Unternehmensinterne Untersuchungen aus arbeitsrechtlicher Perspektive: Unter besonderer Berücksichtigung der Selbstbelastungsfreiheit [1 ed.] 9783428582860, 9783428182862

Die Autorin beleuchtet die Anforderungen an die Informationsgewinnung durch beobachtende Ermittlungsmaßnahmen und Mitarb

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Unternehmensinterne Untersuchungen aus arbeitsrechtlicher Perspektive: Unter besonderer Berücksichtigung der Selbstbelastungsfreiheit [1 ed.]
 9783428582860, 9783428182862

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 367

Unternehmensinterne Untersuchungen aus arbeitsrechtlicher Perspektive Unter besonderer Berücksichtigung der Selbstbelastungsfreiheit

Von

Verena Hettche

Duncker & Humblot · Berlin

VERENA HETTCHE

Unternehmensinterne Untersuchungen aus arbeitsrechtlicher Perspektive

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Jacobs, Hamburg Prof. Dr. Rüdiger Krause, Göttingen Prof. Dr. Sebastian Krebber, Freiburg Prof. Dr. Thomas Lobinger, Heidelberg Prof. Dr. Markus Stoffels, Heidelberg Prof. Dr. Raimund Waltermann, Bonn

Band 367

Unternehmensinterne Untersuchungen aus arbeitsrechtlicher Perspektive Unter besonderer Berücksichtigung der Selbstbelastungsfreiheit

Von

Verena Hettche

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen und zum Druck freigeben.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI bucbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-18286-2 (Print) ISBN 978-3-428-58286-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2020 von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung, Gesetzgebungsstand und Literatur wurden grundsätzlich bis Mai 2020 berücksichtigt. Im besonderen Fall des im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Gesetzesentwurfs der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ wurde für die Veröffentlichung der Stand vom 21. 10. 2020 zugrunde gelegt. An erster Stelle möchte ich mich bei meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Markus Stoffels nicht nur für die Betreuung und die stets weiterführenden Anregungen bedanken, sondern auch für den ermöglichten fachlichen Austausch mit Herrn Prof. Dr. Rainer Sieg, dem an dieser Stelle ebenfalls gedankt sei. Herrn Prof. Dr. MarcPhilippe Weller gebührt Dank für die Bereitschaft zur Übernahme des Zweitgutachtens und dessen zügige Erstellung. Dr. Maria Marquard, Dr. Theresa Bauerdick, Nicole Bung, Hazel Franke und Florian Klein danke ich für die inhaltlichen Anregungen und die unvergessliche Zeit in Heidelberg. Ein besonderer Dank gilt Jesper Eriksson für seine Geduld und inhaltliche, emotionale sowie kulinarische Unterstützung in allen Lebenslagen. Besonderer Dank gebührt außerdem meiner Schwester Dr. Juliane Hettche und ferner Dr. Kai Brauneisen für die konstruktiven fachlichen Diskussionen und den emotionalen Beistand. Der größte Dank gilt schließlich meinen Eltern, Renate und Dr. Helmut Hettche, für ihre immerwährende und grenzenlose Unterstützung sowohl im Studium als auch während der Erstellung dieser Arbeit. München, im Dezember 2020

Verena Hettche

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Teil Einführung in unternehmensinterne Untersuchungen

26

A. Einordnung unternehmensinterner Untersuchungen in die Begriffssystematik . . . . . . 26 B. Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 C. Aufklärungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 D. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Teil Sachverhaltsaufklärung

44

1. Kapitel Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

46

A. Grundrechtsrelevanz der Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 B. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bei der Sachverhaltsaufklärung mithilfe von Beobachtungsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Kapitel Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

88

A. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien in der Befragungssituation jenseits der Selbstbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit – Hintergrund, Inhalt und Reichweite . . . 110 C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation . . . . . . . . . . . . . . . 157

8

Inhaltsübersicht 3. Teil Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

207

A. Pflicht des Arbeitgebers zu einer (bestimmten) Reaktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 B. Typische Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 4. Teil Arbeitsgerichtliche Überprüfung der Arbeitgebermaßnahme

243

1. Kapitel Überprüfung einer auf Beobachtungsergebnisse gestützten Arbeitgebermaßnahme

245

A. Die prozessuale Verwertung bei datenschutzrechtlichen Verstößen des Arbeitgebers . 245 B. Die prozessuale Verwertung bei Verstößen des Arbeitgebers gegen Mitbestimmungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Kapitel Überprüfung einer auf Befragungsinhalte gestützten Arbeitgebermaßnahme 264 A. Die prozessuale Verwertung bei Pflichtverstößen des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . 264 B. Die prozessuale Verwertung als Problem der Selbstbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 C. Die prozessuale Verwertung als allgemeines Problem der Darlegungs- und Beweislastverteilung jenseits der Selbstbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

1. Teil Einführung in unternehmensinterne Untersuchungen

26

A. Einordnung unternehmensinterner Untersuchungen in die Begriffssystematik . . . . . . 26 I. Begrifflichkeit der unternehmensinternen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Unternehmensinterne Untersuchungen und Corporate Governance/Compliance

28

B. Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. Rechtslage in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Ausdrückliche Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Mittelbare Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 b) Recht der Ordnungswidrigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 c) Gesetzesentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Rechtslage in ausgewählten anderen Rechtssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 C. Aufklärungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 D. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

10

Inhaltsverzeichnis 2. Teil Sachverhaltsaufklärung

44

1. Kapitel Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

46

A. Grundrechtsrelevanz der Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 I. Konfliktsituation: Grundrechtliche Gemengelage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 II. Lösung der grundrechtlichen Gemengelage bei Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . 50 1. Schutzverwirklichung über Schutz(gebots)funktion der Grundrechte . . . . . 51 a) Schutzverwirklichung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . 51 b) Schutzverwirklichung der Telekommunikationsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Besondere Anforderungen an die Schutzverwirklichung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch EGMR-Rechtsprechung? . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Entscheidung Baˇ rbulescu/Rumänien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) Konformität der Erlaubnisnormen des Bundesdatenschutzgesetzes mit den Rechtsprechungsanforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 B. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bei der Sachverhaltsaufklärung mithilfe von Beobachtungsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 I. Pflichten des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 II. Pflichten des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1. Datenschutzrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 a) Einordung repressiver Ermittlungsmaßnahmen in § 26 I BDSG . . . . . . . 60 aa) Repressive Maßnahmen zur Aufdeckung von Straftaten . . . . . . . . . . 60 bb) Repressive Maßnahmen zur Aufdeckung von Pflichtverletzungen 61 cc) Ausnahmslose Anwendung der Voraussetzungen des § 26 I 2 BDSG bei repressiven Ermittlungsmaßnahmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Zulässigkeitsanforderungen an einzelne Überwachungsmaßnahmen . . . 66 aa) Videoüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (1) Anforderungen aus § 26 I BDSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (2) Besondere Regelung der Videoüberwachung von Arbeitnehmern in § 4 BDSG n. F.? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (3) Generelle Unzulässigkeit verdeckter (Video)überwachung? . . . . 69 (4) Ergebnis zu den Zulässigkeitsanforderungen an die Videoüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 bb) E-Mail-Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (1) Beschränkung der Nutzung auf dienstliche Nutzungserlaubnis 73

Inhaltsverzeichnis

11

(2) Erlaubte Privatnutzung: Ruhende E-Mails . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 (3) Erlaubte Privatnutzung jenseits ruhender E-Mails . . . . . . . . . . . . 75 (a) Ermittlungsmöglichkeiten nach Telekommunikationsgesetz (b) Ermittlungsmöglichkeiten nach Bundesdatenschutzgesetz

76 78

(c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (4) Ergebnis zu den Zulässigkeitsanforderungen an die E-MailÜberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 cc) Sonstiges Arbeitnehmerverhalten im digitalen Umfeld . . . . . . . . . . . 81 dd) Telefonüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 c) Ergebnis zu den datenschutzrechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

2. Kapitel Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

88

A. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien in der Befragungssituation jenseits der Selbstbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 I. Pflichten des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Teilnahmepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Auskunftspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 a) Auskunft als vertraglich geschuldete Tätigkeit (Sonderfall) . . . . . . . . . . 89 b) Keine gesonderte Auskunftsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 aa) Auskunftspflichten bezüglich des unmittelbaren Arbeitsbereichs . . . 90 (1) Auskunftspflicht aus § 106 GewO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (2) Auskunftspflicht aus § 666 Var. 2, 675 BGB analog . . . . . . . . . . 91 (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 bb) Auskunftspflichten bezüglich des mittelbaren Arbeitsbereichs . . . . . 94 (1) Auskunftspflicht als rücksichtsbezogene Auskunftspflicht, § 241 II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (2) Auskunftspflicht aus § 242 BGB (Allgemeiner zivilrechtlicher Auskunftsanspruch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (3) Auskunftspflichten aus § 242 BGB neben dem allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (4) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 c) Rückschluss auf die Teilnahmepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 II. Pflichten des Arbeitnehmers gegenüber Dritten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 III. Pflichten des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Ermöglichung anwaltlichen Beistands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

12

Inhaltsverzeichnis 3. Ermöglichung betriebsrätlichen Beistands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4. Beachtung betrieblicher Mitbestimmung und Informationspflichten . . . . . . 107 IV. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit – Hintergrund, Inhalt und Reichweite . . . 110 I. Anhaltspunkte zum Verständnis von Inhalt und Reichweite der Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Nemo tenetur se ipsum prodere/accusare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Nemo tenetur edere contra se . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Verfassungsrechtliche Verankerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 II. Entwicklung von Inhalt und Reichweite der Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . 118 1. Problematik der Reichweitenbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit im Zusammenhang mit Auskunftspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 a) These: Begrenzung des Schutzbereichs in Auskunftssituationen auf Selbstbelastung durch gesetzlich vorgeschriebene, erzwingbare Auskunftspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Thesenentwicklung anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 bb) Bestätigung der These durch Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (1) Verdeutlichung der Schutzbereichseröffnung durch Normierung von Auskunftsverweigerungsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (2) Verdeutlichung der Schutzbereichseröffnung durch Normierung von Beweisverwertungsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 (3) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 cc) Bestätigung der These durch fachgerichtliche Rechtsprechung . . . . 130 dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Klarstellung: Keine Schutzbereichsbeschränkung auf staatlichen Auskunftsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 c) Klarstellung: Keine Schutzbereichsbeschränkung auf belastende Auskünfte, die Fehlverhalten im Bereich der Privatsphäre betreffen . . . . . . . 135 d) Konkretisierung: Selbstbezichtigung mit Straftat oder auch Pflichtverletzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 aa) Schutz vor strafrechtlichen Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 bb) Schutz vor anderweitiger pönaler, staatlicher Reaktion . . . . . . . . . . 138 cc) Schutz vor pönaler, auch nichtstaatlicher Sanktion . . . . . . . . . . . . . . 139 dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

Inhaltsverzeichnis

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e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) These: Eine Auskunftspflicht besteht in Abhängigkeit des Rechtfertigungsdrucks nach Art des Informationsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 aa) Thesenentwicklung anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Bestätigung der These durch Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (1) Selbstbelastungsgefahr und staatliches Informationsinteresse . . 144 (2) Selbstbelastungsgefahr und privates Informationsinteresse . . . . . 147 cc) Bestätigung der These durch fachgerichtliche Rechtsprechung . . . . 148 (1) Selbstbelastungsfreiheit und staatliches Informationsinteresse 148 (2) Selbstbelastungsfreiheit und privates Informationsinteresse . . . . 149 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) These: Eine aufgrund privaten Auskunftsinteresses bestehende Auskunftspflicht ist bei Umgehungs- und Zweckentfremdungsgefahr um ein Beweisverwertungsverbot zu ergänzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 aa) Thesenentwicklung: Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 bb) Bestätigung der These durch Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 cc) Bestätigung der These durch fachgerichtliche Rechtsprechung . . . . 155 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 c) Ergebnis zur Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation . . . . . . . . . . . . . . . 157 I. Selbstbezichtigung mit einer Straftat in der Auskunftssituation . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Beispielsüberlegungen zu möglichen Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2. Meinungsspektrum zur Auskunftspflicht des Arbeitnehmers bei Selbstbezichtigung mit einer Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Auskunftspflichten hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs . . . . 160 b) Auskunftspflichten hinsichtlich des mittelbaren Arbeitsbereichs . . . . . . 163 3. Lösung für die Auskunftspflichten aus § 666 Var. 2, 675 BGB analog und § 242 BGB nach gewonnenen Ergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 aa) Vorliegen von gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflichten? . . . 164 bb) Erzwingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 cc) Ergebnis zum Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 c) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 aa) Bestimmung des Rechtfertigungsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 bb) Legitimer Zweck der Auskunftspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

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Inhaltsverzeichnis cc) Geeignetheit der Auskunftspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 dd) Erforderlichkeit der Auskunftspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 ee) Angemessenheit der Auskunftspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (1) Auskunftspflicht hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs 176 (2) Auskunftspflicht hinsichtlich des mittelbaren Arbeitsbereichs

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ff) Zwischenergebnis zur Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 4. Lösung für die Auskunftspflicht über Weisungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 II. Selbstbezichtigung mit einer Pflichtverletzung in der Auskunftssituation . . . . . . . 183 1. Auffassungsspektrum zu den Mitwirkungspflichten des Arbeitnehmers bei Einräumung einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) Auskunftspflicht hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs . . . . . . 184 b) Auskunftspflicht hinsichtlich des mittelbaren Arbeitsbereichs . . . . . . . . 185 2. Lösung für die Auskunftspflichten aus § 666 Var. 2, 675 BGB analog und § 242 BGB nach gewonnenen Ergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 aa) Drohende pönale Konsequenzen im Arbeitsverhältnis? . . . . . . . . . . 186 bb) Insbesondere: Kündigung als drohende pönale Konsequenz? . . . . . . 188 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 c) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 aa) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 bb) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 cc) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 dd) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (1) Auskunftspflicht hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs 191 (2) Auskunftspflicht hinsichtlich des mittelbaren Arbeitsbereichs 193 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 III. Fazit zur Auskunftspflicht des Arbeitnehmers in der Befragungssituation . . . . . . 194 IV. Ergebnisvereinbarkeit mit Verdachtskündigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1. Generelle Entbehrlichkeit der Verdachtskündigung infolge der Auskunftspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 2. Widerspruch zwischen unterschiedlich ausgestalteten Mitwirkungspflichten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 a) Problemdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 b) Widerspruchsfreiheit zwischen Schweigerecht und Auskunftspflicht . . . 197 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3. Widerspruch bei Schweigen als Kündigungsgrund? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Problemdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Anpassung der Kündigungsvoraussetzungen als Problemlösung . . . . . . . 202 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

Inhaltsverzeichnis

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4. Ergebnis zur Friktion mit Verdachtskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 V. Ergebnisvereinbarkeit mit Beweislastregeln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

3. Teil Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

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A. Pflicht des Arbeitgebers zu einer (bestimmten) Reaktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 I. Gesellschaftsrechtliche Legalitätskontrollpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Inhaltliche Vorgaben für Maßnahmen des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Grundsätzliche Reaktionspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 b) Pflicht zur Ergreifung bestimmter Maßnahmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 c) Konfliktsituation zwischen gesellschaftsrechtlichem Müssen und arbeitsrechtlichem Dürfen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 II. § 125 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Inhaltliche Vorgaben für Maßnahmen des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . 212 a) Grundsätzliche Reaktionspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Pflicht zur Ergreifung bestimmter Maßnahmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. Konfliktsituation zwischen vergaberechtlichem Müssen und arbeitsrechtsrechtlichem Dürfen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 3. Auflösung des Konflikts nach Kollisionsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 III. § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 1. Inhaltliche Vorgaben für Maßnahmen des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . 216 a) Grundsätzliche Reaktionspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 b) Pflicht zur Ergreifung bestimmter Maßnahmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Konfliktsituation zwischen ordnungswidrigkeitsrechtlichem Müssen und arbeitsrechtlichem Dürfen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 B. Typische Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 I. „Verwertungsverbot“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 II. Besonderheiten der Untersuchungskonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. Schadensersatzverlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Ordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 aa) Personenbedingte Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 bb) Verhaltensbedingte Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 cc) Betriebsbedingte Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

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Inhaltsverzeichnis b) Außerordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 aa) (Drohende) Sanktionen als Aspekt der Interessenabwägung? . . . . . . 225 bb) Kündigungserklärungsfrist, § 626 II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 c) Berücksichtigung gesetzeswidriger Weisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 aa) Gesetzeswidrige Weisung durch den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . 232 bb) Gesetzeswidrige Weisung durch einen Vorgesetzten . . . . . . . . . . . . . 233 (1) Verschulden des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 (2) Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens . . . . . . 234 3. Reaktionsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 a) Verzicht auf Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Verzicht auf Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

4. Teil Arbeitsgerichtliche Überprüfung der Arbeitgebermaßnahme

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1. Kapitel Überprüfung einer auf Beobachtungsergebnisse gestützten Arbeitgebermaßnahme A. Die prozessuale Verwertung bei datenschutzrechtlichen Verstößen des Arbeitgebers

245 245

I. Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Voraussetzungen eines Beweisverwertungsverbots im Zivilprozess . . . . . . . 246 a) Rechtswidrige Beweiserlangung und Schutzzweckbetrachtung bzw. Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 b) Eigene Grundrechtsverletzung des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 2. Voraussetzungen eines Beweisverwertungsverbots bei datenschutzrechtswidriger Beweiserlangung nach dem Bundesarbeitsgericht . . . . . . . . . . . . . 250 a) Erste Stufe: Feststellung eines grundrechtswidrigen vorprozessualen Erkenntnisgewinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 b) Zweite Stufe: Ausnahmsweise Verwertbarkeit trotz grundrechtswidrigen Erkenntnisgewinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 aa) Hinzutreten besonderer, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehender Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 bb) Verwertung durch Gericht kein eigener Grundrechtsverstoß . . . . . . 256 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 II. Außerdem: Sachvortragsverwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

Inhaltsverzeichnis

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III. Zusammenfassendes Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 B. Die prozessuale Verwertung bei Verstößen des Arbeitgebers gegen Mitbestimmungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 I. Sonderfall: Beweisverwertungsverbot aus Betriebsvereinbarung? . . . . . . . . . . . . . 258 II. Beweisverwertungsverbot jenseits entsprechender Betriebsvereinbarung . . . . . . . 258 1. Lösungsansätze in Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Lösung unter Anwendung der allgemeinen Voraussetzungen für ein Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 III. Zusammenfassendes Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

2. Kapitel Überprüfung einer auf Befragungsinhalte gestützten Arbeitgebermaßnahme 264 A. Die prozessuale Verwertung bei Pflichtverstößen des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . 264 I. Verstoß gegen datenschutzrechtliche Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 II. Verstoß gegen Ermöglichung anwaltlichen Beistands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 III. Verstoß gegen Mitbestimmungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 1. Verstoß gegen § 87 I Nr. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 2. Verstoß gegen § 94 I BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 B. Die prozessuale Verwertung als Problem der Selbstbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 I. Umfassende Auskunftspflicht in der arbeitsrechtlichen Befragungssituation . . . . 269 II. Schweigerecht sowie Umgehung und Zweckentfremdung im Arbeitsgerichtsprozess? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 1. Verfassungsrechtlich begründetes Schweigerecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 2. Außerdem: Keine Zweckentfremdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 3. Ergebnis zum Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 III. Zusammenfassendes Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 C. Die prozessuale Verwertung als allgemeines Problem der Darlegungs- und Beweislastverteilung jenseits der Selbstbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 I. Konflikt zwischen Auskunftsanspruch und Beweislastregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Vorüberlegungen zu Beweislastregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 c) Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2. Aushebelung der Beweislastregeln infolge der Auskunft . . . . . . . . . . . . . . . 277

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Inhaltsverzeichnis 3. Brisanz der Aushebelung aufgrund besonderer Schutzfunktion . . . . . . . . . . 277 a) Schutzfunktion von § 1 II 4 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 b) Schutzfunktion der Beweislast für Kündigungsgrund bei § 626 BGB . . 281 c) Schutzfunktion von § 619a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 d) Zusammenfassung zur Schutzfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 II. Ziel: Wahrung der Schutzfunktion durch Geltungsverschaffung der Beweislastregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 III. Methoden der Zielerreichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 1. Lösung auf materiell-rechtlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 a) Keine Einklagbarkeit des Auskunftsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 b) Einschränkung des Auskunftsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 aa) Einschränkung der Analogievoraussetzungen des Auskunftsanspruchs aufgrund der Beweislastregeln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 bb) Einschränkung des Auskunftsanspruchs unter Verweis auf Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 2. Lösung auf prozessualer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 a) Darlegungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 aa) Einschränkung der Wahrheitspflicht aus § 138 I ZPO . . . . . . . . . . . 291 bb) Sachvortragsverwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 cc) Teleologische Reduktion von § 138 III ZPO und Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 (1) Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 (2) Vorliegen der Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion von § 138 III ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 b) Beweisebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 IV. Kontrollüberlegungen hinsichtlich der Richtigkeit des gefundenen Ergebnisses 300

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

Einleitung A. Problemstellung Unternehmensinterne Untersuchungen weisen aus arbeitsrechtlicher Perspektive eine Vielzahl ungeklärter Problematiken auf. Ihrer tatsächlichen Etablierung zum Trotz bewegen sie sich in einem rechtlichen Graubereich.1 Die bisherige juristische Auseinandersetzung mit der Figur unternehmensinterner Untersuchungen findet vor allem im strafprozessualen Kontext statt. In diesem Bereich lässt sich seit Beginn des Jahrtausends und vor allem innerhalb der letzten zehn Jahre insbesondere im Schrifttum eine bemerkenswerte Fülle an Beiträgen zur Frage der strafprozessualen Verwertbarkeit von Informationen feststellen, die im Rahmen von Mitarbeiterinterviews gewonnen wurden. In der Rechtsprechung bot bisher insbesondere die Frage der Beschlagnahmefähigkeit von Unterlagen, die im Rahmen unternehmensinterner Untersuchungen erstellt oder gesammelt wurden, Anlass zur Diskussion. Arbeitsrechtliche Bezüge konzentrieren sich in der bisherigen Betrachtung vor allem auf die Frage, welche Pflichten den Arbeitnehmer in der Befragungssituation im Rahmen unternehmensinterner Untersuchungen treffen. Hintergrund ist, dass über der Befragungssituation die nach wie vor ungeklärte Problematik der Selbstbelastung schwebt, die zugleich den Anlass für die bisherige Diskussion der strafprozessualen Verwertbarkeit der Auskunft darstellt. Das vielgestaltige Meinungsspektrum, das sich zu den Pflichten des Arbeitnehmers entwickelt hat, reicht von der vollständigen Ablehnung einer Auskunftspflicht bei Selbstbelastungsgefahr bis hin zur Annahme einer umfänglichen Auskunftspflicht mit oder ohne Beweisverwertungsverbot in einem anschließenden Strafverfahren. Anknüpfungspunkt für die Einschränkung einer Auskunftspflicht, sei es auf Ebene der Auskunftspflicht selbst oder durch ein anschließendes (strafprozessuales) Beweisverwertungsverbot, ist dabei stets der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit. Woraus sich dieser Grundsatz ergibt ist allerdings gleichermaßen ungeklärt wie sein genauer Inhalt. So fällt im bisherigen Meinungsbild auf, dass die Frage der Selbstbelastung vorwiegend hinsichtlich der Gefahr von Selbstbelastung mit strafrechtlich relevantem Verhalten aufgeworfen wird. Die Thematik, ob auch die Selbstbezichtigung mit einer rein vertraglichen Pflichtverletzung unterhalb der Strafbarkeitsschwelle unter die Selbstbelastungsproblematik gefasst werden kann, fristet hingegen ein Schattendasein. Für einen in einer konkreten Befragungssituation befindlichen Arbeitnehmer

1

Bachmann, ZHR 180 (2016), 563.

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Einleitung

bedeuten diese Unklarheiten eine Unsicherheit, die es angesichts der existenziellen Bedeutung des Arbeitsverhältnisses zu klären gilt. Nicht nur für eine Lösung im strafprozessualen Kontext, sondern auch für eine Anknüpfung arbeitsrechtlicher Konsequenzen und Informationsverwertung im Arbeitsgerichtsprozess scheint eine fundierte Ausarbeitung von Grund und Grenzen der Selbstbelastung dringend erforderlich.2 Dies wurde auch in der Podiumsdiskussion in Panel II des Deutschen Arbeitsrechtstags 2018 in Berlin deutlich. Die Antwort auf die Frage, ob der Arbeitnehmer über ein Aussageverweigerungsrecht verfügt, wenn die Aussage für ihn in strafrechtlicher oder arbeitsrechtlicher Hinsicht nachteilige Konsequenzen haben kann, pointiert die bestehenden Unklarheiten: Man weiß es nicht so genau, die Praxis sagt aber eher nein.3 Ein Schwerpunkt dieser Arbeit liegt vor diesem Hintergrund darin, die Konturen der verfassungsrechtlich verankerten Selbstbelastungsfreiheit in dem Konflikt mit Auskunftspflichten herauszuarbeiten und damit Strukturen zu schaffen, die allgemeingültige Lösungen ermöglichen. Wie im 2. Kapitel des 2. Teils zu zeigen sein wird, stößt die zunächst naheliegende Lösungsmethodik in Form der Verfassungsauslegung bei Erarbeitung von Inhalt und Reichweite der Selbstbelastungsfreiheit an ihre Grenzen. Daher wird die Selbstbelastungsfreiheit im Wege einer Auseinandersetzung mit den bisherigen Konkretisierungsansätzen der Verfassungsinterpreten zu beleuchten sein. Um die Konturen der verfassungsrechtlich verankerten Selbstbelastungsfreiheit aufzuzeigen, wird die Sichtweise der unterschiedlichen Verfassungsinterpreten hinsichtlich des Schutzbereichs der Selbstbelastungsfreiheit, des Eingriffs und der Eingriffsrechtfertigung ermittelt. Der Schwerpunkt dieser Betrachtung liegt hierbei auf dem Schutzbereich und der Eingriffsrechtfertigung, da diese Elemente für die Reichweite eines Grundrechts charakteristisch sind. Sowohl in der Auseinandersetzung mit dem Schutzbereich als auch auf Rechtfertigungsebene wird sich die Schwierigkeit ergeben, zwischen staatlichen und privaten Auskunftsberechtigten zu differenzieren und diese Unterscheidung bei der Herausarbeitung allgemeiner Strukturen konsequent zu berücksichtigen. Im Anschluss an die Erarbeitung einer abstrakten, grundrechtlichen Definition von Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit und Eingriffsrechtfertigung in Auskunftssituationen wird diese auf die konkrete arbeitsrechtliche Befragungssituation anzuwenden sein. Zusätzlich zu den grundsätzlich strukturellen Unklarheiten der Selbstbelastungsproblematik stellt sich die Frage des Verhältnisses von Auskunftspflichten des Arbeitnehmers in der Befragungssituation und der Figur der Verdachtskündigung. Wird in der Anhörung zur Verdachtskündigung eine Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers abgelehnt, stellt sich die Frage, wie eine derartige Ablehnung mit einer 2

Hierauf gleichermaßen hinweisend Greco/Caracas, NStZ 2015, 7, 11. Derart zusammenfassend im Generalbericht zum Deutschen Arbeitsrechtstag Henssler, NZA-Beilage 2018, 31, 36. 3

A. Problemstellung

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u. U. anzunehmenden Auskunftspflicht des Arbeitnehmers in der Befragungssituation vereinbart werden kann. Als weiterer Problemkreis unternehmensinterner Untersuchungen tritt neben die Selbstbelastungsproblematik ein Aspekt, der speziell im Kontext unternehmensinterner Untersuchungen bisher wenig Beachtung erfahren hat: Die Rede ist von beobachtenden Ermittlungsmaßnahmen jenseits von Arbeitnehmerbefragungen, die im Beschäftigtendatenschutz sowohl Fragen hinsichtlich der Informationsgewinnung als auch der Informationsverwertung aufwerfen. Hier geben zahlreiche höchstrichterliche Entscheidungen der letzten Jahre aus dem datenschutzrechtlichen Kontext Anlass zu einer differenzierten Betrachtung. Die Sichtung von Beobachtungsdaten sowie die Problematik der Selbstbelastungsfreiheit als Facetten der Sachverhaltsermittlung bei unternehmensinternen Untersuchungen machen den besonderen Reiz der Thematik dieser Arbeit aus. Die Sichtung von Beobachtungsdaten stellt hohe Anforderungen an die Auseinandersetzung mit relativ neuen Rechtsquellen, neuer Rechtsprechung und einer Fülle an Publikationen. Hierbei ergibt sich vor allem die Schwierigkeit, die Relevanz von Problemen für unternehmensinterne Untersuchungen zu erkennen und aus dem zumeist sehr detaillierten Diskurs die zutreffenden Schlüsse zu ziehen. Dem gegenüber stellt sich die Problematik der Selbstbelastungsfreiheit im Zusammenhang mit Auskunftssituationen als zeitloser Problemschwerpunkt dar, der jedoch angesichts seiner verfassungsrechtlichen Einbettung kein geringeres Maß an Schwierigkeiten aufweist. Die Kombination dieser beiden Untersuchungsmethoden zur Sachverhaltsaufklärung lässt unternehmensinterne Untersuchungen aus arbeitsrechtlicher Perspektive besonders betrachtenswert erscheinen. Beide Untersuchungsmethoden weisen eine hohe Komplexität hinsichtlich ihrer Anforderungen an eine zulässige Durchführung auf, die sich nicht nur aus dem Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ergeben, sondern mit Fragen der Mitbestimmung auch aus dem betriebsverfassungsrechtlichen Bereich stammen. Die beiden Untersuchungsmethoden werfen allerdings nicht nur Fragen auf der Ebene der Sachverhaltsaufklärung und damit die Ebene der Informationsgewinnung auf, sondern sind auch auf der Ebene der Informationsverwertung zu beleuchten. Führen die Sichtung von Beobachtungsdaten und die Problematik der Selbstbelastung auf die Ebene prozessualer Informationsverwertung, ist eine Auseinandersetzung mit den teilweise undurchsichtigen und uneinheitlichen Anforderungen an zivilprozessuale Beweisverwertungsverbote unausweichlich. Hierbei stellt nicht nur die Strukturierung und Abgrenzung verschiedener vertretenen Ansichten über die Anforderungen an zivilprozessuale Beweisverwertungsverbote eine Herausforderung dar, sondern auch die diesbezügliche analytische Betrachtung der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung im Bereich der Beobachtungsdaten und der Selbstbelastung. Zudem ergeben sich auch auf der Ebene der Informationsverwertung nicht nur Fragen der Verwertbarkeit bei individualarbeitsrechtlich unzulässiger Sachver-

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Einleitung

haltsermittlung, sondern die Verwertbarkeit von Informationen ist auch bei Verstößen gegen betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben zu beleuchten. Eine besondere Herausforderung auf der Ebene der Informationsverwertung stellt zudem die Betrachtung des Verhältnisses zwischen Auskunftsansprüchen und Beweislastregeln dar – im arbeitsrechtlichen Zusammenhang und grundsätzlich. Dieses Verhältnis, das u. U. als Konflikt bezeichnet werden kann, stellt zwar kein spezielles Problem unternehmensinterner Untersuchungen dar, ergibt sich aber insbesondere bei der prozessualen Verwertung von Auskunftsinhalten aus einer Mitarbeiterbefragung. Unternehmensinterne Untersuchungen aus arbeitsrechtlicher Perspektive zu betrachten, eröffnet zusammengefasst die Möglichkeit, grundsätzliche arbeitsrechtliche Problematiken mit einer Vielzahl an unbeantworteten Fragen datenschutzrechtlicher, verfassungsrechtlicher oder auch prozessrechtlicher Art zusammenhängend zu betrachten und bei Bedarf mit speziellen untersuchungstypischen Aspekten anzureichern.

B. Ziel der Arbeit Ziel der Arbeit ist angesichts der dargestellten Problemfelder unternehmensinterner Untersuchungen zum einen eine gesammelte, problemorientierte Betrachtung jüngerer Entwicklungen von Rechtsprechung und Gesetzgebung im Beschäftigtendatenschutz, zum anderen eine analytische Aufarbeitung der Selbstbelastungsproblematik aus arbeitsrechtlicher Perspektive jeweils bezogen auf arbeitsrechtliche Anforderungen und arbeitsrechtliche Folgen. Sowohl der Untersuchungsmethode der Gewinnung und Sichtung von Beobachtungsdaten als auch der Arbeitnehmerbefragung ist gemein, dass beide Beobachtungsmethoden im Kern eine Vielzahl von Unklarheiten hinsichtlich der Anforderungen an Informationsgewinnung einerseits sowie hinsichtlich der Zulässigkeit der Informationsverwertung andererseits aufweisen. Zudem werfen beide Untersuchungsmethoden im Rahmen unternehmensinterner Untersuchungen mitbestimmungsrechtliche Fragen auf, die gleichermaßen die Anforderungen an Informationsgewinnung und die Zulässigkeit deren Verwertung betreffen. Eine Betrachtung dieser beiden Untersuchungsmethoden unter dem Titel dieser Arbeit verspricht hier die Möglichkeit einer einheitlichen Lösungsfindung und dient damit der Vermeidung von Widersprüchen. Eine nähere Betrachtung der im Rahmen der Problemstellung angesprochenen Fragen bietet sich vor allem vor dem Hintergrund an, dass die ungebrochene Aktualität unternehmensinterner Untersuchungen politische Entwicklungen erwarten lässt, für die jede Auseinandersetzung mit dem juristischen Grundgerüst und jede Vertiefung des juristischen Exkurses eine Orientierungshilfe darstellen kann. Zugleich soll diese Arbeit mit einer umfassenden Betrachtung von datenschutzrechtlichen, verfassungsrechtlichen und prozessrechtlichen Problematiken unterneh-

C. Gang der Untersuchung

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mensinterner Untersuchungen auch auf u. U. weniger offensichtliche Fragestellungen hinweisen, ein diesbezügliches Bewusstsein schaffen und Lösungsansätze eröffnen. Ausgeklammert werden soll im Rahmen dieser Arbeit die sich angesichts aktueller Entwicklungen in Rechtsprechung und Politik aufdrängende Frage der Beschlagnahmefähigkeit von Untersuchungsunterlagen4. Die Frage der Beschlagnahmefähigkeit weist eine hohe strafprozessuale Relevanz auf, die jedoch für die besondere arbeitsrechtliche Betrachtung außer Acht gelassen werden kann. Nicht vertieft werden soll außerdem die dogmatische Begründung für ein strafprozessuales Beweisverwertungsverbot hinsichtlich Informationen, die im Rahmen einer Mitarbeiterbefragung gewonnen wurden. Eine derartige Betrachtung würde zu weit über die arbeitsrechtliche Perspektive hinausgehen, als dass eine Auseinandersetzung hiermit angezeigt erscheint.

C. Gang der Untersuchung Aus dem Ziel der Arbeit ergibt sich der Gang der Untersuchung: Zu Beginn ist es erforderlich, in den Begriff der unternehmensinternen Untersuchungen einzuführen (1. Teil). Der anschließende Hauptteil der Arbeit befasst sich zum einen mit der Ebene der Informationsgewinnung (2. Teil) und der Ebene der Informationsverwertung (3. und 4. Teil). Die Ebene der Informationsgewinnung im 2. Teil beleuchtet die Sachverhaltsermittlung durch Sichtung von Beobachtungsdaten sowie die Sachverhaltsermittlung durch Arbeitnehmerbefragung mit der bereits angesprochenen Selbstbelastungsproblematik. Auch wenn im Rahmen dieser Einleitung zunächst die Selbstbelastungsproblematik thematisiert wurde, bietet sich aus chronologischen Gründen an, zunächst die Beobachtungsmaßnahmen in den Blick zu nehmen und erst im Anschluss daran auf die Arbeitnehmerbefragungen einzugehen. Denn in der Regel wird den Arbeitnehmerbefragungen im Rahmen unternehmensinterner Untersuchungen eine Sachverhaltsermittlung durch Sichtung von Beobachtungsdaten vorausgehen. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt in diesem 2. Teil zum einen in der Auseinandersetzung mit aktuellen Zulässigkeitsproblemen der Datenverarbeitung (2. Teil 1. Kap.), zum anderen in der Auseinandersetzung mit der Selbstbelastungsproblematik bei Arbeitnehmerbefragungen (2. Teil 2. Kap.). Zur Selbstbelastungsproblematik wurde bereits angedeutet, dass die Konturen der verfassungsrechtlich verankerten Selbstbelastungsfreiheit in dem Konflikt mit Auskunftspflichten herauszuarbeiten sind und Strukturen geschaffen werden sollen, die allgemeingültige Lö4 Hierzu etwa der Koalitionsvertrag zur 19. Legislaturperiode „Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land – Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD“ vom 07. 02. 2018, Rn. 5916; BVerfG, Beschluss vom 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385.

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Einleitung

sungen ermöglichen. Eine derart allgemeingültige Lösung wird im Wege einer Auseinandersetzung mit den bisherigen Konkretisierungsansätzen der Verfassungsinterpreten erarbeitet werden. Auch wird im Rahmen des Umfangs der Selbstbelastungsfreiheit die bisher kaum diskutierte Thematik aufgeworfen werden, ob auch die Selbstbezichtigung mit einer rein vertraglichen Pflichtverletzung unterhalb der Strafbarkeitsschwelle unter die Selbstbelastungsfreiheit fällt. In Abgrenzung zur Ebene der Informationsgewinnung setzt sich die Ebene der Informationsverwertung zusammen aus der Verwertung im weiteren Sinne als Verwertung durch den Arbeitgeber mittels einer arbeitsrechtlichen Reaktion (3. Teil) und der Verwertung im engeren Sinne als Verwertung in der Prozesssituation (4. Teil). Soweit erforderlich wird hierbei zwischen der Sachverhaltsermittlung durch Sichtung von Beobachtungsdaten und der Sachverhaltsermittlung durch Arbeitnehmerbefragung differenziert (4. Teil 1. und 2. Kap.). Die Informationsverwertung als Verwertung im weiteren Sinne durch den Arbeitgeber mittels einer arbeitsrechtlichen Reaktion stellt einen Aspekt unternehmensinterner Untersuchungen dar, der das im 2. und 4. Teil eingehaltene Trennungsmuster der Beobachtungsmethode einerseits und der Befragungsmethode andererseits durchbricht. Dieser strukturelle Unterschied unterstreicht die Sonderstellung des 3. Teils im Gesamtgefüge dieser Arbeit: Hängen 2. und 4. Teil durch ihre Verknüpfung zwischen Informationsgewinnung und gerichtlicher Informationsverwertung zusammen, könnte der 3. Teil den Eindruck vermitteln, mit Betrachtung der Arbeitgeberreaktionen lediglich das für eine Eröffnung der gerichtlichen Informationsverwertung notwendige Material zur Verfügung zu stellen. In der Tat erweist sich der 3. Teil in Bezug auf unternehmensinterne Untersuchungen als der schwierigste, da die Arbeitgeberreaktion auf zutage getretenes Fehlverhalten grundsätzlich keine besondere Typik unternehmensinterner Untersuchungen darstellt. Eine Reaktionsbetrachtung droht in eine künstliche Auflistung diverser, grundsätzlich zur Verfügung stehender Alternativen auszuufern. Um das zu vermeiden und auch hier einen Bezug zur Thematik der unternehmensinternen Untersuchung mit den Untersuchungsmethoden der Beobachtung und der Befragung herzustellen, wird die Betrachtung der Arbeitgeberreaktionen auf einzelne Problemkreise zu reduzieren sein. Die Informationsverwertung im engeren Sinne als Verwertung in einem Arbeitsgerichtsprozess, der durch den Arbeitnehmer als Reaktion auf eine Arbeitgebermaßnahme angestrengt werden kann, sieht sich mit u. U. bestehenden Sachvortrags- und Beweisverwertungsverboten konfrontiert. Hierbei stellt sich nicht nur die Frage, wie mit Informationen aus unzulässiger Sachverhaltsermittlung umzugehen ist (hierzu 4. Teil 1. Kap. und 2. Kap. Abschnitt A.). Insbesondere bei der Verwertung von Informationen aus Mitarbeiterbefragungen ist zu beleuchten, ob sich bei einer grundsätzlich zulässigen Informationsgewinnung Verwertungsverbote aus Gründen der Selbstbelastungsfreiheit ergeben (4. Teil 2. Kap. Abschnitt B.). Die Verwertung von Informationen aus Mitarbeiterbefragungen gestaltet sich ferner vor

C. Gang der Untersuchung

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dem Hintergrund besonderer arbeitsrechtlicher Beweislastregelungen problematisch, was die bereits angedeutete Frage nach dem Verhältnis zwischen Auskunftsansprüchen und Beweislastregeln aufwirft (4. Teil 2. Kap. Abschnitt C.). Hier ist außerdem zu erarbeiten, wie ein im Rahmen der konkreten Konstellation eines arbeitsrechtlichen Auskunftsanspruchs und arbeitsrechtlicher Beweislastregel bestehender Konflikt aufzulösen ist. Die gewonnenen Ergebnisse werden abschließend in einer Schlussbemerkung systematisiert, die allerdings keine rein chronologische Wiedergabe der gewonnenen Ergebnisse darstellt, sondern diese unter Einnahme einer anderen Betrachtungsperspektive in sachlicher Verknüpfung zusammenfasst.

1. Teil

Einführung in unternehmensinterne Untersuchungen Die Auseinandersetzung mit arbeitsrechtlichen Problemen bei der Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen setzt voraus, dass der Begriff der unternehmensinternen Untersuchung klar umrissen ist. Dazu ist der Begriff der unternehmensinternen Untersuchung inhaltlich zu beleuchten und ähnlich verwendete Begriffe auf ihre inhaltliche Deckungsgleichheit zu überprüfen. Zudem ist das Verhältnis unternehmensinterner Untersuchungen zu den Begrifflichkeiten der Compliance und Corporate Governance zu klären, um den Rahmen abzustecken, in dem spezielle arbeitsrechtliche Probleme zu betrachten sind. Nach einer Auseinandersetzung mit diesen begrifflichen Komponenten der unternehmensinternen Untersuchung (A.) ist im Rahmen der Einführung in unternehmensinterne Untersuchungen der Frage nachzugehen, ob Arbeitgeber zur Aufklärung von Sachverhalten verpflichtet sind (B.) bzw. mithilfe welcher Methoden die Aufklärung erfolgen kann oder muss (C.).

A. Einordnung unternehmensinterner Untersuchungen in die Begriffssystematik I. Begrifflichkeit der unternehmensinternen Untersuchung Welcher Inhalt sich hinter dem Begriff der unternehmensinternen Untersuchung verbirgt, lässt sich durch eine Betrachtung der Begrifflichkeiten herausarbeiten, die für eine Umschreibung des Phänomens1 gleichermaßen verwendet werden: Neben dem Begriff der unternehmensinternen Untersuchungen finden sich auch die Ausdrücke der Internal Investigations, interne (Unternehmens-)Ermittlungen oder Ermittlungen im Unternehmen.2 Auffallend bei all diesen Begrifflichkeiten ist die 1 Auf den onthologischen Charakter der für die Untersuchungen verwendeten Begrifflichkeiten hinweisend Bittmann/Brockhaus/von Coelln/Heuking, NZWiSt 2019, 1, 2. 2 Zu den unterschiedlichen Begrifflichkeiten Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 96; Hugger, ZHR 179 (2015), S. 214, 215; Kahlenberg/Schwinn, CCZ 2012, 81 mit Alternativbezeichnungen dort in Fußnote 1; Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240; Momsen/Grützner, DB 2011, 1792; Wessing, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 46 Rn. 1, der eine synonyme Verwendung dieser Begriffe feststellt und damit keine Abgrenzung nach den folgenden drei Kriterien vornimmt.

A. Einordnung unternehmensinterner Untersuchungen in die Begriffssystematik

27

bereits begriffliche Hervorhebung des internen Charakters. Hiermit ist nicht der Einsatz „betriebsinterner“ Aufklärungspersonen gemeint. Die Qualifizierung des Untersuchungsvorgangs als intern bzw. als im Unternehmen dient vielmehr der Abgrenzung zu staatlichen Untersuchungen.3 Die weitergehende Differenzierung der Begrifflichkeiten der unternehmensinternen Untersuchung (bzw. im englischen Sprachgebrauch der Internal Investigation) einerseits und der internen Ermittlungen bzw. Ermittlungen im Unternehmen andererseits ist vor dem Hintergrund verständlich, dass unternehmensinterne Untersuchungen klassischerweise bei Erfüllung dreier Kriterien angenommen werden: Sie werden aufgrund eines Verdachts eingeleitet, durch beauftragte Dritte durchgeführt und stehen in Zusammenhang mit einem staatlichen Verfahren wegen eines Gesetzesverstoßes.4 Sofern es an einem dieser Kriterien fehlt, etwa die Untersuchungen durch betriebsangehörige Ermittlungspersonen durchgeführt werden oder kein Zusammenhang zu einem staatlichen Verfahren besteht, liegen keine unternehmensinternen Untersuchungen bzw. Internal Investigations, sondern lediglich interne Ermittlungen vor.5 Da allerdings im deutschen Recht an den Begriff der unternehmensinternen Untersuchung bzw. Internal Investigation keine rechtliche Folge gebunden ist, können diese Begriffe auch verwendet werden, wenn die drei genannten Kriterien nicht erfüllt sind.6 Daher soll die in dieser Arbeit verwendete Bezeichnung der unternehmensinternen Untersuchung bzw. Internal Investigation nicht ausschließlich derart zu verstehen sein, dass die drei genannten Kriterien erfüllt sein müssen. Unternehmensinterne Untersuchungen im Sinne dieser Arbeit sind mithin nicht zwingend durch beauftragte Dritte durchzuführen und müssen auch nicht im Zusammenhang mit einem staatlichen Verfahren stehen. Im Vordergrund soll vielmehr das Kernelement unternehmensinterner Untersuchungen stehen, nämlich die Sachverhaltsermittlung bei Verdacht auf Gesetzes- oder Normverstöße7. Unternehmensinterne Untersuchung im Sinne dieser Arbeit meint mithin alle Ermittlungen, 3 Behrens, RIW 2009, 22 Fn. 1; Nestler, in: Internal Investigations, Kap. 1 Rn. 25; derart abgrenzend auch Moosmeyer, in: Moosmeyer/Hartwig, Interne Untersuchungen, Kap. A Rn. 4; Reeb, Internal Investigations, S. 5. 4 Behrens, RIW 2009, 22; Fuhrmann, NZG 2016, 881, 882; Nestler, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 1 Rn. 21; Momsen, ZIS 2011, 508, 511; Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, Kap. 3 S. 79. 5 Doege, S. 390; Nestler, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 1 Rn. 26. 6 Doege, S. 389, wonach die drei Kriterien eine rein phänotypische Beschreibung darstellen; Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, S. 73. Bottmann, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, Teil 2 Kap. 2 Rn. 19 weist insbesondere darauf hin, dass der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung (s. u.) nicht nur durch den Einsatz externer Ermittler, sondern auch durch Untersuchungen durch die eigene Compliance-Abteilung oder interne Revision gerecht wird. 7 Derart zum Kernelement unternehmensinterner Untersuchungen Behrens, RIW 2009, 22, 29; Wagner, CCZ 2009, 8, 12.

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1. Teil: Einführung in unternehmensinterne Untersuchungen

die auf Veranlassung von Unternehmensverantwortlichen darauf gerichtet sind, einen vergangenen Sachverhalt zu erforschen und aufzubereiten, in den mindestens ein Unternehmensangehöriger involviert ist und aus welchem dem Unternehmen unmittelbar oder mittelbar ein Nachteil droht.8 Auf die Konstellation der Ermittlung durch beauftragte Dritte wird aber in besonderen Problemkreisen eingegangen.

II. Unternehmensinterne Untersuchungen und Corporate Governance/Compliance Der Begriff der unternehmensinternen Untersuchung ist außerdem abzugrenzen von den Begrifflichkeiten der Compliance und Corporate Governance. Der Begriff der Compliance stammt ursprünglich aus dem Bereich des Bank- und Kapitalmarktrechts, drückt aber tatsächlich einen verallgemeinerungsfähigen Regelungsansatz aus:9 Er umschreibt das Handeln in Übereinstimmung mit dem Gesetz bzw. den jeweils anwendbaren Regeln sowie die Sicherstellung dessen durch das Unternehmen.10 Compliance-Aktivitäten müssen als Supportprozesse zu den üblichen Geschäftsprozessen organisiert werden; die Compliance-Prozesse begleiten daher akzessorisch die originären Geschäftsprozesse und haben keine davon unabhängige Bedeutung.11 Compliance hat sowohl eine präventive als eine repressive Dimension: Zum einen muss Ziel sein, die Voraussetzungen in der Organisation dafür zu schaffen, dass Verstöße gegen Compliance-Anforderungen vermieden bzw. wesentlich erschwert werden, zum anderen müssen eingetretene Verstöße erkannt und behandelt werden können.12 Die Kombination präventiver und repressiver Ziele wird häufig durch den Dreiklang prevention – detection – reaction beschrieben.13 In Abgrenzung zur Compliance wird unter Corporate Governance die Unternehmensverfassung als Gesamtheit der Regeln zur Unternehmensleitung und 8

Eind derartiges Verständnis legen auch Bittmann/Brockhaus/von Coelln/Heuking, NZWiSt 2019, 1, 2 ihren Überlegungen über ein zukünftiges Gesetz über interne Ermittlungen zugrunde. 9 Fleischer, CCZ 2008, 1; zum Ursprung im Bank- und Kapitalmarktrecht und einer kritischen Begriffswürdigung auch Paefgen, WM 2016, 433, 434; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173; Rieble, Ritsumeikan Law Review 2009, 191, 193. 10 Bottmann, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, Teil 2 Kap. 2 Rn. 2; Fleischer, CCZ 2008, 1; Fuhrmann, NZG 2016, 881; Kreßel, NZG 2018, 841; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2174; unter besonderer Betonung der Sicherstellung Doege, S. 389; Rieble, Ritsumeikan Law Review 2009, 191 („organisationale Rechtstreueverantwortung“); Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43; Wagner, CCZ 2009, 8, 10. 11 Kreßel, NZG 2018, 841, 843. 12 Kreßel, NZG 2018, 841, 844; Reichert/Ott, NZG 2014, 241. 13 Bachmann, ZHR 180 (2016), 563, 564 mit deutscher Übersetzung; Reeb, Internal Investigations, S. 2; umschreibend Reichert/Ott, NZG 2014, 241; Sieg, in: Festschrift Buchner, 859, 860 ff.

A. Einordnung unternehmensinterner Untersuchungen in die Begriffssystematik

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-überwachung verstanden.14 Die Notwendigkeit der Schaffung einer einheitlichen Compliance-Struktur ist durch den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) aufgegriffen worden. Der DCGK beruht auf einer Selbstregulierung der deutschen Wirtschaft und ist von einer Kommission im Auftrag des Bundesjustizministeriums erarbeitet worden; er hat über § 161 AktG normative Verbindlichkeit in der Weise erlangt, dass börsennotierte Aktiengesellschaften bestimmte Erklärungen abgeben müssen; etwa, welchen Kodexempfehlungen entsprochen wurde und welche nicht.15 Corporate Governance enthält ebenfalls präventive und repressive Aspekte,16 auch wenn sich im deutschen Corporate Governance Kodex lediglich der präventive Aspekt ausdrücklich findet: So sieht Nr. 4.1.3 DCGK vor, dass der Vorstand für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen hat und auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hinwirkt (Compliance). Er soll für angemessene, an der Risikolage des Unternehmens ausgerichtete Maßnahmen (Compliance Management System) sorgen und deren Grundzüge offenlegen. Nach Nr. 4.1.4 DCGK sorgt der Vorstand für ein angemessenes Risikomanagement und Risikocontrolling im Unternehmen. Der repressive Aspekt folgt daraus, dass sich in der unternehmerischen Wirklichkeit Rechtsverletzungen ungeachtet aller Prävention kaum vollständig vermeiden lassen, so dass die im DCGK verdeutlichten Präventivpflichten des Vorstands durch korrespondierende Pflichten im Repressivbereich zu ergänzen sind.17 Die Differenzierung zwischen präventiven und repressiven Aspekten von Compliance und Corporate Governance schlägt nunmehr auch den Bogen zu unternehmensinternen Untersuchungen. Unternehmensinterne Untersuchungen betreffen den Repressivbereich, d. h. die Ebene der Aufdeckung, die in einem Zusammenhang zu den Sanktionierungen steht;18 sie werden daher auch als repressive Facette der Compliance bezeichnet.19 Unternehmensinterne Untersuchungen können damit ein wichtiger Bestandteil eines Compliance-Systems sein.20 Teilweise werden unternehmensinterne Untersuchungen auch als Mittel gesehen, vorhandene

14

Der Begriff bezeichnet Führungsgrundsätze, Grützner/Jakob, in: Grützner/Jakob, Compliance, „Corporate Governance“; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 161 Rn. 2; Paefgen, WM 2016, 433, 434: Bindung von Gesellschaftsorganen an die Vorgaben von Gesetz, Statut, Gesellschafterbeschlüssen und Rechtsprechung. 15 Baur/Holle, NZG 2017, 170; Goette, in: MüKo AktG, § 161 Rn. 1; Kreßel, NZG 2018, 841, 843. 16 Nestler, in: Knierim/Rübestahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 1 Rn. 35. 17 Reichert/Ott, NZG 2014, 241, 242. 18 Reeb, Internal Investigations, S. 4. 19 Bachmann, ZHR 180 (2016), 563, 564; Doege, S. 389; Fuhrmann, NZG 2016, 881, 882; Momsen, ZIS 2011, 511; Nestler, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 1 Rn. 35; Schneider, NZG 2010, 1201. Ähnlich Behrens, RIW 2009, 22: Spezifische Art der Reaktion in Abgrenzung zur Prävention. 20 Momsen/Grützner, DB 2011, 1792; Schneider, NZG 2010, 1201; Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43, 50; Wagner, CCZ 2009, 8, 11.

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1. Teil: Einführung in unternehmensinterne Untersuchungen

Compliance-Programme regelmäßig zu überprüfen oder zu evaluieren21; danach müsste für unternehmensinterne Untersuchungen kein Verdacht hinsichtlich innerbetrieblicher Missstände bestehen und ihnen könnte präventive Wirkung zukommen. Dieser Sichtweise ist zuzugeben, dass unternehmensinterne Untersuchungen als Bestandteil einer effektiven Compliancestruktur anzusehen sind und neben ihrem repressiven Charakter zugleich geeignet sind, zukünftige Missstände zu verhindern. Diese zugleich präventive Wirkung scheint jedoch primär reflexartiger Natur zu sein und kann nicht als charakterisierende Funktion unternehmensinterner Untersuchungen angesehen werden. Infolgedessen beschränkt sich die vorliegende Arbeit auf den repressiven Aspekt unternehmensinterner Untersuchungen. Darauf ist insbesondere bei der Auseinandersetzung mit Regelungen zu achten, die den Arbeitgeber zu bestimmten Maßnahmen präventiver oder repressiver Art unter differenzierenden Voraussetzungen ermächtigen, etwa im Datenschutzrecht (siehe hierzu Teil 2 Kap. 1).

B. Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung? Eine wesentliche Frage im Spannungsfeld zwischen unternehmensinternen Untersuchungen und Compliance bzw. Corporate Governance ist, ob Unternehmen bei einem Verdacht interner Missstände dazu verpflichtet sind, diese aufzuklären. Diese Frage ist zum einen zu unterscheiden von der hier nicht zu vertiefenden allgemeinen Rechtspflicht zur Einführung eines Compliance-Systems, zum anderen von der Frage, ob der Arbeitgeber möglicherweise verpflichtet ist, bestimmte Sanktionsmaßnahmen zu ergreifen (siehe hierzu Teil 3). Sofern eine Aufklärungspflicht des Unternehmens besteht, kann diese im Zusammenhang mit der Auskunftspflicht von Arbeitnehmern in Befragungssituationen relevant werden. Denn wenn Unternehmen zur Sachverhaltsaufklärung tatsächlich verpflichtet sind, kann diese nur gelingen, wenn ihnen hierzu auch erfolgversprechende Maßnahmen zur Verfügung stehen. Dieser Gedanke kann Einfluss darauf haben, ob der Arbeitnehmer zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung – auch ggf. bei Gefahr der Selbstbelastung – verpflichtet ist (siehe hierzu 2. Teil 2. Kap. Abschnitt C., S. 168).

I. Rechtslage in Deutschland Eine Verpflichtung von Unternehmen zur Sachverhaltsaufklärung nach deutschem Recht kann sich zum einen aus gesetzlichen Regelungen ergeben, sofern diese 21 Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721; Potinecke/Block, in: Knieriem/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations; 2. Kap. Rn. 25, Rieble, Ritsumeikan Law Review 2009, 191, 199; Wessing, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 46 Rn. 1.

B. Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung?

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eine ausdrückliche entsprechende Pflicht enthalten. Zum anderen können Unternehmen als bloße Konsequenz eines grundsätzlicheren Pflichtenprogramms angehalten sein, Sachverhaltsaufklärung zu betreiben – in Form einer mittelbaren Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung. 1. Ausdrückliche Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung Eine ausdrückliche Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung ergibt sich lediglich aus wenigen Regelungen für sehr eingeschränkte, sektorspezifische Sachverhaltskonstellationen. So sieht etwa § 25 h III 1 KWG eine Untersuchungspflicht bezüglich jeder Transaktion vor, die im Verhältnis zu vergleichbaren Fällen besonders komplex oder groß ist, ungewöhnlich abläuft oder ohne offensichtlichen wirtschaftlichen oder rechtmäßigen Zweck erfolgt. Eine besondere Aufklärungspflicht ergibt sich auch im Rahmen der Selbstreinigung bei der öffentlichen Auftragsvergabe aus § 125 I Nr. 2 GWB. Hiernach werden Unternehmen trotz Ausschlussgrundes nach § 123 oder § 124 GWB nicht von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausgeschlossen, wenn das Unternehmen u. a. nachgewiesen hat, dass es die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber umfassend geklärt hat. Ein Unternehmen muss sich hierbei ernsthaft darum bemühen, die Vorgänge aufzuklären, auf denen das Vorliegen eines Ausschlussgrundes beruht.22 2. Mittelbare Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung Weitaus häufiger finden sich Vorschriften, die eine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht ausdrücklich normieren, eine entsprechende Pflicht aber indizieren. Wie zu zeigen sein wird, wird eine derart mittelbare Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung insbesondere im Zusammenhang mit gesellschaftsrechtlichen Regelungen angenommen sowie aus Vorschriften des Rechts der Ordnungswidrigkeiten. Der Koalitionsvertrag der Großen Koalition zur 19. Legislaturperiode sieht zudem vor, dass gesetzliche Anreize zur Aufklärungshilfe durch „lnternal lnvestigations“ und zur anschließenden Offenlegung der hieraus gewonnenen Erkenntnisse gesetzt werden sollen.23 Der hieran anknüpfende Gesetzesentwurf der Bundesregierung („Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“) vom 21. 10. 2020 nennt als ein Ziel, Compliance-Maßnahmen zu fördern und Anreize dafür zu bieten, dass Unternehmen mit internen Untersuchungen dazu beitragen, Straftaten

22

Opitz, in: Beck’scher Vergaberechtskommentar Bd. 1, GWB § 125 Rn. 21. Koalitionsvertrag „Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land – Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD“ vom 07. 02. 2018, Rn. 5916. 23

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1. Teil: Einführung in unternehmensinterne Untersuchungen

aufzuklären.24 Ob sich vor diesem Hintergrund neue Pflichten zur Sachverhaltsaufklärung abzeichnen, ist neben den gesellschaftsrechtlichen und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Regelungen gesondert zu betrachten. a) Gesellschaftsrecht Ob eine gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung besteht, ist für verschiedene Rechtsformen gesondert zu klären. Numerisch am relevantesten scheint hier die Frage einer Aufklärungspflicht für Aktiengesellschaften (AG) und Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH). Ob für eine AG oder eine GmbH bei Verdacht von Missständen im Unternehmen eine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung besteht, ist Gegenstand der nachfolgenden Betrachtung. Den Vorstand einer Aktiengesellschaft trifft nach überwiegender Ansicht eine Pflicht zur Aufklärung von Rechtsverstößen bzw. Fehlverhalten,25 allerdings wird diese Pflicht normativ unterschiedlich begründet. Lediglich vereinzelt wird hierfür isoliert auf die aus § 76 I AktG folgende Leitungsaufgabe des Vorstands zurückgegriffen: Nach § 76 I AktG hat der Vorstand unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten. Zu dieser Leitungsaufgabe zählt die Unternehmenskontrolle.26 Erkennt man diese an, liegt nahe, dass der Vorstand bei Verdacht eines Gesetzes- oder sonstigen Normenverstoßes durch Unternehmensangehörige nicht untätig bleiben darf, sondern dem Verdacht nachzugehen und den Sachverhalt umfassend zu ermitteln hat.27 Zudem wird angeführt, dass sich aus § 76 I AktG eine allgemeine Compliance-Pflicht ergibt und sich eine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung als Bestandteil von Compliance (s. o.) hierauf stützen lässt.28 Vereinzelt wird eine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung außerdem auf § 91 II AktG gestützt.29 Hiernach hat der Vorstand geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit Entwicklungen, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährden, früh erkannt werden. Dieser Anknüpfung einer grundsätzlichen Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung lässt sich entgegenhalten, 24 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, BT-Drs. 19/23568, S. 1, abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/235/1923568.pdf, zuletzt abgerufen am 12. 12. 2020. 25 Siehe hierzu die nachfolgenden Verweise. 26 Spindler, in: MüKo AktG, § 76 Rn. 15; Vedder, in: Grigoleit AktG, § 76 Rn. 4. 27 Wagner, CCZ 2009, 8, 12. Zumindest die Schaffung von Strukturen zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen soll zur Leitungsaufgabe gehören, Hugger, ZHR 179 (2015), S. 214, 217. 28 Bachmann, ZHR 180 (2016), 563, 564; Wagner, CCZ 2009, 8, 11; Wessing, in: Hauschka/ Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 2. Abschnitt 7, Kapitel § 46 Rn. 16. 29 Behrens, RIW 2009, 22, 29; Böhmer/Engelhardt, in: Bay, Handbuch Internal Investigations, Kap. 1 Rn. 9; Nestler, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Inverstigations, Kap. 1 Rn. 12.

B. Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung?

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dass § 91 II AktG lediglich bestandsgefährdende Entwicklungen verhindern will und damit der Anwendungsbereich der Pflicht eingeschränkt ist.30 Naheliegender erscheint folgende, überwiegend vertretene Sichtweise: Für die Annahme einer Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung wird auf die Kombination aus §§ 76 I, 93 I AktG verwiesen31 und eine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung auch in der Leitungssorgfaltspflicht verankert, § 93 I AktG32. Nach § 93 I 1 AktG haben die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Eine Pflichtverletzung liegt nach § 93 I 2 AktG nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. In dieser Regelung ist die Business Judgement Rule kodifiziert, der die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. 04. 1997 (ARAG/Garmenbeck)33 und der vorherigen weitgehenden Rezeption der amerikanischen Business Judgement Rule zugrunde liegt.34 Mit § 93 I 2 AktG wird dem Vorstand grundsätzlich ein Ermessen im Handlungsbereich (unternehmerische Entscheidung) eingeräumt; im Erkenntnisbereich hingegen nicht.35 Die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung lässt sich vor diesem Hintergrund an die Leitungssorgfaltspflicht anknüpfen, weil § 93 I 2 AktG eine unternehmerische Entscheidung auf Grundlage angemessener Information voraussetzt.36 Damit besteht 30

Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 2 Rn. 14; Verse, ZHR 2011, 401, 403; ohne Begründung gegen die Herleitung einer Pflicht zur Aufklärung aus § 91 II AktG Lohmeier/Schahhosseini, in: Umnuß, Coprorate Compliance, 7. Kap. Rn. 10. 31 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 107; ders., NZG 2014, 321; Fuhrmann, NZG 2016, 881, 884; Jenne/Martens, CCZ 2017, 285; Lüneborg/Resch, NZG 2018, 209, 210; Paefgen, WM 2016, 433, 440; Potinecke/Block, in: Knierim/Tsambikakis, Kap. 2 Rn. 9; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2174; Verse, ZHR 2011, 401, 403 mit einem alleinigen Rückgriff auf § 93 I AktG; Wagner, CCZ 2009, 8, 12; Wessing, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 46 Rn. 16. Offen gelassen, ob Anknüpfung an § 91 II AktG oder §§ 76, 93 AktG vorzugswürdig LG München, Urteil vom 10. 12. 2013 – 5 HK O 1387/10, NZG 2014, 345. Ohne Zuordnung auch Bottmann, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, Teil 2 Kap. 2 Rn. 19; Hartwig, in: Moosmeyer/Hartwig, Interne Untersuchungen, Kap. B Rn. 3; Schneider, NZG 2010, 1201, 1202. 32 Zur Doppelfunktion von § 93 I 1 AktG als Verschuldensmaßstab und Pflichtenquelle Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 93 AktG Rn. 10. 33 BGH, Urteil vom 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, NJW 1997, 1926. 34 Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, AktG, § 93 Rn. 17; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 8; Wagner, CCZ 2009, 8, 15; siehe insbesondere die Bezugnahme auf die Entscheidung des BGH vom 21. 04. 1997 – II ZR 175/95 in BR-Drs. 3/05, S. 19 ff. 35 BGH, Urteil vom 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, NJW 1926, 1928 differenziert zwischen Handlungs- und Erkenntnisbereich und sieht für letzteren die grundsätzlich volle gerichtliche Überprüfbarkeit vor. 36 Arnold, ZGR 2014, 76, 82, der zudem das Erfordernis einer ausreichenden Tatsachengrundlage auf gesetzliche Handlungspflichten erstreckt; Wagner, CCZ 2009, 8, 16 (Informationsgrundlage); so wohl auch Wessing, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 46 Rn. 16, wonach der Vorstand den Sachverhalt umfassend zu ermitteln hat. In

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1. Teil: Einführung in unternehmensinterne Untersuchungen

hinsichtlich des Ob der Aufklärung kein Ermessen des Vorstands; die Business Judgement Rule des § 93 I 2 Akt findet mangels unternehmerischer Entscheidung insoweit keine Anwendung.37 Ein gewisser Spielraum verbleibt dem Vorstand bei der Sachverhaltsermittlung allerdings dahingehend, dass § 93 I 2 AktG lediglich eine angemessene Informationsgrundlage vorschreibt; die Informationsgrundlage ist damit einzelfallabhängig und aus ex-ante-Perspektive zu beurteilen.38 Es ist notwendig, aber auch ausreichend, dass sich der Vorstand eine unter Berücksichtigung des Faktors Zeit und unter Abwägung der Kosten und Nutzen weiterer Informationsgewinnung angemessene Tatsachenbasis verschafft.39 Diese Notwendigkeit einer angemessenen Tatsachenbasis verdeutlicht, dass die Sachverhaltsaufklärung keinen Selbstzweck darstellt.40 Damit lässt sich die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung aber auch nicht nur als Pflicht zur bloßen Aufklärungsbemühung zu verstehen, sondern tatsächlich als ergebnisorientierte Pflicht: Primäres Ziel ist die Aufklärung des Sachverhalts.41 Diese Aufklärungspflicht des Vorstands ist eine nicht disponible Rechtspflicht.42 Der Vorstand kann die Pflicht zwar delegieren, nicht jedoch seine Verantwortung als solche.43 Staatliche Ermittlungen führen in der Regel nicht dazu, dass eigene Aufklärungsmaßnahmen des Vorstands entbehrlich werden, da die Legalitätspflicht des Vorstands eine umfassendere Aufklärung fordert als die strafrechtliche Ermittlung.44 Bei einer GmbH bzw. einer echten GmbH & Co. KG wird eine Pflicht des Geschäftsführers zur Sachverhaltsaufklärung gleichermaßen aus der Leitungsmacht in diesem Sinne auch die Rechtsprechung des BGH zum Haftungsprivileg eines GmbH-Geschäftsführers: Danach hat der Geschäftsführer in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art auszuschöpfen und auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen, BGH, Beschluss vom 14. 07. 2008 – II ZR 202/07, NJW 2008, 3361 Rn. 11. 37 Fleischer, CCZ 2008, 1, 2; Hauschka/Greeve, BB 2007, 165, 171; Hugger, ZHR 179 (2015), 214, 219; Lüneborg/Resch, NZG 2018, 209, 210; Reichert/Ott, NZG 2014, 241, 242 (Aufklärung ist Pflichtaufgabe des Vorstands im Sinne des § 93 I 1 AktG i. V. m. § 130 I OWiG); dies., ZIP 2009, 2173, 2176; Wagner, CCZ 2009, 8, 16. 38 Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn GesR, AktG, § 93 Rn. 17; Hüffer, in: Hüffer/Koch, AktG, § 93 Rn. 21 (Plausibilitätskontrolle); Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 57. 39 BGH, Urt. v. 12. 10. 2016 – 5 StR 134/15, NZG 2017, 116 Rn. 34. 40 Reichert/Ott, NZG 2014, 241, 244. 41 Fuhrmann, NZG 2016, 881, 885; mit einer lückenhaften Aufklärung dürfe sich der Vorstand nicht zufriedengeben, Hauschka/Greve, BB 2007, 165, 171. Kann der mit der Aufklärung verfolgte Zweck auch bereits durch eine nicht vollständige Aufklärung erreicht werden, mögen die bis dato getätigten Aufklärungsbemühungen ausreichen, so auch Reichert/Ott, NZG 2014, 241, 244. Da sich die Zweckerreichung bei unvollständiger Aufklärung aber nur schwer bemessen lassen dürfte, scheint ein derartiger Fall kaum vorstellbar. 42 Reichert/Ott, NZG 2014, 241, 242; Wagner, CCZ 2009, 8, 14. 43 Arnold, ZGR 2014, 80; Fleischer, NZG 2014, 321, 324; Potinecke/Block, in: Knierim/ Tsambikakis, Kap. 2 Rn. 10 44 Arnold, ZGR 2014, 76, 83.

B. Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung?

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Verbindung mit der Leitungssorgfaltspflicht angenommen; der Sorgfaltsmaßstab des § 43 I GmbHG entspricht dem des § 93 I AktG45. Der Geschäftsführer hat in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art auszuschöpfen und auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen.46 Damit ist der Geschäftsführer verpflichtet, einen Sachverhalt unverzüglich und vollständig aufzuklären, sofern ausreichende Verdachtsmomente für Gesetzes- oder Richtlinienverstöße vorliegen;47 der Geschäftsführung soll hierbei kein Ermessen zukommen48. Vereinzelt wird auch für eine analoge Anwendung von § 91 II AktG plädiert,49 die jedoch bereits bei der AG als Pflichtengrundlage in Frage gestellt werden kann. Innerhalb eines Konzerns stellt sich die besondere Frage, ob neben der Verpflichtung der einzelnen Unternehmen im Konzernverbund auch eine Verpflichtung der Konzernleitungsgesellschaft zur Sachverhaltsaufklärung gibt. Hierbei wird angenommen, dass den Vorstand der Konzernleitungsgesellschaft jedenfalls die Verpflichtung trifft, auf eine Aufklärung in den Tochtergesellschaften hinzuwirken.50 Ob die Muttergesellschaft zur Sachverhaltsaufklärung gar anweisen kann oder gar muss, hängt davon ab, ob es sich um einen Vertragskonzern oder faktischen Konzern handelt.51 Auf die hierbei bestehenden Besonderheiten soll jedoch nicht eingegangen werden. b) Recht der Ordnungswidrigkeiten Auch das geltende Ordnungswidrigkeitenrecht sieht mittelbar eine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung vor. Nach § 130 I 1 OWiG handelt ordnungswidrig, wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. § 130 I 1 OWiG ermöglicht damit, Fehlverhalten von Beschäftigten grundsätzlich dem Betriebsinhaber zuzurechnen; Fehlverhalten der Organ- oder Leitungsebene wird ohnehin bereits über § 9 OWiG erfasst.52 45

Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 71; Verse, ZHR 2011, 401, 403. BGH, Beschluss vom 14. 07.2008 – II ZR 202/07, NJW 2008, 3361 Rn. 11. 47 Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 137; Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/ Tsambikakis, Investigations, Kap. 2 Rn. 74. 48 Fuhrmann, NZG 2016, 881, 883. 49 Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 71. 50 Hartwig, in: Moosmeyer/Hartwig, Interne Untersuchungen, Kap. B Rn. 13; Potinecke/ Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 2 Rn. 136. 51 Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 2 Rn. 127. 52 Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 4; Rönnau, ZGR 2016, 277, 281. 46

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1. Teil: Einführung in unternehmensinterne Untersuchungen

Das von § 130 I 1 OWiG sanktionierte Unrecht liegt in dem dem eigentlichen Normenverstoß vorgelagerten Verstoß des Betriebsinhabers gegen seine Aufsichtspflicht.53 § 130 I 1 OWiG setzt die durch das Strafrecht sanktionierte oder durch Ordnungswidrigkeiten bedrohten Pflichtverletzungen voraus54 und ergänzt die Compliance-Ordnung durch die Pflicht zu Einrichtung von Aufsichtsstrukturen.55 Diese Pflicht gilt gilt rechtsformunabhängig;56 ihre Bedeutung zeigt sich etwa aktuell in der Verhängung einer Geldbuße in Höhe von einer Milliarde Euro gegen die Volkswagen AG durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig.57 Für die Verpflichtung von Unternehmung zur Sachverhaltsaufklärung ist § 130 OWiG in zweierlei Hinsicht relevant: Zum einen soll § 130 OWiG bereits auf Tatbestandsebene eine Sachverhaltsaufklärung erfordern.58 Dies wird damit begründet, dass nach der Systematisierung der Auskunftspflichten in fünf Stufen59 – mit der Sanktionierung von Fehlverhalten als fünfte Stufe – die Aufklärung die Vorstufe zum Einschreiten darstellt.60 Die Aufklärung vergangener Zuwiderhandlung dient ferner auch der Verhinderung künftiger Zuwiderhandlungen, wenn die Gefahr besteht, dass dieselben Unternehmensangehörigen die gleichen Zuwiderhandlungen zu einem späteren Zeitpunkt wiederholen oder andere Unternehmensangehörige zu Zuwiderhandlungen verleitet werden können.61 Zum anderen können Aufklärungsmaßnahmen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs62 Auswirkungen auf die Bußgeldbemessung haben: Für die Bemessung der Geldbuße sei von Bedeutung, inwieweit das Unternehmen seiner 53 Rönnau, ZGR 2016, 277, 281. Über § 30 OWiG kann eine Geldbuße dann die juristische Person selbst treffen. 54 Die sich auch aus Allgemeindelikten ergeben kann, wenn diese im Zusammenhang mit der Betriebsführung stehen; es muss kein Sonderdelikt verwirklicht werden, Beck, in: BeckOK OwiG, § 130 OWiG Rn. 85. 55 Kreßel, NZG 2018, 841, 842. 56 Hartwig, in: Moosmeyer/Hartwig, Interne Untersuchungen, Kap. B Rn. 5; Potinecke/ Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Internal Investigations, Kap. 2 Rn. 108, 132. 57 Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 13. 06. 2018, als Pressemitteilung nicht mehr abrufbar, siehe aber: https://www.dgap.de/dgap/News/adhoc/volkswagenbussgeldbescheid-durch-die-staatsanwaltschaft-braunschweig-gegen-volkswagen-zusammen hang-mit-der-dieselkrise-erlassen/?newsID=1078853, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020. 58 Hartwig, in: Moosmeyer/Hartwig, Interne Untersuchungen, S. 9; Jenne/Martens, CCZ 2017, 285; Kocak, Selbstbelastungspflichten, S. 42; Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/ Tsambikakis, Investigations, Kap. 2 Rn. 13. Im Ergebnis auch Rudkowski, in: Rudkowski/ Schreiber, Aufklärung, S. 80. Kritisch Bachmann, ZHR 180 (2016), 563, 565. 59 Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 42; Rönnau, ZGR 2016, 277, 285. 60 Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 2 Rn. 13; Wagner, CCZ 2009, 8, 13. 61 Wagner, CCZ 2009, 8, 13. 62 Zum Ganzen BGH, Urteil vom 09. 05. 2017 – 1 StR 265/16, NZWiSt 2018, 379, 388 Rn. 118.

B. Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung?

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Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein effizientes Compliance-Managementsystem installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss. Hierbei könne auch eine Rolle spielen, ob das Unternehmen in Folge des Ordnungswidrigkeitenverfahrens entsprechende Regelungen optimiert oder betriebliche Abläufe so ausgestaltet hat, das vergleichbare Normverletzungen zukünftig deutlich erschwert werden. Schwerpunkt dieser Ausgestaltung dürften nach Ausdrucksweise des Bundesgerichtshofs präventive Maßnahmen sein,63 die gerade nicht die Aufklärung vergangener Missstände erfassen, also nicht repressiv wirken. Allerdings kann der Aspekt, inwieweit das Unternehmen seiner Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt, auch repressiv verstanden werden und damit Unternehmen zusätzlich motiviert werden, Sachverhalte konsequent aufzuklären.64 Ein derartiger Anreiz zur Sachverhaltsaufklärung wird etwa in den WphG-Bußgeldleitlinien der BaFin bereits ausdrücklich gesetzt.65 c) Gesetzesentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“66 Es ist zu erwarten, dass zukünftig Anreize für eine Sachverhaltsaufklärung auch im Bereich des Unternehmensstrafrechts gesetzt werden, sollte Art. 1 des Gesetzesentwurfs des Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft (VerSanG-E) umgesetzt werden (siehe hierzu bereits oben S. 31)67. Laut § 15 Abs. 3 Ziff. 7 des VerSanG-E ist Grundlage für die Bemessung der Verbandsgeldsanktion u. a. das Bemühen des Verbandes, die Verbandstat aufzudecken. Nach § 17 Abs. 1 des VerSanG-E soll das Gericht die Verbandssanktion mildern, wenn der Verband oder der von ihm beauftragte Dritte wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Verbandstat aufgeklärt werden konnte (Ziff. 1) oder der Verband oder der von ihm beauftragte Dritte den Verfolgungsbehörden nach Abschluss der verbandsinternen Untersuchung das Ergebnis der verbandsinternen Untersuchung einschließlich aller für die ver63

Ausdrücklich auf präventive Maßnahmen hinweisend etwa Süße, Newsdienst Compliance 2017, 21012. 64 Jenne/Martens, CCZ 2017, 285, 288. 65 So gilt etwa das Mitwirken an der Sachverhaltsaufklärung als milderndes Anpassungskriterium, WpHG-Bußgeldleitlinien der BaFin S. 5, Stand: November 2013. 66 Zu den bisherigen Überlegungen aus Wissenschaft und Praxis Henssler/Hoven/Kubiciel/ Weigend, NZWiSt 2018, 1; der „Kölner Entwurf“ ist abrufbar unter: http://www.jpstrafrecht.ju ra.uni-koeln.de/sites/iss_juniorprof/Projekte/Koelner_Entwurf_eines_Verbandssanktionengeset zes__2017.pdf, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020; VCI/BCM-Position zum Unternehmenssanktionsrecht, abrufbar unter: https://www.vci.de/langfassungen/langfassungen-pdf/2018-09-1 8-vci-bcm-position-moderneres-unternehmenssanktionsrecht.pdf, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020, hierzu auch Haase/Brouwer, CCZ 2018, 276. 67 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, BT-Drs. 19/23568, abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/235/1923568.pdf, zuletzt abgerufen am 12. 12. 2020.

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1. Teil: Einführung in unternehmensinterne Untersuchungen

bandsinternen Untersuchung wesentlichen Dokumente, auf denen dieses Ergebnis beruht, sowie des Abschlussberichts zur Verfügung stellen (Ziff. 4). Indem der Entwurf im Rahmen der Strafzumessung auch die repressiven Compliance-Maßnahmen nach der Verbandstat berücksichtigt, liegt er auf einer Linie mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Bußgeldbemessung im Rahmen der Ordnungswidrigkeiten68. Allerdings wird dem Gesetz – sofern Art. 1 des Gesetzesentwurfs in der Form umgesetzt wird – ein lediglich begrenzter Anwendungsbereich zukommen: Das Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten soll laut Entwurf ausschließlich Anwendung finden auf Straftaten, durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind, oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte (Verbandstat, § 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E). Insofern ist zu erwarten, dass die Anreizfunktion zur Sachverhaltsaufklärung nur in diesem beschränkten Bereich Wirkung entfaltet. 3. Zwischenfazit Im deutschen Recht ist eine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nur selten ausdrücklich im Gesetz vorgesehen. Für Unternehmen in Form einer AG oder GmbH ergibt sich eine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung mittelbar aus gesellschaftsrechtlichen Normen; für andere Gesellschaftsformen folgt eine entsprechende Wirkung aus § 130 OWiG. Hier kann sich die Sachverhaltsermittlung zudem positiv für das Unternehmen im Rahmen der Sanktionshöhe auswirken. Eine entsprechende Anreizfunktion zeichnet sich auch nach dem derzeitigen Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft ab.

II. Rechtslage in ausgewählten anderen Rechtssystemen Nicht nur aus dem deutschen Recht kann sich für Unternehmen eine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung ergeben; auch internationale Einflüsse lassen sich bei der Frage nach einer Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht ausblenden. Nachfolgend sind diese Einflüsse mit einem kurzen Blick auf die Sachlage in den Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien zu illustrieren. Die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung auf der Grundlage anderer Rechtssysteme kann sich für ein deutsches Unternehmen ergeben, wenn es aufgrund seiner Ge-

68

Kainer/Feinauer, NZA 2020, 363, 365; Ott/Lüneborg, NZG 2019, 1361, 1364 noch zum Referentenentwurf mit Bearbeitungsstand 15. 08. 2019; der Gesetzesentwurf berücksichtigt die repressive Compliance-Maßnahme sogar noch stärker, da das Gericht nach § 17 I VerSanG-E nunmehr bei einem wesentlichen Beitrag des Unternehmens zur Aufklärung die Verbandssanktion mildern „soll“ (zuvor: „kann“).

B. Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung?

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schäftstätigkeit im Ausland einer ausländischen Rechtsordnung unterworfen ist.69 Deutsche Unternehmen können etwa bereits US-Recht unterfallen, wenn eine USMutter existiert, Niederlassungen in den USA bestehen oder auch nur das amerikanische Bank- oder Postwesen betroffen ist;70 den üblichsten Fall dürfte allerdings die Listung an der US-Börse darstellen.71 Die Frage nach einer Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung kann sich auch bei Verdacht eines Rechtsverstoßes gegen spezielle Gesetze etwa zum Schutz vor Korruption stellen; so etwa, wenn deutsche Unternehmen Section 7 des UK Bribery Act unterfallen. Das ist bereits der Fall, wenn sie Geschäfte in Großbritannien betreiben,72 hierfür sind Niederlassungen in oder unter Umständen auch schon eine intensive Handelstätigkeit mit Großbritannien ausreichend.73 Im US-amerikanischen Recht scheint weniger die Frage einer Sachverhaltsaufklärungspflicht im Fokus zu stehen; hier wird ähnlich wie im deutschen Gesellschaftsrecht aus dem allgemeinen Sorgfaltsmaßstab der Business Judgement Rule eine Pflicht zur Aufklärung von Verdachtsmomenten angenommen.74 Problematisiert wird hingegen die Frage nach einer Pflicht speziell zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen. Eine diesbezügliche spezifische gesetzliche Pflicht gibt es im US-amerikanischen Recht nicht.75 Unterfallen allerdings Unternehmen dem Geltungsbereich von US-amerikanischen Kapitalmarktgesetzen oder dem Foreign Corrupt Practices Act (FCPA), drohen bei Gesetzesverstößen verwaltungs- und zivilrechtliche Sanktionen durch die Börsenaufsichtsbehörde (Security and Exchange Comission, SEC).76 Die Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen kann mildere Strafen oder sogar einen Verzicht auf eigene Untersuchungen der SEC zur Folge haben.77 Zudem hängt es regelmäßig von 69

Hartwig, in: Moosmeyer/Hartwig, Kap. B Rn. 18. Wessing, in: Hauschka/Moosmeyer/Lösler, § 46 dort unter Fußnote 17. 71 Behrens, RIW 2009, 22, 27; Senderowitz/Ugarte/Cortez, wistra 2008, 281. 72 Bribery Act 2010, Section 7, par. 5 (b); abrufbar unter: https://www.legislation.gov.uk/ ukpga/2010/23/section/7, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020. 73 Wessing, in: Hauschka/Moosmeyer/Lösler, § 46 Rn. 10. 74 Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43, 50; Webb/Tarun/Molo, Corporate Internal Investigations, § 3.02, 3 – 5, 3 – 8. 75 Behrens, RIW 2009, 22, 23; Doege, S. 393; Hartwig, in: Moosmeyer/Hartwig, Interne Untersuchungen, Kap. B Rn. 21; Reeb, Investigations, S. 21; Wessing, in: Hauschka/Moosmeyer/Lösler, § 46 Rn. 6. 76 Di Bianco, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 5 Rn. 2, 10; Senderowitz/Ugarte/ Cortez, wistra 2008, 281, 282. 77 Diese Konsequenz ergibt sich aus dem sog. Seabord Report der SEC: Criteria we will consider in determining whether, and how much, to credit self-policing, self-reporting, remediation and cooperation – from the extraordinary step of taking no enforcement action to bringing reduced charges, seeking lighter sanctions, or including mitigating language in documents we use to announce and resolve enforcement actions: […] No. 10: Did the company commit to learn the truth, fully and expeditiously? Did it do a thorough review of the nature, extent, origins and consequences of the conduct and related behavior? Report of Investigation 70

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1. Teil: Einführung in unternehmensinterne Untersuchungen

Empfehlungen der SEC ab, ob das Department of Justice (DOJ) ein Strafverfahren betreibt78. Auch bei Einschaltung des DOJ kann eine Kooperation und damit auch eine Sachverhaltsaufklärung sich derart positiv auswirken, dass von einer Anklage abgesehen wird79 bzw. Sanktionen milder ausfallen80. Die in jüngerer Vergangenheit veröffentlichen Leitlinien des DOJ zur Bewertung von Compliance-Programmen (Evaluation of Corporate Compliance Programs), die Grundsätze für den Umgang mit dem jeweiligen Einzelfall darstellen,81 legen ebenfalls nahe, dass die Durchführung von Investigations für das DOJ eine große Rolle spielt82. Insgesamt wird vor diesem Hintergrund deutlich, dass eine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung auch bei Sachverhalten mit Bezug zum US-amerikanischem Recht besteht, die unter Umständen sogar das „Wie“ der Sachverhaltsaufklärung auf die Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen beschränkt. Auch in Großbritannien besteht keine Rechtspflicht zur Sachverhaltsaufklärung etwa im Rahmen von Bestechungssachverhalten.83 Eine Strafbarkeit wegen Bestechung kann aber abgewendet werden, wenn das Unternehmen darlegt, adäquate Maßnahmen zur Vermeidung von Korruption ergriffen zu haben.84 Hier hat das Pursuant to Section 21(a) of the Securities Exchange Act of 1934 and Commission Statement on the Relationship of Cooperation to Agency Enforcement Decisions, ACCOUNTING AND AUDITING ENFORCEMENT, Release No. 1470/October 23, 2001, SECURITIES EXCHANGE ACT OF 1934, Release No. 44969/October 23, 2001, abrufbar unter: https://www. sec.gov/litigation/investreport/34-44969.htm, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020. 78 Behrens, RIW 2009, 22, 25; Doege, S. 392; Di Bianco, in: Wessing/Dann, § 5 Rn. 3; Reeb, Investigations, S. 22; Senderowitz/Ugarte/Cortez, wistra 2008, 281, 282. 79 Di Bianco, in: Wessing/Dann, § 5 Rn. 21 – the corporations willingness to cooperate as a criteria to bring formal charges, Principles of Federal Prosecution of Business Organizations, 9 – 28.300 Nr. 4, abrufbar unter: https://www.justice.gov/jm/jm-9 - 28000-principles-federal-pro secution-business-organizations#9-28.300, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020; Behrens, RIW 2009, 22, 25; Reeb, Investigations, S. 22. 80 Behrens, RIW 2009, 22, 25; Doege, S. 393; Reeb, Investigations, S. 22. 81 Evaluation of Corporate Compliance Programs des U.S. Department of Justice, Criminal Division, Fraud Section vom 08. 02. 2017, updated April 2019: There are common questions that we may ask in making an individualized determination. Abrufbar unter: https://www.justi ce.gov/criminal-fraud/page/file/937501/download, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020. 82 S. 6 der Sample Topics and Questions, Evaluation of Corporate Compliance Programs des U.S. Department of Justice, Criminal Division, Fraud Section vom 08. 02. 2017, updated April 2019: How has the company ensured that the investigations have been properly scoped, and were independent, objective, appropriately conducted, and properly documented? What steps does the company take to ensure investigations are independent, objective, appropriately conducted, and properly documented? Abrufbar unter: https://www.justice.gov/criminal-fraud/ page/file/937501/download, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020. 83 Hartwig, in: Moosmeyer/Hartwig, Interne Untersuchungen, Kap. B Rn. 25; Wessing, in: Hauschka/Moosmeyer/Lösler, Corporate Compliance, § 46 Rn. 11. 84 UK Bribery Act 2010 Section 7 Subsection 2: But it is a defence […] to prove that C had in place adequate procedures designed to prevent persons associated with C from undertaking such conduct. Abrufbar unter: https://www.legislation.gov.uk/ukpga/2010/23/section/7, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020.

C. Aufklärungsmethoden

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Ministery of Justice (MoJ) auf Basis des UK Bribery Act85 Leitlinien über Strategien erlassen, die Unternehmen umsetzen können, um Bestechung zu vermeiden; hierin sind u. a. Überwachungs- und Überprüfungsmaßnahmen vorgesehen.86 Sachverhaltsermittlungen im Unternehmen nach entsprechenden Verdachtsfällen werden im Sinne dieser Maßnahmen als ausreichend angesehen, um Strafbarkeitsrisiken zu beseitigen oder zumindest zu reduzieren.87

III. Zwischenergebnis Sowohl im deutschen Recht als auch in den beispielhaft angesprochenen Rechtssystemen der Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien ergibt sich für Unternehmen eine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung selten ausdrücklich aus gesetzlichen Regelungen. Allerdings ist eine mittelbare Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung unter Verweis auf allgemeiner gefasste Vorschriften oder behördliche Leitlinien anerkannt. Außerdem kann sich die Sachverhaltsermittlung positiv für das Unternehmen im Rahmen der Sanktionshöhe auswirken.

C. Aufklärungsmethoden Von der grundsätzlichen Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung („Ob“) ist zu unterscheiden, wie ein Unternehmen dieser Sachverhaltsaufklärungspflicht nachkommt. Im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Verortung der Sachverhaltsaufklärungspflicht wurde bereits angesprochen, dass dem Vorstand bei der Sachverhaltsermittlung ein gewisser Spielraum dahingehend verbleibt, dass § 93 I 2 AktG lediglich eine angemessene Informationsgrundlage vorschreibt; die Informationsgrundlage ist damit einzelfallabhängig und aus ex-ante-Perspektive zu beurteilen.88 Es ist notwendig, aber auch ausreichend, dass sich der Vorstand eine unter Berücksichtigung des Faktors Zeit und unter Abwägung der Kosten und Nutzen weiterer Informationsgewinnung „angemessene“ Tatsachenbasis verschafft.89 Damit 85 UK Bribery Act 2010 Section 9: The Secretary of State must publish guidance about procedures that relevant commercial organisations can put in place to prevent persons associated with them from bribing as mentioned in section 7(1). Abrufbar unter: https://www.legisla tion.gov.uk/ukpga/2010/23, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020. 86 Guidance to help commercial organisations prevent bribery, Ministry of Justice vom 11. 02. 2011, Principle 6 S. 31, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/publications/ bribery-act-2010-guidance, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020. 87 So zur Sachverhaltsermittlung im Wege interner Untersuchungen Wessing, in: Hauschka/ Moosmeyer/Lösler, Corporate Compliance, § 46 Rn. 11; in diesem Sinne auch Dzida, NZA 2012, 881, 884. 88 Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn GesR, AktG, § 93 Rn. 17; Hüffer, in: Hüffer/Koch, AktG, § 93 Rn. 21; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 57. 89 BGH, Urteil vom 12. 10. 2016 – 5 StR 134/15, NZG 2017, 116 Rn. 34.

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1. Teil: Einführung in unternehmensinterne Untersuchungen

kommt dem Unternehmen bei der Frage, wie es einen Sachverhalt aufklärt, aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive Ermessen zu (Auswahlermessen);90 für die anderen gesetzlichen Anknüpfungspunkte zeichnet sich nichts anderes ab.91 Eine unternehmensinterne Untersuchung kann allerdings angezeigt sein, wenn andere Formen der Sachverhaltsaufklärung keinen vergleichbaren Aufklärungserfolg versprechen; scheinen hingegen andere Aufklärungsmethoden gleichermaßen erfolgreich, besteht eine Wahlmöglichkeit.92 Auch der bereits angesprochene internationale Hintergrund kann u. U. für die Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung sprechen.93 Im Rahmen einer unternehmensinternen Untersuchung kann die Sachverhaltsaufklärung unter Anwendung kombinierter Aufklärungsmethoden erfolgen. Mögliche Prüfungsinhalte sind regelmäßig, Dokumente zu sichern, E-Mails und Festplatten zu überprüfen sowie Befragungen von Mitarbeitern durchzuführen.94 Bei der Untersuchung von Korruptions- oder Betrugsvorwürfen kann in der Regel erwartet werden, dass sich der Vorwurf bereits anhand der Überprüfung von Unterlagen, Rechnungen oder elektronischen Daten substantiieren lässt; bei Kartellabsprachen hingegen liegt der Schlüssel zur Aufklärung in der Kooperation der eingeweihten Mitarbeiter.95 Auch bei der Aufklärung im Rahmen des Selbstreinigungsprozesses im Sinne von § 125 GWB erfolgt die Untersuchung etwa durch Interviews von Mitarbeitern oder Geschäftspartnern, die Einsichtnahme in Akten und elektronische Dokumente, die Prüfung von Kalkulationen oder die Durchsicht von E-Mail-Ac90 Arnold, ZGR 2014, 76, 83; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 149b zum Auswahlermessen des GmbH-Geschäftsführers; Ott/Lüneborg, CCZ 2019, 71, 72; Reichert/Ott, NZG 2014, 241, 243; Wagner, CCZ 2009, 8, 16. 91 Soweit ersichtlich wird bei § 125 GWB und § 130 OWiG eine Pflicht zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen nicht einmal diskutiert – anders als im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Regelungen, Ott/Lüneborg, CCZ 2019, 71, 76 f. 92 Behrens, RIW 2009, 22, 29; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 149b spricht von einer „Verdichtung“ des Auswahlermessens zur Wahl einer bestimmten Aufklärungsmethode, Hugger, ZHR 179 (2015), 214, 219, 220; Wagner, CCZ 2009, 8, 16. Vereinzelt wird u. U. sogar eine Pflicht zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen angenommen, etwa, wenn Plausibilisierung des Verdachts ergibt, dass hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte i. S. v. § 152 Abs. 2 StPO für Non-Compliance bestehen (Ott/Lüneborg, CCZ 2019, 71, 76 f.). 93 Wagner, CCZ 2009, 8, 17. 94 Arnold, ZGR 2014, 76, 82; Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721; Doege, S. 411; Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 97; Hermann/Zeidler, NZA 2017, 1499, 1500; Heinemeyer/Thomas, BB 2012, 1218; Hitzelberger-Kijima, öAT 2015, 45, 47; Kempter/Steinat, NZA 2017, 1505, 1511; Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8 Rn. 1; Klengel/ Mückenberger, CCZ 2009, 81, 83; Krull, in: Bay, Handbuch Internal Investigations, Kap. 3 Rn. 10; Imping, in: Kilian/Heussen ComputerR-HdB, 70.12 Rn. 28; Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 241; dies., in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 5 f.; Nestler, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 1 Rn. 54; Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43, 50; Vogt, NJOZ 2009, 4206, 4211; Wybitul/Böhm, RdA 2011, 362. 95 Moosmeyer, in: Moosmeyer/Hartwig, Kap. A Rn. 8; Majer, in: Moosmeyer/Hartwig, Kap. D Rn. 18.

D. Zwischenfazit

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counts.96 Als Ermittlungsmethoden kommen auch der Einsatz von Videoüberwachung sowie Kontrolle von Gesprächen von Diensttelefonen in Betracht.97 Chronologisch wird in der Regel die Überprüfung von E-Mails bzw. allgemein die Sichtung von Daten der Befragung von Mitarbeitern vorangehen.98 Hintergrund hierfür ist, dass die Gespräche mit Mitarbeitern in direkter Interaktion eine genaue Vorbereitung voraussetzen, um den nötigen Erfolg zu erzielen.99 Erste Befragungen können aber auch bereits parallel zur Dokumentenauswertung erfolgen, um den Sachverhalt zu konturieren und grundlegende Informationen möglichst schnell zu erfassen.100

D. Zwischenfazit Unternehmensinterne Untersuchungen sind ein wichtiger Bestandteil unternehmerischer Compliance. Mit den genannten Aufklärungsmethoden können Unternehmen unternehmensinterne Untersuchungen dazu einsetzen, ihrer mittelbaren Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nachzukommen. Die Sachverhaltsaufklärung betrifft den repressiven Aspekt der Compliance, auf den sich diese Arbeit konzentrieren wird. Dass einer umfassenden Aufklärung zugleich präventive Wirkung zukommen kann, wird hier nicht in Frage gestellt; Beobachtungsgegenstand und Anknüpfungspunkt für besondere arbeitsrechtliche Problematiken ist jedoch die repressive, aufgrund eines Verdachts unternehmensinterner Missstände eingeleitete unternehmensinterne Untersuchung. Die Auseinandersetzung mit ausgewählten Aufklärungsmethoden unter besonderer Berücksichtigung ihrer arbeitsrechtlichen Bezüge ist Gegenstand des nachfolgenden Teils.

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Opitz, in: Beck’scher Vergaberechtskommentar GWB, § 125 Rn. 22. Bittmann/Brockhaus/von Coelln/Heuking, NZWiSt 2019, 1, 6; Doege, S. 411; Fleischer/ Krüger, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 8 Rn. 1; Imping, in: Kilian/ Heussen ComputerR-HdB, 70.12 Rn. 28; Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81, 83 f.; Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 30, 51; Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, S. 85, 88; Vogt, in: Compliance kompakt, S. 60 ff. 98 Bittmann/Brockhaus/von Coelln/Heuking, NZWiSt 2019, 1, 3; Hermann/Zeidler, NZA 2017, 1499, 1500; Knierim/Tsambikakis/Klug, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 7 Rn. 2: Die Befragung stellt den dritten Schritt eines viergliedrigen Auditierungsschemas nach self-assessment und document review dar. 99 Knierim/Tsambikakis/Klug, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 7 Rn. 29. 100 Heinemeyer/Thomas, BB 2012, 1218; Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2375. 97

2. Teil

Sachverhaltsaufklärung Es wurde bereits herausgearbeitet, dass die Sachverhaltsaufklärung unter Anwendung kombinierter Aufklärungsmethoden in Form Dokumentensichtung, EMail-Überprüfung, Video- und Telefonüberwachung sowie durch Arbeitnehmerbefragung erfolgen kann (siehe 1. Teil, Abschnitt C.). Weitgehend unproblematisch gestaltet sich die Methode der Dokumentensichtung, sodass diese nicht weiter vertieft werden soll: Der Arbeitgeber hat grundsätzlich das Recht, Arbeitspapiere, Schriftstücke und Geschäftsunterlagen einzusehen und herauszuverlangen, auch wenn der Arbeitnehmer die dienstlichen Unterlagen selbst erstellt hat: Der Arbeitnehmer ist nämlich lediglich Besitzdiener sämtlicher Arbeitsmittel, der Arbeitgeber Eigentümer.1 Zweifelhaft ist allerdings, ob die Dokumentensichtung auch in datenschutzrechtlicher Hinsicht unproblematisch ist: Auch die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten in einem Dateisystem im Sinne von Art. 4 Nr. 6 DSGVO unterfällt dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung – und damit auch alle geordneten manuellen Datensammlungen.2 Da sich die Sichtung von Papierdokumenten jenseits dieses speziellen datenschutzrechtlichen Aspekts jedoch als wenig konfliktgeladen darstellt, wird auf diese Form der Sachverhaltsermittlung nicht weiter eingegangen. Für das Arbeitsverhältnis weitaus problematischer stellt sich zum einen die Beobachtung von Arbeitnehmern durch den Einsatz technischer Einrichtungen (EMail-Kontrolle, Telefon- und Videoüberwachung sowie die Anwendung neuartigerer Überwachungseinrichtungen) und die Arbeitnehmerbefragung dar. Sowohl der Einsatz von Beobachtungseinrichtungen als auch die Arbeitnehmerüberwachung sind im Rahmen unternehmensinterner Untersuchungen geeignet, vergangenes Fehlverhalten aufzudecken; sie sind damit repressiver Natur oder auch anlass- und verdachtsbezogen3. Welche Zulässigkeitsanforderungen für derartige Formen der Sachverhaltsaufklärung bestehen und ob diese eingehalten werden, ist von hoher 1 Bayreuther, in: MHdB ArbR, § 97 Rn. 4; Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 99; Glaser/Wisskirchen, DB 2011, 1447, 1450; Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1705; Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 241; Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43; Wessing, in: Hauschka/ Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 2. Abschnitt, 7. Kap. § 46 Rn. 30. 2 Bäcker, in: BeckOK DatenschutzR, DSGVO Art. 2 Rn. 4; Ernst, in: Paal/Pauly, DSGVO, Art. 2 Rn. 8, jedenfalls, sofern diese nach bestimmten Kriterien geordnet sind, vgl. Erwägungsgrund 15 der DSGVO. 3 Diese Begriffe verwendend BAG, Urteil vom 28. 06. 2017 – 2 AZR 597/16, NJW 2017, 2853, 2856 Rn. 33.

2. Teil: Sachverhaltsaufklärung

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Relevanz für die Frage, ob eine auf die Ermittlungsergebnisse erfolgte Arbeitgeberreaktion einer gerichtlichen Überprüfung standhält (siehe hierzu 4. Teil). Vor diesem Hintergrund ist es unausweichlich, die Zulässigkeitsanforderungen an die Sachverhaltsaufklärung herauszuarbeiten. Während die Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten vor allem in Detailfragen Konfliktpotential enthält (1. Kapitel dieses Teils), sieht sich die Sachverhaltsermittlung durch Arbeitnehmerbefragungen mit dem nach wie vor ungeklärten Grundsatzproblem der Selbstbelastungsfreiheit des Arbeitnehmers konfrontiert (siehe 2. Kapitel dieses Teils). In beiden Konstellationen stellt sich jedoch gleichermaßen die Frage, welche Maßgaben für die Sachverhaltsermittlung einzuhalten sind, damit die Reaktion des Arbeitgebers im Falle einer gerichtlichen Überprüfung Bestand haben kann.

1. Kapitel

Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten Zunächst wird die Sachverhaltsaufklärung durch die Sichtung Beobachtungsdaten beleuchtet. Beobachtungsdaten können sich sowohl durch den Zugriff auf Kommunikationsdaten (E-Mail, Browserverläufe, Telefonate) als auch als tatsächliche Beobachtungsergebnisse aus der Observation von Personen ergeben. Informationen aus der geschäftlichen Kommunikation spielen eine besondere Rolle, wenn es darum geht, Straftaten, Ordnungswidrigkeiten oder andere Gesetzesverstöße im oder gegen das Unternehmen gerichtsfest nachzuweisen.4 In der unternehmensinternen Korrespondenz finden sich in der Regel Spuren von Korruption, Geheimnisverrat oder Kartellverstößen.5 Bei unternehmensinternen Untersuchungen können sogenannte schlecht strukturierte Informationsquellen wie etwa persönliche Aufzeichnungen, E-Mails, Kundenverträge, Korrespondenz und private Datenverzeichnisse6 daher einen wesentlichen Beitrag zum Ermittlungserfolg leisten. Als besonders effektive Ermittlungsmaßnahme zu Aufklärungszwecken gilt die Sichtung der Kommunikation von Mitarbeitern, insbesondere in Form von EMails.7 Sachverhaltsermittlungen ohne Einsichtnahme in elektronische Daten und EMails sind nicht vorstellbar.8 Vereinzelt finden sich auch das „Abhören“ oder „Mithören“ von Telefongesprächen als Ermittlungsmaßnahmen; erfolgreich kann auch der Einsatz von versteckten elektronische Spuren wie lokale log-files, Netzwerkprotokolle, IP-Aufzeichnungen und Kameraaufzeichnungen sein.9 Die Videoüberwachung mag von der Vielzahl der Beobachtungsmöglichkeiten nicht das typischste Mittel unternehmensinterner Untersuchungen sein; eine vertiefte Ausein4

Wybitul/Böhm, CCZ 2015, 133. Thüsing/Traut, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, § 9 Rn. 4. 6 Strecker/Reuter, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 6 Rn. 45. 7 Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81, 83; Potinecke/Block, in: Kniemrim/Rübenstahl/ Tsambikakis, Investigations, Kap. 2 Rn. 163; Schmidl, in: Hauschka/Moosmeyer/Lösler, Corporate Compliance, § 28 Rn. 349; Wybitul, NJW 2014, 3605. 8 Wessing, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 2. Abschnitt, 7. Kap. § 46 Rn. 25. 9 Doege, S. 411; Fleischer/Krüger, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 8 Rn. 1; Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81, 83 f.; Krull, in: Bay, Handbuch Internal Investigations, Kap. 3 Rn. 14 f.; Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 30, 51; Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, S. 85, 88; Vogt, in: Compliance kompakt, S. 60 ff. 5

A. Grundrechtsrelevanz der Sachverhaltsaufklärung

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andersetzung hiermit scheint aber sinnvoll, da sich datenschutzrechtliche Probleme hier exemplarisch stellen und sich – vermutlich aufgrund längerer Präsenz in der juristischen Auseinandersetzung – hierzu eine größere Diskussionsplattform findet. In der ersten Auseinandersetzung mit den Zulässigkeitsanforderungen an die Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten scheinen diese sich unproblematisch aus dem Inhalt einschlägiger Regelungsnorm zu ergeben. Allerdings bereitet bereits das Auffinden der einschlägigen Regelungsnormen für den Rückgriff auf Kommunikationsinhalte insbesondere bei der Überwachung von EMails Schwierigkeiten,10 wobei sich die Auseinandersetzung um die Frage der Anwendbarkeit des Telekommunikationsgesetzes vor dem Hintergrund der Datenschutz-Grundverordnung in neuem Licht darstellt. Insgesamt ergeben sich sowohl angesichts der Datenschutz-Grundverordnung als auch vor dem Hintergrund jüngster Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts besondere Konfliktfelder, sodass eine eingehende Betrachtung der Zulässigkeitsanforderungen lohnt und berechtigt erscheint. Da die Rechtsprechung wiederholt auf den grundrechtlichen Konflikt bei der Sachverhaltsermittlung durch Beobachtung von Datenfluss oder Personen verweist, ist es außerdem angezeigt, diesen eingangs kurz darzustellen. Abschnitt A. befasst sich daher mit den Anforderungen, die an die Regelungsnormen selbst gestellt werden, Abschnitt B. mit den Anforderungen, die die Regelungsnormen an die Sachverhaltsermittlung stellen.

A. Grundrechtsrelevanz der Sachverhaltsaufklärung Bei Betrachtung der Grundrechtsrelevanz der Sachverhaltsaufklärung durch Einsatz arbeitgeberseitiger Ermittlungsmaßnahmen stellt sich zum einen die Frage, welche Grundrechtspositionen in Konflikt miteinander geraten, zum anderen, wie dieser Konflikt aufzulösen ist.

I. Konfliktsituation: Grundrechtliche Gemengelage Auf Seite des Arbeitgebers sind bei von ihm zur Sachverhaltsaufklärung veranlassten Ermittlungsmaßnahmen Art. 12, 14 GG (ggf. i. V. m. Art. 19 III GG11) zu berücksichtigen.12 Dies gilt insbesondere, wenn der Arbeitgeber mit den Ermitt10 Zu Unsicherheiten bei der Anwendung von Bundesdatenschutzgesetz und Telekommunikationsgesetz siehe den Abschnitt zur erlaubten Privatnutzung von E-Mails, S. 75. 11 Zur Anwendbarkeit von Art. 12, 14 GG auf juristische Personen Enders, in: BeckOK GG, Art. 19 Rn. 42. 12 Kreitner, in: Küttner Personalbuch, Internet-/Telefonnutzung, Nr. 229 Rn. 9 zu Art. 14 GG; Panzer-Heemeier, in: Grobys/Panzer-Heemeier ArbR, Nr. 78 Rn. 10; Thüsing, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 3 Rn. 91.

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

lungsmaßnahmen den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bezweckt, die dem Schutz von Art. 12 I GG unterfallen.13 Auf Seiten des Arbeitnehmers kann je nach Art der Ermittlungsmaßnahme das Fernmeldegeheimnis oder Telekommunikationsgeheimnis, Art. 10 GG sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I, 1 I GG betroffen sein.14 Das Telekommunikationsgeheimnis, wie das Fernmeldegeheimnis in neueren Rechtsvorschriften und jüngerer Rechtsprechung bezeichnet wird, schützt die Vertraulichkeit der Kommunikation.15 Das verfassungsrechtliche Verständnis des Begriffs „Telekommunikation“ ist weit: Art. 10 I GG erfasst nicht nur die klassische Schrift- und Telekommunikation, sondern auch die E-Mail-Kommunikation und Datenübertragung über das Internet, sofern letztere nicht an einen unbestimmten Personenkreis gerichtet ist.16 Dies wird auch daran deutlich, dass Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG den gesamten Bereich des Internets erfasst.17 Damit sind im Hinblick auf Art. 10 I GG nicht nur Kontrollmaßnahmen problematisch, die Telefonate betreffen, sondern auch Maßnahmen, die die Kontrolle von E-Mails oder Internetnutzung beinhalten. Im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist gerade bei Kontrollmaßnahmen hinsichtlich elektronischer Informations- und Kommunikationsmittel das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen, das als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gesehen werden kann,18 sich allerdings mit der Volkszählungsentscheidung des Bundesverfassungsgericht von der Sphärentheorie gelöst hat.19 Für den Schutzbereich kommt es nicht darauf an, ob der Inhalt, auf den zugegriffen wird, dienstlichen oder privaten Charakter aufweist.20 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verflüchtigt sich nicht in der Individualsphäre; es 13

BVerfG, Beschluss vom 14. 3. 2006 – 1 BvR 2087/03, NVwZ 2006, 1041, 1042, Rn. 89. Lediglich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht Bezug nehmend Kreitner, in: Küttner Personalbuch, Internet-/Telefonnutzung, Nr. 229 Rn. 9; Panzer-Heemeier, in: Grobys/PanzerHeemeier ArbR, Nr. 78 Rn. 10; auch zu Art. 10 GG Schmidl, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 2 Rn. 5; Thüsing, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 3 Rn. 91. 15 Durner, in: Maunz/Dürig GG, Art. 10 Rn. 46. 16 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 10 Rn. 3; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 10 Rn. 20; Mengel, BB 2004, 2014; Pagenkopf, in: Sachs GG, Art. 10 Rn. 14a) f. 17 BVerfG, Beschluss vom 6. 7. 2016 – 2 BvR 1454/13, ZD 2017, 132, 133 Rn. 31. 18 BVerfG, Urteil vom 15. 12. 1983 – 1 BvR 484/83, BeckRS 1983, 107403; Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 173, zum umstrittenen Verhältnis zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Brink, in: BeckOK DatenschutzR, 30. Edt., Syst. C Rn. 59. 19 Brink, in: BeckOK DatenschutzR, 30. Edt., Syst. C Rn. 58; Lang, in: BeckOK GG, Art. 2 Rn. 45; Simitis, in: Simitis, BDSG, § 1 Rn. 65. 20 BVerfG, Beschluss vom 19. 12. 1991 – 1 BvR 382/85, NZA 1992, 307, 308. Siehe hierzu auch zur Videoüberwachung BAG, Urteil vom 21. 11. 2013 – 2 AZR 797/11, BeckRS 2014, 66050 Rn. 44: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt nicht allein die Privat- und Intimsphäre, sondern schützt in seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch die Befugnis eines Menschen, selbst darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen. 14

A. Grundrechtsrelevanz der Sachverhaltsaufklärung

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kommt auch umgekehrt nicht erst in der Kernsphäre zur Geltung.21 Es beinhaltet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen – damit schützt das Grundrecht den Einzelnen gegen die unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten durch Dritte.22 Bei der Videoüberwachung ist zudem das Recht des Arbeitnehmers am eigenen Bild als Teil des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Neben dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann auf Arbeitnehmerseite außerdem das Grundrecht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme in Betracht kommen, das lückenfüllende Funktion aufweist23 und das sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergeben soll24. Der Schwerpunkt des Schutzbereichs liegt hierbei in der Erzeugung zahlreicher Daten durch das informationstechnische System im Rahmen des Datenverarbeitungsprozesses, die ebenso wie die vom Nutzer gespeicherten Daten im Hinblick auf sein Verhalten und seine Eigenschaften ausgewertet werden können.25 Welche Relevanz dieses Grundrecht bei Ermittlungsmaßnahmen des Arbeitgebers aufweist, ist bisher kaum geklärt. Teilweise wird vertreten, dass diesem Grundrecht im Arbeitsrecht insgesamt eine geringere Bedeutung zukommt als dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, da Kontrollen des Arbeitgebers in der Regel an von ihm zur Verfügung gestellten Betriebsmitteln stattfinden – lediglich, wenn der Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz seine eigenen IT-Systeme benutzt, soll der Arbeitgeber die Integrität dieses Systems beachten müssen.26 Insgesamt ist aber noch offen, wie sich dieses Grundrecht auf Kontrollmaßnahmen des Arbeitgebers auswirken wird.27 Da diesem Grundrecht ohnehin nur lückenfüllende Funktion zukommt, soll diese Problematik hier nicht weiter vertieft werden. Auf Arbeitnehmerseite ließe sich außerdem überlegen, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Gestalt des Rechts auf Selbstbelastungsfreiheit von repressiven Ermittlungsmaßnahmen betroffen sein kann. Keinesfalls betroffen ist der noch im 2. Kapitel im Rahmen der Arbeitnehmerbefragung anzusprechende Schutz vor gesetzlich vorgeschriebenen, erzwingbaren Auskunftspflichten. Die Sammlung von 21

Simitis, in: Simitis, BDSG, § 1 Rn. 65. Grundlegend BVerfG, Urteil vom 15. 12. 1983 – 1 BvR 209/83, NJW 1984, 419, 422; zuletzt u. a. BVerfG, Beschluss vom 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385; Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 175. 23 BVerfG, Urteil vom 27. 02. 2008 – 1 BvR 370, 595 – 07, BeckRS 2008, 32531, Rn. 169a; Brink, in: BeckOK DatenschutzR, 30. Edt., Syst. C Rn. 144. 24 BVerfG, Urteil vom 27. 02. 2008 – 1 BvR 370, 595 – 07, BeckRS 2008, 32531, Rn. 169a; Brink, in: BeckOK DatenschutzR, 30. Edt., Syst. C Rn. 144; Lang, in: BeckOK GG, Art. 2 Rn. 46. 25 BVerfG, Urteil vom 27. 02. 2008 – 1 BvR 370, 595 – 07, BeckRS 2008, 32531, Rn. 178. 26 Reichold, in: MHdB ArbR, § 96 Rn. 4. 27 Schmidl, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 28 Rn. 388; ders., in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Kap. Rn. 94. 22

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

Beobachtungsdaten stellt keine Situation dar, in der der Arbeitnehmer zu einer Auskunft verpflichtet wäre. Das Bundesverfassungsgericht erweckt bisweilen den Eindruck einer Verknüpfung von Selbstbelastungsfreiheit und Recht auf informationelle Selbstbestimmung.28 Damit könnte der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit auch die Situation erfassen, sich jenseits einer Auskunftssituation nicht mittels Verhaltensweisen oder an Dritte gerichtete Äußerungen belasten zu müssen, da diese Situationen ein Element der Selbstüberführung beinhalten und damit eine Relevanz für das Schutzgut der Selbstbelastung naheliegt. Der Gesetzgeber problematisiert allerdings eine Schutzbereichsrelevanz derartiger Situationen jedenfalls nicht in Überwachungssituationen verdeckter staatlicher Ermittlungsbehörden in den §§ 100a ff. StPO; die Regelungen stellen die Grundrechtsrelevanz hinsichtlich der Telekommunikationsfreiheit und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in anderen Ausprägungen als der Selbstbelastungsfreiheit in den Vordergrund. Auch die Rechtsprechung vermittelt einen zurückhaltenden Eindruck bezüglich der Eröffnung des Schutzbereichs der Selbstbelastungsfreiheit in Überwachungssituationen und unterstreicht die Freiwilligkeit derartiger Verhaltensweisen.29 Die Freiheit von Irrtum soll nicht in den Anwendungsbereich der Selbstbelastungsfreiheit fallen30 – bei repressiven Ermittlungsmaßnahmen, die häufig verdeckt erfolgen,31 unterliegt der Überwachte aber gerade lediglich einem Irrtum derart, nicht überwacht zu werden. Ob die Selbstbelastungsfreiheit auch bei der Gewinnung von Beobachtungsdaten eine betroffene Grundrechtsposition darstellt, ist keine Frage, die hier einer abschließenden Entscheidung bedarf. Der Gedanke kann jedoch im Rahmen der Auseinandersetzung mit den gesetzlichen Regelungen aufgegriffen werden (siehe unten zu § 26 I 2 BDSG S. 65).

II. Lösung der grundrechtlichen Gemengelage bei Ermittlungsmaßnahmen Wie die grundrechtliche Konfliktsituation allgemein und im Fall arbeitgeberseitiger Ermittlungsmaßnahmen im Besonderen aufgelöst wird, ist nachfolgend zu betrachten.

28 BVerfG, Beschluss vom 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 Rn. 71 bezüglich entstehender oder drohender Nachteile. 29 BGH, Urteil vom 08. 10. 1993 – 2 StR 400/93, NJW 1994, 596, 599: Wer sich einer Privatperson gegenüber zum Tatvorwurf äußert, kann über die Freiwilligkeit dieses Tuns nicht im Zweifel sein. 30 BGH, Beschluss vom 13. 05. 1996 – GSSt 1/96, NJW 1996, 2940, 2943. 31 Byers, NZA 2017, 1086; Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81; Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, S. 85.

A. Grundrechtsrelevanz der Sachverhaltsaufklärung

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1. Schutzverwirklichung über Schutz(gebots)funktion der Grundrechte Konfligierende Grundrechtspositionen werden geschützt, indem der Gesetzgeber eine Regelung schafft, die beiden Grundrechtspositionen Rechnung trägt. Grundrechte enthalten nach heute überwiegendem Verständnis nicht nur Eingriffsverbote gegen den Staat, sondern beinhalten auch ein Schutzgebot an den Staat.32 Der Tatbestand, aus dem die Schutzpflicht folgt, ist die Grundrechtskollision.33 Die Verwirklichung der Schutzgebotsfunktion ist Aufgabe des einfachen Rechts;34 es ist mithin Aufgabe des Gesetzgebers, die Rechtsordnung so zu gestalten, dass in ihr und durch sie die Grundrechte gesichert sind und die von ihnen gewährleisteten Freiheiten sich wirksam entfalten können (praktische Konkordanz).35 Hierbei bedeutet der Grundrechtsschutz die Gewährung von Rechten des Einzelnen einerseits, die Konstruktion von Pflichten eines Anderen andererseits.36 a) Schutzverwirklichung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts Die grundrechtliche Gewährleistung aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 I, 1 I GG legt dem Staat gerade eine Schutzpflicht auf,37 dessen Verwirklichung durch das Datenschutzrecht als einfache Ausgestaltung zum Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erfolgt.38 Vornehmlich erfolgt diese gesetzliche Ausgestaltung nicht allein auf nationaler einfachgesetzlicher Ebene, sondern seit dem 25. 05. 2018 über die Datenschutz-Grundverordnung (VO (EU) 2016/679, DSGVO), die Vorschriften zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Verkehr solcher Daten enthält, Art. 1 I DSGVO. Die Verordnung gilt für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen, Art. 2 I DSGVO. Sie findet insbesondere auch Anwendung auf derartige personenbezogene Datenverarbeitung durch Private, wenn 32

BVerfG, Urteil vom 25. 2. 1975 – 1 BvF 1 – 6/74, NJW 1975, 573, 575; BVerfG, Beschluss vom 8. 8. 1978 – 2 BvL 8/77, NJW 1979, 359, 363; Canaris, JuS 1989, 161, 163; umfänglich hierzu Isensee, in: HBdStR, Bd. IX, § 191; Sachs, Verfassungsrecht II, Kap. 4 Rn. 28; Stern, Staatsrecht III/1, § 76 S. 1572. 33 Isensee, in: HBdStR, Bd. IX, § 191 Rn. 193. 34 In Form des Privatrechts, Canaris, AcP 184 (1984), 201, 227. 35 Canaris, JuS 1989, 161, 163; Krause, JZ 1984, 828, 829; Stern, Staatsrecht III/1, § 76 S. 1540, 1572, 1577. 36 Canaris, JuS 1989, 161, 163; Fischinger, in: MHdB ArbR, § 7 Rn. 13; Krause, JZ 1984, 656, 660; Stern, Staatsrecht III/1, § 76 S. 1541. 37 Franzen, ZfA 2019, 18, 22; Seifert, in: Simitis, BDSG, § 32 Rn 10, siehe zur Schutz(gebots)funktion gerade eben. 38 BAG, Urteil vom 19. 02. 2015 – 8 AZR 1007/13, NJW 2015, 2749, 2750 Rn. 17; Fuhlrott/ Schröder, NZA 2017, 278, 279; Schmidl, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 2 Rn. 6.

