Der französische Revolutionskalender (1792–1805): Planung, Durchführung und Scheitern einer politischen Zeitrechnung [Reprint 2014 ed.] 9783486827163, 9783486557916

Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht nicht die Ereignisgeschichte des Revolutionskalenders, also die Rekonstrukt

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Der französische Revolutionskalender (1792–1805): Planung, Durchführung und Scheitern einer politischen Zeitrechnung [Reprint 2014 ed.]
 9783486827163, 9783486557916

Table of contents :
Vorbemerkung
Einleitung
A. AUFKLÄRUNG UND DEZIMALISIERUNG: ZUR VORGESCHICHTE DES REVOLUTIONSKALENDERS
B. DER REVOLUTIONSKALENDER ALS IDEOLOGISCHES PROGRAMM: DIE ,NEUE ZEIT‘
I. Einleitung
II. Die Kalenderdebatte im Konvent (1793)
III Ideologische Aspekte der Kalenderreform
1. Die Rationalität des neuen Kalenders
2. Der Bruch: das neue Zeitalter
3. Das geschichtsphilosophische Dilemma: zyklische und lineare Zeit
IV. Der erste Ausbau der Kalenderreform
1. Ausführungsbestimmungen des Konvents
2. Die Schaltjahresregelung
3. Propaganda für den Kalender
V. Der Revolutionskalender als Ausdruck eines neuen politischen Selbstverständnisses
C. DER REVOLUTIONSKALENDER ALS POLITISCHES INSTRUMENT: ERZIEHUNG FÜR DIE REPUBLIK
I Einleitung
II. Die Debatte über politische Institutionen
1. Durch neue Institutionen zum ,neuen Menschen‘
2. Die moralische Seite der Kalenderreform: ein neues Festprogramm
3. Erste Schwierigkeiten: die Stellung des Décadi
4. Der Kampf gegen alte Gewohnheiten mit neuen Kalendergesetzen im Jahr VI (1798)
III. Die,Beherrschung‘ des Alltags
D. DIE DURCHSETZUNG DES REVOLUTIONSKALENDERS IN MARSEILLE UND DREI PROVENZALISCHEN DÖRFERN
I. Einleitung
1. Begriffsbestimmungen: Kalenderzeit, Terminsystem, Rhythmus, Periodizität
2. Auswahl der Quellen
3. Argumente für eine lokalgeschichtliche Untersuchung
4. Fragestellungen
II. Anwendung des Revolutionskalenders in Behörden der Stadt Marseille
1. Die Reaktion auf die nationalen Kalendergesetze
1.1. Die ersten lokalen Kalendererlasse
1.2. Das Leben mit dem Revolutionskalender
1.3. Der Einfluß der Kalendergesetze des Jahres VI (1798)
1.4. Ergebnis
2. Der Revolutionskalender in Verwaltung und Repräsentativkörperschaften
2.1. Die Stadtverwaltung
2.2. Departement und Distrikt
2.3. Ergebnis
3. Revolutionsfeste
3.1. Traditionelle Feste
3.2. Neue politische Festtagszyklen
3.3. Dekadenfeiern
3.4. Ergebnis
III. Der Revolutionskalender im persönlichen Gebrauch
1. Heiratstermine
1.1. Saisonale Verteilung der Heiraten
1.2. Heiraten und Tage
1.3. Ergebnis
2. Persönliche Terminsysteme im Spiegel polizeilicher Untersuchungsberichte
2.1. Die polizeiliche Überwachung der Kalendergesetze
2.2. Konflikte zwischen Kalendergesetzen und privaten Terminsystemen
2.3. Gerichtliche Sanktionen
2.4. Ergebnis
3. Die Fischerzunft
3.1. Termine für Wahlen und Versammlungen
3.2. Auseinandersetzungen wegen der Kalendergesetze
3.3. Ergebnis
4. Das Hospital
4.1. Sitzungen der Rektoren
4.2. Terminumstellungen im Hospital
4.3. Ergebnis
5. Privater Umgang mit dem Revolutionskalender: das Tagebuch des Kaufmanns Joseph Abel
5.1. Private Termine
5.2. Geschäftliche Termingestaltung
5.3. Ergebnis
IV. Der Revolutionskalender in den Dörfern
1. Lambesc, Roquevaire, Eyragues
2. Sitzungen der Gemeinderäte
3. Heiratstermine
4. Feste
5. Notariatstermine
6. Sonntag und Décadi
7. Ergebnis
V. Modernisierung und partielle Rationalisierung von Terminsystemen
E. DIE HÜRDE DES RATIONALITÄTSARGUMENTS: ZUR ABSCHAFFUNG DES REVOLUTIONSKALENDERS
Schluß
Kalenderkonkordanz
Tabellen
Anmerkungen
Abkürzungen
Quellen
Literatur
Anhang
Table des Matières
Table des Figures
Résumés

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Michael Meinzer Der französische Revolutionskalender (1792-1805)

Ancien Regime Aufklärung und Revolution Herausgegeben von Rolf Reichardt und Eberhard Schmitt Band 20

R. Oldenbourg Verlag München 1992

Der französische Revolutionskalender

(1792-1805)

Planung, Durchführung und Scheitern einer politischen Zeitrechnung

Von Michael Meinzer

R. Oldenbourg Verlag München 1992

Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und der Mission Historique Frangaise en Allemagne in Göttingen.

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Meinzer, Michael: Der französische Revolutionskalender (1792 - 1805); Planung, Durchführung und Scheitern einer politischen Zeitrechnung/von Michael Meinzer. - München: Oldenbourg, 1992 (Ancien rigime, Aufklärung und Revolution; Bd. 20) Zugl.: Bielefeld, Univ., Diss., 1986 ISBN 3-486-55791-2 NE: GT

© 1992 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtherstellung: WB-Druck, 8959 Rieden am Forggensee ISBN 3-486-55791-2

Inhalt Vorbemerkung Einleitung A. AUFKLÄRUNG UND DEZIMALISIERUNG: ZUR VORGESCHICHTE DES REVOLUTIONSKALENDERS B. DER REVOLUTIONSKALENDER ALS IDEOLOGISCHES PROGRAMM: DIE .NEUE ZEIT' I. Einleitung II. Die Kalenderdebatte im Konvent (1793) III. Ideologische Aspekte der Kalenderreform 1. Die Rationalität des neuen Kalenders 2. Der Bruch: das neue Zeitalter 3. Das geschichtsphilosophische Dilemma: zyklische und lineare Zeit IV. Der erste Ausbau der Kalenderreform 1. Ausführungsbestimmungen des Konvents 2. Die Schaltjahresregelung 3. Propaganda für den Kalender V. Der Revolutionskalender als Ausdruck eines neuen politischen Selbstverständnisses C. DER REVOLUTIONSKALENDER ALS POLITISCHES INSTRUMENT: ERZIEHUNG FÜR DIE REPUBLIK I. Einleitung II. Die Debatte über politische Institutionen 1. Durch neue Institutionen zum .neuen Menschen' 2. Die moralische Seite der Kalenderreform: ein neues Festprogramm 3. Erste Schwierigkeiten: die Stellung des Decadi 4. Der Kampf gegen alte Gewohnheiten mit neuen Kalendergesetzen im Jahr VI (1798) III. Die Beherrschung' des Alltags D. DIE DURCHSETZUNG DES REVOLUTIONSKALENDERS IN MARSEILLE UND DREI PROVENZALISCHEN DÖRFERN I. Einleitung 1. Begriffsbestimmungen: Kalenderzeit, Terminsystem, Rhythmus, Periodizität 2. Auswahl der Quellen 3. Argumente für eine lokalgeschichtliche Untersuchung 4. Fragestellungen II. Anwendung des Revolutionskalenders in Behörden der Stadt Marseille

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Inhalt

III.

IV.

1. Die Reaktion auf die nationalen Kalendergesetze 1.1. Die ersten lokalen Kalendererlasse 1.2. Das Leben mit dem Revolutionskalender 1.3. Der Einfluß der Kalendergesetze des Jahres VI (1798) 1.4. Ergebnis 2. Der Revolutionskalender in Verwaltung und Repräsentativkörperschaften 2.1. Die Stadtverwaltung 2.2. Departement und Distrikt 2.3. Ergebnis 3. Revolutionsfeste 3.1. Traditionelle Feste 3.2. Neue politische Festtagszyklen 3.3. Dekadenfeiern 3.4. Ergebnis Der Revolutionskalender im persönlichen Gebrauch 1. Heiratstermine 1.1. Saisonale Verteilung der Heiraten 1.2. Heiraten und Tage 1.3. Ergebnis 2. Persönliche Terminsysteme im Spiegel polizeilicher Untersuchungsberichte 2.1. Die polizeiliche Überwachung der Kalendergesetze 2.2. Konflikte zwischen Kalendergesetzen und privaten Terminsystemen 2.3. Gerichtliche Sanktionen 2.4. Ergebnis 3. Die Fischerzunft 3.1. Termine für Wahlen und Versammlungen 3.2. Auseinandersetzungen wegen der Kalendergesetze 3.3. Ergebnis 4. Das Hospital 4.1. Sitzungen der Rektoren 4.2. Terminumstellungen im Hospital 4.3. Ergebnis 5. Privater Umgang mit dem Revolutionskalender: das Tagebuch des Kaufmanns Joseph Abel 5.1. Private Termine 5.2. Geschäftliche Termingestaltung 5.3. Ergebnis Der Revolutionskalender in den Dörfern 1. Lambesc, Roquevaire, Eyragues 2. Sitzungen der Gemeinderäte

87 88 90 92 95 96 96 103 103 105 105 107 110 111 112 114 115 116 121 122 123 126 127 128 129 129 131 132 133 133 134 135 135 135 137 139 140 140 141

Inhalt 3. Heiratstermine 4. Feste 5. Notariatstermine 6. Sonntag und Decadi 7. Ergebnis V. Modernisierung und partielle Rationalisierung von Terminsystemen E. DIE HÜRDE DES RATIONALITÄTSARGUMENTS: ZUR ABSCHAFFUNG DES REVOLUTIONSKALENDERS Schluß Kalenderkonkordanz Tabellen Anmerkungen Abkürzungen Quellen Literatur Anhang Table des Matieres Table des Figures Resumes

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Für Leigh Meinzer

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Vorbemerkung Diese Arbeit wurde im Frühjahr 1986 der Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie an der Universität Bielefeld als Dissertation vorgelegt. Für den Druck wurde der Text überarbeitet und der Anmerkungsteil gestrafft. Wissenschaftliche Arbeit bedarf zu ihrem Fortkommen des kritischen Gesprächs. Mein Dank dafür gilt an erster Stelle Prof. Dr. Reinhart Koselleck, dem Betreuer der Dissertation, und Prof. Dr. Wolfgang Mager. In Frankreich konnte ich mit Madame Mona Ozouf vom Centre National de Recherches Scientifiques in verschiedenen Gesprächen konzeptuelle Fragen klären. Prof. Michel Vovelle, damals noch in Aix-en-Provence, hat mich, als er von meinen Arbeitsvorhaben erfuhr, spontan und herzlich in die Provence eingeladen und Marseille für die geplante Lokalstudie vorgeschlagen. Ihm verdanke ich entscheidende sachliche Hinweise und methodische Anregungen. Gefördert hat die Arbeit von Anfang an auch Dr. Rolf Reichardt. Mit ihm konnte ich schon frühzeitig große Teile des Manuskripts diskutieren. Später hat er mit viel Geduld die Arbeit als Herausgeber betreut. Martin Tabaczek war stets ein aufgeschlossener Freund und Kritiker, der mir mit seinen Fragen und seinem Widerspruch half, Problemstellungen und Thesen schärfer zu fassen. Finanzielle Hürden haben die Drucklegung immer wieder verzögert. Möglich wurde die Publikation schließlich nur durch die großzügige Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und der Mission Historique Frangaise en Allemagne in Göttingen. Prof. Michel Parisse, dem Leiter der Mission Historique, ist die Anregung zu verdanken, der Arbeit einen französischen Anhang beizugeben. Bei der Abfassung der Resumes hat freundlicherweise Jose Domenech geholfen. Für technische Hilfe bei der Herstellung der Druckvorlage danke ich Jutta Wiegmann und Tilman Spreckelsen. Die Kalendertabellen wären ohne Klaus Hartls Mitwirkung nicht zustande gekommen. Kassel, im Juli 1989

M.M.

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Einleitung Unter den Neuerungen, die auf die Französische Revolution zurückgehen, erscheint der Revolutionskalender noch immer als Kuriosum. Geblieben ist von ihm kaum mehr, als daß sich im kollektiven Gedächtnis der Franzosen einige große Ereignisse mit ihrem revolutionären Datum untrennbar verbunden haben: der Sturz Robespierres am 9. Thermidor oder Napoleons Staatsstreich vom 18. Brumaire. Dennoch gehörte gerade die Kalenderreform zu den einschneidendsten Errungenschaften der Revolution. Schließlich war der neue Kalender - die Zeitgenossen nannten ihn den .republikanischen Kalender' - dazu gedacht, den radikalen Bruch mit der Vergangenheit und den Beginn einer neuen Menschheitsepoche zu markieren. Mit seiner Zehntagewoche sollte er den Lebens- und Arbeitsrhythmus der Franzosen vollständig umstürzen. Hätte der Revolutionskalender Erfolg gehabt, wäre dies im Alltagsleben spürbarer gewesen als alle Auswirkungen der zahlreichen Verfassungsreformen, die weite Teile der Bevölkerung wegen des Zensuswahlrechts ohnehin nicht berührten. Die administrative Energie, die gerade diese Reform verschlungen hat, zeugt zudem von der Bedeutung, die die Zeitgenossen ihr beigemessen haben. 1 Wenn auch kaum eine Geschichte der Französischen Revolution umhinkann, auf den neuen Kalender hinzuweisen und die republikanische Datierung zu erläutern, ist doch der Revolutionskalender von der historischen Forschung lange vernachlässigt worden. Nach einem kurzfristigen Interesse im .Kulturkampf' der Dritten Republik, als der Revolutionskalender wegen seiner radikalen Abkehr von der christlichen Zeitordnung als Vorläufer einer laizistischen Kultur gefeiert oder verdammt wurde, 2 hat er erst im Zusammenhang neuerer mentalitätsgeschichtlicher Fragestellungen Aufmerksamkeit auf sich gezogen. 3 Nach dem sich immer mehr erweist, daß die Zäsurwirkung der Französischen Revolution im kulturellen und ideologisch-mentalen Bereich besonders stark gewesen ist,4 tritt die innovative Bedeutung der Kalenderreform deutlicher hervor. Fragen nach den ideologischen Ansprüchen der Revolution, nach ihren Umsetzungen in praktische Politik und nach ihren Realisierungchancen und ihren Tiefenwirkungen lassen sich an dem Projekt der Kalenderreform exemplarisch behandeln. Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht deshalb nicht die Ereignisgeschichte des Revolutionskalenders, also die Rekonstruktion der jahrelangen und zeitweise äußerst intensiven Behandlung der Kalenderreform in den verschiedenen Repräsentativkörperschaften. Vielmehr geht es darum, wie die ,neue Zeit' des Revolutinskalender ideologisch, politisch und pragmatisch bewältigt wurde. Nach einleitenden Bemerkungen zu Vorläufern und Vorbereitern der Kalenderrefom (Kap. A) - wobei besonders die Rolle der von der Aufklärung favorisierten Dezimalisierung hervortritt - werden mit folgenden Fragen drei Aspekte des Revolutionskalenders herausgestellt: 1. Welche ideologischen Erwartungen waren an die Kalenderreform geknüpft?

Einleitung

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2. Was wollte man politisch mit der Reform erreichen? 3. Wie sah die praktische Umsetzung der Reform vor Ort aus? Zur Beantwortung der beiden ersten Fragen werden vornehmlich Reden untersucht, die in den politischen Repräsentativkörperschaften zur Kalenderreform und ihrer Ausgestaltung gehalten wurden. Diese Teile der Arbeit beleuchten - in der Sicht der Hauptstadt und der politischen Akteure - die Planungsphase der Kalenderreform aus zwei Blickwinkeln. Zum einen wird die ideologische Programmatik, die bei der Konzeption des Revolutionskalenders zum Ausdruck kommt, betrachtet (Kap. B). Zum anderen soll sich der Zusammenhang der Kalenderreform mit den Plänen einer nationalen Erziehung und Volksbildung erweisen, wie sie für das neue Gemeinwesen entworfen wurden (Kap. C). Der Revolutionskalender erhielt darin eine besondere Aufgabe bei der Verteidigung der Republik, indem er die Bürger befähigen sollte, zu Republikanern zu werden. Die dritte Frage, die den umfangreichsten Teil der Untersuchung leitet (Kap. D), läßt sich sinnvollerweise nur in einer Fallstudie mit lokaler Begrenzung beantworten. Denn die tatsächlichen Eingriffe des neuen Kalenders in die bestehende zeitliche Organisation des Alltags können nur gesehen und gewürdigt werden, wenn sie auf einen konkreten, für die Untersuchung gleichbleibenden Einzelfall bezogen werden. Eine Addition von Einzelbelegen für die Durchführung des Revolutionskalenders aus verschiedenen lokalen Zusammmenhängen, wie es sie bislang nur gibt, 5 bliebe ohne .sozialen' Beweiswert. Die Beobachtungen, die sich bei der Untersuchung der Durchführung der Kalenderreform ergeben, können - zumindest teilweise - das endgültige Scheitern des neuen Kalenders erklären. Denn einer raschen Abkehr vom Revolutionskalender, nachdem er politisch nicht mehr opportun zu sein schien, stand seine - vermeintlich - größere Rationalität im Vergleich zum gregorianischen Kalender im Wege. Hinweise auf die langwierige und sich bis ins Kaiserreich hinziehende Abkehr vom Revolutionskalender (Kap. E), der inzwischen sogar .französischer' Kalender hieß und mit diesem Namen auch im Kaiserreich durchaus hätte überleben können, schließen die Untersuchung ab.

Α. Aufklärung und Dezimalisierung: zur Vorgeschichte des Revolutionskalenders Viele Reformen, die die Revolution verwirklichen konnte, lebten bereits vorher als Forderung im öffentlichen Bewußtsein, wie zum Beispiel der Ruf nach politischer und wirtschaftlicher Freiheit oder nach einem Ausbau des Erziehungswesen. Ebenso war die Vereinheitlichung der Maße und Gewichte ein Anliegen, das immer wieder vorgebracht wurde. Im Gegensatz dazu ist von einer Kalenderreform im 18. Jahrhundert oder auch in den ersten vier Jahren der Revolution nicht die Rede.1 Als aber nach der Gründung der Republik die Idee eines neuen Kalenders geboren wurde, ist die Kalenderreform dann binnen eines Jahres entworfen und vom Konvent verabschiedet worden. War der neue Kalender deshalb eine spontane Idee einiger besonders eifriger Kalendermacher? Oder gab es doch Voraussetzungen, auf die die Reform aufbauen konnte, und Bedingungen, die sie begünstigt haben. Wissenschaftlich war im Frankreich des 18. Jahrhunderts eine Kalenderreform kein Thema. 2 Der gregorianische Kalender von 1582 war unangefochten im Gebrauch. Er hatte sich als praktikabel erwiesen; seine astronomischen Fehler waren gering und lohnten den Aufwand einer Änderung nicht.3 Zudem hatten einige europäische Länder recht spät - die protestantischen deutschen Staaten im Jahren 1700, England erst 1752 - die gregorianische Reform übernommen. Das erhöhte das Prestige dieses Kalenders, der damit seine Überlegenheit als europäischer Kalender bewies. Das besondere Interesse des 18. Jahrhunderts für naturwissenschaftliche und technische Fragen erstreckte sich selbstverständlich auch auf Probleme der Zeitmessung. 4 Die gebildete Öffentlichkeit verfolgte aufmerksam technische Änderungen - so auch bei Uhren und astronomischen Geräten, die präzisere Messungen und Beobachtungen, natürlich auch für Kalenderberechnungen, erlaubten. Zeitschriften und Enzyklopädien gaben Anregungen und Hinweise, was bei der Konstruktion eines Kalenders zu beachten sei: Ainsi, la construction d'un calendrier n'a rien en soi de difficile, pourvü que Ton ait sous la main des tables des mouvemens cdlestes.5

Die Herstellung eines Kalenders war also keine ausschließlich wissenschaftliche Angelegenheit zu vornehmlich religiösen Zwecken mehr. Auch dem gebildeten Laien war dieses Herrschaftswissen zugänglich; er stellte seine eigenen Berechnungen an. An Folge dieser Entwicklung konnte ein geschärftes Bewußtsein für Kalenderfragen nicht ausbleiben.6 Durch Informationen über Kalender und Kalenderreformen bei anderen Völkern und zu anderen Zeiten wird die Einsicht in die soziale Funktion von Kalendern gewachsen sein.7 Dadurch rückte der Gedanke an einer

Aufklärung und Dezimalisierung

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Kalenderreform ein Stück weit in den Bereich des Möglichen. Ob hinter diesen Vorgängen ein größeres Bedürfnis nach dem Kalender als Zeitmeßinstrument stand, ist nicht auszumachen, denn es fehlen Untersuchungen zur Kalenderzeit8 gerade auch im 18. Jahrhundert - , die diese Frage beantworten könnten. Bekannt ist dagegen, wohin die Entwicklung langfristig geführt hat. Im Gefolge der industriellen Revolution wurden immer mehr Tätigkeiten aus ihrem traditionellen, flexiblen Zeitrhythmus gelöst und der Kontrolle einer starren, abstrakten Zeitplanung unterworfen.' Wenn von diesem säkularen Prozeß bewußte oder unbewußte Auswirkungen oder Anregungen auf die Kalenderreform ausgegangen sind, wäre das nicht verwunderlich. Ein anderer Bereich, der eine Kalenderreform begünstigen konnte, waren die verschiedenen Uniformierungsbestrebungen der Französischen Revolution. Sie vollendete damit eine Tendenz des 18. Jahrhunderts, das als Zeitalter der Aufklärung einen besonderen Hang zu Ordnung und jeder Art von Klassifikation hatte, gleich ob in Wissenschaft, Verwaltung oder Kultur. Die Encyclopidie in Taschenbuchformat ist nur ein, wenn vielleicht auch das herausragendste Beispiel dafür, wie - in diesem Fall - Wissen durch Ordnung beherrschbar gemacht werden sollte.10 Wo es möglich war, wurden mathematische Ordnungssysteme zur Uniformierung eingesetzt, wie beim Raum, bei der Zeit, bei Maßen und Gewichten und sogar beim Menschen als Individuum oder als Gruppe - oder eben bei der Zeit mit Hilfe des dezimalen Kalenders. Eine Neuordnung des französischen Territoriums aus Verwaltungs- und steuertechnischen Gründen gehörte in den Jahren vor der Revolution zu den unter Fachleuten unumstrittenen Forderungen.11 Bereits in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts kamen Pläne auf, die das Land geometrisch exakt in Verwaltungseinheiten mit rechtwinkligen Grenzen nach amerikanischem Muster aufteilen wollten.12 In der Nationalversammlung wurden diese Vorstellungen aufgegriffen und fanden viel Anklang.13 Schließlich setzte sich aber nach langem Ringen mit der Einteilung in Departements eine Lösung durch, die an die alten Regionalgrenzen angelehnt war und provinzielle Besonderheiten respektierte. Bei der Maß- und Gewichtsreform war das Dezimalsystem als mathematische Grundlage nicht umstritten.14 Nicht zuletzt die Encyclopidie hatte es empfohlen. 15 Als die Nationalversammlung dann feudale Privilegien aufgehoben hatte - das metrologische Privileg gehörte nicht zu den geringsten Herrschaftsrechten, deren Ausübung immer wieder zu heftigen Konflikten zwischen Grundherren und ihren Abhängigen geführt hatte16 - , stand der Maß- und Gewichtsreform nichts mehr im Weg. Sie gleicht in vielen Erscheinungen der Kalenderreform. Sie trat mit universalem Anspruch auf. Bereits zu Beginn der Debatte im Frühjahr 1790 versuchte Talleyrand, damals noch Bischof von Autun, das englische Parlament als Bundesgenossen für eine übernationale Reform zu gewinnen.17 Die „rdg6neration de l'ordre public"18, so wurde in bezug auf Frankreich argumentiert, könne ohne neue Maße nicht gelingen. Sie seien ein wesentliches Element der Revolution,19 geeignet, die Einheit der Republik20 zu festigen. Die Schwierigkeiten, auf die die Durch-

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Aufklärung und Dezimalisierung

führung der Reform stieß, begannen - wie später auch beim Revolutionskalender bereits mit der Namensfrage und setzten sich im Kampf gegen die Macht der Gewohnheit fort.21 Die Widerstände, die die Verwaltung bei der Durchsetzung der Reform zu überwinden hatte, waren enorm und lange Zeit nicht zu beseitigen.22 Nach Napoleons Staatsstreich vom 18. Brumaire VIII (9.11.1799) traf die neuen Maße und Gewichte - gleich wie den Revolutionskalender - das Gerücht, sie sollten abgeschafft werden. 23 Sie wurden zwar beibehalten, blieben aber unpopulär. Erst im Konsulat beruhigten sich die Gemüter, als ein Erlaß populärere, d. h. französisierte Namen für die neuen Maßeinheiten zuließ.24 Gerade als besonders eifrige Präfekten die ersten Erfolge für die neuen Maße sahen, gab Napoleon noch weiter nach.25 In einem Erlaß vom 12.2.1812 erlaubte er nicht nur wieder die traditionellen Namen, er gestand auch nicht-dezimale Unterteilungen der neuen Maße zu, die von den alten nur minimal abwichen:26 500 Gramm hießen nun eine ,livre', oder eine ,toise' zu sechs ,pieds' maß nun zwei Meter. Das Dezimalsystem wurde jedoch im Grundsatz beibehalten und mußte in den Schulen gelehrt werden.27 Erst rund fünfzig Jahre nach dem Beginn der Reform wurde das Dezimalsystem mit dem Gesetz vom 4.7.1837 endgültig verbindlich.28 Die Hoffnung, daß dem Gesetz diesmal mehr Erfolg beschieden sein würde, gründete man in der Parlamentsdebatte auf die jahrelange schulische Unterweisung im metrischen System.29 Wie die spätere Kalenderreform veränderte auch die Maß- und Gewichtsreform Gewohnheiten und griff in den Alltag ein. Daß diese Reform dann schließlich - im Gegensatz zum Revolutionskalender - erfolgreich war, lag nicht nur am zeitlichen Faktor. Hätte man dem Revolutionskalender auch fünfzig Jahre zugestanden, wäre er vielleicht ebenso erfolgreich gewesen. Der Maß- und Gewichtsreform fehlte auch das religiöse Element, dessen geplante Beseitigung durch den Revolutionskalender Widerstand hervorgerufen hatte. Die Weltgeschichte inhaltlich-chronologisch in den Griff zu bekommen, versuchte Condorcet. Er beendete am „Vendredi 4 Octobre 1793 ancien style - 13e du 1" mois de l'an II de la Republique Fransaise" seine Esquisse d'un tableau historique des progris de 1'esprit humain.30 Dieser Abriß der Weltgeschichte ging von zehn Epochen aus. Die neunte hatte die Französische Revolution und die französische Republik gebracht. Condorcet piazierte sich und seine Gegenwart somit an den Beginn des zehnten und letzten Zeitalters, das die ideale Gesellschaft herbeiführen werde: la destruction de I'in6galit6 entre les nations; les progris de l'6galit6 dans un meme peuple; enfin, le perfectionnement r£el de 1'homme. 31

Doch nicht nur die Geschichte ließ sich überschaubar und für ein aufgeklärtes Empfinden geordnet darstellen. Die Bevölkerung selbst war mathematisch sauber einzuteilen, wenn man erst einmal von der Familie mit ihrer willkürlichen Größe absah. Anläßlich der Aussprache über die Dekadenfeiern, den Festen also, die am Decadi, dem neuen Ruhetag des Revolutionskalenders, abgehalten werden sollten, schlug ein Konventsabgeordneter vor, das Volk in Einheiten von 10,100 und 1000

Aufklärung und Dezimalisierung

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Bürgern aufzuteilen.32 Werde diese Aufstellung auch bei den Dekadenfeiern eingehalten, kehrten Ruhe, Ordnung und Würde - die wohl bislang gefehlt hatten - dabei wie von selbst ein. Der Zugriff des Dezimalsystems ließ sich sogar noch weiter bis zum Individuum ausdehnen. Mit Hilfe der Dezimaluhr und der agrarischen Namen des neuen Kalenders entstand ein System, das alle Bürger mit Vornamen versehen sollte, die nach Geburtstag, -stunde und Geschlecht aufgeschlüsselt werden könnten.33 Der Bürger würde damit über seinen Namen für die Verwaltung und für seinen Mitbürgern besonders leicht zu identifizieren sein. Die Kalenderreform erscheint angesichts dieser Beispiele für die Systematisierung und Uniformierung unterschiedlichster Lebensbereiche nicht als ein isoliertes Unternehmen, wie dies auch schon Zeitgenossen bemerkt haben: Le nouvel annuaire forme une branche essentielle du grand systfcme qui tend ä tout simplifier, ä tout uniformer dans E v a l u a t i o n du temps, des poids et des mesures. 3 4

Auf der Suche nach Vorläufern des Revolutionskalenders führt die wichtigste Spur zu den Almanachen, die im 18. Jahrhundert zu der einflußreichsten und verbreitesten Massenlektüre zählte. 1788 erschien in Paris ein Almanach des Honnetes Gens3S von Sylvain Marechal. Er teilte die Monate nach Dekaden auf - mit fünf Zusatztagen am Jahresende, besaß teilweise neue Monatsnamen, hatte die Tagesheiligen durch „honnetes gens" aller Nationen und Konfessionen ersetzt und war mit „l'An premier du regne de la Raison" überschrieben. Dieser Almanach gilt als der direkte Vorläufer des Revolutionskalenders. Doch hatte auch er, was die entchristlichten Tagesnamen angeht, Vorbilder. Einige davon sind bekannt; sie lassen sich - einstweilen - bis 1772 zurückverfolgen.36 In einem Calendrier des hires ou Manuel des militaires,37 der der Erziehung junger Adliger diente, waren die Heiligen durch berühmte Militärs ersetzt. Ein Freund Voltaires, Joseph Vasselier, gab 1785 einen Almanach nouveau de l'an passi™ heraus. In ihm erschienen anstelle der Heiligen Berühmtheiten aller Länder. Der unverkennbar antichristliche Zug des Almanach des Honnites Gens, in dem Christus neben Epikur, Rousseau, Helvetius, Michelangelo, Mohammed u. a. zu finden ist, brachte seinen Verfasser, Sylvian Marechal, schon bald in Schwierigkeiten. Daran war er allerdings gewöhnt. Der atheistische Einschlag früherer Schriften hatte ihn bereits um seinen Posten als Hilfsbibliothekar an der Bibliotheque Mazarine in Paris gebracht.39 Am 7. Januar 1788 erließ das Parlament von Paris die Anweisung,40 der zufolge der Almanach beschlagnahmt und als „impie, sacrilege, blasphematoire, et tendant ä detruire la religion"41 verbrannt, sein Verfasser gefangengesetzt werden solle. Zwei Tage später schon wurden die aufgefundenen Exemplare im Hof des Parlaments verbrannt, der Beschluß darüber durch Anschlag bekanntgemacht. Nach dieser unfreiwilligen Werbehilfe stieg der Preis des Almanachs angeblich von sechs .sous' bis zu 36 ,livres'. Marechal wurde verhaftet und blieb drei Monate im Gefängnis. Gegen Mitte April wurde er unter der Bedingung, Paris zu verlassen, wieder auf freien Fuß gesetzt. Er hatte mit diesem Fall seine Berühmtheit vergrößert. Schon 1789 legte er den Almanach erneut und in der Folgezeit noch mehrfach wieder auf.42

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Aufklärung und Dezimalisierung

Als mit Beginn der Revolution politische Behinderungen der Presse zunächst wegfielen, überschwemmte eine Flut politisierender Almanache den Markt. Eine Reihe von ihnen folgten Mardchals Beispiel und ersetzten im Kalender die christlichen Heiligen.43 Der Phantasie waren in dieser Hinsicht keine Grenzen gesetzt. Eine allgemeine Kalenderreform war damit jedoch weder gefordert noch beabsichtigt. Im Hinblick auf die Dekadeneinteilung blieb der Almanach des Honnetes Gens ein Vorreiter. Die Inauguration eines neuen Zeitalters dagegen fand begeisterte Nachahmer.44 Schon bald erhielten einige der neuen Zeitalterbezeichnungen offiziellen Charakter. Nach dem 14. Juli setzte sich bereits die Datierung „annee de la libertd"45 durch. Für den Moniteur war aber erst der 14. Juli 1790 der „1er jour de la 2de annde de la Liberti". 46 Am 2. Januar 1792 kam es dann in der Legislative zu einer Diskussion, ob das folgende ,Jahr der Freiheit' erst am 14. Juli oder schon am 1. Januar beginnen solle. Um Verwirrung zu vermeiden, einigte man sich schließlich auf den üblichen Beginn im Januar.47 In der ersten Sitzung nach dem Sturm auf die Tuilerien verlas der Sekretär des Jakobinerklubs das Protokoll der letzten Sitzung, das er mit „10 aoüt, 1er jour de la liberte reconquise"48 datiert hatte. Diese Datumsangabe wurde mit großem Beifall aufgenommen. Doch schon einige Tage später überlegte man, ob nun mit „l'an 1er de l'egalite" 49 zu datieren sei. Bald darauf wurde mit dem Dekret vom 22.9.1792 für die staatliche Administration die Datierung nach .Jahren der Republik' verbindlich, die dann auch der Jakobinerklub sofort übernahm.50 Mit der republikanischen Ära war anderen konkurrierenden Zeitalterzählungen größtenteils ein Ende gesetzt. Die offizielle Sprachregelung wurde immer mehr akzeptiert.51 Diese neuen Ären sind Ausdruck einer Zäsurerfahrung, die die Revolution freisetzte.52 Sie markieren jeweils den Beginn einer .neuen Zeit', stiften damit einen Gründungsmythos. Wie die Entchristlichung der Tagesheiligen sind auch die Zeitalterzählungen nicht zwangsläufig Indiz einer kommenden Kalenderreform. Auch Mar6chal hatte ja trotz seines Dekaden-Almanachs nicht die Forderung nach einem neuen Kalender erhoben. Der Boden für eine Kalenderreform war aber, wie die Beispiele zeigen, in den ersten Jahren der Revolution günstig, wenn auch keine Entwicklung direkt darauf zulief. Die allgemeine Offenheit für technische Aspekte eines Kalenders und die Vorliebe für mathematische und mechanistische Ordnungssysteme waren zu unspezifische Erscheinungen, um in den Ruf nach einer Kalenderreform zu münden. Doch zusammen mit den neuen Zeitalterzählungen haben sie - während eines ohnehin allen möglichen Neuerungen förderlichen kulturellen und ideologischen Gärprozesses - eine Atmosphäre geschaffen, in der es nur noch eines Anstoßes bedurfte, um eine Kalenderreform wie folgerichtig erscheinen zu lassen.

Β. Der Revolutionskalender als ideologisches Programm: die ,neue Zeit' I. Einleitung Im Gegensatz zur Vorgeschichte und zur Planung des Revolutionskalenders, die weitgehend im dunkeln bleiben,1· vollzog sich die Diskussion über die Einführung und den weiteren Ausbau der Kalenderreform in der Öffentlichkeit der Repräsentativkörperschaften. Dies geschah mit besonderer Gründlichkeit in langen Debatten, die ihren Höhepunkt in den Jahren II (1793/94), III (1794/95) und VI (1797/98) hatten. Im Jahr II ging es in erster Linie um die ideologische Begründung der Kalenderreform, während vom Jahr III an Fragen nach ihrer politischen Funktion im Mittelpunkt standen. Bis zum Ende des Direktoriums also gelangt der Revolutionskalender in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder auf die Tagesordnung und beweist damit die Bedeutung, die ihm die politischen Führungsschichten zugemessen haben. Im Herbst 1793, der dann später zum Beginn des republikanischen Jahres II wurde, befaßte sich der Konvent zum ersten Mal ausführlich mit der Kalenderreform. Die Diskussion fällt in eine Zeit intensiver innenpolitischer Auseinandersetzungen. Nachdem im Sommer bereits der innere Feind (die Aufständischen in der Vendee, die Girondisten im Konvent) hatte geschlagen werden können und die ,Lev6e en masse' die ersten militärischen Erfolge gegen die ausländischen Gegner errungen hatte, begannen die Jakobiner zu dieser Zeit, ihre Herrschaft mittels der Terreur weiter auszubauen. Die Dechristianisierungstendenzen spielten schon bald eine immer größere Rolle. Die Möglichkeiten, die der neue Kalender in dieser Hinsicht bot, wurden schnell erkannt und genutzt. Die Rekonstruktion der Kalenderdebatte2 ist zunächst geeignet, eine Vielzahl grundlegender Sachfragen zu lösen: Wer brachte die Reform ein? Wer war an ihr beteiligt? Wie wurde sie - in ihren Einzelteilen - begründet? Welche Gegenargumente wurden vorgebracht? Gab es Alternativen?3 Diese Informationen ermöglichen es sodann, die zentrale Frage nach den Motiven der Reform zu beantworten. 4 Die Verbreitung der Reform durch verschiedene Medien wirft ergänzend Licht auf diese Problematik. Denn hier zeigt sich erst, welche Grundgedanken der Reform sich als dauerhaft erweisen.5.

II. Die Kalenderdebatte im Konvent (1793) Zu Beginn der zweiten Konventssitzung am 22.9.1792 - am Vortag war der Konvent eröffnet und die Monarchie abgeschafft worden - forderte der Abgeordnete Billaud-Varenne, der später Mitglied des Wohlfahrtsausschusses wurde, statt der bisher üblichen Datierung „an quatrieme de la libertd" (AP 52:80) offizielle

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Der Revolutionskalender als ideologisches Programm

Schriftstücke mit dem Zusatz „an permier de la Republique" zu versehen. Der Vorschlag fand heftigen Beifall auf den Tribünen. Bei einigen Abgeordneten regte sich jedoch Widerspruch. Sie wollten den Tag des Bastillesturms nicht dem Vergessen anheimfallen lassen, denn - so wurde argumentiert - von diesem Datum an habe Frankreich begonnen, frei zu sein.1 Doch schließlich setzte sich die Ansicht durch, daß in einer Monarchie niemals Freiheit herrschen könne, und es erging ein entsprechender Beschluß. In dieser Regelung der Datierweise bestand der offizielle Gründungsakt der Republik. Der 22. September wurde dann später der Jahresanfang im neuen Kalender. Zu diesem Zeitpunkt ist dieses Datum allerdings nur der Anstoß, eine neue Ära einzuführen. Da dies jedoch nicht zum ersten Mal geschah, wurde die Bedeutung dieses Wechsels auch nicht sogleich erkannt.2 Zwei Monate später, als der Jahreswechsel heranrückte, tauchte ein Problem auf, das schon ein Jahr zuvor die Legislative beschäftigt hatte: Soll mit dem neuen bürgerlichen Kalenderjahr auch das neue politische Jahr beginnen? 3 Die Konventsmehrheit versuchte, die Debatte zu umgehen, und wollte Expertenrat einholen. Sie beschloß am 20.12.1792, den Erziehungsausschuß zu beauftragen, in kürzester Zeit die Vorteile darzulegen „que doit procurer ä la France l'accord de son fcre r6publicaine avec l'ere vulgaire" (AP 55:184). Als im neuen Jahr eine Entscheidung nötig wurde, hatte der Ausschuß sich noch nicht geäußert. Auf die Frage des Sekretärs am 2.1.1793, ob er im Protokoll der Sitzung vom Vortrag mit .Jahr I der Republik' oder mit ,Jahr II der Republik' datieren solle (AP 56:141), einigte sich der Konvent auf ,,1'an second". Damit war eine Regelung gefunden, die den Auftrag an den Erziehungsausschuß eigentlich hinfällig machte. Der Erziehungsausschuß hatte nach dem Beschluß des Konvents vom 20.12.1792 sofort mit der Arbeit begonnen. Tags darauf forderte bereits im Ausschuß ein Mitglied, zwei Kommissare zu benennen, die gemeinsam mit Vertretern der Akademie der Wissenschaften über die Änderungen beraten sollten „qu'il y avait ä faire dans le calendrier, ou dans la manifcre de fixer ou de nommer les difförentes pöriodes du temps".4 Bei dieser Formulierung fällt auf, daß von einer Koordinierung der beiden Zeitrechnungen allein nicht mehr die Rede ist. Dieser Antrag ist weitergehender als der des Konvents und deutet schon auf einen neuen Kalender, den der Konvent offiziell noch gar nicht ins Auge gefaßt hatte.5 In den folgenden zwölf Monaten entstand der republikanische Kalender dann in Beratungen des Erziehungsausschusses mit der Akademie der Wissenschaften. Einzelheiten dieser Unterredungen sind leider unbekannt.6 Erst das fertiggestellte Programm und die sich daraus ergebende Debatte sind überliefert. Als der eigentliche Vater des Revolutionskalenders gilt Gilbert Romme. 7 Er war Abgeordneter des Puy-de-Dome (Auvergne) und gleichzeitig Mitglied des Erziehungsausschusses des Konvents. Sein Lebenslauf, die soziale Herkunft und der Bildungsgang sind nicht ungewöhnlich für einen Revolutionspolitiker.8 Er wurde am 26.3.1750 in Riom (Auvergne) in kleinbürgerlichen Verhältnissen geboren, ging zu den Oratorianern aufs College und begann 1744 in Paris ein Medizinstudium. Der russische Fürst Stroganov engagierte ihn 1779 als Hauslehrer seines Sohnes. Romme verließ Frankreich und lebte fünf Jahre in Rußland, vor allem am

Die Kalenderdebatte im Konvent (1793)

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Hof Katharinas II. 1786 kehrte er mit seinem Zögling zurück. Es folgten Reisen durch die Schweiz und durch Frankreich. Seit 1789 hielt Romme sich wieder in Paris auf. Die Einberufung der Generalstände weckte wohl erstmals sein politisches Interesse. 1791 wurde er in die Legislative gewählt. Mit Couthon gehörte er dort zu den bekanntesten Vertretern des Puy-de-Döme. Anfangs stand er den Girondisten nahe, wechselte dann aber allmählich zur Montagne. Im September 1792 wurde er Konventsabgeordneter. Auch jetzt, wie schon in der Legislative, war er Mitglied des Erziehungsausschusses. Er stimmte für den Tod Ludwigs XVI., wurde als .Volksvertreter in Mission' in die westlichen Departements geschickt. In Caen hielten ihn die Föderalisten fünfzig Tage als Geisel fest. Nach Paris zurückgekehrt, wurde er am 1. Frimaire II (21.11.1793) Präsident des Konvents. Vom 3. Ventöse II bis zum 4. Vendemiaire III (23.2.-25.9.1794) ging er auf politische Mission in den Südwesten. Am 9. Thermidor war er wieder in Paris und gehörte möglicherweise zu den Gegnern Robbespierres. An der letzten großen Volkserhebung vom 12. Germinal III (1.4.1795) gegen den post-thermidorianischen Konvent beteiligte er sich nicht. Jedoch forderte er am 1. Prairial III (20.5.1795), als erneut Unruhe in den Sektionen aufkam, im Konvent die Befreiung der zuvor verhafteten Patrioten, Permanenz der Sektionen und Rückkehr zur Verfassung von 1793. Noch in der Nacht wurde er verhaftet und bald darauf zusammen mit fünf anderen kompromittierten Abgeordneten der Montagne zum Tode verurteilt. Gemeinsam mit diesen beging er am Ausgang des Gerichtssaal Selbstmord.' Nichts weist darauf hin, was ihn in besonderer Weise zum Kalendermacher hätte prädestinieren können. Eine areligiöse Einstellung, die ihn zu einem eifrigen Vertreter der Dechristianisierungspolitik werden ließ,10 mathematisch-naturwissenschaftlichen Interessen und pädagogische Berufserfahrung - ob aus Not oder Neigung zustandegekommen, ist schwer zu entscheiden - , teilt er mit unzähligen Zeitgenossen. Dies mag zwar seine Neigung zur Bildungspolitik erklären; doch ergibt dies nicht mehr als eine Disposition, die sein Eintreten für die Kalenderreform verständlich macht.11 Spätestens seit den Anfängen der Republik darf hingegen Rommes Interesse an Kalenderproblemen als gesichert gelten. Der glückliche Zufall, der sich aus den astronomischen Konstellationen für den neuen Kalender ergab, indem die Republikgründung mit der Herbsttagundnachtgleiche zusammenfiel, schien Romme sofort begeistert zu haben.12 Wann nun Romme mit den eigentlichen Arbeiten am Kalender begonnen hatte, ist nicht mehr genau festzustellen.13 Denn die Arbeit an dem Kalenderprojekt vollzog sich im Erziehungsausschuß außerhalb des Blickfeldes von Konvent und Öffentlichkeit. Nur während der Erziehungsdebatte im Sommer 1793 drangen einmal Hinweise auf eine bevorstehende - oder nur mögliche Kalenderreform nach draußen.14 Der Abgeordnete Lequinio, der später zu den eifrigsten Dechristianisierern zählte, machte den radikalen Vorschlag, den Ruhetag jedem Bürger freizustellen und den Jahresanfang auf den Gang der Natur abzustimmen. Dazu eigne sich der Tag der Frühjahrstagundnachtgleiche (AP 68:lllf.). Der Abbe Sieyes dagegen lehnte eine neue Einteilung des Jahres grundsätzlich ab:

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Der Revolutionskalender als ideologisches Programm Le temps n'est pas venu de faire des changements dans la division de l'annde; nos habitudes, nos rapports si multiplies avec les habitudes des peuples environnants, et des stecles qui ont ρτίοέάέ immfidiatement le nötre, se prdsentent, ä cet £gard, comme une masse trop effrayante ä remuer. Nous avons cru devoir nous contenter de notre calendrier.15

Zu dieser Zeit arbeitete der Erziehungsausschuß allerdings schon mit der Akademie der Wissenschaften an einem Kalenderprojekt. Rommes

Kalendervorschlag

Die erste genauere Nachricht von der geplanten Kalenderreform, die sich in den Protokollen des Erziehungsausschusses wiederfindet, stammt vom 14.9.1793. Romme bat den Ausschuß, einen „rapport sur l'ere frangaise" auf die Tagesordnung zu setzen. 16 Diesen Bericht trug er auch einige Tage später, am 17.9.1793, im Ausschuß vor. Man diskutierte die Einzelheiten des Plans und vertagte die Fortsetzung der Diskussion. 17 Noch bevor der Ausschuß die Beratung wieder aufgenommen hatte, teilte Romme am nächsten Tag dem Konvent schon mit, daß der Bericht „dont le comitd a dtd chargö relativement ä un plan de calendrier tel qu'il convient ä une R6publique" (AP 74:367) fertig sei. Der Konvent setzte für den Vortrag den 20.9. fest. Am 19.9. führte der Ausschuß seine Diskussion fort. Die einzelnen Artikel des von der Romme-Kommission vorbereiteten Gesetzesdekrets wurden diskutiert, 18 der Plan im allgemeinen offensichtlich gebilligt. Uneinigkeit entstand jedoch - wie später auch im Konvent - über die Frage der neuen Monatsnamen. Tierkreiszeichen wurden ebenso abgelehnt wie der Vorschlag, die Monate nach großen Gesetzgebern und Männern, die der Freiheit gedient hätten, zu benennen. Im letzteren befürchtete man, daß dadurch neue .Idole' entständen. Ein dritter Vorschlag wollte den Monaten Namen geben „tires des ph6nom£nes de la nature et des travaux de la Campagne" (vgl. Tab. I). 19 Zu einem Beschluß konnte man sich aber noch nicht durchringen. Das Problem wurde vertagt. Dennoch erschien Romme anderntags (20.9.1793) wie geplant im Konvent und trug seinen „Rapport sur l'ere de la Rdpublique " (AP 74:549-557) vor, der mit Beifall aufgenommen wurde. 20 Der Konvent beschloß, den Bericht drucken zu lassen, und vertagte die Aussprache. Diesen Bericht im Namen des Erziehungsausschusses leitet Romme mit der Bemerkung ein, daß er die Arbeit über die „fcre de la Rdpublique" (AP 74:549 f.) vortragen werde, mit der der Konvent den Ausschuß beauftragt habe. Damit spielt er auf das Dekret vom 20.9.1792 an, das einen Bericht über die mögliche Koordinierung der republikanischen mit der bisherigen Ära gefordert hat. Er erinnert den Konvent an seine bereits beschlossene Maß- und Gewichtsreform - eines der wichtigsten Unternehmungen für den Fortschritt des Handwerks und des menschlichen Geistes - , das, wie er meint, nur in einer Zeit der Revolution unternommen werden könne (AP 74:550). Dieses Werk müsse nun durch die Reform der Zeitmaße ergänzt werden, denn: l'ire vulgaire fut Γ ire de la cruauti, du mensonge, de la perfidie et de l'escalavage; eile

Die Kalenderdebatte im Konvent (1793)

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a fini avec la royaut6, source de tous nos maux.

Man brauche für die Zeit - wie für den Raum - neue Maße d£gag£es des erreurs que la cr6dulit£ et une routine superstitieuse ont transmises des siicles d'ignorance jusqu'ä nous.

Denn die Revolution habe die Seelen der Franzosen erneuert, eine neue Zeit sei angebrochen. Diesem Geist, so unterstellt er, sei auch der Auftrag des Konvent an den Erziehungsausschuß verpflichtet, den er mit seinen Vorschlägen weiterführen wolle. Von diesen Prinzipien ausgehend, entwickelt er dann eine Kalenderreform. Nacheinander behandelt er Jahreslänge, Schaltjahresregelung, Jahresanfang, Unterteilung des Jahres und Nomenklatur des französischen Kalenders. Hinsichtlich der Jahreslänge weist er auf die bekannten Schwierigkeiten hin, die sich aus der unterschiedlichen Länge von Mond- und Sonnenjahr ergeben.21 In einem historischen Abriß zeigt er verschiedene Lösungsmöglichkeiten auf, die alle mit irgendwelchen Fehlern behaftet seien. In seiner gegenwärtigen aufgeklärten Zeit sei es aber endlich möglich geworden, allein dem „cours naturel des choses" zu folgen. Die für das Schaltjahr notwendigen Korrekturen könnten immer dann vorgenommen werden, wenn die Differenz sich zu einem neuen Tag akkumuliert hätte. Von einer vorausgeplanten Schaltjahresregelung hält er jedenfalls nichts. Er empfiehlt, auch in dieser Frage alle sklavische Imitation an frühere Regelungen aufzugeben: Si la raison veut que nous suivions la nature plutöt que de nous trainer servilement sur les traces erron6es de nos prddicesseurs, nous devons fixer invariablement notre jour intercalate au moment oü la position de l'iquinoxe le comportera.(AP 74:552)

Nach ersten Berechnungen werde sich jeweils in einem .natürlichen' Vierjahresrhythmus ein weiterer Tag ansammeln, der dem Jahr angehängt werden könne. Dieser Vierjahreszeitraum solle nach antikem Vorbild „Olympiade frangaise" genannt werden, das Schaltjahr selbst „l'olympique". An diesem sechsten Tag seien Spiele zu Ehren des Vaterlandes einzurichten. Die verschiedenen Möglichkeiten des Jahresanfangs, die er aus der Geschichte aufzählt, hält er alle nicht für überzeugend (AP 74:550f.) Hingegen enthalte die Revolution einen wahrscheinlich einmaligen Vorgang. Am 21. September habe der Konvent die Abschaffung der Monarchie beschlossen, am 22. sei das Dekret über die neue Jahreszählung in Paris bekannt gemacht worden. Gerade an diesem ersten Tag der neuen Ära sei die Sonne um 9 Uhr 18 Minuten 30 Sekunden in die Tagundnachtgleiche und das Zeichen der Waage eingetreten: Ainsi l'6galit6 des jours 6gaux aux nuits dtait marqu6e dans le ciel, au moment meme oü l'6galit6 civile et morale dtait proclamie par les reprisentants du peuple fran;ais comme le fondement sacri de son nouveau gouvernement. (AP 74: 551)

So wie die Sonne von einer Hemisphäre zur andern gewandert sei, so sei das französische Volk, über die Unterdrückung der Könige triumphierend, von der monarchischen zur republikanischen Regierungsform übergegangen. Mit dem Tag der wahren Herbst-Tagundnachtgleiche, dem Tag der Gründung der Republik, sol-

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Der Revolutionskalender als ideologisches Programm

le nun auch die „fcre des Fran9ais" beginnen. Die „ere vulgaire" sei für den öffentlichen Gebrauch („usages civils") abzuschaffen. Das neu geschaffene ,Jahr der Republik', so führt Romme aus, bedürfe natürlich weiterer Unterteilungen. Die Einteilung des Jahres in zwölf Monate, ein Vielfaches von vier, weil zwei Sonnenwenden und zwei Tagundnachtgleichen die vier Jahreszeiten begrenzten, sei kosmisch vorgegeben, praktisch in der Handhabung und schlechterdings nicht zu bestreiten. Mit der „indgalit6 bizarre des mois qui fatigue Γ esprit par des difficult6s sans cesse renaissantes, pour savoir si un mois est de 30 ou de 31 jours" sei jedoch Schluß zu machen. Dem Beispiel der alten Ägypter - „les plus dclaires de la haute antiquit6"2J - folgend, sollten daher alle Monate dreißig Tage lang sein. Die fünf (im Schaltjahr sechs) übrig bleibenden Tage sollten keinem Monat angehören, sondern hätten sich als Zusatztage anzuschließen. Die Unterteilung der Monate wirft für Romme große Schwierigkeiten auf. Historische Vorbilder, die .vernünftigen' Vorstellungen entsprechen, findet er nicht. Auch das Beispiel der Ägypter kann er nicht mehr heranziehen, da sie eine Wochenaufteilung benutzt hätten, die weder das Jahr noch den Monat exakt teile. Der religiöse Aberglaube habe hier mit einer Siebentagewoche die Oberhand behalten. „Au grand scandale des siecles 6clair6s" dauere diese Einteilung bis heute fort. Nachdem der Konvent nun aber die Vorteile des Dezimalsystems erkannt und für die Maße und Gewichte eingeführt habe, biete es sich geradezu an, es auch für die Zeiteinteilung anzuwenden und die Tage des Monats in drei gleiche Dekaden zu je zehn Tagen zu unterteilen. Auf diese Weise gelange man zu 36 und einer halben Dekade im Jahr bzw. zu 73 „demi-d6cades". Die Tage einer „demi-decade" könnten im familiären Gebrauch an einem der fünf Finger abgelesen werden. Der mathematisch-künstlichen Einteilung unterlegt Romme somit eine ganz natürliche Ableitung und führt damit - zur Freude aller aufgeklärten Geister - einmal mehr vor, wie nahe eben Vernunft und Natur beieinander liegen. Anhand verschiedener Beispiele zeigt Romme dann, daß nichts so empfehlenswert sei, wie nun auch den Tag der Dezimaleinteilung zu unterwerfen. Auch dieses Vorgehen legitimiert wieder die Natur: On a construit quelques montres d'observation, oü le jour est divisi en parties dicimales. Elles mesurent jusqu'au cent-milliime du jour qui iquivaut au battement du pouls d'un homme de taille moyenne, bien portant, et au pas redouble militaire. (AP 74:552)

Wegen der erforderlichen Umstellung der Uhrenindustrie solle diese Regelung aber erst mit Beginn des dritten Jahres der Republik für die „usages civils" in Kraft treten. Das so eingerichtete republikanische Jahr dürfe selbstverständlich nicht die alten Monats- und Tagesnamen - „un monument de servitude et d'ignorance" - beibehalten. Die Monatsnamen nämlich folgten keinen Prinzipien, sie seien eine „bizarrerie que la routine et la superstition des hommes peuvent seules expliquer". Das lange Überleben der astrologisch-kabbalistischen Tagesnamen erkläre nur die Blindheit der Menschen „qui ont prdfdre en tout temps de souffrir plutöt que de rien changer aux habitudes imbeciles de leurs peres". Romme entwirft deshalb

Die Kalenderdebatte im Konvent (1793)

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eine neue Nomenklatur, „ni celeste, ni mystdrieuse" und dennoch „toute puisde dans notre revolution", indem er versucht, die gesamte Revolutionsgeschichte bis zur Republikgründung durch Monatsnamen darzustellen (Tab. 2).·23 Für die neuen Tagesnamen verwendet er politische Symbole.24 Auf diese Weise verliere der Kalender seinen Zweck als „talisman que les pretres ont toujours su diriger avec succes, pour s'attacher la classe nombreuse des esprits faibles" (AP 74:553). Sämtliche Vorschläge für die Organisation der republikanischen Ära faßt er in einem Gesetzesvorschlag (AP 74:553f.) zusammen, der noch einmal alle Namensvorschläge enthält.25 Die Diskussion über Rommes Bericht begann am 5.10.1793 (AP 76:120-122). 26 Die ersten Artikel seines Gesetzesvorschlags billigte man ohne Änderungen (AP 76:121).27 Sie betrafen Äußerlichkeiten, die nicht in die Substanz des alten Kalenders eingriffen: die Einführung der .republikanischen Ära' vom 22.9.1792 an, ihre verbindliche Benutzung in der Öffentlichkeit, der Jahresbeginn zur Herbsttagundnachtgleiche. Erst bei der Unterteilung des republikanischen Jahres in gleiche Monate kam grundsätzlicher Widerspruch auf (AP 76:122). Der Abgeordnete Bentabole stellte die neue Ära ausdrücklich nicht in Frage. Eine andere Einteilung des Jahres und neue Namen seien jedoch unnütz und gefährlich, wie der muselmanische Kalender beweise. Mohammed habe einen neuen Kalender benutzt, um das Volk von der übrigen Welt abzuschirmen und ihm abergläubischen Respekt für seinen Kult einzuflößen. Die Ziele des republikanischen Kalenders seien dem aber völlig entgegengesetzt: „Nous voulons unir tous les peuples par la fraternite". Die entsprechenden Teile des Projekts seien daher auszusetzen. Dieser Kritiker sieht also durchaus schon neben den ideologischen die sozialen Folgen der Kalenderreform, die darauf hinauslaufen, in das Leben der Bevölkerung und ihre Gesinnung einzugreifen. Sein Kollege, der ehemalige Priester Lebon, wollte darin jedoch überhaupt keine Gefahr erkennen. Er forderte vielmehr, diese Möglichkeit bewußt zu nutzen: Si le fanatisme sut par ce moyen [= les subdivisions du temps et leur d6nomination] affermir son empire, pourquoi nigligerions-nous de l'employer pour fonder la liberti?

Ein weiterer, konsequent auf die Natur-Ideologie als Legitimationsquelle abgestimmter Vorschlag, das Jahr nur in vier Jahreszeiten zu unterteilen, weil der Lauf der Sonne eine weitere natürliche Gliederung nicht zulasse, kam nicht mehr zum Zuge. Der Konvent billigte Rommes Vorlage. Das eigentliche Interesse der Abgeordneten entzündete sich jedoch an der Namensfrage, vielleicht weil hier die Änderungen durch den neuen Kalender - oberflächlich zumindest - am deutlichsten wurden. Romme erläuterte erneut seine „d6nominations morales ä donner aux mois, aux ddcades et aux jours", 28 mit denen er die bisherige Revolutionsgeschichte im Kalender verewigen wollte. In den Tagesund Monatsnamen sah Romme geeignete Instrumente der politischen Erziehung. Nach intensiver Diskussion wurden die .moralischen' Monatsnamen angenommen.29 Die Annahme der neuen Tagesnamen verlief nicht so glücklich. Als Romme erläuterte, „le premier jour est celui des dpoux",30 veranlaßte der anzügliche

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Der Revolutionskalender als ideologisches Programm

Zwischenruf des Abgeordneten Albitte „tous les jours sont les jours des dpoux" den Konvent, seinen ersten Beschluß wieder aufzuheben. Er entschied sich nun für eine ,d6nomination ordinale' und beachtete nicht mehr den Vorschlag Fabre d'Eglantines, jedem Tag den Namen einer Pflanze oder eines nützlichen Tieres zu geben - „un moyen d'instruction publique." 31 Romme gab sich mit diesem Entschluß nicht zufrieden. 32 Am nächsten Tag (6.10.1793) brachte er die Frage der Tagesnamen noch einmal ins Gespräch. Das Problem wurde nun an den Erziehungsausschuß überwiesen (AP 76:157). Die Entscheidung vom Vortag war damit hinfällig geworden. Der Erziehungsausschuß nahm tags darauf sofort die Diskussion auf (7.10.1793), vertagte sie dann aber. 33 Einige Tage später, am „21° jour du 1er mois de l'an II" ( 12.10.1793), wie man nun datierte, setzte er die Beratung fort. Man einigte sich dort zunächst grundsätzlich darauf, daß man Namen anstelle der simplen Zählweise wolle. 34 Drei Vorschläge wurden eingebracht. Das Protokoll verzeichnet aber nur den angenommenen. Als Tagesnamen wurden akzeptiert: „primil, bisil, trisil" usw., als Monatsnamen „primen, bimen, trimen" usw. bis „dod6comen". Als Bezeichnung für den zehnten Teil einer Stunde wurde „ddeiheure" anstelle des vorgeschlagenen „dece" angenommen. Im Konvent (18.10.1793) löste dieser Vorschlag keine Begeisterung aus: „les oreilles des auditeurs ne paraissent pas agrdablement flattdes par ces sons" (AP 76:695). 35 Nach kurzer Beratung befand man, Romme zwei Künstler - einen Dichter und einen Maler - beizugeben „afin de donner des denominations gaies et sensibles". 36 Zu diesem Zweck wurde eine Kommission mit den Bürgern Marie-Joseph Chenier, Verfasser des „Chant du Depart" und Bruder des bekannten Dichters Andr6 Chenier, dem Maler David, Fabre d'Eglantine und Romme gebildet. 37 Fabre d'Eglatines

Namensprogramm

Philippe-Fransois-Nazaire Fabre, 38 am 28.7.1750 als Sohn eines Tuchhändlers in Carcassonne geboren, zog nach einem unsteten Leben als Lehrer, Schauspieler, Journalist und Privatsekretär bei Danton für das Departement Paris in den Konvent ein. Er spielte eine zwielichtige Rolle in dem Finanzskandal um die Liquidation der Compagnie des Indes. Im Frühjahr 1794 wurde er mit den Dantonisten verhaftet und hingerichtet. Der Nachwelt ist er besonders durch seine Kalendernamen bekannt geblieben. 39 Im Auftrag der neu gebildeten Kommission, die nur sechs Tage benötigte, um ein neues Namensprogramm auszuarbeiten (AP 77:499-506), konnte Fabre schon am 24.10.1793, dem „3 du second mois de la seconde annde de la Republique frar^aise" (AP 77:499), dem Konvent einen Vorschlag unterbreiten. In seinem Bericht beschränkte er sich jedoch nicht auf die Namensproblematik, sondern äußerte sich auch eingehend zur Kalenderreform insgesamt. Ebenso wie Romme betont auch Fabre, daß die Regeneration Frankreichs und die Ausrufung der Republik notwendigerweise eine Reform der Zeitrechnung nach sich ziehen müsse. Sie dürfe sich allerdings nicht in einer genaueren wissenschaftlichen Fundierung des Kalenders erschöpfen. Wie bei Romme sind es Vorbehalte

Die Kalenderdebatte im Konvent (1793)

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der aufgeklärten Religionskritik, die er gegen den alten Kalender anführt. Kirche und Thron hätten jahrhundertelang mit Hilfe der eingängigen Bilder40 des Kalenders die Bevölkerung in Unwissenheit gehalten: Une longue habitude du calendrier gr6gorien a rempli la memoire du peuple d'un nombre considerable d'images qu'il a longtemps r£v£r£es, et qui sont encore aujourd'hui la source de ses erreurs religieuses; il est done nicessaire de substituer ä ces visions de l'ignorance, les r6alit6s de la raison, et au prestige sacerdotal, la viritfi de la nature. (AP 77: 500)

Um nun zu erreichen, daß der neue Kalender sich schnell verbreite und sich im Bewußtsein der Bevölkerung festsetze, müsse man die alten Bilder ausmerzen und durch solche ersetzen, die einen möglichst großen Nutzen brächten. Fabre will also die Mittel des Gegners für seine Zwecke übernehmen. Er möchte eine physiokratische Lieblingsidee verwirklichen. Mit dem neuen Kalender biete sich nämlich die glückliche Gelegenheit, dem französischen Volk die Grundlagen der Agrikultur nahezubringen: Lorsque ä chaque instant de l'annie, du mois, de la ddcade et du jour, les regards et la pens6e du citoyen se porteront sur une image agricole, sur un bienfait de la nature, sur un objet de l'6conomie rurale, vous ne devez pas douter que ce ne soit, pour la nation, un grand acheminement vers le systfcme agricole [...].

Denn im Grunde sei es auch den Priestern nur gelungen, ihre Vorstellungen durchzusetzen, indem sie sie mit Inhalten verbunden hätten, die das Volk wirklich interessierten: „c'est ansi que saint Jean etait le distributeur des moissons, et saint Marc le protecteur de la vigne" (AP 77:501). Die Überlegungen der Kommission zielen also darauf ab: ä frapper Γ imagination par des denominations, et ä instruire par la nature et la s6rie des images. [...] en consdquence, nous avons imagine de donner ä chacun des mois de l'anηέβ un nom caractdristique, qui exprimät la temperature qui lui est propre, le genre de productions actuelles de la terre, et qui tout ä la fois fit sentir le genre de saison oü il se trouve dans les quatre dont se compose l'annde.

Von den drei genannten Wirkungen sei die letzte durch eine gemeinsame Endung für die drei jeweils zusammengehörenden Monatsnamen einer Jahreszeit zu erreichen. Dabei werde die „harmonie imitative de la langue dans la composition et la prosodie de ces mots et dans le mecanisme de leur ddsinance" stets in der Weise fruchtbar gemacht, daß die Monatsnamen qui composent l'automne ont un son grave et une mesure moyenne, ceux de l'hiver un son lourd et une mesure longue, ceux du printemps un son gai et une mesure brfcve, et ceux de l*6t6 un son sonore et une mesure large.

Nach diesen Prinzipien sind dann auch die Monatsnamen gebaut: Vendimiaire, Brumaire, Frimaire (Herbst) Nivöse, Pluviöse, Ventöse (Winter) Germinal, Flordal, Prairial (Frühling) Messidor, Thermidor, Fructidor (Sommer). 41

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Der Revolutionskalender als ideologisches Programm

Am Beispiel des Monats Germinal zeigt Fabre die drei Wirkungen seiner Monatsnamen: C'est ainsi que d4s le premier Germinal, il se peindra sans effort ä l'imagination, par la terminaison du mot, que le printemps commence, par la construction et Γ image que pr6sente le mot, que les agents dldmentaires travaillent, par la significtion du mot, que les germes se diveloppent.

In der Frage der weiteren Unterteilung des Monats stimmt er im Prinzip mit Romme überein. Für die Woche könne die Bezeichnung „decade" beibehalten werden (AP 77: 502), doch müsse für die Tage eine andere Lösung gefunden werden. Die bisherige Regelung, ζ. B. ,1. Tag des 2. Monats...', biete nun eine „locution abstraite, seche,vide d'idees, penible par sa prolixite et confuse dans l'usage civil". Gerade als Ablösung des gregorianischen Kalenders sei dies denkbar ungeeignet. Da sich die zehn Tage 36 mal im Jahr wiederholten, erscheine es allerdings nicht ratsam, sie mit bildhaften Namen zu versehen, die zwangsläufig so wenig konkret sein müßten, daß sie keine Beziehung mehr zu ihrem Platz im Jahr aufweisen könnten. Deshalb habe man versucht, die Zahlenlösung beizubehalten, die Zahlen jedoch in einem Namen zu synthetisieren. Für die zehn Tage der Dekade schlägt er also vor: Primdi, Duodi, Tridi, Quartidi, Quintidi, Sextidi, Septidi, Octidi, Nonidi, Dicadi.

