Der Erste Weltkrieg: Erinnerungskulturen in Deutschland und Australien: The First World War: Cultures of Remembrance in Germany and Australia [1 ed.] 9783737015219, 9783847115212

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Der Erste Weltkrieg: Erinnerungskulturen in Deutschland und             Australien: The First World War: Cultures of Remembrance in Germany and Australia [1 ed.]
 9783737015219, 9783847115212

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Formen der Erinnerung

Band 74

Herausgegeben von Jürgen Reulecke und Birgit Neumann

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Andreas Dorrer / Thomas Petraschka (Hg.)

Der Erste Weltkrieg: Erinnerungskulturen in Deutschland und Australien The First World War: Cultures of Remembrance in Germany and Australia

Mit 42 Abbildungen

V&R unipress

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Zentrums Erinnerungskultur der Universität Regensburg. © 2023 Brill | V&R unipress, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Wo nicht anders angegeben, ist diese Publikation unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitungen 4.0 lizenziert (siehe https://creative commons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/) und unter dem DOI 10.14220/9783737015219 abzurufen. Jede Verwertung in anderen als den durch diese Lizenz zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Illustration in Charles E. W. Bean (Hg.): The Anzac Book. London, New York: Cassell and Company, 1916, S. xv. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-6169 ISBN 978-3-7370-1521-9

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Inhalt

Danksagung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Acknowledgements

9

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Andreas Dorrer (Monash University/The University of Melbourne) / Thomas Petraschka (Universität Regensburg) Einleitung: Der Erste Weltkrieg als Gegenstand kollektiver Erinnerung in Deutschland und Australien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Andreas Dorrer (Monash University/The University of Melbourne) / Thomas Petraschka (Universität Regensburg) Introduction: The First World War as a Subject of Collective Memory in Germany and Australia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

1. Politik und Gesellschaft Gundula Gahlen (LMU München) Psychisch versehrte Offiziere in den Erinnerungsdiskursen an den Ersten Weltkrieg in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

Amanda Laugesen (Australian National University, Canberra) Returned Servicemen Magazines and the Shaping of a Language of Memory, Identity, and Commemoration in Interwar Australia . . . . . .

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Anna Saller (Universität Regensburg) Language Use in Public Speeches Commemorating World War I: Germany and Australia Compared . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Andreas Dorrer (Monash University/The University of Melbourne) Remembrance and Relegitimisation: Commemorating the Centenary of the Armistice of 1918 in Germany and Australia . . . . . . . . . . . . . . 125

2. Kultur, Geschichte und Kulturgeschichte Tobias Arand (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg) „Wie Anno 70“. Eine Geschichte der deutschen Kriegserinnerung erzählt an einem Denkmalensemble . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Cathérine Pfauth (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg) “an important battleground in the contest for children’s hearts and minds” – Australian and German Nation Building out of the Spirit of War and the Role of School . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Sebastian Hartung (Universität Regensburg) Tradition and Traditionalisation: A Comparative Study of German and Australian Didactics within the Context of World War I . . . . . . . . . . 187 Christiane Weller (Monash University, Melbourne) Baumsoldaten. Avenues of Honour als belebter Gedächtnisraum in der australischen Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

3. Kunst, Literatur und Film Martin Bayer (Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Berlin) Picturing the Great War. The First World War in German Fine Arts . . . 227 Franz-Josef Deiters (The University of Sydney) Paneuropa, deutscher Kulturkomplex, österreichische Sendung, Festspiele in Salzburg. Hugo von Hofmannsthals Beitrag zur Gedächtniskultur des Ersten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Thomas Petraschka (Universität Regensburg) „Diggers“, „Anzacs“ und „Frontsoldaten“. Die (De-)Konstruktion nationaler Identität im australischen und deutschen Weltkriegsroman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Martin Gabriel (Universität Klagenfurt) „To build mistake upon mistake“. Krieg, Identität und der Anzac-Mythos in der australischen Miniserie Gallipoli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

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Inhalt

Helmuth Kiesel (Universität Heidelberg) Umstrittene Heldenbücher. Zur Rezeption deutscher Weltkriegsbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Silvan Kufner (Universität Regensburg) Das gepanzerte Trauma als psychoanalytische Konstruktion. Überlegungen über psychologische Interpretationsverfahren von Ernst Jüngers In Stahlgewittern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

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Danksagung

Der Band verdankt seine hier vorliegende Form einer Reihe von Personen und Institutionen, die in verschiedener Form einen Beitrag zu seiner Entstehung geleistet haben. Ihnen wollen wir an dieser Stelle unseren Dank aussprechen. In weiten Teilen stellt der Band Ergebnisse vor, die auf ein zweijähriges Forschungsprojekt zurückgehen, an dem Forscher der Universität Regensburg und der Monash University in Melbourne, Australien beteiligt waren. Das Projekt wurde vom DAAD und von Universities Australia finanziert. Peter Besl verdanken wir wesentliche Teile der thematischen Konzeption des Forschungsprojekts und einen Löwenanteil sowohl der inhaltlichen als auch der administrativen Arbeit im Rahmen der Beantragung finanzieller Förderung durch den DAAD. Ursula Regener hat das Projekt in seiner Frühphase als Interimsleiterin administrativ unterstützt. Auf australischer Seite war Franz-Josef Deiters federführend bei der Konzeption des Projekts und der Beantragung einer finanziellen Förderung durch Universities Australia beteiligt. Nach seinem Ausscheiden hat Christiane Weller die Führung des australischen Teams übernommen. Silvan Kufner und Anna Saller haben den Großteil der Organisation einer Fachtagung im Dezember 2021 übernommen, bei der viele der Beiträge vorgestellt und diskutiert wurden. Bei Vandenhoeck & Ruprecht war Julia Schwanke eine freundliche und hilfsbereite Ansprechpartnerin. Jürgen Reulecke und Birgit Neumann danken wir für die Aufnahme des Bands in die von ihnen herausgegebene Reihe Formen der Erinnerung. Lukas Schweiger hat uns viel Arbeit bei der formalen Einrichtung des Manuskripts abgenommen, das Ute Wielandt dann kompetent lektoriert hat. Finanzielle Unterstützung für die gleichzeitige Publikation des Bands in gedruckter Form und als digitale open access-Version haben wir erhalten durch das Zentrum für Erinnerungskultur Regensburg – hier bedanken wir uns besonders bei der Geschäftsführerin Bianca Hoenig –, durch den Publication Subsidy Scheme der Australian Academy of the Humanities, durch den ECR Publication Subsidy Scheme der International Australian Studies Association und durch den

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Danksagung

Head of School Investment Fund der School of Languages and Linguistics der University of Melbourne.

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Acknowledgements

This volume owes its present form to a number of people and institutions who have contributed in various ways towards its creation. We would like to take this opportunity to express our gratitude to each of them. In large parts, the volume is the result of a two-year research project involving researchers from the University of Regensburg, Germany and Monash University in Melbourne, Australia. The project was funded by the DAAD and Universities Australia. Peter Besl is to thank for significant parts of the project’s thematic conception as well as for the initial project application submitted to the DAAD. Ursula Regener served as interim director of the project in its early stages. On the Australian side, Franz-Josef Deiters played a leading role in the conception of the project and the application for financial support from Universities Australia. After his departure, Christiane Weller took over the leadership of the Australian team. Silvan Kufner and Anna Saller had the lions share in organising a symposium in December 2021, where many contributions to this volume were presented and discussed. We also want to thank Julia Schwanke from Vandenhoeck & Ruprecht for her friendly and helpful support. We thank the editors of Formen der Erinnerung (Forms of Remembrance), Jürgen Reulecke and Birgit Neumann, for including the volume in their series. Lukas Schweiger was very helpful in editing the formal aspects of manuscript, which Ute Wielandt then competently copy edited. We received financial support for the publication of the volume from the Centre for Remembrance Culture Regensburg – we would like to express our special thanks to the Executive Director Bianca Hoenig –, from the Publication Subsidy Scheme of the Australian Academy of the Humanities, from the ECR Publication Subsidy Scheme of the International Australian Studies Association and from the Head of School Investment Fund of the School of Languages and Linguistics at the University of Melbourne.

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Andreas Dorrer (Monash University/The University of Melbourne) / Thomas Petraschka (Universität Regensburg)

Einleitung: Der Erste Weltkrieg als Gegenstand kollektiver Erinnerung in Deutschland und Australien

Seit Maurice Halbwachs 1925 damit begann, das Gedächtnis als mémoire collective zu bestimmen und damit der individuellen Erinnerung ein sozial und kulturell geprägtes Konzept von Erinnerung zur Seite zu stellen, hat sich in den Humanities ein weit ausdifferenziertes Forschungsfeld etabliert, das aktuell oft unter dem Label Memory Studies zusammengefasst wird. Auf die Arbeiten von Halbwachs, die vom ersten Memory Boom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts inspiriert wurden und an die sich theoretische Vorarbeiten von Aby Warburg anschlossen, folgte in Sachen Theoriebildung zunächst jedoch eine Stagnation. Erst mit dem zweiten Memory Boom, der in den 1970er und 80er Jahren einsetzte, entstand ein neuerliches gesellschaftliches und akademisches Interesse an Formen und Funktionen von Erinnerung.1 In diesem Rahmen hat zum Beispiel Pierre Nora das Verständnis verschiedener Medien der Erinnerung vorangetrieben und Theoretiker:innen wie Jan und Aleida Assmann haben den bis dahin oft nur vage und exemplarisch analysierten Bezugsahmen von Gedächtnis und Kultur terminologisch klarer gefasst und für die wissenschaftliche Handhabung systematisiert.2

1 Vgl. Maurice Halbwachs: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen [1925]. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2006; Das kollektive Gedächtnis [1950]. Frankfurt a. M.: Fischer, 1991; Stätten der Verkündigung im Heiligen Land. Eine Studie zum kollektiven Gedächtnis [1941]. Konstanz: UVK, 2003 und Aby Warburg: Der Bilderatlas Mnemosyne. Hg. von Martin Warnke. Berlin: Akademie, 2000. Vgl. zum Konzept des Memory Boom Jay Winter: „Notes on the Memory Boom. War, Remembrance and the Uses of the Past“. In: Duncan Bell (Hg.): Memory, Trauma and World Politics. Reflections on the Relationship Between Past and Present. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2006: 54–73. 2 Vgl. Pierre Nora: Lieux de mémoire I–III. Paris: Gallimard, 1984–1992. Aus (kultur-)historischer Perspektive zu Erinnerungsorten in Deutschland vgl. Étienne François/Hagen Schulze: Deutsche Erinnerungsorte. 3 Bde. München: Beck, 2001. Als Einstieg in ihre umfangreiche Arbeit ist Aleida Assmann/Jan Assmann: „Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis“. In: Klaus Merten/Siegfried J. Schmidt/Siegfried Weischenberg (Hrsg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1994: 114–140 geeignet. Eine detaillierte Skizze der Hintergründe der ak-

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Andreas Dorrer / Thomas Petraschka

Eine treibende Kraft hinter dem noch immer anhaltenden zweiten Memory Boom sieht Jay Winter in den Überlebenden des Holocaust, die in den 1970er und 1980er Jahren zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch in der globalen Öffentlichkeit Gehör fanden.3 Doch handelt es sich bei dem dadurch ausgelösten Interesse für das Erinnern nur um den letzten und den in der Moderne am längsten anhaltenden Memory Boom. Schon dass die Geschichtsschreibung als eine der ältesten Wissenschaften überhaupt gilt, bezeugt das dem Menschen grundsätzlich innewohnende Interesse an seiner Vergangenheit. Weder die antike Geschichtsschreibung noch die künstlerische Beschäftigung mit der Vergangenheit, wie sie zum Beispiel für die Renaissance bedeutsam war, erreichten jedoch die gesamtgesellschaftliche Dimension, die die heutige ‚globale Obsession‘ mit der Vergangenheit kennzeichnet. Moderne Erinnerungskulturen werden dabei von einer Vielzahl von mehr oder weniger „dissonant […] voices“4 geformt und können sich über ganze Kulturkreise erstrecken – wie zum Beispiel die Erinnerung an den Holocaust – oder auf lokale Gebiete und regionale Identitäten beschränken – wie zum Beispiel die auch museale Erinnerung an den Bergbau im deutschen Ruhrgebiet. Das Thema des vorliegenden Bands – die Erinnerungskultur zum Ersten Weltkrieg in Deutschland und Australien – ist eine besonders interessante Konkretisierung dieser Konstellation von ereignisgeschichtlich fassbaren Erinnerungsanlässen und begleitenden historischen Kontexten, von divergenten Arten und Weisen des gesellschaftlichen Erinnerns und daraus resultierenden kollektiven Identitäten. Die unterschiedliche historische Rolle der beiden nationalen Akteure im Ersten Weltkrieg liegt natürlich auf der Hand. Der Stellenwert des Erinnerns innerhalb der aktuellen deutschen und australischen Gesellschaft ist ebenfalls divergent – mehr noch, er ist so extrem unterschiedlich, dass die nationale Erinnerungskultur aus der Perspektive des jeweils Anderen nachgerade befremdlich wirken kann. Andreas Dorrer leitet seinen Beitrag mit Hinweisen auf einen australischen Zeitungsartikel ein, dessen „astonished tone“ besagte Divergenz auf den Punkt bringt. Der Autor des Artikels ist in einem Zustand von „sheer disbelief“,5 er kann schlichtweg nicht glauben, dass Deutschland die Gefallenen des Ersten Weltkriegs anlässlich des 100. Jahrestags des Kriegsendes nicht in einer nationalen Zeremonie ehren wird.

tuellen Theoriedebatte liefert in übersichtlicher Art und Weise Astrid Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung. Stuttgart: Metzler, 32017. 3 Winter: Notes on the Memory Boom, 60–62. 4 Ebd., 56. 5 Andreas Dorrer: „Remembrance and Relegitimisation: Commemorating the Centenary of the Armistice of 1918 in Germany and Australia“. In diesem Band, 125.

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Einleitung

Tatsächlich stehen der Erste Weltkrieg und die Erinnerung daran in Deutschland deutlich im Schatten des Zweiten Weltkriegs. Auch wenn das 100-jährige Jubiläum ein kurzzeitiges Aufleben des Interesses am Ersten Weltkrieg zur Folge hatte, so war dieses größtenteils schon wieder abgeebbt, noch bevor im November 2018 die letzte Gedenkfeier über die Bühne gegangen war. Anders als in Australien beschäftigen sich Schulen vergleichsweise wenig mit dem Ersten Weltkrieg (vgl. hierzu den Beitrag von Sebastian Hartung im vorliegenden Band) und auch das Wissen in der Bevölkerung zum Ersten Weltkrieg selbst scheint im Vergleich zum Wissen um die Entwicklungen, die sich an die Niederlage des Deutschen Reichs anschlossen, eher gering zu sein. Im Zentrum der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg stehen in Deutschland vor allem zwei Dinge: Die Schuldfrage und die Sinnlosigkeit der Materialschlachten, für die Verdun, die „Menschenmühle an der Maas“,6 den zentralen Erinnerungsort darstellt. Die deutsche Fokussierung auf die Schuldfrage mag ein wesentlicher Grund dafür sein, dass Christopher Clarks 2012 publizierte Monumentalgeschichte The Sleepwalkers. How Europe Went to War in 1914 auch außerhalb des akademischen Diskurses ein enormes Maß an Beachtung fand und in Teilen der deutschen Gesellschaft zu einer Art von kollektivem Aufatmen führte. Die tendenzielle Relativierung der deutschen Alleinschuld gegenüber einer unter mehreren europäischen Akteuren geteilten Verantwortung wurde in diesen Teilen genauso stark begrüßt, wie sie andernorts kritisiert wurde. Diese tendenzielle Neubewertung änderte nichts daran, dass der Zweite Weltkrieg im Gedächtnis der deutschen Gesellschaft dominant geblieben ist. Weder der 1. August noch der 11. November spielen im deutschen Kalender heute eine Rolle, die Konstruktion bzw. Erneuerung der deutschen Identität setzt nicht nach 1918 ein, sondern nach 1945. Der Fokus der deutschen Erinnerungskultur liegt nicht auf dem Ersten Weltkrieg als solchem, sondern auf dessen Folgen. Der Erste Weltkrieg wird weithin vor allem als Hintergrund des Scheiterns der Weimarer Republik erinnert und damit als mittelbare Vorbereitung der in ihrer Bedeutsamkeit alles überragenden Schrecken des ‚Dritten Reichs‘, deren Verarbeitung noch heute zu den Kernaufgaben einer kollektiven deutschen Identität zu zählen ist. In der australischen Erinnerungskultur ist das Verhältnis von Erstem und Zweitem Weltkrieg in gewisser Weise genau umgekehrt. Hier spielt der Zweite Weltkrieg im Grunde keine Rolle. Auch wenn der nationale Kriegergedenktag, der Anzac-Day am 25. April, offiziell an die Gefallenen und Beteiligten aller vergangenen und aktuellen Kriege erinnern soll, wird das nationale Gedenken de facto vom Ersten Weltkrieg bestimmt. Weil genau hier die mythische Geburtsstunde der australischen Nation verortet wird, treten sämtliche späteren Kriege in ihrer Bedeutung hinter den Ersten Weltkrieg zurück. Der zentrale Erinne6 Paul Coelestin Ettighoffer: Verdun. Das große Gericht. Gütersloh: Bertelsmann, 1936, 6.

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Andreas Dorrer / Thomas Petraschka

rungsort der australischen Erinnerungskultur ist Gallipoli, jene in der heutigen Türkei gelegene Halbinsel, die während des Ersten Weltkriegs zum Osmanischen Reich gehörte. Hier landeten die ersten Truppen des Australian and New Zealand Army Corps (ANZAC) in den frühen Morgenstunden des 25. April 1915 an – und erlebten aus Sicht der Alliierten ein militärisches Debakel. Dass das Unternehmen ein militärstrategischer Misserfolg war, ist für die australische Erinnerungskultur dabei ironischerweise von zentraler Bedeutung. Denn die tragischen Helden, die auch in einer schier ausweglosen Situation tapfer ihren Dienst erfüllten, bleiben auch im Kontext einer sozusagen ‚postheroischen‘ Heldenverehrung als Helden vermittelbar. Im Zentrum des australischen Gedenkens stehen konsequenterweise insbesondere die Werte und die ‚Lebensart‘, die die australischen Truppen während ihrer tragischen Mission auszeichneten bzw. die ihnen zu einem Gutteil auch als narrativ konstruierte Identität zugeschrieben wurden. Nicht zuletzt weil die Anzac-Soldaten als Teil der Truppen des Britischen Empires und unter der Führung von meist britischen Offizieren ihre spezifisch australische Identität bewahrten, wurden sie so wichtig für die Ausbildung einer kollektiven nationalen Identität Australiens. Wie national fokussiert diese Erinnerungskultur Australiens dabei ist, zeigt sich auch daran, dass die neuseeländischen Anzacs darin eigentlich keine Rolle spielen. Der sprichwörtliche AnzacMythos, in dem der Kern dieser australischen Mentalität zusammengefasst ist, wird im Rahmen des vorliegenden Bands aus vielerlei Perspektive beleuchtet, weswegen wir uns hier auf einen groben Umriss beschränken können: Die ‚Anzacs‘ wurden und werden einerseits aufgefasst als paradigmatische Träger von traditionell soldatischen Werten wie Kameradschaft und Tapferkeit, andererseits aber auch als gutmütige ‚Männer aus dem Volk‘, die ihren gelegentlich auch durchaus derben Humor und eine gewisse Leichtigkeit des Daseins und Ironie sich selbst gegenüber auch im Angesicht der direkten Gefahr für Leib und Leben nie verloren hätten. Dazu gesellt sich dem Mythos nach ein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit und Gleichheit, für das Beurteilen eines Menschen aufgrund seiner Taten, nicht aufgrund seiner durch Geburt ererbten Privilegien. Die so bestimmten Anzacs stehen symbolhaft für ganz Australien, ihre Feuertaufe wird zur Feuertaufe einer ganzen Nation. Und beide bestehen sie – nicht militärisch, aber charakterlich – mit fliegenden Fahnen. Von den Kriegsberichterstattern C. E. W. Bean und Ellis Ashmead-Bartlett, ersterer Australier, letzterer Brite, wurde dieses Bild der Anzacs in die Welt hinaus, aber auch zurück nach Australien getragen. Das von Bean schon zu Kriegszeiten veröffentlichte Anzac Book und das zwischen 1920 und 1942 erschienene, zwölfbändige Monumentalwerk Official History of Australia in the War of 1914–1918, dessen erste sechs Bände Bean als ‚offizieller Weltkriegshistoriker‘ Australiens auch selbst herausgab, prägen noch heute das Bild dieser prototypischen Anzacs in der breiten australischen Öffentlichkeit.

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Einleitung

Und so ist der 25. April bis heute der Anzac-Day geblieben, an dem um 05:30 Uhr, der Zeit der historischen Anlandung, Morgenandachten abgehalten und über den Tag verteilt Paraden organisiert werden und ganz Australien sich der Opfer erinnert, die die Weltkriegssoldaten zu erbringen hatten. Seit die letzten aktiven Kombattanten des Ersten Weltkriegs verstorben sind, zeigt sich hier auch das australische Generationengedächtnis, das durch die mit Orden und Auszeichnungen ihrer Vorfahren geschmückten Nachkommen der ersten Anzacs repräsentiert ist, die bei solchen Anlässen regelmäßig mitmarschieren. Die Art und Weise der Erinnerung – und auch das ist ein signifikanter Unterschied zur deutschen Erinnerungskultur – ist dabei nahezu durchgehend affirmativ. Die Anzacs haben eine beinahe sakrale Stellung eingenommen, jegliche Kritik an ihnen oder am Nationalmythos, den sie verkörpern, wird als direkter Angriff auf die australische Identität verstanden.7 Diese Emotionalisierung der eigenen Geschichte ist für den australischen Kontext typisch.8 Und obwohl auch die australische Erinnerungskultur zum Ersten Weltkrieg seit 1919 mehrere Phasen durchlaufen hat, ist das Anzac-Narrativ als Konstante erhalten geblieben. Seit den 1990er Jahren ist es aufgrund der Anstrengungen der in Australien sehr einflussreichen Veteranenverbände und insbesondere auch der Regierung unter dem von 1996 bis 2007 amtierenden Premierminister John Howard sogar wieder verstärkt im australischen Nationalbewusstsein etabliert. Bemerkenswert ist dabei – und das wäre ein weiterer grundlegender Unterschied zum deutschen Diskurs – dass in Australien die in der akademischen Diskussion durchaus regelmäßig vorgebrachte Kritik an der unkritischen Akzeptanz des mythisierten Narrativs gesamtgesellschaftlich bisher wirkungslos geblieben ist. Wenn Wissenschaftler:innen kritisieren, dass die nationale Identität auf den angeblichen Eigenschaften von fast ausschließlich weißen Männern aufbaut, die diese zudem (wenn überhaupt) in einer von Gewalt und Tod beherrschten Ausnahmesituation an den Tag legten, und dass diese Identität der zunehmend multikulturellen australischen Gesellschaft schon lange nicht mehr entspricht, wird diese Kritik zumindest bislang in der breiten Bevölkerung kaum wahrgenommen. Der vorliegende Band konkretisiert das eben allgemein entfaltete Thema der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Deutschland und Australien in insgesamt 14 exemplarischen Untersuchungen, die sich drei Feldern zuordnen lassen: Politik und Gesellschaft; Kultur, Geschichte und Kulturgeschichte; Kunst, Literatur und Film. 7 Vgl. Marilyn Lake: „Introduction: What have you done for our country?“ In: Marilyn Lake/ Henry Reynolds (with Mark McKenna/Joy Damousi) (Hrsg.): What’s wrong with Anzac? Sydney: University of New South Wales Press, 2010:1–23. 8 Joy Damousi: „Why do we get so emotional about Anzac“. In: Marilyn Lake/Henry Reynolds (with Mark McKenna/Joy Damousi) (eds.): What’s Wrong with Anzac? Sydney: University of New South Wales Press, 2010: 94–109.

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1.

Andreas Dorrer / Thomas Petraschka

Politik und Gesellschaft

Wie die einleitenden Ausführungen schon deutlich gemacht haben, ist eine Auseinandersetzung mit nationalen Erinnerungskulturen zu einem epochalen Ereignis wie dem Ersten Weltkrieg zuallererst auf dem Feld von Politik und Gesellschaft zu führen – und dies nicht nur deshalb, weil der Weltkrieg selbst das Resultat politischer Entscheidungen war und ein Ereignis von gesellschaftlicher Tragweite. Die Folgen des Weltkriegs zu verarbeiten, die Art und Weise, als Nation und Gesellschaft mit aus dem Krieg resultierenden sozialen Umwälzungen umzugehen, kollektive Identitäten unter neuen Vorzeichen zu etablieren, den Krieg in das allgemeinere historische Narrativ einzubetten – all diese schon unmittelbar nach Kriegsende virulenten Aufgaben sind auf politischer und gesellschaftlicher Ebene angesiedelt. Es sind politische Akteure, die säuberlich orchestrierte Gedenktage organisieren – wie in Australien – oder bewusst genau darauf verzichten – wie in Deutschland. Die Politik entschied schon unmittelbar nach Kriegsende, wie in den jeweiligen Nationen mit Kriegsheimkehrern und in Psyche und Physis Versehrten umgegangen wurde, und noch heute, über 100 Jahre später, institutionalisiert sie die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg zum Beispiel dadurch, dass sie entscheidet, wie das Weltkriegsgedenken in die Curricula der weiterführenden Schulen integriert wird. Diesen und anderen Themenkomplexen wendet sich das entsprechende Kapitel unseres Bands zu. Dessen binational-komparativer Anlage entsprechend setzen die beiden Beiträge von Gundula Gahlen und Amanda Laugesen genau zum selben Zeitpunkt an: direkt nach dem Ende des Kriegs. Beide Aufsätze beschäftigen sich mit Heimkehrern in der Zwischenkriegszeit, Gahlen mit einem Fokus auf Deutschland, Laugesen mit einem Fokus auf Australien. Konkret wendet sich Gahlen dem Umgang mit den eklatanten psychischen Folgen des ersten industrialisierten Massenkriegs der Menschheitsgeschichte für ehemalige Kriegsteilnehmer in der Zeit der Weimarer Republik zu. Die „kontinuierliche existenzielle Bedrohung“, der die Soldaten während des Fronteinsatzes ausgesetzt waren, so Gahlen, führte dazu, dass „die Kriegsneurose bzw. der Shell Shock zu einer Metapher des Ersten Weltkriegs wurde.“9 Gahlen konzentriert sich dabei speziell auf psychisch versehrte Offiziere, die sowohl als „Opfer des Kriegs als auch in ihrer Funktion als Kämpfer, militärische Führer der Soldaten und Repräsentanten von Herrschaft“ eine besonders interessante, „janusköpfige Stellung“10 innehatten.

9 Gundula Gahlen: „Psychisch versehrte Offiziere in den Erinnerungsdiskursen an den Ersten Weltkrieg in der Weimarer Republik“. In diesem Band, 53. 10 Ebd., 54.

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Einleitung

Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Kriegsniederlage für die Stellung des Offizierskorps in der politischen Landschaft im Deutschland der Nachkriegsgesellschaft sowie dem sich dadurch verändernden Selbstbild der Offiziere behandelt das Kapitel zentrale Erinnerungsdiskurse in der Weimarer Republik und gelangt zu der Auffassung, dass eine „‚kulturelle Demobilmachung‘ nicht gelang.“11 Die versehrten Offiziere, denen einerseits von rechtskonservativer Seite „konstitutionelle Minderwertigkeit und Willensschwäche“ unterstellt wurde und die von linker Seite andererseits als unübersehbare Mahnung an die Schrecken des Kriegs inszeniert wurden, sieht Gahlen dabei als Repräsentation des Risses durch die Weimarer Gesellschaft, der auch in den „Deutungskämpfe[n] um die öffentliche Erinnerung an den Ersten Weltkrieg“12 einen Ausdruck fand. Laugesen stellt ebenfalls die Kriegsheimkehrer und deren Schicksale in den Mittelpunkt ihrer Studie. Ihr exemplarischer Untersuchungsgegenstand sind die bisher als Quellen wenig genutzten australischen Veteranenzeitschriften (returned servicemen magazines) aus der Zwischenkriegszeit. Diese „potentiell reiche[n] Quelle[n]“ (potentially rich source[s]) versteht Laugesen als „Medium für Veteranen“ (vehicle for veterans), in dem diese „gleichzeitig Leser und Verfasser“ (both readers of and writers) von Beiträgen sein konnten. Es war ihnen dadurch möglich, sowohl „ihre Kriegserinnerungen zu kommunizieren“13 (communicate their memories of the war) als auch über die Erfahrungen ihrer Kameraden zu lesen. Dadurch, so Laugesen, wurden die Magazine zu authentischen „Speichermedien von Erinnerung“14 (vectors of memory), an denen sich besonders die sprachliche Konzeption von Erinnerung an den Ersten Weltkrieg untersuchen lässt. Ausgehend von den empirischen Befunden ihrer detaillierten sprachanalytischen Untersuchungen zeigt Laugesen, dass die Magazine einen ganz entscheidenden Beitrag zur Identitätskonstruktion der australischen Weltkriegsveteranen geleistet haben. Laugesen stellt zum Beispiel fest, dass identitätsstiftende Begriffe wie ‚digger‘ und ‚Anzac(s)‘, die auch heute noch das Bild der Weltkriegssoldaten in der Öffentlichkeit prägen, aus dem eher soziolektalen Sprachgebrauch der Kriegsheimkehrer in den entsprechenden Veteranenmagazinen in den allgemeinen Sprachgebrauch übergingen. Die „‚gehobene Sprache‘“ (‚high diction‘), die in den Magazinen zur Beschreibung des Kriegs verwendet wurde, habe zudem dazu beigetragen, eine „sakrale Version“ (sacred version) des Weltkriegs zu erzeugen, die „in den Aktivitäten des Anzac Day bewahrt ist“ (enshrined in the activities of Anzac Day) und eine „nostalgische

11 Ebd., 72. 12 Ebd. 13 Amanda Laugesen: „Returned Servicemen Magazines and the Shaping of a Language of Memory, Identity, and Commemoration in Interwar Australia“. In diesem Band, 79. 14 Ebd., 85.

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Version des Krieges“15 (nostalgic version of the war), die im öffenltichen Diskurs weiterlebt. Der auf Laugesen folgende Beitrag von Anna Saller schließt in seinem Rekurs auf detaillierte linguistische Analysen an den Beitrag von Amanda Laugesen an, bildet aber auch den Auftakt zu dem Teil der Sektion, der durch komparatistische Analysen den heutigen Umgang mit der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg innerhalb von Politik und Gesellschaft untersucht. Saller untersucht je drei deutsche und australische Reden, die zwischen 2014 und 2018 im Zuge von Gedenkveranstaltungen zum Ersten Weltkrieg gehalten wurden: die Rede des damaligen Bundespräsidenten Johannes Gauck am 3. Juli 2014 im Deutschen Bundestag, Angela Merkels Eröffnung des Friedensforums am 11. November 2018 in Paris und eine Rede Wolfgang Wielands, des Präsidenten des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge, am 26. September 2018 in Köln. Die Reden aus dem australischen Kontext wurden gehalten vom damaligen Premierminister Tony Abbott anlässlich des hundertsten Jahrestags der Landung in Gallipoli am 25. April 2014, von Mathias Corman, einem in Belgien geborenen australischen Senator, am Remembrance Day 2017, an dem jährlich am 11. November des Waffenstillstands von 1918 gedacht wird, und von Linda Dessau, der Gouverneurin des Bundesstaats Victoria, zum gleichen Anlass ein Jahr später, dem hundertsten Jahrestags des Endes des Ersten Weltkriegs. Saller kommt zu dem Ergebnis, dass sich die unterschiedlichen Erinnerungskulturen in Deutschland und Australien in diesen Reden auch auf sprachlicher Detailebene nachweisen lassen. In den deutschen Reden, so Saller, „wird der Krieg als etwas ausnahmslos Schreckliches dargestellt, als etwas, das um jeden Preis vermieden werden sollte. Das Gegenbild zum Krieg ist in allen drei deutschen Reden Europa. Die Idee von Europa ist immer eng mit den Begriffen Frieden, Freiheit und Gemeinschaft verbunden“16 (the war is portrayed as invariably terrible, as something that should be avoided at all costs. The counter image to war in all three German speeches is Europe. The idea of Europe is always closely linked to the concepts of peace, freedom and community). Auf australischer Seite wird in den Reden hingegen „immer wieder auf die Leistungen im Krieg, den Mut der Soldaten und das Gefühl der Zugehörigkeit und Kameradschaft verwiesen […]. Um den Nationalstolz zu rechtfertigen, werden die Soldaten zu Märtyrern stilisiert, die für ihr Vaterland in den Krieg gezogen und gestorben sind“17 (repeatedly refer to achievements in the war, to the courage of the soldiers and to the sense of belonging and comradery. In order to justify the national pride, soldiers are 15 Ebd., 94. 16 Anna Saller: „Language Use in Public Speeches Commemorating World War I: Germany and Australia Compared“. In diesem Band, 104. 17 Ebd., 105.

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stylised as martyrs who went to war and died for their fatherland). Sallers über den engeren Kontext der konkreten Reden hinausdeutendes Fazit ist eindeutig: „Während in Deutschland das Ende des Ersten Weltkriegs als Geburtsstunde der Demokratie gilt und mit aktuellen Belangen der Europäischen Union verknüpft ist, dient er in Australien der Identitätsstiftung und der Schaffung eines nationalen Bewusstseins, das sich von der Außenwelt abgrenzt.“18 (While in Germany the end of the First World War is seen as the birth of democracy and is linked to current issues concerning the European Union, in Australia it serves to create identity and to establish a national consciousness that sets itself apart from the outside world). Gedenkreden sind auch Teil der Untersuchung von Andreas Dorrer. Sie bilden allerdings nur einen Teil seines Beitrags, der sich in einem weiteren Rahmen mit den offiziellen Gedenkfeiern zum hundertsten Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriegs in Deutschland und Australien beschäftigt, die am 11. November 2018 in Paris beziehungsweise Canberra stattfanden. Dabei liegt sein Augenmerk vor allem auf zwei Aspekten dieser Zeremonien: der Repräsentation der Erinnerungskulturen der beiden Länder in den Gedenkveranstaltungen und deren Rolle für die Relegitimation der nationalen Identitäten in Deutschland und Australien. Weil, so Dorrers These, „Nationen nationale Narrative benötigen, die die aktuelle nationale Identität und letztlich den Nationalstaat legitimieren, sind staatlich organisierte Gedenkfeiern […] Teil des fortwährenden Projekts der nationalen Relegitimierung“19 (nations require national narratives that legitimise the current national identity and ultimately the nation state, state-organised commemoration ceremonies […], take part in the ever-ongoing national project of relegitimisation). Dass in Deutschland keine eigene nationale Gedenkveranstaltung stattfand, wird darauf zurückgeführt, dass die nationale Identität der Bundesrepublik auf die Abkehr vom Nationalismus und Militarismus sowohl des Kaiserreichs als auch Hitlerdeutschlands zurückgehe und das Gedenken an den Ersten Weltkrieg nur dann relegitimierende Effekte erzeugen könne, wenn sie diese Abkehr deutlich abbildet. Dies, so Dorrer, bestimme den gesamten Erinnerungsdiskurs in Deutschland und drücke sich auch in den Gedenkveranstaltungen am und um den 11. November 2018 in Paris aus. Anhand der australischen Gedenkfeier in Canberra weist Dorrer ebenfalls die Inszenierung der nationalen Erinnerungskultur nach, die geprägt ist durch den Fokus auf die australischen Opfer des Kriegs und die oben schon umrissenen Elemente des Anzac-Narrativs. Die relegitimierende Funktion der Erinnerung verortet Dorrer dabei in der Betonung von Traditionslinien, die die nationale Identität des heutigen Australien als direkte Fortführung der inneren Natio18 Ebd., 120. 19 Dorrer, Remembrance and Relegitimisation, 126.

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nenbildung verstehen, die durch die erste Zurschaustellung eines genuin australischen Nationalcharakters in Gallipoli angestoßen wurde.

2.

Kultur, Geschichte und Kulturgeschichte

Weil Erinnerung nicht nur innerhalb eines offiziellen gesellschaftlichen und politischen Rahmens organisiert und gelebt wird, beinhaltet der vorliegende Band eine zweite Sektion, die sich der Kultur, Geschichte und Kulturgeschichte von Erinnerung zuwendet. Der Erste Weltkrieg ist in verschiedenster Form in die entsprechenden Bereiche der deutschen und australischen Nationen eingeschrieben. Die Beiträge dazu umspannen auch in dieser Sektion den gesamten historischen Kontext von der Nachkriegsgeschichte bis zur Gegenwart. Im Fall des die Sektion eröffnenden Beitrags von Tobias Arandt gehen sie sogar noch vor die Phase des Ersten Weltkriegs und der unmittelbaren Vorkriegszeit zurück. Dass genau diese Ausweitung des historischen Kontexts für ein Verständnis von Teilen der deutschen Erinnerung an den Ersten Weltkrieg unabdingbar ist, ist die Hauptthese Arandts, der im Titel seiner Untersuchung eine 1914 aufgelegte Postkarte zitiert:20 „Wie Anno 70“ – mit diesem gleichsam nostalgischen Verweis auf den siegreichen Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 erweitert die besagte Postkarte das in der deutschen Erinnerungskultur aus heutiger Perspektive oft unantastbar erscheinende Kontinuum von Erstem und Zweitem Weltkrieg. Es gab aber auch vor dem Ersten Weltkrieg Kriege, die als Bezugsobjekt kollektiver Erinnerung die nationale Identität in Deutschland maßgeblich beeinflussten. Wie dies genau der Fall war, veranschaulicht Arandt anhand eines Denkmalensembles in Ludwigsburg, das für die Zusammenhänge dieses Bands und der spezifischen Untersuchung Arandts gerade deshalb so interessant ist, weil es eine materialisierte Form der Erinnerung darstellt, die nicht nur den Ersten und Zweiten Weltkrieg, sondern ebenso den vorausgegangenen DeutschFranzösischen Krieg umspannt. „[W]ie unter einem Brennglas“, so Arandt, lasse sich daran ablesen, „wie sich innerhalb des Zeitraums von 1871 bis 1957, also über die Distanz dreier Kriege, zwar die Form der Erinnerung an den jeweiligen Krieg verändert, aber die Absicht der Differenzerinnerung die gleiche geblieben ist.“21 Nach einer detaillierten, durch Bildmaterial flankierten Analyse, in der Arandt den jeweiligen symbolischen Gehalt der Denkmalkonstruktionen dechiffriert und ihren appellativen Charakter aufdeckt, kommt er zu dem Schluss, 20 Vgl. Abb. 1 in Tobias Arand: „‚Wie Anno 70‘. Eine Geschichte der deutschen Kriegserinnerung erzählt an einem Denkmalensemble“. In diesem Band, 148. 21 Ebd., 149.

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dass alle drei Denkmäler geeint werden durch „die erhebliche Differenz, die sie zwischen den tatsächlichen Ereignissen – Tod und Zerstörung – und der gewollten Erinnerung artikulieren.“22 Gerade weil Denkmalensembles wie das in Ludwigsburg nicht einfach historische Faktizität abbilden, sondern Erinnerung in ihrer Konstruiertheit greifbar machen, sind sie „wertvolle Quellen für das sich wandelnde Verständnis vergangener kollektiver Sichtweisen auf die fundamentalen Erfahrungen und Traumata, die Kriege unvermeidlich mit sich bringen.“23 Cathérine Pfauth schließt mit ihrer Untersuchung in dem Sinn unmittelbar an Arandt an, als sie ihre Überlegungen zu Nationenbildung „aus dem Geiste des Kriegs“24 (out of the Spirit of War) ebenfalls 1871 beginnen lässt. Anders als Arandt erweitert Pfauth ihre Analyse aber durch einen historisch-komparativen Seitenblick auf die analogen Prozesse der „Nationenbildung“ (nation-building) in Australien und stellt fest: „[D]as Gedenken an als zentral empfundene Schlachten war konstitutiv für die Nationenbildung der beiden jungen Nationen“25 (the commemoration of battles perceived as central was constitutive for the nation-building of both young nations). Die Schlachten, auf die sich Pfauth hier bezieht, sind einerseits die Schlacht von Sedan, die am 2. September 1870 für das noch nicht gegründete Kaiserreich siegreich endete und die Schlacht um Gallipoli, die am 25. April 1915 begann und für Australien in einem militärischen Desaster endete. Trotz der sehr unterschiedlichen Resultate wurden beide Daten zu zentralen nationalen Gedenktagen, von denen heute freilich nur noch die Tradition des Anzac-Days erhalten geblieben ist. Für die Erinnerungskulturen sowohl im Deutschen Kaiserreich auch als im heutigen Australien identifiziert Pfauth insbesondere die Schulen als zentralen Ort der Erinnerungsarbeit. Die Analyse der schulischen Teilhabe an den jeweiligen Gedenktagen und der curricularen Verarbeitung der konstitutiven Schlachten und Kriege führen Pfauth zu dem Ergebnis, dass „die politischen und intellektuellen Eliten gemeinsam hatten […], dass die Schule als entscheidend für den Aufbau der Nation angesehen wurde und dass die Schüler mit Inhalten und Methoden indoktriniert wurden, die aus heutiger Sicht unterkomplex sind, damals aber sehr erfolgreich waren“26 (the political and intellectual elites had in common […] that school was seen as crucial for nation-building and that pupils were indoctrinated with content and methods that are under-complex from today’s point of view but were very successful at the time). Pfauth setzt die 22 Ebd., 161. 23 Ebd. 24 Cathérine Pfauth: „‚an important battleground in the contest for children’s hearts and minds‘ – Australian and German Nation Building out of the Spirit of War and the Role of School“. In diesem Band, 165. 25 Ebd., 182. 26 Ebd.

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Erinnerung an den Krieg von 1870/71, beziehungsweise dessen Einfluss auf die schulische Erziehung im Kaiserreich, schließlich in Verbindung mit dem Enthusiasmus, mit dem deutsche Männer 1914 in den Krieg zogen. Hält man sich „die fatale Überzeugungskraft unhinterfragter Geschichtsbilder, die an ‚heroische‘ Vorbilder, kämpferische Männlichkeit und nationale Solidarität appellieren“27 (the fatal persuasive power of unquestioned historical images that appeal to ‚heroic‘ role models, combative masculinity and national solidarity) vor Augen, lässt sich deren Weiterbestehen in australischen Curricula und die dadurch geförderte Reaffirmation dieser Narrative in der Gesamtgesellschaft durchaus auch als Warnung lesen. Der thematische Bezug zwischen diesem Aspekt von Pfauths Überlegungen und dem darauffolgenden Aufsatz von Sebastian Hartung ist erneut eng. Hartung unternimmt ebenfalls eine Analyse der Rolle des Ersten Weltkriegs in den Bildungssystemen Deutschlands und Australiens, allerdings in Hinblick auf die aktuellen Curricula weiterführender Schulen, genauer: der achten Klasse bayrischer Gymnasien beziehungsweise der neunten Jahrgangsstufe an High Schools im Bundesstaat Western Australia. Ein Vergleich gerade dieser Lehrpläne bietet sich besonders an, da beide in jüngerer Vergangenheit neu konzipiert wurde und so einen höchst aktuellen Einblick in die Vermittlung von Erinnerung erlauben. Hartung betrachtet dabei – wie schon Pfauth in dem Beitrag zuvor – das Bildungssystem als einen der potentesten Traditionalisierungsfilter, „da es die Erinnerungskultur einer Gemeinschaft vermittelt, gestaltet und verändert“28 (as it conveys, shapes, and modifies a community’s culture of remembrance). Neben der Frage nach der Einbettung des Ersten Weltkriegs in die beiden Lehrpläne wird die Untersuchung vor allem von der Frage nach den „historische Quellen und didaktischen Materialien“ (historical sources and didactic materials) geleitet, „die von den Bildungsministerien der beiden Staaten empfohlen werden“29 (recommended by the two states’ departments of education). Auch Hartung gelangt zu der im Rahmen des Bands immer wieder deutlich werdenden Erkenntnis von einer signifikanten Differenz deutscher und australischer Erinnerungskultur. „Die Narrative über den Ersten Weltkrieg“, so fasst er zusammen, „die K-10 und der LehrplanPLUS für das Gymnasium den jungen Generationen vermitteln, unterscheiden sich grundlegend“30 (the World War I narratives which K-10 and LehrplanPLUS for Gymnasium convey to young generations differ profoundly). Unterschiedliches Quellenmaterial und unterschiedliche didaktische Zugänge resultierten – und hier kommt Hartung zu einem analogen Schluss 27 Ebd., 183. 28 Sebastian Hartung: „Tradition and Traditionalisation: A Comparative Study of German and Australian Didactics within the Context of World War I“. In diesem Band, 187. 29 Ebd. 30 Ebd., 197.

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wie zuvor Saller – in einem tendenziell globalisierten Zugang zur Thematik in Deutschland und einem eher national(istisch)en Zugang in Australien. Christiane Weller beschließt die Sektion zu Kultur, Geschichte und Kulturgeschichte mit einem Aufsatz, der allen dreien dieser Schlagwörter zugeordnet werden könnte. Weller untersucht eine für Australien sehr typische Form der Erinnerung: die Gedächtnisalleen oder Avenues of Honour. Diese zum Zweck der Erinnerung an gefallene Soldaten unternommenen Baumpflanzungen seien, so Weller, nicht nur als Erinnerungsorte zu verstehen, sondern „bedürfen der Einbettung in raumtheoretische und landschaftsbiographische Fragestellungen, die in einer kolonialen Siedlergesellschaft wie der australischen zunehmend größere Verwerfungen aufscheinen lassen.“31 Als Erinnerungsort führen sie laut Weller diese Perspektive auch im Sinne eines Generationengedächtnisses fort, indem „der Baum als lebende Struktur […] die Langlebigkeit des Gedenkens gewährleistet. Der tote […] Soldat wird imaginär in den lebenden Baum übersetzt und die Hinterbliebenen werden mit der Pflege des Baums zum Erinnern erzogen.“32 Entscheidend ist für Weller darüber hinaus, dass die Avenues of Honour, die Weller für ihren Beitrag auch ausführlich bildlich dokumentiert, „auf der Schwelle von städtischer oder dörflich-agrarischer Struktur und australischem Busch“33 zu finden sind und somit die Europäisierung der ursprünglichen australischen Landschaft fortführen. Damit wird die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg Teil der „imaginären Strukturierung des Landschaftsraums, der den kolonialen Machtanspruch der Siedlergesellschaft aufrechterhält. Die Avenues of Honour“, so der Befund Wellers, „behaupten sich somit immer noch gegenüber der Prägung des Landschaftsraums durch die First Nation Peoples und verweigern sich zugleich einem indigenen Geschichtsnarrativ.“34

3.

Kunst, Literatur und Film

Obwohl Kunst, Literatur und Film nach einem weiten Verständnis von Kultur, Geschichte und Kulturgeschichte natürlich Teil derselben sind, haben wir uns entschlossen, ihnen eine eigene Sektion zu widmen. Diese Entscheidung hat drei Gründe. Erstens unterliegen Kunst, Literatur und Film nicht nur den Kategorien politischer, historischer oder soziologischer Analyse, sondern auch ästhetischen Kategorien. Ein Zeitenwende-Ereignis wie der Erste Weltkrieg führt aber gerade 31 Christiane Weller: „Baumsoldaten. Avenues of Honour als belebter Gedächtnisraum in der australischen Landschaft“. In diesem Band, 202. 32 Ebd., 207. 33 Ebd., 201. 34 Ebd., 221.

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vor diesem Hintergrund zu einem für den Bereich der Kunst und Literatur spezifischen Problem, das sich in einer Reihe von Fragen zuspitzen lässt: Lässt sich denn eine derartige Katastrophe überhaupt in ästhetischen Kategorien fassen? Kann man den ersten industrialisierten Krieg mit seinen Millionen Toten tatsächlich ‚poetisieren‘? Oder strahlt hier nicht ein moralischer Imperativ in das Feld der Kunst aus, der Autor:innen gewissermaßen verpflichtet, schon gut 30 Jahre vor Adorno zu fragen, ob nach Verdun ein Gedicht zu schreiben nicht barbarisch sein muss und daher ein fundamental neues Verständnis von Ästhetik zu suchen ist? Die ersten Beiträge zu Sektion III greifen Fragen wie diese exemplarisch auf. Martin Bayer analysiert in seinem Beitrag etwa, welche Stilrichtungen der Malerei in ihrer Ästhetik überhaupt in der Lage sind, die meist aus der direkten Kriegserfahrung resultierenden Eindrücke der Künstler im Medium der Malerei festzuhalten. Dabei liegt der Fokus nicht wie so oft auf bekannten Namen wie Otto Dix und George Grosz. Stattdessen untersucht Bayer die Verarbeitung des Kriegs anhand der Bilder von Impressionisten wie Theodor Rocholl, Expressionisten wie Otto Fischer-Trachau und Fritz Furken oder eher realistischer arbeitender Maler wie Fritz Elder. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Veränderung der Kriegsdarstellung von der anfänglich oft enthusiastischen Abbildung des Kriegsgeschehens in teils propagandistisch anmutenden Werken wie August von Kaulbachs Germania hin zu pazifistisch motivierten Darstellungen der Grausamkeiten des Kriegs, wie sie zum Beispiel in den Bildern Otto Schuberts und Andreas Gerings zu finden sind. Damit knüpft Bayers Untersuchung implizit an das in der Forschung zur Weltkriegsliteratur schon länger thematisierte, komplexe Verhältnis von Bellizismus zu Pazifismus an, das in der meist auf Werke weniger Maler wie Dix und Grosz konzentrierten Forschung zur Kriegsmalerei bisher eher wenig Beachtung fand. Gleichzeitig erschließt Bayer die Ambivalenz von Schönheit und Schrecken, die der Ästhetik der Kriegskunst innewohnt und die damit auch sozusagen ‚werkimmanent‘ unterschiedliche Einstellungen zu dem kataklysmischen Ereignis des Ersten Weltkriegs repräsentiert. Franz-Josef Deiters rückt mit Hugo von Hofmannthal einen Autor ins Zentrum seiner Studie, der die Zeitenwende-Dimension des Ersten Weltkriegs unmittelbar durchblickt und schon im September 1914 hellsichtig festhält: „Das völlig Unfaßliche ist Ereignis geworden“.35 Wie Deiters deutlich macht, fällt Hofmannsthal damit nicht nur aus der Reihe der mehr oder minder nachhaltig begeisterten Kriegsapologeten, sondern versucht, so Deiters, „schon während der Kriegshandlungen und verstärkt nach deren Ende eine Perspektive entgegen35 Hugo von Hofmannsthal: „Appell an die oberen Stände“ [1914]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 347–350, 347.

