Der Lebensfrühling. Ein Lesebuch für die Jugend, Teil 1 [Reprint 2021 ed.] 9783112431283, 9783112431276

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Der Lebensfrühling. Ein Lesebuch für die Jugend, Teil 1 [Reprint 2021 ed.]
 9783112431283, 9783112431276

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bensfrulpl Ein ftbuc^t •fur'bve ^ugenb.

(Erster

Vertin, bex GeorI K^tnter. 1024.

Vorwort dieses Lesebuch schließt sich an den Lustwald, Lust­ garten und Lebensspiegel an.

rede»

jener Bücher

Sammlung.

gesagt

ist,

Was in den Dor­

gilt auch

für diese

Möge sie mit beitragen, die Jugend vom

Schaalen, Matten, Tändelnden und Geistlosen, was so viele Jugendschriften bieten, ab - und auf das Frische,

Kräftige und Sinnvolle im Leben zu richten.

Mit die­

sem Wunsche tritt auch der Lebensfrühling in den Kreis der Freunde, so sich die obengenannten Lesebücher

hie und da unter Alt und Jung erworben haben, und hofft, denselben kein ganz unwillkommner Gast zu seyn.

N. im Anfang des Jahres 1824.

IV

Inhalt. Seite i. Frühling ?. Im Maien 3. Lorjahrslied 4. Maienfreude 5. Frühlingszeit . 6. Wunsch und Hoffnung 7. Ablösung 9. Im Freien 9. Waldlust. . . ♦ 10. Im Walde ii. Morgenandacht im Garten . 12. Morgenlied 13. DaS Abendroth. 14. Lied der Andacht 15. Altes geistliches Jubellied 16. Herbstes Trauern 17. Winter 18. Die Brücke 19. Christkrippe 20. Der Krieg mit dem Winter . 21. Die zwölf Brüder 22. Mei';Vr Oluf . 23. Die .

1 2 3 4 4 6 7 8 V8 9 10 13 14 15 17 23 24 25 26 29 35 44 46 48 49

26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 3-1. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 55. 56.

Seite Siegfried, nach der Witkina - und Niftungasaga . 52 Der Geroldöecker Hort .... 63 Heldentod ...... 70 Der kranke Ritter ..... 71 Die Lateraruft ..... 73 Die Lehre der Mutter 74 Die Hirsche .... 76 Des Weisen Urtheil vom Thoren ... 77 Der Hund und der Kater . . . 78 Das Wasser und das Feuer .... 79 Die zwei Pferde ..... 80 Der spottende Haber . . . . . 81 Der Hund und das Königlein ... 83 Lebensführung eines frommen Bergmannsknaben . 85 Die Geschichte von den drei gefangenen Schweizerknaben 97 Die Geschichte von den zwei jungen Burggrafen zu Nürnberg . . . . . . Die Geschichte von den geraubten sächsischen Prinzen Freude im schönen Wetter . . . . 145 Der Sommertag . . . . . 146 Der fröhliche Wanderer 146 Iagerlied ...... 147 Der Alpenjäger ..... 148 Aus dem Leben Joachim NettelbeckS . . tsi Der Stieglitz ...... 214 St. Johannes und seine Katze . . 217 Der heil. Geist . . . . . 222 St. Trutbert und das Krüglein . . 223 Die zwölf Apostel ..... 233 Bischoff Poppo . .. . . 235 a. Der Schneider in Pensa . . . 336 b. Der Schleifer . . . . 345 Die Kreuzschnäbel ..... 347

VI

57. 58. 59. 60.

61. 62. 63. 6'u 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 7b. 76.

Seite Die Geschichte von dem treuen Hunde Der Hund Barry .... Ein todter Bar schützt vor einem lebendigen . 265 Wie man dem Baren daS Honigessen vertreibt und ihn tanzen lehrt ..... 266 Der verachtete Rath ..... 269 Wunderlichkeit ..... 270 Lächerlicher Irrthum einer Schildwache . . 272 Vom Käsefallenlassen und Hintennachkommen . 27k; Die großen Fische ..... 275 Rübezahl und der Bote . . . 277 HanS im Glück . . . . . 283 Der verlogene Knecht . . . 292 Thomas in der Bündt .... 297 Der Knabe im Feldlager .... 302 Lied eines deutschen Knaben. . . .306 Der Tod des Großvaters . . . . 307 Der Gast ...... 320 Seltene Menschen ..... 326 Rathset . . . . 327 Sprüche . . . . . 32s

1. Frühling. (Nach dem Minnesänger Otto von Turne.)

yveuct euch der lieben Zeit, liebe, wohlgemuthe Jungen! Schauet, wie der Haide weit lichte Blumen sind entsprungen! Hei, im lichten Maien-Schein freut sich Alles, Groß und Klein! Hoch in blauen Lüften singen, und auf grünen Zweigen springen Vöglein froh allüberall: Amseln, Finken, Lerch' und Zeisen tönen ihre süßen Weisen mit der freien Nachtigall.

A

2 2.

I m

Maien.

(Von Pelegnn.)

Maien, im grünen Wald im Freien, da ist der Schäflein Haus; thut eines mit dem andern so recht verträglich wandern, gehn friedlich ein und aus.

Im Himmel, weitab vom Weltgewimmel, da ist der Englein Haus. Da hört Man Liedesweisen die Liebe Gottes preisen, da ist all Streiten aus.

5 ö*

Vorjahrslied. (v. Jahr 1688; durch Haug.)

X/ev Mai, des Jahres Herz, beginnt durch Kraft der Sonnenstrahlen,

Feld, Berg und Thal zu malen. Wie Alles neuen Schmuck gewinnt!

Der Baum, ein Speisemarkt der Bienen,

trägt Laub und edeln Saft. Der Aerzte Wissenschaft —

die Flur- und Gartenkräuter grünen. Und du, mein Herz, bist trag und kalt?

dich magst du noch verstecken in faulen Winterdecken, der Wohllust Schirm und Aufenthalt?

Nein, laß dich die Natur bewegen! Wohlauf zum Liederschall!

Dein Gott ist überall und spendet gnädig Lust und Segen. A 2

4

4-

Maienfreude. X? Maienzeit, wie mich erfreut die Schönheit deiner Blüte! All überall auf Berg, im Thal ergötzt sich mein Gemüthe! Schau', o mein Herz, schau' allerwärts ist Gottes große Güte!

5.

Frühlingszeit. (Altes Lied von einem Minnesänger, der sich Muskatblüth nennt)

Lust gieng ich, da freut ich mich der Frühlingszeit; der Anger weit

4

4-

Maienfreude. X? Maienzeit, wie mich erfreut die Schönheit deiner Blüte! All überall auf Berg, im Thal ergötzt sich mein Gemüthe! Schau', o mein Herz, schau' allerwärts ist Gottes große Güte!

5.

Frühlingszeit. (Altes Lied von einem Minnesänger, der sich Muskatblüth nennt)

Lust gieng ich, da freut ich mich der Frühlingszeit; der Anger weit

5 stand lustiglich gezieret.

Da hatt' die Heid' ihr Winterkleid gezogen ab, — mit reicher Hab'

hat sie sich ausstaffiret.

Mein Herz ganz voller Freuden was (war): ich sah die Blumen - Knöpfen; so klein war nirgend nicht ein Gras,

daran nicht hiengen Tropfen. Von süßem Thau hat sich die Au'

gar lustig überzogen

mit Liljen und mit Rosen roth: Aus sehnender Roth kam mein Gemüth; des Maien Güt'

hat mich noch nie betrogen. Schaut, wie der Wald gar mannichfalt

in Grünen steht!

Ein jeglich Blatt

in seiner Art aufsprießet. Seht, wie das Reis trägt hohen Preis,

Ln's Maien Kraft sein Linder Saft aus hartem Holze fließet!

Schaut an den wonniglichen Staat:

Berg', Heid' und Au' und Anger!

6 Mit mancher lustiglichcn Saat das Feld ist worden schwsuger, —

mit rechter Frucht manch liebe Züchte die nur der Mai kann bringen, mit lichten Blumen wonnebar. Die- Sonne klar

giebt lichten Schein; die Vögelein schön in dem Walde singen.

6.

Wunsch und Hoffnung. (Von L. Reinhardt.)

M. der Lerche möcht' ich schweben nach des Himmels stillem Blau z wie die Blumen möcht' ich leben

Tag Und Nacht auf grüner Au;

wie die Fische möcht' ich schwimmen in dem klaren Ozean; wie die Gemsen möcht' ich klimmen — alle Berge himmelan!

6 Mit mancher lustiglichcn Saat das Feld ist worden schwsuger, —

mit rechter Frucht manch liebe Züchte die nur der Mai kann bringen, mit lichten Blumen wonnebar. Die- Sonne klar

giebt lichten Schein; die Vögelein schön in dem Walde singen.

6.

Wunsch und Hoffnung. (Von L. Reinhardt.)

M. der Lerche möcht' ich schweben nach des Himmels stillem Blau z wie die Blumen möcht' ich leben

Tag Und Nacht auf grüner Au;

wie die Fische möcht' ich schwimmen in dem klaren Ozean; wie die Gemsen möcht' ich klimmen — alle Berge himmelan!

7 Wie die Lerche werd' ich schweben nach des Äthers stillem Blau; ewig, ewig werd' ich leben

wieder jung — auf junger Au'! Frei und selig werd' ich schwimmen

in des Himmels Ozean, —

und ersteigen und erklimmen der Vollendung hohe Bahn.

7-

Ablösung. (Aus dem Wunderhorn.)

Kuckuck hat sich zu todt gefallen

an einer hohlen Weiden: wer soll uns diesen Sommer lang die Zeit und Wei! vertreiben? — Ei, das sott thun Frau Nachtigall,

die sitzt auf grünen Zweigen;

sie singt und springt, ist allzeit froh, wenn andre Vogel schweigen.

7 Wie die Lerche werd' ich schweben nach des Äthers stillem Blau; ewig, ewig werd' ich leben

wieder jung — auf junger Au'! Frei und selig werd' ich schwimmen

in des Himmels Ozean, —

und ersteigen und erklimmen der Vollendung hohe Bahn.

7-

Ablösung. (Aus dem Wunderhorn.)

Kuckuck hat sich zu todt gefallen

an einer hohlen Weiden: wer soll uns diesen Sommer lang die Zeit und Wei! vertreiben? — Ei, das sott thun Frau Nachtigall,

die sitzt auf grünen Zweigen;

sie singt und springt, ist allzeit froh, wenn andre Vogel schweigen.

8 8.

I m

Freien.

(Von Salis.)

bei grünenden Maien, im Walde wie schön! Wie süß, sich zu-sonnen, den Städten entronnen. auf lustigen Höhn!

9. W a l d l u st. (Don Uvland.)

Jvetn’ bess're Lust in dieser Zeit, als durch den Wald zu dringen, wo Drossel singt und Habicht schreit, wo Hirsch' und Rehe springen!

8 8.

I m

Freien.

(Von Salis.)

bei grünenden Maien, im Walde wie schön! Wie süß, sich zu-sonnen, den Städten entronnen. auf lustigen Höhn!

9. W a l d l u st. (Don Uvland.)

Jvetn’ bess're Lust in dieser Zeit, als durch den Wald zu dringen, wo Drossel singt und Habicht schreit, wo Hirsch' und Rehe springen!

-

9

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io. Im Walde. (Don St. Schütze.)

.^)ie Nähe grünt/ die Ferne rauscht,

das Bächlein,

halb verborgen,

lauscht,

der Vogel hüpft so leicht und froh,

die Sonne scheint, ich weiß nicht, wo; ein Geist durchschauert jeden Strauchs

die Lust ist wie ein Blümenhaüch z

das schöne Wild dort im Gebüsch — der ganze Wald wie zauberisch!

Wo weil ich? wand'l ich weiter fort? Mich lpckt, mich ladet jeder Ort;

*

ein Rauschen, Schweben, -Duft und Schalls ein Flieh'n und Kommen überall — wo still' ich mein Verlangen?

Es

ruft mich her,

es winkt mich hin,

und wunderselig ist mein Sinn, mein ganzes Sein umfangen!

10

11.

Morgenandacht im Garten. (Von B. H. Brockes, geb. 168O.)

Ermuntre dich, mein Herze!

die schreckenreiche Schwärze der kalten Schatten weicht. Die Licht- und Lebensquelle macht Alles wieder helle: die Sonne scheint, die Nacht verstreicht. Es.schmückt der Berge Gipfel, es färbt der Bäume Wipfel ihr güldner Rosenstrahl. Das Wasser scheint ein Spiegel; es funkeln Feld und Hügel; es glänzt das frischbethaute Thal. Durch Sterne dieser Erden, durch bunte Blumen werden mit doppelm Glanz bestrahlt der Gärten Lustgefilde,

11 worin sich, als trii Bilde, ein neuverlornes Eden malt.

Da alles, was man siehet, in Licht und Warme glichet,

da Welt und Himmel lacht: so treibt auch ihr, ihr Sinnen!

von Andacht heiß, von hinnen des kalten Undanks schwarze Nacht.

Besinget und erhebet

den Gott, durch den ihr lebet, der solche Wunder thut, durch dessen starke Triebe der väterlichen Liebe

ihr diese Nacht sowohl geruht. Da ihr, im Traum vertiefet,

unachtsam lagt und schliefet, den wahren Todten gleich,,

ja da die düstern Schatten

euch schon begraben hatten: wer sorgt' und wachte da für euch?

12 Wer war doch eurer Güter und eurer Häuser Hüter, daß euch jetzt nichts gebricht? Gott selbst aus lauter Gnaden behütet euch vor Schaden; der Hüter schläft und schlummert' nicht. Drum auf, vergnügte Seele! betrachte, preis, erzähle des Schöpfers Sieb’ und Huld; besinge Seine Werke, Allgegenwart ^rnd Stärke, rühm' Seine Weisheit und Geduld. Herr, laß mich durch die Sinnen dein Loblied stets beginnen! Gieb, daß ich diesen Tag im Garten dir zur Ehre Geruch, Geschmack, Gehöre, Gesicht und Hände brauchen mag.

Wenn an des Frühlings Schätzen die Sinne sich ergötzen.

15 so lenke meinen Sinn —

die wunderschöne Blüthe —

nach dir, du ew'ge Güte,

du Brunqnell aller Schönheit, hin! Mich reiz', in tausend Freuden

auch meinen Geist zu kleiden, der bunten Gärten Kleid; der Frühlingsblumen Prangen vermehre mein Verlangen nach jener sel'gen Herrlichkeit!

12. M o r st e n l i e d. (Von Schiller.)

die Lerche schlagt, der Tag erwacht, die Sonne kommt mit Prangen am Himmel aufgegangen. Sie scheint tu Königs Prunkgemach,

15 so lenke meinen Sinn —

die wunderschöne Blüthe —

nach dir, du ew'ge Güte,

du Brunqnell aller Schönheit, hin! Mich reiz', in tausend Freuden

auch meinen Geist zu kleiden, der bunten Gärten Kleid; der Frühlingsblumen Prangen vermehre mein Verlangen nach jener sel'gen Herrlichkeit!

12. M o r st e n l i e d. (Von Schiller.)

die Lerche schlagt, der Tag erwacht, die Sonne kommt mit Prangen am Himmel aufgegangen. Sie scheint tu Königs Prunkgemach,



KV



sie scheinet durch des Bettlers Dach, das macht sie kund und offenbar.

Lob sei dem HErrn und Dank gebracht/ der über diesem Haus gewacht,

und mit den Heilgen Schaaren unS gnädig wo Hf bewahren. Wohl mancher schloß die Augen schwer

und öffnet sie dem Licht nicht mehr: drum freue sich, wer neu belebt den frischen Blick zur Sonn' erhebt!

13.

Das Abend roth. (Von?)

X/H heilig, glühend Abendroth!

Der Himmel will in Glanz zerrinnen: — so scheiden Märtirer von hinnen,

holdlächelnd in dem Liebestvd.



KV



sie scheinet durch des Bettlers Dach, das macht sie kund und offenbar.

Lob sei dem HErrn und Dank gebracht/ der über diesem Haus gewacht,

und mit den Heilgen Schaaren unS gnädig wo Hf bewahren. Wohl mancher schloß die Augen schwer

und öffnet sie dem Licht nicht mehr: drum freue sich, wer neu belebt den frischen Blick zur Sonn' erhebt!

13.

Das Abend roth. (Von?)

X/H heilig, glühend Abendroth!

Der Himmel will in Glanz zerrinnen: — so scheiden Märtirer von hinnen,

holdlächelnd in dem Liebestvd.

15 Des Aufgangs Berge, still und grau, am Grab deS TagS die Hellen Gluten,

der Schwan auf purpurrothen Fluten, und jeder Halm im Silberihau!

O Sonne, Gvttesstrahl, du bist nie herrlicher, als im Entfliehen!

Du willst uns gern hinnberziehen,

wo deines Glanzes Urquell ist!

14Lied der Andacht. (Von E. M. Arndt.)

\yDtt! ein junges Kind bin ich: lehre mich einfältiglich, lieber Vater, vor dich treten,

lehre du mich selber beten,

daß mein Innres überfleußt von der Wahrheit und vom Geist.

15 Des Aufgangs Berge, still und grau, am Grab deS TagS die Hellen Gluten,

der Schwan auf purpurrothen Fluten, und jeder Halm im Silberihau!

O Sonne, Gvttesstrahl, du bist nie herrlicher, als im Entfliehen!

Du willst uns gern hinnberziehen,

wo deines Glanzes Urquell ist!

14Lied der Andacht. (Von E. M. Arndt.)

\yDtt! ein junges Kind bin ich: lehre mich einfältiglich, lieber Vater, vor dich treten,

lehre du mich selber beten,

daß mein Innres überfleußt von der Wahrheit und vom Geist.

16 Gieb mit ihn, den milden Geist,

den dein lieber Sohn verheißt,

der nicht kommt, um uns zu richten, der mit Glauben und Gesichten hoher Sehnsucht alles füllt, worinn nur dein Athem quillt. Alles Gute kommt von dir,

alles Schöne für und für.

Gieb mir auch,

daß ich's erkenne

und in deiner Liebe brenne, welche unergründlich tief

durch die Welten Gnade rief. Gottes Liebe, Gottes Wort!

du mein Schild und starker Hort! du mein Schmuck und mein Geschmeide! du mein Licht im trüben Leide, worin Süudenweh mich hält, Gottes Liebe, Heil der Welt!

Gottes Lieber Heil der Welt!

Licht, das alle Blindheit hellt! Liebe,

Semuttr, Hoffnung, Glaube,

17 kommt und hebt mich aus dem ©taube, aus der Eitelkeiten Nacht auf zur Hellen Sternenpracht?

Bringt mich zn der Engel Schaar

hin, wo meine Heimath war, daß ich auf den lichten Höhen ihn von Angesicht mag sehen,

ihn, den milden, guten Geist, der der Kinder Vater heißt!

Denn ein schwaches Kind bin ich,

darum. Starker, halte mich !

Tapfrer, wollest für mich streiten! Milder, wollst mich liebend leiten, bis ich selig für und für

wohne immerdar bei dir!

Altes g.eistl i'ch d 6 Jubellied. 2luf, wohlauf, mein Geist, und singe!

Musicire, jubilire

17 kommt und hebt mich aus dem ©taube, aus der Eitelkeiten Nacht auf zur Hellen Sternenpracht?

Bringt mich zn der Engel Schaar

hin, wo meine Heimath war, daß ich auf den lichten Höhen ihn von Angesicht mag sehen,

ihn, den milden, guten Geist, der der Kinder Vater heißt!

Denn ein schwaches Kind bin ich,

darum. Starker, halte mich !

Tapfrer, wollest für mich streiten! Milder, wollst mich liebend leiten, bis ich selig für und für

wohne immerdar bei dir!

Altes g.eistl i'ch d 6 Jubellied. 2luf, wohlauf, mein Geist, und singe!

Musicire, jubilire

18

alles, was in mir sich regt! Tanz', mein Herze, hüpf', und springe; und erklinge, meine Stimme! Alles werde aufgeweckt! Ach hätt' ich viel tausend Zungen! Alle sollten in die Wette preisen diesen Herrn der Welt: daß er würde recht besungen, hier in diesem hochgezierten, kunstbemalten Freudenzelt.

Aus, auf! helfe mir doch loben, was die ganze, weite, breite tiesgegründte Welt begreift: unsern König hoch dort oben, der uns so mit tausend Segen, bis hieher hat überhäuft!

Jauchzet, aller Himmel Himmel! Stimmet an ein Lobgetöne, und du, güldnes Sternenheer, mach' ein rechtes Lustgetümmel! Auch du, Erde, jubilire sammt dem wundervollen Meer!



19



Alleö, was im Wasser schwimmet; aU’ ihr Brünnlein, Fluß - und Strömlcin, machet einen süßen, Ton!

Alles/ was im Feuer glimmet, lass' aufsteigen süße Stimmlein

zu dem großen Königsthron! Und ihr, sanfte linde Winde,

frische Lüftlein, kommt mit frohem Sauß- und Braußen auch herbei!

Blaset jetzo fein geschwinde durch dieß schöngeziert Gefilde, auf daß alles wacker sei!

O ihr Blumen in dem Garten meines Königs, der euch schmücket

und mit Purpur kleidet an! Eure tausend tausend Arten laßt zu Seinem Lobe blühen

auf dem bunten Liebesplan! Ei, daß alles Gras d?r Erden, alle Kräuter und Gewächse,

Strauch' und Stauden, groß und klein, möchten lauter Zungen werden.

20

die erbebten , rühmten, lobten unsern König insgemein! Hüpfet auf, ihr grünen Felder, Berg' und Thäler, hohe Hügel! hüpfet all' mit Jauchzen her! Tönt zusammen, o ihr Wälder! Auch ihr, hocherhabne Bäume, gebt dem König Preiß und Ehr'! Und ihr schön Hewachs'uen Steine, künstlich aufgebaute Felsen, gebet lauten Widerhall! Wenn da loben Groß und Kleine unsern König, laßt erhällen eure Stimm' zum Jubelschall!

Freudiglich steig' auf im Trillen, o mein Lerchlein, immer höher, bis du kommst zum Sternenfeld! Nachtigall, du sollst erfüllen alle mit den lauten Schlägen, was mein Lustkreis in sich halt !

21

Alles, was da lebt und schwebet, soll mit schönsten Weisen preisen unsern großen Zebaoth! Ihr Geschöpfe, gebet, gebet Hallelujah, Preiß und Ehre unserm hochgelobten Gott! Doch sollt Ihr den Reigen fuhren, o ihr Kinder unsrer Liebe! Auf! ergreift das Saitenspiel! Laßt uns jetzo jubiliren, triumphiren und frohlocken! Auf! wir machen s nicht zu viel. Lasset uns im Lob zerstießen, und erheben über alles unsern König, unsern HErrn! Alles wird bald zeugen müssen von den großen Herrlichkeiten: Seine Zukunft ist nicht fern.

Darum geht Ihm jetzt entgegen mit geschmückten hellen Lampen! Hebt die Häupter hoch empor!

22 Er wird bald zu Boden legen

alle Feinde, die uns drängen, wenn er bricht mit Macht hervor.

Lobet alle; auch ihr Flammen,

reine Geister, helfet loben;

werdet nie des Lobens satt! Kommt mit Schaaren jetzt zusammen, hebet selber unsre Stimmen, wenn das Herz will werden matt.

Ich ruf’ alle hohen Thronen, jetzt herunter zu uns Schwachen,

und die starken Seraphim, die schon in der Glorie wohnen,

daß sie fuhren unsre Geister, als die Wagen Cherubim!

Lehret uns mit andern Zungen

euer Heilig, Heilig, Heilig

rufen in der Gloria! Denn so wird erst recht besungen,

unser König, unser Herrscher, wenn erschallet:

Gloria!

23 Aber doch kann nichts erreichen, großer König, deine Größe! Aller Thronen Preiß und Ehr' muß, o Majestät, dir weichen.' Nichts kann gleichen Deiner Hoheit, wenn's gleich sonst das Höchste wär'. Darum faß nur selbst zusammen alle Chöre deiner Geister, o du starker Jehovah! und mach herrlich deinen Namen durch dlch selbsten in demselben! Hallelujah! Gloria!

16Herbstes Trauern. (Nach dem Minnesänger Konrad von Würzburg.)

öd) cutt, wie sich entfärben schon die Haiden! Lichte Blumen, blühnde Moose haben Schmuck und Schein verloren.

23 Aber doch kann nichts erreichen, großer König, deine Größe! Aller Thronen Preiß und Ehr' muß, o Majestät, dir weichen.' Nichts kann gleichen Deiner Hoheit, wenn's gleich sonst das Höchste wär'. Darum faß nur selbst zusammen alle Chöre deiner Geister, o du starker Jehovah! und mach herrlich deinen Namen durch dlch selbsten in demselben! Hallelujah! Gloria!

16Herbstes Trauern. (Nach dem Minnesänger Konrad von Würzburg.)

öd) cutt, wie sich entfärben schon die Haiden! Lichte Blumen, blühnde Moose haben Schmuck und Schein verloren.

24

nut» in trüb Gewand will Wald sich kleiden! Nirgend blühet mehr die Nose, die jüngst zierte das Gefilde! Alle Blätter sind mm fahl! Und in^ Tönen seltsam wilde singt die liebe Nachtigall, die statt süßem Wonneschall sehnendes Trauern hat erkoren! 17»

Winter.

(Nach dem Kanzler, dem Minnesänger.) Scytntcr kalt! Deine Gewalt macht so trüb und ungestalt Anger, Auen, Haiden weit! Frostes Zwang machet bang, stört der Vöglein süßen Sang, thut der Nachtigall so leid!

Glanz und Farben sind verschwunden mit dem Maien, mit dem bunten:

24

nut» in trüb Gewand will Wald sich kleiden! Nirgend blühet mehr die Nose, die jüngst zierte das Gefilde! Alle Blätter sind mm fahl! Und in^ Tönen seltsam wilde singt die liebe Nachtigall, die statt süßem Wonneschall sehnendes Trauern hat erkoren! 17»

Winter.

(Nach dem Kanzler, dem Minnesänger.) Scytntcr kalt! Deine Gewalt macht so trüb und ungestalt Anger, Auen, Haiden weit! Frostes Zwang machet bang, stört der Vöglein süßen Sang, thut der Nachtigall so leid!

Glanz und Farben sind verschwunden mit dem Maien, mit dem bunten:

25 Wies' und Au' hat weggethan ihre schöne Blumenblut, kleidet sich nun traurig an,

deß das Herz wird ungemuth.

18. Die

Brücke.

(Von V.)

Bogen, und ohne Joch, von Diamant,

die über breiter Ströme Wogen

errichtet eines Greises Hand? Er baut sie auf in wenig Tagen, geräuschlos, du bemerkst es kaum, doch kann sie schwere Lasten tragen,

und hat für hundert Wagen Raum; doch kaum entfernt der Greis sich wieder,

so hüpft ein Knabe froh daher,

der reißt die Brücke eilig nieder,

du siehst auch ihre Spur nicht mehr.

25 Wies' und Au' hat weggethan ihre schöne Blumenblut, kleidet sich nun traurig an,

deß das Herz wird ungemuth.

18. Die

Brücke.

(Von V.)

Bogen, und ohne Joch, von Diamant,

die über breiter Ströme Wogen

errichtet eines Greises Hand? Er baut sie auf in wenig Tagen, geräuschlos, du bemerkst es kaum, doch kann sie schwere Lasten tragen,

und hat für hundert Wagen Raum; doch kaum entfernt der Greis sich wieder,

so hüpft ein Knabe froh daher,

der reißt die Brücke eilig nieder,

du siehst auch ihre Spur nicht mehr.

