Der Schwangerschaftsabbruch aus zivilrechtlicher Sicht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsstellung des nasciturus [1 ed.] 9783428484775, 9783428084777

Die vorliegende Untersuchung widmet sich der bisher wenig beachteten Frage der Bedeutung des Zivilrechts im Zusammenhang

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Der Schwangerschaftsabbruch aus zivilrechtlicher Sicht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsstellung des nasciturus [1 ed.]
 9783428484775, 9783428084777

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ASTRIO BERNARD

Der Schwangerschaftsabbruch aus zivilrechtlicher Sicht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsstellung des nasciturus

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 180

Der Schwangerschaftsabbruch ans zivilrechtlicher Sicht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsstellung des nasciturus

Von

Astrid Bernard

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Bernard, Astrid: Der Schwangerschaftsabbruch aus zivilrechtlicher Sicht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsstellung des nasciturus I von Astrid Bemard. - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 180) Zug!.: Mainz, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08477-2 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-08477-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Meinen Eitern

Vorwort Die vorliegende Arbeit \Wfde im Wintersemester 1993/1994 vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als juristische Dissertation angenommen. Das Manuskript \Wfde im Herbst 1993 abgeschlossen. Danach erschienene Literatur sowie spätere rechtspolitische Ereignisse konnten vereinzelt noch berücksichtigt werden. Mein herzlicher Dank gebührt an erster Stelle meinem verehrten Doktorvater und akademischen Lehrer Herrn Universitätsprofessor Dr. iur. Klaus Müller, der den Fortgang der Arbeit stets mit konstruktiver Kritik begleitet und deren Fertigstellung in vielfacher Hinsicht gefordert hat. In vielen intensiven Gesprächen hat er mir wichtige Anregungen und wertvolle Denkanstöße gegeben und mir dabei gleichzeitig immer genug Raum zum Entwickeln eigener Ideen gelassen. Herrn Universitätsprofessor Dr. Dr. Norbert Hoerster danke ich für die Anregungen im Rahmen seiner Zweitbegutachtung. Besonderer Dank gilt auch meiner langjährigen Freundin und Kollegin, Frau Ute Müller, die mir nach kritischer Lektüre der Arbeit in zahlreichen Gesprächen und ergiebigen Diskussionen lohnende Ratschläge gegeben hat. Für die hilfreiche Unterstützung bei den oftmals mühsamen und beschwerlichen Schreib- und Korrekturarbeiten habe ich besonders meiner Tante, Frau Hannelore Bernard, und Herrn Werner Hammermann aufrichtig zu danken. Nicht zuletzt möchte ich meinen Eltern von Herzen danken, ohne die weder mein Studium noch diese Arbeit möglich gewesen wären. Bodenheim, im Juni 1994

Astrid Bernard

Inhaltsverzeichnis Einleitung ................ .. ......... ...... .. ... ...... .... ... ... ... .. ..... ... ...... .... ............. ... .................. 21 1. Kapitel

Die verfassungsrechtliche Beurteilung des vorgeburtlichen Lebens

23

A Grundrechtsschutz des nasciturus ................................................................... 23 1. Recht aufLeben .............................................................................. ............... 23 a) Grundsätzliches........................................................................ ................. 23 b) Meinungsstand.............................................................. ............................ 24 ( 1) Ein Lebensrecht zugunsten des nasciturus besteht.. ............ ..................24

(2) Der nasciturus ist nicht vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG umfaßt .............................................................. .................24 (a) Ältere Kommentarliteratur .............................................................24 (b) Die Auffassungen Roelleckes und Rüpkes ...................... ............... 26 ( c) Der interessenorientierte Ansatz .................................................... 27 aa) Ausgangspunkt ........................................................................28 i) Lebensrecht für fühlende Wesen .......................................... 29 ii) Lebensrecht für Personen ...... ...... ........................................ 30 iii) Die potentielle Personalität als ausreichendes Kriteriwn für die Zuerkennung eines Lebensrechts ............................ 31

iv) Bevölkerungspolitisches Kriteriwn .....................................32 v) "Gottesebenbildlichkeit" .................................... ................. 32 vi) Beginn des Lebensrechts .................................................... 33

10

Inhaltsverzeiclmis

bb) Kritik ............ ............................ ............................. ................. 34 cc) Stellungnalune ....................................................... .................. 36 c) Auswirkungen auf den nasciturus .............................................................. 39 2. Recht auf körperliche Integrität .......................... ........................................... .41 3. Schutz der Menschenwürde ........................................................................... .43

B. Beginn des Grundrechtsschutzes und Grundrechtsträgerschaft des nasciturus ......................................................................................................... 46 1. Beginn des Grundrechtsschutzes ..... .............................................. ................. 46 a) Nidation .................................................................................................... 46 b) Befruchtung ................. ....... .....................................

0 0 0. 0. 0. 0. 0 • • •••••• •• 0 . 0. 0 • • •• • •

.47

2. Grundrechtsträgerschaft des nasciturus.. ............. ....... .....................................48

C. Konsequenzen für die strafrechtliche Beurteilung des Schwangerschafts.49 abbruchs ............................................................. ............. o ................................

2. Kapitel

Strafrechtliche Aspekte

51

A Die Entwicklung des Abtreibungsstrafrechts als Folge der deutschen Einheit ··································· ···················· ···o········ ······················ ········· ·············51 1. Alte Bundesländer ...........

0

.

..... .

........ .. .

.. ...... .. ...... ... .

.... ...... .... .. ........ ... .... .. ......

51

2. Beitrittsgebiet .................. o.......... o................. ............ oooo•················o............... 53 3. Einigungsvertrag vom 31. August 1990 .......................................................... 53

a) Übergangsregelung .. .................. o.......... o......... o.......................................... 53 b) Das neue Abtreibungsstrafrecht auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts .......... .......................................................................

0 •• •

•••

54

( 1) Das Verfahren der einstweiligen Anordnung ........................................54 (2) Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.05.1993 ................. 55

B. Der nasciturus als Schutzgut der allgemeinen Tötungsdelikte ........................ 56 C. Der Schutz des nasciturus durch die allgemeinen Körperverletzungsdelikte. 56

Inhaltsverzeiclmis

11

3. Kapitel

Der Vertrag über die Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs

57

A Rechtsnatur des auf Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs gerichteten Vertrages ......................................................................................... 5? 1. Privatversicherte oder selbstzahlende Patientin .................................... ,......... 57

a) Vorschriften über den Ort der Durchftlhrung des Schwangerschaftsabbruchs .................................................................. 58 b) Ambulanter Abbruch................................................................................. 58 c) Stationäre Durchftlhrung ...................................................................,....... 59 (1) Totaler Krankenhausvertrag ................................................................. 59 (2) Gespaltener Krankenhausvertrag ......................................... ................60 (3) Totaler Krankenhausvertrag mit Arztzusatzvereinbarung .....................60 d) Kostenerstattung beim Schwangerschaftsabbruch ...................................... 60 2. Sozialversicherungspflichtige Patientin ..........................................................61 a) Ambulante Durchfuhrung des Schwangerschaftsabbruchs .......................... 61 b) Stationäre Aufualune der Schwangeren zwecks Durchfuhrung des Schwangerschaftsabbruchs ........................................................................61 c) Die Kostentragung bei der sozialversicherten Patientin ............ .................. 62

B. Die Rechtswirksamkeit des auf die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs gerichteten Vertrags ... ........ ....................................................................63 1. Verstoß gegen§ 134 BGB ..............................................................................63

a) Grundrechte als ziviirechtliche Verbotsgesetze .......................................... 63 b) Die strafrechtlichen Bestimmungen der§§ 218 ff. StGB n. F. als zivilrechtliche Verbotsgesetze .. ............................ ............................................ 64 (1 ) Vorliegen einer Indikation nach § 218 a Abs. 2 oder Abs. 3 n. F. StGB. ............. .............................................................................64

(2) Abbruch der Schwangerschaft aufVerlangen der Schwangeren durch einen Arzt und innerhalb von zwölf Wochen seit der Empfängnis nach vorheriger Beratung ......................................................... ...................64

12

Inhaltsverzeiclmis

(3) Der geplante Schwangerschaftsabbruch erfilllt die Voraussetzungen der§§ 218, 218 b n. F. StGB .................................... ..........................66 2. Verstoß gegen§ 138 Abs. 1 BGB ................................................................... 66 3. Ergebnis ........................................................................................................ 68 4. Kapitel Zivilrechtliche Einflußmöglichkeiten des leiblieben Vaten auf den geplanten Schwangerschaftsabbruch

69

A Einleitung .. .......................... ... ..... ................ ........ ..... ... ... .................... ........ ... .... 69 B. Rechtslage bei verheiratetem Paar .... ......... ........ ..... ... ........ ............... ...... .... ..... 70 1. Die Voraussetzungen einer medizinischen oder embryopathischen Indikation gemäߧ§ 218 a Abs. 2, 3 n. F. StGB liegen vor .............................................. 70 2. Der geplante Schwangerschaftsabbruch ist vom Regelungsgehalt der derzeitigen Übergangslösung erfaßt. ................. ... ............................................ 71 a) Kündigungsrecht aus §§ 626, 627 BGB ................ ..................................... 72 b) Unterlassungsanspruch aus§§ 1004, 823 Abs. 1 BGB ............................... 72 (1) Das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG .................................................. 72

(2) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG .................................................................. ............... 73 c) Verpflichtung der Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft ................ 74 (1) Es bestehen keine Absprachen über die Familienplanung..................... 75

(2) Absprachen über die Familienplanung liegen vor.. ............................... 76 d) Elterliche Sorge als Anspruchsgrundlage ...................................................77 (1) Beginn der elterlichen Sorge ........ ........ .... .............................. .............. 77

( a) Der nasciturus in den römischen Rechtsquellen.............................. 77 (b) Rechtsfähigkeit des nasciturus ....................................................... 82 aa) Die Berücksichtigung des nasciturus bei der Entstehung desBGB ..... ............................................................................83

Inhaltsverzeichnis

13

bb) Die Problematik der Rechtsfähigkeit des nasciturus im Spiegel der Literaturauffasstulgen ....................................... 84 i) Der nasciturus genießt Wleingeschränkte Rechtsfähigkeit.. ...84 ii) Dem nasciturus kommt keine Rechtsflihi.gkeit zu................. 85

(1) Hölder ......................................................................... 86 (2) Ebbinghaus .................... ............................. .................86 (3) Gernhuber ................................................................... 86

iii) Vermittelnde Ansätze ........................................................ 87 (1 ) Enneccerus - Nipperdey ............................................... 87 (2) Coing/Habermann ........................................................87

(3) Gitter ........................................................................... 88 (4) Lanz-Zumstein ................ ............................................. 88 cc) Kritik und Stellungnahme ........................................................ 89 ( c) Strukturelle Merkmale der elterlichen Sorge .................................. 91 aa) Begriffsbildung ....................................................................... 91 bb) Inhaltliche Ausgestalttulg des Regelungswerkes der elterlichen Sorge ..................................................................... 91 i) Personensorge ........................................................ .............. 92 ii) Vermögenssorge ..................... ............................................ 95 (d) Fazit ................ ... ............................ .. ............................................. 96 (2) Ergebnis ..................................................... .........................................96 3. AuswirkWlgen auf die zu entscheidende Frage .. .............................................97 4. Exkurs: EIZWingWlg der Durchfi1hrung eines Schwangerschaftsabbruchs durch den Vater.. ................. ............................ ............................................... 97

C. Einflußmöglichkeiten des Vaters bei nichtehelicher Schwangenchaft.. ......... 97

14

Inhaltsverzeiclmis

5. Kapitel

Der Schwangerschaftsabbruch Minderjähriger

98

A. Die Einwilligung in den äntlichen Heileingriff ............................................... 99 I. Rechtsnatur des ärztlichen Heileingriffs nnd Bedeutung der Einwilligung ......99 2. Auswirkungen auf das Mindeijäluigenrecht .... .......... ....................... .............. 99 a) Können die Vorschriften der §§ I 04 ff. BGB auf die rechtfertigende Einwillignng analog angewandt werden? ............... ........................... ............ 100 (I) Bosch ..................................................... .................................. ......... 10 I (2) Gitter ...................................................................................... ......... 101 b) Verteilnng der Entscheidnngskornpetenz ................................................. 103 c) Konsequenzen filr die zu entscheidende Frage ......................................... 104 (I ) Ist die zusätzliche persönliche Einwilligung in den Heileingriff neben der der Eltern erforderlich? ........................ .............................. lOS (2) Ist die alleinige persönliche Einwillignng des Jugendlichen in den Heileingriff ausreichend? ......... ................ .......................................... I 06 d) Ergebnis ..................................................................................... ............ I 07

B. Vertragliche Seite..... ........................................... ................................... ... ...... lOS I. Vertragliche Konstruktion ............................................................... ............. lOS 2. Die besondere Handlnngsfähigkeit des in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Jugendlichen ............................................................ I09 C. Sind die Regelungen über die Einwilligung in den äntlichen Heileingriff

auch dann anwendbar, wenn über die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs zu entscheiden ist? ................................ .............................. ............ l 10 I. Die minderjährige Schwangere möchte die Schwangerschaft austragen ..... 111 2. Die Mindeijäluige möchte die Schwangerschaft gegen den Willen ihrer Eltern abbrechen .. ........... ........................................................................... ll2 a) Der geplante Schwangerschaftsabbruch soll aufgrundder derzeitigen Beratungsregelnng erfolgen ................................... ..................... ............. 113

Inhaltsverzeichnis

15

(l) Mitentscheidwtgsrecht der Eltern ........................................ .............. 113

(2) Bestellwtg eines "Pflegers filr die Leibesfrucht"? ............................... 115 (3) Die Bestimmwtg der Entscheidwtgsfahigkeit ..................................... 117 (a) Alleinentscheidwtgsrecht der minderjährigen Schwangeren in jedem Falle? ................................................................................ 117 (b) Die Einführung von Teilmündigkeitsstufen .................................. 118 aa) Gesetzliche Regelwtgen......................................................... 118 bb) Der Gedanke der RechtssicherheiL ........................... ........... 119 ( c) Individualisierende LöSWlg .......................................................... 122 ( d) Zwischenergebnis ........................................................................ 123 b) Die Minderjährige begehrt den Abbruch der Schwangerschaft aufgrwtd einer medizinischen oder embryopathischen Indikation ........................... 123 (l) Die ärztliche Erkenntnis als VoraussetzWlg zur lndikationsfeststellwtg ....... ...................................................................................... 124

(2) Der persönlichkeitsgebwtdene Charakter der Entscheidwtg über den Schwangerschaftsabbruch.................................................................. 124 (3) Das Alleinentscheidwtgsrecht einsichtsfaltiger Minderjähriger. .......... l25 D. Beurteilung der vertraglichen Seite .................... ........................................... 126 E. Kostentragung .... .... .............. .. ............. ........... .. .... ........ ..... ... ... ......... ...... ......... 128 F. Ergebnis ... .. ... ... ... .......... ....... ...... ... ... ..... ...... ........ .. ....... .... .. .... .... ....... ............... 129 Ausblick ................................................................................................... ............ 130 LiteratuJVerzeichnis ................. ........................................................................... 131

Abkürzungen a. A.

anderer Ansicht

a. F.

alte Fassung

a.a.O.

am angegebenen Orte

Abs.

Absatz

AcP

Archiv für die civilistische Praxis

AG

Amtsgericht

allg.

allgemein

AMG

Alzneimittelgesetz

Anm.

Anmerkung

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

ARSP

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie

Art.

Artikel

ArztR

Arztrecht

AtG

Atomgesetz

Aufl.

Auflage

BAGE

Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts

BayObLGE

Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts

BayVBl

Bayerische Verwaltungsblätter

BayVertDH

Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, des Bayerischen Dienststrafhofs und des Bayerischen Gerichtshofs ftlr Kompetenzkonflikte

Bd.

Band

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896

BGBl. I

Bundesgesetzblatt Teil I

BGH

Bundesgerichtshof

Abkürzungen

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BSG

Bundessozialgericht

BSGE

Entscheidungen des Bundessozialgerichts

BSHG

Bundessozialhilfegesetz

BT -Drucks.

Drucksachen des Deutschen Bundestages

BVertG

Bundesverfassungsgericht

BVertGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

bzw.

beziehungsweise

D.

Digesten

d.h.

das heißt

ders.

derselbe

dies.

dieselbe(n)

Dt.Ärztebl.

Deutsches Ärzteblatt

1. EheRG

Erstes Gesetz zur Refonn des Ehe- und Familiemechts

eod.

eodem, ebendort

17

Eph.

Der Brief an die Epheser

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

FamRZ

Zeitschrift fur das gesamte Familiemecht

f.,(ff.)

(fort)folgende (Seiten)

Fn.

Fußnote

FuR

Familie und Recht

GA

Goltdanuner's Archiv fur Strafrecht

Gai. inst.

Gaius, Institutiones

Gen.

Das Buch Genesis

GG

Grundgesetz fur die Bundesrepublik Deutschland

ggf.

gegebenenfalls

Gruchot

Beiträge zur Erläuterung des (bis 15.1871: Preußischen) Deutschen Rechts, begr. v. Gruchot

2 Bemard

18

AbkÜIZUIIgen

Hdb.

Handbuch

h. M.

herrschende Meinung

HRG

Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte

HRR

Höchstrichterliche Rechtsprechung

Hrsg.

Herausgeber

i. d. F.

in der Fassung

i. S. d.

im Sinnedes

i. S.

im Sinne von

V.

i. V. m.

in Verbindung mit

JA

Juristische Arbeitsblätter

ffil

Juristische Blätter

JR

Juristische Rundschau

Jura

Jura

JuS

Juristische Schulung

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristenzeitung

KG

Kammergericht

KGJ

Jahrbuch fi1r Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Kosten-, Stempel- und Strafsachen

KJ

Kritische Justiz

I. Kor.

Der erste Brief an die Korinther

Komm.

Kommentar

LG

Landgericht

LuftVG

Luftverkehrsgesetz

m. w.N.

mit weiteren Nachweisen

:MBIKK

Musterbedingungen des Verbandes der privaten Krankenversicherungen. Allgemeine Versicherungsbedingungen fi1r die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung

MDR

Monatsschrift filr Deutsches Recht

MedR

Medizinrecht

Mot.

Motive

Abkllrzungen

n. F.

neue Fassung

NJW

Neue Jwistische Wochenschrift

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

OLG

Oberlandesgericht

OLGZ

Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen einschließ lieh der freiwilligen Gerichtsbarkeit

OVG

Oberverwaltungsgericht

PrALR

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794

RdJB

Recht der Jugend und des Bildungswesens

Rdnr.

Randnununer

Recht

Das Recht

RG

Reichsgericht

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

RHpflG

Reichshaftpflichtgesetz

RVO

Reichsversicherungsordnung

S.

Seite

s.

siehe

SavZ Rom. Abt.

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung

SFHG

Schwangeren- und Familienhilfegesetz

SGB I

Sozialgesetzbuch Buch 1., Allg. Teil

SGB IV

Sozialgesetzbuch Buch IV., Sozialversicherung. Kap. 1: Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung

SGB V

Sozialgesetzbuch Buch V., Gesetzliche Krankenversicherung

SGB VIII

Sozialgesetzbuch Buch VIII., Kinder- und Jugendhilfe, KJHG

SGG

Sozialgerichtsgesetz

SSW

Schwangerschaftswoche

StAZ

Zeitschrift für Standesamtswesen

StGB

Strafgesetzbuch

StRG

Strafrechtsreformgesetz

StVG

Straßenverkehrsgesetz

19

20

AbkOrzungen

u. a.

Wlter anderem

VersR

Versichenmgsrecht

vgl.

vergleiche

z. B.

zum Beispiel

ZBIJugR,

za

Zentralblatt filr Jugendrecht

ZPO

ZivilprozeßordnWlg

ZRP

Zeitschrift filr Rechtspolitik

Zs.

Zivilsenat

ZStW

Zeitschrift fiir die gesamte Strafrechtswissenschaft

zzgl.

ruzüglich

Einleitung Selten hat ein Thema nicht nur die Gemüter erregt, sondern auch die Gewissen der Menschen derart bewegt, wie die Frage nach der Novellierung des Abtreibungsstrafrechts. Mit der Vereinigung Deutschlands hat die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs neue rechtspolitische Aktualität erlangt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 28. Mai 1993 wesentliche Einzelregelungen des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes SFHG-1 für nichtig erklärt und den verfassungsrechtlichen Rahmen für das nun erneut gebotene Handeln des Gesetzgebers abgesteckt. Eine auf § 35 BVerfGG basierende Anordnung hat eine Übergangsregelung bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung zum Inhalt. Obwohl auch rechtsdogmatische, rechtspolitische und vor allem auch rechtsethische Überlegungen Einfluß auf die vorliegende Problematik ausüben, wird diese vorwiegend unter kriminalpolitischen Aspekten erörtert. Die Bedeutung des Zivilrechts für Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch ist bisher nur wenig beachtet worden2. Dabei spricht dieser Komplex eine Reihe interessanter Fragestellungen an. Es darf aber nicht versäumt werden, zunächst die verfassungsrechtlichen Vorgaben kritisch zu durchleuchten und die strafrechtliche Entwicklung kurz anzureißen. Angesichts der betroffenen Rechtsgüter ist dabei besonderes Augenmerk auf die Position des nasciturus zu richten und abzuklären, inwieweit diese in das Zivilrecht hineinwirkt. Ein Blick auf die Anzahl der in den alten Bundesländern durchgefiihrten Schwangerschaftsabbrüche zeigt auch die praktische Relevanz der Problematik. Nachfolgende Tabelle veranschaulicht die Anzahl der in den alten Bundesländern durchgefiihrten Schwangerschaftsabbrüche3 :

1 Vorn 27. Juli 1992, BGBl. I, 1398. 2 Stümer,

Jura 1987, 75 ff.

Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 12, Gesundheitswesen, Reihe 3'92. Zur Verläßlichkeit der Statistik vgl. Spieker, Jura 1987, 57 ff.; Eser- Koch, Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich, Tei11, S. 234 ff. 3

22

Einleitung

1988 83.784

Insgcum Ledig Verheintd

37.674 39.899

IObis 18

2163

Knria:nhaJs

24.196 58.988

Oynikdogisdle Imis

1989

1990

15.Y1

78.~

lllllh F.mlienslald 32905 33.928 37.630 35.831 lllllh AltasSJURXIl 1.742 1.765 lllllh cbn.Qt d:s ~ 20.261 20.268 58.S40 55.036

1991 74.571

1992 74.8S6

3l.S47 36.524

32273 37.42S

tm

1.863

18.894

18.127 56.7)9

55.6'77

Schon die hier aufgefuhrten Eckdaten der Statistik lassen die Spannbreite der juristischen Fragestellungen erkennen. Den Anfang bilden vertragsrechtliche Probleme4, die die rechtliche Einordnung und die Wirksamkeit des Vertrages betreffen. Ausgelöst durch den Beschluß des AG Köln5 hat die Frage Bedeutung erlangt, ob der leibliche Vater oder beliebige Dritte Einfluß auf die Entscheidung der Frau über die Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs nehmen können. Dabei wirkt z. B. das Eherecht in die Thematik hinein. Im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen von Minderjährigen ist -soweit es um den Vertragsabschluß geht- das Minderjährigenrecht von Bedeutung; für Konflikte zwischen der minderjährigen Schwangeren und deren Eltern hält das Recht der elterlichen Sorge Lösungsansätze bereit. Die hier kurz angesprochenen Punkte zeigen nur einen kleinen Ausschnitt aus der Fülle der sich ergebenden Fragestellungen. Die vorliegende Arbeit will den rechtlichen Zweifelsfragen nicht erschöpfend nachgehen. Vielmehr soll damit ein Beitrag zur Klärung wesentlicher Fragen von grundsätzlicher Bedeutung geleistet werden.