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zusetzen, die den nationalistischen Furor überwindet.“36 Anders als bei den von Bayer diskutierten Künstlern ist es nicht Hofmannsthals direktes Anliegen, den Krieg durch eine neue literarische Ästhetik fassbar zu machen. Er versucht auch nicht, den Krieg direkt thematisch oder motivisch aufzugreifen. Stattdessen erläutert Hofmannsthal, dass er die Kunst gewissermaßen als Analysewerkzeug verstehen will, mit dessen Hilfe zwar nicht die politischen, aber dafür umso deutlicher die geistig-kulturellen Hintergründe nachvollziehbar gemacht werden können, die den Kriegsausbruch überhaupt erst ermöglicht haben. „In diesem Sinne ist er [Hofmannsthal; T. P.; A. D.] bestrebt“, so pointiert Deiters seine These, „mit den Mitteln der Kunst jene kulturelle Konstellation zu überwinden, die in den Krieg gemündet hat. Hierin – und nicht in einer literarischen Repräsentation des Kriegsgeschehens – ist […] der Beitrag des Österreichers zur Herausbildung einer Gedächtniskultur des Ersten Weltkriegs zu sehen.“37 Wie sich Hofmannsthal diese „Überwindung“ der besagten prekären kulturellen Konstellation genau vorstellt, wird von Deiters detailliert erläutert. Zweitens: Speziell Literatur und Film haben für die Ausbildung einer Erinnerungskultur einen ganz spezifischen Stellenwert. Sie haben nämlich zwei Eigenschaften, die einer Dokumentation des Kriegs im Rahmen des historischen, soziologischen oder politischen Diskurses nicht oder nur bedingt zukommen: Sie sind literarisch und sie sind fiktional. Mit diesen Begriffen, deren komplexe Inhalte und nicht minder komplexes Verhältnis zueinander hier nicht vertieft erörtert werden müssen, meinen wir in einem sehr basalen Sinn einmal die Eigenschaft, bestimmte literarische oder filmische Darstellungstechniken einsetzen zu können und nicht auf die Wahrheit des Dargestellten festgelegt zu sein. Romane und Filme können z. B. die Innensicht von einzelnen Protagonisten darstellen, durch Perspektivierung des Erzählten nachhaltige Wirkungen hervorrufen, symbolhafte Bildlichkeit zur Verstärkung des Dargestellten verwenden und Ähnliches mehr. Darin liegt ihre Literarizität. Sie sind zudem aufgrund ihrer Fiktionalität nicht verpflichtet, jedes einzelne Faktum im Sinne einer wahrheitsgemäßen Faktentreue wiederzugeben, die Rezipienten zu Recht von historischen Abhandlungen oder Dokumentationen erwarten. Ob es in diesem und jenem Regiment der deutschen Wehrmacht tatsächlich einen Unteroffizier mit dem Namen Himmelstoß gab, der Rekruten systematisch aufs Unmenschlichste schikanierte, ist für die Durchschlagskraft von Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues nicht entscheidend. Auch wenn die Figur erfunden sein sollte, vermittelt der Roman vielleicht sogar deutlicher als jede historisch akkurate 36 Franz-Josef Deiters: „Paneuropa, deutscher Kulturkomplex, österreichische Sendung, Festspiele in Salzburg. Hugo von Hofmannsthals Beitrag zur Gedächtniskultur des Ersten Weltkriegs“. In diesem Band, 242. 37 Ebd.

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Dokumentation im Medium einer fiktionalisierten Darstellung sadistischen Missbrauchs das Grauen der einfachen Mannschaften im Weltkrieg. Literarisierung und Fiktionalisierung führen also offensichtlich nicht dazu, dass man aus Literatur und Filmen über den Weltkrieg nichts lernen könnte – man lernt nur eher etwas über das ‚große Ganze‘, über das ‚Wesen‘ des Kriegserlebnisses, das exemplarisch durch fiktive Einzelschicksale dargestellt das Individuelle überwindet und den Krieg als Ganzes erfahrbar macht. Es geht in Literatur und Film, noch einmal anders gewendet, nicht um die Wahrheit oder Authentizität einzelner Fakten, sondern mehr um allgemeine Wahrheiten oder „generische Propositionen“,38 wie das die entsprechende literaturtheoretische Forschung gelegentlich bezeichnet hat. Die von Thomas Petraschka und Martin Gabriel verfassten Beiträge zu dieser Sektion sind vor diesem Hintergrund zu lesen. Gerade weil der Kriegsroman nicht nur Kriegsereignisse referiert, sondern durch diverse literarische Techniken direkt nachfühlbar macht, wie sich das authentische Erleben des Weltkriegs für den individuellen Protagonisten dargestellt haben muss, werden in den entsprechenden literarischen Texten, so Petraschkas zentrale These, pauschale, überindividuelle und idealisierte erinnerungskulturelle Konstruktionen brüchig. Gesellschaftliche Narrative wie das des tapferen, gutmütig-rowdyhaften und stets kameradschaftlichen Anzac-Soldaten, die noch heute die australische Erinnerungskultur dominieren, erweisen sich in ihrer exemplarischen Anwendung auf konkrete Protagonisten als bloß abstrakte Konstruktionen. In den Worten Petraschkas: „Ein allgemein nationales Narrativ wie das des Anzacs kann nur in seiner Allgemeinheit bestehen bleiben. Im Bezug auf die individuelle Lebenswelt der Protagonisten in den Romanen Manns und Mannings wird es brüchig und hohl.“39 Damit erweist sich die Kriegsliteratur nicht zuletzt auch als ein erinnerungskulturelles Korrektiv des Legendennarrativs, als eine Art Gegendiskurs im Foucault’schen Sinn, in dessen Rahmen politisch lancierte und gesellschaftlich etablierte Erinnerungsklischees durchaus auch subvertiert und dekonstruiert werden können. Martin Gabriel wendet sich anders als Petraschka nicht literarischen Fiktionen zu, die wenige Jahre nach Kriegsende entstanden, sondern einer aktuellen filmischen Produktion: der australischen Miniserie Gallipoli aus dem Jahr 2015. Gabriel zeichnet in seinem Beitrag dann nicht nur die filmischen Techniken der zugespitzten Umsetzung einer historischen Episode auf – wie z. B. die die narrative Stringenz erhöhende Fokussierung auf vier exemplarische Protagonisten 38 Vgl. dazu exemplarisch Thomas Petraschka: Interpretation und Rationalität. Billigkeitsprinzipien in der philologischen Hermeneutik. Berlin/Boston: de Gruyter, 2014, 99–103. 39 Thomas Petraschka: „‚Diggers‘, ‚Anzacs‘ und ‚Frontsoldaten‘. Die (De-)Konstruktion nationaler Identität im australischen und deutschen Weltkriegsroman“. In diesem Band, 289.

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(darunter ein Brüderpaar) –, sondern analysiert detailliert die Bezüge der Miniserie zur klassischen Überlieferung der Anzac-Legende. Obwohl sich die Serie dazu deutlich affirmativer verhält als die von Petraschka analysierten Kriegsromane – „[b]etrachtet man die Miniserie unter dem Aspekt bestehender populärkultureller Überlieferung zu Australien im Ersten Weltkrieg, so steht Gallipoli wohl über weite Strecken in der Tradition der Anzac-Legende“40 – war sie, so Gabriel, ein kommerzieller Misserfolg. Gabriel lässt offen, ob dies daran liegen mag, dass Gallipoli zwar nicht mit dem Anzac-Mythos bricht, ihn aber „immerhin in Teilaspekten ausdifferenzierter wiedergibt“ bzw. sich der „Glorifizierung“41 verweigert, die kommerziell erfolgreichere künstlerische Adaptionen des Stoffs (prominent etwa Peter Weirs Gallipoli-Verfilmung von 1981) durchaus praktizierten. Vor dem Hintergrund der Beiträge von Dorrer und Saller, die wie oben erläutert erweisen, wie frappierend zentral die unhinterfragte Akzeptanz des Anzac-Mythos auch für die gegenwärtige australische Erinnerungskultur ist, mag dies aber durchaus keine abwegige Erklärung sein. Drittens: Literatur und Kunst haben aber nicht nur einen spezifischen Stellenwert bei der Ausbildung von gesellschaftlichen Erinnerungskulturen. Sie unterliegen diesen auch insofern, als die Rezeption von Kunst und Literatur durch sich im Lauf der Jahre wandelnde Erinnerungsdiskurse bestimmt werden kann. Gerade bei schon aufgrund ihrer Thematik so potentiell polarisierenden Texten wie z. B. Weltkriegsromanen sind hier mitunter radikal gegenläufige Tendenzen zu beobachten. Dieses Phänomen untersuchen in unserem Band Helmuth Kiesel und Silvan Kufner. „Bücher haben ihre Schicksale oder Wirkungen je nach Auffassungsvermögen des Lesers oder der Leserschaft“, eröffnet Kiesel seine Untersuchung, um unmittelbar darauf zu ergänzen, dass besagtes Auffassungsvermögen abhängig ist „von der historisch-politischen Großwetterlage mit wechselnden ideologischen Dominanten und epochal unterschiedlichen literarästhetischen oder geschmacklichen Präferenzen“.42 Wie wirksam derartige kontextuelle Faktoren für die Rezeption von Literatur werden können, führt Kiesel dann am Beispiel von Ernst Jüngers Erstling In Stahlgewittern (1920) vor. Jüngers Buch war über alle politischen Gesinnungen der Leser und Rezensenten hinweg Gegenstand einer sich immer wieder umkehrenden Rezeptionshaltung. Es wurde im Laufe der Jahre nicht nur verstanden als kriegstreiberisches Machwerk, sondern auch – in diesem Fall sogar vom erklärten Pazifisten Erich Maria Remarque! – als ein Buch, das „einen pazifistischeren Einfluß als alle anderen“43 ausübe. 40 Martin Gabriel: „‚To build mistake upon mistake‘. Krieg, Identität und der Anzac-Mythos in der australischen Miniserie Gallipoli“. In diesem Band, 298. 41 Ebd., 309–311. 42 Helmuth Kiesel: „Umstrittene Heldenbücher. Zur Rezeption deutscher Weltkriegsbücher“. In diesem Band, 315. 43 Ebd., 321.

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Auch Silvan Kufner zeigt, inwiefern sich der erinnerungskulturelle Diskurs auf die Rezeption von Kunst und Literatur auswirken kann, und auch er bezieht sich dabei exemplarisch auf Jüngers Stahlgewitter. Anders als Kiesel liefert Kufner dabei keinen diachronen Überblick über die Rezeptionsgeschichte, sondern geht konkret auf die in den späten 1970er Jahren dominierenden psychoanalytischen Deutungen des Texts ein. Diese seien, so Kufner, im Wesentlichen mit der Frage „beschäftigt, wie die unterstellte Kriegslust Jüngers tiefenpsychologisch zu erklären ist“.44 Kufner argumentiert, dass sich durch eine „Analyse und Kritik des Interpretationsverfahrens der Psychoanalyse“ erkennen lasse, „wodurch die Einschätzung, dass mit den Stahlgewittern eine bellizistische Schrift vorläge, zustande kam und warum sie – zumindest auf dem Wege dieser Beweisführung – voreilig ist.“45Anhand einer Rekonstruktion des psychoanalytischen Interesses an einem in den Stahlgewittern erkennbaren oder unterschlagenen Trauma Jüngers bzw. dessen Verarbeitung oder Verweigerung und der philologisch sorgfältigen Aufarbeitung der in diesem Zusammenhang relevanten Textpassagen erweist sich erneut die latente Wirkmächtigkeit gesamtgesellschaftlicher erinnerungskultureller Diskurse, die die psychoanalytischen Deutungen sogar zu im Einzelnen nicht haltbaren Interpretationsergebnissen geführt haben mag.

Literaturverzeichnis Assmann, Aleida/Jan Assmann: „Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis“. In: Klaus Merten/Siegfired J. Schmidt/Siegfried Weischenberg (Hrsg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1994: 114–140. Damousi, Joy: „Why do we get so emotional about Anzac“. In: Marilyn Lake/Henry Reynolds (with Mark McKenna/Joy Damousi) (eds.): What’s Wrong with Anzac? Sydney: University of New South Wales Press, 2010: 94–109. Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung. Stuttgart: Metzler, 32017. Ettighoffer, Paul Coelestin: Verdun. Das große Gericht. Gütersloh: Bertelsmann, 1936. François, Étienne/Hagen Schulze: Deutsche Erinnerungsorte. 3 Bde. München: Beck, 2001. Halbwachs, Maurice: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen [1925]. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2006. Halbwachs, Maurice: Das kollektive Gedächtnis [1950]. Frankfurt a. M.: Fischer, 1991. Halbwachs, Maurice: Stätten der Verkündigung im Heiligen Land. Eine Studie zum kollektiven Gedächtnis [1941]. Konstanz: UVK, 2003. 44 Silvan Kufner: „Das gepanzerte Trauma als psychoanalytische Konstruktion. Überlegungen über psychologische Interpretationsverfahren von Ernst Jüngers In Stahlgewittern“. In diesem Band, 332. 45 Ebd., 333.

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Einleitung

Hofmannsthal, Hugo von: „Appell an die oberen Stände“ [1914]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 347–350. Lake, Marilyn: „Introduction: What have you done for our country?“ In: Marilyn Lake/ Henry Reynolds (with Mark McKenna/Joy Damousi) (Hrsg.): What’s wrong with Anzac? Sydney: University of New South Wales Press, 2010: 1–23. Nora, Pierre: Lieux de mémoire I–III. Paris: Gallimard, 1984–1992. Petraschka, Thomas: Interpretation und Rationalität. Billigkeitsprinzipien in der philologischen Hermeneutik. Berlin, Boston: de Gruyter, 2014. Warburg, Aby: Der Bilderatlas Mnemosyne. Hg. von Martin Warnke. Berlin: Akademie, 2000. Winter, Jay: „Notes on the Memory Boom. War, Remembrance and the Uses of the Past“. In: Duncan Bell (Hg.): Memory, Trauma and World Politics. Reflections on the Relationship Between Past and Present. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2006: 54–73.

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Andreas Dorrer (Monash University/The University of Melbourne) / Thomas Petraschka (Universität Regensburg)

Introduction: The First World War as a Subject of Collective Memory in Germany and Australia

In 1925, when Maurice Halbwachs began to define memory as a mémoire collective, he expanded the dominating understanding of memory as individually created by a socially and culturally informed concept of memory. Since then, a varied field of research has been established in the humanities, which is currently often summarised under the label ‘Memory Studies’. Halbwachs’ work was inspired by the first memory boom at the end of the 19th and beginning of the 20th centuries, and was followed by additional theoretical groundwork such as the work of Aby Warburg. Afterwards, several years of stagnation in terms of theory building ensued. It was not until the second memory boom, which began in the 1970s and 80s, that a renewed social and academic interest in the forms and functions of memory emerged.1 Theoreticians like Pierre Nora, for example, advanced understanding of various media of memory, whereas Jan and Aleida Assmann clarified the terminology for our reference to memory and culture, which until then had often been analysed only vaguely and by way of example.2 Jay Winter sees a driving force behind the still ongoing second memory boom in the survivors of the Holocaust: in the 1970s and 80s they were heard by a global 1 See Maurice Halbwachs: On Collective Memory [1925/1941]. Chicago: The University of Chicago Press, 1992; The Collective Memory [1950]. New York: Harper & Row, 1980 and Aby Warburg: Der Bilderatlas Mnemosyne. Ed. by Martin Warnke. Berlin: Akademie, 2000. On the concept of the Memory Boom see Jay Winter: “Notes on the Memory Boom. War, Remembrance and the Uses of the Past”. In: Duncan Bell (ed.): Memory, Trauma and World Politics. Reflections on the Relationship Between Past and Present. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2006: 54–73. 2 See Pierre Nora: Lieux de mémoire I–III. Paris: Gallimard, 1984–1992. For a (cultural) historical perspective on places of remembrance in Germany, see Étienne François/Hagen Schulze: Deutsche Erinnerungsorte. 3 vols. München: Beck, 2001. As a good introduction to their extensive work, see Aleida Assmann/Jan Assmann: “Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis”. In: Klaus Merten/Siegfried J. Schmidt/Siegfried Weischenberg (eds.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1994: 114–140. A detailed sketch of the background of the current theoretical debate is provided in a clear manner by Astrid Erll: Memory in Culture. Basingstoke/New York: Palgrave Macmillan, 2011.

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audience for the first time since the end of the Second World War.3 The interest in (cultures of) remembrance that was triggered by this development was only the latest memory boom, yet the one that has lasted the longest in modern times. The very fact that historiography is considered one of the oldest sciences of all testifies to humanity’s inherent interest in its past. However, neither ancient historiography nor the artistic preoccupation with the past – for example during the Renaissance in Europe – have reached the scale that characterises today’s ‘global obsession’ with the past. Modern cultures of remembrance are formed by a multitude of more or less “dissonant […] voices”4 and can span large cultural spheres like the ‘Western World’ – such as remembrance of the Holocaust – or be limited to local areas and regional identities, as in remembrance of coal mining in the German ‘Ruhrgebiet’. The subject of this volume – the culture of remembrance of the First World War in Germany and Australia – is a particularly interesting example of this relation between occasions for the remembrance of concrete historic events and the historical contexts of these events. Furthermore, it allows the examination of divergent kinds of historical remembrance within societies, and the collective identities that result from them. Obviously, Germany and Australia played different historical roles in the First World War. The significance of remembering this war within contemporary German society and contemporary Australian society also varies; in fact, it is so extremely different that each national culture of remembrance can appear somewhat alienating from the perspective of the respective other. Andreas Dorrer introduces his contribution to this volume with references to an Australian newspaper article whose “astonished tone” sums up such divergence. The author of the article is in a state of “sheer disbelief”,5 he simply cannot believe that Germany will not honour the fallen of the First World War in a national ceremony marking the occasion of the 100th anniversary of the war’s end. In fact, the First World War and its commemoration in Germany are clearly overshadowed by the Second World War. The brief revival of interest in the First World War brought about by the centenary had largely died down again even before the last commemoration in November 2018 had taken place. In contrast to Australia, schools in Germany engage comparatively little with the First World War (see Sebastian Hartung’s contribution to this volume), and popular knowledge of the war itself also appears rather limited in comparison to knowledge regarding the developments that followed the defeat of the German 3 Winter: Notes on the Memory Boom, 60–62. 4 Ibid, 56. 5 Andreas Dorrer: “Remembrance and Relegitimisation: Commemorating the Centenary of the Armistice of 1918 in Germany and Australia”. In this volume, 125.

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Introduction

Empire. In Germany, the memory of the First World War focuses primarily on two things: the question of guilt, and the senselessness of the attrition warfare (usually called the ‘Materialschlacht’ in German), for which Verdun, the ‘human mill on the Meuse’ as German writer Paul Ettighoffer called it,6 represents the central lieu de mémoire in the German culture of remembrance. The German focus on the question of guilt may be a major reason why Christopher Clark’s monumental history The Sleepwalkers. How Europe Went to War in 1914 received so much attention when it was published in 1912. This study was widely discussed even outside academic circles, and led to collective sigh of relief, at least in some parts of German society. The books’ tendency to divide responsibility for the First World War among several European actors was just as strongly welcomed in these parts as it was criticised in others. And while Clark’s reassessment may have changed the way Germany thinks about the First World War, it did not change the fact that the Second World War remained the dominant historical event in Germany’s collective memory. Neither 1 August nor 11 November play a role in the German commemorative calendar today. The rethinking of German identity does not begin after 1918 but after 1945. Consequently, the focus of the German culture of remembrance lies not on the First World War as such, but on its consequences. World War I is widely remembered as the background to the failure of the Weimar Republic, and thus as an indirect prerequisite for the horrors of the ‘Third Reich’, which tower above everything else in terms of their significance. Coming to terms with these horrors remains one of the core tasks of a collective German identity to this day. In the Australian culture of remembrance, the relationship between the First and Second World Wars is, in a sense, exactly reversed: here, the Second World War basically plays no role. The national holiday to remember Australians who have fought in war is Anzac Day, celebrated annually on 25 April. And although officially supposed to honour all soldiers of past and present wars, the national commemoration is de facto dominated by remembrance of the First World War. World War I is where the mythical birth of the Australian nation is located, and all later wars take a back seat to the First World War in terms of their significance. The central lieu de mémoire in the Australian culture of remembrance is Gallipoli, a peninsula in present-day Turkey that belonged to the Ottoman Empire during the First World War. Here the first troops of the Australian and New Zealand Army Corps, known today as the first ‘Anzacs’, landed in the early hours of 25 April 1915 – and experienced a military debacle from the Allies’ point of view. The fact that the enterprise was a failure in terms of military strategy is, ironically, central to Australia’s culture of remembrance. The narrative of the 6 In the German original: “Menschenmühle an der Maas” (Paul Coelestin Ettighoffer: Verdun. Das große Gericht. Gütersloh: Bertelsmann, 1936, 6.)

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tragic young heroes who bravely fulfilled their duty despite their hopeless situation remains sustainable even in what one could call ‘post-heroic’ times. The commemoration in Australia focuses on the values and the ‘way of life’ that distinguished the Australian troops during their tragic mission. These values have become a crucial part of the narrative that imbues the first Anzacs with an identity that has since become key to the national identity of Australia at large. The Anzac soldiers became so important to the formation of a national identity not least because, as part of the troops of the British Empire and under the leadership of mostly British officers, they allegedly demonstrated these specific Australian values. Just how nationally focused this Australian culture of remembrance has become is also shown by the fact that the New Zealand Anzacs actually play no role in it. Within the framework of the present volume, the proverbial Anzac myth, in which the core of an Australian mentality is summarised, is examined from many perspectives. Therefore, we will provide only a brief overview at this point. The Anzacs were and are understood as paradigmatic bearers of traditional soldierly values – such as comradeship and bravery – and simultaneously as good-natured, ‘ordinary men’ who never lost their occasionally quite crude sense of humour, a certain lightness of being and irony towards themselves, even in the face of direct danger to life and limb. In addition, the myth ascribes to them a pronounced sense of justice and equality. People were judged on the basis of their deeds, not on the basis of privileges inherited by birth. These Anzacs stand symbolically for all Australia; their baptism of fire at Gallipoli has become understood as a baptism of fire for the entire nation. And they both passed their first big test – not militarily, but character-wise – with flying colours. This image of the Anzacs was carried out into the world by war correspondents C. E. W. Bean and Ellis Ashmead-Bartlett, the former Australian, the latter British. Both writers also conveyed the image back home in Australia. The Anzac Book was already published by Bean during wartime, and the twelvevolume, monumental Official History of Australia in the War of 1914–1918 was published between 1920 and 1942, the first six volumes edited by Bean himself as Australia’s ‘official World War historian’: both publications still shape the image of the prototypical Anzacs in the broad Australian public today. And so 25 April has remained Anzac Day to this day, with Dawn Services held at 05:30 (the time of the historic landing), parades organised throughout the day, and the whole of Australia remembers the sacrifices their World War I soldiers had to make. Since the last active combatants of the First World War passed away, the Australian generational memory has become evident in this context. It is most clearly represented by the descendants of the first Anzacs, who, adorned with their ancestors’ medals and awards, have become a regular sight in Anzac Day parades over the last decade. Their memory and the way it is preserved – and

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this is also a significant difference to the German culture of remembrance – is almost entirely affirmative. The Anzacs have assumed an almost sacred position; any criticism of them or of the national myth they embody is understood as a direct attack on Australian identity.7 This emotionalisation of history is typical of the Australian context.8 And although Australian commemorative culture of the First World War has also gone through several phases since 1919, the Anzac narrative has remained a constant. Since the 1990s, due to the efforts of the very influential veterans’ associations in Australia, and driven by the Australian Government under Prime Minister John Howard, who was in office from 1996 to 2007, it has even been increasingly re-established in the Australian national consciousness. Remarkably – and this is yet another fundamental difference to the German discourse – in Australia criticism of the unquestioned acceptance of the mythicised narrative, which is quite regularly voiced in the academic discourse, has so far failed to enter the public debate. When academics criticise that the national identity is built on the alleged characteristics of almost exclusively white men, who moreover displayed them (if at all) in an exceptional situation dominated by violence and death, and that this identity has long since ceased to correspond to the increasingly multicultural Australian society, such criticism has hardly been noticed by the wider public, at least so far. Outlined above in general terms, the topic of the memory of the First World War in Germany and Australia is approached in this volume in 14 exemplary studies assigned to three fields: Politics and Society; Culture, History and Cultural History; Art, Literature and Film.

1.

Politics and Society

As the introductory remarks suggest, an examination of national cultures of remembrance concerning an epochal event such as the First World War must first and foremost be conducted in the field of politics and society – not only because the war itself was the result of political decisions and an event that affected the entire society. Dealing with social upheavals and other consequences of the war, establishing collective identities under new auspices, embedding the war in the more general historical narrative – these tasks, which were already urgent immediately after the armistice, are all processes located at the political 7 See Marilyn Lake: “Introduction: What have you done for our country?” In: Marilyn Lake/ Henry Reynolds (with Mark McKenna/Joy Damousi) (eds.): What’s Wrong with Anzac? Sydney: University of New South Wales Press, 2010: 1–23. 8 Joy Damousi: “Why do we get so emotional about Anzac?”. In: Marilyn Lake/Henry Reynolds (with Mark McKenna/Joy Damousi) (eds.): What’s Wrong with Anzac? Sydney: University of New South Wales Press, 2010: 94–109.

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and social level. Political actors are in charge of organising neatly orchestrated days of remembrance – as in Australia – or deliberately refrain from doing precisely that – as in Germany. Immediately after the end of the war, how to deal with returning soldiers and the mentally and physically injured in their respective nations became a political issue. And even today, more than 100 years later, the memory of the First World War is instrumentalised by political decision-makers when they direct, for example, how World War commemoration is to be integrated into secondary school curricula. In line with the binational-comparative structure of the volume, the two contributions by Gundula Gahlen and Amanda Laugesen begin at exactly the same point in time: directly after the end of the war. Both essays deal with the situation of returning servicemen during the interwar period, Gahlen with a focus on Germany, Laugesen with a focus on Australia. Gahlen analyses the way in which the Weimar Republic dealt with the glaring psychological consequences for those who fought in the first industrialised war in human history. According to her study, the “continuous existential threat” (kontinuierliche existenzielle Bedrohung)9 that soldiers were exposed to during frontline combat meant that “war neurosis, or shell shock, became a metaphor for the First World War”10 (die Kriegsneurose bzw. der Shell Shock zu einer Metapher des Ersten Weltkriegs wurde). Gahlen focuses specifically on psychologically scarred officers, who occupied a particularly interesting, “Janus-faced position” ( janusköpfige Stellung) because of their ambivalent situation as both “victims of the war and in their function as combatants, military leaders of soldiers and representatives of command”11 (Opfer des Kriegs als auch in ihrer Funktion als Kämpfer, militärische Führer der Soldaten und Repräsentanten von Herrschaft). Examining the significance of Germany’s defeat for those in the position of officer corps in the context of postwar Germany, and the resulting shift in officers’ changing self-image, the chapter deals with central discourses of remembrance in the Weimar Republic. Gahlen concludes that the “‘cultural demobilisation’ was unsuccessful”12 (‘kulturelle Demobilmachung’ nicht gelang). The injured officers were accused by right-wing conservatives of being of “inferior constitution and weakness of will” (konstitutionelle Minderwertigkeit und Willensschwäche), while they were also considered an unmistakable reminder of the horrors of war by the political left. Gahlen discusses them as a representation of 9 All direct quotations from German chapters have been translated by the authors of this introduction with the aim and focus on improved readability. The original quotes are given in parentheses for reference. 10 Gundula Gahlen: “Psychisch versehrte Offiziere in den Erinnerungsdiskursen an den Ersten Weltkrieg in der Weimarer Republik”. In this volume, 53. 11 Ibid., 54. 12 Ibid., 72.

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Introduction

the rift through Weimar society, which she sees also expressed in the “interpretive struggles over the public memory of the First World War”13 (Deutungskämpfe[n] um die öffentliche Erinnerung an den Ersten Weltkrieg). Laugesen also focuses her study on returned soldiers and their fates. She analyses Australian returned servicemen magazines from the interwar period, which have not, as yet, received enough attention in academic discourse. Laugesen sees these “potentially rich source[s]” as a “vehicle for veterans” that offered them the opportunity to be “both readers of and writers for these publications”. This enabled them to simultaneously “communicate their memoirs of the war”,14 and read about experiences of their comrades. Thus, according to Laugesen, the magazines became authentic “vectors of memory”,15 and analysing them sheds light on the linguistic conception of memory of the First World War. Drawing on the empirical findings of her detailed linguistic research, Laugesen shows that the magazines made a very crucial contribution to the construction of identity of Australian World War I veterans. She notes, for example, that identity-building terms such as ‘digger’ and ‘Anzac(s)’, which continue to shape the public image of World War I soldiers today, originate in the sociolect used by returned servicemen in the veterans’ magazines, and from there found their way into common usage. The “high diction” used in the magazines to describe the war also helped to create a “sacred version” of the Great War, “enshrined in the activities of Anzac Day” and a “nostalgic version of the war”16 that lives on in public discourse. The contribution by Anna Saller also uses detailed linguistic analyses, but examines how the memory of the First World War is communicated within today’s political and diplomatic landscape. Saller examines three German and three Australian speeches, each delivered between 2014 and 2018 during events commemorating the First World War: the speech of the then German President Johannes Gauck on 3 July 2014 in the German Bundestag; Angela Merkel’s opening speech at the Peace Forum on 11 November 2018 in Paris, and a speech by Wolfgang Wieland, president of the German War Graves Commission, on 26 September 2018 in Cologne. Speeches from the Australian context were delivered by then Prime Minister Tony Abbott on 25 April 2014, for the centenary of the Gallipoli landing; by Mathias Corman, a Belgian-born Australian senator, on Remembrance Day 2017, and by Linda Dessau, governor of the State of Victoria, on the same occasion a year later. Saller argues that important qualities of the different cultures of remembrance in Germany and Australia can be identified in these speeches, when their construction is analysed from a linguistic perspective. 13 Ibid. 14 Amanda Laugesen: “Returned Servicemen Magazines and the Shaping of a Language of Memory, Identity, and Commemoration in Interwar Australia”. In this volume, 79. 15 Ibid., 85. 16 Ibid., 94.

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In the German speeches, according to Saller, “the war is portrayed as invariably terrible, as something that should be avoided at all costs. The counter image to war in all three German speeches is Europe. The idea of Europe is always closely linked to the concepts of peace, freedom and community”.17 By contrast, on the Australian side, the speeches “repeatedly refer to achievements in the war, to the courage of the soldiers and to the sense of belonging and comradery. In order to justify the national pride, soldiers are stylised as martyrs who went to war and died for their fatherland.”18 Saller’s conclusion, which goes beyond the narrower context of the specific speeches, is this: “While in Germany the end of the First World War is seen as the birth of democracy and is linked to current issues concerning the European Union, in Australia it serves to create identity and to establish a national consciousness that sets itself apart from the outside world.”19 Commemorative speeches are also part of Andreas Dorrer’s chapter, which takes a broader look at the official ceremonies commemorating the centenary of the 1918 armistice, which took place in Paris and Canberra respectively on 11 November 2018. Dorrer focuses primarily on two aspects of these ceremonies: the representation of the countries’ cultures of remembrance in the commemorative events, and their role in relegitimising national identities in Germany and Australia. Because, Dorrer argues, “nations require national narratives that legitimise the current national identity and ultimately the nation state, state-organised commemoration ceremonies […] take part in the everongoing national project of relegitimisation.”20 Germany omitted its own national commemoration ceremony because its national identity is based on the renunciation of the nationalism and militarism of both the Kaiserreich and Hitler’s ‘Third Reich’; according to Dorrer, any commemoration of the First World War can only produce relegitimising effects if it clearly reflects this renunciation. This determines the entire discourse of remembrance in Germany and was prominently reflected in the commemorative events on and around 11 November 2018 in Paris. Analysing the commemoration in Canberra, Dorrer demonstrates the representation of the Australian culture of remembrance through this event and argues that it is also characterised by a focus on the Australian sacrifices made during the war and reflects the Anzac narrative already outlined above. Dorrer sees the relegitimising function of the Australian commemoration in the emphasis given to a national narrative that defines the national identity of contemporary Aus-

17 Anna Saller: “Language Use in Public Speeches Commemorating World War I: Germany and Australia Compared”. In this volume, 104. 18 Ibid., 105. 19 Ibid., 120. 20 Dorrer, Remembrance and Relegitimisation, 126.

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Introduction

tralia as a direct continuation of the ‘internal nation building’ that was triggered by the first display of a uniquely Australian national character at Gallipoli.

2.

Culture, History and Cultural History

Because memory is not only organised and alive within social and political settings, this volume includes a second section devoted to the culture, history and cultural history of memory. It also spans the entire period from the years immediately after the First World War to the present, and engages with the variety of forms in which the First World War is represented in cultural and historical contexts within Germany and Australia. Tobias Arandt’s section-opening chapter takes a look even further back, at the time before the First World War and its immediate prelude. Arandt argues that this expansion of the historical context is important for understanding key aspects of the German memory of the First World War. To exemplify his approach, he quotes a popular postcard issued in 1914 in the title of his study:21 “Wie Anno 70” (“Just like ’70”). With this nostalgic reference to the victorious Franco-Prussian War of 1870–71, the postcard in question expands the commemorative scope beyond the continuum of First and Second World Wars, which often seems immutable in German cultures of remembrance. There were also, however, wars before the First World War, and these were subjects of a collective memory that had a decisive influence on national identity in Germany before 1914. Arandt illustrates this by looking at an ensemble of monuments in Ludwigsburg. Spanning not only the First and Second World Wars, but also the preceding Franco-Prussian War, the monuments of this ensemble represent the materialisation of memory in Germany that constitutes the focus of Arandt’s paper. The Ludwigsburg monuments, he argues, thereby demonstrate “how, within the period from 1871 to 1957, which spans three wars, the form of remembrance of each war has changed, but the intention of a differentiated remembering has remained the same”22 (wie sich innerhalb des Zeitraums von 1871 bis 1957, also über die Distanz dreier Kriege, zwar die Form der Erinnerung an den jeweiligen Krieg verändert, aber die Absicht der Differenzerinnerung die gleiche geblieben ist). After a detailed analysis, supported by extensive visual material, in which Arandt deciphers the respective symbolic content of the individual monuments and reveals their appellative character, he concludes that all three monuments are united by “the considerable difference 21 See Fig. 1 in Tobias Arand: “‘Wie Anno 70’. Eine Geschichte der deutschen Kriegserinnerung erzählt an einem Denkmalensemble”. In this volume, 148. 22 Ibid., 149.

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they articulate between the actual events – death and destruction – and the memory they intend to evoke”23 (die erhebliche Differenz, die sie zwischen den tatsächlichen Ereignissen – Tod und Zerstörung – und der gewollten Erinnerung artikulieren). Precisely because ensembles of memorials like the one in Ludwigsburg do not simply depict historical factuality but serve to make memory tangible and constructed, they are “valuable sources for the changing understanding of collective perspectives on the fundamental experiences and traumas that wars inevitably entail”24 (wertvolle Quellen für das sich wandelnde Verständnis vergangener kollektiver Sichtweisen auf die fundamentalen Erfahrungen und Traumata, die Kriege unvermeidlich mit sich bringen). Cathérine Pfauth’s analysis directly follows from Arandt’s, in the sense that she also begins her reflections on nation-building “out of the spirit of war”25 in 1871. Unlike Arandt, however, Pfauth extends her analysis with a historicalcomparative side-view of the analogous processes of “nation-building” in Australia and explains: “the commemoration of battles perceived as central was constitutive for the nation-building of both young nations.”26 The battles to which Pfauth refers here are the Battle of Sedan, which ended victoriously on 2 September 1870 for the as yet unestablished German Empire, and the Battle of Gallipoli, which began on 25 April 1915 and ended in military disaster for Australia. Despite the very different outcomes, both dates became central for national commemorations, of which today only the tradition of Anzac Day remains. For the cultures of remembrance both in the German Empire and in presentday Australia, Pfauth identifies schools as central places for the constitution of memory. Her analysis of school participation in the respective commemorative events, and ways the constitutive battles and wars are taught, leads Pfauth to the conclusion that “the political and intellectual elites had in common […] that school was seen as crucial for nation-building and that pupils were indoctrinated with content and methods that are under-complex from today’s point of view but were very successful at the time.”27 Pfauth therefore links the memory of the war of 1870–71, or rather its influence on education in the German Empire, to the enthusiasm with which some German volunteers went to war in 1914. If one considers “the fatal persuasive power of unquestioned historical images that appeal to ‘heroic’ role models, combative masculinity and national solidarity”,28 23 Ibid., 161. 24 Ibid. 25 Cathérine Pfauth: “‘an important battleground in the contest for children’s hearts and minds’ – Australian and German Nation Building out of the Spirit of War and the Role of School”. In this volume, 165. 26 Ibid., 182. 27 Ibid. 28 Ibid., 183.

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Introduction

their continued existence in Australian curricula and the resulting reaffirmation of these narratives in society as a whole can certainly be considered alarming. The thematic link between this aspect of Pfauth’s reflections and the subsequent essay by Sebastian Hartung is once again close. Hartung also undertakes an analysis of the role of the First World War in the educational systems of Germany and Australia, but looks at current curricula of secondary schools, more precisely: the eighth grade of the Bavarian ‘Gymnasium’, the stream that provides the highest degree of the three German high school streams, and the ninth grade of high schools in Western Australia. A comparison of these curricula is particularly interesting, as both have recently been redesigned and thus allow a highly topical insight into the current teaching of the First World War. Hartung, like Pfauth in the previous chapter, considers the education system to be one of the most potent means of traditionalisation, “as it conveys, shapes, and modifies a community’s culture of remembrance”29. Hartung is, among other things, particularly interested in identifying the “historical sources and didactic materials [that] are recommended by the two states’ departments of education.”30 His analysis leads him to a conclusion that is repeatedly expressed throughout this volume, namely that there is a significant difference between German and Australian culture of remembrance. In Hartung’s own words: “the World War I narratives which K-10 and LehrplanPLUS for Gymnasium convey to young generations differ profoundly”.31 Different source material and different didactic approaches result – and here Hartung’s conclusion echoes Saller’s – in a tendency towards a globalised approach to the topic in Germany, and a more national(istic) approach in Australia. Christiane Weller concludes the section on culture, history and cultural history with an essay that takes up all three keywords. Weller examines a form of remembrance that is very typical for Australia: Avenues of Honour. These tree plantings undertaken for the purpose of commemorating fallen soldiers, Weller argues, should not be understood merely as sites of remembrance. The sites “require embedding in questions of spatial theory and landscape biography that increasingly reveal larger faultlines in a colonial settler society such as Australia’s”32 (bedürfen der Einbettung in raumtheoretische und landschaftsbiographische Fragestellungen, die in einer kolonialen Siedlergesellschaft wie der australischen zunehmend größere Verwerfungen aufscheinen lassen). As sites of remembrance, Weller argues, they also continue this perspective in terms of 29 Sebastian Hartung: “Tradition and Traditionalisation: A Comparative Study of German and Australian Didactics within the Context of World War I”. In this volume, 187. 30 Ibid. 31 Ibid., 197. 32 Christiane Weller: “Baumsoldaten. Avenues of Honour als belebter Gedächtnisraum in der australischen Landschaft”. In this volume, 202.

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generational memory, in that “the tree as a living structure […] ensures the longevity of remembrance. The dead […] soldier is metaphorically translated into the living tree and by tending the tree, the bereaved are schooled to remember him”33 (der Baum als lebende Struktur […] die Langlebigkeit des Gedenkens gewährleistet. Der tote […] Soldat wird imaginär in den lebenden Baum übersetzt und die Hinterbliebenen werden mit der Pflege des Baums zum Erinnern erzogen). Crucially for Weller, the Avenues of Honour, which she also documents in several detailed images, are found “on the threshold of developed agrarian structures of cities or villages and the Australian bush”34 (auf der Schwelle von städtischer oder dörflich-agrarischer Struktur und australischem Busch) and thus continue the Europeanisation of the original Australian landscape. Consequently, the memory of the First World War becomes part of the “imaginary structuring of landscape that sustains the colonial claim to power. Therefore, the Avenues of Honour still assert themselves over the imprint of First Nations People on landscape space, while at the same time being incompatible with an Indigenous narrative of history”35 (imaginären Strukturierung des Landschaftsraums, der den kolonialen Machtanspruch der Siedlergesellschaft aufrechterhält. Die Avenues of Honour behaupten sich somit immer noch gegenüber der Prägung des Landschaftsraums durch die First Nations People und verweigern sich zugleich einem indigenen Geschichtsnarrativ).

3.

Art, Literature and Film

Although art, literature and film are, of course, part of culture and cultural history, the number of chapters with a focus on these media has made it appropriate to devote a separate section to them. Three additional reasons have informed the creation of this third section. Firstly, art, literature and film are not only subject to the categories of political, historical or sociological analysis, but also to aesthetic categories. Against this background, a seminal event such as the First World War leads to a problem that is specific to the field of art and literature. It can be expressed by asking a series of questions: is it even possible to grasp such a catastrophe through aesthetic categories? Is it really possible to somehow ‘poeticise’ the first industrialised war with its millions of dead? Or does a moral imperative become relevant for art in such a special case, a sort of obligation for authors to ask, a good thirty years 33 Ibid., 207. 34 Ibid., 201. 35 Ibid., 221.

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Introduction

before Theodor W. Adorno, whether writing a poem after Verdun must be barbaric, and therefore whether a fundamentally new understanding of aesthetics must be sought? The opening contributions to Section III engage with such questions from different perspectives. Martin Bayer analyses which styles of painting are at all capable of capturing impressions that result from the direct experience of war. The focus here is not, as is so often the case, on well-known artists such as Otto Dix and George Grosz. Instead, Bayer examines how the war was processed in the paintings of Impressionists such as Theodor Rocholl, Expressionists such as Otto Fischer-Trachau and Fritz Furken, or more realistic painters such as Fritz Elder. Bayer pays particular attention to the change in the depiction of war from an initially often enthusiastic portrayal in propagandistic works – such as August von Kaulbach’s Germania (1914) – to pacifist depictions of the atrocities of war, as in the paintings of Otto Schubert and Andreas Gering. In doing so, Bayer’s study implicitly takes up the complex relationship between bellicism and pacifism. While long discussed in research on World War I literature, this topic has so far received less attention in research on war paintings; such research has mostly concentrated on the works of just a few painters such as Dix and Grosz. At the same time, Bayer reveals the ambivalence of beauty and horror inherent in the aesthetics of war art, which makes different attitudes to the cataclysmic event of the First World War visible even if it were discussed without its pacifist or bellicist context. Franz-Josef Deiters’ essay concentrates on Hugo von Hofmannthal, an author who immediately grasped the impact of the First World War and who, as early as September 1914, clairvoyantly states: “The completely incomprehensible has become reality”36 (Das völlig Unfaßliche ist Ereignis geworden). As Deiters makes clear, Hofmannsthal thus not only excludes himself from the ranks of the more or less enthusiastic apologists of war, but, according to Deiters, attempts “even during the hostilities and increasingly after their end to counter them with a perspective that overcomes the nationalist furore”37 (schon während der Kriegshandlungen und verstärkt nach deren Ende eine Perspektive entgegenzusetzen, die den nationalistischen Furor überwindet). Unlike the artists discussed by Bayer, Hofmannsthal’s direct concern is not to make the experience of war conceivable through a new literary aesthetic. Nor does he attempt to take up war directly as a motif or topic. Instead, Hofmannsthal explains that he wants art to be 36 Hugo von Hofmannsthal: “Appell an die oberen Stände” [1914]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Edited by Bernd Schöller in consultation with Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 347–350, 347. 37 Franz-Josef Deiters: “Paneuropa, deutscher Kulturkomplex, österreichische Sendung, Festspiele in Salzburg. Hugo von Hofmannsthals Beitrag zur Gedächtniskultur des Ersten Weltkriegs”. In this volume, 242.

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understood as an analytical tool with the help of which the intellectual and cultural background that made the outbreak of war possible can be made comprehensible. “In this sense he [Hofmannsthal; T. P.; A. D.] strives,” (In diesem Sinne ist er [Hofmannsthal; T. P.; A. D.] bestrebt) as Deiters states his claim, “to overcome the cultural constellation which has resulted in the War by means of art. It is in this – and not in a literary representation of the events of the war – that […] the Austrian’s contribution to the formation of a culture of remembrance of the First World War is to be seen”38 (mit den Mitteln der Kunst jene kulturelle Konstellation zu überwinden, die in den Krieg gemündet hat. Hierin – und nicht in einer literarischen Repräsentation des Kriegsgeschehens – ist […] der Beitrag des Österreichers zur Herausbildung einer Gedächtniskultur des Ersten Weltkriegs zu sehen). Deiters explains in detail exactly how Hofmannsthal imagines this “overcoming” of the said war-prone cultural constellation. A second reason for the special role of literature and film is that they have a very specific significance for the formation of a culture of remembrance. They have two characteristics that mere documentation of war within the framework of historical, sociological or political discourse does not have, or only to a limited extent: they are literary, and they are fictional. By these terms, whose complex content and no less complex relationship with one another need not be discussed in depth here, we mean, in a very basic sense, the following: a text (or film) can be described as literary and fictional insofar as it employs certain conventional techniques of representation without being limited to the representation of true events. Novels and films can, for example, present the inner view of individual protagonists, evoke lasting effects by narrating a story from a certain perspective, use symbolic imagery to reinforce what is being portrayed, and the like. Therein lies their literariness. Due to their fictionality, they are not obliged to reproduce every fact in a truthful way, which is something that readers and audiences rightfully expect from historical treatises or documentaries. Whether an officer called Himmelstoß actually existed in any regiment of the German Wehrmacht is not decisive for the impact of Erich Maria Remarque’s All Quiet on the Western Front (1928). Even if the character, who systematically harasses recruits in the most inhumane way in the novel, was made up, the novel conveys perhaps even more clearly than any historically accurate documentation the horror and abuse of ordinary recruits in the Great War. Literalisation and fictionalisation do not mean, therefore, that literature and film cannot teach us anything about the First World War. Moreover, their lessons convey the ‘big picture’, the ‘essence’ of the war experience, which, exemplified by fictionalised individual fates, overcomes the individual and makes it possible to 38 Ibid.

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Introduction

experience the war as a whole. In other words, literature and film may not be concerned about the truth or authenticity of singular facts, but more about general truths or ‘generic propositions’, – to quote a phrase occasionally used in research in literary theory. The chapters by Thomas Petraschka and Martin Gabriel should be read against this background. According to Petraschka, World War novels not only report on wartime events but employ various literary techniques to make directly comprehensible how the authentic experience of the World War must have appeared to the individual protagonist. In doing so, Petraschka claims, overarching, supra-individual and idealised cultural constructions of remembered identities become fragile in the corresponding literary texts. Narratives such as that of the brave, good-natured, and always comradely Anzac soldier, which still dominate Australian cultures of remembrance today, prove to be merely abstract constructions whenever they are applied to novels’ individual protagonists. In Petraschka’s own words: “[a] general, encompassing national narrative such as that of the Anzac can only persist in its generality. In relation to the individual lives of the protagonists in Mann’s and Manning’s wartime novels, it becomes necessarily brittle and hollow”39 (Ein allgemein nationales Narrativ wie das des Anzacs kann nur in seiner Allgemeinheit bestehen bleiben. Im Bezug auf die individuelle Lebenswelt der Protagonisten in den Romanen Manns und Mannings wird es brüchig und hohl). In this way, wartime literature often also proves to be a cultural corrective to widespread national narratives, a kind of counter-discourse in the Foucaultian sense, in the context of which politically launched and socially established clichés are subverted and deconstructed. Unlike Petraschka in his chapter, Martin Gabriel does not turn to literary fictions that were created a few years after the end of the war, but to a current cinematic production: the Australian television miniseries Gallipoli from 2015. In his essay, Gabriel not only describes the cinematic techniques of the realisation of a historical episode – such as the focus on four exemplary protagonists (including a pair of brothers), which increases the compelling nature of the narrative – but also analyses in detail the ways in which the series refers to the classical tradition of the Anzac legend. The series is clearly more affirmative towards the myth of the Anzac than the war novels analysed by Petraschka: “looking at the miniseries from the point of view of existing popcultural narratives of Australia in the First World War, Gallipoli can be considered as probably largely in line with the tradition of the Anzac legend”40 ([b]etrachtet man die 39 Thomas Petraschka: “‘Diggers’, ‘Anzacs’ und ‘Frontsoldaten’. Die (De-)Konstruktion nationaler Identität im australischen und deutschen Weltkriegsroman”. In this volume, 289. 40 Martin Gabriel: “‘To build mistake upon mistake’. Krieg, Identität und der Anzac-Mythos in der australischen Miniserie Gallipoli”. In this volume, 298.

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Miniserie unter dem Aspekt bestehender populärkultureller Überlieferung zu Australien im Ersten Weltkrieg, so steht Gallipoli wohl über weite Strecken in der Tradition der Anzac-Legende). Yet, according to Gabriel, the miniseries was a failure in the commercial sense. He leaves open whether this may be due to the fact that, in this instance, Gallipoli does not break with the Anzac myth, but “reproduces it in a more differentiated way, at least in some aspects” (immerhin in Teilaspekten ausdifferenzierter wiedergibt), or it refuses the “glorification”41 (Glorifizierung) that more commercially successful treatments of the material notably, Peter Weir’s Gallipoli film of 1981) certainly made use of. Against the background of the contributions by Dorrer and Saller, which demonstrate how strikingly central the unquestioned acceptance of the Anzac myth continues to be in contemporary Australian memory culture, the refusal to glorify the Gallipoli story may not, however, be a far-fetched explanation for the miniseries’ failure. A third property of literature and art is that they are not only significant influences on the formation of cultures of remembrance, but also subject to them, insofar as the reception of art and literature can be determined by changing discourses of memory. Particularly in the case of texts that are potentially polarising by virtue of their subject matter, such as World War I novels, radically opposing tendencies can sometimes be observed. This phenomenon is examined in the present volume in the chapters by Helmuth Kiesel and Silvan Kufner. “Books have their fates or effects depending on the capacity and constitution of their readers” (Bücher haben ihre Schicksale oder Wirkungen je nach Auffassungsvermögen des Lesers oder der Leserschaft). With this, Kiesel opens his essay, only to add straightaway that said constitution is dependent “on the historical-political situation with its changing ideological dominants and historically variable preferences in literary aesthetics or taste”42 (von der historischpolitischen Großwetterlage mit wechselnden ideologischen Dominanten und epochal unterschiedlichen literarästhetischen oder geschmacklichen Präferenzen). By using the example of Ernst Jünger’s first book Storm of Steel (1920),43 Kiesel then demonstrates how crucial such contextual factors can become for the reception of literature. Jünger’s book was received by readers and reviewers in vastly different and even opposite ways. Over the years, it was understood as a warmongering pamphlet, but also – even by the avowed pacifist Erich Maria Remarque – as a book that exerted “a more pacifist influence than any other”44 (einen pazifistischeren Einfluß als alle anderen). 41 Ibid., 309–311. 42 Helmuth Kiesel: “Umstrittene Heldenbücher. Zur Rezeption deutscher Weltkriegsbücher”. In this volume, 315. 43 First translated into English in 1929. 44 Ibid., 321.

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Introduction

Silvan Kufner also shows the extent to which changing cultures of remembrance can affect the reception of art and literature, and he too refers to Jünger’s Storm of Steel as an example. While Kiesel provides a diachronic overview of the history of the novel’s reception, Kufner deals specifically with the psychoanalytical interpretations of the text that dominated during the late 1970s. According to Kufner, these were essentially concerned with the question of “how Jünger’s supposed enjoyment of war can be explained in psychoanalytical terms”45 (wie die unterstellte Kriegslust Jüngers tiefenpsychologisch zu erklären ist). Kufner argues that an “analysis and critique of the way psychoanalysis goes about the interpretation of texts” (Analyse und Kritik des Interpretationsverfahrens der Psychoanalyse) can show “how the assessment that Storm of Steel is a text that paints war in a strictly positive light came about and why it is – at least when following the presented argumentation – premature”46 (wodurch die Einschätzung, dass mit den Stahlgewittern eine bellizistische Schrift vorläge, zustande kam und warum sie – zumindest auf dem Wege dieser Beweisführung – voreilig ist). Kufner goes on to reconstruct the psychoanalytic interest in Jünger’s supposed trauma, which is, depending on the individual psychoanalytical interpretation, either recognisable or suppressed, processed or denied in the book. By means of a philologically careful reappraisal of relevant passages in the novel, Kufner demonstrates the significance of changing discourses of memory culture in society as a whole, which may even have led the psychoanalysts to interpretations that are, in fact, untenable.

Works cited Assmann, Aleida/Jan Assmann: “Das Gestern im Heute. Media and Social Memory”. In: Klaus Merten/Siegfired J. Schmidt/Siegfried Weischenberg (eds.): Die Wirklichkeit der Medien. An introduction to communication studies. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1994: 114–140. Damousi, Joy: “Why do we get so emotional about Anzac?”. In: Marilyn Lake/Henry Reynolds (with Mark McKenna/Joy Damousi) (eds.): What’s Wrong with Anzac? Sydney: University of New South Wales Press, 2010: 94–109. Erll, Astrid: Memory in Culture. Basingstoke/New York: Palgrave Macmillan, 2011. Ettighoffer, Paul Coelestin: Verdun. Das große Gericht. Gütersloh: Bertelsmann, 1936. François, Étienne/Hagen Schulze: Deutsche Erinnerungsorte. 3 vols. München: Beck, 2001. Halbwachs, Maurice: On Collective Memory [1925/1941]. Chicago: The University of Chicago Press, 1992. 45 Silvan Kufner: “Das gepanzerte Trauma als psychoanalytische Konstruktion. Überlegungen über psychologische Interpretationsverfahren von Ernst Jüngers In Stahlgewittern”. In this volume, 332. 46 Ibid., 333.