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

die Datenverarbeitung den privaten Bereich der Haushaltsausnahme in Art. 2 II c) DSGVO überschreitet39. Kollidieren die Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, fällt diese Kollision in den Regelungsbereich des Beschäftigtendatenschutzes. Hierfür gilt die Datenschutz-Grundverordnung zwar als grundsätzlich voll harmonisierende Regelung, kann aber aufgrund der Öffnungsklausel aus Art. 88 I DSGVO durch nationale Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz verdrängt werden, wenn diese den insbesondere durch Art. 88 II DSGVO vorgezeichneten Schutzrahmen und damit die allgemeinen Verarbeitungsgrundsätze der Datenschutz-Grundverordnung einhalten.40 Der Beschäftigtendatenschutz ist einfachgesetzlich im deutschen Recht in § 26 BDSG geregelt, sodass die grundrechtliche Gemengelage grundsätzlich in dieser Norm des Bundesdatenschutzgesetzes und vornehmlich über den gesetzlichen Erlaubnistatbestand des § 26 I BDSG aufgelöst wird. Anstelle der Hinzuziehung der gesetzlichen Erlaubnisnorm lässt sich die grundrechtliche Gemengelage auch durch eine Einwilligung des Arbeitnehmers hinsichtlich der Ermittlungsmaßnahmen auflösen. Schon bei hoheitlichen Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch den Staat ist anerkannt, dass bei Vorliegen einer Einwilligung des Grundrechtsträger bereits der Grundrechtseingriff entfällt.41 Dies muss erst recht für Beeinträchtigungen durch Private gelten und ist in § 26 II BDSG n. F. auch vorgesehen: Sofern eine freiwillige und schriftliche Einwilligung der Arbeitnehmer vorliegt, ist die Ermittlungsmaßnahme unproblematisch, § 26 II 3 BDSG. Da eine Einwilligung bei repressiven Ermittlungsmaßnahmen in der Regel nicht naheliegend sein dürfte, soll auf die Möglichkeit der Einwilligung hier jedoch nicht weiter eingegangen werden. Unabhängig von der Schutzfunktion des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts schützt dieses in seiner klassischen Abwehrfunktion auch vor staatlichen Eingriffen. Bei Betrachtung jüngerer Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts lässt sich der Eindruck gewinnen, dass zwischen Schutz- und Abwehrfunktion nicht konsequent differenziert wird. Tatsächlich sind die Entscheidungsgründe derart formuliert, als sei der Arbeitgeber bei repressiven Ermittlungsmaßnahmen unmittelbar an Grundrechte gebunden und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht hier in seiner Abwehrfunktion gefordert. So führt das Bundesarbeitsgericht in einer jüngeren Entscheidung aus, bei der Überwachung mittels Keylogger läge eine durch die Beklagte (Arbeitgeberin) begangene Grundrechtsverletzung vor42 bzw. die Beklagte habe mit der ohne Einwilligung des Klägers erfolgten Datenerhebung in dessen durch Art. 2 I, 1 I GG geschütztes Recht auf informationelle Selbstbestimmung 39

Bäcker, in: BeckOK DatenschutzR, DSGVO Art. 2 Rn. 14. Düwell/Brink, NZA 2016, 665, 666; Franzen, ZfA 2019, 18, 27; ders., in: Franzen/ Gallner/Oetker, Europäisches Arbeitsrecht, Art. 88 DSGVO Rn. 6, 12. 41 Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkungen vor Art. 1 Rn. 129; Hillgruber, in: BeckOK GG, Art. 1 Rn. 74; Jarass, NJW 1989, 857, 860. 42 BAG, Urteil vom 27. 07. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327, 1329 Rn. 18. 40

A. Grundrechtsrelevanz der Sachverhaltsaufklärung

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eingegriffen.43 Das Bundesarbeitsgericht prüft hierbei den Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts durch die Datenerhebung.44 Problematisch an dieser Ausdrucksweise ist, dass nach den allgemeinen Grundrechtslehren Grundrechte ihre Funktion als Abwehrrechte lediglich gegenüber der öffentlichen Gewalt entfalten45. Sowohl der klassische als auch der moderne Eingriffsbegriff setzen ein staatliches Handeln voraus.46 Selbst sogenannte mittelbare Grundrechtseingriffe aus dem Bereich des modernen Eingriffsbegriffs – etwa über private Entscheidungen Dritter – müssen dem Staat zurechenbar sein.47 Verbreitet wird daher zurecht dafür plädiert, nichtstaatliches Verhalten, das grundrechtlich geschützte Lebensbereiche negativ beeinflusst, als „Beeinträchtigungen“48 oder „An- oder Übergriffe“49 zu bezeichnen, um Missverständnissen zum Eingriffsbegriff vorzubeugen. Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung können nach diesem Verständnis lediglich durch staatliche Informationserhebung oder –verarbeitung erfolgen.50 Der abwehrrechtliche Eindruck verstärkt sich zudem dadurch, dass das Bundesarbeitsgericht die Frage nach der Zulässigkeit der Grundrechtsbeeinträchtigung durch den Arbeitgeber danach beantwortet, ob der Eingriff aufgrund überwiegender Interessen des Arbeitgebers nach den entsprechenden Normen gerechtfertigt war.51 Inhaltlich ist hier selbstverständlich zu prüfen, ob Normen des Bundesdatenschutzgesetzes die Grundrechtsbeeinträchtigung als zulässig erscheinen lassen; angesichts der Differenzierung zwischen Abwehr- und Schutzfunktion könnte aber vorzugswürdig sein, danach zu fragen, ob die Maßnahme des Arbeitgebers im Sinne der gesetzlichen Regelung erlaubt war. b) Schutzverwirklichung der Telekommunikationsfreiheit Auch Art. 10 I GG begründet ein Abwehrrecht gegen die Kenntnisnahme des Inhalts und der näheren Umstände der Telekommunikation durch den Staat und einen Auftrag an den Staat, Schutz auch insoweit vorzusehen, als private Dritte sich Zugriff 43 BAG, Urteil vom 27. 07. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327, 1329 Rn. 21; ähnlich BAG, Urteil vom 22. 09. 2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rn. 27, wobei das Bundesarbeitsgericht den Eingriff verneinte. 44 BAG, Urteil vom 27. 07. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327, 1329 Rn. 22. 45 Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkungen vor Art. 1 Rn. 84; Herdegen, in: Maunz/Dürig GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 14; Isensee, in: HBdStR, Bd. IX, § 191 Rn. 1; Stern, Staatsrecht III/1, § 65 S. 558. 46 Zu dieser Voraussetzung Dreier, in: Dreier GG, Vorb. Rn. 123 ff.; Herdegen, in: Maunz/ Dürig GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 40; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 51 Rn. 24 ff. 47 Cremer, S. 167 ff.; Dreier, in: Dreier GG, Vorb. Rn. 125; Eckhoff, S. 288. 48 Poscher, S. 164; Cremer, S. 228. 49 Hillgruber, in: HBdStR, Bd. IX, § 200 Rn. 87: Private An- und Übergriffe; Isensee, in: HBdStR, Bd. IX, § 191 Rn. 225; ders., in: HBdStR, 2. Aufl., Bd. V, § 111 Rn. 97; Neuner, S. 170. 50 Brink, in: BeckOK DatenschutzR, 30. Edt., Syst. C Rn. 82, 136. 51 BAG, Urteil vom 27. 07. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327, 1329 Rn. 18.

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

auf die Kommunikation verschaffen.52 Damit wird zum einen deutlich, dass die Schutzverwirklichung zwischen Privaten auch bezüglich der Kommunikationsfreiheit im Wege der Schutzgebotsfunktion und damit durch den Gesetzgeber zu erfolgen hat. Nur durch die Anerkennung substantieller Schutzpflichten kann Art. 10 GG in einer zunehmend durch private Kommunikationsdienstleistungen bestimmten Welt sein Unverletztlichkeitsversprechen einlösen.53 Zum anderen ergibt sich aus der Schutzfunktion, dass nicht das Grundrecht des Art. 10 GG, sondern allein das den staatlichen Schutzauftrag konkretisierende Gesetz den Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation vermittelt: Im Konzept grundrechtlicher Schutzpflichten ist der Schutz stets gesetzesmediatisiert; nicht das Grundrecht unmittelbar, sondern allein das Gesetz begründet den notwendigen Schutz.54 Der Grundrechtsschutz ist also ausschließlich durch das einfache Gesetz erfüllt, d. h. es entsteht auch keine Schutzlücke, sofern das Gesetz bestimmte Sachverhalte nicht erfasst. Dann lässt sich der Grundrechtsschutz nicht – gleichermaßen subsidiär – aus Art. 10 GG herleiten, denn damit würde gegenüber Privaten eine unmittelbare Drittwirkung von Art. 10 GG konstruiert. Den Konflikt zwischen Arbeitgeberinteressen und Telekommunikationsfreiheit des Arbeitnehmers löst § 88 TKG. § 88 TKG trägt dem Schutzauftrag Rechnung, indem er besondere Pflichten zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses für diejenigen normiert, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken.55 § 88 II TKG verpflichtet ausschließlich den Diensteanbieter (vgl. § 3 Nr. 6 TKG) und verpflichtet damit nur diejenigen, die die Telekommunikationsdienstleistung erbringen oder daran mitwirken.56 Damit beschränkt § 88 TKG den Schutz der Telekommunikationsfreiheit auf den Schutz vor Zugriffen Privater, die geschäftsmäßig Telekommunikationsleistungen erbringen. Die Telekommunikationsfreiheit des Arbeitnehmers ist also davor geschützt, dass der Arbeitgeber als Privater, der geschäftsmäßig Telekommunikationsleistungen erbringt, auf seine Telekommunikation zugreift. Würde der Schutz über diese Beschränkung des § 88 TKG hinaus ausgedehnt und der Schutz direkt aus Art. 10 GG hergeleitet, entspräche dies einer unmittelbaren Drittwirkung, die aber auch im Rahmen von Art. 10 nicht vertreten wird57. Eine derartige Schutzbeschränkung steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass Risiken, die nicht in der telekommunikativen Übermittlung durch einen Dritten, sondern in Umständen aus dem Einfluss- und Verantwortungsbereich eines der Kommunizierenden begründet 52 BVerfG, Beschluss vom 09. 10. 2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, NJW 2002, 3619, 3620; Bock, in: BeckOK TKG, § 88 Rn. 4. 53 Durner, in: Maunz/Dürig GG, Art. 10 Rn. 112. 54 Gersdorf, in: BeckOK InfoMedienR, GG Art. 10 Rn. 24. 55 BVerfG, Beschluss vom 09. 10. 2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, NJW 2002, 3619, 3620, allerdings noch mit Verweis auf § 85 TKG; Bock, in: BeckOK TKG, § 88 Rn. 4. 56 Bock, in: BeckOK TKG, § 88 Rn. 1. 57 Durner, in: Maunz/Dürig GG, Art. 10 Rn. 111.

A. Grundrechtsrelevanz der Sachverhaltsaufklärung

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sind, vom Schutzbereich des Art. 10 GG nicht erfasst werden.58 Dadurch wird deutlich, dass Art. 10 GG hinsichtlich privater Zugriffe lediglich vor Zugriffen des Diensteanbieters schützt. Ob der Arbeitgeber geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt und damit Diensteanbieter im Sinne des Telekommunikationsgesetzes ist, lässt sich nicht einheitlich beantworten. Das geschäftsmäßige Erbringen von Telekommunikationsdiensten meint das nachhaltige Angebot von Telekommunikation für Dritte mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht, § 3 Nr. 10 TKG. Ein Angebot für Dritte liegt nur vor, wenn sich das Angebot an Personen richtet, die nicht der betrieblichen Sphäre eines Anbieters zuzurechnen sind.59 Sofern der Arbeitgeber hinsichtlich aller seiner Informations- und Kommunikationsmittel eine ausschließlich dienstliche Nutzung erlaubt, ist allgemein anerkannt, dass der Arbeitgeber keine Telekommunikationsdienste erbringt; bei der ausschließlich dienstlichen Nutzungserlaubnis gelten die Arbeitnehmer nicht als Dritte im Sinne des § 3 Nr. 10 TKG.60 Arbeitgeber und Arbeitnehmer bilden eine Organisationseinheit.61 Infolgedessen findet das Telekommunikationsgesetz keine Anwendung. Dabei ist es unerheblich, dass auf dienstlichen Anschlüssen etwa private Anrufe ankommen können: das telekommunikationsrechtliche Abwehrrecht hat in diesem Fall keine Wirkung,62 da das Telekommunikationsgesetz als gesetzliche Ausprägung der Schutzgebotsfunktion lediglich vor dem Zugriff privater Telekommunikationsanbieter schützt. Sofern der Arbeitgeber die private Nutzung erlaubt, ist umstritten, ob er Telekommunikationsdienste als Diensteanbieter erbringt und § 88 TKG Anwendung findet63 oder die Erbringung von Telekommunikationsdiensten abzulehnen ist64 mit 58

3620. 59

BVerfG, Beschluss vom 09.10. 2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, NJW 2002, 3619,

Sassenberg/Mantz, BB 2013, 889. Brink/Schwab, ArbR Aktuell 2018, 111, 112; Ernst, NZA 2002, 585, 588; Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, Kap. 2 S. 41; Schuster, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 12 Rn. 157; Seifert, in: Simitis, BDSG, § 32 Rn. 92. 61 Schuster, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 12 Rn. 157. 62 Ernst, NZA 2002, 585, 588. 63 Conrad/Hausen, in: Auer-Reinsdorff/Conrad, IT- und Datenschutzrecht, Teil F, § 37 Rn. 201; Däubler, Belegschaft, Rn. 340; Dendorfer-Ditges, in: MAH Arbeitsrecht, § 35 Rn. 203; Kreitner, in: Küttner Personalbuch, Internet-/Telefonnutzung, Nr. 229 Rn. 7; Lembke, in: HWK, Art. 88 DSGVO Rn. 99; Mengel, BB 2004, 2014, 2015 ff.; dies./Ullrich, NZA 2006, 240, 241; dies., NZA 2017, 1494, 1496; Sassenberg/Mantz, BB 2013, 889, 891; Glaser/ Wisskirchen, DB 2011, 1447, 1450. 64 LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. 01. 2016 – 5 Sa 657/15, BeckRS 2016, 67048 Rn. 81; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. 02.2011 @ 4 Sa 2132/10, ArbG Weiden, Urteil vom 17. 05. 2017 – 3 Ga 6/17, BeckRS 2017, 120365 Rn. 17; NZA-RR 2011, 342; Behling, BB 2018, 52, 54; Dzida, BB 2018, 2677, 2679; Dzida/Grau, DB 2018, 189, 194; Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, Kap. 2 S. 41; Stamer/Kuhnke, in: Plath, BDSG, § 26 Rn. 100; kritisch Schmidl, in: Hauschka/Moosmeyer, Corporate Compliance, § 28 Rn. 353. 60

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

der Folge, dass sich ein Zugriff des Arbeitgebers allein an § 26 BDSG messen lassen muss. Diese Frage soll an entsprechender Stelle nochmals aufgegriffen werden. Neben der gesetzlichen Erlaubnisnorm kommt auch im Bereich von Art. 10 GG eine Einwilligung des Betroffenen in Betracht,65 wie sie in 96 III 1 TKG auch vorgesehen ist. Auch hier soll auf die Einwilligung jedoch nicht weiter eingegangen werden, da sie bei repressiven Ermittlungsmaßnahmen nicht naheliegt. 2. Besondere Anforderungen an die Schutzverwirklichung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch EGMR-Rechtsprechung? Vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) ist zu überlegen, ob sich für die gesetzlichen Erlaubnisnormen im Bundesdatenschutzgesetz aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Schutzfunktion besondere Inhaltsanforderungen ergeben. Aufgrund der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes sind die Gewährleistungen der EMRK und die Rechtsprechung des EGMR bei der Auslegung der Grundrechte zu berücksichtigen.66 Damit stellt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch Anforderungen an nationale Regelungen, die Ermittlungsmaßnahmen ermöglichen. Zu überlegen ist, welche konkreten Anforderungen sich aus der jüngeren Rechtsprechung ergeben und ob diese in den jeweiligen Normen erfüllt sind. a) Entscheidung Baˇ rbulescu/Rumänien In der Entscheidung Baˇ rbulescu/Rumänien entschied der Große Senat des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass der Staat seine ihm obliegenden Schutzverpflichtungen nur erfüllt, wenn staatliche Behörden und Gerichte sicherstellen, dass Maßnahmen eines Arbeitgebers zur Korrespondenzüberwachung von Arbeitnehmern von angemessenen und ausreichenden Garantien gegen Missbrauch begleitet werden.67 Diese Garantien zählt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf:68 Der Arbeitnehmer muss über die Möglichkeit der Überwachung informiert werden, wobei die Unterrichtung nur dann mit Art. 8 EMRK vereinbar ist, wenn sie die Art der Überwachung deutlich macht und die Unterrichtung vor Beginn der Überwachung geschieht. Zu berücksichtigen ist auch, ob nur der Kommunikationsfluss oder auch der Mitteilungsinhalt überwacht wird sowie die Anzahl der überwachten Arbeitnehmer und der zeitliche Rahmen. Die Überwachung bedarf 65

Durner, in: Maunz/Dürig GG, Art. 10 Rn. 126. BVerfG, Urteil vom 04. 05. 2011 @ 2 BvR 2365/09 u. a., NJW 2011, 1931. 67 EGMR, Urteil vom 05. 09. 2017 – 61496/08 (Baˇ rbulescu/Rumänien), NZA 2017, 1443, 1446 Rn. 120. 68 Zum Ganzen EGMR, Urteil vom 05. 09. 2017 – 61496/08 (Baˇ rbulescu/Rumänien), NZA 2017, 1443, 1446 Rn. 121. 66

A. Grundrechtsrelevanz der Sachverhaltsaufklärung

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außerdem gewichtiger Gründe und muss die mildeste Überwachungsform darstellen. Schließlich sind die Folgen für den Arbeitnehmer zu berücksichtigen sowie der Gebrauch, den der Arbeitgeber vom Ergebnis der Überwachung gemacht hat, insbesondere, ob er es dazu nutzt, das Ziel zu erreichen, auf das er sich beruft. Ferner müssen für den Arbeitnehmer Garantien vorgesehen sein; etwa, dass der Arbeitgeber den Kommunikationsinhalt nur zur Kenntnis nehmen darf, wenn der Arbeitnehmer vorher von dieser Möglichkeit unterrichtet worden ist. b) Konformität der Erlaubnisnormen des Bundesdatenschutzgesetzes mit den Rechtsprechungsanforderungen? Im deutschen Recht scheinen die Anforderungen des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte weitgehend durch § 26 I BDSG erfüllt:69 Die Begrenzung des Datenzugriffs auf das Nötigste und der Vorrang milderer Mittel ist bereits im Erforderlichkeitskriterium enthalten,70 das § 26 I BDSG in S. 1 und S. 2 vorsieht. Die Folgenberücksichtigung für den Arbeitnehmer und der Gebrauch durch den Arbeitgeber finden ihre Entsprechung in der Angemessenheitsprüfung der deutschen Regelung: In § 26 I 1 BDSG n. F. ergibt sich die Angemessenheitsprüfung aus dem Erforderlichkeitskriterium; die Erforderlichkeit ist hier nämlich nicht lediglich im Sinne des mildesten Mittels, sondern als grundsätzliches Verhältnismäßigkeitserfordernis zu verstehen, weswegen die Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen sein muss.71 In § 26 I 2 BDSG n. F. ist die Angemessenheitsprüfung sogar ausdrücklich vorgesehen. Die Garantien dieser Grundsätze für den Arbeitnehmer ergeben sich aus den Folgen, die die Rechtsprechung an die Rechtswidrigkeit der Ermittlungsmaßnahmen knüpft – nämlich aus Verwertungsverboten, auf die noch einzugehen sein wird72. Problematisch ist damit einzig die Transparenzanforderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Der Gerichtshof unterstreicht die Wichtigkeit dieses Kriteriums durch Konkretisierung dahingehend, dass sie vor der Überwachung erfolgen muss und wohl auch über Ausmaß und Art der Überwachung (z. B. Kenntnisnahme des Inhalts) informieren muss.73 Die Unterrichtung des Arbeitnehmers ist zwar in § 26 I BDSG nicht vorgesehen; den Anforderungen an Information und Transparenz der Überwachung wird allerdings grundsätzlich über § 26 V BDSG 69

Dzida/Klopp, ArbRB 2017, 376, 378; für ein den EGMR-Kriterien vollständig entsprechendes Schutzniveau des deutschen Rechts Behling, BB 2018, 52, 53; Sörup, ZD 2017, 571, 573; uneindeutig Mengel, NZA 2017, 1494, 1497. 70 Behling, BB 2018, 52, 55. 71 BAG, Urteil vom 27. 07. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327, 1330 Rn. 30; Gola, BB 2017, 1462, 1464; Kramer, NZA 2018, 637, 639; Lembke, in: HWK, Art. 88 DSGVO Rn. 23; Stamer/Kuhnke, in: Plath, BDSG, § 26 Rn. 17. 72 Siehe hierzu 4. Teil 1. Kap. Abschnitt A., S. 245. 73 EGMR, Urteil vom 05. 09. 2017 – 61496/08 (Baˇ rbulescu/Rumänien), NZA 2017, 1443, 1447 Rn. 133.

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

und den Verweis auf Art. 5 I 1 DSGVO auf das in der Datenschutz-Grundverordnung verortete Transparenzgebot Rechnung getragen.74 Problematisch könnte jedoch sein, dass von den Informationspflichten aus der Datenschutz-Grundverordnung durch zahlreiche Öffnungsklauseln in u. a. Art. 23 und Art. 88 oder Art. 14 V c), d) abgewichen werden kann. Hiervon hat der deutsche Gesetzgeber etwa in §§ 32 ff. BDSG n. F. auch Gebraucht gemacht. Diese Abweichungsmöglichkeiten vom Transparenzgebot der Datenschutz-Grundverordnung stellen letztlich auch eine Abweichung von den Transparenzanforderungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar. Um dessen Transparenzanforderungen zu genügen, könnte etwa erforderlich sein, dass § 26 I, V BDSG eine Ausnahme von den Abweichungsmöglichkeiten vorsieht, was bisher jedoch nicht der Fall ist. Allerdings wird in der Entscheidung Baˇ rbulescu/Rumänien selbst nicht deutlich, ob die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte genannten Transparenzanforderungen ausnahmslos gelten müssen. In der Urteilsbegründung in englischer Sprache findet sich nämlich die Formulierung, dass die Unterrichtung des Arbeitnehmers über die Art und Weise der Überwachung in der Regel im Voraus erfolgen soll.75 Ferner ist unklar, ob die Transparenzanforderungen auch für repressive Maßnahmen formuliert wurden. Ist das nicht der Fall, wären die Abweichungsmöglichkeiten von Datenschutz-Grundverordnung und Bundesdatenschutzgesetz jedenfalls für repressive Maßnahmen unproblematisch. Da dem Beschwerdeführer laut Ausführungen des Gerichtshofs kein konkreter Vorwurf eines Fehlverhaltens gemacht wurde,76 ist naheliegend, dass sich die Transparenzanforderung auf den konkreten Fall einer präventiven Überwachungsmaßnahme bezieht. Im Ergebnis darf vor diesem Hintergrund angenommen werden, dass der in § 26 BDSG enthaltene Persönlichkeitsschutz den Anforderungen der EGMR-Rechtsprechung genügt. 3. Zwischenfazit Es ist deutlich geworden, dass der bei arbeitgeberseitigen Ermittlungsmaßnahmen im Raum stehende grundrechtliche Konflikt zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers in Form des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und den Arbeitgeberinteressen nach den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes, vornehmlich § 26 I BDSG n. F., aufzulösen ist. Für den ver74 Ströbel/Böhm/Breunig/Wybitul, CCZ 2018, 14, 20. Die besondere Bedeutung des Transparenzgebots in der Datenschutz-Grundverordnung kommt auch in Art. 12 ff. DSGVO zum Ausdruck, Byers/Wenzel, BB 2017, 2036, 2038; Plath, in: Plath, BDSG, Art. 5 DSGVO Rn. 5. 75 The notification should normally be clear about the nature of the monitoring and be given in advance; EGMR, Urteil vom 05. 09. 2017 – 61496/08 (Baˇ rbulescu/Rumänien), BeckRS 2017, 123332 Rn. 121 (englische Version). 76 EGMR, Urteil vom 05. 09. 2017 – 61496/08 (Baˇ rbulescu/Rumänien), NZA 2017, 1443, 1447 Rn. 135.

B. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bei der Sachverhaltsaufklärung

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gleichbaren Konflikt zwischen Arbeitgeberinteressen und dem arbeitnehmerseitigen Interesse des Schutzes der Kommunikationsfreiheit gelten u. U. die Normen des Telekommunikationsgesetzes. Welche Rechte und Pflichten sich aus diesen Normen für die Arbeitsvertragsparteien im Rahmen der Sachverhaltsermittlung zu Aufklärungszwecken ergeben, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.

B. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bei der Sachverhaltsaufklärung mithilfe von Beobachtungsdaten I. Pflichten des Arbeitnehmers Zu überlegen ist, welche Pflichten den Arbeitnehmer bei der Sachverhaltsaufklärung mittels Beobachtungsdaten treffen. Die im Rahmen dieser Arbeit betrachtete repressive Sachverhaltsermittlung erfolgt in der Regel verdeckt77. Ist das der Fall, können den Arbeitnehmer keine besonderen Pflichten hinsichtlich der Sachverhaltsermittlung mithilfe von Beobachtungsdaten treffen. Erfolgt die Sachverhaltsermittlung offen, erschöpfen sich die Pflichten des Arbeitnehmers in der Duldung der Ermittlungsmaßnahme. Die Frage, welche Pflichten die Arbeitsvertragsparteien im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung treffen, konzentriert sich bei der Ermittlung mittels Beobachtungsdaten daher auf den Aspekt, welche Pflichten den Arbeitgeber bei der Sachverhaltsermittlung treffen.

II. Pflichten des Arbeitgebers Der Arbeitgeber ist bei der Aufklärung des Sachverhalts mithilfe von Beobachtungsdaten gehalten, sich in dem Rahmen zu bewegen, den ihm die gesetzlichen Regelungen eröffnen. Wie dieser Rahmen insbesondere vor dem Hintergrund jüngerer Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, einer kritischen Würdigung dieser Rechtsprechung und dem Inhalt der Datenschutz-Grundverordnung ausgestaltet ist, ist nachfolgend ebenso zu betrachten wie die Anforderungen des Betriebsverfassungsrechts. 1. Datenschutzrechtliche Vorgaben Da Gegenstand dieser Arbeit unternehmensinterne Untersuchungen in ihrer repressiven Form, d. h. zur Aufklärung vergangenen Fehlverhaltens sind, ist auch bei Betrachtung der datenschutzrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen, dass es sich bei den Untersuchungsmaßnahmen um repressive Ermittlungsmaßnahmen handelt. 77 Byers, NZA 2017, 1086; Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81; Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, S. 85.

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

Zunächst ist herauszuarbeiten, welche Vorgaben das Datenschutzrecht allgemein an repressive Ermittlungsmaßnahmen stellt (a)). Im Anschluss daran ist zu überlegen, wie sich konkrete Ermittlungsmaßnahmen zu diesen Vorgaben verhalten (b)). a) Einordung repressiver Ermittlungsmaßnahmen in § 26 I BDSG Repressive Ermittlungsmaßnahmen im Arbeitsverhältnis fallen als datenverarbeitender Vorgang im Beschäftigungsverhältnis in den Anwendungsbereich von § 26 I BDSG. Welche Zulässigkeitsanforderungen sich hieraus für repressive Ermittlungsmaßnahmen ergeben, ist nachfolgend zu erarbeiten. aa) Repressive Maßnahmen zur Aufdeckung von Straftaten Zur Aufdeckung von Straftaten dürfen nach § 26 I 2 BDSG n. F. personenbezogene Daten von Beschäftigten nur dann verarbeitet werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass die betroffene Person im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Verarbeitung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse der oder des Beschäftigten an dem Ausschluss der Verarbeitung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind. Voraussetzung für eine zulässige Ermittlungsmaßnahme zur Aufdeckung einer Straftat ist damit zum einen, dass die Maßnahme einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung78 genügt: Die Erforderlichkeit beinhaltet, dass die Überwachung zur Aufdeckung der Straftat geeignet ist und das mildeste Mittel darstellt; der Vorbehalt überwiegender schutzwürdiger Interessen betont die Interessenberücksichtigung der Arbeitnehmerseite. Ergänzend sieht die Abwägungsklausel vor, dass Art und Ausmaß der Ermittlung zur Art und Schwere der Straftat und Verdachtsintensität ins Verhältnis zu setzen sind.79 Zum anderen ist Voraussetzung für die Zulässigkeit der repressiven Ermittlungsmaßnahme der Verdacht im Sinne eines tatsachenbasierten oder konkreten Verdachts. Alleine der Verdacht im Sinne einer bloßen Mutmaßung kann nicht als Voraussetzung ausreichen, da eine repressive Maßnahme sonst streng genommen keinen besonderen Voraussetzungen unterläge – stünde nicht einmal eine bloße Mutmaßung im Raum, würde schließlich kein Anlass zur rückwärtsgerichteten Kontrolle bestehen. Der tatsachenbasierte oder konkrete Verdacht stellt eine zu78 Strenger im Vergleich zu § 26 I 1 BDSG, Grimm, jM 2016, 17, 19; Riesenhuber, in: BeckOK DatenschutzR, BDSG, § 26 Rn. 63, 66, der auch auf Bedeutung für die Darlegungsund Beweislast hinweist; Taeger/Rose, BB 2016, 821, 826, wonach bei § 26 I 1 keine Interessenabwägung erfolgt; Thüsing/Rombey, NZA 2018, 1105, 1108; Wedde, in: Däubler/Wedde/ Weichert/Sommer, DSGVO und BDSG, § 26 BDSG Rn. 166. A. A. für eine vergleichbare Verhältnismäßigkeit zu § 26 I 1 BDSG Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, S. 83. 79 BT-Drs. 16/13657, S. 21.

B. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bei der Sachverhaltsaufklärung

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sätzliche Anforderung an den Arbeitgeber dar80, dessen Bedeutung in der Rechtsprechung deutlich geworden ist81. Dieser Verdacht im Sinne von § 26 I 2 BDSG n. F. bzw. § 32 I 2 BDSG a. F. fehlt allerdings nicht schon deshalb, weil gegen die Pflicht zur Dokumentation dieser Tatsachen verstoßen wurde.82 Das Erfordernis des tatsachenbasierten Verdachts wird in der jüngeren Rechtsprechung allerdings dahingehend relativiert, dass ein tatsachenbasierter Verdacht nicht bezüglich jeder Person bestehen muss, die von der Datenverarbeitung betroffen ist. So führt das Bundesarbeitsgericht im Zusammenhang mit der Videoüberwachung aus, der Kreis der Verdächtigen müsse möglichst eingegrenzt sein; es sei aber nicht zwingend notwendig, dass eine Überwachungsmaßnahme in der Weise beschränkt werden kann, dass von ihr ausschließlich Personen erfasst werden, bezüglich derer bereits ein konkretisierter Verdacht besteht.83 Damit sieht die Rechtsprechung das Erfordernis eines tatsachenbasierten Verdachts bereits dann als erfüllt an, wenn dieser hinsichtlich einer der beobachteten Personen besteht; eine Koppelung von Verdacht und beobachteter Person besteht mithin nicht. Das mag die Zulässigkeitsschwelle für die Beobachtung absenken, ist letztlich aus praktischen Gründen jedoch hinzunehmen. Anderenfalls müsste verhindert werden, dass bisher unverdächtige Personen aufgezeichnet oder beobachtet werden bzw. die Beobachtung dürfte nie erfolgen, sofern sich das nicht verhindern ließe.84 bb) Repressive Maßnahmen zur Aufdeckung von Pflichtverletzungen Welche Voraussetzungen für die Zulässigkeit repressiver Ermittlungsmaßnahmen zur Aufdeckung von Pflichtverletzungen bestehen, lässt sich mit einem Blick in die gesetzlichen Regelungen nicht ohne weiteres beantworten. § 26 I 2 BDSG erwähnt lediglich Maßnahmen zu Aufdeckung von Straftaten. 80 Riesenhuber, in: BeckOK DatenschutzR, BDSG, § 26 Rn. 65. Zur Unterstreichung tatsachenbasierter Anhaltspunkte im Schrifttum Franzen, in: ErfK BDSG, § 26 Rn. 38; Riesenhuber, in: BeckOK DatenschutzR, BDSG, § 26 Rn. 131, 134; Thüsing/Rombey, NZA 2018, 1105, 1107; Wedde, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, DSGVO und BDSG, § 26 BDSG Rn. 164. 81 Zur Belegung durch konkrete Tatsachen BAG, Urteil vom 20. 10. 2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rn. 25; ArbG Cottbus, Urteil vom 25. 11. 2014 – 3 Ca 359/14, ZD 2016, 301 Rn. 36. Die Unzulässigkeit einer (präventiven!) Maßnahme wegen fehlenden tatsachenbasierten Verdachts annehmend BAG, Urteil vom 27. 07. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327 Rn. 35. 82 BAG, Urteil vom 27. 07. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327 Rn. 35; LAG RheinlandPfalz, BeckRS 2017, 144052 Rn. 99. 83 BAG, Urteil vom 22. 09. 2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rn. 30. 84 Fuhlrott/Schröder, NZA 2017, 278, 283 fordern in diesen Fällen allerdings immerhin eine nachträgliche Verhältnismäßigkeitsprüfung, ähnlich auch Niemann, Jahrbuch Arbeitsrecht 2018, S. 41, 55: Hypothetische Prüfung, ob die als Zufallsfund zutage getretene Pflichtverletzung derart schwer wiegt, dass sie bei konkretem Verdacht eine Überwachung gerechtfertigt hätte.

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

Denkbar wäre zum einen, dass der Konflikt zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen zugunsten des Arbeitnehmers in der Form zu lösen ist, dass aus einer aus § 26 I 2 BDSG n. F. folgenden Sperrwirkung die Unzulässigkeit der Datenerhebung zur Aufdeckung von Pflichtverletzungen folgt.85 Dann wäre die gesetzliche Regelung des § 26 I 2 BDSG derart zu verstehen, dass der Gesetzgeber bei Verdacht einer Pflichtverletzung den Interessenskonflikt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Sinne der Schutzgebotsfunktion durch Normierung der Zulässigkeitsanforderungen bei Verdacht einer Straftat exklusiv derart gelöst hat, dass bei Verdacht einer Pflichtverletzung stets das Interesse des Arbeitnehmers überwiegt und die Datenerhebung in derartigen Fällen unzulässig ist. Zum anderen könnte die Videoüberwachung aber auch bei Verdacht einer Pflichtverletzung nach § 26 I 1 oder 2 BDSG zulässig sein. Welche Zulässigkeitsanforderungen der Gesetzgeber an repressive Ermittlungsmaßnahmen zur Aufdeckung von Pflichtverletzungen stellen wollte, kann im Wege der Auslegung ermittelt werden. Gegen eine Sperrwirkung von § 26 I 2 BDSG n. F., nach der die Datenerhebung in einer derartigen Situation unzulässig wäre, könnte der Wortlaut des § 26 I 2 BDSG sprechen, den der Gesetzgeber gewählt hat. Der Wortlaut enthält für eine Sperrwirkung keine Anhaltspunkte.86 Andererseits ist der Wortlaut auch klar lediglich auf die Aufdeckung von Straftaten bezogen, sodass aus den fehlenden Anhaltspunkten für eine Sperrwirkung nicht zwingend von einer Ablehnung der selbigen ausgegangen werden muss. Der Wortlaut von § 26 I 2 BDSG streitet damit weder eindeutig für noch gegen eine Sperrwirkung des § 26 I 2 BDSG und damit die Unzulässigkeit der repressiven Ermittlungsmaßnahme bei Verdacht einer Pflichtverletzung. Weiterführend ist jedoch eine historische Betrachtung: Vor der gesetzlichen Normierung war die Datenverarbeitung in Form der Videoüberwachung sowohl bei Verdacht einer Straftat als auch bei dem Verdacht einer Pflichtverletzung unter denselben Voraussetzungen zulässig.87 Der Gesetzgeber wollte dieses Verständnis in der Vorgängerregelung des § 32 I BDSG kodifizieren.88 Um die repressive Datenverarbeitung nunmehr auch jenseits des Verdachts einer Straftat zu ermöglichen, darf eine Sperrwirkung von § 26 I 2 BDSG nicht angenommen werden. Repressive Maßnahmen nur bei Verdacht einer Straftat zu ermöglichen, würde darüber hinaus als pauschale Regelung eine repressive Datenverarbeitung bei Verdacht einer Pflichtverletzung unabhängig von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ausschließen. 85 LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. 7. 2016 – 4 Sa 61/15, ZD 2017, 88 Rn. 92; Brink, in: JurisPR ArbR 36/2016, Anm. 2; Düwell/Brink, NZA 2017, 1081, 1084. 86 BAG, Urteil vom 29. 6. 2017 – 2 AZR 597/16, NZA 2017, 1179 Rn. 28 zu § 32 I 2 BDSG. 87 Zur Zeit vor der gesetzlichen Regelung BAG, Urteil vom 27. 03. 2003 – 2 AZR 51/02, NZA 2003, 1193, 1195 unter BI 3 b) cc), das vom konkreten Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers spricht. 88 BAG, Urteil vom 20. 10. 2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rn. 22; Gesetzebegründung zu § 32 BDSG, BT-Drs. 16/13657, S. 21.

B. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bei der Sachverhaltsaufklärung

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Das kann allerdings nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbart werden, der in Art. 6 DSGVO kodifiziert ist89 und als allgemeiner Bearbeitungsgrundsatz auch im Rahmen bei Gebrauch der Öffnungsklausel aus Art. 88 I DSGVO Wirkung entfaltet90. Auch vor diesem Hintergrund ist eine Sperrwirkung des § 26 I 2 BDSG für repressive Ermittlungen zur Aufdeckung einer Straftat abzulehnen.91 Entfaltet § 26 I 2 BDSG keine Sperrwirkung und sollen Ermittlungsmaßnahmen zur Aufklärung von Straftaten und Pflichtverletzungen unter denselben Voraussetzungen zulässig sein, sind die Voraussetzungen des § 26 I 2 BDSG auf Ermittlungsmaßnahmen zur Aufklärung von Pflichtverletzungen zu übertragen. Auch wenn die Voraussetzungen von § 26 I 2 BDSG ausdrücklich nur Ermittlungsmaßnahmen zur Aufdeckung von Straftaten erfassen, lassen sie sich für die Aufdeckung von Pflichtverletzungen auf § 26 I 1 BDSG im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes übertragen.92 Rechtssicherer wäre allerdings, die Gesetzesformulierung in § 26 I 2 BDSG weiter zu fassen.93 Im Ergebnis unterfallen Ermittlungsmaßnahmen zur Aufdeckung von Straftaten und Pflichtverletzungen denselben Voraussetzungen, was in der praktischen Anwendung den Vorteil hat, dass Unklarheiten im Vorfeld der Ermittlungen dahingehend, ob das im Raum stehende Fehlverhalten einen Verdacht einer Pflichtverletzung oder eine Straftat begründet, unbeachtlich werden.94 cc) Ausnahmslose Anwendung der Voraussetzungen des § 26 I 2 BDSG bei repressiven Ermittlungsmaßnahmen? Die bisherige Auseinandersetzung mit § 26 I BDSG legt nahe, die Voraussetzungen des § 26 I 2 bei repressiven Ermittlungsmaßnahmen stets anzuwenden, wenn 89 Thüsing/Schmidt, in: Schwartmann, Art. 88 DSGVO Anhang Rn. 24; Thüsing/Rombey, NZA 2018, 1105, 1107. 90 Siehe hierzu bereits oben die Verweise auf Düwell/Brink, NZA 2016, 665, 666; Franzen, ZfA 2019, 18, 27; ders., in: Franzen/Gallner/Oetker, Europäisches Arbeitsrecht, Art. 88 DSGVO Rn. 6, 12. 91 Entgegen Ströbel/Böhm/Breunig/Wybitul, CCZ 2018, 14, 18 bietet allerdings Art. 10 DSGVO keine Argumentationsbasis gegen eine Sperrwirkung. Die durch eine Überwachung gewonnenen Erkenntnisse zählen für sich genommen nicht zu den durch Art. 10 DSGVO geschützten Daten, da diese Erkenntnisse selbst noch keine hoheitliche Feststellung einer Straftat darstellen (Bäcker, in: BeckOK DatenschutzR, DSGVO Art. 10 Rn. 5). 92 BAG, Urteil vom 29. 6. 2017 – 2 AZR 597/16, NZA 2017, 1179 Rn. 30. Im Schrifttum wird allerdings vereinzelt sogar § 26 I 2 BDSG als Erlaubnisnorm genannt, Gräber/Nolden, in: Paal/Pauly, DSGVO/BDSG, § 26 Rn. 23. 93 Dies anregend auch Stellungnahme des Bundesrats zu § 26 I 2 BDSG, BT-Drs. 18/11655, S. 14. 94 Dzida/Grau, NZA 2017, 1515, 1517. Wenn die Interessenabwägung bei der Aufdeckung von Straftaten nach § 26 I 1 BDSG hingegen einfacher zugunsten des Arbeitgebers ausfallen kann (derart ArbG Weiden, Urteil vom 17. 5. 2017 – 3 Ga 6/17, BeckRS 2017, 120365 Rn. 19) wäre die Differenzierung allerdings relevant.

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

die Begehung von Straftaten oder Pflichtverletzungen von Arbeitnehmern im Raum steht. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts scheint diesen Weg indes nicht gehen zu wollen: Sie macht die Anwendung der Kriterien aus § 26 I 2 BDSG nicht vom Vorliegen einer repressiven Ermittlungsmaßnahme abhängig, sondern vom Vorliegen einer besonders grundrechtsintensiven Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. So sollen die Voraussetzungen des § 26 I 2 BDSG auch für Maßnahmen gelten, die nicht der Aufdeckung von Straftaten oder Pflichtverletzungen dienen, sondern der Vermeidung, wenn die gewonnenen Daten es ermöglichen, ein nahezu umfassendes und lückenloses Profil sowohl von der privaten als auch dienstlichen Nutzung durch den Betroffenen zu erstellen.95 Damit sollen auch präventive Maßnahmen den Voraussetzungen des 26 I 2 BDSG unterfallen, wenn diese ähnlich grundrechtsintensiv wie eine verdeckte Videoüberwachung wirken, weil sie die Gefahr einer Profilerstellung beinhalten. Demnach ist entscheidendes Kriterium für die Voraussetzungen aus § 26 I 2 BDSG nicht die Repressivität der Maßnahme, d. h. Ermittlung vergangenen Fehlverhaltens, sondern die Gefahr einer lückenlosen Profilerstellung. Sieht man hierin das entscheidende Anwendungskriterium für die Voraussetzungen des § 26 I 2 BDSG, ist denkbar, dass auch umgekehrt die Voraussetzungen von § 26 I 2 BDSG bei repressiven Maßnahmen entbehrlich werden, denen eine derartige Profilerstellungsgefahr nicht innewohnt. Ein derartiger Fall ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher nicht entschieden worden, wird aber in der Theorie vertreten: Unter die Voraussetzungen des § 26 I 1 BDSG ohne das Erfordernis eines tatsachenbasierten Verdachts und einer besonderen Verhältnismäßigkeitsprüfung würden dann Ermittlungsmaßnahmen zur Aufdeckung einer Straftat fallen, die nicht mit einer verdeckten Videoüberwachung vergleichbar sind.96 Dies könnte etwa den Fall der E-Mail-Überwachung betreffen (sofern man hier von der Anwendbarkeit des Bundesdatenschutzgesetzes ausgeht, s. u.). Der Rechtsprechungslinie mit der Profilerstellungsgefahr als entscheidendes Kriterium für strenge Zulässigkeitsvoraussetzungen ist zuzugeben, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch eine umfangreiche Datenerhebung besonders intensiv beeinträchtigt wird. Genau diese Fälle sollte § 32 I 2 BDSG a. F. erfassen, da sich diese Norm ausdrücklich an der Rechtsprechung zur Videoüberwachung orientierte.97

95 BAG, Urteil vom 27. 7. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327 Rn. 27, 33. Eine intensive Grundrechtsbetroffenheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nimmt das BAG auch bei parallel zu lösender Problematik des Mitbestimmungsrechts nach § 87 I Nr. 6 BetrVG an, wenn das Aufgabenspektrum des Arbeitnehmers durchgehend detailliert erfasst und einer Auswertung zugeführt wird, BAG, Beschluss vom 25. 04. 2017 – 1 ABR 46/15, NZA 2017, 1205, 1211. Äußerst kritisch zur Anwendung von S. 2 auf präventive Ermittlungsmaßnahmen Taeger/Rose, BB 2016, 821, 826. 96 Niemann, Jahrbuch Arbeitsrecht 2018, S. 41, 52. 97 BT-Drs. 16/13657, S. 21.

B. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bei der Sachverhaltsaufklärung

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Allerdings spricht gegen die Profilerstellungsgefahr als entscheidendes Kriterium, dass die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit nicht allein von der erhobenen Datenmenge – und damit von der Profilerstellungsgefahr – abhängt. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann auch unterschiedlich intensiv betroffen sein je nachdem, in welchem Zusammenhang Daten erhoben werden. Das zeigen folgende Überlegungen: Erfolgt die Datenerhebung offen und lediglich, um regelkonformes Verhalten in Zukunft sicherzustellen (präventiv), wird der Beobachtete ein relativ geringes Interesse an den erhobenen Daten aufweisen: Er kann sein Verhalten steuern und wird durch die Datenerhebung lediglich dazu angehalten, sich regelkonform zu verhalten. Ein geringes Interesse des Beobachteten an dem Schutz dieser Daten dürfte insbesondere dann bestehen, wenn die Datenerhebung nicht gezielt auf ihn, sondern ad incertas personas gerichtet ist und seine Daten in der Vielzahl unterschiedlicher Daten untergehen.98 Erfolgt die Datenerhebung verdeckt, hat der Beobachtete bereits weniger Einfluss darauf, welchen Dateninhalt er mit seinem Verhalten generiert; demzufolge wird er ein größeres Interesse daran haben, dass diese Daten nicht ohne weiteres erhoben werden.99 Kommt zu dieser verdeckten Datenerhebung hinzu, dass mit ihr vergangenes Fehlverhalten aufgedeckt werden soll, wird der Beobachtete ein besonderes Interesse daran haben, keine Daten preiszugeben: Schließlich würde er durch eigenes Verhalten möglicherweise Anhaltspunkte für eigenes Fehlverhalten liefern. Auch wenn hiermit mangels gesetzlichen Zwangs der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit selbst noch nicht als zusätzliche Grundrechtsposition eröffnet sein dürfte, wirkt dieser Aspekt zu gewichtig, als dass er bei der Bewertung der Grundrechtsintensität der Ermittlungsmaßnahme unberücksichtigt bleiben dürfte.100 Mit dieser Abstufung der unterschiedlichen Zusammenhänge der Datenerhebung wird deutlich, dass allein die Gefahr der Profilerstellung nicht entscheidend für die Annahme einer intensiven Grundrechtsbetroffenheit ist; vielmehr ist eine intensive Grundrechtsbetroffenheit auch dann gegeben, wenn die Datenerhebung zu repressiven Zwecken erfolgt. Dementsprechend sollte bereits der repressive Charakter einer Ermittlungsmaßnahme hohe Anforderungen an deren Zulässigkeit stellen.

98 In diesem Sinne auch Thüsing, in: Thüsing Beschäftigtendatenschutz, § 3 Rn. 27; ders./ Schmidt, NZA 2017, 1027. Hiergegen ließe sich einwenden, dass präventive Maßnahmen die Persönlichkeitsentfaltung ebenfalls intensiv einschränken, da sie gerade verhaltenssteuernd wirken (so zu präventiven Maßnahmen selbst das BAG, Urteil vom 27. 07. 2017 – 2 AZR 681/ 16, NZA 2017, 1327, 1330 Rn. 31.) Allerdings soll mit präventiven Maßnahmen lediglich ein Verhalten jenseits der Legalitätsgrenzen vermieden werden, sodass eine Entfaltungseinschränkung in diesem Rahmen gerechtfertigt erscheint. 99 Die Heimlichkeit erhöht üblicherweise das Gewicht der Freiheitsbeeinträchtigung, BAG, Urteil vom 20. 06. 2013 – 2 AZR 546/12, ZD 2014, 260 Rn. 31. 100 Dass der Aspekt der Selbstbelastung mit Straftaten bzw. vertragswidrigem Verhalten in die Abwägungsentscheidung einzubeziehen ist, wird bei Thüsing, NZA 2009, 865, 869 in der Differenzierung zwischen § 32 I 1 und 2 BDSG a. F. angedeutet, wenn er in die Interessenabwägung die Folgen des jeweiligen Fehlverhaltens einbezieht.

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

Im Ergebnis wird dem Grundrechtskonflikt daher angemessen Rechnung getragen, wenn jede repressive Ermittlungsmaßnahme zur Aufklärung einer Straftat oder einer Pflichtverletzung den strengen Zulässigkeitsanforderungen unterworfen wird, wie sie in § 26 I 2 BDSG bereits kodifiziert sind.101 dd) Zwischenfazit Festgehalten werden kann, dass repressive Ermittlungsmaßnahmen zur Aufdeckung von Pflichtverletzungen unter denselben Voraussetzungen zulässig sein müssen wie repressive Ermittlungsmaßnahmen zur Aufdeckung von Straftaten. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts lässt sich allerdings derart verstehen, dass die Anforderungen aus § 26 I 2 BDSG nicht für alle repressiven Ermittlungsmaßnahmen Anwendung finden sollen. Lediglich wenn repressive Maßnahmen die Gefahr einer nahezu umfassenden und lückenlosen Profilerstellung beinhalten, unterfallen sie den Anforderungen des § 26 I 2 BDSG. Nach hier vertretener Auffassung finden die Anforderungen des § 26 I 2 BDSG auf jede repressive Ermittlungsmaßnahme zur Aufdeckung von Straf- und Pflichtverletzungen Anwendung. b) Zulässigkeitsanforderungen an einzelne Überwachungsmaßnahmen Nachfolgend ist zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen konkrete Überwachungsmaßnahmen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der hier vertretenen Ansicht zulässig sind. aa) Videoüberwachung Die Videoüberwachung mag kein klassisches Mittel unternehmensinterner Untersuchungen sein; eine vertiefte Auseinandersetzung hiermit scheint aber sinnvoll: Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich datenschutzrechtliche Probleme hier exemplarisch stellen und sich hierzu aufgrund längerer Präsenz im juristischen Diskurs eine größere Diskussionsplattform findet. Welche Anforderungen § 26 I BDSG an die repressive Ermittlungsmaßnahme der Videoüberwachung stellt, ist ebenso zu prüfen wie die Frage, ob § 4 BDSG n. F. zusätzliche Voraussetzungen zu § 26 I BDSG enthält. (1) Anforderungen aus § 26 I BDSG Die Videoüberwachung zur Aufdeckung von Straftaten oder Pflichtverletzungen ist nach der hier vertretenen Auffassung nur zulässig, wenn der Arbeitgeber seinen Verdacht hinsichtlich einer Straftat oder Pflichtverletzung mit Tatsachen untermauern kann sowie die Abwägung nach § 26 I 2 a. E. die Zulässigkeit der Video101

Derart bereits zu § 32 I 2 BDSG Thüsing, NZA 2009, 865, 868.

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überwachung ergibt. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts sind diese Voraussetzungen an die Videoüberwachung nur zu stellen, wenn die Gefahr der Erstellung eines nahezu umfassenden und lückenlosen Profils besteht. Diese Gefahr wohnt der Videoüberwachung als Paradefall für eine solche Profilerstellung inne.102 Die Videoüberwachung zur Aufdeckung einer Straftat oder Pflichtverletzung ist daher auch nach der Rechtsprechung nur unter den Voraussetzungen des § 26 I 2 BDSG n. F. (§ 32 I 2 BDSG a. F.) zulässig.103 (2) Besondere Regelung der Videoüberwachung von Arbeitnehmern in § 4 BDSG n. F.? Möglicherweise enthält das Bundesdatenschutzgesetz in seiner neuen Fassung ergänzende Vorschriften für die Videoüberwachung von Arbeitnehmern in öffentlich zugänglichen Räumen. Daraus könnten sich ggf. weitere Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung ergeben. § 4 BDSG n. F. enthält jenseits des Beschäftigtenverhältnisses eine Regelung zur Zulässigkeit offener Videoüberwachung. Eine besondere Voraussetzung könnte hierbei die Pflicht zur Kenntlichmachung der Videoüberwachung darstellen, wonach der Umstand der Beobachtung und der Name und die Kontaktdaten des Verantwortlichen durch geeignete Maßnahmen zum frühestmöglichen Zeitpunkt erkennbar zu machen sind. Ob eine besondere Vorschrift mit besonderen Voraussetzungen für die Videoüberwachung von Arbeitnehmern in öffentlich zugänglichen Räumen existiert, wurde bereits im Rahmen des Bundesdatenschutzgesetzes a. F. diskutiert. Auch das alte Bundesdatenschutzgesetz enthielt eine § 4 BDSG n. F. ähnliche Regelung in § 6b BDSG a. F. Hierzu wurde teilweise vertreten, dass § 6b BDSG a. F. für die Überwachung von Arbeitnehmern in öffentlich zugänglichen Räumen Anwendung finden sollte und sich die Videoüberwachung von Arbeitnehmern in nicht öffentlich zugänglichen Räumen nach § 32 BDSG a. F. richtete.104 § 6b II BDSG a. F. sah vor, dass der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen waren. Nach der Rechtsprechung lag hierin jedoch keine besondere Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Videoüberwachung.105 102 Unter Bezugnahme auf die Videoüberwachung bei Bewertung eines Keylogger-Einsatzes BAG, Urteil vom 27. 07. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327 Rn. 35. 103 Zur Aufdeckung einer Straftat BAG, Urteil vom 20. 10. 2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rn. 22; BAG, Urteil vom 20. 10. 2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rn. 27 ff.; zur Aufdeckung einer Pflichtverletzung mit Verweis auf die Videoüberwachung BAG, Urt. v. 29. 6. 2017 – 2 AZR 597/16, NZA 2017, 1179 Rn. 32. 104 Hierzu etwa Bayreuther, NZA 2005, 1038; Byers/Wenzel, BB 2017, 2036; Däubler, NZA 2017, 1481, 1484; Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, 17. Aufl., § 153 Rn. 14 f.; PanzerHeemeier, in: Grobys/Panzer-Heemeier ArbR, Nr. 118 Rn. 30 ff.; Stamer/Kuhnke, in: Plath, 2. Aufl., BDSG, § 32 Rn. 125. 105 BAG, Urteil vom 22. 09. 2016 – 2 AZR 8348/15, NZA 2017, 112, 115 Rn. 34; BAG, Urteil vom 21. 06. 2012 – 2 AZR 153/11, NZA 2012, 1025, 1029 Rn. 40. Zur Zulässigkeits-

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Weder der Wortlaut von § 6b I, III BDSG a. F. legten nahe, dass das Kennzeichnungsgebot Rechtmäßigkeitsvoraussetzung war, noch ergab sich dies aus der Gesetzesbegründung.106 Ferner wurde vorgebracht, es erschiene wenig plausibel, wenn bezogen auf den Beschäftigtendatenschutz von Arbeitnehmern, die in öffentlich zugänglichen Räumen arbeiteten, andere Maßstäbe gelten sollten als für Arbeitnehmer, die dies nicht tun.107 Außerdem begegnete ein absolutes Verbot verdeckter Videoüberwachung verfassungsrechtlichen Bedenken, weil dann eine Abwägung der gegenläufigen Grundrechtspositionen unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Einzelfall nicht mehr möglich war.108 Die Videoüberwachung war vielmehr nach § 6b I BDSG a. F. stets auch ohne Kenntlichmachung zulässig, wenn die Voraussetzungen aus § 32 I 2 BDSG gegeben waren (Spezialität von § 32 I 2 BDSG); das berechtigte Interesse im Sinne von § 6b I Nr. 3 BDSG a. F. stellte die Aufdeckung von Straftaten von Beschäftigten dar.109 Die Positionen zur alten Rechtslage werden auf die neue Rechtslage teilweise übertragen. So findet sich auch für das neue BDSG die Position, dass § 4 BDSG n. F. für die Videoüberwachung im Arbeitsverhältnis gilt, wenn die Räume öffentlich zugänglich sind.110 Entsprechend zur Diskussion der alten Rechtslage wird auch vertreten, das Bundesarbeitsgericht sehe in § 26 I 2 BDSG eine gegenüber § 4 BDSG vorrangige Spezialnorm für das Beschäftigungsverhältnis111. Das Bundesarbeitsgericht hat sich indes zum Verhältnis zwischen § 26 I 2 BDSG n. F. und § 4 BDSG n. F. noch nicht geäußert; die Äußerung betraf das Verhältnis von § 6b BDSG a. F. zu § 32 I BDSG a. F.112 Es ist vielmehr davon auszugehen, dass weder das Verhältnis von § 6b BDSG a. F. zu § 32 I BDSG a. F. auf § 4 BDSG n. F. und § 26 I 2 BDSG n. F. übertragbar ist, noch, dass § 4 BDSG n. F. die Videoüberwachung von Arbeitnehmern in öffentlich zugänglichen Räumen erfasst. Grund dafür ist die Struktur des neuen Bundesdatenschutzgesetzes vor dem Hintergrund der Datenschutz-Grundverordnung. Diese gilt als Verordnung nach Art. 288 II AEUV unmittelbar. Sofern sich die Datenschutz-Grundverordnung nicht für eine Konkretisierung oder Spezifizierung durch den deutschen Gesetzgeber öffnet, genießt sie daher gemäß Art. 4 betrachtung der offenen Videoüberwachung nach § 32 BDSG und nicht nach § 6b BAG, Urteil vom 23. 08. 2018 – 2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329 Rn. 23. 106 BAG, Urteil vom 21. 06. 2012 – 2 AZR 153/11, NZA 2012, 1025, 1029 Rn. 40; Thüsing/ Pötters, in: Thüsing Beschäftigtendatenschutz, § 11 Rn. 39. 107 BAG, Urteil vom 23. 08. 2018 – 2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329, 1332 Rn. 23. 108 BAG, Urteil vom 21. 06. 2012 – 2 AZR 153/11, NZA 2012, 1025, 1029 Rn. 41; Thüsing/ Pötters, in: Thüsing Beschäftigtendatenschutz, § 11 Rn. 39. 109 BAG, Urteil vom 22. 09. 2016 – 2 AZR 8348/15, NZA 2017, 112, 115 Rn. 34. 110 Däubler, NZA 2017, 1481, 1484; wohl auch Umkehrschluss aus Wilhelm, in: BeckOK DatenschutzR, BDSG, § 4 Rn. 12. 111 Riesenhuber, in: BeckOK DatenschutzR, BDSG, § 26 Rn. 147, so auch Kort, RdA 2018, 24, 27; Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, S. 86. 112 Riesenhuber verwies in BeckOK DatenschutzR, BDSG, § 26 Rn. 147 nämlich auf BAG, Urteil vom 22. 09. 2016 – 2 AZR 8348/15, NZA 2017, 112.

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Abs. 3 EUV Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht.113 Für den Bereich des Beschäftigtendatenschutzes enthält Art. 88 DSGVO eine Öffnungsklausel für nationale Regelungen. § 4 BDSG bezieht sich nicht ausdrücklich auf das Beschäftigungsverhältnis und kann somit nicht von der Öffnungsklausel des Art. 88 I DSGVO erfasst sein.114 Im Übrigen ist insbesondere § 4 I 1 BDSG n. F. auch von keiner anderen Öffnungsklausel gedeckt, sodass diesbezüglich sogar eine Unionsrechtswidrigkeit in Betracht zu ziehen ist.115 § 4 BDSG n. F. kann daher die Videoüberwachung von Arbeitnehmern in öffentlich zugänglichen Räumen nicht regeln. Insofern erübrigt sich auch die Frage, ob § 4 II BDSG n. F. mit dem besonderen Erfordernis der Kenntlichmachung einer verdeckten Videoüberwachung entgegensteht. (3) Generelle Unzulässigkeit verdeckter (Video)überwachung? Auch wenn sich die Frage nach der Zulässigkeit von verdeckter Videoüberwachung nicht an § 4 II BDSG n. F. anknüpfen lässt, hat sich die Diskussion hierüber mit Erlass der Datenschutz-Grundverordnung und dem Bundesdatenschutzgesetz in seiner neuen Fassung sowie dem Außerkrafttreten von § 6b II BDSG a. F. nicht erledigt. Grund hierfür sind die Transparenzanforderungen der Datenschutz-Grundverordnung, die nicht nur die heimliche Videoüberwachung betreffen. Vielmehr stehen Transparenzanforderungen grundsätzlich im Konflikt mit heimlichen Ermittlungsmaßnahmen, nicht nur in Form verdeckter Videoüberwachung. Dies wird bei repressiven Maßnahmen im Vergleich zu präventiven Maßnahmen umso virulenter, da repressive Maßnahmen häufig verdeckt erfolgen.116 Das Transparenzgebot aus Art. 5 I a) DSGVO sieht vor, dass personenbezogene Daten auf rechtmäßige Weise, nach Treu und Glauben und in einer für die betroffene Person nachvollziehbaren Weise verarbeitet werden müssen („Rechtmäßigkeit, Verarbeitung nach Treu und Glauben, Transparenz“). Das Transparenzgebot gilt im Arbeitsverhältnis unmittelbar, was in § 26 V BDSG nochmals klargestellt wird.117 Es wird durch besondere Informationspflichten in Art. 12 ff. DSGVO konkretisiert.118 Art. 13 DSGVO sieht eine Informationspflicht gegenüber der betroffenen Person zum Zeitpunkt der Erhebung vor, wenn die personenbezogenen Daten bei der betroffenen Person erhoben werden. Nach Art. 14 DSGVO bestehen andere Informationspflichten, wenn die personenbezogenen Daten nicht bei der betroffenen Person 113

Wilhelm, in: BeckOK DatenschutzR, BDSG, § 4 Rn. 1. Byers/Wenzel, BB 2017, 2036, 2038. 115 Jandt, ZRP 2018, 16, 18; Kühling, NJW 2017, 1985, 1987; Lachenmann, ZD 2017, 407, 410; nunmehr auch BVerwG, Urteil vom 27. 03. 2019 – 6 C 2/18, Rn. 47. 116 Byers, NZA 2017, 1086; Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81; Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, S. 85. 117 Zum deklaratorischen Charakter Thüsing/Schmidt, in: Schwartmann, Art. 88 DSGVO Anh. Rn. 55; Wybitul, NZA 2017, 413, 417. 118 Byers/Wenzel, BB 2017, 2036, 2038; Plath, in: Plath, BDSG, Art. 5 DSGVO Rn. 5. 114

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

erhoben werden. Eine Datenerhebung findet nicht bei der betroffenen Person statt, wenn diese für den Verantwortlichen erkennbar weder körperlich noch mental an der Datenerhebung (aktiv oder passiv) beteiligt ist.119 Bei verdeckten Überwachungsmaßnahmen wie der verdeckten Videoüberwachung ließe sich sowohl eine Datenerhebung beim Betroffenen nach Art. 13 DSGVO vertreten, da der Arbeitnehmer jedenfalls passiv zur Datenerhebung beiträgt, indem er das Bildmaterial liefert120 als auch eine Datenerhebung nach Art. 14 DSGVO, da mangels Kenntnis des Überwachten keine Beteiligung an der Datenerhebung vorliegt.121 Damit wäre für die Zulässigkeit der konkreten Ermittlungsmaßnahme eine Information des Arbeitnehmers erforderlich. Vor dem Hintergrund des Transparenzgebots wird daher teilweise vertreten, dass die heimliche Datenverarbeitung ausgeschlossen ist.122 Die generelle Unzulässigkeit verdeckter Überwachungsmaßnahmen wie etwa der verdeckten Videoüberwachung lässt sich jedoch auch mit dem Transparenzgebot der Datenschutz-Grundverordnung nicht begründen. Entsprechend der früheren Rechtsprechung zu § 6b II BDSG a. F. zur verfassungsrechtlichen Problematik eines absoluten Verbots lässt sich gegen eine generelle Unzulässigkeit verdeckter Überwachung anführen, dass auch die Datenschutz-Grundverordnung in Art. 6 I f) vom Erfordernis der Interessenabwägung für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung ausgeht. Ein generelles Verbot von verdeckten Überwachungsmaßnahmen würde die Grundsätze der Interessenabwägung aus Art. 6 I f) DSGVO verletzen.123 In diesem Sinne war bereits unter der Vorgängerregelung der Datenschutz-Grundverordnung nach Art. 7 f) RL 95/46/EG ein Mitgliedstaat daran gehindert, kategorisch und ganz allgemein die Verarbeitung bestimmter Kategorien personenbezogener Daten auszuschließen, ohne Raum für eine Abwägung der im konkreten Einzelfall einander gegenüberstehenden Rechte und Interessen zu lassen.124 Dieses Verständnis wird auch in der Ausgestaltung der Datenschutz-Grundverordnung deutlich: Die Datenschutz-Grundverordnung sieht das Transparenzgebot

119

Schmidt-Wudy, in: BeckOK DatenschutzR, DSGVO Art. 14 Rn. 31. Von Art. 13 I DSGVO ausgehend wohl Byers, NZA 2017, 1086, 1089. Ähnlich wohl auch Bäcker, in: Kühling/Buchner, DSGVO, Art. 13 Rn. 13 unter der Annahme, dass für Art. 13 DSGVO irrelevant sei, ob die betroffene Person von der Datenerhebung weiß. 121 So im Ergebnis Franck, in: Gola, DSGVO, Art. 13 Rn. 4; Franzen, ZfA 2019, 18, 38; Schmidt-Wudy, in: BeckOK DatenschutzR, DSGVO Art. 14 Rn. 31.2; Paal/Hennemann, in: Paal/Pauly, DSGVO, Art. 13 Rn. 11. 122 Herbst, in: Kühling/Buchner, DSGVO, Art. 5 Rn. 18. Jedenfalls dem Wortlaut von Art. 13 DSGVO diese Folge zugestehend Byers, NZA 2017, 1086, 1088; Byers/Wenzel, BB 2017, 2036, 2038. 123 Byers, NZA 2017, 1086, 1090; Niemann, Jahrbuch Arbeitsrecht 2018, S. 41, 67. 124 EuGH (2. Kammer), Urteil vom 19. 10. 2016 – C-582/14, NJW 2016, 3579, 3582 Rn. 62. 120

B. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bei der Sachverhaltsaufklärung

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nicht als ausnahmslos einzuhaltendes Gebot.125 Sieht man – wie wohl die überwiegende Ansicht – verdeckte Ermittlungsmaßnahmen wie die verdeckte Videoüberwachung als Datenerhebung im Sinne von Art. 14 DSGVO, ließe sich eine Ausnahme von der Informationspflicht über eine Anwendung der Ausnahmevorschrift aus Art. 14 V b) DSGVO erreichen („soweit die in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannte Pflicht voraussichtlich die Verwirklichung der Ziele dieser Verarbeitung unmöglich macht oder ernsthaft beeinträchtigt“).126 Art. 14 DSGVO enthält in Art. 14 V c) DSGVO außerdem eine spezifische Öffnungsklausel; hierauf ließe sich eine Ausnahme von der Informationspflicht aus § 33 I Nr. 2a BDSG stützen127. Damit ist die sich aus dem Transparenzgebot ergebende Informationspflicht nicht zwingend einzuhalten. Nach den denkbaren Ausnahmevorschriften ist eine verdeckte Überwachung allerdings nur unter engen Voraussetzungen möglich: Art. 14 V b) DSGVO analog oder direkt setzt voraus, dass die Information voraussichtlich die Zielverwirklichung unmöglich macht oder ernsthaft beeinträchtigt; Art. 14 V c) DSGVO i. V. m. § 33 I Nr. 2a BDSG erfordert, dass die Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung zivilrechtlicher Ansprüche beeinträchtigen würde. Nichtsdestotrotz sind verdeckte Ermittlungsmaßnahmen hiermit auch unter der Geltung der Datenschutz-Grundverordnung nicht generell unzulässig. Zu demselben Ergebnis gelangt man, wenn man verdeckte Ermittlungsmaßnahmen wie die verdeckte Videoüberwachung als Datenerhebung im Sinne von Art. 13 DSGVO auffasst. Es sind nämlich die Öffnungsklauseln in u. a. Art. 23 und Art. 88 zu beachten; Art. 13 DSGVO kann mithin unter den dort jeweils genannten Voraussetzungen durch den nationalen Gesetzgeber angepasst werden.128 Ob eine derartige Anpassung für eine verdeckte Videoüberwachung bisher erfolgt ist, ist zwar noch offen.129 Es wird aber deutlich, dass auch nach diesem Verständnis verdeckte 125

So muss auch im Beschäftigtendatenschutz nicht jede Einzelvorgabe der Art. 12 ff. DSGVO übernommen werden, wenn insgesamt die Transparenz der Verarbeitung im Sinne von Art. 88 II DSGVO sichergestellt ist, Franzen, ZfA 2019, 19, 27. 126 Franzen, ZfA 2019, 18, 38, der damit bei der Videoüberwachung von einer Datenerhebung im Sinne von Art. 14 DSGVO ausgeht. Byers, NZA 2017, 1086, 1090 schlägt eine analoge Anwendung der Ausnahmevorschrift des Art. 14 Vb) DSGVO auf Fälle der Datenerhebung nach Art. 13 DSGVO vor. 127 Gola, BB 2017, 1462, 1467, wobei der Verweis auf § 32 I Nr. 2a BDSG n. F. als Verweis auf § 33 I Nr. 2a) BDSG n. F. zu verstehen sein muss, da § 32 BDSG in Absatz 1 keine Nr. 2a) vorsieht und sich zudem auf die Datenerhebung im Sinne von Art. 13 DSGVO bezieht; Thüsing/ Rombey, NZA 2018, 1105, 1110 beziehen § 33 I Nr. 2a) BDSG auf die Öffnungsklausel in Art. 23 DSGVO. 128 Schmidt-Wudy, in: BeckOK DatenschutzR, DSGVO Art. 13 Rn. 8; Byers, NZA 2017, 1086, 1088 diskutiert als Öffnungsklausel für eine Lockerung des Transparenzgebots Art. 23 I j) DSGVO; Kort, RdA 2018, 24, 27 sieht als Öffnungsklausel für das Transparenzgebot Art. 88 I DSGVO. 129 Dafür Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, S. 83 mit § 32 I Nr. 4 BDSG; ebenso Ströbel/Böhm/Breunig/Wybitul, CCZ 2018, 14, 16 Fußnote 22; dagegen Byers/Wenzel, BB 2017, 2036, 2039, da § 32 BDSG n. F. lediglich Ausnahmen zur Informationspflicht nach Art. 13 III DSGVO vorsieht. Grimm/Göbel, jM 2018, 278, 282 und Maschmann, NZA-Beilage

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

Überwachungsmaßnahmen unter Geltung der Datenschutz-Grundverordnung nicht per se unzulässig sind.130 (4) Ergebnis zu den Zulässigkeitsanforderungen an die Videoüberwachung Die Videoüberwachung zur Aufdeckung einer Straftat oder Pflichtverletzung ist nur unter den Voraussetzungen des § 26 I 2 BDSG n. F. (§ 32 I 2 BDSG a. F.) zulässig. § 4 BDSG n. F. enthält keine besonderen Zulässigkeitsanforderungen für die Videoüberwachung von Arbeitnehmern. Die verdeckte Videoüberwachung sowie auch heimliche Beobachtungsmaßnahmen generell sind auch unter Geltung der Datenschutz-Grundverordnung nicht per se unzulässig. bb) E-Mail-Überwachung Im Rahmen der grundsätzlichen Betrachtung repressiver Ermittlungsmaßnahmen wurde bereits angedeutet, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Überwachung von E-Mails ggf. nicht den besonderen Anforderungen des § 26 I 2 BDSG zu unterwerfen wäre, sondern eine E-Mail-Überwachung zur Aufdeckung von Straftaten und Pflichtverletzungen auch ohne tatsachenbegründeten Verdacht zulässig sein könnte. Vorgelagert stellt sich allerdings die Frage, ob die E-Mail-Überwachung als Ermittlungsmaßnahme überhaupt dem Bundesdatenschutzgesetz unterfällt. Nach welchen gesetzlichen Regelungen die Überwachung des E-Mail-Verkehrs zulässig sein soll, beurteilt sich vor dem Hintergrund, dass durch eine Überwachung nicht nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen werden kann, sondern auch das Telekommunikationsgeheimnis. Darüber hinaus kann die Datenverarbeitung bei der E-Mail-Überwachung auf zweierlei Arten erfolgen: Zugegriffen werden kann auf den Inhalt selbst oder aber auf E-Mail-Verbindungsdaten über E-MailLogfiles. Dem Zugriff auf E-Mail-Inhalte ist in der Regel der Zugriff auf E-MailLogfiles vorgeschaltet. Dabei handelt es sich um Protokolldateien, die Informationen über im E-Mail-Verkehr genutzte Verbindungen enthalten, etwa, zu welchem Zeitpunkt, wie lange und zwischen welchen Servern bzw. E-Mail- und/oder IP-Adressen eine Verbindung bestanden hat sowie welche Datenmengen übertragen worden sind.131 Auch die über Logfiles gewonnenen Daten stellen personenbezogene Daten im Sinne von § 32 I 1, 2 BDSG a. F. bzw. § 26 I 1, 2 BDSG n. F. dar.132 2018, 115 sehen in § 26 I 2 BDSG n. F. eine mögliche Abweichungsvorschrift des nationalen Gesetzgebers, stellen aber infrage, ob hiermit die Anforderungen aus Art. 23 DSGVO erfüllt werden. 130 So im Ergebnis auch Grau/Dzida, NZA 2017, 1515, 1519. 131 Thüsing/Traut, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 9 Rn. 12. 132 Thüsing/Traut, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 9 Rn. 19 zu § 32 BDSG a. F.; dasselbe muss für § 26 I 1, 2 BDSG gelten; für die Definition personenbezogener Daten gilt nunmehr Art. 4 Nr. 1 DSGVO bzw. § 46 Nr. 1 BSDG bzw. § 1 Abs. 8 BSDG i. V. m. Art. 4 Nr. 1 DSGVO.

B. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bei der Sachverhaltsaufklärung

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Nach welchen Regelungen die Datenverarbeitung in Form von E-Mail-Überwachung zulässig ist, richtet sich danach, ob der Arbeitgeber eine ausschließlich dienstliche Nutzung erlaubt oder auch die private Nutzung der E-Mail-Accounts durch die Arbeitnehmer vom Arbeitgeber toleriert wird. (1) Beschränkung der Nutzung auf dienstliche Nutzungserlaubnis Erlaubt der Arbeitgeber lediglich die dienstliche Nutzung, findet das Bundesdatenschutzgesetz Anwendung. Hintergrund ist, dass es in derartigen Fällen nicht zum Konflikt mit dem Telekommunikationsgesetz kommen kann, da der Arbeitgeber nicht als Diensteanbieter im Sinne des Telekommunikationsgesetzes zu verstehen ist.133 Damit stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber bei der repressiven E-MailÜberwachung zur Aufdeckung einer Straftat oder Pflichtverletzung die Voraussetzungen des § 26 I 2 BDSG erfüllen muss. Im Schrifttum wird diese konkrete Fragestellung bisher kaum beantwortet. Die Ausführungen im Schrifttum betreffen hauptsächlich die Zulässigkeit präventiver Ermittlungsmaßnahmen, bei denen der Arbeitgeber E-Mail-Inhalte aufgrund ihrer Nähe zum dienstlichen Schriftverkehr – und Ferne zur fernmündlichen Kommunikation – ebenso einsehen dürfen soll wie dienstliche Post.134 Abgesehen von einer Rundumüberwachung135 wird der präventive Zugriff auf Verbindungsdaten und auch auf die E-Mail-Inhalte im Schrifttum bei ausschließlich dienstlicher Nutzungserlaubnis für zulässig gehalten.136 Nach der hier vertretenen Ansicht sollte die E-Mail-Überwachung zur Aufdeckung einer Straftat oder Pflichtverletzung bei dienstlicher Nutzungserlaubnis den

133 Bei ausschließlich dienstlicher Nutzung ist allgemein anerkannt, dass der Arbeitgeber keine Telekommunikationsdienste erbringt; bei der ausschließlich dienstlichen Nutzungserlaubnis gelten die Arbeitnehmer nicht als Dritte im Sinne des § 3 Nr. 10 TKG, Brink/Schwab, ArbR Aktuell 2018, 111, 112; Ernst, NZA 2002, 585, 588; Rudkowski, in: Rudkowski/ Schreiber, Aufklärung, Kap. 2 S. 41; Schuster, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 12 Rn. 157; Seifert, in: Simitis, BDSG, § 32 Rn. 92. 134 Kreitner, in: Küttner Personalbuch, Internet-/Telefonnutzung, Nr. 229 Rn. 9; Lembke, in: HWK, Art. 88 DSGVO, Rn. 99; Maschmann, Mitarbeiterkontrolle, S.161; Mengel, NZA 2017, 1494; dies., BB 2004, 2014, 2015; derart umfassend wohl auch Müller, öAT 2019, 1, 3; Panzer-Heemeier, in: Grobys/Panzer-Heemeier ArbR, Nr. 78 Rn. 16; Stamer/Kuhnke, in: Plath, BDSG, § 26 Rn. 84. 135 Panzer-Heemeier, in: Grobys/Panzer-Heemeier ArbR, Nr. 78 Rn. 15; Stamer/Kuhnke, in: Plath, BDSG, § 26 Rn. 84, allgemein zum Verbot der Totalüberwachung Schmidl, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 2 Rn. 75 f.; Thüsing/Traut, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 9 Rn. 46. 136 Lembke, in: HWK, Art. 88 DSGVO Rn. 99; Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Internal Investigations, Kap. 14 Rn. 23; Panzer-Heemeyer, in: Grobys/Panzer-Heemeier ArbR, Nr. 78 Rn. 15, 16; Stamer/Kuhnke, in: Plath, BDSG, § 26 Rn. 84.

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

Voraussetzungen des § 26 I 2 BDSG unterfallen.137 Damit ergibt sich selbst bei ausschließlich dienstlicher Nutzungserlaubnis, dass der Arbeitgeber eine E-MailÜberwachung nicht vornehmen darf, wenn es nur darum geht, bestimmte Mitarbeiter daraufhin zu untersuchen, ob sich ein konkreter Verdacht für die vermutete Pflichtverletzung ergibt138 – quasi im Vorfeld des tatsachenbasierten Verdachts – oder wenn sich die repressive Maßnahme ausschließlich gegen unbeteiligte Arbeitnehmer richtet139. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hingegen käme wohl zu dem Ergebnis, dass ein tatsachenbasierter Verdacht und die besonderen Anforderungen an die Abwägung nach § 26 I 2 BDSG bei der repressiven E-Mail-Überwachung nicht vorliegen müssen. Hintergrund ist, dass der E-Mail-Überwachung keine den Fällen der Videoüberwachung oder des Keylogger-Einsatzes entsprechende Profilerstellungsgefahr innewohnen dürfte: Bei der E-Mail-Überwachung wird sich in der Regel weder aus den Verbindungsdaten, noch aus den E-Mail-Inhalten ein nahezu lückenloses Profil des Beobachteten erstellen lassen.140 (2) Erlaubte Privatnutzung: Ruhende E-Mails Ist die Privatnutzung des E-Mail-Accounts erlaubt, ist für die Anforderungen an eine repressive Kontrolle zwischen ruhenden E-Mails und nicht ruhenden E-Mails zu unterscheiden. Eine E-Mail gilt als ruhend und jenseits des Schutzes von Art. 10 I GG, wenn in Anlehnung an die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur Beschlagnahmefreiheit141 die Zugriffsmöglichkeiten des Arbeitgebers auf die E-Mail ausgeschlossen ist.142 Eine solche E-Mail ist nicht über Art. 10 I GG geschützt. Nur solange der Arbeitgeber eine Zugriffsmöglichkeit hat, liegt ein technisch bedingter Mangel an Beherrschbarkeit für den Arbeitnehmer vor, der die besondere Schutzbedürftigkeit

137 So im Ergebnis auch noch zu § 32 I 2 BDSG Stamer/Kuhnke, in: Plath, 2. Aufl. BDSG, § 32 Rn. 83; zu § 26 I 2 BDSG Stamer/Kuhnke, in: Plath, BDSG, § 26 Rn. 83; Thüsing/Traut, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 9 Rn. 56. 138 So aber Schmidl, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 2 Rn. 54, der diese Situation als Beispiel für eine E-Mail-Überwachung nennt. 139 Thüsing/Traut, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 9 Rn. 61 möchte dies hingegen unter einer besonders sorgfältigen Interessenabwägung erlauben. 140 Ausnahmsweise könnte eine Profilerstellung denkbar sein, wenn sich die Tätigkeit des Betroffenen ausschließlich in E-Mail-Kommunikation erschöpft und sich dementsprechend ein Arbeitsprofil anhand der Daten erstellen lässt. 141 BVerfG, Urteil vom 16. 06. 2009 – 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2431, 2432 Rn. 45 ff. 142 Hoppe/Braun, MMR 2010, 80, 82; Panzer-Heemeier, in: Grobys/Panzer-Heemeier, BDSG, Nr. 78 Rn. 24; Schmidl, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 2 Rn. 26, in diesem Sinne auch LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. 02. 2011 – 4 Sa 2132/10, NZA-RR 2011, 342.

B. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bei der Sachverhaltsaufklärung

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für das Fernmeldegeheimnis begründet.143 Solange die E-Mail also noch auf einem internen Server gespeichert und gerade nicht im alleinigen Herrschaftsbereich des Arbeitnehmers liegt, sondern über den Mail-Server des Unternehmens auch für den Arbeitgeber zugänglich ist, ruht sie noch nicht.144 Ist die Privatnutzung des E-Mail-Accounts erlaubt, sind repressive Kontrollen bezüglich ruhender E-Mails und deren Verbindungsdaten nach denselben Grundsätzen zulässig sein wie die repressiven Kontrollen dienstlicher E-Mails.145 Denn anders als grundsätzlich bei erlaubter Privatnutzung besteht bei ruhenden E-Mails kein Bezug zur Kommunikationsfreiheit, die das relevante Unterscheidungskriterium zwischen allein dienstlicher und erlaubter privater Nutzung darstellt.146 Die Frage, ob der Arbeitgeber Diensteanbieter im Sinne des Telekommunikationsgesetzes ist, stellt sich hier nicht. Mangels Anwendungsbereichs des Telekommunikationsgesetzes findet für ruhende E-Mails das Bundesdatenschutzgesetz Anwendung und damit dieselben Grundsätze, die für repressive Kontrollmaßnahmen bei allein dienstlicher Nutzungsbefugnis gelten. (3) Erlaubte Privatnutzung jenseits ruhender E-Mails Sofern der Arbeitgeber die private Nutzung seiner Informations- und Kommunikationsmittel zulässt, ist jenseits ruhender E-Mails umstritten, ob der Grundrechtskonflikt durch § 26 I BDSG oder durch Normen des Telekommunikationsgesetzes aufzulösen ist, die den Normen des Bundesdatenschutzgesetzes vorgehen, § 1 II BDSG (siehe hierzu bereits oben bei der grundrechtlichen Gemengelage S. 55). Zur bisherigen Problematik, welche Voraussetzungen von § 26 I BDSG n. F. bzw. § 32 I BDSG a. F. bei repressiven Kontrollmaßnahmen Anwendung finden, kommt hier also die Frage, ob § 26 I BDSG überhaupt Anwendung findet. Ausgangspunkt hierfür ist, ob der Arbeitgeber als Diensteanbieter im Sinne des Telekommunikationsgesetzes anzusehen ist147 oder nicht148. Bevor auf die beiden Positionen ein143

So BVerfG, Urteil vom 16. 06. 2009 – 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2431, 2432 Rn. 46 zur Zugriffsmöglichkeit des Providers, wonach es für den Schutzbereich von Art. 10 GG ausreicht, dass der Provider und damit auch die Ermittlungsbehörden in der Lage sind, jederzeit auf die auf dem Mailserver gespeicherten E-Mails zuzugreifen. Ein Telekommunikationsvorgang in einem dynamischen Sinne muss nicht stattfinden. 144 Fuhlrott, in: IT-ArbR, B. Individualarbeitsrecht Rn. 522, 520 f.; Panzer-Heemeier, in: Grobys/Panzer-Heemeier, BDSG, Nr. 78 Rn. 23; Schuster, in: Knierim/Tsambikakis, Internal Investigations, Kap. 12 Rn. 161; nicht eindeutig Walther/Zimmer, BB 2013, 2933, 2936. A. A. Niemann, Jahrbuch Arbeitsrecht 2018, 41, 48: Ruhend bereits mit Posteingang. 145 Mit diesem Ergebnis Brühl/Sepperer, ZD 2015, 415, 418; Mengel, NZA 2017, 1494, 1496; Lembke, in: HWK, Art. 88 DSGVO, Rn. 99. 146 Siehe hierzu im unmittelbaren Anschluss. 147 Conrad/Hausen, in: Auer-Reinsdorff/Conrad, IT- und Datenschutzrecht, Teil F, § 37 Rn. 201; Däubler, Belegschaft, Rn. 340; Dendorfer-Ditges, in: MAHB Arbeitsrecht, § 35 Rn. 203; Kreitner, in: Küttner Personalbuch, Internet-/Telefonnutzung, Rn. 7; Lembke, in:

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

zugehen ist, soll untersucht werden, ob sich überhaupt unterschiedliche Ermittlungsmöglichkeiten für den Arbeitgeber je nach Anwendung der jeweiligen Norm ergeben. (a) Ermittlungsmöglichkeiten nach Telekommunikationsgesetz Sofern der Arbeitgeber bei erlaubter Privatnutzung als Diensteanbieter im Sinne des Telekommunikationsgesetzes gilt, richtet sich die Erlaubnis des Datenzugriffs nach diesem Gesetz. § 88 TKG verbietet den Datenzugriff nicht pauschal: Das Telekommunikationsgesetz enthält spezielle Eingriffsrechte, die an bestimmte Daten oder Umstände anknüpfen.149 Nach § 88 III 1 TKG ist es dem Diensteanbieter untersagt, sich […] über das für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation zu verschaffen (Erforderlichkeitsgrundsatz)150. Anhaltspunkte dafür, was erforderlich ist, lassen sich den einzelnen Regelungen der §§ 91 ff. entnehmen.151 Derart zulässigerweise gewonnene Kenntnisse dürfen nur für den Zweck der geschäftsmäßigen Erbringung der Telekommunikationsdienste einschließlich des Schutzes ihrer technischen Systeme verwendet werden, § 88 III 2 TKG. Für andere Zwecke ist eine Verwendung dieser Kenntnisse nur in gesetzlich geregelten Ausnahmefällen zulässig, § 88 III 3 TKG. Aus der Konstruktion des § 88 III TKG ergibt sich, auf welche Daten der Arbeitgeber zugreifen darf, sofern er als Diensteanbieter im Sinne des Telekommunikationsgesetzes gilt. Auch hier ist wieder zwischen Verkehrsdaten, die mittels E-Mail-Logfiles gewonnen werden können, und dem E-Mail-Inhalt zu differenzieren. Als Erlaubnisnorm für den Zugriff auf Verkehrsdaten zur Aufdeckung von Straftaten oder Pflichtverletzungen kommt lediglich § 100 III TKG in Betracht, der repressive Maßnahmen erfasst.152 Andere Erlaubnisnormen wie § 97 I TKG oder § 100 I TKG gelten für präventive Maßnahmen und kommen daher für repressive Maßnahmen nicht in Betracht. § 100 III TKG erlaubt dem Diensteanbieter den HWK, Art. 88 DSGVO Rn. 99; Mengel, BB 2004, 2014, 2015 ff.; dies./Ullrich, NZA 2006, 240, 241; dies., NZA 2017, 1494, 1496; Sassenberg/Mantz, BB 2013, 889, 891; Glaser/Wisskirchen, DB 2011, 1447, 1450. 148 LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. 01. 2016 – 5 Sa 657/15, BeckRS 2016, 67048 Rn. 81; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. 02. 2011 @ 4 Sa 2132/10, ArbG Weiden, Urteil vom 17. 05. 2017 – 3 Ga 6/17, BeckRS 2017, 120365 Rn. 17; NZA-RR 2011, 342; Behling, BB 2018, 52, 54; Dzida, BB 2018, 2677, 2679; Grau/Dzida, DB 2018, 189, 194; Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, Kap. 2 S. 41; Stamer/Kuhnke, in: Plath, BDSG, § 26 Rn. 100; kritisch Schmidl, in: Hauschka/Moosmeyer, § 28 Rn. 353. 149 Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 203. 150 Bock, in: BeckOK TKG, § 88 Rn. 26. 151 Bock, in: BeckOK TKG, § 88 Rn. 26; Eckhardt, in: Spindler/Schuster TKG, § 88 Rn. 49. 152 Braun, in: BeckOK TKG, § 100 Rn. 26; Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, Kap. 3 S. 88.

B. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bei der Sachverhaltsaufklärung

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Zugriff auf Verbindungsdaten zur Sicherung seines Entgeltanspruchs, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte für die rechtswidrige Inanspruchnahme eines Telekommunikationsnetzes oder -dienstes vorliegen. Die Formulierung der tatsächlichen Anhaltspunkte diente als Vorlage für § 32 I 2 BDSG a. F.,153 sodass auf den ersten Blick ein Gleichauf von Bundesdatenschutzgesetz und Telekommunikationsgesetz naheliegen könnte. Allerdings ist bei § 100 III TKG die Sicherung des Entgeltanspruchs Ausdruck besonderer Zweckbindung154; § 100 III TKG ist damit strenger als § 32 I 2 BDSG a. F. An dieser Sicherung des Entgeltanspruchs fehlt es im Beschäftigungsverhältnis.155 Auch kann angezweifelt werden, ob die von § 100 III TKG vorausgesetzte rechtswidrige Inanspruchnahme eines Telekommunikationsdienstes, insbesondere für eine Leistungserschleichung und einen Betrug die Nutzung des Accounts zur Planung, Ausführung und Vorbereitung anderer Straftaten zulasten des Arbeitgebers oder Dritter erfasst.156 Im Ergebnis wird § 100 III TKG den Zugriff auf Verbindungsdaten zur Aufdeckung von Straftaten oder Pflichtverletzung in der Regel nicht erlauben. Ausnahmsweise könnte der Zugriff auf Verbindungsdaten daher lediglich über allgemeine Rechtfertigungsgründe erlaubt sein, wenn besondere Fallgestaltungen vorliegen.157 Den Inhalt der E-Mails darf der Arbeitgeber ohne Einwilligung des Arbeitnehmers nicht zur Kenntnis nehmen, da das Telekommunikationsgesetz eine dem § 26 I BDSG vergleichbare Erlaubnis hierzu nicht vorsieht.158 Teilweise wird allerdings vertreten, dass bei konkretem Verdacht von schwerwiegenden Straftaten ausnahmsweise eine Inhaltskontrolle zulässig sein soll.159 Hierin liegt allerdings ein gewisser Widerspruch zu den strengen Anforderungen des repressiven Zugriffs auf Verbindungsdaten, der anhand der intensiveren Grundrechtsbetroffenheit hinsichtlich des Gesprächsinhalts nicht von der Hand zu weisen ist. 153

BT-Drs. 16/13657, S. 21. Braun, in: BeckOK TKG, § 100 Rn. 22; laut Gesetzesbegründung diente die Neufassung der Klarstellung des Verwendungszwecks der erhobenen Daten, BT- Drs. 17/5707, S. 80. 155 Schrader/Mahler, NZA-RR 2016, 57, 62; a. A. für die Anwendung von § 100 III TKG ohne Begründung Panzer-Heemeier, in: Grobys/Panzer-Heemeier ArbR, Nr. 78 Rn. 31; Schmidl, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 2 Rn. 66. 156 Mengel, NZA 2017, 1494, 1496. 157 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. 1. 2005 – 1 Ws 152/04, MMR 2005, 178, 180; Schmidl, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 2 Rn. 63, so zu verstehen sind wohl auch Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 204; Glaser/Wisskirchen, DB 2011, 1447, 1450. 158 Brühl/Sepperer, ZD 2015, 415, 418; Däubler, Belegschaft, Rn. 340; Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 205; ähnlich Lembke, in: HWK, Art. 88 DSGVO Rn. 99; Mengel, BB 2004, 2014, 2018; Panzer-Heemeyer, in: Grobys/Panzer-Heemeier ArbR, Nr. 78 Rn. 30; Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, Kap. 3 S. 88; Schimmelpfennig/Wenning, DB 2006, 2290; Stamer/Kuhnke, in: Plath, BDSG, § 26 Rn. 103; Thüsing/Traut, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 9 Rn. 105. 159 Ernst, NZA 2002, 585, 590; Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81, 84; Kreitner, in: Küttner Personalbuch, Internet-/Telefonnutzung, Nr. 229 Rn. 9; kritisch hierzu Schuster, in: Knierim/Rübensthal/Tsambikakis, Investigations, Kap. 12 Rn. 163. 154

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass bei privater Nutzungserlaubnis dem Arbeitgeber nach dem Telekommunikationsgesetz der Zugriff auf Verbindungsdaten grundsätzlich nicht erlaubt sowie der Zugriff auf Inhalte ausnahmslos nicht erlaubt ist. Nach dem Telekommunikationsgesetz wäre eine konkrete Ermittlungsmaßnahme damit nur unter engsten Voraussetzungen zulässig.160 (b) Ermittlungsmöglichkeiten nach Bundesdatenschutzgesetz Sofern der Arbeitgeber nicht als Diensteanbieter im Sinne des Telekommunikationsgesetzes gesehen wird, würde auch bei erlaubter Privatnutzung das Bundesdatenschutzgesetz gelten161 und damit dieselben Überlegungen wie bei dienstlicher Nutzungserlaubnis: Nach der hier vertretenen Ansicht wäre der Zugriff auf Verbindungsdaten und E-Mail-Inhalte zulässig, wenn ein tatsachenbegründeter Verdacht des Arbeitgebers hinsichtlich einer Straftat oder Pflichtverletzung durch Arbeitnehmer besteht und ein strenger Verhältnismäßigkeitsmaßstab eingehalten wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wäre eine Datenverarbeitung wohl nach § 26 I 1 BDSG zulässig. (c) Stellungnahme Das Bundesdatenschutzgesetz enthält mit dem Erfordernis des tatsachenbasierten Verdachts für den Zugriff auf Verbindungsdaten und Inhalte aus § 26 I 2 BDSG und erst recht nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unter Rückgriff auf § 26 I 1 BDSG wesentlich niedrigere Hürden als das Telekommunikationsgesetz, das den Zugriff auf Inhalte generell und den Zugriff auf Verbindungsdaten grundsätzlich nicht zulässt. Damit ist die Frage von Relevanz, ob der Arbeitgeber Diensteanbieter im Sinne des Telekommunikationsgesetzes ist und es damit Anwendung findet. Seinen Ursprung hat das Verständnis vom Arbeitgeber als Diensteanbieter im Sinne des Telekommunikationsgesetzes in der Begründung zum Gesetzesentwurf aus dem Jahr 1996. Diese erstreckte das Fernmeldegeheimnis auf Nebenstellenanlagen in Hotels und Krankenhäusern sowie auf Nebenstellenanlagen in Betrieben und Behörden, soweit sie den Beschäftigten zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellt waren.162 Diese historische Begründung für die Anwendbarkeit des Telekommunikationsgesetzes ist bereits angesichts des unklaren Begriffs der „Nebenstellenanlage“ wenig überzeugend.163 Ob der Arbeitgeber als Diensteanbieter zu verstehen ist, soll daher unter Berücksichtigung der weiteren Auslegungsgrundsätze ermittelt werden.

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So im Ergebnis auch Stamer/Kuhnke, in: Plath, BDSG, § 26 Rn. 112. Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, Kap. 3 S. 89, wonach allerdings der Zugriff auf Inhalte unter die Rechtfertigung nach §§ 32, 34 StGB zu stellen ist; Thüsing/Traut, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 9 Rn. 17. 162 BT-Drs. 13/3609, S. 53, hierauf Bezug nehmend Däubler, Belegschaft, Rn. 339. 163 Zur Unklarheit des Begriffs Thüsing, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 3 Rn. 87. 161

B. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bei der Sachverhaltsaufklärung

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Der Wortlaut von § 3 Nr. 6 TKG definiert zunächst, dass Diensteanbieter ist, wer ganz oder teilweise geschäftsmäßig a) Telekommunikationsdienste erbringt oder b) an der Erbringung solcher Dienste mitwirkt. Dass der Arbeitgeber durch die erlaubte Privatnutzung selbst geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste nach Alternative a) erbringt, ist abzulehnen. Denn der Arbeitgeber fordert hierfür kein Entgelt, was zwar nach § 3 Nr. 10 TKG für das Kriterium der Geschäftsmäßigkeit nicht entscheidend ist,164 den Telekommunikationsdienst nach § 3 Nr. 24 TKG aber nicht erfüllt165. Außerdem würde der Arbeitgeber Telekommunikationsdienste nur erbringen, wenn er Telekommunikation für Dritte anbieten würde, § 3 Nr. 10 TKG. Das ist der Fall, wenn sich das Angebot an Personen richtet, die nicht der Sphäre des fraglichen Anbieters zuzurechnen sind.166 Sofern der Arbeitgeber ausschließlich die dienstliche Nutzung erlaubt, gelten die Arbeitnehmer nach soweit ersichtlich einhelliger Ansicht nicht als Dritte.167 Weshalb Arbeitnehmer dann bei erlaubter Privatnutzung als Dritte gelten sollen, ist nicht nachvollziehbar; die Arbeitnehmer sind der Sphäre des Arbeitgebers dann nicht weniger zuzurechnen.168 Die Erlaubnis der Privatnutzung versetzt die Arbeitnehmer nicht in eine andere Sphäre; hierin liegt lediglich ein Entgegenkommen des Arbeitgebers bzw. eine Reaktion auf die Nichtumsetzbarkeit eines Verbots.169 Dem Wortlaut von § 3 Nr. 6b) TKG könnte der Arbeitgeber leichter unterfallen170, da sich dann die Probleme der fehlenden Entgeltlichkeit und Dritteigenschaft des Arbeitnehmers nicht stellen; sie liegen bezogen auf den tatsächlichen Diensteanbieter, den der Arbeitgeber nutzt, unproblematisch vor. Allerdings sprechen systematische und teleologische Argumente letztlich gegen eine Anwendbarkeit des Telekommunikationsgesetzes, auch wenn der Wortlaut des § 3 Nr. 6b) TKG diese zuließe. Systematisch lässt sich gegen den Arbeitgeber als Diensteanbieter argumentieren, dass der Arbeitgeber bei Anwendung des Telekommunikationsgesetzes nicht mehr in der Lage wäre, mangels E-Mail-Zugriff seinen Aufbewahrungspflichten bezüglich Handelsbriefen aus § 257 I Nr. 2, 3 HGB, 147 I Nr. 2, 3 AO 164

§ 3 Nr. 10 TKG: mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht. Den die private Nutzung kostenlos erlaubende Arbeitgeber als Anbieter eines Telekommunikationsdienstes anzusehen, würde die Ausnahme des § 3 Nr. 24 TKG gerade zum Regelfall machen, Schimmelpfenning/Wenning, DB 2006, 2290, 2293; Thüsing, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 3 Rn. 82. 166 Derart zum Sphärengedanken Thüsing, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 3 Rn. 84, der aber auch auf die Unklarheiten des Wortlauts von § 3 Nr. 10 TKG hinweist. 167 Siehe hierzu bereits oben S. 73. 168 Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, Kap. 2 S. 41; Arbeitnehmer sind Teil des Betriebs und keine unternehmensfremden Dritten, auch § 3 Abs. 8 S. 2 BDSG definiert den Dritten als eine Person oder Stelle außerhalb des Unternehmens, Wybitul, BB 2011, Heft 37, 1. 169 Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, Kap. 2 S. 41; Schmidl, in: Momsen/ Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 2 Rn. 27; Thüsing, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 3 Rn. 84; Stamer/Kuhnke, in: Plath, BDSG, § 26 Rn. 100. 170 Für diese Alternative erstaunlicherweise lediglich Däubler, Belegschaft, Rn. 338. 165

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

nachzukommen.171 Der Arbeitgeber müsste also entweder diese Pflichten verletzten oder Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes. Teleologisch spricht gegen ein Verständnis des Arbeitgebers als Diensteanbieter, dass Zweck des Telekommunikationsgesetzes nach § 1 TKG ist, den Wettbewerb im Bereich der Telekommunikation […] zu fördern und flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten. Das Telekommunikationsgesetz ist damit eine wettbewerbsrechtliche Sondervorschrift zum GWB.172 Der Zweck ist nicht, unternehmensinterne Rechtsbeziehungen, etwa zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu regeln;173 das Telekommunikationsgesetz ist kein Arbeitnehmerschutzgesetz174. Hierfür besteht auch gar kein Bedürfnis – der Arbeitnehmer kann sich schließlich problemlos selbst schützen, indem er die dienstlichen Geräte auch nur für die dienstliche Kommunikation nutzt.175 Der Zweck des Telekommunikationsgesetzes und seine Bedeutung für die Eigenschaft eines Dienstanbieters werden auch unterstrichen, wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung feststellt, dass die Telekommunikationsdienstleister ihre Dienste unter den Bedingungen von Konkurrenz und Kostendruck anbieten müssen.176 Diese Rechtsprechung verdeutlicht, dass der Arbeitgeber nicht zu den Diensteanbietern als Adressatenkreis des Telekommunikationsgesetzes passt.177 Im Ergebnis sprechen die überzeugenderen Argumente dafür, den Arbeitgeber bei erlaubter Privatnutzung des E-Mail-Accounts nicht als Diensteanbieter im Sinne des Telekommunikationsgesetzes zu qualifizieren. Ein neuer Aspekt, der ebenfalls gegen die Anwendung des Telekommunikationsgesetzes spricht, ergibt sich mit Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung und ihrem Verhältnis zur Richtlinie 2002/58/EG, die die §§ 91 ff. TKG umsetzen. Entscheidend für das Verhältnis zwischen den beiden Regelwerken ist Art. 95 DSGVO, wonach die Datenschutz-Grundverordnung im Vergleich zur Richtlinie 2002/58/EG keine zusätzlichen Pflichten enthält. Wird in den nationalen Regelungen wie denen des Telekommunikationsgesetzes nur der Mindeststandard der RL 2002/ 58/EG umgesetzt, geht dieses Gesetz der Datenschutz-Grundverordnung vor.178 Sieht man den Arbeitgeber als Diensteanbieter, stellt dies allerdings eine überschießende

171 Thüsing, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 3 Rn. 89; Schimmelpfennig/Wenning, DB 2006, 2290, 291; Stamer/Kuhnke, in: Plath, BDSG, § 26 Rn. 100. 172 Schimmelpfennig/Wenning, DB 2006, 2290, 2293; Thüsing, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 3 Rn. 92; Walther/Zimmer, BB 2013, 2933, 2934. 173 VG Karlsruhe, Urteil vom 27. 05. 2013 – 2 K 3249/12, NVwZ-RR 2013, 797, 801. 174 Fühlbier/Splittgerber, NJW 2012, 1995, 1999; Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, Kap. 2 S. 41; Walther/Zimmer, BB 2013, 2933, 2934. 175 Stamer/Kuhnke, in: Plath, BDSG, § 26 Rn. 100; Thüsing, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 3 Rn. 94. 176 BVerfG, Urteil vom 02. 03. 2010 – 1 BvR 256/08, NJW 2010, 833, 847 Rn. 222, 271. 177 Diese Rechtsprechung in Bezug nehmend Walther/Zimmer, BB 2013, 2933, 2936. 178 Sydow, in: Sydow, DSGVO, Art. 95 Rn. 10.

B. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bei der Sachverhaltsaufklärung

81

Umsetzung der Datenschutzrichtlinie 2002/58/EG dar.179 Bei Verschärfungen im nationalen Recht – wie etwa durch überschießende Umsetzung der RL 2002/58/EG – entfaltet die Datenschutz-Grundverordnung Anwendungsvorrang vor dem Telekommunikationsgesetz180, das dann nicht gilt. Vielmehr gelten dann die Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes als Konkretisierung der Datenschutz-Grundverordnung. Dieser Einwand lässt sich nicht überzeugend entkräften.181 Auch vor diesem Hintergrund sollten bei erlaubter Privatnutzung die Normen des Bundesdatenschutzgesetzes Anwendung finden. (4) Ergebnis zu den Zulässigkeitsanforderungen an die E-Mail-Überwachung Beurteilungsmaßstab für die Zulässigkeit repressiver E-Mail-Überwachung ist sowohl bei ausschließlich dienstlicher als auch bei erlaubter Privatnutzung das Bundesdatenschutzgesetz. Folge ist, dass in beiden Fällen bei repressiver E-Mail-Überwachung von Verbindungsdaten und Inhalten nach der hier vertretenen Ansicht ein tatsachenbasierter Verdacht bezüglich einer Straftat oder einer Pflichtverletzung vorliegen muss und die repressive Überwachungsmaßnahme einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne von § 26 I 2 BDSG standhält. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts käme wohl zu dem Ergebnis, dass ein tatsachenbasierter Verdacht und die besonderen Anforderungen an die Abwägung nach § 26 I 2 BDSG bei der repressiven EMail-Überwachung nicht vorliegen müssen, da der E-Mail-Überwachung keine den Fällen der Videoüberwachung oder des Keylogger-Einsatzes entsprechende Profilerstellungsgefahr innewohnen dürfte. cc) Sonstiges Arbeitnehmerverhalten im digitalen Umfeld Jenseits der E-Mail-Kontrolle, die für den Arbeitgeber vorwiegend inhaltlich von Interesse ist, hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, sich mit besonderen Überwachungsprogrammen Aufschluss über das digitale Nutzungsverhalten der Arbeitnehmer zu verschaffen und damit Missstände aufzuklären. Auch hier wird für die Zulässigkeit des Datenzugriffs relevant, auf welche Daten der Arbeitgeber konkret zugreift. Zum einen kommt hier der Zugriff auf Verbindungsdaten in Betracht: Über die bereits im E-Mail-Screening angesprochen Log-Files lässt sich nicht nur feststellen, welche Arbeitnehmer miteinander im E-Mail-Kontakt standen, sondern auch, welcher Arbeitnehmer wann wie lange welche Seiten im Internet bzw. Intranet

179 Diese gilt nach ihrem Art. 3 I jedoch nicht für geschlossene Nutzergruppen und deswegen nicht mit der DSGVO vereinbar ist, Bergt, in: Koreng/Lachenmann, Datenschutz, Vorb. D III 1. 180 Sydow, in: Sydow, DSGVO, Art. 95 Rn. 10. 181 Ohne Begründung für die Anwendbarkeit des TKG neben der DSGVO etwa PanzerHeemeier, in: Grobys/Panzer-Heemeier ArbR, Nr. 78 Rn. 20.

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

aufgerufen hat.182 Begrifflich sind diese Daten als Internetverkehrsdaten183 oder Browserverlaufsdaten184 zu verstehen. Für die Aufdeckung von Missständen in Form krimineller Strukturen dürften diese Daten ggf. weniger weiterführend sein;185 für das Fehlverhalten einzelner Arbeitnehmer insbesondere beim Verbot privater Internetnutzung sind sie hingegen entscheidend. Neben dem Zugriff auf derartige Verbindungsdaten ist außerdem denkbar, dass das digitale Arbeitnehmerverhalten umfassend überwacht werden soll. Interessant dürften für unternehmensinterne Untersuchungen zur Aufdeckung krimineller Strukturen Programme sein, die sämtliche Tastatureingaben aufzeichnen bzw. regelmäßig Screenshots fertigen (Keylogger)186 oder als Datensicherheitssoftware jeglichen Datenverkehr auch hinsichtlich des Inhalts nachvollziehen187. Für die Zulässigkeit derartiger repressiver Ermittlungsmaßnahmen kann auf die bisherigen Ergebnisse verwiesen werden. Auf die Differenzierung zwischen ausschließlich dienstlicher Internetnutzung und erlaubter Privatnutzung kommt es nicht an, da trotz des Telekommunikationsmediums Internet188 der Arbeitgeber kein Diensteanbieter im Sinne des Telekommunikationsgesetzes ist und somit das Bundesdatenschutzgesetz Anwendung findet.189 Nach der hier vertretenen Ansicht sind derartige repressive Ermittlungsmaßnahmen nur unter den Voraussetzungen zulässig, die in § 26 I 2 BDSG normiert sind. Nach Sichtweise des Bundesarbeitsgerichts gelten die Anforderungen des § 26 I 2 BDSG zumindest für umfassende Überwachungsmöglichkeiten mit Profilerstellungsgefahr wie der Einsatz eines Keyloggers.190 Der repressive Zugriff auf Browserverlaufsdaten müsste nach den Rechtsprechungsgrundsätzen den Anforderungen des § 26 I 2 BDSG genügen, wenn diese Art der Überwachung mit Ermittlungsmaßnahmen wie der Videoüberwachung oder dem Keylogger-Einsatz vergleichbar ist. Eine Vergleichbarkeit mit dem KeyloggerEinsatz liegt nahe, wenn die Auflistung der Browserverlaufsdaten denselben Informationsgehalt aufweist wie angefertigte Screenshots. Das dürfte allerdings zweifelhaft sein, da Browserverlaufsdaten lediglich die Aktivität im Browser dokumentieren, also eine Internetnutzung voraussetzen, Screenshots hingegen das 182

Faas, in: Kilian/Heussen ComputerR-HdB, 70.2, Rn. 25. Schmidl, in: Hauschka/Moosmeyer/Lösler, Corporate Compliance, § 28 Rn. 357 ff. 184 Zum präventiven Zugriff auf derartige Daten LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. 01. 2016 – 5 Sa 657/15, BeckRS 2016, 67048. 185 Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 33. 186 Faas, in: Kilian/Heussen ComputerR-HdB, 70.2, Rn. 26. 187 ArbG Cottbus, Urteil vom 25. 11. 2014 – 3 Ca 359/14, ZD 2016, 301, zugrundeliegender Sachverhalt. 188 Internetnutzung und E-Mail-Nutzung sind nach denselben Grundsätzen zu behandeln, Seifert, in: Simitis, BDSG, § 32 Rn. 93; Stamer/Kuhnke, in: Plath, BDSG, § 26 Rn. 113. 189 Siehe obige Stellungnahme im Rahmen der E-Mail-Überwachung. 190 Der vom Bundesarbeitsgericht entschiedene Fall stellt die Konstellation dar, die die Profilerstellungsgefahr als Entscheidungskriterium verdeutlicht: Der Einsatz des Keyloggers erfolgte hier präventiv. 183

B. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bei der Sachverhaltsaufklärung

83

gesamte Nutzungsverhalten am PC erfassen. Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass nach der Rechtsprechung der repressive Zugriff auf Browserverlaufsdaten bereits ohne einen tatsachenbasierten Verdacht und eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung zulässig ist. Hier müsste es nach Sichtweise des Bundesarbeitsgerichts auf die Funktionsweise des Überwachungsmediums und die Profilerstellungsgefahr im Einzelfall ankommen. dd) Telefonüberwachung Die Zulässigkeit von repressiven Maßnahmen der Telefonüberwachung beurteilt sich nach zutreffender Ansicht nach Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes; das Telekommunikationsgesetz findet auch hier bei privater Nutzungserlaubnis keine Anwendung, da der Arbeitgeber nicht Diensteanbieter im Sinne des Telekommunikationsgesetzes ist.191 Ähnlich wie bei der E-Mail-Überwachung findet sich bei der Telefonüberwachung im Schrifttum kaum eine Auseinandersetzung mit repressiven Maßnahmen. In der Regel wird die Möglichkeit präventiver Maßnahmen beleuchtet, wobei die Kontrolle von Verbindungsdaten mit Ausnahme der Totalüberwachung in der Regel zulässig sein soll192, die inhaltliche Kontrolle hingegen problematisch ist: Hier ist von der präventiven Kontrollmaßnahme nicht nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen, sondern mit dem Recht am eigenen Wort eine besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes schützt193. Der Schutz gilt unabhängig davon, ob das Gespräch dienstlicher oder privater Natur ist.194 Anders als bei E-Mails ist das Telefongespräch nicht vergleichbar mit dienstlicher Post,195 bei Telefonaten ist gerade der Charakter der Mündlichkeit und Flüchtigkeit entscheidend für das entsprechende Schutzinteresse der Gesprächsteilnehmer.196 Die inhaltliche präventive Überwachung von Telefonaten durch Aufzeichnung oder heimliches Mithören ist daher

191 Siehe oben, so etwa auch Stamer/Kuhnke, in: Plath, BDSG, § 26 Rn. 117; Thüsing/Traut, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 10 Rn. 1. 192 Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81, 84; Mengel, in: Knierim/Tsambikakis, Internal Investigations, Kap. 14 Rn. 30; Panzer-Heemeier, in: Grobys/Panzer-Heemeier ArbR, Nr. 78 Rn. 14; Seifert, in: Simitis, BDSG, § 32 Rn. 88. 193 BVerfG, Beschluss vom 19. 12. 1991 – 1 BvR 382/85, NZA 1992, 307, 308; BAG, Urteil vom 29. 10. 1997 – 5 AZR 508/96, NZA 1998, 307, 309; Brink, in: BeckOK DatenschutzR, 30. Edt., Syst. C Rn. 52; Ernst, NZA 2002, 585, 589. 194 BVerfG, Beschluss vom 19. 12. 1991 – 1 BvR 382/85, NZA 1992, 307, 308; BAG, Urteil vom 29. 10. 1997 – 5 AZR 508/96, NZA 1998, 307, 309; Ernst, NZA 2002, 585, 589; Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 30; Panzer-Heemeier, in: Grobys/Panzer-Heemeier ArbR, Nr. 78 Rn. 11. 195 Siehe zu dieser Vergleichbarkeit bei E-Mails oben Fußnote 134 auf S. 73. 196 Mengel, BB 2004, 2014, 2017.

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

grundsätzlich unzulässig, es sei denn, es liegen überwiegend schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers vor.197 Diese Überlegungen sind auch bei repressiven Maßnahmen zu beachten. Auch bei der repressiven Telefonüberwachung gilt zunächst dasselbe wie bei den vorherigen repressiven Überwachungsmaßnahmen: Die Telefonüberwachung zur Aufdeckung von Straftaten oder Pflichtverletzungen ist nach der hier vertretenen Ansicht unter den Voraussetzungen des § 26 I 2 BDSG n. F. zulässig.198 Nach der Rechtsprechung wäre die repressive Telefonüberwachung nur bei Vergleichbarkeit mit der Videoüberwachung oder dem Keylogger-Einsatz diesen strengeren Anforderungen zu unterwerfen. Die Gefahr einer Profilerstellung ist bei der Überwachung von Telefonaten gleichermaßen zweifelhaft wie bei der Überwachung von E-Mail-Kommunikation. Allerdings dürfte bei der Telefonüberwachung für einen besonders intensiven Grundrechtseingriff sprechen, dass hier – anders als bei E-Mails – die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes betroffen ist. Unter diesem Aspekt kann angenommen werden, dass auch die Rechtsprechung von einer besonders intensiven Grundrechtsbetroffenheit ausgeht und damit hohe Anforderung an die Zulässigkeit des Datenzugriffs in Form der Voraussetzungen von § 26 I 2 BDSG n. F. stellt. Ohne weiteres ist damit ein Zugriff auf die Verbindungsdaten eines Gesprächs nur unter den Voraussetzungen von § 26 I 2 BDSG n. F. zulässig. Zusätzlich ist allerdings zu überlegen, ob aufgrund der Betroffenheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Form des Rechts des gesprochenen Worts an den Zugriff auf Gesprächsinhalte besondere Anforderungen zu stellen sind. Unter Verweis auf § 201 StGB wird der repressive Zugriff auf Gesprächsinhalte nur dann als zulässig angesehen, wenn er durch Notwehr oder Notstand gerechtfertigt ist, §§ 32, 34 StGB.199 Diese Voraussetzung dürfte allerdings bereits im Rahmen der grundsätzlichen Zulässigkeitsvoraussetzung des tatsachenbasierten Verdachts einer Straftat oder Pflichtverletzung aus § 26 I 2 BDSG ohnehin vorliegen. Der besonderen Betroffenheit des Rechts am gesprochenen Wort könnte allerdings zusätzlich dadurch Rechnung getragen werden, dass das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der 197 BAG, Urteil vom 29. 10. 1997 – 5 AZR 508/96, NZA 1998, 307, 309; Franzen, in: ErfK BDSG, § 26 Rn. 29; besondere Betoung der Ausnahme bei Ernst, NZA 2002, 585, 589; bei konkretem Verdacht einer schweren Verfehlung oder Straftat des Mitarbeiters, etwa dem Verrat von Betriebsgeheimnissen Kort, RdA 2018, 24, 28; Lembke, in: HWK, Art. 88 DSGVO Rn. 119; bei notwehr-/notstandsähnlichen Situation für den Arbeitgeber, beispielsweise einem konkreten Verdacht strafbarer Gesprächsinhalte Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81, 84; Kreitner, in: Küttner Personalbuch, Internet-/Telefonnutzung, Nr. 229 Rn. 9; Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 30, 31; Panzer-Heemeier, in: Grobys/Panzer-Heemeier ArbR, Nr. 78 Rn. 11. 198 So im Ergebnis bereits zu § 32 I BDSG a. F. Imping, in: Kilian/Heussen ComputerRHdB, 70.12 Rn. 33; Stamer/Kuhnke, in: Plath, 2. Aufl. BDSG, § 32 Rn. 118; zu § 26 BDSG Stamer/Kuhnke, in: Plath, BDSG, § 26 Rn. 118; zur repressiven Überwachung nur bei konkretem Verdacht einer Straftat Lembke, in: HWK, Art. 88 DSGVO Rn. 119. 199 Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, Kap. 3 S. 90.

B. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bei der Sachverhaltsaufklärung

85

Verarbeitung § 26 I 2, 1. Hs. a. E. lediglich in Extremsituationen nicht überwiegt. Denkbar wäre hier etwa der Verdacht besonders gravierender Straftaten oder die Abwendungsmöglichkeit eines besonders hohen Schadens. In allen anderen Fällen müsste von einem Überwiegen des Beschäftigteninteresses ausgegangen werden und die Überwachung des Gesprächsinhalts wäre unzulässig. c) Ergebnis zu den datenschutzrechtlichen Vorgaben Es hat sich gezeigt, dass gängige repressive Ermittlungsmaßnahmen nach der hier vertretenen Ansicht generell, nach Auffassung der Rechtsprechung in den meisten Fällen nur unter den Voraussetzungen des § 26 I 2 BDSG n. F. zulässig sind. Lediglich für den Zugriff auf Browserverlaufsdaten und E-Mails (sofern man diesen wie hier unter den Anwendungsbereich des Bundesdatenschutzgesetzes fasst) dürfte die Rechtsprechung vom Erfordernis eines tatsachenbasierten Verdachts und einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung absehen. Die Relevanz dieses Unterschieds in der Praxis dürfte vor allem prozessual deutlich werden, wenn hinsichtlich des Verdachts Tatsachen vorgetragen werden müssten – dann erst kommt es auf das Vorliegen eines tatsachengestützten Verdachts an. Dass hieran Streitigkeiten entschieden werden, ist in der Rechtsprechung deutlich geworden.200 Welche Konsequenzen sich aus dem Fehlen von Zulässigkeitsvoraussetzungen ergeben, ist im 4. Teil zu diskutieren. 2. Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben Neben datenschutzrechtlichen Vorgaben hat der Arbeitgeber insbesondere auf die Erfüllung betriebsverfassungsrechtlicher Anforderungen zu achten. Nach § 87 I Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat vorbehaltlich gesetzlicher oder tariflicher Regelungen ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Hierbei ist allgemein anerkannt, dass ein Mitbestimmungsrecht bereits besteht, wenn technische Einrichtungen lediglich objektiv geeignet sind, das Verhalten oder die Leistungen der Arbeitnehmer zu überwachen; auf die subjektive Zielrichtung des Arbeitgebers kommt es nicht an.201 Mitbestimmungspflichtig ist zum einen die Einführung der technischen Einrichtung, d. h. das Ob der Einführung einschließlich der hierzu erforderlichen nä-

200

Fehlender Tatsachenvortrag bei BAG, Urteil vom 27. 07. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327 Rn. 34. 201 BAG, Beschluss vom 27. 01. 2004 – 1 ABR 7/03, NZA 2004, 556, 558; BAG, Beschluss vom 06. 12. 1983 – 1 ABR 43/81, NJW 1984, 1476, 1484; Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 226; Kania, in: ErfK BetrVG, § 87 Rn. 55; Richardi/Maschmann, in: Richardi, BetrVG, Rn. 513; Werner, in: BeckOK ArbR, § 87 BetrVG Rn. 92.

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2. Teil 1. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten

heren Modalitäten.202 Bei der Einführung von Beobachtungseinrichtungen wird sogar in der Regel neben der bloßen Geeignetheit zur Überwachung eine subjektive Zielrichtung gegeben sein. Vor diesem Hintergrund sind Videoanlagen technische Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen.203 Die Bereitstellung von Telefon und Internet unter Einsatz einer speziellen Software204 zur Datenerhebung – etwa zur Überwachung von E-Mails, sonstigem digitalen Nutzerverhalten oder Telefonaten – löst ebenfalls ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 6 BetrVG aus.205 Sofern E-Mail-Accounts lediglich persönlich zu Beobachtungszwecken abgerufen werden und keine weitere digitale Verarbeitung des Inhalts erfolgt, dürfte ein Mitbestimmungsrecht mangels Einsatz einer technischen Einrichtung zu Überwachungszwecken ausscheiden206 – ein derartiger Fall scheint bei unternehmensinternen Untersuchungen angesichts des Ermittlungsumfangs in der Regel aber fernliegend. Mitbestimmungspflichtig ist zum anderen die Anwendung der technischen Einrichtung; diese betrifft den Einsatz der Überwachungseinrichtung und die dadurch bewirkten Überwachungsmaßnahmen.207 Im Gegensatz dazu obliegt die konkrete Anwendung der zum Einsatz getroffenen Vereinbarung nach den allgemeinen Grundsätzen der betrieblichen Mitbestimmung allein dem Arbeitgeber.208 Der Betriebsrat hat damit kein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich des konkreten Zugriffs auf die gewonnenen Daten. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 I Nr. 6 BetrVG hinsichtlich der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen stellt den einzigen An202 BAG, Beschluss vom 27. 1. 2004 – 1 ABR 7/03, NZA 2004, 556, 558; Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 248; Kaltenmeier, Beweisverwertungsverbot, S. 117; Kania, in: ErfK BetrVG, § 87 Rn. 58; Wiese/Gutzeit, in: GK-BetrVG, § 87 Rn. 593. 203 BAG, Urteil vom 22. 09. 2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017,112 Rn. 44; Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 247; Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, § 53 Rn. 23; Polenz, in: Kilian/Heussen ComputerR-HdB, 1. Abschnitt. Erläuterungen Teil 13 Rn. 12. 204 Die bloße Bereitstellung von E-Mail und Telefon genügt nicht; ein Mitbestimmungsrecht besteht erst mit Einrichtung einer besonderen Überwachungsprogramms Kania, in: ErfK BetrVG, § 87 Rn. 55; Richardi/Maschmann, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 513. 205 Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 244 f.; Klebe, in: Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, § 87 Rn. 201; Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81, 84; Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/ Tsambikakis, Kap. 14 Rn. 62; Majer, in: Mossmayer/Hartwig, Kap. D Rn. 23; Neufeld/Knitter, BB 2013, 821, 823; Rasche, öAT 2016, 7, 8; Wiese/Gutzeit, in: GK-BetrVG, § 87 Rn. 584; allgemein zum Mitbestimmungsrecht bei Einsatz moderner Kommunikationsmittel Richardi/ Maschmann, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 499. 206 Majer, in: Moosmeyer/Hartwig, Kap. D Rn. 24; allein die manuelle Eingabe steht einem Mitbestimmungsrecht noch nicht entgegen, wenn die Daten anschließend gespeichert werden und auf sie zugegriffen werden kann, BAG, Beschluss vom 13. 12. 2016 – 1 ABR 7/15, NZA 2017, 657, 659 Rn. 22. 207 BAG, Beschluss vom 27. 01. 2004 – 1 ABR 7/03, NZA 2004, 556, 558; Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 249. 208 Richardi/Maschmann, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 31; Werner, in: BeckOK ArbR, § 87 BetrVG Rn. 98.

B. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bei der Sachverhaltsaufklärung

87

knüpfungspunkt für betriebliche Mitbestimmung dar, sofern die Überwachung des Arbeitsverhaltens ermöglicht wird. Kommt mit den technischen Einrichtungen auch eine Überwachung des Ordnungsverhaltens und damit ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 1 BetrVG in Betracht, geht dennoch § 87 I Nr. 6 BetrVG als Spezialregelung vor.209 Insofern hat der Arbeitgeber lediglich das Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 6 BetrVG zu beachten. Welche Konsequenzen eine Nichtbeachtung des Mitbestimmungsrechts haben kann, wird im 4. Teil erörtert.

209 Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 214; Werner, in: BeckOK ArbR, § 87 BetrVG Rn. 89; Wiese/ Gutzeit, in: GK-BetrVG, § 87 Rn. 508.

2. Kapitel

Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen Bei der Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen sind die Pflichten der Arbeitsvertragsparteien zunächst in der Situation zu beleuchten, dass eine Selbstbelastung des Arbeitnehmers nicht droht (Abschnitt A.). Ob die Pflichten vor dem Hintergrund der Selbstbelastungsfreiheit zu modifizieren sind, ist an späterer Stelle zu beleuchten (Abschnitt C.). Das Schutzverständnis des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit ist nach wie vor ungeklärt, sodass vor Betrachtung der Selbstbelastungsproblematik in der arbeitsrechtlichen Situation zunächst noch eine Auseinandersetzung mit der Reichweite dieses Grundsatzes zu erfolgen hat (Abschnitt B.).

A. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien in der Befragungssituation jenseits der Selbstbelastung Im Gegensatz zur Sachverhaltsaufklärung durch Einsichtnahme in Kommunikationsdaten oder bei der Videoüberwachung ist bei der Arbeitnehmerbefragung verstärkt auf Pflichten des Arbeitnehmers einzugehen.