16 19Christ krippe. (Don Friedrich Rückert.)

JVtnb in der Krippe lächelnd im Schlaf z

schweigender Lippe

staunet das Schaf; Lämmer mit Grüßen

flehn zu den Füßen, sehen den Stern,

kennen den HErrn.

Draußen die Hüter, schlummerbedeckt,

bis die Gemüther Engelruf weckt: Wachet, ihr Schläfer! Kommet, ihr Schäfer,

sehet den Stern,

eueren HErrn!



27



Greise und Knaben, Kinder und Frauen kommen mit Gaben, stehen und schau'nz Lilienstengel neigen die Engel über den Stern, über den HErrn.

Könige, Weise, haben Bericht treten die Reise an zu dem Licht, Geld auf Geschirren bringend und Myrrhen, Huld'gung dem Stern, Opfer dem HErrn. König Herodes hört es sogleich, Botschaft des Todes schickt er durch's Reich. Kinderlein sterben; doch nicht verderben B 2

28 kann er den Stern,

todten den HErrn. Kindelein huldig!

komm' uns zu gut euer unschuldig fließendes Blut!

Ihr seid ein Orden

Engel geworden, Strahlen dem Stern,

Diener dem HErrn.

Erste,

zu kleinsten

Zeugen erwählt! Größere Streiter

folgen dann weiter,

auch für den Stern kämpfend,

den HErrn.

Er hat verkündet, ewig allein

sollen verbündet Kinder ihm seyn.

Laßt uns nicht werden

2Y Kinder der Erden, sondern, o Stern!

Kinder des HErrn!

20. Der Krieg

mit

dem

Winter.

(Von HanS Sachs.) Einsmals am Sanct Matthäus-Tag

erhört' ich eine große Klag' vom armen Haufen,

der sich beklaget.

wie ihm ein Feind wär' angesaget

und dazu auch dem ganzen Land: der Feind der Winter war genannt; der zog daher von Mitternacht mit großer Heereskraft und Macht.

Seinen Vcwtrab schickt er unterwegen, war Nebel,

Wind und kalter Regen.

Gar bald verbirgt man in die Gruben Kraut, Wurzel, gelb'und weiße Ruben; die Reben sie mit Erdreich bedeckten.

2Y Kinder der Erden, sondern, o Stern!

Kinder des HErrn!

20. Der Krieg

mit

dem

Winter.

(Von HanS Sachs.) Einsmals am Sanct Matthäus-Tag

erhört' ich eine große Klag' vom armen Haufen,

der sich beklaget.

wie ihm ein Feind wär' angesaget

und dazu auch dem ganzen Land: der Feind der Winter war genannt; der zog daher von Mitternacht mit großer Heereskraft und Macht.

Seinen Vcwtrab schickt er unterwegen, war Nebel,

Wind und kalter Regen.

Gar bald verbirgt man in die Gruben Kraut, Wurzel, gelb'und weiße Ruben; die Reben sie mit Erdreich bedeckten.

50 Frösch', Schnecken und Mücken sich versteckten,

Kröten und Ottern sich Verschlüssen, — der Winter that recht bafe anpuffen; Störch' und Raben alle hinflogen,

die Kranich' aus dem Land auch zogen.

Der Winter kam mit kaltem Reifen: das Volk wollt' zu der Rüstung greifen, und ließ Fenster und Öfen flicken,

die Stube verstreichen und verzwicken, die Stubthür sie mit Filz beschlugen, die Deckbetten sie herfürder zogen,

mit Stroh die Löcher sie verschuben. Auch verbot man Gesellen und Buben,

keiner sollt' mehr in der Pegnitz baden,

die Fischer durften bei Ungnaden

auch nimmer auf der Pegnitz stechen, das Krebsen thut man auch absprechen, der Lustgarten war der Stadt versaget,

Holzschuh und Kühlkessel man verjaget, die zwillichen Hosen all' entloffen, kein leinen Küttel würd' angetroffen,

die Strohhüt wurden aW* verworfen. Die Bauern aber von den Dorfen

51

die führten alle Brennholz zu, die Köhler hatten wenig Ruh und brachten große Wägen voll Kohlen; der Winter zog gar unverholen indeß daher mit kalt schneidender Lust. Wald und Hecken waren all' bedust. Worin' und Freuds eines Nachts gar erfror* Mit Schreien fuhr das Volk empor und bracht das Vieh in die Ställ^z und alles rings fich wappnet schnell mit Pelz, rauh Mützen und Filzsocken, Pantoffel, Handschuh; unerschrocken auszog das Volk mit großem Heer dem kalten. Winter zur Gegenwehr; Zähnklappern, Zittern war ihr Loos, husch 1 husch! war ihr Geschrei groß, ihre Hoffsarb' war aller Maßen blaue Mäuler und rothe Nasen.

Der Winter warf einen großen Schneeüb erfror Wiesen, Bach' und See, die Fisch ihnen zu ersticken leis. Das Volk haut Löcher in das Eis

32 da macht der Winter Waffergüß' und überfriert ihnen die Fluß', thut ihnen die Schiffahrt gar verbieten.

Da fuhr darnach das Volk auf Schlitten,

beide, zu Wasser und zu Land. Der Winter sich auch unterwand, mit Frost das Mühlwerk ihnen zu stellen, da thäten ihn die Müller grellen

mit heißem Wasser, Hacken und Schlägeln,

thäten mit Gewalt ihn von sich siegeln. Darauf er ihnen den Tag abbrach,

daß man kaum acht Stund lang gesach;

daß Volk zündet an Gollicht und Schleißen, den finstern Winter wegzugleißenz

und, daß sie alle nicht erfrieren,

das Einheitzen und das Feuerschüren

und die Kohlhaufen mußten alle dran. Es wehret sich tapfer jedermann, mancher seinen Pelz besengt und verbrennt;

ein Theil erfriert sich Füß' und Händ'. Der Winter thät ihnen großen Drang; als aber die Schlacht währet gar so lang.

33 da nahm das frostige Heer die Flucht,

jeder eine warme Stube sucht, verkrochen sich hinter den Ofen;

doch Viel' auch hinaus auf die Peiut loffelk> davon jedem ist zur Beute wor'en

eine geschwollne Nase, zwei rothe Ohren.

Als nun der Winter sie überwand, ihnen eingenommen hat das Land,

gewaltiglich in allen Gränzen, da schrie das Volk um Hüls zum Lenzen-, daß er käm' gar in kurzen Tagen

und ihnen den Winter hüls' verjagen. Der Lenz thät sich gewaltig nähen, liest seine warmen Lüftlein wehen,

davon der Winter ward gar matt, mit Schnee und Frost gar bald abtrat.

Die Wärme kam aus der Erd' gesprossen,

die Bäume gunnten knospen und schossen: da wurden frisch die grünen Wieslein

init aufdringenden grünen Gräslein. Noch wollt' der Winter nicht ganz fliehen.

54

that das Land mit Frost überziehen, unb that's noch einmal überschneicn. Der Lenz nahm da zu Hüls' den Maien mit seinen linden, warmen Lüsten,, bis sich Wald, Berg und Thal erklüsten und den Winter von sich schütten-, daß die Bäum' und Heck'n grünten und blühten, voll Blümlein wurden alle Wiesen, der Maienregen sieng an zu gießen, es würd' alles grün von Gras und Laub. Deß' würd' der Winter gar matt und taub und nahm überwunden die Flucht und sich ein ander Lager sucht. Mit Ungewitter und kalten Reifen wollt' er noch des Maien Blut angreifen, und mit warmen Strahlen schien die Sonn' erquicket alles mit Sommerwonn'. Da erst ward der Winter ganz verjagt, der Vieh und Leut' lang hat geplagt, und drohet doch mit großem Brummen, er wollt übers Jahr wieder kommen. Deßhalb so trachtet alle für, weil der Sommer ist vor der Thür,

35 und sammlet alle Nothdurst etn, wenn der Winter dringt wieder herein, daß ihr euch sein besser könnt wehren, — wie uns die weise Ameist kann lehren, die sammlet den ganzen Sommer hinab-» daß sie zu zehren den Wirrter hab' und sich erwehr' alles Ungemachs; so spricht zu Nürenberg Hans Sachs.

21.

Die zwölf Brüder. (Gebr. Grimm.)

war einmal ein König und eine Königin, die leb­ ten in Frieden mit einander und hatten zwölf Kinder, das waren aber lauter Buben. Nun sprach der König zu seiner Frau : „Wenn das dreizehnte Kind, das du zur Welt bringst, ein Mädchen ist, so sollen die zwölf Buben sterben, damit sein Reichthum groß wird und es das Königreich allein er* hälN" Er ließ auch zwölf Särge machen, die waren schon

35 und sammlet alle Nothdurst etn, wenn der Winter dringt wieder herein, daß ihr euch sein besser könnt wehren, — wie uns die weise Ameist kann lehren, die sammlet den ganzen Sommer hinab-» daß sie zu zehren den Wirrter hab' und sich erwehr' alles Ungemachs; so spricht zu Nürenberg Hans Sachs.

21.

Die zwölf Brüder. (Gebr. Grimm.)

war einmal ein König und eine Königin, die leb­ ten in Frieden mit einander und hatten zwölf Kinder, das waren aber lauter Buben. Nun sprach der König zu seiner Frau : „Wenn das dreizehnte Kind, das du zur Welt bringst, ein Mädchen ist, so sollen die zwölf Buben sterben, damit sein Reichthum groß wird und es das Königreich allein er* hälN" Er ließ auch zwölf Särge machen, die waren schon

36 mit Hobelspänen gefüllt und in jedem lag daS Todtenkißchen und ließ sie in eine verschlossene Stube bringen, davon gab er der Königin den Schlüssel und sprach, sie sollte niemand davon etwas sagen.. Die Mutter aber saß nun den ganzen Tag und'trauerte, so daß der kleinste Sohn, der immer bei ihr war und den sie nach der Bibel Benjamin nannte, zu ihr sprach: „Liebe Mutter, warum bist du so traurig?" „Liebstes Kind, antwortete sie, ich darf dirs nicht sagen." Er ließ ihr aber keine Ruhe, bis sie gieng und die Stube aufschloß und ihm die zwölf Todtenladen, mit Hobelspänen schon gefüllt, zeigte und sprach: „Mein liebster Benjamin, die hat dein Vater für dich und deine elf Brüder machen lassen, denn wenn ich ein Mädchen zur Welt bringe A so sollt ihr allesammt getödtet und in den Särgen da begraben werben." Da sagte der Sohn: „Weine nicht, liebe Mutter, wir wollen uns helfen und wollen fortgefyen." Sie sprach: „Geh mit deinen elf Brüdern hinaus in den Wald, und einer setze sich immer auf den höchsten Baum, der zu fin­ den ist und halte Wacht und schaue nach dem Thurm hier im Schloß. Gebähr ich ein Söhnlein, so will ich eine weiße Fahne aufstecken und dann dürft ihr wieder kommen; gebähr ich ein Töchterlein, so will ich eine rothe Fahne auf-

37 stecken, und dann flieht fort und der liebe Gott behüt’ euch. Alle. Nacht will ich anfstehen und für euch beten: Lm Win­ ter, daß ihr an einem Feuer euch wärmen könnt, im Som­ mer, daß ihr nicht in der Hitze schmachtet." Nachdem sie also ihre Söhne gesegnet hatte, giengen sie hinaus in den Wald. Einer hielt um den andern Wacht, fast auf der höchsten Eiche und schauete nach dem Thurm. Als elf Tage herum waren und die Reihe an Benjamin kam, da sah er wie . eine Fahne aufgesteckt wurde, es war aber nicht die weiße, sondern die rothe Blutfahne, die verkündigte, daß sie, alle sterben sollten. Wie die Brüder das nun hörten, wurden sie zornig und sprachen: Sollten wir um eines Mädchens willen den Tod leiden; nun schwö­ ren wir, daß wo uns eins begegnet, wir uns rächen und sein rothe- Blut fließen lassen." Darauf giengen sie tiefer in den großen Wald hinein und mitten drein, wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines verwünschtes Häuschen, das leer stand. Da sprachen sie: Hier wollen wir wohnen, und du Benjamin, du bist der jüngste und schwächste, du sollst daheim bleiben und haushalten, wir wollen ausgehcn und Essen holen." Nun zogen sie in den Wald und schossen Hasen, wilde Rehe, Vögel und Tauberchen und was zu essen stand: das brach-

38

ten sie dem Benjamin, der mußt'S ihnen zurecht machen, damit sie ihren Hunger stillen konnten.

In dem Häuschen

lebten sie zehn Jahre zusammen und die Zeit ward ihnen nicht lang.

Das Töchterchen,

daS ihre Mutter Königin geboren­

war nun herangewachsen,

war gar schön und hatte einen

goldenen Stern auf der Stirne. sche war,

Einmal,

als große Wä­

sah es darunter zwölf Mannshemden und fragte

seine Mutter:

„Wem gehören diese zwölf Hemden? für den

Vater find fie doch viel zu klein?" Da antwortete sie mit schwerem Herzen: „Liebes Kind, die gehören deinen zwölf Brüdern."

Sprach das Fräulein:

„Wo find den meine

zwölf Brüder, von denen habe ich noch niemals gehört." Sie antwortete:

„Das weiß Gott,-wo fie find, sie irren

in der Welt herum!"

Da nahm sie

das Mädchen und

schloß ihm das Zimmer auf und zeigte ihm die zwölf Särge mit den Hobelspänen und den Todtenkißchen. sie, waren für sie bestimmt,

„Die, sprach

aber sie sind heimlich fortge­

gangen, eh du geboren warst" und erzählte ihm, wie sich alles

zugetragen

hatte.

Mutter, weine nicht, suchen."

Da sagte das Mädchen:

ich will gehen und

Liebe

meine Brüder

39 Nun nahm es die zwölf Hemden und gienq fort, und geradezu in den großen Wald hinein.

Es gicng den gan­

zen Tag, und am Abend kam es zu dem verwünschten Häus­

chen.

Da trat es hinein und fand einen jungen Knaben,

der fragte:

„Wo kommst du her und wo willst du hin?"

und erstaunte, daß sie so gar schön war, königliche Kleider trug und einen Stern auf der Stirne hatte.

Da antwortete sie: „Ich bin eine Königstochter und suche meine zwölf Brüder und will gehen, so weit der Himmel blau ist, bis ich sie finde."

Und zeigte ihm die zwölf Hemder, die ih­

nen gehörten.

Da sah Benjamin, daß es seine Schwester

war, und sprach: „ich bin Benjamin, dein jüngster Bru­ der!"

Und sie fieng an zu weinen vor Freude und Benja­

min auch, und sie küßten und herzten einander vor großer Liebe. Hernach sprach er: „Liebe Schwester, es ist noch ein Vorbehalt da: wir hatten beschlossen und verabredet,

daß ein jedes Mädchen, das uns begegnete, sterben sollte, weil wir um ein Mädchen unser Königreich verlassen muß-

Da sagte sie: „Ich will gern sterben, wenn ich da­ mit meine zwölf Brüder erlösen kann." „Nein, antwortete

tcn."

er, du sollst nicht sterben! Setz dich unter diese Bütte, bis

die elf Brüder kommen, dann will ich schon einig mit ihnen werden."

Also that sie; und wie es Nacht ward, kamen

40 die andern von der Jagd und die Mahlzeit war bereit.

Und als sie am Tisch saßen und aßen, fragten sie: „Was giebts Neues?" Sprach Benjamin: //Wißt ihr nichts?"

„Nein" antworteten sie.

Sprach er weiter:

„Ihr seid

im Wald gewesen und ich bin daheim geblieben und weiß doch mehr als ihr." ,, So erzähl' uns" riefen sie. Ant­

wortete er: „Versprecht ihr mir auch, daß das erste Mäd­ chen, das uns begegnet, nicht soll getödtet werden?" „Ja, riefen sie alle, das soll Gnade haben, Da sprach er:

erzähl' uns nur."

„Unsere Schwester ist ba" und hub die

Butte auf, und die Königstochter kam hervor in ihren kö­ niglichen Kleidern, mit dem goldenen Stern auf der Stirne,

und war so schön zart und fein.

Da freuten sie sich alle,

fielen ihr um den Hals und küßten sie und hatten sie von

Herzen lieb.

Nun blieb sie bei Benjamin zu Haus und half ihm in

der Arbeit.

Die elfe zogen in den Wald, suchten Wilder

(Gewild), Nehe, Hasen, Vögel und Täuberchen, damit sie zu essen hatten, und die Schwester und Benjamin sorg­

ten, daß es zubereitet wurde.

Sie suchte das Holz zum

Kochen und die Kräuter zum Gemüs,

und stellte zu am

Feuer, also daß die Mahlzeit immer fertig war, wenn die Elfe kamen. Sie hielt auch sonst Ordnung im Häuschen

41 und deckte die Bettlein hübsch weiß uni) rein und die Brü­

der waren immer zufrieden und lebten in großer Einigkeit mit ihr.

Auf eine Zeit hatten die beide daheim eine schöne Kost

beisammen waren,

Zurecht gemacht, und wie sie nun alle

setzten sie sich, aßen und tranken und waren voller Freude.

Cs war aber ein kleines Gärtchen an dem verwünschten Häuschen, darin standen zwölf Lilienblumen; nun wollte sie ihren Brüdern ein Vergnügen machen,

brach die zwölf Blu­

men ab und dachte jedem aufs Essen eine zu schenken.

Wie

sie aber die Blumen abgebrochen hatte, in^demselben Augen­

blick waren die zwölf Brüder in zwölf Raben verwandelt und flogen über den Wald hin fort, und das Haus mit dem Garten war auch

verschwunden^

Da war nun das arme

Mädchen allein in dem wilden Wald und wie es sich umsah,

so stand eine alte Frau neben ihm, die sprach:

mein Kind was hast du angefangen?

warum

zwölf weißen Blumen nicht stehen lassen,

„Ei!

et!

hast du die

daS waren deine

Brüder, die sind nun auf immer in Raben verwandelt." Das Mädchen sprach weinend:

„Ist denn kein Mittel, sie

zu erlösen? " „Atkin, sagte die Alte, es ist keins auf der

ganzen Wett^lals eins, das ist aber so schwer, daß du sie damit nicht befreien wirst,

denn

du mußt sieben Jahre

42

stumm seyn,

darfst nicht

sprechen und nicht lachen und

sprichst du ein einziges Wort, und es fehlt nur eine Stunde an den sieben Jahren, so ist alles umsonst und deine Brü­ der werden von dem Wort getödtetx" Da sprach das Mädchen in seinem Herzen- „ich will meine Brüder gewiß erlesen" und gieng und suchte einen hohen Baum, setzte sich darauf und spann und sprach nicht

und lachte nicht.

Nun trugs sich zu, daß ein König in dem

Wald sagte, der hatte einen großen Windel (Windhund), der lief zu deqi Baum, wo das Fräulein darauf saß, sprang herum, schrie und bellte hinauf.

Da kam der König herbei

und .sah die Königstochter mit

dem

der Stirne,

goldnen Stern auf

und war so entzückt über diese Erscheinung,

daß er hinauf rief, ob sie seine Gemahlin werden wollte. Sie gab keine Antwort, nickte aber ein wenig mit dem

Kopfz^ da stieg er selbst hinauf, trug, sie herab/ setzte sie auf sein Pferd/ und da ward die Hochzeit^ obgleich die Braut stumm war. und nicht lachte, mit großer Pracht und Freude gefeiert. Als sie ein. paar Jahre mit einander ver­ gnügt gelebt, stetig die Mutter des Königs, die eine böse

Frau war, an, die junge Königin zu verleumden und sprach zum König: „Es ist ein gemeines Bettelmadchen, das du

dir mitgebracht;

wer weiß,

was für BoseS sie heimlich

43

treibt. Wenn sie stumm ist und nicht sprechen kgnn, so könnte sie doch einmal lachen, aber wer nicht lacht, det^chat ein böses Gewissen." Der König wollte zuerst nicht daran^ glauben, aber sie trieb es so lang, bis er sich endlich über­ reden ließ und sie zum Tod verurtheilte. Nun ward im Hof ein großes Feuer angezündet, darin sie sollte verbrannt werden, und der König stand oben und sah's mit weinenden Augen an, weil er sie noch immer so lieb hatte. Und als sie schon an den Pfahl festgebnnven war und das Feuer schon nach ihren Kleidern- die Zungen streckte, da war eben der letzte Augenblick von den sieben Jahren verflossen und in der Luft ließ sich ein Geschwirr hören. Zwölf Raben kamen hergezogen und senkten sick­ nieder, und wie sie die Erde berührten, waren es ihre zwölf Brüder, die sie erlöst hatte. Sie rissen das Feuer aus­ einander, löschten die Flammen, machten ihre liebe Schwe­ ster frei und küßten uud herzten sie. Nun durfte sie ihren Mund aufthun und reden und erzählte dem König, wie es gekommen war, daß sie stumm gewesen und niemals gelacht hatte. Der freute sich, daß sie unschuldig war, und sie leb­ ten nun alle zusammen in Lust und Einigkeit bis an ihren Tod. Die böse Stiefmutter ward aber in ein Faß gesteckt, daS

44 mit siedendem Dl und giftigen Schlangen »»gefüllt war^ vnO starb eines bösen Todes.

22.

Meister Olaf(Von?)

dreister Oluf, der Schmied ans Helgolands stand noch vor dem Amboß um Mitternacht;

laut heulte der Wind am Meeresstrand, —

doch pocht es an seiner Thür mit Macht. „Heraus, heraus, beschlag mir mein Roß!

Ich mnß noch weit, und der Tag ist nab!" Meister Oluf öffnet der Thüre Schloß:

ein stattlicher Reiter steht vor ihm da. Schwarz ist sein Panzer, sein Helm und Schild, an der Hüfte hängt ihm ein breiteZ Schwerts

sein Rappe schüttelt die Mahne gar wild

und stampfet mit Ungeduld die Erd'.

44 mit siedendem Dl und giftigen Schlangen »»gefüllt war^ vnO starb eines bösen Todes.

22.

Meister Olaf(Von?)

dreister Oluf, der Schmied ans Helgolands stand noch vor dem Amboß um Mitternacht;

laut heulte der Wind am Meeresstrand, —

doch pocht es an seiner Thür mit Macht. „Heraus, heraus, beschlag mir mein Roß!

Ich mnß noch weit, und der Tag ist nab!" Meister Oluf öffnet der Thüre Schloß:

ein stattlicher Reiter steht vor ihm da. Schwarz ist sein Panzer, sein Helm und Schild, an der Hüfte hängt ihm ein breiteZ Schwerts

sein Rappe schüttelt die Mahne gar wild

und stampfet mit Ungeduld die Erd'.

45 Woher so spät?

wohin so schnell?

„Auf Nordar febrf ich gestern ein;

mein Pferd ist rasch, die Nacht ist hell,

vor der Sonn' muß ich in Norwegen sein." Hättet ihr Flügel, so glaubt' Lch's gern! „Mein Rappe läuft wohl mit dem Wind!

Doch bleich't schon da und dort ein Stern: drum her mit dem Eisen und mach geschwind!"

Meister Oluf nimmt, das Eisen zur Hand ;

es ist zu klein, doch dehnt es sich aus, und wie es wächst um des Hufes Rand,

da fassen den Meister Angst und Graus.

Der Reiter sitzt auf, es klirrt sein Schwert. Run Meister Oluf, gute Nacht!

Wohl hast du beschlagen Odins Pferd, ich eile hinüber zur blutigen Schlacht."

Der Rappe schießt fort über Land und Meer; um Odins Haupt erglänzet ein Licht;

zwölf Adler fliegen hinter ihm. her,

sie fliegen schnell und erreichen ihn nicht.

46 25.

Die Sagen von den Drachen. (Gebr. Grimm.) Die Sagen von riesenhaften Würmerst> Drachen ge­

nannt, finden sich in allen Ländern vor; besonders bewahrt

das Alpe-^olk in der Schweiz viele.

Da hausten sie vor

uralter Zeit auf dem Gebirge und kamen oftmals verheerend in die Thäler herab. —

Noch jetzt, wenn ein ungestü­

mer Waldstrom über die Berge stürzt, Bäume und Felsen

mit sich reißt, pflegt es in einem tiefsinnigen Sprichwort zu sagen: „es ist ein Drach ausgefahren." Fol­ gende Geschichte ist eine der merkwürdigsten: Ein Binder aus Luzern gieng aus, Daubenholz für seine

Fässer zu suchen.

Er verirrte sich in eine wüste, einsame

Gegend, die Nacht brach ein und er fiel plötzlich in eine tiefe Grube, die jedoch unten schlammig war, wie in einen Brunnen hinab.

Zu beiden Seiten auf dem Boden waren

Eingänge in große Höhlen; als er diese genauer untersu­

chen wollte, stießen ihm zu seinem großen Schrecken zwei scheußliche Drachen

auf.

Der Mann betete eifrig,

Drachen umschlangen seinen Leib verschiedenemal,

die

aber sie

47 thaten ihm kein Leid.

Ein Tag verstrich und mehrere,

er

mußte vom 6* November bis zum 10- April in Gesellschaft der Drachen harren.

Er nährte sich, gleich ihnen, von ei­

ner salzichten Feuchtigkeit, die aus den Felsenwänden schwitzte. AlS nun die Drachen witterten, daß die Winterzeit vor­

über war, beschlossen sie auszufliegen.

Der eine that es

mit großem Rauschen, und während der andere sich gleich­

falls dazu bereitete,

ergriff

der

unglückselige Faßbinder

des Drachen Schwanz, hielt fest daran und kam aus dem

Brunnen mit heraus.

Oben ließ er los, wurde frei und

begab sich wieder in die Stadt. ganze Begebenheit auf

Zum Andenken ließ er die

einen Priesterschmuck sticken,

der

noch jetzt in des heil. Leodegars Kirche zu Luzern zu sehen

ist.

Nach den Kirchenbüchern hat sich die Geschichte im

Jahr 1420 zugetragen. Bei Burgdorf im Bernischen liegt eine Höhle, genannt das Drachenloch, worin man vor alten Zeiten bei Erbauung

der Burg zwei ungeheure Drachen gefunden haben soll. Die Sage berichtet: Als im Jahr 712 zwei Gebrüder Sintram und Bertram (nach andern Guntram und Waltram

genannt), Herzöge von Lensburg- ausgiengen^zu jagen, stie­

ßen sie in wilder und wüster Waldung auf einen hohlen Berg. In der Höhlung lag ein ungeheurer Drache, der

48 das Land weit umher verödete.

Als er die Menschen ge­

wahrte, -fuhr er in Sprüngen auf sie los und im Augen­

blick verschlang er Bertram, den jüngeren Bruder, dig.

leben­

Sintram aber setzte sich kühn zur Wehre und bezwang

nach heißem Kampf das wilde Gethier, in /dessen gespalte­ nem Leib sein Bruder noch

ganz lebendig lag.

Zum An­

denken ließen die Fürsten am Orte selbst eine Kapelle, der heil. Margaretha gewidmet, bauen und die Geschichte abma­

len, wo sie annoch zu sehen ist.

24.

Der Knabe Siegfried.

Schmied der gieng zum Wald hinein, da kam ihm entgegen ein Knäbelein.

Was willst du,

Knab'? sprach Mimer, der Schmied.

„Ein Schmied will ich werden:

o nimm mich mit!/'

Der Knabe, der sah so keck vor sich hin — Siegfried war's,

Herrn Siegmunds Kind.

48 das Land weit umher verödete.