4 Vgl. dazu BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 30 88, 203 (295). 5 AG Köln,

NJW 1985, 2201

=

FamRZ 1985, 519.

=

BVerfGE

1. Kapitel

Die verfassungsrechtliche Beurteilung des vorgeburtlichen Lebens Am Beginn dieser Arbeit steht zunächst ein grundrechtlicher Komplex. Dies mag verwundem - handelt es sich doch um ein zivilrechtliches Thema. Die einführende Darstellung trägt weniger dem Gesichtspunkt Rechnung, daß der Grundrechtsabschnitt in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat gewährt1. Vielmehr richtet sich der Blick darauf, daß der Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes eine objektive Wertordnung enthält, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung fiir alle Bereiche des Rechts gilt, also über den Gesichtspunkt der Drittwirkung hinausgehtl.

A. Grundrechtsschutz des nasciturus Der nasciturus kann womöglich den Schutz dreier Grundrechte für sich in Anspruch nehmen. Als elementare Rechte kommen zunächst das Recht auf Leben sowie das Recht auf körperliche Integrität gemäß Art. 2 Abs 2, Satz I GG in Betracht. Außerdem kann die Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1, Satz 1 GG als Schutzrecht des nasciturus betroffen sein. 1. Recht auf Leben a) Grundsätzliches

Der Wesensgehalt dieses Grundrechts läßt sich am treffendsten mit dem "Recht zu leben", also dem körperlichen Dasein, umschreiben3. Das Recht auf Leben, ein spezielles Freiheitsrecht, gestattet nicht den Rückgriff auf das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG, die freie Entfaltung der Persön1 Grundlegend dazu

das l..Oth-Urteil, BVerfUE 7, I98 (205).

2 Vgl. z. B. BVerfUE 53, 30; 76, I; 77, 170, Alexy, Der Staat I990, 49

Staat, I990, I

f[ jeweils m.w.N.

aus Rechtsprechung und Literatur.

ff., Böckenlorde, Der

3 MaullliDilrig!Herzog/Scholz-Dürig Art. 2 Abs. 2 Rdnr. I , Steiger, Entwicklung im Grundrechtsverständnis in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 2 Satz I GG, in Berberich/Hoii!Maaß, Neue Entwicklungen im öffentlichen Recht, S. 273.

24

1. Kapitel: Verfassungsrechtliche Beurteilung

lichkeit4 . Das Recht aufLeben gemäß Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG ist die logische Voraussetzung aller anderen Grundrechte5 . Es ist das fundamentale Schutzgut für alle weiteren Freiheiten und begründet das Sein, die Existenz6 . b) Meinungsstand ( l) Ein Lebensrecht zugunsten des nasciturus besteht Ein Lebensrecht des nasciturus im Sinne des Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG wird, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, von der Rechtsprechung und überwiegenden Literatur bejaht7. (2) Der nasciturus ist nicht vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG umfaßt (a) Ältere Kommentarliteratur Einige Autoren lehnen indessen einen Schutz des nasciturus durch Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG ab8 . Erhebliche Abweichungen bestehen in der Begründung dieser ablehnenden Auffassungen. Hamann/Lenz9 verneinen einen Schutz des nasciturus aus Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG ohne weitere Begründung. Zum gleichen Ergebnis kommt auch Wernicke in seiner Bearbeitung zum Bonner Kommentar10. Er begründet seine Auffassung mit einer historischen Betrachtung des Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG. Diese Begründung vermag aber für sich betrachtet die Auffassung nicht zu erklären, wie sich schon aus den Ausführungen WerDickes ergibt.

4

Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 24, I 1 c); Maunz/Thlrig/Herzog!Scholz-Dilrig Rdnr.

2 zu Art. 2 Abs. 2 GG.

5 Belling, Ist die Rechtfertigungsthese zu

§ 218 a StGB haltbar?, S. 58.

6 Steiger, Entwicklung im Grundrechtsverständnis in der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-

gerichts - zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, in Berberich!Hoii!Maaß, Neue Entwicklungen im öffentlichen Recht, S. 273, Rüfuer, Grundrechtskonflikte, in Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz li, S. 462. 7 Vgl. nur BVerfUE 39, 1 ff., Maunz/Dilrig/Herzog!Scholz-Thlrig Art. 2 GG Rdnr. 21, Leibholz!Rinck!Hesselberger, GG Art. 2, Rdnr. 470 ff. ; v. MOnch/Kunig-Kunig Art. 2 Rdnr. 47, Herzog, Beiträge zur gerichtlichen Medizin Bd. 27 (1970), 14 (16), v. Mutius, Jura 1987, 109 (ll1 f.), Günther, Universitas 1991, 27 (28). 8 So insbesondere Harnann!Lenz GG Art. 2, B 8, Bonner Konunentar-Wernicke Art. 2 Erl. li 2 b, unentschieden Kern in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Grundrechte, Band li, S. 59. 9

Hamann!Lenz GG Art. 2, B 8.

10 Bonner Konunentar-Wernicke

Erl. li 2 b zu Art. 2.

A Grundrechtsschutz des nasciturus

25

In den Beratungen des Parlamentarischen Rates kam es zur Debatte über das Recht auf Leben zugunsten des nasciturus. Es gibt dahingehende Äußerungen, die den nasciturus als vom Recht auf Leben mitumfaßt erachteten, während andererseits auch eine derartige Auslegung des Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG abgelehnt wurde 11 . Der Antrag, das "keimende Leben" explizit unter Schutz zu stellen, fand keine Mehrheit12 . In der Ablehnung dieses Antrages meint Wernicke zu erkennen, daß damit zugleich einer extensiven Auslegung des Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG der Boden entzogen sei, daß also von Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG nur das Einzelwesen bzw. die Person gemeint, der nasciturus aber nicht als solche zu qualifizieren sei13 . Wernicke verkennt dabei aber, daß seine Argumentation nicht zwingend ist. Der Antrag kann nämlich auch deshalb keine Mehrheit gefunden haben, weil nach der im Ausschuß vertretenen vorherrschenden Meinung das zu schützende Rechtsgut "Leben des nasciturus" bereits durch die gegenwärtige Fassung gesichert war14. Im Ergebnis wird man aber eingestehen müssen, daß die Entstehungsgeschichte des Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG keinen sicheren Anhaltspunkt fiir eine Entscheidung zwischen den beiden Möglichkeiten gibt, sondern sich lediglich auf Vermutungen stützt15. Insoweit ist auch die Kritik Krieles16 an dem Umgang des Bundesverfassungsgerichts mit der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes nicht von der Hand zu weisen. Soweit Wernicke meint, daß es dem nasciturus an der Individuation fehlt 17, setzt er sich in Widerspruch zu gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen; danach fällt die Entstehung eines neuen individuellen menschlichen Lebens zusammen mit der Befruchtung18.

11

Herzog, JR 1969 S. 441 (442) Fn. 6.

12 Zum Verlaufund Ergebnis der Verhandlungs. Bonner Kommentar-Wernicke

Art. 2, AK GG-Podlech Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 3. 13

Anm. II 2 b) zu

Bonner Kommentar-Wernicke Anm. 112 b) zu Art. 2.

14 BVerfGE

39, l (40), Herzog, JR 1969 S. 441 (442 Fn. 6), v. Mutius, Jura 1987 S. 109 (110).

15

Davon geht auch das BVeriDE 39 S. l ff. (40) aus, wie aus den diesbezüglichen Äußerungen zu entnehmen ist: "Jedenfalls kann aus den Materialien noch weniger filr die gegenteilige Meinung abgeleitet werden". 16 Kriele,

JZ 1975, 224 f.

17 Bonner Kommentar-Wemicke, 18

Anm. ll2 b) zu Art. 2.

Kirchhoff, Beiträge zur gerichtlichen Medizin, Bd. 27 (1970), 3, Hofinann, Schwangerschaftsunterbrechung, S. 89, Blechschmidt, Wie beginnt das menschliche Leben?, S. 7, 157.

26

I. Kapitel: Velfassungsrechtliche Beurteilung

Die Unterscheidung zwischen dem Beginn neuen menschlichen Lebens ab Konjugation und dem Beginn individuellen menschlichen Lebens, die von einigen Autoren befiirwortet wird19, vermag einer kritischen Auseinandersetzung nicht standzuhalten. Der Behauptung, Individualität könne erst nach dem Ausschluß der Möglichkeit von Mehrlingsbildungen vorliegen, ist entgegenzuhalten, daß ein jeder Kern von der Befruchtung ab20 genetisch determiniert ist2 1. Damit ist eine Individualität unbeschadet der Möglichkeit, daß es im Einzelfall zur Mehrlingsbildung mit gleichfalls voll programmierten Trennungsprodukten kommt22, gegeben. In der befruchteten Eizelle sind alle fiir die Entwicklung des Menschen notwendigen genetischen Informationen vorhanden. Beim befruchteten menschlichen Ei handelt es sich um ein Erscheinungsbild des Menschen. "Ein Mensch wird nicht Mensch, sondern ist Mensch und verhält sich schon von Anfang an als ein solcher" 23. Der nasciturus ist vom Zeitpunkt der Befruchtung ein individuelles, eigenständiges Mitglied der biologischen Gattung "Mensch"24. (b) Die Auffassungen Roel/eckes und Rüpkes

Roellecke meint, daß das biologische existierende Leben des nasciturus fiir sich betrachtet noch kein juristisches Argument sei, ihm ein Lebensrecht zuzusprechen25. Denn auch abgetrennte Körperglieder oder männlicher Samen bis zum Absterben seien "menschliches Leben". Darauf ertrecke sich der Grundrechtsschutz aber nicht. Roellecke verkennt aber, daß es sich bei der befruchteten Eizelle um die erste Erscheinungsform des Gesamtorganismus Mensch handelt, was man weder von einem unbefruchteten Ei, Spermien oder einem abgetrennten Körperteil behaupten kann26.

19 Dazu s.

Hofinann, Schwangerschaftsunterbrechung, S. 88 f.

20 Unter Befruchtung ist die auf das Eindringen des Spermiums in das Ei (Imprägnation) folgende

Verschmelzung der beiden Keimzellen (Konjugation) zu verstehen, die sich normalerweise im äußeren ampullären Bereich des Eileiters (Tube) abspielt, dazu s. auch Langmann, Medizinische Embryologie S. 21 ff; Moore, Embryologie, S. 30 f[ 21 Vgl. auch Schreiber, Der Schutz des Lebens durch das Recht an seinem Beginn und an seinem Ende, in: Festschrift fiir Schewe S. 121, Hofinann, Schwangerschaftsunterbrechung S. 89 ff. 22

Belling, Ist die Rechtfertigunphese zu§ 218 a StGB hahbar?, S. 60 f. m.w.N.

23 Blechsclunidt,

24 Hoerster,

Wie beginnt das menschliche Leben?, S. 30.

JuS 1989, 172 ( 174).

25 Roellecke, Grundrechte und Abtreibungsverbot, in: Baumann, Das Abtreibungsverbot des § 2l8a S. 40. 26 Belling, Ist die Rechtferigungsthese zu§ 218 a StGB haltbar?, S. 61.

A Grundrechtsschutz des nasciturus

27

Rüpke stellt im Gegensatz zu Roellecke nicht auf biologische Fakten ab, sondern darauf, daß die psychosoziale Fundierung zur Lebensgemeinschaft mit der Mutter als aufschiebende Bedingung vorgeordnet ist. Rechte des Kindes können nach seiner Meinung erst daraus entstehen, daß es durch die Schwangere akzeptiert werde27. Die soziale Bedeutung des Kindes bahne sich in der späten Schwangerschaft an und erreiche mit der Geburt einen Kulminationspunkt. Erst dann werde die gesellschaftliche Rechtsträgerschaft anerkanne8. Das Abstellen Rüpkes auf soziologische Begriffe birgt erhebliche Risiken in sich, die sich aus ihrer Unschärfe ergeben. Wenn es jedoch, wie hier, um das elementare Recht auf Leben geht, kann mit solch vagen Begründungsversuchen nicht vorlieb genommen werden, zumal Rüpke im Ergebnis zu einem zeitlich eingeschränkten Lebensschutz kommt. Bedenken ergeben sich aber auch daraus, daß das Lebensrecht des Kindes von der sozialen Akzeptierung durch die Gesellschaft abhängig gemacht wird. Es handelt sich hierbei um eine Verfugung über menschliches Leben29. Das Recht auf Leben wird nicht aus der Tatsache abgeleitet, daß es sich um menschliches Leben handelt, sondern es wird von der Anerkennung durch die Gesellschaft abhängig gemacht. Ein solcher Ansatz würde, konsequent weiterentwikkelt, dazu fiihren, daß es der Gesellschaft auch zustehe, über den Schlußpunkt der sozialen Relevanz und damit des Lebensrechts zu befinden, wenn diese sich gegen Null bewegt30 • (c) Der interessenorientierte31 Ansatz

Eine im deutschen Sprachraum von Hoersterl2 vertretene Auffassung, die allerdings in der Literatur vereinzelt geblieben ist, hat der Diskussion um die Frage eines verfassungsrechtlichen Lebensrechts des nasciturus neue Impulse gegeben. Der zentrale Streitpunkt in der rechtsethischen Diskussion um die Abtreibung ist die Frage, ob dem Fötus dasselbe Lebensrecht zukommt wie dem geborenen Menschen. Gegenstand der Diskussion ist damit der 27 Rüpke,

Schwangerschaftsabbruch und Grundgesetz, S. 139 f.

28

Rüpke, ZRP 1974,73 (74).

29

BeJling, Ist die Rechtfertigungsthese zu § 218 a StGB haltbar?, S. 64.

30 Spaemann, ZRP 1974, 114 (116) mit einer eingehenden Auseinandersetzung mit den Argu-

menten Rüpkes.

31 Dazu vgl. Moore, Grundproblerne der Ethik, S. 19 ff.; Höffe, Ein1Uhrung in die utilitaristische Ethik, S. 7 ff. 32 Hoerster, JuS 1989, 172 ff.; ders., ARSP 1990, 255 ff.; ders. ARSP 1991, 385 ff., ders., Abtreibung im säkularen Staat; ders., ZRP 1991, 398 ff.; ders., Universitas 1991, 19 ff. ; ders., JuS 1991, 190 ff.; ders., JZ 1991, 503 ff.; ders., JZ 1991, 1128 ff. ; ders., NJW 1991,2540 ff.; ders., ffil1992, 2 ff.; vgl. dazu auch Singer, Praktische Ethik.

28

1. Kapitel: Verfassungsrechtliche Beurteilung

moralische Status des Fötus. Die Erörterung der ethischen Qualität des Schwangerschaftsabbruchs bezieht sich deshalb auf die tatsächlichen und moralischen Eigenschaften von Föten. Hoerster verzichtet in seinem Ansatz auf religiöse und metaphysische Voraussetzungen33. Der folgende Abschnitt enthält zunächst eine Darstellung der Auffassung Hoersters. Daran schließt sich die Klärung der Frage an, ob bzw. inwieweit diese Ansatzpunkte in das materielle Verfassungsrecht hineinwirken. Eine Trennung der beiden Komponenten Ethik und Recht würde die Diskussion um den verfassungsrechtlichen Schutz ungeborenen Lebens nicht weiterbringen34. aa) Ausgangspunkt Nach der Ansicht Hoersters und Singers35 begründet allein die Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung noch kein Lebensrecht im Sinne des Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG36. Es steht zwar für Hoerster und Singer außer Frage, daß ein von Menschen abstammendes Wesen von Anbeginn seiner Existenz ein menschliches Wesen ise7 ; hinterfragt wird aber, ob dies ausreichend ist, um ein Lebensrecht zu begründen38 . Im Sinne einer konsequenzialistischen Ethik wird dies mit folgender Begründung verneint: Biologische Fakten seien moralisch irrelevant; eine Berufung auf die Spezieszugehörigkeit aufgrund dieser Fakten werde zu einem dezisionistischen Willkürakt. Einem Leben bloß deshalb den Vorzug zu geben, weil das Lebewesen unserer Gattung angehört, würde uns in dieselbe Position bringen, wie die Rassisten, die denen den Vorzug geben, die zu ihrer Rasse gehören39 . Deshalb solle die Spezieszugehörigkeit alleine moralisch nicht relevant sein; es handele sich dabei um eine Art Speziesistischen Argurnentierens.

33 Hoerster,

JBI 1992, 2.

Verhältnis von Rechtsethik und dem materiellen Recht äußern sich z. B. Bydlinski/MayerMaly, Rechtsethik und Rechtspraxis, S. 23 ff., Wieackcr, Zur rechtstheoretischen Präzisicrung des § 242 BGB, S. 20 tf.; Rlithers, Rechtsordnung und Wertordnung, S. 29 ff.; Kahlo/Wolfi7Zaczyk, Fichtes Lehre vom Rechtsverhältnis. 34 Zum

35 Singer hat sich mit diesem Argument insbesondere im Zusanunenhang mit seinen Arbeiten zur Tierethik auseinandergesetzt, denn gerade bei der Rechtfertigung von Tierexperimenten und Massentierhaltung wird oft das Argument ins Feld gefllhrt, diese Praktiken gelten Tieren und nicht Menschen.

36 Vgl. im scharfen Gegensatz zu den übrigen Äußerungen z. B. Hoerster, JZ 1991, ll28. 37 Hoerster, JuS 1989, 172 (174), ders., Abtreibung im sikularen Staat, S. 24 ff., ders., JZ 1991, 1128 und die Auseinandersetzung Hoersters mit der Kritik Esers, ZRP 1991, 398 (399).

38 Hoerster, Universitas 1991, 19 (20), der allerdings in der Literatur keine Gefolgschaft gefunden hat 39 Singer,

Praktische Ethik, S. 107.

A Gnmdrechtsschutz des nasciturus

29

Hoerster40 fuhrt dazu aus:

"Es ist vollkommen willkürlich, die bloße Zugehörigkeit zu irgendeiner biologischen Art oder Gattung zur Grundlage der Einräwmmg eines Lebensrechts zu machen. Wenn die Zugehörigkeit zu einer biologischen Gattung als solche schon ein ausreichender Grund ft1r die Einräumung eines Lebensrechtes wäre, dann könnte sichjemand nach Belieben- ebensogut wie ft1r die Gattung "Mensch"- etwa auch fiir die Gattung "Hund" oder ft1r die Gattung "Wirbeltier" entscheiden."

Nicht biologische Fakten, sondern erst relevante Eigenschaften und Fähigkeiten können einen hinreichenden Grund fiir die Einräumung eines Lebensrechts abgeben. Dabei wird nicht auf das Vorliegen dieser relevanten Eigenschaften und Fähigkeiten allein beim Menschen, sondern auch bei anderen Lebewesen abgestellt41 • Ausgehend von diesem Standpunkt wird nun hinterfragt, welche Eigenschaften und Fähigkeiten die Einräumung eines Lebensrechts zu begründen vermögen42. i) Lebensrecht fiir fühlende Wesen Mögliches Kriterium fiir die Einräumung eines Lebensrechts könnte zunächst die Empfindungsfähigkeit eines Wesens sein43 (fühlende Wesen)44. Zwei Erwägungen lassen diesen Aspekt nach der Ansicht Hoersters indessen als nicht ausreichend erscheinen: 1. Die Eigenschaft des Fühlen-Könnens stelle keinen Menschen-spezifischen Grund fiir die Zuerkennung eines Lebensrechts dar. Es müsse dann auch Tieren, die diese Fähigkeit innehaben, ein Lebensrecht eingeräumt werden45 • 2. Es fehle an positiven Gliinden, einem bloß fühlenden Wesen ein Lebensrecht einzuräumen, denn ein bloß fühlendes Wesen, das keine darüber hinausgehende Bewußtseinsqualität besitze, lebe nicht über den jeweiligen

40

hat.

Hoerster, JuS 1989, 172 (174), dessen Auffassung allerdings erbeblichen Widerspruch erfahren

41 Hoerster, JuS 1989, 172 (174), Pöltner, Was macht den Menschen zum Menschen?, Schriftenreihe der Juristen -Vereinigung Lebensrecht e.V., Nr. 8, S. 7 ( l 0). 42 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Reiter, Umgang mit Embryonen und Feten, S. 53

ff.

43 Zu

Fragen der pränatalen und perinatalen Schmerzempfindung vgl. die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer, Dt. Ärztebl1991 S. B 2714 ff. 44 Hoerster, JuS 1989, 172 (174); ders., Abtreibung im säkularen Staat S. 88 ff., Singer, Praktische Ethik, S. 162; in diesem Zusammenhang wird von beiden Autoren der fllnfte Schwangerschaftsmonat genannt, was jedoch im Widerspruch zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen steht, wonach die morphologischen Voraussetzungen zur Schmerzempfindung von der 10. SSW an gegeben sind, s. dazu Wisser!Hepp, Zur Schmerzempfmdlichkeit des ungeborenen Kindes, Schriftenreihe der JuristenVereinigung Lebensrecht e.V., Nr. 6, S. 55 (65) und Tröndle, ZRP 1989, 55 f 45

Hoerster, JuS 1989, 172 (l74f), Singer, Praktische Ethik, S. 162.

30

1. Kapitel: Verfassungsrechtliche Beurteilung

Augenblick hinaus46 • Dem Fötus stehe aber ein Recht zu, nicht gequält zu werden, sobald er ein Schmerzempfinden besitze47. Deshalb dürfe der Fötus dann nicht verletzt werden, wenn diese Verletzung zu einer Beeinträchtigung seiner Interessen führt. Daraus erwachse der Schwangeren die Pflicht, z. B. keine Medikamente einzunehmen, die das künftige Recht ihres künftigen Kindes verletzen. ii) Lebensrecht fiir Personen Sodann gelangt Hoerster zu dem Ergebnis, daß personalen Wesen ein Lebensrecht eingeräumt werden müsse48. Unter personalen Wesen versteht Hoerster Wesen mit Ichbewußtsein und Rationalität49. Nach Ansicht Hoersters haben personale Wesen eine Vorstellung von sich selbst als im Zeitablauf identischen Wesen. Ihnen ist eine Vorstellung von der eigenen Identität in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie die mit dieser Vorstellung verbundene Fähigkeit, die eigene Zukunft planend zu gestalten, eigen50. Beim nasciturus handelt es sich nach der Auffassung Hoersters nicht um ein personales Wesen. Dabei wird nicht nur auf den nasciturus abgestellt, sondern auch auf den Neugeborenen51 • Diese Gleichstellung wird damit begründet, daß man dem nasciturus nicht "in die Seele blicken könne, sich also von seinem Innenleben, insbesondere vom genauen Stand seines Bewußtseins kein definitives Bild machen könne" 52. Deshalb meint er, den Neugeborenen als "Beobachtungsobjekt" heranzuziehen, da der Fötus in der Entwicklung jedenfalls nicht weiter fortgeschritten sein könne als der Neugeborene und man diesen problemlos beobachten könne53. Hoerster gelangt zu dem Ergebnis, daß beim Neugeborenen keine Anzeichen aktueller Personalität zu erkennen seien. Vielmehr verfugten manche Tiere im ausgewachsenen Zustand über ein höheres Maß an emotionalen und intellektuellen Fähigkeiten, wobei sogar diese tierischen Fähigkeiten dem

46

Hoerster, JuS 1989, 172 (175).