Dieses System habe den Vorteil, daß jedem Dekadentag immer die gleiche Zahl zugeordnet sei. Ein Tridi könne also immer nur der 3., 13. oder 23. eines Monats sein. Außerdem lasse sich aus der Tagesangabe (ζ. B. Primdi II) 4 2 immer sofort die Dekade ablesen. Über die an Naturphänomene erinnernden Monatsnamen hinaus solle die landwirtschaftliche Unterweisung auch dadurch erreicht werden, daß jedem Tag ein Namen zugeordnet werde, der für die Landwirtschaft besonders bedeutsam sei. Der Kalender sei schließlich das „livre le plus usuel de tous" (AP 77: 500). Davon gelte es zu profitieren pour glisser parmi le peuple les notions rurales 616mentaires, pour lui montrer les richesses de la nature, pour lui faire aimer les champs, et lui disigner avec mdthode, Γ ordre des influences du ciel et des productions de la terre. (AP 77: 502)

Jeder Tag erhalte daher einen Pflanzennamen, die Quintidis würden mit Namen eines Haustieres versehen „avec rapport precis entre la date de cette inscription et 1'utilite rdelle de l'animal inscrit" (AP 77: 503)43, während die Decadis den Namen eines Ackergeräts erhalten sollten. Auch für die Zusatztage am Jahresende habe ein Name gefunden werden können „qui portät un caractere national capable d'exprimer la joie et l'esprit du peuple frangais dans les cinq jours de la fete". Sie sollten „sansculottides" heißen. Denn gelehrten Forschungen zufolge sei im antiken Gallien das Gebiet um Lyon „la Gaule culottee, gallia braccata"44 genannt worden: „Nos peres des lors dtaient done des sansculottes". Doch selbst Fabre ist sich dieser Etymologie nicht ganz si-

Ideologische Aspekte der Kalenderreform

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eher. Mit der Ausgestaltung der Feste, die an diesen Tagen gefeiert werden sollen, sei der Erziehungsausschuß zu beauftragen. Er selbst macht dazu einige Vorschläge, die schon die Prinzipien der Feste andeuten: „Fete du gdnie, du travail, des actions, des recompenses, de l'opinion." Der im Schaltjahr notwendige sechste Tag, der „jour des sansculottides" (AP 77:504), sei mit Nationalspielen zu begehen.45 Mit geringfügigen Änderungen wurden Fabres Vorschläge dann angenommen. 46 Damit war die Kalenderreform nicht nur beschlossen, sondern auch so weit ausgearbeitet, daß der neue Kalender anwendbar wurde. Nach allem, was an Informationen an die Öffentlichkeit und damit an die Nachwelt gelangte, war Gilbert Romme die treibende Kraft der Reform. Die Gegner des neuen Kalenders, sofern es sie noch gab, meldeten sich in der entscheidenden Debatte nicht mehr zu Wort.

III. Ideologische Aspekte der Kalenderreform Wenn im folgenden einige inhaltliche Probleme der Kalenderreform genauer untersucht werden, kommen dabei Themen umfassender Art, wie zum Beispiel Natur, Rationalität oder Geschichtsphilosophie zur Sprache. Sie werden hier jedoch nur in engem Bezug auf die Kalenderreform behandelt. 1. Die Rationalität des neuen Kalenders Nach der Maß - und Gewichtsreform sei eine Reform des Kalenders nur folgerichtig. Mit diesem Argument überspielte Romme als Berichterstatter des Erziehungsausschusses zunächst die Tatsache, daß der Konvent zu diesem Unternehmen gar nicht aufgerufen hatte.1 Seine Begründung klingt schlüssig. Wie bei der Maß - und Gewichtsreform 2 „la diversitd, l'incoh£rence et l'inexactitude" (AP 74: 550) der alten Einheiten verschwunden seien, sollten nun auch die neuen Zeitmaße frei werden von den „erreurs que la creduliti et une routine superstitieuse ont transmises des siäcles d'ignorance". Es komme an auf den „type unique et invariable de toutes les mesures nouvelles". Schließlich sei die alte Zeit („ere vulgaire") das Zeitalter der „cruautd, du mensonge, de la perfidie et de l'esclavage" gewesen. Mit der Abschaffung des Königtums sei dies aber endgültig vorbei. Die Kritik am alten Kalender läuft auf zwei schlechterdings vernichtende Vorwürfe hinaus. Er wird denunziert als Werkzeug des Aberglaubens und der Unwissenheit, hinter dem Kirche und Monarchie ständen, und infolge deren unheilvoller Einflüsse auf seine Entstehung sei er eine Einrichtung mit wissenschaftlich höchst zweifelhafter Grundlage. Beide Vorwürfe zielen darauf, daß der Kalender der Vernunft, der höchsten und nicht in Frage zu stellenden Legitimationsinstanz, die ein aufgeklärter Zeitgenosse anführen konnte, zuwiderlaufe. Der neue Kalender dagegen kenne diesen Mangel nicht; er erhalte „ce caractfcre de simplicitd qui n'appartient qu'aux productions d'une raison eclairee" (AP 74:551). Die erste Stoßrichtung der Kritik, die Vereinnahmung des Kalenders durch die Kirche, führte automatisch dazu, daß der Revolutionskalender zu einem Instrument

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Der Revolutionskalender als ideologisches Programm

der Dechristianisierung wurde. Er ersetzte die unzutreffenden, .aberwitzigen' Einrichtungen des greorgianischen Kalenders. Insofern als etwas Neues an die Stelle des alten Kalenders trat, war die Kalenderreform ein Stück positive Dechristianisierung.3 Im Gegensatz zu Fabre, der landwirtschaftliche Kenntnisse verbreiten wollte, ging Romme auf diesen Aspekt allerdings kaum ein. Er stellte nur die negative Seite des alten Kalenders dar: L'ire vulgaire prit naissance chez un peuple ignorant et cr£dule, et au milieu des troubles prdcurseurs de la chute prochaine de l'empire romain. Pendant dix-huit siftcles eile servait ä fixer, dans la durie, les progris du fanatisme, l'avilissement des nations, le triomphe scandaleux de l'orgueil, du vice et de la sottise, les persecutions et les digouts qu'essuyfcrent la vertu, le talent, et la philosophie sous des despotes cruels, ou qui souffraient qu'on le füt en leur nom. (AP 74: 550)

Die einschneidenste Veränderung - die Dekade - erwähnte Romme nur kurz. Die Woche sei nicht zu verteidigen, weder Monat noch Jahr sind ohne Rest zu teilen: Le superstition a transmis jusqu'ä nous, au grand scandale des siicles 6clair£es, cette fausse division du temps qui n'a pas peu servi ä itendre l'influence sacerdotale par les jours de repos qu'elle ramine r£gulifcrement [....]. (AP 74: 551)

Die neue Einteilung ergebe sich konsequent aus den begonnenen Reformen: Vous avez senti tous les avantages de la numdration dicimale. Vous l'avez adaptie pour les poids et mesures de toutes espice, ainsi que pour les monnaies de la R6publique: nous vous proposons de l'introduire dans la division du mois [...].

Die Auswirkungen für das alltägliche Leben, für Arbeitsrhythmus und Ruhetage, legte Romme explizit nicht dar. Die Diskussion hakte zwar bei der Frage der Einteilung des Jahres zum ersten Mal fest,4 doch sieht es so aus, als ob die sozialen Auswirkungen der Kalenderreform letztlich kein Thema gewesen seien. Auch wirtschaftliche Argumente, wie sie aus der Diskussion über die Feiertagsreduzierung bekannt sind, spielten in diesem Stadium keine Rolle.5 Die Namen interessierten vielmehr. Da nicht anzunehmen ist, daß der Konvent die Folgen für den Alltag nicht gesehen hat, und keine anderen Äußerungen vorliegen, bleibt zu vermuten, daß die Teilnehmer der Diskussion - Gegner des Kalenders haben sich ja nicht zu Wort gemeldet - in dieser Umstellung entweder nichts Spektakuläres sahen oder darüber zumindest keine Aussprache auslösen wollten. Denn schließlich hatten sie diese Änderungen bewußt herbeigeführt. 6 Ausführlich ging Fabre statt dessen auf den Kalender als Mittel zur Volksbildung ein. Der Kalender sei - so betonte Fabre zu Recht - neben der Bibel und einigen Kolportageschriften der ,litt6rature bleue' das mit am weitesten verbreitete Druckwerk, das der Landbevölkerung zugänglich sei. Bislang habe die Kirche den Kalender für Ihre Zwecke genutzt. Über die Heiligennamen und geschickte Anordnung der Feste im Jahreslauf hätte sie des Bewußtsein der Menschen mit ihren Vorstellungen besetzt. Diese Inhalte wollte Fabre austauschen: La Commission que vous avez nommde pour rendre le nouveau calendrier plus sensible ä la pens6e et plus accessible ä la memoire, a done cru qu'elle remplirait son but, si eile

Ideologische Aspekte der Kalenderreform

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parvenait ä frapper l'imagination par les dinominations, et ä instruire par la nature et la s6rie des images. [...] Nous avons pensd que la nation, apris avoir chassd cette foule de canonisde de son calendrier, devait y retrouver en place tous les objets qui composent la veritable richesse nationale, les dignes objets, sinon de son culte, au moins de sa culture: les utiles productions de la terre, les instruments dont nous nous servons pour la cultiver, et les animaux domestiques, nos fiddles serviteurs dans ces travaux: animaux! bien plus prdcieux, sans doute, aux yeux de la raison, que les squelettes biatifiös tiris des catacombes de Rome. (AP 77: 501, 502)

Genauere Vorstellungen über die erzieherischen Wirkungen, die von bloßen Pflanzen -, Tier - und Mineralnamen in Verbindung mit Ackergeräten ausgehen sollten, teilte Fabre nicht mit. Sein physiokratischer Tradition verpflichtetes Namensprogramm bleibt ganz auf der Ebene elitärer Illusion vom einfachen, aber gutwilligen und nach Aufklärung strebenden Landmann. Überlegungen, daß zum Verständnis der gelehrten Kunstnamen ein bestimmter Bildungsgrad von Nöten sei, kommen Fabre nicht in den Sinn.7 Er kann seinen intellektuellen Horizont offensichtlich nicht überspringen und bleibt Gefangener seiner eigenen Rationalitätsargumente. Die der Struktur des Kalenders und dessen Namen innewohnende Logik sind ihm Argument genug. Der Zeitpunkt der Kalernderreform war günstig. Es ist müßig zu spekulieren, ob oder welchen Einfluß die politischen Ereignisse des Frühjahrs und Sommers 1793 auf die Entstehung des Revolutionskalenders hatten.8 Denn fest steht, daß im Erziehungsausschuß die Entscheidung für einen neuen Kalender schon im Januar gefallen war. Der Prozeß gegen den König, die Auseinandersetzungen zwischen Girondisten und Montagnards, der innere und äußere Krieg und die beginnende Organisation der Jakobinerdiktatur waren sicherlich keine direkten Motive, die die im verborgenen ablaufende Arbeit an dem neuen Kalender beeinflußt haben. Doch hatte die einsetzende Konsolidierung der Jakobinerrepublik im Herbst 1793, als die Politik des Wohlfahrtsausschusses allmählich begann, Erfolge zu zeigen, ein innenpolitisches Klima geschaffen, das die Dechristianisierungsbestrebungen einiger politischer Gruppierungen begünstigte. Die eigentliche Dechristianisierungswelle setzte allerdings erst Ende 1793 ein. Die Kalenderreform ist nun sicherlich dem Geist der Dechristianisierer entsprungen, doch läßt sie sich keinesfalls als kurzfristig geschaffenes Instrument für den innenpolitischen Faktionenkampf ansehen.9 Nicht zuletzt die Almanache weisen auf den Kalender voraus.10 Im Gegensatz zu anderen Dechristianisierungsmaßnahmen, wie Kirchenschließungen, Einschmelzen der Meßgeräte, Turmabriß u. ä., war der neue Kalender ein längerfristig geplantes bzw. vorbereitetes Instrument und der Tagespolitik somit ein Stück enthoben. Der im Vergleich zu den übrigen Dechristianisierungsmaßnahmen längerfristige Erfolg des Revolutionskalenders lag an der zweiten Stoßrichtung seiner Kritik. Die antiklerikalen Züge wurden mit wissenschaftlichen Argumenten verquickt. Auch als dechristianisiererische Aktionen politisch nicht mehr opportun waren, verloren die übrigen Argumente gegen den Kalender nicht ihre Gültigkeit. Der willkürliche Jahresanfang zum ersten Januar, die ungleichen Monatslängen (28,29,30,31

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Der Revolutionskalender als ideologisches Programm

Tage),die keinem rationalen Wechsel entsprachen, die Wochenzahl, die weder in den Monaten noch im Jahr ohne Rest aufging, waren Dinge, die ein rationaler Geist, einmal darauf aufmerksam geworden, einfach nicht verteidigen konnte. Daß der gregorianische Kalender nicht perfekt war, wußten auch die Leser der Encyclopädie.11 Allerdings lasen sie dort nur etwas über Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Osterdatums. Die Monatslängen und die Woche blieben von Kritik verschont. In dieser Hinsicht ist Rommes Kritik neu. Vor ihm hatten nur die neuen Almanache auf diese Probleme verwiesen. Rommes auf Rationalität eingeschworenen Konventskollegen mußten diese Argumente sofort einsichtig sein. Die Organisation des neuen Kalenders konnte sich allerdings nicht allein auf eine freie, nur auf Vernunft gegründete Konstruktion verlassen. Die neuen Einheiten des Kalenders mußten mit den astronomischen Gegebenheiten in Übereinklang gebracht werden. Dabei präsentierte Romme Argumente, die dem aufgeklärten Zeitgenossen die Vorteile gegenüber dem gregorianischen Kalender unmittelbar einsichtig erscheinen ließen: die Natur selbst lege den neuen Kalender nahe; Jahresanfang und Schaltjahresregelung seien direkt von der Natur abgeleitet; komplizierte Rechnungen mit astronomischen Tafeln, wie sie bei dem alten Kalender nötig gewesen seien, könnten wegfallen. Es gab schließlich auch kein Osterfest mehr, das der hauptsächliche Grund für umständliche Berechnungen war. Auch für die übrigen Einleitungen nach dem Dezimalprinzip war Romme bestrebt, die Übereinstimmung mit der Natur zu beweisen. Bei der Dekade verwies er auf die zehn Finger, bei der Dezimalsekunde auf die Atemfrequenz. Daß er die zwölf Monate beibehalten mußte und damit das Dezimalsystem nicht konsequent durchziehen konnte, störte ihn merklich. Es sei bequem, aber nicht unbedingt vernünftig: Mais ce que la raison riprouve et doit faire enfin rejeter de notre calendrier, c'est l'in6galit6 bizarre des mois [...]. (AP 74: 551)

Deshalb schlug er Monate zu dreißig Tagen vor. Damit konnte er wenigstens noch auf das Vernunftprinzip verweisen, das ihm hierbei als eine Stütze der Argumentation noch erhalten blieb. Ein von religiösem Ballast befreiter Kalender wäre für Romme und viele seiner Zeitgenossen schon an sich weitgehend vernünftig. Doch beweist Romme die Schlüssigkeit des neuen Kalenders, soweit es nur geht, zusätzlich dadurch, daß er die vernunftgemäße Konstruktion seines Vorschlags in besonders enger Übereinstimmung mit der Natur zeigt. Damit verdoppelt er den Legitimationsfaktor der Kalenderreform. Durch die Verbindung von Natur und Vernunft erhielt der neue Kalender eine Plausibilität, die ihn lange Zeit unangreifbar machte - und noch bei der Abschaffungsdebatte Probleme aufwarf.12 Bei Rommes Ausführungen zeigt sich der Konflikt, der bei dem typischen Naturbegriff der Aufklärung auftreten muß, wenn Natur und Vernunft gleichgesetzt werden. Romme übersieht, wie die übrigen an der Reform Beteiligten, daß auch beim alten Kalender die Übereinstimmung mit der Natur gesucht wurde, dort allerdings die Abweichungen möglichst gering gehalten werden sollten. Fünf Zusatztage hätten beispielsweise nicht in das Prinzip des gregorianischen Kalenders ge-

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paßt. Die Schwierigkeiten, denen auch Romme begegnete, rühren generell daher, daß astronomische Verhältnisse selten oder nie mathematisch exakt aufgehen und sogar in sich schwanken. Die Rationalität des neuen Kalenders wirkte anregend. Sie bestand vornehmlich in der Anwendung des Dezimalsystems und der Vokale und Endungen einsetzenden Systematik von Fabres Monatsnamen. Dadurch kam der neue Kalender den Vorstellungen und Bedürfnissen aufgeklärter Zeitgenossen nach Einfachheit und Durchschaubarkeit sehr entgegen. Der Jakobiner Jean-Alexandre Carney aus Montpellier, der sich schon mit einer Kritik an Fabres Namensprogramm hervorgetan hatte, versuchte die Logik des neuen Kalender weiterzuführen. 13 Er entwarf einen Plan, um mit Hilfe des Revolutionskalenders die gesamte französische Bevölkerung mit Vornamen zu versorgen. Er ging von der keiner einsichtigen Begründung folgenden Praxis der Rufnamen aus. Sie würden in der Regel mehr oder weniger willkürlich dem ,Martyrologium' des Kalenders entnommen. Oft bleibe es nicht einmal bei einem Namen. Die Kinder des ,Madrider Despoten', des spanischen Königs also, hätten sogar bis zu 23 verschiedene Vornamen. Daß der Adel sich sozial überlebt habe, sei damit einmal mehr bewiesen. Der Revolutionskalender und die geplante Dezimalzeit seien bestens geeignet, für das Problem der Namensgebung neue Ordnungsprinzipien vorzugeben. Diese neuen Namen - Carney nennt sie „LES PRENOMS LEGAUX OU AGRIHORI-SEXUELS" - 1 4 ließen neben dem Geschlecht auch Geburtstag und -stunde erkennen. Dazu müsse man die zehn Dezimalstunden des Tages in zwei Gruppen teilen. In beiden Fünfergruppen (für vormittags und nachmittags) werde jeder Stunde ein Vokal zugeordnet. Die Konsonanten des Alphabets würden geteilt, die erste Hälfte den Vormittagsstunden, die zweite den Nachmittagsstunden zugeteilt. Sodann bestimmt er aus jeder Gruppe männliche und weibliche Konsonanten, in etwa nach den Kriterien ,weich'und ,hart'. Auf diese Weise erhält er Indikatoren für Geburtsstunde und Geschlecht. Hinweis auf den Geburtstag sei schließlich der jeweilige Tagesnamen des agrarischen Kalenders, der mit Stundenvokalen und Geschlechtskonsonanten als Präfix zu kombinieren sei. Carney führt das am Beispiel des 15. Vendemiaire vor, dem jour del'äne'. 1 5 Männliche Konsonanten seien G (Vormittag) und Ρ (Nachmittag), weibliche J und M. Für die fünf Vormittagsstunden ergäben sich also für einen Jungen Gazane, Guizane, Guizane, Gozane, Guzane

und für ein Mädchen Jazane, Jdzane, Jizane, Jozane, Juzane.

Diese Namen hält Carney für nicht weniger unangenehm zu tragen als etwa Siranne, Suzanne, Marianne, Albane, Diane, 16

die bislang noch nie auf Ablehnung gestoßen seien. Carney konnte auf Vorbilder zurückblicken. Die Waisenhäuser übten im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts bereits ähnliche Praktiken. Findelkinder bekamen syn-

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Der Revolutionskalender als ideologisches Programm

thetische Namen.17 Die sozialplanerischen Techniken, die Carney in seinem Namensprogramm vorführt, entstammen demselben Geist, dem auch die Kalenderreform entsprungen ist. Sie sind Ausdruck des Mythos der völligen Planbarkeit und Machbarkeit, der nach der Natur nun auch immer mehr die Gesellschaft dem Einfluß der Vernunft unterwerfen will, um sie dadurch leichter beherrschbar zu machen. 2. Der Bruch: das neue Zeitalter Die Argumente, die der Denunziation des gregorianischen Kalenders als absurdes und willkürliches Werkzeug von Klerus und Kirche dienten, sind nicht weiter originell. Sie entstammen dem vertrauten Arsenal der aufklärerischen Religionskritik und waren letztlich zu erwarten. Verwunderlich ist dagegen eher, warum diese Kritik nicht schon in früheren Phasen der Revolution eingesetzt hatte. Schließlich befand man sich bereits im ,4. Jahr der Freiheit und dem 1. der Gleichheit'. Denn das Gefühl - oder die Erfahrung, daß ein neues Zeitalter angebrochen sei, war schon bei der Einberufung der Generalstände aufgekommen und seit dem Sommer 1789 verbreitet.18 Die laufend proklamierten neuen Zeitalter sind ein nicht zu unterschätzendes Indiz dafür, mögen sie auch teilweise in anderen Traditionen wurzeln.19 Die Einführung der .republikanischen'Ära einen Tag nach der Abschaffung der Monarchie erscheint in diesem Kontext konsequent und verweist auf ein für diese Vorgänge geschärftes Bewußtsein. Wenn dies so ist, was sollte dann eigentlich noch der neue Kalender? Schrieb er nur erneut einen weiteren Bruch fest, oder dokumentierte er einen qualitativ höheren Bruch? Wenn es nur darum ging, das Zäsurbewußtsein zu heben, hätte die neue Ära dann nicht genügt? Für diese Auffassung spricht die Art und Weise, wie das neue Ereignis - die Gründung der Republik - begangen wurde. Die Diskussion läßt erkennen, daß der Entscheidung über die neue Ära nichts Spektakuläres anhaftete. Sie wurde wie die vorangegangenen Beschlüsse über neue Ären eingeschätzt und durchgeführt. Es war mehr oder weniger eine Routineentscheidung. Das historische Ereignis mag zwar materiell ein bedeutsamer Schritt der Revolution gewesen sein, allerdings war er seit der Hinrichtung Ludwigs XVI. faktisch schon vollzogen. So blieb es auch ein Jahr lang nur bei der neuen Zeitalterbezeichnung.20 Die Tatsache jedoch, daß schließlich ein neuer Kalender eingeführt wurde, belegt die Absicht, einen Bruch höherer Qualität zu begründen. Denn ein neuer Kalender bedeutet mehr als nur ein neues Attribut zu der im übrigen unverändert strukturierten Zeit. Er reißt das normale Alltagsbewußtsein aus der vertrauten Organisation der Zeit. Doch darf nicht übersehen werden, daß der Revolutionskalender erst nach mehr als einem Jahr rückwirkend zum Tag der Republikgründung eingeführt wurde. Das historische Ereignis des Bruchs und das Symbol, das ihn dokumentieren soll, liegen also weit auseinander. Das bewußtseinsmäßige Erfassen des Bruchs war - bezogen auf den Kalender - nicht spontan, sondern konstruiert. Mit Hilfe des Kalenders wurde das historische Ereignis erst rückwirkend ausgedeutet. Wenn also der eigentliche Indikator des Bruchs der Kalender ist, ergibt

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sich die Frage, welche Funktion der Bindung an das historische Ereignis überhaupt noch zukam. Eines der entscheidenden Argumente hatte zum ersten Mal Romme mit seinem Bericht vor dem Konvent am 20.9.1793 in die Öffentlichkeit getragen. Es handelt sich um den glücklichen Zufall, daß die Gründung der Republik mit bestimmten symbolträchtigen astronomischen Konstellationen - Herbst-Tagundnachtgleiche und Eintritt in das Zeichen der Waage - zusammengetroffen war: La Rdvolution frai^aise offre un accord trop frappant et peut-etre unique dans les fastes du monde, entre les mouvements cilestes, les saisons, les traditions anciennes et le cours des ivdnements, pour ne pas rallier la nation entiJre au nouvel ordre de choses que nous vous pr6sentons. (AP 74: 550f.)

Dieser Umstand verleihe dem Ereignis „un caractere sacrd" (AP 74: 551), und Romme wurde nicht müde, die himmlischen Zeichen auszudeuten: Ainsi le soleil a iclairi ä la fois les deux pöles et successivement le globe entier, le meme jour oü, pour la premiere fois, a brilli dans toute sa pureti, sur la nation fran9aise, le flambeau de la liberti qui doit un jour iclairer tout le genre humain.

Wenn der Revolutionkalender auch erst nachträglich an die Gründung der Republik gebunden wurde, war dies dafür aber ein um so schlagkräftigeres Argument. Der Entschluß dazu muß in der Zeit zwischen der Republikgründung und der Debatte über die Koordinierung der Ären im Dezember 1792 gefallen sein, nachdem die verblüffende Koinzidenz zwischen politischem und astronomischem Ereignis entdeckt worden war. Denn die Initiatoren des neuen Kalenders hatten dies ja später zum Vorwand genommen, dem Konvent den Wunsch nach einem neuen Kalender unterzuschieben. Durch die astronomische Legitimation erhält das historische Datum erst ein Gewicht, das es über frühere Ereignisse (14. Juli, 10. August), die ebenfalls neue Ären begründeten, hinaushebt. Die neue Ära („ere des Fransais", AP 71: 553) bekommt weltgeschichtliche Dimensionen. Sie setzt sich ab von anderen Zeiten und Völkern, bleibt nicht im nationalgeschichtlichen Rahmen. Zum ersten Mal ist hier der Bruch mit der Vergangenheit da.21 Die nationale und universale Vorgeschichte wird abgekappt. Die Jahreszählung beginnt mit dem ,1. Jahr der Republik', die neue Ära ist kein Zusatz mehr, wie zum Beispiel ,1792 et Γ an 4e de la Libert6'. Der nur konsequente Vorschlag, dann auch die Zeiten, die vor dem neuen Ausgangspunkt der Geschichte liegen, entsprechend als ,Jahr... vor der Republik' zu bezeichnen, wurde auch tatsächlich gemacht; allerdings erst im Jahr VI.22 Die gesamte Geschichte wird also damit zur Vorgeschichte der Republik erklärt. Das Kontinuum der Geschichte wird unterbrochen, die neue Ära ist keine Anschlußepoche mehr. Durch die Kombination mit dem historischen Ereignis und der astronomischen Konstellation wurde der neue Kalender im nachhinein zu einem Manifest des Neuanfangs: 23 La Evolution a retrempi les ämes des Frangais; eile les forme chaque jour aux vertus ripublicaines. Le temps ouvre un nouveau livre ä l'histoire: et dans la marche nouvelle, majestueuse et simple comme l'igaliti, il doit graver d'un butin neuf et vigoureux les

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Der Revolutionskalender als ideologisches Programm annales de la France r6g6n6r6e. (AP 74: 550)

Die astronomische Konstellation ist das zentrale Argument in Rommes Bericht. Es wurde bereitwillig aufgenommen und fehlte in Zukunft in kaum einer positiven Äußerung über den Revolutionskalender.24 Doch Romme war nicht der erste, der Astronomie und Revolution in Einklang bringen wollte. Als der Konvent am 2.1.1792 beschloß, das ,Jahr der Freiheit' am 1. Januar und nicht am 14. Juli beginnen zu lassen, kritisierte Sylvain Marechal diesen Beschluß in den Rivolutions de Paris: La nature s'est joude constamment des combinaisons des rois; il importoit de faire sentir que le peuple le plus sage se rapproche d'elle et prouve ses calculs par les siens. C'est au mois de juillet qu'elle est dans toute son 6nergie, dans toute sa f6condit6 et le soleil dans toute sa grandeur ... c'est aussi au mois de juillet 1789 que le peuple frangais parvenu, comme le soleil ä cette date, ä toute sa hauteur, ä toute sa force, ricolte pour la premiere fois les doux fruits des germes pr£cieux de raison et d'inddpendance qu'on avoit jet6s dans son esprit depuis plusieurs annies [...]. 25

Deshalb plädierte Marechal für den Jahresanfang am 14. Juli. Er führte damit nur eine alte Tradition fort, die den Jahresbeginn an bestimmte bedeutungsträchtige Ereignisse knüpfte. Das konnten politisch oder mythologisch begründete Ereignisse ebenso sein wie die Übereinstimmung mit .natürlichen' Jahreszeiten.26 Indem somit die Natur und - wie vorher bereits - die Vernunft als höchste Instanzen des aufklärerischen Denkens das historische Ereignis sanktionierten und damit die überkommene metaphysische Begründung wie Gott oder die Vorsehung ersetzten, erhalte die Gründung der Republik eine, wie Romme selbst sagte, sakrale Legitimation ( A P 74: 551).27 Die astronomische Konstellation diente dazu, den Gründungsmythos des erneuerten Frankreichs, der neuen Gesellschaft, zu inaugurieren. Die Republik war nicht allein ein politischer Entschluß der dazu berufenen Volksvertreter. Sie stand deshalb auch nicht auf einer Stufe mit vorhergegangenen Verfassungsentscheidungen. Sie war also nicht nur ein Einschnitt in den Lauf der Geschichte, sondern vielmehr ein vollkommener Neuanfang. Die Geschichte wurde nicht mehr irgendwelchen .Despoten' überlassen, sondern der Zeit und damit dem unaufhaltsamen Fortschritt ins Reich der Freiheit und Gleichheit angetragenen. Dieser Neuanfang war in die Zukunft gerichtet und wurde nicht mehr im alten Sinn als Wiederherstellung eines vergangenen Zustandes gesehen. Der Revolutionskalender verleiht dieser nachträglichen Interpretation sinnlichen Ausdruck. Seine Einführung erschien den Zeitgenossen als notwendiger Vernunftakt. 3. Das geschichtsphilosophische Dilemma: zyklische und lineare Zeit Weniger die Datierung mit einer neuen Ära als vielmehr die intendierte radikale Absetzung von der Vergangenheit hatte des Gefühl für eine .neue Zeit' gestärkt. Im Gegensatz zu den schon bis dahin eingeführten neuen Zeitaltern, die aber immer nur Attribute der,alten Zeit' waren, bewirkte der Bruch für die sich von da ab in die Zukunft erstreckende Zeit eine andere Qualität. Die neue Zeit war prinzipiell offen gedacht.28 Diese Zeit mußte nun der neue Kalender strukturieren. Er gab

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dazu neue Einheiten vor; sie waren schnell akzeptiert. Probleme brachte erst die Namensfindung. Die Suche nach geeigneten Kalendernamen machte die banale Tatsache offenkundig, daß ein Kalender immer ein Instrument ist, das Zeit zyklisch gliedert. Die jährliche Wiederholung der Namen schließt die Vorstellung einer sich erweiternden und verändernden Zukunft aus. Romme geriet also zwangsläufig durch seinen Namensvorschlag in Konflikt mit dem üblichen Fortschrittsdenken und dem damit zusammenhängenden linearen Zeitverständnis.29 Schon bei der Anordnung der Monatsnamen nahm Romme Inkonsequenzen und eine erhebliche Geschichtskonstruktion in Kauf. Der Beginn der idealisierten Revolutionsgeschichte mußte auf den siebten Monat verlegt werden („R6g6neration", s. Tab.2).30 Der in Rommes Namensmodell entworfene Ablauf der Revolutionsgeschichte erinnert an eine utopische Zeit.31 Er ist zwar aus der Realität heraus konstruiert, mit den real abgelaufenen Ereignissen jedoch nicht identisch. In die Kreisbewegung des Kalenders war eine idealisierte Revolutionsgeschichte aufgenommen worden, die nun immer wieder durchlebt werden sollte, ohne daß sie von ihrem vorgezeichneten Weg abweichen könnte.32 Die so konstruierte Geschichte ist die den Utopien bekannte transparente und rationale, allerdings imaginäre Geschichte.33 Mit der Aufnahme in den Zyklus des Kalenders wurde die Entfernung zur historisch realen Zeit vollkommen deutlich. Die ,neue Zeit' wurde so in den Bereich des Mythos gehoben. Nur wenn jährlich neue Namen eingeführt würden, ließe sich dieses Problem umgehen. Dieser Vorschlag tauchte in der Kalenderdebatte jedoch nicht auf. Vermutlich wäre ein .offenes' Namensprogramm, das sich dem Fortschreiten der historischen Entwicklung anzupassen hätte, zu unkonventionell gewesen. Bei der Diskussion um einen politischen Feiertagszyklus, bei dem es um gleichartige Probleme ging, kam eine ähnliche Idee allerdings von Talleyrand. Weil politische Feste prinzipiell von zukünftigen Ereignissen überholt werden könnten, lehnte er es ab, sie endgültig im Kalender festzuschreiben. Statt dessen plädierte er dafür, den Kommunen jährlich ein Budget an Festtagen zur freien Verfügung zu geben, die sie nach eigenem Gutdünken begehen könnten.34 Gerade in dem vom Romme favorisierten Namensprogramm machten die Schwierigkeiten mit der Fortschrittsidee ein weiteres Problem augenfällig. Indem er für seine Monatsnamen nur politische Ereignisse aus der Zeit zwischen der Einberufung der Generalstände und der Gründung der Republik wählte, kappte er die Zukunft kurzerhand ab und erklärte - zumindest implizit - die Revolution für beendet. Die Errungenschaften der Revolution wurden damit in der normalen zyklischen Struktur des Kalenders festgeschrieben. Auch wenn die Idee, die Revolution zubeenden, für Revolutionäre kein besonders ungewöhnliches Unterfangen ist derartige Versuche oder Vorschläge wurden immer wieder gemacht 35 - , waren sie zu diesem Zeitpunkt, gegen Ende des Jahres 1793, jedoch nicht gerade aktuell. Die Jakobiner begannen gerade erst, ihre Herrschaft zu konsolidieren. An der Tendenz, den einmal erreichten Stand der Revolution verewigen zu wollen, entzündete sich auch sofort die Kritik - nicht im Lager der grundsätzlichen Kalendergegner, sondern auf der Seite wohlwollender Jakobiner. So erklärte der

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Der Revolutionskalender als ideologisches Programm

Abgeordnete Duhem in der Debatte über die Kalendernamen am 5.10.1793: La Evolution n'a point encore touch£ au terme marqui par la philosophic, et dijä cependant eile a prisenti des Ipoques mimorables, qu'il serait doux aux ldgislateurs de consacrer; mais qui peut leur ripondre que ce qu'ils inscriront, sera ce qu'elle aura produit de plus grand. Ne faisons pas comme le pape de Rome; il remplit son calendrier de saints; et quand il en survint de nouveaux, il ne sut plus oü les placer.(AP 76: 122)

Daher solle man Tages - und Monatsnamen mit Ordnungszahlen belegen. Das sei am einfachsten und allein der Ordnung der Natur gemäß. Nur so könnten andere Völker den neuen Kalender übernehmen, denn niemand werde aus der natürlichen Ordnung ausbrechen. Eine Zeiteinteilung mit rein numerischen Bezeichnungen könne dagegen die Grundlage einer „Rdpublique universelle" werden.36 Auf diese Weise lasse sich auch der Gefahr vorbeugen, daß .Fanatiker' - also Katholiken - sich eines Tages der Embleme bedienten „dont vous surchargerez votre calendrier pour en faire l'objet d'un culte superstitieux". Romme kritisierte an diesem Vorschlag, daß er darauf verzichte, dem Kalender „le cachet moral et rivolutionnaire" aufzudrücken „qui le fera passer aux siöcles ä venir". Doch Duhem blieb skeptisch. Es sei nicht sicher, daß die moralischen Namen von kommenden Generationen noch als solche angesehen würden. Deren Ideen seien möglicherweise wahrer und besser als die der jetzigen Generation. Irgendwelche .Priester' könnten auch eines Tages Mißbrauch mit diesen Namen treiben. Denn: „Citoyens, n'avez-vous pas vu d6jä les pretres constitutionals vouloir religionner notre Evolution?" Wer könne denn voraussehen, ob nicht wegen irgendeines Ereignisses das Wort „justice" eines Tages nicht mehr mit einem bestimmten Monat in Einklang zu bringen sei? Mit seiner Auffassung, die Zukunft müsse offengehalten werden und dürfe nicht durch einseitig aktuelle Monatsnamen verbaut werden, stand Duhem allerdings allein da. Doch mit den reinen Zahlennamen konnte sich auch noch niemand im Konvent anfreunden. Dagegen argumentierte der Abgeordnete Fourcroy, Aristokraten und Fanatiker könnten sofort auf ihre Weise die Lücken füllen, sollte man auf aussagekräftige Namen verzichten. Deshalb schien auch der Vorwurf, mit politisch-moralischen Kalendernamen nur das Prinzip der Kirche zu imitieren, niemanden abzuschrecken. Vielmehr müßten schon die Kinder - so die Meinung Albittes - die Namen der Tugenden lernen. Der Kalender sei dazu ein geeignetes Mittel. Die moralischen Namen, die schließlich - wenn auch nur für kurze Zeit - akzeptiert wurden, hatten schließlich trotz aller Kritik immerhin noch den Vorteil, daß sie den historischen Bruch betonten, den die politischen Ereignisse herbeigeführt hatten. Der Bruch bleibt zwar bestehen; doch setzt er nicht, wie es einen Moment lang schien, den Beginn für eine offene Zukunft, sondern ist Ausgangspunkt eines neuen Zyklus. Die Argumentation mit naturalen Vorstellungen aus Rommes ersten Bericht zur Erläuterung der Monatsnamen ,Unit6', und ,Fraternit6' (vgl. Tab. 1, 2. Projekt) läßt klar die Vorstellung erkennen, daß das Ziel der Geschichte erreicht sei:37

Der erste Ausbau der Kalenderreform

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les hommes, aprfes avoir recueilli dans les champs tous les fruits de la terre, se retirent sous leurs toits, et jouissent ensemble et fraternellement, des bienfaits de la nature et d'une bonne organisation sociale. (AP 74: 553)

Die Vorliebe für eine zyklische Ordnung, die sich hier ausspricht, ist nicht verwunderlich. Schließlich bietet sie einige Vorteile. Sie sichert im kollektiven Rahmen ideell den eigenen Herrschaftsanspruch, indem sie theoretisch ausschließt, von einer anderen politischen Zukunft überholt zu werden. 38 Beim individuellen Bewußtsein wirkt sie auf diese Weise Krisenstimmung und Zukunftsangst entgegen.39 Fabre d'Eglantines siegreiche Naturnamen hatten den Nachteil der moralischen Namen nicht, den Fortschrittsglauben formell zu blockieren. Dafür waren sie allerdings rein zyklisch. Nur fiel dies - wohl aus Gewöhnung an jahreszeitliches Denken - nicht unangenehm auf.40 Außerdem hatten sie gegenüber politischen Namen den Vorteil, daß das Naturargument ihnen eine schlechterdings nicht zu bestreitende Position verschaffte. Dem Revolutionskalender gelang es also, durch seine .vernünftige' dezimale Struktur und die Naturnamen zwei oberste Prinzipien der zeitgenössischen Wertehierarchie zu verbinden. Auf dieser Grundlage war er nicht mehr anzugreifen.

IV. Der erste Ausbau der Kalenderreform Mit der grundsätzlichen Entscheidung, einen neuen Kalender einzuführen, war es nicht getan. In den ersten Wochen stand der Kalender fast täglich auf der Tagesordnung des Konvents. Denn trotz aller Ausführlichkeit ließen die ersten Dekrete noch viele Fragen offen. Der Konvent sah sich vor die Aufgabe gestellt, diese Lükken zu schließen und Ausführungsbestimmungen für den Revolutionskalender zu erlassen. Beides stieß zum Teil auf Schwierigkeiten. Die Maßnahmen, die nun noch möglich waren, können zeigen, wie groß die Zustimmung zur Reform tatsächlich war. Unter zahlreichen Einzelentscheidungen entpuppte sich die für die Dezimalstunden notwendig gewordene Dezimaluhr als ein langwieriges Problem, das viel Energie verschlang und zuletzt doch nicht gelöst werden konnte. Die zunächst vorgesehene Schaltjahresregelung erwies sich als wissenschaftlich unhaltbar und mußte völlig neu durchdacht und organisiert werden. Eine weitere Aufgabe lag darin, Verwaltung und Bevölkerung, soweit sie den Kalender anwenden sollten, zunächst einmal mit der neuen Zeitrechnung vertraut zu machen. Der neue Kalender brauchte Propaganda. Das konnte der Konvent allein nicht leisten. Dazu war er angewiesen auf die Unterstützung der Presse. Die Untersuchung dieser Aspekte läßt also Rückschlüsse auf die Rezeptionsbedingungen und -chancen zu, die die Kalenderreform vorgefunden hatte oder die erst für sie geschaffen wurden.

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1. Ausführungsbestimmungen des Konvents Es zeigte sich bald, daß sich die Umstellung auf den neuen Kalender nicht global regeln ließ. Sie machte Ausführungsbestimmungen für einzelne Situationen notwendig. Dabei ist kaum verwunderlich, daß alle Maßnahmen, die keine weitreichenden oder nur wenig spürbare Auswirkungen im täglichen Leben hatten, verständlicherweise problemlos den Konvent passierten. Noch am gleichen Tag, an dem der Konvent zum ersten Mal über Rommes Kalenderprojekt diskutierte (5.10.1793), beschloß er auf Antrag eines Mitglieds, daß die Saaldiener unverzüglich eine Uhr und einen Kalender nach dem neuen Modell anfertigen lassen sollten (AP 76: 123).1 Obwohl die Namensfrage umstritten war,2 fand sich tags darauf (6.10.1793) für die Konventsprotokolle schnell eine einvernehmliche Datierweise:„les ddcrets seront datds du quantieme du mois seulement, sans faire mention de la d6cade" (AP 76: 157). Der 6.10.1793 wurde so zum „15 e jour du 1er mois de l'an II".3 Auch die Beschlüsse, persönlich überbrachte Petitionen nur am 1., 5., 10. etc. eines Monats entgegenzunehmen, Präsidenten und Sekretäre nur am 1. und 16. des Monats zu wählen und Zahlungsanweisungen nur am 1. eines Monats ausstellen zu lassen, fielen dem Konvent nicht schwer (AP 76: 156f.). Einen Tag später (7.10.1793) kam der Beschluß hinzu, die neue Jahreszählung auch auf Münzen zu prägen (AP 76:194). 4 Zu einer konsequenten Anwendung des Dekadenrhythmus konnte sich der Konvent dagegen nicht entschließen. Er lehnte den im gleichen Zusammenhang (6.10.1793) vorgetragenen Vorschlag ab, mit dem neuen Kalender Ernst zu machen und für alle öffentlichen Bediensteten den 10., 20. und 30. jeden Monats als Ruhetag festzusetzen und alle anderen Ruhetage abzuschaffen (AP 76: 156). Bedenken, mit der Abschaffung des Sonntags - und wenn auch nur für Beamte neue Probleme mit der Religionsfreiheit aufzuwerfen, haben die Koventsmehrheit wohl abgeschreckt. Der Hinweis auf die Lage in der Vendee war für die Ablehnung des Vorschlags schließlich ausschlaggebend. Romme wollte sich mit diesem Beschluß nicht zufrieden geben. Am gleichen Tage noch (6.10.1793) griff er im Eiziehungsausschuß die Frage der Ruhetage im öffentlichen Bereich auf.5 Nach reiflicher Diskussion - Einzelheiten sind dem Protokoll nicht zu entnehmen - beschloß der Ausschuß einen Gesetzesvorschlag, den Romme gleich am nächsten Tag dem Konvent vortrug. Der Konvent stimmte zu (AP 76: 194), daß sämtliche „actes publics et particuliers" an jedem Tag des Jahres ausgestellt und registriert werden könnten (d. h. also auch am Sonntag) und die Ruhetage von Verwaltung, Justiz und öffentlichen Bediensteten nur jeweils auf den 10., 20. und 30. eines Monats - der Name ,D6cadi' war noch nicht eingeführt - fallen dürften. Damit war die Entscheidung vom Vortage nun doch hinfällig. Aus einem weiteren Artikel dieses Dekrets, dem zufolge der Gesetzgebungsausschuß beauftragt werden solle „de faire concorder les dpoques constitutionnelles avec le nouveau calendrier" (AP 76: 194), entwickelte sich ein eigener Gesetzesantrag. Er sah vor, daß das Aufgebot für Eheschließungen nur noch am „jour de la d6cade" veröffentlicht werden dürfe (AP 76: 626/16.10.1793). In der Begründung

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hieß es, der Sonntag sei zwar für mögliche Bekanntmachungen nach wie vor der geeignetste Tag, weil man da ein möglichst großes Publikum erreichen könne, doch habe sich gezeigt, daß die Bekanntmachung des Aufgebots durch schriftlichen Anschlag immer mehr die mündliche verdränge. Daher könne man in Zukunft auf den Sonntag verzichten. Eine Verlegung auf den Dekadentag schaffe sogar noch ein großartiges Mittel „pour faire apprendre le nouveau calendrier aux citoyens". Daß damit auch der christliche Sonntag als Kulttag attackiert wird, versteht sich von selbst. Diese Argumentation fand jedoch nicht den Beifall der Versammlung: gerade der meist übliche schriftliche Anschlag sei an keinen Tag gebunden. Es erging statt dessen der Beschluß, daß in Abänderung des Gesetzes über den Zivilstand vom 20.9.1792 die Publikation des Aufgebots an jedem Tag erfolgen könne. Der Sonntag hat damit seine privilegierte Stellung zwar verloren, der D6cadi füllt aber diese Lücke noch nicht aus. Ein Versuch Rommes, zwei Tage später auch diesen Beschluß wieder aufheben zu lassen, scheiterte jedoch (AP 76:695/18.10.1793). Um die Bevölkerung mit dem neuen Kalender vertraut zu machen, hatte schon das erste Kalenderdekret - im Anschluß an Rommes Vortrag - eine Erläuterung vorgesehen. 6 Romme wurde damit beauftragt. Als er im Konvent einen Entwurf vortrug, war die Namensfrage noch ungeklärt. Der Konvent verabschiedete ihn deshalb nicht. Nach Fabres Bericht (24.10.1793) nahm der Konvent den Vorschlag nicht wieder auf. Er ließ statt dessen am 15. Brumaire II (5.11.1793) - also erst rund zwei Wochen später - Fabres Bericht und das entsprechende Dekret an alle Departements verschicken (AP 78: 377). Romme brachte aber sein Vorhaben erneut ins Gespräch. Er beantragte am 19. Brumaire II (9.11.1793), daß alle Dekrete über den Kalender zu einem einzigen zusammengestellt werden sollten (AP 78: 650). Am 4. Frimaire II (24.11.1793) trug er dann dem Konvent die endgültige Fassung des Kalendergesetzes, fortan „ddcret du 4 Frimaire" genannt, vor, dem sich eine „Instruction sur Γ ere de la τέpublique et sur la division de l'annee, decretee par la Convention nationale pour etre mise ä la suite du ddcret" anschloß (AP 80: 6-13). Ein erster Teil („Des motifs qui ont ddtermind le decret") wiederholte Argumente aus Rommes erstem Bericht und erweiterte die historischen Erläuterungen um abschreckende Beispiele aus der Zeit des .Despotismus und des Aberglaubens'. Ein zweiter Teil („Execution et usage de l'Annuaire des Fransais ou du calendrier rdpublicain") erläuterte den Gebrauch des neuen Kalenders und gab Anleitung zu den Umrechnungsverfahren zwischen alten und neuen Daten, die nun notwendig wurden. Das Dekret vom 4. Frimaire verschob auch das Problem der Dezimaluhr um ein Jahr (AP 80: 7, Art. 11). Als Begründung wurde die erforderliche Umstellung der Uhrenindustrie genannt. Schon bald nach der Verabschiedung des Kalenderdekrets leitete der Erziehungsausschuß Schritte ein, um die technischen Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Er schrieb einen Wettbewerb über eine Dezimaluhr aus. Dieser Wettbewerb hat offensichtlich viel administrative Kraft verschlungen. 7 Die Beteiligung an der Ausschreibung muß rege gewesen sein. Das ganze Verfahren zog sich lange hin. Erst nach dem 9. Thermidor kam es zum Abschluß. Den Ausschrei-

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bungsbedingungen zufolge sollte das Ergebnis der Jury veröffentlicht werden. Als es vorlag, hatte der Ausschuß oder der Konvent kein Interesse mehr. Es kam zu Konflikten mit den Jurymitgliedern, die ihre Entscheidung publiziert sehen wollten, und einigen Uhrmachern, die ihr Ausschreibungsstück zurückverlangten. Schließlich ließ die Jury ihr Urteil auf eigene Kosten drucken. Das Ergebnis überrascht nach den vorangegangenen Auseinandersetzungen: Man sah sich nicht in der Lage, einen Preis zu verteilen, weil alle eingereichten Arbeiten entscheidende Mängel aufwiesen, die das Schlagwerk der Dezimaluhren bereitete.8 Daß gerade dieser Reformansatz scheiterte, ist auf den ersten Blick nicht weiter erstaunlich. Dabei hätte er vielleicht noch die größten Aussichten auf Verwirklichung gehabt. Denn schon in der Encyclopidie wurde gefordert, auch die Stunde auf das Dezimalsystem umzustellen.® Auch brauchte der Einfluß der Stunden auf den Tagesrhythmus nicht so stark wie der Siebentagerhythmus auf die Lebens- und Arbeitsgewohnheiten zu sein. Ein Großteil der Hindernisse, die die Kalenderreform hätten lähmen können, fiel also hierbei aus. Wenn sich die Dezimalstunde dennoch nicht durchgesetzt hat, dann vielleicht wegen der mangelnden Notwendigkeit. Im Gegensatz zu den Maßen und Gewichten zum Beispiel war bei der Stundeneinteilung eine Vereinheitlichung nicht nötig. Sie störte nur einige rationale Geister.10 Das Hin und Her nach dem Entschluß, einen neuen Kalender einzuführen, zeigt, wie problematisch die Ausgestaltung der Reform eigentlich war. Die Mehrheiten wechselten von Tag zu Tag. Das mußte nicht einmal tiefgehende politische Ursachen haben. Die Reform war ungewöhnlich und neu. Eine Meinungsbildung konnte so schnell gar nicht zustande kommen und war Schwankungen von Tag zu Tag unterworfen. Mit der .Instruction' stand die Reform allerdings in ihren Grundzügen. Nur noch einmal war bei der Schaltjahresfrage eine größere Änderung beabsichtigt, die die naturwissenschaftliche Seite der Reform tangierte. Alle übrigen Maßnahmen waren politischer Natur.11 2. Die Schaltjahresregelung Fast anderthalb Jahre nach Einführung des Revolutionskalenders wurde ein gravierender Fehler in der Reform entdeckt. Der Astronom Delambre, der an den ersten Beratungen über den Kalender nicht beteiligt war, stellte fest, daß die Schaltjahresregelung einige Irrtümer aufwies.12 Deren Intention war ja, die Abfolge der Schaltjahre nicht mehr einem willkürlichen Schema zu unterwerfen, sondern, dem natürlichen Rhythmus folgend, immer dann einen Tag anzuhängen, wenn er sich von selbst angesammelt hätte. Man glaubte, daß dies sich in einem Vierjahresrhythmus vollziehen werde und erst nach 129 Jahren ein Schaltjahreszyklus ausfallen müsse. 13 Delambre hatte nun aber herausgefunden, daß dieser Vierjahresrhythmus schon früher und in unregelmäßigen Abständen unterbrochen werde.14 Gemeinsam mit seinen Kollegen Laplace und Lalande teilte er diese Beobachtungen Gilbert Romme mit und schlug eine fixe Schaltjahresregelung vor.15 Damit hatte das Argument, der neue Kalender stehe in besonderem Einklang mit der Natur und der Vernuft, einen Teil seiner Grundlage verloren. Die Natur arbeitete offensicht-

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lieh nicht so gleichmäßig, d. h. natürlich und vernünftig, wie es ein Aufklärer sich gewünscht hätte. Romme, der seit Ventöse II (März 1794) nicht mehr Mitglied des Erziehungsausschusses war,16 reagierte umgehend. Er setzte den Ausschuß von den Schwierigkeiten in Kenntnis und ließ sich am 20. Germinal III (9.4.1795) beauftragen, für den Ausschuß einen Bericht darüber anzufertigen.17 Er beriet daraufhin mit einer Reihe von Fachleuten. 18 Den Bericht, der aus dieser Arbeit entstand, ließ der Erziehungsausschuß drucken, um die Diskussion im Konvent vorzubereiten. Nach einer breiten Einleitung über die Vorzüge und die Notwendigkeit des republikanischen Kalenders, erklärt Romme in diesem Bericht, daß dem Kalender noch ein Grad an Perfektion in der Ausführung des Gesetzes vom 4. Frimaire fehle.19 Delambre, der ausgewiesene Astronom, der mit der Vermessung des Meridians für die Maß- und Gewichtsreform beauftragt sei, habe auf den Mangel hingewiesen. Die Schwierigkeit bestehe in einer „exdcution trop rigoureuse" des Artikels über den Jahresanfang, was aber durch eine „rfcgle simple et fixe, en restant dans les limites les plus rapprochdes du d6cret" für einige wenige notwendige Fälle behoben werden könne. Romme formulierte hier sehr vorsichtig. Er will wohl den Anschein vermeiden, die Reform sei fehlerhaft gewesen und müsse nun geändert werden. Das Naturargument hält er sorgfältig aus einer möglichen Schußlinie. Er begründet die neue Regelung zunächst nur mit den Schwierigkeiten, die im Jahre 144 der Republik auftreten könnten.20 Die Herbsttagundnachtgleiche werde in diesem Jahr um 23 Uhr und 59 Minuten und 40 Sekunden eintreten. Es könne aber erst im nachhinein festgestellt werden, ob sie sich auch tatsächlich vor Mitternacht ereignet habe. Mit letzter Sicherheit sei dies im voraus nicht zu berechnen. Die Konsequenz wäre, daß eventuell kurzfristig ein ganzer Tag eingeschoben werden müsse. Die Nachteile, besonders für Handel und Verwaltung, lägen auf der Hand. Allein durch diesen Zeitabstand bis zum Jahr 144 erscheine der Perfektionsgrad des neuen Kalenders, der bislang erreicht sei, allemal als sehr groß. Erst nach diesen Ausführungen deutet Romme das Problem an, das das Naturund Rationalitätsargument der Reform - teilweise - zunichte macht. Selbst bei einer exakten Vorausberechnung führe eine rigorose Anwendung des ursprünglichen Artikels zu einer unregelmäßigen Abfolge der Schaltjahre. Es gibt also keinen natürlichen Vierjahresrhythmus, wie Romme noch in seiner ersten Rede gehofft hatte. Deshalb empfehle sich eine fixe Regelung: Celle que vous proposent les astronomes conduit ä trois corrections indispensables: L'une tous les quatre ans; la seconde tous les quatre cents ans; la troisiime tous les trente-six siäcles, ou pour plus de convenance tous les quatre mille ans.21

In einem Gesetzesvorschlag wurde die Änderung festgelegt.22 Der erste Artikel setzt das erste Schaltjahr auf das Jahr IV der Republik fest (es wäre sonst das Jahr III gewesen); der zweite Artikel besagt, daß alle vier Jahre ein Schaltjahr sei. Artikel 3 nimmt in vier aufeinanderfolgenden Jahrhunderten die ersten drei Jahrhundertjahre von der Regelung des Artikels 2 aus, und Artikel 4 legt fest, daß auf diese Weise in einem Rhythmus von jeweils vier Jahrhunderten verfahren werden sol-

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le bis zum 40. Jahrhundert, das mit einem Normaljahr ende. Auf diese Weise erschöpfe sich das gesamte Zeitrechnungssystem in sechs Feststellungen: Dix jours font une ddcade. Trois d6cades font un mois. Douze mois cinq jours font une annie. Quatre annies et un jour une franciade. Cent franciades simples, moins trois jours, font une franciade sdculaire. Dix franciades sdculaires, moins un jour, font une franciade millaire. 23

Der Anschein der Natürlichkeit ist somit wiederhergestellt. Die weiteren Artikel sind hier nicht von Bedeutung. Es ist klar, daß diese Regelung dem Mechanismus des gregorianischen Kalenders sehr nahe kommt, doch war es offensichtlich nicht sehr opportun, das auszusprechen. Zu einer Behandlung des Projekts im Konvent ist es nicht mehr gekommen. Romme wurde kurze Zeit nach diesem Bericht, im Prairial III (Mai 1795), verhaftet und beging Selbstmord.24 Gut zwei Monate später, am 8. Thermidor III (6.7.1795) erhielt der Erziehungsausschuß allerdings noch einen Brief des ,Bureau des longitudes', in dem eine Änderung der Schaltjahresordnung empfohlen wurde.25 Der Ausschuß beschloß daraufhin, daß das .Bureau des longitudes', den Gesetzesvorschlag von Romme prüfen solle. Es kam nun aber zu einem negativen Ergebnis,26 und der Ausschuß beauftragte seinen Präsidenten, dem .Bureau des longitudes' mitzuteilen, daß er diesen Vorschlag akzeptiere.27 Dagegen steht allerdings die Äußerung Delambres, daß die Reform nicht am .Bureau des lonigtudes', sondern am Ausschuß selbst gescheitert sei. Der neue Berichterstatter des Ausschusses habe nicht gewagt, eine Reform des Kalenders im Konvent vorzuschlagen „de peur qu'on ne supprimät tout ä fait le calendrier au lieu de le corriger".28 Ob diese Befürchtungen berechtigt waren, läßt sich nicht mehr entscheiden. Allerdings lassen Rommes vorsichtige Formulierungen doch hinreichend erkennen, daß der Kalender im Konvent nicht mehr uneingeschränkt mit Wohlwollen rechnen konnte. Das politische Klima am Ende des Jahre III hatte sich zu sehr zu Ungunsten der Republikaner verschoben. Bezeichnend ist dafür die Anekdote, die der Abbe Grdgoire in seinen Memoiren berichtet. Romme sei mit seinem Vorschlag einer neuen Schaltjahresregelung im Erziehungsausschuß auf Unverständnis gestoßen: Tu veux done, lui dit quelqu'un, nous faire dicreter l'iternite? Je demandai l'ajournement ä trois mille six cents ans, et l'ajournement passa. 29

Demgegenüber ist der Eifer der Kalenderbefürworter bezeichnend, die mit vollem Ernst die Verbesserungen am Revolutionskalender vornehmen und die Reform auf Jahrtausende festschreiben wollten. Ihr Fortschrittsglaube war keineswegs gebrochen.

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3. Propaganda für den Kalender Der Konvent setzte seine üblichen Mittel ein, um den neuen Kalender in Umlauf zu bringen.30 Er ließ die Reden und Dekrete drucken und in die Departements schicken. Teilweise ging er aber beim Kalender auch über das für gewöhnliche Gesetze übliche Maß hinaus.31 Daneben unterstützte er den Druck von Almanachen und Kalendern, auch einmal von Gedichten, oder gab Druckkostenzuschüsse zu Werken, die den neuen Kalender verbreiten helfen sollten. So kaufte zum Beispiel das Direktorium 300 Exemplare eines Kalendergedichts und stellte sie dem französischen Botschafter in Genua zur Verfügung.32 Auch dei Annuaire du Cultivates?* den Romme später herausgab, um den agronomischen Teil des Kalenders zu fördern, war ebenfalls ein staatlich subventioniertes Unternehmen. Wegen der beschränkten finanziellen Mittel waren dem Konvent im allgemeinen jedoch enge Grenzen gesetzt. Weitere Möglichkeiten standen ihm nicht zu Gebote, um für die Verbreitung des Kalenders zu sorgen. Das wichtigste Instrument, um die neue Zeitrechnung unters Volk zu bringen, stellten natürlich die Kalender und Almanache selbst dar. Sie waren schließlich die verbreitetsten Druckwerke, die über Kolporteure auch die Landbevölkerung erreichten. Das Kalenderdekret kam gerade noch rechtzeitig, um die für 1794 bereits vorbereiteten Kalender und Almanache zu korrigieren oder vom Markt zu nehmen und neue zu drucken. Jedenfalls enthielten die Kalender und Almanache für das zweite Jahr der Republik, das ja ohnehin gekommen wäre, alle auch bereits den neuen Kalender.34 Allerdings bestanden noch lange Zeit beide Kalender nebeneinanderher - in verschiedener graphischer Gestaltung: als Konkordanzen oder als kleingedruckte gregorianische Kalender im Anhang.35 Auf jeden Fall aber hatten der Elan und die Begeisterung der ersten Zeit nach der Kalenderreform ausgereicht, den neuen Kalender in den einschlägigen Publikationen zu etablieren. Ein weiteres Mittel, die Kenntnis von der neuen Zeitrechnung zu verbreiten, war die Presse. Auch wenn die Zahl der Zeitschriften in der Revolutionszeit bekanntlich stark gestiegen war und die neuen Zeitungen auch teilweise ein neues Publikum ansprachen, dürften sie dennoch bei weitem nicht den Verbreitungsgrad der Almanache erreicht haben.36 Hinweise auf die Kalenderreform fehlten in kaum einer Zeitung. Sie wiederholten jedoch in der Regel nur wörtlich oder in enger Anlehnung die Argumente von Romme und Fabre. Auch wurde der neue Kalender umgehend bei der Datierung in den Zeitungen angewandt, wenn auch in der Regel das alte Datum mit dem Zusatz ,v. st.'(d.h. ,vieux style) nicht fehlte.37 Eigenständige Kommentare, die die neue Erfindung feierten oder ablehnten, oder Erklärungsversuche fehlen dagegen fast vollständig.38 Dies ist irritierend. Die Begeisterung der Konventsreden hätte ähnliche Kommentare vermuten lassen. Ihr Fehlen könnte aber auch an der Selbstverständlichkeit liegen, mit der die neue Reform den aufgeklärten Zeitgenossen in den Redaktionsstuben eingeleuchtet hat. Die Argumente aus der Kalenderdebatte sprachen für sich; die Reform erschien in sich selbst vernünftig. Der Gedanke an intensive Propaganda für den Kalender kam nicht auf. Gerade für die Bevölkerungsteile, die mit schriftlicher Propaganda nicht zu er-

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reichen waren, konnten symbolische Darstellungen Ersatz schaffen. In Anas zum Beispiel, wie in anderen Orten auch, fand zur Einführung des neuen Kalenders eigens ein Fest statt.39 Beim Umzug durch die Stadt marschierten zwölf Gruppen, jeweils gekennzeichnet mit einem Schild des Monatsnamens. Die ersten Gruppen bestanden aus Kindern, dann stieg das Alter der Teilnehmer immer weiter an. Fünf 80jährige Männer repräsentierten schließlich die Sansculottiden-Tage. Dahinter wurde - dem Bericht zufolge - ein Hundertjähriger auf einem Sessel getragen. Er stellte den sechsten Sansculottiden-Tag eines Schaltjahres dar. Hinter ihm liefen einige sehr kleine Kinder, die den Übergang zu einem neuen Jahr symbolisierten. Beendet wurde das Fest mit einem Bankett zu Ehren der achtzigjährigen Bürger von Arras.40 Im Gegensatz zu einem besonders gegenständlichen Begriff wie dem der .Bastille', der leicht in das kollektive soziale Bewußtsein einging,41 hatte es die vergleichsweise abstrakte Kalenderreform schwer, Begeisterungsstürme in weiteren Kreisen zu entfachen. Diese Schwierigkeiten werden auch die empfunden haben, die in anderen Fällen ihre poetische Begabung in den Dienst der Revolution stellten. Der Revolutionskalender war für revolutionäre Lieder und Poesie kaum ein Thema. 42 Die Lieder, die den Revolutionskalender besangen, hielten sich - wie die Zeitungsartikel - eng an die Argumentationslinie der Konventsdebatte: Les jours, les mois et les saisons, Tout cfcde aux lois de l'harmonie; De l'erreur les combinaisons Font place au compas du ginie. II trace le cours du destin, D6truit celui de l'imposture, Et calque l'an rdpublicain Sur la marche de la nature. A la voix des Hgislateurs, un nouveau monde vient d'6clore; Mensonges, prdjugds, erreurs, Tout disparait ä son aurore. Le vieux cadran change soudain, L'aiguille est perfectionnie, Et le temps, d'un pas plus certain, Marque les jours, les mois, l'annde. Autour de ce cercle parfait, Le bonheur va tourner sans cesse. 43

Es gibt einige Hinweise auf Theaterstücke oder Dialoge, die den Kalender thematisieren.44 In dem Theaterstück L 'Heureuse Däcade, das bereits am 5. Brumaire II (26.10.1793) in Paris uraufgeführt wurde, unterhält sich ein altes republikanisches Ehepaar auf dem Dorfplatz: La Mfcre Socle. Comment, mon ami, le dernier jour de la premifcre D6cade, suivant le calendrier ripublicain, tu te lives si matin! Nous devons cependant aujourd'hui nous reposer. Le Pfcre Socle.

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Air: Ce fut par la faute du sort. Autrefois ä l'erreur livr6s, Tout entravait notre Industrie Les jours aux fetes consacris, Etaient perdus pour la patrie, (Mais aujourd'hui c'est bien different) Car aprÄs neuf jours de travaux Chez nous, pleins d'une ardeur civique, Le jour pr£cieux du repos Est encor ä la ripublique. 45

An den alten Sonn- und Feiertagen pflegt der Pere Socle seiner Familie aus einem Geschichtsbuch vorzulesen. Doch was sollen nun in einer freiheitlichen Republik Geschichten aus der Zeit der Sklaverei? De ces erreurs ne Chargeons plus P6niblement notre mimoire, Pour ne citer que des vertus, Ecrivons notre propre histoire.46

Deshalb beginnt der Pere Socle für jeden Tag der neuen Ära eine nützliche Tat aufzuschreiben. Die einzelnen Episoden der Familienmitglieder und der Dorfgenossen füllen die zehn Tage der ersten Dekade - und die zehn Szenen des Stücks. Der Krämer Bonnefoi hat beispielsweise das Maximumgesetz bereits beachtet, bevor es noch verabschiedet worden war.47 Und die Bürgerin Le Juste hat ein Komplott aufgedeckt, das Zwietracht zwischen den Patrioten säen sollte.48 Es handelt sich also schlichtweg um plumpe Propaganda. Erfolge sind nicht bekannt. Derartige Stücke wurden nur für wenige Aufführungen geschrieben. Allerdings behauptete einer der Verfasser, Barrd, das Stück sei gut beim Publikum angekommen, und bot interessierten Theatern kostenlose Aufführungsrechte an, denn es sei geeignet „ä propager les principes rdpublicaines, et ä maintenir l'esprit public".49 Kalenderdrucke waren ebenfalls ein wichtiges Mittel zur Verbreitung der Reform. Wie bei den Almanachen ist jedoch eine präzise Aussage unmöglich, weil keine Auflageziffern dieser Einblattdrucke bekannt sind. Kalenderstiche hatten eine lange Tradition.50 In den neuen Kalendern wird die neue politische Symbolik anstelle der alten monarchischen und religösen gesetzt:51 von der Jakobinermütze über den Berg, Gesetzestafeln, Gleichheitssymbole und die Porträts der Märtyrer der Freiheit reichte das Inventar. Bei den revolutionären Naturmonatsnamen war das Anknüpfen an die Tradition besonders leicht. Die Monate wurden als Frauengestalten mit jahreszeitlich passenden Kostümen und Attributen dargestellt. Die neuen Naturnamen boten sich zur Fortsetzung derartiger Allegorien nur an.52· Im Gegensatz zu den recht traditionellen Kalenderdrucken versuchte das Frontispiz eines Almanachs die Kalenderreform eigenständig ins Bild zu setzen.53 Ein Rundtempel („Temple de l'Annde, dedie aux mois et aux jours") sollte mit seiner Form die periodische Wiederkehr der Jahreszeiten anzeigen.54 Für die Monate stehen die zwölf Säulen, an denen sich je drei Plaketten mit den Tagesnamen der drei Dekaden des jeweiligen Monats befinden. Aus dem Tempel schwebt die Freiheit.

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Sie führt an der Hand die Vernunft und zeigt ihr den Tempel, der für sie geöffnet ist. In der Hand hält die Vernunft ihr flammendes Zepter, mit dem sie die Repräsentanten der alten Ordnung (Papst, Kaiser, Könige und Heilige) verjagt und zu Boden zwingt. Auf der anderen Seite zeigt die Natur einem Bauern, der sich auf einen Ochsen stützt, den Tempel. Dem Bauern folgen weitere Landbewohner mit ihren Arbeitsgeräten, die nun ja im neuen Kalender verewigt sind. Individuelle Stellungnahmen zur Kalenderreform sind äußerst rar.55 Sie gelangten auch nur ausnahmsweise in öffentliche Archive. Es handelt sich dabei um Verbesserungsvorschläge von Bürgern, deren Phantasie durch die Reform freigesetzt wurde und die nun meinten, dem neuen Kalender den letzten und endgültigen Schliff geben zu können. Sie stammen entweder aus der Zeit kurz nach der Reform oder aber aus dem Jahr III, als der Kalender erneut zur Diskussion stand und zum ersten Mal spürbar unter den Druck von Kalendergegnern geriet.56 Die Maßnahmen, die zur Verbreitung des neuen Kalenders getroffen wurden, erscheinen auf den ersten Blick dürftig, nicht zahlreich und intensiv genug, um die gesamte Bevölkerung zu erreichen. Allerdings darf bei derartigen Überlegungen nicht vergessen werden, daß der weitaus größte Teil der Bevölkerung über elementare Kenntnisse im Schreiben und Lesen nicht hinausgekommen ist. Diese Menschen erhielten ihre Informationen ohnehin nicht über die Medien der Schriftkultur. Für sie war wichtig, wie diejenigen reagierten, denen diese Quellen zugänglich waren. Die Art und Weise, wie die kulturellen Vermittler - auch in den Behörden - den Kalender aufnahmen, konnte für sein Überleben entscheidend sein.57

V. Der Revolutionskalender als Ausdruck eines neuen politischen Selbstverständnisses Spätestens seit Beginn der Revolution war der Kalender als Möglichkeit gegeben. Jeder neue politische Ereignisschub förderte die Erfahrung, einen einschneidenden historischen Wendepunkt mitzuerleben. Die Kalenderreform lag in der Luft - wenn auch kein Weg direkt auf sie zuführte. Nachdem die Idee aber einmal geboren und dem Konvent vorgestellt war, wurde sie sofort aufgegriffen und innerhalb kurzer Zeit durchgeführt. Die Kalenderreform selbst ging dann recht problemlos über die politische Bühne des Konvents. Das Argument, es handele sich nur um einen logisch konsequenten Ausbau des Dekrets über die republikanische Ära, war einleuchtend, die zusätzliche astronomische Legitimierung der Ära durch die Natur einfach zwingend. Die aufgeklärte Kritik an Religion und Priesterherrschaft war zudem keine Erfindung der letzten Jahre oder der beginnenden Terreur, sondern vielmehr gemeinsames intellektuelles Erbe der politischen Führungsschichten. Dazu gehörte - als Merkmal physiokratischer Tradition - die Sorge um die Bildung insbesondere der Landbevölkerung. Der geradezu grenzenlose Glaube an die erzieherische Wirkung von Wissen - hier in Form agrarischer Tagesnamen - war typisch für diese Schichten.

