Der Rundfunkbegriff im Wandel der Medien: Symposion zum 65. Geburtstag von Professor Dr. iur. Dr. h. c. Thomas Oppermann [1 ed.] 9783428489077, 9783428089079

Inwieweit sind die neuartigen Formen der audio-visuellen Kommunikation dem herkömmlichen Rundfunkbegriff zuzuordnen? Im

159 121 26MB

German Pages 201 Year 1997

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Der Rundfunkbegriff im Wandel der Medien: Symposion zum 65. Geburtstag von Professor Dr. iur. Dr. h. c. Thomas Oppermann [1 ed.]
 9783428489077, 9783428089079

Citation preview

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht

Band 36

Der Rundfunkbegriff im Wandel der Medien Symposion zum 65. Geburtstag von Professor Dr. iur. Dr. h. c. Thomas Oppermann Herausgegeben von

Armin Dittmann, Frank Fechner und Gerald G. Sander

Duncker & Humblot · Berlin

DITTMANN I FECHNER I SANDER (Hrsg.)

Der Rundfunkbegriff im Wandel der Medien

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wolfgang Graf Vitzthum in Gemeinschaft mit Martin Heckei, Ferdinand Kirchhof Hans von Mangoldt, Thomas Oppermann Günter Püttner, Michael Ronellenfitsch sämtlich in Tübingen

Band 36

Der Rundfunkbegriff im Wandel der Medien Symposion zum 65. Geburtstag von Professor Dr. iur. Dr. h. c. Thomas Oppermann

Herausgegeben von

Armin Dittmann, Frank Fechner und Gerald G. Sander

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Der Rundfunkbegriff im Wandel der Medien I Symposion zum 65. Geburtstag von Professor Dr. iur. Dr. h. c. Thomas Oppermann. Hrsg. von Armin Dittmann ... - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht ; Bd. 36) ISBN 3-428-08907-3 NE: Dittmann, Armin [Hrsg.]; Symposion zum 65. Geburtstag von Professor Dr. iur. Dr. h. c. Thomas Oppermann (1996, Tübingen); GT

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotos: F. Fechner, Tübingen Satz: G. Sander, Tübingen Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 3-428-08907-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

S

Vorwort Am 15. Februar 1996 vollendete Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Oppermann sein 65. Lebensjahr. Für seine Schwer war dieser "halbrunde" Geburtstag Anlaß, Kollegen, Freunde und Weggefährten des Jubilars nach 1981 und 1991 erneut im Rahmen einer wissenschaftlichen Veranstaltung zusammenzuführen, um im fachlichen Diskurs wiederum ein Thema aufzugreifen, das Thomas Oppennann aus wissenschaftlichem Interesse wie gesellschaftspolitischer Verantwortung besonders am Herzen liegt. Nach dem "Kulturverwaltungsrecht im Wandel" (1981) und den "Bedingtheiten des Öffentlichen Rechts" (1991) stand das diesjährige Symposion unter dem Rahmenthema "Der Rundfunkbegriff im Wandel der Medien". Damit sollten Entwicklungen und Rechtsfragen eines Sachbereichs angesprochen werden, dem sich Thomas Oppermann in seinem wissenschaftlichen Werk und praktischen Wirken seit jeher - und weit über den akademischen Bereich hinaus - in besonderer Weise verpflichtet fiihlt. Durch die fortschreitende technische Entwicklung der "Neuen Medien" haben sich bekanntlich nicht nur in Deutschland, sondern auch jenseits unserer Grenzen grundsätzliche Fragen ergeben, inwieweit diese neuartigen Formen der audio-visuellen Kommunikation sinnvoll dem bisherigen Verständnis von Rundfunk und den damit herkömmlicherweise verbundenen Ordnungsvorstellungen zuzurechnen sind oder neuartige Formen der normativen Regulierung entwickelt werden müssen. Wissenschaft und Praxis sind gemeinsam gefordert, sich diesen neuen Herausforderungen zu stellen und aus der Perspektive sowohl des nationalen Rechts wie des Europa- und des Völkerrechts sachadäquate Antworten auf drängende medienpolitische Fragen zu finden. Es erschien uns daher lohnend, diesen Aspekten in einem fachlich interessierten Kreis nachzugehen, der dem Jubilar nahesteht und sich ihm in besonderer Weise kollegial, fachlich und freundschaftlich verbunden fühlt.

6

Vorwort

Der herzliche Glückwunsch an den Jubilar verbindet sich dabei mit dem Dank an alle Teilnehmer des Symposions und vor allem mit der Hoffnung, daß der Ertrag des Symposions fiir die Lösung der anstehenden medienpolitischen und medienrechtlichen Probleme dienstbar gemacht werden kann.

Tübingen, August 1996 Für die Herausgeber Armin Dittmann

Inhalt Frank Fechner

Begrüßungsworte .... ..... ... ....... ...... .... ...... ............. ..... ............... .............

Eduard Picker

Grußwort.............. ............. ..... ............................... .................. .......... ...

Manfred Erhardt

Grußwort..............................................................................................

9

11 15

Referate Armin Dittmann

Der Rundfunkbegriff im deutschen Recht - ein Kulturgut im Multimedialen Wandel.............. ...... ........ ......... .... ......... ... ................ ......... ...

J6rg RUggeberg

Der Rundfunkbegriff in anderen Ländern. ............................... ....... ......

19 41

Claus Dieter Classen

Der Rundfunk zwischen Wirtschaft und Kultur: Die Perspektive des europäischen Gemeinschaftsrechts .......................................................

53

Michael Kilian

Neue Medien ohne Grenzen? - Das Völkerrecht und der Schutz nationaler kultureller Identität zwischen Bewahrung und Weltkultur ...........

69

Beiträge Erwin Vetter

Der Rundfunkbegriff in der politischen Praxis der Bundesländer....... ... 113

Peter Badura

Zur grundrechtlichen, gebühren- und europarechtlichen Auslegung des Rundfunkbegriffs ...... ........ ........ .......... ........................................... 117

8

Inhalt

Dieter D(Jrr "Multimedia" und der Rundfunkbegriff ................................................ 121 Gunther H. Oettinger Der Rundfunkbegriff - ein Faktor im Standortwettbewerb..................... 129 Christian Starck Die verfassungsrechtliche Dimension des Rundfunkbegriffs und der Rundfunkfreiheit im Vergleich der Rechtsordnungen ........................... 133 Hubertus Gersdorf Das Grundrecht der Rundfunkfreiheit als "Supergrundrecht"? Zur Notwendigkeit einer dogmatischen Weiterentwicklung des verfassungsrechtlichen Begriffsbildes ............................................................ 137 Klaus Stern Die Neuregelung des Rundfunkrechts im Spannungsfeld landesrechtlicher, bundesstaatlicher und europäischer Kompetenzen ..................... 145 Carl-Eugen Eberle Rundfunk - Regelungsmodell fiir Online-Dienste?................................ 149 Christina Betzler Finalität des Rundfunkbegriffs ...... ........ .............. ................................. 155 Frank Fechner Rundfunkbegriff und Urheberrecht.... ......... .......................................... 171 Gerald G. Sander "Cultural Exception" in der WTO - eine Bereichsausnahme fiir audiovisuelle Medien?............................................................................. 177 DiskussioDsbericht Gerald G. Sander Der Rundfunkbegriff im Wandel der Medien........................................ 187 SchluOwort Thomas Oppermann ............................................................................. 191 Teilnehmerverzeichnis ............................................................................. 197

Begrüßungsworte Von Frank Fechner*

Sehr geehrten Damen und Herren! Im Namen der Organisatoren vor Ort begrüße ich Sie sehr herzlich in der Universität Tübingen und eröffne das Symposion "Der RundfunkbegrifI im Wandel der Medien". Ich freue mich, daß Sie so zahlreich hier erschienen sind und teilweise weite Wege auf sich genommen haben. Wir haben uns aus Anlaß des 65. Geburtstags von Professor Oppermann versammelt, den er gestern, am 15. Februar 1996, gefeiert hat. Wir Schüler sind Ihnen, sehr verehrter Herr Professor Oppermann, fiir vieles dankbar, was Sie fiir uns getan haben. Mit immerwährender Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft haben Sie uns an Ihren wissenschaftlichen Kenntnissen, an Ihrer Forschungsarbeit, aber auch an Ihrer Lebenserfahrung teilhaben lassen. Aus dem Gefühl der Dankbarkeit heraus haben wir dieses Symposion fiir Sie organisiert. Das Thema des Symposions "Der RundfunkbegrifI im Wandel der Medien" liegt im Zentrum Ihrer Interessengebiete. Das Rundfunkrecht ist - zumindest nach dem traditionellen nationalen Rechtsverständnis - Teil des Kulturverwaltungsrechts, dem Rechtsgebiet, das Sie aus der Taufe gehoben haben. Sie haben selbst wichtige Beiträge zum Rundfunkrecht geschrieben, zuletzt ein Gutachten zu Anfang dieses Jahres. Zugleich ist das Rundfunkrecht, wie wir hören werden, inzwischen in starkem Maße durch europarechtliche und völkerrechtliche Grundlagen geprägt, die Sie ebenfalls in Forschung und Lehre vertreten und entscheidend beeinflußt haben.

* Priv.-Doz. Dr. iur., Universität Tübingen.

10

Frank Fechner

Alle diese Gründe berechtigen uns zu der Hoffnung, daß Ihnen das Symposion gefallen wird. Ihnen allen, meine sehr geehrten Damen und Herren, wünsche ich einen interessanten und inhaltsreichen Tag. Damit gebe ich das Wort weiter an den Dekan der Juristischen Fakultät, Herrn Professor Picker.

Grußwort Von Eduard Picker-

Sehr verehrter, lieber Herr Oppermann! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit großer Freude begrüße ich Sie als Veranstalter und Gäste des Symposions "Der Rundfunkbegriff im Wandel der Medien"! Sie ehren durch diese so hochzahlige wie hochkaräQge Fest- und Arbeitsversammlung ein herausragendes Mitglied unserer Fakultät. Und Sie ehren damit zugleich auch die Fakultät selbst, die seit vielen Jahren für Herrn Oppermann die - oft neu erkorene! - Heimat ist. Für beides danke ich Ihnen als Dekan herzlich! Der Veranstaltungsort, meine Damen und Herren, ist ein besonderer Ort. Zwar sind die Perlen des schwäbischen Barocks Tübingen rtiumlich nicht fern. Geistig jedoch steht Tübingen durchaus im Ruche der Barock-Ferne! Und auch die heutige Feier wird diese Fama schwerlich erschüttern, viel eher weiter verfestigen. Denn wo andere Fakultäten einen so singulären Gelehrten an einem so markanten Geburtstag mit Sektgelagen und oppulenten Büffets feiern würden, wo also nicht ein modernes mediales, sondern ein antikes weinseliges Symposion durchgeführt würde, da wird in Tübingen statt süßem Wein nicht einmal neutrales Wasser, sondern streng-herbe Wissenschaft offeriert. Und wo andere sich aus solchem Anlaß bei Musik oder Tanz divertieren würden, da wird man hier auf die engen Bänke eines Diskutier-Saals gezwungen, der gar nichts anderes zuläßt als harte Arbeit.

- Professor Dr. iur., Dekan der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen.

12

Eduard Picker

Dennoch, meine Damen und Herren: Tübingen ist stolz auf diese Askese! Und Tübingen pflegt sie! Sie entspricht nämlich nicht nur schwäbisch-spiritueller Weitabgewandtheit. Sie hat zugleich auch einen höchst innerweltlichen und darüber hinaus höchst zeitgeistgerechten Doppeleffekt: Sie garantiert bei einem Minimum an pekuniären Investitionen ein Höchstmaß an Wissenschaftsproduktion. Sie paßt also aufs schönste in die heutige geistig-politische Landschaft. Denn sie leistet damit fast in Vollkommenheit das, was jeder aufs Überleben bedachte Wissenschaftsminister von jedem auf Ethos bedachten Professor erwartet! Als Dekan, der nach der letzten Mittelzuweisung mehr als Konkurs- denn als Amtsverwalter agiert, kann ich es also nur begrüßen, wenn sich auch das Symposion zu Herrn Oppermanns Ehren dieser von der Politik eingeforderten universitären Ordensregel in monastischer Zucht und Willigkeit fiigt! Nun soll, meine Damen und Herren, von uns Tübinger Professoren kein Zerrbild enstehen. Ich muß deshalb eventuelle Einseitigkeiten durch einen Gegenaspekt korrigieren, der nicht minder Tübinger Realität ist: Alles was ich bislang mit dem wehleidigen Stolz des Asketen beschrieb, gilt in Tübingen nur:fiir den halb-runden Geburtstag! Es hat keine Geltung, wenn sich ein vol/es Dezennium schließt! Im Gegenteil wurde exakt vor :fiinf Jahren ein Oppennann'scher Geburtstag gefeiert, der neben viel Geist und viel Witz und bei einem fast höfischen Ambiente durchaus auch phäakische Züge zeigte! Dieser Rhythmus, meine Damen und Herren, gestattet nicht nur Prognosen: Er erlaubt nicht nur die Zuversicht, daß wir alle hier bald erneut aufeinandertreffen - in :fiinf Jahren nämlich und dann zu einem echten Gelage. Die Abfolge solcher Feste scheint mir darüber hinaus auch symptomatisch zu sein: Sie charakterisiert unseren Jubilar in den beiden Seiten, die ihm die Achtung, die Verehrung und - das zu sagen sei mir heute erlaubt - die Zuneigung seiner Umwelt eingebracht haben. Denn sie erweist ihn einerseits als den renommierten Rechtswissenschaftler und homme de lettres, der sich über den Füller hinaus längst auch die Rundfunkwellen dienstbar gemacht hat und den die Fachwelt respektvoll bewundert. Sie zeigt ihn andererseits aber auch - so die zweite Seite dieser Doppelbegabung - als den warmherzigen, interessierten und engagierten Kollegen. Sie zeigt ihn kurz also als .den Oppermann, der geradezu physisch fiihlbar Wohlwollen ausstrahlt und den man deshalb bei aller

Grußwort

13

distanzschaffenden Autorität doch zugleich mit herzlicher Sympathie als Geburtstagskind feiert. Sie, meine Damen und Herren, haben heute als Fachkollegen zuallererst Thomas Oppermann als den Wissenschaftler zu feiern. Sie haben ihn also in den kommenden Stunden durch Scharfsinn und Einfallsreichtum, wo möglich durch kongeniale Gedanken zu ehren. Dazu wünsche ich Ihnen Glück und Erfolg!

Ich als Dekan und dem Jubilar "nur" menschlich zugetaner Kollege, der zudem als Zivilrechtler "Rundfunkrecht" ohnehin nicht zu erfassen vermag, ich habe primär seine beschriebene zweite Seite im Blick. Deshalb drängt es mich allem voran, ihm viele weitere glückliche Geburtstagsfeiern zu wünschen! Und als Nicht-Fachkollege wünsche ich aus den beschriebenen Gründen ihm und mir nicht zuletzt, es möchten viele runde Geburtstage werden!

Grußwort Von Manfred Erhardt*

Sehr verehrter, lieber Herr Oppermann, Spectabilität, Herr Minister Vetter, Herr Fraktionsvorsitzender Oettinger, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat Thomas Oppennann sein 65. Lebensjahr vollendet. Dies ist zwar keine ganz runde Jahreszahl und für einen Emeritierungsberechtigten auch kein beamtenrechtliches Datum, gleichwohl veranstalten seine Schüler ihm zu Ehren dieses Symposium - aus Zuneigung und aus Dankbarkeit. Des äußeren Anlasses hätte es angesichts dieses tieferen Grundes gar nicht bedurft! Nun sprach der Herr Dekan bereits von den Ordensregeln und diese Ordensregeln, Herr Dekan, haben wir, seine Schüler, schon einmal verletzt: Eines runden Geburtstags bedarf es immer dann, wenn man eine Festschrift dedizieren möchte. Zum 50. Geburtstag haben wir Ihnen, lieber Herr Oppermann, das Buch "Kulturverwaltungsrecht im Wandel" gewidmet, haben aber die Vokabel "Festschrift" tunlichst vermieden. Dennoch haben wir dafür in verschiedenen Rezensionen wohlmeinende Schelte bezogen.

* Professor Dr. iur., Generalsekratär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft e. v., Essen, Senator a.D.

16

Manfred Erhardt

Ich zitiere Peter Hdberle, im AöR 107 (1982), S. 301 f.: "m der Vielfalt öffentlich-rechtlicher Festschriften nimmt die T. Oppennann zum 50. Geburtstag gewidmete aus mehreren Gründen eine Sonderstellung ein: sie ist dem Jubilar überwiegend von (jüngeren) Mitarbeitern und Schülern dargebracht, sie knüpft thematisch nicht an das Gesamtwerk des (noch relativ jungen) Jubilars, sondern an seine Grundlagenarbeit, das "Kulturverwaltungsrecht" von 1969 an, und sie ist einem (erst) 50 Jahre gewordenen Staatsrechtslehrer gewidmet: ein (mit Verlaub) frühes Datwn. Die Festschrift wird den Jubilar selbst gewiß am meisten überrascht haben; denn bisher war der 50. Geburtstag allenfalls Anlaß fi1r nicht publizierte Witzfestschriften, Einzelaufsätze oder fi1r die Veröffentlichung Gesammelter Schriften. msofern vermittelt das hier zu besprechende Werk ein neues Moment im Gesamtbild der Literaturgattung "Festschrift". Neugier und Erwartung des Lesers sind groß, auch wenn diese Festschrift bei aller Qualität kaum als Präzedenzfall und Vorbild dienen sollte und dienen dürfte: Für alle Zukunft werden deutsche Staatsrechtslehrer gewiß ihren Schülerkreis vor einem vergleichbaren, noch so gut gemeinten Unterfangen einer Festschrift zum 50. Geburtstag "warnen": Lehrer und Schüler sind im Regelfall noch zu jung, das Lebenswerk des Jubilars ist noch zu offen und im Werden (bzw. sollte es jedenfalls sein), um in den "Spiegel" einer Festschrift gefaßt zu werden. Als eine "Ausnahme", die im wahren Sinn des Wortes die "Regel" bestätigt, sei aber die vorliegende FS ernst genommen. Um so mehr, als sie thematisch in origineller Weise die Habilitationsschrift des Jubilars von 1969 aufgreift - diese darf im Rückblick als pionierhafte disziplinbegründende Bändigung eines zuvor diffusen Stoffes gewürdigt werden."

Herr Oppermann, wir haben erst nachträglich begriffen, in welche Schwierigkeit wir Sie damit gebracht haben. Wir haben zwar empfunden, wie sehr Sie sich an jenem 50.Geburtstag über unsere Festgabe gefreut haben, aber Sie haben sich gleichzeitig genötigt gesehen, sich für uns - wie ein Vater für seine ungezogenen Sprößlinge - zu entschuldigen. Und auch dieser Brief liegt mir vor. Ich zitiere aus einem Brief von Thomas Oppermann an Peter Hdberle vom 17.9.1982. "Natürlich liegt mir an einem Wort zur von Ihnen liebenswürdig hervorgehobenen "50jährigen Jugendlichkeit". Um mein Selbstverständnis jenes Geburtstages anzudeuten: das Buch wurde mir am Vorabend auf einem fröhlichen Tanzfest überreicht, zu dem wir außer dem "Lehrstuhl seit 1967" die Fakultät und weitere Freunde nach Hause eingeladen hatten. Die Überraschung der Gabe war total, wie Sie mit Recht vennuten, bis hin zur "Komplicenschaft" meiner Sekretärin. Ich mache aber andererseits aus meinem Herzen keine Mördergrube: die Freude über diesen Akt eines mir persönlich sehr nahestehenden Kreises verdrängte rasch den Gedanken an das seinerseits völlig berechtigte Stirnrunzeln hier und da wegen des ungebräuchlichen Zeitpunktes. Die Spontaneität und Unerwartetheit einer solchen Gabe, die, hätte man davon gewußt, natürlich unterblieben wäre, berührt einen doch sehr. Sie haben diese objektiv/subjektive Zwiespältigkeit, lieber Herr Häberle, in

Grußwort

17

der TImen eigenen Einfilhlsamkeit bis in die Zwischentöne richtig wiedergegeben. Hierftlr danke ich TImen ganz besonders, sicherlich auch im Sinne der Herausgeber und Autoren des Bandes, die sich so selbstlos exponierten. "

Lieber Herr Oppermann, inzwischen sind aus Ihren Zöglingen Universitätsund Honorarprofessoren, Richter und Anwälte, Senatoren und Generalsekretäre, Oberbürgermeister und hohe Ministerialbeamte geworden. Wir wissen jetzt, was sich gehört. Deshalb haben wir zum 60. und zum 65. Geburtstag des Jubilars "bloß" ein Symposium veranstaltet. Aber es kommen Zeiten, wo wir uns unter Wahrung von Ordensregel und Comment auch wieder "richtig" eintakten können und dürfen. Und doch bin ich mir einig mit allen damaligen Autoren und Herausgebern: wir würden es wieder tun. Wir würden wieder im Sinne eines gezielten Regelverstoßes, getreu dem Motto dieser Universität "Attempto" und unter Berufung auf den Tatbestand des übergesetzlichen Notstands diese Festschrift herausbringen. Wie anders als durch eine ungewöhnliche Geste hätten wir diesem außergewöhnlichen Wissenschaftler und Menschen denn unsere Verehrung bezeugen sollen? Als Gelehrter schöpft Thomas Oppermann aus einer umfassenden Bildung. Er beschränkt sich nicht auf das Juristische, sondern stellt die Gegenstände in ihren historischen Kontext und erörtert sie auch in ihren gesellschaftlichen und politischen Bezügen. Begabt mit einem in der Ministerialverwaltung des Bundes geschärften Realitätssinn zielt sein wohlabgewogenes Urteil auf gerechten Interessenausgleich. Das Schriftenverzeichnis zeugt von hoher wissenschaftlicher Produktivität und einer enormen Breite seines Forschungsinteresses. Als akademischer Lehrer gehört Thomas Oppermann zu der seltener gewordenen Sorte von Professoren, die nicht nur dozieren, sondern ihre Studierenden auch betreuen. Gerühmt werden Lebendigkeit und Anschaulichkeit seines Vortrages und seine stete Dialogbereitschaft. Was mich, wie auch Herrn Picker, aber besonders bewegt: Daß Sie, lieber Herr Oppermann, ein ganz besonderer Mensch, daß Sie für uns Vorbild sind. Ich habe gerade mit Ihren jüngeren Assistentinnen und Assistenten gesprochen. Es besteht ja eine Wahlverwandtschaft zwischen Ihnen und Ihren Schülern. Seine Kinder kann man nicht aussuchen, auch die Kinder ihre Eltern nicht, aber man kann seinen Meister aussuchen und der Meister kann seine Lehrlinge aussuchen. Und so haben wir uns gegenseitig ausgesucht, und wir sind alle dabei sehr sehr glücklich geworden. Denn die Zusammenarbeit mit Ihnen bildet. Von Ihnen geht im wahrsten Sinne des Wortes eine erzieherische Wirkung aus. Keiner unter Ihren Assistenten, auf den Sie nicht abgefärbt hät2 Dittmann u. a.

18

Manfred Erhardt

ten - oft bis in Sprache und Gestus. Keiner, den Sie nicht unterstützt, gefördert und beim beruflichen Einstieg und Erfolg begleitet hätten. Kein Wunder, daß Ihre Schiller Sie nicht nur achten und verehren, sondern sich Ihnen auch innerlich herzlich verbunden fühlen, kurz: Sie wirklich mögen. Herr Oppermann, das ist, glaube ich, das Entscheidende im "Stall Oppermann", daß hier ein menschliches Klima der Fürsorge und der gegenseitigen Zuneigung herrscht und wir eben auch unter diesem Gesichtspunkt "Auserwählte" sind. Und lassen Sie mich, der ich ja in vielen verschiedenen Funktionen tätig war, aus Erfahrung auch dies sagen: Wer sich als Schiller von Thomas Oppermann legitimieren kann, dem öffnen sich Türen und Herzen. Seinetwegen veranstalten wir dieses Symposium. Ich danke allen, die gekommen sind und damit einstimmen in die Ehrbezeugung, vor allem Frau Margret Wittich-Terhardt fiir die Übernahme der Gesprächsleitung sowie den Referenten. Sie alle werden Dienste offerieren, "die jeweils eine individuelle Leistung anbieten, ohne eine Darbietung zu veranstalten und die nicht an die Allgemeinheit gerichtet sind".

Damit wäre anband der - etwas holprig formulierten - sog. Negativliste der Rundfunkreferenten der Länder klargestellt, daß unser heutiges Symposium nicht unter den Rundfunkbegrifffallt, weil - es sich nicht um eine Darbietung, sondern um eine Ehrerbietung handelt, - die auch nicht an die Allgemeinheit gerichtet ist, sondern ganz persönlich und von Herzen an Thomas Oppermann.

Referate

Der Rundfunkbegriff im deutschen Recht ein Kulturgut im multimedialen Wandel Von Annin Dittmann·

Einführung Wer eine Diskussion für das Publikum besonders langweilig gestalten will, braucht sie nur auf die definitorische Ebene zu heben und z.B. - wie wir es heute tun - nach dem "Rundfunkbegriff im Wandel der Medien" zu fragen. I In richtiger Einschätzung dieser Unattraktivität des Themas spielt sich die aktuelle Diskussion um eine Neubestimmung des Rundfunkbegriffs in Deutschland bisher weitgehend in geschlossenen Zirkeln der Politik und sonstiger unmittelbar betroffener Kreise ab. Erst in letzter Zeit ist die Frage nach den Konsequenzen des multimedialen Wandels für das überkommene Verständnis von "Rundfunk" durch die Arbeit

• Professor Dr. iur., Universität Hohenheim. Der unverändert wiedergegebene Vortragstext ist nachträglich mit Amnerkungen versehen worden, so daß teilweise auch noch Ereignisse und Veröffentlichungen nach dem 16.02.1996 berücksichtigt werden konnten. I So Esslinger in der "Süddeutschen Zeitung" vom 27./28.01.1996 zur derzeitigen Diskussion um den Rundfunkbegriff - allerdings verbunden mit dem Hinweis darauf, daß die Unattraktivität des Themas im umgekehrten Verhältnis zu seiner Relevanz steht. 2*

20

Annin Dittmann

parlamentarischer Enquete-Kommissionen auf Landes-2 wie auf Bundesebene3 vorübergehend und in Maßen öffentlichkeitswirksam geworden. 4 Wenn aber nicht alle Zeichen trügen, so dürfte dies lediglich die berühmtberüchtigte "Ruhe vor dem Sturm" sein, denn schon bedarf es beschwichtigender Äußerungen von Seiten des Bundes wie der Länder, daß man - unter Aspekten der bundesstaatlichen Kompetenzordnung - keinen "Multimedia Krieg" wolle. 5 Immerhin ist bekannt, daß auf Bundesebene mit Hochdruck am Entwurf eines Multimedia - Gesetzes gearbeitet wird, um - neben den parallel laufenden Deregulierungen im Sektor der Telekommunikation6 - einen einheitlichen Ordnungsrahmen für neue multimediale Dienste zu schaffen. 7 Auch wenn der Bund dabei nach eigenem Bekunden nicht in den "klassischen Rundfunkbereich" eindringen will, besteht für die Länder offenbar 2 Vgl. etwa "Bericht \Uld Empfehlungen" der vom baden-württembergischen Landtag eingesetzten Enquete-Kommission "Entwicklung, Chancen und Auswirkungen neuer Informations- und Kommunikationstechnologien in Baden-Württemberg" (Multimedia-Enquete), LT DruckS 11/6400.

3 Vgl. bereits den Zwischenbericht der Enquete-Kommission "Neue Informationsund Kommunikationstechniken" des Deutschen Bundestages vom 28.03.1983 (BT DruckS 9/2442), insbes. S. 128 ff., sowie jetzt die Arbeit der vom Deutschen Bundestag in seiner 104. Sitzung am 09.05.1996 eingesetzten Enquete-Kommission "Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft." 4 Vgl. auch die "Feststellungen und Empfehlungen" des von der Bundesregierung eingesetzten Rates ft1r Forschung, Technologie und Innovation (Technologierat) zum Thema "Informationsgesellschaft. Chancen, Innovationen und Herausforderungen", hrsg. vom Bundesministerium ft1r Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Dez. 1995.

5 Zu einer entsprechenden Erklärung der Bundesregierung vgl. Bericht der Frankfurter R\Uldschau vom 23.01.1996 und zum medienpolitischen Streitstand zwischen Bund \Uld Uindern zusammenfassend Weber, Streitobjekt Multimedia, FAZ vom 17.05.1996, S. 14. 6 Telekommunikationsgesetz (TKG) v. 25.7.1996 (BGBI. I, S. 1120); vgl. zuvor den gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen der CDUICSU, SPD und F.D.P. ft1r ein Telekommunikationsgesetz (TKG) vom 30.01.1996 (BT DruckS 13/3609) und zu den Zielen etwa HiltllGrossmann, Grundfragen des neuen deutschen Telekommunikationsrechts, BB 1996, S. 169 ff. 7 Vgl. die am 02.05.1996 vom Bundesministerium ft1r Bildung, Wissenschaft, Forschung \Uld Technologie vorgelegten "Eckwerte" ft1r ein Multimedia-Gesetz, Text u.a. in: FUNK-Korrespondenz Nr. 21 vom 24.05.1996, S. 37 ff.

Der Rundfunkbegriff im deutschen Recht

21

aller Anlaß, wachsam zu sein und ihre Vorstellungen über vorbereitende Studien wie die seinerzeitigen "Schliersee"8 und "Würzburger"9 Papiere von 1975 bzw. 1979 10 und die sog. "Negativ - Liste" vom Herbst 1995 11 hinaus zu konkretisieren und umzusetzen, um nicht in die mißliche Rolle des lediglich abwehrend - reagierenden Partners im bundesstaatlichen Kompetenzstreit zu geraten. Dieser knappe Hinweis auf die bundesstaatliche Dimension unseres Themas deutet bereits an, daß es sich bei der Frage nach dem "RundfunkbegrifI im multimedialen Wandel" keinesfalls nur um eine semantische Spielerei handelt, sondern um die Definition eines verfassungsrechtlichen SchlüsselbegrifIes. Die Definition dessen, was unter den Gegebenheiten des multimedialen Wandels dem Rundfunkbegriff zuzuordnen ist oder außen vor zu bleiben hat, hat - zumindest auf den ersten Blick - Konsequenzen nicht nur für die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, sondern darüber hinaus auch für die Frage des Grundrechtsschutzes bei Aktivitäten im audio-visuellen Bereich und des damit verbundenen Maßes an zulässiger staatlicher Regulierung mithin also auch eine ordnungs- sowie wirtschaftspolitische Dimension. 12 Und schließlich: Angesichts der Aktivitäten der Europäischen Union auf dem Gebiet der audio-visuellen Medien l3 ist es im Hinblick auf die innerstaat-

8 Bericht der Rundfunkreferenten der Länder zur Frage der Veranstaltung privater Rundfunksendungen und des Rundfunkbegriffs - "Schliersee-Papier" - vom 29.4.1975, Text bei Ring, Medienrecht, Stand: Januar 1996, Bd. ill, D I.

9 Zweiter Bericht der Rundfunkreferenten der Länder zur Frage des Rundfunkbegriffs, insbes. der medienrechtlichen Einordnung von "Videotext", "Kabeltext" und "Bildschirmtext" (Teleschriftformen) - "WÜIZburger Papier" - vom 25.05.1979, Text bei Ring, (Fn. 8), D ill. 10 Zu beiden Papieren näher etwa Kr6ger, Vor dem Ende des Rundfunkrnonopols der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten, NJW 1979,2537 fI (2540 ff.). 11 Die von den Ministerpräsidenten der Bundesländer auf ihrer Sitzung am 26./27.10.1995 in Lübeck verabschiedete "Negativliste" zum Rundfunkbegriff ist u.a. dokumentiert in: TENDENZ (Magazin filr Funk und Fernsehen der Bayerischen Landeszentrale filr neue Medien) 1995, H.4, S. 39.

12 Zu diesem Aspekt vgl. vor allem die Feststellungen und Empfehlungen des Technologierates (Fn. 4), S. 21 ff. I3 Dazu näher in diesem Band der Beitrag von C/assen, sowie - zu den weiteren Perspektiven auf europäischer Ebene - die Vorstellungen der Kommission im Grün-

22

Annin Dittmann

liehe Willensbildung in Angelegenheiten der Europäischen Union nach Art. 23 GG von größtem Interesse, klare Vorstellungen darüber zu entwickeln, was in diesem Bereich Sache des Bundes bzw. der Länder ist; denn bekanntlich sieht Art. 23 GG ein System gestufter Mitwirkungsrechte der Länder über den Bundesrat vor, wobei das Maß der jeweiligen Länderbeteiligung von der Qualität ihrer Sachzuständigkeit abhängt. 14 Sollte es nicht gelingen, hier klare Kompetenzlinien zwischen Bund und Ländern zu ziehen, besteht die Gefahr, daß die Bundesrepublik Deutschland bei Entscheidungen auf europäischer Ebene in Sachen audio-visueller Medien zu einem unbequemen Partner wird, der sich aufgrund seines vielschichtigen innerstaatlichen Willensbildungsprozesses an raschen und situationsgebundenen Entscheidungen verfassungsrechtlich gehindert sieht. 15 Das Verfahren und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur "Fernsehrichtlinie"16 könnten insofern nur die Ouvertüre für eine neue Art von "querelIes allemandes" auf europäischer Ebene gewesen sein.

buch über "Kommerzielle Kommunikationen im Binnenmarkt" vom 08.05.1996 (KOM-96-192 endg.). Danach sollen alle - also auch die elektronischen - Formen der Werbung, des Direktmarketings, des Sponsorings, der Verkaufsförderung und der Öffentlichkeitsarbeit im Hinblick auf die Förderung des Absatzes von Waren oder Dienstleistungen als kommerzielle Kommunikation grundsätzlich dem Prinzip der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 59 EGV unterstellt werden.

14 Vergleiche dazu im einzelnen etwa Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, 1996, Art. 23, Rn. 102 ff. 15 Sowohl die tatbestandlichen Voraussetzungen filr die unterschiedlich starken Mitwirkungsrechte des Bundesrates an Entscheidungen der Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union wie auch das Verfahren der Kooperation im einzelnen ist Init erheblichen Rechtsunsicherheiten und Schwerfälligkeiten befrachtet, einschließlich der Möglichkeit verfassungsgerichtlicher Auseinandersetzungen über das rechte Maß der Länderbeteiligung. Von daher enthält Art. 23 GG ein verfahrensrechtliches "Blockadepotential", das insbesondere dann aktiviert werden könnte, wenn es zwischen Bund und Ländern nicht zu einem Konsens über Kompetenzfragen in Sachen Multimedia kommen sollte. - Allgemein zu diesem "Blockadepotential" des Art. 23 GG Dittmann, Maastricht 11 aus der Sicht des deutschen Verfassungsrechts, 'in: Caesar/Ohr (Hrsg.), Maastricht und Maastricht 11: Vision oder Abenteuer?, 1996, S. 39 ff. (48 ff.). 16 BVerfGE 92, S. 203 ff.

Der Rundfunkbegriff im deutschen Recht

23

Eingrenzung des Themas Es besteht also kein Zweifel, daß die Frage nach dem Rundfunkbegriff im multimedialen Wandel - zumindest auch - eine reizvolle verfassungsrechtliche Herausforderung darstellt, die eine grundsätzliche Auseinandersetzung lohnte und an sich auch erforderte. 17 Der Reiz einer derartigen grundsätzlichen Erörterung bestünde arn heutigen Tage nicht zuletzt darin, arn Beispiel des "Rundfunkbegriffes" die beiden Themen wieder aufzugreifen und miteinander zu verbinden, die unter den Titeln "Kulturverwaltungsrecht im Wandel"18 bzw. "Die Bedingtheiten des Öffentlichen Rechts" 19 aus Anlaß früherer runder Geburtstage des Jubilars bereits wissenschaftlich erörtert worden sind. Für beide Themenbereiche böte unsere heutige Fragestellung reichhaltiges Anschauungsmaterial. Aus Zeitgründen muß ich auf einen derart grundsätzlichen Zugang zu unserem Thema verzichten, kann dies aber auch leichten Herzens tun, weil unter uns eine Reihe von Experten sind, die sich - aus durchaus unterschiedlichen Perspektiven und Interessenlagen - zum Thema bereits in grundsätzlicher Fonn geäußert haben20 und sicher auch durch ihre Beiträge die Diskussion bereichern werden. Ich möchte mich deshalb im folgenden darauf beschränken, meinen Ausführungen vor allem das baden-württembergische LMedien(J21 zugrundezule17 Grundsätzliche Überlegungen in letzter Zeit z.B. bei Starck, Grund- und Individualrechte als Mittel institutionellen Wandels in der Telekommunikation, in: KJ. Mestmäcker (Hrsg.), Kommunikation ohne Monopole 11, 1995, S. 291 ff.; Gersdoif, Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff im Lichte der Digitalisierung der Telekommunikation, 1995; ders., Multi-Media: Der Rundfunkbegriff im Umbruch?, AfP 1995, S. 565 ff.; PieperlWiechmann, Der Rundfunkbegriff. Änderungen durch Einftlhrung des interaktiven Fernsehens?, ZUM 1995, S. 82 ff.; Stammler, Paradigmenwechsel im Medienrecht, ZUM 1995, S. 104 ff.; Eberle, Neue Übertragungstechniken und Verfassungsrecht, ZUM 1995, S. 249 ff.; Bullinger, Der Rundfunkbegriff in der Differenzierung kommunikativer Dienste, AfP 1996, S. 1 ff. 18 BirkIDittmannlErhardt (Hrsg.), Kulturverwaltungsrecht im Wandel, Rechtsfragen der Praxis in Schule und Hochschule, 1981.

19 Wissenschaftliches Colloquium aus Anlaß des 60. Geburtstags von Thomas Op-

permann. 20

Vgl. die Nachw. in Fn. 17.

21 Landesmediengesetz Baden-Württemberg (LMedienG) i.d.F. vom 17.03.1992 (GBL S. 189), zul. geänd. durch Art. 2 Ges. v. 14.12.1995 (GBL S. 859).

24

Annin Dittmann

gen und dabei - aus naheliegenden Gründen22 - insbesondere die Perspektive der Landesanstalt für Kommunikation einbringen. Das LMedienG bietet sich als Ausgangspunkt deshalb besonders an, weil es sich der Frage nach dem Rundfunkbegriff im multimedialem Wandel bereits normativ annimmt23 und dabei - wie zu zeigen sein wird - eine "Philosophie" verfolgt, die m.E. tragfähig ist, den neuen rechtstatsächlichen Gegebenheiten für die Veranstaltung audio-visueller Kommunikation gerecht zu werden. Die spezielle Perspektive einer Landesmedienanstalt schließlich kann zeigen, daß die multimedialen Wandlungen und neuen Möglichkeiten audio-visueller Kommunikation schon jetzt - jenseits aller akademisch/theoretischen und rechtspolitischen Überlegungen - von überaus praktischer Bedeutung sind. Die Auseinandersetzung um die Zulassung eines interaktiven Homeshopping Angebotes des Veranstalters "HOT" durch die Bayerische Landeszentrale für neue Medien24 hat mit ihren prozessualen Turbulenzen25 den bereits bestehenden Handlungs- und Entscheidungsbedarf hinlänglich deutlich gemacht. 26

22 Verf. ist Mitglied im Vorstand der Landesanstalt fiIr Kommunikation (LfK) in Stuttgart. 23 Nach § 1 Abs. 1 LMedienG gilt das Gesetz "fiIr den Rundfimk (Hörfimk und Fernsehen) und die rundfunkähnliche Kommunikation". - Auch die Landesmediengesetze von Bayern, BerlinlBrandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen tragen mittlerweile in unterschiedlicher Weise der multimedialen Entwicklung Rechnung. 24 Die Bayerische Landeszentrale fiIr neue Medien (BLM) hat im August 1995 durch öffentlich-rechtlichen Vertrag mit der H.O.T. Horne Order Television GmbH u. Co. KG ein interaktives Home-shopping-Angebot zur Verbreitung mit rundfimktechnisehen Mitteln zugelassen, Text des Vertrages z.B. in: epdIK.irche und Rundfimk Nr. 73 v. 16.09.1995, S. 25 ff. 25 hn Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes liegen mittlerweile Entscheidungen vor des VG München, ZUM 1995, S. 896 ff.; BayVGH, ZUM 1996, S. 173 ff. bzw. ZUM 1996, S. 177 f Mit Schriftsatz vom 22.02.1996 haben H.O.T. und die BLM gegen den Beschluß des BayVGH beim BayVerfGH Verfassungsbeschwerde eingelegt. 26 Umfassend zur rechtlichen Auseinandersetzung um die Zulassung von H.O.T. Gersdoif, Rundfunkfreiheit ohne Ausgestaltungsvorbehalt. Verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Voraussetzungen fiIr die Einftlhrung neuer Kommunikationsdienste am Beispiel reiner Teleshoppingkanäle, Rechtsgutachten im Auftrag der BLM, 1996. Zuvor bereits grundsätzlich Schroeder, Teleshopping und Rundfunkfreiheit, ZUM 1994, S. 471 ff.; ferner Degenhart, Rechtliche Aspekte des Teleshopping, ZUM 1995, S. 353 ff.

Der Rundfunkbegriff im deutschen Recht

25

I. Rechtstatsächliche Ausgangslage - die neuen Dienste In rechtstatsächlicher Hinsicht ist nach derzeitigem Kenntnisstand - und stichwortartig verkürzt - von folgendem Sachverhalt auszugehen: 21 Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien werden über eine Ausweitung der satellitengestützten oder/und leitungsgebundenen Übertragungsmöglichkeiten zu einer Vervielfachung und Ausdifferenzierung des Programmangebotes, einer stärkeren Individualisierung von Angebot und Nachfrage in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht - unter Einschluß von Formen interaktiver Nutzung - führen und damit neue Dienste und Nutzungsformen ermöglichen, die man üblicherweise unter dem Begriff "Multimedia" zusammenfaßt. Konkret geht es um neue Formen der Mediennutzung, die sich - bemerkenswert genug - auch in Deutschland unter Anglizismen wie z.B.: pay - TV, pay - per - channel, pay - per - view, near video on demand oder teleshopping begriftlich verfestigt haben. 28 Damit wird eine Entwicklung angedeutet, die schon auf den ersten Blick die rechtstatsächlichen Grundlagen des bisherigen Rundfunkrechts verändert29 und die Zweifel erweckt, ob diese neuen Dienste - undifferenziert - dem überkommenen Rundfunkbegriff des Rundfunkstaatsvertrages30 und den damit

21 Zusammenfassender Überblick zur teclmischen Entwicklung und zu den neuen Diensten etwa bei Eberle, Neue Übertragungstechniken und Verfassungsrecht, ZUM 1995, S. 249 ff.; Gersdorf, Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff im Lichte der Digitalisierung der Telekorrununikation, 1995, S. 17 ff.; Hege, Offene Wege in die digitale Zukunft, 1995, insbes. S. 53 ff.; Jaeger, Neue Entwicklungen im Korrununikationsrecht, NJW 1995, S. 3273 ff.; RossnagellBizer, Multimediadienste und Datenschutz, 1995, S. 11 ff. 28 Im Entwurf eines Staatsvertrages der Länder über Mediendienste (Stand: 15.05.1996) werden diese neuen Möglichkeiten unter dem Oberbegriff "Mediendienste" zusammengefaßt (§ lAbs. 1) und des näheren verschiedene Formen von Verteildiensten und Abrufdiensten unterschieden (§ lAbs. 2). 29 Grundsätzlich dazu bereits Herzog, in: MaunzfDürig, Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 209 ff., 222 ff.

30 Nach § 2 Abs. I RfStV ist "Rundfunk ... die für die Allgemeinheit bestirrunte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektrischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters. Der Begriff schließt Darbietungen ein, die verschlüsselt verbreitet werden oder gegen besonderes Entgelt empfangbar sind, sowie Fernsehtext. "

26

Annin Dittmann

verbundenen Rechtsfolgen zugeordnet werden können. 3 J Denn viele dieser Dienste zielen nicht auf die Herstellung eines allgemeinen Meinungsmarktes, sondern sind nahezu ausschließlich auf den Dienstleistungs- und Warenmarkt gerichtet. 32 Die neuen Informationstechnologien können auf längere Sicht den bis vor kurzem für den Rundfunk typischen Mangel an Übertragungskapazitäten beseitigen, ergänzen den klassischen Rundfunk um Dienste, die nicht mehr ohne weiteres und undifferenziert als Medien und Faktoren öffentlicher Meinungsbildung qualifiziert und überwiegend als "Kulturgut" eingestuft werden könnnen. Mit diesen Veränderungen entfallen aber zugleich auch tragende Gründe für den bisher hohen Grad an normativer Regulierung, der bisher für den Bereich der elektronischen Medien in Deutschland tyisch war und der durch hoheitliche Lizensierung, organisationsrechtliche Vorgaben und inhaltliche Anforderungen an die Veranstaltung von Rundfunk gekennzeichnet ist. 33 Es entfallen möglicherweise aber auch wesentliche Gründe dafür, die Kompetenz zur Regulierung der neuen Dienste allein in der "Kulturhoheit" der Länder zu sehen. Schon jetzt ist vorsichtig daran zu erinnern, daß das Bundesverfassungsgericht selbst in der "Sondersituation" des Jahres 1961 lediglich davon gesprochen hat, daß der Rundfunk, jedenfalls auch (also keineswegs nur) ein kulturelles Phänomen sei. 34

3 J Sowohl der Entwurf eines Staatsvertrags der Länder über Mediendienste (Fn. 28) wie auch das "Eckwerte-Papier" des Bundesministers ftlr Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (Fn. 7) nehmen die Mediendienste grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich des Rundfunkstaatsvertrages heraus und gehen vom Grundsatz der Zugangsfreiheit aus. Lediglich "wenn und soweit Mediendienste dem Rundfunk zuzuordnen sind, bedürfen Anbieter solcher Dienste einer Zulassung nach Landesrecht" (§ 19 Abs. 2 S. I Dritter Rundfunkänderungsstaatsvertrag). 32 So z.B. ausdrücklich der Rat ftlr Forschung, Technologie und Innovation (Fn. 4), S. 25 f. 33 Zusammenfassend etwa Herzog (Fn. 29); v. Mangoldt/KleiniStarck, GG, Art. 5 Rn. 71 fI 34 BVerfGE

12, S. 205 t1 (229).

Der Rundfunkbegriff im deutschen Recht

27

11. Rechtlicher Rahmen nach geltendem Recht Die positive Rechtsordnung hat auf diese Entwicklung neuer Informationstechnologien und potentieller neuer Dienste bisher nur sehr verhalten reagiert und noch keine eindeutige Antwort auf die letztlich entscheidende Frage gegeben, ob und inwieweit auch diese neuen Dienste in das Prokrustesbett rundfunkrechtlicher Regulierung zu zwängen oder eher den weitaus liberaleren Grundsätzen des Wirtschaftsrechts zu unterstellen sind. 3s 1. Bundesrechtliche und staatsvertragliehe Vorgaben

Eine speziell auf die neuen "Multimedia" - Dienste bezogene bundesrechtliche oder staatsvertragliche Regelung der Länder liegt bisher - mit Ausnahme der Sonderregelung fiir Btx36 - nicht vor. Das Feld der "Multimedia" - Dienste ist insoweit rechtlich noch nicht länderübergreifend bestellt. 37 2. Rechtsgrundlagen in Baden-Württemberg

Der baden-württembergische Landesgesetzgeber hat diese bisher bestehende Regelungslücke genutzt und mit dem Landesmediengesetz (LMedienG) den Rundfunk einerseits und die sog. "rundfunkähnlichen Kommunikationsdienste" andererseits jeweils unterschiedlichen Sonderregelungen unterworfen. 38

3S Zur frühzeitig einsetzenden Diskussion dieser Frage vgl. die Nachw. bei Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Art. 5 Rn. 117 ff.; von Münch, Art. 5 Rn. 38 b, in: v. Münch (Hrsg.), GG Bd. 1,3. Aufl 1985; Bullinger, Freiheit von Presse, Rundfunk, Film, in: lsenseelKirchhof(Hrsg.), HStR, Bd. VI, 1989, S. 142 Rn. 118 ff., 135 ff., 164 ff. 36 Bildschinntext-Staatsvertrag vom 31.08.1991, Text u.a. im bad.-württ. OBI. 1991, S. 745.

37 VgI. jetzt aber den Entwurf eines Staatsvertrags der Länder über Mediendienste (Fn. 28) sowie das "Eckpunkte-Papier" des Bundesministeriums filr Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (Fn. 7). 38 Die begritlliche Differenzierung erfolgt in § 1 LMedienG, die Sonderregelungen filr die rundfunkahnliche Kommunikation fmden sich in §§ 39 ff. LMedienG. - Diese Differenzierung lag bereits dem LMedienG vom 16.12.1985 (GBI. S. 539) zugrunde und ist im wesentlichen unverändert in das novellierte LMedienO i.d.F. vom 17.03.1992 (GBI. S. 189) übernommen worden.

28

Annin Dittmann

In der begriffiichen Differenzierung des LMedienG zwischen Rundfunk und rundfunkähnlicher Kommunikation liegt bereits eine erste wesentliche Weichenstellung: Der baden-württembergische Gesetzgeber geht davon aus, daß die neuen Dienste nicht unterschiedslos als Rundfunk zu qualifizieren und dementsprechend rundfunkrechtlich zu reglementieren, sondern eigenständigen Regelungen zugänglich sind. 39 a) Der Regelungsansatz der LMedienG für die neuen Dienste Das LMedienG hat diesen grundsätzlichen Ansatz einer Unterscheidung von Rundfunk und rundfunkähnlicher Kommunikation weiter präzisiert, indem es - den Begriff der rundfunkähnlichen Kommunikation in Abgrenzung zum Rundfunk einerseits, zur Individualkommunikation andererseits allgemein definiert (§ 1 Abs. 2 LMedienG) und - insbesondere durch die ausdrückliche Zuordnung von "Sendungen auf Abruf' (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 LMedienG) und "Sendungen auf Zugrift" (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 LMedienG) - sowie mit der jeweils weiteren Unterscheidung von Ton- und Bewegtbilddiensten einerseits, Textbilddiensten andererseits (§ 2 Nr. 2 a und b LMedienG) näher konkretisiert, ohne dadurch allerdings den Kreis denkbarer neuer Dienste abschließend zu umschreiben. Durch die ausdrückliche Erwähnung "anderer rundfunkähnlicher Kommunikationsdienste" (§ 39 Abs. 2 LMedienG) und eine Erprobungsklausel für neuartige Rundfunkübertragungstechnik sowie neuartige Nutzungsformen (§ 8 a LMedienG) hält das Gesetz die Möglichkeit offen, auf neue Entwicklungen einzelfallgerecht und flexibel reagieren zu können. 40 Der entscheidende Unterschied zwischen Rundfunk und rundfunkähnlicher Kommunikation wird vom LMedienG begriffiich darin gesehen, daß die vom Veranstalter angebotenen Dienste beim Rundfunk in einer vom Veranstalter

39 Zu den Motiven des Gesetzgebers vgl. Bullinger/Gödel, Landesmediengesetz Baden-Württemberg (LMedienG) - Kommentar -, 1986, § I.Rn. 1 tT.; Birkert, Landesmediengesetz Baden-Württemberg, 1993, § 1 Rn. 1. 40

So auch Birkert, (Fn. 39), § 1 Rn. 5.

Der Rtmdftmkbegriff im deutschen Recht

29

bestimmten prograrnmlichen Reihenfolge zum gleichzeitigen Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt sind, bei den rundfunkähnlichen Kommunikationsdiensten hingegen die vom Veranstalter vorgehaltenen Darbietungen erst auf Anforderung (und nach Wahl) des Teilnehmers zu einem individuell bestimmten Zeitpunkt übermittelt werden. 41 b) Die Zuordnung von "Multimedia - Diensten" zu Rundfunk und rundfunkähnlicher Kommunikation i.S.d. MedienG Vor dem Hintergrund dieser normativen Begriffsbestimmungen des LMedienG sind die potentiellen Multimedia - Dienste teilweise dem Rundfunk und teilweise der rundfunkähnlichen Kommunikation zuzurechnen. 42 Als Rundfunk sind in diesem Sinne z.B. einzustufen pay - TV und pay per view,43 als rundfunkähnliche Kommunikation demgegenüber video on demand (als Abrufdienst), near video on demand (als Zugriffsdienst) und sonstige 1nformationsdienste. 44 c) "Multimedia" -relevante Regelungen des LMedienG Nach der Systematik des LMedienG unterliegen Rundfunk und rundfunkähnliche Kommunikation zum Teil gemeinsamen,45 im übrigen aber recht un-

41 Zu diesem wesensmäßigen Unterschied BuliingerlGtJdel, (Fn. 39), § 1 Rn. 7 f. 42 Von einer ähnlichen Differenzierung geht auch der 3. Rtmdfimkänderungsstaats-

vertrag aus, wenn es in § 19 Abs. 2 RfStV künftig heißen soll: "Wenn tmd soweit Mediendienste dem Rtmdftmk zuzuordnen sind, bedürfen Anbieter solcher Dienste einer Zulasstmg nach Landesrecht." Kriterien ft1r eine derartige Zuordntmg werden allerdings nicht genannt.