47 Hoerster,

JBI1992, 2 (4).

48

Hoerster, JuS 1989, 172 (176), ders., Abtreibung im säkularen Staat, S. 69 ff., ders., JBI 1992, 2 (3). 49

Hoerster, JuS 1989, 172 (175), ders. Abtreibung im säkularen Staat, S. 74 ff.

50

Hoerster, Universitas 1991, 19, (23).

51 Hoerster,

JuS 1989, 172 (176), ders., Universitas 1991, 19 (23), ders., Abtreibung im säkularen Staat, S. 79 ff., Singer, Praktische Ethik, S. 168. 52 Hoerster,

JuS 1989, 172 (175).

53 Hoerster,

JuS 1989, 172 (175).

A Grundrechtsschutz des nasciturus

31

Personalitätsaspekt nicht genügten54. Damit wird also personalen Wesen ein Lebensrecht eingeräumt, Föten und Neugeborene werden mangels Personalität davon aber nicht erfaßt55. iii) Die potentielle Personalität als ausreichendes Kriterium für die Zuerkennung eines Lebensrechts Im Anschluß daran stellt Hoerster fest, daß die potentielle Personalität56 den Unterschied zwischen menschlichem und tierischem Fötus ausmache, sich daraus aber kein größerer Anspruch des menschlichen Fötus auf Leben ableiten ließe57. Im Tötungszeitpunkt handele es sich um ein vorpersonales Wesen, dessen Überlebensinteresse nicht verletzt werde58 . Durch die Abtreibung werde lediglich die Entstehung eines Überlebensinteresses verhindert59 und somit kein künftiges Lebensinteresse verletzt. Die Verhinderung der Ausbildung eines Interesses könne indessen ethisch nicht mit der Verletzung eines tatsächlich existierenden Interesses auf eine Stufe gestellt werden60. Schütze man ohne Rücksicht auf die bloße Zugehörigkeit zur Gattung Mensch alleine die potentielle Personalität, so dürfe auch eine befruchtungsfähige Eizelle nicht an der bevorstehenden Befruchtung gehindert werden. Denn auch in diesem Fall werde eine potentielle Person vernichtet61 . Begründet wird diese Auffassung auch damit, daß ein Individuum aufgrund seines potentiellen Status nicht alle Rechte habe, die ein Individuum aufgrund seines aktuellen Status habe62, also das Verfügen über potentielle Eigenschaften nicht automatisch entsprechende Rechte nach sich ziehe63 . Singer begründet dies mit der Formel, daß "im allgemeinen ein potentielles X nicht auch sämtliche Rechte von X hat". Prinz Charles sei zwar der potentielle König von

54 Hoerster, JuS 1989, 172 (175), ders., Abtreibung im säkularen Staat, S. 86 ff.; Singer, Praktische Ethik, S. 169, nimmt dazu wie folgt Stellung: "Wenn der Fötus nicht denselben Anspruch auf Leben wie eine Person hat, dann hat ihn der Neugeborene offensichtlich auch nicht, und das Leben eines Neugeborenen hat also weniger Wert als das Leben eines Schweins, eines Hundes oder eines Schimpansen.". 55 Hoerster, JuS 1989, 172 (176), Singer, Praktische Ethik, S. 169 f. 56 Zur Frage der zukünftigen Interessen vgl. auch v. d. Pfordten, ARSP 1990, 257 ff. 57 Hoerster, JuS 1989, 172 (176), ders. Universitas 1991, 19 (23) ders. Abtreibung im säkularen Staat, S. 95 ff., ders. JZ 1991 503, (504), ders., ffil1992, 2 (3), Singer, Praktische Ethik, S. 164 f.

58 Hoerster, Abtreibung im säkularen Staat, S. I 00.

59 Vgl. auch Hoerster, ARSP 1990, 255. 60 Hoerster, ffill992, 2 (3). 61 Hoerster, Abtreibung im säkularen Staat, S. 102 f., ders., ffill992, 2 (4). 62

Hoerster, JuS 1989, 172 (176).

63 Leist, Um

Leben und Tod, S. 24.

32

1. Kapitel: Verfassungsrechtliche Beurteilung

England, er habe aber noch nicht die Rechte eines Königs64. Zudem hätten zwar aktuelle Personen den Wunsch nach Weiterleben, der auch Schutz verdiene, Vorläufer aktueller Personen hätten diesenjedoch nicht65 . iv) Bevölkerungspolitisches Kriterium Aus dem bevölkerungspolitischen Interesse heraus, die Existenz der Gattung Mensch zu sichern, folgt nach Ansicht Hoersters ebenfalls kein Lebensschutz zugunsten des nasciturus66. Denn um dieses Ziel zu erreichen sei nicht der Schutz eines konkreten67 Fötus erforderlich, sondern einzig die Gesamtmenge an Föten sei relevant. Die einzelnen Föten, die diese Gesamtmenge ergäben, seien insoweit beliebig austauschbar68. v) "Gottesebenbildlichkeit" Einen weiteren zu überprüfenden Aspekt, der ein Lebensrecht des nasciturus rechtfertigen könnte, sieht Hoerster in der "Gottesebenbildlichkeit"69 des Menschen70. Der Begriff der "Gottesebenbildlichkeit" bedeute, der Mensch habe in der Natur eine Sonderstellung inne, die darin begründet sei, daß der Mensch von Gott als sein Ebenbild geschaffen und beseelt an die Spitze alles Lebenden berufen sei'1. Hoerster geht davon aus, daß man bei Bejahung des Kriteriums "Gottesebenbildlichkeit" des Menschen dem nasciturus ein Lebensrecht einräumen könne. Dieser Ansatz müsse sich auch nicht der Kritik aussetzen, speziesistisch gefarbt zu sein. Denn er mache nicht die Angehörigkeit zur Spezies Mensch zum Anknüpfungspunkt der Zuerkennung eines Lebensrechts, sondern gehe davon aus, daß "gerade die Angehörigen dieser Spezies von Gott als seine Ebenbilder geschaffen und an die Spitze alles Lebenden berufen worden sind" 72 . Im Hinblick auf die Kenntnis von der Evolution verneint Hoerster aber die Sonderstellung der menschlichen Spezies73. Ebenso hält er das Kriterium der Beseeltheit des Menschen74 fur nicht stichhaltig und rational

64 Singer,

Praktische Ethik, S. 165.

65 Hoerster, JuS 1989, 172 (176). 66 Hoerster, Abtreibung im säkularen Staat, S. 105

ff.

67 Das BVerfG hebt in seiner Entscheidung BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom

07.06.1993, S. 17 = BVerfGE 88,203 (252) gerade den Schutz des einzelnen Lebens hervor. 68

Hoerster, Abtreibung im säkularen Staat, S. 105.

69

Vgl. dazu Gen. 1, 26 f., Eph. 4, 24, 1. Kor. 11, 7 sowie Verdross EuGRZ 1977,207 ff

70 Hoerster, Abtreibung im säkularen Staat, S. 114 ff 71 Hoerster, JZ 1991, 503 (504). 72 Hoerster, Abtreibung im säkularen Staat, S. 118. 73

Hoerster, Abtreibung im säkularen Staat, S. 119.

74

Vgl. dazu Reis, Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes als Verfassungsproblem, S. 135 ff

A Grundrechtsschutz des nasciturus

33

nicht nachvollziehbar75• Die Anknüpfungspunkte fiir das Merkmal der "Gottesebenbildlichkeit" qualifiziert Hoerster als "außerrationale Glaubensannahme einer bestinunten Religionsgemeinschaft" 76, die aber nicht zur Grundlage eines strafrechtlichen Verbots gemacht werden dürfe77• Damit scheidet nach Ansicht Hoersters auch das Merkmal der "Gottesebenbildlichkeit" für die Zuerkennung eines Lebensrechts zugunsten des nasciturus aus. vi) Beginn des Lebensrechts Nachdem für Hoerster und Singer nun feststeht, daß dem nasciturus und Neugeborenen ein Lebensrecht nicht zusteht, bedarf es fiir sie noch der Klärung, ab welchem Zeitpunkt dem Menschen ein Lebensrecht zuzusprechen ist. Einen Extrempunkt vertritt Singer: Er ist der Auffassung, daß es schwer festzulegen sei, ab welchem Zeitpunkt ein Kind sich als eine in der Zeit existierende Wesenheit zu sehen beginne. Jedenfalls sei ein Neugeborenes nicht imstande, sich selbst als ein Wesen zu sehen, das eine Zukunft haben kann oder nicht, und daher habe es auch keinen Wunsch weiterzuleben. Singer gesteht aber auch zu, daß dort Vorsicht walten müsse, wo Rechte ins Spiel kämen. Deshalb meint er, man könne einem Kind "wohl nur innerhalb einer kurzen Zeitspanne nach der Geburt, vielleicht fiir einen Monat, ein volles legales Recht aufLeben absprechen" 78 • Hoerster dagegen geht zunächst ebenfalls davon aus, daß man dann, wenn der Grund fiir die Einräumung eines Lebensrechts im Besitz der Eigenschaft Selbstbewußtsein gesehen werde, das Lebensrecht eines Menschen ungefahr ab seinem zweiten Lebensjahr beginnen müsse79 • Diese Festsetzung sei allerdings unpraktikabel mit Blick auf die soziale Realität und das Normbefolgungsverhalten realer Bürger. Deshalb plädiert Hoerster dafür, jedem menschlichen Individuum mit der Geburt ein eigenständiges Lebensrecht einzuräumen80. Zum einen sei die Geburt eine Grenze, vor der mit absoluter Sicherheit noch kein personales Wesen in dem relevanten Sinn vorhanden sei; die Geburt als Grenze stelle also die absolute Garantie dafür dar, daß jedenfalls keine menschlichen Individuen, die bereits Person seien, schutzlos blieben81 •

75 Hoerster, 76

Abtreibung im säkularen Staat, S. 120.

Vgl. dazu aber auch Schöttler, ZRP 1992, 132 (133).

Hoerster, Abtreibung im säkularen Staat, S. 120. 78 Singer, Praktische Ethik, S. 171.

77

79

Hoerster, JuS 1989, 178; vonichtiger aber ders., Abtreibung im säkularen Staat, S. 133 Fn. 77.

80 Hoerster, Abtreibung im säkularen Staat, S. 140. 81

Hoerster, Univenitas 1991, 19 (25), ders. JuS 1989, 172 (178).

3 Bemard

34

1. Kapitel: Verfassungsrechtliche Beurteilung

Zum anderen wird der Beginn des Lebensrechts von Hoerster aus Praktikabilitätsgründen rechtspolitischer Art mit der Geburt festgesetzt82 . Allein die Grenze der Geburt sei in dem Sinne praktikabel, daß sie auch der Dümmste ohne weitere Information relativ leicht in der Praxis anwenden und sich normgerecht verhalten könne83. Außerdem sei die Geburt ein Einschnitt, der in der menschlichen Entwicklung nicht allzu weit vom Auftreten der ersten Spuren personalen Lebens entfernt liege84. bb) Kritik Die von Hoerster und Singer entwickelten Grundsätze sind in mehreren Punkten auf Kritik gestoßen. Zunächst erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem Speziesismusvorwurf Dieser Einwand kritisiert die Tatsache, daß das Lebensrecht und die Würde jedes Menschen in dessen Zugehörigkeit zur Spezies Homo sapiens gründet, also einfach darin, daß der Mensch von menschlichen Eltern abstammt und damit ein Vorrang für die eigene Spezies verbunden ist85. Soweit die moralische Irrelevanz biologischer Fakten ins Feld gefiihrt wird, ist dem zu entgegnen, daß von den Anhängern des Konsequenzialismus daraus der falsche Schluß gezogen wird. Denn das Zurückgreifen auf die moralische Relevanz von Eigenschaften und Fähigkeiten kann auf der Basis des konsequenzialistischen Wirklichkeitsbegriffs ebenso als rein willkürlich erachtet werden, da auch Eigenschaften und Fähigkeiten nur den Status bloßer Faktizität haben86 . Zudem ist zu beachten, daß die Fundierung der Ethik in Interessen und moralischen Werturteilen die Willkür moralischer Verhaltensweisen nach sich ziehen kann. Wenn die wertmäßige Eingrenzung moralischer Objekte von Interessen abhängt, so ist anzunehmen, daß diese das moralische Urteil beeinflussen87 • Auch hier handelt es sich um eine Form des von Hoerster und Singer kritisierten Speziesismus. Von einer Spezies, der Klasse der Selbstbewußtseins-Besitzer, wird festgelegt, wer Mensch ist und wer nicht. Es werden wertunterschiedliche Klassen von Menschen gebildet.

82

Hoerster, JuS 1989, 172 (178) ders. Universitas 1991, 19 (25).

83 Hoerster, 84

JuS 1989, 172 (178) mit kritischer Würdigung der Meinung Singers in Fn. 23.

Hoerster, Abtreibung im säkularen Staat, S. 133.

85 V gl. dazu auch die Auseinandersetzung zwischen Hruschka, JZ 1991, 507 ff. und Hoerster, JZ 1991, 1128 f , sowie ders. JB11992, 2 (3). 86 Pöltner, Was macht den Menschen zum Menschen?, Schriftenreihe der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V. Nr. 8, S. 7 (17). 87

Vgl. dazu Leist, Eine Frage des Lebens, S. 75.

A Grundrechtsschutz des nasciturus

35

Der zugrundeliegende Personenbegriff ist nicht hinreichend bestimmt und jederzeit fiir Änderungen offen88• Alleine die Fähigkeit, einen aktuellen Wunsch äußern zu können, zum Entscheidungskriterium über Leben und Tod zu erheben, begegnet in Anbetracht des Wertes des Lebens Bedenken. Diese Folge kann nur dann umgangen werden, wenn man anerkennt, daß schon durch die menschliche Abstammung, worin alle Menschen gleich sind, Menschenrechte begründet werden89 . Der Zeitpunkt, der fiir den Beginn des Lebensrechts90 herangezogen wird, kann einer Kritik nicht standhalten. Denn Hoerster hat mit der bloßen Festlegung des Zeitpunkts der Geburt als Beginn des Lebensschutzes noch nicht die rechtsethische Maßgeblichkeit genau dieses Zeitpunktes bewiesen. Diese Festsetzungen sind rein willkürlich und widerstreiten konsequenzialistischen Prämissen91 . Insbesondere für die Festsetzung Hoersters gilt, daß sie dem Neugeborenen ein Lebensrecht zuspricht, obwohl es dafür, nach der Meinung Hoersters, keinen sachlichen Grund gibt92. Ausgehend von Hoersters Ansatz, wonach potentielle Personen kein Lebensrecht besitzen93, hätte es nun der Begründung bedurft, warum geborenen potentiellen Personen plötzlich ein solches zugesprochen wird, ungeborenen potentiellen Personen das Lebensrecht aber verweigert wird94. Ebenso ist die Versagung eines Lebensrechts für potentielle Personen nicht ganz einsichtig, denn auch die von Bydlinski in Betracht gezogene Fähigkeit, ein Bewußtsein bei Ausbleiben zerstörenscher Einwirkungen von außen zu entwickeln, ist ebenfalls eine Eigenschaft, an die der Schutz menschlichen Lebens anknüpfen kann95 . Auch den Maßstab, den Hoerster anlegt, indem er darauf abstellt, daß auch der Dümmste hier die Grenzziehung zum Lebensrecht ohne weitere Informationen anwenden und sich normgemäß verhalten könne, zeugt nicht von Konsequenz. Nun spielen plötzlich Gedanken der Rechtssicherheit eine Rolle, die Hoerster bei seinen rechtsethischen Überlegungen bisher ausgeklammert hat96.

88

Vgl. auch Leist, Eine Frage des Lebens, S. 77.

89

Pöltner, Was macht den Menschen zum Menschen?, Schriftenreihe der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V. Nr. 8, S. 7 (18 f.). 90 Nach Singer, Praktische Ethik, S. 171, etwa mit einem Monat, nach Hoerster JuS 1989, 172 ( 178), ab der Geburt. 91 Pöltner, Was macht den Menschen zum Menschen?, Schriftenreihe der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V. Nr. 8, S. 7 (22).

92

Hoerster, JuS 1989, 172 (176 ff).

93

Hoerster, JuS 1989, 172 (176 ff).

94

Pöltner, Was macht den Menschen zum Menschen?, Schriftenreihe der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e. V. Nr. 8, S. 7 (22). 95

Bydlinski, 1811991,477 (481) mit anschaulicher Darstellung seines Vorschlags.

96 Bydlinski, 1811991, 477 (480).

l. Kapitel: Verfassungsrechtliche Beurteilung

36

Im übrigen wäre jeder Zeitpunkt in Tagen oder Monaten bemessen nach der Geburt ebenso leicht feststellbar7• Denn ausgehend von Hoersters und Singers Prämissen ist die Geburt ein bloßer Ortswechsel, dem eine potentielle Person unterliegt98. Weshalb nun gerade dieser Ortswechsel ein Lebensrecht begründen soll, vermag nach den vorangegangenen Überlegungen Hoersters nicht recht einzuleuchten. Man muß ihm deshalb entgegenhalten, daß auch seine Lehre eine Form des Speziesismus propagiert, nämlich den des Geburtsspeziesismus99. Im übrigen ist auch der Einwand zu beachten, daß ein freizügiges Abtreibungsrecht die Gefahr100 eines freizügigen Umgangs mit menschlichem Leben in sich birgt 101 . Dieses Argument kann nicht mit dem Hinweis auf Alltagserfahrungen verharmlost werden102 . Denn der Zusammenhang zwischen dem Schutz geborenen und ungeborenen menschlichen Lebens ist alleine damit nicht von der Hand zu weisen103. cc) Stellungnahme Eine Auseinandersetzung mit Hoersters rechtsethischen Argumenten und der dazu ergangenen Kritik vermag die verfassungsrechtliche Einordnung des ungeborenen Lebens nicht zu ändern. Hoersters Ansatz besticht durch stringente Gedankenführung und rationale Argumentation. Das rechtsethische Argumentationsfeld kann aber alleine nicht zu einer Änderung der verfassungsrechtlichen Ebene fiihren. Vielmehr sind in diesem Zusammenhang auch die Grundpfeiler der Gesamtrechtsordnung in die Ergebnistindung einzubeziehen 104. Wie v. d. Pfordten zu Recht bemerkt105, handelt es sich bei der Frage nach einem Lebensschutz fiir den nasciturus um eine Wertungsfrage.

97

Bydlinski, ffil1991, 477 (480).

98 Singer,

Praktische Ethik, S. 149.

99

Pöltner, Was macht den Menschen zum Menschen?, Schriftenreihe der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e. V. Nr. 8, S. 7 (23). 100 Zu dem Argument der "Gefahr des nächsten Schritts", Engisch, Der nächste Schritt, in: Festschrift filr Schaffstein, S. 1 ff. 101 Vgl. dazu ausfilhr1ich Stilmer, JZ 1990, 709 (719); ders., JZ 91, 506, Bydlinski, ffil 91, 477 (482f.). 102

So aber Hoerster, JZ 1991, 503.

103 Stümer,

JZ 1991, 505 (506), Bydlinski, ffil1991 , 477 (482).

104 In diesem 105 V.d.

Sinne auch Bydlinski, ffil1991 , 477 (479).

Pfordten, ARSP 1990, 69 ff.

A Grundrechtsschutz des nasciturus

37

Der Schutz gerade des menschlichen Lebens ist dann zu verstehen, wenn man vom Menschenbild in der Verfassung ausgeht106. Das Menschenbild nimmt in allen Grundsatzfragen der Juristen einen zentralen Platz ein. An diesem Menschenbild ist festzuhalten, um andere Menschenbilder, die die Gefahr von Relativierungen mit sich bringen und damit die Gefahr des Totalitarismus in sich bergen, im Verfassungsstaat nicht relevant werden zu lassen107. Dem Juristen ist als Anwalt der Menschenrechte die Wahrung und Entwicklung dieses Menschenbildes anvertraut108. Nur der Verfassungsstaat vermag als Ordnungseinheit Menschenwürde und Freiheit zu garantieren. Soweit Elemente eines bestimmten Menschenbildes Bedingung fiir menschliche Individualität und Identität sind, folgt daraus ihre rechtliche Relevanz fiir das verfassungsrechtliche Menschenbild. In dieses Menschenbild fließen sowohl naturwissenschaftliche als auch philosophische, theologische und rechtsethische Erkenntnisse mit ein und lassen Raum fiir einen Pluralismus von sonstigen Leitbildern109. Es bleibt daher festzuhalten, daß gerade aus diesem Pluralismus der Menschenbilder auf der Basis eines auf Menschenwürde und den übrigen den Verfassungsstaat ausmachenden Fakten ein Grundkonsens gefunden werden muß. Um einer Gefahr der Relativierung des Menschen und seines Schutzes zu entgehen, ist jedoch gegenüber den Menschenbildern nicht-juristischer Disziplinen eine an verfassungsrechtlichen Erfordernissen orientierte Autonomie zu bewahrenu0 . Von einem einheitlichen Menschenbild kann somit nicht gesprochen werden1u. Der Mensch als ganzheitliches Körper- Seele- Geist- Wesen wird so zunächst in seiner, jeder Gemeinschaftsordnung vorgegebenen, physischen Existenz respektiert und anerkannt112 . Geht man davon aus, so erkennt man, daß das Menschenbild im Recht trotzdem durch juristische Selbständigkeit und Eigenständigkeit gekennzeichnet ist, was aber nicht ausschließt, daß ein Dialog mit einschlägigen Wissenschaften stattfindet.

106 Dazu umfassend Hlberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 10 ff. 107 Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 82. 108 Tröndle, Das Menschenbild des Grundgesetzes und die Neuregelung des Abtreibungsrechts in:

Festschrift filr Ganter Spende), S. 611 ff., zeigt die Zusammenhinge zwischen dem Menschenbildbegriff und der Abtreibungsdiskussion auf.

109 Vgl. dazu auch Lennartz, MedR 1993, 179. liO Heuennann/Kröger, MedR

1989, 168 (172).

111 Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 84. l1 2 Lorenz, Handbuch des Staatsrechts, VI

§ 128 Rdnr. 3.