Ausdruck politischen Selbstverständnisses

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Die Denunziation des alten Kalenders als absurdes Gebilde des überkommenen Anspruchs der Kirche auf Gefolgschaft in allen Lebensbereichen konnte also mit weitgehender Zustimmung rechnen. Widersprüchliche Beschlüsse oder Kehrtwenden von einem Tag zum anderen, die es auch gegeben hat, zeugen eher für das Ungewöhnliche der Sache als von politischen Meinungsverschiedenheiten oder schwankenden, weil geringen Mehrheiten. Bei einem derart neuen Problem ist es gut möglich, daß auch unter den Befürwortern der Reform die Einstellung zu einzelnen Sachfragen wechselnd war. Da die Diskussion über die Kalenderreform implizit oder explizit Themen behandelte, die das aufgeklärte politische Bewußtsein des späten 18. Jahrhunderts beschäftigten, hatte es erkennbaren grundsätzlichen Widerstand nicht gegeben. Insbesondere die Begründung des Revolutionskalenders war nahezu unangreifbar. Das doppelte Rationalitätsargument, der neue Kalender sei antiklerikal und naturgemäß zugleich, entsprach der innersten Überzeugung des tonangebenden gebildeten und politisch aktiven Bürgertums. Mögliche politische Differenzen konnten auf diese Weise lange Zeit unbemerkt bleiben. Zudem hat auch die politische Situation im Herbst und Winter 1793 die Kalenderreform begünstigt. Einzig an der Namensfrage entzündete sich eine Diskussion. Der dreifach schnelle Wechsel und das Abrücken vom gerade erst am Vortage gefaßten Beschluß zeigten, daß die Einmütigkeit doch nicht unerschütterlich war, sobald Entscheidungen über Willensproklamationen hinausgehen mußten. Die Zeitgenossen haben auf jeden Fall gespürt, daß pragmatische Begründungen nicht ausreichten. Sobald die alte traditionelle Legitimierung wegfiel, erwies sich, daß als Ersatz eine einzige unbestrittene Lösung eben nicht da war. Denn die Entscheidung für ein Namensprogramm war zudem auch immer ein Bekenntnis zu einem größeren theoretischen Konzept - lineare oder zyklische Zeitauffassung. Die Ablehnung der rationalen Zahlennamen geht sicherlich nicht zuletzt auf praktische Erwägungen zurück. Die kurze Praxis der umständlichen Datierung wird überzeugend gewesen sein. Fabres Namen verbanden dagegen für die Zeitgenossen in idealer Weise rationale Konstruktion und philosophische Legitimierung durch die Natur und schufen damit ausreichend gewichtigen Ersatz für die ehemals metaphysische Begründung des Kalenders. Die Probleme der Veränderung im Alltag und im Leben der Bevölkerung waren noch kein Thema der Diskussion. Ebensowenig interessierten schon Fragen der Durchsetzung der Kalenderreform. In diesen Fragen müssen die Abgeordneten auf die überzeugende Rationalität des Kalenders gesetzt haben, gegen die sie sich Widerstand nicht vorstellen konnten. Diesen Widerstand überhaupt zu denken, hätte schon bedeutet, daß sie ihr eigenes Selbstverständnis oder die behauptete Rationalität in Frage stellten. Indem der Revolutionskalender eine Reihe verschiedenartiger Themen berührte, die das 18. Jahrhundert besonders intensiv bewegten, bündelte er Identifikationselemente der neuen politischen Elite. Er wurde damit zu einem Ausdruck ihres politischen Selbstverständnisses. Der Verlauf der ersten - ebenso wie der späteren Debatten zeigt, daß die politischen Führungsschichten sich mit diesem Symbol

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Der Revolutionskalender als ideologisches Programm

identifizierten. Der Revolutionskalender wurde problemlos eingeführt - und konnte später nur mit Mühe wieder abgeschafft werden. Denn die Begründung des Revolutionskalenders war nahezu unangreifbar. Das doppelte Rationalitätsargument entsprach der innersten Überzeugung des tonangebenden gebildeten und politisch aktiven Bürgertums. Mögliche politische Differenzen konnten auf diese Weise lange unbemerkt bleiben. Wie der Verlauf der Kalenderdiskussion gezeigt hat, gehörte auch die Vorstellung von einem Bruch mit der Vergangenheit zu den wichtigen Elementen des neuen politischen Selbstverständnisses. Die Zäsurthese schuf eine zusätzliche Legitimation des politischen Handelns, die Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen umfaßte. Sie abzulehnen wäre einer politischen Selbstaufgabe gleichgekommen. Allerdings konnte sich diese These am unangefochtensten in den Köpfen durchhalten. Sowie es darum ging, sie in konkrete Einzelmaßnahmen auszugestalten, verzögerte sich der Entscheidungsprozeß oder die Einmütigkeit zerfiel. Diese Rückzieher empfand aber offensichtlich kaum jemand als Niederlage. Statt dessen zeugen die ersten Kalenderdebatten von einem weitreichenden, fast grenzenlosen Optimismus in die Überzeugungskraft der Reform. Der Glaube an eine unbegrenzte politische und soziale Machbarkeit und Planbarkeit, unter dessen Einfluß sich - wegen des besonderen Verhältnisses von Natur- und Vernunftbegriff - naturhafte Determinanten des Kalenders als soziale und damit veränderbare begreifen ließen, fand für den Zeitgenossen Bestätigung im Revolutionskalender. Die Aufgabe, das Selbstverständnis der politischen Elite zu repräsentieren, konnte der Kalender allerdings nur auf den ersten Blick glänzend erfüllen. Am besten gelang dies noch bei der neuen Zeitalterzählung. Der Aufbruch in die neue Zukunft war an der wachsenden Zahlenreihe der republikanischen Jahre abzulehnen. Im übrigen war der Revolutionskalender - wie jeder Kalender - eher ein untaugliches Mittel dazu. Seine zyklische Grundstruktur entzog jedem konkreten praktischen Fortschrittsdenken den Boden. Nur wegen der Nähe von aufgeklärter Naturvorstellung und Rationalitätsbegriff konnte der Widerspruch intellektuell ertragen werden oder weitgehend unbemerkt bleiben.

C. Der Revolutionskalender als politisches Instrument: Erziehung für die Republik I. Einleitung Nachdem der Konvent die Kalendergesetze und einige kleinere Ausführungsbestimmungen für die öffentliche Verwaltung verabschiedet hatte, gelangte der Revolutionskalender wieder in die Obhut des Erziehungsausschusses. Dieser übernahm den weiteren Ausbau des neuen Zeitsystems. Denn wichtige Fragen, wie beispielsweise die Gestaltung des Decadi, waren offengeblieben. Mit der Problematik neuer politischer Feiertage war der Ausschuß seit langem vertraut. Er führte die entsprechenden Überlegungen im Rahmen der Debatte über ein nationales Erziehungswesen. Somit trafen der neue Kalender und die Frage seiner weiteren Ausgestaltung auf einen bereits eingespielten Diskussionszusammenhang. Es ging dabei letztlich darum, gemäß der politischen Theorie des 18. Jahrhunderts der Verfassung eine moralische Komponente einzufügen. 1 Denn eine Republik sei - wie nicht nur Montesquieu festgestellt hatte - ohne Tugend undenkbar. 2 Diese sollte sich mit Hilfe politischer Institutionen einstellen. Die Vorbilder dafür lieferte die Antike, besonders Sparta und Rom. Der Schwerpunkt der Diskussion lag in der Frage einer neuen politischen Festtagsordnung. Andere Institutionen, wie Spiele, Wettbewerbe oder Auszeichnungen, standen von Anfang an im Hintergrund. Warum der neue Kalender im Zusammenhang mit einer neuen Festtagsordnung behandelt wurde, ist evident. Handelt es sich bei Festen doch immer um einen Eingriff in die bestehende zeitliche Organisation, die der Kalender repräsentiert. Nachdem der Revolutionskalender eingeführt war, mußten deshalb sofort Konsequenzen für die Festtagsordnung gezogen werden. Von dem Zeitpunkt an war die Festdiskussion also immer auch eine Diskussion über den neuen Kalender und den Decadi. Daß der Revolutionskalender sodann im Laufe der Zeit auch noch als eigenständige republikanische Institution mit besonderer erzieherischer Wirkung entdeckt wurde - und damit über seinen anfänglich eher ideologischen Anspruch hinaus, Ausdruck der .neuen Zeit' zu sein, zusätzlich eine eminent praktische Bedeutung gewann - , macht das Gewicht dieser Debatte aus. Die Diskussion über politische Institutionen begann bereits im Spätsommer 1791 in der Nationalversammlung mit Talleyrands Bericht über die „Instruction publique" 3 Er sprach im Namen des Verfassungsausschusses. Dies zeigt, daß zu den klassischen verfassungspolitischen Entscheidungen nun mit der Erziehung ein weiterer Grundpfeiler des neuen Staatswesens gesetzt werden sollte. Erziehung wurde im weitesten Sinne des Wortes verstanden: es ging neben der besonderen Organisation des Schulwesens um eine allgemeine Volksbildung. Sie sollte den Bürgern die moralischen Qualitäten vermitteln, mit denen sie dem neuen Staat zu Bestand und Dauerhaftigkeit verhelfen könnten. Zu der ersten großen Diskussion der Erziehungsprogramme kam es im Konvent allerdings erst im Herbst 1792.

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Der Revolutionskalender als politisches Instrument

Versuche, die Festfrage von der langwierigen Erziehungsdebatte abzukoppeln, hatten zunächst keinen Erfolg. Erst nach der Verabschiedung des Revolutionskalenders - die allerdings mit der einsetzenden Dechristianisierung und der damit zusammenhängenden erneuten Besinnung auf die ideologischen Grundlagen der Republik zeitlich einherging - löste sich die Festtagsdiskussion aus der Erziehungsdebatte und gewann eigene Konturen. Sie erlebte drei Höhepunkte, die jeweils einen momentanen Abschluß in Form von Gesetzen fanden: im Jahre II mit dem Gesetz vom 18. Floreal (7.5.1794) über die Einrichtung von Dekadenfesten, im Jahre IV durch das Gesetz über die Nationalfeste vom 3. Brumaire (25.10.1795) und im Jahre VI (1798) mit drei Gesetzen, die Einzelheiten der Kalenderanwendung regelten. Diese Debatte um die politischen Institutionen zielt auf die Grundlagen des neuen Staates. Es ist die Debatte, in der es neben den Detailproblemen der jeweiligen Tagesordnung immer auch um das Selbstverständnis der Revolution ging. 4 Deshalb ist es kaum verwunderlich, daß diese Debatte immer wieder erneut aufgenommen wurde und die Gesetze, in die sie mündete, sich nie als der ersehnte Abschluß, sondern jeweils nur als Etappenziel erwiesen. Ein Ende brachte erst das Konsulat und die immer verfeinerte Militärdiktatur, die zumindest faktisch mit der Tugendhypothese brach und wieder auf Untertanenmentalität setzte.

II. Die Debatte über politische Institutionen Der Umfang der Debatte macht eine Auswahl erforderlich. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht der Revolutionskalender als republikanische Institution mit den an diese Theorie geknüpften und von ihr abgeleiteten spezifischen Erwartungen. Sie wurden teilweise erst im Laufe der Debatte erkannt. So tauchte die erzieherische Wirkung des Kalenders in den ersten Dekreten nur am Rande auf. Hier kommen nur die Diskussionsbeiträge in Frage, die auf die Entwicklung eines Systems von republikanischen Institutionen - zum Beispiel über eine Festtagsordnung - zielen oder aber den Revolutionskalender zum Ausgangspunkt nehmen. Ausgeschlossen wird der Teil der großen Debatte, der Einzelfragen, wie die Errichtung eines bestimmten Festes, behandelt. 1 1. Durch neue Institutionen zum ,neuen Menschen' Die Debatte über politische Institutionen, die in der Nationalversammlung zunächst als Diskussion über das Erziehungswesen des neu verfaßten Staates begann, erschöpfte sich bezeichnenderweise nicht in Einzelheiten zum Aufbau des Schulwesens. Vielmehr wurde eine allgemeine Aussprache über die Grundlage geführt, auf die sich das Erziehungswesen des erneuerten Staats aufbauen soll. Übereinstimmend sahen die Redner in Verfassung und Gesetzen die Grundlage für den neuen Staat und den Ausgangspunkt für alle weiteren Überlegungen. Gleichzeitig betonten sie jedoch, daß die Verfassung allein noch keine Garantie für den Be-

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stand des Staats sei. Sie müsse ergänzt und gestützt werden von der Erziehung als .vierter Gewalt': L e s pouvoirs publics sont o r g a n i s i s : la liberty, l ' i g a l i t d existent sous la grande toutepuissante des lois: la ρ Γ ο ρ π έ ί έ a retrouv6 ses vdritables bases; et pourtant la Constitution pourrait sembler incomplete, si l ' o n n ' y attachait enfin, c o m m e partie conservatrice et vivifiante, l'instruction publique, que sans doute on aurait le droit d'appeler un pouvoir, puisqu'elle embrasse un ordre de fonctions distinctes qui doivent agir sans reläche sur le perfectionnement du corps politique et sur la prosp6rit6 g6n£rale. 2

Talleyrand eröffnete diese Debatte im September 1791 mit seinem Entwurf. 3 Zu einer Diskussion kam es nicht, weil die Konstituante schon Ende September auseinanderging.4 Die kurze Erziehungsdiskussion der Legislative war von Condorcets Programm geprägt.5 Die Kriegsereignisse ließen eine ausführliche Diskussion nicht zu; schon seine Rede wurde von der Nachricht des Kriegsausbruchs unterbrochen. 6 Mit einem umfassenden Bericht von Gilbert Romme 7 nahm der Konvent die Debatte wieder auf. Der Prozeß gegen den König und die folgenden politischen Ereignisse verhinderten eine Aussprache. Sie fand erst im Sommer 1793 statt.8 Auf Vorschlag Robespierres 9 setzte der Konvent eine Sonderkommission zur Unterstützung des Erziehungsausschusses ein, um die verschiedenen Pläne zu koordinieren und aufzuarbeiten. Im Namen der Kommission trug Robespierre dann selbst den Erziehungsplan des jüngst ermordeten Michel Lepeletiers als dessen Vermächtnis an den Konvent vor. 10 Unwesentlich verändert wurde dieser Text dann als offizieller Gesetzesvorschlag des Erziehungsausschusses von Robespierre eingebracht. 11 Daran entzündete sich eine lebhafte Aussprache. 12 Die Idee einer kollektiven staatlichen Erziehung stieß auf erheblichen Widerspruch. Danach verzweigte sich die Debatte immer mehr in Spezialprobleme. Trotz Unterschiede in Einzelfragen wurde Erziehung in dieser Debatte von fang an übereinstimmend als Aufgabe verstanden, die sich an alle Bürger nicht nur an die heranwachsende Generation richtete. Alle Staatsbürger seien zubeziehen in das Vorhaben „de perfectionner l'homme dans tous les äges". 13 bei ging es nicht um bloße Wissensvermittlung:

Anund einDa-

L a Constitution donnera ä la nation une existencee politique et sociale, l'instruction publique lui donnera une existence morale et intellectuelle. 1 4

Dieser Gedanke, daß Politik und Verfassung etwas mit Moral zu tun hätten, war dem 18. Jahrhundert vertraut. Bereits Montesquieu hatte festgestellt, daß Monarchie und Despotie mit Gesetzen bzw. mit Gewalt zu regieren seien, bei einer Volksbeteiligung dies aber nicht ausreiche: M a i s , dans un 6tat populaire, il faut un ressort de plus, qui est la V E R T U . 1 5

Über die Auffassung, wie die Moral herbeigeführt werden könne, bestand in der gängigen aufgeklärten politischen Theorie Einigkeit: C e sont les institutions nationales qui forment le g6nie, le caractüre, les gouts et les moeurs d'un peuple, qui le font 6tre lui et non pas un autre [...]. 1 6

Wenn ein Staatswesen von Grund auf neu gestaltet werde, dürften diese Institu-

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tionen nicht vernachlässigt werden. Ihnen komme gegenüber positiven Gesetzen eine höhere Qualität zu: Les lois sont 6tablies, les moeurs sont inspires; celles-ci tiennent plus ä Γ esprit g6niral, Celles- lä tiennent plus ä une institution particuliire [...]. 17

Dieser Denkansatz ist durch eine besondere Allgemeinheit und letztlich auch Unverbindlichkeit gekennzeichnet. Der Grund dafür liegt in der fehlenden Erfahrung von tatsächlichen Veränderungsmöglichkeiten. Deshalb wäre es auch verfehlt, verallgemeinernd von einer direkten Umsetzung aufklärerischer Ideen in revolutionäre Politik zu sprechen. Allerdings stellen diese Gedanken ein theoretisches Instrumentarium dar, mit dessen Hilfe die politischen Akteure der Revolutionszeit überhaupt erst Probleme erkennen und Lösungen anstreben konnten. Die Erweiterung der Verfassung durch eine Nationalerziehung, die mit Hilfe bestimmter Institutionen moralisch wirken wollte, zielte selbstverständlich tief in den Menschen: Enfin, et pour tout dire, la Constitution existerait-elle v6ritablement, si elle n'existait que dans notre code; si de lä elle ne jetait ses racines dans l'äme de tous les citoyens; si eile n'y imprimait ä jamais de nouveaux sentiments, de nouvelles moeurs, de nouvelles habitudes? 18

Es müsse also ein Mensch mit neuen moralischen Qualitäten erzogen werden. Die politische Aufgabe bekam einen anderen Ansatzspunkt: On a fait des lois pour la nation; il s'agit maintenant de faire la nation pour ces lois, et c'est par 1 Education publique."

Wenn der neue Staat Bestand haben solle, gehe es nicht ohne eine Regeneration der Bürger: je me suis convaincu de la n6cessit6 d'opirer une entiire rdgdndration et, si je peux m'exprimer ainsi, de cr6er un nouveau peuple. 20

Dies war nicht nur im nationalen Sinne gemeint „de former des hommes ä la Rdpublique". 21 Vielmehr hatten die Abgeordneten übernationale Ziele vor Augen: contribuer ä ce perfectionnement g£n£ral et graduel de l'espfcce humaine, dernier but vers lequel toute institution sociale doit etre dirigie. 22

Kennzeichen des .neuen Menschen' seien „de nouveaux sentiments, de nouvelles moeurs, de nouvelles habitudes".23 Die Einmütigkeit erstreckte sich jedoch nicht nur auf das Ziel, sondern auch auf die Frage: „Comment former la morale d'un grand peuple?"24 Dies sei die Aufgabe besonderer Institutionen. Ihre Möglichkeit, die Bevölkerung moralisch neu zu festigen, wurde daran gemessen, wieweit es ihnen gelingen könnte, an das Innere der Menschen heranzukommen: La vertu ne s'apprend pas comme une Ιεςοη: ce n'est pas dans l'esprit, c'est dans le coeur de l'homme qu'elle a ses racines et qu'elle s'accrolt. 25

Und dazu tauge alles „ce qui saisit l'homme par tous les sens".26 Es ging beson-

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ders darum, den Menschen in seinem affektiven Bereich anzusprechen und zu ändern: si en attachant l'homme par l'habitude, par l'imagination, par le sentiment, ä sa Constitution, ä ses lois, ä sa libertd, vous lui priparez, par une instruction ginirale, les moyens de parvenir ä une Constitution plus parfaite [...]. 27

Die zentrale Maßnahme, die alle Teilnehmer der Diskussion von Anfang an empfahlen, war „une bonne organisation de fetes nationales".28 Über die Einzelheiten - wie viele Feste, welcher Art, moralische oder politische, wie sie zu feiern seien - gingen die Meinungen natürlich auseinander. Als weitere Möglichkeiten kamen Theateraufführungen, Festspiele, Wettkämpfe, öffentliche Belobigungen, Zeitschriften und Vorträge hinzu. Dies reichte bis zu jährlichen Schiedsgerichten in Sachen Moral.29 Diese einzelnen Vorhaben wurden als eigenständige Institutionen verstanden, die dazu beitragen sollten, das übergeordnete Ziel der Nationalerziehung inhaltlich zu erreichen. Sie wurden lange Zeit von den Diskussionsteilnehmern in ihre Vorschläge für ein umfassendes nationales Erziehungsprogramm integriert. Als während der Diskussion des Lepeletier-Vorschlags praktische Fragen der Gestaltung des Schulwesens wichtiger wurden, geriet die Ausarbeitung eines politischen Festtagskalenders im Konvent an den Rand des Interesses. Anstöße von außen, in Form von Petitionen, trugen aber dazu bei, ihn wieder ins Gespräch zu bringen.30 Erst nach der Einführung des Revolutionskalenders kam die Erziehungsdebatte wieder auf die Nationalfeste zurück. Am 15. Brumaire 11.(5.11.1793) hielt MarieJoseph Ch6nier im Konvent eine Rede „sur l'instruction publique et les fetes nationales"31, in der er ein ausführliches Festprogramm ankündigte. Chdniers Beitrag ist von den gleichen Grundpositionen getragen, die auch schon die bisherige Debatte bestimmten. Allerdings macht sich bei ihm zum ersten Mal deutlich bemerkbar, daß die Überlegungen von der politischen Situation in der er stand herausgefordert worden sind und einen Lernprozeß erkennen lassen: „Citoyens, vous cherchez au milieu des orages revolutionnaires de rendre le calme ä la Republique". 32 Heilmittel dagegen sei die Erziehung, „cette constitution des moeurs, plus importante, j'ose le dire, que la constitution meme des lois".33 Der moralischen Erziehung - im Gegensatz zur intellektuellen und physischen - dienten insbesondere die Nationalfeste. Das gesamte Bündel der Maßnahmen nannte er als erster „institutions r£publicaines".34 Mit ihnen allein sei das Ziel zu erreichen. Que la rouille des temps anciens ne souille plus nos institutions. Les mauvaises moeurs tuent les bonnes lois. Vous avez fait les lois, faites les moeurs. 35

Bevor noch der neue Kalender überhaupt erfunden war, läßt sich an dieser Diskussion absehen, wie er sich darin einfügen wird. Denn auch die Kalenderreform geht von der Notwendigkeit und der Möglichkeit aus, einen anderen, besseren Menschen zu erziehen. Grundlegend ist ebenfalls für den Revolutionskalender als republikanische Institution, selbst wenn es nicht immer explizit ausgesprochen wurde, die Abkehr von religiösen Vorstellungen, wie zum Beispiel der Erbsünde, und die Überzeugung der unendlichen Perfektionabilität der Menschen. Eine neue

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Moral sorgt nun anstelle der Religion für die metaphysische Absicherung des Staates. Die zahlreichen Beiträge, die alle in sich ein eigenes Programm bildeten und nicht nur eine Diskussionsbeitrag enthielten, beweisen, wie gern die Gelegenheit ergriffen wurde, die Ideen vorzutragen, die sich - möglicherweise im Laufe von Jahren politischer Untätigkeit und Ohnmacht - herangebildet hatten. Schließlich ergab sich dabei eine Möglichkeit, eigenständige gesetzgeberische Phantasie zu entfalten und private Lieblingsideen auszubreiten, ohne von Realität oder Erfahrung vorschnell gebremst zu werden. 2. Die «moralische' Seite des Revolutionskalenders: ein neues Festprogramm Bei der Diskussion über den Revolutionskalender hatte die Festfrage zunächst keine Rolle gespielt. Das lag nicht unbedingt in der Absicht der Initiatoren, doch ließ sich ein ausgedehnter Geltungsbereich des neuen Kalenders nicht durchsetzen. Im Ergebnis hieß es dann, verbindlich sei der neue Kalender nur für „usages civils".36 Dies bedeutete für den einfachen Bürger, daß ihm die Wahl des Ruhetages freigestellt war. In der Erläuterung zum neuen Kalender wurde dies ausdrücklich bestätigt.37 Doch noch bevor diese Auslegung verbindlich wurde, unternahm ein Abgeordneter bereits einen Versuch, die etwas an den Rand der Erziehungsdebatte geratene Festfrage erneut ins Gespräch zu bringen und gleichzeitig mit den Erfordernissen des neuen Kalenders zu verknüpfen. Dahinter stand auch die Absicht, den Dechristianisierungscharakter des Kalenders nicht in Vergessenheit geraten zu lassen: Par le nouveau calendrier vous avez voulu tuer le fanatisme; vous avez er66 un jour de repos; mais un jour de repos pour des ripublicains doit etre une jour utile. 38

Dieser neue Ruhetag sei mit neuen Inhalten zu füllen: Je voudrais done que la d6cade füt consacrde ä cdlebrer les belles actions, les actes de vertu, de courage, qui auraient illustrd son cours. 3 '

Der Vorschlag ging an den Erziehungsausschuß mit dem Auftrag „de faire incessamment son rapport sur les fetes publiques que le peuple frangais doit cel£brer les jours de decades".40 Der Konvent mußte noch zweimal in der Festfrage beim Erziehungsausschuß nachhaken,41 ehe dieser dann schließlich ein „Projet de fetes nationales"42 vorlegte. Dieser Gesetzesantrag verwirklichte die Möglichkeiten, die der neue Kalender bot. Neben einer alle vier Jahre zu begehenden „Fete de la Revolution" am sechsten Sansculottiden-Tag, den übrigen fünf jährlichen Sansculottiden-Festen und fünf politischen Gedächtnisfeiern43 lag der Schwerpunkt des Programms allein schon wegen ihrer Anzahl auf den 36 Dekadenfesten: Ces fetes, institu6es sous les auspices de l'Etre-supreme, auront pour objet de r6unir tous les citoyens, de leur retracer les droits et les devoirs de l'homme en socidtd, de leur faire ch6rir la nature et toutes les vertus sociales. 4 4

Die Gegenstände der Feste reichen von der Natur, über Navigation, Wahrheit,

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Patriotismus und Mut bis zu Loyalität, Elektrizität und Vernunft. Die Feste sollten in sog. .Temples de la Raison' gefeiert werden. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß dieser Vorschlag in den Umkreis der Vernunftreligion gehört. 45 Im Mittelpunkt der geplanten Feiern hätten erbauliche Reden (discours civiques), Hymnen und nationale Gesänge zu stehen. Daß die Decadis nun allgemein als Ruhetage gelten sollten, wurde nur indirekt angedeutet: La peine de ceux qui n6gligeront d'assister aux fetes nationales sera d'etre regardis par leurs concitoyens comme indiff^rents sur les principes de l'egalitd rfpublicaine.46

Durch die Verpflichtung der Lehrer, ihre Schüler an Nationalfesten in die .Temple de la Raison' zu führen, sicherte man sich vorsichtshalber ein Publikum. Der Sonntag wurde erst gar nicht erwähnt. Eine Entscheidung über diesen Gesetzesentwurf fiel nicht. Der Vorschlag ging zurück an den Erziehungsausschuß. Dieser nahm Verbindung mit dem Wohlfahrtsausschuß auf, 47 dessen Mitglied Saint-Just zu dieser Zeit daran arbeitete, das gesamte Feld der neuen Institutionen in den Griff zu bekommen: Formez les institutions civiles, ces institutions auxquelles on n'a point pens6 encore. II n'y a point de liberti durable sans elles; elles soutiennent l'amour de la patrie et l'esprit rdvolutionnaire, meme quand le revolution n'est plus. 48

Aus der Arbeit des Wohlfahrtsausschusses ging dann Robespierres große Rede hervor, mit der er den ,Kult des Höchsten Wesens' begründete und in den neu einzurichtenden nationalen Festkalender einbaute. Der schleppende Fortgang der Arbeit am (Dekaden-) Festprogramm zwischen Frimaire und Floreal II (November 1793-Mai 1794) mochte zum Teil auf den politischen Ereignissen beruhen, die den Konvent in dieser Zeit besonders beschäftigten und seine Aufmerksamkeit von diesem Thema ablenkten: die Ausschaltung von Hebertisten und Dantonisten. Das Bedürfnis nach Dekadenfesten war in der politischen Öffentlichkeit aber wohl vorhanden. Der Erziehungsausschuß wurde in dieser Zeit mit rund fünfzig entsprechenden Vorschlägen oder Aufforderungen, endlich Dekandenfeste zu organisieren, von einzelnen Bürgern oder Volksgesellschaften überschüttet. 49 Es sieht nicht aus, als ob dieser Druck von außen beschleunigend gewirkt hätte, solange der Streit zwischen Gegnern und Befürwortern der Dechristianisierung 50 - und damit auch der Dekadenfeste - nicht entschieden war. Die Vorschläge, mit denen Robespierre schließlich die Initiativen übernahm, lassen erkennen, daß die Dekadenfeiern zu einem Anliegen der gemäßigten Dechristianisierer geworden waren. 51 Robespierre selbst war möglicherweise gegen den Revolutionskalender, 52 weil er spürte, daß die Dechristianisierung in die innenpolitische Isolation führen müsse. Seine Rede vom 18. Floreal II (7.5.1794) 53 - im Anschluß daran dekretierte der Konvent die Existenz des .Höchsten Wesens' und die Unsterblichkeit der Seele 54 - war ein Versuch, den Auswirkungen der Dechristianisierungsbestrebungen entgegenzutreten. Wie seine Zeitgenossen geht auch Robespierre davon aus, daß die Tugend das Wesen der Republik ausmache und die Moral den Grundpfeiler der bürgerlichen Gesellschaft bilde. Durch in- und auslän-

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Der Revolutionskalender als politisches Instrument

dische Verschwörer sieht er Revolution und Republik in Gefahr gebracht. Sie wollten deren Grundlage zerstören, indem sie die Immoralität - und das heißt für ihn gleichzeitig Atheismus - nicht nur zum System, sondern zur Religion erhöben. Die Moral und ihre sozialen Folgen könnten sich dagegen nur einstellen, wenn die Moral metaphysisch abgesichert werde: Attachons la morale ä des bases iternelles et sacries; inspirons ä l'homme ce respect religieux pour l'homme, ce sentiment profond de ses devoirs, qui est la seule garantie du bonheur social; nourrissons-le par toutes nos institutions.55

Um diese Forderungen zu erfüllen, bedürfe es einer geeigneten Religion: Aux yeux du Ligislateur, tout ce qui est utile au monde et bon dans la pratique est la νέrit6. L'id6e de l'Etre supreme et de Pimmortaliti de l'äme est un rappel continuel ä la justice: eile est done sociale et ripublicaine. 56

Eine dieser Institutionen, mit denen Moral hergestellt werden könne, ist auch für Robespiene das Nationalfest: Un systfcme de fetes nationales bien entendu serait ä la fois le plus doux lien de fraternit£ et le plus puissant moyen de rdgindration.57

Er äußert sich im einzelnen nicht zu Ort und Zeit der geplanten Feste. Statt dessen beschreibt er in einem großen Überblick die zu feiernden moralischen Inhalte. Herzstück seines Festkalenders waren die 36 Dekadenfeiern, die er weitgehend aus dem Entwurf des Erziehungsausschusses übernommen hatte,58 und damit die Prinzipien des neuen Kalenders. Die vier politischen Gedächtnisfeiern fielen dagegen kaum ins Gewicht.59 Wesentliche Fragen blieben jedoch weiterhin offen. Das Verhältnis von Döcadi und Sonntag war immer noch nicht geklärt. Eine gesetzliche Regelung hätte auf jeden Fall Unruhe ausgelöst, die Robespierre sicherlich vermeiden wollte. Dadurch, daß die Kultfreiheit ausdrücklich bestätigt wurde, ließen sich erste Befürchtungen kirchentreuer Bevölkerungsteile zurückweisen. In dem halben Jahr zwischen der Einführung des Revolutionskalenders und dem Dekret vom 18. Floröal, das Dekadenfeste erstmals gesetzlich verankerte, hatte sich Interesse an einer politischen Festtagsordnung nur scheinbar verringert. Die Zahl der Vorschläge war zwar gesunken, doch lag dies zum einen daran, daß sich nun die Festdebatte von der Erziehungsdiskussion gelöst hatte. Zum anderen war nun ein weit konkreteres Stadium der Diskussion mit einem höheren Grad an Verbindlichkeit erreicht. Die Vorschläge mußten in eine Gesetzesform umgearbeitet werden. Der Zwang zur Realisierung mochte die Produktion von immer neuen Vorschlägen gebremst haben. Zudem hatte sich die Aussprache in den zuständigen Ausschuß verlagert, wo sie nicht im einzelnen verfolgt werden kann. Die theoretischen Prämissen der Debatte haben sich jedoch nicht verändert. Obwohl der Revolutionskalender nicht ausdrücklich erwähnt wird, spielte er die entscheidende Rolle. Durch ein deutliches Übergewicht der Dekadenfeier war das nationale Festsystem nun offiziell dem dekadischen Kalender unterworfen. Die beabsichtigten Konsequenzen für das tägliche Leben wurden allerdings nirgends offen angesprochen. Differenzen zwischen dem neuen Kalender, der nur für öffentliche Angele-

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genheiten verbindlich war, und dem alten Kalender blieben unerwähnt. Bei der Wirkung der neuen Feste setzte man zunächst auf ihren moralischen Inhalt, noch nicht so sehr auf ihre Form. Insofern waren die Forderungen der Erziehungs- bzw. Institutionendebatte nun eingelöst. 3. Erste Schwierigkeiten: die Stellung des Dlcadi Der Auftrag im Dekret vom 18. Flordal II (7.5.1794) an den Erziehungsausschuß, Einzelheiten zu den Dekadenfesten zu erarbeiten,60 erwies sich als gar nicht so einfach. Erst anderthalb Jahre später, am 3. Brumaire IV (25.10.1795), kam es zu einer gesetzlichen Regelung.So schaffte es der Konvent gerade noch, bevor er auseinanderging, seine Vorstellungen von Nationalfesten niederzulegen. Von dem ursprünglichen Vorhaben, Hinweise für die Ausgestaltung der Dekadenfeste zu geben, konnte nun allerdings keine Rede mehr sein. Das Gesetz enthielt nur einen neuen Festkalender. Die 36 regelmäßigen Dekadenfeiern waren auf nur noch sieben Nationalfeste zusammengestrichen:61 fünf,moralische' Feste (Jeunesse, Vieillesse, Epoux, Reconnaissance, Agriculture), die auf einem D6cadi lagen, und zwei politische Gedächtnisfeiern, den Tag der Republikgründung am 1. Vendömiaire und die ,Fete de la Liberte' am 9. und 10. Thermidor. Als einziges Fest erstreckte sie sich über zwei Tage. Dadurch erhielt diese Selbstdarstellung des nach-thermidorianischen Regimes ein besonderes Gewicht. In den achtzehn Monaten, die zwischen den beiden Gesetzen lagen, war der Erziehungsausschuß nicht untätig geblieben. Er war vielmehr dauernd mit dem Thema befaßt. Allein schon die zahlreichen Berichte über bereits abgehaltene Feste oder neue Vorschläge, mit denen Bürger, Gemeinden und Revolutionsgesellschaften den Erziehungsausschuß oder den Konvent überschwemmten, verhinderten, daß die Festfrage in Vergessenheit geriet.62 Auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, als gehe es in dieser Zeit um Details der Festproblematik, ist diese Debatte doch immer unterschwellig auch eine Auseinandersetzung um den Revolutionskalender. Der Berichterstatter des Erziehungsausschusses für das Gesetz vom 3. Brumaire IV (25.10.1795) ließ keinen Zweifel daran, daß die Frage des Ruhetages die Arbeit verzögert habe: Ce qui a le plus contrarii jusqu'ici l'itablissement des fites publiques, c'est le nom de fetes ddcadaires qu'on leur a quelquefois donni. Le plan que je suis chargi de vous presenter a du moins cet avantage qu'il fait clairement apercevoir que les solemnitis nationales peuvent exister sans se mettre en concurrence avec les cultes particuliers.63

Allerdings war das Festthema in diesen anderthalb Jahren nicht immer gleich aktuell. Nach dem 18. Flordal II (7.5.1794) beschäftigte es zunächst lange Zeit nicht mehr das Plenum des Konvents. In den knappen drei Monaten bis zum 9. Thermidor (27.7.1794) arbeiteten der Erziehungsausschuß bzw. sein Unterausschuß, die .Commission des fetes decadaires',64 wohl ständig an dem Auftrag. Es kam jedoch zu keiner Entscheidung. Der Sturz Robespierres veränderte diese Lage zunächst nicht. Um davon abzulenken, daß er durch sein langes Stillhalten selbst kompromittiert war, versuchte

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Der Revolutionskalender als politisches Instrument

der Konvent, wie gewohnt weiterzuarbeiten und die neue Situation als Aufdeckung einer Verschwörung zu behandeln - wie er es ja nicht zum ersten Mal tun mußte. Diese Illusion ließ sich natürlich nicht allzu lange durchhalten. Die Einrichtungen der Revolutionsregierung zerbrachen. Die Plaine, die Mitte des Konvents, die nun rasch anwuchs, versuchte, den Thermidorianern die Macht aus den Händen zu winden. Auf den Straßen formierten sich indessen die Banden der Jeunesse doree; der weiße Tenor breitete sich aus. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten - von den dirigistischen Maßnahmen der Revolutionsregierung zeitweise eingedämmt, ohne aber in ihren Ursachen behoben zu sein - ließen sich nicht mehr lange übersehen. Die Versorgungslage für die Bevölkerung war katastrophal. Die katholische Kirche gewann Einfluß zurück und forderte Religionsfreiheit. Die republikanische Mehrheit des Konvents beobachtete mit Schrecken, wie hier Gefahren für Revolution und Republik erwuchsen. In dieser Situation besann man sich wieder auf die republikanischen Institutionen. Robert Lindet, der auch nach dem 9. Thermidor seinen Sitz im Wohlfahrtsausschuß beibehielt, hatte schon frühzeitig das Problem gesehen. Bereits in den ersten Tagen des neuen Jahres III (September 1794) forderte er in seinem Bericht über die innere Lage der Republik von den Abgeordneten: V o u s ne voulez nögliger aucun moyen d'iclairer le peuple, de l'attacher ä la Involution. [...] Remplissez le vide de ses f i t e s d£cadaires [...]. 65

Doch erst zwei Monate später versuchte ein Teil des Konvents, die Debatte über Dekadenfeiern erneut in Gang zu bringen. 66 Am 1. Nivöse III (21.12.1794) legte Chenier einen Plan im Auftrage des Erziehungsausschusses dem Konvent vor. 67 Als es zu der vereinbarten Diskussion nicht kam, beklagte sich ein Abgeordneter über die - wie er vermutete - absichtlich zögernde Haltung des Konvents: Je ne sais par quelle fatalit6 les deput6s qui ont des plans de fetes ddcadaires ä proposer ne peuvent obtenir la parole. 68

Daraufhin beschloß man, sämtliche Reden zu drucken, und setzte einen Termin für die Diskussion fest. Die Reden wurden auch gedruckt, doch nur ein Abgeordneter erhielt die Gelegenheit, seinen Plan vorzutragen. 69 Die übrigen Redner kamen nicht zu Wort. Sie sollten ihre Vorschläge dem Erziehungsausschuß zuleiten und mit ihm für den nächsten Tag daraus einen gemeinsamen Plan erarbeiten. Natürlich war diese Frist zu kurz. Weitere Vorschläge wurden im Konvent eingebracht und gedruckt. Auch im Jahr III waren Institutionen und Moral Ausgangspunkt der Überlegungen, um die Verfasung zu stärken. Man meinte, erst wenn die Freiheit durch die Sitten verewigt sei, habe man die Republik gefestigt. 70 Im Gegenstz zu den Jahren 1791- 1793 hatten sich allerdings die Akzente verschoben. Ging es damals darum, die erfolgten und erfolgreichen politischen Verfassungsänderungen durch geeignete Mittel abzusichern und damit den Erfordernissen der politischen Theorie Rechnung zu tragen, erschien inzwischen die Ausgangslage nicht mehr so gesichert. Die Realitätserfahrung hatte den ungetrübten Optimismus der ersten Revolutions-

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jähre gebrochen. Die politische Ausgangslage wurde nun skeptischer beurteilt. Es fallen die Appelle auf, die die Einheit der Republik, die Harmonie unter ihren Bürgern beschwören. 71 Aus den potentiellen Kräften, die die ideale Entwicklung der Republik aufhalten könnten, sind inzwischen reelle Gefahren geworden. Sie wurden als Unwissenheit und Fanatismus - Erben des Despotismus - bekämpft. Über die Unwissenheit bestand Einigkeit. Hinsichtlich der Religion gingen die Meinungen auseinander. Hier mußte zwischen positiven und negativen Tendenzen unterschieden werden. Denn auch die Gegner der Dekadenfeste, denen es um die Religionsfreiheit zu tun war, wollten sich nicht bedingungslos hinter jede religiöse Richtung stellen. Um den Katholizismus nicht pauschal in eine republikfeindliche Ecke drängen zu lassen, sprach man lieber von „fanatisme religieux" oder „charlatanisme sacerdotal". 72 Die Vergangenheit als Ursache politischer Schwierigkeiten spielte nur am Rande eine Rolle. Das Allheilmittel, um die Einheit der Republik zu wahren und die widrigen Bestrebungen des Fanatismus zurückzudrängen, waren nun in erster Linie die Dekadenfeiern. 73 Die Institutionen-Theorie steuerte natürlich die Beobachtungsfähigkeit. Die tatsächlich erkannten Defizite der Wirklichkeit wurden gemäß der Theorie den fehlenden Festen zugeschrieben: Je ne puis, citoyens colligues, omettre de vous faire part de la n£cessit6 urgente d'organiser les fetes nationales: c'est le voeu gdndral et pressant de tous les lieux que j ' a i parcourus, et j ' a i eu occasion d'observer combien cela est intdressant ä l'ordre g£n£ral et ä la formation de l'esprit public dans les campagnes. [...] Le peuple, bon partout, mais ä l'ignorance duquel il n'est point encore port6 de remfcde, se laisse agiter, et serait entraiηέ ä des d6sordres, si la vigilance de la police ne se diployait avec activitfi contre les sc616rats qui veulent de nouveau secouer la torche du fanatisme sur la tele de leurs concitoyens. [...] II faut un remfede qui fasse une eure radicale: il n'est que dans l'instruction publique, et les fetes ddcadaires offrent une branche d'autant plus importante que l'instruction s'y prendra sous la forme du plaisir. Ne perdez pas un moment pour les organiser: le peuple sait que la Convention nationale veut son bonheur, et recevra avec empresement toutes les institutions qui pourront en imaner. 7 4

Die inhaltlichen Vorstellungen über die Dekadenfeiern konnten natürlich - je nach persönlichen Präferenzen - im einzelnen auseinandergehen. Allerdings schimmerten überall dort, wo konkrete Vorschläge gemacht wurden, als wesentlich empfundene Elemente diejenigen durch, die schon Mathieu in seinem Programm hatte: 75 erbauliche Reden, moralische Erziehung, nationale Hymnen, Lektüre von Gesetzen, Auslegung der Menschenrechte und der Verfassung, Vergnügungen am Nachmittag. Als sich im Jahr III absehen ließ, daß die Hoffnung auf ein Verschwinden der Religion eine Illusion war, verstärkte sich auch das Gefühl dafür, daß der Staat schlecht beraten sei, wenn er der Kirche allzu offen Konkurrenz machen wollte: Ce n'est point une religion que vous avez ä faire dans ce moment [...] c'est la patrie que vous avez ä c616brer. Vous ne devez done point mSler le culte et la edremonie; laissez ä chacun la liberti de c616brer la Diviniti ä sa manifere. Lorsque vous aurez fait des institutions assez puissantes pour faire airner la vertu [...] vous aurez rempli votre devoir de 16gislateurs ripublicains. 76

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Der Revolutionskalender als politisches Instrument

Der Zusammenhang mit dem Revolutionskalender war bei einem Dekadenfest schon von der Definition her gegeben. Der Revolutionskalender stellte das zugrundeliegende zeitliche Ordnungsschema dar: La Convention nationale, en changeant le calendrier, a voulu que les pensies comme les affections de tous les Frangais soient preincrement dirigdes vers les grands int6r6ts sociaux: eile n'a pas entendu, comme ses ennemis ont voulu le faire croire, attaquer aucune croyance particuliüre. Mais eile a du rappeler la Nation ä sa digniti, la soustraire au joug honteux de la superstition [...]. 77

Die uneingeschränkten Befürworter der Dekadenfeste gingen deshalb auf den neuen Kalender gar nicht noch einmal ein.78 Die Stellung des Döcadi beschrieben die einzelnen Verfasser aber durchaus unterschiedlich. Alle wollten regelmäßige Feiern am Decadi. Sie taten dabei so, als ob sie nur- wie schon häufiger zuvor geschehen - weitere Nationalfeste einrichteten. Einige gingen allerdings darüber hinaus, indem sie den Ddcadi zusätzlich zu einem allgemeinen Ruhetag erklärten.79 Damit erweiterten sie das ursprüngliche Kalendergesetz aus dem Jahr II, das dieses Problem offengelassen hatte. Der Decadi sollte nun also offiziell dem Sonntag Konkurrenz machen. Zwar wagte niemand den Vorschlag, den Sonntag vollständig abzuschaffen, doch verfolgten die Dechristianisierungsmaßnahmen - und dazu gehörte das Dekadenfestprogramm zweifellos - den Zweck, den Sonntag aus dem öffentichen Leben zu verbannen. Die Rolle des Decadi verstärkten noch einige Vorschläge, die ζ. B. Heiraten oder Wahlen nur am D6cadi stattfinden lassen wollten oder versuchten, dem Decadi als ,petite foire' zusätzliche Attraktion zu verleihen.80 Nur ein Programm versuchte, die Möglichkeiten des Revolutionskalenders weiter auszuschöpfen und nicht nur den Decadi, sondern auch die übrigen Dekadentage einzubeziehen. Es sah vor, periodische Veranstaltungen wie Märkte, Versammlungen, Verkehrsmittel, Sitzungen von Revolutionsgesellschaften und Gemeinderäten dem dekadischen Prinzip und dem Lauf des republikanischen Jahres anzupassen.81 Die ablehnenden Positionen in der Dekadenfestdebatte zeigen, daß hinter der Auseinandersetzung um die Feste im Grunde der Revolutionskalender stand. Sie attackierten einmütig den Kalender; der Inhalt der Dekadenfeiern war ihnen ein nachrangiges Ziel. Wenn die Feste auf einen Sonntag fielen, wären sie sogar wünschenswert.82 Die Republik wird also nicht in Frage gestellt, sofern sie die Kultfreiheit garantiert. Die extreme Haltung sah dagegen im Revolutionskalender ein Überbleibsel aus der Zeit der Tyrannei:83 Er sollte bis auf die republikanische Jahreszählung ersatzlos gestrichen werden. Der Wunsch, alles durch 10 teilen zu wollen, sei eine Manie. Die Erfahrung habe gezeigt, daß der Siebenerrhythmus für den Ruhetag notwendig und ausreichend sei. Selbst gutwillige Bauern, die die Dekadenfeste feiern wollten, lehnten den Dekadenrhythmus ab. Die Furcht, mit der Wocheneinteilung den .Fanatismus' zu begünstigen, sei kein Argument. Ihm könne begegnet werden, indem man Priester zur Ehe verpflichte, Kulte nur in französischer Sprache zulasse und Priestern aufrührerische Thesen verbiete. Auch die Forderung nach einer Volksabstimmung über den Kalender, bis zu der die Dekadenfeiern auszusetzen seien, ist in der Intention eindeutig. Der Kalender insgesamt sollte zu Fall gebracht werden.84 Ist diese Absicht noch sicher zu unter-

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stellen, läßt eine Reihe pragmatischer Argumente sie nicht sogleich erkennen. Die Vorstellung, Nationalfeste hätten die größten Chancen, wenn sie mit einem „cidevant dimanche" 85 zusammenfielen und am Sonntag im Anschluß an die verschiedenen Kulthandlungen im gleichen Gebäude abgehalten würden, zielt - auf den ersten Blick - auf die Abschaffung des Kalenders oder nimmt zumindest dessen Ende in Kauf. Die Vorschläge über die Ausgestaltung der Dekadenfeste zeigen freilich, daß kein antirepublikanischer Anschlag zu befürchten war. Die Sorge, daß zu weitgehende Pläne die Sympathie der Landbevölkerung für die Republik verscherzen könnten, bewegte auch offensichtlich gutmeinende Republikaner: II est des moyens trös simples de concilier la c616bration des fetes avec le repos ndcessaire ä ceux qui travaillent pour tous. Iis consistent, ces moyens, 1°) ä itablir, ou cinquante-deux fetes qui seront cilibrdes tous les sept jours, ou quarante-six fites, dont quarante-cinq tous les huit jours, et la dernifcre, le cinquiime jour intercalaire; 2°) ä dichter que le quintidi sera jour de repos.86

Der Achttagerhythmus war sicherlich ein ernstgemeinter Vorschlag. Er zeigt, wie verzweifelt nach Lösungen gesucht wurde, die den Einfluß der Kirche auf die Bevölkerung so gering wie möglich hielten, ohne die neuen Inhalte des republikanischen Geistes zu behindern. Dagegen stand hinter der Anregung, die Dekadenfeste auf eine im Monat zu beschränken, sie „fete republicaine" zu nennen und möglichst bis zum Frieden erst einmal auszusetzen, wohl eher der Versuch, den Revolutionskalender auf kaltem Wege zu beseitigen.87 So sehr die Kritiker der Dekadenfeiern auch das Problem gesehen haben, daß in dem neuen Staat Platz für die religiöse Einstellung der Bevölkerung zu schaffen sei, gelang es ihnen nicht, praktische Lösungen zu finden. Vor allem fehlte wohl der Wille und die Einsicht bei einem großen Teil der Republikaner, die als französische Aufklärer keinen leichten Zugang zu Fragen der Religion hatten: Je croyais que nous 6tions assez avanc6s en rdvolution pour ne plus nous occuper de religion. 88

Diese Auseinandersetzung um die Dekadenfeste wurde im Konvent größtenteils nicht in mündlicher Aussprache geführt. Die Abgeordneten erhielten die Redebeiträge als gedruckte Vorlagen. Der Erziehungsausschuß sollte daraus einen Gesetzesentwurf zusammenstellen. Als dieser dann endlich eingebracht war, 89 kam es wiederum nicht zu einer Aussprache. Die politischen Ereignisse, die Aufstände vom 12. Germinal III (1.4.1795) und 1. Prairial III (20.5.1795) ließen dieses Thema nicht mehr vordringlich erscheinen. Bis die Folgen dieser letzten Erhebungen der städtischen Unterschichten verarbeitet waren, hatte sich die Stimmung im Konvent und im Lande derart gewandelt, daß eine Diskussion über Dekadenfeste vorerst nicht mehr opportun war. Erst gegen Ende des Jahres III (August 1795) beschäftigte sich der Konvent erneut mit Festen und Revolutionskalender. Bei der Diskussion über die neue Verfassung entstand die Frage, ob Kalender und Nationalfeste in die Verfassung aufgenommen werden sollten. In der Aussprache spielten auch Petitionen aus der Bevölkerung eine Rolle. So erschien am 10. Thermidor III (28.7.1795) ein Bürger im

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Der Revolutionskalender als politisches Instrument

Konvent und verlangte die Abschaffung des neuen Kalenders. 90 Er begründete seinen Antrag damit, daß auf dem Lande niemand diesen Kalender anwenden wolle und er außerdem Handel und Geschäfte behindere, und erregte damit bei der Konventsmehrheit Mißfallen. Daß ein Abgeordneter sich hinter ihn stellte, nutzte nichts. Vierzehn Tage darauf (24. Thermidor III/l 1.8.1795) forderte eine Abordnung der Sektion ,Bonne-Nouvelle' unter anderem, die neuen Namen der Maße abzuschaffen, deren Sinn das Volk nicht vestehe. 91 Es handelte sich um „myriametres", „myriagrammes" usw. Außerdem solle der alte Kalender wieder eingeführt werden, denn der neue werde nicht einmal in der Administration benutzt. Da Schweizer und Amerikaner auch frei seien und dennoch nach alter Weise ihre Jahre zählten, könne die Republik also nicht von einem Kalender abhängen. Auf diesen Vorschlag hin beschloß der Konvent, daß der Erziehungsausschuß noch vor dem 1. Fructidor III (18.8.1795) einen Bericht über die eventuell notwendigen Änderungen am republikanischen Kalender vorlegen solle. 92 Schließlich schrieb der Konvent die republikanische Ära in der neuen Verfassung (Art. 372) fest. 53 Der Kalender selbst erhielt diesen Verfassungsrang nicht. Er bestand weiter auf gesetzlicher Grundlage. Die Sansculottiden verloren ihren politisch inzwischen anzüglich gewordenen Namen und hießen fortan „jours complementaires". 94 Das Problem der National- und Dekadenfeste war mit der Verabschiedung der neuen Verfassung noch nicht geklärt. Erst ein ,Projet des lois relatives ä la Constitution', das die Grundlagen des nach-thermidorianischen Erziehungswesens regeln sollte, brachte eine Lösung. Der abschließende Bericht, der zum Gesetz vom 3. Brumaire IV (25.10.1795) führte, verdeutlicht die Sehnsüchte der Zeit und zeigt, worauf das Harmoniestreben zielte: Oui, c'est aux lettres qu'il est r6serv6 de finir la Involution qu'elles ont commencde, d'6teindre tous les dissentiments, de retablir la concorde entre tous ceux qui les cultivent; et Ton ne peut se dissimuler qu'en France, au XVIII' sifccle, et sous l'empire des lumiferes, la paix entre les hommes iclairds ne soit le signal de la paix du monde. 9 5

Die Hoffnungen der Debatte vom Jahresanfang (Nivöse-Pluviöse III/Dezember 1794-Februar 1795) sind zum bestimmenden Motiv geworden. Der neue Festtagskalender, der nun präsentiert wurde, enthielt sieben Nationalfeste, die, so wurde eigens - und selbstbewußt - betont, den Kulthandlungen der verschiedenen religiösen Bekenntnisse keinerlei Konkurrenz machen sollten. 96 Erreicht hat man dies durch den Verzicht auf regelmäßige Dekadenfeiern. Von den sieben Nationalfesten fielen zwar fünf auf einen Decadi, doch entstand dadurch dem Sonntag keine Gefahr. Über ihn sagte auch dieses Gesetz nichts aus. Zusammen mit den Bestimmungen zur Kultfreiheit war die Existenz des Sonntags für den privaten Bereich indirekt gesichert. Die Versuche, den Kalender auch in das private Leben eingreifen zu lassen, waren vorerst gescheitert oder zurückgestellt. Es klingt wie ein Trost für die Anhänger der Dekade, wenn es in dem Bericht heißt:

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Au surplus, ce que nous vous proposons n'est qu'un essai qui devra, dans des temps meilleurs, recevoir des d6veloppements utiles. Au milieu des cultes divers, librement exerc6s, mais soumis aux lois de la R6publique, le patriotisme deviendra bientöt le culte commun de tous les Frangais."

Dies Bemühen, zu einer Ordnung der Dekadenfeiern zu gelangen, fällt allein schon wegen der Fülle der Diskussionsbeiträge auf. Auch wenn die Reden nicht alle im Konvent vorgetragen wurden, zeigt allein die Tatsache, daß sie geschrieben wurden, wie sehr dieses Thema einen Teil der Abgeordneten beschäftigte. Wären diese 20 Abgeordneten nur Außenseiter gewesen, hätte die Konventsmehrheit sicherlich schon den Druck verhindert.98 Die Hoffnungen, die schon die ersten großen Institutionendebatten - damals noch als Teil der Erziehungsprogamme - beflügelten, hatten sich immer noch nicht erfüllt. Die moralischen Voraussetzungen der Bevölkerung waren noch nicht derart, wie sie eine Republik benötigt. Die Grundüberzeugungen, die das Handeln und die Überlegungen der Abgeordneten steuerten, hatten sich jedoch nicht verändert. Dagegen stellte sich ihnen die Ausgangslage nun allerdings anders dar. Es ging nicht mehr allein darum, den Pflichten des Gesetzgebers nachzukommen, so wie es die politische Theroie vorsah. Die Notwendigkeit für das politische Handeln war dringender geworden. Der Eindruck, daß die Einheit der Republik in Gefahr sei, scheint in allen Beiträgen als Motiv durch. Allerdings wurde nur von wenigen versucht, die Realität auf die theoretischen Vorgaben zu beziehen. Sie machten darauf aufmerksam, daß der Revolutionskalender dem Vorhaben, die Bevölkerung an die Revolution zu binden, nur hinderlich sei. Die große Mehrheit der Beiträge diskutierte jedoch die Dekadenfeste als geeignete Institution, die Einheit der Republik zu erreichen. Dabei wird deutlich, daß der Glaube an die moralischen Inhalte, die die Feste transportieren und für die sie gleichzeitig günstige Aufnahmebedingungen schaffen sollten, ungebrochen war. Die neu zu schaffende Moral, die ja von Anfang zu den Grundbedingungen des regenerierten Staates zählte, wurde nun konkret an die Staatsform geknüpft. Eine „morale republicaine" sollte „sentiments republicans" 99 und damit schließlich auch Republikaner hervorbringen; die Dekadenfeste und der sie prägende Revolutionskalender sollten diese neue Moral schon wachsen lassen. Deshalb waren sie für eine Mehrheit der Republikaner unverzichtbar. Was in der gegebenen politischen Situation von diesen Inhalten zu retten war, zeigt der schließlich verabschiedete Festkalender. Die Möglichkeiten des Revolutionskalenders, das tägliche Leben zu bestimmen, wurden nicht einmal anfänglich ausgeschöpft. 4. Der Kampf gegen alte Gewohnheiten mit neuen Kalendergesetzen im J a h r VI (1798) Mit dem Gesetz vom 3. Brumaire IV (25.10.1795) war die Debatte, die auf ein Festprogramm zielte, zunächst einmal beendet. Die Diskussion um einzelne Feste ging jedoch weiter. Zu den beiden politischen Gedächtnisfeiern kamen im Laufe

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Der Revolutionskalender als politisches Instrument

der Zeit wieder der 21. Januar (Hinrichtung Ludwigs XVI.), der 14. Juli und der 10. August (Sturm auf die Tuilerien) hinzu. Neu eingerichtet wurde eine ,Fete de la souverainete du peuple', zu begehen jeweils am 30. Ventose, und schließlich der 18. Fructidor,100 abgesehen von einigen Einzelfesten, wie Siegesfeiern oder Trauerfeiera für Generäle. Der Revolutionskalender und der D6cadi gelangten nicht mehr auf die Tagesordnung. Ebenso erging es den republikanischen Institutionen. Sie gerieten zwar nicht in Vergessenheit, einzelne Anhänger brachten das Problem immer wieder zur Sprache.101 Doch verliefen diese Versuche jedesmal im Sande, bis der Staatsstreich vom 18. Fructidor V (4.9.1797) den Republikanern ihre prekäre Situation vollends vor Augen führte und sie nach Maßnahmen rufen ließ, die republikanische Moral beim Volke wiederzubeleben.102 Als die ersten turnusgemäßen Wahlen zum Rat der Fünfhundert, der mit dem Rat der Alten nach der neuen Verfassung des Jahres III den Konvent ablöste, im Frühjahr des Jahres V einen royalistischen Wahlsieg brachten, führte dies zu Spannungen mit der mehrheitlich republikanisch besetzten Exekutive, dem Direktorium.103 In dieser Situation ergriffen die drei republikanischen Direktoren die Initiative, um sich gegen ihre beiden konservativen Kollegen durchzusetzen. Sie suchten die Unterstützung des Militärs. Bonaparte lieferte ein Dokument, das den neuen Präsidenten des Rats der Fünfhundert, Pichegru, der royalistischen Agententätigkeit überführte. Nachdem die neue Mehrheit der beiden Repräsentativkörperschaften am 17. Thermidor V (4.8.1797) die Anklage der drei republikanischen Direktoriumsmitglieder beschlossen hatte, ließen diese am Morgen des 18. Fructidors (4.9.1797) Paris von Bonapartes Leutnant Augereau militärisch besetzen, um, wie es hieß, einer anglo-royalistischen Verschwörung zuvorzukommen. Pichegru und einige Abgeordnete wurden verhaftet, darunter der Direktor Barthelemy. Der andere Direktor, Carnot, konnte fliehen. Unter militärischem Druck beschlossen die beiden Kammern die Kassation der Wahlen in 49 Departements. Die Mehrheitsverhältnisse waren umgeworfen: 177 Abgeordnete wurden ausgeschlossen und zum Teil deportiert. Die vom Direktorium vorgelegten Ausnahmegesetze vom 19. Fructidor V (5.9.1797) wurden verabschiedet und alte Gesetze gegen Emigranten und Priester wieder in Kraft gesetzt. Das umgebildete Direktorium leitete eine Politik zur Sicherung der Republik ein. Der .direktoriale Terror' begann. Im republikanischen Lager hatte der 18. Fructidor wie ein Schock gewirkt. Alle Anstrengungen wurden nun darauf ausgerichtet, die .royalistische' Bedrohung in Grenzen zu halten. Die Republik schien - wie kaum zuvor - in Frage gestellt. Zu ihrer Festigung griff man auf ein zumindest in der parlamentarischen Dikussion bewährtes Mittel zurück: die republikanischen Institutionen. Damit begann die längste und ausführlichste zusammenhängende Diskussion der Revolutionsdekade über politische Institutionen. Der Revolutionskalender spielte in ihr nun auch explizit eine bedeutende und eigenständige Rolle. Am Ende der Debatte standen drei Gesetze, die alle zum Ziel hatten, die Anwendung des Kalenders zu sichern. Bereits einen Tag nach dem Staatsstreich, am 19. Fructidor V (5.9.1797), forderte ein Abgeordneter im Rat der Fünfhundert, nun endlich die notwendigen Institutionen zu entwerfen, und das neue Direktorium beschwor das französiche Volk:

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Abjure des abus serviles, sers-toi de ton calendrier, division du temps si claire, si commode, et qui, par un trait admirable des destinds ripublicains, te rappelle que le soleil recommence l'annde au jour oü commenga la Rdpublique.104

In den folgenden Wochen kamen immer wieder Ergänzungen zu diesem Themenkomplex hinzu. Der alte Kalender sollte vollständig abgeschafft und alle Bürger verpflichtet werden, sich an die republikanische Ära zu halten (2. Vendemiaire VI/23.9.1797,12f.). 10S Ein anderer Vorschlag wollte endlich den Decadi aufgewertet wissen (24. Vendömiaire VI/15.10.1797, 461f.). Er sollte „jour de repos civil" der ganzen Republik werden. Nur an diesem Tag dürften in Zukunft Eheschließungen und Eintragungen ins Geburtenregister vorgenommen werden.106 Ein anderer Abgeordneter ging noch weiter mit seinen Forderungen (3. Frimaire VI/ 23.11.1797, 30f.). Um den Decadi als offiziellen Ruhetag durchzusetzen, schlug er eine Reihe von Verboten für diesen Tag vor: keine Arbeit von Verfassungsorganen, keine Arbeit in der Öffentlichkeit, keine Märkte und Messen, keine geöffneten Geschäfte, kein Schulunterricht. Feste - mit Ausnahme des der Republikgründung sollten nur auf Quintidis und Zusatztage fallen. Die Vorschläge wurden an den zuständigen Ausschuß verwiesen. Im Namen der Commission destruction publique legte Duhot schon bald darauf (14. Frimaire VI/4.12.1797, 220) einen Gesetzesvorschlag vor. Er deckte sich im großen und ganzen mit dem späteren Gesetz vom 17. Thermidor VI, in dem Decadis und Nationalfeste als verbindliche Ruhetage für alle Franzosen festgeschrieben wurden.107 In der Begründung schnitt Duhot schon die Frage an, die auch in der weiteren Diskussion immer wieder auftauchte und von Gegnern gestellt wurde, die es vorzogen, verfassungsrechtlich statt politisch zu argumentieren: Hat der Gesetzgeber überhaupt das Recht, seinen Bürgern einen Ruhetag vorzuschreiben? Die Kommission bejahte selbstverständlich diese Frage. In der Diskussion (25. Frimaire VI/15.12.1797, 390f.) ging es natürlich sofort um die Stellung des Decadi. Faulcon 108 lehnte ihn ab für die Landbevölkerung, die nun einmal katholisch sei und sich an ihn nicht gewöhnen werde. Er sei nur in Städten durchzusetzen. Der Abb6 Gregoire109 sah durch den Gesetzesvorschlag generell die Kultfreiheit in Gefahr und verwies auf das Gesetz vom 4. Frimaire II, das den republikanischen Kalender nur für den öffentlichen Gebrauch eingeführt habe. Dabei solle es auch bleiben. Beide Redner betonten aber ausdrücklich, wie positiv sie ansonsten dem Revolutionskalender gegenüberständen. Mit ihren Beiträgen formulierten sie Positionen, die im folgenden immer wieder vertreten wurden, solange die Stellung des Sonntags nicht geklärt war. Würden Sonntag und Ddcadi Ruhetage, dann seien wirtschaftliche Nachteile zu befürchten; werde der Sonntag aber stillschweigend zum Werktag erklärt, sei dies ein Angriff auf die Kultfreiheit. Die Einwände wurden von Duhot110 (26. Frimaire VI/ 16.12.1797, 406f.) zurückgewiesen. Die Kultfreiheit sei nicht berührt - und in besonderen Fällen seien landwirtschaftliche Arbeiten selbstverständlich auch am Ddcadi erlaubt. In der weiteren Diskussion (29. Frimaire VI/19.12.1797,429) wurde das gesamte Duhot-Projekt zurück an den Ausschuß verwiesen. Als sich Duhot ein paar Tage später erneut als Ausschußberichtstatter zu Wort

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meldete, 1 1 1 teilte er mit, daß bei der Diskussion der Dekadenruhe folgendes Problem aufgetaucht sei: Ist die Dekadenruhe als Prinzip oder als Konsequenz der republikanischen Institutionen zu verstehen? Die Frage, ob der Rat der Fünfhundert überhaupt berechtigt sei, über den Ruhetag in das private Leben der Bürger und damit in ihre religiösen Gewohnheiten einzugreifen, scheint weiterhin das entscheidende Hindernis zu sein. Die Lösung des Problems mutet raffiniert an: M a n wolle zunächst entscheiden, welche Gebäude und öffentliche Plätze der Versammlung von Bürgern zu dienen hätten, ob an Decadis Gesetze und sonstige wichtige Nachrichten verlesen sollten, ob bestimmte öffentliche Handlungen (ζ. B. Eheschließungen) 1 1 2 am Decadi zu vollziehen seien und ob Spiele am Decadi abgehalten werden dürften. Über derartige Fragen sei der Gesetzgeber zweifelsohne zu entscheiden berechtigt, ohne in verfassungsrechtliche Garantien (ζ. B. die Religionsfreiheit) einzugreifen. Hätte man diese Fragen erst einmal entschieden - und das steht als Absicht hinter dieser Argumentation - , wäre der Decadi als öffentlicher Ruhetag nur noch eine notwendige Konsequenz. In dieser Reihenfolge wollten die Ausschüsse daher auch den weiteren Gesetzgebungsvorgang vorbereiten. Sie hielten sich jedoch nicht an dieses Vorgehen und brachten einen neuen Gesetzentwurf (4. Germinal VI/24.3.1798),47) 113 ein, der sich fast völlig mit dem vom 14. Frimaire VI (4.12.1797) deckte. Die Feiertagsregelung stand wieder an erster Stelle. Hinzugekommen waren lediglich einige Bestimmungen zu den Dekadenfeiern. Eine Diskussion erfolgte nicht. DerErlaß

des Direktoriums

vom 14. Germinal VI

(3.4.1798)

Nach dem 4. Germinal VI (24.3.1798) war die Diskussion für knapp vier Monate unterbrochen. Dies lag sicherlich nicht in der Absicht derjenigen, die versuchten, die Kalendergesetze voranzutreiben. Doch verhinderte die aktuelle Politik den Fortgang der Arbeit. Zu dieser Zeit glaubten sich Direktorium und Repräsentativkörperschaften durch den Ausgang der regulären Germinalwahlen in Bedrängnis. Diesmal sollte die Gefahr - im Gegensatz zum Vorjahr - von links kommen. Auf gesetzlicher Grundlage wurde mit dem ,coup d'etat de Floreal' der Wahlausgang .korrigiert'und eine direktoriumsfreundliche Mehrheit in den Kammern hergestellt. Der ohnehin schleppende Gang der Diskussion bewegte das Direktorium, selbst die Initiative zu ergreifen und seine Vorstellungen im Vorgriff auf die zu erwartende gesetzgeberischen Maßnahmen in einem Erlaß für die Lokalbehörden niederzulegen. Es führte damit eine Praxis fort, die es schon in den ersten Wochen nach dem 18. Fructidor in bezug auf Feste begonnen hatte, um die republikanischen Institutionen als Bollwerk gegen republikfeindliche Kräfte zu beleben. In einem Zirkular vom 19. Brumaire VI (9.11.1797) 114 hatte der Innenminister den Departement- und Stadtverwaltungen den Revolutionskalender und die Möglichkeit seiner Anwendung in Erinnerung gerufen. Er hob dabei besonders die Dekadenfeiern hervor, die ja im letzten einschlägigen Gesetz vom 3. Brumaire IV (25.10.1795) nicht mehr vorgekommen waren:

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Les lois qui consacrent le dixiäme jour de chaque d6cade au repos existent depuis plusieurs annies. 115

Den Zusatz des Gesetzes vom 4. Frimaire II, daß dies nur für .usages publics' gelte, ließ er vorsichtshalber weg. Es sei wünschenswert, alle Kultveranstaltungen auf den Decadi zu verlegen. Außerdem müsse natürlich die Arbeit an diesen Tagen ruhen. Zwar räumte er ein, daß bislang - möglicherweise - noch keine gesetzliche Handhabe bestehe, doch forderte er alle Verwaltungsbeamten auf: Vous n'en devez pas moins employer tous les moyens que vous croirez propres ä faire privaloir l'instruction des fetes d£cadaires.116

Ergänzend kam die Forderung dazu, Märkte und Messen nun endlich auf den Revolutionskalender umzustellen.117 Nach diesen ersten Vorstößen gab das Direktorium seinen Vorstellungen bezüglich des Revolutionskalenders eine rechtsverbindliche Form in dem Erlaß vom 14. Germinal VI (3.4.1798).118 Als Rechtsgrundlage verwies es in der Präambel vornehmlich auf die einschlägigen Gesetze des Konvents, auch wenn dieser inzwischen als ,tyrannie decemvirale' in Verruf geraten war - und erklärte den Revolutionskalender zu une des institutions les plus propres ä faire oublier jusqu'aux derniires traces du regime royal, nobiliaire et sacerdotal.