43 In diesem Sinne bereits der Rtmdftmkbegriff des § 2 RfStV tmd ihm folgend die Rtmdftmkgesetze der Länder, z.B. § 2 b.-w. LMedienG. 44 Ähnlich die Differenzierung in der "Negativliste" der Btmdesländer zum Rtmdftmkbegriff (Fn. 11) wie auch - unter dem Begriff der Mediendienste - der Entwurf eines Staatsvertrags der Länder über Mediendienste (Fn. 28), § 1 Abs. 2.

45 Gemeinsame Vorgaben des LMedienG beziehen sich z.B. auf: - das Kapazitätsziel freier Verbreitung und freien Empfangs ( § 3 Abs. I), - die Verpflichtung der Landesregierung, auf einen Kapazitätsausbau hinzuwirken (§ 3 Abs. 2, § 4),

30

Annin Dittrnann

terschiedlichen Regulierungen, die - insgesamt gesehen - für die rundfunkähnliche Kommunikation eine geringere Regulierungsdichte aufweisen und bei der im "Idealfall" an die Stelle der aufwendigen rundfunkrechtlichen Zulassung lediglich eine dem Gewerberecht nachempfundene medienrechtliche Anzeigepflicht tritt. 46

3. Die "Philosophie" des IMedienG Trotz dieses vergleichsweise neuartigen Ansatzes ist unverkennbar, daß der baden-württembergische Landesgesetzgeber die der rundfunkähnlichen Kommunikation zuzuordnenden neuen Dienste noch weitgehend durch die rundfunkrechtlich getönte Brille betrachtet. Diese Sichtweise mag - im Hinblick auf die Regelungsambitionen des Bundes - kompetenztaktisch verständlich sein; verfassungsrechtlich geboten ist sie m.E. nicht. Auch das LMedienG selbst läßt durchaus bereits eine Emanzipation der rundfunkähnlichen Kommunikation vom normativen Regelungsmodell des Rundfunks in Ansätzen erkennen. 47 Derartige Ansätze ergeben sich z.B. bei einem Blick auf diejenigen Normen des LMedienG, die den Zugang einzelner Dienste zum Netz regulieren. Dabei ist folgende "Philosophie" erkennbar: Die Regulierung ist umso dichter, je stärker der rundfunkähnliche Kommunikationsdienst seiner Ausgestaltung nach in "Rundfunknähe" steht und sie ist umso liberaler, je stärker der angebotene Dienst individualisierbar ist. Tragender Grund dieser unterschiedlich strengen Regulierung ist die Annahme,

- die inhaltliche Bindung der Veranstalter an bestimmte Programmgrundsätze (§§ 54 fI), - das Erfordernis, die Übertragungskapazitäten sowie ihre Verteilung zwischen den Landesrundfunkanstalten und privaten Veranstaltern durch Rechtsverordnung der LfK im Nutzungsplan (§§ 5 ff.) auszuweisen, - die Zuständigkeit der LfK zur Vorrangentscheidung bei Kapazitätsmangel (§§ 10,49 Abs. 3). 46 Die Bandbreite der Regulierung reicht von einer rundfunkrechtlich nachempfimdenen Zulassungspflicht filr sog. Ton- und Bewegtbilddienste auf Zugriff (§ 52) bis zur bloßen Anzeigepflicht von Textdiensten aufZugriff(§ 49) ..

47 Vgl. insbes. den speziell der rundfunkähnlichen Kommunikation gewidmeten 6. Abschnitt des LMedienG, §§ 39 ff.

Der Rundfunkbegriff im deutschen Recht

31

daß nicht alle rundfunkähnlichen Kommunikationsdienste in gleicher Weise und Intensität auf die öffentliche Meinungsbildung einwirken. 48 Im einzelnen fuhrt dieser Ansatz der LMedienG dazu, daß "near video on demand" als rundfunkähnlicher Kommunikationsdienst auf Zugriff einer besonderen Zulassung durch die LfK bedarf. 49 Diese Zulassung richtet sich hinsichtlich des Verfahrens der Ausschreibung, des Auswahlverfahrens, der subjektiven und sachlichen Zulassungsvoraussetzungen sowie der inhaltlichen Auswahlkriterien in vollem Umfang nach rundfunkrechtlichen Grundsätzen. Andererseits unterliegt die Veranstaltung von video on demand als rundfunkähnlicher Kommunikationsdienst auf Abruf lediglich einer Anzeigepflicht;50 gleiches gilt i.d.R. ftir Textdienste. 51 Möglichkeiten einer weiteren Emanzipation der rundfunkähnlichen Kommunikation von rundfunkrechtlicher Regulierung eröffnet das LMedienG durch eine begrenzte "Experimentierklausel" fur andere rundfunkähnliche Kommunikationsdienste52 und durch eine generelle Erprobungsklausel ftir neuartige Rundfunkübertragungstechnik oder neuartige Nutzungsformen. 53 Insoweit ist das LMedienG flexibel und zukunftsoffen. 54 Mit diesem abgestuften Regulierungsmodell greift das LMedienG auf einen Differenzierungsgrund zurück, der den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 GG entspricht und der bereits an mehreren Stellen des Rundfunkstaatsvertrages und des LMedienG zur unterschiedlich intensiven Regulierung selbst von Rundfunkdiensten herangezogen wird, so z.B. dadurch, daß Vollprogramme und Spartenprogramme unterschiedlich strengen Regulierun-

48 So auch Bullinger/Gödel, (Fn. 39), § 34 Rn. 1 f. - Diese "Philosophie" liegt erkennbar auch den Differenzierungen der "Negativliste" der Bundesländer zum Rundfunkbegriff (Fn. 11) zugrunde: "Darüber hinaus wird empfohlen, daß Dienste, soweit sie aufgrund ihrer Ausgestaltung nur von geringem Einfluß auf die öffentliche Meinungsbildung sind und deutlich hinter dem herkömmlichen Rundfunk zurückbleiben, nicht in vollem Umfang den engeren rundfunkrechtlichen Regelungen unterliegen sollen;" so Abschnitt 11 Ziff. 2. 49

§ 52 LMedienG.

50 § 51 LMedienG. 51 § 49 LMedienG. 52 § 39 Abs. 2 LMedienG. 53 § 8 a LMedienG eingefilgt durch Art. 2 Ges. vom 14.12.1995 (GBl. S. 859). 54 Dazu

bereits Bullinger/Gödel, (Fn. 39), § 33 Rn. 2.

32

Annin Dittmann

gen unterworfen werden. 55 Dieser Ansatz ist rur eine differenzierte Regulierung von lediglich rundfunkähnlichen Kommunikationsdiensten konsequent fortzuschreiben. 56 .

III. Die Notwendigkeit einer "rundfunkrechtlichen Relevanztheorie" 1. Ausgangspunkt: Die besondere "Wirkungsmacht" audio-visueller Kommunikation Die Konkretisierung und normative Umsetzung einer "Philosophie", die die Regulierungsdichte fiir Rundfunkdienste und rundfunkähnliche Kornrnunikationsdienste nach ihrer jeweiligen "Wirkungsmächtigkeit" fiir die öffentliche Meinungsbildung bestimmt, erfordert die Entwicklung einer "rundfunkrechtlichen Relevanztheorie". Deren Ausgangspunkt kann weiterhin die vorn Bundesverfassungsgericht im l. Femsehurteil des Jahres 1961 umschriebene besondere Wirkungsrnacht des Rundfunks - zurnal in der Verbindung von Bild und Ton - sein. 57 Sie hat

55 Vgl. etwa im RfStV die unterschiedlich intensive Regulienmg von Vollprogramm und Spartenprogramm (§§ 20,21), die unterschiedliche Gewichtung von Programmen im Hinblick auf die öffentliche Meinungsbildung (§ 20 Abs. 4) sowie im LMedienG die Regelungen in § lAbs. 4 (Anstaltsrundfunk), § 5 Abs. 4 (Bagatellrundfunk) sowie § 22 Abs. 4 (Drittel-Überstrahlung). - Vgl. auch die ausdrückliche Bezugnahme auf das unterschiedlich starke Maß der Beeinflussung der Meinungsbildung als Kriterium für die Intensität der nonnativen Regulienmgen von Rundfunkprogrammen durch BVerfGE 73, S. llg ff. (202). 56 Ähnliche Ansätze einer verfassungsrechtlich begrUndeten Abstufung der Regulierungsdichte z.B. bereits bei Bullinger, (Fn. 35), Rn. 135 ff.; Gersdoif, Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff im Lichte der Digitalisierung der Telekommunikation" 1995, S. 92 ff.; PieperlWiechmann; (Fn. 17), S. 93 ff.; Stammler, (Fn. 17), S. 107 sowie - zurückhaltend - Eberle; (Fn. 17), S. 255.

57 BVerfGE 12, S. 205 ff. (260 f.); daran anknüpfend auch Oppermann. Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 495, der dem Rundfunk einen tatsächlichen Primat unter den modemen technischen Massenkommunikationsmitteln unter dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Ansprechbarkeit der Bevölkerung zuerkennt und der im Rundfunk kraft seiner technischen Beschaffenheit die objektiv angelegte Möglichkeit sieht, Macht über den Geist und die Anschauungen der Bürger auszuüben. Ähnlich auch noch Starck, 'Grundversorgung' und Rundfunkfreiheit, NJW 1992, S. 3257 ff. (3263). Zur mittlerweile differenzierten Sicht der Medienwirkungsforschung vgl. aber grund-

Der Rundfunkbegriff im deutschen Recht

33

jedoch andererseits auch die rechtstatsächlichen Veränderungen zu berücksichtigen, die sich durch eine Vervielfachung der Veranstalter von Rundfunk: und rundfunkähnlicher Kommunikation ergeben und die - nicht zuletzt - zu einer stärkeren Individualisierung der Nutzung audio-visueller Medien fUhren und damit zu einer geringeren Breitenwirkung des einzelnen Programms oder Dienstes. 58 In ihrer Bedeutung als Faktoren der öffentlichen Meinungsbildung sind etwa das WF und RTL einerseits, VIVA, Wetter - und - Reise - TV oder sonstige special - interest ... Programme andererseits unvergleichbare Größen, 59 deren medienrechtliche Regulierung auch unter Aspekten des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes und rechtsstaatlicher Verhältnismäßigkeit differenziert ausfallen muß. 6O So sehr man auch Goethe beipflichten mag, wenn er in den Zahmen Xenien schreibt, 61 "Dummes Zeug kann man viel reden, kann es auch schreiben, wird weder Leib noch Seele töten, es wird alles beim alten bleiben. Dummes aber, vors Auge gestellt, hat ein magisches Recht: Weil es die Sinne gefesselt hält, bleibt der Geist ein Knecht."

so wenig wird diese pauschale Aussage dem mittlerweile höchst differenzierten Angebot audio - visueller Dienste heute gerecht.

legend Schenk, Medienwirkungsforschung, 1987, insbes. S. 305 ff.; FriedrichslLepsiuslNeidhardt (Hrsg.), Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen, Kölner Zeitschrift ftlr Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 34/1994, 1994; Kiefer, Massenkommunikation 1995, Media-Perspektiven 5/96, S. 234 ff. 58 In diesem Sinne auch Bullinger, (Fn. 35), Rn. 135 fI; Stammler, (Fn. 17), S. 107. - Skeptisch gegenüber diesem Ansatz Gersdorf, Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff im Lichte der Digitalisierung der Telekommunikation, 1995, S. 153 fI und wohl auch Pieper/Wiechmann, (Fn. 17), S. 93 fI, die ihrem abgestuften Regulierungsmodell nicht die unterschiedliche Publizitätswirkung zugrundelegen, sondern in erster Linie von der Schutzbedürftigkeit der Nutzer der neuen Dienste ausgehen wollen.

59 Dies gilt zumindest dann und insoweit, als es sich um jeweils selbständige Programmanbieter handelt. 60 Dieser Aspekt wird immer dringender, je mehr die herkömmliche institutionelle Garantie der Rundfunkfreiheit in die grundrechtliche "Normallage" einer - auch erwerbswirtschaftlich nutzbaren - Individualgarantie überführt wird und dadurch der Eingriffscharakter normativer Regulierungen viel stärker in das Bewußtsein tritt. - Dazu bereits Bullinger (Fn. 35), Rn. 118 ff., 164 ff. sowie auch Pieper/Wiechmann, (Fn. 17), S. 93. 61 von Goethe, Zahme Xenien II, Artemis-Gedankenausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, 1948 ff., Bd. I, S. 617 - u.a. zitiert bei Starck, (Fn. 57), S. 3263; Pieper/Wiechmann, (Fn. 17), S. 88. 3 Ditunann u. a.

34

Annin Dittmann

Es ist gewiß eine schwierige, aber - wie ich meine - lösbare Aufgabe, anhand einer "Relevanztheorie" hinreichend konkrete Kriterien für ein System abgestufter Regulierungen einzelner audio-visueller Programme und Dienste zu entwickeln.

2. Ansatze einer differenzierten Sicht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Sicher ist es richtig, wenn das Bundesverfassungsgericht im 1. Fernsehurteil darauf hinweist, daß sich die Wirkung des Rundfunks als Faktor der öffentlichen Meinungsbildung nicht auf Nachrichtensendungen, politische Kommentare und Sendereihen über politische Probleme der Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft beschränkt, sondern Meinungsbildung auch in anderen Programmteilen bis hin zur reinen Unterhaltung erfolgen kann. 62 Aber das Bundesverfassungsgericht hat an keiner Stelle davon gesprochen, daß dies in allen Fällen mit jeweils gleicher meinungsbildender Intensität erfolgt. Angesichts einer Rundfunklandschaft des Jahres 1961, für die das Vollprogramm charakteristisch war, bestand zu einer differenzierenden Betrachtungsweise insoweit auch kein Anlaß. 63 In späteren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht dann auch durchaus zugestanden, daß Rundfunkprogramme in unterschiedlicher Intensität die Meinungsbildung beeinflussen können und z.B. für die Verbreitung von Programmen ausländischer Veranstalter - geringere rundfunkrechtliche Anforderungen akzeptiert. 64 Die dogmatischen Schwierigkeiten, der rundfunkrechtlichen Relevanztheorie hinreichend bestimmte und administrativ brauchbare Konturen zu verleihen sind sicher nicht gering,65 aber wohl kaum größer, als die Schwierigkeiten, die die praktische Umsetzung z.B. der IWesentlichkeitstheorie",66 der

62

BVerfGE 12,

s. 205 tT. (260).

63 Zur zwischenzeitlichen EntwicklWlg vom Vollprogramm zu Sparten- Wld Abrufprogrammen sowie den damit verbWldenen fWldfunkrechtlichen Konsequenzen Bullinger, (Fn. 35), Rn. 135 tT. 64

Vgl. BVerfGE 73, S. 118 tT. (202); 83, S. 238 tT. (302).

65 Dazu Gersdorf, Der verfassWlgsrechtliche RWldfunkbegritT im Lichte der DigitalisiefWlg der Telekommunikation, 1995, S. 153 tT. 66 Dazu näher etwa Ossenbuhl, Vorrang Wld Vorbehalt des Gesetzes, in: IsenseelKirchhof(Hrsg.), HStR, Bd. m, 1988, § 62 Rn. 41 tT., insbes. Rn. 44 tT.

Der Rundfunkbegriff im deutschen Recht

35

"Wechselwirkungslehre"67 oder der bundesverfassungsgerichtlichen Fonnel zur Sozialbindung des Eigentums bereitet, nach der die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums um so weiter reicht, je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und einer sozialen Funktion steht. 68 Derartige "Gleitklauseln" entbehren zwar einer gewissen Griffigkeit, die im Interesse von Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit wünschenswert wäre. Andererseits bewahren sie die Rechtsordnung vor allzu früher Erstarrung und sind daher vor allem fiir solche Sachbereiche von Nutzen, deren weitere rechtstatsächliche Entwicklung noch nicht eindeutig prognostiziert werden kann. Der Bereich der sog. multimedialen Dienste aber dürfte zu den Bereichen gehören, fiir die in den nächsten Jahren eine besondere Änderungsdynarnik zu erwarten ist. 69

3. Die nur relative Bedeutung des "Rundfunkbegriffs"for die rechtliche Ordnung audio - visueller Medien Die Entwicklung und Anwendung einer rundfunkrechtlichen Relevanztheorie könnte überdies dazu beitragen, die nahezu schon ideologisch verfestigte Diskussion um den Rundfunkbegriff zu entmythologisieren. Denn fiir die Beantwortung der politisch wie verfassungsrechtlich gleichennaßen wesentlichen Fragen nach der Regelungskompetenz und der Regelungsdichte ist letztlich nicht entscheidend, ob die neuen Dienste definitorisch dem Rundfunkbegriff zugeschlagen oder terminologisch von ihm abgesetzt werden. Denn weder ist Rundfunk per definitionem ausschließlich Ländersache, 70 noch stehen rundfunkähnliche Kommunikationsdienste von vornherein außerhalb jeglicher rundfunkrechtlicher Reglementierung. 67 Zur Problematik etwa Kriele, Grundrechte und demokratischer Gestaltungsspielraum, in: IsenseelKirchhof(Hrsg.), HStR, Bd. V, 1992, § 110 Rn. 20; Schmidt-Jortzig, Meinungs- und Informationsfreiheit, in: IsenseelKirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 1989, § 141 Rn. 42. 68 Zur Problematik dieser Formel etwa Leisner, Eigentum, in: IsenseelKirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 1989, § 149 Rn. 161 ff. 69 So die Einschätzung des Technologierates (Fn. 4), S. 21. 70 Vgl. die verfassungsrechtlich unstreitige Existenz von dereinst zwei Rundfunkanstalten des Bundes (Deutsche Welle, Deutschlandfunk) - dazu Dittmann, Die Bundesverwaltung, 1983, S. 145 ff. 3*

Annin Dittmann

36

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach darauf hingewiesen, daß die aus Art. 5 Abs. I S. 2 GG einstmals fiir den (klassischen) Rundfunk abgeleiteten strengen Vorgaben auch fiir die rundfunkähnlichen Kommunikationsdienste gelten, soweit diese als Faktor und Medium auf die öffentliche Meinungsbildung einwirken. 71 - M.a.W.: Die neue Technik allein ist fiir das Bundesverfassungsgericht kein hinreichender Grund, diese neuen Dienste aus der rundfunkrechtlichen Regulierung zu entlassen. 72 Vielmehr kommt es - entsprechend der Relevanztheorie - darauf an, ob und inwieweit diese neuen Dienste von ihrem Inhalt her geeignet sind, die freie umfassende und wahrheitsgemäße öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen. a) Die Bandbreite gesetzlicher Regulierung multimedialer Dienste - zwischen rundfunkrechtlicher Stringenz und marktwirtschaftlicher Öffnung Für die gesetzliche Regulierung der neuen Dienste bedeutet dies, daß der Gesetzgeber in der normativen Ausgestaltung umso freier ist, je weniger die neuen Dienste inhaltlichen Einfluß auf die öffentliche Meinungsbildung haben und daß er andererseits gehalten ist, die neuen Dienste einer strikten rundfunkrechtlichen Regulierung dann zu unterwerfen, wenn sie - ähnlich dem Rundfunk - inhaltlich wesentlich auf die öffentliche Meinungsbildung einwirken. 73 Entsprechend ihrer jeweiligen inhaltlichen Ausrichtung ist damit der Weg der neuen Dienste in eine eher wettbewerblieh - marktwirtschaftlieh geordnete Zukunft unter dem Schutzschild grundrechtlieh gesicherter Unternehmensfreiheiten oder in das Prokrustesbett rundfunkrechtlicher Regulierung im Lichte der sog. "dienenden" Freiheit des Art. 5 Abs. I GG74 vorgezeichnet. Es ist mithin eine wesentliche Aufgabe des Gesetzgebers, die Rechtsgrundlagen fiir den Einsatz neuer Dienste so zu gestalten, daß - bei aller verfassungsrechtlich gebotenen rundfunkrechtlichen Regulierung - hinreichender ökonomischer Anreiz verbleibt, sich in diesen neuen Diensten finanziell und

71 Vgl. BVerfGE 74, S. 297 ff. (350 ff. mit RückverweislUlg auf S. 323 ff.) u. E 83, S. 238 ff. (302). 72

BVerfGE 74, S. 297 ff. (324).

73 Dieser Linie folgt erkennbar auch die "Negativliste" der Bundesländer zwn Rundfunkbegriff (Fn. 11). 74 Dazu BVerfGE 57, S. 295 ff. (320); v. Mangoldt/KleiniStarck, GG, Art. 5 Rn. 74 u. zuletzt Kuli, Dienende Freiheit - dienstbare Medien?, in: FS Lerche, 1993, S. 663 ff.

Der RundfunkbegritT im deutschen Recht

37

untemehmerisch zu engagieren. Anders ausgedrückt: Die neuen Dienste werden nur dann die in sie gesetzten ökonomischen Hoffnungen erfüllen, wenn sich ihre rechtliche Ausgestaltung stärker an den marktwirtschaftlich ausgerichteten Grundrechten der Unternehmensfreiheit (Art. 12, 2 GG), der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) und der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) orientiert und die Veranstaltung neuer Dienste nicht - wie der Rundfunk - in erster Linie in einer dienenden Funktion zugunsten der Allgemeinheit gesehen wird. Denn aus dem Verständnis der Rundfunkfreiheit als einer dienenden Freiheit ergeben sich für potentielle Veranstalter Restriktionen des Zugangs, organisationsrechtliche und programmliche Vorgaben sowie - vor allem - ein nur geminderter Bestandsschutz für getätigte Investitionen75 - sämtlich Konsequenzen, die allgemein nicht gerade ein investitions- und innovationsfreundliches Klima begünstigen.

b) Zur Frage der Regelungskompetenz für Rundfunk, rundfunkähnliche Kommunikation und sonstige multimediale Dienste Es wäre nun - zum Abschluß meiner Überlegungen - eine überaus reizvolle Aufgabe, die anfänglich angedeutete Kompetenzproblematik wieder aufzugreifen und die rundfunkrechtliche Relevanztheorie daraufhin zu befragen, ob sich ihr vielleicht auch Hinweise dafür entnehmen ließen, ob und inwieweit der

75 Stehen nicht genügend Übertragungskapazitäten zur Verfilgung, um allen Antragstellern eine Verbreitung ihrer Programme zu ermöglichen, so hat in Baden-Württemberg die LfK demjenigen Antragsteller den Vorrang einzuräumen, dessen Programm am ehesten die Programmvielfalt fördert (§ 10 Abs. 2 LMedienG) bzw. die größere Meinungsvielfalt erwarten läßt (§ 21 Abs. 3 LMedienG). Nach Ablauf einer Lizenzperiode haben die bisherigen Lizenzinhaber daher nur einen sehr beschränkten Vorrang bei der Neulizensierung (vgl. § 21 Abs. 3 S. 2 LMedienG); der i.S.v. Programm- bzw. Meinungsvielfalt "bessere" Neubewerber hat grundsätzlich Vorrang vor dem bisherigen Lizenzinhaber. - Älmlich ist die Rechtslage bei Vorrangentscheidungen zur Kabelbelegung (§ 10 Abs. 2 LMedienG): Nach der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg überwiegt das ötTentliche Interesse an einer dynamischen Optimierung der Programmvielfalt das private Interesse eines Veranstalters herangeftlhrter Programme an der dauerhaften Gewährleistung des eingeräumten Platzes im Übertragungskontingent(Beschluß vom 15.11.1993, Az.: 10 S 2330/93, S. 5 f.).

Speziell zur Frage des Bestandsschutzes unter dem LMedienG demnächst Kirschnek, Landesmediengesetz Baden-Württemberg. Verfassungsrechtliche Grundprinzipien und Probleme, Diss. Tübingen 1996 (Manuskript, S. 254 fI).

38

Annin Dittmann

Bund bzw. die Länder zur gesetzlichen Regelung von Rundfunk, rundfunkähnlicher Kommunikation und sonstiger multimedialer Dienste befugt sind. Ich muß es an dieser Stelle bei einigen wenigen Andeutungen bewenden lassen. Bis heute ist es allenthalben üblich, eine Zuständigkeit der Länder für den "Rundfunk" unter Hinweis darauf zu reklamieren, daß der Rundfunk ein kulturelles Phänomen76 sei, das - nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes - in die Regelungskompetenz der Länder77 falle. Vor diesem Hintergrund sind Bemühungen verständlich, den Rundfunkbegriff in Zeiten des multimedialen Wandels weit zu fassen, um damit die Regelungskompetenz der Länder nicht auf dem status quo überkommener Rundfunkdienste einzufrieren sowie - en passent - auch den Aufgabenbereich der Rundfunkanstalten und der Landesmedienanstalten auszuweiten. Der in diesem Zusammenhang übliche Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verschweigt jedoch häufig, daß das Bundesverfassungsgericht bereits im l. Femsehurteil den Rundfunk lediglich auch78 als ein kulturelles Phänomen eingestuft und nicht ausgeschlossen hat, daß das kulturelle Element durch andere prägende Faktoren überlagert sein kann, die ausweislich der grundgesetzlichen Kompetenzordnung eine Zuständigkeit des Bundes begründen. 79 Der Hinweis auf den seinerzeitigen "Deutschlandfunk" und die "Deutsche Welle" als Rundfunkanstalten des Bundes80 mag als Beleg dafür genügen, daß selbst eindeutig dem kulturellen Bereich zuzurechender Rundfunk nicht zwangsläufig ausschließlicher Landeskompetenz unterfallen muß.

76 Vgl. etwa Oppermann, (Fn. 57), S. 512 f. lUld zusammenfassend Grimm, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, WdStRL 42 (1984), S. 46 tT. (68 tT.). Steiner, Kulturpflege, in: IsenseelKirchhof(Hrsg.), HStR, Bd. m, 1988, § 86 Rn. 24.

77 Herrmann, 78

RlUldfunkrecht, 1994, S. 151.

BVerfGE 12, S. 205 tT. (229).

79 Zur typischen kompetenziellen Gemengelage im RlUldfunkrecht - lUlter Einschluß der europarechtlichen Dimension - vgl. etwa Hoffmann-Riem, ÖtTentliches Wirtschaftsrecht der Kommlll1ikation lUld der Medien, in: R. Schmidt (Hrsg.) ÖtTentliches Wirtschaftsrecht, BT Teil 1, 1995, § 6 Rn. 28 tT.; Stammler, (Fn. 17), S. 112 tT.; ferner Pieper, Medienrecht im SpannlUlgsfe1d von 'Broadcasting lUld Multimedia', ZUM 1995, S. 552 fI 80

Vgl. Fn. 70.

Der RundfunkbegrifT im deutschen Recht

39

Bei vielen multimedialen Diensten aber dürfte es schwerfallen, selbst bei einem großzügigem Kultwverständnis, den kulturellen Aspekt als prägend auszumachen und dem erwerbswirtschaftlich - wettbewerblichen Element dieser Dienste nur eine unmaßgebliche Bedeutung zuzuweisen. Damit aber geraten zumindest auch die wirtschaftsrechtlichen Kompetenzvorschriften zugunsten des Bundes in den Blick81 und es erscheint mir verfassungsrechtlich keineswegs ausgemacht, daß bei derartigen kompetenziellen Gemengelagen - wie gelegentlich vorgeschlagen wird 82 - stets von einem Vorrang der landesrechtlichen Mediengesetzgebung auszugehen ist. Inwieweit der Bund sich zur Begründung seiner potentiellen Regelungszuständigkeit flankierend auf die in dieser Sache eindeutig wirtschaftsrechtliche Betrachtungsweise der EU abzustützen vermag, sei - mit Blick auf den Beitrag von Herrn Classen zur europarechtlichen Dimension unseres Themas - nur angedeutet. Dennoch: Solange der Bund von seiner potentiellen Gesetzgebungszuständigkeit in Sachen "Neue Medien" noch keinen Gebrauch gemacht hat, können die Länder ihre Chance zu einer Regelung der rechtlichen Rahmenbedingungen fiir diesen Bereich nutzen - ganz im Sinne bundesstaatlicher Subsidiarität und als Zeichen dafür, daß die seit kunem verschärften Aufgreifkriterien des Art. 72 GG fiir eine Zuständigkeit des Bundes im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nicht lediglich verfassungsrechtliche Kosmetik waren. 83 Der bundesrechtliche Zugriff dürfte aber nur dann erfolgreich abgewehrt werden, wenn den Ländern rasch ein länderübergreifend einheitlicher Ordnungsrahmen gelingt. Jeweils länderspezifische und miteinander nicht kompatible Regelungen der neuen Dienste wären nicht nur - wie schon beim privaten Rundfunk - ein bundesstaatliches Ärgernis, sondern enthielten neben ihren innovations- und investitionshemmenden Konsequenzen vor allem auch eine Einladung an den Bund, sich dieser Materie anstelle der Länder anzunehmen und bundesrechtlich zu regeln. 81 In diesem Sinne bereits Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee/Kirchhof(Hrsg.), HStR, Bd. IV, 1990, § 100 Rn. 94 f.; Hoffmann-Riem, (Fn. 79), Rn. 31 fT. - Dezidiert in diese Richtung jetzt das 'Eckwerte-Papier' des Bundesministeriums filr Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (Fn. 7).

82

So Ho.fJmann-Riem, (Fn. 79), Rn. 32.

83 Zu Intention und nonnativem Gehalt dieser Verschärfung vgl. etwa Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, 1996, Art. 72 Rn. 10 ff.; Dittmann, Föderalismus in Gesamtdeutschland, in: lsensee/Kirchhof(Hrsg.), HStR, Bd. IX, § 205 Rn. 19 (demnächst).

Armin Dittmann

40

Speziell dem Land Baden-Württemberg sollte es nicht schwerfallen, unter Hinweis auf die "Philosophie" und differenzierte Regelung seines LMedienG einen Ordnungsrahmen vorzuschlagen, der die notwendige Balance zwischen weiterhin verfassungsrechtlich gebotener Regulierung und ökonomisch sinnvoller Liberalisierung der neuen Medien wahrt. Und schließlich dürfte bei diesem Plädoyer für eine Initiative der Länder die Hoffnung nicht ganz unbegründet sein, daß bei der anstehenden Regelung die Länder eher ein Garant dafür sind, daß auch in Zeiten des multimedialen Wandels und einer stärkeren Ökonomisierung der audio-visuellen Medien, Rundfunk und rundfunkähnliche Kommunikation weiterhin zumindest auch als "Kulturgüter" verstanden werden, die zwar staatlicher Reglementierung nur bedingt zugänglich sind, aber andererseits doch auch - ganz im Sinne unseres heutigen Jubilars - behutsamer staatlicher Pflege bedürfen. 84

84

Vgl. dazu Oppermann, (Fn. 57), S. l.

Der RundfunkbegrifT in anderen Ländern Von Jörg Rüggeberg*

Als die freundliche Einladung kam, hier zu referieren, muß ich wohl alle Alarmglocken überhört haben, die ich nicht hätte überhören dürfen. I Es waren die Verehrung und der Respekt für Sie, Herr Prof. Oppermann, die ich empfunden habe, und die Ehre, hier eingeladen zu sein, daß ich leichtsinnigerweise das komplexe Thema übernommen habe, Ihnen den Rundfunkbegriff in anderen Ländern darzustellen. "In anderen Ländern", das ist sehr summarisch, und Sie werden hoffentlich von mir keinen Ansatz zur Vollständigkeit erwarten. Unter uns hieß übrigens das Thema: "In anderen europäischen Ländern", also ich gehe nicht nach Indonesien, wenngleich auch das durchaus reizvoll wäre, nachdem vorhin schon einmal angedeutet wurde, daß der Sitz völlig egal ist, wenn man nur die richtigen Übertragungswege hat; man kann heutzutage jeden Platz von überall her erreichen. Meine Skrupel, die ich diesem weitgesteckten Thema gegenüber empfunden habe, hingen damit zusammen und das bestätigt sich auch -, daß ich den Eindruck hatte, hier sei eine typisch deutsche Thematik angesprochen, die sich so in anderen Ländern nicht wiederfindet. Das bedeutet nicht, daß man nicht Respekt in anderen Ländern gegenüber der wissenschaftlichen Durchdringung und der intensiven Behandlung des Rundfunkbegriffs in Deutschland hat, aber man sieht die Problematik anderenorts nicht so. Prof. Dittmann hat im Grunde schon deutlich gemacht, womit das zusammenhängt. Ich will es in meinem Kontext auch noch einmal kurz skizzieren dürfen, wo diese Spezifika liegen, die sich so in anderen Ländern einfach nicht wiederfinden können: Es ist zum einen die Fülle der Gesetze und Staatsverträge, die in Bund und Ländern hier einschlägig bestehen, unterschiedlicher Art für öffentlich-recht• Vizepräsident des deutsch-französischen Fernsehsenders ARTE, Straßburg. I Die Vortragsfonn wurde beibehalten und nur in wenigen Fußnotenhinweisen um Angaben gesetzlicher FundsteIlen ergänzt.

42

Jörg Rüggeberg

lichen Rundfunk, für privaten Rundfunk, für Nicht-Rundfunk. Weit wichtiger ist aber, daß wir einen verfassungsrechtlich vorgeprägten Rundfunkbegriff haben. Ist etwas Rundfunk im definitorischen Sinne, so gilt von vornherein ein großer dogmatischer Überbau, ein ganzer Regelungsrahmen automatisch von Verfassungs wegen. Dazu gehören ganz spezifische Ausprägungen, Begriffe wie die Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Sektor, die Sicherstellung von Grundversorgung, ein Mindestmaß an Pluralität u.v.a.m. Hält man etwa "video-on-demand" für Rundfunk, muß dann die Grundversorgung auch insoweit gewährleistet werden? Aus dem verfassungsrechtlichen Begriff leiten wir zugleich die Kompetenzen von Rundfunkanstalten ab, etwa zur sog. Randnutzung und die Unsicherheit, wie weit sie gehen darf. Unmittelbar aus der Verfassung leiten wir das Verbot ab, in Deutschland Programme von Staats wegen gewissermaßen vorzugeben oder einen numerus clausus von Programmen zu schaffen, was z.B. im benachbarten Frankreich überhaupt kein Problem wäre. Und vieles mehr. Dies sind alles Dinge, die hierzulande nicht zur Disposition des sogenannten "einfachen Gesetzgebers" stehen. Ich würde im Ausland nirgends wagen, für diesen Begriff des "einfachen Gesetzgebers" aufzutreten (das ist nicht der Verfassungsgesetzgeber). Das Wort würde irritieren, wenn man es in andere Sprachen übersetzen müßte. Wir haben des weiteren natürlich eine Belastung unserer Debatte über den Rundfunkbegriff durch die gesetzlichen Regelungskompetenzen zwischen Bund und Ländern und durch den Kompetenzanspruch der Landesmedienanstalten. Dieser ist deshalb so problematisch, weil es in Deutschland gleich 15 an Zahl sind. Landesmedienbehörden mit großen Regelungszuständigkeiten gibt es in England (ITC), in Frankreich (CSA), denen sehr viel an Kompetenz übertragen wird, ziemlich zwanglos. Nur, es sind dort national einmal vorhandene staatsunabhängige große Einrichtungen. Hier besteht dagegen das Problem der 15, was von vornherein Schrecken auslöst, zusätzliche Regelungszuständigkeiten den Landesmedienstalten zuzugestehen, die aber automatisch gegeben wären, wenn wir einen neuen Dienst als "Rundfunk" deklarieren. Wir haben auch eine Dogmatisierung und rechtswissenschaftliche Durchdringung des Rundfunkbegriffs und des Rundfunkrechts in Deutschland, die neidvoll anderswo gesehen wird und sicher ihresgleichen sucht. Wir haben schließlich, auch das noch ein deutsches Spezifikum, verfassungsrechtliche Vorbehalte gegenüber der Zuständigkeit der Europäischen Union, die Dinge auf europäischem Level zu regeln. Auch das ist etwas, was man anderswo so nicht sieht.

Der RWldfunkbegriff in anderen Ländern

43

Der zweite Aspekt der Besonderheiten der deutschen Situation liegt im technischen Bereich. Man sollte nicht den Eindruck vermitteln, Deutschland sei hier schon irgendwo in Rückstand geraten. Das kann man gegenwärtig international sicher nicht feststellen. In Frankreich z.B. herrscht die große Sorge vor, daß die Infrastruktur in Deutschland in einer Weise vorangeschritten sei, daß das auf die auseinanderdriftende Wirtschaftskraft zwischen Frankreich und Deutschland außerordentlich nachteilig :für Frankreich zurückwirken könne. Wenn nach Informationsgesellschaften gerufen wird, würde ich sagen, die haben wir bereits in Deutschland zum großen Teil. Wenn Al Gore information-high-ways fordert, geben sich wenige Rechenschaft, wie weit solche inforrnation-high-ways in Deutschland längst entwickelt sind. Die Telekom hat relativ stillschweigend und unauffällig und mit großer Investitionskraft technische Systeme vorangetrieben, die im Grunde auch deshalb die Diskussion vornehmlich zu einer deutschen Diskussion machen. Die Startvoraussetzungenfür neue Dienste aller Art sind in Deutschland weit stärker entwickelt als in vielen anderen Ländern. Dies als Vorbemerkung. Nun, die Lage in anderen Ländern darzustellen - und das in 25 Minuten zwingt mich zu irgendeiner Beschränkung. Dazu zwingt mich aber auch, daß kaum Material vorhanden ist. Es gibt keine synoptischen Darstellungen des RundfunkbegrifJs in Europa. Es gibt nicht einmal hinreichende Übersetzungen von Gesetzestexten in die Hauptsprachen Europas. Als ich hier mich entscheiden mußte zuzusagen, habe ich das getan im Vertrauen darauf, daß ich Hilfe finden würde. Ich selber bin nicht Wissenschaftler, ich bin nicht einmal mehr in einer juristischen Stellung tätig, ich habe keine Assistenten und keine Bibliotheken, muß schauen, wie ich zurechtkomme. Vertraut habe ich zunächst auf die Europäische Rundfunkunion, sie hat nichts. Dann habe ich vertraut auf das ObseIVatoire d'Audiovisuel in Straßburg beim Europarat, es hat (noch) nichts. Dann habe ich an das Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) gedacht, dessen Vorstand Prof. Dörr ich hier mit Freuden sehe. Die hatten auch nichts, haben aber, da wir dort Mitglied sind als ARTE, sich bemüht weil das Thema spannend war - etwas aufzubereiten, und das ist auch geschehen; mit einiger Zufälligkeit natürlich in der verfügbaren Zeit, über sieben europäische Länder hinweg. Darunter sind kleine und große, EU-Länder und Nicht-EU-Länder, nämlich Niederlande, Schweiz, Österreich, Finnland, Großbritannien, Luxemburg, Lettland und Frankreich. Darüber bin ich bereit, mich ausfragen zu lassen. Ich bin dem EMR sehr dankbar, daß es sich die Mühe gemacht hat, uns hier ein bißchen zu helfen.

44

Jörg Rüggeberg

Generelle systematische Schlußfolgerungen zu ziehen, bin ich nicht in der Lage. Der Strauß an Informationen ist schon bei dieser Länderauswahl zu bunt, und ich kann Ihnen in der verfügbaren Zeit auch nicht der Reihe nach Land :fiir Land darstellen und bin daher in einer gewissen Verlegenheit, die Sie mir bitte zugestehen mögen. Ich will das Wagnis eingehen, doch synthetisch heranzugehen. Ich werte nicht, ich versuche nur zu berichten und insofern zwei Fragestellungen im Querschnitt zu erfassen. Die erste Frage: Taucht der Begriff Rundfunk überhaupt auf, oder welche anderen Begriffe umschreiben den jeweiligen vergleichbaren Ordnungsrahmen? Die zweite Frage: Welche konkreten Abgrenzungen oder abgestuften Regelungen :fiir Rundfunkprogramme im engeren Sinne bzw. rundfunkähnliche oder völlig vom Rundfunk abgetrennte elektronische Dienste finden sich andernorts, also eine Art Bestandsuche. Zunächst zum Kernbegriff Rundfunk. Man sollte ja angesichts der vorhandenen Definition in der EU-Fernsehrichtlinie wenigstens im EU-Bereich davon ausgehen dürfen, daß der Rundfunkbegriff, so wie er in Deutschland völlig rezipiert wurde, auch in anderen Ländern so rezipiert ist. Schon das ist aber keineswegs so, wenn man nur die Gesetzestexte heranzieht. Und tut man das, stößt man auf ein weiteres Problem, nämlich das der Übersetzung, der Sprachenproblematik in Europa. Übersetzungen sind schon die erste Fehlerquelle. "Traduire, c'est trahir", habe ich als einen der ersten Sätze in Frankreich gelernt. Ob ein synonymer Begriff einen gleichen Inhalt hat oder ein gleicher Begriff je nach nationalem Kontext einen anderen Inhalt, ist auch :fiir den größten Text-Exegeten schon außerordentlich schwer auszumachen. "Broadcast" im Sinne des Begriffs in Großbritannien, ist das Rundfunk in unserem Sinne? Ist "communication audiovisuelle" in Frankreich identisch mit Rundfunk? Meint manche Regelung, die ausschließlich anknüpft an den Begriff des "Programms" (so ist das in der Schweiz und in Luxemburg) das gleiche wie unser Rundfunkbegriff? Indiziert die Ersetzung der herkömmlichen Begriffe in einem "Gesetz:fiir Fernsehen und Radio" durch den Begriff "Gesetz über die elektronischen Massenmedien" (so ist das in Lettland der Fall), daß bereits eine Ausdehnung auf neue Dienste erfolgt? Dafiir spricht bei näherer Betrachtung, daß es z.B. ausdrücklich "Computer-Fernsehen" unter die Regelung faßt. Was aber ist "Computer-Fernsehen"? Das zeigt, daß wir hier häufig darauf stoßen, daß Begriffe ersetzt werden durch neue Begriffe, - das ist wohl auch ein Teil unserer Diskussion - die scheinbar Erkenntnis erheischend alles auf einmal zu klären versuchen; in Wahrheit sind die neuen Begriffe dann freilich mindestens wieder genauso of-

Der RundfunkbegritT in anderen Ländern

45

fen wie die alten, die man ersetzt hat. Eines darf ich nach der ersten Übersicht vielleicht schon vorab gewissermaßen als These festhalten: Anders als in Deutschland mit seinem konstitutionell vorgeprägten Rundfunkbegriff ist er in anderen Ländern ein ganz und gar funktionaler Begriff für die Beschreibung des inhaltlichen Geltungsbereichs einer gesetzlichen Folgeregelung. Nicht anders geht ja auch die EU an diese Fragestellung heran. Wenn das Europäische Parlament sich mit seiner Entschließung zur Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen" vom vorvergangenen Tag (14.02.96) durchsetzt, dann geschieht ja Sensationelles: Aus einer bisher sehr ausdifferenzierten Neuregelungsabsicht der Kommission soll nach dem Husarenstreich des Parlaments folgende Formulierung übrigbleiben: "Rundfunk ist eine Abfolge bewegter und unbewegter Bilder mit oder ohne Ton"2. Das ist alles, damit zugleich aber in meinen Augen die extrem weiteste Formulierung, die ich für den Rundfunkbegriff bisher gesehen habe. Denn dann gilt für all dies die Fernseh-Richtlinie, soweit sie nicht in sich Modifizierungen enthält, wie z.B. für Teleshopping. Aber nach der Definition fallt dann natürlich Teleshopping zunächst einmal ohne weit~res unter diese Definition des Rundfunkbegriffs. Nun war dies das Parlament und nicht die Kommission, die hier natürlich dezidiert anderer Ansicht ist; und das Schicksal dieses Vorstoßes bleibt sicher abzuwarten. Außerdem will ich dem Folgereferat nicht vorgreifen. Deshalb zunächst noch einmal zurück zu den nationalen Begriffen, soweit überhaupt Definitionen gegeben werden. Viele Länder verzichten auf jegliche Definition des Rundfunks. Gegenüber dem uns ja vertrauten und generell zu findenden Kriterium der "Verbreitung an die Allgemeinheit" als typisch für Rundfunk, finden sich schon in dem neueren niederländischen Mediengesetz, auch in Frankreich, ausdrücklich Einbezüge auch von "Teilen des Publikums" oder von "Teilen der Allgemeinheit". Schaut man auf die Schweiz, stößt man auf eine ganz andere Sichtweise: dort werden nur "Fernsehprograrnme" reguliert, und was ein Fernsehprograrnm ist, bemißt sich nach dortigem Verständnis nach dem Gehalt an publizistischem Inhalt3. Ich weiß nicht, ob die Schweiz Vorbild war für die Diskussion, die auch hier bis in den Kreis der Rundfunkreferenten hinein geführt wird, nämlich publizistische Inhalte zur Voraussetzung des Rundfunkbegriffs

2 Neufassung

3

689.

von Art. 1 (a).

Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (RTVG) Art. 1 - Sr. 784.40 BBl 1987 m

46

Jörg Rüggeberg

zu machen. Dieser Ansatz - ich lasse dahingestellt, wie tragfähig er ist - er findet sich also in anderen europäischen Ländern, hier in der Schweiz. Auch wenn man an die äußeren Merkmale herantritt, was als Rundfunk umschrieben wird, klassisch sind "Bild" und "Ton" und "Wort", finden sich in ausländischen Regelungen schon jetzt ausweitende Ansätze. So z.B. in Frankreich, wo das Gesetz über den audiovisuellen Bereich von 1986 gilt für die "Übennittlung von Zeichen, Signalen, Schriftstücken, Bildern, Tönen oder Mitteilungen jeder Art, soweit sie nicht privaten Charakter haben mittels Telekommunikation"4. In England dagegen stoßen wir auf eine Einbeziehung sogenannter "licenceable programme services" neben den eigentlichen broadcasting services, die wiederum die Kommunikation zu geschäftlichen Zwecken ausdrücklich ausklammern. In Frankreich sehen wir also den privaten Bereich ausgeklammert, in England werden hingegen für den gleichen Vorgang die geschäftlichen Zwecke vom Geltungsbereich ausgeklammert. Sogenannte Abrufdienste fallen aber nach dem geltenden englischen Broadcasting-Act bereits unter das Regelwerk des Broadcasting-Act. Einen wiederum anderen Weg finden wir in Luxemburg, wo quasi über Funktionsziele beschrieben wird, was dann Fernsehen ist; diese Funktionsziele sind Vielfalt, Ausgewogenheit, Integration, Beitrag zur kulturellen Förderung. Nur was diesen Zwecken dient, ist dann im Reflex zu definieren als Fernsehprogramm, also Rundfunk. Was das bedeuten kann, will ich später nochmals aufgreifen. Dies zu der ersten Frage: Wie ist die Begriffswelt. Die zweite selbstgestellte Frage, zu der ich vordringen will, wo sich Ansätze rur eine schon bewältigte Ausdifferenzierung neuer Mediendienste in Abgrenzung vom herkömmlichen Rundfunkbegriff finden, macht das Spektrum natürlich um einiges Ebene bunter. In Frankreich ist das Teleshopping (tele-achat) gesondert geregelt und zwar durch eine VerordnungS (was ohne weiteres möglich ist - es gibt dort noch Regierungsgesetze - "ordonnances" - also Verordnungen, und der CSA hat eigene Verordnungsrechte), so daß man relativ einfach Teleshopping in diesem Rahmen definiert hat, und es im weiteren dem CSA überläßt, Konzessionen dafür zu erteilen. Außerdem ist ein Experimentiergesetz in Frankreich verabschiedet worden6, auf das ich später noch zurückkomme. In Großbritannien,

4 Loi

n° 86 - 120 vom 30.9.1986, Art. 2. Abs. 2.

S Decret

n° 95-77 vom 24.1.1995.

Der RundfunkbegritT in anderen Ländern

47

wo eine auch rur unsere Sicht wohl besonders interessante gesetzliche Entwicklung schon stattgefunden hat, deutet die Ausweitung der Anwendbarkeit des Broadcasting-Act auf licenceable programme services ebenfalls auf eine mindestens teilweise Bewältigung der Regulierung neuer Dienste hin7 • Der Regelungsinhalt selbst bleibt auch dort offen. Man überläßt es eben nur der nationalen Medienbehörde, der ITC in diesem Fall, wie die Ausgestaltung auszusehen hat, wobei gewisse Qualitätsstandards den Maßstab fiir die Zulassung bilden. Für Holland, die Schweiz, Frankreich wird davon ausgegangen, daß ohne gesetzliche Neuregelung aus bestehenden Gesetzen keine genügende Abgrenzung möglich sein wird, also Neuregelungen anstehen. Teilweise existieren sie im Entwurfsstadium, also hier haben wir eine parallele Situation zu Deutschland. Schaut man nochmals auf Österreich und Luxemburg, ist scheinbar das Gegenteil der Fall. In Österreich findet, soweit erkennbar, die öffentliche Diskussion, wie sie hier gefiihrt wird, um neue Dienste überhaupt nicht statt. Es gibt vielmehr eine einzige Gesetzesinitiative, und die zielt darauf ab, dem noch immer monopolistischen österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Aufgabenerweiterung zu geben, die jegliche, auch gewerbliche Tätigkeit bis hin zum umfassenden Multimedia-Diensteanbieter gestatten soll8. In Luxemburg9 dagegen, wo , wie gesagt, praktisch nur Vollprogramme von den bestehenden Rundfunkregelungen erfaßt sind, kann das Schweigen der Diskussion allerdings auch inhaltlich etwas bedeuten. Es kann sehr beredt sein. Denn was hiernach nicht zu regulieren ist, ist frei in Luxemburg und bedarf dann allenfalls einer gewerberechtlichen oder handelsrechtlichen Erlaubnis. D.h. alles, was nicht Vollprogramm ist, könnte von Luxemburg aus nach gegenwärtiger Rechtslage vielleicht leichter seinen Weg nehmen als von anderswo her. Nicht zufällig ist die große Satelliten-BetreibergeseIlschaft SES dort ansässig. Für diese gibt es keine gesetzlichen Bindungen, wer dort eigentlich Programm veranstalten darf; denn es sind ja keine national

6 "Projet de loi relatif aux experimentations dans le domaine des technologies et des services de l'information". Ass. Nat. Doc. 30.1.96 n° 456. 7 Broadcasting Act

1990; Chapter 42.

8 Gesetzesinitiative zur Änderung / Ergänzung des § lAbs. 2 des Österreichischen Rundfunkgesetzes. Bundesgesetz über die Aufgaben und die Einrichtung des Österreichischen Rundfunks, BGBl1984/379 i.d.F. vom 30.7.93 - BGBI1993 Nr. 505.

9 Gesetz über Zulassung elektronischer Medien im Großherzogtum Luxemburg vom 27.7.1991 (im Amtsblatt des Großherzogtums Luxemburg Recueil de Legislation A Nr. 47 vom 30.7.91).