38

1. Kapitel: Verfassungsrechtliche Beurteilung

Daraus folgt auch der anthropozentrische Charakter einer jeden Rechtsordnungm. Dem Argument "Säkularisierung des Staatswesens" sind durch den Wortlaut der Präambel Grenzen gesetzt114. Der Mensch besitzt in der Schöpfungsordnung einen eigenen, selbständigen Wert 115• Insoweit ist auch der Begriff des "homo religiosus" zu erklären116 und die Tatsache, daß die Rechtskultur nicht nur auf den Logos, sondern auch auf den Mythos autbaut117. Aus der Präambel zum Grundgesetz ergeben sich durchaus Anhaltspunkte für eine christliche Sichtweise des Menschen118 . Auch die Beratungen des Parlamentarischen Rates lassen deutlich werden, daß das Grundgesetz von christlichen Werten geprägt ist 119 . Singer und Hoerster lassen außer Betracht, daß das Grundgesetz auf den Grundrechten basiert, die wiederum auf die Menschenwürde zurtickzufuhren sind, woraus sich ergibt, daß der Mensch (und nicht die Person) der höchste Wert der Verfassung ist 120. Die Notwendigkeit einer extensiven Interpretation des Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG ergibt sich auch aus der grundlegenden Wertung des Grundgesetzes, allen menschlichen Lebensinteressen (auch den potentiellen) größtmöglichen Schutz zu gewähren121 . Mit dem Recht aufLeben wird die biologisch-physisch-menschliche Existenz als unverletzlich garantiert122 • Die Notwendigkeit der Gewährleistung des Schutzes von Leib und Leben war bereits in naturrechtliehen Lehren anerkannt und stellt eine reale Voraussetzung humaner Existenz und ein elementares Anliegen menschlicher Gemeinschaftsbildung dar123 . Diese naturrechtliche Sicht macht bereits begrifflich alle

113 Kirnminich, Die Verantwortung filr die Umwelt in der Wertordnung des Grundgesetzes, in: Festschrift fiir GeigerS. 277 (284). 114 Weiß, JR 1992, 182 (184), a.A: Roellecke, JZ 1991, 1045 (1046), der religiösen ~kten im säkularisierten Staat kein juristisches Gewicht beimißt. 115 BVerfGE

2, 12; 39, 67.

Geiger, Menschenrecht und Menschenbild in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, in: Festschrift filr Faller, S. 3 (9 f.); Kopp Das Menschenbild im Recht und in der Rechtswissenschaft, in: Festschrift fiir Obermayer, S. 53 (61 ). 116

117 Häberle, 118

(171).

Das Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 86.

Vgl. Mangoldt/Klein/Starck-Starck, Art. 1 I Rdnr. 3 f.; Heuermann!Kröger, MedR 1989, 168

119 Maunz!Dürig!Herzog!Scholz-Dürig, Art. 1 Abs. I Rdnr. 15; Heuermann!Kröger, MedR 1989, 168 (171). 120 Baruzzi, Europäisches "Menschenbild" und das Grundgesetz filr die Bundesrepublik Deutschland, S. 100, Tröndle, Kirche und Gesellschaft Nr. 179, 8. 121 Eingehend setzt sich v.d. Pfordten, ARSP 1990, 69 (73 ff.) im Wege einer systematisch-teleologischen Verfassungsinterpretation mit diesem Gesichtspunkt auseinander. 122 Maunz/Dürig!Herzog!Scholz-Dürig, Art. 2 mann!Nipperdey/Scheuner, Grundrechte, Band II, S. 59.

Abs.

123 Lorenz, Handbuch des Staatsrechts VI,§ 128 Rdnr. 1.

2

Rdnr.

ll,

Kern

in:

Neu-

A Grundrechtsschutz des nasciturus

39

sozialwissenschaftliehen Bewertungen des Lebens unmöglich und verhindert die Differenzierung zwischen Iebenswertern und lebensunwertem Leben124• Aber auch aus der säkularisierten humanistischen Vorstellung von der Einzigartigkeit jedes Menschen folgt dessen absolute Schutzbedürftigkeit125. Das Grundrecht auf Leben wurde aufgrund der Erfahrung des Dritten Reichs eingefügt, wo Leben und körperliche Unversehrtheil millionenfach zerstört und vernichtet wurden126 . Gerade um Wiederholungen zu verhindern, ist der verfassungsrechtliche Schutz menschlichen Lebens in jeglicher Form, also auch das Leben derjenigen Menschen, die nach Ansicht Heersters und Singers keine Personen sind, dringend geboten. Somit bleibt festzuhalten, daß Personalität zwar ein hinreichendes Kriterium für die Gewährung von Lebensschutz ist, das Fehlen von Personalität aber nicht dazu führen darf, das Tötungsverbot aufzuheben 127. Dieses Anliegen kommt auch in § 8 des Embryonenschutzgesetzes v. 13.12.1990 128 zum Ausdruck, wonach als Embryo die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an betrachtet wird, sowie diese Eigenschaft auch jeder einem Embryo entnommenen totipotenten Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag, zugesprochen wird. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die Schutzwürdigkeit des Rechts auf Lebens nicht deshalb zu gewähren ist, weil der Mensch irgendwelche Eigenschaften und Fähigkeiten besitzt, sondern einzig in seinem Menschsein gründet. Deshalb genießt auch das ungeborene Leben den Lebensschutz des Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG, der den strafrechtlichen Einschränkungen unterliegt.

c) Auswirkungen auf den nasciturus Im Zusammenhang mit der Thematik der vorliegenden Arbeit ist das Lebensrecht des nasciturus im Zusammenhang mit einem geplanten Schwanger-

124

(232).

MaunzJDürig!Herzog!Scholz-Dürig, Art. 2 Abs. 2 GG Rdnr. 9 ff.; Pap, MedR 1986, 229

125 Heuennann!Kröger, MedR 1989, 168 ( 171 ), weisen in diesem Zusammenhang beispielhaft auf die Philosophie Kants hin; vgl. auch Starck, Gutachten, S. A 14 und neuerdings BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 17 = BVerfGE 88,203 (251 f.). 126 Steiger, Entwicklung im Grundrechtsverständnis in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 2 Satz I GG, in: Berberich!Holl!Maaß, Neue Entwicklungen im öffentlichen Recht, S. 257; v. MQnch!Kunig-Kunig Art. 2 Rdnr. 44; Dürig, JR 1952, 259. 127 Leist,

Um Leben und Tod, S. 27.

128 8081

I 1990,2746 ff.

40

l. Kapitel: Verfassungsrechtliche Beurteilung

Schaftsabbruch von Bedeutung. Denn der Staat wird zweifach in die Pflicht genommen: Einmal muß er sich eigener Eingriffe in das ungeborene Leben enthalten. Beim Schwangerschaftsabbruch ist die Situation aber eine andere. Es fehlt an einem staatlichen Eingriff in das Lebensrecht des nasciturus; der Angriff auf das Leben geht vielmehr von der Schwangeren selbst aus. Der Schwangerschaftsabbruch kann auch nicht dadurch zum staatlichen Eingriff stilisiert werden, daß der ausfuhrende Arzt staatlich Bediensteter ist, bzw. die Abbruchkosten vom Staat getragen werden129• Deshalb tritt im Zusammenhang mit der Problematik des Schwangerschaftsabbruchs der Schutzpflichtcharakter130 der Grundrechte in den Vordergrund. Der Staat muß also Angriffe von Privaten auf das ungeborene Leben abwehren131, auch wenn der Staat selbst weder unmittelbar noch mittelbar die Gefahrenlage für das menschliche Leben geschaffen hat 132 Diese Schutzpflicht, die ihren Grund in Art. I Abs. l GG hat und deren Gegenstand und Maß durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt werden 133, gebietet es dem Staat, sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen134. Mithin hat der Staat das Leben des nasciturus auch gegenüber der Mutter zu schützen, die den Schwangerschaftsabbruch plant. Wie ausgeführt, ist der Schutz des ungeborenen Lebens aber auch nicht in der Weise geboten, daß es gegenüber jedem anderen Rechtsgut Vorrang genießt (Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG)m Strafrechtliche Normen 136 dürfen in diesem Zusammenhang allerdings nur als ultima ratio eingesetzt werden, wenn das ungeborene Leben nicht auf andere Weise. also etwa durch privatrechtliche, öffentlichrechtliche und sozial-

129 Hennes, Das Grundrecht von Leben und Gesundheit, S. 7, 37; Hambüchen, "Schwangerschaftsabbruch auf Krankenschein" - Zur Bewertung eines umstrittenen Sozialleistungsbereichs, in: Festschrift fiir Simon, S. 791 (1!15 ff.), a.A. aber Isensee, NJW 1986, 1645; Lorenz, Handbuch des Staat~rechts VI § 121! Rdnr. 21! 130 Zu Inhalt und Umfang der Schutzpflicht nimmt Hennes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit. S. 43 ff., ausruhrlieh Stellung. 131 BVerfU vom 21!.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 19 = BVerfGE 1!8, 203 (251! f.), vgl. aud1 Klein, NJW 191!9, 1633 (1635). 132

Maunz/Dürig!Herzog!Scholz-Dürig Rdnr. 22 zu Art. 2 GG, Stern, Staatsrecht 11111, § 69.

BVerfG vom 21!.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 16 = BVerfGE 88, 203 (251 ); BVerfUE 39, I (42). 133

134 BVerfUE 46,

160 (164).

m Zum Verhältnis der Grundrechte der Frau zu dem Lebensrecht des nasciturus äußern sich z. B.

BVerfUE 39, I (43) sowie BVerfG vom 21!.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 17 f HVerfGE 1!1!, 203 (255 ff.). 136 Vgl. dazu auch Preu, JZ 1991, 265 ff.; Wahi/Masing. JZ 1990, 553 ff.; Kriele, Die nicht-therapeutische Abtreibung vor dem Grundgesetz, S. 1!6 ff.

A Grundrechtsschutz des nasciturus

41

rechtliche Maßnahmen geschützt werden kann137. Die Schutzpflicht des Staates gegenüber dem nasciturus gebietet es auch, Gefahren von Dritten abzuwehren138. Dies bedeutet auch, daß Personen des familiären sowie des weiteren sozialen Umfeldes 139 in das Schutzkonzept einzubeziehen sind140• Dabei werden aus den Grundrechten als Bestandteil der objektiven Wertordnung Auslegungskriterien :fiir die einfachgesetzlichen Regelungen (also auch die §§ 218 :ff. StGB) hergeleitet und auf diese Weise auf Rechtsverhältnisse zwischen Privaten angewendet141 . Zudem legt die Schutzpflicht zugunsten des ungeborenen Lebens dem Staat aber auch die Pflicht auf, Gefahren, die sich aus den Lebensumständen der Frau ergeben und der Bereitschaft zum Austragen des Kindes entgegenwirken, abzuwehren142.

2. Recht auf körperliche Integrität Der folgende Abschnitt soll die Frage klären, ob der nasciturus auch dem Grundrechtsschutz auf körperliche Integrität gemäß Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG unterstellt ist. Die Formulierung des Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG kann zu dem Mißverständnis fuhren, es handele sich um ein Grundrecht, während tatsächlich zwei verschiedene Grundrechte in den Regelungsgehalt des Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG aufgenommen worden sind143. Der Begriff der körperlichen Unversehrtheit umfaßt den der Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinn144, also die Integrität des Körpers als vorgegebene Daseinsform, das biologische

137 Ausfil.hrlich setzt sich das BVerfU, BVerfU vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 18 ff., 23, = BVerfUE 88, 203 (258 ff.) mit diesem Thema unter dem Gesichtspunkt des präventiven Lebensschutzes auseinander; vgl. aber auch BVerfUE 39,1 (44); v. Hippel, JZ 1986, 53 ff. 138 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 30 f. 203 (296 ff.)

139 BVerfU vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 31 (297) nennt beispielhaft Vennieter bzw. Arbeitgeber.

=

=

BVerfGE 88,

BVerfGE 88, 203

140 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 30 f. 203 (297 f.).

=

BVerfGE 88,

141 Zur strafrechtlichen Wirkung der Grundrechte vgl. insbesondere Gropp, GA 1988, I ff.; Köhler, GA 1988, 435 ff.; Kluth, GA 1988, 547 ff.

142 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 19 (258); hier ist ein Berührungspunkt mit Art. 6 Abs. 4 GG zu erkennen. 143 V.

MOnch!Kunig-Kunig, Rdnr. I zu Art. 2.

144 BVerfGE

56, 54 (73).

=

BVerfGE 88, 203

42

l. Kapitel: Verfassungsrechtliche Beurteilung

"So-Sein" 145• Ansonsten ist er sehr komplex146; in folgenden Punkten besteht indessen Einigkeit147: - Der menschliche Körper muß so beschaffen bleiben, daß er Leben weitergeben kann (Grundrecht auf Freiheit vor Unfruchtbarmachung); - der menschliche Körper muß in seiner objektiven Substanz belassen werden (Grundrecht auf Freiheit vor Verletzung der körperlichen Gesundheit); - der menschliche Körper muß so beschaffen bleiben, daß er dem Menschen keine Schmerzen vermittelt (Grundrecht auf Freiheit vor Schmerzen); - der menschliche Körper muß so beschaffen bleiben, daß das subjektive Interesse an der äußeren körperlichen Erscheinung nicht verletzt wird (Grundrecht auf Freiheit vor Verunstaltung). Ein Blick auf die einfachrechtliche Ausgestaltung des pränatalen Körperschutzes des ungeborenen Kindes vermag zu erklären, daß die Anerkennung des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes nicht automatisch zu einem Recht des nasciturus auf körperliche Integrität nach Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG führt. Eine Betrachtung der strafrechtlichen Regelung zeigt, daß der nasciturus, von der Regelung der§§ 218 ff. StGB abgesehen, nicht dem Schutz des Strafrechts unterstellt ist148• Im Gegensatz dazu ist das Schadensersatz- und Sozialleistungsrecht149 zu sehen. Dort ist die körperliche Unversehrtheil des nasciturus als Rechtsgut anerkannt. Dies kommt vor allem bei vorgeburtlichen Schädigungen der Mutter durch Infektionen, Unfälle oder kriegsbedingte Einwirkungen zum Tragen150 . Diese pränatalen Einwirkungen mit postnatalen Folgen auf den Menschen wurden als Verletzungen dieses Menschen qualifiziert, die zu Schadensersatz- und Ausgleichsansprüchen führen können151.

145 Schmidt, Rechtliche Aspekte der Genomanalyse, S. 100

(677).

f., Stemberg-Lieben, JuS 1986, 673

146 Vgl. dazu auch Leibholz/Rinck!Hesse1berger, GG Art. 2 Rdnr. 510 ff. 147 Maunz/Dürig'Herzog!Scholz-Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 30 ff. 148 Zum Problemstand vgl. ausfUhrlieh Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 80 ff. sowie Schönke/Schröder-Eser § 223 Rdnr. 1a; LK-Hirsch vor§ 223 Rdnr. 7; BGH, MedR 85, 155. 149 Siehe §

555 a RVO.

150 BVerlOE 45, 376; 75, 348; BGHZ 8, 243; 58, 48; BVerwGE 14, 43; BSGE 18,

55.

A Grundrechtsschutz des nasciturus

43

Aus diesen Beispielen wird deutlich, daß der nasciturus lediglich mittelbar geschützt wird, die Ausgleichsansprüche erst dem geborenen Menschen zugesprochen werden. Einen Ansatz zur Lösung vermag der Wert des extrakorporal existierenden menschlichen Lebens zu bringen, dessen Schutz in § 8 des Embryonenschutzgesetzes152 ausdrücklich festgeschrieben wurde 153, und das Bestreben, dieses vor Experimenten und sonstigen Manipulationen an der befruchteten Eizelle, die Verletzungen der körperlichen Unversehrtheil des Menschen darstellen154, zu schützen155. Sie beeinträchtigen das Recht des nasciturus auf störungsfreie Entwicklung gemäß den vorgegebenen Anlagen150. Die Verfassungsentscheidung für den Schutz der körperlichen Integrität ist deshalb, wie die des Lebensschutzes, nicht auf geborene Menschen beschränkt, sondern lediglich an das Vorliegen menschlicher Existenz geknüpft, so daß auch das ungeborene Leben davon erfaßt wird157. Dies bedeutet aber auch, daß de lege ferenda dieser verfassungsrechtlich gebotene Schutz der körperlichen Integrität des nasciturus in den strafrechtlichen Normen seinen Niederschlag finden muß. 3. Schutz der Menschenwürde

Das fundamentale Grundrecht, das der nasciturus womöglich in Anspruch nehmen kann, ist das der Menschenwürde. Mit dem Bekenntnis zur Menschenwürde ist eine Basis geschaffen, die sowohl christlich fundierte Ansichten als auch religiös nicht gebundene Wertethik unter einem Dach vereint158.

151 Zu beachten ist allerdings, daß der Schutz der körperlichen Integrität dann nicht zur Geltung kommt, wenn der nasciturus vor der Geburt sein Leben verliert, dazu siehe OLG Düsseldorf, NJW 1988,777. 152 Gesetz zum Schutz von Embryonen vom 13.12.1990, BGB1. I, 2746. 153 Lauff/Amold, ZRP 1984, 279 (281); Ostendorf, JZ 1984, 595; Pap, MedR 1986, 229 (233). 154 Lorenz, Handbuch des Staatsrechts VI,§ 128 Rdnr. 21. 155 Starck, Gutachten, S. A 35. 150 Pap, MedR 1986,229 (233); Sternberg-Lieben, JuS 1986,673 (678). 157 Vgl. auch v. Milnch!Kunig-Kunig, Art. 2 Rdnr. 61; Lorenz, Handbuch des Staatsrechts§ 128

Rdnr. 19 ff., Laufs, NJW 1965, 1053 (1055); Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, S. 439.

158 K. Stern, Menschenwürde als Wurzel der Menschen- und Grundrechte, in: Festschrift filr Scupin, S. 629 (631), Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 37 f.

44

l. Kapitel: Verfassungsrechtliche Beurteilung

Der Begriff der Menschenwürde ist nicht klar umgrenzt. Die Vielfalt der in den Würdebegri.{r 59 einfließenden Vorstellungen fuhren dazu, daß eine exakte Definition des Begriffs nicht möglich ist160. Dennoch hat es Versuche gegeben161, den Begriff der "Menschenwürde" einzugrenzen162. Im Gegensatz dazu ist aber davon auszugehen, daß nicht generell ausgedrtickt werden kann, unter welchen Umständen eine Verletzung der Menschenwürde in Betracht kommt. Sie ist grundlegendes Verfassungsprinzip und oberste Wertentscheidung, also Fundamentalnorm der Verfassung163. Aus der systematischen Stellung des Art. l Abs. l GG und der Erwähnung der Menschenwürde in der "Ewigkeitsgarantie" des Art. 79 Abs. 3 GG folgt, daß die Menschenwürde höchster Rechtswert in der Verfassungsordnung ist164. Eine Entscheidung über das "Betroffensein" der Menschenwürde ist vielmehr in Anbetracht des konkreten Falles zu treffen165. Häberle166 spricht insoweit von der Entwicklungsfabigkeit und Wandelbarkeit der Menschenwürde. Der Würdebegriff ist insoweit zu bestimmen, als die Eigenschaften eines Vorgangs als würdeverletzender Eingriff zu qualifizieren sind167. Beeinflußt von den Arbeiten Dürigs168 kam es zur Entwicklung der sogenannten "Objektfonnel". Danach widerspricht es der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt staatlichen Handeins zu machen169. Die Objektfor-

JSg Neue Impulse in der Diskussion um den Wardehegriff gehen von der Arbeit GeddertSteinachers, Menschenwürde als Verfassungsbegrifl; S. 30 ff., aus. 160 V. Münch/Kunig-Kunig Rn 22 zu Art. 1 GG.

161 Zum Theorienstreit zwischen der Wertkonzeption und der Leistungskonzeption vgl. z. B. AK GG-Podlech Rdnr. 61 zu Art. 1 Abs. 1; Häberle Handbuch des Staatsrechts I, § 20 Rdnr. 39; Heuermann!Kröger, MedR 1989, 168 (170 ff.). 162 Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 23 I 2, sprechen insoweit vom "Begriffskern" und "Begriffshof'. 163 Vgl. nur BVerfGE 2, 1, (12); 6, 32, (36); 12, 45, (53); 30, 1, (25); 45, 187, (227); K. Stern, Menschenwürde als Wune! der Menschen- und Grundrechte, in: Festschrift filr Scupin, S. 629 (632).

164 BVerfGE 45, 187 (227). 165 BVerfGE 30, 1 (25); 45, 187 (227); 64, 261, (272). 166 Häberle, Handbuch des Staatsrechts I, § 20 Rdnr. 70. 167 Einen Überblick ober Verletzungshandlungen bieten z. B. BayVerfGH, BayVBI 1982, 47 (50)

sowie Battis/Gusy, Einfilhrung in das Staatsrecht Rdnr. 338.

168 Dürig, JR 1952, 259; ders., AöR 81 (1956), 117 und Maunz!Dürig!Herzog!Scholz-Dürig Rdnr. 28 zu Art. 1 GG. 169 BVerfGE 45, 187 (228); 50, 166 (175); 72, 105 (116).

45

A Grundrechtsschutz des nasciturus

mel170 ist hilfreich, die Menschenwürde fallspezifisch zu konkretisieren und justiziahet zu machen171 • Zwar wurde die Grundrechtsqualität des Art. 1 Abs. 1 GG bezweifelt172• Dem ist aber nicht so. Die Menschenwürde muß auch dann noch konkretisierbar sein, wenn sie nicht durch einen speziellen Grundrechtstatbestand geschützt wird173. Art. 1 Abs. 1 GG muß aber auch dann als Wertmaßstab herangezogen werden, wenn er seinen Schutz durch ein spezielleres Grundrecht entfaltet174. In diesen Fällen fungiert Art. I Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht175.Aus seiner Funktion als Fundamentalnorm heraus beeinflußt Art. 1 Abs. 1 GG aber nicht nur die staatliche Gewalt, sondern wirkt auch in die Privatrechtssphäre hinein176 . Auch der Fötus als menschliches Wesen genießt den Schutz der Menschenwürde177. Alleine das ''biologische Basisfaktum" 178 menschlichen Lebens ist wie sich auch aus den vorstehenden Ausführungen zur Frage des Lebensrechts ergibt-ausschlaggebend für die Grundrechtsträgereigenschaft179 .

170 Zur Kritik vgl. z. B. Hoerster, JuS 1983, 93 (95), der befiirchtet, daß das Menschenwürdeprinzip zur ,,Leerfonnel" werden könnte. 171 Vgl.

dazu auch Häberle, Handbuch des Staatsrechts I,§ 20 Rdnr. 10.

172 Maunz/Dürig!Herzog!Scholz-Dürig

schenwürde, S. 13 ff.

Rdnr. 13 zu Art. 1; Wertenbruch Grundgesetz und Men-

173 Neumann/Nipperdey/Scheuner-Nipperdey, Grundrechte, Band II S.

1, (12).