I. Pflichten des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber 1. Teilnahmepflicht Zu überlegen ist, ob der Arbeitnehmer überhaupt zur Teilnahme an der Befragung verpflichtet ist. Vor dem Hintergrund, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Wege des Direktionsrechts verpflichten kann, an Personalgesprächen teilzunehmen210, wird überwiegend vertreten, dass der Arbeitnehmer im Wege des Direktionsrechts auch verpflichtet werden kann, an einer Befragung im Rahmen interner Untersuchungen teilzunehmen211. Die mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers begründete Teil210

BAG, Urteil vom 02. 11. 2016 – 10 AZR 596/15, NZA 2017, 183 Rn. 24; BAG, Urteil vom 23. 06. 2009 – 2 AZR 606/08, NZA 2009, 1011 Rn. 17. 211 Doege, S. 411; Haefcke, CCZ 2014, 39; Klasen/Schaefer, BB 2012, 641, 644; Kraus, S. 82; Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19, 22; Rudkowski, NZA 2011, 612; Schrader/

A. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien in der Befragungssituation

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nahmepflicht des Arbeitnehmers an Personalgesprächen beschränkt sich allerdings auf die Fälle, in denen auch der Gesprächsinhalt im Zusammenhang mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers steht: Das arbeitgeberseitige Weisungsrecht beinhaltet die Berechtigung, den Arbeitnehmer zur Teilnahme an Gesprächen zu verpflichten, in denen der Arbeitgeber Weisungen vorbereiten, erteilen oder ihre Nichterfüllung beanstanden will.212 Das Gesetz begrenzt das Weisungsrecht auf „Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung“ sowie auf „Ordnung und Verhalten im Betrieb“. Gespräche, die mit diesen Zielen in keinem Zusammenhang stehen, können danach nicht durch einseitige Anordnung zu nach § 106 S. 1, 2 GewO verbindlichen Dienstpflichten erhoben werden.213 Streng genommen richtet sich damit auch die Pflicht zur Teilnahme an der Befragung danach, ob die anschließende Befragung des Arbeitnehmers vom Direktionsrecht gedeckt ist – was in Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Arbeitnehmer zur Teilnahme an der Befragung angewiesen werden kann, soweit ersichtlich übersehen wird. Die Teilnahmepflicht greift damit auf die Frage vor, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Wege des Weisungsrechts befragen darf, also das Weisungsrecht Grundlage für den Auskunftsanspruch des Arbeitgebers bzw. die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers ist.214 Unter diesen Umständen lässt sich die Frage nach der Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers an einer Befragung mithin erst dann beantworten, wenn seine Auskunftspflichten beleuchtet worden sind. 2. Auskunftspflichten a) Auskunft als vertraglich geschuldete Tätigkeit (Sonderfall) Eine Auskunftspflicht kann ausdrücklich vereinbart und autonome Vertragspflicht sein, etwa bei einem Auskunftserteilungs- oder Gutachtervertrag.215 Sofern eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers ausdrücklich vereinbart wurde, ist der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gegenüber umfassend zur Auskunft verpflichtet; eine inhaltliche Beschränkung der Auskunftspflicht ergibt sich nur aus dem Umfang

Thoms/Mahler, NZA 2018, 965, 966; Wessing, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 7. Kapitel § 46 Rn. 42. 212 BAG, Urteil vom 02. 11. 2016 – 10 AZR 596/15, NZA 2017, 183 Rn. 24; BAG, Urteil vom 23.06. 2009 – 2 AZR 606/08, NZA 2009, 1011 Rn. 17. 213 Dzida, Anmerkung zu BAG, Urteil vom 23.06. 2009 – 2 AZR 606/08, NJW 2009, 3115, 3117; Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19, 22; Maschmann, in: BeckOGK GewO, § 106 Rn. 109; Urban, ArbR Aktuell 2011, 87. 214 Selbst wenn das Weisungsrecht Grundlage für die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers wäre, wäre problematisch, ob sich die Auskunftspflicht –und damit auch die Teilnahmepflichtauf Auskünfte bezieht, die lediglich Wahrnehmungen außerhalb der eigenen Arbeitsleistung zum Gegenstand haben. 215 Gäntgen, S. 2; Winkler von Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, S. 19.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

dessen, was arbeitsvertraglich vereinbart ist und wirksam vereinbart werden kann.216 Eine derart begründete Pflicht dürfte allerdings den Ausnahmefall darstellen, sodass hierauf nicht weiter eingegangen werden soll. b) Keine gesonderte Auskunftsvereinbarung Sofern – im Regelfall – eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers nicht gesondert vereinbart ist, muss bei der Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Auskunft in einer Befragungssituation nach dem Inhalt der Auskunft differenziert werden. Die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers steht stets in einem korrespondierenden Verhältnis zu einem entsprechenden Auskunftsanspruch des Arbeitgebers.217 aa) Auskunftspflichten bezüglich des unmittelbaren Arbeitsbereichs Auskunftspflichten des Arbeitnehmers können sich aus der Nähe der Auskunft zu der im Rahmen des Arbeitsverhältnisses geschuldeten Tätigkeit ergeben. Diese Nähe der Auskunft zur geschuldeten Tätigkeit lässt sich als Auskunft bezüglich des unmittelbaren Arbeitsbereichs beschreiben: Hierzu gehören Auskünfte, die sich auf die Arbeitsleistung218 des Arbeitnehmers und seine Arbeitsergebnisse beziehen.219 Für eine derartige Auskunftspflicht sind zwei Anknüpfungspunkte denkbar. (1) Auskunftspflicht aus § 106 GewO Sofern der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer Informationen erfragt, die im Zusammenhang mit der ihm übertragenen Aufgabe stehen, wird eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers vereinzelt auf § 106 GewO gestützt.220 Hiernach sei der Arbeitgeber berechtigt, den Arbeitnehmer anzuweisen, über Wahrnehmungen im Zu-

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Böhm, WM 2009, 1923; zur fehlenden Schutzbereichsöffnung siehe Beispielsfall 1, S. 125, 131. 217 Zu diesem Verhältnis bei § 666 BGB BGH, Urteil vom 19. 5. 2016 – III ZR 274/15, NJWRR 2016, 842 Rn. 43; BGH, Urteil vom 16. 6. 2016 – III ZR 282/14, NJW- RR 2016, 1391; BGH, Urteil vom 01. 12. 2011 @ III ZR 71/11, NJW 2012, 917; Fischer, in: BeckOK BGB, § 666 Rn. 5; Löser, Kommunikation, S. 115; Martinek, in: Staudinger, § 666 Rn. 1; Schneider, NZG 2010, 1201, 1204. 218 Bernhardt/Bullinger, CB 2016, 205, 207; Böhm, WM 2009, 1923, 1924. 219 Diller, DB 2004, 313; Grützner, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 353. 220 ArbG Stuttgart, Urteil vom 30. 8. 2012 – 17 Ca 10091/11, BeckRS 2016, 69557; Bissels/ Lützeler, BB 2012, 189, 190; Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 263; Imping, in: Kilian/Heussen, ComputerR-HdB, 70.12 Rn. 29; Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19, 20; Maschmann, in: BeckOGK, § 106 Rn. 110; Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 243; Roxin, StV 2012, 116, 118; Tscherwinka, FS I. Roxin, S. 522, 526.

A. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien in der Befragungssituation

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sammenhang mit der Arbeitsleistung Auskünfte zu erteilen.221 Die Auskunftspflicht wird aufgrund des Zusammenhangs als leistungssichernde Nebenpflicht verstanden. Derartige Pflichten sind als Gegenstand des Direktionsrechts anerkannt.222 (2) Auskunftspflicht aus § 666 Var. 2, 675 BGB analog Überwiegend wird angenommen, die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs ergebe sich aus § 666 Var. 2, 675 BGB direkt223, analog224 oder allein aus § 666 Var. 2 BGB analog225. Die Auskunftspflicht muss dabei auf § 666 Var. 2 BGB („ist verpflichtet, dem Auftraggeber auf Verlangen über den Stand des Geschäfts Auskunft zu erteilen“) gestützt werden, obwohl auf eine genaue Zitierung soweit ersichtlich ausnahmslos verzichtet wird. Denn § 666 Var. 1 BGB („ist verpflichtet, dem Auftraggeber die erforderlichen Nachrichten zu geben“) ist als Pflicht zu verstehen, die keine vorherige Nachfrage voraussetzt, sondern eine Informationsweitergabe auf eigene Initiative.226 Die Pflicht aus § 666 Alt. 2 BGB hingegen setzt ein Verlangen des Geschäftsherrn voraus.227 Bei der 221 Bissels/Lützeler, BB 2012, 189, 190; Imping, in: Kilian/Heussen ComputerR-HdB, 70.12 Rn. 29; Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19, 20; Maschmann, in: BeckOGK GewO, § 106 Rn. 110. 222 BAG, Urteil vom 02. 11. 2016 – 10 AZR 596/15, NZA 2017, 183 Rn. 26 (leistungssichernde Neben- oder Verhaltenspflichten); BAG, Urteil vom 23. 08. 2012 – 8 AZR 804/11, NZA 2013, 268 Rn. 25 (leistungssichernde Nebenpflicht); BAG, Urteil vom 23. 06. 2009 – 2 AZR 606/08, NZA 2009, 1011 Rn. 17 (leistungssichernde Verhaltenspflicht). 223 Bittmann/Brockhaus/von Coelln/Heuking, NZWiSt 2019, 1, 7; Böhm, WM 2009, 1923, 1924; ders., Non-Compliance, S. 148; Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851, 1852; Diller, DB 2004, 313, 314; Doege, S. 420; Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170, 171; Gottwald, S. 134; Greco/Caracas, NStZ 2015, 7; Haefcke, CCZ 2014, 39; Krull, in: Bay, Handbuch Internal Investigations, Kap. 3 Rn. 4; Kottek, wistra 2017, 9; Lützeler/Müller-Satori, CCZ 2011, 19, 20; Petri, in: IT-ArbR, D. IT-Arbeitsstrafrecht Rn. 163; Schneider, NZG 2010, 1201, 1204; Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68, 70. Gerade kein Arbeitsverhältnis lag der in diesem Zusammenhang häufig zitierten Entscheidung des BGH vom vom 30. 4. 1964 – VII ZR 156/62, NJW 1964, 1469 zugrunde. 224 Allgemein im Sinne eines obiter dictum auf eine entsprechende Auskunftspflicht des Arbeitnehmers hinweisend BAG, Urteil vom 21. 11. 2000 – 3 AZR 13/00, NZA 2000, 618, 620; Galle, BB 2018, 564, 568; Glaser/Wisskirchen, DB 2011, 1447, 1448; Grützner, in: Momsen/ Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 353; Müller-Glöge, in: MüKo BGB, § 611 Rn. 33; Preis, in: ErfK BGB, § 611a Rn. 104; Reichold, in: MHdB ArbR, § 55 Rn. 5, wobei hier vorgeschlagen wird, auf § 675 BGB zu verzichten; Reinhardt/Kaindl, CB 2017, 210, 211; Sieg, in: Festschrift Buchner, 859, 862; Thoma, CB 2017, 339, 340. A. A. Däubler, NZA 2017, 1481, 1483, der die Auffassung vertritt, für eine analoge Anwendung des § 666 BGB bestehe neben § 241 II BGB mangels Lücke kein Anlass. 225 Klasen/Schaefer, BB 2012, 641, 645, allerdings unklar unter der Überschrift des § 106 GewO; Löser, Kommunikation, S. 100; Reichold, in: FS Bauer, S. 843, 850. 226 Mansel, in: Jauernig BGB, § 666 Rn. 2; Schäfer, in: MüKo BGB, § 666 Rn. 18, Martinek/Omlor, in: Staudinger BGB, § 666, Rn. 1; Taupitz, Offenbarungspflicht, S. 40. 227 BGH, Urteil vom 01.12. 2011 @ III ZR 71/11, NJW 2012, 917, 918, weswegen der mit der Pflicht korrespondierende Anspruch des Auftraggebers einen verhaltenen Anspruch darstellt.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Auskunftspflicht handelt es sich um eine Nebenpflicht,228 die leistungsbezogen ist.229 Die Auskunftspflicht aus § 666 Var. 2 BGB findet sich allerdings nicht unter den Regelungen zum Dienst- oder Arbeitsverhältnis. Sie soll aber auch im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gelten;230 die auftragsrechtlichen Regelungen enthalten allgemeine Grundsätze, die auch für Arbeitsverhältnisse gelten.231 (3) Stellungnahme Beide Rechtsgrundlagen begrenzen die Auskunftspflicht auf Auskünfte, die sich auf die dem Arbeitnehmer übertragene Tätigkeit beziehen. Gegen die Anwendung des Weisungsrechts wird vorgebracht, dass der Arbeitgeber nach § 106 S. 2 GewO zwar nach billigem Ermessen die Ordnung und das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb näher bestimmen kann, die Norm allerdings nicht regelt, ob und wie die Einhaltung der Ordnungs- und Verhaltensregeln kontrolliert und überwacht werden darf.232 Dem ist zuzustimmen, allerdings lässt sich die Auskunftspflicht über das Weisungsrecht auch auf § 106 S. 1 GewO hinsichtlich des Inhalts der Arbeitsleistung stützen. Gegen die analoge Anwendung von § 666, 675 BGB ließe sich einwenden, dass das Erfordernis einer Regelungslücke in Frage steht, wenn der Arbeitgeber gleichermaßen Auskunft über das Weisungsrecht erhalten kann. Andererseits wird in § 106 GewO nicht ausdrücklich ein Auskunftsanspruch geregelt, sondern lediglich ein subjektives Gestaltungsrecht des Arbeitgebers festgeschrieben233. Insofern lässt sich durchaus vertreten, dass bezüglich einer ausdrücklichen Auskunftspflicht des Arbeitnehmers trotz § 106 GewO eine Regelungslücke besteht. Auch wenn man eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers bereits in § 106 GewO verankert sehen wollte, passt eine derartige Verortung nicht. Gestaltungsrechte heben Rechtspositionen des 228 BGH, Urteil vom 16. 06. 2016 – III ZR 282/14, NJW-RR 2016, 1391 Rn. 29; BGH, Urteil vom 19. 05. 2016 – III ZR 274/15, NJW-RR 2016, 842 Rn. 43; Lediglich den Begriff der Nebenpflicht verwendend Fischer, in: BeckOK BGB, § 666 Rn. 5; Riesenhuber, in: BeckOGK BGB, § 666 Rn. 24 (Dauernebenpflicht); Wiese, in: Schulze BGB, § 666 Rn. 1. Weller, Vertragstreue, S. 249 spricht von einer leistungsflankierenden Auskunftspflicht als leistungsbezogene Rücksichtspflicht (im Sinne von 241 II). 229 Derart wohl die überwiegende Ansicht Bachmann, in: MüKo BGB, § 241 Rn. 30; Diller, DB 2004, 313; Reichold, in: FS Bauer, S. 843, 849; ders., in: MHdB ArbR, § 55 Rn. 5. 230 Allgemein im Sinne eines obiter dictum auf eine entsprechende Auskunftspflicht des Arbeitnehmers hinweisend BAG, Urteil vom 21. 11. 2000 – 3 AZR 13/00, NZA 2000, 618, 620. Für die Anwendbarkeit von §§ 666, 675 BGB im Dienstverhältnis bei freier Mitarbeit bereits BGH, Urteil vom 23. 02. 1989 – IX ZR 236/86, NJW-RR 1989, 614. 231 BAG, Urteil vom 14. 12. 2011 – 10 AZR 283/10, NZA 2012, 501 Rn. 17; BAG, Urteil vom 11. 04. 2006 – 9 AZR 500/05, NZA 2006, 1089 Rn. 21. 232 Reeb, Internal Investigations, S. 95 Fußnote 246. 233 Tillmanns, in: BeckOK ArbR, § 106 GewO Rn. 4; zur Rechtsnatur des Weisungsrechts als Gestaltungsrecht Boecken/Pils, in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 106 GewO Rn. 7; Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, § 45 Rn. 13; Maschmann, in: BeckOGK GewO, § 106 Rn. 29; Reichold, in: MHdB ArbR, § 40 Rn. 22.

A. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien in der Befragungssituation

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Gestaltungsgegners auf oder begründen solche,234 sie sind mithin zukunftsgerichtet. Auf eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers trifft ein zukünftiger Bezug zwar hinsichtlich der Auskunft selbst zu; der Inhalt der Auskunft ist jedoch vergangenheitsbezogen. Nimmt man vor diesem Hintergrund trotz § 106 GewO eine Regelungslücke hinsichtlich einer Auskunftspflicht des Arbeitnehmers an, stellt sich die Frage der Planwidrigkeit. Diese Regelungslücke ist planwidrig, wenn man davon ausgeht, dass der Gesetzgeber dem Arbeitgeber nicht bewusst eine höhere Last zur Wahrnehmung seiner Interessen im Vergleich zum Auftraggeber auferlegen wollte. Für eine gewollt erschwerte Interessenwahrnehmung des Arbeitgebers bestehen keine Anhaltspunkte. Vielmehr ist auch im Arbeitsverhältnis davon auszugehen, dass sich der Arbeitgeber keineswegs in höherem Maße als der Auftraggeber einer nicht nachweisbaren Schädigung durch den Arbeitnehmer bzw. Beauftragten235 aussetzen muss. Es ist sogar naheliegender, dem Arbeitgeber mindestens dieselben Ansprüche einzuräumen wie dem Auftraggeber, da der Arbeitgeber in der Regel seine eigenen Betriebsmittel zur Verfügung stellt und somit ein gesteigertes Interesse an der Kontrolle der ordnungsgemäßen Vertragsdurchführung aufweist. Die Planwidrigkeit der Regelungslücke lässt sich mithin begründen. Eine vergleichbare Interessenlage lässt sich am Geltungsgrund der Auskunftspflicht festmachen, nämlich der Tätigkeit in einem fremden Rechtskreis – weswegen sich die Auskunftspflicht aus § 666 Var. 2, 675 im Übrigen auch nur auf die dem Arbeitnehmer unmittelbar übertragenen Aufgaben beziehen kann.236 Der Arbeitnehmer, der seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringt, besorgt ein fremdes Geschäft im Sinne von §§ 662, 675 BGB:237 Die Geschäftsbesorgung, die für § 675 BGB Voraussetzung ist, kann jede Aufgabe sein, mit der der Arbeitnehmer betraut ist und die im Zusammenhang mit den dem Arbeitnehmer unmittelbar übertragenen oder von ihm wahrgenommenen Aufgaben steht.238 Diese Sichtweise dürfte auch Hintergrund dafür sein, weswegen teilweise von einer direkten Anwendung von § 666, 675 BGB ausgegangen wird. Da die Geschäftsbesorgung jedoch gerade Selbständigkeit voraussetzt, überzeugt eine analoge Anwendung. Da sich eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers mit einer Analogie zu §§ 666 Var. 2, 675 BGB begründen lässt und hierauf im Schrifttum auch mehrheitlich zurückgegriffen wird, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit auf diese Anknüpfung

234

Medicus/Petersen, BGB AT, § 12 Rn. 87. Mit derartiger Argumentation gegen eine Dispositivität von § 666 BGB Fischer, in: BeckOK BGB, § 666 Rn. 7; Ehmann, in: Erman, 12. Aufl., § 666 Rn 41, 50; Locher, NJW 1968, 2324, 2325. 236 Kraus, S. 84, 85; Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170, 171; Reichold, in: MHdB ArbR, § 49 Rn. 5. 237 Diller, DB 2004, 313. 238 Böhm, WM 2009, 1923, 1924; Kraus, S. 84. 235

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

zurückgegriffen. Auf eine alternative Lösung über das Weisungsrecht wird in entsprechendem Zusammenhang jedoch kurz eingegangen. bb) Auskunftspflichten bezüglich des mittelbaren Arbeitsbereichs Auch jenseits des unmittelbaren Arbeitsbereichs kann im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers bestehen. Der Begriff des jenseits des unmittelbaren Arbeitsbereichs liegenden mittelbaren Arbeitsbereichs wird abgrenzend verwendet, sodass sich anbietet, dem mittelbaren Arbeitsbereich jede Tätigkeit des Arbeitnehmers zuzuordnen, die im Rahmen des Arbeitsverhältnisses erfolgt, aber nicht die Arbeitsleistung selbst oder den Umgang mit dem Arbeitsergebnis darstellt. Ist der Arbeitgeber an Informationen interessiert, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tätigkeit aus dem Arbeitsverhältnis stehen, fehlt es an einer Tätigkeit in einem fremden Rechtskreis als Geltungsgrund für eine Auskunftspflicht aus § 666 Var. 2 BGB.239 Stattdessen finden sich jedoch differierende anderweitige Anknüpfungspunkte für eine Auskunftspflicht. (1) Auskunftspflicht als rücksichtsbezogene Auskunftspflicht, § 241 II BGB Ein Auskunftsanspruch im mittelbaren Arbeitsbereich wird teilweise auf §§ 611, 241 II BGB gestützt.240 Vereinzelt wird diese Auskunftspflicht ausdrücklich als aktive Rücksichtnahmepflicht eingeordnet.241 (2) Auskunftspflicht aus § 242 BGB (Allgemeiner zivilrechtlicher Auskunftsanspruch) Die überwiegende Anzahl an Stimmen in Rechtsprechung und Schrifttum räumt dem Arbeitgeber jenseits der konkreten Arbeitsleistung einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Arbeitnehmer nach den Voraussetzungen des allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs ein.242 Hiernach schuldet jemand Auskunft, wenn 239

Reichold, in: MHdB ArbR, § 49 Rn. 5. Böhm, WM 2009, 1923, 1925; ders., Non-Compliance, 151; Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851, 1852; Franzen, FS Köhler, S. 133, 138; Kraus, S. 88; Löser, Kommunikation, S. 102 f.; Reichold, in: FS Bauer, S. 843, 851. 241 Böhm, Non-Compliance, 151. 242 BAG, Urteil vom 21. 10. 1970 – 3 AZR 479/69, AP BGB, § 242 Auskunftspflicht Nr. 13; BAG, Urteil vom 07. 09. 1995 – 8 AZR 828/93, NZA 1996, 637; BAG, Urteil vom 18. 01. 1996 – 6 AZR 314/95, NZA 1997, 41; ArbG Saarlouis, Teilurteil vom 19. 10. 1983 – 1 Ca 493/83, Bittmann/Brockhaus/von Coelln/Heuking, NZWiSt 2019, 1, 7; Diller, DB 2004, 313, 314; Haefcke, CCZ 2014, 39; Grützner, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 355; Joussen, in: BeckOK ArbR, § 611a BGB Rn. 448; Klasen/Schaefer, BB 2012, 641, 645; Maties, in: BeckOGK BGB, § 611a Rn. 1031; Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 243; Müller-Glöge, in: MüKo BGB, § 611 Rn. 1111; Preis, in: ErfK BGB, § 611a Rn. 736; Reich240

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ein Schuldverhältnis zu einer anderen Partei besteht, diese Partei in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang ihrer Rechte im Ungewissen ist und der auf Auskunft in Anspruch genommene die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann.243 Für den allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch ist aufgrund seiner Natur als Hilfsanspruch244 außerdem Voraussetzung, dass ein Hauptanspruch besteht. Damit ist von diesem Auskunftsanspruch grundsätzlich nicht der Fall erfasst, dass sich aus der Auskunft gerade erst ergeben soll, wer als Anspruchsgegner in Frage kommt.245 Denn die Auskunft verfolgt nicht den Zweck, dem Berechtigten erst Aufschluss über das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach zu geben, daher müssen alle anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale des Hauptanspruchs bereits feststehen.246 Lediglich der genaue Inhalt und Umfang des Anspruchs, für dessen Bestimmung die Auskunft benötigt wird, darf noch offen sein.247 Der allgemeine zivilrechtliche Auskunftsanspruch dient damit grundsätzlich lediglich einem haftungsausfüllenden Auskunftsinteresse, ein haftungsbegründendes Auskunftsinteresse genügt hingegen nicht.248 Bei unternehmensinternen Untersuchungen wird der Befragung von Arbeitnehmern allerdings in der Regel ein haftungsbegründendes Auskunftsinteresse zugrunde liegen. Denn hier ist gerade nicht bekannt, wem Straftaten oder vertragliche Pflichtverletzungen vorzuwerfen sind. Allerdings ist von dem Grundsatz des haftungsausfüllenden Auskunftsinteresses eine Ausnahme bei vertraglichen Verhältnissen anerkannt: Bei Bestehen einer vertraglichen Beziehung genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Hauptanspruchs, damit ein Auskunftsanspruch besteht.249 Die anspruchsbegründenden Merkmale, insbesondere auch die Pflichtold, in: MHdB ArbR, § 49 Rn. 6; Richardi/Fischer, in: Staudinger BGB, § 611 Rn. 1247; Rieble, ZIP 2003, 1273, 1276. 243 BAG, Urteil vom 18. 01. 1996 – 6 AZR 314/95 NZA 1997, 241; BAG, Urteil vom 22. 04. 1967 – 3 AZR 347/66 AP BGB, § 242 Auskunftspflicht Nr. 12 (Leitsatz); zum allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch in st. Rspr. etwa BGH, Urteil vom 25. 07. 2017 – VI ZR 222/ 16, NJW 2017, 2755, 2756. Im Schrifttum Bittmann/Molkenbuhr, wistra 2009, 373, 375; Böhm, WM 2009, 1923, 1925; Diller, DB 2004, 313; Joussen, in: BeckOK ArbG, BGB Rn. 448; Klasen/Schaefer, BB 2012, 641, 645; Schrader/Thoms/Mahler, NZA 2018, 965, 969. 244 Röver, in: BeckOGK BGB, § 260 Rn. 52; Krüger, in: MüKo BGB, § 260 Rn. 15. 245 BGH, Urteil vom 22. 01. 1957 – VI ZR 334/55, NJW 1957, 669. 246 BGH, Urteil vom 6. 6. 1979 – VIII ZR 255/78, NJW 1979, 1832; BGH, Urteil vom 28. 11. 1989 – VI ZR 63/89; Krüger, in: MüKO BGB, § 260 Rn. 15. 247 BGH, Urteil vom 6. 6. 1979 – VIII ZR 255/78, NJW 1979, 1832. 248 Einen Fall des haftungsausfüllenden Auskunftsinteresses betraf die im Zusammenhang mit Auskunftspflichten des Arbeitnehmers häufig zitierte Entscheidung des Arbeitsgerichts Saarlouis aus dem Jahre 1983; hier stand die konkrete Bezifferung des Schadensersatzanspruchs im Raum; ArbG Saarlouis, Teilurteil vom 19. 10. 1983 – 1 Ca 493/83. 249 BGH, Urteil vom 01. 08. 2013 – VII ZR 268/11, NJW 2014, 155; BGH, Beschluss vom 11. 02. 2008 – II ZR 277/06, BeckRS 2008, 04552 Rn. 7; BGH, Versäumnisurteil vom 17. 07. 2002 – VIII ZR 64/01, NJW 2002, 3771; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 260 Rn. 6; Lorenz, in: BeckOK BGB, § 260 Rn. 12.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

verletzung, müssen nicht feststehen.250 Damit ein Auskunftsanspruch besteht, genügt bereits der begründete Verdacht einer zum Schadensersatz führenden Vertragsverletzung.251 Der begründete Verdacht soll dann gegeben sein, wenn ausreichende Anhaltspunkte für das Bestehen des Hauptanspruchs vorliegen.252 Der allgemeine zivilrechtliche Auskunftsanspruch dient damit nicht mehr einem haftungsausfüllenden Auskunftsinteresse, sondern erfährt eine Erweiterung um ein haftungsbegründendes Auskunftsinteresse. Gegenüber einem Arbeitnehmer kann der Auskunftsanspruch hinsichtlich des mittelbaren Arbeitsbereiches damit dann Anwendung finden, wenn ein begründeter Verdacht einer Vertragsverletzung in Form einer Pflichtverletzung oder Straftat besteht. Ein derartiger Verdacht liegt bei repressiven unternehmensinternen Untersuchungen grundsätzlich nahe; anderenfalls wäre die Untersuchung nicht veranlasst worden. Besteht damit grundsätzlich eine Auskunftspflicht, stellt deren Grenze die Zumutbarkeit der Auskunftserteilung für den Arbeitnehmer dar. Der Arbeitgeber muss ein berechtigtes, billigens- und schützenswertes Interesse an der Auskunftserteilung vorweisen.253 Ob eine Auskunftspflicht besteht, ist dann nach einer Interessenabwägung zu beurteilen.254 (3) Auskunftspflichten aus § 242 BGB neben dem allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch? Vereinzelt wird eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers in Literatur und Rechtsprechung vor dem Hintergrund der arbeitsvertraglichen Treuepflicht auf § 242 BGB gestützt255 und alternativ256 zum allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch oder zusätzlich zu diesem hergeleitet257. Den Arbeitnehmer treffe aufgrund des Arbeitsvertrages auch ohne ausdrückliche Vereinbarungen eine Reihe 250

Kritisch hierzu Haeffs, Auskunftsanspruch, 131; Krüger, in: MüKo BGB, § 260 Rn. 16. BAG, Urteil vom 22. 04. 1967 AP BGB, § 242 Auskunftspflicht Nr. 12; LAG BerlinBrandenburg, Urteil vom 15. 06. 1992 – 9 Sa 21/92, NZA 1993, 27; Haeffs, Auskunftsanspruch, 131; Linck, in: Schaub, ArbRHB, § 52 Rn. 13; Kreitner, in: Küttner Personalbuch, Auskunftspflichten Arbeitnehmer Nr. 78 Rn. 31; Reichold, in: MHdB ArbR, § 51 Rn. 1. 252 Winkler von Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, S. 53; Stürner, Aufklärungspflicht, S. 329, der auf Plausibilität des Hauptanspruchs abstellt. 253 Böhm, WM 2009, 1923, 1925; Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1705. 254 Diller, DB 2004, 313, 314; Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1705. 255 Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170, 171; Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2375. 256 Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19. 257 Diller, DB 2004, 313, 314; Bernhardt/Bullinger, CB 2016, 205, 207; Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170, 171. Auf eine neben dem allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch bestehende Auskunftspflicht aus § 242 BGB verzichten Böhm, WM 2009, 1923; Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851; Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703; Kraus, Selbstbelastung, S. 89; so wohl auch Löser, Kommunikation, S. 103, der allerdings auf § 241 II BGB zurückgreift. Ohne nähere Differenzierung auch Greco/Caracas, NStZ 2015, 7. 251

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von Nebenpflichten, insbesondere Obhuts-, Rücksichts- und Informationspflichten, die unter dem Begriff der Treuepflicht zusammengefasst werden258. Es bestehe eine Pflicht des Arbeitnehmers zur Anzeige bevorstehender, drohender Schäden aus § 242 BGB, damit der Arbeitgeber den Schaden möglichst verhindern oder minimieren könne259. Genau genommen handelt es sich bei dieser Pflicht aus § 242 BGB damit nicht um eine Auskunftspflicht, sondern um eine Anzeige- oder Benachrichtigungspflicht, die von der Auskunftspflicht auf Nachfrage zu unterscheiden ist.260 In einer der wenigen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen zur Selbstbelastungsfreiheit des Arbeitnehmers nahm das Landesarbeitsgericht Hamm allerdings tatsächlich eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers aus § 242, 241 II BGB an, um die Verletzung einer Rücksichtnahmepflicht durch einen Wettbewerbsverstoß zu beseitigen.261 Ein derartiger Auskunftsanspruch zur Folgenbeseitigung hat sich soweit ersichtlich bisher jedoch nicht durchsetzen können und soll daher auch nicht weiter Diskussionsgegenstand sein. (4) Stellungnahme Zu entscheiden ist, ob die Auskunftspflicht bezüglich des mittelbaren Arbeitsbereichs auf § 241 II BGB oder auf § 242 BGB in Form des allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs zu stützen ist. Diese Entscheidung ist tatsächlich lediglich formaler Natur. Denn unabhängig von der Anknüpfung an § 241 II BGB oder § 242 BGB ist davon auszugehen, dass die Auskunftspflicht im mittelbaren Arbeitsbereich den Voraussetzungen des allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs nach § 242 BGB unterliegt. Unter diese Voraussetzungen stellen nämlich auch die Stimmen die Auskunftspflicht, die sie auf § 241 II BGB stützen.262 Das ist vor dem Hintergrund konsequent, dass die Voraussetzungen des allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs von der Rechtsprechung weit vor der Schuldrechtsreform und damit vor der Einführung von § 241 II BGB entwickelt wurden263 und sich nach heutiger Rechtslage der allgemeine zivilrechtliche Auskunftsanspruch auch auf § 241 II BGB stützen ließe.264 Da die Auskunftsplicht damit nach beiden 258

BGH, Urteil vom 23. 02. 1989 – IX ZR 236/86, BB 1989, 649, 650. Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170, 172; Klasen/Schaefer, BB 2012, 641, 642; ohne normative Anknüpfung Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 243. 260 Zum Erfordernis einer Differenzierung etwa Klasen/Schaefer, BB 2012, 641, 642, 645; Reichold, in: MHdB ArbR, § 49 Rn. 7; Staudinger/Richardi/Fischinger, BGB, § 611 Rn. 1249; Schwarz, Hinweispflicht, S. 23. Ohne Differenzierung Gatter, S. 73; Rudkowski, NZA 2011, 612, 613; Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19. 261 LAG Hamm, Urteil vom 03. 03. 2009 – 14 Sa 1689/08, CCZ 2010, 237. 262 Böhm, WM 2009, 1923, 1925; ders., Non-Compliance, 151; Franzen, FS Köhler, S. 133, 138; Kraus, S. 88; Löser, Kommunikation, S. 102. 263 Siehe zu den Voraussetzungen etwa bereits BGH, Urteil vom 28. 10. 1953 – II ZR 149/52, NJW 1954, 70, 71. 264 Konkret zum allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch Mathies, in: BeckOGK BGB, § 611a Rn. 1031; ebenfalls BGH, Urteil vom 30. 9. 2009 – VIII ZR 238/08, NJW 2010, 259

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Anknüpfungsmöglichkeiten den Voraussetzungen des allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs unterliegt, ist es folgerichtig, den Auskunftsanspruch auf § 242 BGB zu stützen. cc) Zwischenergebnis Betrifft das Auskunftsverlangen Inhalte, die dem unmittelbaren Arbeitsbereich zuzuordnen sind, also sich auf die Arbeitsleistung bzw. das Arbeitsergebnis beziehen, besteht eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers und ein damit korrespondierender Auskunftsanspruch des Arbeitgebers aus der analogen Anwendung von §§ 666 Var. 2, 675 BGB. Für die analoge Anwendung sprechen im Vergleich zu dem Weisungsrecht des Arbeitgebers die besseren Argumente, weswegen letzteres auch nicht im Fokus der hiesigen Betrachtung stehen wird. Sind von dem Auskunftsverlangen Informationen jenseits von Arbeitsleistung und Arbeitsergebnis und damit Inhalte erfasst, die dem mittelbaren Arbeitsbereich zuzurechnen sind, ergibt sich die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers aus dem dem Arbeitgeber zustehenden allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch. c) Rückschluss auf die Teilnahmepflicht Die Pflicht des Arbeitnehmers zur Teilnahme an einer Befragung wurde oben unter die Bedingung gestellt, dass das Gespräch einen Inhalt derart aufweist, dass der Arbeitgeber hierin Weisungen vorbereiten, erteilen oder ihre Nichterfüllung beanstanden will. Unproblematisch lässt sich eine Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers dann bejahen, wenn die Auskunft den unmittelbaren oder mittelbaren Arbeitsbereich betrifft und die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers an das Weisungsrecht des Arbeitgebers geknüpft wird. Sofern mit der überwiegenden und auch hier vertretenen Ansicht die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers bzw. der korrespondierende Auskunftsanspruch des Arbeitgebers nicht auf das Weisungsrecht, sondern auf die analoge Anwendung von §§ 666 Var. 2, 675 BGB gestützt wird, entfällt eine derartige Verknüpfungsmöglichkeit von Teilnahme- und Auskunftspflicht. Allerdings lässt sich eine Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers an der Befragungssituation dennoch annehmen. Dass der Arbeitnehmer zur Teilnahme an der Befragung verpflichtet ist, könnte nämlich auch damit begründet werden, dass die Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers mit den entsprechenden Auskunftspflichten korrespondiert: Immerhin macht der Arbeitgeber mittels der Befragung von seinen Auskunftsansprüchen Gebrauch. Als Annex zur Auskunftspflicht könnte sich daher die Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers aus § 666 Var. 2, 675 BGB analog bzw. 242 BGB ergeben. 1135 Rn. 15 f. Allgemein zu der früheren und nunmehr hinfälligen Verortung von Nebenpflichten in § 242 BGB Bachmann, in: MüKo BGB, § 241 Rn. 46; kritisch hingegen hinsichtlich § 241 II BGB als inhaltsleere Blankettnorm und zur Bedeutung von § 242 BGB Grüneberg, in: Palandt, § 241 Rn. 7, § 242 Rn. 23.

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Beiden Sichtweisen ist gemein, dass sich die Teilnahmepflicht nach dem Inhalt der späteren Befragung bemisst. Daran kann kritisiert werden, dass sich das Bestehen einer Teilnahmepflicht nach dem antizipierten Befragungsinhalt richtet. Dieses Problem lässt sich jedoch ohne größere Schwierigkeiten lösen: Dem Arbeitgeber wäre damit die Pflicht auferlegt, im Vorfeld der Befragung klarzustellen, wozu der Arbeitnehmer befragt werden soll. Im Regelfall wird der Arbeitnehmer bei unternehmensinternen Untersuchungen dann aber auch zur Teilnahme verpflichtet sein. Lediglich wenn aus den Angaben des Arbeitgebers folgt, dass der Arbeitnehmer ausschließlich zu Inhalten befragt werden soll, die in keinem Zusammenhang mit dem unmittelbaren oder mittelbaren Arbeitsbereich stehen, wäre eine Teilnahmepflicht mangels Auskunftsanspruch des Arbeitgebers zu verneinen. Diese Situation ist bei unternehmensinternen Untersuchungen allerdings nicht vorstellbar; da der Arbeitgeber an der Sachverhaltsaufklärung von Missständen im Unternehmen interessiert ist, wird der unmittelbare oder mittelbare Arbeitsbereich betroffen sein.

II. Pflichten des Arbeitnehmers gegenüber Dritten? Die oben genannten Mitwirkungspflichten des Arbeitnehmers gelten zunächst nur gegenüber seinem Arbeitgeber. Werden die Befragungen durch unternehmensangehörige Personen durchgeführt, ergeben sich hinsichtlich der Mitwirkungspflichten der Arbeitnehmer keine Besonderheiten: Der Arbeitgeber kann seinen Auskunftsanspruch auch durch Personen geltend machen, derer er sich üblicherweise zur Ausübung seiner Arbeitgeberbefugnisse bedient.265 Im Rahmen unternehmensinterner Untersuchungen ergibt sich allerdings in der Regel die Situation, dass die Befragung nicht durch Betriebsangehörige erfolgt, sondern durch extern Beauftragte.266 Hier wäre denkbar, dass die extern beauftragten Befragungspersonen die Auskunftsansprüche in eigenem Namen geltend machen. Allerdings kommt eine Abtretung der Auskunftsansprüche an extern Beauftragte nicht in Betracht: Der Auskunftsanspruch des Arbeitgebers bezüglich des unmittelbaren Arbeitsbereichs analog §§ 666 Var. 2, 675 BGB kann nicht abgetreten werden; als unselbständige, mit dem Anspruch des Auftraggebers auf Auftragsdurchführung verbundene Nebenpflicht kann der Auskunftsanspruch aus § 666 Var. 2 BGB grundsätzlich nicht isoliert übertragen werden, § 399 BGB.267 Auch der 265

Böhm, Non-Compliance, S. 191; Molitor, DB 1960, 28; Moll, FS Wank, S. 375, 376, auch zur Ausübung im Rahmen der Stellvertretung durch Externe (S. 379). 266 Fuhrmann, NZG 2016, 881, 882; Nestler, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 1 Rn. 25; Momsen, ZIS 2011, 508, 511; Rudkowski, in: Rudkowski/ Schreiber, Aufklärung, Kap. 3 S. 79; siehe zur Beauftragung Dritter als Charakteristikum unternehmensinterner Untersuchungen 1. Teil. 267 BGH, Urteil vom 19. 05. 2016 – III ZR 274/15, NJW-RR 2016, 842 Rn. 43; Fischer, in: BeckOK BGB, § 666 Rn. 8; Kocak, S. 70; Martinek/Omlor, in: Staudinger BGB, § 666 BGB Rn. 2; Schäfer, in: Müko BGB, § 666 Rn. 6 sogar mit strenger Akzessorietät; Sprau, in: Palandt, § 666 Rn. 1. Allgemein zur Nichtabtretbarkeit akzessorischer Auskunftsansprüche Winkler von

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allgemeine zivilrechtliche Auskunftsanspruch ist als akzessorischer Auskunftsanspruch nicht isoliert abtretbar.268 Eine Geltendmachung eigener Auskunftsansprüche dürfte grundsätzlich allerdings auch nicht notwendig sein. Denkbar wäre, dass der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer im Rahmen seines Direktionsrechts anweist, den ihm gegenüber bestehenden Auskunftsanspruch gegenüber den externen Befragungspersonen zu erfüllen.269 Jedenfalls können die Arbeitnehmer zur Auskunft gegenüber beauftragten Dritten in gleichem Maße wie dem Arbeitgeber gegenüber verpflichtet sein, wenn der beauftragte Dritte die Befragung stellvertretend für den Arbeitgeber vornimmt und im Namen des Arbeitgebers Auskunft verlangt.270 Das Auskunftsverlangen ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung,271 sodass eine Stellvertretung grundsätzlich in Betracht kommt. Dazu müssen beauftragte Dritte bei Befragungen das Offenkundigkeitsprinzip wahren. Sofern das Unternehmen selbst unternehmensinterne Untersuchungen durch externe Ermittler in Auftrag gegeben hat, kann diese Voraussetzung erfüllt werden. In Einzelfällen kann die Wahrung des Offenkundigkeitsprinzips kritisch gesehen werden, etwa wenn die beauftragten Dritten ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Unternehmen propagieren272 oder zwischen Arbeitgeber und Ermittlern eine durch eine Behörde erzwungene Firewall besteht273. Allerdings dürfte auch in derartigen Konstellationen die Offenkundigkeit noch gewahrt sein, wenn sich die externe Befragungsperson gegenüber den Arbeitnehmern auf deren gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Auskunftspflicht beruft.274 Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, S. 161. Zur grundsätzlichen Unabtretbarkeit der arbeitgeberseitigen Auskunftsansprüche wegen Verwurzelung im persönlichen Vertrauensbereich Jahn, StV 2009, 41, 44. 268 Bittner/Kolbe, in: Staudinger BGB, § 260 BGB Rn. 40; Rieble, ZIP 2003, 1273, 1278. 269 Bittmann/Molkenbuhr, wistra 2009, 373, 376. 270 Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1706; Kocak, S. 70; Theile, StV 2011, 381, 384. 271 So ausdrücklich zum Auskunftsverlangen nach § 666 Var. 2 BGB Schäfer, in: Müko BGB, § 666 Rn. 22. Teilweise werden Auskunftsverlangen auch als empfangsbedürftige, geschäftsähnliche Willensäußerung verstanden, auf die die Vorschriften über Rechtsgeschäfte und Willenserklärungen entsprechende Anwendung finden (so etwa zu § 1605 BGB Klinkhammer, in: Staudinger BGB, § 1605 Rn. 15; zu 1613 BGB Viefhues, in: Herberger/Martinek/Rüßmann/ Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, § 1613 BGB Rn. 96). 272 Doege, S. 429. 273 Böhm, Non-Compliance, S. 193. 274 So im Ergebnis auch Kocak, S. 72. Böhm, Non-Compliance, S. 196 und Doege, S. 429 lehnen in diesen Fällen hingegen eine Stellvertretung ab und nehmen stattdessen eine Ermächtigung analog § 185 BGB zur Ausübung des Direktionsrechts an. Das ist allerdings inkonsequent, wenn – wie dort jeweils – für den Auskunftsanspruch nicht an § 106 GewO, sondern an §§ 666, 675 BGB analog angeknüpft wird (Böhm, Non-Compliance, S. 148; Doege, S. 420). Dann kann es zum einen auf die Ermächtigung zur Ausübung des Direktionsrechts nicht ankommen, zum anderen wäre im Rahmen der Ermächtigung analog § 185 BGB deren Zulässigkeit in Anlehnung an das Abtretungsverbot abzulehnen (zur Unzulässigkeit der Einziehungsermächtigung bei Unabtretbarkeit einer Forderung Bayreuther, in: Müko BGB, § 185 Rn. 36; Regenfus, BeckOGK BGB, § 185 Rn. 166).

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Im Ergebnis besteht damit eine Auskunftspflicht gegenüber vom Arbeitgeber eingesetzten Dritten, die mit der Durchführung der unternehmensinternen Untersuchung befasst sind.275

III. Pflichten des Arbeitgebers Auch den Arbeitgeber treffen im Rahmen einer Arbeitnehmerbefragung zur Sachverhaltsermittlung diverse Pflichten. 1. Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben Die Befragung von Arbeitnehmern hat im Rahmen der datenschutzrechtlichen Vorgaben zu erfolgen. Lediglich für den Fall, dass eine Befragung anonymisiert erfolgt, spielt das Datenschutzrecht keine Rolle.276 Soll sich ein Verdächtiger zu seinem eigenen Verhalten erklären, werden Daten unmittelbar bei der betroffenen Person erhoben.277 Die Anhörung und Befragung von Arbeitnehmern stellt eine Datenverarbeitung im Sinne des Bundesdatenschutzgesetzes dar278 – auch wenn die Datenverarbeitung nicht automatisiert erfolgt.279 Die Zulässigkeit der Datenverarbeitung zur Sachverhaltsaufklärung kann sich bei Arbeitnehmerbefragungen wie auch bei der Erhebung von Beobachtungsdaten aus § 26 I 2 BDSG bzw. § 26 I 1 BDSG unter Anwendung der Voraussetzungen des Satzes 2 ergeben.280 Schwierigkeiten können bestehen, wenn die Voraussetzung des 275 So im Ergebnis Bittmann/Molkenbuhr, wistra 2009, 373, 376; Glas/Vogel, DB 2009, 1747, 1748; Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1706; Gottwald, S. 137; Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8 Rn. 38; Krull, in: Bay, Handbuch Internal Investigations, Kap. 3 Rn. 9; Rudkowski, NZA 2011, 612, 615; Theile, StV 2011, 381, 384; Wessing, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 7. Kapitel § 46 Rn. 52. Hiervon auszugehen scheint auch § 16 des VerSanG-E, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, BT-Drs. 19/23568, abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/ btd/19/235/1923568.pdf, zuletzt abgerufen am 12. 12. 2020. 276 Gola, ZD 2013, 379, 380; Herrmann/Zeidler, NZA 2017, 1499, 1502. 277 Klaas, CCZ 2018, 242, 245; entscheidend für Art. 13 DSGVO ist, ob die Person selbst als Datenquelle dient, vertiefend hierzu Bäcker, in: Kühling/Buchner, DSGVO, Art. 13 Rn. 13. 278 So BAG, Urteil vom 12. 02. 2015 – 6 AZR 845/13 Rn. 71 ff. zu Anhörung bei einer Verdachtskündigung; Böhm/Wybitul, RdA 2011, 362, 364; Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8 Rn. 50; Niemann, Jahrbuch Arbeitsrecht 2018, S. 41, 47; Grimm, jM 2016, 17, 19; Steffen/Stöhr, RdA 2017, 34, 51; Ströbel/Böhm/Breunig/Wybitul, CCZ 2018, 14, 17; Thüsing/Rombey, NZA 2018, 1105, 1106; Glas/Vogel, DB 2009, 1747, 1749. 279 § 26 VII BDSG, Ströbel/Böhm/Breunig/Wybitul, CCZ 2018, 14, 17. 280 So noch unter ausschließlicher Anwendung von § 32 I 2 BDSG a. F. Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8 Rn. 52. Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43, 51 weist lediglich auf § 32 BDSG a. F. hin und differenziert nicht nach der repressiven Befragung. Problematisch ist neben dem gesetzlichen Erlaubnistatbestand eine Einwilligung des Arbeitnehmers im Beschäftigtendatenschutz, die in § 26 II BDSG vorgesehen ist: Der Arbeitnehmer ist

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tatsachenbasierten Verdachts in der Befragungssituation noch nicht vorliegt, sondern lediglich vage Vermutungen eines Fehlverhaltens im Raum stehen.281 Neben diesem gesetzlichen Erlaubnistatbestand problematisch ist eine Einwilligung des Arbeitnehmers im Beschäftigtendatenschutz, die in § 26 II BDSG vorgesehen ist: Zu der grundsätzlichen Schwierigkeit, ob eine freiwillige Einwilligung in die Datenverarbeitung im Arbeitsverhältnis überhaupt erfolgen kann282, stellt sich hier das Problem, dass der Arbeitnehmer ggf. zur Auskunft sogar verpflichtet ist (eingehende Auseinandersetzung hiermit s. u.). Damit entfiele der Erlaubnistatbestand der Einwilligung bei derartigen Arbeitnehmerbefragungen. Besondere Beachtung dürften auch in der Arbeitnehmerbefragung die datenschutzrechtlichen Transparenzvorgaben finden.283 Hierzu gehört die Unterrichtung über den Zweck der Befragung (Art. 13 I DSGVO) sowie insbesondere der Hinweis darauf, ob der Arbeitnehmer zur Bereitstellung der persönlichen Daten – also zur Auskunft – verpflichtet ist oder nicht (13 II e DSGVO). Diese Hinweispflicht widerspricht im Ergebnis der bisher verbreitet vertretenen Ansicht, der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Auskunftspflicht zu belehren.284 Ob eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers auch im Fall der Selbstbelastung besteht, ist freilich bisher umstritten (siehe hierzu und zur Lösungsentwicklung Abschnitt C.) – ein Problem, mit dem sich der Arbeitgeber auch im Rahmen der Transparenzanforderungen konfrontiert sieht. 2. Ermöglichung anwaltlichen Beistands Ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, bei der Befragung anwaltliche Unterstützung hinzuzuziehen bzw. sogar die Kosten hierfür tragen muss, ist bisher nicht geklärt. Gesetzliche Regelungen zur Ermöglichung anwaltlicher Beratung finden sich lediglich in § 137 StPO ergänzt um die Hinweispflicht in § 136 I 2 StPO. § 137 StPO ist Ausdruck des verfassungsrechtlich und in Art. 6 Abs. 3c EMRK verbürgten Rechts des Beschuldigten auf ein faires Verimmerhin grundsätzlich zur Auskunft verpflichtet. Kritisch hierzu auch Loof/Schefolg, ZD 2016, 107, 108. 281 Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8 Rn. 52; etwa bei seitens der SEC oder des DOJ veranlassten unternehmensinternen Untersuchungen. 282 Riesenhuber, in: BeckOK DatenschutzR, BDSG, § 26 Rn. 43, 43.1 unter Verweis auf die sehr kritische Stellungnahme der EU-Kommission, Opinion 8/2001 on the processing of personal data in the employment context, 5062/01/EN/Final; Lembke, in: HWK, Art. 88 DSGVO, Rn. 64; Loof/Schefolg, ZD 2016, 107, 108; Ströbel/Böhm/Breunig/Wybitul, CCZ 2018, 14, 15, 16. 283 Eingehend hierzu Klaas, CCZ 2018, 242, 246. 284 Gegen eine Belehrung des Arbeitnehmers Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81, 83; Reinhardt/Kaindl, CB 2017, 210, 212; Schraders/Mahler, NZA-RR 2016, 57, 62; a. A. Krug/ Skoupil, NJW 2017, 2374, 2376, ebenso auch die Stellungnahme der BRAK zum Unternehmensanwalt im Strafrecht, These 3.2, S. 11.

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fahren,285 gewährt ein Recht auf Beistand aber nur für jede Lage des Verfahrens im Sinne des Strafverfahrens286. Im Bereich unternehmensinterner Ermittlungen gilt dieses Recht nicht.287 Allerdings sieht eine Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Unternehmensanwalt im Strafrecht (BRAK-Thesen) vor, dass bei der Befragung von Mitarbeitern des Unternehmens die sich aus den rechtsstaatlichen Grundsätzen ergebenden Standards einzuhalten sind, wozu auch das Recht des befragten Mitarbeiters zählen soll, bei der Befragung kostenbefreit einen eigenen Anwalt seiner Wahl und seines Vertrauens zu konsultieren.288 Indes haben die BRAK-Thesen keinen rechtsverbindlichen Charakter, sondern können lediglich indizielle Bedeutung für eine etwaige Berufsrechtswidrigkeit des befragenden Rechtsanwalts haben.289 Eine Pflicht des Arbeitgebers zur Ermöglichung anwaltlichen Beistands lässt sich aus ihnen mithin nicht herleiten. Für die Zukunft zeichnet sich mit § 17 Abs. 1 Ziff. 5b) des VerSanG-E290 eine – jedenfalls mittelbar – gesetzlich festgelegte Pflicht des Arbeitgebers zur Ermöglichung anwaltlichen Beistands ab, da nur dann eine Sanktionsmilderung im Anwendungsbereich des Verbandssanktionsgesetzes in Betracht kommt. Ob der Arbeitgeber auch derzeit verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer anwaltlichen Beistand in der Befragungssituation zu ermöglichen, kann eine nähere Betrachtung der Grundsätze ergeben, die Rechtsprechung und Schrifttum für die Verdachtskündigung entwickelt haben. Hier bietet sich an, die Begründungsansätze zur Ermöglichungspflicht eines anwaltlichen Beistands in den Blick zu nehmen und je nach Übertragbarkeit und Tragfähigkeit dieser Begründungsansätze zu einem entsprechenden Ergebnis für die Befragungssituation zu gelangen. Das Bundesarbeitsgericht verweist in seiner grundsätzlichen Entscheidung zum anwaltlichen Beistand im Rahmen der Anhörung zur Verdachtskündigung lediglich knapp und ohne weitere Begründung auf das Schrifttum: Man werde dem Arbeitnehmer die Zuziehung eines Rechtsanwalts für die Anhörung zuzugestehen haben.291 285

Wessing, in: BeckOK StPO, § 137 Vor Rn. 1; für Art. 2 I GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip BVerfG, Beschluss vom 14. 12. 1983 – 2 BvR 1724/82, NStZ 1984, 176. 286 Umfasst ist das gesamte Strafverfahren inklusive der Vollstreckung, d. h. das Recht besteht spätestens mit Beginn des Ermittlungsverfahrens durch alle Instanzen, Thomas/ Kämpfer, in: MüKo StPO, § 137 Rn. 12. 287 So im Ergebnis BRAK-Stellungnahme 35/2010, S. 10 zu These 3; Wessing, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 46 Rn. 61. 288 BRAK-Stellungnahme 35/2010, S. 10 zu These 3. 289 Doege, S. 418; Hermann/Zeidler, NZA 2017, 1499, 1501; Krug/Skoupil, NJW 2010, 2374, 2375; Wessing, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 46 Rn. 61. 290 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, BT-Drs. 19/23568, abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/235/1923568.pdf, zuletzt abgerufen am 12. 12. 2020. 291 Mit Verweis auf Eylert/Friedrichs, DB 2007, 2203, 2204 in BAG, Urteil vom 13. 3. 2008 – 2 AZR 961/06, NZA 2008, 809 Rn. 18.

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Das in Bezug genommene Schrifttum knüpft die Unterstützungsmöglichkeit des Arbeitnehmers durch anwaltlichen Beistand auf mehrere Aspekte: Zum einen wird auf den Aspekt der Waffengleichheit bei anwaltlicher Vertretung des Arbeitgebers abgestellt.292 Zum anderen wird im jüngeren Schrifttum auf die Vergleichbarkeit des angehörten Arbeitnehmers mit dem Beschuldigten im Ermittlungsprozess wegen der Betroffenheit des Arbeitsplatzes und der Existenzgrundlage hingewiesen.293 Eine Pflicht zur Ermöglichung anwaltlichen Beistandes wird allerdings vereinzelt auch abgelehnt, weil der Arbeitnehmer zur Auskunft gegenüber dem Arbeitgeber grundsätzlich ohnehin verpflichtet sei und Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitgeber auch ansonsten im Arbeitsverhältnis ohne Unterstützung Dritter erfülle.294 Allerdings unterscheidet sich die Anhörung bei der Verdachtskündigung von einem üblichen Gespräch über die Ausgestaltung und den Inhalt des Arbeitsverhältnisses erheblich, weil der Arbeitgeber den Bestand des Arbeitsverhältnisses bereits gefährdet sieht.295 Die Tragfähigkeit dieser Begründungen zur Verdachtskündigung soll nicht in Frage gestellt werden, wenn die Begründungen schon auf die Befragungssituation nicht übertragen werden können. Nicht auf die Befragungssituation übertragen werden kann das Argument, das eine Vergleichbarkeit des angehörten Arbeitnehmers mit dem Beschuldigten im Ermittlungsprozess wegen der Betroffenheit des Arbeitsplatzes und der Existenzgrundlage annimmt. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses scheint in der Befragungssituation noch nicht gleichermaßen gefährdet wie in der Anhörungssituation, die bereits einen dringenden Verdacht einer Pflichtverletzung voraussetzt.296 Damit liegen auch die Bedrohung der Existenzgrundlage sowie die Vergleichbarkeit mit dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren ferner. Einziger Ansatz für die Pflicht zur Ermöglichung anwaltlichen Beistands bleibt damit lediglich der für die Anhörungssituation vorgebrachte Aspekt der Waffengleichheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. In der Anhörungssituation überzeugt der Aspekt der Waffengleichheit als Begründung für eine Pflicht zur Ermöglichung anwaltlichen Beistands. Zwar lässt sich der Aspekt der Waffengleichheit vor allem als prozessuale Besonderheit verstehen, die als Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit 292 Eylert/Friedrichs, DB 2007, 2203, 2204; Hunold, NZA-RR 2012, 399, 401; Lange/ Vogel, DB 2010, 1066, 1068; Lembke, RdA 2013, 82, 88; Löser, öAT 2018, 226, 228. 293 Eylert, NZA-RR 2014, 393, 403; Löser, öAT 2018, 226, 228. 294 Dzida/Klopp ArbRB 2017, 116; Grützner, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 367; Lembke, RdA 2013, 82, 88; so auch im Zusammenhang der Verdachtskündigung unter Betonung des personenbezogenen Austauschverhältnisses LAG Hamm, 23. 05. 2001 – 14 Sa 497/01, BeckRS 2001, 41047. Unter Verweis auf § 613 BGB sogar in der Befragungssituation unternehmensinterner Untersuchungen Straube, in: Straube/Rasche, C Rn. 166. 295 Eylert/Friedrichs, DB 2007, 2203, 2204. 296 Für die Voraussetzung eines dringenden Tatverdachts für eine wirksame Verdachtskündigung Eylert, NZA-RR 2014, 393; Niemann, in: ErfK, § 626 BGB Rn. 177a; Vossen, in: APS, § 626 Rn. 357.

A. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien in der Befragungssituation

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den Staat verpflichtet.297 Dennoch ist es gerechtfertigt, in der Anhörungssituation auf diesen Aspekt zurückzugreifen. Zum einen ist anerkannt, dass der grundsätzliche Inhalt der Waffengleichheit keineswegs geklärt ist298 und der Aspekt der Waffengleichheit auch anderweitig im Arbeitsrecht außerhalb des Prozessrechts zu finden ist299. Letztlich wird sich die Frage der Waffengleichheit auch im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der Verdachtskündigung ohnehin stellen – das Gericht hat dann aber über Art. 1 III GG den verfassungsrechtlichen Grundsatz des fairen Verfahrens auch bei Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts – also auch bei der Anwendung der Grundsätze zur Verdachtskündigung – zu berücksichtigen.300 Vor diesem Hintergrund ist in der Anhörungssituation zur Verdachtskündigung der Aspekt der Waffengleichheit geeignet, eine Pflicht des Arbeitgebers zur Ermöglichung anwaltlichen Beistands anzunehmen. Anhörungs- und Befragungssituation sind hinsichtlich des Aspekts der Waffengleichheit vergleichbar. Für die Anhörungssituation gilt, dass der Arbeitnehmer seinerseits betriebsfremde Personen hinzuziehen kann, wenn der Arbeitgeber durch die Einschaltung betriebsfremder Personen die rein personale Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verlässt.301 Diese Situation kann sich bei der Befragungssituation gleichermaßen stellen. Der Arbeitgeber wird in der Regel die Einschaltung privater, betriebsfremder Dritter vorgenommen haben. In der Befragungssituation verstärkt sich die Problematik der Waffengleichheit sogar noch, da es um eine vom Arbeitgeber initiierte Konfliktsituation geht, der der Arbeitnehmer nicht ausweichen darf. Anders als bei der Anhörung zur Verdachtskündigung302 ist der Arbeitnehmer zur Teilnahme an der Befragung verpflichtet (s. o.). Der Gedanke der Waffengleichheit passt auch nicht nur ausschließlich auf die Problematik, dass eine Kündigung droht, sondern auf jede arbeitsrechtliche Reaktion durch den Arbeitgeber. Vor diesem Hintergrund sollte entsprechend der Anhörungssituation aus Gründen der Waffengleichheit auch in der Befragungssituation eine Pflicht des Arbeitgebers zur Ermöglichung eines anwaltlichen Beistands angenommen wer-

297 Zur Verpflichtung etwa des Richters BVerfG, Beschluss vom 30. 9. 2018 – 1 BvR 2421/ 17, NJW 2018, 3634. Kritisch zur Waffengleichheit als zwischen den Vertragsparteien anzuwendender Grundsatz LAG Hamm, Urteil vom 09. 06. 2011 – 15 Sa 410/11, BeckRS 2011, 79293. 298 Rauscher, in: MüKo ZPO, Einleitung zur ZPO, Rn. 258. 299 Zum noch bildlicheren Aspekt der Waffengleichheit im Arbeitskampf unter Verweis auf vorgehende Rechtsprechung BAG (Großer Senat), Beschluss vom 21. 04. 1971 – GS 1/68, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43. 300 LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05. 11. 2010 – 22 Sa 430/09, BeckRS 2014, 70294; Eylert, NZA-RR 2014, 393, 403; Löser, öAT 2018, 226, 228. 301 LAG Hamm, Urteil vom 23. 05. 2001 – 14 Sa 497/01, BeckRS 2001, 41047. 302 Gegen eine Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers an einer Anhörung vor Ausspruch einer Verdachtskündigung als arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Teilnahme an einem Personalgespräch LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05. 11. 2010 – 22 Sa 430/09, BeckRS 2014, 70294; Löser, öAT 2018, 226, 228.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

den.303 Als Folgefragen ergeben sich dann die Problematiken der Hinweispflicht auf diese Möglichkeit sowie der Kostentragungspflicht. Beide Fragen werden bereits in der Anhörungssituation zur Verdachtskündigung allerdings überzeugend verneint,304 sodass auf derartige Pflichten in der Befragungssituation nicht weiter eingegangen werden soll. 3. Ermöglichung betriebsrätlichen Beistands Parallel zur Frage, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer anwaltlichen Beistand zu ermöglichen, stellt sich die Frage, ob den Arbeitgeber gleichermaßen die Pflicht trifft, die Anwesenheit eines Betriebsratsmitglieds als Vertrauensperson zu ermöglichen. Als Anknüpfungspunkt käme § 82 II 2 BetrVG in Betracht. Nach § 82 II 2 BetrVG kann der Arbeitnehmer ein Betriebsratsmitglied hinzuziehen, wenn er verlangt, dass die Berechnung und Zusammensetzung seines Arbeitsentgelts oder die Beurteilung seiner Leistungen sowie die Möglichkeiten seiner beruflichen Entwicklung im Betrieb erörtert werden. Gegen eine Pflicht des Arbeitgebers auf Ermöglichung betriebsrätlichen Beistands spricht allerdings, dass die Befragungssituation bei unternehmensinternen Untersuchungen in der Regel nicht den thematischen Inhalt aufweisen, für den § 82 II 1, 2 BetrVG die Hinzuziehungsmöglichkeit eines Betriebsratsmitglieds vorsieht305 – eine Ausnahme mag gelten, wenn im Gespräch bereits arbeitsrechtliche Sanktionen 303 So im Ergebnis auch für eine Pflicht des Arbeitgebers zur Ermöglichung eines anwaltlichen Beistands speziell bei Befragungssituationen Bittmann/Brockhaus/von Coelln/ Heuking, NZWiSt 2019, 1, 10; Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 124; Groß, wistra 2017, 388, 390; Hermann/Zeidler, NZA 2017, 1499, 1501; Imping, in: Kilian/Heussen ComputerR-HdB, 70.12, Rn. 32; Knieriem/Tsambikakis/Klug, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 7 Rn. 92; Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2376; Lützeler/MüllerSartori, CCZ 2011, 19, 21; Maschmann, in: BeckOGK GewO, § 106 Rn. 111.3; Mengel, NZA 2017, 1494, 1499; Schrader/Mahlers, NZA-RR 2016, 57, 63. 304 Ablehnend zur Hinweispflicht BAG, Urteil vom 12. 02. 2015 – 6 AZR 845/13, NZA 2015, 741 Rn. 62; Eylert/Friedrichs, DB 2007, 2203, 2205; Hunold, NZA-RR 2012, 399, 405 verweisend darauf, dass jede Partei für die Wahrnehmung ihrer Interessen bzw. für die Beratung durch Heranziehung rechtskundiger Vertreter bzw. Berater selbst zu sorgen hat; Lembke, RdA 2013, 82, 89. Ablehnend zur Kostentragungspflicht, da kein Aufwendungsersatzanspruch des Arbeitnehmers aus § 670 BGB analog für die Rechtsfolgen einer bei Gelegenheit der betrieblich veranlassten Tätigkeit begangenen Straftat besteht Dzida/Klopp ArbRB 2017, 116, 118; Hunold, NZA-RR 2012, 399, 405; eine Hinweispflicht annehmend und eine Kostentragung anregend BRAK-Stellungnahme 35/2010, S. 10 zu These 3. 305 Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 123; Glaser/Wisskirchen, DB 2011 1447, 1448; Grützner, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 365; Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81, 82; Knieriem/Tsambikakis/Klug, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 7 Rn. 91; Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2376; Imping, in: Kilian/Heussen ComputerR-HdB, 70.12, Rn. 32; Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 244; Reinhardt/Kaindl, CB 2017, 210, 212; Schrader/Mahler, NZA-RR 2016, 57, 63; Vogt, NJOZ 2009, 4206, 4213; Zimmer/Heymann, BB 2010, 1853, 1854.

A. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien in der Befragungssituation

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erörtert werden.306 Das Recht des Arbeitnehmers auf Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds wird in Normen des BetrVG wie etwa § 82 II 2 BetrVG lediglich bezogen auf bestimmte Gegenstände und Anlässe geregelt, woraus im Umkehrschluss folgt, dass der einzelne Arbeitnehmer keinen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch darauf hat, zu den von diesen Vorschriften nicht erfassten Personalgesprächen ein Mitglied des Betriebsrats hinzuzuziehen.307 Ebenfalls in der Befragungssituation bei unternehmensinternen Untersuchungen nicht einschlägig sein wird § 84 I 2 BetrVG, wonach der Arbeitnehmer sich unter Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds beschweren darf, wenn er sich vom Arbeitgeber benachteiligt, ungerecht behandelt oder in sonstiger Weise beeinträchtigt fühlt. Das Interview oder die Einladung dazu dürften diesen Tatbestand normalerweise nicht erfüllen.308 Eine Pflicht des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer betriebsrätlichen Beistand zu ermöglichen, kommt vor diesem Hintergrund nicht in Betracht309. 4. Beachtung betrieblicher Mitbestimmung und Informationspflichten Der Arbeitgeber hat bei Arbeitnehmerbefragungen ferner Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu wahren. Zum einen kommt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 I Nr. 1 BetrVG hinsichtlich der Durchführungsmodalitäten der Mitarbeiterbefragung in Betracht, sofern die Durchführung der Mitarbeiterbefragung einen kollektiven Bezug aufweist. Hieran fehlt es, wenn die Arbeitnehmerbefragung lediglich individualisiert vorgenommen wird, d. h. ein einzelner Mitarbeiter oder eine von vornherein feststehende, eng umrissene Gruppe von Mitarbeitern wegen eines konkreten Verdachts befragt wird.310 Bei derart fehlendem kollektiven Bezug liegt kein Mitbestimmungsrecht vor.311 Ist ein kollektiver Bezug gegeben, ist Voraussetzung für ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 I Nr. 1 BetrVG hinsichtlich der Durchführung der Mitarbeiterbefragung, dass diese eine Regelung der betrieblichen Ordnung oder des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb darstellt. Maßnahmen, die das Arbeits306

Kocak, S. 261. BAG, Beschluss vom 16. 11. 2004 – 1 ABR 53/03, NZA 2005, 416, 419; Schrader/ Mahler, NZA-RR 2016, 57, 63. 308 Kocak, S. 265; Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2376; Straube, in: Straube/Rasche, C Rn. 167. 309 Ein anderes Ergebnis würde sich bei Umsetzung von § 17 I Nr. 5b) VerSanG des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, BT-Drs. 19/23568, ergeben, abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/235/1923568.pdf, zuletzt abgerufen am 12. 12. 2020. 310 Zu diesen Beispielen eingehend Kocak, S. 237. 311 Reinhard/Kaindl, CB 2017, 210, 214, 823; Wybitul/Böhm, RdA 2011, 362, 364. 307

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

verhalten betreffen, sind mitbestimmungsfrei.312 Das Arbeitsverhalten erfasst Weisungen, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert und abgefordert wird;313 es wird berührt, wenn der Arbeitgeber kraft seiner Organisations- und Leitungsmacht näher bestimmt, welche Arbeiten in welcher Weise auszuführen sind.314 Die Anordnung zur Teilnahme an einem Interview ist zwar die Geltendmachung des individualrechtlichen Anspruchs auf Mitwirkung des Mitarbeiters,315 sie stellt aber keine unmittelbare Abforderung der Arbeitspflicht dar. Insofern betrifft die Teilnahme an der Befragung nicht den unmittelbaren Leistungsaustausch, sodass das Ordnungsverhalten betroffen ist.316 Ein Mitbestimmungsrecht kommt daher hinsichtlich der Durchführungsmodalitäten der Befragung in Betracht, etwa hinsichtlich Dauer, Zeitpunkt, Häufigkeit oder abstrakte Auswahl der zu befragenden Mitarbeiter.317 Zum anderen könnte ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 1 BetrVG auch hinsichtlich des Befragungsinhalts in Betracht kommen. Hierfür ist entscheidend, ob die gestellten Fragen das Ordnungs- oder das Arbeitsverhalten des Arbeitnehmers betreffen.318 Ob ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 1 BetrVG besteht, hängt damit letztlich von Einzelheiten der konkreten Befragung ab.319 Anknüpfungspunkt für ein Recht des Betriebsrats kann außerdem § 94 I 1 BetrVG in Form eines Zustimmungsrechts zu Personalfragebögen sein, sofern einer größeren Gruppe von Mitarbeitern dieselben Fragen gestellt und die Antworten schriftlich 312 Statt vieler BAG, Beschluss vom 11. 06. 2002 – 1 ABR 46/01, NZA 2002, 1299; Kania, in: ErfK BetrVG, § 87 BetrVG Rn. 21; Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 196. 313 BAG, Beschluss vom 27. 01. 2004 – 1 ABR 7/03, NZA 2004, 556; BAG, Beschluss vom 11. 06. 2002 – 1 ABR 46/01, NZA 2002, 1299; Ahrendt, in: Schaub, ArbR-HdB, § 235 Rn. 29. 314 BAG, Beschluss vom 11. 06. 2002 – 1 ABR 46/01, NZA 2002, 1299; BAG, Beschluss vom 23. 07. 1996 – 1 ABR 17/96, NZA 1997, 216, 218. 315 Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8 Rn. 46 mit der Schlussfolgerung, dass die Anordnung zur Teilnahme an einem Interview deswegen allein in den Bereich des Arbeitsverhaltens fällt. Ebenso Grützner, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 391; Glaser/Wisskirchen, DB 2011 1447, 1449; Wessing, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 7. Kap. § 46 Rn. 64. 316 Kocak, S. 241; Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 60. Im Ergebnis derart auch zu § 75 III Nr. 15 BPersVG BAG, Beschluss vom 27. 09. 2005 – 1 ABR 32/04, NJOZ 2006, 1776 Rn. 30. 317 Rasche, öAT 2016, 7, 8; Zimmer/Heymann, BB 2010, 1853, 1854. 318 Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 244; Wybitul/Böhm, RdA 2011, 362, 364. Galle, BB 2018, 564, 568 lehnt hingegen ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 1 BetrVG zur Aufklärung kartellrechtswidrigen Verhaltens vollständig ab. 319 So im Ergebnis auch Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1705; Kocak, S. 246; Köhler/Häferer, GWR 2015, 159, 160; Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2376; Majer, in: Moosmeyer/Hartwig, Kap. D Rn. 20; Mengel/Urlich, NZA 2006, 240, 245; Vogt, NJOZ 2009, 4206, 4218; ders., NJOZ 2009, 4206, 4218. A. A. Grützner, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 391, da die Sachverhaltsaufklärung nicht die künftige Gestaltung des Arbeitsverhältnisses betreffe und das aufzuklärende Verhalten eng mit der Arbeitspflicht verknüpft sei. Das wiederum dürfte von der konkreten Fragestellung abhängen.

A. Pflichten der Arbeitsvertragsparteien in der Befragungssituation

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festgehalten werden.320 Ein Personalfragebogen liegt nämlich auch bei mündlicher Fragestellung und schriftlicher Festhaltung der Antworten vor.321 Damit erfüllt eine Mitarbeiterbefragung im Rahmen unternehmensinterner Untersuchungen die formellen Anforderungen an einen Personalfragebogen. Zu überlegen ist allerdings, ob eine Mitarbeiterbefragung auch in inhaltlicher Hinsicht als Personalfragebogen im Sinne von § 94 I 1 BetrVG verstanden werden muss und damit ein Zustimmungsrecht nach § 94 I 1 BetrVG auslöst. Unter einem Personalfragebogen ist die formularmäßige Zusammenfassung von Fragen über die persönlichen Verhältnisse, insbesondere Eignung, Kenntnisse und Fähigkeiten einer Person zu verstehen.322 Eine Befragung zu Fehlverhalten könnte inhaltlich als nicht unter den Begriff des Personalfragebogens fallend anzusehen sein, da Aspekte besprochen werden, die sich auf die Leistung des Arbeitnehmers beziehen und keinen persönlichen Bezug im Sinne des Personalfragebogens aufweisen.323 Andererseits lassen Fragen nach Straftaten im unmittelbaren Arbeitsbereich gerade auf die persönliche Eignung bzw. Nichteignung des Arbeitnehmers schließen, weswegen etwa in einem Einstellungsgespräch Fragen zu Vorstrafen oder laufenden Strafverfahren einem Mitbestimmungsrecht unterliegen.324 Bei Fragen zum mittelbaren Arbeitsbereich ist zu berücksichtigen, dass diese Fragen leistungsferner Natur sind und hier gerade der Bereich persönlicher Verhältnisse betroffen wird. Genau diese Situation erfasst das Zustimmungsrecht bei Personalfragebögen: Es soll die Gefahr mindern, dass Fragen gestellt werden, deren Beantwortung tief in die verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitssphäre eingreift und sicherstellen, dass die Fragen auf die Gegenstände und den Umfang beschränkt bleiben, für die ein berechtigtes Auskunftsbedürfnis des Arbeitgebers besteht.325 Es geht darum, dem Betriebsrat durch das Beteiligungsrecht die Möglichkeit zu geben, Fragen auszuschließen, die für das Arbeitsverhältnis keine Bedeutung haben oder zu sehr in die Privatsphäre des einzelnen Arbeitnehmers eingreifen.326 Vor diesem Hintergrund ist bei Arbeitnehmerbefragungen von einem Zustimmungsrecht des Betriebsrats nach § 94 I 1 BetrVG – jedenfalls hinsichtlich einzelner Fragen – auszugehen.327 320

Köhler/Häferer, GWR 2015, 159, 160; Zimmer/Heymann, BB 2010, 1853, 1854. BAG, Beschluss vom 21. 09. 1993 – 1 ABR 28/93, NZA 1994, 375, 376 mit weiteren Nachweisen; Kania, in: ErfK BetrVG, § 94 Rn. 2; Mauer, in: BeckOK ArbR, § 94 BetrVG Rn. 1. 322 BAG, Beschluss vom 21. 09. 1993 – 1 ABR 28/93, NZA 1994, 375, 376. 323 Galle, BB 2018, 564, 568; Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8 Rn. 47; Matthes, in: MAH ArbR, § 258 Rn. 12; kritisch ebenfalls Majer, in: Moosmeyer/ Hartwig, Kap. D Rn. 21; Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 64. 324 Kocak, S. 232; zum Einstellungesgepräch Fitting, BetrVG, § 94 Rn. 19. 325 BAG, Beschluss vom 21. 09. 1993 – 1 ABR 28/93, NZA 1994, 375 unter Verweis auf die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drs.VI/1786, S. 50. 326 BAG, Beschluss vom 21. 09. 1993 – 1 ABR 28/93, NZA 1994, 375. 327 Grützner, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 392; Kocak, S. 231; Köhler/Häferer, GWR 2015, 159, 160; Wybitul/Böhm, RdA 2011, 362, 365; allgemein ein 321

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Neben Mitbestimmungsrechten steht dem Betriebsrat hinsichtlich der Arbeitnehmerbefragungen jedenfalls ein Informationsrecht nach § 80 II BetrVG zu.328 Ein Recht, auch über einzelne Erkenntnisse informiert zu werden, die das Interview ergeben hat, besteht dagegen nicht.329

IV. Zwischenfazit Die Frage der Selbstbelastungsproblematik ausgeklammert, kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im direkten Zusammenhang mit seiner Arbeitsleistung (unmittelbarer Arbeitsbereich) aber auch sonst bei Bezug zum Arbeitsbereich (mittelbarer Arbeitsbereich) befragen. Den Arbeitnehmer trifft diesbezüglich eine Auskunftspflicht sowie aufgrund dessen auch eine Teilnahmepflicht an der Befragung. Der Arbeitgeber seinerseits hat sicherzustellen, dass den datenschutzrechtlichen Anforderungen aus § 26 I 2 BDSG a. F. genügt wird sowie bei Bestehen eines Betriebsrats dessen Mitbestimmungsrechte eingehalten werden bezüglich der Durchführungsmodalitäten der Befragung sowie einzelner Fragen, die als solche über persönliche Verhältnisse eingeordnet werden müssen. Zudem ist bei Einsatz externer Ermittlungspersonen dem Arbeitnehmer anwaltlicher Beistand zu ermöglichen.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit – Hintergrund, Inhalt und Reichweite Ob die im vorhergehenden Abschnitt dargestellten Auskunftspflichten zu modifizieren sind, wenn für den Arbeitnehmer mit der Auskunft die Gefahr der Selbstbelastung droht, lässt sich nur dann beantworten, wenn der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit hinsichtlich seines Inhalts und seines Umfangs geklärt ist. Um den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit erfassen und seinen Stellenwert in der arbeitsrechtlichen Befragungssituation ermessen zu können, hat eine abstrakte Auseinandersetzung mit der Selbstbelastungsfreiheit zu erfolgen. Diese geht in einem ersten Schritt auf bestehende Begrifflichkeiten und den verfassungsrechtlichen Hintergrund der Selbstbelastungsfreiheit ein (I.). In einem zweiten Schritt wird das durch den ersten Schritt umrissene Verständnis im Wege der VerfassungsinterZustimmungsrecht aus § 94 I 1 BetrVG annehmend Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 245; Neufeld/Knitter, BB 2013, 821, 823; Straube, in: Straube/Rasche, C Rn. 165; Zimmer/Heymann, BB 2010, 1853, 1954. 328 Fuhrmann, NZG 2016, 881, 888; Kocak, S. 249; Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2376; Reinhardt/Kaindl, CB 2017, 210, 214; Schrader/Mahler, NZA-RR 2016, 57, 63; Wessing, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 7. Kap § 46 Rn. 64; Zimmer/Heymann, BB 2010, 1853, 1855. 329 Rudkowski, NZA 2011, 612; Schrader/Mahler, NZA-RR 2016, 57, 63.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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pretation konkretisiert, um klare Maßgaben im Sinne der allgemeinen Grundrechtsdogmatik für die spätere arbeitsrechtliche Problematik zu entwickeln (II.).

I. Anhaltspunkte zum Verständnis von Inhalt und Reichweite der Selbstbelastungsfreiheit Eine Annäherung an Inhalt und Umfang der Selbstbelastungsfreiheit kann zunächst zum einen über die Begrifflichkeiten versucht werden, die zur Umschreibung der Freiheit von Selbstbelastung in kritischen Situationen verwendet werden (1.), zum anderen über die verfassungsrechtliche Verortung der Selbstbelastungsfreiheit (2.). 1. Begrifflichkeiten Anhaltspunkte für die Reichweite des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit können sich aus den Begrifflichkeiten selbst ergeben, die zur Umschreibung des Grundsatzes verbreitet sind. a) Nemo tenetur se ipsum prodere/accusare Im strafrechtlichen Bereich wird die Selbstbelastungsfreiheit durch die Begrifflichkeiten nemo tenetur se ipsum prodere330 oder nemo tenetur se ipsum accusare331 ausgedrückt. Verkürzt wird der Begriff nemo tenetur verwendet, der eine Differenzierung zwischen den beiden Formen nicht erkennen lässt. Der Unterschied zwischen den Verben prodere und accusare dürfte allerdings ohnehin verschwindend gering sein. Prodere kann hierbei als verraten oder preisgeben verstanden werden; accusare als anklagen oder beschuldigen.332 Dieser Inhalt der Selbstbezichtigung stellt den eigentlichen Kern der Selbstbelastungsfreiheit dar, die verkürzte Form nemo tenetur (niemand ist gehalten) beinhaltet keinen Selbstbelastungsaspekt. Als Hintergrund für die Figur des nemo tenetur se ipsum accusare/prodere gilt der menschliche Selbsterhaltungstrieb, der im Schweigerecht des Beschuldigten als

330

So etwa BGH, Urteil vom 22. 12. 1999 – 3 StR 401/99, NJW 2000, 1426; BGH, Beschluss vom 19. 01. 2000 – 3 StR 531/99, NJW 2000, 1962, 1963; Rogall, Der Beschuldigte, S. 85 ff. verwendet beide Ausdrücke. Auf beide Begrifflichkeiten hinweisend BGH, Urteil vom 21. 1. 2004 – 1 StR 364/03, NStZ 2004, 392, 393; Pflaum, in: MüKo StPO, § 393 AO Fußnote 3; Schuhr, in: MüKo StPO, Vor § 133 Rn. 79. 331 BVerfG, Beschluss vom 21. 04. 2010 – 2 BvR 504/08, 2 BvR 1193/08, wistra 2010, 299 unter B. I. 2a); Bosch, S. 17; Maier, in: MüKo StPO, § 55 Rn. 1; Senge, in: KK-StPO, § 55 Rn. 1; Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 28. 332 Siehe hierzu die Übersetzungsmöglichkeiten bei Langenscheidt, Online-Wörterbuch Latein/Deutsch, https://woerterbuch.langenscheidt.de/ssc/search.html.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Sinnbild individueller Selbstbestimmung zum Ausdruck kommt.333 Historisch ist dieser Grundsatz im Bereich des Strafverfahrens angesiedelt, in dem basierend auf einem gewandelten Staatsverständnis im Laufe des 19. Jahrhunderts die Forderung erhoben wurde, den Beschuldigten aus der Stellung des Inquisitionsobjekts in die Rolle eines Verfahrenssubjekts zu erheben.334 Endgültig verbürgt wurde dieser Gedanke in Abschnitt VI („Die Grundrechte des deutschen Volkes“), Art. X § 179 der Paulskirchenverfassung von 1848, der mit der Einführung des Anklageprozesses auch den nemo-tenetur-Grundsatz erfasste.335 In der Rechtsprechung wird der Inhalt des Gedankens der Selbstbelastungsfreiheit im strafrechtlichen Kontext nicht einheitlich umschrieben. Der Bundesgerichtshof in Strafsachen sprach ursprünglich von dem Grundsatz des rechtsstaatlichen Strafverfahrens, des Angeklagten Wort nicht gegen ihn selbst zeugen zu lassen.336 Ähnlich wurde in späterer Rechtsprechung geäußert, nach dem Grundsatz „nemo tenetur se ipsum prodere“ brauche niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen.337 Das Bundesverfassungsgericht spricht von dem im deutschen Strafverfahren anerkannten Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten.338 In jüngerer Rechtsprechung findet sich die differenzierendere Feststellung, im Rahmen des Strafverfahrens dürfe niemand gezwungen werden, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen; der Beschuldigte müsse frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er im Strafverfahren mitwirke.339 In dieselbe Richtung weisen Formulierungen im Schrifttum, niemand dürfe gezwungen werden, an seiner eigenen Überführung mitzuwirken.340 Diese Ausdrucksweisen verbindet ein weites Verständnis, das schon die Aussage gegen sich selbst oder Belastung der eigenen Person als von nemo tenetur erfasst sieht. Etwas enger mutet hingegen die ebenfalls in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu findende Formulierung an, niemand sei gezwungen, durch eine eigene Aussage zu seiner eigenen Verurteilung beizutragen.341 Hieraus ließe sich schließen, 333 Kleinheisterkamp, S. 201; Rogall, Der Beschuldigte, S. 145; Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 41. Kritisch Bosch, S. 35. 334 Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 40. 335 Doege, S. 53; Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 41; Wolff, S. 27. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Anklageprozess und seinen Konsequenzen für die Selbstbelastung vornehmend Bosch, S. 99. Zur ausführlichen historischen Aufbereitung Kölbel, S. 214 ff. 336 BGH, Urteil vom 14. 06. 1960 – 1 StR 683/59, NJW 1960, 1580, 1582; BGH, Beschluss vom 14. 05. 1974 – 1 StR 366/73, NJW 1974, 1570, 1571. 337 BGH, Beschluss vom 19. 01. 2000 – 3 StR 531/99, NJW 2000, 1962. 338 BVerfG, Beschluss vom 21. 04. 2010 – 2 BvR 504/08, 2 BvR 1193/08, wistra 2010, 299 unter B I. 2a). 339 BVerfG, Urteil vom 19. 03. 2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, NJW 2013, 1058 Rn. 60. 340 Bosch, S. 277 m. w. N.; Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 28. 341 BVerfG, Beschluss vom 31. 3. 2008 – 2 BvR 467/08, BeckRS 2008, 35240.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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dass erst die Gefahr einer Verurteilung den Anwendungsbereich von nemo tenetur eröffnet. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass selbst im strafrechtlichen Zusammenhang als vermeintlich klassischen Bereich der Selbstbelastungsproblematik der genaue Inhalt von nemo tenetur se ipsum accusare/prodere nicht eindeutig feststeht. b) Nemo tenetur edere contra se Im eben betrachteten strafrechtlichen Kontext wird zum Grundsatz der Selbstbelastung teilweise vertreten, eine dem strafrechtlichen Bereich entsprechende Entwicklungslinie sei in Rechtsverhältnissen zwischen Privaten untereinander nicht nachweisbar, da sich das Beschuldigtenrecht als klassisch-liberales, anti-etatisches Abwehrrecht naturgemäß nur gegenüber dem Staat aktualisiere.342 Diese Sichtweise lässt eine dem strafrechtlichen nemo tenetur se ipsum accusare/prodere verwandte Figur außer Acht, die sich im zivilrechtlichen Bereich finden lässt: Der Grundsatz von nemo tenetur edere contra se, oder auch: Niemand muss gegen sein eigenes Fleisch wüten343. Dieser Grundsatz wird in einen engen Zusammenhang zum strafrechtlichen nemo tenetur Grundsatz gestellt, wenn er als ziviles Korrelat zu seinem strafrechtlichen Verwandten bezeichnet wird.344 Tatsächlich liegt ein derartiger Zusammenhang nahe, wenn der hinter der strafrechtlichen Figur stehende Selbsterhaltungstrieb in den Blick genommen wird: Dieser Gedanke, auf dem das im strafrechtlichen Kontext angesprochene nemo-tenetur-Prinzip beruht, dass es als unnatürlich empfunden wird, den Menschen als Waffe zur Zerstörung seiner eigenen Rechtsgüter zu betrachten, soll auch im Zivilrecht zu beachten sein.345 Dann ließe sich auch vertreten, dass das Privatrecht keine Pflicht kennt, sich gegenüber anderen, auch seinem Vertragspartner gegenüber, eines eigenen Fehlers zu bezichtigen.346 Um den Stellenwert der Figur des nemo tenetur edere contra se einschätzen und bemessen zu können, ob es sich hierbei wirklich um ein zivilprozessuales Äquivalent zu nemo tenetur se ipsum accusare/prodere handelt, ist hervorzuheben, in welchem Kontext nemo tenetur edere contra se diskutiert wird. Soweit ersichtlich erstmals erwähnt wird die Pflicht der Zivilpartei, gegen ihr eigenes Fleisch zu wüten, in der Diskussion um eine Wahrheits- und Eidespflicht der Partei im Zivilprozess: Wer eine solche behaupte, ermangele einer tieferen Einsicht in das Wesen des Zivilprozesses, ja des Rechtes und seines Verhältnisses zur Moral.347 Aufgegriffen wird diese Position in dem durch die Habilitationsschrift von Stürner entfachten Streit über eine 342 343 344 345 346 347

Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 43. Wach, S. 35. Weichbrodt, S. 287, 291. So Winkler von Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, 52. Spickhoff, in: Spickhoff Medizinrecht, § 630c Rn. 15. Wach, S. 35.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

umfassende prozessuale Aufklärungspflicht.348 Hierfür setzt sich Stürner ein.349 Im Widerspruch dazu steht die Aussage der Rechtsprechung, das materielle Recht kenne keine allgemeine Auskunftspflicht und es sei nicht Aufgabe des Prozessrechts, diese einzuführen. Es bleibe vielmehr bei dem Grundsatz, dass keine Partei gehalten sei, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfüge.350 Stattdessen sollen sich Auskunfts- und Informationspflichten ausschließlich aus dem materiellen Recht ergeben.351 Ohne die Auseinandersetzung um das Erfordernis einer zivilprozessualen Auskunftspflicht zu vertiefen, zeigt die Diskussion um die Existenz einer zivilprozessualen Auskunftspflicht zweierlei: Zum einen verdeutlicht die wohl überwiegende, eine allgemeine zivilprozessuale Auskunftspflicht ablehnende Ansicht,352 dass der Aspekt der Selbstbelastungsfreiheit auch außerhalb des klassischen strafrechtlichen Bereichs von Relevanz ist, wenn keine Partei gehalten sein soll, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfüge. Der in nemo tenetur edere contra se zum Ausdruck kommende Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit entkoppelt die Selbstbelastungsfreiheit von der Folge der klassischen Strafe und stellt das Problem der Selbstbelastung in den Zusammenhang mit zivilrechtlicher Beweislast und Beweisführung. Zum anderen ist zu bemerken, dass die Auseinandersetzung lediglich die Selbstbelastungsproblematik auf der Ebene des Prozessrechts beleuchtet.353 Die Problematik, wie sich daneben ein eventuell relevanter verfassungsrechtlicher Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit auf das materielle (Zivil-)Recht auswirkt, wird durch das Ergebnis auf Prozessebene noch nicht beantwortet.

348 Zu den der Habilitationsschrift nachfolgenden Auseinandersetzungen etwa Katzenmeier, JZ 2002, 533, 534; Lüke, JuS 1986, 2 ff. 349 Stürner, Aufklärungspflichten, S. 60 ff., 378. Kritisch zu dem Grundsatz des nemo tenetur edere contra se Katzenmeier, JZ 2002, 533, 537. 350 BGH, Urteil vom 11. 06. 1990 – II ZR 159/89, NJW 1990, 3151; BGH, Urteil vom 07. 12. 1999 – XI ZR 67/99, NJW 2000, 1108, 1109. Kritisch gegenüber dieser Rechsprechung und dem Grundsatz des nemo tenetur edere contra se Katzenmeier, JZ 2002, 533, 537; Schlosser, JZ 1991, 599 ff. 351 Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald ZivilProzR, § 110 Rn. 5; umfassend zur derartigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Waterstraat, ZZP 118 (2005), S. 459. 352 Siehe bereits oben zur Rechtsprechung; im Anschluss an die Rechtsprechung Gomille, S. 30; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald ZivilProzR, § 110 Rn. 5; Lüke, JuS 1986, 2, 3; Prütting, Beweislast, S. 138; Leipold, in: Stein-Jonas (22. Aufl.), § 138 Rn. 26; diese Position gleichermaßen als herrschend annehmend bei kritischer Betrachtung Kern, in: Stein/ Jonas (23. Aufl.), § 138 Rn. 49 f. 353 Gomille, S. 49 differenziert ausdrücklich zum Vorfeld der prozessrechtlichen Sachverhaltsaufklärung; Prütting, Beweislast, S. 137. Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 I Rn. 105 stellt fest, dass für den Zivilprozess anerkannt sei, dass die Wahrheitspflicht der Parteien Grenzen habe.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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c) Zwischenfazit Bereits die Begrifflichkeiten zeigen, dass der Begriff der Selbstbelastungsfreiheit in Form von nemo tenetur bisher keine ausschließliche Behandlung im rein strafprozessualen Bereich erfährt. Die Figur des nemo tenetur edere contra se im Zivil(prozess)recht stellt das Problem der Selbstbelastung immerhin in den Zusammenhang mit zivilrechtlicher Beweislast und Beweisführung. Im strafrechtlichen Bereich selbst ist der genaue Inhalt der Selbstbelastungsfreiheit durch die Begrifflichkeiten nicht eindeutig erkennbar. 2. Verfassungsrechtliche Verankerungen Möglicherweise gelingt eine weiterführende Annäherung an Inhalt und Reichweite der Selbstbelastungsfreiheit über seine verfassungsrechtliche Verortung. Hinsichtlich seiner verfassungsrechtlichen Grundlage lassen sich vor allem zwei Verortungsmöglichkeiten des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit in der Rechtsprechung und im Schrifttum feststellen. Hierbei handelt es sich um das in Art. 20 III GG wurzelnde Rechtsstaatsprinzip (a)) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (b)). a) Rechtsstaatsprinzip Einen verbreiteten verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt für den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit stellt das Rechtsstaatsprinzip dar. So formuliert das Bundesverfassungsgericht teilweise, das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung in Form von nemo tenetur se ipsum accusare sei notwendiger Ausdruck einer auf dem Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde beruhenden rechtsstaatlichen Grundhaltung; der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit sei im Rechtsstaatsprinzip verankert und habe Verfassungsrang.354 Folge einer Integration der Selbstbelastungsfreiheit in Art. 20 III GG könnte sein, dass die Selbstbelastungsfreiheit als Grundsatz charakterisiert werden kann, der in staatlichen Beweisverfahren vor Gerichten und Behörden Geltung beansprucht, sich also als klassisch-liberales Abwehrrecht nur gegenüber dem Staat aktualisiert, ohne darüberhinausgehende Wirkung in Rechtsverhältnissen zwischen Privaten zu zeigen.355 Die Selbstbelastungsfreiheit wäre dann als justizgrundrechtsähnliches Rechtsinstitut zu verstehen.356

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BVerfG, Urteil vom 19. 03. 2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, NJW 2013, 1058, 1061 Rn. 60. 355 Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 42; die verfahrensbezogene Funktion der Selbstbelastungsfreiheit unter Verweis auf das Rechtsstaatsprinzip betonend auch Bosch, S. 73. 356 Doege, S, 97; Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 49.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

b) Allgemeines Persönlichkeitsrecht Das Bundesverfassungsgericht knüpft allerdings den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit nicht ausschließlich an das Rechtsstaatsprinzip an: Zwar verwies es in seinem noch zu besprechenden Beschluss vom 13. 01. 1981 (Gemeinschuldnerbeschluss) zunächst noch darauf, dass der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit für den Beschuldigten im Strafprozess oder in Verfahren mit strafähnlichen Sanktionen in der Rechtsprechung als Ausdruck einer rechtsstaatlichen Grundhaltung bezeichnet werde.357 Zugleich nahm das Bundesverfassungsgericht selbst eine derartige Zuordnung der Selbstbelastungsfreiheit zum Rechtsstaatsprinzip dann aber nicht vor, sondern verwies mehrfach auf das Persönlichkeitsrecht im Sinne des Art. 2 I GG.358 Die Verortung der Selbstbelastungsfreiheit im allgemeinen Persönlichkeitsrecht bekräftigte das Bundesverfassungsgericht im Anschluss an den Gemeinschuldnerbeschluss: Es sieht den Schutz vor einem Zwang zur Selbstbezichtigung als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.359 Der Bundesgerichtshof in Strafsachen schließt sich der verfassungsrechtlichen Verortung im allgemeinen Persönlichkeitsrecht an: Der Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare/prodere sei verfassungsrechtlich abgesichert durch die gem. Art. 1 I, 2 I GG garantierten Grundrechte auf Achtung der Menschenwürde sowie auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.360 Auch im Schrifttum wird der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zugeordnet.361 Unklar ist allerdings, in welchem Verhältnis die Selbstbelastungsfreiheit als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu den anderweitigen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts steht, etwa, ob es als neuartiges Persönlich-

357 Die Rechtsprechung erblicke hier in den entsprechenden Regelungen einen selbstverständlichen rechtsstaatlichen Grundsatz eines fairen Verfahrens. 358 Zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 13. 01. 1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431, 1432. 359 BVerfG, Beschluss vom 26. 02. 1997 – 1 BvR 2172/96, NJW 1997, 1841, 1843; BVerfG, Beschluss vom 15. 10. 2004 – 2 BvR 1316/04, BVerfG NJW 2005, 352; BVerfG, Beschluss vom 31. 03. 2008 – 2 BvR 467/08, BeckRS 2008, 35240; BVerfG, Beschluss vom 28. 10. 2010 – 2 BvR 535/10, NJOZ 2011, 1423, 1425; BVerfG, Beschluss vom 06. 05. 2016 – 2 BvR 890/16, BeckRS 2016, 46112. Nicht angesprochen wurde das Allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. 06. 2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/ 17, NJW 2018, 2385: Gegenstand der Entscheidung war allerdings auch nicht die konkrete Selbstbelastungssituation, sondern die thematisch verwandte Beschlagnahmefreiheit von Unterlagen in besonderer Konstellation. 360 BGH, Urteil vom 27. 06. 2013 – 3 StR 435/12, NJW 2013, 2769, 2770; BGH, Urteil vom 26. 07. 2007 – 3 StR 104/07, NJW 2007, 3138, 3140. 361 Dingeldey, NStZ 1984, 529; Gatter, S. 180; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 68; Kleinheisterkamp, S. 252; Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 35; Möstl, in: HB StR VIII, § 179 Rn. 69; Nothhelfer, S. 83; DiFabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Rn. 187; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Rn. 105.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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keitsrecht gilt,362 sich als Teil der informationellen Selbstbestimmung verstehen lässt363 oder wie es zu den Sphäreneinteilungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts steht. Bis auf das Verhältnis zum Sphärengedanken364 sind diese Einordnungen für den Schutzgehalt der Selbstbelastungsfreiheit jedoch ohne Relevanz, sodass diesbezüglich kein Klärungsbedarf besteht. c) Stellungnahme Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verortung der Selbstbelastung im Grundgesetz ist selbst in der jüngeren Rechtsprechung uneinheitlich, was insbesondere irritiert, wenn das Bundesverfassungsgericht selbst darauf verweist, es sei in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass erzwingbare Auskunftspflichten einen Eingriff in die Handlungsfreiheit sowie eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG darstellten.365 Allerdings halten sich die Konsequenzen dieser Uneinheitlichkeit in Grenzen, stehen sich die beiden Anknüpfungsmöglichkeiten jedenfalls nicht unvereinbar gegenüber. Die erstmalige Verknüpfung der Selbstbelastungsfreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht durch das Bundesverfassungsgericht im Gemeinschuldnerbeschluss lässt sich als Anschluss an die Kritik Rogalls an der früheren Zuordnung zum Rechtsstaatsprinzip verstehen: Dieser sah dabei die Gefahr, dass die Selbstbelastungsfreiheit zu einem vom jeweiligen Staatsverständnis abhängigen, beliebig veränderbaren Rechtssatz degradiert würde.366 Dieser Kritik ist zuzugeben, dass das Rechtsstaatsprinzip selbst ein hohes Maß an Konkretisierungsbedürftigkeit aufweist367 und ein Rückgriff auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Möglichkeit der Anknüpfung an die speziellere Verfassungsnorm bietet368. Da das Rechtsstaatsprinzip die Staatsgewalt gleichzeitig auch an die Verfassung und damit an die Grundrechte bindet, sind auch die Rechtsprechungsinhalte letztlich mit einer Verankerung im allgemeinen Persönlichkeitsrecht vereinbar, die

362 Wegweisend für dieses Verständnis Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 136, so wohl auch mit eigener Begründung Kleinheisterkamp, S. 256. 363 DiFabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Rn. 187; Gatter, S. 180; Paeffgen, in: SK-StPO, Vor § 112 Rn. 31. 364 Zum Verhältnis zur Sphäreneinteilung siehe Ausführungen unten im Rahmen des Schutzbereichs. 365 So etwa BVerfG, Beschluss vom 06. 05. 2016 – 2 BvR 890/16, BeckRS 2016, 46112. Zur Uneinheitlichkeit des Bundesverfassungsgerichts auch Doege, S. 136; Möstl, in: HBdStR, Bd. VIII, § 179 Rn. 69. 366 Rogall, Der Beschuldigte, S. 138 f. 367 Kölbel, S. 267; umfassend zur Konkretisierungsbedürftigkeit Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 259 ff. 368 Zur Spezialität auch Kleinheisterkamp, S. 254; Kocak, S. 102; Stürner, NJW 1981, 1757, 1758.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

auf das Rechtsstaatsprinzip Bezug nehmen.369 Für eine Verortung der Selbstbelastungsfreiheit zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht streiten vor diesem Hintergrund die besseren Argumente. Damit ergibt sich für den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit die Tendenz, ihm jedenfalls nicht zwingend allein abwehrrechtlichen Charakter derart zuzumessen, dass der Grundsatz lediglich im Verhältnis zu staatlichen Auskunftsbegehren Wirkung entfaltet. Eine darüber hinausgehende Konkretisierung des Grundsatzes kann die verfassungsrechtliche Verankerung nicht leisten, möglicherweise aber der folgende Abschnitt.

II. Entwicklung von Inhalt und Reichweite der Selbstbelastungsfreiheit In einem engen Zusammenhang mit der Verortung der Selbstbelastungsfreiheit steht die Frage nach dem Umfang bzw. der Reichweite dieses grundrechtlich geschützten Grundsatzes. Der Schutzgehalt des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit ist – wie auch die vorgehenden Ausführungen vermuten lassen – nach wie vor ungeklärt.370 Insbesondere hat eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Geltung dieses Grundsatzes im Zivilrecht bisher nicht stattgefunden.371 Für die Beurteilung der arbeitsrechtlichen Situation ist die Reichweite des Grundsatzes aber entscheidend. Verbreitet findet sich hierzu eine Herangehensweise dergestalt, dass auf den Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. 01. 1981 zurückgegriffen wird und eine Übertragbarkeit der Inhalte auf die Auskunftssituation im Arbeitsverhältnis diskutiert wird. Im Ergebnis wird eine Übertragbarkeit der Aussagen im Gemeinschuldnerbeschluss sowohl von Stimmen angenommen372 als auch abgelehnt373. 369

So erging etwa die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. 3. 2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, NJW 2013, 1058 zur Verfassungsmäßigkeit der Verständigung im Strafprozess und erklärt Bezugnahme des Gerichts auf das Rechtsstaatsprinzip. 370 Greco/Caracas, NStZ 2015, 7, 11, die auf die Notwendigkeit einer fundierten Ausarbeitung von Grund und Grenzen der Selbstbelastungsfreiheit hinweisen; Grimm, jM 2016, 17, 19; Jahn, StV 2009, 41, 43; Majer, in: Moosmeyer/Hartwig, Interne Untersuchungen, Kap. D Rn. 48; Schaefer, NJW-Spezial 2010, 120; Schlauri, S. 76; Schneider, NZG 2010, 1201, 1204; Weichbrodt, S. 274. Zu Unklarheiten selbst im strafrechtlichen Bereich BGH, Urteil vom 26. 07. 2007 – 3 StR 104/07, NStZ 2007, 714; Paeffgen, in: SK-StPO, Vor § 112 Rn. 31 spricht von einem noch nicht hinreichend herausgearbeiteten spezifischen Schutzgegenstand. 371 Schwarz, Anzeigepflicht, S. 119 Fn. 662. 372 LAG Hamm, Urteil vom 03. 03. 2009 – 14 Sa 1689/08, CCZ 2010, 237; ArbG Saarlouis, Teilurteil vom 19. 10. 1983 – 1 Ca 493/83, ZIP 1984, 364, Böhm, WM 2009, 1923, 1926; Dingeldey, NStZ 1984, 529, 530; 532; Jahn, StV 2011, 41, 43; Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren § 8 Rn. 18; Roxin, StV 2012, 116, 119; Sarhan, wistra 2015, 449, 451; Schaefer, NJW Spezial 2010, 120, 121; Theile, StV 2011, 381, 385. In jüngster Diskussion für eine Übertragbarkeit des Gemeinschuldnerbeschlusses etwa die Stellungnahme des DAV zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität, SN 7/20

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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Über einen derartigen Lösungsansatz, der sich auf die situationsbezogene Übertragbarkeit einer Gerichtsentscheidung konzentriert, soll hier hinausgegangen werden. Der Schlüssel zu einer widerspruchsfreien Einordnung der Auskunftssituation im Arbeitsverhältnis ist die verfassungsrechtliche Aufarbeitung der Reichweite der Selbstbelastungsfreiheit sowohl hinsichtlich des Schutzbereichs als auch auf Ebene der Eingriffsrechtfertigung. Da die Ermittlung der Reichweite dieses Aspekts des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Schwierigkeiten bereitet, ist die arbeitsrechtliche Auskunftssituation bisher nicht überzeugend gelöst worden, wie an dem unübersichtlichen Meinungsbild hierzu374 deutlich wird. 1. Problematik der Reichweitenbestimmung Die Bestimmung der Reichweite der Selbstbelastungsfreiheit mit ihrer Verortung im allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I, 1 I GG hat im Wege der Verfassungsauslegung zu erfolgen. Die Verfassungsauslegung bildet einen Unter- und Sonderfall der Gesetzesinterpretation, wobei weitgehend Einigkeit besteht, dass hierfür die klassischen juristischen Auslegungsmethoden gelten.375 Die Verfassungsbestimmungen sind allerdings in aller Regel besonders kurz und formelhaft und offen formuliert; auch der Wille des Gesetzgebers erweist sich regelmäßig als dunkel und vage: Daher weist die Verfassungsinterpretation gegenüber der einfachen Gesetzesinterpretation die Besonderheit auf, dass Wortlautauslegung und historische Auslegung in der Regel unergiebig sind.376 Die Grundrechte sind als Teil der Verfassung anzusehen,377 für die diese Schwierigkeiten gleichermaßen gelten und die im Rahmen der Selbstbelastungsfreiheit besonders deutlich werden: Bereits die Auslegung der Selbstbelastungsfreiheit zur Ermittlung ihrer Reichweite anhand des Wortlauts scheint bei Art. 2 I, 1 I

Stand: Januar 2020, S. 24, abrufbar unter: https://anwaltverein.de/de/newsroom?newscatego ries=3, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020. 373 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06. 09. 1988 – 1 Ss 68/88, NStZ 1989, 287; Dann/ Schmidt, NJW 2009, 1851, 1853; Greco/Caracas, NStZ 2015, 7, 12; Grützner, in: Momsen/ Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 353; Ignor, CCZ 2011, 143; Zerbes, ZStW, 125 (2013), 551, 558; Zimmermann, in: Hohnel, Kapitalmarktstrafrecht, 12. Teil Rn. 36. Die Übertragbarkeit des Gemeinschuldnerbeschlusses auf interne Untersuchungen mit i. E. unzutreffender Begründung ablehnend auch der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, BT-Drs. 19/23568, S. 88, abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/ btd/19/235/1923568.pdf, zuletzt abgerufen am 12. 12. 2020. 374 Siehe hierzu nächster Abschnitt S. 157 ff. 375 Borowski, in: HBdStR, Bd. XII, § 274 Rn. 1; Herdegen, JZ 2004, 873, 875; Larenz, Methodenlehre, S. 360 f., 363; Sachs, in: Sachs GG, Einf. Rn. 38; Starck, in: HBdStR, Bd. XII, § 271 Rn. 19; Stern, Staatsrecht I, § 4 S. 123. 376 Borowski, in: HBdStR, Bd. XII, § 274 Rn. 1, 3, 5. 377 Sachs, in: Sachs GG, Vor Art. 1 Rn. 16; Stern, Staatsrecht I, § 4 S. 129.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

GG unmöglich – die Kombination mehrerer Grundrechtstatbestände378 mit eigenem Gewährleistungsgehalt lässt sich an keinem vorformulierten Wortlaut festmachen. Systematisch lässt sich aus der oben festgestellten Verortung der Selbstbelastungsfreiheit im allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Abgrenzung zum Rechtsstaatsprinzip darauf schließen, dass sich der Schutz der Selbstbelastungsfreiheit nicht auf Auskunftssituationen im Staat-Bürger-Verhältnis beschränkt, sondern auch das Auskunftsverlangen durch einen Privaten Schutzbereichsrelevanz aufweisen kann.379 Historisch kommt eine Auslegung angesichts des von der Rechtsprechung definierten Kombinationsgrundrecht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wiederum an ihre Grenzen; lediglich der historische Entwicklungsrahmen der Selbstbelastungsfreiheit ließe – im Widerspruch zum systematischen Verständnis – eher eine enge Beschränkung des Schutzbereichs auf hoheitliche Befragungssituationen, unter Umständen sogar mit Beschränkung auf den Strafprozess zu380. Teleologisch könnte der Schutz der Selbstbelastungsfreiheit als subjektives Schutzgut mit dem Zweck des Freiheitsschutzes381 darauf hindeuten, dass gerade die Freiheit, d. h. das Fehlen von Zwang hinsichtlich einer Selbstbelastung geschützt ist. Insgesamt wird deutlich, dass eine konkrete Bestimmung der Reichweite der Selbstbelastungsfreiheit über die Auslegung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 I, 1 I GG im Wege der klassischen Auslegungsmethoden Schwierigkeiten bereitet.382 Aufschlussreich könnte jedoch ein Blick auf die bisherigen Konkretisierungsansätze der Verfassungsinterpreten sein. Zur Verfassungsinterpretation berufen ist neben dem Bundesverfassungsgericht als prominentester Interpret des Grundgesetzes auch der Gesetzgeber als „gestaltender Erstinterpret der Verfassung“383 sowie die Fachgerichte, denen zwar keine Verwerfungs-, wohl aber eine Prüfungskompetenz zukommt384. Den drei Verfassungsinterpreten ist gemein, dass sie Verfas378

Hillgruber, in: HBdStR, Bd. IX, § 200 Rn. 47 spricht von Kombinationsgrundrechten. Das Fehlen einer grundrechtlichen Verankerung würde hingegen dazu führen, dass in Rechtsverhältnissen zwischen Privaten im Rahmen einer Argumentation mit der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte deutlich geringeres Gewicht beizumessen wäre, Gatter, S. 177. 380 Zur historischen Betrachtung der Selbstbelastungsfreiheit bereits oben zum Anklageprozess; zur ausführlichen historischen Aufbereitung Kölbel, S. 214 ff. 381 Zur Differenzierung zwischen subjektiven und objektiven Schutzgütern Isensee, in: HBdStR, 2. Aufl., Bd. V, § 111 Rn. 41. 382 Dass die Erschließung des Anwendungsbereichs unmittelbar aus der für einschlägig gehaltenen Verfassungsbestimmungen nicht zu befriedigenden Ergebnissen führt sehen auch Bosch, S. 31; Verrel, NStZ 1997, 361, 364. 383 Zur Verfassungskonkretisierung durch den Gesetzgeber BVerfG, Urteil vom 11. 11. 1999 – 2 BvF 2/98, NJW 2000, 1097, 1099; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Bethge, BVerfGG, § 67 Rn. 58, der den Gesetzgeber ausdrücklich als Erstinterpreten der Grundrechte bezeichnet; Borowski, in: HBdStR, Bd. XII, § 274 Rn. 24, 35; Herdegen, JZ 2004, 873, 875; P. Kirchhof, in: Maunz/Dürig GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 106, 182; Korioth, in: Schlaich/ Korioth, BVerfG, Rn. 530. 384 Borowski, in: HBdStR, Bd. XII, § 274 Rn. 41; Stern, Staatsrecht I, § 4 S. 130. 379

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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sungsrecht mit normativem Verbindlichkeitsanspruch interpretieren können; diese Kompetenz fehlt bei der Interpretation durch Private oder die Staatsrechtslehre (mittelbare Verfassungsinterpreten).385 Der Gesetzgeber schafft in einfachgesetzlichen Erscheinungsformen ein detailliertes Instrumentarium, um einen möglichst schonenden Ausgleich zwischen konfligierenden Belangen herzustellen und so den ihm vom Grundgesetz erteilten Direktiven zu entsprechen.386 Diese Vorgehensweise, an einfachgesetzliche Regelungen anzuknüpfen und daraus Rückschlüsse für die Reichweite des Verfassungsinhalts zu gewinnen, lässt sich als induktiver Ansatz oder induktive Ableitungsmethode bezeichnen.387 Es soll nicht auf das Verfassungsrecht (zu verstehen als die konkrete Grundrechtsformulierung) zurückzugegriffen werden, sondern auf einfachgesetzliche Normen, in denen der Grundsatz eine Ausprägung erfahren hat.388 Die Konkretisierung der Verfassung obliegt gerade dem Gesetzgeber, weswegen es gerechtfertigt ist, einzelgesetzliche Ausprägungen in die Betrachtung mit einzubeziehen, um Aufschluss über das zugrunde liegende Prinzip zu gewinnen.389 Tatsächlich stellt auch dieser Rückgriff auf einfachgesetzliche Normen einen Rückgriff auf die von der Verfassung vorgegebenen Inhalte dar, da der Gesetzgeber mit Erlass eines Rechtsakts implizit den Anspruch erhebt, dieser Rechtsakt sei verfassungsgemäß.390 Somit steht der induktive Ansatz der Orientierung an der verfassungsrechtlichen Grundlage nah. Ein echter induktiver Ansatz liegt allerdings nur dann vor, wenn das gesetzgeberische Tätigwerden sich nicht als Nachzeichnung der Bindungswirkung bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen darstellt. Darauf ist bei der Betrachtung der Verfassungsinterpretation durch den Gesetzgeber zu achten. Das Bundesverfassungsgericht als Verfassungsinterpret tritt stets erst dann auf, wenn andere Teile der Staatsgewalt zuvor eine Interpretation vorgenommen haben, sodass die bundesverfassungsgerichtliche Verfassungsinterpretation stets (lediglich) kontrollierend im Sinne einer Zweitinterpretation ist.391 Zur Bestimmung der Reichweite des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit und der Erfassung der arbeitsrechtlichen Befragungssituation soll nachfolgend die Sichtweise der unterschiedlichen Verfassungsinterpreten hinsichtlich des Schutz385

Borowski, in: HBdStR, Bd. XII, § 274 Rn. 20, 44. Nothhelfer, S. 88. Hierbei sollte besonders darauf geachtet werden, ob es sich bei den herangezogenen Regelungen um vor- oder nachkonstitutionelle Regelungen handelt: Denn lediglich bei nachkonstitutionellen Gesetzen kann von einem „verfassungskonformen Bewusstsein“ des Gesetzgebers ausgegangen werden. 387 Nothhelfer, S. 22; Schlauri, S. 77; Verrel, NStZ 1997, 361, 364. 388 Nothhelfer, S. 22 spricht im Zusammenhang mit der Inhaltsermittlung des Rechtsstaatsprinzips von einem Prozess von unten nach oben; Schlauri, S. 77. 389 So ausdrücklich zur methodischen Diskussion Reiß, S. 141. 390 Borowski, in: HBdStR, Bd. XII, § 274 Rn. 12, 34. 391 Kirchhof, FS Lerche, S. 133, 148. 386

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

bereichs der Selbstbelastungsfreiheit, des Eingriffs und der Eingriffsrechtfertigung ermittelt werden. Der Schwerpunkt dieser Betrachtung liegt hierbei auf dem Schutzbereich und der Eingriffsrechtfertigung, da diese Elemente für die Reichweite eines Grundrechts charakteristisch sind. Zunächst wird jeweils das Verständnis des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich des Schutzbereichs bzw. der Eingriffsrechtfertigung herausgearbeitet. Bahnbrechend ist hierfür der Gemeinschuldnerbeschluss vom 13. 01. 1981.392 Basierend auf dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts wird zunächst eine abstrakte These formuliert und es werden Lebenssachverhalte als Praxisbeispiele umrissen, welche in der eingehenderen Auseinandersetzung mit der These zu Illustrationszwecken wieder aufgegriffen werden. Der Thesenformulierung schließt sich jeweils eine Überprüfung an, ob sich die These auch in einfachgesetzlichen Regelungen und der fachgerichtlichen Rechtsprechung widerspiegeln lässt. In diesem Rahmen wird die These auch auf die Beispielssachverhalte angewendet. Bei Spiegelung der These an einfachgesetzlichen Regelungen und der fachgerichtlichen Rechtsprechung kann differenziert werden zwischen echter einfachgesetzlicher und fachgerichtlicher Erstinterpretation, die zeitlich vor dem Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts liegen und einer Interpretation, die zeitlich auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts folgt und sich damit ggf. als Ausdruck der Bindungswirkung nach § 31 I BVerfGG äußert. Die Bindungswirkung erfasst die das Ergebnis tragenden Gründe, d. h. jene Rechtssätze, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele.393 Die Bindungswirkung erstreckt sich dann auf die Auslegung verfassungsrechtlicher Normen mit Blick auf vergleichbare Sachverhalte.394 Nicht tragend und damit ohne Bindungswirkung sind hingegen die bei Gelegenheit einer Entscheidung gemachten Rechtsausführungen, die außerhalb des Begründungszusammenhangs zwischen genereller Rechtsregel und konkreter Entscheidung stehen.395 Die Reichweite der Bindungswirkung ist allerdings Gegenstand lebhafter Diskussion,396 sodass unklar sein kann, welches Tätigwerden von Gesetzgeber und Fachgerichten im Anschluss an den Gemeinschuldnerbeschluss tatsächlich eigene Erstinterpretation ist oder lediglich die Bindungswirkung greift. Eine genaue Differenzierung diesbezüglich scheint aber auch 392

Benz, S.14; Verrel, NStZ 1997, 361; zur Bezugnahme auf den Gemeinschuldnerbeschluss im Rahmen der arbeitsrechtlichen Problematik s. o. bereits Fußnote 372 und 373 auf S. 118. 393 BVerfG, Beschluss vom 12. 11. 1997 – 1 BvR 479/92 u. 1 BvR 307/94, NJW 1998, 519, 522; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 31 Rn. 96; von UngernSternberg, in: BeckOK BVerfGG, § 31 Rn. 30. 394 von Ungern-Sternberg, in: BeckOK BVerfGG, § 31 Rn. 31. 395 BVerfG, Beschluss vom 12. 11. 1997 – 1 BvR 479/92 u. 1 BvR 307/94, NJW 1998, 519, 522. 396 Korioth, in: Schlaich/Korioth, BVerfG, Rn. 488: Es sei auch nach einer 50-jährigen Rechtsprechung noch nicht klar geworden, welche Gründe einer Entscheidung eigentlich „tragend“ sein sollen.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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nicht erforderlich: Entscheidend ist, ob sich die einzelnen Bruchstücke der Verfassungsinterpretation zu einem einheitlichen Gesamtbild zusammenfügen lassen. Dann lässt sich die Reichweite der Selbstbelastungsfreiheit tatsächlich bestimmen. Abgeschlossen wird die Darstellung der Thesenentwicklung durch ein jeweils zusammenfassendes Ergebnis. 2. Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit im Zusammenhang mit Auskunftspflichten Zunächst ist im Wege der beschriebenen Methode der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit zu ermitteln. Die arbeitsrechtliche Befragungssituation betrifft die Problematik zwischen Selbstbelastungsfreiheit und Auskunftspflichten, sodass sich die Ermittlung und Darstellung der Konkretisierungsansätze durch die Verfassungsinterpreten auf diesen Aspekt konzentriert. Die unter a) entwickelte These wird unter b) bis d) abgrenzend klargestellt bzw. weiter konkretisiert. a) These: Begrenzung des Schutzbereichs in Auskunftssituationen auf Selbstbelastung durch gesetzlich vorgeschriebene, erzwingbare Auskunftspflichten aa) Thesenentwicklung anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht umschreibt den verfassungsrechtlichen Schutz vor erzwungener Selbstbelastung zunächst im Gemeinschuldnerbeschluss derart, dass es die Konfliktsituation selbst darstellt:397 Durch rechtlich vorgeschriebene Auskunftspflichten könne die Auskunftsperson in die Konfliktsituation geraten, sich selbst entweder strafbarer Handlungen zu bezichtigen oder durch eine Falschaussage ggf. ein neues Delikt zu begehen oder aber wegen ihres Schweigens Zwangsmitteln ausgesetzt zu werden. Dieser Darstellung schließt sich die Folgerung für die Reichweite des Schutzbereichs an: Wegen dieser Folgen sei die erzwingbare Auskunftspflicht als Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zu beurteilen.398 Verfassungsrechtlich sei ein Schutz vor einer solchen Zwangslage geboten.399 Wann eine solche Zwangslage durch rechtlich vorgeschriebene Auskunftspflichten vorliegt, wird vom Bundesverfassungsgericht nicht weiter konkretisiert. Aufschlussreich ist hier jedoch der Hinweis in einer späteren Entscheidung, der einzelne solle vom Staat grundsätzlich nicht in eine derartige Konfliktlage gebracht

397 BVerfG, Beschluss vom 13. 01. 1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431; ebenso BVerfG, Beschluss vom 15. 10. 2004 – 2 BvR 1316/04, NJW 2005, 352; BVerfG, Beschluss vom 31. 03. 2008 – 2 BvR 467/08, BeckRS 2008, 35240. 398 BVerfG, Beschluss vom 13. 01. 1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431; ebenso BVerfG, Beschluss vom 15. 10. 2004 – 2 BvR 1316/04, NJW 2005, 352. 399 BVerfG, Beschluss vom 15. 10. 2004 – 2 BvR 1316/04, NJW 2005, 352.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

werden.400 Rechtlich vorgeschriebene Auskunftspflichten können damit als Auskunftspflichten verstanden werden, die auf staatliches Tätigwerden zurückzuführen sind.401 Ein derartiges Verständnis der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung liegt nahe, weil das Bundesverfassungsgericht selbst auf die Zwangslage des Auskunftspflichtigen abstellt und eine solche sich nicht allein aus der Erzwingbarkeit der Auskunftspflicht ergeben muss, sondern sich umso mehr daraus ergeben kann, dass die konkrete Verpflichtung zur Auskunft nicht freiwillig eingegangen, sondern staatlich auferlegt wurde. Die Auferlegung von (Auskunfts-)Pflichten durch staatliches Tätigwerden ist im öffentlichen Recht und im Strafrecht der Regelfall, hier gilt der Vorbehalt des Gesetzes.402 Ob ein derart staatliches Tätigwerden auch für gesetzlich geregelte Auskunftspflichten des Privatrechts angenommen werden kann, bedarf einer näheren Betrachtung. Stellt eine gesetzliche Regelung im Bereich des Privatrechts zwingendes Recht dar, liegt tatsächlich die Nähe zu gesetzlichen Regelungen des öffentlichen Rechts und des Strafrechts403 auf der Hand: Da zwingendes Recht den Parteien auch gegen ihren Widerspruch Rechte und Pflichten auferlegt,404 ist die Schutzbereichsrelevanz zwingender Auskunftspflichten naheliegend. Hat eine gesetzliche Regelung hingegen dispositiven Charakter, ist fraglich, ob sie als rechtlich vorgeschriebene Auskunftspflicht einzuordnen ist: Eine Vergleichbarkeit mit zwingendem Recht wäre dann gegeben, wenn dispositivem Recht eine heteronome Wirkung zukäme, d. h. dispositives Recht schon allein deshalb als rechtlich vorgeschriebenes Recht gelten muss, weil es in der Form der gesetzlichen Regelung erlassen wurde. Auf die Besonderheiten dispositiven Rechts ist an späterer Stelle einzugehen. Festzuhalten ist, dass nach dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts die Selbstbelastungsfreiheit den Schutz vor Auskunftspflichten umfasst, die rechtlich im Sinne von durch den Gesetzgeber, also gesetzlich vorgeschrieben sowie erzwingbar sind. Diese Linie wurde im Gemeinschuldnerbeschluss bereits angedacht; allerdings ist hier aufgrund der allgemeinen Darstellung der Konfliktsituation die Bindungswirkung zunächst zu verneinen. Die wiederholte Formulierung in späteren Urteilen festigt aber dieses Verständnis. Damit ist folgende These zu formulieren: 400