Jörg Rüggeberg

48

luxemburgischen Programme. Trotzdem hat das Großherzogtum darauf einigen Einfluß kraft Gesellschaftsrechts, weil man gesellschaftsrechtlich an SES beteiligt ist. Das Ganze findet aber weit unterhalb jeder öffentlichen Diskussion statt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, diesen Versuch, querschnittsartig an die Thematik heranzugehen, muß ich spätestens an dieser Stelle abbrechen, weil die Fülle an Einsprengseln so ist, daß ich mich selbst überfordere, aber möglicherweise auch Sie, obwohl ich Sie natürlich in keiner Weise unterschätzen möchte; aber es wird so zu verwirrend. Man müßte sich eigentlich doch aufs Referieren von gewissen nationalen Fortentwicklungslinien beschränken, und das erlaubt die Zeit nicht. Wenn Sie aber die Geduld haben, möchte ich außer einer kleinen Bemerkung zu den Niederlanden und zu Österreich jedenfalls über die gesetzliche Entwicklung in England und Frankreich noch einige Ausfiihrungen machen dürfen. Ganz kurz zunächst zu den Niederlanden. Es ist dort ein Gesetz in Vorbereitung, das eigentlich zum l.1.1996 schon in Kraft treten sollte, aber noch nicht in Kraft getreten ist. Vielleicht wartet man, wie eben überall in Europa, jetzt auch dort zunächst auf die neuen EU-Regelungen. Der Entwurf ist ein Versuch, unter das bestehende Mediengesetz eine relativ breite Fülle neuer Dienste - wo genau die Abgrenzung liegt, ist allerdings auch nicht sicher miteinzubeziehen und damit ähnlichem Regelungscharakter zu unterziehen. Ich würde gerne zu Österreich noch ein Wort anfügen, nämlich ein Zitat aus der Gesetzesinitiative zugunsten des ORF-Monopols, das dahin erweitert werden soll: "Jede auch gewerbliche Tätigkeit auszuüben, sowohl als auch zu gestatten, und Rechtshandlungen vorzunehmen, die die Besorgung seiner gesetzlichen Aufgaben einschließlich der hierfür erforderlichen Finanzierung sichert, sowie seiner Weiterentwicklung als Rundfunkunternehmen dient" 10. Nach der amtlichen Begründung dieses Gesetzesentwurfs soll der ORF als Rundfunkunternehmer mit öffentlichen Aufgaben insbesondere auch als Multimedia-Anbieter problemlos agieren können. Ob dieses Monopol selbst vor dem europäischen Recht eigentlich noch andauern kann, ist eine andere Frage, die aber offenbar in Österreich auch nicht diskutiert wird. England scheint mir so wichtig zu sein, daß ich gern noch einige Ausführungen dazu machen würde. Dort scheint die Einordnung eines großen Teils der neuen Medien in das bestehende System der Mediengesetzgebung mög10

Vgl. Fußnote 8.

Der Rundfunkbegriff in anderen Ländern

49

lich. Da besteht auch Einigung in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion, daß die neuen Dienste ganz überwiegend vom Mediengesetz erfaßt werden. Das ist also nicht feme Zukunft, sondern aktuelles Recht. Es existiert zwar der Begriff des broadcasting, das verstanden wird ganz eng noch als Sendung fiir die Allgemeinheit mittels drahtloser Übermittlung, also nur die terrestrische Verbreitung. Aber darüber hinaus enthält das Gesetz abgestuft in der Regelungsdichte den weiteren Begriff des television programme service. Unter television broadcasting services versteht man die Verbreitung von Fernsehprogrammen fiir den allgemeinen Empfang oder fiir Teile der Allgemeinheit. Das hatte ich vorher erwähnt. Während auch der Begriff des television broadcasting service sich somit noch auf das klassische Fernsehen bezieht, existiert nun der Begriff des licenceable programme service als weiterer Unterbegriff zum television programme service, und unter dem letzten Begriff, licenceable programme service,11 versteht man Programme, die nicht überwiegend aus nicht gegenständlichen Bildern bestehen und mit Mitteln der Telekommunikation - das ist kompliziert, aber hochinteressant - erstens zum Empfang in mindestens zwei Privathaushalten im Vereinigten Königreich durch andere Personen als solche, die ein geschäftliches Interesse hieran haben, zu empfangen sind. Zweitens, nämlich als Abgrenzungsinstrument: Nicht darunter fallen sogenannte two-way-services, also Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, etwa Videokonferenzen, das ist klar. Also diese licenceable programme services sind kein Rundfunk im klassischen Sinn, werden aber durch das Mediengesetz wie die klassischen Medien behandelt. Sie sind im Media-Act geregelt. Sie werden unter den Oberbegriff des television broadcasting service gefaßt, und sie unterliegen der Aufsicht des ITC, und damit werden die Dinge zusammengefiihrt, unabhängig von ihrer begrifilichen Definition, in der Zuständigkeit einer dafiir geschaffenen staatsneutralen, staatsunabhängigen Behörde. Es besteht fiir diese licenceable programme services in England derzeit ein allgemeiner Zulassungsanspruch l2 , wenn gewissen Anforderungen entsprochen wird, und das sind folgende: Das Programm oder der Dienst darf keine Elemente enthalten, die gegen den guten Geschmack verstoßen, die zu Verbrechen aufstacheln, die die öffentlichen Gefühle verletzen. Nachrichten müssen korrekt und unparteiisch sein. Ebenso müssen die Personen, die diese Dienste betreiben, unparteiisch sein l3 . Davon sind wieder Ausnahmen mög-

11 Broadcasting Act 1990; Section 46. 12 Broadcasting 13

Act 1990; Section 47, subsection 1.

Broadcasting Act 1990; Section 6, subsection 1.

4 Dittmann u. a.

50

Jörg Rüggeberg

lieh. Also das ist das, was wir als Mindestregelungsbedarffür Programme verstehen, und in England ist man eben pragmatisch und normiert das unabhängig davon, ob es Rundfunk ist oder nicht. Das zu England und nun noch ebenso kurz zu Frankreich. Auch da überspringe ich den Gang der Dinge, die in Frankreich relativ späte Ablösung des Staatsmonopols durch die Mitterand'sche Gesetzgebung l4, die Schaffung substaatlicher Behörden über verschiedene Vorläuferinstitutionen bis zum heutigen Conseil Superieur de l'Audiovisuel (ähnlich der ITC), denn ohne diese Institutionen kann man die Regelungen schlecht verstehen, wie sie bestehen. Also eine umfassende Übertragung von Befugnissen an diesen neu geschaffenen CSA, der u.a. auch die Chefs der öffentlich-rechtlichen Programme beruft, und sehr weitgehende Regelungsbefugnisse bis hin zu einer Verordnungsgewalt hat. Was das besondere in Frankreich ist - und nur deshalb will ich die französische Entwicklung erwähnen - ist ein Ende Januar, vor wenigen Tagen eigentlich erst, in erster Lesung eingebrachtes und verabschiedetes "Loi relative aux experimentations", also ein Experimentiergesetz 15 nach Art der Pilotprojekte, die hier in der Zeit der Verkabelung, vor 15 oder 12 Jahren, wichtig waren. Man baut also in Frankreich auf eine Phase des Experimentierens und beschränkt Regelungen auf eine 3-5jährige Experimentalphase, die jetzt unmittelbar einsetzen soll. Hier werden nun Einzelheiten geregelt. Es werden zugelassen Telefongespräche auf Kabelnetzen z.B., also eine Liberalisierung des ganzen Telefonverkehrs. Digitaler Hörfunk (DAB) wird ausdrücklich angesprochen und die sogenannte multiplexage. Darunter ist zu verstehen (ähnlich dem hier eingebürgerten Begriff "near-video-on-demand") die zeitlich rasch wiederholte Abfolge der immer gleichartigen Programme, auf die man zugreifen kann. Video-on-demand fällt natürlich auch unter die Regelung. Es sollen insgesamt 170 Versuche in Frankreich organisiert werden. Ein einzelner davon ist in Kooperation mit der Deutschen Telekom und France Telecom organisiert, und der CSA soll nun - es gibt keine näheren Vorgaben in diesem nach Post- und Telekommunikationsminister Fran90is Fil/ou benannten Gesetz - , im Grunde alles regeln dürfen unter Anwendung des bisherigen Rundfunkrechts, aber für neue Dienste auch freihändiger verfahren können. Also man sieht diesen deutlichen Unterschied der Pragmatik und der Vermeidung unserer dogmatischen Ansätze auch in Frankreich. Ich erwähne dies nur. Das muß nicht deshalb richtig sein, weil es geschieht (rechtsstaatli14 Loi

15

n° 82-652 vom 29. Juli 1982.

Vgl. Fußnote 6.

Der Rundfunkbegriff in anderen Ländern

51

che Bestimmtheit?). Es geschieht aber eben anders, in einer vorläufigen Form, und für diese 3-5 Jahre kann der CSA auch von sonstigen Grundsätzen, die in Frankreich sehr heilig sind, abweichen, Z.B. der Quotenregelung (Sicherung europäischer Programmquoten), die ja nun wirklich von Frankreich aus vielen, m.E. durchaus guten Gründen verfolgt wird. Sich vorzustellen, daß diese auf alle neuen Dienste erstreckt werden müßte, ist natürlich außerordentlich schwierig, und hier bekommt der CSA freie Hand, wie zu verfahren sein wird. Was es zu regeln gilt in diesem Zusammenhang, ist natürlich eine Abgrenzung zwischen Telekom, also zwischen der eigentlichen Postverwaltung und dem CSA. Auf Zuständigkeitsfragen spitzen sich ja auch in vielen anderen Ländern letztlich die Fragestellungen zu. Was bei uns Streit zwischen Bund und Ländern bedeutet, das gerinnt andernorts aber lediglich zu Ressortstreitigkeiten. In Frankreich geht es um das Verhältnis des CSA als Medienbebörde zur Telekommunikationsbehörde. Das regelt man nach Forderung des CSA, die wahrscheinlich ins Gesetz eingeht, durch Querverbindung so: sofern es sich um Telekommunikationsdienste handelt, die auf Netzen verbreitet werden sollen, die der CSA autorisiert hat, soll die Zulassung durch die Generaldirektion Telekom unter vorheriger Anhörung des CSA geschehen16. Sofern es sich um audiovisuelle Programme handelt, die der Genehmigungsbefugnis des CSA unterliegen, so hat dieser die Zulassungsmöglichkeit für Netze, die der Genehmigung der Generaldirektion Telekom unterliegen, nach deren vorheriger Anhörung. Also man versucht den drohenden Split der Zuständigkeitsfragen durch solche "Kondominien" zu überwinden. Letztlich zeigt sich auch in Frankreich ein gewisses Zuwarten und Schauen auf die europäische Regelung, von der ja nun alle abhängen. Anders als auf europäischem Level - ich kann es mir nicht vorstellen - kann man die Dinge nicht regeln, und selbst das reicht ja vielleicht auch bald nicht mehr aus, wenn man an die nächste weltweite GATT-Runde denkt 17• In anderen europäischen Ländern harrt man größtenteils der europarechtlichen Klärung, und damit schließt sich mein Kreis und öffnet sich der Kreis zum nächsten Referat, und ich bedanke mich für Ihre Geduld.

16

Vgl. La 1ettre du CSA, n° 74, Novembre 1995 S. 2 f.

11 In Deutschland ungebrochen auf eine möglichst weitgehende Landesnmdfunkzuständigkeit zu pochen und ihr im Sinne eines weiteren Rundfunkbegriffs auch individuelle Kommunikationsformen neuer Art zuzuordnen, kann wohl mindestens dann nicht gelingen, Wem! die Länder daftlr nicht sehr schnell eine gemeinschaftliche Einrichtung (statt der 15 Landesanstalten) schaffen. 4*

Der Rundfunk zwischen Wirtschaft und Kultur: Die Perspektive des europäischen Gemeinschaftsrechts Von Claus Dieter Classen·

I. Einleitung "Multimedia" ist das Wort des Jahres - so jedenfalls die Auffassung der Gesellschaft fiir deutsche Sprache. Ein Blick in die Zeitungen bestätigt diesen Eindruck. Fast täglich kann man dort große Berichte über die Möglichkeiten der Neuen Medien lesen. Für die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG dem Rundfunk ausdrücklich einen besonderen Platz zuweist, und die Rechtsordnungen ihrer Nachbarstaaten stellen die Neuen Medien eine große Herausforderung dar. Die bisherigen Vorträge haben dies deutlich gezeigt. Nachfolgend soll nun der Wandel der Medien aus der Perspektive des europäischen Gemeinschaftsrechts beleuchtet werden. Das Europarecht gewinnt ja - dem Subsidaritätsprinzip zum Trotz - zunehmend Einfluß auf weite Bereiche des nationalen Rechts. So ist nicht verwunderlich, daß sich dieser auch auf den Rundfunk erstreckt. Zwar spielt der Begriff des Rundfunks auf den ersten Blick im Gemeinschaftsrecht im Gegensatz zum deutschen Recht eine allenfalls marginale Rolle. Das Primärrecht kennt ihn gar nicht. Das Sekundärrecht verwendet ihn überwiegend im Rahmen von Negativabgrenzungen. Die Rechtsakte zur Telekommunikation klammem nämlich den Rundfunk aus ihren Anwendungsbereichen weitgehend aus. Lediglich fiir das Fernsehen, das ja vielfach als Teil des Rundfunks angesehen wird, gibt es in größerem Umfang auch positive Regelungen. Zu erwähnen ist insbesondere eine - gerade in Deutschland heftig umstrittene - Richtlinie aus dem Jahre 1989. Diese bescheiden anmutende Bilanz gestattet jedoch nicht die Schlußfolgerung, daß der Rundfunk eine terra incognita des Gemeinschaftsrechts darstellt. Vielmehr

• Professor Dr. iur., Universität Greifswald.

54

Claus Dieter Classen

hat sich die Gemeinschaft das Rundfunkrecht als Regelungsbereich über einige allgemeine Begriffe des EG-Rechts erobert. Im folgenden wird zunächst dargestellt, in welcher Weise das Gemeinschaftsrecht den Rundfunk begrifilich erfaßt. Im Anschluß daran ist die Frage zu behandeln, ob - im Vergleich zum deutschen Recht - das EG-Recht jeweils auch angemessene Lösungen beinhaltet.

11. Grundlagen der europäischen Medienpolitik Was sind also die Rechtsgrundlagen europäischer Rundfunkpolitik? 1. Bilanz der Rechtsprechung

Die ersten gemeinschaftsrechtlichen Aussagen zum Rundfunk stammen bekanntlich vom EuGH und datieren auf das Jahr 1974. Auf Vorlage eines italienischen Gerichts subsumierte der Gerichtshof in seiner in diesem Jahr ergangenen Entscheidung in der Rechtssache Sacchi l mit einer ausgesprochen lapidaren und deswegen vielfach kritisierten Bemerkung das Fernsehen unter die Dienstleistungsfreiheit des Vertrages. Worum ging es im konkreten Fall? Ein Italiener namens Sacchi produzierte mit einer ihm gehörenden Gesellschaft Fernsehsendungen und vertrieb diese über ein lokales Kabelnetz. Durch diese Aktivitäten geriet er in Konflikt mit dem (damals noch bestehenden) Monopol der italienischen Fernsehgesellschaft RAI. Das zuständige italienische Gericht wurde nun von Herrn Sacchi überzeugt, daß die italienischen Monopolvorschriften einen Verstoß gegen die - im Kontext der Warenverkehrsfreiheit stehende - Bestimmung des EWGV über Handelsmonopole darstellten. Der EuGH, dem die Frage vom italienischen Gericht zur verbindlichen Klärung vorgelegt wurde, teilte dessen Auffassung zur Anwendbarkeit des EWG-Vertrages. Deswegen brauchte er insoweit nur wenige Worte zu verlieren. Ausführlich setzte er sich dagegen mit der Frage auseinander, ob im hier zu entscheidenden Fall wirklich die Vorschriften über den Warenverkehr einschlägig seien. Er verneinte dies und gelangte damit zur Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit. In nachfolgenden Entscheidungen schloß er das Kabelfernsehen auch ausdrücklich in diese Rechtsprechung ein. Im übrigen kam nur eine

I

EuGH, Sig. 1974,409 (430), Rs 155/73 - Sacchi.

Der Rundftmk: zwischen Wirtschaft und Kultur

55

kleine Auswahl aus der Vielfalt der elektronischen Medien auf den Richtertisch in Luxemburg. 1991 wurde der EuGH mit dem Hörfunk befaßt, wobei es wie in den vorangegangenen Entscheidungen um die Übertragung per Kabel ging. 2 Im gleichen Jahr hatte der EuGH schließlich erstmalig - endlich - mit dem klassischen, über Funkfrequenzen übertragenen Fernsehen zu tun. 3 Zieht man eine Bilanz der Rechtsprechung, so fällt zweierlei auf: Erstens: Zu einer exakten Definition dessen, was unter Rundfunk oder auch Fernsehen zu verstehen ist, hat sich der EuGH bislang nicht veranlaßt gesehen. Zweitens: Eine juristische Aussage zu den sog. "Neuen Medien" findet sich in der Rechtsprechung des EuGH bislang nicht.

2. TCitigkeit des Gesetzgebers Eine vergleichbare Enthaltsamkeit haben die normsetzenden Instanzen der Gemeinschaft nicht geübt. Dies zeigt die schon erwähnte Fernsehrichtlinie aus dem Jahre 1989. 4 Deren Art. 1 enthält eine ausdrückliche Definition des Fernsehbegriffs. Danach ist eine Fernsehsendung maßgeblich dadurch gekennzeichnet, daß sie zum Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt sein muß. Dieser Hinweis auf die Allgemeinheit deutet den entscheidenden Gesichtspunkt an, um den es hier geht. Sendungen, die letztlich die Allgemeinheit unmittelbar erreichen sollen, werden dem Begriff des Fernsehens zugewiesen. Mit urnfaßt werden dabei solche Sendungen, die zunächst an einen Veranstalter, etwa den Betreiber eines Kabelnetzes, übertragen werden, damit dieser sie in der Allgemeinheit verbreitet. Nicht eingeschlossen sind vom Fernsehbegriff der Richtlinie dagegen "Kommunikationsdienste, die auf individuellen Abruf Informationen oder andere Inhalte übermitteln, wie Fernkopierdienste, elektronische Datenbanken und ähnliche Dienste." Diese Definition bezieht sich zwar unmittelbar nur auf die Fernsehrichtlinie. Für das sonstige Gemeinschaftsrecht kann sie daher als solche keine Verbindlichkeit beanspruchen. Anderweitige Definitionen des Fernseh- oder gar des Rundfunkbegriffs kennt das EG-Recht allerdings auch nicht. Vielmehr spricht alles dafiir, daß das dargestellte Unterscheidungsmerkmal auch im üb2 Slg. 1991, 1-4007 (4042), Rs C-288/89 - Collectieve Antennevoorziening Gouda; 14069 (4094), Rs C-353/89 - KommissionINiederlande.

3 EuGH, 4

Slg. 1991,1-2925, Rs C-260/89 - ERT.

RL 89/552/EWG, ABI. 1989, L 298/23.

56

Claus Dieter Classen

rigen die Politik der EG kennzeichnet. Im Jahre 1990 hat der Rat eine Richtlinie zur Verwirklichung des Binnenmarktes fiir Telekommunikationsdienste verabschiedet. 5 Deren Ziel ist die (stufenweise) Verwirklichung eines offenen Netzzugangs fiir alle Telekommunikationsdienste. Dieser soll nur durch Anforderungen der Technik sowie des Datenschutzes begrenzt sein (Art. 3 Abs. 2). Die Kriterien fiir den Netzzugang müssen zudem transparent sein, dürfen nicht diskriminieren und müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. 6 Aus der Definition der Telekommunikationsdienste ausgenommen sind "Rundfunk und Fernsehen" (Art. 2 Nr. 4). In der entsprechenden Begründungserwägung heißt es, daß es dabei um Massenmedien geht, die besonderer Überlegungen bedürften. Damit wird deutlich, daß auch hier der Bezug zur Allgemeinheit den entscheidenden Abgrenzungsgerichtspunkt liefert. Zeitgleich hat die Kommission eine Richtlinie über den Wettbewerb auf dem Markt fiir Telekommunikationsdienste verabschiedet. 7 Bei der Definition des Anwendungsbereichs wurde zunächst auch in dieser Richtlinie ausdrücklich die "Ausstrahlung von Rundfunk- und Fernsehprogrammen fiir die Allgemeinheit" ausgenommmen. Im Rahmen der jüngsten Novellierung der zuletzt genannten Richtlinie, die vor allem die Liberalisierung des Zugangs zu den Kabelfernsehnetzen regelt8, wird nun zwar die bisherige völlige Ausklammerung von Rundfunk- und Fernsehprogrammen fallengelassen. Stattdessen enthält Art. lAbs. 1 am Ende einen Vorbehalt zugunsten nationaler Vorschriften "über den Vertrieb für die Öffentlichkeit bestimmter audiovisueller Programme sowie die Inhalte solcher Programme". Das Ergebnis ist jedoch weitgehend das gleiche: Während die EG im Bereich der Telekommunikationsdienst im allgemeinen von den Staaten eine strikte Liberalisierung einfordert, akzeptiert sie fiir den durch seinen Bezug zur Allgemeinheit gekennzeichneten Rundfunk weitgehende Sonderregelungen der Staaten. Wie verhalten sich nun die neuen Medien zu diesem Begriffspaar Telekommunikationsdienst - Rundfunk? Einen ersten Hinweis enthält die Fern-

5

RL 90/387IEWG, ABI. 1990, L 192/2.

6 Siehe dazu auch die 8. Begründungserwägtmg der Richtlinie sowie das Grünbuch über die Liberalisierung der Telekommunikationsinfrastruktur und der Kabelfernsehnetze, Teil I (KOM [94]440 endg.), S. 4; Teil TI (KOM [94] 682 endg.), S. 4 f., 84 fI, 135 ff.; Konsultation zum Grünbuch (KOM [95]158 endg.), S. 14 fI 7

RL 90/388IEWG, ABI. 1990, L 192/10.

8

RL 95/51IEG, ABI. 1995, L 256/49.

Der Rundfimk zwischen Wirtschaft und Kultur

57

sehrichtlinie: Die erwähnte Definition des Fernsehens klammert die Abrufdienste aus. Deutlicher wird die jüngste Novelle zur zuletzt genannten Richtlinie der Kommission über den Zugang zu Kabelfernsehnetzen. Ausdrücklich werden dort einige Phänomene aus dem Bereich der neuen Medien angesprochen. Die Begründungserwägungen enthalten nämlich eine gewisse Präzisierung des Begriffs "Fernsehen und Rundfunk rur die Allgemeinheit", und zwar im Sinne einer restriktiven Interpretation. Von diesem Begriff werden dort unterschieden "interaktives Fernsehen" und "Video auf Abruf' sowie sonstige "Multi-Media-Dienste". Diese Dienste werden damit dem allgemeinen Regime der Telekommunikation unterworfen. Zwar handelt es sich nur um eine beispielhafte Aufzählung. Dies paßt zu der von der Europäischen Kommission betonten Notwendigkeit, die Abgrenzung flexibel zu handhaben. 9 Immerhin weisen die angeführten Dienste eine Gemeinsamkeit auf. Gekennzeichnet sind sie alle durch eine besondere Individualisierung, insbesondere die individuelle Bestimmung des Empfangszeitpunktes. Im Gegensatz zum ursprünglichen Entwurf der Kommission zur erwähnten Novellierungsrichtlinie wird demgegenüber das Fernsehen mit sendungsabhängigen Gebühren (pay per view) nicht erwähnt und damit offenbar dem traditionellen Fernsehen zugerechnet. Bestätigt und präzisiert wird dies im Bericht der Kommission zur Fernsehrichtlinie. Dort werden alle Dienste, die von einem Sender aus einer Vielzahl von Empfängern gleichzeitig zugesendet werden, dem Begriff des Fernsehens zugerechnet. 10 Danach gehören ZugrifIsdienste zum Fernsehen, Abrufdienste nicht. Die Definition der Fernsehrichtlinie soll also bestehen bleiben. Zugleich hat die Kommission in ihrem zugleich erarbeiteten Vorschlag zur Überarbeitung der Fernsehrichtlinie vorgesehen, das "teleshopping" auch ausdrücklich als Fernsehen zu qualifizieren. Dies ist nur konsequent, weil diese Sendungsform ebenfalls nicht durch eine besondere Individualisierung gekennzeichnet ist. Einen gegenüber der bisherigen Praxis völlig anderen Ansatz verfolgt demgegenüber das Europäische Parlament in seiner jüngsten Entschließung vom 14. Februar 1996 11 . Ob der dort gewählte urnfassende Ansatz, der auch alle Neuen Medien urnfaßt, sich im Ergebnis durchsetzen wird, muß erst noch abgewartet werden. 9 Gtilnbuch über die Liberalisierung, Teil II (Fn. 6), S. 2 f; so auch zum deutschen Recht Hege, Offene Wege in die digitale Zukunft: Überlegungen zur Fortentwicklung des Medienrechts, 1995, S. 18. 10

KOM (95) 86 endg., S. 29.

11

Vgl. FAZ vom 15.2.1996.

58

Claus Dieter Classen

Zieht man Bilanz, so wird deutlich: Der gemeinschaftsrechtliche Begriff des Rundfunks, wie er sich bislang entwickelt hat, erfaßt die elektronisch verbreiteten Sendungen, die für den Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt sind. Gemeint sind primär die traditionellen elektronischen Massenmedien. Entscheidend ist, daß die Sendung an alle Empfänger gleichzeitig ausgestrahlt wird. Der mit dem Wandel der Medien bewirkte Trend zur Individualisierung vollzieht sich dagegen überwiegend außerhalb des gemeinschaftsrechtlichen Rundfunk- und Fernsehbegriffs. Im besonderen werden Abrufdienste aus dem Fernsehbegriff ausgeklammert.

III. Bewertung Wie ist nun diese Entwicklung zu bewerten? Wie dargestellt, steht die gesamte Telekommunikationspolitik der Gemeinschaft im Zeichen der Dienstleistungsfreiheit. Schon diese Zuordnung des Rundfunks ist heftig umstritten. Hauptkritikpunkt ist die damit verbundene Annahme eines wirtschaftlichen Sachverhaltes.

1. Zum Verständnis des Rundfunks als Dienstleistung

Im Jahre 1974, als die Entscheidung in der Rechtssache Sacchi erging, konnte man sicherlich daran zweifeln, daß die Zuordnung der Fernsehsendungen zur Dienstleistungsfreiheit im Ergebnis wirklich rundum überzeugend war. Eine gewisse fonnale Berechtigung war der Position des EuGH allerdings noch nie abzusprechen. Unter Dienstleistungen versteht der Vertrag Leistungen, die gegen Entgelt erbracht werden. Der Charakter einer Leistung dürfte bei Rundfunksendungen unproblematisch sein. Betrachtet man die beiden Finanzierungsquellen des Rundfunks in Deutschland, kann letztlich auch die Entgeltlichkeit nicht in Frage gestellt werden: Sowohl die Gebühren als auch Werbeeinnahmen sind als Entgelt zu betrachten. 12 Eine Ausklammerung des Rundfunks aus der Dienstleistungs-

12 Schwanz, Rundfunk und EWG-Vertrag, in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, 1985, S. 45 tT. (61 0; Niedobitek, Kultur und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1992, S. 156; a.A. aber Gulich, Rechtsfragen grenzüberschreitender Rundfunksendungen, 1990,S. 46.

Der Rundfimk zwischen Wirtschaft und Kultur

59

freiheit würde also eine allgemeine Bereichsausnahme für die Kultur voraussetzen. Doch gibt es eine solche nicht. 13 Zumindest aus heutiger Sicht überzeugt die Rechtsprechung des EuGH aber auch in der Sache, und zwar aus zwei Gründen. Der erste wird deutlich, wenn man die derzeitige Medienlandschaft betrachtet. Kommerzialisierung bestimmt maßgeblich das Bild. Daß die Position der EG dennoch nach wie vor und zwar insbesondere aus München viel Kritik erntet - zuletzt mit großer Deutlichkeit vorgetragen im Prozeß um die Zustimmung der Bundesregierung zur EG-Fernsehrichtlinie vor dem BVerfG -, ist insofern verblüffend, als gerade an diesem Ort besonders reichhaltiges Anschauungsmaterial für den Trend zur Kommerzialisierung der Medienlandschaft vorhanden ist. 14 Der EuGH hat also letztlich eine zunächst etwas visionäre Sicht der Dinge gehabt. Seine Vision hat sich jedoch später in einem ursprünglich wohl nicht für möglich gehaltenen Umfang bestätigt. Den zweiten Gesichtspunkt, der auch im Ergebnis für die Position des EuGH spricht, bilden die Kosten des Rundfunks. Die Zuordnung dieses Mediums zu einem wirtschaftsrechtlichen Begriff läßt insoweit ein stärkeres Problembewußtsein erwarten. Nun zeigt die umfangreiche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Finanzierung des Rundfunks, daß man dort ebenfalls erkannt hat, daß dieser - auch - eine wirtschaftliche Seite besitzt. 15 Nichtsdestoweniger lautet eine der Grundthesen des Verfassungsgerichts zum Umfang der notwendigen Rundfunkfinanzierung, daß die Allgemeinheit die Programmentscheidungen der Rundfunkanstalten im Grundsatz respektieren und dementsprechende finanzielle Mittel bereitstellen müsse. 16 Immerhin hat die Entwicklung der Neuen Medien auch in Deutschland langsam die Erkenntnis reifen lassen, daß elektronische Medien auch wirtschaftliche Sachverhalte darstellen, ggf. also etwa in Deutschland der Regelungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Nr. 11 GG unterfallen können. 17

13 EuGH, Slg. 1968,633 (643), Rs 7/68 - KommissionlItalien; Schwartz (Fn. 12), S. 46; Niedobitek (Fn. 12), S. 194 tT.; Kugelmann, Der Rundfimk und die Dienstleistungsfreiheit des EWG-Vertrages, 1991, S. 62. 14 Vgl. aber immerhin Lerche, Auslandsoffenheit und nationaler Rundfimkstandard, FSEverling, 1995, S. 729 (737). 15

BVerfGE 74, 297 (342 tT.); 83,238 (310 tI); 87, 181 (199 f.); 90, 60 (90 tI).

16

BVerfGE 87, 181 (198 tT.); 90, 60 (91 f.).

17

Vgl. dazu etwa die Beiträge von Dittmann. Vetter und Badura in diesem Band.

60

C1aus Dieter C1assen

Im Gegensatz dazu hat man sich nun in Brüssel schon länger um eine weniger einseitige Sicht der Dinge und nicht zuletzt auch darum bemüht, die Kosten des Rundfunks zu verringem. 18 Über die von der EG dabei gewählten Instrumente kann man sicher streiten. Die bereits angesprochene Öffnung der nationalen Monopole zwecks Stärkung des Wettbewerbs erscheint eher sinnvoll - auch aus der Perspektive von Art. 5 GG. Andere teils schon realisierte, teils für die nächsten Jahre in Aussicht genommene industriepolitische Maßnahmen wie Quoten l9, eine "Nachfragesensibilisierung"20 und ähnliches sind eher mit Skepsis zu betrachten. Jedenfalls unternimmt man etwas in Brüssel. Bei der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts muß man sich dagegen fragen, ob sie nicht durch die hohen Hürden, die sie für den Privatfunk errichtet hat, zum Teil die Gefahren für den Meinungspluralismus verschärft, die sie bekämpfen möchte. Nicht selbstverständlich ist allerdings, daß die angesprochene visionäre Sicht der Dinge mit dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung vereinbar ist. Doch ist dies letztlich zu bejahen. Das Gemeinschaftsrecht verfolgt das Ziel, einen Gemeinsamen bzw. Binnenmarkt zu schaffen. Wird ein Gut bzw. eine Leistung marktfähig, so unterfällt sie auch der genannten Zielsetzung. Der Sache nach zu Recht hat das BVerfG für die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ausgeführt, daß sie "in einer sich wandelnden Zukunft ihre normierende Wirkung (nur) bewahren kann", wenn sie auch die neuen Techniken mit einbezieht. 21 Nichts anderes kann für die Dienstleistungsfreiheit des Gemeinschaftsrechts gelten. Die Kritik an der EG wäre allenfalls dann berechtigt, wenn diese den Rundfunk allein als wirtschaftliche Angelegenheit betrachten würde. In der Literatur wird dies zum Teil so bewertet. 22 Tatsächlich aber ist dies nicht der Fall. 18 VgI. die Mitteihmg der KOnuIDssion betr. INFO 2000, KOM (95) 149, S. 11. 19 Kompetenzrechtlich ist dies nicht zu beanstanden; zu Unrecht aber abI. DelbrUck, Die Rundfunkfreiheit der deutschen Bundesländer im Spannungsfeld zwischen Rege1ungsanspruch der Europäischen Gemeinschaft und nationalem Verfassungsrecht, 1986, S. 54; Niedobitek (Fn. 12), S. 168. Problematisch ist dagegen die Vereinbarkeit der Quoten mit Art. 10 EMRK. VgI. dazu Engel, Konununikations- und Medienrecht, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, 1993, Rdnr. 41.

20 Siehe dazu die Mitteilung der KOnuIDssion betr. INFO 2000 (Fn. 18), S. 34 ff. 21 BVerfGE 74, 297 (350). 22 Eberle, Das europäische Recht und die Medien, AfP 1993, 422; DelbrUck (Fn. 19),39 f.

Der Rundfunk zwischen Wirtschaft und Kultur

61

Vielmehr umschreibt die Fernsehrichtlinie als eine, wenn nicht die Funktion des Fernsehens, das Allgemeininteresse zu wahren. Ganz konkret hat der EuGH in mehreren Urteilen betont, daß es eine - durch Art. 10 EMRK sogar ausdrücklich sachlich legitimierte - Befugnis der Mitgliedstaaten gibt, durch gesetzliche Regelungen den Medienpluralismus abzusichern. 23 Insoweit unterscheidet sich also der EuGH vom BVerfG allenfalls in Nuancen. Der EuGH geht dabei davon aus, daß der genannten Zielsetzung - Wahrung des Pluralismus - durch Auflagen für inländische Sender hinreichend Rechnung getragen werden kann. Beschränkungen für ausländische Sender sind damit nicht erforderlich und deswegen unzulässig, soweit diese nicht primär für das Inland senden. 24 Doch deckt sich auch dies mit den Grundsätzen, die aus der Informationsfreiheit des nationalen Verfassungsrechts abzuleiten sind. 25 Ebenso akzeptiert der EuGH Beschränkungen von Werbesendungen als Mittel der Qualitätssicherung des Rundfunks. 26 Der maßgebliche Inhalt der Fernsehrichtlinie der EG liegt darin, Mindestregeln aufzustellen, damit grenzüberschreitende Sendungen leichter möglich sind. Dieses Ziel wird von der Richtlinie zu Recht ausdrücklich auch in einen menschenrechtlichen, also nicht-wirtschaftlichen Kontext gestellt, nämlich der freien Verbreitung von Infonnationen. Damit wird deutlich, daß die EG durchaus den besonderen Charakter des Rundfunks anerkennt. 27 Mittlerweile ergibt sich sogar eine entsprechende Verpflichtung ausdrücklich aus Art. 128 Abs. 4 EGV.28 Primär ist die Ausfül23 EuGH, Slg. 1991,1-4007 (4043), Rs C-288/89 - Collectieve Antennevoorziening Gouda; Slg. 1991,1-4069 (4097), Rs C-359/89 - KommissionINiederlande; Slg. 1993, 1-487 (518), Rs C-148/91 - Veronica; völlig übersehen von Eberle (Fn. 22), S.426 f

24 EuGH, Slg. 1991,1-4007 (4044), Rs C-288/89 - Collectieve Autennevoorziening Gouda; Slg. 1991,1-4069 (4101), Rs C-353/89 - KommissionINiederlande; Engel (Fn. 19), Rdnr. 45. Zur Dogmatik der Dienstleistungsfreiheit siehe insoweit C/assen, Auf dem Weg zu einer einheitlichen Dogmatik der EG-Grundfreiheiten? EWS 1995, S. 97 (102). 25

Siehe dazu Lerche (Fn. 14), S. 732 ff.

26 EuGH, Slg. 1991,1-4007 (4044), Rs C-288/89 - Collectieve Autennevoorziening Gouda; Slg. 1991,1-4069 (4101), Rs C-353/89 - KommissionlNiederlande. 27 Zwn kompetentiellen Aspekt siehe (zu Recht) bejahend Niedobitek (Fn. 12), S. 208 ff.; a.A. DelbrlJck (Fn. 19), S. 53; Gulich (Fn. 12), S. 107; offen lassend Lerche (Fn. 14), S. 736.

28 Siehe dazu Grünbuch über die Liberalisierung, Teil n (Fn. 8), S. 123; Geppert, Europäischer Rundfunkrawn und nationale Rundfunkaufsicht, Berlin 1993, S. 65; Fechner, Kommentar zu Art. 128 EGV, in: EhlermannlBieber (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Rechts, Stand Sept. 1995, Rdnr. 26 ff.

62

Claus Dieter Classen

lung dieser Zielsetzung allerdings Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Auch von daher ist es nicht verwunderlich, daß die EG primär die wirtschaftliche Seite des Rundfunks betrachtet. Diese Anerkennung der Besonderheiten des Rundfunks geht sogar weiter, als manche Kritiker wahrhaben wollen. Die Europäische Gemeinschaft beschränkt sich ja wie dargestellt im weiten Feld der Telekommunikationsdienste nicht auf Regelungen des Fernsehens oder Rundfunks - im Gegenteil. In den anderen Bereichen engt sie die Gestaltungsspielräume der Mitgliedstaaten in sehr viel stärkerem Maße ein. Der grundsätzliche Ansatz lautet umfassende Liberalisierung - offener Netzzugang als Stichwort. Demgegenüber stellen Rundfunk und Fernsehen Bereiche dar, die von den Liberalisierungsbemühungen (weitgehend) ausgenommen werden, in denen also den Staaten erheblich größere Regelungsspielräume verbleiben. Für das Fernsehen gelten nur gewisse Mindestregeln, fiir den Rundfunk allein die allgemeinen Regeln von Dienstleistungsfreiheit und Menschenrechten. In beiden Fällen bleiben den Staaten damit erheblich größere Regelungsspielräume als fiir die sonstige Telekommunikation. 2. Rundfunk und neue Medien

Damit ist nun die zweite, oben erwähnte Frage anzusprechen, nämlich die Einordnung neuer Medien. Konkret definieren die Rechtsakte des Gemeinschaftsrechts die (im Primärrecht nicht enthaltenen) Begriffe des Fernsehens und des Rundfunks wie erwähnt durch ihren Bezug zur Allgemeinheit. Hierzu gehören alle Sendungen, die - wenn auch zum Teil über einen Vermittler letztlich unmittelbar die Allgemeinheit erreichen sollen. Sobald eine Sendung nicht mehr gleichzeitig an alle Empfänger ausgestrahlt wird, fällt sie aus dem Rundfunkbegriff heraus. Sie unterliegt damit dem allgemeinen Telekommunikationsregime, das erheblich striktere europarechtliche Vorgaben zum Teil schon jetzt enthält, zum Teil rur die nahe Zukunft anpeilt. In der jüngsten Richtlinie der Kommission zu Art. 90 EGV wird dies noch einmal ausdrücklich betont. Handelt es sich hier nun nur um den Versuch der Kommission, durch eine enge Definition des Rundfunks, der stärker als die sonstige Telekommunikation den Mitgliedstaaten zur Regelung überlassen bleibt, die Kompetenzen der EG zu erweitern, wie Euroskeptiker vielleicht vermuten? Oder ist es sachlich richtig, die neuen Medien grundsätzlich aus dem Rundfunkbegriff auszuklam-

Der Rundfunk zwischen Wirtschaft und Kultur

63

mern? Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Nach hier vertretener Auffassung überzeugt die Position des Gemeinschaftsrechts. Im Ausgangspunkt deckt sich das gemeinschaftrechtliche Verständnis des Rundfunkbegriffs mit dem des deutschen Rundfunkrechts, wie er sich aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts ergibt. In beiden Fällen ist die Bestimmung für die Allgemeinheit das zentrale Merkmal. Auch Sinn und Zweck der Definitionen decken sich. In beiden Fällen geht es darum, den Rundfunk dem im Medien- und Telekommunikationsbereich allgemein geltenden Grundsatz eines freien und offenen Wettbewerbs zu entziehen und einem Sonderregime zu unterstellen, das sich nicht unerheblicher staatlicher Eingriffe bedient bzw. - bezogen auf das Gemeinschafisrecht - solche Eingriffe zuläßt, um Meinungspluralismus auch in der Wirklichkeit sicherzustellen. In beiden Rechtsordnungen steht man vor dem Problem, daß die technische Entwicklung früher bestehende klare Abgrenzungen hat hinfaIlig werden lassen. 29 Dies sei an einem Beispiel erläutert. Unstreitig unterfaIlt es dem RundfunkbegrifI, wenn jemand zu Hause eine mit klassischen Methoden ausgestrahlte Fernsehsendung empfängt und auf Video aufzeichnet. Wie aber ist es, wenn man vom eigenen Fernseher aus das Videolager eines Programmveranstalters anzapft, wie das in Zukunft möglich sein wird? Dies mag auf den ersten Blick nicht unbedingt anders zu bewerten sein. Doch unterscheidet sich das Unternehmen, dessen Videos man per Fernübertragung ansehen kann, wiederum kaum von demjenigen, das Videobänder als körperliche Gegenstände verleiht. Insoweit aber liegt unstreitig kein Rundfunk vor. 30 Wie ist also die Abgrenzungslinie zu ziehen? Für den hier interessierenden Bereich ergibt sich nun ein zentraler Unterschied zwischen deutschem und europäischem Recht: Die durch eine individuelle Bestimmung des Sendezeitpunktes gekennzeichneten neuen Medien3 ) werden tendenziell vom gemeinschaftsrechtlichen Rundfunkbegriff ausgeklammert. Die deutsche Verfassungsrechtsprechung schließt sie dagegen ten-

29

Hege (Fn. 9), S. 9; Engel (Fn. 19), Rdnr. 7.

30 Siehe zu diesem Vergleich auch Hege (Fn. 9), S. 54; kritisch dazu Gersdoif, Der verfassungsrechtliche RundfunkbegritT im Lichte der Digitalisierung der Telekommunikation, 1995, S. 141. 3)

Siehe dazu Hege (Fn. 9), S. 12.

64

Claus Dieter Classen

denziell ein. 32 Ausgangspunkt der Überlegungen muß insoweit zunächst sein, was unter "Bestimmung für die Allgemeinheit", dem in beiden Rechtsordnungen entscheidenden Merkmal, konkret zu verstehen ist. Das Verfassungsgericht stellt dabei zunächst darauf ab, daß die Zahl der Beteiligten nicht konkret abgegrenzt werden könne. Rundfunksendungen seien dadurch gekennzeichnet, daß sie sich an eine unbestimmte Vielzahl von Empfängern richten. Demgegenüber mißt es dem Umstand, daß der Zeitpunkt, zu dem die Sendungen empfangen werden können, vom Empfänger frei gewählt werden kann, keinerlei Bedeutung zu. Zur Begründung seiner Auffassung beschränkt sich das Gericht auf die karge Bemerkung, daß dies schwerlich anders sein könne. Insoweit entscheidet das Gemeinschaftsrecht anders. Hier kommt der individuellen Bestimmung des Zeitpunktes der Sendung entscheidende Bedeutung zu. Dies erscheint auch durchaus plausibel. Wenn nämlich der Zeitpunkt einer Sendung nicht mehr festgelegt ist, machen die im deutschem Recht an den Rundfunk gestellten inhaltlichen Anforderungen, insbesondere die Forderung nach einem ausgewogenen Programm, keinen Sinn mehr. Die Situation ist letztlich nicht entscheidend anders als bei der Presse. 33 Schon der Begriff des Programmes im Sinne einer festen Abfolge von Sendungen paßt nicht mehr. Zwar ist der Empfänger auch bei der Inanspruchnahme von Abrufdiensten auf die angebotenen Sendungen festgelegt. Stehen ihm aber zu einem bestimmten Zeitpunkt pro Veranstalter nicht mehr nur eine Sendung, sondern eine große Vielzahl von Sendungen zur Verfügung, liegt ein Umschlag der Quantität zur Qualität vor, der eine Neubewertung erfordert. Ein weiteres Argument des Verfassungsgerichts für seine Position lautet, daß der Inhalt der Sendungen bei neuen Medien der gleiche sei wie beim traditionellen Rundfunk. Doch geht auch diese Annahme fehl. Zum Teil deckt sich der Inhalt von Sendungen mit dem, was man beim Videohändler käuflich erwerben kann - die Problematik wurde soeben schon angesprochen. Umgekehrt kennt das klassische Fernsehen, vom Hörfunk ganz zu schweigen, die modernen Phänomene wie Bildschirmtext eben nicht. Jüngst hat das Verfassungsgericht drei Elemente des Rundfunks betont, die dessen Sonderregime nach seiner Ansicht rechtfertigen: Aktualität, Breiten-

32 BVerfGE 74, 297 (351 f.); vgl. auch den Beitrag von D6rr in diesem Band. Ausfilhrlich Gersdoif(Fn. 30), insbes. S. 129 f. 33

Hege (Fn. 9), S. 18.

Der Rundfunk zwischen Wirtschaft und Kultur

65

wirkung, Suggestivkraft. 34 Die erstgenannte Aussage gilt fiir Abrufdienste allenfalls in einem so begrenztem Ausmaß, daß die Anwendung des rundfunkrechtlichen Sonderregimes nicht angemessen wäre. Dem wird zwar entgegengehalten, daß Programmveranstalter bei dieser Abgrenzung rundfunkrechtliche Begrenzungen leicht umgehen könnten, indem sie die für einen bestimmten Tag vorgesehenen Programme schon am Vortag zum Empfang bereit hielten. 35 Doch abgesehen davon, daß dieses Verfahren gerade bei den fiir die öffentliche Meinungsbildung besonders relevanten Sendungen kaum praktikabel ist, geht diese Kritik von der Vorstellung einer festen Programmfolge aus, die bei einem Abrufdienst gerade nicht besteht. Breitenwirkung entfaltet ein Abrufdienst dagegen zweifellos zumindest insofern, als er durch jedermann, der Zugang zum Netz besitzt, empfangen werden kann. Die Wirkung einer Sendung wird jedoch nicht allein durch den rein quantitativen Gesichtspunkt der Zahl der (potentiellen) Empfänger bestimmt. Die fehlende Gleichzeitigkeit des Empfangszeitpunktes verringert die Wirkung der Sendung in qualitativ bedeutsamer Weise. Die oben erwähnte Bestimmung fiir die Allgemeinheit aber, das macht schon eine systematische Interpretation der Fernsehrichtlinie deutlich, kann sich nicht allein an rein quantitativen Kriterien ausrichten. Vielmehr müssen wertende Aspekte den Ausschlag geben. Konkret kann es daher letztlich allein auf die Wirkung auf die Allgemeinheit ankommen. Insoweit aber kommt der individuellen Bestimmung des Empfangszeitpunktes der Sendung maßgebliche Bedeutung zu. Im Verhältnis zum fiir das deutsche Verfassungsrecht vorgeschlagenen, ging in ähnliche Richtung tendierende Kriterium der Relevanz fiir die öffentliche Meinungsbildung36 weist das hier vorgeschlagene Kriterium der Gleichzeitigkeit der Sendung den Vorteil einer klaren Handhabbarkeit auf, der den Nachteil einer im Grenzbereich nur begrenzten Überzeugungskraft aufwiegen dürfte. Suggestivkraft schließlich kann den Neuen Medien zwar nicht abgesprochen werden. Dieser Gesichtspunkt allein vermag aber eine Zuordnung zum Rundfunk nicht zu tragen. Er kommt nämlich dem Kinofilm mindestens ebenso stark zu - ohne daß insoweit ein vergleichbares Sonderregime auch nur dis-

34 BVerfGE 35

90, 60 (87); vgl. auch Gersdorf(Fn. 30), S. 146.

Gersdoif(Fn. 30), S. 151 f.; siehe ferner die Beiträge von GersdoifundD6rr in

diesem Band. 36

Vgl. in diesem Sinn etwa den Beitrag von Dittmann in diesem Band.

5 Ditunann u. a.

66

Claus Dieter Classen

kutiert wird. Schließlich hat auch die schon ältere Aussage des Verfassungsgerichts, daß die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Anforderungen an das Programm der Privatsender nicht überflüssig macht, weil nämlich die Gefahr bestünde, daß die Privatsender die öffentlich-rechtlichen Sender dominierten31, in der Multi-Media-Welt keinen Platz mehr. Die Situation ist letztlich nicht entscheidend anders als bei der Presse. So wird auch für das deutsche Recht vorgeschlagen, die entscheidende Differenzierung nicht zwischen Rundfunk und sonstigen Medien, sondern zwischen Anbietern von Vollprogrammen und von sonstigen Diensten zu machen. 38 Schließlich hat auch das Verfassungsgericht die Besonderheiten solcher Programme im Verhältnis zum klassischen Rundfunk in bestimmten Zusammenhängen durchaus anerkannt. 39

IV. Schluß Zum Schluß kann zusammenfassend festgehalten werden: Die Behandlung des Rundfunks durch das Gemeinschaftsrecht überzeugt. Die Anwendung des allgemeinen Begriffs der Dienstleistungsfreiheit auf den Rundfunk ermöglicht, den technischen Wandel im Medienbereich rechtlich angemessen aufzufangen. Die Entwicklung hat bislang klar bestehende Grenzziehungen entfallen lassen. Die damit notwendige Flexibilität in der Abgrenzung aber läßt sich unter dem Dach des allgemeinen Begriffs der Dienstleistungfreiheit deutlich leichter vornehmen als bei einer Fixierung auf den Begriff des Rundfunks. Vor allem erlaubt die Dienstleistungsfreiheit, die notwendigen wirtschaftlichen Gesichtspunkte in das Medienrecht zu integrieren, ohne auf diese fixiert zu sein. Kulturelle Aspekte können und müssen ebenfalls Berücksichtigung finden. Nur so kann der "publizistisch-ökonomischen Doppelnatur" des Rundfunks40 Rechnung getragen werden. Dies zeigt sich konkret an der Verwendung des Begriffs des Rundfunks im Gemeinschaftsrecht. Einen allgemein verbindlichen Rundfunkbegriff gibt es dort zwar nicht. Insbesondere kennt das Primärrecht ihn nicht. Eine aus31

BVerfGE 73, 118 (158).

38

Hege (Fn. 9), S. 32.

39 BVerfGE 74, 297 (347); vgl. Libertus, Randnutzung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk - Rechtliche Aspekte und Erscheinungsfonnen, AfP 1992, S. 229 (233). 40

So Engel (Fn. 19), Rdnr. 61.

Der Rundfunk zwischen Wirtschaft und Kultur

67

drückliche Definition kennt nur die Fernsehrichtlinie für das Fernsehen. Diese ist von den Gemeinschaftsorganen geprägt worden und könnte gegebenenfalls auch geändert werden. In seiner derzeit bestehenden Ausformung läßt sich der Begriff aber auch auf die sonstigen Rechtsakte übertragen, in denen er bzw. der Rundfunkbegriff Verwendung findet. Konkret hat er die Aufgabe, zwischen zwei Bereichen eine Grenze zu ziehen: Auf der einen Seite stehen die allgemeinen Telekommunikationsdienstleistungen, die einem liberalen Regime unterliegen sollen, das vor allem von wettbewerblichen Regeln bestimmt wird. Ihnen steht gegenüber der Rundfunk. Dieser ist gekennzeichnet dadurch, daß seine Sendungen zu einem festgelegten Zeitpunkt unmittelbar den Empfänger erreichen. Wegen der dadurch besonders stark ausgeprägten Breitenwirkung ist der staatliche Gestaltungsspielraum in diesem Bereich erheblich größer. Die neuen Medien besitzen wegen ihrer Individualisierung diese Wirkung überwiegend nicht. Ihre Ausklammerung aus dem Rundfunkbegriff des Gemeinschaftsrechts ist daher angemessen. Bemerkenswerterweise wird sie auch für das deutsche Verfassungsrecht diskutiert. Der genieinschaftsrechtliche Rundfunkbegriff erweist sich damit auf der Höhe der Zeit. Er allein vermag das Besondere des Rundfunks im weiten Bereich der Telekommunikationsdienste angemessen zu umschreiben.

Neue Medien ohne Grenzen? - Das Völkerrecht und der Schutz nationaler kultureller Identität zwischen Bewahrung und Weltkultur Von Michael Kilian·

I. Einführung Beim letzten Vortrag, zumal nach dem Nachmittagskaffee, kommt bei der allgemeinen Müdigkeit das Feuilleton gerade richtig, sozusagen das coffeetable book. Mir blüht unter den Vorträgen der wohl undankbarste Part: Ein Thema als komplexe Verflechtung zweier selbst schwer zu fassender Bereiche, der kulturellen Identität und des Völkerrechts. Ich kann aus Zeitgründen nur einen Teil meiner Überlegungen vortragen, ich benötige dennoch fiinfundvierzig Minuten, da bei dem Thema Ausflüge in die Kulturgeschichte unumgänglich, ja zwangsläufig sind nach dem Motto, es geht um Kultur, und "Kunst ist, wenn es weh tut". "Neue Medien ohne Grenzen? - Das Völkerrecht und der Schutz nationaler kultureller Identität zwischen Bewahrung und Weltkultur" heißt mein Thema. Da ich nicht über die Wortgewalt eines Erwin Chargajf verfUge und dessen Warnungen vor den Segnungen der Informationsgesellschaft, möchte ich meinen Vortrag in vier Hauptabschnitte gliedern: Ich werde - erstens - die Herausforderungen skizzieren, denen sich das Völkerrecht angesichts der Umwälzungen durch die neuen Medien gegenüber• Professor Dr. iur., Universität Halle-Wittenberg. 1 "Der Niedergang (der Kultur) ist begleitet von der mir noch inuner unglaublich erscheinenden fufonnationsexplosion: alles was der Mensch wissen soll, wird ihm ins Haus geliefert, die Medien und die verschiedenen elektronischen Kanäle verstopfen sein Gehirn mit seiner Überfillle an ungefiltertem WissensstotT ... ". Zur fufonnationsgesellschaft s. Chargaff, Über das Recht nicht zu wissen, in: Ein zweites Leben, 1995, S. 41 tT.

