche und geistige Entwicklung berücksichtigen. Spanien und seine kulturelle Leistung mit europäischen Maßstäben zu messen, sei eine weitere verbreitete Täuschung. Spanien sei in Wirklichkeit ganz anders und seinem Wesen nach nicht europäisch und antimodern oder, mit anderen Worten, ein erstorbenes Land ohne Kraft der Erneuerung und von den europäischen Erneuerungsbewegungen der Renaissance, Reformation und Aufklärung abgekoppelt. Klemperers Spanienreise war eine fortschreitende Enttäuschung und gleichsam ein Prozeß der Aufklärung. Das »tote Spanien« und die Aufdekkung der Spanienstereotypen in der Selbstdeutung wie in der Fremdwahrnehmung gehören zueinander. Insbesondere die Widerlegung des Begriffs einer spanischen Renaissance sollte Klemperers Anliegen und Passion werden. »Le mensonge espagnol« hatte für Klemperer jedoch auch eine persönliche ethische und damit dramatische Implikation. Aus Rücksicht auf das an der Technischen Hochschule auszubauende Lehrprogramm, aber auch mit dem Blick auf Kollegen und Konkurrenten unternahm er einen verzweifelten Anlauf, sich Spanien zu nähern und in dem Maß, wie dies mißlang, eine spanische Als-Ob-Philologie zu betreiben, Spanieninteresse zu bekunden, um das Gesicht zu wahren und so wenigstens seiner »spanischen Rolle« in Dresden gerecht zu werden, ein Zwiespalt zwischen der Ehrlichkeit und Verantwortung des Wissenschaftlers, seiner eigentlichen Berufung zum Französischen und den Konventionen. »Es ist etwas in mir gegen Spanien verschlossen, und ich habe allen Mut verloren«, bekannte Klemperer in seiner Not (Tgb. 2, 236), ohne den Mut eines Erasmus, der offen kundtat »Non placet Hispania« und sich erst gar nicht nach Spanien locken ließ. Klemperer erwog sogar, wenn er daheim gefragt würde, zu lügen, er habe einen Stierkampf, den er ablehnt, in natura gesehen (Tgb. 2, 260). Entgegen seinem ansonsten befolgten Grundsatz, Spanien betont unkunstgeschichtlich zu sehen," fällt Klemperer beim Versuch, die »spanische Lüge« aufzudecken, bezeichnenderweise ein Gemäldegleichnis ein, das seinen Zustand der Täuschung und Enttäuschung illustriert: »Im Prado ist ein Bild: ein schwarzer und traurig gieriger Köter auf einer Brücke läßt ein Stück Fleisch um des Spiegelbildes willen ins Wasser fallen. So ist es mir mit meiner französischen Literaturgeschichte um der spanischen Illusion willen ergangen [...] Das Spanische ist mir nicht Besitz geworden« (2,236); es gefallt ihm nicht und entzieht sich ihm notwendigerweise. Mit der Renaissance-Studie verstößt er Spanien endgültig. Ähnlich frustrierend wie die Annäherung an Spaniens Kulturgeographie verlief die Beschäftigung mit Sprache und Literatur, die schon früh erkannte »dritte Ärgerquelle« (Tgb. 1, 495). Klemperer las spanische klassische Literatur in deutscher Übersetzung und dement-

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»Die Kunstgeschichte verdunkelt uns oder versperrt nur das spanische Wesen [...] und ich will Spanien unromantisch sehen« (Tgb. 2, 202). Dementsprechend empfahl Klemperer seinen Studenten, den frühen Besuch des Prado-Museums zu meiden. Um Grecos willen gingen viele Leute am eigentlichen Spanien vorüber. (Tgb. 2, 208)

495 sprechend auch nur gefiltert bzw. selektiv. Den pittoresken (statt pikaresken) Lazarillo-Roman konnte er ohne Wörterbuch und Übersetzungshilfe nicht im Original lesen. Calderóns Devoción de la Cruz erschien ihm in deutscher Fassung »ungeheuer interessant, kindlich, lebendig - aber kein europäisches, kein modernes Drama« (Tgb. 2, 184). Er kaufte sich die Geschichte der spanischen Literatur von Juan Hurtado und Angel González Palencia und ergänzte dieses Handbuch anhand des Zettelkatalogs der Biblioteca Menéndez Pelayo in Santander, um manches »sozusagen anzukochen«, - wiederum ein vielsagendes Bild für die Art der Vorbereitung und Stoffaneignung (Tgb. 2, 236) - und das erste spanische Literaturkolleg »aus dem Boden zu stampfen« (Tgb. 2, 184), der Sprache und Literatur »Herr zu werden« (2, 187). Klemperer, der sich etwa seit 1919 der spanischen Literatur zuwandte, führte immer wieder ungeduldig Klage über den schlechten Stand seiner Sprachbeherrschung. Daß er keine Fortschritte machte, lastete wie ein Alpdruck auf ihm.' 2 Er sehnte sich aus Spanien weg und fürchtete gleichzeitig die Rückkehr nach Dresden, zwang sich ins Spanische (Tgb. 2, 190), hatte viel Sorge damit (2, 217), litt unter dem Nichtspanischkönnen und der Erfolglosigkeit (2, 231) und quälte sich mit Selbstanklagen: »Ich habe nicht spanisch sprechen gelernt, ich bin nicht in die spanische Literatur eingedrungen, ich will mir wenigstens von der spanischen Eigenart, vom Land, von seiner Geschichte, von seinem Wesen Rechenschaft geben« (Tgb. 2, 241). Man ahnt, wie schwer ihm die Ausarbeitung der Literaturvorlesung gefallen sein muß in der begründeten Sorge, sie könnte zu »angstvoller Stümperei« (2, 217) geraten. Man muß sich auch fragen, wie Klemperer zu seinen Urteilen über die spanische Renaissanceliteratur gelangte, wenn ihm schon der Zugang zu den Texten bei den wenigen verfügbaren Übersetzungen so schwer fiel. Spanien blieb von Anbeginn seiner romanistischen Hochschullehrertätigkeit der dunkle Punkt (Tgb. 1, 673, 17. März 1923) und die »Ärgerquelle« (1, 495, 10. September 1921). Der erste Eindruck, den Klemperer, von Barcelona kommend, am 28. Mai 1926 in Genua nach dem Abschied von der spanischen Lüge und dem toten Spanien als Ertrag der Rundreise festhielt, ist der hymnische Jubel: »Hier lebt die Renaissance, hier ist sie rein, ohne afrikanische Beimischung, hier ist sie originell und üblich, nicht copierte Ausnahme. Man fühlt, man ist in Europa, hier ist das moderne Europa erschaffen worden. Italien ist Kulturland, es hat Europa erzeugt und es lebt europäisches Leben, während Spanien wenig mit Europa und wenig mit dem Leben zu schaffen hat«. (Tgb. 2, 267). Der Eintrag läßt erkennen, daß sich Klemperer bereits intensiv mit dem Renaissanceproblem beschäftigt und seine Grundposition festgelegt hatte: nämlich Italien als Maß aller Renaissance zu nehmen und die Spaniens als uneuropäisch auszuschließen. Fast ein Jahr später, am 13. Mai 1927, vermerkte er die Ablieferung einer »ausgedehnten Spanienstudie« an den Verlag, sie erschien in Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur (Band 16, 1927, Heft 2, S. 129-161). Ihr geht der Überblick im Handbuch der Literaturwissenschaft (Die romanischen Literaturen von der Renaissance bis zur Französischen Revolution) voraus. Im Tagebuch notierte Klemperer, wie schwer ihm das spanische Kapitel darin fiel und wie er sich als »Ignorant«

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»Du kannst nicht genug Spanisch. Eigentlich gar kein Vorwurf, und ich mache auch gar kein Hehl daraus. Aber die Tatsache bleibt, daß ich nicht das kann, was man hier [in Dresden] braucht.« (Tgb. 1, 603)

496 fühlte, der bei Morf, Becker und Pfandl Anleihen machen und »viel oberflächliches, doch mühseliges Zusammenschreiben« (1, 690) zugeben mußte. Am 15. Januar 1922 bereitete er die erste Vorlesung über die (italienische) Renaissance vor - der »wirklichen Renaissance« - und beschäftigt sich mit deren Begriff. Schon 14 Tage später (28.1.1922) stellte er klagend fest, das italienische Renaissancekolleg so auszuarbeiten, wie es ihm vorschwebte, gelinge ihm nie. Dagegen »baute« er in wenigen Stunden die Einleitung zu einem Volkshochschulkursus über die italienische Renaissance und nahm sich nun auch das Renaissancestudium ernstlich vor, blieb aber dennoch bei seiner »alten Walze« (Tgb. 2, 732), als er am 6. September 1931 einen Vortrag über die »Ideengrundlagen Italiens« ausarbeitete. Durch Americo Castros El pensamiento de Cervantes (1925) fühlte sich Klemperer in seiner Auffassung vom »unrenaissancehaften Spanien« nur bestätigt und schrieb spöttisch am 14. Mai 1926: »Aber nun wird Curtius kommen (er ist schon am Werk) und uns ein spanisches Europa eintrichtern, wie er uns ein französisches Europa vorgemacht hat. Politisch und moralisch mag das gut und schön sein, aber der Wahrheit widerspricht es, und so ist es auch politisch verkehrt. Curtius ist überhaupt nicht Romanist, sondern Europäist«, wetterte er gegen seinen verhaßten Kontrahenten (Tgb. 2, 247), der in der Tat meinte, Spanien sei »ein vorzüglicher Beobachtungsposten für einen Betrachter Europas« (Krit. Essays, S. 267). Die »Unrenaissancehaftigkeit« Spaniens zu demonstrieren, war für Klemperer auch ein Seitenhieb auf Curtius, der seinerseits die mißverständliche Formel von der kulturellen Verspätung Spaniens13 prägen wird. Die Attacke unter dem Schlagwort »Spanien ist nicht Europa« richtet sich gegen alle die Künder der Europäisierung Spaniens, die Ernst Robert Curtius auf den Schild hob. Ausgangspunkt für Klemperers Überlegungen zur Frage, ob es eine spanische Renaissance gebe, ist die These vom »Fürsichsein der spanischen Literatur«, von der »Sonderart«, Eigenbegabung und »Weltgabe« Spaniens. Hier sticht mehr sein Denken in überraschenden Gegenüberstellungen und provokativen Vergleichen hervor als das sichere Wissensgerüst, die Chronologie und die Fähigkeit zur historischen Synthese. Die europäische Literatur, wohlgemerkt in toto, aber wahrscheinlich doch wohl ohne die slawischen »Außenbezirke«, stellte sich ihm wie eine Stadt dar; die spanische Dichtung liegt allerdings als mächtiger erratischer Baukomplex »weit draußen vor den Toren«, zwar nicht Provinz, aber eben auch nicht urban, sondern abgetrennt von der Entwicklung der Menschheit, von Europa und von der Neuzeit. Frankreich und Italien bestimmen den literarischen Kanon und die Koordinaten im Rahmen seiner welt(macht)geschichtlichen Betrachtungen. Klemperer fragt nach der geistigen Weltbedeutung Spaniens, nach Soll und Haben auf dem »Weltkonto« in auffälligen Bildern aus der Buchhalterterminologie, wo er doch gerade gegen die vom reinen Nützlichkeitsdenken bestimmten Bestrebungen in Sprachunterricht und Kulturkunde der Zeit ankämpft. Curtius seinerseits bemühte das Bild von der »Energiewirtschaft der Geschichte«. Klemperers Bilanz geht von einer untilgbaren Schuld Spaniens »an der Zertrümmerung der italienischen Renaissance«14 aus, bei der Spanien sogar ein »Henkersanteil« zukommt: eine

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Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern: Francke 1954, S. 524-26. Walzel, Oskar (Hrsg.): Handbuch der Literaturwissenschaft. Die romanischen Literaturen von der Renaissance bis zur Französischen Revolution. Potsdam: Athenaion 1926, S. 14.

497 grob vereinfachte und fragwürdige Deutung der kulturellen Entwicklung Italiens im 16. Jahrhundert. Diesem Negativsaldo entspricht Klemperers grosso modo entworfene Gesamtschau mit Frankreich als kultureller Führungsmacht des Westens, die im wesentlichen den geistigen Aufbau (und Wiederaufbau) Europas geleistet und getragen habe. Italien übernahm nur einmal im Humanismus und in der Renaissance die Führung. Spanien dagegen hatte zeitweilig zwar die politische, jedoch nie die geistige Vormacht in Europa errungen und besetzt allenfalls den dritten Rang. Die Antwort auf die Frage nach Spaniens Beitrag zur »Weltgeistigkeit« - begrifflich eine unbestimmbare Mischung aus Hegels ätherischem Weltgeist und handfester Akkumulation von Geisteskapital - fällt entsprechend ungünstig aus: Spanien habe »im Ganzen [...] doch mehr im Lähmen als im Befruchten« geleistet. Spaniens Sendung im Gefüge der europäischen Kultur besteht geradezu darin, als Hemmschuh und Störenfried zur wirken. Die Spanischen Stiefel geben die sprichwörtliche Bestätigung für die Oppositions- und Außenseiterrolle Spaniens im geistigen Haushalt Europas. Die Phasenverschiebung seiner nationalen Entwicklung und die drittrangige Stellung werden sowohl auf den Fortbestand des finsteren Mittelalters als auch auf die kulturelle Verschuldung gegenüber Frankreich und Italien zurückgeführt. Diese Rangordnung, deren Schema einer alten, keineswegs bloß protokollarischen Streitfrage um die préséance et prééminence15 zugrundeliegt, darf nach Klemperers Verständnis nicht umgekehrt werden, auch wenn neuerdings eine durchaus begrüßenswerte intensivere »Pflege der Wissenschaft vom Spanischen« (Klemperer vermeidet und umschreibt damit den Terminus Spanienkunde, der mit der Kulturkundebewegung der zwanziger Jahre aufkam) festzustellen ist. Sie dürfe jedoch nicht zu einer unwissenschaftlichen, unehrlichen (die spanische Lüge wird hier unter einem neuen Gesichtwinkel denunziert) und übertriebenen Bewertung der geistigen Bedeutung Spaniens führen, wie sie sich etwa in dem Versuch äußert, den Französischunterricht an den höheren Schulen zugunsten des Spanischen einzuschränken, sonst müßte man demnächst auch noch die Forderung nach Einführung etwa des Japanischen gewärtigen. Klemperer verbindet bildungspolitische Positionen mit kulturphilosophischen Spekulationen, die unter dem Eindruck der seinerzeit betriebenen Völkerpsychologie und Wesenskunde stehen. In einer Zeit, da viel von der Vöraussetzungslosigkeit der Wissenschaft die Rede war, ging Klemperer von der idealen Vorstellung einer »eigentlichen Renaissance« aus, als wäre diese in einem allgemeinen Begriff gleichsam metaphysisch und metahistorisch vorgegeben und faßbar. Er ist sich andererseits durchaus der »Entkerntheit« der Begriffe Humanismus und Renaissance bewußt, was zu einem vieldeutigen Umgang mit Worthülsen geführt hat. Zur Abstützung der apriorisch gesetzten Definition der eigentlichen Renaissance im Unterschied zur unechten Nachahmung oder Teilrezeption muß Spanien als im Wesenskern mittelalterlich fixiert und zum anderen als uneuropäisch ausgegrenzt werden. Klemperer konstruiert einen »europäischen Teil« der spanischen Literatur, der im Mittelalter und 16. Jahrhundert allzu abhängig von Frankreich und Italien - also unoriginell und nachahmend - ist, sowie einen »spanischen Teil«, der nun merkwürdigerweise wiederum »allzu spanisch« ist

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Vgl. Briesemeister, Dietrich: »Der publizistische Rangstreit zwischen Spanien und Frankreich in der Frühen Neuzeit« in: Translation und interkulturelle Kommunikation. Hrsg. Jörn Albrecht u.a., Frankfurt am Main: Peter Lang 1987, S. 315-338.