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Halbwachs, Maurice: The Collective Memory [1950]. New York: Harper & Row, 1980. Hofmannsthal, Hugo von: “Appell and die oberen Stände” [1914]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Edited by Bernd Schöller in consultation with Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 347–350. Lake, Marilyn: “Introduction: What have you done for our country?” In: Marilyn Lake/ Henry Reynolds (with Mark McKenna/Joy Damousi) (eds.): What’s wrong with Anzac? Sydney: University of New South Wales Press, 2010: 1–23. Nora, Pierre: Lieux de mémoire I–III. Paris: Gallimard, 1984–1992. Petraschka, Thomas: Interpretation und Rationalität. Billigkeitsprinzipien in der philologischen Hermeneutik. Berlin, Boston: de Gruyter, 2014. Warburg, Aby: Der Bilderatlas Mnemosyne. Ed. by Martin Warnke. Berlin: Akademie, 2000. Winter, Jay: “Notes on the Memory Boom. War, Remembrance and the Uses of the Past”. In: Duncan Bell (ed.): Memory, Trauma and World Politics. Reflections on the Relationship Between Past and Present. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2006: 54–73.

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1. Politik und Gesellschaft

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Gundula Gahlen (LMU München)

Psychisch versehrte Offiziere in den Erinnerungsdiskursen an den Ersten Weltkrieg in der Weimarer Republik

Offiziere wie Mannschaftssoldaten entwickelten im Ersten Weltkrieg in allen kriegsbeteiligten Armeen zu Tausenden psychische Erkrankungen. Die kontinuierliche existenzielle Bedrohung an der Front im ‚industrialisierten‘ Massenkrieg wirkte sich äußerst belastend auf die Kriegsteilnehmer aus und förderte ‚Kriegsneurosen‘ aller Art.1 Insbesondere die ‚Kriegszitterer‘, die in den Straßen zunehmend zu sehen waren, erschreckten die Öffentlichkeit und bewirkten, dass die Kriegsneurose bzw. der Shell Shock zu einer Metapher des Ersten Weltkriegs wurde.2 So schrieb der Arzt Willy Hellpach über die öffentliche Wahrnehmung der Kriegsneurosen im Deutschen Reich bereits Ende 1914: „Die Kriegsneurosen nahmen einen erschreckenden Umfang an; die ‚Schüttler‘ und ‚Zitterer‘ wurden zu einem grausigen Straßenschauspiel, das die Bevölkerung fast mehr noch als die Amputierten, die Blinden und die im Antlitz Entstellten erregte; man suchte fieberhaft nach kundigen Nervenärzten, um dieser psychischen Seuche Herr zu werden.“3

Obwohl der Militärpsychiatrie im Ersten Weltkrieg eine bis dato ungekannte Bedeutung im Sanitätswesen eingeräumt wurde, blieb die Anzahl der Offiziere

1 Hans-Georg Hofer/Cay-Rüdiger Prüll: „Reassessing War, Trauma and Medicine in Germany and Central Europe (1914–1939)“. In: Hans-Georg Hofer/Cay-Rüdiger Prüll/Wolfgang Eckart (Hrsg.): War, Trauma and Medicine in Germany and Central Europe (1914–1939). Freiburg: Centaurus-Verlag, 2011: 7–29, 7; Gundula Gahlen/Wencke Meteling/Christoph Nübel: „Psychische Versehrungen im Zeitalter der Weltkriege. Zur Einführung. Schwerpunkt Psychische Versehrungen im Zeitalter der Weltkriege“. In: Gundula Gahlen/Wencke Meteling/Christoph Nübel: Portal Militärgeschichte (05. 01. 2015). http://portal-militaergeschichte.de/psychische _versehrungen (06. 07. 2022). 2 Fiona Reid: Broken Men. Shell Shock, Treatment and Recovery in Britain 1914–30. London: Bloomsbury, 2010, 9–11; Peter Leese: „‚Why Are They Not Cured?‘ British Shell Shock Treatment during the Great War“. In: Paul Lerner/Mark S. Micale (Hrsg.): Traumatic Pasts. History, Psychiatry, and Trauma in the Modern Age, 1870–1930. Cambridge: Cambridge University Press, 2001: 205–221; Jay Winter: „Shell Shock and the Cultural History of the Great War“. In: The Journal of Contemporary History 35/1 (2000): 7–11. 3 Willy Hellpach: Wirken in Wirren. Lebenserinnerungen; eine Rechenschaft über Wert und Glück, Schuld und Sturz meiner Generation. Bd. 2: 1914–1925. Hamburg: Wegener, 1949, 34–35.

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Gundula Gahlen

und Mannschaftssoldaten hoch, deren psychische Leiden mit dem Kriegsende nicht abklangen.4 Insbesondere, wenn sich die psychischen Symptome nach außen zeigten – sei dies durch körperliche Symptome, sei dies durch ‚verrückte‘ Verhaltensweisen – verstörte die Präsenz der ‚Kriegsneurotiker‘ im Zivilleben die Öffentlichkeit und zwang dazu, sich mit diesen Langzeitfolgen des Kriegs auseinanderzusetzen. Die Frage, wie die ‚Kriegsneurotiker‘ zu deuten und wie sie in der Gesellschaft zu behandeln seien, wurde entsprechend in den politischen Debatten der Weimarer Republik ein wichtiges Diskussionsthema im Rahmen der Erinnerungsdiskurse an den Ersten Weltkrieg.5 In diesem Beitrag wird der Blick speziell auf psychisch versehrte Offiziere in diesen Erinnerungsdiskursen in der Weimarer Republik gerichtet. Hierbei wird weniger die Rolle thematisiert, die psychisch versehrte Offiziere als Diskussionsgegenstand spielten. Dieses Thema wird lediglich dahingehend behandelt, dass herausgestellt wird, dass diese kein Gesprächsthema waren. Was aber psychisch versehrte Offiziere als Phänomen in diesem Zusammenhang interessant macht, ist ihre janusköpfige Stellung. Sie waren sowohl Opfer des Kriegs als auch in ihrer Funktion als Kämpfer, militärische Führer der Soldaten und Repräsentanten von Herrschaft bereits strukturell sehr viel eindeutiger als einfache Soldaten auch Täter. Hinzu kommt, dass in den politischen Erinnerungsdiskursen der Weimarer Republik neben der Frage, wie die ‚Kriegsneurotiker‘ zu deuten seien, auch die Rolle des Offizierskorps im Ersten Weltkrieg einen zentralen Stellenwert einnahm und kontrovers diskutiert wurde. An diesen beiden Themen zeigt sich sehr deutlich, dass der ‚Krieg in den Köpfen‘ noch Jahre nach dem Waffenstillstand und der Demobilmachung lebendig blieb, dass ein Riss durch die Gesellschaft der Weimarer Republik ging, welcher die politische Kultur nachhaltig belastete, und dass hier zutiefst auseinandergehende Erinnerungskulturen an den Weltkrieg existierten, auf denen kollektive Identitätskonzepte 4 Dies zeigen insbesondere die Tausende an überlieferten Versorgungsakten, in denen Veteranen wegen einer psychischen Versehrung einen Kriegsrentenanspruch stellten. Genaue Statistiken fehlen allerdings für die Zeit der Weimarer Republik. Siehe zur Problematik der Statistiken in der Weimarer Republik ausführlich Stephanie Neuner: Politik und Psychiatrie. Die staatliche Versorgung psychisch Kriegsbeschädigter in Deutschland 1920–1939. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011, 29–30. 5 Dieses Thema wurde im Rahmen des zahlenmäßig noch weit größeren Problems diskutiert, wie die soziale Versorgung und gesellschaftliche Integration der Millionen von Kriegsinvaliden und -hinterbliebenen zu bewerkstelligen sei. Vgl. zur Kriegsopferproblematik des Ersten Weltkriegs Sabine Kienitz: Beschädigte Helden: Kriegsinvalidität und Körperbilder 1914–1923. Paderborn: Schöningh, 2008; Nils Löffelbein: Ehrenbürger der Nation. Die Kriegsbeschädigten des Ersten Weltkriegs in Politik und Propaganda des Nationalsozialismus. Essen: Klartext, 2013; Pierluigi Pironti: Kriegsopfer und Staat. Sozialpolitik für Invaliden, Witwen und Waisen des Ersten Weltkrieges in Deutschland und Italien (1914–1924). Köln: Böhlau, 2015; Verena Pawlowsky/Harald Wendelin: Die Wunden des Staates. Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938. Wien: Böhlau, 2015.

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Psychisch versehrte Offiziere in den Erinnerungsdiskursen an den Ersten Weltkrieg

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basierten.6 Da Kriegsbeschädigte und ehemalige Offiziere im Regelfall in unterschiedlichen Lagern standen, lässt sich über die Figur des psychisch versehrten Offiziers wie mit einer Sonde diesen divergierenden Erinnerungskulturen nachspüren. Und es lässt sich nachvollziehen, welche Deutungsmuster psychisch versehrte Offiziere ihrerseits aufnahmen und welches Selbstbild sie entwarfen.

Die Bedeutung der Kriegsniederlage für das deutsche Offizierskorps Um die politische Debatte in der Weimarer Republik über die Rolle des deutschen Offizierskorps im Weltkrieg zu verstehen, ist im Vorfeld ein Blick auf die Zäsur notwendig, welche die Niederlage und die neuen politischen Verhältnisse für die deutschen Offiziere bedeuteten. In keiner anderen europäischen Großmacht waren vor dem Ersten Weltkrieg die gesellschaftlichen Militarisierungserscheinungen so klar auf das Offizierskorps zugeschnitten wie im Deutschen Reich. Die elitäre soziale Stellung der Offiziere ist einer der wesentlichen Indikatoren zur Beschreibung der gesellschaftlichen Militarisierung im Wilhelminischen Zeitalter.7 Besonders deutlich zeigen sich die Unterschiede zu Frankreich, wo das Militärische auch einen ausgeprägten Stellenwert und Einfluss hatte,8 aber das Offizierskorps traditionell wenig exklusiv war und nach der

6 Zur neueren Geschichtsschreibung über die deutsche rechte und linke Erinnerung an den Krieg siehe Benjamin Ziemann: Veteranen der Republik. Kriegserinnerung und demokratische Politik 1918–1933. Bonn: Dietz, 2014; Deborah Cohen: The War Come Home. Disabled Veterans in Britain and Germany, 1914–1939. Berkeley: University of California Press, 2002; Jason Crouthamel: The Great War and German Memory. Society, Politics and Psychological Trauma in Germany, 1914–45. Exeter: University of Exeter Press, 2009; Gerd Krumeich: Die unbewältigte Niederlage. Das Trauma des Ersten Weltkriegs und die Weimarer Republik. Freiburg: Herder, 2018. Zum Themenkomplex des „kulturellen“ und „kollektiven“ Gedächtnisses siehe Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München: Beck, 32006. 7 Vgl. Benjamin Ziemann: „Sozialmilitarismus und militärische Sozialisation im deutschen Kaiserreich 1870–1914. Desiderate und Perspektiven in der Revision eines Geschichtsbildes“. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 53 (2002): 148–164, 153–155; Marcus Funck: „Bereit zum Krieg? Entwurf und Praxis militärischer Männlichkeit im preußisch-deutschen Offizierskorps vor dem Ersten Weltkrieg“. In: Karen Hagemann/Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.): Heimat-Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege. Frankfurt a. M.: Campus, 2002: 69–90, 165; Anne Lipp: „Diskurs und Praxis. Militärgeschichte als Kulturgeschichte“. In: Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Hrsg.): Was ist Militärgeschichte? Paderborn: Schöningh, 2000: 212–227, 215. 8 Zu Militarisierungstendenzen in beiden Ländern vgl. Markus Ingenlath: Mentale Aufrüstung. Militarisierungstendenzen in Frankreich und Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg. Frankfurt a. M.: Campus, 1998, v. a. 86–246; Jakob Vogel: Nationen im Gleichschritt. Der Kult der „Nation in Waffen“ in Deutschland und Frankreich 1871–1914. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1997.

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Affäre um den jüdischen Hauptmann Dreyfus sein Ansehen und seine Autorität in Teilen der Bevölkerung so gut wie völlig eingebüßt hatte.9 Gleichzeitig gilt: In keiner anderen europäischen Großmacht war mit dem verlorenen Krieg der Legitimationsverlust dieser Gruppe dermaßen offensichtlich. Am meisten wirkte sich für die Offiziere aus, dass sie durch die Verkleinerung des Heeres auf 100.000 Mann im Zuge des Versailler Vertrages zumeist ihre Dienststellung und ihr Einkommen verloren. Das Offizierskorps wurde in der Reichswehr, die am 23. März 1921 gemäß den Auflagen des Versailler Vertrags gegründet wurde, auf 4.000 aktive Offiziere beschränkt, die Institution des Reserveoffiziers wurde abgeschafft. Insgesamt wurde das Offizierskorps um mehr als 85 Prozent reduziert, die Kriegsarmee um über 98 Prozent.10 20.000 bis 30.000 der aktiven Offiziere wurden entlassen.11 Während Reserveoffiziere vielfach in ihre zivilen Vorkriegsberufe zurückkehren konnten, waren aktive Offiziere dabei mit der Schwierigkeit konfrontiert, sich beruflich umzuorientieren, was häufig mit einem sozialen Abstieg verbunden war. Zum Sinnbild wurden die vielen arbeitslosen deutschen Offiziere, die sich nach dem Ersten Weltkrieg in Tanzdielen und Hotels als Eintänzer bzw. Gigolo verdingten. Der Schlager Schöner Gigolo, armer Gigolo, der genau auf diese Berufsgruppe einging, wurde Ende der 1920er Jahre populär.12 Insbesondere Offiziere, deren psychische oder physische Versehrungen nicht abklangen und die nicht mehr die Felddienstfähigkeit erreichten, hatten keine Chance, in die Reichswehr übernommen zu werden.13 Aufgrund der niedrigen Kriegsrenten 9 Jörg van den Heuvel: Mythos Militarismus? Militär und Politik in Deutschland und Frankreich am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Frankfurt a. M. (Diss.), 2015, 192–193. 10 Heinz Hürten: „Das Offizierkorps des Reichsheeres“. In: Hanns Hubert Hofmann (Hrsg.): Das deutsche Offizierkorps. Boppard am Rhein: Boldt, 1980: 231–245, 233; Christian Haller: Militärzeitschriften in der Weimarer Republik und ihr soziokultureller Hintergrund. Kriegsverarbeitung und Milieubildung im Offizierskorps der Reichswehr in publizistischer Dimension. Trier: Kliomedia, 2012, 64. 11 Die Angaben über die Entlassungen variieren in der Literatur stark. Vgl. z. B. Karl Demeter: Das deutsche Offizierkorps in Gesellschaft und Staat 1650–1945. Frankfurt a. M.: Bernhard & Graefe, 4 1965, 53; Hans-Adolf Jacobsen: „Militär, Staat und Gesellschaft in der Weimarer Republik“. In: Karl Dietrich Bracher/Manfred Funke/Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.): Die Weimarer Republik 1918–1933. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Düsseldorf: Droste, 1987: 348–361, 355. 12 Der Text handelt von einem Husarenoffizier, der sich seit dem Zusammenbruch der k. u. k. Monarchie nicht mehr in seiner prächtigen goldverschnürten Uniform bewegte, dem – „Uniform passé, Liebchen sagt adieu“ – „nichts geblieben“ war und der nun als Gigolo bzw. Eintänzer tätig sein musste. Julius Brammer/Leonelli Casucci: „François Genton, Lieder, die um die Welt gingen. Deutsche Schlager und Kulturtransfers im 20. Jahrhundert“. In: Olivier Agard/Christian Helmreich/Hélène Vinckel-Roisin (Hrsg.): Das Populäre. Untersuchungen zu Interaktionen und Differenzierungsstrategien in Literatur, Kultur und Sprache. Göttingen: V&R unipress, 2011: 189–204, 198–199. 13 Anders sah es bei genesenen Offizieren aus, die wieder die Felddienstfähigkeit erreicht hatten. Hier wirkte ein Lazarettaufenthalt wegen eines psychischen Leidens nicht als Übernahme-

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und Pensionen – die vielen auch gänzlich vorenthalten wurden, da es gerade bei einer psychischen Versehrung schwer war, nachzuweisen, dass der Krieg die Ursache des Leidens war –, stürzten viele ins soziale Abseits.14 Durch die Verkleinerung des Heeres auf 100.000 Mann im Zuge des Versailler Vertrags wurde die Armee von den Offizieren nur noch als wenig wehrhaft angesehen und die Weimarer Republik als schwach und zerrissen erlebt.15 Die Abschaffung der Wehrpflicht und der Institution des Reserveoffiziers kappte die intensiven Verbindungen zwischen dem Bürgertum und dem aktiven Offizierskorps.16 Die Niederlage, Revolution und Abschaffung der Monarchie hatten zudem bewirkt, dass die Offiziere ihre soziale Sonderstellung verloren, da die ‚Nähe zum Thron‘ und die direkte kaiserliche Protektion und Legitimation wegfielen. Die im Dienst verbliebenen Offiziere konnten sich nicht mehr als Stellvertreter königlichkaiserlicher Ehre betrachten. Die Zeiten, in denen sie dem Kaiser Treue schworen und des ‚Königs Rock‘ trugen, waren vorbei. Stattdessen befanden sie sich nun unter dem Oberbefehl eines vom Volk gewählten Reichspräsidenten, der in den ersten sechs Jahren der Republik Handwerker, Zivilist und Sozialdemokrat war. Sie trugen Uniformen, welche die parlamentarische Demokratie repräsentierten, und legten ihren Treueeid auf die Verfassung der Republik ab.17 Zugleich verlor das ‚nationale Lager‘, bestehend aus evangelischem Bürgertum und der Aristokratie, dem sich die Offiziere zugehörig fühlten, seine ‚kulturelle Hegemonie‘, die es im Kaiserreich innegehabt hatte. Bereits im Ersten Weltkrieg hatten sich die Gegensätze zwischen den politischen Milieus deutlich verstärkt und nach 1918 gelang es konkurrierenden Gruppen wie dem aufstrebenden Unternehmertum und der selbstbewussten Arbeiterbewegung, ihre Machtposition auszubauen.18

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hindernis. Dabei spielte eine große Rolle, dass trotz der Mythologisierung des Fronterlebnisses in der Weimarer Republik das vorrangige Augenmerk bei der Offiziersauswahl auf technische Fertigkeiten und Spezialkenntnisse und nicht auf die Frontbewährung gerichtet wurde. Gundula Gahlen: „Psychisch versehrte Offiziere in der Weimarer Republik“. In: Nikolas Funke/Gundula Gahlen/Ulrike Ludwig (Hrsg.): Krank vom Krieg. Umgangsweisen und kulturelle Deutungsmuster von der Antike bis in die Moderne. Frankfurt a. M.: Campus, 2022: 261–291, 268–271. Siehe zu den Lebensläufen psychisch versehrter Offiziere ebd., 280–283. Marcus Funck: „Schock und Chance. Der preußische Militäradel in der Weimarer Republik zwischen Stand und Profession“. In: Heinz Reif (Hrsg.): Adel und Bürgertum in Deutschland. Entwicklungslinien und Wendepunkte im 20. Jahrhundert. Berlin: Akademie, 2001: 127–172, 160; Haller: Militärzeitschriften in der Weimarer Republik, 36. Ute Frevert: Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft. München: Beck, 1991, 242; 254. Ebd., 242. Andreas Wirsching: Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft. München: Oldenbourg, 2000, 84–92; Benjamin Ziemann: „Das ‚Fronterlebnis‘ des Ersten Weltkriegs – eine sozialhistorische Zäsur?“ In: Hans Mommsen (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg und die europäische Nachkriegsordnung. Sozialer Wandel und Formveränderungen der Politik. Köln: Böhlau, 2000: 43–82,

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Für die Mentalität der Offiziere wirkte sich zudem aus, dass die Degradierung der Offiziere den homogenen Korpsgeist, der aktive und inaktive Offiziere einschloss und bereits im Weltkrieg brüchig geworden war, endgültig sprengte. Damit verloren Offiziere a. D. ihre Verankerung in einer festen Gemeinschaft. Zwar schloss sich der Großteil der abgedankten Offiziere in den Offiziers- und Regimentsvereinigungen zusammen, doch waren nun die Bindungen deutlich geringer als im Kaiserreich.19

Die Rolle des Offizierskorps in den Erinnerungsdiskursen In den Erinnerungsdiskursen an den Ersten Weltkrieg spielte das Agieren der Offiziere im Krieg eine wichtige Rolle. Besonders wichtig waren hier die Kriegsschulddiskussion und die Debatte um den Klassengegensatz im Kriegsheer. Die Kriegsschulddiskussion setzte bereits mit dem Waffenstillstand vom November 1918 ein. Die linken Gruppierungen der Regierung prangerten die Kriegsschuld des Kaisers, der verantwortlichen Politiker und Militärs sowie des ‚imperialistischen Systems‘20 überhaupt an, die schuldig erklärt wurden, Deutschland 1914 ins Unglück gestürzt zu haben. Diese Ansicht dominierte auch in der Regierung der frühen Weimarer Republik, die aus SPD, DDP und Zentrum bestand. Dem Offizierskorps kam in diesem Feindbild eine zentrale Position zu, da es mit dem ‚Militarismus‘ gleichgesetzt wurde und als negativ besetztes Symbol des alten Reichs und Stellvertreter des Kaisers galt.21 Schließlich waren Offiziere nicht nur Kämpfer, sondern repräsentierten Herrschaft und übten Befehlsgewalt aus. Als Ausbilder und militärische Führer der Armee waren sie zudem Manager der Macht, Repräsentanten kriegerischer Gesinnung und Technokraten der Mobilisierung.22

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58–59; Haller: Militärzeitschriften in der Weimarer Republik, 32–33; Dirk Schumann: „Einheitssehnsucht und Gewaltakzeptanz. Politische Grundpositionen des deutschen Bürgertums nach 1918“. In: Hans Mommsen (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg und die europäische Nachkriegsordnung. Sozialer Wandel und Formveränderungen der Politik. Köln: Böhlau, 2000: 83–105, 87. Vgl. z. B. das zeitgenössische Urteil von Otto Romberg: „Zum Sterben des Deutschen Offizierstandes“. In: Constantin v. Altrock (Hrsg.): Vom Sterben des Deutschen Offizierkorps. Mit einer Statistik der Kriegsverluste an Toten nach amtlicher Bearbeitung. Militär-Wochenblatt/ Beiheft (1921): 48–51, 49. Vgl. daneben Frevert: Ehrenmänner, 254; Gahlen: Psychisch versehrte Offiziere in der Weimarer Republik, 290; Hürten: Das Offizierkorps des Reichsheeres, 233. Diese Anklage diente nicht zuletzt den linken Parteien und vor allem sozialdemokratischen Arbeitern als Legitimierung, das Kaiserreich gestürzt und die Republik ausgerufen zu haben. Krumeich: Die unbewältigte Niederlage, 154. Rudolf Stöber: Die erfolgsverführte Nation. Deutschlands öffentliche Stimmungen 1866 bis 1945. Stuttgart: Steiner, 1998, 314; Haller: Militärzeitschriften in der Weimarer Republik, 32; 159. Ursula Breymayer/Bernd Ulrich/Karin Wieland: „Vorwort“. In: Dies. (Hrsg.): Willensmenschen. Über deutsche Offiziere. Frankfurt a. M.: Fischer, 1999: 9–10, 9.

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Hingegen ging es im rechten konservativen Milieu und auch im Offizierskorps bei der Kriegsschulddiskussion weniger um die Schuld für den Kriegsausbruch als um die Schuld an der Niederlage. Zum einen wurde die Niederlage mit der Übermacht der Gegner an Menschen und Material und der Schwäche der Verbündeten begründet.23 Zum anderen konstruierte man den Mythos von der „im Felde unbesiegten Armee“24 und die Dolchstoßlegende, obwohl die militärische Führung unter Hindenburg und Ludendorff zu Waffenstillstandsverhandlungen geraten hatte, da sie längst überzeugt war, dass der Krieg verloren war. Letzteres Narrativ besagte, dass die ‚Heimat‘ der Armee 1918 einen ‚Dolchstoß‘ in den Rücken versetzt hätte, während sie noch im Feindesland kämpfte und das Reichsgebiet frei von Feinden hielt. Diese Schuldzuweisung hatte ihre Anfänge bereits im Krieg, als man Mitte 1917 von militärischer Seite begann, streikende Arbeiter der ‚Heimat‘ sowie mangelndes Durchgreifen ziviler Behörden und Gerichte für den Fall einer Niederlage verantwortlich zu machen.25 Die Dolchstoßlegende fand gerade unter Offizieren weithin Glauben. Beispielhaft für die weit verbreitete Haltung im Offizierskorps steht die Aussage des bayerischen Majors Gürtler, der über die Verantwortung der Offiziere an der Niederlage von 1918 im Jahre 1921 schrieb: „Wenn wir den Krieg […] verloren haben, ist es nicht ihre Schuld. Nicht das unbesiegte deutsche Heer, sondern das deutsche Volk, durch Hunger gebrochen in seiner Willenskraft, vergiftet und betört durch die Lügen innerer und äußerer Feinde, hat den Krieg verloren. Das deutsche Schwert wurde durch deutsche Hände zerbrochen.“26

23 Friedrich Frh. Hiller von Gaertingen: „‚Dolchstoß‘-Diskussion und ‚Dolchstoß‘-Legende im Wandel von vier Jahrzehnten“. In: Waldemar Besson/Friedrich Frh. Hiller von Gaertingen. (Hrsg.): Geschichte und Gegenwartsbewußtsein, Festschrift für Hans Rothfels. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1963: 122–160, 133; Wencke Meteling: Ehre, Einheit, Ordnung. Preußische und französische Städte und ihre Regimenter im Krieg, 1870/71 und 1914/18. Baden-Baden: Nomos, 2010, 208–209. 24 Der Glaube beschränkte sich dabei keineswegs auf das rechte Lager, sondern reichte bis in die Sozialdemokratie hinein, da er auch jenseits der Dolchstoßlegende funktionierte. Meteling: Ehre, Einheit, Ordnung, 209. 25 Zur Rolle der Dolchstoßlegende vgl. Boris Barth: Dolchstoßlegenden und politische Desintegration. Das Trauma der deutschen Niederlage im ersten Weltkrieg 1914–1933. Düsseldorf: Droste, 2003; Rainer Sammet: „Dolchstoß“. Deutschland und die Auseinandersetzung mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg. Berlin: Trafo, 2003; Gerd Krumeich: „Die Dolchstoß-Legende“. In: Etienne François/Hagen Schulze (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte. Bd. 1. München: Beck, 2001: 585–599. Siehe daneben zusätzlich Alexander Neumann: „Arzttum ist immer Kämpfertum“. Die Heeressanitätsinspektion und das Amt „Chef des Wehrmachtsanitätswesens“ im Zweiten Weltkrieg (1939–1945). Düsseldorf: Droste, 2005, 39–40; Meteling: Ehre, Einheit, Ordnung, 209. 26 Major Gürtler: „Zur Geschichte des bayerischen Offizierkorps“. In: Constantin v. Altrock (Hrsg.): Vom Sterben des Deutschen Offizierkorps. Mit einer Statistik der Kriegsverluste an Toten nach amtlicher Bearbeitung. Militär-Wochenblatt/Beiheft (1921): 18–21, 21.

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Ein weiterer Punkt, der das Offizierskorps neben dem Kriegsschuldvorwurf in die Defensive drängte, war, dass im pazifistischen und sozialdemokratischen Erinnerungsdiskurs die Situation in der Kriegsarmee wesentlich als Klassenkonfrontation zwischen Offizierskorps und einfachen Soldaten aus der Arbeiterklasse beschrieben wurde.27 Die Anklagen richteten sich gegen die als ungerechtfertigt empfundene Privilegierung der Offiziere bei Verpflegung, Lohn, Urlaub und Ordensvergabe wie auch gegen das Fehlverhalten von Offizieren. Oft wurde der Offiziersstand als Ganzes angegriffen und seine soziale Stellung, sein Ansehen und sein Lebensstil in Frage gestellt und ihm Korruptheit vorgeworfen. Zum Beispiel beschuldigte der Schriftsteller und Militärkritiker Kurt Tucholsky in einem Artikel für Die Weltbühne vom 14. August 1919 die Offiziere nach dem Krieg des Missbrauchs ihrer Dienstgewalt, der Korruptheit und Bereicherung auf Kosten der Mannschaftssoldaten.28 Hingegen wurde immer wieder auf das beispielhafte moralische Handeln der einfachen Soldaten abgehoben.29 Der Offiziershass wurde in der Weimarer Republik auch Gegenstand des parlamentarischen Untersuchungsausschusses für die Schuldfragen des Weltkriegs der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstags.30 Martin Hobohm schrieb als linksliberaler Sachverständiger für den Untersuchungsausschuss des Reichstags ein Gutachten zu den sozialen Heeresmissständen als Teilursache des deutschen Zusammenbruchs, in dem die Spannungen zwischen Offizieren und Mannschaftssoldaten aufgrund des Verhaltens der Offiziere eine Schlüsselposition einnahmen.31 Das Gegengutachten im Untersuchungsausschuss erstellte der Offizier Erich Otto Volkmann.32 Die verhärteten Fronten im öffentlichen Leben zeigten sich auch etwa 1920 in Berlin, als Reichswehroffiziere die äußerst kriegskritisch eingestellten DadaKünstler, die das Offizierskorps in ihren Werken attackierten und verun27 Ziemann: Veteranen der Republik, 109. 28 Kurt Tucholsky: „Zur Erinnerung an den ersten August 1914“. In: Ders.: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Bd. 2. Reinbek: Rowohlt, 1975: 28–38, 30–31. 29 Benjamin Ziemann: Front und Heimat. Ländliche Kriegserfahrungen im südlichen Bayern 1914–1923. Essen: Klartext, 1997, 311. 30 Zum Offiziershass im deutschen Heer hatte bereits im September 1916 der Jurist Hermann Kantorowicz eine Denkschrift verfasst, die aber erst nach dem Krieg veröffentlicht wurde. Hermann Kantorowicz: Der Offiziershaß im deutschen Heer. Freiburg i. Br.: Bielefeld, 1919. 31 Martin Hobohm: Soziale Heeresmißstände als Mitursache des deutschen Zusammenbruchs von 1918. (= Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages 1919–1928, Bd. 11/1). Berlin: Deutsche. Verl.-Ges. für Politik und Geschichte, 1929; Ders.: Untersuchungsausschuß und Dolchstoßlegende. Eine Flucht in die Öffentlichkeit. Charlottenburg: Verlag der Weltbühne, 1926. 32 Erich Otto Volkmann: Soziale Heeresmißstände als Mitursache des deutschen Zusammenbruchs von 1918. (= Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages 1919–1928, Bd. 11/2). Berlin: Deutsche Verl.-Ges. für Politik und Geschichte, 1929.

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glimpften,33 wegen Beleidigung der Reichswehr verklagten. 1920 fand die erste große Dada-Messe in Berlin nur wenige hundert Meter vom Reichswehrministerium entfernt statt. Die Offiziere fühlten sich vor allem durch eine Gemeinschaftsarbeit von Georg Grosz und Rudolf Schlichter mit dem Titel Preussischer Erzengel angegriffen. Sie zeigte eine Puppe in Offiziersuniform und Eisernem Kreuz mit aufmontiertem Schweinekopf, die waagerecht von der Decke hing. Zur Figur gehörte ein Schild, auf dem stand: „Um dieses Kunstwerk vollkommen zu begreifen, exerziere man täglich zwölf Stunden mit vollgepacktem Affen und feldmarschmäßig ausgerüstet auf dem Tempelhofer Feld.“34

‚Kriesgsneurotiker‘ als Thema der Erinnerungsdiskurse Neben diesen Debatten prägte die politische Kultur und Gesellschaft der Weimarer Republik die Frage, wie die Verluste des Kriegs zu interpretieren und zu bewältigen und welche Lehren für die Zukunft zu ziehen seien.35 Im Bild des Kriegsversehrten und auch speziell des ‚Kriegsneurotikers‘ wurde die kollektive Erfahrung des Verlusts von sozialer Sicherheit und gesellschaftlicher Normalität diskursfähig.36 Bevor dieser Erinnerungsdiskurs dargestellt wird, ist es auch hier vonnöten, seinen Hintergrund zu skizzieren: die Politik der Weimarer Regierung gegenüber psychisch versehrten Veteranen. Herauszustellen ist dabei zuvorderst, dass in der 33 Dada wurde 1917 in Zürich von Exilanten gegründet, die rumänische, deutsche, elsässische/ französische und österreichische Deserteure und Wehrdienstverweigerer waren. Viele von ihnen hatten eine psychische Störung vorgetäuscht, um nicht für den Kriegseinsatz mobilisiert werden zu können. Im Februar 1918 wurde Dada nach Berlin getragen. Der Name war Programm, getragen von der Idee, dass die Welt im Krieg so verrückt geworden war, dass es keine klaren Worte oder Begriffe gab, um sie zu beschreiben, sondern nur Gestammel. Durch eine schockierende Performance versuchten sie, die Öffentlichkeit zu heilen und gegen den allgemeinen Wahnsinn zu immunisieren. Gabriele Dietze: „‚Simulanten des Irrsinns auf dem Vortragspult‘. Dada, Krieg und Psychiatrie, eine ‚Aktive Traumadynamik‘“. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 37 (2014): 332–350, 333. 34 Im Prozess gelang es der Verteidigung, die „Spaßpuppen als Bierulk“ darzustellen. Kurt Tucholsky: „Dada-Prozeß“ [1921]. In: Karl Riha (Hrsg.): Dada Berlin. Stuttgart: Reclam 1977: 127–129, 129; Dietze: Simulanten des Irrsinns auf dem Vortragspult, 343. 35 John Horne: „Kulturelle Demobilmachung 1919–1939. Ein sinnvoller historischer Begriff ?“ In: Wolfgang Hardtwig (Hg.): Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit 1918–1939. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2005: 129–150, 147. 36 Zur Symbolik der Kriegsversehrten nach 1918 siehe Kienitz: Beschädigte Helden 23–27; Benjamin Ziemann: „Die Konstruktion des Kriegsveteranen und die Symbolik einer Erinnerung 1913–1933“. In: Jost Dülffer/Gerd Krumeich (Hrsg.): Der verlorene Frieden. Politik und Kriegskultur nach 1918. Essen: Klartext, 2002: 101–118. Vgl. auch Neuner: Politik und Psychiatrie, 11; Jason Crouthamel: „Mobilizing Psychopaths into Pacifists. Psychological Victims of the First World War in Weimar and Nazi Germany“. In: Peace & Change 30/2 (2005): 205–230, 205.

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Weimarer Republik psychische Leiden als Kriegsbeschädigung anerkannt wurden und zu einer Pension berechtigten.37 Das Versorgungssystem der Weimarer Republik wurde europaweit als fortschrittlich gepriesen. Es war materiell verhältnismäßig gut ausgestattet, sodass die Kriegsversehrten in Deutschland eine bessere finanzielle und medizinische Versorgung als in den Siegernationen erhielten.38 Auch nach den Finanzkrisen und der Hyperinflation, denen die Rentenempfänger besonders stark ausgeliefert waren, wurde das Versorgungssystem von 1924 bis 1929 ausgebaut.39 Gleichwohl bedeutete für die Betroffenen die Langwierigkeit und Kompliziertheit der Versorgungsverfahren eine große Belastung, und die ausgezahlten Renten und Pensionen wurden durchgängig als zu niedrig wahrgenommen.40 Dabei ist zu betonen, dass Offiziere in den Rentenverfahren deutlich weniger als noch im Weltkrieg eine privilegierte Behandlung erfuhren, da der innermilitärische Einfluss stark abnahm und die Möglichkeit monarchischer Gnadenakte wegfiel.41 Während in der Weimarer Republik trotz aller Unzulänglichkeiten die finanzielle Versorgung der physisch und psychisch versehrten Kriegsversehrten eine zentrale staatliche Aufgabe wurde, unterließ es der Staat allerdings, Kriegsversehrte öffentlich zu würdigen. Stattdessen prägten Sachlichkeit, Nüchternheit und Distanz den Umgang der Versorgungsbehörden mit kriegsversehrten Offizieren und Mannschaftssoldaten. Insgesamt kam die Weimarer Republik dem Wunsch nach symbolischer Auszeichnung nur sehr verhalten nach. Sie setzte stattdessen auf eine nüchterne Staatskultur und Symbolik und grenzte sich damit bewusst von der pompösen Symbolik des Kaiserreichs ab. Im Gegensatz zu 37 Auch garantierten die Gesetze, dass gegen behördliche Urteile Einspruch erhoben werden konnte. Robert Weldon Whalen: Bitter Wounds. German Victims of the Great War, 1914–1939. Ithaca: Cornell University Press, 1984, 156–157; Pironti: Kriegsopfer und Staat, 386–387. 38 Michael Geyer stellte als Erster heraus, dass die Etablierung des Versorgungssystems für Kriegsopfer in Deutschland genauso wie in Frankreich und Großbritannien die Ausbildung des modernen Sozialstaats entscheidend beförderte: Michael Geyer: „Ein Vorbote des Wohlfahrtsstaates: die Kriegsopferversorgung in Frankreich, Deutschland und Großbritannien nach dem Ersten Weltkrieg“. In: Geschichte und Gesellschaft 9/2 (1983): 230–277. 39 Richard Bessel: „Die Krise der Weimarer Republik als Erblast des verlorenen Krieges“. In: Frank Bajohr u. a. (Hrsg.): Zivilisation und Barbarei – die widersprüchlichen Potentiale der Moderne. Detlev Peukert zum Gedenken. Hamburg: Christians, 1991: 98–114, 102; Whalen: Bitter Wounds, 156–157. 40 Vgl. z. B. die Beschwerde eines Leutnants vom 02. 12. 1931: BArch, R 3901/Nr. 10260, Eingaben, Beschwerden usw. von Offizieren des ehem. aktiven Dienststandes der früheren Wehrmacht in Pensionsangelegenheiten, Versorgung des Leutnants a. D. Konrad D., Bd. 1, Juli 1927 – Nov. 1935 [ohne Blattzählung]. Siehe zu den ähnlichen Einschätzungen von Veteranen im Mannschaftsdienstgrad Crouthamel: Mobilizing Psychopaths into Pacifists, 206. 41 Andererseits ist zu betonen, dass das Versorgungssystem der Weimarer Republik für Offiziere eine umfassendere und differenziertere Regelung ihrer Versorgungsansprüche als im Kaiserreich bedeutete. Siehe hierzu Gahlen: Psychisch versehrte Offiziere in der Weimarer Republik, 272–280.

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Frankreich und Großbritannien verzichtete sie auf ein öffentliches Gedenken nach dem Krieg. Es gab keine Feierlichkeit und keine Dankesreden. Lediglich gab es die Option, dass die Republik Orden und Ehrenzeichen „für die Verdienste in den Kriegsjahren 1914–1919“42 nachträglich verlieh, was 250.000 Mal geschah. Die Möglichkeit der nachträglichen Bewilligung wurde jedoch sehr bürokratisch gehandhabt. Es musste dafür ein Antrag gestellt und der Nachweis erbracht werden, dass der Antragsteller im Krieg ‚Frontkämpfer‘ gewesen war und die Ehrung verdient hatte. Bei erfolgreichem Antrag wurden die Orden per Post zugestellt. In den Bewilligungsverfahren und den Stellungnahmen von Politikern aus dem linken Spektrum und vom Zentrum zeigt sich eine Abwehrhaltung gegenüber den Antragstellern und eine Ablehnung der Ordensverleihungen, die als „militaristischer Firlefanz“43 angesehen wurden. Hingegen wurde in den Siegerstaaten Frankreich, England oder den USA viel Wert darauf gelegt, die Opfer des Kriegs öffentlich zu ehren und als Helden zu feiern.44 Besonders symbolträchtig war in Frankreich, dass die ‚Gueules Cassées‘, Kriegsbeschädigte mit extremen Gesichtsverletzungen wie fehlenden Nasen oder zerschossenen Kiefern, bei allen Siegesparaden und Gedenkzügen vorneweg liefen und eine Gruppe von ihnen auch bei der Unterzeichnung des Friedensvertrags durch den deutschen Außenminister Hermann Müller im Spiegelsaal von Versailles am 28. Juni 1919 anwesend war. Das Schicksal der Betroffenen erregte hohes öffentliches Interesse und ihre heute noch existierende Vereinigung initiierte die wichtigste französische Lotterie.45 Gerd Krumeich interpretiert diese deutsche Verweigerung des öffentlichen Gedenkens an den Krieg allgemein und speziell der Ehrung der Veteranen und Kriegsopfer als „symbolische Fehlstelle“ und „klaffende Wunde“46 der Republik, die zu ihrem Untergang beigetragen habe. Fokussiert man seinen Blick darauf, welche Akzeptanz die Republik in der Gruppe der Kriegsversehrten besaß, gilt dies allemal. Die Kriegsversehrten blieben während der Weimarer Republik eine Protestgruppe.47

42 o. A.: Stenographische Berichte von der 53. Sitzung am 10. Juli 1919 bis zur 70. Sitzung am 30. Juli 1919. Reichstag, 63. Sitzung: 22. 7. 1919 (= Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328). Berlin: o. Verl., 1920, 1831. 43 Ralph Winkle: Der Dank des Vaterlandes. Eine Symbolgeschichte des Eisernen Kreuzes 1914 bis 1936. Essen: Klartext, 2007, 247–249. Vgl. auch Krumeich: Die unbewältigte Niederlage, 246–247. 44 Vgl. für Großbritannien Krumeich: Die unbewältigte Niederlage, 90–91. 45 Vgl. hierzu ausführlich Sophie Delaporte: Gueules cassées de la Grande Guerre. Paris: Agnès Vienot, 2004. 46 Krumeich: Die unbewältigte Niederlage, 247. 47 Vgl. hierzu Löffelbein: Ehrenbürger der Nation, 35–64; Cohen: The War Come Home, 87–93; Richard Bessel: Germany after the First World War. Oxford: Clarendon, 1993, 275–281; 283.

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Zudem blieb in Deutschland nach dem Kriegsende insbesondere der Umgang mit psychischen Kriegsbeschädigungen ein brisantes, umstrittenes Thema. Dies schloss auch Vorwürfe gegenüber dieser Gruppe ein. Im rechten konservativen Milieu, unter den Psychiatern, die den Fachdiskurs bestimmten, und auch unter den Offizieren wurde den ‚Kriegsneurotikern‘ oft konstitutionelle Minderwertigkeit und Willensschwäche unterstellt. Hinzu kam, dass nach 1918 im rechten konservativen Milieu die Haltung verbreitet war, dass die Besten im Krieg vernichtet worden seien, während die ‚Minderwertigen‘ sorgfältig konserviert worden seien. Das bereits im Krieg nachweisbare sozialdarwinistische Denkmuster gewann angesichts der Millionen von Kriegstoten und der Niederlage stark an Popularität und trug zu einer ausgeprägten Frontenbildung bei.48 Die entscheidende ‚Kriegsneurotiker‘-Therapie sahen Psychiater nicht in medizinischen und finanziellen Hilfen, sondern in ihrer Eingliederung in die Masse der arbeitenden Bevölkerung, da ihr Dasein als Rentenempfänger sie degradieren und die Symptome chronifizieren würde. Sie waren hier im Einklang mit der übrigen Ärzteschaft und deren Blick auf Kriegsversehrte wie auch mit der Sozialpolitik der Weimarer Republik. Ziel war allgemein eine schnelle Reintegration in die Arbeitswelt. Neben finanziellen Gesichtspunkten, da sonst der Fiskus belastet werde, spielte hier die Vorstellung eine Rolle, dass die Kriegsversehrten sich über die Arbeit und die Eingliederung in die schaffende Bevölkerung wieder erheben würden, was ihre dauerhafte Gesundung ermögliche.49 Um dieses Ziel zu erreichen, warnten Psychiater in der Weimarer Republik vor einer ‚Verhätschelung‘ der Kriegsversehrten und forderten eine harte Haltung. Kriegsversehrte wurden zur Leistungssteigerung, Familienangehörige zur Geringschätzung oder Nichtbeachtung der Kriegsversehrung animiert. Zudem wurde zur Wachsamkeit angehalten, um Rentenbetrüger zu entlarven. Ein gängiges Stereotyp der Tagespresse der 1920er Jahre gegen ‚Kriegsneurotiker‘ war, dass ‚Sozialschmarotzer‘ betrügerisch

48 Der Hamburger Neurologe Max Nonne äußerte sich 1922 wie folgt: „Die besten werden geopfert, die körperlich und geistig Minderwertigen, Nutzlosen und Schädlinge werden sorgfältig konserviert, anstatt daß bei dieser günstigen Gelegenheit eine gründliche Katharsis stattgefunden hätte, die zudem durch den Glorienschein des Heldentodes die an der Volkskraft zehrenden Parasiten verklärt hätte.“ (Max Nonne: „Therapeutische Erfahrungen an den Kriegsneurosen in den Jahren 1914 bis 1918“. In: Karl Bonhoeffer/Otto von Schjerning (Hrsg.): Geistes- und Nervenkrankheiten. (= Handbuch der ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege 1914/1918, Bd. 4). Leipzig: Barth, 1922: 102–121, 112). 49 Vgl. Susanne Michl/Jan Plamper: „Soldatische Angst im Ersten Weltkrieg. Die Karriere eines Gefühls in der Kriegspsychiatrie Deutschlands, Frankreichs und Russlands“. In: Geschichte und Gesellschaft 35/2 (2009): 209–248, 221; Babette Quinkert/Philipp Rauh/Ulrike Winkler: „Einleitung“. In: Dies. (Hrsg.): Krieg und Psychiatrie 1914–1950. Göttingen: Wallstein, 2010: 9–28, 11–12; Wolfgang Eckart: „‚Krüppeltum‘ und ‚Eiserner Wille‘. Invalidität und Politik im Großen Krieg, 1914–18“. In: Wehrmedizinische Monatsschrift 58/7 (2014): 256–261, 257–258.

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aus der Simulation von Zittersymptomen Kapital schlagen wollten – sei dies in Form einer Rente oder durch Mitleid erheischendes Betteln.50 Dass im Offizierskorps die Stimmung gegenüber der ‚Kriegsneurose‘ nach 1918 härter wurde, hatte neben diesen allgemeinen Zeitströmungen zwei weitere Gründe. Zum einen führte die Defensivposition des Offizierskorps aufgrund der Niederlage und des Hasses, der ihm entgegenschlug, dazu, dass das Offizierskorps selbst das Bestreben entwickelte, sich von allem zu befreien, was ihm negativ ausgelegt werden könnte. So nahm dort in den unmittelbaren Nachkriegsjahren die Toleranz gegenüber psychisch versehrten Offizieren, deren Verhalten als ‚feige‘ oder ‚drückebergerisch‘ interpretiert werden konnte, im Vergleich zur Kriegszeit ab. Während im Krieg aufgrund des gemeinsamen Erfahrungshorizonts insgesamt großes Verständnis bei den Offizierskameraden geherrscht hatte, wenn Offiziere den Belastungen der Front nicht standgehalten hatten,51 zeigte sich nun eine Stimmung wie in Preußen nach der Niederlage von 1806, als der Wunsch nach einer Säuberungsaktion des Offizierskorps laut wurde, um es von unehrenhaften Elementen zu befreien und ihm wieder einen ehrenvollen Platz in der Gesellschaft zu verschaffen.52 Die Offiziere waren nach 1918 sehr bestrebt, Kameraden auszuschließen, die sich im Krieg nicht konform zu ihrem Ehrbegriff verhalten hatten. Als besonderer Makel für die Ehre des Offizierskorps galten dabei Mitglieder, die sich den Vorwurf des ‚Feiglings‘ oder ‚Drückebergers‘ gefallen lassen mussten.53 Der zweite Grund für die härtere Stimmung gegenüber der ‚Kriegsneurose‘ im Offizierskorps nach 1918 war, dass dort nach der Kriegsniederlage die Akzeptanz aggressiver Männlichkeitsideale zunahm. Das bereits in der Vorkriegszeit aufkommende, aber noch nicht dominante Idealbild des männlich-martialischen Offiziers, der emotional kontrolliert und diszipliniert mit eisernen Nerven kämpfte, wurde zunehmend akzeptiert.54 Eine große Rolle spielte hierbei zum 50 Vgl. z. B. BArch R 3901/9054, Anonym: „Der ‚Blinde‘ und der ‚Schüttler‘“. In: Berliner Lokalanzeiger (04. 12. 1919); Ebd., Anonym: „Im Kampfe gegen die Straßenbettelei unter dem Decknamen ‚Kriegsbeschädigte‘“. In: Arbeiter-Zeitung 118 (22. 05. 1919). Siehe auch Neuner: Politik und Psychiatrie, 303–305 mit weiteren Beispielen. 51 Gundula Gahlen: „Die Nerven der Offiziere als militärisches Problem. Diskurse und Handlungsstrategien in der deutschen Armee 1914–1918“. In: Gundula Gahlen/Ralf Gnosa/Oliver Janz (Hrsg.): Nerven und Krieg. Psychische Mobilisierungs- und Leidenserfahrungen in Deutschland (1900–1939). Frankfurt a. M.: Campus, 2020: 121–139, 133–136. 52 Dierk Walter: „Was blieb von den preußischen Militärreformen 1807–1814?“ In: Jürgen Kloosterhuis/Sönke Neitzel (Hrsg.): Krise, Reformen – und Militär. Preußen vor und nach der Katastrophe 1806. Berlin: Duncker & Humblot, 2009: 107–127, 114–115. 53 Vgl. hierzu als besonders eindrückliches Beispiel BayHStA-KA Abt. IV: KA Stv GenKdo. II. AK., SanA 64: Krankheiten: Kriegsneurotiker, 1917–1919, Nr. 25607 P. Ministerium für militärische Angelegenheiten, An das Generalkommando I. u. II. A.K., Ehr. V. für Offiziere u. San. Offz., 12. 2. 1919. 54 Funck: Bereit zum Krieg?, 84. Vgl. hierzu auch Wencke Meteling: „Adel und Aristokratismus im preußisch-deutschen Weltkriegsoffizierkorps, 1914–1918“. In: Eckart Conze/Wencke

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einen die Propaganda in Heer und Heimat während des Kriegs. Auf die neuartige Kriegsführung beim Übergang vom Bewegungs- zum Stellungskrieg mit ihren spezifischen Anforderungen an die Soldaten hatte diese durch die sprachliche Schöpfung und ikonographische Ausgestaltung des ‚Frontkämpfertypus‘ reagiert, dessen Nerven durch das Fronterlebnis gestählt wurden und der vorrangig die Fähigkeit zum Durch- und Aushalten repräsentierte. Dieser Idealtyp des Frontkämpfers hatte keinen militärischen Dienstrang, sondern schloss Offiziere und Mannschaften egalitär ein.55 Zum Zweiten bewirkten eine Umformung des Konservatismus, die im Weltkrieg und in der frühen Nachkriegszeit einen entscheidenden Schub erhalten hatte,56 und die erzwungene Abrüstung durch den Versailler Vertrag, dass sich das Idealbild des männlich-martialischen Offiziers zunehmend durchsetzte. Nachdem im Krieg der ‚Krieger‘ den ‚Ritter‘ als Ideal zunehmend verdrängt hatte, wurde in den 1920er Jahren eine aggressive Frontkämpfer- und Führerideologie dominant.57 Zudem wurden deutschvölkische Begriffe wie ‚Volk‘, ‚Volkskörper‘, ‚Führer‘, ‚Stärke‘ und ‚Männlichkeit‘ immer gebräuchlicher.58 Unter Offizieren wurde diese ideologische Ausrichtung für notwendig erachtet, um die Wehrhaftmachung Deutschlands voranzutreiben. Offiziere setzten sich gemeinsam mit der nationalistischen Rechten insbesondere in den Wehr- und Schutzverbänden für eine erneute geistige Kriegsmobilisierung und Wehrhaftmachung des deutschen Volks als Ganzes ein. Als Ursachen der Niederlage 1918 sahen sie fehlende innere Geschlossenheit und mangelnden Wehr-

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Meteling/Jörg Schuster (Hrsg.): Aristokratismus und Moderne. Adel als politisches und kulturelles Konzept, 1890–1945. Köln: Böhlau, 2013: 215–238, 222. Anne Lipp: Meinungslenkung im Krieg. Kriegserfahrungen deutscher Soldaten und ihre Deutung 1914–1918. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2003, 156. Die Verbreitung dieses Bilds und die Betonung der hohen psychischen Widerstandskraft des deutschen Volks führten dazu, dass auch die Soldaten diese Deutungsangebote übernahmen, um im alltäglichen Frontleben ihre Erlebnisse im Felde zu verarbeiten. Siehe hierzu ausführlich Bernd Ulrich: Die Augenzeugen. Deutsche Feldpostbriefe in Kriegs- und Nachkriegszeit 1914–1933. Essen: Klartext, 1997. Vgl. auch Barbara Schaffellner: Unvernunft und Kriegsmoral. Am Beispiel der Kriegsneurose im Ersten Weltkrieg. Münster: LIT, 2005, 47. Meteling: Ehre, Einheit, Ordnung, 210. Zum Formwandel des Konservatismus Axel Schildt: Konservatismus in Deutschland. München: C. H. Beck, 1998; Axel Schildt: „Radikale Antworten von rechts auf die Kulturkrise der Jahrhundertwende“. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 4 (1995): 63–87; Geoff Eley: „Konservative und radikale Nationalisten in Deutschland. Die Schaffung faschistischer Potentiale 1912–1928“. In: Ders.: Wilhelminismus, Nationalismus, Faschismus. Zur historischen Kontinuität in Deutschland. Münster: Westfälisches Dampfboot, 1991: 209–247. Meteling: Adel und Aristokratismus, 237–238. Hier spielte eine große Rolle, dass selbst traditionell-konservativ eingestellte Offiziere sich kaum der allgemeinen Kritik am letzten Monarchen entziehen konnten. Funck: Schock und Chance, 146; Haller: Militärzeitschriften in der Weimarer Republik, 37–38; Meteling: Ehre, Einheit, Ordnung, 210.