70

Michael Kilian

sieht. Dann werde ich mich vor diesem Hintergrund - zweitens - vertieft dem Verhältnis des Völkerrechts zur Kultur zuwenden und dabei den Begriff der kulturellen Identität und dessen kulturgeschichtlichen Hintergründe beleuchten, ehe ich - drittens - die konkreten völkerrechtlichen Ansätze zur Bewahrung der kulturellen Identität vor allem anband der Kontroverse zwischen der Europäischen Union und den USA im GATT beim Streit um die sog. "kulturelle Ausnahme" behandle. Am Ende - viertens - einige Schlußfolgerungen zur sich anbahnenden Welt-Medienzivilisation und zur Aufgabe des nationalen Rundfunks. Das Verhältnis zwischen Europa und den USA im Medienzeitaiter wird am besten durch einen Buchtitel von Mark Twain charakterisiert: "Ein Yankee aus Connecticut an König Artus Hof', neuerdings von Hollywood aktualisiert im Spielfilm "King Ralph". Disneyland vor Paris wie die Türken 1456 vor Konstantinopel oder besser noch 1683 vor Wien2• Vorausschicken möchte ich einige zufällig gefundene, die Lage nach meiner Einschätzung jedoch treffend beleuchtende Zitate: - "Schlechte Hollywoodfilme sind gut für mich, sie treiben das Publikum in meine Filme". Der russische Regisseur Michalkow. - "Wieso unternehmen die Medien nichts gegen die Amerikanisierung (Santa Claus statt Christkindl) unserer Weihnachten?" Leserzuschrift in der KLEINEN ZEITUNG/Graz vom 29. Dezember 1995. - "Niemand wird gezwungen, einen Fernseher einzuschalten. Zu einem freien Menschen gehört heute, sich auch den größten Mist anzusehen. Wenn wir unsere kulturelle Identität nur noch mit juristischen Mitteln wahren können, dann ist diese kulturelle Identität schon verlorengegangen". Ingo v. Münch 19863. - "Fortan ist es nicht mehr möglich, sich noch zu täuschen, und Chirac ist ein großer Präsident. Das Gesetz über eine Mindestquote von 40 % französischer Chansons und Schlager, die allen Radiosendern auferlegt 2 Mittlerweile gibt es in Kontrast dazu im Großrawn Paris auch einen Asterix-Erlebnispark, anknüpfend an die gallisch-römischen Wurzeln der französischen Kultur. Im Juni 1996 eröffueten Warner Bros. in der Nähe von Köln einen Erlebnispark "Movie World".

3 Diskussionsbeitrag zu DelbrUck, Die kulturelle und individuelle Identität als Grenzen des Infonnationspluralismus, in: Wolfrwn (Hrsg.), Recht auf Infonnation Schutz vor Infonnation, 1986, S. 181 (221).

Neue Medien ohne Grenzen?

71

wird, ist dumm und böse wie jede Zensur. Sie ist dumm, weil sie weismachen will, daß ein Esel, der keinen Durst hat, durch Fußtritte ins Hinterteil gezwungen werden kann. Und sie ist böse, weil unter dem Vorwand, dieses arme, kostbare und zerbrechliche Etwas - nämlich das französische Chanson - schützen zu wollen, in Wirklichkeit der Groll gegen ein ganz bestimmtes Ziel ausgelassen wird: die Rock-Kultur in original-, also angelsächsischer Version". Die französische Zeitung Liberation4 . - " ... Der Grund dafür liegt auf der Hand: die schwindende Bedeutung Europas in der Welt - wirtschaftlich, politisch und kulturell ... ". Die russische Essayistin Sonja Margolina5•

11. Die Umwilzung der völkerrechtlichen Medienordnung 1. Wandlungen der Medienlage

Das traditionelle Völkerrecht hatte ein Geflecht technischer Abkommen zur Grundlage, etwa über die Verteilung der Radiowellen. Im übrigen konnte jeder Staat auf seinem Gebiet über seine eigenen Medien verfügen, das Stören fremder Sender, das sog. jamming, war Bestandteil dieser Mediensouveränität. Es war zwar ärgerlich und für den betreffenden Staat auch peinlich, wurde aber als Ausdruck souveräner Machtausübung völkerrechtlich respektiert. Ein erster Einbruch in diese Ordnung - die heute bereits als Idyll erscheint - geschah nach dem 11. Weltkrieg durch die Menschenrechtsverbürgungen auf Informationsfreiheit, so der UNO oder des Europarats: so Art. 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Art. 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche Rechte oder Art. 10 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte6.

4

Zit. nach FAZ vom 5. Januar 1996, S. 2, Presseschau.

5 Vgl. die neue deutsche Zeitschrift AMICA: 90 % des Inhalts befaßt sich mit amerikanischen Themen. 6 Siehe auch die Mediendeklaration der UNESCO-Generalkonferenz vom 22. November 1978, ILM 18 (1979), p. 276 und die Erklärung des Europarats über Meinungs- und Informationsfreiheit vom 29. April1982, ILM 21 (1982), p. 667. Später das Europäische Rahmenübereinkommen über grenzüberschreitendes Fernsehen des Europarats vom 5. Mai 1989 (ETS l32).

72

Michael Kilian

Durch die neuen Satellitentechniken mit der Möglichkeit des Overspill, also der Ausstrahlung von Sendungen weit über ein bestimmtes Staatsgebiet hinaus, begann die gebietsbezogene Mediensouveränität der Staaten zu bröckeln1; erste Befürchtungen um den Erhalt der eigenen politischen, sozialen und kulturellen Ordnung keimten8 • Am drängendsten bei den Ländern der Dritten Welt9 . Rufe nach einem gerechten Zugang zu den Informationsverbreitungsquellen, aber nach einem Recht auf Abschottung von unerwünschten Einstrahlungen wurden geltend gemacht. Mit dem Wegfall der ideologischen Ost-West-Konfrontation fielen die ideologischen und machtpolitischen Widerstände gegen den freien Fluß der Information für alle Bürger weg. Damit war international auch der Rundfunk als Hort nationaler Informationssouveränität geschwächt. Die heute weltweite Problematik wurde für den nationalen Rundfunk ausgelöst in zwei Schüben: zunächst die Zulassung des Privatfunks, es folgte die Entwicklung neuer Übertragungsmedien mit immer größeren Kapazitäten sowie der immer weiter gesteigerten Einbindung des Zuschauers in die Programmauswahl. Wurden in Europa 1989 275 000 Fernsehjahresstunden gesendet, werden es 1998 400 000 sein. Die Zahl der Fersehkanäle in Europa stieg von 28 im Jahre 1980 auf 56 im Jahre 1989 und 120 im Jahre 1995 1 Frankreich beispielsweise produziert pro Jahr 130-150 Spielfilme, allein der relativ kleine Sender Canal plus benötigt 200 Filme pro Jahr, um sein Programm zu füllenlI.

°.

Die Folge ist die immer drängendere Frage der Sicherstellung des kulturellen Auftrags. Seine Bedrohung ergibt sich durch quantitative Überkapazitäten, verbunden mit einer qualitativen Absenkung des Niveaus sowie mit der damit einhergehenden Zersplitterung des hergebrachten Programmschemas: es bestehen nicht mehr nur Vollprogramme, sondern eine Fülle von Spartenprogrammen mit erweiterten Möglichkeiten individueller Programmzusammen1 Siehe etwa Rudolf, Infonnationsfreiheit und Satellitennmdfunk im Völkerrecht, in: FS fiIr Zeidler, Bd. 11, 1987, S. 1869 m.w.N.

8 Siehe ScMnbäck, Die Resolution der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 über Prinzipien fiIr das direkte Satellitenfernsehen, ZLW 1983, S. 16 ff., dazu Eilers, ZLW 1983, S. 257 ff. 9 Überblick bei Muhammad I. Ayish, International Communication in the 1990' s: implications for the Third World, International Affairs 1992, p. 487 ff. 10 Grant, 'Jurassic' Irade Dispute: The Exclusion of the Audiovisual Sector from the GATT, Indiana Law Journal 1995, p. 1333 (1359).

11

Grant p. 1358.

Neue Medien ohne Grenzen?

73

stellung. Der freie Infonnations- (und Unterhaltungs-)fluß der weiterentwickelten Kommunikationsnetze kommt künftig auch ohne den traditionellen Rundfunk als ihrem Vermittler aus. Mit den neuen Übertragungstechniken geht eine immer rasanter werdende Kommenialisierung und Verflechtung bisher unbekannter weltweiter Medienkonzerne einher, wie man sie bislang nur in Gestalt der internationalen Erdölgesellschaften kannte 12. Alles zusammen: technischer Fortschritt und Kommenialisierung, eng verbunden mit dem Postulat weltweiter individueller Infonnationsfreiheit ergibt eine Mischung, die bei den Staaten Sorge um das eigene wirtschaftliche Potential wie um die eigene kulturelle Identität schürt. Letztlich handelt es sich bei der Individualisierung der Mediennutzung um eine De-Mediatisierung des Bürgers im Völkerrecht. Die alle nationalen Grenzen ignorierende Expansion der Medien ließ neuen Regelungsbedarf der internationalen Staatenwelt entstehen. 2. Völkerrecht und Rundfunkbegriff

Die völkerrechtliche Zentralfrage ist die Rechtmäßigkeit der Einstrahlung bzw. Einspeisung von Programmen in fremde Hoheitsgebiete. Offen ist, ob der sog. digitale "Rundfunk" noch als Rundfunk im traditionellen Sinn gelten kann. Nach dem technischen, weiten Rundfunkbegriff ist Rundfunk "jede für die Allgemeinheit bestimmte und elektronisch verbreitete Darbietung in Wort, Bild und Ton", darunter würden auch die meisten der neuen Medien fallen. Engere Definitionen sprechen vom Rundfunk als einer "Veranstaltung und Verbreitung einer planhaften Folge von Darbietungen", betonen somit materiell den Programmcharakter des Rundfunks, womit die meisten neuen Dienste ausgeschlossen sind13 • Völkerrechtlich befindet sich der überkommene Rundfunk im Schnittpunkt zweier Entwicklungen:

12 Jüngste Fusionen Anfang Februar 1996 betrafen Disney und ABC sowie TimeWamer und Turner Broadcasting (CNN). NBC plant mit Microsoft einen gemeinsamen Nachrichtenkanal. 13 Siehe dazu Berichte über die Medientage in München im Herbst 1995 in der FAZ v. 19. Oktober 1995, S. 24 und von Fromme, Die Welt der Medien ist in heftiger Bewegung, FAZ v. 31. Oktober 1995, S. 5 sowie den Kommentar von Weber, Freiheit fur Multimedia, ebendort.

74

Michael Kilian

- Zum einen technisch durch den individuellen Zugang Privater zu den vielfältigsten Kommunikationsnetzen, - zum anderen durch das internationale Wirtschaftsrecht, das den Rundfunk mit zur Programmindustrie rechnet und ihn den handelsliberalistischen Regeln des Markts unterwirft. Völkerrechtlich verpackt ist das eine als Menschenrecht auf freien Informationsfluß, das andere als Freiheit des Wirtschaftsverkehrs. Nach dem weiten Rundfunkbegriff nähme der Rundfunk somit an der Menschenrechtsverbürgung teil, d.h. Rundfunksendungen könnten, von Extremfällen abgesehen (z.B. Verstößen gegen den nationalen ordre public), nahezu unbeschränkt von außen eingestrahlt oder eingespeist werden: ein Menschenrecht auf E-Mailbzw. Internet-Anschluß. Es ist derzeit in der Diskussion, ob und inwieweit sämtliche Datenaustauschnetze ebenfalls in das Menschenrecht auf freien Informationsaustausch im Sinne der traditionellen Meinungsfreiheit einzubeziehen sind l4. Zweifel ergeben sich daraus, daß zur Zeit der Formulierung des Menschenrechts auf Information noch niemand an die Möglichkeiten heutiger Datennetze gedacht hat. Zudem sorgt man sich um Gefahren, die dem Einzelnen gerade aus dem unbeschränkten Austausch von Daten erwachsen können. Die Völkerrechtsentwicklung wird jedoch nach meiner Einschätzung dazu führen, daß die bisherigen Freiheitsverbürgungen - mit einigen Schrankenvorbehalten - auch auf die neuen Medien ausgedehnt werden: Ein Überblick über den Stand der Völkerrechtslehre ergibt, daß der grundsätzliche individuelle Zugang zur Weltkommunikation heute national - wie internationalrechtlich verbürgt ist l5 . Die Freiheit der Information als Menschenrecht greift die überkommene Rundfunkstruktur im Völkerrecht an und verändert sie l6 . In der sich abzeichnenden liberalen Weltmedienordnung ist der Zug in Richtung einer nahezu unbegrenzten Informationsfreiheit bereits abgefahren 11. Der freie Datenaustausch

14 Überblick bei Estadella-Yuste, Transborder Data Flows and the Sources ofPublic International Law, N.C.J. Int'l L. & Com.Reg. 1991, p. 379 t1

15

So bereits DelbrUck, s.o. Fn. 3.

16 Siehe etwa Krasner, Global Communications and National Power, Life on the Pareto Frontier, World Politics, Vol. 45, Oct. 1992 - July 1993, p. 336.

11 Überblick über die Debatte in den achtziger Jahren bei Rauschning, Der Zugang zu dem internationalen Informationsverteilungssystem als Forderung des Völkerrechts, in: Wolfrum (Hrsg.), Recht auf Information - Schutz vor Information, 1986, S. 1129 ff.

Neue Medien ohne Grenzen?

75

und Datenzugang wird zumindest in der westlich orientierten Völkerrechtsgemeinschaft bereits zum Menschenrechtsstandard gezählt, nur über deren Schranken und die Sicherung von Schutzgütern, etwa der persönlichen Daten, wird noch diskutiert l8 . Die staatliche Kontrolle des individuellen Zugriffs auf Videonetze, Pay-TV, etwa durch Quoten - sofern das technisch überhaupt machbar wäre - stünde der Informationsfreiheit entgegen und liefe auf Zensur hinaus. Der Zugang ist staatlicherseits, wie erwähnt, nur noch in Ausnahmefällen beschränkbar. Verbunden mit dieser Informationsfreiheit des Einzelnen macht die inzwischen weltweit verflochtene Medienwirtschaft den Regelungsspielraum des einzelnen Staates sehr eng. Das weltweite Kommunikationsnetz wächst unaufhaltsam weiter und ist unumkehrbar existent: die Erfindung des Rades konnte auch nicht mehr rückgängig gemacht werden. Wer die Netze scham und unterhält, und dies sind bereits jetzt überwiegend private, international tätige Gesellschaften, bestimmt auch deren Möglichkeiten. Der Weg führt weg vom Öffentlichen-Institutionellen (der traditionellen Post und der Rundfunkanstalt) hin zum Privaten-Kommerziellen-Individuellen - aber damit letztlich auch wieder zurück zum Staat Md zur Staatengemeinschaft als den traditionellen, rahmensetzenden Schützern, Bewahrern und Schlichtem. Anstelle der früher debattierten (und überholten) rigorosen "kulturellen (Rundfunk-)Souveränität" ist - im Westen - die "(Massen-)Kultur als vor dem Markt zu schützender Bereich" getreten l9 . Auf jeden Fall unterliegt nach beiden Rundfunkbegriffen der Rundfunk als Teil der Programmindustrie staatlicher Vorsorge zum Schutz der eigenen kulturellen Identität2o . Da in den Auseinandersetzungen der jüngsten Zeit der Rundfunk in erster Linie als Wirtschaftsfaktor in den Vordergrund trat, und hier wiederum als Instrument zur Bewahrung der eigenen Identität, läßt dies darauf schließen, daß sich das Völkerrecht eher einem engeren Rundfunkbegriff zuwendet und alle weiteren Mediendienste außerhalb planmäßiger Programmschemata dem menschenrechtlichen Bereich des freien Informationsflusses zuweist. Hier ist allerdings noch vieles offen.

18

Überblicke bei Estadella-Yuste p. 420 tT.

19 Dazu

gehören Medien wie der Film, Videos, Unterhaltungsmusik, CD-Schallplatten, Fernsehserien. 20 Zur Programmindustrie zählten dann auch Pay-TV und Pay per View-Sendungen, da sie ähnlich wie die üblichen Fernseh- oder die Kinoprogramrne im Sinne eines Filmfundus wirken.

76

Michael Kilian

III. Völkerrecht und Kultur J. Rundfunksysteme und Kultur

Bereits vor der technischen Medienrevolution konnte man zwei Traditionen im Rundfunkwesen der demokratischen Staaten Westeuropas und in Übersee gegenüberstellen. Mit den Grundstrukturen, dem kommerziellen Privatsendersystem einerseits, den öffentlich-rechtlichlhalbstaatlichen Sendern andererseits, waren zugleich zwei Sichtweisen kultureller Verbreitung vorgegeben: Freies Spiel der Kräfte und rocher de bronze staatlich geschützter Kulturgehege. Hoffmann-Riem nennt dies das Marktmodell im Gegensatz zum Treuhandmodell21 • Hierbei spielten natürlich auch die historisch gewachsenen Traditionen (wirtschaftlicher Liberalismus und Kulturmäzenatentum der USA, Etatismus Europas) eine zentrale Rolle. Die Grundversorgungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht in dieser Tradition: öffentlich-rechtliche Absicherung und Rechtfertigung der kulturellen Kernaufgaben des Rundfunks vor privatrechtlichen Ungewißheiten. Der allgemeine Trend der Quotenzählerei führt zwangsläufig zur Niveauabsenkung ins Bodenlose, allerdings zunehmend verbunden mit der Möglichkeit von anspruchsvollen Minderheiten, in Spartenprogramme und Selbstprogrammwahl auszuweichen. Privatsender und ihre Zulassung im dualen System nährten demgegenüber ein - bereits zuvor schon lange schwebendes - kulturpessimistisches Unbehagen, von dem auch ich - ich gestehe es gerne - nicht frei bin. Ich möchte hierfiir ein Indiz nennen: Als ich bei der Vorbereitung des Vortrags auf Samuel Huntingtons Aufsatz "Clash of Civilizations" stieß22, las ich die Überschrift unwillkürlich als "Clash of Cultures", ein Mißverständnis und zugleich eine typisch deutsche ThemensteIlung, nämlich des Antagonismus: Hollywood gleich civilization, Wim Wenders und Werner Herzog gleich culture.

21 Kulturelle Identität und Vielfalt im Fernsehen olme Grenzen?, MP 1985, S. 181 (186 ff.). 22 The Clash ofCivilizations?, Foreign Affairs 1993, p. 22. Der Aufsatz befaßt sich nicht mit der internationalen Medienlandschaft sondern mit ethnischen Kulturbrüchen, insbesondere mit der Renaissance des Islam als zivilisatorische Kraft in der Welt nach Beendigung des Ost-West-Konflikts.

Neue Medien ohne Grenzen?

77

2. Kulturelle /dentiUlt und Geschichte Der Marktanteil der US-Programmindustrie stieg in Europa in kurzer Zeit von 60,2 % im Jahre 1984 auf 71,5 % 1991 und 81 % 199223 . Der Marktanteil der US-Filmproduktion z.B. in Frankreich betrug 1984 36,8 %, 1991 schon 58,7 %24. 1994 erzielten Kinofilme aus den USA 80 % der Kinoumsätze in Europa (und in Deutschland)25; der Gesamt-Fernsehprogrammanteil amerikanischer Produkte beträgt in Europa durchschnittlich 50 %26. Kulturen sind in der Geschichte gekommen und wieder vergangen. Besorgnis um die Bewahrung der eigenen Kultur hat es folglich immer schon gegeben27. Kulturen konnten auch künstlich ins Leben zurückgerufen werden: Johann Gott/ried Herder erweckte mit der Volkskunde die Kulturen des Balkans aus ihrem Schlaf, in den sie seit der Niederlage der Serben auf dem Amselfeld 1389 gefallen waren. Historische Beispiele des natürlichen Kommens und Vergehens sind zahlreich: Vom langsamen Verfall der Spätantike und Byzanz bis zu raschen Implosionen, so in Rom und im Sowjetreich. Der Gegensatz antike Kulturen - Barbaren brachte in der Spätantike ein verzweifeltes kulturelles Wehren gegen das germanische Barbarentum einerseits, die neue Ideologie des Christentums andererseits28 . Oft siegte aber auch die überwundene Zivilisation nachträglich, so Griechenland über Rom, das Christentum über Rom29, das römische Staatschristentum über die Germanenreiche, der alte 23 Beispiele bei Grant p. 1347. Der US-Film erbrachte 1992 90 % der britischen Filmumsätze, 85 % der französischen und im Durchschnitt 70 % der übrigen europäischen Länder, s. ebd. p. 1339. 24 Ming

Shaa p. 118 Fn. 83.

25 Bei den top-ten der Kinofilme sind in Europa wie in Australien, Mexico und Südafrika die amerikanischen Filme überlegen vertreten. Siehe a. Grant p. 1347. 26 Van Harpen, Mamas, Don't Let Your Babies Grow Up to Be Cowboys: Reconciling Trade and Cultural Independence, Minn.J. Global Trade 1995, p. 165, Fn. 1 m.w.N.

27 Die Weltliteratur ist voll davon: Das Nibelungenlied ist (auch) ein Epos über den Niedergang einer Kultur. Die kulturelle Unterdrückung der spanischen Niederlande durch Herzog Alba hat bei Goethe wie bei Schiller ihren künstlerischen Ausdruck gefunden, Lord Byron beteiligte sich aktiv am griechischen Freiheitskampf gegen die Türken. 28 Hierzu ManJred Fuhrmann, Rom in der Spätantike, 1994. 29

1978.

earl Schneider, Geistesgeschichte der christlichen Antike, dtv-Wiss. Nr. 4313,

78

Michael Kilian

Orient über Europa, die Antike in der Renaissance über die christliche Scholastik3o, die europäische Hochkultur über die USA3l. Die US-Zivilisation siegte anschließend umso gründlicher über die restliche Welt: Das amerikanische Musical über die Operette oder die italienisch gesungene Verdi-Oper32 . Kulturverfall als stoische Unterwerfung unter den Toybee'schen "Gang der Weltgeschichte", gleichsam als Fatum im Sinne eines völkerrechtlichen laissez faire, eines survival of the (cultural) fittest? Wer kulturell untergegangen ist, dem weint das Völkerrecht keine Träne nach, die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Historisch kreisen eine Fülle meist tragischer Beispiele um den Begriff der kulturellen Identität, schon die geteilten Polen sprachen davon, daß die Deutschen ihr Blut, die Russen aber ihre Seele (d.i. Identität) nähmen. Zeitgenössische Beispiele von blutigen wie unblutigen Kämpfen um die eigene nationale, und damit auch kulturelle Identität, erleben wir täglich, im Fernsehen: vom Kaukasus über die Kurden bis zum Baltikum, von Bosnien ganz zu schweigen. Ja sogar in "zivilisierten" Gegenden wie in Quebec, im Amtssprachenstreit zwischen der Slowakei und Ungarn, in Österreich (Kärnten, Südtirol) oder in der friedlichen Schweiz (Jura). Beispiele staatlicher Fördermaßnahmen sind Kultursubventionen in vielen Ländern, soweit sie es sich angesichts leerer Kassen noch leisten können: die Pflege der gälischen Sprache in Irland, Verlagssubventionen in Österreich, Filmförderung in vielen Ländern. Strenge Ausfuhrverbote bestehen für Kulturgüter in Ägypten, Griechenland, der Türkei, teils verbunden mit Rückforderungen an die Museen etwa Großbritanniens, Frankreichs oder Deutschlands. Es gab immer gebende und nehmende Kulturen, Gründe waren teils machtpolitische Dominanz, etwa kriegerische Überfremdung, aber auch eine überlegene künstlerische Zivilisationsstufe und schöpferische Kraft: Griechische Philosophie, Italienische Kunst, Architektur und Musik, Französische Sprache und Lebensart im Barockzeitalter, Deutsche Musik vor dem I. Weltkrieg. Immer gab es auch Widerstände dagegen, so in der deutschen Romantik der

30 Grundlegend Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, z.B. Ausgabe Reclam Nr. 6837-44a, 1960.

3l Pretty Woman wird von ihrem Liebhaber in die Verdi-Oper "La Traviata" gefUhrt. 32 Mejias, Und es leuchten die Titel, James Levine ist bekehrt: Auch die Met bietet nun Oper in Simultanübersetzung, FAZ v. 3. Januar 1996, S. 23.

Neue Medien ohne Grenzen?

79

Kampf gegen welsche Überfremdung, in den USA der Kampf gegen die deutsche Kultur im Ersten Weltkrieg; russisches Antiwestlertum hat bis heute Tradition, von Dostojewskij bis Solschenyzin. Äußere Zeichen kultureller Überfremdung sind u.a. Sprachverdrängung und Sprachverarmung33 • Wie wichtig die oft vernachläßigte Frage der kulturellen Identität ist, zeigt sich z.B. an der mit Leidenschaft gefiihrten Debatte um die deutsche Rechtschreibreform oder um das Kruzifixurteil, in einem Land, das allen Fragen der Identität - jedenfalls in seiner Intellektuellenschicht - sonst mehr als kühl gegenübersteht. Gibt es aber überhaupt noch eine bewahrenswerte deutsche Identität und sind wir nicht unsererseits - anders als etwa die Franzosen längst über solche Ängste hinaus, fröhnen einem hemmungslosen Internationalismus? Oder geht es vielmehr bei unserer kulturellen Nonchalance, unserem Fatalismus und unserem Libertinismus - auch bedingt durch das moralische Versagen im Dritten Reich -, nicht auch um ein Aufdrängen unserer ureigenen Ignoranz gegenüber anderen, selbstbewußteren Nationen? Wird nicht gleichsam der Verkauf der eigenen Seele, die eigene Borniertheit und Indolenz ausgegeben als Toleranz: hilfloses, resignierendes oder ignorierendes Hinnehmen, wenn nicht reflexionsloses Adaptieren eines kommerzialisierten Internationalismus? Also auch hier wieder die deutsche Eigenart des zivilisatorischen Anpassertums, das Fallen von einem Extrem ins andere. Andere Nationen nehmen Fragen kultureller Identität ernster, so in einem Zitat, das der polnische Journalist Ryszard Kapuscinski in seinem Buch "Lapidarium" wiedergibt34 • Es entstammt einem Artikel von Stefan Czarnowski unter dem Titel "Über die Notwendigkeit eines geistigen Lebens" in "Tygodnik Polski" im Jahre 1912: "Der Kampf um die Zukunft der Nation wird nicht auf dem Gebiet der Wirtschaft entschieden, sondern auf dem Feld der Kultur. Das wissen unsere Nachbarn und daher wird in den Gebieten, die von den Hohenzollern regiert werden, und auch im russischen Reich, unsere geistige Entwicklung konsequent und drastisch behindert. Das Prinzip unserer nationalen Dichter, vor allem die geistige Kraft der Nation zu stärken, war nicht bloß mystisch-romantische Träumerei. Dieses Prinzip war Ausdruck des genialen Begreifens des Wesens der gesellschaftlichen Erscheinungen im allgemeinen und der Lebensbedingungen der polnischen Nation im besonderen. Finnland als unbemitteltes, an Menschen armes Ländchen ist ein Beispiel fitr eine

33 Etwa das Verschwinden der klassischen Sprachen, die Verdrängung des Französischen durch das Englische, das Verschwinden von Deutsch als früherer Wissenschaftssprache. Siehe a. ChargajJ, Ein zweites Leben, 1995, S. 20 fT. 34

Lapidarium, 1992, S. 70.

80

Michael Kilian Nation, die ihre Unabhängigkeit dadurch bewahrte, daß die Bürger dieses kleinen Landes hundert Jahre hindurch unennüdlich daran arbeiteten, die eigene Kultur zu mehren."

Ebenso ist es in Frankreich; Italien und Spanien ruhen ebenfalls in ihrer Geschichte, Großbritannien ist wegen der Weltsprache Englisch ein Sonderfall. 3. Völkerrecht und kulturelle Identität Das Völkerrecht kümmert sich nicht darum, ob eine Stimme der Kulturwelt untergeht oder ganz verstummt, darauf bedacht zu sein ist nicht seine Aufgabe. Es gleicht hier dem Eiseshauch, der Gleichgültigkeit des Alls und vertraut auf den eigenen Beharrungswillen einer Kulturgemeinschaft, seine Stimme in der Welt weiter existieren zu lassen, sie zu pflegen oder eben verlöschen zu lassen. Das Völkerrecht kennt keinen Schutz nationaler kultureller Identität als solcher, Ausnahmen wie der Schutz konkreter bedrohter Weltkulturmonumente, etwa Angkor Wat, bestätigen dies nur: die UNESCO-Liste hat das Welt-Kulturerbe im Auge, nicht eine einzelne nationale Identität. Das Recht arbeitet mit festen oder feststellbaren Größen, etwa Kabelnetzen oder Ätherwellen. Kultur ist demgegenüber nichts Meßbares, im Gegensatz zur Lufthoheit, zu Land- oder Seegrenzen, Schürfrechten, Minderheitsgruppen, Wasserressourcen, sogar Radiowellen. Einen völkerrechtlichen Begriff der kulturellen Identität gibt es daher nicht35 • Auch die Definitionen des Philosophischen Wörterbuchs36 sind für uns Juristen wenig hilfreich. Was ist Kultur? Kultur als Gesamtheit der menschlichen Errungenschaften. Kultur als Bezugspunkt der Identität ist die "geschichtliche-gesellschaftliche Welt" (Wilhelm Dilthey)31. "Kultur ist eines der zwei oder drei schwierigsten

35 In Wilhelm G. Grewes Buch, Das Spiel der Kräfte in der Weltpolitik, 1970, fmdet man zwar das Stichwort "Kulturrevolution", nicht aber die kulturelle Identität.

36 Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsgg. von Stemschulte, 1976, Bd. 4, Stichwort "Identität", Sp. 144 ff.

31 Einen eindrucksvollen Abgesang auf eine sterbende Identität (Sizilien und Süditalien) gibt Joachim Fest, Im Gegenlicht, Eine italienische Reise, Goldmann-TB Nr. 12809,1990.

Neue Medien ohne Grenzen?

81

Wörter in englischer Sprache"38: "Culture consists of knowledge, beliefs, perceptions, attitudes, expectations, values, and patterns of behaviour that people have by growing up in a given society"39. Darin eingebettet ist die individuelle Identität, nicht als "einsame Selbstreflexion", sondern als "wandelbare Balance zwischen persönlicher, unverwechselbarer Lebensgeschichte und sozialer Zugehörigkeit zur geschichtlich geprägten Lebenswelt". Dies bildet wiederum eine Gruppenidentität heraus. Ein Element der Identität ist das sich selbst Bewußte, das, offen nach außen, in der Lage ist, auf äußere Eindrücke eigenständig zu antworten, diese zu verarbeiten und selbst gestaltend zu beeinflussen4O • Im Sinne einer Kultur, die auch Eigenes zum Chor der Völkerkulturen beizusteuern hat und auch beisteuern will. Voraussetzung dafiir ist freilich, daß überhaupt (noch) ein Wille zu deren Bewahrung besteht, etwa in der Fähigkeit zu eigener Innovation anstelle bloßer Adaption41 .

38 W. Ming Shao, Is There No Business Like Shwo Business? Tree Trade and Cultural Protectionism, Yale Journal ofInternational Law 1995, p. 105 (139). 39 Ming Shao p. 139 sowie ähnlich A. W. Johnson: "The culture of a society is the whole complex of knowledge and beliefs and attitudes and practises which are embodied in the society, and in its social, political, and economic arrangements", Free Trade and Cultural Industries, in: Gold/Ceyton-Brown (eds.), Trade Offs on Free Trade, 1988, p. 350.

40 Die Frage der Identität kann aber auch kuriose Blüten treiben: In Österreich wurde allen Ernstes gefragt, ob mit den anonymen Sparbüchern, die durch die Europäische Union gefilhrdet sind, nicht auch ein Stück Identität verloren gehe (KLEINE ZEITIJNG v. 15. Februar 1996). 41 Bekanntestes Beispiel ist Japan. Gegenbeispiel eines gelungenen Umgangs mit Fremdem ist z.B. Italien. Erzwungene Identitäten scheitern, wie das Beispiel der DDR zeigt. Bereits vor dem Medienzeitalter galt in vielen Ländern der internationale Tourismus als Angreifer auf kulturelle Identitäten, vor allem in den Entwicklungsländern. Die Adaption der US-Unterhaltungszivilisation wird in den einzelnen Bevölkerungsschichten und Erdteilen unterschiedlich vermerkt. Überfremdungssorgen plagen eher einen Teil der Intellektuellen, etwa Europas oder der Islamischen Welt, während sich Ostasien, Lateinamerika, wohl auch Schwarzafrika, der Weltzivilisation des Medienzeitalters eher widerstandslos anheimgeben. Eine Ausnalune bildet neuerdings Brasilien: 63% der Unterhaltungsmusikproduktion (CDs) ist nationalen Ursprungs; s. DER SPIEGEL Nr. 21/1996, S. 234. Singapur, die Olscheichtümer, Hongkong, Taiwan, Korea, die Philippinen scheinen gegenüber der US-Programmindustrie offen zu sein. Anti-Hollywood Affekte als dem sichtbarsten Zeichen des American Way of Life zeigen sich da und dort in Intellektuellenkreisen Europas. Die political correctness in den 6 Ditunann u. a.

82

Michael Kilian

Identität ist mehr als die bloße Summe nationaler Kunsterscheinungen, sie ist ein undefinierbares Gemisch von Lebensäußerungen und Eigenschaften einer Gesellschaft, so gesehen gehört auch das besondere Sozialverhalten zur Identität einer Gesellschaft: das österreichische Kaffeehaus, der italienische Espresso. Der Begriff kann also umfassender im Sinne der eigenen "Lebensart" verstanden werden42. Daher sind auch Mac Donalds und Holyday Inn ein Stück Lebensart und Identität: "Mac World"43, beliebtester Film in Schweden wie in Israel war "Pretty Woman"44. Daher auch die Forderung in der EU-Debatte, der Zuschauer habe in den Medien auch seine eigene, nicht eine fremde Umwelt wiederzufinden. Denn der einzelne Bürger wird heute nicht mehr in seinem durch Schule, Umfeld, Eltern, Kirche vorgefilterten Kulturkreis festgehalten und auch darin geborgen, sondern sofort der internationalen Welt der Medien ausgeliefert. Jeder hat sein Weltprogramm zur Auswahl, das professionellste und am geschicktesten vermarktete Produkt setzt sich durch, und das kommt aus Hollywood (oder Hong Kong), bei Trickfilmen und Computerspielen auch aus Japan45 . Sozialwissenschaftler warnen bereits: Die Ästhetik werde nicht mehr von der Kunst! sondern von Massenmedien und Marketingagenturen geschaffen46 . Kunst regt allenfalls weiter an und bietet sich zu Ausbeutung an, ja, wird sogar dem Publikum vermittelt, wie der Erfolg von Werbespotmusik aus Klassikermelodienfetzen zeigt, sie ist für die ästhetische Fortentwicklung und Geschmacksbildung der Gesellschaft aber nicht mehr wesentlieh. Nach dem Satz von Theodor Adorno: "Geschmack ist der treueste Seismograph der historischen Entwicklung"47.

USA enthält jedoch ihrerseits antiabendländische Tendenzen, wie der Kampf gegen die von weißen Männern (= Europäern) bevonnundete Überlieferung von Kunst und Wissenschaft zeigt. 42 K.H. Bohrer zählt hierzu auch Bereiche wie die Presse, den Schlager, die Werbung, Film, Schauspielerei, s. dazu die Aufsatzserie "Provinzialismus" in: Merkur 1990 pass. 43

Grant p. 1347.

44

Grant p. 1347.

45 Spielfilme können überhaupt als guter Indikator gelten: Fernsehsender werden an der Zahl und Qualität der gesendeten Spielfilme gemessen, der Erfolg neuer Programmzeitschriften wie "TV-Spielfilm" und "TV-Movie", oder jetzt in Österreich "TVNews" zeigen dies. 46 Siehe den Bericht von Grosse-Brockhoff, Ästhetische Katastrophe, FAZ v. 5. Dezember 1995, S. 41.

47 Zit. n. Clausen, Kleine Frankfurter Schule des Essens und Trinkens, 1987, S. 5.

Neue Medien ohne Grenzen?

83

Was ist Ursache und was ist Wirkung? Kommt der Film- und Fernsehgeschmack (der "Zeitgeist") den neuen Medien entgegen, oder wird dieser Geschmack umgekehrt von ihrem Ansturm erst erzeugt? Das Angebot erzeugt die Nachfrage. Oder beides: Handelt es sich um ein nach dem Zweiten Weltkrieg herangereiftes gemeinsames "neues westliches Lebensgefühl"? Sich bedroht fühlende Staaten, Kanada48 , Frankreich, erwogen spät genug Maßnahmen zum Schutz ihrer Identität. Eine erste Stimme erhob Benoit Bouchard, der Kommunikationsminister Kanadas im Jahre 1985: "We believe that, just as retaining OUT territorial sovereignty is essential if we are to remain an independent nation, so it is true that we must always retain OUT cultural sovereignty - the absolute right in the eyes of the world to use all the instruments at OUT disposal to enhance and defend OUT unique identity"49.

Ähnlich Francois Mitterand, Staatsmann und homme de lettre: "What is at stake, and therefore in peril, in the current negotiations is the right of each country to forge its imagination and to transmit to future generations the representation ofits own identity"50.

Und hier setzt dann doch das Völkerrecht ein: Was wird vom Völkerrecht als extreme Bedrohung der eigenen Kultur anerkannt und was ist, als dessen Folge, im Rahmen des Völkerrechts an Schutzmaßnahmen zulässig - und was nicht? Nach dem ersten Anschein völkerrechtlicher Kultur-Eiseswüste begegnen uns dann doch einzelne wärmere Inseln. Kulturbewahrende Bezüge weisen z.B. das Selbstbestimmungsrecht der Völker und der Minderheitenschutz auf, das Urheberrecht als Schutz geistigen, somit auch kulturellen Eigentums. Nach dem 11. Weltkrieg und seinen Verlusten an Kulturgütern folgte der Schutz von Kulturgütern; das Denkmalwesen und der Kunstdiebstahl erfreuen sich mittlerweile der Aufmerksamkeit der Staatengemeinschaft. Auch das in48 Siehe dazu A. W. Johnson, Free Irade and Cultural Industries, in: Gold/CeytonBrown (eds.), Irade Offs on Free Irade, The Canada-US Free Irade Agreement, 1988, p. 351 ff.; Cap/an, The Effect of the Proposed Free Irade Agreement on Sovereignty Issues, in: M. G. Smith/Stone (eds.), Assessing the Canada-U.S. Free Irade Agreement, 1987, p. 229 ff.; Rugman, North America Economic Integration and Canadian Sovereignty, in: M. Delal Baer/Sidney Weintraub (eds.), The NAFIA Debate, 1994; Cornell Card, Canada-United States Free Irade and Canadian Cultural Sovereignty, Vol. 1,1987. 49

Van Herpen p. 171/172.

50 Zit. nach Ming Shao p. 137. 6'

84

Michael Kilian

ternationale Umweltrecht mit dem Gedanken des common heritage of mankind befruchtete z.B. den Weltdenkmalschutzgedanken, ·selbst das Internationale Verkehrs- und Nachrichtenrecht wäre zu nennen als Voraussetzung jeden kulturellen Austauschs51 • Kulturschützende Aspekte haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Äußerungen auf der Ebene der UNO gehabt, so in der Friendly Relations Deklaration der UNO-Generalversammlung und in mehreren Medien-Deklarationen der UN-Generalversammlung52 ebenso wie der UNESCO, sämtlich allerdings mit der repressiven Tendenz, die Kultur (und damit oft die politischen Systeme) der sozialistischen und der Entwicklungsländer vor der Medienübermacht des Westens zu schützen53 . Zu denken wäre also an eine Art Ensembleschutz der einzelnen Kulturen. Hier ist jedoch das Völkerrecht - wie schon erwähnt - überfordert, es kann nicht die Identität als solche schützen, sondern allenfalls einzelne, besonders exponierte Identitätselemente. Es kann Minderheitsgruppen schützen und so deren Lebensweisen oder Sprachen vor Überfremdung bewahren. Es ist jedoch nicht in der Lage, die Identität eines ganzen Staates zu bewahren, da sie als Ganzes nicht faßbar ist. Die Kultur lebt von Fluß und Austausch, sonst droht sie zu versteinern, sie kann aber auch durch Tempo der Überfremdung und Niveauabsenkung von außen (z.B. durch Massentourismus) Schaden nehmen. Die neuen technischen Möglichkeiten sind uferlos, nationale Kulturen sind ihnen offen ausgesetzt. Die mobile Mediengesellschaft ist eine freie Gesellschaft mit verfassungsrechtlich, ja menschenrechtlich verbrieften Zugängen zu Mediennetzen aller Art. Das Völkerrecht muß daher unumgängliche Veränderungen in Kauf nehmen. Es kann somit einen Staat nicht hindern, eine kulturelle Dominanz im Weltmaßstab auszuspielen, es sei denn, sie diene der Unterdrückung konkreter völkerrechtlich geschützter Rechtsgüter, etwa bestimmter kultureller Minderheiten. Davon kann bei Filmen aus Hollywood weiß Gott nicht die Rede sein. 51 Daher gibt es auch im Medienbereich kulturelle Entwicklungshilfe ftlr Sender in der Dritten Welt, etwa quasi-staatliche technische Hilfe durch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten oder durch kirchliche Einrichtungen der Mission.

52 So die Resolution zur Welt-Infonnationsordnung 1979: Ziele sind die Bewahrung des Infonnationspluralismus und Respekt vor der kulturellen Identität der Staaten. Infonnation als Teil der Kultur, aber auch Einflußnahme auf diese.

53 Dazu BUckling, Transnationales Satelliten-TV und nationale Kulturreservate in der EG, EuGRZ 1987, S. 97 ff.

Neue Medien ohne Grenzen?

85

Andererseits kann es den betroffenen Staaten keine uferlosen Freiräume zum Schutz der eigenen Lebensart verschaffen, da dies dem modernen kooperativen Geist des internationalen Rechts widerspräche. Das Pochen auf die eigene Souveränität erweist sich hier gar zu oft als ein stumpfes Schwert54 . Ein völliges Abschließen eines Staates und seiner Kultur von der Außenwelt, wie in früheren Zeiten möglich55 , wäre heute nicht mehr denkbar, es wäre völkerrechtswidrig. Wenn das Völkerrecht keinen umfassenden Schutz leisten kann und soll, inwieweit ist dann der durch die Medienüberflutung betroffene Staat kraft seiner Souveränität in der Lage, sich im Rahmen des Völkerrechts selbst zu schützen? Das Völkerrecht läßt Maßnahmen des Staates zum Schutz der kulturellen Identität grundsätzlich zu (sofern die bestehenden wirtschaftlichen Zwänge dem Staat hierfür überhaupt noch Möglichkeiten lassen). In einer Wechselwirkung setzt es der staatlichen Souveränität und dem nationalen Recht Schranken, und zwar auf zwei Bühnen: - Zum einen durch den Bestand an allgemeinen RechtsgrundSätzen des Völkerrechts, etwa zum Menschenrechtsstandard, sowie zum andern - durch das Geflecht der bindenden völkervertraglichen Systeme, etwa der Europäischen Union oder des GATT. Hier stößt das nationale Recht also auf völkerrechtlich zu beachtende Schutzgüter, wie das Menschenrecht auf freien Zugang zu den Infonnationsquellen und den freien Welthandel. Das nationale Recht kann wie das Völkerrecht im Medienwesen nur auf abgrenzbare Regelungsbereiche zugreifen, etwa seine Kulturdenkmäler vor Auslieferung in fremde Staaten schützen oder seine Rundfunkordnung bestimmen. Rechtlich möglich ist also - national wie international - nur ein mittelbares Tätigwerden durch den Schutz solcher Einzelelemente, die in der Summe zur Identität beitragen, etwa die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten oder die nationale Filmindustrie. Das nationale Recht sieht sich jedoch wachsender internationaler Beschränkungen gegenüber: Die Rechtsverbürgungen des freien Welthandels (in der Europäischen Union oder im GATTIWTO) verweisen den

54 Siehe dazu etwa Ming Shao p. 144 ff. Intemationalrechtliche Sachzwänge überwölben im Medienbereich den klassischen Souveränitätsgedanken. 55 China, Japan, Osmanisches Reich, auch Rußland, in unserer Epoche lange Zeit noch China, Burma oder Albanien.

86

Michael Kilian

Staat immer mehr in eine Randrolle des Nachtwächters. Die Rahmenbedingungen der Medien-Kulturpolitik werden zunehmend durch die der internationalen Staatengemeinschaft gesetzt56 . Das dicht gewebte internationale Wirtschaftsrecht führt dazu, daß der einzelne Staat nur noch eingeschränkt eine Medienpolitik im Sinne eines positiven 11 Angebots" gestalten darf, etwa über Kultursubventionen. Aber auch negativ kann er nur noch ausnahmsweise Eingriffe vornehmen, insbesondere zum Schutz des sog. ordre public57 . Nur im Verbund mit anderen Staaten, etwa in der Europäischen Union, und nur völkervertraglich können auf der Ebene des internationalen Wirtschaftsrechts einzelne Schutzmaßnahmen mühsam ausgehandelt werden. Nur in ExtremflUlen, etwa bei der Gefahr von Übernahmen ganzer nationaler Kulturindustrien in fremde Hände (Stichwort 11 Ausverkauf'), werden so dem einzelnen Staat, wie im Falle Kanadas, Eingriffe zum Schutz der Identität zugestanden. Europa ahmte diesen Schritt nach ("Kulturfestung Europa"58), mit entsprechenden amerikanischen Gegenreaktionen bis hin zu Drohung mit Retorsionsmaßnahmen, gestützt auf die berühmte Section 301 des Handelsgesetzbuchs: Kultur und Rundfunk als Objekte verschleierter Handelskriege59 . Drei Fronten haben sich im Völkerrecht im Medienurnfeld bisher aufgetan, jedes Mal ging es einer Seite um den Schutz vor der Vormachtstellung der anderen: - Die Ost-West-Konfrontation der Abschottung des Ostens vom Westen, sie ist historisch überwunden. - Der Nord-Süd-Gegensatz in der Frage einer Beteiligung am Welt-Informationssystem, zugleich verbunden mit eigenen Abwehrrechten des Südens, derzeit nicht aktuell, und historisch am jüngsten,

56 Wichtig ist die Schaffung eines internationalen Ordmmgsrahmens zmn Datenschutz, freien Zugang zu den Netzen, Nichtdiskriminierung, Verhinderung von internationalen Monopolen, Urheberrechtsschutz usw. 57 Überblick über die Frage möglicher staatlicher Eingriffe in das Internet bei Dworschak, Netzbeschmutzer ausgeklinkt, DIE ZEIT-Dossier, Nr. 4 vom 19. Januar 1996, S. 15 ff., s.a. Lueken, Verbotene Zone, FAZ v. 4. Januar 1996, S. 23. 58 "Fortress EurOpe", s. dazu Filipek, "Culture Quotas": The Trade Controversy over the European Community's Broadcasting Directive, Stanford IIntl. Law, 1992, p. 323 (324).

59 Einzelheiten bei Van Harpen p. 167 ff.; Grant p. 1363 ff.

Neue Medien ohne Grenzen?

87

- die West-West-Kontroverse um den wirtschaftsrechtlichen Schutz der eigenen Unterhaltungsindustrie. In der Auseinandersetzung um die Neue Weltinformationsordnung Ende der Siebziger Jahre, machten die Länder der Dritten Welt nicht zu unrecht geltend, erst habe der Westen mit dem Kolonialismus die eigene Kultur genommen, und nun überschwemme man sie mit den fremden Erzeugnissen anonymer Massenzivilisation60 • Man forderte einen eigenen Zugang zu den Weltinformationsnetzen verbunden mit dem Recht, die eigene Kultur vor der Einstrahlung fremder Sendungen zu schützen. Die westliche Welt konnte dieses Ansinnen - als Angriff auf die freie Informationsgesellschaft - bisher abwehren, geriet aber über die wirtschaftlichen Auswirkungen der neuen Medienstrukturen selbst in Bedrängnis und in den Zwang, die eigene Kulturidentität zu schützen. Ein erster Versuch, den Kulturschutzgedanken in das System des MedienVölkerrechts dogmatisch einzuordnen, stammt von Jost Delbrück aus dem Jahre 198661 • Er stand noch unter dem Eindruck der Forderung nach einer Neuen Welt-Informationsordnung und der technischen Möglichkeit des Satelliten-Overspill. In kurzen Zügen wiedergegeben geht Delbruck in einem ersten Schritt vom Informationspluralismus als MenschenrechtsverbÜfgung aus. Jede Rechtsgrundlage enthält jedoch auch Schranken. Solche Schranken sind - unter bewußtem Vermeiden des hier nicht passenden Souveränitätsbegriffs62 - direkt dem Prinzip der kulturellen Selbstbestimmung zu entnehmen, wonach die Rahmenbedingungen des freien Informationsflusses dem Regel-AusnahmeSchema folgend vom Staat autonom gesetzt werden können. Als mögliche Schranken kämen - in abgestufter Folge - in Betracht: das Interventionsverbot, das Prinzip des prior consent und das Prinzip des prior agreement. Die rechtlich erstarkte MenschenrechtsverbÜfgung (als Regel) läßt - nach Delbrück 60 Z.B. der synthetische Pop oder die Werbekunst der Massen-Kultur ("United Colours ofBenetton").

61

Delbrtlck(Fn. 3), S. 191 ff.

62 Delbrtlck (Fn. 3), S. 194: "Angesichts dieser spezifischen Ausprägung von materialen Schutzprinzipien ft1r die kulturelle Identität bedarf es des in der internationalen Diskussion vielfach vorgenommenen Rückgriffs auf das prinzip nationaler Souveränität nicht. Kulturelle Selbstbestimmung bedeutet Unabhängigkeit eines Volkes von kultureller Fremdherrschaft und eigenverantwortliche Entfaltungsbestimmung der jeweiligen kulturellen Entwicklung; sie bedeutet allerdings nicht ausschließliche staatliche Definitionsmacht dessen, was Kultur ist und was deren Förderung dient...". Dem ist zuzustimmen.

88

Michael Kilian

als Ausnahme allenfalls die schwächste Schrankenziehung des prior agreement (Pflicht zu Verhandlungen) zu, und diese auch nur dann, wenn sich die kulturelle Eigenständigkeit durch einen ungezügelten Informationstluß einer echten Bedrohung (challenge) gegenübersähe. Wir haben hier im Keim bereits die "kulturelle Ausnahme" der GATT-Verhandlungen.

IV. Mentalitäten und Strukturen im Rahmen des GATT 1. Medienzeitalter als ökonomisches Zeitalter

Die Auseinandersetzungen im GATT um die "kulturelle Ausnahme" sind vor dem Hintergrund unterschiedlicher Mentalitäten und, damit zusammenhängend, unterschiedlicher Medienstrukturen zu verstehen. Weltkultur bedeutet nicht so sehr einen melting-pot, als die Dominanz einer überragenden Zivilisation, heute der US-amerikanischen. Das "eigene Lebensumfeld" ist somit für den europäischen Bürger aus dem Film oder im privaten Fernsehen immer weniger erlebbar, weil es darin nicht mehr wiedergespiegelt wird. Sein Alltagsleben wird dadurch nicht internationalisiert, aber amerikanisiert. Die Popkultur, die als amerikanisch-international gilt, hat schon lange die junge, bildbare Generation vereinnahmt63 , Europa hat dem nichts entgegenzusetzen. Während die europäische Sozialproblematik immer noch traditionell im Theater, in Fernsehreports, aber nicht im Film dargestellt wird, ist dies in den USA - in popularisierter Form - anders64• Das Medienzeitalter wird charakterisiert durch Adaptionen, symptomatisch ist die Adaption der Sprache der Popmusik, der Werbung und des Marketing oder des Computers: englisch. In Europa werden Filme und Fernsehsendungen in unterschiedlichen Sprachen traditionell respektiert, Untertitelung und Synchronisation sind nichts Außergewöhnliches und schrecken nicht ab. Anders in den USA, dort dürfen Filme nicht einmal synchronisiert werden, sollen sie vom Publikum überhaupt angenommen werden65 . Weitere Beobachtungen

63 Die "kids" mit ihrem Markenartikel-Fetischismus, Mc Donalds-Eßkultur, den Video-Clips, Computer-Spielen, Disney-Trickfilmen, so etwa "Pocahontas", mir bisher nur durch Amo Schmidts Erzählung "Seelandschaft mit Pocahontas" bekannt.