Als er die Menschen ge­

wahrte, -fuhr er in Sprüngen auf sie los und im Augen­

blick verschlang er Bertram, den jüngeren Bruder, dig.

leben­

Sintram aber setzte sich kühn zur Wehre und bezwang

nach heißem Kampf das wilde Gethier, in /dessen gespalte­ nem Leib sein Bruder noch

ganz lebendig lag.

Zum An­

denken ließen die Fürsten am Orte selbst eine Kapelle, der heil. Margaretha gewidmet, bauen und die Geschichte abma­

len, wo sie annoch zu sehen ist.

24.

Der Knabe Siegfried.

Schmied der gieng zum Wald hinein, da kam ihm entgegen ein Knäbelein.

Was willst du,

Knab'? sprach Mimer, der Schmied.

„Ein Schmied will ich werden:

o nimm mich mit!/'

Der Knabe, der sah so keck vor sich hin — Siegfried war's,

Herrn Siegmunds Kind.

Und aus dem Walde giengen sie heim.

Zwölf Winter mochten beisammen sie sein.

Und eines Tag's sprach Mimer zum Knab': „Komm, steig mit mir in die Schmiede hinab.

Zeig, Siegfried, ob du Kräfte hast:

erheb mir des Hammers gewaltige £a(Lz/ „Ich schlag dir das glühende Eisen zu Brei!"

rief Siegfried und klobte den Ambos inzwei. Da schaute der Meister erschrocken drein: „Was Wunder! soll'S mit dem Knaben seyn?" Er ruft die Gesellen — die stürmen ins Haus-

der Knab' aber schlug sie zur Schmiede hinaus.

25-

Der hörnene Siegfried. (Von Herman.)

// Siegfried!

geh mir in den Wald,

sieh! ich brauche Kohlen,

C

Und aus dem Walde giengen sie heim.

Zwölf Winter mochten beisammen sie sein.

Und eines Tag's sprach Mimer zum Knab': „Komm, steig mit mir in die Schmiede hinab.

Zeig, Siegfried, ob du Kräfte hast:

erheb mir des Hammers gewaltige £a(Lz/ „Ich schlag dir das glühende Eisen zu Brei!"

rief Siegfried und klobte den Ambos inzwei. Da schaute der Meister erschrocken drein: „Was Wunder! soll'S mit dem Knaben seyn?" Er ruft die Gesellen — die stürmen ins Haus-

der Knab' aber schlug sie zur Schmiede hinaus.

25-

Der hörnene Siegfried. (Von Herman.)

// Siegfried!

geh mir in den Wald,

sieh! ich brauche Kohlen,

C

50 die sollst du nur alsobald

aus dem Walde holen. “ Mimer sprach's und dachte sich

in dem falschen Herren, daß der Knabe sollte wohl, finden Todesschmerzen. Gleich flog Siegelindens Kind fort, schnell als ein Geier,

fällte Bäum' und stellte Holz schichtend aus zum Feuer. „Käm' mir nur ein Recke her,

sollt' mich streitbar finden\" Und kaum hat er's ausgered't, naht ein Drach von hinten.

Straks riß er den größten Stamm von dem Feuerheerde,

schlug den Orach mit Riesenkraft blutig hin zur Erde. Drauf thät er mit Drachenblut

sich die Haut bestreichen,

51

Horn ward sie, die Schulter nur' konnt' er nicht erreichen. Rache schwur der Knab dem Schmied, riß das Haupt voll Grausen von dem Rumpf des Ungethüms, nahm es mit nach Hause. „Weh' da kommt der Riesenknab' mit dem Drachenhaupte! Ha, daß ihm der wilde Drach nicht das Leben raubte!" ,,,, Ha! wohlan! du falscher Mann! wollst in Tod mich jagen! Sollst mir büssen dein Gelüst: will auch dich erschlagen!"" „Schone meiner! Schenke dir schönste aller Waffen; alles kannst du, Kind, mit ihr hin zum Tode raffen!" „„Gieb nur her dein selten Schwert, will es gleich erproben!/z " Siegfried schlug ihm's Haupt zur Erd'; — mußt' die Waffen loben. C 2

26. Siegfried nach der Witkina» und Niflunga-Saga, von Fr. v. d. Hagen. 1.

Von Siegfried, dem Knaben. (^?iegfrieds Mutter, die bei ihrem Gatten, dem

König Siegmund von Jarlungerland, unschuldiger Weise

26. Siegfried nach der Witkina» und Niflunga-Saga, von Fr. v. d. Hagen. 1.

Von Siegfried, dem Knaben. (^?iegfrieds Mutter, die bei ihrem Gatten, dem

König Siegmund von Jarlungerland, unschuldiger Weise

in den Verdacht der Untreue gekommen war, sollte irr

den Schwarzwald geführt, der Zunge beraubt und im Elende gelassen werden.

Unglückliche dahin.

Zwei Manner geleiteten die

Der eine davon, Graf Herrmann,

wollte sie aus Mitleid retten und gerieth mit dem andern/ Grafen Hartwin, in Streit und Zweikampf.

Während desselben gebahr die Königin einen wunder­

schönen Knaben, und that denselben in ein gläsernes Gefäß, darin sie ihren Meth gehabt hatte, verschloß es sorgfältig und legte es neben sich.

Hartwin fiel

im Kampfe und stieß fallend mit dem Fuße nach dem

Glase, so daß es hinab in den Strom stürzte.) Das Glas mit dem Kinde trieb auf dem Strome in die

Sce^ Das war nicht allzulange: es war gerade um die Ebbe. Das Gefäß trieb an eine Fclsbank und blieb, da die See gerade fiel, ganz auf dem Trockenen liegen.

Un­

terdessen war der Knabe in dem Gefäße ziemlich gewachsen,

und als das Glas an die Felsbank stieß, da brach es inzwei, und das Kind weinte.

Da kam aber eine Hündin,

nahm das Kind iii ihren Mund und trug es heim in ihr Lager, worin sie zwei Junge hatte, da legte sie den Kna­ ben nieder und ließ ihn an fich trinken: und so säugte sie

54 ihn,

wie ihre Zungen;

und er war da bei der Hündin

zwölf Monden. Da war er so stark und groß, wie andre Knaben, wenn sie vier Winter alt sind.

2Von Mimer und Reigin.

Ein Mann hieß Mimer, der war ein so berühmter und geschickter Schmied, daß beinahe nicht seines Gleichen war

in dieser Kunst. Er hatte manche Gesellen bei sich, die ihm dienten. Er hatte auch ein Weib, aber in den neun

Wintern, seitdem er sie genommen, hatten sie kein Kind erhalten können; und das härmte ihn sehr. Er hatre noch einen Bruder, der hieß Reigin; er war sehr stark, aber der böseste aller, Männer: und zur Strafe, daß er so große Hexenwerke und Zaubereien trieb, ward er in einen Lindwurm verwandelt; und so geschah es, daß er

der größte und böseste aller Wurme und der allerstärkste war, und er wollte jedermann tödten, und nur mit seinem Bruder war er gut. Es wußte auch niemand sein Lager, außer sein Bruder Mimer.

55 3-

Von Siegfrieds Aufnahme bei Mimer. Nun geschah es eines Tages, daß Mimer in den Wald fahren wollte, Kohlen zu brennen, und gedachte drei Tage

da zu bleiben.

Und als er in den Wald kam, da machte

er ein großes Feuer; und indem er so einsam bei dem Feuer stand , da kam zu ihm ein .schöner Knabe und rannte auf

ihn zu.

Er fragte ihn, was für ein Knabe er wäre; der

Knabe konnte aber nicht sprechen.

Dennoch nahm Mimer

ihn zu sich, setzte ihn auf sein Knie und legte ihm ein Klssid

über, dieweil er zuvor ohne Kleid war.

Indem kam auch

eine Hündin daher gerannt und gieng an Mimers Knie und leckte dem Knaben das Antlitz und das Haupt.

Und daraus

dänchte Mimern zu wissen, daß die Hündin den Knaben ge-

saugt haben müsse, und deshalb wollte er die Hündin nicht umbringen. Er nahm aber den Knaben und bewahrte .ihn, und trug ihn heim mit sich, und gedachte ihn als seinen Sohn aufzuziehen, und gab ihm einen Namen und nannte

ihn Siegfried. So wuchs der Knabe dort auf, bis daß er neun Win­ ter alt war, da war er schon so groß und stark, daß nie­

mand seines Gleichen sah: er war aber so wild und unbän-

56

dkg, daß er Mimers Gesellen schlug und sti-ß, so daß sie kaum bei ihm aushälten mochten.

3-

Von Siegfried und Eckhart. Einer der Gesellen hieß Eckhart und war der stärkste von den zwölf Gesellen.

geschah es

daß Siegfried zu der Schmiede kam/ dete:

eines Tages/

wo Eckhart schmie­

da schlug Eckhart mit seiner Zange ihm an^s Ohr;

Siegfried aber griff ihm mit der einen linken Hand so fest beim Haar, daß er sogleich zur Erden siel. Nun liefen alle Schmiedegefcllen herbei und wollten Eckharten helfen;

Siegfried aber fuhr schleunig gegen die Thür und hinaus vor die Thür/ und zog Eckharten an den Haaren hinter sich

her; und so fuhren sie dahin/ men.

bis daß sie vor Mimer ka­

Da sprach Mimer zu Siegfrieden:

//Übel thust du

daran/ daß du meine Gesellen schlagen willst, da. sie was Nützliches thun wollen: du aber thust nichts, denn eitel

Böses; doch bist du nun stark genug, und magst nicht min­

der arbeiten, als einer von ihnen; und ich will dir schon behülflich seyn, daß du Lust dazu kriegst, und wenn du nicht, anders willst, so will ich dich schlagen, so lauge, bis

57 du willig wirst, lieber zu arbeiten."

Und damit nahm er

ihn bet der Hand und führte ihn zu der Schmiede. Da setzte sich Mimer vor die Esse, nahm ein starkes Eisen und

hielt es in das geuer , und einen der schwersten Hammer gab er Siegfrieden in die Hand.

Als nun das Eisen war

glühend geworden, da brachte er es wieder aus dem Feuer

und auf den Amboße und hieß Siegfrieden nun drauf schla­ gen. Und Siegfried schlug auf den ersten Schwung so ge­ waltig, daß der Ambos zerklvb und ganz in den Klotz

versank; das Eisen aber zersprang umher, die Zange brach

inzwei, und der Schlägel flog weit von dem Schafte nie­

der. Da sprach Mimer: „Niemalen sah ich von jemanden einen fürchterlicheren noch ungefügeren Schlag, als diesen hier; uud was auch sonst aus dir werden mag, so taugst

du doch nicht zum Handwerk." die Stube und setzte

Nun gieng Siegfried in

sich nieder bei seinem Pflegevater,

und sagte niemanden, wie es ihm bedünke, gut efcer -tibeL

5-

Siegfried erschlagt Reigin. Nun gieng Mimer

daß

ihm

von

diesem

mit sich zu'Rathe und sah wohl,

Knaben

großes

Unheil

entstehen

58

möchte, er wollte ihn also umbringen.

Er gieng nun in

und sagte, daß er ihm einen Knaben schicken wolle, und bat ihn, den­ den Wald, darin ein großer Lindwurm war,

selben zu todten.

Darauf fuhr Mimer heim.

Und den andern Tag sagte Mimer zu Siegfried, seinem Pflegling, ob er wohl in den Wald fahren wolle, ihm Koh­ len zu brennen.

Da antwortete Siegfried:

„Wenn du

fortan wieder so gut mit mir bist, wie bis daher, so fahr'

ich hin, und will alles das thun, waS du willst." Nun bereitete ihn Mimer zu dieser Fahrt, und gab ihm Wein und Speise auf neun Tage,

die er außen bleiben sollte,

und, darauf gieng er mit und wieS ihn zu dem Walde, dahin, wo es ihm gut dünkte. und auch eine Holzart-

Nun fuhr Siegfried in den Wald und richtete sich hier

ein; er gieng darauf hin und haute starke Bäume um, und und trug noch

einen starken

Stan.m dazu, den er eben abgehauen hatte.

Und da war

machte

ein großes

Feuer,

es Jmbißzeit, und er setzte sich zu seiner Speise, und aß so lange,, bis alle Speise auf war, und er ließ auch nicht

einen Trunk von dem Wein übrig,

davon Mimer dachte,

daß er ihm neun Tage ausreichen sollte. nun vor sich selber:

Und er sprach

„Schwerlich möchte ich jetzo noch den

Mann finden, mit dem ich miet) nicht schlagen sollte, wenn

59 er mir in's Gemüth käme, und ich wähne nicht, daß. eineS Mannes. Hand mir übermächtig seyn, sollte!" And indem er dieses gesprochen hatte,

ihn zu.

da kam ein großer Lindwurm auf

Aber fürder sprach er:

,,Nun kann's geschehe»,

daß ich alsbald mich versuchen mag, ganz, wie ich es doch so

eben mir wünschte!"

und sprang auf zu dem Feuer

und ergriff den größten Baum, derte,

der da in dem Feuer lo­

lief damit den Wurm an und schlug ihn auf den

Kopf; und mit einem Streiche schlug er den Wurm nieder;

und abermals schlug er den Wurm auf den Kopf> da fiel der Wurm zur Erden; und nun schlug er einmal über's biß daß der Wurm todt war. Darauf nahm er seine Art und haute den Kopf des Wurmes ab-. Und nun andre,

setzte er fich nieder und war ganz müde geworden. Es war nun schon hoch am Tage, unh er sahe wohl-, daß er

zum Abend nicht mehr heim kommen würde;

er mußte nun

aber nicht, wo er sich Speise hernehmen sollte: da kam ihm zuletzt eins in den Sinn, daß er den Lindwurm sieden,

und dieser ihm heute zur Nachtkost dienen könne. Er nahm also seinen Kessels füllte ihn mit Wasser und hängte ihn über's Feuer; drauf nahm er seine Axt und hieb große

Stücke ab von dem Wurme, biß daß sein Kessel voll war;

da hatte er genug zu seiner Speise.

Und als er dachte.

6o daß sie gahr seyn könnte,

tauchte er seine Hand in den

Kessel: und da wallte es in dem Kessel, .und er verbrannte

sich Hände-und Finger, und steckte sie darauf in den Mund,

um sie zu kühlen.

Sobald aber die Brühe auf seine Zunge

und in seinen Hals rann,

so hörte er,

wie zwei Vögel,

die auf einem Ba^me saßen, zusammen jungen, und er ver­ stand nun, was der eine sprach: „Besser wäre diesem Manne zu wissen das, was wir wissen, so würde er jetzo heim fah^ ren und Mimern,

den Untreuen, erschlagen,

er ihm hier den Tod bereitet hat,

dafür, daß

wenn es so ergangen

wäre, wie er gedachte, daß es geschehen sollte; und dieser Wurm war Mimers Bruder: und wenn er Mimern nicht tödten will, so wird dieser seinen Bruder rächen und den Knaben tobten."

Darauf nahm er das Blut

des Wurmes und bestrich sich damit seine Hände; und überall wo es hin kam, war es darnach, als wenn es Horn wäre: da fuhr er aus seinen Kleidern und bestrich sich ganz mit

dem Blute, wo er nur hin reichen mockte; mitten zwischen die Schultern aber konnte er nicht hinlangen. Nun fuhr er wieder

in seine Kleider

und gieng sodann heim

hatte das Haupt des Wurmes in seiner Hand.

und

61 6. Siegfried erschlagt den treulosen Mimer. Nun stand Eckhart draußen und sahe,

wie Siegfried

daher kam; da gieng er zu seinem Meister und sagte: „Ja, Herr, nun kömmt Siegfried heim und hat das Haupt des Lindwurmes in seiner Hand, und muß ihn erschlagen haben: nun ist kein andrer Rath, als daß jeder sich vorsehe; denn obschon wir hier unser zwölf sind, und ob wir auch noch

halbmal mehr wären, so schlügt er uns doch alle zu Tode, so ist er jetzo erzürnt."

Und damit liefen sie alle in den

Wald und versteckten sich.

Mimer aber

gieng

hieß ihn willkommen.

allein

Siegfrieden

entgegen

Da antwortete Siegfried:

und

„Keiner

von euch soll willkommen sein, dieweil du dieses Haupt ab­

nagen sollt, wie ein Hund!" Da sprach Mimer: „Nicht sollst du thun, was du jetzo sagst, und ich will lieber alles büßest, was ich Übels gegen dich gethan habe: ich will dir einen Helm geben und

einen Schild und

einen Harnisch:

diese Waffen habe ich für den König Hertnit in Holmgard gemacht,

und sind die besten aller Waffen;

auch einen

Hengst will ich dir geben, der heißt Grani, und geht bei

Brunhilds Rossen; und auch ein Schwert, das heißt Gram,

62 und ist aller Schwerter bestes."

Da sprach Siegfried:

„Das will ich eingehen-, wenn du vollbringst, was du verheißest." Und nun giengen sie beidesammt heim. Da nahm Mimer die Eisenhosen und gab sie ihm, und

er wappnete sich damit; und demnächst den Harnisch, den stülpte er sich über; sodann gab er ihm den Helm, den er

sich auf das Haupt setzte; und nun gab er ihm dep Schild : und alle diese Waffen waren so gut, daß man schwerlich

noch

eben so gute finden mochte.

das Schwert;

und

als Siegfried

Endlich reichte er ihm das Schwert erfaßte,

und es ihm ein vollkommenes Waffen schien, da schwang er das Schwert so kräftig er nur vermochte, und gab Mi-

mern den Todesstreich.

7. Siegfried findet Brunhilden und erhalt den Grani.

Nun gieng Siegfried hinweg und fuhr die Straße, so

ihm zu der Burg Brunhilds gewiesen war; und als er dort an das Burgthor kam,

war davor eine Eisenthür,

war niemand da, ihm aufzuschließen.

und

Da stieß er so hart

an diese Thür, daß die Eisenriegel zersprangen, womit die Thür verschlossen war,, und nun gieng er in die Burg: da

63 kamen ihm sieben Wachtmänner entgegen,, welche des Burg­

thors hüten sollten, und empfanden es übel, .daß er das

Thor aufgebrochen hatte und wollten ihn dafür erschlagen. Nun zog aber Siegfried sein Schwert und nicht eher ließ er ab, als bis er alle diese Dienstmänner erschlagen hatte.

Als nun die Ritter dieses gewahr wurden, da liefen sie zu ihren Waffen und giengen auf ihn los;

er aber wehrte

sich wohl und ritterlich.

Diese Mähre vernahm nun Brunhild, dort wo sie in ihrer Kammer saß, und sie sprach:

„Da muß Siegfried,

Siegmunds Sohn, gekommen sein;

und ob er auch sieben

meiner Ritter erschlagen hätte,

wie er nur sieben Knechte

erschlagen hat, so sollte er doch willkommen seyn bei uns."

Und nun gieng sie hinaus, und dahin, wo sie sich schlugen,

und bat sie, inne zu halten.

Nun fragte sie,

wer der

Mann sei, der daher gekommen wäre; und er nannte sich

und sagte,

er heiße Siegfried.

seine Ahnen waren.

zu sagen wisse.

Da sprach Brunhild:

nicht zu sagen weißt,

bist Siegfried,

Sie fragte weiter, wer

Er aber gestand, daß er ihr das nicht

„ Wenn du es mir

so . kann ich dir sagen, daß du bist

König Siegmunds

Sohn;

und du sollt

hier willkommen seyn bei uns: oder wohin hast du mit deiner Fahrt gedacht?" Da antwortete Siegfried: „Hie-

64 her habe ich mit meinem Gewerbe gedacht „ dieweil Mimer,

mein Pfleger, mich daher wies nach einem Rosse/ das Grani heißt/ und das du hast:

den möchte ich nun gern haben/

wenn du ihn gewähren willst." —

haben von mir (sagte sie),

„Du sollt ein Roß

wenn du willst,

und auch,

willst du noch mehrere ; und unsere Herberge steht euch zu Befehl, wie ihr sie nur zu haben wünscht.^

Darauf schickte sie Leute hin,

den Hengst zu fangen;

und diese waren den ganzen Tag darauf aus, den Hengst zu fangen,

konnten seiner aber nicht habhaft werden,

und

giengen am Abend unverrichteter Sache heim.

Siegfried war da die Nacht bei guter Bewirthung. Am Morgen

aber

nahm

er zwölf Männer zu sich und fuhr

nun selbdreizehnte hin.

Und die zwölf mühten sich lange

mit dem Hengst, und konnten ihn doch nicht fahen; zuletzt aber ließ Siegfried sich den Zaum geben und gieng damit

zu dem Hengste: da gieng der Hengst ihm entgegen, und er stetig ihn nun, legte ihm daS Gebiß an und stieg

hinauf.

-

-

65 8-

Siegfried der Schnelle kommt zu König Jsung.

Nun ritt Siegfried hinweg, und dankte Brunhilden sehr für ihre Bewirthung. Unterwegs blieb er an keinem Orte länger, al& eine Nacht, bis daß er nach Bertangenland kam. Uber dasselbe herrschte ein König, der hieß Jsung,

hatte eilf Söhne.

und

Jsung war der tapferste aller Kämpen,

und ebenso alle seine Söhne.

Er nahm Siegfrieden auf

und machte ihn zu seinem Rathgeber und Bannerführer; und Siegfried dünkte sich hier willkommen.

9Von Siegfrieds Gestalt und seinem Wappen. Siegfried der Schnelle hatte braunes und schönvs Haar, da- in großen Locken herab fiel; sein Bart war kurz und dicht und von derselben Farße; er hatte eine hohe Nase, volles Antlitz und lange Beine; seine Äugen waren so scharf,

daß wenig Männer so dreist waren- daß sie es wagten, Seine Haut war überall so bart, wie die Borstenhaut eines wilden Ebers, oder

ihm unter die Brauen zu blicken.

wie Horn, so daß keinerlei Waffen da hindurch drangen;

66 seine Schultern waren so breit anzusehen, daß sie wie die

von drei Männern erschienen; dennoch war sein ganzer Leib so ebenmäßig geschaffen an Höhe und Dicke, wie es zum

schönsten seyn mochte. Und das ist das Merkmal seiner Größe:

wenn er sein Schwert Gram,

das sieben Spannen lang

war, mitten um sich gegürtet hatte, und er durch ein aus­

gewachsenes Roggenfeld gieng, so reichte der Ortband ge­ rade bis auf die aufrechtstehenden Ähren nieder. Und doch war seine Stärke noch größer,

als sein Wuchs, und wohl

vermochte er das Schwert zu schwingen,

den Speer zu

schießen oder zu werfen, mit dem Schilde zu schirmen, den

Bogen zu spannen, Roffe zu reiten, und mancherlei Zier­ lichkeit und Hübschheit, so er in den jungen Jahren erlernte.

Er war ein so weiser Mann, daß er manche Dinge vorher

wußte, die noch nicht vergangen waren; er konnte und ver­ stand auch die Sprache der Vögel: und daher kamen ihm wenig Dinge unversehens.

Er war dreist in Reden, und

berieth sich gern mit seinen Freunden, und war beredtsam

und verständig; und niemalen hub er an etwas zu reden, davon er wieder abgegangen wäre, sondern allen, die ihn

hörten^ mußte scheinen,

daß es keinesweges anders seyn

könnte, als so, wie er sagte.

ES war seine Lust, seinen

Freunden Hülfe und Beistand zu leisten,

oder sich selber

6? auf irgend eine Weise in Heldenthaten zu versuchen, und seinen Feinden Kostbarkeiten abzugewinnen und sie seinen Freunden zu geben: niemalen entstand ihm der Muth/ und niemalen in seinem Leben ward er erschrocken.

Siegfried der Schnelle hatte seinen Schild also bezeich­ er war mit rothem Golde belegt/ und darauf ein

net:

Drache gemalt,

halb;

dunkelbraun oberhalb und schönroth unter­

und eben so war sein Helmhut, sein Banner, sein

Wappenrock bezeichnet; und deshalb führte er dieses Wap­

pen, daß, sobald er gesehen wurde, man wissen mochte,

wer da ritt: und berühmt war er überall, weil er den großen

Drachen erschlug, welchen die Waringer Fafncr nennen. Und deßhalb waren seine Waffen goldgeschmückt,

weil er

vor allen Männern ragte an Hochfahrt und Adlichkeit und aller Hübschheit, beinahe in allen alten Sagen, wo von den stärksten und berühmtesten und den mildesten Helden

und Fürsten -erzählt wird: und sein Name geht in allen Zungen von Norden bis an's griechische Meer, und so wird er währen, so lange die Welt steht.

68 27.

Der Geroldsecker Hert. (Alte^ zum Niebelungenkreise gehörige, am Rhein noch lebende Sage; von ChordaliS.)

Im Wasichgau am Rheine schaut vom bemoosten Steine Burg Geroldseck iu's Laud^ An schroffem Fels gelegen ward sie nach einem DegenA Herrn Gerolds so genannte

Da liegt von alten Gaben. ein alter Hort begraben in tiefer GrubennachtA der hinter goldncn Gittern von auserwahlten Rittern. wohl kräftig wird bewacht. Herr Siegfried ist's, der kühneA der Brunhild'« fiel zur Sühne, der Held aus Ricderland,



6g



und Hermann, Deutschlands Retter,

der einst im Schlachtenwetter die Römer überwand. Und Wittkind unbezwungen,

Dietrich aus Amelungen, Und Günther von Burgund, und sonst noch manche Rechen, davon die Sagen sprechen und Wunder machen kund.

Was hier verborgen weilet,

das war dereinst vertheilet durch manches deutsche Land. Die Burgen mußten fallen,

die Lieder auch verhallen, nun liegt der Hort gebannt. So lange in den Truhen

die alten Schätze ruhen, — was auch das Schicksal spinnt, —

wird Deutschland groß bestehen; und alsbald untergehen,

wann sie gehoben sind.

70 Die Ritter, um zu retten, erscheinen,

wann in Ketten

dem Land Verderben droht,

und theilen aus die Gaben, die in der Burg vergraben

und enden bald die Noth.

Dann brechen alte Lieder aus tausend Quellen wieder: jung blüht die Ritterschaft.

Des Hortes Zauberweihe ist deutsche Brudertreue

und alte deutsche Kraft.

28. Heldentod. (Von Pelegrin.) Oben in der Waldung

dichtem Grün

haus'te sonst der Halbung wunderkühn.

70 Die Ritter, um zu retten, erscheinen,

wann in Ketten

dem Land Verderben droht,

und theilen aus die Gaben, die in der Burg vergraben

und enden bald die Noth.

Dann brechen alte Lieder aus tausend Quellen wieder: jung blüht die Ritterschaft.

Des Hortes Zauberweihe ist deutsche Brudertreue

und alte deutsche Kraft.

28. Heldentod. (Von Pelegrin.) Oben in der Waldung

dichtem Grün

haus'te sonst der Halbung wunderkühn.

71 Ritt mit hundert Reitern

frisch zur Jagd zog mit hundert Streitern stark zur Schlacht»

Hat so lang gerungen ehrenwerth,

bis ihm war zersprungen Schild und Schwert.

Mit den Zauberwaffen brach sein Herz. Wer kann wieder schaffen Held und Erz?

29. Der

kranke Ritter.

(Von Pelegrin.) Da draußen hallen die Schilde da draußen wiehert es hell!

Die Kämpfer sind hart aneinander:

Ihr Knappen, wappnet mich schnell

71 Ritt mit hundert Reitern

frisch zur Jagd zog mit hundert Streitern stark zur Schlacht»

Hat so lang gerungen ehrenwerth,

bis ihm war zersprungen Schild und Schwert.

Mit den Zauberwaffen brach sein Herz. Wer kann wieder schaffen Held und Erz?

29. Der

kranke Ritter.