BVerfG, Beschluss vom 26. 02. 1997 – 1 BvR 2172/96, NJW 1997, 1841, 1843. Von einem derartigen Verständnis ausgehend auch Kocak, S. 180: Der Staat in seiner legislativen Funktion sei Verursacher des Selbstbelastungszwangs. 402 Abgrenzend insoweit zum Privatrecht Möslein, Dispositives Recht, S. 12; zum Vorbehalt des Gesetzes im Verwaltungsrecht von Alemann/Scheffczyk, in: BeckOK VwVfG, § 35 Rn. 89; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 44 Rn. 46; im Strafrecht insbesondere Art. 103 II GG. 403 Zur vertieften Auseinandersetzung mit dem zwingenden Charakter von Normen aus dem Öffentlichen Recht und Strafrecht und Ausnahmen hierzu Kähler, Abdingbares Recht, S. 63. 404 Kähler, Abdingbares Recht, S. 256. 401

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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Der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit ist eröffnet in Auskunftssituationen, in denen eine Gefahr der Selbstbelastung durch gesetzlich vorgeschriebene, erzwingbare Auskunftspflichten besteht. Der Theseninhalt soll in der nachfolgenden Betrachtung des Schutzbereichs anhand folgender Lebenssachverhalte illustriert werden: Beispielsfall 1: Der auf Baumängel spezialisierte Gutachter G vereinbart mit Immobilieninteressent I, diesem hinsichtlich eines Fragenkatalogs sachverständige Rückmeldung zu geben. Im Rahmen dieser Auskunft unterläuft G ein Fehler, der ihm im Zusammenhang mit einer Rückfrage des I bewusst wird. Beispielsfall 2: Rechtsanwalt R steht unter Verdacht, gegen das anwaltliche Berufsrecht verstoßen zu haben. Hiermit befasst sich die zuständige Rechtsanwaltskammer, deren Vorstand sich bei R über den Sachverhalt erkundigt. Beispielsfall 3: Nach einer Operation befürchtet der behandelte Patient einen Behandlungsfehler und erkundigt sich bei dem behandelnden Arzt A. A erkennt, dass ihm infolge einer Unachtsamkeit bei der Operation tatsächlich ein Fehler unterlaufen ist, der einen erneuten Eingriff erfordert.

bb) Bestätigung der These durch Gesetzgebung Eine Begrenzung des Schutzbereichs auf den Schutz vor gesetzlich vorgeschriebenen, erzwingbaren Auskunftspflichten kam bereits vor dem Gemeinschuldnerbeschluss in der Gesetzgebung zum Ausdruck und setzt sich in der Gesetzgebung auch nachlaufend dazu fort. Das erste Kriterium der gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflicht wird weniger deutlich behandelt als das Kriterium der Erzwingbarkeit der Auskunftspflicht. Das mag daran liegen, dass die gesetzlich vorgeschriebene Auskunftspflicht für die Gesetzgebung die alleinige Auseinandersetzungsmöglichkeit mit der Frage der Selbstbelastungsfreiheit darstellt: Ergeht eine gesetzliche Regelung zur Auskunftspflicht, ist das Kriterium der rechtlich vorgeschriebenen, d. h. durch den Gesetzgeber vorgeschriebenen Auskunftspflicht schließlich bereits erfüllt. Der Gesetzgeber geht in unterschiedlichen Rechtsgebieten auf die Problematik der Selbstbelastung ein und nimmt offensichtlich durch Normierung verschiedener Schutzinstrumentarien an, dass der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit betroffen ist. Als das weitreichendste Schutzinstrument findet sich die Normierung von Auskunftsverweigerungsrechten. Hier reicht der Schutz der Selbstbelastung so weit, dass der Anwendungsbereich einer – normierten und eigentlich bestehenden – Auskunftspflicht für Fälle der Selbstbelastung reduziert wird. Ein weniger weitreichendes Schutzinstrument ist die Normierung von Beweisverwertungsverboten: Hier besteht die Auskunftspflicht an sich uneingeschränkt; der Gesetzgeber geht aber durch die Normierung eines quasi eingriffskompensatorischen Beweisverwertungsverbots davon aus, dass aufgrund der gesetzlich geregelten Auskunftspflicht der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit eröffnet ist, die gesetzliche Regelung hierin eingreift und einer Rechtfertigung über ein Beweisverwertungsverbot bedarf.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Auch wenn hinsichtlich der Schutzbereichsformulierung eine Bindungswirkung des Gemeinschuldnerbeschlusses zweifelhaft ist, wird nachfolgend auf gesetzliche Beispiele der beiden genannten Schutzinstrumente (Auskunftsverweigerungsrecht und Beweisverwertungsverbot) unter Differenzierung vor und nach 1981 eingegangen. (1) Verdeutlichung der Schutzbereichseröffnung durch Normierung von Auskunftsverweigerungsrechten Bereits vor Erlass des Gemeinschuldnerbeschlusses sah der Gesetzgeber vereinzelt etwa bereits 1980 eine schutzintensive Ergänzung der erzwingbaren405 Auskunftspflicht aus § 46 II GWB um ein Auskunftsverweigerungsrecht für den Fall der Selbstbelastung in § 46 V GWB vor.406 Nach 1981 findet sich ein derartiger Schutz verbreitet in den unterschiedlichsten Rechtsgebieten: Im anwaltlichen Berufsrecht etwa hat der Gesetzgeber eine erzwingbare407 Auskunftspflicht des Rechtsanwalts gegenüber dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer im Aufsichtsverfahren aus § 56 I 1 BRAO um ein Auskunftsverweigerungsrecht in § 56 I 2 BRAO ergänzt, sofern sich der Rechtsanwalt durch wahrheitsgemäße Beantwortung die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat, einer Ordnungswidrigkeit oder einer Berufspflichtverletzung verfolgt zu werden.408 In Beispielsfall 2 steht Rechtsanwalt R unter Verdacht, gegen das anwaltliche Berufsrecht verstoßen zu haben. Hiermit befasst sich die zuständige Rechtsanwaltskammer, deren Vorstand sich bei R über den Sachverhalt erkundigt. Für Beispielsfall 2 ist festzuhalten, dass § 56 I 1 BRAO eine Verpflichtung des R zur Auskunft gegenüber dem Kammervorstand vorsieht. Diese Auskunftspflicht ist gesetzlich vorgeschrieben und auch erzwingbar, sodass der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit eröffnet ist. 405 Im Wege der Verwaltungsvollstreckung mit dem Auskunftsverlangen als Verwaltungsakt, vgl. zur neuen Regelung die Vollstreckbarkeit der Auskunftspflicht nach § 86a GWB, Bach, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 61 Rn. 20. 406 § 46 I Nr. 1, II GWB in der Fassung vom 24. 09. 1980 lautete: Soweit es zur Erfüllung der in diesem Gesetz der Kartellbehgörde übertragenen Aufgaben erforderlich ist, kann die Kartellbehörde von Unternehmen […] Auskunft über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse verlangen. Die Inhaber der Unternehmen oder deren Vertreter, […] sind verpflichtet, die verlangten Auskünfte zu erteilen. § 46 V GWB lautete: Der zur Erteilung einer Auskunft Verpflichtete kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst […] der Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde. Dieses Auskunftsverweigerungsrecht war bereits in einem Entwurf aus dem Jahre 1957 als notwendig befunden worden, BT-Drs. II/3644, S. 34. Die Fassung des GWB ist abrufbar unter: https://www.juris.de/perma?d=BJNR010810957BJNE007400315, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020. 407 Die Erzwingbarkeit ergibt sich hier daraus, dass nach schriftlicher Androhung ein Zwangsgeld festgesetzt werden, § 57 I, II BRAO, sofern der Vorstand den Rechtsanwalt ordnungsgemäß zur Auskunft aufgefordert hat und dieser die Auskunft verweigert. 408 Neufassung von § 56 I BRAO vom 09. 02. 1994, BGBl I 1994, S. 2278, 2281.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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Weitere Beispiele stellen die Auskunftsverweigerungsrechte aus § 17 VI ArbZG aus dem Jahr 1993 und § 22 I 2 ArbSchG aus dem Jahr 2000 dar, die jeweils die gesetzlich vorgesehenen, erzwingbaren Auskunftspflichten aus § 17 IV ArbZG409 und § 22 I 1 ArbSchG410 für den Fall der Selbstbelastung ergänzen. Die Auskunftsverweigerungsrechte für diese Situation verdeutlichen, dass der Gesetzgeber hier von einer Schutzbereichseröffnung ausging.411 Ebenfalls eine Eröffnung des Schutzbereichs der Selbstbelastungsfreiheit nahm der Gesetzgeber bei Normierung der Auskunftspflicht in § 6 III WpHG n. F. (§ 4 III WpHG a. F.) an und sah infolgedessen ein Auskunftsverweigerungsrecht für diesen Fall in § 6 XV WpHG n. F. (§ 4 IX WpHG a. F.) vor.412 (2) Verdeutlichung der Schutzbereichseröffnung durch Normierung von Beweisverwertungsverboten Auch für das geringere Schutzniveau unter Festhalten an einer umfänglichen Auskunftspflicht, allerdings unter Ergänzung um ein Beweisverwertungsverbot finden sich in den unterschiedlichen Rechtsgebieten Beispiele des Gesetzgebers. Die Abgabenordung wurde bereits im Jahr 1977 dahingehend reformiert, dass erzwingbare413 Auskünfte, mit denen sich der Steuerpflichtige Straftaten jenseits von Steuerstraftaten bezichtigen würde, in einem Strafprozess nicht verwertet werden dürfen, § 393 II AO.414 Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass bei erzwingbarer Auskunftspflicht ein Beweisverwertungsverbot als kompensatorische Maßnahme erforderlich sein soll.415

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Das Auskunftsverlangen ist ein Verwaltungsakt i. S. d. § 35 VwVfG und kann bei Verweigerung der Auskunft mit Mitteln der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt werden, Baeck/Deutsch, in: Baeck/Deutsch, ArbZG, § 17 Rn. 25. 410 Das Auskunftsverlangen ist ein belastender Verwaltungsakt, Ambs, in: Erbs/Kohlhaas, ArbSchG, § 22 Rn. 5 und kann somit ebenfalls im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt werden. 411 Für eine Schutzbereichseröffnung im Schrifttum zu § 22 ArbSchG Wiebauer, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 22 ArbSchG Rn. 35; zu § 17 ArbZG in der Rechtsprechung VGH Mannheim, Beschluss vom 13. 06. 2006 – 6 S 517/06. 412 BT-Drs. 13/8933, S. 94 zu § 16a WpHG a. F. sowie BT-Drs.12/6679, S. 50 zu § 16 WpHG a. F., der mit Gesetz vom 18. 10. 2004, BGBl. I, S. 2630 durch § 4 IX WpHG ersetzt wurde, BT Drs. 15/3174, S. 31. Dieses Verständnis wird im Schrifttum geteilt, Szesny, BB 2010, 1995, 1996. 413 Im Besteuerungsverfahren ergibt sich eine erzwingbare Auskunftspflicht des Steuerpflichtigen aus §§ 90, 93, 200 AO. Besteht die Gefahr der Selbstbezichtigung mit Steuerstraftaten, ist sogar die Erzwingbarkeit der Auskunft ausgeschlossen, § 393 I 2 AO – und somit kein Konflikt mit der Selbstbelastungsfreiheit gegeben. 414 BGBl I/1976, S. 613, 693. 415 Hiervon geht im Übrigen auch der Bundesgerichtshof aus: Die Regelung des § 393 II AO solle das Spannungsverhältnis ausgleichen zwischen der Erzwingbarkeit der Steuererklärung einerseits und dem berechtigten Interesse des Steuerpflichtigen andererseits, sich in Erfüllung seiner steuerrechtlichen Mitwirkungs- und Offenbarungspflichten nicht der Strafverfolgung

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Auch nach 1981 finden sich zahlreiche Beispiele dafür, dass der Gesetzgeber den Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit bei der Gefahr der Selbstbelastung durch gesetzlich vorgeschriebene Auskunftspflichten eröffnet ansah, etwa im Immaterialgüterrecht. § 101 I 1 UrhG sieht vor, dass der Urheberrechtsverletzer vom Verletzten auf Auskunft über Herkunft und Vertriebswege der rechtsverletzenden Vervielfältigungsstücke in Anspruch genommen werden kann. Ein derartiger erzwingbarer416 Auskunftsanspruch findet sich auch in den wortlautgleichen § 19 I MarkenG und § 140b I PatG. Zusätzlich normiert der Gesetzgeber in § 101 VIII UrhG, § 19 VIII MarkenG und § 140b VIII PatG Beweisverwertungsverbote hinsichtlich der gegebenen Auskünfte. Diese Ergänzung folgt laut Gesetzesbegründung aus Gründen der Selbstbelastungsfreiheit.417 Ein weiteres Beispiel für die Eröffnung des Schutzbereichs bei Gefahr der Selbstbelastung durch rechtlich vorgesehene Auskunftspflicht ist die Regelung in § 630c II 2 Alt. 1, 3 BGB, die in Beispielsfall 3 relevant wird. Auch hier hat der Gesetzgeber die Auskunftspflicht des Arztes aus § 630c II 2 Alt. 1 BGB durch ein Beweisverwertungsverbot kompensiert. Nach der Gesetzesbegründung soll auf diese Weise der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit beachtet werden.418 In Beispielsfall 3 befürchtet der behandelte Patient nach einer Operation einen Behandlungsfehler und erkundigt sich bei dem behandelnden Arzt A. A erkennt, dass ihm infolge einer Unachtsamkeit bei der Operation tatsächlich ein Fehler unterlaufen ist, der einen erneuten Eingriff erfordert. Für Beispielsfall 3 ergibt sich, dass die Pflicht des A zur Auskunft gegenüber Patient P aus § 630c II 2 BGB folgt. Eine gesetzlich vorgeschriebene, erzwingbare419 Auskunftspflicht liegt vor; der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit ist eröffnet. wegen möglicherweise zu offenbarendem, strafbarem Verhalten auszusetzen, BGH, Urteil vom 05. 05. 2004 – 5 StR 548/03, NJW 2005, 2720. 416 Zur Vollstreckung des Auskunftsanspruchs aus § 101 I 1 UrhG über § 888 ZPO Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 101 Rn. 30; zur Vollstreckung des Auskunftsanspruchs aus § 19 I MarkenG BGH, Beschl. v. 5. 3. 2015 – I ZB 74/14, GRUR 2015, 1248. 417 BT-Drs. 11/4792, S. 32 zu dem zu § 19 MarkenG und § 140b PatG wortlautgleichen § 101 UrhG. 418 BT-Drs. 17/10488, S. 22 spricht von der Beachtung des nemo-tenetur-Grundsatzes. Hier ließe sich allerdings überlegen, ob die gesetzlich vorgesehene Auskunftspflicht auch tatsächlich als gesetzlich vorgeschrieben im Sinne des Schutzbereichs gelten kann, sofern es sich bei der gesetzlich normierten Auskunftspflicht um eine dispositive Regelung handelt. Gegen einen dispositiven Charakter und für einen zwingenden Kern der Auskunftspflicht spricht jedoch, dass sich der Schuldner gemäß § 276 III BGB nicht von der Haftung für Vorsatz freizeichnen darf, worauf es hinausliefe, wenn die Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Beantwortung von Fragen des Patienten ausgeschlossen würde (so Spickhoff, JZ 2015, 15, 23; Wagner, in: Müko BGB, § 630c Rn. 75). Damit liegt eine rechtlich im Sinne von durch den Gesetzgeber vorgeschriebene Auskunftspflicht in § 630 II 2 Alt. 1 BGB vor. 419 Die Erzwingbarkeit ergibt sich aus der Vollstreckbarkeit nach § 888 I ZPO. Das der Vollstreckung in tatsächlich Hinsicht der Umstand entgegenstehen mag, dass seitens des Patienten keine Nachfragen erfolgen und damit schon gar keine Auskunftssituation entsteht (hierzu BT-Drs. 17/10488, S. 21), ist für die abstrakte Frage der Vollstreckbarkeit irrelevant.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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Eine jüngere gesetzgeberische Regelung könnte allerdings ein Gegenbeispiel darstellen. Im Rahmen der Auskunftspflicht des Vollstreckungsschuldners aus § 802c ZPO (§ 807 ZPO a. F.) scheint der Gesetzgeber mit der neuen Regelung des § 802k II 3 ZPO von der Verwertbarkeit der Auskünfte auszugehen, wenn den Strafverfolgungsbehörden Einsichtsrechte in die Vermögensverzeichnisse zur Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben eingeräumt werden.420 Hintergrund dieser Verwertbarkeit könnte u. U. die Annahme des Gesetzgebers sein, dass der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit bei Gefahr der Selbstbelastung durch die gesetzlich vorgeschriebene Auskunftspflicht des § 802c ZPO nicht eröffnet ist. Allerdings ist diese Folge nicht zwingend; so könnte sich die Verwertbarkeit etwa auch als das Ergebnis der Rechtfertigungsüberlegungen bei Schutzbereichseröffnung darstellen. Auch steht in Frage, ob der Gesetzgeber tatsächlich von einer Verwertbarkeit der Auskünfte ausgeht – in der Vergangenheit war die Notwendigkeit eines Beweisverwertungsverbots verbreitete Ansicht421 und der Gesetzgeber wollte lediglich bestehende Einsichtsrechte in einer Vorschrift zusammenfassen422. Im Schrifttum wird auch nach Erlass von § 802k II 3 ZPO vehement für die Notwenigkeit eines Beweisverwertungsverbots argumentiert.423 Insgesamt scheint der Fall der Auskunftspflicht aus § 802c ZPO damit nicht geeignet, das Schutzbereichsverständnis lediglich aufgrund der Regelung in § 802k II 3 ZPO infrage zu stellen. (3) Zwischenfazit Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Gesetzgeber in zahlreichen Fällen gesetzlich vorgesehener Auskunftspflichten bei Gefahr der Selbstbelastung von einer Eröffnung des Schutzbereichs ausgeht und einem Eingriff durch die gesetzliche Regelung kompensatorisch durch Normierung eines Auskunftsverweigerungsrechts oder eines Beweisverwertungsverbots entgegenwirkt.424 420 Die BT-Drs. führt aus, bei den Staatsanwaltschaften könne die Kenntnis vom Inhalt der Vermögensauskunft zur Verfolgung von Straftaten erforderlich sein, BT-Drs. 16/10069, S. 30. 421 Bisher h. M.: BVerfG, Beschluss vom 31. 03. 2008, bereits BGH, NJW 1991, 2844, 2845; auch im Schrifttum Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1827; Dingeldey, NstZ 1984, 529, 531; Stam, StV 2015, 130, 132. 422 BT-Drucksache 16/10069, 30. 423 Fleck, in: BeckOK ZPO, § 802c Rn. 30; Voit, in: Musielak/Voit ZPO, § 802c Rn. 7; Seibel, in: Zöller ZPO, § 802c Rn. 31; Stam, StV 2015, 130, 132; Wagner, in: MüKo ZPO, § 802k Rn. 15; Weiß, NJW 2014, 503, 507. 424 Ergänzt werden muss allerdings, dass in einigen wenigen Konstellationen sogar auf das Erfordernis der gesetzlich normierten Auskunftspflicht verzichtet wird und dennoch der Schutzbereich als eröffnet angesehen wird. Gemeint sind hiermit die Fälle, in denen der Gesetzgeber Auskunfts- bzw. Aussageverweigerungsrechte bereits vorgesehen hat, ohne dass eine gesetzliche Auskunftspflicht besteht, etwa im strafprozessualen Ermittlungs- und Gerichtsverfahren. Anders als in den oben angesprochenen Konstellationen stellen selbstbelastende Auskünfte im strafrechtlichen Ermittlungs- und Gerichtsverfahren den Regelfall und nicht die Ausnahmesituation dar. Die Auskunftsverweigerungsrechte in den oben angesprochenen Konstellationen berechtigen die Auskunftsperson nicht, Auskünfte zurückzuhalten, die nicht im Zusammenhang mit eigenem Fehlverhalten stehen. Im strafprozessualen Ermittlungs- und

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

cc) Bestätigung der These durch fachgerichtliche Rechtsprechung Die Eröffnung des Schutzbereichs der Selbstbelastungsfreiheit bei gesetzlich vorgeschriebenen, erzwingbaren Auskunftspflichten lässt sich auch in der fachgerichtlichen Rechtsprechung feststellen. Nur selten steht allerdings gerade die Beschränkung des Schutzbereichs auf gesetzlich vorgeschriebene Auskunftspflichten im Vordergrund wie in der noch zu besprechenden Entscheidung des LG Hamburg aus dem Jahr 2015.425 In der Regel setzt sich die Rechtsprechung lediglich damit auseinander, dass der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit durch eine gesetzlich vorgeschriebene, erzwingbare Auskunftspflicht tangiert ist. Ein derartiges Verständnis lässt sich in der fachgerichtlichen Rechtsprechung bereits vor 1981 feststellen. So ging die bereits angesprochene Kodifizierung des Auskunftsverweigerungsrechts in § 56 I 2 BRAO auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1978 zurück,426 die ein Auskunftsverweigerungsrecht bei Gefahr der Selbstbelastung für verfassungsrechtlich erforderlich hielt.427 Nach 1981 bezieht sich die Rechtsprechung zur Begründung von Schutzmechanismen teilweise ausdrücklich auf den Gemeinschuldnerbeschluss. So nahm der Bundesgerichtshof unter Verweis auf das Bundesverfassungsgericht im Gemeinschuldnerbeschluss ein Beweisverwertungsverbot im Strafprozess für Angaben an, die der Auskunftsschuldner im Rahmen seiner Auskunftspflicht aus § 807 ZPO a. F. gemacht hatte.428 Einen seltenen Fall derart, dass speziell die Beschränkung des Schutzbereichs auf gesetzlich vorgeschriebene Auskunftspflichten angesprochen wird, stellt die vielfach diskutierte Entscheidung des LG Hamburg vom 15. 10. 2015 dar.429 Das LG führt aus, Gerichtsverfahren gibt es derartige Auskünfte nicht; hier geht es bei der Befragung des Beschuldigten gerade ausschließlich um Auskünfte über eigenes Fehlverhalten. Damit kann es keine gesetzlich vorgesehene und erzwingbare Auskunftspflicht hinsichtlich anderer Inhalte geben. Wäre eine erzwingbare Auskunftspflicht des Beschuldigten normiert, hätte diese aufgrund der umfänglichen Schweigerechte in Form von Aussageverweigerungsrechten keinen Anwendungsbereich. Somit ist nachvollziehbar, weswegen in der StPO keine grundsätzliche Auskunftspflicht des Beschuldigten normiert ist und dennoch keinen Widerspruch zur dargestellten Schutzbereichsumfang darstellt. Das eben gesagte gilt gleichermaßen in beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren und formelle anwaltsgerichtliche Verfahren. Auch hier ist in § 20 I 3 BDG ein Aussageverweigerungsrecht vorgesehen, jedoch keine grundsätzliche Auskunftspflicht des Beamten. Für formelle anwaltsgerichtliche Verfahren ist eine entsprechende Anwendung der strafprozessualen Regelungen vorgesehen, § 116 BRAO i. V. m. §§ 136, 243 Abs. 4 StPO. 425 Siehe hierzu in Folge LG Hamburg, 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, NJW 2011, 942, 944. 426 Günther, in: BeckOK BORA/BRAO, § 56 BRAO Rn. 34. 427 BGH, Urteil vom 27. 02. 1978 – AnwSt (R) 13/77, NJW 1979, 324, 325. 428 BGH, Urteil vom 19. 03. 1991, 5 StR 516/90, NJW 1991, 2844, 2845. 429 LG Hamburg, 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, NJW 2011, 942, 944; zustimmend der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, BT-Drs. 19/23568, S. 88, abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/235/1923568.pdf, zuletzt abgerufen am

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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dass der Gedanke, dass die Staatsgewalt den Gesetzesunterworfenen nicht durch sanktionsbewehrte Auskunftspflichten zur Selbstbelastung zwingen darf, nicht auf Fälle anwendbar sei, in denen sich eine Privatperson in (arbeits-)vertragliche Bindungen begeben habe, die sie zur Offenbarung möglicherweise auch strafbaren Verhaltens verpflichteten. Für den Geltungsbereich der Selbstbelastungsfreiheit soll es nämlich entscheidend darauf ankommen, dass die Konfliktlage von einer gesetzlichen Auskunftsverpflichtung und nicht von einer vom Betroffenen freiwillig eingegangenen vertraglichen Verpflichtung ausgeht.430 Ob dem LG in seiner Bewertung zu folgen ist, dass es sich bei arbeitsrechtlichen Auskunftsverpflichtungen nicht um gesetzliche Auskunftsverpflichtungen handelt, ist an späterer Stelle zu klären. Festzuhalten ist jedoch, dass auch diese Entscheidung die Eröffnung des Schutzbereichs der Selbstbelastungsfreiheit an das Vorliegen einer rechtlich im Sinne von durch den Gesetzgeber vorgeschriebenen Auskunftspflicht knüpft. dd) Zwischenfazit Die bisherigen Interpretationswege des Bundesverfassungsgerichts, des Gesetzgebers und der fachgerichtlichen Rechtsprechung haben gezeigt, dass von einer Eröffnung des Schutzbereichs jedenfalls dann auszugehen ist, wenn die Gefahr besteht, dass sich der Auskunftspflichtige aufgrund einer Auskunftspflicht selbst belastet, die rechtlich – im Sinne von durch den Gesetzgeber, also gesetzlich – vorgeschrieben und erzwingbar ist. Eine Beschränkung auf eine derartige Auskunftssituation in Abgrenzung zu individuell vereinbarten Auskunftspflichten legen vor allem die Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts nahe. In Beispielsfall 1 haben Gutachter G und Immobilieninteressent I die sachkundige Auskunft des G zu bestimmten Fragen des I vereinbArt. Eine gesetzlich vorgeschriebene Auskunftspflicht liegt in dieser Konstellation nicht vor. Der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit ist nicht eröffnet. Hinsichtlich seines Fehlers kann sich G nicht auf den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit berufen; er ist gegenüber I verpflichtet, diesen im Rahmen seiner Rückmeldung auf die Rückfragen über den Fehler aufzuklären. Diese Feststellung lässt sich verallgemeinern für vertragliche Beziehungen, in denen die Auskunfts selbst die Hauptleistung darstellt.431 12. 12. 2020. Zu der eigentlichen der Entscheidung zugrundeliegenden Problematik, ob Interviewprotokolle nach den Regelungen der StPO beschlagnahmt werden dürfen LG Mannheim, klärend hierzu jetzt BVerfG, Beschluss vom 27. 06. 2018 – 2 BvR 1562/17, NJW 2018, 2395. 430 Von diesem Verständnis scheint im „Architektenfall“ auch der Bundesgerichtshof ausgegangen zu sein, wenn er meint, ein Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen sei recht und billig, weil seine Pflicht zur Aussage öffentlich-rechtlicher Natur sei und ggf. erzwungen werden könnte; die Partei im Zivilprozess könne hingegen nicht so viel Rücksicht verlangen, da sie durch ihr eigenes Verhalten in die Konfliktstellung geraten sei, BGH, Urteil vom 30. 04. 1964 – VII ZR 156/62, NJW 1964, 1469, 1471. 431 Einen Grenzfall in dieser Hinsicht dürfte die anwaltliche Beratung darstellen. Sofern die konkrete Mandatierung bezogen ist auf die bloße Erteilung von Auskünften, also etwa eine abstrakte gutachterliche Einschätzung der Rechtslage, dürfte der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit bei Erteilung fehlerhafter Auskünfte vergleichbar mit Beispielsfall 1 nicht

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

In Beispielsfall 2 und in Beispielsfall 3 ist der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit aufgrund gesetzlich vorgeschriebener, erzwingbarer Auskunftspflichten eröffnet.

Mit der Begrenzung des Schutzbereichs auf eine bestimmte Gefahrensituation ist für die Selbstbelastungsfreiheit von einem engen Schutzbereichsverständnis auszugehen, das sich auch in verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung findet. So nahm das Bundesverfassungsgericht an, die Religionsfreiheit schütze nicht vor nicht diffamierenden und nicht verfälschenden Darstellungen432 und die Wettbewerbsfreiheit schütze weder vor wirtschaftlicher Konkurrenz,433 noch vor der Verbreitung zutreffender und sachlich gehaltener Informationen am Markt, die für das wettbewerbliche Verhalten der Marktteilnehmer von Bedeutung sein können.434 Tatsächlich lassen sich zahlreiche Probleme des prima facie Grundrechtsschutzes sowohl als Schutzbereichs- als auch als Eingriffsprobleme formulieren.435 Ein enges Schutzbereichsverständnis entscheidet sich für eine Problemlösung auf Schutzbereichsebene. Eine Beschränkung des Schutzbereichs auf nur bestimmte Konstellationen – wie hier auf gesetzlich vorgeschriebene und erzwingbare Auskunftspflichten – ist nicht unüblich.436 Die Verknüpfung, was und wogegen geschützt wird, wird teilweise als Schutzbereich im weiteren Sinne oder Grundrechtstatbestand zusammengefasst.437 Ein enges Schutzbereichsverständnis der Selbstbelastungsfreiheit fügt sich in den historischen Kontext der Selbstbelastungsfreiheit ein. Historisch stellt sich die Selbstbelastungsfreiheit als Reaktion auf staatlich erzwungene Information dar. Der Zwang kann sich dabei nicht nur im Moment der Durchsetzung der Auskunftspflicht ergeben (Erzwingbarkeit der Pflicht), sondern auch aus dem Fehlen von Freiheit in der Pflichtenauferlegung. Da diese Unfreiheit im Moment der Pflichtenbegründung eröffnet sein. Ist Gegenstand der Mandatierung hingegen eine allgemeine Beratung mit gestalterischen Elementen, dürfte den Rechtsanwalt eine Auskunftspflicht nach § 666 Var. 2, 675 BGB treffen, sodass eine gesetzlich vorgeschriebene Auskunftspflicht vorliegen und der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit eröffnet sein dürfte. Im Ergebnis werden sich beide Konstellationen allerdings nicht unterscheiden, da im letzteren Fall zwar der Schutzbereich eröffnet sein dürfte, jedoch aufgrund des privaten Auskunftsinteresses eine Auskunftspflicht trotz Selbstbelastungsgefahr anzunehmen wäre, vgl. die Ausführungen zur Rechtfertigung. Keine unmittelbare Relevanz für die Fallgruppen der anwaltlichen Beratung hat die Rechtsprechung des BGH zur sekundären Hinweispflicht des beratenden Rechtsanwalts (derart etwa noch BGH, Urteil vom 12. 12. 2002 – IX ZR 99/02), da diese in Abgrenzung zu Auskunftspflichten Anzeigepflichten betraf und darüber hinaus im Zusammenhang mit der bis zum 09. 12. 2004 bestehenden besonderen Verjährungssituation stand. 432 BVerfG, Beschluss vom 26. 06. 2002 – 1 BvR 670/91, NJW 2002, 2626. 433 BVerfG, Beschluss vom 01. 02. 1973 – 1 BvR 426/72 u. a., NJW 1973, 499. 434 BVerfG, Beschluss vom 26. 06. 2002 – 1 BvR 558/91, NJW 2002, 2621. Kritisch zu einer restriktiven Bestimmung grundrechtlicher Gewährleistungsgehalte Kahl, Der Staat 2004, 167, 176. 435 Borowski, Grundrechte, S. 309; Eckhoff, S. 36 f. 436 Siehe die eben aufgeführten Beispiele der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung; weitere Beispiele bei Hillgruber, in: HBdStR, Bd. IX, § 200 Rn. 16. 437 Borowski, Grundrechte, S. 311.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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mit der Konstitution der Pflicht zusammenhängt, wirkt ein derartiger Zwang sogar noch stärker als im Moment der Pflichtenvollstreckung. Vor diesem Hintergrund ist es plausibel, den Zwang im Moment der Pflichtenauferlegung vom Schutzbereich zu erfassen, indem die Schutzbereichseröffnung an das Vorliegen einer gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflicht geknüpft wird. Die Konsequenz eines verengten Schutzbereichsverständnisses wäre möglicherweise438, dass individualrechtliche vereinbarte Auskunftspflichten vom Schutzbereich ausgenommen werden und sich der einzelne Auskunftspflichtige bei individualvertraglich vereinbarten Auskunftspflichten nicht mehr auf die Selbstbelastungsfreiheit berufen kann – auch nicht im Sinne mittelbarer Drittwirkung. Das stünde allerdings nicht im Widerspruch zu der hier vertretenen Lösung betreffend der Auskunftspflichten, die der Gesetzgeber im Verhältnis zweier Privater geregelt hat: Denn bei den gesetzlich geregelten Auskunftspflichten handelt es sich gerade um eine Dreieckskonstellation zwischen Staat, Träger des grundrechtlichen Schutzrechts (der Auskunftsberechtigte mit grundrechtlich geschütztem Informationsinteresse) und Träger des Abwehrrechts (der Auskunftspflichtige mit dem Interesse an Selbstbelastungsfreiheit).439 b) Klarstellung: Keine Schutzbereichsbeschränkung auf staatlichen Auskunftsberechtigten Es wurde bereits angedeutet, dass die Begrenzung des Schutzbereichs auf gesetzlich vorgeschriebene Auskunftspflichten nicht mit der Konstellation der an der Auskunft beteiligten Personen verwechselt werden darf. Für die Eröffnung des Schutzbereichs ist irrelevant, ob auf Seite des Auskunftsberechtigten der Staat oder eine Privatperson steht: Auch, wenn eine Privatperson auskunftsberechtigt ist, ist der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt der Selbstbelastungsfreiheit eröffnet, solange eine gesetzlich vorgeschriebene, erzwingbare Auskunftspflicht vorliegt und damit die abwehrrechtliche Komponente des Grundrechtsschutzes betroffen ist. So steht im oben genannten Beispielsfalls 3 auf Seiten des Auskunftsberechtigten der Patient als Privatperson. Dasselbe gilt für die Fälle der Auskunftspflicht bei Immaterialgüterrechtsverletzung § 101 I UrhG, § 19 I MarkG und § 140b I PatG sowie im Rahmen der Auskunftserteilung nach § 802c I ZPO. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird diese Position im Gemeinschuldnerbeschluss zwar nicht deutlich artikuliert, originär steht aber die Auskunftspflicht des Gemeinschuldners gegenüber dem Insolvenzverwalter im

438 Ob von einem derart universellen Schutzbereichsverständnis auszugehen ist, kann auch angezweifelt werden, Isensee, in: HBdStR, 2. Aufl., Bd. V, § 111 Rn. 43 zum Rundumobjektschutz: Dann wäre der Schutzbereich für abwehrrechtliche und nicht-abwehrrechtliche Situationen („Schutzgut statt Schutzbereich“) gesondert zu definieren. 439 Zu dieser Dreieckskonstellation Borowski, Grundrechte, S. 384.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Raum, der keine hoheitliche Funktion erfüllt.440 Die in einer späteren Entscheidung getroffene Aussage, der einzelne solle vom Staat grundsätzlich nicht in eine Konfliktlage gebracht werden, in der er sich selbst strafbarer Handlungen oder ähnlicher Verfehlungen bezichtigen muss […], ist nicht notwendigerweise derart zu verstehen, dass hier der Staat als Auskunftsverlangender gemeint ist. Vielmehr ist genauso vorstellbar, dass der Staat im Sinne der gesetzlich vorgesehenen Regelung tätig wird. In einer noch jüngeren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geht das Gericht außerdem im Zusammenhang mit der Auskunftspflicht aus § 802c ZPO bei der Gefahr der Selbstbelastung von einem Beweisverwertungsverbot aus und impliziert damit, dass der Schutzbereich eröffnet ist. Bei der Auskunftspflicht handelt es sich originär um eine Auskunftspflicht gegenüber dem privaten Gläubiger, da dieser den Gerichtsvollzieher beauftragen muss. Auch der Gesetzgeber macht mit allen Regelungen, die Schutzmechanismen bei einer Aussage gegenüber einer Privatperson vorsehen (§ 630c II 1 BGB, wettbewerbsrechtliche Auskunftsansprüche) deutlich, dass er von einer Schutzbereichseröffnung ausgeht, auch wenn sich zwei Private in der Auskunftssituation gegenüberstehen. Wer eine Beschränkung des Schutzbereichs auf ein Auskunftsverlangen mit einem staatlichen Auskunftsgläubiger annimmt,441 bemisst den grundrechtlichen Schutzbereich nicht nach dem hoheitlichen Charakter der Auskunftspflicht, sondern nach der Person des Auskunftsgläubigers. Damit würde der Schutzbereich indes zu eng gezogen: Gesetzlich zwingende Auskunftspflichten, die die Auskunftssituation zwischen Privaten regeln, würden vom Schutzbereich nicht mehr erfasst, d. h. könnten auch keinen Eingriff mehr darstellen. Das widerspricht aber der allgemeinen Ansicht, dass der Gesetzgeber auch im Privatrecht an Grundrechte gebunden ist442: 440

Derart auch Kocak, S. 108. Den Anwendungsbereich des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit und damit den Schutzbereich bei privatem Auskunftsberechtigten ablehnend Bernhardt/Bullinger, CB 2016, 205, 207; uneindeutig Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170, 175; Gatter, S. 182 geht lediglich von mittelbarer Drittwirkung aus; Reinhardt/Kaindl, CB 2017, 210, 211; Theile, StV 2011, 381, 383. Ähnlich wegen Beschränkung der Selbstbelastungsfreiheit auf das Strafverfahren Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 263; Rübenstahl, WiJ 2012, 17, 22. Im Ergebnis uneindeutig Doege, der zwar einerseits die Selbstbelastungsfreiheit auf Situation des Strafverfahrens als justizähnlichen Grundsatz beschränkt (S. 139); andererseits aber erkennt, dass die Selbstbelastungsfreiheit tangiert ist, wenn der Staat mit hoheitlichen Mitteln eine Auskunft gegenüber einer Privatperson erzwingt (S. 155). 442 BVerfG, Beschluss vom 07. 02. 1990 – 1 BvR 26/84, AP GG Art. 12 Nr. 65; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 90 Rn. 21; Canaris, AcP 184 (1984), 202, 212; ders., Grundrechte und Privatrecht, S. 14; Hager, JZ 1994, 373, 374; Hesse, S. 27; Hillgruber, in: BeckOK GG, Art. 1 Rn. 73; Krause, JZ 1984, 656, 657; Lehner, Diskriminierungsschutz, 28; Looschelders/Roth, JZ 1994, 1034, 1038; Müller-Franken, FS Herbert Bethge, 2009, S. 223, 224; Neuner, S. 169; Poscher, S. 349; Ruffert, S. 90; Rüfner, in: HBdStR, 2. Aufl., Bd. V, § 117 Rn. 59; Schmidt, in: ErfK, Einl. GG Rn. 11; Stern, Staatsrecht III, § 76 S. 1565, 1579; Wagner, in: MüKo BGB, Vor § 823 BGB Rn. 74. Kritisch noch Medicus, AcP 192 (1992), 45 f. 441

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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Dann wäre nämlich der Schutzbereich für gesetzliche Auskunftspflichten mit privatem Auskunftsgläubiger nie eröffnet und kein Grundrechtsschutz vor derartigen staatlichen Regelungen gegeben. c) Klarstellung: Keine Schutzbereichsbeschränkung auf belastende Auskünfte, die Fehlverhalten im Bereich der Privatsphäre betreffen Im Hinblick auf die Verortung der Selbstbelastungsfreiheit im allgemeinen Persönlichkeitsrecht stellt sich außerdem die Frage, ob vom Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit lediglich Auskünfte erfasst sind, die ein Fehlverhalten (ob Straftat oder Pflichtverletzung, s. u.) im Rahmen der grundrechtlich geschützten Privatsphäre betreffen. Hier ließe sich überlegen, ob eine Selbstbezichtigung etwa mit einem Fehlverhalten im beruflichen Umfeld als Fehlverhalten innerhalb des Öffentlichkeitsbereichs bzw. der Sozialsphäre überhaupt vom Schutzbereich erfasst ist. Im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist wegen des Sozialbezugs im Öffentlichkeitsbereich schon der Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts nicht tangiert.443 Das Verhältnis zwischen Selbstbelastungsfreiheit und der zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht entwickelten Sphärentheorie gestaltet sich unübersichtlich. Rogall verstand die Selbstbelastungsfreiheit als verfassungsrechtlich unantastbares Persönlichkeitsrecht, das, weil es einen hohen Menschenwürdegehalt aufweise, der Disposition des Gesetzgebers entzogen sei.444 Dieses Verständnis sah sich in der Folge berechtigter Kritik ausgesetzt: Wenn das Wissen des Straftäters einen unantastbaren Geheimhaltungsschutz genösse, wäre staatliche Strafverfolgung letztlich unzulässig, da diese – auch ohne Mitwirkung des Beschuldigten – in diesen Geheimhaltungsbereich eindringe.445 Die Rückführung auf den Menschenwürdegehalt stelle eine inakzeptable Überhöhung der Selbstbelastungsfreiheit dar.446 Vor diesem Hintergrund ist eine Einordnung der Selbstbelastungsfreiheit in den unantastbaren Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts abzulehnen, eine prinzipielle Zuordnung der Selbstbelastungsfreiheit zum unantastbaren Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist damit überholt. Nicht geklärt ist damit die Frage, ob sich die Selbstbelastungsfreiheit in die anderen Sphären und damit in die Sphärentheorie insgesamt einfügen lässt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich soweit ersichtlich zur Frage des Verhältnisses der Selbstbelastungsfreiheit zur Sphärentheorie nicht positioniert. Im Schrifttum lässt sich eine Tendenz erkennen, den Aspekt der Selbstbelastung stets dem Bereich der Privatsphäre zuzuordnen unabhängig davon, welche privaten 443 444 445 446

364.

Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 160. Rogall, Der Beschuldigte, S. 143 ff., 148. Reiß, S. 47; Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 47. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 49; kritisch auch Verrel, NStZ 1997, 361,

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

oder gesellschaftlichen Situationen vom belastenden Inhalt erfasst werden.447 Dass diese Informationen an sich überindividuelle Züge trügen, trete in den Hintergrund: Die Informationen dürften zurückgehalten werden, weil sie das Bild anderer von der Auskunftsperson ebenso prägten wie deren soziale Behandlung, die auf abträgliche Reaktionen hinausliefe. Diese typischen Implikationen der Publizität sollen den Auskunftsinhalten zu einem elementaren Geheimnischarakter verhelfen.448 Wenn Informationen selbstbelastenden Inhalts stets der Privatsphäre zuzurechnen sein sollen, ergibt sich letztlich allerdings kein anderes Ergebnis, als wenn die Sphärentheorie gänzlich unberücksichtigt bleibt. Denn die Besonderheiten der Sphärentheorie hinsichtlich des besonderen Schutzes des Kernbereichs und des geringeren Schutzes der Sozialsphäre entfalten dann keine Wirkung. Von einem derartigen Verständnis scheint auch der verfassungsinterpretierende Gesetzgeber auszugehen. In den Gesetzesbegründungen der bereits angesprochenen Beispiele finden sich keine Äußerungen zur Zuordnung einer Sphäre, auch wenn sie sich durchaus angeboten hätten. So hätte in der Auskunftssituation des § 630c II 1 BGB ein Bezug zum beruflichen Verhalten als Sozialsphäre oder eben aufgrund der Belastung ggf. Privatsphäre hergestellt werden können, was allerdings nicht geschehen ist. Entsprechendes gilt für die Selbstbelastung im Disziplinarverfahren.449 Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, die Selbstbelastungsfreiheit losgelöst von der Sphärentheorie zu betrachten.450 Eine derart unabhängige Betrachtung findet sich bereits bei anderen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. So kommt es für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht darauf an, ob der Inhalt, auf den zugegriffen wird, dienstlichen oder privaten Charakter aufweist.451 Dies betont hinsichtlich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch das Bundesarbeitsgericht, wonach das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht nur allein den Schutz der Privat- und Intimsphäre gewährleistet, sondern in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch den informationellen Schutzinteressen desjenigen Rechnung trägt, der sich in die Betriebsöffentlichkeit begibt.452 Auf den Sphärengedanken ist damit im Zusammenhang mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht zurückzugreifen. Dieses Verständnis auch auf den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit zu übertragen, liegt insbesondere nahe, da die

447 Kölbel, S. 279; Nothhelfer, S. 82; ähnlich im Zusammenhang mit einer Anzeigepflicht Schwarz, Anzeigepflicht, S. 131 ff.: Straftaten immer Privatsphäre. 448 Zum Ganzen Kölbel, S. 279. 449 Siehe zu Disziplinarverfahren bisher Fußnote 424 auf S. 130, nachfolgend in den Rechtfertigungsüberlegungen S. 145. 450 So im Ergebnis auch ausdrücklich Gatter, S. 180; Kocak, S. 105, sogar bereits Rohlf, S. 48, der Schwierigkeiten der Sphärentheorie bei staatlicher Informationserlangung aufzeigt. 451 BVerfG, Beschluss vom 19. 12. 1991 – 1 BvR 382/85, NZA 1992, 307, 308. 452 BAG, Urteil vom 27. 07. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327 Rn. 25; BAG, Urteil vom 29. 6. 2017 – 2 AZR 597/16, NZA 2017, 1179 Rn. 24.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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Selbstbelastungsfreiheit teilweise als Aspekt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verstanden wird.453 d) Konkretisierung: Selbstbezichtigung mit Straftat oder auch Pflichtverletzung? Mit dem Ergebnis, dass der Schutz der Selbstbelastungsfreiheit in Auskunftssituationen den Schutz vor gesetzlich vorgeschriebenen, erzwingbaren Auskunftspflichten erfasst, ist allerdings noch nichts darüber gesagt, ob lediglich die Konfliktsituation der Selbstbezichtigung mit einer Straftat erfasst ist oder auch die Selbstbezichtigung mit einer Pflichtverletzung unterhalb der Strafbarkeitsschwelle. Der Schwerpunkt liegt hierbei mithin in der Frage, ob für den Schutz der Selbstbelastungsfreiheit nach dem Bezichtigungsinhalt zu differenzieren ist. Der Bezichtigungsinhalt lässt sich hierbei nach der Frage der drohenden Sanktion unterscheiden: Die Straftat hat eine staatliche Sanktion im Sinne des Strafgesetzbuchs zur Folge. Fehlverhalten jenseits strafbaren Verhaltens kann anderweitige staatliche Sanktionen (etwa Ordnungswidrigkeiten oder Disziplinarmaßnahmen) zur Folge haben oder auch lediglich private Reaktionen mit Sanktionscharakter. Von welchem Schutzbereichsverständnis auszugehen ist, ist nachfolgend zu klären. aa) Schutz vor strafrechtlichen Konsequenzen Den Schutz vor strafrechtlichen Konsequenzen in den Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit einzubeziehen, ist als solches der selbstverständliche Kern des Schutzbereichs. Von einem derartigen Verständnis geht der verfassungsinterpretierende Gesetzgeber mit den Regelungen in §§ 136, 243 IV 1 StPO aus, die ein Aussageverweigerungsrecht lediglich für den Beschuldigten im Strafverfahren vorsehen. Ob auch eine Beschränkung des Schutzbereichs auf diesen Bezichtigungsinhalt anzunehmen ist, ist eine andere Frage. Für eine Beschränkung auf die Selbstbezichtigung mit strafbarem Verhalten liefert das Bundesverfassungsgericht im Gemeinschuldnerbeschluss selbst bei der Prüfung des Schutzbereichs Anhaltspunkte. Der Gemeinschuldnerbeschluss beschreibt zu Beginn in Auseinandersetzung mit dem Schutzbereich die Konfliktsituation, sich selbst einer Straftat bezichtigen zu müssen, durch eine Falschaussage ggf. ein neues Delikt zu begehen oder wegen Schweigens Zwangsmitteln ausgesetzt zu werden. Hier wird die Straftat als erstes genannt, sodass naheliegt, die nachfolgende Gefahr der Falschaussage oder das Schweigen auf diese Straftat zu beziehen. Gemeint wäre dann die Konfliktsituation, sich selbst einer Straftat bezichtigen zu müssen, zur Vermeidung der Entdeckung der Straftat durch eine Falschaussage ggf. ein neues Delikt zu begehen oder wegen Schweigens zur Vermeidung der Entdeckung der Straftat Zwangsmitteln ausgesetzt zu werden. 453 DiFabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Rn. 187; Gatter, S. 180; Paeffgen, in: SK-StPO, Vor § 112 Rn. 31; Wohlers, in: SK-StPO, § 163a Rn. 144.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Im Schrifttum wird vereinzelt eine Beschränkung auf die Selbstbezichtigung mit strafbarem Verhalten angenommen,454 hierbei handelt es sich allerdings lediglich um mittelbare Verfassungsinterpretation. bb) Schutz vor anderweitiger pönaler, staatlicher Reaktion Möglich wäre außerdem, den Schutzbereich auf die Selbstbezichtigung mit einer Handlung zu erweitern, die einer strafbaren Handlung ähnlich ist und eine der Bestrafung entsprechende, staatliche Sanktion auslöst. Eine derartige Reaktion wäre etwa die Verhängung eines Bußgeldes für Ordnungswidrigkeiten oder eine disziplinar- oder berufsrechtliche Verfolgung. Auch für diese Sichtweise finden sich im Gemeinschuldnerbeschluss Andeutungen, wenn das Bundesverfassungsgericht anführt, unzumutbar wäre ein Zwang, durch eigene Aussagen die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung oder die Verhängung entsprechender Sanktionen liefern zu müssen. Auf ein derart weitergehendes Verständnis lässt auch ein bereits angesprochenes jüngeres Urteil der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung schließen. Danach ist der Schutz vor dem Zwang zur Selbstbezichtigung so zu verstehen, dass der einzelne vom Staat nicht in eine Konfliktlage gebracht werden soll, in der er sich selbst strafbarer Handlungen oder ähnlicher Verfehlungen bezichtigen muss oder in Versuchung gerät, durch Falschaussagen ein neues Delikt zu begehen, oder wegen seines Schweigens in Gefahr kommt, Zwangsmitteln unterworfen zu werden.455 Hiermit lässt sich die Trias der Konfliktsituation derart ergänzen, dass der Auskunftspflichtige davor geschützt werden soll, sich selbst strafbarer Handlungen oder ähnlicher Verfehlungen bezichtigen zu müssen, zur Vermeidung der Entdeckung der Straftat oder ähnlicher Verfehlungen durch eine Falschaussage ggf. ein neues Delikt zu begehen oder wegen Schweigens zur Vermeidung der Entdeckung der Straftat oder ähnlicher Verfehlungen Zwangsmitteln ausgesetzt zu werden. Auch der Gesetzgeber geht von einem weiter gefassten Schutzbereich dahingehend aus, dass nicht nur die Bezichtigung mit strafbaren Handlungen dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit unterfallen. Dies wird durch einige der bereits genannten Beispiele gesetzlicher Regelungen deutlich. Hier wurde ein Auskunftsverweigerungsrecht mit dem Verweis auf den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit begründet, obwohl nicht notwendigerweise eine Selbstbezichtigung mit Straftaten im Raum stand. So gewährt im Beamtenrecht § 20 I 3 BDG dem Beamten im Vorverfahren ein Auskunftsverweigerungsrecht bezüglich möglicher Dienstvergehen. Gleichermaßen finden sich zum Auskunftsverweigerungsrecht des Beamten im Rahmen der Vorermittlungen in der Rechtsprechung ausdrückliche Hinweise auf ein Auskunftsverweigerungsrecht bei der Gefahr der Selbstbezichtigung mit einer 454

Kleinheisterkamp, S. 259; Wolff, S. 106. Auch Anders, wistra 2014, 329, 332 sieht im nemo-tenetur-Grundsatz das verfahrensrechtliche Korrelat des Schuldprinzips mit der Folge von Strafrechtsspezifität. 455 BVerfG, Beschluss vom 26. 02. 1997 – 1 BvR 2172/96, NJW 1997, 1841, 1843.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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Pflichtverletzung: Der Schutz des Beamten gegen Selbstbezichtigungen im Disziplinarverfahren setze der beamtenrechtlichen Wahrheitspflicht dort Schranken, wo der Betroffene sonst gezwungen wäre, eine von ihm begangene Pflichtwidrigkeit zu offenbaren.456 Ähnliches gilt für das Auskunftsverweigerungsrecht des Rechtsanwalts aus § 56 I 2 BRAO457, das ausdrücklich auch dann gilt, wenn der Rechtsanwalt sich durch wahrheitsgemäße Beantwortung der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Berufspflichtverletzung verfolgt zu werden. Eine Beschränkung des Schutzbereichs auf strafrechtliche Konsequenzen ist hiermit nicht zu vereinbaren. Für eine weitergehende Reichweite spricht schließlich auch die Regelung des § 55 StPO. § 55 StPO sieht ein Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen vor, wenn die Gefahr besteht, sich durch die Beantwortung einer strafrechtlichen oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfolgung auszusetzen. Der Schutz des § 55 StPO gilt außerdem auch dann, wenn der Zeuge sich durch die Aussage der Gefahr von Maßnahmen des Jugendstrafrechts aussetzen würde.458 cc) Schutz vor pönaler, auch nichtstaatlicher Sanktion Denkbar wäre schließlich, den Schutzbereich auch bei Verfehlungen als eröffnet anzusehen, die einer strafbaren Handlung ähnlich sind und bei denen die Gefahr einer der Bestrafung entsprechenden pönalen, nichtstaatlichen Sanktion besteht. Diese Sichtweise wird von einer weiten Formulierung des Bundesverfassungsgerichts getragen, wenn es davon ausgeht, das allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze in besonderer Weise vor dem Verlangen, Informationen preiszugeben, die den Betroffenen selbst belasten.459 Auch die bereits angesprochenen Formulierungen der der Straftat ähnlichen Verfehlungen bzw. die Verhängung entsprechender Sanktionen schließen ein solches Verständnis nicht aus. Auch im Schrifttum – als allerdings mittelbarer Verfassungsinterpret – wird eine derart weite Sichtweise vertreten, dass das Recht der Selbstbelastungsfreiheit auch vor nichtstaatlichen Demütigungen schützt.460 Die Selbstbelastungsfreiheit soll den Betroffenen vor dem Interessenkonflikt bewahren, an der mit einem sittlichen Unwerturteil verbundenen Verhängung von Sanktionen gegen sich selbst mitwirken zu müssen,461 d. h. Reaktionen mit sanktionierendem Element hervorzurufen.462 456 VG Wiesbaden, Urteil vom 05. 06. 2013 – 28 K 296/12. WI.D, BeckRS 2013, 55021; VG Wiesbaden, Urteil vom 16. 07. 2014 – 28 K 1419/12. WI.D., BeckRS 2015, 45716 Rn. 41. 457 Hier droht eine staatliche Sanktion, da die Rechtsanwaltskammer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, § 62 I BRAO. 458 Etwa Jugendarrest, BGH, Urteil vom 24. 1. 1956 – 1 StR 568/55, NJW 1956, 680. 459 BVerfG, Urteil vom 08. 07. 1997 – 1 BvR 2111/94, NZA 1997, 992, 993. 460 Derart weit formuliert Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 35. 461 Benz, S. 7, der allerdings davon ausgeht, dieser Zweck werde in zivil-, arbeits- und verwaltungsgerichtliche Verfahren nicht verfolgt; hier ginge es um die Durchsetzung von Ansprüchen Dritter oder die Herstellung rechtmäßiger Zustände für die Zukunft. Dieser Ar-

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

dd) Stellungnahme Es ist bereits in der vorangehenden Darstellung deutlich geworden, dass sich ein auf die nach dem Strafgesetzbuch drohende Sanktionierung beschränkendes Verständnis (unter (1)) nicht mit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts und des Gesetzgebers vereinbaren lässt. Für den o. g. Beispielsfall 2 ist eine Eröffnung des Schutzbereichs der Selbstbelastungsfreiheit daher auch anzunehmen, wenn lediglich ein Verstoß des R gegen das Berufsrecht im Raum steht, auch wenn dieser keinen Straftatbestand erfüllt.

Entschieden werden muss damit die Frage, ob eine Beschränkung des Schutzbereichs auf drohende staatliche Sanktionen geboten ist (oben unter (2)) oder auch drohende strafähnliche private Sanktionen (oben unter (3)) ausreichen. Gegen eine Beschränkung auf drohende staatliche Sanktionen spricht zunächst, dass es aus Perspektive des Adressaten, also für den Auskunftspflichtigen keinen Unterschied macht, ob ihm eine (staatlich auferlegte) Geldstrafe bei Einräumung einer Verfehlung droht oder eine (privatrechtlich) auferlegte Sanktionsmaßnahme wie etwa eine Vertragsstrafe oder auch ein drohendes Schadensersatzverlangen.463 Auch sind staatliche Sanktionen in Disziplinarverfahren in ihrem Wesen den privatrechtlichen arbeitsrechtlichen Sanktionen ähnlicher als klassischen staatlichen Sanktionen wie der Freiheitsentziehung oder der Geldstrafe. Sofern jene disziplinarischen Sanktionen in den Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit fallen, ist schwerlich begründbar, warum drohende private Sanktionen mit vergleichbarer Wirkung nicht vom Schutzbereich erfasst werden sollen. Im o. g. Beispielsfall 3 dürften aus Sicht des A etwaige Konsequenzen wie Schadensersatzforderungen des Patienten oder arbeitsrechtliche Konsequenzen seines Arbeitgebers gleichermaßen schwerwiegend sein wie ein berufsrechtliches oder disziplinarrechtliches Verfahren oder ein (wohl eher theoretisch) denkbares strafrechtliches Ermittlungsverfahren.

Für eine Beschränkung auf drohende staatliche Sanktionsmaßnahmen könnte sprechen, dass private Sanktionsmaßnahmen sich im Vertragsgefüge bewegen und somit lediglich eine Reaktion darauf darstellen, dass dieses Gefüge durch ein Verhalten der anderen Vertragspartei aus dem Gleichgewicht geraten ist. Hierin ein Bedürfnis für die grundrechtliche Schutzbereichseröffnung zu sehen, mag fernliegen. Andererseits wäre der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gumentation kann für Arbeitsgerichtsverfahren nicht gefolgt werden, da Gegenstand der Auseinandersetzung Anspruchskürzungen, Abmahnung und Kündigung sein können, dazu nachfolgend. 462 Paeffgen, Untersuchungshaft, S. 73; Schlauri, S. 22. 463 Leipold, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 10. 12. 2002 – VI ZR 378/01, JZ 2003, 632, 633. Ob eine Verpflichtung zum Schadensersatz tatsächlich eine Sanktionsmaßnahme darstellt, lässt sich freilich in Frage stellen, steht hier schließlich der Schadenseintritt im Vordergrund. Allerdings ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass aufgrund des Verschuldenserfordernisses eine Verhaltensmissbilligung im Raum steht. Zum i. E. wohl abzulehnenden Sanktionscharakter einer Kündigung siehe Abschnitt C. II. dieses Kapitels.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

141

auch in dieser Konstellation bei der Auskunftspflicht über strafbare Handlungen unproblematisch eröffnet. Dann aber würde dem Schutzbereich unterfallen, wer eine Straftat begeht und sich dieser selbst bezichtigen muss; nicht jedoch, wer eine Pflichtverletzung begeht und sich dieser selbst bezichtigen muss. Geschütztes Verhalten ginge damit einher mit wohl in der Regel schwerwiegenderer Rechtsverletzung. Dieser Widerspruch verdeutlicht, dass der Schutzbereichsumfang nicht entscheidend dadurch bestimmt werden kann, wer die Sanktionsfolge ausspricht, sondern dass eine Sanktionierung droht. Die Schutzbereichseröffnung sollte mithin vielmehr von dem drohenden Vorwurf von Schuld oder ethischer Missbilligung des Verhaltens abhängig gemacht werden.464 Das Bundesverfassungsgericht geht bei einer Auskunftspflicht und ihrem Verhältnis zu dem mit dem Recht auf Selbstbelastungsfreiheit eng verknüpften Recht auf informationelle Selbstbestimmung465 sogar so weit, dass es bei der Anordnung einer Auskunftspflicht vom Gesetzgeber eine Prüfung fordert, ob die Auskunftspflicht insbesondere für den Betroffenen die Gefahr der sozialen Abstempelung hervorrufen kann.466 Das legt nahe, den Kerngedanken der Selbstbelastungsfreiheit derart zu fassen, dass ein sozialethisches Unwerturteil droht. Bei Bestrafungen im Sinne des StGB ist das unproblematisch der Fall, denn eine Strafe stellt ein Unwerturteil dar, in dem eine gesellschaftliche Missbilligung liegt.467 Ein sozialethisches Unwerturteil droht aber nicht nur bei bestrafenden Unwerturteilen im Sinne des StGB, sondern bei aller Art drohender pönaler Maßnahmen, seien sie auf staatliches Tätigwerden oder privates Tätigwerden zurückzuführen. Eine Beschränkung des Schutzbereichs auf staatlich veranlasste Sanktionen ist auch nach der obigen Entscheidung für die Begrenzung des Schutzbereichs auf gesetzlich vorgeschriebene, erzwingbare Auskunftspflichten nicht geboten. Zwar wird dort der Inhalt des Schutzbereichs in Anlehnung an den möglichen Eingriff bestimmt, sodass es naheläge, auch hier lediglich auf hoheitliches Verhalten und damit auf staatlich veranlasste Sanktionen abzustellen. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die Schutzbereichsbegrenzung auf gesetzlich vorgeschriebene, erzwingbare Auskunftspflichten und eine Schutzbereichsbegrenzung auf drohende staatliche Sanktionen nicht vergleichbar sind. Denn die Auskunftspflicht geht der Sanktion, die nur eine drohende ist, vor – die rechtlich vorgesehene Auskunftspflicht stellt also den unmittelbaren Eingriff dar, der ein beschränktes Schutzbereichsver464

An diese Kriterien anknüpfend Weiß, NZA 2014, 503, 504. Zum uneindeutigen Verhältnis von dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung siehe oben zur verfassungsrechtlichen Verankerung; außerdem auch betroffene Grundrechte bei Beobachtungsdaten. 466 BVerfG, Urteil vom 15. 12. 1983 – 1 BvR 209/83, NJW 1984, 419, 423; zur Gefahr der sozialen Abstempelung auch BVerfG, Urteil vom 11. 06. 1991 – 1 BvR 239/90, NJW 1991, 2411, 2412; Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 GG Rn. 187. 467 Leipold, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 10. 12. 2002 – VI ZR 378/01, JZ 2003, 632, 633, nach dem im Übrigen ein entsprechendes Unwerturteil auch in einem Zivilprozess erfolgen kann. 465

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

ständnis unter Einbeziehung des Eingriffsmoments rechtfertigt.468 Die Sanktion hingegen ist in dem Moment der Auskunft nicht konkret, sondern stellt lediglich eine in fernerer Zukunft liegende Möglichkeit eines weiteren Grundrechtseingriffs im klassischen Sinne (in die allgemeine Handlungsfreiheit bzw. Freiheit der Person) dar, sofern es sich um eine staatliche Sanktion handelt. Eine private Sanktion wäre nicht als Grundrechtseingriff im Sinne der Grundrechtslehre, sondern als privater Übergriff zu verstehen. Diese Bewertung bereits auf die Reichweite des Schutzbereichs der Selbstbelastungsfreiheit zu übertragen, würde jedoch die gemeinsame Betrachtung von Schutzbereich und Eingriff überstrapazieren, da damit in der Zukunft und erst nach einem zuvor nötigen Grundrechtseingriff (Auskunftspflicht) liegende Eingriffe zur Schutzbereichsbegrenzung herangezogen würden. Das geht vor dem Hintergrund des ohnehin nicht unumstrittenen Verhältnisses zwischen Schutzbereich und Eingriff469 zu weit. Im Ergebnis ist vom Schutzbereich damit auch die Konfliktsituation erfasst, sich selbst eines Fehlverhaltens zu bezichtigen, das für den Auskunftspflichtigen bestrafende staatliche oder aber auch pönale nichtstaatliche Konsequenzen haben kann. e) Ergebnis Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit erfasst in seinem Schutzbereich die Konfliktsituation, sich selbst mittels Aussage eines Fehlverhaltens bezichtigen zu müssen, welches für ihn bestrafende staatliche oder pönale nichtstaatliche Konsequenzen haben kann, wenn diese Konfliktsituation durch eine rechtlich im Sinne von durch den Gesetzgeber vorgeschriebene, erzwingbare Auskunftspflicht hervorgerufen wird. Dies gilt selbst dann, wenn der Auskunftsberechtigte Privatperson ist. 3. Eingriff Auf Eingriffsebene ergeben sich in grundrechtsdogmatischer Hinsicht keine Besonderheiten. Daher ist auf diesen Teil der Grundrechtsprüfung nicht weiter einzugehen. 4. Rechtfertigung Im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung ergeben sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besondere Anforderungen, die auch durch das Verständnis des Gesetzgebers gestützt werden.

468 469

Zur Verknüpfung von Schutzbereich und Eingriff siehe oben. Siehe hierzu das Zwischenfazit zur Schutzbereichsbeschränkung, S. 131.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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a) These: Eine Auskunftspflicht besteht in Abhängigkeit des Rechtfertigungsdrucks nach Art des Informationsinteresses aa) Thesenentwicklung anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Im Gemeinschuldnerbeschluss finden sich nicht nur Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts zum Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit, sondern auch Ausführungen, die allgemeine Anhaltspunkte für die Rechtfertigung eines Eingriffs in die Selbstbelastungsfreiheit darstellen. Das Bundesverfassungsgericht führt aus, der Gesetzgeber könne bei Auskünften zur Erfüllung eines berechtigten Informationsbedürfnisses die Belange der verschiedenen Beteiligten abwägen und dabei berücksichtigen, dass es im Konkursverfahren – anders als bei verwaltungsrechtlichen Auskunftspflichten – nicht allein um ein staatliches oder öffentliches Informationsbedürfnis, sondern zugleich um die Interessen geschädigter Dritter geht.470 Vor dem Hintergrund dieser Abwägungsrichtschnur geht das Bundesverfassungsgericht von einem an sich gerechtfertigten Eingriff aus.471 Den Ausführungen zur Eingriffsrechtfertigung dürfte bereits im Gemeinschuldnerbeschluss Bindungswirkung zukommen: Das Bundesverfassungsgericht lehnt die konkrete Subsumtion an diese Strukturierung an – anders als im Zusammenhang mit den Ausführungen zum Schutzbereich, unter die das Bundesverfassungsgericht den Einzelfall nicht subsumiert. Damit zählen die Ausführungen im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung zu den tragenden Gründen der Entscheidung. Sofern mittels gesetzlich vorgeschriebener, erzwingbarer Auskunftspflicht in die Selbstbelastungsfreiheit eingegriffen wird, ist somit nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts für die Eingriffsrechtfertigung relevant, ob hinter der gesetzlich vorgeschriebenen, erzwingbaren Auskunftspflicht ein privates Informationsinteresse steht – dann wäre der Eingriff leichter gerechtfertigt und eine uneingeschränkte Auskunftspflicht auch bei Gefahr der Selbstbelastung eher anzunehmen. Darauf aufbauend lässt sich folgende These hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Selbstbelastungsfreiheit formulieren: Sofern hinter der Auskunft ein staatliches Informationsinteresse steht, besteht zugleich ein hoher Rechtfertigungsdruck für die Annahme einer Auskunftspflicht. In der Regel wird aufgrund dieses hohen Rechtfertigungsdrucks die Auskunftspflicht bei Gefahr der Selbstbelastung verneint. Steht der Gefahr der Selbstbelastung hingegen ein privates Informationsinteresse gegenüber, ist der Rechtfertigungsdruck für die Annahme einer Auskunftspflicht geringer. Es besteht grundsätzlich eine Auskunftspflicht.

470

BVerfG, Beschluss vom 13. 01. 1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431, 1433. Zur Ergänzung der Auskunftspflicht um ein strafprozessuales Beweisverwertungsverbot s. u. Lang, Aufklärungspflicht, S. 78: Kompromisslösung zugunsten der privaten Rechtsdurchsetzung. 471

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Auch der Inhalt dieser These soll nachfolgend in der Rechtfertigungsbetrachtung anhand der bereits oben genannten Lebenssachverhalte verdeutlicht werden, bei denen der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit eröffnet war: Beispielsfall 2: Rechtsanwalt R steht unter Verdacht, gegen das anwaltliche Berufsrecht verstoßen zu haben. Hiermit befasst sich die zuständige Rechtsanwaltskammer, deren Vorstand sich bei R über den Sachverhalt erkundigt. Beispielsfall 3: Nach einer Operation befürchtet der behandelte Patient einen Behandlungsfehler und erkundigt sich bei dem behandelnden Arzt A. A erkennt, dass ihm infolge einer Unachtsamkeit bei der Operation tatsächlich ein Fehler unterlaufen ist, der einen erneuten Eingriff erfordert.

bb) Bestätigung der These durch Gesetzgebung Die Differenzierung des Rechtfertigungsdrucks danach, ob ein privates oder ein staatliches Informationsinteresse hinter der Auskunftspflicht stehen, findet sich auch bereits in gesetzlichen Regelungen, die älter als der Gemeinschuldnerbeschluss sind sowie in gesetzlichen Regelungen, die nach dem Gemeinschuldnerbeschluss erlassen wurden. (1) Selbstbelastungsgefahr und staatliches Informationsinteresse Schon vor 1981 zeigt sich in der Gesetzgebung die Tendenz, eine gesetzlich vorgeschriebene, erzwingbare Auskunftspflicht für den Fall der Selbstbelastungsgefahr um ein Auskunftsverweigerungsrecht zu ergänzen, wenn hinter der Auskunft ein staatliches Informationsinteresse steht. Ein Beispiel hierfür stellt das bereits angesprochene Auskunftsverweigerungsrecht in § 46 V GWB dar. Hinter dieser Auskunftspflicht steht ein staatliches Informationsinteresse; die Auskunftspflicht dient nach Gesetzeswortlaut der Erfüllung der behördlichen Aufgaben bzw. der Durchführung des Gesetzes. Bei Gefahr der Selbstbelastung wird ein Auskunftsverweigerungsrecht angenommen. Damit wird die Auskunftspflicht letztlich bei Gefahr der Selbstbelastung ausgesetzt – die Auskunftspflicht gilt dann nur noch hinsichtlich nicht belastender Auskünfte. Die extremste Form des Rechtfertigungsdrucks auch bereits vor 1981 findet sich streng genommen in den Fällen, in denen die Gefahr der Selbstbelastung für den Auskunftspflichtigen den Regelfall darstellt und die daher schon keine gesetzlich vorgeschriebene Auskunftspflicht vorsehen, den Eingriff in den Schutzbereich also bereits – quasi als Ergebnis einer vorweggenommenen Rechtfertigungsprüfung – vermeiden.472 Dies sind Fälle der strafprozessualen und disziplinarischen Selbstbelastung. Im Strafprozess steht dem Interesse des Beschuldigten an Selbstbelastungsfreiheit das öffentliche Interesse an der Verwirklichung der strafenden Gerechtigkeit gegenüber.473 Die StPO räumt dem Beschuldigten bereits in der Fassung 472 473

Siehe hierzu bereits oben im Schutzbereich Fußnote 424 auf S. 129. Nothhelfer, S. 89; Stürner, Aufklärungspflichten, 184.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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vom 01. 01. 1975 in § 136 I 2, § 243 IV 1 StPO ein Aussageverweigerungsrecht ein.474 Sie trägt den schutzwürdigen Belangen des Beschuldigten dadurch Rechnung, dass sie ihn nicht zwingt, gegen sich selbst auszusagen,475 das Interesse an Selbstbelastungsfreiheit überwiegt im Widerstreit mit einem öffentlichen Informations- und Sanktionsinteresse.476 Der Staat kann sich auch nicht darauf berufen, dass bei der Verfolgung besonders schwerer Delikte qualifiziertes Interesse an Strafverfolgung bestünde, denn dann besteht auch erhöhtes Geheimhaltungsinteresse des Beschuldigten.477 Auch im Disziplinarverfahren ging die Disziplinarordnung in der Fassung von 1967 bereits im Rahmen der Vorermittlungen in § 26 II 3 BDO478 von einem Auskunftsverweigerungsrecht des Beamten bei Gefahr der Selbstbelastung aus. Die Abhängigkeit des Rechtfertigungsdrucks nach Art des Informationsinteresses wird auch nach 1981 deutlich. Im Disziplinarrecht steht dem Beamten im behördlichen Disziplinarverfahren im Sinne von § 17 ff. BDG (bzw. der entsprechenden landesrechtlichen Regelung für Landesbeamte) ein gesetzlich normiertes Schweigerecht zu, über das er auch zu belehren ist, § 20 I 3 BDG. Auch andernorts finden sich vielfältige vergleichbare Beispiele in der Gesetzgebung: Ein anderer Konfliktkreis, in dem der Gesetzgeber das Informationsinteresse des staatlichen Auskunftsberechtigten mit Einräumung eines Auskunftsverweigerungsrechts für den Auskunftspflichtigen geringer wertet, findet sich bei ehrgerichtlichen Verfahren und formellen anwaltsgerichtlichen Verfahren479. Die Auskunftspflicht des Rechtsanwalts ergibt sich aus § 56 I 1 BRAO. Sie besteht gegenüber dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer als staatliches Gegenüber.480 Die Auskunftspflicht soll dem Kammervorstand die Erfüllung seiner Aufgaben ermöglichen, vor allem die Pflichtenerfüllung der Mitgliedern zu überwachen und das Recht der Rüge zu handhaben, § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO.481 Damit steht dem Interesse des Anwalts an Selbstbelastungsfreiheit auch hier ein staatliches Informationsinteresse gegenüber. Auch hier obsiegt in diesem Interessenkonflikt das Interesse an Selbstbelastungsfreiheit: In dem Aufsichtsverfahren steht dem Rechtsanwalt nunmehr nach gesetz474

BGBl I/1975, Nr. 3. S. 129, 154, 169. BVerfG, Beschluss vom 31. 1. 1973 – 2 BvR 454/71, NJW 1973, 891. 476 Kölbel, S. 390; Nothhelfer, S. 90; Reiß, S.188; Rogall, Der Beschuldigte, S.147; so im Ergebnis auch Wolff, S. 139, auch wenn der Gesetzgeber in derartigen Fällen zwischen der Normierung eines Auskunftsverweigerungsrechts oder eines Beweisverwertungsverbots wählen können soll. 477 Kölbel, S. 391, dort Fußnote 110. 478 Abrufbar unter: https://www.juris.de/perma?d=BJNR007610952BJNE006200311, zuletzt abgerufen am 26. 04. 2020. 479 Zunächst kommt hier ein Aufsichtsverfahren in Betracht zur Klärung, ob überhaupt ein formelles, anwaltsgerichtliches Verfahren wegen pflichtwidrigen Verhaltens einzuleiten ist, Nöker, in: Feuerich/Weyland BRAO, § 56 Rn. 33. 480 Die Rechtsanwaltskammer ist Körperschaft des öffentlichen Rechts, § 62 I BRAO. 481 Nöker, in: Feuerich/Weyland BRAO, § 56 Rn. 3. 475

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

licher Regelung ein Auskunftsverweigerungsrecht gegenüber der Rechtsanwaltskammer nach § 56 I 2 BRAO zu, wenn wegen der Auskunft die Gefahr bestünde, wegen einer Straftat, einer Ordnungswidrigkeit oder einer Berufspflichtverletzung verfolgt zu werden. In Beispielsfall 2 steht Rechtsanwalt R unter Verdacht, gegen das anwaltliche Berufsrecht verstoßen zu haben. Hiermit befasst sich die zuständige Rechtsanwaltskammer, deren Vorstand sich bei R über den Sachverhalt erkundigt. Aufgrund des staatlichen Informationsinteresses ist in Beispielsfall 2 als Folge der Eingriffsrechtfertigung eine Auskunftspflicht des Rechtsanwalts zu verneinen im Hinblick auf Angaben, die einen Berufsrechtsverstoß beinhalten.

Einen Schwerpunkt staatlichen Informationsinteresses stellen auch klassische Aufsichtsverhältnisse dar. Bei der Auskunftspflicht aus § 6 III WpHG etwa steht hinter dem Auskunftsverlangen der Bundesanstalt schon dem Wortlaut der Norm nach ein staatliches Informationsinteresse.482 Für ein Auskunftsverlangen genügt bereits die Überwachungsfunktion. Dem steht das Interesse der Selbstbelastungsfreiheit des Auskunftspflichtigen gegenüber, welches mit der Normierung eines gesetzlichen Auskunftsverweigerungsrechts in § 6 XV WpHG überwiegt. Dasselbe gilt für die Auskunftspflicht aus § 17 IV ArbZG, hinter der ein staatliches Informationsinteresse steht, um das ArbZG umsetzen zu können.483 Auch hier löst der Gesetzgeber den Konflikt zwischen staatlichem Informationsinteresse und Selbstbelastungsfreiheit des Auskunftspflichtigen zugunsten des Auskunftspflichtigen, indem er ihm bei Selbstbelastungsgefahr in § 17 VI ArbZG das Auskunftsverweigerungsrecht einräumt. Gleichermaßen obsiegt das Interesse an Selbstbelastungsfreiheit gegenüber dem staatlichen Informationsinteresse484 in § 22 I 1 ArbSchG durch Normierung eines Auskunftsverweigerungsrechts. Dasselbe gilt auch für die um ein Auskunftsverweigerungsrecht ergänzte Auskunftspflicht aus § 59 I Nr. 1, II, V GWB485. 482 Die Bundesanstalt kann, um zu überwachen, ob die Verbote oder Gebote dieses Gesetzes […] eingehalten werden oder um zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Maßnahme […] vorliegen, von jedermann Auskünfte […] verlangen; zum Hintergrund der Vorgängerregelung BT-Drs. 12/6679, S. 49 zu Abs. 2. 483 Hinter der Auskunftspflicht steht das Interesse der Überwachungseffektivität der Verwaltung, VGH Mannheim, Beschluss vom 13. 06. 2006 – 6 S 517/06. 484 Die zuständige Behörde kann vom Arbeitgeber oder von den verantwortlichen Personen die zur Durchführung ihrer Überwachungsaufgabe erforderlichen Auskünfte und die Überlassung von entsprechenden Unterlagen verlangen. Hintergrund der Auskunftspflicht aus § 22 I 1 ArbSchG ist also, festzustellen, ob der Arbeitsschutz im Betrieb eingehalten wird; hierzu ist die Arbeitsschutzaufsicht aber auf konkrete Auskünfte angewiesen (Ambs, in: Erbs/Kohlhaas/ Ambs, ArbSchG, § 22 Rn. 1; Wiebauer, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 22 ArbSchG Rn. 15, 22). 485 Das staatliche Informationsinteresse ergibt sich auch hier aus dem Gesetz: Die Auskunft erfolgt zur Erfüllung der in diesem Gesetz der Kartellbehörde übertragenen Aufgaben, § 59 I UWG. Im Schrifttum wird das Auskunftsverweigerungsrecht aus § 59 V UWG als Anerkennung des Grundsatzes bezeichnet, dass es kein verwaltungsrechtliches Verlangen auf Selbstbezichtigung geben darf, Klaue, in: Immenga/Mestmäcker/Klaue, GWB, § 59 Rn. 36.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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(2) Selbstbelastungsgefahr und privates Informationsinteresse Beispiele privaten Informationsinteresses und deren Rolle im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung spielten – soweit ersichtlich – vor 1981 keine Rolle. Dafür finden sich in jüngeren gesetzlichen Beispielen zahlreiche gesetzliche Auskunftspflichten, hinter denen private Informationsinteressen stehen und bei denen die Auskunftspflichten lediglich um ein Beweisverwertungsverbot für Folgeverfahren ergänzt werden. Die Auskunftspflicht selbst bleibt jedoch unberührt bestehen. Dem privaten Informationsinteresse wird hiermit Vorzug vor dem Interesse der Selbstbelastungsfreiheit des Auskunftspflichtigen eingeräumt. Beispiele hierfür sind die bereits im Schutzbereich angesprochenen Regelungen in § 630c II BGB sowie im Bereich des Immaterialgüterrechts. § 630c II 2 Alt. 1 BGB sieht vor, dass der Arzt den Patienten auf Nachfrage über Umstände zu informieren hat, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen. Hinter dieser Auskunftspflicht im Arzt-Patientenverhältnis steht das private Informationsinteresse des Patienten: Die Auskunftspflicht ist Ausdruck der Abwägung zwischen den Interessen des Behandelnden am Schutz seiner Person und dem Interesse des Patienten am Schutz seiner Gesundheit.486 In dieser Abwägung hat der Gesetzgeber dem Auskunftspflichtigen nicht die Möglichkeit eines Schweigerechts bei Selbstbelastungsgefahr eingeräumt. Dem Interesse des Behandelnden an Selbstbelastungsfreiheit wird vielmehr erst durch das Beweisverwendungsverbot aus § 630c II 3 BGB Rechnung getragen: Die Information nach Satz 2 darf zu Beweiszwecken in einem gegen den Behandelnden oder gegen seinen Angehörigen geführten Straf- oder Bußgeldverfahren nur mit Zustimmung des Behandelnden verwendet werden. Damit wird deutlich, dass der Auskunftspflichtige Auskunft auch bei Selbstbelastungsgefahr geben muss, wenn wie hier hinter der Auskunftspflicht ein privates Informationsinteresse steht. In Beispielsfall 3 befürchtet der behandelte Patient nach einer Operation einen Behandlungsfehler und erkundigt sich bei dem behandelnden Arzt A. A erkennt, dass ihm infolge einer Unachtsamkeit bei der Operation tatsächlich ein Fehler unterlaufen ist, der einen erneuten Eingriff erfordert. In Beispielsfall 3 besteht eine Auskunftspflicht des A vor dem Hintergrund des privaten Informationsinteresses auch dann, wenn er mit der Auskunft einen Behandlungsfehler einräumen muss.

Auch im Immaterialgüterschutz steht hinter den Auskunftsansprüchen aus § 101 I 1 UrhG, § 19 I MarkenG und § 140b PatentG ein privates Informationsinteresse in Form des Informationsinteresses des Schutzrechtinhabers. Der Schutzrechtsinhaber hat ein Interesse daran, Quellen und Vertriebswege von schutzrechtsverletzender Ware aufzudecken, die seine Schutzrechte durch gezielte und massenhafte Verletzungen bedrohen.487 Auch hier trägt der Gesetzgeber dem Interesse des Verletzers an 486

BT-Drs. 17/10488, S. 21. BT-Drs. 11/4792, S. 31 zu § 101 UrhG; BT-Drs. 16/5048 S. 39 zu § 140b PatentG, wobei sich in der Gesetzesbegründung lediglich der Hinweis findet, die Gewährung des Auskunftsanspruchs gegen Dritte in dieser Situation sei interessengerecht. In Einzelfällen kann 487

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Selbstbelastungsfreiheit nicht durch ein Schweigerecht Rechnung, sondern sieht in § 101 VIII UrhG, 19 VIII MarkenG, 140b VIII PatentG ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der gegebenen Auskünfte vor: Die Erkenntnisse dürfen in einem Strafverfahren oder in einem Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten wegen einer vor der Erteilung der Auskunft begangenen Tat gegen den Verpflichteten nur mit Zustimmung des Verpflichteten verwertet werden. Da der Gesetzgeber die Auskunftspflicht an sich nicht einschränkt, wird deutlich, dass der Gesetzgeber dem privaten Informationsinteresse bei der Auskunft eine größere Bedeutung zumisst als dem Interesse des Auskunftspflichtigen an Selbstbelastungsfreiheit. cc) Bestätigung der These durch fachgerichtliche Rechtsprechung Auch in der fachgerichtlichen Rechtsprechung sind differenzierte Rechtsfertigungsüberlegungen abhängig von dem der Selbstbelastungsfreiheit gegenüberstehenden Informationsinteresse erkennbar. (1) Selbstbelastungsfreiheit und staatliches Informationsinteresse Vor 1981 findet sich in der Rechtsprechung als Beispiel für ein Überwiegen der Selbstbelastungsfreiheit gegenüber staatlichem Auskunftsinteresse die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur anwaltlichen Auskunftspflicht, die ein Auskunftsverweigerungsrecht bei Gefahr der Selbstbelastung für verfassungsrechtlich erforderlich hielt.488 Nach 1981 hat die Entwicklung der Rechtsprechung angesichts der nunmehr umfangreich normierten Auskunftsverweigerungsrechte lediglich nachrangige Bedeutung. Zu nennen ist allerdings etwa die in der Rechtsprechung verbreitete Annahme eines Auskunftsverweigerungsrechts des Beamten im Rahmen der Vorermittlungen bei Gefahr der Selbstbelastung.489 Dasselbe gilt für das in der Rechtsprechung anerkannte Auskunftsverweigerungsrecht in der Disziplinarklage: Hier

die Interessenabwägung auch zulasten des Auskunftsberechtigten ausgehen, nämlich, wenn es sich um einen Einzelfall von Schutzrechtsverletzung handelt oder sicher davon auszugehen ist, dass keine weiteren Schutzrechtsverletzungen zu befürchten und eingetretene Schäden ausgeglichen sind: Dann hat der Auskunftsberechtigte kein oder ein nur äußerst geringes Interesse daran, Lieferanten oder gewerbliche Abnehmer der Waren zu erfahren; ein Auskunftsanspruch besteht nicht; BT-Drs. 11/4792, S. 32. 488 BGH, Urteil vom 27. 02. 1978 – AnwSt (R) 13/77, NJW 1979, 324, 325; die Rechtsanwaltskammer ist staatliches Gegenüber als Körperschaft öffentlichen Rechts, § 62 BRAO. 489 So ausdrücklich auch hinsichtlich der Offenbarung einer Pflichtverletzung VG Wiesbaden, Urteil vom 05. 06. 2013 – 28 K 296/12. WI.D, BeckRS 2013, 55021; VG Wiesbaden, Urteil vom 16. 07. 2014 – 28 K 1419/12. WI.D., BeckRS 2015, 45716; allgemein zum Schweigerecht im Vorermittlungsstadium BVerwG, Urteil vom 27. 04. 1973 – I D 15.72, BVerwG 46, 116; VGH Kassel, Beschl. v. 13. 5. 2013 – 28 A 488/12; im Schrifttum Herrmann, in Herrmann/Sandkuhl, § 6 Rn. 529; Müller, ZBR 12, 331, 337; Weiß, GKÖD, Band II J 970 Rn. 45.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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kann der Beamte erneut mit Vorwürfen konfrontiert werden, auch hier muss sich der Beamte zu den Vorwürfen nach fachgerichtlicher Rechtsprechung nicht äußern.490 (2) Selbstbelastungsfreiheit und privates Informationsinteresse Bereits vor 1981 ging der Bundesgerichtshof davon aus, dass ein Architekt seinem Auftraggeber nach § 666 (Var. 2) BGB auch bei Gefahr der Selbstbelastung uneingeschränkt auskunftspflichtig sei und für ein Auskunftsverweigerungsrecht in dieser Konstellation kein Raum sei.491 Nach 1981 hat sich die Rechtsprechung intensiv mit der Auskunftspflicht des Vollstreckungsschuldners auseinandergesetzt. Hinter der Auskunftspflicht des Vollstreckungsschuldners aus § 802c ZPO bzw. 807 ZPO a. F. steht ein privates Informationsinteresse, nämlich das des Gläubigers.492 Mit der Auskunftspflicht des Schuldners kann der Gläubiger seine Chancen auf Befriedigung besser einschätzen. Denn durch die Vermögensauskunft wird ein Überblick über die vorhandenen Vermögenswerte des Schuldners erlangt; die weiteren Vollstreckungsaktivitäten können danach ausgerichtet werden, was ein zielgerichtetes Vorgehen ermöglicht und zu einer erheblichen Beschleunigung der Vollstreckung führen kann.493 Hat er keine Kenntnis von den Vermögenswerten des Vollstreckungsschuldners, ist es ihm kaum möglich, die Zwangsvollstreckung anders als durch im Vergleich zur Forderungspfändung aufwändigere Sachpfändung durchzuführen.494 In dieser Interessenkollision schützt allerdings (noch) nicht der Gesetzgeber selbst nachträglich das Interesse des Auskunftspflichtigen an Selbstbelastungsfrei490 VGH Kassel, Beschluss vom 13. 05. 2013 – 28 A 488/12, BeckRS 2013, 52106. Ein Schweigerecht im gerichtlichen Disziplinarverfahren wird auch vorausgesetzt in BVerwG, NVwZ 2013, 1093. Hierfür auch im Schrifttum Werres, in: BeckOK BeamtenR Bund, § 62 BBG Rn. 6.1, allerdings für behördliches und gerichtliches Disziplinarverfahren; Müller, ZBR 12, 331, 337; Herrmann, in Herrmann/Sandkuhl, § 7 Rn. 68. 491 BGH, Urteil vom 30. 04. 1964 – VII ZR 156/62, NJW 1964, 1469, 1470. 492 Das wird bereits daran deutlich, dass ausschließlich der Gläubiger die Vermögensauskunft initiieren kann: Die Vermögensauskunft kann vom Gerichtsvollzieher nur verlangt werden, wenn der Gläubiger nach § 802a II ZPO einen entsprechenden Auftrag erteilt hat, anderenfalls kann sich der Vollstreckungsschuldner mit der Erinnerung zur Wehr setzen, Voit, in: Musielak/Voit ZPO, § 802c Rn. 2; Seibel, in: Zöller ZPO, § 802c Rn. 3. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass auch der Staat selbst ein Interesse an einer effizienten Zwangsvollstreckung hat: Denn die Kosten der Zwangsvollstreckung selbst werden nach § 788 I ZPO mit dem zur Zwangsvollstreckung stehenden Anspruch beigetrieben. Damit ist ein Informationsinteresse des Staates bezüglich der Vermögensverhältnisse des Schuldners nicht vollständig von der Hand zu weisen. Auch hat der Staat ein Interesse daran, effektive Instrumente zur Durchsetzung titulierter Forderungen bereitzuhalten, sofern er für sich das Gewaltmonopol und damit das Monopol der Zwangsvollstreckung beansprucht. Jedoch dürften diese staatlichen Interessen als „Begleitinteressen des Verfahrens“ hinter dem privaten Informationsinteresse des Vollstreckungsgläubigers kaum ins Gewicht fallen, der das Hauptinteresse an einer reibungslosen und effektiven Abwicklung des Zwangsvollstreckungsverfahrens aufweist 493 Wagner, in: MüKo ZPO, § 802c Rn. 2. 494 Stam, StV 2015, 130.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

heit durch ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der gemachten Angaben. Ein solches wird aber in der Rechtsprechung einhellig befürwortet.495 Das verdeutlicht, dass in dieser Auskunftssituation zwar eine Abwägung im Rahmen der Rechtfertigung zu erfolgen hat; hinsichtlich der Auskunft selbst aber das private Informationsinteresse das Interesse des Auskunftspflichtigen an der Selbstbelastungsfreiheit überwiegt. dd) Zwischenergebnis Es ist deutlich geworden, dass alle Verfassungsinterpreten die Möglichkeit und Modalitäten der Eingriffsrechtfertigung davon abhängig machen, ob hinter der Auskunftspflicht ein privates oder ein staatliches Informationsinteresse steht.496 Bei einem privaten Informationsinteresse bleibt die Auskunftspflicht selbst bestehen, ggf. ist eine Ergänzung dieser Pflicht um ein Beweisverwertungsverbot vorzunehmen.497 Im Unterschied zur Auskunft gegenüber dem Staat lässt sich das Obsiegen des privaten Informationsinteresses gegenüber dem Interesse des Auskunftspflichtigen an Selbstbelastungsfreiheit damit begründen, dass die Auskunft realen Interessen anderer Personen dient und sich zu deren Gunsten sinnhaft in der Zukunft auswirkt.498 Bei staatlichem Auskunftsinteresse kann der Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit durch die gesetzlich vorgeschriebene, erzwingbare Auskunftspflicht nicht gerechtfertigt werden, weswegen die Auskunftspflicht für diese Fälle der Selbstbelastung um ein Schweigerecht in Gestalt eines Aussage- oder Auskunftsverweigerungsrechts zu ergänzen ist.499

495 BVerfG, Beschluss vom 31. 03. 2008, 2 BvR 467/08, BeckRS 2008, 35240; BGH, Urteil vom 19. 03. 1991 – 5 StR 516/90, NJW 1991, 2844, 2845; dies befürwortend auch im Schrifttum Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1827; Dingeldey, NStZ 1984, 529, 531; Fleck, in: BeckOK ZPO, § 802c Rn. 30; Seibel, in: Zöller ZPO, § 802c ZPO, Rn. 31; Stam, StV 2015, 130, 132; Voit, in: Musielak/Voit ZPO, § 802c Rn. 7; Wagner, in: MüKo ZPO, § 802k Rn. 15; Weiß, NJW 2014, 503, 507. 496 Kocak, S. 106; sieht diese Gewichtungsfrage als Bestandteil des Schutzbereichs; ebenso wohl Doege, „Schutzgutbetroffenheit“, S. 135. Hiergegen spricht sowohl die Stelle, an der sich das Bundesverfassungsgericht im Gemeinschuldnerbeschluss mit der Gewichtung auseinandersetzt als auch der Abwägungsvorgang an sich, der auf Rechtfertigungsebene mit Verortung im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz passender erscheint. 497 Reeb, Investigations, S. 99 spricht hier von einer Schutzgestaltung im Moment der Beweisverwertung (bei privaten Informationsinteressen) bzw. einer Schutzgestaltung im Moment der Beweisgewinnung (bei staatlichen Informationsinteressen). 498 Sarhan, wistra 2015, 449, 454. 499 Undifferenziert insofern Kölbel, S. 71, der meint, aus der Warte von nemo tenetur seien die Annahme eines Auskunftsverweigerungsrechts und eines Beweisverwertungsverbots austauschbar.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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b) These: Eine aufgrund privaten Auskunftsinteresses bestehende Auskunftspflicht ist bei Umgehungs- und Zweckentfremdungsgefahr um ein Beweisverwertungsverbot zu ergänzen Besteht bei privatem Informationsinteresse eine Auskunftspflicht an sich, haben die obigen Ausführung allerdings bereits gezeigt, dass diese durch ein Beweisverwertungsverbot abgeschwächt werden kann. Als Anknüpfungspunkt für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots bezüglich selbstbelastender Angaben findet sich bei den Verfassungsinterpreten häufig eine Zweckentfremdungsgefahr der gemachten Angaben in einem späteren Verfahren sowie eine Umgehungsgefahr hinsichtlich eines in diesem Verfahren bestehenden Schweigerechts. aa) Thesenentwicklung: Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt im Gemeinschuldnerbeschluss für den Fall, dass hinter der Auskunftspflicht private Informationsinteressen stehen und demnach kein Auskunftsverweigerungsrecht gilt, an die Rechtfertigung eine besondere Anforderung:500 Die Auskunftspflicht bedürfe in diesen Fällen einer Ergänzung durch ein strafrechtliches Verwertungsverbot. Sie [Anm.: Die Auskunftspflicht] bestehe aus den zuvor genannten Gründen [Anm.: gemeint ist das private Informationsinteresse] uneingeschränkt nur für die Zwecke des Konkursverfahrens, da insoweit das Interesse des Gemeinschuldners hinter den Belangen der Gläubiger zurücktreten muss. Das Persönlichkeitsrecht des Gemeinschuldners würde aber unverhältnismäßig beeinträchtigt, wenn seine unter Zwang herbeigeführten Selbstbezichtigungen gegen seinen Willen zweckentfremdet und der Verwertung für eine Strafverfolgung zugeführt würden. In einem strafrechtlichen Verfahren stünde dem Gemeinschuldner aus den erörterten, verfassungsrechtlich relevanten Gründen [Anm.: gemeint ist das staatliche Informationsinteresse] ein Schweigerecht zu; die Verwertung erzwungener Aussagen wäre unzulässig. Dieses Schweigerecht wäre illusorisch, wenn eine außerhalb des Strafverfahrens erzwungene Selbstbezichtigung gegen seinen Willen strafrechtlich gegen ihn verwertet werden dürfte. Der bloße Umstand, dass dem Gemeinschuldner im Interesse seiner Gläubiger eine uneingeschränkte Auskunftspflicht zuzumuten sei, rechtfertige es nicht, dass er zugleich zu seiner Verurteilung beitragen müsse und dass die staatlichen Strafverfolgungsbehörden weitergehende Möglichkeiten erlangten als in anderen Fällen der Strafverfolgung. Auch diesen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts kommt als die Entscheidung tragenden Gründe Bindungswirkung zu. Ausgangspunkt für ein Beweisverwertungsverbot ist damit, dass in einem Folgeprozess die Interessenlage eine andere ist als die in der Auskunftssituation. Im 500

1433.

Zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 13. 01. 1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431,

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Strafprozess steht dem Interesse des Auskunftsschuldners an seiner Selbstbelastungsfreiheit nicht das Informationsinteresse des privaten Auskunftsgläubigers gegenüber, sondern vielmehr das Informations- und vor allem Sanktionsinteresse des Staates. 501 In einer derartigen Situation ist eine Auskunftspflicht aufgrund des unüberwindbaren Rechtfertigungsdrucks nicht anzunehmen (s. o.), im Strafprozess besteht damit ein verfassungsrechtlich begründetes Schweigerecht. Jenseits des Strafprozesses wurde aber gerade vor dem Hintergrund des privaten Informationsinteresses eine Auskunftspflicht angenommen (siehe oben zum Rechtfertigungsdruck). Die Informationsverwertung aus dieser Auskunftssituation für den Strafprozess würde sich zum einen bezogen auf die Auskunftssituation als Zweckentfremdung der Information darstellen, denn das private Informationsinteresse fehlt hier (Zweckentfremdungsgedanke502); zum anderen würde sie bezogen auf das Folgeverfahren eine Umgehung des dort eigentlich bestehenden Schweigerechts darstellen (Umgehungsgedanke503). Um das zu vermeiden, muss für die preisgegebenen Informationen im Folgeprozess ein Beweisverwertungsverbot greifen. Das Bundesverfassungsgericht merkt an, dass die Ergänzung von Auskunftspflichten um Beweisverwertungsverbote grundsätzlich dem Gesetzgeber obliege, bei vorkonstitutionellen Regelungen bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber aber auch durch Gerichte möglich sei.504 Die oben unter a) formulierte These zur Eingriffsrechtfertigung lässt sich vor diesem Hintergrund um folgende These ergänzen: Eine aufgrund privaten Auskunftsinteresses bestehende Auskunftspflicht ist bei Umgehungsund Zweckentfremdungsgefahr um ein Beweisverwertungsverbot zu ergänzen, sofern die Gefahr besteht, dass bei Verwertung der Auskunftsinhalte in einem späteren Verfahren ein dort verfassungsrechtlich begründetes Auskunftsverweigerungsrecht umgangen und die gewonnene Information zweckentfremdet würde.

501 Ob im Strafverfahren neben dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch und damit einhergehenden staatlichen Informationsinteresse u. U. auch ein privates Informationsinteresse besteht, kann vernachlässigt werden. Ein privates Informationsinteresse zu Genugtuungszwecken mag vorliegen, es stellt aber nicht das charakteristische Informationsinteresse des Strafverfahrens dar. 502 Der Zweckentfremdungsgedanke wird auch angesprochen von Nothhelfer, S. 100, wobei lediglich zwischen Zweck der privaten Rechtsdurchsetzung und Zweck der Strafverfolgung differenziert wird; Kocak, S. 107; Doege, S. 139, dessen Schutzbereichsbeschränkung auf den Strafprozess damit jedoch inkonsequent scheint; für Verortung des Beweisverwertungsverbots wegen Zweckentfremdung, allerdings ohne Einordnung des Gemeinschuldnerbeschlusses in die systematische Grundrechtsprüfung Kleinheisterkamp, 243. 503 Mit der Formulierung, das in einem Verfahren bestehende Schweigerecht wäre bei Verwendbarkeit einer Auskunft illusorisch BVerfG, Beschluss vom 15. 10. 2004 – 2 BvR 1316/ 04, NJW 2005, 352; BVerfG, Beschluss vom 31. 03. 2008 – 2 BvR 467/08, BeckRS 2008, 35240. 504 BVerfG, Beschluss vom 13. 01. 1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431, 1433. Die Neuregelung durch den Gesetzgeber für die Situation des Gemeinschuldnerbeschlusses erfolgte in § 97 I 3 InsO.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

153

Beispielhaft soll zur Verdeutlichung dieser These auf den einzig verbliebenen Lebenssachverhalt Bezug genommen werden, für den sich bei eröffnetem Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit eine Auskunftspflicht aufgrund privaten Informationsinteresses ergeben hat: Beispielsfall 3: Nach einer Operation befürchtet der behandelte Patient einen Behandlungsfehler und erkundigt sich bei dem behandelnden Arzt A. A erkennt, dass ihm infolge einer Unachtsamkeit bei der Operation tatsächlich ein Fehler unterlaufen ist, der einen erneuten Eingriff erfordert.

bb) Bestätigung der These durch Gesetzgebung Der Umgehungs- und Zweckentfremdungsgedanke hat sich in gesetzlichen Regelungen durch Normierung von Beweisverwertungsverboten bei strafprozessualen Folgeverfahren niedergeschlagen. Anschauliches Beispiel hierfür ist das Beweisverwertungsverbot in § 630c II 3 BGB, das für Beispielsfall 3 relevant wird. Wie gesehen, hat der Gesetzgeber eine umfassende Auskunftspflicht des Arztes in § 630c II 2 Alt. 1 BGB vorgesehen, um dem privaten Informationsinteresse des Patienten gerecht zu werden. Ein Strafverfahren als Folgeverfahren kommt in Betracht, wenn der Arzt aufgrund eines möglichen Behandlungsfehlers wegen Körperverletzung angeklagt wird. Auch wenn die Thematik der Strafbarkeit des Arztes infolge eines ärztlichen Heileingriffs nach wie vor in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert wird, ist eine entsprechende Anklage nach einem Behandlungsfehler denkbar.505 In diesem Strafprozess bzw. im Ermittlungsverfahren könnte der Arzt allerdings Auskünfte nach § 136 f., 243 IV StPO verweigern. Ihm kommt hier ein verfassungsrechtlich begründetes Schweigerecht zu, da eine Auskunftspflicht zur Befriedigung staatlicher Informations- und Sanktionsinteressen einen nicht gerechtfertigten Grundrechtseingriff darstellen würde (siehe zum Rechtfertigungsdruck bei staatlichen Informationsinteressen oben unter a)). Um dieses Schweigerecht nicht zu umgehen und eine Zweckentfremdung der ursprünglich nur wegen privaten Informationsinteresses berechtigten Auskünfte zu vermeiden, hat der Gesetzgeber die umfängliche Auskunftspflicht des Arztes um das strafprozessuale Beweisverwertungsverbot in Form eines Beweisverwendungsverbots ergänzt. So wird sichergestellt, dass das strafprozessuale Aussageverweigerungsrecht nicht umgangen und die Auskunftsinhalte nicht zur Bestrafung des behandelnden Arztes zweckentfremdet werden. Dem Umgehungs- und Zweckentfremdungsgedanken wird also Rechnung getragen.

505 Unabhängig von den unterschiedlichen Lösungsansätzen in Rechtsprechung und Literatur zur Einwilligungsbedürftigkeit bzw. Tatbestandsmäßigkeit des ärztlichen Heileingriffs kann ein Behandlungsfehler eine fahrlässige Körperverletzung darstellen, hierzu SternbergLieben, in: Schönke/Schröder StGB, § 223 Rn. 51.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Vergleichbare Beispiele finden sich für die wettbewerbsrechtlichen Auskünfte mit Beweisverwertungsverboten in §§ 101 VIII UrhG, §§ 19 VIII MarkenG, 140b VIII PatG.506 Ob eine Beweisverwertung auch in anderen Folgeverfahren als Strafverfahren, etwa in berufsrechtlichen Folgeverfahren verboten sein soll, hat der Gesetzgeber bisher nicht geregelt. Beim Beispiel der ärztlichen Auskunftspflicht in Beispielsfall 3 wäre etwa zusätzlich denkbar, dass die Inhalte der Auskunft nicht nur Konsequenzen in strafprozessualer Hinsicht haben können, sondern auch berufsrechtliche Folgen auslösen können. Hierbei ist zu differenzieren zwischen berufsrechtlichen und disziplinarrechtlichen Verfahren. Berufsrechtliche Verfahren befassen sich mit dem Ansehen der Ärzteschaft in der Öffentlichkeit, während disziplinarische Verfahren die Funktionsfähigkeit der jeweiligen kassenärztlichen Vereinigung im Blick haben.507 Bei förmlichen Berufsgerichtsverfahren folgt die Verhandlung im Wesentlichen den Vorschriften der Strafprozessordnung,508 sodass hier dieselben Aussageverweigerungsrechte Anwendung finden wie im Strafprozess, in dem ein verfassungsrechtliches Schweigerecht gilt. Bei Disziplinarverfahren ist zwar eine Mitwirkungspflicht des betroffenen Arztes nach § 21 II SGB X vorgesehen, allerdings besteht auch hier ein verfassungsrechtliches Schweigerecht, da der Beteiligte nicht zur Aufklärung solcher Umstände gezwungen werden kann, die seine Stellung im Verwaltungsverfahren verschlechtern würden.509 Damit ist im Folgeverfahren jeweils ein verfassungsrechtlich begründetes Schweigerecht gegeben. Unter Zugrundelegung des Umgehungs- und Zweckentfremdungsverbots müsste also ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Auskunftsinhalte auch in diesen Verfahren gelten. Das ist in der Fassung von § 630c II BGB nicht vorgesehen. Allerdings lässt sich aus der fehlenden Normierung nicht schließen, dass ein Beweisverwertungsverbot nicht auch in einem solchen Verfahren gelten würde. Mit Einführung der Auskunftspflicht aus § 630c II 2 Alt. 1 BGB wird nämlich eine analoge Anwendung des Beweisverwertungsverbots aus § 630c II 3 BGB insbesondere in Berufsgerichtsverfahren,510 aber auch allgemein in berufs- und disziplinarrechtlichen Verfahren in Teilen des Schrifttums bereits befürwortet.511 Auch hier wird mithin der Umgehungsund Zweckentfremdungsgedanke deutlich. 506 Hier ist denkbar, dass der Verletzer selbst eine Straftat nach § 106 UrhG, 143 MarkenG oder § 142 PatentG begangen hat; im Strafprozess bzw. im Ermittlungsverfahren könnte er unter Berufung auf § 136 f., 243 V StPO eine Auskunft verweigern. 507 Zur Differenzierung Hampe/Mohammadi, NZS 2013, 692. 508 Leitner, in: MAH Strafverteidigung, § 54 Rn. 87. 509 Weber, in: BeckOK SozR, SGB X § 21 Rn. 30; für eine bloße Mitwirkungsobliegenheit auch Mutschler, in: Kasseler Kommentar SGB X, § 21 Rn. 20. 510 Rehborn/Gescher, in: Erman BGB, § 630c Rn. 26. 511 Jäger, in: FS Heintschel-Heinegg, S. 217, 220; Kett-Straub/Sipos-Lay, MedR 2014, 867, 873; Rehborn/Gescher, in: Erman BGB, § 630c Rn. 26.

B. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit

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In Beispielsfall 3 befürchtet der behandelte Patient nach einer Operation einen Behandlungsfehler und erkundigt sich bei dem behandelnden Arzt A. A erkennt, dass ihm infolge einer Unachtsamkeit bei der Operation tatsächlich ein Fehler unterlaufen ist, der einen erneuten Eingriff erfordert. A ist im Beispielsfall 3 dem Patienten gegenüber zur Auskunft über einen Behandlungsfehler verpflichtet, auch wenn er sich mit dieser Auskunft selbst belastet. Hiermit wird dem privaten Auskunftsinteresse des Patienten Rechnung getragen. Sollte es im Zusammenhang mit dem Behandlungsfehler zu einem Strafprozess bzw. einem Ermittlungsverfahren kommen, könnte A Auskünfte nach § 136 f., 243 IV StPO verweigern. Infolgedessen darf auf die dem Patienten mitgeteilten Auskünfte in einem derartigen Verfahren nicht zurückgegriffen werden. Auch in einem etwaigen berufsrechtlichen oder disziplinarrechtlichen Verfahren könnte A eine Auskunft verweigern. Vor diesem Hintergrund darf auch in diesen Verfahren keine Verwertung der gegenüber dem Patienten mitgeteilten Auskünfte erfolgen.

cc) Bestätigung der These durch fachgerichtliche Rechtsprechung In der fachgerichtlichen Rechtsprechung wird der Umgehungs- und Zweckentfremdungsgedanke allgemein als Anknüpfungspunkt für Beweisverwertungsverbote bemüht, nicht nur beschränkt auf private Informationsinteressen. Ein Beispiel für eine Auskunftspflicht mit privatem Informationsinteresse ist das strafprozessuale Beweisverwertungsverbot für Auskünfte im Rahmen der Auskunftspflicht aus § 802c ZPO. Mit dem von der Rechtsprechung angenommenen strafprozessualen Beweisverwertungsverbot512 wird verhindert, dass das Schweigerecht in einem nachfolgenden Strafverfahren513 umgangen und die ursprüngliche Auskunft zu einem anderen als dem ursprünglichen Zweck genutzt wird.514 Häufiger wird in der Rechtsprechung sogar das Auskunftsverweigerungsrecht bei staatlichem Informationsinteresse mit dem Umgehungs- und Zweckentfremdungsgedanken begründet. So wird etwa bei Disziplinarverfahren für den bereits angesprochenen Schutz des Beamten bei Vorermittlungen über ein Schweigerecht ausdrücklich darauf verwiesen, dass der – im eigentlichen Disziplinarverfahren vorgesehene – Schutz des Beamten anderenfalls ausgehöhlt werde.515 Wie bei den 512

BVerfG, Beschluss vom 31. 03. 2008, 2 BvR 467/08, BeckRS 2008, 35240; BGH, NJW 1991, 2844, 2845; dies befürwortend auch im Schrifttum Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1827; Dingeldey, NStZ 1984, 529, 531; Fleck, in: BeckOK ZPO, § 802c Rn. 30; Seibel, in: Zöller ZPO, § 802c ZPO, Rn. 31; Stam, StV 2015, 130, 132; Voit, in: Musielak/Voit ZPO, § 802c Rn. 7; Wagner, in: MüKo ZPO, § 802k Rn. 15; Weiß, NJW 2014, 503, 507. 513 Hier können sich aus den Angaben der Vermögensauskunft Hinweise auf eine Tatbestandsverwirklichung des Bankrotts, § 283 I Nr. 1 StGB oder der Gläubigerbegünstigung, § 283c I StGB ergeben. 514 In der fachgerichtlichen Rechtsprechung lässt sich der Zweckentfremdungsgedanke grundsätzlich als Anknüpfungspunkt für Beweisverwertungsverbote auch jenseits der Selbstbelastung festmachen, hierzu BAG, Urteil vom 23. 08. 2018 – 2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329 Rn. 35. 515 VG Wiesbaden, Urteil vom 05. 06. 2013 – 28 K 296/12. WI.D, BeckRS 2013, 55021; VG Wiesbaden, Urteil vom 16. 07. 2014 – 28 K 1419/12. WI.D., BeckRS 2015, 45716.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

strafprozessualen Folgeverfahren geht es hier darum, dass Rechte des Betroffenen aus einem späteren Verfahrensstadium volle Wirkung entfalten können. Das wiederum ist der Inhalt des Umgehungsgedankens. Dieselbe Vorwirkungsproblematik wurde auch im Aufsichtsverfahren nach § 56 BRAO thematisiert, bevor das Auskunftsverweigerungsrecht in § 56 I 2 BRAO normiert wurde. So begründet der Bundesgerichtshof das (später in § 56 I 2 BRAO normierte) Auskunftsverweigerungsrecht des Anwalts damit, dass anderenfalls das dem Anwalt im ehrengerichtlichen Verfahren zustehende Verweigerungsrecht tatsächlich wirkungslos wäre.516 dd) Zwischenergebnis Auch wenn die Beispiele der fachgerichtlichen Rechtsprechung sich aufgrund des Bezugs zu Auskunftsverweigerungsrechten517 nicht völlig konsequent in die Systematik der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung einreihen, wonach der Umgehungs- und Zweckentfremdungsgedanke bei privatem Informationsinteresse ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, wird deutlich, dass die Aspekte der Zweckentfremdung der Auskunftsinhalte und Umgehung von Schweigerechten in Folgeverfahren nach allen Verfassungsinterpreten Auswirkungen auf die Rechtfertigbarkeit des Eingriffs haben. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung und der Gesetzgeber gehen von der Notwendigkeit eines Beweisverwertungsverbots aus, wenn in einem sich der Auskunft anschließenden Folgeverfahren ein verfassungsrechtlich begründetes Schweigerecht besteht und die Verwertung der Auskunft in diesem Verfahren eine Zweckentfremdung der Auskünfte sowie eine Umgehung dieses Schweigerechts begründen würde. Die fachgerichtliche Rechtsprechung greift diese Voraussetzungen für die Begründung eines Auskunftsverweigerungsrechts auf. c) Ergebnis zur Rechtfertigung Eine rechtlich vorgesehene, erzwingbare Auskunftspflicht kann als Eingriff in den Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit nach Ansicht aller Verfassungsinterpreten nach den folgenden Leitlinien gerechtfertigt werden: Sie ist als umfassende Auskunftspflicht auch bei Gefahr der Selbstbezichtigung eher zu rechtfertigen, wenn hinter der Auskunftspflicht private Informationsinteressen stehen. Dann ist allerdings zu überlegen, ob für Folgeverfahren hinsichtlich der Information ein Beweisverwertungsverbot Anwendung findet. Das ist der Fall, wenn in einem Folgeverfahren eine Zweckentfremdung der Auskunftsinhalte in Betracht kommt bzw. ein verfassungsrechtlich begründetes Schweigerecht in einem Folgeverfahren umgangen würde. 516 BGH, Urteil vom 27. 02. 1978 – AnwSt (R) 13/77, NJW 1979, 324, 325; Nöker, in: Feuerich/Weyland BRAO, § 56 Rn. 33. 517 Im Gegensatz zu Beweisverwertungsverboten.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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Steht hinter der Auskunftspflicht ein staatliches Informationsinteresse, kann der Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit durch die Auskunftspflicht grundsätzlich nicht gerechtfertigt werden. Daher ist die Auskunftspflicht durch ein Auskunftsverweigerungsrecht bei Gefahr der Selbstbelastung zu beschränken. 5. Fazit Mithilfe einer Betrachtung der unterschiedlichen Verfassungsinterpreten ist es gelungen, für den Umfang des Schutzbereichs der Selbstbelastung und die Anforderungen an die Eingriffsrechtfertigung allgemeine Grundsätze zu formulieren. Zu welchen Ergebnissen deren Anwendung im konkreten Fall der unternehmensinternen Untersuchung führt, ist nachfolgend zu betrachten.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation In die unter Abschnitt B. erarbeitete Reichweite der Selbstbelastungsfreiheit ist in diesem Abschnitt die Befragung des Arbeitnehmers einzuordnen, wenn der Arbeitnehmer Gefahr läuft, sich mit seiner Auskunft in der Befragung im Rahmen unternehmensinterner Untersuchungen selbst zu belasten. Hierbei ist danach zu differenzieren, ob die Gefahr der Selbstbezichtigung eine Straftat (unter I.) oder eine Pflichtverletzung unterhalb der Strafbarkeitsschwelle (unter II.) betrifft.

I. Selbstbezichtigung mit einer Straftat in der Auskunftssituation Zunächst wird die Auskunftssituation untersucht, bei der der Arbeitnehmer Gefahr läuft, sich selbst einer Straftat zu bezichtigen. Bevor hierzu eine eigene Lösung entwickelt wird, sollen mögliche Straftatkonstellationen im unmittelbaren und mittelbaren Arbeitsbereich entwickelt (1.) und das vielgestaltige Meinungsspektrum dargestellt werden, das sich hierzu findet (2.) Im Anschluss wird eine angesichts dieses Meinungsspektrums notwendige, systematische Lösung entwickelt (3.). 1. Beispielsüberlegungen zu möglichen Straftaten Eine Straftatbegehung kann durch einen Arbeitnehmer im unmittelbaren Arbeitsbereich erfolgen. Im Rahmen der Auskunftspflichten gegenüber dem Arbeitgeber wurden vom unmittelbaren Arbeitsbereich Tätigkeiten erfasst, die direkt die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers sowie seine Arbeitsergebnisse betreffen (s. o. S. 90).