64 So bei Themen wie der Aufbereitung des Vietnam-Traumas oder der Gewalttätigkeit und des Rassismus in der Schule usw. 65

Vgl. etwa Ming Shao p. 134.

Neue Medien ohne Grenzen?

89

stützen diesen Befund: So das schleichende Verschwinden der europäischen Filmindustrie. Europa hat der Welt - zumindest im Film - nichts mehr zu sagen, es lebt nur noch von seinem konservierten/versteinerten Kulturerbe. Zu bemerken sind wegbrechende Identitätsfragmente in Europa, besonders in Deutschland, das Verschwinden des eigenen Unterhaltungsschlagers (er überlebt fast nur noch in der Pseudo-Volksmusik), der Siegeszug der Talk-Shows und der Musicalindustrie anstelle der Operette oder des Variete. Daß es keine nennenswerte europäische Filmindustrie mehr gibt (von Frankreich bezeichnenderweise einmal abgesehen66): alles nur wegen fehlender Professionalität (Spieleideen) oder Kapitalarmut67? Angriffe auf das europäische System öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten beseitigen somit nur eine weitere Scheibe verbliebener Massenkulturreservate. Frankreich bleibt als einsamer Rufer in der Wüste und Kämpfer gegen den Drachen Hollywood übrig, halbherzig unterstützt von der übrigen Europäischen Union von der Bundesrepublik ganz abgesehen, die ein Bild lässiger Ignoranz bietet als ein Land, das innerlich längst auf eine Bewahrung seiner Identität verzichtet hat68 im Sinne eines willkommenen Wegtauchens in die Anonymität der Weltzivilisation69 • Die Ursachen dieses Niedergangs können einerseits in der Kleinräumigkeit der europäischen kulturellen Einheiten zu suchen sein, sicher rühren sie auch aus Mentalitätsunterschieden: man hat zu spät erkannt, daß Kultur, insbesondere die Massenkultur70, kein bloßes soziologisches oder Klassenphänomen

66 Manifestiert nach der Wiedervereinigung in der Übernahme des DEFA-Geländes in Potsdam-Babelsberg durch ein französisches Filmunternelunen.

67 Die "geschützte" kanadische Filmindustrie verlegt sich aus KommerzgrOnden auf US-amerikanische Inhalte. Die britischen Filmtalente sammeln sich in Hollywood. 68 Beispiele sind die unprofessionelle Tourismuswerbung, die nur halbherzig betriebene, unter Sparmaßnahmen leidende deutsche Sprachenschulung bzw. auswärtige Kulturpolitik. 69 Im Weltdorf der Beliebigkeit ähnlich der modernen internationalen Architektur, s. dazu Stefan Gnmdmann, Modeme, Postmoderne, und nun Barock? Entwicklungslinien der Architektur des 20. Jahrhunderts, 1995.

70 Nur von ihr ist hier die Rede. Daß die Vereinigten Staaten auch über ein hochentwickeltes klassisches Kulturleben verfugen ist nicht Gegenstand der Untersuchung. In diesem Bereich besteht noch ein ausgewogenes "Geben und Nelunen" zwischen Europa und den USA.

90

Michael Kilian

darstelle 1, sondern einen eminenten Wirtschaftsfaktor bildet. Disneyland vor Paris war hierfür mehr als ein Symptom, es war ein Fanal72 . Von amerikanischer Seite wird europäischen Klagen entgegengehalten: was kümmert ihr euch um den amerikanischen Filmschrott, ihr würdet doch selbst nur ebensolchen produzieren und gutgemachte US-Massenprodukte nur schlecht nachahmen13 • Zudem habe jeder die Wahlfreiheit: europäischer Anspruch - amerikanische Massenware. Abgesehen von der rein wirtschaftlichen Dimension dieser Frage, auf den noch zurückzukommen sein wird, wäre hier zu entgegnen: Dies ist richtig, aber es ist eben selbstgemachte eigene Trivialitäe4 • Auch Europa verfUgt über einen verschütteten Bestand an Trivialkulturen75 . Ihre Basis, die Fotographie, der Film oder das Fernsehen, wurde in Europa erfunden: Zirkus und Variete, Dioramen und Panoramen76, die französischen Vaudevilles, die französische und österreichische Operette, die belgischen und französischen Comics77, die italienischen Fotoromane, der deutsche Heimatfilm. Im 19. Jahrhundert hatte Europa seine Popkultur noch selbst erzeugt und auch exportiert: Walzer-König Johann Strauss und Operetten-König Franz Lehar eroberten Amerika, lang ists' her78 . Bei der zeitgenössischen Massenmedienkultur verlor Europa längst den AnsChluß 79 . Seine wenigen Er-

71 Vgl. Roland Barthes, "Mythen des Alltags", Schulzes "Erlebnisgesellschaft" oder die Untersuchungen von Alphons Silbermann. 72 Alle ftlnf Erlebnisräwne des Freizeitparks entstammen amerikanischen Massenmythen; Europa steuert allenfalls das Märchenschloß von Dornröschen bei, auch dies mag als Symbol seine Richtigkeit haben. 13 Quoten gegen US-lmporte würden die Kreativität der Europäer weder automatisch heben noch das Interesse des Lokalpublikwns wecken (so Scorsese, zit. bei Grant p.1349).

74 Man wundert sich, daß es so etwas einmal gab: die Heimatfilmwelle der 50er Jahre, die Erotikwelle der 60er Jahre, die Karl May-Filme. Jetzt [mdet man sie, faut de mieux, wieder als Füllsel in deutschen Fernsehprogrammen. 75 In der Goethezeit etwa Vulpius, Gaston Leroux (Phantom der Oper), Eugene Sue; Karl May wäre heute Hollywood-Drehbuchschreiber. 76

Vorläufer der Erlebnisparks Walt Disneys.

77

Tintin, Asterix.

78 Auch Außereuropa hat seine Trivialkulturen: Indien produziert 900 Filme im Jahr, aber wer will sie schon sehen? Hollywood nur 300, sie werden in Europa angesehen.

Neue Medien ohne Grenzen?

91

folge auf diesem Gebiet beruhten - von den Beatles einmal abgesehen - meist auf Anregungen und Nachahmungen von US-Vorbildern80 . Hollywood als weitere europäische Traumwelt wie es das Griechentum oder das Morgenland einmal waren - oder größte Herausforderung seit Dschingis Khan? Amerika schaffi: sich in Hollywood eine eigene Geschichte 81 , die anderen wollen offenbar aus ihrer Geschichte aussteigen und tauchen in Hollywood unter. Damit kommen wir zur Frage: Selbst wenn die sogenannte Hochkultur im GATI einstweilen noch von Marktöffnungen freigestellt ist, gibt es ein Recht auf eine eigene Trivialkultur? Darf es die "Wonnen der Gewöhnlichkeit" nur auf amerikanisch bei Fred Feuerstein geben? Gibt es ein Menschenrecht auf die "Schwarzwaldklinik" oder auf Karl Moik;B2? Wobei ich zugebe, daß die Schaffung solcher Wonnen auch eine Mentalitätsfrage ist, bei manchen Völkern reicht es nur zu Kitsch oder zur Sentimentalität83 . Hier bestehen Vorurteile der meinungsfiihrenden Intellektuellen, und die typisch europäische Verachtung des Geschmacks der Massen: wir sehen uns ja den Schrott nicht an. War aber nicht auch einmal Geschmackserziehung eine Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Auch das Argument der (Niveau-)Wahlfreiheit, entsprungen der Arroganz der Intellektuellen, überzeugt wenig. Hier ist der Gesamtzusammenhang zu sehen: Kultur ist nicht teilbarB4 in eine resistente Elitenhochkultur und eine allen Einflüssen offene und alle Unterschiede nivellierende Massenkultur85 •

79 "The Western Civilization is the Universal Civilization that fits all Men" (der indo-eng1ische Schriftsteller V.S. Naipauf). 80 Auch die erfolgreiche "Lindenstraße" beruht wie fast alle game-shows, die talk shows und andere Programmfonnen auf amerikanischen Vorbildern.

81 Etwa den Western-Mythos. Eine Einfilhrung in die Mythosfabrik Hollywood gibt Jerome Charwyn, Movie1and, Hollywood und die große amerikanische Traumkultur, Fischer-TB Nr. 12637, 1995. 82 In Österreich dominieren in der Film-Hitliste heimische Unterhaltungsfilme, nicht etwa amerikanische Produktionen, "Wörthersee vor Hollywood", vgl. Kleine Zeitung v. 3. Jänner 1996, S. 50. 83 Siehe dazu Best, Volk ohne Witz, Über ein deutsches Defizit, Fischer TB Nr. 10094, 1993.

84 Auch die Antike kannte kulturelle Massenware. Von 60000 jemals geschriebenen Opern Europas bilden nur ca. 60-90 das ständige Repertoire.

92

Michael Kilian

Ohne eine von unten stets erneuerte Basis bricht auch die Hochkultur eines Tages ab, die eigene Kultur entfernt sich von ihren Bürgern und wird museal. Nur die alte Hochkultur scheint in Europa noch existent. Die Hervorbringungen der Gegenwartskunst sind jedoch regelmäßig nicht publikumswirksam und meist auch nicht kommerziell interessant86 • Je nach Segment: Information87/HochkulturlUnterhaltungskultur, kann das alte Europa noch etwas beisteuern, am meisten in der Hochkultur88, am wenigsten in der Populärkultur. Bleibt somit nur ein Starren auf Hollywood und die sich bildenden WeltMedienmultis wie das Kaninchen auf die Schlange: Der Untergang des Abendlandes im Jurassicpark 89? Europas Nationen als überlebte Saurier? Europa als erloschener Stern nationaler kultureller Identität: er leuchtet noch am Firmament, obwohl er physikalisch längst tot ist. Gerät angesichts der überwältigenden Möglichkeiten einer weltweit vernetzten Kommunikation jede kulturpessimistische Warnung nicht in die Nähe jener Fortschrittsfeinde, die vor der Gesundheitsgefahrdung durch das Eisenbahnfahren bei der rasenden Geschwindigkeit von 25 km/h warnten? Oder schlimmer noch, wird damit etwa einem (neuen) Kulturnationalismus das Wort geredet? Als Rückkehr zu einer Art kulturellem kalten Krieg: Dem clash of civilizations als einer Neuauflage des urdeutschen Kampfes der Kultur gegen die Zivilisation? Das dumme ist, daß sich der Gedanke, Europa könnte irgendwann das Rad zu seinen Gunsten drehen, nicht einstellen will. Der Verlust scheint - wie in anderen modemen Wirtschaftsbranchen - endgültig. Die Vision Europa als "Griechenland" der Welt: nur noch kultureller Steinbruch

85 Im Internet wird fast zu 100% englisch kommuniziert, kawn französisch oder gar deutsch, da es in diesen Sprachen keine Leser gibt. Es verschwinden dort auch nationale Zeichen wie das ß. Alles Charakteristische, aber Unpraktische verschwindet, mag es auch kulturell noch so anerkannt sein: römische Ziffern, chinesische Schriftzeichen. 86 Eine Ausnahme bildet die populäre Musikklassik, die professionell vermarktet wird (etwa die Konzerte der "drei Tenöre" Domingo, Carreras und Pavarotti).

87 Etwa Englands Tradition der Nachrichtensendungen und der Kulturdokwnentationen. 88 Allerdings ist auch der Austausch der Hochkultur in Europa selbst oft paradox: Nach Georg Hensel wurde Goethes Faust I erst im Jahre 1988 in London im 20. Jahrhundert theatermäßig professionell aufgeführt, Faust TI wurde bis dahin überhaupt zum ersten Mal in London aufgeführt.

89

Grant spricht von einer "Jurassic Industry", p. 1353.

Neue Medien ohne Grenzen?

93

für andere Erdteile. Brauchen Europa, Deutschland, Frankreich im künftigen Weltmedienmarkt ein - notfalls völkerrechtlich einklagbares - "mediales Fenster" zur Welt - analog dem Regionalfunk - damit sie nicht endgültig aus der Weltaufmerksamkeit im Meer der EinheitskuItur verschwinden? So abwegig ist diese Vision nicht: Ein Zitat der New Yorker Kulturkritikerin Susan Sontag mag dies verdeutlichen, sie sieht das zukünftige Europa jedenfalls als gigantisches Freizeitmuseum90 : "Die Hauptrichtung der europäischen Zukunft zielt auf Euro-Land, eine in Nationen gegliederte Parkanlage, Europa als ständiges Playback, das Einheimische ebenso gierig konsumieren wie Touristen, und in dieser Parkanlage werden kleine Europas überleben, in Form von innerer Emigration und Isolation. Was bleibt von Europa, seinem hohen Kunstanspruch, seinem sittlichen Ernst - seiner Wertschätzung der Intimität und Innerlichkeit, einem nicht von Lautsprechern verstärkten, nicht von Maschinen betriebenen Diskurs, dem Europa, das die Filme von Krzystof Zanussi, die Prosa von Thomas Bemhard, die Lyrik von Seamus Heany und die Musik von Arvo Pärt zustande bringt? Dieses Europa existiert immer noch, und es wird noch eine Zeitlang weiter existieren. Aber es wird mehr und mehr zu einem Geheimtip"91.

2. GA TT und Kulturprotektionismus

Übrig bleibt eine amerikanische Weltzivilisation mit europäischen Hochkultur-Inseln92, die zeitlich immer weiter in die Ferne rücken. Europa als hochkulturelles Fettauge auf der dünnen Brühe der Welt-Massenzivilisation. Sind die ohnehin stumpfen Waffen innerhalb des Internationalen Wirtschaftsrechts nutzlos und alle Bemühungen vergeblich? Kulturprotektionismus bedeutet offener wie versteckter Wirtschaftsprotektionismus, da über den Charakter der Kultur (auch) als Wirtschaftsgut kein Zweifel bestehen kann93 . Dabei wird niemand die Notwendigkeit des Austau90 Noch eine Elegie, in: Hans Christoph Buch (Hrsg.), Ein Traum von Europa, 1988 (Literaturmagazin 22), S. 135.

91 Treffend hierzu Ernst JUnger: "Vor einigen Jahren besuchte mich ein amerikanischer Professor, der Meßdaten gotischer Kathedralen speicherte", s. Tagebuch Siebzig verweht IV, 1995 vom 25. April 1986, S. 70. 92 Wie ein verstaubtes Staatstheater unter lauter Musicaletablissements. 93 Dies war immer so gewesen, entgegen dem naiven deutschen Idealismus, vgl. die Überblicke bei Arno Hauser, Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, Ausgabe 1978, u.a. S. 109, 121, 331 11, 993 11

94

Michael Kilian

sches der Kulturen bestreiten, hier besteht jedoch die Furcht, daß es diesmal an die Substanz geht, mag diese - wie im Falle Frankreichs - noch so reichhaltig sein. Je nach Assimilationsresistenz, Vereinnahmungskraft oder Identitätsbewußtsein ist diese Sorge bei der europäischen Staaten unterschiedlich ausgeprägt94. Die gewohnte europäische Kulturhegemonie ist, zumindest was den Bereich der Massen- und Alltagskultur anbelangt, offensichtlich im Schwinden: Die Folge von Hollywood, oder ist der Erfolg Hollywoods umgekehrt nur das Symptomfür das Abnehmen der prägenden Kraft europäischer Kultur? Wird so ihr Niedergang als schöpferische Quelle von Hollywood nur besonders krass aufgezeigt? Zur Geschichte: 1913 betrug der US-Filmexport nach Europa 32 Mio. feet, 1925 bereits 235 MiO.95. Deutschland war das erste Land, das 1921 zur Bewahrung der eigenen Filmindustrie Filmimporte gesetzlich beschränkte96 • In Kanada müssen Privatfernsehstationen 50 % der Programmsendezeit aus kanadischen Quellen bestreiten. In Spanien müssen pro zwei US-Filme ein spanischer oder EU-Film in Originalversion gezeigt werden91. 40 % der Unterhaltungsmusik französischer Sender muß französischen Ursprungs sein98 . Verstöße gegen Quotensetzungen werden in Frankreich mit Geldbußen pro Sendung geahndet99 . Entgegen verbreitetem deutschen Snobismus ist auch Massenkultur Kultur, sie prägt oft mehr als die sogenannte Hochkultur unser Dasein, unsere Sprache, ja unser gesamtes Verhalten. Schmerzhaft wird es offenbar erst, wenn man deren ökonomische Aspekte betrachtet, etwa den Devisenabfluß Richtung

94 Einen Überblick über die nationalen Begünstigungen der Programmindustrie zwn Stand 1986 fmdet sich im OECD-Bericht Echanges Intemationaux de Services. Siehe auch AchesanlMaule, Trade Policy Responses to New Technology in the Film and Television Industry, Joum. ofWorld Trade Law 1989, p. 35. 95 Ming

Shaa p. 128.

96 Ming

Shaa p. 128 Fn. 145.

91 Weitere Quoten im Fernsehprogramm: Luxemburg 48 %, Italien 54 %, Großbritannien, Belgien, Frankreich, Portugal, Spanien 70 %. 98 Vergleichbare Quotensetzungen kannte bereits die ehemalige DDR, wenngleich aus anderen Gründen. 99 10.000 Doll. pro Stunde Rundfimksendung bei Verstoß gegen die Quote, s. Grant p. 1341.

Neue Medien ohne Grenzen?

95

USA bei stark unausgeglichener Handelsbilanz loo . Wim Wenders: "People increasingly believe in what they see and they buy what they believe in. If we ever give up the European film industry, then all the other European industries will suffer in the future. People use, drive, wear, eat and buy what they see in the movies. We need to regard our films in the same way as we do our literature. Books would never be included in international trade industry deals" 101. Die US-Programmindustrie erzielte in Europa 1991 Einnahmen in Höhe von 1,197 Mrd. Doll., ihr Marktanteil stieg von 60,2 % 1984 auf 71,5 % 1991 102 und 81 % 1992. Die funf großen US-Verleihfinnen verteilen auf sich durchschnittlich 60 - 75 % der Einnahmen aus europäischen Ländern l03 . Umgekehrt erzielten sämtliche ausländischen Filmproduktionen 1991 in den USA einen Marktanteil von 1,3 % und Einspielergebnisse 1991 von 50 Mio. Doll .. Im Fernsehen betrug das Verhältnis 1991 1,278 Mrd. Doll. = 54 % Marktanteil der US-Finnen zu 94 Mio. Doll. = 2 % der europäischen Finnen. Im Videomarkt erzielten US-Finnen Einnahmen von 1,307 Mrd. Doll. = 40 % des EU-Markts, gegenüber Einnahmen der EU-Finnen in den USA von 103 Mio. Doll.I04. Hier paßt die Feststellung des Heidelberger Soziologen Lepenies l05 : außereuropäische Kulturen werden erst dann zur Kenntnis genommen, wenn sie für uns ökonomisch drängend geworden sind! Amerika, Du hast es besser: Anders die Mentalität und die Lage in den USA. Samuel Goldwyn: "Nobody ever called it showart, it's show business"I06. Massenunterhaltung ist ein selbst von den Intellektuellen respektiertes Kulturgut. Dazu kommen Strukturvorteile: Die schiere Größe der Filmin100 70 % der Einnahmen der US-Musikindustrie werden außerhalb der USA erwirtschaftet, älmlich ist es bei den Fernsehserien, Grant p. 1353. 1993 erbrachten die 100 Top-Filme weltweit über 8 Mrd. Doll. an Einnahmen, 88 dieser Filme waren US-Erzeugnisse. 101 Zit. nach Grant, 'Jurassie' Trade Dispute: The Exc1usion of the Audiovisual Sector from the GATT, Indiana Law Journal 1995, p. 1333 (1347). 102 In der Bundesrepublik Deutschland waren es 1990 83,8 %. Zahlen nach Quellen zit. bei Moll, Die "kulturelle Ausnahme" innerhalb der GATT-Uruguay-Runde und im EG-Dienstleistungsrecht (EG-Fernsehrichtlinie), unv. Ms. Tübingen 1994, S. 10 tT. 103 Der Film Rambo erzielte 55 Mio. Doll. in den USA, aber 105 Mio. Doll. international, Grant p. 1353.

100Nw. bei Grant. 105

Das Ende der Überheblichkeit, DIE ZEIT Nr. 4811995, S. 62.

106 Grant p. 1333.

96

Michael Kilian

dustrie. Ein riesiger, eine einzige Sprache sprechender Markt, eine nivellierende Gesellschaft, die Begabung des Ansichziehens und der Adaption allem unter dem Showaspekt Auffallenden l07 , Showbezogenheit, Professionalität, Mentalität des Outrierten, kurz perfektes Marketing und know how. Nicht zuletzt ist es eine andere Anschauung des Films als Kunstmittel: visuell, nicht intellektuell, nicht in erster Linie psychologisch angelegt, einfacher strukturiert l08 • Der Mentalitätsunterschied erweist sich als Vorteil für die US-Kultur, der zugleich marktabschottend wirkt lO9 • Ein seltener Fall in der Geschichte ist auch die Fähigkeit, die eigene Mentalität kulturell auf andere Gesellschaften zu übertragen llO. Dies gilt beispielsweise für die Adaption amerikanischer Erzeugnisse im Wachstumsmarkt Südostasien. Europa ist hier bereits bis auf wenige Sentimentalitäten verschwunden 111. Die Filmindustrie speziell verfUgt weltweit über zwei Vorteile, die USA haben dies frühzeitig erkannt: Erstens den kommerziellen Erfolg als Ware nach dem ungeheuer gestiegenen Bedarf als Folge Hunderter neuer Fernsehkanäle. Zweitens die mittelbar kulturelle, und damit auch wirtschaftliche Beeinflussung anderer Gesellschaften in Form von Moden, Trends, Lebensstil USW. 112 . Hollywoods Stellung im internationalen Film war immer schon sehr stark, es bestand jedoch eine gewisse Ausgewogenheit mit den Filmindustrien der europäischen Länder. Das neue ist die beherrschende Stellung Amerikas. 107 Europäische Talente wurden von Hollywood aufgesogen, zum Beispiel der Steirer Amold Schwarzenegger. 108 Siehe Grant p. 1348/1349: professionell in der Herstellung, popularisierend im Inhalt; Woody Allen bildet nur die Ausnahme von der Regel. Siehe a. Charyn S. 64 ff. 109 "US consumers dislike subtitles and dubbing", Zit. nach Grant p. 1352. Von den wenigen Filmen, die überhaupt aus Europa importiert und gezeigt werden, stammen fast alle aus englisch sprechenden Ländern, vorwiegend aus Großbritannien, ebd. p. 1352.

110 Siehe Charyn S. 64 f.: "Die weltweite Anziehungskraft, die Hollywood immer hatte, selbst heute noch, da die mythische Stadt Louis B. Mayers nicht mehr existiert, hat ihren Grund darin, daß es eine Maschine war, die für Kinder gemacht wurde." 111

Andenken an die französische, britische oder holländische Kolonialzeit.

112 Die UFA war eine Gründung des Deutschen Generalstabs 1917; ideologische Filme spielten im ill. Reich und in der Sowjetunion eine unselige Rolle. Filme dienten allen Seiten im ll. Weltkrieg und im Kalten Krieg (Bsp. James Bond-Filme) offen oder versteckt zu Propagandazwecken. Die amerikanische Filmindustrie ist nicht nur ein Herstellungsbetrieb einer Ware, sie transportiert vielmehr die Ideenwelt des amerikanischen "way oflive" (Bertrand Tavernier), s. Grant p. 1348.

Neue Medien ohne Grenzen?

97

Während die europäische Kinowelt durch das Fernsehen fast zerstört wurde, gelang es Hollywood, sich das Fernsehen dienstbar zu machen und überdies das traditionelle Filmwesen zu monopolisieren. Durch die Übermacht wurden alle traditionellen Filmnationen verdrängt. Hollywood gibt der Welt ihre Trivialmythen vor: Katastrophenfi1m, Außerirdische, Zukunft, Urwelt, Trickfiguren, als einer Einheitsfilmkultur, die kaum mehr Nischen offenläßt. Europa erleidet einen Verlust an Kreativität großen Ausmaßes - vielleicht ist es auch nur das fehlende Talent zur Vermarktung der eigenen Ideen. Die eigene Gesellschaft ist in der Unterhaltungs industrie nicht mehr schöpferisch oder fehlt ihrer Kreativität durch die Übermacht nur die Luft zum Atmen? Demgegenüber wird der US-Film- und Fernsehmarkt perfekt abgeschottet, das geben auch amerikanische Autoren offen ZU113. Hinzu kommt die fehlende Neugier des US-Publikums auf fremde Kulturen: gustiert wird nur das Eigene oder das als Eigene adaptierte. Multinationale Medienkonzeme sind aus wirtschaftlichen Gründen wegen ihrer Größe und Globalität an kleinräumigen Identitäten nicht interessiert l14. Maßgeblich ist für sie die amerikanisch geprägte internationalisierte Werteund Geschmackswelt115 • Diese produziert allein die weltweite Akzeptanz des Gebotenen l16. Die US-Zivilisation ist die Wiedergabe dieser vorerst endgültigen Stufe zur Weltzivilisation, die zwar auch in Europa ihre Wurzeln hatte l17,

113 Neben anderen Grantp. 1351, "free trade monopoly", "not playing fair". 114 "Der Weltmarkt ist ein "geborener" Markt ftlr Multimedia-Unternehmen", Hoffmann-Riem S. 184. 1984 kostete ein Spielfilm im Durchschnitt 13 Mio., 1989 waren es bereits 28 Mio. Doll., heute rechnet man bereits mit Durchschnitts-Produktionskosten von 60 Mio. Doll. 115 Die wenigen deutschen Großprojekte der letzten Jahre wurden von vornherein mit Blickwinkel auf den nivellierenden Weltmarkt produziert: "a la Hollywood". Vgl. etwa die Filme: "Das Boot", "Die Unendliche Geschichte", "MÜllchhausen", "Momo'" gestaltet in einer vorbeugenden Anpassung an die Marktzwllnge des internationalen Massengeschmacks; s. dazu auch Hoffmann-Riem S. 184 f. 116 Ming Shao p. 116. Zur Welt-Filmproduktion steuerten 1991 bei: Indien 910, USA 345, Hong Kong 239, Japan 239, Thailand 194, Frankreich 156 Filme. Nur wenige ausländische Filme werden in den USA über freie Verleiher gezeigt, jedoch mit geringen Kassenerfolgen. Kanadas geschützte Filmproduktion siedelte ihre Handlungen und Inhalte aus Vermarktungsgründen in den USA an.

117Nur in Auswahl: Regisseure von Ernst Lubitsch, Erich v. Strohheim, Billy Wilder bis Roman Polanski, Schauspieler von Rudolfo Valentino, Greta Garbo, Marlene Dietrich, Charles Laughton bis Sean Connery oder Gary Grant. 7 Ditunann u. a.

98

Michael Kilian

Europa gestaltet und produziert aber nicht mehr mit. Das Leben der Serien ist überall auf der Welt nachvollziehbar, die Welt als permanente soap opera des amerikanischen Mittelstands: Golden Girls in Zimbabwe l18 . Es existieren nur wenige und eher kleinere europäische Medienkonzerne, der Vorsprung der USA und Japans ist uneinholbar geworden. Das Medienzeitalter ist endgültig zum US-Zeitalter geworden. Der USA ist es eindrucksvoll gelungen, ihre frühere Industriedominanz durch eine neue Dienstleistungsdominanz zu ersetzen, zu der nicht zuletzt die massenkulturerzeugende Medienbranche gehört. Von Hollywood hängen z.B. 400000 Arbeitsplätze direkt ab l19 • Der Gesamtumsatz der US-Unterhaltungsbranche (FilmffVNideo) betrug 1991 bereits 18 Mrd. Doll., davon 8 Mrd. aus dem Export 120• Diese Entwicklung wurde von Europa, insbesondere auch von Deutschland l21 , verschlafen; der Zug scheint abgefahren zu sein, die Bemühungen der französisch dominierten Europäischen Union im GATI erscheinen so eher als Rückzugsgefechte. Es besteht kein realer gleichrangiger Austausch im Rahmen der Massenkultur, sondern nur eine deprimierende Einbahnstraße l22 : 1992 gingen 77% des Exports audiovisueller Ware der USA nach Europa, 60 % davon in die Europäische Union123 • Im Jahr 1993 machten europäische Importe aus den USA einen Wert von 3,8 Mrd. Dollar aus, Exporte in die USA dagegen ganze 250 Mio. Dollar (= ca. 6,6 %)124. 1994 erzielten Kinofilme aus den USA 80 % der 118 Ming 119

Shao p. 138.

Grant p. 1354.

120 Ming

Shao p. 118 Fn. 83.

Es rächt sich, daß Deutschland in seiner industrielastigen Wirtschaft das Phänomen der Unterhaltung ("show business"), ebenso wie den gesamten Dienstleistungsbereich, als Wirtschaftsfaktor nie sonderlich ernst genommen hat. 121

122 "The European (Film-)lndustry has only symbolic access to the American market", zit. Daniel Toscan de Plantier nach Grant S. 1352. Umfangreiches Zahlenmaterial fmdet sich in der UNESCO-Studie Nr. 100 von Varis, International Flows of Television Programmes, 1985 sowie in der OECD-Studie Information Computer Communication Policy 28, Convergence Between Communications Technologies: Case studies from North America and Western Europe. Nur 1 % aller französischen Filme wurde je in den USA gezeigt, s. Grant p. 1352. 123 US-Filme erzielen in Europa 60 % ihrer Gesamtumsätze, französische Filme in den USA allenfalls 0,5 %, s. Van Herpen p. 175 FN 51. 124

Zit. nach Van Harpen p. 175. ähnliche Zahlen bei Ming Shao p. 118 FN 83.

Neue Medien ohne Grenzen?

99

Kinoumsätze in Deutschland, der Fernsehprogrammanteil 125 amerikanischer Produkte betrug durchschnittlich 50 %. Für das übrige Europa lauten die Zahlen ähnlich: Der Marktanteil der US-Filme in Frankreich betrug 1984 36,8 %, 1991 58,7 %126. Eine eigene Zählung in der österreichischen NEWS-TV zwischen dem 30. Dezember 1995 und dem 5. Januar 1996 ergab folgendes Bild: Insgesamt wurden in dieser Woche von allen abgedruckten Sendern 393 Spielfilme gezeigt, davon waren 236 US-Produktionen (= 60,05 %, dazu 6 US/Co-Produktionen), und 151 europäische bzw. außereuropäische Produktionen (= 38,42 %)127.

3. Die Verhandlungen im GA TI' Aus den typischen Konfliktgruppen aus der Zeit der Diskussion um die Neue Internationale Informationsordnung ist im Zeitalter des Weltmedienmarkts ein West-West-Konflikt geworden, im Rahmen von Organisationen, die man eigentlich als eher kulturfern, ja kulturfremd einschätzen möchte: NAFTA, Europäische Union und GATT (die jetzige WTO). Der Handelsliberalismus der westlichen Welt machte die Mitgliedstaaten des GATT zu kulturhistorischen Zauberlehrlingen. Der Begriff der kulturellen Identität ist zu einem Kampfbegriff geworden. Ausgangspunkt für Europa wurde die sog. Fernseh-Richtlinie vom Oktober 1989 128 , basierend auf dem Grünbuch von 1984.

125 Anteil am Unterhaltungsprogramm, also ausschließlich der Nachrichtensendungen, Sport oder Politik. Neuerdings scheint sich hier - unter dem Druck des heimischen Publikums? - ein Umschwung zu vermehrt deutschen Serienproduktionen anzukündigen, s. v. Festenberg, Die Fakten und die Quoten, Vergleich 1990-1996, DER SPIEGEL, Nr. 22/1996, S. 222-226. 126 Ming

Shao p. 118.

127 Schon 1988 strahlte die italienische RA! 3 im Jahr 409 Filme aus, 232 davon US-Filme. 128 ABI. L 298 (1989), S. 23; aus deutscher Sicht dazu kritisch etwa Bückling, Transnationale TV-Satellitenprogramme im Zugriff nationaler Behinderungsstrategien, ZLW 1990, S. 9. Aus amerikanischer Sicht s. etwa PresburgerlTyler, Television Without Frontiers: Opportunity and Debate Created by the New European Community Directive, Hastings InrI & Comp.L.Rev. 1990, p. 495; Schwan, Television without Frontiers, NC.J.InrI L.& Com.Reg. 1991, p. 351; Sandholtz, Institutions and Collective Action, The New Telecommunications in Western Europe, World Politics 1991, p. 243 (260 f). 7*

100

Michael Kilian

Wie wir sahen, gewährt das modeme allgemeine Völkerrecht und das Wirtschaftsvölkerrecht den Staaten jedoch nur in ExtremflUlen die Möglichkeit, das zu schützen, was sie, jedenfalls in der Unterhaltungsindustrie, für ihre Identität als wesentlich erachten. Für Kanada und Frankreich war dies die eigene Unterhaltungsindustrie, d.h. die Produkte der audiovisuellen Medien. Der Konflikt spaltet die internationalen Akteure in zwei Lager, die sich fast unversöhnlich - bis hin zum Wirtschaftskrieg - gegenüberstehen: Die Liberalisten, die den freien Welthandel rigoros durchsetzen wollen und dabei auf zarte Gebilde, wie sie die nationale Kultur(-Industrien) darstellen, keinerlei Rücksicht nehmen wollen. Diese Partei ist verständlicherweise in den USA und Japan maßgebend, findet sich aber auch in Deutschlandl29 . Und die Protektionisten, vorwiegend Franzosen und Kanadier, aber auch z.B. die Spanier - die die eigene Kultur, ebenso wie die eigene Kulturindustrie, vor dem Todeshauch aus Hollywood bewahren möchten. Die Liberalisierung des Welthandels hat paradoxerweise das erreicht, was zunächst nur die Länder der Dritten Welt anstrebten: eine Art Welt-Medienordnung. Zwei Felder wurden bisher zum Schauplatz von Kulturschutzkontroversen: zunächst die Verhandlungen um die nordarnerikanische Freihandelszone zwischen den USA und Kanada (NAFTA), sodann die folgenden Verhandlungen zwischen den USA und der Europäischen Union im Rahmen der UruguayRunde des GATT, nunmehr der WTO, insbesondere bei der Aushandlung des GATS-Abkommens 130. Der Kreuzzug zugunsten einer europäischen Massenkultur im Medienzeitalter begann durch die Europäische Union im GATT eher spät. Unter zäher französischer Führung, aber Europa war so uneinig wie im Jahre 1096 vor Jerusalem. Frankreich mußte den Hund des europäischen Kulturschutzes im Alleingang zum Jagen tragen und bot so fast schon eine tragische Figur\31. Eini129 BUckling

S. 99, Kultur als "strategischer Kamptbegritr'.

130 Zuvor waren unbeschadet des Meistbegünstigungsprinzips in Art. rn GATT nach Art. IV Bildschinnquoten (screen quotas) zugelassen. Überblick über die ganze GATTProblematik bei Michael J. Hahn, Eine kulturelle Bereichsausnahme im Recht der wrO?, ZaöRV 56 (1996), S. 315-352; s. weiter Probst, Entwicklungen und Chancen der europäischen Programrnindustrie, ZUM Sonderheft 1994, S. 759 sowie Cottier,

Die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen der Filmforderung in der neuen Welthandelsorganisation wrO-GATT, ZUM Sonderheft 1994, S. 749; s.a. Filipek S. 337 ff. 131 Zu den Widerständen und (vor allem) deutschen Abschwächungsstrategien s. etwa Filipek p. 353, 360, 362. Auch Großbritannien blieb gegenüber Schutzmaßnahmen sehr skeptisch, Grant p. 1341.

Neue Medien ohne Grenzen?

101

ge Zitate: Jacques Delors: "Have we the right to exist?"\32, Francois Mitterand: "Who can be blind today to the threat of a world gradually invaded by an identical culture, Anglo-Saxonian culture, under the cover of economic liberalism? AIe the laws of money and technology about to achive what the totalitarian regimes failed to do?"\33 sowie Edouard Balladour 1993: "The French cannot accept everything related to the fundamental values of our tradition, our culture, our civilization as being treated like ordinary traded goods"I34. Die medienfreundliche Einstellung der US-Regierung, die sich völlig mit den Vorstellungen der Hollywood-Medienkonzerne identifiziert, entspricht vollkommen der amerikanischen Tradition, mit Regierungshilfe unter dem Dach der Ideologie des Handelsliberalismus Märkte für die eigene Industrie zu öffnen, koste es, was es wolle J35 : Politically, Hollywood is weil connected l36 • Hinzu kommt ein ebenso traditioneller Unternehmergeist im Showgeschäft, verbunden mit einem stark entwickelten privaten Kulturmäzenatentum. Für die Expansion der Übertragungsmedien sind die vorhandenen Produktionskapazitäten für Filme und Fernsehsendungen zu eng, sie müssen daher weiter ausgedehnt werden. Damit wächst der Finanzbedarf, was wiederum Verflechtungen und Fusionen der Produktionsfinnen fördert l37 • Überdies arbeiten die Medienkonzerne darauf hin, möglichst viele Produktions- und Vertriebsstufen (insbesondere den Verleih) in einer Hand zu vereinigen. Hollywood ist jedoch längst nicht mehr in rein amerikanischer Hand: vier der sieben größten US-Filmproduzenten werden von ausländischen, meist japanischen Investoren, kontrolliert l38 • Zudem werden viele Programme

132

Siehe Grant p. 1343.

133 Zit.

nach Ming Shao p. 108.

134 Zit. nach Ming Shao p. 137. Ähnlich Jack Lang: "The soul of France cannot be sold for a few peaces ofsilver", Grantp. 1347. J35 Siehe Grant p. 1354 oder Ming Shao p. 146. Auch in der staatsnahen Ausrichtung vieler Medienkonzerne, vgl. Walt Disneys erst kürzlich bekannt gewordenen Beziehungen zwn Geheimdienst CIA oder der Einfluß des McCarthyismus auf die FilmfInnen Hollywoods.

136

Grant p. 1354.

137 Grant p. 1362, "Nicht kultureller hnperialismus, sondern schlicht der Finanzbedarf zwingt die Firmen zu internationaler Expansion". \38 Von den acht größten Studios sind nur vier in amerikanischem Besitz, Grant p. 1354. MCA und Universal City Studios gehören Matsushita, Columbia und CBS gehö-

102

Michael Kilian

bereits in Europa über Co-Produktionen hergestellt l39 ; als Folge der europäischen GATI-Abschottungen wächst die Zahl der Gründung "europäischer Zweigfirmen" von US-Medienkonzernen nach Art des Trojanischen Pferdes l4O • Dem steht die etatistische, konservativ-statische Tradition Europas gegenüber. Kultur mußte in der Geschichte immer schon von oben gefördert werden, sei es von den Fürsten, vom Papsttum oder vom Staat 141 • Außer Frankreich wagte kein europäisches Filmland, eine starke eigene Filmindustrie zu :fördern, wohl auch eine Folge des europäischen Totalitarismus l42 . Manches mag auch schlichtes Unvermögen sein l43 . Die Annahme jedoch, Kultur, auch Unterhaltungskultur, setze sich schon selbst aus Entbehrung und Mangel durch, ist eine deutsche Zwangsvorstellung, orientiert am Bild von Spitzwegs armem Poeten l44 • Einflußnahme auf die Programmgestaltung in den Medien (Quotenvorgaben) bildet neben einigen anderen Instrumenten den Rest an denkbarer staatlicher Einflußnahme auf die Massenkultur, jede von ihnen ist wirtschaftsrechtlich umstritten und von den USA heftig angefeindet worden. Einige Zitate: Jack Valent;145: "The debate has nothing to do with culture unless European soap operas and game shows are the equivalent of Moliere. ren zu Sony, MGM zu Credit Lyonnais. Siehe a. Ming Shao p. 141 und FN 208. Von den filnf größten Schallplattenproduzenten ist nur noch Warner in amerikanischer Hand, a.a.O. p. 1354. 139

Grant p. 1361, filhrend dabei ist die Finna Walt Disney.

140 Ming 141

Shao p. 141.

Dazu wnfassend Amo Hausers Sozialgeschichte der Kunst und Literatur op. zit.

142 Cinecitta ist eine Grilndung Mussolinis aus dem Jahre 1936, UfA und Babelsberg gemahnten an das Propagandaministerium des Dritten Reichs. Die DEFA unterstand strikter ideologischer Ausrichtung durch die SED. Zu Cinecitta siehe insbes. Charyn S. 71 ff. 143 Zum Trauerspiel um die Europäische Filmakademie und um den Filmpreis Felix als einer Art Gegenauszeichnung zum Oscar s. Jessen, Matter Abschied vom ungeliebten Kind, FAZ vom 10. November 1995, S. 45.

144 Die Tätigkeit der FilmförderungSaTlStalt ist kein Gegenbeispiel, eher ein Alibi. Eine vom damaligen Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Späth initiierte Showakademie in Mannheim kam nie über ein Planungsstadium hinaus. 145 Präsident des amerikanischen Filmproduzentenverbands MPAA, der Washingtoner Lobby der sieben größten Filmproduzenten. Siehe a. Grant p. 1339.

Neue Medien ohne Grenzen?

103

This is all about the hard business of money"I46, ein US-Kommentator: "American films are basically what the public wants to see" 141. "The French are fundarnentally agitating against their own people. No one holds pistols to the heads of French filmgoers - forcing them to attend Spie/berg and Schwarzenegger pictures ... "148: Jurassic Parc contra Germinal 149. "American pop culture is vigorous mainly because it is open to new influences and so clever at incorporating them (Beispiel Beatles)" 150. US-Tonight-Show (Jay Leno): "We're going to ruin your culture just like we ruined our own"151. "Mamas, Don't Let Your Babies Grow Up to Be Cowboys" 152. Die einstweilige Herausnahme der Unterhaltungsindustrie aus dem Meistbegünstigungsprinzip hatte die Ausnahmeregeln zugunsten Kanadas Programrnindustrie im NAFTA-Abkommen zum VorbiIdI53 . Der Streit konzentrierte sich nicht nur auf die eigentliche Filmindustrie, sondern den gesamten sog. audiovisuellen Bereich zwischen den USNJapan einerseits, der Europäischen Union unter französischer Führung andererseits l54. Es ging stets nur um die Massenkulturindustrie (entertainment industry) nie um die Hochkultur mit ihren altbekannten staatlichen Förderungen l55 . Ich kann hier auf die Einzelheiten nicht näher eingehen, etwa auf die bei Rechtsbegriffen komplexe Verquickung von Kulturphänomenen mit ökonomischen Kategorien (Dienstlei-

146 Ein weiteres Zitat von Valenti: "Is the culture of any European country so flimsily anchored, so tenuously rooted, that European consumers and viewers must be caged and blinded else their links with their historie and distinguished past suddenly vanish?", Van Harpen p. 177/178. 141 Zit. nach Grant p. 1352, s. aber jetzt oben FN 125!. 148

Grant p. 1349.

149 Grant p. 1350. "The french films are so boring". Der französischen Filmindustrie wird (ebenso wie der deutschen) seitens der US-Produzenten publikwnsferne Egozentrik und Subventionsmentalität vorgeworfen, ebd. p. 1340.

150 Grantp. 1351. 151

Grant p. 1362.

152 Vgl. Van Harpen FN 19 unter Verweis auf den gleichnamigen Song von Willie Nelson 1981. 153 Dazu Van Harpen p. 170 fT. 154 Einzelheiten u.a. bei Grant p. 1344 fT., 1355 fT.; Van Harpen p. 190 fT.; Ming

Shao p. 108 fI, 147 fT.

155 Steuererleichterungen, Subventionen, Verstaatlichung usw.

104

Michael Kilian

stungs-, WarenbegrüJl56), so etwa auf die Frage, was ist beim Film Ware, was Dienstleistung, was ist ein "Europäisches Werk"157? Ja: Dallas-Episode mit europäischen Schauspielern und Produzenten. Nein: Drama über die französische Revolution, verfilmt in Paris mit amerikanischen Schauspielern und Produzenten I58 .

Im Ergebnis setzte sich Frankreich nach harten und zähen Verhandlungen -

tua res agitur - durch l59 : Für den audiovisuellen Bereich gilt faktisch die kultu-

relle Ausnahme filr das GATT wie filr das GATSI60. Sie verschafft der Europäischen Union die Möglichkeit, die eigene Unterhaltungsindustrie wenigstens noch einige Jahre vor den Folgen ungezügelten Handelsliberalismus abzuschirmen. Zwar besteht rechtlich keine ausdrückliche kulturelle Ausnahme oder ein Sonderstatus der Kultur, da der audiovisuelle Bereich vom GATS voll abgedeckt wird. Jedoch existiert keine Liberalisierungsverpflichtung, sondern nur die Pflicht zu Offenlegung der künftigen europäischen Absichten. Gemäß Art. XIX GATS haben die Europäer nach fiinf Jahren eine Verhandlungspflicht. Damit ist einstweilen ein Spielraum zur Entwicklung von Maßnahmen zugunsten einer eigenen Programmindustrie gewonnen, jedenfalls filr eine begrenzte Übergangszeit. Ziel ist die Schaffung starker europäischer Medienunternehmen. Zu den Maßnahmen der Europäischen Union gehören u.a. 161 : - Der Hauptanteil der Fernseh-Sendezeit bleibt europäischen Werken vorbehalten, Art. 4 der FS-Richtlinie.

156 Siehe Grant p. 1346. 157 Siehe die Kritik dazu bei Filipek p. 333 ff., zwn Deflnitionenstreit p. 349. Einen Schutz europäischer Werke enthält auch Art. 10 des Europäischen Übereinkommens über grenzüberschreitendes Fernsehen des Europarats vom 5. Mai 1989. 158 Bsp. bei Ming Shao p. 140 und bei Filipek p. 358. 159 Frankreich verftlgte (und verftlgt) über die letzte und größte nennenswerte europäische Filmproduktion, Grant p. 1339. Aber auch deren Marktanteil sank ständig: zwischen 1983 und 1993 von 54 % auf 35 % bei einem Zuschauerschwund von 183 zu 120 Mill. pro Jahr, ebd. p. 1340. 160 Einzelheiten bei Hahn a.a.O., s.a. Grant p. 1355, Ming Shao p. 136 ff. 161 Einzelheiten im Gtilnbuch der EU-Kommission KOM (94) 96 endg. vom 6. April 1994, Strategische Optionen ftlr die Stärkung der Programmindustrie im Rahmen der audiovisuellen Politik der Europäischen Union, insbes. S. 27 ff., 40 ff., Vorausge-

Neue Medien ohne Grenzen?

105

- Die Förderung unabhängiger Produzenten durch eine 10 %-Quote (oder 10 % Haushaltsmittel der Medien), Art. 5. - Der Schutz von Kinofilmen vor zu früher Ausstrahlung im Fernsehen (2 Jahre), Art. 7. - Dazu finanzielle Anreize auf europäischer Ebene (Beihilfen, so im MEDIAProgramm, Aktionsplan, Fonds EURIMAGES) neben finanziellen Anreizen auf nationaler Ebene (vor allem Frankreichs: 50 % aller nationalen Mittel). - Bereits nach Art. 4 des GATT sind Quoten (sog. screen-quotas) in Filmtheatern zulässig. Die Europäische Union trägt folgende Hauptargumente vor l62 : - Die kulturelle Ausnahme diene der Erhaltung der geistig-kulturellen Infrastruktur. - Das europäische Publikum soll sich in seinen Lebensverhältnissen wiedererkennen, und zwar auch in der Massenkultur, nicht nur im Minderheitenkino. - Schließlich das industriepolitische Argument, Europa wolle sich nicht wie bei Chipproduktion und Gentechnik abermals den Rang ablaufen lassen. Der Telecombereich erwirtschaftete 1984 2 % des BSP, im Jahr 2000 werden es nach Schätzungen 7 % sein l63 . US-Untersuchungen machten demgegenüber geltend, daß ein gewisser Mindestschutz kultureller Identität auch ohne "kulturelle Ausnahme" unter der Herrschaft des bereits vorhandenen Regelwerkes (GATT/GATSffRIPS) möglich sej164. Kultur sei fiir die Europäer nur ein Vorwand gegen den freien Wettbewerb, kulturelle Einordnungen von Wirtschaftsgütern beruhten auf Willkür. "There hasen't been so much blatant demand for censorship in France since the Vichy govemment 50 years ago"165. "Furthermore, trade regangen war das Grünbuch über die Errichtung des Gemeinsamen Marktes fiir den Rundfunk, insbesondere über Satellit und Kabel "Fernsehen ohne Grenzen", KOM (84) 300 endg. vom 14. Juni 1984.

162 Grünbuch S. 6, 10, 18; s.a. Filipek p. 354 ff. 163

Sandholtz p. 243.

164 Siehe etwa Filipek p. 353 ff. 165

Grant p. 1352.

Michael Kilian

106

strictions on television programing deny private broadcasters the freedom to air programs the public might want to view, and, as such are contrary to the current zeitgeist of the times"I66. Im Endergebnis läuft die Argumentation auf den Vorwurf an die Europäer hinaus, den Erfolg des Tüchtigen unter fadenscheinigen Vorwänden ("Zensur"16) zu verhindern. Wichtigstes Symbol dafiir ist die Quote 168. Insbesondere fürchtet die amerikanische Seite eine Präjudizwirkung der europäischen Schutzmaßnahmen für den Kulturschutz der asiatischen Länder l69. Europa verwahrte sich u.a. mit dem Hinweis auf amerikanisches Hegemoniestreben ("kultureller Imperialismus")170, es bestehe kein fairer Wettbewerb, da US-Filme im Ursprungsland kostenmäßig bereits abgeschrieben sind, im Ausland bringen sie nur noch Gewinn ein ("cultural dumping")171. Die Europäer empfinden den Hinweis auf den schieren Erfolg beim Publikum als mentale Geiselnahme des europäischen Zuschauers l72 . Eine Fülle von Fragen bleibt: Was ist, wenn die ausgehandelten fünf Jahre Karenzzeit vorüber sind? Was soll in fünf Jahren neuverhandelt werden? Kann eine schwache eigene Kulturindustrie durch Quoten überhaupt geschützt und durch Beihilfen aufgepäppelt werden l73 ? Was nützt eine Quote im Internet? Hier muß der Völkerrechtler aufhören und der Medienfachmann gefragt werden.

166 Zitat aus Filipek p. 370. 167 Siehe Grant p. 1352. 168

Filipek p. 369.

169

Grant p. 1356.

170 Grant p. 1347 ff.; s. a. Charyn S. 180 ff. über die Beherrschung des französischen Filmmarkts. 171 Ming Shaa p. 121 ff.; Grant FN 81, p. 1351 ff. Bsp.: Der Film Rambo erzielte 55 Mio. Doll. in den USA aber 105 Mio. Doll. international; ParamountIFoxlUniversal erzielten 1989 in der EU 630 Mio. Doll. Umsatz, 2/3 des Gesamtmnsatzes werden au-

ßerhalb der USA gemacht.

172 Ein US-Filmverleiher: "American films are basically what the public wants to see", zit. nach Grant p. 1352.

173 Inzwischen bilden sich aus Kostengrfinden weitere internationale Produktionsverbünde, so zwischen Time/Warner, Turner Broadcasting, TCI, Viacom, Disney, Cox Cable, US West und NBC, s. Grant S. 1362.

Neue Medien ohne Grenzen?