(Von Pelegrin.) Da draußen hallen die Schilde da draußen wiehert es hell!

Die Kämpfer sind hart aneinander:

Ihr Knappen, wappnet mich schnell

Was steht tbr, und weilet so trübe? Zu Sattel/ und drauf und dran! —

Ach Gott/ ich hatt' es vergessen: ich bin ein verwundeter Mann!

Die Pfeitesschauev/ sie trafen die Schulter und auch die Brust; her kommt der Tod mir gezogen

und hin mir welket die Lust! Und wär' nur der Tod schon gekommen

nach seiner gestrengen Pflicht/

da schlief ich still bei den Ahnen bis an das ewige Licht!

So muß ich leben/ ach leben ohn' glänzende Waffenzier> und fernhin braußet der Schlachtlärm

und fraget nicht fürder nach mir. Still neben mir sitzt mein Falke/

weil nicht mehr jagen er kann, hat auch einen Pfeil im Flügel und sieht so trübe mich an!

75

50.

Die

Dätergruft.

(Von tthland.) (§s gieng wohl über die Haide

zur alten Kapell empor ein Greis im Waffengeschmeide und trat in den dunkeln Chor.

Die Särge seiner Ahnen standen die Hall' entlang, aus der Tiefe that ihn mahnen ein wunderbarer Gesang. „Wohl hab' ich Euer Grüßen, ihr Heldengeister! gehört. Eure Reihe soll ich schließen: Heil mir! ich bin es werth."

Es stand an kühler Stätte ein Sarg noch ungefüllt, den nahm er zum Ruhebette, zum Pfühle nahm er den Schild. D

Die Hände thät er falten aufs Schwert und schlummert' ein, die Geisterlaute verhallten; da möcht' es gar stille seyn.

31.

Die Lehre der Mutter.

(Von Langbein.) (§in junges Mäuslein ging auf Reisen, kam bald zurück in's Vaterhaus ünd sprach: Du mußt mich unterweisen; denn mein Verstand reicht noch nicht aus. Zch sehe mancherlei Gestalten vor meinem Blick vorüberzieh'n, und weiß mich dann nicht zu verhalten: soll ich mich nahen oder fliehen? So hatt' ich heut in einer Scheuer, worein ich still geschlichen war, ein wunderbares Abentheuer voll Schreck und grausender Gefahr.

Die Hände thät er falten aufs Schwert und schlummert' ein, die Geisterlaute verhallten; da möcht' es gar stille seyn.

31.

Die Lehre der Mutter.

(Von Langbein.) (§in junges Mäuslein ging auf Reisen, kam bald zurück in's Vaterhaus ünd sprach: Du mußt mich unterweisen; denn mein Verstand reicht noch nicht aus. Zch sehe mancherlei Gestalten vor meinem Blick vorüberzieh'n, und weiß mich dann nicht zu verhalten: soll ich mich nahen oder fliehen? So hatt' ich heut in einer Scheuer, worein ich still geschlichen war, ein wunderbares Abentheuer voll Schreck und grausender Gefahr.

75 Ein Ungethüm von rauhen Sitten, und feuerroth um's Haupt vor Zorn, kam froh und stolz hereingeschritten, an beiden Füßen einen Sporn. Es rauschte furchtbar mit den Schwingen und öffnete den Hals dabei, als wollt' es mich im Nu verschlingen, doch that's nur einen lauten Schrei. — Dagegen sah ich in der Ferne ein Wesen, ganz der Anmuth Bild; die Augen funkelten wie Sterne und waren dennoch fromm und mild! Sanft, wie auf Rosen, kam's gegangen und leckte sich fein säuberlich das Bärtchen und die weißen Wangen, die es mit zarten Pfötchen strich. Doll Lieb und Lust, die mich durchglühten, hätt' ich's um Freundschaft gern ersucht; allein des Flügelschlägers Wüthen erweckte mich zu schneller Flucht.^

„Deß dank' ihm ewig!" sprach,die Mutter; denn dich bezauberte, mein Kind, D 2

?6 die schlaue Katze, deren Futter wir armen Mäuse täglich sind. Doch stört, trotz seiner Flügclschläge, der Hahn nie unsre Sicherheit. Geh nur den Schleichern aus dem Wege ;

die Polterer thun dir kein Leid."

52.

Di e

Hirsche.

(Von Lichtwer?) Es gieng ein starker Hirsch, der sein Gehörne nur

vor kurzem abgesetzt, auf einer fetten Flur mit seinen Weibern, Kindern, Vettern,

und kam zu einer Saat; allein, da stutzt die Schaar, weil zwischen Wald und Saat ein Sumpf vorhanden war,

voll von geschmolznem Schnee und dürren Birkenblättern. Ihr Kinder! sprach der Hirsch, folgt mir nur Schritt vor Schritt,

sonst werdet ihr euch sehr besvrützen. Drauf gierig er durch den Pfuhl, die Kleinen liefen mit

?6 die schlaue Katze, deren Futter wir armen Mäuse täglich sind. Doch stört, trotz seiner Flügclschläge, der Hahn nie unsre Sicherheit. Geh nur den Schleichern aus dem Wege ;

die Polterer thun dir kein Leid."

52.

Di e

Hirsche.

(Von Lichtwer?) Es gieng ein starker Hirsch, der sein Gehörne nur

vor kurzem abgesetzt, auf einer fetten Flur mit seinen Weibern, Kindern, Vettern,

und kam zu einer Saat; allein, da stutzt die Schaar, weil zwischen Wald und Saat ein Sumpf vorhanden war,

voll von geschmolznem Schnee und dürren Birkenblättern. Ihr Kinder! sprach der Hirsch, folgt mir nur Schritt vor Schritt,

sonst werdet ihr euch sehr besvrützen. Drauf gierig er durch den Pfuhl, die Kleinen liefen mit

77 und kamen glücklich aus den Pfützen.

Jedoch so rein gieng es nicht al), daher es was zu spotten gab.

Ein Schmalthier, so zurück geblieben, rief ihnen höhnisch nach und sprach: Ihr Herrn! mit Gunst, im Koth zu gehn, ist keine Kunst. Ihr seid ja voller Schmutz, und glänzet wie die Sauen!

Seht her, ihr sollt' was anders schauen! — Drauf that der Spötter einen Sprung, daß alles um ihn pfiff; allein, wie gieng's dem Thoren? meint ihr, daß ihm der Saz gelung?

Er fiel in Schlamm bis an die Ohren.

33. Des Weisen Urtheil

vom Thoren.

(Von Gleim.) ,,^)err Löwe," sprach der Fuchs- „ich muff

dir'S nur gestehen, mein Verdruß hast sonst kein Ende. —

77 und kamen glücklich aus den Pfützen.

Jedoch so rein gieng es nicht al), daher es was zu spotten gab.

Ein Schmalthier, so zurück geblieben, rief ihnen höhnisch nach und sprach: Ihr Herrn! mit Gunst, im Koth zu gehn, ist keine Kunst. Ihr seid ja voller Schmutz, und glänzet wie die Sauen!

Seht her, ihr sollt' was anders schauen! — Drauf that der Spötter einen Sprung, daß alles um ihn pfiff; allein, wie gieng's dem Thoren? meint ihr, daß ihm der Saz gelung?

Er fiel in Schlamm bis an die Ohren.

33. Des Weisen Urtheil

vom Thoren.

(Von Gleim.) ,,^)err Löwe," sprach der Fuchs- „ich muff

dir'S nur gestehen, mein Verdruß hast sonst kein Ende. —

78

Der Esel spricht von dir nicht gut z er sagt, was ich an dir zu loben fände, das miss' er nicht; dein Heldenmuth sei zweifelhaft; du gäbst ihm keine Proben von Großmuth und Gerechtigkeit; du- würgetest die Unschuld , suchtest Streit; er könne Dich nicht loben!"

Ein Weilchen schwieg der Löwe still; dann sagt' er: „Fuchs! er spreche, waS er will! denn was von mir ein Esel spricht, das acht' ich nicht."

54.

Der Hund und der Kater. (Von Pfeffel.)

Ein Hund, der ward von einem Schusse lahm,

der seinem Herrn, den er beschützen wollte, verrätherisch das Leben nahm. Unwissend, wie er nun sein Brot gewinnen sollte.

78

Der Esel spricht von dir nicht gut z er sagt, was ich an dir zu loben fände, das miss' er nicht; dein Heldenmuth sei zweifelhaft; du gäbst ihm keine Proben von Großmuth und Gerechtigkeit; du- würgetest die Unschuld , suchtest Streit; er könne Dich nicht loben!"

Ein Weilchen schwieg der Löwe still; dann sagt' er: „Fuchs! er spreche, waS er will! denn was von mir ein Esel spricht, das acht' ich nicht."

54.

Der Hund und der Kater. (Von Pfeffel.)

Ein Hund, der ward von einem Schusse lahm,

der seinem Herrn, den er beschützen wollte, verrätherisch das Leben nahm. Unwissend, wie er nun sein Brot gewinnen sollte.

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79



kroch er betrübt bis in die nächste Städte

an deren Thor ein Kater zu ihm trat/ dem eines Abtes Koch vor wenig Tagen, weil er ein Rebhuhn stahl, das Bein zerschlagen. Bedrängte werden gleich bekannt: sie unterhielten sich von ihren Unglücksfällen. Zuletzt sprach Mauz: Freund, laß uns durch da- Land

als ein paar txeue Spießgesellen Hausiren gehn. Der Pommer sagte: Nein;

wir sind zwar beide lahm;

allein

ich möchte doch nicht gern mit dir verglichen werden.

55.

Das Wasser und das Feuer. (Von Ä. Z.) JL/it stolze Flamm', sprach's Wasser zu dem Feuer/ im Nu verwand!' ich dich in finstre Nacht. Und du, sprach's Feu'r, gefräßig Ungeheuer,

zerstiebst in Nebeldunst durch meine Macht.

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79



kroch er betrübt bis in die nächste Städte

an deren Thor ein Kater zu ihm trat/ dem eines Abtes Koch vor wenig Tagen, weil er ein Rebhuhn stahl, das Bein zerschlagen. Bedrängte werden gleich bekannt: sie unterhielten sich von ihren Unglücksfällen. Zuletzt sprach Mauz: Freund, laß uns durch da- Land

als ein paar txeue Spießgesellen Hausiren gehn. Der Pommer sagte: Nein;

wir sind zwar beide lahm;

allein

ich möchte doch nicht gern mit dir verglichen werden.

55.

Das Wasser und das Feuer. (Von Ä. Z.) JL/it stolze Flamm', sprach's Wasser zu dem Feuer/ im Nu verwand!' ich dich in finstre Nacht. Und du, sprach's Feu'r, gefräßig Ungeheuer,

zerstiebst in Nebeldunst durch meine Macht.

80

56.

Die zwei Pferde. (Don Pfeffel.)

Awei Klepper aus der Barbarei, die selbst den Wind im Flug erreichet hätten, geriethen einst in Streit; ein jeder wollte wetten, daß er der schnellste Renner sei. Wir wollen uns darum nicht raufen, sprach Meister Fuchse der weite Raunr von hier bis dort zu jenem Baum sei unser Ziel; nach diesem laß uns laufen. Gut, sprach der Schimmel, gut; in kurzem sollst du sehn waS unsereiner kann. Ein Hufschlag gab das Zeichen. Kein Rad am Wagen kann sich schneller drehn, als unsre Kampfer nach dem Ziele fliegen. Bedeckt mit Staub und weißem Schaum erreichen sie zu gleicher Zeit den Baum. Hier stand der Schweißfuchs still. Ich, ich will siegen! rief ihm der Schimmel zu, sprang über einen Rain, der zehn Fuß weiter lag, dann über ein paar Hecken;

hier glitt er aus und brach ein Bein. Freund! .sprach der Fuchs zum armen Gecken,,

wer zu weit springen will, kann leicht zu Grunde gehn; ich lobe mir die Kunst, am Ziele still zu stehn.,

37..

Der spottende Häher. (Von Meier von Knonau 1754.)

\£tn Häher sah so bald nicht einen Fuchsen, so setzt er schon sein Waldgeschrei hintan,

und stetig auf einer Fichte an, gleich einem zahmen Huhn zu gluchsen. Gut, dacht der Fuchs, giebts hier von diesem Vieh

so spart es mir, ins Dorf zu gehn, die Müh. Er schlich so bald nach diesem Ort, jedoch mit-leisen Schritten, fort,

um diesen lockern Fang zu nützen. Er schlich und sah zu seiner Schmach

nur einen losen Häher sitzen;

hier glitt er aus und brach ein Bein. Freund! .sprach der Fuchs zum armen Gecken,,

wer zu weit springen will, kann leicht zu Grunde gehn; ich lobe mir die Kunst, am Ziele still zu stehn.,

37..

Der spottende Häher. (Von Meier von Knonau 1754.)

\£tn Häher sah so bald nicht einen Fuchsen, so setzt er schon sein Waldgeschrei hintan,

und stetig auf einer Fichte an, gleich einem zahmen Huhn zu gluchsen. Gut, dacht der Fuchs, giebts hier von diesem Vieh

so spart es mir, ins Dorf zu gehn, die Müh. Er schlich so bald nach diesem Ort, jedoch mit-leisen Schritten, fort,

um diesen lockern Fang zu nützen. Er schlich und sah zu seiner Schmach

nur einen losen Häher sitzen;

82 zu dem er voller Unmuth sprach: Verfluchtes Maul, das mich so arg betrog! Worauf der Häher weiter flog, und in dem Dorf die Henne schreckte. Sie hielt den Häher an dem Schreyen für ihren Feind, den bösen Weihen, so daß sie gleich die Jungen sorgsam deckte. Doch über eine kurze Weile jauchzt er nach Art der frohen Eule. Die Vögek saßen bald zu Schaaren um ihn herz er band mit jedem an, und jedes spottet er. Da gab ihm einer diese Lehrez er sprach: Mein frecher Häher höre: spotten thut nicht gut; um den Schimpf zu büßen, muß oft eignes Blut von dem Spötter fließen.

Bald kam ein Jäger in den Wald. Der Häher sah ihn nicht so bald, so drehet er ihm eine Nase, er schrie jetzt, wie ein junger Hase.

85 Der Jäger stund zwar still, doch merket er den Possen und wird darüber ganz verdrossen

im Unmuts; faßt er den Entschluß

und rächt den Schimpf mit einem Flintenschuß. Der Häher schrie jetzt in der ächten Sprach^ als er vom Baume fiel und Hals und Kops zerbrach.

38.

Der Hund und das Königlein. (Von Meier von Knonau.)

88ar gleich die Erde samt der Luft voll Frost und Schnee und Eis und Dust, so sang mit nimmer satter Lust,

mehr als bei warmem Sonnenschein, mit vollem Hals und froher Brust daS immer rege Königlein. Ein böser abgelebter Hund,

der und den jedes Mnckchen jagte,

der und den, was sich regte, plagte.

85 Der Jäger stund zwar still, doch merket er den Possen und wird darüber ganz verdrossen

im Unmuts; faßt er den Entschluß

und rächt den Schimpf mit einem Flintenschuß. Der Häher schrie jetzt in der ächten Sprach^ als er vom Baume fiel und Hals und Kops zerbrach.

38.

Der Hund und das Königlein. (Von Meier von Knonau.)

88ar gleich die Erde samt der Luft voll Frost und Schnee und Eis und Dust, so sang mit nimmer satter Lust,

mehr als bei warmem Sonnenschein, mit vollem Hals und froher Brust daS immer rege Königlein. Ein böser abgelebter Hund,

der und den jedes Mnckchen jagte,

der und den, was sich regte, plagte.

84 eröffnete den Geifermund

und sprach:

Ich weiß, du mußt dich zwingen,

willst du bei solchem Wetter singen. Wenn dich, wie mich,

die strenge Kälte

so marterlich und gräulich quälte, du würdest hinter sieben Mauern die laue Sommerlust betrauern. ES singen nur, wie du, die Narren,

wann aller Thiere Glieder starren. Kann ich Erfrorner in dem Stroh

bei solchem herben Wetter liegen, so bin ich unbeschreiblich froh,

und weiß mich nicht genug zu schmiegen. DaS Königlein sprach:

Bleib du froh

in deinem mir verhaßten Strob!

Dank' deinem Meister für dies Gute.

Mich wärmt die Glut in meinem Blute;

zugleich freut mich die Federdecke, in welcher ich verwahret stecke. So lang der Tag sein Licht mir borgt,

bin ich für Nahrung unbesorgt. Was soll ich überdies begehren?

85

Daher so lang ich singen kann, setz' ich mein Singen nicht hintan^

59.

Lebensführung eines frommen Bergmannsknaben. (Von G. H. Schubert.)

Johann Gottlob Anger, war zu Ober-S. bei S., im sächsischen Erzgebirge, im Jahr 1768 geboren.

Er war

der jüngste Sohn einer herzlich guten, aber armen Bergmanns­

familie.

Als in den Jahren 1771 und 1772 die Theu-

rung und der Mangel, besonders in dem armen sächsischen Erzgebirge, sehr groß war, reichte das, was seine Ältern

durch ihre Arbeiten verdienten, nicht mehr hin, um sie und

ihre vielen Kinder zu sättigen.

Wie damals ttt vielen tau­

send armen Hütten, legten sich auch in der armen Hütte der guten, stillen Bergmannsfamilie, Ältern und Kinder

an den meisten Abenden hungernd und nach Brote weinend, und doch auch immer wieder gestärkt und ausrecht erhalten

85

Daher so lang ich singen kann, setz' ich mein Singen nicht hintan^

59.

Lebensführung eines frommen Bergmannsknaben. (Von G. H. Schubert.)

Johann Gottlob Anger, war zu Ober-S. bei S., im sächsischen Erzgebirge, im Jahr 1768 geboren.

Er war

der jüngste Sohn einer herzlich guten, aber armen Bergmanns­

familie.

Als in den Jahren 1771 und 1772 die Theu-

rung und der Mangel, besonders in dem armen sächsischen Erzgebirge, sehr groß war, reichte das, was seine Ältern

durch ihre Arbeiten verdienten, nicht mehr hin, um sie und

ihre vielen Kinder zu sättigen.

Wie damals ttt vielen tau­

send armen Hütten, legten sich auch in der armen Hütte der guten, stillen Bergmannsfamilie, Ältern und Kinder

an den meisten Abenden hungernd und nach Brote weinend, und doch auch immer wieder gestärkt und ausrecht erhalten

86 durchs gemeinschaftliche Gebet und Vertrauen zu Gott, auf

ihr armeö Lager.

Oie Noth gab damals den armen Men­

schen gar viele vorher nie versuchte Mittel, sich zu sättigen,

an die Hand,

manche wohl sehr traurig waren.

wovon

Einige buken sich eiue Speise auS Kartoffelschälern und an­ dern, alS unbrauchbar für die Küche weggeworfenen Abgän­ gen, die ftc vor den Häusern der etwas wohlhabenderen Bauern und Bürger aus dem Staube auflasen; andere such­

ten wohl, so lange sie noch Kräfte zum Gehen oder auch nur Fortkriechen hatten,

Orten.

ihre Speise an noch traurigern Jemehr die Theurung zunahm, desto seltener wurde

auch die Gelegenheit,

etwas zu verdienen, denn in eini­

gen Gegenden wollten die meisten Bauern und Bürger keine

Tagelöhner und Handarbeiter mehr dingen, weil sie nicht

im Stande waren, ihnen Brot zu geben. Der Winter von 1770 auf 71 war wohl recht jammer­

voll. Die Noth nahm immer zn: überall, wo man hinsah, sah man traurige, bleiche Gesichter, die einander gegenseitig

den Muth nur noch mehr benahmpn, statt zu stärken; auf der Gaffe sahe man abgezehrte oder auch krankhaft geschwollene, hungernde Kinder, die nicht wie sonst, muthig kindlich herum­

liefen, sondern schlichen und ganz stille waren; dazu war auch ük dem traurigen Winter der Himmel fast immer trübe

87 und nebelig, eine fast beständige feuchte Kalte.

Am Abend

brannte wohl in den Ofen der armen Hütten das Feuer

wie sonst;

aber es war nichts., gar nichts t>a, was die

Mutter ans Feuer setzen konnte;

die kleinern Kinder zogen

den Tischkasten heraus, wo sonst in bessern Zeiten das-übrig

bleibende Brot gelegen hatte, und suchten hinter dem alten Gebetbuch nach alten Bröckchen, die sich vielleicht da noch verhalten halten, aber sie fanden nichts,

schon lange kein Brot hineingekommen,

denn es war

weil nichts übrig

blieb, und die Mutter hatte schon öfters den Tischkasten

ganz umgestürzt und die gefundenen Brosamen den kleinsten Kindern zusammengekehrt und gegeben.

Wenn sie denn gar

nichts fanden, weinten die Kleinen, während das größere Töchterchen begierig an dem Tuche leckte, worinnen die Mut­

ter gestern Mehl geholt hatte, und der größere Knabe den

hölzernen Teller abschabte, worauf der Mehlbrei gewesen

war, bis der Vater, der auch vor Hunger matt war, trau-, rig sagte: nun ihr Kinder, laßt uns, das Abendgebet mit einander beten und zu Bette gehen!

Wenn daun am Morgen die Kleinen wieder aufwachten

und die Mutter konnte ihnen keine Milch geben, weil die Ziege schon lange ans Noth verkauft oder geschlachtet war, da schaute sie wohl manchmal tiefsehnend aus dem Fenster

88 hinaus, wenn wieder ein Sarg vorbeigetragen wurde und dachte: selig, glücklich sind die, die in dem Herrn sterben,

denn sie werden ruhen von ihrer Arbeit, ruhen von ihrem

Elend,

in der liefen stillen Kammer,

wo sie nicht hören

mehr und versagen müssen die Bitte der unschuldigen hun­

gernden Kinder! Und dennoch, ihr geprüften Seelen! sprechen manche von

euch mit Freudenthranen davon,

wie der HErr euer wun­

derbarer Helfer war in der Noth, wie euch damals oft erd daS Gebet aus tiefer Angst, wie euch der Gesang des Lie^ des:

„Befiehl du deine $Bege,/z oder ,,Warum sollt' ich

mich denn grämen, hab' ich doch Christum noch, wer kann mir den nehmen" auf eine Weise, wie nie sonst, stärkte, tröstete und beseligte. Stille, große Seelen! die ihr nicht nur selber mit der

schweren Anfechtung der Verachtung, der Armuth und des tiefsten Elendes, sondern mit der viel schwereren gekämpft und ihr obgesiegt habt: eure Liebsten schmachten zu sehen, daö Ächzen der Unschuldigen zu hören, ohne ihnen helfen zu können;

ihr Helden,

deren innre verborgnen Kämpfe

und Siege niemand kennet, als der Engel, der eute Thrä­ nen zählte, eure Gebete vernahm im Staube,- wie will sich

der Geringste in Israel einst

freuen an eurer Seligkeit!



89



Ja, ihr seid es, von denen einst jen? liebende Stimm­ reden wird: Diese sinds, die da kommen sind an­

großer Trübsal, und haben ihre Kleider gewaschen, und haben ihre Kleider

Helle gemacht im Blute des Lammes.

Darum sind sie vor dem Stuhl Gottes,

und dienen ihm

Tag und Nacht in seinem Tempel, und der auf dem Stuhl sitzet, wird über ihnen wohnen.

Sie wird nicht mehr

hungern noch dürsten, es wird auch nicht auf sie fallen

die Sonne, noch irgend eine Hitze.

Denn das Lamm mit­

ten im Stuhl wird sie weiden und leiten zu dem lebendi­ gen Wasserbrunnenz und Gott wird abwischen alle

Thränen von ihren Augen, Indem nun das Elend in jenem traurigen Winter fast

allgemein in dem armen Erzgebirge so groß war, wie wir es hier beschreiben, hatte auch unsere arme Bergmannsfamilie ihren reichlichen Antheil an der Noth zu tragen.

Da gab das Mitleid und die zärtliche Liebe der Mutter

ein Mittel ein, wie sie ihren jüngsten, liebsten Sohn, den zweijährigen Johann Gottlob von dem Hungertod, dem ein so zartes Kind leicht wäre ausgesetzt gewesen, retten konnte. Sie trug nämlich den Knaben täglich hin zu einem Bäcker

und ließ ihn in der Nähe des Backofens, während sie aufs

Tagekohn gieng.

Stundenlang sitzen,

damit er den nähr-

-

90

-

hasten Dampf deS frischen BroteS einathme.

dige,

Die mitlei­

aber selber arme und an Kindern reiche Bäckersfrau

gab dann dem Kleinen wohl zuweilen auch einige Bissen.

So wurde der Knabe jenen Winter hindurch,

wo so un­

zählig viele arme Kinder von seinem zarten Alter starben,

beim Leben erhalten.

Da nun der Frühling 1771 wieder kam und die Wiesen wieder munter wurden, faßten die Armen auch wieder Muth und Hoffnung. Die Ältern der BergmannSfamilie

grenzen nach Tagelohn, die größeren Kinder mit ihnen, die

kleineren wurden angewiesen, außen auf den Wiesen Pri­ meln,

auskuvSpende Scabiosen und andere Kräuter zusam­

men zu lesen, die sie dann in der Apotheke verkaufen soll­

ten. Da war einmal der kleine, noch nicht dreijährige Johann Gottlob ganz allein auf der Wiese und suchte Sca­ biosen.

Die Scknne verbarg sich schon hinter dem Berge,

ihn hungerte sehr, er'wollte so gern nach Hause zur Mut­

ter und doch kam keines seiner Geschwister, ihn abzuholen. Da sieht er einen Postboten Vorbeigehen.

Er glaubt, eS

-sei der nämliche Mann mit gelben Rock und zinnernen Brust­ schild, der beinahe täglich von S. ans durch Ober-S. und dann bei feiner Ältern Hause vorbeigieng, und hinter dem

er wohl öfters schon, aus kindischer Freude an dem gelben

91 Rock und an dem zinnernen Brustschild, ein Stückchen We­

ges darein gelaufen war.

Oer Kleine lauft auch jetzt hinter

dem Maune im gelben Rocke kindlich arglos drein, und glaubt, der soll ihn an das Haus seiner Ältern führen. Er bemerkt es nicht, daß der Postbote einen ganz andern Weg geht, statt im Thal hinunter, den Berg hinauf, statt gegen Osten, nach Westen.

Der zarte Knabe läuft, so gut er kann, mit dem Post­ boten, der nach der Art dieser guten, wortlosen Menschen, kein Wort zu ihm spricht,

bis zur Abenddämmerung.

Da

geht der Postbote in ein Wirthshaus hinein und ißt etwas.

Der Kleine setzt sich, jenem sehnsüchtig zusehend, ihm ge­

genüber. Da reicht ihm der Postbote ein gute- Stü^ck von seinem Brot und Käse, und fragt ihn, wo er hin wolle? Der Kleine sagt, nach Ober-S.

weit davon!

Da bist du, sagt fcner,

Von da nach S. istS 2 Stunden, du bist ja

hinter mir drein immer gerade von Ober-S. weggelaufen, statt hin. —

Darüber fängt nun der kleine Junge bitterlich

an zu weinen; zu ihm:

der Postbote nimmt sein Felleisen und sagt

Jetzt bleib nur da, bis ich morgen wieder komme,

dann will ich dich wieder mit nach S. nehmen.

Der arme Junge,

der sich in der Wirthsstube unter

lauter fremden Gesichtern sieht, weint den ganzen Abend

92 nach der Mutter und schläft endlich auf der Ofenbank em. Am andern Morgen, da niemand auf das Kind achtet, läuft

es,

seine welken,

für die Mutter gepflückten Scabiosen

noch immer fest in der Hand haltend,

fort.