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Im unmittelbaren Arbeitsbereich ist etwa der Fall denkbar, dass der Arbeitnehmer, dem die Pflege von Kundenkontakten obliegt, dem für die Auftragsvergabe verantwortlichen Mitarbeiter des Vertragspartners Geschenke zur „Auftragsunterstützung“ zukommen lässt und damit ggf. den Tatbestand von § 299 II StGB verwirklicht.518 Gleiches gilt, wenn ein für die Betreuung von Kunden sowie das Verhandeln und Abschließen von Verträgen zuständiger Arbeitnehmer Provisionszahlungen an Kunden veranlasst.519 § 299 I StGB ist zudem verwirklicht, wenn etwa der Vertriebsleiter für Privatkunden einer Bank von Geschäftspartnern Vorteile über Bezahlung oder Subventionierung privater Bauleistungen entgegennimmt.520 Dass eine Verwirklichung von § 299 I oder II StGB in der Regel den unmittelbaren Arbeitsbereich betrifft, wird daran deutlich, dass der Täter dem Wortlaut nach als Angestellter handeln muss. Entscheidend hierfür ist, dass der Täter die Befugnis hat, den Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen im geschäftlichen Verkehr zu beeinflussen.521 Seine Handlung muss auf der Wahrnehmung seiner Entscheidungsmacht im Unternehmen beruhen.522 Im unmittelbaren Arbeitsbereich kommt außerdem die Verwirklichung von § 266 StGB (Untreue) in Betracht. Eine Straftat nach § 266 StGB im unmittelbaren Arbeitsbereich begeht etwa der Arbeitnehmer, der eine Kick-Back Zuwendung fordert: Hierbei ist der Arbeitnehmer in seinem Arbeitsverhältnis für die Auftragsvergabe zuständig und macht den Abschluss eines Dienstleistungs- oder Lieferungsvertrages von der Zahlung eines Schmiergeldes abhängig, das der Geschäftspartner in die zu kalkulierende Gegenleistung mit einbezieht.523 Als ein weiteres Beispiel einer Straftat im unmittelbaren Arbeitsbereich käme außerdem § 16 I UWG wegen unwahrerer, irreführender Angaben in der Werbung in Betracht. Ob innerhalb dieser Norm etwa im Diesel-Abgasskandal eine Täterschaft der Ingenieure angenommen werden kann,524 mag dahinstehen; jedenfalls kann sie im unmittelbaren Arbeitsbereich von den Arbeitnehmern verwirklicht werden, deren Tätigkeiten im Bereich der Produktwerbung liegt. Im Diesel-Abgasskandal wird allerdings bezüglich der für die Entwicklung verantwortlichen Arbeitnehmer ein täterschaftlicher Betrug525 oder zumindest Beihilfe zum Betrug526 diskutiert, wobei sich jedoch im Rahmen von § 263 StGB insbesondere Schwierigkeiten im Zusam518

BAG, Urteil vom 21. 06. 2012 – 2 AZR 694/11, NZA 2013, 199, 201. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. 05. 2017 – 4 Sa 30/17, BeckRS 2017, 121332. 520 LAG Düsseldorf, Urteil vom 03. 02. 2012 – 6 Sa 1081/11, CCZ 2013, 113. 521 BGH, Beschluss vom 5. 5. 2011 – 3 StR 458/10, NStZ 2012, 35 Rn. 68. 522 Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB § 299 Rn. 10; Rogall, in: SK StGB, § 299 Rn. 30. 523 Straube, in: Straube/Rasche, Korruptionsbekämpfung, D. Rn. 327. 524 Die Möglichkeit einer Täterschaft nach § 16 I UWG annehmend Brand/Hotz, NZG 2017, 976, 980. 525 Brand/Hotz, NZG 2017, 976, 977, die einen Betrug in mittelbarer Täterschaft im Ergebnis aber mangels stoffgleicher Bereicherungsabsicht ablehnen. 526 Isfen, JA 2016, 1, 6. 519

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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menhang mit der Täuschung ergeben527. Die Liste denkbarer Straftaten im unmittelbaren Arbeitsbereich lässt sich zudem ergänzen durch Verstöße gegen das Steuerstrafrecht wie Steuerhinterziehung nach § 370 AO sowie leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO durch Mitarbeiter der Buchhaltung.528 Eine Straftatbegehung durch den Arbeitnehmer kommt auch im mittelbaren Arbeitsbereich in Frage. Im Rahmen der Auskunftspflichten wurden dem mittelbaren Arbeitsbereich Tätigkeiten des Arbeitnehmers zugeordnet, die im Rahmen des Arbeitsverhältnisses erfolgen, aber nicht die Arbeitsleistung selbst oder den Umgang mit dem Arbeitsergebnis darstellen. Die in der Literatur vereinzelt genannten, den mittelbaren Arbeitsbereich betreffenden Beispiele bezeichnen lediglich die Konstellation, dass ein Arbeitnehmer bei Ausübung seiner Tätigkeit oder während einer Dienstreise Kenntnis von Rechtsverstößen Dritter erlangt.529 Diese Konstellationen erfassen jedoch nicht die Situation, dass der Arbeitnehmer selbst bei Gelegenheit seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit eine Straftat begeht, sondern lediglich die Kenntniserlangung bezüglich Straftaten durch Dritte. Als Beispiel für die Begehung einer Straftat im mittelbaren Arbeitsbereich kann allerdings die Konstellation angesehen werden, dass der Arbeitnehmer unter rechtswidriger Überschreitung von Nutzungsbefugnissen die ihm von seinem Arbeitgeber zweckgebunden zur Verfügung gestellten technischen Geräte unerlaubt (und unentgeltlich) zu privatem Nebenerwerb einsetzt und damit § 263 I StGB verwirklicht530. Als weiteres Beispiel für eine Straftat im mittelbaren Arbeitsbereich ist denkbar, dass ein Arbeitnehmer eine Straftat zwar außerdienstlich, aber unter Nutzung von Betriebsmitteln oder betrieblichen Einrichtungen begangen hat. Dieser Fall weist noch einen Bezug zum Arbeitsverhältnis auf.531 Dann kann eine derartige Straftatbegehung auch dem mittelbaren Arbeitsbereich zugeordnet werden („im Rahmen des Arbeitsverhältnisses“). Fallen außerdienstlich begangene Straftaten unter Nutzung von Betriebsmitteln noch in den mittelbaren Arbeitsbereich, muss dies erst recht für einen Diebstahl oder 527 Ob eine Strafbarkeit nach § 263 I StGB in Betracht kommt, ist angesichts der Differenzierung zwischen Hersteller und Händler bereits hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Täuschung zweifelhaft (Grützner/Boerger/Momsen, CCZ 2018, 50, 55; zu unterschiedlich hohen Anforderungen an Täuschungshandlungen in der Rechtsprechung zusammenfassend Legner, VuR 2018, 251 f.). 528 Zum Angestellten eines Steuerpflichtigen als Täter einer Steuerhinterziehung nach § 370 I Nr. 1 AO durch Handeln Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, AO § 370 Rn. 31; zur Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft als Buchhalter Jäger, in: Klein, AO § 370 Rn. 25b. 529 Diller, DB 2004, 313; Kraus, S. 88. 530 Zu diesem Sachverhalt BGH, Beschluss vom 14. 09. 1993 – 1 StR 546/93, NStZ 1994, 189. 531 BAG, Urteil vom 10. 09. 2009 – 2 AZR 257/08, NZA 2010, 220 Rn. 21: Der Arbeitnehmer verstößt mit einer solchen Tat gegen die schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 II BGB.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

eine Unterschlagung an Betriebsmitteln des Arbeitgebers gelten, wenn sie im Zusammenhang mit der durch die Pflicht zur Arbeitsleistung bedingten Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb stehen. Ob auch der Warendiebstahl durch einen Arbeitnehmer in einer anderen Filiale532 dem mittelbaren Arbeitsbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen ist, dürfte jedenfalls dann zu verneinen sein, wenn sich der Arbeitnehmer aus privaten Gründen in dieser Filiale aufhält. Ist der Arbeitnehmer hingegen in der Filiale eingesetzt und begeht er bei dieser Gelegenheit eine Straftat, wird der unmittelbare Arbeitsbereich betroffen sein. Begeht der in der Filiale eingesetzte Arbeitnehmer schließlich eine Straftat nach Erledigung seiner eigentlichen Tätigkeit, hält er sich nicht aus privaten Gründen dort auf; dieser Fall ist dem mittelbaren Arbeitsbereich zuzuordnen. Derartige Schwierigkeiten der Zuordnung von Straftaten zum mittelbaren Arbeitsbereich dürften allerdings vorwiegend theoretischer Natur sein. Bei unternehmensinternen Untersuchungen geht es in der Regel weniger darum, Verfehlungen einzelner Arbeitnehmer zulasten des Unternehmens aufzudecken, sondern um die Aufdeckung von Straftaten zugunsten des Unternehmens, insbesondere Korruptionsdelikte.533 Bei diesen liegt nach den obigen Ausführungen die Zuordnung zum unmittelbaren Arbeitsbereich des Korruptionstäters nahe. Der Arbeitnehmer, der außerdienstlich mit Betriebsmitteln Straftaten begeht, in einer anderen Filiale Waren entwendet oder technische Geräte unerlaubt zum Nebenerwerb nutzt, wird damit weniger im Fokus unternehmensinterner Untersuchungen stehen. Der Schwerpunkt der Ermittlungen im Rahmen unternehmensinterner Untersuchungen liegt mithin auf Straftaten im unmittelbaren und nicht im mittelbaren Arbeitsbereich. 2. Meinungsspektrum zur Auskunftspflicht des Arbeitnehmers bei Selbstbezichtigung mit einer Straftat Hinsichtlich der Auskunftspflichten des Arbeitnehmers bei Einräumung einer Straftat hat sich in der Literatur ein umfangreiches Meinungsbild entwickelt, das nach der Auskunft hinsichtlich des unmittelbaren und des mittelbaren Arbeitsbereichs differenziert. a) Auskunftspflichten hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs Bei selbstbelastender Auskunft im Rahmen des unmittelbaren Arbeitsbereichs lassen sich grundsätzlich zwei gegensätzliche Positionen skizzieren. Vereinzelt wird eine Einschränkung der Auskunftspflicht aus §§ 666 Var. 2, 675 BGB analog aufgrund der Gefahr der Selbstbezichtigung mit einer Straftat angenommen, indem dem Arbeitnehmer in dieser Situation ein Auskunftsverweige532 533

BAG, Urteil vom 20. 09. 1984 – 2 AZR 633/82, NJW 1985, 1854. Nestler, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 1 Rn. 41 f.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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rungsrecht zugestanden wird.534 Teilweise wird eine Einschränkung der Auskunftspflicht zwar im Grunde befürwortet, allerdings davon abhängig gemacht, ob der Arbeitgeber ein Amnestieprogramm zur Verfügung stellt,535 die Befragung repressiv oder präventiv erfolgt.536 Auch soll eine Einschränkung der Auskunftspflicht im Einzelfall über § 275 II oder III BGB in Betracht kommen.537 Überwiegend wird jedoch vertreten, der Arbeitnehmer müsse seiner Pflicht aus §§ 666, 675 BGB umfänglich nachkommen, auch wenn er sich durch seine Aussage selbst belaste.538 Es wäre widersprüchlich, wenn der Arbeitnehmer in diesem verstärkten Vertrauensverhältnis nicht zur Auskunft verpflichtet wäre.539 Auch soll dem Arbeitgeber sonst keine Leistungskontrolle mehr möglich sein und es wäre ihm erschwert, Ansprüche gegen den Arbeitnehmer aus einer Pflichtverletzung geltend zu machen.540 Die Problematik der Selbstbelastung wird dann erst auf der Ebene der Beweisführung im strafprozessualen Zusammenhang weiter thematisiert. Die überwiegende Auffassung tritt hier für ein Beweisverwertungs- oder Beweisverwendungsverbot

534 Fuhrmann, NZG 2016, 881, 889; Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8 Rn. 16, wonach sich ein Auskunftsverweigerungsrecht zwischen den Zeilen aus den BRAKRichtlinien ergeben soll; Roxin, StV 2012, 116, 120; Rudkowski, in: Rudkowski/Schreiber, Aufklärung, S. 109; Schneider, NZG 2010, 1201, 1204, der für eine Übertragung von § 4 IX WpHG plädiert; Tscherwinka, FS I. Roxin, S. 521, 529; Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68, 73; Zerbes, ZStW 2013, 551, 559. Nicht eindeutig insoweit Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 243. 535 Mansdörfer, jM 2014, 167, 171. 536 Maschmann, Mitarbeiterkontrolle, S. 175. 537 Gatter, S. 232; Toma, CB 2017, S. 339, 340. 538 Ohne Differenzierung zwischen Straftat und Pflichtverletzung Anders, wistra 2014, 329, 330; Bissels/Lützeler, BB 2012, 189, 190; Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170, 176; Glaser/Wisskirchen, DB 2011, 1447, 1448; Greco/Caracas, NStZ 2015, 7; Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1706; Lützeler/Müller-Satori, CCZ 2011, 19, 20; Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 243; Reinhardt/Kaindl, CB 2017, 210, 211; Schneider, NZG 2010, 1201, 1204 spricht einerseits von Pflichtverletzungen, andererseits von straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlicher Verfolgung; Sieg, FS Buchner, S. 859, 862. Mit ausdrücklicher Bezugnahme auch auf Pflichtverletzung Schäfer, in: MüKo BGB, § 666 Rn. 14; Thielemann, Compliance-Richtlinien, S. 134. Bezug nehmend auf die Selbstbezichtigung mit einer Straftat Bittmann/Brockhaus/von Coelln, NZWiSt 2019, 1, 9; Bernhardt/Bullinger, CB 2016, 205, 208; Böhm, WM 2009, 1923, 1924; Diller, DB 2004, 313, 314; Kraus, S. 86 mit Verweis auf BGH, NJW 1964, 1469; Kottek, wistra 2017, 9, 10; Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387, 389; Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2375; Momsen, DB 2011, 1792, 1795; Mengel, NZA 2017, 1494, 1498; Reichold, FS Bauer, S. 843, 850; Sprau, in: Palandt, BGB, § 666 Rn. 1; Theile, StV 2011, 381, 383. 539 Böhm, WM 2009, 1923, 1924. 540 Derart jenseits des Arbeitsverhältnisses BGH, Urteil vom 30. 04. 1964 – VII ZR 156/62, NJW 1964, 1469, 1470; zum Arbeitsverhältnis Bissels/Lützeler, BB 2012, 189, 190; Diller, DB 2004, 313, 314; Kraus, S. 86; Lützeler/Müller-Satori, CCZ 2011, 19, 20; Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 243; Sprau, in: Palandt, § 666 Rn. 1.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

ein:541 Ein Beweisverwertungsverbot wird mit unterschiedlichen dogmatischen Begründungen in analoger Anwendung von § 136, 136a StPO542 oder als selbstständiges Beweisverwertungsverbot wegen Verstoß gegen den Grundsatz fair trial543 oder nemo tenetur544 angenommen. Teilweise wird weitergehend ein Beweisverwendungsverbot gefordert, entweder gestützt auf eine analoge Anwendung von § 97 I 3 InsO545 oder auf eine analoge Anwendung von §§ 630c II 3 BGB546. Teils wird auch lediglich auf den § 97 I 3 InsO zugrunde liegenden Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts abgestellt und eine Beweisverwertung vor diesem Hintergrund ohne normative Anknüpfung abgelehnt.547 Das Bundesarbeitsgericht hat sich zum Bestehen einer Auskunftspflicht hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs bei Gefahr der Selbstbezichtigung mit einer Straftat bisher nicht geäußert. Es entschied zwar im Jahr 2008548, dass eine fehlende Mitwirkung des Arbeitnehmers eine Kündigung nicht rechtfertigen könne. Im Zuge dessen äußerte sich das Bundesarbeitsgericht auch dahingehen, dass der Arbeitnehmer sich weder selbst belasten müsse (vgl. Ebeling, Die Kündigung wegen Verdachts, S. 173 f.; Fischer, BB 2003, 522), noch könne er gezwungen werden, dem Arbeitgeber Tatsachenmaterial zu liefern, um dessen Kündigung „schlüssig“ zu machen (vgl. Ebeling, Die Kündigung wegen Verdachts, S. 174). Durch eine solche unterlassene Mitwirkung verletze der Arbeitnehmer keine arbeitsvertragliche Nebenpflicht. Diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist nicht derart zu verstehen, dass eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers im Hinblick auf den unmittelbaren Arbeitsbereich bei Gefahr der Selbstbelastung mit einer Straftat ausgeschlossen ist. Denn zum einen bezog sich die Aussage, der Arbeitnehmer verletze durch eine unterlassene Mitwirkung keine vertragliche Nebenpflicht, unter Berücksichtigung des Kündigungshintergrundes auf zurückgehaltene Informationen den mittelbaren Arbeitsbereich betreffend (strafrechtlich relevantes Verhalten im familiären Um541 Lediglich vereinzelt wird kein Verwertungs- oder Verwendungsverbot angenommen, sondern die Problematik der Selbstbelastungsfreiheit allgemein der Beweiswürdigung überlassen, Raum, StraFo 2012, 395, 399. 542 Mansdörfer, jM 2014, 167, 173; Zerbes, ZStW 2013, 551, 572; a. A. Anders, wistra 2014, 333. 543 Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387, 392; Momsen, ZIS 2011, 508, 513. 544 von Galen, NJW 2011, 942; Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19, 24; Süße/Eckstein, Newsdienst Compliance 2014, 71009. 545 Böhm, WM 2009, 1923, 1929; Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8 Rn. 18; a. A. Franzen, FS Köhler, S. 141, da nur sehr mittelbare Zwangswirkung vertraglicher Auskunftspflichten im Vergleich zu Auskunftspflichten in der Insolvenz. 546 Franzen, FS Köhler, S. 142 ff. 547 Kienast, in: Wessing/Dann, § 8 Rn. 18; derart auch Stellungnahme des DAV zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität, SN 7/20, Stand: Januar 2020, S. 24, abrufbar unter: https://anwaltverein.de/de/newsroom?newscatego ries=3, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020. 548 BAG, Urteil vom 23. 10. 2008 – 2 AZR 483/07, NZA-RR 2009, 362 Rn. 32.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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feld). Zum anderen wird durch die Verweisungsangaben auf die Thematik der Verdachtskündigung deutlich, dass der Arbeitnehmer lediglich im Hinblick auf den Kündigungsgrund derart anzusehen ist, als habe er mit der unterlassenen Mitwirkung keine arbeitsvertragliche Nebenpflicht verletzt (zum Spannungsfeld zwischen der Auskunftspflicht, einer Kündigung wegen unterlassener Mitwirkung und der Figur der Verdachtskündigung siehe unten C. IV.). Ob den Arbeitnehmer grundsätzlich in der Auskunftssituation – d. h. auch jenseits der Konsequenz einer Kündigung – eine Auskunftspflicht hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs bei Gefahr der Selbstbelastung mit einer Straftat trifft, hat das Bundesarbeitsgericht in dem konkreten Fall nicht entschieden. b) Auskunftspflichten hinsichtlich des mittelbaren Arbeitsbereichs Im mittelbaren Arbeitsbereich soll im Rahmen des allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs für die Frage der Auskunftspflicht eine Interessenabwägung entscheidend sein.549 Aufgrund der Interessenabwägung wird teilweise angenommen, die Auskunftspflicht solle bei Selbstbezichtigungsgefahr regelmäßig entfallen,550 weswegen dem Arbeitnehmer ein Auskunftsverweigerungsrecht hinsichtlich strafrechtlich relevanter selbstbelastender Auskünfte zustehe.551 Hier müsse das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit in der Interessenabwägung beachtet werden; der Mitarbeiter könne die Auskunft sogar auch verweigern, wenn ihm erhebliche Nachteile durch behördliche, zivil- oder strafrechtliche Verfolgung entstehen könnten.552 Vereinzelt wird die Auskunftspflicht auch mit dem Hinweis auf Unzumutbarkeit bei Selbstbelastung wegen § 275 III BGB abgelehnt.553 Einschränkend 549

Diller, DB 2004, 313, 314; Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1705; Reinhardt/ Kaindl, CB 2017, 210, 211. 550 Bissels/Lützeler, BB 2012, 189, 190; Eufinger, RdA 2017, 223, 227; Glaser/Wisskirchen, DB 2011, 1447, 1448; Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1705; Greco/Caracas, NStZ 2015, 7; als „einhellige Ansicht“ Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 264; wohl auch Kottek, wistra 2017, 9, 10; Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387, 390; Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2375; Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19; Thielemann, Compliance-Richtlinien, S. 134; allgemein für Auskunft, die über den Arbeitsbereich hinausgeht Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 120; Reichold, in: MHdB ArbR, § 49 Rn. 7. Im Ergebnis so auch Schrader/Mahler, NZA-RR 2016, 57, 64, die allerdings nicht zu § 666 BGB abgrenzen, sondern allgemein eine Auskunftspflicht aus § 242 BGB annehmen und ein Auskunftsverweigerungsrecht bei Selbstbelastungsfreiheit auf §§ 52, 55 StGB, §§ 383, 384 ZPO stützen. 551 Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1706; Krauss, S. 93; Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2375 in Abgrenzung zu einem vollumfänglichen Aussageverweigerungsrecht. So zu verstehen ist wohl auch Imping, in: Kilian/Heussen ComputerR-HdB, 70.12 Rn. 29. Ebenfalls derart zu verstehen sein dürfte der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, BT-Drs. 19/23568, S. 87, abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/ btd/19/235/1923568.pdf, zuletzt abgerufen am 12. 12. 2020, der auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Auskunftsanspruch aus § 242 BGB Bezug nimmt und von einem Auskunftsverweigerungsrecht bei Gefahr der Selbstbezichtigung mit einer Straftat ausgeht. 552 Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1705. 553 Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170, 172.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

wird vertreten, die Interessenabwägung solle nicht zwingend zugunsten des Arbeitnehmers ausgehen, wenn dieser sich selbst einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit bezichtigen müsste.554 Sie soll sogar zum Nachteil des Arbeitnehmers bei Korruptionssachverhalten ausgehen, wenn bereits das Entziehen und Vorenthalten erheblicher Vermögenswerte zu einem endgültigen Nachteil im Sinne von § 266 I StGB führt.555 Schließlich finden sich Stimmen, die auch beim mittelbaren Arbeitsbereich die Konfliktlage nicht auf Ebene der Auskunftspflicht selbst entschärfen, sondern u. U. erst ein Beweisverwertungsverbot annehmen wollen.556 3. Lösung für die Auskunftspflichten aus § 666 Var. 2, 675 BGB analog und § 242 BGB nach gewonnenen Ergebnissen Angesichts des unübersichtlichen Meinungsspektrums ist zielführend, die Selbstbelastungsproblematik in der Befragungssituation anhand der allgemein entwickelten Grundsätze zur Reichweite der Selbstbelastungsfreiheit aufzulösen. a) Schutzbereich Der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit erstreckt sich nach den bisherigen Ergebnissen auf den Schutz vor gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflichten, die außerdem erzwingbar sind. Nachfolgend ist zu überlegen, ob diese Kriterien von den Auskunftspflichten aus § 666 Var. 2, 675 BGB analog und § 242 BGB mit dem allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch erfüllt werden. aa) Vorliegen von gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflichten? Erste Voraussetzung für die Schutzbereichseröffnung ist das Vorliegen einer rechtlich im Sinne von durch den Gesetzgeber, d. h. gesetzlich vorgeschriebenen, erzwingbaren Auskunftspflicht. Der Annahme einer gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflicht im Arbeitsverhältnis aus § 666 Var. 2, 675 BGB analog und dem allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch aus § 242 BGB könnte bereits entgegenstehen, dass diese Regelungen gerade keine Auskunftspflichten für den Vertragstypus des Arbeitsvertrags vorschreiben. Damit könnte es trotz analoger 554

Böhm, WM 2009, 1923, 1925. Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170, 172. 556 ArbG Saarlouis, Teilurteil vom 19. 10. 1983 – 1 Ca 493/83; Diller, DB 2004, 313, 314; Franzen, FS Köhler, S. 133, 139, derart zu verstehen sind wohl auch Herrmann/Zeidler, NZA 2017, 1499, 1501 und Mengel, NZA 2017, 1494, 1499. Derart auch jenseits eines Arbeitsverhältnisses OLG Stuttgart, Urteil vom 08. 10. 2015, 2 U 25/15, BeckRS 2016, 7613. Allgemein zur Selbstbelastung und allgemeinem zivilrechtlichen Auskunftsanspruch aus § 242 BGB jenseits der arbeitsrechtlichen Situation Haeffs, S. 144; Krüger, in: MüKo BGB, § 260 Rn. 20. 555

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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Anwendung von § 666 Var. 2, 675 BGB und dem allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch an einer gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflicht fehlen. Diesen Zweifeln ist zuzugeben, dass eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers tatsächlich nicht in §§ 611 ff. BGB normiert wird. Dennoch wird eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers ganz überwiegend auf die gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflichten aus § 666 Var. 2, 675 BGB analog und § 242 BGB gestützt. Auch wenn sich insbesondere bei § 666, 675 BGB die Auskunftspflicht erst aus einer analogen Anwendung einer Norm ergibt, so liegt der Auskunftspflicht dennoch eine Norm, mithin eine gesetzlich vorgeschriebene Auskunftspflicht zugrunde.557 Gleichermaßen ist die auf den allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch zurückgehende Auskunftspflicht aus § 242 BGB als richterrechtliche Anspruchsgrundlage558 bzw. zu Gewohnheitsrecht erstarktem Auskunftsanspruch559 wie eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zu behandeln560, sodass auch hier grundsätzlich eine gesetzlich vorgeschriebene Auskunftspflicht vorliegt. Letztlich wäre es im Ergebnis auch widersinnig, mangels gesetzlich vorgeschriebener Auskunftspflicht den Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit zu verneinen, zur Begründung der Auskunftspflicht aber gerade auf eine gesetzliche Norm zu verweisen. Damit steht allein der Umstand, dass es keine spezielle gesetzliche Auskunftspflicht für das Arbeitsverhältnis gibt, der Annahme einer gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflicht durch § 666 Var. 2, 675 BGB analog und dem allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch aus § 242 BGB nicht entgegen. An einer gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflicht könnte es allerdings fehlen, wenn den in Frage stehenden Auskunftspflichten dispositiver Charakter zukäme. Wie im Rahmen der Schutzbereichsentwicklung angesprochen, ergibt sich der Aspekt der gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflicht als Ausdruck des hoheitlichen Zwangselements, das durch die Erzwingbarkeit der Auskunftspflicht noch unterstrichen wird. Die Auskunftspflichten des Arbeitnehmers stellen im Gegensatz zu der Vielzahl der in Abschnitt B. genannten Beispiele Auskunftspflichten aus dem Bereich des Privatrechts dar. Für das Privatrecht sind abdingbare Normen typisch;561 hier wird teilweise sogar davon ausgegangen, dass eine Regelung vorrangig als dispositive Norm denn als zwingende Norm zu qualifizieren sei.562 Ob eine dispositive Norm, die eine Auskunftspflicht beinhaltet, als eine gesetzlich vorgeschrie557

Derart auf den formalen gesetzlichen Charakter des § 666 BGB verweisend auch Kocak, S. 181. 558 Haeffs, S. 57; Lorenz, JuS 1995, 569, 572. 559 Bittner/Kolbe, in: Staudinger BGB, § 260, Rn. 19; Grüneberg, in: Palandt, § 260 Rn. 4; Krüger, in: Müko BGB, § 260 Rn. 12; Röver, in BeckOGK BGB, § 260 Rn. 49 „gewohnheitsund richterrechtlich“. 560 So gilt Richterrecht als Schranke im Sinne von Art. 2 I GG, Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 38 mit weiteren Nachweisen. 561 Möslein, Dispositives Recht, S.1 spricht vom unterschätzten Herzstück des Privatrechts, zur Bedeutung im Privatrecht auch S. 12; Kähler, Abdingbares Recht, S. 63. 562 Kähler, Abdingbares Recht, S. 363; Rittner, AcP 188 (1988), 101, 134.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

bene Auskunftspflicht im Sinne der Schutzbereichseröffnung angesehen werden kann, könnte mithin davon abhängen, ob sich das Funktionsverständnis dispositiven Rechts mit dem hoheitlichen Zwangsaspekt der gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflicht vereinbaren lässt.563 Das Funktionsverständnis dispositiven Rechts war und ist Gegenstand zahlreicher Analysen im Schrifttum564 und soll hier nicht in seinen Einzelheiten vertieft werden. Grundsätzlich lassen sich im Rahmen der historischen Diskussion zwei Kernpositionen nachzeichnen, die auch das gegenwärtige Verständnis dispositiven Rechts prägen. Die Diskussion um das Funktionsverständnis dispositiven Rechts war zunächst von der Position Savignys geprägt, welcher dispositive Normen als Auslegungen des unvollständig gebliebenen Willens verstand565. Auferlegte Pflichten und damit korrespondierende Rechte seien als aus dem Parteiwillen stammend und damit vertraglich zu begreifen – nicht nur bezüglich der Obligationenentstehung, sondern auch bezüglich des Inhalts des Obligationenprogramms.566 Im späteren 19. Jahrhundert entwickelte Bülow mit seinem Verständnis des dispositiven Rechts als objektive Ordnung mit verbindlicher Kraft eine Gegenposition, nach der sich das dispositive Recht lediglich graduell von zwingenden Rechtssätzen unterscheide.567 In der weiteren Diskussion wird hieran angelehnt verbreitet angenommen, (zumindest) der Geltungsgrund dispositiven Rechts sei im Gesetz und nicht im rechtsgeschäftlichen Willen zu sehen.568 Der Gesetzgeber werde auch bei Erlass dispositiver Normen in Ausübung legislativer Gewalt tätig.569 Um die Geltung des legislativ gesetzten Inhalts zu unterbinden, brauche es gerade in Opt-out-Konstellationen eines abändernden Akts durch die Privaten. Das dispositive Recht gelte heteronom, da die Regelungswirkung ohne zustimmenden Willensakt der Rege-

563

Wenn nicht gerade der Auskunftspflicht doch zwingender Charakter zukommt, siehe hierzu im Anschluss. 564 Im jüngeren Schrifttum sei hingewiesen auf Cziupka, Dispositives Vertragsrecht; Kähler, Abdingbares Recht; Möslein, Dispositives Recht. Ein Überblick findet sich auch bei Stoffels, Schuldverträge, S. 71 ff. 565 v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. I S. 58. 566 Derart umschreibend Cziupka, Vertragsrecht, S. 70 f., der bei einem derartigen Verständnis den dienenden Charakter des dispositiven Rechts zum alleinigen Funktionsmerkmal erklärt und in Folge diese subjektiv-dienende Interpretation von der objektiv-gebietenden Interpretation unterscheidet. 567 Bülow, AcP 64 (1881), 1, 92, 108. 568 Möslein, Dispositives Recht, 72, 75; Stoffels, Schuldverträge, S. 106. Cziupka, S. 113 bevorzugt im Prinzip zwar die Rückkehr zu einer subjektiven Deutung dispositiven Rechts, schränkt allerdings selbst ein, dass sich diese weniger auf die willenstheoretische Fundierung beziehe, S. 155 ff. 569 Canaris, AcP 184, 1984, 214: Schaffung dispositiven Rechts als heteronome Normsetzung durch den Staat; Dolderer, Grundrechtsgehalte, 212.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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lungsadressaten Anwendung finde, allein aufgrund der Bestimmung des Regelungsgebers.570 Die Frage, welches Funktionsverständnis dispositiven Rechts richtigerweise Geltung beanspruchen darf, muss dann allerdings nicht beantwortet werden, wenn die den Arbeitnehmer treffenden Auskunftspflichten aus § 666 Var. 2, 675 BGB und über den Auskunftsanspruch aus § 242 BGB tatsächlich einen zwingenden Charakter aufweisen und damit als gesetzlich vorgeschriebene Auskunftspflicht eine Schutzbereichseröffnung zur Folge haben. Dies wirft die Frage danach auf, wann einer gesetzlichen Regelung – insbesondere im Bereich des Privatrechts – zwingender Charakter zukommen soll und wann in Abgrenzung dazu eine dispositive Vorschrift vorliegt. Unproblematisch ist eine derartige Abgrenzung, wenn der Gesetzgeber selbst ausdrücklich angibt, ob eine Norm abdingbar oder zwingend ist. Findet sich im Normtext selbst keine Aussage über den abdingbaren oder zwingenden Charakter einer Norm, so kann die Auslegung jenseits des Wortlauts Aufschluss hierüber geben,571 wobei die historische Auslegung bei fehlender ausdrücklicher Normierung grundsätzlich nicht weiterführen dürfte572. Als weiterführend kann hingegen die Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift gelten.573 Die Auskunftspflicht aus § 666 Var. 2, 675 BGB dient der Vorbereitung einer Intervention durch den Auftraggeber sowie der Vorbereitung anderer Steuerungsmaßnahmen, der Rechtswahrung bei einer Leistungsstörung sowie der effektiven Durchsetzung der Ansprüche aus §§ 667 f.574 Vor diesem Hintergrund lässt sich ein zwingender Charakter der Auskunftspflicht des Beauftragten annehmen, weil bei Möglichkeit der Abbedingung der Auftraggeber sich der Willkür des Beauftragten

570 F. Kirchhof, Private Rechtssetzung, 87; Larenz/Wolf, BGB AT, 9. Aufl., § 3 Rn. 101; Möslein, Dispositives Recht, 72, 75. 571 Kähler, Abdingbares Recht, S. 351; Möslein, Dispositives Recht, S. 175 ff. 572 Möslein, Dispositives Recht, S. 176. 573 Möslein, Dispositives Recht, S. 179. Kritisch zur Auslegung nach Sinn und Zweck unter Betonung deren Grenzen Cziupka, S. 227. Kähler, Abdingbares Recht, S. 354 meint, die Entscheidung über die Abdingbarkeit der Norm lasse sich nicht im Wege der Auslegung klären, da entscheidend sei, ob Sinn und Zweck der Norm stärker als die Vertragsfreiheit zu gewichten sind – hierfür komme es aber auf eine Abwägung der verschiedenen Belange an, wobei sich die maßgeblichen Gründe den gesetzlichen Normen nicht entnehmen ließen. Daher schlägt er vor, die Abdingbarkeit einer Norm nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu bestimmen. Dafür soll von der Vermutung der Abdingbarkeit ausgegangen werden, die jedoch unter Abwägung der für und gegen die Abdingbarkeit sprechenden Gründe widerlegt werden kann (S. 362). Das Ergebnis dieser Abwägung wird sich im hiesigen Fall allerdings nicht vom hier entwickelten Ergebnis unterscheiden. Denn die Vermutung der Abdingbarkeit kann durch dieselben Gründe widerlegt werden, die im Rahmen der Auslegung für einen zwingenden Charakter streiten: Beteiligtenschutz oder Drittschutz (s. u.). 574 Fischer, in: BeckOK BGB, § 666 Rn. 1; Martinek/Omlor, in: Staudinger BGB, § 666 Rn. 9; Schäfer, in: Müko BGB, § 666 Rn. 1.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

und dem Risiko nicht nachweisbarer Schädigungen durch diesen aussetzen würde.575 Dieses Ergebnis mag auf den ersten Blick irritieren, da ein Schutzbedürfnis des Arbeitgebers im Arbeitsrecht in Form von Schutz vor Abhängigkeit oder Selbstentmündigung nicht auf die Person des Arbeitgebers passt. Dass der Arbeitgeber Gefahr läuft, sich durch den Arbeitnehmer in eine für ihn nachteilige Abbedingung der Auskunftspflicht hineinziehen zu lassen, liegt fern – einen zwingenden Normenkern mit der paternalistischen Notwendigkeit des Arbeitgeberschutzes anzunehmen, scheint für das Arbeitsrecht ungewöhnlich.576 Genau mit dem Schutzbedürfnis des Arbeitgebers wurde oben allerdings die analoge Anwendung der Auskunftspflicht im Arbeitsverhältnis infolge von Planwidrigkeit der Regelungslücke und vergleichbarer Interessenlage begründet. Dann scheint es aber konsequent, auch einen zwingenden Charakter der Auskunftspflicht im Arbeitsverhältnis anzunehmen. Dem Arbeitnehmer schadet die Annahme eines zwingenden Charakters nicht; im Gegenteil: Sie ist gerade vorteilhaft, wenn damit der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit eröffnet ist. Ein Anhaltspunkt für einen zwingenden Charakter ist zudem dann gegeben, wenn die fragliche Norm aus besonderen Gründen577 dem Schutz Dritter dient, da ansonsten der Schutzzweck durch die Möglichkeit der Abbedingung konterkariert zu werden droht.578 Auch vor diesem Hintergrund ist die Annahme eines zwingenden Charakters der betreffenden Auskunftspflichten gerechtfertigt: Ob die Auskunftspflicht aus analoger Anwendung von § 666 Var. 2, 675 BGB drittschützenden Charakter hat, ist auf den ersten Blick nicht eindeutig zu bejahen. Besondere Drittschutzgründe für die Annahme eines zwingenden Charakters sollen dann vorliegen, wenn ein Vertragspartner in besonderer Form Verantwortung für Dritte trägt oder ein Vertragspartner von Dritten profitiert.579 Die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers in einer unternehmensinternen Untersuchung lässt sich auf beide dieser besonderen Drittschutzgründe zurückführen: Zum einen steht hinter der Auskunftspflicht in der Befragungssituation im Rahmen interner Untersuchungen der Zweck der Sachverhaltsaufklärung. Es wurde bereits bei der Frage nach der gesetzlichen Verpflichtung herausgearbeitet, dass zur Erfüllung der Sachverhaltsaufklärungspflicht nicht nur die bloße Aufklärungsbemühungen ausreichen, sondern 575

Mit dieser Argumentation für eine Einordnung als zwingende Vorschrift Ehmann, in: Erman BGB, 12. Aufl., § 666 Rn. 41, 50; Fischer, in: BeckOK BGB, § 666 Rn. 7; Locher, NJW 1968, 2324, 2326. 576 Dem Arbeitgeber fehlt es grundsätzlich nämlich nicht an den Funktionsvoraussetzungen selbstbestimmten Handelns. 577 Kähler, Abdingbares Recht, S. 273 sieht einen zwingenden Charakter durch Drittinteressen nur dann gegeben, wenn diese über die allgemeinen Interessen Dritter hinausgehen, dazu gleich. 578 Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 35, der auf die Universalformel verweist „to protect (1) the parties within the contract, or (2) parties outside the contract“; Möslein, Dispositives Recht, S. 179. 579 Kähler, Abdingbares Recht, S. 273.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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Hintergrund für diese Pflicht die Schaffung einer Tatsachengrundlage ist.580 Es gilt, mithilfe des ermittelten Sachverhalts und dem Ergreifen von Reaktionsmaßnahmen konkreten Schaden zu begrenzen und damit auch, konkreten Schaden von Dritten (Kunden, Investoren, anderen Arbeitnehmern) abzuwenden, für die der Arbeitgeber besondere Verantwortung trägt.581 Die Sachverhaltsaufklärung stellt keinen Selbstzweck dar.582 Zum anderen profitiert der Arbeitgeber von Dritten in der Form, dass ihm ein Markt durch Dritte zur Verfügung steht. Wer von dem Markt profitiert, hat auch zu dessen Sicherung beizutragen (Funktionsschutz).583 Die Auskunftspflicht in der Befragungssituation ermöglicht dem Arbeitgeber, auf marktstörende Einflüsse wie Betrugs- oder Korruptionssachverhalte zu reagieren, sodass auch hier ein besonderes Drittschutzinteresse den zwingenden Charakter der Auskunftspflicht rechtfertigt. Sinn und Zweck der Auskunftspflicht streiten daher für einen zwingenden Charakter der Auskunftspflicht des § 666 Var. 2 BGB in der Befragungssituation bei internen Untersuchungen.584 Die Auskunftspflicht aus § 242 BGB dient gleichermaßen der Behebung eines zulasten des Arbeitgebers bestehenden Informationsgefälles und ist ebenso notwendig zur Ermittlung einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Damit kommt auch dieser Auskunftspflicht im Rahmen interner Unter580 Siehe oben, zur Schaffung einer Tatsachengrundlage auch Arnold, ZGR 2014, 76, 82. In diesem Sinne zu verstehen ist auch § 17 Abs. 1 Ziff. 1 VerSanG-E des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, BT-Drs. 19/23568, abrufbar unter: https://dip21. bundestag.de/dip21/btd/19/235/1923568.pdf, zuletzt abgerufen am 12. 12. 2020. Eine Sanktionsmilderung kommt hiernach nämlich nur in Betracht, wenn der Verband oder der von ihm beauftragte Dritte wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Verbandsstraftat aufgeklärt werden konnte. 581 Rieble, Ritsumeikan Law Review 2009, 191 spricht sieht Compliance generell als Sicherstellung von Verhaltensregeln, die vor allem Interessen Dritter dienen, nämlich insbesondere Lieferanten, Kunden und anderen Arbeitnehmern. Zum drittschützenden Charakter der gesellschaftsrechtlichen Aufklärungspflicht Verse, ZHR 2011, 401, 405: Die Legalitätskontrolle dient der Abwendung von Schäden; auch besteht ein Allgemeininteresse an der Einhaltung von Gesetzen. Zum drittschützenden Charakter von § 130 I 1 OWiG Rönnau, ZGR 2016, 277, 281: vorverlagerter Rechtsgüterschutz Dritter. 582 Reichert/Ott, NZG 2014, 241, 244; ohne die Auskunftspflicht wäre wiederum auch der Zweck der unternehmensinternen Untersuchung nicht zu erreichen, Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43, 51. 583 Zum Begriff des Funktionsschutzes Möslein, Dispositives Recht, S. 172; zum Marktschutz auch Cziupka, Dispositives Recht, S. 36 ff.; Kähler, Abdingbares Recht, S. 273. 584 Wie hier allgemein zu §§ 666 Var. 2, 675 BGB mit der Begründung, dass die dispositive Norm für den Arbeitnehmer faktisch wie zwingendes Recht wirkt Looschelders/Roth, JZ 1996, 1034, 1038; Ruffert, S. 96. a. A. mit dem bloßen Verweis auf den dispositiven Charakter von § 666 BGB ohne weitergehende Auseinandersetzung Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387, 389; Doege, S. 431, auch wenn dieser im Ergebnis aufgrund der Erzwingbarkeit den Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit eröffnet sieht; sehr knapp Kocak, Selbstbelastungspflichten, S. 183; LG Hamburg, 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, NJW 2011, 942, 944. Henssler, NZA-Beilage 2018, 31, 37, Klasen/Schaefer, BB 2012, 641, 646 und Momsen, ZIS 2011, 508, 513 gehen von einem lediglich vertraglich veranlassten Aussagezwang aus.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

suchungen zwingender Charakter zu.585 Mit diesem Ergebnis ist vom Vorliegen gesetzlich vorgeschriebener Auskunftspflichten auszugehen.586 bb) Erzwingbarkeit Die Erzwingbarkeit der Auskunftspflicht analog § 666 Var. 2, 675 BGB könnte sich nach § 888 I ZPO richten. Grundsätzlich ist die Erteilung von Auskunft eine nicht vertretbare Handlung,587 sodass die Erzwingbarkeit durch die Vollstreckungsmöglichkeit einer Zwangsgeldauferlegung oder einer Zwangshaft gegeben wäre. Da die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs in direktem Zusammenhang mit der Arbeitsleistung steht, wäre denkbar, dass das Vollstreckungsverbot aus § 888 III ZPO Geltung entfaltet.588 Hiergegen spricht, dass § 888 III ZPO lediglich Anwendung auf die Hauptleistungspflicht, d. h. die Arbeitsleistung als solche findet.589 § 666 Var. 2 BGB hingegen begründet eine aus dem Auftragsverhältnis folgende unselbständige Nebenpflicht590, auf die eine Anwendung von § 888 III ZPO nicht passt.591 Die Auskunftspflicht des

585 Allgemein zur Unabdingbarkeit von Loyalitätspflichten Bachmann, in: MüKo BGB, § 241 Rn. 54. 586 Ob der zwingende Charakter auf eine bestimmte Situation – wie hier die Befragung im Rahmen interner Untersuchungen – begrenzt ist, ist damit nicht geklärt. Dies ließe sich allerdings durchaus annehmen. Bereits die Frage nach dem Sinn und Zweck der fraglichen Regelung spricht für die Annahme einer derartigen Lösung, da Sinn und Zweck der Regelung sich je nach Einzelfall unterscheiden können (in diesem Sinne auch Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 228). Bei der Festlegung, ob eine Norm abdingbar ist, soll keine Alles-oder-nichts-Entscheidung getroffen werden (Kähler, Abdingbares Recht, S. 355). 587 Gruber, in: MüKo ZPO, § 888 Rn. 3; Lackmann, in: Musielak/Voit ZPO, § 888 Rn. 5; Kießling, in: Saenger ZPO, § 888 Rn. 8. 588 Anders, wistra 2014, 329, 331; Krauss, S. 106; ohne Begründung Rieble, ZIP 2003, 1273, 1280. 589 Bittmann/Molkenbuhr, wistra 2009, 373, 375; Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387, 389; Kottek, wistra 2017, 9, 12; Momsen, ZIS 2011, 508, 513. 590 BGH, Urteil vom 16. 6. 2016 – III ZR 282/14, NJW-RR 2016, 1391, Rn. 29; BGH, Urteil vom 19. 5. 2016 – III ZR 274/15, NJW-RR 2016, 842 Rn. 43; Lediglich den Begriff der Nebenpflicht verwendend Fischer, in: BeckOK BGB, § 666 Rn. 5; Riesenhuber, in: BeckOGK BGB, § 666 Rn. 24 (Dauernebenpflicht); Wiese, in: Schulze, BGB, § 666 Rn. 1. Weller, Vertragstreue, S. 249 spricht von einer leistungsflankierenden Auskunftspflicht als leistungsbezogene Rücksichtspflicht (im Sinne von 241 II). 591 Die Anwendbarkeit von § 888 III ZPO wird allerdings vor dem Hintergrund erwogen, dass über den Wortlaut hinaus die Vollstreckung dann ausgeschlossen sei, wenn zwangsweise Durchsetzung eines titulierten Anspruchs zu einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts führen würde (Anders, wistra 2014, 329, 331; Krauss, S. 106). Dem ist entgegenzuhalten, dass der Auskunftspflichtige einer erzwingbaren Auskunftspflicht gerade nicht schutzlos gestellt ist: Die gesetzlich vorgesehene, erzwingbare Auskunftspflicht ist schließlich gerade rechtfertigungsbedürftig.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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Arbeitnehmers bezüglich des unmittelbaren Arbeitsbereichs nach § 666 Var. 2, 675 BGB analog ist damit nach § 888 I ZPO erzwingbar.592 Der mit der Auskunftspflicht korrespondierende allgemeine zivilrechtliche Auskunftsanspruch aus § 242 BGB ist jedenfalls nach § 888 I ZPO vollstreckbar593 und die Auskunftspflicht damit erzwingbar. cc) Ergebnis zum Schutzbereich Der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit ist in der Befragungssituation durch die gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflichten aus §§ 666, 675 BGB analog und § 242 BGB in Form des allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs betroffen. Nach den allgemeinen, in Abschnitt B. entwickelten Grundsätzen steht einer Eröffnung des Schutzbereichs insbesondere nicht entgegen, dass der Auskunftsberechtigte in Gestalt des Arbeitgebers eine Privatperson ist. b) Eingriff Ein Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit liegt durch die gesetzliche Regelung der Auskunftspflicht vor, wenn diese einen zwingenden Charakter aufweist. Wie gesehen, ist das der Fall. c) Rechtfertigung Ob ein Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit des Arbeitnehmers durch umfängliche Auskunftspflicht in analoger Anwendung von § 666, 675 BGB bzw. § 242 BGB auch bei Gefahr der Selbstbelastung gerechtfertigt werden kann, ist nachfolgend in den Blick zu nehmen. Hierbei sind die Grundsätze zu berücksichtigen, die an 592 Bittmann/Brockhaus/von Coelln/Heuking, NZWiSt 2019, 1, 8; Bittmann/Molkenbuhr, wistra 2009, 373, 375; Doege, S. 431; Franzen, FS Köhler, S. 133, 140; Gatter, S. 232; Grützner, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 358, 379; Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387, 389; Kottek, wistra 2017, 9, 12; Krug/Skoupil, NJW 2014, 2374; Momsen, ZIS 2011, 508, 513; ders., DB 2011, 1792, 1795; Park, in: Volk, Müchener AWHB Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, Teil B § 11 Rn. 102; Reinhardt/Kaindl, CB 2017, 210, 211; Schäfer, in: Müko BGB, § 666 Rn. 22, allgemein zur Vollstreckbarkeit gesetzlicher Auskunftsansprüche nach § 888 I ZPO Lang, Aufklärungspflicht, S. 50; Waterstraat, ZZP 118, 463. Allerdings wird im Schrifttum vorgebracht, die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers werde in der Praxis nicht zeitnah und effektiv durchgesetzt, sodass von der Erzwingbarkeit in der Realität kein Gebrauch gemacht wird (so etwa Krauss, S. 108; Rübenstahl, WiJ 2012, 17, 30). Auf die tatsächliche Erzwingungspraxis kann es aber für die Frage, ob der Schutzbereich eröffnet ist, nicht ankommen. Für den Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit ist ausreichend, dass eine gesetzlich vorgeschriebene Auskunftspflicht erzwingbar ist; nicht, dass sie erzwungen wird. 593 Krüger, in: Müko BGB, § 260 Rn. 49; BVerfG, Beschluss vom 28. 10. 2010 @ 2 BvR 535/10, NJOZ 2011, 1423 zur Zwangsgeldfestsetzung, vorgehend so ausdrücklich LG Krefeld, Beschluss vom 24.11.2009 – 12 O 13/04, BeckRS 2009, 138961.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

die Rechtfertigung eines Eingriffs in die Selbstbelastungsfreiheit entwickelt wurden: Die Abhängigkeit des Rechtfertigungsdrucks nach Art des Informationsinteresses sowie Ergänzung der Auskunftspflicht um ein Beweisverwertungsverbot bei Umgehungs- und Zweckentfremdungsgefahr. aa) Bestimmung des Rechtfertigungsmaßstabs Bevor auf die Eingriffsrechtfertigung selbst eingegangen werden kann, ist allerdings der Rechtfertigungsmaßstab zu bestimmen. Aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflichten liegt eine Dreieckskonstellation594 zwischen dem Staat, dem Träger eines grundrechtlichen Schutzrechts (der Auskunftsberechtigte mit grundrechtlich geschütztem Informationsinteresse) und Träger des Abwehrrechts (der Auskunftspflichtige mit dem Interesse an Selbstbelastungsfreiheit) vor. In derartigen Konstellationen, in denen der Gesetzgeber Normen zur Regelung unterschiedlicher privater Interessen erlässt, findet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Anwendung; der Gesetzgeber ist auch bei Erlass von Privatrecht an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden595. Das ist bei der Annahme einer unmittelbaren Grundrechtsbindung des Gesetzgebers auch im Privatrecht nur folgerichtig.596 Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss eine staatliche Maßnahme geeignet sein, d. h. der Einsatz eines Mittels muss dazu führen, dass ein legitimer Zweck erreicht oder wenigstens gefördert wird.597 Die Maßnahme muss außerdem erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein.598 bb) Legitimer Zweck der Auskunftspflichten Ob hinter den Auskunftspflichten ein legitimer Zweck steht, lässt sich nach den allgemeinen Rechtfertigungsüberlegungen ohne Schwierigkeiten beantworten: Bereits in Abschnitt B. ist herausgearbeitet worden, dass ein geringer Rechtfertigungsdruck besteht, wenn hinter der gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflicht ein privates Informationsinteresse steht. Ein legitimer Zweck der Auskunftspflicht 594

Zu derartigen Dreieckskonstellationen Borowski, Grundrechte, S. 384. Canaris, JZ 1987, 995; Cremer, S. 269 ff.; Hillgruber, in: BeckOK GG, Art. 1 Rn. 73; Schwarz, Anzeigepflicht, S. 47. 596 Unmittelbare Drittwirkung heißt Übermaßverbot mit Anwendung eines strengen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für den Grundrechtsgebundenen, Gornik, NZA 2012, 1399, 1400. Zur unmittelbaren Grundrechtsgebundenheit des Gesetzgebers im Privatrecht siehe Fußnote 442 auf S. 134. 597 Zur Geeignetheit und Legitimität des Zwecks etwa BVerfG, Beschluss vom 10. 05. 1972 – 1 BvR 286, 293 u. 295/65, NJW 1972, 1509; BVerfG, Urteil vom 03. 03. 2004 – 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99, NJW 2004, 999, 1008; BVerfG, Beschluss vom 13. 06. 2007 – 1 BvR 1550/03, NJW 2007, 2464 Rn. 116 f. 598 Zur Erforderlichkeit und Angemessenheit etwa BVerfG, Urteil vom 03. 03. 2004 – 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99, NJW 2004, 999, 1012; BVerfG, Beschluss vom 13. 06. 2007 – 1 BvR 1550/03, NJW 2007, 2464 Rn. 123 f. 595

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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kann damit bei einem privaten Informationsinteresse angenommen werden. Ein privates Informationsinteresse des Arbeitgebers besteht hier: Der Auskunftsinhalt kann für den Arbeitgeber entscheidend für die Frage sein, ob ihm je nach Inhalt der Auskunft zugemutet werden kann, an dem Arbeitsverhältnis festzuhalten oder nicht. Auch klären sich für den Arbeitgeber je nach Inhalt der Auskunft das Bestehen oder Nichtbestehen etwaiger Regressansprüche. Ebenfalls denkbar ist, dass sich zukünftige Schäden an Betriebsmitteln oder für das Unternehmen aufgrund des Auskunftsinhalts vermeiden lassen. Außerdem könnte neben dem privaten Informationsinteresse bei der Selbstbelastung mit einem strafbaren Verhalten hinter der Auskunftspflicht auch ein staatliches Strafverfolgungsinteresse stehen; immerhin steht die Begehung einer Straftat im Raum. Auch das staatliche Strafverfolgungsinteresse würde jedenfalls einen legitimen Zweck darstellen: Das Bundesverfassungsgericht nimmt an, dass dem Erfordernis einer wirksamen Rechtspflege im Grundgesetz besondere Bedeutung zukommt, da nur dann der Gerechtigkeit zum Durchbruch verholfen werden kann.599 Dass hinter der Auskunftspflicht des Arbeitnehmers im Rahmen einer Mitarbeiterbefragung bei unternehmensinternen Untersuchungen ein staatliches Strafverfolgungsinteresse steht, ist jedoch abzulehnen. Die Befragung erfolgt schließlich gerade durch Private; sei es bei internen Ermittlungen durch den Arbeitgeber selbst oder betriebsangehörige Befragungspersonen oder bei unternehmensinternen Untersuchungen durch externe, private Befragungspersonen. Ein generelles Interesse der befragenden Privatpersonen an einer staatlichen Strafverfolgung kann auch nicht unterstellt werden – das wird bereits daran deutlich, dass die unterschiedlichen Befragungspersonen (Arbeitgeber, Betriebsangehörige oder externe, private Befragungspersonen) in unterschiedlichen Verhältnissen zum befragten Arbeitnehmer stehen und mithin auch unterschiedliche Interessen an einer strafrechtlichen Verfolgung aufweisen können. Die Befragungsperson dürfte bei derartigen Mitarbeiterbefragungen auch selbst nicht den Tatbestand des § 138 StGB erfüllen, sodass ein durch § 138 StGB gleichermaßen auferlegtes Strafverfolgungsinteresse nicht in Betracht kommt. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Auskunftspflichten aus § 666 Var. 2, 675 BGB in analoger Anwendung sowie aus § 242 BGB einen legitimen Zweck in Form eines privaten Informationsinteresses verfolgen.600

599

BVerfG, Beschluss vom 31. 01. 1973 – 2 BvR 454/71, NJW 1973, 891, 893. Die Legitimität des Zwecks könnte allerdings in Frage gestellt sein, wenn der Arbeitgeber tatsächlich kein Interesse an der zweifelsfreien Feststellung des Sachverhalts hätte, da er den verdächtigen Arbeitnehmer durch eine Verdachtskündigung aus dem Betrieb entfernen und so weitere Rechtsverletzungen vermeiden könnte (dies andeutend Rudkowski, NZA 2011, 612, 613). Hiergegen lässt sich jedoch einwenden, dass Fälle vorstellbar sind, in denen allein die Verdachtskündigung des Arbeitnehmers weitere Rechtsverletzungen nicht vermeidet; etwa, wenn der Arbeitnehmer nur Teil eines Bestechungs- oder Betrugsnetzwerks ist, das durch seine Entfernung nicht aufgelöst wird. 600

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

cc) Geeignetheit der Auskunftspflichten Eine Maßnahme ist geeignet, wenn mit ihrer Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann.601 Die umfassende Auskunftspflicht in analoger Anwendung von § 666 Var. 2, 675 BGB sowie die Auskunftspflicht aus § 242 BGB können das private Informationsinteresse des Arbeitgebers befriedigen. Weitere Schäden können etwa durch Arrest von Haftungsmasse oder Rückgewinnung beiseite geschaffter Vermögenswerte abgewendet werden.602 dd) Erforderlichkeit der Auskunftspflichten Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können.603 Als milderes Mittel könnte der Arbeitgeber gesetzlich auf andere Möglichkeiten verwiesen werden, Straftaten aufzudecken; etwa die Befragung unbeteiligter, also nicht verdächtiger Arbeitnehmer im Sinne einer reinen Zeugenbefragung oder der Einsatz technischer Ermittlungsmaßnahmen.604 Der Zeugenbefragung ist zuzugeben, dass sie mangels eigener Belastung ein milderes Mittel darstellen könnte. Ob die erzwingbare Belastung eines Dritten im Sinne einer Denunziation wirklich weniger grundrechtsintensiv ist als die Situation der Selbstbelastungsgefahr, kann allerdings bezweifelt werden. Außerdem kann in der Befragungssituation noch unklar sein, ob die befragte Person Zeuge oder Täter ist, sodass das vermeintlich mildere Mittel nicht als solches erkennbar ist. Darüber hinaus wird in der Praxis der Zeuge in der Regel über weniger Informationen verfügen als der Täter selbst; die Täterbefragung verspricht also, das Informationsinteresse besser zu befriedigen als die Zeugenbefragung. Ob technische Ermittlungsmaßnahmen die mildere Maßnahme im Vergleich zur Auskunftspflicht darstellen, darf bezweifelt werden, da sich bei Überwachung per Video oder des Internetgebrauchs gleichermaßen Kollisionen mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergeben.605 Auch unterliegt der Einsatz technischer Überwachungsmöglichkeiten strengen Grenzen, sodass zweifelhaft ist, ob derartige Ermittlungsmaßnahmen gleich geeignet wären.606 601 BVerfG, Beschluss vom 09. 03. 1994 – 2 BvL 43/92, NJW 1994, 1577, 1579 mit weiteren Nachweisen. 602 Fuhrmann, NZG 2016, 881, 886. 603 BVerfG, Beschluss vom 09. 03. 1994 – 2 BvL 43/92, NJW 1994, 1577, 1579 mit weiteren Nachweisen. 604 Rudkowski, NZA 2011, 612, 613 zur Aufdeckung von Compliance-Verstößen. 605 Siehe hierzu Kapitel 1 dieses Teils (Sachverhaltsaufklärung durch Sichtung von Beobachtungsdaten). 606 Theile, StV 2011, 381, 384 spricht von Kontrollmaßnahmen per Videoüberwachung und Internetgebrauch als wenig verheißungsvoll.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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Im Rahmen der Auskunftspflicht aus § 242 BGB könnte milderes Mittel die Befragung von Arbeitnehmern sein, deren unmittelbarer Arbeitsbereich durch den Gegenstand der Auskunft berührt wird. Denkbar wäre etwa die Situation, dass sich ein Arbeitnehmer dem Auskunftsverlangen seines Arbeitgebers nach § 242 BGB zu Geschehnissen am Rande seiner eigentlich arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit ausgesetzt sieht, obwohl der Arbeitgeber andere Arbeitnehmer analog § 666 Var. 2, 675 BGB befragen könnte, deren eigentliche Tätigkeit in engem Zusammenhang mit den fraglichen Geschehnissen steht. In einer solchen Situation ist jedoch schon nach den Voraussetzungen für den allgemeinen Auskunftsanspruch der Arbeitgeber nicht in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang seiner Rechte im Ungewissen, da er die anderen Arbeitnehmer bevorzugt hätte befragen können. Der Auskunftsanspruch aus § 242 BGB bestünde demnach nicht. Besteht er hingegen, weil eine derartige Befragung gerade nicht in Betracht kommt, ist die Auskunftspflicht auch erforderlich. ee) Angemessenheit der Auskunftspflicht Zu klären bleibt, ob die gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflichten verhältnismäßig im engeren Sinne, d. h. angemessen sind. Hierunter zu verstehen ist eine Überprüfung der Zweck-Mittel-Relation, die eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe unter Beachtung der Grenze der Zumutbarkeit erforderlich macht, also eine Abwägung der sich gegenüberstehenden Rechtspositionen.607 Das Mittel darf nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck stehen.608 Zunächst sind für die Überprüfung der Zweck-Mittel-Relation die betroffenen Grundrechtspositionen zu ermitteln und es ist eine abstrakte Gewichtung vorzunehmen, die den Stellenwert des Grundrechts in der Gesamtordnung des Gemeinwesens herausarbeitet.609 Das Ergebnis der abstrakten Betrachtung schafft allerdings lediglich eine widerlegbare Ausgangsvermutung für die konkrete Abwägung.610 Nachfolgend ist eine konkrete Betrachtung der betroffenen Positionen anzustellen.611 Hierbei ist die Intensität des Eingriffs zu ermitteln und der Grad der Zweckerrei-

607 Durner, in: Maunz/Dürig GG, Art. 10 Rn. 148; Sachs, Verfassungsrecht II, § 10 Rn. 43; BVerfG, Beschluss vom 09. 03. 1994 – 2 BvL 43/92, NJW 1994, 1577, 1579 mit weiteren Nachweisen. 608 BVerfG, Beschluss vom 13. 06. 2007 – 1 BvR 1550/03, NJW 2007, 2464 Rn. 125; Stern, Staatsrecht III/2, § 84 II 4 S. 782; Hillgruber, in: HBdStR, Bd IX, § 201 Rn. 72. 609 Stern, Staatsrecht III/2, § 84 IV 6 S. 820; so etwa BVerfG, Beschluss vom 26. 8. 2013 – 2 BvR 371/12 Rn. 38. 610 Michael, JuS 2001, 654, 659. 611 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 79; Stern, Staatsrecht III/2, § 84 IV 6 S. 832.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

chung festzustellen; abschließend ist zu prüfen, ob die Wichtigkeit des Zwecks die Intensität des Eingriffs rechtfertigen kann.612 (1) Auskunftspflicht hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs Bei der Ermittlung der von der Auskunftspflicht analog § 666 Var. 2, 675 BGB betroffenen Grundrechtspositionen für eine abstrakte Bewertung ergibt sich auf Seiten des Arbeitnehmers das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht kommt ein hohes Gewicht zu, da es sich als Kombination verfassungsmäßig anerkannter Werte darstellt,613 wobei mit Art. 1 I GG Bezug genommen wird auf das oberste Konstitutionsprinzip der Würde des Menschen.614 Hinter dem privaten Informationsinteresse des Arbeitgebers steht zum einen seine allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG derart, dass er an dem Arbeitsverhältnis ggf. nicht mehr festhalten würde, wüsste er um die Verfehlungen des Arbeitnehmers.615 Der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG fehlt gerade die Verknüpfung zu Art. 1 I GG, sodass sie im Vergleich zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht als weniger gewichtig angesehen werden kann. Zum anderen hat der Arbeitgeber ein Interesse an der Durchsetzbarkeit etwaiger Regressforderungen.616 Diese zählen als Forderungen zum grundrechtlich geschützten Eigentum nach Art. 14 GG.617 Ebenso hat der Arbeitgeber ein Interesse daran, seine einzelnen Betriebsmittel vor Schäden zu schützen. Die materiellen und immateriellen Betriebsmittel, die im Betrieb organisatorisch zusammengefasst werden, unterfallen ebenfalls dem Schutz von Art. 14 GG.618 Art. 14 GG wird ein hoher Stellenwert als elementares Grundrecht zugemessen;619 allerdings betrifft eine Auskunftspflicht wegen Interesse an Regressmöglichkeiten lediglich die Entstehung einer Regressforderung. Die Frage des Entstehens einer Regressforderung ist jedoch Inhaltsbestimmung620 und damit im Gesamtsystem der Grundrechte von geringerem Stellenwert.

612 Hillgruber, HBdStR, Bd. V, § 201 Rn. 73; Klatt/Meister, JuS 2014, 193, 196; Michael, JuS 2001, 654, 659. 613 Stern, Staatsrecht III/2, § 84 IV 6 S. 830. 614 BVerfG, Beschluss vom 03. 06. 1980 – 1 BvR 185/77, NJW 1980, 2070. 615 So zum Interesse des Auftraggebers im Rahmen der Angemessenheitsprüfung einer Anzeigepflicht Schwarz, Anzeigepflicht, 140. 616 Schwarz, Anzeigepflicht, 140. 617 Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig GG, Art. 14 Rn. 322; BVerfG, Beschluss vom 31. 10. 1984 – 1 BvR 35/82, BeckRS 1984, 05449. 618 Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig GG, Art. 14 Rn. 200; Schmidt, in: ErfK GG, Art. 14 Rn. 20. 619 BVerfG, Urteil vom 07. 08. 1962 – 1 BvL 16/60, NJW 1962, 1667. 620 Schwarz, Anzeigepflicht, 143.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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Nach abstrakter Bewertung zeichnet sich kein deutliches Überwiegen einer der beteiligten Positionen ab; der Menschenwürdegehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts streitet allerdings stärker für die Position des Arbeitnehmers. Im Rahmen der anschließenden konkreten Bewertung der Intensität des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers spricht gegen eine hohe Intensität, dass die Auskunftspflicht lediglich eine Reaktionspflicht des Arbeitnehmers darstellt. Logische Voraussetzung hierfür ist, dass der Arbeitgeber ohnehin bereits Kenntnisse bzw. zumindest einen Verdacht bezüglich des Fehlverhaltens hat. Der Arbeitnehmer sieht sich damit nicht in der Situation, selbst den Anstoß für Konsequenzen seines Fehlverhaltens geben zu müssen. Im Rahmen der Eingriffsintensität ist allerdings der Umgehungs- und Zweckentfremdungsgedanke aus den allgemeinen Rechtfertigungsüberlegungen zu berücksichtigen. Hiermit lässt sich annehmen, dass die Gefahr der Umgehung eines Auskunfts- oder Aussageverweigerungsrechts in einem Folgeverfahren und Zweckentfremdung der gegebenen Information eine Intensivierung der Betroffenheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zur Folge hätte. Dem damit intensiven Grundrechtseingriff steht allerdings ein hoher Grad an Zweckerreichung durch die Auskunftspflicht gegenüber. Der Arbeitgeber kann anhand der Information entscheiden, ob er das Arbeitsverhältnis fortführen will sowie, ob er Ersatzansprüche gegen den Arbeitnehmer geltend machen möchte. Damit ergibt auch die konkrete Betrachtung kein eindeutiges Überwiegen einer beteiligten Position. Entscheidende Bedeutung kommt damit der konkreten Abwägung der widerstreitenden Belange zu. Stünde dem Interesse des Arbeitnehmers an Selbstbelastungsfreiheit das staatliche Strafverfolgungsinteresse gegenüber, wäre aufgrund des erhöhten Rechtfertigungsdrucks die Selbstbelastungsfreiheit höher zu bewerten. In den allgemeinen Rechtfertigungsüberlegungen in Abschnitt B. wurde aber auch deutlich, dass bei der Beteiligung privaten Informationsinteresses in der Regel das private Informationsinteresse überwiegt. So liegt der Fall hier. Allerdings kann auch bei der Abwägung der Umgehungs- und Zweckentfremdungsgedanke berücksichtigt werden. Sofern die Auskünfte wie hier die Einräumung einer Straftat darstellen, ist ein Strafverfahren als Folgeprozess denkbar, etwa wegen Bestechung, Betrugs oder Untreue.621 Im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung könnte sich der Arbeitnehmer allerdings auf sein Aussageverweigerungsrecht aus §§ 136 I 2, 243 IV 1 StPO berufen. Ein Gebrauch dieses Schweigerechts darf nicht zu seinem Nachteil verwertet werden.622 Würde die Auskunft aus der arbeitsrechtlichen Befragungssituation im Strafverfahren verwertet, würde dieses Aussageverweigerungsrecht umgangen und Auskünfte, die ursprünglich einem privaten Informationsinteresse dienten, zur Verfolgung staatlicher Interessen verwendet. Eine derartige Umgehungs- und Zweckentfremdungsgefahr kann auch nicht durch ein Amnestieangebot 621

Zu möglichen Straftaten siehe oben S. 157. Statt vieler BGH, Beschluss vom 19. 01. 2000 – 3 StR 531/99, NJW 2000, 1962, 1963; BGH, Urteil vom 26. 05. 1992 – 5 StR 122/92, NJW 1992, 2304, 2305. 622

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

seitens des Arbeitgebers relativiert werden, da der Arbeitgeber strafrechtliche Folgen abgesehen von absoluten Antragsdelikten nicht ausschließen kann.623 Allerdings wird eine derartige Gefahr durch ein Beweisverwertungsverbot entschärft. Dann stellt sich der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers als weniger intensiv dar. Nach dem Umgehungs- und Zweckentfremdungsgedanken ist die in § 666 Var. 2, 675 BGB vorgesehene und analog angewandte Auskunftspflicht daher aus Gründen der Angemessenheit um ein strafprozessuales Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der gemachten Auskünfte zu ergänzen, wenn sich ein Strafverfahren als Folgeprozess ergeben kann.624 Ob diese Ergänzung in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Gemeinschuldnerbeschluss unmittelbar aus Art. 2 I, 1 I GG durch den Richter zu erfolgen hat625 oder in analoger Anwendung entsprechender strafprozessualer Beweisverwertungsverbote aus § 97 I 3 InsO626 oder § 630c II 2 BGB627 ist nicht entscheidend und soll hier bewusst offengelassen werden. Durch die Annahme eines derartigen Beweisverwertungsverbots wird auch nicht der Wille des Gesetzgebers missachtet.628 Vielmehr haben die Beispiele im Rahmen der allgemeinen Rechtfertigungsüberlegung gezeigt, dass der Gesetzgeber in vielen nachkonstitutionellen Gesetzen den Weg des Beweisverwertungsverbots gewählt hat. Bei der Auskunftspflicht aus § 666 Var. 2 BGB, die bereits im Bürgerlichen Gesetzbuch in der Fassung von 1896 vorgesehen war,629 ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber eine Ergänzung der Auskunftspflicht um ein strafprozessuales Bewertungsverbot auf jeden Fall vermeiden wollte. Mit diesem Ergebnis nicht beantwortet ist allerdings die Frage, ob die Auskunftspflicht auch um ein zivilprozessuales Beweisverwertungsverbot zu ergänzen

623 Es gilt § 152 II StPO, Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721, 727; zur Pflicht des Arbeitgebers zur Aufklärung hierüber Stellungnahme der BRAK 35/2010, S. 11; Sieg, FS Buchner, S. 859, 870. 624 So im Ergebnis auch der Vorschlag von VCI und BCM für ein modernes Unternehmenssanktionsrecht, Vorschlag Nr. 10; VCI/BCM-Position zum Unternehmenssanktionsrecht, abrufbar unter: https://www.vci.de/langfassungen/langfassungen-pdf/2018-09-18-vci-bcm-posi tion-moderneres-unternehmenssanktionsrecht.pdf, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020, hierzu auch Haase/Brouwer, CCZ 2018, 276. Ebenso Kölner Entwurf, § 18 III, abrufbar unter: http:// www.jpstrafrecht.jura.uni-koeln.de/sites/iss_juniorprof/Projekte/Koelner_Entwurf_eines_Ver bandssanktionengesetzes__2017.pdf, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020. 625 BVerfG, Beschluss vom 13. 01. 1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431, 1432; Doege, S. 444; Theile, StV 2011, 381, 385; derart wohl auch Bittmann/Molkenbuhr, wistra 2009, 373, 380 und LAG Hamm, Urteil vom 03. 03. 2009 – 14 Sa 1689/08, CCZ 2010, 237. 626 Böhm, WM 2009, 1923, 1929; Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8 Rn. 18. 627 Franzen, FS Köhler, S. 142 ff. 628 Kritisch zur Abwägungsentscheidung wegen einer Umgehung des gesetzgeberischen Willens Hillgruber, in: HBdStR, Bd. IX, § 201 Rn. 82. 629 Reichsgesetzblatt I/1896, S. 309.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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ist. Da sich hier die Frage des Schweigerechts im Folgeprozess schwieriger gestaltet als im Strafverfahren, ist auf diese Ergänzung gesondert einzugehen.630 (2) Auskunftspflicht hinsichtlich des mittelbaren Arbeitsbereichs Gesondert zu betrachten ist außerdem, ob das Mittel der Auskunftspflicht aus § 242 BGB angemessen ist. Zunächst sind auch hier die betroffenen Grundrechtspositionen zu ermitteln und es ist eine abstrakte Gewichtung vorzunehmen. Auf Seiten des Arbeitgebers sind wie auch bei der Auskunftspflicht aus § 666 Var. 2, 675 BGB analog die Art. 2 I GG und Art. 14 GG betroffen. Auf Seiten des Arbeitnehmers steht wiederum die Selbstbelastungsfreiheit als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen, Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG. Allerdings könnte das allgemeine Persönlichkeitsrecht bei Fragen zum mittelbaren Arbeitsbereich zusätzlich in seiner Ausprägung des Schutzes auf Privatsphäre betroffen sein. Die vom Arbeitgeber erfragten Informationen haben nämlich eine größere Nähe zum persönlichen Bereich des Arbeitnehmers im Sinne der Privatsphäre. Denn nur durch die Annahme des Auftrags, d. h. in der arbeitsrechtlichen Situation im unmittelbaren Arbeitsbereich, bewegt sich der Arbeitnehmer außerhalb seiner Privatsphäre.631 Fragen bezüglich des mittelbaren Arbeitsbereichs können hingegen die Privatsphäre des Arbeitnehmers berühren. Bewegt sich der Arbeitnehmer außerhalb der betrieblichen Räumlichkeiten und der konkreten Arbeitsleistung, bewegt er sich innerhalb seiner Privatsphäre.632 Diese erfasst das private Leben des Arbeitnehmers im Familien- und Freundeskreis und das sonstige Privatleben mit Freizeitaktivitäten633. Dieser Bereich ist bei den oben genannten Beispielen zu Straftaten im mittelbaren Arbeitsbereich erfasst: Begeht ein Arbeitnehmer außerdienstlich eine Straftat unter Nutzung von Betriebsmitteln, entwendet er etwa in einer anderen Filiale Betriebsmittel oder nutzt er diese unerlaubt zum privaten Nebenerwerb, bewegt sich der Arbeitnehmer gerade in diesem Bereich seiner privaten Lebensgestaltung. Eine Auskunftspflicht über Handlungen, die dem mittelbaren Arbeitsbereich zugeordnet werden, birgt grundsätzlich das Risiko, dass der Arbeitnehmer zur Preisgabe von

630

Siehe hierzu 4. Teil 2. Kap. Abschnitt B., S. 269 ff. Theile, StV 2011, 381, 384; Schwarz, Anzeigepflicht, S.138. Eine Einschränkung der Freiheitssphäre auch an den Abschluss des Arbeitsvertrags und die Aufnahme der Tätigkeit koppelnd Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 82. 632 Das schließt allerdings nicht aus, dass die Privatsphäre des Arbeitnehmers auch innerhalb der betrieblichen Räumlichkeiten Wirkung entfalten kann; der Schutz der Privatsphäre ist nicht lediglich räumlich, sondern auch thematisch bestimmt (BGH, Urteil vom 18. 09. 2012 – VI ZR 291/10, NJW 2012, 3645 Rn. 12; BGH, Urteil vom 22. 11. 2011 @ VI ZR 26/11, NJW 2012, 763 Rn. 10). Aus diesem Grund ist etwa die Videoüberwachung von Toiletten und Umkleideräumen nicht zulässig, auch wenn sich diese auf dem Betriebsgelände befinden, Däubler, NZA 2017, 1481; Riesenhuber, in: BeckOK DatenschutzR, BDSG, § 26 Rn. 144. 633 Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 81. 631

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Informationen verpflichtet wird, die seinem persönlichen Lebensbereich zuzuordnen sind. Die Berücksichtigung der Privatsphäre steht auch nicht im Widerspruch zum Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit, sondern damit im Einklang: Dort wurde die Selbstbelastungsfreiheit von der Sphärentheorie losgelöst. Hier treten Auskunftsinhalte, die der Privatsphäre unterfallen, neben die Selbstbelastungsfreiheit; sie machen aber gerade nicht die Schutzbereichseröffnung der Selbstbelastungsfreiheit aus. Die abstrakte Gewichtung der betroffenen Positionen fällt hier im Ergebnis zugunsten des Arbeitnehmers aus, da auf seiner Seite das gewichtigere allgemeine Persönlichkeitsrecht gleich in zweierlei Hinsicht steht. Die konkrete Beeinträchtigung der Positionen des Arbeitnehmers weist im Rahmen der Selbstbelastungsfreiheit wiederum zunächst eine geringere Intensität auf, da die Auskunftspflicht lediglich eine Reaktionspflicht des Arbeitnehmers darstellt. Zugleich ist auch hier wie bei der Auskunftspflicht aus § 666 Var. 2, 675 BGB die Umgehungs- und Zweckentfremdungsgefahr zu berücksichtigen, die die Intensität erhöht. Zusätzlich ergibt sich das Risiko für den Arbeitnehmer, Inhalte offenbaren zu müssen, die der Privatsphäre angehören. Auch hieraus ergibt sich eine hohe Eingriffsintensität. Dieser hohen Eingriffsintensität steht wiederum ein hoher Grad an Zweckerreichung gegenüber, da den Informationsinteressen des Arbeitgebers durch eine uneingeschränkte Auskunftspflicht umfänglich Rechnung getragen wird. Bei der Abwägung der widerstreitenden Belange ergibt sich bezogen auf den Aspekt der Selbstbelastungsfreiheit kein Unterschied zur Abwägung im Rahmen der Rechtfertigung von § 666 Var. 2, 675 BGB. Auch hier wäre die hohe Eingriffsintensität aufgrund der Umgehungs- und Zweckentfremdungsgefahr durch ein Beweiswertungsverbot jedenfalls im strafprozessualen Bereich gemindert. Die Abwägung muss im Vergleich zur Abwägung zur Auskunftspflicht aus § 666 Var. 2, 675 BGB jedoch die zusätzliche Belastung des Arbeitnehmers berücksichtigen, im Rahmen der Auskunftspflicht Informationen preiszugeben, die der Privatsphäre angehören. Diese Gefahr kann durch ein Beweisverwertungsverbot nicht aufgehoben werden, da dieses die Pflicht zur Auskunftserteilung an sich nicht unterbindet. Dem Arbeitnehmer ist vielmehr nur durch die Gewährung eines Auskunftsverweigerungsrechts geholfen. Diese in der bisherigen Diskussion verbreitet vertretene Auffassung634 ist damit auch grundrechtsdogmatisch begründbar. Allerdings ist nicht der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit Anknüpfungspunkt für das Auskunftsverweigerungsrecht, sondern das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung des Schutzes der Privatsphäre, das zu dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit auf Seiten der Arbeitnehmerinteressen hinzutritt und letztlich für ein Auskunftsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers streitet.

634

Siehe zu den Vertretern dieser Auffassung oben Fußnote 550 auf S. 163.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

181

Wie bereits bei den Beispielsüberlegungen zu möglichen Straftaten angesprochen, dürfte das Auskunftsverlangen über Straftaten im mittelbaren Arbeitsbereich bei unternehmensinternen Untersuchungen allerdings ohnehin der Ausnahmefall sein. Im Interesse der Aufdeckung systematischer Gesetzesverstöße wird die Sachverhaltsermittlung bezüglich Straftaten im unmittelbaren Arbeitsbereich im Vordergrund stehen. ff) Zwischenergebnis zur Rechtfertigung Der Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit durch die analoge Anwendung der gesetzlich vorgeschriebenen Auskunftspflicht aus § 666 Var. 2, 675 BGB ist gerechtfertigt, wenn die Auskunftspflicht um ein strafprozessuales Beweisverwertungsverbot ergänzt wird. Ob auch eine Ergänzung um ein zivilprozessuales Beweisverwertungsverbot aus Gründen der Angemessenheit notwendig ist, wird im 4. Teil untersucht. Das im Schrifttum vereinzelt angenommene Aussage- oder Auskunftsverweigerungsrecht635 bei der Auskunftspflicht aus § 666 Var. 2, 675 BGB analog bei Gefahr der Selbstbelastung ist mit dem Ergebnis der hiesigen Rechtfertigungsprüfung nicht vereinbar.636 Der Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit durch den allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch aus § 242 BGB ist nicht gerechtfertigt, weil der Arbeitnehmer mit Fragen bezüglich des mittelbaren Arbeitsbereichs in die Gefahr gebracht wird, Inhalte mitteilen zu müssen, die der Privatsphäre angehören. Hier ergibt die Rechtfertigungsprüfung die Notwendigkeit eines Auskunftsverweigerungsrechts des Arbeitnehmers. d) Ergebnis Auch wenn der Arbeitnehmer sich mit seiner Auskunft selbst der Begehung einer Straftat bezichtigt, ist er zur Auskunft im Rahmen des unmittelbaren Arbeitsbereichs analog § 666 Var. 2, 675 BGB verpflichtet. Bei Auskünften, die den mittelbaren Arbeitsbereich betreffen, ist das nicht der Fall; hier steht dem Arbeitnehmer ein Auskunftsverweigerungsrecht zu.

635 Gatter, S. 232; Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8 Rn. 16, wonach sich ein Auskunftsverweigerungsrecht zwischen den Zeilen aus den BRAK-Richtlinien ergeben soll; Mansdörfer, jM 2014, 167, 171; Rogall, der Beschuldigte, S. 150 Fn. 15; Roxin, StV 2012, 116, 120; Maschmann, Mitarbeiterkontrolle, S.175; Schneider, NZG 2010, 1201, 1204, der für eine Übertragung von § 4 IX WpHG plädiert; Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68, 73; Zerbes, ZStW 2013, 551, 559. Nicht eindeutig insoweit Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 243. 636 So im Ergebnis auch OLG Stuttgart, Urteil vom 08. 10. 2015 – 2 U 25/15, BeckRS 2016, 7613 Rn. 59 f.: materiell-rechtliche Ebene nicht beschränken, ebenso Winkler von Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, S. 102; Theile, StV 2011, 381, 383. Offen gelassen von Fuhrmann, NZG 2016, 881, 889.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

4. Lösung für die Auskunftspflicht über Weisungsrecht Sofern die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers im unmittelbaren Arbeitsbereich über das Weisungsrecht des Arbeitgebers angenommen wird,637 besteht im Ergebnis ebenfalls eine umfassende Auskunftspflicht, ergänzt um ein strafprozessuales Beweisverwertungsverbot. Im Rahmen des Weisungsrechts kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen. Die Wahrung billigen Ermessens setzt voraus, dass die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt werden.638 Verlangt wird eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. Das gebietet eine Berücksichtigung und Verwertung der Interessen unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls.639 Hier sind die Grundrechte des Arbeitnehmers zu beachten: Kollidiert das Recht des Arbeitgebers, den Inhalt der Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers näher zu konkretisieren, mit grundrechtlich geschützten Positionen des Arbeitnehmers, so ist das Spannungsverhältnis im Rahmen der Konkretisierung einem grundrechtskonformen Ausgleich der Rechtspositionen zuzuführen; dabei sind die kollidierenden Grundrechte in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, dass die geschützten Rechtspositionen für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden.640 Ob das Weisungsrecht des Arbeitgebers mit der Selbstbelastungsfreiheit des Arbeitnehmers kollidiert, ist hier gerade fraglich, weil dies nach den allgemeinen Ausführungen zum Schutzbereich nur der Fall ist, wenn eine gesetzlich vorgeschriebene, erzwingbare Auskunftspflicht den Arbeitnehmer trifft. Nur dann ist der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit eröffnet. Die Auskunftspflicht ist hier nicht ausdrücklich vorgeschrieben, sondern ergibt sich erst aus dem Weisungsrecht. Dennoch liegt mit Ausübung des Weisungsrechts im Wege des Auskunftsverlangens eine gesetzlich vorgeschriebene Auskunftspflicht vor, da die Auskunftspflicht gerade nicht individuell zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgehandelt wurde, sondern – sofern man die Auskunftspflicht an das Weisungsrecht knüpft – dem Weisungsrecht unterfällt. In der Ausübung des Weisungsrechts in Form des Auskunftsverlangens setzt sich konkret die den Arbeit637

ArbG Stuttgart, Urteil vom 30. 8. 2012 – 17 Ca 10091/11, BeckRS 2016, 69557; Bissels/ Lützeler, BB 2012, 189, 190; Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 263; Imping, in: Kilian/Heussen ComputerR-HdB, 70.12 Rn. 29; Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19, 20; Maschmann, in: BeckOGK, § 106 Rn. 110; Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 243; Roxin, StV 2012, 116, 118; Tscherwinka, FS I. Roxin, S. 522, 526. 638 BAG, Urteil vom 21. 07. 2009 – 9 AZR 404/08, NZA 2009, 1369, 1372 Rn. 22; BAG, Urteil vom 13. 04. 2010 – 9 AZR 36/09, AP BGB, § 307 Nr. 45 Rn. 25, 38. 639 Zum Ganzen BAG, Urteil vom 21. 07. 2009 – 9 AZR 404/08, NZA 2009, 1369, 1372 Rn. 22; BAG, Urteil vom 13. 04. 2010 – 9 AZR 36/09, AP BGB, § 307 Nr. 45 Rn. 40. 640 BAG, Urteil vom 10. 10. 2002 – 2 AZR 472/01, NZA 2003, 483, 486; BAG, Urteil vom 25. 09. 2013 – 10 AZR 270/12, NZA 2014, 41, 44; Preis, in: ErfK GewO, § 106 Rn. 11.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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nehmer grundsätzlich treffende gesetzlich vorgeschriebene Verpflichtung fort, den Weisungen des Arbeitgebers Folge zu leisten. Dass diese Verpflichtung grundsätzlich gesetzlich vorgeschrieben ist, wird schon daran deutlich, dass § 106 GewO selbst Grenzen aufzeigt, in denen ein Weisungsrecht des Arbeitgebers mit korrespondierender, grundsätzlicher Befolgungspflicht nicht besteht.641 Aus denselben Gründen wie oben kommt der Auskunftspflicht des Arbeitnehmers auch zwingender Charakter zu.642 Daher ist die Auskunftspflicht auch unter Rückgriff auf das Weisungsrecht als gesetzlich vorgeschriebene Auskunftspflicht anzusehen, die als leistungsbezogene Nebenpflicht auch erzwingbar ist. Eine Kollision zwischen dem Weisungsrecht des Arbeitgebers und der Selbstbelastungsfreiheit des Arbeitnehmers ist denkbar. Damit ergeben sich für den Arbeitgeber im Rahmen des billigen Ermessens dieselben Überlegungen wie im Rahmen der obigen Eingriffsrechtfertigung. Der Arbeitnehmer ist auch hiernach hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs uneingeschränkt zur Auskunft verpflichtet, auch wenn er sich dadurch der Begehung einer Straftat bezichtigt. In einem strafrechtlichen Folgeverfahren dürfte diese Information jedoch gleichermaßen nicht verwertet werden.

II. Selbstbezichtigung mit einer Pflichtverletzung in der Auskunftssituation Auch die Einräumung einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung kann für einen Arbeitnehmer eine unangenehme Situation dahingehend darstellen, dass er sich selbst belastet. Zu überlegen ist, ob den Arbeitnehmer auch dann eine Auskunftspflicht analog § 666 Var. 2, 675 BGB oder aufgrund des allgemeinen zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs aus § 242 BGB trifft, wenn er sich dabei einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung bezichtigen müsste. 1. Auffassungsspektrum zu den Mitwirkungspflichten des Arbeitnehmers bei Einräumung einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung Um das Auffassungsspektrum zu Auskunftspflichten hinsichtlich arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen beleuchten zu können, ist zu differenzieren: Bei einer Pflichtverletzung, die sich als Straftat darstellt, die der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit seiner Arbeitstätigkeit begangen hat, kann auf obige Ausführungen verwiesen werden. Daneben kann sich jedoch auch die Situation ergeben, dass die 641

§ 106 S. 1 GewO sieht selbst vor, dass das Weisungsrecht seine Grenzen in arbeitsvertraglichen Regelungen, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften findet. Zudem hat der Arbeitgeber bei der Ausübung des Ermessens auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen, § 106 S. 3 GewO. 642 Siehe zum zwingenden Charakter der Auskunftspflicht S. 164 ff.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Auskunft des Arbeitnehmers eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung darstellt, die keinen Straftatbestand erfüllt. Fraglich ist, ob ein Arbeitnehmer zur Einräumung arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen verpflichtet sein kann. In Literatur und Rechtsprechung findet sich hierzu bisher wenig. a) Auskunftspflicht hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs Ob der Arbeitnehmer verpflichtet ist, Auskunft über arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit seinem unmittelbaren Arbeitsbereich zu geben, wurde bisher in Literatur und Rechtsprechung – soweit ersichtlich – als gesonderte Frage kaum diskutiert. Teilweise wird vertreten, alle genannten Auskunftsansprüche (also auch Auskünfte hinsichtlich des mittelbaren Arbeitsbereichs) umfassten nicht die Verpflichtung, sich selbst einer arbeitsrechtlichen Pflichtverletzung zu bezichtigen.643 Teils wird dieser Schluss unter der Bedingung gezogen, dass es anderenfalls zu Friktionen mit Beweislastregeln kommt.644 Anderenorts findet sich die Auffassung, der Arbeitnehmer sei zur Offenbarung von Umständen, die kündigungsrechtlich verwertet werden können, nicht verpflichtet,645 worunter nicht nur Straftaten, sondern arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen generell fallen. Hier erfolgt meist der Verweis auf das problematische Verhältnis zwischen materiell-rechtlichen Auskunftspflichten und Beweislastregeln646 (siehe hierzu ausführlich V., S. 205 bzw. 4. Teil 2. Kap. Abschnitt C., S. 273). Häufig wird im Schrifttum bei der Auskunftspflicht hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs nicht differenziert zwischen der Auskunft über Straftaten und Pflichtverletzungen; eine Auskunftspflicht soll allgemein für selbstbelastende Inhalte gelten.647 Lediglich vereinzelt wird 643

Eufinger, DB 2016, 471, 475, der allgemein auf die Selbstbelastung mit ComplianceVerstößen abstellt; Maschmann, NZA-Beil. 2012, 50, 56 differenziert zwischen der Selbstbezichtigung einer strafbaren Handlung und der Selbstbezichtigung einer Pflichtverletzung, ebenso Toma, CB 2017, 339, 340; Tscherwinka, FS I. Roxin, S. 521, 529; nicht klar differenzierend zwischen Straftat und Pflichtverletzung Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851, 1853; Rudkowski, NZA 2011, 612, 613. 644 Gatter, 206; Eichnicht klar differenzierend zwischen Straftat und Pflichtverletzung Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851, 1853. 645 Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373, 376; Klasen/Schaefer, BB 2012, 641, 645; Lakner, CB 2015, 193, 196; Rieble, Ritsumeikan Law Review Nr. 26, 2009, 191, 204; Rudkowski, NZA 2011, 612, 613, die dies sogar unabhängig von einer Nachfrage sieht; Süße/ Eckstein, Newsdienst Compliance 2014, 71009. 646 Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373, 376; Rieble, Ritsumeikan Law Review Nr. 26, 2009, 191, 204; Rudkowski, NZA 2011, 612, 613. 647 Anders, wistra 2014, 329, 330; Bissels/Lützeler, BB 2012, 189, 190; Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170, 176; Glaser/Wisskirchen, DB 2011, 1447, 1448; Greco/Caracas, NStZ 2015, 7; Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1706; Lützeler/Müller-Satori, CCZ 2011, 19, 20; Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 243; Reinhardt/Kaindl, CB 2017, 210, 211; Schneider, NZG 2010, 1201, 1204 spricht einerseits von Pflichtverletzungen, andererseits von straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlicher Verfolgung; Sieg, FS Buchner, S. 859, 862. Mit ausdrücklicher

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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konkret eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs auch dann angenommen, wenn sich der Arbeitnehmer keiner Straftat, sondern einer Handlung bezichtigen würde, die kündigungsrechtlich verwertet werden kann,648 also einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung. Damit ist festzuhalten, dass das sehr spärliche Auffassungsspektrum zur Selbstbezichtigung mit einer Pflichtverletzung im unmittelbaren Arbeitsbereich wie das Meinungsspektrum zur Straftatbezichtigung von der umfassenden Auskunftspflicht bis hin zum Recht des Arbeitnehmers reicht, sich nicht einer Pflichtverletzung im unmittelbaren Arbeitsbereich zu bezichtigen. b) Auskunftspflicht hinsichtlich des mittelbaren Arbeitsbereichs Mit der Auskunftspflicht des Arbeitnehmers bei Selbstbezichtigung mit einer Pflichtverletzung im mittelbaren Arbeitsbereich im Speziellen beschäftigen sich Schrifttum und Rechtsprechung bisher fast nicht. Soweit die eben aufgeführten Auffassungen, die eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers zum unmittelbaren Arbeitsbereich ablehnen, weit formuliert sind, soll eine Pflicht des Arbeitnehmers zur Auskunft über arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen auch im mittelbaren Arbeitsbereich nicht bestehen649. Gleiches gilt für diejenigen, die eine Auskunftspflicht im Rahmen des mittelbaren Arbeitsbereichs bei Selbstbelastung ablehnen, ohne jedoch zwischen der Selbstbezichtigung einer Straftat oder einer Pflichtverletzung zu differenzieren.650 2. Lösung für die Auskunftspflichten aus § 666 Var. 2, 675 BGB analog und § 242 BGB nach gewonnenen Ergebnissen Wie im Rahmen der bisher vertretenen Auffassungen zu sehen, ist die Frage der Auskunftspflicht bei Selbstbelastungsgefahr bisher stark geprägt durch die Selbstbezichtigung mit einer Straftat. Das mag daran liegen, dass sich im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung insbesondere die Frage des Verwertungsverbots im Strafverfahren stellt. Ob eine rechtlich geregelte, erzwingbare Auskunftspflicht hinsichtlich arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen einen Eingriff in den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit darstellt, der ggf. gerechtfertigt werden kann, ist eine Frage des Schutzbereichs, die bisher kaum Aufmerksamkeit erfährt. Für eine Lösung soll auch hier auf die bisher entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Bezugnahme auch auf Pflichtverletzung Schäfer, in: Münchener Kommentar BGB, § 666 Rn. 14. 648 Bernhardt/Bullinger, CB 2016, 205, 208. Allgemein für die Auskunftspflicht des Beauftragten auch bezüglich einer Pflichtverletzung Schäfer, in: Müko BGB, § 666 Rn. 14. 649 Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851, 1853; Gatter, 206; Rieble, Ritsumeikan Law Review Nr. 26, 2009, 191, 204; Rudkowski, NZA 2011, 612, 613. 650 Eufinger, RdA 2017, 223, 227.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

a) Schutzbereich Im Rahmen der allgemeinen Überlegungen zur Reichweite der Selbstbelastungsfreiheit in Abschnitt B. wurde hinsichtlich des Schutzbereichs festgestellt, dass die Selbstbelastungsfreiheit die Konfliktsituation erfasst, sich selbst mittels Aussage eines Fehlverhaltens bezichtigen zu müssen, das bestrafende staatliche oder pönale nichtstaatliche Konsequenzen haben kann, wenn diese Konfliktsituation durch eine gesetzlich vorgeschriebene, erzwingbare Auskunftspflicht hervorgerufen wird. Bezüglich des Vorliegens einer gesetzlich vorgeschriebenen, erzwingbaren Auskunftspflicht ergeben sich keine Unterschiede zu der Auskunft über eine Straftat, sodass diesbezüglich die Schutzbereichseröffnung gleichermaßen anzunehmen ist wie bei der Selbstbezichtigung mit einer Straftat. Ob der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit bei einer Arbeitnehmerbefragung vor dem Hintergrund der gesetzlich vorgeschriebenen, erzwingbaren Auskunftspflichten auch bei der Gefahr der Selbstbezichtigung mit einer Pflichtverletzung eröffnet ist, hängt entscheidend davon ab, ob seitens des Arbeitgebers pönale, d. h. sanktionierende Konsequenzen drohen. aa) Drohende pönale Konsequenzen im Arbeitsverhältnis? Grundsätzlich könnte gegen den pönalen Charakter von Arbeitgebermaßnahmen sprechen, dass der privatwirtschaftliche Arbeitgeber – anders als im Beamtenrecht – keine Straf- oder Disziplinargewalt über die Arbeitnehmer ausübt.651 Allerdings ist auch zuzugeben, dass individualarbeitsrechtliche Maßnahmen wie klassische Sanktionen wirken können, wenn sie angedroht und konsequent ergriffen werden.652 Als die Pflichtverletzung ahnende Reaktionen kommen insbesondere die Möglichkeiten der Vertragsstrafe, der Verhängung einer Betriebsbuße oder der Abmahnung in Betracht. Wie nachfolgend zu zeigen sein wird, ist diesen Reaktionsmöglichkeiten ein pönales, d. h. sanktionierendes Element gemein. Eine Betriebsbuße hat unproblematisch Sanktionscharakter;653 teilweise wird sogar der Begriff des Strafcharakters verwendet.654 Die Verhängung einer Be651 Böhm, Non-Compliance, 219; Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 222; Rieble, NJW 2009, 2101, 2105. 652 Diesen Effekt auszunutzen, soll dem Arbeitgeber unbenommen bleiben; Böhm, NonCompliance, 220. Die Vergleichbarkeit mit klassischen Sanktionsinstrumenten klingt auch an in BVerfG 02. 07. 2001 – 1 BVR 2049/00, NZA 2001, 888, 889: Die fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist streng genommen zwar keine Sanktion für Verhalten in der Vergangenheit, sondern nur die Möglichkeit, sich von einem Dauerschuldverhältnis zu lösen, an dem man für die Zukunft zumutbar nicht festhalten kann. Doch stellt sich die Kündigung für den betroffenen Arbeitnehmer als zivilrechtlicher Nachteil dar. 653 Hergenröder, in: MüKo BGB, KSchG § 1 Rn. 213. 654 BAG, Urteil vom 30. 01. 1979 – 1 AZR 342/76, AP BetrVG 1972 § 87 Betriebsbuße Nr. 2; BAG, Urteil vom 07. 11. 1979 – 5 AZR 962/77, AP BetrVG 1972 § 87 Betriebsbuße Nr. 3; Müller-Glöge, in: Müko BGB, § 611 Rn. 1068; Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 220.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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triebsbuße dürfte allerdings nur dann drohen, wenn diese als bestimmte Sanktion in der Betriebsordnung vorgesehen ist. Ebenfalls selten dürfte der Verfall einer Vertragsstrafe nach §§ 339 ff. BGB drohen, da diese eine vertragliche Vereinbarung voraussetzt.655 Grundsätzlich wäre eine Vertragsstrafe für Pflichtverletzungen jedoch denkbar, da auch die Verletzung von Nebenpflichten656 oder allgemein gesetzestreues Verhalten657 abgesichert werden kann. Die Vertragsstrafe weist eine Doppelfunktion auf: Sie ist Strafe und Ersatz.658 Die Straffunktion hat neben einer präventiven Funktion auch repressive Funktion;659 die Vertragsstrafe hat daher sanktionierenden Charakter.660 Mit der Vertragsstrafe bringt der Arbeitgeber zum Ausdruck, dass er den vergangenen Vertragsverstoß ahndet.661 Häufiger als Betriebsbuße oder Vertragsstrafe dürfte dem Arbeitnehmer eine Abmahnung drohen. Auch die Abmahnung beinhaltet ein sanktionierendes Element, wenn auch nicht in derselben Deutlichkeit wie die Betriebsbuße. Mit der Abmahnung bringt der Arbeitgeber zum Ausdruck, dass das Fehlverhalten des Arbeitnehmers missbilligt wird.662 Der Arbeitgeber hat zu entscheiden, ob er ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers missbilligen will und ob er deswegen eine mündliche oder schriftliche Abmahnung erteilen will.663 Hinsichtlich des Sanktionscharakters der Abmahnung stellte der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts zunächst fest, die Abmahnung des Arbeitgebers dürfe keinen über den Warnzweck hinausgehenden Sanktionscharakter haben; die Abmahnung dürfe kein Unwerturteil über die Person des Arbeitnehmers enthalten.664 Demgegenüber sah der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts die Abmahnung gerade als eigene Sanktionsmöglichkeit: Als Ausübung des Rügerechts in Abgrenzung zur Warnfunktion diene die Abmahnung als Vertragsrüge nicht vornehmlich der Vorbereitung einer Kündigung, sondern sie sei eine Sanktion auf ein vertragswidriges Verhalten.665 Für diese Einordnung spricht, dass der Ab655

Gottwald, in: MüKo BGB, § 339 Rn. 4; Grüneberg, in: Palandt, § 339 Rn. 11. BAG, Urteil vom 04. 09. 1964 – 5 AZR 511/63 – AP Nr. 3 zu § 339 BGB; BAG, Urteil vom 05. 02. 1986 – 5 AZR 564/84 AP Nr. 12 zu § 339 BGB. 657 Rieble, in: Staudinger BGB, Vorbemerkungen zu §§ 339 ff. Rn. 6. 658 BGH, Urteil vom 18. 11. 1982 – VII ZR 305/81, NJW 1983, 385, 386; Köhler, GRUR 1994, 260, 261; Rieble, in: Staudinger BGB, Vorbemerkungen zu §§ 339 ff. Rn. 16. 659 Gottwald, in: MüKo BGB, Vor §§ 339 Rn. 51; Rieble, in: Staudinger BGB, Vorbemerkungen zu §§ 339 ff. Rn. 17, 39. 660 Vertragsstrafen sanktionieren vertragliches Unrecht, Ulrici, in: BeckOGK, § 339 Rn. 36; v. Ungern-Sternberg, wrp 1984, 55. 661 Kania, in: ErfK BetrVG, § 87 Rn. 23. 662 Böhm, Non-Compliance, S. 230; Hoefs, in: BeckFormB BHW, III. E Nr. 17 Rn. 1. 663 BAG, Urteil vom 13. 11. 1992 – 5 AZR 74/91, NZA 1992, 690; ArbG Köln, Urteil vom 28. 08. 2017 – 20 Ca 7940/16, NZA-RR 2018, 18. 664 BAG, Urteil vom 07. 11. 1979 – 5 AZR 962/77 AP BetrVG 1972 S 87 Betriebsbuße Nr. 3; BAG, Urteil vom 11. 08. 1982 – 5 AZR 1089/79, NJW 1983, 1220. Gegen den Sanktionscharakter einer Abmahnung auch Binkert, NZA 2016, 721, 722. 665 BAG, Urteil vom 10. 11. 1988 – 2 AZR 215/88, NZA 1989, 633, 634. Fischermeier, in: KR, § 626 BGB Rn. 286 schlägt vor, Abmahnungen ohne Warnfunktion als Ausübung des 656

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

mahnung jedenfalls Missbilligungsfunktion zukommt. Das Vorliegen einer Missbilligung stellt letztlich nichts anderes dar als ein Unwerturteil. Außerdem hat die Abmahnung tatsächlich sanktionsähnliche Nebeneffekte, wenn sie sich etwa als Eintrag in der Personalakte beförderungshemmend auswirkt.666 bb) Insbesondere: Kündigung als drohende pönale Konsequenz? Sofern der Abmahnung ein pönaler Charakter zukommt, drängt sich die Frage auf, ob dies auch für die Kündigung gelten mag. Die Rechtsprechung nimmt an, dass eine Kündigung den Arbeitnehmer nicht mit einem besonderen Unwerturteil belastet.667 Im Schrifttum668 und sogar auch in der Rechtsprechung669 wird die Kündigung allerdings im Zuge von Sanktionsmöglichkeiten der Pflichtverletzung genannt. Das steht im Widerspruch dazu, dass eine Kündigung in der Regel gerade keine Sanktion für vergangenes Fehlverhalten darstellen, sondern nur unter Berücksichtigung einer negativen Zukunftsprognose ausgesprochen werden können soll.670 Insofern scheint eine Einordnung der Kündigung als Sanktionsmittel in Schrifttum und Rechtsprechung nicht konsequent. Vereinbaren ließe sich diese Einordnung mit dem Prognoseerfordernis lediglich dann, wenn eine Kündigung zwar als Sanktionsmittel eingesetzt wird, die allgemeinen Voraussetzungen einer rechtmäßigen Kündigung aber zugleich vorliegen.671 Ob der Kündigung tatsächlich ein pönaler Charakter zukommt, kann letztlich dahinstehen, da bereits die Möglichkeit anderer Sanktionsmittel bei arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen ausreicht. Denn ob und welche Maßnahme der Arbeitgeber ergreift, ist in der Befragungssituation, für die die Eröffnung des Schutzbereichs gerade zu diskutieren ist, nicht absehbar. Vor diesem Hintergrund muss die bloße Möglichkeit pönaler Sanktionen für die Annahme der Schutzbereichseröffnung ausreichen.672 vertraglichen Rügerechts und Abmahnungen mit Warnfunktion zur Vorbereitung einer Kündigung begrifflich zu trennen. 666 Böhm, Non Compliance, S. 231; Vossen, in: APS KSchG, § 1 Rn. 423. 667 BAG, Urteil vom 28. 04. 1982 – 7 AZR 962/79, AP BetrVG 1972 § 87 Betriebsbuße Nr. 4. 668 Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721, 722 bezeichnen die Kündigung als disziplinarische Maßnahme; Böhm, Non-Compliance, 219; die Kündigung im Rahmen des Sanktionsinstrumentariums aufzählend auch Kania, in: ErfK BetrVG, § 87 Rn. 23. 669 BAG, Urteil vom 10. 11. 1988 – 2 AzR 215/88, NZA 1989, 633: Abmahnung als mildere Sanktion gegenüber der Kündigung. 670 Eufinger, RdA 2017, 223, 227; Gottwald, S. 70. Dies hervorhebend auch BVerfG 02. 07. 2001 – 1 BVR 2049/00 AP BGB, § 626 Nr. 170. 671 Zur individualarbeitsrechtlichen Zulässigkeit dieses Vorgehens Böhm, Non-Compliance, 219. 672 Dies widerspricht auch nicht der Argumentation im Rahmen der Beweislastproblematik. Zwar ist in der Befragungssituation nicht klar, ob bzw. welche Maßnahmen der Arbeitgeber ergreifen wird. Daher wurde oben abgelehnt, die Auskunftspflicht vor dem Hintergrund be-

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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cc) Zwischenergebnis Der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit ist bei einer Arbeitnehmerbefragung auch bei der Gefahr der Selbstbezichtigung mit einer Pflichtverletzung eröffnet, da seitens des Arbeitgebers grundsätzlich pönale, d. h. sanktionierende Konsequenzen drohen können. Lediglich sofern im Einzelfall weder eine Betriebsbuße, noch eine Vertragsstrafe oder eine Abmahnung in Betracht kommt, käme es tatsächlich entscheidend darauf an, ob eine drohende Kündigung einen pönalen Charakter aufweist. Vor dem Hintergrund des Meinungsbildes in Rechtsprechung und Schrifttum ließe sich selbst das noch vertreten, sodass auch in diesen Fällen eine Schutzbereichseröffnung zu bejahen ist. b) Eingriff Ein Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit liegt auch hier durch die gesetzliche Regelung der Auskunftspflicht vor, wenn diese einen zwingenden Charakter aufweist. Wie gesehen, ist das der Fall. c) Rechtfertigung Zu überlegen ist, ob der Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit durch die gesetzlich vorgeschriebene, erzwingbare Auskunftspflicht gerichtet auf die Auskunft über eine eigene Pflichtverletzung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt und damit gerechtfertigt ist. aa) Legitimer Zweck Auch bei der Selbstbezichtigung mit einer Pflichtverletzung stellt das private Informationsinteresse des Arbeitgebers nach den allgemeinen Rechtfertigungsüberlegungen aus Abschnitt B. einen legitimen Zweck dar. bb) Geeignetheit Die Auskunftspflichten müssten zur Erreichung dieses Zwecks geeignet sein; das ist der Fall.

sonderer Beweislastregeln aus § 1 II 4 KSchG oder § 619a BGB einzuschränken. Hier geht es jedoch nicht um eine Einschränkung der Auskunftspflicht selbst, sondern lediglich um eine abstrakte Schutzbereichsfestlegung. Die Eröffnung des Schutzbereichs hängt jedoch gerade nicht davon ab, dass gewisse Sanktionen tatsächlich gezogen werden. Eine derartige ex postPerspektive ist der Schutzbereichseröffnung fremd. Anderenfalls würde nur Verhalten dem Schutzbereich unterfallen, das tatsächlich strafrechtlich geahndet wird. Derart wird der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit aber nie verstanden.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

cc) Erforderlichkeit Möglicherweise sind die Auskunftspflichten zur Erreichung dieses Zwecks nicht erforderlich. Auch zum Vergleich mit Zeugenbefragungen und technischen Überwachungsmaßnahmen im Rahmen der Erforderlichkeit der Auskunftspflicht kann auf die Einräumung einer Straftat verwiesen werden. Die Auskunft des Arbeitnehmers über eine von ihm begangene Pflichtverletzung wird grundsätzlich die ergiebigste Möglichkeit der Informationseinholung sein. Hinsichtlich der Auskunftspflicht analog § 666 Var. 2, 675 BGB könnte die höchstrichterliche Rechtsprechung relevant sein, wonach die Erfüllung der Informationspflichten aus § 666 jedenfalls dann nicht erforderlich ist, wenn feststeht, dass der Gläubiger des Informationsanspruchs auf Grund der Auskunft oder Rechenschaftslegung keinesfalls etwas fordern könnte; es sei denn, dass ausnahmsweise aus sonstigen Gründen ein Bedürfnis des Auftraggebers besteht, sich Klarheit über seine Rechtsstellung zu verschaffen.673 Diese Rechtsprechung könnte für das Arbeitsverhältnis im Zusammenhang mit den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs relevant sein. Allerdings ist mit dem Begriff der Erforderlichkeit in der zitierten Rechtsprechung nicht die Erforderlichkeit im Sinne einer Grundrechtsprüfung gemeint; gemeint sind vielmehr solche laufenden Informationen, die für die Herrschaft des Auftraggebers über die Auftragsausführung notwendig sind.674 Damit ist die Anknüpfung dieser Rechtsprechung an die Angemessenheit passender: Sofern feststeht, dass der Auftraggeber auf Grund der Auskunft keinesfalls etwas vom Auskunftsschuldner fordern könnte, fehlt dem Auftraggeber das berechtigte Interesse.675 Sein privates Informationsinteresse stellt zwar immer noch einen legitimen Zweck dar; sein Interesse ist aber nicht mehr als berechtigt und damit nicht mehr als derart hochwertig einzustufen, dass es die gegenläufigen Interessen des Arbeitnehmers überwiegen könnte. Hinsichtlich der Auskunftspflicht aus § 242 BGB ist die Auskunft auch hier nur dann erforderlich, wenn der Arbeitgeber keinen anderen Arbeitnehmer zu dessen unmittelbaren Arbeitsbereich befragen kann. dd) Angemessenheit Im Rahmen der Angemessenheit sind für die Beurteilung der Zweck-MittelRelation auch hier die betroffenen Grundrechtspositionen abstrakt zu betrachten, bevor auf diese konkret einzugehen ist und eine Abwägung stattfindet. 673 BGH, Urteil vom 16. 06. 2016 – III ZR 282/14, NJW-RR 2016, 1391, 1393, so auch Fischer, in: BeckOK BGB, § 666 Rn. 6; OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 8. 7. 2013 – 23 U 246/ 12, BeckRS 2013, 12322; OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 25. 6. 2014 – 19 U 206/13, NJW-RR 2015, 306 Rn. 14; OLG München, Endurteil vom 08. 11. 2017 – 7 U 4376/13, BeckRS 2017, 130828. 674 Martinek/Omlor, in: Staudinger BGB, § 666 Rn. 5. 675 Schäfer, in: MüKo BGB, § 666 Rn. 9.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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(1) Auskunftspflicht hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs Hinsichtlich der abstrakten Betrachtung der sich im Rahmen der Auskunftspflicht analog § 666 Var. 2, 675 BGB gegenüberstehenden Grundrechtspositionen auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite kann auf die Ausführungen im Rahmen der Selbstbelastung mit einer Straftat verwiesen werden. Danach zeichnet sich kein deutliches Überwiegen einer der beteiligten Positionen ab; der Menschenwürdegehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts streitet etwas stärker für die Position des Arbeitnehmers. Im Rahmen der konkreten Bewertung der Intensität des Eingriffs spricht wiederum gegen eine hohe Intensität, dass die Auskunftspflicht lediglich eine Reaktionspflicht des Arbeitnehmers darstellt – der Arbeitnehmer sieht sich nicht in der Situation, selbst den Anstoß für arbeitsrechtliche Konsequenzen geben zu müssen. Der Umgehungs- und Zweckentfremdungsgedanke kann hier streng genommen im Rahmen der konkreten Betrachtung noch nicht herangezogen werden, da hier kein Strafprozess droht und noch nicht geklärt ist, ob im Arbeitsgerichtsprozess eine Zweckentfremdung der Informationen oder die Umgehung eines Schweigerechts erfolgt. Allerdings würde selbst bei Annahme einer Umgehungsund Zweckentfremdungsgefahr dem damit intensiven Grundrechtseingriff ein hoher Grad an Zweckerreichung gegenüberstehen, sodass auch die konkrete Betrachtung kein eindeutiges Überwiegen ergeben würde. Im Rahmen der Abwägung der konkreten Belange könnte die bereits angesprochene Rechtsprechung zur Auskunftspflicht aus § 666 Var. 2 BGB relevant werden. Wie gesehen ist die Erfüllung der Informationspflichten aus § 666 BGB jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn feststeht, dass der Gläubiger des Informationsanspruchs auf Grund der Auskunft oder Rechenschaftslegung keinesfalls etwas fordern könnte; es sei denn, dass ausnahmsweise aus sonstigen Gründen ein Bedürfnis des Auftraggebers besteht, sich Klarheit über seine Rechtsstellung zu verschaffen.676 Das Informationsinteresse des Arbeitgebers stellt in einem solchen Fall zwar immer noch einen legitimen Zweck dar; sein Interesse ist aber nicht mehr als berechtigt und damit nicht mehr als derart hochwertig einzustufen, dass es die gegenläufigen Interessen des Arbeitnehmers überwiegen könnte. Folge wäre, dass die Interessen des Arbeitnehmers überwiegen und der Eingriff durch die gesetzlich vorgeschriebene, erzwingbare Auskunftspflicht nicht gerechtfertigt wäre – weswegen die Auskunftspflicht in dieser Konstellation abzulehnen wäre. Die Konsequenzen dieser Rechtsprechung für die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers können sich im Zusammenhang mit dem innerbetrieblichen Schadensausgleich wie folgt ergeben: Sofern dem Arbeitnehmer hinsichtlich der Pflicht-

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BGH, Urteil vom 16. 06. 2016 – III ZR 282/14, NJW-RR 2016, 1391, 1393, so auch Fischer, in: BeckOK BGB, § 666 Rn. 6; OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 08. 07. 2013 – 23 U 246/12, BeckRS 2013, 12322; OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 25. 06. 2014 – 19 U 206/13, NJW-RR 2015, 306 Rn. 14; OLG München, Endurteil vom 08. 11. 2017 – 7 U 4376/13, BeckRS 2017, 130828.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

verletzung bei betrieblich veranlasster Tätigkeit lediglich leichteste oder leichte677 Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, wäre die Möglichkeit des Arbeitgebers, vom Arbeitnehmer Schadensersatz zu fordern, nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs in der Regel ausgeschlossen. Denn bei geringer Schuld des Arbeitnehmers wird in aller Regel der Arbeitgeber die Schäden allein zu tragen haben.678 Damit wäre nach den Grundsätzen der Rechtsprechung auch ein Auskunftsanspruch ausgeschlossen, da feststünde, dass der Gläubiger des Informationsanspruchs auf Grund der Auskunft keinesfalls etwas – nämlich Schadensersatz – fordern könnte.679 Der die Auskunftspflicht einschränkenden Rechtsprechung könnte grundsätzlich entgegenzuhalten sein, dass sie das dem Wortlaut nach nur auf die Offenbarungspflicht aus § 666 Var. 1 BGB anwendbare Kriterium der Erforderlichkeit auf die übrigen Auskunftspflichten ausweitet. Dies wird zum einen deutlich daran, dass sie die Erforderlichkeit der Informationspflichten aus § 666 ablehnt. Zum anderen soll die Einschränkung der Auskunftspflicht nur geschehen, wenn feststeht, dass der Gläubiger des Informationsanspruchs auf Grund der Auskunft oder Rechenschaftslegung keinesfalls etwas fordern könnte; Auskunft oder Rechenschaftslegung betreffen gerade § 666 Var. 2 und 3 BGB. Allerdings ist das Kriterium der Erforderlichkeit nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift tatsächlich auch auf die Pflichten aus § 666 Var. 2 und 3 anzuwenden. Hintergrund der Pflichten aus § 666 Var. 1, 2 und 3 BGB ist, dem Auftraggeber die Möglichkeit zu geben, die Tätigkeit des Beauftragten zu kontrollieren.680 Diese Möglichkeit stellt ein berechtigtes Interesse des Auftraggebers dar, das nicht nur bei § 666 Var. 1 BGB, sondern auch bei § 666 Var. 2 und 3 BGB besteht. Damit ist das Kriterium der Erforderlichkeit auf § 666 Var. 2 und 3 BGB zu übertragen. Dann wäre die Angemessenheit der Auskunftspflicht hinsichtlich eigener Pflichtverletzungen zu verneinen, wenn dem Arbeitnehmer bezüglich der Pflichtverletzung lediglich leichteste Fahrlässigkeit zur Last fällt. Eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers wäre abzulehnen.

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Die Terminologie ist hier uneinheitlich; für leichte Fahrlässigkeit etwa BGH, Urteil vom 8. 12. 1971 – IV ZR 102/70, NJW 1972, 440. Für leichteste Fahrlässigkeit Henssler, in: MüKo BGB, § 619a Rn. 35, da der Begriff der leichten Fahrlässigkeit auf die gesetzliche Zweiteilung zwischen grober und leichter Fahrlässigkeit zugeschnitten sei; Maties, in: BeckOGK BGB, § 611a Rn. 1708; Reichold, in: MHdB ArbR, § 51 Rn. 41; Preis, in: ErfK BGB, § 619a Rn. 17. 678 BAG, Urteil vom 19. 03. 1959 – 2 AZR 402/55, NJW 1959, 1796. 679 Bei der Auskunft über eine begangene Straftat ergeben sich hingegen aus dieser Rechtsprechung keine Konsequenzen, da eine Haftungsbeschränkung des Arbeitnehmers nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs bei Straftaten durch den Arbeitnehmer eher fernliegt: Bei den denkbaren Straftatbeständen (s. o.) wird in der Regel die vorsätzliche Verwirklichung im Raum stehen. Daher wird diese Problematik erst im Rahmen der Auskunft über eigene Pflichtverletzungen virulent. 680 BGH, Urteil vom 16. 06. 2016 – III ZR 282/14, NJW-RR 2016, 1391, 1393; Sprau, in: Palandt, § 666 Rn. 1.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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Dieses Ergebnis wäre vor allem unter praktischen Gesichtspunkten problematisch: Dann hinge nämlich die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers davon ab, ob seinerseits leichteste oder einfache Fahrlässigkeit vorliegt. Tatsächlich würde ein derartiges Ergebnis auch außer Acht lassen, dass sich in der Konstellation einer leicht fahrlässigen Pflichtverletzung auch das Interesse des Arbeitnehmers an Selbstbelastungsfreiheit vor dem Hintergrund des innerbetrieblichen Schadensausgleichs reduziert. Denn wenn hiernach bei leichtester Fahrlässigkeit kein Schadensersatzanspruch droht, ist auch das Interesse des Arbeitnehmers an Selbstbelastungsfreiheit geringer. Insofern sind die Interessen der Arbeitsvertragsparteien gleichermaßen reduziert; im Ergebnis bleibt die Berücksichtigung des innerbetrieblichen Schadensausgleichs für das Verhältnis der widerstreitenden Interessen folgenlos. Nach dem Ergebnis der allgemeinen Rechtfertigungsüberlegungen kann das private Informationsinteresse des Arbeitgebers mithin überwiegen; die Angemessenheit ist nicht aufgrund jüngerer Rechtsprechung zu § 666 BGB einzuschränken. Ob eine Ergänzung um ein zivilprozessuales Beweisverwertungsverbot notwendig ist, ist gesondert zu klären. Eine Verneinung der Angemessenheit wegen der notwendigen Ergänzung um ein strafprozessuales Beweisverwertungsverbot ist obsolet bei der bloßen Auskunft über Pflichtverletzungen, die keine Straftaten darstellen. Im Ergebnis ist damit der Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit durch § 666 Var. 2, 675 BGB analog bei Selbstbezichtigung mit einer Pflichtverletzung gerechtfertigt, sofern die Auskunftspflicht nicht um ein zivilprozessuales Beweisverwertungsverbot zu ergänzen ist. (2) Auskunftspflicht hinsichtlich des mittelbaren Arbeitsbereichs Zu überlegen ist außerdem, ob das Mittel der Auskunftspflicht aus § 242 BGB angemessen ist. Im Rahmen der abstrakten Betrachtung ist wie im Rahmen der Selbstbezichtigung mit einer Straftat zu berücksichtigen, dass die Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers ausfällt, da auf seiner Seite das gewichtigere allgemeine Persönlichkeitsrecht in zweierlei Hinsicht steht: Neben die Selbstbelastungsfreiheit als Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts tritt das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Schutz der Privatsphäre (s. o. Abschnitt C. dieses Kapitels, I. 3. c) (ee) (2), S. 179 f.). Auch in der Abwägung muss die zusätzliche Belastung des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, im Rahmen der Auskunftspflicht Informationen preiszugeben, die der Privatsphäre angehören. Wie bei der Auskunft über eine im mittelbaren Arbeitsbereich begangene Straftat steht der Angemessenheit der Schutz der Privatsphäre als anderweitige, zusätzliche Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entgegen.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

d) Ergebnis Der Arbeitnehmer muss Fragen des Arbeitgebers zum unmittelbaren Arbeitsbereich beantworten, auch wenn er dabei selbst eigene Pflichtverletzungen einräumt. Ob die Auskunftspflicht um ein zivilprozessuales Beweisverwertungsverbot zu ergänzen ist, ist gesondert zu klären. Fragen des Arbeitgebers zum mittelbaren Arbeitsbereich hat der Arbeitnehmer auch dann nicht zu beantworten, wenn er damit eine eigene Pflichtverletzung einräumt.