107

v. Schlußfolgerungen in Thesen 1. Kulturelle Identität und Weltzivilisation

Aber gibt es überhaupt noch so etwas wie eine lebendige Kulturentwicklung, und lohnt es, sich damit zu befassen, oder laufen vor uns nur noch rasch wechselnde Moden ab, gesteuert von den Strategen aus Werbung und Marketing? Die Weltzivilisation lebt in der Gegenwart, ohne Erinnerung an eine Vergangenheit, aber auch ohne Utopie jenseits des nächsten Modetrends. Sie besteht aus hedonistischer SelbstgeflUligkeit ohne Tiefe und ohne Dimensionen. Ich kann hier den kürzlich verstorbenen Dramatiker Heiner MaUer zitieren: "... die bundesrepublikanische Gesellschaft, deren einzige Utopie das Werbefernsehen iSt..."174. Bekommen wir die völkerrechtliche One (Media-)World, wobei die kulturelle Identität als Relikt einer überkommenen Epoche zurück bleibt? Die Gegenströmungen des Nationalismus, Regionalismus und Fundamentalismus sprechen gegen diesen Befund. Das Völkerrecht muß zur Abwehr medienimperialistischer Tendenzen und zum legitimen Schutz von Kernbereichen der Kultur ein geeignetes Instrumentarium dulden: So z.B. ein Recht auf eigene nationale Rundfunkanstalten mit eigenständigen Programmen und eigener Programmwahl, eigenem Personal und eigenem Zugang zu internationalen Nachrichten- und Datennetzen. 2. Kulturelle Identität und V61kerrecht

Als völkerrechtliches Argument bietet sich das Prinzip der Erhaltung der Informations- wie der kulturellen Vielfalt an. Völkerrechtliches Ordnungsziel ist der Schutz des internationalen Kultur-lInformationspluralismus in der internationalen Staatengemeinschaft, notfalls auch zu Lasten eines zu einseitigen Handelsliberalismus 175.

174 Heiner

Müller, zit. nach Urs Jenny, Der Katastrophenliebhaber, DER SPIEGEL

Nr. 2/1996, S. 156.

175 Der zuweilen stark an die englische Maxime der "Freiheit der Meere" im 19. Jahrhundert erinnert, die ja nur die Niederhaltung der Konkurrenz und die Erhaltung des eigenen Handelsmonopols im Auge hatte.

108

Michael Kilian

Nie in der Geschichte war der Mensch und seine engere Gemeinschaft äußeren kulturellen Einflüssen so ausgesetzt wie heute. Das Medienzeitalter mag vielen als der Königsweg zum Weltbürgertum erscheinen; die Vorteile sind nicht zu übersehen: Weltoffenheit und Informationsoffenheit. Aber auch nicht die Nachteile: Orientierungslosigkeit, Entwurzelung, Vereinzelung (vor dem PC) im Vergleich zu den seit Generationen überkommenen Lebensgewohnheiten und Verbundenheiten l16 . Es besteht jedoch auch eine Verantwortung gegenüber der eigenen Kulturgemeinschaft und ihrer Bewahrung: ein Recht auf mediale Heimat, da sonst ein kultureller Austausch mit der übrigen Welt nicht mehr möglich ist. Die vom Welt-Medienkonzept geschaffene Gleichmacherei kann nicht unser kulturpolitisches Credo sein. Kultur als Prinzip der Verschiedenheit gegen die "Barbarei des Einhelligen" (Joachim Fest), Einfalt statt Vielfalt. Ihren Vorteilen steht Verarmung gegenüber durch Verschwinden der Vielfalt, Abnahme der Innovationskraft und der gegenseitigen Befruchtung der kleineren Kulturkreise. Kultur ist stets auch mit Macht verknüpft und unterliegt damit dem Gedanken staatlicher Souveränität: Das Völkerrecht enthält Elemente eines Rechts auf kulturelle Selbstbestimmung des einzelnen Völkerrechtssubjekts. Es ersetzt freilich nicht den Willen zur Pflege der eigenen kulturellen Identität, um so einer drohenden kulturellen wie wirtschaftlichen Marginalisierung entgegenzuarbeiten. 3. Kulturelle Identität und Wirtschaftsvälkerrecht

Die Vielfalt der Kulturen ist nötig, sie muß notfalls gegen ökonomische Zwänge verteidigt werden. Kulturidentität ist ein Gesarntbegriff, nicht trennbar in Hoch- und Massenkultur, sie ist ein völkerrechtliches Schutzgut und auch im Internationalen Wirtschaftsrecht als Folge der Verhandlungen zunehmend anerkannt, obwohl ihr der "Zeitgeist" in Gestalt der internationalisierten Massenkultur entgegensteht.

116 Wo besteht noch eine schöpferische Nachbildung des Anderen wie in der deutschen Klassik, wo noch echter Wettbewerb der Kulturen anstelle der bloßen Nachahmung des Fremden, ja der unschöpferischen Übernahme?

Neue Medien ohne Grenzen?

109

Solange und soweit die eigene Programmindustrie (und das Privatfernsehen) nicht dazu beitragen oder beitragen können, sind nationale Maßnahmen im Sinne der ExtremfonneVchallenge möglich und auch nötig. Beim Einsatz von Schutzinstrumenten muß den Staaten (und auch der Europäischen Union) ein Auswahlrecht und ein Spielraum bei deren Einsatz verbleiben. 4. Kulturelle Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Systems

Nach der europäischen Tradition des (öffentlich-rechtlichen) Treuhandsysterns sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, kraft ihres Qualitätsanspruchs l11 Mitträger der Identität. Tradition hat auch die Förderung der eigenen Filmindustrie; ob Quoten das richtige Mittel sind (etwa für eine Übergangszeit), darüber kann man diskutieren l78 . Nötig ist die eigene Produktion von Unterhaltungsprogrammen und Unterhaltungsfilmen zusätzlich zur traditionellen Kulturträgerschaft des Rundfunks in der Hochkultur l79 • Als Kulturträger hat der Rundfunk allerdings nur in Europa eine Tradition, sie wurde bereits durch den Privatfunk aufgebrochen und verändert und wird sich durch die neuen Medien erneut verändern l80. Das duale System war nur eine Zwischenlösung, kommen wird ein triales System: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Privatfunk, und der autonome Einzelne am pe mit Zugriff auf die Welt der Medien: Jeder sein eigener Intendant - aber auch sein eigener Kultusminister l81 ? Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sollte der Kulturauftrag

177 Ein Beispiel hierfür ist das "Echo der Zeit" der schweizerischen SRG, s. das Portrait dieser traditionellen Infonnationssendung von Gsteiger, Keine Angst vor dem Wort, DIE ZEIT Nr. 9 v. 23. Februar 1996, S. 65. 178

Grant p. 1358: "Europes quota system is certain to fail".

179 Im Sinne einer kulturellen AutTanglinie sowie eines Reservoirs kultureller Potentiale. Bei den deutschen Privatsendern ist seit einiger Zeit ein Ansteigen der Eigenproduktionen zu beobachten. 180 Das ZDF tilstet sich bereits für diese Zeit und möchte dem Trend begegnen mit Qualität, nicht Quantität, eigener Online-Redaktion und CD-ROM-Produkten, organisiert wird es in einer Enterprise-GmbH als Tochterunternehmen sowie Mindestbeteiligungen an Pay-TV-Unternehmen als einem Zukunftsmarkt, s. DER SPIEGEL Nr. 51/1995, S. 98 f. 181 Siehe dazu das Symposion der Hanns Martin Schleyer-Stiftung vom 7. und 8. Dezember 1995 in Berlin zum Thema "Medienentwickiung - Von der Selektion der Anbieter zur Selektion der Bürger - Individualisierung der Nachfrage als Gefährdung

llO

Michael Kilian

auf geeignete neue Sparten, etwa Pay-TV, ausgedehnt werden, wenn nötig bei den faltigen Neuverhandlungen zum GATSI82. Durch Wettbewerb im Innern zwischen Privatfunk und öffentlich-rechtlichem Rundfunk kann unsere kulturelle Identität gewinnen und die Vielfalt bewahrt werden, die im Internet zu Nivellierungen führt183. Unentbehrlich für seine Lebensfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit wird die Öffnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch Beteiligungen an neuen Medien seinl84 • Nicht über eine gekünstelte Erweiterung des Rundfunkbegriffs, wohl aber durch eine Formel "Rundfunk plus geeignete neue Medien". Dadurch kann die kulturelle Aufgabe, als Mittel zum Zweck, abgesichert werden l85 . 5. Kulturelle Identitätswahrung als öffentliche Aufgabe

Welche Weltmedienordnung sich herausbildet, die wirtschaftsliberalistische oder die eher kulturprotektionistische, ist derzeit nicht vorhersehbar, manches spricht eher zugunsten des Wirtschaftsliberalismus. Sicher ist nach meiner

der kulturellen Integration?", hrsgg. von Friedhelm Hilterhaus und Rupert Scholz, u.a. mit Beiträgen von Scholz, Scheuch, Reiter und Amdt, und den Bericht von Thomann, Gnmdversorgt und erziehungsgeschädigt, Hat ein Zuschauer Rechte?, FAZ v. 12. Dezember 1995, S. 37. 182 Dasselbe gilt ftlr gemeinsame europäische öffentlich-rechtliche Kanäle (Bsp. ist der europäische Kulturkanal ARTE). ARD planen inzwischen einen Europäischen Parlaments- und Ereigniskanal Phönix, s. Raskob, Politik zeigen, wie sie wirklich ist, DIE ZEIT Nr. 4 v. 19. Januar 1996, S. 55.

183 Der Rundfunk ist in Staaten mit öffentlich-rechtlicher Rundfunktradition nicht primär ein Wirtschafts- sondern selbst ein zu schützendes Kulturgut. 184 Hierüber besteht derzeit ein Gutachtenstreit zwischen StarcklGöttingen (restriktiv) und Hoffinann-RiemlHamburg (Öffnung möglich), siehe FAZ v. 14. Februar 1996, S. 34. Den herkörrunlichen Rundfunk wird es weiter geben, als Kultur-, Informationsund Unterhaltungsquelle unter vielen, hoffentlich auch als Kulturträger und Mäzen. Zur neuesten Rundfunkfmanzdebatte Kanunann, Hungertuch oder Hermelinmantel? Wie teuer darf, wie teuer soll öffentlicher Rundfunk sein - ein internationaler Vergleich, DIE ZEIT Nr. 49 v. 1. Dezember 1995, S. 75.

185 Wie schon lange bei der Werbefmanzierung des öffentlich-rechtlichen Systems geschehen. Die kulturelle Rolle des Rundfunks in Deutschland hatte ftlr das angeschlagene gesellschaftliche Leben der Nachkriegszeit sogar eine tragende Bedeutung. Diese Bedeutung ist in Heinrich Bölls Satire "Dr. Murkes gesanuneltes Schweigen" treffend eingefangen.

Neue Medien ohne Grenzen?

111

Einschätzung die Unentbehrlichkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems in Deutschland und eine eigene aktive Förderung der Unterhaltungsindustrie. Ein Quotensystem nach französischem Muster ist in unserem durch Art. 5 GG geprägten freiheitlichen Kulturmodell nicht durchsetzbar, ob es wünschenswert wäre, ist eine andere Frage l86. Aufgerufen ist die Innovationskraft, die Selbstdisziplin und die kulturelle Förderung des öffentlich-rechtlichen Systems. Das naive Vertrauen darin genügt nicht, notwendig ist deren Umsetzung in produktive Strukturen. "Wer nur erhalten will, ist schon am Ende" (Jochim Fest). Aktives Fördern der Unterhaltungskultur kann daher auch eine öffentliche Aufgabe sein. Letztlich ist die Erhaltung der kulturellen Identität eine Erziehungsaufgabe, und das beim zunehmenden Versagen der staatlichen Schule bei der Geschmackserziehung und bei der Vermittlung der europäischen Wurzeln: Man kann die Massen allerdings nicht zu ihrem Glück zwingen, Thomas Bernhard gegen Baywatch; wer "Vom Winde verweht" sieht. bekommt wenigstens von amerikanischer Geschichte etwas mit, auch wenn er von der deutschen nichts weiß. Jede staatliche Bemühung, etwa über Quoten und Beihilfen, ist ohne Selbstbesinnung vergeblich. Was man durch Quoten - sogar u.u. gegen die eigenen Bürger - schützen muß, kann nichts mehr wert sein, argumentiert die USA. Stimmt das wirklich l87? Es wäre die freie Entscheidung freier Gesellschaftssysterne: Das "Recht auf Entäußerung von der eigenen Kultur" als Konsequenz. Die älteste kulturelle Identität der Welt, die chinesische, weiß besser als wir um die Vergänglichkeit der Kultur, und sei sie noch so fortschrittlich. Ich möchte meinen Vortrag deshalb mit dem Gedicht beenden, mit dem der Roman des Kin Ping Meh beginnt, der abenteuerlichen Geschichte von Hsi Men und seinen sechs Frauen l88 :

186 Staatliche Programmzugriffe über Quoten wirken angesichts der Medienvielfalt und der multinationalen Verflechtungen archaisch und gleichen dem Kampf Don Quichotes gegen die Windmühlenflügel. 187 Weltfremde Filmthemen als reine Kunst, l'art pour l'art, sind allerdings eine deutsche Spezialität, vgl. etwa den Film "Fitzcarraldo" von Werner Herzog. 188

Zit. nach der Übertragung von Franz Kuhn, Inselausgabe 1955, S. 5.

112

Michael Kilian

Was Mensch? Was Macht? Einmal ists aus. Flöten, Harfen verklungen Sänge stocken ungesungen Vorbei! Was Glanz? Was Pracht? Einmal ists aus. Lauten geborsten sinken, Erloschen Liebessternes Blinken Vorbei! Stumm die Jade-Terrassen, Herbstlich Nebel wallen, Alter Mond gelassen Schaut in alte Hallen. Die drin jauchzten, tranken, Längst zu Asche sanken. Ich bitte, dies nicht als Anspielung auf das folgende Geburtstagsessen im Museum mißzuverstehen.

Beiträge

Der RundfunkbegritT in der politischen Praxis der Bundesländer Von Erwin Vetter·

Das Land Baden-Württemberg hat Herrn Professor Oppermann vieles zu verdanken und will dies auch heute gewürdigt wissen. Ich überbringe Ihnen die Grüße und die Glückwünsche des Herrn Ministerpräsidenten. Da ich eigentlich zum Hören gekommen bin, jetzt aber um einen Redebeitrag gebeten werde, möchte ich gleich zum Kern der Sache kommen. Es stimmt schon, das Rundfunkrecht ist "des Teufels" und deswegen ist es gut und richtig, daß wir, Herr Oettinger und ich, heute hier zuhören dürfen, was die Wissenschaft zu den neuen Entwicklungen in diesem Bereich zu sagen hat. Ich denke, der Kern der Sache ist mit dem Vortrag von Herrn Dittmann schon umrissen. Er kann vielleicht so formuliert werden: Die gegenwärtigen Bemühungen zur Schaffung eines Ordnungs rahmens für die neuen Dienste sind wegen der raschen Entwicklung in diesem Bereich erheblich zu beschleunigen. Wir diskutieren seit einigen Jahren über den Rundfunkbegriff und sind bis heute noch nicht zu einem abschließenden Ergebnis gekommen. Die Ministerpräsidenten werden deshalb versuchen, möglichst rasch eine Einigung zu erzielen. Dabei steht eine tiefere wissenschaftliche Durchdringung der Materie nicht im Vordergrund. Vielmehr muß im Interesse • Sozialminister des Landes Baden-Württemberg, MdL, Stuttgart. 8 Ditunann u. a.

114

Erwin Vetter

des Wirtschaftsstandorts Deutschland eine bundeseinheitliche, rechtlich sattelfeste und pragmatische Lösung gefunden werden. Der länder- und parteiübergreifende Charakter des genannten Interesses wird insoweit sicherlich hilfreich sein. Die Diskussion auf europäischer Ebene im Zusammenhang mit der Fernsehrichtlinie zeigt, daß die deutschen Gesetzgeber aufpassen müssen, hier nicht rechts überholt zu werden. Deshalb geht der politische Wille der baden-württembergischen Landesregierung eindeutig dahin, rasch einen möglichst liberalen und der Medienwirtschaft Planungssicherheit verschaffenden Ordnungsrahmen auf die Beine zu stellen. Ich plädiere insoweit ftir eine möglichst weitgehende Zurückhaltung des Gesetzgebers. Es darf nicht zu einer Überregulierung kommen. Andernfalls können Baden-Württemberg und Deutschland im internationalen Wettbewerb nicht bestehen. Insoweit ist es meiner Ansicht nach auch immer hilfreich danach zu fragen, wie es andere europäische Staaten machen und wie dort unsere eigenen Aktivitäten beurteilt werden. Im Hinblick auf die in Deutschland geführte Diskussion zum Rundfunkbegriff möchte ich als Politiker, d.h. aus der Sicht des Praktikers, folgendes anmerken: Es kommt meines Erachtens nicht darauf an, den insbesondere durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägten Rundfunkbegriff durch einen Staatsvertrag der Länder unter Berücksichtigung der neuen Medien neu zu definieren. Die Politik kann es sich insoweit leichter machen als die Wissenschaft. Sie kann sich einerseits aus der begriffiichen Diskussion in Wissenschaft und Rechtsprechung heraushalten und muß nicht mit dem Anspruch auftreten, die einzig richtige Lösung gefunden zu haben. Andererseits kann sie sich aber den dortigen Stand der Erkenntnis zunutze machen und einen sachgerechten Ordnungsrahmen fiir die neuen Medien schaffen, die weder dem hergebrachten klassischen Rundfunk noch der Individualkommunikation zuzuordnen sind. Sie werden nun zu Recht darauf hinweisen, daß auch diese Zuordnungsentscheidung eine Befassung mit dem Rundfunkbegriff erforderlich macht. Dies erfordert aber keine positive Definition des Rundfunks, sondern lediglich eine politische Übereinkunft der Bundesländer darüber, welche medialen Erscheinungsformen nicht (mehr) dem strengeren Rundfunkrecht unterfallen sollen und wie der fiir sie geltende Ordnungsrahmen auszugestalten ist. Bei denjenigen Formen neuer Medien, bezüglich derer insoweit eine politische Einigung nicht möglich ist, kann sich der Gesetzgeber allerdings nur damit behelfen,

Der RundfunkbegritT in der politischen Praxis der Bundesländer

115

daß er den Anwendungsbereich des neuen Ordnungsrahmens negativ definiert, indem er erklärt, daß die Regelungen des Rundfunkstaatsvertrages unberührt bleiben. Ich gebe zu, daß mir eine solche Lösung insbesondere deshalb nicht behagt, weil hierdurch letztendlich wieder den Gerichten die Entscheidung überlassen wird. Das ist sicherlich nicht im Sinne der von der Medienwirtschaft dringend benötigten Planungs- und Investitionssicherheit. Unter rechtspolitischen Gesichtspunkten ist aber eine solche, durch das bei Staatsverträgen herrschende Einstimmigkeitsprinzip bedingte Lösung meines Erachtens noch hinnehmbar. Denn zum einen werden entsprechend wegweisende Entscheidungen der Gerichte nicht lange auf sich warten lassen, zum anderen besteht nicht die Gefahr eines rechtsfreien Raumes. Sollten die Gerichte beispielsweise einen Zugriffsdienst wie "near video-ondemand" nicht als Rundfunk ansehen und damit nicht dem Rechtsrahmen des Rundfunkstaatsvertrages unterstellen, so unterfieie ein solcher Dienst nach dem bisherigen Stand der Staatsvertragsverhandlungen zwangsläufig dem liberaleren Ordnungsrahmen für die neuen Medien zwischen Rundfunk und Individualkommunikation. Abgesehen davon möchte ich aus der Sicht BadenWürttembergs ganz offen sagen, daß ein solches Ergebnis begrüßenswert wäre. Denn wir sind daran interessiert, daß den Anbietem neuer Dienste die Möglichkeit gegeben wird, sich ohne bürokratische Hemmnisse wirtschaftlich zu entfalten. Aus meiner Sicht steht deshalb die Frage der konkreten Ausgestaltung des Ordnungsrahmens für die neuen Dienste im Vordergrund. Baden-Württemberg hat stets betont, daß die neuen Dienste und Multimedia äußerst wichtige Wirtschaftsfaktoren sind. Bei den laufenden Staatsvertragsverhandlungen setzen wir uns deshalb dafür ein, daß einerseits überflüssige Hemmnisse auf dem Weg zur Informationsgesellschaft beiseite geräumt werden bzw. nicht entstehen. Es sind lediglich Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Wettbewerb zu schaffen, wobei klar ist, daß Markt und Wettbewerb weitaus leistungsfähiger sind als staatliche Planvorgaben. Andererseits ist es für die gesamtgesellschaftliche Verträglichkeit und Akzeptanz aber auch von großer Bedeutung, daß ein spezifischer Daten-, Verbraucher- und Urheberschutz entwickelt wird, der - ebenso wie die neuen Dienste und Multimedia - letztendlich weder an deutschen noch an europäischen Grenzen enden darf. Insoweit möchte ich darauf hinweisen, daß Regelungen, wie etwa die des Artikel22 der europäischen Fernsehrichtlinie, wonach die Mitgliedsstaaten angemessene Maßnahmen ergreifen, um zu gewährleisten, daß Sendungen von Fernsehveranstaltern keine Programme enthalten, die die Entwicklung von 8*

116

Erwin Vetter

Minderjährigen schwer beeinträchtigen können, unzureichend sind. Vielmehr müssen internationale Regelungen geschaffen werden, die nicht nur zu einer Angleichung der gesetzlichen Bestimmungen - möglichst auf deutschem Niveau - führen, sondern darüber hinaus auch die Zusammenarbeit der Rechtsanwender sicherstellen, damit die Prütkriterien einheitlich angewendet werden. Deshalb steht für mich außer Frage, daß wir noch mehr in eine internationale Betrachtung der Problematik eintreten müssen, um das gegenwärtig noch unmöglich Erscheinende zu leisten, nämlich das herrschende "Rechtschaos" in sachgerechter Abwägung von ökonomischen und sozialen Anliegen grenzüberschreitend in eine Ordnung zu bringen. Deswegen, meine Damen und Herren, bin ich heute sehr gerne zu Ihnen gekommen. Es ist für mich eine willkommene Gelegenheit, mich noch eingehender über Ihre Sicht der Dinge zu informieren und neue Erkenntnisse zu erlangen. Dabei werde ich insbesondere den internationalen Aspekten ein großes Augenmerk widmen. Abschließend möchte ich auch meine Dankbarkeit dafür zum Ausdruck bringen, daß ich heute an dieser ehrwürdigen Universität sein darf. Während meiner Tätigkeit am hiesigen Landratsamt habe ich aus vielfältigen Kontakten gelernt, daß diese Universität eine der bedeutendsten unseres Landes ist. Wenn vorhin gesagt worden ist, man sei hier in Geldnöten, so bitte ich doch zu berücksichtigen, daß Baden-Württemberg auch im Hinblick auf die finanzielle Ausstattung der Universitäten als paradiesische Insel in der Bundesrepublik Deutschland anmuten muß. Beispielsweise werden trotz der allgemeinen Sparzwänge ständig neue Programme für die Universitäten unseres Landes mit der nachdrücklichen Unterstützung von Ministerpräsident Teufel auf den Weg gebracht.

Zur grundrechtlichen, gebühren- und europarechtlichen Auslegung des Rundfunkbegriffs Von Peter Badura·

Darf ich meinen Glückwunsch für Sie, Herr Oppermann, in einen kleinen Diskussionsbeitrag kleiden? Die praktische Vernunft der römischen Juristen hat uns den Spruch überliefert: "Omnis definitio in iure civili pericolosa est" - und das kann man, glaube ich, auf das Rundfunkrecht übertragen. Herr Rüggeberg hat eine große Vielfalt von Rundfunkbegriffen vor uns hingeschüttet. Einen Begriff kann man aber als Jurist nur richtig behandeln, wenn man ihn in einen normativen Zusammenhang stellt; meine kurze Bemerkung möchte ich deswegen in den normativen Zusammenhang des Art. 5 GG stellen und nur darüber etwas sagen. Die Interpretation wird dadurch etwas überschattet, daß Bund und Länder sich hier in einem Kraftfeld gegenüberstehen, also eine Kampflage existiert. Naturgemäß versuchen die Länder, den Rundfunkbegriff so weit wie möglich zu fassen, während auf der anderen Seite der Bund - der jetzt ja sogar seine Rahmenkompetenz für den Film verloren hat - wenigstens versucht, mit Hilfe des "Rechts der Wirtschaft" (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) die Füße auf der Erde zu behalten. Ich möchte den Vortrag von Herrn Dittmann im großen zustimmen und das, was er gesagt hat, sogar noch zu der These verschärfen, daß die Rundfunkfreiheit als Grundrecht, so wie wir sie aus der Hand des Bundesverfassungsgerichts mit zunehmender Reglementierung empfangen haben, nur dann überlebensfähig ist, wenn der Begriff des Rundfunks eng gefaßt wird. Denn dieser Begriff ist ja vom Bundesverfassungsgericht unter einer ganz spezifischen Perspektive der Schutzbedürftigkeit entwickelt worden, als eine objektive Garantie, zunächst überhaupt nur für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dann - mit einer gewissen Mühe - auf den privaten Rundfunk über-

• Professor Dr. iur., Universität München.

118

Peter Badura

tragen worden, um in diesem Bereich überhaupt eine Anwendbarkeit des Schutzes sicherzustellen. Ich meine deshalb, daß das, was "Rundfunk" im Sinn der Verfassung ist, überhaupt nur von diesem verfassungspolitischen Ziel, von dieser Ordnungsvorstellung her definiert werden kann. Das bedeutet zum Beispiel, daß die scharfen Vorstellungen über die Binnenpluralität oder den Außenpluralismus und ähnliche Erfindungen nur dann auf eine Veranstaltung übertragen werden können, wenn sie wirklich in diesem Sinn "Rundfunk" ist. Herr Dittmann hat gemeint, der RundfunkbegrifI solle primär in Richtung "Einfluß oder Einwirkungsmöglichkeit auf die öffentliche Meinungsbildung" entwickelt werden. Das ist sicherlich ein Kernpunkt. Aber ich zögere zu glauben, daß das genügen würde; es müßte vielleicht noch etwas hinzukommen. Denn auch die Presse hat einen Einfluß auf die öffentliche Meinung, und auch selbst Bücher, wie wir sie schreiben, haben manchmal Einfluß auf die öffentliche Meinung - oder ein Symposion, wie dieses hier. Dennoch ist das nicht "Rundfunk". Es muß noch irgendetwas hinzukommen, nachdem der Frequenzmangel entschwunden ist und auch das Geld, wenigstens für den Hörfunk, etwas weniger Bedeutung hat. Es muß etwas in Hinblick auf die Machtposition hinzukommen, wie es uns in dem schönen Zitat aus Goethes Zahmen Xenien - wenn ich richtig gehört habe - vor Augen gestellt wurde. Dieser Faktor müßte wohl hinzukommen. Ein weiteres ist die Finanzierung des Rundfunks. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk finanziert sich aus Rundfunkgebühren, und er kann diese Finanzierungsart überhaupt nur aufrechterhalten, wenn der RundfunkbegrifI eng gefaßt wird. In dem Käfig, den das Bundesverfassungsgericht in den vielen Entscheidungen seit dem 12. Band für den Rundfunk gebaut hat, hat es mit der Rundfunkgebührenentscheidung sozusagen die letzte Stange eingezogen. Es ist ein Käfig, dessen schreckliche Wirkung sich in dem eben veröffentlichten 10. Bericht der KEF handgreiflich niederschlägt. Die ARD vor allem stößt mit ihren finanziellen Möglichkeiten plötzlich an eine Mauer. Sie muß sich ganz eigentümlichen Kriterien unterwerfen, die äußerlich durch lange Zitate aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts legitimiert werden. Es gibt auch Meinungen, denen ich allerdings nicht folgen würde, die aus dem, was das Gericht zur Rundfunkgebühr und dem Verfahren ihrer Festsetzung gesagt hat, folgern, der Gesetzgeber sei an die Entscheidung der KEF gebunden, so daß die KEF - die sog. unabhängige Sachverständigenkommission - mit dem, was sie über die Rundfunkgebühr sagt, den Gesetzgeber des Landes oder der Staatsverträge - jedenfalls nach oben - festlege. Das halte ich für unrichtig. Die Entscheidung muß nicht so ausgelegt werden; und es wäre falsch, selbst

Zur Auslegung des RlUldfunkbegriffs

119

wenn man es so auslegen müßte. Auch in diesem Zusammenhang der Finanzierungsfrage muß der Rundfunkbegriff gesehen werden, und auch das führt meiner Meinung nach dazu, daß er eng verstanden werden muß. Ein weiteres kommt hinzu - vorgreifend auf das, was wir heute Nachmittag hören werden -, nämlich das, was sich aus dem europäischen Recht ergibt. Dem können wir uns ja nicht entziehen, und auch das Bundesverfassungsgericht konnte sich dem in seiner Entscheidung zur Fernseh-Richtlinie nicht entziehen. Nur mit einer Haarspalterei hat es einen Verstoß gegen bundesfreundliches Verhalten angenommen, während alles andere, was die Länder vorgetragen haben, dort nicht Gnade gefunden hat - ich muß sagen: Gott sei Dank! Das zeigt - wenn wir die europäische Dimension hinzunehmen, d.h. die Dienstleistungsfreiheit -, daß auch hier die publizistisch-kulturelle Dimension nicht verlorengeht, aber daraus eben wiederum eine Prägung des Rundfunkbegriffs im Sinne einer engen Abgrenzung in Rechnung zu stellen ist. Wir können auch hier nicht in eine Konfrontation mit dem europäischen Recht eintreten. Aus dem, was ich gesagt habe, sollte allerdings kein Mißverständnis entstehen. Rundfunk kann natürlich nicht nur Programm-Rundfunk sein. Die Entwicklungen, die aus Telekommunikation, Digitalisierung etc. entstehen, müssen natürlich vom Rundfunkbegriff aufgenommen werden. Der Rundfunkbegriff ist genauso wie der Begriff der Telekommunikation - früher "Fernmeldewesen" - ein dynamischer, entwicklungsoffener Begriff (vgl. Art. 73 Nr. 7 GG). Das gilt auch für Art. 5 GG: "Berichterstattung durch Rundfunk" ist ein entwicklungsoffener Begriff, der u.a. Sparten-Fernsehen einschließt, und auch alle möglichen anderen neuen Rundfunkdienste, vorausgesetzt nur, daß sie "Rundfunk"dienste sind. Wir müssen nicht etwa auf einer antiquierten Position des Rundfunks im Jahre 1961 stehen bleiben, wenn wir vom Rundfunkbegriff sprechen.

"Multimedia" und der RundfunkbegrifT Von Dieter Dörr·

I. Einleitung In der jüngsten Zeit ist der Rundfunkbegriff in die Diskussion geraten. 1 Die Gründe dafiir liegen auf der Hand. Es geht darum, ob die neuen Erscheinungsformen von Teledienstleistungen dem rundfunkrechtlichen Regelungswerk unterfallen sollen oder nicht. Diese neuen Dienstleistungen sind ein Produkt einer rasanten Entwicklung, die auf die revolutionären Veränderungen der Verbreitungstechnologie, also dem Siegeszug der Satellitenverbreitung und der dazugehörigen Empfangsgeräte, nachfolgt. Stichwort ist dabei "Multimedia", ein Begriff, der eher verwirrt, als daß er zur Klarheit beiträgt. Wesentlich klarer wird m.E. die Problematik, wenn man von Verteil-, Zugriffs- und Abrufdiensten2 spricht und anband der dafiir entwickelten Kriterien eine Einteilung der neuen Dienste, wie z.B. Pay-TV, Teleshopping, Near-Video-on-Demand, Video-on-Demand, Homeshopping und unterschiedlicher Internetangebote vornimmt. Alle diese neuen Angebote weisen durchaus unterschiedliche Leistungsmerkmale auf.

• Professor Dr. iur., Universität Mainz. 1 Grundlegend Gersdoif, Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff im Lichte der Digitalisierung der Telekommunikation, 1995; vergleiche auch HartsteinIRingi KreilelDörrlStettner, Rundfunkstaatsvertrag, 2. Aufl., 1995 § 2 Rndnr. I ff.; Pieperl Wiechmann, Der Rundfunkbegriff. Änderungen durch Einftlhrung des interaktiven Fernsehens?, ZUM 1995, 82 ff.; Hartstein, Die Auflösung des Rundfunbegriffs, in: Festgabe fiIr Wittig-Terhardt, 1995, 56 ff.; Engel, Multimedia und das deutsche Verfassungsrecht, in: Hoffinann/RiemNesting (Hrsg.), Perspektiven der InfonnationsgeseIlschaft, 1995, 155 ff.; HofJmann-Riem, Multimedia-Politik vor neuen Herausforderungen, (RuF 1995), 126 ff. 2

So zu Recht Gersdoif(Fn. 1),25 ff.

122

DieterDörr

Bei den Verteildiensten, der klassischen Form der Massenkommunikation, legt der Anbieter einseitig die Programminhalte fest und auch den Zeitpunkt, wann diese Inhalte abgerufen werden. Der Zuschauer verfugt damit weder über eine zeitliche, programminhaltliche noch abwicklungstechnische Option. Bei den neuen Angeboten stellt das klassische Pay-TV einen solchen Verteildienst dar. Informationen bei den Zugriffsdiensten werden in raschen periodischen Abständen wiederholt. Der Rezipient kann in das zyklisch ausgestrahlte Angebot zu einem individuell bestimmten Zeitpunkt einsteigen. Ihm steht zumindest eine zeitliche Rezeptionsmöglichkeit offen. Eine typische Form eines solchen neuen Dienstes ist "Near-Video-on-Demand". Dabei ist der Begriff "Video" vielleicht sogar bewußt irreführend gewählt, da er den Eindruck erweckt, hier könnten nur Filme abgerufen werden, es würde eine elektronische Videothek zur Verfugung gestellt. Dieser Eindruck ist unzutreffend. Vielmehr kann durch diese Technik auf alle Programmformen Zugriff genommen werden. Es wäre sehr viel richtiger, von "Near-TV-on-Demand" zu sprechen. Die Abrufdienste weisen schließlich den höchsten Standard interaktiver Kommunikation auf. Der Teilnehmer kann das Angebot, das er ansehen möchte, selbst auswählen und den Zeitpunkt bestimmen, wann er das ausgewählte Angebot sehen möchte. Je nach Entwicklungsstufe der Abrufdienste können in Zukunft noch darstellungstechnische Möglichkeiten (interaktives Fernsehen, Skepsis ist in diesem Zusammenhang durchaus angebracht) hinzukommen. So wird es etwa beim geplanten Video-on-Demand durchaus möglich sein, daß der Zuschauer aus einem Programmkatalog ein bestimmtes Angebot zu einem individuell bestimmten Zeitpunkt gegen Entgelt abrufen kann. Es handelt sich demnach dabei um einen Abrufdienst. Insoweit sollen dem Zuschauer in Zukunft sogar ähnliche Funktionen wie bei einem Videorecorder zur Verfugung stehen. Auch hier ist die Bezeichnung "Video" irreführend, da alle Sendeformen, wenn sich die Technik tatsächlich durchsetzen sollte, abgerufen werden können. Es ist daher zutreffender, von "TV-on-Demand" zu sprechen. Auch das geplante "Homeshopping" , das nicht mit dem Teleshopping verwechselt werden darf, soll in Zukunft als Abrufdienst verbreitet werden. Dabei soll der Besteller aus einem Angebotskatalog individuell die notwendigen Produktinformationen abrufen, um dann eine Kaufentscheidung treffen und sofort per Abruf tätigen zu können. Dagegen ist das Teleshopping ein klassischer Verteildienst. Dort werden Verkaufsangebote entweder in Form von Sendungen mit Showcharakter oder als "Infomertials", also in Form einer

"Multimedia" und der RundfunkbegrifI

123

Vennischung aus informativem Teil und einer Verkaufsshow bzw. eines Spots, der innerhalb regulärer Werbeblocks ausgestrahlt wird, angeboten. 11. Die neuen Dienste und der Rundfunkbegriff Bei der Problematik, wie sich diese Dienste, die wie oben dargestellt teilweise klassische Verteildienste, teilweise Zugriffsdienste und in Zukunft eventuell sogar echte Abrufdienste sein werden, rechtlich einordnen lassen, ist zunächst darauf hinzuweisen, daß sowohl die Verfassung in Art. 5 12 GG als auch das einfache Recht im Rundfunkstaatsvertrag den Begriff Rundfunk verwenden. Die Verfassung setzt dabei den Begriff Rundfunk voraus, definiert ihn selber aber nicht. Trotzdem ist nicht etwa das einfache Recht entscheidend, auch wenn der Landesgesetzgeber einzelne neue Dienste z.B. als rundfunkähnliche Dienste bezeichnet, können sie Rundfunk im Sinne des Grundgesetzes sein. Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits in der Baden-Württemberg-Entscheidung3 hinreichend deutlich gemacht. Entscheidend ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vielmehr die publizistische Wirkung fiir die öffentliche Meinungsbildung. 4 Darauf wird noch zurückzukommen sein. Auf dieser besonderen Einflußmöglichkeit bezüglich der öffentlichen Meinungsbildung beruht nämlich die besondere Behandlung des Rundfunks; sie ist die Legitimation fiir die staatliche Ausgestaltungsbedürftigkeit des Rundfunkwesens mit Regelungen, die sicherstellen, daß die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck finden. Mit dieser Sichtweise steht das Bundesverfassungsgericht übrigens keineswegs allein, wie das der deutsche Kommissar Martin Bangemann in jüngster Vergangenheit wiederholt behauptet hatS, vielmehr sehen der italienische und der französische Verfassungsgerichtshof' und auch der Europäische Gerichts-

3 BVerfGE 4

73, 118 (154).

So zu Recht Hesse, Rundfunkrecht, 1990, 87.

5 Vgl. z.B. Bangemann, Rede vor dem Europäischen Parlament am 14.6.1995, Protokoll der Sitzung des Europäischen Parlaments am 14.6.l995, 9l. 6 Eingehend dazu Schellenberg, Pluralismus: Zu einem medienrechtlichen Leitmotiv in Deutschland, Frankreich und Italien, AöR 119 (1994),427 (429 fI.).

124

DieterDörr

hof fiir Menschenrechte, 7 wenn auch mit anderem dogmatischen Ansatz, die Sache im Ergebnis ganz ähnlich. Sie betonen übrigens die Pflicht, den Pluralismus im Rundfunkwesen im Interesse einer funktionstüchtigen Demokratie zu sichern, teilweise noch deutlicher und pointierter. Auch der Europäische Gerichtshof der Gemeinschaften (EuGH) hat in seinen neuesten Entscheidungen8 in erfreulicher Klarheit darauf verwiesen, daß die Sicherung des Meinungspluralismus im Rundfunkwesen ein vom Gemeinschaftsrecht anerkanntes Interesse darstellt, das durchaus in der Lage ist, die Dienstleistungsfreiheit zu beschränken. In Ausfiillung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben hat § 2 Abs. I RuFuStV eine Definition des Rundfunkbegriffs vorgenommen. Danach hat der Rundfunkbegriff drei Elemente, nämlich die Allgemeinheit, die Verbreitung und die Darbietung. Insoweit hat der RuFuStV die verfassungsgerichtlichen Vorgaben aufgenommen und nochmals klargestellt. Die Verbreitung stellt auf die technische Seite ab, es muß die Technik des Funks verwendet, also unter Benutzung elektrischer Schwingungen längs oder mittels eines Leiters oder ohne Verbindungsleitung ausgestrahlt werden. Im übrigen kommt es auf die physikalische Art der Verbreitung nicht an. 9 Vielmehr ist insoweit der Rundfunkbegriff fiir neue technische Entwicklungen offen. Dies ist auch sachgerecht, da sich in jüngster Zeit herausstellt, daß man zunehmend auch das schmalbandige Netz, also die Telefonleitungen zur Verbreitung von Rundfunk benutzen kann. Insoweit bestehen bei den gesamten neuen Angeboten keine Probleme. Sie werden alle mittels der Technik des Funks verbreitet. Gewisse Fragen tauchen dagegen schon beim Merkmal der 11 Allgemeinheit" 1O auf. So könnte man einmal fragen, ob Pay-Dienste überhaupt an die Allgemeinheit gerichtet sind, da doch ein individuelles Vertragsverhältnis zwischen Anbieter und Empfllnger entsteht. Entscheidend ist aber, daß mit

7 Vgl. dazu Astheimer, Rundfunkfreiheit - Ein europäisches Grundrecht, 1990, EGMR, Medien Wld Recht 1994, 239 ff.; Vourhoof, Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention: Die Grundlage des Medienrechts im Ralunen des Europarats Wld seiner Mitgliedstaaten, Rechtliche Rundschau der europäischen audiovisuellen Infonnationsstelle (IRIS), Sonderausgabe 1995, 3 ff. 8

EuGH, EuZW 1993,251; EuGH, Sig. 1994 I, 469 ff.

9

Vgl. dazu HartsteinIRing/KreilelD6rr/Stettner (Fn. I), § 2 Rdnr. 7.

10

Vgl. z. diesem Merkmal HartsteinIRing/KreileID6rr/Stettner (Fn. I), § 2 Rdnr. 6.

"Multimedia" und der Rundfunkbegriff

125

den Pay-Diensten der Veranstalter eine unbestimmte Vielzahl von Personen erreichen will. Es kommt also darauf an, ob sich das Angebot an die Allgemeinheit richtet. Dabei genügt auch ein durchaus begrenzter, aber nicht individuell bestimmter Empfangerkreis. So stellt etwa auch der "Ladenfunk" , also elektronische Angebote in Kaufhäusern - wie das unlängst das Verwaltungsgericht des Saarlandes beschäftigende "Monitorjournal" - ein Angebot an die Allgemeinheit dar, da sich die Sendung an alle Kunden, die den Laden betreten, richtet. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob auch echte Abrufdienste - wie Video-on-Demand - sich an die Allgemeinheit richten. So geht etwa das Europarecht davon aus, daß nur Point-to-Multipoint Verbindungen Fernsehen darstellen, aber nicht Point-to-Point-Verbindungen. Diese Sichtweise entspricht aber nicht dem deutschen Rundfunkbegriff. Die Notwendigkeit der Medienregulierung stellt, wie bereits angesprochen, darauf ab, daß die Kommunikation an eine unbestimmte Allgemeinheit adressiert ist, sie beruht auf den Risiken einer solchen Kommunikation für die öffentliche Willensbildung. Es kommt nicht darauf an, daß diese an eine unbestimmte Vielzahl gerichtete Kommunikation individuell zu unterschiedlichen Zeitpunkten abgerufen wird. Die Produktion für, die Verbreitung an und die Nutzbarkeit durch die Allgemeinheit ist entscheidend, auf die Gleichzeitigkeit des Zugriffs kommt es nicht an. Auch wenn der Zugriff also fortlaufend erfolgen kann, wie beim echten Videoon-Demand, handelt es sich demnach um eine Verbreitung für die Allgemeinheit. Entscheidend - auch im Hinblick auf den Funktionszweck des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG - ist das Merkmal der Darbietung. 11 Eine Darbietung liegt nämlich nicht vor, wenn die Veranstaltung zur öffentlichen Meinungsbildung weder bestimmt noch geeignet ist. Gerade die möglichen Einflüsse auf die öffentliche Meinungsbildung machen es - worauf bereits hingewiesen wurde - notwendig, einen Rundfunkbegriff zu entwickeln und für diesen Rundfunk besondere Regelungen vorzusehen, wenn man - wie das Bundesverfassungsgericht mit m.E. überzeugenden Gründen - in diesem Bereich besondere Regelungen für notwendig hält. Die neuen Dienste sind jedenfalls - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - durchaus geeignet, auf die öffentliche Meinungsbildung Einfluß zu nehmen. Der Grad und die Relevanz dieses Einflusses ist natürlich un-

11

Vgl. dazu Harlstein!Ring/Krei/e/D6rrIStettner (Fn. 1), § 2 Rdnr. 8.

126

DieterDörr

terschiedlich. Jedoch wird man jegliches Fehlen von Einfluß in kaum einem Fall behaupten können. Unabhängig von der Einordnung dieser Angebote zum Rundfunkbegriff ist aber zu fragen, ob die bisher für den Rundfunk geltenden Regelungen auch auf diese neuen Dienste anzuwenden sind. Dies ist in Wahrheit die entscheidende Problematik und nicht die Zuordnung der neuen Dienste zum Rundfunkbegriff.

III. Notwendigkeit rundfunkspezifischer Regelungen Die erste und wichtigste Frage in diesem Zusammenhang ist, ob die Digitalisierung nicht insgesamt die besondere Rundfunkregulierung überflüssig macht. Ist es nicht so, so kann man jedenfalls fragen, daß angesichts der Kanalvermehrung und der Kompressionstechnik die Gewährleistung von Meinungsvielfalt und Pluralismus dem Markt überlassen werden kann? Entsteht nicht ein elektronischer Kiosk vergleichbar dem Zeitungskiosk, an dem jeder sein Angebot abrufen kann? Diese Frage ist aus meiner Sicht eindeutig zu verneinen. Es wäre nicht nur eine allzu optimistische Prognose, daß allein die Frequenzvermehrung Gefahren für die Meinungsvielfalt vermeidet. Vielmehr übersieht die durchaus vertretene Meinung, daß rundfunkrechtliche Sonderregelungen in Zukunft überflüssig sind, wie dies etwa dezidiert R. Scholz und Kommissar M Bangemann behaupten,12 wie sich das Angebot schon jetzt erkennbar gestaltet. Die zukünftige Angebotsgestaltung zeichnet sich nämlich durch Programrnpakete bzw. Bouquets aus, die in Zukunft nur insgesamt erworben werden können. Die Pakete werden neben Vollprogrammen eine Vielzahl von Einzelprogrammen und Teledienstleistungen umfassen und unter einem einheitlichen Programmführer (TV Guide) angeboten werden. Der Konzentrationsprozeß wird dabei eher noch zunehmen; es wird nur ganz wenige Anbieter solcher Bouquets europaweit geben. Man darf also nicht Kanalvielfalt mit Anbietervielfalt oder Angebotsvielfalt verwechseln. Der Zugriff wird über die Set-Top-Boxen erfolgen; es wird vor allem sichergestellt werden müssen, daß auch die kostenlosen Angebote ohne Diskriminierung überhaupt zum Zuschauer gelangen. 12 Bangemann (Fn. 1), 91; Scholz, Zukunft von Rundfunk und Fernsehen: Freiheit der Nachfrage oder reglementiertes Angebot?, AfP 1995, 357 (359 f.); differenzierter Engel, Multimedia und das deutsche Verfassungsrecht, in: Hoffmann-RiemNesting (Hrsg.), Perspektiven der Infonnatioinsgesellschaft, 1995, 155 (160 ff.).

"Multimedia" und der Rundfunkbegriff

127

Zum zweiten bleibt es bei den privaten Angeboten bei der vorrangigen Finanzierung durch Werbung, die krart Natur der Sache die Meinungsvielfaltjedenfalls nicht begünstigt. Es ist daher unverkennbar, daß die Pluralismussicherung notwendig bleibt, vielleicht sogar in Zukunft noch viel notwendiger wird als vorher. Dies heißt aber nicht, daß fiir alle neuen Dienste gleiche Regelungen in Zukunft gelten sollten. Es sind vielmehr abgestufte Regelungen erforderlich, die darauf abstellen, inwieweit die jeweiligen Erscheinungsformen von Rundfunk Einfluß auf die öffentliche Meinungsbildung haben. 13 Dabei ist die öffentliche Meinungsbildung umfassend zu verstehen, hierzu zählt nicht etwa nur die politische Berichterstattung im engeren Sinne. Gerade Unterhaltungssendungen prägen die öffentliche Meinungsbildung unter Umständen sehr viel stärker als politische Magazine. Bei den künftigen Video- und Near-Video-on-DemandDiensten ist zu beachten, daß hierüber nicht nur Videofilme angeboten werden, vielmehr auch Magazine, Nachrichtensendungen und andere Programmformen. Daher ist in diesem Bereich die Pluralismussicherung unverziehtbar. Bei den Teleshoppingangeboten, die z.Zt. die öffentliche Diskussion in besonderer Weise beschäftigen,14 sieht die Sachlage anders aus. De lege lata sind Teleshoppingsendungen auf eine Stunde begrenzt. Dies sieht nicht etwa nur der Rundfunkstaatsvertrag sondern auch die EG-Fernsehrichtlinie vor. Die EG-Kommission hat in diesem Zusammenhang deutlich zum Ausdruck gebracht, daß de lege lata diese Ein-Stunden-Begrenzung fiir alle Teleshoppingangebote gilt. Es ist nicht etwa so, daß mit dieser Regelung nur Teleshoppingsendungen innerhalb anderer Programme erfaßt werden; diese Regelung steht vielmehr auch reinen Teleshoppingkanälen entgegen. Daher besteht kein Zweifel, daß Teleshoppingsendungen, die den Ein-Stunden-Zeitraum überschreiten, gegen den geltenden Rundfunkstaatsvertrag und die EG-Fernsehrichtlinie verstoßen. 15 Dies ist jedenfalls auch die Sichtweise der EG-Kommission, die nicht zuletzt auf Initiative der deutschen Landesmedienanstalten wegen eines entsprechenden Angebots aus Großbritannien tätig wurde. De lege ferenda sind durchaus andere Regelungen vorstellbar und möglich. Es stehen keinerlei verfassungsrechtliche Gründe entgegen, auch reine Teleshop-

13

So zu Recht auch PieperlWiechmann (Fn. 1), ZUM 1995, 82 ff.

14 VG München, ZUM 1995, 896; Bay VGH, ZUM 1996, 173; Bay VerfGH, ZUM 1996, 177; Gersdoif, Rundfunkfreiheit ohne Ausgestaltungsvorbehalt, 1996, 38ff. 15 Anders aber Gersdoif(Fn. 14), 45ff. u. 67ff.

128

DieterDörr

pingkanäle zuzulassen, wenn man dies politisch für sinnvoll und wünschenswert hält. Dazu ist es aber auch notwendig, daß die EG-Fernsehrichtlinie, wie es beabsichtigt ist, entsprechend geändert wird. Ob eine Änderung der EGFernsehrichtlinie überhaupt zustande kommt, muß als offen bezeichnet werden. Jedoch bleibt festzuhalten, daß Teleshoppingangebote Rundfunk darstellen. Eine Ausnahme wäre nur dann zu machen, wenn es sich um einen reinen elektronischen Katalog handeln würde. Dies wäre kein Rundfunk, weil jeder Einfluß auf die öffentliche Meinungsbildung und damit die "Darbietung" fehlen würde. Solche elektronischen Kataloge sind aber bei der künftigen Gestaltung des Teleshoppings kaum vorstellbar. Vielmehr handelt es sich bei Teleshopping, wenn es Erfolg haben soll, durchaus um unterhaltsame Sendungen, um Verkaufsshows mit attraktiven programmlichen Elementen. Daher sind auch in diesem Bereich gewisse Regeln, wie die Sicherung des Jugend- und Verbraucherschutzes unverzichtbar. Jedoch ist keine Regelungsdichte wie bei den klassischen Rundfunkangeboten notwendig. Es bleibt also zusammenfassend festzuhalten, daß die Forderung, den Bereich der neuen Informationstechnologien gänzlich zu deregulieren, praktisch unbrauchbar und rechtlich verfehlt ist. Nicht Deregulierung sondern eine abgestufte Regelungsdichte sind das Gebot der Stunde. Eine Einengung des Rundfunkbegriffs ist abzulehnen; eine einfachgesetzliche Einengung des Rundfunkbegriffs hätte übrigens keine Folgen, da für die Frage der Regelungsbedürftigkeit und die weiteren entscheidenden Problemstellungen der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff maßgeblich ist.