Am Mittag

speißt und erquickt ihn eine mitleidige Bauernfamilie reichlich, am Abend wieder, und da er immer noch nach

seinem S. fragt und immer hört, es sei ein paar Stunden dahin, ' läßt er sichs endlich in kindlicher Unüberlegtheit gefallen, so den Tag" über zwischen den grünen Feldern und -blühenden Bäumen herum zu laufen und am Mittag und

Abend doch immer seine Mahlzeit bei mitleidiges Menschen

zu finden; er wirft die welken Scabiosen aus der Hand, und weint nur noch am Abend, toeiui er zuweilen in Hau­ sern ist, wo ihn die Leute nicht so freundlich ansehen, nach

der Mutter. So wandert der Kleine, der durch sein hübsches Gesicht rind sein gar gutes,

treuherzig blickendes Auge,

so wie,

wenn man ihn darum fragte, durch seine treuherzige Erzäh­ lung, überall Mitleiden weckt, eine ziemlich lange Zeit von

Ort zu Ort. Bald pflegen seiner mitleidige Bauern, oder eine gute Prcdigersfrau reinigt und erquickt ihn, wohlmei­ nende Edelfrauen geben ihm Geld und Kleider. achtet

er anfangs nicht,

Geld zwar

sondern giebt es andern armen

95 Kindern; da er aber einmal von diesen bemerkt, daß man auch gutes, weißes Brod an Bäckerläden haben kann, wenn

man dem Bäcker Geld giebt, lernt er nach und nach auch

den Werth dieses Almosens kennen. Endlich kommt er in eine, ihm damals sehr groß und prächtig scheinende Stadt (wahrscheinlich Zwickau). Die große Theurung im Gebirge hatte damals viele Arme nach den Städten hingczogen, die am Tage ihren Bissen Brot

vor den Thüren der mitleidigeren Bürger suchten und bei

Nacht außen vor der Stadt schliefen.

Der Kleine hatte

bisher noch nie eigentlich gebettelt, sondern, wenn ihn hun­

gerte,

sich immer nur vor die Thüren still hingestellt und

gewartet, bis man ihn anredete und ihn zum Essen einlud;

unter die Haufen der Almosen flehenden Armen gemischt,

lernte er aber nun auch von diesen um Almosen bitten. Dem kleinen, zarten, treuherzigen Knaben gab jedes reich­

lich, und er brachte gewöhnlich, wenn er nicht über dem Spielen mit andern armen Kindern das Almosenbitten ver­ gaß,

am Tage über so viel zusammen,

daß er nur den

geringsten Theil des empfangenen Brotes zu essen vermochte. Da nahm er denn am Abend seinen ganzen Vorrath an

Brot und Geld und gieng in der Vorstadt in eine Hütte,

die ihm die ärmste schien und wo viele hungrige Kinder

-



-

waren, denen gab er sein ganzes Brod und Geld und hatte dafür in der Hütte sein Obdach.

(denn das

So wurde er wirklich

mitgebrachte Almosen ward immer reichlicher,

weil der Kleine und seine ihm stückweise abgefragte Ge­

schichte in der Stadt immer bekannter wurde) gerade in der Zeit deS größten Mangels der wirkliche Erhalter und rettende Engel einiger ganz armen und Kinderreichen Fami­

lien, die entweder zu schüchtern waren, um selbst Almosen

zu erflehen, oder nicht das Glück hatten, so viel zu bekom­ men, wie der kleine Bergmannsknabe.

Auf jene Weise

erhielt

sich

und Andre der verirrte

Knabe während der ganzen Zeit der großen Theurung, die indessen im höheren Erzgebirge von Monat zu Monat so heftig zugenommen hatte, daß an der aus dieser Noth

entstehenden Seuche ungemein viele arme Familien ganz aus­

starben, und viele arme Hütten ihre sämmtlichen Bewohner verloren. Nachdem erklänge in der Stadt und dann auch,

da er aus Liebe zur Veränderung sie verließ, außer ihr seinen täglichen Unterhalt gefunden, und zwar reichlicher als jemals in der armen Hütte seiner Ältern, — kommt er einmal an einem Herbstabend, da eben die Sonne über den Thürmen einer auf der- nahen Anhöhe liegenden Stadt untergehen wollte, auf sine Berghöhe, von der er unten im Thal ein

95 Dorf mit einer kleinen Kirche liegen sieht.

die Kirche kommen ibm so bekannt vor,

DaS Dorf und und,

nun schon

dreister geworden, fragt er einen Bauer, der auf der An­ höhe ackert, wie der Ort hieße? Der antwortet: Ober-S. Bä,

läuft der Kleine,

vor Freude außer sich, den Berg

hinunter und kommt noch in der Dämmerung ins Dorf. Er findet gar bald die wohlbekannte, liebe Hütte seiner Äl­

tern, klopft an der Thüre an, aber die ist und bleibt ver­ Aber an der Hintern Seite des Häuschens, nach oben befand sich ein Laden, der gewöhnlich (denn Diebe

schlossen.

fürchtet ein stund.

armer

guter Bergmann

nicht) immer offen

Auch je^t war er geöffnet und der Kleine kletterte

hinauf, wie er sonst öfters seine alteren Brüder hatte hin­ aufklettern sehen.

Aber innen im HauS war alle- still und

der Knabe, der glaubt, es schlafe schon alleS, legt sich auch ganz still in einem oben auf dem Boden stehenden offnen Kasten, worinnen alte Kleider und Lumpen lagen.

Zum

ersten Male wieder in dem Hause seiner lieben Mutter, erwacht er am andern Morgen überaus froh und heiter,

springt herunter, öffnet HauSthure und Fensterläden- und

sieht sich nun im ganzen Hause um. Aber das ist still und leer, das Bette, wo sonst seine Ältern innen schliefen,

war nicht mehr da,

auf sein Rufen antwortet niemand.



daß keine Spur von ihm zu erblicken war. Dies Gefäß gehörte einer

Wrrtwe Roloff, meiner guten Freundin und Gevatterin, zu, die in ihrer Noth und mit weinenden Augen auch zu mir

184 kam, ob ich ihr in ihrem Unglücke nicht helfen könne.

Ich versprach mein Möglichstes; und sobald nur der Sturm sich abgestellt hatte, und die Schiffe sich wieder auseinander gewirrt, traf ich Anstalten, den Börding mit Winden und

Tauen aus dem Grunde wieder emporzuheben, was mir

denn auch mit vieler Mühe und Arbeit gelang; so daß daS Fahrzeug auf eine sichre Stelle gebracht und der erlittene Schade ausgebeffert werden konnte.

Einige Zeit nachher, während ich noch an meinem Schiffe baute, kam eines Tages das Geschrei zu mir auf die Bau­

stelle : auf dem Pregel am grünen Krahn stehe ein hollän­ mit 120 Lasten Hanf geladen, in lichtem

disches Schiff,

Brande.

Sofort machte ich mich, sammt all meinen Schiffs­

zimmerleuten, deren Jeder mit seiner Ax^ versehen war,

auf den Platz und sah, wie das Feuer klafterlang, gleich einem Pferdeschweif, hinten durch dle Kajütporten empor­

flackerte.

Alle Menschen, soviel sich deren bereits herbei­

waren damit beschäftigt, Löcher in daS Verdeck zu hauen und von oben hinab Wasser in den bren­ gemacht hatten,

nenden Raum zu gießen.

Offenbar aber gewann dadurch

der Brand unterm Deck nur um so großem Zug und war auf diese Weise mit nichten zu.dämpfen.

185 Em so widersinnigns Verfahren konnt' ich nicht lange

gelassen mit ansehen j und das war um so weniger, da mir das schnelle und sichere Mittel beifiel, dem weitern Unglück auf der Stelle zu steuern; wenn nämlich das Schiff, ohne langes Säumen, zum Unterfingen gebracht werden So packte ich denn flugs den Schiffer am. Arm,

konnte.

und schrie ihm zu: „Ihr arbeitet Euch ja damit zum Un­ glück, daß Ihr dem Feuer noch mehr Lust macht. Ver­ senken müßt Ihr das Schiff! HörtZhr? Versenken! WaS

da lange Besinnens!" Es lief aber AtteS verwirrt durch einander, und kein Mensch konnte oder wollte in dem Tumult auf mich hören.

Da. griff ich Einen von meinen Schiffszimmerleuten auf; sprang mit ihm in daS Boot,

welches zum brennenden

Schiffe gehörte und demselben zur Seite lag, und zeigte ihm eine Planke, dicht an und über dem Wasser, wo er ein Loch durch's Schiff hauen sollte. „DaS lass' ich wohl bleiben!" — war- seine Antwort —

in Gottes Namen

„Ich könnte schlimmen Lohn dafür baben!" Dieser Widerstand erhitzte mich noch mehr.

Ich riß ihm

die Axt aus den Händen und bedachte mich keinen Augen­

blick- ein ganz hübsches Loch hart überm Wasserspiegel durch­ zukappen. AlS ich den guten Erfolg sah, legte ich mich

186 auf den Bauch und hieb immer tiefer einwärts, bis endlich das Wasser stromweise da durch und in den Schiffsraum

drang,

OaS eben hatte ich gewollt; und nun eilte ich

spornstreichs auS dem Boote auf das Verdeck, wo sich hun­

dert und mehr Menschen drängten, und schrie: „Herunter vom Schiff,

was

nicht

ersaufen will!

In der Minute

wird's sinken!"

Anfangs hörte man mich nicht; da ich eS aber immer und immer wiederholte, und zugleich auch daS Schiff begann,

sich stark auf jene Seite zu neigen, so kam auf Einmal der Schrecken unter die Leute; alles lief nach dem Lande, in banger Erwartung, was weiter geschehen würde.

Zn der

That legte sich das Schiff so gewaltig seitwärts, als ob eS umfallen wollte; aber im Sinken selbst richtete es sich plötz­ lich wieder empor, und fuhr so, geraden Standes, plötz­

lich bis an die Gaffel-Klaue in die Tiefe, die hier zur Stelle wohl 36 bis 40 Fuß betragen mochte.

Das Feuer war gedämpft. derung

folgte.

Aber

plötzlich

Eine stille dumme Derwunauch

ward jedes Gaffer-

Mund wieder rege und laut, und Jeder fragte in die Wette: „Wer hat daS gethan? Wer hat daS Schiff in den Grund gehauen?" Zeder hatte aber auch gleich die durch einander geschrieene Antwort bei der Hand:

„Net-

1L7 telbeck!

Ei,

das

ist ein Stückchen von Nettelbeck!" —

Nettelbeck aber kehrte

sich

an nicht-,

gieng

ruhig

nach

Hause, und war in seinem Herzen überzeugt, daß er recht gethan habe.

Gleich deS andern TageS, Bormittags neun Uhr, tratm voller Angst,

mein Schwiegervater zu mir in's HauS,

„Nun haben wir'S!

und fuhr auf mich ein:

Ein schönes

Unglück habt Ihr angerichtet mit dem in Grund gehauenen Schiffe!

Schiffer,

Da sind eben drei Kausteute und der holländische sammt

einem Advokaten,

Nun sitzt Ihr in der Brühe'" —

Hiobspost kaum geendet,

tätsdiener zur Stelle,

auf der Admiralität,

auf vollen Ersatz alles Schadens.

und klagen wider Euch

Und noch hatt' er seine

so war auch schon der Admirali­

der mich auf den Lizent, gleich in

dieser nämlichen Stunde, vor das Admiralitäts - Collegium

befchied.

„Die sind rasch

mir selbst; und mir ward

darhinter ber!z/

dacht' ich bei

doch nicht ganz wohl dabei zu

Muthe. Als ich ankam,

fand ich eS ganz so, wie mir's mein

Schwiegervater verkündigt hatte.

tiges Protokoll vorgelesen,

Mir ward ein schon fer­

des Inhalts,

daß ich

es sei,

der unberufener Weise daS Schiff zum Sinken gebracht und dadurch einen Schaden von so und so viel Taufenden ange-

188 richtet habe.

Ich sollte jetzt die Wahrheit dieser Angaben

anerkennen, von der Ursache Rede und Antwort geben und

allenfalls anführen, was ich zu meiner Vertheidigung vor­ zubringen wüßte. Hm! das stand ja sogar verzweifelt noch nicht, wenn

mir noch Einrede und Vertheidigung zugestanden wurde! — „Tausend Augen" — sagte td) — „haben es mit ange­

sehen, wie daS Schiff hinten hinaus in hellem Feuer stand;

und je mehr Luftlöcher die Leute in's Verdeck hieben, desto mehr Nahrung gaben sie dem inwendigen Brande.

Hätte

das nur nod) eine halbe Viertelstunde so fortgedauert, so

nahm die Flamme dergestalt überhand,

daß es kein Mensch

auf dem Schiffe mehr aushalten konnte, und dieses, mit

sammt der Ladung, preisgegeben werden mußte. wenn und

Allein

während. eS nun in voller Glut stand — wie

sollt' es da fehlen, daß nicht auch die Taue mit verbrann­ ten, an denen es am Bollwerk befestigt lag; daß die flam­ mende Masse stromabwärts und unter die vielen andern

dort liegenden Schiffe trieb und diese mit in s Verderben zog? — Ja, was leistete uns Bürgschaft, daß dieser

Schiffsbrand nicht ebensowohl auch die dicht am Bollwerk

befindlichen Speicher und die unzähligen, vor denselben-auffahrenen Hanfwagen ergriff? und daß darüber nicht ganz

löt) Königsberg in Rauch und Asche ausgieng?



Jetzt ist

großes und gewisses Unglück mit um so geringerm Schaden

abgewandt, als Schiff und Ladung wohl noch meist wieder zu bergen seyn werden.

Ich bin daher auch des guten

Glaubens, daß ich in keiner Weise strafbar gehandelt, son­

dern nur meine Bürgerpflicht geleistet habe." Der Direktor, Hr. Schnell, diktirte diese meine Ver­ antwortung selbst zu Protokoll; und der Advokat ermangelte

nicht- dagegen allerlei Einrede zu thun.

Darnach ward

tdf- abermals befragt, ob ich weiter noch etwas zu meinen

Gunsten vorzubringen habe? „Nicht ein Wort!" erwiederte ich — meine Sache muß Die Verhandlung ward zu

für sich selber sprechen." —

Papier gebracht, und dies mußten alle Theile unterzeich­

nen.

Dann wurden wir bedeutet, einstweilen unsern Ab­

tritt zu nehmen-

weil unser Handel klar genug sei,

um

noch in dieser nämlichen Sitzung zum Spruche zu kommen. „Desto besser!" dachte ich —- „Wenn nur die ge­ strengen Herren drinnen.auch Vernunft annehmen wollen!" und über diesem „Wenn" kam es,denn doch bei mir zu einem Herzpochen, das mir diese halbe Stunde Verweilens zu einer sehr bänglichen machte. Wer weiß, ob es meinen Gegenparten viel besser ergieng? — Endlich hieß eS,



i go



daß wir wieder vortreten möchten; und nun gab man uns sogleich auch den gefällte Spruch zu vernehmen, deren In­

halts der Hauptsache nach, etwa dahin lautete:

„Oie Admiralität erkenne, daß der Schiffer Rettetbeck vollkommen recht und löblich gehandelt,

schnelle Versenkung des-,

indem er durch

in Rede stehenden, brennenden

Schiffes größeres Unglück von dem Handelsstande und der

Stadt abgewandt.

Nächstdem aber behalte sich das Colle»

gium vor, ihm dessen Zufriedenheit und Dankbarkeit durch

feierlichen Handschlag zu bezeugen.

Falls auch der Gegen­

part mit diesem Erkenntniß zufrieden fet ,

solle derselbe

gleichmäßig mit dargebotener Hand sich bei gedachtem Net-

telbeck bedanken,

daß er Schiff und Ladung vor noch größ-

erm Schaden bewahrt habe." Nach geschehener Vorlesung stand der Director,

Hr.

Schnell, von seinem Sitze auf, schüttelte mir treuherzig

die Hand und sagte: „Ich thue das, als ErkenntlichkeitsBezeugung, im Namen aller Schiffer, die auf dem Pregel

liegen, und. im Namen der Stadt, die durch Zhren Muth und Besonnenheit einem großen Unglück entgangen ist. Sie sind ein wackerer Mann!"

Kaufleute, Schiffer und Advokat sahen einander an und gaben etwas verlegene Zuschauer bei diesem Auftritt ab.

ryi Endlich traten sie, einer nachdem andern, zu mir und ga­ ben mir ihre dankbare Hand. Die Vernünftigem unter ihnen gaben zu gleicher Zeit zu verstehen, sie wären nur

darum zur Klage wider mich geschritten, um sich bei ihren

Versicherern, Rheedern und Correspondenten wegen Vorgangs mit dem Schiffe hinlänglich zu decken.

deS

Schon waren wir im Begriff, aus der Gerichtsstube wieder abzutreten, als der Director mich zurückrief, und anhub: „Schiffer Nettelbeck! Wie ist's? Haben Sie nicht in vorigem Jahre der Wittwe Roloff ihren im Pregel ver­

sunkenen Börding glücklich wieder in die Höhe gebracht? —

Ich dächte. Sie wären ebensowohl der Mann dazu, Ihr

Kunststück auch au diesem Schiffe hier zu wiederholen? — „Meine

Herren!"

sich

zu den Kaufleuten wendend —-

„Sie sollten sich diesen Vorschlag überlegen! WaS meinen

Sie? " Alsobald legten mir die Gefragten die Sache andringlich vor.

„Je mm," erwiederte ich — vieles in der Welt

läßt sich machen? wenn es mit Vernunft und Geschick ange­

griffen wird.

Wir beide, der Schiffsherr und ich, wollen

hingchen, untersuchen und das Ding an Ort und Stelle reiflicher überlegen. Laßt sich was beginnen, so wollen wir in GotteS Namen Hand an'S Werk schlagen." —

Sogleich

102 auch machten wir uns auf den Platz:

aber alsbald auch

ward mir's klar, daß der Schiffer eine Schlafmütze war,

von dem ich keinen erklecklichen Beistand erwarten durste. Lieber also ließ ich ihn ganz ans dem Spiele ; gieng zu meinem guten ehrlichen Freunde, dem Schiffszimmermcister

Backer, und bat ihn, daß er mir bei meinem Vornehmen

helfen möchte. Oer war auch zu Allem bereit und willig; und so schritt ich denn getrost an die Ausführung. Nach dem Plane, den wir entworfen hatten, erbat ich mir von ein paar guten Freunden zwei Fahrzeuge zu meiner Verfügung; wobei denn natürlich alle Gefahr und der Er­ satz des etwa zugefngten Schadens auf meine Rechnung gieng,

für den Gebrauch derselben aber eine billige Vergütung be­

dungen wurde.

Indem ich nun diese Bordinge zu beiden

Seiten des versenkten Schiffs postirte und meine Winden

und Hebezeuge darauf anbrachte und in Bewegung setzte, gieng die Arbeit rasch und glücklich von statten.

Wir hoben

die ungeheure Last unter dem Wasser aus dem tiefen Grunde so weit in die Höhe, daß man bereits auf das Verdeck, etwas mehr als Knie tief,

treten konnte und ich binnen

kurzem den Augenblick erwartete, wo dasselbe vollends emportaüchen würde.

Jetzt aber plötzlich stockten alle meine Maschinen; und

keine Kraft derselben war stark genug, das Schiff auch nur

um einen einzigen Zoll höher zu bringen.

Ich hatte die

beiden Bordinge durch die Winden dergestalt anstrengen las­

sen, daß sie vorne mit dem Bordrande dicht auf dem Was­ ser lagen, wahrend die Hintertheile sich bis zum Kiel in die Höhe kehrten. Brach jetzt irgend etwas an den Tauen, die unter dem Schiffe durchgezogen waren, so waren Un­

glück und Schaden, die dann entstehen mußten, gar nicht zu berechnen. In dieser peinlichen Lage mußten demnach vor allen Dingen noch ein paar Ankertaue unter den Schiffs­ kiel gebracht werden, in denen cs nunmehr mit vollerer Sicherheit hieng: mit) nun galt es um ein Mittel, es noch

um soviel zu erleichtern, damit nur die großen Lucken auf dem Verdeck nicht mehr vom Strome Überflossen würden

und

die

auzubriugenden Pumpen

dann

freies Spiel ge­

wannen. Da sich jedoch der Schiffskörper um keine Linie mehr

rücken lassen wollte, so fiel ich darauf, ich müßte jene Lnkken um soviel erhöhen, daß sie über dem Wasserspiegel em-

porragten.

Das war zu bewerkstelligen, wenn ich ebenso­

viel Kasten oder Verschlage, von wenigstens zwei Fuß Höhe,

und gleichem Umfang mit den Lucken dergestalt wasserdicht



1Y4



auf denselben und L em Verdeck befestigte, daß sie gleichsam

einen Brunnenrand verstellten. Was nun aus diesen Kasten geschöpft wurde, war dann eben so gut, als sei es ans dem Raume geschöpft,

in welchem auf diese Weise das

Wasser endlich doch nothwendig abnehmen mußte.

Dann aber hob sich das Schiff von selbst, ohne daß es ferner

meiner Maschinen bedurfte. Kaum war dieser Gedanke zur Welt geboren, so ließ ich mir einen Zollstock geben, um unter dem Wasser das

genaue Maaß der Lucken in Lange und Breite zn nehmen; rief meine Leute zu mir nach der Baustelle und gab ihnen an, was zu thun sei.

In Zeit einer Stunde, (während

welcher Alles in höchster Erwartung dessen stand, was wer­ den sollte) kam ich mit den fertigen Kasten und meinen

Arbeitsleuten zurück, und hatte die Freude, zu sehen, daß jene vollkommen wohl auschlossen. Um mich jedoch dessen noch völliger zu versichern, riß ich mit dem Zirkel die Bie­ gung der Schiffsdecke unterm Wasser an dem Rande der

Kasten sorgfältig vor; ließ soviel, als darnach nöthig war,

heraushauen, und konnte nunmehr mein Werk, da kaum noch einiges Wasser durchsickerte, für gelungen halten. Hunderte von müßigem Pöbel standen, als Zuschauer,

am Bollwerk.

Ich wandte mich zu ihnen und rief: „Heran

1H5 mit Eimer und, Geräts-, wer Lust hat, mit Wasserschöpfen

jede Stunde einen halben Gulden zu verdienen!" —

Ho,

da- war, als hätt' ich sie zur Hochzeit gebeten! Es stürz« ten gleich soviel Arbeiter herbei auf das nasse Verdeck, daß sie um die Kastenränder nicht alle Raum zum Handthieren hatten.

Ich ließ sie ihr Wesen treiben und stieg derweilen

.in'S Boot, um mit dem Bootshaken das Loch unter Wasser aufzusuchen,

welches meine Hände bineingehauen hatten.

Dann aber sah td) mich nach einem Sacke.um, (oder war

es ein Stück altes Segeltuch; ich weiß es nicht!) um jeneS

Loch zu stopfen und dadurch neuen Zufluß zu hindern. Bei jedem Schopf, den so viele Eimer zugleich thaten, wurden vielleicht fünfzig und mehr Kubik-Fuß Wasser —

erst aus den Kasten, dann tiefer ans dem Schiffsräume hervorgefördert; so daß bald die Arme der Arbeiter eS nid-t füglid) erreichen konnten. Irl eben dem Maaße nun,

als durch diese Erleichterung das Schiff wieder an eigner Hebekraft gewann, erlangten and) die beiden Fahrzeuge,

zwischen denen es in der Schwebe hieng,

ihre verlorne

Wirksamkeit wieder. Sie hoben fid) vorne wieder; und so, mit Einem Ruck, brachten sie nun das Schiff glücklich in die Hohe, daß es durch sich selber flott wurde und da-

Verdeck über Wasser zu stehen kam.

3 2



ig6 —

Jetzt konnten auch die Hanfgebinde an den Lastbändern aus dem Raume hervorgelangt werden.

Mit der erleichter­

ten Ladung aber trat auch immer mehr und mehr Bord hervor, bis endlich auch mein gehauenes Loch über dem Wasser zum Vorschein gelangte und sonach mein Werk für

abgethan gelten konnte.

Ich schlug also ein Kreuz darüber

und gieng, weil ich mich trefflich abgemattet fühlte, in des

Herrn Namen nach Hause; während mein Freund Backer und der Schiffer das Übrige besorgen mochten.

Einige Tage daraus ward ich abermals vor die Admi­ ralität gefordert. Jcb fand dort die Herren Kaufleute, die mir fürerst ihren Dank für mein glücklich gelöstes Verspre­

chen bezeugten, dann aber auch sich für meine angewandte Bemühung

mit

mir

abzusinden

wünschten.

Auf meiner

Rechnung, die ich ihnen deß Endes einreichte, standen bloß die beiden Bordinge,

die ich gebraucht hatte,

jeder mit

20 Thalern angcsetzt, sammt einer Kleinigkeit für Abnutz

an Tauen, Winden und andern Geräthschaftenz die denn auch sogleich und ohne allen Anstand bewilligt wurden.

Da

ich indeß, was mich selbst betraf, keine Forderung machen wollte, so boten sie mir ein Geschenk von hundert Gulden

Preuß., sammt 10 Pfund Kaffe und 20 Pfund Zucker. Ich

nahm,

was mir gegeben wurde,

und schenkte davon 25

197 Gulden für die Armen, um ihnen auch einmal einen guten

Tag zu machen.

3-

Der rechtschaffene Helfer. So kam das Jahr 1776 heran und fand mich wieder .als Lehrer in der Steuermannskunst, wobei ich mich, da ich tüchtige und lernbegierige Schüler hatte, immer noch in

meinem angemessensten Elemente befand.

Auch im Winter

1777 trieb ich diese nützliche, wenn auch eben nicht sonder­ lich einträgliche Beschäftigung. Am 28sten April dieses JahreS stand ich hier in Kolberg,

etwa um die Mittagszeit,

eines abznmachenden Geschäfts

wegen, beim Herrn Advocat Krohn am Fenster, als mit­

ten

in

unserm Plaudern

plötzlich

ein ganz erschrecklicher

Donnerschlag geschah, so daß Jener vor Schrecken neben mir rriederstürzw und wie ohne Leben und Besinnung schien. In der That glaubte ich auch nichts gewisser, als daß er von dem Blitzstrahl getroffen worden, bis mein Rütteln und

Schütteln ihn endlich doch wieder auf die Beine brachte. „Wo hat es eingeschlagen? " fragte er, immer noch »hoch­ bestürzt. — „Ich hoffe, nirgends;" war meine Gegen-



1YS



rede — „oder mindestens doch nicht gezündet, da Regen, Schnee und Hagel die Lust erfüllen und alle Dächer trie
xer verachtete Rath. (Von Hebel.) vvftin darf nie weniger geschwind thun,

wenn etwas

geschehen soll, als wenn man auf die Stunde einhalten will. Ein Fußgänger auf der Basler Straße drehte sich nm und sah einen wvhlbcladenen Wagen schnell hinter sich her­

eilen. „Dem nruß es nicht arg pressiren," dachte er. — „Kann id) vor Thorschluß noch in die Stadt femmen ?" fragte ihn der Fuhrmann. — „Schwerlich^" sagte der Fuß­ gänger,

„doch wenn ihr .pecht langsam fahrt, vielleicht.

Ich will auch noch hinein." —

„Wie weit ist's noch?"

„Noch zwei Stunden." — „Ei," dachte der Fuhrmann," das ist einfältig geantwortet. Was gilt's, es. ist ein Spaß-

vogel."

„Wenn ich mit Langsamkeit in zwei Stunden hin-

einkomme," dachte er, „so zwing ich's mit Geschwindigkeit

in anderthalben, und hab's desto gewisser."