498 und damit der europäischen Geistesgemeinschaft fremd und fern steht, zumal noch der orientalische Einstrom hinzukommt. Klemperer sieht zwar das »trennend Originale«, vermag jedoch nicht das Gemeinsame im Unterschied wahrzunehmen und gelangt so zu einer dem komparatistischen Ansatz des Handbuchs der Literaturwissenschaft im Grunde zuwiderlaufenden Vorstellung vom völligen Fürsichsein der spanischen Literatur. Die Fremdheit und das Befremdliche werden zu Grundkategorien der Wahrnehmung Spaniens und der Einschätzung der spanischen Kultur. Die spanische Literatur fällt wie ein Gemenge in die einzelnen Bestandteile auseinander, wird aber dennoch unter nationaltypologischen Kriterien wiederum als Einheit hypostasiert. Klemperer bedient sich erneut eines bildlichen Ausdrucks - »Seelenpendel« - ein Oxymoron um den tieferen vitalen Zusammenhalt herzustellen. Eine andere Sinnfigur für die Dichotomien, Gegensätze und hybriden Mischungen, die sich Klemperer zu eigen machte, bilden Don Quijote und Sancho. Morfs Auffassung, daß Spanien über die mittelalterliche Zwischenstufe nicht hinausgekommen sei, modifizierte Klemperer in seinem Renaissance-Aufsatz 1927 in einer kühn ausholenden, vergleichenden Geschichtsteleologie und Kulturmorphologie, die »Renaissancelosigkeit« bleibt jedoch als Kernthese, und sie wird aus Spaniens ominösem Sonderwesen abgeleitet. Klemperer, der inzwischen für Paul Merkers und Wolfgang Stammlers Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte (Bd. 3, 1925/26, Sp. 73-107) den Artikel über den Einfluß der romanischen Literaturen auf die deutsche verfaßt hatte, geht von der Betrachtung der deutsch-spanischen Beziehungen aus, von der »Geistigkeit« (was immer damit gemeint sein mag), um ähnlich wie schon im Handbuch der Literaturwissenschaft die Rangfolge der Einflüsse festzulegen. Frankreich bliebe demnach bis in die Gegenwart ohne Unterbrechung am engsten mit der deutschen Literatur verbunden, Italiens Einfluß dagegen beschränkte sich im wesentlichen auf die Renaissance. Für das Spanische wird ein »stoßweise intermittierender Andrang« in drei großen Schüben herausgestellt. In der Gegenreformation werden spanische Formen, Stoffe und Ideen der deutschen Literatur »beinahe gewaltsam aufgenötigt«, das alamodische Deutschland ist ihnen ausgeliefert, wird damit überschwemmt wie von den spanischen Truppen im Dreißigjährigen Krieg. Deutschland wird vom katholischen Spanien heimgesucht. Alle diese starken Ausdrücke sollen die widernatürliche Aufoktroyierung, nationale Verfremdung, ja Vergewaltigung kennzeichnen, die den Verlauf der Rezeption spanischer Literatur in der verschwommen umgrenzten Gegenreformation angeblich begleiten. Der spanische Einfluß auf Deutschland wird ausschließlich unter dem ideologischen Vorzeichen der Gegenreformation gesehen. Französische Regelmäßigkeit löst ihn dann als vernunftgemäßes Heilmittel ab. In der Zeit der Romantik hingegen steht Deutschland als das »geistig mächtigere Land« da, das sich nicht mehr vergewaltigen läßt. Es holt sich Spanien nunmehr selbst zur Gegenaufklärung herein. Deutschland sucht das katholische Spanien sozusagen aus freien Stücken auf. Spanienliebe und Mittelalterschwärmerei ergänzen einander in einer historischen Konjunktur, ohne daß Klemperer darin die nationalistisch-antifranzösische Unterströmung wahrnahm, die durch Napoleon und die Befreiungskriege noch verstärkt wurde. Die Beschäftigung mit der spanischen Literatur - in Übersetzungen, in der literarischen Kritik und Ästhetik - begründete einen neuen Kanon, der für die Konstituierung einer deutschen Nationalliteratur vorbildlich sein sollte. Der heftige Streit um das spanische Paradigma zieht sich

499 durch das 19. Jahrhundert hindurch fort. 16 Klemperers Grobraster erfaßt die Auseinandersetzung freilich nicht, denn er braucht als Gegenpol zur Romantik eine dritte Schubzeit. Das um den Ersten Weltkrieg herum neubelebte Spanieninteresse beruhte für Klemperer auf einem Mißverständnis: es ziele auch gar nicht auf Spanien, sondern verfolge nur praktische Nützlichkeitserwägungen, berücksichtige ökonomische Chancen bei der Ausweitung des deutschen Exports und der Wirtschaftsbeziehungen nach Südamerika sowie nicht zuletzt politische Emotionen. Die spanische Sprache stelle für Kaufleute und Ingenieure ein nützliches Hilfsmittel, aber keinen Bildungswert an sich dar. Kultur dient lediglich als Feigenblatt, um die innere Dürftigkeit zu verdecken. »Auf dem Weg über die Handelsschulen, die sich den Teufel um geistige Gehalte Spaniens kümmerten, wurden uns dennoch diese halb versunkenen Inhalte wieder näher gebracht«, ereiferte sich Klemperer mit Geringschätzung und Mißtrauen, ähnlich wie Curtius die zeitgenössische »Kulturheuchelei« kritisierte. Klemperer zögerte nicht, die Hinwendung zu Spanien in Anlehnung an Gegenreformation und Gegenaufklärung als eine neue Form von Gegenrenaissance anzuprangern, als eine gegen Frankreich gerichtete Haltung. Spanien werde dabei in politisches Kalkül eingebunden und gegen das verhaßte Frankreich, den Erbfeind, mit dem Rückgriff auf die vielberufene deutsch-spanische Freundschaft, j a mythische Verbrüderung (»Somos hermanos«) ausgespielt. Im Blick auf die innerspanische Auseinandersetzung um Pro und Contra Europa, um die Europäisierung Spaniens beziehungsweise die Hispanisierung Europas, wie sie Hermann Graf Keyserling in seinem Buch Das Spektrum Europas (1928) vertrat (das Spanienkapitel war 1926 in der Revista de Occidente, n° 12, S. 129-144, erschienen!), meinte Klemperer, daß Spanien den Anschluß an Europa nur suche, weil es nicht länger im R u f e stehen wolle, »der europäischen Entwicklung im wesentlichsten Punkt ferngeblieben zu sein« (134). Ausgehend vom »gegenrenaissancehaften Wesen« Spaniens, das als erwiesen angenommen wird, zielte Klemperer in seiner Analyse darauf ab, das im Unterschied zu Frankreich und Italien außereuropäische - exzentrische - Schicksal Spaniens herauszustellen, außereuropäisch nicht im Hinblick auf Spaniens Ausgreifen in die Neue Welt oder das spanische Weltreich, in dem die Sonne nicht untergeht, sondern auf seinen inhärenten halbeuropäischen Charakter. In der Spur des Taineschen Determinismus von Rasse und Boden wird Spanien, obwohl ihm »viel gotisches Blut zugeflossen« ist, wider die geläufige Kontinentalordnung, als »ein Stück Afrika« verstanden, ohne daß Klemperer - wenn schon Kulturkreise und Kulturmorphologien betrachtet werden - erkannte, daß die Iberische Halbinsel von der frühen phönizischen Kolonisation bis zur arabischen Eroberung in den großen mediterranen Kulturraum eingebunden war, zu dem der Austausch mit dem Vorderen Orient, Griechenland, Rom und Byzanz ebenso gehört wie das römisch kolonisierte Nordafrika, das die Araber erst 697 unter ihre Herrschaft brachten. Afrika bildet außerdem weder ethnisch, noch sprachlich, geschichtlich, religiös und kulturell einen einheitlichen Kulturraum. Welche exotische Auffassung von Afrika oder mythische Erdkunde stehen hinter der Zuordnung Spaniens zu diesem Kontinent? Auch Keyserling behauptet, »Spanien sei seit Urzeiten dem

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Briesemeister, Dietrich: »Entre irracionalismo y ciencia: los estudios hispánicos en Alemania durante el siglo XIX«, in: Arbor 467^168 (1984), S. 105-122. [Deutsche Fassung in diesem Band]

500 afrikanischen Kulturkreis zuzurechnen. >Für sich< gehört Spanien nicht zu Europa, sondern zu Afrika«. Einem dummen geflügelten Wort gemäß beginnt Afrika südlich der Pyrenäen. Nach der Schubabfolge in den deutsch-spanischen Beziehungen geht Klemperer mit einem Sprung zunächst auf den Renaissancebegriff ein und betreibt eine überraschende Mischung von Geistes- und Körpergeschichte. Er versteht Humanismus als Wiederbelebung des Altertums zu neuem Eigenleben, während Renaissance, über die intellektuelle Entdekkung hinausgreifend, das Nach-Leben der Antike um einer neuen Gegenwart willen darstellt, wie es in Italien in einem noch körperhaften Traditionszusammenhang mit der römisch-griechischen Vergangenheit möglich war. Der das harmonische Körpererlebnis betonenden oder »natürlichen« Renaissance in Italien wird der Protestantismus als äußerste »Entkörperung« und Verkrampfung der Renaissance in der nördlichen Romferne entgegengestellt. Die Reformation erscheint als eine sozusagen entleibte, äußerste und übersteigerte Konsequenz aus den Ideen und Idealen der Renaissance. In Deutschland konnte jedoch nur das »rein Geistige« der Renaissance zur Wirkung gelangen, ohne daß angedeutet würde, worin denn dieses rein Geistige besteht und wie es vermittelt wurde. Für Keyserling füllt der emotionale Reichtum, der den afrikanischen Menschen auszeichne, in Spanien wiederum den Körper der antiken und christlichen Tradition. In einem weiteren Ansatz verfolgt Klemperer Spaniens Nationwerdung und sucht die Geburtsstunde des Volkes festzustellen, um aus dieser historischen Lage sowohl die Ausnahmestellung Spaniens abzuleiten als auch das Fehlen der Renaissance gleichsam als einen Geburtsfehler zu begründen. Dabei begibt sich Klemperer auf historisches Terrain, das ihm zweifellos zu wenig vertraut war, und er läßt sich auf welthistorische Spekulationen ein, deren Fakten und Chronologie nicht hinreichend gesichert erscheinen. Das Ende der Völkerwanderung setzt er als Geburtsstunde der Völker an, die von der Renaissance »betroffen« wurden, als sei die Renaissance eine kosmisch vorausberechenbare Größe. Neue »Ganzheiten« bildeten sich durch die körperliche und geistige Durchmischung der verschiedenartigen Stämme. Die Herausbildung der Nationalsprachen schuf dann die gemeinsamen »Gefäße für Völksinhalte« gleichsam als genetische Codes. Die Nationbildung wird auf die Sprache und sowohl auf biologisch vorgegebene und spirituell geprägte Wesenheiten - »Volksinhalte«, Völkscharaktere - gegründet. Das ohnehin »schwachromanisierte« Spanien blieb bei diesem Vorgang jedoch in einer Ausnahme- bzw. Abseitsstellung. Seine Volksbestandteile hätten im Unterschied zu Italien (Lateiner und Germanen) oder Deutschland (Germanen und Slawen) im Frühmittelalter weder physisch noch geistig zusammengefunden: Spanien fehlte die der Völkerwanderung folgende zweite Epoche des »ruhigen Zusammen Wachsens und Reifens«. Zu dem Zeitpunkt, als im 8. Jahrhundert die Völkermischung in Europa abgeschlossen war, fiel Spanien an Afrika zurück und erlitt in der Folge unter der Herrschaft des Islam ein »außereuropäisches Schicksal«. Es gehört nur mehr halb zu Europa. Die arabische Invasion geschah keineswegs unvermittelt als Zufallsereignis, sondern ihr war buchstäblich der Boden bereitet: »Afrika ist hier bei sich zu Hause« (S. 140), stellt Klemperer ohne zu zögern fest, und dieser afrikanische Untergrund bestimmt den weiteren Verlauf der spanischen Geschichte. Weil es den Arabern so gut in Spanien gefiel, kam es dort zu einer großen Kulturblüte. Spanische Geistigkeit werde von »orientalischen Elementen durchtränkt, Spaniens gesamtes Blut afrikanisiert«, was schließlich die Afrikanisierung Spaniens zur Folge gehabt habe. Man erschrickt, wie leichtfertig Orient und Afrika verwechselt oder vermischt und wie

501 biologisch-natürlich so komplexe Prozesse wie Akkulturation oder Kulturübertragung gedeutet werden. Die Entschiedenheit, mit der Klemperer das außereuropäische Kulturmodell für Spanien beansprucht, nimmt den Streit zwischen Américo Castro und Claudio Sánchez Albornoz um den jüdischen oder arabischen Anteil an Spaniens historischer Konstitution und morada vital vorweg. Ein »Stück Afrika« bildet den Charakter Spaniens, und gemäß der von der Völkerpsychologie entwickelten Schematik - von der sich Klemperer wenige Jahre später distanzierte - gehen auf diesen Anteil das aufflammende Pathos, die Neigung zum Fanatismus, Tapferkeit, Grausamkeit und stoisches Erdulden, wollüstige Freude am Blut, Superlativhäufung und rhetorischer Schwulst der Sprache, glühende Phantasie usw. zurück. Spanien ist als Spätling geboren und als »verspätete Nation« randständig - als Exot - in die europäische Geschichte eingetreten. Es hat die agonía del cristianismo im wahrsten Sinn des Wortes als Kampf um Leben und Tod durchgestanden. Die spanische Kirche habe sich nie »in der glücklichen und gefahrvollen Ruhelage« der europäischen Kirche befunden, sondern war unaufhörlich in Bewegung und Abwehrstellung gegen Feinde von außen, Ungläubige, Ketzer, also im Dauerzustand höchster Erregung und Leidenschaft (passio als Martyrium, Zeugenschaft, wie auch als Glaubenseifer, Rechtgläubigkeit). Damit entfiel die zweite Voraussetzung für die europäische Renaissance, nämlich die Erstarrung - oder Klemperer benützt auch mehrmals das Bild vom Versanden - der kirchlichen Macht (142), Spanien sei davon ausgenommen gewesen. 1492, als in Europa bereits die Renaissance »blühte«(!), ging nach fast 800 Jahren die Reconquista, das zentrale Gemeinschaftserlebnis der Spanier, zu Ende. In Spaniens Brust wohnen (oder widerstreiten) zwei Seelen: das afrikanische Erbe und das europäische Ideal. Es ist die seit Herder faszinierende Mischung von Abend- und Morgenland. Fortan wütete nun das christliche, europäische Spanien gegen sich selbst, zerfleischte sich im Kampf um das unerreichbare Ideal der limpieza de sangre und gegen das Maurentum im eigenen Wesen. Die Vertreibung der Juden und Morisken hatte Spaniens Selbstverstümmelung zur Folge, die nichts anderes sei als die »qualvolle Sorge um das eigene Europäertum und Christentum«. Américo Castro wird diese existentielle Unsicherheit in seiner Spaniendeutung ebenfalls aufnehmen. In einem tollkühnen tour de force entwirft Klemperer eine Geschichtskonstruktion von gewaltiger Dramatik, die in ihrer unerbittlichen Thesenhaftigkeit manches von der Polemik zwischen Castro und Sánchez Albornoz vorweg nimmt. Klemperers Denken in Gegensätzen führt etwa zur Behauptung, daß die Renaissance in Frankreich und Italien eine Angelegenheit der Aristokratie gewesen sei, wohingegen in Deutschland und Spanien Reformation und Gegenreformation dem »Volksganzen« (151) gehörten. Zunächst bestimmt Klemperer die Auffassung des Renaissancemenschen am Typ des Conquistador als Verkörperung des Prinzips der vita activa. Kolumbus brachte aus Italien die Wissenschaft, die »Erleuchtung« nach Spanien, und Spanien rüstete ihn auch aus, aber Spanisch-Amerika - die Neue Welt - , wurde dennoch kein »Renaissanceland« (143), sondern diente Spanien als Machtreservoir. Die Eroberung Amerikas ist nichts anderes als die Fortführung der Reconquista. Der Conquistador erscheint daher nicht als »Lebensmehrer«, sondern als Lebensvernichter, gleichsam als Vollstrecker jener historischen Mission Spaniens, die nicht nur zur Liquidierung der Renaissance führte, sondern auch Hemmnis für jegliche Entwicklung und Fortschritt wurde.