Da das Direktorium den Decadi natürlich nicht im Erlaßverfahren zum gesetzlichen Ruhetag bestimmen konnte, zählte es in achtzehn Artikeln die einzelnen Bereiche auf, in denen entweder der Decadi als Ruhetag einzuhalten sei - und damit ausdrücklich den Sonntag ablösen sollte - oder periodisch anfallende Tätigkeiten auf die Dekade umgestellt werden könnten: Verwaltung und Sitzungen (Art. 1), Justiz (2), Märkte und Messen (3, 5), Börse (6), Schleusen (7), Post (8), öffentlich vergebene Arbeiten (9), öffentliche Kassen (10), Paraden und militärische Übungen (11), Theater (12), öffentliche Versammlungen aller Art (13), zeitlich determinierte Mietverträge (14), Druckerzeugnisse (16), Beginn von Erntezeiten (17). Hinzu kamen Bestimmungen und Hinweise zur Durchführung und Überwachung des Erlasses und Strafandrohungen (4,15,18). Das Direktorium zeigte mit diesem Erlaß seinen Willen, daß gesamte Leben, soweit es sich in der Öffentlichkeit abspielte, und nicht nur den Bereich der staatlichen Verwaltung auf den Revolutionskalender umzustellen. Lebensbereiche, in denen die Möglichkeit zur Nichtbeachtung des Kalenders bestehe und die vom Direktorium übersehen worden seien, sollten von den Behörden dem Innenministerium bekannt gemacht werden.119 Direkte Eingriffe in das Privatleben unterblieben. Doch hatten die Bestimmungen natürlich Auswirkungen auf das private Leben. Die Bürger mußten sich in bestimmten Fällen - wie ζ. B. beim Theater, bei den Postkutschen, bei Mietverträgen und Behördengängen - auf die neue zeitliche Ordnung einstellen. Wieweit selbst private Verhaltensweisen betroffen sein konnten, wird drastisch deutlich an der Aufforderung an die Lokalbehörden ä rompre tous rapports des marchis aux poissons avec les jours d'abstinence disignds par l'ancien calendrier (Art. 3).

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Der Revolutionskalender als politisches Instrument

Der Erlaß ist der erste Versuch, dem Revolutionskalender zur umfassenden und verbindlichen Anwendung zu verhelfen und sich nicht mehr mit Absichtserklärungen zu begnügen. Inhaltlich stellt er sicher noch nicht das Maximalprogramm dar, das sich gewissenhafte Republikaner gewünscht hätten, denn es fehlt im Vergleich zum Zirkular vom 19. Brumaire VI die Forderung, alle Kulte auf den Ddcadi zu verlegen. Der Decadi als Ruhetag sollte indirekt hergestellt werden, indem alle Bestimmungen zusammen eben zu einem Ruhen jeglicher Aktivitäten in der Öffentlichkeit führten. Insgesamt geht der Erlaß in seinen Einzelheiten aber weit über das hinaus, was bislang in der Institutionendebatte erörtert wurde. Das Gesetz vom 17. Thermidor VI (4.8.1798):

Feiertagsregelung

Als der Rat der Fünfhundert die Diskussion wieder aufnahm (19. Messidor VI/ 7.7.1798, 304), lagen ihm zwei Gesetzesentwürfe vor. 120 Einer regelte das Feiertagsproblem. 121 In der Diskussion (28. Messidor VI/16.7.1798, 454f.) bestand darüber weitgehend Einigkeit. 122 Der Decadi sollte selbstverständlich ein Feiertag sein. Ein erneuter Versuch, ihn mit Hilfe weiterer flankierender Maßnahmen zum alleinigen Ruhetag der Republik zu machen, indem alle religiösen Kulte nur am Decadi stattfinden dürften, scheiterte wiederum. 123 Die Versammlung billigte den Gesetzesentwurf. In der zweiten Lesung (29. Messidor VI/17.7.1798, 472f.) wurden zwei Änderungen beantragt: der Quintidi solle den üblichen wöchentlichen schulfreien Tag ersetzen; außerdem müsse eindeutig festgestellt werden, daß der Decadi der einzige Ruhetag sei. Beide Vorschläge stießen auf Widerstand. Der Gesetzgeber habe nicht das Recht, den Bürgern jeden weiteren Feiertag zu verbieten. Das Vorhaben hinsichtlich der Quintidis könne den falschen Eindruck erwecken, als ob hiermit ein weiterer Feiertag eingeführt werden solle. Das aber wäre nicht im Sinne des republikanischen Kalenders, der ja gerade die Feiertage reduzieren wollte. Für den Fall, daß andere Feiertage nicht verboten werden könnten, sollten zumindest, so eine weitere Meinung, Geschäfte nur am D6cadi schließen dürfen. Bei der dritten Lesung des Gesetzentwurfes erklärte der Berichterstatter des Ausschusses (3. Thermidor VI/21.7.1798, 48f.) zu den Vorschlägen aus der zweiten Lesung, daß der die Schulen betreffende Antrag akzeptiert werde. Die Regelung der Ladenöffnungszeiten sei jedoch ein so kompliziertes Problem, daß der Ausschuß beschlossen habe, dazu ein eigenes Gesetz vorzubereiten. 124 Die Endfassung des Gesetzes wurde angenommen. Den Antrag, der Ddcadi solle einziger Ruhetag sein, hatte der Berichterstatter gar nicht mehr erwähnt. Ein letzter Anlauf, dies doch noch zu erreichen, bestand in der - erfolglosen - Anregung, Gebäude, die öffentlichen Versammlungen dienten, nur an gesetzlichen Feiertagen zu öffnen. 125 Im Rat der Alten scheiterte der Versuch, die Verabschiedung des Gesetzes mit dem Argument zu verhindern, das Gesetz bedürfe noch genauerer Beratung, weil es hinsichtlich der Ruhetage über die ursprünglichen Kalendergesetze hinausgehe (17. Thermidor VI/4.8.1798,121). Das Gesetz wurde angenommen. 126 Der Decadi war damit zum Ruhetag der Republik erklärt. Die Einschränkung auf

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den öffentlichen Bereich war fallengelassen worden. Die entscheidende Frage, ob er nun auch der einzige Ruhetag sei, blieb jedoch weiterhin offen. Dies war nicht durchzusetzen. Der private Bereich wurde nicht angetastet. Das Gesetz vom 13. Fructidor VI (30.8.1798):

Dekadenfeiern

Der zweite Gesetzesentwurf vom 19. Messidor VI (7.7.1798), der sich aus dem Vorschlag vom 24. Vendemiaire VI (15.10.1797) entwickelt hatte, sah als wichtigste Maßnahme erneut Dekadenfeiern mit Verlesung eines eigens zu schaffenden .Bulletin d6cadaire' vor und verlegte Eheschließungen auf den Ddcadi. Diese Regelung erwies sich als der Kernpunkt der Auseinandersetzung (28.-29. Messidor VI/16.-17.7.178, 454f., 473 und 1. Thermidor VI/19.7.1798, 9f.). Praktische Gründe wurden gegen den Heiratsparagraphen ins Feld geführt: 126 Eheschließungen auf einen Tag zu begrenzen, widerspreche der Natur. Das habe nicht einmal der Papst gewagt. Was sollte denn ein Kaufmann machen, der plötzlich auf eine lange Reise gehen müsse, oder ein Soldat, der unvorhergesehen einberufen werde? Sollten sie keine Möglichkeit mehr bekommen, ihre Heiratspläne zu verwirklichen, weil sie nicht bis zum nächsten Ddcadi warten könnten? 127 Der Vorschlag fand aber auch vehemente Verteidiger. 128 Ein Tag in der Dekade für Heiraten könne nur Leute stören, die besonders bedrängt seien: „par des raisons de voyage ou par des ddsirs impftueux". Eine Eheschließung sei aber eine wichtige und ernste Angelegenheit, die vorbereitet und gut überlegt werden müsse. Religiöse Einwände gegen eine zivile Eheschließung seien nicht stichhaltig, da das kanonische Recht bei einer Eheschließung den Vertrag als zivilen Rechtsakt und den kirchlichen Segen als Zusatz unterscheide. Es sei ja niemandem verwehrt, der zivilen Eheschließung religiöse Riten folgen zu lassen. Schließlich reiche auch ein Tag pro Dekade völlig aus: zwischen 9 und 12 Uhr könnten zwölf Eheschließungen vorgenommen werden, wenn man 15 Minuten für eine Feier ansetze. Durch entsprechende Vorbereitung der Formulare lasse sich die Zeit sogar noch verringern. Selbst in Paris kämen so nur elf Heiraten pro Decadi und Arrondissement zustande. Bevor die endgültige Fassung verabschiedet wurde (6. Thermidor VI/ 24.7.1798, 94 ff.), 129 geriet der Heiratsartikel erneut in die Schußlinie. Diesmal allerdings aus prorepublikanischer Sicht. 130 Heiraten am Ddcadi brächten nur die Nationalfeste um ihre Attraktion. Wie schon im Rat der Fünfhundert wurde das Gesetz auch bei den Alten im allgemeinen begrüßt, der Heiratsparagraph rief aber auch hier Widerspruch hervor. 131 Die Beschränkung der Heiraten auf einen Tag pro Dekade und zudem nur in der Kantonshauptstadt müsse zu vielerlei Schwierigkeiten und Härten für die Betroffenen führen. Besonderen Eindruck auf den Rat machte die Argumentation von Rabeau le jeune. 132 In der Beschränkung der Feste auf die Kantonshauptstadt sah er den Gleichheitsgrundsatz der Bürger verletzt, weil ein großer Teil - vor allem der Landbevölkerung - dadurch von den Festen ausgeschlossen werde. Der Decadi als einziger Tag für Eheschließungen sei ein Angriff auf die persönliche Freiheit der Bürger. Diese beiden Vorwürfe gingen an den Nerv des republikanischen Selbst-

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Der Revolutionskalender als politisches Instrument

Verständnisses. Die Befürworter der Resolution verwendeten deshalb viel Mühe darauf, gerade diese Einwände juristisch zu widerlegen, ehe der Rat der Alten dem Gesetz zustimmte (13. Fructidor VI/30.8.1798,172-174). 133 Das Gesetz vom 23. Fructidor VI (9.9.1798): Einhaltung des republikanischen lenders

Ka-

Schon einen Tag nach seiner Ankündigung eines neuen Gesetzentwurfs legte Bonnaire einen Vorschlag vor (4. Thermidor VI/22.7.1798, 75).134 Er begründete ihn mit dem Weiterbestehen des „empire de la routine sur l'esprit du peuple". Das Dekret vom 4. Frimaire II und der Erlaß des Direktoriums vom 14. Germinal VI hätten keine Abhilfe geschaffen. Diesem Skandal sei nun ein Ende zu setzen: „il faut que la republique s'empare de toutes les epoques, de tous les usages de la vie". In dem vorgeschlagenen Gesetz wurden dementsprechend noch einmal alle Bereiche aufgeführt, in denen der neue Kalender angewendet werden müsse, damit der alte nun ganz aus dem öffentlichen und auch privaten Leben verschwinde. Der Gesetzentwurf, dem späteren Gesetz bereits sehr ähnlich, sah vor, daß alle öffentlichen und privaten Akten und Urkunden nur mit republikanischem Datum gültig seien. Gleiches sollte für Druckerzeugnisse aller Art gelten. Doppelte Daten seien zu verbieten, Märkte und Messen auf den republikanischen Kalender umzustellen, ebenso alle weiteren periodischen Gewohnheiten. Eine ausdrückliche Verpflichtung, Gesetze und Werkstätten am Sonntag offenzuhalten, steht aber auch in diesem Gesetz nicht. Der Gesetzentwurf passierte ohne Schwierigkeiten den Rat der Fünfhundert 135 und wurde vom Rat der Alten schließlich gebilligt (23. Fructidor VI/9.9.1798, 244-249). 136 Zum ersten Mal wurde mit diesem Gesetz systematisch versucht, durch Rhythmusumstellung mehr als nur den Feiertag zu ändern. Neu waren auch die Geldstrafen, die das Gesetz nun gegen Kalendervergehen vorsah. Öffentlichen Bediensteten und Notaren wurde sogar im Wiederholungsfalle Amtsenthebung angedroht. Mit politischen Institutionen gegen alte

Verhaltensweisen

In dieser Debatte wurde lange und ausführlich im Plenum diskutiert. Alle Redner hatten - anders als im Jahre III - die Gelegenheit, ihre Thesen auch tatsächlich vorzutragen. Allein die Ausführlichkeit der Debatte spricht für ihre Bedeutung. Gleichzeit deutet die Länge aber auch auf den hinhaltenden Widerstand der Gegner, die sich nur zögernd zu Wort meldeten. Die Abgeordneten, die sich zu den republikanischen Institutionen äußerten, machten sich über die schwierige politische Situation kaum noch Illusionen: Quelle d i f f i r e n c e entre les premieres dpoques de notre E v o l u t i o n et Celles que n o u s avons v u se s u c c i d e r depuis un certain temps. 1 3 7

Sie erkannten allmählich, daß die Probleme langfristiger und struktureller Art waren. Der Widerstand gegen die Revolution war nicht auf momentane Unzufriedenheit zurückzuführen, ihm lag ein tiefgehender Bewußtseinsunterschied zugrunde. Frankreich biete im Innern das Bild zweier verfeindeter Nationen:

Die Debatte über politische Institutionen

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la monarchie ä cöt£ de la Rdpublique; en un mot, l'intervalle de deux sifccles entre les habitants de la meme patrie. 138

Das Harmoniebedürfnis, das noch die Debatte im Jahre III gekennzeichnet hatte, ist einer eher nüchternen Analyse gewichen. Weniger die Einheit als vielmehr die Sicherung und Festigung der Republik stehen nun im Vordergrund. Das Mittel dazu war nicht neu: C'est par ses institutions que la Ripublique doit prospdrer et voir son rfegne affermi sur des bases dternelles. Cette viritd est prouvde par l'expdrience de tous les temps; les institutions d'un peuple forment pour lui une constitution suppl6mentaire, dans laquelle il trouve le plus puissant difenseur de son pacte social. 1 3 '

Der Glaube an die erzieherische Macht der Institutionen ist also völlig unerschüttert. Weiterhin gilt die Parole „former l'homme dans les institutions". 140 Das gemeinsame Band der aufgeklärten politischen Theorie war wohl noch stark genug. Im Jahr VI ist die Diskussion nun aber wesentlich konkreter geworden. Methodisch haben die Kultur- und Erziehungspolitiker dazugelernt. Lange Zeit stand im Mittelpunkt ihres Interesses, mittels Institutionen eine neue Moral herbeizuführen, 141 die alle weiteren Probleme - wie von selbst - lösen werde. Nun konzentrierten sich die Überlegungen mehr auf die Institutionen selbst. Man prüfte, was man mit den einzelnen neuen Einrichtungen erreichen könne, und sprach offen aus, worum es ging - um den Decadi und seine Aufgabe, den Sonntag zu verdrängen: Reprisentants du peuple, le premier pas ä faire dans les institutions ripublicaines itait de changer les jours de repos qui s'observaient sous le r6gime de la tyrannie royale et sacerdotale. Ces jours de repos rappelaient d'ordinaire des fetes religieuses tellement d6naturies par la suite des temps, qu'elles avaient d e g i n i r i en superstitions et en dissolutions. A ces fetes, monuments pour la plupart de l'ignorance et de la cridulit6, il a fallu substituer des institutions ripublicaines, seul moyen d'inspirer au peuple les sentiments qui doivent l'animer pour la conservation de sa libertd. 142

Um dies zu erreichen, waren im Gesetz vom 23. Fructidor VI (9.9.1798) zum ersten Mal auch Strafen festgeschrieben. Doch hielten einige Redner weiterhin daran fest, daß Zwang eigentlich zu vermeiden sei und statt dessen das gleiche Ergebnis auf elegantere Weise über das Vergnügen erreicht werden solle, wie es die alte These der Dekadenfeste vorsah: non par l'impulsion de la contrainte, mais par l'attrait de l'instruction et du plaisir. 143

Da es sich nicht durchsetzen ließ, den Sonntag als den größten Konkurrenten des Decadi schlichtweg zu verbieten, wurden Einzelmaßnahmen erörtert, wie auf indirekte Weise der Sonntag auszuschalten und dem Kalender und dem Decadi Respekt zu verschaffen sei. Nur so sind das Arbeitsverbot am Decadi, die Marktvorschriften und der Heiratsartikel zu verstehen. 144 Die Wirkung der neuen Institutionen wird also nicht mehr nur in ihrer positiven Möglichkeit gesehen, konstitutiv für die Moral des kommenden neuen Menschen zu sein. Vielmehr erscheinen die Institutionen nun von ihrer anderen Seite - als Bollwerk, um den Rückfall ins Ancien Regime zu verhindern. Die Frage lautete nun in erster Linie: Was können sie verhindern? Notwendig seien also, so wurde

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Der Revolutionskalender als politisches Instrument

behauptet, solche republikanischen Institutionen „qui fassent oublier ä jamais les habitudes et les prejuges monarchiques". 145 Das Verhalten der Bevölkerung müsse anders werden. Durch ganz Frankreich halle der Ruf: Donnez-nous d'autres moeurs, ou nous allons retomber dans nos anciennes habitudes. 146

Der Revolutionskalender wurde damit als das Werkzeug entdeckt, das, konsequent angewendet, es erlaube, die aus dem Ancien R6gime überkommenen alten Gewohnheiten auszurotten. Er sei ein Mittel, in die alltäglichen Verhaltensweisen der Bevölkerung einzugreifen: II a fallu ensuite combiner dans toutes les branches de la legislation, tous les moyens d'accorder nos habitudes et nos moeurs, soit avec le nouveau calendrier, que nous regardons avec raison comme point capital, soit avec les autres principes sur lesquels doit 6tre fondde la constitution de notre Rdpublique. 147

Diese Möglichkeit des neuen Kalenders wurde zwar von Anfang an gesehen, doch blieb sie lange Zeit ohne Folgen. War diese Funktion erst einmal deutlich erkannt, eröffneten sich immer neue Bereiche, wo bei der zeitlichen Gestaltung noch eingegriffen werden konnte. Daß die Möglichkeiten, die der Erlaß vom 14. Germinal aufzeigte, nur zum Teil in den Gesetzen aufgegriffen wurden, hatte politische Ursachen. Die Absicht, mit Hilfe politischer Institutionen neue Gewohnheiten zu schaffen und gleichzeitig damit alte abzuschaffen, mußte den Widerstand derer hervorrufen, denen aus politischen oder religiösen Gründen etwas an den alten Gebräuchen lag. Von den religiösen Gegnern waren die konstitutionellen Priester 148 - diejenigen also, die die verschiedenen Eide auf die verschiedenen Verfassungen geleistet hatten - in einem besonderen Zwiespalt. Einerseits widersetzten sie sich als katholische Priester allen Dechristianisierungsbestrebungen, andererseits wollten sie die Republik stützen und beweisen, daß katholische Religion und Republik kein Widerspruch seien. Die konstitutionelle Kirche verfolgte darum die Institutionendebatte mit großer Aufmerksamkeit. 149 Schließlich ging es bei diesen Fragen um ihr Lebensinteresse, wenn nicht gar um ihr Überleben. In außerordentliche Bedrängnis geriet die konstitutionelle Kirche durch den Versuch einiger Republikaner, den Sonntag - als Kulttag - auf den Decadi zu verlegen. Zwar ist dieser Plan schließlich gescheitert, doch die Zeit, in der das Vorhaben in der Schwebe gehalten wurde, hat die konstitutionelle Kirche nicht grundlos beunruhigt. Einige besonders eifrige republikanische Departement- oder Lokalverwaltungen haben die offiziellen Anregungen des Innenministers 150 durchaus aufgegriffen und in ihrem Bereich zu verwirklichen getrachtet. 151 Es muß ihnen teilweise auch gelungen sein. Auch bei bestem republikanischen Willen war es der konstitutionellen Kirche nicht möglich, auf den Sonntag zu verzichten. Der der Schöpfung innewohnende Siebenerrhythmus war theologisch einfach zu fest verankert. 152 Deshalb kam die konstitutionelle Kirche um einen Angriff auf den Revolutionskalender - soweit es um die Dekade ging - nicht herum. Sie versuchte, sich mit einer doppelten Argumentation aus der Affäre zu ziehen. Zum einen wollte sie beweisen, daß der .republikanische Kalender' - wie die Zeitgenossen den Revolutions-

Die Debatte über politische Institutionen

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kalender nannten - gar nichts .Republikanisches' an sich habe.153 Sie ging damit gegen die republikanische Argumentation an, der neue Kalender sei ein der Republik immanentes Prinzip, und hielt dagegen, daß die Einrichtung eines Kalenders von der Staatsform völlig unabhängig sei: Se persuader que le changement de calendrier füt nicessairement ä l'itablissement de la R£publique, serait la chose la plus c o m p l e m e n t ridicule. Comme si, avec le calendrier gr6gorien, on n'eut pas vu fleurir et la ripublique de Hollande, et toutes Celles de la Suisse, et GSnes, et Venise! [...] Ce serait tris abusivement qu'on qualifierait (^institution rdpublicaine le nouveau calendrier. Une institution rdpublicaine est celle qui tient ä la nature et ä l'essence d'un gouvernement libre. Or, le nouveau calendrier n'a rien de commun avec la constitution ιέpublicaine; bon ou mauvais, il peut indiffiremment etre usuel sous le rigime despotique comme sous l'empire de la loi. Serait-il dit institution ripublicaine parce qu'il aurait pris naissance sous la ripublique? Mais alors le code civil, Γ administration forestiire, l'itablissement des barriires, la loi sur le divorce, etc., seraient autant d'institutions r£publicaines; ce qui ne viendra jamais ä l'esprit de personne. 154

Angriffe auf den Sonntag brandmarkte die konstitutionelle Kirche deshalb als Bruch der in der Verfassung garantierten Religionsfreiheit und als Verletzung der Trennung von weltlicher und geistlicher Herrschaft. Zum anderen mußten die Konstitutionellen - um ihre politische Glaubwürdigkeit als Republikaner zu bewahren - darauf achten, daß sie mit der Ablehnung des Decadi nicht gleich auch die übrigen sogenannten republikanischen Institutionen verdammten.155 Es ging darum zu zeigen, daß der katholische Glaube durchaus mit den republikanischen Institutionen vereinbar sei. Als christliche Erzieherinnen, die ihre Schüler zu den Dekadenfeiern führen mußten, in Gewissenskonflikte gerieten, wurden die - offensichtlichen - Dechristianisierungstendenzen für diese Argumentation zu letztlich nicht verwirklichten Bemühungen einiger Radikaler abgeschwächt, die eine neue Religion einführen wollten: II suffit pour cela de se rappeler les discussions qui ont eu lieu au corps 16gislatif pour l'6tablissement de ces fetes. Des hommes ennemis de la religion eussent voulu lui prater une apparence de culte religieux, dans l'espoir d'en imposer au peuple, et de lui faire abandonner peu-ä-peu le culte de ses pfcres. Iis ont fait tout ce qui dtait en eux pour faire rdaliser le phantöme d'une religion civile, imagind par Jean-Jacques Rousseau. Mais leurs efforts ont έΐέ inutiles. La loi n'a dtabli que des fetes purement civiles et politiques, et a rejeti des institutions sociales, toute couleur, toute apparence de culte, tout simulacre de religion. 156

Diese Argumentation war wichtig, aber auch schwierig gegenüber den Anhängern, die im Hinblick auf die Dechristianisierungsbemühungen häufig das Gegenteil am eigenen Leibe erlebten und in den staatlichen Festen den Kultcharakter erfuhren, der ja auch tatsächlich beabsichtigt war.157 Deshalb legten die konstitutionellen Priester so großen Wert darauf, daß das Ziel der Republik nur sei, durch politische und zivile Institutionen die Bindung der Bürger an den Staat zu festigen: Le christianisme ne trouve done rien qui l'offense directement dans l'institution de ces fetes; toute religion m i m e y est tout-ä-fait 6trang4re. 158

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Der Revolutionskalender als politisches Instrument

Erfolg war der konstitutionellen Kirche mit ihrem Balanceakt kaum beschieden. Die Gläubigen verstanden den Annäherungskurs an Republik und Revolution nicht - und blieben größtenteils bei den eidverweigernden Priestern. Die Republikaner akzeptierten die Konstitutionellen nicht als gleichwertig republikanisch, verdächtigten sie vielmehr des .Fanatismus', weil sie eher die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede in bezug auf die katholische Kirche sahen. Der Republik war damit jedoch nicht gedient; sie verlor durch diese Politik ihrer Vertreter vielleicht die letzte Chance, Anhänger an sich zu binden. III. Die,Beherrschung* des Alltags Den Zeitgenossen war das Problem der politischen Institutionen sehr wichtig, sonst hätten sie sich nicht so lange und so intensiv damit beschäftigt. Daß das Thema über Jahre hinweg aktuell blieb, hatte aber noch weitere Gründe. Es war völlig neu in der politischen Diskussion: l'institution des peuples, c'est-ä-dire cette partie de la 16gislation qui forme les moeurs et la morale des nations, est une science toute nouvelle, sur laquelle on n'a presque point 6crit, et qui d'ailleurs re^oit des modifications infinies. 1

Schließlich ging es darum, dem neuen Staat eine moralische Grundlage zu geben, die ohne die traditionelle Stütze der Religion auskommt und zudem noch dem dadurch auf sie von außen zukommenden Druck der nun untereinander konkurrierenden Religionen standhalten muß. 2 Das Ziel, dem Staat ein möglichst vollständiges System politischer Institutionen zu entwerfen, ist jedoch nie wirklich gelungen. Im Laufe der Jahre zeigte sich dabei eine erstaunliche Konstanz in den Grundlagen der Diskussion. Die theoretischen Annahmen, von denen sämtliche Überlegungen ausgingen und die selbst die Gegner - jedenfalls nicht in offener Debatte im Plenum - zu erschüttern versuchten, 3 blieben unverändert. Zwischen den Beiträgen aus der Konstitutante und dem Rat der Alten liegt die Gemeinsamkeit im Glauben an die verändernde Kraft der politischen Institutionen. Alle sonstigen politischen oder sozialen - Veränderungen sind daran spurlos vorübergegangen. Geändert hat sich allerdings im Laufe der Jahre der Ansatz der Institutionenprogramme. Zu dieser Entwicklung führte nicht nur der jedem Thema innewohnende Sachzwang, sich bei genauerer Betrachtung immer weiter auszudehnen. Dahinter stand auch ein Lernprozeß der gesetzgebenden Körperschaften. In den ersten Jahren der Revolution sollten große Entwürfe die gesamte Breite der politischen Institutionen abdecken. Typisch für die theoretische Höhe der Diskussion sind die abstrakten Planspiele Lakanals, der Frankreich mit einem System von Nationalfesten überziehen wollte. Er schlug Feste auf fünf Ebenen vor: 4 Kanton (15 Feste pro Jahr), Distrikt (10), Departement (10), Hauptstadt (5), Kommunen (Anzahl nach freier Wahl). Die Feste sind geordnet nach drei Generalthemen: Natur, Gesellschaft und Revolution. Das System wirkt allerdings nur auf dem Papier. Ein Bürger, der seinen Ort nicht verläßt, kann den Zusammenhang des Festsystems nie erfasen. Praktische Hinweise zur Verwirklichung fehlten in diesem

Die .Beherrschung' des Alltags

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Plan völlig. Es dauerte Jahre, bis auf ähnliche Pläne im Jahr VI, an den Decadis die gesamte Bevölkerung zu Festen in den Kantonhauptstädten zu versammeln, einfache Rechenbeispiele aufgestellt wurden. Das Vorhaben müsse einfach schon deshalb scheitern, weil es überhaupt nicht ausreichend große Versammlungsräume gäbe. Im übrigen sei es allein schon wegen der zurückzulegenden Wegstrecken eine Illusion, mit dem Erscheinen der gesamten Bevölkerung zu rechnen. 5 Beim Revolutionskalender war lange Zeit das Vertrauen in seine Überzeugungskraft, die in der alle Hindernisse überwindenden Rationalität der Reform liegen sollte, so ungebrochen, daß praktische Überlegungen sich nicht eindringlich genug einstellen konnten. Erst spät wurde vom Gesetzgeber der Kampf gegen Kalenderfeinde aufgenommen: Lorsqu'enfin ils [= les ennemis de la Evolution] ont l'audace d'opposer le dimanche au dfcadi pour rendre les institutions ripublicaines illusoires, vous devez arracher cette arme liberticide des mains du royalisme. 6

Eine solche Aufforderung mußte kommen, denn schließlich war im Jahr VI nicht mehr zu übersehen, daß trotz aller Bemühungen und tatsächlichen politischen Erfolge sich die Bürger nicht geändert hatten, zumindest nicht mit der gleichen Geschwindigkeit wie die übrigen Umwälzungen. Mit dem Erlaß vom 14. Germinal VI hatte das Direktorium vorgemacht, worauf es ankam. Es ging darum, dem Revolutionskalender Geltung zu verschaffen, indem alle Lebenssituationen auf kalendergesteuerte Tätigkeiten untersucht und diese auf den Dekadenrhythmus umgestellt werden sollten. Am Beispiel ihrer Gegner konnten die Republikaner nämlich täglich erfahren, wo die Schwierigkeiten lagen, daß die Bevölkerung sich nicht der Republik zuwandte: ceux qui connaissent l'empire de la routine sur l'esprit du peuple, qui savent que son langage, ses habitudes, ses usages, font partie de son existence et ddterminent ses gouts, ses affections, firent jouer tous les ressorts de la plus astucieuse perfidie pour l'dgarer; on iveilla ses scrupules; et il crut servir la religion en montrant une aversion profonde pour le calendrier de la Rdpublique. 7

Der Kampf gegen alte Gewohnheiten, der nun mit den Einzelmaßnahmen der Gesetze begann, sollte das Erscheinungsbild des Alltags ändern. Die Bevölkerung wurde zu einem veränderten Verhalten gedrängt. Dazu mußte die Erinnerung an alte Verhaltensweisen - letztlich also das Gedächtnis - ausgelöscht werden: rien n'£tant si enracin6 que les impressions regues dans l'enfance, fortifides par l'habitude de toute la vie, il fallait les faire oublier ä la g£n£ration pr6sente avant de leur en substituer de nouvelles, et de parvenir ä les faire adopter ä la gdndration suivante par la voie de l'instruction ύοηηέε au premier äge. e

Damit ist das Ziel, das auch schon zu Beginn der Revolution bestand, im Laufe der Zeit immer mehr konkretisiert worden. Wer den Alltag beherrscht, kann auch das Verhalten der Bürger steuern und damit Einfluß auf ihre Gesinnung gewinnen: Observez, mes collügues, avec quelle adresse les ministres du culte catholique, ou, pour mieux dire, ceux de tous les cultes, se sont emparis de 1'homme. 9

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Der Revolutionskalender als politisches Instrument

Über den Revolutionskalender und die übrigen republikanischen Institutionen versuchen die Revolutionäre, mit gleicher Waffe zurückzuschlagen. Die Verfahrensweisen zur Durchsetzung des Kalenders und die dahinterstehenden Absichten sind also keineswegs eine methodisch vollkommene Neuentdeckung. Auch im Ancien Regime haben Staat und Kirche versucht, ihre - damals noch gemeinsamen - Vorstellungen über das Alltagsverhalten der Bevölkerungen durchzusetzen, wie ζ. B. bei der Einhaltung des Gebots der Sonntagsheiligung, bei der Reglementierung des Wirtshausbesuches, der Fastenzeiten, des Karnevals oder der Kleiderordnungen.10 Dieser bewußte Einsatz des Revolutionskalenders als Instrument, um das politische und soziale Bild des Alltags umzugestalten und damit letztlich bewußtseinsmäßige Veränderungen herbeizuführen, ist das spezifisch Neue der Kalenderreform, durch das sie sich von anderen Kalenderreformen abhebt. Durch ihre Einbettung in die Erziehungs- und Institutionendebatte verliert der Revolutionskalender den Charakter einer politischen Laune, den er bei isolierter Betrachtung möglicherweise bekommen kann. Er erweist sich als Teil des kulturellen und mentalen Bewußtseinsumschwungs, der die Zäsurwirkung der Französischen Revolution am deutlichsten belegt.11 In diesem Zusammenhang hilft der neue Kalender, die übliche Fixierung auf das Jahr II und die Jakobinerrepublik zu vermeiden, die - gewiß nicht zu Unrecht die Paradebeispiele für die Ausbereitung einer neuen politischen Kultur abgeben. Die Zeit nach dem 9. Thermidor und besonders das Direktorium verkommen bei einer solchen Betrachtungsweise leicht zu einem bloßen Vorspiel der napoleonischen Herrschaft. Das Beispiel des Revolutionskalenders zeigt dagegen, welch wichtige Rolle gerade auch in dieser Zeit die Fragen des ,neuen Menschen' und der,neuen Moral' gespielt haben.12 Im Hinblick auf den Revolutionskalender sind die üblichen Schnitte, die sonst die Revolution gliedern, unbrauchbar. Trotz aller unterschiedlichen Intensität, mit der die Umsetzung der Kalenderreform betrieben wurde, haben soziale, politische und auch ökonomische Veränderungen die ideologische Grundeinstellung zum Revolutionskalender nicht beeinflußt. Die Entwicklung auf der politischen und wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Ebene läuft in diesem Falle offensichtlich mit den Änderungen der Mentalitätsverfassung nicht synchron. Für den Revolutionskalender bestätigt sich damit auch, was für die Revolutionsfeste längst festgestellt ist: Wenn die Revolution ein Block ist, dann aufgrund ihres Kalenders.13

D. Die Durchsetzung des Revolutionskalenders in Marseille und drei provenzalischen Dörfern I. Einleitung Die tatsächliche Anwendung des Revolutionskalenders ist bislang kaum untersucht worden. Dennoch - oder vielleicht gerade deshalb - fehlt es nicht an pauschalierenden Urteilen wie dem, daß der neue Kalender eine Sache der Bürokraten geblieben sei.1 Ältere Arbeiten fragen zwar auch schon, welcher Erfolg der Reform letztlich beschieden war. Dazu montieren sie eine reiche Auswahl von Einzelinformationen und Archivfunde unterschiedlichster zeitlicher und räumlicher Herkunft mit einem ausgeprägten Sinn für spektakuläre Einzelheiten zu einem Stimmungsbild: wegen Verstöße gegen die Kalendergesetze seien zahlreiche Bürger verhaftet worden; Truppen hätten gar das Feuer auf Bauern eröffnet, die am Decadi ihr Feld bestellten; aufgrund abfälliger Äußerungen über den neuen Kalender habe man gar Priester deportiert.2 Da aber in der Regel der lokalgeschichtliche Kontext für diese Einzelinformation fehlt, bleibt offen, welche Beweiskraft der einzelne Beleg für die Durchsetzung und die soziale Breitenwirkung der Kalenderpolitik besitzt. Verstreute Hinweise zum Thema bergen auch neuere Detailstudien über einzelne Departements. 3 Da die Anlage dieser Arbeiten jedoch von den Archivbeständen der Zentralverwaltungen der Departements gesteuert wird, erscheint der Kalender ausschließlich aus der Sicht dieser Verwaltungsbehörde. Die wichtigste Quelle dafür bilden die Dekadenberichte (comptes decadaires). Diese Berichte über den allgemeinen Zustand eines Departements mußte der Regierungskommissar eines Departements jede Dekade dem Innenminister vorlegen. Für eine Kalenderuntersuchung könnten diese Berichte wichtig sein, weil der Regierungskommissar nach dem Umsturz vom 18. Fructidor V(4.9.1797) besonders auf die Einhaltung des neuen Kalenders achten und dafür eigens eine Rubrik in seinem Bericht schaffen mußte.4 Die Informationen, die in den Dekadenbericht eines Departements einflossen, stammten allerdings bereits aus Berichten der einzelnen Lokalverwaltungen des Departements. Für Erkenntnisse über die Kalenderrezeption sind die Dekadenberichte deshalb nahezu unbrauchbar. Denn schon die lokalen Berichte vermitteln pauschale Ansichten, deren konkreter Hintergrund nicht mehr zu rekonstruieren ist. Statt dessen sagen diese Berichte um so mehr aus über die Arbeitsweise, das politische Verhalten und die Interessen der Verwaltungsbeamten - Probleme, die in einer Arbeit über den Revolutionskalender jedoch nicht im Vordergrund stehen.5 Die Dekadenberichte des Departements Cher, das wegen seiner herausragenden Rolle während der Dechristianisierungsphase für eine Untersuchung des Revolutionskalenders interessant sein könnte, zeigen die Unzulänglichkeit dieser Quelle für diesen Zweck besonders deutlich.6 Die ersten Berichte stellen die spürbaren

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

Verbesserungen des .esprit public' seit dem 18. Fructidor heraus. Einige Schwierigkeiten bereiteten die Priester; die Gesetze über die Religionsausübung würden jedoch eingehalten. Doch hinsichtlich des Kalenders klagte Heurtault-Lamerville, der bis zu seiner Wahl in den Rat der Fünfhundert das Amt des Regierungskommissars im Cher ausübte: N o u s avons peine ä ressusciter le ddcadi et le calendrier r6publicain, sans doute les pretres s'y opposent en secret. (20. N i v o s e VI/ 9.1.1798)

Doch allmählich änderte sich der Zustand. Es schien, als nähere sich der .esprit public' mehr und mehr dem „point de perfection oü il est ä desirer qu'il atteigne" (18. Germinal VI/7.4.1798). Einen Monat später schien diese Situation - fast schon erreicht: il est impossible qu'aucun ddpartement jouisse de plus de tranquilitd que celui du Cher, les lois s'y ex6cutent maintenant sans difficult6; les citoyens se rapprochent chaque jour. (15. F l o x a l VI/4.5.1798)

Der Theophilantropenkult - so fügte der Kommissar hinzu - werde geordnet und mit der angemessenen Würde durchgeführt: „le peuple y vient en foule et parait y prendre goüt"; die Nationalfeste entwickelten sich zu Anziehungspunkten; der Erlaß vom 14. Germinal finde keine Hindernisse; die Verwaltung bemühe sich, den Kalender zu reaktivieren, und hoffe auch, die Kulte bald auf den Decadi verlegt zu haben. „Tout est satisfaisant en ce moment", stellte der Kommissar in seinem letzten Bericht fest. Sein Nachfolger, Malfuson, hatte offenbar nicht sofort den gleichen, positiven Eindruck: Le tempdrament des habitants du Cher ressent beaucoup du climat qu'ils habitent, il est moddrt et apathique. (Messidor VI/ Juni- Juli 1798)

Er beklagte, daß die Leute unter dem üblen Einfluß der Priester an der alten Religion und dem alten Kalender hingen. Dennoch werde der Decadi in zahlreichen Gemeinden eingehalten, und die Märkte und Messen seien auf den neuen Kalender umgestellt, auch wenn es dazu anfangs der Gewalt bedurft habe. Die Gesetze würden aber befolgt, das Volk vermeide Widerstand: On chöme la ddcade, mais chöme en meme temps les fetes et les dimanches catholiques. (5. Fructidor V I / 2 2 . 8 . 1 7 9 8 )

Dann schien sich die Lage allmählich zu verbessern. Die Gesetze vom 17. Thermidor VI(4.8.1798) und 13. Fructidor VI(30.8.1798) würden ohne Behinderung angewandt, der Decadi eingehalten (9. Vendemiaire VII/30.9.1798). Die Lage war offensichtlich gut oder zumindest zufriedenstellend und schien sich positiv zu entwickeln. Doch am 4. Floreal VII (23.4.1799) mußte der Kommissar seinem Minister mitteilen: Je n'ai eu jusqu'ici que des rapports satisfaisants ä vous communiquer. II m'est pinible d'avoir aujourd'hui un tableau different ä vous prisenter. Le mal existe, je ne peux diff£rer plus longtemps de vous mettre devant les yeux ses causes afin que vous cherchiez dans votre sagesse les moyens d'en arräter les progrfes. La loi du 17 thermidor n'est plus

Einleitung

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qu'une loi imaginaire dans ce d6partement.[...] eile n'est meme pas observ6e dans la commune du chef-lieu. Tant que j'ai pu conserver l'espoir, j'ai recommandd aux commissaires des cantons de tenir sdvirement la main k l'exdcution de la loi, de citer devant les tribunaux de police les d61iquants. J'ai plus fait, j'ai recommandi aux gendarmes et aux gardes champetres de faire des tourn6es dans leurs arrondissements les jours de ddcadis et fites nationales, tout a 6t6 inutile, la loi n'a pas 6\έ ex6cut6e [...]. J'ai eu le plaisir de voir la loi ex6cut6e, j'ai le chagrin de vous annoncer que chaque jour eile est transgressde. C'est un torrent qui m'entrame malgr£ mes efforts, et des suites duquel je ne peux plus Stre responsable.

Danach folgten natürlich nur noch pessimistische Berichte, die Schwierigkeiten auf der ganzen Linie mitteilten. Nur am 2. Ventöse VIII (21.2.1800) fand Malfuson gegenüber dem Innenminister noch einmal zu seinem früheren Optimismus zurück: Partout l'esprit public est excellent. Tous les partis ä l'exeption des Royalistes se sont r6unis autour de la Constitution. [...] il serait difficile [...] de vous peindre l'enthousiasme et l'attendrissement avec lesquels nous r6p6tons ces paroles: Embrassons-nous, faisons la paix.

Alle Gesetze würden befolgt, selbst das vom 17. Thermidor VI kenne keine offenen Übertretungen, und die Rückkehr der Priester habe keinen großen Widerhall im Volk gefunden. Hinter dieser besseren Beurteilung seit dem Geständnis vor knapp einem Jahr steht Malfusons Sorge um eine schlechte Beurteilung durch seine Vorgesetzten bei der anstehenden Verwaltungsreform. Obwohl er seit 1792 - wie er betonte - ununterbrochen vom Volk zu administrativen Aufgaben berufen worden sei, fürchtete er, nicht Präfekt werden zu können, da die Royalisten schon Abgesandte nach Paris geschickt hätten, um Einfluß auf die Neubesetzung von Posten zu nehmen. Diese ehrlichen, aber eher zufälligen Bemerkungen eines Kommissars lassen die Grenzen erkennen, die der Analyse der Dekadenberichte für eine Kalenderuntersuchung gesetzt sind. Neue Erkenntnisse sind deshalb also nur dann zu erwarten, wenn dreierlei berücksichtigt wird. Erstens muß das eklektische Sammeln von Belegstellen, das letztlich .sozial' wenig beweist, durch eine konsequente Lokalstudie ersetzt werden. Zweitens darf man die Kalenderreform nicht mehr ausschließlich aus der Perspektive der Verwaltung sehen. Statt dessen muß versucht werden, über neu zu erschließende Quellen direkt bis auf die Ebene des einzelnen Kalenderbenutzers heranzukommen. Schließlich wäre drittens - was bislang überhaupt noch nicht geschehen ist - inhaltlich zu bestimmen, was unter Anwendung des Revolutionskalenders zu verstehen ist. 7 Dazu werden die Begriffe Kalenderzeit, Terminsystem, Rhythmus und Periodizität vorgeschlagen, die helfen sollen, das Problem zu operationalisieren. Diese Forderungen werden im folgenden in umgekehrter Reihenfolge weiter erläutert.

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1. Begriffbestimmungen: Kalenderzeit, Terminsystem, Rhythmus, Periodizität .Kalenderzeit' ist ein mittelfristiges zeitliches Strukturierungsmittel, angesiedelt zwischen Tag und Jahr, den beiden eindeutig kosmisch ableitbaren zeitlichen Bezugsgrößen. Empirische soziologische oder historische Arbeiten speziell zur Kalenderzeit fehlen allerdings, obwohl gerade die Kalenderzeit gemeinsam mit der Uhrzeit zu den herausragendsten Charakteristika der modernen westlichen Zeiterfahrung gehört, wie sie sich seit dem Aufkommen der mittelalterlichen Stadt erst langsam und dann verstärkt mit der Industrialisierung herausgebildet hat.8 Von diesen Lücken abgesehen, ist die Literatur zu Zeitproblemen allgemeiner Art nicht mehr zu überschauen. Auch wenn einige Zeitprobleme sicherlich nur phänomenologisch - und nicht empirisch - zu behandeln und zu lösen sind,9 kümmert sich die Forschung keineswegs nur um theoretische Fragen. Es gibt durchaus - vor allem soziologische und ethnologische - Arbeiten zum Umgang mit und zur Rezeption von Zeit.10 Dort erscheint ,Zeit' als „strukturierendes Vorstellungssystem" und wird vorwiegend als „ein soziales Phänomen"11 behandelt. Besonders vielfältig ist diese Problematik für sogenannte primitive Gesellschaften belegt,12 weil deren geringere Komplexität die soziale Funktion von Zeit eindeutiger hervortreten läßt als moderne Industriegesellschaften. Doch läßt sich diese These gleichermaßen für moderne Gesellschaften nachweisen. Auch hier werden Zeitvorstellungen und -einteilungen von Individuen oder Gruppen jeweils durch völlig unterschiedliche Ereignisse politischer, kultureller, familiärer oder beruflicher Art geprägt, so daß „für jeden sozialen Bereich: Staat, Kommune, Berufsfeld, Familie, Bekanntenkreis usw. Zeiteinteilungen existieren und in unserem Bewußtsein koexistieren".13 Über diese Betonung der Heterogenität individueller Zeitvorstellungen geraten Uhr- und Kalenderzeit aus dem Blickfeld. Der Grund für die seltsame Scheu von Soziologen und Ethnologen vor der Uhrund Kalenderzeit ist darin zu suchen, daß ihre Arbeiten weitgehend von letztlich Bergsonschen Kategorien beherrscht sind.14 Entsprechend der grundlegenden Antinomie von Materie und Bewußtsein unterscheidet Bergson zwei Zeitformen. Die Zeit der Außenwelt ist - wegen ihrer Homogenität - meßbar und beliebig unendlich teilbar. Dieser quantitative Aspekt rückt sie in die Nähe eines naturwissenschaftlichen Zeitbegriffes.15 Die Zeit des inneren Erlebens - weil heterogen - kann nicht gemessen, sondern nur gefühlt werden; sie ist reine Qualität und bezieht sich auf ein individuelles Bewußtsein.16 Wenn sich Soziologen und Ethnologen bei ihren Untersuchungen gerade an Bergsons Zeit des inneren Erlebens anlehnen, um soziale Zeitvorstellungen zu beschreiben, und sich damit in einen Widerspruch begeben, mag dies daran liegen, daß das Merkmal .heterogen' dieser subjektiven Zeit scheinbar in besonderer Weise auf Phänomene der sozialen Zeit zutrifft. Diese ist „mit vielen Elementen der Kultur verschmolzen und tritt daher in zahlreichen Gestalten auf, die keineswegs stets die Merkmale .homogen' und .unendlich teilbar' usw. aufweisen",17 die die Zeit der Außenwelt charakterisieren. So finden sich Sozialwissenschaftler dazu verleitet, „Uhr- und Kalenderzeit, ja

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schon jeden Anklang an physikalische oder astronomische Zeit aus der Kategorie .soziale Zeit' auszuschließen."18 Dabei übersehen sie, daß gerade der Abstraktionsgrad der Uhr- oder Kalenderzeit von einem bestimmten Zeitpunkt an einfach notwendig war, um die verschiedenen individuellen Zeitbestimmungen aus dem persönlichen, beruflichen, gesellschaftlichen Leben eines einzelnen oder einer Gruppe zu synchronisieren und zu koordinieren und die „Übersetzung einer Zeiteinteilung in eine andere"19 zu ermöglichen. Darin gerade liegt eine ihrer Bedeutungen für die immer komplexer werdende moderne Gesellschaft, die ohne sie nicht auskommen kann. Die Kalenderzeit als mittelfristiges zeitliches Strukturierungsmittel zwischen Tag und Jahr wird im gregorianischen Kalender von Woche und Monat konstituiert. Bei der Kalenderreform ging es - von den Dezimalstunden abgesehen - gerade um die Umstellung dieser Einheiten. So entstanden die Dekade und gleichlange Monate; hinzukamen ein anderer Jahresanfang und neue Tages- und Monatsnamen. Revolutionär waren von diesen Änderungen nun nicht in erster Linie die neuen Tages- und Monatsnamen. Denn vom einzelnen Bürger war mehr gefordert als nur neue Etikettierung, der er - wie beim Wechsel von .Monsieur' zu .Citoyen' äußerlich folgen konnte, während er innerlich weiterhin eine andere Überzeugung beibehielt. Die umwälzende Änderung war die Dekade, die neue Verhaltensweisen erzwang. Faßbar ist dies bei Umstellungen von Tätigkeiten, die an bestimmte Termine innerhalb von Woche und/oder Monat geknüpft waren. Handelt es sich dabei nicht um einen isolierten Termin, sondern um Komplexe von zusammenhängenden Terminen - wie beispielsweise beim Arbeitsablauf der städtischen Verwaltungen oder beim Festtagskalender einer Stadt - , wird im folgenden von .Terminsystem' gesprochen.20 Von einer erfolgreichen Anwendungen des Revolutionskalenders und damit der Änderung eines Terminsystems kann erst die Rede sein, wenn derartige Termine auf die neuen Einheiten (Dekade oder Monat) bezogen wurden und darin einen festen Platz erhielten. Diese Umstellung läßt sich erfassen durch die Beobachtung des Wechsels von Rhythmus und Periodizität der jeweiligen Tätigkeit. Unter .Rhythmus' wird hier die regelmäßige Abfolge von Einschnitten verstanden. Die Frage, die vor allem zum Rhythmus gestellt werden muß, lautet: Wo lag der Ruhetag? Oder anders herum: Wurde tatsächlich neun Tage hintereinander gearbeitet? Diese Fragen zielen auf die Einhaltung des neuen Feiertags, auf die Konkurrenz zwischen Sonntag und Ddcadi. Für sich genommen ist die Einhaltung des D6cadi allein noch nicht das entscheidende Kriterium für die erfolgreiche Rezeption des Revolutionskalenders. Trotz eines regelmäßig eingehaltenen D6cadi könnte der Sonntag ebenfalls - wie zufällig -weiterhin ein arbeitsfreier Tag bleiben. Ist es doch eine durchaus menschlich verständliche Erfahrung, daß zusätzliche Feiertage leichter einzuführen als abzuschaffen sind. Von wirklicher Umstellung auf den Kalender kann erst die Rede sein, wenn auch weitere, regelmäßig in der Woche anfallende Termine auf die Dekade umgestellt sind. Dieser Vorgang wird im folgenden als Wechsel der Periodizität erfaßt. .Periodizität' soll dabei die Binnengliederung eines gegebenen Rhyth-

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mus bezeichnen. 21 Erst die Übernahme früherer, in der Woche periodisch angefallener Tätigkeiten in den Dekadenrhythmus beweist die tatsächliche Ausgestaltung der Dekade und ihre konsequente Anwendung. Zu denken wäre an die Umstellung eines Wochenmarkts. Statt beispielsweise zweier regelmäßiger Markttage pro Woche führt man zwei fixe Termine pro Dekade ein; dazu bedurfte es größerer Anstrengungen als zur Einhaltung des Decadi. Die Möglichkeit, in zwei Systemen zu leben, die noch gegeben war, als nur die beiden Ruhetage berührt waren, wurde dadurch noch weiter eingeschränkt. 2. Auswahl der Quellen Fragen nach dem Wechsel von Rhythmus und Periodizität durch den Revolutionskalender lassen sich nur beantworten, wenn andere Quellen vorliegen als die in der Forschung bislang benutzten Berichte aus Bürokratenfeder. Auch Zeitungsberichte oder narrative Quellen, die über den Kalender berichten, also bereits die Frage nach seiner Anwendung zu beantworten suchen, helfen da nicht weiter. Sie sagen mehr über die Perzeption des Revolutionskalenders durch den jeweiligen Schreiber aus als über seine tatsächliche Rezeption. Statt dessen kommt es darauf an, so weit zu traditionellen Terminsystemen vorzustoßen, daß deutlich wird, wie sich die Eingriffe des neuen Kalenders ausgewirkt haben. Es geht also darum, Alltagssituationen und -handlungen aufzuspüren, die an den Kalender gebunden sind. Sie sollten möglichst keine Einzeltermine (bezogen auf Jahr, Monat, Woche), sondern mehr oder weniger regelmäßige, möglichst auf die Woche bezogene Handlungen darstellen, damit Aussagen über Rhythmus und vor allem Periodizitäten gemacht werden können. 22 Da die Kalenderzeit gegenüber der Uhrzeit, die den Tag strukturiert, bereits eine wesentlich abstraktere Zeiteinteilung darstellt, ist die Quellensuche schwierig. Sie wird von der Frage geleitet, wo überhaupt das Bedürfnis nach Synchronisation und/oder Koordination von Terminen in mittelfristiger Sicht, also nach Kalenderzeit, bestanden hat. Da es sich beim Revolutionskalender um eine kurzfristig eingeleitete Reform handelt, die zudem noch in kürzester Zeit, eigentlich von einem Tag zum anderen, tiefgreifende Änderungen in vorhandenen Terminsystemen und der gesamten nationalen Zeitordnung hervorbringen sollte, kann sich die Untersuchung nur sehr bedingt auf Einzelbelege stützen. Sie bedarf einer wesentlich massiveren QuellenÜberlieferung, um zu einer akzeptablen Beweisführung zu gelangen. Zu suchen sind also Quellen massiver Art, die zumindest ansatzweise eine Reihenbildung und quantifizierende Auswertung zulassen. Sie sollten möglichst Aufschluß über eine Tätigkeit geben, die regelmäßig oder täglich verrichtet wurde und über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet werden kann, so daß begründete Aussagen über Periodizität und Rhythmus möglich werden. Nur so dürfte es möglich sein, kurzfristige Veränderungen des Alltags sichtbar zu machen. Wo der historische Längsschnitt Probleme mit der Quellendichte durch die Reihung zeitlich gestreuter Belege teilweise ausgleichen kann, muß eine Untersuchung, die nur einen kurzen Zeitraum umfaßt, rigorosere Anforderungen an ihre Quellen stellen, wenn sie nicht

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unkontrollierter Spekulation verfallen will. Damit verzichtet sie allerdings auch auf die bunten, mit lokalem Kolorit versehenen Quellen, die ältere Untersuchungen bevorzugt haben. Allerdings darf sich die Untersuchung nicht in der Beobachtung kurzfristiger Wandlungen von Terminsystemen erschöpfen. Um Erfolg oder Mißerfolg des Revolutionskalenders zu konstatieren, müßten diese auf die Kalenderzeit bezogenen Terminsysteme in ihrer jeweiligen besonderen langfristigen Ausprägung bekannt sein. Solche Informationen gibt es jedoch bisher nicht. Jede Beschäftigung mit der Kalenderrezeption, gleich in welcher Region oder Stadt, stößt somit nicht nur in Neuland vor, sondern muß auch ohne diese wichtigen Vorarbeiten auskommen. Sie können hier nur teilweise durch Ausblicke ins 19. und Rückblicke ins 18. Jahrhundert ersetzt werden. Auf diese Weise soll zumindest ausgeschlossen werden, daß Veränderungen nicht fälschlicherweise dem Revolutionskalender zugeschrieben werden, die auf einen bereits bestehenden Wandel eines Terminsystems zurückzuführen sind. 3. Argumente für eine lokalgeschichtliche Untersuchung Eine lokalgeschichtliche Eingrenzung ist allein schon wegen des Anspruchs der Kalenderreform erforderlich, als Instrument zur Steuerung des Alltagslebens der Bevölkerung zu dienen. Die bestehende, langfristig gewachsene Zeitordnung, die er verändern sollte, war auf nationaler Ebene mit den Koordinaten des gregorianischen Kalenders nur als sehr weitgesteckter Rahmen gegeben. Um zu prüfen, ob der Anspruch des Revolutionskalenders verwirklicht wurde, müssen Informationen über seine konkrete Umsetzung jeweils auf bestimmte lokale Terminsysteme bezogen werden. Die interessanteste Einzelinformation bleibt ohne Einbettung in eine Lokalstudie Anekdote. Deshalb müssen auch die Lücken, die wohl oder übel durch eine lokale Beschränkung entstehen, in Kauf genommen werden und können nicht durch Beispiele aus anderen Gegenden beliebig gefüllt werden. Da keine vergleichbaren Untersuchungen zur Kalenderrezeption vorliegen, steht ganz Frankreich zur Wahl. Es könnte nun naheliegen, mit Paris zu beginnen. Doch als unbestreitbares Zentrum der Revolution ist Paris mit seiner besonders hochgradig politisierten Bevölkerung wiederum auch untypisch für den Landesdurchschnitt. Gerade ein Erfolg des Kalenders in Paris hätte wenig Aussagekraft, müßte an einem weiteren Beispiel kontrolliert werden. Die Größe von Paris (700 000 Einwohner) und die Vielfältigkeit der Stadt würden es weiterhin nicht erlauben, sie in ihrer Gesamtheit zu untersuchen. Nicht ohne Grund beschränken sich die neuesten Untersuchungen zur Pariser Revolutionsgeschichte auf einzelne Stadtteile. 23 Eine Großstadt sollte es aber schon deshalb sein, weil der Revolutionskalender als Produkt einer Elitekultur zugleich auch ein urbanes Phänomen war. Marseille als drittgrößte Stadt im 18. Jahrhundert, mit nur einem Siebtel der Bevölkerung von Paris, doch immerhin noch mit rund 100 000 Einwohnern, ist daher gut geeignet. Gerade für die Quellensuche ist diese Größe wichtig. Denn der Quellenreichtum der städtischen Archive dürfte sich der Grenze nähern, die überhaupt für eine

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französische Provinzstadt zu erwarten ist. Was in Marseille nicht machbar ist, dürfte auch anderswo kaum durchzuführen sein. Ein weiterer Vorteil für die Auswahl von Marseille ist die geographische Lage im äußersten Süden. Die Entfernung von Paris verringerte den direkten Einfluß der Metropole. Was in Marseille durchgeführt wurde und sich durchsetzte, war bereits von der räumlichen und zeitlichen Distanz gedämpft und konnte nicht auf einer bloßen modischen Nachahmung der Metropole beruhen. Auch das eigenständige politische Verhalten der Stadt, das nicht immer mit dem in Paris parallel lief, läßt diesen Verdacht nicht aufkommen. Marseille hat die Revolution von Anfang an mit Begeisterung unterstützt. Der Zug der Marseiller Freiwilligen nach Paris und ihr Anteil an der Erstürmung der Tuilerien waren den Zeitgenossen ebenso bekannt wie der Nachwelt das Lied, das sie dabei begleitet hat. Der Aufstand der Regionen gegen die Pariser Zentralregierung im Frühsommer 1793 - nicht gegen die Revolution überhaupt - wurde in Marseille wie woanders auch von den eher bürgerlichen Sektionen getragen. Nach der Rückeroberung der Stadt durch die Truppen des Konvents im August 1793 gewannen die Jakobiner der Stadt mit Hilfe der vom Konvent eigens entsandten Volksvertreter (Reprdsentants en mission) zunächst ihren alten Einfluß zurück. Die thermidorianische Reaktion erlebte Marseille sodann in besonders blutiger Form. Die instabile Situation des Direktoriums sorgte für wechselnde politische Administrationen. Die Aufnahmebereitschaft für den Revolutionskalender kann also in verschiedenen politischen Konstellationen verfolgt werden.24 Als Kontrast zur Großstadt Marseille werden drei Dörfer der Provence untersucht. Dörfer - gleich welcher Art - sind für die Frage der Kalenderrezeption überhaupt wichtig, weil der landwirtschaftliche Kalender der Arbeiten und Feste auch noch im 18. Jahrhundert weitgehend vom Wechsel der Jahreszeiten bestimmt war. Die für die Provence typischen - im Vergleich zu anderen französischen Regionen - großen und teils verstädterten Dörfer erleichtern mit ihren entsprechend reichhaltigen Archiven die Untersuchung. Für die Entfernung zu Paris gilt auch hier das gleiche Argument wie für Marseille. Es muß sich herausstellen, wie sich der tiefgreifende Anspruch des Kalenders bis zu zehn Tagesreisen von der Hauptstadt entfernt und in einem kulturell völlig anderen Umfeld, man denke nur an die provenzalische Sprache, durchsetzen ließ. 4. Fragestellungen Ein schlichtes Durchsuchen der Quellen nach Stellen, die vom Kalender handeln, hat nicht weit geführt, wie die bisherige Forschung zeigt. Neue Einsichten zur Frage nach der Anwendung des Revolutionskalenders sind nur zu gewinnen, wenn die Fragestellung schärfer gefaßt und auf die Anforderungen, die an die Quellen zu stellen sind, abgestimmt wird. Die grundlegende Frage, die über Erfolg oder Scheitern der Kalenderrezeption Aufschluß geben kann, wäre dann: Wo kam es durch die Einführung des Revolutionskalenders zu veränderten - beschreibbaren - Handlungen? 25

In Behörden der Stadt Marseille Diese Frage ist theoretisch keineswegs besonders anspruchsvoll. Sie erfaßt jedoch den Revolutionskalender sowohl als Datierungsgewohnheit als auch als Mittel zur Umstellung eines Rhythmus oder einer periodischen Tätigkeit. Es wird sich jedoch auch heraustellen, daß sie wegen der Quellenlage keinesfalls immer problemlos zu beantworten ist. Je nach Möglichkeit des vorhandenen Materials muß sie präzisiert oder erweitert werden: - Welche Lebensbereiche wurden erfaßt? Zu achten ist hierbei besonders darauf, ob nur Bereiche betroffen sind, die schon vorher zeitlich strukturiert waren und nun auf den Dezimalrhythmus umgestellt wurden, oder ob der neue Kalender erst der Anstoß gewesen ist, einen Bereich mit zeitlicher Ordnung zum ersten Mal zu durchdringen. Für die Beurteilung der Kalenderreform insgesamt könnten sich aus dieser Frage neue Aspekte ergeben, vor allem wenn auch berücksichtigt wird, was nach der Abschaffung des Revolutionskalenders an zeitlicher Ordnung sich erhalten hat, wo vorher eben noch kein ausgeprägtes Terminsystem zu sehen war. - Wieviel Eigeninitiative erforderte die Umstellung in einem bestimmten Bereich? Geschah sie weitgehend freiwillig oder halfen behördliche Maßnahmen nach? - Gab es schichtenspezifische Haltungen zum Kalender? Diese Frage mag die Möglichkeiten der Quellen überschätzen. Sie muß aber im Blick behalten werden, weil schon in der Anlage der Reform die Diskrepanz zwischen Elite- und Volkskultur offenkundig wird und es daher um so dringender erscheint, diesem Problem bei der tatsächlichen Umsetzung nachzugehen. Wegen der spezifischen Quellenprobleme wird sich die Systematik der Untersuchung allerdings an den Quellen ausrichten. Die Fragen werden also nicht einzeln abgehandelt, sondern implizit in den verschiedenen Kapiteln beantwortet. Neben dem reinen Informationszuwachs zielen die Fragen aber auch schon auf die besonderen Rezeptionsbedingungen für den neuen Kalender: Gab es Faktoren, die den Widerstand gegen den Kalender oder eher dessen Erfolg begünstigt haben? Um das letztliche Scheitern des Kalenders zu beurteilen, sind Antworten auf diese Fragen unerläßlich.