Also trieb er

Ne Pferde an, daß die Steine davon flogen und die Pferde die Eisen verloren. Der Leser merkt etwas. »Was giltä," denkt er, „eS fuhr ein Rad vom Wagen?" Es,, kommt

270 dem Hausfreund auch nicht darauf au. Eigentlich aber, und die Wahrheit zu sagen, brach die hintere Achse. Kurz der Fuhrmann mußte schon im nächsten Dorf übernacht bleiben. An Basel war nimmer zu denken. Der Fußgänger aber, als er nach einer Stunde durch das Dorf gieng und ihn vor der Schmiede erblickte, hob er den Zeigfinger in die Höhe. „Hab ich euch nicht gewarnt," sagte er, „hab ich nicht nicht gesagt: wenn ihr langsam sofort ?"

62.

Wunderlichkeit.

(Von Hebel.) Es giebt so-wunderliche Herrschaften, daß eS niemand

bei ihnen aushalten könnte, Menn es nicht eben so schlaues Gesinde gäbe. Einer verlangte früh im Bette ein Glas voll Wasser von seinem Bedienten. Das Wasser war nicht- frisch genug. „Geschwind ein anderes!" Der Bediente stellte das GlaS draußen auf den Tisch und holte dem Herrn ein zweites.

270 dem Hausfreund auch nicht darauf au. Eigentlich aber, und die Wahrheit zu sagen, brach die hintere Achse. Kurz der Fuhrmann mußte schon im nächsten Dorf übernacht bleiben. An Basel war nimmer zu denken. Der Fußgänger aber, als er nach einer Stunde durch das Dorf gieng und ihn vor der Schmiede erblickte, hob er den Zeigfinger in die Höhe. „Hab ich euch nicht gewarnt," sagte er, „hab ich nicht nicht gesagt: wenn ihr langsam sofort ?"

62.

Wunderlichkeit.

(Von Hebel.) Es giebt so-wunderliche Herrschaften, daß eS niemand

bei ihnen aushalten könnte, Menn es nicht eben so schlaues Gesinde gäbe. Einer verlangte früh im Bette ein Glas voll Wasser von seinem Bedienten. Das Wasser war nicht- frisch genug. „Geschwind ein anderes!" Der Bediente stellte das GlaS draußen auf den Tisch und holte dem Herrn ein zweites.

271

DaS Glas war nicht sauber genug. „Geschwind ein ans ders!" Der Bediente stellte es draußen auf den Tisch und holte ein drittes. Das Wasser war nicht rein genug. /z Geschwind ein anderes!" Der Bediente stellte das dritte auf den Tisch und brachte daS erste wieder. DaS trank sein Herr mit großem Gelüst. „Hättest du mir dieses nicht gleich zuerst bringen können? Geschwind noch so eins!" Da brachte ihm der Bediente das zweite wieder, und also auch das dritte, und gestand nachgehendö seinem Herrn, daß eS immer das nämliche gewesen sei. Ein anderer, ein junger Edelmann, hätte fürs Leben gern Freude gehabt am Morgenroth und am frischen Maien­ dust und Vogelgesang untereinander, wenn er nicht noch größeres Vergnügen gefunden hätte am Schlafen. Deßwe­ gen befahl er seinem Bedienten, daß er ihn jeden Morgen um 5 Uhr wecken und ihm keine Ruhe lassen sollte, biS er aufstünde. „Und sollt's bis zu Schlägen kommen," sagte er. „Aber eS bleibt unter und." Item zu Schlägen kam es fast allemal, aber wer sie davon trug war der Bediente, und war'S nicht früh um fünf, wenn er den Herrn weckte, so war es Vormittag um zehn oder eilf Uhr, wenn er ihn schlafen ließ, ausgenommen denn, der Bediente gebrauchte eine List. EineS Morgens, als der Herr noch so ganz fest

zu schlafen schien-, strich er ihm die Achsel und den Rücken, so weit er zukommen konnte, mit rother und blauer Farbe

an und deckte ihn wieder zu. Um zehn Uhr, als der Herr erwachte und die Sonne schott hoch über das Kirchendach -erabschaute, fuhr er zornig aus dem Bette heraus und auf den Bedienten los. „Warum hast du mich heute nicht geweckt?" — „Hab ich euch nicht geweckt? Warum seid

ihr nicht aufgestanden!" — „ Warum hast du nicht Ge­ walt gebraucht?" — „Hab ich euch nicht braun und blau

geschlagen? Beseht nur eure Achsel in dem Spiegel."

Als

aber der.Herr in dem Spiegel die blauen und rothen Strie­ men sah, ward sein Zorn zufrieden und legte sich.

laß dir gut seyn," sagte er zu dem Bedienten,

„Das

„daß du

mich so zerschlagen hast."

1)5-

Lächerlicher Jrrthum einer Schildwache. (Von Hebel.) Bekanntlich sagt man,

daß ein Stern schieße, wenn

keiner schießt, sondern, was man meint, und waS so aus-

zu schlafen schien-, strich er ihm die Achsel und den Rücken, so weit er zukommen konnte, mit rother und blauer Farbe

an und deckte ihn wieder zu. Um zehn Uhr, als der Herr erwachte und die Sonne schott hoch über das Kirchendach -erabschaute, fuhr er zornig aus dem Bette heraus und auf den Bedienten los. „Warum hast du mich heute nicht geweckt?" — „Hab ich euch nicht geweckt? Warum seid

ihr nicht aufgestanden!" — „ Warum hast du nicht Ge­ walt gebraucht?" — „Hab ich euch nicht braun und blau

geschlagen? Beseht nur eure Achsel in dem Spiegel."

Als

aber der.Herr in dem Spiegel die blauen und rothen Strie­ men sah, ward sein Zorn zufrieden und legte sich.

laß dir gut seyn," sagte er zu dem Bedienten,

„Das

„daß du

mich so zerschlagen hast."

1)5-

Lächerlicher Jrrthum einer Schildwache. (Von Hebel.) Bekanntlich sagt man,

daß ein Stern schieße, wenn

keiner schießt, sondern, was man meint, und waS so aus-

273 sieht, sirrd nur Dünste, die sich nicht sehr weit über uns

in der irdischen Luft entzünden nnd wieder verlöschen. Die Sterne -aber sind viele Millionen Meilen weit von uns ent­ fernt.

Jeder beobachtet seinen richtigen Lauf und hält auf

die Minute ein, denn sie stehen unter einer scharfen Auf­ sicht.

Was braucht man seinem verständigen Leser so etwaS

noch lange zu sagen?

Ein gewisser Soldat aber auf der

Schildwache muß die Betrachtung über das Weltgebäude im

Kalender nie gelesen haben.

Auf und ab, und ab und auf

in der Mitternacht, machte er bald zum Zeitvertreib Additionsexempel, zahlend die Ermuuterungshiebe, die er bei verschiedenen schicklichen Gelegenheiten schon eiugethau hatte;

bald verfertigte er in Gedanken ein Vricflein an die Herz­

allerliebste sein: „Zito, Zito, durch das Land";

bald be­

trachtete; er zur Abwechslung die benachbarten Häuser und die Thürme im Mondschein des letzten Viertels, unter andern

auch den Sternthurm, auf welchem die Sternseher sich auf­ halten und Acht haben, was bei Nacht am Himmel ge­ schieht, damit sie's wissen.

Auf einmal streckt einer von

den Sternsehern ein Fernrohr heraus,

ein Perspektiv, und

schaut mach einem Sternlein hinaus. Oer Soldat dachte: „ Was will jetzt der da oben mit feinem Blasrohr? " Denn

er sah das Perspektiv für ein Blasrohr an.

Als er ihm

274 eine Zeitlang unbeweglich zugeschaut hatte, dachte er: „der zielt aber lang!" Endlich schoß ein Stern, wie man's nennt. Da gerieth der Soldat in Verwunderung und Staunen. „Heidi Galleh," sagte er überlaut, „der kann's!" Näm­ lich er meinte, der Sternsehey habe nach einem Sterne ge­ zielt und ihn vom Himmel herunter geschossen, wie man einen Sperling vom Dache schießt. „Der hat sein sagte er, der kommt nimmer! — Also giebt es nicht nur Leute, die da meinen, daß die Sterne schießen, sondern einer hat so­ gar gemeint, daß sie können geschossen werden von den Sternsehern.

64. Dom Käse - fallen - lassen und Hinten - nach« kommen. (Pahl nach Zinckreff.)

wird beinahe keine Stadt in Deutschland seyn, von der unsre zu Fröhlichkeit und Schwänken aufgelegten Alten nicht irgend einen Schildbürgersstreich zu erzählen wußten, womit

274 eine Zeitlang unbeweglich zugeschaut hatte, dachte er: „der zielt aber lang!" Endlich schoß ein Stern, wie man's nennt. Da gerieth der Soldat in Verwunderung und Staunen. „Heidi Galleh," sagte er überlaut, „der kann's!" Näm­ lich er meinte, der Sternsehey habe nach einem Sterne ge­ zielt und ihn vom Himmel herunter geschossen, wie man einen Sperling vom Dache schießt. „Der hat sein sagte er, der kommt nimmer! — Also giebt es nicht nur Leute, die da meinen, daß die Sterne schießen, sondern einer hat so­ gar gemeint, daß sie können geschossen werden von den Sternsehern.

64. Dom Käse - fallen - lassen und Hinten - nach« kommen. (Pahl nach Zinckreff.)

wird beinahe keine Stadt in Deutschland seyn, von der unsre zu Fröhlichkeit und Schwänken aufgelegten Alten nicht irgend einen Schildbürgersstreich zu erzählen wußten, womit

575 dann die Einwohner

bei Gelegenheit

geschraubt wurden.

Manchmal ward im Laufe der Zeit der Schildbürgerstreich

selbst vergessen, und es erhielt sich nur noch ein Wort oder eine Ncdeform, womit man die Einwohner neckte und auf­

zog. So wurden die Bürger zu Zwingenberg, an der Berg­ strasse, mit „Käsen,“ und die in dem benachbarten Städt­ chen Bensheim mit dem „hintennachkommen" geschraubt, die letzter«, weil sie in irgend einer pfälzischen Fehde mit

ihrer Fahne zu spat gekommen waren.

Nun ritt einst ein

Zwingenberger durch Bensheim, als die Bürger in der Kühle

des Abends vor ihren Häusern saßen. Gesellen riefen ihm nach:

fallen lassen."

„Holla!

Einige muthwillige

du hast einen Käs

Da wandte sich der Reiter nm und sprach:

„Es kommt einer hinten

nach,

der wird ihn schon

aufheben!z/

D i e

b5. I

Mr o ß-e n

Fis ch e.

(Ein Schwank von Haug.)

Ein gut Gesell am Tische saß, allwo man große Fische aß.

575 dann die Einwohner

bei Gelegenheit

geschraubt wurden.

Manchmal ward im Laufe der Zeit der Schildbürgerstreich

selbst vergessen, und es erhielt sich nur noch ein Wort oder eine Ncdeform, womit man die Einwohner neckte und auf­

zog. So wurden die Bürger zu Zwingenberg, an der Berg­ strasse, mit „Käsen,“ und die in dem benachbarten Städt­ chen Bensheim mit dem „hintennachkommen" geschraubt, die letzter«, weil sie in irgend einer pfälzischen Fehde mit

ihrer Fahne zu spat gekommen waren.

Nun ritt einst ein

Zwingenberger durch Bensheim, als die Bürger in der Kühle

des Abends vor ihren Häusern saßen. Gesellen riefen ihm nach:

fallen lassen."

„Holla!

Einige muthwillige

du hast einen Käs

Da wandte sich der Reiter nm und sprach:

„Es kommt einer hinten

nach,

der wird ihn schon

aufheben!z/

D i e

b5. I

Mr o ß-e n

Fis ch e.

(Ein Schwank von Haug.)

Ein gut Gesell am Tische saß, allwo man große Fische aß.

27 6 jedoch er kleine nur bekam,

was er im Herzen übel nahm. Worauf er anhob, dergestalten

die Fischlein an sein Ohr zu halten, als müßten sie ihm was vertrauen. Die Gäste hoch verwundert schau'n,

und einer fragt, was ihm geliebe, daß er solch Hokus Pokus übe? Da sprach der gut'.Gesell:

„Ze nun!

„Deß toi) ich gern euch Kundschaft thun.

„Mir ist vorlängst ein Freund ersoffen, „würd' nicht mehr funden wider Hoffen. //Ich fragte nun der Fischlein drei, „ob sie nicht wüßten, wo er sei?

„Wir sind zu jung noch, ist ihr Sagen: „da müßt ihr ältre Fische fragen." — Jetzt merkten erst am obern Tisch

die Herrn den.Schwank und sandten risch

dem losen Gast vom größten Fisch.



277



66. Rübezahl und der Bote. ( A. 6. Erhtg.) Viel Mancher hörte viel manchesmal

em Mährlein wohl vom Rübezahl,

und hat es ihm gutes Vlut gemacht und hat er herzlich darob gelacht, et, so geschieht's ihm richtig zu Dank, erzähl' ich wiederum solcherlei Schwank.

Im Riesengebirge weit und breit Herr Rübezahl mit Gewaltigkeit

thät fürchtlich regieren rings umher, gelind den Frommen, den Schälken schwer. Vorab wenn Einer mit Namen ihn schalt,

durch Spuk und Tort er's übel vergalt.

Da zog ein Bote dcö Wegs einst hin, der deuchte sich klug in seinem. Sinn f

sprach bei sich selber: So laßt doch sehn, wird Rübezahl zu Leibe mir gehn? —

27 8 Drauf ruft er den Namen gar spöttisch auS,

doch regt sich im Walde nicht Manu, nicht Maus z und keck zur Schenke der Bote steigt,

die droben am Wege sich gastlich zeigt. Da trinkt er ein Gläschen oder drei, und denkt,

daß quitt und ledig er sei,

nimmt wieder den Votenspieß zur Hand, und schlendert frisch und froh durchs Land.

Ein knappes Weilchen , so stecket Morast,

recht grün und dick, vor unserm Gast.

Er muß hindurch, denn Halter kein Naum ist neben vorüber am Bergessaum. Da tappt er bedenklich mit seinem Spieß,

wo Stiefel, sammt Fuß, sich setzen ließ,

und patsch in der Pfütze (verdammter Streich!) bekömmt er ein Bettlein garstig weich:

denn leider das Spießchen,

bei Nebel und Nacht

zur redlichen Stütze sonst wohlgemacht,

dermalen entfuhr's ihm und glitschet aus und wirft in die Brühe den patzigen Klaus. Der brummt viel Wetter und Blitz in'n Bart,

(Klaus just nicht war manierlich und zart!)

279 und krabbelt empor und schabet sich ab

und setzet weiter den Botenstab. Bald wird'S gar* felsig an seinem ©teg,

und schwapp entschlüpfet der Spieß ihm weg.,

und abermal hat er sein Mütterchen küßt, lieb Mütterchen Erde, die drunter ist.

Potz-Blitz-Element! der Spaß wird grob,

und Klauschen ergrimmt gebührlich darob, steht auf und begucket mit Verdrieß, als schwankt^ ihm was, den Lumpenspieß,

und sieht' nicht Schaden, nicht Bruchs nicht Fehl und kraut sich am Kopf und glotzet scheel. Nun will er nicht trauen, nun ist er klug:

zweimal auf die Nase bedünket ihn g'nug; er wendet die Lanze, der Eisenspeer

muß nieder zu Boden, das halt schon mehr.' — Ein Weilchen geht's wie gepfiffen itzt,

bis — krach! — am Raine mein Klausel sitzt, daß alle Sterne vom Himmelreich

vor Augen ihm funkeln und tanzen zugleich. Hoch schreit er: Zeter und Mordio!

280 Mein Lebtag setzt' ich mich nimmer also ! — Mit Angst ersieht er, mit Nöthen vom Grund, und schimpfet den Spieß: du Höllenhund!

Gleich packt er ihn fest von unten und trägt ihn weislich empor, auf die Schulter gelegt; und über ein Kurzes, von Schritt zu Schritt, als schleppt er den leidigen t f t Schwarzen damit, geht nieder die Spitz' und wiegt und zieht, und lastet und ängstiget, drückt und müht, daß krachend der Bote nicht Rath sich weiß, und traust und regnet von Fieberschweiß. Da knackt die Geduld, da sprudelt der Zorn; risch fort vom Hals in Distel und Dorn wirft Klausel den Spieß, und trabet bas für und schiert sich den Daus um die stattliche Zier. Es hat mir ein Schelm was angethan! —, Nun merkt er's endlich, der pfiffige Mann, und frei und. ledig, mit Sing und Sang, gar lustig trollt er des Weges entlang.

Zisch! zisch! da schwirr'ts von hinten ihm nach, und Wunder, daß ihm das Herz nicht brach!



Er drehet sich nm,

281



der gehänselte Schuft,

und sieht — und bebet, — es pfeift durch die Luft

das Spießchen ihm grade zu Leib, — und kaum entwischt er am Wege zum nächsten Baum, so steckt mit dem Eisen auch allerbest im Holze deS Stammes die Lanze fest.

Nun, Klaus, nun gilt'ö! nun rathe dir schlau! Es schwindelt das Haupt ihm, es wird ihm stau. Oer Höllcnfpicß — cd ist sonnenklar! — jetzt will er an's zeitliche Leben ihm gar!

Mir Muth ergreift ihn der Bot' auf's neu: ,,ich will dich kuranzen, bei meiner £reu!/z — und schrittlings drüber lüpft er das Bein, und hält ihn vorn mit den Fäusten fein, und bändigt ihn, — als den Bucephalus Alexander gebändigt, der Pfiffikuö. Da wird's im Hui; poz Tausend und Blitz!

wie schnurret vom Damm auf stattlichen Sitz der Bote bergunter, thalsaus, thalein,

durch Wiesen und Wälder, durch Stock und Stein! Kein Roß, kein Adler, kein ftüchtiger Pfeil galoppirt davon in so rasender Eil >

282 der Athem vergeht, vor Lachen und Hast,

auf stieg end em Holze dem freudigen Gaff, und hoch ist'S Zeit, da paffet im Klapps der Spieß an die Pforte bei Hänselei» Schnapps/

wo Klaus sich des Abends für Hunger und Durst gedachte zu letzen mit Bier und mit Wurst.

Ab, ab vom närrischen,

lustigen Gaul,

mein herzlich getrösteter Klaus, nicht faul ! Und doppelt heischt er die Portion,

und rechnet in alle vier Species schon, was solch ein kommliches Roß erspart per Tag und per Woche zur Botenfahrt.

Doch — (soll ich, soll ich es melden nur? —

wa- gilt's, die Klugen sind auf der Spur!) doch, der im Stabe gespucket hat, Herr Rübezahl, war des Spasses satt;

zum Ofen stellt in den Winkel er itzt, dieweil auf Wunder sich Klauöchen spitzt,

den alten, den steifen, den sittigen Spieß, der nichts von Künsten sich träumen ließ;

und, satt schon, langet nun allgemach in Zuversicht Freund Klaus darnach.

283 Husch,

ruft er mit unverzagtem Schrei?»

den Wirth und die wackelnde Wirthin herein: ,, Na, schaut's, wie flink es von dannen geht!

Ade, Herr Wirth und Frau Margareth!" — D Schreck! o Jammer! o mäuschenstill das Steckenpferd vom Flecke nicht will,

und hinten und vorn am gelben Schopf reibt Kläusel sich damisch, der arme Tropf, von Wirth und Wirthin wohl ausgelacht;

denn Schade hat immer den Spott gebracht.

Da duckte sich KlauS und schlich davon, und wer ihn genarrt, das weiß er nun schon; that nichts mehr schimpfen von Nübezahl, zog schweigend durch'- Niesengebirg zumal.

6?. Hans

im

Glück.

(Gebr. Grimm.) ^)anS hatte sieben Jahre bei seinem Herrn gedient,

da sprach er zu ihm: „Herr, meine Zeit ist herum, nun

283 Husch,

ruft er mit unverzagtem Schrei?»

den Wirth und die wackelnde Wirthin herein: ,, Na, schaut's, wie flink es von dannen geht!

Ade, Herr Wirth und Frau Margareth!" — D Schreck! o Jammer! o mäuschenstill das Steckenpferd vom Flecke nicht will,

und hinten und vorn am gelben Schopf reibt Kläusel sich damisch, der arme Tropf, von Wirth und Wirthin wohl ausgelacht;

denn Schade hat immer den Spott gebracht.

Da duckte sich KlauS und schlich davon, und wer ihn genarrt, das weiß er nun schon; that nichts mehr schimpfen von Nübezahl, zog schweigend durch'- Niesengebirg zumal.

6?. Hans

im

Glück.

(Gebr. Grimm.) ^)anS hatte sieben Jahre bei seinem Herrn gedient,

da sprach er zu ihm: „Herr, meine Zeit ist herum, nun

284 wollte ich gern wieder heim zu tu eine? Mutter, gebt mir meinen Lehn." Oer Herr antwortete: „Du hast mir treu und ehrlich gedient; wie der Dienst, so'soll der Lohn'seyn;"

und gab ihm ein Stuck Gold, das so groß als HansenS Kops war. HanS zog sein Tüchlein, wickelte' den Klumpen hinein, setzte ihn auf die Schulter und machte sich auf den

Weg nach Haus.

Wie er so dahin gieng und immer ein

Bein vor das anoere setzte, kam. ihm ein Reiter in die Au­ gen, der frisch uitO fröhlich auf einem muntern Pferd vor­ bei trabte. „Ach, sprach HanS ganz laut, waS das Rei­

ten ein schönes Ding ist! Da sitzt einer wie auf einem Stuhl,

stößt sich an keinen Stein, spart die Schuh und kommt fort, er weiß nicht wie!"

Der Reiter, der das gehört hatte,

rief ihm zu: „Ei, HanS, warum läufst du auch zu Fuß?" „Ach, da muß ich den Klumpen heim tragen! Es ist zwar Gold, aber ich kann den Kopf dabei nicht gerad halten,

und es drückt mir auch auf die Schulter." „Weißt du was? sagte der Reiter und hielt an, wir wollen tauschen: ich geb dir mein Pferd, und du giebst mir deinen Klum­

pen.^

„Von Herzen gern, sprach Hans, aber ich sag euch,

ihr müßt euch damit schleppen."

Der Reiter stieg ab, nahm

daS Gold und half dem Hans hinauf, gab ihm die Zügel fest inKie Hande und sprach: „Wenn'-.nun recht geschwind

2C5 soll gehen, so Mußt du mit der Zunge schnalzen und hopp,

hopp! rufen."

Hans war seelcnfroh, als er auf dem Pferd saß und so frank und frei dahin ritt. Über ein Weilchen fiel's ihm

ein, es sollte noch schneller gehen,

und er fieng an mit

der Zunge zu schnalzen und hopp,, hopp! zu rufen.

Das

Pferd setzte sich in starken Trab und eh' sichs Hans versah, war er abgeworfen und lag in einem Graben, der die Äcker

von dep Landstraße trennte.

Das Pferd wär' auch durchge-

gangen, wenn es nicht ein Bauer aufgehalten hätte, der deö Weges kam.Md eine Kuh vor sich trieb.

Hans suchte

seine Glieder zusammen und machte sich wieder auf die Beine. Er war aber verdrießlich und sprach zu dem Bauer: „ES ist ein schlechter Spaß das Reiten, dazu, wenn man "auf so eine Mähre gcräth, wie diese, die stößt und einen her­

abwirst, daß man den Hals brechen kaun; ich setz' mich nun und nimmermehr wieder auf.

Da lob ich mir eure

Kuh! da kann einer-mit Gemächlichkeit hinter her gehen, und hat obendrein seine Milch, Butter und Käse jeden Tag

gewiß.

Was gab ich drum, wenn ich so eine Kuh foätte !"

,/ Run, sprach der Bauer, geschieht euch so ein großer Ge­

fallen, so will ich euch woh^ die Kuh für das Pferd ver-

28Ö Hans willigte mit tausend Freuden ein;

tauschen."

der

Bauer schwang sich aufs Pferd und ritt eilig davon.

Hans trieb nun seine Kuh ruhig vor sich her und be­ dachte den glücklichen Handel. „Hab ich nur ein Stück Brot, und daran wird mirs doch nicht fehlen, so kann ich, so oft mir's beliebt, Butter und Käse dazu essen;

hab ich

Durst, so melk ich meine Kuh und trinke Milch: Herz, was verlangst du mefor ?"

Als er zu einem Wirthshaus kam,

machte er Halt, aß in der großen Freud' alles was er bei sich hatte, sein Mittags- und Abendbrot, rein auf, und ließ

sich für seine letzten paar Heller ein halbes Glas Bier ein­

schenken.

Dann trieb er seine Kuh weiter, immer nach dem

Dorfe seiner Mutter zu. Die Hitze wurde aber drückender, je näher der Mittag kam, und Hans befand sich in einer Haide, die wohl noch eine Stunde dauerte.

Da ward eS

ihm ganz heiß, so daß ihm vor Durst die Zunge am Gau­

men klebte.

Dem Ding ist zu helfen, dachte Hans-; jetzt

will ich meine Kuh melken und mich an der Milch laben. —

Er band sie an einen dürren Baum und stellte seine Leder­ mütze unter, aber so sehr er sich auch abmühte,

kein Tropfen Milch zum Vorschein.

es kam

Weil er sich aber un­

geschickt dabei anstellte, so gab ihm das ungeduldige Thier endlich mit einem der Hinterfüße einen solchen Schlag vor

287 den Kopf, daß er zu Boden taumelte und eine Zeitlang sick­

Glücklicherweise

wo er war.

gar nicht besinnen konnte,

kam gerade ein Metzger des Weges, der auf einen Schub­ „Was sind das

karren ein junges Schwein liegen hatte.

für Streiche?zz rief er und half dem guten Hans auf.

Hans erzählte, was vorgefallen war.

Der Metzger reichte

ihm seine Flasche und sprach: „Da trinkt einmal und erholt euch!

Oie Kuh will euch wohl keine Milch geben, das ist

ein altes Thier, daS höchstens noch zum Ziehen taugt oder

zum Schlachten.zz

„Ei,

ei, sprach Hans.und strich sich

die Haare über den Kopf, wer hatty das gedacht! Es ist freilich gud, wenn man so ein Thier ins Haus abschlachten

kann, was giebts für Fleisch!

Aber ich mache mir aus dem

Kuhsteisch nicht viel, es ist mir nicht saftig genug. wer so ein junges Schwein hatte, dabei noch die Würste!zz

das

Ja,

schmeckt anders,

„Hört, Hans!

sprach da der

Metzger, euch zu lieb will ich tauschen und will'euch das

Schwein für die Kuh lassen.zz

„Gott lohn euch eure Freund­

schaft !zz sprach Haus, übergab ihm die Kuh uud ließ sich

das Schweinchen vom Karrn losmachen, und den Strick, woran es gebunden war, in die Hand geben. Hans zog weiter und überdachte,

wie ihm doch alles

nach Wunsch gienge, begegnete ihm ja eine Verdrießlichkeit,

238 so würde sie doch gleich wieder gut gemacht.

Es gesellte

sich darnach ein Bursch zu ihm, der trug eine schöne, weiße

GanS unter dem Arm.

Sie boten einander die Zeit und

Hans stetig an, ihm von seinem Glücke zu erzählen, und

wie er immer so vvrtheilhast getauscht hätte. Oer Bursch sagte, daß er die Gans zu einem Kindtaufschmaus bringe. „Hebt einmal, fuhr er fort, und packte sie bei den Flü­

geln, wie schwer sie tfH Sie ist aber auch acht Wochen lang genudelt worden.