III. Fazit zur Auskunftspflicht des Arbeitnehmers in der Befragungssituation Für den unmittelbaren Arbeitsbereich des Arbeitnehmers besteht eine umfassende Auskunftspflicht, auch wenn sich der Arbeitnehmer damit einer Straftat oder einer Pflichtverletzung unterhalb der Strafbarkeitsschwelle bezichtigt. Die Auskunftspflicht als solche bleibt damit auch vor dem Hintergrund der Selbstbelastungsgefahr unberührt681. Der Auskunftsinhalt darf allerdings in einem Strafverfahren nicht verwertet werden; ob eine Verwertung im Zivilprozess zulässig ist, ist noch zu klären (siehe hierzu 4. Teil 2. Kap. Abschnitt B. und C., S. 269 ff.). Mit diesem Ergebnis drängt sich die Frage auf, ob dann nicht Maßnahmen zur Aufdeckung von Fehlverhalten obsolet sind, da der Arbeitgeber den Arbeitnehmer hierzu einfach befragen könnte. Die Auskunftspflicht führt jedoch nicht dazu, dass Ermittlungsmaßnahmen wie z. B. E-Mail-Screening oder Videoüberwachung entbehrlich werden. Denn mit der Auskunftspflicht ist noch nicht gesagt, dass Arbeitnehmer dieser Verpflichtung auch nachkommen. Für den mittelbaren Arbeitsbereich besteht keine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers bei Gefahr der Selbstbezichtigung mit einer Straftat oder Pflichtverletzung. Insgesamt sind damit Straftaten und Pflichtverletzungen gleich zu behandeln. Dieses Gleichauf ist aus praktischen Gründen sinnvoll, da anderenfalls eine Differenzierung der Auskunftspflichten je nach Art des vorwerfbaren Verhaltens vorzunehmen wäre, was praktisch kaum möglich wäre.682 Differenzierungsschwierigkeiten bleiben allerdings bei dieser Lösung nicht vollständig aus: Die Auskunftspflicht trifft den Arbeitnehmer nämlich wie gesehen nur lediglich hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs. Den Zusammenhang 681 Das gilt auch für den Fall, dass der Arbeitgeber vor der Befragung die Nichtahndung etwaiger Verfehlungen „zusichert“. Denn wie noch zu zeigen sein wird, ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, auf bekannt gewordenes Fehlverhalten zu reagieren (siehe hierzu 3. Teil), sodass eine derartige „Zusicherung“ nicht verbindlich erteilt werden kann. 682 Abgrenzungsschwierigkeiten derselben Art werden auch im Rahmen der datenschutzrechtlichen Anforderungen vermieden, wenn von einem Gleichauf zwischen Straftat und Pflichtverletzung ausgegangen wird, siehe oben Teil 2.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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mit der vertraglich geschuldeten Tätigkeit als Abgrenzungskriterium683 zwischen dem unmittelbaren und mittelbaren Arbeitsbereich und damit zwischen einer umfassenden und einer eingeschränkten Auskunftspflicht bei Gefahr der Selbstbelastung heranzuziehen, scheint jedoch ein auch in der Praxis handhabbarer Lösungsansatz zu sein.684

IV. Ergebnisvereinbarkeit mit Verdachtskündigung? Das Ergebnis der umfassenden Auskunftspflicht analog §§ 666 Var. 2, 675 BGB auch für den Fall der Selbstbelastung wäre allerdings zu überdenken, sofern es im Widerspruch zu geltenden rechtlichen Grundsätzen stünde. Denn die Vermeidung von Widersprüchen ist die wichtigste analytische Aufgabe der Rechtswissenschaft.685 Im Zusammenhang mit einer umfassenden Auskunftspflicht drängen sich in Bezug auf Widerspruchsfreiheit zur bestehenden Möglichkeit der Verdachtskündigung mehrere Fragen auf. 1. Generelle Entbehrlichkeit der Verdachtskündigung infolge der Auskunftspflicht? Das Ergebnis einer umfassenden Auskunftspflicht zum unmittelbaren Arbeitsbereich könnte hinsichtlich seiner Richtigkeit anzuzweifeln sein, wenn dieses Ergebnis dazu führen würde, dass das Instrument der Verdachtskündigung seinen Anwendungsbereich verliert. Die Möglichkeit der Verdachtskündigung wurde bereits von der Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts gesehen686 und vom Bundesarbeitsgericht übernommen.687 Seitdem hat sich die Verdachtskündigung in der Arbeitswelt als Gestaltungsinstrument etabliert. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Verdachtskündigung wurde durch das Bundesverfassungsgericht auch nie infrage gestellt.688 Sie ist aus dem arbeitsrechtlichen Werkzeugkasten nicht mehr wegzudenken.689 683 Zu diesem Kriterium bereits oben Böhm, WM 2009, 1923; Bernhardt/Bullinger, CB 2016, 205, 207; Diller, DB 2004, 313. 684 Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1706 geben hingegen zu bedenken, dass die Abgrenzung zwischen Ermittlungen, die sich auf den Arbeitsbereich des betreffenden Mitarbeiters beziehen, und solchen, die diesen Bereich verlassen, nicht immer einfach sei. Ähnlich Kraus, S. 85. 685 Röhl, Rechtslehre, § 18 S. 154. 686 Zur erstmaligen Annahme einer wirksamen Verdachtskündigung RAG, Urteil vom 24. 06. 1934 – RAG 318/33, ARS 21, 145, 147; zur vorherigen Entwicklung der Verdachtskündigung in der Rechtsprechung Lembke, RdA 2013, 82, 83. 687 BAG, Urteil vom 12. 05. 1955 – 2 AZR 77/53, BeckRS 1955, 102198. 688 BVerfG, Beschluss vom 15. 12. 2008 – 1 BvR 347/08, BeckRS 2011, 87024; BVerfG, Beschluss vom 4. 11. 2008 – 1 BvR 2587/06, NZA 2009, 53.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Das Instrument der Verdachtskündigung könnte allerdings entbehrlich sein, wenn man eine umfassende Auskunftspflicht des Arbeitnehmers annimmt. Denn wenn der Arbeitnehmer auf Fragen des Arbeitgebers ohnehin antworten muss und dieser Pflicht nachkommt, wird sich der Sachverhalt für den Arbeitgeber eindeutig und nicht mehr nur im Sinne eines Verdachts darstellen. Dann wiederum stünde die Frage im Raum, wieso sich die Möglichkeit der Verdachtskündigung überhaupt wie geschehen entwickeln und etablieren konnte. Schließlich wäre sie obsolet bei einer Auskunftspflicht des Arbeitnehmers, die keinen Raum für den bloßen Verdacht lässt. Gleichermaßen wäre die Verdachtskündigung obsolet, wenn den Arbeitnehmer die Auskunftspflicht trifft, er schweigt und der Arbeitgeber ihn daraufhin wegen der Pflichtverletzung in Form des Schweigens kündigen kann. Die Verdachtskündigung ist letztlich jedoch aus mehreren Gründen nicht entbehrlich, auch wenn eine umfassende Auskunftspflicht hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs besteht. Die Verdachtskündigung verliert nicht ihren Anwendungsbereich. Zum einen ist naheliegend, dass ein Arbeitnehmer gegen die Auskunftspflicht verstößt und seine Auskunft nicht der Wahrheit entspricht. In dieser Situation bleibt es trotz der Auskunftspflicht bei einem Tatverdacht. Zum anderen gilt die Auskunftspflicht nicht im mittelbaren Arbeitsbereich. Für diese Fälle ist das Instrument der Verdachtskündigung nach wie vor erforderlich. Außerdem ist fraglich, ob die Auskunft des Arbeitnehmers aus der Befragung im Zivilverfahren verwertet werden darf (siehe 4. Teil), sodass der Arbeitgeber auf die Informationen u. U. nicht zurückgreifen darf. Bei Unverwertbarkeit der Informationen zur Tatbegehung besteht dieselbe Situation wie bei einem bloßen Verdacht, sodass auch hier die Verdachtskündigung Anwendung finden könnte. Schließlich ist auch die Konstellation denkbar, dass der Arbeitnehmer seiner Auskunftspflicht im unmittelbaren Arbeitsbereich schlichtweg nicht nachkommt und dem Arbeitgeber neben der Klage auf Auskunft Raum für eine Verdachtskündigung bleibt. Die Annahme einer Auskunftspflicht analog § 666 Var. 2, 675 BGB führt vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht dazu, dass die Verdachtskündigung gänzlich obsolet wird. 2. Widerspruch zwischen unterschiedlich ausgestalteten Mitwirkungspflichten? Die Annahme einer umfassenden Auskunftspflicht hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs könnte allerdings zu hinterfragen sein, wenn eine Auskunftspflicht bei der Anhörung für eine Verdachtskündigung abgelehnt wird, die Rechtfertigungsprüfung des Eingriffs durch die eigentlich auch im Rahmen der Anhörung analog § 666 Var. 2, 675 BGB bestehende Auskunftspflicht aber keine zusätzlichen Aspekte aufweist, die den Eingriff ungerechtfertigt erscheinen lassen könnten. Dann 689 Eylert, NZA-RR 2014, 393, 396; zur umfassenden Billigung der Verdachtskündigung in Rechtsprechung und Schrifttum Fischermeier, in: KR, § 626 BGB Rn. 235 f.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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wäre es widersprüchlich, in der Befragungssituation eine Auskunftspflicht anzunehmen, in der Anhörungssituation jedoch eine Auskunftspflicht abzulehnen. a) Problemdarstellung Bei der Anhörung des Arbeitnehmers zur Verdachtskündigung muss sich der Arbeitnehmer nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum zu den Vorwürfen im Rahmen der Anhörung nicht äußern. Der Arbeitnehmer kann sich im Rahmen einer notwendigen Anhörung vor Ausspruch einer beabsichtigten Verdachtskündigung auf Vorwürfe substanziiert einlassen und aktiv an der Aufklärung mitwirken oder schweigen.690 Zwar findet sich in der älteren arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung der Ausdruck der Mitwirkungspflicht; diese wird jedoch auch dort derart verstanden, dass der Arbeitnehmer zu den Vorwürfen schweigen darf.691 Gegen eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers und für ein Schweigerecht im konkreten Anhörungstermin spricht auch die Praxis, dass der Arbeitgeber, sofern der Arbeitnehmer sich äußern will, aber noch Vorbereitungszeit braucht, einen neuen Anhörungstermin ansetzen muss.692 Das wäre nicht nachvollziehbar, sofern der Arbeitnehmer sich in der Anhörungssituation äußern müsste. Ferner spricht für ein Schweigerecht, dass ein solches Voraussetzung für die in Schrifttum und Rechtsprechung geführte Diskussion ist, ob eine Präklusionswirkung bezüglich entlastender, durch den Arbeitnehmer verschwiegener Tatsachen besteht.693 Damit ist in der Anhörung zu einer Verdachtskündigung keine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers anzunehmen. Im Gegensatz dazu ist in der Befragungssituation eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers jedenfalls hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs nach dem obigen Ergebnis anzunehmen. b) Widerspruchsfreiheit zwischen Schweigerecht und Auskunftspflicht Die bisher wohl unumstrittene Ansicht, dass den Arbeitnehmer in der Anhörungssituation keine Auskunftspflicht trifft – und damit auch keine Auskunftspflicht aus § 666 Var. 2 BGB – steht zur Auskunftspflicht in der Befragungssituation dann nicht im Widerspruch, wenn ein durch die gesetzliche Auskunftspflicht bestehender 690 BAG, Urteil vom 20. 03. 2014 – 2 AZR 1037/12, NJW 2014, 2289, 3391 Rn. 25; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 30. 06. 2009 – 22 Sa 5/09, BeckRS 2009, 73044; Fischer, BB 2003, 522, 524, Hoefs, Verdachtskündigung, S. 207; Niemann, in: ErfK BGB, § 626 Rn. 178c; Toma/Reiter, NZA 2015, 460, 461; Strobel, S. 117; Tscherwinka, FS I. Roxin, S. 521, 528. Der Arbeitnehmer soll sogar nicht verpflichtet sein, an der Anhörung teilzunehmen, Eylert, NZARR 2014, 393, 403. 691 Ein derartiges Verständnis ergibt sich daraus, dass das Bundesarbeitsgericht lediglich ausführt, der Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht führe lediglich zu einer Verstärkung der Verdachtsmomente, BAG, Urteil vom 15. 5. 1986 – 2 AZR 397/85, BeckRS 1980, 42552. 692 Dzida, NZA 2013, 412, 414; Eylert, NZA-RR 2014, 393, 403. 693 Zur Präklusion von Entlastungstatsachen Hergenröder, in: Müko BGB KSchG, § 1 Rn. 187; Toma/Reiter, NZA 2015, 460.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit in der Anhörungssituation nicht gerechtfertigt ist und der Arbeitnehmer daher in der Anhörungssituation schweigen darf. Nach der Auskunftspflicht analog § 666 Var. 2, 675 BGB wäre der Arbeitnehmer auch in der Anhörungssituation zur Auskunft verpflichtet, hierin läge ein Eingriff in den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit. Allerdings gestaltet sich in dieser Situation die Rechtfertigung abweichend zur üblichen Befragungssituation: Das private Informationsinteresse des Arbeitgebers stellt in der Anhörungssituation zur Verdachtskündigung nämlich keinen legitimen Zweck dar. Denn die Anhörung dient zwar dem Zweck der Aufklärung; hiermit ist jedoch ein anderer Aufklärungszweck gemeint als in der Befragungssituation. Die Anhörung im Rahmen der Verdachtskündigung dient allein der Aufklärung im Interesse des Arbeitnehmers; sie hat den Sinn, dem Arbeitnehmer Gelegenheit zu geben, sich zu entlasten; nicht, sich zu belasten.694 Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte Tatsachen zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen zu bezeichnen.695 Die Anhörung ist ein Gebot der Verhältnismäßigkeit und ohne Anhörung die Kündigung nicht ultima ratio.696 Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen; allein um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung des Arbeitnehmers abverlangt.697 Damit trifft den Arbeitgeber in der Anhörungssituation genau genommen eine Anhörungspflicht, die sich aus der mittelbaren Drittwirkung des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) ergibt.698 Vor diesem Hintergrund lässt sich auch das Schweigerecht des Arbeitnehmers in der Anhörungssituation begründen: Denn Art. 103 I GG begründet zwar ein Recht, kennt aber keine Pflicht zur Äußerung.699 Das private Informationsinteresse kann in der Situation der Anhörung zur Verdachtskündigung auch aus einem anderen Grund keinen legitimen Zweck darstellen: Es kann nicht Sache des Arbeitnehmers sein, Tatsachen einzugestehen, für die der Arbeitgeber den Nachweis zu erbringen hat; das würde den anerkannten Darlegungsund Beweislastregeln zuwiderlaufen.700 Der Arbeitnehmer kann nicht gezwungen

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Ebeling, S. 174; Toma/Reiter, NZA 2015, 460, 465. BAG, Urteil vom 28. 11. 2007 – 5 AZR 952/06, NZA-RR 2008, 344, 346; Eylert, NZARR 2014, 393, 401 f.; Fischer, BB 2003, 522; Niemann, in: ErfK BGB, § 626 Rn. 178; Vossen, in: APS, § 626 BGB Rn. 349. 696 BAG, Urteil vom 20. 03. 2014 – 2 AZR 1037/12, NJW 2014, 3389, 3391; Ebeling, S. 160; Eylert/Friedrichs, DB 2007, 2203; Toma/Reiter, NZA 2015, 460, 461. 697 BAG, Urteil vom 13. 03. 2008 – 2 AZR 961/06, NZA 2008, 809 Rn. 15. 698 Lembke, RdA 2013, 82, 87; zum rechtlichen Gehör, wenn auch ohne ausdrücklichen Bezug zu Art. 103 I GG Ebeling, S. 169. 699 Nolte, in von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 103 Abs. 1 Rn. 37; Remmert, in: Maunz/ Dürig GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 63. 700 Ebeling, S. 174. 695

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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sein, dem Arbeitgeber sonstiges, neues Tatsachenmaterial zu liefern, um dessen Kündigung „wasserdicht“ oder „schlüssig“ zu machen.701 Vor diesem Hintergrund muss in der Anhörungssituation zur Verdachtskündigung die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit mangels legitimen Zwecks abgelehnt werden. Der hoheitliche Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit durch die gesetzlich vorgesehene, erzwingbare Auskunftspflicht analog § 666 Var. 2, 675 BGB ist nicht gerechtfertigt. Methodisch lässt sich mangels Rechtfertigung die analoge Anwendung von §§ 666 Var. 2, 675 BGB für die Anhörungssituation ausnahmsweise ablehnen. Die damit unterschiedlich ausgestalteten Mitwirkungspflichten in der Befragungs- und Anhörungssituation stellen aufgrund des unterschiedlichen Rechtfertigungsergebnisses keinen Widerspruch dar. c) Ergebnis Die Annahme eines Schweigerechts des Arbeitnehmers in der Anhörungssituation und die Annahme einer Auskunftspflicht hinsichtlich des unmittelbaren Arbeitsbereichs in der Befragungssituation lassen sich methodisch unterschiedlich begründen und widersprechen sich daher nicht notwendigerweise. Eine andere Frage ist jedoch, ob diese unterschiedlichen Pflichten in der Praxis in Widerspruch zueinander geraten; hierauf ist im unmittelbaren Anschluss einzugehen. 3. Widerspruch bei Schweigen als Kündigungsgrund? a) Problemdarstellung Im Zusammenhang mit dem Schweigerecht des Arbeitnehmers in der Anhörungssituation ergibt sich ferner die Problematik, welche Folgen der Arbeitnehmer zu fürchten hat, der sich – sei es in der Befragungssituation oder in der Anhörungssituation – nicht äußert. Äußert sich der Arbeitnehmer in der Befragungssituation nicht, wird teilweise vertreten, der Arbeitgeber könne unter Umständen den Arbeitnehmer nach entsprechender Abmahnung702 wegen der Pflichtverletzung in Form unterlassener Auskunft ordentlich oder auch außerordentlich kündigen.703 701 BAG, Urteil vom 23. 10. 2008 – 2 AZR 483/07, NJW 2009, 1897; LAG Berlin Brandenburg, BeckRS 2014, 70294. So auch Ebeling, S. 174; Eylert, NZA-RR 2014, 393, 401, Kempter/Steinat, NZA 2017, 1505, 1511. Zur Beweislastproblematik siehe unmittelbar im Anschluss sowie Teil 4. 702 Diese könnte u. U. sogar entbehrlich sein, wenn die Befragungssituation gerade zur Aufdeckung schwerwiegender anderer Pflichtverletzungen wie Straftaten des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis besteht. 703 Diese Möglichkeit nach entsprechender Abmahnung bejahend Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1707; Grützner, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 383;

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

In der Anhörungssituation hingegen hätte das Schweigen des Arbeitnehmers auf die Möglichkeit der Verdachtskündigung keinen Einfluss.704 Der Arbeitgeber könnte den Arbeitnehmer dann nur ordentlich oder außerordentlich705 kündigen, wenn er seinen dringenden Verdacht706 auf konkrete Tatsachen707 stützt und der Verdacht bei Bestätigung einen Kündigungsgrund darstellen würde, d. h. der Verdacht muss sich auf eine erhebliche Verfehlung des Arbeitnehmers in Form einer strafbaren Handlung oder schwerwiegenden Vertragsverletzung beziehen.708 An das Schweigen in der Anhörungssituation kann der Arbeitgeber die Verdachtskündigung gerade nicht knüpfen. Angesichts dieser unterschiedlichen Konsequenzen des Schweigens stellt sich zum einen die Frage, ob sich Befragungs- und Anhörungssituation stets trennen lassen sowie zum anderen, ob bei Trennung von Befragung und Anhörung der Arbeitgeber wirksam wegen unterlassener Auskunft kündigen kann. Bereits die Frage, ob sich Anhörungs- und Befragungssituation trennen lassen, scheint nicht geklärt. Teilweise wird vertreten, Befragungs- und Anhörungssituation seien stets zu trennen.709 Andere Stimmen gehen von einer gemeinsamen DurchLützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19, 24. Nicht eindeutig in Auseinandersetzung mit der Verdachtskündigung Dendorfer-Ditges, in: MHdB ArbR, § 35 Rn. 125; Schrader/Mahler, NZA-RR 2016, 57, 63. A. A. Maschmann, NZA-Beil. 2012, 50, 56: Der schweigende Mitarbeiter darf nicht allein wegen seiner „Nichtkooperation“ sanktioniert werden. 704 Dass das Schweigen selbst einen hinreichenden Verdacht im Sinne der Verdachtskündigung liefern kann, ist auszuschließen, Ebeling, S. 173; Fischer, BB 2003, 522, 524; Maschmann, Mitarbeiterkontrolle, S. 174 f., der allerdings zwischen präventiven und repressiven Befragungen differenziert. 705 Für die ordentliche Verdachtskündigung gelten insoweit keine geringeren Anforderungen als an die außerordentliche Verdachtskündigung; die Verdachtskündigung ist auch als ordentliche Kündigung nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten, BAG, Urteil vom 18. 6. 2015 – 2 AZR 256/14, NZA 2016, 287, Rn. 22. 706 Ein dringender Verdacht liegt vor, wenn eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass er zutrifft; die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte, BAG, Urteil vom 18. 6. 2015 – 2 AZR 256/14, NZA 2016, 287 Rn. 21. Zum Erfordernis des dringenden Verdachts auch BAG, Urteil vom 20. 6. 2013 – 2 AZR 546/12, NZA 2014, 143 Rn. 14; BAG, Urt. v. 21. 6. 2012 – 2 AZR 694/11, NZA 2013, 199 Rn. 24; BAG, Urteil vom 10. 2. 2005 – 2 AZR 189/04, NZA 2005, 1056, 1059; Eylert/Friedrichs, DB 2007, 2203; Fischermeier, in: KR, § 626 BGB Rn. 227; Niemann, in: ErfK BGB, § 626 Rn. 177a); Rachor, in: MHdB ArbR, § 126 Rn. 4. 707 Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen des Arbeitgebers reichen nicht aus, BAG, Urteil vom 18. 06. 2015 – 2 AZR 256/14, NZA 2016, 287 Rn. 21; BAG, Urteil vom 20. 6. 2013 – 2 AZR 546/12, NZA 2014, 143 Rn. 14; BAG, Urteil vom 10. 02. 2005 – 2 AZR 189/04, NZA 2005, 1056, 1058. 708 Urteil vom 27. 11. 2008 – 2 AZR 98/07, NZA 2009, 604 Rn. 22; Fischermeier, in: KR, § 626 BGB Rn. 227; Rachor, in: MHdB ArbR, § 126 Rn. 3. 709 Dzida/Klopp, ArbRB 2017, 116, 117: Befragung und Anhörung zur Verdachtskündigung sollen hinsichtlich ihrer rechtlichen „Spielregeln“ zu trennen sein, aber auch: Zulässigkeit

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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führungsmöglichkeit von Befragung und Anhörung aus.710 Tatsächlich muss eine gemeinsame Durchführungsmöglichkeit schon daran scheitern, dass den Arbeitnehmer in Befragungs- und Anhörungssituation unterschiedliche Pflichten treffen (s. o.). Anderenfalls würde sich die unmöglich zu beantwortende Frage stellen, ob der Arbeitnehmer in dieser Situation schweigen darf oder nicht: Sofern auf die Befragungskomponente abgestellt wird, dürfte er nicht schweigen und würde mit seinem Schweigen u. U. sogar einen eigenständigen Kündigungsgrund liefern. Stellt man auf die Anhörungskomponente ab, dürfte er schweigen. Richtigerweise können Befragung und Anhörung daher nicht zeitgleich durchgeführt werden. Auch bei zeitlicher Trennung bleibt die Frage bestehen, ob der Arbeitgeber nach vorheriger Abmahnung wegen unterlassener Auskunft in der Befragung kündigen kann.711 Soweit diese Problematik im Schrifttum gesondert diskutiert wird, wird eine derartige Kündigungsmöglichkeit überwiegend bejaht.712 Dieses Ergebnis überrascht auf den ersten Blick nicht, da in der Befragungssituation gerade eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers analog 666 Var. 2, 675 BGB besteht und die unterschiedlichen Rechtfertigungsmöglichkeiten dieser Auskunftspflicht im Vergleich zur Anhörungssituation bei der Verdachtskündigung gerade keinen Widerspruch ergeben (siehe oben S. 196 ff.). Spricht der Arbeitgeber nach erfolgloser Befragung des Arbeitnehmers eine ordentliche oder außerordentliche Verdachtskündigung aus, müsste er deren Voraussetzungen einhalten, damit die Kündigung wirksam ist: er müsste einen dringenden Verdacht, d. h. eine große Wahrscheinlichkeit des Fehlverhaltens darlegen, diesen auf konkrete Tatsachen stützen können und der Verdacht sich auf eine erhebliche Verfehlung des Arbeitnehmers in Form einer strafbaren Handlung oder schwerwiegenden Vertragsverletzung beziehen.713 Könnte der Arbeitgeber hingegen allein auf das Schweigen in der Befragungssituation als Kündigungsgrund zurückgreifen und eine wirksame Kündigung ausdes nahtlosen Übergangs, sofern Anforderungen an die Verdachtskündigung gewahrt werden; Gottwald, S. 75; Mengel, NZA 2017, 1494, 1498; ebenso Bayreuther im Rahmen eines Vortrags zu aktuellen Entwicklungen im Kündigungsrecht am 25. 09. 2017 an der Universität Mannheim. 710 Eufinger, DB 2016, 471, 475; Haußmann/Merten, NZA 2015, 258, 260; Knierim/ Tsambikakis/Klug, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 7 Rn. 27; Reinhardt/Kaindl, CB 2017, 201, 212; Rübenstahl, WiJ 2012, 17, 26; wohl auch Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2375. 711 Vereinzelt wird angemerkt, hierbei handele es sich aus der Sicht des Betroffenen um eine für ihn belanglose Frage der dogmatischen Konstruktion, ob der Grund für die Kündigung die Verletzung der vertraglichen Auskunftspflicht ist oder ob es um eine Kündigung wegen des Verdachts einer Pflichtverletzung geht, Greco/Caracas, NStZ 2015, 7, 9. Das ist angesichts der unterschiedlichen Voraussetzungen von Verdachts- und Tatkündigung nicht richtig. 712 Ohne Begründung diese Möglichkeit nach entsprechender Abmahnung bejahend Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1707; Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19, 24. Nicht eindeutig in Auseinandersetzung mit der Verdachtskündigung Dendorfer-Ditges, in: MHdB ArbR, § 35 Rn. 125; Schrader/Mahler, NZA-RR 2016, 57, 63. 713 Siehe zu den Voraussetzungen der Verdachtskündigung bereits Fn. 705 ff.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

sprechen, müssten die Voraussetzungen der Verdachtskündigung nicht gewahrt werden714. Sofern es dem Arbeitgeber zumutbar wäre, trotz Schweigens das Arbeitsverhältnis noch bis Ablauf der Kündigungsfrist weiterzuführen, käme für den Arbeitgeber immerhin eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung wegen Schweigens in Betracht. Ob eine Tatkündigung wegen Schweigens in der Befragungssituation derart unproblematisch zulässig sein kann, lässt sich jedoch vor dem Hintergrund bezweifeln, dass auch hinter dieser Kündigung eigentlich der ursprüngliche Verdacht eines Fehlverhaltens steht. Aufgrund des Verdachts eines Fehlverhaltens wird der Arbeitnehmer befragt. Schweigt der Arbeitnehmer bei der Befragung, wird der Kündigungsentschluss des Arbeitgebers tatsächlich auf den ursprünglichen Verdacht des Fehlverhaltens zurückzuführen sein, der sich u. U. durch das Schweigen verstärkt. Mit der unterlassenen Auskunft wird in der Regel keine gesonderte Rechtsgutsverletzung des Arbeitgebers einhergehen. Ein eigener, gegen den Arbeitgeber gerichteter Verletzungswert kann dem Schweigen lediglich in Ausnahmefällen zukommen, wenn zu erwarten ist, dass aufgrund des Schweigens in Zukunft mit materiellen Schäden auf Arbeitgeberseite zu rechnen ist, sich also eine Pflichtverletzung in tatsächlicher Hinsicht in dem Schweigen fortsetzt. Ist das nicht der Fall, betrifft die mit dem Schweigen begangene Pflichtverletzung tatsächlich lediglich die Vertrauensebene der Arbeitsvertragsparteien. Gerade diese Konstellation, dass eine Kündigung wegen fehlenden Vertrauens ausgesprochen werden kann, erfasst aber die Verdachtskündigung. Deren Anforderungen würden umgangen, könnte der Arbeitgeber die Kündigung ohne Weiteres an das Schweigen in der Befragungssituation knüpfen. b) Anpassung der Kündigungsvoraussetzungen als Problemlösung Bestünde die Möglichkeit der Tatkündigung wegen Schweigens, wäre jedem Arbeitgeber anzuraten, bei Bestehen einer Auskunftspflicht im unmittelbaren Arbeitsbereich auf die höheren Anforderungen unterliegende Möglichkeit der Verdachtskündigung vollends zu verzichten und auf eine Kooperation des Arbeitnehmers zu hoffen bzw. bei Schweigen nach entsprechender Abmahnung eine Tatkündigung auszusprechen. Der hinter dieser Tatkündigung stehende Verdacht einer Pflichtverletzung würde nicht länger die Anforderungen einer Verdachtskündigung nach sich ziehen. Eine sachgerechte Lösung lässt sich erreichen, indem beide Fälle (Tatkündigung wegen Schweigens und Verdachtskündigung) denselben Voraussetzungen unterstellt werden. 714 Von dieser Prämisse scheinen die Stimmen auszugehen, die annehmen, der Arbeitgeber könne wegen unterlassender Auskunft kündigen, etwa Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1707; Grützner, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 383; Lützeler/ Müller-Sartori, CCZ 2011, 19, 24.

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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Für die außerordentliche Tatkündigung wegen Schweigens in der Befragungssituation würde das bedeuten, dass auf der ersten Stufe das bloße Schweigen als Kündigungsgrund an sich nicht ausreichen kann. Die Grundsätze der Verdachtskündigung müssten auf den Kündigungsgrund derart ausstrahlen, dass das Schweigen lediglich dann einen Kündigungsgrund an sich darstellt, wenn ein dringender, auf Tatsachen gestützter Verdacht einer erheblichen Verfehlung des Arbeitnehmers in Form einer strafbaren Handlung oder schwerwiegenden Vertragsverletzung vorliegt. In der zweiten Stufe wäre dann zu prüfen, ob dem Arbeitgeber wegen dieses Verdachts die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar ist. Auf eine zusätzliche Anhörung des Arbeitnehmers als eigentliche Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung käme es hingegen nicht an: Die Anhörung wird entbehrlich, wenn der Arbeitgeber aufgrund des Verhaltens des Arbeitnehmers davon ausgehen darf, dieser werde nichts zur Aufklärung beitragen.715 Im Rahmen einer ordentlichen Tatkündigung wegen Schweigens wäre ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Form des Schweigens gegeben. Allerdings müsste nach dem Prognoseprinzip hierin auch ein Verhalten liegen, das zu konkreten Störungen des Arbeitsverhältnisses führt, die auch in Zukunft zu befürchten wären. Diese Voraussetzung scheint bei Anknüpfen an das Schweigen selbst zweifelhaft, wenn der Arbeitnehmer erstmalig an einer Befragung teilnahm und schwieg. Auch hier wird deutlich, dass eigentlicher Anknüpfungspunkt einer ordentlichen Kündigung wegen Schweigens das in den Arbeitnehmer gesetzte, beeinträchtigte Vertrauen ist. Dieser Vertrauensverlust ließe sich wiederum nicht im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung berücksichtigen, sondern lediglich mit einer (ordentlichen) Verdachtskündigung,716 für die wiederum dieselben Anforderungen hinsichtlich des Verdachts gelten wie für die außerordentliche Verdachtskündigung. Vor diesem Hintergrund müsste auch bei einer ordentlichen Kündigung wegen Schweigens der dringende, auf Tatsachen gestützte Verdacht einer erheblichen Verfehlung des Arbeitnehmers in Form einer strafbaren Handlung oder schwerwiegenden Vertragsverletzung vorliegen. Die Notwendigkeit einer Anpassung der Kündigungsvoraussetzungen im Sinne der Verdachtskündigung wird auch in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts angedeutet. Das Bundesarbeitsgericht entschied im Jahr 2008717, dass eine fehlende Mitwirkung des Arbeitnehmers eine Kündigung nicht rechtfertigen könne. Im Zuge dessen äußerte sich das Bundesarbeitsgericht auch dahingehen, dass der Arbeitnehmer sich weder selbst belasten müsse (vgl. Ebeling, Die Kündigung wegen Verdachts, S. 173 f.; Fischer, BB 2003, 522), noch könne er gezwungen werden, dem 715 Zur Überflüssigkeit der Anhörung BAG, Urteil vom 20. 03. 2014 – 2 AZR 1037/12, NZA 2014, 1015 Rn. 25; BAG, Urteil vom 13. 03. 2008 – 2 AZR 961/06, NZA 2008, 809 Rn. 16; Eylert, NZA-RR 2014, 393, 404. 716 Zur ordentlichen Verdachtskündigung als personenbedingte Kündigung Griebeling/ Rachor, in: KR, 11. Aufl., § 1 KSchG Rn. 393a; Vossen, in: APS, § 626 Rn. 369. 717 BAG, Urteil vom 23. 10. 2008 – 2 AZR 483/07, NZA-RR 2009, 362 Rn. 32.

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2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Arbeitgeber Tatsachenmaterial zu liefern, um dessen Kündigung „schlüssig“ zu machen (vgl. Ebeling, Die Kündigung wegen Verdachts, S. 174). Insofern deutet das Bundesarbeitsgericht eine Parallele zwischen den Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung und eine Kündigung des Arbeitnehmers wegen unterlassener Mitwirkung an. c) Ergebnis Dass der Arbeitgeber bei Schweigen des Arbeitnehmers in der Befragungssituation ohne Weiteres eine Kündigung anknüpfend an das Schweigen als Pflichtverletzung aussprechen kann, überzeugt nicht. Spricht der Arbeitgeber aufgrund des Schweigens in der Befragung eine ordentliche Tatkündigung aus, muss ein dringender, auf Tatsachen gestützter Verdacht einer erheblichen Verfehlung des Arbeitnehmers in Form einer strafbaren Handlung oder schwerwiegenden Vertragsverletzung vorliegen. Spricht der Arbeitgeber wegen des Schweigens eine außerordentliche Tatkündigung aus, kann das Schweigen lediglich dann einen Kündigungsgrund an sich darstellen, wenn ein dringender, auf Tatsachen gestützter Verdacht einer erheblichen Verfehlung des Arbeitnehmers in Form einer strafbaren Handlung oder schwerwiegenden Vertragsverletzung vorliegt. 4. Ergebnis zur Friktion mit Verdachtskündigung Die Auskunftspflicht in der Befragungssituation und das Schweigerecht in der Anhörung zur Verdachtskündigung stehen nicht per se zueinander im Widerspruch, da der über die Auskunftspflicht analog § 666 Var. 2, 675 BGB erfolgende Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit in der Anhörungssituation tatsächlich nicht gerechtfertigt ist. Hintergrund hierfür sind die differierenden Umstände, insbesondere das Recht des Arbeitnehmers auf rechtliches Gehör. Der Anwendungsbereich der Auskunftspflicht aus § 666 Var. 2, 675 BGB erfasst insoweit nicht die Anhörungssituation. Dieses Ergebnis lässt sich methodisch erreichen, indem die analoge Anwendung von §§ 666 Var. 2, 675 BGB für die Anhörungssituation ausnahmsweise nicht vorgenommen wird. Möchte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen der Pflichtverletzung des Schweigens in der Befragungssituation kündigen, muss er allerdings grundsätzlich die Voraussetzungen der Verdachtskündigung wahren, damit diese nicht umgangen werden. Damit muss der Arbeitgeber, der den schweigenden Arbeitnehmer kündigen möchte, einen auf konkrete Tatsachen gestützten, dringenden Verdacht darlegen und beweisen, der sich auf eine erhebliche Verfehlung des Arbeitnehmers in Form einer strafbaren Handlung oder schwerwiegenden Vertragsverletzung bezieht. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, könnte eine Tatkündigung wegen Schweigens lediglich ausnahmsweise wirksam sein, wenn das Schweigen dahingehend einen eigenen Kündigungsgrund darstellt, dass wegen des Schweigens in Zukunft materielle

C. Die Selbstbelastung des Arbeitnehmers in der Befragungssituation

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Schäden für den Arbeitgeber zu erwarten sind. Hierfür wäre der Arbeitgeber allerdings darlegungs- und beweisbelastet.

V. Ergebnisvereinbarkeit mit Beweislastregeln? Zu überlegen ist außerdem, ob eine umfassende Auskunftspflicht aus § 666 Var. 2 BGB, 675 analog zur Friktion mit besonderen Beweislastregeln, namentlich § 1 II 4 KSchG und § 619a BGB führt. Nach § 1 II 4 KSchG trägt der Arbeitgeber die Beweislast für die Tatsachen, die die Kündigung bedingen; nach § 619a BGB trifft den Arbeitgeber die Beweislast für das Vertretenmüssen des Arbeitnehmers hinsichtlich der Pflichtverletzung. Rechtsprechung und Schrifttum sehen in einer Auskunftspflicht des Arbeitnehmers teilweise einen Widerspruch zu den genannten Beweislastregeln.718 Hintergrund sind Ausführungen in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach die Darlegungs- und Beweissituation nicht durch die Gewährung materiell-rechtlicher Auskunftsansprüche unzulässig verändert werden darf.719 Zur Auflösung dieses Widerspruchs wird vereinzelt vor dem Hintergrund der Beweislastregelung in § 1 II 4 KSchG vertreten, der Arbeitgeber könne seinen Auskunftsanspruch nicht einklagen, wenn dieser der Vorbereitung einer Kündigung dienen soll.720 Anderenorts wird vorgeschlagen, dass der Arbeitgeber zusagt, auf Kündigungen oder die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen der Umstände zu verzichten, die er erst durch das Interview erfährt.721 Vermehrt wird sogar die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers aufgrund der besonderen Beweislastregeln verneint.722 718 Franzen, FS Köhler, S. 133, 138, weswegen der Arbeitgeber seinen Auskunftsanspruch nicht erfolgreich einklagen kann, wenn dies der Vorbereitung einer Kündigung dienen soll; Gatter, S. 200, 204; Klasen/Schaefer, BB 2012, 641, 645; Kreitner, in: Küttner Personalbuch, Auskunftspflichten Arbeitnehmer Nr. 78, Rn. 34; Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, Kap. 5 Rn. 40; Neuhaus, in: Finanzkrise, S. 348, 359; Rieble, Ritsumeikan Law Review 2009, 191, 204; Tscherwinka, FS I. Roxin, S. 527; in diesem Sinne auch einen Auskunftsanspruch ablehnend bezüglich Umständen, die kündigungsrechtlich verwertet werden können Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 120; Maschmann, Mitarbeiterkontrolle, S. 174; ders., NZA-Beilage 2012, 50, 56; Rudkowski, NZA 2011, 612, 613. An die Beweislastregel des § 1 II 4 KSchG auch im Rahmen der Verdachtskündigung anknüpfend Ebeling, S. 174. 719 BAG, Urteil vom 07. 09. 1995 – 8 AZR 828/93, NZA 1996, 637, 638; BAG, Urteil vom 01. 12. 2004 – 5 AZR 664/03, NZA 2005, 289, 291. In diese Richtung wohl auch BAG, Urteil vom 23. 10. 2008 – 2 AZR 483/07, NZA-RR 2009, 362 Rn. 32 da der Arbeitnehmer nicht gezwungen werden könne, das Tatsachenmaterial zu liefern, um dessen Kündigung „schlüssig“ zu machen, allerdings betraf das Tatsachenmaterial nicht den unmittelbaren Arbeitsbereich, sondern strafrechtlich relevantes Verhalten im familiären Umfeld. 720 Franzen, FS Köhler, S.133, 138. 721 Gatter, S. 206. 722 Dendorfer Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 120; Kreitner, in: Küttner Personalbuch, Auskunftspflichten Arbeitnehmer Nr. 78, Rn. 34; Maschmann, Mitarbeiterkontrolle, S. 174; ders., NZA-Beilage 2012, 50, 56; Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, Kap. 5 Rn. 40;

206

2. Teil 2. Kap.: Sachverhaltsaufklärung durch Arbeitnehmerbefragungen

Die Verneinung der Auskunftspflicht des Arbeitnehmers vor dem Hintergrund besonderer Beweislastregeln stellt jedoch lediglich eine Lösungsmöglichkeit des im Einzelfall bestehenden Konflikts zwischen dem Auskunftsanspruch des Arbeitgebers und seiner Darlegungs- und Beweislast dar. Mit dem Verhältnis zwischen Auskunftsansprüchen und Darlegungs- und Beweislast befasst sich aus Gründen der Übersichtlichkeit Abschnitt C. des 2. Kapitels des 4. Teils (S. 273). Unter Vorgriff auf das dort gewonnene Ergebnis kann hier aber festgehalten werden, dass die auch für den Fall der Selbstbelastung bestehende Auskunftspflicht des Arbeitnehmers analog § 666 Var. 2, 675 BGB in der Auskunftssituation nicht aufgrund der Beweislastregeln einzuschränken ist. Die Auflösung des im konkreten Fall bestehenden Konflikts zwischen Auskunftsanspruch und Beweislastregeln aus §§ 1 II 4 KSchG, 619a BGB hat angesichts der prozessualen Funktion von Beweislastregeln auf prozessualer Ebene und nicht auf materiell-rechtlicher Ebene zu erfolgen.

Neuhaus, in: Finanzkrise, S. 348, 359; Rieble, Ritsumeikan Law Review 2009, 191, 204; Rudkowski, NZA 2011, 612, 613; Tscherwinka, FS I. Roxin, S. 527.

3. Teil

Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse Nachdem im 2. Teil die Ebene der Sachverhaltsermittlung beleuchtet wurde, stellt sich die Frage, welche Konsequenzen sich aus der Sachverhaltsermittlung ergeben können. Der Arbeitgeber, der eine unternehmensinterne Untersuchung wegen Verdachts auf Missstände im Unternehmen durchgeführt hat, kann sich im Anschluss daran in unterschiedlichen Reaktionssituationen befinden. So ist denkbar, dass Arbeitnehmer bei der Sachverhaltsaufklärung nicht mitgewirkt haben. In diesem Zusammenhang ist hinzuweisen auf die Besonderheit der Tatkündigung als Reaktion auf das Schweigen des Arbeitnehmers in der Befragungssituation. Um einen Konflikt mit den Anforderungen der Verdachtskündigung zu vermeiden, ist nach obiger Erörterung eine derartige Tatkündigung nur möglich, wenn der Arbeitgeber zugleich einen auf konkrete Tatsachen gestützten, dringenden Verdacht darlegen und beweisen kann, der sich auf eine erhebliche Verfehlung des Arbeitnehmers in Form einer strafbaren Handlung oder schwerwiegenden Vertragsverletzung bezieht (siehe oben 2. Teil 2. Kap. Abschnitt C. IV. 3., S. 224 f.). Fehlt es an diesen Voraussetzungen, könnte eine Tatkündigung wegen Schweigens lediglich ausnahmsweise wirksam sein, wenn deswegen in Zukunft materielle Schäden für den Arbeitgeber zu erwarten sind. In einem solchen Fall kann das Schweigen einen eigenen Kündigungsgrund darstellen. Hierfür wäre der Arbeitgeber allerdings darlegungs- und beweisbelastet. Hat der Arbeitnehmer bei der Arbeitnehmerbefragung mitgewirkt, ist denkbar, dass die unternehmensinterne Untersuchung tatsächlich Fehlverhalten des Arbeitnehmers zutage gefördert hat. Welche Anforderungen sich in dieser Situation an arbeitgeberseitiges Handeln stellen, wir nachfolgend betrachtet.

A. Pflicht des Arbeitgebers zu einer (bestimmten) Reaktion? Ergeben die Untersuchungen ein Fehlverhalten von Arbeitnehmern, so erlangt der Arbeitgeber hiervon Kenntnis: Nach Zusammenstellung der Akten, Dokumente, sonstiger Daten und Mitarbeiterbefragung werden die Inhalte zunächst entsprechend

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3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

ausgewertet und entsprechende Berichte gefertigt.1 Die Untersuchung wird mit der Erstellung eines Untersuchungsberichts abgeschlossen.2 Erfährt der Arbeitgeber mit Abschluss der Untersuchungen von arbeitnehmerseitigem Fehlverhalten, stellt sich die Frage, wie er auf diese Informationen reagiert. Eine Entscheidung über arbeitsrechtliche Konsequenzen kann durch äußere Umstände beeinflusst werden: Die bereits im ersten Teil angesprochenen US-Behörden sprechen u. U. geringere Strafen aus, wenn der Arbeitgeber ein effektives AntiKorruptionsprogramm verfolgt, zu dem auch das Ergreifen arbeitsrechtlicher Sanktionen (disciplinary measures) gehört, wenn z. B. eine durch Arbeitnehmer begangene Bestechung aufgedeckt wird.3 Diese Auswirkungen arbeitsrechtlicher Sanktionen werden auch in den Leitlinien des DOJ zur Beurteilung eines Compliance-Programms deutlich.4 Derartige Faktoren sollen hier bei der Auseinandersetzung mit der Frage einer arbeitgeberseitigen Reaktionspflicht jedoch außer Acht bleiben: Es ist vielmehr danach zu fragen, ob der Arbeitgeber nach nationalen Regelungen u. U. zur Ergreifung von Maßnahmen in konkreter Form oder generell verpflichtet ist. Um dieser Frage nachzugehen, sind einzelne gesetzliche Regelungen darauf zu überprüfen, ob sie eine derartige Verpflichtung des Arbeitgebers zur Reaktion generell oder in bestimmter Form beinhalten. Ist das der Fall, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob diese Pflicht mit arbeitsrechtlichen Vorschriften kollidiert. Dann ist in einem dritten Schritt zu überlegen, wie dieser Konflikt aufzulösen ist.

I. Gesellschaftsrechtliche Legalitätskontrollpflicht Eine Pflicht des Arbeitgebers zur Ergreifung von Maßnahmen könnte sich aus der den Vorstand der AG bzw. den Geschäftsführer der GmbH treffenden Legalitäts- und Legalitätskontrollpflicht ergeben.5 1

Wessing, in: Hauschka/Mooyemeyer/Lösler, Corporate Compliance, § 46 Rn. 115. Glaser/Wisskirchen, DB 2011, 1447, 1451; Lohmeier/Schahhosseini, in: Umnuß, Corporate Compliance, Kap. 7 Rn. 76; Wessing, in: Hauschka/Mooyemeyer/Lösler, Corporate Compliance, § 46 Rn. 121; zur Zukunft des schriftlichen Abschlussberichts angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Beschlagnahmefähigkeit von InterviewProtokollen Rieder/Menne, CCZ 2018, 203, 209. 3 Dzida, NZA 2012, 881, 883; Hopson/Koehler, CCZ 2008, 208, 212; ebenso im Anwendungsbereich des UK Bribery Acts Dzida, NZA 2012, 881, 884. 4 S. 17 der Sample Topics and Questions, Evaluation of Corporate Compliance Programs des U.S. Department of Justice, Criminal Division, Fraud Section vom 08. 02. 2017, updated April 2019: What disciplinary actions did the company take in response to the misconduct and were they timely? Abrufbar unter: https://www.justice.gov/criminal-fraud/page/file/937501/ download, zuletzt abgerufen am 26. 05. 2020. 5 Wie im Bereich der Sachverhaltsaufklärungspflicht wird auch hier im Bereich der Sanktionspflicht die Betrachtung auf die wohl relevantesten Gesellschaftsformen der AG und GmbH beschränkt. 2

A. Pflicht des Arbeitgebers zu einer (bestimmten) Reaktion?

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1. Inhaltliche Vorgaben für Maßnahmen des Arbeitgebers a) Grundsätzliche Reaktionspflicht Aus §§ 76, 93 I AktG folgt für die AG eine Legalitätspflicht des Vorstands hinsichtlich eigener Rechtstreue6 sowie eine Legalitätskontrollpflicht bezüglich anderer Personen.7 Die Legalitätskontrollpflicht wird derart verstanden, dass der Vorstand nicht nur ausreichende Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung von Verstößen und deren Abstellen ergreift, sondern auch Maßnahmen zur Ahndung der betroffenen Mitarbeiter einleitet.8 Wie § 93 I AktG für den Vorstand ist für den GmbH-Geschäftsführer § 43 I GmbH nicht nur als Verschuldensmaßstab, sondern auch als Pflichtenquelle zu sehen9; auch den GmbH-Geschäftsführer trifft eine Pflicht zur Ahndung.10 Im Falle eines Eintritts von Regelverstößen haben Mitglieder von Leitungsorgangen diesen mithin durch geeignete Sanktionen entgegenzuwirken.11 Eine grundsätzliche Reaktionspflicht des Arbeitgebers liegt damit vor.12 b) Pflicht zur Ergreifung bestimmter Maßnahmen? Die Legalitätskontrollpflicht könnte zur Folge haben, dass der Arbeitgeber zur Ergreifung bestimmter Sanktionsmaßnahmen verpflichtet ist. Die bisherigen Ausführungen zur Legalitätskontrollpflicht haben gezeigt, dass diese den Arbeitgeber verpflichtet, geeignete Sanktionen zu ergreifen; eine konkrete Festlegung auf bestimmte Maßnahmen ist gesetzlich nicht vorgesehen. Eine Reduktion des Auswahlermessens könnte sich aus dem Sinn und Zweck der Legalitätskontrollpflicht ergeben, die Einhaltung gesetzlicher Regelungen sicherzustellen und daher im Sinne der Abschreckung eine Pflicht zur Wahl des härtesten Sanktionsmittels zu begrün6 BGH, Beschluss vom 13. 09. 2010 – 1 StR 220/09, NJW 2011, 88 Rn. 37; Arnold, ZGR 2014, 76, 78; Koch, in Hüffer/Koch, AktG, § 93 Rn. 6; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 86 f.; Verse, ZHR 2011, 401, 403. 7 LG München, Urteil vom 10. 12. 2013 – 5 HK O 1387/10, NZG 2014, 345, 346; Arnold, ZGR 2014, 76, 79; Fleischer, NZG 2014, 321, 322; Grigoleit/Tomasic, in Grigoleit, AktG, § 93 Rn. 23; Hoffmann/Schiefer, NZG 2017, 401, 402; Paefgen, WM 2016, 433, 436; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173; Verse, ZHR 2011, 401, 403; Wiesner, in: MHdB GesR IV, 5. Kap. § 25 Rn. 34 ff. 8 LG München, Urteil vom 10. 12. 2013 – 5 HK O 1387/10, NZG 2014, 345, wonach darauf hingewirkt hätte werden müssen, dass die mit der Überwachung der Compliance Vorgaben beauftragten Personen hinreichende Befugnisse haben, Konsequenzen aus Verstößen zu ziehen; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2177; Schneider, ZIP 2003, 645, 650. 9 Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 10. 10 Axhausen, in: Beck’sches Handbuch der GmbH, § 5 Rn. 178; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 149a. 11 Paefgen, WM 2016, 433, 436; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2178. 12 In einer Aktiengesellschaft üben die Mitglieder des Vorstands als gesetzliche Vertreter gem. § 78 Abs. 1 AktG die Arbeitgeberfunktionen aus, Hastenrath, CB 2017, 325, 327; Richter, in: MHdB ArbR, § 23 Rn. 10; sodass die arbeitsrechtliche Reaktion ihnen obliegt.

210

3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

den. Diese Pflicht könnte so weit gehen, dass das arbeitsrechtliche Sanktionsmittel mit der größtmöglichen Abschreckung selbst dann zu wählen wäre, wenn der anschließende Arbeitsgerichtsprozess nicht gewonnen werden könnte,13 d. h. der Arbeitgeber die Sanktion mit größter Abschreckungswirkung ergreifen müsste, auch wenn diese arbeitsrechtlich unzulässig wäre. Dagegen spricht allerdings zum einen, dass der Arbeitgeber dann selbst sehenden Auges unrechtmäßige Maßnahmen ergreifen müsste, was im Widerspruch zu seiner eigenen Legalitätspflicht steht. Zum anderen normiert § 93 I 2 AktG in Form der auch auf den GmbH-Geschäftsführer übertragbaren14 Business Judgement Rule gerade ein Ermessen des Vorstandes bei unternehmerischen Entscheidungen, zu denen auch die Entscheidung über konkrete Sanktionierungsmaßnahmen gehört.15 Der Zweck der Legalitätskontrollpflicht wird auch bereits dann erreicht, wenn Rechtsverstöße im Rahmen der gesetzlich geregelten Reaktionsmöglichkeiten verfolgt werden.16 Damit besteht keine Verpflichtung des Arbeitgebers hinsichtlich der Ergreifung konkreter Sanktionsmaßnahmen. c) Konfliktsituation zwischen gesellschaftsrechtlichem Müssen und arbeitsrechtlichem Dürfen? Zu überlegen ist, ob die grundsätzliche Reaktionspflicht im Widerspruch zu arbeitsrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers steht. Da die Legalitätskontrollpflicht keine Verpflichtung des Arbeitgebers zum Ergreifen konkreter Maßnahmen enthält, kann es auch zu keiner Kollision mit den gesetzlichen Anforderungen an arbeitsrechtliche Maßnahmen kommen, die den Arbeitgeber gleichermaßen treffen. Welche Maßnahmen der Arbeitgeber ergreift, schreiben ihm die gesellschaftsrechtlichen Regelungen nicht vor; die Maßnahmen müssen sich ausschließlich im Rahmen der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit bewegen. Eine auflösungsbedürftige Konfliktsituation liegt damit nicht vor. Eine andere Frage ist, ob die grundsätzliche Pflicht zur Sanktionierung dem Arbeitgeber gesetzlich auferlegt werden darf. Eine derart allgemeine Sanktionierungspflicht findet sich gleichermaßen in § 12 III AGG und war ebenfalls in dessen Vorgängerreglung § 4 I Nr. 1 BeschSchG zu finden, ohne dass eine derartige Pflicht vom Gesetzgeber17 oder von der Rechtsprechung18 ersichtlich problematisiert wurde.

13

Hauschka/Greeve, BB 2007, 165, 171; Kolbe, NZA 2009, 228, 231. Umfassend hierzu Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 71. 15 Paefgen, WM 2016, 433, 436; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2178. 16 Anforderung für die Ahndung von Fehlverhalten soll lediglich die konsequente Verfolgung sein, Hastenrath, CB 2017, 325, 329. 17 Zu § 12 III AGG siehe BT-Drs. 16/1780, S. 37, zu § 4 I Nr. 1 BeschSchG siehe BTDrs. 12/5468, S. 47. 18 BAG, Urteil vom 25. 03. 2004 – 2 AZR 341/03, NJW 2004, 3508, 3509; BAG, Urteil vom 25. 10. 2007 – 8 AZR 593/06, NZA 2008, 223, 226 Rn. 68. 14

A. Pflicht des Arbeitgebers zu einer (bestimmten) Reaktion?

211

Hier hat der Arbeitgeber ein Ermessen19 bzw. einen Spielraum lediglich bei der Auswahl zwischen mehreren gleichermaßen geeigneten Maßnahmen,20 ein Entschließungsermessen kommt ihm jedoch gerade nicht zu.21 Eine allgemeine Sanktionierungspflicht stellt einen Grundrechtseingriff in die durch Art. 12 GG geschützte Berufsausübung des Arbeitgebers dar. Art. 12 GG ist insoweit spezieller als die in Art. 2 I GG geschützte unternehmerische Freiheit22, sofern es um die unmittelbare arbeitsteilige Organisation des Betriebs geht.23 Dass der Arbeitgeber verpflichtet wird, gegenüber Arbeitnehmern Maßnahmen im Rahmen der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit zu ergreifen, berührt die betriebliche arbeitsteilige Organisation. Dieser Eingriff ist jedoch gerechtfertigt: Der Eingriff in Art. 12 I GG in seiner Ausprägung als Schutz der Berufsausübung setzt für eine Rechtfertigung als Schranke eine gesetzliche Regelung voraus, Art. 12 I 2 GG, die ihrerseits als Schranken-Schranke neben den allgemeinen Anforderungen sachgerechten und vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls gerecht werden muss.24 Diese Anforderungen erfüllt § 76, 93 I AktG bzw. § 43 I GmbHG mit der allgemein anerkannten Legalitätskontrollpflicht. Eine allgemeine Sanktionierungspflicht mit dem Ziel der Einhaltung gesetzlicher Regelungen entspricht sachgerechten Gemeinwohlerwägungen, insbesondere, wenn es um die Ahndung strafrechtlich relevanter Sachverhalte geht. Vor diesem Hintergrund stellt die allgemeine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Ergreifung von Maßnahmen einen gerechtfertigten Grundrechtseingriff dar. 2. Ergebnis Die Legalitätskontrollpflicht legt dem Arbeitgeber lediglich die Pflicht auf, arbeitsrechtliche Maßnahmen im Rahmen arbeitsrechtlicher Zulässigkeit zu ergreifen. Die allgemeine Pflicht zur Ergreifung von Sanktionsmaßnahmen darf dem Arbeitgeber auferlegt werden und stellt die Auswahl der einzelnen Sanktionsmaßnahmen unter den Vorbehalt der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit der jeweiligen Maßnahme.

19

Benecke, in: BeckOGK, § 12 AGG Rn. 30. Schlachter, in: ErfK AGG, § 12 Rn. 3. 21 So auch ausdrücklich im Rahmen der Legalitätskontrollpflicht Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2178. 22 Zur wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit in Art. 2 I GG BVerfG, Urteil vom 07. 05. 1969 – 2 BvL 15/67, NJW 1969, 1203, 1205. 23 Benecke, in: MHdB ArbR, § 31 Rn. 3; Scholz, in: Maunz/Dürig GG, Art. 12 Rn. 123 zur Spezialität von Art. 12 GG hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Vertragsfreiheit. 24 BVerfG, Urteil vom 01. 03. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699, 708. 20

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3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

II. § 125 GWB Eine allgemeine Pflicht des Arbeitgebers zur Ergreifung von Maßnahmen bzw. sogar eine Pflicht zur Ergreifung bestimmter Maßnahmen könnte sich in vergaberechtlichem Zusammenhang aus § 125 GWB ergeben. 1. Inhaltliche Vorgaben für Maßnahmen des Arbeitgebers a) Grundsätzliche Reaktionspflicht § 125 I Nr. 3 GWB sieht vor, dass öffentliche Auftraggeber Unternehmen trotz Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach §§ 123, 124 GWB nicht von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausschließen, wenn diese nachweisen, dass sie geeignete konkrete personelle Maßnahmen ergriffen haben, um weitere Straftaten oder Fehlverhalten zu vermeiden. Damit normiert § 125 I Nr. 3 GWB eine grundsätzliche Pflicht des Arbeitgebers, mit Maßnahmen auf Missstände zu reagieren, sofern er am Vergabeverfahren teilnehmen möchte. b) Pflicht zur Ergreifung bestimmter Maßnahmen? Möglicherweise ergibt die Auslegung von § 125 I Nr. 3 GWB, dass der Arbeitgeber für eine Selbstreinigung im Sinne von § 125 GWB sogar verpflichtet ist, bestimmte arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen. Der Wortlaut konkretisiert die Anforderungen an die personellen Maßnahmen lediglich dahingehend, dass sie geeignet sein müssen, die Folgen von Fehlverhalten zu beheben und weiteres Fehlverhalten wirksam zu verhindern. Damit wird keine ausdrückliche Pflicht zur Ergreifung einer bestimmten Maßnahme formuliert. Der Terminus der Selbstreinigung legt jedoch nahe, dass eine Trennung von Arbeitnehmern erforderlich ist, die sich fehlerhaft verhalten haben. Diese Sichtweise wird bestätigt durch den Sinn und Zweck der Regelung: die Wiederherstellung der Zuverlässigkeit durch die Ergreifung personeller Maßnahmen.25 Damit die Zuverlässigkeit des Unternehmens wiederhergestellt wird, liegt nahe, dass sich das Unternehmen von den für die Unzuverlässigkeit verantwortlichen Mitarbeitern trennen muss. Diese Schlussfolgerung wird auch in historischer Hinsicht durch Erwägungen in der der Norm zugrundeliegenden Richtlinie gestützt: Hier wird als personelle Maßnahme beispielhaft der Abbruch aller Verbindungen zu den an dem Fehlverhalten beteiligten Personen gefordert.26 Auch in Rechtsprechung und Schrifttum wird die Trennung von Mitarbeitern bei schweren Verfehlungen als die für die Erreichung einer Selbstreinigung

25 26

BT-Drs. 18/6281, S. 110. ErwG Nr. 102 der RL 2014/24/EU.

A. Pflicht des Arbeitgebers zu einer (bestimmten) Reaktion?

213

notwendige personelle Maßnahme angesehen.27 Bei schweren Verfehlungen von Mitarbeitern ergibt sich daher für den Arbeitgeber als personelle Selbstreinigungsmaßnahme im Extremfall eine Pflicht zur Kündigung. 2. Konfliktsituation zwischen vergaberechtlichem Müssen und arbeitsrechtsrechtlichem Dürfen? Die grundsätzliche Reaktionspflicht ist nach denselben Überlegungen wie im Rahmen der Legalitätskontrollpflicht unproblematisch. Möglicherweise steht aber die Pflicht des Arbeitgebers, sich von Mitarbeitern zu trennen, im Konflikt mit arbeitsrechtlichen Regelungen. Arbeitsrechtlich könnte eine ordentliche Kündigung etwa trotz Fehlverhalten eines Arbeitnehmers unwirksam, da sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 I KSchG sein, wenn eine Abmahnung erforderlich wäre oder die Interessenabwägung ergeben würde, dass die Kündigung unverhältnismäßig wäre. Eine außerordentliche Kündigung könnte insbesondere unwirksam sein, wenn dem Arbeitgeber doch zuzumuten wäre, den Ablauf der Kündigungsfrist abzuwarten. Im Gegensatz dazu würde eine grundsätzliche Pflicht des Arbeitgebers aus dem Selbstreinigungsgebot aus § 125 I Nr. 3 GWB, alle Verbindungen zu den an dem Fehlverhalten beteiligten Personen abzubrechen, einen absoluten Kündigungsgrund etablieren. Absolute Kündigungsgründe soll es indes selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers nicht geben.28 Eine Pflicht zur Kündigung nach § 125 GWB bei schweren Verfehlungen eines Arbeitnehmers steht damit im Widerspruch zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der im Kündigungsrecht Anwendung findet29. Demnach steht das vergaberechtliche Müssen des Arbeitgebers in einem Konflikt mit den personellen Maßnahmen, die dem Arbeitgeber in arbeitsrechtlicher Hinsicht zur Verfügung stehen. Dieser Konflikt besteht nicht nur in einem Widerspruch zwischen vergaberechtlichen und kündigungsschutzrechtlichen Regelungen. Er wird sogar noch dadurch verstärkt, dass der Arbeitgeber vergaberechtlich sogar verpflichtet würde, eine ggf. ungerechtfertigte Kündigung auszusprechen und damit verpflichtet würde, sehenden Auges gegen geltendes Recht zu verstoßen.

27 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. 7. 2005 – Verg 42/05, BeckRS 2005, 11753 Rn. 24; Annuß/Pelz, BB Spezial 2010 zu Heft 50, 14, 18; Eufinger, DB 2016, 471; Mengel, in: Knierim/ Rübenstahl/Tsambikakis, Kap. 14 Rn. 96; Schnitzler, BB 2016, 2115, 2119. 28 Statt vieler BAG, Urteil vom 10. 6. 2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227, 1231. 29 Statt vieler BAG, Urteil vom 26. 03. 2015 – 2 AZR 417/14, NZA 2015, 1083, 1086 Rn. 26; BAG, Urteil vom 08. 05. 2014 – 2 AZR 1001/12, NZA 2014, 1200, 1201 Rn. 12.

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3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

3. Auflösung des Konflikts nach Kollisionsregeln Der zwischen § 125 I Nr. 3 GWB und den kündigungsschutzrechtlichen Regelungen bestehende Konflikt hinsichtlich der Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers bedarf einer Auflösung. Sofern ein im Wege der Interpretation nicht behebbarer Widerspruch zwischen zwei Normen auftritt, findet zwischen Regelungen gleichen Ranges der Grundsatz der spezielleren Regelung Anwendung.30 Damit ist zu überlegen, ob § 125 I Nr. 3 GWB und die Kündigungsanforderungen enthaltenden § 1 I KSchG und § 626 BGB zueinander im Verhältnis der Spezialität stehen. Im Verhältnis der Spezialität stehen Normen dann zueinander, wenn der Anwendungsbereich der spezielleren Norm völlig in dem der allgemeineren Norm aufgeht; d. h. der Tatbestand der spezielleren Norm alle Merkmale der allgemeineren Norm und zusätzlich mindestens noch ein weiteres Merkmal enthält.31 § 125 I Nr. 3 GWB und § 1 I KSchG erfüllen diese Anforderungen nicht in dieser Allgemeinheit, da beide Regelungen auch Fälle erfassen, die von der jeweils anderen Norm nicht erfasst werden: § 125 I Nr. 3 GWB kann auch personelle Maßnahmen zur Folge haben, die keine kündigungsschutzrechtliche Relevanz im Sinne von § 1 I KSchG bzw. § 626 BGB haben. So kommt etwa nicht nur die Trennung von Arbeitnehmern in Betracht, sondern zudem auch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Arbeitnehmer, auch wenn diese Kompensation als personelle Maßnahme ein Schattendasein fristet.32 § 1 I KSchG und § 626 BGB erfassen demgegenüber im Regelfall Kündigungssachverhalte, bei denen die Kündigung keine personelle Maßnahme im Sinne von § 125 I Nr. 3 GWB darstellt. Nur in einigen Fällen decken sich die Tatbestände der Normen teilweise; nämlich dann, wenn die personelle Maßnahme im Sinne von § 125 I Nr. 3 GWB in Form einer Kündigung im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes erfolgt bzw. eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden soll. In derartigen Fällen, in denen die gesetzlichen Regelungen zueinander wie sich zwei überschneidende Kreise stehen,33 wird vorgeschlagen, nach Sinn und Zweck der in Frage stehenden Regeln eine Verdrängung der Norm anzunehmen, die nach ihrem Sinn und Zweck nicht als abschließend gedacht war.34 Danach verdrängen § 1 I KSchG und § 626 BGB hier § 125 I Nr. 3 GWB. Dafür spricht bei § 1 I KSchG der bereits in der Bezeichnung des Gesetzes als Kündigungsschutzgesetz verdeutlichte Sinn und Zweck, Arbeitnehmer vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen zu schützen35 und den verfassungsrechtlich geschützten, widerstreitenden Interessen der Arbeitsvertragsparteien mit einem differenzierten Regelwerk Rechnung zu tra30

Röhl, Rechtslehre, § 75 S. 585; Zippelius, Methodenlehre, S. 31. Larenz, Methodenlehre, S. 267. 32 Eufinger, DB 2016, 471, 475. 33 Zippelius, Methodenlehre, S. 32. 34 Larenz, Methodenlehre, S. 268; Zippelius, Methodenlehre, S. 32. 35 BT-Drs. 1/2090, S. 11. Der Schutzzweck wird auch bei der Zweckbetrachung der Beweislastverteilung in § 1 II 4 KSchG deutlich, siehe hierzu Teil 4. 31

A. Pflicht des Arbeitgebers zu einer (bestimmten) Reaktion?

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gen36. § 1 I KSchG soll Kündigungssachverhalte abschließend erfassen, wie auch im Zusammenhang mit der Diskussion um § 2 I Nr. 2, IV AGG deutlich wird.37 Diese Spezialitätsüberlegungen lassen sich grundsätzlich auch auf außerordentliche Kündigungen nach § 626 BGB übertragen, da die Wirksamkeitsbetrachtung der außerordentlichen Kündigung derselben Schutzsystematik unterliegt wie die Wirksamkeitsbetrachtung einer Kündigung im Anwendungsbereich des KSchG.38 Damit obsiegen die kündigungsschutzrechtlichen Anforderungen an den Arbeitgeber im Konflikt mit den vergaberechtlichen Anforderungen aufgrund ihrer Spezialität. 4. Ergebnis § 125 I Nr. 3 GWB kann den Arbeitgeber nicht verpflichten, das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers wegen dessen Verfehlungen zu beenden. Das Gebot, sich im Interesse einer Selbstreinigung von einem solchen Arbeitnehmer zu trennen, darf nicht weiterreichen als nach dem Arbeitsrecht zulässig.39 Vor diesem Hintergrund muss etwa auch eine einvernehmliche Vertragsbeendigung zur Erfüllung der vergaberechtlichen Anforderungen ausreichend sein.40 Die allgemeine Pflicht zur Ergreifung von Sanktionsmaßnahmen darf dem Arbeitgeber hingegen auferlegt werden.

III. § 130 OWiG Eine allgemeine Pflicht des Arbeitgebers zur Ergreifung von Maßnahmen allgemein bzw. zur Ergreifung bestimmter Maßnahmen gegenüber einem sich fehlerhaft verhaltenden Arbeitnehmer könnte sich schließlich aus § 130 OWiG ergeben.

36

Schmidt, in: ErfK GG, Art. 12 Rn. 36; zur Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht in den Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes BVerfG, Urteil vom 24. 04. 1991 – 1 BvR 1341/90, NJW 1991, 1667; BVerfG, Beschluss vom 30. 7. 2003 – 1 BvR 792/03, NJW 2003, 2815. 37 BAG, Urteil vom 6. 11. 2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361, 365 Rn. 40. 38 Siehe hierzu eingehend 4. Teil 2. Kap. Abschnitt C. I. 3. b), S. 281. 39 So im Ergebnis auch Eufinger, DB 2016, 471, 476; Haußmann/Merten, NZA 2015, 258, 262; Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642, 646; Opitz, in: Beck’scher Vergaberechtskommentar Bd. 1, GWB § 125 Rn. 31; Wimmer, Zuverlässigkeit im Vergaberecht, S. 179. So auch im Ergebnis die Diskussion auf dem 3. Deutschen Arbeitsrechtstag, wonach der „personellen Selbstreinigung“ kündigungsrechtliche Grenzen gesetzt sind, Henssler, NZABeilage 2018, 31, 38. 40 Eufinger, DB 2016, 471, 472.

216

3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

1. Inhaltliche Vorgaben für Maßnahmen des Arbeitgebers a) Grundsätzliche Reaktionspflicht Nach § 130 I OWiG handelt ordnungswidrig, wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens vorsätzlich oder fahrlässig Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, wenn die Zuwiderhandlung durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Die Zuwiderhandlung gegen Pflichten, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, stellt dabei eine objektive Bedingung der Ahndbarkeit dar. Sie grenzt den Tatbestand der Ordnungswidrigkeit in zweierlei Hinsicht ein: Objektive Bedingung der Ahndbarkeit stellen zum einen lediglich Zuwiderhandlungen gegen Pflichten dar, die den Inhaber treffen (betriebsbezogene Pflichten).41 Zum anderen sind derart betriebsbezogene Pflichtverstöße nur dann relevant, wenn sie Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten darstellen. Ob § 130 I OWiG überhaupt eine grundsätzliche Pflicht zur Ergreifung von Sanktionsmaßnahmen vorschreibt, hängt damit in erster Linie davon ab, ob Fehlverhalten von Arbeitnehmern tatsächlich die objektive Bedingung der Ahndbarkeit erfüllen kann. Fehlverhalten von Arbeitnehmern müsste mithin eine Zuwiderhandlung gegen Pflichten darstellen können, die zum einen den Inhaber treffen (betriebsbezogene Pflicht), zum anderen müsste diese Zuwiderhandlung mit Strafe oder Geldbuße bedroht sein. Problematisch ist, welches Verhalten eine Zuwiderhandlung gegen eine betriebsbezogene Pflicht darstellt. Pflichten, die jedermann treffen, sind nicht betriebsbezogen.42 Wie der Begriff der Betriebsbezogenheit zu fassen ist, ist höchstrichterlich nicht geklärt und in Rechtsprechung und Schrifttum hochumstritten.43 Ein Verstoß gegen eine betriebsbezogene Pflicht dürfte jedoch jedenfalls bei Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten vorliegen, die im inneren Zusammenhang mit dem Betrieb oder Betriebsabläufen stehen44 und im Interesse des Betriebs erfolgen45. Arbeitnehmerseitiges Fehlverhalten im unmittelbaren Arbeitsbereich in Form von Wettbewerbsverstößen oder Betrug zugunsten des Unternehmens können 41

Beck, in: BeckOK OWiG, § 130 OWiG Rn. 85. BT-Drs. V/1269, S. 69. 43 Rönnau, ZGR 2016, 277, 284; eingehende Darstellung der wohl übertragbaren Rechtsprechung zur Geschäftsherrenhaftung und der Literaturansichten bei Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 88 ff. 44 Zum Kriterium des inneren Zusammenhangs mit der spezifischen Tätigkeit des Begehungstäters oder der Art des Betriebs BGH, Urteil vom 20. 10. 2011 @ 4 StR 71/11, NJW 2012, 1237 Rn. 13; Beck, in: BeckOK OWiG, § 130 OWiG Rn. 85; Engelhart, in: Esser/Rübenstahl/ Saliger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, § 130 OWIG Rn. 61; Rönnau, ZGR 2016, 277, 284. 45 Zum Kriterium des Betriebsinteresses Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 98. 42

A. Pflicht des Arbeitgebers zu einer (bestimmten) Reaktion?

217

mithin als Verstöße gegen betriebsbezogene Pflichten in Betracht kommen46 und die objektive Bedingung der Ahndbarkeit erfüllen. Sofern arbeitnehmerseitiges Fehlverhalten damit die objektive Ahndbarkeit jedenfalls grundsätzlich erfüllen kann, stellt sich die Frage, ob § 130 I OWiG dem Arbeitgeber eine Pflicht zur Ergreifung von allgemeinen oder gar besonderen Maßnahmen auferlegt. Der Wortlaut legt eine grundsätzliche Sanktionierungspflicht nahe. Als ordnungswidrig wird das Unterlassen von Aufsichtsmaßnahmen gesehen, welche Zuwiderhandlungen gegen betriebsbezogene Pflichten verhindert oder wesentlich erschwert hätten. Das Ergreifen von nicht weiter vorgeschriebenen Sanktionsmaßnahmen kann zumindest das wiederholte Fehlverhalten von Arbeitnehmern, das eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit darstellt, verhindern. Auch der Telos der Norm spricht für eine grundsätzliche Reaktionspflicht des Arbeitgebers. Die Norm soll dafür Sorge tragen, dass dem Betriebsinhaber nicht nur die Vorteile gesteigerter Betätigungsmöglichkeiten zugutekommen; er soll nicht deswegen aus der Verantwortung entlassen werden, weil er nicht selbst handelt, sondern andere für sich tätig werden lässt.47 Aus diesem Grund hat der Betriebsinhaber die notwendigen Aufsichtsmaßnahmen zu treffen, damit die Pflichten, die hauptsächlich ihm obliegen, eingehalten werden.48 § 130 I OWiG stellt damit in erster Linie sicher, dass ordnungsgemäße und hinreichende Vorkehrungen gegen die Begehung betriebsbezogener Zuwiderhandlungen getroffen werden.49 Eine derartige Überwachung der Mitarbeiter im Zuge der Aufsichtspflicht ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn für die Nichtbeachtung der relevanten Regelungen Sanktionen angedroht und auch verhängt werden.50 Zusammengefasst wird der Inhaber der ihm eigentlich zukommenden Verantwortung also nur gerecht, wenn er Fehlverhalten seiner eingesetzten Mitarbeiter auch abstellt. Im Ergebnis sieht § 130 I OWiG damit eine grundsätzliche Pflicht des Arbeitgebers vor, auf Arbeitnehmer, die strafbar oder ordnungswidrig handeln, mit Sanktionen zu reagieren.51

46

Zu diesen Beispielen als Verstoß gegen betriebsbezogene Pflichten Rogall, in: KKOWiG, § 130 Rn. 105. 47 BT-Drs. V/1269, S. 69. 48 BT-Drs. V/1269, S. 69. 49 Beck, in: BeckOK OWiG, § 130 OWiG Rn. 4; Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 1 50 OLG Düsseldorf, Urteil vom 05. 04. 2006 – 2 Kart 5, 6/05, BeckRS 2007, 379 Rn. 38; Beck, in: BeckOK OWiG, § 130 OWiG Rn. 65; Eufinger, RdA 2017, 223, 224; Rogall, in: KKOWiG, § 130 Rn. 66. Zur Sanktionspflicht auch Gottwald, S. 6. 51 Gürtler, in: Göhler, OWiG, § 130 Rn. 13 beschränkt die allgemeine Pflicht zur Ergreifung von Sanktionen allerdings auf Arbeitnehmer, die wiederholt strafbar oder ordnungswidrig handeln; Rönnau, ZGR 2016, 277, 285.

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3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

b) Pflicht zur Ergreifung bestimmter Maßnahmen? Eine Pflicht zur Ergreifung bestimmter Maßnahmen ergibt sich nicht aus dem Wortlaut der Norm. Auch der dargelegte Telos der Norm spricht nicht für die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Ergreifung bestimmter Sanktionen. Anders könnte die Situation zu beurteilen sein, wenn der Arbeitgeber für den Fall von ComplianceVerstößen präventiv bestimmte arbeitsrechtliche Maßnahmen androht: Dann sind diese auch zu ergreifen.52 Darin liegt jedoch keine originär gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zum Ergreifen einer Maßnahme, sondern eine vorherige Selbstverpflichtung des Arbeitgebers. An diese muss sich der Arbeitgeber halten, um den Rückschluss auszuschließen, dass er das Verhalten in Wahrheit hingenommen hat.53 Eine Pflicht zur Ergreifung bestimmter Maßnahmen ergibt sich damit nicht aus § 130 OWiG selbst. 2. Konfliktsituation zwischen ordnungswidrigkeitsrechtlichem Müssen und arbeitsrechtlichem Dürfen? Zu überlegen ist, ob die grundsätzliche Pflicht des Arbeitgebers zur Ergreifung von Sanktionen gegen strafbar oder ordnungswidrig handelnde Arbeitnehmer mit speziellen arbeitsrechtlichen Anforderungen kollidiert, die den Arbeitgeber treffen. Da die Pflicht des Arbeitgebers zur Sanktionierung lediglich eine grundsätzliche ist, ist sie unproblematisch: Sie darf dem Arbeitgeber als solche auferlegt werden (siehe bereits oben im Rahmen von §§ 73 I, 93 I AktG) und bewirkt auch nicht, dass spezifische arbeitsrechtliche Anforderungen an Arbeitgebermaßnahmen umgangen werden. Die jeweilige Sanktion muss also im konkreten Fall verhältnismäßig und arbeitsrechtlich zulässig sein.54 3. Ergebnis § 130 OWiG beinhaltet für den Arbeitgeber lediglich die Pflicht, Maßnahmen im Rahmen arbeitsrechtlicher Zulässigkeit zu ergreifen. Diese allgemeine Pflicht zur Ergreifung von Sanktionsmaßnahmen darf dem Arbeitgeber auferlegt werden und stellt die Auswahl der einzelnen Sanktionsmaßnahmen unter den Vorbehalt der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit der jeweiligen Maßnahme.

52 Eufinger, RdA 2017, 223, 224; BGH, Beschluss vom 25. 06. 1985 – KRB 2/85, NStZ 1986, 34, 35. 53 BGH, Beschluss vom 25. 06. 1985 – KRB 2/85, NStZ 1986, 34, 35. 54 Beck, in: BeckOK OWiG, § 130 OWiG Rn. 65; Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 65 f.; a. A. Hauschka/Greeve, BB 2007, 165, 172: Das Unternehmen wird in schwerwiegenden Fällen selbst dann mit voller Konsequenz und Härte reagieren müssen, wenn der anschließende Arbeitsgerichtsprozess nicht gewonnen werden kann.

B. Typische Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers

219

IV. Ergebnis Die angesprochenen gesetzlichen Regelungen verpflichten den Arbeitgeber grundsätzlich nur, überhaupt Maßnahmen gegen Arbeitnehmer zur ergreifen, die sich fehlerhaft verhalten haben. Sofern die Auslegung von § 125 GWB ergibt, dass der Arbeitgeber in solchen Fällen zur Kündigung verpflichtet sein soll, steht diese Pflicht unter dem Vorbehalt der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit.

B. Typische Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers I. „Verwertungsverbot“? Bevor auf die Besonderheiten einzelner Arbeitgebermaßnahmen als Reaktion auf die Inhalte der Arbeitnehmerbefragung einzugehen ist, ist zu überlegen, ob der Arbeitgeber bei seiner Reaktion überhaupt auf die Inhalte, die er mittels Auskunft des Arbeitnehmers erfahren hat, zurückgreifen darf. Dieser Aspekt betrifft alle Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers, weswegen er vorweg zu prüfen ist. Eine „Verwertung“ der Auskunftsinhalte durch eine Reaktion des Arbeitgebers könnte infolge der allgemeinen Rechtfertigungsüberlegungen infrage stehen, wonach bei privatem Informationsinteresse ein Verwertungsverbot der preisgegebenen Auskünfte in Betracht zu ziehen ist, wenn anderenfalls umgangen würde, dass sich der Auskunftspflichtige in einem Folgeverfahren nicht äußern muss und eine Verwertung der Inhalte eine Zweckentfremdung darstellen würde (Umgehungs- und Zweckentfremdungsgedanke). Ein Verwertungsverbot hinsichtlich der Auskunftsinhalte durch den Arbeitgeber droht allerdings nur dann, wenn der Umgehungs- und Zweckentfremdungsgedanke auch gegenüber dem Arbeitgeber Anwendung findet. Zwar stellt die Reaktion des Arbeitgebers auch eine Art „Verwertung“ der Informationen dar, die er vom Arbeitnehmer erhalten hat; erst diese Informationen belastenden Inhalts sind in der Regel Auslöser der Arbeitgeberreaktion. Die allgemeinen Rechtfertigungsüberlegungen zielen mit den Begriffen des Beweisverwertungsverbots und des Folgeverfahrens aber auf eine prozessuale Situation, die sich an die Auskunftssituation anschließt. Dies wird auch deutlich durch die Beispiele, die zur Belegung dieser Rechtfertigungsüberlegungen herangezogen wurden. Die Arbeitgebermaßnahme stellt kein derartiges Folgeverfahren im Sinne eines Folgeprozesses dar. Der Begriff des Beweisverwertungsverbots passt indes nur auf derartige Folgeprozesse. Denn Beweisverwertungsverbote richten sich stets nur an das Gericht und seine Beweisverwertung, nicht an Privatpersonen. Der Arbeitgeber darf mithin auf die im Rahmen der Untersuchung gewonnenen Informationen zurückgreifen; anderenfalls könnte er auch der zuvor dargestellten allgemeinen Sanktionierungspflicht nicht gerecht werden.

220

3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

II. Besonderheiten der Untersuchungskonstellation Dem Arbeitgeber stehen als Reaktion auf die im Rahmen der unternehmensinternen Untersuchung erfahrenen Inhalte grundsätzlich alle Reaktionsmöglichkeiten zu, mit denen er auch auf Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers reagieren könnte. Hierzu kann neben der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen oder dem Ausspruch einer Kündigung auch die Erteilung einer Abmahnung sowie u. U. der Verfall einer Vertragsstrafe oder die Versagung der Betriebsrente zählen. Eine Versagung der Betriebsrente kommt als Reaktion auf bekannt gewordene Pflichtverletzungen allerdings nur unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht:55 Grobe Pflichtverletzungen, die ein Arbeitnehmer begangen hat, berechtigen den Arbeitgeber nur dann zum Widerruf der Versorgungszusage, wenn die Berufung des Versorgungsberechtigten auf die Versorgungszusage dem Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt ist.56 Dies ist aufgrund des Entgeltcharakters der betrieblichen Altersvorsorge nur dann der Fall, wenn die Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers zu einer Existenzgefährdung des Arbeitgebers geführt haben und sich der Arbeitgeber im Prozess auch darauf beruft: Hat der Arbeitnehmer die wirtschaftliche Grundlage des Arbeitgebers gefährdet, hat er durch sein eigenes Verhalten die Gefahr heraufbeschworen, dass seine Betriebsrente nicht gezahlt werden kann.57 Nachfolgend werden an den Beispielen des Schadensersatzverlangens und der Kündigung exemplarische Besonderheiten aufgegriffen, die sich im Zusammenhang mit der Untersuchungssituation ergeben können, nicht bereits Gegenstand anderweitiger umfassender Darstellung sind58 und insbesondere in Bezug auf die im Rahmen dieser Arbeit gewonnenen Ergebnissen betrachtenswert erscheinen. 1. Schadensersatzverlangen Sofern die unternehmensinterne Untersuchung ein Fehlverhalten von Arbeitnehmern ergeben hat, können dem Arbeitgeber Schadensersatzansprüche zustehen, bei der die Grundsätze der privilegierten Arbeitnehmerhaftung relevant werden.59 Bei Selbst- oder Drittbereicherung wird in der Regel Vorsatz des Arbeitnehmers 55

Reeb, Internal Investigations, 4; Rieble, ZIP 2003, 1282. BAG, Urteil vom 20. 09. 2016 – 3 AZR 77/15, AP BetrAVG § 1 Treuebruch Nr. 17 Rn. 57; BAG, Urteil vom 12. 11. 2013 – 3 AZR 274/12, NZA 2014, 780 Rn. 26; BAG, Urteil vom 13. 11. 2012 – 3 AZR 444/10, NZA 2013, 1279, 1282 Rn. 30. 57 BAG, Urteil vom 20. 09. 2016 – 3 AZR 77/15, AP BetrAVG § 1 Treuebruch Nr. 17 Rn. 57; BAG, Urteil vom 02. 11. 2013 – 3 AZR 274/12, NZA 2014, 780 Rn. 27; BAG, Urteil vom 13. 11. 2012 – 3 AZR 444/10, NZA 2013, 1279, 1282 Rn. 35. 58 Siehe zu einer umfassenden Auflistung exemplarischer Arbeitgeberreaktionen etwa Böhm, Non-Compliance, S. 216 f. 59 Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 246; Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 81. 56

B. Typische Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers

221

vorliegen, sodass eine Einschränkung seiner Haftung in der Regel nicht in Betracht kommen dürfte.60 Bei fahrlässigen Pflichtverletzungen wird eine Einschränkung der Haftung jedenfalls im unmittelbaren Arbeitsbereich anzunehmen sein. Hat sich der Arbeitnehmer bei einer Befragung auch zu Fehlverhalten im mittelbaren Arbeitsbereich geäußert, obwohl ihn diesbezüglich keine Auskunftspflicht trifft,61 stellt sich die Frage, ob eine Einschränkung seiner Haftung nach dem innerbetrieblichen Schadensausgleich auch hier in Betracht kommt. Das wäre zweifelhaft, sofern das Fehlverhalten des Arbeitnehmers lediglich bei Gelegenheit der Arbeit erfolgte; ein bloß räumlicher und zeitlicher Zusammenhang der Pflichtverletzung und der Arbeit ist unzureichend. Die Tätigkeit muss in nahem Zusammenhang mit dem Betrieb und seinem betrieblichen Wirkungskreis stehen.62 Hier bietet sich eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der Begrifflichkeiten des mittelbaren Arbeitsbereichs und der betrieblich veranlassten Tätigkeit an. Betrieblich veranlasst ist eine Tätigkeit, die dem Arbeitnehmer entweder ausdrücklich von dem Betrieb und für den Betrieb übertragen ist oder die er im Interesse des Betriebes ausführt, die in einem nahen Zusammenhang mit dem Betrieb und seinem betrieblichen Wirkungskreis steht und in diesem Sinne betriebsbezogen ist bzw. wenn bei objektiver Betrachtungsweise aus der Sicht des Schädigers im Betriebsinteresse zu handeln war, sein Verhalten unter Berücksichtigung der Verkehrsüblichkeit nicht untypisch war und keinen Exzess darstellte63. Der Arbeitnehmer soll einerseits nicht mit dem vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisiko unangemessen belastet werden, andererseits muss der Arbeitgeber nicht das allgemeine Lebensrisiko seines Arbeitnehmers tragen.64 Der Begriff des mittelbaren Arbeitsbereichs wird wie gesehen lediglich in Abgrenzung zum unmittelbaren Arbeitsbereich verwendet, sodass der mittelbare Arbeitsbereich jede Tätigkeit des Arbeitnehmers erfasst, die im Rahmen des Arbeitsverhältnisses erfolgt, aber nicht die Arbeitsleistung selbst oder den Umgang mit dem Arbeitsergebnis darstellt. Im Zusammenhang mit den Beispielsüberlegungen zu möglichen Straftaten im mittelbaren Arbeitsbereich wurde aber auch deutlich, dass dem mittelbaren Arbeitsbereich („im Rahmen des Arbeitsverhältnisses“) auch Tätigkeiten zuzurechnen sind, die lediglich im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen, also etwa durch das Arbeitsverhältnis ermöglicht werden – etwa, wenn eine Straftat zwar außerdienstlich, aber unter Nutzung von Betriebsmitteln 60 So allgemein bei Straftaten Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 91. 61 Siehe oben 2. Teil 2. Kap. Abschnitt C. I. 3. d), S. 181 zu strafrechtlich relevantem Fehlverhalten, 2. Teil 2. Kap. Abschnitt C. II. 2. d), S. 194 zur Pflichtverletzung. 62 Statt vieler BAG, Urteil vom 18. 01. 2007 – 8 AZR 250/06, NZA 2007, 1230 Rn. 31. 63 Beispielhaft für die Rechtsprechung BAG, Urteil vom 28. 10. 2010, 8 AZR 418/09, NZA 2011, 345 Rn. 14; im Schrifttum Feuerborn, in: BeckOGK BGB, § 619a Rn. 60; Henssler, in: MüKo BGB, § 619a Rn. 22; Preis, in: ErfK BGB, § 619a Rn. 12. 64 Feuerborn, in: BeckOGK BGB, § 619a Rn. 59.

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3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

oder betrieblichen Einrichtungen begangen wird. Ein derartiges Verhalten wäre nicht mehr als betrieblich veranlasste Tätigkeit zu qualifizieren – abgesehen davon, dass die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs bei einer Vorsatztat ohnehin keine Privilegierungswirkung hätten. Mit dieser Gegenüberstellung lässt sich annehmen, dass betrieblich veranlasste Tätigkeiten stets auch Tätigkeiten sind, die dem mittelbaren Arbeitsbereich unterfallen. Da der mittelbare Arbeitsbereich allerdings auch Tätigkeiten erfasst, die lediglich im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen, lässt sich die betrieblich veranlasste Tätigkeit als eine Untermenge des mittelbaren Arbeitsbereichs verstehen. Denn nicht jede Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stellt eine betrieblich veranlasste Tätigkeit dar. Der innerbetriebliche Schadensausgleich wird dem Arbeitnehmer folglich nicht bei jedem bekannt gewordenem Fehlverhalten im mittelbaren Arbeitsbereich zugutekommen. 2. Kündigung a) Ordentliche Kündigung Als Reaktion des Arbeitgebers auf eine durch interne Untersuchungen bekannt gewordene Pflichtverletzung oder Straftat kommt schließlich eine ordentliche Kündigung in Betracht. aa) Personenbedingte Kündigung Im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes kann die Kündigung in Einzelfällen als personenbedingte Kündigung sachlich gerechtfertigt sein. Das ist etwa der Fall, wenn im Anschluss an die Untersuchung etwa eine besondere Zugangsermächtigung infolge einer behördlichen Entziehung entfällt.65 Dies gilt unabhängig davon, ob die behördliche Entziehung zu Recht erfolgt: Der betroffene Arbeitnehmer erweist sich infolge der Entziehung in beiden Fällen als ungeeignet.66 Werden parallel zu unternehmensinternen Untersuchungen oder im Anschluss daran wegen Verdachtsmomenten gegen Mitarbeiter behördliche Ermittlungen aufgenommen, soll eine personenbedingte Kündigung ebenfalls in Betracht kommen: Der Umstand, dass gegen den Arbeitnehmer ermittelt wird und dadurch die Zuverlässigkeit des Unternehmens öffentlich in Frage gestellt wird, soll ausnahmsweise unabhängig vom Verschulden des Arbeitnehmers eine personenbe-

65 Eufinger, RdA 2017, 223, 228; Haußmann/Merten, NZA 2015, 258; Zur fehlenden Zugangsermächtigung als Kündigungsgrund an sich im Rahmen von § 626 BAG, Urteil vom 26. 11. 2009 – 2 AZR 272/08, NZA 2010, 628, 631. 66 Richter, Druckkündigung bezeichnet beide Fälle als überwachungsrechtliche Druckkündigung und ordnet beide Fälle als personenbedingte Kündigung ein, S. 219 f.

B. Typische Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers

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dingte Kündigung begründen können.67 Hiergegen spricht allerdings, dass in einer derartigen Situation lediglich ein Verdacht hinsichtlich bestimmter Verfehlungen gegen einen Mitarbeiter im Raum steht. Dann sollte auch lediglich der Ausspruch einer Verdachtskündigung unter den entsprechenden Voraussetzungen in Betracht kommen68. bb) Verhaltensbedingte Kündigung In der Regel wird die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses wegen einer Pflichtverletzung oder Verwirklichung eines Straftatbestandes im Wege einer verhaltensbedingten Kündigung in Betracht kommen. Nicht weiter vertieft werden soll hier der Fall, dass sich das Fehlverhalten des Arbeitnehmers als steuerbar darstellt und die Voraussetzungen einer ordentlichen Kündigung im Übrigen vorliegen. Rechtswidrige und vorwerfbare Handlungen des Beschäftigten, die sich gegen das Vermögen des Unternehmens richten, können unproblematisch einen Grund für eine Kündigung darstellen.69 Sofern allerdings die innere Motivation des Arbeitnehmers zur rechtswidrigen Handlung altruistisch geprägt war und demzufolge u. U. sogar ein Unrechtsbewusstsein des Arbeitnehmers fehlt, lässt sich die unternehmensinterne Untersuchung als Ansatz zur Konzeption eines zukünftig verständlicheren Verhaltenskodex verstehen.70 Das wirkt sich auf die Kündigung derart aus, dass die negative Zukunftsprognose zweifelhaft wird: Immerhin ist denkbar, dass die Arbeitnehmer einen deutlichen Verhaltenskodex annehmen wird und derartiges Fehlverhalten in Zukunft ausbleibt. Im Rahmen der verhaltensbedingten Kündigung nach unternehmensinterner Untersuchung ergeben sich außerdem Besonderheiten, wenn die Kündigung eine unechte Druckkündigung darstellt. Eine unechte Druckkündigung im Anschluss an unternehmensinterne Untersuchungen kommt etwa dann in Betracht, wenn eine Kündigung vor dem Hintergrund der Selbstreinigung nach § 125 I Nr. 3 GWB im Raum steht und tatsächlich ein arbeitnehmerseitiges Fehlverhalten vorliegt. Die Voraussetzung der Selbstreinigung des Arbeitgebers mit dem Zweck, vom Vergabeverfahren nicht ausgeschlossen zu werden, setzt den Arbeitgeber unter Druck, sich von dem Arbeitnehmer zu trennen, dessen Fehlverhalten zutage getreten ist. Diese Situation ist vergleichbar mit der Konstellation, die als unechte Druckkündigung bezeichnet wird:71 Hier wird eine 67

Haußmann/Merten, NZA 2015, 258, 259. Eine Verdachtskündigung dürfte dann allerdings wohl als außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden. 69 BAG, Urteil vom 10. 6. 2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 Rn. 25. 70 Zum Ganzen Gottwald, S. 79. 71 Für eine unechte Druckkündigung in der Situation, dass öffentliche Auftraggeber die Neuvergabe von Aufträgen davon abhängig machen, dass bestimmten rechtswidrig handelnden Arbeitnehmern aufgrund dessen gekündigt wird Eufinger, RdA 2017, 223, 228; Kiel, in: APS, § 1 KSchG Rn. 504. 68

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3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

Kündigung etwa von einer Aufsichtsbehörde oder einem Geschäftspartner unter Androhung von Nachteilen verlangt, die Kündigung ist aber auch tatsächlich objektiv gerechtfertigt; der Druck stellt lediglich einen äußeren Anlass dar.72 Überwiegend wird der besonderen Drucksituation dahingehend Rechnung getragen, dass sie zwar nichts am Rechtfertigungsmaßstab ändert, wohl aber als betriebliches oder wirtschaftliches Interesse in der Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers berücksichtigt wird.73 Das ist in der vergaberechtlichen Konstellation allerdings problematisch, wenn mit dem Ergebnis aus Abschnitt A. davon auszugehen ist, dass Maßnahmen zur Selbstreinigung im Sinne von § 125 I Nr. 3 StGB lediglich unter der Prämisse der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit gefordert werden können.74 Dann darf aber die vergaberechtliche Drucksituation nicht in die Interessenabwägung im Rahmen der Kündigungsentscheidung einfließen – anderenfalls droht die zirkuläre Schlussfolgerung, die arbeitsrechtliche Zulässigkeit ihrerseits in Abhängigkeit der vergaberechtlichen Drucksituation zu entscheiden. Die Wirksamkeit der Kündigung hat sich mithin alleine am Fehlverhalten des Arbeitnehmers zu orientieren, unabhängig von der vergaberechtlichen Drucksituation. Ein weiterer Fall einer unechten Druckkündigung im Zusammenhang mit den Untersuchungsergebnissen kann sich aus Third Party Compliance, auch Geschäftspartner Compliance75 oder Business Partner Compliance76 ergeben. Derartige Third Party Compliance-Vorgaben können etwa derart ausgestaltet sein, dass sich der Geschäftspartner dazu verpflichtet, die anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten.77 Viele dieser Klauseln sehen ein Kündigungsrecht des Verwenders vor, wenn der andere Teil gegen diese Bestimmungen verstößt.78 Stellt sich im Rahmen der Untersuchung ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers z. B. in Form einer Straftat heraus und stellt dieses Verhalten einen Verstoß gegen die Compliance-Vorgaben eines Geschäftspartners dar, kann der Geschäftspartner u. U. damit reagieren, die 72

Benecke/Groß, BB 2015, 693; allgemein zur unechten Druckkündigung. Benecke/Groß, BB 2015, 693, 696; Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 274; Fischermeier, in: KR, § 626 BGB Rn. 220; Hergenröder, in: MüKo BGB, § 1 KSchG Rn. 245; Preis, in Stahlhacke/Preis/Vossen, 1. Abschnitt, § 22 Rn. 695; zur außerordentlichen Kündigung Niemann, in: ErfK BGB, § 626 Rn. 185. 74 Siehe hierzu S. 215; im Sinne des dortigen Ergebnisses auch Haußmann/Merten, NZA 2015, 258, 262; Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642, 646; Opitz, in: Beck’scher Vergaberechtskommentar Bd. 1, GWB § 125 Rn. 31; Wimmer, Zuverlässigkeit im Vergaberecht, S. 179. So auch im Ergebnis die Diskussion auf dem 3. Deutschen Arbeitsrechtstag, wonach der „personellen Selbstreinigung“ kündigungsrechtliche Grenzen gesetzt sind, Henssler, NZA-Beilage 2018, 31, 38. 75 Zu den Begrifflichkeiten von Busekist/Uhlig, in: Hauschka/Moosmeyer/Lösler, Corporate Compliance, § 35 Rn. 1. 76 Bicker/Stoklasa, BB 2018, 519, 520. 77 Bicker/Stoklasa, BB 2018, 519, 523; Busekist/Uhlig, in: Hauschka/Moosmeyer/Lösler, Corporate Compliance, § 35 Rn. 85. 78 Gilch/Pelz, CCZ 2008, 131, 136 auch zu Wirksamkeitsanforderungen an derartige Kündigungsklauseln. 73

B. Typische Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers

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Geschäftsbeziehung durch außerordentliche Kündigung zu beenden oder den Partner bei weiteren Ausschreibungen auszuschließen.79 In diesem Fall stellt eine derartige Reaktion des Geschäftspartners ein Verhalten Dritter dar, das bei der Kündigungsentscheidung berücksichtigt werden kann. cc) Betriebsbedingte Kündigung Bei Betrachtung der Besonderheiten betriebsbedingter Kündigungen im Rahmen interner Untersuchungen ist an die echte Druckkündigung zu denken, die verbreitet als betriebsbedingte Kündigung qualifiziert wird.80 Tatsächlich wird die echte Druckkündigung in Abgrenzung zur unechten Druckkündigung als Reaktion auf das Ergebnis unternehmensinterner Untersuchungen konsequenterweise nicht vorkommen: Ist im Rahmen der Untersuchung ein Fehlverhalten von Arbeitnehmern zutage getreten, dürfte in dem Fehlverhalten in der Regel ein eigenständiger Kündigungsgrund liegen und es damit an der Voraussetzung der echten Druckkündigung fehlen, dass ein Kündigungsgrund objektiv nicht vorliegt81. b) Außerordentliche Kündigung Sofern die Arbeitnehmerbefragung ergibt, dass ein Arbeitnehmer Straftaten zulasten des Unternehmens begangen hat, kann regelmäßig ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB gegeben und damit der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung gerechtfertigt sein.82 Spricht der Arbeitgeber im Anschluss an eine unternehmensinterne Untersuchung eine außerordentliche Kündigung aus, sind folgende Besonderheiten auszumachen. aa) (Drohende) Sanktionen als Aspekt der Interessenabwägung? Bezüglich der Interessenabwägung nach § 626 I BGB wird teilweise vorgeschlagen, zugunsten des Arbeitgebers zu berücksichtigen, dass er infolge des Fehlverhaltens des Arbeitnehmers mit Sanktionen rechnen muss.83 Die Möglichkeit 79 Eufinger, RdA 2017, 223, 228. Diese Konsequenz soll sogar behördliche Erwartungshaltung sein, etwa seitens des DOJ oder MOJ, Bicker/Stoklasa, BB 2018, 519, 524. 80 BAG, Urteil vom 18. 07. 2013 – 6 AZR 420/12, NZA 2014, 109 Rn. 39; Fischermeier, in: KR, § 626 Rn. 220; für eine Einordnung als personenbedingte Kündigung Krause, in: v. Hoyningen-Huene/Link, § 1 Rn. 347; ohne klare Zuordnung Hergenröder, in: MüKo BGB, § 1 KSchG Rn. 246; Oetker, in: ErfK KSchG, § 1 Rn. 185. 81 Zur Voraussetzung eines fehlendes Kündigungsgrundes Fischermeier, in: KR, § 626 BGB Rn. 220; Hergenröder, in: MüKo BGB, § 1 KSchG Rn. 245; Vossen, in: APS, § 626 BGB Rn. 339. 82 Zur außerordentlichen Kündigung bei Begehung von Straftaten Fischermeier, in: KR, § 626 BGB Rn. 461; Müller-Glöge, in: ErfK BGB, § 626 Rn. 29e. 83 LAG Hessen, Urteil vom 25. 01. 2010 – 17 Sa 21/09, BeckRS 2011, 65288; Dzida, NZA 2012, 881, 882, 884.

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3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

derartiger Sanktionen kann sich aus den bereits im ersten Teil angesprochenen Normen ergeben, etwa bei Bezug zu US-Recht oder britischem Recht aus entsprechenden behördlichen Sanktionen.84 Muss der Arbeitgeber lediglich mit Sanktionen rechnen, stellt sich die Frage, inwieweit diese Sanktionen bereits drohen müssen, um im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt werden zu können. Hier kann zwischen im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits feststehenden oder konkret zu erwartenden Sanktionen und zu diesem Zeitpunkt lediglich abstrakt drohenden Sanktionen zu differenzieren sein. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits feststehende bzw. konkret zu erwartende Sanktionen können in die Interessenabwägung einbezogen werden.85 Dieses Ergebnis gilt selbst für Literaturstimmen, die lediglich vertragsbezogene Interessen der Parteien in die Interessenabwägung einstellen möchten, da die Auswirkung einer Vertragsverletzung in der Interessenabwägung berücksichtigt werden darf.86 Gegen eine Einbeziehung lässt sich auch nicht vorbringen, dem Arbeitnehmer wäre in einem umgekehrten Fall eine Berufung auf die Geringwertigkeit eines von ihm angerichteten Schadens nach der Rechtsprechung verwehrt, weswegen der angerichtete Schaden bei der Interessenabwägung grundsätzlich nicht berücksichtigt werden soll.87 Eine derartige Sichtweise verkennt, dass die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung es lediglich ablehnt, die Geringwertigkeit bei der Frage zu berücksichtigen, ob ein wichtiger Grund i. S. v. § 626 I BGB vorliegt;88 Umstände, die eine Wertung voraussetzen, wie etwa der geringe Wert, sind erst der Interessenab-

84

Siehe hierzu bereits die Ausführungen in Teil 1. Die Rechtsprechung zieht den Kreis der berücksichtigungsfähigen Interessen ohnehin weit (hierzu Stoffels, in: BeckOK ArbR, § 626 BGB Rn. 74) und betrachtet die wirtschaftlichen Folgen einer Vertragspflichtverletzung als in die Interessenabwägung einzustellenden Gesichtspunkt (etwa BAG, Urteil vom 10. 6. 2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 Rn. 34). Auch nach den Literaturstimmen, die lediglich vertragsbezogene Interessen der Parteien in die Interessenabwägung einstellen möchte, sind die Auswirkung einer Vertragsverletzung in der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Die Auslösung konkreter Sanktionen infolge eines – durch den Arbeitnehmer ausgelösten – Missstands im Unternehmen lässt sich als Auswirkung der Vertragsverletzung in Form eines entstandenen Schadens qualifizieren. 86 Fischermeier, in: KR, § 626 BGB Rn. 254; zur Schadenshöhe Fischermeier, in: KR, § 626 BGB Rn. 256. Die Höhe des Schadens in der Interessenabwägung berücksichtigend Preis, AuR 2010, 242, 247. 87 Derart argumentierend Rolf/Was´kowski, CB 2014, 479, 482. 88 So bereits BAG, Urteil vom 17. 05. 1984 – 2 AZR 3/83, NZA 1985, 91: An der Ansicht, dass auch die Entwendung von im Eigentum des Arbeitgebers stehenden geringwertigen Sachen an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben, und es somit immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommt, ob ein solches Verhalten die fristlose Kündigung rechtfertigt, ist festzuhalten. Sehr deutlich auch BAG, Urteil vom 11. 12. 2003 – 2 AZR 36/03, NZA 2004, 486, 488; siehe auch BAG, Urteil vom 10.06. 2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 Rn. 26. Weitere Beispiele bei Stoffels, NJW 2011, 118 Fn. 26. 85

B. Typische Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers

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wägung zuzuordnen.89 Damit ist in dem gerade angesprochenen umgekehrten Fall eben nicht ausgeschlossen, die Auswirkungen der Pflichtverletzung, wie etwa die Schadenshöhe, im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung lediglich abstrakt drohende Sanktionen, also das bloße Risiko des Arbeitgebers, mit Sanktionen belegt zu werden, dürfte in die Interessenabwägung nicht einzubeziehen sein.90 Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Kündigung kommt es auf die objektiven Verhältnisse zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an.91 Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 I BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend; Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen.92 Besteht bei Zugang der Kündigung lediglich das abstrakte Risiko einer Sanktion, ist fraglich, ob dies ein Umstand ist, der bereits entstanden ist. Das Risiko selbst besteht; allerdings ist es zu diesem Zeitpunkt weder bezifferbar, noch ist seine Realisierung absehbar. Auch der Rückgriff auf Erfahrungswerte dürfte schwerfallen, da die Höhe bzw. der Ausspruch von Sanktionen grundsätzlich nach US-amerikanischem und britischem Recht wie gesehen auch vom Kooperationsverhalten des Unternehmens selbst abhängig ist. Das bloße Risiko ist als Abwägungsaspekt vor diesem Hintergrund nicht greifbar, sodass eine Einbeziehung in die Interessenabwägung unterbleiben sollte. Im Übrigen ist bei Sachverhalten mit rein nationalem Bezug ohnehin zweifelhaft, ob das deutsche Recht überhaupt Sanktionsmöglichkeiten vorsieht, die zu berücksichtigen wären. Ein Bußgeld nach § 130 OWiG knüpft neben der originären Zuwiderhandlung gegen Pflichten an das Unterlassen von Aufsichtsmaßnahmen an. Würde ein Bußgeld zugunsten des Arbeitgebers in die Interessenabwägung einbezogen, käme dem Arbeitgeber letztlich die eigene Aufsichtspflichtverletzung als für ihn günstiger Interessensgesichtspunkt zugute.93 Das erscheint widersinnig. Auch die Berücksichtigung eines drohenden Ausschlusses von Vergabeverfahren sollte unterbleiben,94 wenn das Gebot, sich im Interesse einer Selbstreinigung von einem problematischen Arbeitnehmer zu trennen, nicht weiterreichen darf als nach dem Arbeitsrecht zulässig.95 Wie bei der unechten Druckkündigung gesehen, darf der 89 BAG, Urteil vom 11.12. 2003 – 2 AZR 36/03, NZA 2004, 486, 488; zustimmend Preis, AuR 2010, 242, 243, 247. 90 A. A. LAG Hessen, Urteil vom 25. 01. 2010 – 17 Sa 21/09, BeckRS 2011, 65288; Dzida, NZA 2012, 881, 882, 884. 91 BAG, Urteil vom 10. 06. 2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227, 1233 Rn. 52; Fischermeier, in: KR, § 626 BGB Rn. 116; Niemann, in: ErfK, § 626 Rn. 54; Stoffels, in: BeckOK ArbR, § 626 BGB Rn. 51; zur ordentlichen Kündigung Rachor, in: KR, § 1 KSchG Rn. 235. 92 BAG, Urteil vom 10. 06. 2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227, 1233 Rn. 52. 93 A. A. für eine Berücksichtigung eines Bußgeldes nach § 130 III OWiG Dzida, NZA 2012, 881, 884. 94 A. A. für eine Berücksichtigung Dzida, NZA 2012, 881, 882. 95 So im Ergebnis bereits oben Eufinger, DB 2016, 471, 476; Haußmann/Merten, NZA 2015, 258, 262; Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642, 646; Opitz, in: Beck’scher

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3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

vergaberechtliche Druck nicht in die Interessenabwägung im Rahmen der Kündigungsentscheidung einfließen – anderenfalls droht gerade das zirkuläre Ergebnis, die arbeitsrechtliche Zulässigkeit ihrerseits in Abhängigkeit der vergaberechtlichen Drucksituation zu entscheiden. bb) Kündigungserklärungsfrist, § 626 II BGB Bei einer außerordentlichen Kündigung als Reaktion auf bei der Befragung zutage getretenes Fehlverhalten stellt sich die Frage nach dem Beginn der Kündigungserklärungsfrist aus § 626 II BGB: Danach kann eine außerordentliche Kündigung lediglich innerhalb von zwei Wochen ab dem Zeitpunkt ausgesprochen werden, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen Kenntnis erlangt. Die erste Schwierigkeit bei der Ermittlung des Fristbeginns stellt das Erfordernis der Kenntnis in Person des Kündigungsberechtigten dar. Insbesondere bei Zugrundelegung der zu Beginn dieser Arbeit angesprochenen drei Kriterien ist zu berücksichtigen, dass bei unternehmensinternen Untersuchungen die Arbeitnehmerbefragungen durch externe Berater durchgeführt werden, bei einfachen Ermittlungen auch durch betriebsangehörige Befragungspersonen.96 Auch die Sichtung von Beobachtungsdaten wird in der Regel nicht durch den Arbeitgeber bzw. seinen gesetzlichen Vertreter erfolgen. Für den Fristbeginn ist mithin auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Kündigungsberechtigte tatsächlich von den maßgeblichen Umständen erfährt, also bei Einsatz von externen oder betriebsangehörigen Ermittlern etwa mit deren Mitteilung an den Vorstand97. In der Regel wird die Mitteilung in Form eines schriftlichen Berichts erfolgen, sodass es auf den Zeitpunkt des Zugangs dieses Berichts ankommt.98 Auf eine mündliche Mitteilung soll es ausnahmsweise ankommen, wenn ein schriftlicher Bericht lediglich eine Zusammenfassung von vorab überlieferten, gesicherten Erkenntnissen darstellt.99 Diese Sichtweise ist allerdings problematisch, wenn sich der schriftliche Bericht erst im Nachhinein als eine bloße Zusammenfassung darstellt – die Frist ab der mündlichen Mitteilung könnte dann bereits abgelaufen sein. Sachgerechter ist daher, stets auf den

Vergaberechtskommentar Bd. 1, GWB § 125 Rn. 31; Wimmer, Zuverlässigkeit im Vergaberecht, S. 179. So auch im Ergebnis die Diskussion auf dem 3. Deutschen Arbeitsrechtstag, wonach der „personellen Selbstreinigung“ kündigungsrechtliche Grenzen gesetzt sind, Henssler, NZA-Beilage 2018, 31, 38. 96 Siehe zur gängigen Voraussetzungstrias von internal investigations/unternehmensinterner Untersuchungen in Abgrenzung zu einfachen betriebsinternen Ermittlungen Teil 1. 97 LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. 10. 2014 – 21 Sa 800/14, NZA-RR 2015, 241: Bericht der Compliance-Abteilung an den Vorstand; so im Ergebnis auch Gottwald, S. 73. 98 Dzida/Förster, NZA-RR 2015, 561, 565; Dzida, NZA 2014, 809, 810. 99 So auch LAG Hamm, Urteil vom 15. 07. 2014 – 7 Sa 94/14, BeckRS 2014, 71879; Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 275.

B. Typische Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers

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Zugang eines schriftlichen Berichts abzustellen, soweit mit einem derartigen Bericht gerechnet werden darf. Die Kenntnis Dritter kann lediglich ausnahmsweise ausreichen, wenn sich der Kündigungsberechtigte diese Kenntnis zurechnen lassen muss.100 Das ist dann der Fall, wenn der Dritte eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung innehat sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass mit seinem Bericht an den Kündigungsberechtigten dieser ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Voraussetzung dafür, dem Arbeitgeber solche Kenntnisse zuzurechnen, ist ferner, dass eine Verspätung, mit der er in eigener Person Kenntnis erlangt hat, auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht. Bei betriebsfremden, d. h. externen Ermittlern liegen die Zurechnungskriterien ebenso wenig vor101 wie bei Ermittlungen durch die betriebseigene Compliance-Abteilung102. Die zweite Schwierigkeit im Rahmen der Kündigungserklärungsfrist stellt die Frage dar, wann Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen vorliegt. Die maßgeblichen Tatsachen liegen dann vor, wenn alles in Erfahrung gebracht ist, was als notwendige Grundlage für die Entscheidung über den Fortbestand oder die Auflösung des Arbeitsverhältnisses anzusehen ist.103 Der Kündigungsberechtigte muss mit gebotener Eile Ermittlungen anstellen, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts vermitteln sollen; hierzu gehören auch Aspekte, die für den Arbeitnehmer und gegen die Kündigung sprechen sowie die Beschaffung und Sicherung von möglichen Beweismitteln.104 Bis zur zuverlässigen und möglichst vollständigen positiven Kenntnis des Kündigungsberechtigten von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen, die ihm eine Entscheidung über die Zumut100

Zu den nachfolgenden Zurechnungskriterien BAG, Urteil vom 16. 7. 2015 – 2 AZR 85/ 15, NZA 2016, 161 Rn. 55; BAG, Urteil vom 23. 10. 2008 – 2 AZR 388/07, AP BGB, § 626 Nr. 217 Rn. 22; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. 10. 2014 – 21 Sa 800/14, NZA-RR 2015, 241; ArbG Stuttgart, Urt. v. 7. 2. 2018 – 15 Ca 1852/17, BeckRS 2018, 11321 Rn. 150; Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, § 127 Rn. 33; Niemann, in ErfK BGB, § 626 Rn. 206; Stoffels, in: BeckOK ArbR, § 626 BGB Rn. 181. 101 Dzida/Förster, NZA-RR 2015, 561, 563. 102 LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. 10. 2014 – 21 Sa 800/14, NZA-RR 2015, 241; a. A. für eine Zurechnung, um ein Hinauszögern der Kündigungserklärungsfrist durch geschickte Zusammenstellung des Ermittlungsteams seitens des Arbeitgebers zu verhindern Heinemeyer/Thomas, BB 2012, 1218, 1219. 103 BAG, Urteil vom 16. 07. 2015 – 2 AZR 85/15, NZA 2016, 161 Rn. 54; BGH derart zum Dienstverhältnis, Urteil vom 26. 02. 1996 – II ZR 114/95, NJW 1996, 1403, 1404; Niemann, in: ErfK BGB, § 626 Rn. 209; Stoffels, in: BeckOK ArbR, § 626 BGB Rn. 185: die im Sinne der Zumutbarkeitserwägungen sowohl für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. 104 BAG, Urteil vom 16. 07. 2015 – 2 AZR 85/15, NZA 2016, 161 Rn. 54; BAG, Urteil vom 20. 03. 2014 – 2 AZR 1037/12, NZA 2014, 1015 Rn. 14; BAG, Urteil vom 01. 02. 2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744 Rn. 18; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. 10. 2014 – 21 Sa 800/ 14, NZA-RR 2015, 241; Niemann, in ErfK BGB, § 626 Rn. 209 f.

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3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

barkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ermöglicht, ist die grundsätzliche Hemmung der Frist aus § 626 II BGB anerkannt.105 Bei Kündigungsüberlegungen als Reaktion auf unternehmensinterne Untersuchungsergebnisse wird diese Hemmung allerdings u. U. derart ausgereizt, dass sie in Frage gestellt werden kann: Hier ist problematisch, dass die Untersuchungen regelmäßig zur Aufklärung vernetzten Fehlverhaltens erfolgen und der Arbeitgeber daher zu einer mosaikartigen Aufklärung gezwungen ist106, die unter Umständen mehrere Jahre dauern kann107. Unter Verweis auf die Auslegung von § 626 II BGB wird vertreten, dass die Kündigungserklärungsfrist trotzdem erst dann zu laufen beginnt, wenn das gesamte Netz von Compliance-Verstößen vollständig aufgeklärt ist: Der Wortlaut von § 626 II BGB stehe diesem Ergebnis nicht entgegen und auch das systematische Verständnis von § 626 II BGB als Verwirkungstatbestand108 lasse zu, dass der Arbeitgeber zur Auslösung der Verwirkung zunächst in der Lage sein muss, die Kündigungsumstände mindestens ebenso gut wie der Arbeitnehmer einschätzen zu können.109 Ohne eine umfassende Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt könne er sein Recht zur außerordentlichen Kündigung nicht verwirken;110 die Verwirkung ist mithin geknüpft an den Ablauf der Entscheidungsfrist. Allerdings ist Telos des § 626 II BGB, dem Kündigungsgegner schnell Klarheit darüber zu verschaffen, ob der Kündigungsberechtigte einen Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nimmt.111 Vor dem Hintergrund dieses Zwecks von § 626 II BGB ist klarzustellen, dass die Kündigungserklärungsfrist zwar erst dann zu laufen beginnt, wenn das gesamte Netz von Compliance-Verstößen vollständig aufgeklärt ist. Der Arbeitgeber muss sich aber um eine zügige Aufklärung des Netzes von Compliance-Verstößen bemühen.112 Das Erfordernis der zügigen Auf105 Solange der Kündigungsberechtigte die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, läuft die Ausschlussfrist nicht an, BAG, Urteil vom 25. 11. 2010 – 2 AZR 171/09, NZA-RR 2011, 177 Rn. 15; BAG, Urteil vom 01. 02. 2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744 Rn. 19; Stoffels, in: BeckOK ArbR, § 626 BGB Rn. 185. 106 Göpfert/Drägert, CCZ 2011, 25, 26. 107 Dzida/Förster, NZA-RR 2015, 561, 564. 108 Stoffels, in: BeckOK ArbR, § 626 BGB Rn. 174. 109 Zu dieser Auslegung Göpfert/Drägert, CCZ 2011, 25, 27 f. sogar wohl ohne Einschränkung dahingehend, dass der Arbeitgeber die vollständige Aufklärung zügig herbeiführen muss; ebenso Gottwald, S. 71. 110 Dies anerkennend auch LAG Hamm, Urteil vom 15. 07. 2014 – 7 Sa 94/14, BeckRS 2014, 71879 unter II. B. 3. aa). 111 BAG, Urteil vom 01. 02. 2007, 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744 Rn. 17; BAG, Urteil vom 02. 02. 2006, 2 AZR 57/05, NZA-RR 2006, 440 Rn. 20. 112 In der Rechtsprechung wird das Element der Zügigkeit besonders betont bei ArbG Stuttgart, Urteil vom 07. 02. 2018 – 15 Ca 1852/17, BeckRS 2018, 11321 Rn. 161 (Aufnahme interner Ermittlungen sechs Monate nach Anlass zu Ermittlungen), im Schrifttum bei Bittmann/ Brockhaus/von Coelln, NZWiSt 2019, 1, 4; Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, § 127 Rn. 22.

B. Typische Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers

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klärungsbemühung findet sich bereits in den Rechtsprechungsgrundsätzen im Ausdruck der gebotenen Eile;113 bei umfangreichen unternehmensinternen Untersuchungen bekommt es aber tatsächlich ein besonderes Gewicht: Die Veranlassung einer weiteren Aufklärung durch verständige Gründe ist vom Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen.114 Bei zeitintensiven Aufklärungsmaßnahmen wird eine zunehmende Ermittlungsdauer den Arbeitgeber entsprechend zunehmend unter Druck setzen und für den Arbeitgeber letztlich gesteigerte Anforderungen an seinen substantiierten Vortrag stellen.115 Trägt der Arbeitgeber nicht ausreichend zur Veranlassung einer weiteren Aufklärung vor, was umso mehr bei zunehmender Ermittlungsdauer geschehen müsste, wäre die Frist des § 626 II BGB nicht eingehalten116 und eine Verwirkung wäre anzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist die oben getroffene Feststellung, die Verwirkung sei geknüpft an den Ablauf der Entscheidungsfrist, klarstellend um diese Konstellation zu ergänzen: Eine Verwirkung ist auch dann anzunehmen, wenn der darlegungs- und beweisbelastete Arbeitgeber zur Hemmung der Entscheidungsfrist nicht ausreichend vorträgt. Damit dürfte die ausreichende Darlegung zur Veranlassung der weiteren Aufklärung für den Arbeitgeber das eigentliche Unwirksamkeitsrisiko für die außerordentliche Kündigung darstellen.117 Zusätzlich zu den Schwierigkeiten des substantiierten Vortrags dürfte zudem nicht ausgeschlossen sein, dass bei sehr langen Ermittlungen der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung zwar nicht die Frist nach 626 II BGB entgegensteht, wohl aber die Unzumutbarkeit des Abwartens der Kündigungsfrist. Zwar steht 626 II BGB mit dem wichtigen Grund derart in Zusammenhang, dass nach Fristablauf unwiderlegbar vermutet wird, dass der wichtige Grund, mag er auch zunächst eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt haben, seine Bedeutung jedenfalls insofern eingebüßt hat, als die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum nächsten

113 Siehe zum Kriterium der gebotenen Eile etwa BAG, Urt. v. 16. 7. 2015 – 2 AZR 85/15, NZA 2016, 161 Rn. 54; BAG, Urt. v. 20. 3. 2014 – 2 AZR 1037/12, NZA 2014, 1015 Rn. 14; BAG, Urteil vom 01. 02. 2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744 Rn. 19. 114 BAG, Urteil vom 16. 7. 2015 – 2 AZR 85/15, NZA 2016, 161 Rn. 61 zur nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts gelungenen Darlegung; BAG, Urteil vom 01. 02. 2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744 Rn. 21 ebenfalls zur nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts gelungenen Darlegung; Fischermeier, in KR, § 626 BGB Rn. 349; Schimmelpfennig, CCZ 2008, 161, 163. 115 Derart auch Heinemeyer/Thomas, BB 2012, 1218, 1219. 116 Derart etwa LAG Niedersachsen, Urteil vom 16. 09. 2005 – 16 Sa 225/05, NZA-RR 2006, 131, 133: eine Überzeugung des Gerichts, dass die Frist des § 626 II BGB eingehalten ist, konnte nicht begründet werden. 117 Als ausreichend hat das Bundesarbeitsgericht die jeweilige Darlegung der Beklagten bei einmonatiger Ermittlungsdauer (BAG, Urteil vom 16. 07. 2015 – 2 AZR 85/15, NZA 2016, 161 Rn. 61) bzw. zweimonatiger Ermittlungsdauer (BAG, Urteil vom 1. 2. 2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744 Rn. 21) angesehen; angesichts der hier kurzen Ermittlungsdauer steht diese Rechtsprechung der Annahme strengerer Darlegungsanforderungen bei u. U. jahrelanger Ermittlungsdauer nicht entgegen.

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3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

regulären Beendigungstermin nicht mehr unzumutbar ist.118 Die unwiderlegbare Vermutung gilt mithin vor Fristablauf nicht. Allerdings scheint es auch vor Fristablauf – genauer: sogar vor Fristbeginn – schwer begründbar, dass der Arbeitgeber nach jahrelangen Ermittlungen einen derart wichtigen Grund vorweisen kann, dass es ihm unzumutbar ist, die ordentliche Kündigungsfrist abzuwarten. Immerhin dürfte im Zeitraum der Ermittlungen bereits ein entsprechender Verdacht gegen den Arbeitnehmer bestehen – hat der Arbeitgeber unter diesen Umständen auch nicht von einer Verdachtskündigung Gebrauch gemacht, könnte die Unzumutbarkeit umso zweifelhafter sein. c) Berücksichtigung gesetzeswidriger Weisungen Sofern der Arbeitgeber auf Ergebnisse unternehmensinterner Untersuchungen mit einer Kündigung reagiert, kann sich eine derartige Kündigung als unwirksam darstellen, wenn dem Fehlverhalten des Arbeitnehmers eine gesetzeswidrige Weisung zugrunde lag. Welche Auswirkungen eine derartige Weisung auf die Wirksamkeit der Kündigung hat, kann differenzierend danach betrachtet werden, wer die gesetzeswidrige Weisung ausgesprochen hat.119 aa) Gesetzeswidrige Weisung durch den Arbeitgeber Einleuchtend scheint die Berücksichtigung des Weisungsverhaltens bei der Wirksamkeitsbeurteilung der Kündigung, wenn der Arbeitgeber selbst als natürliche Person bzw. das entsprechende Organ als gesetzlicher Vertreter bei juristischen Personen einem Arbeitnehmer eine gesetzeswidrige Weisung erteilt, dieses Verhalten des Arbeitnehmers dann im Rahmen unternehmensinterner Untersuchungen zutage tritt und der Arbeitgeber darauf mit einer Kündigung reagiert. Denn das Ziel einer Kündigung ist, dem Arbeitgeber die Beendigung eines für ihn nicht mehr zumutbaren Arbeitsverhältnisses zu ermöglichen. Hat der Arbeitgeber das (Fehl) Verhalten des Arbeitnehmers selbst initiiert, hat er gerade nicht auf die Redlichkeit des Arbeitnehmers vertraut.120 Beruft er sich anschließend auf eine Vertrauenszerstörung, stellt das einen Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens dar.121 Dieser Verstoß ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen.122 118 BAG, Urteil vom 08. 06. 1972, NJW 1972, 1878; Fischermeier, in KR, § 626 BGB Rn. 330; Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, § 127 Rn. 20; Stoffels, in: BeckOK ArbR, § 626 BGB Rn. 174. 119 Eine derartige Differenzierung den eigenen Ausführungen zugrunde legend auch Bennecke/Groß, BB 2015, 693, 695; Eufinger, RdA 2018, 224, 226, der sich allerdings auf den Umgang des Arbeitnehmers mit gesetzeswidrigen Weisungen konzentriert. 120 Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, § 127 Rn. 116a. 121 ArbG München, Urteil vom 02. 10. 2008 – 13 Ca 17197/07, NZA-RR 2009, 134, 136; Bennecke/Groß, BB 2015, 693, 695; Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, § 127 Rn. 116a; Steinkühler/Kunze, RdA 2009, 367, 370. Diese Konstellation („Zumutbarkeitsprüfung im Verhältnis

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Da dem Arbeitgeber mangels Vertrauens in die Redlichkeit des Arbeitnehmers eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerade zugemutet werden kann, wird das Ergebnis der Interessenabwägung in der Regel zugunsten des Arbeitnehmers ausfallen. bb) Gesetzeswidrige Weisung durch einen Vorgesetzten Erfolgt die gesetzeswidrige Weisung nicht durch den Arbeitgeber bzw. seinen gesetzlichen Vertreter, sondern durch einen weisungsbefugten Dritten (Vorgesetzter), stellt sich gleichermaßen die Frage, wie eine gesetzeswidrige Weisung im Rahmen der Wirksamkeitsbetrachtung der Kündigung zu berücksichtigen ist. Die gesetzeswidrige Weisung eines Vorgesetzten lässt sich in der Interessenabwägung allerdings an zwei unterschiedliche Aspekte anknüpfen: An das Verschulden des Arbeitnehmers sowie an einen Verstoß des Arbeitgebers gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens.123 (1) Verschulden des Arbeitnehmers Ein Verschulden des Arbeitnehmers ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen.124 An einer schuldhaften Pflichtverletzung fehlt es, wenn der Arbeitnehmer aus vertretbaren Gründen annehmen durfte, er handele nicht pflichtwidrig.125 Unterliegt der Arbeitnehmer einem derartigen Irrtum und meint, mit Befolgung der Weisung des Vorgesetzten zugleich im Interesse des Arbeitgebers zu handeln, geht er von einer Billigung seines Verhaltens durch den Arbeitgeber aus und irrt damit über die tatsächlichen Umstände einer Pflichtverletzung.126 Insofern liegt unter Straftätern“) aufgreifend und für eine Interessenabwägung im Verhältnis zu den Aktionären und Anteilseignern plädierend Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 95. 122 Bennecke/Groß, BB 2015, 693, 695; Böhm, Non-Compliance, S. 253; Kolbe, NZA 2009, 228, 229; auch das Urteil des ArbG München vom 02. 10. 2008 – 13 Ca 17197/07 lässt hinsichtlich der Verortung zum Verbot widersprüchlichen Verhaltens als eine Einordnung in die Interessenabwägung schließen. 123 Auf diese beiden Anknüpfungspunkte Bezug nehmend auch Rolf/ Was´kowski, CB 2014, 479, 480; lediglich allgemein mit Berücksichtigung des Handelns auf Weisung des Vorgesetzten in der Interessenabwägung ohne genauere Zuordnung Niemann, in: ErfK BGB, § 626 Rn. 133. 124 Das Verschulden ist gerade keine notwendige Voraussetzung des Kündigungsgrundes, aber ein wichtiges Bewertungsprinzip im Rahmen der Interessenabwägung, Preis, in: APS, Grundlagen H Rn. 52; derart auch Niemann, in: ErfK BGB, § 626 Rn. 40. 125 BAG, Urteil vom 21. 06. 2012 – 2 AZR 694/11, NZA 2013, 199 Rn. 32; BAG, Urteil vom 28. 8. 2008 – 2 AZR 15/07, NZA 2009, 193 Rn. 22. 126 Bei einem derartigen Irrum des Arbeitnehmers über die tatsächlichen Voraussetzungen seiner Pflichtverletzung wird auch vertreten, der Irrtum betreffe bereits den wichtigen Grund an sich (Niemann, in: ErfK BGB, § 626 Rn. Randnummer 40a). Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass der wichtige Grund an sich stets unabhängig von subjektiven Komponenten ist.

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3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

in einer derartigen Konstellation kein klassischer Verbotsirrtum, sondern ein Irrtum über Tatsachen vor.127 Auch bei einem derart tatsächlichen Irrtum kommt es für die Frage der schuldhaften Pflichtverletzung jedoch darauf an, ob der Irrtum des Arbeitnehmers auf vertretbaren Gründen beruht. Derart vertretbare Gründe können vorliegen, wenn im Unternehmen bisher gesetzeswidriges Verhalten toleriert wurde. Bei bisheriger gesetzeswidriger Praxis müssen sich dem Arbeitnehmer keine Zweifel aufdrängen, wenn ihm eine eindeutige Anweisung des Arbeitgebers bezüglich der Einstellung der bisherigen Praxis nicht erteilt wird.128 Tritt hingegen der Arbeitgeber ausdrücklich für ein gesetzestreues Verhalten ein, liegen wohl keine vertretbaren Gründe vor, aus denen der Arbeitnehmer annehmen darf, er handele nicht pflichtwidrig. Vielmehr müsste sich dem Arbeitnehmer dann gerade erschließen, dass er in Bezug auf den Arbeitgeber pflichtwidrig handelt und die Weisung des Vorgesetzten ignorieren. Bei kollusivem Zusammenwirken des Arbeitnehmers mit dem Vorgesetzten zulasten des Arbeitgebers kann sich der Arbeitnehmer von vornherein nicht darauf berufen, er habe angenommen, nicht pflichtwidrig zu handeln: Bei kollusivem Zusammenwirken zum Nachteil des Arbeitgebers ist die Pflichtwidrigkeit offensichtlich. (2) Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens Die gesetzeswidrige Weisung durch einen Vorgesetzten lässt sich außerdem im Rahmen der Interessenabwägung durch einen Verstoß des Arbeitgebers gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens berücksichtigen.129 Widersprüchlich kann sich der Arbeitgeber bei Berufung auf das Fehlverhalten des Arbeitnehmers nur verhalten, wenn er dieses Fehlverhalten zugleich veranlasst hat. Da es durch das Tätigwerden eines Vorgesetzten an der unmittelbar eigenen Verhaltensveranlassung durch den Arbeitgeber fehlt, kommt es darauf an, ob das Verhalten des Vorgesetzten dem Arbeitgeber zugerechnet werden und sich infolgedessen ein widersprüchliches Verhalten ergeben kann.130

127 Der Verbotsirrtum würde hingegen einen Irrtum über die Rechtslage darstellen; hierauf liegt der Schwerpunkt der üblichen Irrtumsdarstellungen (etwa Niemann, in: ErfK BGB, § 626 Rn. 40a; Vossen, in: APS, § 1 KSchG Rn. 277; Zimmermann, in: Gallner/Mestwerdt/Nägele, § 1 KSchG Rn. 234). 128 BAG, Urteil vom 21. 06. 2012 – 2 AZR 694/11, NZA 2013, 199 Rn. 34. Ähnlich auch Liebers/Schuppner, NZA 2017, 155, 157: Enthält der Sachverhalt keine Anhaltspunkte für die Erkennbarkeit der Nichtigkeit der Weisung, kommt eine Interessenabwägung zugunsten des undolosen Arbeitnehmers in Betracht. 129 Verortung des Verstoßes gegen widersprüchliches Verhalten in der Interessenabwägung bei Hermann/Zeidler, NZA 2017, 1499, 1504, so zu verstehen wohl auch ArbG München, Urteil vom 02. 10. 2008 – 13 Ca 17197/07, NZA-RR 2009, 134. 130 Kolbe, NZA 2009, 228, 230 („Verantwortungszurechnung“); Steinkühler/Kunze, RdA 2009, 367, 370.