II. Anwendung des Revolutionskalenders in Behörden der Stadt Marseille Für die Frage nach der praktischen Anwendung des Revolutionskalenders ist der Bereich der öffentlichen Einrichtungen besonders wichtig, denn hier wurde der neue Kalender von den ersten Kalenderdekreten an verbindlich eingeführt. Schon in den esten Tagen nach der Verabschiedung des Kalendergesetzes folgten weitere Dekrete mit Ausführungsbestimmungen für Verwaltung und Justiz, während für die Benutzung des Kalenders im Alltag des einzelnen Bürgers auf die überzeugen-

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de Rationalität der Reform gesetzt wurde. 1 Gerade die Pionierrolle, die den öffentlichen Institutionen für die Verbreitung des neuen Kalenders zugedacht war, ist eine besondere Herausforderung, ihn dort zu untersuchen. Denn ein Scheitern des Kalenders im öffentlichen Bereich hätte den Erfolg der gesamten Reform sofort in Frage gestellt. An drei Beispielen ermöglichen die Quellen eine eingehendere Untersuchung. Die Einstellung der lokalen Verwaltungen zur Kalenderreform wird an den Erlassen erkennbar, die sie als Auführungsbestimmungen zu den nationalen Kalendergesetzen in ihrem Verfügungsbereich herausgegeben haben. Die lokalen Erlasse entsprechen als Quellen nicht den aufgestellten Idealanforderungen. Für die Untersuchung sind sie dennoch wichtig, weil sie Informationen darüber enthalten, wie diejenigen den Revolutionskalender behandelten, in deren Händen die Durchführung und damit auch teilweise der Erfolg der Reform lag. Die Häufigkeit der Erlasse, ihr jeweiliger Zeitpunkt, Inhalt und Umfang der Anordnungen sind außerdem Indizien für die konkreten Schwierigkeiten, die die Verwaltungen mit der Durchführung der Kalenderreform vor Ort hatten, und den Willen, diesen zu begegnen. Nur in diesem Sinn werden sie hier untersucht. Natürlich machen die Erlasse auch inhaltliche Aussagen über die Haltung der Bevölkerung zur Kalenderreform. Wegen der besonderen Fragwürdigkeit dieser Informationen bleiben sie hier unberücksichtigt. Die Abfolge der von den örtlichen Behörden herausgegebenen Ausführungsbestimmungen vermag zudem die Geschichte des Revolutionskalenders im öffentlichen Leben der Stadt für einen ersten Überblick zu strukturieren. Damit rückt die Lokalgeschichte und ihr Einfluß auf die besonderen Rezeptionsbedingungen für den neuen Kalender in Marseille ins Blickfeld. Die Sitzungsprotokolle der Repräsentativkörperschaften von Stadt, Distrikt und Departement sind dagegen eine Quelle, die über die Rezeption des Revolutionskalenders in diesen Gremien direkt Aufschluß geben kann. An den Daten der Sitzungstage läßt sich nicht nur ablesen, welchem Rhythmus die Sitzungen folgten, ob also der Sonntag oder der Decadi als Ruhetag eingehalten wurde, sondern es läßt sich auch feststellen, ob die Verteilung der Sitzungen innerhalb von Woche bzw. Dekade einer bestimmten Periodizität folgte. Die lokalen Verwaltungen wurden von Gremien kontrolliert und geleitet, die ebenfalls aus allgemeinen Wahlen hervorgegangen waren. Sie traten zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben als Kollegium zu Sitzungen zusammen und führten darüber Protokoll. Diese Daten lassen sich in der gleichen Weise auswerten. Die Protokolle kommen also dem Ideal einer Quelle für diese Untersuchung nahe. Sie haben zudem den Vorteil, daß sie für die gesamte Revolutionszeit vorhanden sind und überdies mit den entsprechenden Einrichtungen aus der vor- und nachrevolutionären Zeit verglichen werden können. Die tägliche Arbeit der Verwaltung selbst ist dagegen schwieriger in den Griff zu bekommen. Vor allem gelingt es bis auf wenige Ausnahmen nicht, tatsächlich periodisch durchgeführte Tätigkeiten ausfindig zu machen. Die Forderungen nach periodisch geordnetem Handeln der Verwaltung häufen sich dagegen auffallend in den Büroordnungen der Zeit. Zumindest die Rhythmusumstellung der Verwaltungsarbeit durch den Revolutionskalender läßt sich anhand des Kassenbuchs der

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Stadtverwaltung nachweisen, indem geprüft wird, ob an Sonntagen bzw. Decadis Ein- oder Auszahlungen stattgefunden haben. Soweit sich Feste quellenmäßig erfasen lassen, handelt es sich um öffentliche Veranstaltungen, die unter maßgeblicher Beteiligung von Staat, Kirche oder Korporationen begangen wurden. Die Energie, mit der die Revolutionäre versucht haben, einen neuen politischen Festtagszyklus zu schaffen und diesen mit dem neuen Kalender zu strukturieren, ist bekannt. 2 Kaum untersucht ist dagegen der Einfluß der Dekade bei der tatsächlichen Durchführung der Feste. Andere Bereiche, wie Märkte, Schulen oder Theater, die für die Kalenderanwendung aufschlußreich wären und in denen der Staat die Kontrolle über das jeweilige von Rhythmus und Periodizität bestimmte Terminsystem ausübte, sind leider so schlecht dokumentiert, daß kein zusammenhängendes Bild entstehen kann. Die Quellenüberlieferung bei der Justiz ist demgegenüber so umfangreich, daß sie ausscheiden muß. Statt dessen werden ihre Akten dazu dienen, Aufschluß über den persönlichen Kalendergebrauch einzelner Bürger zu gewinnen. 3 1. Die Reaktion auf die nationalen Kalendergesetze Als Mitte Oktober 1793 die Nachricht von der Einführung des Revolutionskalenders Marseille erreichte, war die Stadt noch dabei, die Hinterlassenschaft der Föderalistenerhebung zu bewältigen. 4 Sie war erst Ende August mit dem Einzug der Konventstruppen in die Stadt zu Ende gegangen. Marseille hatte sich im Frühsommer - wie andere südfranzösische Städte auch - auf Druck der bürgerlichen Sektionen, die sich bereits seit längerem den sansculottischen Strömungen des Jakobinerclubs entgegensetzten, von den Beschlüssen des Konvents losgesagt, der unter dem Einfluß der Pariser revolutionären Stadtverwaltung (Commune) stand. Nach der Rückeroberung wurde die föderalistische Armee entwaffnet, die Stadtverwaltung abgesetzt und die frühere jakobinische Administration zurückgeholt. Die Reaktionen gegen die Föderalisten vermischten sich schon bald mit der von Paris einsetzenden Schreckensherrschaft (Terreur). Als ihr Träger gilt der lokalen Historiographie der Volksvertreter in Mission (Representant en mission) Freron, obwohl er, noch ehe Terreur und Dechristianisierung in Marseille richtig begonnen hatten, schon nach Paris zurückkehren mußte. 5 Die Gunst der Bevölkerung verscherzte er sich nicht zuletzt damit, daß er der Stadt ihren Namen nahm und sie in ,Ville sans Nom' umtaufte. Der Konvent trug diese Entscheidung jedoch nicht mit und revidierte sie bald darauf. 6 Erst unter Frerons Nachfolger Maignet erreichte die Schreckensherrschaft ihren Höhepunkt. Nachrichten aus Paris trafen in Marseille normalerweise nach vier bis sechs Tagen ein. Gesetze - sofern es sich nicht um besonders dringende Beschlüsse handelte - erhielten die Provinzen in den Gesetzesblättern (Bulletins des Lois) in unregelmäßigen Abständen aus Paris übermittelt. Solange es Dekadenfeiern gab, wurden die Bulletins bei dieser Gelegenheit in extenso zur bürgerlichen Erbauung und Erziehung verlesen. Allerdings ist nicht bekannt, wie viele Menschen dadurch erreicht wurden, denn Teilnehmerzahlen sind nicht überliefert. Wichtige Informa-

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tionen machten die Behörden der Bevölkerung mit Anschlägen oder durch Ausrufe bekannt. In ganz besonderen Fällen riefen sie zu öffentlichen Versammlungen auf. Die ersten Kalenderdekrete wurden als Plakate gedruckt und an den üblichen Stellen in der Stadt angeschlagen. 7 Weitere Maßnahmen, um den neuen Kalender der Bevölkerung vertraut zu machen, hielt die Verwaltung nicht für notwendig. So wurde der Kalender im Gegensatz zur Maß- und Gewichtsreform, die sicherlich insgesamt komplexer war, nicht in Gratiskursen den Bürgern nahegebracht. 8 Ein eigens zur Einführung des Kalenders arrangiertes Fest, wie es aus Arras überliefert ist, scheint auch im nationalen Rahmen die Ausnahme geblieben zu sein.® Die Marseiller Zeitungen berichteten - allerdings ohne eigene Kommentare - über die neuen Kalendergesetze, und Verwaltung und Repräsentativkörperschaften wandten sie wie selbstverständlich an:10 die Protokollführer setzten die neuen Daten ein; die Umstellung auf den Dekadenrhythmus erfolgte relativ schnell. 11 Um diesem auch in der Bevölkerung Beachtung zu verschaffen, erließ die Verwaltung sofort eigene Anordnungen. 1.1. Die ersten lokalen

Kalendererlasse

Der Generalrat 12 hatte noch nicht einmal mit der Datierung seiner Protokolle nach dem neuen Kalender begonnen, als er auch schon beschloß: qu'il sera de suite proclami ä son de trompe que ce sera demain jour de fete, vu que c'est le dixiftme jour de la premiire d£cade du mois, et c'est-ä-dire le premier jour de repos, et par cons6quent tous les magasins et boutiques seront fermis. 1 3

Der Rat kam also umgehend seiner Pflicht nach, dem neuen Feiertag Geltung zu verschaffen. Weitergehende Beschlüsse zur Ausgestaltung des Decadi, der noch nicht einmal diesen Namen trug, konnte er natürlich nicht treffen. Derartige Überlegungen hatten zu diesem Zeitpunkt ja in Paris gerade erst eingesetzt. Erst am übernächsten Sitzungstag (Montag, 4.11.1793) benutzte der Generalrat selbst ein republikanisches Datum in seinem Protokoll. Durch die negative Erfahrung mit dem gerade vergangenem Sonntag sah er sich veranlaßt de faire une autre proclamation pour que tous les magasins et boutiques ne soient ferm^s que les jours de repos. 14

Der Generalrat formuliert hier sehr zurückhaltend; er erwähnt den Sonntag nicht ausdrücklich. Statt dessen spricht er positiv von dem Ruhetag. Auf diese Weise konnte er wohl böses Blut vermeiden, wenn auch für die Bevölkerung die Frage offen blieb, was aus dem Sonntag werden sollte. Einige Bewohner des Quartiers ,Les Camoins' wandten sich deshalb direkt an die Stadtverwaltung: Les habitants composant la succursale de ce quartier exposent qu'ils ont lu dans les papiers publics que la Convention nationale a dicrit6 que tous les cultes sont libres. En consequence de cela, les exposants s'adressent ä vous, 6 citoyens officiers municipaux, pour vous prier de leur dire par une riponse p r e i s e et positive s'ils peuvent continuer d'observer le dimanche comme ils faisaient ci- devant. 15

Die Antwort ist nicht erhalten.

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Die Erlasse des Generalrats trafen eine unvorbereitete und kaum informierte Bevölkerung, so daß eine große Wirkung von den Aufrufen gar nicht zu erwarten war. Der Stadtrat bekräftigte deshalb den Beschluß, daß alle Geschäfte am Sonntag zu öffnen seien, und ließ ihn öffentlich anschlagen.16 Der Erfolg war auch diesmal sicherlich nicht überwältigend. Denn einen Monat später beauftragte der Stadtrat die Polizeikommissare, Listen von den Bürgern anzulegen, die nicht täglich - außer an Döcadis - ihre Geschäfte öffneten. 17 Allerdings wurden die Aufrufe, den neuen Kalender einzuhalten, anfangs von den Behörden teilweise selbst durchlöchert. So beschloß die Departementverwaltung auf Antrag eines Mitglieds „qu'il sera permis de travailler les jours de decade aux ouvrages publics et surtout aux chemins."18 Des Problems, wie die Decadis zu begehen seien, nahm sich auch sofort der Volksvertreter in Mission Freron an, der ja seinen Ruf, ein typischer Vertreter des Konventsterrors zu sein, einigen großspurigen Worten verdankte. So soll er seinem Vorgänger im Amt, dem lokalen Abgeordneten Moyse Bayle, anvertraut haben, er halte Marseille für „incurable ä jamais: ä moins d'une ddportation de tous les habitants et d'une transfusion des hommes du Nord."19 In dem Erlaß, mit dem er Marseille seinen Namen nahm, forderte er überdies, daß alle Häuser, die Föderalisten beherbergt hätten, abzureißen seien. Die Abbrucharbeiten wurden sogar begonnen. Bevor aber auch das Rathaus abgerissen wurde, zog er den Erlaß zurück. Daß Freron auch die Idee hatte, als Strafe für das rebellische Verhalten der Stadt, den Hafen mit dem Gestein des Bergs von Notre-Dame de la Garde, dem religiösen Wahrzeichen der Stadt, zuschütten zu lassen, behauptet hartnäckig die lokale Tradition.20 Doch war Frdron weder der große Terrorist noch der bedenkenlose Dechristianisierer. Vielmehr ging er bei dem, was er tatsächlich auch ausführte, recht besonnen vor. Das zeigt auch sein Erlaß über die Dekadenfeiern, den er noch in der ersten Novemberhälfte 1793 herausgab.21 Frdron setzte auf eine positive Dechristianisierung.22 Er wollte nicht nur Altes zerstören, sondern vor allem dem Neuen besondere Anziehungskraft verleihen. Die Dekadenfeste sollten deshalb so großartig werden, daß sie von allein dem Sonntag den Rang abliefen. Dazu gab er den Verwaltungen genaue Anweisungen: Les reprfisentants du peuple [...] dans les ddpartements miridionaux [...] considirant la ndcessitd de remplacer par des fetes nationales, dignes de la majest6 du peuple fran;ais et de ses hautes destinies, les c£r£monies pu6riles d'un culte qui retricissant les ämes et les fagonnant ä l'esclavage, servait de pierre angulaire au tröne des despotes, tröne 6croul6 sous nos mains vertueusement rigicides; arretent que provisoirement et jusqu' ä ce qu'il en soit autrement ordonnd, la dicade, ou le jour du repos, sera c616br£e dans chaque chef-lieu de canton des dipartements du Bouches-du-Rhöne et du Var, par des fites civiques oü assisteront toutes les autorit6s civiles et militaires, les soci6t£s populaires, le peuple enfin, oü la vieillesse, l'enfance et le malheur, dignes de tous nos respects, seront au premier rang, et occuperont les premieres places, et oü seront porties avec les drapeaux pris sur l'ennemi ou reconquis sur le fdddralisme sectionnaire, les emblemes de la liberti et de l'igaliti, les tables de la ddclaration des droits et de la constitution du 24 mai 1793, les pierres et les modules du chäteau de la Bastille, ainsi que les images sacr6es de Brutus, de Marat, et de Pelletier, des citoyens morts aux frontiires et de toutes les victimes de l'aristocratie.23

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Von der Bevölkerung verlangte Freron kein bestimmtes Verhalten. Es wurde nichts verboten. Im Gegensatz zu den Erlassen von Volksvertretern in anderen Departements 24 war Freron in seinen Anordnungen sehr zurückhaltend. Radikal waren nur seine Formulierungen, aber nicht mehr als durch die Kalenderdebatte ohnehin vorgegeben, wenn er die Heiligen des alten Kalenders attakierte: que les dimanches et f£tes sont rayis pour toujours du nouveau calendrier, et que par-lä meme les bienheureux et bienheureuses qui faisaient tous les honneurs de l'ancien, ont 6t6 pour ainsi dire condamnes ä la diportation pour l'Espagne, l'Italie, le Portugal, et les autres contries de 1'Europe oü la tyrannie, aidie du fanatisme, se retranche contre la liberty [...]. 25

Dieser Erlaß zeigt, welche Bedeutung ein führendes Konventsmitglied wie Freron der Kalenderfrage beimaß und mit welcher Intensität er die Einführung des neuen Kalenders betrieb. 1.2. Das Leben mit dem

Revolutionskalender

Mit diesen Aufrufen und Erlassen hatten die zuständigen Behörden dem Revolutionskalender in Marseille den Weg in den Alltag geebnet. In den folgenden beiden Jahren griff die Verwaltung dann mit Erlassen nicht mehr in die Kalenderfrage ein. Erst im Jahre IV, nachdem mit der Ermordung von 97 Jakobinern im Fort St. Jean in Marseille (Prairial III /Mai-Juni 1795) der Höhepunkt der thermidorianischen Reaktion 26 längst überschritten war, kam man mit einem Erlaß auf den Kalender zurück. Den Anstoß dazu gab erneut Freron, der bereits zu Beginn des Jahres IV (Oktober 1795) als Regierungskommissar nach Marseille zurückgekehrt war. Er hatte in Paris den 9. Thermidor überstanden, weil er sich rechtzeitig von Robespierres engerer Umgebung gelöst hatte. Obwohl er in der Zwischenzeit als Anführer der Jeunesse doree von sich reden gemacht hatte, bemühte er sich in Marseille auffallend um Ausgleich und wurde zur Stütze des republikanischen Lagers. 27 Am 9. Frimaire IV (30.11.1795) rief Freron, der inzwischen seine radikale, antiklerikale Sprache abgelegt hatte, die Bürger zu Ruhe und Besonnenheit auf und warnte vor verfassungsfeindlichen Verführern. 28 Dazu zählten für ihn auch jene, die behaupteten, am Decadi seien alle Arbeiten einzustellen. Denn das Gesetz, das den zehnten Tag als Ruhetag vorschreibe und den Bürger einlade, sich daran zu halten, sei nur für Beamte obligatorisch. Diese Auslegung ist juristisch zweifellos korrekt. Nach dem Gesetz vom 4. Frimaire II (24.11.1793) war der neue Kalender ja nur für .usages civils' 29 verbindlich eingeführt. Die Tatsache, daß Freron befürchtete, Gerüchte über die Verbindlichkeit des Decadi für jedermann könnten Unruhe in der Bevölkerung auslösen, zeigt, daß der neue Kalender nicht gerade populär gewesen sein muß. Der Erlaß wäre aber nicht verständlich, wenn die Einhaltung des Decadi nicht noch erfahrbare Realität oder wenigstens realistische Möglichkeit gewesen wäre. Nach Frerons .zweiter Mission' und dem für die Republikaner günstigen Ausgang der Wahlen im Germinal IV (März 1796), ergriffen die Behörden auch wie-

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der selbst die Initiative. Das neugeschaffene Zentralbüro (Bureau Central)30 wies zunächst untergeordnete Behörden auf die Beachtung des Revolutionskalenders hin.31 Später wandte es sich selbst an die Bevölkerung. Das Zentralbüro beklagte in diesem Erlaß,32 daß fliegende Händler, Verkaufsstände und die Auslagen von Geschäften auf Straßen und Promenaden den Verkehr behinderten; besonders störend sei dies am Decadi, der Nationalfesten gewidmet sei. Die öffentliche Ordnung und die Würde der Feste selbst, die die Behörden nun wieder genauer beachteten,33 würden dadurch beeinträchtigt. Unter Strafandrohung untersagte das Zentralbüro deshalb den Straßenverkauf auf dem Cours, am Hafen und auf anderen öffentlichen Plätzen. Im Gegensatz zum Jahr II galten die Anordnungen aber nicht mehr generell für alle Läden und Geschäftsleute, sondern nur noch für die Anlieger der für den Festzug vorgesehenen Straßen. Das Verhältnis der Behörden zum Revolutionskalender war allerdings nicht immer eindeutig oder konsequent. So forderte das Zentralbüro die Arbeiter an der städtischen Waage im Hafen auf, sich an die Dekade zu halten.34 Nachdem die Arbeiter aber in einer Petition um die Erlaubnis gebeten hatten, ihr Büro am Decadi geöffnet zu halten „pour l'interet du commerce et pour satisfaire aux reclamations multipliees des marchands et commergants etrangers",35 gab das Zentralbüro nach: consid6rant que la demande des pititionnaires est fond6e sur des motifs Mgitimes, qu'elle tend ä favoriser le commerce et l'industrie; qu'elle est d'ailleurs conforme au voeu de la loi puisque l'article 3' de la loi du Τ vendemiaire sur l'exercice de la police ext6rieure des cultes d i f e n d de contreindre les individus ä c616brer certaines fetes religieuses, ä observer tel ou tel jour de repos ou de les observer soit en forgant ä ouvrir ou ä fermer les ateliers, boutiques, magasins, soit en empechant les travaux agricoles, ou de telle manifcre que ce soit. 36

Größere Gesetzestreue bewies die Verwaltung dagegen beim Problem der Umzugstermine. Im Ancien Regime war Michaeli (29. September) der Tag, an dem üblicherweise Miet- und Pachtverträge abgeschlossen und Umzüge unternommen wurden. Ein Gesetz hatte diesen Termin vom christlichen Heiligenkalender gelöst und ihn um sieben Tage auf den 1. Vendemiaire (22. September) verlegt. Diese Maßnahme, so moderat sie auch auf den ersten Blick erscheinen mag, zeugt jedoch von der mangelnden Vertrautheit des Gesetzgebers mit seinem eigenen Kalender, indem sie Konflikte um die republikanische Feiertagsruhe vorprogrammierte: der 1. Vendemiaire war das Fest der Republikgründung. Das Zentralbüro in Marseille sah sich deshalb veranlaßt, diesem Problem durch einen entsprechenden Erlaß vorzubeugen. Es verschob den Termin für das Jahr V auf den 2. Vendemiaire.37 Ein Jahr später war diese Schwierigkeit aber schon wieder vergessen. Das Zentralbüro wies erneut auf den 1. Vendemiaire als den gesetzlich vorgeschriebenen Tag für Umzüge hin.38 Doch das Problem wurde gerade noch rechtzeitig bemerkt. Ein weiterer Erlaß setzte wieder den 2. Vendemiaire dafür fest.39 Das Beispiel zeigt, daß bei der Kalenderreform die Proklamation der neuen Zeiteinteilung noch die einfachste Aufgabe gewesen ist. Erst die Durchsetzung auch in zahlreichen kleinen Einzelheiten entscheidet letztlich über ihren Erfolg. Was bei diesem Hin und Her herauskam, ist leider nicht bekannt. Anzeigen der Polizei, die

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

die Ausführung der Gesetze zu beobachten hatte, oder andere Quellen sind zu diesem Problem nicht überliefert. Der republikanische Aufschwung des Jahres IV hielt nicht lange an. Die Verwaltung konnte sich gegen den gemeinsamen Vorstoß antirepublikanischer und royalistischer Kräfte, die der Platzkommandant Willot unterstützte, nicht durchsetzen. Die regulären Wahlen im Jahr V bestätigten dann auch in Marseille den Rechtsruck, der in ganz Frankreich vorherrschte. Der Revolutionskalender geriet den Behörden für eine Weile wieder aus dem Blickfeld. Die Situation änderte sich erst wieder nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor (V/4.9.1797). Auch in Marseille wurden die Wahlergebnisse kassiert. Eine neue Administration kam ins Amt. 1.3. Der Einfluß der Kalendergesetze

des Jahres VI (1798)

Als der Innenminister den Departements- und Kommunalverwaltungen die in der Diskussion befindlichen Kalendergesetze ankündigte und sie zur strikten Einhaltung der bereits bestehenden Gesetze aufforderte, 40 reagierten die Behörden in Marseille sofort. Die Verwaltung des Stadtteils Centre 41 gab am 16. Frimaire VI (7.2.1797) einen Erlaß heraus, in dem sie in einer längeren Präambel die Argumente des Ministers über die Notwendigkeit des Revolutionskalenders wiederholte und dann feststellte: 1. Die Verwaltungsarbeit ruht am D6cadi. 2. Die Verwaltung bemüht sich um angemessene Nationalfeiern. 3. Alle Bürger werden eingeladen, den Ddcadi zu feiern, indem sie ihre Arbeit ruhen lassen und ihre Geschäfte schließen. 4. Geistliche aller Konfessionen werden aufgefordert, ihre Kulthandlungen auf den D6cadi zu verlegen. 5. Schullehrer werden angewiesen, National- und Dekadenfeste exakt einzuhalten und mit ihren Schülern den Feiern beizuwohnen. Widrigenfalls erfolgt die Amtsenthebung. 6. Die Theaterdirektoren werden gebeten, am Dicadi zu öffnen und Stücke aufführen zu lassen, die einem freien Volk würdig und geeignet seien, die Liebe zu republikanischen Tugenden zu wecken. 7. Kaufleuten sind am D£cadi Auslagen in den Straßen und Behinderung der öffentlichen Wege verboten. 8. Die Polizei wird mit der Überwachung des Erlasses beauftragt. 9. Der Erlaß und der Brief des Innenministers sind öffentlich auszurufen und anzuschlagen, damit kein Bürger Unkenntnis vortäuschen kann.42

Dieser Erlaß ging keinen Schritt über das notwendige Maß hinaus. Der D6cadi war nur für Verwaltung und Schulen verbindlich, den Kaufleuten wurden nur die Auslagen verboten, nicht aber das Öffnen der Geschäfte überhaupt, bei allen übrigen Bürgern sollte ein Appell an den guten Willen ausreichen, so daß die Einhaltung des Erlasses kaum überwältigend gewesen sein dürfte. Für die Einhaltung und Durchführung des Direktoriumserlasses vom 14. Germinal VI (3.4.1798) 43 sorgte in Marseille das Zentralbüro mit eigenen Ausführungsbestimmungen am 16. Flordal VI (5.5.1798). Die achtzehn Artikel des nationalen Erlasses faßte es auf folgende sieben zusammen:

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1. Keine Märkte und Auslagen auf öffentlichen Plätzen am D£cadi und Nationalfeiertagen. 2. Bestrafung von Zuwiderhandlungen nach den gesetzlichen Vorschriften. 3. Die Foire St. Lazare 44 findet in Zukunft zwischen dem 15. und 30. Fructidor (1.916.9.) statt. 4. Die Börse schließt am D£cadi und an Nationalfesten. 5. Schulen schließen an diesen Tagen ebenfalls. 6. Anzeigen und Schilder mit Hinweisen auf Vermietungen ohne republikanische Daten werden entfernt. 7. Die Polizeikommissare überwachen die Durchführung des Erlasses und seiner Einhaltung/5

Da der Erlaß an die Bevölkerung gerichtet war, fiel alles weg, was die Verwaltung betraf. Weiterhin fehlen aber auch die zahlreichen Einzelbestimmungen zu Theater, Fischmärkten, Datumsangaben in Druckerzeugnissen, militärischen Übungen, öffentlichen Arbeiten und Bauten. Die Folgen dieser Bemühungen scheinen nicht durchschlagend gewesen zu sein. Denn die Departementsverwaltung sah sich zwei Wochen später veranlaßt, die rigorose Einhaltung des Direktoriumserlasses von den Behörden zu fordern. Für den Fall, daß die Verwaltung den Aufforderungen nicht nachkäme, drohte sie die Benachrichtigung des Polizeiministers an.46 Einige Dorfverwaltungen enthob sie sogar ihres Amtes, weil sie den Revolutionskalender nicht beachtet hatten.47 Ein ähnliches Schicksal ereilte einige Schulmeister, die auch am Decadi unterrichteten. Ihre Schulen wurden von den Behörden geschlossen.48 Zwar war der Revolutionskalender von Anfang an für die Schulen verbindlich, doch Einzelheiten über die Einhaltung dieser Vorschriften sind in Marseille vor dem Jahr VI nicht bekannt.49 Wie die verpflichtende Teilnahme von Schülern und Lehrern an den Dekadenfeiern in Wirklichkeit ausgesehen hat, bleibt ebenfalls fast vollständig im dunkeln. Erhalten sind nur zwei Antworten von Lehrern. Am 28. Pulviöse VI (16.2.1798) erklärte der Bürger Candon, daß er nur Privatunterricht an „citoyens au dessus de la nomination d'616ve" erteile und folglich nur allein an den Dekadenfeiern teilnehmen könne.50 Im Floreal VIII (April/Mai 1800) schrieb ein anderer Bürger verzweifelt dem Bürgermeister der Stadtteilverwaltung Nord: Ma situation prisente ne me permet pas de conduire le peu des dlives que j ' a i ä la Municipalitd pour assister aux c£r6monies ddcadaires; mes dlives sont au nombre de sept ä la veille d'en avoir aucun par la seule raison qu'on dit que je suis un instituteur ζέΐέ et observateur des lois; ce qui n'est pas une vertu dans le quartier oü je suis depuis environ 20 ans, oü je n'ai fait que de bons 61ives, mais je ne suis pas fanatique. 51

Kurz nach dem Erlaß des Zentralbüros vom 16. Flordal VI (5.5.1798) wurden die drei Kalendergesetze in Paris verabschiedet. In Marseille kam der Revolutionskalender aber erst im Abstand von einem Jahr wieder offiziell auf die Tagesordnung. Trotz republikanischer Verwaltungen war die Lage in Marseille, wie insgesamt im Midi, gekennzeichnet von Gewalttätigkeiten politisierender Gruppen und Banden, welche die Aufmerksamkeit und Energie der Behörden in Anspruch nahmen. Die Erfahrungen mit der Einhaltung des Revolutionskalenders müssen sehr schlecht gewesen sein, zumal der katholische Kultus wieder das normale Erschei-

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

nungsbild der Stadt geprägt haben dürfte. Dennoch wagte am 26. Thermidor VII (13.8.1799) - zwei Tage vor Maria Himmelfahrt - der Regierungskommissar JeanBaptiste Giraud, ein eifriger Republikaner, den Versuch, die Entwicklung aufzuhalten. Er beklagte sich bitter über die fehlende Beachtung des Revolutionskalenders: Marseille est une des villes qui offre le spectacle le plus scandaleux, le plus rdvoltant de l'insoumission aux lois; ici, un luxe insolent 6tal6 aux jours anciens de fetes et de dimanches, insulte ä la misfcre publique et donne la mesure de la ddpravation des moeurs et de l'esprit public; ici, la fermeture de tous les magasins, de tous les ateliers, aux jours precit6s, prouve d'une maniire certaine que rien n'est plus odieux ä certains hommes que le s y s t i m e rdgindrateur de la liberty et de l'6galit6. Ici, les decadis, nos promedades sont disertes, les patriotes seuls les fr6quentent; les jours de fetes nationales sont, pour la majorit6 des habitants, des jours de deuil et de tristesse, et si dans certains moments, le fonctionnaire sensible g6mit du faste outrd qu'on ddploie, il s'indigne ä son tour de l'affection qu'on met ä paraitre sous des costumes ηέglig6s et ind6cents les jours de döcadis et fetes nationales. 52

Schuld seien, und damit folgte er der Analyse des republikanischen Lagers, der .Fanatismus' von Royalisten und Katholiken. Vermutungen, die Kalendergesetze seien ein Angriff auf die Gewissensfreiheit, wies er zurück und forderte das Zentralbüro auf, umgehend den Bürgern die exakte Befolgung und feierliche Begehung der Decadis zu befehlen. Die Polizei sei anzuweisen, die Einhaltung der Gesetze in allen Einzelheiten hinsichtlich der Märkte, Auslagen, Ateliers, Schulen usw. zu überwachen und dafür zu sorgen, daß an den alten Sonntagen die Geschäfte geöffnet blieben. Das Zentralbüro übernahm diese Anweisungen in einer langen Präambel zu einem sehr lakonischen Erlaß in drei Artikeln: 1. Geschäfte und Werkstätten sind außer am Dicadi und an Nationalfesten täglich zu öffnen. 2. Zuwiderhandelnde werden bestraft. 3. Die Polizei ist für die Ausführung des Erlasses verantwortlich. 53

Der Erlaß wurde nicht von allen Bürgern wohlwollend aufgenommen. Wenige Tage später schon verurteilte ein Gericht im Stadtteil Nord die Bürgerinnen Audivet, Roubies (Mutter und Tochter) und Marie Michel zu drei Tagen Haft und den Kosten des Verfahrens wegen eines Vergehens, dessen sie sich am 27. Thermidor VII (14.8.1799) schuldig gemacht hatten: au moment que Ton publiait dans la rue de la Concorde l'arret6 du bureau central sous la date du vingt-six meme mois relatif ä la suppression de toutes les ci-devant fetes du despotisme, elles se sont oublides au point de dire qu'il n'y avait que les voleurs et les pilleurs qui pussent s'y conformer, que quant ä elles, elles lie c616breraient jamais que Celles de l'öre ancienne, qu'elles ont meme cri6 merde pour la rdpublique. 54

Da der letzte Erlaß den Test offensichtlich nicht bestanden hatte, verlangte der Kommissar schon in der folgenden Dekade, am 5. Fructidor Jahr VII (22.8.1799), weitere Maßnahmen. 55 Vor allem Kaufleute, Händler, Börsenmakler und Notare hätten behauptet, nicht von dem Erlaß betroffen zu sein und seien weiterhin am

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Decadi an der Börse erschienen. Es sei daher nun die A u f g a b e der Verwaltung „de mettre les citoyens egares [...] sur les sentiers eternels de la Republique". 5 6 Sie sollten wissen, daß die Sicherheit ihrer Person und ihres Eigentums v o m Schicksal der Verfassung des Jahres III abhingen - eine Argumentation, mit der während des Direktoriums ständig versucht wurde, bürgerliche Schichten an das Regime zu binden. Andernfalls müßten sie damit rechnen „que le sceau du mepris et de l'ignorance sera empreint sur le front, s'ils ne deviennent les amis de la Republique". 5 7 Die Polizei müsse nochmals energisch zur Überwachung des Erlasses angehalten werden. U m verleumderische Angriffe abzuwehren, sollte Lebensmittelhändlern erlaubt werden - wie es früher am Ruhetag Brauch war - , am Decadi auch ihre Geschäfte zu öffnen und Auslagen zu haben, sofern sie damit den öffentlichen Verkehr nicht störten. Das Zentralbüro bedauerte den Inhalt dieser Ausführungen. Einen förmlichen Erlaß hielt es aber nicht für erforderlich. Eine einfache Einladung an die betroffenen Bürger „au nom de leur propre interet" 58 sei völlig ausreichend. Dies war in Marseille die letzte offizielle Stellungnahme der Behörden zum Revolutionskalender. Die folgenden nationalen Gesetze waren Rückschritte in Richtung auf den alten gregorianischen Kalender. Diese Bestimmungen benötigten zum Erfolg offensichtlich keine administrative Unterstützung. 1.4.

Ergebnis

Die .Kurve' der Kalendererlasse allein erlaubt noch keine tiefgehenden A u f schlüsse, doch können ihre Ausschläge erste Hinweise auf die Einstellung geben, die die Verwaltung für den neuen Kalender aufgebracht hat. Die Höhepunkte, das Jahr II, der 18. Fructidor V und - mit einiger Verzögerung - als dessen Folge, die drei Gesetze vom Ende des Jahres VI, orientierten sich verständlicherweise am nationalen Vorbild. Im Vergleich zu anderen Departements fällt die geringe Zahl der lokalen Erlasse besonders auf. 59 Außerdem schöpften die lokalen Ausführungsbestimmungen die nationalen Vorgaben nicht immer aus. Die Impulse, die aus Paris eintrafen, wurden aufgenommen und abgeschwächt weitergegeben. Das zeigt sich deutlich im Jahr II. Auch in den Jahren VI und VII versuchten die Marseiller Behörden, die Forderungen zu mildern. Deshalb ist es kaum verwunderlich, daß sie immer erst nationale Anstöße abwarteten. In der Zwischenzeit betrieben sie keine eigenständige, schon gar keine kontinuierliche Kalenderpolitik. Auffallend ist, daß auch das Departement nicht stärker eingriff oder von sich aus Initiative in Kalenderfragen entwickelte. Daß aber persönlicher Einsatz schon etwas zu bewegen vermochte, zeigt das Beispiel des Regierungskommissars Giraud im Jahr VII. Die Folgen seiner Aktivitäten haben sich in den Polizeiberichten niedergeschlagen. 6 0 Die Gründe für diese besondere Situation in Marseille sind nicht eindeutig auszumachen, solange die Stadtgeschichte für den Zeitraum der Revolution, besonders in politischer, institutionengeschichtlichcr und personeller Hinsicht noch unzulänglich erforscht ist. Für das Jahr II mag ausschlaggebend gewesen sein, daß die Erhebung der Förderalisten doch noch stark nachgewirkt hat. Das revolutionäre

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Lager, das ja vorher in Marseille besonders stark gewesen und mit seinen Aktionen den nationalen Ereignissen zum Teil vorausgeeilt war, wird nachhaltig erschüttert worden sein. In der nachthermidorianischen Zeit war Marseille ständig Schauplatz politischer, teilweise sogar gewalttätiger Auseinandersetzungen. Selbst bei eigener Sympathie für den Kalender mußte die Verwaltung wegen der schwierigen Zeiten versuchen, den Kreis der Bürger, die der Republik wohlwollend gegenüberstanden, besonders groß zu halten. Sie konnte oder wollte sich nicht erlauben, diese Bürger durch unpopuläre Maßnahmen zu verschrecken. Damit mögen sich die mangelnden sichtbaren Aktivitäten der Behörden für den Revolutionskalender, soweit sie sich in den Erlassen niedergeschlagen haben, erklären. Auskunft über die tatsächliche Umstellung von Terminsystemen bei den Behörden selbst oder von der Bevölkerung war von den lokalen Erlassen nicht zu erwarten. Doch zeigen diese Schriftstücke trotz ihrer geringen Zahl und des zumeist negativen Bildes, das sie naturgemäß zeichnen, daß der Revolutionskalender im Leben und im Bewußtsein der Stadt gegenwärtig war. 2. Der Revolutionskalender in Verwaltung und Repräsentativkörperschaften Ob sich die Behörden auch selbst an den Revolutionskalender gehalten haben, zeigen ihre Erlasse allein noch nicht. Wie intensiv die Tiefenwirkung der Reform war, läßt sich nur auf anderen Wegen herausbekommen. Von den Akten der öffentlichen Verwaltungen geben besonders die Sitzungsprotokolle der Repräsentativkörperschaften und der aus ihnen gebildeten oder eigens gewählten Verwaltungsorgane Auskunft über die tägliche oder periodische Verwaltungstätigkeit. Ihre Auswertung wird hier beschrieben. Die Arbeitsweise der städtischen Buchhaltung61 - und soweit möglich, das Sitzungsverhalten der Akademie von Marseille werden zum Vergleich herangezogen. Sämtliche Sitzungsdaten sind erfaßt und in Tabellen mit Wochen- oder Dekadeneinteilung eingetragen worden. An ihnen läßt sich direkt ablesen, ob die Sitzungen einen besonderen Rhythmus respektierten oder einer bestimmten Periodizität folgten. Um auszuschließen, daß sich hinter republikanischen Daten weiterhin traditionelle Rhythmen oder Periodizitäten verbergen, wurden die Sonntage in den Dekadentabellen besonders gekennzeichnet, so daß solche Fälle sofort auffallen. 2.1. Die Stadtverwaltung Die Ordnung der kommunalen Verwaltung wurde im Verlauf der Revolution mehrfach geändert.62 Nach der Neuordnung von 1798, die das Land in Departements aufteilte und den Gemeinden weitgehende Selbstverwaltung einräumte, griffen das Gesetz über die Revolutionsregierung vom 14. Frimaire II (4.12.1793) und die Verfassung aus dem Jahr III in dieses Gefüge zugunsten einer stärkeren Stellung der Zentralregierung ein. Seinen Abschluß fand dieser Trend im Jahr VIII mit den Präfekten. Da jede Änderung der Zuständigkeit einzelner Organe auf die Arbeitsorganisation und damit auch auf die Aktenüberlieferung einwirkte, muß sich die Untersuchung zwangsläufig an diesen Abschnitten ausrichten.

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Ancien Regime In Marseille regierte - wie auch in anderen Städten des 18. Jahrhunderts - eine kaufmännische Oligarchie, deren Familien Bürgermeister und Stadträte stellten. 63 Die Sitzungsdaten des Stadtrates (Conseil de ville) sollen zum einen Aufschluß über das Sitzungsmuster - sofern eines besteht - der letzten Jahrzehnte des Ancien Rdgime geben, das dann den Hintergrund darstellt, vor dem sich mögliche Veränderungen während der Revolution abheben. Zum anderen dienen sie als Korrektiv, damit nicht etwa bereits ablaufende Änderungen fälschlicherweise der Revolution zugeschrieben werden. Zu diesem Zweck genügen allerdings Stichproben. Das Ancien Regime (Tab. 3) kennt einen langsamen Anstieg der Sitzungstage bis 1788 (1765: 10 Sitzungen; 1775: 11; 1785: 17; 1788: 21; 1789: 66). Ursache dafür ist sicherlich eine komplexer werdende Verwaltung, wie sie für das ausgehende 18. Jahrhundert nicht ungewöhnlich ist. Der hohe Wert für 1789 ist mit den politischen Ereignissen hinreichend erklärt. Bei den wenigen Sitzungstagen ist eine ausgeprägte Periodizität nicht zu erwarten; ebensowenig ist ein Rhythmus auszumachen. Der Sonntag wurde aber im allgemeinen respektiert. Einzig feste Sitzungstermine waren - ohne Rücksicht auf den Wochentag - der 28. Oktober und bei Bedarf die folgenden Tage, an denen die Wahl des Bürgermeisters und der Stadträte stattfand. 64 Ihre Amtseinführung erfolgte jeweils am 1. Januar; sie wurde allerdings nur 1765, 1788 und 1789 als Sitzungstag notiert. Da die Protokolle nur das Ausnahmeereignis einer Sitzung festhalten, sagen sie über die alltägliche Verwaltungspraxis der Stadträte und der Schreiber natürlich nichts aus. Andere Institutionen des Ancien Regime befolgten dagegen durchaus eine Periodizität bei ihren Sitzungen. Schon vor ihrer offiziellen Anerkennung als Akademie durch ein königliches Gründungsprivileg im Jahre 1726 kannten die Mitglieder des privaten Zirkels, der als Vorläufer der Akademie anzusehen ist, eine strenge Periodizität für ihre Zusammenkünfte. 65 Das erste Statut der Akademie schrieb diesen Termin fest. 66 Ein genauer Umgang mit Zeit ist bei dem Bildungsstand der Mitglieder einer Akademie nichts Besonderes, und bis zur Schließung der Akademie am 21.8.1793 wurde die wöchentliche Sitzung am Mittwoch beibehalten. 67 Auch in der Buchhaltung (Tab. 4) war der Sonntag in der Regel Ruhetag (1775: 4 Ausnahmen; 1785: 0). Auffallend sind dort aber die freien Montage (1775: 29; 1785: 45). Bei zwei untersuchten Jahren läßt sich jedoch keine verbindliche Aussage machen. Handelte es sich nicht um eine städtische Behörde, sondern um einen Handwerksbetrieb, läge der Verdacht nahe, hier werde der blaue Montag gefeiert. 68 Die einheitliche Stadtverwaltung (1789-Jahr

IV/1796)

Nach der Verwaltungsreform von 1789, die mit Beginn des Jahres 1790 in Kraft trat, wählten die Aktivbürger der Stadt direkt den Generalrat (Conseil g6n6ral).69 Er setzte sich entsprechend der Größe der Stadt Marseille aus 42 Stadtverordneten (Notables) und 21 Stadträten (Officiers municipaux) zusammen; hinzu kamen der

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

Bürgermeister (Maire) und der Prokurator (Procurateur de la commune) als Vertreter des Königs, die beide ebenfalls in direkter Wahl bestimmt wurden. Die Stadträte bildeten den Stadtrat (Conseil municipal), der als Kontrollorgan die Stadtverwaltung beaufsichtigte und die täglichen und routinemäßigen Entscheidungen traf. Dem Generalrat oblagen dagegen alle grundsätzlichen und entscheidenden Beschlüsse. Von den Sitzungen beider Räte wurden Protokolle angefertigt. Beide Ratsgremien beachteten den Wochenrhythmus mit dem Sonntag als Ruhetag. Deutlich zeigt sich dies beim Generalrat (Tab. 5), der bis zur Einführung des Revolutionskalenders nur drei Sonntagssitzungen kannte, die alle auf eine politische Ausnahmesituation zurückzuführen sind.70 Da im Vergleich zum Stadtrat des Ancien Regime, dessen formeller Nachfolger der Generalrat ja ist, die Zahl der Sitzungen sich 1790 fast verdreifacht hat (63), ist diese Aussage mit einiger Sicherheit zu treffen. Der Anstieg liegt sicherlich an dem vermehrten Arbeitsaufkommen, den die Neuorganisation der Verwaltung und erweiterte Kompetenzen mit sich brachten. Doch schon 1791 pendelt sich die Anzahl der Sitzungen wieder auf dem Niveau des ausgehenden Ancien Regime ein (1791: 24; 1792: 27). Der erneute Anstieg ab 1793 (65 Sitzungen) hängt äußerlich mit dem Übergang zu einer konsequenten Periodizität zusammen. Die tiefere Ursache dafür mag der von der Revolution bewirkte Bürokratisierungsschub sein, der 1793 einen ersten Höhepunkt erreichte.71 Der Stadtrat (Tab. 6) tagte zwar etwas häufiger am Sonntag (1790: 6; 1791: 9; 1792: 5; 1793: 5); eine Begründung dafür liefern die Protokolle aber nicht. Der Einschnitt des Sonntags als Ruhetag blieb dennoch erhalten. Die große Zahl der Sitzungen läßt keinen Zweifel daran, daß es sich um ein bewußtes - und nicht ein zufälliges - Verhalten handelt. Die Ergebnisse bei der Buchhaltung stützen diesen Befund (Tab. 7). Eine besondere Periodizität ist bei beiden Gremien zunächst nicht zu erkennen. Sie kam auch nicht zustande, nachdem der Stadtrat beschlossen hatte, Sitzungen montags, donnerstags und freitags abzuhalten (Tab. 6).72 Von 1793 an wird beim Generalrat (Tab. 5) ein deutlicher Versuch zur Periodizität sichtbar: Sitzungen fanden montags, mittwochs und freitags statt (ab April/Mai auch samstags). Nach der durch den Aufstand der Föderalisten bedingten Lücke73 vom Juni/August 1793 wurde im September 1793 beschlossen, montags und donnerstags zu tagen.74 Doch schon im Oktober änderte der Rat in der Praxis stillschweigend seinen Beschluß und tagte fortan wie vorher (montags, mittwochs, freitags). Der Stadtrat (Tab. 6) hingegen kannte zwischen 1790 und 1793 verständlicherweise keine Periodizität, weil immer wieder aktuelle Erfordernisse ein rasches Handeln erzwangen und eine Planung nicht zuließen. Bei der Buchhaltung (Tab. 7) hat es 1789 und 1790 zwischen April und September den Anschein, als ob eine leichte Periodizität (montags, donnerstags) auszumachen sei, wie sie auch für das Ancien Regime (Tab. 4, besonders 1785) festzustellen ist. Eine Begründung ist aber ohne eine genaue Kenntnis der Arbeitsweise der Buchhaltung wohl kaum zu erhalten. Mit der Einführung des neuen Kalenders änderte sich das Sitzungsverhalten bei-

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der Gremien erheblich. Der Generalrat (Tab. 8) vollzog den Übergang zum Dekadenrhythmus ohne Zögern. Der Decadi blieb absolut sitzungsfrei; die Periodizität wurde sofort umgestellt. In der ersten Dekade entsprachen die Sitzungstage (Quartidi, 14., Sextidi, 16., Ocitidi, 18. Brumaire II) zwar noch den bislang üblichen Wochentagen (Montag, Mittwoch, Freitag), dann aber bestimmte die Dekade die Periodizität der Sitzungen. Zunächst tagte man am Duodi, Quintidi und Octidi. Vom letzten Quartal des Jahres II bis Frimaire III (Juni-Dezember 1794) wurden in der Regel nur zwei Sitzungen pro Dekade abgehalten. Am 23. Frimaire III (13.12.1794) ordnete der Stadtrat, der für die Einberufung des Generalrats zuständig war, wieder drei Sitzungen pro Dekade an (Duodi, Quintidi, Octidi - wie vorher).75 Doch schon knapp zwei Monate später, im Ventöse III (Februar/März 1795), kehrte der Generalrat wieder zu zwei Sitzungstagen zurück. Vor dem Übergang zur neuen Verwaltungsordnung verebbt die Sitzungshäufigkeit noch weiter. Der Stadtrat sanktionierte diese Praxis mit einem Beschluß im Frimaire IV (November/Dezember 1795), der nur noch eine Sitzung des Generalrats in jeder Dekade am Quintidi vorsah. Der General hielt diesen Beschluß auch ein, was die Häufigkeit angeht.76 Die Periodizität bleibt trotz einiger Abweichungen immer deutlich erkennbar. Bei zwei bis drei Sitzungen pro Dekade sind Unregelmäßigkeiten aber nur schwer zu erklären. Der Zufall könnte eine zu große Rolle spielen. In einigen wenigen Fällen - ζ. B. 21. Nivöse III (10.1.1795) oder 26. Pluviöse III (14.2.1795) - könnte es am Sonntag gelegen haben, auf den der reguläre Sitzungstermin gefallen wäre (s. Tab. 8). Wie beim Stadtrat (Tab. 9) liegt ein deutlicher Einschnitt aber erst im Thermidor III (Juli/August 1795). Bis Frimaire IV (November/Dezember 1795) wurde der Sonntag dann systematisch gemieden. Vorher nahm man in der Regel keine Rücksicht, wenn ein Sitzungstag auf einen Sonntag fiel. Der Stadtrat (Tab. 9) ging nach einer kurzen Eingewöhnungsphase im Brumaire/ Frimaire II (Oktober/Dezember 1793), die noch einige Lücken, auch sonntags, aufweist, zu einem strikten Dekadenrhythmus über. Dies ist eindeutig festzustellen, weil er nun täglich um 12 Uhr mittags77 -vorher war die Uhrzeit unterschiedlich tagte und den Decadi konsequent als Ruhetag einhielt, von wenigen Ausnahmen (je eine in den Jahren II und III, drei im Jahr IV) abgesehen. Von den 14 Ausnahmen von den täglichen Sitzungen im Jahr II können beispielsweise 10 erklärt werden.78 Der gegenrevolutionäre Terror des Jahres III brachte beim Stadtrat keine Änderung im Sitzungsverhalten. Nur drei Tage waren sitzungsfrei. Bis auf den 9. Thermidor wurde nun sogar auch an den Revolutionsfesten getagt. Von der dritten Dekade des Monats Thermidor (August 1795) an treten wieder Lücken auf, die bezeichnenderweise fast immer auf Sonntage fallen, wenn auch nicht alle Sonntage sitzungsfrei sind. Der Dekadenrhythmus wird jedoch beibehalten. Die drei Ausnahmen fallen nicht ins Gewicht. Erst mit der dritten Dekade vom Germinal IV (April 1796) ändert sich die Lage wieder. Die Sonntage werden nicht weiter ausgespart. Ob es ein dauerhafter, nicht zufälliger Wechsel ist, läßt sich nicht feststellen, weil schon im Prairial IV (Mai/Juni 1796) - vier Dekaden später - die neue Verwaltungsreform in Kraft trat, die ein anderes Sitzungsverhalten mit sich brachte. Warum der Einschnitt in den Thermidor III (Juli/August 1795) fällt, ist aller-

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dings nicht zu erklären. Die neuen Volksvertreter in Mission, die den gegenrevolutionären Terror recht offen billigten, wenn nicht unterstützten, waren schon seit Pluviose (Januar/Februar 1795) in der Stadt. Der Rückschwung im Germinal IV (März/April 1796) dürfte mit dem republikanischen Wahlerfolg zusammenhängen. Ein übriges wird Freron, der schon im Brumaire IV (Oktober/November 1795) erneut in Marseille eintraf, mit seinem Erlaß vom 9. Frimaire IV (30.11.1795) bewirkt haben. Dieser sah ja vor, daß der neue Kalender nur für die Verwaltung verbindlich sei.79 Die Einführung des Revolutionskalenders wirkte sich auch auf die Büroordnungen aus, die in dieser Zeit ohnehin sprunghaft zunahmen. 80 Die Schwerpunkte, die diese Ordnungen setzten, waren jeweils die Verpflichtung zur Einhaltung der Dekade und des Decadi; die Festlegung geregelter Arbeitszeiten und damit der Öffnungszeiten der Büros für das Publikum: ca. 6 - 7 Stunden täglich, meist mit 2 - 3 Stunden Mittagspause (durchgehende Arbeitszeiten werden mit Einsparungen bei Licht- und Heizkosten begründet); Anwesenheitspflicht und Kontrolle mit Androhung von Strafen (ζ. B. Amtsenthehbung nach dreimaligem Fehlen); schließlich die stunden- und tageweise Verteilung bestimmter Arbeitsvorgänge (ζ. B. Öffnen und Verlesen der Post, Unterschreiben der ausgehenden Post, Behandlung von Petitionen). Die ständigen, meist nur geringfügig geänderten Wiederholungen der Anordnungen sind als Appelle zur Einhaltung und als Anzeichen für die Schwierigkeiten bei ihrer Durchsetzung zu verstehen. Darüberhinaus weisen sie aber auch auf das Bemühen hin, eine rationalere - und rationellere - Arbeitsweise zu erreichen, und sind insofern typisch für eine aufgeklärte Verwaltung. Besonders die regelmäßige Arbeitszeit und die Präsenzpflicht waren jedoch offensichtlich nur schwer zu erreichen. 81 Doch ist hier mit der Einteilung des Tages die mittelfristige Ebene der Kalenderzeit schon verlassen. Das Arbeitsverhältnis in der städtischen Buchhaltung (Tab. 10) unterstreicht die Ergebnisse aus den Repräsentativ- und Verwaltungskörperschaften in besonderer Weise. Der Dicadi wurde zwar auch sofort und bis zum Ende des Jahres III (September 1795) strikt eingehalten, der Sonntag dagegen blieb bis auf Vendömiare und Brumaire III (September/November 1794) schon vom Jahr II an häufig frei von Eintragungen im Kassenbuch. Die mangelnde Dichte der Eintragungen kann hier jedoch verzerrend wirken. Spätestens ab Messidor III (Juni/Juli 1795) war der Sonntag zusätzlich zum Ddcadi wieder durchgehend da. Die drei Stadtteilverwaltungen

im Direktorium (Jahr

IV-VIII/1796-1799)

Die Verwaltungsreform, die die Verfassung vom Jahr III vorsah, wurde in Marseille erst im Prairial IV (Mai/Juni 1796) eingeführt. Sie teilte Städte mit mehr als 100 000 Einwohner in mindestens drei Stadtteilverwaltungen (Municipalitds) mit je 30-50 000 Einwohnern und je sieben Administratoren auf, um lokale Machtansammlungen, die der Pariser Zentrale gefährlich werden könnten, zu verhindern. 82 Gesamtstädtische Aufgaben koordinierte ein Zentralbüro (Bureau central), dessen drei Mitglieder die Departementverwaltung ernannte.

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Mit der Aufteilung in drei kleinere Verwaltungseinheiten (Nord, Centre, Midi) ging zunächst die Zahl der Sitzungen zurück (Tab. 11-15). Tägliche Sitzungen kamen nun nicht mehr vor. Die Stadtteilverwaltungen Midi und Centre teilten zudem ihre Sitzungen in ordentliche Sitzungen (sdances ordinaires), die sich mit allgemeinen Verwaltungsangelegenheiten beschäftigten, und in öffentliche Sitzungen (sdances publiques), in denen vornehmlich Paßanträge und Aufenthaltsgenehmigungen behandelt wurden. Die Stadtteilverwaltung Midi beschloß dazu, die öffentlichen Sitzungen jeweils am Duodi und Septidi abzuhalten.83 Sie sanktionierte damit ein Verfahren, an das sie sich auch schon vorher gehalten hatte (Tab. 11). Gerade bei den öffentlichen Sitzungen mag eine Periodizität für die betroffenen Bürger hilfreich gewesen sein, die sich somit auf einen Termin einstellen konnten, um ihr Anliegen vorzubringen. Vom Jahr VII an machen sich bereits Auflösungserscheinungen bei den relativ festen Sitzungsmustern bemerkbar. Abweichungen sind auch schon früher wegen der insgesamt wenigen Sitzungen in einer Dekade nicht zu erklären. Die Vermutung, der Sonntag werde möglichst freigehalten, um beispielsweise Konflikte mit der Departementverwaltung zu vermeiden, drängt sich auf, kann aber nicht eindeutig bewiesen werden. Die ordentlichen Sitzungen (Tab. 12) folgten keiner Periodizität. Allenfalls zwischen Brumaire und Nivöse VI (Oktober 1797/Januar 1798) könnte man von einer lockeren dekadischen Periodizität sprechen. Der Decadi blieb jedoch bei beiden Sitzungsarten durchgehend frei. Für die wenigen Ausnahmen geben die Protokolle keine Erklärung. Dekaden- und Wochenrhythmus liefen in dieser Stadtteilverwaltung also nebeneinander her. Die Stadtteilverwaltungen Nord und Centre (Tab. 13-15) regelten ihre Arbeit ebenfalls grundsätzlich nach dem Dekadenrhythmus. Der Decadi war immer frei. Auch mit der Woche hielten sie es wie die Stadtteilverwaltung Midi. Periodizitäten, gleich welcher Art, sind nur schwer auszumachen.84 Zeitweise hat es aber dennoch den Anschein, als ob eine leichte dekadische Ordnung zu beobachten sei: bei den öffentlichen Sitzungen im Centre im Jahr V (Tab. 13) und im Nord (Tab. 15) von Thermidor IV bis Frimaire V (Juli/Dezember 1796) und wieder im Jahr VI.85 Das Zentralbüro (Tab. 16) unterscheidet sich hinsichtlich des Wochen- oder Dekadenrhythmus nicht von den Stadtteilverwaltungen. Da es bis ins Jahr VI - mit Ausnahmen - fast täglich Sitzungen abhielt, sind Periodizitäten nicht auszumachen. Spätestens ab Floreal VI (April/Mai 1798) nimmt die Zahl der Sitzungen beim Zentralbüro wie auch bei den Stadtteilverwaltungen rapide ab. Möglicherweise macht sich hier eine der bekannten Schwierigkeiten bemerkbar, mit denen das Direktorium in ganz Frankreich zu kämpfen hatte. Es konnte seine Beamten nicht mehr oder nur mit großen Rückständen bezahlen. Die Buchhaltung (Tab. 10) folgt weitgehend den bisher festgestellten Trends. Nur im Jahr IV beachtet sie den Decadi kurzfristig nicht. Wegen der großen Lükken kann der Eindruck nicht überprüft werden, daß im Jahr VI der Sonntag weniger konsequent freigehalten wurde als anderswo.86 Bedauerlich ist für die gesamte Zeit des Direktoriums in Marseille, daß wegen derart weniger Zahlen die Wirkung der Kalendergesetze vom Jahr VI im Bereich der Stadtverwaltung seriell nicht festzustellen ist.

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

Einzelfunde zeigen jedoch, daß es durchaus auch städtische Einrichtungen gab, die den Dekadenrhythmus auch in dieser Zeit mit Eifer angewandt haben. Die Sitzungen der verschiedenen Institutionen, aus denen dann im Jahr VIII wieder die Akademie hervorging,87 wiesen natürlich nicht diese Regelmäßigkeit der alten Akademiesitzungen auf.88 Erst im Jahr VII kehrte wieder mehr Ordnung ein. Zwischen Floreal VII und Floreal X (April 1799/Mai 1802) wurde mit großer Konstanz an Quintidis getagt.89 Aus dieser Zeit stammt auch eine Benutzungsordnung für die dem Musee National de Marseille (aus dem später wieder die Akademie hervorging) angeschlossene Bibliothek, die streng den Revolutionskalender verwendete und gleichzeitig durch ihre Vorschriften die Bevölkerung zur Einhaltung der Dekade zwang: La bibliothique est ouverte aux travailleurs et aux dtrangers, tous les jours pairs, depuis 10 heures jusqu'ä 2 heures: mais eile ne Test pour les curieux que les jours de Dicadis et de Fetes Nationales, depuis midi jusqu'ä deux heures.90

Im Jahr VIII ist das „Reglement des Cours publics du Musee National de Marseille" ebenfalls streng dem Revolutionskalender und sogar der Dezimaluhr verpflichtet. Afin que les 61ives puissent suivre tous les cours ä la fois, les professeurs distribueront leurs leqons dans l'ordre suivant: Le professeur de grammaire et d'iloquence donnera ses Ιέςοηβ les Primidi, Sextidi et Nonidi de chaque D6cade, ä 4 heures et demie dicimales. Le professeur de physique, chimie et d'histoire naturelle fera son cours, ä la meme heure, les Tridi, Quintidi et Septidi. Le cours de math6matiques aura lieu les Duodi, Quartidi et Octidi ä la meme heure. L'Ecole de dessin sera ouverte tous les jours ä la cinquiime heure dicimale."

Die genaue Beachtung des neuen Kalenders kann nun sicher nicht am politischen Klima gelegen haben. Vielmehr zeigt dieses deutliche Bewußtsein für zeitliche Organisation und ihre pädagogischen Aspekte, daß hier gerade Menschen wie diejenigen am Werk waren, die auch die geistigen Voraussetzungen für die Kalenderreform geschaffen haben. Die einheitliche Stadtverwaltung in Konsulat und Kaiserreich (Jahr 1802)

VII-X/1799-

Die Entmachtung der städtischen Stadtverwaltung durch die Einführung des Präfektensystems mit Beginn des Konsulats läßt sich allein schon an der deutlich geschrumpften Zahl der Sitzungen des Stadtrats (Tab. 17) ablesen, der nun wieder für die gesamte Stadt zuständig war.92 Der Decadi bleibt bis Floreal X (April/Mai 1802) frei, ebenso mit einigen Ausnahmen der Sonntag. Neben diesem doppelten Rhythmus ist aber keine Periodizität erkennbar, denn der Rat tagte nun in Sessionen. Mit dem Inkrafttreten des Konkordats im Germinal X (April 1802)93 ist ab Prairial X (Mai/Juni 1802) nur noch der Wochenrhythmus da. Der Sonntag wurde wieder geheiligt, der Decadi nicht mehr geschont. Auch im 19. Jahrhundert wurde die Sonntagsruhe vom Stadtrat strikt eingehalten (Tab. 18). Bei der Buchhaltung (Tab. 19, 20) ergibt sich, soweit Informationen vorliegen,

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der gleiche Befund. 94 Der Revolutionskalender diente nur noch Datierungszwekken; der Sonntag wurde, von wenigen Ausnahmen abgesehen, freigehalten. 2.2. Departement und Distrikt Die Departements waren das wichtigste Element der territorialen und administrativen Reform von 1789.95 Als Zwischenglieder stellten die Distrikte die Verbindung zwischen Departement und Kommunen her. Eine weitere Einrichtung, die Kantone, hatten keine politischen Aufgaben; sie waren reine Wahlbezirke. Die Verfassung vom Jahr III verstärkte das hierarchische Element und löste die Distrikte auf. Die Konsulatsverfassung vom Jahr VIII stellte dann Präfekten an die Spitze der Departements. Die weiteren Untergliederungen hatten von nun an nur noch weisungsgebundene administrative Funktionen zu erfüllen. Departement und Distrikt verwaltete ein Generalrat, dessen Mitglieder indirekt von Wahlversammlungen bestimmt wurden. Die laufenden Geschäfte übertrug der Generalrat einem Direktorium, so daß bei den Protokollen jeweils die des Generalrats und die des Direktoriums zu unterscheiden sind. Wegen des häufigeren und kontinuierlicheren Sitzungsverhaltens des Direktoriums sind für diese Untersuchung dessen Protokolle ergiebiger.96 Bis zur Einführung des neuen Kalenders gelten für den Distrikt (Tab. 21) und das Departement (Tab. 22) die gleichen Feststellungen wie für die verschiedenen Verwaltungsgremien der Stadt. Mit dem Revolutionskalender begannen aber auch hier tägliche Sitzungen - beim Departement (Tab. 24) sofort, beim Distrikt (Tab. 23) etwas verzögert. Lücken beim Departement entstanden bei Wahlen und dem Wechseln von Administrationen. In der zweiten Jahreshälfte des Jahres III setzte beim Distrikt die heimliche Woche ein. Das Departement folgte allerdings nicht diesem Verhalten, das auch auf der kommunalen Ebene zu beobachten war. Bis zur Amtseinführung des ersten Präfekten am 18. Germinal VIII (8.4.1800) wurde unverändert im Dekadenrhythmus getagt und verwaltet. Die Aufgaben des Direktoriums fielen mit der neuen Verfassung an den Präfekten. Deshalb sind nun die Protokolle des Generalrats des Departements von Interesse (Tab. 25). Er tagte in Sessionen. Bis zum Jahr XIII orientierte sich der Beginn einer Session streng am republikanischen Kalender. Sie fing jeweils nur am 1. oder 15. eines Monats ungeachtet des Wochentags an. Die vom Konkordat wieder neu eingerichtete Woche setzte sich erst vom Jahr XI vollständig durch, wie der freie Sonntag zeigt. Für Datierungszwecke benutzte das Departement jedoch weiterhin den Revolutionskalender. Es beweist damit, daß es alle Kalendergesetze jeweils äußerst genau einhielt. 2.3. Ergebnis Die Repräsentationskörperschaften und die Verwaltung haben den Revolutionskalender in einer Weise umgesetzt, die über eine bloße Datierungsgewohnheit deutlich hinausging. Die Intensität, mit der sie die Arbeit nach dem neuen Kaien-

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

der einrichteten, war allerdings unterschiedlich. Sie hing mit der politischen Konjunktur zusammen und folgte in groben Zügen der .Kurve' der Kalendererlasse. Die anfängliche strikte Einhaltung des Kalenders im Sinne einer Rhythmusänderung bei allen Gremien ist nicht weiter verwunderlich. So kurz nach dem Sieg der Konventstruppen über die Föderalisten hätte sich die Stadt gar nicht anders verhalten können. Das erste Nachlassen in diesen Bemühungen bei der Stadt und im Distrikt fiel in die post-thermidorianische Phase des gegenrevolutionären Terrors, wurde aber von dem republikanischen Wahlsieg im Germinal IV (März/April 1796) wieder aufgefangen. Gerade für die Direktoriumsjahre mit den neuen Kalendergesetzen wären genauere und dichtere Daten zum Verhalten gegenüber dem neuen Kalender wünschenswert, als es die Quellenlage, bedingt durch die neue Verwaltungsorganisation, zuläßt. Die Departementverwaltung hebt sich von Stadt und Distrikt deutlich ab. Sie befolgte von Anfang an den Kalender ohne Schwankungen - vielleicht wegen der größeren Abhängigkeit von Paris. Solange die entsprechenden Gesetze in Kraft waren, führte sie sie jedenfalls genau aus. Das gilt gerade auch noch für die Zeit des Konsulats und des Empires. Der Einfluß des ersten Präfekten Charles Delacroix, ehemaliger Konventsabgeordneter und als Republikaner antiklerikal eingestellt, war sicher nicht unerheblich. Dagegen dürfte es ein Bildungsgefälle als Erklärung für die unterschiedliche Beachtung des Revolutionskalenders bei den Mitgliedern der Räte von Departement und Lokalverwaltung nicht gegeben haben. Beide wurden aus der gleichen Personengruppe gewählt.97 Mit der Umstellung auf den Dekadenrhythmus änderte sich allerdings insgesamt die Einstellung zum Ruhetag. Der Decadi wurde offensichtlich strenger als arbeitsfreier Tag eingehalten als der alte Sonntag. Dies festzustellen ist wichtig gerade im Hinblick auf die in den Dörfern und auch in Marseille bestehenden Schwierigkeiten, die Heiligung des Sonntags durchzusetzen.98 Die relativ bessere Beachtung des Decadi könnte an der Unbelastetheit des neuen Ruhetags von alten Gewohnheiten, die die Einhaltung des Sonntags erschwert haben, ebenso gelegen haben wie an der einfachen Möglichkeit, gleichzeitig nach altem und neuem Kalender zu leben und zu arbeiten. Die Beachtung des Revolutionskalenders geht aber über eine Rhythmusänderung noch deutlich hinaus. Solange die politischen Verhältnisse dem Revolutionskalender günstig waren, zeigen dekadische Periodizitäten die Bereitschaft zur vollständigen Übernahme seiner Prinzipien. Der Wille zur Periodizität wird nicht nur an dem tatsächlichen Sitzungsverhalten deutlich erkennbar, er hat sich auch in expliziten Beschlüssen niedergeschlagen.99 Der für das Jahrhundert typische Zug zu Ordnung und Rationalität, auch Rationalisierung, kommt darin zum Ausdruck. Die neuen Sachzwänge, die die Neugestaltung der Verwaltung und zusätzlich neue Aufgaben wie militärische Aushebungen, Steuerreform oder Volkszählungen mit sich brachten, verstärkten ihn. Die täglichen Sitzungen sind dafür ein klares Indiz. Periodizität bei Sitzungen ist nun allerdings keine Errungenschaft der Revolution. Andere Einrichtungen in Marseille wie die Akademie100 - oder auch das Handelsgericht (Tribunal de commerce)101 kannten sie schon vorher. Doch für die städti-

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sehe Verwaltung war sie - zumal in solcher Dichte - offensichtlich neu. Trotz der Größe der Stadt hatten die entscheidenden Gremien bis dahin dafür keine Notwendigkeit gesehen. Der erste auch wirklich durchgeführte Versuch, zu einer Periodizität zu gelangen, fällt beim Generalrat in das Jahr 1793 und damit in den Zeitraum, für den allgemein in Frankreich der Durchbruch zur Bürokratisierung angesetzt wird.102 Der Revolutionskalender wird zu diesen Umgestaltungen von Periodizitäten und Rhythmen in der Verwaltung positiv beigetragen haben, indem er den Zeitgenossen die Möglichkeit zu Eingriffen in die zeitliche Ordnung im Sinn von größerer Rationalität und Rationalisierung eindringlicher eröffnet hat, als es unter den alten Bedingungen der Fall gewesen war. Die Gelegenheit zu einschneidenden Änderungen war somit leichter zu ergreifen, Rücksicht auf alte Gewohnheiten kaum noch notwendig. Vielleicht ließen sich deshalb tägliche oder konsequent periodische Sitzungen jetzt leichter durchsetzen. Auf jeden Fall wurden sie teilweise über Jahre hinaus durchgehalten. Der Revolutionskalender war nicht unbedingt eine notwendige Folge dieser Rationalisierungsbestrebungen. Allerdings fügt er sich dieser bereits bestehenden langfristigen Entwicklung ein, durch die verschiedene Terminsysteme in Bewegung geraten sind. Die Untersuchung des Revolutionskalenders im Bereich der Verwaltung verweist auf diesen Zusammenhang und zeigt, daß es - zumindest in einem gewissen Rahmen - möglich ist, in Terminsysteme auch kurzfristig so einzugreifen, daß sich Verhaltensänderungen ergeben. 3. Revolutionsfeste Rückschlüsse auf einen aktiven oder schöpferischen Umgang der Behörden mit dem Revolutionskalender lassen auch die zeitliche Organisation der neuen Festtagszyklen und ihre praktische Durchführung zu. Wurde der neue Festtagskalender in Paris entworfen, so war es die Aufgabe der lokalen Behörden, ihn umzusetzen. Wenn auch ihr Spielraum für zeitliche Manipulationen bei dem nationalen Festtagskalender variiert, bleiben dennoch Gestaltungsmöglichkeiten bei der lokalen Durchführung oder bei den Festen bestehen, die aus eigener Initiative der Lokalbehörden entstanden. Ob und wie bei der Planung der Revoltionsfeiem der Dekadenrhythmus des Revolutionskalenders eingesetzt wurde, ist bislang kaum beachtet worden.103 3.1. Traditionelle

Feste

Der alteuropäische Festtagszyklus ist aus dem Zusammenspiel von kirchlichen liturgischen Vorschriften, in die teilweise noch vorchristlichen Traditionen eingeflossen sind, und den Zwängen des Arbeitslebens einer Agrargesellschaft erwachsen. Auf diese Weise bildete sich der Platz eines Festes im Kalender heraus. Ein Wechsel des Kalenders mußte deshalb auch den Festtagszyklus ins Wanken bringen. Gerade die Provence bietet für eine Untersuchung der Feste besonders vielfältige Beobachtungsmöglichkeiten, gelten doch die Provenzalen als besonders fest-