W^r in den Braten beißt, muß sich daS

Fett von beiden Seiten

abwischen.

„Ja, sprach HanS

und wog sie mit der einen Hand, die hat ihr Gewicht;

aber mein Schwein ist auch keine (5au.z/ Indessen sah sich der Bursch nach allen Seiten ganz bedenklich um? schüttelte auch wohl mit dem Kopf.

„Hört, ft eng er darauf an,

mit eurem Schweine mag's nicht ganz richtig seyn. In dem Dorfe, -durch das ich gekommen bin, ist eben dem Schut­ zen eins aus dem Stall gestohlen worden. Ich furchte, ich. fürchte, ihr habt's da in der Hand, es wäre ein schlim­ mer Handel, wenn sie euch damit fanden; das geringste ist, daß ihr ins finstere Loch gesteckt werdet" Dem guten

Haus ward bang : ,,Ach Gott, sprach er, helft mir aus der Noth!

Ihr wißt hier herum bessern Bescheid, nehmt mein

Schwein da und laßt mir eure Ganö!zz

„Ich muß schon



28Y



etwas aufs Spiel setzen, antwortete der Bursche, aber ich will doch nicht Schuld seyn, daß ihr ins Unglück gerathet."

Er nahm also das Seil in die Hand und trieb das Schwein

schnell auf einen Seitenweg fort; der gute Hans aber gieng, seiner Sorgen entledigt, mit der Gans unter dem Arm seiner Heimath zu. Wenn ichs recht überlege, sprach er mit sich selbst, habe ich noch Vortheil bei dem Tausch: erstlich den

guten Braten, hernach die Menge von Fett,

die heraus­

träufeln wird, das giebt Gansfettbrot auf ein Vierteljahr,

und endlich die schönen weißen Federn,

die laß ich mir in

mein Kopfkissen stopfen und darauf will ich wohl ungewiegt

einschlafen.

Was wird meine Mutter eine Freude haben!"

Als er durch das letzte.Dorf gekommen war,

stand da

ein Scheerenschleifer mit seinem Karren und sang zu seiner schnurrenden Arbeit:

„ 3d) schleife die Scheere mit) drehe geschwind, und hänge mein Mäntelchen nach dem Wind!"

Hans blieb stehen und sah ihm zuz

an und sprach:

endlich redete er ihn

„Euch gehts auch wohl, weil ihr so lustig

bei eurem Schleifen seid."

„Za, antwortetete der Schee­

renschleifer, das Handwerk hat einen güldenen Boden.

Ein

rechter Schleifer ist ein Mann, der, so oft er in die Tasche N



290

greift, auch Geld darin findet.

GanS gesaust?" —

— Aber wo habt ihr die schöne

„Die hab' ich nicht gekauft, sondern

für mein Schwein eingetauscht." —

„Und das Schwein? —

,,Das hab' ich für eine Kuh gekriegt." — Kuh?" —

„ Und das Pferd? " —

„ Dafür hab' ich einen Klumpen

Gold, so groß als mein Kopf, gegeben." — Gold?" —

Dienst."

„Und die

„ Die hab ich für ein Pferd bekommen." —

„Und das

„Ei, das war mein Lohn für sieben Jahre

„Ihr habt euch jederzeit zu

helfen gewußt,

sprach der Schleifer; könnt ihrs nun dahin bringen, daß ihr

das Geld in der Tasche springen hört, wenn ihr aufsteht,

so habt ihr euer Glück gemacht." Wie soll ich das anfan­ gen?" sprach Hans. „Ihr müßt ein Schleifer werden, wie ich, dazu gehört eigentlich nichts als ein Wetzstein, das andere findet sich schon von sich selbst.

Da hab ich einen,

der ist ein wenig schadhaft, dafür sollt ihr aber auch weiter nichts al§ eure Gans geben, wollt ihr das?"

Wie könnt

ihr noch fragen, antwortete Hans, ich werde ja zum glück­

lichsten Menschen auf Erden, hab ich Geld, so oft ich in die Tasche greife, was brauche ich da zu sorgen!" und

reichte ihm die Gans hin. „9cun," sprach der Schleifer und hob einen schweren, gewöhnlichen Feldstein, der neben

ihm lag auf, „ da habt ihr auch noch einen tüchtigen Stein

— dazu,

2YL



aas dem sichS gut schlagen laßt und ihr eure alten

Nagel gerat) klopfen könnt.

Nehmt ihn und hebt ihn or­

dentlich auf." Hans lud den Stein auf und gieng mit vergnügtem Her­ zen weiter, seine Augen leuchteten vor Freude und er sprach

für sich: ,, Ich muß in einer Glückshaut geboren seyn, alles

was ich wünsche, trifft mir ein, wie einem Sonntagskind." Indessen, weil er seit Tagesanbruch auf den Beinen gewe­ sen, begann er müd zu werden; auch plagte ihn Der Hun­

ger, da er allen Verrath auf einmal in der Freude über die erhandelte Kuh ausgezehrt hatte.

Er konnte endlich nur

mit Mühe weiter, gehen und mußte jeden Augenblick Halt

machen, dabei drückten ihn die Steine ganz erbärmlich.

Da

konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, wie gut es wäre, wenn er sie gerade jetzt nicht zu tragen brauchte. Wie eine Schnecke kam er zu einem Feldbrunnen geschlichen,

da wollte er ruhen und sich mit einem frischen Trunk laben; damit er aber die Steine im Niedersitzen nicht beschädigte, legte er sie bedächtig neben sich auf den Rand des Brun­ nens.

Darauf

drehte

er sich

um

und wollte sich zum

Trinken bücken, da versah erö, stieß ein klein wenig an, und beide Steine plumpten hinab. Hans, als er sie mit

seinen Augen in die Tiefe hatte versinken sehen, sprang vor

N 2



2Y2



Freuden auf, kniete dann nieder und dankte Gott mit Thrä­

nen in den Augen, daß er ihm auch diese Gnade erwiesen

und auf eine so gute Art von den Steinen befreit z das sei das einzige, was ihm noch zu seinem Glijcke gefehlt. „So glücklich wie ich, rief er aus, giebt es keinen Men­

schen unter der Sonne."

Mit leichtem Herzen und frei

von aller Last sprang er nun, bis er daheim bei seiner Mut­

ter war.

68Der verlogene Knecht. (Schwank nach Hans Sachs, von Fr. Laun,)

($üi Edelmann im Schwabenland,

deß Geschlecht und Name hie ungenannt, ein frommer Herr, weis' und gerecht,

hatt' einen verlogenen Reiterknecht,

der darauf that ruhmredig pochen,

daß er vieler Herrn Land durchkrochen, und große Wunder, die nie geschehn,

mit eignen Augen hätte gesehn.



2Y2



Freuden auf, kniete dann nieder und dankte Gott mit Thrä­

nen in den Augen, daß er ihm auch diese Gnade erwiesen

und auf eine so gute Art von den Steinen befreit z das sei das einzige, was ihm noch zu seinem Glijcke gefehlt. „So glücklich wie ich, rief er aus, giebt es keinen Men­

schen unter der Sonne."

Mit leichtem Herzen und frei

von aller Last sprang er nun, bis er daheim bei seiner Mut­

ter war.

68Der verlogene Knecht. (Schwank nach Hans Sachs, von Fr. Laun,)

($üi Edelmann im Schwabenland,

deß Geschlecht und Name hie ungenannt, ein frommer Herr, weis' und gerecht,

hatt' einen verlogenen Reiterknecht,

der darauf that ruhmredig pochen,

daß er vieler Herrn Land durchkrochen, und große Wunder, die nie geschehn,

mit eignen Augen hätte gesehn.

2Y5 Der Junkherr, em verschmitzter Mann,

sah seinem Mund daS Lügen an, sagt fleiZig spottend: wie kann das seyn?

Da schwur der Knecht drauf Stein und Bein. Doch würd' er oft mit Worten gefangen,

daß er blieb in der Lüge hangen. Danach der Knecht nichts fragte gar, weil er des Lügens gewöhnet war;

doch war er sacht nutzbar im Haus. Eines Tages früh ritten sie aus,

da sah der Junkherr in den Wald vorüber laufen einen Fuchsen alt und sprach: Schau, schau ein großer Fuchs!

Drauf gab der Knecht zur Antwort fiuchs: „Nimmt dieser Fuchs schon Wunder euch? Traun, ich bin gewesen in einem Reich worinnen die Füchse waren so groß

als hier zu Land Stier und Roß." Der Junkherr sprach: „Da sind, auf Glauben!

gut füttern die Röck und die Schauben, wenn man im Land einen Kürschner fand,

der die Bälge wohl bereiten könnt.

2Y4 Als lange drauf erscholl kein Wort, so fuhr der Junkherr seufzend fort: „Ach, gebe Gott, daß keine Lüge heut, unserm Mund entschlüpfen möge,

wir waren wahrlich sonst verloren!" Nun spitzet schnell der Knecht die Ohren und fragt, was ihm solch Sorgen brächt' ?

Der Junkher sprach: „Hör, lieber Knecht,

ein groß Wasser fleußt dort von weiten,

durch welches mir heut müssen reiten;

das hat die Kraft, jeglichen Mann, der desselben Tags eine Lüg' ersann, hinabzureißen in seinen Schlund." Darob erschrak der Knecht jezund,

und als sie kamen an einen Bach, er zu dem.Junkherrn also sprach:

„D Junkherr, -sagt, ist das der Fluß, worin ein Lügner ertrinken muß?" Da sagt der listige Edelmann:

„Nein, jetzo sind wir noch nicht dran." Der Knecht sprach:. „Herr, darum ich frag,

auf daß ich euch die Wahrheit sag \ ich hatte vorhin aus Unbedacht

29 5 meinen Fuchsen allzugroß gemacht. Er war in seiner schönsten Hob

nicht größer, denn ein mäßig Neh."

Oer Juukherr drauf; „ ob groß, ob klein,

mir kann es wohl dasselbe seyn." Doch merkt er seines Knechtes Wehen. Als sie vor'm zweiten Bach nun stehen, so spracl)- der Knecht in großer Noth: ,,Jst dieß Wasser da der Lügner

auch das ists nicht." Darauf der Knecht: „so nehmt Bericht

Der Herr sprach: „Nein,

des Füchsen heut noch meinethalb:

er war nicht größer, denn ein Salb.z/ Der Junkherv sprach: „Ei laß mich seyn

mit deinem Fuchs, groß oder klein." Vor'm dritten Wasser der Knecht nun fragt: „Ist di^ß der Fluß, von dem ihr sagt?"

„Mein Fuchs," spricht er mit bangem (Gezitter,

„war euch nicht größer, als unser Widder."

Der Iunkherr zürnt:

daö Wasser ist's nicht.

Als nun herein der Abend bricht,

da warf sich sonder Brück und Steg



2g6



ein breiter Strom ihnen in den Weg. Drauf wiederholt, bleich und voll Zagen,

der Knecht anf'S neu die alten Fragen. „3a,,z spricht der Herr, „das ist der Fluß,

worin der Lügner ertrinken muß !zz

Da traust dem Lügenwicht

die Angst vom bleichen Angesicht, „Mein Leben," ruft er, ,-ist mir lieb! Der Fuchs, den ich so groß beschrieb,

war wahrlich euch nicht größer gestaltet, als den wir früher sah'n im Wald."

Des Schwankes lacht der Junkherr sehr

und offenbarte ihm nunmehr, dieß so gefürchtete Wasser habe durchaus kein' andere Kraft und Gabe,

als die drei frühern guten, frommen Wasser, durch die sie anhergekommen.

Der Junkherr spottet und reitet in Ruh

mit ihm dem andern Ufer zu. Das Lügen, merk es, loser Gast!

bringt selten mehr, als Spott und Last.



2Y7



by.

Thomas in der Bündt. (Von L. Wagner.)

(Siibltd) an Italien gränzend liegt einer von den zwei

und zwanzig Schweizergauen, genannt Wallis,

darin der

Rhonefluß am Fuße des Furka- Gebirges entspringt, und ein

langes düsteres Thal durchfließt, in welchem das Städt­ chen Sitten gelegen ist.

Die Grimsel, die Gemmi, der Simplon, der große Bernhard, lauter Berge, darauf die schauerlichsten Gletscher und Eisfelder nicht selten sind, ma­

chen das Land zu einem der rauhesten, und die Viehzucht zum Hauptgeschäft der armen, aber gastfreien Bewohner.

Hier lebte vor Alters auf seinen Burgen wohl prächtig der Freiherr Win Hard von Naron, Bürger zu Bern, und

war ein stolzer Herr, daß er das arme Landvolk verachtete um seiner unfeinen Sitten willen.

Dies war zu der Zeit,

da sich die ersten Schaaren der braunen Zigeuner unter ihrem Anführer, genannt Herzog Michel von ^tgyptenlaud, in der Schweiz zeigten, also im Anfänge des fünfzehnten Jahrhunderts. —

Wie denn nun der Freiherr von Naron sich zum östern ungeziemend über seine Landsleute vernehmen ließ, und es

auch den Anschein hatte, als mögte er ihnen gern seine Übermacht fühlen lassen; so wurden mehrere der Walliser

von des Freiherrn Feinden bethört und von ihrem Unwil­ len zur Ungerechligkeit verleitet,

so daß

den Raron aus dem Lande zu schaffen.

sie beschlossen,

Mehrere Männer

nämlich giengen zu einem Orte, wo ein junger Birkenbaum

stand; diesen rissen sie

mit der Wurzel aus und banden

oben an die Ziveige mit Dornengesträuch ein von Holz grob ausgeschnitztes Menschenantlitz,

nannte.

welches

man eine Mazze

Dieses *ihr Machwerk befestigten sie um Mitter­

nacht an einen Baum am Wege, wo des andern Tags alleVolk dasselbe, sehen konnte. Hier geschah es nun, daß ein Landmann vor den Augen der Menge die Mazze losbannt,

sich zu ihrem Fürsprecher

wolle.

Er

nannte

erklärte

und fragte, wohin sie

darauf mehrere Namen

und sagte:

Jst's der Asperling? ist's 'der Henngarten? " Aber erst bei

dem Namen derer von

Raron

verneigte

sich

das Bild.

Solches Gerücht verbreitete sich von Dorf zu Dorf durch

alle Zehenten; man trug die Mazze vor alle Häuser der

Anhänger des Freiherrn, und plünderte sie.

Wichard, der

vor mehreren Jahren zur ähnlichen Bertreibung eine- an-





299

gesehenen Mannes geholfen hatte, suchte sein Heil in der

Flucht, kam auch wohlbehalten in Bern an; seine Burgen aber wurden von den Wallisern erstürmt. Der Rath und die Bürger von Bern, welche der Frei­

herr

als

Hülfsmänner

aufrief,

waren sehr bereitwillig,

seine Landsleute zrt züchtigen; obwohl sie diese nicht gehört

hatten, da sie früher über Wichard Klage führten. Es war in der Mitte des Herbstmonds, als die ganze Macht von Bern unter ihrem siegreichen Banner auszog, mit ihnen die von Freiburg und Solothurn, auch der Herr

Friedrich von Falkenstein, zusammen dreizehntausend wehr­

bare Männer, noch dazu gerechnet dreihundert von dem Lande Schwyz. Zm Vertrauen auf seine Übermacht gieng dieser Gewalthaufe durch die hohen Alpen und theilte sich

sodann, um von zwei Seiten in das Walliserland einzudrin­ gen. Eine Schaar zog* durch hie engen Bergschluchten der

Erimsel, darüber nur Felsen, mit kurzem Grase bewachsen,

todte Seen und ewig beeiste Firnen gefunden werden; die andere drang über Sieders ein. In dem Gränzorte Gombs waren die Einwohner noch

ganz ruhig, als von beiden Gegenden her der Landsturm

erklang

und

das

erschreckte

Volk

zu

den Waffen rief.

Freilich wohl kann auch eine kleine Schaar dem übermach-

300 tigert Feinde widerstehen, wenn sie von unerschütterlichem^

Muthe beseelt ist; aber das war hier noch nicht der Fall;/ also stohen die Walliser Männer, und die Berner drangen immer weiter vor.

Schon war manches Dorf übersatte!n.

und Kinder hatten nur wenig gerettet und sahen aus den Gebirgswäldern, dahin sie sich gesiüchtet hatten,

Weiber

den schwarzen Dampf ihrer brennenden Wohnungen in die

Höhe steigen.

Schon wähnten die Sieger das ganze Land

mit leichter Muhe ausplündern zu können: da trat ein ein­ zelner Mann auf, und gab durch seinen Muth der Sache eine ganz andere Wendung.

Thomas in

der Bündt,

ein gemeiner Landmann, stellte sich bei dem Dorfe Ulrichen der wehrlos stiehenden Menge seiner Landsleute entgegen

und ermahnte utteS Volk, für ihr Vaterland und für Weib und Kind heute tapfere Männer zu seyn.

Wie ihm nun die

Liebe zu seinem Lande feurige Beredtsamkeit gab, so ermu-

thigte er Manchen, und es fanden sich zweihundert wohlbewaffuete Männer zusammen, die stellten sich auf eine Höhe hin­ ter das Dorf in eine vortreffliche Stellung. Wenn er auch nicht die an dem Freiherrn begangene Gewaltthat billigen mochte, so wollte er doch nicht das ganze Land der Habsucht

stürmischer Feinde preis geben.

Kaum war sein kühnes Be­

ginnen in der Gegend umher ruchbar geworden;

so beseelte

301 ein gleicher Eifer den Pfarrer Jacob Minichow in dem Dorfe Münster, also daß er zu den vom Klange der Sturm­

glocke

zusammengerufenen Männern begeistert

redete und

ihnen gebot, sonder Todesfurcht hinanfzuzieheu zu den an­

dern, nach den Worten der Schrift:

„wir sollen für un­

sere Brüder das Leben lasten, gleichwie der Herr sein Le­

ben gelassen hat für und.z/ Darauf zogen abermals über zweihundert Streiter zur Höhe; deß freute sich der wackere Thomas, und jeder ward munter zu Sieg oder Tod.

so

kamen

Männer

aus

den

nicdergebrannten

und verstärkten

Oörferu

den Heerhaufen

Eben

viele der

hinter Ulrichen

bis auf sechshundert. Jetzt zogen die Berner heran,

siegestrunken und fast

ohne Ordnung, weil sie meinten, das Dorf ohne Schwert­

streich plündern zu können; aber sie hatten kaum Zeit, sich zu verwundern, da stürzten schon die Walliser herab von

ihrem Berge, fielen mit Streitäxten und Hellebarden zer­ schmetternd in die Reihen der Feinde und richteten fast eine große Verwirrung an. Doch nicht so leichten Kaufs wollten die Berner Ruhm und Beute des Sieges- dahin gehen. Kampfgeübt stehen sie fest zur Gegenwehr, daß

ringsum die Thäler vom Geklirr der Waffen ertönen. Ehre treibt,

der Gewinn lockt sie;

Die

aber Vaterlandsliebe

302 und Verzweiflung kämpfen doch besser: also auch mit dem Feuer des Heldenmuths streitet Thomas in der Bündt gegen die dichtesten Haufen, als hätte er hundert Arme

und hundert Schwerter,

und

sinkt unter seinen Streichen.

mancher kühne Dienstmann Nur durch die Dazwischen­

kunft der dreihundert von Schwyz,

wurden die Walliser

gezwungen, ihre Stellung wieder einzunehmen; jedoch ver­

hinderten sie das weitere Vordringen der Feinde.

Wallis

war gerettet; denn schon am folgenden Tage zogen die be­ stürzten Berner heim; aber Thomas wurde nicht wieder ge­ sehen.

An vielen Wunden war er zusammen gesunken und

an jenem Orte für fein Vaterland gestorben. ehren die Walliser sein Andenken.

Noch jetzt

Der Freiherr von Na­

ron ward späterhin durch gütlichen Vergleich in den Besitz seiner Güter wieder eingesetzt.

70.

Der Knabe im Feldlager. \2rtti preußischer Soldat schrieb, im Frühjahr des Jahres

1793 / aus dem Lager am Rhein, an seine Frau im Mag-

302 und Verzweiflung kämpfen doch besser: also auch mit dem Feuer des Heldenmuths streitet Thomas in der Bündt gegen die dichtesten Haufen, als hätte er hundert Arme

und hundert Schwerter,

und

sinkt unter seinen Streichen.

mancher kühne Dienstmann Nur durch die Dazwischen­

kunft der dreihundert von Schwyz,

wurden die Walliser

gezwungen, ihre Stellung wieder einzunehmen; jedoch ver­

hinderten sie das weitere Vordringen der Feinde.

Wallis

war gerettet; denn schon am folgenden Tage zogen die be­ stürzten Berner heim; aber Thomas wurde nicht wieder ge­ sehen.

An vielen Wunden war er zusammen gesunken und

an jenem Orte für fein Vaterland gestorben. ehren die Walliser sein Andenken.

Noch jetzt

Der Freiherr von Na­

ron ward späterhin durch gütlichen Vergleich in den Besitz seiner Güter wieder eingesetzt.

70.

Der Knabe im Feldlager. \2rtti preußischer Soldat schrieb, im Frühjahr des Jahres

1793 / aus dem Lager am Rhein, an seine Frau im Mag-

305 deburgischen, und äußerte in diesem Brief unter andern

seine Sehnsucht nach einem Gerichte Kartoffeln. kam gegen Abend an.

Oer Brief

Oer zwölfjährige Sohn des Solda­

ten vernahm diesen Wunsch seines Vaters, steckte den Brief

zu sich, stand des Morgens früh auf, gieng in den Keller, füllte einen Queersack mit

drei Metzen Kartoffeln, nahm

seinen Wanderstab und marschirte, ohne Zehrpfennig und ohne irgend jemand ein Wort zu sagen, gerade nach dem

preußischen Heer. Er kam glücklich bis an die Vorposten.

ausgefragtz

Hier wurde er

er sagte die Absicht seiner Reise und zeigte zu

seiner Rechtfertigung, statt eines Paffes, den Brief seines

Vaters an seine Mutter.

Man lachte ihn aus, gab ihm

zu essen und zu trinken und ließ ihn passiren.

bei dem Heer an,

fragte

nach

Schaar, worunter sein Vater stund,

Hauptmann des letzter« gebracht.

So kam er

dem Regiment und der

und ward zu dem

Dieser fragte ihn aus.

Der Knabe erzählte abermals offenherzig den Endzweck und die Schicksale

seiner Reise

zum

preußischen Heere,

brachte wieder den Brief seines Vaters hervor.

und

Der Haupt­

mann erstaunte über die Erzählung des Kindes, ließ den Vater sogleich, ohne daß derselbe von der Anwesenheit sei­

nes Sohnes etwas erfahren konnte, zu sich holen, führte

504 ihn in ein besonderes Zimmer und fragte ihn nach dem In­ halte des letzten Briefes, den er an seine Frau geschrieben Der Soldat bekannte den Inhalt und besonders

hatte.

das Verlangen

einem

nach

Gericht Kartoffeln.

„Dein

Wunsch ist erfüllt," sagte der Hauptmann und führte den

Vater in das Zimmer, wo der Sohn, in banger Erwar­

tung des Ausgangs,

mit seinen Kartoffeln noch" wartete.

Vater und Sohn erkannten sich in dem Augenblick, fielen

einander in die Arme, und Thränen der innigsten Freude stossen über die braunen Wangen des Kriegers.

Der durch diesen Auftritt äußerst gerührte Hauptmann ließ den Knaben einige Tage bei dem Vater ausruhen, und

gab ihnen etwas, konnten.

daß sie sich gütlich thun und pflegen

Sodann ermahnte der Hauptmann und der Vater

den Knaben, nunmehr zu seiner, über seine Abwesenheit ge­ wiß sehr bekümmerten, Mutter wieder zurückzukehren: auch reichte ihm der Hauptmann als Zehrpfennig zur Reise ein

Goldstück.

„Zur Reise, sagte der kleine Pilgrimm, brauche

ich kein Geld; denn gegen Ausweis meines Briefes haben mir gute Leute unterwegs doch zu essen gegeben.

Aber

meiner Mutter will ich das Geschenk bringen." So trat er denn seine Rückreise wieder an, verirrte sich

aber und kam au die feindlichen Vorposten.

Hier wurde

505 er angehalten And ins Hauptlager zum General Cüstine ge­ führt, der ihn durch einen Oollmetscher scharf ausforschen

lief.

Obne Scheu erschien der deutsche Knabe vor dem

frcnzösischen Feldherrn, beantwortete alle Fragen desselben offenherzig nach der Wahrheit, zeigte abermals den Brief

seires Vaters und erzählte, was ihm im preußischen Lager

begegnet war.

Gerührt und lächelnd über das große und

gute Hrrz des preußischen Soldatenkindes, schenkte ihm der

feindliche Heerführer zwei Goldstücke und gab ihm einen Wegweipr mit, der ibn durchs französische Heer begleiten sollte, bis er in völliger Sicherheit sei. Denn,, sagte er zu ihm, du hast in deiner Kindheit bisher schon auf einem zu guten Wege gewandelt, als daß man nicht dafür sorgen

sollte, d.ß du nicht wieder irre gehen mögest." Glückich und wohlbehalten kam der Knabe endlich in seiner H'imath wieder an und verwandelte die Thränen der Bctübniß, die seine Mutter bisher über ihren Sohn geweint -atte, in Thränen der Freude.

Er bat sie wegen

seiner himlicheu Entweichung um Verzeihung,, sagte ihr zur

Ursache und Entschuldigung derselben das, was die Leser schon wssen, und überlieferte die Geschenke, die er vom

Hauptmnn seines Vaters und vom Heerführer der Feinde

empfangn hatte, getreulich in ihre Hände.

50Ö 71. Lied eines deutschen Knaben.

(Von M.)

hab' mich ergeben mit Herz und mit Hand, dir, Land, mit Lieb' und Leben, mein deutsches Vaterland! Mein Herz ist entglommen, dir treu zugewandt, du Land der Freien und Frommen, du herrlich Hermannsland!

Du Land, reich an Nuhme, du mächtig Heldenland, für deines Volkes Thume weih' ich mein Herz und Hand! Will halten und glauben an Gott fest und frei, lieb Vaterland, will bleiben auf ewig fromm und treu!

507 Ach Gott, thu' erheben mein jung Herzensblut zum freudigen Leben, zum freien, hohen Muth! Laß Kraft mich erwerben in Herz und in Hand, zu leben und zu sterben für mein lieb Vaterland!

72. Der Tod des Großvaters.

(AuS Heinrich Stillings Leben.) (§in altes Herkommen, dessen ich (wie vieler andern)

noch nicht erwähnt, war, daß Vater Stilling alle Jahr selbsten rw Stück seines Hausdaches, das Stroh war, ei­ genhändig decken mußte. Das hatte er nun schon acht und vierzig Jahr gethan, und diesen Sommer sollt' es wie­ der geschehen. Er richtete es so ein, daß er alle Jahre so viel davon neu deckte, soweit das Roggenstroh reichte, daS- er für dies Jahr gezogen hatte.

507 Ach Gott, thu' erheben mein jung Herzensblut zum freudigen Leben, zum freien, hohen Muth! Laß Kraft mich erwerben in Herz und in Hand, zu leben und zu sterben für mein lieb Vaterland!

72. Der Tod des Großvaters.

(AuS Heinrich Stillings Leben.) (§in altes Herkommen, dessen ich (wie vieler andern)

noch nicht erwähnt, war, daß Vater Stilling alle Jahr selbsten rw Stück seines Hausdaches, das Stroh war, ei­ genhändig decken mußte. Das hatte er nun schon acht und vierzig Jahr gethan, und diesen Sommer sollt' es wie­ der geschehen. Er richtete es so ein, daß er alle Jahre so viel davon neu deckte, soweit das Roggenstroh reichte, daS- er für dies Jahr gezogen hatte.