B. Typische Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers

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Ein widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers ließe sich zum einen ablehnen, wenn neben der gesetzeswidrigen Weisung des Vorgesetzten eine allgemeinere Weisung des Arbeitgebers existiert, die sich im Verhältnis der beiden Weisungen durchsetzt.131 Relevant wäre dann auch hier ein deutliches Tätigwerden des Arbeitgebers im Sinne einer allgemeineren Weisung, wonach gesetzeswidriges Verhalten im Unternehmen nicht geduldet wird. Zum anderen ließe sich die Zurechnungsproblematik aber auch nach den Grundsätzen des Stellvertretungsrechts lösen, sofern der weisungsbefugte Vorgesetzte als Stellvertreter des Arbeitgebers angesehen werden kann. Bei der Ausübung des Weisungsrechts durch Vorgesetzte wird Stellvertretung im Sinne von §§ 164 ff. BGB nur selten thematisiert;132 in der Regel ist von einer bloßen Delegation des Weisungsrechts die Rede133. Tatsächlich passt eine Anwendung der §§ 164 ff. BGB hier grundsätzlich: Weisungen im Sinne von § 106 GewO können sowohl bei Qualifizierung als einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärungen134 als auch als geschäftsähnliche Handlung135 Gegenstand einer Stellvertretung sein. Ein zur Ausübung des Weisungsrechts befugter Vorgesetzter wird in der Regel mit der Weisung eine eigene Willenserklärung abgeben; anderenfalls wäre das Ziel eines arbeitsteiligen Konzepts der Weisungsdelegation nicht erreicht. Die Weisung wird im Namen des Arbeitgebers bzw. jedenfalls erkennbar für diesen ausgesprochen.136 Bei einer Weisung im Einklang mit gesetzlichen Regelungen bewegt sich der Vorgesetzte auch im Rahmen der Vertretungsmacht. Bei gesetzeswidriger Weisung, also etwa einer Weisung, deren Befolgung einen Straftatbestand verwirklicht, ergibt sich schließlich die Besonderheit, dass der Vorgesetzte ohne Vertretungsmacht handelt, sofern der Arbeitgeber deutlich gemacht hat, dass gesetzeswidriges Verhalten im Unternehmen nicht geduldet wird – etwa durch die Einrichtung und glaubhafte Durchsetzung eines Compliance-Programms.137 Die Position des Vorgesetzten als 131 Für den Regelfall kann man davon ausgehen, dass die Weisung einer „höheren Instanz“, gleichviel, ob diese als Einzelanordnung oder als generelle Richtlinie ergeht, den Direktiven einer „unteren Instanz“ vorgeht, soweit sich die höhere Instanz dabei an geltendes Recht hält, Maschmann, NZA 2017, 1557, 1561; ähnlich auch Kolbe, NZA 2009, 228, 230; Reichold, in: MHdB ArbR, § 54 Rn. 58. 132 Ausdrücklicher Hinweis auf Vertretung i. S. v. §§ 164 ff. BGB bei Übertragung der Weisungsbefugnis auf untergeordnete Personen bei Molitor, DB 1960, 28; Moll, FS Wank, S. 375, 376. Von einer Stellvertretung ausgehend Liebers/Schuppner, NZA 2017, 155, 157; auch Lembke, in: HWK, § 106 GewO Rn. 7 mit kritischer Betrachtung von Matrix-Strukturen; Maschmann, in: BeckOGK GewO, § 106 Rn. 31. 133 Eufinger, RdA 2018, 224, 226; Kort, NZA 2013, 1318, 1319 zur arbeitgeberinternen Delegation des Weisungsrechts auf Angestellte des Vertragsarbeitgebers. 134 BAG, Urteil vom 16. 4. 2015 – 6 AZR 242/14, NZA-RR 2015, 532 Rn. 24; Lembke, in: HWK, § 106 GewO Rn. 6. 135 Bergwitz, NZA 2017, 1553, 1555. 136 Ausübung des Weisungsrechts im Namen des Arbeitgebers und für dessen Zwecke, Maschmann, in: BeckOGK GewO, § 106 Rn. 31. 137 Zweifel können sich allerdings ergeben, sofern das Compliance-Programm ein bloßes „Lippenbekenntnis“ darstellt, Dzida, NZA 2012, 881, 883.

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3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

falsus procurator lässt sich entweder damit begründen, dass unter diesen Umständen bereits die Vollmacht zur Weisungserteilung lediglich im Rahmen der gesetzlichen Regelungen erteilt wird oder aber ein Fall offensichtlichen Missbrauchs der Vertretungsmacht vorliegt, der gleichermaßen den Vorgesetzten als falsus procurator erscheinen ließe. Auch für die Annahme eines offensichtlichen Missbrauchs muss dann gelten, dass bei bisheriger gesetzeswidriger Praxis sich dem Arbeitnehmer keine Zweifel aufdrängen müssen, wenn ihm eine eindeutige Anweisung des Arbeitgebers bezüglich der Einstellung der bisherigen Praxis nicht erteilt wird.138 Als empfangsbedürftige Willenserklärung wird die ohne Vertretungsmacht erteilte Weisung die Folge des § 180 S. 2 BGB auslösen, wobei nicht anzunehmen ist, dass eine Genehmigung des Arbeitgebers erfolgt, der sich durch eigene andere Maßnahmen gegen gesetzeswidriges Verhalten wendet. Da die Weisung dem Arbeitgeber nicht zugerechnet werden kann, dürfte der Arbeitgeber in diesem Fall eine Kündigung gestützt auf das durch die gesetzeswidrige Weisung veranlasste Verhalten des Arbeitnehmers aussprechen, ohne gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens zu verstoßen.139 Verzichtet das Unternehmen auf Maßnahmen, die der Vermeidung von Gesetzesverstößen dienen oder reagiert es auf bekannt gewordene Auffälligkeiten nicht, liegt eine wirksame Stellvertretung durch den Vorgesetzten vor und der Arbeitgeber muss sich einen Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens entgegenhalten lassen, wenn er eine auf dem angewiesenen Verhalten beruhende Kündigung ausspricht.140 3. Reaktionsverzicht Eine weitere Besonderheit im Zusammenhang mit Arbeitgeberreaktionen nach unternehmensinternen Untersuchungen stellt der Verzicht auf Reaktionen in Form eines Amnestieprogramms dar. In Verbindung mit unternehmensinternen Untersuchungen und den damit einhergehenden Arbeitnehmerbefragungen bieten Unternehmen häufig Amnestieprogramme an, um die Auskunftsbereitschaft zu steigern.141 138

BAG, Urteil vom 21. 06. 2012 – 2 AZR 694/11, NZA 2013, 199 Rn. 34. Denn der Missbrauchseinwand greift nur, wenn massive Verdachtsmomente den Missbrauch aus der verobjektivierten Perspektive des Dritten „evident“ erscheinen lassen, Huber, in: BeckOGK BGB, § 164 Rn. 88. 139 Dasselbe Ergebnis lässt sich erreichen, wenn sich die allgemeinere Weisung des Arbeitgebers zu gesetzeskonformen Handeln gegenüber der konkreteren Weisung des Vorgesetzten durchsetzt und es damit schon an einem Umstand fehlt, der in einem Widerspruch zur Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers stehen würde, so wohl Kolbe, NZA 2009, 230. 140 So im Ergebnis auch Dzida, NZA 2012, 881, 883; es besteht dann kein schützenswertes Vertrauen in die Redlichkeit der Beschäftigten Steinkühler/Kunze, RdA 2009, 367, 370. 141 Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721; Majer, in: Moosmeyer/Hartwig, Interne Untersuchungen, Kap. E Rn. 1; Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 69; Potinecke/Block, in Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 2 Rn. 175; Reichert/Ott, NZG 2014, 241, 247; Wastl/Pusch, RdA 2009, 376.

B. Typische Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers

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Üblich ist hierbei eine Ausgestaltung als Spezialamnestie, bei der der Verzicht auf bestimmte Reaktionen von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig gemacht wird, wie etwa der wahrheitsgemäßen Auskunft des Arbeitnehmers über den Untersuchungsgegenstand nach bestem Wissen.142 Ein Reaktionsverzicht kann in Widerspruch mit den bereits in diesem Kapitel angesprochenen Pflichten des Arbeitgebers zu Ergreifung von Maßnahmen treten.143 a) Verzicht auf Schadensersatz Ein Verzicht auf Schadensersatz kommt zum einen derart in Betracht, dass zwischen dem Unternehmen und dem am Amnestieprogramm teilnehmenden Mitarbeiter ein Erlassvertrag im Sinne von § 397 BGB geschlossen wird mit der Folge, dass das Unternehmen seinen materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruch verliert.144 Zum anderen ist möglich, dass zwischen dem Unternehmen und dem Mitarbeiter ein Stillhalteabkommen vereinbart wird, infolgedessen der materiellrechtliche Anspruch bestehen bleibt, aber seine prozessuale Durchsetzbarkeit ausgeschlossen wird.145 In beiden Fällen kann die Wirkung der Verzichtsvereinbarung geschmälert werden, wenn der Mitarbeiter von anderen Arbeitnehmern in Regress genommen werden kann.146 Um einen Regresskreisel zu vermeiden, ist denkbar, dass sich aus dem Stillhalteabkommen auch eine Freistellungsvereinbarung zugunsten des Mitarbeiters ergibt oder, sofern das seitens des amnestierenden Gläubigers nicht gewollt ist, der Mitarbeiter zumindest über dieses Haftungsrisiko aufzuklären ist.147 Bei einem Erlassvertrag kann die Verzichtsvereinbarung vollständige Wirkung je nachdem entfalten, ob dem Erlass Einzelwirkung oder eine weitreichende oder beschränkte Gesamtwirkung zukommt.148 142 Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 722; Kahlenberg/Schwinn, CCZ 2012, 81, 82; Majer, in: Moosmeyer/Hartwig, Interne Untersuchungen, Kap. E Rn. 4; Mengel, in: Knierim/ Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 70. 143 Amnestieprogramme stehen außerdem in Konflikt zu § 266 I StGB, hierzu etwa Eufinger, GWR 2018, 267, 268. Mangels Erörterung dieses strafrechtlichen Bezugs im Rahmen dieser Arbeit wird hierauf jedoch nicht weiter eingegangen. 144 Gottwald, S. 63; Wastl/Pusch, RdA 2009, 376, 377. 145 Annuß/Pelz, BB Special 2010, S. 14, 16. Die Zusage, keine Schadensersatzansprüche geltend zu machen, wird grundsätzlich als Angebot zum Abschluss einer dauerhaften Stillhaltevereinbarung (pactum de non petendo) angesehen, so Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721; Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 72. 146 Ein Stillhalteabkommen schützt einen Gesamtschuldner nicht davor, nicht von anderen Gesamtschuldnern in Anspruch genommen zu werden Stürner, in: Jauernig BGB, 422 – 424 Rn. 3. 147 Wastl/Pusch, RdA 2009, 376, 378. 148 Wobei bei einer Einzelwirkung wie auch beim Stillhalteabkommen zumindest eine entsprechende Aufklärungspflicht des amnestierenden Gläubigers bestehen soll, Wastl/Pusch, RdA 2009, 376, 378. Eine beschränkte Gesamtwirkung kann insbesondere angenommen

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3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

Ein Verzicht auf Schadensersatz tritt auf den ersten Blick in Konflikt mit der Legalitätskontrollpflicht aus §§ 76 I, 93 I AktG: Wie gesehen legt diese dem Arbeitgeber die Pflicht auf, arbeitsrechtliche Maßnahmen im Rahmen arbeitsrechtlicher Zulässigkeit zu ergreifen. Ein Verzicht auf arbeitgeberseitige Maßnahmen stünde hierzu grundsätzlich im Widerspruch. Ob eine grundsätzliche Pflicht des Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmern zur Verfolgung von Schadensersatzansprüchen besteht, muss jedoch auch unter Berücksichtigung von § 93 I 2 AktG beantwortet werden: Hier ist die Business Judgement Rule kodifiziert, die ihrerseits auf dem ARAG/Garmenbeck-Urteil des Bundesgerichtshofs149 und der vorherigen weitgehenden Rezeption der amerikanischen Business Judgement Rule beruht.150 Ein Verzicht kann sich im Rahmen der Business Judgement Rule im Sinne von § 93 I 2 AktG bewegen – bereits im Zusammenhang mit der allgemeinen Pflicht des Arbeitgebers zur Reaktion wurde festgestellt, dass dem Vorstand bei Entscheidungen über konkrete Sanktionsmaßnahmen ein Ermessen zukommt.151 Dieses Ermessen erstreckt sich auch auf den angemessenen Verzicht,152 vorausgesetzt, die Entscheidung über den Verzicht wurde auf einer ausreichenden Informationsgrundlage getroffen – etwa der Auswertung werden, wenn gegenüber den amnestierten Mitarbeitern der Eindruck erweckt wird, lediglich mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen zu müssen, Gottwald, S. 64; Wastl/Pusch, RdA 2009, 376, 379. 149 BGH, Urteil vom 21. 04. 1997 – II ZR 175/95, NJW 1997, 1926, 1927. Unmittelbar aus dieser Entscheidung dürfte sich eine Pflicht des Arbeitgebers zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Arbeitnehmern nicht herleiten lassen: Die Pflicht des Aufsichtsrats zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen den Vorstand folgt nach dem Bundesgerichtshof aus der Aufgabe des Aufsichtsrats, die Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen (§ 111 AktG) sowie daraus, dass der Aufsichtsrat die Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern gerichtlich und außergerichtlich vertritt (§ 112 AktG). Dies legt nahe, dass Hintergrund dieser Pflicht die innere Struktur der Aktiengesellschaft mit ihren Organen in Form des Vorstandes und des Aufsichtsrats ist. Deren Aufgabenverteilung spiegelt sich im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht wider – anderenfalls wäre der Arbeitnehmer vergleichbar dem Vorstand Entscheidungs- und Handlungszentrum des Unternehmens und nicht nur in eigener Verantwortung, sondern auch in eigener Initiative tätig, während der Arbeitgeber auf die Beaufsichtigung fremder Aktivitäten beschränkt bliebe. 150 Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, AktG, § 93 Rn. 17; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 8; Wagner, CCZ 2009, 8, 15; siehe insbesondere die Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. 04. 1997 – II ZR 175/95 in BR-Drs. 3/05, S. 19 ff. 151 Paefgen, WM 2016, 433, 436; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2178. 152 Speziell bezogen auf den Verzicht auf Schadensersatzansprüche Eufinger, GWR 2018, 267, 268; Allgemein zur Zulässigkeit eines angemessenen Verzichts angesichts der Business Judgement Rule Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1704; Henssler, NZA-Beilage 2018, 31, 40; Hermann/Zeidler, NZA 2017, 1499, 1504; Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2377; Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 78; Potinecke/ Block, in Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 2 Rn. 182; Schürrle/Olbers, CCZ 2010, 178, 181. Mit welchen Inhalten und Zielen der Vorstand ein Amnestieprogramm durchführt, unterliegt gleichermaßen im Rahmen der Business-Judgement-Rule seinem Ermessen, Fuhrmann, NZG 2016, 881, 889.

B. Typische Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers

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bisher vorhandener Beobachtungsdaten oder bereits vorliegender Aussagen.153 Ein Verzicht auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zur Aufklärung eines Compliance-Verstoßes liegt gerade im Interesse des Unternehmens, wenn der betreffende Mitarbeiter einen echten Mehrwert zur Aufklärung des Sachverhalts leistet und dem Unternehmen hierdurch Vermögensnachteile erspart.154 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Zusage des Arbeitgebers, gegen Arbeitnehmer keine Schadensersatzansprüche geltend zu machen, wegen § 276 III BGB lediglich bereits entstandene155 Ansprüche auf Schadensersatz erfassen kann.156 Neben dem Verhältnis zwischen dem Verzicht auf Schadensersatzansprüche und §§ 76 I, 93 I AktG ist zudem das Verhältnis zwischen einem derartigen Verzicht und § 130 OWiG zu beleuchten.157 Wie gesehen, sind Reaktionen des Arbeitgebers auf arbeitnehmerseitiges Fehlverhalten im Rahmen von § 130 I OWiG vor dem Hintergrund relevant, dass eine Überwachung der Mitarbeiter im Zuge der Aufsichtspflicht nur dann sinnvoll ist, wenn für die Nichtbeachtung der relevanten Regelungen Sanktionen angedroht und auch verhängt werden.158 Der Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens wird der ihm eigentlich zukommenden Verantwortung nur gerecht, wenn er Fehlverhalten seiner eingesetzten Mitarbeiter auch abstellt. Im Ergebnis sieht § 130 I OWiG damit eine grundsätzliche Pflicht des Arbeitgebers vor, auf Arbeitnehmer, die strafbar oder ordnungswidrig handeln, mit Sanktionen zu reagieren.159 Ein Erlass von Schadensersatzforderungen bzw. ein Verzicht auf deren Geltendmachung stellt auf den ersten Blick einen Widerspruch zu dieser Pflicht dar. Dem Inhaber ist jedoch zuzugeben, dass sich unter Umständen betriebsbezogene Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter nur abstellen lassen, wenn auch eine umfassende Aufklärung erfolgt ist. Ist diese Aufklärung nur durch einen teilweisen Verzicht auf Reaktionsmaßnahmen – wie Verzicht auf Schadensersatz – zu erreichen, kann der Reaktionsverzicht nicht zugleich § 130 I OWiG verwirklichen. Im Ergebnis dürfte damit ein im Rahmen der Legalitätskontrollpflicht angemessener Reaktionsverzicht auch im Rahmen von § 130 I OWiG unproblematisch sein.

153

Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 724. Eufinger, GWR 2018, 267, 268. 155 Grundmann, in: MüKo BGB, § 276 Rn. 182; auch der Schaden muss insofern bereits eingetreten sein, Lorenz, in: BeckOK BGB, § 276 Rn. 46. 156 Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1704; Kahlenberg/Schwinn, CCZ 2012, 81, 82; Wessing, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 2. Abschnitt, 7. Kapitel, § 46 Rn. 58. 157 Die Regelung in § 125 I Nr. 3 GWB dürfte vor allem bei einem Kündigungsverzicht problematisch sein und ist daher in diesem Zusammenhang anzusprechen. 158 OLG Düsseldorf, Urteil vom 05. 04. 2006 – 2 Kart 5, 6/05, BeckRS 2007, 379 Rn. 38; Beck, in: BeckOK OWiG, § 130 OWiG Rn. 65; Eufinger, RdA 2017, 223, 224; Rogall, in: KKOWiG, § 130 Rn. 66. Zur Sanktionspflicht auch Gottwald, S. 6. 159 Gürtler, in: Göhler OWiG, § 130 Rn. 13 beschränkt die allgemeine Pflicht zur Ergreifung von Sanktionen allerdings auf Arbeitnehmer, die wiederholt strafbar oder ordnungswidrig handeln. 154

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3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

b) Verzicht auf Kündigung Nachlaufend zu einer unternehmensinternen Untersuchung kommt auch in Betracht, dass der Arbeitgeber auf den Ausspruch von Kündigungen verzichtet; ein derartiger Verzicht stellt den typischen Kern eines Amnestieprogramms dar160. Da es sich bei der Kündigung um ein Gestaltungsrecht handelt, kann der Verzicht hier sogar einseitig erfolgen. Ein Verzicht auf die außerordentliche Kündigung ist nach Entstehung des Kündigungsgrundes grundsätzlich möglich.161 Allerdings soll der Verzicht auf die außerordentliche Kündigung auch wegen in der Vergangenheit liegender Kündigungsgründe lediglich dann möglich sein, wenn dem Arbeitgeber der Kündigungsgrund bekannt ist.162 Ein Verzicht auf den Ausspruch außerordentlicher Kündigungen dürfte damit unzulässig sein, wenn der Arbeitgeber etwa vor der Arbeitnehmerbefragung noch keine Kenntnis von kündigungsrelevanten Sachverhaltsinformationen hat. Auch beim Kündigungsverzicht stellt sich die Frage der Vereinbarkeit des Verzichts mit §§ 76 I, 93 I AktG und der Legalitätskontrollpflicht. Genau wie der Verzicht auf Schadensersatz im Wege eines Erlassvertrags oder eines Stillhalteabkommens ist auch die Zusage eines Kündigungsverzichts für den Arbeitgeber folgenlos, wenn die Zusage unter den Anwendungsbereich der Business Judgement Rule fällt. Das ist bei einem Kündigungsverzicht, der als unternehmerische Entscheidung zu qualifizieren ist, der Fall.163 Vergleichbar mit der Frage, ob ein Kündigungsverzicht grundsätzlich mit der Legalitätskontrollpflicht vereinbar ist, ist die Vereinbarkeit des Kündigungsverzichts mit § 130 OWiG. Auch hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich betriebsbezogene Zuwiderhandlungen von Mitarbeitern u. U. nur abstellen lassen, wenn auch eine umfassende Aufklärung erfolgt ist. Ist diese Aufklärung nur durch einen teilweisen Verzicht auf Reaktionsmaßnahmen zu erreichen, kann der Reaktionsverzicht nicht zugleich § 130 I OWiG verwirklichen. Ein angemessener Kündigungsverzicht ist dann auch im Rahmen von § 130 I OWiG unproblematisch. Ferner stellt sich beim Verzicht auf den Ausspruch von Kündigungen die Frage der Kollision mit dem Selbstreinigungsgebot aus § 125 I Nr. 3 GWB. § 125 I Nr. 3 GWB kann den Arbeitgeber lediglich im Rahmen der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit dazu verpflichten, sich von einem Arbeitnehmer wegen dessen Fehlverhaltens zu trennen. Hierzu kann der Verzicht auf den Ausspruch einer Kündigung in Konflikt 160

Annuß/Pelz, BB Special 2010, S. 14, 15. Meyer, in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 626 Rn. 27; Vossen, in: Ascheid/Preis/ Schmidt, BGB, § 626 Rn. 19. 162 Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 724, wonach immerhin ein Verdacht hinsichtlich des Kündigungsgrundes bestehen muss; Henssler, in: MüKo BGB, § 626 Rn. 277; Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, § 127 Rn. 48; Mengel, in Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 78 f.; Müller-Glöge, in: ErfK BGB, § 620 Rn. 30a; a. A. Annuß/ Pelz, BB Special 2010, 14, 16: Zulässigkeit des Verzichts bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit. 163 Gottwald, S. 77. 161

C. Fazit

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treten. In Anlehnung an die Lösung zu § 130 I OWiG lässt sich annehmen, dass der Arbeitgeber dem Selbstreinigungsgebot u. U. auch trotz Fortführung eines Arbeitsverhältnisses infolge des Amnestieprogramms Rechnung trägt, weil das Amnestieprogramm die Sachverhaltsaufklärung ermöglicht.164 Schließlich ist eine Anforderung des Vergaberechts nicht nur, dass sich das Unternehmen von betroffenen Mitarbeitern trennt, sondern auch, dass das Unternehmen den Sachverhalt aufklärt.165 Dass der Trennung von Arbeitnehmern ein höherer Stellenwert im Rahmen der Selbstreinigung zukommt als der umfänglichen Sachverhaltsaufklärung, lässt sich aus § 125 I Nr. 2 und 3 GWB nicht erkennen. Vor diesem Hintergrund widerspricht ein Kündigungsverzicht nicht dem vergaberechtlichen Selbstreinigungsgebot.166

C. Fazit Sofern der Arbeitgeber durch unternehmensinterne Untersuchungen von arbeitnehmerseitigem Fehlverhalten erfahren hat, trifft ihn eine grundsätzliche Pflicht zur Reaktion. Allerdings kann der Arbeitgeber zugunsten einer verbesserten Aufklärung durch Amnestiegewährung im Fall von Kooperationsbereitschaft von Arbeitnehmern auf Reaktionsmaßnahmen verzichten. Auch in einem Verzicht kann damit eine Reaktion des Arbeitgebers dahingehend gesehen werden, dass er die Sachverhaltsaufklärung in Abwägung mit repressiven Reaktionsmaßnahmen priorisiert. Entschließt sich der Arbeitgeber, aufgrund des zutage getretenen Fehlverhaltens Konsequenzen zu ziehen und fordert er etwa im Zuge dessen Schadensersatz, wird eine eingeschränkte Haftung nach den Grundlagen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs bei fahrlässigen Pflichtverletzungen im unmittelbaren Arbeitsbereich stets in Betracht kommen. Bei Pflichtverletzungen im mittelbaren Arbeitsbereich müsste auch eine betrieblich veranlasste Tätigkeit gegeben sein, was nicht gleichzusetzen ist mit der weiteren Begrifflichkeit des mittelbaren Arbeitsbereichs. Bei einer Kündigung darf die vergaberechtliche Reaktionspflicht weder an sich in die Interessenabwägung im Rahmen einer echten Druckkündigung einfließen, noch der anderenfalls drohende Ausschluss von Vergabeverfahren in die Interessenabwägung einer Kündigung. Anderenfalls droht ein Zirkelschluss dahingehend, die 164

Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 726, 727 nimmt ebenfalls mit dieser Argumentation die Zulässigkeit einer Amnestie auch in vergaberechtlicher Hinsicht an. 165 Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZG 2009, 721, 727. 166 Annuß/Pelz, BB Special 2010, 14, 18 mit dem Hinweis, dass sich auch bei Kündigungsverzicht eine personelle Trennung durch die Möglichkeit einer Freistellung erreichen lässt. Kahlenberg/Schwinn, CCZ 2012, 81 nehmen ohne Begründung sogar an, ein Amnestieprogramm sei eine wichtige Maßnahme zur Wiederherstellung der vergaberechtlichen Zulässigkeit. A. A. Böhm, Non-Compliance, S. 221 f., weswegen ein Verzicht im vergaberechtlichen Zusammenhang auch zugleich zur Folge hätte, dass der Verzicht nicht der Business Judgement Rule unterfällt und ein Widerspruch zur Legalitätskontrollpflicht besteht.

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3. Teil: Reaktion des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnisse

unter dem Vorbehalt der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit stehende vergaberechtlich begründete Maßnahme aufgrund der vergaberechtlichen Drucksituation als arbeitsrechtlich zulässig anzusehen. Spricht der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung als Reaktion auf zutage getretenes Fehlverhalten aus, bestehen bei zeitintensiven Aufklärungsmaßnahmen für den Arbeitgeber hinsichtlich der Hemmung der Kündigungserklärungsfrist gesteigerte Anforderungen an seinen substantiierten Vortrag. Kündigt der Arbeitgeber und hat er das Fehlverhalten selbst veranlasst, liegt in der Kündigung ein Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, das im Rahmen der Interessenabwägung zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Wurde das Verhalten des Arbeitnehmers hingegen durch einen Vorgesetzten veranlasst, ist die Kündigung wirksam, wenn der Arbeitgeber ausdrücklich für ein gesetzestreues Verhalten einsteht und der Arbeitnehmer damit erkennen musste, pflichtwidrig zu handeln bzw. sich der Arbeitgeber die Weisung des Vorgesetzten nicht zurechnen lassen muss.

4. Teil

Arbeitsgerichtliche Überprüfung der Arbeitgebermaßnahme Sofern der Arbeitgeber auf im Rahmen von unternehmensinternen Untersuchungen zutage getretenes Fehlverhalten eines Arbeitnehmers reagiert, besteht für den Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich gegen die Maßnahme des Arbeitgebers unter Beschreitung des Rechtswegs zur Wehr zu setzen. Hierbei stellt sich die Frage, ob die Arbeitgebermaßnahme einer gerichtlichen Überprüfung standhält. Im Arbeitsgerichtsprozess gilt wie im Zivilprozess die Dispositionsmaxime und der Verhandlungs- oder Beibringungsgrundsatz.1 Damit verbunden ist die Darlegungslast der Parteien, d. h. es ist Sache der Parteien, den Lebenssachverhalt vorzutragen; ihnen obliegt eine echte Last, Behauptungen aufzustellen.2 Diese Behauptungs- oder auch Darlegungslast folgt der Beweislast.3 In der Situation, dass der Arbeitgeber Maßnahmen gegenüber dem Arbeitnehmer ergriffen hat (etwa Abmahnung, Kündigung) oder vom Arbeitnehmer Schadensersatz verlangt, kann der Arbeitgeber die Beobachtungsergebnisse oder Auskunftsinhalte in erster Linie nutzen, um seiner Darlegungslast gerecht zu werden. Diese trifft den Arbeitgeber bei einer Kündigung über die negative Feststellungsklage4 bzw. § 1 II 4 KSchG; er kann ihr unter Vortrag der Beobachtungsergebnisse und Auskunftsinhalte nachkommen. Bei Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegen den Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber als Anspruchsteller die Pflichtverletzung und über § 619a BGB auch das Vertretenmüssen des Arbeitnehmers zu beweisen und damit auch darzulegen.5 Auch hier kann der Arbeitgeber die Beobachtungsergebnisse oder Auskunftsinhalte nutzen, um seiner Darlegungslast gerecht zu werden. Dasselbe gilt, sofern der Arbeitgeber mit einer Abmahnung auf ein zutage getretenes Fehlverhalten reagiert und der Arbeitnehmer auf Entfernung einer Ab1

Siehe hierzu etwa BAG, Urteil vom 13. 12. 2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 1008, 1010 Rn. 24. 2 Prütting, in: MüKo ZPO, § 286 Rn. 134. 3 Bacher, in: BeckOK ZPO, § 284 Rn. 69; Foerste, in: Musielak/Voit ZPO, § 286 Rn. 33; Gottwald, Jura 1980, 225; Leipold, in: Stein/Jonas (22. Aufl.), § 286 Rn. 50; Prütting, in: MüKo ZPO, § 286 Rn. 134; Thole, in: Stein/Jonas (23. Aufl.), § 286 Rn. 98. 4 Aufgrund der Angreiferstellung des Arbeitgebers durch die Kündigung selbst, Prütting, Beweislast, S. 298. 5 Zu vertieften Ausführungen bezüglich der Beweislastverteilung insbesondere hinsichtlich der Pflichtverletzung s. u. in diesem Teil 2. Kap. Abschnitt C., S. 273.

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4. Teil: Arbeitsgerichtliche Überprüfung der Arbeitgebermaßnahme

mahnung aus der Personalakte klagt: Auch hier trifft den Arbeitgeber die Beweisund damit auch die Darlegungslast für die Wahrheit der in der Abmahnung aufgestellten Tatsachen;6 dieser Last kann er durch die gewonnenen Beobachtungsergebnisse und Auskunftsinhalte nachkommen. Auch für den Fall, dass eine Versagung der Betriebsrente erfolgte, muss der Arbeitgeber darlegen, dass die Voraussetzungen des Einwands des Rechtsmissbrauchs vorliegen; er hat mithin die Pflichtverletzungen und das Schadensausmaß darzulegen.7 Das kann ihm mit Vortrag der gewonnenen Erkenntnisse gelingen. Ob der Arbeitgeber Fehlverhalten des Arbeitnehmers auch beweisen kann, hängt davon ab, ob ihm hierzu Beweismittel zur Verfügung stehen. Beobachtungsdaten können im Wege des Augenscheins im Rahmen der Beweisaufnahme vorgebracht werden.8 Die Mitarbeiterbefragung wird in der Regel protokolliert, um das Protokoll (schriftlich oder als Diktat) später in einem Verfahren als Beweismittel nutzen zu können.9 Der Arbeitgeber kann mithin in arbeitsgerichtlichen Verfahren mit dem Gegenstand einer Arbeitgeberreaktion auf zutage getretenes Fehlverhalten seine gewonnenen Erkenntnisse nutzen, um seiner Darlegungs- und Beweislast nachzukommen. Vor diesem Hintergrund stehen im Fokus der nachfolgenden Betrachtung Beweisund Sachvortragsverwertungsverbote. Dabei ist auf die gerichtliche Überprüfung der Arbeitgebermaßnahme differenzierend danach einzugehen, ob der Arbeitgeber seine Reaktionsmaßnahme auf ein Beobachtungsergebnis stützt (1. Kap.) oder der Arbeitgeberreaktion ein arbeitnehmerseitiges Fehlverhalten zugrunde liegt, das in der Befragung zutage getreten ist (2. Kap.).

6 BAG, Urteil vom 26. 01. 1994 – 7 AZR 640/92, BeckRS 1994, 30915379; Niemann, in: ErfK, § 626 Rn. 35a. 7 BAG, Urteil vom 17. 06. 2014 – 3 AZR 412/13, NJOZ 2015, 349 Rn. 46 unter der Ergänzung, dass den Arbeitgeber nicht entlastet, über die behaupteten Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers, den Zeitpunkt ihrer Begehung und das Ausmaß des der H H-GmbH zugefügten Schadens keine näheren Kenntnisse haben zu können und deshalb zu einem substantiierten Vortrag nicht in der Lage zu sein. 8 Von einer Inaugenscheinnahme des Videobeweises ausgehend etwa BAG, Urteil vom 23. 08. 2018 – 2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329, 1334 Rn. 36. 9 Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2378; Lohmeyer/Schahhosseini, in: Umnuß, Corporate Compliance, 7. Kap. Rn. 71; Mengel, in: Knieriem/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, § 14 Rn. 45; Wessing, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 2. Abschnitt, 7. Kap. Rn. 113.

1. Kapitel

Überprüfung einer auf Beobachtungsergebnisse gestützten Arbeitgebermaßnahme A. Die prozessuale Verwertung bei datenschutzrechtlichen Verstößen des Arbeitgebers I. Beweisverwertungsverbot Zu überlegen ist, ob es dem Arbeitgeber unter Umständen verwehrt sein soll, bestimmte Ermittlungsinhalte im Arbeitsgerichtsprozess zu Beweiszwecken zu präsentieren, wenn er sich bei der Ermittlung dieser Inhalte in datenschutzrechtlicher Hinsicht nicht korrekt verhalten hat. Grundsätzlich scheint das Gericht zunächst verpflichtet, den Sachvortrag und Beweismittel des Arbeitgebers zu verwerten: Die beweisführende Partei hat aus Art. 103 I GG einen Anspruch auf rechtliches Gehör, der die Gerichte verpflichtet, den Sachvortrag10 der Parteien und die von den Parteien angebotenen Beweise11 zu berücksichtigen. Allerdings ergeben sich Schranken hierzu aus kollidierenden Verfassungspositionen.12 Zudem gilt Art. 103 I GG als stark normgeprägtes Grundrecht, das der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedarf,13 sodass sich auch vor diesem Hintergrund Einschränkungen der Sachvortrags- und Beweisverwertung ergeben können. Unter welchen Voraussetzungen ein Beweisverwertungsverbot im Zivil- bzw. Arbeitsgerichtsprozess in Betracht kommt, ist nachfolgend zu erarbeiten. Festgehalten werden kann an dieser Stelle, dass weder das Arbeitsgerichtsgesetz noch die Zivilprozessordnung ausdrückliche Vorgaben für den Umgang mit rechtswidrig 10 Degenhart, in: Sachs GG, Art. 103 Rn. 28; BVerfG, Beschluss vom 08. 10. 1985 – 1 BvR 33/83, NJW 1987, 485. Zur Problematik des Sachvortragsverwertungsverbots im Anschluss. 11 Degenhart, in: Sachs GG, Art. 103 Rn. 29; Prütting, in: MüKo ZPO, § 284 Rn. 18. 12 Betz, RdA 2018, 100, 102; Nolte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 103 I Rn. 9; Radtke/Hagemeier, in: BeckOK GG, Art. 103 Rn. 15. 13 BVerfG, Beschluss vom 08. 01. 1959 – 1 BvR 396/55, NJW 1959, 427; BVerfG, Beschluss vom 09. 02. 1982 – 1 BvR 1379/80, NJW 1982, 1453; Betz, RdA 2018, 100, 102. Art. 103 I GG gewährt deshalb keinen Schutz dagegen, daß das Gericht das Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt läßt, BVerfG, Beschluss vom 08. 01. 1959 – 1 BvR 396/55, NJW 1959, 427; BVerfG, Beschluss vom 09. 02. 1982 – 1 BvR 1379/80, NJW 1982, 1453; Betz, RdA 2018, 100, 102.

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4. Teil 1. Kap.: Auf Beobachtungsergebnisse gestützte Arbeitgebermaßnahme

erlangten Beweismitteln enthalten.14 Hierzu sind von Rechtsprechung und Schrifttum allgemeine Voraussetzungen entwickelt worden, auf die zunächst einzugehen ist (1.). Wie das Bundesarbeitsgericht sich im Umgang mit datenschutzrechtswidriger Beweiserlangung positioniert, ist anschließend zu beleuchten (2.). 1. Voraussetzungen eines Beweisverwertungsverbots im Zivilprozess Unter welchen Voraussetzungen im Zivilprozess ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist, wird in Rechtsprechung und Schrifttum nicht einheitlich beurteilt. Feststellen lässt sich lediglich, dass sich sowohl die Ansicht, bei rechtswidriger Beweisgewinnung stets von der Zulässigkeit der Beweisverwertung auszugehen15 als auch im Gegenteil bei rechtswidriger Beweisgewinnung eine Beweisverwertung ausnahmslos nicht zuzulassen16, nicht durchsetzen konnten17. Stattdessen überwiegen in Schrifttum und Rechtsprechung vermittelnde Ansätze. a) Rechtswidrige Beweiserlangung und Schutzzweckbetrachtung bzw. Interessenabwägung Eine Vielzahl von Stimmen knüpft die Annahme eines Beweisverwertungsverbots in einem ersten Schritt an die rechtswidrige Beweisgewinnung und fragt in einem zweiten Schritt danach, ob eine Verwertung des rechtswidrig gewonnenen Beweises erfolgen darf. Die Entscheidung in diesem zweiten Schritt soll im Rahmen einer Schutzzweckbetrachtung der verletzten Norm18 oder einer einzelfallbezogenen Abwägungsbetrachtung19 erfolgen. Die einzelfallbezogene Abwägungsbetrachtung 14

BAG, Urteil vom 23. 08. 2018 – 2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329 Rn. 14; ausdrücklich zur ZPO BGH, Urteil vom 04. 12. 1990 – XI ZR 310/89, NJW 1991, 1180; BAG, Urteil vom 02. 06. 1982 – 2 AZR 1237/79, AP ZPO, § 284 Nr. 3; Bezug nehmend auf das Arbeitsgerichtsgesetz Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 220. 15 Dauster/Braun, NJW 2000, 313, 318; Roth, JR 1950, 715. 16 Kellner, JR 1950, 270, 271; Siegert, NJW 1957, 689, 690. 17 Baumgärtel, FS Klug, S. 477, 479; Gemmecke, Beweisverwertungsverbote, S. 82; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald ZivilProzR, § 111 Rn. 23; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 445; Lunk, NZA 2009, 457, 459. 18 Foerste, in: Musielak/Voit ZPO, § 286 Rn. 6; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 445; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO (22. Aufl.), § 284 Rn. 86, 88; Peters, ZZP 76, 154, 164; Prütting, in: MüKo ZPO, § 284 Rn. 66; Saenger, in: Saenger ZPO, § 286 Rn. 20; Thole, in: Stein/Jonas, ZPO (23. Aufl.), § 286 Rn. 51; OLG Köln, Urteil vom 5. 7. 2005 – 24 U 12/05, NJW 2005, 2997, 2999. Speziell zur Beweisverwertung im Arbeitsverhältnis Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 220 mit Grundrechten als Sonderfall; umfassend zur Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel. 19 Im Schrifttum Bacher, in: BeckOK ZPO, § 284 Rn. 20, 26; Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81, 82; Lunk, NZA 2009, 457, 459; Schreiber, ZZP 2009, 227, 230. Auch das Bundesarbeitsgericht scheint in älteren Entscheidungen der Abwägungslehre zugeneigt; BAG, Urteil vom 27. 03. 2003 – 2 AZR 51/02, NZA 2003, 1193, 1194. Der Perspektive, die als Grundvoraussetzung für ein Beweisverwertungsverbot die Rechtswidrigkeit der Beweisgewinnung

A. Die prozessuale Verwertung bei datenschutzrechtlichen Verstößen

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findet sich insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen.20 Die Frage, in welchen Fällen sich aus dem Schutzzweck der verletzten Norm ein Beweisverwertungsverbot ergeben soll, wird grundsätzlich dahingehend beantwortet, dass eine verfassungsrechtlich geschützte Grundrechtsposition durch die Verletzung der Norm betroffen sein muss.21 Angesichts der mit dem vagen Kriterium der Betroffenheit einer verfassungsrechtlich geschützten Grundrechtsposition verbundenen Unsicherheiten sieht sich die Schutzzweckbetrachtung Kritik ausgesetzt,22 die teilweise selbst von Vertretern dieser Ansicht im Grunde geteilt wird.23 Vereinzelt wird die Entscheidung über die Verwertbarkeit des Beweises auch anhand des Grundsatzes von Treu und Glauben vorgeschlagen24, die sich aber letztlich auch am Schutzzweck und einer Interessenabwägung orientiert25 und damit keine besondere eigenständige Bedeutung aufweist. b) Eigene Grundrechtsverletzung des Gerichts Von der eben dargestellten Auffassung, die Verwertbarkeit eines rechtswidrig erlangten Beweismittels nach einer Schutzzweckbetrachtung bzw. Interessenabwägung zu entscheiden, ist die Ansicht abzugrenzen, die ein Beweisverwertungsverbot bei eigener Grundrechtsverletzung durch das Gericht annimmt. Diese vor allem in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu findende Sichtweise knüpft die Frage der Verwertbarkeit an den Moment der Beweisaufnahme und -verwertung durch das Gericht an.26 Hintergrund ist, dass das Gericht bei der Beausreichen lässt, ist außerdem auch die Auffassung von Dilcher zuzuordnen, der ein Beweisverwertungsverbot in analoger Anwendung der §§ 422, 423 ZPO vorschlägt (Dilcher, AcP 158 (1959/160), 469, 488). 20 So etwa BGH, Urteil vom 15. 05. 2018 – VI ZR 233/17, NJW 2018, 2883 Rn. 31, 39 m. w. N.; BGH, NJW 1991, 1180; BGH, Urteil vom 24. 11. 1981 – VI ZR 164/79, NJW 1982, 277. 21 Fink, S. 161; Holzinger, S. 73; Peters, ZZP 76, 154, 165; Prütting, in: MüKo ZPO, § 284 Rn. 67. 22 Fink, S. 162; Gemmecke, Beweisverwertungsverbote, S. 84; Weichbrodt, S. 191. Die Schutzzweckbetrachtung muss das Beweisverwertungsverbot damit letztlich auch an den Moment der Beweisverwertung und eine eigene Grundrechtsverletzung des Gerichts anknüpfen. 23 Thole, in: Stein/Jonas, ZPO (23. Aufl.), § 286 Rn. 51: Schutzzweckbetrachtungen tragen ihrer Natur nach Unsicherheiten in sich, bewirken aber mehr Rechtssicherheit als eine freie, unstrukturierte Abwägung. 24 Baumgärtel, FS Klug, 477, 484; Gemmeke, Beweisverwertungsverbote in arbeitsrechtlichen Verfahren, S. 163. 25 Baumgärtel, FS Klug, 477, 484. 26 Derart BVerfG, Urteil vom 13. 02. 2007 – 1 BvR 421/05, NJW 2007, 753 Rn. 93; BVerfG, Beschluss vom 09. 10. 2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, juris Rn. 56; Schwab, FS Hubmann, S. 421, 429, 431; Thole, in: Stein/Jonas, ZPO (23. Aufl.), § 286 Rn. 47, 51, allerdings unter Ergänzung um eine Schutzzweckbetrachtung; Werner, NJW 1988, 993, 1000.

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4. Teil 1. Kap.: Auf Beobachtungsergebnisse gestützte Arbeitgebermaßnahme

weisverwertung unmittelbar an Grundrechte gebunden ist, d. h. keine eigene Grundrechtsverletzung begehen darf.27 Teilweise wird besonders hervorgehoben, dass eine Grundrechtsverletzung durch das Gericht dann in Betracht kommen soll, wenn bereits die Beweiserlangung gegen Verfassungsrecht verstößt:28 Eine eigene Grundrechtsverletzung des Gerichts liege nahe, wenn bereits die Erlangungshandlung grundrechtswidrig war.29 Allerdings soll eine notwehrähnliche Situation des Beweisführers es rechtfertigen können, dass diese trotz grundrechtswidriger Beschaffung in einem Gerichtsverfahren Verwertung finden.30 c) Stellungnahme Auf den ersten Blick scheint die teilweise im Schrifttum und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für Zivilsachen verbreitete Schutzzweckbetrachtung mit der lediglich rechtswidrigen Beweiserlangung für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots eine niedrigere Schwelle zu enthalten als die in Teilen des Schrifttums und vom Bundesverfassungsgericht vertretene Ansicht der eigenen Grundrechtsverletzung des Gerichts. Bei näherer Betrachtung weisen beide Auffassungen allerdings lediglich geringe Unterschiede auf. Denn die Schutzzweckbetrachtung mag zwar zunächst auf eine nur rechtswidrige Beweiserlangung abstellen; die Frage der Verwertbarkeit unter Berücksichtigung des Schutzzwecks soll jedoch nach der Maßgabe zu beantworten sein, ob eine verfassungsrechtlich geschützte Grundrechtsposition durch die Verletzung der einfachgesetzlichen Norm betroffen ist. Damit ergibt sich letztlich ein Beweisverwertungsverbot auch nach der Schutzzweckbetrachtung erst dann, wenn die Beweiserlangung eine Grundrechtsposition tangiert. Genau diese Anforderung stellen letztlich auch die Stimmen an ein Be27

Ein Beweisverwertungsverbot auch an Art. 1 III GG anknüpfend BVerfG, Urteil vom 13. 02. 2007 – 1 BvR 421/05, NJW 2007, 753 Rn. 93, 95; BVerfG, Beschluss vom 09. 10. 2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, juris Rn. 56; Thole, in: Stein/Jonas, ZPO (23. Aufl.), § 286 Rn. 47 ff.; Werner, NJW 1988, 993, 1000. 28 Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald ZivilProzR, § 111 Rn. 24; so wohl auch Greger, in: Zöller, § 286 Rn. 15a, der zur Beweisbeschaffung entgegen einfachen Rechts abgrenzt. Gegen das Erfordernis einer verfassungswidrigen Beweisgewinnung lässt sich allerdings einwenden, dass zwar Art. 103 I GG lediglich verfassungsimmanenten Schranken unterliegt und eine Einschränkung damit auch nur zugunsten anderer verfassungsrechtlich geschützter Güter in Betracht kommt (so etwa auch Kaltenmeier, S. 54; Habscheid, ZZP 96, 306, 308). Jedoch wird der verfassungsrechtliche Konflikt auch durch einfaches Recht nachgezeichnet und die konfligierenden Verfassungspositionen hiermit zu einem Ausgleich gebracht was wiederum dafür streitet, dass ein Beweisverwertungsverbot auch bei bloßer Rechtswidrigkeit in Betracht kommen muss (derart auch Gemmecke, Beweisverwertungsverbote, S. 86; Weichbrodt, S. 177). 29 Schwab, FS Hubmann, S. 421, 430, 431. Die Grundrechtswidrigkeit der Erlangungshandlung ist dann im Sinne einer Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private zu verstehen, nicht im Sinne eines hoheitlichen Eingriffs. 30 BVerfG, Urteil vom 13. 02. 2007 – 1 BvR 421/05, NJW 2007, 753 Rn. 95; von einer Notwehrsituation oder einer notwehrähnlichen Lage sprechend BVerfG, Beschluss vom 09. 10. 2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, juris Rn. 62.

A. Die prozessuale Verwertung bei datenschutzrechtlichen Verstößen

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weisverwertungsverbot, die ein solches von der eigenen Grundrechtsverletzung des Gerichts abhängig machen. Denn eine eigene Grundrechtsverletzung des Gerichts kommt dann in Betracht, wenn bereits die Beweiserlangung grundrechtswidrig erfolgte. Vor diesem Hintergrund unterscheiden sich beide Auffassungen in ihren Ergebnissen in der Regel nicht. Sofern der Arbeitgeber Erkenntnisse z. B. unter Verstoß gegen den tatsachenbasierten Verdacht oder die Verhältnismäßigkeit aus § 26 I BDSG erlangt, wäre die Beweiserlangung rechtswidrig im Sinne der Schutzzweckbetrachtung. Der hinter diesen Anforderungen stehende Zweck des Persönlichkeitsschutzes streitet im Rahmen der Schutzzweckbetrachtung für ein Beweisverwertungsverbot.31 Gleichermaßen würde die Verwertung von unter Verstoß gegen die genannten Anforderungen des § 26 I BDSG n. F. erlangten Beweisen eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Gericht darstellen und ein Beweisverwertungsverbot auslösen.32 Trotz der Ähnlichkeit beider Ansichten ist im Ergebnis die Auffassung vorzugswürdig, die ein Beweisverwertungsverbot an die Grundrechtsverletzung des Gerichts knüpft. Denn die Anknüpfung der Frage der Verwertbarkeit an den Moment der Beweisaufnahme und -verwertung schafft im Vergleich zu der lediglich abstrakt zu erfolgenden Schutzzweckbetrachtung eine klare Systematik: Die Anknüpfung an eine eigene Grundrechtsverletzung des Gerichts berücksichtigt zum einen die grundrechtsdogmatische Sichtweise, wonach ein Grundrechtseingriff lediglich von hoheitlicher Seite erfolgen kann, mithin auf der Ebene der Beweisverwertung durch das Gericht.33 Im Gegensatz dazu knüpft die Schutzzweckbetrachtung zwar an die Verletzung einer einfachgesetzlichen Norm durch eine Privatperson an, verbindet diese aber zugleich mit der grundrechtlichen Eingriffsebene, weil für einen entsprechenden Schutzzweck eine verfassungsrechtlich geschützte Grundrechtsposition betroffen sein muss. Diese vereinheitlichende Betrachtung kann nicht überzeugen. Zum anderen trennt ein Beweisverwertungsverbot, das an eine eigene Grundrechtsverletzung des Gerichts anknüpft, eindeutig zwischen der Phase der Beweiserlangung einerseits und der Phase der Beweisverwertung andererseits. Mögliche Ausnahmetatbestände lassen sich hier eindeutig zuordnen und ermöglichen so eine rechtssichere Abwägung. Im Rahmen der Schutzzweckbetrachtung wirkt die einmal 31

Mit diesem Ergebnis auch Riesenhuber, in: BeckOK DatenschutzR, BDSG, § 26 Rn. 190. 32 Umgekehrt wird bei der Verletzung von bloßen Ordnungsvorschriften nach beiden Positionen kein Beweisverwertungsverbot anzunehmen sein, da weder eine Grundrechtsverletzung durch das Gericht vorliegen wird, noch der Schutzzweck der verletzten Norm oder eine Interessenabwägung ein Beweisverwertungsverbot fordert. Ein Beispiel hierfür stellt etwa die in § 26 I 2 BDSG zum Ausdruck kommende Dokumentationspflicht dar, die lediglich den Zweck verfolgt, dem hiervon erfassten Personenkreis die nachträgliche Rechtmäßigkeitskontrolle zu erleichtern, BAG, Urteil vom 27. 07. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327 Rn. 37. 33 In diesem Sinne auch Balthasar, JuS 2008, S. 35 in Fußnote 17.

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4. Teil 1. Kap.: Auf Beobachtungsergebnisse gestützte Arbeitgebermaßnahme

begangene Rechtsverletzung lediglich fort und mündet letztlich in einem grundsätzlichen Abwägungsergebnis, bei dem sich die Ergebnisfindung schwerer nachvollziehen lässt. 2. Voraussetzungen eines Beweisverwertungsverbots bei datenschutzrechtswidriger Beweiserlangung nach dem Bundesarbeitsgericht Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Beweisverwertung bei datenschutzwidriger Beweiserlangung lässt sich auf den ersten Blick nicht eindeutig einer der genannten Sichtweisen zu den Voraussetzungen eines zivilprozessualen Beweisverwertungsverbots zuordnen. In älterer Rechtsprechung führt das Bundesarbeitsgericht aus, rechtswidriges Verhalten einer Prozesspartei bei der Informationsgewinnung könne zu einem Verwertungsverbot führen; das sei der Fall, wenn eine solche Sanktion unter Beachtung des Schutzzwecks der verletzten Norm zwingend geboten erscheine.34 Damit vermittelt das Bundesarbeitsgericht den Eindruck, ein Beweisverwertungsverbot bei rechtswidriger Beweismittelerlangung und einem entsprechenden Schutzzweck der Norm anzunehmen. An anderer Stelle knüpft das Bundesarbeitsgericht ein Beweisverwertungsverbot zwar an den Schutzzweck der verletzten Norm, meint aber, als eine verletzte Norm käme lediglich ein Grundrecht in Betracht.35 Hierzu ergänzend macht das Bundesarbeitsgericht ein Beweisverwertungsverbot auch von einem eigenen Grundrechtsverstoß des Gerichts abhängig.36 Dieser Gedanke, dass das Gericht keine eigene Grundrechtsverletzung durch die Beweisverwertung begehen darf, findet sich in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung in konsequentester Anwendung.37 Damit bewegt sich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts innerhalb der Sichtweise, die oben unter b) dargestellt wurde. Im Rahmen seiner Rechtsprechung zu den Voraussetzungen eines Beweisverwertungsverbots setzt sich das Bundesarbeitsgericht differenziert mit der Frage auseinander, wann eine eigene Grundrechtsverletzung des Gerichts in Betracht kommt. 34

BAG, Urteil vom 16. 12. 2010 @ 2 AZR 485/08, NZA 2011, 571 Rn. 31. Ähnlich zum Beweisverwertungsverbot bei rechtswidriger Beweisgewinnung im, Urteil vom 13. 12. 2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 1008, 1010 Rn. 28, wenn im Entscheidungsfall der Schutzzweck der verletzten Norm eine solche prozessuale Sanktion zwingend gebietet. 35 BAG, Urteil vom 23. 08. 2018 – 2 AZR 133/18; NZA 2018, 1329 Rn. 14. 36 Auf eine nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch einen Privaten dürfe kein verfassungswidriger Grundrechtseingriff durch ein Staatsorgan „aufgesattelt“ werden, BAG, Urteil vom 23. 08. 2018 – 2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329 Rn. 14; BAG, Urt. v. 27. 7. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327 Rn. 18; BAG, Urteil vom 22. 09. 2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rn. 26. 37 BAG, Urteil vom 13. 12. 2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 1008 Rn. 29; BAG, Urteil vom 22. 09. 2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rn. 25; BAG, Urteil vom 20. 10. 2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rn. 18; BAG, Urteil vom 29. 06. 2017 – 2 AZR 597/16, NZA 2017, 1129 Rn. 21; BAG, Urteil vom 27. 7. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327 Rn. 14.

A. Die prozessuale Verwertung bei datenschutzrechtlichen Verstößen

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Ob eine eigene Grundrechtsverletzung durch die gerichtliche Verwertung vorliegt, beurteilt das Bundesarbeitsgericht in zwei Stufen. a) Erste Stufe: Feststellung eines grundrechtswidrigen vorprozessualen Erkenntnisgewinns Zunächst ist nach dem Bundesarbeitsgericht zu prüfen, ob der Erkenntnisgewinn vorprozessual grundrechtswidrig erfolgte: Ein Verwertungsverbot setzt voraus, dass bereits durch die Informations- oder Beweisbeschaffung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Partei verletzt worden ist, ohne dass dies durch überwiegende Belange der anderen Partei gerechtfertigt gewesen wäre.38 Wenn das Gericht Anhaltspunkte dafür habe, dass die für den Rechtsstreit relevanten Erkenntnisse unter Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Partei gewonnen wurden, müsse es prüfen, ob es das Vorbringen berücksichtigen dürfe.39 Die Frage, wann ein grundrechtswidriger Erkenntnisgewinn vorliegt, beantwortete das Bundesarbeitsgericht noch lange überwiegend nach den Grundsätzen, die es selbst zur Videoüberwachung vor Schaffung einer datenschutzrechtlichen Regelung im Jahr 2003 entwickelte.40 Danach war selbst die verdeckte Videoüberwachung zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers bestand, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ausgeschöpft waren, die verdeckte Video-Überwachung praktisch das einzig verbleibende Mittel darstellte und insgesamt nicht unverhältnismäßig war.41 Ergänzt wurden diese Kriterien 2012 um den Aspekt, dass der Verdacht in Bezug auf eine konkrete strafbare Handlung oder schwere Verfehlung zulasten des Arbeitgebers gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern bestehen musste.42 Warum das Bundesarbeitsgericht – von Ausnahmen43 abgesehen – auf diese Kriterien abstellte und nicht direkt auf die datenschutzrechtliche Regelung des § 32 I 1, 2 BDSG, die für den Zeitraum von 01. 09. 2009 bis 24. 05. 2018 in Kraft war, ist nicht nachvollziehbar.44 Denn diese Regelungen stellen weitgehend gerade keine bloßen Ordnungsvorschriften dar, sondern fassen die Rechtsprechungsgrundsätze zusammen,

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BAG, Urteil vom 23. 08. 2018 – 2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329 Rn. 16; in diesem Sinne auch BAG, Urt. v. 27. 7. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327 Rn. 18. 39 BAG, Urteil vom 22. 09. 2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rn. 25. 40 BAG, Urteil vom 20. 10. 2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rn. 22; BAG, Urteil vom 22. 09. 2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rn. 28. 41 BAG, Urteil vom 27. 03. 2003 – 2 AZR 51/02, NZA 2003, 1193, 1195. 42 BAG, Urteil vom 21. 06. 2012 @ 2 AZR 153/1, NZA 2012, 1025, 1028 Rn. 30. 43 BAG, Urteil vom 21. 11. 2013 – 2 AZR 797/11, NZA 2014, 243, 249 Rn. 52. 44 Zur Kritik diesbezüglich auch Thüsing/Pötter, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 21 Rn. 31.

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4. Teil 1. Kap.: Auf Beobachtungsergebnisse gestützte Arbeitgebermaßnahme

auf die das Bundesarbeitsgericht zurückgreift.45 In jüngerer Rechtsprechung stellt das Bundesarbeitsgericht für die Frage des grundrechtswidrigen Erkenntnisgewinns immerhin in seinen Entscheidungen vom 29. 06. 201746 und 27. 07. 201747 auf § 32 I 1, 2 BDSG ab und nicht mehr auf die abstrakten Rechtsprechungsgrundsätze. Dies setzt sich in der nachfolgenden Rechtsprechung fort: War die betreffende Maßnahme nach den Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes zulässig, liegt keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor.48 Ein Verwertungsverbot scheidet dann von vornherein aus. Erfolgt der vorprozessuale Erkenntnisgewinn entgegen der besonderen persönlichkeitsschützenden, datenschutzrechtlichen Vorschriften des § 26 I 1, 2 BDSG n. F. bzw. 32 I 1, 2 BDSG a. F. – und damit nach jüngerer Rechtsprechung grundrechtswidrig, ist die Frage der Verwertbarkeit des Erkenntnisgewinns nach der zweiten Stufe zu beantworten. b) Zweite Stufe: Ausnahmsweise Verwertbarkeit trotz grundrechtswidrigen Erkenntnisgewinns Sofern ein grundrechtswidriger Erkenntnisgewinn vorliegt, soll sich daraus nach dem Bundesarbeitsgericht allerdings noch nicht automatisch dessen Unverwertbarkeit ergeben. Das Bundesarbeitsgericht legt besonderen Wert darauf, dass die Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes für sich genommen nicht anordnen, dass unter ihrer Missachtung gewonnene Erkenntnisse im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht verwertet werden dürfen.49 Unter besonderen Umständen soll trotz grundrechtswidriger Beweisgewinnung eine Verwertung erfolgen dürfen. aa) Hinzutreten besonderer, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehender Aspekte Zum einen soll eine Verwertbarkeit dann noch in Betracht kommen, wenn zwar eine grundrechtswidrige Beweisgewinnung vorliegt und eigentlich auch die Verwertung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreifen würde, ausnahmsweise aber weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutre-

45 Hierauf weist das Bundesarbeitsgericht sogar selbst hin, BAG, Urteil vom 20. 10. 2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rn. 22; BAG, Urteil vom 22. 09. 2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rn. 28. 46 BAG, Urteil vom 29. 06. 2017 – 2 AZR 597/16, NZA 2017, 1179 Rn. 29. 47 BAG, Urteil vom 27. 07. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327 Rn. 27 ff. 48 BAG, Urteil vom 23. 08. 2018 – 2 AZR 133/18, BeckRS 2018, 20923 Rn. 15; BAG, Urteil vom 27. 7. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327 Rn. 17. 49 BAG, Urteil vom 29. 06. 2017 – 2 AZR 597/16, NZA 2017, 1179 Rn. 22; BAG, Urteil vom 22. 09. 2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rn. 22.

A. Die prozessuale Verwertung bei datenschutzrechtlichen Verstößen

253

ten; dann überwiegt das Interesse an der Verwertung des Beweismittels und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse am Schutz des Grundrechts.50 Mit dem Verweis auf eine mögliche Verwertbarkeit bei Hinzutreten weiterer, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehender Aspekte greift das Bundesarbeitsgericht eine Ausnahmekonstellation auf, die sich auch in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung findet. Das Bundesverfassungsgericht nahm an, bei der Abwägung zwischen dem Interesse an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und dem Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts habe das Interesse an der Verwertung der vorgetragenen Daten und Erkenntnisse nur dann höheres Gewicht, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzukommen, die ergeben, dass es trotz der Persönlichkeitsbeeinträchtigung schutzbedürftig ist. Hierfür reiche allein das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, nicht aus.51 In den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zur datenschutzwidrigen Beweisgewinnung wurde eine derartige Konstellation bisher nicht angenommen. In der Entscheidung vom 20. 10. 2016 stellte sich die Frage der ausnahmsweisen Verwertbarkeit nicht, da noch im Rahmen der Zurückverweisung zu klären war, ob der Erkenntnisgewinn überhaupt grundrechtswidrig war.52 Auch in der Entscheidung vom 22. 09. 2016 war nicht einmal die erste Stufe erfüllt, da die Kriterien der Rechtsprechung eingehalten worden waren und damit kein grundrechtswidriger Erkenntnisgewinn vorlag.53 In der Entscheidung vom 29. 06. 2017 konnte das Bundesarbeitsgericht nicht selbst feststellen, ob die Verhältnismäßigkeitsanforderungen aus § 32 I 1 BDSG a. F. gewahrt waren und musste deshalb zurückverweisen, weswegen auch hier die erste Stufe nicht überschritten werden konnte. 54 Lediglich in der Entscheidung vom 27. 07. 2017 konnte das Bundesarbeitsgericht die erste Stufe mit der Annahme eines grundrechtswidrigen Erkenntnisgewinns überwinden, da es hier an der Darlegung des konkreten Verdachts fehlte.55 In der zweiten Stufe war das Bundesarbeitsgericht der Ansicht, dass keine über das schlichte Beweisinteresse hinausgehenden Aspekte vorlagen, die eine ausnahmsweise Verwertung rechtfer50 BAG, Urteil vom 20. 10. 2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rn. 19; BAG, Urteil vom 22. 09. 2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rn. 24; BAG, Urteil vom 27. 07. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327, 1332 Rn. 41. Irreführend ist, wenn das Bundesarbeitsgericht anschließend meint, hierfür reiche das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern für sich allein allerdings nicht aus; vielmehr muss gerade diese Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung sich als gerechtfertigt erweisen. Das legt nämlich nahe, dass nicht die Verwertung ausnahmsweise in Betracht kommt, sondern dass bereits die Beweisgewinnung nicht grundrechtswidrig war. 51 BVerfG, Urteil vom 13. 02. 2007 – 1 BvR 421/05, NJW 2007, 753 Rn. 94. 52 BAG, Urteil vom 20. 10. 2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rn. 21. 53 BAG, Urteil vom 22. 09. 2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rn. 27. 54 BAG, Urteil vom 29. 06. 2017 – 2 AZR 597/16, NZA 2017, 1179 Rn. 39. 55 Zum Ganzen BAG, Urteil vom 27. 07. 2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327, 1332 Rn. 41.

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4. Teil 1. Kap.: Auf Beobachtungsergebnisse gestützte Arbeitgebermaßnahme

tigten. Der Arbeitgeber habe sich nicht in einer Notwehr- oder notwehrähnlichen Situation befunden. Ob eine ausnahmsweise Verwertung bei datenschutzwidriger Sachverhaltsermittlung möglich sein soll, wenn ausnahmsweise weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten, ist zu hinterfragen. Bisher fehlt es an einer Entscheidung, die den Stellenwert dieses Kriteriums verdeutlicht. Daher ließe sich schlussfolgern, dass bereits der Verstoß gegen § 32 I 1, 2 BDSG a. F. bzw. § 26 I 1, 2 BDSG n. F. gerade doch ausreicht, um ein Verwertungsverbot nach sich zu ziehen, da diese Normen den Interessen- und Grundrechtskonflikt bereits abschließend lösen – und es somit auf die zweite Stufe für die Frage der Verwertbarkeit nicht ankommt.56 Hierfür könnte vor allem die Ausgestaltung von § 32 I 1, 2 BDSG a. F. bzw. § 26 I 1, 2 BDSG n. F. sprechen. Soweit sich die Umstände für die Informationsverschaffung bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Verwertung nicht geändert haben, wären weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte tatsächlich bereits in der ersten Stufe berücksichtigt, wenn § 32 I 2 BDSG und § 26 I 2 BDSG eine Angemessenheitsprüfung vorsehen, die auch für die repressive Sachverhaltsermittlung über § 26 I 1 BDSG gilt. Die gesetzliche Interessenabwägung inkorporiert bereits die Fragestellung, ob trotz Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen eine ausnahmsweise Beweisverwertung aufgrund besonderer Aspekte gerechtfertigt sein kann57 – dann wird nämlich erst gar kein datenschutzrechtswidriger Erkenntnisgewinn anzunehmen sein. Soweit sich die Umstände seit der Sachverhaltsermittlung nicht geändert haben, bleibt wenig „Manövriermasse“ für die gerichtliche Neubewertung der Verwertbarkeit.58 Durch eine erneute Bewertung würden sogar gesetzliche Wertungsentscheidungen umgangen: Eine Angemessenheitsprüfung ist bereits gesetzlich vorgesehen bei der Frage, ob der Erkenntnisgewinn grundrechtswidrig ist – nämlich im Rahmen von § 32 I 1, 2 BDSG a. F. bzw. § 26 I 1, 2 BDSG n. F. Eine nochmalige Berücksichtigung würde derselben Aspekte in der zweiten Stufe das Verwertungsinteresse des Arbeitgebers stärker gewichten als die Interessen des Arbeitnehmers. Zudem wäre eine derartige Gewichtung widersprüchlich, wenn auf der ersten Stufe bei der Frage der Rechtmäßigkeit der Sachverhaltsermittlung die Arbeitgeberinteressen nicht zur Annahme der rechtmäßigen

56

In der Instanzenrechtsprechung wird dies angenommen, LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. 7. 2016 – 4 Sa 61/15, ZD 2017, 88 Rn. 80; LAG Hamm Urt. v. 17. 6. 2016 – 16 Sa 1711/15, BeckRS 2016, 72746 Rn. 37 ff. Auch im Schrifttum findet sich dieser Gedanke; so soll ein Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz sehr häufig auch ein Verwertungsverbot nach sich ziehen, Fuhlrott/Schröder, NZA 2017, 278, 279; Chandna-Hoppe, NZA 2018, 614, 619. 57 Fuhlrott/Schröder, NZA 2017, 278, 282. 58 Fuhlrott/Schröder, NZA 2017, 278, 282; Niemann, Jahrbuch Arbeitsrecht 2018, S. 41, 59, nach dem für eine abweichende Bewertung kaum mehr Raum bleiben dürfte. Allerdings wird dort auch vertreten, dass Bundesarbeitsgericht selbst habe seine bisherige zweite Stufe in der Entscheidung vom 27. 07. 2017 – 2 AZR 681/16 angezweifelt.

A. Die prozessuale Verwertung bei datenschutzrechtlichen Verstößen

255

Ermittlung ausgereicht haben. Dann können diese Interessen nicht zugleich auf der zweiten Stufe in nochmaliger Betrachtung die Verwertbarkeit erlauben. Für den Fall, dass sich nach der Sachverhaltsermittlung die Umstände derart geändert haben, dass weitere Interessen des Arbeitgebers für die Frage der Verwertbarkeit miteinzubeziehen sind, könnte die zweite Stufe allerdings tatsächlich zu berücksichtigen sein. Denn nach der Sachverhaltsermittlung neu hinzutretende Interessensaspekte, die für eine Verwertung sprechen, konnten auf der ersten Stufe noch nicht berücksichtigt werden, da diese nur die Phase der Sachverhaltsermittlung und des grundrechtswidrigen Erkenntnisgewinns betrifft. Verstärkt sich nach der Sachverhaltsermittlung aufgrund neuer Umstände das Interesse des Arbeitgebers an der Verwertung der Erkenntnisse59, ergibt sich ausnahmsweise eine Abwägungsentscheidung die Verwertbarkeit betreffend, die nicht identische Abwägungskomponenten enthält wie die Abwägungsentscheidung zur Grundrechtswidrigkeit des Erkenntnisgewinns. In einer solchen Situation hätte die zweite Stufe mithin eigenständige Bedeutung.60 Im Ergebnis ist damit festzuhalten, dass eine grundrechtswidrige Beweisgewinnung prinzipiell auch ein Beweisverwertungsverbot zur Folge haben muss, wenn sich die Umstände und Interessen seit der Sachverhaltsermittlung nicht geändert haben.61 Insbesondere dürfen Umstände, die bereits im Zeitpunkt der Sachverhaltsermittlung vorlagen, nicht in einer zweiten Stufe verwertet werden. Für den Fall, dass sich nach der Sachverhaltsermittlung die Umstände derart geändert haben, dass weitere Interessen des Arbeitgebers für die Frage der Verwertbarkeit miteinzubeziehen sind, ist die zweite Stufe allerdings tatsächlich zu berücksichtigen. An der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist zu kritisieren, dass die Anwendbarkeit der zweiten Stufe nicht hinreichend klar auf diese Fälle beschränkt wird. Hier könnte stärker hervorgehoben werden, dass die hinzutretenden Aspekte als veränderte Umstände nach Sachverhaltsermittlung zu verstehen sind. Dieser zeitliche Bezugspunkt wird in den bisherigen Entscheidungen vernachlässigt. 59 Denkbar wäre etwa, dass sich das Fehlverhalten des Arbeitnehmers wiederholt, jedoch der Wiederholungsfall mangels Beweismittel nicht beweisbar ist. In einem solchen Fall dürfte sich das Interesse des Arbeitgebers erhöhen, Beweise hinsichtlich des erstmaligen Fehlverhaltens auch verwerten zu dürfen. 60 Die Richtigkeit dieser Überlegungen lassen sich auch damit stützen, dass dasselbe Ergebnis erzielt würde, sieht man das Einbringen des Beweismittels in den Prozess als rechtfertigungsbedürftigen Datenverarbeitungsvorgang: Dann ergäbe sich die Verwertbarkeit bereits aus den einschlägigen Erlaubnistatbeständen, denn diese erfordern eine erneute Verhältnismäßigkeitsprüfung. Zu diesem Gedanken Thüsing/Pötters, in: Thüsing: Beschäftigtendatenschutz, § 21 Rn. 32. Auch Betz, RdA 2018, 100, 110 sieht zwar das Bundesdatenschutzgesetz für gerichtliche Maßnahmen im arbeitsgerichtlichen Verfahren als nicht unmittelbar anwendbar an, möchte aber dessen Werteentscheidung auf die Beweiserhebung übertragen. 61 So im Ergebnis auch Betz, RdA 2018, 100, 109, wenn er die Wertentscheidungen der datenschutzrechtlichen Vorschriften auf die prozessuale Situation überträgt und zu dem Ergebnis kommt, eines Rückgriffs auf allgemeine Rechtfertigungsgründe bedürfe es nicht – weil nämlich die Datenverarbeitung im Moment der Beweisverwertung wie auch schon im Moment der Beweisgewinnung immer noch unzulässig ist.

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4. Teil 1. Kap.: Auf Beobachtungsergebnisse gestützte Arbeitgebermaßnahme

bb) Verwertung durch Gericht kein eigener Grundrechtsverstoß Zum anderen soll nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Verwertbarkeit der Informationen in Betracht kommen, wenn die Verwertung der Erkenntnisse durch das Gericht keinen Grundrechtsverstoß darstellt.62 An einem derartigen Grundrechtsverstoß könne es fehlen, wenn die Unzulässigkeit der vom Arbeitgeber durchgeführten Maßnahme allein aus der (Grund-)Rechtswidrigkeit der Datenerhebung(en) gegenüber anderen Beschäftigten resultiere oder die verletzte einfachrechtliche Norm keinen eigenen „Grundrechtsgehalt“ habe.63 Das Beispiel des Bundesarbeitsgerichts, wonach die Verwertung durch das Gericht keinen eigenen Grundrechtsverstoß darstellt, wenn die Unzulässigkeit der vom Arbeitgeber durchgeführten Maßnahme allein aus der Grundrechtswidrigkeit der Datenerhebung gegenüber anderen Beschäftigten resultiert, stellt sich allerdings streng genommen schon im Moment der Sachverhaltsermittlung als rechtmäßige Ermittlung gegenüber dem Betroffenen dar. Insofern stellt sich die Frage nach einem Verwertungsverbot in dieser Konstellation nicht; dieser Aspekt der zweiten Stufe stellt mithin keine besonderen Kriterien für oder gegen die Annahme eines Beweisverwertungsverbots auf. c) Fazit Das Bundesarbeitsgericht bewegt sich grundsätzlich auf einer Linie mit den Stimmen, die ein Beweisverwertungsverbot an die eigene Grundrechtsverletzung des Gerichts knüpfen; vereinzelt wurde in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch die Schutzzwecklehre angesprochen. Grundvoraussetzung für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist auch nach dem Bundesarbeitsgericht der grundrechtswidrige Erkenntnisgewinn, der anzunehmen ist, wenn die Erkenntnisse entgegen persönlichkeitsschützenden Vorschriften des § 26 I 1, 2 BDSG n. F. bzw. § 32 I 1, 2 BDSG a. F. erlangt wurden. In seiner zweistufigen Prüfung zur Verwertbarkeit datenschutzwidrig erlangter Be62

BAG, Urteil vom 23. 08. 2018 – 2 AZR 133/18 Rn. 15. BAG, Urteil vom 23. 08. 2018 – 2 AZR 133/18 Rn. 15 unter Verweis auf BAG, Urteil vom 22. 9. 2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112. Eine andere Fallgruppe, in der kein eigener Grundrechtsverstoß des Gerichts vorliegen soll, spricht das Bundesarbeitsgericht hilfsweise in seiner Entscheidung vom 23. 08. 2018 an: Hier soll die gerichtliche Verwertung weder einen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff darstellen, noch aufgrund einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht zu unterlassen sein, weil durch sie die ungerechtfertigte „vorprozessuale“ Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Prozesspartei nicht perpetuiert oder vertieft würde und der Verwertung auch Gründe der Generalprävention nicht entgegenstehen. Diese Konstellation stellt allerdings einen Spezialfall dar, da im konkreten Fall die Beweisgewinnung nämlich zulässigerweise erfolgte und lediglich möglicherweise eine Löschpflicht nicht beachtet wurde. Aufgrund der zulässigen Beweisgewinnung wird diese Ausnahmekonstellation lediglich im Fall eines gesetzeskonformen Erkenntnisgewinns relevant. Im Rahmen der hiesigen Betrachtung eines grundrechtswidrigen Erkenntnisgewinns ist hierauf mithin nicht einzugehen. 63

A. Die prozessuale Verwertung bei datenschutzrechtlichen Verstößen

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weismittel eröffnet das Bundesarbeitsgericht mit seinem Verweis auf das Hinzutreten besonderer Umstände die Möglichkeit einer ausnahmsweisen Verwertbarkeit trotz grundrechtswidriger Beweiserlangung, die allerdings auf das Hinzutreten von Umständen nach Beweiserlangung zu ergänzen ist.

II. Außerdem: Sachvortragsverwertungsverbot Zusätzlich zu einem Beweisverwertungsverbot ist bei der Beweisgewinnung entgegen datenschutzrechtlicher Vorschriften ein Sachvortragsverwertungsverbot zu thematisieren. Die Notwendigkeit eines Sachvortragsverwertungsverbots zusätzlich zu einem Beweisverwertungsverbot ergibt sich aus § 138 I, III ZPO: Der rechtswidrig überwachte Arbeitnehmer darf nach § 138 I ZPO den – auf der rechtswidrigen Überwachung beruhenden – Tatsachenvortrag des Arbeitgebers nicht bestreiten. Das hat nach § 138 III ZPO zur Folge, dass der nicht bestrittene Sachverhalt als zugestanden und unstreitig gilt und sich die Frage nach einer Beweiserhebung und dem Eingreifen von Beweisverwertungsverboten nicht mehr stellt.64 Damit liefen die anerkannten Beweisverwertungsverbote leer.65 Der Arbeitnehmer würde den Prozess infolge seines Schweigens auf entsprechende Behauptung der Gegenseite wegen § 138 III ZPO verlieren.66 Diese Problematik sieht auch das Bundesarbeitsgericht und spricht sich dafür aus, die Geständnisfiktion unter Anwendung eines Sachverwertungsverbots auszuschalten:67 Dieses bewirkt, dass bei einem Nichtbestreiten durch den Arbeitnehmer das inkriminierte Vorbringen des Arbeitgebers gleichwohl als bestritten zu behandeln ist – damit wird der Streit auf die Beweisebene gehoben und dort um ein korrespondierendes Beweisverwertungsverbot ergänzt mit der Folge, dass der Arbeitgeber für seinen Vortrag beweisfällig bleibt. Das Sachvortragsverwertungsverbot sorgt also dafür, dass die Beweisstation in jedem Fall erreicht wird.68

III. Zusammenfassendes Ergebnis Der Arbeitgeber, der eine Sachverhaltsermittlung zu repressiven Zwecken entgegen § 32 I 1, 2 BDSG a. F. bzw. § 26 I 1, 2 BDSG n. F. vornimmt und infolgedessen zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen greift, sieht sich ggf. mit einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot konfrontiert, sofern der Arbeitnehmer sich gegen die Maßnahme gerichtlich zur Wehr setzt. Liegen die Voraussetzungen für ein Be64

Siehe eine umfassende Darstellung der Problematik bei Reitz, NZA 2017, 273, 274. Schreiber, ZZP 2009, 227, 228; Weber, ZZP 2016, 57, 58. 66 Reitz, NZA 2017, 273, 275; Stadler, in: Musielak/Voit, § 138 ZPO Rn. 3a. 67 Zum Ganzen BAG, Urteil vom 23. 08. 2018 – 2 AZR 133/18, BeckRS 2018, 20923 Rn. 16. 68 Niemann, Jahrbuch Arbeitsrecht 2018, S. 41, 44. 65

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4. Teil 1. Kap.: Auf Beobachtungsergebnisse gestützte Arbeitgebermaßnahme

weisverwertungsverbot vor, ist dieses im Übrigen um ein Sachvortragsverwertungsverbot zu ergänzen.

B. Die prozessuale Verwertung bei Verstößen des Arbeitgebers gegen Mitbestimmungsrechte Weiterer Ansatzpunkt für eine eingeschränkte Erkenntnisverwertbarkeit kann der Verstoß des Arbeitgebers gegen Mitbestimmungsrechte bei der Gewinnung der Beobachtungsdaten sein. Sofern der Arbeitgeber bei der Sachverhaltsermittlung das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 I Nr. 6 BetrVG außer Acht lässt, stellt sich die Frage, ob aus diesem Verstoß ein Beweisverwertungs- und ggf. auch Sachvortragsverwertungsverbot folgt.

I. Sonderfall: Beweisverwertungsverbot aus Betriebsvereinbarung? Ein Beweisverwertungsverbot wäre bei mitbestimmungswidrigen Maßnahmen anzunehmen, wenn ein solches in einer Betriebsvereinbarung ausdrücklich vorgesehen ist. Allerdings ist die Zulässigkeit einer derartigen Regelung zweifelhaft.69 Da diese Konstellation aber ohnehin einen Sonderfall darstellen dürfte, wird hierauf nicht weiter eingegangen.

II. Beweisverwertungsverbot jenseits entsprechender Betriebsvereinbarung 1. Lösungsansätze in Rechtsprechung und Schrifttum Fehlt es an einer derartigen Betriebsvereinbarung, finden sich sowohl Stimmen, die ein Beweisverwertungsverbot bei Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 6 BetrVG annehmen wollen, als auch Ansichten, die ein Beweisverwertungsverbot ablehnen. Das Bundesarbeitsgericht lehnt ein Beweisverwertungsverbot allein wegen eines Verstoßes gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 6 BetrVG ab: Ist eine Informations- bzw. Beweisverwertung nach allgemeinen Grundsätzen zulässig,

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Die Unwirksamkeit derartiger Betriebsvereinbarungen annehmend Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 67; Fuhlrott/Oltmanns, NZA 2018, 413; Kania, in: ErfK BetrVG, § 87 Rn. 137, der allerdings auf die Möglichkeit der Umdeutung in einen Prozessvertrag zugunsten des Arbeitnehmers hinweist; Löwisch/Kaiser, BetrVG, § 87 Rn. 146. Für eine Zulässigkeit derartiger Betriebsvereinbarungen Däubler, Belegschaften, Rn. 838 g.

B. Die prozessuale Verwertung bei Verstößen gegen Mitbestimmungsrechte

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bestehe grundsätzlich auch kein darüberhinausgehendes Verwertungsverbot bei Missachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats.70 Die Gegenansicht begründet ein Beweisverwertungsverbot bei Verstoß gegen § 87 I Nr. 6 BetrVG insbesondere mit der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung,71 nach der die mitbestimmungswidrige Maßnahme auf individualrechtlicher Ebene keine Wirksamkeit entfalten soll72. So wie der Arbeitnehmer keine Pflichtverletzung begeht, wenn er einseitig und mitbestimmungswidrig vorgesehene Arbeitszeitvorgaben nicht befolgt, soll der Arbeitnehmer nicht verpflichtet sein, mitbestimmungswidrig eingesetzte Überwachungseinrichtungen zu bedienen oder zu benutzen.73 Geschieht dies doch, soll der Arbeitgeber keinen Rechtsvorteil aus der betriebsverfassungsrechtlichen Rechtswidrigkeit ziehen, weswegen ein Beweisverwertungsverbot Anwendung finden soll.74 2. Lösung unter Anwendung der allgemeinen Voraussetzungen für ein Beweisverwertungsverbot Ob ein Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 6 BetrVG ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, kann nach den Voraussetzungen beurteilt werden, die bereits in Abschnitt A. dargestellt wurden. Dort wurde festgehalten, dass nach vorzugswürdiger Ansicht eine Beweisverwertung unterbleiben muss, wenn das Gericht mit der Verwertung eine eigene Grundrechtsverletzung begehen würde. Eine Grundrechtsverletzung durch das Gericht käme hier nur in Betracht, wenn ein Grundrecht eines Arbeitnehmers bereits durch die mitbestimmungswidrige Beweiserlangung, etwa die mitbestimmungswidrige Videoaufnahme, beeinträchtigt wird. Ob eine solche Beeinträchtigung vorliegt, hängt davon ab, ob das Mitbestimmungsrecht selbst einen eigenständigen Grundrechtsschutz entfaltet (erste Fallgruppe), ob es nur dazu dient, die Einhaltung einfachgesetzlicher grundrechts70 BAG, Urteil vom 22. 9. 2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rn. 44; BAG, Urteil vom 20. 10. 2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rn. 36; BAG, Urteil vom 13. 12. 2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 1008 Rn. 33, allerdings zu § 87 I Nr. 1 BetrVG. 71 LAG Baden-Württemberg 6. 5. 1998 – 12 Sa 115/97, BB 1999, 1439 (Ls.) ohne weitere Auseinandersetzung mit der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung ein Beweisverwertungsverbot annehmend; LAG Hamm, Urteil vom 5. 4. 2006 – 3 Sa 1376/05, BeckRS 2006, 42354 unter B. III. 2. b); LAG Bremen, Urteil vom 28. 7. 2005 – 3 Sa 98/05, BeckRS 2005, 43027 unter II. a); Bayreuther, NZA 2005, 1038, 1043; Klebe, in: Däubler/Kittner/Klebe/ Wedde, § 87 Rn. 6; Fitting, BetrVG, 25. Aufl., § 87 Rn. 256; Maschmann, NZA 2002, 13, 21; obwohl grundsätzlich die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung ablehnend Richardi/ Maschmann, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 546. 72 Allgemein zur Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 599 f.; Kania, in: ErfK BetrVG, § 87 Rn. 136; Wiese, in: GK BetrVG, § 87 Rn. 1045. 73 Trotz grundsätzlicher Kritik an der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung Richardi/ Maschmann, in: Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 545. 74 Bayreuther, NZA 2005, 1038, 1043; ähnlich Däubler, Belegschaften, Rn. 838 g; einschränkend Maschmann, NZA 2002, 13, 21.

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4. Teil 1. Kap.: Auf Beobachtungsergebnisse gestützte Arbeitgebermaßnahme

schützender Vorschriften sicherzustellen (zweite Fallgruppe) oder ob hinter dem Mitbestimmungsrecht keinerlei individueller Schutz eines einzelnen Arbeitnehmers steht, sondern die Arbeitnehmer als Kollektiv geschützt werden (dritte Fallgruppe). Bei einigen Mitbestimmungstatbeständen steht der Schutz von Grundrechten einzelner Arbeitnehmer offensichtlich weniger im Vordergrund; diese gehören der dritten Fallgruppe an. So bezweckt das Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 1 BetrVG die gleichberechtigte Beteiligung der Arbeitnehmer an der Gestaltung der betrieblichen Ordnung.75 Bereits der Wortlaut verdeutlicht, dass Hintergrund für die Mitbestimmung hier das Verhältnis der einzelnen Arbeitnehmer im Betrieb ist, also das Betriebsgefüge als Kollektiv. Das Mitbestimmungsrecht soll mithin das durch eine einseitige Arbeitgebermaßnahme drohende Risiko vermeiden, dass das Betriebsgefüge gestört wird; ein derartiges Risiko liegt auf der Ebene des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Ein Risiko auf derselben Ebene vermeidet das Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 10 BetrVG76 und § 87 I Nr. 8 BetrVG77. Im Gegensatz dazu liegt ein individueller Schutz im Sinne der ersten und zweiten Fallgruppe durch das Mitbestimmungsrecht nahe, wenn damit einseitige Arbeitgebermaßnahme verhindert werden sollen, weil diese ein Risiko für den individuellen Bereich jedes einzelnen Arbeitnehmers darstellen würden. § 87 I Nr. 2 BetrVG etwa dient dazu, die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage ihrer Arbeitszeit und damit zugleich an ihrer freien, für das Privatleben nutzbaren Zeit zur Geltung zu bringen.78 Dasselbe gilt für § 87 I Nr. 3. Auch das Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 7 BetrVG soll die Arbeitnehmer vor Risiken einseitiger Arbeitgebermaßnahmen schützen, die seine Individualität in stärkster Form betreffen: Sein Leben und seine Gesundheit. Die erste und zweite Fallgruppe unterscheidet sich dadurch, dass in der zweiten Fallgruppe der grundrechtliche Schutz bereits abschließend durch einfachgesetzliche Vorschriften gewährleistet wird und das Mitbestimmungsrecht lediglich dazu dient, die Einhaltung dieser Vorschriften im Sinne eines Kontrollinstruments sicherzustellen. In der ersten Fallgruppe hat die mitbestimmte Regelung hingegen noch eigene Auswirkungen auf das Grundrecht, weil einfachgesetzliche Vorschriften 75 BAG, Beschluss vom 22. 07. 2008 – 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248 Rn. 57; BAG, Beschluss vom 18. 04. 2000 – 1 ABR 22/99, NZA 2000, 1176, 1177; Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 63; Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rn. 175. 76 Zweck des Mitbestimmungsrechts hier ist die Gewährleistung eines angemessenen innerbetrieblichen Lohngefüges und seiner Transparenz, BAG, Beschluss vom 18. 10.2011 @ 1 ABR 34/10, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 142 Rn. 19; Wiese/Gutzeit, in: GKBetrVG, § 87 Rn. 834. 77 Zweck der Mitbestimmung ist die Sicherung der innerbetrieblichen Verteilungsgerechtigkeit und Sicherstellung der Transparenz aller Maßnahmen, Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 333; Wiese/Gutzeit, in: GK-BetrVG, § 87 Rn. 705: Durchschaubare, gerechte Verteilung betrieblicher Mittel. 78 BAG, Beschluss vom 21. 12. 1982 – 1 ABR 14/81, AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 9; Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 95; Wiese/Gutzeit, in: GK-BetrVG, § 87 Rn. 279.

B. Die prozessuale Verwertung bei Verstößen gegen Mitbestimmungsrechte

261

der mitbestimmten Regelung Raum für Konkretisierung lassen. Ein Beispiel hierfür ist etwa das Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 7 BetrVG, für das Voraussetzung ist, dass ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschriften über den Arbeitsschutz bestehen79. Die mitbestimmte Regelung hat damit eigenständige Auswirkungen auf das zu schützende Grundrecht; die Mitbestimmung erschöpft sich nicht lediglich in der Kontrolle, ob einfachgesetzliche Regelungen eingehalten wurden. Angesichts dieser Beispiele lassen sich Verstöße gegen die unterschiedlichen Mitbestimmungstatbestände des § 87 I BetrVG im Hinblick auf ein Beweisverwertungsverbot differenzieren: Ein Beweisverwertungsverbot kommt dann nicht in Betracht, wenn ein Grundrechtsschutz durch das Mitbestimmungsrecht fernliegt. Das ist dann der Fall, wenn das Mitbestimmungsrecht einseitige Arbeitgebermaßnahmen verhindern soll, die Risiken für die gemeinschaftliche Ebene darstellen (dritte Fallgruppe). Dient hingegen das Mitbestimmungsrecht originär dazu, den Grundrechtsschutz der Arbeitnehmer zu verwirklichen, kommt ein Beweisverwertungsverbot in Betracht (erste Fallgruppe).80 Bei der zweiten Fallgruppe, in der der der Grundrechtsschutz bereits abschließend durch einfachgesetzliche Vorschriften gewährleistet wird und das Mitbestimmungsrecht lediglich dazu dient, die Einhaltung dieser Vorschriften im Sinne eines Kontrollinstruments sicherzustellen, kommt ein Beweisverwertungsverbot nur dann in Betracht, wenn die Beweiserlangung entgegen der einfachgesetzlichen Vorschriften erfolgte. Dann wäre die Beweiserlangung grundrechtswidrig. Erfolgt die Beweiserlangung hingegen im Einklang mit den einfachgesetzlichen Vorschriften und lediglich unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht, wäre ein Beweisverwertungsverbot mangels grundrechtswidriger Beweiserlangung abzulehnen. Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 6 BetrVG ist der zweiten Fallgruppe zuzuordnen. In Abgrenzung zur dritten Fallgruppe lässt der Wortlaut von § 87 I Nr. 6 BetrVG darauf schließen, dass sich das Mitbestimmungserfordernis weniger aus dem Interesse des Arbeitnehmers an gleichberechtigter Teilhabe ergibt81, sondern das Mitbestimmungserfordernis individuelle Rechtspositionen von Arbeitnehmern schützt: Es ist lediglich die Rede von der Überwachung von Verhalten und Leistung der Arbeitnehmer; ein Betriebsbezug, der das Teilhabeinteresse unterstreichen könnte, findet sich nicht.82 In systematischer Hinsicht ergänzt das Mitbestimmungsrecht das in § 75 II 1 BetrVG enthaltene Gebot, dass Arbeitgeber und Betriebsrat die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Ar-

79

Wiese/Gutzeit, in: GK-BetrVG, § 87 Rn. 619, 621 m. w. N. Derart bereits Maschmann, NZA 2002, 13, 21; eine differenzierende Betrachtung vornehmend auch Holzinger, S. 79. 81 Insgesamt eine ähnliche Abgrenzung zwischen § 87 I Nr. 1 und 6 BetrVG im Rahmen von § 87 I Nr. 1 BetrVG ziehend Kaltenmeier, S. 198. 82 Anders etwa bei § 87 I Nr. 1 BetrVG: Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb; § 87 I Nr. 10 BetrVG: Fragen der betrieblichen Lohngestaltung. 80

262

4. Teil 1. Kap.: Auf Beobachtungsergebnisse gestützte Arbeitgebermaßnahme

beitnehmer zu schützen und zu fördern haben.83 Der individualgutsbezogene Persönlichkeitsschutz wird als Zweck des Mitbestimmungsrechts auch in den Gesetzgebungsmaterialien selbst hervorgehoben.84 Die Mitbestimmung ist allerdings lediglich Mittel zur Verwirklichung eines bereits einfachgesetzlich abschließend geregelten Schutzes individueller Rechtspositionen85. Der persönlichkeitsrechtliche Schutz wird abschließend durch die gesetzlichen datenschutzrechtlichen Regelungen gewährt. Das Mitbestimmungsrecht enthält keine weiteren materiellen Begrenzungen über die bereits bestehenden einfachrechtlichen Regelungen hinaus,86 es stellt lediglich eine kollektiv-rechtliche Ergänzung des individualrechtlichen Persönlichkeitsschutzes dar.87 Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 6 BetrVG entfaltet demnach richtigerweise einen präventiven Persönlichkeitsschutz der Arbeitnehmer im Betrieb.88 Solange sich der Arbeitgeber mit der mitbestimmungswidrigen Maßnahme innerhalb der Grenzen bewegt, die spezialgesetzlich den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sicherstellen, ist keine grundrechtswidrige Beweiserlangung gegeben, selbst wenn die Beweisgewinnung mitbestimmungswidrig erfolgt. Infolgedessen kommt auch eine eigenständige Grundrechtsverletzung des Gerichts nicht in Betracht und die Verwertung von Informationen darf auch bei Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht erfolgen. 3. Fazit Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die ein Beweisverwertungsverbot lediglich dann annimmt, wenn zusätzlich zur Mitbestimmungswidrigkeit auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt ist, spiegelt letztlich die Anwendung der allgemeinen Voraussetzungen eines Beweisverwertungsverbots wider: 83 BAG, Beschluss vom 10. 07. 1979 – 1 ABR 97/77, AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 4; Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 215; Schlewing, NZA 2004, 1071, 1074; Wiese/Gutzeit, in: GK-BetrVG, § 87 Rn. 510. 84 BT-Drs. VI/1786, S. 48: § 87 I Nr. 6 sieht ein Mitbestimmungsrecht vor, da derartige Kontrolleinrichtungen stark in den persönlichen Bereich der Arbeitnehmer eingreifen. 85 Holzinger, S. 99; Schlewing, NZA 2004, 1071, 1075: Die Mitbestimmung weist im Hinblick auf den Schutz des Persönlichkeitsrechts des einzelnen Arbeitnehmers lediglich Verstärkungs- bzw. Komplementärfunktion auf. 86 Derart etwa Richardi, in: Richardi/Maschmann, BetrVG, § 87 Rn. 495; a. A. Holzinger, S. 107. 87 Schlewing, NZA 2004, 1071, 1074. 88 Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rn. 509. Im Ergebnis irreführend sind insofern allerdings Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts, der Sinn von § 87 I Nr. 6 BetrVG bestehe darin, Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer durch Verwendung anonymer technischer Kontrolleinrichtungen nur bei gleichberechtigter Mitbestimmung des Betriebsrats zuzulassen, so zuletzt noch BAG, Urteil vom vom 22. 9. 2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rn. 44; BAG, Urteil vom 20. 10. 2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rn. 36. Hiermit entsteht der Eindruck, die gleichberechtigte Teilhabe sei hauptsächlicher Schutzzweck.

B. Die prozessuale Verwertung bei Verstößen gegen Mitbestimmungsrechte

263

Ist eine Maßnahme, deren Einführung und Anwendung ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auslösen würde, nach anderen persönlichkeitsschützenden Vorschriften zulässig (wie etwa bei Einhaltung der Voraussetzungen aus § 26 I 1 bzw. 2 BDSG n. F.), liegt mit der Maßnahme kein unzulässiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor. Dann bedarf das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer auch keines besonderen Schutzes durch das Mitbestimmungserfordernis. Wird die Mitbestimmung in einer derartigen Konstellation umgangen, erfordert der Schutzzweck des Mitbestimmungsrechts auch kein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich gewonnener Informationen: Es werden materiell nur eigene Rechte des Betriebsrats verletzt, nicht solche des Arbeitnehmers.89 Die Stimmen, die ein Beweisverwertungsverbot vor dem Hintergrund der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung annehmen, nehmen ein Beweisverwertungsverbot aus dem Grund der Generalprävention an. Der generalpräventive Aspekt passt jedoch nicht zu der von individuellen Rechtsverletzungen geprägten Frage des Beweisverwertungsverbots. Der bloße Verstoß gegen die betriebsverfassungsrechtliche Kompetenzverteilung kann kein Beweisverwertungsverbot zur Folge haben.90

III. Zusammenfassendes Ergebnis Bei Fehlen einer besonderen Betriebsvereinbarung ist im Ergebnis der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zuzustimmen, dass ein Beweisverwertungsverbot nicht in Betracht kommt, wenn die Ermittlungsmaßnahme lediglich mitbestimmungswidrig vorgenommen wurde, sich im Übrigen aber als rechtmäßig darstellt, insbesondere im Hinblick auf die persönlichkeitsschützenden datenschutzrechtlichen Anforderungen. Denn dieses Ergebnis folgt aus der Anwendung der bereits in Abschnitt A. dargestellten allgemeinen Grundsätze eines Beweisverwertungsverbots.

89 Eufinger, DB 2017, 1266, 1269; Kort, RdA 2018, 24, 33; Thüsing/Pötters, in: Thüsing, Beschäftigtendatenschutz, § 21 Rn. 32. 90 Lunk, NZA 2009, 457, 463; Schlewing, NZA 2004, 1071, 1075.

2. Kapitel

Überprüfung einer auf Befragungsinhalte gestützten Arbeitgebermaßnahme Bei der gerichtlichen Überprüfung von Arbeitgebermaßnahmen als Reaktion auf die Ergebnisse einer Arbeitnehmerbefragung stellt sich neben der allgemeinen Frage der Verwertbarkeit von unter Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften gewonnenen Inhalten das besondere Problem der Selbstbelastung. Nachfolgend ist zunächst auf die Verwertbarkeit von Beweismitteln einzugehen, die entgegen datenschutzrechtlicher und mitbestimmungsrechtlicher Vorschriften erlangt wurden bzw. dem Arbeitnehmer in der Befragungssituation kein anwaltlicher Beistand ermöglicht wurde (Abschnitt A.). Anschließend wird die bereits im 2. Teil vermehrt angesprochene Beweisverwertungsmöglichkeit im Zivilprozess angesichts des Umgehungs- und Zweckentfremdungsgedankens als Rechtfertigungsaspekt des Eingriffs in die Selbstbelastungsfreiheit thematisiert (Abschnitt B.). Abschließend wird das von einigen Stimmen problematisierte Verhältnis zwischen dem Auskunftsanspruch des Arbeitgebers und seiner Darlegungs- und Beweislast erörtert (Abschnitt C.).

A. Die prozessuale Verwertung bei Pflichtverstößen des Arbeitgebers I. Verstoß gegen datenschutzrechtliche Pflichten Bei der Verwertung von in der Befragungssituation gewonnenen Informationen kann sich dieselbe Problematik wie bei der Verwertung von Beobachtungsdaten ergeben (siehe hierzu bereits Kapitel 1 dieses Teils). Auch die Anhörung und Befragung von Arbeitnehmern stellt eine Datenverarbeitung im Sinne des Bundesdatenschutzgesetzes dar.91 Damit kann sich auch bei der Befragung von Arbeitnehmern die Problematik eines Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbots stellen, sofern die Datenverarbeitung unzulässig ist. Hinsichtlich der Verwertbarkeit der Aus-

91

So BAG, Urteil vom 12. 02. 2015 – 6 AZR 845/13, NZA 2015, 741 Rn. 71 ff. zu Anhörung bei einer Verdachtskündigung; Böhm/Wybitul, RdA 2011, 362, 364; Kienast, in: Wessing/Dann, Korruptionsverfahren, § 8 Rn. 50; Niemann, Jahrbuch Arbeitsrecht 2018, S. 41, 47; Grimm, jM 2016, 17, 19; Steffen/Stöhr, RdA 2017, 34, 51; Ströbel/Böhm/Breunig/Wybitul, CCZ 2018, 14, 17; Thüsing/Rombey, NZA 2018, 1105, 1106; Glas/Vogel, DB 2009, 1747, 1749.

A. Die prozessuale Verwertung bei Pflichtverstößen des Arbeitgebers

265

kunftsinhalte unter dem datenschutzrechtlichen Aspekt kann auf obige Ergebnisse verwiesen werden.

II. Verstoß gegen Ermöglichung anwaltlichen Beistands Ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Arbeitnehmerauskünfte kann sich möglicherweise ergeben, wenn der Arbeitgeber bei der Arbeitnehmerbefragung gegen die Pflicht zur Ermöglichung anwaltlichen Beistands verstößt. Sofern hierfür auf die Anhörungssituation zur Verdachtskündigung zurückgegriffen werden kann, lassen sich ggf. Parallelen ziehen. Bei Betrachtung der Anhörungssituation zur Verdachtskündigung wird die prozessuale Ebene der Beweisverwertung kaum thematisiert92 : Hier hat ein Verstoß gegen die Pflicht zur Ermöglichung anwaltlichen Beistands die Konsequenz, dass die Verdachtskündigung selbst materiell unwirksam wird: Bei einem Wunsch des Arbeitnehmers auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts führt die verweigerte Teilnahme zur Unwirksamkeit der Anhörung und damit zur Unwirksamkeit der Verdachtskündigung.93 Die Befragung des Arbeitnehmers außerhalb der Verdachtskündigung stellt – anders als die Anhörung dort – keine Pflicht des Arbeitgebers dar, die Wirksamkeitsvoraussetzung für die Arbeitgebermaßnahme ist. Damit lässt sich die Frage des Beweisverwertungsverbots bei einem Verstoß gegen die Ermöglichungspflicht anwaltlichen Beistands nicht parallel zur Anhörung im Rahmen der Verdachtskündigung lösen. Die Frage der Beweisverwertung ist mithin nach den allgemeinen Grundsätzen zu beantworten. Auch hier kommt ein Beweisverwertungsverbot in Betracht, wenn ein Gericht mit der Verwertung eine eigene Grundrechtsverletzung begehen würde. Das Prinzip der Waffengleichheit, das sich hier in der Ermöglichung anwaltlichen Beistands konkretisiert, stellt kein klassisches Grundrecht dar, das im Rahmen der Beweiserlangung bzw. im Zuge der Beweisverwertung durch ein Gericht verletzt werden könnte. Sofern Waffengleichheit als Ausprägung der Rechtstaatlichkeit verstanden wird, die lediglich den Staat verpflichtet94, liegt eine grundrechtswidrige Beweiserlangung sogar fern. Allerdings ist anerkannt, dass ein Gericht über Art. 1 III GG den verfassungsrechtlichen Grundsatz des fairen Verfahrens und damit auch den 92 Soweit ersichtlich wird lediglich in einer Entscheidung die prozessuale Verwertbarkeit von Informationen in der Anhörungssituation diskutiert, wenn dem Arbeitnehmer anwaltlicher Beistand verwehrt wurde, LAG Hessen, Urteil vom 01. 08. 2011 – 16 Sa 202/11, BeckRS 2011, 75781 mit der Annahme eines Beweisverwertungsverbots. 93 LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05. 11. 2010 – 22 Sa 430/09, BeckRS 2014, 70294; Eylert, NZA-RR 2014, 393, 404; Löser, öAT 2018, 226, 228. 94 Kritisch zur Waffengleichheit als zwischen den Vertragsparteien anzuwendender Grundsatz LAG Hamm, Urteil vom 09. 06. 2011 – 15 Sa 410/11, BeckRS 2011, 79293.

266

4. Teil 2. Kap.: Auf Befragungsinhalte gestützte Arbeitgebermaßnahme

Grundsatz der Waffengleichheit95 bei Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts zu berücksichtigen hat.96 Daraus lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass ein Gericht Beweise, die unter Verstoß gegen das Prinzip der Waffengleichheit erlangt wurden, nicht verwerten darf, um nicht seinerseits das Prinzip der Waffengleichheit zu verletzen. Eine Ausnahme hiervon kann allerdings gelten, wenn das Gericht Informationen verwertet, die auch bei einem Waffengleichgewicht Gegenstand einer Auskunft gewesen wären. Das in der Befragungssituation bestehende Ungleichgewicht war dann nämlich nicht ursächlich für die Auskunft, sodass eine Verwertung keinen Verstoß gegen die Waffengleichheit darstellt. Eine derartige Ausnahmesituation ist denkbar, wenn der Arbeitgeber die gewonnenen Informationen auch bei Ermöglichung der Beratung erhalten hätte. Das ist anzunehmen, wenn ein Anwalt dem Arbeitnehmer zur Auskunft geraten hätte – nämlich, wenn der Arbeitnehmer ohnehin zur umfassenden Auskunft verpflichtet ist. Das ist der Fall, wenn das Auskunftsverlangen den unmittelbaren Arbeitsbereich betrifft. War hingegen der mittelbare Arbeitsbereich Gegenstand des Auskunftsverlangens, hätte ein Anwalt dem Arbeitnehmer u. U. zum Schweigen geraten, sodass der Arbeitgeber die Auskunft möglicherweise nicht erhalten hätte. Vor diesem Hintergrund stellt die Verwertung der Auskünfte durch ein Gericht immer dann einen Verstoß gegen die Waffengleichheit dar, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keinen anwaltlichen Beistand ermöglicht hat, ihn aber zu Umständen befragt hat bzw. befragen ließ, die jenseits des unmittelbaren Arbeitsbereichs liegen. Unter diesen Umständen liegt ein Beweisverwertungsverbot vor, das aus den bereits genannten Gründen um ein Sachvortragsverwertungsverbot zu ergänzen ist.

III. Verstoß gegen Mitbestimmungsrechte Ob ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Auskunftsinhalte besteht, wenn der Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerbefragung gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verstoßen hat, beurteilt sich danach, gegen welches Mitbestimmungsrecht verstoßen wurde. Im Rahmen der Arbeitnehmerbefragung käme lediglich ein Verstoß gegen ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 1 bzw. § 94 I BetrVG in Betracht, an das sich die Frage eines Beweisverwertungsverbots anschließen könnte.

95 Zum Grundsatz der Waffengleichheit als Teilaspekt des fairen Verfahrens Rauscher, in: MüKo ZPO, Einleitung zur ZPO Rn. 259 m. w. N. 96 So zur Berücksichtigung der Waffengleichheit durch das Gericht jedenfalls im Rahmen der Verdachtskündigung LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05. 11. 2010 – 22 Sa 430/09, BeckRS 2014, 70294; Eylert, NZA-RR 2014, 393, 403; Löser, öAT 2018, 226, 228.

A. Die prozessuale Verwertung bei Pflichtverstößen des Arbeitgebers

267

1. Verstoß gegen § 87 I Nr. 1 BetrVG Auskünfte, die der Arbeitgeber im Rahmen einer Arbeitnehmerbefragung unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 1 BetrVG erhalten hat, könnten nur dann einem Beweisverwertungsverbot unterliegen, wenn dem Gericht mit der Beweisverwertung selbst eine Grundrechtsverletzung vorzuwerfen wäre. Es wurde bereits herausgearbeitet, dass § 87 Nr. 1 BetrVG als Mitbestimmungsrecht zu qualifizieren ist, welches grundsätzlich nicht dem individuellen Schutz einzelner Arbeitnehmer dient, sondern die Arbeitnehmer als Kollektiv schützt (o. g. dritte Fallgruppe). Insoweit ist folgerichtig, ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der erhaltenen Auskünfte bei Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 1 BetrVG bezüglich der Durchführung der Arbeitnehmerbefragung abzulehnen. Das Mitbestimmungsrecht bezüglich der Durchführung betrifft lediglich die kollektiven Rahmenbedingungen der Befragung. Besteht hingegen auch ein Mitbestimmungsrecht bezüglich des Befragungsinhalts97, kann sich ein Beweisverwertungsverbot bei mitbestimmungswidrig durchgeführter Befragung ergeben. Wie bereits gesehen, dient das Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 1 BetrVG grundsätzlich der gleichberechtigten Teilhabe98 ; das Mitbestimmungsrecht soll Risiken einseitiger Arbeitgebermaßnahmen verhindern, die die gemeinschaftliche Ebene betreffen. In Einzelfällen scheint allerdings auch bei dem Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 1 BetrVG ein Bezug zu einem individuellen Persönlichkeitsschutz denkbar – so etwa bei Spindkontrollen, die zwar das Ordnungsverhalten betreffen, zugleich aber auch ein Risiko von Persönlichkeitsrechtsverletzungen besteht.99 Im Hinblick auf den Befragungsinhalt ergibt sich ein Risiko, dass persönlichkeitsrechtlich unzulässige Fragen gestellt werden. Derart unzulässige Fragen kommen insbesondere in Bezug auf die Selbstbelastungsfreiheit im mittelbaren Arbeitsbereich in Betracht. Werden solche Fragen gestellt, wäre eine grundrechtswidrige Beweiserlangung als Grundlage für eine eigene Grundrechtsverletzung des Gerichts gegeben. Halten sich die Fragen hingegen im persönlichkeitsrechtlich zulässigen Rahmen, kommt dem Mitbestimmungsrecht wie bei § 87 I Nr. 6 BetrVG kein eigener grundrechtsschützender Charakter zu. Allein aus der Mitbestimmungswidrigkeit folgt dann kein Beweisverwertungsverbot.100 97

Siehe zu einem Mitbestimmungsrecht diesbezüglich oben 2. Teil 2. Kap. A. III. 4., S. 107. 98 Siehe bereits oben im 1. Kapitel dieses Teils, S. 258 ff.; BAG, Beschluss vom 22. 07. 2008 – 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248 Rn. 57; BAG, Beschluss vom 18. 04. 2000 – 1 ABR 22/ 99, NZA 2000, 1176, 1177; Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 63; Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rn. 175. 99 Speziell zu § 87 I Nr. 1 BetrVG BAG, Urteil vom 13. 12. 2007 – 2 AZR 537/06, NZA 2008, 1008 Rn. 33: Der Sinn des Mitbestimmungsrechts besteht u. a. darin, Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmer durch bestimmte Verhaltenskontrollen nur bei gleichberechtigter Mitbestimmung des Betriebsrats zuzulassen. 100 In diesem Sinne auch die Rechtsprechung zu § 87 I Nr. 1 BetrVG: Der Schutzzweck von § 87 I Nr. 1 BetrVG gebietet in Fällen, in denen die Verwertung der Information bzw. des

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4. Teil 2. Kap.: Auf Befragungsinhalte gestützte Arbeitgebermaßnahme

2. Verstoß gegen § 94 I BetrVG Ein Beweisverwertungsverbot bezüglich der Auskunftsinhalte könnte sich außerdem im Zusammenhang mit § 94 I BetrVG ergeben, wenn der Arbeitgeber Auskünfte bei einer Arbeitnehmerbefragung unter Verstoß gegen das Zustimmungserfordernis aus § 94 I BetrVG erfährt. Nach der Gesetzesbegründung soll die Einschaltung des Betriebsrats sicherstellen, dass die Fragen auf die Gegenstände und den Umfang beschränkt bleiben, für den ein berechtigtes Auskunftsbedürfnis des Arbeitgebers besteht.101 Wie der Mitbestimmungstatbestand des § 87 I Nr. 6 BetrVG, der der zweiten Fallgruppe zuzuordnen war, dient das Mitbestimmungsrecht der Sicherstellung, dass sich die zu beantwortenden Fragen im Rahmen der individualrechtlichen Zulässigkeit bewegen102. Die Mitbestimmung dient dem präventiven Schutz des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers103. Der präventive Persönlichkeitsschutz in § 94 I BetrVG ist identisch mit dem Schutzzweck aus § 87 I Nr. 6 BetrVG,104 sodass sich ein grundrechtswidrige Beweisgewinnung lediglich ergibt, wenn die Befragung nicht nur mitbestimmungswidrig, sondern auch persönlichkeitswidrig (durch persönlichkeitsrechtlich unzulässige Fragen) erfolgt. Derartige Fragen sind in klassischen Personalfragebögen denkbar105 und auch im Rahmen von Arbeitnehmerbefragungen insbesondere im Zusammenhang mit der Selbstbelastungsfreiheit im mittelbaren Arbeitsbereich möglich. Werden hingegen lediglich Fragen gestellt, die das Persönlichkeitsrecht nicht beeinträchtigen, liegt selbst bei Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht keine grundrechtswidrige Beweisgewinnung vor. Damit kann auch keine Grundrechtsverletzung des Gerichts vorliegen.

Beweismittels zumindest nach allgemeinen Grundsätzen zulässig ist, nicht die Annahme eines Verwertungsverbots; BAG, Urteil vom 13. 12. 2007 – 2 AZR 537/06, NJW 2008, 2732 Rn. 33. 101 BT-Drs. VI/1786, S. 50. 102 Derart zum Hintergrund des § 94 I BetrVG Buchner, NZA 1991, 577, 588. 103 Kania, in: ErfK BetrVG, § 94 Rn. 1; Matthes, in: MHdB ArbR, § 258 Rn. 3; Raab, in: GK-BetrVG, § 94 Rn. 2, 48. 104 Holzinger, Beweisverwertungsverbote, S. 137. Der parallelen Lösung zu § 87 I Nr. 6 BetrVG steht nicht entgegen, dass § 94 I BetrVG in Abgrenzung zu § 87 I Nr. 6 BetrVG ein Zustimmungsrecht des Betriebsrats vorsieht. Dieses ist mangels Initiativrechts schon allgemein nicht als intensivere Beteiligungsform als das Mitbestimmungsrecht im Sinne von § 87 I BetrVG zu verstehen; vielmehr haben das Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 6 BetrVG und § 94 I BetrVG mangels Initiativcharakters dieselbe Reichweite. Ohnehin küpft die Frage des Beweisverwertungsverbots nicht am Recht des Betriebsrats an, sondern am Schutz des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer. 105 Beispiele hierzu bei Holzinger, Beweisverwertungsverbote, S. 135.

B. Die prozessuale Verwertung als Problem der Selbstbelastung

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3. Ergebnis Sofern vom Arbeitnehmer Auskünfte unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 1 BetrVG bzw. das Zustimmungsrecht aus § 94 I BetrVG erfragt wurden, kann die Verwertung der Auskunftsinhalte lediglich dann eine eigene Grundrechtsverletzung des Gerichts darstellen, wenn das Auskunftsverlangen das allgemeine Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Waren die Inhalte der Befragung hingegen persönlichkeitsrechtlich zulässig, genügt allein die Mitbestimmungswidrigkeit nicht, um eine Grundrechtsverletzung des Gerichts und damit ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen.

B. Die prozessuale Verwertung als Problem der Selbstbelastung Zu untersuchen ist, ob die Verwertung der Auskunftsinhalte ein Problem der Selbstbelastungsfreiheit darstellt. In diesem Zusammenhang ist danach zu fragen, ob mit Verweis auf die allgemeinen Überlegungen zur Eingriffsrechtfertigung in die Selbstbelastungsfreiheit die analog § 666 Var. 2, 675 BGB im unmittelbaren Arbeitsbereich bestehende Auskunftspflicht um ein Beweisverwertungsverbot im Arbeitsgerichtsprozess hinsichtlich der preisgegebenen Inhalte zu ergänzen ist. Für den Strafprozess wurde ein Beweisverwertungsverbot angenommen.106 Nach den allgemeinen Überlegungen zur Eingriffsrechtfertigung (siehe 2. Teil 2. Kap. Abschnitt B. II. 4., S. 142.) ist eine Auskunftspflicht wegen eines Eingriffs in die Selbstbelastungsfreiheit um ein prozessuales Beweisverwertungsverbot zu ergänzen, wenn in einem sich der Auskunft anschließenden Folgeverfahren ein verfassungsrechtliches Schweigerecht besteht und die Verwertung der Auskunft in diesem Verfahren eine Zweckentfremdung der Auskünfte sowie eine Umgehung dieses Schweigerechts darstellen würde. Demnach würde sich ein Beweisverwertungsverbot aus Gründen der Selbstbelastungsfreiheit im Zivilprozess ergeben, wenn den Arbeitnehmer zwar grundsätzlich eine Auskunftspflicht trifft (I.), er sich im Anschluss an die tatsächliche Auskunft in einem Arbeitsgerichtsverfahren aber gerade nicht äußern muss und eine Verwertung der Inhalte dieses Schweigerecht umgehen und die preisgegebene Information zweckentfremden würde (II.).

I. Umfassende Auskunftspflicht in der arbeitsrechtlichen Befragungssituation Eine umfassende Auskunftspflicht in der arbeitsrechtlichen Befragungssituation besteht bei Fragen des Arbeitgebers, die den unmittelbaren Arbeitsbereich be106

Siehe oben 2. Teil 2. Kap. Abschnitt C. I. 3. c) ee) (1), S. 176 ff.

270

4. Teil 2. Kap.: Auf Befragungsinhalte gestützte Arbeitgebermaßnahme

treffen, analog § 666 Var. 2, 675 BGB (siehe oben 2. Teil 2. Kap. Abschnitt C. I. 3., S. 164 ff.).

II. Schweigerecht sowie Umgehung und Zweckentfremdung im Arbeitsgerichtsprozess? Damit zugunsten des Arbeitnehmers ein Beweisverwertungsverbot angenommen werden kann, müsste ein verfassungsrechtlich begründetes Schweigerecht im Arbeitsgerichtsprozess bestehen, welches durch eine Verwertung der Auskünfte umgangen würde. Außerdem müsste sich eine Verwertung der Auskünfte im Arbeitsgerichtsprozess als Zweckentfremdung dieser Auskünfte vor dem Hintergrund der beteiligten Interessen darstellen. 1. Verfassungsrechtlich begründetes Schweigerecht? Zu überlegen ist zunächst, ob dem Arbeitnehmer im Arbeitsgerichtsprozess vor dem Hintergrund der dortigen Interessenverteilung ein verfassungsrechtlich begründetes Schweigerecht zusteht. Im 2. Teil wurde im Rahmen der allgemeinen Rechtfertigungsüberlegungen herausgearbeitet, dass eine Auskunftspflicht abzulehnen ist, wenn dem Interesse an Selbstbelastungsfreiheit staatliche Informationsinteressen gegenüberstehen; dann würde eine Auskunftspflicht bei Gefahr der Selbstbelastung einen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff darstellen. In einer derartigen Konstellation besteht mithin ein verfassungsrechtlich begründetes Schweigerecht. Für den Arbeitsgerichtsprozess stellt sich nicht nur die Frage, ob ein verfassungsrechtlich begründetes Schweigerecht besteht, sondern zunächst, ob überhaupt ein Schweigerecht des Arbeitnehmers besteht. Hierfür kann lediglich auf § 138 ZPO zurückgegriffen werden. § 138 II ZPO spricht gegen ein Schweigerecht, da hierin vorgesehen ist, dass sich jede Partei über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären habe. Gleichwohl gelten die Wahrheits- und Erklärungspflicht nicht uneingeschränkt, da in § 138 III ZPO die Möglichkeit des Schweigens vorgesehen sein muss,107 weil hier eine Konsequenz für den Fall vorgesehen wird, dass Tatsachen nicht ausdrücklich bestritten werden: Diese Tatsachen sind als zugestanden anzusehen. Allerdings enthält § 138 III ZPO seiner Formulierung nach kein ausdrückliches Schweigerecht, sondern setzt das Schweigen lediglich voraus. Das unterscheidet § 138 III ZPO vom Schweigerecht etwa im Strafprozess – hier wird auf ein Schweigerecht im Gesetzestext ausdrücklich hingewiesen (§§ 136 I 2, 243 V StPO). 107 Eine derartige Möglichkeit bereits in § 138 II ZPO selbst verortend Lang, Aufklärungspflicht, S. 78.

B. Die prozessuale Verwertung als Problem der Selbstbelastung

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Dennoch ist mit der impliziten Möglichkeit des Schweigens in § 138 III ZPO ein Schweigerecht einer Partei auch im Zivil- bzw. Arbeitsgerichtsprozess gegeben.108 Ob dieses Schweigerecht auch verfassungsrechtlich begründet ist, ist eine andere Frage. Dazu sind die sich im Arbeitsgerichtsprozess gegenüberstehenden Interessen zu betrachten. Im Zivil- bzw. Arbeitsgerichtsprozess besteht kein staatliches Informations- und Sanktionsinteresse, sondern lediglich ein Interesse der gegnerischen Partei, ihre (ggf. nur vermeintlichen) Rechte durchzusetzen. Dieses Interesse tritt gegenüber dem Interesse an Selbstbelastungsfreiheit in der Regel gerade nicht zurück (2. Teil 2. Kap. Abschnitt B. II. 4. a), S. 143 f.). Anders als im Strafprozess geht es im Zivil- bzw. Arbeitsgerichtsprozess nicht um den staatlichen Strafanspruch und staatliches Informationsinteresse, sondern um den gänzlich anders gelagerten zivilrechtlichen Konflikt von Interessen gleichgeordneter Bürger.109 Das wird auch durch den im Zivilprozess und im Arbeitsgerichtsprozess – jedenfalls im Urteilsverfahren – geltenden Beibringungsgrundsatz deutlich,110 während im Strafprozess der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Im Zivil- und Arbeitsgerichtsprozess werden individuelle Rechte beider Parteien in ihrem Verhältnis zueinander verhandelt und geklärt, die der staatliche Hoheitsträger beide zu schützen verpflichtet ist.111 Das in § 138 III ZPO implizite Schweigerecht lässt sich demnach nicht verfassungsrechtlich unter Verweis auf die Selbstbelastungsfreiheit begründen. Vor diesem Hintergrund ist auch zu erklären, warum die überwiegende Ansicht auch keine Einschränkung der Fiktionswirkung von § 138 III ZPO vornimmt, wenn ein strafbedrohtes Handeln fingiert wird; die Inhalte, die wegen des Schweigens nicht bestritten werden, sollen jedenfalls für den Zivilprozess als zugestanden gelten.112 Eine andere Lösung würde der Situation der Partei, die im Gegensatz zum unbeteiligten Zeugen in eigener Sache agiert, nicht gerecht werden und den Straftäter im Zivilprozess gegebenenfalls auf Kosten des Gegners privilegieren.113 108 Das meint wohl auch das Bundesverfassungsgericht, wenn es zu § 138 ZPO im Gemeinschuldnerbeschluss am Rande ausführt, auch für den Zivilprozess sei anerkannt, dass die Wahrheitspflicht der Partei dort ihre Grenze finde, wo sie gezwungen sei, eine ihr zur Unehre gereichende Tatsache oder eine von ihr begangene strafbare Handlung zu offenbaren; BVerfG, Beschluss vom 13. 01. 1981 – 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431, 1432. 109 BGH, Urteil vom 10. 12. 2002 – VI ZR 378/01, NJW 2003, 1123, 1125. 110 Vgl. zum Beschlussverfahren § 83 ArbGG; den Beibringungsgrundsatz im Urteilsverfahren unterstreichend BAG, Urteil vom 23. 8. 2018 – 2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329 Rn. 17. 111 Gomille, S. 32 Fußnote 10. 112 Greger, in: Zöller, § 138 Rn. 3; Stadler, in: Musielak/Voit ZPO, § 138 Rn. 3; von Selle, in: BeckOK ZPO, § 138 Rn. 31.1. Unklar ohne Äußerung zur Fiktionswirkung Leipold, in: Stein/Jonas (22. Aufl.), § 138 Rn. 13. Die Gegenansicht möchte die Fiktionswirkung des § 138 III ZPO in einer Selbstbelastungssituation ausschließen: Es dürfe einer Partei prozessual nicht zum Nachteil gereichen, nichts zur Aufklärung von Umständen beizutragen, durch die er sich der Klagebehauptung zu Folge als Betrüger entlarven müsste (OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. 3. 2004 – 4 U 119/03, NJOZ 2004, 3127, 3128). Im Rahmen eines Zivilprozesses die Umstände der eigenen Straftat durch Nichtbestreiten zuzugestehen, soll die Wahrheitspflicht daher nicht verlangen (Lunk, NZA 2009, 457, 45). 113 Stadler, in: Musielak/Voit ZPO, § 138 Rn. 3.