Der RundfunkbegrifT - ein Faktor im Standortwettbewerb Von Günther H. Oettinger·

Zunächst ein Wort des Dankes an den Jubilar. Ich denke an den Rechtsgelehrten und Rechtslehrer, der Landtag und Landesregierung seit Jahren und Jahrzehnten - wie auch zahlreiche andere kompetente Wissenschaftler aus Tübingen - als Ratgeber, Gutachter, Gesprächspartner, als Gremienmitglied zur Verfügung steht. Wir danken besonders dem Mitglied des Staatsgerichtshofs, das er im Ehrenamt seit vielen Jahren ist und wodurch er einen Beitrag leistet, daß die Verfassung in Baden-Württemberg kompetent ausgelegt, weiter entwickelt und instandgehalten wird. Ich hoffe auf weitere gute Jahre der Zusammenarbeit mit dem Landtag, in Form meiner Fraktion mit besonderem Vergnügen! Als zweites erweise ich meinen Respekt den Veranstaltern für die Idee, Fest- und Fachveranstaltung einem konkreten Thema zu widmen. Drittens zur Sache selbst. Ich sehe die Entwicklung von Rundfunk und Multimedia in einem Ge~tprozeß gesellschaftlicher, sozialer und kultureller Daseinsvorsorge. Wir müssen die Veränderungen begreifen. Wer Änderungen nicht annimmt und aufnimmt, sondern den Status Quo erhalten will, wird untergehen. Dies galt beim Thema Gebäudebrand, wo wir begreifen mußten, daß aus der alten Gebäudebrand-Pflichtversicherung Badens und Württembergs ein Markt geworden ist. Dies gilt für die gesamte Geldwirtschaft. Wir werden auf Dauer nicht mehr als 50% des Umsatzes im Bereich Banken und Kreditwirtschaft in öffentlich-rechtlicher Form halten können. Die bisherige "Planwirtschaft" wird - bei allem Respekt vor den Sparkassen - nicht überleben. Dies gilt drittens für den Bereich Abfall. Abfall ist noch immer ein rein hoheitliches Aufgabengebiet. Landkreise und Stadtkreise haben es in der Hand. Sie vergeben die Abfallbeseitigung an Private. Oder sie behalten diese • Fraktionsvorsitzender, MdL, Stuttgart. 9 Dittmann u. a.

130

Günther H. Oettinger

Aufgabe in privater Rechtsfonn durch externe GmbHs weiter in der Hand. Abfall entsorgen können aber auch private Dritte! Sie werden sich künftig in den Markt einklagen oder einbringen. Ähnlich sehe ich das Thema Medien und das Thema Rundfunk. Ich bin überzeugter Föderalist. Deswegen glaube ich als erstes, daß jetzt ein politischer Wettlauf der Ebenen begonnen hat. Bei allem Respekt vor juristischen Definitionen zum Thema Rundfunk und bei allem Respekt vor dem Versuch, den Begriff verfassungsrechtlich unzweideutig abzugrenzen und zuzuordnen. In der Politik ist im Graubereich derjenige der Sieger, der nicht nur analysiert, nicht nur debattiert, sondern der handelt, sich Kompetenzen zueignet und das Wesentliche dann auch gewinnen wird. Das gilt hier für die Europäische Kommission, das Europäische Parlament, den Bundesminister für Forschung und Zukunft, aber genauso für die Länderregierungen und die Landtage. Ich habe den Eindruck, daß derjenige, der jetzt zugreift, in jedem Fall Gewinner sein wird, Kompetenz erbringen wird und seine Konzeption stärker duchsetzt als derjenige, der nur diskutiert und nicht handelt. Gestatten Sie mir eine Überschrift: "So viel Kultur und staatsbürgerliche Bildung in föderaler Kompetenz wie möglich, so viel Martkwirtschaft wie notwendig, um wettbewerbsfähig zu sein und zu überleben." Ich will als Föderalist hier nicht zum ersten Bereich sprechen: Kultur, Bildung und damit Zuständigkeit der Länder. Mein Herzblut fließt an dieser Stelle mit Sicherheit. Ich will den Wettbewerbsaspekt aufzeigen. Baden-Württemberg ist standortbezogen Weltmeister in der körperlichen Mobilität, in der Produktion von Fahrzeugen für Straße und Schiene, die wir exportieren. Hier liegt unser Wohlstand. Darum können wir uns alles Mögliche leisten. Wenn nun aber die körperliche Mobilität, also der Fahrzeugbau für Straße und Schiene, unser bisheriger Fortschrittsmotor, zum lahrhundertwechsel von der geistigen Mobilität im Gesamtumsatz abgelöst wird, also von Multimedia, Hardware, Software und von den Leitungsnetzen, dann muß Baden-Württemberg entweder in dieser geistigen Mobilität denselben Stellenwert erreichen wie im Bereich der körperlichen Mobilität oder es wird untergehen. Wir sind angewiesen auf Außenhandelsüberschuß. Wir haben bisher unseren Außenhandelsüberschuß aus den erwähnten alten Branchen, vorneweg aus dem Fahrzeugbau erwirtschaftet. Im Bereich Multimedia sind wir dagegen noch Importeure. Wenn Sie einmal unsere Umsätze in Baden-Württemberg errechnen im Bereich der Hardware, im Bereich der Leitungsnetze, wo demnächst AT&T kommt, aber die Telekom heute noch national bezogen arbeitet, ferner die Umsätze im Bereich Programmproduktion, Filmproduktion, und wenn Sie davon die gebührengestütz-

Der R\U1dftmkbegritT - ein Faktor im Standortwetlbewerb

131

ten Umsätze abziehen, die ja keine marktwirtschaftlichen Umsätze sind, sondern gesetzgeberisch auferlegt, dann wird es klar, daß wir im Bereich der geistigen Mobilität nicht dort sind, wo wir sein müssen, um unseren Wohlstand zu halten. Deswegen geht es mir primär um die Frage der Zukunft der Rundfunkanstalten. Baden-Württemberg hat keine großen privaten Medienkonzerne. Im Bereich der privaten Produktion halten wir nicht Schritt. Ich will deutlich machen, daß wir in der Diskussion um den Rundfunkbegriff begreifen müssen, daß mit den Definitionen Standortmachtkämpfe verbunden sind. Wer in Mainz, in München, in Köln, in Berlin oder in Paris beziehungsweise in Mailand lebt, hat andere Interessen als wir. Wenn wir unsere Rundfunkanstalten nicht fit machen für die Zukunft, aus ihnen regionale Medienkonzerne machen, die exportfähig sind, die mehr sind als nur gebührengestützte Anstalten, dann werden wir untergehen. Dies hat zu tun mit Rundfunkfusion. Dies hat zu tun mit der Frage, die sich uns unabhängig vom Rundfunkbegriff stellt, ob wir in Baden-Baden und Stuttgart Pay-TV erlauben. Oder ob wir in Stuttgart die Gründung einer Ballungsraum-Fernsehgesellschaft von privater und öffentlich-rechtlicher Seite - SDR und Stuttgarter Zeitungsverlag - abweichend von der alten ordnungspolitischen Linie der Trennung erlauben. Wir müssen Standortpolitik machen und nicht nur ordo-liberale Grundsätze befolgen. Kulturpolitik und Wirtschaftspolitik muß man gleichermaßen vor Augen haben. Gestatten Sie mir noch einen weiteren Gedanken. Blicken wir einmal auf die Entscheidungsträger in Sachen Muldimedia in Deutschland einerseits und auf die Entscheidungsträger in Sachen Multimedia in London oder New York andererseits. In New York sind es bei Walt Disney, in London sind es bei Murdoch kleine Vorstände, zwei oder drei Köpfe, Menschen im Alter von Anfang 30, die über Milliardenübernahmen entscheiden. Bei uns liegt das Durchschnittsalter vieler Entscheidungsträger viel höher, bei den Gerichten in Karlsruhe, im Rundfunk in Stuttgart und Baden-Baden. Das sind Delegierte aus Vertriebenenkreisen, Landfrauen aus Bauernverbänden oder abgesandte "Ehemalige" der Wirtschaft und so weiter. Im Landtag und im Deutschen Bundestag ist es nicht viel besser. Meine Sorge ist, daß bei uns die "digital homeless generation", die 40-60jährigen entscheiden. Der 70jährige hat Zeit, sich am pe des Enkels fit zu machen. Die 40-60jährigen haben es nicht mit der Muttermilch aufgesogen. Sie entscheiden aber heute über alles in Aufsichtsräten, Vorständen, Rundfunkräten und Gremien der Politik. Die unter 40jährigen begreifen die Technik und sind mit EDV groß geworden. Aber sie haben noch nicht die Zusammenhänge begriffen. Deswegen will ich als provo9*

132

Günther H. Oettinger

kanten Gedanken noch einbringen: wenn es uns nicht gelingt, Multimedia in seiner dramatischen Geschwindigkeit und Dimension auch den unter 40 Jahre alten Entscheidungsträgem nahezubringen, dann haben wir den globalen Wettlauf mit Sicherheit verloren. Dann wird weder der Rundfunkbegriff des Jahres 1962 noch derjenige des Jahres 1996 Bestand haben, wenn der V-Day der Amerikaner über ihn hinweggeht.

Die verfassungsrechtliche Dimension des RundfunkbegrifTs und der Rundfunkfreiheit im Vergleich der Rechtsordnungen Von Christian Starck*

Ich bin durch zwei Kräfte nach Tübingen gezogen worden: zum einen durch die Person, die gefeiert wird, zum anderen durch das Thema, über das wir sprechen. Ich möchte versuchen, über die beiden Vorträge des Vormittages etwas Zusammenfassendes zu sagen, und damit zum Ausdruck bringen, daß ich es für besonders glücklich halte, über Rundfunkfreiheit und Rundfunkbegriff in Deutschland und in den europäischen Ländern zu referieren.

I. Rundfunkfreiheit und Verfassungsstruktur Ich glaube - und ich fange mit dem Ausland an -, daß sich Rundfunkfreiheit und Rundfunkbegriff in den anderen Ländern nur erschließen lassen, wenn man auf deren Verfassungsstruktur sieht. Die Verfassungsstrukturen sowohl in Frankreich als auch in England sind vollständig andere als bei uns und unterscheiden sich auch untereinander. Beide Länder sind keine Förderationen. Deshalb haben beide Länder mit dem ersten großen Problem, daß wir den Rundfunkbegriff als kompetenzabgrenzenden Begriff zwischen der Bundesund der Landeskompetenz benutzen müssen, nichts zu tun. Das zweite: Der Rundfunkbegriff ist bei uns auch ein grundrechtlicher Begriff, und auch da haben es die beiden anderen Länder leichter. Die Franzosen haben nicht den Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts hervorgebracht. Die fibertes pubfiques sind keine subjektiv-öffentlichen Rechte, sondern vielmehr vergleichbar mit den allgemeinen Rechtsprinzipien. D.h. eine Situation, daß man sich auf ein Grundrecht gegenüber dem Gesetzgeber berufen kann als Rundfunkanstalt oder als Privatperson oder als jemand, der eine Rundfunk-

* Professor Dr. iur. utr., Universität Göttingen.

134

Christian Starck

sendung veranstalten will, die gibt es in Frankreich nicht. Es gibt in Frankreich auch nur eine präventive Gesetzeskontrolle. Das sogenannte französische Verfassungsgericht ist der Conseil constitutionnel, ein Kontrollinstrument des Parlaments, das angerufen werden kann von 60 Parlamentsabgeordneten. Und dieser Verfassungsrat kann Gesetzesbeschlüsse kontrollieren, aber in einer ganz anderen Weise als dies bei uns durch das Bundesverfassungsgericht geschieht. Selbstverständlich gilt auch die Medienfreiheit in Frankreich als ein Kontrollmaßstab. Über die Mediengesetzgebung von 1986 hat der Conseil constitutionnel im selben Jahr eine große Leitentscheidung erlassen (Recueil des decisions 1986, S. 141 ff.), sich darin insbesondere auf das Demokratieprinzip gestützt und an diesem Gesetzesbeschluß Beanstandungen vorgenommen. Unter der Rubrik "la libre communication des pensees" wird das regime de la communication audiovisuelle auf eine eher institutionelle Weise erörtert, da es nicht als Freiheitsregime betrachtet wird: Eine Privatisierung von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sei verfassungsrechtlich erlaubt, wenn der Pluralismus als Grundbedingung der Demokratie gesichert sei. Wenn man jetzt einmal in Frage stellt, in welcher Lage ist der Gesetzgeber in Frankreich und in England und in welcher Lage sind die Landesgesetzgeber in Deutschland?, da wird der Unterschied ganz deutlich. In England wird die Freiheit so definiert: Alles was gesetzlich nicht verboten ist, das ist erlaubt. Der Gesetzgeber ist dort souverän. Im Gegensatz zu uns kennt man die Souveränität des Parlaments in England. Es gibt keine fundamental rights, die das Parlament nicht abschaffen könnte, folglich auch keine subjektiven Grundrechte dem Parlament gegenüber. Öffentliche Meinung, parlamentarische Opposition und die law courts wachen jedoch über die Einhaltung gewisser Grundsätze, denen aber im strengen systematischen Sinne kein Vorrang zukommt, die aber als Grundbedingungen des Rechts aufgefaßt und von den Gerichten beachtet werden, wenn sie die Gesetze auslegen und anwenden. Zu diesen Grundsätzen gehört gewiß nicht die Freiheit, Rundfunkprogramme zu veranstalten. Diese Freiheit zu belassen, sie wegzunehmen oder nur beschränkt einzuräumen, liegt im politischen Ermessen des Parlaments. Wenn man damit die Situation des Landesgesetzgebers in Deutschland vergleicht - in einigen Diskussionsbeiträgen ist das angeklungen -, steht dieser vollständig unter der eröffnenden, einschränkenden, sich immer wieder ändernden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Die verfassungsrechtliche Dimension des Rundfunkbegriffs

135

11. Rundfunkbegriff und Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Jetzt möchte ich noch etwas zu der deutschen Seite sagen. Wir haben den Rundfunkbegriff als Kompetenzbegriff, obwohl er in keiner Kompetenzvorschrift vorkommt. Es kommt jeweils im Zusammenhang mit der Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenz das Wort Telekommunikation vor in Art. 73 Nr. 7 GG, es kommt das Wort Presse vor in Art. 75 Abs. I Nr. 2 GG; damit sind die Abgrenzungsprobleme gegeben. Außerdem ist der Rundfunk auch ein grundrechtlicher Begriff. Wie Herr Badura ganz richtig gesagt hat, müssen wir uns entscheiden, ob wir den Rundfunkbegriff eng oder weit definieren. Ich habe den Eindruck, daß von seiten der Rundfunkanstalten stets für eine weite Definition plädiert worden ist in der Annahme, man gewönne dadurch weiteres Terrain. Lange Zeit glaubte man, Rundfunk sei automatisch den Rundfunkanstalten übergeben. Das war sicher während der Sondersituation so. Da nun die Sondersituation nicht mehr existiert, kann man dieses so nicht mehr aufrechterhalten. Die Länder, denen die Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiete des Rundfunkrechts zusteht, haben im Rundfunkstaatsvertrag den Rundfunk dahin definiert, daß er die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, Ton und Bild unter Benutzung elektrischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters darstellt. Ausdrücklich ist der Definition hinzugefiigt, daß Darbietungen eingeschlossen sind, die verschlüsselt verbreitet werden oder gegen besonderes Entgelt empfangbar sind, sowie Fernsehtext. Die Hinzufiigung ist neu. Sie konnte im früheren Rundfunkgebührenstaatsvertrag nicht enthalten sein, weil dieser sich gerade nicht auf Pay-TV bezog und diese Form des Fernsehens von seinem Regelungsziel her nicht einbeziehen konnte. Denn die damalige Definition des Rundfunks bezog sich auf den Rundfunk, soweit er dem Monopol der Rundfunkanstalten unterworfen sein sollte und soweit dessen Nutzung eine Gebührenpflicht auslöste, was fiir den verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff nicht erheblich sein kann. Der Rundfunkstaatsvertrag von 1991 regelt, wie schon sein Vorgänger von 1987, die Veranstaltung und Verbreitung von Rundfunk in Deutschland in einem dualen Rundfunksystem. Heute wird man dem Rundfunkbegriff nichts mehr entnehmen können für vorrangige oder gar ausschließliche Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Es bedarf dazu zusätzlicher Normen, die im Rahmen des RundfunkbegrifIs den Aufgabenbereich der öffent-

136

Christian Starck

lieh-rechtlichen Rundfunkanstalten festlegen. Bereits aus dem Umstand, daß das Bundesverfassungsgericht die duale Rundfunkordnung anerkannt hat, folgt, daß die Programmtätigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten insoweit eingeschränkt sein muß, daß private Veranstalter einen Entfaltungsraum haben. Freilich ist auch festzuhalten, daß nach dem Ende der sogenannten Sondersituation die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit der Aufgabe belehnt werden dürfen, Rundfunk zu veranstalten, um gesellschaftlichen Pluralismus zu sichern und, was heute wohl ebenso wichtig ist, die Integration der Bevölkerung zu fördern. Das Bundesverfassungsgericht hat versucht, aus der Rundfunkfreiheit den Begriff der Grundversorgung zu gewinnen, aus dem es einen Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ableitet. Der Begriff der Grundversorgung wird changierend und anwachsend umschrieben. Diese Begriffsbildung ist als Maßstab fiir eine verfassungsgerichtliche Kontrolle des parlamentarischen Gesetzgebers zu unbestimmt. Er gefahrdet die politische Funktion der fiir die Rundfunkgesetzgebung zuständigen Landtage und überdehnt die Rechtsfunktion des Bundesverfassungsgerichts. Die Rechtsprechung über die Grundrechtsposition der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist dahin zu präzisieren, daß diesen das Grundrecht der Rundfunkfreiheit nur im Rahmen des gesetzlich bemessenen Programmauftrages zusteht. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gewinnen über das Grundrecht nicht das Recht, weitere Programme, auch nicht in Konkurrenz mit den Privaten, zu verbreiten.

Das Grundrecht der Rundfunkfreiheit als "Supergrundrecht"? Zur Notwendigkeit einer dogmatischen Weiterentwicklung des verfassungsrechtlichen BegrifTsbildes Von Hubertus Gersdorf

I. Einführung Um den (verfassungsrechtlichen) Rundfunkbegriff kreist ein heftiger wissenschaftlicher Diskurs}. Die Intensität dieser Kontroverse ist darauf zurückzuführen, daß die Frage nach dem Rundfunkbegriff zum einen von erheblicher praktischer Relevanz ist und zum anderen mehrere verfassungsrechtliche Problemschichten betrifft2; In kompetenzieller Hinsicht kommt dieser Frage maßgebliche Bedeutung zu, weil der Rundfunk in den alleinigen Verantwortungsbereich der Länder fällt (Art. 70 GG). Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist diese Frage von Relevanz, weil die Sendeanstalten ausschließlich zur Veranstaltung von Rundfunk, nicht aber von Nicht-Rundfunkdiensten legitimiert sind. Und in grundrechtlicher Hinsicht ist diese Frage deshalb bedeutsam, weil das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht der Rundfunkfreiheit als "dienende Freiheit" versteht, auf dessen Schutz die private Medienwirtschaft - angesichts der sich an dieses Grundrecht knüpfenden Pflichten allzu gern verzichten würde3.

• Dr. iur., Wissenschaftlicher Assistent, Universität Hamburg. } Zuletzt Bullinger, AfP 1996, 1 ff.; Hoffmann-Riem, AfP 1996, 9 ff.; MallerUsingILucke, ArchivPT 1995, 3 (13 ff.); PieperlWiechmann, ZUM 1995, 82 (93 ff.); Pieper, ZUM 1995, 552 (557); Gersdorf, Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff im Lichte der Digitalisierung der Telekommunikation, 1995, S. 149 ff. 2 Vgl. zu den Dimensionen des verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriffes Gersdorf, Rundfunkbegriff (Fn. I), S. 57 ff. 3 Besonders pointiert BVerfGE 83, 238 (315: "Die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ermächtigt ihren Träger nicht zu beliebigem Gebrauch. Als dienende

138

Hubertus Gersdorf

Die folgenden Bemerkungen beschränken sich auf einige zentrale Aspekte der aktuellen Diskussion, die im wesentlichen darauf gerichtet ist, den Kern des verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriffs restriktiv zu bestimmen.

11. Unzulässige Eingrenzungsversuche Zunächst wird auf einige Argumente eingegangen, die sich bei Lichte betrachtet als unzureichend erweisen, die Notwendigkeit eines einengenden Begriffsbildes dogmatisch zu begründen. 1. Vermengung von Tatbestands- und Rechtsfolgenproblematik

Einig ist man sich in der Auseinandersetzung um den verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff insoweit, als man es übereinstimmend ablehnt, die vom Bundesverfassungsgericht fiir die Veranstaltung klassischen Rundfunks entwickelten Anforderungen auf die geplanten oder bereits eingeführten neuen Dienste zu übertragen4 . Einig ist man sich insoweit, als es fiir die Medienordnung der Zukunft einer abgestuften Regelungsdichte bedarf, welche das tatsächliche, gänzlich unterschiedliche Gefahrenpotential bei den einzelnen Diensten zum Ausgangs- und Bezugspunkt fiir die notwendige Differenzierung macht5. Streitig ist indes, ob mit Blick auf diesen Differenzierungsbedarf bereits der Tatbestand der verfassungsrechtlichen Rundfunkfreiheit entsprechend reduzierend bestimmt werden muß (Stichwort: "Entrümpelung des Rundfunkbegriffs")6 oder aber insoweit ausschließlich die Rechtsfolgenseite

Freiheit wird sie nicht primär im mteresse der Rundfunkveranstalter, sondern im mteresse freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung gewährleistet"). 4 Bullinger, AfP 1996, I (2: "Die variantenreichen Stellungnahmen zeichnen sich dadurch aus, daß sie auf unterschiedlichen Wegen oder Umwegen meist zu dem vernUnftigen Ergebnis fil.hren, die neuen Dienste zumindest teilweise nicht in die schwere Ritterrüstung verfassungsrechtlicher Sicherungen einer ausgewogenen Meinungsvielfalt zu pressen, wie sie ftlr den Rundfunk geschmiedet worden ist").

5 Vgl. hierzu aus neuerer Zeit Bullinger, AfP 1996, I, (5 ff.); MUller-Using/Lucke, ArchivPT 1995,3 (13 ff.); PieperlWiechmann, ZUM 1995,82 (93 ff.); Pieper, ZUM 1995,552 (557); Gersdorf, Rundfunkbegriff(Fn. 1), S. 149 ff. 6

So etwa MUlIer-Using/Lucke, ArchivPT 1995, 3, 8, wonach dem "sich ändernden

Das Grundrecht der Rundfunkfreiheit als "Supergrundrecht"?

139

der Rundfunkfreiheit betroffen ist7. Da auf der Rechtsfolgenseite der Rundfunkfreiheit sehr wohl Differenzierungen möglich sind, ist es methodologisch schlechthin unhaltbar, den Tatbestand der Rundfunkfreiheit deshalb restriktiv zu bestimmen, weil das weitreichende Reglementierungspostulat, welches das Bundesverfassungsgericht für die Veranstaltung des Rundfunks herkömmlichen Zuschnitts entwickelt hat, bei den neuen Diensten mangels vergleichbarer Gefahrenkonstellation nicht auf Verwirklichung drängen kann8. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG läßt sich nicht das Erfordernis entnehmen, daß alles, was Rundfunk ist, per se einer medienspezifischen Zulassung und Kontrolle bedarf. Und weiter muß man sogar soweit gehen und den vom Bundesverfassungsgericht geforderten Ausgestaltungsvorbehalt nicht stets und undifferenziert bei jeder Erscheinungsform des Rundfunks zum Tragen gelangen lassen9 . 2. Differenzierung nach Maßgabe technischer Leistungsmerkmale

In das verfassungsrechtliche Abseits muß es fuhren, sofern man den verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff nach Maßgabe technischer Leistungsmerkmale zu bestimmen versucht und etwa das Merkmal der "Gleichzeitigkeit" zur unverzichtbaren Konstituante des Rundfunkbegriffes deklariert10 • Danach sollen die sogenannten Verteil- und Zugriffsdienste dem verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff unterfallen, während die sogenannten Abrufdienste aus dem Begriffsfeld herauszunehmen seien. Dieser Differenzierungsversuch muß in die Irre fuhren. Hierfür mag ein simples Beispiel reichen: Sofern die "Tages-

tatsächlichen Szenario der Vermehrung von Übertragungskapazitäten das Petitwn nach zukünftiger gezieUer restriktiver Auslegung von Tatbestandsmerkmalen des RundfunkbegrifTs" folgen soll. 1 Pieper/Wiechmann, ZUM 1995, 82 (93); Gersdoif, RundfunkbegrifT (Fn. 1), S. 141 f.; ders., AfP 1995, 565 (568, 573 f.). 8

Gersdoif, AfP 1995,565 (568).

Vgl. hierzu am Beispiel der Veranstaltung reinen Teleshoppings Gersdoif, ZUM 1995, 841 (843 fT.); umfassend nunmehr ders., Rundfunkfreiheit ohne Ausgestaltungsvorbehalt. Verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Voraussetzungen ftlr die Einftlhrung neuer Kommunikationsdienste am Beispiel reiner Teleshoppingkanäle, BLM-Schriftenreihe Band 33, 1996. 9

10 Vgl. hierzu bereits Gersdoif, RundfunkbegrifT (Fn. I), S. 121 fT., insbesondere 134 fT.

140

Hubertus Gersdorf

schau" um 20 Uhr zeitgleich an die Allgemeinheit ausgestrahlt wird, handelte es sich hiernach um Rundfunk. Sofern diese Sendung ab 20 Uhr in periodischen Abständen wiederholt und dem Rezipienten auf Zugriff zur VerfUgung gestellt würde, läge ebenfalls Rundfunk vor. Sofern die "Tagesschau" ab 20 Uhr elektronisch gespeichert und dem Rezipienten auf Abruf zur VerfUgung gestellt würde, mit der Folge, daß er den Zeitpunkt der Rezeption exakt bestimmen kann, soll es sich hingegen nicht um Rundfunk handeln?; und dieses, obwohl es in sämtlichen drei Fällen um die Ausstrahlung ein und derselben Sendung geht, die jeweils dasselbe Wirkungspotential für die öffentliche Meinungsbildung entfaltet. Dieses Beispiel zeigt, wie abwegig der Versuch ist, den Rundfunkbegriff mittels technischer Parameter zu konturieren. Um noch ein weiteres Beispiel zu nennen: Sofern man Abrufdienste aus dem Rundfunkbegriff herausnimmt, könnte sich der private Rundfunk seinen medienrechtlichen Pflichten und den konzentrationsrechtlichen Vorschriften dadurch entziehen, indem er die für den nächsten Tag bestimmten Programminhalte ab Mitternacht elektronisch speicherte und dem Rezipienten auf Abruf zur VerfUgung stellte. Auch hieran sieht man, daß es im Zeitalter digitaler Telekommunikation lediglich eine Frage der Zweckmäßigkeit ist, ob sich der Rundfunk zur Übermittlung der Sendeinhalte der klassischen Verteil- oder aber der modernen Zugriffs- und Abruftechnik bedient. Diese Einwände beziehen sich gleichermaßen auf die Ausklarnmerung der Abrufdienste aus dem Fernsehbegriff durch den Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission vom Frühjahr 1995. Zwar kennt das primäre Gemeinschaftsrecht ebensowenig den Begriff des Rundfunks wie Art. 10 EMRK, der ohne Differenzierung das einheitliche Kommunikationsgrundrecht der Meinungsfreiheit garantiert. Der europäische Normgeber verfugt demnach bei der Festlegung der Begriffsinhalte über einen ungleich größeren Bewegungsspielraum als der nationale Gesetzgeber, der insoweit an die Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gebunden ist. Gleichwohl sollte auch auf europäischer Ebene bedacht werden, daß die Herausnahme der Abrufdienste aus dem Fernsehbegriff und damit aus dem Anwendungsbereich der Fernsehrichtlinie der oben beschriebenen Mißbrauchsgefahr nicht wirksam zu begegnen vermag. Die Aufnahme einer entsprechenden Sicherungsklausel erscheint daher unverzichtbar.

Das Grundrecht der RWldfunkfreiheit als "Supergrundrecht"?

141

III. Zur Notwendiekeit einer Weiterentwicklune des verfassunesrechtlichen Rundfunkbeeriffs Konnte bislang die Notwendigkeit einer restriktiven Auslegung des verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriffs nicht dargetan, geschweige denn dogmatisch überzeugend begründet werden, so soll im folgenden gleichwohl in dieser Richtung weitergedacht werden. Im Verhältnis der Grundrechte der Presseund der Rundfunkfreiheit darf es bereits heute als gesicherter Befund angesehen werden, daß die eingesetzte Übertragungstechnik kein geeignetes Kriterium ist, beide verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheitsbereiche voneinander abzuschichten 11. Textdienste unterfallen nicht deshalb dem verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff, weil sie durch Telekommunikationseinrichtungen transportiert werden. Das Bundesverfassungsgericht sieht in der "Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft"12 die entscheidenden Wesenszüge des Rundfunks. Da sich bei elektromagnetischer Verbreitung Presse und Rundfunk in Breitenwirkung und Aktualität nicht grundsätzlich voneinander unterscheiden, dürfte das entscheidende Abgrenzungskriterium in der erhöhten Suggestivkraft des Rundfunks gegenüber der Presse liegen. Diese besondere suggestive Wirkung des Rundfunks wird in erster Linie durch Tonund Bewegtbildsendungen vermittelt. Aus diesem Grunde wird man den Bereich der Ton- und Bewegtbildübertragungen zur Domäne des Rundfunks erklären müssen, wenigstens insoweit, als die Ton- und Bewegtbildsendungen keine untergeordnete Funktion einnehmen, etwa indem sie im Rahmen eines Textangebotes bestimmte stehende Texte oder Grafiken erläutern oder ergänzen l3 • Das bedeutet freilich nicht, daß im Gegenzug sämtliche Textdienste aus dem Rundfunkbegriff ausgeklammert und der Presse zugeordnet werden müßten. Dies gilt vor allem fiir diejenigen Textdienste, die einen inhaltlichen Bezug zu einem Rundfunkprogramm eines Rundfunkveranstalters aufweisen und programmbegleitende, -unterstützende oder -ergänzende Daten enthalten. In diesem Fall ist der Textdienst Akzessorium zum (Haupt-) Programm. In seiner

l1Vgl. hierzu zuletzt Gersdoif, RegelWlgskompetenzen bei der BelegWlg digitaler Kabelnetze. Eine verfassWlgsrechtliche UntersuchWlg zur Abgrenzung von BundesWld U1nderzuständigkeiten Wld zu den Rechten der Netzbetreiber bei der ZuweisWlg von Kabelkapazitäten ftIr multimediale Dienste, 1996, S. 55 f. m.w.N.

12 BVerfGE 90, 60 (87). 13 So beispielsweise bei kurzen akustischen Wld optischen Sequenzen aus MusikWld FilmdarbietWlgen zur Dlustration Wld Erläuterung von Teletexten.

142

Hubertus Gersdorf

programmbezogenen Annexfunktion fällt daher Fernsehtext unzweifelhaft unter den verfassungsrechtlichen Rundfunkbegri1Il4. Bleiben also Bildschirmzeitung und Bildschirmzeitschrift ungeachtet des eingesetzten technischen Übermittlungsmediums funktional Presse, so gilt es, diesen für die Abgrenzung der Grundrechte der Presse- und Rundfunkfreiheit gewonnenen Gesichtspunkt der funktionalen Äquivalenz auch für die Abschichtung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit von anderen grundrechtlichen Freiheitsverbürgungen konsequent anzuwenden. Anders gewendet: Es gilt, künftig die Rundfunkfreiheit nicht nur von anderen Massenkommunikationsgrundrechten im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abzugrenzen, sondern von den Freiheitsgrundrechten insgesamt. Da sich in Zukunft ein Großteil der grundrechtlich geschützten Freiheitsbetätigungen "im Netz" vollziehen wird und diese Form der Freiheitsentfaltung von mehr oder minder ausgeprägter Relevanz für den öffentlichen Meinungsbildungsprozeß sein dürfte, mutierte die Rundfunkfreiheit zu einem "Supergrundrecht", das den anderen Grundrechten die Luft zum atmen nähme, wollte man alle für die öffentliche Meinungsbildung relevanten und auf elektromagnetischem Wege transportierten Daten dem verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff zuschlagen, sofern sie keine Presse sind. Die "Darbietung" als Tatbestandsmerkmal des Rundfunkbegriffs dürfte insoweit nur einen unzureichenden Schutz gegen eine solche Ausuferung des sachlichen Anwendungsbereiches der Rundfunkfreiheit bieten, da nur wenige Ausnahmefälle denkbar sind, in denen die entsprechenden Daten für die öffentliche Meinungsbildung irrelevant sind. Die Rundfunkfreiheit kann künftig keine Exklusivität für sämtliche auf elektromagnetischem Wege übermittelten, für die öffentliche Meinungsbildung relevanten Daten reklarnieren l5 . Die Übertragungstechnik kann nicht mehr für die Abgrenzung der Rundfunkfreiheit zu den anderen Freiheitsverbürgungen des Grundgesetzes herangezogen werden; eine Vorrangstellung der Rundfunkfreiheit für alle meinungsrelevanten Daten läßt sich im Zeitalter digitaler Telekommunikation, in welchem die technischen Voraussetzungen für die Ausübung nahezu aller grundrechtlich geschützten Freiheiten durch Inanspruchnahme von Telekommunikationseinrichtungen vorliegen werden, künftig nicht mehr beanspruchen.

14 Zuletzt Bu/linger, AfP 1996, 1 (3); ferner Gersdoif, Regehmgskompetenzen (Fn. 11), S. 56.

15 Zutreffend Bu/linger, AfP 1996, 1 (5 ff.).

Das Grundrecht der Rundfunkfreiheit als "Supergrundrecht"?

143

Die Notwendigkeit eines Verzichts auf den Ausschließlichkeitsanspruch der Rundfunkfreiheit für sämtliche meinungsrelevanten Daten wird auch deutlich, wenn man sich das Verhältnis der einzelnen Freiheitsgrundrechte zum (lndividual-) Kommunikationsgrundrecht der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG vor Augen fUhrt. Das Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG beispielsweise ist gegenüber dem Kommunikationsgrundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG das speziellere Grundrecht l6; dann aber will es nicht so recht einleuchten, weshalb das Grundrecht der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG die Religionsfreiheit soll verdrängen dürfen. Sofern Kirchen auf elektromagnetischem Wege Gottesdienste verbreiten, werden sie, selbst wenn insoweit publizistisch relevante Informationsinhalte übermittelt werden, in Ausübung ihrer grundrechtlich geschützten Religionsfreiheit tätig. Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Das Grundrecht der Kunstfreiheit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lex specialis gegenüber der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GGl1. Deshalb macht es so recht keinen Sinn, dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit gegenüber dem Grundrechte der Kunstfreiheit Vorrang einzuräumen und den "elektro-magnetischen Wirkbereich" von Kunstobjekten aus dem Freiheitsbereich der Kunstfreiheit auszuklammern und der Rundfunkfreiheit zu unterstellen. Auch das elektronisch gespeicherte Informationsangebot von Hochschulen und sonstigen Forschungseinrichtungen bewegt sich im Gewährleistungsbereich des Art. 5 Abs. 3 GG und nicht des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GGI8. Man wird daher künftig den Anspruch der Rundfunkfreiheit auf Exklusivität für alle publizistisch relevanten Daten aufgeben und dieses Grundrecht wie jedes andere Grundrecht behandeln müssen. Die Abgrenzung zu anderen FreiheitsverbÜTgungen des Grundgesetzes muß demnach nach Maßgabe allgemeiner Grundrechtslehren erfolgen l9, selbst dann, wenn hiermit ein Verlust an

16 Vgl. BVerfGE 32, 98 (107); Herzog, in: MDHS, Stand: 1994, Art. 4 Rdnr. 18; Jarass, in: ders./Pieroth, 00,3. Auflage, 1995, Art. 4 Rdnr. 5. 17 BVerfGE 30, 173 (200); 67, 213 (227 f.); 75,369 (377); ebenso implizit BVerfG, NJW 1990,2541; siehe auch Jarass, in: ders./Pieroth, 00 (Fn. 16), Art. 5 Rdnr. 67. 18 Der Verfasser bleibt Träger des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 300, welUl er unterrichtsbegleitende Materialien im Ralunen seiner Lehrverpflichtungen im Internet unter der Adresse ''http://www.uni-hamburg.derjural/docs/H_Gersdorf7'' Studenten undjedenn8lU1 auf Abruf zur Verfilgung stellt. 19 Vgl. hierzu Lerche, in: IsenseelKirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. 5, 1992, § 121 Rdnm. 11 ff.

144

Hubertus Gersdorf

Rechtssicherheit einhergehen dürfte; derartige Schwierigkeiten ergeben sich auch bei der Abgrenzung zwischen anderen Freiheitsgrundrechten und legitimieren nicht zu einer "Aufblähung" des Grundrechts der Rundfunkfreiheit zu Lasten anderer grundrechtlicher Freiheitsverbürgungen.

Die Neuregelung des Rundfunkrechts im Spannungsfeld landesrechtlicher, bundesstaatlicher und europäischer Kompetenzen Von Klaus Stern-

Ich weiß, mit Blick auf die Zeit soll ich mich kurz fassen, und ich tue es auch. Ich wußte nicht, daß man auch in Tübingen föderalistische Bekenntnisse abgeben muß, wie es gerade geschehen ist. Das tat man sonst immer nur in Bayern, aber man lernt ja immer bei einem Besuch in Tübingen Einiges hinzu. Ich möchte trotzdem, trotz auch meines föderalistischen Bekenntnisses, das ja bekannt ist, eine Stimme des Bundes zu Wort kommen lassen, und ich wage das nur, weil Sie, Herr Oppermann, ja auch in einem Bundesministerium tätig gewesen sind, und Herr Oettinger vorhin schon darauf hingewiesen hat, daß der Bundesminister :fiir Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, auch 'Zukunftsminister' genannt, einige Pläne in dieser Richtung vorgelegt hat. Er hat nämlich bei uns vor kurzem in Köln - er war Kölner Student - in einem Vortrag gesagt, vor Professoren und Studenten: "Meine Damen und Herren, beachten Sie die multimediale Entwicklung! Da liegen die großen Zukunftschancen auch:fiir Deutschland!" Ich weiß nicht, ob er das mit dem Unterton oder mit dem Hintergrund gesagt hat, daß der Bund hier in besonderer Weise Zuständigkeiten :fiir sich beansprucht oder ob er vielleicht meint, die Professoren könnten ihre Forschung und Lehre über diese Medien besser an den Mann oder die Frau bringen. Er ist dann in der Diskussion nicht mehr darauf eingegangen. All das ist mir wieder durch den Kopf gegangen, als ich die Überlegungen von Herrn Raggeberg und auch von Herrn Vetter gehört habe, die darauf hinwiesen, daß ein Streit der Ebenen über den Zugriff auf diese Multimedien bei uns vorliegt, der in anderen Ländern nicht besteht. Nur in anderen Län-

- Professor Dr. iur., Universität zu Köln. 10 Dittmann u. a.

146

Klaus Stern

dem ist es mindestens der Streit um die Kompetenzen der Europäischen Union oder eben des Staates. Bei uns ist, wie Sie, Herr Starck, vorher schon deutlich gemacht haben, ein Streit auf drei Ebenen - es ist die Europäische Union, es ist der Bund, und es sind die Länder. Wir haben eine einigermaßen klare Abgrenzung von Kompetenzen auf der Ebene von Bund und Ländern; dabei spielt der Rundfunkbegriff eine große Rolle. Aber insgesamt gilt, daß der Bund nur Zuständigkeiten hat, - Herr Badura hat darauf hingewiesen - nach Art. 74 Nr. 11 fiir das "Recht der Wirtschaft"; zusätzlich muß man noch Art. 73 Nr. 7 "Telekommunikation" ergänzen, was immer dieser Begriff bedeutet. Es ist ja wiederum ein Anglizismus, der erstmals in das Grundgesetz eingefügt worden ist, während es vorher "Fernmeldewesen" hieß. Also ich meine, hier ist nicht nur eine Veränderung im Wortsinne gemeint, sondern es könnte auch auf verschiedene neueste Dienste, neueste technologische Instrumente Bezug genommen sein, die sich im medialen Sektor herausgebildet haben. Wir haben vor einiger Zeit schon die Diskussion geführt, wo die neuen Medien einzuordnen sind. Jetzt geht es um neueste Medien, und es zeigt sich eben, daß unsere Kompetenzbegriffe, soweit sie etwa Kultur o.ä. umfassen - ich hoffe, ich trete Ihnen nicht zu nahe, wenn ich sage, Kultur ist nicht so leicht definierbar, Herr Oppermann, Sie wissen: Kulturverwaltungsrecht -, daß diese Begriffe doch bei den meisten unserer Kompetenztatbestände des Grundgesetzes, mit Ausnahme von Telekommunikation, auf eine lange Tradition ZUfÜckreichen. Sie sind in der Weimarer Verfassung, ja teilweise schon in der Reichsverfassung von 1871, geprägt worden. Jetzt zeigt sich in unserer medialen Entwicklung, daß plötzlich etwas Neues auftaucht. Ich fürchte, da gebe ich Herrn Oettinger vollkommen recht, - und vielleicht, Herr Engel, haben Sie mich da etwas mißverstanden - wenn er sagt, wir müssen endlich durch eine Zugriffslösung die Dinge bereinigen, sonst geraten wir im europäischen, aber auch im internationalen Wettbewerb ins Hintertreffen. Die Gefahr, in der Standortfrage in Rückstand zu geraten, ist evident. Wie kann man die Probleme lösen? Wir werden diesen Streit über die kompetenziellen Gemengelagen - das war, glaube ich, Ihr Begriff, Herr Dittmann - durch Diskussion in einigen Punkten verbessern können, aber irgendwann wird das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden müssen. Aber auf diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts können wir so schnell nicht hoffen; es muß etwas geschehen, etwas getan werden. Und da stimme ich Ihnen zu, daß in dieser Situation derjenige, der handelt, zunächst einmal ein "Prä" hat: Er hat etwas getan, und dann sehen wir, wie es weiter geht. Das können die Länder sein, das kann der Bund sein. Der Streit über die verfassungsrechtliche Abgrenzung wird auf lange Zeit bleiben. Wie kann man ihn ausklanunern, wie kann man ihn aussparen, damit man ef-

Die Neurege1ung des Rundfunkrechts

147

fektiv vorankommt? Wir haben ein Paradebeispiel, das uns weiterhelfen könnte, nämlich das Lindauer Abkommen. Ich bin da in Gefilden, die Sie auch gut kennen, Herr Oppermann: Das Lindauer Abkommen hat verfassungsrechtliche Kompetenzfragen ausgeklammert und hat gesagt, es muß ein modus vivendi zwischen Bund und Ländern gefunden werden; das funktioniert sehr gut, gerade im Bereich der Kulturpolitik. Warum sollte es auf dem Feld der multimedialen Entwicklung nicht auch funktionieren? Das wäre einer Überlegung wert, um wenigstens einen Schritt weiterzukommen. Zweiter Punkt: Es ist vor allen Dingen von Herrn Vetter gesagt worden: Das Europäische Parlament hat beschlossen und in Kürze wird von der Kommission etwas kommen - wie immer es aussehen wird; dadurch werden natürlich Zuständigkeiten für die europäische Ebene beansprucht und für die Länder - nein, besser gesagt: für die Mitgliedstaaten - ist dann etwas verbindlich reglementiert. Ob das immer gut für Deutschland ist, ist eine sehr zweifelhafte Frage, und wir werden sehr zu überlegen haben, ob wir hier zum ersten Mal auch wirklich das Subsidiaritätsprinzip zur Anwendung bringen müssen und fragen: Wie weit gehen denn wirklich die Kompetenzen der Europäischen Union; denn hier scheint mir ein Punkt erreicht zu sein, an dem man auf nationale Vielfalt Rücksicht nehmen muß, mag es auch immer wieder sein, daß der eine oder andere nach Luxemburg oder sonstwohin ausweicht, aber im Kern müssen hier auch nationale Gegebenheiten beachtet werden.

10*

Rundfunk - Regelungsmodell rdr Online-Dienste? Von Carl-Eugen Eberle*

Ooline ist in aller Munde. Als modemes Medium, welches die Übertragung von Informationen aller Art in der Form von Texten, Stand- und Bewegtbildern und Tönen über schmalbandige Netze zum Empfang über Personalcomputer anbietet, vereint es Elemente der Individualkommunikation mit denen der Massenkommunikation. Manche vermuten gar, es werde traditionelle Medien und klassische Kommunikationstechniken, wie z.B. das Telefon, insbesondere aber auch das Fernsehen mehr und mehr verdrängen. Um so dringlicher stellt sich die Frage, welches Recht rur Ooline-Dienste gelten soll. Hierbei ist vor allem umstritten, ob sich die Doline-Gesetzgebung an den fiir den Rundfunk geltenden Regularien orientieren soll. Zur Lösung dieses Problems mag es weiterhelfen, wenn zunächst den Besonderheiten des Rundfunks nachgegangen wird, derentwegen der Rundfunk eine Sonderrechtsbehandlung erfährt (1). Sodann sind die mit den Doline-Diensten einhergehenden Veränderungen aufzuzeigen (2). Hierauf aufbauend kann dann ein Lösungsvorschlag zur Doline-Regulierung entwickelt werden (3).

I. Zur rechtlichen Sonderbehandlung des Rundfunks Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rundfunkrechtsprechung zunächst vor allem die Knappheit der Übertragungswege und den außerordentlichen finanziellen Aufwand, der mit der Veranstaltung von Rundfunk verbunden ist, zum Anlaß genommen, rur den Rundfunk eine besondere rechtliche Regelung zu fordern. Beide Gründe können aber auch nach Ansicht des Gerichts heute nicht oder allenfalls eingeschränkt ins Feld gefiihrt werden, wenn es um die Rechtfertigung des rundfunkspezifischen Medienrechts geht.

* Professor Dr. iur., Justitiar des Zweiten Deutschen Fernsehens.

150

Carl-Eugen Eberle

Statt dessen IÜCkt für das Gericht ein anderer Gesichtspunkt in den Vordergrund, der eine nach wie vor bestehende Sondersituation insbesondere des Fernsehens beschreibt und an den letztlich dessen rechtliche Sonderbehandlung anknüpft. Gemeint ist die einzigartige Suggestivkraft der Töne und bewegten Bilder, mit denen das Fernsehen seine Zuschauer in Beschlag nimmt. Sie verleihen diesem Medium eine herausgehobene Wirkungskraft und sichern den so übertragenen Informationen und Meinungen einen hohen Einfluß auf die Meinungsbildung des Betrachters. Es ist wohl die besondere Authentizität der Berichterstattung in bewegten, mit Original tönen versehenen Bildern, die den gesendeten Inhalten eine der Textberichterstattung überlegene Überzeugungskraft verleiht. Die Faszination des unmittelbaren Miterlebens wird komplettiert durch eine gleichennaßen aktuelle wie ubiquitäre Präsentation des Realgeschehens: Der Zuschauer erlebt die medial vermittelte Realität unmittelbar und sinnlich, sie wird erfahrbar und letztlich glaubhaft ("fernsehen"). Diese herausgehobene Wirkungskraft des Rundfunks und speziell des Fernsehens ist die Rechtfertigung für dessen rechtliche Sonderbehandlung: Wahrheits- und Ausgewogenheitspflicht, Pflicht zur Meinungsvielfalt und rundfunkspezifischer Persönlichkeitsschutz sind von Nöten angesichts der besonderen Suggestivkraft, mit der sich die gesendeten Bilder unseres Bewußtseins bemächtigen. Rundfunknutzung hebt sich gegenüber dem Pressekonsum aber auch dadurch ab, daß sie in einem weit höheren Maße massenhaft erfolgt, wie ein Vergleich von Zuschauerzahlen und Zeitungsauflagen leicht verdeutlicht. Hier ist der Gedanke der Grundversorgung für alle angelegt, mit der die kommunikative Chancengleichheit realisiert wird. Er umfaßt zugleich die Integrationsaufgabe dieses Mediums, die seinen Beitrag zur Herausbildung und Integration der Gesellschaft ebenso beinhaltet wie seine Bedeutung für die politische Meinungs- und Willensbildung und damit für das Staatsganze. Der Rundfunkbegriff steht somit zugleich als Chiffre für die besonderen, in der Wirkungsweise des Mediums Fernsehen begründeten Leistungen und Gefahren: Für den Schutz der Persönlichkeit gibt es medienspezifische Abwehrmechanismen (z.B. Widerruf und Gegendarstellungsrecht), der Verbraucherschutz ist insbesondere in der Form von Werbebeschränkungen geregelt (z.B. Gebot der Trennung von Werbung und Programm), der Jugendschutz bedarf medienspezifischer Sicherungen (Sendezeitbeschränkungen für jugendgefährdende Sendeinhalte). Besonderer Vorsorge gilt der Meinungsvielfalt, die im privaten Rundfunk durch spezifische Konzentrationsregelungen und im öffent-

Rundfunk - Regelungsmodell ftlr Online-Dienste?

151

lich-rechtlichen Rundfunk durch vielfaltssichernde Binnenstrukturen geschaffen werden.

11. Potentiale und Besonderheiten bei Online-Diensten Der Begriff Online soll hier fiir Kommunikationseinrichtungen wie Internet, Telekom-Online, America-Online und Microsoft-Network stehen, die als schmalbandiges Verbreitungsmedium fiir unterschiedliche Dienste bzw. Inhalte dienen. Dabei handelt es sich um - Individualkommunikation in der Form von Sprach-, Bildtelefon- und Mailboxdiensten; - Gruppenkommunikation in der Form von Foren, schwarzen Brettern oder Chat-Rooms; - Geschäftskommunikation in der Form von Teleshopping, Telebanking, Telelearning, Teleworking und Telemedizin; - Datenkommunikation in der Form der Übermittlung von Dateien (FileTransfer) und Datenbankabfrage sowie den Zugang zu (Internet-) Homepages; - Massenkommunikation in der Form von elektronischer Presse und Rundfunk. Zwar ist die Übertragung von Ton- und Bewegtbildern bislang nur eingeschränkt möglich, doch werden hier bereits fiir die allernächste Zukunft technische Fortschritte prognostiziert, die Online-Dienste als geeignetes Verbreitungsmedium auch fiir Rundfunkdienste insbesondere in der Form von Video on Demand oder z.B. News on Demand erscheinen lassen. Online-Dienste ermöglichen also eine schnelle und weltweite Datenübertragung. Gleichzeitig weist dieser Bereich jedoch signifikante Besonderheiten gegenüber dem über Satelliten- und Breitbandkabel verbreiteten Rundfunk auf. Online-Dienste werden über Datenverarbeitungs-Endgeräte genutzt, am gebräuchlichsten über Personalcomputer, die dem Teilnehmer mindestens semiprofessionelle Anforderungen abverlangen. Zur Bedienung genügt nicht mehr die vom Fernsehgerät bekannte Fernbedienung, vielmehr muß grundsätzlich eine PC-Tastatur zum Einsatz kommen. Eine weitere Besonderheit des Online-Bereichs besteht darin, daß dort unterschiedliche und bislang auf getrennten Kommunikationswegen angebotene

152

Carl-Eugen Eberle

Dienste verbreitet werden, wie die Übersicht über das Dienstespektrum zeigt. Damit hat dieses Medium eine gewisse Mittlerfunktion, es ist Dreh- und Angelpunkt verschiedener Dienste, ohne allerdings deren vorgegebene Eigenart zu berühren: Rundfunkangebote z.B. bleiben, auch wenn sie Online verbreitet werden, Darbietungen allgemeiner Art, die auf elektronischem Wege für die Allgemeinheit bestimmt sind. Eine Zeitung verliert nicht ihre Eigenschaft als Presseerzeugnis, wenn sie zusätzlich über Online verbreitet wird. In allen diesen Fällen stellt Online eine Art Komplementärverteilweg dar, indem bereits vorhandene andere Kommunikationswege ergänzt werden. Für viele Kommunikationsinhalte ist Online aber auch Primärmedium, in dem diese erstmals und häufig ausschließlich über Online verbreitet werden. Dies gilt besonders für die Online-Nutzung durch einzelne Personen. Sie profitieren von der außerordentlichen Reichweite des Netzes. Online wirkt hier als Kommunikationsverstärker und erlaubt es jedem Einzelteilnehmer, über den beschränkten Bereich der Individualkommunikation hinaus eine Vielzahl von Adressaten bis hin zur breiten Öffentlichkeit anzusprechen. Bei Online kommen deshalb zwei unterschiedliche Funktionen zusammen: Als Komplementärverteilweg schafft es zusätzliche, alternative Verbreitungsmöglichkeit für anderweitig vorgegebene rnassenmediale Inhalte insbesondere der Presse und des Rundfunks und hat insoweit eine typische Mittlerfunktion. Als Primärmedium schafft es originäre Kommunikationschancen für Inhalte, die bislang nur im Wege der Individualkommunikation vennittelt werden konnten. In dieser Rolle als Kommunikationsverstärker ist Online nicht nur Medium, sondern eigenständiger Faktor im Prozeß der individuellen und öffentlichen Meinungsbildung.