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willen der Heimat an. Daher wurde eine geistig-moralische Aufrüstung des gesamten Volks mit einer Förderung von Mut, Männlichkeit, Heldentum und patriotischer Selbstaufopferung als notwendig erachtet, um ein Wiedererstarken Deutschlands auf der Weltbühne zu erreichen und die Bevölkerung für einen (weiteren) modernen Volkskrieg fit zu machen, der diesmal siegreich ausfallen sollte. Seit 1923 wurden in der Reichswehr erneut in Geheimstudien Kriegsplanungen angefertigt.59 Auch im öffentlichen Diskurs, in Kunst, Kultur und Politik war der Krieg nach 1918 andauernd präsent. In der Forschung wurde dieser Prozess als „Bellifizierung“ beschrieben.60 Das Idealbild des kriegerischen Helden-Manns richtete sich gegen alles ‚Antisoziale‘ und ‚Minderwertige‘. Als Gegenbild dazu galten im militärischen Diskurs der Weimarer Republik und im rechten konservativen Milieu die Figuren des willensschwachen Kriegs- und Rentenneurotikers und des verweichlichten und träumerischen Pazifisten, denen konstitutionelle Defizite, aber auch Versagen und Sabotage an der Volksgemeinschaft und soziale Verantwortungslosigkeit angesichts notwendiger nationaler Kraftanstrengung unterstellt wurden.61 Auffällig ist, dass dabei psychisch versehrte Offiziere gänzlich ausgeblendet wurden. Hier setzte sich die bereits im Weltkrieg nachweisbare Tendenz fort, dass das Militär psychische Erkrankungen bei militärischen Führern tabuisierte. In der Heeresstatistik der Zwischenkriegszeit sucht man nach Zahlenangaben zu psychisch versehrten Offizieren der deutschen Armee vergebens.62 Die These, dass Offiziere genauso häufig wie Mannschaften von Kriegsneurosen betroffen wurden, basiert auf einer Stichprobe der Krankenbücher, die für den Ersten Weltkrieg nahezu komplett erhalten geblieben sind.63

59 Rüdiger Bergien: Die bellizistische Republik. Wehrkonsens und „Wehrhaftmachung“ in Deutschland 1918–1933. München: Oldenbourg Verlag, 2012, 75. 60 Vgl. hierzu auch Frank Reichherzer: „Alles ist Front!“. Wehrwissenschaften in Deutschland und die Bellifizierung der Gesellschaft vom Ersten Weltkrieg bis in den Kalten Krieg. Paderborn: Schöningh, 2012. 61 Sabine Kienitz: „Körper – Beschädigungen. Kriegsinvalidität und Männlichkeitskonstruktionen in der Weimarer Republik“. In: Karen Hagemann/Stephanie Schüler-Springorum (Hrsg.): Heimat-Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege. Frankfurt a. M.: Campus, 2002: 188–207, 196; Jason Crouthamel: „Contested Memories of Traumatic Neurosis in Weimar and Nazi Germany“. In: Gundula Gahlen/Ralf Gnosa/Oliver Janz (Hrsg.): Nerven und Krieg. Psychische Mobilisierungs- und Leidenserfahrungen 1900– 1933. Frankfurt a. M.: Campus Verlag, 2020: 253–271, 255; Neuner: Politik und Psychiatrie, 25. 62 Z. B. macht der deutsche Heeressanitätsbericht, der die Truppen- und Lazarettberichte des Ersten Weltkriegs in nüchterner Sprache exakt auswertete, keinerlei Aussagen zu psychisch erkrankten Offizieren. Heeres-Sanitätsinspektion des Reichswehrministeriums: Die Krankenbewegung bei dem Deutschen Feld- und Besatzungsheer im Weltkriege 1914/1918. (= Sanitätsbericht über das Deutsche Heer im Weltkriege, 1914–1918, Bd. 3). Berlin: Mittler, 1934. 63 Siehe hierzu Gahlen: Psychisch versehrte Offiziere der Weimarer Republik, 263.

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Sowohl von der Reichswehr als auch von den Offiziersverbänden wurde hingegen die außerordentliche Nerven- und Willensstärke der deutschen Offiziere im Weltkrieg betont. Als Beweis wurden vorrangig die hohen Offiziersverluste angeführt, die als tapfere Selbstaufopferung und damit als Leistung, die über jede Kritik erhaben sei, interpretiert wurden.64 Wie gut die Tabuisierung klappte, zeigt auch, dass innerhalb der scharfen Vorwürfe, die sich in den Nachkriegsjahren offen gegen das Verhalten der Offiziere im Weltkrieg richteten, fehlende Nervenstärke und der Feigheitsvorwurf keine Rolle spielten.65 Und als 1930 der Antikriegsfilm Westfront 1918 in die deutschen Kinos gelangte und einen Leutnant und nicht etwa einen Gefreiten zeigte, der einen schweren psychischen Zusammenbruch erlitt,66 galt dies in allen politischen Lagern als Tabubruch.67 Neben dieser negativen Sicht auf die ‚Kriegsneurotiker‘ gab es aber in den politischen Debatten in der Weimarer Republik auch eine gegenläufige Interpretation. Diese wurde in pazifistischen Gruppierungen und insbesondere in den Kriegsopferverbänden vertreten, die wiederum eng mit der Sozialdemokratie verbunden waren. Unter den Interessenverbänden für Kriegsbeschädigte war dabei die wichtigste Vereinigung der „Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegshinterbliebenen“.68 Hier wurden psychisch Versehrte als Teil der Gruppe der Kriegsopfer akzeptiert. Die Vorstellung war verbreitet, dass die ‚Kriegsneurotiker‘ für eine Anklage gegen den Krieg standen und eine Sensibilität besaßen, die der Mehrheitsgesellschaft fehlte. Die an Geist und Körper geschädigten Veteranen galten als sichtbares Zeugnis für den brutalen 64 Siehe z. B. Constantin v. Altrock: Vom Sterben des Deutschen Offizierkorps. Mit einer Statistik der Kriegsverluste an Toten nach amtlicher Bearbeitung. Militär-Wochenblatt/Beiheft (1921). Berlin: Mittler, 1921, 18. 65 Selbst der Schriftsteller und scharfe Offizierskritiker Kurt Tucholsky nahm das Offizierskorps vom Feigheitsvorwurf aus. Im Artikel für „Die Weltbühne“ vom 14. 08. 1919 führte er aus: „Es wird eingewandt, der deutsche Offizier habe seine Tüchtigkeit genugsam dadurch gezeigt, daß so viele seiner Kameraden im Felde getötet worden sind. Es hat ihm niemand Feigheit vorgeworfen. Kamen Fälle von Feigheit und schlechter Haltung im Feuer vor, so sind sie nicht auf die Erziehung im Korps zu schieben, das in dieser Beziehung auf strengste Pflichterfüllung hielt und sie besonders in den untern Chargen durchsetzte.“ Tucholsky: Zur Erinnerung an den ersten August 1914, 30–31. 66 Georg Wilhelm Pabst: Westfront 1918. Vier von der Infanterie. Atlas Film, 1930. 67 Livia Prüll: „Die Kriegsversehrten. Körperliche und seelische Leiden und die Medizin im Ersten Weltkrieg“. In: Zeitenwende. 100 Jahre Erster Weltkrieg. Mainz: Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz, 2014: 27–46, 38. 68 Der Verband wurde im Frühjahr 1917 von Sozialdemokraten gegründet. Vorrangiges Ziel des Reichsbunds war es, für die Kriegsbeschädigten eine Neuberechtung im Staat durchzusetzen und sie aus ihrer Position als Almosenempfänger und politisch Benachteiligte herauszuholen. Subordination sollte durch Partizipation ersetzt werden. Im Einzelnen erstreckten sich die Forderungen insbesondere auf reichsgesetzliche Regelungen zur ökonomischen Absicherung der Kriegsbeschädigten und deren ärztlicher Versorgung. Eckart: „Krüppeltum“ und „Eiserner Wille“, 259–260; Ziemann: Front und Heimat, 21.

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Frontalltag, für die Ausbeutung der Soldaten und die Notwendigkeit von Antikriegsaktivismus. Und Kriegsbeschädigte machten sich vielfach dieses Selbstbild als Kriegsopfer, welches sie von persönlicher Schuld entlastete, zu eigen.69 Doch war die inklusive und egalitäre Form der Interpretation psychisch Versehrter im Reichsbund nur für eine verschwindende Minderheit der ehemaligen Offiziere eine reale Option. Denn auch wenn der Reichsbund zwar offiziell überparteilich war, war dieser, was Ideologie, Funktionäre und Alltagsarbeit betraf, eng mit dem Reichsbanner und der Sozialdemokratie verbunden. Auch hier wurde die Situation in der Kriegsarmee wesentlich als Klassenkonfrontation zwischen Offizierskorps und einfachen Soldaten aus der Arbeiterklasse betrachtet. Zum Beispiel beschrieb der Veteran Hans Schlottau 1920 in einer Flugschrift des Friedensbunds der Kriegsteilnehmer und Friedensfreunde die ‚Kriegsneurotiker‘ als Opfer eines ‚militaristischen‘ Systems, in dem die eigentlichen ‚Neurotiker‘ die Generale und Politiker seien, die den Krieg begonnen hätten und versuchen würden, die Stimmen der psychisch versehrten Soldaten zu unterdrücken.70 Eine Übernahme entsprechender Narrative bedeutete eine Abkehr vom Korpsgeist, die den Offizier sozial und politisch heimatlos machte.71 Das diametral entgegengesetzte Weltkriegsgedenken in der Weimarer Republik und die Kluft zwischen der Glorifizierung des Fronterlebnisses und einer erneuten Feier eines militärischen Habitus auf der einen Seite und der Fokussierung auf die sichtbaren Kriegsversehrungen an Geist und Körper auf der anderen Seite wurden von einem Autor der katholischen Tageszeitung Germania 1927 direkt angesprochen. Dieser berichtete von einer Protestversammlung psychisch versehrter Kriegsveteranen vor dem Berliner Reichsversorgungsgericht und beendete seinen Artikel mit den Worten: „Hier wird noch immer der Krieg liquidiert und hier kann man das wahre Gesicht des Krieges kennen lernen. Wer sich an Stahlhelmparaden im Lustgarten begeistert, der sollte auch einmal einige Stunden in den Verhandlungssälen des Reichsversorgungsgerichts sitzen.“72

69 Neuner: Politik und Psychiatrie, 11–10; Neumann: Arzttum ist immer Kämpfertum, 41. 70 Hans Schlottau: Kriegsfurioso. Visionen eines Verwundeten. Erste Flugschrift: Friedensbund der Kriegsteilnehmer und Friedensfreunde. Hamburg: Thinius, 1920, 3. Siehe auch Crouthamel: Contested Memories of Traumatic Neurosis, 259. 71 So trat nur eine winzige Minderheit der Weltkriegsoffiziere dem Reichsbanner bei. Doch erlangten diese pazifistischen Offiziere im Reichsbanner eine politische Bedeutung, die ihre numerische Stärke weit übertraf, indem sie leitende Positionen einnahmen und aufgrund ihres Status des Militärexperten als Redner auftraten. Sie wurden von der rechten Presse und vaterländischen Vereinigungen attackiert. Ziemann: Front und Heimat, 231; 252. 72 BArch R 166/254, Anonym: „Auf dem Reichsversorgungsgericht in Berlin“. In: Germania. Zeitung für das deutsche Volk (19. Mai 1927), o. S. Zitiert auch bei Neuner: Politik und Psychiatrie, 11.

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Die Selbstsicht psychisch versehrter Offiziere Wie beeinflussten diese divergierenden Debatten und Deutungsmuster die Selbstsicht psychisch versehrter Offiziere? Obwohl im Offizierskorps nach 1918 die Haltung gegenüber den ‚Kriegsneurotikern‘ an Verständnis gegenüber der Kriegszeit einbüßte, blieb für psychisch versehrte Offiziere ihr militärischer Rang im Regelfall Teil ihrer Identität. Dies zeigt sich sowohl im Alltagsleben als auch in der Kommunikation mit Versorgungsbehörden. Psychisch versehrte Offiziere a. D. betrachteten ihren militärischen Dienstgrad in der Weimarer Republik meist als Teil ihres Namens und gaben ihn auch, wenn es nicht um Militärisches oder die Regelung ihrer Versorgungsansprüche ging, bei Bewerbungen, ärztlichen Untersuchungen oder bei einer Betätigung als Autor an. Eine große Rolle dafür, dass sie ihre Offiziersidentität nicht ablegten, spielte, dass viele von ihnen Schwierigkeiten hatten, sich im Zivilleben zu etablieren. Doch selbst wenn sie ein ziviles Amt innehatten, führten sie in ihrer Korrespondenz weiterhin neben dem zivilen Titel auch den militärischen Dienstgrad.73 Die Tabuisierung psychischer Versehrungen bei Offizieren im militärischen Diskurs übernahmen viele psychisch versehrte Offiziere, indem sie nach außen hin ihre psychischen Leiden zu verschweigen suchten. Die bereits im Krieg feststellbare Tendenz blieb erhalten, dass Offiziere psychische Leiden gern vertuschten und stattdessen körperliche Leiden betonten, da eine körperliche Kriegsverletzung sich mit Heldenhaftigkeit und Aufopferungsbereitschaft für das Vaterland in Verbindung bringen ließ und so eine Brücke zu den Wertvorstellungen im Offizierskorps schlug.74 So erwähnte zum Beispiel der Major der Reserve a. D. Werner von C. in Briefen an Versorgungsbehörden und hohe Politiker selbst nie sein Nerven-, sondern sprach stets von seinem Herzleiden, seiner geringen körperlichen Belastbarkeit und seinem Rheumatismus.75 Bei Offizieren, deren psychische Versehrungen sie davon abhielten, nach dem Krieg wieder voll zu arbeiten, und die wirtschaftlich auf eine Rente angewiesen waren, war ein Verschweigen ihrer Leiden allerdings keine Option, wenn der Anspruch allein auf psychischen Leiden beruhte. In diesem Fall schilderten viele psychisch versehrte ehemalige Offiziere den staatlichen Versorgungsbehörden ihre traumatischen Kriegserfahrungen, um deutlich zu machen, dass ihre psychischen Gesundheitsstörungen durch die Belastungen des Kriegs verursacht oder ver73 Gahlen: Psychisch versehrte Offiziere in der Weimarer Republik, 284–289. Vgl. hierzu auch Löffelbein: Ehrenbürger der Nation, 103–105. 74 Vgl. zur Kriegszeit Kienitz: Körper – Beschädigungen, 189; Neuner: Politik und Psychiatrie, 57. Siehe zur Nachkriegszeit Gahlen: Psychisch versehrte Offiziere in der Weimarer Republik, 285– 286. 75 BArch, R 3901/Nr. 10257 Versorgung des Majors der Reserve a. D. Werner von C., Nov. 1931 – Apr. 1943 (ohne fol.).

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schlimmert worden waren.76 Sie verorteten sich in ihren Schreiben an die Versorgungsbehörden in der Gesamtgruppe der Kriegsbeschädigten bzw. der Kriegsopfer. Gleichwohl aber entwickelten sie anders als die Kriegsbeschädigtenverbände keine kritische Haltung gegenüber Militär und Krieg. Hingegen deuteten sie ihre zerrütteten Nerven als ein Kriegsopfer, das sie dem Vaterland gebracht hatten und für das ihnen genauso wie bei einer physischen Verwundung nun der ‚Dank des Vaterlandes‘ zustand. Psychisch versehrte Offiziere konzentrierten sich dabei auf eigene Männlichkeitsvorstellungen, in denen sie ihr heroisches Opfer betonten und Würde, Respekt und Kompensation über Pensionen einforderten, während der zeitgenössische Viktimisierungsdiskurs des Offizierskorps nach dem Krieg es nicht zuließ, psychische Leiden mit ehrenvoller Selbstaufopferung in Verbindung zu bringen. Zum Beispiel beschrieb sich der Leutnant a. D. Konrad D., der 1920 „wegen hochgradiger Nervosität aus der Reichswehr entlassen“ worden war, in einem Gesuch vom 19. August 1931 auf Anerkennung einer Pension wie folgt: „[…] weil ich als Schwerkriegsbeschädigter ein Opfer meiner Aufopferung im Kriege bin – ich meldete mich mehr als 6 Male freiwillig in die Front, bis ich völlig erschöpft zusammenbrach, ich verteidigte mit der Waffe in der Hand, wieder freiwillig und trotz aller Schwäche, die eben geborene Republik, um nach der Niederwerfung der spartakistischen Unruhen herausgeworfen zu werden […].“77

Über seinen Versorgungsanspruch fügte er in einem Brief von 1929 an: „Hier zu helfen, hat der Staat, für den ich mich aufopferte, die höhere Pflicht.“78 Hinzu kamen ständische Vorstellungen, indem Offiziere auf ihr Ehrenwort, dem Glauben zu schenken sei, und auf eine ‚standesgemäße‘ Versorgung pochten, die der Würde und Ehre eines Offiziers entsprach.79 Obwohl Offiziere und Kriegsopferverbände in den öffentlichen Debatten zur Sicht auf die ‚Kriegsneurotiker‘ gegensätzliche Ansichten vertraten, entwickelten psychisch versehrte Offiziere ihre eigene integrierende Sicht, die subjektiver und individueller als die öffentlichen Deutungsangebote beider Gruppen waren. Eine große Rolle spielte hier, dass trotz eindeutiger Trends auch im Offizierskorps die Offiziersleitbilder und die Männlichkeitsvorstellungen fragil blieben80 und wie zu 76 Siehe z. B. BArch, R 3901/Nr. 10260, Bl. 371–373, Versorgung des Leutnants a. D. Konrad D., Bd. 1, Juli 1927 – Nov. 1935 (ohne fol.). Vgl. daneben Neuner: Politik und Psychiatrie, 45. 77 BArch, R 3901/Nr. 10260, Bl. 371–373, Versorgung des Leutnants a. D. Konrad D., Bd. 1, Juli 1927 – Nov. 1935 (ohne fol.). 78 Ebd. 79 Siehe hierzu Gahlen: Psychisch versehrte Offiziere in der Weimarer Republik, 284. 80 Birthe Kundrus: „Gender Wars. The First World War and the Construction of Gender Relations in the Weimar Republic“. In: Karen Hagemann/Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.): Home/Front. The Military, War and Gender in Twentieth-Century Germany. Oxford: Bloomsbury, 2002: 159–179, 160; Monika Szcepaniak: Militärische Männlichkeiten in Deutschland und Österreich im Umfeld des Großen Krieges. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2011, 10; Crouthamel: Contested Memories of Traumatic Neurosis, 255.

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Beginn beschrieben nach 1918 das einheitliche Standesbewusstsein zerfiel, das aktive und inaktive Offiziere eingeschlossen hatte.

Fazit In diesem Beitrag wurden über die janusköpfige Figur des psychisch versehrten Offiziers, der sowohl die Opfer des Kriegs als auch die Täter repräsentierte, einige Erinnerungsdiskurse an den Ersten Weltkrieg in der Weimarer Republik behandelt: die Kriegsschulddiskussion, die Debatte über den Offiziershass und den Klassengegensatz im Kriegsheer und die Debatte, wie die ‚Kriegsneurotiker‘ zu deuten und in der Gesellschaft zu behandeln waren. In all diesen Diskursen wurde sehr deutlich, dass eine umfassende ‚kulturelle Demobilmachung‘ nicht gelang.81 Vielmehr entbrannten politische Deutungskämpfe um die öffentliche Erinnerung an den Ersten Weltkrieg, in denen sich ein Riss durch die Gesellschaft der Weimarer Republik zeigte und sich zutiefst voneinander unterscheidende Erinnerungskulturen im rechten, nationalkonservativen Lager und im linken, sozialdemokratisch geprägten Lager ausbildeten. Die Dichotomie zwischen einem erneuten Zelebrieren eines militärischen Habitus und der Fokussierung auf die an Geist und Körper Kriegsversehrten als Spiegelbild des brutalen Frontalltags des Weltkriegs verdeutlicht die gespaltene Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Deutschland nach 1918. Während im Kaiserreich noch das ‚nationale Lager‘, bestehend aus evangelischem Bürgertum und Aristokratie, dem sich auch die Offiziere zugehörig fühlten, trotz aller Wandlungserscheinungen eine kulturelle Hegemonialstellung innegehabt hatte, war diese mit der Niederlage und der Abschaffung der Monarchie verloren gegangen. Das bedeutete aber auch, dass eindeutige Konfigurationen von Identitätskonzepten und Normalverhalten, die die wilhelminische Gesellschaft insgesamt,82 aber besonders das Offizierskorps mit seinem strengen Korpsgeist geprägt hatten, durch Niederlage und Revolution fundamental ins Wanken geraten waren. Offiziere a. D. verloren ihre Verankerung in einer festen Gemeinschaft, doch entstand auch ein Freiraum, der es psychisch versehrten Offizieren ermöglichte, Deutungen ihrer Kriegsversehrung und ihres Selbstbilds zu entwickeln, die nicht mehr eins zu eins mit den militärischen Richtlinien übereinstimmten.

81 Siehe zum Begriff Horne: Kulturelle Demobilmachung 1919–1939, 129–150. 82 Siehe hierzu Cornelia Brink: Grenzen der Anstalt. Psychiatrie und Gesellschaft in Deutschland 1860–1980. Göttingen: Wallstein, 2010, bes. 166.

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Psychisch versehrte Offiziere in den Erinnerungsdiskursen an den Ersten Weltkrieg

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Psychisch versehrte Offiziere in den Erinnerungsdiskursen an den Ersten Weltkrieg

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Psychisch versehrte Offiziere in den Erinnerungsdiskursen an den Ersten Weltkrieg

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Amanda Laugesen (Australian National University, Canberra)

Returned Servicemen Magazines and the Shaping of a Language of Memory, Identity, and Commemoration in Interwar Australia

In 1936, the magazine of the Queensland Branch of the Returned Sailors and Soldiers Imperial League of Australia included an item called What Happened to you in the War? It called for returned soldiers to write and submit contributions of their wartime experiences. “There must be hundreds of events, big and little, that happened to you over there. Put them down on paper, and send them to the Queensland Digger. They will be of interest to your cobbers, and your cobbers’ yarns will be of interest to you.” The item provided instructions as to the way the contribution should be written (the instruction “don’t use pencil” was written in all caps). The item concluded: “Use your own magazine as the medium of relating your war experiences, and exchanging yarns with your cobbers. Hold a monthly re-union on your own page of yarns of what happened to you in the days of the war.”1 Australian returned servicemen magazines remain an untapped yet potentially rich source for understanding the world of the veteran. Produced from before the war even ended through the interwar period and beyond, these magazines played an important role in the lives of many Australian veterans. And, as is clear from the item quoted above, these magazines can be seen as vehicles for veterans to communicate their memories of the war, as well as to read about them. As veterans were both readers of and writers for these publications, returned servicemen magazines articulated their concerns and preoccupations – or, at least, the concerns of some – in the interwar period. They also served to shape a common identity and act as a mouthpiece for the returned soldier. John Horne has suggested that it is worth remembering that unlike being a soldier, ‘veteran’ was a much less coherent group to be a part of. For these men, “being a veteran was only one role and identity among the many open to them. For most former soldiers, it did not take precedence over class, politics and place, or other de-

1 The Queensland Digger 12/5 (01. 05. 1936), 4.

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terminants of their lives”.2 Ángel Alcalde further suggests that the category of ‘veteran’ can be understood as a cultural construct: “its meaning was defined through discursive and organisational struggles”.3 Magazines produced by veterans’ organisations thus were of considerable importance in articulating and perpetuating the construct of the returned soldier in post-First World War Australia. Returned servicemen magazines performed many roles in interwar Australia, but this chapter focuses particularly on how these magazines can be understood as sites of, and vectors for, remembrance. I will also focus on the way in which a study of language, as used in these magazines, can provide insight into the nature of memory and commemoration in the interwar period. I draw on qualitative research (that is, close reading of these magazines), but I also make use of corpus analysis of these magazines, using a corpus compiled using Sketch Engine. I also consider in all this how a collective identity was imagined for the Australian First World War veteran through the discursive work of returned services’ magazines and, by extension, returned services’ organisations. Ross Wilson has suggested that there have thus far been only limited attempts within the scholarship to examine how language is used to mobilise memory in contemporary Britain.4 His own work has focused on the various ways in which language can be understood as “lexical heritage”5 in the British context. He examines how words such as ‘trenches’ and ‘Western Front’ can be understood as freighted with meaning, invoking, for example, the war as a bloody, futile waste of life.6 In the Australian context, the concept of Anzac has perhaps been the most dominant of words that carry the many meanings of war for Australians, yet the evolution of this concept at the level of language and discourse has not been as closely examined as one might expect. This chapter closely inspects ‘Anzac’ as it was constructed and communicated through these magazines, as well as identifying and exploring some of the other key words and expressions that emerge from a corpus analysis of the texts. In addition, this chapter aims to contribute to a better understanding of veteran history, and the role of veterans in actively shaping collective memory and remembrance. While the mentalités of soldiers are often the subject of study, 2 John Horne: “Beyond Cultures of Victory and Cultures of Defeat. Inter-War Veterans’ Internationalism”. In: Julia Eichenberg/John Paul Newman (eds.): The Great War and Veterans’ Internationalism. Houndmills: Palgrave Macmillan, 2013: 207–222, 210. 3 Ángel Alcalde: War Veterans and Fascism in Interwar Europe. Cambridge: Cambridge University Press, 2017, 11. 4 Ross J. Wilson: “Still Fighting in the Trenches. ‘War Discourse’ and the Memory of the First World War in Britain”. In: Memory Studies 8/4 (2015): 454–469, 455. 5 Ross J. Wilson: Cultural Heritage of the Great War in Britain. Farnham: Ashgate, 2013, 51. 6 See ibid., 24.

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understanding how veterans relate to, and interact with, the identity (or discursive construction) of ‘veteran’ remains relatively understudied, especially in the Australian context. If languages should be considered “an intrinsic part of the materiality and embodiment of war”7, as Hilary Footit contends, then to what extent do we need to more precisely focus on the role of language in the mentalités and cultural worlds of the war veteran? This chapter suggests the value in doing so.

Returned Services’ magazines in interwar Australia Around 300,000 Australian troops served overseas during the First World War; 60,000 were killed. Returned soldiers would make up a significant part of the small population of Australia through the interwar years. As soon as soldiers started returning from the war, organisations were formed to advocate for the returned man. Such organisations could help to lobby government for improved support and benefits for veterans of the war, as well as raise general awareness around the issues affecting returned servicemen. The Returned Sailors and Soldiers Imperial League of Australia (RSSILA)8 was formed in 1916, and once the war ended it would become the dominant organisation representing the interests of returned servicemen. It is worth noting, however, that while the RSSILA was dominant, it never represented all returned men – on average, only about a third of Australian returned men were paying members at any given time.9 Martin Crotty has written that in 1919, membership was very high – some 150,000 members – but that plunged to only 23,000 in 1923. It steadily rose again through the 1920s and 1930s.10 The RSSILA was made up of branches and sub-branches. Each state formed a branch, with various sub-branches, usually representing local districts. The state branches had strong individual identities, which were then reinforced and amplified by the magazines they began to publish. While content was shared across state publications – and with other popular Australian interwar newspapers and periodicals such as Smith’s Weekly and Aussie: The Cheerful Monthly – each state 7 Hilary Footitt: “Languages at War. Cultural Preparations for the Liberation of Western Europe”. In: Journal of War and Culture Studies 3/1 (2010): 109–121, 111. 8 The League has undergone a number of subsequent name changes. It is currently The Returned & Services League Australia (RSL). 9 See Stephen Garton: The Cost of War. Australians Return. Melbourne: Oxford University Press, 1996, 54. 10 See Martin Crotty: “The Returned Sailors’ and Soldiers’ Imperial League of Australia, 1916– 1946”. In: Martin Crotty/Marina Larsson (eds.): Anzac Legacies. Australians and the Aftermath of War. Melbourne: Australian Scholarly Publishing, 2010: 166–186, 167.

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also included much content generated from within the state and from its members. Print culture was a significant way in which soldiers made sense of the war, but magazine culture was also very significant in interwar Australia.11 It is thus not surprising that the League branches produced magazines as a means of communicating with members and the broader public, or that they would take inspiration (and even draw material) from the wider print culture of the period. It is also possible to draw clear links to the tradition of wartime trench magazines. Trench magazines, produced throughout the war, performed a number of different functions for soldiers. Produced by and for soldiers, they were sources of entertainment and sustained morale. They included humour and sentiment that could distract the soldier from their immediate concerns, and they helped to forge a sense of community and solidarity for their soldier-readers.12 Such magazines could also inspire patriotism,13 as well as be a place for venting complaints.14 They allowed some soldiers to contribute, thereby being a means, at least for some, of expressing their creativity. Trench magazines also functioned as a record of the soldier’s experiences, a “guarantee against oblivion”15 as Stephane Audoin-Rouzeau terms it. Graham Seal further comments that the mood, tone, and attitude of these trench magazines was “sardonic, satirical, sometimes cynical”.16 These trench magazines were an important feature of the Australian experience of war, and the influence of these magazines on the returned service magazine must be acknowledged. While League magazines were less of a product ‘of ’ soldiers – being much more professionally produced and more ‘top-down’ in nature, they extended the idea and many of the functions of the trench magazine. They asserted that they were ‘by and for’ the returned serviceman. They tried hard, especially in the early years of publication, to include the returned soldier as author (as my opening story suggests) and to actively acknowledge and respond to their veteran readership. RSSILA magazines were acknowledged as a mean of bringing returned men together ‘virtually’ and across large distances – a counterpart to the more lo11 For more on the magazine culture of the interwar period in Australia, see David Carter: Always Almost Modern. Australian Print Cultures and Modernity. Melbourne: Australian Scholarly Publishing, 2013. 12 See David Kent: From Trench and Troopship. The Experience of the Australian Imperial Force, 1914–1919. Alexandria: Hale and Iremonger, 1999, 19. 13 See Stéphane Audoin-Rouzeau: Men at War 1914–1918. National Sentiment and Trench Journalism in France During the First World War. Providence: Berg Publishers, 1992, 16. 14 See Graham Seal: The Soldiers’ Press. Trench Journals in the First World War. Houndmills: Palgrave Macmillan, 2013, 108. 15 Audoin-Rouzeau: Men at War, 45. 16 Seal: Soldiers’ Press, 4.

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calised ‘real-life’ sub-branch meetings that many of the men would attend. For example, a report in a regional Queensland newspaper in 1934 noted of The Queensland Digger that the magazine “will bring these men together, and scanning its pages old friendships will be renewed”.17 RSSILA magazines provided a range of types of articles and items. First and foremost, the magazines performed an informational function, and so included information about government policies and benefits that concerned veterans, such as pensions, the war gratuity and solder settlement initiatives, as well as editorials and opinion pieces on those policies. The RSSILA played a significant role in shaping government policy on a number of issues through the interwar years, and their magazines both disseminated their position on this issue but also amplified the pressure the RSSILA was having on government. In this sense, the magazines were an extension of the RSSILA’s advocacy work for veterans, reassuring their readers that the organisation was doing its best on behalf of them. The informational value of the magazines was a significant aim. In 1926, the Queensland Digger stated that the magazine “has been, judging by correspondence, of invaluable assistance to hundreds of our members, as through its pages they have been enabled to obtain information which otherwise they would have known nothing of”.18 Second – and related to this focus on government issues affecting veterans – was their commentary on contemporary political issues. Overall, the RSSILA was largely conservative in its politics through the interwar years, and they took positions on issues such as immigration, calling for Australia to remain white (and largely British) in its ethnic composition. They were also strongly antisocialist and anti-communist, and were opposed to industrial action and labour organising. But they also campaigned on issues such as the unification of railway gauges and the nationalisation of main roads. The magazines thus functioned as a mouthpiece for the RSSILA’s political positions, as well as projecting returned servicemen as a unified voice (although this unified voice was somewhat illusory).19 Third, League Magazines also engaged directly with the war and its memory. As we shall see later in this chapter, RSSILA magazines helped to re-fashion the 17 N. N.: “‘The Queensland Digger’”. In: Bowen Independent (14. 03. 1934), 2. 18 The Queensland Digger 2/1 (June 1926), 1. 19 Stephen Garton writes that returned soldiers were never a united group, see “Demobilization and Empire. Empire Nationalism and Soldier Citizenship in Australia after the First World War in Dominion Context”. In: Journal of Contemporary History 50/1 (2015): 124–143, 141. Alistair Thomson in his oral history work with First World War veterans in the 1990s concludes, furthermore, that being a member of the League didn’t equate with accepting the ‘official’ political and other attitudes of the organisation – its value for the individual could lie with the support and social life the RSSILA offered. See Alistair Thomson: Anzac Memories. Living with the Legend. Melbourne: Oxford University Press, 1994.

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war in particular ways for consumption by the veteran-reader. This included writing about the war in a ‘high diction‘ manner through writing about ‘sacred’ events such as Anzac Day, factual accounts of particular events of the war to inform veterans who may not have had a ‘bigger’ picture of the war, and presenting a range of humorous items including jokes and funny stories that turned the war into more palatable fare and often mobilising slang and colloquial language to that end. These modes of (re)presenting the war are all directly pertinent to the questions explored in this chapter. Summaries of the events of branch meetings was the fourth major type of item published in these magazines. Announcements of upcoming meetings, descriptions of activities conducted at branch and sub-branch meetings, and future planned activities of local branches all featured. There were even articles (sometimes reprinted) that highlighted the activities of veterans’ organisations in other countries, including the UK, South Africa, Canada, and the USA. Through these kinds of items, returned soldiers could became part of a broader ‘imagined community’ or brotherhood of returned soldiers – local, national and even international. It provided a print extension of the real-life value of the social side of being a member of the RSSILA. The fifth category of material included a miscellany of articles on topics such as travel, cinema, and the domestic sciences. While the veteran was imagined as the primary readers of these magazines, material was also included that was aimed at family members – wives and children. Through the 1930s in particular there was a push – for example by the Queensland Digger – to make these magazines appeal to a wider readership and material was accordingly selected. Where did magazine content come from? As suggested already, material could be, and was, borrowed from elsewhere. Returned services’ magazines engaged in a broader print periodical culture of the period and borrowed material from popular publications such as Smith’s Weekly and Aussie: the Cheerful Monthly. These two magazines both aimed to cater for a male readership and Smith’s Weekly in particular crusaded on behalf of returned soldiers in their battles with the government. But the RSSILA magazines also included material written by returned servicemen. Veterans were not only readers of these magazines, they were also writers. Through the League magazines, returned soldiers could become writers for an audience primarily made up of although not limited to fellow returned soldiers. Returned soldiers thus actively participated in the print culture that was shaping the veteran. A final note on circulation and readership. It is hard to estimate the circulation of these magazines. It appears that readership did not equal membership, as

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members were at times called on to subscribe to the magazine;20 on the other hand, magazines (including the publications of other state branches) were freely available for reading at RSSILA reading rooms.21

Magazines and remembering (and representing) war and shaping identity One function of RSSILA magazines was to act as sites and vectors of memory of the war and to shape how it was to be understood, remembered, and commemorated. How the war would be remembered was an active concern for the League. The RSL played an important role in the interwar period in, for example, the promotion of Anzac Day – the commemoration of the Anzac landing at Gallipoli – as a public holiday and as a sacred event. We can see the process of memory and commemoration functioning in several different ways and at several different levels in these magazines. I’ll focus on three of these ways. Firstly, the magazines could actively connect the returned soldierreader to memories of the war. For example, articles on the events of the war could help place the returned soldier-reader’s individual memories into the broader history of the war. As early as 1919 the magazine Repatriation, produced by the Department of Repatriation, included a section entitled Battalion Histories that told the stories of individual battalions. As time went on, there was a desire to turn the events of the war into a coherent narrative, and veterans wanted to play a role in the shaping of this narrative. For veteran-readers, such histories could be valuable information that built up a broader picture of the history of the war. Other items, such as humorous stories and jokes, connected soldiers to the trench culture of which he had been a part, reinforcing what we might consider to be a ‘digger’ identity in contrast (or complement) to the Anzac identity. Such stories were often tales set in the war, usually in France. These kinds of print items helped to actively construct certain understandings of the war for the returned soldier as much as it did for the wider Australian public. But these kinds of items also evoked memories of the war for soldiers who wanted to remember its events, and perhaps even helped to reshape more traumatic memories into more palatable ones. Alison Fell suggests that veteran organisations were spaces for men to return to a “what was generally understood as a positive shared past as a member of the armed services, sometimes with a 20 For example, see N. N.: “Soldiers Confer. District Meeting. Wide Range of Business”. In: Queensland Times (11. 05. 1938), 4. 21 See N. N.: “R. S. L. Sub-Branch Notes”. In: Gnowangerup Star and Tambellup-Ongerup Gazette (24. 07. 1937), 3.

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degree of affectionate nostalgia”.22 Magazines reflect the work of the RSSILA to offer a space for that sense of nostalgia and camaraderie that made the war something to be remembered with some degree of fondness rather than trauma. This goal is evident in an advertisement for the ‘Anzac number’ of The Queensland Digger in 1936: “It will take you back in reminiscence to adventures with your cobbers in the old war days.”23 But the memory of the war was also one that was being consciously modified into something positive. Soldiers who wanted to write for Reveille’s “AIF Jokes and Jottings, by Digger Diarists” were asked to be sure to make their items “bright and newsy”, while also being asked to consider their writing as part of the “duty of all of honour the memory of comrades who are now dead”.24 But the darker undertone was sometimes all too evident, even in the humorous items. A joke printed in the Diggers’ Gazette in 1919 is a good example of this: “The nervy young officer sat down at a table in a vegetarian restaurant. ‘Crushed nut, sir?’ asked the waitress, handing him the menu of the day. ‘No, no; shell-shock,’ he replied.”25 Secondly, we can understand these magazines themselves functioning as sites of remembrance. Through the provision of, for example, obituaries for returned soldiers, the magazine itself functioned as an act of commemoration of soldiers and their service. This was a function that the magazines’ editors were conscious of. The Queensland Digger declared in 1926 that one of its (and the RSSILA’s) aims was “to preserve the memory and records of those who suffered and died for the Nation”.26 The magazine included a regular feature Their Name Liveth for Evermore that consisted of an image of a war memorial with the names of recently deceased returned soldiers inscribed over the top of it.27 As Stephen Garton writes, the meaning of death in war was increasingly framed as a sacrifice for the nation through the interwar period.28 The Queensland Digger item explicitly reflects this sentiment. But these acts of remembrance were also deeply personal in nature. One League magazine article, Why We Exist, written by C. S. Trudgian, expressed that one of the main reasons why the RSSILA existed was “to keep green the memory of our fallen mates”.29 These kinds of magazine items perhaps also assured the returned soldier that he too would be remembered and honoured, even if he had not met death in battle. 22 Alison S. Fell: Women as Veterans in Britain and France after the First World War. Cambridge: Cambridge University Press, 2018, 109. 23 The Queensland Digger 12/3 (02. 03. 1936), 5. 24 Reveille 2/3 (30. 11. 1928), 1. 25 Diggers’ Gazette 1/2 (15. 12. 1919), 39. 26 The Queensland Digger 2/1 (June 1926), 4. 27 For example, see The Queensland Digger 2/10 (01. 03. 1927), 37. 28 See Garton: Cost of War, 35. 29 The Queensland Digger 4/1 (01. 06. 1928), 44.

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Thirdly, these magazines became part of what we might term ‘commemorative activism’ – that is, these magazines reflected and promoted the League’s aim to make certain that the dead of the war would be properly commemorated and that the returned soldier would be properly respected for his contributions. In the interwar period, as I’ve already mentioned, this work was primarily focused on the attempt to make Anzac Day a public holiday and to make sure that appropriate ceremonies would take place on that day. Through the war years, different days were used to commemorate the events of Gallipoli, and indeed the name ‘Gallipoli Day’ was used as well as ‘Anzac Day’. While April 25 came to be seen as the day of commemoration in the early 1920s, different Australian states took different approaches to any kind of holiday and/or observances on the day. It was not until 1927 that some kind of holiday was observed across the states, and many of the rituals of Anzac Day only came to be entrenched through the 1930s. The RSSILA was a significant promoter and campaigner when it came to Anzac Day, and its discourse invested great significance to the meaning of the day. But the RSSILA and its magazines played a significant role in the promotion of the sacralising of Anzac Day, communicating the importance of this day and its sacred nature to the Australian community. While Armistice Day was also observed with the wearing of poppies and other commemorative gestures, Anzac Day quickly gained greater significance. Anzac Day issues of the League magazines were particularly promoted to the public and notice of such publications and the availability of the issues for the general public were often posted in local newspapers. In 1934, for example, the Queensland newspaper The Pittsworth Sentinel informed its readers that the April, Anzac Day, issue of The Queensland Digger was available and contained “many special articles and stories reminiscent of Anzac Day, Anzac Day messages, also a beautiful Art Paper Supplement of Anzac pictures and views. This lasting souvenir of Anzac Day will be almost double in size and will have an original and striking two-colour cover.” The issue would be available for purchase from the State Office of the RSSILA in Brisbane, and postage was free.30 In subsequent years, the Anzac Day issue was similarly promoted. The 1937 Anzac Day issue was reported to be, according to the Townsville Daily Bulletin, “an epic production of digger journalism” and the “best sixpenny worth of soldiers’ reading in Australia”.31 Alongside the work the magazines did in shaping a memory of the war for veterans and a remembrance framework for the general public, these magazines also worked to shape and reshape the soldier and veteran identity. Alistair Thomson’s classic study of Anzacs and their relationship to memory has noted the varied responses of individual diggers to the war and to the development of 30 N. N.: “‘The Queensland Digger’”. In: Pittsworth Sentinel (11. 04. 1934), 2. 31 N. N.: “A Remarkable Anzac Number”. In: Townsville Daily Bulletin (27. 02. 1937), 9.

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the Anzac myth. He has written that the “digger culture”32 of the AIF other ranks was one more engaged with by veterans, who related less to the patriotic discourse that surrounded the sacralisation of Anzac. What RSSILA magazines did, I would argue, was to articulate a range of ‘modes’ of understanding and relating to the war and to help shape the identity of the digger/Anzac/veteran. The heterogeneity of the material allowed returned soldiers to find material that they could relate to, but it is nevertheless clear that the magazines performed certain functions for the returned soldiers.

Constructing a corpus of interwar veteran magazines Historians do not commonly make much use of corpus analysis, although historian Jay Winter has shown how ‘big data’ approaches can be usefully applied to considering the cultural history of war. Using a corpus to analyse the language deployed within veterans’ magazines allows us to more rigorously consider the nature of veteran discourse and to dig into some of the words and expressions that dominated their discourse. A corpus analysis can very usefully supplement the qualitative study of the content of RSSILA magazines. Following from Winter, however, it must be acknowledged that a “quantitative history of semantics” more usefully suggests “questions, not answers”.33 This chapter draws on some preliminary findings made through the construction of a corpus (called the Interwar RSL corpus) by the author. It makes use of the following copies of RSSILA state branch magazines: – The Listening Post (West Australia) 1922–1929 – The Queensland Digger 1925–1929 – RSA Magazine (South Australia) 1919 – The Diggers’ Gazette (South Australia) 1920–1921 These magazines were scanned (or digital copies where available used), and converted into .txt files. These files were then uploaded to Sketch Engine, which was then used to analyse some of the keywords and most prominent and significant collocations. It is important to note that this corpus is still under development – it only includes editions from the first decade following the end of the First World War and does not include the major New South Wales and Victorian magazines. These latter state magazines are not available digitally and each page needs to be separately scanned; this will form part of the next stage of 32 Thomson: Anzac Memories, 43. 33 Jay Winter: War Beyond Words. Languages of Remembrance from the Great War to the Present. Cambridge: Cambridge University Press, 2017, 102.

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the project, and the time period covered by the corpus will be extended. A longer view would very likely provide different insights into the changing nature of veteran discourse.

Veteran identity, memory, and language: a view from the corpus We can now turn to considering what insights the Interwar RSL corpus can offer us in complement to a qualitative reading of these magazines. Agatha Beins’ study of feminist periodicals talks about how the repetition of certain words, phrases, and rhetorical tropes helped to solidify a collective identity for women’s liberation activists.34 Further, she writes that a study of periodicals allow us to see the patterns and overarching discourses that became central to feminism.35 Similarly, a study of veteran periodicals, aided by looking at how language was deployed to shape memory and identity, can help us understand both the discourses of remembrance in the interwar period, as well as the shaping of veteran identities. For example, the iteration of a collective identity of ‘digger’ or ‘Anzac’ through these magazines served to reinforce a very particular veteran identity for returned soldiers. An analysis of the top 100 single keywords in the magazine indeed reveals the dominance of “digger” and “Anzac”, which appear at numbers 2 and 3 on the list respectively. Many of the words that appear on the list are for places where the RSSILA had branches, but some of the other notable keywords include “exsoldier” (no. 11), “Gallipoli” (no. 39), “comrade” (no. 64), “comradeship” (no. 67), “dinkum” (no. 59), and “cobber” (no. 72). The practical aspects of the RSSILA’s work are also evident in some of the words that appear on the list, for example, “re-union” (no. 10), “limbless” (no. 33), “repat” (for the Department of Repatriation that dealt with returned soldiers, no. 60) and “dependent” (no. 83). The top 100 multi-word expressions reflect the practical work of the League more than anything else, with terms such as “state secretary” (no. 4), “state branch” (no. 14), “executive meeting” (no. 21), “financial member” (no. 31), and many similar kinds of terms featuring prominently. However, the support of the RSSILA for the ex-soldier is clearly communicated: “soldier settler” (no. 9), “war service homes” (no. 25), “war pension” (no. 27), “employment bureau” (no. 29) and “soldier settlement” (no. 50) are all terms that suggest ways in which the RSSILA and the government supported the returned soldier. The prominence of “commonwealth government” at no 26 also suggests the ongoing process in this 34 See Agatha Beins: Liberation in Print. Feminist Periodicals and Social Movement Identity. Athens: University of Georgia Press, 2017, 5. 35 See ibid., 5.

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period of Australian history whereby the commonwealth (federal) government began to play a greater role in all Australians’ lives. The returned soldier himself features in this list, as he did in the top 100 keywords. “Returned soldier” sits at no. 1, “returned man” at no. 5, and “ex-service man” at no. 12. As is clear from the above discussion, two major functions of the RSSILA and their magazines emerge through its chosen language. The first is the practical work of the RSSILA, as communicated through the magazines. We won’t explore this theme further here. But the second theme, that of the question of the shaping of identity for returned soldiers is worth exploring, because it links to how a discourse of the veteran was being constructed in interwar Australia and that in turn shaped the remembrance of the war. Jane Chapman has suggested that the RSSILA saw the returned serviceman as the true defender and interpreter of what it meant to be Australian.36 She writes: “Ex-servicemen retained their core traditions and self-image through various remembrance activities and publications, even when the associated beliefs appeared to be under challenge by new economic and social circumstances.”37 The ways in which they articulated their identity, and its relationship to Australianness in this period, is therefore consequential. As we’ve seen, the term ‘Anzac’ unsurprisingly featured prominently in the language of RSSILA magazines. Garton writes about the power of Anzac in postFirst World War Australia, suggesting how it both tied into abstract ideas of nation and manhood, but also signaled friendship and collectivity.38 But a corpus analysis suggests other ways of understanding the power and function of Anzac in the interwar years. ‘Anzac’ was not prominently used as a noun to describe returned soldiers as it often is used today: it was still largely attached to those who had fought at Gallipoli. By contrast, today we speak of ‘the Anzacs’, usually referring to Australians who have served in war (and not just the First World War, let alone only Gallipoli). But the term was much more precisely used in the years immediately following the war. Anzac was far mor likely in these years to be used attributively. The corpus shows the most frequent collocations with “Anzac” to be “Anzac Day”, “Anzac Club”, “Anzac celebration”, “Anzac Committee”, “Anzac Service”, “Anzac House”, and “Anzac dinner”. While clearly Anzac Day was a prominent topic of concern – the RSSILA fought for the recognition of the day as a public holiday in this period – it is also interesting to see “Anzac celebration” feature so highly. Given the more general process of sacralisation of Anzac that was occurring in

36 See Jane Chapman: “The Aussie, 1918–31”. In: Journalism Studies 17/4 (2016): 415–431, 421. 37 Ibid., 427. 38 See Garton: Cost of War, 47–48.

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this period, in the first decade of the interwar years, there was still a sense that Anzac was something to be celebrated, rather than (only) sombrely observed. Despite the prominence of “Anzac celebration” in the corpus, we can see in a Word Sketch of “Anzac Day” that the top five verbs with “Anzac Day” as their object are “commemorate”, “celebrate”, “observe”, “declare”, and “proclaim”. Ninth on the list is “revere”. The language of solemn observance of Anzac Day was clearly prominent. “Sacred” features relatively prominently in the corpus (over 130 hits), and collocations include “sacred duty”, “sacred dead”, “sacred significance”, “sacred and solemn”, and “Anzac is sacred”. Qualitative reading reinforces the increasing dominance of sacredness and the RSSILA’s role in policing this. An example of the ‘high diction’ attached to Anzac Day is evident early on in post-war Australia. For example, in the April 1925 (ten-year anniversary) edition of the Queensland Digger, Federal RSSILA President G. J. C. Dyett articulated the value of Anzac Day: “Anzac Day, which is synonymous with courage, chivalry, and heroism, means much to every citizen in Australia, because it was on that day that Australia, by virtue of that unprecedented feat and the glorious deeds of her valiant sons, became a nation. To that unpayable debt, we, as ex-service men, and members of the Returned Soldiers’ League can subscribe, by securing the best possible conditions for the dependents of those men who fought and died on the occasion of that great and wonderful achievement.”39

This language around Anzac Day persisted: In 1928, The Queensland Digger declared: “When 25th April shall be gazetted as a close sacred industrial holiday it will be our responsibility to prevent the influence of those in the community who would treat the occasion as one for pleasure making from robbing the Day of its inherent sacred character.”40 If ‘Anzac’ featured prominently in the official work of the RSSILA, the dominant term that returned soldiers used to describe themselves was ‘digger’. One of the titles of these RSSILA magazines even incorporated it: The Queensland Digger. ‘Digger’ was used as both a noun and a term of address, and it attached to and invoked the enlisted man – it did not differentiate officers and it erased any distinctions of hierarchy. The Word Sketch of “digger” shows it being used as a noun, modified by adjectives such as “average”, “unfortunate”, “distressed”, “workless”, “dinkum”, “good”, and “genuine”. Where digger is used to modify a noun, it is found in collocates such as “digger farmer”, “digger friend”, “digger comrade”, and “digger patient”. All of these speak to the use of ‘digger’ in the interwar years as a mean to self-describe returned soldiers.