502 Erst nach diesem weiten historisch-providentialistischen Umweg geht Klemperer schließlich auf die spanische Literatur der Renaissance ein, ohne jedoch ein Wort über die geschichtliche und politische Situation in der Zeit zwischen den Reyes Catölicos und Karl V. oder über die spanisch-italienischen Beziehungen zu verlieren. Klemperer verwahrt sich zu Recht gegen Ludwig Pfandls Versuch, Erasmus von Rotterdam für die Vertiefung des religiösen Gefühls und die Vorbereitung der Mystik zu Spanien zu vereinnahmen. Damit würde sein Werk geradezu »enthumanisiert« (seines Bedeutungsgehalts für den Humanismus entkleidet). Klemperer läßt auch die Auffassung des Erasmismus als spanische Abart der Renaissance und Reformation nicht gelten, wie sie Pfandl und Americo Castro vertreten, richtet sich aber auch gegen Helmut Hatzfeld, der Ignatius von Loyola mit humanistischen Bestrebungen der Zeit in Verbindung bringt und für Spanien die »religiöse Umstilisierung« der italienischen Renaissance feststellt. Pfandl wie Hatzfeld bestätigen für Klemperer deutlich, daß von Erasmus eben keine Renaissance-Wirkung auf Spanien ausging. Eine weitere Stoßrichtung Klemperers gegen die Existenz einer spanischen Renaissance zielt auf die Lyrik, wo er die Umstilisierung, das heißt die Verkehrung von Renaissance-Elementen in ihr Gegenteil und damit die Einreihung in die renaissancefeindliche »Schlachtordnung« bei Garcilaso de la Vega und vor allem bei Luis de Leon feststellen zu können glaubt. Nicht nur die Beschränkung des Umfangs eines Zeitschriftenaufsatzes, sondern auch Klemperers eingeschränkte Kenntnis der Lyrik des 16. Jahrhunderts und vor allem die hartnäkkig verfolgte Absicht, die Renaissance aus der Literaturgeschichte Spaniens hinauszuinterpretieren, lassen seine Ausführungen fragwürdig erscheinen. Quod erat demonstrandum: es zeige sich »wieder und wieder, daß jeder Renaissance-Keim auf spanischem Boden antirenaissancehafte Frucht bringt«. (150). Der Aufsatz von Werner Krauss »Wege der spanischen Renaissancelyrik« (Romanische Forschungen 49, 1935, S. 181-214), der übrigens keinen Bezug auf Klemperer nimmt, macht den Fortschritt in Sachkenntnis und Bewertung der Dichtung des 16. Jahrhunderts deutlich. Zwiefach Antirenaissancehaftes stellt Klemperer denn auch am denkbar ungeeigneten Objekt der Romanzendichtung fest. Zum einen lasse sich bei ihr nicht genau ausmachen, »was volkstümlich und was gelehrt, was plebejisch und was aristokratisch« sei. Der Romancero ist Eigentum des spanischen Volkes, das von einer »überall deutlichen Ungespaltenheit in den entscheidenden Dingen des Geistes« (151) gekennzeichnet werde, während europäische Renaissance eine Adelsangelegenheit bilde. Zum anderen verherrlichten die Romanzen den mittelalterlichen Menschen, der für den Glauben kämpft. Der Inhalt dieser Dichtung sei die Reconquista. Im Rundumschlag gegen eine spanische Renaissanceliteratur nimmt sich Klemperer auch die Kontinuität mittelalterlicher Stoffe, etwa des Cid, vor. Während der spanische Amadis-Roman »eine wirkliche und ernstgemeinte Verherrlichung christlich-mittelalterlicher Ritterlichkeit« (153) weitertrage, mache Europa aus mittelalterlichen Stoffen »Neuzeit«. Er belegt dies am Vergleich mit Pulci, Boiardo und Ariosto. Auf Vößlers Festrede über den Realismus in der spanischen Blütezeit vor der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (1926) geht er vorsichtig zustimmend ein. Vößler liest im Amadis und in Montemayors Schäferroman Diana enamorada den Anteil Spaniens an den »dichterischen Lieblingswelten der Renaissance« ab. Das Nebeneinander von Realismus und Idealismus wird ab-

503 schließend am Paradebeispiel von Don Quijote und Sancho Panza und in Auseinandersetzung mit Américo Castros El pensamiento de Cervantes abgehandelt. Das Werk macht für Klemperer wiederum nur deutlich, daß die im Don Quijote reichlich vorhandenen Renaissance-Elemente »im spanischen Erdreich« eben nur antirenaissancehafte Früchte bringen können (151) und daß das Werk den »Renaissance-Epen, den Rittern Ariosts und Rabelais' Riesen, weltenfern« (159) entgegensteht durch seine Wirklichkeitsauffassung. Das gewaltige Panorama, das der Aufsatz zur Beantwortung der im Titel aufgeworfenen Frage entfaltet, nimmt zum Schluß eine paradoxale und pointierte dialektische Wendung. Wenn Spanien also keine Renaissance aufzuweisen hat, dann hat es folgerichtig auch kein »echtes« Mittelalter durchgemacht, obwohl nach weitverbreiteter Vorstellung gerade in Spanien das Mittelalter fortdauere. Aber das ist auch nur ein Stück der »spanischen Lüge«, die aufzudecken sich Klemperer anschickt. Spanien fällt aus dem Rahmen der großen europäischen Geschichtsepochen und Achsenzeiten. Darin erweist sich letztlich seine Außenseiterrolle und Ausnahmestellung. Auch »ohne Mittelalter« ist Spanien in seiner geschichtlichen Entwicklung nicht zurückgeblieben, vielmehr von Anfang an durch sein halb- und außereuropäisches Schicksal anders geprägt. »Es mußte dies Sonderschicksal erleiden, um ganz seine ungeheure Aufgabe in der geistigen Entwicklung der Welt bewältigen zu können: die Aufgabe der Hemmung« (161). Um dem »Überschwang der Renaissance« einen Damm entgegensetzen zu können, hatte Spanien im achthundertjährigen Widerstand gegen den Islam genügend Kräfte entwickelt und Erfahrungen gesammelt. Nachdem diese schicksalhaft zugewiesene Aufgabe erfüllt war und »als das Weltdenken des hemmenden Gegendruckes nicht mehr bedurfte, mußte Spanien verwelken« (161). Spanien starb an seiner heldenhaft erfüllten Aufgabe, nicht an Fehlern und Versagen wie Inquisition oder Vertreibung der Morisken. Klemperer schließt seine Meditation über Spaniens Schicksal - la España invertebrada ist nicht fern! - mit einem eschatologischen Vergleich: »Das alte Spanien, dessen Geschichte sich bruchlos (doch nicht als bruchloses Mittelalter in europäischer Wortbedeutung!) bis zu Calderóns Tod etwa rechnen läßt, starb wirklich, politisch und geistig, kaum anders als das antike Rom und das antike Griechenland starben. Und es bedeutet für die Gegenwart ein zweites Altertum. Es ist genau so tot und so lebendig, genau so reich, genau so voll von Anregungen für das Heute und genau so abgetrennt vom Heute wie die griechisch-römische Antike« (161). Die Abrechnung mit der vielberufenen spanischen Renaissance mündet bei Klemperer in eine universalhistorische Schlußbilanz, die Spanien aus der Moderne ausschließt und damit den Nachweis erbracht zu haben beansprucht, daß es mit der vermeintlichen Vorbildhaftigkeit und Erneuerung Spaniens, - Ideen, die damals Konjunktur hatten und eine neue Renaissance verhießen-, wohl nicht viel auf sich haben könne. In der »Weltgeistigkeit« belegt Spanien jedenfalls einen nachgeordneten Platz. Eine popularisierende und stark überzeichnete Fassung der These Klemperers von der »Unrenaissance« Spaniens und der Spanier bietet im gleichen Jahr und in erstaunlicher Übereinstimmung der Grundgedanken Hans Wantoch mit seinem Buch Spanien. Das Land ohne Renaissance. Eine kulturpolitische Studie (München 1927). Der von Sachkenntnis kaum berührte Verfasser benutzt den reißerischen Titel für ein Pamphlet, in dem er ein Sammelsurium bekannter antispanischer Gemeinplätze aneinanderreiht, um nicht nur die »intellektuelle Entferntheit Spaniens von Europa« (125) nachzuweisen, sondern auch um aufzu-

504 zeigen, daß das Land Europa überhaupt nichts gegeben und »ohne innerste Gemeinschaft mit Wesen, Wirken und Wachsen Europas« an der europäischen Geistesgeschichte und Wirtschaftsentwicklung in den letzten 500 Jahren verständnislos vorbei gelebt habe. Wantoch diagnostiziert die »geistige Ungesundheit« (15) und Pathologie eines kranken Volkskörpers17, um Spanien als Problem zu erklären. Wie Klemperer geht auch Wantoch vom Arabismus der Spanier aus, die ihrem innersten Empfinden und Blute nach Europa nicht zugehörig sind. »Aus der arabischen Höhle ist der spanische Mensch, anders als der West- und Mitteleuropas [...] nie in ein freies und aufrechtes Menschentum herausgeschritten« (79). Nur sprachgeschichtlich sind die Spanier Romanen, ihr Blut jedoch ist afrikanisch, berberisch, iberisch (28). »Aromanismus« und Renaissancefremdheit hängen geradezu genetisch zusammen. Spanien steht im Abseits, bleibt Außenseiter, Fremdling in Europa und erscheint im wahrsten Sinn als absonderlich. Die Frage, ob Spanien dem Mittelalter verhaftet geblieben sei, beantwortet Wantoch mit der Formel »Von der Gotik ins Barock« (118ff.): Spanien sei aus der Gotik als Lebensform (mit dem Mittelalter gleichgesetzt) und ohne Renaissance in die Gegenreformation (mit Barock gleichgesetzt) »geglitten«. Hatte Klemperer einen Henkersanteil Spaniens an der Zertrümmerung der italienischen Renaissance ausgemacht, so kommentiert Wantoch beim Anblick von Tizians Gemälde im Prado, das Kaiser Karl V. zu Pferde darstellt: »Es ist leibhaftig der Mann, der 1527 die Renaissance niedergeritten hat« (129). Da Spanien nicht die Faust-, die Renaissanceperiode der abendländischen Kultur mitgemacht habe, ist seine Rückständigkeit in der neuzeitlichen spanischen Entwicklung (82) die notwendige Folge »dieses Mangels der Renaissance«. Ähnlich wie Klemperer Spaniens Rolle in der Weltgeschichte als Hemmschuh deutet, sieht es Wantoch als »Gegenspieler, als hemmende, zersetzende, endgültig [...] rückschraubende Gegenkraft« (26) wirken. Spanien verharrt bis heute »in seiner arabischen Welthöhle« (135), Klemperer gebraucht statt dessen das Bild von der völlig abseits gelegenen wehrhaften Burganlage. Klemperer und Wantoch ziehen Cervantes als Gewährsmann heran, um die »Scheinexistenz« einer spanischen Renaissance zu belegen. Wantoch stellt im Don Quijote »rückwärtsgewandten Konservativismus« (116) fest und sieht in der Kunstform des Romans ebenso puren Arabismus wie in den Exercitia spiritualia des Ignatius. Mit seiner ornamentalen Wortkunst (Helmut Hatzfelds Don Quijote als Wortkunstwerk erschien ebenfalls 1927!) gleiche der Roman einem arabischen Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Über Klemperer hinausgehend, versucht Wantoch zudem, aus der Malerei des Velázquez den »unrenaissancehaften Volkscharakter« der Spanier abzulesen und kommt schließlich wie Klemperer zu einer Deutung der Geistes- und Körpergeschichte der Renaissance: »Ein Volk ohne Renaissance [d.h. die Spanier] konnte auch malerisch und plastisch nicht das hohe Lied des menschlichen Leibes singen« (123). Wantoch gelingt das Kunststück, Renaissance einerseits mit Erkennen gleichzusetzen, andererseits habe die Renaissance erstmals das »Evangelium der Arbeit« und das Leistungsprinzip verkündet (194). Jedoch sträubten sich die Spanier gegen solche »Realität

17

Spanien sei das Land einer unsagbaren Melancholie, der Verzweiflung, Selbstmorde, Lebensscheu, Sinnen- und Wirklichkeitsflucht (34): kurzum ein Land der Toten, das nichts Ausgewogenes, keine innere Ruhe, Selbstsicherheit und Heiterkeit, keinen Hedonismus, keinen irdischen Lebenszweck und Lebenssinn, keine Daseinsaufgabe für den einzelnen wie für die staatliche und völkische Gemeinschaft habe (105).

505 des Erkennens und Handelns«, weil die »Köpfe und Hirne niedergeduckt [wurden] unter der stampfenden Gewalt des Dogmas« (135) und der spanische Katholizismus ein »Stück Arabismus« (!) in die helle Geistigkeit der Renaissance trug. Die Spanier blieben also Ritter, verachten die Arbeit, sind faul und ohne Arbeitswillen. Dies bestätigt wiederum ihren unrenaissancehaften Nationalcharakter. Demgegenüber erscheint die Verherrlichung von Arbeit und Leistung als Maß wahrer europäischer Gesinnung, von der Spanien freilich weit entfernt ist. Die Renaissance wird als Ökonomie des Menschen und Menschenökonomie (150) verstanden, die den Einzelnen und seine Arbeit - die Höchstleistung - als absoluten Wert setzt (102). Ausgerechnet die Betrachtung der spanischen Wirtschaftsgeschichte (seit der Conquista) und der neuzeitlichen ökonomischen Verfassung trägt die Überschrift »Spanien, das Land ohne Renaissance«. In diesem Zusammenhang geht Wantoch auf die zeitgenössische Auseinandersetzung um die Europäisierung Spaniens bzw. die Hispanisierung Europas ein. Er wendet hier die um die Weltkriegszeit in der deutschen Kulturphilosophie beliebte Gegenüberstellung von Zivilisation und Kultur an, um zu der Schlußfolgerung zu gelangen: »Spanien zivilisiert sich, aber es europäisiert sich nicht. Automobile, Tischtelephone und Flugzeuge haben heute schließlich auch schon die anatolischen Türken und die Perser. Zivilisation, Mode, Technik ändern das Gesicht der Länder und Völker, ihre Seele ändern sie nicht« (21 lf.) An dem seit zweieinhalb Jahrtausenden (!) in der arabischen Welthöhle befangenen und gefangenen Spanier ist das »ungeheure Ereignis« der Renaissance spurlos vorbeigegangen (212), lautet das Klemperer noch überbietende Fazit Wantochs, der das Phantom eines spanischen Arabismus bemüht, um Spanien auch künftighin aus der europäischen Gemeinschaft auszuschließen. Die Auseinandersetzung mit der Renaissance ist für Klemperer wie für Wantoch als Mittel zum Zweck eine zentrale Vergleichskategorie,18 um die in der Weimarer Zeit aufkommende Spanien- und Europabegeisterung mit ihren oft ebenso irrationalen wie politischen Motiven in Frage zu stellen und sich dem gegenseitigen Ausspielen von Frankreich und Spanien zu widersetzen. Nach Klemperers Auffassung bilden die Rücksicht auf aktuelle »Nützlichkeiten« und »Gefühlswallungen« keine sichere Grundlage für eine Renaissance (oder den Wiederaufstieg) spanischer Kultur als Vorbild für die Gegenwart. Vößler hatte hingegen in seinem Spanischen Brief an Hugo von Hofmannsthal 1924 sowie später in dem Aufsatz Die Bedeutung der spanischen Kultur für Europa 1930 auf die Vorbild- und Trostfunktion spanischer Dichtung und spanischen Denkens in dürftiger Zeit hingewiesen. Er erwähnt in dieser Abhandlung die Boutade seines Schülers Klemperer gegen die Renaissance in Spanien mit keinem Wort, sondern weist auf Helmut Hatzfeld mit seinem vergleichend-abwägenden Aufsatz Italienische Renaissance und spanische Renaissance (1926) hin. Statt der strikten Verneinung der spanischen Renaissance wählt Vößler die abschwächende Formel, Spanien habe nach der bestimmten und streitbaren Ablehnung der Reformation auch die Renaissance nicht »mit ganzer Seele [...] erleben« können. Klemperer seinerseits hält auch in den folgenden Jahren bis 1933 an seiner Position fest und wird nicht müde, das Spanische sogar als »unassimilierbaren Fremdkörper« im Lehrplan der höheren Schulen abzulehnen. Das

18

Vgl. Thomas Bräutigam: Hispanistik im Dritten Reich. Eine wissenschaftsgeschichtliche Frankfurt am Main: Vervuert 1997, S. 43.

Studie.

506 Siglo de oro bleibt für ihn »ein ebenso ungemein fremdes als großes Gebilde«: »In ihrer gewollten Eigenart liegt diese spanische Geistigkeit vor den Toren Europas wie vor den Toren der Neuzeit.« 19

Bibliographie Benz, Richard: »Die Renaissance, das Verhängnis der deutschen Kultur«, in: Blätter für deutsche Art und Kunst 1 (1915), S. 1^40; wiederabgedruckt in: ders.: Renaissance und Gotik. Grundfragen deutscher Art und Kunst. Jena: Diederichs 1928. Bock, Hans Manfred: »Die Politik des >Unpolitischen Böhl von Faber, Cecilia Cabrera de Córdoba, Luis 346

513 Cadalso y Vázquez, José 82, 471 Cadorel, Raymond 246 Caesar, Gaius Julius 75 Caesar, Joachim 219, 220, 226, 294, 451 Cailloué, Jacques 176 Caimò, Noberto 51-53 Calderón de la Barca, Pedro 31, 51, 56, 57, 86, 87, 106, 108, 118, 235, 236, 265, 266, 275-278, 286, 351-425, 460, 463, 464, 466-468, 470, 472, 473, 475, 486, 495, 503 Calvi, Giovanni Battista 259 Calvo Serer, Rafael 128,137 Calvo Sotelo, Joaquín 130, 131, 277 Calzada, Bernardo María 83 Camba, Julio 3, 89 Camerarius, Joachim 320 Camerarius, Ludwig 149 Camoes, Luís Vaz de 3, 56, 119, 209, 215, 256, 257, 259, 260, 264 Campanella, Tommaso 103-104,151, 152, 167, 168, 169, 217 Campeggio, Lorenzo 320 Campesino, El -»• González, Valentín Campomanes, Pedro Rodrígez, Conde de 200,250 Camus, Albert 268, 277 Camus, Mario 274 Canicio, Víctor 286 Cantaratti, Giulia 386 Carlo I Emanuele, Duca di Savoia 152 Carlos I, Rey de España, (Carlos V, Emperador) 8, 15-16, 45, 70, 110, 116117, 119, 139-140, 145, 146, 155, 168 Carlos IV, Rey de España 84 Carreño, Juan 53 Carriere, Moritz 360, 391 Cartagena, Juan de 334 Caras, Cari Gustav 51 Casa, Giovanni della 210 Casacuberta, Josep Maria de 40 Casals, Pau 33 Casarella, Peter 375 Casaubon, Isaac 457 Casellas, Raimon 38 Casetti, Donatella 288 Casiri, Miguel 49 Casona, Alejandro -»• Rodríguez Álvarez, Alejandro Castiella , Femando María de 14, 140