174 Heuermann!Kröger, MedR

1989, 168 (169); zum Verhältnis der Menschenwürde zu den anderen Grundrechten vgl. auch K. Stern, Menschenwilrde als Wurzel der Menschen- und Grundrechte, in: Festschrift fiir Scupin, S. 629 (635 ff.). 175 Blankenagel, KJ 1987, 379 (386 f.) qualifiziert das Verhältnis der Menschenwürde zu den anderen Grundrechten als ein Tandem wechselseitiger Sinngebung. 176 Vgl. z. B. BGHZ

(179).

13, 334 (338); 24, 72 (76); 39, 124 (131); 57, 325 (328, 330); 82, 173

177 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 16 = BVerfGE 88, 203 (251) mit Hinweis auf§ 10 I, 1 PrALR, kritisch äußert sich Jerouschek, JZ 1989, 279 (280 ff.). 178 Geddert-Steinacher, Menschenwilrde als Verfassungsbegriff, S. 61. 179 Grundlegend dazu auch BVerfGE 39,

1 (41).

1. Kapitel:

46

Verfassun~echtliche

Beurteilung

B. Beginn des Grundrechtsschutzes und Grundrechtsträgerschaft des nasciturus 1. Beginn des Grundrechtsschutzes Aus den bisherigen Erläuterungen geht hervor, daß menschliches Leben den verfassungsrechtlichen Schutz der Art. 2 Abs. 2 GG (Leben und körperliche Integrität) sowie Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde) genießt. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, wann dieser Schutz einsetzt. Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.05.1993 180 führte zu keiner endgültigen Entscheidung dieser Frage181 . a) Nidation

Eine Möglicheit besteht darin, den grundrechtliehen Schutz an den Zeitpunkt der Nidation, also der Einnistung der Blastozyste in die Uterusschleimhaut, zu knüpfen182. Von medizinischer Seite wird dieser Zeitpunkt z. T. als Lebensbeginn qualifiziert, u. a. mit dem Hinweis darauf, daß vor Abschluß der Nidation noch etwa 60 % der befruchteten Eizellen zugrunde gehen183. Würde man aber diesem Gedankengang folgen, so bedeutete dies, die Überlebensfähigkeit des Menschen zum Maßstab für die Grundrechtsträgerschaft zu machen184. Ebenso irrelevant für die grundrechtliche Beurteilung ist die Tatsache, daß eine Mehrlingsbildung bis zum Zeitpunkt der Nidation nicht ausgeschlossen ist. Denn die Verdoppelung menschlicher Identität kann nicht dazu fuhren, daß genetisch identisches menschliches Leben nicht unter dem Schutz der Grundrechte steht185. Der Hinweis, daß der Schwangerschaftsabbruch ebenfalls erst nach Nidationsahschluß strafbar ist, läßt keinen Schluß auf die verfassungsrechtliche Beurteilung des Lebensschutzbeginns zu. Die von Zweckmäßigkeitserwägungen geprägten Bestimmungen der § 219 d StGB

180

Abgedruckt in der Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993.

Vgl. hierzu BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 16 BVerfGE 88,203 (251). 181

182 Vgl. dazu 183

Moore, Embryologie, S. 41 ff.

Spiekerkötter, Verfassungsfragen der Humangenetik, S. 41.

184 Pap,

MedR 1986, 229 (233).

185 Geddert-Steinacher,

Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S. 64.

=

B. Beginn des Grundrechtsschutzes

47

a. F. sowie § 218 Abs. 1, Satz 2 n. F. StGB 186 können nicht zum Entscheidungskriterium für eine gesamte Wertordnung erhoben werden. Entscheidend ist aber, daß ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Nidation willkürlich wäre. Denn es lassen sich hierfür keine sachlichen Gründe finden187. b) Befruchtung

Vielmehr beginnt mit der Keimverschmelzung ein kontinuierlicher Prozeß des Menschseins, in dem keine qualitativen Sprünge auszumachen sind188. Dies ist der Zeitpunkt, in dem sich der qualitative Sprung vorn biologischen Leben der Ei- und Samenzelle zum menschlichen Leben vollzieht. Es handelt sich um die Konstitution eines bisher nicht dagewesenen genetischen Programms, das von nun an selbständig abzulaufen beginnt und die gesamte Entwicklung des Menschen bis zu seinem Tode hin steuert189, also ein Genom, in dem alle Entwicklungsschritte zu einer individuellen menschlichen Existenz konstituiert sind190 . Jede nach der Keimverschmelzung vorgenommene Festlegung des grundrechtliehen Schutzes bringt Abstufungen und Wertungen mit sich und widerspricht dem Wertungsgedanken der Grundrechtsauslegung, nämlich in Zweifelsfällen diejenige Auslegung zu wählen, die die juristische Wirkungskraft der Grundrechtsnorm am stärksten entfaltet191. Denn nur der Schutz des menschlichen Lebens ab der Befruchtung gewährt einen wirksamen und vollständigen Schutz desselben. Zudem ist der Zeitpunkt der Befruchtung in vitro eindeutig festzulegen und in vivo eng eingrenzbar192 . Aufgrund der Entwicklung in Bereichen der extrakorporalen Befruchtung und der bestehenden Zugriffsmöglichkeiten auf die Eizelle in vitro sowie der Humangenetik bedarf das menschliche Leben auch des verfas-

186 § 218 a Abs. I n. F. StGB ist durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts flir nichtig erklärt, BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 3 = BVerfGE 88, 203 (208). 187

GrafVitzthum, MedR 1985, 249 (252); Pap, MedR 1986,229 (233).

Blechschmidt. Wie beginnt das menschliche Leben?, S. 29, !57 ff.; Sternberg-Lieben, JuS 1986, 673 ff. 188

189 Vgl. auch BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 16 f = BVerfGE 88,203 (251 ff.).

190 Schreiber, Der Schutz des Lebens durch das Recht an seinem Beginn und an seinem Ende, in: Festschrift filr Schewe S. 120 (121 ). 191Vgl. z. B. BVerfGE 6, 55, (72); 32, 54, (71); 39, 1, (38). 192 Spiekerkötter,

Verfassungsfragen der Humangenetik, S. 53.

48

1. Kapitel: Verfassunp-echtliche Beurteilung

songsrechtlichen Schutzes in diesem Stadium193; eine temporale Eingrenzung liefe dem Schutzgedanken zuwider194• Da Art. 2 Abs. 2 sowie Art. 1 Abs. 1 GG eine Abstufung des Lebensschutzes in einen geringeren Schutz ab der Befruchtung, über einen stärkeren Schutz im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft bis zu einem vollen Schutz fiir den geborenen Menschen verbietet, bleibt als Ergebnis festzuhalten, daß der grundrechtliche Schutz menschlichen Lebens im Zeitpunkt der Befruchtung einsetzt.

2. Grundrechtsträgerschaft des nasciturus Nachdem nun feststeht, daß der nasciturus den Schutz der Grundrechte auf Leben und körperliche Integrität sowie der Menschenwürde genießt, bleibt noch zu klären, ob er auch als Rechtssubjekt anerkannt wird. Das Verhältnis von subjektivem und objektivem Recht ist als eine der Grundlagenfragen der modernen Grundrechtsdogmatik noch nicht hinreichend geklärt, besonders die Frage, ob der Schutzbereich des objektiven Rechts hinter dem des subjektiven Rechts zurückbleibt195• Bezogen auf die hier zu entscheidende Frage ist aber einmal festzustellen, daß der Ausdruck "Jeder" in Art. 2 Abs. 2 GG auf eine weite Auslegung des Begriffs hindeutet196. Außerdem stellt sich die Frage, wie ein "Jeder" ein Recht haben kann, ohne aber Träger dieses Rechts zu sein197• Der nasciturus ist also auch in subjektiver Hinsicht Träger der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 sowie Art. 1 Abs. I GG.

193 AA Starck. Gutachen S. A 17, der, um einen vollständigen Schutz gegen Manipulationen der Keimbahnen zu erreichen, schon der Eizelle vor der Befiuchtung den Schutz der Grundrechte zugestehen will.

194 BVeriD vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 17 = BVeriDE 88, 203 (255); v. Mutius, Jura 1987, 109 (111). 195 Vgl. dazu nur Geddert-Steinacher, Menschenwilrde als Verfassungsbegrift S. 66 ff.; v. Münch/Kunig-Kunig Rdnr. 47 zu Art. 2 GG. 196 V. M11nch GO-Kommentar 3. Auß. Rdnr. 39 zu Art. 2 GG; vgl. aber auch v. Münch!KunigKunig Rdnr. 47 zu Art. 2 GG. 197 So Oberzeugend Steiger, Entwicklung im Grundrechtsverständnis in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, in: Berberich/Holl!Maaß, Neue Entwicklungen im öffentlichen Recht, S. 262

49

C. Strafrechtliche Konsequenzen

C. Konsequenzen für die strafrechtliche Beurteilung des Schwangerschaftsabbruchs Mit diesen Feststellungen ist aber noch nicht entschieden, ob und inwieweit dieser Schutz in die Vorschriften des Strafrechts und Zivilrechts hineinwirkt und in welcher Weise dabei die Eigeninteressen der Schwangeren zu berücksichtigen sind. In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.05.1993 198 kommt nochmals deutlich zum Ausdruck, daß der Staat verpflichtet ist, menschliches Leben -auch das ungeborene Leben- zu schützen. Es handelt sich dabei um eine elementare staatliche Schutzaufgabe199. Dieser Schutzanspruch des Embryos besteht auch gegenüber seiner Mutter, was zur Folge hat, daß der Schwangerschaftsabbruch fiir die gesamte Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen wird und demgemäß rechtlich verboten ist200 • Die Grundrechtspositonen der Frau haben aber zur Folge, daß es in bestimmten Ausnahmefallen zulässig, womöglich geboten ist, eine Rechtspflicht der Frau zum Austragen des Kindes zu vemeinen201 . Die Umsetzung dieser Ausnahmefalle in strafrechtliche Ausnahmetatbestände ist Sache des Gesetzgebers. Leitgedanke zur Anerkennung eines Ausnahmetatbestandes ist das Kriterium der Unzumutbarkeit202 . Liegen demnach Belastungen vor, die ein gravierendes Maß an Aufopferung eigener Lebenswerte verlangen, so begrenzt dies die Pflicht der Frau zum Austragen der Schwangerschaft. Solche Ausnahmesituationen sind etwa im Falle der medizinischen, der embryopathischen203 sowie der kriminolgischen Indikation zu bejahen204. In den genannten drei Indikationsfallen oder einer gleich schwer wiegenden Notlage sind Schwangerschaftsabbrüche gerechtfertigt, also kein Unrecht. Aber auch das Vorliegen einer Indikationslage läßt die Schutzpflicht des Staates - in Form

198 BVerfG vom 28.05.1993,

203 ff.

Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 1 ff.

199 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S.

(257). =

18

=

=

BVerfGE 88,

BVerfGE 88, 203

200 BVerfGE 39, I (44); BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 17 BVerfGE 88, 203 (255).

201 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S.

(255).

18 = BVerfGE 88, 203

202 BVerfGE, 39, I (48 ff.). 203 Das Bundesvetfassungsgericht

weist hier ausdrücklich auf das Eifordemis der inhahlichen Bestimmtheit hin, BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 18 = BVerfGE 88, 203 (257).

204 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 31 (299 ff.). 4 Bemard

=

BVerfGE 88, 203

1. Kapitel: Verfassungsrechtliche Beurteilung

50

von Hilfsangeboten zugunsten der Schwangeren - gegenüber dem ungeborenen Leben fortbestehen205. Mithin ist das Strafrecht das Regelungsinstrument, mit dem die grundsätzliche Rechtspflicht der Frau zum Austragen der Schwangerschaft ihre gesetzliche Grundlage findet. Allerdings ist der Gesetzgeber an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden206• Aber nicht nur mit den Mitteln des Strafrechts ist dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag Genüge getan. Die staatliche Schutzpflicht zugunsten des ungeborenen Lebens und die Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz von Ehe und Familie)207 sowie Art. 6 Abs. 4 GG (Mutterschutz) legen dem Staat die Pflicht auf, Problemen und Schwierigkeiten nachzugehen, die der Frau während der Schwangerschaft entstehen können208. Deshalb gehört es auch zur Schutzpflicht des Staates für das ungeborene Leben, jenen realen Lebensverhältnissen entgegenzuwirken, die einem Austragen der Schwangerschaft entgegenstehen. Daraus ergibt sich z. B. auch die Pflicht, einen Schwangerschaftsabbruch aufgrundeiner materiellen Notlage zu verhindem209.

205

(257).

BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 18 = BVerfGE 88, 203

206 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 18 = BVerfGE 88, 203 (257 ff.). 207 Zu dem Beginn dieses Menschenrechts macht das Bundesverfassungsgericht allerdings keine Ausfllhrungen. 208

(258 f.).

BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 19 = BVerfGE 88, 203

209 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 19 = BVerfGE 88, 203

(259).

2. Kapitel

Strafrechtliche Aspekte Die zivilrechtliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Schwangerschaftsabbruchs erfordert zunächst einen kurzen Überblick über die Entwicklung des Abtreibungsstrafrechts. Die auf verfassungsrechtlicher Grundlage erfolgte strafrechtliche Einordnung des Schwangerschaftsabbruchs entfaltet ihre Wirkungen womöglich auch im Zivilrecht. Ausgangspunkt der sich anschließenden Darstellung ist deshalb die Entwicklung des Abtreibungsstrafrechts angesichts der deutschen Wiedervereinigung. Daran schließt sich eine kurze Darstellung des strafrechtlichen Schutzes des Ungeborenen an, die ebenfalls für eine Gesamtschau von Nutzen ist.

A. Die Entwicklung des Abtreibungsstrafrechts als Folge der deutschen Einheit Vor der deutschen Wiedervereinigung galten in beiden deutschen Staaten unterschiedliche Regelungen des Abtreibungsstrafrechts. l. Alte Bundesländer

Das bundesrepublikanische Abtreibungsstrafrecht war als Indikationenregelung ausgestattet. Dies bedeutete, daß der Abbruch der Schwangerschaft nach Abschluß der Nidation grundsätzlich strafbar war(§§ 218 Abs. 1, Abs. 3; 219 d StGB a. F.). Lagen indessen folgende Voraussetzungen vor1: - Einhalten bestimmter Fristen, - Vomahme des Abbruchs durch einen Arzt, - Einwilligung der Schwangeren, - der Schwangerschaftsabbruch ist nach ärztlicher Erkenntnis mit Rücksicht auf bestimmte schwerwiegende Notlagen der Schwangeren angezeigt,

1 Vgl.

dazu auch§ 218 a StGB a. F.

52

2. Kapitel: Strafrechtliche Aspekte

so war der Schwangerschaftsabbruch für die Schwangere nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht strafbar. Die medizinische Indikation, § 218 a Abs. 1 Nr. 2 a. F. StGB, gestattete den Abbruch bei drohenden Gefahren für das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren. Der eugenischen Indikation3 (§ 218 a Abs. 2 Nr. 1 a. F. StGB) lag die Erwägung zugrunde, daß die Schwangerschaft wegen voraussichtlicher schwerer Schädigungen des Kindes im Interesse der Mutter abgebrochen werden konnte4 • Weder kam es dabei auf die Verhinderung erbkranken Nachwuchses, noch auf das spätere Schicksal des behinderten Menschen an5. § 218 a Abs. 2 Nr. 2 a. F. StGB gestattete den Schwangerschaftsabbruch, wenn an der Schwangeren eine rechtswidrige Tat nach§§ 176 - 179 StGB begangen wurde und dringende Gründe für die Annahme sprachen, daß die Schwangerschaft auf der Tat beruhte. Der allgemeine Notlagenindikation, § 218 a Abs. 2 Nr. 3 a. F. StGB kam mit einem Anteil von über 80% die größte Bedeutung zu6 . Die auch als "soziale Indikation" bezeichnete Indikation beruhte auf der Erwägung, daß auch die allgemeine soziale Lage der Schwangeren und ihrer Familie Konflikte von solcher Schwere erzeugen kann, daß von der Schwangeren über ein bestimmtes Maß hinaus Opfer zugunsten des ungeborenen Lebens mit Mitteln des Strafrechts nicht erzwungen werden können7. Eine Strafbarkeit der Schwangeren entfiel auch dann, wenn eine Beratung nach § 218 b StGB a. F. stattgefunden hatte und ein Arzt die Schwangerschaft innerhalb von 22 Wochen nach der EmpfangDis abbrach(§ 218 Abs. 3, Satz 2 StGB a. F.). Weiterhin konnte das Gericht gemäߧ 218 Abs. 3, Satz 3 StGB a. F. von einer Bestrafung der Schwangeren absehen8, wenn diese sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat.

2 Zur Rechtsnatur der einzelnen Indikationen äußern sich z. B. BGH, NStZ 1992, 328 ff.; BayObLG, NJW 1990, 2328 (2329 ff.), Belling, Ist die Rechtfertigungsthese zu § 218 a StGB haltbar?, S. 93 ff., LK-Jähnke vor§ 218 a Rdnr. 5.

3 Zur Begriffsbildung vgl. Eser-Koch, Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich, Teil 1, S. 122. 4 S/S-Eser

§ 218 a Rdnr. 19.

5 BT-Drucks. 6/3434,

S. 23; LK-Jähnke § 218 a Rdnr. 50.

6

1992 betrug der Anteil der allgemeinen Notlagenindikation an der Gesamtzahl der Schwangerschaftsabbrüche 88,6 %, Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 12, Gesundheitswesen, Reihe 3'92. 7 BVerfGE 8

39, 1 (49); S/S-Eser § 218 a Rdnr. 4 1.

Vgl. dazu Dreher/Tröndle Rdnr. 8 dzu § 218 und Rdnr. 7 zu§ 23.

A Die Entwicklung des Abtreibungsstrafrechts

53

2. Beitrittsgebiet Für das Gebiet der ehemaligen DDR galt nach § 153 des Strafgesetzbuchs der DDR in der Neufassung vom 14. Dezember 19889, geändert durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29. Juni 199010. Aufgrund der dort normierten Regelung war strafbar, wer entgegen den gesetzlichen Vorschriften die Schwangerschaft einer Frau abbrach. Gleiches galt für die Veranlassung oder Unterstützung einer Frau zum Selbstabbruch bzw. zum ungesetzlichen Schwangerschaftsabbruch. Die Vorschriften des Gesetzes über die Unterbrechung der Schwangerschaft vom 9. März 1972 11 und die dazu ergangenen Durch:fiihrungsbestimmungen12 hatten die Fristenlösung zum Inhalt. Dies bedeutete, daß die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach deren Beginn durch eine ärztlichen Eingriff in einer dafür vorgesehenen Einrichtung beendet werden konnte13 .

3. Einigungsvertrag vom 31. August 1990 Art. 31 Abs. 4 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 hat den gesamtdeutschen Gesetzgeber verpflichtet, spätestens bis zum 31. 12.1992 eine Regelung zu treffen, die den Schutz des vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen besser gewährleistet als dies in beiden Teilen Deutschlands bis dahin der Fall war.

a) Übergangsregelung

Zunächst blieb es aber bei unterschiedlichen Regelungen über die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs in beiden Teilen Deutschlands. Aufgrund des Einigungsvertrages galten die ursprünglichen Regelungen fort. Im Jahre 1991 belebten zahlreiche Gesetzentwürfe14 die Diskussion um die neu zu regelnde Rechtsmaterie.

9

GBI. der DDR 11989, 33.

10

GBI. der DDR 11990, 526.

11 GBI. der DDR I, 89. 12 GBI.

der DDR ll, 149.

13vg1.

in diesem Zusammenhang auch Kriele, Die nicht-therapeutische Abtreibung vor dem

Grundgesetz, S. 47 ff.

14 Es handelt sich dabei um folgende GesetzentwOrfe: der FDP-Fraktion BT-Drucks. 12/551; der Abgeordneten Schenk u.a. i.V.m. der Gruppe Bllndnis 90/Die Grllnen BT-Drucks. 12/696; der SPDFraktion BT-Drucks. 12/841; der Abgeordneten B1iss u.a. i.V.m. der Gruppe PDS!Linke Liste BT-

54

2. Kapitel: Strafrechtliche Aspekte

Der später im Gesetzgebungsverfahren im wesentlichen angenommene Entwurf der Abgeordneten Wettig-Danielmeier, Wütfel u.a.u sah eine grundlegende Änderung des bis dahin in der Bundesrepublik geltenden Abtreibungstrafrechts vor. So sollten Schwangerschaftsabbrüche, die innerhalb von zwölf Wochen seit der Empfangnis von einem Arzt mit Einwilligung der Schwangeren vorgenommen werden und bei denen sich die Frau mindestens drei Tage vor dem Eingriff durch eine Beratungsstelle hat beraten lassen, vom Straftatbestand des § 218 StGB des Gesetzentwurfs ausgeschlossen sein16. § 218 Abs. VI des Gesetzentwurfs sah noch die medizinische und embryopathische Indikation, die im wesentlichen der Regelung in der alten Fassung entsprechen17, als Rechtfertigungsgründe vor, während die kriminologische und die allgemeine Notlagenindikation entfallen sollten. Im Gesetzgebungsverfahren erhielt dann dieser Entwurf in der Ausschußfassung18 nach einer langanhaltenden Debatte19 in zweiter Beratung die Mehrheit der Stimmen. Auch der Bundesrat stimmte dem Gesetzesbeschluß zu20• Dieses Gesetz trägt den Titel: "Gesetz zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, fiir Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangeren- und Familienhilfegesetz, SFHG)21 • Es sieht weitreichende Änderungen, vor allem auch im sozialrechtlichen Umfeld vor.

b) Das neue Abtreibungsstrafrecht auf dem Prllfstand des Bundesverfassungsgerichts (1) Das Verfahren der einstweiligen Anordnung

Auf Antrag der Bayerischen Staatsregierung und von 248 Abgeordneten des Deutschen Bundestages ordnete das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 04. August 199222 unter anderem an, daß die strafrechtlichen Bestimmungen des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes einstweilen nicht in Kraft treten.

Drucks. 12/898; der Fraktion der CDU/CSU BT-Drucks. 12/1178 (neu); der Abgeordneten Wemer u.a. BT-Drucks. 12/1179 sowie insbesondere der Abgeordneten Wettig-Danielrneier u.a. BT-Drucks. 12/2605 (neu). tS

BT- Drucks. 12/2605 (neu).

16 Begliindung des

17 BT-Drucks.

Gesetzentwurfs BT-Drucks. 12/2605 (neu), S. 21.

12/2605 (neu), S. 22.

18

BT-Drucks. 12/2875.

19

Vorn 25.06.1992, Stenographischer Bericht 12/99.

Gegen die Stimmen Bayern und bei Enthaltung Baden-WOttternber~, MecklenburgVorpornrnerns und Thüringens. 20 21

Vorn 27. Juli 1992, BGBI. I, 1398.

22 BVeriD,

FarnRZ 1992, 1035.

A Die Entwicklung des Abtreibungsstrafrechts

55

Damit blieb es bis zur Entscheidung in der Hauptsache in den alten Bundesländern bei der Indikationen-Regelung der§§ 218 ff. StGB a. F., während in den neuen Bundesländern weiterhin das Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft von 1972 galt.