39 The Queensland Digger 1/1 (15. 04. 1925), 1. 40 The Queensland Digger 4/3 (01. 08. 1928), 31.

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The use of the words “dinkum”, “good”, and “genuine” in relation to “digger” are worth exploring a little further. The word “dinkum” is an Australian English term meaning “reliable; genuine; honest; true” and dating to the late nineteenth century; it was often found in the collocation “fair dinkum”.41 ‘Dinkum’ was often mobilised during the war and attached to the Australian soldier, and subsequent to the war, as the corpus analysis demonstrates, often used to described the returned digger. The magazines also talked of the importance of the “digger spirit”42, a quality that was seen to be as essential in civilian life as it had been during the war. A variety of other rarer terms in the corpus also speak to the prominence of digger in the discourse of returned soldiers: returned nurses are referred to as “feminine diggers” or “diggeresses”, soldier settlers were “land diggers”, and General Birdwood is called “boss digger”. The language of friendship is central to these magazines and speaks to the importance of a language of support that the RSSILA wished to convey through the magazines. Indeed, the RSSILA saw one of its clear roles as being to perpetuate the bonds of comradeship from the war into postwar life. The language of friendship used by League magazines aimed to be evocative of the central importance of the comradeship that had been engendered by the experience of war. Interestingly, the Australian term ‘mate’ – which would be very prominent in soldiers writing about themselves today43 – is not at all prominent in the 1920s. The preferred terms are “comrade” (over 1000 hits in the corpus) and “friend” (800+ hits). Like “digger”, “comrade” generates a lot of language that speaks to the individual, but by contrast to “digger”, it is even more connected to invoking care for others. Hence the top modifiers of comrade include: “fallen”, “old”, “less fortunate”, “dead”, “departed”, “unfortunate”, “deceased”, “late”, “gallant”, “absent”, “distressed”, “sick”, “lamented”, “digger”, “fellow”, “true”, “war”, “soldier”, and “good”. “Friend” most closely invokes the meanings and emotions of friendship, with top modifiers including “true”, “old”, “staunch”, “many”, “kind”, “personal”, “digger”, “absent”, “good”, “dear”, “few”, “new”, “great”, “soldier”. In the NSW RSSILA magazine Reveille, it was declared in 1927 that the Katoomba sub-branch had attempted to pass a resolution “that at all meetings and in all minutes and correspondence members [would] be designated as 41 See Bruce Moore (ed.): The Australian National Dictionary. Australian Words and Their Origins. Vol. 1. Melbourne: Oxford University Press, 2016, 499. 42 Reveille 1/12 (31. 08. 1928), 17. 43 My own reading of contemporary Australian war memoirs finds that mateship is a prominent theme. See my article “‘So here is my true story’: Australian Military Memoirs and the Construction of Public Understanding of Australia’s War in Afghanistan”. In: Australian Historical Studies (2022). https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/1031461X.2022.207 0228.

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Comrade, irrespective of the rank held by them in the army”.44 While the resolution wasn’t passed, it suggests that, like the all-purpose ‘digger’, returned soldiers were keen to ensure that there was no hierarchy in place among them, least of all one that reflected the wartime officer/enlisted man divide. During the war, Australian soldiers were particularly identified with the creative use of slang and the vernacular. As one trench magazines put it: “To the uninitiated, the Australian Soldier has a language all his own – he calls it ‘Dinkum Australian’. It has three very marked properties – Forceful, Expressive, and Unprintable.”45 Where did this slang go? I have explored this question elsewhere,46 but it is worth noting that the retention of this language was tied to the invocation of memories of the war. I’ve already mentioned that magazine items that mobilise the ‘digger’ identity and re-present the war such as humorous anecdotes about the war were a regular feature of these magazines (as they had been in wartime trench magazines). They also became a place to deploy the language of the war. RSSILA magazines overall moved between language such as that just described that can be considered ‘high diction’ and the more colloquial vernacular that marked out and was closely identified with the Australian soldier. It is worth noting, however, that arguably both modes of language can be seen as avoiding any real confrontation with the traumas of the war; they reshaped the war into either the sacred remembrance of those who were gone on the one hand, or turned it into a source of humorous nostalgia on the other. Julie Coleman writes of the functions of slang: it can serve to express shared attitudes and values; it can imply or refer back to shared experiences; and it can deny or distance emotion.47 During the war, slang became a way of coping with the realities of the war. After the war, slang could be used to invoke memories of the war, but usually memories that had been turned into the stuff of humour. Colloquial language and wartime slang was often made use of in RSSILA magazines, especially in humorous items such as jokes and funny anecdotes. The NSW magazine Reveille included a regular column AIF Jokes and Jottings. Words and expressions such as “hopover”, “poor cow”, “strike me lucky”, and “dinkum” were all used.48 While wartime slang featured, there was also deliberate use of colloquial Australianisms. Funny stories of the war often featured. One example A Brush with the Cairo “Jacks” [Military Police] included wartime and 44 Reveille 1/2 (20. 09. 1927), 13. 45 All Abaht It (February 1919), 33. 46 See Amanda Laugesen/Véronique Duché: “Tracing the Afterlife of War Words in Australia, 1919–1929”. In: Julian Walker/Christophe Declercq (eds.): Multilingual Environments in the Great War. London: Bloomsbury, 2021: 186–197. 47 See Julie Coleman: The Life of Slang. New York: Oxford University Press, 2012, 108. 48 See for example Reveille 2/6 (28. 02. 1929), 18.

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Australian slang such as “bakshee”, “dinkum”, “bonzer”, “gutzer”, “possie”, and “iggried”.49 The use of colloquial language arguably played an important role in the repackaging of the war into an object of humour and nostalgia.

Conclusion RSSILA magazines were an important part of veteran culture in post-First World War Australia, and they played a role in shaping the cultural construct that was the “First World War returned soldier”. They functioned to shape the important identities of ‘digger’ and ‘Anzac’, identities that in turn shaped public understandings of the war and the ongoing public remembrance of the war. They also helped to articulate both a ‘high diction’ sacred version of the war that was enshrined in the activities of Anzac Day, and a colloquial nostalgic version of the war. Both were palatable ways to remember the war without engaging in the full traumas of it. This chapter has attempted to show how RSSILA magazines offer some important insights into the language of the memory of the war in post-First World War Australia, and to show some of the valuable ways a corpus analysis can add depth to and new perspectives on those insights. Much work remains to be done on studying the role of veterans and their cultural efforts in shaping discourses of war.

Works cited Magazines All Abaht It. Published by 10th Australian Field Ambulance: 1916–1919. Diggers’ Gazette. Published by the South Australian Branch of the Returned Sailors’ and Soldiers’ Imperial League of Australia: 1919–1922. The Listening Post. Published by the Western Australian Branch of the Returned Sailors’ and Soldiers’ Imperial League of Australia: 1922–currently. The Queensland Digger. Published by the Queensland Branch of the Returned Sailors’ and Soldiers’ Imperial League of Australia: 1925–1962. Reveille. Published by the New South Wales Branch of the Returned Sailors’ and Soldiers’ Imperial League of Australia: 1927–currently. RSA Magazine. Published by the Returned Soldiers’ Association and Cheer-Up Society: 1919.

49 The Queensland Digger 3/11 (02. 04. 1928), 29.

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Literature Alcalde, Ángel: War Veterans and Fascism in Interwar Europe. Cambridge: Cambridge University Press, 2017. Audoin-Rouzeau, Stéphane: Men at War 1914–1918. National Sentiment and Trench Journalism in France During the First World War. Providence: Berg Publishers, 1992. Beins, Agatha: Liberation in Print. Feminist Periodicals and Social Movement Identity. Athens: University of Georgia Press, 2017. Carter, David: Always Almost Modern. Australian Print Cultures and Modernity. Melbourne: Australian Scholarly Publishing, 2013. Chapman, Jane: “The Aussie, 1918–31”. In: Journalism Studies 17/4 (2016): 415–431. Coleman, Julie: The Life of Slang. New York: Oxford University Press, 2012. Crotty, Martin: “The Returned Sailors’ and Soldiers’ Imperial League of Australia, 1916– 1946”. In: Martin Crotty/Marina Larsson (eds.): Anzac Legacies. Australians and the Aftermath of War. Melbourne: Australian Scholarly Publishing, 2010: 166–186. Fell, Alison S.: Women as Veterans in Britain and France after the First World War. Cambridge: Cambridge University Press, 2018. Footitt, Hilary: “Languages at War: Cultural Preparations for the Liberation of Western Europe”. In: Journal of War and Culture Studies 3/1 (2010): 109–121. Garton, Stephen: The Cost of War. Australians Return. Melbourne: Oxford University Press, 1996. Garton, Stephen: “Demobilization and Empire. Empire Nationalism and Soldier Citizenship in Australia after the First World War in Dominion Context”. In: Journal of Contemporary History 50/1 (2015): 124–143. Horne, John: “Beyond Cultures of Victory and Cultures of Defeat. Inter-War Veterans’ Internationalism”. In: Julia Eichenberg/John Paul Newman (eds.): The Great War and Veterans’ Internationalism. Houndmills: Palgrave Macmillan, 2013: 207–222. Kent, David: From Trench and Troopship. The Experience of the Australian Imperial Force, 1914–1919. Alexandria, NSW: Hale and Iremonger, 1999. Laugesen, Amanda/Véronique Duché: “Tracing the Afterlife of War Words in Australia, 1919–1929”. In: Julian Walker/Christophe Declercq (eds.): Multilingual Environments in the Great War. London: Bloomsbury, 2021: 186–197. Laugesen, Amanda: “‘So here is my true story’: Australian Military Memoirs and the Construction of Public Understanding of Australia’s War in Afghanistan”. In: Australian Historical Studies (2022). https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/10314 61X.2022.2070228. Moore, Bruce (ed.): The Australian National Dictionary. Australian Words and Their Origins. Volume 1. Melbourne: Oxford University Press, 2016. N. N.: “‘The Queensland Digger’”. In: Bowen Independent (14. 03. 1934): 2. N. N.: “‘The Queensland Digger’”. In: Pittsworth Sentinel (11. 04. 1934): 2. N. N.: “A Remarkable Anzac Number”. In: Townsville Daily Bulletin (27. 02. 1937): 9. N. N.: “R. S. L. Sub-Branch Notes”. In: Gnowangerup Star and Tambellup-Ongerup Gazette (24. 07. 1937): 3. N. N: “Soldiers Confer. District Meeting. Wide Range of Business”. In: Queensland Times (11. 05. 1938): 4.

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Amanda Laugesen

Seal, Graham: The Soldiers’ Press. Trench Journals in the First World War. Houndmills: Palgrave Macmillan, 2013. Thomson, Alistair: Anzac Memories. Living with the Legend. Melbourne: Oxford University Press, 1994. Wilson, Ross J.: Cultural Heritage of the Great War in Britain. Farnham: Ashgate, 2013. Wilson, Ross J.: “War Discourse. Still Talking about the First World War in Britain, 1914– 2014”. In: Christophe Declerq/Julian Walker (eds): Language and the First World War. Representation and Memory. Houndmills: Palgrave, 2016: 237–248. Winter, Jay: War Beyond Words. Languages of Remembrance from the Great War to the Present. Cambridge: Cambridge University Press, 2017.

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Anna Saller (Universität Regensburg)

Language Use in Public Speeches Commemorating World War I: Germany and Australia Compared

1.

Commemoration of the First World War

The number of historical writings on the First World War is gigantic, but unlike in Australia, it is not regularly the focus of public attention in Germany. Between 2014 and 2018, however, it came back into the media and political discourse in Germany as well, given the centenary of the beginning and end of the war. Although the reasons for the First World War have been discussed comprehensively1 and more than a century separates us from the events of the First World War, the topic is still not obsolete. The topic is currently more relevant than it was a few decades ago, as we are in a time of upheaval in which populism is once again gaining ground. Excessive nationalism was also one of the elements that contributed to the outbreak of World War I,2 which in turn was strongly linked to the imperialist expansion of some European states in the last two decades of the 19th century.3 The First World War was triggered by a complex of political interests and actions, some of which we still find today: Nationalism, rearmament, alliances, imperialism, financial interests, and national pride.4 Christopher Clark referred to the protagonists of 1914 as sleepwalkers – “watchful but unseeing, haunted by dreams, yet blind to the reality of the horror they were about to bring into the word.”5 The image of the sleepwalker is also used by Angela Merkel in one of her speeches, referring to people who act without (problem) awareness. The sleepwalker is a form of figurative language use that evokes associations in the recipients. 1 See Christopher Clark: The Sleepwalkers. How Europe Went to War in 1914. London: Penguin Books, 2013; Herfried Münkler: Der Große Krieg. Die Welt 1914 bis 1918. Berlin: Rowohlt, 2014; Jörn Leonhard: Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs. München: C. H. Beck, 2014 – to name a few significant authors out of a large number. 2 See Ian F. W. Beckett: The Great War 1914–1918. London: Routledge, 22007, 9. 3 See Beckett: The Great War, 11. 4 See Clark: The Sleepwalkers, xxvii. 5 See Clark: The Sleepwalkers, 562.

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Anna Saller

Beyond the historical facts of the First World War, the question arises as to how the memory of the First World War is dealt with today on a linguistic level. With increasing time distance, mental distancing sets in. Wolfgang Wieland, the chairman of the Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (‘German war graves commission’6), addressed this in a speech commemorating the First World War when he refers to the younger generation who ask: “Habt ihr nach 100 Jahren keine anderen Probleme mehr? Könnt ihr die Toten nicht ruhen lassen?” (‘Don’t you have any other problems after 100 years? Can’t you let the dead rest?’). The commemoration of this war, however, has reasons and purposes – which differ in different countries. German speeches commemorate the atrocities of war, those who were killed and the trauma afterwards. The primary purpose of commemoration is to prevent something like this from happening in the future. Australian speeches, in contrast, also celebrate the victories and the soldiers as national heroes. Every year in Australia, Anzac Day is celebrated on April 25 (the day of the first military action by Australian and New Zealand troops in 1915), and Remembrance Day is held on November 11 to commemorate the armistice of the First World War. The term commemoration in English is not a neutral term itself. The Oxford English Dictionary lists the following shades of meaning for the context applicable here: a) Eulogistic or honourable mention b) A calling to remembrance, or preserving in memory, by some solemn observance, public celebration etc.7 Commemoration has a positive connotation, as it includes honor, praise and appreciation and is associated with celebration. This contrasts to the rather neutral German Gedenken which simply means ‘remembrance’.8 Is the memory of the First World War also linguistically represented differently in public discourse in Australia? Do people perceive the First World War differently? These questions will be investigated in more detail by examining the language of public speeches in Germany and Australia and comparing them with each other.

6 All translations in brackets throughout the whole text by A. S. 7 Oxford English Dictionary Online: “Commemoration”. https://www.oed.com/view/Entry/36 998?redirectedFrom=commemoration& (29. 12. 2021). 8 Duden Online: “Gedenken”. https://www.duden.de/rechtschreibung/Gedenken#bedeutung (29. 12. 2021).

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Language Use in Public Speeches Commemorating World War I

2.

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Corpus and Methodology

The corpus for this study consists of three German and three Australian speeches delivered on the occasion of the commemoration of World War I by politically significant public figures in the period between 2014 and 2018. The speeches are analysed with regard to 1) Topic focus and dominant content aspects 2) Associative (figurative) language use (through metaphor and metonymy) First, it is examined whether there are culture-specific topics that recur in a country irrespective of the speakers and which topics are in focus. Subsequently, we will look at how these aspects are presented. The focus will be on the figurative use of language, which includes metonymy and metaphor as well as personification. Metaphors evoke images of certain concepts and thus evoke implicit associations that should not be confused with connotations. Connotations are explicit since connotation is part of the conventionalised meaning of a word. For example, words like shame, doom or distrust have negative connotations, whereas reconciliation, peace and cooperation have positive connotations. Metaphors are different: In an argument, a verbal dispute is represented with more concrete vocabulary from the domain of a physical war (defend a claim, attack an argument). This leads to an implicitly evoked association ARGUMENT = WAR. A comparison will show how figurative language is used to create associations.

3.

Topic focus in the German speeches

Joachim Gauck The first German speech is the address of a former Federal President (2012– 2017), Joachim Gauck, on the occasion of the commemoration 100 years of the First World War on July 3, 2014, in the German Bundestag in Berlin.9 His speech is the longest (2,168 words) and it is structured by the recurring question “Was geht uns der Erste Weltkrieg an?” (‘How does the First World War concern us?’), which he asks four times. He argues that we are the grandchildren and greatgrandchildren of the wartime generation who went to war “übermütig, verblendet, verführt” (‘cocky, deluded, seduced’) and returned “verwundet, verstümmelt, entsetzlich entstellt” (‘wounded, mutilated, horribly disfigured’). He 9 See Joachim Gauck: Ansprache bei der Gedenkfeier “100 Jahre Erster Weltkrieg”. Berlin, 03. 07. 2014. https://www.bundestag.de/parlament/praesidium/reden/2014/001-286046 (02. 02. 2021). All direct quotes in double quotation marks in this subchapter are from Gauck’s speech.

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sees literature as a suitable medium of remembrance and refers to Joseph Roth’s novel Die Kapuzinergruft (‘the capuchin crypt’) and also quotes a poem excerpt from In Flander’s Fields by John McCrae: “We are the dead. Short days ago We lived, felt dawn, saw sunset glow, Loved, and were loved, and now we lie In Flanders fields.”10

He provides detailed information on the causes of the war, which can be bundled into imperialism, militarism and nationalism. He sees Europe as a great achievement after the violent 20th century, as a project to secure peace, freedom, and human rights. The sense of commemoration, for him, also lies in the unprecedented European experience of having put an end to violence.

Angela Merkel Former German Chancellor (2005–2021) Angela Merkel’s speech was delivered in Paris on November 11, 2018, at the opening of the Forum de Paris sur la Paix – the first Paris Peace Forum – and is 1,856 words long.11 Merkel begins her speech with a look back at the Spirit of 1914, in German terms: the Augustfieber (the initial enthusiasm for war that was quickly replaced by the recognition of its sheer cruelty). She refers to the production of weapons of mass destruction as an abuse of progress, mentions the character flaws of the nation states, and of question of war guilt. The friendship with France plays a major role in her speech, since France had developed from an arch enemy to a friend of Germany. She also draws parallels to the refugee crisis in 2015 and the burgeoning nationalism it has brought about. Central motifs in her speech are Europe and peace, which are directly related, as European cooperation should ensure peace. An important component is the Franco-German friendship that has enabled Germany to find its way into the world community. On the other hand, peace is endangered by “nationales Scheuklappendenken” (‘national blinkered thinking’). She recurrently uses the 10 John McCrae: “In Flander’s Fields.” In: Jon Stallworthy (ed.): The New Oxford Book of Poetry. Oxford, 2015, 173. Gauck used a German translation: “Wir sind die Toten. Vor wenigen Tagen noch / Lebten wir, fühlten den Morgen und sahen den leuchtenden Sonnenuntergang, / Liebten und wurden geliebt, und nun liegen wir / Auf Flanderns Feldern.” 11 See Angela Merkel: Rede zur Eröffnung des “Forum de Paris sur la Paix.” 11 November 2018 in Paris. Paris, 11. 11. 2018. https://www.bundeskanzler.de/bk-de/aktuelles/rede-von-bundeska nzlerin-merkel-zur-eroeffnung-des-forum-de-paris-sur-la-paix-am-11-november-2018-154 8456 (02. 02. 2021). All direct quotes in double quotation marks in this subchapter are from Merkel’s speech.

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Language Use in Public Speeches Commemorating World War I

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word fields of education and literature as well as of communication and images: She places Kaethe Kollwitz’s book Briefe an den Sohn (‘letters to the son’) in the “Bibliothek des Friedens” (‘library of peace’). With her quote “Warum, warum bloß das Sterben dieser allerschönsten Jugend und das Lebenbleiben der Alten?” (‘Why, why merely the dying of this all-beautiful youth and the staying alive of the old?’), she draws attention to those who fell at a young age, but also to the survivors who had to struggle with the trauma afterwards. She talks about images, e. g. from Syria, which must not make us speechless and inactive, and – alluding to Christopher Clark’s book – about the sleepwalkers (the initial perpetrators of the First World War) and their “Sprachlosigkeit” (‘speechlessness’) – alluding to a lack of communication skills which was a central reason for the collective failure that led to the war.

Wolfgang Wieland The speech by Wolfgang Wieland, Vice President of the Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (‘German war graves commission’) and former member of the German parliament for the Green Party, was held in Cologne on September 26, 201812 and, at 640 words, is considerably shorter than the speeches by Gauck and Merkel. (In remembrance of the end of the war 100 years earlier, Cologne Cathedral was illuminated with moving light projections.) The pillars of his speech include patriotism as one of the causes of the First World War, the Franco-German friendship, Europe and peace. He criticises the attack on the culture of remembrance from the right – referring to the demand to be proud of the achievements of German soldiers in two world wars, and to a description of the Holocaust Memorial in Berlin as a “Denkmal der Schande, […] nicht, weil die Ermordung von 6 Millionen Juden zur Schande erklärt werden soll, sondern weil die Erinnerung an sie als Schande empfunden wird” (‘monument of shame, […] not because the murder of 6 million Jews is to be declared a disgrace, but because the memory of it is perceived as a disgrace’). He mentions the Franco-German friendship in the context of Frank-Walter Steinmeier’s visit to Alsace in 2017 for the inauguration of a Franco-German memorial, the so-called “Menschenfresserberg” (‘man-eater mountain’), quoting Steinmeier saying, “Nicht ein Berg frisst Menschen, es ist der übersteigerte Nationalismus, der Menschen frisst” (‘It’s not a mountain that eats people, it’s 12 See Wolfgang Wieland: Rede zur Illumination des Kölner Domes (Es gilt das gesprochene Wort). Köln, 26. 09. 2018. https://www.volksbund.de/nachrichten/dom-als-leuchtturm-des-f riedens (02. 02. 2021). All direct quotes in double quotation marks in this subchapter are from Wieland’s speech.

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excessive nationalism that eats people’). The renationalisation in Europe, he says, is causing the EU to crumble and thus poses a threat to its original goal of maintaining peace. He pleads for social cohesion instead of social divide, according to the motto of the German Volksbund: “Versöhnung über den Gräbern” (‘reconciliation over the graves’).

4.

Topic focus in the Australian speeches

Tony Abbott On the Australian side, the first speech was delivered on the occasion of Anzac Day on April 25, 2014, by the former Prime Minister (2013–2017) Tony Abbott and comprises 1,125 words.13 The content aspects include, besides the numbers of the wounded, victories, national cohesion among soldiers, and the importance of World War I to Australia’s founding myth. He starts with the Battle of Gallipoli, as April 25, 2014, was also the 99th anniversary of the landing of Anzac troops on Gallipoli. He mentions the occupation of German New Guinea – the first military action by Australian troops, the attack on Beersheba and the capture of Jerusalem and Damascus. He then recalls the Western Front and refers to Australia’s moment “on the stage of history” when Australian soldiers filled the gap and held firm after a German offensive split the British and French armies. He also talks about the sense of cohesion of Anzac soldiers and their achievements: Although the AIF (Australian Imperial Force) accounted for less than a tenth of all British forces, they were responsible for nearly a quarter of all achievements.14 He calls the Western Front a victory and pays tribute to General Monash, who “perfected” the combat with all weapons and coordinated artillery, infantry, and the air force with his “organizational skills”. He also cites individuals such as Simpson and Rachel Pratt who sacrificed themselves for their nation. The memory of this war is so important, he says, because these battles shaped Australia’s founding myths, and Australia gained prestige among the world powers as a result. This gave rise to Australia’s national pride.

13 See Tony Abbott: Anzac Day 2014: National Ceremony commemorative address. Canberra, 25. 04. 2014. https://www.awm.gov.au/commemoration/speeches/commemorative-addres s-2014-anzac-day-national-ceremony (29. 01. 2021). All direct quotes in double quotation marks in this subchapter are from Abbott’s speech. 14 He mentions the defeat of 39 enemy divisions, taking 29,000 prisoners, seizing 338 weapons, and capturing over 40 miles of contested ground.

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Mathias Cormann The second speech (1,121 words) was delivered on Remembrance Day, November 11, 2017, at the Australian War Memorial in Canberra by Mathias Cormann, former senator for the Liberal Party (2007–2020).15 He, too, talks about the losses, but also heroises the soldiers as martyrs. He takes up the topic of immigration and its relation to the founding myth. After 99 years since the end of the war and with its numerous dead, traumatised and wounded, he calls the period of World War I “the darkest years” that claimed the greatest victims in history and should not be repeated. But he also highlights the courage of the soldiers in that war as national heroes. As a native Belgian, he elaborates on the fact that Australia defended Belgium and many Australian soldiers perished in the process. He describes how Australian soldiers marched in through the gates of Ypres, Belgium, and its lion statues and how they won a clear victory in the battle nearby Polygon Wood. More specifically, he tells the story of Cyrille Knockaert, born in Flanders, who emigrated to Australia in 1911 and went to war for the Australian side in 1915, fighting on the Western Front. He fought for the “country of his choice” to defend his homeland, where he was wounded in 1918 and died at the age of 23. In gratitude for Anzac’s service, the City of Ypres donated the lion statues at the city gates to Australia, which stood at the entrance to the Australian War Memorial until 2017 but were returned to Ypres then. Cormann considers it a duty to uphold the memory and legacy of the war, saying the soldiers fought for our freedom and values and are responsible for today’s peace.

Linda Dessau The third speech took place on the occasion of Remembrance Day on November 11, 2018. It was delivered by Linda Dessau, Governor of the State of Victoria, since 201516. With only 679 words it is much shorter than Cormann’s and Abbott’s speeches. Dessau partly focuses on different aspects than the other two speeches, since the founding myth and the heroisation or stylisation of soldiers as martyrs 15 See Mathias Cormann: Remembrance Day 2017: Commemorative address. Canberra, 11. 11. 2017. https://www.awm.gov.au/commemoration/speeches/remembrance-day-2017 (29. 01. 2021). All direct quotes in double quotation marks in this subchapter are from Cormann’s speech. 16 See Linda Dessau: Remembrance Day 2018. Speech. Melbourne, 11. 11. 2018. https://www.gove rnor.vic.gov.au/sites/default/files/2018-11/Remembrance%20Day%202018%20.pdf (29. 01. 2021). All direct quotes in double quotation marks in this subchapter are from Dessau’s speech.

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find little space in her speech. Instead, she focuses on the period after the end of the war and on the jubilation, joy and relief among the people after the armistice. She begins her speech by paying her respects to the traditional owners of the land. In doing so, she not only does not mention the First World War as part of the founding myth but sees the indigenous population as the original owners of the land. She does not demonstrate an ethnocentric Western view that does not recognise the Aboriginal people. Using a zoom technique, she then illuminates the morning of the armistice, whose message was delivered by Sir Ronald Munro Ferguson, Governor-General of Australia (1914–1920), after General Monash had signed it. The silence of weapons was followed by jubilation in the streets and the news were spread in newspapers, trains and streetcars. Flags were waved and the following day was declared a national holiday. Despite the joy, she calls this a “bittersweet” time in light of the relatives of those who did not return. As the other Australian speeches, she also names a specific individual: Sergeant Roger Morgan, who went to war at the age of 21. However, he survived his two wounds, so that the martyr motif is not found in her speech. She recalls the “glorious dead who brought us peace” though.

5.

Comparison of content between the German and Australian speeches

Although all speeches are individual, there are greater commonalities within the three German and the three Australian speeches, and greater differences between the German and the Australian subcorpora. What all speeches have in common is that the numbers of dead and wounded and the cruelty of war are mentioned (to a much greater extent in the German speeches than in the Australian speeches though). Within the German and Australian speeches, respectively, there are recurring motifs that seem to be central to each nation’s remembrance culture. In the German speeches, the war is portrayed as invariably terrible, as something that should be avoided at all costs. The counter image to war in all three German speeches is Europe. The idea of Europe is always closely linked to the concepts of peace, freedom and community. The Franco-German friendship plays a special role, as this relationship represents a prime example of a 180° turnaround: From an arch enmity emerged a lasting friendship and partnership. Also present in all German speeches are nationalism and patriotism as causes of the First World War, as well as the comparison with today’s Europe, where nationalism and patriotism are on the rise again. The mood in the German speeches is overcast; the speeches are reminders of a crime against humanity and appeals that this must not be repeated. Gauck quotes the German-French soci-

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ologist and political scientist Alfred Grosser. This quote sums up the cultural memory and the war perception of a large part of Germany’s population: “‘Wir sind die Glücklichen, weil wir die Überlebenden sind. Nicht nur, weil wir leben, sondern weil wir durch unser Wirken Sterben und Leid verhindern können.’ Diese Worte haben Geltung bis heute, für uns Deutsche, für uns Europäer. Wir leben seit sieben Jahrzehnten in Frieden. Wir sind die Glücklichen! Daraus erwächst unsere Verantwortung!” [‘We are the lucky ones because we are the survivors. Not only because we are alive, but because we can prevent death and suffering through our actions.’ These words are still valid today, for us Germans, for us Europeans. We have been living in peace for seven decades. We are the lucky ones! From this arises our responsibility!]17

The Australian speeches pointed out that the war should not be glorified. Yet the Anzac battles are important for Australia’s founding myth, for its self-image and national pride, so that two of the three Australian speeches repeatedly refer to achievements in the war, to the courage of the soldiers and to the sense of belonging and comradery. In order to justify the national pride, soldiers are stylised as martyrs who went to war and died for their fatherland. Individual personalities are singled out and their war experiences are described. The German speeches, on the other hand, give no space to any positive aspects of war. No soldiers are explicitly mentioned. The individuals mentioned in German speeches are usually writers, poets, philosophers, and sociologists who survived the war and who reappraise and commemorate it through their writing (e. g. Kaethe Kollwitz, Joseph Roth, John McCrae, Alfred Grosser). Another crucial difference is that the German speeches emphasise Europe and that the self-referential we is to be understood as we Europeans, i. e. away from a purely national perspective. The Australian speeches, on the other hand, speak of the beginning of Australian national pride and the global recognition of the achievements of Australian soldiers. Immigration also plays a role but not in a multicultural or multinational way. It is about immigrants to Australia who have become Australians and have therefore switched nationalities and national identities. In contrast to the somber tone of the German speeches, the mood in the Australian speeches is partly exuberant. Even in the third speech by Linda Dessau, which refrains from heroising the soldiers, the mood is cheerful, since the focus of the speech is not on the atrocities during the war, but on the joy and relief after the war.

17 Gauck: Ansprache bei der Gedenkfeier “100 Jahre Erster Weltkrieg”.

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6.

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Figurative language use

Language as an expression of cultural concepts The perception of our environment influences our cognitive concepts and these in turn influence our language behavior. This is a reason why we use figurative language in our daily expression. Our language use is based on metaphorical and metonymic thinking that is often unconscious, e. g. conventional metaphors like chair leg, to grasp something, the clock does not work, etc. Metaphor How deeply metaphors are actually rooted in our everyday language use can be seen, for example, in German verbs such as be-greifen (‘be-grip’ meaning ‘grasp, understand’) and ent-decken (‘dis-cover’); both are abstract, cognitive processes that are linguistically expressed by concrete processes (greifen ‘grip’ and decken ‘cover’) and a prefix. George Lakoff and Mark Johnson established the conceptual metaphor theory.18 They understand metaphor as a basic structure of thought reflected through language.19 Metaphor is a conceptual, cognitive phenomenon and metaphorical language use is merely the formal manifestation of the same. The underlying principle of metaphor is similarity: a fact or object is equated with a similar fact or object. For example, exploiting the metaphor Lebensabend for the older age, the age (in relation to the whole life) is equated with the evening (in relation to the whole day) according to the structure X = Y (LIFE = A DAY). There is a metaphorical transfer (mapping) between the two conceptual domains, in which X (target domain) is described by Y (source domain).20 However, certain characteristics of the source domain are emphasised while others remain obscured. What is important in the cognitive consideration of metaphor is that it is not about the transfer of individual words or phrases, but about complete domains. This can be briefly illustrated by the example TIME = MONEY: We use collocations like cost time, save time, gain time, or waste time. The whole metaphorical transfer is so complex that individual character traits of MONEY can also be transferred to TIME: Money is a limited resource and an object of value in our cultural circles. Time can therefore become scarce, there is a lack of time and a 18 See George Lakoff/Mark Johnson: Metaphors We Live By. Chicago: University of Chicago Press, 1980. 19 See ibid., 5. 20 See Olaf Jäkel: Metaphern in abstrakten Diskurs-Domänen. Eine kognitiv-linguistische Untersuchung anhand der Bereiche Geistestätigkeit, Wirtschaft und Wissenschaft. Frankfurt a. M.: Lang, 1997, 21.

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shortage of time (LIMITED RESOURCE), time is precious, one can lose time, steal time or have time for someone (VALUABLE OBJECT).21 The mapping TIME = SPACE is also very frequent in our thinking and speaking (around 12 o’clock, in a week, it’s all behind us). According to the unidirectionality principle, Y can be transferred to X, but not vice versa.22 Metaphors arise from the need to think about abstract things such as experiences, emotions, problems, thoughts, etc., and to put these into words. Conceptual metaphors are often culture-specific. So, the fact that we think about time in terms of money is not universal to all cultures, but only exists in capitalist societies with a monetary currency. There are often only minor differences between different languages if they are spoken in a similar cultural setting. This might also be true for Australia and Germany, since both belong to the Western culture, but minor cultural differences can still be found in different metaphors. However, some metaphors seem to be universal, because they are based on physical experiences that are regardless of culture. This includes, for example, the conceptualisation of emotions: When we think and talk about emotions, we often refer to them as a liquid in a container where the container is the body. For instance, we talk about pent-up emotions, we can drown in love or sadness, we can bubble over with excitement or joy, we can be filled with hatred. Anger and rage, but also love, are often described as hot liquids – according to our own physical experience, which often accompanies such emotions: increased pulse, sweating, temperature rise, etc.23 Lakoff and Johnson distinguish three subgroups: structural metaphors, orientation metaphors, and ontological metaphors. The structural metaphor has the structure X = Y. As explained earlier, a source domain Y serves to describe a target domain X.24 The already mentioned ARGUMENT = WAR, for instance, is a structural metaphor. Orientation metaphors organise quite different conceptual domains by (mostly vertical) directional indications25: – HAPPY = UP, SAD = DOWN (lift one’s mood vs. to be downcoast; die Stimmung heben vs. niedergeschlagen sein) 21 See Lakoff/Johnson: Metaphors We Live By, 7–8 (for English); and Jäkel: Metaphern in abstrakten Diskurs-Domänen, 22–24 (for German). 22 See Jäkel: Metaphern in abstrakten Diskurs-Domänen, 57–64. 23 See Anatol Stefanowitsch: “Words and their metaphors. A corpus-based approach”. In: Anatol Stefanowitsch/Stefan Th. Gries (eds.): Corpus-Based Approaches to Metaphor and Metonymy. Berlin: De Gruyter, 2007: 63–105. See also Zoltán Kövecses: “Anger: Its language, conceptualization, and physiology in the light of cross-cultural evidence”. In: John R. Tylor/ Robert E. MacLaury (eds.): Language and the Cognitive Construal of the World. Berlin: De Gruyter, 1995: 181–196. 24 See Lakoff/Johnson: Metaphors We Live By, 14. 25 See ibid., 14.

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– MORE = UP, LESS = DOWN (turn up the volume, raise your voice vs. lower your voice; die Lautstärke aufdrehen, die Stimme heben vs. die Stimme senken) – CONTROL = UP, LOSS OF CONTROL = DOWN (having something under control vs. being under supervision; etwas unter Kontrolle haben vs. unter Aufsicht stehen) – CONSCIOUSNESS = UP, SUBCONSCIOUSNESS = DOWN (wake up vs. sink into coma; aufwachen vs. ins Koma sinken) Ontological metaphors give abstract things physical properties,26 as in personifications. However, ontological metaphors are not reduced to people but to concrete objects in general. This distinguishes ontological metaphors from structural metaphors such as ARGUMENT = WAR, because war has no physical properties but is another (less) abstract domain. MONEY, however, has physical properties. TIME = MONEY is thus an ontological metaphor. Similarly, we concretise problems and difficulties when we talk about facing a problem or ironing out difficulties, when we talk about having a sick society or something giving the government a headache.27 Personification is a form of ontological metaphor that we can expect to see in the corpus, since governments and nations are preferably personified and are often subject in the speeches. Metonymy In contrast to metaphor, metonymy is not based on a relationship of similarity between two completely different domains, but there is a connection (contiguity) within a domain. For example, Merkel uses the expression Armut und Hunger bekämpfen (‘fight poverty and hunger’). Literally speaking, it is impossible to fight hunger and poverty – a physical feeling and a deficiency – but the causes of hunger and poverty are to be fought. There is a connection between a cause and its result. Strictly speaking, however, one could also postulate a mapping according to the pattern CAUSE = ITS EFFECT here , like in conceptual metaphor theory. Similar metonymies in everyday language are – listen to Rammstein (AUTHOR = THEIR WORK) – drive a BMW (BRAND = ITS PRODUCT) – England plays against France (COUNTRY = ITS SPORTS TEAM) – Moscow is talking to the US (COUNTRY = ITS GOVERNMENT)

26 See ibid., 25. 27 See Murray Knowles/Rosamund Moon: Introducing Metaphor. London: Routledge, 2006, 41.

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7.

Figurative language use in the German and Australian speeches

Overall comparison Positive and negative contexts The German speeches contain 23 metaphors and 6 metonymies. 91.3% of all metaphors in German speeches are in a negative context (see table 1) and therefore lead to a negative association.

metaphor (positive context) metaphor (negative context) metaphor (in total)

German speeches Wieland Merkel 0 1 4 4

10 11

Gauck 1

total 2

share 8.7%

7 8

21 23

91.3% 100.0%

metonymy 1 2 3 6 Tab. 1: Metaphors and metonymies in context in the German speeches



In the Australian speeches, 73.0% are in positive contexts (see table 2). This distinction contributes to a significant difference between the tone in German and Australian speeches, which is more cheerful and optimistic in the Australian speeches than in the German ones.

metaphor (positive context) metaphor (negative context) metaphor (in total)

Australian speeches Abbott Dessau 16 7 2 18

1 8

Cormann 4

total 27

share 73.0%

7 11

10 37

27.0% 100.0%

metonymy 13 3 1 17 Tab. 2: Metaphors and metonymies in context in the Australian speeches



Most metaphors in the German speeches are used by Angela Merkel, and by Tony Abbott in the Australian speeches. However, the number of metaphors and metonymies does not deviate much among the speakers. Minor differences can generally be attributed to the different overall lengths of the speeches. Thematic source and target domains Orientational metaphors are least frequent although Australian speeches have slightly more orientational metaphors than German speeches. Ontological metaphors occur most frequently and take up about half of all metaphors in both

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corpora, which is not surprising since ontological metaphors are most appropriate to represent abstract target domains by concrete ones.28 In the analysis, a mapping can be made for each metaphor as to which target domain is described by which source domain. Table 3 represents an attempt to categorise the target domains X that are circumscribed by metaphors: (1) mental, emotional, and cognitive processes within a person (2) people, society, nations (3) concrete environment (e. g. objects, observable actions) (4) abstract environment (e. g. problems, processes) For instance, the target domain of MIND = SENSE OF SIGHT (in “nationales Scheuklappendenken”29 ‘national blinkered thinking’) is the mind, which represents a mental process within a person (category 1). War, on the other hand, in WAR = MACHINE (“der 1. Weltkrieg war eine ungeheure Gewaltmaschinerie”30 ‘the first World War was a tremendous machinery of violence’) describes a complex of actions in the concrete environment (category 3). The different categories of target domains in the German contexts are relatively balanced and range from 17.4% to 30.4%. The Australian speeches, on the other hand, show a clear tendency: Almost half of all metaphors are used for target domain that can be assigned to abstract environments (processes, problems qualities, time, etc.), while only 16.2% are used for mental, emotional and cognitive processes within a person (see table 3). German speeches Wieland Merkel

target domains

Gauck

total

share

cognitive processes people, nations, society

2 2

4 0

1 2

7 4

30.4% 17.4%

concrete environment abstract environment

0 0

3 4

3 2

6 6

26.1% 26.1%

in total 4 11 8 23 Tab. 3: Thematic target domains of metaphors in the German speeches

100.0%

Australian speeches Abbott Dessau Cormann

target domains cognitive processes people, nations, society

3 4

1 1

2 0

total

share

6 5

16.2% 13.51%

28 German speeches: ontological metaphors: 54.5%, structural metaphors: 40.9%, orientation metaphors: 4.5%, Australian speeches: ontological metaphors: 47.5%, structural metaphors: 37.5%, orientation metaphors: 15.0%. 29 Merkel: Rede zur Eröffnung des “Forum de Paris sur la Paix”. 30 Ibid.

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(Continued)

concrete environment abstract environment

Australian speeches 2 5 9 1

3 6

10 16

27.0% 43.2%

in total 18 8 11 37 Tab. 4: Thematic target domains of metaphors in the Australian speeches

100.0%

This quantitative comparison shows that cognitive processes within a person are depicted almost twice as often in German speeches than in Australian speeches. Thus, internal processes seem to be less relevant for Australian commemoration, since they are not emphasised through figurative expressions. Central target domains in the Australian speeches are abstract processes (like “the great tides of events”31) and qualities (e. g., attention: “Australia’s moment on the stage of history”, evaluation: “the darkest of years”32). Conceptualisation of war WAR is represented metonymically twice as often in Australian speeches than in German speeches. In the German context, war is depicted metonymically as a partwhole relationship. It is described as a BOMB (“sprengte alles”33 ‘blew up everything’) or a MACHINE (“ungeheure Gewaltmaschinerie”34 ‘immense machinery of violence’), but also as a PERSON, namely as a devourer. Devouring is also metonymically connected with destroying (EATING = ERADICATING = KILLING). In any case, the metonymic descriptions of war in the German speeches are associated with immediate destruction and invariably have negative connotations. In the Australian speeches, Cormann also depicts war as a MACHINE (“the machine of war”), although the machine merely visualises a system whose numerous elements work together and is therefore rather neutral. In all other cases the war is personalised, whereby the PERSON is not connoted in any way but is a neutral observer. This personification is achieved by the verb see:35 – “A war saw the losses of more than 62,000 Australians” – “that would see hostilities cease between Allies and Germany”

31 32 33 34 35

Abbott: Anzac Day 2014. Cormann: Remembrance Day 2017. Merkel: Rede zur Eröffnung des “Forum de Paris sur la Paix”. Ibid. In the Australian speeches, the figurative representation is much more often achieved by verbs than in the German speeches, in which mainly nominal metaphors and metonymies are used. The use of verbs foregrounds dynamicity, while nominal images express states.

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– “that would see the guns fall silent” – “that would see silence after more than four years of thunderous noise”36 All these personifications of war are used by Dessau. Even if the war is presented as a neutral observer, the things the war sees, or the words used for them, have negative connotations (“losses”, “hostilities”, “cease”, “guns”, “thunderous noise”), which puts the war itself in a negative light. In this way, Dessau differs from the other two speakers, who (with the exception of the example already mentioned) do not portray the war in a figurative way, but rather focus on the significance of the achievements during the war. The meaning in which see is used here is conventionalised in English though and differs from German in that respect. Metonymic conceptualisation of nations as people Another striking difference is that the Australian speeches use three times as many metonymies as the German speeches. Particularly often, a country or a geographical unit as a whole is personified as representative of its population, e. g., “Deutschland wurde die Hand zur Versöhnung gereicht”37 (‘Germany was given the hand for reconciliation’). The fact that Germany is representative of the German population is based on a cognitive connection and is thus metonymic in nature. Germany is depicted as a conciliatory person here. Metonymies of this kind, however, occur only three times in the German speeches. In the other two examples, Germany is depicted as a trustworthy person: “Die BRD ist Rechtsnachfolger des Staates, der 1918 geächtet aus dem Krieg hervorging”38 (‘the Federal Republic of Germany is the legal successor of the state that emerged outlawed from the war in 1918’), and finally as a peaceful person you want to be at good terms with: “Nach dem dt.-frz. Krieg wurden aus Feinden Freunde und enge Partner”39 (‘After the Franco-German war, the enemies became friends and close partners’). In the Australian speeches, this kind of national representation is used 13 times, mostly by Abbott and Cormann. However, it is not Australia alone that is represented here (“Australia’s moment on the stage of history”40), but also Great Britain (“Britain as a mother country”41), Europe (“Europe was at risk from 36 Dessau: Remembrance Day 2018. 37 Merkel: Rede zur Eröffnung des “Forum de Paris sur la Paix”. The italicised words indicate how the personification is implemented, also in the following examples. 38 Gauck: Ansprache bei der Gedenkfeier “100 Jahre Erster Weltkrieg”. 39 Ibid. 40 Abbott: Anzac Day 2014. 41 Ibid.

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Prussian militarism”42), German New Guinea (“the capture of German New Guinea”43), Jerusalem and Damascus (“the capture of Jerusalem and Damascus”44), and the whole world (“their own men […] flash across the world’s consciousness like a shooting star”45). Australia is portrayed as a victorious and successful person who gained notoriety and global attention through its conquests, making the fallen Anzacs perceived across the world as a shooting star. A shooting star briefly flashes into brilliance before dying. (One might see a certain similarity to martyrdom here.) Compared with the German counterparts, it can be noted that Germany is portrayed as submissive instead of victorious and that not the actions during the war, but after the war are in focus – namely, that Germany was offered the hand for reconciliation, that Germany and France became friends and partners, and that Germany became the legal successor of a previously outlawed state. The selfportrayal of the national personality is completely different in both countries. Friendship and reconciliation on the one hand and conquest and glory on the other reflect the self-image of the respective nations and how they wish to be perceived.

German speeches Wolfgang Wieland Striking metaphors in Wieland are the “Augustfieber”46 and society as a target realm. The August fever is a fixed term for the enthusiasm that some people felt at the beginning of the war. The emotion is not described here – as is often the case – as a (hot) liquid in a container, but the temperature certainly plays a role. One would thus describe this metaphor as the orientation metaphor MORE = UP, since with increasing enthusiasm the body temperature rises, which eventually leads to a fever. Furthermore, Wieland depicts society as a two- or three-dimensional form, as SOCIETY = GEOMETRIC FORM (“Angriff aus der ganz letzten Ecke” ‘attack from the very last corner’) and SOCIETY = A BUILDING47 (“die EU beginnt zu bröckeln” ‘the EU begins to crumble’).

42 43 44 45 46 47

Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. All direct quotes in double quotation marks in this subchapter are from Wieland’s speech. One can argue that the EU is an institution – which is an organised society. The mapping X = A BUILDING could also be dissected into the two more basic metaphors ORGANISATION = PHYSICAL STRUCTURE and PERSISTING = REMAINING ERECT (see Joseph E. Grady: “THEORIES ARE BUILDINGS revisited.” In: Cognitive Linguistics 8/4 (1997): 267–290).

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The first metaphor is less about the geometric shape itself, but more about center and periphery. The corners of a geometric shape – whether rectangle, cuboid or otherwise – are not in the center. This creates an association that the very last corner – in this context, the far-right spectrum – is neither politically nor socially in the center, i. e. is not supported by the majority of society. A geometric shape that is not round but has corners is better suited to express the extremity as corners are difficult to access compared to round shapes. Representing the EU as a building with a crumbling façade recalls other features of a building that are implicitly transferred to the EU: A building has several floors, but they are inseparable from one large whole. If the façade begins to crumble, it is due to harmful influences from the outside or inside, or the building was not professionally plastered or has defects in the basic material. Angela Merkel Merkel uses figurative language for different target domains, particularly for internal processes in people as well as abstract problems and processes. She describes war as “Folge von Sprachlosigkeit und Kompromisslosigkeit in der Politik”48 (‘result of speechlessness and inability to compromise’), which means that the actors did not have the MOTIVATION (= CAPABILITY) to communicate constructively with each other and to compromise. The national “Scheuklappendenken” (‘blinkered thinking’) describes a narrow-minded way of thinking with a limited view through the mapping CONSCIOUSNESS = SENSE OF SIGHT. Moreover, she describes the actors and provocateurs of the First World War as “Schlafwandler”49 (‘sleepwalkers’) since they acted unconsciously and were not aware of the consequences of their actions. The state of not being aware of something is equated with the state of sleep. At the same time the component of unconscious action is added, which is typical for sleepwalking and thus also moves the metonymic relation into the field of metaphor (there are two image domains, but within the image domain SLEEP there is a logical connection between sleep and unconsciousness). Furthermore, she presents moral values as soil and thus as fundamental basis by saying “der Zivilisationsbruch der Shoa erschütterte den Glauben an die Menschlichkeit” (‘the civilisation break of the Shoa shook the faith in humanity’ – here, Merkel incorporates the Second World War into her speech). At the same time, a crime against humanity is described as a natural disaster (here: earthquake) that shakes the earth – or the fundamental moral values. Natural disasters

48 All direct quotes in double quotation marks in this subchapter are from Merkel’s speech. 49 According to the book of the same name by Christopher Clark, but without explicitly stating it.

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trigger a feeling of powerlessness in people, and the destructive force of an earthquake is considerable. Similarly, she often describes a process as a path and problems as physical obstacles. Finding a common solution to the Syria crisis of the 21st century is still a “steinige[r] Weg” (‘stony path’). She also describes the process towards accomplishing (more) peace, which the 100th anniversary of the armistice of the First World War is meant to commemorate, as a “komplizierten Weg” (‘complicated path’). But the reconciliation and reintegration of Germany after the two World Wars was also a process in which France was involved: France made “den Weg in die Weltgemeinschaft” (‘the way into the world’s community’) possible. The path metaphor for processes, including stones and other obstacles that make it difficult to reach the destination, is a common metaphor Merkel uses for solution and reintegration processes. The path metaphor is a description of a spatial extension according to the pattern CONTINUITY = LINEARITY. Here the connection between time and space becomes evident: A process takes place over a longer period of time, but since it is not possible for us to think about something as abstract as time, we use metaphors of spatial extension, which also include linearity, e. g. as a path. Joachim Gauck Gauck uses a different metaphor for solutions: “Für Frieden und Freiheit in Europa gibt es keine glatten Lösungen”50 (‘There are no smooth solutions for peace and freedom in Europe’). A simple solution is called smooth. The mapping SIMPLICITY = SMOOTHNESS = LINEARITY can be derived since smoothness is characterised by its evenness. At the same time, this metaphor fits into PROBLEMS = PHSYICAL OBSTACLES, since physical obstacles interrupt linearity and reduce the speed while reaching the goal. Gauck has a unique selling point in addressing politics as a target domain: as a play – a frequently chosen metaphor for politics – and as a chemical element – a relatively creative mapping. “Die Krise 1914 bleibt ein Lehrstück politisch unverantwortlichen Handelns” (‘The 1914 crisis remains a lesson in politically irresponsible action’) even specifies the play as a didactic play from which the future should learn. He uses a completely different image domain in the following statement though: “Imperialismus, Militarismus, verfehlte Allianzpolitik und Wettrüsten der rivalisierenden Staaten war ein explosives Gemisch” (‘Imperialism, militarism, failed alliance policy and arms race of rival states was an explosive mixture’). An explosive mixture arises when individual chemical elements (which in isolation do not necessarily cause harm) react with each other. 50 All direct quotes in double quotation marks in this subchapter are from Gauck’s speech.

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Thus imperialism, militarism, misguided alliance policy and arms race are political measures of rival states and at the same time compared to four chemical elements in the explosive mixture. At the same time, however, the explosive mixture is metonymically linked to war, since it brings to mind bombs, which also consist of explosive mixtures.