Castiglione, Baldassare 210, 320, 321, 322, 326 Castillo Solórzano, Alonso de 244, 246 Castillo, Hernando del 62 Castillo, Michel del 128, 133, 281 Castro, Américo 9, 90, 285, 496, 501, 502, 503 Castro, Rosalía de 278 Castrovol, Pedro de 65 Català, Víctor 38 Caumont de la Force, Charlotte Rose 254 Caussin, Nicolas 357 Cavanilles, José Antonio 81,82, 234 Cavillac, Cécile 241 Cazenave, J. 248 Cela, Camilo José 132, 273, 274, 279, 281 Cerdabar, Damián de 74 Cemuda, Luis 278 Cervantes de Salazar, Francisco 313 Cervantes Saavedra, Miguel de 51, 57, 86, 87, 106, 110, 206, 209, 223, 228, 229, 231, 233, 235, 246, 248, 250-256, 260-266, 275, 278, 283, 286, 300, 302, 381-383, 450, 455, 460, 463, 466, 471-175, 496, 503, 504 Cervera de la Torre, Antonio 217 Céspedes, Gonzalo de 209 Cevallos, Pedro 4 Chaide, Malón de 208 Chaplyn, Marjorie 248 Chappuys, Gabriel 333 Chevreuil 242 Chico, Luis del ->• Geibel, Emanuel Chiva, Isac 487 Chodowiecki, Daniel 252, 262, 263 Choppin, E. 432, 446 Christian I. von Anhalt 149 Christian II., Kurfürst 344 Christian, Lynda G. 423 Christink, S. 287 Christmann, Hans Helmut 474 Christopherus de Alemania Kaufmann, Christoph Chytraeus, David 325 Chytraeus, Nathan 45 Cicero, Marcus Tullius 72,75,218, 220 Cid, El (Campeador) 235, 238, 276, 464, 465, 502 Cioranescu, Alejandro 175, 176, 181, 185, 244-247, 250

514 Cisneros, Kardinal, Francisco Ximénez de 208,471 Clarín Alas y Ureña, Leopoldo Claris de Florian, Jean Pierre 248 Clarke, Edward 49, 97, 193,196, 197,199, 201,232, 260 Clarus, Cari Ludwig -»• Volk, Wilhelm Claudel, Paul 367, 408 Claudius, Eduard 127 Claus, Anton 354 Clavijo y Fajardo, José de 209, 232, 259, 264, 266 Cleblat, Stephan 61 Clément, Jacques 179 Close, Anthony 254 Coccius, Huldrich 303 Coci Koch, Georg Coelestin, Georg 325 Cofman, Christioph/Christofol ->• Kaufmann, Christoph Cohn, Adolf 160, 165, 173 Collaert, Adrian 336 Colmenero de Ledesma, Antonio 218 Colón, Cristóbal 31,501 Colón, Germà 29 Colón, Hernando 346 Columnis, Guido de 67 Cornelia y Villamitjana, Luciano Francisco 79, 83 Comenius, Johann Amos 432 Commer, Clara 31,39,40 Commynes, Philippe de 223, 290, 452 Conradi, Johann Ludwig 254 Conte, M. 124, 143 Conti, Francisco 252 Contreras, Alonso de 285 Contreras, Jerónimo de 209 Contzen, Adam 170 Cordier, Mathurin 315 Corneille, Pierre 355 Cornelius, Peter 396 Corro, Antonio de 432 Cortés, Hernán 217, 285 Cortés, Juan Lucas 229 Coseriu, Eugenio 316 Cossío, José María de 136 Costa i Llobera, Miquel 40 Costa, Joaquín 5, 6, 10 Costz, Luis 287 Cota, Rodrigo de 225, 292, 454

Cotgreve, Randle 181 Coton, Pierre 337 Coupe, William A. 160 Courbeville, Joseph de 239 Covarrubias Orozco, Sebastián de 432, 441, 443 Coverdale, Miles 312 Cramer, C.G. 469 Cramer, Matthias 218, 231, 446 Cranevelt, Franz 314 Creizenach, Wilhelm von 297 Criado de Val, Manuel 224, 294, 455 Croce, Benedetto 145,152,480 Crocius, Ludwig 221 Cromberger, Jakob 64, 67-68, 70 Cromberger, Juan 68 Cromwell, Oliver 347 Cruz Hernández, Miguel 136 Curtius, Ernst Robert 9, 11, 59, 120, 214, 269, 271, 274, 275, 277, 279, 283, 284, 287, 399-402, 404, 405, 406, 439, 446, 447, 466, 479-482, 485-487, 490, 493, 496, 499, 506, 507 Cyprian, E.S. 321 Cysarz, Herbert 489 Dachauer, Michael 66 Dahme, Klaus 380, 382 Dahms, Helmut G. 128 Dalí, Salvador 33, 38 Dalma, Alfons 117,138 Dalrymple, William 233 Dante Alighieri 66, 86, 364, 366, 384, 385, 392, 399, 463 Dantisco, Gracián 210 Dantiscus, Johannes 319, 321 Davi, Hans Leopold 281 Defoe, Daniel 242 Delibes, Miguel 274, 281 Demandt, Alexander 365, 423 Denina, Carlo 81-83, 92, 104, 234 Denk, Viktor M. Otto 30, 463 Depping, Georg Bernhard 464 Dessoff, A. 351 Destouches, Joseph C. 349 Detwiler, Donald S. 128 Diago, Francisco 437 Diaz del Castillo, Bernal 285 Diaz Plaja, Fernando 92, 125, 143 Díaz y Díaz, Manuel C. 486

515 Diderot, Denis 234 Dieckmann, Friedrich 276 Diefenbach, Lorenz 462 Diepenbrock, Melchior von 365, 370 Diercks, Gustav 469,471 Dieterich, Anton 113, 122, 123, 129, 133, 135,136,140,141,143, 144,269 Diez Borque, José María 48 Diez de Revenga, Francisco Xavier 288 Diez del Corrai, Luis 147, 285 Diez, Friedrich 26, 85, 87, 462, 464, 472 Dieze, Johann Andreas 53, 230, 233, 237, 252, 257, 259, 467 Dillon, John Talbot 192, 199, 233 Dilthey, Wilhelm 403 Dipper, Christof 128 Dirscherl, Klaus 21 Distelbarth, Paul 114 Ditters von Dittersdorf, Karl 252 Döblin, Alfred 110 Doergangk, Heinrich 101, 108, 123, 171, 172, 213, 218, 224, 225, 292, 299, 429-439, 443-447, 454 Dohm, Heinrich 362 Domin, Hilde 131, 272, 274, 280 Domingo de Jesús María 334 Donald, Dorothy 317 Donat(us), Aelius 66 Dönhoff, Marion Gräfin 135 Donoso Cortés, Juan (Marqués de Valdegamas) 5, 88, 89, 108, 118, 125, 284, 470 Dorer, Edmund 472, 474 Dornau, Caspar 221, 429, 447, 448, 453 Drach, Albert 312 Drummer, M. 453 Du Bartas, Guillaume de Salluste 215, 450 Du Chèvre 343 Du Jarric, Pierre 337 Dudley, Edward 183 Duff, Charles 12, 121-122, 135, 136, 139 Duhan de Jandun, Jacques Egide 347 Duhr, Bernhard 355 Dumont, J. 180 Dünnhaupt, Gerhard 216 Dürrwaechter, Anton 353 Durzak, Manfred 127, 287 Duttenhofer 465 Ebeling, C.D.

191

Eberenz, Rolf 39, 80 Eberenz-Gredes, Carmen 39 Eberle, Oskar 369 Ebert, Adam E. 236, 345-350 Ebert, Adolf 391,463 Ebert, Johann Jakob 239 Echegaray, José 472 Eck, Reimer 257 Eckart, Meister 335 Eckermann, Johann P. 405 Eder, Harald 380 Egenolff, Christian 306 Egido, Aurora 423 Egler, Anna 158 Egmont, Graf 178 Ehrgott, Ulrike 38 Eichau, Cyprianus 47,451 Eichendorff, Joseph Freiherr von 106, 275, 276, 359, 365-370, 373, 375, 376, 380386, 391, 392, 396, 407, 418, 471, 473 Eichovius, Cyprianus Eichau, Cyprianus Einhorn, Marion 128 Eitner, K. 465 Eiximenis, Francese 37, 63 Eliot, Thomas Stearns 268 Elisabeth Christine, Königin von Preußen 73 Elisabeth I., Queen of England 146, 217 Elkar, Rainer S. 45 Elwert, W.Theodor 234 Encina, Juan del 65, 208, 211, 448 Engelbert, Günther 393 Engelbert, Manfred 287, 486, 506 Engelhardt, Richard von 57 Engels, Friedrich 473 Engler, Winfried 248 Enriquez Gómez, Antonio 244 Ens, Caspar 47, 221,222, 223, 337, 429, 450, 455 Enzensberger, Hans Magnus 272, 274, 275, 278, 288 Enzinas, Francisco de 208 Enzinas, Juan de 210 Eosander, Johann Friedrich Nilsson, Freiherr Göthe 77 Eppelsheimer, Hanns Wilhelm 506 Eppendorff, Heinrich von 302, 305, 312, 316 Erasmus von Rotterdam, Desiderius 68, 100, 302-329, 489, 491, 494, 502 Ercilla, Alonso de 199, 208, 259, 441, 448 Erhard, Friedrich 132

516 Erkelenz, Peter 369 Ernst, Veridicus 262 Eschenburg, Johann Joachim 261, 263 Escobar, José Ignacio ->• Valdeiglesias, Marqués de Escrivá de Balaguer, José María 285 Eslava, Antonio de 209, 453 Espadas Burgos, Manuel 92 Espina, Concha 279 Espinel, Vicente Martínez de 208, 244, 259 Espinosa, Juan de 210 Espriu, Salvador 32, 38 Estella, Fray Diego de 219, 333 Esteve Montenegro, María-Luisa 287 Eurípides 223,290 Ewald, Paul 57 Ewers, Hans Heino 252 Eximeniç, Francesch 312 Eyb, Albrecht von 296, 298, 300, 312 Fabbri, Maurizio 80 Fahrenheid, Friedrich Heinrich von 381 Falconia, Proba 67 Falk, Walter 237 Färber, Sepp 287 Faria, Frei Tomé de 215 Farinelli ->• Broschi, Carlo Farinelli, Arturo 92, 145, 223, 328, 396, 463 Fassmann, David 251 Fastenrath, Johann(es) 30-31, 37, 38, 40, 472, 474 Faulkner, William 268 Faupel, General Wilhelm 91, 92 Fayette, Mme de la 248 Fehlau, Georg 308 Fehse, Wilhelm 296,300 Feijóo, Benito J. 231 Feldges, Mathias 39 Felipe II, Rey de España 14, 53, 110, 117, 118, 119, 140, 159, 214, 285, 330, 473 Fénelon, François de Salignac de La Mothe215, 239, 349 Ferdinand der Katholische, König von Aragon Fernando el católico Ferdinand II., Kaiser 149 Ferdinand VI., König von Spanien -* Fernando VI Ferdinandy, M. de 405 Ferguson, Wallace Klippert 506 Fernán Núñez, Conde de 72, 73

Fernandes, Augusto 376 Fernández Cubas, Cristina 274, 282 Fernández de Apontes, Juan 382 Fernández de Avellaneda, Alonso 252, 262 Fernández de Córdoba, Alfonso 61 Fernández de la Reguera, R. 132,281 Fernández de Navarrete, Martín 450 Fernández de Palencia, Alfonso 67 Fernández de Quirós, Pedro 217 Fernández de Villegas, Pedro 66 Fernández Herr, Elena 232 Fernández Murga, F. 327 Fernández Santos, Jesús 132, 281 Fernández, Marcos 432 Fernández-Santamaría, J.A. 308 Femando el católico, Rey de Aragón 14, 22, 110 Fernando VI, Rey de España 72, 75, 79, 80 Ferreiras, Antonio 265 Ferrer, Bonifaci 61 Ferrer, Vicent 35 Ferres, Antonio 132, 281, 282 Fertig, Ludwig 243, 431, 442 Fesenmaier, Josef 464 Feßler, Ignaz Aurelius 33, 470 Fetting, Hugo 127 Feuchtwanger, Lion 110, 127, 280, 288 Fielding, Henry 252, 253 Filleau de Saint-Martin 251 Finke, Heinrich 27 Firpo, Luigi 151,152 Fischart, Johann 102, 159, 167-171 Fischer, Christian August 29, 51, 54, 191, 194, 197, 198, 201,231,247, 259 Fischer, Thomas 305 Fischer-Neumann, Karl 353 Fitzmaurice-Kelly, James 223 Flasche, Hans 130, 271, 275, 287, 357, 366, 378, 386, 392, 397, 402, 406, 423, 440 Flayder, Friedrich Hermann 215, 450 Fléchier, Esprit 262 Flecniakoska, Jean-Louis 357 Flegler, A. 463 Fleschier -»• Fléchier, Esprit Floeck, Wilfried 92, 272, 287, 288, 423 Flögel, Carl Friedrich 249, 261, 364, 381 Flores, Juan de 65 Floridabianca, Conde de 200 Fohrmann, Jürgen 242 Foix, Germana 22

517 Fonseca, Cristöbal de 334 Forell, Philipp Baron von 84 Forest, Eva 282 Foresti, Gieremia 219, 333 Fornari, Kardinal 108 Fomer, Juan Pablo 81-82 Forssmann, Knut 238, 345, 349 Forster, Leonard W. 158, 216, 332 Förster, Michael 328 Förster, Paul 464 Förtsch, Ph. 252 Foulche-Delbosc, Raymond 214, 450 Fragoso, Juan 210, 217 Franceson, Karl Friedrich 87 Franck, Sebastian 99-100, 184 Francke, August Hermann 215 Franckenau, G.E. Franck von 229 Franckenstein, Clemens von 367 Franco, Francisco 4, 10, 12-13, 16, 17, 20, 25, 28, 29, 32,91, 104, 109, 111, 113, 117, 126, 128, 134, 135, 136, 138, 139, 140, 269, 271, 278, 282, 283, 285, 286 Frank, Bruno 110 Franke, Wolfgang 375, 407,423 Franz, Karl Wilhelm 248 Franzbach, Martin 21, 129, 229, 231, 236, 238, 258,271,272 Freiesleben, Christoph Heinrich von 239 Freige, Johann Thomas 303,315 Freimundensis, Ernestus 173 Frey, Peter 21 Freytag, Gustav 148-151, 153, 154, 155, 158, 160, 162, 169 Friedlein, Roger 331 Friedrich II., König von Preußen (der Große) 71-80, 81, 82, 83, 92, 93, 104, 347 Friedrich III., Kaiser 56 Friedrich V. von der Pfalz (der Winterkönig) 149, 160, 161, 173 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 86, 88, 89 Friedrich, H. E. 124 Friedrich, Hugo 272, 275, 277 Fries, Fritz Rudolf 274 Friese, Birgit 39 Frieß, Wolfgang 306 Frisch, Max 135 Fröhlich, Harry 380 Fry, Christopher 268, 367

Fuchs, August 464, 474 Fuertes, Gloria 282 Fugger, Johann Jakob 100, 209-212, 449 Fürbeth, Frank 487, 507 Füssl, Karl-Heinz 276 Gadamer, Hans-Georg 401 Gaier, Ulrich 235 Gallé, Theodor 336 Galmés de Fuentes, Alvaro 474 Galt, Jakob 306 Garns, Pius Bonifaz 5, 108, 391, 470 Ganivet, Ángel 8, 11, 15, 115, 121 García Cárcel, Ricardo 111 García de la Concha, Víctor 320 García de Matamoros, Alfonso 100,441 García Hortelano, Juan 132,281 García Lorca, Federico 123, 130, 131, 274, 277-280, 283, 288 García Morales, Adelaida 282 García Serrano, Rafael 280 García Valdecasa Jiménez, Amelia 227 García, Consuelo 282 Garcilaso de la Vega 87, 441, 448, 456, 502 Garcilaso de la Vega, Inca 208, 211, 259, 285, 293 Garrett, Joäo Baptista de Almeida 18 Gast, Paul 487 Gattinara, Mercurino 317,320 Gaudí, Antoni 33 Gebauer, Anja 56 Gebauer, J. 146 Gebser, Jean 131,278 Geibel, Emanuel 86, 464, 472 Geldner, Ferdinand 61, 68 Gellius, Johann Gottfried 252 Gemert, Guillaume van 227, 343 Georg II August, König von Großbritannien 73 Georg von Hessen-Darmstadt, Vizekönig von Katalonien 22 George, Stefan 398, 399, 400, 402 Geppert, Carl E. 241 Geraldini, Antonio 64 Gerbi, Antonello 92 Germberg, Hermann 221 Gerold, Karl 399 Gerstenberg, Heinrich Wilhelm von 50, 104, 190, 233, 251 Gervinus, Georg Gottfried 27