308 Oie Zeit des Dachdeckens fiel gegen den Michaelstag

mit) rückte nun mit Macht heran; so daß Vater Stilling ansieng, darauf zu Werk zu legen.

Heinrich war dazu

bestimmt, ihm zur Hand zu langen, und also wurde die lateinische Schule auf acht Tage ausgesetzt.

Margrethe

uud Mariechen hielten täglich in der Küche geheimen Rath über die bequemsten Mittel, wodurch er vom Dach­ decken zurückgehaltcn werden möchte.

lich beide,

Sie beschlossen end­

ihm ernstliche Vorstellungen zu thun und ihn

vor Gefahr zu warnen; sie hatten die Zeit während dem Mittagessen dazu bestimmt.

Margrethe brachte also eine Schüssel Muß, und auf

derselben vier Stücke Fleisches,

die so gelegt waren, daß

ein jedes just vor den zu stehen kam, für den ^es bestimmt Hinter ihr her kam Mariechen mit einerr Kumpen voll gebrockter Milch. Beide setzten ihre Schüsseln auf den

war.

Tisch, an welchem Vater Stilling und Heinrich schon an ihrem Ort saßen

und mit wichtiger Mine

von ihrer

nun Morgen anzufangenden Dachdeckerei redeten. im Vertrauen gesagt, dieren,

Denn,

wie sehr auch Heinrich auf Stu­

Wissenschaft und Büchern

»erpicht seyn mochte,

so wars ihm doch eine weit größere Freude, in Gesellschaft seines Vaters zuweilen entweder im Wald, auf Lern Feld

309 oder ger ans dem Hausdach zu klettern; denn dieses war

nun schon das dritte Jahr, daß er seinem Großvater als Diakonus bei dieses jährlichen Feierlichkeit beigestanden. Es ist also leicht zu denken, daß der Jwnge herzlich verdruß-lich werden mußte, als er Margrethens und Mariechenö Absichten zu begreifen anfieng.

Ich weiß nicht,

Ebert, sagte Margrethe,

indem

sie-ihre linke Hand auf seine Schultern legte, du fängst mir so an, zu verfallen.

Spürst du nichts in deiner Natur?

„Man wird als alle Tage älter, Margrethe."

O Herr ja! Ja freilich, alt und steif. Ja wohl, versetzte Mariechen und seufzte.

Mein Großvater ist noch recht stark für sein Alter, sagte

Heinrich. „Ja wohl.

Junge,

antwortete der Alte,

ich wollte

noch wohl in die Wette mit dir die Leiter uauf laufen." Heinrich lachte laut.

Margrethe sah wohl,

daß

sie auf dieser Seite die Vestung nicht überrumpeln würde;

daher suchte sie einen andern Weg. Ach ja, sagte sic,

es ist A'ne besondere Gnade, so ge­

sund in seinem Alter zu seyn; du bist, glaube ich, deinem Leber» krank gewesen, Ebert?

nie in

310 „ In meinem Leben nicht; ich weiß nicht, waS Krank­

heit ist, denn an den Pocken und Nötheln bin ich herum­ gegangen.^ Ich glaube doch,

Vater!

versetzte Mariechen,

ihr

seid wohl verschiedene Male vomFallen krank gewesen: denn ihr habt uns wohl erzählet, daß ihr oft gefährlich gefallen

seid. „Ja, ich bin dreimal tödtlich gefallen."

Und das viertemal, fuhr Margrethe fort, wirst du dich todt fallen; mir ahnt es. Du hast letzthin im Wald das Gesicht gesehen; und eine Nachbarin hat mich kürzlich gewarnt und gebeten, dich nicht aufs Dack zu lassen; denn

sie sagte, sie hätte des Abends, wie sie die Kühe gemol­ ken, ein Poltern und klägliches Jammern neben unserm Hause

im Wege gehört. Ich bitte dich, Ebert! thu mir den Gefallen und laß jemand anders das Haus decken, du hastS ja nicht nöthig.

„Margrethe! — kann ich oder jemand anders denn nicht in der Straße ein ander Unglück bekommen? Ich hab daS Gesicht gesehen, ja, das ist wahr! — Unsere Nachbarin kann auch diese Vorgeschicht gehört haben. Ist dieses gewiß?

wird dann derjenige dem entlaufen, was Gott über ihn be­

schlossen hat? Hat er beschlossen, daß ich meinen Lauf hier

511 in der Straße endigen soll, werd ich armer Dummkopf von Menschen! das wohl vermeiden können? und gar wenn ich mich todt fallen soll, wie werd ich mich hüten können?

Gesetzt ich bliebe vom Dach, kann ich nicht heut oder mor­ gen da in der Straßen einen Karren Holz losbinden wollen, draufsteigen, straucheln und den Hals abstürzen? Margrethe, laß mich in Ruh! Ich werde so ganz grade fort­

gehen, wie ich bis dahin gegangen bin; wo mich dann mein

Stündchen überrascht, da werd' ichs willkommen beigen."

Margrethe und Mariechen sagten noch ein und das andere: aber er achtete nicht drauf,

sondern redete mit

Heinrichen von allerhand, die Dachdeckerei betreffenden,

Sachen; daher sie sich zufrieden gaben und sich das Ding

aus dem Sinne schlugen. Des andern Ätvrgens standen sie frühe auf, und der alte Still in g fing an, während er ein Morgenlied sang,

das alte Stroh ioszubinden und abzuwerfen, womit er dann diesen Tctg auch hübsch fertig wurde: so daß sie deS folgenden Tages schon

einst eng en,

das

Dach mit neuem

Stroh zu belegen, mit einem Wort, daS Dach ward, fertig, ohne die mindeste Gefahr oder Schreck dabei gehabt zu ha­

ben ;

außer daß es noch einmal bestiegen werden mußte,

um starke und frische Rasen oben ütyer den First zu legen.

312 Doch damit eilte der alte Stilling so sehr nicht; es giengen wol noch acht Tage über, ehe es ihm einfiel, dies

letzte Stück Arbeit zu verrichten.

Des folgenden Mittwochs Morgens stand Eberhard ungewöhnlich früh auf, gieng im Hause umher, von einer

Kammer zur andern, als wenn er was suchte. Seine Leute verwunderten sich und fragten ihn, was er suche? „Nichts, sagte er. Ich weiß nicht, ich bin so wohl! doch habe ich keine Nutze, ich kann nirgend still seyn, als wenn etwas in

mir wäre, das mich triebe; auch spüre ich so eine Bangig, fett, die ich nicht fenne./z Margrethe rieth ihm, er sollte sich

anziehen und mit Heinrichen

hen, seinen Sohn Johann zu besuchen.

nach Lichthausen ge­

Er war damit zu­

frieden; doch wollte er zuerst die Rasen oben auf denHauSfirst legen, und bann des andern Tages seinen Sohn be­ suchen.

Dieser Gedanke war seiüer Frauen und Tochter Des Mittags über Tisch ermahnten sie ihn

sehr zuwider.

wieder ernstlich, vom Dach zu bleiben; selbst Heinrich bat ihn, jemand für Lohn zu kriegen, der vollends mit der Deckerei ein Ende machte.

Allein der vortreffliche Greis lächelte mit einer unumschränkten Gewalt um sich her; ein Lächeln, das so manchem Menschen das Herz geraubt und Ehrfurcht eingeprägt hatte! Dabei sagte er aber kein Wort.

515 Ein Mann, der mit einem beständig guten Gewissen alt geworden^ sta- vieler guten Handlungen bewußt ist, und von Jugend auf sich an einen freien Umgang mit Gott und

seinem Erlöser gewöhnt hat, gelangt zu einer Größe und

Freiheit, die der größte Eroberer nie erreicht hat.

Die

ganze Antwort Stillings auf diese, gewiß treu gemeinten

Ermahnungen der Deinigen,

bestand darin,:

er wolle da

auf den Kirschbaum stergen und sich noch einmal recht satt

Kirschen essen.

Es war nämlich ein Baum, der hinten tm.

Hof stand, und sehr spät, aber desto vortrefflichere Früchte

trug.

Seine Frau und Tochter verwunderten sich über die­

sen Einfall, denn er war wohl in zehen Jahren auf keinem

Baume gewesen.

Nun dann! sagte Margret he, du mußt

nun vor der Zeit in die Höh, wolle!

es mag kosten,

was es

Eberhard lachte und antwortete: Je höher, je

näher zum Himmel! Damit gieng er zur Thür hinaus, und Heinrich hinter ihm her auf den Kirschbaum zu.

Er faßte

den Baum in seine Arme und Kniee,

auf bis oben hin,

und kletterte hin­ setzte sich in eine Gabel des Baumes,

fieng an, aß Kirschen und warf Heinrichen zuweilen ein Ästchen herab. Margrethe und Mariecheu kamen ebenfalls.

Haiti

sagte die ehrliche Frau,

heb mich ein

wenig, Mariechen, daß ich nur die untersten Aste fassen

O

314 kann, ich muß da probieren, ob ich auch noch hinauf kann."

Es gerieth, sie kam hinauf. Stilling sah oerab und lachte herzlich ^und sagtet Das heißt recht verjüngt werden, wie die Adler! Da saßen beide ehrliche alte Erauköpfe in den Ästen des Kirschbaumes und genossen noch einmal zusam­

men die süßen Früchte ihrer Jugend; besonders war Stil­ ling aufgeräumte

Margrethe

stieg wieder herab und

gieng mit Mariechen in den Garten, der eine ziemliche

Strecke unterhalb dem Dorfe war.

Eine Stunde hernach

stieg auch Eberhard herab, gieng und holte einen Ha­ ken,

um Rasen

damit

abzuschälen.

Er

gieng deshalb

oben ans Ende des Hofs an den Wald; Heinrich blieb

dem Hause gegenüber unter dem Kirschbaum sitzen;

endlich

kam Eberhard wieder, hatte einen großen Rasen um den Kopf hangen, bückte sich zu Heinrichen,, sah ganz ernst­

haft aus und sagte:

Sieh,

welch eine Schlafkavpe! —

H einrich fuhr in einander und ein Schauer gieng ihm durch die Seele. Er hat mir hernach wohl gestanden, daß

dieses einen unvergeßlichen Eindruck auf ihn gemacht habe. Indessen stieg Vater Stilling mit Dach hinauf.

dem Rasen das

Heinrich schnitzelte an einem Hölzchen; in­

dem er darauf sah,

hörte er ein Gepolter,

vor seinen Augen ward's schwarz wie die Nacht.

er sah hin,

Lang hin-

315 gestreckt lag da der theure, liebe Mann unter der Last von Leitern, seine Hände vor der Brust gefakten; die Augen

starrten, die Zähne klapperten und

alle Glieder bebten;

wie ein Mensch im starken Frost. Heinrich warf eiligst die Leitern von ihm, streckte die Arme aus und lief wie ein Rasender das Dorf hinab und erfüllte das ganze Thal

mit Zeter und Jammer.

Margrethe und Mariechen

hörten

halb die seelzagende

im Garten

kaum

kenntliche

Stimme ihres geliebten Knaben; Mariechen that einen Hellen Schrei,

rang die Hände über dem Kopf und flog

das Dorf hinauf.

Margrethe strebte hinter ihr her,

die Hände vorwärts ausgestreckt, die Augen starrten um­

her; dann und wann machte ein heiserer Schrei der be­ klemmten Brust ein wenig Luft.

Mariechen und Hein­

rich waren zuerst bei dem lieben Manne.

Er lag da, lang

ausgestreckt, die Augen und der Mund waren geschlossen, die

Hände vor der Brust gefakten, und sein Odem gieng langsam und stark, wie bei einem gesunden Menschen, der ordentlich

schläft; auch bemerkte man nirgend, daß er blutrünstig war. Mariechen weinte häufige Thränen auf sein Angesicht und

jammerte beständig: Ach! mein Vater! mein Vater! Hein­ rich saß zu seinen Füßen im Staub, weinte und heulte. Indessen kam Margarethe auch hinzu;

O r

sie fiel neben

316 ihm nieder auf die Kniee, faßte ihren Mann um den Hals,

rief ihm mit^rhrer gewohnten Stimme ins Ohr, aber er gab kein Zeichen von sich.

Die heldenmüthige Frau stand

auf, faßte Muth; auch war keine Thräne aus ihren Augen gekommen. Einige Nachbarn waren indessen hknzugekomrnett; sie vergossen Alle Thränen, denn er war allgemein be­

liebt

gewesen.

Margrethe

machte

geschwind

in der

Stube ein niedriges Bette zurecht; sie hatte ihre besten Betttücher, die sie vor ctlich unO vierzig Jahren alS Braut gebraucht hatte, übergespreitet.

heraus und rief:

Nun kam sie ganz gelassen

Bringt nur meinen Eberhard herein

aufs Bett! Die Männer faßten ihn an, Mariechen trug am Kopf, und Heinrich hatte beide Füße in seinen Ar­

men:

sie legten ihn aufs Bett und Margrethe zog ihn

aus und deckte ihn zu.

Er lag da, ordentlich wie ein ge­

sunder Mensch, der schläft.

Nun wurde Heinrichen be­

fohlen, nach Florenburg zu laufen, um einen Wundarzt zu holen.

Der kam auch denselben Abend, untersuchte ihn,

ließ ihm zur Ader und erklärte sich,

daß zwar nichts zer­

brochen sei, aber doch sein Tod binnen dreien Tagen gewiß

seyn würde, indem sein Gehirn ganz zerrüttet wäre.

Nun wurden Skillings Kinder alle sechs zusammen­

berufen, die sich auch des andern Morgens Donnersrags

317 zeitig einfanden.

Sie setzten sich alle ringö umS Bette,

waren stille/ klagten und weinten.

Die Fenster wurden

mit Tüchern zugehangen, und Margrethe wartete ganz gelassen ihrer Hausgeschäfte.

Freitags Nachmittags stetig

v'?r Kopf des Kranken an zu beben, die oberste Lippe erhob

sich ein wenig und wurde bläulich/ und ein kalter Schweiß duftete überall hervor. Bette zusammen.

Seine Kinder rückten näher ums

Margrethe sah es auch; sie nahm ei­

nen Stuhl und setzte sich zurück an die Wand ins Dunkele;

alle sahen vor sich nieder und schwiegen.

Heinrich saß

zu den Füßen seines Großvaters/ sah ihn zuweilen mit nas­ sen Augen an und war auch stille.

Abends neun Uhr.

ihres Vaters Odem still stand.

Vater stirbt! — Bette/

So saßen sie alle bis

Da bemerkte Kathrine zuerst, daß Sie rief ängstlich:

Mein

Alle fielen mit ihrem Angesicht auf daS

schluchzten und weinten.

Heinrich stand da, und

ergriff seinem Großvater beide Füße und weinte bitterlich. Vater Stilling holte alle Minuten tief Odem, wie einer der tief seufzet/ und von einem Seufzer zum andern war

der Odem ganz stille; an seinem ganzen Leibe regte und bewegte sich nichts als der Unterkiefer, der sich bet jedem

Seufzer ein wenig vorwärts schob. Margrethe Stilling hatte bis dahin bei all ihrer

318

Traurigkeit noch nicht geweint; sobald sie aber Kathrin en rufen hörte, stand Jie auf/ gieng aus Bett und sah ihrem

sterbenden Manne ins Gesicht; nun fielen einige Thränen

die Wangen herunter; sie dehnte sich aus (denn sie war von Alter ein wenig gebückt)/ richtete ihre Augen auf m.d reckte die Hände gen Himmel und betete mit dem feurig­

sten Herzen; sie holte jedesmal aus tiefster Brust Odem, und den verzehrte sie in einem brünstigen Seufzer.

Sie

sprach die Worte plattdeutsch nach ihrer Gewohnheit aus, aber sie waren alle voll Geist und Leben. Oer Inhalt ihrer Worte war, daß ihr Gott und Erlöser ihres lieben Mannes Scclle gnädig aufnehmen, und zu sich in die ewige

Wie sie anfieng zu beten/ sahen

Freude nehmen möge.

alle ihre Kinder auf/

erstaunten/ sanken am Bett auf die

Kniee und beteten in der Stille.

Nun kam der letzte Her-

zensstoß/ der ganze Körper zog sich; aus; nun war er verschieden.

er stieß einen Schrei

Margrethe faßte dem

entseelten Manne seine rechte Hand cm, schüttelte sie und sagte: Leb wohl, Eberhard! in dem schönen Himmel bald, sehen

wir uns wieder!

So wie

sie das sagte, sank sie nieder auf ihre Kniee; alle ihre Kin­

der fielen um sie herum.

Nun weinte auch Margrethe

die bittersten Thränen und klagte sehr.

519 Die Nachbarn kamen indessen, um den Entseelten anzu­ kleiden. Die Kinder standen auf, und die Mutter holte das Todtenkleid. Vis den folgenden Montag lag er auf der Bahre; da führte man ihn nach Florenburg, um ihn zu begraben. Herr Pastor Stollbein ist aus dieser Geschichte als ein störrischer wunderlicher Mann bekannt, allein außer die­ ser Laune war er gut und weichherzig. Wie Stilling inS Grab gesenkt wurde, weinte er helle Thränen; und auf der Kanzel waren unter beständigem Weinen seine Worte: Es ist mir leid um dich, mein Bruder Jonathan! Wollte Gott, ich wäre für dich gestorben! Und der Text zur Leichenrede war: Ei du frommer und getreuer Knecht! du bist über Weniges getreu gewesen, ich will dich über viel setzen; gehe ein zu deines HErrn Freude! Sollte einer meiner Leser nach Florenburg kommen, ge­ gen der Kirchthür über, da wo der Kirchhof am höchsten ist, da schläft Vater Stilling auf dem Hügel. Sein Grab bedeckt kein prächtiger Leichenstein; aber oft fliegen im Frühling ein Paar Täubchen einsam hin, girren und liebkosen sich zwischen dem Gras und den Blumen, die aus Vater Stillings Staub hervorgrünen.

520

Der Gast. (Legende von Leopold Schefer.) ^er HErr Jesus von dem Himmelszelt

einmal niederschaut auf alle Welt,

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Der Gast. (Legende von Leopold Schefer.) ^er HErr Jesus von dem Himmelszelt

einmal niederschaut auf alle Welt,

321 wie alles mag so schön bestehn,

und sieht Herfür die Sternlein gehn, blickt auch herab zur geliebten Erden, wo's eben Nacht begunnte zu werden.

Da sieht er die Leut' um die Tische treten die Hande falten, sich neigen und beten: „Komm, HErr Jesu, sei unser Gast,

und segn' uns, was du bescheret hast!" Da fühlt er gerührtes Neigen, einmal wieder unten zu seyn im Erdenthal, und selber an den Menschen zu spüren,

ob sie es auch redlich mit ihm führen. Also aus einer Ecken am Wald

tritt er herfür in Bettlergestalt, geht sacht an seinem Stabe fort nach dem fast nahgelegnen Ort, und kommt an eines Neichen Haus; —

war grad ein Fest und großer Schmaus — dort stellt er still sich vor den Saal. — Nach ihm fragt Niemand allzumal.

Er hört drin lachen, klingen, schwatzen, als fei im HauS eine H/rde Spatzen;

322 hört reden, was Keines Gemüthe bessert,

noch eines Menschen Nutz vergrößert, und haben's geredt, es gemahnet ihn so, als dräschen die Drescher nur leeres Stroh. Drob er verwundert lang gestanden,

spricht er zu einem, ihm beihanden:

„ Ihr habt den HErrn Jesum zu Tisch gebeten, nun komm ich armer Bettler getreten, und führ euch seine Worte an:

Was ihr mir thut, habt ihr ihm gethan." Da scheint's sie werden ihn erst gewahr; es fährt auf ihn ein der Diener Schaar:

Hinaus mit dir,

du schlimmer Geselle!

und treiben ihn aus von Flur und Schwelle.

Ja einer that die Hund' auf ihn hetzen; doch die den HErren nicht verletzen.

Nun sinnt er nach, wie ihm geschehn, und sinnt bei sich im Furbaßgehn: soll er das Haus mit Feuer strafen,

soll er die Sünder lassen schlafen? — Man kaun dem Bösen nicht Ärgers thun.

323 als ihn im Bösen lassen beruhn;

doch setzt er ihnen noch Gnade aus.

Dann kommt er an eines Armen Haus z

daS sieht gar klein und freundlich aus. Ältern und Kinder um einen Tisch,

die essen'einen gesottenen Fisch,

der heut dem Vater ins Netz gegangen,

und habend so gut nicht gehabt seit Langem; ein kleines Hündlein hebet ein Bein: das Hündlein will auch gespeiset seyn.

Wie da der HErr hinzugetreten

und sanft um eine Gabe gebeten, —

das junge Weib aufsteht gewandt

und führt den Bettler an ihrer Hand zu ihrem Tisch, heißt ihn sich setzen, weil sie sich heut an was Seltenem letzen. Und Ältern und Kinder wurden satt,

weil's ihnen der HErr gesegnet hatt',

und sprachen:

„Hab Dank, HErr Jesus Christ daß du unser Gast gewesen bist 1" —

Die Krumen streut sie hinaus zur Linde, daß auch das Vöglein Speise finde.

524 Drauf setzt sich der Vater ans Kamin, sein junges Weib kniet zu ihm hin,

stellt ihm sein Kleinstes auf den Schooß und läßt ihm zeigen: „Wie groß? — so groß?"

und lehrt's lieb haben den guten Mann, und hat gar herzliche Freude daran. Der HErr sitzt still und sanft daneben,

er fühlt das Herz sich heilig heben; des Menschen Leben und ihre Lust überwältigt mit Wonnen seine Brust,

es wird ihm wohler, es wird ihm trüber, dem Göttlichen gehen die Augen über,

er wendet ins Dunkel sein Angesicht

und wehret den quellenden Thränen nicht.

Die Knaben bringen das Quem pastores und zeigen auf seinen Knieen ihm vor es:

die Hirten und Engel Nachtö auf dem Feld; dann, wie ihm das Kind in der Krippen gefällt? Die heiligen drei König mit ihrem Stern, Weihrauch und Mirrhen sie bringen dem HErrn; den jungen Tobias mit seinem Hundlein,

zuletzt Knecht Ruprecht und Christkindlein.

525 Nun legt die Mutter ihr Kind zu Bett, daS Vater Unser ihm lehren that; so schläft cd ein mit nachbetendem Mund.

Die Mutter spricht: Mein Kind, schlaf gesund! Dann schafft sie dem Bettler ein Lager herzu, die Leutlein wünschen ihm gute Ruh,

und, vor der kalten Nacht geborgen in der Hütte zu schlafen bis zum Morgen.

Da ruht der HErr nun gern allein, es scheint der Mond ihm hell herein*

Und als der Morgen begunnte zu tagen,

steht er auf, sich hinweg zu tragen,

dieweil verlöschen der Sterne Kerzen,

und scheidet, sie segnend in seinem Herzen: „Bleibt immer arm, ihr guten Leut!

Den Armen ist Gott nimmer weit; stets weich und menschlich fühlt ihr Gemüth, da selten das Herz dem Reichen glüht;

und d.iloen sie Manches auf Erden gleich, den Armen ist das Himmelreich!

74. Seltene Menschen. (Von Johann Grob, durch Weisser.)

>Lin Fürsts der für sein Land mit milder Treue wachet,

ein Schutzherr,

der sich nicht zu einem Meister machet,

ein Ritter, der nicht Gunst, nicht Haß, nicht Vortheil kennt,

ein Priester, dessen Herz von Himmelseifer brennt,

ein Schriftgelehrter, den der Ehrgeiz nie gestochen, ein Staatsmann, der vollbringt und hält, was er versprochen, ein Vormund, der durchaus der Waisen Vortheil sucht, ein Kaufmann, der nicht lügt, ein Krieger, der nicht flucht,

ein Edler, welcher sich der Hoffahrt stets erwehret,

ein Reicher, der sein Gut durch Wucher nicht vermehret, ein Arzt, der Kranker Heil mehr liebet, als ihr Geld, o diese Zwölf —

sie sind Halbengel einer Welt.

527 75Alte

Räthsel.

(Von Schoch 1660.)

^8 zieh'« wohl tausend um, und noch wohl tausend Schock, und haben alle doch nicht mehr als Einen Stock, sie können nur ein Lied, davon man muß erwachen: mich wundert, wie sie doch so süße Stücken machen!

2Ich habe keinen Fuß und geh doch auf und abe; im Hause schaff ich Nutz, doch richt' ich Zwiespalt an. Ich esse, was ich will, so fällt mir's durch den Zahn, dieweil ich keinen Mund und keine Lippen habe.

3Ich kaue zwar das Brot, nur daß sichs übel schlingt, doch eß ich keinmal nicht, bis man mir trinken bringt. Zur Tafel paukt man mir und habe den Gebrauch, daß wenn ich bald bin satt, so strotzt mir schon der Bauch.

528

4-

Ich will nur oben aus, und weiß doch nicht wohin? Bin rauch und ungestalt und schone nicht leicht einen; Ich komm, wohin ich will, da fangt man an zu weinen. Ich hab dirs doch gesagt, nun rathe, wer ich bin?

5. Ich bin der beste Koch, das kann ich wohl beweisen. Es lobt, bei wem ich bin, ein Jeder meine Speisen; doch wo man Essen giebt und theilet Spenden ans, da lauf ich ganz gewiß dem Wirth zum Haus hinaus.

7b. Sprüche. 1. yäiißfl: du dein Werk mit Beten au, ist's um die Halste schon gethan. 2. Oie Bibel ist ein goldnes Buch, ein Edelstein jedweder Spruch.

528

4-

Ich will nur oben aus, und weiß doch nicht wohin? Bin rauch und ungestalt und schone nicht leicht einen; Ich komm, wohin ich will, da fangt man an zu weinen. Ich hab dirs doch gesagt, nun rathe, wer ich bin?

5. Ich bin der beste Koch, das kann ich wohl beweisen. Es lobt, bei wem ich bin, ein Jeder meine Speisen; doch wo man Essen giebt und theilet Spenden ans, da lauf ich ganz gewiß dem Wirth zum Haus hinaus.

7b. Sprüche. 1. yäiißfl: du dein Werk mit Beten au, ist's um die Halste schon gethan. 2. Oie Bibel ist ein goldnes Buch, ein Edelstein jedweder Spruch.

32Y 3* Die Welt vergeht mit ihrer Lust, drum fasse den Himmel in die Brust.

4. Wer sich zu frommen Leuten hält, mit dem ist's immer wohl bestellt.

5. Nach Landesbrauch soll man sich kleiden und fremden Volkes Tracht vermeiden. Kleid' dich nach deutscher Sitte rein, es steht dir lobelich und fein. 8. Was lauft, als ob es fliege? Die Lüge; doch möchte sie auch noch schneller seyn, ihr folgt die Wahrheit und holt sie ein.

7. Wer Unglück soll haben, stolpert im Grase, fällt auf t>en Rücken und bricht die Nase. 8. Wenn Fehde dir ein Zänker beut, so laß dich nicht ^um Streit verführen. Klug widerrät'» ein Sinnspruch alter Zeit, das Feuer mit dem Schwert zu schüren.

330

9. Hans Gut-genug, der bequeme Knecht, macht all seine Sachen nur halb und schlecht.

10- Fast einem klugen Manne gleicht ein Narr, der — schweigt.

11. Zag' nicht und duck' dich nicht sogleich vor jedem Feind: die Wölfe fressen den, der als ein Schaf erscheint. 12- Befiehl dich Gott, sei stark in Noth, gieb Armen Brot, bedenk den Tod!