Australian speeches Tony Abbott Abbott often uses abstract qualities as target domains. In doing so, he uses common metaphors or idioms connected to visibility, such as in “we […] draw strength to face the problems of our time”:51 Literally, to face means to have one’s face turned toward something which is then visible to the person. Dealing with something – here, the problems of the time – includes that you see these problems – become aware of them – and actively confront them. This metaphor is not only a personification of the problems, but also uses the concept CONSCIOUSNESS = SENSE OF SIGHT. This is even more obvious in “They saw their own men […] flash across the world’s consciousness like a shooting star”. Other abstract qualities he addresses are (abstract) TIES as PHYSICAL BONDS (“the ties that bind”), POLITICS as a PLAY or SHOW (“Australia’s moment on the stage of history”) – similar to the image Gauck uses52 – and the orientation metaphor MORE = UP (“the 25th of April next year will be a high point”). Moods are associated with degrees of brightness, a visual stimulus. In “events […] that still cast its shadow over the wider world”, the shadow is metonymically associated with darkness, which can express a whole range of negative moods. In addition to abstract target domains, Abbott also describes a wide variety of other target domains. For example, he frequently depicts people, nations, and society. The comparison “They saw their own men […] flash across the world’s consciousness like a shooting star” suggests that a FAMOUS PERSON = CELESTIAL BODY that is visible to and can be admired by the entire world. He speaks of “events – of which Gallipoli was just one part – that shaped our nation”. The verb shape is of particular importance here, as it implies that the Australian nation is a plastic, i. e., malleable, matter. The events, on the other hand, are 51 All direct quotes in double quotation marks in this subchapter are from Abbott’s speech. 52 Considering that there are at least 20 different source domains for politics (see Hans-Harry Drößiger: “Strukturmetaphern. Bemerkungen zu metaphorischen Konzepten in publizistischen Texten zur deutschen Innenpolitik”. In: Studies about Languages 6 (2004): 56–61, 57), it is telling that politicians themselves represent politics as a theater play.

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personified because they could shape the nation. He explicitly mentions Gallipoli, as the Battle of Gallipoli is very significant to Australia’s founding myth. Gallipoli is often seen as the trigger of Australia’s national consciousness and emancipation, as many Australians believe that their country had had no significant history and had not been a real nation before.53 Instead, they had been patronised by Britain until Australia “ceased to regard Britain as the mother country, but we are still family.” It is the courage shown by the Anzacs that is viewed as emancipation in the sense of coming of age, which made Australia an independent, autonomous state. Mathias Cormann54 Cormann, too, uses metaphorical language primarily to express abstract concepts. Like Abbott, he maps NEGATIVE MOOD with DARKNESS, in “the men […] had endured the darkest of years” as well as CONSCIOUSNESS with SENSE OF SIGHT in “they now guard the memory of those who fell”. Unlike Abbott, Cormann addresses casualties and expresses the VALUE of human life in terms of MONEY: “13.000 Australians paid the ultimate price and Australia’s sacrifice […] was the greatest our country would ever pay in wartime”. Interestingly, this mapping is not used in German speeches, although there is a greater emphasis on casualties overall. The legacy of the battles is personified: “It is only on the back of their legacies that we enjoy peace”. Peace is addressed here as an important heritage that is to be appreciated, but in the context that only the combative actions of the Anzacs were responsible for today’s peace. Nonetheless, he describes the war as hell (“each men walking into this hell”). Cormann’s language and content differ slightly from Abbott’s in that Cormann also refers to the dark sides of the war: to the “shadows” and the “hell”, and to the losses as the “ultimate price”. Linda Dessau55 Linda Dessau’s speech is entirely different from Abbott’s and Cormann’s. 5 out of her 8 metaphors describe war. In all cases, war is personified and described as an observer who sees what is going on: “A war saw the losses of more than 62,000 Australians; that would see hostilities cease between Allies and Germany; that 53 Regardless of the fact that the Battle of Gallipoli was a disaster for the Anzacs. Nevertheless, their courage and the sense of social cohesion were described in the newspapers, so that even those who stayed at home began to develop national pride. See Christoph Sydow: “Australien feiert den Sieg, den es nie gab”. In: Spiegel, 25. 04. 2015. https://www.spiegel.de/politik/ausla nd/Anzac-day-australien-feiert-den-sieg-den-es-nie-gab-a-1030356.html (29. 12. 2021). 54 All direct quotes in double quotation marks in this subchapter are from Cormann’s speech. 55 All direct quotes in double quotation marks in this subchapter are from Dessau’s speech.

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would see the guns fall silent; that would see silence after more than four years of thunderous noise.” Through the verb see the war itself has neither a positive nor a negative connotation but is described as a neutral observer. This description of a purely visual perception, however, evokes associations with the feeling of powerlessness and that there was no possibility of influencing the events. These observed processes that she describes, however, have a completely negative connotation. Moreover, she uses the common metaphor QUANTITY = WATER in “crowds poured into the city”. Water has properties that are applied here to crowds of people: The individual elements can no longer be counted, and in large quantities water is very powerful and the flow cannot be contained. The crowds that Dessau describes refer to the jubilant people who took to the streets after the announcement of the armistice. The thematic focus of Dessau’s speech is the joy after the end of the war. She represents this feeling of joy with the help of the mapping EMOTION = A HOT LIQUID IN A CONTAINER: “Noisy jubilation erupted in the streets of Melbourne”. In this case, the sudden release of joy is compared to hot lava from a volcano. The speech as a whole exhibits a cheerful and hardly negative tone, yet it attempts to avoid glorifying the war by not addressing the founding myth, the battles, and the martyrdom of the Anzac soldiers. As with the other two Australian speeches, it avoids a detailed discussion of the atrocities, the future prevention of war or the preservation of peace.

8.

Summary of linguistic and conceptual similarities and differences

In all the speeches examined here, numbers of dead and wounded are mentioned, and the cruelty of war is emphasised. Nevertheless, this information is given much more space in the German speeches than in the Australian ones. The overall tone of the German speeches is somber in contrast to the Australian speeches, which can be described as cheerful and positive overall. This difference can be seen in various ways in which the language is used. In terms of content, the German speeches focus on peace, freedom and community, which is closely tied to the concept of Europe as a unity of nations to prevent peace. There is an emphasis on France since Germany and France went from being enemies to friends and partners in the 20th century. For Australia, the First World War plays a crucial role in the nation’s founding myth, because Australia has seen itself as an independent, emancipated nation since then. Therefore, the memory of the First World War is associated with national pride, which is also expressed by heroising soldiers. Stories of soldiers who fell for

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Australia in the war are told, as well as stories of immigrants who adopted the Australian nation and identity.56 Overall, Australia is presented as a cohesive and proud nation. The temporal focus in the German speeches is clearly before and during the war, as well as on the future (from now). The causes of the war and the atrocities during the war are elicited to conclude that the present generation must prevent wars and to preserve peace. In the Australian speeches, the temporal focus is partly on the period during the war, but also immediately after the war. The victories and achievements of the Anzacs (in terms of results) are prominent, but also the joy after the end of the war is described. The time before the war is not relevant for Australia, nor is the admonishing view of the future. Instead, the satisfied view of the present peace, which is to be owed to the Anzacs, takes center stage. The following timeline attempts to show the temporal foci in the German and Australian speeches (see table 5): Timeline First World War

before

during

PRESENT

FUTURE

immediately after

German speeches Australian speeches

Tab. 5: Temporal focus of the German and Australian speeches

The target domains most often circumscribed by figurative means in German speeches are primarily mental, emotional, and cognitive processes. Thus, the inner life of the individual subject is brought to the fore. In Australian speeches, abstract concepts that affect the entire nation are most often described in a figurative way. This is also evident in the metonymic representation of nations as one person or entity, which is used many times more frequently in Australian 56 All three Australian speakers have non-Australian roots as well: Tony Abbott was born in Great Britain, Mathias Cormann has Belgian roots and emigrated to Australia at the age of 26 (see BRF: “Mathias Cormann löst großes Medienecho aus.” In: Belgischer Rundfunk, 17. 09. 2013. https://brf.be/regional/655888/ (29.12.21)), and Linda Dessau’s father immigrated to Australia from Poland in 1929 (see Shane Green: “New Governor of Victoria Linda Dessau a first in more ways than one.” In: The Age, 01. 07. 2015. https://www.theage.com.au/national /victoria/new-governor-of-victoria-linda-dessau-a-first-in-more-ways-than-one-20150630-g i1agj.html (29.12.21)).

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speeches. Although individual stories are told in the Australian speeches as well, nations are overall depicted as single entities. The German speeches largely refrain from external stories of individuals, but the metaphors used refer primarily to the inner lives of individuals. The thematic target domains, which are circumscribed in the German speeches with metaphors and metonymies, all refer to human beings and things created by human beings. Wieland describes societies as geometric shapes to represent center and periphery, and institutions as buildings, bringing internal cohesion and communication into focus. Thus, he is primarily concerned with two- or three-dimensional structures in which societies function. Merkel metaphorises above all human values and inner life such as consciousness (as sense of sight) and motivation (as ability), as well as crimes against humanity (as natural disasters) and processes (as paths). Gauck is the only one to map political action with a play on the one hand and with chemical elements on the other. In the Australian speeches, in contrast, not only target domains that are directly or indirectly linked to humans are circumscribed, but also quality (such as negativity as darkness) and quantity (as water), time (as space) and orientation metaphors (more is up, less is down). However, also internal processes of humans are described in images, e. g. feelings as hot liquid in a container and consciousness as sense of sight. A striking metaphorisation that appears frequently in Australian (but not at all in German) speeches is that soldiers paid the ultimate price in war. This implicitly equates value (of human life) with money. Although Germany also belongs to the cultural circle of Western capitalism, this metaphor does not appear in the German speeches.

9.

Conclusion: Cultural differences in the commemoration of the First World War

The cultures of remembrance and thus the perception of the events differ greatly in the two nation states. While in Germany the end of the First World War is seen as the birth of democracy and is linked to current issues concerning the European Union, in Australia it serves to create identity and to establish a national consciousness that sets itself apart from the outside world. In contrast to Australia, the First World War does not play a major role in the cultural memory of Germans (since it is overshadowed by the Second World War): Only on the 100th anniversary of the outbreak of the war did it gain temporary attention. In Australia, however, it has been at the core of the Australian national narrative throughout the 20th century. While in Germany, the First World War evokes only negative associations and remembrance is primarily for the purpose of pre-

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venting future wars or maintaining peace, Australia also sees positive aspects of the First World War for itself, namely the attainment of national pride and a national identity. In Germany, the memory of the war is occupied with guilt and shame, and pride is unthinkable. The conceptual domain of pride includes various concepts such as vanity, selfesteem, justified pride, hubris, and self-confidence.57 These different types of pride are evoked by different things, such as achievements, possessions, group membership, appearance, skills and abilities, moral qualities, or social status.58 In all cases, however, the achievement, possession, or group must have social or individual value.59 National pride in the achievements of the First World War, as presented in Abbott’s and Cormann’s speeches, encompasses several dimensions of pride. Primarily, it covers achievements (battles won), but also group membership and skills and abilities play a role: Australia’s achievements in World War One are attributed to the skills and abilities of soldiers who are part of the group of all Australians, of the one national entity that was mentioned above. Even if those who commemorate the First World War today did not experience it themselves, the group narrative is still active in people’s minds, leading to the idea that all Australians can be proud of past soldiers and their skills and achievements indefinitely. This narrative of social cohesion is at the same time one of demarcation from other nations and thus stands in contrast to the narrative told in the German speeches. Here it is precisely the European community, the friends and neighbors of other nations, that are instrumental in the peace that must be preserved. The positively connoted element in the German speeches is thus not national demarcation and pride in soldiers who belong to one’s own nationality, but community, cooperation and communication with other nations. There is a different understanding of the construct of a nation. Nevertheless, both views are united by the fact that ultimately cohesion and community are central to the German and the Australian commemoration: In the German memory, it is directed outward, in the Australian memory, it is directed inward. It is important to mention though, that the speeches that were analysed were political and rhetorically intentional speeches. Not covered here is the perception of the ordinary Australian and German people who might think very differently today about the concept of nationality and the reasons for remembering the war than they are told by public speeches.

57 See Zoltan Kövecses: Metaphors of Anger, Pride, and Love. A Lexical Approach to the Structure of Concepts. Amsterdam: John Benjamins, 1986, 39. 58 See ibid., 44. 59 See ibid., 45.

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Andreas Dorrer (Monash University/The University of Melbourne)

Remembrance and Relegitimisation: Commemorating the Centenary of the Armistice of 1918 in Germany and Australia

1.

Departure point

On November 5, 2018, less than a week before the centenary commemorating the end of WWI, the Melbourne based Newspaper The Age published an article supplied by the Australian Associated Press. The title was In Germany, the centenary of the armistice will be just another day and the apparently incomprehensible discovery made by the author of the article was that there will be no official national commemoration of remembrance to mark the “end to the fouryear war that killed more than two million German troops and left four million more wounded” and that instead, the “country’s two leaders visit the capitals of Germany’s wartime enemies”.1 Throughout the rest of the article, the author reflects on the reason for the “lack of commemorative events”2 and ultimately finds this reason in, for Germans certainly not surprising, the events that followed the end of WWI. The overall astonished tone of the article alleging the lack of political and public interest in WWI and regarding the overshadowing role of WWII in Germany’s national narrative are in many ways a summary of the differences between the cultures of remembrance in both countries. Just like the sheer disbelief that the millions of German casualties are not honoured or at least remembered in a national ceremony is typical for the Australian culture of remembrance of the Great War, to focus on WWII and the development in Europe after 1945 when commemorating WWI is typical for the German.

1 Australian Associated Press: “In Germany, the centenary of the armistice will be just another day”. In: The Age Online, 5. 11. 2018. https://www.theage.com.au/world/europe/as-the-world -marks-the-end-of-world-war-i-life-goes-on-as-usual-in-germany-20181105-p50dyq.html (11. 5. 2022). 2 Ibid.

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The article quoted above is one of what Jay Winter called the “dissonant chorus of voices”3 that have, over four decades now, participated in a ‘memory boom’ that has intensified society’s engagement with history and memory. This boom has created platforms that provide easy access to historical information and fosters a (critical) reflection on our past. However, the increasing impact of a nation’s history on contemporary life also creates opportunities for its commercial exploitation and political instrumentalisation. This chapter will focus on the last of these aspects by looking at two state-sanctioned commemoration ceremonies. Since nations require national narratives that legitimise the current national identity and ultimately the nation state, state-organised commemoration ceremonies, like other national history projects such as museums and memorials, take part in the ever-ongoing national project of relegitimisation.4 This is generally achieved by “[c]elebrating some bits and forgetting others” in order to create an “embraceable past.”5 An “embraceable past”, as we will see in the German context, does thereby not necessarily have to mean a positive past, as long as the result is a narrative that fulfills its legitimising function.6 This chapter will look at how the national identities of Germany and Australia are represented during the commemoration of the centenary of the armistice that ended WWI in the West and how they function as a means of relegitimisation. In Australia, the main event during the centenary celebrations of 2018 was a national ceremony at the Australian War Memorial in Canberra, in which both the Prime Minister and the opposition leader participated. In Germany, which indeed did not have a national ceremony, the focus was on Angela Merkel’s participation in international ceremonies and events in Paris on 10 and 11 November 2018. Australia’s focus on its own, national perspective as well as Germany’s fierce attempts to avoid any nationalism are, as I will argue, representations of the culture of remembrance of WWI in each country. Another aspect they have 3 Jay Winter: “Notes on the Memory Boom. War, Remembrance and the Uses of the Past”. In: Duncan Bell (ed.): Memory, Trauma and World Politics. Reflections on the Relationship between Past and Present. New York/London: Palgrave Macmillan, 2006: 54–73, 56. 4 Christian Wicke and Ben Wellings have discussed this in the context of the national history museums established in Germany in 1990 and 2006 and in Australia in 2001. See Christian Wicke/Ben Wellings: “History Wars in Germany and Australia: National Museums and the Relegitimisation of Nationhood”. In: Berber Bevernag/Nico Wouters (eds.): The Palgrave Handbook of State-Sponsored History After 1945. London: Palgrave Macmillan, 2018: 431–445. 5 David Lowenthal: The Heritage Crusade and the Spoils of History. Cambridge: Cambridge University Press, 1989, 162. Mathias Berek has also defined the combination of forgetting and remembering as a central aspect of the creation of a nation’s past. See Mathias Berek: Kollektives Gedächtnis und die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Erinnerungskulturen. Wiesbaden: Harrassowitz, 2009, 150. 6 In Germany, denying or sanitising the past generally leads to the de-legitimisation of those who attempt this in the eyes of at least the vast majority of the people.

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in common is the focus on the so-called birth of the nation, which is in both cases a moment of disassociation that ultimately led to the establishment of national values on which the inner nation building process of Australia after WWI and formal nation building in Germany is based. One function of the commemoration of WWI in both countries is the reinforcement of a national identity that recalls these original values and can therefore function as a means of relegitimisation.

2.

Framing commemoration

In Germany, scholarly articles published around 2014 have frequently expressed astonishment regarding the emerging interest in WWI and commented on the countless commemorative activities organised by governments, schools, museums, and the media around the centenary of WWI. Academia had its own WWI boom with seminar series, workshops, panels, and publications across the country.7 Some commentators predicted that the interest would disappear as rapidly as it has emerged. In fact, it had already faded while the centenary was still ongoing and despite another spike in interest in the media and the public in 2018, academia had by then mostly moved on to other topics. What remains is, besides research into various aspects of WWI, a number of studies on the centenary activities in 2014 and 2015 but none on the centenary commemoration of the end of WWI in 2018. For a comparative study of the culture of remembrance in Germany and Australia, however, the centenary of the armistice is more informative. While for Germany, the war began in August 1914, for Australia, at least in public memory, it began with the landing of troops at Gallipoli on the 25th of April 1915. Known as Anzac Day, this is the most important day in Australia’s WWI culture of remembrance.8 It has been pushed into one of the top spots in the annual event calendar since the 1990s and is as important for the national identity as Australia Day being celebrated with big parades in all major Australian cities and countless smaller commemorative activities in towns across the country every year. Anzac 7 For an overview of the German academic production around the WWI centenary, see Jost Düffler: “Einhundert Jahre Erster Weltkrieg. Eine Bilanz des Jahres 2014”. In: Osteuropa 64/11– 12 (2014): 45–58. 8 Anzac Day officially remembers all Australians and New Zealanders who have served in “wars, conflict, and peacekeeping operations” (Victoria State Government: “ANZAC Day 2017 – For Retailers and Traders”. In: ANZAC Day Centenary 2014–2018 (2017). http://anzaccentenary.a rchive.vic.gov.au/anzacday/index.html (02. 06. 2022)) since 1915, but is very much focused on the remembrance of WWI centred on the Australian perspective rather than on a joint operation of Australian and New Zealand troops.

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Day is one of only two public holidays in Australia on which trading is restricted. For that reason, studies on the Australian culture of remembrance normally focus on Anzac Day, rather than Remembrance Day, which commemorates the Armistice signed on November 11, 1918.9 In Germany, a comparable annual day of commemoration does not exist, which makes the 11th of November 2018 one of the rare occasions in recent history on which both Australia and Germany commemorated this decisive, shared event in their history. Another difference is commemorative ‘infrastructure’ that exists in Australia. Since the 1990s, the annual Dawn Services and Anzac Day Parades have turned into elaborate commemorative events. They are usually organised by the National War Memorial or its equivalent in each state and supported by interest groups such as local branches of the Returned and Service League (RSL) or foundations that tend to local sites of remembrance like monuments, museums and the typically Australian Avenues of Honour. At the same time, the Anzac legend has permeated curricula and extracurricular activities in schools. The result of these efforts, intensified and solidified under Prime Minister John Howard, is that the narrative, although frequently criticised by academics, has established itself in the Australian public and that the institutions involved have been bestowed with an authority as guardians of the Anzac legacy.10 There certainly are authorities regarding “historical remembrance”11 in Germany but they don’t gain their authority through custodianship but rather through, and that is quintessential of the twentieth century culture of remembrance in Germany in general, the disassociation from ideologically influenced perceptions and the claim of independence and objectivity that comes with it. Consequently, universities became one of these authorities after 1945 due to their promise of independence and scholarly ethics. Another example is the state and within its educational system, which includes schools but also museums and exhibitions. The authority in this context is strongly connected to the disassociation from the ‘Third Reich’, in which the initial legitimisation of the

9 See for example Mark McKenna: “Anzac Day: How did it become our national day?”. In: Marilyn Lake/Henry Reynolds (with Mark McKenna/Joy Damousi) (eds.): What’s Wrong with Anzac? Sydney: University of New South Wales Press, 2010: 110–134. 10 The death of the last combatants and eyewitnesses of WWI has created a further shift in custodianship of its legacy. See Andrew Mycock/Shanti Sumartojo/Ben Wellings: “‘The centenary to end all centenaries’: The Great War, Nation and Commemoration”. In: Sumartojo, Shanti/Ben Wellings (eds.): Nation, Memory and Great War Commemoration. Bern: Peter Lang, 2014: 1–24, 5. 11 Jay Winter: Remembering War. The Great War Between Memory and History in the Twentieth Century. New Haven: Yale University Press, 2006, 11.

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Federal Republic of Germany is founded.12 The following analysis of the centenary commemoration will demonstrate the importance of these different frameworks, within which “historical remembrance” is observed in Germany and Australia.

3.

‘Historic responsibility’: Germany commemorates WWI

The national identity of today’s Germany begins with the fall of the co called ‘Third Reich’ and is based on the strict disassociation from Hitler’s dictatorship. The magnitude of the civilisational breach of the Holocaust thereby overshadows all other events in Germany’s history. Considering the development of the interwar years and the role the aftermath of WWI played in Hitler’s rise to power, it is no surprise that the culture of remembrance of WWI is inseparable from that of WWII. Angela Merkel’s trip to Paris for the centenary of the armistice reflects this in every aspect. On 10 November, it began with the visit of Merkel and Macron to the site in Compiègne, where the armistice that ended WWI on the Western front was signed in 1918. This was followed by Merkel’s attendance of the official international commemoration ceremony in front of the Arc de Triomphe and the attendance of the first annual Paris Peace Forum, which was established in light of the centenary. While Merkel, although being the guest of honour, had no active part in the international ceremony, her comments at the other mentioned events demonstrate the influence of WWII within the German culture of remembrance of WWI. The official press release statement recounting the events of the visit to Compiègne states that Merkel was honoured to be the first German chancellor since the end of the Second World War to have visited the site of the armistice “which then did not carry into a peaceful future”13 [der dann nicht für eine friedliche Zukunft getragen hat]. Referring to the Peace Forum opened the next day, she said that the Federal Republic of Germany is willing to contribute to the creation of “a more peaceful world order” [eine friedlichere Ordnung auf der Welt] and stated: “In this respect, this day [11 November; A. D.] is not only a 12 In how far this authority is justified in either case is a question that cannot be answered in this chapter, but it is important to have brief look at these underlying mechanisms of legitimacy and historical authority in Germany. 13 Angela Merkel: Pressestatement von Bundeskanzlerin Merkel beim Besuch in der Französischen Republik. Berlin, 10. 11. 2018. https://www.bundeskanzler.de/bk-de/aktuelles/pressesta tement-von-bundeskanzlerin-merkel-beim-besuch-in-der-franzoesischen-republik-1548380 (06. 06. 2022). In the following: if no official translation is available, the translation is provided by the author.

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reminder, but also an incentive.”14 [Insofern ist dieser Tag nicht nur Mahnung, sondern er ist auch Ansporn]. The text of the bilingual commemorative plaque that Merkel and Macron dedicated to the centenary of the armistice reminds visitors once more of the importance of ‘the Franco-German reconciliation in the interest of Europe and peace’. The connection between WWI and WWII is so dominant in the culture of remembrance that its constant appearance in commemorative activities seems almost unintentional and automatic. This is perhaps best expressed in the plaque’s previously mentioned reference to the Franco-German friendship. This friendship is of course a development of the second half of the twentieth century but certainly not a result of the armistice. Yet it is forever engraved in a plaque inaugurated for the occasion of the centenary of WWI. Together with the site upon where it is placed which is a significant site of memory for both World Wars, the reference to the post 1945 era becomes a striking symbol for the connectedness of the two wars in the German, and to a slightly lesser degree, the French culture of remembrance of WWI. Consequently, it is the “suffering that the Germans brought upon their neighbours, upon Europe and the world in two World Wars”15 [dem Leid, das die Deutschen in zwei Weltkriegen über ihre Nachbarn, über Europa und die Welt gebracht haben] that shapes the way Germany commemorates WWI and not the events of 1914–1918 itself. Germany’s decision to not hold a national commemoration in 2018 but instead to attend the international ceremony in Paris must therefore be understood as a consequence of the interwar period and the Second World War.16 In this, however, it is consistent with the national identity Germany is trying to reinforce: Germany has accepted its historic responsibility, has overcome nationalistic ideas and is now at the forefront “to create a better world”17 [eine bessere Welt zu gestalten]. This has been the narrative of the Federal Republic of Germany since the collapse of the ‘Third Reich’ and the continuous disassociation from Hitler’s regime was and is one of the most important legitimisation arguments. Initially it was expressed by the concept of the ‘Zero Hour’ [Stunde Null], which particularly in the early post-war era claimed that May 8, 1945, would have marked a complete 14 Ibid. 15 Angela Merkel: Rede von Bundeskanzlerin Merkel zur Eröffnung des “Forum de Paris sur la Paix” am 11. November 2018. Paris, 11. 11. 2018. https://www.bundeskanzler.de/bk-de/aktu elles/rede-von-bundeskanzlerin-merkel-zur-eroeffnung-des-forum-de-paris-sur-la-paix-am -11-november-2018-1548456 (06. 06. 2022). 16 The focus on the ceremony in Paris, rather than the one in Westminster, which German President Frank-Walter Steinmeier attended, is due to the fact that the media focus was very much on the ceremony in Paris, with live coverage by the German public television channel ARD. 17 Merkel: Rede zur Eröffnung des “Forum de Paris sur la Paix”.

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break with all political, cultural, and societal aspects of the past. And although the idea of a tabula rasa situation after WWII is historically untenable and has been widely criticised, the relegitimising strategy of Germany’s centenary commemoration is still based on the disassociation from the Nazi-regime. The subordination of their own remembrance under that of the French hosts and the international guests is thereby a display of this identity and so becomes a means of relegitimisation. The disassociation from the past is particularly important, and similarly untenable as the ‘Zero Hour’, when it comes to role of the German military, the Bundeswehr, as the successor of Hitler’s Wehrmacht. And while this complex issue cannot be discussed in greater detail in this chapter, it is important for the comparative analysis of the cultures of remembrance in Germany and Australia. The extend of military presence and involvement that we will see in the commemoration ceremony in Canberra is unimaginable in the German culture of remembrance. The ceremony in Paris has, despite attacks by the political right in France as well as the French military, refrained from including military parades, in order to focus on a multilateral commemoration rather than on victory celebrations.18 Particularly in comparison to the rather ostentatious military parades on previous anniversaries of the armistice, the military ceremony was, as Ellen Ehni, the commentator of the ARD special Report 100 Years World War I – Commemoration in Paris [100 Jahre Erster Weltkrieg – Gedenken in Paris] called it, a rather “solemn but modest moment”19 [feierlicher aber bescheidener Moment] of the event. Most notable about the setup of this military ceremony is that it was entirely separated from the international ceremony. It preceded the main event and it almost seemed like it was meant to be excluded. Consequently, it was spatially separated from it. The reduced delegation of the individual military branches and military academies that Macron passed by and honoured during this part were located to the left of the Arc de Triomph around the Place Charlesde-Gaulle. They were almost out of sight from the pavilion attached to the archway of the Arc de Triomph in which the international guests remained during the military ceremony (Fig. 1). A more prominent involvement of the French Armed Forces in the ceremony would have contradicted the message of multilateralism and of a peaceful collaboration of nations that Macron and Merkel have centred throughout their 18 See ARD-Sondersendung: “100 Jahre Ende 1. Weltkrieg – Gedenken in Paris”. In: ARD Mediathek, 2018, 12:26–12:55. https://www.ardmediathek.de/video/ard-sondersendung/100-jah re-ende-1-weltkrieg-gedenken-in-paris/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2FyZC1zb 25kZXJzZW5kdW5nLzI3MTA3Mzc2LTczODgtNDMwMC05NTU1LTg0ZjI0MzExYTBhMQ (22. 06. 2022). 19 ARD-Sondersendung: 100 Jahre Ende 1. Weltkrieg, 25:46.

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Fig. 1: Centenary commemoration on the Place Charles-de-Gaulle on 11 November 2018.

commemorative activities and so it seems to have been one of the many diplomatic decisions that was made in order to accommodate the international guests, certainly not the least Macron’s guest of honour, Angela Merkel. And so, the message of reconciliation and multilateralism dominated the rather uneventful ceremony. Various musical pieces framed the roughly 40minute-long event (not including the ten-minute-long military component), which included diary entries and letters from the front written by a French, a British, a Chinese, an American and a German contemporary and read by school children from these countries in the original language. This was followed by Emmanuel Macron’ speech, the only one given during the ceremony, which, besides many contemporary connection points, seemed to compromise the earnesty and consistency with the overall message of the ceremony:20 “On this November 11, 2018, one hundred years after a massacre whose scars are still visible on the face of the world, I thank you for this gathering of rediscovered fraternity since November 11, 1918. May this gathering be more than just a one-day event. This fraternity, my friends, invites us, in fact, to lead together the only battle that is worth fighting: the battle for peace, the battle for a better world.”21 [En ce 11 novembre 2018, cent ans après un massacre dont la cicatrice est encore visible sur la face du monde, je vous remercie pour ce rassemblement de la fraternité retrouvée du 11 novembre 1918.

20 A detailed discussion of the speech would exceed the scope of this chapter as it reflects the relegitimisation strategy of Macron rather than that of the German participation in the ceremony. It confirms many of the aspects already discussed in this chapter, such as the inseparability of remembrance and the current political situation. Thich was expressed for example through remarks against nationalism and isolationism which were clearly addressed at Donald Trump’s America First policy. 21 Emmanuel Macron: Discours du Président de la république commémoration du centenaire de l’armistice. Paris, 11. 11. 2018. https://www.diplomatie.gouv.fr/IMG/pdf/181111_pr_rede_wel tkriegsgedenken_fr_cle4e819e.pdf (06. 06. 2022).

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Puisse ce rassemblement ne pas être seulement celui d’un jour. Cette fraternité, mes amis, nous invite, en effet, à mener ensemble le seul combat qui vaille : le combat de la paix, le combat d’un monde meilleur.]

And while Macron’s speech strongly addressed the memory of WWI, the lessons France has allegedly learned from its legacy correspond with the properties of the German culture of Remembrance as they are derived from the peace established after WWII, represented by “the friendship forged between Germany and France”22 [l’amitié forgée entre l’Allemagne et la France]. In accordance with the message, whereby Germany has accepted its historic responsibility, Merkel’s humble and restrained approach towards her role in the international event ultimately embodies this national identity and becomes a means of relegitimisation that defines the FRG as a democratic state in the heart of a united Europe.

4.

WWI commemoration in Australia: the ‘birthplace of the nation’

If the analysis would only focus on the ceremony itself, it could not be more different from the German commemoration. This is no surprise as they each reflect the national identity and culture of remembrance they are embedded in and those are quintessentially different. Australia’s national narrative is directly connected to WWI, with the battlefields of Gallipoli as the mythical birthplace of the nation and the characteristics of the first Anzacs allegedly defining Australian values to this day. This narrative creates a line of tradition to an historic event that despite, or maybe because of the catastrophic nature of the Gallipoli campaign, appears in a positive light. Because throughout the campaign and later in the battles of the Western Front, Australians are said to have proven to the world and to themselves that they have become a people in its own right and thereby initiated a ‘inner’ nation building process. The relative insignificance of WWII in Australia allows the national narrative to bypass the civilisational breach that occurred between 1939 and 1945 as a distant, European, aspect of history and for Australia, to establish lines of tradition that link the events of WWI directly with the present, ignoring the caesura that WWII constitutes in many other parts of the world. Without the ‘issue’ of WWII – and of course without the historical guilt that will forever be part of Germany’s national identity – the culture of remembrance of WWI in Australia has established a very heroising perspective on the first Anzacs and their sacrifices. The annual Anzac Day parades and the many often very prominent 22 Ibid.

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memorials erected all over the world are a representation of this heroisation. Especially since the 1990s, the institutions that have taken custodianship of the memory of WWI have preserved this aspect of the Anzac narrative and their involvement in the commemoration ceremony on November 11, 2018, has shaped it. The main gatekeeper of the Australian culture of remembrance is the Australian War Memorial, which is defined by the Australian War Memorial Act 1980 as a cooperation that is dedicated to preserving the memory of Australians who have died in war.23 It includes an archive, a museum and research facilities and is part of the portfolio of the Ministry of Veteran Affairs. Its “mission”, according to the AWM, “is to assist Australians to remember, interpret and understand the Australian experience of war and its enduring impact on Australian society.”24 The publications, exhibitions and projects of the AWM have arguably more influence on the Australian culture of remembrance than academic scholarship, sometimes leading to a lack of multi-perspectivity.25 Because of the institutional link between the AMW and the influential veteran organisations in Australia, military personnel and veterans play an important role in the Australian discourse of remembrance and did so in the ceremony in Canberra. While the military aspect was reduced in Paris, in Canberra representatives of the different branches of the armed forces played an integral part and served as a structuring element of the ceremony. By marching into the middle of the ceremonial space at the start of the commemoration, the Federation Guard was not only figuratively but also literally the centre piece of the ceremony (Fig. 2). Together with the band of the Royal Military Duntroon, they marked the transition between the individual parts of the ceremony either through music or by executing parading exercises and thereby provided a 23 Office of Parliamentary Council: “Australian War Memorial Act 1980”. In: Commonwealth Consolidated Acts (AsutLII) (1980). http://www8.austlii.edu.au/cgi-bin/viewdb/au/legis/cth /consol_act/awma1980244/ (14. 06. 2022). 24 Australian War Memorial: Our Organisation (2022). https://www.awm.gov.au/about/organi sation (14. 06. 2022). 25 The link between academic scholarship and public discourse is traditionally stronger in Germany as for example the ‘Fischer Controversy’ in the 1960s or the influence of Christopher Clark’s The Sleepwalkers, which was translated into German in 2013, on the public debate in Germany demonstrate (Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog [engl. 2012]. München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2013). In this context, the invitation of renowned historian Herfried Münkler to the ARD Special Broadcast of the commemoration ceremony in Paris reflects the connection between academic and public discourse just as much as the absence of such a perspective at the Australian ceremony. Brad Wests statement that commemoration “is at the very heart of our understanding of past wars” (Brad West: “War commemoration and the expansion of the past”. In: Brad West: War, Memory and Commemoration. New York: Routledge, 2017: 1–14, 4) is therefore certainly true for the Australian context but not necessarily for the German.

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framework for the commemorative activities performed in each part of the more than 90-minute-long ceremony. Furthermore, the Stone of Remembrance was mounted by the Tri-service Catafalque party, which is also provided by the Federation Guard (Fig. 3). Engraved with the names of fallen Australian soldiers and situated between the speakers’ podium and the Federal Guard, the Stone of Remembrance becomes the spiritual and performative focus point of the commemoration and, in the absence of historical WWI-sites on Australian soil, a site of memory.

Fig. 2: The commemoration space with the Federal Guard in its centre.

As discussed earlier, in Germany, the legitimisation of the nation state is based on the disassociation from its militaristic and nationalistic past and the way WWI was commemorated reflected this. Since the values of the first Anzacs occupy such an important part of the Australian national identity, at least in its official version, the ceremony in Canberra strongly focussed on these values and their significance for Australians today.26 Consequently, this crucial and however problematic aspect of Australia’s national narrative dominated the ceremony in Canberra in multiple ways. One consequence of the focus on the values of the soldiers was the perspective of the ceremony. When taking the date of the commemorated event, 11 November 1918, as a departure point, the German perspective is to focus on the time after the armistice, the rise of fascism and ultimately its collapse in 1945 after 26 The problems of this national identity have been discussed in the introduction to this volume. For a detailed critical analysis of a variety of aspects of the Anzac Myth see Marilyn Lake/ Henry Reynolds (with Mark McKenna/Joy Damousi) (eds.): What’s Wrong with Anzac? Sydney: University of New South Wales Press, 2010.

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Fig. 3: The Stone of Remembrance, mounted by the Tri-service Catafalque party.

which the Federal Republic of Germany was founded in 1949. The Australian culture of remembrance of WWI focuses on the events before the armistice because its legacy lies in the values shown on the battle fields rather than in the developments after the war’s end. This is no surprise considering the differences in the nation building process in Germany and Australia. Unlike the end of WWII in Germany, WWI did not lead to a new Australian nation state. In fact, it diverted Australia from the path to become fully independent from the British Empire, which from 1901 until the outbreak of the war seemed to be the way the nation was heading. In the absence of an ‘outer’ national building process, the narrative focuses on the ‘inner’ nation building and locates the beginning of this process in the trenches of WWI. There and then, the “citizen-soldiers of the First World War” have, as Scott Morrison expressed it in his commemoration address, “defined so much of who we are as a people today”.27 In this address, Morrison represented the ‘spirit of the Anzac’ in a way that is representative for the Australian culture of remembrance: 27 Scott Morrison: Commemorative Address at the Remembrance Day National Ceremony. Canberra, 11. 11. 2018. https://www.awm.gov.au/commemoration/speeches/remembrance-d ay-2018. (15. 06. 2022). This is of course problematic. Firstly, it defines the original carriers of the Australian identity as predominantly white and male. Secondly, it derives the characteristic attributes of this identity from men in a very extreme and violent environment and heroises their sacrifices with the disregard of an important fact: the predominant job of a soldier is not to die but to kill. This often very traumatising experience is generally ignored for the emphasis of the heroic sacrifice.

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“They believed in country over self. They believed in each other, when all seemed lost. They respected the chain of command, but it was their character that drove their actions, as it is today. They laughed, they smoked, they told stories, they wept, they were as earthy as the land in which they were born from.”28

This image was first introduced into the Australian discourse by the reports of Charles W. Bean and Ellis Ashmead-Bartlett, whose accounts are still in the centre of the Anzac myth. And while they have not always been as unquestioned and uncriticised as it often seems to be the case today, the culture of remembrance has adapted their stories as legends, and they often serve as historical documents of the first appearance of an Australian national identity. The reinforcement of this identity and its identification in modern day Australia has the same legitimising function as Germany’s disassociation from the ‘Third Reich’. It identifies a location, a moment and an occasion that marks the beginning of an Australian nationhood and disassociates it from the British identity of most Australians in previous centuries. It thereby justifies the idea of an inner separation from the mother country, even without the creation of an independent nation state. Caesura like this or the initially proclaimed ‘Zero Hour’ in Germany are integral parts of the legitimisation of any nation. In Germany and in Australia, this is problematic because it implies that the new nation cannot be held responsible for the crimes of the past and that their only inheritance is the responsibility of remembrance. Problems Australia had and still has to come to terms with regarding its colonial past must therefore be seen in this context, just like the structural problems of the German Bundeswehr. And yet, the ‘spirit of the Anzacs’ remains crucial for Australia’s national identity and therefore dominates the commemoration ceremony in Canberra from the very beginning, when Scott Bevan, the Master of Ceremonies at the National War Memorial, declared the meaning of Remembrance Day in his first address to the crowd: “[T]hat moment, when hostilities ceased on the Western Front became universally associated with the remembrance of those who died in the war”.29 The remembrance of the fallen and the glorification of their sacrifice is indeed the focus of the ceremony and in fact of the culture of remembrance in Australia.30 The focus is thereby entirely on the Australian sacrifices made during 28 Ibid. 29 Australian War Memorial: Remembrance Day National Ceremony 2018: 30:51. https://www. youtube.com/watch?v=6adSgOKAXH0 (14. 06. 2022). All quoted passages from Bevan’s speech have been transcribed from this source by the author. 30 They have in fact gained an almost sacred status for within the Australian culture of remembrance. Criticism on their legacy is frequently interpreted as an attack on Australian values themselves. For examples of this exaltation as well as of the existing counter narratives, see Marilyn Lake: “Introduction: What have you done for our country”. In: Marilyn Lake/

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WWI. Just how exclusively Australian this focus becomes apparent in the fact that even Australia’s allies in WWI, for example the British or the New Zealand troops, which are part of the acronym ANZAC, are effectively absent in the culture of remembrance just like First Nations people. In this context, the newspaper article’s reference to the “end to the four-year war that killed more than two million German troops and left four million more wounded”, quoted at the beginning of the chapter, is representative of the nationalistic perspective within Australia’s culture of remembrance and demonstrates that it permeates the entire discourse. In his address, then Prime Minister Scott Morrison began with quoting Charles Bean’s reflection on the day of the armistice, on which Bean walked over the former battlefield at Fromelles, in France: “‘We found the old No-Man’s-Land simply full of our dead,’ he wrote.”31 And while Bean might have arguably considered “our dead” as the fallen British and Australian troops, Scott Morrison demonstrates a narrower understanding of this quote when he continues: “On that day, perhaps Bean reflected on the unfulfilled dreams of the almost 2,000 Australians who had fallen at Fromelles in a single day, or the suffering of the more than 3,000 who had been wounded. Perhaps he thought of the tens of thousands of our war dead lying on the steep hills of Gallipoli, or on the blood-soaked fields of Flanders, and the searing deserts of the East. Perhaps he dwelt on the grief of families who would never again embrace loved ones, or on the loss to communities across the nation of a generation that had made victory possible. As we commemorate the centenary of the Armistice and cast our minds back over the years, we know too well the deep scars of war and long to prevent them from touching an Australian soul.”32

This focus on the Australian suffering and sacrifice stands in the tradition of the “sentimentalising of wartime experience”33 that Joy Damousi has identified as an integral part of Australia’s culture of remembrance. It was further represented when then opposition leader Bill Shorten, as one of the last speakers of the ceremony, read selected epitaphs from the gravestones of exclusively Australian soldiers, buried at military cemeteries overseas. An important aspect of this emotionalisation of the soldiers’ sacrifices is the feeling of gratitude towards the first Anzacs that underlines the narrative. From a European perspective, this initially seems strange, as they did not defend Australia, which was never under any real threat during WWI. Furthermore, while Henry Reynolds (with Mark McKenna/Joy Damousi) (eds.): What’s Wrong with Anzac? Sydney: University of New South Wales Press, 2010: 1–23. 31 Morrison: Commemorative Address. 32 Ibid. 33 Joy Damousi: “Why do we get so emotional about Anzac”. In: Marilyn Lake/ Henry Reynolds (with Mark McKenna/Joy Damousi) (eds.): What’s Wrong with Anzac? Sydney: University of New South Wales Press, 2010: 94–109, 101.

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militarism and nationalism dominated the German Reich under Wilhelm II, the claim that they would have freed the world from evil, similar to the defeat of Hitler Germany, does not withstand. And yet, there is an important means of relegitimisation in this aspect that is often forgotten. The Hughes-Government’s propaganda campaign during WWI claimed that reaching Australia was one of Germany’s major aims of WWI, in order to exploit its rich resources. And while there is absolutely no evidence that would suggest that Australia played any role in Germany’s deliberations, this idea was successfully established in the public perception of the war at the time. And although the origins of this concept have meanwhile disappeared, the idea that “the freedom of Australia […] was being defended in the trenches of France”34 has become part of the WWI narrative. Particularly since WWI did not lead Australia into independence from Great Britain, this aspect is an important (re)legitimising argument for Australia because it enables the country to claim another important property of independent nations: The ability to defend their own territory and a history of doing it. Following Morrison’s address, the aspects of the Australian culture of remembrance discussed above, the direction from the Armistice backwards onto the war that preceded it, the focus on the fallen and the nationalistic approach to their memory, culminated in the laying of wreaths at the Stone of Remembrance. This ceremonial act was split into two parts, the laying of wreaths by representatives of Australian institutions, including government bodies and veteran societies, and, after a musical break, by representatives of the more than 100 embassies and high commissions that are based in Canberra. These two acts, which together go for about 22 minutes, constitute the longest individual part of the entire commemoration ceremony and demonstrate the extent of the focus on the fallen and only the Australian fallen of the war.35 Despite Bevan’s claim that “this gesture symbolises a unified desire for peace and a respect shared by all nations for the memory of those who were lost during the war and other conflicts”,36 the symbolism of diplomatic representatives of foreign countries paying respect to ‘the fallen’ at the Stone of Remembrance, engraved with the names of fallen Australian soldiers, in front of the National War Memorial of Australia, in Australia’s capital, leaves little room for interpretation. However, in the light of the function of such state-sanctioned ceremonies, the excessively celebrated acknowledgment of Australia’s sacrifices by representatives of foreign nations becomes but another aspect in the (re)legitimisation of the Australian narrative. 34 Nadine Helmi/Gerhard Fischer: The Enemy at Home. German Internees in World War I Australia. Sydney: University of New South Wales Press, 2011, 19. 35 Australian War Memorial: Remembrance Day, 1:13:54–1:22:20; 1:25:39–1:38:37. 36 Australian War Memorial: Remembrance Day, 1:25:59.

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Conclusion

When looking at the commemoration of the centenary of the armistice that ended WWI in the West, and its representation of the culture of remembrance in Germany and Australia, respectively, it’s the differences that stand out most. The heroisation of soldiers and the exclusively national focus of the commemoration in Australia has the potential to make many German observers feel uncomfortable. At the same time, Australian observers often meet the sombre, distanced way to remember WWI in Germany with suspicion as it is easily mistaken as a lack of gratitude when being compared to Australia’s culture of remembrance. These perspectives demonstrate that remembrance is always culture-specific, and shaped through a long socialisation process in schools, the media and, last but not least, through commemoration events that are approved or even organised by the state. This last example includes an aspect that most other forms of remembrance lack: the need to draw (re)legitimisation from the nation’s past.37 And while individual Bundesländer in Germany and states in Australia have different curricula and one media outlet’s perspective might differ from that of another, the strategies of (re)legitimisation at state-sanctioned commemoration ceremonies are very similar, even if the ceremonies appear incompatible. They are, generally speaking, the disassociation from and/or the association with certain aspects of a nations’ past. For Germany, the foundation of its legitimisation is the disassociation from the ‘Third Reich’ and the commemoration of the centenary of the armistice of WWI has to fit into this narrative. The decision to refrain from a separate national ceremony and to instead attend the commemorations in Paris and in Westminster is not a lack of interest but a reflection of the culture of remembrance in Germany. Its message is that Germany has learned from its past and accepts its ‘historic responsibility’ to prevent the “closeminded nationalism”38 [nationales Scheuklappendenken] with which it has thrown the world into chaos twice in the last 100 years from ever taking hold again. The identity of the newly founded FRG was based on this responsibility and it still functions as a means of relegitimisation. The symbol for this identity is the friendship with France and its display permeated Germany’s commemorative efforts. These decisions, however, also demonstrate that an independent culture of remembrance of WWI does not exist and in 2018 it meant that the historical chance to use the attention that WWI received during its centenary to create a public discourse that engages with WWI as an independent historical event was missed. Although academia traditionally 37 One could of course argue that history curricular have been and are also used for this purpose. 38 Merkel: Rede von Bundeskanzlerin Merkel.

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has a strong influence on historical remembrance in Germany, of the abundance of academic publications, mainly Christopher Clark’s The Sleepwalkers caught the attention of the public. One could argue that the positive reception of his argument is influenced more by the guilt embedded in Germany’s post-WWII identity than by a new interest in WWI. Furthermore, this also means that the chance was missed to critically engage with the Weimar Republic and to learn more from the first democratic German state than what not to do. For that however, it would have to be understood as more than just a failed project that ultimately became an incubator for National Socialism. In some respects, the Australian culture of remembrance is the opposite of the German. While being very present in society, there is little permeation between the critical academic and the predominantly positive public perception of the Anzac legacy. This perception has grown since the efforts made by the Howard Government and its successors to connect Australia’s national identity to a version of the Anzac legend that is not much different to its first introduction into the Australian public by C. E. W. Bean’s The Anzac Book.39 The nationalistic and heroising nature of national commemorations like Anzac Day, which increased alongside the push of the Anzac narrative to the centre of the national identity is thereby an indicator for the relegitimising purpose of these ceremonies. Australia’s founding myth refers to the beginnings of an ‘inner’ nation building process that lead to the emergence of a nation that is distinct from that of a British Colony mainly in its national identity. Allegedly, this identity was displayed for the first time by the original Anzacs and their heroic sacrifices during WWI and because of them, Australians were first recognised on the world stage. This narrative centres in the culture of remembrance of WWI and due to its connection to the national identity of Australia, is crucial in the context of relegitimisation. Consequently, the commemoration in Canberra used the armistice to look back on the war rather than, like in Germany, forward in its aftermath. Its focus is on the Australian experience of the war, especially on the sacrifices the nation made and the values of those who made them. From their memory, the narrative draws the identity of modern-day Australia which allegedly still represents these original values. Some could argue that just like in Germany, Australia’s relegitimisation strategy is to disassociate itself from one aspect of its past and to create lines of tradition to another. In Germany, it is disassociation from the autocratic regimes that are, to different degrees, responsible for the two World Wars of the twentieth century and explicitly from the crimes they committed. In Australia, it is disassociation from an identity of Britishness as an overseas colony and thereby implicitly from the crimes committed in its colonial past. To which degree these 39 Charles E.W. Bean (ed.): The Anzac Book. London: Cassell and Company, 1916.

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narratives reflect history is not the topic of this chapter, nor is it to discuss the various problems that arise from them, but the analysis of the centenary commemorations demonstrates the function of these narrative for both nations today and thereby the reasons for their individual properties.

Works cited ARD Sondersendung: “100 Jahre 1. Weltkrieg – Gedenken in Paris”. In: ARD Mediathek (2018). https://www.ardmediathek.de/video/ARD Sondersendung/100-jahre-ende-1-w eltkrieg-gedenken-in-paris/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2FyZC1zb25kZX JzZW5kdW5nLzI3MTA3Mzc2LTczODgtNDMwMC05NTU1LTg0ZjI0MzExYTBhMQ (08. 06. 2022). Australian Associated Press: “In Germany, the centenary of the armistice will be just another day”. In: The Age Online, 5. 11. 2018. https://www.theage.com.au/world/europe /as-the-world-marks-the-end-of-world-war-i-life-goes-on-as-usual-in-germany-20181 105-p50dyq.html (11. 5. 2022). Australian War Memorial: Our Organisation (2022). https://www.awm.gov.au/about/org anisation (14. 06. 2022). Australian War Memorial: Remembrance Day National Ceremony 2018 (2018). https:// www.youtube.com/watch?v=6adSgOKAXH0 (14. 06. 2022). Bean, Charles E.W. (ed.): The Anzac Book. London et al.: Cassell and Company, 1916. Berek, Mathias: Kollektives Gedächtnis und die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Erinnerungskulturen. Wiesbaden: Harrassowitz, 2009. Clark, Christopher: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog [engl. 2012]. München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2013. Damousi, Joy: “Why do we get so emotional about Anzac”. In: Marilyn Lake/Henry Reynolds (with Mark McKenna/Joy Damousi) (eds.): What’s Wrong with Anzac? Sydney: University of New South Wales Press, 2010: 94–109. Düffler, Jost: “Einhundert Jahre Erster Weltkrieg: Eine Bilanz des Jahres 2014”. In: Osteuropa 64/11–12 (2014): 45–58. Helmi, Nadine/Gerhard Fischer: The Enemy at Home. German Internees in World War I Australia. Sydney: University of New South Wales Press, 2011. Lake, Marilyn: “Introduction: What have you done for our country”. In: Marilyn Lake/ Henry Reynolds (with Mark McKenna/Joy Damousi) (eds.): What’s Wrong with Anzac? Sydney: University of New South Wales Press, 2010: 1–23. Lake, Marilyn/Henry Reynolds (with Mark McKenna/Joy Damousi) (eds.): What’s Wrong with Anzac? Sydney: University of New South Wales Press, 2010. Lowenthal, David: The Heritage Crusade and the Spoils of History. Cambridge: Cambridge University Press, 1989. Macron, Emmanuel: Discours du Président de la république commémoration du centenaire de l’armistice. Paris, 11. 11. 2018. https://www.diplomatie.gouv.fr/IMG/pdf/181111 _pr_rede_weltkriegsgedenken_fr_cle4e819e.pdf (06. 06. 2022).

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List of Illustrations Fig. 1: “Centenary commemoration on the Place Charles-de-Gaulle on 11 November 2018.” Screen grab from: ARD Sondersendung: 100 Jahre Ende 1. Weltkrieg – Gedenken in Paris: in: ARD-Mediathek (2018). https://www.ardmediathek.de/video/ARD Sonderse ndung/100-jahre-ende-1-weltkrieg-gedenken-in-paris/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc 3RlLmRlL2FyZC1zb25kZXJzZW5kdW5nLzI3MTA3Mzc2LTczODgtNDMwMC05NT U1LTg0ZjI0MzExYTBhMQ (08. 06. 2022).