(2) Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.05.1993 Am 28.05.1993 verkündete das Bundesverfassungsgericht sodann das vorstehend bereits diskutierte Urteil in der Hauptsache, das unter anderem zur Nichtigerklärung des § 218 a Abs. 1 StGB n. F. führte. Das Bundesverfassungsgericht ordnete bis zum lokrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung folgende Übergangslösung an, die ab dem 16. Juni 1993 in Ergänzung der Vorschriften des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes gilt: Liegen die Voraussetzungen einer medizinischen oder embryopathischen Indikation nach § 218 a Abs. 2 oder Abs. 3 n. F. StGB vor, so entfcillt die Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs, sofern die Schwangere in den Eingriff eingewilligt hat23 und der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird. Im Falle der embryopathischen Indikation ist zudem erforderlich, daß sich die Schwangere mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen und seit der Empfängnis nicht mehr als zweiundzwanzig Wochen vergangen sind. Wird dagegen die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch einen Arzt auf Verlangen der Frau abgebrochen, und dem Arzt durch eine Bescheinigung nachgewiesen, daß die Schwangere sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff von einer anerkannten Beratungsstelle hat beraten lassen, so findet die Strafvorschrift des § 218 n. F. StGB keine Anwendung. Dem Inhalt und der Art und Weise der Durchführung der Beratung ist durch das Urteil ein Rahmen vorgegeben24. Diese Regelung läßt das grundsätzliche Verbot und damit die strafrechtliche Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs25 auch in diesen Fällen unberührt; auf die Strafbarkeit wird aber verzichtet. Aus der strafrechtlichen Qualifikation des Schwangerschaftsabbruchs als rechtswidrig folgt, daß kein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung besteht26. Die Gewährung von Sozialhilfe wird, wie man noch sehen wird, aber nicht ausgeschlossen.

23 Vgl. dazu ausft\hrlich BVeriD vom 28.05. 1993, Sonderausgabe der JZ, S. 3 ff. = BVeriDE 88, 203 (21 0 f.) insbesondere auch zur Ausgestaltung und zum weiteren lnhah der Beratung.

24 BVeriD vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 26 ff= BVeriDE 88, 203 (281 ff.). 25Vgl. dazu Hoerster, JuS 1995, 192 (193 f.). 26 Vgl. dazu Hoerster, JuS 1995, 192 (196).

2. Kapitel: Strafrechtliche Aspekte

56

8. Der nasciturus als Schutzgut der allgemeinen Tötungsdelikte Ausgehend vom Wortlaut schützen die §§ 211 :ff. und 222 StGB den "Menschen". Rekurrierend auf die obigen Ausführungen ist festzuhalten, daß der Embryo ab dem Zeitpunkt der Konjugation "Mensch" im verfassungsrechtlichen Sinne ist27. Im Gegensatz dazu beginnt die Eigenschaft "Mensch" i. S. d. §§ 211 :ff., 222 StGB erst mit der Vollendung der Geburt. Uneinigkeit besteht allein hinsichtlich der Festlegung, ob dies mit Beginn der Eröffnungsoder der Preßwehen der Fall isf8.

C. Der Schutz des nasciturus durch die allgemeinen Körperverletzungsdelikte Der Schutz des Embryos im Rahmen der allgemeinen Körperverletzungsdelikte (§§ 223 :ff., 230 StGB) scheidet ebenfalls aus. Dies ergibt sich bereits daraus, daß die Einbeziehung des nasciturus in den Schutzbereich dieser Vorschriften der Gesetzessystematik widerspräche. Denn dies hätte zur Folge, daß zwar die fahrlässige Körperverletzung des Embryos strafbewehrt wäre, die diese an Unrechtsgehalt übersteigende Tötung des Ungeborenen aber straffrei gestellt wäre29 . Damit hat der Gesetzgeber den nasciturus also den "ungeborenen Menschen zwischen Nidation und Geburt" 30 bewußt von der Unterschutzstellung durch die§§ 211 :ff., 223 :ff. StGB herausgenommen und ihn der Spezialregelung der §§ 218 :ff. StGB unterstellt.

27

Vgl. dazu die Ausfllhnmgen im I. Kapitel.

28 BGHSt 31, 348; 32, 194 (196); Lüttger, JR 1971, 133 (135); ders., NStZ 1983, 481;

ZStW 97 (1985), 37; Saerbeck, Beginn und Ende des Lebens als Rechtsbegriff, S. 95. 29 Im Ergebnis so auch Cramer, 30

Genom- und Genanalyse, S. 82.

Sigel, Strafbarkeit pränataler Einwilkungen über§§ 218 ff. StGB hinaus, S. 19.

Eser,

3. Kapitel

Der Vertrag über die Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs A. Rechtsnatur des auf Vomahme eines Schwangerschaftsabbruchs gerichteten Vertrages Betrachtet man den Schwangerschaftsabbruch von zivilrechtlicher Seite aus, so ist zunächst notwendig, die Rechtsnatur des Vertrages über die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs zu klären. Auch die an anderer Stelle1 zu klärende Frage, ob dem leiblichen Vater auf zivilrechtlichem Gebiet Einflußmöglichkeiten auf die Entscheidung der Schwangeren über das Austragen oder den Abbruch der Schwangerschaft eingeräumt werden, erfordert es, die Parteien des Vertrages über die Durchfiihrung des Schwangerschaftsabbruchs herauszukristallisieren und die vertragliche Konstruktion sowie die Vertragspflichten offenzulegen. Vereinzelt werden Zweifel an der Wirksamkeit eines Vertrages, der auf Abbruch einer Schwangerschaft gerichtet ist, geäußert2 . Ob sich diese Zweifel angesichts der Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts3 und der materiellen Rechtslage halten lassen, ist ebenfalls Gegenstand der sich anschließenden Erörterungen.

1. Privatversicherte oder selbstzahlende Patientin Zunächst ist festzustellen, daß das bundesdeutsche Krankenversicherungssystem eine Unterscheidung zwischen dem sozialversicherungsrechtlichen Bereich und den Bestimmungen des Rechts der privaten Krankenversicherungen enthält4 . 1 Siehe hierzu die

Ausfiihrungen im 4. Kapitel.

2 Belling, Ist die Rechtfertigungsthese zu § 218 a StOB haltbar?, S. 145 f., Medicus, Zivilrecht und werdendes Leben, Sitzun~berichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-

Historische Klasse, 1985, 1 (5), Lenz, VersR 1990, 1209 (1211 f.).

3 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 30 (295 f.). 4

=

BVerfGE 88, 203

Eser/Koch, Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich, Teil1, S. 186.

58

3. Kapitel: Vertragsrechtliche Probleme

Zu Beginn der Ausführungen steht die Darstellung des privatärztlichen Vertragsverhältnisses, das dann zur Anwendung kommt, wenn die Schwangere entweder einer privaten Krankenversicherung angehört oder Selbstzahlerio ist. Dies soll keine Wertung beinhalten, sondern dem Gesichtspunkt Rechnung tragen, daß der dem Umfang nach zurückgetretene Privatbehandlungsvertrag nach wie vor Modellcharakter hat5. Das privatärztliche Vertragsverhältnis ist auch deshalb von außerordentlicher Bedeutung, weil -bedingt durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorn 28.05.1993 6- Schwangerschaftsabbrüche in bestimmten Fällen von der betroffenen Frau selbst zu zahlen sind. Auch in diesen Fällen kommt das privatärztliche Vertragsverhältnis zur Geltung. a) Vorschriften über den Ort der Durch.fohrung des Schwangerschaftsabbruchs

Der Schwangerschaftsabbruch ist, wie aus den Regelungen des Art. 3 des 5. StRG, in der durch Art. 15 Nr. 1 SFHG geltenden Fassung, hervorgeht, nicht mehr grundsätzlich an das Krankenhaus verwiesen7. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen Ambulatorien entstehen, in denen die für die Schwangere schonende Absaugrnethode praktiziert wird und ihr ein mehrtägiger Klinikaufenthalt erspart bleibt8. Von zivilrechtlicher Seite ist damit die vertragliche Konstruktion sowohl des ambulanten wie auch des stationären Schwangerschaftsabbruchs von Relevanz. b) Ambulanter Abbruch

Der Vertrag auf Vornahme eines ambulanten Schwangerschaftsabbruchs richtet sich, wie auch der ärztliche Behandlungsvertrag9 allgemein, nach den Regeln des Dienstvertragsrechts10• Die Vorschriften des Dienstvertragsrechts kommen auch dann zur Anwendung, wenn der Behandlungsvertrag ein bestimmtes Ergebnis zum Gegenstand hat, wie der auf Abtreibung gerichtete Vertrag11 •

5

Laufs, Arztrecht Rdnr. 87.

6

BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. I ff.

203 ff.

7 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 40 (328 f.).

8 Vgl. 9

=

10

Harrer, Zivilrechtliche Haftung bei durchkreuzter Familienplanung, S. 165.

BVerfGE 88,

BVerfGE 88, 203

dazu die Begründung zu dem Gesetzentwurf BT - Drucks. 12/696, S. 11 f.

Vgl. dazu Müller, Schuldrecht Besonderer Teil, Rdnr. 1011, m.w.N.

=

A Rechtsnatur des Vertrages

59

Die Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs in der Ambulanz eines Krankenhauses hat ebenfalls die Geltung der dienstvertragliehen Regelungen zur Folge. In diesem Fall kommt der Vertrag zwischen der abbruchwilligen Schwangeren und dem Klinikträger oder dem Chefarzt zustande, wenn diesem die Erlaubnis erteilt worden ist, als Nebentätigkeit eine Ambulanz zu betreiben12.

c) Stationäre DurchjUhrung Die Durchführung einer stationären Krankenhausbehandlung findet ihre Regelungsgrundlage im Krankenhausfinanzierungsgesetz13 und der Bundespflegesatzverordnung14 Dabei ist zwischen den folgenden Möglichkeiten der Vertragsgestaltung zu unterscheiden: (I) Totaler Krankenhausvertrag

Regelfall ist der totale Krankenhausvertrag. Dies bedeutet, daß Vertragsparteien allein die Schwangere und der Krankenhausträger sind15. Der Krankenhausträger verpflichtet sich zur Übernahme des Großen Pflegesatzes, der sämtliche Leistungen, also auch die ärztlichen, umfaßt16. Der Abschluß des totalen Krankenhausvertrages ist auch der Selbstzahletin möglich17.

11 OLG Düsseldorf, NJW 1975, 595 fiir den Fall der Sterilisation, MüKo- Söllner § 611 Rdnr. 48; Laufs, Arztrecht, Rdnr. I 00 ff., zu Reformüberlegungen vgl. Deutsch, Arzt- und Arzneimittelrecht, S. 35 f. und 41 ff., der demgegenüber einen eigenen Typus des Arztvertrages propagiert, dazu vgl. Deutsch- Geiger, Medizinischer Behandlungsvertrag, S. 1049.

12 Deutsch, Arzt- und Arzneimittelrecht, S. 29.

13 Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze, Krankenhausfmanzierungsgesetz, i.d.F. der Bekanntmachung vom 10.04.1991 (BGBI. I, 886), zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesundheitsstrukturgesetzes v. 21.12.92 (BGBI I, 2266).

14 Verordnung zur Regelung der Krankenhauspflegesätze - Bundespflegesatzverordnung v. 21.08.85 (BGBI. I, 1666), zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesundheitsstrukturgesetzes v. 21.12.1992 (BGBL. I, 2266). 15Laufs, Arztrecht Rdnr. 89. 16 MüKo- Söllner § 611 Rdnr. 73. 17 Deutsch,

Arzt- und Arzneimittelrecht, S. 29; Laufs, Arztrecht, Rdnr. 89.

3. Kapitel: Vertragsrechtliche Probleme

60

(2) Gespaltener Krankenhausvertrag

Eine andere Möglichkeit besteht darin, daß das Belegkrankenhaus zum Kleinen Pflegesatz die pflegerischen und medizinischen Dienste außerhalb der ärztlichen Leistungen des Belegarztes und der nachgeordneten Ärzte seines Faches, denen die Patientin alleine als Vertragspartner gegenübertritt, berechnet18. (3) Totaler Krankenhausvertrag mit Arztzusatzvereinbarung

Eine dritte Vertragskonstruktion eröffnet sich, wenn man das Vertragsverhältnis als totalen Krankenhausvertrag mit Arztzusatzvereinbarung qualifiziert. Das Krankenhaus bzw. der Krankenhausträger schuldet hier, wie beim totalen Krankenhausaufnalunevertrag, auch die ärztliche Behandlung. Daneben kommt aber ein zusätzlicher Vertrag über die ärztliche Behandlung durch einen bestimmten Arzt zustande19 .

d) Kostenerstattung beim Schwangerschaftsabbruch Nach § I Abs. 2 a der Musterbedingungen des Verbandes der privaten Krankenversicherungen20 wird lediglich der nicht strafbare und aus medizinischen Gründen indizierte Schwangerschaftsabbruch unter Versicherungsschutz gestellt. In den anderen Fällen ist die Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs nicht erstattungsfähig21, Versicherungsleistungen werden nicht erbracht. Die Schwangere ist also zur alleinigen Kostentragung verpflichtet. Übersteigen die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs ihre finanziellen Möglichkeiten, so besteht ein Anspruch auf Sozialhilfe gemäߧ 37 a BSHG22 .

18 Staudinger- Richardi Vorbem. zu§ 611 Rdnr. 1610. 19 Staudinger- Richardi Vorbem. zu§ 611 Rdnr. 1612. 20 Vgl. dazu Prölss/Martin- Prölss Anm. C zu§ 1 MBIKK; Moser!Bach- Bach

Rdnr. 49 zu § 1 MBIKK.

21 LG Berlin, VersR 1983, 1180; LG Detmold, VersR 1986, 336. 22 Vgl. dazu ausfilhrlich BVerfO vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993,

S. 35 ff.

=

BVerfOE 88, 203 (312 ff.) und unten 2 c).

A Rechtsnatur des Vertrages

61

2. Sozialversicherungspflichtige Patientin a) Ambulante Durchfiihrung des Schwangerschaftsabbruchs

Etwas anders gestaltet sich die Rechtslage bei einem auf ambulante Durchfiihrung des Schwangerschaftsabbruchs gerichteten Vertrag mit einer Kassenpatientin. Aus der Existenz des§ 76 Abs. 4 SGB V wird geschlossen, daß ein privatrechtlicher Behandlungsvertrag zustande kommt23 . Um dieses Ergebnis zu erreichen, ist ein kompliziertes öffentlich-rechtliches Einbettungssystem erforderlich, das sich wie folgt darstellt: Der Vertragsanspruch des Arztes richtet sich nicht gegen die Patientin, sondern er besteht unmittelbar gegen die Krankenkasse, wofur nach § 5 I SGG die Sozialgerichte zuständig sind. Aus diesem Grund steht der Kassenarzt in einem Mitgliedschaftsverhältnis zur Kassenärztlichen Vereinigung, die mit dem Sozialversicherungsträger einen öffentlich-rechtlichen Grundvertrag geschlossen hat. Die Kassenpatientin ist sodann Mitglied der öffentlich-rechtlich organisierten Krankenkasse24 . b) Stationäre Aufnahme der Schwangeren zwecks Durchfiihrung des Schwangerschaftsabbruchs

Die Rechtsbeziehungen zwischen der Kassenpatientin und dem Krankenhausträger beruhen ebenfalls auf einer privatrechtliehen Vereinbarung. Dogmatisch wird dieses Ergebnis damit begründet, daß die Kassenpatientin Ansprüche aus einem zwischen dem Krankenhausträger und der Krankenkasse geschlossenen Vertrag zugunsten Dritter hat25. Nach anderer Auffassung gelangt man zu diesem Ergebnis, indem man die Rechtsgrundlage des Verhältnisses in einem unmittelbar zwischen der Kassen-

23 MüKo- Söllner § 611 Rdnr. 49, Peters, Handbuch der Krankenversicherung. § 76 SGB V, Rdnr. 36; Staudinger- Richardi Vorbem. zu § 611 Rdnr. 1604; Wiegand, GKV Komm., § 76 SGB V, Rdnr. 19 jeweils m. w. N. aus Rechtsprechung und Literatur, a.A Krauskopf, Soziale Krankenversicherung. § 76 SGB V, Rdnr. 10.

24 Eine anschauliche Darstellung dieses Systems bietet Deutsch, Arztund Arzneimittelrecht, S. 28. 25

RGZ 165, 91 (97); BGHZ 1, 383 (385 ff.); 4, 138 (149); 9, 145 (ISO); 76, 259 (262).

62

3. Kapitel: Vertragsrechtliche Probleme

patientin und dem Krankenhausträger geschlossenen zivilrechtliehen Vertrag siehtl6 . Für die der vorliegenden Arbeit zugrundeliegende Problematik ist die Entscheidung über die dogmatische Herleitung nicht von Bedeutung, so daß auf eine Entscheidung verzichtet werden kann.

c) Die Kostentragung bei der sozialversicherten Patientin Dieaufgrund des SFHG27 kreierte Regelung des§ 24 b SGB V, die an den bisherigen § 200 f RVO anknüpft, gewährt bei einem nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung28. Ausgehend von der Gesamtkonzeption des SFHG sollte ein Leistungsanspruch der Versicherten auch in den von§ 218 a Abs. 1 StGB n. F. erfaßten Fällen bestehen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.05.1993 29 hat diesem Plan seine rechtliche Umsetzung versagt. Denn nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche, die lediglich nicht mit Strafe bedroht sind, dürfen nicht als gerechtfertigt behandelt werden. Daraus folgt dann schon aus dem Wortlaut des § 24 b SGB V, daß die anspruchsbegründenden Voraussetzungen nicht gegeben sind. Der Staat darf nur eine rechtmäßige Tötungshandlung, von deren Rechtmäßigkeit er sich mit rechtsstaatlicher Verläßlichkeit überzeugt hat, zum Gegenstand seiner Finanzierung machen30 • Er darf aber nicht durch Begründung von Leistungspflichten Schwangerschaftsabbrüche fordern, deren Rechtmäßigkeit nicht verbindlich festgestellt ist31 . Ist die Schwangere aber nicht in der Lage, die Kosten fiir den durchzuführenden Schwangerschaftsabbruch selbst zu tragen, so kann der Staat nach der sozialhilferechtlichen Regelungl2 die Kosten übernehmen. Etwaige Unterhaltsansprüche der Schwangeren gegen ihren Ehemann oder ihre Eltern bleiben dabei unberücksichtigt33. Über die Anforderung des Bundesverfassungsgerichts hinaus, sollte dies aber auch dann gelten, wenn die Schwangere mit dem

26

Staudinger- Richardi Vorbem. zu§ 611 Rdnr. 1617 und unentschieden BGHZ 89,250 (255).

27

Vom 27.'J7.1992, BGBI. I, 1398.

28 Vgl. dazu auch die Begründung zum Gesetzennwrf, BT- Drucks. 12/2605 (neu), 23. 29 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 35 ff. = BVerfGE 88, 203 (312 ff.).

30

(315).

BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 36

=

BVerfGE 88, 203

31 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 35 f. = BVerfGE 88, 203 (314 f.).

32 Vgl. dazu de lege lata § 37 a BSHG, BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 4 = BVerfGE 88,203 (212 f.).

33

(317).

BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 36 = BVerfGE 88, 203

63

B. Rechtswirksamkeit des Ver1rages

Erzeuger in nichtehelicher Lebensgemeinschaft verbunden ist. Ein Regreß bei den Genannten ist ohne Einverständnis der Frau ebenfalls nicht möglich34. Ist die Schwangere indessen leistungsfahig, so kommen die Regelungen des privatärztlichen Vertragsverhältnisses zur Anwendungl5. Ansprüche auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bestehen also derzeit nur bei Vorliegen einer medizinischen oder embtyopathischen Indikation sowie -unter bestimmten Voraussetzungen- bei Verdacht einer Straftat nach §§ 176 - 179 StGB an der Schwangeren.

B. Die Rechtswirksamkeit des auf die Vomahme eines Schwangerschaftsabbruchs gerichteten Vertrags Als vertragliche Anspruchsgrundlage kommt ein Vertrag über den Schwangerschaftsabbruch aber nur in Betracht, wenn er nicht wegen Verstoßes gegen die§§ 134, 138 BGB nichtig ist.

1. Verstoß gegen§ 134 BGB a) Grundrechte als zivilrechtliche Verbotsgesetze Ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB kann sich einmal dann ergeben, wenn man Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG als zivilrechtliche Verbotsnorrn einordnet. Grundsätzlilch handelt es sich bei den Grundrechten um Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat36. Wenn auch einzelne Grundrechte als zivilrechtliche Verbotsgesetze qualifiziert werden37, so bleibt grundsätzlich daran festzuhalten, daß die Grundrechtsnormen fur den rechtsgeschäftliehen Verkehr keine Verbotstatbestände enthalten. Vielmehr wirken bei privatrechtliehen Rechtsverhältnissen die Grundrechte derart, daß sie über die Generalklauseln der§§ 138, 242, 826 BGB Berücksichtigung finden38. Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG ist damit kein Verbotsgesetz i. S. d. § 134 BGB39. 34 BVeriD vom 28.05.1993,

(317).

Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 36

35 Vgl. dazu die Ausfilhrungen oben unter 36 Vgl. BVerfGE

= BVeriDE 88, 203

1. d).

7, 198 (204); 13, 318 (325 f.); Böckenf"onle, NJW 1974, 1529 (1537).

37 V gl. z. B. Art. I Abs. 1 und Art. 2 Abs. I GG als zivilrechtliches Verbotsgesetz gegen die Zölibatsklausel im Lehrver1rag, BAGE 4, 274 (285); zu Art. 9 Abs. 3 GG vgl. Flume, Allgemeiner Teil des BOrgerlichen Rechts II, § 17, l.

38 So z. B. Weitnauer, NJW 1966, 1460; Rupp, AöR 101, 161 (169); Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 365 ff.; Dürig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung in: Festschrift tnr Nawiasky, S. 157; MaunzJDürig!Herzog!Scholz- Dürig Art, 1, Rdnr. 127, Staudinger- Dilcher § 134 Rdnr. 12; Soergel- Hefermehl § 134 Rdnr. 7. 39 AA

Kluth, GA 1988, 547 (561).

64

3. Kapitel: Vertragsrechtliche Probleme

b) Die strafrechtlichen Bestimmungen der§§ 218 jJ. StGB n. F als zivilrechtliche Verbotsgesetze Weiterhin wäre die Nichtigkeit eines Vertrages über einen vorzunehmenden Schwangerschaftsabbruch dann gegeben, wenn man die§§ 218 ff. n. F. StGB als zivilrechtliche Verbotsgesetze betrachtet. Dabei ist nach derzeitiger Rechtslage zu unterscheiden: (1) Vorliegen einer Indikation nach§ 218 a Abs. 2 oder Abs. 3 n. F. StGB.