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

freudig.104 Dennoch wäre es schwierig, den Festtagskalender der Stadt Marseille so zu rekonstruieren, wie er tatsächlich in einem bestimmten Jahr begangen wurde. Zwar gibt es Zusammenstellungen der Feste, wie zum Beispiel der arbeitsfreien Tage, die jeweils der Bischof für seine Diözese festlegte, der Patronatsfeste der Korporationen, Pfarreien und Büßergesellschaften, ganz abgesehen von den von lokalen Traditionen unabhängigen Festzeiten wie dem Karneval.105 Doch an ihrer Durchführung lassen die ständigen Aufrufe von Staat und Kirche im 17. und 18. Jahrhundert zur Einhaltung von Sonn- und Feiertagen Zweifel aufkommen. 106 Aussagen über die Verteilung der Feste auf Wochentage sind bei dieser Art Festtagskalender wenig sinnvoll. Die Sonntage - würde man sie mitzählen - wären in der Überzahl. Bei den übrigen Festen überwiegen die unbeweglichen, die durch die Woche wandern. Eine Berechnung ohne die Sonntage könnte also keine bevorzugten Wochentage feststellen und müßte sogar selbst den Wochenrhythmus verleugnen. Allerdings wäre zu prüfen, ob der Wochenrhythmus nicht von einer Kadenz überlagert wird, die die Feste bilden, welche an der Spitze der Festtagshierarchie stehen.107 Diese Schwierigkeiten brauchen hier sich jedoch nicht hindernd auszuwirken. Wichtiger als die Rekonstruktion eines bestimmten Feiertagszyklus des Ancien Regime ist es, als Hintergrundinformation für die Untersuchnung der zeitlichen Organisation der Revolutionsfeste drei Erscheinungen herauszustellen, die das Bild der Feste in Marseille des ausgehenden 18. Jahrhunderts bestimmt haben. Zunächst ist festzuhalten, daß das Festtagssystem des Ancien Regime im 18. Jahrhundert zunehmend unter Druck aufklärerischer Strömungen in Staat, Kirche und Öffentlichkeiten geriet.108 Die gemeinsame Kritik an der traditionellen Art der Feste betraf in der Regel vermeintliche oder tatsächliche Relikte alten Aberglaubens (ζ. B. die Johannifeuer, die vermutlich gerade wegen ihrer schon vorchristlichen Tradition den aufgeklärten Obrigkeiten ein Dorn im Auge waren), die Begünstigung sittlich verwerflichen Verhaltens durch überhöhten Alkoholgenuß bei Festen oder die Vergeudung von Arbeitszeit und Arbeitskraft. Eine Reform der äußeren Gestalt der Feste, insbesondere eine Verringerung der Anzahl der Feiertage, sollte Abhilfe schaffen. Typisch dafür ist die Rechnung, die der Verfasser des Artikels „Fetes" der Encyclopädie aufstellte. Bei einer Verlegung aller kirchlichen Feste bis auf fünf Ausnahmen auf den jeweils folgenden Sonntag errechnet er einen volkswirtschaftlichen Gewinn von 96 Millionen Livers.109 Wenn auch in Marseille die Einschnitte in den Festtagskalender nicht so radikal wie in Paris waren, wo der Erzbischof 1778 die Zahl der Feiertage von 42 auf 29 reduzierte,110 ist der Trend doch auch hier unverkennbar. Zwischen dem ausgehenden 17. Jahrhundert und 1789 ging die Zahl der kirchlichen Feiertage von 36 auf 42 zurück.111 Eine Verlegung von Festen auf den Sonntag hat es in Marseille bis zur Revolution allerdings nicht gegeben. Sodann begann sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts das Verhältnis von Festen der Sommer- und Winterhalbzeit zu verschieben. Diese Entwicklung setzte sich im 19. Jahrhundert noch fort.112 Sie spiegelt die Distanz wider, die sich allmählich auch in breiteren Bevölkerungskreisen den traditionellen Festen gegenüber ent-

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wickelt hat. Allein aus praktischen Überlegungen heraus meinte man, für ein Fest günstigere klimatische Bedingungen wählen zu können. Schließlich ging das Eingreifen in die zeitliche Struktur des Festtagszyklus einher mit einem äußerlichen Wandel der Feste. Die Riten und Gebräuche wurden nicht mehr verstanden, die Feste verkamen zu Folklore-Schauspielen. 113 Die Revolutionen mit ihren neuen Festen und der Revolutionskalender trafen also nicht auf einen stabilen und statischen Feiertagszyklus. Sie griffen vielmehr in ein System ein, daß sich bereits in einem tiefgreifenden Wandel befand. 3.2. Neue politische

Festtagszyklen

In Marseille wurde das traditionelle Fest von der Revolution zunächst nicht berührt. Die neuen Feste ergänzten nur den bestehenden Feiertagszyklus. 114 Ihre Formen suchten sie in der Überlieferung. Allmählich aber setzte ein langsamer Angleichungsprozeß ein. Die traditionellen Feste gerieten unter dem Einfluß der politischen Feiern, während diese immer mehr Eigenständigkeit in der Form entwickelten. 115 Erst die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen brachten die traditionellen Feste in größere Bedrängnis. Populärer Antiklerikalismus und aufklärerische Bestrebungen der Führungsschichten nahmen das alte Festagssystem gleichermaßen in die Zange. 116 Zwar versuchte die konstitutionelle Kirche durch populäre Reformen bei der Fastenregelung und den Arbeitsverboten die Feste selbst zu retten, 117 doch letztlich mit wenig Erfolg, weil diese Zugeständnisse schon nicht mehr weit genug gingen. So empfand es 1793 der Generalrat als Zumutung, daß der konstitutionelle Bischof ohne Absprache eine Prozession zur ,Fete de la Vierge' (Mariä Verkündigung, 25. März) - zumal auf einen Montag, also auf einen Arbeitstag - ansetzte. Er hat das Fest kurzerhand verboten. 118 Die neuen Feste in den Jahren 1792/93 waren trotz der Bemühungen des Konvents, eine politische Feiertagsordnung zu entwerfen, 119 vielfach noch sehr spontan und von den Ereignissen bestimmt. Mit und ohne Hilfe der Stadtverwaltung reagierten sie auf die politischen Höhepunkte. 120 Eine genaue Analyse der Wochentage, an denen die Feste stattgefunden haben, ist möglich. Da sie aber nur die Feste berücksichtigen kann, die quellenmäßig bezeugt sind, wird die Zahlenbasis recht schmal. Zwischen 1789 und 1793 sind 21 Feste nachweisbar. Sie verteilen sich folgendermaßen auf die Wochentage: So

Μ

D

Μ

D

F

S

6



4

2

3

2

4

(21)

Auf den Sonntag entfallen somit 29 % der Feste. Berücksichtigt man nur die politischen Feste, ergibt sich Folgendes Bild: So 5

Μ —

D 3

Μ

D

F

S

2

1



3

(14)

Nun besetzt der Sonntag schon über ein Drittel aller Feste. Der Wochenrhytmus mit dem Sonntag als freiem Tag und Festag ist eindeutig vorherrschend - sofern auf dieser schmalen Basis überhaupt ein Urteil möglich ist.121 Je mehr also der

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

Staat beteiligt ist, desto auffallender wird das Ergebnis. Es unterstreicht den Willen und die Fähigkeit der Elite, ihre aufklärerischen Überzeugungen durchzusetzen. Die Woche wurde zunehmend von den .unökonomischen' Festen freigehalten. Mit der Einführung des Revolutionskalenders und der gleichzeitigen Dechristianisierungswelle brechen die Nachrichten über traditionelle und kirchliche Feste ab.122 Für das Jahr II gibt es keine Hinweise auf diese Feste. In den folgenden Jahren bis ins Konsulat hinein sind sie so spärlich, daß sie nicht ins Gewicht fallen.123 Die einschneidenste Neuerung, die der neue Kalender für die Revolutionfeste brachte, war die Dekadenfeier.124 Mit ihr wurde der neue Rhythmus so eigentlich erst erfahrbar gemacht. Sie trat in Konkurrenz zu den politischen Gedenkfeiern, die außerhalb eines Rhythmus angesiedelt waren. Dem Gesetz vom 18. Flordal II (7.5.1794), das ja einen vorläufigen Schlußstrich unter eine lange Diskussion gesetzt hatte, gelang es endlich, eine Ordnung der politischen Feste zu etablieren. Zu den Dekadenfeiern, die jetzt mit moralischen Inhalten gefüllt wurden, kamen politische Feste außerhalb des Dekadenrhythmus. Sie mußten in der Folge natürlich jeweils den politischen Änderungen angepaßt werden.125 Eine nicht zu unterschätzende Wirkung des Gesetzes war es, daß es die Uniformität der Revolutionsfeiern auf nationaler Ebene herbeiführte. Spontane Initiativen - und seien es die der örtlichen Verwaltungen - wurden hingegen gelähmt.126 Außerhalb des offiziellen Festtagskalenders fanden nur wenige Feste statt (Tab. 26). Die Intensität der Durchführung des jeweils gültigen Festtagskalenders (Tab. 26) in den einzelnen Jahren stützt die Beobachtungen, die sich beim Sitzungsverhalten der Behörden ergeben haben. Das Jahr II ist in dieser Hinsicht vorbildlich. Alle vorgeschriebenen Feste wurden durchgeführt,127 und die Verwaltung war damit wohl auch soweit beschäftigt, daß sie an zusätzliche Feiern nicht denken konnte. Die gegenrevolutionäre Situation des Jahres III bringt die Tabelle nicht zum Ausdruck. Es sieht im Gegenteil so aus, als ob dieses Jahr in Marseille hinsichtlich der Revolutionsfeste sogar dem Jahr II in nichts nachstünde. Diesen Eindruck ruft vor allem die hervorragende Beachtung der Dekadenfeiern hervor. Vielleicht müßte er revidiert werden, wenn genauere Angaben über den Anklang bekannt wären, den die Feste bei der Bevölkerung gefunden haben. Der Befund ist allerdings nicht so erstaunlich, wenn man bedenkt, daß mit der thermidorianischen Reaktion und der Unterdrückung der Jakobiner die republikanische Ordnung nicht grundsätzlich in Frage gestellt wurde. Solche Strömungen kamen auch in Marseille erst später auf. Deshalb wird der Bericht des Journal der Marseille, eines nicht gerade republikanisch eingestellten Blattes, über den 14. Juli 1795 (Jahr III) doch nicht ganz der Grundlage entbehrt haben: Le fameux 14 juillet a pass6 ici incognito, sans amener ä sa suite ni serments, ni fetes. 128

Der neue Festtagskalender nach dem Gesetz vom 3. Brumaire IV (25.10.1795), bestehend aus sieben Nationalfesten, wurde zunächst exakt durchgeführt. Allerdings bedurfte es noch lange Zeit zusätzlicher Anordnungen des Departements, bis die Vorbereitungen zu den einzelnen Festen in der Stadt aufgenommen wurden. Die zahlreichen Verschiebungen sind darauf zurückzuführen. Von den Terminver-

In Behörden der Stadt Marseille

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legungen ist die vom 1. Pluviose IV (21.1.1796) auf den 20. Pluviose (Decadi) die auffälligste. Auch im Jahr V war die Verwaltung offensichtlich aller Widerstände zum Trotz bemüht, ihren republikanischen Pflichten nachzukommen. Die politischen Feste - davon besonders der 1. Vendemiaire, der 21. Januar und der 9. Thermidor - wurden konsequenter gefeiert als die moralischen. Der Decadi scheint kaum noch beliebt gewesen zu sein. Das Sitzungsverhalten zeigte es bereits. Bezeichnend ist deshalb die Verlegung der ,Fete des Epoux' vom 10. Floreal V (D6cadi, 30.4.1797) auf Sonntag, den 11. Floreal. Daß der 21. Januar unter den politischen Umständen nicht in Einmütigkeit zu begehen war, ist nicht verwunderlich. Es kam zu Unruhen, die das Militär unterdrücken mußte. Deshalb dürfte die Bitte der Stadtverwaltung Centre an das Zentralbüro, ein „ddtachement de garde de police" zu schicken, um die Administratoren zur Feier zu begleiten, auch eher aus weiser Voraussicht zum eigenen Schutz denn aus Eitelkeit oder aus Repräsentationsgründen ergangen sein.129 Im Jahr VI wurden die Feste wieder regelmäßiger gefeiert. Der Staatsstreich vom 18. Fructidor V (4.9.1797) hat hier - wie überall - seine Wirkung nicht verfehlt. Besonders in den Monaten Pluviose bis Germinal (Januar/April 1798) konnten die drei Stadtteilverwaltungen und andere Organisationen gar nicht schnell genug einen Termin finden, um ihren Freiheitsbaum zu pflanzen. Wollten sie damit beweisen, daß sie die neue Stimmung im Lande erkannt hatten? Vom Jahr VII an flaute die Stimmung aber bereits wieder ab. Die moralischen Feste gingen zurück; die politischen Gedenkfeiern konnten sich noch bis Venddmiaire VIII (September/ Oktober 1799) halten. Die Gesetze zur Stärkung der Feste und der Ddcadis blieben ohne sichtbare Wirkung. Das Konsulat brachte den bisher radikalsten Einschnitt in das Festtagssystem mit der Reduzierung auf zwei Feiertage, den 1. Venddmiaire (Republikgründung) und den 14. Juli.130 Die Dekadenfeiern waren damit, wenn auch indirekt, abgeschafft. Die Einhaltung des D6cadi als Ruhetag war nun nur noch für Beamte weiterhin verbindlich.131 Von einem Festtagskalender kann bei zwei Festen kaum noch die Rede sein; doch wurden diese beiden zumindest strikt durchgeführt.132 Erst mit der Proklamation Napoleons zum Kaiser im Flor6al XII (Mai 1804) kam wieder etwas Bewegung in die Festszene. Die Stadt wurde illuminiert, es fanden öffentliche Gebete für Kaiser und Reich statt.133 Der neue Trend zu mehr Festen setzte sich fort mit den Feiern zu Napoleons Geburtstag am 15. August - der alte christliche Feiertag Mariä Himmelfahrt konnte auf diese Weise günstig politischdynastisch vereinnahmt und restauriert werden.134 Kaiserkrönung und Siegesfeiern, die nun wieder die Kirche mit einem Te Deum unterstützte, waren weitere Höhepunkte.135 Zu einer nationalen Feiertagsordnung kam es jedoch erst wieder 1806. Napoleon gab dem Empire zwei Feiertage:136 die ,Fete de St. Νβροΐέοη et du r6tablissement de la religion catholique en France' am 15.8 und am 1. Sonntag im Dezember den »Anniversaire du couronnement et celle de Ia bataille d'Austerlitz'. Damit ist Frankreich bei nur einem offiziellen Nationalfeiertag innerhalb der Woche angelangt. Alle übrigen kirchlichen Feiertage sollten nach den Vereinbarungen im Konkordat ohnehin nur am Sonntag stattfinden.137

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

3.3. Dekadenfeiern Der Einfluß des Revolutionskalenders auf die neuen Festtagszyklen ist am ausgeprägtesten an der Dekadenfeier zu sehen. Denn die politischen Gedenkfeste gliederten sich ohnehin in die Dekade ein. Ihre Zahl nahm ja auch- wie gezeigt- immer weiter ab, da die revolutionäre Einmütigkeit meist Illusion blieb. Die für die Dekadenfeiern in den Jahren II und III wichtigste Quelle, ein Protokollbuch 138 mit dem Vermerk über die verlesenen Gesetzesbulletins setzte am 20. Messidor II (8.7.1794) ein und wurde bis zum 20. Brumaire IV (11.1.1795) geführt (Tab. 26). In dieser Zeit weist es nur vier Lücken auf, und das auch erst ab Ventöse III (Februar/März 1795). Dekadenfeiern werden im Jahr II auch schon früher mit großer Regelmäßigkeit stattgefunden haben. Die erste ist in Marseille am 20. Brumaire II (10.11.1793) mit großem Aufwand begangen worden. 139 Von der hohen Zahl der Dekadenfeiern darf jedoch nicht auf eine ebenso hohe Beteiligung bei der Bevölkerung geschlossen werden. Auch in Marseille wird die Situation nicht wesentlich besser als in Aix gewesen sein, wo die .Societe populaire regeneree des Antipolitiques montagnards' am 17. Messidor II (5.7.1794) dem Konvent vorgeschlagen hat, um eine höhere Beteiligung zu erreichen, jeden, der ohne triftigen Grund einer Dekadenfeier fernbleibe, als „suspect" zu deportieren. 140 Den Behörden wird ein Fernbleiben von den Dekadenfeiern um so unverständlicher gewesen sein, als sie die Vorbereitungen äußerst genau nahmen. Die Wirkung der Dekadenfeiern hatte Freron in seinem Erlaß vom Brumaire II (November 1793) ja ausdrücklich herausgestellt. Neben Einladungen an sämtliche zivile und militärische Verwaltungskörperschaften ergingen im Jahre II zu den Feiern jeweils Aufrufe an die Bevölkerung, überall dort, wo der Festzug vorbeikomme, die Straßen vor ihren Häusern zu reinigen und freizuhalten „sous peine d'etre regardes comme suspects et punis comme tels".141 Zu den Festzügen engagierte die Verwaltung Schauspieler und Musiker. Zumindest im Jahr II gab es im Theater abends Gratisvorstellungen für die Bevölkerung. 142 Bezeichnend für die Entwicklung des Anklangs, den die Dekadenfeiern in der Bevölkerung gefunden haben, ist die Wahl der Orte, wo sie stattgefunden haben: von der Öffentlichkeit im Temple de l'Etre Supreme (20. Messidor II - 10. Vendemiaire III/8.7 - 1.10.1794) werden sie in die Societe populaire regeneree verlegt (20. Vendemiaire - 10. Fructidor 111/11.10.1794 - 27.8.1795), um endlich im Rathaus (20. Fructidor III - 20. Brumaire IV/6.9. - 11.11.1975) als Veranstaltung der Behörde zu enden. 143 Die Teilnahme der Öffentlichkeit war wohl schon im Jahre III nicht mehr selbstverständlich. So schrieb die Distriktverwaltung an die Stadträte, die ihr anscheinend Vorhaltungen gemacht hatten: Comme la loi ne parle que des autorit6s constituies qui doivent assister ä cette c6r6monie, nous n'avons pas cru devoir y appeler d'autres citoyens que ceux disign6s par eile. 144

Das Ende des Protokollbuchs im Brumaire IV (November 1795) und das Fehlen anderer Quellen für die folgenden Jahre, wie die sonst üblichen Einladungen zu Dekadenfeiern, dürften nicht zufällig sein. Da das Gesetz vom 3. Brumaire IV

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(25.10.1795) die Frage der Dekadenfeiern unerwähnt ließ, lag die Annahme nahe, sie seien nicht mehr verbindlich. Wenn überhaupt noch gefeiert wurde, dann wohl nur noch als Behördenfest an einem geschlossenen Ort.145 In den Jahren VI bis VIII nahmen die Dekadenfeiern wieder zu; sie waren ja erneut gesetzlich vorgeschrieben und nun mit den zivilen Eheschließungen zusammengelegt. Vom 10. Vendemiaire VII bis zum 30. Thermidor VIII (1.10.179818.8.1800) fanden - bis auf zwei Ausnahmen, an denen keine Trauungen vorkamen (lO.Nivöse VII, 10. Pluviöse VIII/30.12.1798, 30.1.1800) - regelmäßig Dekadenfeiern mit Eheschließungen statt.146 Die vorgesetzten Behörden wachten sorgfältig darüber, daß zumindest alle Beamten an den Feiern teilnahmen. Am 11. Floröal VI (30.4.1798) fragte das Zentralbüro aufgrund einer Beschwerde des Platzkommandanten bei der Stadtteilverwaltung Nord an, warum sie am Vortage nicht an der ,Fete des Epoux' teilgenommen habe.147 Der Platzkommandant erhielt daraufhin als Antwort: Le prdsident de notre administration et deux autres administrateurs, jaloux de concourir ä la splendeur d'une fete aussi d61icieuse, se rendirent dans le lieu de nos sdances, le 10 de ce mois ä neuf heures du matin pour de lä se rendre au lieu du rendez-vous en costume, dfcs que la garde d'honneur que le Bureau Central est d'usage d'envoyer pour escorter l'administration municipale serait arrivie; ils attendirent jusqu'ä 11 heures sonnöes, et le concierge qu'ils dipechfcrent au Bureau Central pour inviter les administrateurs ä envoyer l'escorte avisde annonga ä son retour que le cortige itait parti; ce qui les obligea ä se retirer dans le sein de leurs families. 148

Die Informationen über politische Feste und Dekadenfeiern weiter auf Zahlen zu reduzieren und die Prozentwerte für Dekaden- und Wochentage anzugeben dürfte ohne weiteren Erkenntniszuwachs bleiben. Dazu sind die absoluten Zahlenwerte zu gering. Der jeweils gültige Festtagskalender wurde, sofern man überhaupt feierte, äußerst genau eingehalten. Die wenigen Abweichungen wurden bereits erwähnt. Selbst wo sie häufiger sind, wie im Jahr IV, bleiben sie im Dekadenrhythmus. Die Lücken bei den Festen sind wohl eher politisch motiviert als von ungünstigen Wochentagen bedingt, die hinter den Dekadentagen stehen könnten. 149 3.4. Ergebnis Vor der Revolution ist der Feiertagszyklus nur sinnvoll in seinem jahreszeitlich geprägten Rhythmus zu beschreiben. Zu viele unbewegliche kirchliche Feste verhindern die Bevorzugung bestimmter Wochentage. Die politischen Feiern, die mit der Revolution einsetzten, lagen trotz des großen Grades an Spontanität und der Abhängigkeit vom Verlauf der Ereignisse überwiegend auf dem Sonntag. Den Revolutionären gelang damit das, wozu sich aufgeklärte Strömungen in Staat und Kirche bis dahin in Marseille vergeblich bemüht hatten. Mit dem neuen Kalender wurde der traditionelle Festtagszyklus völlig zerstört oder in den privaten Untergrund gedrängt, wo er sich der Beobachtung entzieht. Der neue politische Feiertagszyklus, soweit dem nicht Gedenkfeiern entgegenstanden, folgte strikt dem Dekadenrhythmus. Die Intentionen der Kalendermacher und

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

Dechristianisierer haben sich im Bereich des offiziellen Festtagskalenders für einige Jahre durchgesetzt. Anklänge an das alte System sind - soweit es die verfügbaren und benutzten Quellen zulassen - kaum noch zu spüren. Den entscheidenden Rückschwung brachte das Konkordat. Jetzt spätestens waren die Woche und einige traditionelle Feste wieder da. Allerdings haben sie sich inhaltlich und in der Form stark gewandelt. Die Zahl der staatlichen und kirchlichen Feiertage ist radikal zurückgeschraubt, der Sonntag der beherrschende Sieger. Die Bestrebungen der Aufklärung sind damit in einem Maße verwirklicht, das selbst die kühnsten Forderungen und Hoffnungen der Encyclopädisten noch weit übertroffen haben dürfte. Selbstverständlich liegt der Schlüssel zum Erfolg nicht allein im Kalender. Die gesetzliche Regelung der Revolutionsfeiern und der Bruch mit den kirchlichen Festen haben ihren Anteil dazu beigetragen. Die lokalen Behörden führten also nur Anordungen aus, wenn sie sich an den Dekadenrhythmus hielten. Die gestaltende Kraft des Revolutionskalenders wird dadurch aber nicht gemindert. Denn mit dem Dekadensystem dürfte die Wirkung der politischen Feste und der übrigen Maßnahmen entscheidend potenziert worden sein. Dadurch, daß der Revolutionskalender für eine gewisse Zeit die traditionelle zeitliche Ordnung durcheinandergebracht hat, schuf er den Spielraum für eine Neuordnung, die keine bloße Restauration traditioneller Feste war.150

III. Der Revolutionskalender im persönlichen Gebrauch Die Suche nach Lebensbereichen, die sich in signifikanter Weise am Kalender ausrichten und die quellenmäßig überhaupt zu erfassen sind, ist schwierig, wenn man die öffentliche Sphäre verläßt. Über persönliche regelmäßige Tätigkeiten werden verständlicherweise nur selten oder nie schriftliche Aufzeichnungen geführt, die dann auch noch in ein öffentliches Archiv geraten.1 Deshalb wird es nicht möglich sein, an solche Terminsysteme in der Weise heranzukommen, wie es für diese Untersuchung wünschenswert wäre. Ob sich die Termine beispielsweise für den Back- oder Waschtag unter dem Einfluß der Dekade geändert haben, ist empirisch eben nicht hinreichend zu überprüfen. Diese Schwierigkeiten betreffen jedoch nicht nur typisch weibliche hauswirtschaftliche Tätigkeiten; selbst über den Arbeitsablauf eines Handelskontors ist - jedenfalls für Marseille - nichts zu erfahren.2 Ein Tagebuch mit privaten und geschäftlichen Eintragungen, wie das des Kaufmanns Joseph Abel, der Kontoren in Aix-en-Provence und Marseille unterhielt, ist die Ausnahme - ein Zufallsfund. Wegen dieser Schwierigkeiten erscheint es angebracht, unter persönlichen Tätigkeiten hier auch diejenigen zu verstehen, bei denen sich staatlicher Einfluß auf die Gestaltung des ihnen zugrundeliegenden Terminsystems ausgewirkt hat. Im Sinne dieser Ausweitung dürfte die Analyse von Hochzeitsterminen ein vielversprechendes Untersuchungsfeld eröffnen. Denn die Wahl des Hochzeitstages beruht grundsätzlich auf persönlicher Entscheidung. Doch ist bekannt, daß kirchli-

Im persönlichen Gebrauch

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che Verbote die Planung hinsichtlich der Jahreszeit einschränkten und die Auswahl des Tages einem Geflecht aus lokalen Traditionen, Aberglauben und Nützlichkeitserwägungen unterlag. Auf diese Weise bildeten sich in einer Gegend bestimmte bevorzugte Hochzeitstage heraus. Gerade in Hinblick auf die Wahl des Tages ist der Einfluß der einzelnen Faktoren nicht zufriedenstellend geklärt. Die Spekulationen beherrschen noch weithin das Feld. Einzelne Untersuchungen zeigen nun, daß dieses System während der Revolution erschüttert worden ist. Die Rolle des Revolutionskalenders ist dabei noch ungeklärt. Da aber der Revolutonskalender - wenn auch erst recht spät - seit dem Gesetz vom 13. Fructidor VI (30.8.1798) bei der Wahl des Hochzeitstages verbindlich zu beachten war und damit die persönliche Wahlmöglichkeit entfiel, ist eine eingehendere Untersuchung hier angebracht. Dazu ist zunächst herauszufinden, wie sich die Hochzeitstermine auf das Jahr und auf einzelne Wochentage verteilt haben. Sodann ist zu untersuchen, ob der Revolutionskalender mit der Dekade eine mögliche Präferenz für bestimmte Wochentage aufgelöst oder verändert hat. Natürlich erfüllen die Hochzeitstermine nicht in idealer Weise die Kriterien, die an die Quellen für diese Untersuchung gestellt wurden. 3 Die Quellenlage erfordert jedoch Kompromisse. Einen anderen, allerdings indirekten Zugang zu privaten Terminsystemen von überwiegend Handwerkern und Kaufleuten bieten die Untersuchungsprotokolle und Strafanzeigen, die die Polizei bei der Überwachung der Kalendergesetze angefertigt hat. Schon der Umstand, daß die Polizei hier Beobachtungen anstellen konnte, macht deutlich, daß es sich auch hier um eine persönliche Sphäre handeln mußte, die der Öffentlichkeit teilweise zugänglich war. Selbst die Kalendergesetze aus dem Jahr VI erwähnen nur die Bereiche, die öffentlich einsehbar sind. Was sich hinter geschlossenen Türen abspielte, war in der Regel auch für den Staat tabu. Doch liegen für die Jahre VI und VII Polizeiberichte vor, die Einblick geben in die Arbeitsgewohnheiten von Handwerkern und kleinen Kaufleuten. Im Vergleich zu den Heiratsterminen mit ihrem Einmaligkeitscharakter handelt es sich bei den Arbeitszeiten um wirkliche Terminsysteme, die vom Revolutionskalender betroffen waren. Die Polizeiberichte rücken vor allem das Rhythmusproblem der Ruhetage in den Blick. Da die Fischerzünfte an der französischen Mittelmeerküste als einzige Korporationen während der Revolution nicht vom Verbot der Zünfte betroffen waren 4 und das Archiv der Patrons-pecheurs von Marseille erhalten geblieben ist, läßt sich das Terminsystem einer ganzen Berufsgruppe zumindest teilweise hinsichtlich einiger Termine wie Wahl der Zunftoberen, Vollversammlungen, bestimmte Zahltage rekonstruieren. Im Vordergrund steht auch hier wieder der Rhythmuswechsel, wenn auch einige periodische Termine zu beobachten sind. Der Einfluß von Kirche und Staat hat bereits früh zu Konflikten und möglicherweise auch Verhaltensänderungen geführt. Schon 1431 wurde das Verbot, an Sonn- und Feiertagen zum Fischfang auszufahren, eigens erwähnt und in der Folgezeit oftmals wiederholt, ohne daß es jemals wirklich durchgesetzt werden konnte.5 Auch das Hospital (Hötel-Dieu) von Marseille eignet sich für diese Untersuchung. Seine Rektoren hatten die Angewohnheit, die Verwaltungsangelegenheiten

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

als Kollegium in regelmäßigen Sitzungen zu erledigen. Die entsprechenden Protokolle sind erhalten. Sie können hinsichtlich des Wechsels von Periodizität und Rhythmus untersucht werden. Das Hospital war zwar eine Einrichtung der Stadt, die Rektoren - ihre Zahl schwankte zwischen 4 und 18 - verstanden es aber, sich vom direkten Einfluß des Stadtrats weitgehend unabhängig zu machen und ergänzten sich schließlich durch Kooptation. 6 Die anfängliche Wahl durch den Stadtrat wurde zu einer reinen Formsache. 7 Die Gesetzgebung der Revolution verstärkte wieder den staatlichen Zugriff auf die Hospitäler. Der Stadtrat versuchte jedoch, die alten Verwaltungsstrukturen möglichst beizubehalten. 8 Das Hospital war also nie direkt in die bürokratische Hierarchie eingebunden, sondern stand zu ihr in einer gewissen Entfernung, so daß die Untersuchung der zeitlichen Arbeitsgewohnheiten der Rektoren in diesem Abschnitt gerechtfertigt erscheint. Da die Auswahl allein von der Quellenlage bestimmt ist, hat dies notwendigerweise eine gewisse Heterogenität der Untersuchungsfelder zur Folge. Die Einheit der folgenden Kapitel liegt in der Fragestellung. 1.

Heiratstermine

Eine Heirat setzt wohl in den meisten Fällen eine bewußte Terminwahl voraus. Da die Grundlage für jede Terminwahl der Kalender ist, entsteht die Frage, was sich bei der Kalenderreform geändert hat. Natürlich könnten auch Gründe, die für die Wahl des Hochzeitstages bestimmend sind, vom Wechsel des Kalenders unberührt geblieben sein. Deshalb darf die Untersuchung nicht voreilig auf die Kalenderreform zusteuern, um sie als Ursache möglicher Veränderungen haftbar zu machen. Das zu erwartende traditionelle Heiratsmuster wird über die Heiratsdaten für die Jahre 1740, 1750, 1760, 1770 und 1780 rekonstruiert. Die Auswahl der Jahre ist willkürlich getroffen, ebenso wie die der für den Vergleich mit der nachrevolutionären Situation herangezogenen Jahre (1820, 1830 und 1850). Von der Revolutionszeit bis zur Abschaffung des neuen Kalenders (1790-1805) wurden dagegen alle Jahre berücksichtigt. Für die drei Jahre bis zur Einführung der Zivilehe (17901792)9 wurden ebenso wie für die Jahre des Ancien Regime jedoch nur die Zahlen der Pfarrei St. Martin ausgewertet. 10 Sie umfaßt im wesentlichen die dichtbesiedelten Viertel der Altstadt. Für 1793 und die Jahre II und III mußten die Heiraten für ganz Marseille erfaßt werden, weil die städtischen Standesregister, die mit der Einführung der Zivilehe die kirchlichen Register abgelöst hatten, natürlich nicht mehr nach Pfarreien geführt wurden. Die Heiratsdaten der Jahre IV-XIII stammen nur aus der Stadtteilverwaltung Nord. Ihr Gebiet lag im wesentlichen in der Altstadt und deckte sich also in etwa mit dem der ehemaligen Pfarrei St. Martin. Die Vergleichszahlen für das 19. Jahrhundert beziehen sich wieder auf die gesamte Stadt. Da die Kirchenbücher und die Standesregister in der Regel nur das Datum ohne Wochentag angeben, mußten zu allen Daten die Wochentage festgestellt werden, ehe sie nach Monaten und Wochentagen ausgezählt wurden. Die absoluten Zahlen

ImpersönlichenGebrauch

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wurden für die Tage in Prozente, für die saisonspezifische Verteilung nach dem in der historischen Demographie üblichen Verfahren umgerechnet, bei dem die Vergleichsgröße 1200 Heiraten/ Jahr bzw. 100 in einem Monat ist.11 Für die Revolutionszeit waren zunächst die republikanischen Daten und Wochentage umzurechnen, um die Vergleichbarkeit mit den Zahlen für das Ancien Regime und das 19. Jahrhundert zu gewährleisten. Denn in der demographischen Literatur wird - auch für die Revolutionszeit - nur mit den Daten des alten Kalenders gearbeitet. Außerdem läßt sich nur durch diese Umrechnung feststellen, ob sich hinter den neuen Daten weiterhin alte Gewohnheiten verbargen und der Wandel nur Fassade war. 1.1. Saisonale Verteilung der Heiraten Erst die historischen Demographie hat die saisonspezifische Verteilung der Heiraten entdeckt, 12 empirisch nachgewiesen und sie auf die Beachtung der kirchlichen Verbotszeiten, den Advent und die Fastenzeit vor Ostern, wie auch auf die Zwänge des landwirtschaftlichen Arbeitsablaufs zurückgeführt. 13 Um herauszufinden, ob sich der Revolutionskalender auf die jahreszeitliche Verteilung der Hochzeitstage ausgewirkt hat, genügt es, die kirchlichen Verbotszeiten näher zu betrachten. Denn sie sind im neuen Kalender nicht mehr besonders ausgewiesen. Überlegungen zu den Einflüssen des Arbeitslebens müssen bei einer so großen und sozio-professionell differenzierten Stadt wie Marseille Spekulation bleiben. 14 Für den März (Fastenzeit) liegen die Werte im 18. Jahrhundert noch deutlich, die für Dezember (Advent) etwas geringer unter dem proportionalen Jahresdurchschnitt von 100 Heiraten pro Monat (Tab. 27).15 Ab 1792 verschwindet der Einbruch im Dezember völlig, 16 der im März wird unbedeutend bzw. nähert sich dem Durchschnitt. 17 Damit folgt Marseille dem Muster, das auch aus anderen Gegenden Frankreichs bekannt ist: die Beachtung der kirchlichen Verbotszeiten geht während der Revolution verloren, erst von der Mitte des 19. Jahrhunderts an setzt wieder eine gegenläufige Tendenz ein.18 Allerdings weicht Marseille auch in charakteristischer Weise von den übrigen bekannten Zahlen nach oben ab. Es liegt mit seinen März- und Dezember-Heiraten deutlich über den nationalen Werten für das Ancien Regime. Dies zeigt ein Vergleich der Durchschnittswerte von März und Dezember aus Marseille mit nationalen Daten 19 : Marseille 1740 1750 1760 1770 1780, 1790-92 1793-99 1800-04 1820 1830 1850

Frankreich

städtisch

gesamt

75 51,5 56,5 61

1740-49 1750-59 1760-69 1770-79

26 18 22 14

17 18,5 19,5 16,5

77,6 101,2 106,3 87,5 66,5 97,5

1780-92 1793-99 1800-19 1820-29

35 81 69 58

20,5 75 68 47

116

Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

Die überdurchschnittlich hohen Zahlen für Marseille sind Ausdruck der besonderen großstädtischen Situation. 20 Die massive Nichtbeachtung der Fastenzeit setzt ungefähr mit dem Beginn des Revolutionskalenders ein. 21 1791 liegt der März-Wert außergewöhnlich hoch (110 Heiraten), doch fällt er in den beiden folgenden Jahren schon wieder unter das Niveau des A n d e n R6gime zurück (Tab. 25). Zwischen 1794 und 1800 (mit Ausnahme von 1798) weisen die März-Werte endgültig deutlich über die des Ancien Rdgime hinaus. Bei den Dezember-Werten setzt der Anstieg bereits 1792 ein. Die Ursache für die zweifellos zu konstatierende Änderung ist mit diesen Zahlen noch nicht auszumachen. Einen Hinweis vermag aber eine genauere Analyse der Heiraten in den einzelnen Wochen der Fastenzeit geben (Tab. 28). Es zeigt sich, daß bis 1792 in der Osterwoche (Spalte S, Tab. 28) niemals eine Trauung stattgefunden hat. Von 1793 an ist dieses Tabu jedoch - bis auf die Ausnahme von 1800 durchbrochen. Ostern 1793 war der Revolutionskalender jedoch noch nicht eingeführt. Dies ist allerdings auch das erste Jahr, für das nur die Zahlen der Zivilehe vorliegen. Der direkte Einfluß der Kirche auf das Heiratsdatum ist also nicht unbedingt mehr gegeben. Um das Weiterbestehen der kirchlichen Verbote zu beobachten, müßten die Daten der kirchlichen Trauungen bekannt sein. Kirchliche Standesregister waren jedoch verboten. 22 Außerdem ist zu beachten, daß eben schon 1793 sich die ersten Anzeichen der kommenden Dechristianisierungswelle, deren Höhepunkt Marseille im Ventose II (Februar/März 1794) 23 erreichte, bemerkbar machten. Nachdem die Kirche schon vorher in ihrem Wirken behindert war, verlor sie nun zunehmend ihren öffentlichen - zumindest quellenmäßig feststellbaren Einfluß. Der Revolutionskalender dürfte also nur einer unter einer Reihe weiterer Faktoren für diesen abrupten Wandel sein. Der alte Kalender konnte gar nicht so schnell vergessen werden, wie sich hier eine Änderung abzeichnete. Neue Monatsgrenzen, ein verschobener Jahresbeginn und die Dekade sind letztlich nur Äußerlichkeiten, so daß selbst eine strikte Beachtung des Revolutionskalenders immer noch die Möglichkeit offengelassen hätte, die alten Verbotszeiten zu meiden. 1.2. Heiraten und Tage Für die Wahl des Heiratstermins im Ancien Regime bevorzugte man eindeutig bestimmte Tage (Tab. 29). Dieses Muster gilt bis 1792. Der Dienstag ist dabei der beliebteste Tag, gefolgt vom Sonntag. An diesen beiden Tagen werden zunächst rund 70 % der Ehen geschlossen (1740: 74 %; 1750: 80 %; 1760: 78 %; 1770: 68 %; 1780: 71 %). Danach sinkt ihr Anteil auf etwas mehr als die Hälfte (1790: 64 %; 1791: 67 %; 1792: 55 %). Es folgt der Donnerstag mit durchschnittlich 10,9 % in den acht berücksichtigten Jahren. Montag, Mittwoch und Samstag - dieser wird allerdings ab 1790 beliebter - nehmen etwa den gleichen Platz ein (Montag: 5,6 %; Mittwoch: 6,4 %; Samstag 6,3 %). Der Freitag (1,3 %) fällt als Hochzeitstag nicht ins Gewicht. 24 1793 verschiebt sich dieses Muster teilweise. Der Sonntag gibt seinen Anteil an den Montag ab. Die Zahlen beziehen sich jetzt aber - das ist unbedingt zu beach-

Im persönlichen Gebrauch

117

ten - allein auf die Zivilehe, die auf dem städtischen Standesamt geschlossen wurde.25 Am Samstag, dem 19. Oktober 1793, wurde zum letzten Mal das gregorianische Datum benutzt.26 Die Register wurden geschlossen und neue für das Jahr II der Republik vom 1. Brumaire (Dienstag, 22.10.1793) an begonnen. 27 In den Jahren II-VI und X-XIII verteilen sich die Heiraten ziemlich gleichmäßig auf die Dekadentage (Tab. 30). Nur in den Jahren VII-X zeigt sich eine ausgesprochene Vorliebe für bestimmte Tage der Dekade. Da sich im Jahresverlauf die sieben Wochentage gleichmäßig auf die Dekadentage verteilen, kann die Tabelle besonders bei einer relativ gleichstarken Auslastung der einzelnen Tage - nichts darüber aussagen, ob die Heiratswilligen nicht hinter dem Schutz der republikanischen Daten ihre alten Vorlieben heimlich weiterbehielten. Um hier Klarheit zu erhalten, sind für die republikanischen Daten der Jahre II-XII die entsprechenden alten Wochentage ermittelt und neu ausgezählt worden (Tab. 29). Auf diese Weise zeigt sich, daß das vom Ancien Rdgime her bekannte Muster zunächst völlig zerstört worden ist. Die großen Werte für einzelne Tage sind nivelliert worden. Einzig der Freitag kann seine Stellung, wenn auch leicht verstärkt gegenüber dem Ancien Regime, bis zum Jahre VI behaupten - ein Beweis dafür, daß einige Tabus des alten Kalenders bestehenblieben. Dann erzwingt das Gesetz vom 13. Fructidor VI (30.8.1798) die rigorose Beschränkung der Eheschließungen auf den Ddcadi. Es wird, wie vorgesehen, vom 1. Venddmiaire VII (22.9.1798) an befolgt. Zwischen den Jahren VII und X bleibt die Dekade bestimmend. Nun sind Octidi und Nonidi die beliebtesten Tage. Vom Jahr X an aber erweist sich der Verdacht als begründet: hinter der Dekade versteckt sich ein ausgeprägtes Wochenschema, das in den folgenden Jahren noch mehrfach wechselt (Tab. 29 und 30). Zunächst sind Sonntag und Dienstag wie im Ancien Rdgime Spitzenreiter, sie werden vom Montag (über 70 %) abgelöst, der dann vom Jahr XI an seine Position an den Mittwoch abgibt, bis sich allmählich die bis heute bevorzugten Tage herausschälen (vgl. 1954 in Tab. 29). Das Gesetz über die Zivilehe vom 20.9.1792 sah auch die Ehescheidung vor. Die Zahlen interessieren hier nur in ihrer Verteilung auf die Wochen- bzw. Dekadentage, die jahreszeitliche Verteilung ist kaum von Bedeutung, zudem relativ konstant. Der Boom nach Einführung der gesetzlichen Ehescheidungen ist nicht verwunderlich. Es wurden zunächst alte Verhältnisse bereinigt, dann pendelten sich die Zahlen auf ein Normalmaß ein (Tab. 31). Die Verteilung auf die Wochentage (1793) ist leicht zu deuten. Die Scheidungen werden mittwochs und samstags vorgenommen, also an den Tagen, die relativ wenig Hochzeiten kennen. Nach der Einführung des Revolutionskalenders sind die Tage relativ gleichmäßig mit Hochzeiten ausgelastet; die Scheidungen folgen diesem Muster. In der Zeit, als Eheschließungen nur am Dicadi möglich waren, bleibt der Ddcadi von Scheidungen frei.28 Es ist erstaunlich, wie schnell das ausgeprägte Muster für die Heiratstage, das Marseille im Ancien Regime kennzeichnet, mit der Einführung des Revolutionskalenders von der Dekade eingeebnet wird. Erst mit dem Konkordat (1802/Jahr X) sind wieder eindeutig bevorzugte Wochentage zu beobachten. Dieses Ergebnis

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

wirft zumindest zwei Fragen auf: 1. Wie läßt sich die Beliebtheit einzelner Wochentage im Ancien Regime und später nach dem Konkordat erklären? Besonders wichtig ist die Frage für das Ancien Regime, weil das traditionelle Muster - obwohl über Jahrzehnte und vielleicht sogar Jahrhunderte konstant - offensichtlich so leicht zu erschüttern war. 2. Wie ist der Einfluß des Revolutionskalenders zu bewerten? Angesichts des schnellen Sieges über das alte Muster drängt sich der Verdacht auf, die Dekade habe ähnlich befreiend gewirkt wie die Zivilehe hinsichtlich der kirchlichen Verbotszeiten. Erklärungsversuche der Ancien-Regime-Forschung, warum bestimmte Wochentage für eine Heirat weniger beliebt waren als andere, heben zwei Aspekte hervor. Zum einen werden kirchliche Verbote - besonders für den Sonntag - angeführt.29 Für Tage, die von kirchlichen Verboten unberührt blieben, kommt zum andern der Hinweis auf volkstümliche oder religiöse Gebräuche und verschiedene Formen von Aberglauben:30 so seien der Mittwoch und der Freitag generell als Unglückstag anzusehen, während bei einer Heirat am Donnerstag der Ehemann befürchten müsse, gehörnt zu werden; der Samstag falle wegen verschiedener Marienkulte aus. Übrig bleiben nach dieser Rechnung also nur der Montag und der Dienstag abgesehen vom Sonntag - , die in weiten Teilen Frankreichs tatsächlich wohl die beliebtesten Heiratstage waren.31 Für den Dienstag werden praktische Gründe ins Feld geführt: am Montag werde das Fest vorbereitet, am Dienstag geheiratet und gefeiert, am Mittwoch und Donnerstag die Reste verzehrt und am Freitag gefastet.32 Der Dienstag ist auch in Marseille der beliebteste Tag. Der Sonntag stellt wohl einen Sonderfall dar. Verbote auf Diözesanebene, wie aus anderen Gegenden bekannt, gibt es in Marseille nicht.33 Als Begründung für die Beliebtheit des Sonntags ist das jedoch zu wenig. Sollte es sich um ein spezifisch urbanes Phänomen handeln? Vor allem städtische Lohnarbeiter in einer Großstadt wie Marseille dürften schon in einem modernen Sechstagerhythmus gelebt haben.34 Die angeführten Erklärungsversuche für die Heiratstage lassen sich insgesamt in Frage stellen. Denn sollte es zutreffen, daß kirchliche Gebote, Gewohnheiten, Aberglaube oder Nützlichkeitserwägungen eine Rolle gespielt haben, dürfte dieses zumindest über Jahrzehnte feste Muster nicht so leicht und so schnell zu erschüttern gewesen sein. Könnten kirchliche Verbote immerhin als Zwang verstanden worden, so daß ihr Wegfall eine kurzfristige Änderung ausgelöst hat, ist dies bei einem Verhalten, das auf Aberglauben oder Gewohnheiten beruht, kaum zu vermuten. Wäre das Verhalten wirklich von Aberglauben oder Gewohnheit bestimmt, wäre ein langsames Verblassen der Erinnerung anzunehmen und nicht ein plötzlicher Wechsel wie 1793, im Jahr II und erneut vom Jahr X an (Tab. 29).35 Für den Dienstag gibt es jedoch eine Erklärung, die auch das spätere schnelle Verschwinden der alten Ordnung verständlich macht. Im Ancien Regime war nämlich das entscheidende Datum, das die Wahl des Hochzeitstags bestimmte, der Tag, an dem das künftige Paar zum letzten Mal in der Kirche aufgeboten wurde. Die Diözesanstatuten bestimmten dabei in der Regel eine Frist, die zwischen beiden Terminen liegen mußte.36 Sie betrug im allgemeinen ein bis zwei Tage.37 Da

Im persönlichen Gebrauch

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das Aufgebot an einem Sonn- oder Feiertag erfolgen mußte, blieb als erster möglicher Termin der Montag oder der Dienstag. Die Tauglichkeit eines der übrigen Tage für die Wahl des Hochzeitstermins mögen die bisher üblichen Erklärungsmodelle begründen. Sie brauchen nicht grundsätzlich falsch zu sein. Fest steht jedoch, daß der erste Einbruch in das lange Zeit stabile System einer Gesetzesänderung zuzuschreiben ist. Der Wechsel vom Sonntag zum Montag ist zwar durch die Einführung der Zivilehe bedingt, damit aber noch nicht zufriedenstellend erklärt. Da es kaum denkbar ist, daß die kirchliche Trauung sofort aufgegeben wurde, würde das bedeuten, daß die kirchliche Eheschließung spätestens am Dienstag nachgeholt würde. Damit fände sie zwar an einem vom alten System legitimierten Tag statt, doch bleibt die Frage offen, warum die Leute, die vorher den Sonntag bevorzugten, mit der standesamtlichen Trauung nicht auf den Samstag ausgewichen sind, um den alten Sonntag beibehalten zu können. Die Begründung liefert das Gesetz über die Zivilehe, in dem es über den Aufgebotstermin heißt: der Eheschließung gehe ein Aufgebot voraus, das an einem Sonntag um 12 Uhr mittags vor der Tür des Gemeindehauses von einem städtischen Beamten verlesen werde; die Eheschließung selbst könne frühestens acht Tage nach dem Aufgebot erfolgen.38 Damit ist geklärt, warum ein Ausweichen auf den Samstag nicht möglich war. Der Montag für die zivile Eheschließung kommt allerdings auch dadurch zustande, daß der Sonntag bei den acht Tagen nicht mitgezählt wurde. Das bestehende System wurde von dieser Änderung zwar erschüttert, jedoch in erträglichem Maße. Denn die Zivilehe am Montag ließ immer noch mit dem Dienstag als günstigem Anschlußtermin für die kirchliche Trauung einen bereits vom alten System legitimierten Wochentag zu. Die bevorzugten Wochentage nach dem Konkordat können in gleicher Weise ohne Spekulation oder Rückgriff auf Aberglauben zufriedenstellend erklärt werden. Auch sie beruhen sämtlich auf gesetzlichen Bestimmungen. Im Jahr X wurde mit dem Erlaß vom 13. Floreal (3.5.1802) das Gesetz über die Zivilehe vom 20.9.1792 vollständig wiederhergestellt.39 Der Übergang zum Mittwoch erfolgte aufgrund des Gesetzes vom 20. Ventöse XI (11.3.1803): eine Eheschließung könne frühestens am dritten Tag nach dem Aufgebot, das immer an einem Sonntag zu verkünden sei, erfolgen.40 Der Übergang zum Mittwoch ist im übrigen nicht unentdeckt geblieben. Er ließ sich bislang nur nicht erklären. Komplexe Interferenzen mit kulturellen, religiösen, ökonomischen und sozialen Faktoren werden vermutet, die zur Erklärung des Hochzeitstermins zu untersuchen seien.41 Aber auch abenteuerliche Hypothesen werden von der Forschung angeboten. So soll die Geburt des von Napoleon lang ersehnten Thronfolgers, des Königs von Rom, an einem Mittwoch (20.3.1811), viele Leute veranlaßt haben, diesen Tag zu bevorzugen.42 Da nach dem Konkordat auch kirchliche Standesregister wieder zugelassen wurden, ist nun auch erstmals ein Vergleich der zivilen und kirchlichen Eheschließungen (in %) möglich:43

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders Μ

D

Μ

D

F

S

S

(abs.)

zivil 4 kirchl. 7

14 18

23 7

27 20

— 6

32 14

— 28

141

2 7

14 10

6 5

35 21

4

43 9

— 44

111

1 4

16 6

5 6

31 15

3

47 10

— 56

144

1820 1830

1850

Der Vergleich macht deutlich, daß der hohe Samstagswert bei der Zivilehe auf eine Sonntagstrauung in der Kirche weist. Damit ist der Teil des traditionellen Musters restauriert, der vermutlich auf ökonomischen Zwängen beruhte, die auch weiterhin bestanden. Die Positionen vom Dienstag und Donnerstag sind im Vergleich zum Ancien Regime vertauscht. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem alten Schema ist jedoch nicht zu übersehen, wenn auch seine ursprüngliche Klarheit fehlt. Allerdings ist das Problem der Abfolge von ziviler und kirchlicher Eheschließung durch diese Zahlen nur für den Samstag und Sonntag zufriedenstellend geklärt. Bei den übrigen Tagen besteht kein derartig enger Zusammenhang.44 Welcher Einfluß dem Revolutionskalender bei der Umgestaltung der Heiratstermine zukam, ist auf den ersten Blick nicht eindeutig zu beurteilen. Fest steht, daß erst der neue Kalender mit der Dekade das herkömmliche System insgesamt zum Einsturz brachte (Tab. 29, 30).45 Direkter Anlaß war allerdings wiederum eine zusätzliche Gesetzesänderung. Die Frage, ob nun der Ddcadi automatisch die Aufgabe des Sonntags beim Aufgebot übernehmen solle, hatte der Konvent bereits zehn Tage nach dem ersten Kalenderdekret damit beantwortet, daß das Aufgebot an jedem Tag der Dekade, die Eheschließung erst am dritten darauffolgenden Tag erfolgen könne.46 Mit dieser Änderung ergebe sich sogar ein großartiges Mittel, den neuen Kalender den Bürgern nahezubringen.47 Auf diese Weise kommt es zu der Nivellierung des traditionellen Systems bis zum Jahr X (Tab. 29). Mit Ausnahme der Jahre VII-X liegen die Werte für die einzelnen Dekadentage im allgemeinen um den Durchschnitt von rund 10%, d. h. sie sind gleichmäßig ausgelastet. Ob dahinter dennoch ausgeprägte, auf bestimmte Tage konzentrierte kirchliche Gewohnheiten stehen können, ist schwer vorstellbar. Allerdings zeigen die Daten von einigen kirchlichen Trauungen, die während der Revolution verschiedene Priester 1796 in Marseille vollzogen haben, deutliche Spuren des alten Musters. Das mag daran liegen, daß die Paare, die unter schwierigeren Bedingungen eine kirchliche Trauung wünschten, sich bewußt an alte Formen gehalten haben. In diesen Fällen müssen die Termine für die standesamtliche und die kirchliche Trauung auseinander gezogen worden sein:48 So

Μ

D

Μ

D

F

S

7 19

5 13

9 24

2 5

5 13

2 5

8 21

(38) (%)

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Die nivellierende Wirkung der Dekade ist damit erklärt, allerdings noch nicht ihr schneller Erfolg. Wurde die alte Regelung nur als Zwang empfunden? Der schnelle Wechsel scheint dafür zu sprechen, ebenso die Tatsache, daß die Konzentration auf einzelne Dekadentage ohne Schwierigkeiten durch Gesetze veranlaßt werden konnte. Daß die Verwaltung steuernd eingegriffen hat, um eine gleichmäßige Auslastung der Standesbeamten zu erreichen, die immerhin weniger zahlreich waren als ihre Vorgänger, die Priester, ist äußerst unwahrscheinlich. 49 Eine derart genaue Planung dürfte nicht machbar gewesen sein. Die Handhabung des Gesetzes vom 13. Fructidor VI (30.8.1798) in den Jahren VII und VIII zeigt überdies, daß durchaus alle Eheschließungen der Stadt an einem Tag in der Dekade abgewickelt werden konnten. 50 Natürlich könnte auch vermutet werden, die Dekade habe einfach desorientierend gewirkt. Doch dürfte das kollektive und individuelle Gedächtnis nicht so leicht auszuschalten gewesen sein - und den alten Kalender gab es schließlich auch noch. Irritierend sind die Werte für den Primedi und Nonidi in den Jahren II-VI. Sie liegen deutlich über dem Durchschnitt der übrigen Tage. Der Decadi, der - wie es das Gesetz befahl - von der Verwaltung als Ruhetag respektiert wurde, wird auf diese Weise von den höheren Werten dieser Tage eingerahmt. Ein Anzeichen für ein .Dekaden-Weekend' und einen ,blauen Primedi'? Der abrupte Wechsel im Fructidor VIII vom D6cadi zum Nonidi und von Beginn des Jahres IX an zum Octidi kann, wie in anderen Fällen, auch hier wieder durch eine Gesetzesänderung erklärt werden. In einem Erlaß vom 7. Thermidor VIII (26.7.1800) ordneten die neuen Konsuln der Republik an, daß in Zukunft die Bekanntmachung des Aufgebots, die das Gesetz vom 20.9.1792 am Sonntag vorsah, nur an einem Decadi, die Eheschließung frühestens acht Tage später erfolgen könne. 51 Der Octidi (ab Jahr IX) ist damit geklärt. Die Trauungen am Nonidi mögen Ausweichtermine gewesen sein, die, sofern es nicht freiwillige Entscheidungen der betroffenen waren, von der Verwaltung angeordnet wurden. Denn für diese bestand der Zwang ja nun nicht mehr, alle Eheschließungen an einem Tag abwickeln zu müssen. Die Nonidi-Trauungen vom Jahr VIII lassen sich vorerst nicht erklären. Möglicherweise sind sie auf Unstimmigkeiten darüber zurückzuführen, ob der achte Tag nun mitgezählt werden sollte oder nicht. 1.3. Ergebnis Die kirchlichen Verbotszeiten (Fastenzeit und Advent) haben sich im Marseille des Ancien Regime in der saisonalen Verteilung der Heiraten bemerkbar gemacht. Sie war allerdings weit weniger ausgeprägt als im übrigen Frankreich. Die Großstadt, in der der Einfluß und die Kontrolle der Pfarrer wesentlich geringer gewesen sein dürfte als auf dem Lande, wird dafür einer der entscheidenden Gründe gewesen sein. Mit der Einführung der Zivilehe hörte diese Gewohnheit schlagartig auf. Da der Wandel so abrupt vor sich ging, ist zu vermuten, daß die Beachtung der Verbotszeiten keinem religiösen Bedürfnis mehr entsprach. Das alte System konnte wohl nur durch den Einfluß aufrechterhalten werden, den der einzelne Priester

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

auf die Wahl des Hochzeitsdatums ausübte. 52 Auf keinen Fall scheint es sich bei den Verbotszeiten um eine in der Bevölkerung fest verwurzelte Tradition gehandelt zu haben. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts gelang es der katholischen Kirche, die Beachtung der Verbotszeiten wieder stärker durchzusetzen. In vergleichbarer Weise kam auch das im A n d e n Regime bestehende System von bevorzugten Hochzeitstagen in Marseille zu Fall. Die neue Gesetzgebung griff bei der Einführung der Zivilehe durch die Bestimmung der Aufgebotstermine in die alten Gewohnheiten ein. Mit dem Revolutionskalender mußten derartige Termine auf das neue Zeitsystem umgestellt werden. Im Fall der Aufgebotstermine geschah dies sehr schnell, weil der Gesetzgeber hier eine Möglichkeit sah, durch die Zerstörung eines alten Terminsystems die neue Ordnung besonders eindringlich ins Bewußtsein zu heben. Auch bei den Tagen geschah der Wechsel von einem Tag zum anderen mit der Anwendung der neuen Rechtslage. Die Gründe, die für die Wahl des Tages eine Rolle gespielt haben sollen und als fest verwurzelt in der Volkskultur galten, machten sich bei den Terminen für die zivile Eheschließung überhaupt nicht mehr bemerkbar. Sobald die äußeren Bedingungen den Spielraum für freie persönliche Entscheidungen weiter öffneten, hat die Bevölkerung ihn sofort genutzt. Gegen die Vorstellung von der Wirksamkeit alt überkommener Gebräuche bei der Wahl des Hochzeitstermins 53 spricht auch die Tatsache, daß die häufigen Gesetzesänderungen offensichtlich geduldig akzeptiert und problemlos durchgeführt wurden. Selbst für das Ancien Regime konnte gezeigt werden, daß die bischöfliche Gesetzgebung die Terminwahl steuerte. Für eine Geschichtswissenschaft, die sich immer mehr anthropologischen und ethnologischen Fragestellungen öffnet und für die die Argumentation mit einer eigenständigen Volkskultur einen hohen Stellenwert besitzt, mag dies ein enttäuschendes Ergebnis sein. Dagegen erscheint es nicht so negativ im Hinblick auf die Einschätzung der Realisierungschancen eines Vorhabens wie dem der Kalenderreform. Die Untersuchung hat gezeigt, daß es durchaus Bereiche gibt, in denen mit administrativem Willen erfolgreich in eine zeitliche Ordnung eingegriffen werden kann. Es gibt offenbar Gewohnheiten, die nicht sehr tief ins Bewußtsein dringen und geändert werden können, sobald sich die äußeren Bedingungen gewandelt haben. Die teilweise Restaurierung des alten Verhaltens im 19. Jahrhundert bedarf unter diesen Gesichtspunkten allerdings einer eingehenderen eigenen Betrachtung. 2. Persönliche Terminsysteme im Spiegel polizeilicher Untersuchungsberichte Erst die Gesetze aus dem Jahr VI haben Polizei und Gerichte in Marseille auf Drängen der Regierungskommissare in Bewegung gesetzt, um Kalenderverstöße zu verfolgen. 54 Denn mit dem Erlaß vom 14. Germinal VI (3.4.1798) und den folgenden Gesetzen waren zum ersten Mal Strafandrohungen in nationale Kalendergesetze gelangt. Der revolutionäre Optimismus, der sich in Übereinstimmung mit der Vernunft sah und auf Sanktionen glaubte verzichten zu können, war der Realität unterlegen. Diese Gesetze hatten nicht mehr den Charakter von Proklamationen

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einer besseren Welt; sie rechneten nicht mehr - wie im Jahr II - nur mit kurzfristigem Widerstand, der verschwinden würde, sobald nur alle Reste von Fanatismus, Royalismus und Aberglauben ausgerottet seien und die Vernunft ihren Sieg angetreten habe. Der Erfolg bei der Überwachung der Kalendergesetze in Marseille läßt sich für die Jahre VII bis VIII anhand eines kleinen Dossiers mit 68 Untersuchungsberichten von Polizeikommissaren rekonstruieren. 55 Die Berichte zeigen, wie, wann und mit welchem Erfolg die Obrigkeit versucht hat, ihren neuen Kalender durchzusetzen. Sie geben Einblick - und sei es nur indirekt - in die Reaktion der Bevölkerung auf diese Gesetze. Sie zeigen, an welchen Stellen und aus welchen Gründen der neue Kalender mit persönlichen Terminsysstemen einzelner Bürger in Konflikt geraten ist. 2.1. Die polizeiliche Überwachung der

Kalendergesetze

Diese Anzeigen nennen insgesamt 309 Bürger, die sich Kalendervergehen schuldig gemacht haben. Bezogen auf den Zeitraum, aus dem die Untersuchungsberichte stammen (30. Nivose VIM.Nivöse VIII/19.1.1799-25.12.1799) und die Einwohnerzahl der Stadt, ist das eine verschwindend geringe Zahl. Die Berichte betreffen außerdem nur 16 der 32 Sektionen, in die die Stadt unterteilt war. Die Hälfte des Stadtgebiets ist also nicht abgedeckt. Dennoch dürften die vorhandenen Informationen aber in bezug auf die betroffenen Sektionen und tatsächlich beobachteten Tage einigermaßen vollständig und daher auch eingeschränkt repräsentativ sein, weil jede Sektion nur einen Kommissar hatte und dieser wohl in der Regel an einem Tag auch nur einen Bericht zu diesem Thema geschrieben haben dürfte. 56 In den zwölf Monaten, aus denen Untersuchungsberichte vorliegen, wechselt die Untersuchungsmethode (Tab. 32). Zunächst - bis Mitte Thermidor VII (August 1799) - überwachte die Polizei, wenn auch nicht vollständig, die Einhaltung des Decadi und der Nationalfeste. Danach stand die Beobachtung der alten Sonn- und Feiertage im Vordergrund. Der Wechsel wurde vom Zentralbüro verursacht. Im Gegensatz zum Gesetz vom 17. Thermidor VI (4.8.1798) legte es in seinem Erlaß das Schwergewicht nicht auf die Forderung, die Decadis als Ruhetag einzuhalten, sondern formulierte umgekehrt, Geschäfte seien an allen Tagen außer am Decadi zu öffnen. 57 Die Berichte schließen allerdings nicht alle möglichen Tage ein. Bis zum 20. Thermidor VII (7.8.1799) gibt es 21 Decadis, von denen aber nur 11 in den Anzeigen erfaßt werden, hinzukommt ein Feiertag, der 21. Januar. 58 Ähnlich sieht es in der folgenden Zeit aus: von 19 möglichen Sonntagen wurden nur 8 erfaßt, außerdem der 15.8., der Weihnachtstag, der 1. Vendemiaire (Republikgründung) und 4 Decadis. 59 Die Überwachung geschah zumeist in der Form, daß der Kommissar sich auf seine Runde begab und die negativen Beobachtungen anschließend notierte. Nur einmal lieferte ein Kommissar einen positiven Bericht ab:60 j'ai fait scrupuleusement hier matin le tour de toutes les iles et rues de ma section re-

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D i e Durchsetzung d e s Revolutionskalenders spective, j ' a i vu avec satisfaction que chacun s'est conform^ ä la loi et qu'aucune infraction n'a 6ti faite ä l'arretö qui en 6mane. 61

D a gerade v o m 28. Thermidor VII ( 1 5 . 8 . 1 7 9 9 ) b e s o n d e r s v i e l e Übertretungen bekannt sind (Tab. 32), erscheint dieser Bericht unglaubwürdig. Vielleicht w o l l t e der K o m m i s s a r nur der besonderen Aufforderung n a c h k o m m e n und i m übrigen seine Untätigkeit verbergen. E s scheint kein Einzelfall geblieben zu sein, daß die Polizei z u ihrer Unterstützung die Nationalgarde eingesetzt hat. Ein K o m m i s s a r berichtete v o n einer A k t i o n , bei der er 14 Gesetzesübertreter feststellen konnte: ayant 6t6 instruit par divers citoyens qu'un grand nombre d'individus de notre arrondissement se permettaient au m6pris de la loi de travailler les jours de ddcade et fetes nationales, nous nous sommes transportis avec un ditachement de garde nationale dans les quartiere de notre arrondissement. 62 D i e s e s Verfahren fand allerdings nicht den Beifall d e s Platzkommandanten, der sich darüber b e i m Zentralbüro beschwerte: Je vous pr£viens, citoyens administrateurs, qu'il arrive pour ainsi dire journellement que la troupe soit employie dans la place sans que j ' e n aie la moindre connaissance, et que ce sont vos commissaires civils de police qui se permettent de requirir la force arm6e dans les diffirents postes militaires quand bon leur semble pour exercer le plus souvent des actes illigaux. II est temps de r6primer un abus de cette nature.6® In Zukunft sei j e d e s Mal vorher bei i h m eine schriftliche G e n e h m i g u n g einzuholen. D i e Ü b e r w a c h u n g selbst war nicht immer einfach und risikolos für die K o m m i s sare. S o notierte der Polizeikommissar Fabre: L'an sept de la Rdpublique franqoise et le vingt messidor apr4s cinq heures dicimale nous commissaire de police de la section trois M u n i c i p a l s du midi canton de Marseille ayant appris par la voix publique que des citoyens travailloient publiquement isle vingt deux maison vingt deux section vingt deux de suite je m ' y suis transport6 d i c o r i de mon chaperon, pour m'assurer de la ν έ π ί έ , effectivement jay trouv6 le nomm£ joseph Estroumille, et louis Estroumille tous les deux magon qui travailloient publiquement, jay voulu leur dire par quelle raison ils travailloient les jours de decades ils m'ont ripondu que cela ne me regardoit pas, je lui ay observg qu'ils parloient a une autoriti constitude ils m'ont repondu qu'ils s'en moquoient et de suite le ηοηιπιέ joseph Estroumille m ' a mis la main sur l'estomac me tenant par le corset le nommd louis Estroumille alloit tomb i dessus. Joseph Estroumille qui me tenoit lui a repondu retire toi je suis asssez fort pour lui me voyant tous seul jay aper;u des citoyens sur la porte du citoyen Warmes jay cri6 force ä la loi de suite ces braves citoyens sont venus a mon secour. Joseph Estroumille m ' a frappi d'un soufflet ä bras renforci en redoublant a coups de poings sur l'estomac, quoique ddcori de mon chaperon, le citoyen antoine tournon cordier venant a mon secours, joseph Estroumille lui a βηνογέ un coup de pieds ä ia cuisse, et de suite je les ay fait traduire au commandant de la place et avons dressi le present verbal que nous avons signis avec les citoyens presens." B e s o n d e r s die B e s t i m m u n g , daß Arbeiten öffentlicher B e o b a c h t u n g e n t z o g e n sein sollten, 6 5 führte v e r s c h i e d e n e Bürger zu d e m Schluß, daß hinter g e s c h l o s s e n e n Türen w o h l alles erlaubt sei. Einigen K o m m i s s a r e n war diese v o m G e s e t z o f f e n g e -

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lassene oder stillschweigend eingeräumte Möglichkeit ein Ärgernis, weil sie sahen, wie hier der Geist der Kalendergesetze umgangen wurde. Sie versuchten also, diese Täter mit kriminalistischem Scharfsinn zu überführen, wobei sie den Tatbestand eigenmächtig ausdehnten. Nicht nur optische, auch akustische Beweise erbrachten sie für die Übertretung des Gesetzes: voyant que la plus grande partie des fabriquants de savons [...] contreviennent joumellement aux lois et arretds [...] relatifs aux fites dicadaires, ainsi qu'ä la circulaire du ministre qui les interprite [...] nous nous sommes approchis, & 3 heures 7 dicimes de la dite fabrique (du citoyen Charles Honori Audibert) et regardant par le grillage des fenetres, avons vu et entendu que Ton travaillait [...]. Pour lors, remontant dans les diverses rues [...] avons fait attention qu'elles dtaient aussi remplies de fumies provenant des fabriques comme si c'eüt i t i un jour ouvrable."

Von der Fabrik des Bürgers Auvran stellte derselbe Kommissar fest, „que la porte 6tait entr'ouverte, sans y entrer, ayant tant soit peu, avancd la tete, avons vu que l'on travaillait".67 Auch in anderen Fällen zeichnete sich dieser Kommissar durch besonderes Pflichtbewußtsein aus. Von der Fabrik des Victor Chanlier notierte er: oü nous itions normalement persuadis que l'on travaillait les dicadis, jusqu'ä ce que ce jour nous n'avions pu en donner de preuve certaine que la grosse f u m i e et la vue des ouvriers qui sortaient quelquefois, mais aujourd'hui une des fenetres dormant sur la rue itant ouverte, avons vu tris distinctement travailler. 68

Ein anderes Mal konnte er nur auf Umwegen über ein anderes Haus an die Seite einer Seifenfabrik gelangen, aus der Arbeitslärm zu hören war: d'apris cela, nous, susdit commissaire, considirant que le citoyen Maximin Martin itait en contravention i la loi pricitie, malgri qu'il ait cherchi & pallier son tort en faisant travailler dans un endroit qui, quoique retiri, s'est fait entendre par ses voisins du meme itat."