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Fig. 2: “The commemoration space with the Federal Guard in its centre.” Screen grab from: Australian War Memorial: Remembrance Day National Ceremony 2018 (2018). https:// www.youtube.com/watch?v=6adSgOKAXH0 (14. 06. 2022). Fig. 3: “The Stone of Remembrance, mounted by the Tri-service Catafalque party.” Screen grab from: Australian War Memorial: Remembrance Day National Ceremony 2018 (2018). https://www.youtube.com/watch?v=6adSgOKAXH0 (14. 06. 2022).

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2. Kultur, Geschichte und Kulturgeschichte

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Tobias Arand (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg)

„Wie Anno 70“. Eine Geschichte der deutschen Kriegserinnerung erzählt an einem Denkmalensemble

Eine deutsche Postkarte, die 1914 bei Kriegsbeginn aufgelegt wurde, zeigt einen weißbärtigen, schon etwas gebrechlichen Veteranen, der in seinem Lehnstuhl hockt und wehmütig aus dem Fenster schaut. Sein Eisernes Kreuz hat er in Substanz eingeknöpft und so zeigt er sich als alter Kämpfer des Feldzugs von 1870/71. (Abb. 1) Sein Blick aus dem Fenster gilt einem wacker ins Feld marschierenden Trupp junger Infanteristen. Fast schon comichaft – es fehlen nur die Gedankenblasen – können wir an seinen Gedanken teilhaben: „Wie Anno 70!“1 Einmal wird hier ein für den August 1914 wie für den Juli 1870 irriges Bild ungeteilter Begeisterung bei Kriegsbeginn behauptet. Der sehnsüchtige Blick des Veteranen verweist ebenso auf Zustimmung zum Krieg wie der forsche Schritt der mit Blumen geschmückt ins Feld Ziehenden – dabei wissen wir heute, dass das sog. ‚Augusterlebnis‘2 weitgehend ein Mythos ist. Zum anderen wird eine direkte Beziehung zwischen beiden Kriegen auf jener Ebene erstellt, die hier Gegenstand der Betrachtung sein soll: Auf der Ebene der Erinnerung.3 Der Veteran als Vertreter der Generation der Dabeigewesenen erinnert sich an seine Erlebnisse direkt, die blumengeschmückten Insfeldziehenden als Vertreter der Nichtdabeigewesenen erinnern sich nur indirekt. Ihnen hat man affirmative Bilder vom Krieg suggeriert, die durch unterschiedlichste Instanzen der Geschichtskultur vermittelt wurden: Er1 Vgl. Tobias Arand: „Ein zunehmend vergessener Krieg. Die Entwicklung der Erinnerung an den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71“. In: Tobias Arand (Hg.): ‚Der großartigste Krieg, der je geführt worden‘. Beiträge zur Geschichtskultur des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71. Münster: ZfL-Verlag, 2008: 9–36, 29. 2 Vgl. zum ‚Augusterlebnis‘ Jeffrey Verhey: Der ‚Geist von 1914‘ und die Erfindung der Volksgemeinschaft [engl. 2000]. Hamburg: Hamburger Edition, 2000. In Geschichtsschulbüchern war das irrige Narrativ nicht totzukriegen, mittlerweile kommen die fachwissenschaftlichen Erkenntnisse mit Verzögerung auch in den Lehrwerken an; vgl. z. B. o. A.: denkmal. Ausgabe 2011 für Nordrhein-Westfalen. Schülerband 3. Braunschweig: Schroedel, 2012, 32–33. 3 Vgl. im Folgenden zum Gegenstand ‚Erinnerung und Krieg‘ Tobias Arand/Christian Bunnenberg: „Wem gehört die militärische Erinnerung im umstrittenen Grenzraum? Der Erinnerungsort des Schlachtfeldes von Woerth-en-Alsace und seine Entwicklung von 1870 bis zur Gegenwart“. In: Patrick Ostermann/Claudia Müller/Karl Siegbert Rehberg (Hg.): Der Grenzraum als Erinnerungsort. Bielefeld: transcript, 2012: 213–233.

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Abb. 1: Postkarte ‚Wie Anno 70‘.

innerungsbücher4, Regimentsgeschichten, Schulunterricht, Erzählungen der Väter, Denkmäler. Mit diesen nur aus zweiter Hand vermittelten Erinnerungen und dem so falschen wie gefährlichen Geschichtsbild, es gäbe für Deutsche eine natürliche Verbindung von Krieg und Sieg,5 zogen die jungen Männer in den Kampf.6 Rasch mussten sie bitter feststellen, dass man sie mit den heroischen Erinnerungen über die grausame Realität des industrialisierten Kriegs belogen hatte.7 Ein Bildträger dieser Differenzerinnerung zwischen Realität und affirmativer Fiktion war, beziehungsweise ist immer noch, das in den heutigen Raum als Zeugnis der Vergangenheit hineinragende geschichtskulturelle Medium des 4 Vgl. hierzu: Tobias Arand: „‚… dazu find ich keine Worte‘ – Der Blick auf den Krieg von 1870/ 71 in Erinnerungsbüchern deutscher Veteranen“. In: Wolfgang Mährle (Hg.): Nation im Siegesrausch. Württemberg und die Gründung des Deutschen Reichs 1870/71. Stuttgart: Kohlhammer, 2020: 85–98. 5 Titel einer populären Darstellung des Kriegs: Julius von Pflugk-Harttung (Hg.): Krieg und Sieg 1870–71. Ein Gedenkbuch. Berlin: Schall & Grund, 1895. 6 Vgl. Arand: Vergessener Krieg, 28–29. 7 Vgl. Rolf Spilker/Bernd Ulrich (Hg.): Der Tod als Maschinist. Der industrialisierte Krieg 1914– 1918. Ausstellungskatalog Museum Industriekultur Osnabrück. Bramsche: Rasch, 1998.

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„Wie Anno 70“

Kriegerdenkmals.8 Als Teile der ‚Geschichtskultur‘, wie die Geschichtsdidaktik alle materiellen Ausformungen von Vergangenheitsdeutungen bezeichnet, sind Denkmäler geeignet, den wechselnden Blick vergangener Gesellschaften auf das Thema ‚Krieg‘ besonders anschaulich darzustellen. Unerlässlich dafür ist die Analyse der Bildelemente und ihrer Funktion in den meist affirmativen Narrativen der Denkmäler. Betritt man den alten Friedhof der ehemals württembergischen Garnisonstadt Ludwigsburg, kommt man auf ein Areal, an dem sich wie unter einem Brennglas aufzeigen lässt, wie sich innerhalb des Zeitraums von 1871 bis 1957, also über die Distanz dreier Kriege, zwar die Form der Erinnerung an den jeweiligen Krieg verändert, aber die Absicht der Differenzerinnerung die gleiche geblieben ist.9 Zuerst sieht man eine neogotische, 1867 errichtete Grabkapelle, die durch ein eisernes Gittertor verschlossen ist, auf dem golden nur die historisch raunenden Zahlen ‚1939–1945‘ stehen (Abb. 2).

Abb. 2: Eingangstor der Grabkapelle ‚1939–1945‘ auf dem Alten Friedhof Ludwigsburg.

8 Bis heute zu diesem Thema wichtig Georg L. Mosse: Die Nationalisierung der Massen. Politische Symbolik und Massenbewegungen von den Napoleonischen Kriegen bis zum Dritten Reich. Frankfurt a. M.: Ullstein, 1976. Daneben das Mammutprojekt von Meinhold Lurz: Kriegerdenkmäler in Deutschland. 6 Bde. Heidelberg: Esprint, 1985–1987. 9 Vgl. zum Folgenden Tobias Arand: Gestorben für ‚Vaterland‘ und ‚Patrie‘. Die toten Krieger aus dem Feldzug von 1870/71 auf dem ‚Alten Friedhof‘ in Ludwigsburg. Ludwigsburg: Militärgeschichtliche Gesellschaft, 2012, 6–17.

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Wendet man den Blick nach rechts, stehen auf einer Blickachse, leicht versetzt, zwei Denkmalsanlagen. Einmal ein runder Platz, von Stelen flankiert, weiter hinten eine große Säule, bekrönt mit dem Eisernen Kreuz. Dazwischen liegen in Einzelgräbern die in Ludwigsburger Lazaretten verstorbenen Kämpfer von 70/71 und 14/18 (Abb. 3).

Abb. 3: Blick von der Grabkapelle zum Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs auf dem Alten Friedhof Ludwigsburg, im Hintergrund die Säule für die Toten von 1870/71.

Das Denkmal von 1872 (1870/71) Beginnen wir mit dem ältesten der drei Denkmäler. Es wurde 1872 aus Initiative des örtlichen Sanitätsvereins errichtet, der während des Kriegs deutsche und französische Verwundete pflegte. Das Denkmal steht über den Gräbern der 1870 und 71 in Ludwigsburg verstorbenen deutschen Krieger, Preußen, Bayern und Württemberger (Abb. 4). Aus soziologischer Sicht präsentieren die Mitglieder des Sanitätsvereins das gehobene Bildungsbürgertum und die zivilen und militärischen Funktionseliten einer Garnisonsstadt, die mit dem Denkmal ihre Kriegsdeutungen in den öffentlichen Raum einschreiben. Und das, was sie einschreiben, ist eine Erinnerungsdifferenz, wie sie deutlicher kaum sein könnte. In der Beschreibung des

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Abb. 4: Das Ludwigsburger Kriegerdenkmal im Jahr seiner Einweihung.

Denkmals zeigte sich die zeitgenössische Ludwigsburger Presse präzise wie begeistert: „Das Kriegerdenkmal in der Höhe von 30 Fuß [=10,3 m, d. Vf.] ist aus gelblichem Heilbronner Sandstein gefertigt. Auf einer Stufe ruhend erhebt sich ein kräftiger achteckiger Sockel, gedeckt mit einem reichen Eichelkranz. Auf diesem Sockel verlängert sich das Achteck, welches den Schriftraum bildet […]. Dieser Theil ist durch ein reichverziertes Deckgesims geschützt und geht in eine Säule über, gestützt durch vier Strebpfeiler, auf welchen auf der vorderen Seite der Reichsadler, auf beiden Nebenseiten Kriegs-Embleme erhoben ausgehauen sind. Auf dem glatten Theil der Säule selbst ist in großen Buchstaben folgende Widmung angebracht: ‚Denkmal zum ehrenden Gedächtnis der ‚Deutschen Krieger‘, welche, aus Frankreich bisher gebracht, ihren Wunden und Anstrengungen erlegen sind. 1870–1871,‘ und ‚Sie fielen für Deutschlands Einheit und Recht.‘ Um den Schluß der Säule windet sich eine kräftige ImmortellenGuirlande, abwechselnd mit Kränzen. Palmblätter aneinander gereiht bilden das Kapitell[,] welches mit einer viereckigen Bedachung gedeckt ist, worauf das eiserne Kreuz, bestehend aus weißem und schwarzem Marmor, ruht. An dem Denkmal sind alle einen deutschen Krieger ehrende Symbole in schönster Weise angebracht […].“10 10 Ludwigsburger Tagblatt (9. 8. 1872): o. S.

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Diese Beschreibung ist auch heute noch zutreffend – das Denkmal steht noch immer unverändert so da, wie es der enthusiasmierte Journalist beschrieben hat. Die Gestaltung des Denkmals greift in der Form – hohe Säule mit Kapitell auf Sockel – und in den schmückenden Bildelementen antike Elemente auf. Neoklassizistische Säulen oder Obelisken wurden als alte römische Siegeszeichen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gern gewählt, wie auch der Blick auf die zahlreichen Denkmäler, z. B. auf dem Schlachtfeld von Wörth, zeigt: Das dortige und heute zerstörte Siegesdenkmal der Dritten Armee zeigte auf einer hohen Säule einen deutschen Adler, das Württembergische Jägerdenkmal und das Denkmal des 2. Niederschlesischen Infanterieregiments Nr. 47 wurden als Obelisken gestaltet (Abb. 5).

Abb. 5: Postkarte ‚Gruss von den Schlachtfeldern bei Wörth a/S‘, zwischen 1871 und 1918.

Allerdings wurde in Ludwigsburg auf ganzfigürlichen Schmuck – meistens Personifikationen, wie Victoria oder Germania – verzichtet, wie er z. B. beim Kriegerdenkmal auf dem Fangelsbachfriedhof in Stuttgart gewählt wurde. Der neoklassizistische Rückbezug zur Antike in Form und Bildsprache der Kriegsdenkmäler war im 19. Jahrhundert Ausdruck des Bildungshintergrunds und der sozialen Stellung der bürgerlichen Denkmalsstifter.11 Kenntnis klassischer antiker Texte und der römisch-griechischen Geschichte waren Ausdruck einer umfassenden humanistischen Bildung und sehr viel stärker als heute Distinktionsmerkmal zur Abgrenzung von vermeintlich Ungebildeten. Hinzu kam eine 11 Vgl. hierzu auch Lurz: Kriegerdenkmäler in Deutschland (Bd. 2, Einigungskriege), 457–459.

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Heroisierung der antiken Militärgeschichte, in deren Rahmen man sich einzelne, mit wenigen und einfachen Waffen ausgerüstete in epischen oder mythologischen Schlachten Heldentaten vollbringende Krieger imaginierte. Doch könnte die Kluft zwischen einem Achill, Leonidas oder Scipio Africanus und der Realität des industriell ausgerüsteten und getöteten Kriegers des späten 19. Jahrhunderts kaum größer sein. So diente die antikisierende Formen- und Bildsprache auch der Ablenkung von den tatsächlichen Umständen des Tötens und Sterbens im modernen Krieg.12 In fast allen Einzelheiten der Bildsprache bezieht sich das Denkmal auf antike Vorbilder: Der Eichenlaubkranz auf dem Sockel spricht zum einen die Eiche als vermeintlich seit Germanentagen ‚deutschen Baum‘ an13, verweist aber auch auf die römische Bürgerkrone, die ebenfalls aus Eichenlaub gefertigt und jenen verliehen wurde, die sich in der Schlacht heldenhaft bewährt hatten. Die drei erhaben ausgeführten Bildtafeln, auf deren vorderer der Reichsadler prangt und auf den Seitentafeln sich Schlachtfeldtrouvaillen befinden, greifen ebenfalls auf alte Vorbilder zurück, liegen aber zugleich auch wieder im Trend der damaligen Schlachtfeldgestaltung. Auf dem nördlichen Feld sind ein griechischer Helm und ein Schwert als Verweis auf den Trojanischen Krieg oder auf die Perserkriege zu sehen, das südliche Feld zeigt einen Schild umkränzt von einem gebundenen Lorbeerkranz auf gekreuzten Speeren. Der Schild ist mit einem Gorgonenhaupt verziert. Der Lorbeerkranz ist das alte römische Symbol für siegreiche Feldherren und Gorgonenhäupter befanden sich, wegen ihrer vermeintlich Gefahren abwehrenden Funktion, häufig auf antiken Schilden. Auch die schmückende Anordnung dieser militärischen Einzelteile Helm, Schwert, Speere und Schild, die man nach dem Kampf auf dem Schlachtfeld finden kann, geht auf antike Vorbilder zurück. Ebenso gehen die Palmetten, symmetrische Abstraktionen eines Palmwipfels, die die drei Felder krönen, auf griechische Vorbilder zurück. Das umlaufende Immortellenband und die Immortellenkränze als Zeichen der Unsterblichkeit sind ebenfalls schon auf antiken Vorbildern und Kriegerdenkmälern des 19. Jahrhunderts zu finden. Die sechzehn Palmwedel, die das Kapitell bilden, sind ebenfalls antiken Vorbildern geschuldet. So diente der Palmwedel als Attribut der antiken Siegesgöttinnen Nike und Victoria, ist zugleich aber auch im Christentum heute noch Zeichen des Ewigen Lebens und der Auferstehung. Lediglich das krönende Eiserne Kreuz ist nicht antiken Ursprungs, sondern 12 Zur Realität des ebenfalls schon industrialisierten Kriegs von 1870/71 vgl. Tobias Arand: 1870/ 71. Die Geschichte des Deutsch-Französischen Kriegs erzählt in Einzelschicksalen. Hamburg: Osburg, 2018, 132–151. 13 Ein Gedanke, der sich in der Zeit der ‚Befreiungskriege‘ gegen Napoleon entwickelte; vgl. hierzu Volker Rodekamp (Hg.): Helden nach Mass. 200 Jahre Völkerschlacht bei Leipzig. Katalog zur Ausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig. Leipzig: Stadtgeschichtliches Museum, 2013, 86.

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verweist auf die seit den Befreiungskriegen 1813–1815 in Preußen verliehene gleichnamige militärische Auszeichnung. Nach 1871 entwickelte sich das Eiserne Kreuz zum einenden Erkennungszeichen des gesamtdeutschen Militärs und wird bis heute in leicht veränderter Version auch noch von der Bundeswehr als Hoheitszeichen verwendet. In seiner bildlichen und formalen Gesamtaussage betont das Denkmal mit dem Verweis auf die vermeintlich heroische Antike Opfermut und Heldentum des Einzelnen, ordnet diese im Kampf bewiesenen Eigenschaften aber durch das krönende Eiserne Kreuz der höheren Sache der deutschen Einheit unter.14 Der sinngebende Spruch, dass die Toten für ‚Deutschlands Einheit und Recht‘ recht gefallen seien, ist stereotyp und findet sich so ähnlich auf zahlreichen anderen Monumenten zum 70/71-Krieg wieder.15

Das Ehrenmal von 1924 (1914–1918) Aufgeladen mit solchen Heldenbildern marschierten viele junge Männer – wie jene der am Anfang angesprochenen Postkarte – in den Krieg. Der über eine Million toten Deutschen des Weltkriegs wurde nach 1918 ebenfalls wieder gedacht. Nun standen aber andere Bilder und Stoßrichtungen im Mittelpunkt der Differenzerinnerung. Gehen wir nur wenige Meter weiter zum Ehrenmal für die Toten des Ersten Weltkriegs16 (Abb. 6). Es wurde 1924 auf Initiative der Stadt eingeweiht. Was auf der Postkarte noch als Bezug behauptet wird, findet hier durch die räumliche Nähe eine tatsächliche räumliche Umsetzung: 1870/71 und 1914–1918 sind zumindest für die Ludwigsburger Stifter als Einheit zu denken. Bei der Einweihung sprach Oberbürgermeister Dr. Hartmann diesen Aspekt an. Er berichtete, von einem Veteranen von 70/71 Kenntnis zu haben, der die in den Krieg Ziehenden mit den Versprechungen, dass auch ihre Namen einst in Stein gemeißelt sein werden, ermuntert haben solle. Aus diesem Grunde sei dieses Denkmal nun errichtet worden. In der formalen Gestaltung verbindet die Rundanlage antikisierende Bildelemente mit christlicher Motivik, griechischer Mythologie und pseudogermanisierend-heidnischen Bildauffassungen. Das Figurenprogramm ist in seiner Nacktheit klassischen und klassizistischen Vorbildern geschuldet. Während die grob behauenen 14 Vgl. Lurz: Kriegerdenkmäler in Deutschland (Bd. 2, Einigungskriege), 376–377. 15 Beispiel bei Lurz: Kriegerdenkmäler in Deutschland (Bd. 2, Einigungskriege), 377. 16 Vgl. zum Folgenden Carolin Hestler: Ein vergessenes Denkmal aus einem vergessenen Krieg. Das Ludwigsburger Ehrenmal zum Ersten Weltkrieg. Ludwigsburg: o. J. (2011). Die folgenden Ausführungen sind eng an Hestler, die sich bisher als einzige mit dem Denkmal beschäftigt hat, angelehnt, wurden jedoch inhaltlich und um Fußnoten erweitert.

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Abb. 6: Die Denkmalsanlage zum Ersten Weltkrieg auf dem Alten Friedhof Ludwigsburg, Gesamtansicht.

Stelen aus rotem Fels an Runensteine gemahnen, knüpft die kreisförmige Anordnung an heidnische Ritualräume wie Stonehenge oder germanische Thingplätze an. Die erste Stele, die der Besucher sieht, wenn er auf das Ehrenmal trifft, ist das Bildnis des Heiligen Michael mit Flügeln und Schwert. Der Heilige Michael kann hier sowohl als Schutzengel der Deutschen als auch als Urbild des Deutschtums und damit der gesammelten ‚Volkskraft‘, um im Duktus der Zeit zu bleiben, verstanden werden. Nicht zu übersehen sind aber auch die Flügel des Heiligen. Sie könnten auf den „unerschütterlichen Lebenswillen des deutschen Volkes“17 hinweisen, wie es der zeitgenössische Ludwigsburger Lokalhistoriker Christian Belschner kurz nach Einweihung der Anlage deutete. Der Erste Weltkrieg war zwar eine schmerzhafte Niederlage, aber wie der Heilige Michael hat das deutsche Volk seine Schwungkraft nach Belschners Interpretation nicht verloren. Das flammende Schwert hält der Heilige nach unten, also in passiver Haltung, doch sein kämpferischer Blick symbolisiert zugleich die Bereitschaft, es jederzeit wieder zu nutzen, wenn es Not tut. Bei der Einweihung einer Michaelsfigur im 17 Christian Belschner: „Das Krieger-Ehrenmal auf dem alten Friedhof“. In: Ludwigsburger Zeitung (9. 10. 1924): o. S.

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Lipperland betonte der dortige Vorsitzende des Kriegervereins 1922 eine vergleichbare Deutung. Er beschreibt, wie der dortige Michael zu verstehen sei: „Aber nicht der triumphierende Michael mit hocherhobenem Schwerte, das kommende Unheil vernichtend, […] sondern ein Michael, der seine Pflicht getan hat, wie die Helden, deren Namen unter ihm stehen, der kommendes Unheil von der Heimat abwehren möge […].“18 Geht man um die zentrale Stele mit dem Erzengel herum, entdeckt man unten ein Feuer mit einem Totenkopf und Totengebein (Abb. 7).

Abb. 7: Rückseite der zentralen Stele der Denkmalsanlage zum Ersten Weltkrieg auf dem Alten Friedhof Ludwigsburg.

In der Mitte ist die Aufschrift „Die Stadt Ludwigsburg ihren Gefallenen“ zu lesen und darüber befindet sich ein Vogel mit ausgebreiteten Schwingen. Totenkopf und -gebein stehen als Symbol für die Vergänglichkeit, für den Tod der gefallenen Soldaten im 1. Weltkrieg. Aber dieser Tod ist nicht umsonst und nicht endgültig, denn über den Symbolen des Tods thront der Phönix als Zeichen der Auferstehung. So meinte Belschner über die Stele mit patriotischem Pathos und mit Blick 18 Zit. n. Lurz: Kriegerdenkmäler in Deutschland (Bd. 4, Weimarer Republik), 231.

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auf die Figur der griechischen Mythologie: „Möge auch unser jetzt in die Tiefe gestoßenes Volk gleich dem Phönix eine in sonnige Bahnen führende Auferstehung erleben“.19 Dass hier nicht im Wortsinn die Auferstehung der Toten gemeint war, sondern vielmehr die Auferstehung des tot geglaubten deutschen Volkes in seiner alten ‚Größe und Pracht‘, betonte auch der evangelische Dekan Joseph Gauger bei der Einweihung, als er mit Bezug zum Phönix ausführte: „[…] einem Volke, das solche Heldentaten gestiftet hat, kann noch nicht das Ende gekommen sein.“20 Hier eine offen revanchistische Aufforderung zu künftig siegreichen Kriegen zu erblicken, dürfte keine Überinterpretation darstellen. Die erste Stele, die man sieht, wendet man sich mit dem Rücken zur MichaelsFigur nach rechts, könnte in Belschners Interpretation den Titel Vaterländische Opferbereitschaft tragen. Die wie alle Figuren der Stelen in antikisierender ‚heroischer Nacktheit‘21 ausgeführte Figur hat einen entschlossenen Blick und soll, so Belschner, den „einmütigen Entschlusswillen, der in den Augusttagen des Jahres 1914 aller Herzen im ganzen deutschen Volk beseelte“,22 darstellen. Dass Belschner hier einen in den ersten Kriegswochen systematisch kreierten Mythos perpetuiert, wurde schon eingangs angedeutet. Auf die Begeisterung folgt der Zorn, der durch eine geballte linke Faust ausgedrückt wird. Es zeigt den deutschen Kämpfer, der sich, so Belschner, „gegen seine vernichtungswütigen und eroberungsgierigen Feinde zur Wehre stellt“23. Hier folgt Belschners Interpretation erneut kritiklos einseitigen Deutungen der ersten Kriegswochen, indem er indirekt auf Kaiser Wilhelms II. Aufruf ‚An das deutsche Volk‘ vom 6. August 1914 verweist, in welchem dieser verkündete: „Mitten im Frieden überfällt uns der Feind.“24 (Abb. 8; 9). Auf der vierten und fünften Stele sind jeweils mehrere Personen zu erkennen. Die Mutter mit ihren Kindern auf der vierten Stele zeigt die Trauer um die gefallenen Opfer des Kriegs.25 Gleichzeitig verweist die Stele aber auch auf die materielle Not der Kriegerwitwen. Obwohl die Heimatfront zwar um die Gefallenen trauert, gibt sie doch den Kämpfern im Feld „Hoffnung“, so der Titel der folgenden Stele. Denn „der Gedanke an sie, an die teure Heimat und all die Lieben daheim ist es, der die Kämpfer draußen stärkt […].“26 Diese Motivation 19 Belschner: Das Krieger-Ehrenmal auf dem alten Friedhof, o. S. 20 o. A.: „Einweihung des Kriegerdenkmals auf dem alten Friedhof in Ludwigsburg“. In: Ludwigsburger Zeitung (6. 10. 1924), 1. 21 Vgl. zur ‚Heroischen Nacktheit‘ Lurz: Kriegerdenkmäler in Deutschland (Bd. 4, Weimarer Republik), 147. 22 Belschner: Das Krieger-Ehrenmal auf dem alten Friedhof, o. S. 23 Ebd. 24 Neue Preußische Zeitung (7. 8. 1914): o. S. 25 Vgl. zum Motiv der trauernden Mutter oder Ehefrau Lurz: Kriegerdenkmäler in Deutschland (Bd. 4, Weimarer Republik), 157. 26 Belschner: Das Krieger-Ehrenmal auf dem alten Friedhof, o. S.

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Abb. 8: 1. Hälfte der Denkmalsanlage zum Ersten Weltkrieg auf dem Alten Friedhof Ludwigsburg.

Abb. 9: 2. Hälfte der Denkmalsanlage zum Ersten Weltkrieg auf dem Alten Friedhof Ludwigsburg.

für die Soldaten führe dazu, dass sie „beharrlich und widerstandsfähig“27 weiterkämpften, so Belschner. Trotz der Widerstandskraft waren die Soldaten am Ende kraftlos und ermattet. Belschner beschreibt dieses Bild wie folgt: „[…] das vom Feinde zum Hungertod verurteilte Volk in der Heimat versagt und da und dort [lassen] die Kämpfer draußen ebenso vom Teufel der Lüge betört wie durch die lange Dauer des Krieges in Ermattung die Arme sinken […].“28 Er beschreibt zum einen die desaströse Situation an der Heimatfront durch die alliierte Seeblockade als sehr entbehrungsreich, kritisiert aber gleichzeitig die angeblich fehlende Unterstützung für die Front. Damit bezieht er sich in rechts-konservativer Deutungslinie auf die Demonstrationen und Streiks gegen den Krieg, die ab 1917 zunahmen. Aber auch der Kämpfer ist ermattet von den Anstrengungen, vom „Teufel der Lüge“29 – dies ist eine deutliche Anspielung auf die Dolchstoßlegende, mit der die Oberste Heeresleitung von ihrem Versagen im Herbst 1918 ablenken wollte. Der beharrlich kämpfende Soldat wird nach dieser Deutung von der Heimatfront im Stich gelassen und von der eigenen Bevölkerung zum Aufgeben gezwungen. Aber dies ist nicht der letzte Eindruck, den der Schöpfer der Anlage, der ursprünglich aus der Schweiz stammende Jakob Brüllmann, beim Betrachter wirken lassen wollte. Auf die „Ermattung“ folgt wieder „Entschlusskraft“. Belschner beschreibt die Wirkung der Stele als „lebenssprühende in Muskel und Nerv bis zum äußersten gesteigerte Entschluss27 Ebd. 28 Ebd. 29 Ebd.

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kraft, die, sich von neuem aufraffend, in einer energischen Wendung […], die Reihe der Bilder vollendet.“30 Und so ist das letzte Bild, das den Verlauf des 1. Weltkriegs interpretiert, nicht die Zerstörung, sondern der Entschluss, an einem Wiedererstarken des Lands mitzuwirken. Der Heilige Michael könnte damit als Alpha und Omega des Kreises zugleich angesehen werden. Am Anfang steht er als Schutzpatron der Soldaten. Am Ende als Hoffnung, dass Deutschland sich von den fremden Fesseln befreien werde, wenn der Heilige Michael wieder sein Schwert ergreift und so die Geschehnisse der Niederlage vergessen machen wird.31 Auf den Rückseiten der Stelen befinden sich in alphabetischer Ordnung die Namen, Todesdatum und Todesort der gefallenen Ludwigsburger Soldaten. Anders als auf der Säule von 1872 sind hier auch die Namen der jüdischen deutschen Gefallenen vermerkt.32 Wie bei vielen anderen deutschen Erinnerungsanlagen der Zeit, steht auch für das Ludwigsburger Ehrenmal der Gedanke der Revanche im Zentrum. Zugleich wird aber auch ein rechts-konservatives Deutungsnarrativ bedient, welches die Schuld an der Niederlage nicht beim Militär – wo sie hingehörte –, sondern bei der ‚Heimatfront‘ verortete. Ein Narrativ, welches die junge Republik in weiten Teilen der Bevölkerung von Beginn an delegitimierte. Die Worte, die Oberst Niethammer, der Standortälteste, bei der Einweihung fand, machten die gewünschte Deutung klar. Er ging im Zuge seiner Kranzniederlegung auf den Ort des Ehrenmals ein. Er beschrieb, dass frühere Denkmäler mit den Hoheitszeichen des Deutschen Reichs „auf sonnigen Feldern“ präsentiert worden seien. Jetzt, in den Zeiten der Niederlage, würden die Denkmäler in dunklen Hainen und im Schatten des Friedhofs aufgestellt. Dieser Schatten sei seiner Meinung nach sinnbildlich für das „Dunkel der Gegenwart“33, aus dem heraus er neue Aufgaben für die deutschen Soldaten sah. Er schloss mit den einigenden Worten „Vaterland, du bist der schwersten Opfer wert“34. Ihr appellativer Charakter und die durch eine antikisierende Formensprache vollzogenen Erinnerungsdifferenz von Ereignis und Deutung verbindet die Monumente von 1872 und 1924. Auch der Umstand, dass erneut nur ein Erinnerungsangebot von Bildungsbürgern für Bildungsbürger erkennbar ist, kann hier als verbindendes Element betrachtet werden. Auch die grundsätzliche Kriegszustimmung eint beide Monumente, zwischen deren Errichtung immerhin 52 Jahre liegen.

30 31 32 33 34

Ebd. Vgl. Hestler: Ein vergessenes Denkmal, o. S. Vgl. Arand: Gestorben für ‚Vaterland‘ und ‚Patrie‘, 40–41. o. A.: Einweihung des Kriegerdenkmals, 1. Ebd.

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Das Mahnmal von 1957 (1939–1945) Appelle zum Heroismus im Kampf für die deutsche Einheit oder dazu, für eine erfolgreiche Revanche zu sterben, waren nach der Katastrophe des 2. Weltkriegs in Deutschland nicht mehr möglich. So standen die Ludwigsburger Stadtväter nun vor einer ganz anderen Aufgabe. Sie verzichteten auf Patriotismus und Verherrlichung, und doch ist dieses Mahnmal in seiner Differenzerinnerung vielleicht das aus heutiger Sicht unehrlichste der drei Denkmäler. 1957 bewusst in Bezugnahme auf die beiden bereits bestehenden Monumente eingeweiht, sehen wir links und rechts an den Innenwänden der neogotischen Grabkapelle Sprüche, wie sie vager und selbstbezogener nicht sein könnten: „Die Stadt Ludwigsburg ihren Toten und Vermissten 1939–1945“ links, „Tote der Heimat euch birgt unser Herz“ rechts. In der Raummitte mystifiziert und sakralisiert eine Pietà in moderater Abstraktion das millionenfache Sterben des Krieges35 (Abb. 10).

Abb. 10: Pietà in der Grabkapelle ‚1939–1945‘ auf dem Alten Friedhof Ludwigsburg.

Kein Wort darüber, warum und wie gestorben wurde, nur die schon genannten Zahlen ‚1939–1945‘. Doch war es kein unerklärliches Schicksal, das zu Holocaust, 35 Zum Motiv der Pietà in westdeutschen Mahnmalanlagen vgl. Lurz: Kriegerdenkmäler in Deutschland (Bd. 6, Bundesrepublik), 222–225.

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Flucht, Vertreibung und 39 Millionen Toten allein in Europa – darunter mehrheitlich Nichtdeutsche – führten, sondern waren es die Taten jener Generation, die sich mit einem solch hasenfüßigen Mahnmal symbolhaft aus der Verantwortung stehlen konnte. Doch das Mahnmal steht auf diese Weise archetypisch für die Verdrängungskultur der Wiederaufbaugenerationen.36 Es wurde an den Dingen nicht weiter gerührt – vielleicht konnte auch ein Weilchen tatsächlich nicht sinnvoll dran gerührt werden? –, sondern wiederaufgebaut. Lästigen Fragen wurde ausgewichen, zumal: welcher Frager hätte schon selbst eine saubere Weste gehabt? Entpolitisierte Denkmäler für die Toten des Zweiten Weltkriegs finden sich in dieser Form in ganz Deutschland. Und fast möchte man den Ludwigsburger Stadtvätern dankbar sein, dass sie nicht nationalsozialistische Denkmäler zum Ersten Weltkrieg, die in großer Zahl zwischen 1933 und 1938 entstanden, einfach umwidmeten, so wie man es auch immer wieder sehen kann, z. B. im badischen Philippsburg (Abb. 11). Auch durch solche Denkmalerweiterungen kann man ungewollt Kontinuitäten offenlegen – solche Anlagen lassen sich schon fast wie ‚Freudsche Versprecher‘ für das erinnerungsverweigernde Unterbewusstsein der Wiederaufbaugeneration lesen! 1872–1924–1957. Zwischen den Einweihungsdaten der drei Ludwigsburger Monumente liegen 85 Jahre und drei Kriege mit Millionen Toten. Die Deutung der jeweiligen Kriege veränderte sich von Anlage zu Anlage, der appellative Charakter passte sich ebenfalls dem jeweiligen Krieg und vor allem seinem Ergebnis an. Insofern unterscheiden sich die drei Anlagen in manchen Punkten. Was sie eint, ist die erhebliche Differenz, die sie zwischen den tatsächlichen Ereignissen – Tod und Zerstörung – und der gewollten Erinnerung artikulieren. Keine der Anlagen bietet ein ehrliches Angebot für Trauerarbeit, sondern jede schreibt dem öffentlichen Raum politisch gewünschte Deutungen ein, während zugleich wichtige Aspekte des konkreten kriegerischen Geschehens verschwiegen werden. Aus Sicht der Geschichtswissenschaft sind solche Ensembles wertvolle Quellen für das sich wandelnde Verständnis vergangener kollektiver Sichtweisen auf die fundamentalen Erfahrungen und Traumata, die Kriege unvermeidlich mit sich bringen. Sie zu verändern oder gar zu stürzen, wie es neuerdings chic zu werden droht, ist ahistorisch und bedeutet die Vernichtung von Quellen.37 Man darf sie kommentieren und im Sinn heutiger Sichtweisen kontextualisieren, sie aber aus dem öffentlichen Raum verschwinden zu lassen, weil vergangene Sichtweisen in der Gegenwart vielleicht anstößig erscheinen, ist nicht sinnvoll. 36 Vgl. Lurz: Kriegerdenkmäler in Deutschland (Bd. 6, Bundesrepublik), 12. 37 So wie es z. B. eine Bürgerinitiative im westfälischen Münster fordert; vgl. o. A.: „TrainDenkmal unkenntlich gemacht“. In: Münstersche Zeitung (13. 07. 2020). https://www.muenst erschezeitung.de/lokales/staedte/muenster/heroisierung-von-kriegsverbrechern-838040 (03. 04. 2022).

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Abb. 11: Adlerdenkmal von 1938 auf dem Marktplatz Philippsburg, Photo Manfred Hattenkerl 2010.

Das gilt auch für das Zensieren heute unliebsamer, in der Vergangenheit aber üblicher Begriffe38 – beides ist in seinem Anspruch der nachträglichen Zensur durch heute vermeintlich klügere Zeitgenossen tendenziell totalitär. Die Vergangenheit wird nicht besser, wenn man sie einfach verschwinden lässt und zensiert. Man kann sich mit der Vergangenheit und historischen Vergangenheitsdeutungen, z. B. in Denkmalsform, nur auseinandersetzen, wenn man sie zur Kenntnis nimmt, wie sie war, nicht wie sie hätte sein sollen. Die Erinnerungsdifferenz der drei vorgestellten Anlagen in Ludwigsburg ist ein schönes

38 Vgl. zur Frage, ob man den Begriff ‚Neger‘ in einem Text des 18. Jhds. zensieren darf oder nicht, Bärbel Völkel: „Kants ‚stinkende N‘ und Anton Wilhelm Amo, Privatdozent für Philosophie in Halle. Kritische Blicke auf den Rassismus der deutschen Aufklärung“. In: Tobias Arand/Martin Lücke (Hg.): Das subversive Gelächter aus der Geschichte. Frankfurt a. M.: Wochenschau, 2022: 242–263, 242–243.

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„Wie Anno 70“

Beispiel für die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit vergangener Geschichtskultur, auch wenn sie einem heute nicht mehr gefallen mag.

Literaturverzeichnis Arand, Tobias: „Ein zunehmend vergessener Krieg. Die Entwicklung der Erinnerung an den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71“. In: Tobias Arand (Hg.): ‚Der großartigste Krieg, der je geführt worden‘. Beiträge zur Geschichtskultur des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71. Münster: ZfL-Verlag, 2008: 9–36. Arand, Tobias: Gestorben für ‚Vaterland‘ und ‚Patrie‘. Die toten Krieger aus dem Feldzug von 1870/71 auf dem ‚Alten Friedhof‘ in Ludwigsburg. Ludwigsburg: Militärgeschichtliche Gesellschaft, 2012. Arand, Tobias: 1870/71. Die Geschichte des Deutsch-Französischen Kriegs erzählt in Einzelschicksalen. Hamburg: Osburg Verlag, 2018. Arand, Tobias: „‚… dazu find ich keine Worte‘. Der Blick auf den Krieg von 1870/71 in Erinnerungsbüchern deutscher Veteranen“. In: Wolfgang Mährle (Hg.): Nation im Siegesrausch. Württemberg und die Gründung des Deutschen Reichs 1870/71. Stuttgart: Kohlhammer, 2020: 85–98. Arand, Tobias/Christian Bunnenberg: „Wem gehört die militärische Erinnerung im umstrittenen Grenzraum? Der Erinnerungsort des Schlachtfeldes von Woerth-en-Alsace und seine Entwicklung von 1870 bis zur Gegenwart“. In: Patrick Ostermann/Claudia Müller/Karl Siegbert Rehberg (Hg.): Der Grenzraum als Erinnerungsort. Bielefeld: transcript, 2012: 213–233. Belschner, Christian: „Das Krieger-Ehrenmal auf dem alten Friedhof“. In: Ludwigsburger Zeitung (9. 10. 1924): o. S. Hestler, Carolin: Ein vergessenes Denkmal aus einem vergessenen Krieg. Das Ludwigsburger Ehrenmal zum Ersten Weltkrieg. Ludwigsburg: o. J. (2011). Ludwigsburger Tagblatt (9. 8. 1872): o. S. Lurz, Meinhold: Kriegerdenkmäler in Deutschland. 6 Bde. Heidelberg: Esprint, 1985–1987. Mosse, Georg L.: Die Nationalisierung der Massen. Politische Symbolik und Massenbewegungen von den Napoleonischen Kriegen bis zum Dritten Reich. Frankfurt a. M.: Ullstein, 1976. Neue Preußische Zeitung (7. 8. 1914): o. S. o. A.: denkmal. Ausgabe 2011 für Nordrhein-Westfalen. Schülerband 3. Braunschweig: Schroedel, 2012. o. A.: „Einweihung des Kriegerdenkmals auf dem alten Friedhof in Ludwigsburg“. In: Ludwigsburger Zeitung (6. 10. 1924): 1. o. A.: „Train-Denkmal unkenntlich gemacht“. In: Münstersche Zeitung (13. 07. 2020). https://www.muensterschezeitung.de/lokales/staedte/muenster/heroisierung-von-krie gsverbrechern-838040 (3. 4. 2022). Pflugk-Harttung, Julius von (Hg.): Krieg und Sieg 1870–71. Ein Gedenkbuch. Berlin: Schall & Grund, 1895.

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Tobias Arand

Rodekamp, Volker (Hg.): Helden nach Mass. 200 Jahre Völkerschlacht bei Leipzig. Katalog zur Ausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig. Leipzig: Stadtgeschichtliches Museum, 2013. Spilker, Rolf/Bernd Ulrich (Hg.): Der Tod als Maschinist. Der industrialisierte Krieg 1914– 1918. Ausstellungskatalog Museum Industriekultur Osnabrück. Bramsche: Rasch, 1998. Verhey, Jeffrey: Der ‚Geist von 1914‘ und die Erfindung der Volksgemeinschaft [engl. 2000]. Hamburg: Hamburger Edition, 2000. Völkel, Bärbel: „Kants ‚stinkende N‘ und Anton Wilhelm Amo, Privatdozent für Philosophie in Halle. Kritische Blicke auf den Rassismus der deutschen Aufklärung“. In: Tobias Arand/Martin Lücke (Hg.): Das subversive Gelächter aus der Geschichte. Frankfurt a. M.: Wochenschau, 2022: 242–263.

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Postkarte ‚Wie Anno 70‘. In: Arand: Gestorben für ‚Vaterland‘ und ‚Patrie‘, 11. Abb. 2: Eingangstor der Grabkapelle ‚1939–1945‘ auf dem Alten Friedhof Ludwigsburg, Photo privat 2021. Abb. 3: Blick von der Grabkapelle zum Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs auf dem Alten Friedhof Ludwigsburg, im Hintergrund die Säule für die Toten von 1870/ 71, Photo privat 2021. Abb. 4: Das Ludwigsburger Kriegerdenkmal im Jahr seiner Einweihung. In: Arand: Gestorben für ‚Vaterland‘ und ‚Patrie‘, 9. Abb. 5: Postkarte ‚Gruss von den Schlachtfeldern bei Wörth a/S‘, zwischen 1871 und 1918, ungelaufen, Privatbesitz. Abb. 6: Die Denkmalsanlage zum Ersten Weltkrieg auf dem Alten Friedhof Ludwigsburg, Gesamtansicht, Photo privat 2021. Abb. 7: Rückseite der zentralen Stele der Denkmalsanlage zum Ersten Weltkrieg auf dem Alten Friedhof Ludwigsburg, Photo privat 2021. Abb. 8: 1. Hälfte der Denkmalsanlage zum Ersten Weltkrieg auf dem Alten Friedhof Ludwigsburg, Photo privat 2021. Abb. 9: 2. Hälfte der Denkmalsanlage zum Ersten Weltkrieg auf dem Alten Friedhof Ludwigsburg, Photo privat 2021. Abb. 10: Pietà in der Grabkapelle ‚1939–1945‘ auf dem Alten Friedhof Ludwigsburg, Photo privat, 2021. Abb. 11: Adlerdenkmal von 1938 auf dem Marktplatz Philippsburg, Photo Manfred Hattenkerl 2010. https://ka.stadtwiki.net/Datei:Philippsburg-Adlerdenkmal-05.jpg (3. 4. 2022).

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Cathérine Pfauth (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg)

“an important battleground in the contest for children’s hearts and minds” – Australian and German Nation Building out of the Spirit of War and the Role of School

The idea of the nation and thus of nationalism is a child of the 18th century Enlightenment. It is therefore no coincidence that the idea of the nation was brought into the world in Europe from the country of Jean-Jacques Rousseau and Voltaire: France. The French Revolution of 1789 was a genuine bourgeois revolution that brought a new form of human existence onto the political stage: the citizen. Within the ‘nation’, the subject was transformed into a citizen. This citizen was no longer primarily determined and hierarchised by his or her status but saw himself or herself as an equal member of a larger group of people. But what holds this group of people together so that ‘their’ nationality differs from that of other groups? First and foremost, these are shared values, a common language, common rights and duties that apply to all citizens, and a common cultural identity. Part of this cultural identity in every nation is a history that is imagined as affirmatively as possible. Victorious, ‘glorious’ wars play a significant role in many nations in the context of national self-assurance about history. The historian Peter Alter defined the concept of nationalism convincingly in 19851: “Der moderne Nationalismus […] wird im folgenden als eine Ideologie und zugleich als eine politische Bewegung verstanden, die sich auf die Nation und den souveränen Nationalstaat als zentrale innerweltlichen Werte beziehen und die in der Lage sind, ein Volk oder eine große Bevölkerungsgruppe politisch zu mobilisieren. Nationalismus verkörpert also in hohem Maße ein dynamisches Prinzip, das Hoffnungen, Emotionen und Handlungen auszulösen vermag. Es ist ein Instrument zur politischen Solidarisierung und Aktivierung von Menschen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.”2 [Modern nationalism […] is understood in the following as an ideology and at the same time as a political movement which refer to the nation and the sovereign nation-state as central inner-worldly values and which are capable of politically mobilising a people or a 1 On the above, see the classic by George L. Mosse: Die Nationalisierung der Massen. Von den Befreiungskriegen bis zum Dritten Reich. Frankfurt a. M.: Ullstein, 1976. 2 Peter Alter: Nationalismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1985, 14–15 [The above and all following translations in brackets are my own].

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large population group. Nationalism thus embodies to a large extent a dynamic principle capable of triggering hopes, emotions and actions. It is a tool for political solidarity and activation of people to achieve a common goal.]

As this text is being written, Russia’s war of robbery against Ukraine is demonstrating the ominous power that imperialist and fascist exaggerated nationalism can unleash. At the same time, however, the fierce Ukrainian resistance to Russia’s war-criminal aggression also shows what self-assertive forces a nationalism that defines itself in terms of positive values such as ‘democracy’ and ‘diversity’ can contribute to. Thus, nationalism and war are all too often – and in a way that is actually believed to have been overcome in Europe even in the 21st century – ‘Brüder im Geiste’ [brothers in spirit]. Sometimes, however, wars are also the birthplaces of an actual nation-state on a formal level. The ‘inner’ foundation of the nationstate in the sense of belonging to a nation, however, often only takes place retrospectively after the formal foundation through the memory of those wars that were constitutive for the creation of the nation-state. Two nations in which this is true are the German Empire, founded in 1871 during the Franco-German War3 of 1870/71, and Australia, which has been almost completely independent as a dominion since 1907, without whose participation in the First World War Australia’s national identity would most likely be different. While only the German Empire was born through the war in the sense of ‘outer nation building’, both nations were born out of the spirit of war and in both, the school was a crucial site for establishing an affirmative, nation-building myth. This is not the place to discuss the political and military history of the emergence of these nation-states. There is sufficient secondary literature on this subject.4 Instead, in all brevity and didactic reduction, we will focus on two areas of historical culture that can be profitably compared for both nations with regard to the problematisation of affirmative war narratives at the socialisation site ‘school’: holidays and textbooks. Since the focus here is on the role of the schoolbased mediation of military memory culture for the ‘internal’ nation-building process, the short study is limited to the decades immediately following the wars. 3 The terming of the war as ‘Franco-Prussian War’ in the English-speaking world is in this respect at least worthy of discussion, if not to be recognised as false, since the war of 1870/71 was fought not only by the soldiers of the Kingdom of Prussia, but by soldiers of all German states such as the Kingdom of Württemberg and the Kingdom of Bavaria. The fact that their participation was more or less forcefully obtained by the previous defeat in the AustroPrussian War of 1866 through the so-called ‘Schutz- und Trutzbündnisse’ (alliances of protection and defence) is irrelevant here. The correct name for the war of 1870/71 should therefore be Franco-German War. 4 For the German side, among others, Tobias Arand: 1870/71. Die Geschichte des DeutschFranzösischen Kriegs erzählt in Einzelschicksalen. Hamburg: Osburg, 2018.

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“an important battleground in the contest for children’s hearts and minds”

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Holidays ‘Sedan Day’ in the German Empire In 1872, 2 September became a significant day of commemoration in the newly founded German Empire. The so-called ‘Sedan Day’5 commemorated the victory of the united German armies against the ‘Second Empire’ on 1 September 1870 and the capture of Napoleon III on the following day. This event was chosen as a holiday-giving occasion because the Prussian King and new German Emperor Wilhelm I resisted the proposal to declare 18 January a public holiday. This had been a significant day for Prussians since 18 January 1701, when the Brandenburg Electoral Prince Frederick III had himself crowned the first ‘King in Prussia’ in Königsberg and therefore, not coincidentally, the Imperial Proclamation of Versailles also took place on 18 January 1871. But it was precisely this that did not suit the traditionalist Prussian emperor.6 He did not want this ‘Prussian’ day to be overshadowed by an ‘all-German’ holiday.7 In 1872, the Protestant pastor Friedrich Wilhelm Bodelschwingh, founder of the Bethel Institutions and advisor to Emperor Wilhelm I, proposed 2 September as the ‘Erntedank- und Friedensfest’ (Harvest Thanksgiving and Peace Festival), which enjoyed great, albeit regionally very different, popularity in the Kaiserreich – although it was never declared an official nationwide holiday. The local war associations were the sponsors of the Sedan Day celebrations, which were marked by speeches and musical performances in front of the local war memorial and in school auditoriums. In these, old fighters gathered for the publicity-effective propagation of nationalist-monarchist ideas.8 However, this holiday, which clearly had Prussian-Protestant connotations, worked primarily in the old Prussian and thus predominantly Protestant areas. In the Catholic areas, most of which had only become Prussian in the 19th century, Sedan Day did not meet with undivided approval.9 Its characteristics as a military-monarchist holiday also made it suspect to parts of the working 5 About Sedan Day most recently Michael Epkenhans: “Der Deutsch-Französische Krieg in der Erinnerung. Denkmäler, Feiertage und Ansprachen”. In: Gerhard Bauer/Katja Protte/Armin Wagner (eds.): Krieg – Macht – Nation. Wie das deutsche Kaiserreich entstand. Dresden: Sandstein, 2020: 248–257, 253. 6 See ibid., 253. 7 The Imperial Proclamation and the memory of it then remained even more effective in the Empire than Sedan Day; see Volker Ullrich: Die nervöse Großmacht 1871–1918. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1997, 22. 8 About war associations, see Thomas Rohkrämer: Der Militarismus der ‘kleinen Leute’. Die Kriegervereine im Deutschen Kaiserreich. München: Oldenbourg, 1990. 9 See Christian Rak: Krieg, Nation und Konfession. Die Erfahrung des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71. Paderborn: Schöningh, 2004, as well as, Epkenhans: Der Deutsch-Französische Krieg in der Erinnerung, 253.

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class – especially if they were Social Democrats.10 In many German states, 2 September became a public holiday, but by no means in all of them. In the various constituent states of the German Empire, which still consisted of longestablished kingdoms such as Württemberg or Bavaria, there was initially resistance to a common day of commemoration. In Bavaria, for example, the battle of Wörth on 6 August 1870 was commemorated, in Württemberg the battle of Villiers-Champigny on 30 November and 2 December 1870 with its heavy losses. Here the focus was on battles that could not only be declared as predominantly Prussian victories.11 And yet this day contributed to a collective German culture of remembrance, albeit with different perspectives. The inauguration of the Berlin ‘Siegessäule’ [Victory Column] on 2 September 1873, which is still to this day decorated with captured foreign cannons from the German wars of unification, underlined the military element of the celebrations. The military parade of the Guards Corps on the occasion of Sedan Day in Berlin also underlined this (Fig. 1).

Fig. 1: Brandenburger Tor on Sedantag, 1895.