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4. Teil 2. Kap.: Auf Befragungsinhalte gestützte Arbeitgebermaßnahme

2. Außerdem: Keine Zweckentfremdung Dass dem Schweigerecht im Zivil- bzw. Arbeitsgerichtsprozess keine dem Strafprozess vergleichbare Bedeutung zukommt, wird auch in Auseinandersetzung mit der Frage der Zweckentfremdung deutlich: Selbst bei Annahme eines verfassungsrechtlich begründeten Schweigerechts im Arbeitsgerichtsprozess fällt spätestens bei der Frage nach der Zweckentfremdung auf, dass die Folgeprozesse des Strafund Arbeitsgerichtsverfahrens nicht vergleichbar sind. Das arbeitsgerichtliche Verfahren stellt lediglich eine inhaltliche Fortsetzung der Befragungssituation in gerichtlichem Rahmen dar; die an der Befragungssituation Beteiligten stehen sich dann als Prozessparteien gegenüber. Hinter dem Auskunftsverlangen des Arbeitgebers standen die Interessen des Arbeitgebers, seine Betriebsmittel zu schützen, Kenntnis von Hintergründen für etwaige Regressforderungen gegen den Arbeitnehmer zu erhalten sowie an dem Arbeitsverhältnis ggf. nicht mehr festzuhalten. Diese Interessen sind Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG. Für die Prozessführung sind die genannten Interessen gleichermaßen Hintergrund. Eine Verwertung der in der Befragungssituation gemachten Angaben würde mithin keine Zweckentfremdung darstellen.114 Damit fehlt es an einer Voraussetzung für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots. 3. Ergebnis zum Beweisverwertungsverbot In Ermangelung eines verfassungsrechtlichen Schweigerechts im Urteilsverfahren kommt ein Beweisverwertungsverbot im Arbeitsgerichtsprozess nicht in Betracht.

III. Zusammenfassendes Ergebnis Die prozessuale Verwertung der Auskunftsinformationen stellt kein Problem der Selbstbelastungsfreiheit dar. Die Verwertungssituation ist nicht mit dem Strafprozess vergleichbar, in dem zu Recht von der Notwendigkeit eines Beweisverwertungsverbots ausgegangen wird. Für den Arbeitsgerichtsprozess ergibt sich hingegen kein Beweisverwertungsverbot aus Gründen der Selbstbelastungsfreiheit.

114 Gegen eine Zweckentfremdung durch die Einbringung von Daten in den Zivilprozess und aus diesem Grund ein datenschutzrechtlich begründetes Beweisverwertungsverbot ablehnend BAG, Urteil vom 23. 08. 2018 – 2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329 Rn. 35.

C. Prozessuale Verwertung und Darlegungs- und Beweislastverteilung

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C. Die prozessuale Verwertung als allgemeines Problem der Darlegungs- und Beweislastverteilung jenseits der Selbstbelastung Mit der Ablehnung eines Beweisverwertungsverbots vor dem Hintergrund der Selbstbelastungsfreiheit ist die arbeitsgerichtliche Verwertungssituation noch nicht abschließend als unproblematisch zu bewerten. Grund hierfür ist der bereits im 2. Teil angesprochene Konflikt zwischen einer Auskunftspflicht und den Beweislastregeln in § 1 II 4 KSchG und § 619a BGB.

I. Konflikt zwischen Auskunftsanspruch und Beweislastregeln Wie bereits im 2. Teil angesprochen, sehen Stimmen im Schrifttum in einer jedenfalls im unmittelbaren Arbeitsbereich bestehenden Auskunftspflicht des Arbeitnehmers teilweise einen Widerspruch zu den genannten Beweislastregeln.115 Hintergrund sind Ausführungen in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach die Darlegungs- und Beweissituation nicht durch die Gewährung materiellrechtlicher Auskunftsansprüche unzulässig verändert werden darf.116 Auch die Möglichkeiten zur Auflösung dieses Widerspruchs wurden bereits angesprochen: So wird bereits vereinzelt die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers aufgrund der besonderen Beweislastregeln verneint,117 der Arbeitgeber soll seinen Auskunftsanspruch nicht einklagen können, wenn dieser der Vorbereitung einer Kündigung 115 Franzen, FS Köhler, S. 133, 138, weswegen der Arbeitgeber seinen Auskunftsanspruch nicht erfolgreich einklagen kann, wenn dies der Vorbereitung einer Kündigung dienen soll; Gatter, S. 200, 204; Klasen/Schaefer, BB 2012, 641, 645; Kreitner, in: Küttner Personalbuch, Auskunftspflichten Arbeitnehmer, Nr. 78 Rn. 34; Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, Kap. 5 Rn. 40; Neuhaus, Finanzkrise, S. 348, 359; Rieble, Ritsumeikan Law Review 2009, 191, 204; Tscherwinka, FS I. Roxin, S. 527, in diesem Sinne auch einen Auskunftsanspruch ablehnend bezüglich Umständen, die kündigungsrechtlich verwertet werden können DendorferDitges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 120; Maschmann, Mitarbeiterkontrolle, S. 174; ders., NZABeilage 2012, 50, 56; Rudkowski, NZA 2011, 612, 613. An die Beweislastregel des § 1 II 4 KSchG auch im Rahmen der Verdachtskündigung anknüpfend Ebeling, S. 174. 116 BAG, Urteil vom 07. 09. 1995 – 8 AZR 828/93, NZA 1996, 637, 638; BAG, Urteil vom 01. 12. 2004 – 5 AZR 664/03, NZA 2005, 289, 291. In diese Richtung wohl auch BAG, Urteil vom 23. 10. 2008 – 2 AZR 483/07, NZA-RR 2009, 362 Rn. 32 da der Arbeitnehmer nicht gezwungen werden könne, das Tatsachenmaterial zu liefern, um dessen Kündigung „schlüssig“ zu machen, allerdings betraf das Tatsachenmaterial nicht den unmittelbaren Arbeitsbereich, sondern strafrechtlich relevantes Verhalten im familiären Umfeld. 117 BAG, Urteil vom 07. 09. 1995 – 8 AZR 828/93, NZA 1996, 637, 638; BAG, Urteil vom 01. 12. 2004 – 5 AZR 664/03, NZA 2005, 289, 291; Dendorfer-Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 120; Kreitner, Küttner Personalbuch, Auskunftspflichten Arbeitnehmer Nr. 78 Rn. 34; Maschmann, Mitarbeiterkontrolle, S. 174; ders., NZA-Beilage 2012, 50, 56; Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, Kap. 5 Rn. 40; Neuhaus, Finanzkrise, S. 348, 359; Rieble, Ritsumeikan Law Review 2009, 191, 204; Rudkowski, NZA 2011, 612, 613; Tscherwinka, 527.

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4. Teil 2. Kap.: Auf Befragungsinhalte gestützte Arbeitgebermaßnahme

dienen soll118 oder der Arbeitgeber soll zusagen, auf Kündigungen oder die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen der Umstände zu verzichten, die er erst durch das Interview erfährt.119 Ob tatsächlich ein Konflikt zwischen dem Auskunftsanspruch des Arbeitgebers und den genannten Beweislastregeln besteht bzw. wie dieser aufzulösen ist, ist nachfolgend zu untersuchen. 1. Vorüberlegungen zu Beweislastregeln Um das Konfliktpotential zwischen Auskunftsanspruch und Beweislastregeln nachvollziehen und einer sachgerechten Lösung zuführen zu können, ist es notwendig, sich mit dem Begriff, dem Inhalt und der Funktion von Beweislastregeln auseinanderzusetzen. a) Begriff Zunächst ist danach zu fragen, ob der Begriff der Beweislastregel einen eindeutigen Inhalt aufweist. Im bisherigen Zusammenhang dieser Arbeit wurde der Begriff der Beweislastregel als Umschreibung des Regelungsgehalts von § 1 II 4 KSchG und § 619a BGB verwendet. Tatsächlich lässt sich der Begriff der Beweislastregel nicht nur als ausdrückliche Normierung der Beweislastverteilung verstehen. Eine Beweislastregel bezeichnet nicht zwingend eine Regel im Sinne einer gesetzlichen Kodifizierung120, sondern auch die grundsätzliche Beweislastverteilung nach einem bestimmten Konzept121. Als anerkannte ungeschriebene Grundregel für die Verteilung der Beweislast gilt, dass jede Partei, die den Eintritt einer Rechtsfolge geltend macht, die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen trägt; wer sich hingegen auf Nichteintritt, Hemmung oder den Untergang beruft, trägt die Beweislast für die rechtshindernden, rechtshemmenden und rechtsvernichtenden Tatsachen.122 Als Grund für diese Verteilung bzw. als Lösung der Beweislastverteilung in Fällen, in denen nicht unpro-

118

Franzen, FS Köhler, S.133, 138. Gatter, S. 206. 120 Gottwald, Jura 1980, 225, 228: „besondere Beweislastregel“; Leipold, in: Stein/Jonas (22. Auf.), § 286 Rn. 61, 66: „ausdrücklichen Beweislastregel“; Prütting, Beweislast, S. 152 „Beweislastverteilungsnorm“; Reinecke, Beweislastverteilung, S. 32 „Beweislastsonderregel“. 121 Leipold, in: Stein/Jonas (22. Aufl.), § 286 Rn. 61: Grundregel der Beweislast; Brox, JA 1979, 590, 591. 122 BGH, NJW 1983, 2944, NJW 1991, 1052, 1053; Gottwald, Jura 1980, 225, 229; Leipold, in: Stein/Jonas (22. Aufl.), § 286 Rn. 61; Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, S. 55; Reinecke, Beweislastverteilung, S. 28; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald ZivilProzR, § 116 Rn. 9; wegweisend hierzu Rosenberg, Beweislast, 5. Aufl., S. 105. 119

C. Prozessuale Verwertung und Darlegungs- und Beweislastverteilung

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blematisch erkennbar ist, welche Tatsachen welche Wirkung entfalten123, wird auf Wahrscheinlichkeit124 oder Gefahrenbereiche (auch: Sphärengedanke)125 verwiesen. b) Inhalt Beweislastregeln beinhalten nicht nur Vorgaben hinsichtlich der Beweislast selbst, sondern regeln zugleich die im Prozess zunächst zeitlich vorrangig zu beachtende Behauptungs- oder Darlegungslast.126 Hinsichtlich der Beweislast selbst betreffen Beweislastregeln zum einen die subjektive, zum anderen die objektive Beweislast. Die subjektive Beweislast oder auch Beweisführungslast bezeichnet die Last, welche Partei welche Tatsachen zu beweisen hat.127 Darüber hinaus bezeichnet die objektive Beweislast das Risiko des Prozessverlusts für den Fall, dass eine Tatsache nicht bewiesen werden kann; sie legt die Folgen eines non liquet fest.128 Alle drei Aspekte (Darlegungslast, subjektive und objektive Beweislast) beinhalten das Risiko des Prozessverlusts – mangels Darlegung, mangels Beweisvorbringens und in Form der objektiven Beweislast letztlich ohne eigenes Zutun lediglich aufgrund der Beweislastregel. Die objektive Beweislast stellt damit keine Sanktion für prozessuale Untätigkeit dar.129 Zutreffend lässt sich zusammenfassend formulieren, die Beweislast zu tragen, sei halber Prozessverlust.130

123

Gottwald, Jura 1980, 225, 233; Leipold, in: Stein/Jonas (22. Aufl.), § 286 Rn. 68. Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald ZivilProzR, § 116 Rn. 16; Leipold, in: Stein/ Jonas (22. Aufl.), § 286 Rn. 68; Reinecke, Beweislastverteilung, S. 40 ff.; Thole, in: Stein/Jonas (23. Aufl.), § 286 Rn. 117. Kritisch zum Wahrscheinlichkeitsprinzip Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, S. 56. 125 Leipold, in: Stein/Jonas (22. Aufl.), § 286 Rn. 68; Reinecke, Beweislastverteilung, S. 40 ff. Kritisch zur Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, S. 57; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald ZivilProzR, § 116 Rn. 14; Thole, in: Stein/Jonas (23. Aufl.), § 286 Rn. 117. 126 Brox, JA 1979, 590, 591; Gottwald, Jura 1980, 225; Leipold, in: Stein/Jonas (22. Aufl.), § 286 Rn. 47, 51 jeweils auch zur Behauptungslast. 127 Gottwald, Jura 1980, 225, 226; ders., in: Rosenberg/Schwab/Gottwald ZivilProzR, § 116 Rn. 5; Leipold, in: Stein/Jonas (22. Aufl.), § 286 Rn. 51; Prütting, Beweislast, S. 6; Thole, in: Stein/Jonas (23. Aufl.), § 286 Rn. 99. 128 Gottwald, Jura 1980, 225, 227; ders., in: Rosenberg/Schwab/Gottwald ZivilProzR, § 116 Rn. 2; Leipold, in: Stein/Jonas (22. Aufl.), § 286 Rn. 48; Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, S. 54, 55; Thole, in: Stein/Jonas (23. Aufl.), § 286 Rn. 93. 129 Gottwald, Jura 1980, 225, 227. Die objektive Beweislast entfaltet außerdem die weitreichendste Wirkung, da ihr Bedeutung auch in Verfahren zukommt, in denen keine Verhandlungsmaxime gilt, Leipold, in: Stein/Jonas (22. Aufl.), § 286 Rn. 51; Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, S. 55. 130 Schneider, Beweis, S. 5 Rn. 15. 124

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4. Teil 2. Kap.: Auf Befragungsinhalte gestützte Arbeitgebermaßnahme

c) Funktion Anhand der unterschiedlichen Aspekte der Beweislastregeln (Darlegungslast, subjektive und objektive Beweislast) wird deutlich, dass Beweislastregeln eine prozessuale Funktion aufweisen. Ob Beweislastregeln dem Prozessrecht oder dem materiellen Recht zuzuordnen sind, ist umstritten.131 Für die Frage der Funktion ist die Zuordnung allerdings irrelevant – selbst wenn eine Beweislastregel dem materiellen Recht dahingehend zuzuordnen wäre, dass sie zu demselben Rechtsgebiet gehört wie jene Normen, um deren Anwendung es geht, würde sich die Wirkung der Beweislastnorm mit Verteilung der Darlegungs- sowie subjektiver und objektiver Darlegungslast auf den Prozess beschränken: Beweislastregeln sind in erster Linie Entscheidungsnormen für den Richter im Prozess.132 Dass Beweislastregeln eine prozessuale Funktion zukommt, schließt allerdings nicht aus, dass das materielle Recht auf sie einwirkt. Das kann etwa derart geschehen, dass das materielle Recht regelt, ob Tatsachen rechtsbegründend oder rechtsvernichtend wirken.133 Umgekehrt schließt eine prozessuale Funktion auch nicht aus, dass der Gesetzgeber eine Beweislastregel zum Anlass nimmt, um materiell-rechtliche Regelungen zu erlassen (z. B. besonders geregelte gesetzliche Auskunftsansprüche, siehe hierzu unten S. 278). Auch schließt eine rein prozessuale Funktion nicht aus, dass Parteien ihr vor- oder außerprozessuales Verhalten an Beweislastnormen ausrichten. Hierin liegt dann aber eine eigene Antizipation, nicht die tatsächliche Funktion von Beweislastnormen. Die Parteien müssten sich nicht derart verhalten – das außerprozessuale materielle Recht knüpft Rechtsfolgen an die bloße Existenz von Tatsachen, nicht von Beweisen und kommt daher ohne Beweislastregeln aus134. Insofern lässt sich zusammenfassend feststellen, dass Beweislastregeln allein eine prozessuale Funktion zukommt und sie lediglich mittelbar auf vorprozessuale Situationen und das materielle Recht einwirken – sei es durch eigenverantwortliches Verhalten von Parteien, das sich an der Beweislastregel orientiert oder an der speziellen Entscheidung des Gesetzgebers, eine Beweislastregel als Anlass für eine materiell-rechtliche Regelung zu nehmen. 131

Wobei es nicht auf die Frage des gesetzlichen Standorts konkret geregelter Beweislastnormen ankommen soll, Leipold, in: Stein/Jonas (22. Aufl.), § 286 Rn. 78; Thole, in: Stein/ Jonas (23. Aufl.), § 286 Rn. 119. Zum Gesamten Prütting, S. 174. 132 Gottwald, Jura 1980, 225, 228; Leipold, in: Stein/Jonas (22. Aufl.), § 286 Rn. 78; Prütting, Beweislast, S. 173, der allerdings den Begriff der Hilfsnorm vorzieht; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald ZivilProzR, § 116 Rn. 8. Darwin, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 108 Rn. 91 geht mit der Überwindung des non liquet von der auf den Richter bezogenen ersten Wirkung der Beweislastnormen aus. Im Zusammenhang mit der objektiven Beweislast wird die Entscheidungsnorm an den Richter auch als Operationsregel bezeichnet, Gottwald, Jura 1980, 225, 228. Prütting, in: MüKo ZPO, § 286 Rn. 106; ders., Gegenwartsprobleme, S. 167. 133 Leipold, in: Stein/Jonas (22. Aufl.), § 286 Rn. 65; Reinecke, Beweislastverteilung, S. 28. 134 Leipold, in: Stein/Jonas (22. Aufl.), § 286 Rn. 78; Thole, in: Stein/Jonas (23. Aufl.), § 286 Rn. 120.

C. Prozessuale Verwertung und Darlegungs- und Beweislastverteilung

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2. Aushebelung der Beweislastregeln infolge der Auskunft Nachdem abstrakt Begrifflichkeiten, Inhalt und Funktion von Beweislastregeln beleuchtet wurden, kann eine konkrete Auseinandersetzung mit dem von einigen Stimmen im Schrifttum problematisierten Verhältnis zwischen dem Auskunftsanspruch des Arbeitgebers und den Beweislastregeln erfolgen. Der gegenüber dem Auskunftsanspruch des Arbeitgebers vorgebrachten Kritik liegt die Folge zugrunde, die die uneingeschränkte Anwendung eines Auskunftsanspruchs bezüglich der Beweislastregeln hätte: Die Beweislastregeln aus § 1 II 4 KSchG und § 619a BGB könnten keine Wirkung mehr entfalten. Vereinfacht gesehen würde die Kenntnis von Tatsachen, die der Arbeitgeber im Wege der Auskunft erfahren hat, dazu führen, dass er stets in der Lage wäre, seine Darlegungslast und bei entsprechender Dokumentation auch seine Beweislast zu erfüllen. Tatsächlich gestaltet sich die prozessuale Situation sogar noch weitaus komplizierter, da der Arbeitgeber bei Erfüllung seiner Darlegungslast und Anwendung von § 138 ZPO nicht einmal in die Beweisstation eintreten würde – ein Aspekt, der in der oberflächlich geführten Diskussion um den Konflikt zwischen Auskunftsanspruch und Beweislastregeln soweit ersichtlich nicht bedacht wird. Hierauf ist jedoch erst an späterer Stelle einzugehen. Für die hiesige Darstellung soll ausreichen, dass infolge des Auskunftsanspruchs die eigentlich dem Arbeitgeber gesetzlich zugewiesene Darlegungs- und Beweislast für ihn keine tatsächliche Last bzw. kein Risiko mehr darstellt, wenn ihm die Darlegung und der Beweis aufgrund der im Wege der Auskunft erlangten Informationen stets möglich ist. 3. Brisanz der Aushebelung aufgrund besonderer Schutzfunktion Eine sich infolge von Auskunftspflichten derart ergebende Aushebelung von Beweislastregeln wird nicht nur im arbeitsrechtlichen Kontext als problematisch beurteilt. Auch schon in früherer Rechtsprechung wird angesprochen, dass materielle Auskunftsansprüche das Risiko bergen, in die Verteilung der Behauptungs- und Beweislast im Prozess einzugreifen und daher u. U. restriktiv verstanden und angewendet werden müssen.135 Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die Folge einer eintretenden Irrelevanz von Beweislastregeln nicht stets kritisch zu sehen ist. Vielmehr ist differenzierend zu betrachten, ob sich nicht der Gesetzgeber ausdrücklich und gerade vor dem Hintergrund der Darlegungs- und Beweislast für einen gesetzlich geregelten Auskunftsanspruch entschieden hat. Hierfür finden sich im BGB zahlreiche Beispiele136, die von Auskunftsansprüchen bezüglich anspruchsausfüllender Tatsachen 135

BGH, Urteil vom 09. 11. 1983 – Iva ZR 151/82, NJW 1984, 487, 489; angedeutet auch in BGH, Urteil vom 04. 12. 1980 – Iva ZR 46/80, NJW 1981, 2051, 2052. 136 Ein Überblick hierzu findet sich bei Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald ZivilProzR, § 110 Rn. 5.

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4. Teil 2. Kap.: Auf Befragungsinhalte gestützte Arbeitgebermaßnahme

bis sogar zu Auskunftsansprüchen bezüglich anspruchsbegründender Tatsachen reichen. Zu nennen sind hier vor allem Auskunftsansprüche, bei denen ein Folgeanspruch im Grunde feststeht und lediglich die Höhe von Umständen abhängt, die der für den Anspruch Darlegungs- und Beweisbelastete selbst nicht feststellen kann.137 Der Anspruch auf Auskunft bezieht sich in diesen Fällen lediglich auf Tatsachen, die die Bemessung des Folgeanspruchs betreffen (anspruchsausfüllende Tatsachen). Der Ehepartner, dem u. U. gegen den anderen Ehepartner nach § 1378 I BGB ein Ausgleichsanspruch zusteht, kann nach § 1379 I Nr. 1 und 2 BGB Auskunft über dessen Vermögen im Zeitpunkt der Trennung sowie über das Vermögen generell verlangen, soweit es für die Berechnung des Anfangs- und Endvermögens maßgeblich ist. Damit wird eine mögliche Beweisnot des Anspruchstellers dahingehend, dass ein Überschuss besteht, kompensiert.138 Ein ähnlich gelagerter Auskunftsanspruch findet sich in § 2314 I BGB. Diesen Auskunftsansprüchen ist gemeinsam, dass sie dazu dienen, den dem Grunde nach feststehenden Folgeanspruch hinsichtlich seiner Höhe beziffern zu können. Anspruchsbegründende Tatsachen können etwa durch den Anspruch auf Rechenschaftslegung über die Verwaltung des Kindesvermögens nach § 1698 I BGB in Erfahrung gebracht werden. Sinn und Zweck der Rechenschaftslegung soll gerade sein, eine Schadensersatzforderung gegen einen Elternteil oder die Eltern vorzubereiten, die das Kindesvermögen nicht angelegt und die Einkünfte aus dem Vermögen nicht gemäß § 1649 BGB verwaltet haben.139 Dasselbe gilt für den Anspruch des Nacherben auf Auskunft über den Bestand der Erbschaft aus § 2127 I BGB, auch wenn der Auskunftsanspruch hier nur unter der Voraussetzung besteht, dass Grund zu der Annahme einer erheblichen Verletzung der Rechte des Nacherben durch die Verwaltung des Vorerben besteht. § 2127 BGB sichert dem Nacherben die erforderlichen Beweismittel, um nach dem Eintritt des Nacherbenfalls eventuell Schadensersatzansprüche nach § 2130 I 2 BGB durchzusetzen.140 Die arbeitsrechtliche Konstellation unterscheidet sich von den eben genannten Beispielen dadurch, dass im arbeitsrechtlichen Kontext eine derartige Beweislastkompensation vom Gesetzgeber nicht vorgesehen ist: Ein gesetzlich speziell für den Arbeitgeber zur Vermeidung der Beweisnot vorgesehener Auskunftsanspruch fehlt; stattdessen findet sich eine besondere gesetzgeberische Regelung lediglich bezüglich der Beweislastverteilung in § 619a BGB und § 1 II 4 KSchG. Dass die Risikoverteilung dieser besonderen arbeitsrechtlichen Beweislastregeln durch einen Aus137

In gewisser Weise ist in diesen Fällen letztlich doch das „Ob“ des Folgeanspruchs betroffen, da dieser nicht besteht, wenn kein Erbe bzw. kein Überschuss; hierzu Lorenz, JuS 1995, 569, 570. 138 Da der Ausgleichsberechtigte die Vermögenslage des Ehepartners in der Regel nicht unmittelbar kennt, hilft ihm der Auskunftsanspruch aus dieser Beweisnot; Siede, in: BeckOGK BGB, § 1379 Rn. 2. 139 Mehrle, in: BeckOGK BGB, § 1698 Rn. 13, Stand 01. 11. 2018; in der Neubearbeitung von Schwedler allerdings nicht mehr thematisiert. 140 Haeffs, S. 106; Avenarius, in: Staudinger BGB, § 2127 Rn. 2.

C. Prozessuale Verwertung und Darlegungs- und Beweislastverteilung

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kunftsanspruch ausgehebelt zu werden droht, ist problematisch, da hinter der besonderen Beweislastverteilung ein Schutzgedanke steht und sich die Beweislastverteilung damit nicht lediglich aus der allgemeinen Grundregel der Beweislastverteilung ergibt. a) Schutzfunktion von § 1 II 4 KSchG Bereits im Entwurf zum Kündigungsschutzgesetz aus dem Jahre 1951 wurde in § 1 II KSchG dem Arbeitgeber die Beweislast bezüglich des Kündigungsgrundes auferlegt und damit einer jahrzehntelang bestehenden Unklarheit über die Beweislast ein Ende bereitet, die sich aus der sprachlichen Fassung und dem Wesen der Kündigungsschutzklage als Feststellungsklage ergab.141 Die besondere Schutzfunktion der Beweislastverteilung aus § 1 II 4 KSchG ist zunächst nicht aus den Gesetzgebungsmaterialien ersichtlich; diese schweigen zu den Gründen der Beweislastverteilung142. Auch lässt sich eine besondere Schutzfunktion von § 1 II 4 KSchG nicht mit einem grundsätzlichen Schutz des Arbeitnehmers im Arbeitsgerichtsprozess begründen; einen allgemeinen Grundsatz, dass die Beweislastverteilung immer zum Schutze und damit auch zugunsten des Arbeitnehmers erfolgen solle, gibt es nicht143. Trotzdem wird in Rechtsprechung und Schrifttum betont, die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast sei für die Wirksamkeit des gerichtlichen Kündigungsschutzes von besonderer Bedeutung.144 Diese Feststellung wird verständlich, wenn man sich vor Augen führt, dass der Zweck von § 1 II KSchG ist, Kündigungen als sozial unerwünschte Ereignisse soweit als möglich zur begrenzten Ausnahme zu machen.145 Das Kündigungsschutzgesetz ist – schon seiner Bezeichnung nach146 – ein Schutzgesetz für den Arbeitnehmer; allerdings nur in dem engen Rahmen, dass es Unwirksamkeitstatbestände für eine Kündigung aufstellt und es Arbeitnehmern ermöglicht, über den Weg der Klage die Sozialwidrigkeit der Kündigung feststellen zu lassen.147 In diesen Schutzrahmen fällt die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers hinsichtlich des Kündigungsgrundes aus § 1 II 4 KSchG. Denn wenn der Arbeitgeber seiner Beweislast nicht gerecht werden kann, entfaltet der Schutz über 141 Zur klarstellenden Funktion Becker-Schaffner, BB 1992, 557; Prütting, Beweislast, S. 299; zu den Unklarheiten der sprachlichen Fassung auch Ascheid, Beweislastfragen, S. 61; zum Gesetzesentwurf BT-Drs. I/2090, S. 2. 142 BT-Drs. I/2090, S. 11 f. 143 Prütting, Beweislast, S. 246, der einen derartigen Grundsatz „in dubio pro operario“ im Hinblick auf die gesetzliche Beweislastverteilung etwa aus § 23 III und 1 III 3 KSchG zurecht ablehnt. 144 BVerfG, Beschluss vom 27. 1. 1998 – 1 BvL 15/87, NJW 1998, 1475, 1476; Preis, NZA 1997, 1256, 1268. 145 Prütting, Beweislast, S. 299; Reinecke, Beweislastverteilung, S. 67, 170. 146 Mit dem Kündigungsschutzgesetz hat der Gesetzgeber die Kündigungsfreiheit zugunsten einer prinzipiellen Kündigungsbeschränkung abgelöst, Preis, in: Ascheid/Preis/ Schmidt, Kündigungsrecht, Grundlagen G Rn. 9. 147 Ascheid, Beweislastfragen, S. 48.

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4. Teil 2. Kap.: Auf Befragungsinhalte gestützte Arbeitgebermaßnahme

den Unwirksamkeitstatbestand aus § 1 II 1 – 3 KSchG Wirkung. Damit wird deutlich, dass sich Kündigungsbeschränkungen zum Schutz des Arbeitnehmers auch durch die Beweislastverteilung hinsichtlich des Kündigungsgrundes ergeben.148 Bei umgekehrter Beweislastverteilung müsste der Arbeitnehmer unter Umständen trotz sozial ungerechtfertigter Kündigung aus dem Betrieb ausscheiden – ein Ergebnis, das § 1 II 4 KSchG vermeiden will.149 Dass § 1 II 4 KSchG ein besonderer Schutzgedanke zugrunde liegt, wird auch daran deutlich, dass sich die Beweislastverteilung bei ordentlichen Kündigungen außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes als gegensätzlich darstellt. Die Rechtsprechung betont, dass § 1 II 4 KSchG außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes nicht gilt.150 Die Nichtanwendbarkeit von § 1 II 4 KSchG wird vor dem Hintergrund verständlich, dass die ordentliche Kündigung außerhalb des KSchG einer anderen Schutzsystematik unterliegt. Im Anwendungsbereich des KSchG hängt die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom Vorliegen bestimmter positiver Gründe ab.151 Bei ordentlichen Kündigungen außerhalb des KSchG hingegen braucht der Arbeitgeber keinen Kündigungsgrund (den er ggf. nur durch Auskunft des Arbeitnehmers erfahren könnte), weswegen es auf die Auskunft des Arbeitnehmers für die Kündigungsmöglichkeit des Arbeitgebers auch nicht ankommt. Die materielle Wirksamkeit der Kündigung ist nicht an die Existenz eines triftigen Sachgrundes geknüpft, sodass der Arbeitgeber außerhalb des KSchG lediglich den rechtsvernichtenden Ausspruch seiner Kündigungserklärung selbst darzulegen und zu beweisen hat.152 Aus der allgemeinen Beweislastgrundregel ergibt sich für das Kündigungsschutzrecht, dass es außerhalb des Geltungsbereichs des allgemeinen KSchG nicht Sache des Arbeitgebers ist, die Kündigung sachlich zu rechtfertigen: Vielmehr ist grundsätzlich153 der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass die Kündigung aufgrund von Rechtsvorschriften rechtsunwirksam ist, die außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.154 Die Aussage des Bundesarbeitsgerichts, dass § 1 II 4 KSchG hier keine Anwendung finden kann, ist in Anbetracht der abweichenden Schutzsystematik nur folgerichtig. Die Gegenüberstellung zeigt aber auch, dass die Be-

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Vereinzelt wird sogar aufgrund der Beweislastverteilung eine materielle Kündigungsbeschränkung angenommen, Preis, Kündigungsrechtsprinzipien, S. 55. 149 Reinecke, Beweislastverteilung, S. 67. 150 Hierzu etwa BAG, Urteil vom 21. 2. 2001 – 2 AZR 15/00, NZA 2001, 833, 836. 151 Preis, Kündigungsrechtsprinzipien, S. 59. 152 Reinecke, NZA 1989, 577, 578; Urban, Kündigungsschutz, S. 238. 153 Modifiziert wird dieser Grundsatz durch die Anwendung der abgestuften Darlegungsund Beweislast, die den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des Arbeitnehmers im Prozessrecht gewährleistet, BAG, Urteil vom 21. 2. 2001 – 2 AZR 15/00, NZA 2001, 833, 836. 154 Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, § 129 Rn. 20; Preis, NZA 1997, 1256, 1269; ders., in: APS, 1. Teil J Rn. 75; Ulrich, in: MAH ArbR, § 43 Rn. 83; Reinecke, Beweislastverteilung, S. 164.

C. Prozessuale Verwertung und Darlegungs- und Beweislastverteilung

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weislastverteilung in einem Kündigungsschutzprozess innerhalb des KSchG den Kündigungsschutz vervollständigt.155 b) Schutzfunktion der Beweislast für Kündigungsgrund bei § 626 BGB Auch im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung trägt der Arbeitgeber die Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes. Zwar gilt hier § 1 II 4 KSchG nicht, da § 13 KSchG § 1 II 4 KSchG nicht für anwendbar erklärt. Allerdings legt die Rechtsprechung dem Arbeitgeber dennoch die Beweislast für den Kündigungsgrund ebenso auf wie nach § 1 II 4 KSchG: Derjenige, der eine außerordentliche Kündigung ausspricht und damit ein Gestaltungsrecht ausübt, ist darlegungs- und beweisbelastet für alle Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein können, die Grundlage für seine Rechtsausübung darzustellen.156 Derjenige, der eine außerordentliche Kündigung ausspricht, hat mithin im Prozess alle Tatsachen darzulegen und zu beweisen, die als wichtiger Grund für die sofortige Beendigung des Vertrages geeignet sind.157 Damit ergibt sich die Beweislastverteilung für den Kündigungsgrund bei einer außerordentlichen Kündigung zwar nicht aus einer besonders gesetzlichen Regelung der Beweislast wie bei § 1 II 4 KSchG, sondern aufgrund der allgemeinen Beweislastverteilung.158 Die Beweislastverteilung ist aber von demselben Zweck getragen wie bei § 1 II 4 KSchG. Das wird daran deutlich, dass die außerordentliche Kündigung trotz der Nichtregelung im KSchG dieselbe Schutzsystematik wie die Wirksamkeitsbetrachtung innerhalb des KSchG aufweist – und nicht wie die ebenfalls außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG liegende ordentliche Kündigung: Die Kündigung ist nur wirksam, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, § 626 I BGB. Infolgedessen muss der Kündigende der anderen Partei diesen Grund auf Verlangen auch mitteilen, § 626 II 3 KSchG. § 1 II 4 KSchG verkörpert damit auch die Beweislastgrundsätze, die bei der außerordentlichen Kündigung gelten. Damit hat auch die Beweislastverteilung im Kündigungsschutzprozess um eine

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Das gilt sogar dann, wenn den Arbeitnehmer ausnahmsweise eine sekundäre Darlegungslast trifft: Auch bei einer sekundären Darlegungslast bleibt es dabei, dass die primäre Darlegungs- und Beweislast weiterhin in den Arbeitgeber trifft. Ihm soll durch die sekundäre Darlegungslast des Arbeitnehmers lediglich ermöglicht werden, weitere Nachforschungen anzustellen; der Arbeitnehmer soll dem Arbeitgeber nicht die Beweislast abnehmen. Siehe hierzu vertiefend S. 286. 156 BAG, Urteil vom 16. 07. 2015 – 2 AZR 85/15, NZA 2016, 161 Rn. 40; BAG, Urteil vom 06. 08. 1987 – 2 AZR 226/87, NJW 1988, 438; Vossen, in: APS, § 626 BGB Rn. 173; Fischermeier, in: KR, § 626 Rn. 395. 157 BAG, Urteil vom 17. 03. 2016 – 2 AZR 110/15 Rn. 32, BeckRS 2016, 72235; Eisemann, in: Küttner Personalbuch, außerordentliche Kündigung Nr. 257 Rn. 89; Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, § 127 Rn. 47. 158 Reinecke, NZA 1989, 577, 578; Zimmermann, in: Gallner/Mestwerdt/Nägele, § 1 KSchG Rn. 326.

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4. Teil 2. Kap.: Auf Befragungsinhalte gestützte Arbeitgebermaßnahme

außerordentliche Kündigung die Funktion, den Arbeitnehmer vor ungerechtfertigten Kündigungen zu schützen. c) Schutzfunktion von § 619a BGB Auch im Rahmen der Arbeitnehmerhaftung kommt der Beweislastverteilung über § 619a BGB eine besondere Funktion zu. Um diese zu verdeutlichen, ist zunächst auf die Beweislastverteilung nach den allgemeinen Grundsätzen einzugehen. Nach den allgemeinen Grundsätzen der Beweislastverteilung trägt der Arbeitgeber als Anspruchsteller bei einem Schadensersatzanspruch aus § 280 I BGB gegen den Arbeitnehmer die Beweislast für das Schuldverhältnis, die Pflichtverletzung und den Schaden. Nach § 280 I 2 BGB würde das Vertretenmüssen des Arbeitnehmers vermutet. § 619a BGB sieht eine Ausnahme zu § 280 I 2 BGB derart vor, dass der Arbeitgeber auch das Vertretenmüssen des Arbeitnehmers zu beweisen hat. § 619a BGB findet Anwendung im Rahmen der Haftung des Arbeitnehmers bei betrieblich veranlassten Tätigkeiten, wie sie bei der Auskunft über den unmittelbaren Arbeitsbereich nach § 666 Var. 2 BGB gegeben sind159. § 619a BGB stellt gerade eine Korrektur der Beweislastregel aus § 280 I 2 BGB dar, wonach das Vertretenmüssen des Arbeitnehmers vermutet würde.160 Hinter dieser Korrektur der allgemeinen Beweislastregel aus § 280 I 2 BGB steht der Gedanke, den Arbeitnehmer davor zu schützen, dass er sein fehlendes Vertretenmüssen darlegen und beweisen muss.161 Anlass für § 619a BGB war die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Regelung in § 282 BGB a. F., der die Beweislast für das Vertretenmüssen der Unmöglichkeit der Leistung dem Schuldner als Ausdruck des vom Schuldner übernommenen Leistungsrisikos auferlegte. Diesen Gedanken lehnte das Bundesarbeitsgericht für die Arbeitnehmerhaftung ab, da die Einschränkung der Arbeitnehmerhaftung gerade auf der Überlegung beruhe, dass der Arbeitgeber wegen seiner Organisationsmöglichkeiten ein erhöhtes Risiko trage.162 Dem widerspräche es, würde man über die Anwendung einer Beweislastregel einen Teil des Risikos wieder zurück auf den Arbeitnehmer verschieben. Ob § 619a BGB damit tatsächlich eine Schutzfunktion zukommt, ließe sich anzweifeln, wenn sich die privilegierte Arbeitnehmerhaftung, die mithilfe von § 619a BGB umgesetzt werden soll, hauptsächlich als Ausdruck einer fairen Risikoverteilung verstehen lässt. Diese Sichtweise liegt insbesondere im Rahmen der dogmatischen Begründung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung mit analoger Anwendung von § 254 BGB nahe163. Mit der Eingliederung in die Betriebsorganisation 159

Siehe hierzu bereits die entsprechenden Ausführungen in Teil 2 und Teil 3. BT-Drs. 14/7052, S. 204. 161 Feuerborn, in: BeckOGK BGB, § 619a Rn. 2; hierzu vertiefend nachfolgend. 162 Zum Ganzen BAG, Urteil vom 17. 09. 1998 – 8 AZR 175/97, NZA 1999, 141, 143. 163 Zur dogmatischen Begründung unter Verweis auf § 254 BGB BAG GS, Beschluss vom 27. 09. 1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083. 160

C. Prozessuale Verwertung und Darlegungs- und Beweislastverteilung

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und den faktischen Gegebenheiten des Arbeitsprozesses wird die Berufsausübung des Arbeitnehmers gesteuert, der den vorgegebenen Arbeitsbedingungen in der Regel weder tatsächlich noch rechtlich ausweichen kann; aufgrund seines sich auf Art, Ort und Zeit der Arbeitsleistung erstreckenden Weisungsrechts prägt der Arbeitgeber und die von ihm gesetzte Organisation des Betriebes das Haftungsrisiko für den Arbeitnehmer.164 Andererseits spricht für eine Schutzfunktion, dass die privilegierte Arbeitnehmerhaftung in historischer Hinsicht auf dem Gedanken beruhte, dass eine Totalreparation des Arbeitnehmers bei Schadensverursachung unbillig sei. Schließlich werde dem Arbeitnehmer Arbeitsmaterial von großem Wert zur Verfügung gestellt, dessen Beschädigung zu hohen Schadensersatzforderungen führen kann, die aus dem gewöhnlichen Arbeitslohn nicht beglichen werden können.165 Auch heute geht die Rechtsprechung noch davon aus, die privilegierte Arbeitnehmerhaftung sei einseitig zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht.166 Vor diesem Hintergrund kann der Beweislastverteilung aus § 619a BGB durchaus Schutzfunktion zugemessen werden; jedenfalls stellt sich die Beweislastverteilung als ausdrückliche, bewusste Regelung zugunsten des Arbeitnehmers dar. Wie weit diese Beweislastverteilung zugunsten des Arbeitnehmers wirken soll, scheint auf den ersten Blick klar zu sein: § 619a BGB erfasst seinem Wortlaut nach lediglich eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Vertretenmüssens.167 Auch die Normierung von § 619a BGB als Sonderregelung der Beweislast zu § 280 I 2 BGB legt nahe, dass § 619a BGB tatsächlich nur das Vertretenmüssen erfasst – denn auch § 280 I 2 BGB bezieht sich lediglich auf das Vertretenmüssen. Hinsichtlich der übrigen anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen ergibt sich die Beweislastverteilung bereits aus der allgemeinen Grundregel. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass hinter dieser Beweislastverteilung kein besonderer Zweck steht; für diese Beweislastverteilung besteht mangels gesonderter Regelung lediglich kein Diskussionsanlass, anhand dessen ein besonderer Zweck deutlich werden könnte. Tatsächlich lässt sich begründen, dass auch die Beweislast des Arbeitgebers hinsichtlich der Pflichtverletzung dieselbe Funktion erfüllt wie im Rahmen des Vertretenmüssens. Denn eine Pflichtverletzung im Umgang mit den Betriebsmitteln des Arbeitgebers wird dem Arbeitnehmer erst dadurch ermöglicht, dass er mit diesen

164 BAG GS, Beschluss vom 27. 09. 1994 – GS 1/89 (A), NZA 1994, 1083; Henssler, in: MüKo BGB, § 619a Rn. 9; Preis, in: ErfK BGB, § 619a Rn. 9. 165 Auf das geringe Gehalt des Angestellten Bezug nehmend RAG, Urteil vom 12. 6. 1937 ARS 30, 3, 7; in diesem Sinne auch BAG, Beschluss vom 27. 09. 1994 – GS 1/89, NJW 1995, 210, 211, wonach der Arbeitnehmer seit Inkrafttreten des BGB zunehmenden Haftungsrisiken ausgesetzt sei. 166 BAG, Urteil vom 05. 02. 2004 – 8 AZR 91/03, NZA 2004, 649, 650; auf die Schutzfunktion der Beweislastverteilung bereits zur alten Rechtslage ausdrücklich hinweisend LAG Bremen, Urteil vom 05. 01. 1962 – 1 Sa 112/61, DB 1962, 442; im Schrifttum Reinecke, Beweislastverteilung, S. 161. 167 So auch eindeutig BAG, Urteil vom 21. 06. 2012 – 2 AZR 694/11, NZA 2013, 199, 203 Rn. 49.

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4. Teil 2. Kap.: Auf Befragungsinhalte gestützte Arbeitgebermaßnahme

Betriebsmitteln in Berührung kommt.168 In Rechtsprechung und Schrifttum wird eine derartige Aufladung der Beweislast hinsichtlich der Pflichtverletzung trotz fehlender gesetzlicher Regelung deutlich: Hier finden sich vermehrt Formulierungen, die nahelegen, dem Arbeitgeber obliege die Beweislast auch für die Pflichtverletzung wegen § 619a BGB.169 Dies gilt insbesondere für das Bundesarbeitsgericht, wenn es feststellt, nach § 619 a BGB liege die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt hat und nach § 280 I BGB dem Arbeitgeber zum Schadensersatz verpflichtet ist, beim Arbeitgeber; dies gelte sowohl für die Pflichtverletzung als auch für das Vertretenmüssen des Arbeitnehmers.170 Auch im Schrifttum wird vertreten, die materiellrechtliche Risikoverteilung werde stets durch eine entsprechende Regelung der Beweislast hinsichtlich haftungsbegründender Pflichtverletzung und Vertretenmüssen flankiert.171 Da sich die privilegierte Arbeitnehmerhaftung auch auf deliktische Ansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer auswirkt172, ist es folgerichtig, auch hier äquivalent anzunehmen, dass der Beweislast des Arbeitgebers hinsichtlich der schädigenden Handlung und dem Verschulden eine besondere Funktion im Sinne einer Schutzfunktion oder zumindest einer besonderen, bewussten Risikoverteilung zukommt. d) Zusammenfassung zur Schutzfunktion Es ist deutlich geworden, dass der Beweislastverteilung im Arbeitsgerichtsprozess hinsichtlich bestimmter Tatbestandsvoraussetzungen eine Schutzfunktion bzw. jedenfalls eine besondere Funktion zukommt, die eine bewusste Risikoverteilung des Gesetzgebers darstellt. In einem Kündigungsschutzprozess nach ordentlicher Kündigung im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes gilt dies hinsichtlich der Beweislast des Arbeitgebers bezüglich des Kündigungsgrundes, ebenso bei einer außerordentlichen Kündigung. Bei Schadensersatzansprüchen des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer gilt dieser Gedanke für die Beweislast des Arbeitgebers hinsichtlich der Pflichtverletzung und des Vertretenmüssens bei vertraglichen An168

Umgekehrt war bereits zu § 282 BGB a. F. anerkannt, dass sich der Schuldner nicht nur hinsichtlich der subjektiven Seite, sondern auch hinsichtlich der objektiven Pflichtwidrigkeit entlasten musste, wenn als Schadensursache nur eine solche aus dem Obhuts- und Gefahrenbereich des Schuldners in Betracht kam, BGH, Urteil vom 16. 02. 2005 – XII ZR 216/02, BeckRS 2005, 03025. 169 BAG, Urteil vom 21. 05. 2015 – 8 AZR 116/14, 8 AZR 867/13, NZA 2015, 1517; Henssler, in: MüKo BGB, § 619a Rn. 43; Kreßler, NZG 2018, 841, 846; Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, § 59 Rn. 2; Preis, in: ErfK BGB, § 619a Rn. 21. 170 BAG, Urteil vom 21. 05. 2015 – 8 AZR 116/14, 8 AZR 867/13, NZA 2015, 1517 (Ls). 171 Henssler, in: MüKo BGB, § 619a Rn. 3. 172 BAG, Urteil vom 30. 08. 1966 – 1 AZR 456/65 Leitsatz, NJW 1967, 269; Krause, in: HWK, BGB, § 619a Rn. 26; Henssler, in: MüKo BGB, § 619a Rn. 21.

C. Prozessuale Verwertung und Darlegungs- und Beweislastverteilung

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sprüchen bzw. hinsichtlich der schädigenden Handlung und des Verschuldens bei deliktischen Ansprüchen.

II. Ziel: Wahrung der Schutzfunktion durch Geltungsverschaffung der Beweislastregeln Die eingangs dargestellte Kritik am Auskunftsanspruch des Arbeitgebers spricht die Konsequenz der Schutzfunktion in der Form aus, dass den Beweislastregeln Geltung zukommen muss – deswegen wird von einer Vielzahl dieser Stimmen im Ergebnis der Auskunftsanspruch verneint. Hinter dieser Sichtweise steht der Gedanke, dass dem in den Beweislastregeln verkörperten Schutzinteresse des Arbeitnehmers ein höherer Stellenwert zuzumessen ist als dem Informationsinteresse des Arbeitgebers. Diese Gewichtung lässt sich tatsächlich dadurch untermauern, dass der Gesetzgeber entgegen des verbreitet hinter der Beweislastverteilung stehenden Prinzips des Gefahrenbereichs173 mit der Zuweisung der Beweislast zum Arbeitgeber gerade nicht der Partei die Beweislast zuweist, in deren Gefahrenbereich die zu beweisende Tatbestandsvoraussetzung liegt. Nach der Gefahrenbereichslehre erfolgt die Beweislastverteilung derart, dass eine Beweisnot (also Beweisschwierigkeiten) vermieden werden soll: Derjenige, der zur Aufklärung besser in der Lage ist, soll die Beweislast tragen.174 Für die arbeitsrechtlichen Konstellationen würde dies bedeuten, dass eigentlich der Arbeitnehmer hinsichtlich der fraglichen Tatbestandsvoraussetzungen beweisbelastet wäre: So ist bezüglich des Kündigungsgrundes denkbar, dass der Arbeitgeber außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs steht, während der Arbeitnehmer auf Grund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt.175 Dieselbe Sachnähe des Arbeitnehmers kommt hinsichtlich einer Pflichtverletzung und deren Vertretenmüssen bzw. einer schädigenden Handlung und deren Verschulden in Betracht.176 Nach Gefahrenbereichen wäre die Beweislast hierfür folglich nicht dem Arbeitgeber zuzuweisen, sondern dem Arbeitnehmer. Dass der Gesetzgeber dennoch dem Arbeitgeber die Beweislast auferlegt, zeigt, dass die sich 173 Hierzu etwa aus jüngerer Rechtsprechung BGH, Urteil vom 22. 10. 2008 – XII ZR 148/ 06, NJW 2009, 142; eingehend zur Gefahrenbereichslehre im Schrifttum Reinecke, Beweislastverteilung, S. 48; Riehm, in: BeckOGK BGB, § 280 Rn. 335. Kritisch Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald ZivilProzR, § 114 II 5a; Prütting, Beweislast, S. 213 ff. 174 Oetker, in: MüKo BGB, § 249 Rn. 490; Reinecke, Beweislastverteilung, S. 50, der als Beispiele hierzu auf die negative Fassung von etwa §§ 105 I, II, 827, 828 I, II BGB verweist; hierunter dürfte auch § 280 I 2 BGB fallen. 175 Aus diesem Grund mit der Konsequenz einer eben nur sekundären Darlegungslast des Arbeitnehmers BAG, Urteil vom 16. 07. 2015 – 2 AZR 85/15, NZA 2016, 161 Rn. 41. 176 So etwa zur Rechtslage vor der Schuldrechtsreform Medicus, AP § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers Nr. 58 letzter Absatz; allerdings ließe sich auch das Gegenteil begründen, wenn man die Schadensursache dem Betriebsrisiko und damit dem Gefahrenbereich des Arbeitgebers zuordnet, so BAG, Urteil vom 30. 08. 1966 – 1 AZR 456/65, NJW 1967, 269.

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u. U. ergebende Beweisnot des Arbeitgebers eine bewusste, gesetzgeberische Entscheidung darstellt, deren Abhilfe nicht durch Arbeitnehmerverhalten erreicht werden soll. Die Beweisnot des Arbeitgebers wird als rechtspolitische Entscheidung des Gesetzgebers gerade in Kauf genommen. Diese Inkaufnahme der Beweisnot zeigt sich auch darin, dass die Rechtsprechung bisher dem Arbeitnehmer trotz größerer Sachnähe zur fraglichen Tatsache (z. B. hinsichtlich des Kündigungsgrundes) nur eine sekundäre Darlegungslast auferlegt.177 Hiermit wird zunächst unterstrichen, dass der Arbeitgeber trotz Beweisschwierigkeiten darlegungs- und beweisbelastet bleibt; eine derart sekundäre Darlegungslast trifft stets nur den Gegner der primären behauptungs- und beweispflichtigen Partei178. Zum anderen wird hervorgehoben, dass die eigentliche Darlegungs- und Beweislastverteilung aufrechtzuerhalten sei: An die sekundäre Darlegungslast des Arbeitnehmers dürften keine überzogenen Anforderungen gestellt werden – sie diene lediglich dazu, es dem kündigenden Arbeitgeber als primär darlegungs- und beweispflichtiger Partei zu ermöglichen, weitere Nachforschungen anzustellen und sodann substantiiert zum Kündigungsgrund vorzutragen und gegebenenfalls Beweis anzutreten.179 Die Beweisnot des Arbeitgebers wird damit in der Rechtsprechung lediglich zum Anlass einer sekundären Darlegungslast des Arbeitnehmers genommen, die allerdings nicht so verstanden wird, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Beweislast durch Offenbarung der Kündigungsgründe abnimmt. Sie reicht lediglich so weit, dass der Arbeitgeber eigene Nachforschungen anstellen kann.180 Die gesetzgeberisch vorgenommene Darlegungs- und Beweislastverteilung soll auch nach dieser Rechtsprechung bestehen bleiben.

177 BAG, Urteil vom 17. 03. 2016 – 2 AZR 110/15, Rn. 32, BeckRS 2016, 72235 zur außerordentlichen Kündigung; BAG, Urteil vom 16. 07. 2015 – 2 AZR 85/15, NZA 2016, 161 Rn. 41 zur außerordentlichen Kündigung; BAG Urt. v. 18. 9. 2008 – 2 AZR 1039/06, BeckRS 2009, 59320 Rn. 31 zur außerordentlichen Kündigung; mit gleicher Formulierung zum Entlastungsgrund für den Arbeitnehmer BAG, Urt. v. 18. 6. 2015 – 2 AZR 256/14, NZA 2016, 287, 289 Rn. 28 zur ordentlichen Kündigung. 178 Leipold, in: Stein/Jonas (22. Aufl.), § 286 Rn. 53; Thole, in: Stein/Jonas (23. Aufl.), § 286 Rn. 98. 179 BAG, Urteil vom 16. 07. 2015 – 2 AZR 85/15, NZA 2016, 161 Rn. 41; BAG, Urteil vom 18. 6. 2015 – 2 AZR 256/14, NZA 2016, 287; BAG, Urteil vom 18. 9. 2008 – 2 AZR 1039/06, BeckRS 2009, 59320 Rn. 33. 180 In diesem Zusammenhang ist allerdings zu betonen, dass diese Auferlegung einer sekundären Darlegungslast noch nicht zwingend dafür spricht, einen Auskunftsanspruch des Arbeitgebers generell abzulehnen: Es wäre denkbar, dass der Arbeitgeber zwar einen Auskunftsanspruch hat, der Arbeitnehmer diesem aber nicht nachkommt und sich im Prozess deswegen die Frage nach einer sekundären Darlegungslast stellt. Die sekundäre Darlegungslast ist eine rein prozessuale Figur, die den Arbeitnehmer nach den Umständen des Einzelfalls treffen kann. Wie den Beweislastregeln im Konflikt mit dem Auskunftsanspruch Geltung verschafft werden kann, ist folglich durch die Figur der sekundären Darlegungslast noch nicht vorweggenommen beantwortet.

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III. Methoden der Zielerreichung Soll die gesetzgeberisch vorgenommene Darlegungs- und Beweislastverteilung vorrangig vor einem Auskunftsanspruch des Arbeitgebers bestehen bleiben, stellt sich die Frage, wie den Beweislastregeln im Arbeitsgerichtsprozess Geltung verschafft werden kann. Hierfür lässt sich zum einen an den Auskunftsanspruch selbst anknüpfen (materiell-rechtliche Ebene). Zum anderen kommt eine Lösung auf prozessualer Ebene in Betracht. Welcher Lösung der Vorzug zu geben ist, ist nachfolgend zu untersuchen. 1. Lösung auf materiell-rechtlicher Ebene a) Keine Einklagbarkeit des Auskunftsanspruchs Franzen sieht den Konflikt zwischen einem materiell-rechtlichen Auskunftsanspruch und der Beweislastregel des § 1 II 4 KSchG und schlägt vor, der Arbeitgeber solle seinen Auskunftsanspruch nicht einklagen können, wenn dieser der Vorbereitung einer Kündigung dienen soll.181 Diese Lösung kommt dem Arbeitnehmer zugute, der sich pflichtwidrig verhält und sich im Rahmen einer Befragung nicht äußert – der Arbeitgeber ist dann nicht in der Lage, Kenntnis von Umständen zu erlangen, die Aufschluss über den Kündigungsgrund geben könnten. Dieser Lösung ist allerdings zum einen entgegenzuhalten, dass der Arbeitnehmer durch das Schweigen nach der hier vertretenen Auffassung jedenfalls im unmittelbaren Arbeitsbereich eine erneute Pflichtverletzung begeht, an die der Arbeitgeber u. U. erneute Sanktionen knüpft. Zum anderen wird den Beweislastregeln mit dieser Lösung keine Geltung verschafft, wenn der Arbeitnehmer sich äußert. Dann kann der Arbeitgeber gerade den Kündigungsgrund darlegen und beweisen und es würde genau die Irrelevanz der Beweislastregel aus § 1 II 4 KSchG drohen, die vermieden werden soll. Die Ablehnung der Einklagbarkeit der Auskunftspflicht erweist sich mithin nicht als überzeugender Lösungsansatz. b) Einschränkung des Auskunftsanspruchs Auf materiell-rechtlicher Ebene ließe sich zudem überlegen, ob der Auskunftsanspruch selbst vor dem Hintergrund der Beweislastregeln einzuschränken sein könnte. Dieser Ansatz wird verbreitet vorgeschlagen, um den genannten Beweislastregeln Geltung zu verschaffen.182 Auf die Überzeugungskraft dieses Ansatzes ist nachfolgend einzugehen. 181

Franzen, FS Köhler, S.133, 138. Dendorfer Ditges, in: MAH ArbR, § 35 Rn. 120; Kreitner, in: Küttner Personalbuch, Auskunftspflichten Arbeitnehmer Nr. 78 Rn. 34; Maschmann, Mitarbeiterkontrolle, S.174; ders., NZA-Beilage 2012, 50, 56; Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, Kap. 5 Rn. 40; 182

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aa) Einschränkung der Analogievoraussetzungen des Auskunftsanspruchs aufgrund der Beweislastregeln? Eine Einschränkung des Auskunftsanspruchs auf materiell-rechtlicher Ebene ließe sich aufgrund der nach überwiegender Ansicht lediglich analogen Anwendung des Auskunftsanspruchs aus §§ 666 Var. 2, 675 BGB lediglich über die Verneinung der Analogievoraussetzungen erreichen.183 Bei Fragen zu Umständen, die einen Kündigungsgrund, eine Pflichtverletzung oder das Vertretenmüssen bzw. eine schädigende Handlung und das Verschulden betreffen, könnte das Ziel der Geltung der Beweislastregeln mithin über die Ablehnung einer planwidrigen Regelungslücke oder einer vergleichbaren Interessenlage verwirklicht werden. Grundsätzlich werden bezüglich des Auskunftsanspruchs für den Arbeitgeber eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage angenommen (siehe 2. Teil 2. Kap. Abschnitt A. I. 2. b), S. 92). Anknüpfungspunkt für eine Verneinung der Analogie, um den Beweislastregeln Geltung zu verschaffen, könnte die Ablehnung einer vergleichbaren Interessenlage aufgrund der besonderen Beweislastregeln sein. Eine vergleichbare Interessenlage bezüglich bestimmter Tatsachen angesichts der besonderen arbeitsrechtlichen Beweislastregeln zu verneinen, würde den Beweislastregeln allerdings ein Gewicht verleihen, das ihnen qua ihrer oben dargestellten Funktion nicht zukommt. Es wurde bereits dargestellt, dass Beweislastregeln lediglich eine prozessuale Funktion aufweisen; sie entfalten ihre unmittelbare Wirkung lediglich im Prozess. Vorprozessual und in Bezug auf das materielle Recht wirken sie lediglich mittelbar, d. h. vermittelt durch eigenverantwortliches Verhalten von Parteien oder durch gesetzgeberische Entscheidungen. Diese rein prozessuale Bedeutung lässt sich auch anhand eines Beispiels verdeutlichen: Hätte ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer tatsächlich ohne Kündigungsgrund gekündigt und der Arbeitnehmer nicht (fristgerecht) Kündigungsschutzklage erhoben, wäre die Kündigung nicht aufgrund der Beweislastregel des § 1 II 4 KSchG als unwirksam anzusehen. Das wäre vielmehr nur dann der Fall, wenn der Arbeitgeber in einem Prozess einen Kündigungsgrund nicht darlegen und beweisen könnte. Die Geltung der Beweislastregel ist also nicht nur abhängig davon, dass der Arbeitgeber auch tatsächlich die Konsequenz zieht, in deren Rahmen ihm eine besondere Beweislast obliegt, sondern auch davon, dass es tatsächlich zu einem Gerichtsprozess kommt und die Klage nicht wegen §§ 4, 7 KSchG als unbegründet abgewiesen wird. Für den Auskunftsanspruch des Arbeitgebers bedeutet das, dass dieser unter dem Aspekt der Beweislastregel jedenfalls solange umfänglich besteht, bis der Arbeitgeber eine arbeitsrechtliche Konsequenz zieht und der Arbeitnehmer sich dagegen gerichtlich zur Wehr setzt. Neuhaus, Finanzkrise, S. 348, 359; Rieble, Ritsumeikan Law Review 2009, 191, 204; Rudkowski, NZA 2011, 612, 613; Tscherwinka, FS I. Roxin, S. 527. 183 Unabhängig vom jeweiligen Ergebnis dies übersehend und auf die unmittelbare Anwendung von § 666 Var. 2, 675 BGB verweisend Böhm, Non-Compliance, 150; ders., WM 2009, 1924; Kasiske, NZWiSt 2014, 262, 265; Krauss, S. 87.

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Es widerspricht damit der Funktion von Beweislastregeln, diese für die Frage des materiell-rechtlichen Auskunftsanspruchs in die Vergleichbarkeit der Interessenlage einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund ist die Vergleichbarkeit der Interessenlage trotz der Beweislastregeln weiterhin zu bejahen und der materiell-rechtlichen Auskunftsanspruch grundsätzlich anzunehmen. bb) Einschränkung des Auskunftsanspruchs unter Verweis auf Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts? Für die Einschränkung des Auskunftsanspruchs aufgrund der Beweislastregeln wird im Schrifttum häufig auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts verwiesen, in der das Bundesarbeitsgericht den Auskunftsanspruch aus § 242 BGB vor dem Hintergrund von § 1 II 4 KSchG ablehnt. In seiner Entscheidung hierzu äußerte sich das Bundesarbeitsgericht wie folgt184: Die gesetzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Prozess und gesetzliche Beweislastregeln sind zu berücksichtigen. Die Darlegungs- und Beweissituation darf nicht durch die Gewährung materiell-rechtlicher Auskunftsansprüche unzulässig verändert werden. Der Auskunftsanspruch kann nach Treu und Glauben nur da ergänzend eingreifen, wo auch die grundsätzliche Verteilung der Darlegungsund Beweislast einer entsprechenden Korrektur bedarf. Nach § 1 II 4 KSchG hat der Arbeitgeber die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen. Eine vorprozessuale Auskunftspflicht des Arbeitnehmers stünde hierzu im Widerspruch. Soweit nicht besondere rechtliche Grundlagen bestehen, ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, außergerichtliche Erklärungen zu möglichen Kündigungsgründen abzugeben. Richtig an dieser Entscheidung ist die Grundannahme des Bundesarbeitsgerichts dahingehend, dass die Darlegungs- und Beweislastverteilung nicht ausgehebelt werden darf. Hierin wird für das Beispiel der Beweislastverteilung aus § 1 II 4 KSchG deutlich, dass die oben dargestellte besondere Schutzfunktion Wirkung entfalten können muss. Allerdings entscheidet sich das Bundesarbeitsgericht für eine Schutzverwirklichung dahingehend, dass es den Auskunftsanspruch aus § 242 BGB ablehnt. Unklar bleibt in den Ausführungen, ob sich die Ablehnung des Auskunftsanspruchs speziell aufgrund seiner Verankerung in § 242 BGB ergibt, oder ob das Bundesarbeitsgericht generell eine Ablehnung von Auskunftsansprüchen im Konflikt mit § 1 II 4 KSchG bevorzugt. In beiden Alternativen läuft eine Einschränkung des Auskunftsanspruchs aufgrund der Beweislastregel aus § 1 II 4 KSchG allerdings darauf hinaus, dass § 1 II 4 KSchG eine unmittelbare Auswirkung auf materielle Rechtspositionen hätte. Das verkennt die oben dargestellte rein prozessuale Funktion von Beweislastregeln: Die Beweislastregeln wirken vorprozessual und in Bezug auf das materielle Recht le184 BAG, Urteil vom 07. 09. 1995 – 8 AZR 828/93, NZA 1996, 637, 638; ähnlich BAG, Urteil vom 01. 12. 2004 – 5 AZR 664/03, NZA 2005, 289, 291.

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diglich mittelbar, d. h. vermittelt durch eigenverantwortliches Verhalten von Parteien oder durch gesetzgeberische Entscheidungen. Wie auch die Beweislastregel in die Frage der vergleichbaren Interessenlage bei Betrachtung der Analogievoraussetzung nicht einbezogen werden darf, so darf auch ein materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch selbst nicht aufgrund der Beweislastregel verneint werden. Angesichts der rein prozessualen Funktion von Beweislastregeln kommt es hierfür auch nicht darauf an, aus welcher konkreten Anspruchsgrundlage sich der Auskunftsanspruch ergibt – sei es § 242 BGB als allgemeiner zivilrechtlicher Auskunftsanspruch oder jeder andere speziellere Auskunftsanspruch. Das verkennt das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung. c) Ergebnis Eine Lösung des Konflikts zwischen Auskunftsanspruch und Beweislastregeln auf materiell-rechtlicher Ebene durch Einschränkung des Auskunftsanspruchs ist angesichts der rein prozessualen Funktion der Beweislastregeln abzulehnen. 2. Lösung auf prozessualer Ebene Der Funktion von Beweislastregeln könnte eine Konfliktlösung auf prozessualer Ebene besser gerecht werden. Hierbei ist zwischen der Ebene der Darlegung und der Ebene der Beweisführung zu unterscheiden. a) Darlegungsebene Im Moment der Darlegung ergibt sich das bereits oben angedeutete Problem, dass der Arbeitgeber seiner Darlegungslast unproblematisch gerecht werden kann, sobald er vom Arbeitnehmer die gewünschten Auskünfte erhält. Der Arbeitnehmer darf dann die Auskunftsinhalte infolge der Wahrheitspflicht aus § 138 I ZPO nicht mehr bestreiten. Infolge des Nichtbestreitens gelten die vom Arbeitgeber behaupteten Tatsachen als zugestanden (§ 138 III ZPO) und damit als unstreitig, sodass eine Beweiserhebung nicht mehr erfolgt. Für unstreitige Tatsachen darf das Gericht keinen Beweis verlangen und erheben185. Damit wird nicht in die Beweisaufnahme eingetreten und es kann auch keine Beweislastentscheidung mehr ergehen. Die subjektive und objektive Beweislast wäre dem Arbeitgeber mithin genommen. Diese Problematik um den Sachvortrag und die Beweisverwertung ist vergleichbar mit der Situation, in der das Bundesarbeitsgericht bei der datenschutzwidrigen Sachverhaltsermittlung von der Notwendigkeit eines Sachvortragsverwertungsverbots ausgeht (siehe oben) – allerdings mit dem Unterschied, dass dann das Vorliegen eines 185 Leipold, in: Stein/Jonas, (22. Aufl.) ZPO, § 138 Rdnr. 31a; Prütting, in: MüKo ZPO, § 284 Rn. 93; Saenger, in: Saenger ZPO, § 284 Rn. 4; Thole, in: Stein/Jonas, (23. Aufl.) ZPO, § 138 Rn. 37.

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Beweisverwertungsverbots bereits feststeht. In der hiesigen Konstellation hingegen steht kein Beweisverwertungsverbot fest, sondern es ergibt sich die problematische Besonderheit, dass der Arbeitgeber nie in Beweisnot gerät und damit den Beweislastregeln ihr Anwendungsbereich genommen wird, da die subjektive und objektive Beweislast des Arbeitgebers keinesfalls Wirkung entfaltet. Die Schwierigkeiten rund um den Sachvortrag und die Fiktionswirkung von § 138 III ZPO sind jedoch dieselben. In der Darlegungssituation ergibt sich mithin das Problem, dass aufgrund der Fiktionswirkung von § 138 III ZPO die Beweisstation nie erreicht wird. Hierfür bieten sich folgende Lösungsmöglichkeiten an. aa) Einschränkung der Wahrheitspflicht aus § 138 I ZPO Das Nichterreichen der Beweisstation ließe sich dadurch beheben, dass der Arbeitnehmer seiner Wahrheitspflicht aus § 138 I ZPO nicht nachkommen muss und die vom Arbeitgeber vorgetragenen Tatsachen wider besseren Wissens bestreiten darf.186 Dann wäre infolge der Streitigkeit Beweis über die vorgetragenen Tatsachen zu erheben und die Notwendigkeit eines Beweisverwertungsverbots hinsichtlich der Inhalte, die der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Auskunftspflicht preisgab, zu überlegen. Eine Einschränkung der Wahrheitspflicht ist jedoch abzulehnen. Das Bestreiten wider besseres Wissen mag zwar in der Praxis u. U. dem Parteiverhalten entsprechen, widerspricht aber der Bedeutung der Wahrheitspflicht. Eine Lüge gefährdet jede Form der funktionierenden Kommunikation und Interaktion.187 Anders als das bloße Schweigen hat eine Lüge außerdem das Potential, je nach Inhalt unbeteiligte Dritte in den problematischen Sachverhalt einzubeziehen. Um dieses Risiko zu vermeiden ist vorzugswürdig, zur Problemlösung an der Fiktionswirkung des § 138 III ZPO anzusetzen anstelle von § 138 I ZPO. Zudem lässt sich vorbringen, dass ein Recht zur Lüge zwar in vorprozessualen Situationen bestehen mag, in einer prozessualen Situation aber abzulehnen ist, da angesichts der staatlichen Prozessleitung keine notwehrähnliche Lage gegeben ist.188 Eine bewusste Lüge im Sachvortrag würde außerdem grundsätzlich einen (versuchten) Prozessbetrug bedeuten;189 ein Risiko, dass die Rechtsordnung einer Partei nicht abverlangen darf190. Vor diesem Hintergrund hat sich die Rechtsprechung bisher zu Recht gegen eine Einschränkung der

186 So für die Situation der grundrechtswidrigen Beweiserlangung Heinemann, MDR 2001, 137, 142. 187 Schreiber, ZZP 122 (2009), S. 227, 238. 188 Vorprozessual soll die Lüge die erforderliche Verteidigung gegen den rechtswidrigen Angriff auf das Persönlichkeitsrecht durch die unzulässige Frage sein, Schreiber, ZZP 122 (2009), S. 227, 240. 189 Lunk, NZA 2009, 457, 459; Maschmann, NZA-Beilage 2012, 50, 57. 190 BAG, Urteil vom 16. 12. 2010 @ 2 AZR 485/08, NZA 2011, 571, 574.

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Wahrheitspflicht aus § 138 I ZPO ausgesprochen,191 eine Lösung sollte mithin nicht auf diesem Wege erfolgen. bb) Sachvortragsverwertungsverbot Möglicherweise könnte ein Erreichen der Beweisstation in Anlehnung an die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung im datenschutzrechtlichen Zusammenhang über ein Sachvortragsverwertungsverbot192 gesichert werden. Tatsächlich scheinen die Situationen vergleichbar. In beiden Fällen ist die Fiktionswirkung des § 138 III ZPO Auslöser des Problems: Im Konflikt zwischen Auskunftsanspruch mit der Darlegungs- und Beweislast bewirkt § 138 III mit der Fiktionswirkung, dass gar nicht erst in die Beweisaufnahme eingetreten wird und damit der klassische Anwendungsbereich der Beweislastregeln mit subjektiver und objektiver Beweislast nicht eröffnet wird. Im datenschutzrechtlichen Zusammenhang bewirkt § 138 III ZPO mit der Fiktionswirkung, dass gar nicht erst in die Beweisaufnahme eingetreten wird und damit ein eigentlich bestehendes Beweisverwertungsverbot nicht greifen kann. In dieser Konstellation spricht sich das Bundesarbeitsgericht dafür aus, die Geständnisfiktion unter Anwendung eines Sachvortragsverwertungsverbots auszuschalten.193 Dieses Verwertungsverbot sorgt mithin dafür, dass die Beweisstation in jedem Fall erreicht wird.194 Ein Erreichen der Beweisstation wäre auch die Lösung, um die besonderen Beweislastregeln zur Anwendung zu bringen und insbesondere die objektive Beweislast mit einer für den Arbeitgeber nachteiligen non liquet-Entscheidung wirken zu lassen. Allerdings steht anders als im datenschutzrechtlichen Zusammenhang beim Konflikt zwischen Auskunftsanspruch und Darlegungs- und Beweislast nicht bereits ein Beweisverwertungsverbot fest, dem durch ein Sachvortragsverwertungsverbot Geltung verschafft würde. Insbesondere knüpft das Bundesarbeitsgericht im datenschutzrechtlichen Zusammenhang das Beweis- und damit auch das Sachverwertungsverbot an eine vorprozessuale Grundrechtsverletzung des Arbeitnehmers, an der es hier fehlt: Der Auskunftsanspruch analog § 666 Var. 2, 675 BGB stellt einen gerechtfertigten Grundrechtseingriff dar, sofern er um ein strafprozessuales Beweisverwertungsverbot ergänzt wird. Die Problematik ist mithin nicht vollständig vergleichbar. Das Instrument des Sachvortragsverwertungsverbots ist mithin nicht geeignet, den Konflikt zwischen Auskunftsanspruch und Darlegungs- und Beweislast zu lösen.

191

BAG, Urteil vom 20. 10. 2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rn. 20; BAG, Urteil vom 16. 12. 2010 @ 2 AZR 485/08, NZA 2011, 571, 574; ablehnend außerdem auch im Schrifttum von Selle, in: BeckOK ZPO, § 138 Rn. 31; Weber, ZZP 129 (2016), S. 57, 64. 192 Siehe hierzu in diesem Teil 1. Kap. A. II., S. 257. 193 Zum Ganzen BAG, Urteil vom 23. 08. 2018 – 2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329 Rn. 16. 194 Niemann, Jahrbuch Arbeitsrecht 2018, S. 41, 44.

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cc) Teleologische Reduktion von § 138 III ZPO und Beweisverwertungsverbot Wie zu zeigen sein wird, ist das Problem auf der Darlegungsebene über eine teleologische Reduktion von § 138 III ZPO zu lösen. Es ist deutlich geworden, dass die besonderen Beweislastregeln durch die Fiktionswirkung des § 138 III ZPO die subjektive und objektive Beweislast nicht mehr dem Arbeitgeber auferlegen und somit faktisch ausgehebelt werden: Über § 138 III ZPO entfällt die Beweisbedürftigkeit der behaupteten Tatsachen und es kann keine Beweislastentscheidung mehr zulasten des ursprünglich Beweisbelasteten ergehen. Wie bei der Konstellation grundrechtswidrig erlangter Beweismittel schafft dieses Zugestehen von § 138 III ZPO vollendete Tatsachen und verhindert eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Anspruchsteller einen Beweis überhaupt mit einem bestimmten Beweismittel führen dürfte oder ggf. in einer non liquet Situation unterliegen müsste. (1) Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion im Allgemeinen Voraussetzung einer teleologischen Reduktion ist, dass eine Norm nach ihrem Wortlaut eine Vielzahl von Sachverhalten erfasst, obwohl einige Sachverhalte aufgrund des Normzwecks nicht erfasst werden sollen,195 d. h. sogenannte verdeckte Lücken196 oder Ausnahmelücken197 vorliegen. Vorrangig zu beachten ist die Möglichkeit der Auslegung, wobei jedoch die Grenze des möglichen Wortsinns auch die Grenze der Auslegung markiert.198 Demnach findet eine teleologische Reduktion immer dann statt, wenn die Einschränkung einer Norm vor dem Hintergrund ihres Zwecks erfolgt, die mit dem Wortlaut nicht mehr vereinbar ist. Die teleologische Reduktion, die hinter dem Wortlaut zurückbleibt, unterschreitet199 diesen also und überschreitet damit die Grenze der Auslegung.200 Die Unterschreitung des Gesetzeswortlauts, d. h. die Rechtsfortbildung contra legem, kann ihre Rechtfertigung nur in schwerwiegenden Gründen des Rechts finden, wobei Argumente logischer und teleologischer Stimmigkeit eine wichtige Rolle spielen.201 Hiermit wird bereits angedeutet, dass die Einschränkung des Anwendungsbereichs einer Norm im Wege der teleologischen Reduktion eine komplexere Angelegenheit darstellt, als die Einschränkung der Norm aufgrund des Normzwecks vermuten lässt. Denn der Normzweck ist seinerseits kein per se feststehender In195

Larenz, Methodenlehre, S. 391; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, § 23 Rn. 902 f. Larenz, Methodenlehre, S. 391. 197 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, § 23 Rn. 903. 198 Zippelius, Methodenlehre, S. 58 199 Aufgrund des Ausnahmecharakters der teleologischen Reduktion ist es sinnvoll, hier in Abgrenzung zur Analogie oder Extension von der Unterschreitung des Wortlauts zu sprechen, Brandenburg, Teleologische Reduktion, S. 4. 200 Danwerth, ZfPW 2017, 230, 241. 201 Zippelius, Methodenlehre, S. 57 196

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haltskern, sondern als Telos selbst bereits ein Ergebnis: Die Frage nach dem Sinn und Zweck ist eine selbständige Fragestellung mit grammatischen, historischen, genetischen und systematischen Elementen der Konkretisierung.202 Der Normzweck selbst ergibt sich also erst aus mehreren Komponenten, nämlich insbesondere aus dem Gesamtzusammenhang.203 Daher ist es nur folgerichtig, wenn im Rahmen der teleologischen Reduktion nicht nur auf den Sinn der konkreten einzuschränkenden Norm selbst, sondern auch auf den Zweck anderer Normen abgestellt wird.204 Dies gilt insbesondere, wenn bei einer ausnahmslosen Anwendung der zu reduzierenden Norm anderweitige Schutzvorschriften keine Anwendung fänden und damit die ausnahmslose Anwendung der einen Norm gerade der Schutzzweckverwirklichung der anderen Norm zuwiderliefe.205 Ergibt der derart ermittelte Sinn und Zweck der Norm, dass sie auf eine konkrete Konstellation keine Anwendung finden soll, so ist die Norm teleologisch reduziert in dieser Konstellation nicht anzuwenden. (2) Vorliegen der Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion von § 138 III ZPO Die Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion von § 138 III ZPO liegen vor für den Fall, dass eine besondere Beweislastregelung mit Schutzfunktion besteht, die infolge der Fiktionswirkung von § 138 III ZPO keinen Anwendungsbereich mehr hätte. Zu diesem Ergebnis gelangt man, da eine der teleologischen Reduktion vorrangige Auslegung nicht möglich ist: Eine Ausnahme von der Zugestehensfiktion bei Schweigen in bestimmten Fällen ist mit dem Wortlaut nicht mehr vereinbar. Der Telos von § 138 III ZPO ist im Zusammenspiel mit § 138 II ZPO derart zu verstehen, dass die Beweisbedürftigkeit geklärt werden soll.206 Bei Schweigen entfällt die Beweisbedürftigkeit. Wenn die Klärung der Beweisbedürftigkeit der Zweck von § 138 II, III ZPO ist, ist der Klärungsbedarf im Lichte besonderer Beweislastregeln zu beurteilen, sofern die besonderen Beweislastnormen eine gesetzlich gewollte Risikoverteilung mit Schutzfunktion darstellen. Denn gerade wenn die fragliche Norm mit spezifischen Schutznormen zusammentrifft und der Inhalt der – im Ergebnis zu reduzierenden – Norm dem Schutzzweck der anderen Norm zuwi-

202

Müller/Christensen, Methodik, 322.124 Rn. 364. Kramer, Methodenlehre, S. 155. 204 Brandenburg, Teleologische Reduktion, S. 46 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 392. Kritisch hierzu auf den ersten Blick Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, § 23 Rn. 903a, die in § 24 Rn. 950 ihre Kritik aber für Korrekturen des Wortlauts zurücknehmen, die durch systematische oder historische Gesichtspunkte den wirklichen Willen des Gesetzgebers zur Geltung bringen. 205 Brandenburg, Teleologische Reduktion, S. 51; Larenz, Methodenlehre, S. 394, ausführlich zur teleologischen Reduktion von § 139 BGB ders./Wolf, BGB AT (9. Aufl.), § 45 Rn. 30. 206 Stadler, in: Musielak/Voit ZPO, § 138 Rn. 9. 203

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derläuft, ist eine teleologische Reduktion vorzunehmen.207 Hier trifft § 138 III ZPO mit Beweislastregeln zusammen, die gerade eine gesetzlich gewollte Risikoverteilung mit besonderem Schutzzweck darstellen: Die Beweislastverteilung aus § 1 II 4 KSchG und bei einer außerordentlichen Kündigung verfolgt letztlich den Zweck, Kündigungen zur eng begrenzten Ausnahme zu machen und damit den Arbeitnehmer vor ungerechtfertigten Kündigungen zu schützen.208 Ein besonderer Schutzzweck oder jedenfalls ein besonderer Zweck liegt auch der Beweislastverteilung im Rahmen der Arbeitnehmerhaftung hinsichtlich des Vertretenmüssens und – wie gesehen – der Pflichtverletzung zugrunde. Diese Schutzzwecke würden konterkariert, könnten die Beweislastregeln in ihrer Ausprägung der subjektiven und objektiven Beweislast im Zuge der Zugestehensfiktion des § 138 III ZPO keine Anwendung finden. Bei einer Fiktion nach § 138 III ZPO wäre nämlich der Anwendungsbereich der Beweislastregeln bei Tatsachenvortrag auf Null reduziert und die gesetzlich gewollte Risikoverteilung durch Auferlegung der subjektiven und objektiven Beweislast könnte keine Wirkung entfalten. Vor diesem Hintergrund muss der Zweck von § 138 III ZPO derart verstanden werden, dass § 138 III ZPO eine Vereinfachung der prozessualen Situation für die Fälle darstellt, in denen die Beweislast gerade keine besondere, gesetzgeberisch gewollte Risikoverteilung darstellt. Auf diesen Zweck ist der Anwendungsbereich von § 138 III ZPO zu reduzieren. Nach diesem Prinzip verfährt eigentlich auch das Bundesarbeitsgericht, wenn es ein Sachvortragsverwertungsverbot bei grundrechtswidrig erlangten Beweismitteln annimmt: Dann geht es darum, den Weg in die Beweisaufnahme und damit die Frage nach Beweisverwertungsverboten offen zu halten. Gleichermaßen geht es bei der hiesigen Einschränkung der teleologischen Reduktion von § 138 III ZPO darum, den Weg in die Beweisaufnahme und damit in den Anwendungsbereich der Beweislastregeln bezüglich subjektiver und objektiver Beweislast offen zu halten. Genau genommen stellt die Annahme eines Sachvortragsverwertungsverbots des Bundesarbeitsgerichts eine teleologische Reduktion von § 138 III ZPO dar.209 Ergebnis der teleologischen Reduktion ist, dass es dem Arbeitnehmer erlaubt ist, sich im Kündigungsschutzprozess wegen ordentlicher Kündigung im Anwendungsbereich des KSchG oder außerordentlicher Kündigung auf Behauptungen des Arbeitgebers hinsichtlich des Kündigungsgrundes nicht zu äußern mit der Folge, dass keine Fiktionswirkung eintritt. Der Arbeitgeber genügt dann zwar seiner Dar207 Brandenburg, Teleologische Reduktion, S. 51; Larenz, Methodenlehre, S. 394, ausführlich zur teleologischen Reduktion von § 139 BGB ders./Wolf, BGB AT (9. Aufl.), § 45 Rn. 30. 208 Siehe zur Schutzfunktion der Beweislast ausführlich oben, S. 279. 209 Genauso argumentiert das Bundesarbeitsgericht im datenschutzrechtlichen Zusammenhang: Der Schutzzweck der bei der Informationsgewinnung verletzten Norm kann auch einer gerichtlichen Verwertung des Sachvortrags entgegenstehen. Das setzte voraus, dass es dem Schutzzweck [der verletzten Norm] zuwiderliefe, selbst den inhaltlichen Gehalt des Beweismittels in Form vom Sachvortrag infolge von § 138 III (oder § 331 I 1 ZPO) zur Entscheidungsgrundlage zu machen, BAG, Urteil vom 22. 09. 2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rn. 25.

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legungslast; die vorgetragene Tatsache gilt jedoch als streitig und den Arbeitgeber trifft die subjektive und objektive Beweislast. Dasselbe gilt bei einer prozessualen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer und Behauptungen zur Pflichtverletzung und Vertretenmüssen bzw. schädigender Handlung und Verschulden. dd) Ergebnis Die mit den besonderen Beweislastregeln vorgesehene gesetzliche Risikoverteilung lässt sich bei Annahme eines Auskunftsanspruchs dadurch erreichen, dass die Fiktionswirkung von § 138 III ZPO nicht anzuwenden ist. Damit ist der Weg in die Beweisaufnahme und die Wirkung von subjektiver und objektiver Beweislast eröffnet. Eine teleologische Reduktion von § 138 III ZPO stellt auch keinen Verstoß gegen Art. 103 I GG dar: Die teleologische Reduktion bewirkt schließlich nicht, dass der Sachvortrag des Arbeitgebers nicht gewürdigt wird, sondern lediglich, dass einem Schweigen des Arbeitnehmers auf den Sachvortrag keine Fiktionswirkung zukommt. Eine Auseinandersetzung des Gerichts mit dem Sachvortrag des Arbeitgebers erfolgt selbst bei teleologischer Reduktion von § 138 III ZPO. Für die Vorzugswürdigkeit dieser prozessualen Lösung im Wege der teleologischen Reduktion von § 138 III ZPO spricht im Übrigen, dass eine Einschränkung der Fiktionswirkung aus § 138 III ZPO dem Arbeitsrecht nicht fremd ist. Bei einer Verdachtskündigung ist anerkannt, dass der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess auf den Tatsachenvortrag des Arbeitgebers schweigen darf, ohne die Geständnisfiktion des 138 III ZPO auszulösen: Hier geht die Rechtsprechung davon aus, das Recht des Arbeitnehmers, Vorwürfe und Verdachtsmomente unkommentiert stehen zu lassen [und dem Arbeitgeber die Kündigung nicht schlüssig machen zu müssen], dürfe nicht durch die Anwendung der Darlegungsregeln des § 138 II, III ZPO unterwandert werden. Schweigt der Kläger angesichts einer Verdachtskündigung, löst dies nicht die Geständnisfiktion des § 138 III ZPO über die mutmaßliche Pflichtverletzung aus.210 b) Beweisebene Ist die Beweisebene mit dem eben angesprochenen Lösungsweg erreicht, stellt sich die Frage, wie der Schutzfunktion auf der Beweisebene Geltung verschafft werden kann. Es sind Konstellationen denkbar, in denen die Beweislastregeln ihre vollständige Wirkung bereits dadurch entfalten können, dass dem Arbeitgeber schlicht der Beweis nicht gelingt: Kann der Arbeitgeber die von ihm behaupteten kündigungs- oder schadensersatzrelevanten Tatsachen nicht beweisen, etwa, weil die Auskunft des Arbeitnehmers nicht protokolliert wurde, unterliegt der Arbeitgeber im 210 Zum Ganzen LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 30. 06. 2009 – 22 Sa 5/09, BeckRS 2009, 73044.

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Prozess aufgrund der angesprochenen Beweislastregeln. In einer derartigen Situation könnte der Arbeitgeber zwar eine Parteivernehmung des Arbeitnehmers zu den beweisbedürftigen Tatbestandsvoraussetzungen beantragen, § 445 ZPO. Der Arbeitnehmer könnte die Vernehmung jedoch verweigern, was nicht bedeuten muss, dass das Gericht die Tatsache als erwiesen ansieht, § 446 ZPO211. Kann der Arbeitgeber den Beweis tatsächlich führen – was hinsichtlich des Befragungsinhalts aufgrund einer üblichen Protokollierung wahrscheinlich ist212 – ist zu überlegen, ob das Gericht diesen Beweis angesichts des Konflikts zwischen Auskunftsanspruch und Beweislastregeln berücksichtigen darf. Das wäre nicht der Fall, wenn die Voraussetzungen für ein Beweisverwertungsverbot vorlägen, nämlich in der Verwertung eine eigene Grundrechtsverletzung des Gerichts liegen würde (siehe zu den allgemeinen Voraussetzungen an ein Beweisverwertungsverbot Teil 4 Kap. 1). Eine eigene Grundrechtsverletzung des Gerichts durch Verwertung der Auskünfte könnte vor dem Hintergrund in Betracht kommen, dass auch dem Prozessrecht schützende Funktion hinsichtlich der verfassungsrechtlich geschützten Positionen der Arbeitsvertragsparteien zukommt213. Nimmt ein Gericht eine Verwertung von Informationen vor, die die Risikoverteilung nach den Beweislastregeln aushebelt, steht diese Verwertung im Widerspruch zu Regelungen, die verfassungsrechtlich geschützte Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu einem gerechten Ausgleich gebracht hat. Allerdings ist eine Anknüpfung an eine eigene Grundrechtsverletzung des Gerichts für ein Beweisverwertungsverbot nicht unbedingt erforderlich, wenn sich ein solches ausnahmsweise aus der Beweislastregel auf einfachgesetzlicher Ebene selbst ergibt. Eine derartige Schlussfolgerung liegt nahe, wenn man sich vor Augen führt, dass das Gericht nicht nur an die Grundrechte über Art. 1 III GG unmittelbar gebunden ist, sondern auch an einfachgesetzliche Normen über Art. 20 III GG. So dürfte das Gericht auch keine Beweise entgegen gesetzlicher Beweiserhebungsverbote erheben, etwa in Form einer Zeugenvernehmung entgegen § 595 II ZPO. Auch in diesen Fällen ist dem Gericht letztlich die Beweisverwertung und sogar die Beweiserhebung verwehrt, ohne dass hierfür auf eine eigene Grundrechtsverletzung des Gerichts abgestellt wird. Das Beweisverwertungsverbot ergibt sich lediglich aus 211 Das Gericht entscheidet nach freier Überzeugung, ob es die behauptete Tatsache als erwiesen ansehen will, § 446 ZPO a. E. 212 Die Arbeitnehmerbefragungen werden in der Regel protokolliert; Hermann/Zeidler, NZA 2017, 1499; Knierim/Tsambikakis/Klug, in: Kniemrim/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 7 Rn. 26; Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2378; Mengel, in: Knieriem/Rübenstahl/Tsambikakis, Investigations, Kap. 14 Rn. 45; Nestler, in: Knieriem/Rübenstahl/ Tsambikakis, Investigations, Kap. 1 Rn. 55. 213 So wird in einem Kündigungsschutzverfahren jenseits des KSchG der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Arbeitnehmers auch im Prozessrecht dadurch gewährleistet, dass die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast gelten, BAG, Urteil vom 21. 02. 2001 – 2 AZR 15/00, NZA 2001, 833, 836.

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einfachgesetzlichen Normen, die das Gericht im Rahmen der Beweisaufnahme und -würdigung zu berücksichtigen hat. Gleichermaßen muss gelten, dass auch die in den Beweislastregeln vor dem Hintergrund einer Schutzfunktion vorgesehene bewusste gesetzliche Risikoverteilung vom Gericht zu berücksichtigen ist. Das ist Folge des Rechtsstaatsprinzips214. Stellt die Informationsverwertung eine Verschiebung sowohl der objektiven als auch der subjektiven Beweislast zulasten des Arbeitnehmers dar, hat die Verwertung durch das Gericht zu unterbleiben. Genau eine solche Verschiebung wäre im Regelfall – nämlich bei rechtmäßigem Verhalten des Arbeitnehmers und Auskunftserteilung – gegeben: Die subjektive Beweislast würde verschoben, da der Arbeitgeber stets Beweis für die problematischen Tatbestandsmerkmale anbieten könnte. Eine Verschiebung der objektiven Beweislast würde sich daraus ergeben, dass eine non-liquet-Situation nie erreicht und damit eine Entscheidung zulasten des Arbeitgebers nicht erfolgen würde. Dem Arbeitgeber würde das in den Beweislastregeln erkennbare und bewusst auferlegte Risiko des Prozessverlusts genommen. Um diese Situation zu vermeiden, hat die Verwertung eines vom Arbeitgeber angebotenen Beweises hinsichtlich des Kündigungsgrundes im Kündigungsschutzprozess nach ordentlicher Kündigung im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzprozesses bzw. außerordentlicher Kündigung ebenso zu unterbleiben wie die Verwertung eines Beweises hinsichtlich Pflichtverletzung und Vertretenmüssen bzw. schädigender Handlung und Verschulden215. 3. Ergebnis Der Konflikt zwischen Auskunftsanspruch und Beweislastregeln lässt sich auf prozessualer Ebene sachgerecht lösen. Zunächst findet die Fiktionswirkung des § 138 III ZPO keine Anwendung auf arbeitgeberseitigen Vortrag zum Kündigungsgrund bei einer ordentlichen Kündigung im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes bzw. bei einer außerordentlichen Kündigung sowie auf den Vortrag zu Pflichtverletzung und Vertretenmüssen des Arbeitnehmers bei gegen ihn gerichteten vertraglichen Schadensersatzansprüchen des Arbeitgebers; äquivalent auch bezüglich der schädigenden Handlung und des Verschuldens. Es tritt keine Fiktionswirkung bei Schweigen des 214 So folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip die Verpflichtung zu einer fairen Handhabung des Beweisrechts, insbesondere der Beweislastregeln, BVerfG, Urteil vom 13. 02. 2007 – 1 BvR 421/05, NJW 2007, 753 Rn. 93. Wenn die Beweislastregeln selbst eine Risikoverteilung vorgeben, ist diese auch einzuhalten. 215 Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots in dieser Konstellation ist vergleichbar mit den Fällen, in denen ein Beweisverwertungsverbot von denjenigen prozessualen Normen gefordert wird, die bereits das Verbot einer Beweiserhebung vorsehen, um Grundfragen der Verfahrensgerechtigkeit und der Chancengleichheit im Prozess zu wahren. Zu dieser Konstellation Prütting, in: MüKo ZPO, § 284 Rn. 67 mit dem Beispiel der Vernehmung eines Zeugen ohne Belehrung über sein tatsächlich bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht.

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Arbeitnehmers ein, sodass die vorgetragene Tatsache als streitig zu gelten hat und sich die Beweisstation anschließt. Sofern im Rahmen der Beweisaufnahme der Kündigungsgrund bei einer ordentlichen Kündigung im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes bzw. bei einer außerordentlichen Kündigung mittels der protokollierten Aussage des Arbeitnehmers bewiesen werden soll, gilt diesbezüglich ein Beweisverwertungsverbot. Dasselbe gilt für eine derartige Beweisführung bezüglich der Pflichtverletzung und des Vertretenmüssens des Arbeitnehmers bei gegen ihn gerichteten vertraglichen Schadensersatzansprüchen des Arbeitgebers; äquivalent auch bezüglich der schädigenden Handlung und des Verschuldens. Zu ergänzen ist allerdings, dass diesem Beweisverwertungsverbot keine Fernwirkung zukommt. Unabhängig von der im Zivilprozess ohnehin umstrittenen Figur der Fernwirkung216 kommt den genannten Beweislastregeln kein Zweck derart zu, dass die gelungene Beweisführung des Arbeitgebers per se ausgeschlossen werden soll. Gelingt es dem Arbeitgeber, im Zuge der Auskunft weitere Beweismittel zulasten des Arbeitnehmers zu erlangen, realisiert sich für den Arbeitnehmer lediglich das allgemeine Risiko, dass der Arbeitgeber seiner Beweislast gerecht wird. Die Richtigkeit des Ergebnisses in Form eines Beweisverwertungsverbots wird auch daran deutlich, dass sich für den Arbeitgeber das Risiko des Prozessverlustes realisieren würde, hätte der Arbeitnehmer – pflichtwidrig – keine Auskunft gegeben: Auskünfte des Arbeitnehmers könnte der Arbeitgeber im Prozess nämlich nicht erhalten217 – den Arbeitnehmer würde hier u. U. lediglich eine sekundäre Darlegungslast treffen. Eine Parteivernehmung könnte der Arbeitnehmer verweigern, § 446 ZPO, was dem Arbeitgeber das Risiko des Prozessverlustes nicht mit derselben Sicherheit abnehmen würde, wie wenn er Auskünfte des Arbeitnehmers als Beweismittel vorlegen könnte. Dass den Arbeitgeber das Risiko des Prozessverlustes trifft, ist in den angesprochenen besonderen Beweislastregeln angelegt und darf nicht davon abhängen, ob sich der Arbeitnehmer pflichtgemäß oder pflichtwidrig verhält. Dürfte die Auskunft des Arbeitnehmers zum Beweis der genannten Tatbestandsvoraussetzungen verwertet werden, müsste sich der Arbeitnehmer entscheiden, ob er sich seinen Schutz als Kehrseite des Prozessverlustrisikos des Arbeitgebers durch pflichtwidriges Verhalten erkauft – und damit u. U. einen Grund für weitere Sanktionen liefert.

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Kritisch zur Fernwirkung im Zivilprozess BGH, Urteil vom 1. 03. 2006 – XII ZR 210/04, NJW 2006, 1657 Rn. 19; BAG, Urteil vom 16. 12. 2010 @ 2 AZR 485/08, NZA 2011, 571 Rn. 40. 217 Unbenommen bliebe es dem Arbeitgeber in einem solchen Fall natürlich, seinen Auskunftsanspruch zu vollstrecken. Selbst dann ist aber nicht gesagt, dass der Arbeitnehmer sich tatsächlich äußert.

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4. Teil 2. Kap.: Auf Befragungsinhalte gestützte Arbeitgebermaßnahme

IV. Kontrollüberlegungen hinsichtlich der Richtigkeit des gefundenen Ergebnisses Das gefundene Ergebnis wäre möglicherweise zu hinterfragen, wenn dem Arbeitgeber mit der Annahme eines Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbots infolge der besonderen Beweislastregeln zugemutet wird, den Arbeitnehmer trotz des Wissens um das tatsächliche Fehlverhalten weiterbeschäftigen zu müssen. Dieses Risiko wird für den Arbeitgeber jedoch eingeschränkt, da dem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot keine Fernwirkung zukommt (s. o.). Zudem kann der Arbeitgeber trotz eines Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbots eine Verdachtskündigung aussprechen, auch wenn es sich streng genommen nicht mehr um einen bloßen Verdacht, sondern um das tatsächliche Wissen hinsichtlich eines Fehlverhaltens handelt. Das tatsächliche Wissen schließt aber eine Verdachtskündigung nicht aus:218 Auf die Argumentation, gerade der Verdacht eines strafbaren oder vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört, kann sich der Arbeitgeber schließlich auch beschränken, wenn er den Tatnachweis führen könnte, aber den Arbeitnehmer schonen oder von entsprechenden Beweismitteln keinen Gebrauch machen will.219 Entsprechendes dürfte gelten, wenn der Arbeitgeber den Tatnachweis zwar hinsichtlich vorhandener Beweismittel führen kann, ihm aber der Sachvortrag zur Tat und der Nachweis verwehrt sind. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Verdachtskündigung im Verhältnis zur Tatkündigung kein Minus, sondern ein Aliud ist.220 Die Gerichte können eine Kündigung unter dem Gesichtspunkt der Verdachtskündigung beurteilen, wenn der Arbeitgeber die Kündigung auch, zumindest hilfsweise, gerade auf den Verdacht stützt; dies kann sowohl vor dem Prozess, etwa im Kündigungsschreiben, als auch später in den Tatsacheninstanzen geschehen.221 Zudem wäre eine erneute Kündigung wegen des Verdachts zulässig.222 Hervorzuheben an dieser Lösung ist auch, dass das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses dann nicht davon abhängt, ob der Arbeitnehmer sich in der Befragungssituation geäußert hat oder nicht: Hätte er sich nicht geäußert, wäre eine Kündigung ebenfalls nur unter den Voraussetzungen einer Verdachtskündigung 218 So im Ergebnis auch LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 29. 3. 2006 – 12 Sa 135/04, BeckRS 2009, 54521: Die Beklagte hatte sich hinsichtlich eines Teilkomplexes auf Verdachtsgesichtspunkte, nicht aber auf eine erwiesene Tat gestützt; das sei jedoch unschädlich. 219 BAG, Urteil vom 14. 09. 1994 – 2 AZR 164/94, NZA 1995, 269, 271; Fischermeier, in: KR, § 626 Rn. 230. 220 LAG Baden-Württemberg Urt. v. 29. 3. 2006 – 12 Sa 135/04, BeckRS 2009, 54521; Ebeling, S. 31. 221 BAG, Urteil vom 20. 08. 1997 – 2 AZR 620/96, NZA 1997, 1340, 1341; BAG, Urteil vom 03. 04. 1986 – 2 AZR 324/85, NZA 1986, 677, 678; allerdings muss dann darauf geachtet werden, dass im Falle einer erforderlichen Betriebsratsanhörung diese ordnungsgemäß erfolgt. 222 Ebeling, S. 38; LAG Köln, Urteil vom 16. 01. 1990, DB 1990, 1337, hier scheiterte die Tatkündigung daran, dass der Verdacht nicht erwiesen war. In einem derartigen Fall müsste eine erforderliche Betriebsratsanhörung wohl erneut erfolgt.

C. Prozessuale Verwertung und Darlegungs- und Beweislastverteilung

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möglich gewesen (siehe oben Teil 3 zur Verdachtskündigung). Diese Überlegung unterstreicht die Richtigkeit dieses Ergebnisses.

Schlussbetrachtung Die im Rahmen dieser Arbeit aufgezeigten Problemfelder verdeutlichen, in welchem Umfang unternehmensinterne Untersuchungen arbeitsrechtliche Fragen betreffen, die einen hohen Klärungsbedarf aufweisen. Die hier gewonnenen Ergebnisse zeigen hierfür einzelne Lösungsmöglichkeiten auf. Die nachfolgende Gesamtbetrachtung stellt die gefundenen Ergebnisse zusammengefasst dem Gang der Arbeit entsprechend dar: I. Für den ersten Teil ist als Ergebnis festzuhalten, dass den Arbeitgeber aus nationalen Regelungen grundsätzlich eine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung bei Verdacht auf betriebliche Missstände trifft; sei es aufgrund spezialgesetzlicher Regelung, gesellschaftsrechtlicher Pflichten oder in ordnungswidrigkeitsrechtlicher Hinsicht. Sofern der Arbeitgeber dieser Pflicht mit der Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen nachkommt, stehen ihm hierfür vor allem die Auswertung von Beobachtungsdaten sowie die Befragung von Arbeitnehmern zur Verfügung. II. Im Hinblick auf den zweiten Teil, welcher der Sachverhaltsaufklärung gewidmet war, lässt sich Folgendes festhalten: 1. Bezüglich der Sichtung von Beobachtungsdaten hat sich zunächst gezeigt, dass die angesprochenen gängigen repressiven Ermittlungsmaßnahmen (Videoüberwachung, E-Mail-Überwachung, sonstiges überwachtes Arbeitnehmerverhalten im digitalen Umfeld und Telefonüberwachung) nach der hier vertretenen Ansicht generell, nach Auffassung der Rechtsprechung in den meisten Fällen nur unter den Voraussetzungen des § 26 I 2 BDSG n. F. zulässig sind. Lediglich für den Zugriff auf Browserverlaufsdaten und E-Mails (sofern man diesen wie hier unter den Anwendungsbereich des Bundesdatenschutzgesetzes fasst) dürfte die Rechtsprechung vom Erfordernis eines tatsachenbasierten Verdachts und einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung absehen. Die Relevanz dieses Unterschieds in der Praxis dürfte vor allem prozessual deutlich werden, wenn hinsichtlich des Verdachts Tatsachen vorgetragen werden müssten – dann erst kommt es auf das Vorliegen eines tatsachengestützten Verdachts an. Höchstrichterlich ist noch nicht geklärt, ob die Anforderungen aus § 26 I 2 BDSG stets Anwendung finden; es ist zu erwarten, dass die Rechtsprechung hier ihre Linie zur Profilerstellungsgefahr fortsetzt. Die demnach noch nicht gänzlich geklärten Anforderungen an die Ermittlung von Beobachtungsdaten werden Einfluss auf die Verwertbarkeit der gewonnenen Beobachtungsdaten haben.

Schlussbetrachtung

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In betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht ergibt sich für die Sichtung von Beobachtungsdaten außerdem ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 I Nr. 6 BetrVG wegen der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen. 2. Im Hinblick auf Arbeitnehmerbefragungen ist im zweiten Teil deutlich geworden, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer grundsätzlich unter Ausklammerung der Selbstbelastungsproblematik im direkten Zusammenhang mit seiner Arbeitsleistung (unmittelbarer Arbeitsbereich) aber auch sonst bei Bezug zum Arbeitsbereich (mittelbarer Arbeitsbereich) befragen kann. Allerdings hat der Arbeitgeber sicherzustellen, dass den datenschutzrechtlichen Anforderungen aus § 26 I 2 BDSG n. F. Rechnung getragen wird sowie bei Einsatz externer Ermittlungspersonen dem Arbeitnehmer anwaltlicher Beistand ermöglicht wird. Den die Befragungssituation dominierenden Problemkreis stellt die Selbstbelastungsgefahr des Arbeitnehmers dar. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit konnte hinsichtlich seines Schutzbereiches und allgemeiner Rechtfertigungsüberlegungen im Wege einer analytischen Auseinandersetzung mit verfassungsinterpretatorischen Erscheinungsformen konkretisiert werden. Der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit erfasst die Konfliktsituation, sich selbst mittels Aussage eines Fehlverhaltens bezichtigen zu müssen, das bestrafende staatliche oder pönale nichtstaatliche Konsequenzen haben kann, wenn diese Konfliktsituation durch eine rechtlich, im Sinne von durch den Gesetzgeber vorgeschriebene, erzwingbare Auskunftspflicht hervorgerufen wird. Dies gilt selbst dann, wenn der Auskunftsberechtigte Privatperson ist. Der Eingriff mittels der gesetzlich vorgeschriebenen, erzwingbaren Auskunftspflicht kann gerechtfertigt sein, wenn hinter der Auskunftspflicht private Informationsinteressen stehen. Dann ist allerdings die Auskunftspflicht um ein Beweisverwertungsverbot zu ergänzen, wenn in einem Folgeverfahren eine Zweckentfremdung der Auskunftsinhalte in Betracht kommt bzw. ein verfassungsrechtliches Schweigerecht in einem Folgeverfahren umgangen würde. Steht hinter der Auskunftspflicht ein staatliches Informationsinteresse, kann der Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit durch die Auskunftspflicht grundsätzlich nicht gerechtfertigt werden. Daher ist die Auskunftspflicht dann durch ein Auskunftsverweigerungsrecht bei Gefahr der Selbstbelastung zu beschränken. Mit diesem Ergebnis wurde deutlich, dass auch bei der Arbeitnehmerbefragung zwischen der Ermittlungs- und der Verwertungsebene zu differenzieren ist. Für Auskünfte des Arbeitnehmers, die den mittelbaren Arbeitsbereich betreffen, ist diese Differenzierung allerdings nicht entscheidend, da bereits in der Auskunftssituation keine Pflicht des Arbeitnehmers zur Preisgabe selbstbelastender Inhalte besteht und sich damit die Verwertungsfrage nicht gleichermaßen stellt. Im Gegensatz dazu überwiegt bei

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Schlussbetrachtung

Auskünften über den unmittelbaren Arbeitsbereich das Interesse des Arbeitgebers an der Information, auch wenn sie selbstbelastend ist; es besteht eine Auskunftspflicht. Dieses Ergebnis widerspricht auch nicht dem Schweigerecht des Arbeitnehmers in der Anhörungssituation im Rahmen einer Verdachtskündigung. Im Rahmen der Arbeitnehmerbefragungen ergibt sich in betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht in der Regel ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 I Nr. 1 BetrVG bezüglich der Durchführungsmodalitäten der Befragung, etwa hinsichtlich Dauer, Zeitpunkt, Häufigkeit oder abstrakter Auswahl der zu befragenden Mitarbeiter. Im Hinblick auf den Befragungsinhalt besteht ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 1 BetrVG, wenn die im konkreten Fall gestellten Fragen das Ordnungsverhalten des Arbeitnehmers betreffen. In der Regel kommt diesbezüglich jedenfalls ein Zustimmungsrecht nach § 94 I BetrVG in Betracht. III. Der dritte Teil thematisierte die Sachverhaltsverwertung im weiteren Sinne. Hier wurde zunächst die Frage aufgeworfen, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, Maßnahmen im Allgemeinen oder Besonderen zu ergreifen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass die angesprochenen gesetzlichen Regelungen den Arbeitgeber nur grundsätzlich verpflichten, Maßnahmen gegen Arbeitnehmer zur ergreifen, die sich fehlerhaft verhalten haben. Sofern die Auslegung von § 125 GWB ergibt, dass der Arbeitgeber in solchen Fällen zur Kündigung verpflichtet sein soll, steht diese Pflicht unter dem Vorbehalt der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit. Sofern der Arbeitgeber durch unternehmensinterne Untersuchungen von arbeitnehmerseitigem Fehlverhalten erfahren hat, trifft ihn eine grundsätzliche Pflicht zur Reaktion. Zugunsten einer verbesserten Aufklärung durch Amnestiegewährung kann der Arbeitgeber allerdings im Fall von Kooperationsbereitschaft von Arbeitnehmern auf Reaktionsmaßnahmen verzichten. Auch in einem Verzicht kann damit eine Reaktion des Arbeitgebers dahingehend gesehen werden, dass er die Sachverhaltsaufklärung in Abwägung mit repressiven Reaktionsmaßnahmen priorisiert. Entschließt sich der Arbeitgeber, aufgrund des zutage getretenen Fehlverhaltens Konsequenzen zu ziehen und fordert er etwa im Zuge dessen Schadensersatz, wird eine eingeschränkte Haftung nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs bei fahrlässigen Pflichtverletzungen im unmittelbaren Arbeitsbereich stets in Betracht kommen. Bei Pflichtverletzungen im mittelbaren Arbeitsbereich müsste auch eine betrieblich veranlasste Tätigkeit gegeben sein, was nicht gleichzusetzen ist mit der weiteren Begrifflichkeit des mittelbaren Arbeitsbereichs. Bei einer Kündigung darf die vergaberechtliche Reaktionspflicht weder an sich in die Interessenabwägung im Rahmen einer echten Druckkündigung einfließen, noch der anderenfalls drohende Ausschluss von Vergabeverfahren in die Interessenabwägung einer Kündigung. Anderenfalls droht ein Zirkelschluss da-

Schlussbetrachtung

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hingehend, die unter dem Vorbehalt der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit stehende vergaberechtlich begründete Maßnahme aufgrund der vergaberechtlichen Drucksituation als arbeitsrechtlich zulässig anzusehen. Spricht der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung als Reaktion auf zutage getretenes Fehlverhalten aus, bestehen bei zeitintensiven Aufklärungsmaßnahmen für den Arbeitgeber hinsichtlich der Hemmung der Kündigungserklärungsfrist gesteigerte Anforderungen an seinen substantiierten Vortrag. Kündigt der Arbeitgeber und hat er das Fehlverhalten selbst veranlasst, liegt in der Kündigung ein Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, das im Rahmen der Interessenabwägung zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Veranlasste hingegen ein Vorgesetzter das Verhalten des Arbeitnehmers, ist die Kündigung wirksam, wenn der Arbeitgeber ausdrücklich für ein gesetzestreues Verhalten einsteht und der Arbeitnehmer damit erkennen musste, pflichtwidrig zu handeln. Der Arbeitgeber muss sich dann die Weisung des Vorgesetzten nicht zurechnen lassen. IV. Im Rahmen der Sachverhaltsverwertung im engeren Sinne als Thema des vierten Teils wurde zunächst festgestellt, dass die Voraussetzungen für ein Beweisverwertungsverbot im Zivilprozess nach wie vor nicht vollständig geklärt sind. Vorzugswürdig ist hier die Annahme eines Beweisverwertungsverbots, wenn das Gericht durch die Verwertung eine eigene Grundrechtsverletzung begehen würde. 1. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ergab sich für unter Verstoß gegen das Datenschutzrecht gewonnene Beobachtungsdaten, dass diese in einem Prozess nicht verwertet werden dürfen, wenn das Gericht durch die Beweisverwertung eine eigene Grundrechtsverletzung begeht. Auf dieser Linie bewegt sich auch das Bundesarbeitsgericht. Grundvoraussetzung für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist auch nach dem Bundesarbeitsgericht der grundrechtswidrige Erkenntnisgewinn, der anzunehmen ist, wenn die Erkenntnisse entgegen persönlichkeitsschützenden Vorschriften des § 26 I 1, 2 BDSG n. F. bzw. § 32 I 1, 2 BDSG a. F. erlangt wurden. In seiner zweistufigen Prüfung zur Verwertbarkeit datenschutzwidrig erlangter Beweismittel eröffnet das Bundesarbeitsgericht mit seinem Verweis auf das Hinzutreten besonderer Umstände die Möglichkeit einer ausnahmsweisen Verwertbarkeit trotz grundrechtswidriger Beweiserlangung, die allerdings nach der hier vertretenen Ansicht auf das Hinzutreten von Umständen nach Beweiserlangung zu ergänzen ist. Im Hinblick auf ein bestehendes Mitbestimmungsrecht ist eine Verwertung mitbestimmungswidrig erlangter Beobachtungsdaten grundsätzlich zulässig, wenn die Ermittlungsmaßnahme lediglich mitbestimmungswidrig vorgenommen wurde, sich im Übrigen aber als rechtmäßig darstellt, insbesondere im Hinblick auf die persönlichkeitsschützenden datenschutzrechtlichen Anforderungen.

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Schlussbetrachtung

2. In Bezug auf Arbeitnehmerbefragungen ergab sich für die umfassende Auskunftspflicht bezüglich des unmittelbaren Arbeitsbereichs, dass die Annahme einer Auskunftspflicht nicht bedeutet, dass der Auskunftsinhalt in einem Arbeitsgerichtsprozess auch verwertbar ist. Die prozessuale Verwertung der Auskunftsinformationen stellt zwar keinen Aspekt der Selbstbelastungsfreiheit dar. Angesichts des Schutzzwecks besonderer Beweislastregeln besteht allerdings ein Konflikt zwischen dem Auskunftsanspruch des Arbeitgebers und den Beweislastregeln, der sich auf prozessualer Ebene jedoch sachgerecht lösen lässt. Zunächst findet die Fiktionswirkung des § 138 III ZPO aufgrund einer teleologischen Reduktion keine Anwendung auf arbeitgeberseitigen Vortrag zum Kündigungsgrund bei einer ordentlichen Kündigung im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes bzw. bei einer außerordentlichen Kündigung sowie auf den Vortrag zu Pflichtverletzung und Vertretenmüssen des Arbeitnehmers bei gegen ihn gerichteten vertraglichen Schadensersatzansprüchen des Arbeitgebers; äquivalent auch bezüglich der schädigenden Handlung und des Verschuldens bei deliktischen Ansprüchen. Es tritt keine Fiktionswirkung bei Schweigen des Arbeitnehmers ein, sodass die vorgetragene Tatsache als streitig zu gelten hat und sich die Beweisstation anschließt. Sofern im Rahmen der Beweisaufnahme der Kündigungsgrund bei einer ordentlichen Kündigung im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes bzw. bei einer außerordentlichen Kündigung mittels der protokollierten Aussage des Arbeitnehmers bewiesen werden soll, gilt außerdem diesbezüglich ein Beweisverwertungsverbot. Dasselbe gilt für eine derartige Beweisführung bezüglich der Pflichtverletzung und des Vertretenmüssens des Arbeitnehmers bei gegen ihn gerichteten vertraglichen Schadensersatzansprüchen des Arbeitgebers; äquivalent auch bezüglich der schädigenden Handlung und des Verschuldens. Zudem kann sich auch im Rahmen der Arbeitnehmerbefragung ein Beweisverwertungsverbot ergeben, wenn die Datenverarbeitung im Rahmen einer Arbeitnehmerbefragung entgegen datenschutzrechtlicher Vorschriften erfolgte und das Gericht durch die Beweisverwertung eine eigene Grundrechtsverletzung begeht. Ein Beweis- und Sachvortragsverwertungsverbot ist zudem immer dann gegeben, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keinen anwaltlichen Beistand ermöglicht, ihn aber zu Umständen befragt bzw. befragen lässt, die jenseits des unmittelbaren Arbeitsbereichs liegen. Eine Verwertung von Auskünften, die unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 1 BetrVG bzw. das Zustimmungsrecht aus § 94 I BetrVG erfragt wurden, ist unzulässig, wenn das Auskunftsverlangen das allgemeine Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Waren die Inhalte der Befragung hingegen persönlichkeitsrechtlich zulässig, genügt allein die Mitbestimmungswidrigkeit nicht, um ein Beweisverwertungsverbot auszulösen.

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Sachwortverzeichnis Allgemeiner zivilrechtlicher Auskunftsanspruch 94 f. Arbeitnehmerbefragung – Anwaltlicher Beistand 102 f., 265 f. – Aufklärungspflicht des Arbeitgebers siehe Sachverhaltsaufklärungspflicht – Auskunftspflicht siehe Auskunftspflicht des Arbeitnehmers – Betriebsrätlicher Beistand 106 f. – Mitbestimmungsrecht bei Arbeitnehmerbefragung siehe Mitbestimmungsrechte – Pflichten des Arbeitgebers bei Arbeitnehmerbefragung 101 f. – Reaktion des Arbeitgebers siehe Reaktionspflicht des Arbeitgebers – Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers 88, 98 Auskunftspflicht des Arbeitnehmers – Dispositives Recht 165 f. – Gegenüber Dritten 99 f. – Konflikt mit Beweislastregel 273 f. – Konflikt mit Schweigerecht im Rahmen der Verdachtskündigung 196 f. – mittelbarer Arbeitsbereich 94 f., 163, 164 f., 185 f. – unmittelbarer Arbeitsbereich 89 f., 160, 164 f., 184, 185 f. Auskunftsverweigerungsrecht – Beispiele Gesetzgebung 126 – Beispiele Rechtsprechung 130 – wegen Selbstbelastung bei Arbeitnehmerbefragung 160, 179 f., 181

Beweislastregeln – Begriff 274 f. – Funktion 276 f. – Inhalt 275 – Konflikt zwischen Auskunftsanspruch und Beweislastregeln 205, 273 f. – Schutzfunktion im Arbeitsrecht 277 f.

Beweisverwertungsverbot – bei datenschutzrechtswidriger Beweiserlangung 250 f., 264 – bei mitbestimmungswidrig gewonnener Beweiserlangung 258 f., 266 f. – Beispiele Gesetzgebung 127 – Beispiele Rechtsprechung 135 – Im Strafprozess 144, 178, 182 – Voraussetzungen im Zivilprozess 246 f. – wegen Selbstbelastung bei Arbeitnehmerbefragung 176 f., 181, 219, 269 f. – wegen Verstoß gegen Ermöglichung anwaltlichen Beistands 265 – Zweckentfremdungs- und Umgehungsgedanke 151 f., 177 f., 191 f., 219, 270 f. BRAK-Stellungnahme 35/2010 102 f., 106, 178 Business Judgement Rule 33 f., 210, 238 f. Compliance – Begriff 28 – Third Party Compliance 224 – Verhältnis zum Recht der Ordnungswidrigkeiten 35 f. Corporate Governance, Begriff 28 Darlegungslast – sekundäre Darlegungslast 281, 286 – und Beweislast 243, 275 f. Deutscher Corporate GovernanceKodex (DCGK) 29 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft 31 f., 37 f., 103, 130, 163, 169 Ermittlungsmaßnahmen – Aufklärungsmethoden 41, 46, 66 f. – Repressiver Art zur Aufdeckung von Pflichtverletzungen 61

Sachwortverzeichnis – Repressiver Art zur Aufdeckung von Straftaten 60 E-Mails siehe Überwachungsmaßnahmen Gemeinschuldnerbeschluss – Inhalt 118, 121 f. – Übertragbarkeit auf Arbeitnehmerbefragungen 118 Grundrechte – Allgemeines Persönlichkeitsrecht 48, 51, 116, 135, 262 – Dreieckskonstellationen 172, 176 – Telekommunikationsfreiheit 53 f., – Schutzgebotsfunktion 51 f. – Sphärentheorie 48, 116, 135 – Bindung des Gesetzgebers im Privatrecht 134, 172 Kündigung siehe auch Verdachtskündigung – als drohende pönale Konsequenz 188 – als Arbeitgeberreaktion auf Untersuchungsergebnis 222, 300 f. – bei gesetzeswidriger Weisung 232 f. – Beweislastregeln 279, 281 – Kündigungserklärungsfrist und unternehmensinterne Untersuchungen 228 f. – Verzicht 240 Legalitätskontrollpflicht

208 f., 238, 240

Mitbestimmungsrechte – Beweisverwertungsverbot 258 f., 266 f. – im Hinblick auf Überwachungsmaßnahmen 85 f. – im Hinblick auf Arbeitnehmerbefragungen 107 f. Personalfragebogen

108 f., 268

Reaktionspflicht – des Arbeitgebers auf Untersuchungsergebnis 207 f. – Reaktionspflicht und Verzicht 236 f. Sachverhaltsaufklärungspflicht des Arbeitgebers – ausdrückliche Aufklärungspflicht 31

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– mittelbare Aufklärungspflicht 31 f. 41, 168 f. – rechtsvergleichende Betrachtung 38 f. Sachvortragsverwertungsverbot 244, 257, 290, 292 Schadensersatzforderung – des Arbeitgebers als Reaktion auf Untersuchungsergebnis 220 – Auskunft und innerbetrieblicher Schadensausgleich 191 f., 221 f. – Schutzfunktion von § 619a BGB 282 – Verzicht des Arbeitgebers 237 Selbstbelastungsfreiheit – allgemeines Persönlichkeitsrecht 116 f. – Beweisverwertungsverbot 127, 151 f., 175, 269 f. – Informationsinteresse, staatliches und privates 143 f. – nemo tenetur se ipsum accusare 111 – nemo tenetur edere contra se 113 – Privatsphäre 135, 179 f. – Pflichtverletzung 19, 137 f., 183 f. – und Profilerstellungsgefahr 65 – Rechtfertigung des Eingriffs in Form der Arbeitnehmerbefragung 142 f. – Rechtsstaatsprinzip 115 f. – Schutzbereich 123 f., 164 f. – Sphärentheorie 48, 116, 135 Selbstreinigung, Gebot der 212 f., 223 f., 240 Telefonüberwachung siehe Überwachungsmaßnahmen Telekommunikationsgesetz – Arbeitgeber als Diensteanbieter 73, 75 f. – Ermittlungsmöglichkeiten im Hinblick auf E-Mails 74 f. – Grundrechtliche Schutzverwirklichung 54 f. Transparenzgebot 58, 69 f., 102 Überwachungsmaßnahmen – Browserverlaufsdaten 81 f. – E-Mails 72 f. – und Mitbestimmungsrechte 85 – Telefonüberwachung 83 f. – Videoüberwachung 66 f.

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Sachwortverzeichnis

Verdachtskündigung – Anwaltlicher Beistand 103 – Entbehrlichkeit wegen Auskunftspflicht 195 f. – Schweigerecht 197 f. – Widerspruch zwischen Auskunftspflicht und Schweigerecht 196 f. Verfassungsauslegung 119 Verfassungsinterpreten 120, 123 f.

VerSanG-E siehe Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft Videoüberwachung siehe Überwachungsmaßnahmen Waffengleichheit, Prinzip der 104 f., 265 f. Wahrheitspflicht – prozessuale 291 – Fiktionswirkung bei Schweigen 257, 293 Weisungsrecht 90, 100, 182