In diesem Zustand sah er nämlich die eigentliche Gefahr, die von einer Gesetzesübertretung dieser Art ausgehen konnte: „ce qui d'ailleurs exciterait la jalousie s'il restait impuni".70 Mit dieser Meinung stand er nicht allein. Ein Kollege berichtete von einem Fleischer: qui [...] a eu l'audace hier jour dicadi, ä 7 heures 8 minutes dicimales, de faire igorger deux cochons en pleine rue, et nota qu'il n'y avait pas deux heures qu'ayant passi au devant de sa porte lui avions fait difense de rien italer. Comme magasin de comestibles, pouvant vendre dans son magasin, mais la m i m e loi lui defendant de ne rien italer en dehors, et bien je le ripite, ce m i m e homme a eu l'audace de faire igorger deux cochons, hier le dix du courant jour de dicadi, voulant par son insoumission exciter tous les autres ä en faire autant. 71

Für das Ausmaß der Überwachung ist die Zahl der Kommissare, die jeweils an einem Tag in Aktion waren, ein deutliches Indiz. An 23 der 27 Tage (85,2 %) begaben sich jeweils nur ein oder zwei Kommissare (von insgesamt 16) auf Streife (Tab. 32). 72 An allen verbleibenden vier Tagen waren es zwischen drei und acht. An diesen vier Tagen notierten sie 189 Gesetzesübertreter (von 309, d. h. 61,2 %).

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

Auf den gesamten Zeitraum bezogen, benannten nur fünf Kommissare 198 Personen (64,1 %). Die polizeiliche Aktivität - zumindest was den Revolutionskalender in dieser Zeit anbelangt - war also äußerst wechselhaft und stark von der Person abhängig. Nationale Gesetze allein waren zudem kein ausreichender Antrieb für einen Kommissar, dem Revolutionkalender zum Erfolg zu verhelfen. Um die Kommissare zu Taten zu bewegen, bedurfte es jeweils eines besonderen Anstoßes durch die weisungsbefugten Behörden. Den beiden Tagen, an denen die meisten Täter namhaft gemacht wurden (15.8.: 47 Personen, 25.12.: 82 Personen) gingen jeweils eigene Aufforderungen zu besonderer Wachsamkeit durch die Verwaltung voraus.73 An diesen Tagen wurden dann auch allein 129 Personen (41,7 %) registriert.74 Von einer kontinuierlichen Überwachung der Kalendergesetze kann also keine Rede sein. Nach dem - natürlich ausschnitthaften Bild der 68 Anzeigen - sieht es sogar so aus, daß sie eher die Ausnahme blieb.75 Obwohl die Überwachung, soweit sie sich in Anzeigen ausdrückte, nicht regelmäßig war, wußten einzelne Kommissare natürlich genau, was in ihren Sektionen vor sich ging: et je puis dire que la d£nomm6e [Marie Aune, veuve Leroux, marchande de chapeaux] se moque parfaitement des lois de la rdpublique puisque tous les jours de d6cadi ou de fetes nationales, eile tient son magasin de chapeaux ouvert.76

Diese Beispiele zeigen, daß nicht alle Verstöße sich in den Anzeigen niedergeschlagen haben. Wie hoch die Dunkelziffer allerdings ist, läßt sich nicht abschätzen. Wenn sie besonders hoch gewesen wäre, so ließe sich fragen, warum sie nicht zu Klagen der Kommissare geführt hat, sie könnten allein mit der Überwachung nicht nachkommen. Sollte man den Berichten vielleicht nicht doch Glauben schenken und annehmen, daß sie nur ein leicht geschöntes Bild gezeichnet haben? Oder haben die meisten Kommissare in der Übertretung der Kalendergesetze eher ein Kavaliersdelikt gesehen? 2.2. Konflikte zwischen Kalendergesetzen und privaten

Terminsystemen

Die vorliegenden Anzeigen betreffen nur Vergehen nach dem Gesetz vom 17. Thermidor VI (4.8.1798). Je nach Art der Überwachung wurde die fehlende Ruhe am Decadi oder die trotz Verbots eingehaltene Sonntagsruhe moniert. Nicht immer sind die Tatsachen eindeutig. So hatte der Messerschmied Joseph Bernard zwar seine Werkstatt am 28. Thermidor VII (15.8.1799) geöffnet, allerdings ohne Auslagen. Auf Vorhaltungen des Kommissars „qu'il fallait garnir comme il fait les autres jours" antwortete er „qu'il fait comme il voulait et que personne lui fera faire autrement".77 Auch in anderen Fällen mußte der Kommissar sich auf seinen gesunden Menschenverstand oder auf Indizien verlassen. An einem Sonntag hatte beispielsweise der Schlosser Jean Guerin seine Werkstatt geöffnet. Er arbeitete jedoch nicht und war „decore des habits qu'il devait avoir le jour de decadi et autres fetes de la republique"78 - in anderen Worten: er trug seine Sonntagskleider. Umgekehrte Fälle gibt es auch. Aus der Seifenfabrik des Maximin Martin war am 30. Germinal VII (19.4.1799) zwar kein Arbeitslärm zu hören, der Kommissar traf

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aber den Meistergesellen an, „assis de l'autre cöte de la rue vis ä vis de la fabrique, en habit de travail, tandisque son domicile est ä l'autre extremite de l'arrondissement". 79 Der Grund für eine Anzeige war für die Polizei damit jeweils gegeben. Die Überwachung richtet sich fast ausschließlich gegen kleine Handwerker, Ladenbesitzer und Landarbeiter (282, d. h. 91,2 %). Fabrikbesitzer (19, d. h. 6,2 %) und Hausfrauen (8, d. h. 2,6 %) blieben in der Minderheit. Daß es diesen Bevölkerungsschichten schwerfiel, sich dem Rhythmus des neuen Kalenders anzupassen, ist nicht weiter verwunderlich. Schon im Ancien Regime hatten sie ja Mühe, die vorgeschriebenen Feiertage einzuhalten. Im Gegensatz zur staatlichen Verwaltung oder auch den großen privaten Kontoren der Handelshäuser hatten gerade Handwerker, und in verstärktem Maße Landarbeiter, noch einen weitgehend traditionellen, vormodernen Arbeitsrhythmus. 80 Ähnlich liegt der Fall der Lebensmittelhändler. Obwohl sie nach dem Buchstaben des Gesetzes von dem strikten Verbot ausgenommen waren, nahm der lokale Erlaß vom 26. Thermidor VII (13.8.1798) auf diese bereits alte Gewohnheit, die sich aus der schnellen Verderblichkeit der Lebensmittel erklärte, keine Rücksicht. Paradox erscheint aber das Ergebnis, daß der Sonntag plötzlich ohne Schwierigkeiten eingehalten wurde, obwohl noch bis in die ersten Jahre der Revolution hinein Urteile wegen Nichtbeachtung der Sonntagsruhe ergingen. Das mag an der veränderten Perspektive liegen. Der Sonntag war ja gerade bei diesen Schichten nie ganz Feiertag, aber auch nie ganz Arbeitstag. Deshalb könnte nun schon die Betonung der Elemente, die den Sonntagscharakter einer Verhaltensweise unterstreichen, zu einem möglicherweise falschen Ergebnis führen. Bis auf wenige (19) Ausnahmen, ζ. B. Seifenfabrikanten, gerieten Unternehmer oder Selbständige mit abhängig Beschäftigten nicht in das Blickfeld der Polizei. Soweit es sich um geräuschlose Büroarbeit handelte, bestanden sicherlich andere Chancen, diese hinter geschlossenen Türen zu verbergen. 81 Eine Ausnahme gibt es jedoch auch hier. Ein Kommissar zeigte unter Berufung auf den Erlaß des Zentralbüros zehn Börsenagenten an, die ihre Büros am 15.8. (Mariä Himmelfahrt) nicht geöffnet hatten. Von weiteren fünf Büros außerhalb der Börse notierte er nur die Hausnummern, weil er die Inhaber nicht kannte. 82 2.3. Gerichtliche

Sanktionen

Auf knapp die Hälfte (31 von 68, d. h. 45,6 %) der Anzeigen steht der Vermerk, daß das Gericht die Betroffenen vorgeladen hat. Ein Urteil ist aber nur auf zwölf Anzeigen (17,7 %) vermerkt. Die Strafen bewegen sich in dem vom Gesetz vorgesehenen Strafrahmen: Geldstrafen bis zum Wert von drei Arbeitstagen oder drei Tagen Haft. In der Regel wurden bei den untersuchten Urteilen nur Geldstrafen verhängt, zu denen die Kosten für die öffentliche Bekanntmachung des Urteils durch Plakatierung kamen. 83 Eine Haftstrafe wurde nur in einem Fall verhängt. Es handelt sich um die Ehefrau des Bürgers Perie, die der Kommissar nähend vor ihrer Haustüre in Mazargues, einem Vorort von Marseille, angetroffen hatte:

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lui ayant observi pourquoi est ce que les autres jours eile travaillö dans sa maison et que aujourd'hui que cdtoit la dicade, eile travaill£ ä la rue, eile ma r6pondü que cdtoit son plaisir et que si cela nalloit pas bien il iroit bien encore dans les rues de Mazargues.84 Für diese Äußerung - und vielleicht auch wegen der Stellung des Ehemannes, er war Beamter in der republikanischen Domänenverwaltung - erhielt sie zwei Tage Haft. Von den zwölf Urteilen sind 51 der 309 Personen betroffen (16,5 %). Es ist aber anzunehmen, daß wesentlich mehr, wenn nicht alle, Anzeigen bis zum Gericht gelangt sind und eine größere Anzahl von Personen auch verurteilt wurde. Sonst wäre nicht verständlich, warum vorgefertigte Plakate für die öffentliche Bekanntgabe des Urteils bei einem Kalendervergehen existieren, in die nur noch der Name des Deliquenten handschriftlich eingetragen werden mußte. Hätte es sich um Einzelfälle gehandelt, wäre diese Rationalisierungsmaßnahme nicht ganz verständlich.85 2.4. Ergebnis Der kleine, zufällig zusammengestellte Ausschnitt von Anzeigen zu Kalendervergehen zeigt, daß Stadtverwaltung und Polizei von Marseille die nationalen Kalendergesetze nicht unbeachtet haben liegen lassen, sie sogar noch von Zeit zu Zeit - wenn auch erst auf Druck übergeordneter Amtsträger - durch eigene Erlasse verstärkt haben. Eigeninitiative ohne den Anstoß nationaler Gesetze hat es allerdings nicht gegeben. Eigene Ausführungsbestimmungen der Stadtverwaltung waren nun unbedingt notwendig wegen der eigentümlichen Arbeitsweise der Polizei. Sie kannte keine wirklich kontinuierliche Arbeit. Gearbeitet wurde meist nur auf besondere Aufträge hin. Im übrigen hing von der Persönlichkeit und dem Eifer des einzelnen Polizeikommissars fast alles ab, weil noch keine durchorganisierte Hierarchie Arbeitsund Verhaltensweisen vorgab. Typisch für diese Arbeitsweise ist, daß von den 68 Anzeigen 31 nur einen oder zwei Deliquenten benennen. Es wäre sicherlich falsch, hier von einer bewußten Verweigerung der Polizeikommissare, gar von Obstruktion gegenüber den Kalendergesetzen zu sprechen. Daß ein Kommissar versuchte, sich möglichst schnell einer unangenehmen Aufgabe zu entledigen, mag schon eher ein plausibles Argument sein. Das Ausmaß der Gesetzesübertretungen ist quantitativ nicht festzustellen. Aufgrund der polizeilichen Arbeitsweise darf man sicher annehmen, daß sich in den bereits aufgefundenen Anzeigen nur die Spitze eines Eisberges zeigt. Die als Blankoformulare gedruckten Urteilsbegründungen in Plakatform sind sicher ein Indiz für den Umfang der Kalendervergehen. Doch dürften sie in keinem Fall so zahlreich geworden sein, daß sie zu einem Kollaps der Justiz geführt hätten. Dies wäre nicht unbemerkt geblieben. Es wäre aber zu vermuten, wenn alle Vergehen angezeigt worden wären. Diese Anzeigen bieten den seltenen Vorteil, Einblick in private Lebensbereiche zu erhalten. Sie zeigen, daß der Staat mit Hilfe der Kalendergesetze tatsächlich in Arbeits- und Lebensweise seiner Bevölkerung eingegriffen hat.

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Dem Gesetz gelang es jedoch nur, in die Welt der kleinen Handwerker und Ladenbesitzer vorzudringen. Dies lag vermutlich nicht allein daran, daß diese Schichten noch besonders einem traditionellen Lebensstil verhaftet waren, der auch den Sonntag nicht respektierte. Sie waren wegen ihrer offenen Lebensweise auf der Straße dem Zugriff der Polizei auch leichter ausgesetzt. Im übrigen war diese Art der Belästigung für sie ja nicht neu. Schon die Autoritäten des Ancien Regime hatten sich alle Mühe gegeben, ihre Vorstellungen über die Feiertagsruhe durchzusetzen. Aktiven Widerstand gegen die Kalendergesetze hat es kaum gegeben. Er hielt sich wohl auch gerade wegen dieser Gewöhnung an Eingriffe in private Terminsysteme in Grenzen. Nur selten ging er über Verbalinjurien oder ironische Bemerkungen gegenüber den Polizeikommissaren hinaus. Inaktivität und Desinteresse waren wohl letztlich der größte Feind des neuen Kalenders. Daß diese Anzeigen so zahlreiche Hinweise auf die Arbeitsweise der Polizei geben, ist nun keineswegs nutzlos für die Kalenderfrage. Dies zeigt nämlich, daß es von seiten des Staats trotz bestehender Gesetze äußerst schwierig war, den Revolutionskalender wirkungsvoll durchzusetzen. 3. Die Fischerzunft Im Leben der Zunft gab es eine Reihe von Terminen, die fest an den Kalender gebunden waren. Schon im ersten schriftlich überlieferten Statut von 1431 heißt es, daß die Fischer jeweils zu Weihnachten vier Obleute (bons homes, später: prud'hommes) wählten. 86 Die Vollversammlungen der ordentlichen Zunftmitglieder (patrons-pecheurs) fanden sonntags statt; bei dieser Gelegenheit entrichteten die Fischer auch ihre Zunftabgaben (demi-part). 87 Für das Imprägnieren der Netze, das unter der Aufsicht der Zunftoberen vorgenommen werden mußte, war der Samstag vorgesehen. 88 Diese Tätigkeiten lassen sich über einen längeren Zeitraum verfolgen, weil über sie Protokolle, wenn auch in unterschiedlicher Dichte, überliefert sind. 89 Da die Zunft während der Revolutionsjahre weiterbestand, 90 ist sie für eine Untersuchung des Revolutionskalenders interessant. 3.1. Termine für Wahlen und Versammlungen Die Wahl der Zunftoberen (Tab.33) fand bis zur Revolution am zweiten Weihnachtstag statt.91 Nach der Wahl leisteten die Zunftoberen bei dem Vertreter des Königs einen Amtseid. Der staatliche Einfluß erschöpfte sich in dieser Handlung. Diese Zeremonie fand wohl in der Regel am Tag nach der Wahl im Rathaus statt.92 Das Dekret vom 29. Floreal XII (19.5.1804), das die traditionelle Regelung bestätigte, behauptet jedoch, die Amtseinführung sei am ersten Tag des neuen Jahres erfolgt. 93 In den ersten Jahren der Revolution lagen die Wahltermine im Sommer (Tab.33). 94 Auch im Jahr V wollten die Zunftoberen zu dieser Zeit wählen lassen. Am 6. Messidor V (24.6.1797) baten sie die Vollversammlung, endlich Nachfolger

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zu wählen, weil sie bereits länger als ein Jahr im Amt seien. Die Versammlung vertagte jedoch die Wahl auf den kommenden 26. Dezember „correspondant au mois de nivöse". 95 Als der Termin heranrückte, schrieb die Stadtteilverwaltung Nord, die nun die Wahlaufsicht führte, an das Zentralbüro: demain 5 Nivöse, les prud'hommes des patrons-pecheurs sont renouvellis en conformiti de la loi; le commissaire et un membre de notre administration sont tenus d'assister ä cette a s s e m b l e ; nous venons vous en donner connaissance, et vous inviter en m e m e temps ä nous envoyer demain ä dix heures prfcises, un officier civil et quatre gardes de plus qui accompagneront les deux membres pr6cit6s, et se retireront aprfes l'ilection. 9 6

Das Zentralbüro, das sich als Wächter über die republikanischen Gesetze ansah, war entsetzt und wandte sich umgehend an die Zunftoberen: instruit par l'organe de la municipalit6 du nord que vous comptiez procdder demain aux 61ections des nouveaux prud'hommes, nous ne pouvons, citoyens, nous dispenser de vous t£moigner notre 6tonnement ä cet igard. V o u s n'ignorez pas qu'il existe une loi g6n6rale pour toute la r6publique qui fixe au mois de germinal l'6poque de toutes les ilections. [·..] nous ne permettrons jamais que des c6r£monies pareilles aient lieu ä des 6poques qui puissent perpituer le souvenir de certaines fetes que la loi ne reconnait pas, et que le fanatisme s'efforce de conserver. 97

Es forderte die Fischer auf, die Wahlen im Germinal abzuhalten und bat im Postscriptum vorsichthalber: „Vous voudriez bien nous accuser la reception de cette lettre." 97 In der Vollversammlung der Fischer am nächsten Tag (5. Nivöse VI/ 25.12.1797) wurde der Brief verlesen. Die Fischer erwiesen sich - verbal - als gute Republikaner: les patrons pecheurs prdsents ont t6moign6 leur disir de se conformer aux lois de la τέpublique et ont d6cid6 d'ajourner les ilections des nouveaux prud'hommes au mois de germinal prochain. 98

Am 19. Germinal VI (8.4.1798), jedoch ausgerechnet an einem Sonntag, fand die Wahl dann statt. Die Amtseinführung erfolgte sofort, und die Zunftoberen leisteten den vorgeschriebenen Eid „de haine ä la royaute et ä l'anarchie, attachement et fidelite ä la constitution de l'an 3C et integrite dans l'exercice de leurs fonctions." 99 In den folgenden Jahren (VI-X/1797-1802) verrutschte dieser Wahltermin jeweils um einen Monat. 100 Alle Wahlen fanden - nur mit Ausnahme des Jahres VIII - an einem Sonntag statt. Mit dem Dekret vom 29. Floreal XII (19.5.1804) bestätigte der Präfekt, beginnend mit dem Jahr XIV, wieder den zweiten Weihnachtstag und den 1. Januar für die Amtseinführung. 101 In der Realität wechselte der Termin aber zwischen dem ersten und zweiten Weihnachtstag. Die Amtseinführung unterlag etwas größeren Schwankungen (s. Tab. 33). Die Vollversammlung der Fischer sollte mindestens einmal pro Monat an einem Sonntag stattfinden. 102 Die überlieferten Protokolle zeigen aber, daß diese Regelmäßigkeit nicht beachtet wurde (Tab. 34)103. Der Revolutionskalender (Tab.35) hat

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diese Ordnung in den Jahren II-IX erschüttert.104 Der Decadi hat den Sonntag zeitweise abgelöst (Jahr II,III, VII,VIII); in den übrigen Jahren wurde der Sonntag zum Teil gemieden und anderen Wochentagen vorgezogen. Vom Wechsel der Vollversammlung auf den Decadi wurde konsequenterweise auch die Kassierung der Zunftabgaben (demi-part), die sonst an einem Sonntag erfolgte, berührt.105 Die Fischer wurden aufgefordert, ihren Beitrag am Ende einer Dekade zu zahlen.106 3.2. Auseinandersetzungen wegen der Kalendergesetze Ob die neuen Termine den wöchentlichen Arbeitsrhytmus der Fischer nachhaltig durcheinandergebracht haben, ist wegen fehlender Quellen nicht zu entscheiden.107 Im Jahr VII hielt das Zentralbüro allerdings die Fischer an, die Dekade zu beachten: il nous parait risulter des dispositions contenues dans les lois pr6cit6es que le travail de la piche est interdit les jours de D£cadi et fetes nationales, comme le sont tous les autres genres de travaux, que la tenue de vos audiences peut fitre renvoyie aux d6cadis en remplacement des jours f£ri6s oü elles avaient lieu. 108

Das Zentralbüro machte nun auch Ernst mit der Aufforderung des Gesetzes, alle periodisch anfallenden Tätigkeiten auf den Dekadenrhythmus umzustellen: enfin que la teinture de vos filets qui se faisait chaque samedi de l'ancien calendrier doit etre replacde ä des jours fixes de l'annuaire et avoir lieu tous les nonidis, sauf si cette teinture n'£tait pas süffisante une fois par ddcade, de la riit6rer les quintidis, ou tels quintidis du mois que vous croirez n6cessaires.10®

Diese Formulierungen zeigen indirekt die Argumente, die gegen den Revolutionskalender vorgebracht wurden: er sei unpraktisch und den Arbeitsläufen nicht angemessen. Der Vorschlag, der auch in anderen Zusammenhängen auftauchte, die Dekade zu halbieren, um sie zu retten, hätte die Kalenderbenutzung sicher nicht einfacher gemacht. Der Erfolg der Zunftoberen, den Anordnungen Beachtung zu verschaffen, war wohl wenig ermutigend. Sie berichteten dem Zentralbüro: L'exdcution des lois de la rdpublique 6tant le seul sentiment qui nous anime, nous sommes bien aise d'y apporter toute la vigilance dont nous sommes susceptibles. Le ddcadi est le jour que la loi a d6termin£ pour le repos du ripublicain, en vain avons nous ίηνύέ nos juridictionnaires ä le c£16brer, ils sont sourds ä notre voix, parce que, disent-ils, la d6cade n'est pas obligatoire; persuadds du contraire, les prud'hommes s'adressent ä vous pour que vous veuillez bien leur dire s'ils peuvent ordonner la c616bration de la ddcade. Votre riponse, que nous attendons impatiemment, fera taire la malveillance et le fanatisme, et nous mettra ä meme de les forcer au repos que la loi a ίίχέ pour cet objet. 110

Auch im Jahr VIII hatte sich die Situation noch nicht entscheidend gewandelt. Der Regierungskommissar der Stadtteilverwaltung Nord beklagte sich am 9. Pluviose VIII (29.1.1800) bei den Zunftoberen, daß am vergangenen Decadi „la presque totalite des pecheurs de cette commune" zum Fang ausgefahren sei wie an einem gewöhnlichen Arbeitstag.111 Entmutigt antworteten die Zunftoberen.· fatiguis de l'insoumission qu'apporte aux lois r6publicaines divers patrons pecheurs,

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

privds des moyens suffisants pour les r6primer, nous nous sommes ddcidds ä les ddsigner aux autorit6s supdrieures qui sauront mettre un terme ä cette lutte coupable. Vous trouverez ci-joint, citoyen commissaire, la liste des patrons pecheurs qui n'ont pas observe le jour de la ddcade. Nous laissons ä votre civisme et ä votre justice le soin de les punir conformdment aux lois [...]. C'est le seul moyen de faire cesser la longue obstination de quelques reveches, et d'imposer silence k la calomnie qui se platt ä se ripandre que les prud'hommes tolfcrent l'inexdcution des lois. 112

Die mangelnde Begeisterung der Fischer für die neuen republikanischen Institutionen zeigt sich auch in anderen Zusammenhängen. Nimmt man ihre Bootsnamen als Ausdruck ihres politischen Bekenntnisses, liegt der Prozentsatz der überzeugten Republikaner ohnehin nur bei 7,8 %. Diese gaben ihren Booten Namen wie „Le rdpublicain", „Le sans-culotte", „Brutus" ... Wesentlich mehr haben sicherlich auch den Decadi nicht respektiert. 113 Allerdings erging es dem Sonntag auch nicht besser. In Jahrhunderten war es offensichtlich nicht möglich gewesen, die Sonntagsruhe bei den Fischern durchzusetzen. Schon das erste Statut von 1431 kannte das Verbot des Fischens am Sonntag.114 Noch 1791 wurden Fischer wegen dieses Vergehens vom Zunftgericht verurteilt.115 1792 verlangte sogar ein großer Teil der Fischer von seinen Zunftoberen in einer Petition, das Problem noch einmal unmißverständlich darzulegen und durchzusetzen, daß das Verbot auch von allen Fischern eingehalten werde. 116 Das Problem wurde aktuell, weil ein Teil der Fischer (vermutlich die katalanischen) versuchte, sich der Jurisdiktion der Zunft zu entziehen und sich durch Ausfahrten am Sonntag auf Kosten der übrigen Vorteile zu verschaffen. 3.3. Ergebnis Der Blick in einen Bereich abseits der öffentlichen Verwaltung zeigt, daß hier die Forderungen des neuen Kalenders nach Umgestaltung alter Gewohnheiten, wenn auch teilweise recht gedämpft, angekommen sind. Die beiden Phasen, in denen der Kalender spürbaren Einfluß hatte (Jahr II und VII/VIII) entsprachen den Spitzen der nationalen und lokalen Erfolgskurve des Revolutionskalenders. Die feststellbare Anwendung des Kalenders bestand in der Übernahme des Dekadenrhythmus für die Vollversammlungen. Terminumstellungen der alltäglichen Arbeit riefen dagegen Konflikte hervor. Für das Jahr VII sind sie aktenkundig; im Jahr II dürften sie ähnlich ausgesehen haben. Dieser Befund verweist auf zumindest zwei Probleme, die sich nicht unbedingt ausschließen müssen, sondern miteinander zusammenhängen können. Zum einen könnte der Grund dafür, daß der Dekadenrhythmus zeitweise übernommen wurde, bei alltäglichen Arbeiten aber Konflikte auslöste, in einer sozialen Differenzierung bei der Kalenderbenutzung zu sehen sein. Es wäre zu klären, ob es eine nennenswerte soziale und bildungsmäßige Kluft zwischen den Zunftoberen und ihren einfachen Mitgliedern gegeben hat, die bei den ersteren mehr Verständnis für den Revolutionskalender bedingt hätte. Der Druck der Stadtverwaltung darf natürlich nicht übersehen werden. Zum anderen könnte die Ursache für die unterschiedliche

Im persönlichen Gebrauch

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Anwendung der Dekade in den Tätigkeiten selbst liegen. Die Vollversammlung lag zwar traditionellerweise auf einem Sonntag, allerdings war sie wohl nie eine in der hier gebrauchten Terminologie - wirklich periodische Einrichtung, sondern nur dem Wochenrhythmus eingebunden. Andere vom Wochenrhythmus bestimmte Fixpunkte bei der alltäglichen Arbeit unterlagen jedoch einer strengen Periodizität: Tageszeiten bei Ausfahrten zum Fang bestimmter Fische oder bei besonderen Fangtechniken; Tage für bestimmte Tätigkeiten an Land, wie ζ. B. das Ausbessern der Netze. Auch die Wahltermine für die Zunftoberen gehören in diese Kategorie. Eingriffe bei den periodisch geregelten Tätigkeiten dürften nun aber wesentlich schmerzhafter gewesen sein als Änderungen ohnehin nicht fest verankerter Einrichtungen, durch die das Terminsystem insgesamt nicht in Frage gestellt wird. Hier wäre also möglicherweise der Scheidepunkt gefunden, an dem die Bereitschaft zu Verhaltensänderungen im Kalenderbereich grundsätzlich aufhört. Einzelne Eingriffe in ein Terminsystem werden hingenommen. Sobald jedoch das ganze System in Frage gestellt wird, macht sich Widerstand oder Sturheit breit. Dieses System ist weitgehend unabhängig von Woche und Dekade. Denn auch die Sonntagsruhe war in jahrhundertelangen Bemühungen nicht durchzusetzen. 4. Das Hospital Im Kollegium der Rektoren, die das Hospital von Marseille verwalteten, wechselte die Verantwortung für routinemäßig anfallende Aufgaben wöchentlich. Der jeweils geschäftsführende Rektor hieß folglich „semainier".117 Durch diese Einrichtung war die Verwaltung des Hospitals von Anfang an vom Kalender geordnet. 4.1. Sitzungen der Rektoren Im 18. Jahrhundert tagten die Rektoren in der Regel einmal pro Woche an einem Donnerstag (Tab. 36).118 Ein Versuch im Jahr 1752, zwei Sitzungen pro Woche, donnertags und samstags, einzuführen, wurde schon bald wieder aufgegeben; man kam mit der Sitzung am Donnerstag aus.119 Diese Praxis bestand auch während der Revolution noch bis 1793.120 Mit der Einführung des Revolutionskalenders wechselten die Rektoren sofort zum Dekadenrhythmus und einer neuen Periodizität (Tab. 37). Am Donnerstag, dem 3. Tag der 1. Dekade des 2. Monats (24.10.1793), benutzten sie zum ersten Mal den neuen Kalender. Von da an tagten sie jeweils am Primedi.121 Trotz des Dekadenrhythmus blieb die Bezeichnung „semainier" zunächst bestehen. Erst vier Wochen bzw. drei Dekaden später änderten die Rektoren den sprachlich nun unlogisch gewordenen Titel. Am 1. Frimaire II (21.11.1793) tauchte ein „directeur de decade" auf, vom 21. Nivöse II (10.1.1794) an ist die Analogie zum alten „semainier" vollkommen. Es gibt nun einen „decadier". Bei den wenigen Sitzungen innerhalb einer Dekade ist die dezimale Periodizität sicheres Indiz für die Befolgung des Dekadenrhythmus. Die Sitzungen fanden mit großer Regelmäßigkeit am Primedi statt. Diese Praxis wurde bis zum Konkordat

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

fast konsequent durchgehalten. 122 Unregelmäßigkeiten kamen - anfänglich ohne ersichtlichen Grund zwischen Ventöse und Prairial II (Februar - Juni 1794) - durch Sondersitzungen und die Einführung einer zweiten Sitzung pro Dekade vor. Im Jahr IV wurde beschlossen, wegen vermehrter Arbeitsbelastung eine zusätzliche Sitzung am Sextidi abzuhalten. 123 Von der Mitte des Jahres III an bis zum Jahr V herrschte dann die Tendenz vor, dem Sonntag auszuweichen, sobald er auf einen Decadi fiel. Ein Wochenrhythmus ist damit aber noch nicht eindeutig wieder eingeführt. Die dezimale Periodizität wurde weiter durchgehalten, besonders streng noch einmal in den Jahren VII und VIII. 4.2. Terminumstellungen im Hospital Die Umstellung auf die Dekade betraf im Hospital nicht nur die Sitzungstermine. Die Rektoren beschlossen am 11. Ventöse II (1.3.1794), die Abrechnung für die Stadtverwaltung dekadenweise vorzunehmen. Nach einer Beschwerde der Ärzte mußten sie schon vorher, am 21. Frimaire II (11.12.1793), genehmigen, die Tischtücher in der Ärztekantine in Zukunft zweimal pro Dekade wechseln zu lassen. Aus den Jahren VIII und IX stammen weitere Versuche, einige Arbeitsabläufe im Hospital periodisch zu organisieren: die Untersuchung und Versorgung der Bruchpatienten fand nur noch jeweils am Decadi, Quintidi und Octidi um 16.30 Uhr statt;124 der Verwalter sollte mindestens dreimal pro Dekade die Arbeit seiner Angestellten inspizieren. 125 Hier fällt also die allgemeine Tendenz zu einer besseren Organisation der Verwaltung zusammen mit der Endphase einer für den Revolutionskalender politisch besonders günstigen Zeit. Die Dechristianisierungswelle hat ebenfalls das gewohnte Bild der Hospitalverwaltung langfristig verändert. Am 3. Frimaire II (23.11.1793) benutzte das Protokoll zum letzten Mal die Eingangsformel: „apres les prieres ordinaires". Es dauerte fast drei Monate, bis am 21. Ventöse II (11.3.1794) eine entsprechende und angemessene Ersatzformulierung gefunden war. Im Protokoll hieß es nun: La sdance a ίχί ouverte par l'expression du voeu le plus eher aux Ripublicains frangais, celui de Vive la Republique. Vive la Convention Nationale. Vive la Montagne et il a 6l6 d61ib6r6 ä l'unanimitf qu'ä l'avenir toutes les stances des administrateurs convoqu£s en bureau commenceraient de la meme manifere.

In der Folgezeit wurde die Formel noch mehrfach den veränderten politischen Bedingungen angepaßt, ζ. B. Wegfall der „Montagne", oder es hieß analog zum Sprachgebrauch der Protokolle des Ancien Regime lakonisch: „apres les cris ordinaires". Diese verschwanden dann in den Jahren V und VI völlig, kehrten aber in den Jahren VII und VIII noch einmal zurück. Mit der Einsetzung einer neuen Hospitalverwaltung im Thermidor VIII wurden sie aber erneut aufgegeben. Ob sie wieder aufgenommen wurden, läßt sich nicht feststellen, weil für die Zeit zwischen 1805 und 1818 keine Protokolle überliefert sind. Die Sitzung der Verwaltung der „Höpitaux de Marseille" am 21.9.1818 begann aber wieder „par la recitation de la priere ordinaire". 126

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Ein anderes Ergebnis der Dechristianisierung war der Namenswechsel. Am 4. Nivöse II (24.12.1793) wurde das Hospital zum ersten Mal als Hospice de l'Humanitd bezeichnet.127 Damit folgte man in Marseille wohl dem Pariser Vorbild. Dort hatte der Prokurator der Kommune bereits am 22. Brumaire II (12.11.1793) das Hötel-Dieu in Maison de l'Humanite umbenennen lassen.128 Diese Bezeichnung hielt sich in Marseille bis zum Brumaire XII (Oktober/November 1804).129 Die Anrede .citoyen', die die Rektoren übernommen hatten130, benutzten sie dagegen nur bis zur Kaiserproklomation Napoleons (18.5.1804). Am 1. Prairial XII (21.5.1804) tauchte das alte .Messieurs' wieder auf.131 4.3. Ergebnis Für die schwierigen Zeiten (Jahr III und V), in denen die übrige Verwaltung offen der Woche anhing, gibt es beim Hospice de l'Humanite in Marseille nur geringe Anzeichen. Der vorherrschende Eindruck ist vom Jahr II bis zum Konkordat (Jahr X/1802) die strenge dekadische Periodizität der Sitzungen am Primedi. Die Tendenz, dem Sonntag zu bestimmten Zeiten auszuweichen, zeigt nur, daß einige Elemente des Wochenrhythmus weiterhin vorhanden waren, die aber keine Überhand über die Dekade gewinnen konnten. Diese positive und konstruktive Einstellung zum Revolutionskalender beruhte möglicherweise nicht auf einer besonders ausgeprägten republikanischen Gesinnung der Rektoren des Hospitals. Vielmehr haben sie bereits mit der ersten Einführung der Dekade und besonders des Titels „decadier" ihr Verhalten festgelegt. Ein „decadier" im Wochenrhythmus wäre für aufgeklärte Zeitgenossen eine widersprüchliche und unvernünftige Erscheinung gewesen. Auch nach Wiederherstellung des Sonntags durch das Konkordat mußten sie deshalb bis zur endgültigen Abschaffung des Revolutionskalenders weiterhin der Logik der Dekade und des „decadier" - und nicht nur einem Gesetz der Republik -verpflichtet bleiben. 5. Privater Umgang mit dem Revolutionskalender: das Tagebuch des Kaufmanns Joseph Abel Tagebücher von Unter- oder Mittelschichten, die zudem noch einen Teil der Revolutionszeit umfassen, sind eine Rarität. Das Livre de raison132 des Kaufmanns Joseph Abel ermöglicht Einblicke in die Termingestaltung eines Privatmanns und läßt an einigen Stellen die Veränderungen unter dem Einfluß des Revolutionskalender erkennen. 5.1. Private Termine Wie das Titelblatt ausweist, wurde das Tagebuch im Jahr IV der Republik begonnen: „commence le 5 septembre 1796 de J(esus) Christ et le Dix-Neuf Fructidor 4C annee republicaine". Auf den ersten Seiten nennt der Verfasser die wichtigsten Stationen seines Lebens. Er wurde am 25.8.1763 als Sohn eines Kaufmanns in Aix-en-Provence geboren. Vermutlich betrieb der einen Lebensmittelgroßhandel;

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

dies geht jedoch nicht direkt aus dem Text hervor. Nach dem Tod des Vaters (1770) ging er in Aix und Marseille zur Schule und arbeitete anschließend im Büro des väterlichen Geschäftes, das von der Mutter und einem Onkel weitergeführt wurde. Als auch der Onkel starb, übernahm er 1792 in Assoziation mit seinen zwei Brüdern das Geschäft. Im Oktober 1795 heiratete er. In dem diesbezüglichen Bericht tauchen zum ersten Mal Anspielungen auf die politischen Ereignisse auf. Wie es sich für einen Kaufmann geziemt, stehen wirtschaftliche Fragen im Vordergrund: La Monnoie de cours n'dtant que des assignats ä I'ipoque de mon mariage et ne pouvant contracter autrement, d'ailleurs la loi appellant tous les enfants ä la succession de leurs pferes nous n'avons point pass6 de contract, mon beaupire a donnd seulement ä ma femme ses hardes dont nous avons fait un röle sans y mettre aucun prix ainsi que six couverts et deux cueilliires ä ragout d'argent dont je lui ai fait un regu. II m'a donn£ de plus la somme de quatre cent trente sept livres six sous six deniers en 6cus dont je lui ai fait pareillement un rdcu. Voilä tout ce qui a έίέ donn6 ä ma femme en attendant ce qu'elle recevra par la suite pour sa portion dans les biens de ses pfere et m£re.

Am 15. Juli 1796 wurde sein erster Sohn geboren qui a έίέ baptis6 le 17 du dit mois dans l'dglise paroissiale de St Jean Baptiste du faubourg sous le nom de Henry Joseph Abel [...]. II a 6t6 inscrit sur les registres de la susdite parroisse par le Pire Laurent Ex-Observantin qui a fait le bapteme et ensuite le meme jour 2 9 Messidor 4' ann6e rdpublicaine il a έίέ port6 ä la commune et inscrit sur le registre des citoyens.

Wie man sieht, kam Abel zwar seinen Bürgerpflichten gewissenhaft nach, doch erst nachdem die Kirche das Ihre getan hatte. Diese Reihenfolge wurde auch nach der Geburt der Tochter (6.4.1800) beibehalten. Erst bei seinem dritten Kind war es umgekehrt. Dieser Sohn wurde am „29 Ventöse an 12/20 Mars 1804" geboren, am 30. Ventöse auf dem Standesamt ins Zivilregister eingetragen und am 1. Germinal getauft. Die napoleonische Gesetzgebung gab sich nicht mehr der Illusion hin, die kirchlichen Riten würden allmählich ganz verschwinden. Statt desen setzte sie die Reihenfolge fest, und der Bürger Abel hielt sich genau daran. An Abels grundsätzlicher Einstellung konnten staatliche Vorschriften allerdings nichts ändern. Er befolgte die Gesetze; seine Kinder erzog er aber zu Christen - und nicht etwa zu .citoyens', wie er bei der Geburt des ersten Sohnes bemerkte: Je demande ä Dieu de me conserver cet enfant si c'est pour sa propre gloire et pour notre salut. Nous fairons sa m i r e et moi tout notre possible pour l'61ever chr6tiennenement et tächerons de lui donner toute l'dducation qu'il sera en notre pouvoir pour en faire un bon chrdtien et un parfait honnete homme, fasse le Ciel que nos peines ne soient point infructueuses et qu'il soit heureux ici bas et dans la bienheureuse 6temit6.

Aus dem familiären Bereich vermerkt Abel nur die einschneidenden Veränderungen wie Geburten/Taufen, Hochzeiten, Krankheiten oder Tod; von einigen Ausnahmen abgesehen, wie größeren Anschaffungen oder Schulbesuch der Kinder. Vom Jahr VI an bis zur Abschaffung des Kalenders 1806 gab Abel auch dabei doppelte Daten an. Ausnahmen sind drei Monatsangaben, und einmal - 1802, im Anschluß an die Abrechnung vom 1. Vendemiaire - heißt es: „ce jour ci devant

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23c 7bre 1802 nous avons chang6 de maison". Das republikanische Datum steht bei den 18 mit Datum versehenen Angaben (die Abrechnungen nicht eingerechnet und Angaben wie ,le lendemain' etc.) 15mal an erster Stelle (= 83,5 %). Bei den Ausnahmen dürfte der Inhalt der Mitteilung nicht den Ausschlag für den Wechsel der Datierweise gegeben haben. Zweimal handelte es sich um eine Taufe (beide 1802), einmal um eine Krankheitsgeschichte. Doch solche Nachrichten wurden sonst auch in umgekehrter Reihenfolge datiert. Auch die äußere politische Situation dürfte ohne Einfluß auf die Datierungsgewohnheiten gewesen sein. Dafür ist sie zu einheitlich - und der Wechsel zum Revolutionskalender erfolgte im Jahr VI zu früh, als daß die neue Propaganda sich schon hätte auswirken können. Außerdem hielt Abel vor allem auch in der napoleonischen Zeit und nach dem Konkordat die doppelte Datierung konsequent bei bis zur offiziellen Abschaffung des Revolutionskalenders im Jahr 1806. 5.2. Geschäftliche

Termingestaltung

Persönliche und familiäre Nachrichten machen allerdings den geringsten Teil des Tagebuchs aus. Es dominieren ausführliche Angaben über die Jahresabschlüsse des Geschäfts. Im Assoziationsvertrag mit seinen Brüdern war festgelegt, daß die jährliche Abrechnung im Laufe des Monats Mai zu erfolgen habe. Abel nennt im Laufe der Jahre für sein Geschäft in Aix folgende Abschlüsse: 25.6.1793 (Samstag) 31.5.1794 (Samstag) 5.6.1795 (Freitag) 31.5.1796 (Dienstag) 31.5.1797 (Mittwoch) 31.5.1798 (Donnerstag) Ce jourd'hui 13 Prairial an 7 R6p./1" Juin 1799 (Samstag) Le l M Juin 1800 = 12 Prairial an 8 de l'Ere rdpublicaine (Sonntag) Le 1er Juin 1801 / 1 2 Prairial an 9 R6p. (Montag) Ce jourd'hui 12 e Prairial an 10 / 1er Juin 1802 (Dienstag) Le 1" Juin 1803 / 12 Prairial an 11 (Mittwoch) (1804:-) Le 12 Prairial an 13 / 1" Juin 1805 (Samstag) Le 1" Juin 1806 (Sonntag) Le 1" Juin 1807 (Montag)

Zunächst sieht es so aus, als ob sich der 31.5. als Termin durchsetzt. Vom Jahr VII (1799) an wechselt er auf den 1. Juni. Dabei bleibt es dann auch für die folgenden Jahre. Das republikanische Datum wird im gleichen Jahr zum ersten Mal hinzugefügt. Mit dem Wechsel auf den 1.6. scheint das aber nichts zu tun zu haben. Denn im Tagebuch taucht das erste republikanische Datum schon im Jahr IV auf, dem Jahr also, in dem es begonnen wurde. 133 Danach gibt er bis ins Jahr VI noch vereinzelt gregorianische Daten an; das der Abrechnung vom 31.5.1798 ist das letzte.134 Bei den Abrechnungsterminen ist das Datum - offensichtlich aus buchhalterischen Gründen - das entscheidende, nicht der besondere Wochentag. Auch am 12.

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

Prairial VIII, der auf einen Sonntag fiel, heißt es: „Le 1er Juin 1800 = 12 Prairial an 8 de l'Ere republicaine nous avons fait l'inventaire de notre maison d'Aix". Am 1. Vendemiaire V (22.9.1796) eröffneten die Brüder eine Niederlassung in Marseille, an der sie ihren Schwager Isnard und einen ehemaligen Geschäftsfreund beteiligten. Die Jahresabrechnung für dieses Geschäft erfolgte regelmäßig am 1. Vendemiaire: Le vingt deux septembre 1796 de Jdsus Christ et 1 " venddmiaire an 5 de la Rdpublique frar^aise (1797:-) Ce jourd'hui premier Vendemiaire an 7 R6p. / 22 Septembre 1798 (1799:-) Le premier Vend6miaire an 9 / 23 Septembre 1800 Ce jourd'hui premier Venddmiaire an 10 / 23' 7b" 1801 Ce jour'hui 1er Venddmiaire an onze / 23' 7b" 1802 Ce jourd'hui 1er Vend6miaire an 12 / 24* Septembre 1803 Le 1er Vendimiaire an 13 / 23 e 7 b,e 1804 du 1" Vendimiaire an 14 / 23 e 7 b,c 1806 1 " octobre 1806 1 " octobre 1807

Im Jahr VIII fiel die Abrechnung aus. Der Grund liegt wahrscheinlich in der Umorganisation der Gesellschaft. Am 1. Nivöse VII (21.12.1798) war ein Partner ausgeschieden. Aus diesem Anlaß nahm man eine Zwischenabrechnung vor. Der Schwager hatte schon vorher (ohne Datumsangabe im Tagebuch) die Gesellschaft verlassen. Anfang Juli 1799 wurde dann das Haus offiziell umgeschrieben auf „Abel freres". Bei ungefähren Datumsangaben, im Rückblick niedergeschrieben, fällt es Abel offenbar schwer, sich des neuen Kalenders zu bedienen. Die Gewohnheit bestimmt noch das Gedächtnis. 135 Bei den Terminen für die Abrechnung steht das republikanische Datum bis auf das Jahr V, das ohnehin noch in die Zeit uneinheitlicher Jahresangaben fällt, an erster Stelle. Bedeutsamer ist jedoch die Tatsache, daß die Gesellschaft überhaupt zum republikanischen Jahresanfang gegründet wurde und für die Abrechnungen somit einen republikanischen Rhythmus vorgab. 136 In einem der folgenden Jahre ist Abel dann mit seiner Familie nach Marseille gezogen. Anläßlich der Abrechnung im Jahr I X erwähnt er, daß er für die Familie ein Haus und für das Geschäft zusätzlich ein Lager zum 1. Vendemiaire gemietet habe. Bis zum Jahr XII weist er dann regelmäßig auf die erneuerten Mietverträge hin. Sie wurden also gemäß den neuen Gesetzen immer zum 1. Vendemiaire - und nicht zum traditionellen Michaelitermin - abgeschlosen. Die Hinweise, wegen des Feiertags zur Republikgründung diesen Termin wieder zu verschieben, hatte die Stadtverwaltung zu dieser Zeit schon wieder eingestellt. Abel führte sein Livre de raison bis 1834. Es ist natürlich überflüssig, seine Datierungsgewohnheiten nach 1806 noch weiterzuverfolgen. Auch inhaltlich änderte sich die Art der Eintragungen nicht. Nur einmal, im Jahr 1814, brach er mit seiner Gewohnheit und ging ausführlich auf die politischen Ereignisse ein:

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J'ai diffdrd jusqu'ü ce jour trente Juin 1814 de parier du bonheur inapprenable que le Seigneur nous a accordd dans Sa Misericorde par la chute ou l'abdication de Maximilien Napoldon Bonaparte du throne de France et du retour de la famille des Bourbons dans leur patrie particuliferement de Louis XVIII du 31 Mars 1814 sur le tröne des ses pires. Cette heureuse Evolution, en arretant les flots de sang dont le susdit empereur Bonaparte avait inondd l'europe a rendu la tranquilit6 dans les families que la conscription en avait banni et a donni aux pfcres et mires l'espoir de mourir entre les bras de leurs enfants et ceux-ci de n'etre pas s6par6s de leurs parents et moissonnds dans la fleur de leur age par l'ambition immoderde d'un despote sorti de la dernifcre classe du peuple de Corse qui ne craignait pas de faire p6rir des millions d'hommes pourvu qu'il put venir ä ses fins et mettre ä execution des projets gigantesques. Mais cessons de parier de ce monstre et songeons ü notre Roi chiri Louis XVIII qui rentra ä Paris le 8 Juillet 1815 ä trois heures aprfes midi aux acclamations d'une population immense qui avait 6t6 au devant de lui et qui trop contrainte jusqu'ä ce moment laissait dclater la joie la plus vive et la mieux sentie.

Nach diesen für ihn außergewöhnlich langen Abschweifungen kehrte Abel zu seiner alten Nüchternheit zurück: „Je reviens ä present ä l'inventaire de notre maison d'Aix qui a ete fait le 1" Juin 1815." 5.3. Ergebnis An den Datierungsgewohnheiten J. Abels ist bemerkenswert, daß der Revolutionskalender in ein privates Tagebuch, das zudem mit aller Wahrscheinlichkeit auch nur zu privaten Zwecken geschrieben wurde, Eingang gefunden hat. Der uneinheitliche, schwankende Beginn bei der Datierung ist schwer zu erklären. Vermutlich spielt die Gewohnheit eine große Rolle. Doch war der Kalender in den Jahren IV-VI auch für den Verfasser schon nichts Neues mehr. Die Konsequenz, mit der er den Revolutionskalender anschließend durchgehalten hat, ist erstaunlich. Zwar werden alle Daten - bis auf die bezeichneten Ausnahmen - doppelt angegeben, doch wiegt dieser Einwand gerade in dem privaten Rahmen nicht sehr schwer. Abel hat allem Anschein nach das republikanische Datum nicht für überflüssig erachtet. Daß der überzeugte und eingefleischte Monarchist Abel in seinem privaten Tagebuch den Revolutionskalender überhaupt benutzt und sogar teilweise in seinem geschäftlichen Leben umgesetzt hat, ist vollends erstaunlich. Wie leicht hätte er den Kalender zumindest privat wegen seiner politischen Überzeugung boykottieren können! Hielt er den Revolutionskalender für eine dauerhafte Einrichtung, obwohl er ansonsten auf andere politische Verhältnisse hoffte? Hieße es die Interpretation zu weit treiben, wenn das gregorianische Datum eher als Erinnerungsstütze für den Selbstgebrauch des Verfassers angesehen wird? Die überwiegende Position an erster Stelle ist sicherlich nicht zufällig. Sie mag im geschäftlichen Alltag bereits zur Gewohnheit geworden sein. Bei alledem ist selbstverständlich zu bedenken, daß es sich bei Abels Kalenderanwendung in erster Linie um eine reine Datierungsmaßnahme handelt. Die Art der Nachrichten im Tagebuch läßt leider noch keine Rückschlüsse darauf zu, daß Abel alte Rhythmen oder Periodizitäten auf das dekadische System umgestellt hat. Der Abrechnungstermin beim Stammhaus in Aix blieb der alte. Der Termin für das

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

Geschäft in Marseille unterlag zwar einem republikanischen Rhythmus, aber für eine Schlußfolgerung ist das zu wenig. Doch immerhin ist Abel zuzugestehen, daß die Entscheidung, die Niederlassung in Marseille zum 1. Vendemiaire zu gründen, freiwillig und vermutlich ohne staatlichen Zwang gefallen sein dürfte. Die jährliche Abrechnung zum gleichen Termin ist nur folgerichtig und muß mit eingeplant gewesen sein. Sie hätte, wenn der neue Kalender als übermäßig störend empfunden worden wäre, eben ohne Schwierigkeiten auch nach dem gregorianischen Kalender - mit republikanischem Datum als Alibi - abgewickelt werden können. Dies ist jedoch nicht geschehen - das spricht für die Stärke des Revolutionskalenders.

IV. Der Revolutionskalender in den Dörfern Was ist vom Revolutionskalender überhaupt in einem Dorf angekommen? Der Vergleich mit den in Marseille gewonnenen Ergebnissen soll helfen, die Schwierigkeiten, aber auch die günstigeren Möglichkeiten für die Durchsetzung des Revolutionskalenders deutlicher herauszustellen, als es die Beschränkung der Untersuchung auf die von vornherein günstigere Situation in einer Stadt erlaubt hätte. Für einen sinnvollen Vergleich müssen natürlich die Fragestellungen und nach Möglichkeit auch die Quellen gleich bleiben. Doch ist zu berücksichtigen, daß der wesentlich geringere Quellenbestand eines Dorfarchivs jeder Untersuchung Grenzen setzt. So können nur die Sitzungsprotokolle und die Standesregister nach der für Marseille erprobten Methode, d. h. ansatzweise quantitativ, ausgewertet werden. Alle übrigen Quellen sind nur bruchstückhaft erhalten oder bieten bedeutend weniger Informationen. Bei der Darstellung werden deshalb die drei Dörfer nicht getrennt behandelt. Wegen der insgesamt schlechteren Quellenlage, aber auch wegen der besonderen Lebensverhältnisse auf dem Lande, ist auch eine Unterscheidung, wie sie für Marseille vorgenommen wurde, in persönlichen und eher öffentlichen Gebrauch des Revolutionskalenders für die Dörfer nicht möglich. 1. Lambesc, Roquevaire, Eyragues Die Auswahl von nur drei Dörfern muß zu einem gewissen Grad willkürlich bleiben. Dennoch erfassen die gewählten Dörfer einige für die Provence wesentliche und typische Merkmale. 1 Lambesc, im Tal der Durance gelegen, ist ein typischer ,bourg provenqal', ein verstädtertes Dorf.2 Es hat für ein Dorf eine verhältnismäßig hohe Einwohnerzahl, 3 rund 3000 um 1820, und weist aufgrund seiner Sozialstruktur und der politischen Verfassung schon städtische Züge auf. Die Entfernung von Marseille (51 km) sichert eine weitgehende Unabhängigkeit und fördert eigenständiges Verhalten. Die Lage an der Hauptverkehrsstraße Marseille - Paris verringert andererseits die Nachteile der Abgeschiedenheit durch den ständigen Kontakt mit Menschen und Meinungen.

In den Dörfern

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Roquevaire4 dagegen ist mit ca. 1500 Einwohnern um 1820 nicht nur kleiner als Lambesc, 5 es liegt zudem auch im unmittelbaren Einzugs- und Einflußgebiet von Marseille (25 km) in nordöstlicher Richtung. Die Abhängigkeit in sozialpsychologischer Hinsicht von den dominierenden Impulsen der Großstadt scheint sehr groß gewesen zu sein.6 Für die Kalenderproblematik könnte diese Ausgangslage helfen, daß - die generelle Abhängigkeit von Marseille vorausgesetzt - bei einem StadtLand-Vergleich das Gewicht des Faktors .Land' sich bestimmen läßt. Eyragues,7 von der Größe etwa Roquevaire vergleichbar (1820 ca. 16000 Einwohner), 8 liegt in der äußersten nordwestlichen Ecke des Departements, in der sog. Vendee provengale.9 Nach einem besonders prorevolutionären Anfang mit heftigen antinobilitären Unruhen in den Jahren 1789-92 schwenkte diese Gegend danach für ein gutes Jahrhundert ins antirevolutionäre, royalistische Lager über. Eyragues folgt somit nicht dem politischen Verhalten der übrigen Provence. 2. Sitzungen der Gemeinderäte Für die Zeit vor 1789 ist die Lage der Sitzungstage für Lambesc und Roquevaire eindeutig zu ermitteln, für Eyragues fehlt der ältere Teil des Dorfarchivs. Die Gemeinderäte tagten jeweils am Sonntag.10 In Ausnahmefällen, ζ. B. bei Sondersitzungen, konnten auch schon einmal ein Dienstag oder ein Donnerstag vorkommen - jedoch keine anderen Wochentage. In Lambesc waren fixe Termine der 8. 12. und der 1. 1. (Wahl und Einführung der Gemeinderäte). Von einer Periodizität kann keine Rede sein. Das Rhythmusproblem ist dagegen klar zu bestimmen. Der Wochenrhythmus prägt auf den Dörfern das Geschehen. Der Sonntag war jedoch nicht - wie in Marseille - Ruhetag, sondern der Arbeitstag des Gemeinderats. Für die Revolutionszeit müßten bis 1796 Generalrat und Gemeinderat unterschieden werden. Soweit dies aus den Protokollen hervorgeht, ist es in den Tabellen berücksichtigt worden. Die geringe Dichte der Daten ist nicht immer nur auf den Größenunterschied der Dörfer im Vergleich zu Marseille zurückzuführen. Der schlechte Zustand und die wenig sorgfältige Führung der Protokollbücher - es fehlen Seiten, die Angabe des Datums oder des Gremiums, machmal sogar die Protokolle eines ganzen Jahres - sind in gleicher Weise dafür verantwortlich. Der Generalrat tagte in allen drei Dörfern unregelmäßig und nicht besonders häufig (Tab. 38). Das ist angesichts seiner Aufgaben und Kompetenzen auch nicht weiter verwunderlich. Der Sonntag bestimmte das Bild, zumindest in Lambesc und Roquevaire. Eyragues kannte häufigere Sitzungen in der Woche. Eine bestimmte Sitzungsperiodizität ist aber auch jetzt nirgends auszumachen. Die Einführung des Revolutionskalenders änderte in Roquevaire (Tab. 39) zunächst nichts; für Lambesc und Eyragues liegen für diese Zeit keine Daten vor. Erst gegen Ende des Jahres II und dann noch deutlicher im ersten Drittel des Jahres III, für das allein nur Daten überliefert sind, wurde der Dekadenrhythmus in Roquevaire übernommen. Das geschah analog zur vorherigen Praxis. Der Decadi wurde nun der Sitzungstag. Von einer Periodizität kann bei den wenigen Sitzungen pro Dekade natürlich nichts zu bemerken sein.

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Die Durchsetzung des Revolutionskalenders

Bis zum Jahr 1793 unterscheiden sich die Befunde für die Gemeinderäte nicht von denen der Generalräte (Tab. 40). Soweit die Daten diese Aussage rechtfertigen, steht fest, daß bis zur Einführung des Revolutionskalenders in diesen drei Dörfern der Wochenrhythmus bestimmend war. Danach ändert sich das Bild. Eyragues erweckt den Eindruck, als sei der Dekadenrhythmus nun vorherrschend gewesen (Tab. 41). Der Decadi blieb zunächst strikt frei. Ausnahmen setzten erst im Jahr IV ein. Danach ist die Datendichte für weitere Aussagen zu dünn. Auch läßt sich an einigen Stellen in den Tabellen eine leichte Periodizität erkennen, ζ. B. der Duodi für das Jahr II. Allerdings sind eindeutige Aussagen bei den wenigen Daten nicht möglich. - Für Roquevaire ergibt sich ein ähnliches Bild (Tab. 42). Auch hier ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, den dominierenden Rhythmus zu bestimmen. Der Decadi blieb nicht unbedingt frei, was allerdings kein Argument gegen den Dekadenrhythmus zu sein braucht. An Sonntagen fanden weiterhin Sitzungen statt, doch nicht so regelmäßig, daß die Woche vorherrschend würde. Dagegen gibt es für diese Jahre einige Hinweise dafür, daß die neue republikanische Zeit eine Rolle gespielt haben muß. In Roquevaire tauchen in den Jahren IX-XII und 1806 in den Protokollen des Gemeinderats und in den Polizei- und Verwaltungsakten dezimale Uhrzeitangaben auf.11 Sie erfolgten nicht konsequent. Es ist nicht festzustellen, wer diese Uhr angeschafft hat oder wem sie gehörte. Sogar noch nach der Abschaffung des Revolutionskalenders wurde sie benutzt: Ce jourd'hui quatorze d6cembre l'an mil huit cent six avant cinq heures ddcimales, nous Antoine Lan garde champetre de la commune de Roquevaire, dtant en tourn6 dans le territoire de la commune [...]. 12

Allein in Lambesc (Tab. 43) gibt es im Jahr VII einen eindeutigen Befund: der Dekadenrhythmus mit einer Periodizität auf dem Nonidi dominierte für fast vier Monate (Floreal - Thermidor). Während der restlichen Jahre unter dem Revolutionskalender lassen die wenigen Sitzungstage pro Jahr keine Schlüsse zu. Wenn Bürger sich einmal für die Einhaltung des neuen Kalenders einsetzten, stieß dies bei der direktorialen Verwaltung nicht nur auf Verständnis. In St. Chamas, nordwestlich von Marseille, traten im Jahr VII in der Kalenderfrage politische und soziale Konflikte offen zutage. Der Regierungskommissar bei der Stadtverwaltung von St. Chamas beklagte sich am 11. Frimaire VII (1.12.1798) bei der Departementverwaltung über das Wiederauftauchen .anarchistischer' - er meint wohl .sansculottischer' - Forderungen: Mon devoir exige, citoyens administrateurs, de vous ddnoncer les membres de la munic i p a l ^ de St. Chamas, coupables des excis les plus rivoltants, d'abus de pouvoir, d'autoritd, dilapidant les domaines nationaux, disolant, non seulement cette commune, mais encore tout le canton. Trois hommes, pour ainsi dire illit6r6s, formant cette administration, Denis Sauva, maςοη, en est le prdsident, Louis-Pacal Simiot, jardinier, l'agent municipal, et Joseph Michel, perruquier, l'adjoint; jugez de leurs talents et de leurs moyens. Ces trois hommes se sont associds avec les frires Autheman, Tun tonnelier, commandant la garde nationale, et l'autre cordonnier, commandant la colonne mobile. Ce sont dans toute la force du terme, de vrais anarchistes, des hommes de sang, qui ne prechent que dissolution,

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qu'andantissement du gouvernement actuel, et qui, ils ne s'en cachent pas, demandent continuellement le gouvernement rivolutionnaire. On les voit toujours parcourant les rues et les campagnes, arm6s de fusils, de sabres, de pistolets, intimidant les meilleurs, les plus honnetes citoyens. Le temps, le rfcgne de Robespierre n'est rien en comparaison de celui-ci dans ce canton. Sous pr6texte de faire exdcuter la loi relative ä la c616bration des ddcadis, nos pauvres cultivateurs, occpupds aux semailles, ont 6t6 saisis sur les charrues, mends dans les prisons, et leurs bestiaux sequestris [...].•13

Von derartigen Ausnahmen abgesehen, hat sich in den Döfern wohl die Bedeutung des Sonntags auch für administrative Handlungen weitgehend gehalten. Dies belegt auch die Praxis der öfentlichen Versteigerungen. Für Lambesc sind einige Versteigerungsprotokolle überliefert.24 Sie sind unvollständig, doch lassen sich stichprobenartig - für einige Jahre die Daten zusammenstellen: 1761 fielen von 34 Versteigerungen 32 1781 fielen von 40 Versteigerungen 29 1792 fielen von 17 Versteigerungen 11 Jahr IV fielen von 5 Versteigerungen 2

auf auf auf auf

einen einen einen einen

Sonntag Sonntag Sonntag Sonntag

Die abnehmende Gesamtzahl braucht hier nicht zu interessieren. Sie könnte bedingt sein durch veränderte Versteigerungsgewohnheiten oder eine andere Art der Protokollführung (Aufnahme nur des letzten Termins). Die Dominanz des Sonntags ist dagegen für diese Untersuchung wichtig. Sie unterstreicht das Ergebnis, das sich bei der Analyse des Sitzungsverhaltens der Gemeinderäte ergeben hat. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Situation kaum verändert gegenüber der des Ancien Regime. Stichproben für Eyragues und Roquevaire lassen erkennen, daß die Dominanz des Sonntags weiterbestand.15 Rhythmus und Periodizität fallen erneut zusammen. Im Gegensatz zur Großstadt Marseille, wo ein derartiges Ergebnis nur noch teilweise in der Stadtverwaltung (Stadtkasse) anzutrefen war, ist dieses Sitzungsmuster mit der Bevorzugung des Sonntags für die drei Dörfer bis ins 19. Jahrhundert kennzeichnend. Prinzipielle Unterschiede zwischen den Dörfern hat es in dieser Hinsicht nicht gegeben. Der Sonntag als im allgemeinen einzigem Sitzungstag entspricht dem traditionellen agrarischen Arbeitsrhythmus. An diesem Tag wurden die Aufgaben wahrgenommen, die nicht direkt der Subsistenzsicherung dienten. Der Revolutionskalender und schon vorher die administrative Revolution, die den Gemeinden erweiterte politische Aufgaben brachte, haben dieses System zeitweise erschüttert und leicht verändert. Zunächst nahm die Zahl der Sitzungen zu; man wich auf andere Tage aus. Sodann schien der Sonntag nicht mehr mit der Selbstverständlichkeit wie vorher als Sitzungstag benutzt worden zu sein. Er blieb oftmals frei, obwohl in der gleichen Woche bzw. Dekade eine oder mehrere Sitzungen stattgefunden hatte. Zu einem eindeutigen bestimmbaren Dekadenrhythmus ist es aber nicht gekommen.

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3. Heiratstermine Die saisonale Verteilung der Heiraten zeigt deutliche Unterschiede sowohl zwischen den Dörfern (Tab. 44) als auch im Vergleich zu Marseille (Tab. 27). Wesentlich deutlicher als bei Marseille sind die Spitzenmonate ausgeprägt. Die meisten Heiraten wurden im November und im Januar/Februar geschlossen, also jeweils vor den kirchlichen Verbotszeiten. Die Tiefpunkte der Kurve liegen zwischen Juli und September. Der landwirtschaftliche Arbeitskalender bestimmt deutlich die Terminwahl. Auch die Verbotszeiten selbst werden genauer als in der Großstadt beachtet. Besonders streng verhält sich Lambesc, wo sowohl die Märzais auch die Dezemberwerte deutlich unter dem nationalen Durchschnitt liegen.16 Eyragues und Roquevaire liegen dagegen eher über dem Durchschnitt. Die Revolution mit ihren verschiedenen Änderungen des Personenstandsregisters hat, wie schon für Marseille festgestellt wurde, auf dieses System eingewirkt. Deutlich ist dies bei Lambesc zu sehen. Die März- und Dezemberwerte steigen zwischen 1790 und 1799 stark an und unterschreiten dann - beginnend in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts - sogar die Werte des Ancien Regime. Die übrigen Werte bleiben relativ konstant, denn einschneidende Änderungen in den ländlichen Arbeitsrhythmus erfolgten erst später. Roquevaire vernachlässigt die Verbotszeiten schon in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts. In Eyragues erreicht dieser Trend erst in den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts seinen Höhepunkt. Die mit politisch konservativer Einstellung verbundene religiöse Bindung der Bevölkerung mag hierfür die Ursache gewesen sein. Um 1850 sind aber in beiden Dörfern ebenso wie in Lambesc - Werte erreicht, die unter denen des Ancien Regime liegen. Für einen Vergleich mit Marseille ist es wichtig festzustellen, daß sich Auflösungserscheinungen des traditionellen Heiratsmusters auch in den Dörfern bemerkbar machten. In diesem speziellen Fall der saisonalen Verteilung der Heiraten in bezug auf kirchliche Verbotszeiten ist von einem Stadt-Land-Unterschied also wenig zu spüren. Religion und Tradition erweisen sich auch hier als relativ schwach. Im Ancien R6gime hatten die Bewohner aller drei Dörfer eine deutlich ausgeprägte Vorliebe für einen bestimmten Heiratstag. In Eyragues und Lambesc war dies der Montag mit ca. 60 % (Eyragues) bzw. 80 % (Lambesc). An zweiter Stelle folgte der Dienstag. Zusammen fallen auf diese beiden Tage in Lambesc über 90 % der Eheschließungen, in Eyragues ca. 80 %. Die restlichen Heiraten verteilen sich auf die übrigen Tage, den Freitag ausgenommen. Daß in Eyragues Heiraten ab 1780 am Sonntag stattfanden, widerspricht den Aussagen von Ethnologen und Kirchenhistorikern, wurde aber ebenfalls schon für Marseille beobachtet.17 In Lambesc taucht der Sonntag erst nach Einführung der Zivilehe auf. Wie aus Marseille bekannt, sollte auf diese Weise wohl der traditionelle Montagstermin für die kirchliche Trauung bewahrt werden. Roquevaire weicht von diesem Muster ab. Dort ist der Dienstag der beliebteste Tag. Damit hat es die gleiche Präferenz wie Marseille; doch folgte es bei den anderen Tagen nicht dem Vorbild der Großstadt. Der Donnerstag und der Sonntag sind fast bedeutungslos. An zweiter Stelle folgt zunächst der Montag, der jedoch bis 1780 kontinuierlich abnimmt, so daß der

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Dienstag mit Abstand (76 %) an der Spitze steht. Als Folge der Zivilehe nimmt der Montag 1793 wieder zu. Wie die Präferenz für bestimmte Tage entstehen konnte, wurde bereits für Marseille erörtert.18 Die Unterschiede zwischen den Dörfern (Dienstag in Roquevaire, Montag in Lambesc und Eyragues) könnten damit zu erklären sein, daß alle drei Dörfer in verschiedenen Diözesen lagen: Roquevaire gehörte zu Marseille, Lambesc zur Diözese Aix und Eyragues zu Arles.19 Für die Revolutionszeit mußten die Daten der einzelnen Jahre zu Gruppen zusammengezogen werden, da absolute Jahreswerte zwischen 10 und 20 Heiraten mit ihren großen Schwankungen noch keine verläßlichen Aussagen erlauben. Die Schnitte werden von der Gesetzgebung bestimmt: Einführung des Revolutionskalenders - falls die Zivilehe (1793) schon vorher Veränderungen bewirkt hat, wurde dies vermerkt; das Gesetz vom 13. Fructidor VI (30.8.1798), das Hochzeiten ausschließlich am Decadi vom Jahr VII an vorsah, und die Rückkehr zur Woche aufgrund des Konkordats vom Jahr X an. Die Dekadentage (Jahr II-VI) ergeben für keines der Dörfer signifikante Werte insofern ein Marseille vergleichbares Ergebnis. Die Umrechnung auf die Woche (vgl. Tab. 45) zeigt dagegen, daß sich in allen drei Dörfern das Heiratsmuster des Ancien Regime trotz der Dekade erhalten hat - ein deutlich von Marseille verschiedenes Ergebnis. Leichte Veränderungen sind allerdings nicht zu übersehen. Die bislang vernachlässigten Tage erhalten mehr Gewicht auf Kosten der Spitzenreiter. Der Freitag ist nun in allen drei Dörfern nicht mehr tabu. In Roquevaire ist die Nivellierung der einzelnen Wochentage - bis auf den traditionell beliebten Dienstag, dessen Wert aber um die Hälfte zurückgegangen ist - so weit fortgeschritten, daß der Marseiller Trend sich schon erkennen läßt. Ehescheidungen haben in den Dörfern keine Rolle gespielt. In Lambesc wurde keine Scheidung verzeichnet. Eyragues kannte vier Scheidungen (Jahr II: 3; Jahr III: 1), Roquevaire zwei Scheidungen (1793 und Jahr II je eine). Zu erwähnen sind für Roquevaire auch sog. Mariages rehabilitee, also nachgezogene kirchliche Trauungen von Ehen, die während der Revolution nur zivil geschlossen wurden: 20

1804 1805 1806 1807

So

Μ

D

Μ

5 9

2 3



6 10 1







1

D

F

S

(abs.)