518 Gesner, Konrad 303 Geurts, Pieter Antoon Marie 146 Geuter, Bruno 116,138 Ghéon, Henri 367 Gherlinc, Johannes 62, 69 Gier, Albert 80 Giese, Wilhelm 39, 129, 130, 271 Gil Polo, Gaspar 208, 209, 225, 291, 338, 348, 448, 453, 456, 457, 459 Gil Toja, Hermán 287 Gil y Carrasco, Enrique 88 Gilly, Carlos 309, 448 Gimbernat, Carlos de 24 Giménez Caballero, Ernesto 14, 17 Gimferrer, Pere 38 Ginés de Sepúlveda, Juan 449 Giroday, Véronique de la 388 Gironella, José Mana 132,281 Giusso, L. 152 Glarianus Meldenus, Franciscus 348 Gleim, Ludwig J.E. 238, 264 Glockner, Tilomas 67 Gmünder, Disu 420 Gnekow, Anne-Christine 368, 424 Gnüg, H. 276 Gobiet, Ronald 207 Góchhausen, Ernst August Antón von 253 Goebbels, Joseph 126 Goedeke, Karl 250 Goethe, Johann Wolfgang von 26, 33, 54, 57, 84, 97, 101, 105, 107,111, 120, 171,227, 232, 234, 249, 256, 262, 266, 275, 284, 294, 358, 359, 360, 365, 380, 388, 396, 398-101, 404, 405, 460, 480 Gois, Damiáo de 100 Goldoni 352 Goldscheider, Ludwig 360 Goldsmith, Oliver 249 Góllner, Cari 304 Golze, W. 271 Gómez de la Serna, Gaspar 80 Gómez de la Serna, Ramón 282 Gómez y García-Ribera, Julián 128 Gómez, Jesús 80 Góngora y Argote, Luis de 56, 209, 229, 230, 237, 238, 243, 259, 278, 279 González Ollé, Fernando 440 González Palencia, Angel 495 González Posada, Adolfo 7 González Rolán, Tomás 214

González, Valentín 128 González-García, Manuel-José 257 Göriz, K.A. 250 Gorkin, Julián + Gómez y García-Ribera, Julián Görres, Joseph 467, 484 Gottsched, Johann Christoph 240, 249, 349, 355 Gottschling, Caspar 240, 350 Goya, Francisco de 51, 58, 280 Goytisolo, Juan 125, 126, 132, 133, 143, 269, 274, 280, 281, 282, 287 Goytisolo, Luis 132, 282 Gracián de la Madre de Dios, Jerónimo 335 Gracián y Morales, Baltasar 83, 206, 209, 210, 221, 236, 238, 239, 240, 245, 255, 276, 344, 345, 347-350, 473 Grack, Günther 376 Graef, Juan Enrique de 71,75 Graf, Paul 314 Granada, Luis de 208, 218, 219, 227, 334, 437, 445 Granges de Surgères, Marquis de 244 Granjel, Luis S. 283 Grant, W. Leonard 214,215 Grass, Günter 275 Graves, Richard 252 Greco, El (Dominikos Theotokopulos) 48, 53,58, 131, 142, 494 Green, Otis H. 199 Greene, Graham 268 Gregor, Joseph 13, 109-110, 115, 127, 377 Gregor-Dellin, Martin 361 Greif, Wilhelm 114,487 Greifelt, Rolf 244 Gretschel, Hans-Volker 287 Gretser, Hugo 357 Greulich, E.R. 141 Griep, Wolfgang 190 Griera, Antoni 28 Gries, Johann Diederich 275, 360, 362, 363, 381 Griffin, Clive 67 Grillparzer, Franz 359, 362, 387, 390, 472, 473 Grimm, Friedrich Melchior 230, 248 Grimm, H. 305 Grimm, Jacob 365, 464 Grimm, Wilhelm 365, 380 Grimminger, Rolf 245, 345

519 Gröber, Gustav 26, 462 Groß, Erhart 296 Große, Karl Friedrich A. 105, 233, 234, 255 Grossmann, Rudolf (Rodolfo) 31,38,39, 113, 269,274,278,477, 481 Groß-Seufftzen, Christian Liebfriedt von 148, 171 Grothe, Hugo 114,134 Grünbaum, Max 150, 170 Gründgens, Gustaf 402 Grünpeck, Joseph 297 Gruterus, Jan 456 Gryphius, Christian 240, 255 Guadaña, Gregorio 244 Guàrdia, Roser 25, 39 Guardiola, Carlos-Jordi 39 Guarini, Giovanni Battista 456 Guelbenzu, José María 283 Guevara, Antonio de 208, 210, 212, 218-222, 236, 238, 309, 334, 343, 344, 345, 437, 445,450,451,456 Guibert, Conde de 83 Guicciardini, Francesco 44 Guille, Martine 507 Guillén de Bracar, Arnao 64, 70 Guillén, Jorge 277 Guimerà, Angel 40 Gumbel, Hans 353 Gumbrecht, Hans-Ulrich 271,487 Gundling, Nikolaus Hieronymus 70, 98-99, 103, 109, 228, 229 Gundolf, Friedrich 399 Günther, Engelbert 393 Gustav II. Adolf (Wasa), König von Schweden 146, 163, 164 Gustavus Selenus ->• August, Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel Gutenberg, Johannes 59 Gutiérrez Girardot, Rafael 487, 507 Gutiérrez, Andrés 66 Gutiérrez, Asensio 145 Gutiérrez, Jesús 92 Guy, Alain 287 Haacke, Wilmont 263 Haas, Cari Max 353 Habsburg, Otto von 15, 17, 116, 137, 139140 Hackfurt, Lucas 310,311 Hackländer, Friedrich Wilhelm 55

Hadley, Michael 242 Haebler, Konrad 27, 57, 59, 61 Haecht, Willem van 184 Haensch, Günther 25, 39 Haerdter, Robert 124, 141 Hagelstange, Rudolf 274, 278 Hagembach, Pedro 62 Hagen, Gunther 123, 127, 141 Hahn, Kurt 227 Hahn, Modestus 262 Hainhofer, Philipp 207, 208, 211, 351 Haller, Joseph 463 Hammer von Purgstall, Joseph 463 Hannemann, K. 85 Hanssen, Friedrich 462 Happ, Alfred 353 Hardenberg, Georg Philipp Friedrich Freiherr von 365 Hardy, Swana L. 380 Harms, Wolfgang 147, 175, 179 Harnack, Adolf von 82 Harphius, Henricus 334, 335 Harsdörffer, Philipp Georg 206, 216, 226, 227, 341, 453, 456, 457 Härtel, Helmar 205 Hartknopf, Andreas 249 Hartmann, K. 80 Hass, Hans Egon 383, 386 Hatzfeld, Helmut 338, 483, 484, 489, 502, 504, 505, 506 Hauffen, Adolf 159, 167, 168, 169 Haupt, Adolf 57 Hauser, Otto 38 Hausmann, Frank-Rutger 506 Hausmann, Franz Josef 438 Hazañas y la Rúa, Joaquín 67 Head, Richard 246, 247 Hebbel, Friedrich 359 Hebreo, León -» Abrabanel, Judah Hedió, Kaspar 302, 304, 305, 310 Heer, Friedrich 388 Heeren, Arnold Hermann Ludwig 88 Hefele, Carl Joseph von 471 Hefele, Hermann 506 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 389, 473, 497 Heidegger, Martin 120 Heine, Gotthold 27 Heine, Heinrich 105, 365, 391 Heineccius, Johann Gottlob 348

520 Heinermann, Theodor 271 Heinrich der Jüngere, Herzog von Braunschweig 146 Heinrich III. Henri III, roi de France Heinrich IV. ->• Henri IV, roi de France Heinrich, Willi 281 Heinse, Wilhelm 55 Heinsius, Daniel 223, 290 Heise, Jürgen 279 Hellwig, Karin 56 Helmholtz, Hermann von 388, 473 Helvicus, Christopherus 316 Helwig, Christoph 308 Hemingway, Ernest 128, 132, 268, 281 Hempel, Wido 39, 295 Henningsen, Bernd 473, 486 Henri III, roi de France 146 Henri IV, roi de France 146 Henrich, Heinrich 354 Herbert, George 347 Herbst, Magnus 67 Herder, Johann Gottfried 9, 49-50, 51, 82, 86, 101, 103, 105, 106, 191, 195, 230, 231, 234, 235, 238, 240, 248, 249, 251, 258, 264, 389, 436, 460, 464, 465, 478, 501 Herding, Otto 302, 308 Hermand, Jost 288 Hermsdorf, Klaus 127 Hernández Villaumbrales, Pedro 249 Hernández, Miguel 278 Herodot 223,290 Herr, Richard 92 Herrera, Fernando de 456 Herrero, Martín 125, 130 Herrig, Ludwig 87 Herrmann, Ehrenfried 169, 304 Herzog, Reinhart 507 Heselhaus, Clemens 402 Hesse, Volker 407 Heuberger, Johann Wilhelm 243 Heyd, Kaspar ->• Hedio, Kaspar Heyde, Johann Daniel 242 Heydenreich, Karl Heinrich 239 Heydenreich, Titus 112 Heyland, Rudolf August 243 Heymann, Jochen 92, 256 Heyse, Paul 86, 464, 472 Hilka, Alfons 491 Hillach, Ansgar 386 Hina, Horst 39

Hinterhäuser, Hans 21, 115, 118, 274, 282, 388, 483 Hinterlohr, R. 143 Hintze, Heinrich 252 Hippel, Theodor Gottlieb 253 Hirsch, Erik 397, 473 Hita, Arcipreste de 199 Hitler, Adolf 91, 107, 109, 126, 135, 284, 377, 403 Hobbes, Thomas 347 Hoefnaghel, Joris 181 Hoffmann, E.T.A. 105 Hoffmann, Gottfried 327 Hoffmeister, Gerhart 111, 130, 131, 150, 178, 215, 222, 225, 228, 287, 448, 456 Hoffmeister, Johannes 223, 295, 449 Höffner, Joseph 138 Hofmann, Konrad 38 Hofmannsthal, Hugo von 366, 367, 368, 370, 372, 373, 375, 377, 378, 398, 400, 401, 402, 406, 407, 408, 411, 423, 424, 479, 505 Hohenemser, Paul 148-156, 159, 164, 165, 166, 173 Hohenstein, Siglinde 256 Hölderlin, Johann Christian Friedrich 398, 399 Holeczek, Heinz 302 Hölscher-Lohmeyer, Dorothea 398 Holthusen, Hans Egon 398 Holtus, Günter 227 Holtz, Georg von 62, 65 Holtz, Uwe 243 Homer 209,223,290 Hönsch, Ulrike 92, 190, 232 Horst, Karl August 274, 277, 281, 404 Hortleder, F. 321 Hösle, Johannes 29, 38, 39, 40 Hösle, Vittorio 38 Huarte de San Juan, Juan 211,219, 220, 229, 239, 451,456 Huber, Egon 277, 278 Huber, Ferdinand 353 Huber, Joseph 40 Huber, Victor Aimé 86, 461, 472 Hübner, Emil 57, 88 Hueber, Ferdinand 356 Huerkamp, Josef 51,191 Hüffer, Hermann Josef 13, 107, 114, 116, 136, 138

521 Hugo, Victor 493 Huguet, Jesús 62 Huhle, Rainer 128 Hühns, Erik 145 Huizinga, Johan 506 Humboldt, Alexander Freiherr von 84, 88 Humboldt, Caroline von 54, 55, 84-85, 93, 266 Humboldt, Wilhelm Freiherr von 26, 33, 40, 54, 55, 84-85, 90-93, 106, 266, 461, 463, 473, 474, 486 Hundemann, Heinrich 181 Hürlimann, Thomas 4 0 7 ^ 1 2 , 414, 417-423 Hurtado de Mendoza, Juan 214, 246, 255, 338 Hurtado Jiménez, J. 214,295 Hurtado, Juan 495 Hurus, Johann 62, 64 Hurus, Paul 37, 60, 62-64, 69 Huß, Johann 150 Hutten, Ulrich von 168, 305, 326 Hutz, Leonhard 62, 64 Ibárruri, Dolores 127 Icaza, Carmen de 282 Ignacio de Loyola 33, 110, 285, 392, 502, 504 Ignatius von Loyola ->• Ignacio de Loyola Immenkötter, Herbert 320, 323 Inés de la Cruz, Sor Juana Juana Inés de la Cruz, Sor Ingenschay, Dieter 272 Ionesco, Eugène 277 Iriarte y Oropesa, Tomás de 83, 238, 259, 265 Isabel la Católica, Reina de Castilla 14, 22, 45, 110 Isabella die Katholische, Königin von Kastilien Isabel la Católica Iserloh, Erwin 320 Isidorus de Sevilla 120 Isla de la Torre y Rojo, Padre José Francisco 233, 236, 249, 260, 261, 262 Italus, Sigonius 303 Iwasaki, Fijiro 288 Jacobi, Johann Georg 230, 237 Jacobus a Voragine 67 Jacobus Magnus de Argentina 68 Jacquot, J. 356 Jaffé, Fritz 135

Jagemann, Joseph 263 Jäger, Hans-Wolf 190 Jäger, Richard 137 Jakobus, Heiliger (der Ältere) 59, 164 Janés, Alfonsina 40, 386 Janner, Hans 474, 487 Jansen, J. 173 Jantz, H. 253 Jarcke, Karl-Ernst 384 Jardine, Alexander 191, 192, 196, 197 Jariges, Karl Elias J. Ferdinand von 55 Jean Paul 254, 365, 398 Jehle, Peter 506 Jens, Inge 398 Jiménez de Patón, Bartolomé 432 Jiménez Delgado, J. 307 Jiménez, Juan Ramón 277, 278, 283 Joan i Tous, Pere 366, 392 Joäo II, Rei de Portugal 68 Jocher, C.G. 346 Jocher, Wilhelm 149 Jodocus ex Gerlishofen 68 Johann II., König von Portugal Joäo II Johann Kasimir Pfalzgraf bei Rhein 308, 315 Johann vom Kreuz Juan de la Cruz Johann Wilhelm (Jan Weilern) von der PfalzNeuburg, Kurfürst 34 Johannes (der Evangelist) 374 Johannes de Spira 68 Johannes der Täufer 161 Johannes von Salzburg 62 Joly, Barthélémy 183,188 Jonard, Norbert 192 Jones, Owen 49 Juan Carlos, Rey de España 20 Juan de Jesús María 219,334,336 Juan de la Cruz 219, 279, 285, 333, 334, 337, 338, 341, 342, 343, 346 Juan de San Jerónimo 336 Juana Inés de la Cruz, Sor 356 Jud, Leo 306,311,316 Julius, Nikolaus Heinrich 381,383 Jung, Johann Andreas von 259 Jung-Lindemann, Frauke 287 Junkers, Herbert 351 Juretschke, Hans 40, 111, 217, 233, 234, 257, 258, 388, 474 Justi, Carl 56-58,471 Jüttner, Siegfried 21, 92, 228

522 Kailuweit, Rolf 39 Kaiser, Gerhard R. 267 Kälin, Werner Karl 424 Kainein, Albrecht Graf 213 Kalwa, Erich 260 Kamerlander, Jakob 306, 310 Kantorowicz, Alfred 127,287 Kapp, Johann Erhard 230 Kapp, Volker 374, 375, 424 Karl I. Emanuel, Herzog von Savoyen (der Große) -»• Carlo I Emanuele Karl I., Herzog von Braunschweig-LüneburgWolfenbüttel 73 Karl I., König von Spanien ->• Carlos I Karl IV., König von Spanien ->• Carlos IV Karl V., deutscher Kaiser -»• Carlos I Karlinger, Felix 38 Katte, Maria von 206 Kaufhold, Ludwig Anton 195, 197, 198, 201 Kaufmann, Christoph 36, 37, 59, 62, 70 Kaufmann, Richard 125 Kaufmann, Rudolf 506 Kayka, Ernst 401 Kayser, Albert Kaspar 265 Kayser, Albrecht, Christoph 192 Kayser, Wolfgang 231 Kayserling, Meyer 463 Kehr, Paul Fridolin 27, 88 Kehrer, Hugo 59, 122 Keil, Johann Georg 382, 396, 464 Keiser, Rut 171,441 Keith, Marschall Georg 72, 73, 83 Keller, Adelbert 275, 297 Keller, Daniel S. 223 Kellermann, Wilhelm 114, 269 Kelletat, Andreas F. 235, 258 Kelso, Ruth 313 Kern, Hanspeter 387 Keßler, Harry Graf 32 Kesten, Hermann 110, 127, 280 Keyserling, Hermann Graf 9, 12, 110, 119, 121, 131, 142, 269, 438, 482, 483, 499, 500 Kiesel, Helmuth 374, 424 Kiesler, Reinhard 507 Kieslich, Günther 145 Kiewe, R. 130 Kilian, Lucas 206 Kinckius, Johannes 337, 338 Kircher, Athanasius 34,211

Kirkman, Francis 247 Kirsch, Edgar 127 Kish, Kathleen von 296 Klaiber, Ludwig 34, 38, 40 Klauber, K. 336 Klein, Julius Leopold 108-109, 122, 387, 391-396, 466, 468, 469 Kleist, Heinrich von 107, 398, 399 Klemm, Walter 354 Klemperer, Eva 491 Klemperer, Victor 466, 480, 481, 4 8 3 ^ 8 7 , 489-507 Klinger, Friedrich Maximilian 55, 255 Klopstock, Friedrich Gottlieb 230 Kl otsch, Andreas 281 Kluge, Friedrich 168, 172 Klünner, Lothar 278 Klüppelholz, Heinz 80 Knipping, J.B. 336 Knoche, Hans Ludwig 206 Koberger, Anton 60 Koch, Georg 64-65, 69, 70 Koeler, Friedrich 463 Koestler, Arthur 127,133 Kohl, Karl-Heinz 429 Kohlund, Erwin 369 Kohut, Karl 287 Kolumbus, Christoph ->• Colon, Cristöbal Kommereil, Max 275, 366, 377, 390, 396, 398^06 Komorowski, Manfred 234 Konetzke, Richard 80, 92, 138, 234 König, Christoph 400 Koppenfels, Werner von 279 Körner, Karl-Hermann 440 Körting, Gustav 462 Kortum, Karl Arnold 249 Koselleck, Reinhart 507 Koser, Richard 149, 173 Kotte, Andreas 368, 424 Kralik, Richard von 367, 368 Kramer, Martin 153 Kramer, Matthias 432 Kratz, Werner 355 Kraus, Georg Melchior 262 Krause, Karl C. Friedrich 107 Krauß, Henning 288, 487, 507 Krauss, Werner 11, 123, 130, 271, 272, 377, 399, 402, 480, 483, 493, 502, 506, 507 Krebs, Richard 170