Liegen die Voraussetzungen des § 218 a Abs. 2 oder 3 n. F. StGB vor, ist also eine medizinische oder embryopathische Indikation40 gegeben, so ist der vorzunehmende Schwangerschaftsabbruch gerechtfertigt41 • Der Wirksamkeit eines auf Abbruch der Schwangerschaft gerichteten Vertrages stehen in diesen Fällen keine Bedenken entgegen42 • (2) Abbruch der Schwangerschaft auf Verlangen der Schwangeren durch einen Arzt und innerhalb von zwölf Wochen seit der Empfängnis nach vorheriger Beratung Die derzeit geltende Übergangsregelung des Abtreibungsstrafrechts43 sieht vor, daß die Vorschrift des § 218 n. F. StGB dann nicht zur Anwendung kommt, wenn die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen seit der Empfängnis durch einen Arzt abgebrochen wird. die schwangere Frau den Abbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen44. Daraus ergibt sich, daß diese Schwangerschaftsabbrüche aus dem Tatbestand des§ 218 n. F. StGB herausgenommen sind. Diese dogmatische Konstruktion

40 Eine kriminologische Indikation ist derzeit nicht gesetzlich geregelt Maßgeblich ist diesbezUglieh ::>lummer 9 der Anordnung des Bundesverfassun~gerichts, BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 4 f. = BVerfGE 88, 203 (213).

41 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 31 = BVerfGE 88, 203 (299 f.). 42 Vgl. z. B. BGHZ 89, 95 (98); 95, 199 (202 ff.); Weber, Arzthaftpflicht filr Nachkommenschaftsschäden, S. 30 f. ; Grunsky, Jura 1987, 82 (84); Handbuch des ArztR- Uhlenbruck § 39 Rdnr. 49; m.w.N.; vgl. aber auch Kluth, GA 1988, 547 (561); ders., FamRZ 1985, 440 (443); Beckmann, MedR 1990, 301 (303) sowie Belling, Ist die Rechtfertigungsthese zu § 218 a StGB hahbar?, S. 145, jeweils zur Indikationenregelung der alten Fassung. 43 Vgl. dazu BVerfGvom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 3 f. 88, 203 (209).

44

(210).

=

BVerfGE

BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 4 = BVerfGE 88, 203

B. Rechtswirksamkeit des Vertrages

6.5

ist von dem Bestreben gekennzeichnet, die erwähnten Schwangerschaftsabbrüche zwar nicht mit Strafe zu bedrohen, aber eine Entscheidung darüber, ob sie in anderen Teilen der Rechtsordnung als rechtmäßig oder rechtswidrig angesehen werden, offen zu lassen45. Dies bedeutet indessen nicht, daß ein "rechtsfreier Raum" geschaffen wird46, innerhalb dessen die Schwangere zur alleinigen Gewissensentscheidung berechtigt ist47. Darin wäre der Verzicht des Gesetzgebers auf die Normierung dessen, was Recht und Unrecht ist, zu sehen. Davon kann aberangesichtsder gesetzlichen Lage nicht die Rede sein48 . Mithin ergibt sich aus der dogmatischen Konstruktion des Tatbestandsausschlusses noch keine Beantwortung der zivilrechtliehen Frage nach der Wirksamkeit des Vertrages. Einen Hinweis darauf, daß der Vertrag über die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs an § 134 BGB scheitern könnte, stellt die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts dar, wonach der Schwangerschaftsabbruch für die gesamte Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen wird und demgemäß rechtlich verboten ist49 • Aber auch, wenn man den unter den o. a. Voraussetzungen durchzuführenden Schwangerschaftsabbruch als rechtswidrig qualifiziert, hat dies nicht automatisch die Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB zur Konsequenz50 • Denn es ist auch zu berücksichtigen, daß das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs nicht den Sinn hat, der Frau eine wirksame Durchführung des geplanten Schwangerschaftsabbruchs zu erschweren51 • Deshalb ist auch im Rahmen der derzeitigen Übergangsregelung die Ausführung des Schwangerschaftsabbruchs durch einen Arzt zwingend vorgeschrieben. Der auf Leistung und Gegenleistung ausgerichtete Vertrag zwischen dem Arzt und der Frau soll als wirksames Rechtsverhältnis ausgestaltet werden, also einen

45

(274).

BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 23 = BVerfGE 88, 203

46 Dazu Kaufinann, Rechtsfreier Raum und eigenverantwortliche Entscheidung, in: Festschrift fiir Maurach, S. 339; ders. JuS 1978, 367; daran anlehnend Waibl, Kindesunterhalt als Schaden, S. 19 ff. 47 BVerfG, NJW 1975, 573 (576); Harrer, Zivilrechtliche Haftung bei durchkreuzter Familienplanung, S. 191 f. 48 Auch die Begründung zum Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs bringt dies zum Ausdruck, BT- Drucks. 12/2605 (neu) S. 21. 49 BVerfGE 39, 1 (44), jetzt wiederholt in BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 17 = BVerfGE 88,203 (255). 50 Debo, Der unterbliebene Schwangerschaftsabbruch als zivilrechtlicher Haftungsgrund, S. 12; Fischer, JuS 1984, 434 (435); Harrer, Zivilrechtliche Haftung bei durchkreuzter Familienplanung, S. 178.

51 Weber, Arzthaftpflicht fiir Nachkommenschaftsschäden, S. 31. 5 Bemard

66

3. Kapitel: Vertragsrechtliche Problerne

Rechtsgrund für den Leistungsaustausch zur Verfügung stellen52 • Damit ist auch die Grundlage dafür geschaffen, daß sowohl die Rechte und Pflichten des Arztes bzw. Krankenhausträgers als auch der Schutz des ungeborenen Lebens und der Gesundheit der Frau einer wirksamen vertraglichen Grundlage unterstellt sind53 . Auch ist die Mitwirkung eines zum Abbruch bereiten Arztes durch diese Konstruktion eher gesichert als dies ohne einen wirksamen Honoraranspruch der Fall ist54. Das Vorhandensein einer wirksamen vertraglichen Grundlage trägt zudem der gesundheitspolitischen Forderung an einer möglichst gefahrlosen und kunstgerechten Ausfiihrung des Schwangerschaftsabbruchs durch einen fachlich dazu befahigten Arzt Rechnuni5. Es wäre daher widerspüchlich, wenn der Gesetzgeber die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs von der Mitwirkung eines Arztes abhängig macht, den darauf gerichteten Vertrag aber gleichzeitig mit einem gesetzlichen Verbot belegt56. Es bleibt damit festzuhalten, daß ein Vertrag über einen durchzuführenden Schwangerschaftsabbruch, bei dem die o. a. Voraussetzungen erfüllt sind, rechtswirksam geschlossen werden kann und nicht an der Vorschrift des§ 134 BGB scheitert. (3) Der geplante Schwangerschaftsabbruch erfüllt die Voraussetzungen der§§ 218, 218 b n. F. StGB Von den bisher genannten Konstellationen ist der von den §§ 218; 218 b Abs. 1 n. F. StGB erfaßte Fall zu unterscheiden. §§ 218; 218 b Abs. 1 n. F. StGB sind Verbotsgesetze i. S. v. § 134 BGB57. Ein darauf gerichteter Vertrag ist deshalb unwirksam58• 2. Verstoß gegen§ 138 Abs. 1 BGB Die Nichtigkeit der nicht von § 134 BGB erfaßten Sachverhaltsvarianten könnte sich aber aus§ 138 BGB ergeben, wenn die Vertragsinhalte gegen die guten Sitten verstießen.

52

(295).

BVerfG vom 28.05.1 993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 30

53 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 30 (295 f.).

=

BVerfGE 88, 203

=

BVerfGE 88, 203

54 Harrer, Zivilrechtliche Haftung bei durchkreuzter Familienplanung. S. 178.

55 Harrer, Zivilrechtliche Haftung bei durchkreuzter Familienplanung, S. 180. 56 Engelhardt,

VersR 1988, 540 (541).

57 Handbuch des 58

Arztrechts- Uhlenbruck § 39 Rdnr. 49; Palandt-Heimichs § 134 Rdnr. 14.

Harrer, Zivilrechtliche Haftung bei durchkreuzter Familienplanung, S. 173.

B. Rechtswirksamkeit des Vertrages

67

Das wäre unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte59 und die Rechtsprechung60 dann der Fall, wenn sie dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zuwiderliefen. Von großer Bedeutung bei der Begriffsbestimmung der guten Sitten sind die Grundrechte. Denn gerade die Vorschrift des § 138 BGB ist eine privatrechtliche Einfallspforte der Grundrechte61 . Dies bedeutet aber nicht, daß bei jeder Kollision von Grundrechten und diesbezüglichem Rechtsgeschäft Sittenwidrigkeit anzunehmen ist, was eine abzulehnende unmittelbare Grundrechtswirkung zur Folge hätte62 . Deshalb ist bei der Beurteilung des betreffenden Rechtsgeschäfts eine Gesamtbeurteilung vorzunehmen, die die gesamte Verfassungsordnung miteinbezieht63. Die ausfüllungsbedürftigecUmschreibung des Begriffs der guten Sitten eröffnet auch die Anknüpfung an die bestehende Sozialmoral, die sich sowohl nach den Grundwerten der Rechtsgemeinschaft als auch nach den sich im Wandel befindlichen moralischen Anschauungen in der Bevölkerung richtet64. Wie sich aus den Ausfuhrungen des ersten Kapitels ergibt, steht das Lebensrecht des nasciturus unter dem Schutz der Verfassung. Dieses Lebensrecht wird aber nicht unbeschränkt gewährleistet. In den Fällen, in denen ein Schwangerschaftsabbruch zumindest nicht mit Strafe bedroht ist, muß es zurücktreten. Deshalb wäre es verfehlt, wollte man auf zivilrechtlichem Gebiet von Verfassungs wegen zulässiges65 Verhalten als sittenwidrig qualifizieren66 . Auch die moralische und ethische Beurteilung der Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs ist in der Bevölkerung heftig umstritten. Wenn auch vereinzelt der Vertrag über die Durchfiihrung des Schwangerschaftsabbruchs als sittenwidrig eingestuft wird67, so kann darin lediglich ein Standpunkt des vertretenen Meinungsspektrums gesehen werden. Auf der anderen Seite begegnet die Abtreibung bei einem Großteil der Bevölkerung -besonders bei Vorliegen einer Indikation- keinen sittlichen Bedenken, handelt es sich doch in diesem Fall um rechtmäßiges Verhalten. Insofern kann man nicht von einer mehrheitlichen Überzeugung sprechen. Die Beurteilung des Schwan-

59

Mot. II, S. 727.

60 RGZ

48, 114 (124); 80, 219 (221); BGHZ 10, 228, (232); 52, 17 (20); 69, 238 (297).

61

Vgl. dazu grundlegend BVerfGE 7, 198 (206) aber auch Garnillscheg, AcP 164 (1964), 385 (421 f.). 62 MüKo- Mayer- Ma1y § 138 Rdnr. 16, Hermes NJW 1990, 1764 ff, Canaris, AcP 184 (1984), 201 ff., dagegen Schwabe, AcP 185 (1985), 1 ff. 63

BVerfGE 7, 198 (206).

64

Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, § 22 III, a; Brox, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Rdnr. 2 ff. ; Soergel- Hefennehl § 138 Rdnr. 3; Waibl, Kindesunterhalt als Schaden, S. 23. 65

Darin ist keine Wertung über die Rechtmäßigkeit enthalten.

66

Vgl. auch Waibl, Kindesunterhah als Schaden, S. 24.

67

Belling, Ist die Rechtfertigungsthese zu§ 218 a StGB haltbar?, S. 145.

68

3. Kapitel: Vertragsrechtliche Probleme

gerschaftsabbruchs am Maßstab der guten Sitten darf deshalb nur sehr zurückhaltend erfolgen68• Deshalb sind Verträge über strafrechtlich erlaubte Schwangerschaftsabbrüche rechtswirksam und scheitern auch nicht an der Vorschrift des § 138 BGB. 3. Ergebnis Zusammenfassend ergibt sich damit folgende Rechtslage: Der Vertrag über die privatärztliche ambulante Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs richtet sich nach den Regeln des Dienstvertragsrechts. Bei stationärer Durchführung sind verschiedene Vertragskonstellationen möglich. Ist die Schwangere Mitglied einer gesetzlichen Kranken- bzw. Ersatzkasse, so kommt ebenfalls ein Vertrag zustande, der sich nach privatrechtliehen Grundsätzen richtet. Muß die Abbruchwillige die Kosten selbst tragen, so sind die Regeln des privatärztlichen Dienstvertrages zur Anwendung berufen. Verträge über vorzunehmende Schwangerschaftsabbrüche, denen entweder eine Indikation gemäß § 218 a Abs. 2 oder Abs. 3 n. F. StGB zugrundeliegt, können rechtswirksam geschlossen werden, ebenso wie solche, die nach der derzeit geltenden Übergangsregelung vom Tatbestand des § 218 n. F. StGB ausgeschlossen sind. Hat der Vertrag aber die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs zum Inhalt, der gemäß §§ 218 oder 218 b Abs. 1 n. F. StGB verboten ist, so ergibt sich aus dem Verbotsgesetzcharakter der genannten Vorschriften seine Nichtigkeit gemäß § 134 BGB.

68

Vgl. dazu auch Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, § 22 III, a.

4. Kapitel

Zivilrechtliche Einflußmöglichkeiten des leiblichen Vaters auf den geplanten Schwangerschaftsabbruch A. Einleitung Die Frage, ob es dem leiblichen Vater möglich ist, sich zivilrechtlich gegen die von der Schwangeren getroffene Entscheidung über das Austragen der Schwangerschaft bzw. deren Abbruch zu wenden, wurde zunächst wenig beachtet. Erst der Beschluß des AG Köln1, der dem leiblichen Vater gestattete, gegen seine Ehefrau eine einstweilige Verfugung auf Unterlassung des geplanten Schwangerschaftsabbruchs zu beantragen, löste eine kontroverse Diskussion um diesen Fragenkomplex, nicht nur in der juristischen Literatur, aus. Wurde doch damit erstmals die Möglichkeit zivilrechtlich vorbeugenden Rechtsschutzes angesichts eines drohenden nicht strafbaren Schwangerschaftsabbruchs ins Gespräch gebracht. Bei genauer Betrachtung des Problemkreises treten dabei Möglichkeiten zutage, die das Zivilrecht als Regelungsinstrument fiir Lebens- und Gesundheitsschutz des nasciturus in den Mittelpunkt rücken3. Die neuerdings vom Bundesverfassungsgericht4 getroffene Feststellung, Personen des familiären Umfeldes in die Verantwortung zu nehmen, läßt erneut die bisher von der Öffentlichkeit wenig beachtete Bedeutung des Zivilrechts fiir den Schutz ungeborenen Lebens5 in die Diskussion geraten. Gerade auch wegen der anstehenden Neuregelung des gesamten Abtreibungsrechts bedarf es der Klärung, ob geplante Schwangerschaftsabbrüche mit zivilrechtliehen und zivilprozessualen Instrumentarien von Dritten, insbesondere aber vom leiblichen Vater, verhindert werden können. Wollte man 1 Vom

15.03.1984, 53 X 87/84, FarnRZ 1985, 519 = NJW 1985, 2201.

So z. B. die Berichterstattung in: "Der Spiegel", vom 17.06.1985, 90; "die tageszeitung" vom 06.06.1985 sowie "Frankfurter Rundschau" vom 10.06. und 12.06.1985. 2

3

Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 126 f.; Stürner, Jura 1987, 75 (76).

4

BVerfG vom 28.05. 1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 22, 30 f. = BVerfGE 88, 203 (271 , 297). Dort fordert das BVerfG explizit, die Väter bei einer geplanten Abtreibung in das Schutzkonzept einzubeziehen. 5 Stümer,

Jura 1987, 75.

70

4. Kapitel: Einflußmöglichkeiten des Vaters

dies bejahen, so wäre die Folge, daß ein vom Bundesverfassungsgericht6 als Unrecht bewerteter, doch straffreier Schwangerschaftsabbruch zivilrechtlich untersagt werden könnte. Das AG Köln zeigte die Möglichkeit zivilrechtlich vorbeugenden Rechtsschutzes bezüglich eines drohenden Schwangerschaftsabbruchs auf. Dem Ehemann einer Schwangeren wurde auf dessen Antrag hin gemäß § 1628 BGB "fur sein ungeborenes Kind die Entscheidung übertragen, gegen seine Ehefrau eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung des Schwangerschaftsabbruchs zu beantragen"7 . Hier erhebt sich die Frage, ob der leibliche Vater einen geplanten Schwangerschaftsabbruch, der straffrei wäre, mit Mitteln des Zivilrechts verhindem könnte und§ 1628 BGB die dogmatisch richtige rechtliche Grundlage wäre. Die Beantwortung der aufgeworfenen Frage ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.

B. Rechtslage bei verheiratetem Paar Die Entscheidung des AG Köln8 zum Ausgangspunkt nehmend, schließt sich zunächst eine Darstellung der Rechtslage bei einem verheirateten Paar an. Im Laufe der folgenden Darstellung ist zu unterscheiden, ob der geplante Schwangerschaftsabbruch auf einer Indikation gemäߧ§ 218 a Abs. 2, 3 n. F. StGB beruht oder sich die Frau aufgrund der derzeitigen Beratungsregelung zur Durchführung des Abbruchs entschlossen hat.

1. Die Voraussetzungen einer medizinischen oder embryopathischen Indikation gemäß §§ 218 a Abs. 2, 3 n. F. StGB liegen vor Sind fur den geplanten Schwangerschaftsabbruch die Voraussetzungen einer medizinischen oder embryopathischen Indikation gegeben, so stellt sich die Rechtslage wie folgt dar: Nach inzwischen gefestigter Meinung zur Rechtsnatur der Indikationen handelt es sich bei diesen um Rechtfertigungsgründe10. Strafrechtliche Recht-

6 BVerfGE 39, 1 (44); BVerfGvom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 17 = BVerfGE 88, 203 (255).

7

So die Beschlußformel des AG Köln, NJW 1985,2201

8

AG Köln, NJW 1985,2201

9

Zur kriminologischen Indikation vgl. Fn. 40 im dritten Kapitel.

=

=

FamRZ 1985,519.

FamRZ 1985, 519.

10 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 31 = BVerfGE 88, 203

(299); BGH, NStZ 1992, 328 ff., 158; BGHZ 86, 240 (245); 89, 95 (102); BGH, NJW 1985, 671 (672); zum Meinungstand vgl. auch S/S- Eser § 218 a StGB Rdnr. 5; LK- JAhnke vor, § 218 a Rdnr. 22 f. ; Helling, Ist die Rechtfertigungsthese zu § 218 a StGB hahbar?; Beckmann, ZRP 1987, 80 ff. (85 f.); Jescheck, ZStW 98 (1986), 1 ff. (6 f.); Gritschneder, MedR 1984, 99 (100).

B. Rechtslage bei verheiratetem Paar

71

fertigungsgründe, die dem Schutz elementarer Rechte dienen, wie die Indikationen, entfalten ihre Wirkung nicht lediglich im Strafrecht. Sie sind ftir die gesamte Rechtsordnung von Bedeutung11 . Demnach ist bei einem indizierten Schwangerschaftsabbruch die Entscheidung über dessen Vornahme der Schwangeren zugewiesen. Daneben findet kein zivilrechtlicher Rechtsschutz statt. Anderenfalls würde die in§§ 218 a Abs. 2, 3 n. F. StGB statuierte Abwägung, in welchen Fällen das Lebensrecht des nasciturus sich gegenüber den Rechten der Mutter nicht behaupten kann, umgangen 12. Bei einem geplanten indizierten Schwangerschaftsabbruch besteht demnach ftir den Vater keine Möglichkeit, diesen zu verhindern, da weder vormundschaftsgerichtliche Eingriffsbefugnisse noch zivilrechtliche Abwehransprüche gegeben sind. Insoweit ist der Entscheidung des AG Köln zu widersprechen. 2. Der geplante Schwangerschaftsabbruch ist vom Regelungsgehalt der derzeitigen Übergangslösung erfaßt Anders könnte sich die Rechtslage aber gestalten, wenn ein Schwangerschaftsabbruch geplant ist, der nicht durch das Vorliegen einer Indikation gerechtfertigt, sondern lediglich vom Tatbestand des§ 218 n. F. StGB ausgenommen ist. Durch die Herausnahme von Schwangerschaftsabbrüchen, die Gegenstand der Beratungsregelung sind, aus dem Straftatbestand des§ 218 n. F. StGB wird nämlich das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs an sich nicht berührt. Die Frau, die die Schwangerschaft nach durchgeführter Beratung innerhalb der 12-Wochen-Frist von einem Arzt beenden läßt, nimmt eine von der Rechtsordnung nicht erlaubte Handlung vor13• Es bedarf deshalb der Klärung, ob dem Vater daraus Möglichkeiten erwachsen, auf zivilrechtlichem Gebiet diese Handlung zu verhindern. Überdies läßt das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 28.05.1993 anklingen, daß Personen des familiären Umfeldes künftig in das gesetzliche Schutzkonzept zugunsten des nasciturus einbezogen werden sollten14• Ob aus dieser Wertung dem Vater Möglichkeiten erwachsen, Einfluß auf die Entscheidung der Frau zu nehmen und den geplanten Schwangerschaftsabbruch zu verhindern, ist Gegenstand der folgenden Ausfiihrungen.

11 BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 31 = BVerfGE 88, 203 (299) ; Staudinger-Coester § 1666 Rdnr. 33; Bienwald, FamRZ 1985, 1096 (ll01); Harrer, ZD 1989,238 (241).

12 Jagert,

FamRZ 1985, ll73 (1174); Harrer, ZD 1989, 238 (241).

13 BVerfG

(280 f.).

vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 25

14 BVerfG vom

(297).

28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S. 30 f.

=

BVerfGE 88, 203

=

BVerfGE 88, 203

72

4. Kapitel: Einflußmöglichkeiten des Vaters

Blickt man nochmals auf den Beschluß des AG Köln zurück15, so ist der Ausgangspunkt dieser Entscheidung§ 1628 BGB. Hierbei handelt es sich aber um einen Anspruch, bei dem der Vater als künftiger Teilhaber der elterlichen Sorge und damit als Vertreter der Kindesinteressen tätig wird16 . Näherliegend ist es aber zu hinterfragen, ob dem Vater womöglich aus eigenem Recht Möglichkeiten erwachsen, den geplanten Schwangerschaftsabbruch zu verhindern. a) Kundigungsrecht aus§§ 626, 627 BGB

Zunächst könnte man in Erwägung ziehen, dem Vater ein Kündigungsrecht des Dienstvertrages über die Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs einzuräumen 17. Schon der eindeutige Wortlaut des§ 626 BGB offenbart aber, daß diese Möglichkeit ausscheidet. Denn die fristlose Kündigung wird nur den Vertragsparteien zugestanden. Dies sind die Schwangere und der durchfuhrende Arzt. Der Ehemann ist aber in keiner Weise als Vertragspartei in den Vertrag einbezogen. b) Unterlassungsanspruch aus§§ 1004, 823 Abs. 1 BGB

Teilweise wird dem Vater ein verfassungsrechtlich anerkanntes Recht auf sein Interesse an Nachkommenschaft sowie Erziehung und Gesellschaft seines Kindes zugesprochen18, das ihm aus dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2, 3 GG bzw. aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs 1 GG erwachsen soll, und ihm damit einen Unterlassungsanspruch aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB bescheren könnte. Ein solches Recht besteht aber nicht, wie im folgenden dargelegt werden wird. (1) Das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG Das verfassungsrechtliche Elternrecht beginnt erst mit der Geburt des Kindes. Vor der Geburt kann in diesem Zusammenhang nicht von einem "Kind" i. S. d. Art. 6 Abs. 2 GG gesprochen werden. Die grundgesetzliche Konzeption ist vielmehr darauf ausgelegt, daß das Kind von beiden Elternteilen gemein-

15

AG Köln, NJW 1985,2201

16 Coester-

=

FamRZ 1985,519.