III. Konsequenzen für die Online-Regulierung Die Unterscheidung zwischen Online als Komplementärverteilweg einerseits und Primärmedium andererseits sowie - damit verbunden - seine Funktion als Medium oder Faktor der Meinungsbildung könnte herangezogen werden, wenn es um die Frage geht, welche rechtlichen Normbereiche auf Online anzuwenden sind. Wird Online lediglich als ein weiterer, zusätzlicher Verbreitungsweg für bereits anderweitig verbreitete Massenkommunikationsdiensten wie z.B. Rundfunk oder Presse genutzt, so besteht keine Veranlassung, die für diese Dienste bereits geltenden Rechtsregeln zu ändern. Dies sollte beim Rundfunk auch für Annexinhalte - wie z.B. ergänzende und vertiefende Be-

Rundfunk - Regelungsmodell für Online-Dienste?

153

gleitinformationen gelten -, sofern sie im Zusammenhang mit einer Sendung stehen. Rundfunktypische Funktionsgewährleistungen und Gefahrenlagen verändern sich nicht wesentlich, wenn die Programminhalte zusätzlich über Online angeboten werden. Deshalb gilt insoweit die digitale Rundfunkfreiheit mit den ihr eigenen legislativen Regelungsmustern. Für die elektronische Presse verbleibt es gleichermaßen bei der Anwendung der Pressefreiheit und der presserechtlichen gesetzlichen Regelungen. Insoweit kommen also die rundfunk- und pressegesetzlichen Vielfalts- bzw. Konzentrationsvorschriften, aber auch das datenschutzrechtliche Medienprivileg und der rundfunk- und pressespezifische Persönlichkeitsschutz, besonders in der Form des Gegendarstellungsrechts, zur Anwendung. Soweit Online dagegen als Originärmedium Individualkommunikation verstärkt, ihr zu einer Breitenwirkung verhilft und mithin zu einem eigenständigen Faktor der Massenkommunikation wird, bedarf es Online-spezifischer Regelungen, die den speziellen Funktionen und Gefahrenlagen von Online Rechnung tragen. Dies gilt etwa für die Bereiche Jugendschutz, Datenschutz und Verbraucherschutz. Regelungen dieser Art existieren bereits im BtxStaatsvertrag. Dieser ist nicht nur auf den ursprünglichen Btx-Dienst beschränkt, sondern zukunftsoffen angelegt und deshalb nach Maßgabe seiner Bestimmungen auch auf Online-Dienste anwendbar. Er bedarf jedoch der Fortschreibung auf der Grundlage neuerer, mit den aktuellen Erscheinungsformen der Online-Kommunikation verbundener Erfahrungen. Für Online als Faktor der Meinungsbildung muß schließlich überlegt werden, ob es auch einer gesetzlichen Sicherung der Meinungsvielfalt wie im Rundfunkrecht bedarf. Anders als beim Rundfunk ist hier jedoch die Vielfalt der Inhaltsanbieter von vornherein gegeben, so daß Elemente der Vielfaltssicherung, wie sie in der dualen Rundfunkordnung verwirklicht sind, entbehrlich erscheinen. Es bedarf jedoch struktureller Sicherungen beim Zugang zu Online für Inhaltsanbieter und Nutzer nach den Maßstäben der Zugangsoffenheit und der Empfangsoffenheit des Netzes.

Finalität des RundfunkbegrifTs Von Christina Betzler*

Dreh- und Angelpunkt einer Kommunikationsordnung ist die Sicherstellung funktionsadäquater Inhalte und Verbreitungsmodi der Massenmedien. Als übergeordnetes Ziel stellt es die Existenz eines normübergreifenden Rundfunkbegriffs in Frage. Vielmehr ist das Zusammenspiel mit verschiedenen, nicht nur medienspezifischen Regelungswerken zu prognostizieren, um dem digitalen Fortschritt mit der adäquaten gesetzgeberischen Antwort zu begegnen. Insbesondere die Waage mit wirtschaftsorientierter Liberalisierung einerseits und programmbezogener Qualitätssicherung andererseits bestimmt das Maß der rundfunkrelevanten Regelungsdichte für die "Neuen Medien". Die Geschwindigkeit, mit der die Menschheit de facto ins digitale Zeitalter schreitet, und die Bandbreite innovationshemmender bzw. -fördernder Normen l bedingen sich gegenseitig. Die Herausforderung der nationalen medienspezifischen Legislative durch die digitale (R-)evolution ist mit der Diskussion um den Rundfunkbegriffl als Anknüpfungspunkt der Subsumtion der "Neuen

* Rechtsreferendarin, wissenschaftliche Mitarbeiterin, München. 1 Eckwerte des vom Bund geplanten Multimediagesetzes, das sich auf Informationsund Kommunikationsdienste bezieht, sind Zulassungs- und Anmeldefreiheit auf der Grundlage der Gewerbefreiheit, Deregulierung zur Stärkung der Wettbewerbsfllhigkeit (FUNK-Korrespondenz Nr.21 / 24.5.1996, S.37 fl). Die Länder sprechen sich im Entwurf eines Staatsvertrags über Mediendienste (15.5.1996, in FUNK-Korrespondenz Nr. 22/31.5.1996, S. 3 ff.) für die Zulassungsfreiheit von Mediendiensten aus. Rundfunk(älmliche)-Dienste bedürfen hingegen der Einbeziehung in die dienende Rundfunkfreiheit, d.h. der pluralitätssichernden "Lizensierung" verschiedenen Grades, ausgerichtet an der Intensität der Meinungsbildungsfunktion. 2 hn nationalen "Duell" des dualen Systems wird der Rundfunkbegriff seitens der privaten Rundfunkveranstalter als Schutzschild ge- bzw. mißbraucht, um ökonomischen Freiraum für sich zu beanspruchen sowie das legitime Tätigkeitsfeld des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und damit verfassungsrechtliche Entwicklungs- und

156

Christina Betzler

Medien" unter freiheitskonstituierende bzw. einschränkende Regelungen im Blickpunkt des Art. 5 GG gekoppelt. Die Korrelation von wirtschaftlichem und publizistischem Wettbewerb spricht für Eigendynamik ohne Bändigung der Marktkräfte durch gesetzgeberische Postulate, hingegen die Verknüpfung von Lukrativität und Massengeschmack für eine Angebots- und Meinungsvielfalt sichernde Regelung. Rundfunkspezifische Regelung ist somit eine Komplettierung des allgemeinen Wettbewerbsrechts, um eine breite, sprich auch Minderheitsinteressen abdeckende Palette jedem Rezipienten zugänglich zu halten. 3 Die Steuerung des Angebots zur Erhaltung europäischer Identität durch die beiden protektionistischen Instrumente der finanziellen Förderung4 und Quotenregelung5 hält als Intervention in den freien, insbesondere transatlantischen Wettbewerb die Diskussion lebendig. Was hingegen inhaltsbezogene, provenienzunabhängige Schutzvorschriften (Jugend-, Verbraucherschutz, etc.) betriffi:, so ist für einen weiten Rundfunkbegriff zu plädieren, der durch Offenheit für eine Vielzahl audiovisueller Angebotsformen einen breiten Schutzwirkbereich statuiert. Vor dem Hintergrund des Szenarios einer digitalen "Fernsehlandschaft" tut sich die Frage auf, welche "Neuen Dienste" der Rundfunkbegriff in seiner Reichweite umfassen soll, um dem Regelungsgehalt

Finanzgarantie zu begrenzen. Vgl. u.a. Stettner, Ist es den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, insbesondere dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF), gestattet, PayTV zu veranstalten?, ZUM 1995, 293 ff. (295 ff.); Lange, Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der zukünftigen Wettbewerbssituation, ZUM Sonderheft 1995, 529 ff. (532); Eberle, Aktivitäten der Europäischen Union auf dem Gebiet der Medien und ihre Auswirkungen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk; ZUM 1995, 763 ff. (764 f.); ders., Öffentlich-rechtliches Fernsehen im digitalen Zeitalter, in: BeckerlLerchelMestmäcker (Hrsg. ), Festschrift fiIr R. KreUe, 1995, S.167 ff.; Libertus, Grundversorgung und elektronische Benutzerfilhrungssysteme, ZUM 1995, 394 ff. (395). 3 Scholz, Zukunft von Rundfunk und Fernsehen: Freiheit der Nachfrage oder reglementiertes Angebot?, AfP 1995, 357 ff. (358 f.) spricht insofern von Rundfunkrecht als "hinkendem Kommunikationsrecht" mangels Orientierung an Nachfragekräften. 4 Vgl. zur Stärkung der Wettbewerbsfiihigkeit europäischer Programmindustrie, Dok. KOM (94),96, endg., Dok. KOM (94),319, endg. als Wegweiser zu MEDIA Il, um mit der "digitalen Zeit" zu gehen; Kreile, Aktivitäten der Europäischen Union auf dem Gebiet der Medien und ihre Auswirkungen auf die Film- und Fernsehwirtschaft, ZUM 1995, 753 ff. (755 f.). 5 Schardt, Novellierung der Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen": Quoten ohne Ende?, ZUM 1995, 734 ff. (737 f.); Niewiarra, Folgerungen aus den Aktivitäten der EU fiIr die private Fernsehwirtschaft im Hinblick auf neue Angebote und Dienste, ZUM 1995,758 ff. (759).

Finalität des RundfunkbegritTs

157

der jeweiligen Nonnierung sinnvollerweise Geltung zu verschaffen. Maßgeblich ist die Vergleichbarkeit mit traditionellem Rundfunk vor dem Hintergrund des Telos der Norm, Bindeglied die funktionelle Äquivalenz. Zu beleuchten ist "Rundfunk" im Kontext von Medien- und Wettbewerbsrecht, unter bestehender Regelungsdichte nationalen und europäischen Rechts. Die Frage der Zuordnung der "Neuen Dienste" zum Rundfunkbegriff de lege lata unter Beleuchtung der regelungsspezifischen Finalität ist gedanklicher Ausgangspunkt seiner Essenz de lege ferenda. In Abkehr vorn klassischen Vollprograrnrn sind als Stufen auf dem Weg in Richtung Individualisierung und Spezialisierung Pay-TV, Pay-per-View, Near-video-on-demand, Video-on-demand und schließlich Teleshopping sowie komplementäre Datendienste anzusprechen. 6

I. Simultanitätsprinzip als allgemeingültiger "goldener Schnitt"? Mittels des Kriteriums der Gleichzeitigkeit potentieller Nutzung statt lediglich Allgemeinzugänglichkeit des medialen Dienstes ließe sich anband technischer Parameter eindeutig eine Linie ziehen, losgelöst von inhaltsbezogener Funktion und damit von theoretisch normübergreifender Tragweite. Nicht nur ein Topos des rundfunkstaatsvertraglichen Begriffs, § 2 Abs. I S. I RfStV, findet sich die Destination für die Allgemeinheit expressis verbis auch in Art.I lit.a) der EG-Fernsehrichtlinie 552/89 und Art. 2 lit. a des Europäischen Übereinkommens über das grenzüberschreitende Fernsehen. Interpretieren kann man diese Konstituante von "Rundfunk" als bloße Zugänglichkeit1 für alle oder aber man spannt die Anforderung insofern höher, als man eine Koppelung mit dem Begriff der Simultanität vornirnrnt8, um das Massenmedium deutlicher von der "point-to-point-Telekornrnunikation" abzugrenzen. BadenWürttemberg hat in einer eigenen, hierdurch abweichenden Definition, die zusätzliche Anforderung der Sendung "in planvoller und zeitlich geordneter 6 Zur Beschreibung dieser neuen Angebotsfonnen, vgl. Jaeger, Neue Entwicklungen im Kommunikationsrecht, NJW 1995, 3273 ff. (3274); Bullinger, Rechtliche Eigenart der Vollprogranune im Rundfunk, ZUM 1994, 596 tT. (597).

7 So u.a. Gersdorf, Internationale Datennetze und Rundfunkrecht, UFITA-Schriftenreihe 1995, Bd.137, S.87 f1 (90 f.); ders., Der verfassungsrechtliche RundfunkbegritT im Zuge der Digitalisierung, 1995, S. 134 ff.; Eberle, ZUM 1995,763 ff. (764). 8 So Herrmann, Rundfunkrecht, Fernsehen und Hörfunk mit neuen Medien, 1994, S.12.

158

Christina Betzler

Abfolge zum gleichzeitigen Empfang durch die Allgemeinheit" normiert. Dabei bezeichnet § 1 Abs. 3 Landesmediengesetz sowohl die Sendung auf Abruf, Ziff. 1, als auch auf Zugriff, Ziff. 2, als nur rundfunkähnliche Kommunikation, welche eine Zwischenstufe zur Individualkommunikation darstellt. Würde man das Simultanitätsprinzip zur unabdingbaren Konstituante von Rundfunk erheben, so wäre folgende Schnittstelle zu ziehen. Pay-TV und Payper-view, d.h. Entgeltlichkeit eines empfangbaren Kanals bzw. nur der einzelnen Sendung, ist unter diesem Aspekt eindeutig Rundfunk, der sich nur durch die Zahlungsmodalität unterscheidet, da zeitgleich an alle Rezipienten verschlüsselt oder kodiert abgegeben. 9 Beim sogenannten "Near-video-on-demand" als Sonderform des "Pay-per-view" werden die entgeltpflichtigen Sendungen in raschen periodischen Abständen wiederholt, d.h. Gleichzeitigkeit des Empfangs ist noch partiell immanent. 1o Beim "Video-on-demand" hingegen wird temporär die Planung des Programmablaufs auf den interaktiven Konsumenten transferiert. Es fehlt zwar gewissermaßen die für Vollprogramme typische Gesamtkonzeption 11; Inhalt und Modus des Abrufdienstes, der sich nicht an eine abgegrenzte Personengruppe richtet, ist jedoch vorgegeben. Die redaktionelle Gestaltung des Konsumenten beschränkt sich auf die Selektion und zeitliche Neukombination disponibler vorgefertigter Inhalte. Auch per traditioneller Verteilertechnik übermittelte Spartenprogramme sind Rundfunk, § 2 Abs. 2 Ziff. 2 RfStV. Eine Segmentierung in Teilöffentlichkeiten nur angesichts der zeitversetzten Wahrnehmungsmöglichkeit desselben Sendeinhalts ist noch nicht konträr zum Integrationsauftrag von Rundfunk. Die potentielle, nicht die faktisch x-große Empfängerzahl ist entscheidend. Die Aktualität und Breitenwirkung von Rundfunk als Begründungselement rundfunkrechtlicher Regelung entfallt nicht. Der rundfunkrechtliche Regelungsbedarf, vor allem zur Sicherstellung des Pluralismus, der mit der gesteigerten Suggestivkraft des bewegten Bildes korreliert, besteht in gleicher Weise 9 § 2 Abs. I S. 2 RfStV: "Der Begriff schließt Darbietungen ein, die verschlüsselt verbreitet werden oder gegen besonderes Entgelt ernpfangbar sind ... ". Ebenso § I Abs. 2 Ziff. I, § 9 Abs. 2, § 43 bad-württ. LMedG. \0 Herrmann, S. 16, zieht anders als das bad-württ. LMedG zwischen Abruf und Zugriff die Trennlinie zu rundftmkähnlichen Diensten. 11 Vgl. Bullinger, ZUM 1994, 596 ff. (598, 603); Hoffmann-RiemIVesting, Media Perspektiven, Ende der Massenkornrnunikation?, 1994, 382 ff. (387); Pieper/ Wiechmann, Der Rundftmkbegriff - Änderung durch Einfilhrung des interaktiven Fernsehens ?, ZUM 1995,82 fI (84 f.) mit Verweis auf die andere Begriffsbedeutung der "redaktionellen Gestaltung" im Presserecht.

Finalität des Rundfunkbegriffs

159

fiir konservierte Sendungen, die zeitversetzt ausgestrahlt werden. 12 Die Unterscheidung zwischen zyklischer Distribution und permanenter Disponibilität des Programms in der Datenverarbeitungsanlage des Anbieters statt am empfangsbereiten Fernsehapparat wird im übrigen fiir den Konsumenten nicht offensichtlich. Der Zugriff auf im Verteilwege emittierte Sendungen einerseits und die erst per Abruf initiierte Übertragung andererseits fügen sich fiir den Rezipienten nach dem äußeren Erscheinungsbild gleichermaßen in die Gestalt "Fernsehen". Dem Rundfunkteilnehmer tut sich ein Bündel an Teleleistungen - etwa auch femsehmäßige Datendienste 13, elektronische Programmführer durch die Unüberschaubarkeit der neuen Spartenkanäle usw. - auf, das er als mediales Komplettangebot wahmimmt. 14 Zunehmende Funktionalität ist auch durch die Integration von Diensten, quasi als Annex zum traditionellen Rundfunk, gegeben, eine gewandelte Fernsehlandschaft, die der Rundfunkbegriff aufnehmen muß. Navigatoren als Orientierungshilfe fiir den Rezipienten sind als Selektionssystem wegen ihrer Programm- und Meinungsvielfalt manipulierenden Rolle von rundfunkrechtlicher Relevanz. 15 Die Differenzierung nach technischen Spezifika ist eine zu formalistische Betrachtungsweise mangels Bezugnahme auf den Telos der Norm. 16 Auch das Bundesverfassungsgericht knüpft an die Meinungsbildungsfunktion an. 17

12 BVerffiE 90, 60 (87); die Trilogie der Elemente zur Charakterisierung als Rundfunk liegt vor.

13 Textabrufdiensten fehlt die gesteigerte Suggestivkraft der Akustik-Bi1dkombination. Nur deshalb ist der Blick auf den Btx-Staatsvertrag (GBl. BW 1991, 745 ff.) zu lenken der keinen Zulassungsvorbehalt wie das Rundfunkrecht kennt. 14 Eberle, ZUM 1995, 763 ff. (764). Der Rundfunkbegriff ist allerdings nicht per "Verkehrsanschauung" zu umschreiben (so Stimmen auf der 36. Assistententagung öffentliches Recht, Mainz, 3.-8.3.1996), sondern mittels der Aufgabe von Rundfunk.

15 Maßgeblich ist die Sicherstellung kommunikativer Chancengleichheit als rundfunkrechtlicher Zielwert mit Verfassungsrang. Libertus, Grundversorgung und elektronische Benutzerfilhrungssysteme, ZUM 1995, 394 ff. (395). 16 KresselHeinze, ZUM 1995, 608 ff. (610): "Funktionszweck und Wirkungsweise des Mediums entscheiden", zur "Monitor Journal" Entscheidung VG Saarland; vgl. die sog. Negativliste der Ministerpräsidenten der Bundesländer zum Rundfunkbegriff vom 26.127.10.1995, die nach meinungsbildender Intensität differenziert.

17 BVerfGE

74, 297 ff. (324,350); 83, 238 ff. (299).

160

Christina Betzler

11. Nationaler Regelungsbedarf im Sinne des rundfunkspezifischen Ausgestaltungsvorbehalts - Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG Die mit der Digitalisierung verbundene Datenkompression und damit enorme Steigerung der Transportkapazität läßt die bislang bestehende Sondersituation - begrenzten Zugangs durch limitierte Verbreitungswege und hohe Kosten - des Massenmediums Fernsehens nahezu entfallen und ein wesentliches Begriindungselement rundfunkrechtlicher Regelung obsolet werden. Allerdings kann der freie Lauf im Zuge unternehmerischer Freiheit gerade wegen unüberschaubarer, ungezähmter Angebotsvielfalt aber mehrheitsbezogener Nachfragemonotonie in eine Sackgasse statt inhaltsbezogen zu einern Plus an Vielfalt fUhren. 18 Der Telos der Rundfunkgesetzgebung, d.h. die Sicherstellung einer ausgewogenen, pluralistischen, gesellschaftspolitisch verantwortungsbewußten und damit meinungsbildenden Programmgestaltung, ist Anknüpfungspunkt nationaler rundfunkrechtlicher Rahmenbedingungen. Die gesteigerte Suggestivkraft des Bewegtbildes bedingt erhöhte programmgestalterische Verantwortlichkeit, die in vermehrt gesetzlichen Vorgaben Niederschlag findet. 19 Die laut Bundesverfassungsgericht zur Pluralitätssicherung notwendige gesetzgeberische Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit hat konstitutiv freiheitsstiftende Wirkung. Gegenüberzustellen sind Schutzbestirnmungen - zugunsten der Verbraucher, Urheber, Jugend etc. - , die eine Einschränkung der prinzipiell freien Betätigung darstellen. Plakativ könnte man auch formulieren, der Grundsatz "verboten ist, was nicht erlaubt ist" (Ausgestaltungsvorbehalt) steht in Kontrast zum Prinzip "alles ist erlaubt, was nicht verboten ist" (Schutzbedarf als Beschränkung). Insofern überläßt ein eng gefaßter RundfunkbegrifI eine Mehrzahl neuer Dienste größerem Freiraum statt sie apriori unter ein Präventivverbot mit Erlaubnisvorbehalt zu stellen. Dem reduzierten Regelungsbedarf käme damit tatbestandseinschränkende Wirkung zu. In Abkehr von einer Überbetonung der Terminologie und theoretischer BegrifIsjurisprudenz leistet eine dienstspe-

18 Nur Vollprogrammen, nicht hingegen einer noch so großen Zahl an Sparten- bzw. Zielgruppenprogrammen, haftet eine gesteigerte außenplurale Vielfaltsindizierung an; vgl. Bullinger, ZUM 1994, 596 ff. (598,603).

19 BVerfGE

57, 295 ff. (324); 73, 118 ff. (152); 74, 297 ff. (324).

Finalität des Rundfunkbegriffs

161

zifisch angemessene, abgestufte Regelungsdichte auf Rechtsfolgenseite2o einer pragmatischen Lösung Vorschub, die Zwischenstufen, etwa erleichterte Zulassungsvoraussetzungen als Sonderbehandlung, offenhält. Beide Lösungsansätze gehen mit einem Verständnis von verfassungsrechtlicher Rundfunk-freiheit konform, das den Ausgestaltungsvorbehalt an die Meinungsbildungsrelevanz knüpft. 21 Maßgeblich ist die publizistische Prägung traditionellen Rundfunks im urprünglichen Gegensatz zu Datendiensten, ein Kontrastbild, das angesichts der in einer Grauzone aufgehenden Vielfalt neuer multimedialer Angebotsformen verschwimmt. 22 Es gibt kein "Schwarz-weiß" mehr, sondern nur noch eine schwerpunktmäßige Zuweisung nach publizistischem Gehalt, sozusagen im Sinne einer "rundfunkrechtlichen Relevanztheorie"23. Bemüht man den Rundfunkbegriff im Sinne ersterer Tatbestandslösung, so muß er funktionsbezogen definiert werden, d.h. die Rolle des Rundfunks als Faktor im Meinungsbildungsprozeß zum Abgrenzungsmerkmal statuieren. "Pay-TV", "Pay-per-view" und auch "video-on-demand" unterscheiden sich nur durch Zugriffs- und Zahlungsmodalität, nicht durch einen anderen Inhalt von traditionellen Fernsehprogrammen. Unter dem Aspekt der publizistischen Relevanz sind sie somit Rundfunk zuzuordnen und unterliegen damit pluraltätssichernder Normierung. Ausgehend von der Finalität des verfassungsrechtlichen Ausgestaltungsvorbehalts fiir Rundfunk ist Teleshopping anders zu beurteilen. 24 Nur sofern der

20 Eberle, ZUM 1995, 763 ff. (765); Pieper/Wiechmann, ZUM 1995, 82 ff. (93); Gersdoif, S. 141 f., ders., UFITA-Schriftenreihe 1996, Bd.137, S. 87 ff. (89 f.); Pieper, Medienrecht im Spannungsfeld zwischen "Broadcasting und Multimedia", ZUM 1995, 552 ff. (557) .

21 BVerfGE 74, 297 ff. (324, 350); 83, 238 tT. (302). 22 Die in der Entwicklung begriffene Vereinigung von Fernsehen und Datenverar-

beitung fordert eine adäquate Abgleichung der tangierten Regelungsbereiche, d.h. es darf nicht unbesehen gleichzeitig das gesamte Datenschutzrecht und Rundfunkrecht Anwendung fmden. Eberle, ZUM 1995, 763 ff. (765).

23 Vgl. den Beitrag von Dittmann in diesem Band. 24 Zu

den vier Erscheinungsformen, Informercial, Direct Response TV, Video Mall und Interaktiven Teleshopping, vgl. Eberle, Schriftliche Stellungnahme des ZDF zur Anhörung der Arbeitsgruppe "Rundfunkbegritl" der Rundfunkreferenten der Länder am 14. Juni 1994, ZUM 1994,530 tT. (535), der erstere drei Formen dem Rundfunkbe11 Diumann u. a.

162

Christina Betzler

Teleshopping-Kanal auch "Show-Einlagen" enthält, rücken diese Teleshopping zumindest in die Nähe der Rundfunkveranstaltung, und zwar desto mehr, je größer der "Entertainment-Anteil" ist. An das Pluralitätserfordernis als Rundfunkspezifikum sind allerdings nur die Show-Elemente betreffend keine zu hohen Anforderungen zu stellen. 25 Lediglich die Einblendung einer Telefonnummer, was Teleshopping den Titel "elektronisches Warenhaus" statt die Etikette "Unterhaltungssendung" zukommen läßt, ist bereits gängiger Zusatz, solange in die erlaubten Werbeblöcke integriert (sog. Direct Response TV). Auf einen reinen Verkaufskanal bezogen, machen zeit- und volumenmäßige Werbelimitierungen zum Schutz des redaktionellen Sendeteils keinen Sinn, § 27 Abs. 3 S. 1 RfStV, wohingegen die in § 27 Abs. 3 S. 2 RfStV aufgegriffene Interessenkollision beim Rundfunkveranstalter, nicht nur auf Rezipientenbelange zu achten, nicht apriori von der Hand zu weisen ist. 26 Zu hinterfragen ist, inwieweit die Anpreisung von Produkten im Vordergrund steht, die mit bloßen Werbeunterbrechungen qualitativ und quantitativ nicht vergleichbar und eine Einordnung als Rundfunk nicht mehr vertretbar ist. Werbung birgt zwar durchaus ein informatives Element in sich,27 jedoch nicht von hinreichender gesellschaftspolitischer Tragweite, um eo ipso Rundfunk zu sein, statt nur eine diesem dienende Finanzierungsmodalität. 28 Es genügen Schutzbestimmungen (insbesondere Verbraucherschutz), nicht hingegen sind Reglementierungen im Sinne des rundfunkspezifischen Ausgestaltungsvorbehalts notwendig. Der Schutzbedarf des Rezipienten variiert von Dienst zu Dienst, nicht aber von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat.

griff unterstellt. Degenhart, Rechtliche Aspekte des Teleshopping, ZUM 1995, 353 ff. (354 f, 357): Rundfunkfreiheit ist ein Funktionsgrundrecht, Teleshopping nimmt an der AufgabenerIDllung nicht teil. 25

Gersdoif, UFITA-Schriftenreihe, Bd.137, S. 87 ff. (98).

26 Betreffend den reinen Teleshoppingkanal Horne Order Television (H.O.T.), VG München, ZUM 1995, 896 ff. (898); BayVGH, ZUM 1996,173 ff. 27 PieperlWiechmann, ZUM 1995, 82 ff. (89 f), Verf. sprechen von Eignung zur Meinungsbildung über den landesspezifischen wirtschaftlichen Lebensstandard sowie über die Warenqualität.

28 BVerfGE 71, 162 (175); Degenhart, ZUM 1995,353 ff. (355).

Finalität des RWldfunkbegritTs

163

III. Europarechtlicher Rundfunkbegriff Im Rahmen der Revision der Fernsehrichlinie 552/89 stellt sich die Frage nach einem europarechtlichem Rundfunkbegriff, der die jeweils sinnvolle Einbeziehung künftiger Dienste reflektiert. Als Schlüsselbegriff muß er der finalen Konzeption selbiger Rechnung tragen. Expressis verbis stellt Art. 1 lit. b) der Kommissionsvodage klar, daß Teleshopping nicht unter den Begriff "Werbung" subsumierbar, hingegen gemäß Art. llit. e) der Kommissionsvorlage als "Fernsehprograrnm" zu qualifizieren ist. 29 Eine Werbebeschränkung angewandt auf Teleshopping wäre dessen Substrat beraubend, d.h. sinnentleerend und sinnlos. Die Fernsehrichtlinie markiert für das grenzüberschreitende Fernsehen als Dienstleistung einen transnational garantierten Schutzstandard, 30 womit man insoweit für eine weitgehende Einbeziehung "Neuer Dienste" plädieren müßte. Industriepolitisch stellt sich hingegen die Frage der Gebotenheit einer teleologischen Reduktion des richtlinieninternen Rundfunkbegriffs angesichts der den Rahmen einer "Mindestschutzregelung" sprengenden Quotierung. Bezogen auf die "Neuen Dienste" kann ihre Anwendung durchaus kontraindikatorisch sein. Es ist nicht sicher, daß die Erfiillung der Auflage eines gewissen Anteils europäischer Produktionen Spartenprograrnme unbedingt abwechslungsreicher gestaltet, etwa mangels für den obligatorischen Quotenumfang hinreichender neuer, europäischer Filme. Auszugehen ist davon, daß Disponibilität der ganzen und aktuellen Kino-"Welt"auf dem heimischen Bildschirm, nicht hingegen das Abspielen von Kinohits vergangener Tage, aber aus europäischen "Gefilden" den Reiz eines Spielfilmspartenprogramms ausmacht. Der Teilnehmer wünscht ein Stück "Welt-Offenheit" per Knopfdruck in die eigenen vier Wände zu transferieren, ohne seinen Blickwinkel durch die Frage nach der Provenienz der audiovisuellen Leistung auf den europäischen Raum zu verengen. Der Rezipient ist wohl eher Kosmopolit als Träger eines auf Europa erweiterten patriotischen Sentiments. Produktionen europäischer Herkunft können rechtlich "verordnet", nicht aber mittels Zuschauergunst erkauft werden. Nur unter dieser Prämisse würde die Quotenregulierung Spartenkanäle - insbesondere im Filmsektor - als "Pay-TV" oder "Pay-per-view"

29

Dok. KOM (95) 96, endg.

30 Lediglich Mindestschutz, Art. 3, 8 Wld 19 der Richtlinie 552/89 erlauben Inländerdiskriminierung. Vgl. auch EuGHE, Rechtsschutz. C-412/93, EuZW 1995,250 tT. 11*

164

Christina Betzler

für den Investor möglicherweise unlukrativ machen.J1 Insofern wäre Klarheit über die rechtliche Einbeziehung der "Neuen Dienste" 'für den Anbieter als Basis einer Kostenrechnung und damit Dispositionsgrundlage von Nöten, Ein Ausschluß der "Neuen Dienste" aus der Quotenregelung ergibt sich zum einen vom Standpunkt des Unternehmers aus, wenn man angesichts der gegenwärtigen amerikanischen Dominanz von entsprechender Zuschauerresonanz ausgeht, zum anderen aus der nur Zweitverwertung schon existierender europäischer Werke in den neuen entgeltlichen Diensten, statt Neuproduktion, Die Quotenregelung soll die europäische Film- und Fernsehproduktion "ankurbeln", gerade auch im Identifikationsinteresse des europäischen Zuschauers, der in Filmen ein Stück Identität durch die szenarische Reflexion des eigenen Lebensumfeldes widergespiegelt sieht. Das Rezipienteninteresse entscheidet insoweit über die sinnvolle Reichweite der Quotenregelung, die Realisier-barkeit ihres Telos über die Weite des Rundfunkbegriffs. Bei einer bloßen Wiederholung europäischer Werke in den neuen Angebotsformen, insbesondere des "Video-on-demand", erfiillt sie nicht ihren Zweck.

Der Kontext richtlinienintern einerseits der Mindestschutzbestimmungen, andererseits der programmbezogenen Quotenregelung, von der möglicherweise aus ökonomischer Sicht eine prohibitive Wirkung ausgeht, rückt den Rundfunkbegriff in ambivalentes Licht. Zu finden ist eine variable, der Finalität der einzelnen Bestimmung angemessene Lösung. Die Diskussion um den jeweils adäquat weiten oder engen Rundfunkbegriff als Tatbestandselement muß deshalb auf drei Ebenen, EG, Bund und Land, kontrovers verlaufen und ggf. divers ausgehen.

IV. Rundfunkbegriff und Wettbewerbsrecht "Weltumspannende" Medien lassen Wirtschaftsstärke zu einem relativen Begriff werden. Wettbewerbskontrolle wird sich damit tendenziell in einem grobmaschigeren "Netz" vollziehen, sozusagen wird von Marktmacht erst ab einer x-fachen Größenordnung auszugehen, dabei aber eine Mehrzahl multimedialer Dienste ins Kalkül zu ziehen sein.

31 So die Prognose von Niewiarra, ZUM 1995, 758 tT. (759), der seine Beurteilung auf einen von vornherein geringen Stellenwert europäischer Filmindustrie auf dem audiovisuellen Weltmarkt stützt und deshalb für eine Ausklammerung der Neuen Dienste plädiert.

Finalität des Rundfunkbegriffs

165

Da sich die neuen Teledienstleistungen als komplementäres, entgeltliches Tätigkeitsfeld der Rundfunk-"unternehmen" darstellen, hängt die grundsätzliche Einbindung in die allgemeine Wettbewerbskontrolle nicht von der Definition "Rundfunk" ab. Anknüpfungspunkt des EG-Wettbewerbsregimes, der Art. 85 ff EGV, ist nicht der Rundfunkbegriff, sondern der "relevante Markt". Dessen ökonomische Struktur ergibt sich aus dem Ensemble der Größen, die das marktrelevante Auftreten der Unternehmen bestimmt. Auf Rundfunkveranstalter einwirkende Wettbewerbskräfte gehen nicht nur von bestehender Konkurrenz im Bereich der eigenen Angebotspalette, sondern desgleichen vom (drohenden) Marktzutritt von Ersatzdiensten aus. Das wettbewerbsrelevante Spektrum wird sozusagen durch den Aspekt der funktionellen Äquivalenz, der Rivalität zu Surrogatanbietern stiftet, erweitert. 32 Insofern stellt sich die Frage, inwieweit die "Neuen Dienste" eo ipso einen sachlich abgrenzbaren Markt statuieren oder in den Rundfunkrnarkt Eingang finden. Die Rundfunkmarktrelevanz ist an die funktionelle, d.h. nicht rein technische, sondern inhaltliche Vergleichbarkeit mit traditionellem Fernsehen geknüpft. Die Abkehr von der Unterscheidung zwischen individuellem Abrufdienst vom Speicher einerseits und traditionellem Verteilerweg andererseits fUhrt zu einem einheitlichen Beurteilungsmaßstab binnen verschiedener Rechtsgebiete. Eine Typisierung von "Rundfunk" mittels inhaltlicher und damit funktionsbezogener Schwerpunktsetzung geht mit der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung nach funktioneller Äquivalenz konform. Das allgemeine Wettbewerbsrecht wird durch medienspezifische Konzentrationskontrolle ergänzt. 33 Die Finalität beider ist nicht identisch: Ersteres zielt auf rein ökonomischen Wettbewerb, zweitere auf publizistsichen Wettbewerb, d.h. auf einen Meinungsmarkt. Es bedarf der Festlegung prozentualer Marktanteile, um effektive medienspezifische Konzentrationskontrolle zu gewährleisten. Ein festgesetzter maximaler Wert bildet die Eingriffsschwelle konzentrationsbeseitigender Maßnahmen. 34 Der Begriff des "medienrelevanten

32 Giehl, Der Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkveranstaltern, 1993, S. 23,29. 33 Deren Effektivität ist durch die Reichweite des Rundfunkbegriffs bedingt. Vgl. Eberle, ZUM 1995, 763 ff. (765). Engels, Verfassungsrechtliche Strukturvorgaben für RWldfunkkonzentrationsregelWlgen, ZUM 1996, 44 ff. 34 Nach der geplanten RWldfunkstaatsvertragsnovelle ist ein Zuschaueranteil von 30 % festgesetzt, wobei "medienrelevante verwandte Märkte" einbezogen werden, so daß von einer 25 % Nettogrenze gesprochen wird. Vgl. Kamingespräch der Ministerpräsi-

166

Christina Betzler

verwandten Marktes" des geplanten materiellen Konzentrationsrechts, der sich auch auf den Werbemarkt sowie Prograrnmbeschaffungs- und Verwertungsmarkt als Indikatoren für Marktmacht bezieht, entspricht nicht dem Begriff des "relevanten Marktes" im Sinne des allgemeinen Wettbewerbsrechts. 35 Letzterer nimmt Bezug auf die "Neuen Dienste" durch das sog. Bedarfsmarktkonzept bzw. Substitutionskriterium. Die Wettbewerbsrelevanz einzelner auf dem Markt angebotener Produkte resultiert aus ihrer Austauschbarkeit für den Nachfrager. Angebotsmacht steht in Interdependenz zur Ausweichmöglichkeit der Konsumenten. Marktanteile sind hiernach nur dann zu addieren, d.h. zu einem einheitlichen Markt zusammenzufassen, wenn unter den verschiedenen Angebotsformen funktionelle Austauschbarkeit besteht. Marktmacht kann nur noch mit begrenzter Verläßlichkeit durch den Zuschaueranteil festgestellt werden. Die variantenreichen Offerten durch Kabelnetzbetreiber ("Packaging")36 sowie der individualisierte Zugriff über "Set-topBoxen" erschweren die Widerspiegelung des Zuschauerverhaltens in seiner Gesamtheit. 37 Es bleibt die Frage, welche Dienste eine wie dominante Rolle auf dem Rundfunkmarkt innehaben. Bei der Beurteilung von Marktmacht kann das Zusammenwachsen bislang separater Leistungen zu einer multimedialen Dimension von "Rundfunk" nicht unerheblich bleiben. 38 Sind erwartungsgemäß die neuen Teledienstleistungen und traditionellen Fernsehprograrnme zu einer Gesamtofferte gebündelt, so bedenten, Berlin, 7.3.1996; Stellungnahmen zwn rundfunkstaatsvertraglichen Konzentrationsrecht, FUNK-Korrespondenz, Nr. 25 / 21.6.1996), S. 40 ff. 35 Stammler, Paradigmenwechsel im Medienrecht, ZUM 1995, 104 ff. (109): Die vertikale Struktur muß einbezogen werden, als Summe der hinter dem Programm stehenden machtvermittelnden Faktoren.

36 Gerade die Paketbildung limitiert die Auswahlrnöglichkeiten filr den Rezipienten und kann den Marktzugang filr kleinere Anbieter vereiteln, d.h. es bedarf einer vielfalts- und wettbewerbssichernden Distributuionsstruktur. Vgl. Holznagel, Probleme der Rundfunkregulierung im Multimediazeitalter, ZUM 1996, 16 ff. (23). 37 Die Nutzungsfrequenz wird in praxi nicht als Indikator filr Marktmacht fungieren können. Für Werbeeeinnahmen als Richtschnur der Konzentrationkontrolle deshalb Eberle, Neue Übertragungstechniken und Verfassungsrecht, ZUM 1995,249 ff. (251). 38 Auch im materiellen Konzentrationsrecht stellt sich die Frage nach separat zu betrachtenden Teilmärkten, etwa des entgeltfmanzierten Fernsehens; § 21 RfStV differenziert zwischen Voll-/Spartenprograrnmen mit/ohne informationellen Schwerpunkt. Vgl. DLM-Konzentrationsbericht, in: HartsteinIRing/KreilelDörr/Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, 2. Aufl. 1995, S. 1188.

Finalität des RundfunkbegrifIs

167

zieht der Anbieter aus diesem kompletten Programmbouquet seine Marktmacht. Der für die Feststellung der marktbeherrschenden Stellung sachlich relevante Markt müßte demnach durch einen weit verstandenen Rundfunkmarkt (oder -begrifi) umrissen werden. Auszugehen ist nicht von einem statischen "Rundfunkmarktbegrifl", sondern dem Ziel des Wettbewerbsrechts, übermäßige Ungleichgewichte zu verhindern. Weitergehend kann man überlegen, ob von dem Angebot unter einem alle Dienste erfassenden Programmfiihrer gesteigerter Einfluß auf den Meinungsbildungsprozeß ausgeht. Es läßt sich nicht von vornherein von der Hand weisen, daß der Erfolg einzelner Teledienste die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der kompletten Offerte und damit die strategische Marktmacht39 auch bezüglich traditioneller Komponenten steigern kann. 40 Dennoch bleibt kritisch zu hinterfragen, ob eine derartige, bezüglich der Zuschauerakzeptanz hypothetische, wettbewerbsrechtliche Gesamtbetrachtung den wirtschaftlichen Handlungsspielraum der audiovisuellen Unternehmen zu sehr einengt. Die Einbeziehung sämtlicher neuen Teledienste in einen die Marktmacht beschreibenden Zahlenwert statt der Festsetzung separater Marktanteilswerte fiir einzelne nur rundfunkähnliche Angebotsgruppen kann innovationshemmend wirken. Somit ist daran festzuhalten, nur funktionell austauschbare, weil meinungsbildende Angebote sind zu einem wettbewerbsrechtlich einheitlich zu betrachtenden Rundfunkmarkt zu addieren. Der Faktor der Meinungsbildung dient insofern im Wettbewerbsrecht der Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes. Statt der Kriterien für eine Klassifizierung als "Rundfunk", wie Simultanität oder Regelungsbedarf, ist zur Feststellung von Marktmacht im allgemeinen Wettbewerbsrecht die funktionelle Äquivalenz entscheidend. Hierin liegt allerdings keine Dichotomie, sondern ist eine Überschneidung der Kriterien insofern gegeben, als sowohl die Funktion des Teledienstes für den Nachfrager als auch die rundfunkspezifische Regelungsdichte inhaltsbezogen sind. Hierin 39 Der Erwerb der "High-lights" der Fernsehwelt ft1r entgeltliche Dienste aufgrund einer marktbeherrschenden Stellung geht zu Lasten der Vollprograrnmanbieter als ernstzunehmende Konkurrenten um Ausstrahlungsrechte und der Rezipienten, die dann gezwungenermaßen ft1r ihre Rolle als eigener Intendant den "Preis" zahlen. 40 Eberle, ZUM 1995, 763 fI. (766) betrachtet deshalb "die gesamte Palette audiovisueller Teledienstleistungen als konzentrationsrelevant" . Allein die Ansehen schaffende Stärke in einem Angebotsstrang würde damit per se zu einer Verknüpfimg ansonsten sachlich abgrenzbarer Märkte, weil funktionell nicht austauschbarer Leistungen filhren.

Christina Betzler

168

liegt zunächst nur die Aussage, daß der inhaltliche Aspekt der einzelnen Dienste in einer rundfunkrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Betrachtung eine Grenzlinie ziehen kann. Die Ausgrenzung aus dem RundfunkbegrifI und die wettbewerbsrechtliche Behandlung als separate Gruppe rundfunkähnlicher Dienste verlaufen insoweit konform. Parallelität besteht im übrigen insofern, als ein dienstesspezifisch erhöhtes Pluralitätserfordernis rundfunkrechtlich einen gesteigerten Regulierungsbedarf, etwa Zulassungsvoraussetzung, Gestaltung, finanzielle Rahmenbedingungen etc., betreffend, indiziert, sowie wettbewerbsrechtlich strikterer Kontrolle zu unterliegen hat. Der Grund liegt in der Interdependenz von ökonomischem und publizistischen Wettbewerb. Meinungsvielfalt resultiert auch aus effektiver Medienkonzentrationskontrolle.

v. Ergebnis Die gebotene Weite eines Tatbestandsmerkmals hängt von den daran geknüpften Rechtsfolgen ab, der Rundfunkbegriff vom Telos des jeweiligen Regelungswerkes. 41 Die Finalität einer Norm entscheidet über den Sinn der Einbeziehung der "Neuen Dienste". Schutzbestimrnungen, wie im Kern auch die EG-Fernsehrichtlinie, und ZulassungshÜfden im Rahmen des rundfunkspezifischen Ausgestaltungsvorbehaltes, sind zu unterscheiden. Im Blickpunkt der Quotenregelung oder im Kontext des allgemeinen Wettbewerbsrechts wird der Rundfunkbegriff in unterschiedliches Licht geruckt. Im Gegensatz zur rundfunkrechtlichen Beleuchtung in der gesellschaftspolitischen, demokratiewesentlichen Dimension als Faktor und Medium der Meinungsbildung wird er industrie- und standortpolitisch gefarbt. Der RundfunkbegrifI darf nicht a priori normübergreifende Allgemeingültigkeit beanspruchen, die Eingrenzung des Anwendungsbereiches nicht nur dienstes-, sondern muß auch regelungspezifisch erfolgen. Gleichzeitig besteht Konformität im Hinblick auf Ziele, die sich durch identische Bedingungen realisieren. So korreliert ein rundfunkrechtlicher und wettbewerbsrechtlicher RundfunkbegrifI durch den Gleichklang von Meinungsvielfalt und Vermeidung von MonopolsteIlungen, durch die gegenseitige Bedingtheit von publizistischem und wirtschaftlichem Wettbewerb. Das Zusammenspiel ineinandergreifender Regelungsbereiche muß in die normspezifische Betrachtung einbezogen werden; die Abgrenzung des fiir die Beurteilung von Marktmacht sachlich relevanten Marktes im nicht bereichsspezifischen Wettbewerbsrecht und die EingrifIsschwelle rundfunk41

BVerfGE 74, 297 tf (350).

Finalität des RundfunkbegritTs

169

staatsvertraglicher Medienkonzentrationskontrolle sind über die Effektivität der Wettbewerbskontrolle miteinander verknüpft. Übergreifender Maßstab ist die funktionelle Äquivalenz von traditionellem Rundfunk und "Neuen Diensten", die Austauschbarkeit fiir den Rezipienten im Prozeß der Meinungsbildung. Maßgeblich ist insofern auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten die publizistische Relevanz des Dienstes, ein Kriterium, das die Regelungsdichte zur Pluralitätssicherung auch im Blickpunkt des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG bestimmt. Jener normübergreifende Indikator zur dienstesspezifischen Sonderbehandlung ergibt sich erst aus der regelungsspezifischen Betrachtung, d.h. der norminternen teleologischen Auslegung des Rundfunkbegriffs. Insofern ist der Rundfunkbegriff ein finaler, nicht ein unitärer. Als Konsequenz dieser Finalität ist in Abkehr von theoretischer Begriffsjurisprudenz zugunsten einer pragmatischen Lösung fiir eine Abstufung der Regelungsdichte erst auf der Rechtsfolgenseite zu plädieren, statt an der tatbestandseinschränkenden Funktion des Rundfunkbegriffs anzusetzen. Wenn ohnehin der Sinn und Zweck nicht nur eines Regelungswerkes, sondern seiner integrierenden Einzelnormen maßgeblich ist, scheint es zweckmäßiger, nicht über die Klassifizierung der "Neuen Dienste" als Rundfunk, sondern eine abgestufte Regelungsdichte auf Rechtsfolgenseite zu differenzieren. Dienstesspezifische Komplementierungen bestehender Regelungswerke gewinnen, der Rundfunkbegriff verliert an Bedeutung, behält aber seine Konturen.

RundfunkbegrifT und Urheberrecht Von Frank Fechner·

Der Schwerpunkt der Thematik des Symposions liegt in der Frage, inwieweit bestehende rundfunkrechtliche Regelungen auf neu hinzugekommene Medien anzuwenden sind und inwieweit und von wem zusätzliche Regelungen geschaffen werden können und müssen. Diese bereits umfassend erörterte Fragestellung darf indessen nicht vergessen lassen, daß der Rundfunkbegriff auch bei der Auslegung solcher Normen Auswirkungen hat, die nicht primär den Bereich des Rundfunks regeln. Ein Beispiel von hervorragender Bedeutung, auf das an dieser Stelle bisher nicht eingegangen wurde, ist der Schutz der Rechte von Urhebern. Sie sind in besonderer Weise durch die neuen technischen Möglichkeiten gefahrdet. Das gilt hinsichtlich wirtschaftlicher Nutzungsvorgänge ohne Beteiligung der Urheber, nicht zuletzt aber auch fiir die Beeinträchtigung von Werken durch Entstellungen. In diesem Zusammenhang sind die Einwirkungen der Verfassung auf den in einfachen Gesetzen enthaltenen Rundfunkbegriff näherer Betrachtung wert. Eine der zentralen Fragen des Urheberrechts angesichts der neuen technischen Möglichkeiten ist das Senderecht des Urhebers gern. §§ 15 Abs. 2 Nr. 2, 20 UrhG. Die Werknutzung über Rundfunk: ist durch das Urheberrechtsgesetz ein vom allgemeinen Verbreitungsrecht unabhängiges Nutzungsrecht. 1 Das Senderecht wird vom Urhebergesetz als das Recht definiert, ein Werk durch Funk, wie Ton- und Fernsehrundfunk:, Drahtfunk oder ähnliche technische Einrichtungen, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Anderen Fällen fraglicher Anwendbarkeit des Rundfunkbegriffs auf neue Medien vergleichbar, stellt sich auch im urheberrechtlichen Zusammenhang die Frage, welche der • Priv.-Doz. Dr. iur., Universität Tübingen. 1 Vinck in: Friedrich Karl FrommlWilheJm Nordernann, Urheberrecht. Kommentar, 8. Aufl., 1994, § 20 Rdnr. 1 mit Hinweis auf die Anerkennung durch die Rechtsprechung bereits vor der gesetzlichen Normierung.

172

Frank Fechner

neuen Dienste unter die Umschreibung des Gesetzes "Funk, wie Ton- und Fernsehrundfunk" zu subsumieren sind. Das setzt eine begrifiliche Auslegung voraus. 2 Ähnlich wie § 2 Abs. I Satz I RfStV den Rundfunk von einer Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen für die Allgemeinheit definitorisch abhängig macht, verlangt § 20 UrhG, daß das Werk der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Gerade das ist jedoch bei den sog. "on demand-" oder Abrufdiensten problematisch, da sie, entsprechend ihrer Definition, nur auf individuellen Abruf eines einzelnen Kunden hin bereitgestellt werden. Aus diesem Grund ist in der juristischen Literatur umstritten, ob sich das Verwertungsrecht des Urhebers auch auf derartige Dienste erstreckt. 3 Die Frage ist nicht nur im Hinblick auf Filme relevant, sondern umfaßt den gesamten Bereich von Datenbanken, in denen urheberrechtliche Werke auf Abruf gespeichert sind. 4 Da Wortlaut und Systematik des Gesetzes keine eindeutige Antwort liefern, ist teleologisch zu interpretieren, wobei die verfassungsrechtlichen Vorgaben mit heranzuziehen sind. Die Rechte der Urheber sind von der Rechtsordnung grundsätzlich anzuerkennen. Als geistiges Eigentum unterfallen Geisteswerke der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. I Satz I GG.5 Erträge aus der wirtschaftlichen Nutzung urheberrechtlicher Werke sind zumindest dem Grunde nach dem jeweiligen Werkschöpfer zuzuordnen. Lediglich gegenüber gesetzlich gefaßten vorrangigen Gegeninteressen müssen die Verwertungsinteressen des Urhebers im Einzelfall zurücktreten. Hierbei können vor allem die Interessen der Allgemeinheit an einer möglichst umfassenden, unkomplizierten Nutzung zu berücksichtigen sein, ohne daß jedoch eine unentgeltliche Nutzung gerechtfertigt wäre. Aufgrund der hier nur kurz begründeten verfassungsrechtlichen Verankerung geistigen Eigentums hält sich die 2 Nach der BegrülldWlg ist Funk jede Übertragoog von Zeichen, Tönen oder Bildern durch elektromagnetische Wellen, die von einer Sendestelle ausgesandt werden Wld an anderen Orten von einer beliebigen Anzahl von Empfangsanlagen aufgefangen Wld wieder in Zeichen, Töne Wld Bilder ZUfÜCkverwandelt werden können; Vinck, aaO., Rdnr.2.

3 Vergl. Andrea Jaeger, Neue EntwicklWlgen im Kommunikationsrecht, NJW 1995, S. 3273 (3275). 4 Vinck (Arun. 1), § 20, Rdnr. 6. Auch wenn die Einspeicherung in die Datenbank gern. § 16 UrhG für zustimmWlgspflichtig gehalten wird, dürfte eine Schutzlücke verbleiben; JUrgen Becker, Neue ÜbertragWlgstechniken Wld Urheberrechtsschutz, ZUM 1995, S. 231 (245); ders., Die digitale Verwert\Ulg von Musikwerken aus der Sicht der Musikurheber, in: Jürgen BeckerfThomas Dreier (Hrsg.),. Urheberrecht Wld digitale Technologie, 1994, S. 45 (63 ff.).

5 BVerfGE

31, S. 229 ff.; E 49, S. 382 ff.

Rundfunkbegriff und Urheberrecht

173

Anwendung des § 20 UrhG auf "on-