523 Kremnitz, Georg 474 Krenkel, Max 396 Kresnik, Johannes 408 Kressner, Adolf 464 Kreutzer, Winfried 271 Krieger, Karl 40 Kristl, W.O. 141 Kroebner, Thomas 288 Kroll, Gerhard 115,138 Kröll, Heinz 227,451 Krolow, Karl 274, 278 Kronacher, Bettina 252, 258 Krüger, Fritz 29 Kubarth, Hugo 287, 288 Kubasta 328 Kübel, Hans Gerd 375, 407, 423 Kuen, Heinrich 160 Kuffstein, Baron 226 Kühlmann, Wilhelm 332 Kunz, Gerhard 235 Kurth, L. 253 Kurtz, Carmen 282 Kurz, Gerhard 256 Kurz, Martin 69 Kurzhals, Konstantin 336 Kuyk, Johannes van 157, 186 La Bruyère, Jean de 243 La Fontaine, Jean de 215 LaGeneste, 241,247 La Touche, Chevalier de 71 La Vinaza, Conde 432, 440, 462 Laborde, Alexandre Louis 50 Labra, Gabriel M. de la 7 Lacavallerfa, Pedro de 23 Lachmann, Karl 86,318 Laet, Johannes de 217 Laforet, Carmen 132, 279, 282 Lain Entralgo, Pedro 121, 136 Laitenberger, Hugo 256, 277 Lamberg, Johann Jakob von 209, 212, 352, 449 Lambert, Monique 245 Landwehr, John 175, 336 Lang Brancaforte, Charlotte 227, 451 Lang von Wellenburg, Matthäus 297 Lang, Franz 353, 355 Lange, Wolf-Dieter 487, 506 Langer, Herbert 147 Lansius, Thomas 153, 163, 164, 166, 174,

437, 442 Lanz, K. 38 Laplane, G. 245 Larra, Mariano José de 5 Las Casas, Bartolomé de 118, 119, 184, 217, 285 Laschen, Gregor 278 Laurenti, Joseph L. 240 Lauterbach, Iris 44, 45 Lauterbeck, Georg 302, 308, 315 Lavoisier, Antoine Laurent de 84 Lax, Gaspar 65 Lázaro, Elena 317 Le Poulchre de la Motte Messeme, François 176 Le Villain, Claude 176 Lederer, Herbert 276 Leib, Johann Georg 329, 330, 346 Leibniz, Gottfried Willhelm 34, 211, 240 Lejeune, Fritz 474, 487 Lemcke, Ludwig 361, 388, 389, 467 Lendner, Hans-Harro 423 Lennox, Charlotta 252 Lentzen, Manfred 270 Lenz, Christian 388, 474 Lenz, Jakob Michael Reinhold 249 Lenz, Rudolf 462 Leonhard, Rudolf 110 Lepiorz, Gerhard 122, 129, 270, 275 Lera, Angel María de 281 Lerch, Eugen 483, 484, 487, 491, 507 Lesage, Alain-René 106, 241-245, 252, 352, 470 Lessing, Gotthold Ephraim 53, 205, 209, 211, 229, 237, 239, 242, 244, 249, 253, 254, 256, 257, 318, 399, 460 Leucker, Isaias 149 Lewalter, Emst 215 Liaño, Álvaro-Agustín de 87, 467 Liebeneiner, Wolfgang 402 Liehr, Reinhard 92 Liliencron, Rochus von 145, 146, 167, 172 Lind, Georg Rudolf 274, 277, 287, 288 Lindenberg, Caspar 218 Lindsay, Robert O. 146, 167, 179 Lindscheidt, G. 116 Link, Franz 424 Link, Heinrich Friedrich 260, 471 Linschmann, Theodor 85 Linsmayer, Charles 424

524 Liszt, Franz 361, 396 Livius, Titus 69, 75, 209 Llamazares, Julio 283 Llampillas, Francisco Xavier 234 Llavias, Ramón de 64 Llull, Ramon 34, 35, 38, 40, 210, 211 Loaysa, Garcia de 441 Loeber, Valentin 215 Loetscher, Hugo 122, 141, 143 Lohenstein, Daniel Caspar von 238, 350 Lohr, Charles 27 Loos, Erich 214, 320 Lope, Hans-Joachim 80, 92, 386 López Barrera, Joaquín 176 López Bernasocchi, Augusta 424 López de Abiada, José Manuel 287, 424 López de Ayala, Ignacio 83 López de Sigura, Ruy 206 López Molina, Luis 287 López Pacheco, José 281 López Pinciano, Alonso 459 López, François 92 López, Santiago Sebastián 341 Lorenz, Erika 38, 274, 277 Lorenz, Günter W. 278 Lorinser, Franz 33, 365, 366, 367, 369, 370, 375, 379, 380, 383, 391, 392, 418, 473 Löser, Christian 487, 490, 507 Lothar, Rudolph 31,109 Loyola, Ignatius von -»• Ignacio de Loyola Lubbers, Klaus 374, 424 Lubomirsz, Stanislas 337 Lucena, Juan 67 Lüdeke, Henry 263 Lüdtke, Jens 25, 40 Ludwig Salvator von Habsburg, Erzherzog 29, 38, 463 Luis de Léon, Fray 277, 279, 333, 336, 337, 464, 481, 502 Lukian von Samosata 209, 326 Lumnius, Petrus Andreas 431 Luna, Juan de 246 Luschner, Johann 37, 60, 63 Luther, Martin 24, 99, 167, 168, 169, 185, 220, 304, 305, 310, 317, 318, 320, 325, 326 Lütjen, Hans-Peter 487 Luzán y Claramunt, Ignacio 259 Lyte, Herbert O. 228

Maass, Angelika 38 Maass, Edgar 280 Macchiavelli, Niccolò 210 Macedo, Frei Francisco de Santo Agostinho 215 Machado y Alvarez (Demófilo), Antonio 464 Machado y Ruiz, Antonio 130, 277, 278, 280 Madariaga, Salvador de 120, 125-126, 131, 134, 276, 284, 285 Madrid, Juan 283 Madurell Marimón, José Maria 60 Maecenas, Gaius (Cilnius) 75 Maeterlink, L. 180 Maeztu, Ramiro de 7 Mahn, Karl August Friedrich 85 Maihold, Günther 92 Maillard, André 179 Mainz, Albrecht von 318 Majut, Rudolf 365 Malla, Felip de 63 Malraux, André 132, 281 Maltby, William S. 145, 175 Mameranus, Nicolaus 209 Mañara, Miguel 367 Mann, Thomas 275, 506 Mannach, Eberhard 332 Manrique, Jorge 214,338,482 Manuel, Juan 380, 382, 383 Maragall, Joan 40 Marañón, Gregorio 276, 285 March, Ausiàs 38 March, Susana 282 Marcuse, Ludwig 110 Margolin, Jean-Claude 304, 308 María Teresa, Prinzessin (Neapel) 72 Maria Theresia, österreichische Kaiserin 71 Mariana, Juan de 217, 254, 441, 449 Marías, Julián 18 Marivaux, Pierre Carlet de Chamblain 253 Marnix de Sainte Adelgonde, Philippe de 150 Marques, A. H. de Oliveira 21 Marsé, Juan 283 Martersteig, Max 351 Martial(is), Marcus Valerius 75 Martín Abad, Julián 61 Martinenche, Ernest 245 Martínez de Ampies, Martin 64 Martínez van Wauquier, Mathias 336, 337, 338

525 Martino, Alberto 152, 223, 225, 227, 245 Martzi, Georg 240 Marx, Karl 473 Masen, Jakob 353,356, 357 Massaut, J.-P. 343 Massebieau, Louis 308 Massillon, Jean-Baptiste 262 Masson de Morvilliers, Nicolas 81, 92, 107, 191, 234 Mates, Bartolomé 62 Matos, Manuel de 21 Mattei, Rodolfo di 151 Matthias a Sancto Amoldo 338 Matute, Ana Mana 281, 282 Maunory, Guillaume de 240 Maurer, W. 320 Maximilian I., Kurfürst von Bayern 161, 162, 170 Maximus Transylvanus 319, 326 May, Bartholomäus 212, 352 Mayans y Sisear, Gregorio 199, 211, 229, 262 Mayer, Hans 276 Mayr, Beda 250, 261 Mayr-Deisinger, Karl 146 Mayr-Frich, K. 368 Mäzen(as) -»• Maecenas, Gaius (Cilnius) Meder, Janus 148,150, 160, 170 Medici, Lorenzo de 457 Medici, Maria de 46 Mees, Inge 40 Megiserus, Hieronymus 456 Meier-Graefe, Julius 57 Meintel, Johann Georg 239, 349 Meisner, Daniel 48 Meister, Leonhard 253 Meister, Michael 316 Melanchthon, Philipp 303, 314, 319, 320, 321, 323, 325 Meldola, Abraham 260 Meli, Max 367 Mena, Juan de 64, 65, 67, 208, 211, 225, 292, 293,441,448,454 Méndez, Antonio 386 Mendoza, Bernardino de 210 Mendoza, Eduardo 283 Menéndez Pelayo, Marcelino 14, 326, 327, 331,467, 495 Menéndez Pidal, Ramón 136, 152, 285 Mengs, Raphael 52

Menzel, Wolfgang 351,354 Merás Alfonso, José María 83 Meregalli, Franco 199, 233, 236, 250, 254 Merian, Matthäus 328 Merker, Paul 498 Merkes, Manfred 128 Merula, Paulus 433, 458 Mesen, Jakob 336 Mesnard, Pierre 314 Messmer, Hans 183 Messner, Dieter 260 Metternich, Klemens Wenzel Fürst 384 Meurier, Gabriel 456 Mexia, Pedro 448,459 Meyer, Friedericke 361 Meyer, Heinrich 61 Meyer-Gräfe, Julius 471 Meyer-Lübke, Wilhelm 26, 40, 462 Meyer-Thurow, Georg 51, 191 Mez, Nicolás 438 Michaelis de Vasconcelos, Carolina 462 Michelangelo Buonarroti 53, 399 Michelsen, Peter 377, 424 Michener, James A. 124,142 Mickel, Karl 276 Mienert, Rudolph William 305 Mignault, Claude 181 Miguel de Portugal, Infante Dom 20 Mijares, José Luis 118, 122, 123 Milà i Fontanals, Manuel 28,40 Millás, Juan José 283 Miller, Arthur Maximilian 368 Milosz, Oscar 367 Mira de Amescua, Antonio 352,432 Miranda, Giovanni -»• Mira de Amescua Antonio Mirò, Joan 33 Mithai, Christine 235, 251 Mitterer, Barbara 287 Möbius, Gerhard 381 Moeris, Robert 124, 143 Molard, Simon 157,175,181 Molière, Jean-Baptiste 352, 359 Molina, Alfonso de 209 Molinos, Miguel de 215 Molsheim 249 Moncrif, François 238 Monroy, Ernst Friedrich von 181 Montaigne, Michel Eyquem de 352

526 Montemayor, Jorge de 66, 225, 248, 276,449, 450, 453, 456, 457, 502 Montemayor, Juan 66 Montenay, Georgette de 222 Montero, Rosa 282, 283 Montesinos, José F. 324, 485 Montesquieu, Charles de Secondai, Baron de La Brède et de 229, 232, 234, 487, 490, 507 Montoliu, Manuel de 28 Moore, E.R. 244 Mora, Constancia de la 282 Mora, José Joaquín de 474 Mora, Víctor 32, 38 Moral, Manuel 286 Morales, Luis de (el divino) 53 Morel-Fatio, Alfred 26 Moreto y Cabaña, Agustín 87, 243 Morf, Heinrich 490,496,498 Morhof, Daniel Georg 228, 229, 235, 303 Moritz von Nassau-Dillenburg, Prinz von Oranien 158 Moritz, Karl Philipp 55, 249 Morón Arroyo, Ciriaco 331 Morreale, Margharita 320, 322, 317 Morton, Henry V. 125,143 Morus, Thomas 100 Moscardo, José 91, 117, 140 Mosemann, Hermann F. 156 Mühlen, Patrik von zur 127 Mulagk, Karl-Heinz 222 Mulerius, Carlos 218, 432 Müller, August Friedrich 239 Müller, Gerhard 308 Müller, Johann Gottwerth 253, 255 Müller, Karl W. 263 Müller, M. 314 Müller, Samuel 252 Müller, Tobi 424 Müller, Vinzenz (auch: Möller) 148, 154 Mündt, Theodor 469 Muñoz Molina, Antonio 283 Münster, Sebastian 100, 303 Muntaner, Ramón 27, 38 Münzer, Hieronymus 43, 44, 45, 68, 168, 186, 445 Münzer, Sebastian 441 Muret, Jean 48 Murillo, Bartolomé Esteban 54, 58 Murner, Thomas 166

Murphy, James Cavanah 49 Murr, Christoph Gottlieb von 229, 266 Musäus, Johann Karl 253 Mussafia, Alberto 462 Mussolini, Benito 480 Muster, Wilhelm 274, 279, 283 Myle, Aegidius van der 221 Mylius, Arnold 151 Mylius, Wilhelm Christhelf Siegmund 242, 248, 249 Nahrstedt, Carl 123, 141 Napoleon I. Bonaparte 104, 469, 498 Navagero, Andrea 44-45 Navarro, José M. 133, 287 Navia Osores, Alvaro (Marqués de Santa Cruz de Marcenado) 76 Nebrija, Antonio de 46, 52, 66-69, 320, 431, 433, 434, 435, 440, 459 Neira Vila, José 281 Nellesen, Bernd 125 Neriich, Michael 487, 490, 507 Neu, John 146, 167, 179 Neu-Altenheimer, Irmela 40 Neubauer, Wilhelm Ehrenfried 253 Neumair von Ramßla, Johann Wilhelm 47 Neumann, Petra 40 Neumann-Holzschuh, Ingrid 396 Neumayr, Franz 353, 355 Neumeister, Sebastian 236, 295, 350, 361 Neuschäfer, Hans-Jörg 272, 288, 487, 507 Neuß, Wilhelm 27 Nicolai, Christoph Friedrich 249, 261 Nicot, Jean 181 Niederehe, Hans-Jürgen 443 Niedermayer, Franz 118, 130, 131, 132, 135, 136, 271,288 Nieremberg, Juan Eusebio 219 Nies, Fritz 288, 507 Nietzsche, Friedrich 39, 107, 365 Niggl, Günther 242, 424 Nikolaus von Kues 34, 35 Noe, Alfred 213 Noehles-Doerk, Gisela 44, 55-58, 92, 266 Nohlen, Dieter 125 Nolden, Karl 149 Nonius, Ludovicus Nunes, Luis Norton, Frank J. 60, 61 Notter, Friedrich 275 Novak, Maximilian E. 183

527 Novalis -*• Hardenberg, Georg Philipp Friedrich Freiherr von Nowojski, Walter 487,490, 507 Nunes, Luis 46,217,451 Núñez Cabeza de Vaca, Pedro 285 Núñez Coronel, Luis 319 Obermaier, Hugo 472 Ochino, Bernardino 299 Ochoa, Eugenio de 80 Ochse, Horst 404 Oechslin, Werner 424 Oelinger, Albert 302, 306, 308, 315 Ohlischlaeger, Margret 237 Olagüe, Ignacio 120 Olanda, Juan de 62 Oldenbarneveldt, Jan van 166 Olivares, Conde de 210,285 Oller, Narcis 31,38 Opel, Julius 160, 165, 173 Opitz, Alfred 190 Opitz, Martin 215, 264, 429, 447, 456, 457 Orcibal, Jean 335 Ordóñez, Alfonso 296 Orff, Carl 411 Orozco, Alonso de 333 Ors, Eugenio d' 17 Orta, Garcia da 218 Ortega y Gasset, José 11, 120, 126, 130, 131, 276, 278, 283, 284, 285, 287, 288, 480, 482,486, 493 Ortuheny, Lloren? 60 Ortuhey, Vendei Ortwein, Wendel Ortwein, Wendel 36,60 Orwell, George 127,281 Osmont, Charles 185 Oswald von Wolkenstein 23, 39 Otten, Karl 32, 110 Otto, Karl F. 216 Otto, Walter Friedrich 400 Oudin, César 218, 231, 431, 432, 434, 443, 456 Oven, Wilfried von 126 Ovid(ius) Naso, Publius 209 Owen, John 215 Pabst, Walter 237,243 Paco, Mariano 288 Paganinis, Paganini de 62 Pageard, Robert 230