4

2





2 3













— 2 1 —

21 27 2 1

Erst mit dem Gesetz vom 13. Fructidor VI kommt in den Dörfern größere Bewegung in die Heiratstage. Der Decadi als Heiratstermin wird strikt eingehalten (Tab. 46). Er ebnet die Wochenwerte ein (Tab. 45). Ebenso führt der Erlaß vom 7. Thermidor VIII (26.7.1800) - wie in Marseille - zu Heiraten an Octidi und Nonidi. Mit dem Konkordat ist das alte Wochenmuster wieder da. Nur in Eyragues hält der schon vorher zu beobachtende allmähliche Übergang vom Montag zum Dienstag weiter an. Das Gesetz vom 20. Ventöse XI (11.3.1803), das in Marseille zu Mittwochs-Heiraten geführt hatte, wirkte sich in den Dörfern kaum aus. Nur in Roque-

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vaire steigt in den Jahren XI-XIII der Mittwochswert signifikant an. In Eyragues ist er etwas höher als zuvor, in Lambesc hat sich nichts geändert. Das letzte Aufgebot muß also schon am vorletzten Sonntag erfolgt sein, um bei einem Montagsoder Dienstagstermin die Dreitagefrist einhalten zu können. Für das 19. Jahrhundert können - wie bei Marseille - Daten von zivilen und kirchlichen Trauungen verglichen werden. 21 Das Heiratsverhalten in den drei Dörfern, das bislang relativ gleichartig war, ändert sich nun erheblich (Tab. 47). Bei Roquevaire zeigt der Blick auf die kirchlichen Daten, daß der Dienstag wie im A n d e n Regime der vorherrschende Tag bleibt. Neu hinzu kommt an zweiter Stelle der Donnerstag. Die zivilen Termine weichen dagegen von diesem Muster stark ab. Die schwächere Stellung der Kirche während der Revolution und die zahlreichen gesetzlichen Änderungen, die größtenteils den neuen Kalender als Steuerungsmittel für die Heiratstermine verwendeten, haben zum Aufweichen des traditionellen Verhaltens beigetragen. Erst 1850-54 haben sich den kirchlichen Daten vergleichbar hohe Werte für Montag und Mittwoch, den Tagen vor den kirchlichen Trauungsterminen, ergeben. Erst jetzt hatte die Kirche die Situation wieder im Griff: auf eine Zivilehe folgte in der Regel sofort am nächsten Tag die kirchliche Trauung. Vorher war das offensichtlich nicht so zwingend. 22 In Lambesc bleibt bei den kirchlichen Trauungen wie im Ancien Regime der Montag führend. Der Dienstag, der anfänglich an zweiter Stelle stand, wird ab 1820-24 vom Donnerstag abgelöst. Eine Koordination mit den zivilen Daten (Montag und Mittwoch) ist zu erkennen. Allerdings kommt eine eindeutige Zuordnung, wie sie in Roquevaire zu beobachten ist, nicht zustande. Eyragues kennt keine Restauration des Ancien R6gime. Die zivilen Heiraten verteilen sich auf mehr Tage als vorher. Schließlich dominiert der Mittwoch, gefolgt von Montag und Donnerstag. Im Vergleich zu Marseille ist das Verhalten der Dörfer nur in den Jahren II-VI verschieden. Mit dem Revolutionskalender und der neuen Bestimmung zum Aufgebot wird das alte Heiratsmuster nicht aufgelöst. Schon bei der Einführung der Zivilehe war der Wechsel vom Dienstag auf den Montag - den Vortag - in Marseille wesentlich deutlicher. Die Tradition war stärker als die neue Möglichkeit zur Abweichung. Ob sie deshalb weniger als Zwang empfunden wurde - wie die Hypothese für Marseille lautete mag dahingestellt bleiben. Im übrigen haben sich die administrativen Eingriffe in langfristig gewachsene Gewohnheiten auch auf dem Lande und in weiter Entfernung von der Zentralregierung als durchführbar erwiesen, wie es schließlich der Vergleich von kirchlichen und zivilen Heiratsdaten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gezeigt hat.

4. Feste Hinweise auf Revolutionsfeste sind in den Dorfarchiven selten. Es finden sich verstreut Notizen in den Protokollen oder Erlassen der Gemeinderäte. 23 Sicherlich wurde nicht jedes Fest dort notiert. Die Unterschiede der Überlieferung zwischen den einzelnen Dörfern sind groß, besonders für die Zeit nach der Einführung des

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Revolutionskalenders. Die Angaben für die Revolutionszeit bis einschließlich 1793 sind für alle drei Dörfer unerheblich.24 In Roquevaire werden drei Feste erwähnt:25 der 14. Juli 1791; 1792 eine Messe für den 10. August, dem Tag des Tuileriensturms, veranstaltet von der Nationalgarde am 31.8., und am 1.9.1792 ebenfalls eine Messe für den 10. August, diesmal auf Initiative der Vorsteher der ,Amis du Purgatoire', einer kirchlichen Laiengesellschaft, wie sie für die Provence typisch ist. Auch im Eyragues26 sieht die Situation nicht besser aus. Am 8.8.1791, dem 3. Jahr der Freiheit, bat die Gesellschaft der ,Amis et defenseurs de la liberte et de l'egalite' den konstitutionellen Bischof Roux, der aus Eyragues stammte, um die Schirmherrschaft für ein patriotisches Fest; am 24.4.1793 richtete diese Gesellschaft eine Petition an den Gemeinderat, um öffentliche Gebete für die Erhaltung der Ernte und der Republik abhalten zu dürfen,27 nachdem sie am 10.2.1793 bereits ein Freudenfeuer anläßlich des Todes des Tyrannen Louis Capet abgebrannt hatte. Lambesc kennt ebenfalls nur drei Feste.28 Am 17.2.1792 ersuchte die .Societe republicaine des amis de la liberte et de l'egalite' um die Erlaubnis, eine Messe für den jüngst ermordeten Lepeletier lesen zu dürfen; sodann wurde der 14. Juli 1792 begangen und zwei Tage darauf, am 16.7.1792, ein Freiheitsbaum auf dem Dorfplatz von der Gemeindeverwaltung gepflanzt. Diese Angaben zeigen, daß einige nationale Impulse durchaus in den Dörfern angekommen sind. Teilweise machte sich sogar lokale Eigeninitiative, des Jakobinerklubs oder des Gemeinderats, bemerkbar. Nach der Einführung des Revolutionskalenders werden für Roquevaire folgende Feste erwähnt:29 25. Thermidor II 26. Messidor II 21. Flor6al II 12. Prairial II 9./10. Thermidor IV 9./10. Thermidor V 30. Ventöse VI 9. Thermidor VI 1. Venddmiaire VII

20. Vendimiaire VII 30. Vendimiaire VII

1. Vendömiaire VIII 10. Vend6miaire VIII 25. Messidor IX 1. Vendimiaire X 18. Brumaire X 25. Messidor X 25. Messidor XI

Fest des 10. August (Tuileriensturm, 1792) Fest des 14. Juli Sieg der Armeen Fest des 31. Mai (Sieg über die Gironde, 1793) Fest der Freiheit Fest der Freiheit Fest der Souveränität des Volkes Fest der Freiheit Feierliche Proklamation des Gesetzes vom 13. Fructidor VI (über Eheschließungen am D6cadi) durch die Nationalgarde und Mitglieder der Gemeindeverwaltung in Uniform in gleicher Weise: Proklamation des Gesetzes v o m 23. Fructidor VI (Einhaltung des Revolutionskalenders) in gleicher Weise: Bekanntmachung eines Erlasses der Departementverwaltung vom 24. Vendimiaire über das Tragen von Waffen Fest der Republikgründung und Errichtung eines Altars der Eintracht Trauerfeier für General Joubert Fest des 14. Juli Fest der Republikgründung Fest des 18. Brumaire Fest des 14. Juli Fest des 14. Juli

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Aus Eyragues sind nur drei Feste überliefert: (o.D., Jahr II) 25. Messidor II 20. F l o x a l IV

Fest des Höchsten Wesens 30 Fest des 14. Juli 31 Fest der Ehegatten.32

In Lambesc wird nur ein Fest erwähnt: der 14. Juli des Jahres VI (1798). Er sollte allerdings nach einem Beschluß des Gemeinderats vom 28. Messidor VI (16.7.1798) am Decadi, dem 30. Messidor, gefeiert werden.33 Der Decadi spielte in Lambesc im übrigen eine nicht unbedeutende Rolle. Der Stadtrat ließ im Jahr II das Maximumgesetz jeden Decadi verlesen.34 Es sind also Dekadenfeiern eingerichtet worden. Im Jahr IV fanden mindestens vier Dekadenfeste, verbunden mit Wahlversammlungen, in der Kapelle der Penitents gris statt.35 Auch im Jahr VII deutet der Hinweis, daß ein Erlaß auf der nächsten Dekadenfeier verlesen werden solle,36 auf eine regelmäßige Einrichtung hin. In Roquevaire müssen ebenfalls zumindest zeitweise Dekadenfeiern stattgefunden haben. Schließlich wurde dort im Jahr II die Kirche geschlossen und in „Temple de la Raison", später „Temple de l'Etre Supreme" umgetauft.37 Aus Eyragues ist über die Dekadenfeiern nichts bekannt. Über den Ablauf der Feste in den drei Dörfern läßt sich nichts sagen. Die Klage des Gemeinderats von Eyragues38 aus dem Jahr IV (1796), das Fest der Ehegatten habe nicht die gewünschte Anteilnahme in der Bevölkerung gefunden, dürfte dem Erscheinungsbild vieler Feste entsprochen haben. In Roquevaire geriet im Jahr V das Fronleichnamsfest zu einem Aufruhr. Die Gemeindeverwaltung schrieb an das Departement: Nous vous annongons, citoyens administrateurs, que presque tout le peule de Roquevaire s'est transport6 ä la ci-devant paroisse de la dite commune et ont mont6 au clocher et ont sonnd la cloche pour c616brer la fete de Notre Seigneur Jisus-Christ, nous avons point voulu s'y opposer parce que contre la force, point de ^sistance, et nous vous prions de nous dire en riponse si nous laissons continuer de sonner ou non, car c'est l'envie de tout le peuple. Salut et fraternitö.3®

Das Glockenläuten, auf das es der Bevölkerung offensichtlich so ankam, wurde während der Revolution und darüber hinaus für die Dorfbewohner tatsächlich zu einem Problem. Die Gemeinde hatte im Ancien Regime beim Läuten der Kirchenglocken ein gewisses Mitspracherecht. Bei Feuer und anderen Gefahren konnten sie damit die Einwohner warnen. Die verschiedenen revolutionären Regierungen hörten aus dem Glockenläuten jedoch nur religiöses Bekenntnis heraus. Als äußeres Zeichen des Kultus wurde es, wie andere religiöse Gebräuche auch, bald verboten. Als die Kirche viele ihrer Rechte wiedererlangt hatte, wollte der Staat jedoch seinen einmal gewonnenen Einfluß nicht mehr abtreten. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein blieb das Glockenläuten eine Streitfrage zwischen Kirche, Dorfgemeinde und weltlicher Obrigkeit. Für die Gemeinde war mit der Glockenfrage ein wichtiges Element ihrer Identität berührt. Für Staat und Kirche ging es um eine Machtfrage: Wem gelingt es, mit der Verfügungsgewalt über die Glocken ein Mittel in die Hand zu bekommen, um in den Alltag der Bevölkerung einzugreifen? 40

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Einzelheiten über das Fest vom 9. Thermidor V (27.7.1797) sind aus Gemenay, einem kleinen Dorf in der Nähe von Roquevaire, bekannt. Dieses Fest wurde zum Anlaß genommen, die Revolution überhaupt in Frage zu stellen und lächerlich zu machen.41 Am Abend zogen Bürger mit Musik durch den Ort und führten auf einem Esel einen als Robespierre verkleideten Mann mit sich. Dieses karnevaleske Vergnügen empfanden andere als Provokation. Steine flogen, Blut flöß, die Polizei mußte einschreiten. Die politische Kritik nutzt hier das folkloristische Gewand und macht sich damit wirklich verständlich, was im großen und ganzen den politischen Festen - wohl zu ihrem Nachteil - nicht gelungen ist. Der Anklang, den dieses Fest offensichtlich gefunden hatte, geht wahrscheinlich über das übliche Maß weit hinaus. In Lambesc und Umgebung tauchten im Jahr V ebenfalls traditionelle folkloristische Formen auf, sog. ,farandoles' - umzugsartige Tänze in langen Reihen - , die von der Gemeindeverwaltung sofort verboten wurden.42 Organisiert wurden sie von Jugendlichen bzw. jugendlichen Banden. Die obrigkeitsfeindliche und damit antirevolutionäre Tendenz ist nicht zu leugnen, schließlich ging dabei der Freiheitsbaum schon einmal zu Bruch wie in Charleval bei Lambesc.43 Trotz relativ weniger Informationen zeigt sich, daß die nationalen Impulse auf dem Lande angenommen sind und, was in Einzelfällen nachzuweisen war, auch befolgt wurden. Dekadenfeste hat es offensichtlich ebenfalls gegeben. Der Revolutionskalender war somit auch in den Dörfern - zumindest für eine Weile - zeitlich ordnender Faktor der politischen Feste.44 5. Notariatstermine Eine weitere Möglichkeit, Zeitgewohnheiten der Dorfbewohner nachzugehen, ergibt sich über Notariatsakten.45 Die Notare waren verpflichtet, regelmäßig die vor ihnen abgeschlossenen privatrechtlichen Verträge (,sous seing privee') in staatliche Register einzutragen. Diesem sogenannten ,contröle des actes' sind neben den Namen der Beteiligten und dem Vertragsgegenstand auch das Abschlußdatum zu entnehmen. Für Roquevaire konnten einige Jahre ausgewertet werden.46 Zunächst (1762 und 1787) waren Samstag und Montag die wichtigsten Tage für einen Besuch beim Notar (Tab. 48). Der Samstag gibt dann seine Position an den Sonntag ab, so daß von 1791 an Sonntag und Montag zwischen ca. 35 % und 50 % der Vertragsabschlüsse auf sich vereinigen. Der Sonntag hält aber immer den höheren Wert. Ob die Sonntagsruhe vor 1762 besser eingehalten wurde und dann allmählich eine Aufweichung erfolgte, läßt sich auf dieser schmalen Datenbasis nicht klären. Auffallend hoch sind die Sonntagswerte gerade für die republikanischen Jahre. Die Bevölkerung hielt sich diesen Werten zufolge weitgehend an die Woche. Der Decadi wurde jedoch vermieden, wohl auf Betreiben der Notare, denen Arbeiten am Ddcadi seit dem Erlaß vom 14. Germinal VI (3.4.1798) verboten waren.47 In den Jahren VII und IX fällt kein einziger Vertragsabschluß auf einen Ddcadi, im Jahr II sind es nur 12 von 204, d. h. rund 6 %. Der Sonntag war der Tag, den die Bevölkerung von landwirtschaftlichen Arbei-

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ten weitgehend freihielt zugunsten anderer Verpflichtungen. 48 Er war für die Bevölkerung der Ruhetag, wenn auch nicht im Sinne der Kirche.49 6. Sonntag und D4cadi In den beobachteten ländlichen Terminsystemen ist der Sonntag das entscheidende Element. Auch der Revolutionskalender hat daran trotz verschiedener anderer Auswirkungen nichts geändert. Der Sonntag erscheint als der vor allen anderen Wochen- bzw. Dekadentagen privilegierte Termin für zahlreiche Verrichtungen, die aus dem Rhythmus der täglichen landwirtschaftlichen Arbeiten herausfallen: Ratssitzungen, Versteigerungen, Notarbesuche; hinzukommen Wirtshausbesuche, die Verkündigung der Aufgebote, Arztbesuche; die Geschäfte waren zum Teil geöffnet, der Verkauf von Lebensmitteln war nie verboten. Viele landwirtschaftliche Arbeiten konnten natürlich am Sonntag nicht eingestellt werden; andere gingen auch außerhalb der Erntezeit weiter. Dadurch erhielt der Sonntag ein besonderes Gesicht, er war kein reiner Ruhetag. Die Frage ist deshalb, ob diese besonderen Merkmale ihm auch das Gewicht geben, eine so deutliche Zäsur zu markieren, daß von einem Wochenrhythmus gesprochen werden kann, oder ob die zeitliche Strukturierung des Alltags anders beschrieben werden müßte. Für die Revolutionszeit ergibt sich ein widersprüchliches Bild. Die beredten Klagen der Verwaltung über die mangelnde Einhaltung des Decadi und die Hinweise auf das Weiterbestehen der alten Sonn- und Feiertage50 lassen den Schluß zu, daß es dem Revolutionskalender in Marseille und Umgebung nicht gelungen ist, die traditionellen Terminsysteme weiterer Bevölkerungskreise völlig umzudrehen. Der Sonntag als Ruhetag und besonderer Einschnitt war für den Decadi offensichtlich nicht ohne weiteres eine Konkurrenz. Auf dem Hintergrund der sich in Marseille wie anderswo über Jahrhunderte hinziehenden Kämpfe von Kirche und Staat um die Einhaltung der Sonntagsruhe52 wirken die Beschwerden über die nun angeblich beachteten Sonntage jedoch irritierend. Sollte es möglich sein, daß sich innerhalb kürzester Zeit - noch 1791 wurden in Marseille Strafen wegen Übertretung des Sonntagsgebots verhängt52 - eine völlig verwandelte Situation ergeben hat und der Sonntag plötzlich durchgehalten wurde? Wenn dies aber nicht zutrifft und der Sonntag gar nicht wirklich verwurzelt war, warum hatte es der Decadi dann aber so schwer? Das Problem der Rhythmusänderung durch den Revolutionskalender rückt durch diese Frage in ein anderes Licht. Die zunächst klaren Fronten verwischen sich. Es sieht so aus, als ob die Vorstellung von einem Wochenrhythmus im Ancien Rögime zumindest teilweise aufgegeben werden müßte. Ideal wäre es, für alle Tage eines Jahres die Funktion in verschiedenen Terminsystemen zu notieren. Auf Stadt-Land-Unterschiede, einzelne Berufsgruppen, soziale Schichten, selbst auf die Besonderheiten von Stadtteilen müßte geachtet werden. Es entständen auf diese Weise die Terminsysteme der jeweiligen Bezugsgruppe. Sie könnten dann auf bestimmte Rhythmen oder Periodizitäten untersucht werden. Es dürfte sich zeigen, daß es nur schwer gelänge, zu einem einheitlichen Bild zu gelangen. Der Wochen-

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rhythmus wäre vermutlich nicht der einzige, vielleicht nicht einmal der dominierende Rhythmus. Bestimmte Tage im Jahresablauf träten dann deutlicher hervor und erhielten eine besondere Funktion (für Heiraten, Märkte, Messen, Erntebeginn, Abschluß von Verträgen etc.). Der Sonntag selbst könnte sich auflösen in Tage unterschiedlicher Qualität, gemäß der Meßordnung der katholischen Kirche und einer zu erstellenden Hierarchie der Feiertage. Diese besonderen Tage wären dann Fixpunkte, die das Jahr zusätzlich zu verschiedenen möglichen Rhythmen gliederten. Denn die moderne Trennung von Arbeit und Freizeit mit ihrem uniformen und monotonen Rhythmus existierte noch nicht. Sie bildete sich erst allmählich heraus und ist im späten 18. Jahrhundert nur in Ansätzen zu erkennen." Es ist jedoch kein Wunder, daß diese Verhältnisse aufgeklärten Eliten in Staat und Kirche als Chaos erscheinen mußten. Ihrem Sinn für Ordnung, Regelmäßigkeit und Effizienz liefen diese Zustände zuwider. Die Bemühungen, den Festtagskalender zu straffen, entsprangen beispielsweise nicht nur dem Willen zu mehr Wirtschaftlichkeit. Viele Traditionen und Gebräuche erschienen den Obrigkeiten immer mehr als nutzloser und gefährlicher Aberglaube. Die sonntäglichen Vergnügungen mit Tanz und Alkohol ließen die unehelichen Geburtenraten steigen und beeinträchtigen die Arbeitstüchtigkeit. Außerdem erschien jedes Fest als potentieller Anlaß für politische Unruhen.54 Mit der Forderung nach konsequenter Einhaltung des Sonntags und sechs Tagen ununterbrochener Arbeit hätten diese Probleme sämtlich - aus der Sicht der Eliten - gelöst werden können. Rhythmisierung des Alltagslebens bedeutet also immer auch Rationalisierung im aufklärerischen Sinn und Disziplinierung. Sie sind Ausdruck des mentalen Wandels, der sich im Zusammenhang der industriellen Epochenschwelle anbahnt. Durch die Einführung des Revolutionskalenders änderte sich die Problemlage grundsätzlich nicht, sie verschob sich nur. Der Staat - die Kirche fiel für diese Zeit als Partner aus - versuchte dafür zu sorgen, daß ein Zehn-Tage-Rhythmus eingehalten und der Decadi mit den Ruheelementen des Sonntags versehen wurde. In der praktischen Durchsetzung bei der Formulierung von Erlassen und Anordnungen mußte eigentlich nur Sonntag durch Decadi ersetzt werden. Alle übrigen Anweisungen konnten beibehalten werden. Die Revolutionsregierungen führten in der Tat die Traditionen des Ancien Regime ungebrochen fort. Den Änderungen, die der Revolutionskalender notwendig gemacht hatte begegneten sie dadurch, daß sie den Decadi mit Festtagselementen auszustatten versuchten. Dazu gehörten eben auch die Verbote. Es ist nur verständlich, daß die revolutionären Autoritäten besonderen Wert darauf gelegt haben, daß diese Erkennungsmerkmale des Sonntags auf den Decadi verlegt wurden. Ist doch der geglückte Transfer erst sichtbarer Beweis und Gradmesser für die rechte republikanische Gesinnung. Da nun aber Vergnügungen schlecht erzwungen werden können, geriet die Überwachung zur Einhaltung des Decadi häufig zu einer Überwachung der Nicht-Einhaltung des Sonntags. Denn ein glanzloser Decadi war für die republikanische Gesinnung noch erträglicher als ein deutlich erkennbarer Sonntag. Kein Wunder also, daß nicht regierungsfreundliche Zeitungen ihre Finger in diese Wunden legten und sich über unerkannte Decadis oder Nationalfeste mokierten: „Le fameux 14 Juillet a passe in

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cognito sans amener ä sa suite ni serments, ni fetes", schrieb am 3. Thermidor III (21.7.1795) das Journal de Marseille.55 Für die Bevölkerung war es letztlich gleichgültig, welcher Art der Rhythmus ist, der ihr gegen ihre Gewohnheiten aufgezwungen wurde. Sie war gegen Decadi und strikte Sonntagsruhe, gegen Woche und Dekade. Sie versuchte ihre Ordnung aufrechtzuerhalten. Weil dazu eben auch bestimmte Verrichtungen am Sonntag gehörten, kann der paradoxe Eindruck entstehen, daß der Sonntag nie so gut beachtet wurde wie unter dem Revolutionskalender, obwohl eben tatsächlich nur der - nicht im Sinne der Kirche - geheiligte Sonntag des Ancien Rdgime beibehalten wurde. Auch nach der Revolution ging die Auseinandersetzung um den Sonntag weiter. Allerdings scheint es, daß nun eine andere Qualitätsstufe erreicht war. Die Ausgangslage ist völlig verändert. Im Empire ist die Anzahl der Feiertage drastisch reduziert und bis auf wenige Ausnahmen auf den Sonntag verlegt worden.56 Soweit es sich beobachten läßt - und hier konnte nur die staatliche Verwaltung in das Blickfeld geraten - sind der Sonntag und der Wochenrhythmus im Vergleich zum Ancien Regime nun einwandfrei etabliert. Die Experimente mit der Zeitordnung über den Revolutionskalender haben offensichtlich kathartisch gewirkt. Zudem war die napoleonische Verwaltung auch besser in der Lage, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Sie begnügte sich nicht mehr wie ihre Vorgängerinnen mit der stereotypen Wiederholung von Erlassen und Verboten und einzelnen, letztlich aber unwirksam bleibenden Gegenmaßnahmen. Der Konflikt wurde nun intensiver geführt. Die funktionierende Verwaltungshierarchie ermöglichte, daß der Druck bei den unteren lokalen Behörden auch tatsächlich ankam und dort in die Bemühung umgesetzt wurde, die Bestimmungen auch durchzuführen.57 Die Reform des Revolutionskalenders ist nur oberflächlich ein spezifisch französisches Revolutionsereignis. Sie bettet sich vielmehr ein in einen langfristigen Umstrukturierungsprozeß, bei dem die überkommene vorindustrielle Zeitordnung sich auflöste und sich den Erfordernissen der modernen Welt in der Industrialisierung anpaßte. Der Revolutionskalender ist damit wohl kein zufälliges Ereignis. Viele seiner Merkmale entsprechen zu genau dem Rationalisierungs- und Effizienzargument der Zeit. Daß er in einigen Merkmalen über das Ziel hinausschoß, ist letztlich nicht wesentlich. 7. Ergebnis Die beiden Quellen massiver Art lassen in allen drei Dörfern eine übereinstimmende Tendenz erkennen: Die Heiratsdaten zeigen, daß die Dekade - sofern sie zusätzlich von Gesetzen gestützt wurde wie in den Jahren VII-X - durchaus das überkommene Verhalten im Lande erschüttern konnte; bei den Sitzungstagen stellte sich heraus, daß der Kalender, dessen Gültigkeit für das öffentliche Leben ja nie in Frage gestellt wurde, gewohnte Abläufe durchbrochen hat, ohne allerdings zu einem neuen, konstruktiven Verhaltensmuster beizutragen. Mit dem Konkordat war in beiden Fällen der alte Zustand - mit den verschiedenen leichten Abweichungen - wieder da.

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Ergänzend dazu war den Notariatsakten, den Versteigerungs- und Sitzungsprotokollen ein besonderer Zug des dörflichen Terminsystems zu entnehmen. Der Sonntag war aktiver Ruhetag. Ein Großteil der landwirtschaftlichen Arbeiten ruhte. Dafür wurden aber viele aus dem normalen Arbeitsrhythmus fallende Tätigkeiten an diesem Tag erledigt. Hier scheint sich der wesentliche Stadt-Land-Unterschied anzudeuten. Dem traditionellen Arbeitsrhythmus der Agrargesellschaft stellt sich der moderne städtische und professionelle Arbeitsrhythmus mit dem Sonntag als wirklichem Ruhetag entgegen, wie Kirche und Staat ihn seit dem 16./17. Jahrhundert forderten. Natürlich war dieser auch in Marseille noch nicht völlig durchgesetzt. Die politischen, geographischen, möglicherweise auch wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede, die mit den drei Dörfern erfaßt sein sollten, ließen sich zwar erkennen, haben sich auf das Gesamtergebnis aber nicht merklich ausgewirkt.58 Das Übereinstimmende ist so groß, daß Abweichungen dahinter verschwinden. Der Revolutionskalender wie auch der strikte moderne Wochenrhythmus waren für die traditionelle Agrargesellschaft ein Fremdkörper. Die, wenn auch geringen, Perturbationen, die der Revolutionskalender auslöste, zeigen die Wucht, die diese Reform schließlich durch institutionelle staatliche Unterstützung erfahren hat. So sind die Schwierigkeiten, die Sonntagsruhe durchzusetzen, ein Beispiel für das Beharrungsvermögen der alten Zeitordnung.

V. Modernisierung und partielle Rationalisierung von Terminsystemen Diese Fallstudie war ein Experiment. Es ging darum festzustellen, wie weit es überhaupt möglich ist, etwas über die zeitliche Organisation des täglichen Lebens zu erfahren, wenn man in kurzen Zeiträumen bleibt und ansatzweise quantifizierend arbeitet. Auf diese Weise sollte versucht werden, der Anwendung des Revolutionskalenders auf Gebieten nachzugehen, die eine aktive Verhaltensänderung von Seiten der Kalenderbenutzer erforderlich machten. Insgesamt ergibt sich, daß das öffentliche Terminsystem in Marseille, solange der Revolutionskalender bestand, von der Dekade geprägt war. Dies war während der untersuchten Jahre nicht gleichmäßig stark der Fall und verschieden je nach untersuchtem Bereich. Die abnehmende Tendenz innerhalb der staatlichen Verwaltung vom Departement bis zu den Einrichtungen der Stadt ist nicht zu verkennen. In jedem Fall war aber die Anwendung des Revolutionskalenders mehr als nur Datierungsgewohnheit. Sie führte zu einer meßbaren und beschreibbaren Veränderung des Arbeitsverhaltens. Die Testfragen nach der Änderung von Rhythmus und Periodizität haben dies gezeigt. Dort, wo der Einfluß der staatlichen Aufsicht so weit gebremst war, daß sich ein freieres persönliches Verhalten bemerkbarmachen konnte (Hospital, Fischer), be-

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stimmte der Revolutionskalender lange Zeit die Terminsysteme. Allerdings ergaben sich hier - wie auch schon in der Bürokratie - recht schnell Mischformen, die alte und neue Terminsysteme verbanden. Die Polizeiberichte, die naturgemäß Verstöße gegen die Kalendergesetze verzeichneten und nicht die positiven Fälle registrierten, wiesen auf die Situationen, in denen ein bestimmtes, gefordertes Verhalten verweigert wurde, das über bloße Datierung hinausging. Widerstand gegen den neuen Kalender bestand vor allem in schlichter Verweigerung, ein neues Terminsystem zu übernehmen. Das bloße Festhalten am Gewohnten, Nichtbeachten des Revolutionskalenders oder sogar wirkliche Unkenntnis waren nicht selten und genügten, die neue Zeiteinteilung letztlich am herkömmlichen Alltag auflaufen zu lassen. Die Rolle der staatlichen Überwachung ist nicht leicht zu bestimmen. Druck legte die Probleme frei und zeigte die Nichtbeachtung des Kalenders, die dadurch gerade erst in die schriftliche Überlieferung kam. Allerdings decken die Quellen nicht alle Lebensbereiche ab. Der Anteil der noch verbleibenden weißen Flächen auf der Karte der kalendergesteuerten Alltagssituationen wäre nur hypothetisch zu bestimmen. Empirischen Untersuchungen von Zeitproblemen sind damit gewissermaßen natürliche Grenzen gesetzt. Keine brauchbaren Informationen sind vom religiösen Leben zu finden, dessen zeitliche Ausgestaltung der alte Kalender ja darstellte, und über desen Zusammenstoß mit dem neuen Kalender. Ebenso fehlt der gesamte private Bereich, soweit er sich außerhalb des Blickfelds der Obrigkeit abspielte. Dazu gehören ζ. B. periodische Tätigkeiten der Frauen eines Dorfes wie Back- oder Waschtage, für die es feste Termine gab. Das Tagebuch des Kaufmanns J. Abel - als einzige wirklich private Quelle - zeigt, daß der neue Kalender zumindest ein Stück weit ins private Bewußtsein dieses Mannes gedrungen war und sein zeitliches Verhalten prägte. Abels Kalenderbenutzung beruhte schließlich weitgehend auf Eigeninitiative, obwohl er im übrigen mit den Zielen der Revolution nicht sympathisierte. Schichtenspezifische Unterschiede bei der Anwendung des neuen Kalenders sind kaum festzustellen. Das muß nicht unbedingt darauf zurückzuführen sein, daß es sie nicht gegeben hat - wie Stichproben bei den Heiraten gezeigt haben, die ja die Gesamtbevölkerung repräsentativ erfaßten. Vielmehr dürfte es auch hier daran liegen, daß für derartige Fragen die Quellen versagen. Die Polizeiberichte zeigten nur die Welt der kleinen Handwerker und Kaufleute. Brauchbares Archivmaterial über das Arbeitsverhalten der kaufmännischen Elite der Hafenstadt Marseille war nicht zu finden. Auch wenn das unterschiedliche Verhalten der Fischer oder der Rektoren des Hospitals auf soziale und bildungsmäßige Unterschiede zurückzuführen wäre, darf der unterschiedliche Bürokatisierungsgrad der beiden Institutionen nicht übersehen werden. Eine sachgerechte Aussage über den Einfluß von religiösen und politischen Einstellungen auf die Annahme und Umsetzung des Revolutionskalenders ist aufgrund der verfügbaren Informationen ebenfalls nicht möglich. Bei der Einstellung zum Sonntag läßt sich beispielsweise nicht abschätzen, wie groß der Anteil der Gewohnheit und wie stark die religiöse Motivation dabei gewesen ist. Die Untersuchung der Dörfer zeigt, daß geographische Lage und unterschiedli-

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che politische, soziale und ökonomische Faktoren keinen nennenswerten Einfluß auf die Einstellung zum Revolutionskalender ausgeübt haben. Zumindest die drei untersuchten Dörfer verhielten sich sehr ähnlich gegenüber dem Kalender. Der Revolutionskalender und die entsprechenden Gesetze waren überall bekannt. Der Informationsfluß der Bürokratie funktionierte. Zur Datierung wurde der neue Kalender regelmäßig und konsequent benutzt. Auf das Sitzungsverhalten des Gemeinderats hatte die Dekade nur zeitweise Einfluß ausgeübt. In der Regel war das einzige Zugeständnis an den Kalender der freie Decadi. Im übrigen blieb der Sonntag der bestimmende Tag im Leben der Dörfer. Die traditionelle Rolle des Sonntags machte den wesentlichen Stadt-Land-Unterschied aus. An den Heiratsdaten ließ sich beobachten, wie genau ein traditionelles Muster trotz Kalenderreform aufrecht zu erhalten war. Wenn die Quellen also auf viele Fragen keine befriedigende Antwort bieten können, lassen sie doch eines deutlich erkennen: es gab zahlreiche Bereiche, in denen der Revolutionskalender - teilweise sogar relativ problemlos - angewandt wurde. Nach den Ergebnissen der bisherigen Untersuchungen, die natürlich nur für Marseille und die drei Dörfer gelten, muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß Terminsysteme veränderbar, auf behördlichen Druck eher als auf individuelle Initiative hin manipulierbar sind. Zumindest die staatliche Verwaltung hat zeitweise ihre Terminsysteme rigoros auf die neue Ordnung umgestellt. Auf die Möglichkeiten, die neue Zeiteinteilung wegen der besonderen Arbeitszeiten in das alte Terminsystem weitgehend einzubauen, wurde immer wieder hingewiesen. Insgesamt war der Revolutionskalender während dieser Jahre jedoch im öffentlichen Leben bzw. Bewußtsein mit durchaus erstaunlicher Konstanz präsent. Seine Auswirkungen waren tiefer, als bislang oft vermutet wurde, wenn auch natürlich nicht so tief, wie es zeitgenössische Befürworter des Kalenders erhofft hatten. Die Tatsache allein, daß der neue Kalender auf weite Strecken - wenn auch im Einflußbereich der staatlichen Verwaltung - überkommene Terminsysteme ohne großen Widerstand hat umwerfen können, darf aber nicht dazu führen, die Modernisierungschancen durch das Kalenderexperiment zu überschätzen. Die negativen Beispiele lassen vermuten, daß es eine Grenze gibt, die nicht oder nur schwer überschritten werden kann und an der die große Gleichgültigkeit, alle Änderungen hinzunehmen, von der Gewohnheit gebremst wird. An den bisherigen Ergebnissen läßt sich ablesen, daß Einzeltermine offenbar recht leicht zu verändern waren (Feste, Wahltermine der Fischer). Sobald aber komplexere Terminsysteme geändert werden sollten, setzte zumindest der Trend zu Mischformen ein, die allerdings ohne genaue Kenntnis der alten Terminsysteme nur unzureichend zu verstehen sind. Welcher Komplexitätsgrad allerdings erreicht sein muß, damit diese Toleranzschwelle erkennbar wird, ist nur im Einzelfall zu bestimmen. Wenn hier von einer Grenze gesprochen wird, an der bestimmte Modernisierungsbemühungen scheiterten, wäre zu fragen, ob die Modernisierungsangebote des neuen Kalenders überhaupt einem irgendwie feststellbaren Bedürfnis entsprochen haben. Im Hinblick auf die Kalenderreform bedeutet das: Welche Zeiteinteilungen wurden vom Großteil der Bevölkerung am Ende des 18. Jahrhunderts über-

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haupt benötigt? Der Kampf, besonders der Landbevölkerung, um die Glocken, dem hier nicht weiter nachgegangen werden konnte, ließ erkennen, wie wichtig diese Fragen der Zeiteinteilung waren. Ein regelmäßiges zweimaliges Läuten, das den Beginn und das Ende des Arbeitstages ankündigte, kam diesem Bedürfnis schon weitgehend nach. Auch in der Stadt dürften dies noch die wesentlichen zeitlichen Fixpunkte gewesen sein. Ob und wozu eine feinere Tageseinteilung generell benötigt wurde, bleibt zu klären.1 Inwieweit überhaupt eine mittelfristige Zeitplanung, wie sie ein Kalender zwischen Tag und Jahr darstellt, im ausgehenden 18. Jahrhundert für die Alltagswelt breiter Bevölkerungskreise und nicht nur für kultische Zwecke erforderlich war oder ob sie bewußt praktiziert wurde, muß offenbleiben. Unbestreitbar ist jedoch, daß die Kalenderreform einen ganz erheblichen kurzfristigen Eingriff in die Terminsysteme einer langfristig gewachsenen Zeitordnung dargestellt hat. Wenn der Revolutionskalender auch letztlich gescheitert ist, erübrigt sich nicht die Frage nach überdauernden Wirkungen der Reform. Das dekadische Prinzip ist mit der Abschaffung des Kalenders endgültig und vollständig aus dem Alltag verschwunden. Bei den Behörden unterscheidet sich aber das Arbeitsverhalten nach der Revolution deutlich von der Praxis im Anden Rdgime. Der Wochenrhythmus, der vorher noch nicht konsequent eingehalten wurde, ist nun vollkommen etabliert. Es erscheint paradox, daß im Ergebnis der Revolutionskalender die Durchsetzung der Sonntagsruhe herbeigeführt hat. Doch ist dies sicher nicht allein dem Revolutionskalender zuzuschreiben, sondern auch dem langfristigen Bürokratisierungsschub.2 Dennoch dürfte auch der Revolutionskalender das Bewußtsein für die praktische Bedeutung einer rationalen, aktiven Zeitstrukturierung gefördert haben. Auch den traditionellen Terminsystemen ist Rationalität nicht ganz abzusprechen, handelte es sich doch in vielen Fällen um eine partikulare, dem jeweiligen Terminsystem immanente Rationalität, die von dem Arbeitsablauf der jeweiligen Tätigkeit gesteuert wurde. Mit der Ausbreitung öffentlicher Uhren wurden diese Terminsysteme allmählich koordiniert und auf eine abstrakte, generell verbindliche Zeit bezogen. 3 Die Aufklärung hat diese Art Rationalität begrifflich gefaßt und ihre Umsetzung vorangetrieben, ehe die Industrielle Revolution ihr zum Sieg verhalf.4 Die Kalenderreform ist ein Beispiel für diese Rationalität, die in vielen Gebieten des Alltags auch partiell verwirklicht wurde und deren folgen den Revolutionskalender überdauert haben.5

Ε. Die Hürde des Rationalitätsarguments: zur Abschaffung des Revolutionskalenders Mit der Verabschiedung der drei Kalendergesetze aus dem Jahr VI war das Problem - die Durchsetzung des Revolutionskalenders - noch nicht so gelöst, daß sich das Direktorium damit nicht mehr zu befassen brauchte. Der Anklang, den der neue Versuch, Dekadenfeiern einzurichten, in der Bevölkerung gefunden hatte, war häufig nicht so, wie es sich die Direktoren erwünscht hätten.1 Die Ursache, die sie dafür ausmachten, hielten sie selbst für tröstlich. Es sei schlichte Trägheit der Bürger; offenen Widerstand habe es glücklicherweise kaum gegeben. Weniger das Joch des Aberglaubens als vielmehr das der Gewohnheit werde die neuen Einrichtungen scheitern lassen: „L'habitude tyrannise le genre humain." 2 Das Direktorium überlegte neue Maßnahmen, den Gesetzgeber, den Rat der Fünfhundert, angesichts dieser Situation zu neuem Handeln zu bewegen. Der Vorschlag, den es machte, hätte einen radikalen Umschwung der langjährigen Festpolitik bedeutet. Denn das Direktorium wollte nun nicht mehr nur alte Feste abschaffen und die Lücken durch neue schließen, sondern die alten Formen bewahren und mit neuen Inhalten füllen. Geeignet dazu hielt es die Patronatsfeste, deren religiöser Gehalt von kommerziellem Beiwerk bereits überdeckt werde. Als „fetes communales et champetres" 3 sollten sie weiterleben: Faites disparaitre le cachet du fanatisme et conservez l'institution, d'autant plus que le besoin et le pr£jug6 semblent d'accord pour la maintenir. 4

Der Vorschlag mußte Idee bleiben. Ein halbes Jahr später brachte der Staatsstreich des Generals Bonaparte vom 18. Brumaire VIII (9.11.1799) das Ende des Direktoriums. Die Konsuln leiteten eine völlig neue Festpolitik ein. Bereits mit dem Gesetz vom 3. Nivose VIII (24.12.1799)5 wurden die staatlichen Feiertage auf zwei reduziert: den Tag der Republikgründung (1. Vendemiaire) und den 14. Juli. Mit dem Revolutionskalender verfuhren die Konsuln nicht so radikal wie mit den Revolutionsfesten. Es ist verwunderlich, daß er nicht mit einem Schlag abgeschafft wurde, sondern schrittweise in einem Zeitraum von vier Jahren, endgültig erst anderthalb Jahre nach der Kaiserkrönung.6 Die erste Reaktion des neuen Regimes auf den Revolutionskalender war der Erlaß vom 7. Thermidor VIII (26.7.1800)7, der den Decadi als einzigen staatlich anerkannten Ruhetag bestätigte (Art. 1). In einem Zirkular erläuterte der Innenminister, Lucien Bonaparte, den Präfekten die Beweggründe, die zu dem Erlaß geführt hätten: L'institution du calendrier dicadaire est un des fruits les plus utiles de la rdvolution; c'est une des plus pr6cieuses conquetes de la philosophie; eile appartient ä la Rdpublique: il n'est pas permis ä ceux qui la servent et qui l'aiment de faire usage d'une autre manifcre de diviser le temps. 8

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Das unbedingte Bekenntnis zum Revolutionskalender in diesem Erlaß läuft dennoch auf die strikte Trennung von staatlichem und privatem Bereich hinaus. Nur staatliche Organe und Staatsdiener hätten den Decadi zu beachten, heißt es in Art. 2. Allen anderen Bürgern sei es ausdrücklich freigestellt, wann und wie sie ihren Ruhetag begingen (Art. 3). Der Erlaß stimme also mit den Prinzipien der Vernunft und der Freiheit überein, meinte der Innenminister: Le calendrier ddcimal est celui de la Rdpublique; il est celui de tous les Fransais: les autres appartiennent ä tel ou tel culte, et n'ont rien de national.®

Inwieweit in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens der Revolutionskalender aufrechterhalten wurde, läßt der Wortlaut des Erlasses nicht erkennen. Die Bestimmung, daß Märkte und Messen auch weiterhin nach dem Revolutionskalender zu regeln seien (Art. 4), brauchte nicht unbedingt durch einen Dekadenrhythmus erfüllt zu werden, eine äußerliche Datierung nach dem Revolutionskalender konnte genügen. Das Gesetz vom 17. Thermidor VI (4.8.1798) ist somit teilweise unterminiert. Auch das Gesetz vom 13. Fructidor VI (30.8.1798), das Eheschließungen verbindlich auf den Decadi gelegt hatte, wurde - allerdings auf sehr elegante Art aufgehoben. Die Verkündigung des Aufgebots fand nun am Decadi statt, Eheschließungen konnten frühestens acht Tage später erfolgen. 10 Die Freigabe des Heiratstermins paßt zu der Bekräftigung der persönlichen Freiheit. Die Beibehaltung des Decadi für die vergleichsweise unwichtige Publikation des Aufgebots ist in ihren Hintergründen nicht eindeutig zu klären. Wollten die Konsuln den Decadi doch nicht ganz aushöhlen, oder mußten sie - noch - vorsichtig verfahren, um nicht Anhänger unter dem entschiedenen Republikanern zu verlieren? Mit beiden Erlassen sind Grundpfeiler, mit denen der Rat der Fünfhundert unter großen Anstrengungen versucht hatte, die Republik zu stützen, eingerissen worden. Allerdings scheint es zu dieser Zeit so zu sein, daß - bei allen Vorbehalten gegen Verwaltungs- und Polizeiberichte - die geordnetere Verwaltungstätigkeit des Konsulats sich auch auf die Kalenderbeachtung bei den Behörden positiv ausgewirkt hatte. 11 Der Regierungskommissar beim Departement Seine stellte beispielsweise für den Monat Pluviöse VIII (Januar/Februar 1800) über den Revolutionskalender fest: Dans toutes les administrations, il est exactement observd, et la n6cessil6 oü sont les citoyens de recourir journellement aux diverses autoritds les accoutument et les forcent m e m e ä l'observation de ce calendrier. 12

Zu den Dekadenfeiern hieß es: Les fetes ddcadaires sont toujours c616br6es par les administrations, mais peu suivies par les citoyens. 1 3

Stammen diese Berichte noch aus der Zeit vor den neuen Erlassen, so war dennoch die Situation auch für die Bevölkerung nicht gerade übersichtlich: Die ,fanatiques' (d. h. die Katholiken), seien überzeugt, die Regierung wolle schrittweise die Herrschaft der Kirche wiederherstellen; bei Händlern herrsche Verwirrung,

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weil keine Öffnungszeiten für Geschäfte vorgeschrieben seien; in Werkstätten gebe es Uneinigkeit unter den Arbeitern über Ruhetage und Bezahlung; ein Teil bevorzuge den Sonntag, ein anderer den Decadi. 14 Einen Vorschlag, um dem neuen Kalender das Weiterleben auch unter wechselnden politischen Umständen zu erleichtern und ihn mit den unübersehbaren religiösen Bedürfnissen der Bevölkerung in Einklang zu bringen, machte zur Jahrhundertwende ein unbekannter Bürger. 15 Der Plan bestand darin, vom 22.9.1800 an das Jahr als „l'annee I ire ou la premiere du premier sifecle de l'Ere frangaise" zu zählen. Die Jahre zwischen alter Zeitrechnung und der französischen Ära seien als „annees revolutionnaires" einzuschieben - eine saubere Bewältigung der Vergangenheit, ohne das neue Regime zu belasten. Im übrigen sollten die wesentlichen Elemente beider Kalender nebeneinander bestehen: Woche und Heiligenfesttage, gleich lange Monate, Dekadeneinteilung und neue Namen. Dekadenfeiern und agrarische Namen seien abzuschaffen, wie alles „ce qui peut avoir trait ä une religion ou profession particuliere". Decadis und Quintidis müßten durch Märkte und Messen besonders hervorgehoben werden. Gedruckt würde der Kalender als Konkordanz von Dekaden- und Wocheneinteilung. Insofern entsprach der Vorschlag dem, was in den folgenden Jahren bis zum Konkordat tatsächlich Praxis war. Das Konkordat, mit welchem Napoleon Frankreich endlich innenpolitisch befrieden konnte, war ein weiterer Schritt auf dem Weg, den Einfluß des Revolutionskalenders zurückzudrängen. Denn dieser Kalender stand wegen des Decadi einer Einigung mit der katholischen Kirche verständlicherweise im Weg. Mit Inkrafttreten des Konkordats (18. Germinal X/8.4.1802) wurde der Kalender allerdings nicht abgeschafft - entsprechende Gerüchte kamen jedoch immer wieder in Paris auf. 16 Der Revolutionskalender wurde vielmehr äußerlich sogar beibehalten und der Kirche in ihrem Bereich teilweise aufgezwungen. Kirchliche Schriftstücke mußten nach dem Revolutionskalender datiert werden. 17 Tagesnamen sollten allerdings dem alten Kalender entstammen. Damit war nominell ein Teil der Woche wiederhergestellt. Die Bestimmung, daß allein der Sonntag Ruhetag der Beamten sei, 18 nahm dem Revolutionskalender den letzten wirksamen Rückhalt. Einen Monat später wurde auch das Aufgebot vom Decadi wieder auf den Sonntag gelegt. 19 Nach diesen Beschlüssen herrschte eine verworrene Situation. Teile beider Kalender waren in Kraft. Der Revolutionskalender war jedoch weiterhin der offizielle Kalender. Der entsprechende Artikel des Erlasses vom 7. Thermidor VIII (26.7.1800), nach dem der Decadi der einzige staatlich anerkannte Ruhetag sei, war nicht aufgehoben, aber hinfällig geworden, insofern niemand mehr zur Ruhe am Decadi verpflichtet war. Der Sonntag war de facto wieder der einzige Ruhetag. Der Revolutionskalender diente nur noch Datierungszwecken. Behörden und Presse hielten sich strikt daran. 20 Auch als zwei Jahre später, am 28. Floreal XII (18.5.1804), Napoleon sich zum Kaiser proklamierte, bestand der republikanische Kalender weiter. Er wurde nunmehr aber als „calendrier frangais" bezeichnet. 21 Es vergingen allerdings noch anderthalb Jahre, bis die endgültige Abschaffung dieses Kalenders unternommen wurde.

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Erst am 15. Fructidor XIII (2.9.1805) erhielt der Senat ein Senatusconsultum vorgelegt,22 das die Wiedereinführung des gregorianischen Kalenders zum kommenden 11. Nivöse (1.1.1806) vorsah. Die Begründung dieses Vorhabens, die der Staatsrat Regnaud de Saint-Jean d'Angely dem Senat vortrug, verdient einige Beachtung, denn die Vorsicht, mit der die Argumente gegen den .französischen Kalender' angeführt wurden - unter gleichzeitiger Betonung seiner Vorteile - ist erstaunlich. Regnaud versichert zunächst, daß die Regierung Reformen, die allgemein akzeptiert worden seien und schließlich auch vom Ausland eines Tages übernommen würden, verteidigen werde. Er nennt die Maß- und Gewichtsreform, die nicht nur den Bedürfnissen des Kaiserreichs, sondern denen der ganzen Welt entspreche. Der Kalender sei hingegen von Anfang an auf Widerstand und auf wissenschaftliche Bedenken wegen der Dekadeneinteilung gestoßen. Dieser Fehler sei inzwischen jedoch durch die Wiedereinführung der Woche behoben. Allerdings habe dadurch der .französische Kalender' einen seiner Vorteile verloren, und zwar die Übereinstimmung zwischen Tagesnamen und Datum. Seine übrigen Vorteile - wie ζ. B. die gleichen Monatslängen, die Übereinstimmung von Jahreszeiten und Monatsanfang, die neuen Namen - seien aber nicht zu verachten. Kein Zeitgenosse würde es wagen, als neuen Kalender den römischen einzuführen. Die Reste von Aberglauben und Irrtum, die er enthalte, seien einfach zu groß. Doch mangele es auch dem .französischen Kalender' an Perfektion. Er habe zwei große Nachteile, die Schaltjahresregelung und seinen Jahresanfang: On a ρτέίέτέ l'iquinoxe d'automne, pour dterniser le souvenir d'un changement qui a inqui6t6 toute l'Europe, qui, loin d'avoir l'assentiment de tous les Fransais, a signals nos discordes civiles. 23

Damit ist wohl das entscheidende Moment genannt. Unter dem Namen .französischer Kalender' hätte ein neuer Kalender auch in einem Kaiserreich weiter bestehen können. Doch den Jahresanfang zur Republikgründung konnte der Kaiser nicht akzeptieren. Ohne diese beiden Fehler jedoch, bemerkt Regnaud eigens, hätte Seine Majestät der Kaiser die Abschaffung des Kalenders auch nicht vorgeschlagen: Elle eüt attendu du temps qui fait triompher la raison des pr£jug£s, la v6rit6 de la prevention, 1'utility de la routine, l'occasion de faire adopter par toute l'Europe, par tous les peuples civilisds, un meilleur systime de mesures des annies, comme on peut se flatter qu'elle adoptera un jour un meilleur systfcme de mesure des espaces et des choses. 24

Nur weil der Revolutionskalender wegen dieser beiden Fehler nicht der europäische Kalender werden könne, empfehle der Kaiser, trotz der bekannten Nachteile, zum gregorianischen Kalender zurückzukehren, der der Kalender der meisten europäischen Völker sei. Der Revolutionskalender habe durch die Abschaffung der Dezimalteilung ohnehin seinen wichtigsten Vorteil verloren. Doch sei zu hoffen, so Regnaud, das der jetzt abzuschaffende Kalender in seinen Grundzügen einmal wieder zu Geltung kommen werde:

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Un jour viendra, sans doute, oü 1'Europe calmie, rendue ä la paix, ä ses conceptions utiles, ä ses itudes savantes, sentira le besoin de perfectionner les institutions sociales, de rapprocher les peuples, en leur rendant ces institutions communes; oü eile voudra marquer une fere mimorable par une maniire gdnirale et plus parfaite de mesurer le temps. Alors un nouveau calendrier pourra se composer pour l'Europe entire, pour l'univers politique et commergant, des d6bris perfectionnis de celui auquel la France renonce en ce moment, afin de ne pas s'isoler au milieu de l'Europe; alors les travaux de nos savants se trouveront pr6par6s d'avance, et le bienfait d'un systfcme commun sera encore leur ouvrage. 25

Es bleibt offen, ob aus diesen Worten der Geist der Aufklärung oder schon bonapartistischer Imperialismus spricht.26 Der Senat setzte eine Kommission zur Untersuchung des Senatusconsultum ein.27 In ihrem Namen trug der Astronom Laplace, der schon im Jahr III an der Schaltjahresreform beteiligt war,28 die Gründe vor, die die Kommission bewogen hatten, die Annahme zu empfehlen.29 Sie deckten sich mit denen aus dem Antrag. Der Senat billigte sodann am 22. Fructidor XIII (9.9.1805) die Vorlage mit absoluter Mehrheit.30 Den Vorsitz führte bei beiden Sitzungen Frangois de Neufchäteau, der sich als ehemaliger Innenminister des Direktoriums mit Hingabe für den Revolutionskalender und die Feste eingesetzt hatte.31 Die Zeitungen berichteten über die Entscheidung, zum alten Kalender zurückzukehren, und druckten ζ. T. die Reden ab.32 Als es dann zum Jahreswechsel 1805/ 1806 soweit war, stellten sie die Datierung nach dem Revolutionskalender - in der Regel kommentarlos - ein und datierten rein gregorianisch, bisweilen mit dem Zusatz „IP annee de l'Empire". 33 Doch ist das Ereignis nicht völlig unbeachtet geblieben. Im Theatre Montansier-Varietis wurde am 31.12.1805 ein neues Stück gegeben: Janvier et Nivöse. Etrennes en Vaudeville,34 Der junge Janvier, Held dieser Liebesgeschichte, ist „marchand d'Almanachs et d'Etrennes mignonnes, pour l'an 1806".35 Nach Jahren politischen Exils kehrt er endlich heim. Victoire liebt ihn immer noch. Während Janviers Abwesenheit stellt der ältliche und asthmatische M. Nivöse, „perruquier ddchalande, pret ä fermer boutique" 36 ihr nach. Die beiden Liebhaber geraten untereinander in Streit um die Anrechte auf Victoires Liebe. Nivöse fordert zum Duell - und verliert sein Leben. Dem Happy-End steht nichts mehr im Wege. Genevieve, die Mutter Victoires, singt zum Schluß: La France petit-ä-petit Reprend ses vieux usages, Quoique vieux ils sont sages, C'est le temps qui murit un fruit. L'Europe entiire Bien moins 16g£re, L'Europe entifcre Moins Ugire et moins fifcre Tenait au vieux calendrier, Chez nous on voulait oublier, Frangais, frangais, sans vous faire prier. Revenez aux manures Que ch6rissaient vos pfcres. (bis) 37

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Dem Publikum hatte das Stück gefallen, berichtete eine zeitgenössische Rezension: Le public a vivement saisi l'ä-propos du sujet et applaudi tout ce qui se rapporte ä la sup6riorit6 de l'ancien calendrier sur le nouveau. 38

Dem Revolutionskalender brauche niemand nachzutrauern. In einem Durchgang durch den christlichen Festkalender zeigte der Rezensent, 39 was an vertrauten und vermißten Gebräuchen wiedergewonnen werde. So groß die Freude über die Wiederherstellung des alten Kalenders auch sein möge, ganz vergessen könne den Revolutionskalender gerade ein treuer Bonapartist auch wieder nicht, schließlich seien viele Siege mit dem Revolutionskalender untrennbar verknüpft: Reprenons done notre ancien calendrier; revenons sans retour ä nos premifcres habitudes, et faisons nos adieux ä Tun des derniers monuments de nos imprudentes innovations. Promettons-lui d'oublier son 18 fruetidor, son horrible 3 nivöse, de meme que nous oublierons les funestes dpoques attachdes ä notre ancien calendrier; mais prions-le de nous laisser le m6morable 18 brumaire.40

Die Rede zur Abschaffung des Revolutionskalenders im Senat und das Theaterstück vermögen eine Antwort zu geben auf die Frage, warum sich der Revolutionskalender so lange halten konnte und warum er so halbherzig abgeschafft wurde. Die stückweise Amputation wesentlicher Elemente der Kalenderreform, ohne daß jemand den entscheidenden Schritt wagte und ihn vollends abschaffte, ist schließlich verwunderlich. Warum wurde er nicht schon viel früher abgeschafft - an Gelegenheiten oder Aufforderungen dazu war ja kein Mangel? Die nahezu unverhüllte Lobeshymne auf den Revolutionskalender im Senat läßt ahnen, daß das Naturund Rationalitätsargument, das bereits bei der Einführung des Kalenders entscheidend gewesen war, ungebrochen fortlebte. Die politische Elite, deren Bildungserlebnisse die Aufklärung entscheidend geprägt hatte, konnte offensichtlich hinter diese Argumente nicht zurück, ohne sich intellektuell unredlich vorzukommen. Pragmatische Entscheidungen waren zunächst nur unter der aufrechterhaltenen Oberfläche des Revolutionskalenders möglich, wie die Reformen im Konsulat und beim Konkordat gezeigt haben. Allerdings konnte man doch nicht ganz das Feld den Gegnern überlassen. Es muß ein Stück Bosheit und Demonstration von Stärke gewesen sein, als im Gesetz zum Konkordat kirchlichen Schriftstücken das republikanische Datum aufgezwungen wurde. Die beiden Fehler, die man dem Revolutionskalender anhängte, um ihn abschaffen zu können, wirken künstlich herbeigeredet. Der Aufgabe der Dezimalteilung haben die politisch verantwortlichen im Konkordat selbst zugestimmt. Die Schaltjahresregelung wäre leicht zu beheben gewesen, schließlich gab es seit dem Jahr III einen wissenschaftlich akezeptierten Verbesserungsvorschlag. 41 Der politische Makel, der das Kaiserreich kompromittierende Jahresanfang, ließ sich allerdings nicht beheben, ohne den Kalender insgesamt grundlegend zu verändern. 42 Doch war der Hinweis auf einen zukünftigen europäischen oder universalen Kalender, der die vernünftigen und natürlichen Vorteile des jetzt abzuschaffenden in sich aufnehmen werde, noch erforderlich, um die Abschaffung schließlich durchzuset-

Abschaffung des Revolutionskalenders

163

zen. Mit dieser Aussicht ließ sich der intellektuelle Verrat an den eigenen ideologischen Überzeugungen offensichtlich verschmerzen. Es erscheint fast natürlich, daß der Revolutionskalender als exponiertes Produkt einer Elitekultur bei einer Bevölkerung auf Unverständnis stoßen mußte, der zum überwiegenden Teil alle bildungsmäßigen Voraussetzungen fehlten, um die Intentionen und die Anlagen der Reform gutheißen oder auch nur verstehen zu können: die Vorteile des Dezimalsystems, die angeblich bessere Übereinstimmung mit der Natur, die latinisierten Namen. Die völlig fehlende Rücksicht auf überkommene Gewohnheiten oder tatsächlich religiöse Bedürfnisse war wohl der schwerwiegendste Fehler des Revolutionskalenders. Daher ist es letztlich nicht verwunderlich, daß bei diesem kurzfristigen Zusammenprall zweier Kulturen sich der quantitativ stärkere Teil durchsetzte. Wie es langfristig ausgesehen hätte, wenn die Reform mit längerem Atem hätte durchgehalten werden könne, muß Spekulation bleiben. Daß der Revolutionskalender aber so lange aufrechterhalten wurde, zeigt, wie nahe er an den Kern des revolutionären oder auch nur des von der Revolution geprägten bürgerlichen Selbstverständnisses reichte.

164

Schluß Indem die revolutionären Kalendermacher im Namen der Natur die enge Anlehnung an kosmisch vorgegebene Konstanten aufgaben und den Kalender als soziales Steuerungsmittel verabsolutierten, ließen sie alle bisher bekannten Kalenderreformen hinter sich. Es gelang ihnen eine vom Ansatz und von der Zielrichtung her spektakuläre Innovation. Der neue Kalender erweist sich geradezu als ein Brennspiegel, der entscheidende Probleme der Französischen Revolution bündelt. Er sollte die Zäsur der Revolution als Tatsache darstellen und als täglich neue Erfahrung erlebbar machen. Er verkörperte auf diese Weise den Anspruch der Revolution, nicht nur eine neue Epoche der Weltgeschichte einzuleiten, sondern die Weltgeschichte gleichzeitig - von einem Nullpunkt her - neu beginnen zu können. Die neuen politischen Führungsschichten fanden in diesen Elementen des Revolutionskalenders einen gemeinsamen Nenner für ihr politisches Selbstverständnis. Nachdem der ideologische Aspekt zunächst den politisch-erzieherischen verdeckt hatte, wurde der Revolutionskalender schon frühzeitig dazu benutzt, konkrete politische Intentionen durchsetzen zu helfen. Die Anlage dazu war im Kalenderkonzept von Anfang an vorhanden, aber die Euphorie über die überzeugende Rationalität des neuen Kalenders angesichts der abwartenden Haltung der Bevölkerung bald verflogen. Mit Unterstützung des Kalenders sollte der ,neue Mensch' für die ,neue Gesellschaft' erzogen werden, indem ein neuer Lebens- und Arbeitsrhythmus die ,neue Zeit' an jedem Tag neu erfahrbar machte und alte Einstellungen allmählich vergessen ließ. Der Kalender geriet dadurch mehr und mehr zu einem Mittel, Gesinnung und Alltag der Bevölkerung zu beherrschen. Die Durchsetzung der Reform gelang zum Teil überraschend schnell, wie die Beispiele aus Marseille gezeigt haben. Die Repräsentativkörperschaften, aber auch Verwaltungen wie die des Hospitals, rationalisierten ihre Arbeit mit Hilfe des neuen Kalenders. Dieser traf dabei auf eine bereits bestehende langfristige Tendenz der Modernisierung überkommener Terminsysteme und verband sich mit ihr. Im privaten Bereich vollzog sich die Anwendung des Revolutionskalenders insgesamt langsamer und betraf eher Einzeltermine - wie das Tagebuch des Kaufmanns J. Abel ausweist - und weniger komplexe Terminsysteme - wie bei den Fischern. Allerdings zeigte sich auch, daß bei privaten Angelegenheiten wie den Heiratsterminen sogar traditionelle und - scheinbar - stark in Gebräuchen wurzelnde Verhaltensweisen administrativ sehr schnell steuerbar sind, solange es um ein System von Einzelterminen geht. Mit der Untersuchung der Durchsetzung des Revolutionskalenders war die Frage nach der Machbarkeit revolutionärer Projekte verknüpft. Die Reform des Kalenders - wie die der Feste, der Sprache, der Kleidung, der Maße und Gewichte öffnet den Blick auf einen Bereich, in dem es gerade auf die soziale Durchsetzbarkeit ankam. Ein Erfolg dieser Projekte war nicht so selbstverständlich wie der einer Reform politischer Institutionen, die sich verwaltungsmäßig durchführen

Schluß

165

ließ, oder so langwierig wie bei sozio-ökonomischen Veränderungen. Denn es ging in diesen Bereichen um eine Änderung des alltäglichen Verhaltens. Hier entschied sich letztlich der Erfolg der Revolution. An der Beachtung des Ddcadi zeigt sich nämlich unmittelbar die Einstellung jedes einzelnen Bürgers zur Revolution. Lippenbekenntnisse waren überflüssig. Die Zeitgenossen haben dies gewußt - ihr langes Festhalten am Kalender beweist es. Daß diese Reform trotz erstaunlicher Erfolge im einzelnen schließlich doch am Alltag scheiterte, liegt zum Teil im Kalender selbst begründet. Denn die Kalendermacher konnten einem Dilemma nicht entgehen. Der Kalender selber stand aufgrund seiner - unabänderlichen - zyklischen Anlage einer permanenten Innovation im Wege. Die offene Zukunft der .neuen Zeit' läßt sich in einem Kalender mit ständig wiederkehrenden Zeiteinheiten nicht darstellen. Die Debatte um die politischen Monatsnamen hat diesen Widerspruch hinlänglich deutlich gemacht. Die neuen dezimalen Zeiteinheiten mögen in sich vernünftiger sein - wenn auch die alten Einheiten im Siebenerrhythmus eine terminliche Rationalisierung des Alltags hätten leisten können. Durch ihre notwendigerweise regelmäßige Wiederkehr konnten sie den Charakter einer .neuen Zeit' jedoch nicht behalten. Von diesen Schwierigkeiten unberührt bleibt aber die Tatsache, daß der Revolutionskalender sich in die vielfältigen Bemühungen des 18. Jahrhunderts einordnet, das Leben und den Alltag rationaler zu gestalten. Auf diese Weise erscheint der neue Kalender dann nicht mehr als isoliertes und zufälliges Ereignis der Französischen Revolution, sondern als Glied eines größeren und längerfristigen Modernisierungs- und Rationalisierungsschubes der europäischen Geschichte. Mit seiner Abschaffung verfiel der Revolutionskalender jedoch nicht der völligen Vergessenheit. Die folgenden französischen Revolutionen des 19. Jahrhunderts versuchten den Revolutionskalender wieder einzuführen 1 und griffen die Idee einer .neuen Zeit' ebenso wieder auf wie die Russische Oktoberrevolution.2 Nachdem bereits 1918 als erstes der gregorianische Kalender für die neue Sowjetunion den bis dahin geltenden julianischen Kalender abgelöst hatte, experimentierte man mehrfach mit einem neuen Kalender, der modernen industriellen Verhältnissen angemessen sein sollte.3 1929 führte die Sowjetunion die Fünftagewoche ein. Auf jeden der zwölf Monate kamen nun sechs Wochen. Die restlichen Tage wurden - wie im revolutionären Frankreich - staatliche Feiertage. In Industrie und Verwaltung wurde diese Reform sogar noch radikalisiert, indem ein einheitlicher Ruhetag abgeschafft und jedem Werktätigen ein Jahresbudget an freien Tagen gegeben wurde. Der Betrieb teilte jedem dann seine freien Tage zu, so daß durchgehend gearbeitet wurde und jeweils ein Fünftel der Belegschaft frei hatte. Als familiäre und betriebliche Schwierigkeiten nicht ausblieben, schuf Stalin 1931 eine Sechstagewoche 4 mit festem Ruhetag, die dann 1940 von der Siebentagewoche wieder abgelöst wurde. Warum letztlich alle Anstrengungen, die Siebentagewoche als komplexes und einheitliches Terminsystem abzuschaffen, ohne Erfolg blieben, mag mit historischen Methoden nicht endgültig zu klären sein. Vielleicht hatten ja die konservativen Kritiker des französischen Revolutionskalenders recht, wenn sie behaupteten,

166

Schluß

die Zehntagewoche sei weder Mensch noch Tier zuzumuten. 5 Nachdem bereits seit längerem ein ungefährer (circadianer) 24-25-Stundenrhythmus als eine endogenautonome Funktion des menschlichen Organismus erwiesen ist,6 hat die biologische Rhythmusforschung oder Chronobiologie neuerdings auch Anzeichen für eine Circaseptanperiodik gefunden. 7 Sollten sich derartige Hinweise mehren und der Siebentagerhythmus auch in anderen Bereichen sich als biologisch vorgegeben herausstellen, könnte auch das Scheitern des französischen Revolutionskalenders und ähnlicher Kalenderreformen in ganz neuem Licht erscheinen.

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Tab. 37 Marseille: Sitzungen der Rektoren des Hospitals, Jahr I I - X I I I (1793-1805) ( A D BdRh Η VI E. 22, 22 bis)

Jahr II

Jahr III Vend.

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