Waltjen, NJW 1985, 2175 (2176).

17 Zur Rechtsnatur des Vertrages über den Schwangerschaftsabbruch vgl. die Ausfilhrungen im vorhergehenden Kapitel unter A 1 und 2.

18 Coester - Waltjen, NJW 1985, 2175 (2176); Mittenzwei, AcP 187 (1987), 247 ff. (279); Harrer, ZD 1989, 238 (241).

B. Rechtslage bei verheiratetem Paar

73

samgepflegt und erzogen werden kann19. Diese Möglichkeit besteht vor der Geburt aber nicht. Der nasciturus ist von Natur aus primär dem Schutz der Mutter anvertraue0 • Der grundgesetzliche Kindbegriff setzt deshalb geborenes Leben voraus. Bezieht sich aber der verfassungsrechtliche Kindbegriff auf das schon geborene Kind und setzt die Elterneigenschaft i. S. d. Art. 6 Abs. 2 GG ein Kind voraus, so kann im verfassungsrechtlichen Sinne vor der Geburt auch nicht von Eltern gesprochen werden21 . Im Gegensatz dazu ist der zivilrechtliehe Kindbegriff hinsichtlich seiner zeitlichen Ausdehnung wesentlich weiter zu verstehen22, aber der Begriff des "Kindes" wird nicht von den §§ 1626 ff. BGB fiir die gesamte Rechtsordnung abschließend fixiert23. Ein aus Art. 6 GG abzuleitendes Recht des Vaters auf Gesellschaft seines Kindes besteht mithin vor der Geburt nicht. (2) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V.m. Art. 1 Abs. 1 GG Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Vaters vermag die Entscheidung der Mutter über den durchzuführenden Schwangerschaftsabbruch nicht umzukehren. Das richterrechtlich etablierte allgemeine Persönlichkeitsreche4 ist ein selbständiges Grundrecht, das die Aussagen des Art. 1 Abs. 1 GG mit denen des Art. 2 Abs. 1 GG verbindet, aber primär den in Art. 2 Abs. 1 enthaltenen Rechtsgedanken beinhaltee5. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt als Generalnorm die Persönlichkeit nicht nur in einzelnen Bereichen, sondern in der ganzen Breite ihrer Existenz und in allen ihren Erscheinungsformen26. Das kasuistisch strukturierte allgemeine Persönlichkeitsrecht hat seine Gestalt durch die Aufnahme und Fortführung zivilgerichtlicher Judikatur erlangt27, von der maßgebliche Anstöße für dessen Entwicklung ausgingen28. Es ist als subjektiv-öffentliches Grundrecht anerkanne9. Das allgemeine 19 BVerfUE 31, 194 (205); 56,363 (382). 20 BVerfUE 39, 1 (45); BVerfU vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S.21 =

BVerfUE 88, 203 (265 ff.).

21 AA Baumgarte, Das Elternrecht im Bonner Grundgesetz, S. 55 f 22 Fleisch, Die verfassungsrechtliche Stellung des leiblichen Vaters, S. 47.

23 Gernhuber, Familienrecht, § 5 IV 3.

24 V. Münch/Kunig- Kunig Art. 2 Rdnr. 30. 25 Erichsen, Handbuch des Staatsrechts VI, § 152 Rdnr. 52; v. Mangold/Klein/Starck Art. 2, Rdnr. 65.

26 Leßmann, JA 1988,409 (410). 27 BGHZ 13, 334 (337 f); 24,72 (76); 27,284 (285 f); 80,311 (319); 82, 173 (179); 95, 212,

(214 ff.); 106,229 (233 f); BGH, NJW 1988, 1984 (1985); BGH, NJW 1991, 1532 ff.

28 Degenhart, JuS 1992,361 (362). 29 BVerfUE 34,269 (280 ff.); 54, 148 (153).

74

4. Kapitel: Einflußmöglichkeiten des Vaters

Persönlichkeitsrecht umfaßt auch die engere persönliche Lebenssphäre des einzelnen30 . Dazu gehört das Recht auf sexuelle Selbstbestimmun!f1 und damit auch die Entscheidung über die Fortpflanzuni2 . Von diesem Recht ist aber nicht der Zugriff auf ein bestimmtes Kind erfaßt. Es konkretisiert sich also nicht auf das bestimmte, schon gezeugte Kind33, sondern ist lediglich als abstraktes Recht des Mannes auf Nachkommenschaft zu qualifizieren. Der Schutzbereich dieses Grundrechts ist somit bei einem geplanten Schwangerschaftsabbruch nicht tangiert. Ein Unterlassungsanspruch gemäߧ§ 1004, 823 Abs. 1 BGB scheidet damit ebenfalls aus. c) Verpflichtung der Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft

Dem Ehemann könnte weiterhin eine rechtliche Möglichkeit an die Hand gegeben sein, den von seiner Frau geplanten Schwangerschaftsabbruch zu unterbinden, wenn man an die Verpflichtung der Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft denkt,§ 1353 Abs. I, S. 2 BGB. § 1353 Abs. 1, S. 2 BGB bestimmt in der Form einer Generalklausel, daß die Ehegatten einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet sind. Die Rechtsnatur des § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB betonen insbesondere die Motive34, die einen Vergleich zu§ 242 BGB ziehen: Danach ist§ 1353 Abs. 1 S. 2 BGB im Eherecht die Aufgabe zugewiesen, die § 242 BGB, der Grundsatz von Treu und Glauben, im Vertragsrecht hatl5• Der gesamte rechtliche Inhalt der persönlichen Verhältnisse und der vermögensrechtlichen Beziehungen der Ehegatten ist damit in der Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft zusammengefaßt36. Einer konkretisierenden Beschreibung der aus dieser Generalklausel fließenden Verpflichtungen enthält sich das BGB jedoch37 . Es existieren aber einige Grundpflichten, die fiir das Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft unabdingbar sind und sich aus dem Wesen der Ehe als sittliche Einrichtung ergeben38. Trotz der bestehenden Schwierigkeiten, diese

30 Erichsen, Handbuch des Staatsrechts VI,§ 152 Rdnr. 53. 31

BVerfGE 47, 46 (73); 49, 286 (299), Jarass- Pieroth Art. 2 Rdnr. 29.

32

Dazu Ranun, JZ 1989, 861 (863 ff.), der diese der allgemeinen Handlungsfreiheit zuordnet.

33

A A Mittenzwei, AcP 187 (1987), 247 ff. (279), andere Tendenz auch im römischen Recht, vgl. dazu auch die Ausfilhrungen in diesem Kapitel unter 2. d) (1) (a). 34 Mot. IV, S. 104.

35 Palandt- Diederichsen § 1353 Rdnr. 3. 36

Soergel- Lange§ 1353 Rdnr. 2; Rolland, 1. EheRG § 1353 BOB Rdnr. 6.

37 Lelunann!Henrich, Deutsches Familienrecht,

§ 11 II, 1; a.A Bosch, FamRZ 1977, 569 (573).

38 Soergel- Lange§ 1353 Rdnr. 7; kritisch Finger, KJ 1986, 326 ff.

B. Rechtslage bei verheiratetem Paar

75

Verpflichtungen zivilprozessual durchzusetzen39, handelt es sich bei den allgemeinen Ehepflichten um Rechtspflichten40 • Aus der Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft erwächst auch das Gebot, alle wichtigen Aufgaben einvernehmlich zu regeln41 • Zu diesem Gegenstand der ehelichen Pflichten gehört auch das beiderseitige Einvernehmen über Maßnahmen der Familienplanung42 • In diesem Zusammenhang ist aber zu unterscheiden: (1) Es bestehen keine Absprachen über die Familienplanung Haben die Eheleute keine Vereinbarung über die weitere Familienplanung getroffen, so tritt der persönlichkeitsgebundene Charakter der Entscheidung über den Schwangerschaftsabbruch in den Vordergrund. Eine eventuell in Betracht zu ziehende Pflicht der Ehegatten zur Erzeugung und zum Empfang von Kindem besteht nicht43. Die Schwangerschaft gehört zur Intimsphäre der Frau, deren Schutz durch Art. 2 Abs. 1 i. V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgt ist. Dabei beansprucht das Recht der Frau auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit, das auch ihre Selbstverantwortung umfaßt, sich gegen die Elternschaft und die sich daraus ergebenden Pflichten zu entscheiden, Beachtung, ebenso wie der Anspruch auf Schutz ihrer Menschenwürde sowie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit44. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau findet seine Grenzen im Lebensrecht des nasciturus aufgezeigt, das durch die Regelung der§§ 218 ff. n. F. StGB Berücksichtigung findet. Der Ehegatte hingegen muß das Persönlichkeitsrecht und die Privatsphäre seiner Frau respektieren und ihr diese zum Kernbereich der persönlichen Sphäre gehörende Entscheidung zugestehen45. Die Ehefrau bestimmt damit alleine über den vorzu-

39

Vgl. § 888 Abs. 2 ZPO.

40

Soergel- Lange§ 1353 Rdnr. 3; Beitzke- Lüderitz, Familienrecht, § 12 II, 1; kritisch Hepting. Ehevereinbarungen, § 22 I, 1 c) 41

MüKo- Wacke§ 1353 Rdnr. 18.

Soergel- Lange§ 1353 Rdnr. 11; Finger, KJ 1986, 326 (335), Gemhuber, Familienrecht, § 18 V, 7; zum Begriff des Einvernehmens vgl. Hepting. Ehevereinbarungen, § 8. 42

43 MüKo- Wacke§ 1353 Rdnr. 31; a. ARG, HRR 1942, 780; Staudinger-Hübner 10./11. Aufl. § 1353 Rdnr. 13; Streck, Generalklausel und unbestimmter Rechtsbegriff im Recht der allgemeinen Ehewirk.ungen, S. 87 f.

44 Vgl. ausfilhrlich BVerfUE 39, 1 (42 f.); BVerfU vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vom 07.06.1993, S.17 = BVerfUE 88,203 (254). 45 Fragen der Geltung des Persönlichkeitsrechts in der Ehe erörtern z. B. Hepting. Ehevereinbarungen, § 22 II 3 a; MüKo- Wacke § 1353 Rdnr. 20; Gemhuber, FamRZ 1979, 197; Bauernfeind, Zweckgemeinschaften im Bereich ehelicher Lebensgemeinschaft, S. 16 f., jeweils m w. N. aus Rechtsprechung und Literatur.

76

4. Kapitel: Einflußmöglichkeiten des Vaters

nehmenden Schwangerschaftsabbruch46 • Eine Güterahwägung findet nur zwischen dem Lebensrecht des nasciturus und dem Anspruch der Schwangeren auf Schutz und Achtung ihrer Menschenwürde, ihrem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheil und ihrem Persönlichkeitsrecht statt, fiir die die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze gelten47. Dem Ehemann erwächst aus der Pflicht der Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft kein Recht, den von seiner Frau geplanten Schwangerschaftsabbruch zivilrechtlich zu verhindern. (2) Absprachen über die Familienplanung liegen vor Diese Betrachtungsweise kann sich aber dann ändern, wenn das Ehepaar eine Vereinbarung getroffen hat, daß die Ehe nicht kinderlos bleiben soll48 und die Frau nun die Abtreibung des Kindes wünscht. Eine derartige Vereinbarung ist im Bereich der Autonomie der Ehegatten zulässig. Sie entfaltet aber keine Rechtswirkung nach außen. Denn die Verbindlichkeit von Ehevereinbarungen läßt sich nicht ohne weiteres anband schuldrechtlicher Regeln bestimmen. Soweit es sich nämlich nicht um formliehe Eheverträge bzw. Trennungsverträge, also Vereinbarungen anläßlich der Abkehr von der ehelichen Lebensgemeinschaft49, handelt, kann mangels Erklärungsbewußtseins bzw. Rechtsfolgewillens nicht vom Vorliegen eines Rechtsgeschäfts ausgegangen werden50. Vielmehr gründet deren Bestand in der Bindung an zurechenbar geschaffenes Vertrauen51; sie sind grundsätzlich nicht durchsetzbar. Anderenfalls würde durch die gerichtliche Tätigkeit in die künftige Gestaltung der Ehe eingegriffen und damit der Autonomiebereich der Ehegatten mißachtet52 . Entschließt sich daher die Ehefrau trotz gegenteiliger Ehevereinbarung zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs, so ist dieses Verhalten zwar eherechtswidrig, es entfaltet jedoch keine Außenwirkung, so daß der Vertrag über die Durchfiihrung des Schwangerschaftsabbruchs mit dem Arzt geschlossen werden kann, ohne daß dem Ehemann ein Mitspracherecht erwächst.

46 RGRK-

Roth- Stielow § 1353 Rdnr. 36.

l (43 f.); BVerfG vom 28.05.1993, Sonderausgabe der JZ vorn 07.06.1993, S.17 BVerfGE 88, 203 (254). 47 BVerfGE 39,

=

48 Zur Rechtsnatur des ehelichen Einvernehmens Diederichsen, NJW 1977, 217 (222); Hepting, Ehevereinbarungen, § 8; Gemhuber, Familienrecht, § 18111.

49 Gemhuber,

Farnilienrecht, § 18 111, 6.

so MüKo- Wacke§ 1353 Rdnr. 7; ausfilhrlich Hepting, Ehevereinbarungen, §§ 23 ff. 51 Streck, Generalklauset und unbestimmter Rechtsbegriff im Recht der allgemeinen Ehewirkungen, S. 99.

52 Hepting, Ehevereinbarungen, § II I, 3.

B. Rechtslage bei verheiratetem Paar

77

d) Elterliche Sorge als Anspruchsgrundlage Nachdem nWl dem Vater aus eigenem Recht keine Möglichkeiten erwachsen, den geplanten Schwangerschaftsabbruch zu verhindern, bleibt noch die Möglichkeit der EntscheidWlgsübertragWlg nach§ 1628 BGB. (1) Beginn der elterlichen Sorge

Wollte man dem Vater über§ 1628 BGB Rechtsschutz gewähren, so erforderte dies zunächst, daß der nasciturus überhaupt der elterlichen Sorge Wlterstellt ist. Klärungsbedürftig ist mithin der Beginn der elterlichen Sorge53. Nach nahezu Wlangefochtener Meinung erstreckt sich die elterliche Sorge auf das minderjährige Kind und soll daher erst mit der VollendWlg der Geburt beginnen54. Diese, weil selbstverständlich55 erscheinende FeststellWlg wird nirgends begründet, obwohl das BGB keine ausdrückliche Regelung über den Beginn der elterlichen Sorge enthält56. Anband einer BetrachtWlg der rechtlichen StellWlg des nasciturus in den römischen Rechtsquellen, einer BeurteilWlg seiner Rechtspositionen im BGB sowie eine BetrachtWlg von Wortlaut, Sinn Wld Zweck der Regelm1gen über die elterliche Sorge, soll der Beginn der elterlichen Sorge bestimmt werden. (a) Der nasciturus in den römischen Rechtsquellen Um die Rechtsstellung des nasciturus im Zivilrecht hinreichend würdigen zu können, ist es zunächst notwendig, die historischen Wurzeln ins römische Recht zurückzuverfolgen. Die Entstehung des BGB folgte den Linien pandektenwissenschaftlicher Tradition57. Diese kommmt auch im vollendeten Werk zur Geltung, dessen Geist, Technik und Inhalt einen stark romanistischen Charakter aufweisen58. Das spätrömische Recht in der Gestalt des "corpus iuris", den Rechtsbüchern des oströmischen Kaisers Justinian (527 - 567), erfuhr vor allem im 19. Jahr-

53 Die zeitlichen Grenzen des verfassungsrechtlichen Elternrechts erörtern z. B. Baumgarte, Das Elternrecht im Bonner Grundgesetz, S. 54 ff; Fleisch, Die verfassungsrechtliche Stellung des leiblichen Vaters, S. 46 ff. 54 RGRK-

IV6.

Wenz § 1626 Rdnr. 9; MüKo- Hinz§ 1626 Rdnr. 18; Gernhuber, Familienrecht. § 64

55 Harrer, ZfJ 1989 S. 23 8 (239). 56

Bienwald, FamRZ 1985, 1096 (1099).

57

MüKo - Säcker Eint. Rdnr. 18; zur Rezeption des römischen Rechts nimmt z. B. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, §§ 5 ff. Stellung. 58

Wesenberg!Wesener, Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte, § 27 IV.

78

4. Kapitel: Einflußmöglichkeiten des Vaters

hundert durch die Bestrebungen Savignys zu dessen Sytematisierun~ Auftrieb. Eine historische Betrachtung ergibt, daß die Leibesfrucht60 schon im römischen Recht Gegenstand mannigfaltiger Regelungen ist. Ausgangspunkt der Darstellung dieser Rechtssätze ist das Julianzitat in D. 1,5,266 I Die Leibesfrucht wird im gesamten Bereich der zivilen Rechtsordnung als lebend betrachtet. Die Rechtsfähigkeit beurteilte sich, wie die römischen Rechtsquellen ergeben, nach dem status. Es wäre jedoch verfehlt, den Begriffstatus mit dem der Rechtsfähigkeit gleichzusetzen. Der status kennzeichnet vielmehr den Rechtszustand bzw. die Rechtsstellung des einzelnen Menschen gegenüber der Familie, aber auch gegenüber dem Bürgerverband62. In diesem Zusammenhang findet hier die Tatsache Beachtung, daß sich der status der in gültiger Ehe gezeugten Kinder nach dem des Vaters im Zeitpunkt der Empfängnis richtet. Wurde das Kind aber in nicht gültiger Ehe gezeugt, richtete sich dessen status nach dem der Mutter im Zeitpunkt der Geburt. Als Besonderheit ist hier anzumerken, daß der status der Freiheit, von dem die Rechtsfähigkeit bedingt ist, dem Kind auch dann gewährt wird, wenn die Mutter ihn zwar zu einem Zeitpunkt der Schwangerschaft gehabt hat, er aber im Zeitpunkt der Geburt nicht mehr vorhanden ist63. Es ist zu bemerken, daß das römische Recht als Grundlage seiner sozialen Ordnung allein die Geschlechtsgemeinschaft zwischen Mann und Frau in der Ehe anerkennt64. In diesem Zusammenhang kommt ein tragendes Prinzip der römischen Rechtsordnung im Bereich der familiären Beziehungen zum Ausdruck, daß es hier nämlich keine individuelle Selbstbestimmung der Einzelperson gibt. Diese ist vollständig in den Familienverband eingebunden, dem der pater familias mit der ihm zustehenden patria potestas vorsteht65 .

59

Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bllrgerlichen Rechts § 1 II.

In den klassischen Rechtsquellen findet die spiter filr den Embryo allgemein übliche Bezeichnung nasciturus noch keine Verwendung; quellenmißig heißt er qui nasci spera(n)tur, qui in utero est, conceptus, postumus oder venter. Partus heißt i. e. S. das Kind einer Sklavin (partus ancillae); vgl. Heumann-Seckel, Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts, "Partus", S. 408; Meinhart, SavZ rom. Abt 82 (1965), 188 ff. (199); Wacke, JA 1981, 549. 60

61

"Qui in utero sunt, in toto paene iure civili intelleguntur in rerum natura esse".

62 Kaser,

Römisches Privatrecht I, § 641, l m.w.N.

63 Marcian.

D. 1,5,5,3:" Ex hoc quaesitum est, si ancilla praegnas manumissa sit, deinde ancilla postea facta aut expulsa civitate pepererit, liberum an servum pariat et tarnen rectius probatum est liberum nasci et sufficere ei qui in ventre est liberam matrem vel medio tempore habuisse". 64 Paulus D.

2,4,5:"Patervero is est, quemnuptiae demonstrant"

65 Mittenzwei,

AcP 187 (1987) S. 247 ff. (253)

B. Rechtslage bei verheiratetem Paar

79

Das ungeborene Kind fand weiterhin in Regelungen Beachtung, nach denen ihm zur Wahrung seiner Rechte ein curator66 bestellt werden konnte. Dessen Aufgaben sind allerdings mehr im vermögensrechtlichen Bereich als auf dem Gebiet der Personensorge angesiedelt67• Die Rechtsstellung des ungeborenen Kindes läßt sich am treffendsten mit dem Paulus-Zitat in D. 1,5,768 umschreiben, wonach für die Leibesfrucht, sobald über deren Vorteile Frage entsteht, so gesorgt wird, als wenn sie schon am Leben wäre, wiewohl sie einem anderen, ehe sie geboren ist, in keiner Art Vorteil bringen kann. Man kann daher den Grundsatz erkennen, daß derjenige, dessen Geburt erwartet wird, als bereits geboren gilt, soweit es um seine Rechtsvorteile geht69. Die Frage, ob dem nasciturus im römischen Recht zumindest eine beschränkte Rechtsfähigkeit zukam70 , bedarf in diesem Zusammenhang keiner endgültigen Klärung71 . Der Begriff der allgemeinen Rechtsfähigkeit, also der Fähigkeit Träger von Rechten zu sein, war dem römischen Recht noch fremd72 . Die Frage nach den Rechten einer Person wurde für jede Menschengruppe gesondert beantwortet73 • Volle Rechtsfähigkeit kam nur dem freien, nicht unter väterlicher Gewalt stehenden römischen Bürger zu. Auch der "status", der die Rechtsstellung des Einzelnen gegenüber der Familie und dem Bürgerverband festlegte74, ist nicht mit der allgemeinen Rechtsfähigkeit gleichzusetzen. Es spricht zwar einiges dafür, daß dem nasciturus tatsächlich eine beschränkte Rechtsfähigkeit zuerkannt wurde75, jedoch ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung allein die Tatsache von Bedeutung, daß dem nasciturus eine Reihe von Bestimmungen gewidmet waren, die seinem Schutz dienten.

66 Modestinus D. 26,5,20: "Ventri tutor a magsitratibus populi Romani dati non potest, curator potest." Ulpian D . 27,10,8: "Bonorum ventris nomine curatorem dati oportet eumque rem salvam fore viri boni arbitratu satisdare proconsul iubet: sed hoc, si non ex inquisitione detur: nam si ex inquisitione cessat satisdatio." 67

Kaser, Das römische Privatrecht I, § 64 U, l.

68 Paulus

D. 1,5, 7:"Qui in utero est, perinde ac si in rebus humanis esset custoditur; quotiens de commodis ipsius partus quaeritur: quamqu