Palacio Valdés, Armando 103, 105, 279 Palau y Dulcet, A. 247, 325, 327 Palau-Ribes, F. 130, 271 Palm, Erwin Walter 272, 274, 278 Palma il Vecchio 53 Palma, Antonio de 254 Palmart, Lambert 61 Palomino de Castro y Velasco, Antonio 52 Panagathus, Levinus 321 Pando y Mier, Pedro de 357, 382 Pantaleon, Heinrich 302, 303, 307, 308, 314, 316 Papen, Franz von 114 Paracelsus, Philippus Aureolus Theophrastus Theophrastus Bombastus von Hohenheim Paré, Ambroise 153 Parker, Alexander A. 373 Parker, Geoffrey 146 Pascal, Blaise 215 Pasch, Konrad 362 Paso, Alfonso 277 Pastor, José Francisco 214 Pattee, Richard 14, 115, 117, 118, 121-122, 133, 137-140, 285 Paul von Kóln 67 Paul von Konstanz 62 Pauw, Cornelius de 83-84 Pazzaglia, Giovanni Antonio 247 Pedro Alfonso 463 Pedro I, Imperador do Brasil 20 Peers, Edgar Allison 336 Pegnitzer, Johann 67 Peiser, Werner 276 Pellikan, Konrad 308 Penkert, Sibylle 181 Percyvall, Richard 432 Pereda, José María de 279 Pereira, Bento 218 Pérez Bayer, Francisco 199 Pérez de Ayala, Ramón 279 Pérez de Guzmán, Fernán 68 Pérez de Hita, Ginés 55, 238, 264 Pérez de Montalbán, Juan 209, 352 Pérez de Moya, Juan 209, 448 Pérez Galdós, Benito 279, 282, 464 Pérez, Alonso 457 Pérez, Antonio 210,217,285 Pérez-Ramos, Barbara 270 Perl, Matthias 287 Pernety, Antoine Joseph 83, 84

528 Perottus, Nicolaus 62 Perus, Jean 246 Pestalozzi, Rudolf 123, 141 Peter I., Kaiser von Brasilien Pedro I, Imperador do Brasil Peter, Antonio 92 Petrarca, Francesco 68, 199, 215, 306, 450 Petriconi, Hellmuth 271,380 Petrie, Charles 135-136 Petronius, Gajus 199 Petter, Wolfgang 146 Pfandl, Ludwig 110,130,168,186, 271, 317, 352, 445, 472, 485, 487, 489, 496, 502 Pfeffel, I.A. 336 Pfeffer, Maria 148 Pfeiffer, Erna 287, 288 Philalethus, Irenaeus 148 Philipp II., König von Spanien Felipe II, Rey de España Philippi, Adolf 507 Philopator 254 Picasso, Pablo 209 Piccolomini, Enea Silvio de 297, 298 Pichler, Caroline 33, 360 Pichler, Georg 288 Pietschmann, Horst 21 Pike, Fredrick B. 21 Pindl, Theodor 38 Pinette, G.L. 146 Pinilla, Ramón 281 Pisani, Ugolino 298 Pistorius, Hermann Andreas 252 Pizarro, Francisco 195 Planck, Johann(es) 62, 65 Plantin, C. 181 Platter der Jüngere, Thomas Platter, Thomas 441 Platzek, Erhard W. 34, 38 Plautus, Titus Maccius 209, 298 Pleithner, Regina 375 Plüers, Christoph(er) 50, 191 Plutarch(us), Mestrius 209,312,314 Pöckl, Wolfgang 287 Poel, William 367 Poiret, Pierre 333 Poisson Gómez, Madeleine Angélique Pol, Roberto de 152 Poliziano, Angelo 457 Pollmann, Judith 146

255

Poltermann, Andreas 256 Pombo, Alvaro 283 Ponce de Leon, Basilio 336 Ponert, Dietmar Jürgen 214 Pons y Pagés • Bertrana, Prudenci Ponz, Antonio 52, 53-54, 200, 233 Pope, Alexander 199 Poppenberg, Gerhard 274, 423, 488 Pöppinghaus, Ernst Wolfgang 93, 487 Porée, Charles 357 Porras, Juan de 69 Portal, Marta 282 Porti, Klaus 146, 272, 287, 288 Portugal, Pedro de 64 Posa, Pere 65 Possin, Hans Joachim 190 Postel, Christian Heinrich 218, 229, 349, 350, 446 Potier d' Estain, Michel 431, 443 Pous i Pagès, Josep 38 Pous, Antoni 38 Prades, Abbé Jean Martin de 76 Praz, Mario 336 Presber, Rudolf 362, 363 Preußen, Gerhard von 69 Primo de Rivera, Miguel 31,110,119 Pring Mill, Robert D.F. 397, 404 Prüss, Johann 305 Ptolemaios, Claudius 100 Puebla, Conde de la 71 Puente, Luis de la 219, 334 Puente, Pedro Antonio de la Ponz, Antonio Pulci, Luigi 502 Pulgar, Fernando del 217 Purver, Judith 386 Puyol, Julio 7 Pyrckmair, Hilarius 46 Pyrrhon von Elis 75 Quelle, Otto 93, 474 Quevedo, Francisco de 3, 87, 199, 206, 221 229, 241, 242, 246, 247, 248, 255, 259, 261, 264, 276, 279, 345, 436, 473 Quintana i Font, Artur 25, 39, 40 Quintilian(us), Marcus Fabius 444 Quiroga, Elena 282 Quirós, José 89 Quita, Domingos dos Reis 265 Rabe, Horst

320

529 Rabelais, François 241,503 Racine, Jean 355, 387 Racionero, Lluís 21 Raclot, Jean 242, 247 Radatz, Hans-Ingo 38, 39 Raders, Margit 474 Radtke, E. 227 Raffael(lo) Santi 53 Raffalt Toledo, Reinhard 117, 118, 120, 124, 142 Ramos, Coronel 227 Ramus, Petrus 303 Randa, Alexander von 15, 16, 116, 138, 139 Randel, Johann Adolph Friedrich von 233 Ranke, Leopold 88, 365 Ranzow, Heinrich 46 Rassem, Mohammed 193 Rassow, Peter 80, 92, 234, 330 Rathgeb, Jacob 36 Raumer, Friedrich von 145 Rávago, Francisco 80 Redondo, Augustin 220 Régis, C. 465 Regler, Gustav 127, 280 Rehfues, Philipp Joseph 54, 471 Rehm, Walter 507 Rehrmann, Norbert 21 Reichardt, Dieter 241, 247 Reichenberger, Kurt 424 Reichensperger, August 380 Reichert, Rolf 40 Reifenberg, Benno 137 Reina, Casiodoro de 208 Reinhard, Severin 123 Reinhard, Wolfgang 321 Reinhardstoettner, Karl von 309, 353, 472 Reinhardt, Christian Gottfried 218, 438 Reinhardt, Karl 400 Reinhardt, Max 369, 378, 407 Renn, Ludwig 127 Renner, Johann 429 Retchirs, Wilhelm 242 Rettenbeck, L. 166 Reusner, Hieronymus 45 Reventlow, Rolf 128 Revuelta Sañudo, Manuel 331 Rheinfelder, Hans 472 Riba, Charles 28, 39 Ribadeneira, Pedro de 208, 333, 402, 437, 441,445

Ribbentrop, Joachim von 91 Ribera, Francisco de 336, 337, 338 Ricapito, Joseph V. 320 Rice, Eugene F. 313 Richard, Christine 424 Richardson, Samuel 253 Richert, Gertrud 114, 474 Riedel, Georg 148 Riefenstahl, Leni 31 Rijn, G. van 180 Rilke, Rainer Maria 124, 131 Rincón, Carlos 278 Ringrose, David 21 Rio, Manuel del Geibel, Emanuel Ripa, Cesare 341 Rist, Johann 176 Ritter i Obradors, Maria 25, 39 Ritter, Johann Christian 68 Ritzenhoff, Ursula 296 Rivarol(i), Antoine Graf von 82 Rix, Johann 36, 59, 61 Robertson, Ian 190, 232 Robinson, Christopher 326 Robusti, Jacopo Tintoretto Roca, Lope de 36, 60, 62 Roch, Herbert 137 Roderich der Deutsche 59 Rodiek, Christoph 235, 288, 386, 388, 474, 486, 487, 507 Rodoreda, Mercè 32, 38 Rodrigo el Alemán Roderich der Deutsche Rodríguez Alvarez, Alejandro 277 Rodríguez Richart, José 288 Rodríguez, Alonso 219,334,337 Rodríguez, Carlos 218, 432, 446 Rodríguez, Claudio 424 Roegele, Otto B. 137 Roerig, Johann von 148, 150 Roetzer, Hans Gerd 281 Roggiano, A. 287 Rohlfs, Gerhard 490 Röhrich, Lutz 145, 159, 166, 170, 171, 172, 185, 188 Roig, Montserrat 283 Roiter, Fulvio 141, 143 Rojas, Fernando de 208, 225, 292, 294, 448, 454, 455 Roldán Pérez, A. 440 Roloff, Hans-Gert 216 Roloff, Volker 272,289

530 Romera-Navarro, Miguel 214 Romero de Lecea, Carlos 61 Romero, Luis 280 Rôntgen, Karl-Heinz 25, 4 0 Roosbroeck, Robert van 181 Roscoe, Thomas 50 Rosembach ->• Rosenbach, Johann Rosenbach, Johann 23, 37, 63, 65, 69 Rosenberg, Alfred 276 Rosenthal, D.A. 37 Rosenthal, Regine 246 Rôssner, Michael 39, 361, 379 Rothbauer, Anton Maria 14, 115, 117, 118, 121-122, 133, 137-140, 274, 275, 285, 287 Rothe, Arnold 486 Rôtzer, Hans Gerd 241, 244, 245, 247 Rousseau, George Sébastian 200, 246 Rousseau, Jean-Jacques 200 Rôvenstrunck, Bernart 38 Rubio i Balaguer, Jordi 28 Rubiô y Balaguer, Jorge • Rubio i Balaguer, Jordi Ruby, Claude de 167 Riickert, Friedrich 359 Rudin, Ernst 288 Rufo, Juan 209 Ruhfel, F. 248 Ruhl, Klaus-Jôrg 128 Ruhmer, Wilhelm 313 Riilcker, Tobias 476 Rupprich, Hans 296 Russel, Daniel 181 Rustana, José Vicente 79 Rusterholz, Peter 222 Rutledge, John 326 Ruysbroeck 335 Rystad, Gôran 146 Saavedra Fajardo, Diego 2 2 1 , 2 3 0 , 3 4 5 Sabaté Planes, Dolors 288 Sabuco y Alvarez, Miguel 211 Sabuco, Oliva 211 Sabunde, Ramon Sibiuda, Ramôn Sachs, Michael 463 Sachsse, Christoph 305 Sahagun, Fray Bemardino de 285 Saint-Exupéry, Antoine de 268 Saitta, A. 305 Salas Barbadillo, Alonso Jeronimo de 247, 276, 449

209,

Salas Ortueta, Jaime de 213, 488 Salaverría, José María, 10 Salazar, Ambrosio de 432 Salazar, Antonio de Oliveira Salazar, Diego de 210

19, 20

Salerma, Reinmundus 153 Sales, François de 337 Salewski, Michael 133 Salinas, Francisco de 210 Salinas, Pedro 278 Salisachs, Mercedes 282 Salvador, Tomás 281 Salzinger, Ivo 34 San Miguel, Angel 366, 379 San Pedro, Diego de 63, 66, 208, 210, 211, 313,448 Saña, Heleno 286 Sánchez Albornoz, Claudio 9, 501 Sánchez Bella, Alfredo 117, 135, 138 Sánchez de Arévalo, Rodrigo 215, 296, 332 Sánchez de Vercial, Clemente 65 Sánchez Diana, José María 80, 93 Sánchez Ferlosio, Rafael 132, 281 Sánchez Pérez, Aquilino 222 Sánchez Regueira, Manuela 343 Sánchez, T.A. 465 Sánchez-Blanco, Francisco 72, 78, 288, 4 7 4 Sander, Christiane 295 Sander, Gerhard 345 Sandoval, Prudencio de 346 Sandt, Maximilian van der 334 Santa Cruz de Dueñas, Melchor 209 Santa María, Gonzalo 64 Santillana, Iñigo López de Mendoza, Marqués de 67 Sanz del Río, Julián 471 Saquero, Pilar 214 Saroïhandy, J. 26 Sarrailh, Jean 7 2 - 7 3 Sartre, Jean Paul 128,268 Sattler, Maximilian Vincenz 355 Saubert, Johannes M. 325 Sauermann, Dietmar 145 Saura, Carlos 274 Sauter, Johann Leonhard 239 Sawyer, Jeffrey K. 146 Scaliger, Julius Caesar 168,223,290 Scarron, Paul 246, 247 Schack, Adolf Friedrich Graf von 5 1 , 5 5 , 86, 106, 108, 130, 358, 360, 361, 367, 383,

531 388-396, 463,464, 467, 468, 469, 472, 474 Schadel, Bernhard 28, 29, 39, 476 Schaefer, Ernst H. 471 Schaefer, Heinrich 27 Schaeffer, Adolf 362, 395, 396, 469 Schaeffer, Peter 448 Schalk, Fritz 80, 130, 214, 272, 320, 330, 398, 402 Schallenberg, Otto Graf von 352, 449 Schanze, Helmut 361 Schàuffelein, Hans 306 Schedel, Hartmann 68 Scheible, Heinz 320 Scheible, J. 160 Scheid, Nicolaus 353 Scheidl, Ludwig 256, 424 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 254 Schenke, W. 248 Schepeler, Andréas Daniel Berthold 88 Schepper, Cornélius 320 Scherer, Heinrich 353 Scherer, Wilhelm 395 Schewe, Gerhard 288 Schiebeler, Daniel 230, 237, 251, 257 Schieder, Wolfgang 128 Schiller, Friedrich 249, 398 Schiller, Kay 507 Schilling, Michael 148, 175 Schirrmacher, F.W. 27 Schiwy, Gunther 386 Schlechta, Karl 401 Schlegel, August Wilhelm 26, 85-86, 104, 106, 248, 254, 263, 275, 358, 360, 362, 363, 379, 383, 387-390, 400, 402, 461, 463, 465, 466, 467, 474 Schlegel, Friedrich 51, 57, 106, 108, 238, 254, 263, 266, 364, 365, 381, 383, 384, 385, 387-390, 392, 400, 402, 461, 463468, 471, 473 Schlegel, Hans 276 Schlegel, Johann Elias 248 Schlenstedt, Silvia 127 Schlieben-Lange, Brigitte 40 Schlobach, Jochen 228 Schliisselfelder, Heinrich 296 Schmeller, Johann Andréas 171 Schmid, Christian Heinrich 235, 236 Schmid, Ernst August 231, 259, 264, 265 Schmidt, Bemhard 21, 126

Schmidt, Erich 395 Schmidt, Ernst Alexander 27, 87 Schmidt, Friedrich Wilhelm Valentin 86, 387, 393, 463 Schmidt, Peer 111, 145, 170, 178 Schmidt, Peter Heinrich 114 Schmied, Richard 354 Schmieder, Ulrike 93 Schmitt, Carl 5, 89, 118, 174, 184, 284 Schmolling, Regine 288 Schneider, Adam 214,463 Schneider, Marius 27 Schneider, Reinhold 13, 34, 110, 118-119, 131, 136, 283, 288, 369, 375 Schnelle, Kurt 228, 230, 231 Schnering, Ludwig Karl 246, 247 Schöll, Norbert 288 Scholz, Wilhelm von 376, 377, 402 Schön, Heinrich Theodor 381 Schönberger, Axel 21,40 Schöne, Albrecht 153 Schopenhauer, Arthur 276, 365, 473 Schott, Andreas 206, 217, 223, 290, 337, 434, 441, 449-451 Schotten, Hans 305 Schramm, Edmund 380 Schramm, Percy Ernst 9, 117, 141 Schreiber, Georg 40, 138, 343, 351 Schreiber, Hermann 124, 142 Schreyvogel, Joseph 359, 360, 378 Schröder, Konrad 207, 430, 439, 442 Schröder, Rudolf Alexander 398, 406 Schröder, Stephan Michael 473, 486 Schrot, Martin 145 Schubart, Christian Friedrich Daniel 262 Schubart, Walter 122 Schubert, Friedrich H. 149 Schubert, Friedrich Wilhelm 470 Schubert, Otto 489, 507 Schuchardt, Hugo 104, 387, 396, 461, 462, 473 Schuler, Bernhard 39, 368 Schulhoff, Hilda 380 Schulte, Aloys 27 Schulten, Adolf 27, 57, 472 Schultze, Brigitte 256 Schulz, Hans 327 Schulz, J.G. 253 Schulz, U. 424 Schulz-Behrend, George 158

532 Schumacher, Andreas 359 Schumacher, Hans 386 Schürr, Friedrich 283,491 Schwarz, Egon 40, 402 Schwarzenfeld, Gertrude von 15, 116, 139140 Schwedt, Anna Elisabeth von 72 Schweintzer, Hans 306, 310, 311 Schweitzer, Christoph Eugen 157, 170, 172, 178,219 Schwenckfeld, Kaspar von 311 Schwerte, Hans 130 Scoles, Emma 296 Scott, Walter 359 Scotti-Rosin, Michael 260 Scribe, Eugène 359 Scudéry, Georges 248 Seckendorff, Karl Siegmund Freiherr von 264,265 Seckendorff, Tereso 382, 383 Secundus, Johannes 45 Seelen, Johann Heinrich von 229 Segeberg, Harro 190 Segoviano, Carlos 133,287 Seidel-Vollmann, Stephanie 474 Seidlmayer, Michael 27 Seifert, Siegfried 267 Selig, Karl-Ludwig 211, 352 Seiinka, Peter 283 Selintes Weißbach, Christian Seil, Hans-Joachim 125, 126, 141, 143, 269, 283 Semprün, Jorge 281 Sender, Ramon José 133, 280 Seneca, Lucius Annaeus 64, 297 Senger, Annelies 256 Sepasgosarian, Ramin Alexander 93, 487 Serreius, Joannes 443 Servet, Miguel 100, 303 Settekorn, Wolfgang 487 Seybold, David Christoph 250, 261 Seyfried, Carl Heinrich 243 Seyler, Martin 304 Shakespeare, William 56, 86, 109, 199, 251, 359, 360, 387, 388, 391, 392, 396, 463, 469 Shaw Fairman, Patricia 232 Shergold, N.D. 405 Sibiuda, Ramon 35 Siculus, Cataldus Parisius 68

Siculus, Lucius Marineus 64, 66 Siebenmann, Gustav 112, 160, 171, 201, 274, 277, 288, 375, 423, 424 Sieburg, Friedrich 20 Siemsen, Anna 127 Sigaea, Aloysia 353 Signorelli, Pietro Napol 266 Siguán, Marisa 288 Siles, Jaime 278 Silhuette, Etienne de 49 Silva, Feliciano de 449, 453 Simion, Markus 380 Sinisterra Sanchis, José 277 Sisenna, Cornelius L. 453 Sismondis, Simonde de 358 Slaby, Rudolf J. 477 Smollett, Tobias 242, 246 Sobejano, Gonzalo 272, 281 Sobrarías, Juan 64, 65 Soden, Ernst Julius von 254 Soden, Friedrich Julius Heinrich Reichgraf von 265 Soden, Karl August Freiherr von 246 Sohm, Walter 314 Solórzano Pereira, Juan de 222 Soltau, Dietrich Wilhelm 254, 258, 275 Solzbacher, Joseph 38 Sorge, Johannes Reinhard 367 Soriano Pérez Villamil, Maria Enriqueta 192 Sorrento, Luigi 93, 234 Sotomayor, Juan 438 Souchy, Augustin 127 Sozzi, Lionello 145 Spalatin, Georg 325 Spengler, Oswald 11,130 Sperrle, Hugo 91 Spindeler, Nikolaus 37, 62-63, 69, 70 Spinola, Ambrogio 102, 149, 155, 158, 159162, 165, 166 Spinola, Antonio Sebastiào Ribeiro de 21 Spinoza, Baruch (Benedict[us]) de 393, 473 Spitzer, Leo 490 Spranger, Eduard 477 Stackelberg, Jürgen von 238, 241, 250, 345 Stadelmaier, Gerhard 424 Stadler, Ulrich 235, 256 Städtler, Katharina 287 Stagi, Justin 193 Stahl, Artur 55-56 Staiger, Emil 263

533 Stainer, Heinrich 306 Stammler, Wolfgang 424, 498 Stang, Adam 221 Stanislaus von Polen 67 Staub, Margret 237 Steefel, Lawrence 93 Stefenelli, Arnulf 160 Steffens, Henrik 107, 108, 470 Stegemeier, Henri 181 Stegmann, Tilbert Didac 25, 29, 38, 39, 40, 63, 473 Stegmüller, Friedrich 27 Steimer, Nolehard -«- Meister, Leonhard Steiner, Heinrich 312 Steinhöwel, Heinrich 215, 332 Steinmetz, Bernhard Michael 368 Stengel, Eduard 431 Stepney, William 432 Stem, Martin 424 Sterne, Laurence 242 Stewart, William E. 190, 232 Stierle, Karlheinz 507 Stockei, Anselm 211 Stoll, Andreas 247 Stolz, Alban 5, 55, 108, 391, 470 Storost, Jürgen 474 Straub, Eberhard 21 Streuber, A. 443 Strosetzki, Christoph 224, 271, 295, 316, 322 Stückl, Christian 407 Stumpf, Georg 248 Stúñiga, Baltasar de 450 Stupperich, Robert 305, 308 Sturm, Johann(es) 310,314,315 Sucher, C. Bernd 168 Sudhof, Siegfried 377, 424 Sueton(ius) Tranquillus, Gaius 309 Sugranyes de Franch, Ramón 287 Sullivan, Henry W. 236, 351, 424 Sumarán, Juan Angel de 218, 430, 432, 433, 435, 438, 442, 443 Suphan, B. 50 Suppan, W. 145 Surdan, Peter 123, 141 Sutermeister, Heinrich 369 Szarota, Elida Maria 353 Tacitus, Publius Cornelius 183 Tafur, Pero 59 Taine, Hippolyte 108, 394, 468, 494, 499

Talander -*• Bohse, August Talavera, Hernando de 68 Tammen, Silke 44 Tàpies, Antoni 33, 38, 39 Tarnai, Andor 349 Tasso, Torquato 215,360,450 Taubmann, Friedrich 457 Tauler, Johannes 335 Teissier, Antoine 330 Telemann, Georg Philipp 252 Tennstedt, Florian 305 Terentius Afer, Publius 223, 297 Terenz -»• Terentius Afer, Publius Teresa de Ávila, Santa (oder: T. de Jesús) 10, 118, 207, 219, 236, 285, 332-343, 441 Teresia, Heilige Teresa de Ávila, Santa Teuber, Bernhard 227 Texeda, Jerónimo 226 Theodoricus Alemannus 60 Theodosius, Kaiser 44 Theophrastus Bombastus von Hohenheim 34 Theresie, Heilige Teresa de Ávila, Santa Thibault 254 Thomae, Helga 183, 184, 187 Thomas von Aquin 366, 392 Thomas von Kempis 208 Thomas, Hugh 128 Thomasius, Christian 238, 239, 345 Thorau, Henry 406 Thorer, Konrad 275 Thurein, Johann 165 Tibaldi, Pellegrino 49 Tichmann, K. 135 Ticknor, George 383, 388, 467 Tieck, Ludwig 83, 85-86, 254, 258, 263, 275, 358, 387, 389, 396, 461, 467, 471 Tieghem, Paul von 214, 231 Tiemann, Hermann 129, 148, 219, 223, 228, 236, 296, 351 Tietz, Manfred 111, 112, 201, 223, 231, 234, 256, 257, 272, 288, 295, 344, 366, 374, 393, 396, 424, 437, 459, 474 Tilly, Johann Tserclaes Graf von 162, 164 Timme, Christian Friedrich 249 Timoneda, Juan 464 Tintoretto (Iacopo Robusti) 53 Tiraboschi, Girolamo 234 Tirso de Molina (Gabriel Téllez) 276, 390 Titz, Johann Peter 215 Titze, Marion 424

534 Tizian(o) Vecellio 53, 504 Tobler, Adolf 87 Tobriner, M.L. 313 Todtenheim, Theophilus Wahrmundt von (Pseudonym) 148, 172 Toepfer, Nina 425 Tolivier, Suzanne Shipley 288 Tomás de Jesús 334, 335, 337, 343 Torneo, Javier 277, 283 Torquemada, Antonio de 110, 209, 448 Torre, Alfonso de la 61 Torrente Ballester, Gonzalo 283 Torres Bollo, Diego de 217 Torres Gost, Bartolomeu 40 Torres Naharro, Bartolomé de 208, 211, 448 Torres-Alcalá, Antonio 320 Tosques, Francesco 239 Tovar, Antonio 438 Tovar, Franciso 63 Townsend, Joseph 195, 198 Trabant, Jürgen 474 Trautmann, Franz 351 Trautwein, Georg 349 Treitschke, Heinrich von 6, 56, 88, 106, 108, 124, 394, 470, 493 Tressan, Comte de 249 Treu, Michael Daniel 351 Trincher, Pedro 62 Tragus, Pompeius 99 Truchseß, Georg 317 Trujillo, Ramón 440 Tscheer, Rosmarie 425 Tubal (Sohn des Japhet) 168, 183 Tully, Carol 386 Turler, Hieronymus 46 Turmeda, Anselm 35,36 Turnébe, Adrien 457 Tusquets, Esther 282 Twiss, Richard 197, 199, 233, 264 Tychsen, Thomas Christian 192, 196, 200, 231,265 Tympius, Matthäus

227

Ueding, Gert 72, 345 Uhland, Ludwig 106 Uhse, Bodo 127 Ulenhart, Nikiaus 329 Ulloa, Alfonso de 437, 346, 446 Ulloa, Antonio de 83 Ullrich, H. 242

Ulrich, Anton 207 Ulrich, Philipp Adam 348 Unamuno, Miguel de 9, 10, 12, 15, 110, 115,118, 119, 130, 131,278, 283, 288, 438, 467, 483 Ungut, Meinhard 67 Urcullu, Manuel de 82 Urfé, Honoré d' 450, 456 Urrea, Pedro de 66 Urries, Hugo de 64 Ursinus, Caspar 297 Usher Chrisman, Miriam 305 Uslar, H. von 123, 141 Ussieux, Louis d' 253 Valbuena Prat, Angel 136 Valdeiglesias, José Ignacio Escobar Marqués de 13,15,117,137,139 Valdés, Alfonso de 208, 223, 317-331, 346, 452 Valdés, Juan de 317,327 Valdés, Rodrigo de 445 Valente, José Angel 278 Valentin, Jean-Marie 332, 353, 424, 450 Valera, Diego de 64, 66, 70 Valera, Juan 279, 282 Valerius Maximus 64 Valle-Inclán, Ramón del 273, 276, 277, 282, 288, 289 Valverde, Juan de 153,210 Varela Martínez, María Jesús 386 Varela, José Luis 136 Varey, J.E. 405 Vasaeus, Johannes 217 Vázquez Montalbán, Manuel 283 Vega Carpio, Lope Félix de 56, 86, 87, 88, 199, 209, 213, 236, 249, 261, 264, 265, 266, 276, 278, 279, 351, 352, 353, 362, 383, 387, 390, 395, 464, 472, 475 Vega, Miguel Ángel 234, 258 Velasco, Julián de 92 Velázquez de la Cadena, Mariano 464 Velázquez, Diego Rodríguez de Silva y 48, 53, 54, 56, 57, 58, 142, 471, 504 Velázquez, Luis José 54, 230, 257, 467 Vélez de Guevara, Luis 243 Vellusig, Robert 72 Verdaguer, Jacint 31, 39, 40 Vergara, Máximo 17 Vergil(ius) Maro, Publius 65, 75, 209

535 Verinus, Michael 66 Vermeylen, Alphonse 343 Vernulaeus, Nicolaus 48 Veronese, Paolo 53 Vesper, Bernward 274, 278 Veuillot, Louis 5 Vian Herrero, Ana 327 Vicens Vives, Jaime 285 Vicente, Gil 464 Vidal Cadellans, José 281 Vidal de Noya, Francisco 64 Vigoleis Thelen, Albert 32, 275 Vilallonga, José Luis de 281 Vilanova, Arnau 35, 210 Villalón, Cristóbal de 440 Villa-López, Jaime 76 Villanueva, Balbino Marcos 357 Villanueva, Jaime 52 Villanueva, Tomás 334 Villegas, Esteban Manuel de 238,259, 265 Vincke, Johannes 27,59, 233,257, 388, 474 Vittori, Girolamo 443 Vitzlant ->• Weißland, Jakob Vives Coli, Antonio 326 Vives, Juan Luis (Joan Lluís) 35, 36, 206, 210, 215, 302-316, 322, 326, 331, 332, 448, 459 Voegelin, Eric 128 Vogel, Eberhard 24, 30, 31, 38, 40 Vogelgsang, Fritz 32, 36, 37, 38, 273, 274, 276-279, 282 Voigt, Johannes 145, 168 Volk, Wilhelm 130, 383, 388, 467 Volkmann, Johann Jakob 25, 54 Vollmer, Günther 92 Vollmoeller, Karl 465 Voltaire (François Marie Arouet) 72, 76, 191, 200, 215, 232, 234, 241 ,487, 507 Voretzsch, Karl 474 Voß, Johann Heinrich 106 Vossler, Karl 12, 28, 39, 119, 277, 363, 364, 378, 405, 439, 472, 478^t81, 483, 484, 485, 487, 490, 491, 492, 494, 502, 505 Vosters, Simon Anseimus 146,186 Vulcanus, Bonaventura 443 Vulpius, Christian August 255 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 365 Wacker, Gertrud 114, 270, 488 Waetzold, Stephan 476

Wagener, Johann Daniel 259, 260 Wagenseil, Christian Jakob 239 Wagner, Birgit 39, 361 Wagner, Cosima 361 Wagner, Richard 39, 40, 361, 369, 396 Wahrmundt von Tottenheim, Theophilus 436 Wahrnrechtigen, Justus Jonas von 148 Wais, Kurt 39, 130, 269 Waldeck, Oskar 145 Waldesius, Alphonsus 325 Walk, Cynthia 377 Wallenstein, Albrecht Wenzel Eusebius von (Herzog von Friedland) 47 Walz, Herbert 288 Walzel, Oskar 401,496 Wanckel, Johann 220, 344,451 Wander, Karl Friedrich Wilhelm 163, 429, 435, 440 Wandruszka, Mario 316 Wang, Andreas 175 Wanner, Irene 354 Wantoch, Hans 488, 503, 504, 505, 507 Warnke, Martin 57 Warpurg, Jeremias Jonaeman von 156 Watson, Foster 313 Wattenbach, Wilhelm 471 Weber, Alfred 312 Weber, Ernst 235,251 Weber, Karl Julius 18 Weber, Petra-Maria 288 Wechssler, Eduard 487, 507 Wechssler, Sigrid 178 Weddige, Hilkert 237, 249 Weiers, Walter 125 Wehle, Winfried 241 Wehrli, Max 216, 226, 227, 380, 450 Weiditz, Christoph 325 Weiditz, Hans 296, 306 Weidner, Johann Leonhard 148,156, 169 Weinert, Erich 127 Weinrich, Harald 214, 440 Weis, Hans 38 Weisbach, Werner 507 Weise, Christian 232, 245 Weise, Georg 489, 507 Weiß, Konrad 368 Weißbach, Christian 239, 350 Weiße, Karl Georg 233 Weißland, Hermann 36 Weißland, Jakob 36, 61,62

536 Weißland, Philipp 61 Weisz, Leo 306,311 Weitenauer, Ignaz 353, 432, 446 Wekhrlin, L. 255 Weller, Emil 147, 353 Welsch, Hieronymus 25, 47 Weiser, Anton 209, 212, 449 WentzlafF-Eggebert, Harald 111, 112, 247, 266, 272, 288, 289, 474 Werner, Zacharias 367 West, Carl August 360 Weyssenhorn, Alexander 306 Wezel, Johann Carl 253 Wibern, Andreas 349 Widmannstetter, Johann Albrecht 327 Wieland, Christoph Martin 249, 253, 257 Wierix, Antoine 184 Wierix, Hieronymus 184 Wilbrandt, Adolf 362 Wilder, Thornton 277 Wildgoose, Geoffry 252 Wilhelm II., deutscher Kaiser 10 Wilhelm von Nassau-Oranien, Prinz 146, 155, 169, 178, 179, 180, 186, 336 Wilkens, Cornelius A. 471 Willers, Hermann 243 Willkomm, Moritz 471 Wilshusen, Ricard 37 Wilson, Charles 175 Winckelmann, Otto 305 Wippich-Rohäckovä, Katrin 231, 430, 443 Wirsung, Christoph 215, 276, 296-301, 313, 440, 453, 455 Wittkopf, Rudolf 274, 278 Wittmann, B. 276 Wittschier, Heinz Willi 271 Wohlfeil, Rainer 112, 128, 140, 474 Woith, Gabriele 25 Wolf, Adolf 467 Wolf, Ferdinand J. 461, 462, 464, 467 Wolf, K. 314 Wolf, Martin 252 Wolfe, John 175

Wolff, Bernhard 467 Wolff, O.L.B. 465 Wölfflin, Heinrich 489 Wolters, Friedrich 399 Wolzogen, Friedrich von 108, 470 Wright, R. 141 Wundt, Wilhelm 478 Württemberg, Ulrich von 326 Wuterich, J.G. 313 Wuthenow, Ralph Rainer 190 Wyle, Nielas von 296, 297, 298 Wyss, Karl-Heinz 306 Xuárez, Fernán

224, 291, 452

Yepes, Diego de 337 Ynduráin, Domingo 423 Zahn, Johannes 185 Zambrano, Mana 282 Zanthen, Friedrich Wilhelm von 265 Zapata de Chaves, Luis 208, 448 Zappala, Michael O. 326 Zavala Zamora, Gaspar 83 Zayas Sotomayor, Maria de 246 Zedlitz, Joseph Christian Freiherr von 359 Zeiller, Martin 43, 47, 103, 171 Ziechmann, Jürgen 80, 92 Ziegler, Hieronymus 312 Zimmer, Heinrich 401 Zimmermann, Christian von 54, 93, 112, 190, 232, 250, 256 Zimmermann, Günter 440 Zimmermann, Johann Georg 229 Zincgref, Julius Wilhelm 156, 160, 167, 172, 181,436,447 Zischka, Anton 126 Zorrilla y Moral, José 276 Zum Jungen, Johann Maximilian 148 Zunzunegui, Juan Antonio de 280 Zurbarán, Francisco de 48 Zwickel, B. 231 Zwinger, Theodor 35, 46 Zwingli, Ulrich 306