However, an important, if not the most important, place of nationalist influence through Sedantag was the school. It was here that the particularism of the elders

10 See Epkenhans: Der Deutsch-Französische Krieg in der Erinnerung, 253. 11 See ibid.

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was to be overcome in the youth. This was not unsuccessful either. A schoolgirl from Holstein describes the Sedan celebration as follows: “Unsere Sedanfeier, 12.9.12. In diesem Jahr wurde unsere Sedanfeier ganz besonders schön gefeiert. Die Feier, die sonst gewöhnlich in der Schule stattfindet, fiel in diesem Jahr aus. Wir hatten eine besondere Feier am Nachmittag. Im geschlossenen Zug marschierten wir, voran unser Pfeifen- und Trommelkorps, nach dem Turnspielplatz. Aus den umliegenden Dörfern waren die Knaben gekommen, um an den Wettspielen teilzunehmen. Es wurden turnerische übungen [sic] vorgeführt. Wir Mädchen mußten im Kreis spielen und einen Reigen machen. Des Abends wurde eine Stunde getanzt. Zum Schluß sangen wir: ‘Deutschland, Deutschland über alles’, und so war die schöne Feier beendet. Die Schlacht bei Sedan war nicht die gewaltigste, aber die bedeutendste Schlacht, weil Napoleon gefangen genommen wurde. Der Sedantag ist darum der bedeutungsvollste Tag.”12 [Our Sedan celebration, 12.9.12. This year our Sedan celebration was celebrated in a particularly beautiful way. The celebration that usually takes place at school was cancelled this year. We had a special celebration in the afternoon. We marched in a closed procession, led by our fife and drum corps, to the gymnastics playground. The boys had come from the surrounding villages to take part in the competitions. Gymnastic exercises were performed. We girls had to play in a circle and do a round dance. In the evening we danced for an hour. At the end we sang: ‘Germany, Germany above all’, and so the beautiful celebration was over. The Battle of Sedan was not the most powerful battle, but it was the most important, because Napoleon was captured. That’s why Sedan Day is the most significant day.]

Similarly, another pupil reports on the Sedan celebration in the school auditorium: “‘Schon die Erlaubnis, den uns sonst verschlossenen geheiligten Raum der Aula betreten zu dürfen, war etwas Großes. Mit scheuer Bewunderung streiften meine Augen immer die großen Glasschränke an den Wänden, darin die ausgestopften Tiere (Anschauungsmaterialien für die Knabenschule) standen, die Kaiserbüste im Hintergrund Und [sic] mit einer Empfindung feierlicher Erwartung nahm ich auf der Bank zwischen den Gefährtinnen Platz. Nicht ohne heimlich musternde Blicke auf sie zu werfen, ob sie auch, wie ich, allerbeste Kleider anhatten. Ich mußte für den Vormittag mein wollenes Sonntagskleid anziehen, das weiße wurde für den Ausflug aufgespart. Da ich ja nicht deklamierte, war es früh nicht nötig, in Weiß zu prangen. Dann ging die Sache vor sich. Irgendeiner der Lehrer hielt die Festrede, auf die man nicht sehr hinhörte, eine Zahl Auserwählter sang die vorher eingeübten Lieder, und die einzelnen noch Auserwählteren sagten ihre Gedichte auf. Wobei scharfe Kritik von seiten der neiderfüllten Nichterwählten geübt wurde. So hätte es ja eine jede von uns auch gemacht! – Nachdem das Kaiserhoch und die Nationalhymne zum Schluß ertönt waren, wurden wir entlassen mit der Mahnung, um ½ 2 Uhr uns auf dem Schulhofe zu versammeln. – Nun galt es noch, letzte Hand anzulegen. Mit Mühe erbettelte man den Groschen für die schwarz12 As cited in: N. N.: “Die Kaiserzeit (1887–1918)”. https://web.archive.org/web/201605101915 05/http://ens.piranho.de/altschul/kaiser.htm (22. 04. 2022).

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weißrote Papierschärpe, die durchaus für den Auszug nötig schien, und für einen Papierballon; denn es war Klassenbeschluß, daß wir solche hatten, die an schwarzweißrot beklebte Stäbe gehängt getragen werden sollten.’”13 [‘Even the permission to enter the hallowed space of the assembly hall, which was otherwise closed to us, was something great. With shy admiration, my eyes always swept the large glass cupboards on the walls, where the stuffed animals (illustrative materials for the boys’ school) stood, the emperor’s bust in the background and with a feeling of solemn expectation, I took a seat on the bench between the companions. Not without sneaking glances at them to see if they, like me, were wearing their best clothes. I had to wear my woolen Sunday dress for the morning, the white one was saved for the outing. Since I didn’t declaim, it wasn’t necessary to be resplendent in white early on. Then the thing went on. One of the teachers gave the speech, which was not listened to very carefully, a number of the chosen ones sang the songs they had practised beforehand, and the even more chosen ones recited their poems. There was sharp criticism from the envious non-elect. After all, that’s what each of us would have done! – After the Kaiserhoch and the national anthem had been sung at the end, we were dismissed with the reminder to assemble in the school yard at half past two. – Now it was time for the final touches. With great difficulty we begged for the pennies for the black, white and red paper sash, which seemed to be absolutely necessary for the procession, and for a paper balloon; it was the decision of the class that we should have such balloons, which were to be carried hanging from black, white and red sticks.’]

What is striking here is the unquestioned identification with the colours blackwhite-red as a symbol of the united ‘fatherland’, while the tradition of the colours ‘black-red-gold’ had disappeared only a few decades ago. When this pupil speaks of a speech given by “One of the teachers”, she will most likely have meant a speech of the kind that a textbook author considered appropriate for Sedan Day. In clear words, an appeal is made here above all to the militancy of German youth: “Wenn ihr, ihr deutschen Knaben, einst in den Reihen der deutschen Streiter steht, dann erinnert euch stets der herrlichen Thaten eurer Brüder und eurer Väter, erinnert euch, daß ihr Erben ihres Ruhmes seid, daß sie euch das einzige, starke, deutsche Kaiserreich errungen und zum Schutze hinterlassen haben.”14 [When you, you German boys, one day stand in the ranks of the German fighters, then always remember the glorious deeds of your brothers and your fathers, remember that you are heirs to their glory, that they won for you the one, strong, German Empire and left it to you for protection.] (Fig. 2). The programme of a Sedan celebration at a Bremen grammar school in 1911 is an example of what was sung and performed, whereas here, near the North Sea and the emigrant port of Bremerhaven, the themes of ‘sea’ and ‘migration’ were 13 As cited in: Jens Flemming/Klaus Saul/Peter-Christian Witt (eds.): Quellen zur Alltagsgeschichte der Deutschen 1871–1914. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1997, 61. 14 C.(hristian) Trog: Sedan-Büchlein. Ein Festgeschenk zur Feier des zweiten September für Deutschlands Kinder in Volkschulen. Essen: n. y. (after 1888), 24.

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“an important battleground in the contest for children’s hearts and minds”

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Fig. 2: Programme of a Sedanfeier at the Gymnasium in Bremen, 1911.

the focus of the recitations. The selection of poems by Ferdinand von Freiligrath, Max von Schenkendorf, Julius Sturm and Felix Dahn provided a desired national, somewhat sentimental, but by no means clumsily anti-French view. The mixture of speeches, songs and readings offered in Bremen in 1911 can, however, be described as typical for Sedan celebrations. The Sedan celebrations in schools were controlled by the state and the course of events was specifically prescribed. Indirectly, however, a decree from 1888 for the school district of Lüneburg also indicates that, from the point of view of the educational authorities, there was still room for improvement in the Sedan celebrations: “Als patriotische Gedenktage sind in sämtlichen Schulen unseres Aufsichtsbezirks der Geburtstag Seiner Majestät des Kaisers und Königs und der Sedantag festlich zu begehen. 1. An diesen Tagen fällt jeder Unterricht aus, dagegen ist stets eine entsprechende Schulfeier zu veranstalten. 2. Fällt einer der genannten Tage auf den Sonntag, so ist die

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Schulfeier auf den vorangehenden Sonnabend zu verlegen, der dann ebenfalls schulfrei ist. 3. Die Art der Feier wird sich nach der Persönlichkeit der Lehrer und nach der Art der Schulen verschieden gestalten; ihr Zweck aber ist überall der Dank gegen Gott für die dem Kaiser und Reich erwiesenen Wohltaten, die Pflanzung der Liebe und Begeisterung für König und Vaterland in die Kinderherzen, der kräftige Anreiz zur Nacheiferung der Väter, die Gut und Blut eingesetzt haben, um ihren Nachkommen die höchsten irdischen Güter zu erringen, und die Fürbitte für Herrscher und Volk und für deren ferneres Gedeihen. Dieser Charakter der Feier ist in Gesängen, Vorträgen und Gebet zum Ausdruck zu bringen.”15 [As patriotic days of remembrance, the birthday of His Majesty the Emperor and King and Sedan Day are to be festively celebrated in all schools of our supervisory district. 1. on these days all lessons shall be cancelled, but an appropriate school celebration shall always be held. (2) If one of the aforementioned days falls on a Sunday, the school celebration shall be moved to the preceding Saturday, which shall then also be free of school. The nature of the celebration will vary according to the personality of the teachers and the nature of the schools; its purpose, however, is always to give thanks to God for the good deeds done to the Emperor and the Empire, to plant love and enthusiasm for King and Fatherland in the hearts of the children, to encourage them to emulate their fathers, who have used their property and blood to obtain the highest earthly goods for their descendants, and to intercede for the ruler and the people and for their further prosperity. This character of the celebration is to be expressed in chants, recitations and prayer.]

An ironic literary testimony to the Sedan celebrations, but also about their by no means always entirely uncritical reception, is given by Theodor Fontane in the 4th chapter of his social novel ‘Effi Briest’, published in 1894/95: “Das war am 2. September, daß sie so sprachen, ein Gespräch, das sich wohl fortgesetzt hätte, wenn nicht gerade Sedantag gewesen wäre. So aber wurden sie durch Trommelund Pfeifenklang unterbrochen, und Effi, die schon vorher von dem beabsichtigten Aufzuge gehört, aber es wieder vergessen hatte, stürzte mit einem Male von dem gemeinschaftlichen Arbeitstisch fort und an Rondell und Teich vorüber auf einen kleinen, an die Kirchhofsmauer angebauten Balkon zu, zu dem sechs Stufen, nicht viel breiter als Leitersprossen, hinaufführten. Im Nu war sie oben, und richtig, da kam auch schon die ganze Schuljugend heran, Jahnke gravitätisch am rechten Flügel, während ein kleiner Tambourmajor, weit voran, an der Spitze des Zuges marschierte, mit einem Gesichtsausdruck, als ob ihm obläge, die Schlacht bei Sedan noch einmal zu schlagen. Effi winkte mit dem Taschentuch, und der Begrüßte versäumte nicht, mit seinem blanken Kugelstock zu salutieren.”16 [It was on 2 September that they spoke like this, a conversation that would probably have continued if it hadn’t been Sedan Day. But they were interrupted by the sound of drums 15 N. N.: “Königliche Regierung, Abteilung für Kirchen- und Schulwesen, v. Mashow, handschriftlich”. In: Hauptstaatsarchiv Hannover: Hann. 122a, XXV. 10–43, as cited in: N. N.: “Anweisung für Schulfeiern Kaiserreich (1888)”. In: Volksliederarchiv. https://www.volkslie derarchiv.de/hintergrund/anweisung-fuer-schulfeiern-1888/ (23. 04. 2022). 16 As cited in: Theodor Fontane: Effi Briest. Berlin: Insel, 2011, 35–36.

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and whistles, and Effi, who had already heard about the intended procession but had forgotten about it, rushed away from the communal work table and past the roundabout and the pond towards a small balcony attached to the churchyard wall, to which six steps, not much wider than ladder rungs, led. In no time at all she was at the top, and sure enough, the whole school youth was already approaching, Jahnke gravely on the right wing, while a small drum major, far ahead, marched at the head of the procession, with an expression on his face as if it were his duty to fight the battle of Sedan once more. Effi waved her handkerchief, and the greeted did not fail to salute with his bare ballstick.]

However, Fontane’s mild mockery is not the only indication of a certain distance to Sedan Day among some citizens of the Empire. The speech given by a school headmaster in Alzey, Rhineland-Hesse, in 1873 also shows that there was definitely contradiction to the patriotic commemoration of heroes. Thus, at the beginning of his very long and certainly correspondingly tiring speech, he laments: “Die Einen sagen, man solle überhaupt die Erinnerung an den letzten Krieg […] ruhen lassen, statt sich immer wieder das gräßliche Schauspiel des maßenhaften Sterbens und Blutvergießens vor Augen zu führen […].”17 [Some say that we should let the memory of the last war […] rest in peace alltogether, instead of always remembering the ghastly spectacle of the excessive death and bloodshed […].] But the headmaster not only rejects this, but energetically remarks that those who speak in this way are characterised by “narrow-mindedness and timidity” and that this celebration will not be taken away from them: “Darum wollen wir uns denn die heutige Feier nicht durch altkluge oder mißgünstige Einsprache nehmen lassen […].”18 [“Therefore, let us not allow today’s celebration to be taken away by precocious or begrudging objections […].”] However, the monopoly on violence, which also emanated from the school and was articulated unabashedly in this speech, ensured an overall broad positive reception of the officially desired narratives, at least beyond opposition circles. The fact that Sedan Day gradually lost importance from 189519 onwards, after the 25th anniversary of the ‘great border battles’ of the summer of 1870, which was intensely celebrated and widely publicised throughout the Reich, does not speak against its effectiveness in the ‘inner’ development of the nation state in the sense of a Little German or Greater Prussian Reich.20

17 Karl Christoph Steinberger: “Rede des Directors bei der Sedanfeier am 2. September 1873”. In: Programm der Großherzoglichen Realschule zu Alzey. Alzey: Weber’sche Buchdruckerei, 1874: 23–29, 23. 18 Ibid. 19 See Epkenhans: Der Deutsch-Französische Krieg in der Erinnerung, 253. 20 Very critical of the official culture of remembrance in the Empire, Arand: 1870/71, 647–649.

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Australia21 The emergence of the Anzac myth and its role in schools Unlike Germany, with its justifiably broken military remembrance culture since World War II, Australia still has a day of remembrance that refers to a battle that is seen as central, Anzac Day, which is celebrated lavishly ‘Down Under’ on 25 April each year. This Anzac Day is based on the Anzac myth. The Anzac myth began shortly after the landing of the Australian Imperial Force (AIF) as part of the Australian and New Zealand Army Corps (Anzac) on the Turkish peninsula of Gallipoli on 25 April 1915 and is closely associated with the names of the Australian war correspondent C. E. W. Bean and his British colleague Ellis AshmeadBartlett. The landing on Ottoman territory was intended to give the Allies access to the Dardanelles, which controlled access to the Black Sea. Both correspondents were eyewitnesses to the landing at Gallipoli.22 Bean went ashore with the troops, Ashmead-Bartlett followed the action from a ship. It is in the accounts of these two ‘witnesses’ that the roots of the Anzac myth can be found. Ashmead-Bartlett’s report reached the Australian newspapers as early as 8 May 1915 and he describes the landing as follows: “The boats had almost reached the beach when a party of Turks entrenched ashore opened a terrible fusillade with rifles and a Maxim. Fortunately most bullets went high. The Australians rose to the occasion. They did not wait for orders or for the boats to reach the beach, but sprang into the sea and formed a sort of rough line. They rushed to the enemy’s trenches, although their magazines were uncharged. They just went in with cold steel. It was over in a minute. The Turks in the first trench either were bayoneted or ran away, and the Maxim was captured. […] In fact, I have never seen anything like these wounded Australians in war before. Though many were shot to bits, without hope of recovery, their cheers resounded. Throughout the night, you could see in the midst of the mass of suffering humanity, arms waving in greeting to the crews of the warships. They were happy because they knew they had been tried for the first time, and not found wanting. […] These raw colonial troops in these desperate hours proved worthy to fight side by side with the heroes of Mons, the Aisne, Ypres and Neuve Chapelle.”23 21 Of great importance for the following explanations is the dissertation by Fabian Münch: Der Erste Weltkrieg in der australischen Geschichtskultur. Frankfurt a. M.: Peter Lang, 2016; as well as Joan Beaumont: “The Anzac Legend”. In: Joan Beaumont (ed.): Australia’s War 1914–1918. New York: Routledge, 2020: 223–260. 22 On the military details of the AIF’s combat see Jeffrey Grey: “Australien”. In: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (eds.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn: Schöningh, 22004: 360–364; and Hedley P. Willmott: Der Erste Weltkrieg. München: DK Verlag, 2009, 76–83. 23 Ellis Ashmead-Bartlett: “Australians in Action”. In: Department of Public Instruction, New South Wales (ed.): Australians in Action. The Story of Gallipoli. Sydney: Gullick, 1915: 5–19, as cited in: Münch: Der Erste Weltkrieg in der australischen Geschichtskultur, 122.

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This judgement caused pride and excitement amongst the Australian public, as it came from a Briton and therefore signaled recognition by the mother country. Thus, the publication of the report can be considered the birth moment of the Anzac legend. Bean’s slightly more factual report, which reached Australia on 14 May 1915, also leaves no doubt about the ‘heroism’ of the Australian soldiers and especially the officers: “When all is said, however, the feat will go down to history is that first Sunday’s fighting, when three Australian brigades stormed, in the face of fire, tier after tier of cliffs and mountains apparently as impregnable as Govett’s Leap. The sailors who saw the Third Brigade go up these heigths and over successive summits like a whirlwind, with wild cheers and bayonets flashing, speak of it with tears of enthusiasm.”24

Bean points out that, “the Australian infantry, and especially the Third Brigade, has made a name which will never die”.25 Of the officers, Bean writes: “During the whole of this trying time, if one thing cheered the men more than another it was the behaviour of their officers. […] ‘By God! our officers were splendid’, one Australian told me. Wherever I went I heard the same opinion.”26 The reports triggered a public euphoria in Australia. However, it should not be forgotten that the role of officers in Anglo-Saxon troop contingents during the First World War is viewed quite critically today and that the Gallipoli landings were a terrible military disaster that was whitewashed in this way.27 Peter Weir’s film ‘Gallipoli’, which was released in 1981, does serve the traditional heroic narrative, but almost 70 years later it takes a much more critical and thus more realistic look at the role of the overtaxed officer corps.28 Bean, however, continued to influence the Anzac myth. He was behind the “ANZAC Book. Written and Illustrated in Gallipoli by the Men of ANZAC”29, (Fig. 3) which was intended as a souvenir for the troops and for families at home.30 The first edition of 55,000 copies was sold out before it was even printed and by September 1916 a total of 104,432 copies had been sold.31 The introduction, 24 Charles E. W. Bean: “How the heights were stormed”. In: Department of Public Instruction, New South Wales (ed.): Australians in Action. The Story of Gallipoli. Sydney: Gullick, 1915: 20–32, as cited in: Münch: Der Erste Weltkrieg in der australischen Geschichtskultur, 123. 25 As cited in: Münch: Der Erste Weltkrieg in der australischen Geschichtskultur, 123. 26 Ibid., 123–124. 27 Failed operations like those at Gallipoli are always a failure of leadership at the level of planning, but also of execution on the ground. Among the even greater losses of AIF troops on the Western Front see Grey: Australien, 361–364. 28 See Münch: Der Erste Weltkrieg in der australischen Geschichtskultur, 288. 29 Charles E. W. Bean (ed.): The Anzac Book. London: Cassell and Company, 1916; as well as Münch: Der Erste Weltkrieg in der australischen Geschichtskultur, 126–131. 30 See Münch: Der Erste Weltkrieg in der australischen Geschichtskultur, 126–127. 31 See Ibid.

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Fig. 3: Bean C. E. W., The ANZAC Book. Written and Illustrated by the Men of Anzac, 1916.

written by Field Marshal B. R. Birdwood, clearly states the intention of the text collection and at the same time gives an idea of why the Anzac narrative was so successful despite the military fiasco behind it: “No words of mine could ever convey to readers at their firesides in Australia, New Zealand and the Old Country, onehalf of what all their boys have been through, nor is my poor pen capable of telling them of the neverfailing courage, determination and cheerfulness of those who have so willingly fought and given their lives for their King and country’s sake. Their deeds are known to the Empire, and can never be forgotten, while if any copy of this little book should happen to survive to fall into the hands of our children, or our children’s children, it will serve to show them to some extent what their fathers haven done for the Empire, and indeed for civilisation, in days gone by.”32

In Australia, too, the school was and still is the most important place of nationalist socialisation. The Australian historian Joan Beaumont describes how quickly and purposefully Anzac Day was instrumentalised: “The first anniversary of ANZAC Day was commemorated by the Education Department of Victoria 32 William R. Birdwood: “Introduction”. In: Charles E. W. Bean (ed.): The Anzac Book. London: Cassell and Company, 1916: ix–x, x.

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with a special medaillon which students were encouraged to buy. Children were enlisted for public demonstrations of loyality such as forming on the Melbourne Cricket Ground the word ‘Anzac’.”33 Beaumont continues: “And every morning at assembly in every Victorian school, children sang, to the tune of ‘God save the King’: ‘God bless our splendid men, / Send them safe home again, / God save our men. / Keep them victorious, / Patient and chivalrous / They are so dear to us: / God save our men.’”34 Anzac Day became a national public holiday throughout Australia between 1921 and 1927: “Its commemoration varied from place to place in some details but central to the ritual, in schools and elsewhere, were two minutes silence and the reciting of Laurence Binyon’s elegy ‘For the Fallen’ […],”35 Jean Beaumont states. Especially the 4th stanza of the poem, which was published in 1914 for soldiers of the ‘British Expeditionary Force’ who fell in Flanders, probably did not fail to have an effect on many pupils: “They shall grow not old, as we that are left grow old: / Age shall not weary them, nor the years condemn. / At the going down of the sun and in the morning / We will remember them.”36 However, unlike for the German Empire, where the war narrative was differentiated from country to country but still consistently affirmative, in Australia there was also resistance to the formation of a militaristic tradition in schools. At the federal level, Australia was governed conservatively in the interwar period and the Anzac-myth was clearly relatable here. Nationwide Anzac worship was thus also politically motivated. But the Australian states were often governed by the Labour Party, which, in the tradition of the international labour movement, was firmly against militarism and in favour of peace education. In Labor-ruled states such as Victoria and Western Australia, the focus in primary schools, which were under the control of state governments, was not to be on pure hero worship when teaching about the Great War, although a fundamentally positive view of the use of Australian men in war was not in question even for ‘left’ governments. For Labour, however, this control of history education was nevertheless part of a struggle against any form of ‘Hurrapatriotismus’, known in Australia as ‘jingoism’.37 Thus, the school became “an important battleground in the contest for children’s hearts and minds.”38 Attempts at the state level to pacifistically tame the Anzac myth in history classes led to bitter political debates and even gov-

33 34 35 36 37

Beaumont: Anzac Legend, 243. Ibid. Ibid., 244. Laurence Binyon: “For the Fallen”. In: The Times (21. 9. 1914), 9. See Phillip Deery/Frank Bongiorno “Labor, Loyalty and Peace. Two Anzac Controversies of the 1920s”. In: Labour History 106 (2014): 205–228. 38 Deery/Bongiorno: Labor, Loyalty and Peace, 214.

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ernment overthrows. In the end, however, the affirmative view largely prevailed, as Phillip Deary and Frank Bongiorno state: “The interwar Labor Party could hardly ignore the Anzac tradition or the day that was already being proclaimed ‘our national day.’ Yet as a party that had been riven by the conflicts arising from the war, especially over conscription, it could not embrace an Australian nationalism that treated military commitment to the British Empire as its cornerstone. The two case studies in this article largely confirm James Curran’s assessment that ‘the Labor Party was able to show its basic acceptance of Anzac’, but was simultaneously committed to ‘striking a more lasting peace.’ […] Anzac was an arena of contestation but it also embodied a significant level of consensus that helps explain its growing power as myth during the interwar years, and prefigures its ascendancy in Australian culture in our own times.”39

Textbooks In 2020, the history didacticist Tobias Arand made a clear statement on the source value of curricula and textbooks: “Lehrpläne, fachdidaktische Beiträge und Schulbücher spiegeln keineswegs die schulische Realität wider. Sie sind lediglich normativer Ausdruck des Gewollten, zugleich aber auch die objektivsten Quellen über vergangenen Unterricht, der in seiner Flüchtigkeit und Vertraulichkeit in der Interaktion zwischen Lehrern und Schülern später kaum wirklich umfassend rekonstruierbar ist. Anders formuliert: Lehrpläne, fachdidaktische Beiträge und Schulbücher zeigen die Vorstellungen der Bildungspolitik, der Wissenschaft und Schuladministrationen über eine wünschenswerte Schulrealität, die sich in Wirklichkeit häufig anders verhält. Dieser Befund gilt, seitdem es Lehrpläne, also staatliche Regulierungsbemühungen, und Schulbücher gibt.”40 [Curricula, subject-bound didactic contributions and textbooks reflect by no means school reality. They are merely normative expressions of what is intended, but at the same time they are also the most objective sources about past teaching, which in its volatility and confidentiality in the interaction between teachers and pupils can hardly be reconstructed later in a truly comprehensive way. In other words: curricula, subjectbound didactic contributions and textbooks show the ideas of educational politics, science and school administrations about a desirable school reality, which in reality often behaves differently. This finding has been true ever since there have been curricula, i. e. state regulation efforts, and textbooks.]

39 Ibid., 227. 40 Tobias Arand: “Kampf um Lebensraum und Freiheit. Die ‘Völkerwanderung’ und ihre Rolle in Moritz Edelmanns nationalsozialistischer Geschichtsschulbuchreihe ‘Volkwerden der Deutschen’”. In: Peter Geiss/Konrad Vössing (eds.): Die Völkerwanderung. Mythos – Forschung – Vermittlung. Bonn: Bonn University Press, 2020: 273–288, 273.

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Since these ‘ideas’ materialise primarily in textbooks, their investigation lends itself not only to a history didactic perspective, but also to a subject-specific one. As part of historical culture, books are thus a mirror of a society’s historical consciousness. This was equally true for society in the German Empire as well as for that of Australian post-war society.

The Wars of Unification in textbooks of the Kaiserreich41 Even fourteen years later, there is nothing to correct in Christina Brandherm’s findings on the reception of the war against France in textbooks from the German imperial era, namely that it was presented there “erwartungsgemäß in einem glorifizierenden und die preußischen Leistungen stark hervorhebenden Ton”42 [as expected in a glorifying tone that strongly emphasised Prussian achievements.]43 However, a small distinction must be made between Prussian and South German textbooks, which, as already shown with Sedan Day, certainly wanted to place their own achievements alongside the dominant Prussian narrative.44 Soldierly achievements were celebrated, ‘glorious’ battles described and the unification of the small German empire appeared as the final point of German history. For younger learners, the approach was anecdotal, as an example from Julius Koch’s ‘Lehrbuch der Geschichte für höhere Lehranstalten’ shows. In the textbook for the Sexta (1st grade of the German Secondary School), published in 1910 in Leipzig, Saxony, it says about the battle of Spichern (6 August 1870): “Zur gleichen Zeit hatte General von Steinmetz die furchtbar verschanzten Höhen von Spicheren eingenommen […], freilich mit schweren Verlusten. König Wilhelm, der einige Tage später das Schlachtfeld besuchte, sagte zu den Soldaten, als er die steilen Hänge sah: ‘Aber, Kinder, es war doch fast unmöglich für euch, dort hinaufzukommen!’ ‘Ja, Majestät’, antwortete einer von euch, ‘natürlich war es nicht möglich, aber wir sind doch hinaufgekommen!’”45 41 See for the following Tobias Arand: “Der Befreiungskrieg gegen die französische Bevormundung”. In: Die Darstellung der “Einigungskriege” in deutschen Schulgeschichtsbüchern vom Kaiserreich bis 1945 (unpublished manuscript at the time of writing, made freely available to the author by the author): n. p. 42 Christina Brandherm: “‘Der großartigste Krieg, der je geführt worden’. Der Deutsch-Französische Krieg im deutschen Schulbuch”. In: Tobias Arand (ed.): ‘Der großartigste Krieg, der je geführt worden’. Beiträge zur Geschichtskultur des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71. Münster: ZfL-Verlag, 2008: 87–120, 91. 43 See Arand, Einigungskriege, n. p. 44 See ibid. 45 Julius Koch: Lehrbuch der Geschichte für höhere Lehranstalten. Teil 1. Lesebuch für die Sexta. Lebensbilder aus der vaterländischen Geschichte. Leipzig: Teubner, 41910, 48, as cited in: Tobias Arand: Geschichte und Geschehen. Themenheft Epochenjahr 1917. Stuttgart: Klett, 2007, 26.

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[At the same time, General von Steinmetz had taken the terribly entrenched heights of Spicheren […], admittedly with heavy losses. King Wilhelm, who visited the battlefield a few days later, said to the soldiers when he saw the steep slopes: ‘But, children, it was almost impossible for you to get up there!’ ‘Yes, Majesty,’ one of you replied, ‘of course it wasn’t possible, but we got up there anyway!’]

Such forms of “patriotic history” also characterised the presentation of the wars of 1864 and 1866 in North-German-Prussian history textbooks. In the textbooks for the higher grades of the Gymnasium, the anecdotal took a back seat to an ostensibly sober-objective enumerative master narrative that never deviated from the official pro-Prussian ‘small-German’ narratives. After the textbook ‘Deutsche und preußische Geschichte von Friedrich dem Großen bis zur Gegenwart, Hilfsbuch für den Unterricht auf höheren Lehranstalten’ (German and Prussian History from Frederick the Great to the Present, Auxiliary Book for Teaching at Higher Educational Institutions) by Königsberg grammar school professor Harry Brettschneider initially gave a rather sober account of the campaign of 1864 – though only mentioning Prussian battles – it said: “Die neue preußische Heeresordnung hatte sich glänzend bewährt.”46 [The new Prussian army order had proved itself brilliantly.] Prussian textbooks in particular follow the pro-Prussian master narrative that portrays Bismarck, Emperor Wilhelm I and Moltke as the “doers” of German unity. While the southern German textbooks for the upper school presented the war soberly and with occasional anti-Prussian digs, the books for the lower and middle school levels of the Gymnasium were dominated by small-German patriotism. For example, Ellis Hesselmeyer’s ‘Hilfsbuch für den Geschichtsunterricht an den mittleren Klassen der höheren Schulen Württembergs’, published in Bamberg and Stuttgart in 1909, says of the war of 1866: “Die Preußen führten den Feldzugsplans Moltkes zur Bewunderung ganz Europas durch.”47 [The Prussians carried out Moltke’s campaign plan to the admiration of all of Europe.] Thus, even South German particularism was completely defeated, at least in the textbooks of the lower and middle grades, by the small-German-Prussian-national historical image of the time. Tasks, food for thought or sources are missing in all textbooks of this time. The books are purely repetitories to accompany the teacher’s lecture. Here, subjects

46 Harry Brettschneider: Deutsche und preußische Geschichte von Friedrich dem Großen bis zur Gegenwart. Hilfsbuch für den Unterricht auf höheren Lehranstalten. Halle (Saale): Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses, 1902, 85. 47 Ellis Hesselmeyer: Hilfsbuch für den Geschichtsunterricht an den mittleren Klassen der höheren Schulen Württembergs. IV. Teil (Obertertia). Deutsche Geschichte von 1519 bis 1871. Bamberg: Buchner, 21909, 141.

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and future soldiers were to be indoctrinated, not taught, using the example of the victorious wars of 1864, 1866 and 1870/71.48

The Anzac Myth in Contemporary Australian Textbooks As in the Kaiserreich, the education system in Australia was responsible for the affirmative transmission of a battle myth. Only four days after Bean’s report was published in the daily newspapers, it found its way into the school system. The Department of Public Instruction in NSW (New South Wales) reprinted the reports for senior school students with five illustrations.49 The department made the expected views of the students more than clear. They were to be placed “in proud and grateful memory of the bravery of the Australian troops”.50 In the following years, too, the Anzac-myth became more and more part of the curriculum and thus found its way into school textbooks.51 Beaumont clearly identifies the role of schools and textbooks: “[…] the education system complemented the family as a means of transmitting and shaping memories of the war. […] schoolchildren were actively conscripted to the patriotic cause […]. Through all this children were fed a constant diet of literature glorifying the heroism of Australian forces and extolling the virtues of the British Empire.”52 That this process began while the war was still raging is clear from Beaumont, who reports in the context of the first school Anzac celebrations in 1916: “[…] textbooks featured stories and poems about the Anzacs and their heroic feats.”53 An Australian schoolbook from 1925 shows how onedimensional and distorted the event at Gallipoli was portrayed even in the years after the war: “The courage and steadiness of the Australians proved equal to this exacting trial and their part was performed with a valour that placed them at once among the very best of the Empire’s soldiers, able to face the most desperate situation with magnificent bravery.”54 The Australian textbooks of the first decades after the Great War perpetuated the master narrative, established above all by Bean’s ‘ANZAC Book’, of the proud and brave Australian soldier who, through his blood sacrifice, helped to make Australia a nation.55 Australian historian Leslie Lyod Robson sees this form of 48 See Arand: Einigungskriege, n. p. 49 See Münch: Der Erste Weltkrieg in der australischen Geschichtskultur, 124. 50 Departement of Public Instruction, 1, as cited in: Münch: Der Erste Weltkrieg in der australischen Geschichtskultur, 124. 51 See Münch: Der Erste Weltkrieg in der australischen Geschichtskultur, 146. 52 Beaumont: Anzac Legend, 243. 53 Ibid. 54 Joseph Bryant: Great Events in Australian History. Sydney: Cornstalk, 1925, 143. 55 On the portrayal of the Gallipoli landings in current Australian history books, see Münch: Der Erste Weltkrieg in der australischen Geschichtskultur, 314–352.

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history teaching as a form of indoctrination: “School children for nearly two generations were made to feel a sense of awe. […] They were told of the virtues of the soldiers, and especially about the sacrifice of the dead, of their bravery and honourable conduct, and the children were urged to emulate them in those qualities.”56 The historian Graeme Davison also confirms in a study of Australian textbooks that they offered “a storehouse of moral and political examples”57, into which ‘ANZAC heroes’ could be easily integrated. Fabian Münch also comes to a similar conclusion in his dissertation: “Durch die Darstellung vor allem männlicher, aber auch weiblicher Heldenfiguren sollten im Rahmen der imperialen bzw. nationalen Fortschrittsgeschichte Moral und Patriotismus vermittelt werden.”58 [Through the depiction of mainly male, but also female heroic figures, morality and patriotism were to be conveyed within the framework of the imperial or national history of progress.]

The fact that the Australian history textbook continued to focus on a ‘white’ history to the exclusion of the indigenous population until well after the Second World War also popularised the thoroughly colonial Anzac myth in the sense of a nationalist-racist view of history.59

Conclusion Australia and the German Empire: two nations that could not be more different. Two nations of which only one still exists today in its original form, while the other, after catastrophic defeats in two world wars and decades of violent division, has been transformed into something new, but is still based on the old. And yet, elements can be found that are similar – especially when one looks at the significance of an affirmative war narrative as a founding myth and the role of the school as a place of learning and socialisation. It is evident that the commemoration of battles perceived as central was constitutive for the nationbuilding of both young nations. What the political and intellectual elites had in common was that school was seen as crucial for nation-building and that pupils were indoctrinated with content and methods that are under-complex from 56 Leslie L. Robson: “The Anzac Tradition”. In: Journal of History for Senior Students 4/2 (1973): 57–62, 59. 57 Graeme Davison: The Use and Abuse of Australian History. St. Leonards: Allen & Unwin, 2000, 181, as cited in: Münch: Der Erste Weltkrieg in der australischen Geschichtskultur, 314. 58 Ibid. 59 See Robyn Moore: “History textbooks still imply that Australians are white”. In: The Conversation (11. 06. 2017). https://theconversation.com/history-textbooks-still-imply-that-aus tralians-are-white-72796 (24. 04. 2022).

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today’s point of view but were very successful at the time. State-bearing speeches and patriotic chants played a major role in the Kaiserreich as in Australia. The pressure to conform, too, generated by attendance in the school auditorium or by forming the word ‘ANZAC’ on the Melbourne cricket field, must have been great on pupils in both countries. That a hypertrophic nationalism was generated in school in this way is also beyond discussion. However, differences can also be named. 1: After two lost world wars, celebrations commemorating ‘glorious’ wars no longer take place in Germany today. In Australia, on the other hand, Anzac enthusiasm remains largely unbroken to this day. 2: In the Kaiserreich, a victory could be celebrated; in Australia, the feat of creating a positive myth from a defeat had to be achieved. For when viewed soberly, Gallipoli was a disaster, as the last Anzac veteran Alex Campbell recalled in 2013: “For god’s sake, don’t glorify Gallipoli – it was a terrible fiasco, a total failure and best forgotten.”60 Nevertheless, this disaster successfully served as motivation to send new young men to their deaths even during the war. (Fig. 4) But German men also followed the image conveyed in 1914 and went to war unsuspecting of what was to await them.61 This shows the fatal persuasive power of unquestioned historical images that appeal to ‘heroic’ role models, combative masculinity and national solidarity without revealing the dark side of the only supposedly ‘sweet and honourable’62 death for the fatherland. Although war narratives have been toned down in the modern societies of the ‘West’ today, they have not completely disappeared even in the rather pacifistic Germany. Even in contemporary Germany, the narrative conveyed in the Kaiserreich has survived, albeit somewhat hidden. After all, Germany has existed in its present form since 1949 and 1990, 73 and 32 years respectively – and yet Otto von Bismarck, the supposed ‘father’ of the unification of the small German Reich, is still counted among the top 10 most important Germans. In a television programme that was shown on public television in Germany in 2003 and which was 60 As cited in: Jonathan King: “It’s Anzac Day – not the Big Day Out”. In: The Sydney Morning Herald (20. 04. 2013). https://www.smh.com.au/national/its-anzac-day-not-the-big-day-ou t-20130419-2i5a4.html (23. 04. 2022). 61 See the contribution by Tobias Arand in this volume. 62 In the original Horace, Carmina 3.2: “Dulce et decorum est pro Patria mori”. This Roman quotation served countless orators in all European countries with success time and again in winning young men as ‘cannon fodder’ for the industrialised wars of the 19th and 20th centuries. At the same time, the quotation was the title of a sarcastic poem critical of war by the British poet and front-line fighter Wilfried Owen. The closing verses of his poem, which describes the horror of a gas attack, read: “If you could hear, at every jolt, the blood / Come gargling from the froth-corrupted lungs, / Obscene as cancer, bitter as the cud / Of vile, incurable sores on innocent tongues, // My friend, you would not tell with such high zest / To children ardent for some desperate glory, /The old Lie: Dulce et decorum est / Pro patria mori.” Published posthumously, Owen fell a week before the end of the war. In Wilfried Owen: Poems. London: Chatto & Windus, 1920, 15.

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Fig. 4: Burton, H. M., The Defence Department of the Commonwealth, S. T. Leigh & Co. Ltd, Australian Recruitment Poster, 1915.

all seriousness entitled ‘Unsere Besten – Die größten Deutschen’ [Our Best – The Greatest Germans], Bismarck was listed in 9th place – behind Konrad Adenauer, Martin Luther or Johann Wolfgang von Goethe, but ahead of Albert Einstein! This shows how effective such a narrative can be long after its demise. Two nations that could not be more different – and yet the fields on which nationality is constructed are comparable and applicable to both sides.

Works cited Alter, Peter: Nationalismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1985. Arand, Tobias: Geschichte und Geschehen. Themenheft Epochenjahr 1917. Stuttgart: Klett, 2007. Arand, Tobias (ed.): ‘Der großartigste Krieg, der je geführt worden.’ Beiträge zur Geschichtskultur des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71. Münster: ZfL-Verlag, 2008. Arand, Tobias: 1870/71. Die Geschichte des Deutsch-Französischen Kriegs erzählt in Einzelschicksalen. Hamburg: Osburg Verlag, 2018.

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“an important battleground in the contest for children’s hearts and minds”

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Cathérine Pfauth

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List of Illustrations Fig. 1: Brandenburger Tor mit Aufschrift ‘Welch eine Wendung durch Gottes Führung’, in: Arand, Der großartigste Krieg, 24. Fig. 2: Programm der Sedanfeier an einem Bremer Gymnasium 1911, in: N. N.: “Gedenken an die Sedanschlacht (1911)”. In: Volksliederarchiv. https://www.volksliederarchiv.de /hintergrund/1911-gedenken-an-die-sedanschlacht/ (23. 04. 2022). Fig. 3: Cover des Anzac Book, in: Bean: Anzac Book, n. p. https://nla.gov.au/nla.obj-1906 1379/view?partId=nla.obj-19061910 (23. 04. 2022). Fig. 4: Australisches Plakat ‘A call from the Dardanelles’, in: Willmott: Der Erste Weltkrieg, 79.

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Sebastian Hartung (Universität Regensburg)

Tradition and Traditionalisation: A Comparative Study of German and Australian Didactics within the Context of World War I

1.

Tradition and its Educational Roots

Both collective commemoration and its perception are rooted in tradition which, conversely, also perpetually refreshes the two. Due to traditionalised experience continually interacting with the present by means of public remembrance, the discussion of history continues whilst maintaining its meaning. In this way, young generations can and are, in fact, expected to discover connections to events and experiences long past. Tradition and traditionalisation, however, are subject to several filters, likely the most potent of which is the educational system as it conveys, shapes, and modifies a community’s culture of remembrance. It thus plays a crucial role in relaying public narratives of historical issues. By means of example, this comparative paper examines the similarities and differences of how World War I is currently being taught and traditionalised in the secondary education systems of Western Australia and Bavaria. Aside from how the complex topic of World War I is embedded in Western Australia’s K-10 and in Bavaria’s LehrplanPLUS for Gymnasium, the primary focus of this study will be placed on the historical sources and didactic materials recommended by the two states’ departments of education. Diverging emphases are to be expected, of course. However, it remains to be seen what ‘present-day relevance’ both curricula, which have recently been redrawn, attribute to World War I and in which ways they appear to be doing this. When analysing sourcesand-materials allocations,1 special heed must be taken regarding the modern didactic principles of ‘multi-perspectivity’, ‘controversy’, and ‘experience of the other’. This is because, from different stresses of these aspects, it is possible to

1 Please note that this paper is concerned only with the official guidelines and learning materials as provided by the departments of education of Western Australia and Bavaria. To ensure a coherent yet concise analysis, the countless teaching specifics on the side of individual schools, such as local syllabus designs or the choice of schoolbooks, cannot be taken into account.

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Sebastian Hartung

discern how dissimilarly the two curricula may affect historical narratives and public notions of World War I in today’s world.

2.

Why Western Australia and Bavaria?

The decision to juxtapose the curricula of Western Australia and Bavaria is based on two crucial factors, the first of which is the two states’ students’ readings skills in relation to national as well as international standards. According to the 2018 Programme for International Students Assessment (PISA) report, Australian and German students scored 503 and 498 points, respectively, while the average among OECD countries was 487 points.2 Whether the results of 2022, being compiled at the time of writing, will continue these trends or indicate a change in development, remains to be seen. As for Western Australia in particular, students achieved an average of 512 points in reading, ranking them in second place nationwide.3 With a medium result of 508 points in reading competency, pupils in Bavaria also accomplished the second-best results among their national peers.4 Pupils of both federal states thus clearly outperformed the corresponding national averages as well as that of the OECD. Another reason for picking said states is that their governments recently issued new school curricula. Largely in order to centralise Australia’s comprehensive primary and secondary education, Canberra, in 2015, implemented the Foundation to Year 10 Curriculum (F-10), a frame curriculum whose core contents schools in all states and territories have to include in their individual curricula across all subjects.5 F-10 underwent its latest general review and update in 2020/21.6 The updated version 8.4 was officially endorsed by the central Australian Department of Education in 2022.7 Under the term Kindergarten to Year 10 (K-10), the Western Australian government has both adopted and been

2 OECD: “PISA 2018 Results. Combined Executive Summaries”. In: PISA 2018 Results I (2019). https://www.oecd.org/pisa/Combined_Executive_Summaries_PISA_2018.pdf (19. 04. 2022). 3 School Curriculum and Standards Authority: Results of the Programme for International Student Assessment (PISA) 2018 Report. https://scsa.wa.edu.au/__data/assets/pdf_file/0006/7 22094/Results-of-the-Programme-for-International-Student-Assessment-PISA-2018-Report. pdf (19. 04. 2022). 4 My sincere gratitude is owed to Dr. Paula Baumer of the Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Department of Education and Cultural Affairs of the State of Bavaria) for providing me with these figures. 5 Australian Curriculum Assessment and Reporting Authority: Implementation of the Australian Curriculum. https://www.australiancurriculum.edu.au/f-10-curriculum/implementati on-of-the-australian-curriculum/ (19. 04. 2022). 6 Ibid. 7 Ibid.

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Tradition and Traditionalisation

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adapting the latest versions of F-10.8 K-10 defines World War I as a major topic in 9th grade.9 In Germany’s highly state-controlled secondary education system, Bavaria continues to follow a non-comprehensive, multi-tiered approach.10 At the center of interest for this study is the Gymnasium tier, whose curriculum is currently subject to an extensive overhaul for the second time within less than one and a half decades.11 The new curriculum, ‘LehrplanPLUS für Gymnasium’, was implemented successively in 2018 and has so far proceeded to 9th grade. With World War I constituting an integral part of 8th grade,12 this means that this year the topic will be covered for only the second time under the new guidelines. Given the prevalence of both state curricula, long-term emendations are to be expected or are in fact taking place already, as is the case with K-10. This fresh input by the political authorities in the Bavarian system as well as in the Western Australian one, coupled with students’ high reading skill levels in both instances, lends itself to a comparative snapshot along the lines of the traditionalisation of World War I.

3.

Embedding and Key Issues of World War I in the New Curricula

Western Australia’s history syllabus for 9th grade is comprised of three thematic sequences. These include an introductory section to ‘The Making of the Modern World (1750–1918)’, which provides a general overview of the period, followed by two depth-studies, one each on ‘The Industrial Revolution (1750–1914)’ and on ‘Investigating World War I (1914–1918)’.13 A relatively equal amount of time is allotted to each of these three sections.14 Given a regular Australian school year of approximately 40 weeks with an average of two history units per week, this adds up to approximately 26 lessons on World War I. The main issues addressed in this segment include: the global causes of World War I on a political scale, Australian 8 School Curriculum and Standards Authority: Background of the K-10 Outline. https://www.sc sa.wa.edu.au/11to12-circulars/extraordinary-edition-april-2021 (19. 04. 2022). 9 School Curriculum and Standards Authority: Humanities and Social Sciences of K-10. https://k10outline.scsa.wa.edu.au/home/teaching/curriculum-browser/humanities-and-so cial-sciences#year-9-syllabus (19. 04. 2022). 10 Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Das bayerische Schulsystem. https://www.km.bayern.de/schularten (19. 04. 2022). 11 Michael Sperger: “Die wichtigsten Fragen zum neuen G9”. In: Mittelbayerische Zeitung (3. 07. 2018). https://www.mittelbayerische.de/bayern-nachrichten/die-wichtigsten-fragen-zum-ne uen-g9-21705-art1664859.html (19. 04. 2022) 12 Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Geschichte 8 – Das lange 19. Jahrhundert. https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/gymnasium/8/geschichte (19. 04. 2022). 13 School Curriculum and Standards Authority: Humanities and Social Sciences in K-10. 14 Ibid.

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men’s incentives to enlist and fight in the war, places at which Australians fought, the course and results of the Gallipoli Campaign, the impact of World War I at home – i. e. propaganda on the civilian population, the changing role of women in society due to the war, and the conscription debate – and finally the commemoration of World War I today, along with a debate upon the nature and significance of the Anzac legend.15 The Paris Peace Treaties are covered at the beginning of 10th grade.16 On the history syllabus for 8th grade in the Bavarian Gymnasium tier, six sequences of 56 lessons total are listed, proceeding from the Age of Enlightenment through to the end of World War I.17 Among these six sequences, ‘Imperialism and World War I’ [Imperialismus und Erster Weltkrieg] with its circa 13 intended lessons constitutes the largest one.18 The leading questions which frame the sequence revolve around why World War I erupted and why it has been called the ‘Seminal Catastrophe of the 20th Century’.19 To explore these questions, three lessons deal with the reasons, methods, aims, and theaters of imperialist policy, its effects on indigenous peoples, and the relations of European colonial powers with each other; eight lessons are reserved for the war itself, specifically the arms race of the European powers since the late 19th century, the assassination of Archduke Franz Ferdinand, the outbreak of war, a first debate on the question of war guilt, an overview of the course of the war, aspects of industrial warfare, everyday life on the frontlines, and the repercussions of the war at home; two lessons address the ‘Epochal Year’ of 1917 when the Russian Revolution terminated the Tsarist Empire and the US entered the war; the final 2 lessons analyse the Treaty of Versailles – i. e. its conditions, effects on the defeated, territorial changes, an assessment of the accord regarding justice and justification, as well as global repercussions of the Paris Peace Treaties including modern-day conflicts and disputes in the Middle East, Africa, and southeastern Europe – statistical results of the war, an examination of local war memorials and of historical perceptions of the war, and ultimately a renewed discussion of the questions of war guilt and the ‘Seminal Catastrophe of the 20th Century’.20 Needless to say, the final two lessons appear to be somewhat overloaded. From a practical stance, this impedes and even threatens to devalue the conclusive de15 Ibid. 16 Ibid. 17 Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Geschichte 8 – Das lange 19. Jahrhundert. 18 Ibid. 19 Ibid. 20 Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Sequenzvorschlag zu Lernbereich G 8.6: Imperialismus und Erster Weltkrieg. https://www.lehrplanplus.bayern.de/sixcms/media. php/71/M_8.6_Sequenz.5303312.pdf (20. 04. 2022).

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bates on the ‘Seminal Catastrophe of the 20th Century’ and war guilt as only little time can be given to this final analysis section of the topic of World War I. A cursory comparison of these contents already reveals a few pivotal differences as to how World War I as a socio-historical phenomenon is contextualised historically. These differences go beyond the observation that the Bavarian syllabus focuses more extensively on the ‘Epochal Year’ of 1917 as well as on World War I as a product of international imperialist and colonialist policies. What is more striking is that, on the Western Australian syllabus, the Paris Peace Treaties have been excluded from in-depth-studying of World War I. Whether intended or not, this defines the waging of World War I as the culmination and ending of a historical period. Hence the Paris Peace negotiations heralded the dawn of a new era, according to the educational narrative. Bavaria’s LehrplanPLUS for Gymnasium, however, by means of the recurring debate upon the ‘Seminal Catastrophe of the 20th Century’, presents World War I together with the Paris Peace negotiations as being the launching point of the new era. This notion of World War I as an introductory versus a terminative event is emphasised by a particular disparity, being that the remembrance of World War I falls rather short in LehrplanPLUS, while in K-10 this issue occupies more than half of the sequence. In other words, the latter is mainly concerned with the reflection of the events recently covered and, consequently, disembogues into a national commemorative debate. The former, by contrast, attempts to transfer students’ newly gained insights on subsequent developments and, therefore, analyses the war and its immediate aftermath on a global scale. With World War I explored, evaluated, and traditionalised through a distinctly national prism in Western Australia and through a geographically more extensive prism in Bavaria, domestic issues are featured more prominently in K-10. Nowhere is this more apparent than when it comes to the changing role of women in society during the war, which appears as its own subtopic in K-10 but is not mentioned at all in LehrplanPLUS for Gymnasium.

4.

Description of the Historical Sources and Secondary Materials

Most likely an effect of the Australian government’s centralisation measures, the Department of Education of Western Australia draws heavily upon online learning resources provided by the Department of Education of New South Wales. This encompasses two digital binders which originated from the project ‘The Spirit Lives’ commemorating the centenary of the end of WWI.21 In the 21 Please note that the third resource, titled ‘Forgotten Heroes’ and supposedly focusing on the role of Aboriginals and Torres Strait Islanders in World War I, is not considered in the

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Sebastian Hartung

binder ‘We Commemorate’, a five-part learning assignment with a wide array of tasks and lenses is provided: “[The first stage has] [s]tudents identify a local war memorial and design a collaborative class tribute to the First World War heroes in their community. [In a second step] [s]tudents produce a creative response to a wartime artefact […] that could be incorporated into an Anzac Day or Remembrance Day ceremony. [For the third task] [s]tudents produce a short factual documentary showing the contribution and experiences of groups other than soldiers […]. Based on a hypothetical scenario, students [in the fourth task] create a presentation that outlines the geographical features of the Gallipoli Peninsula […] to inform the defence forces about the expected conditions on arrival. Using primary sources, [at the final stage] students create a short news bulletin on any battle in France or Belgium in which Australians fought during the First World War.”22

The binder ‘Commemorating Anzac through Engaging Learning’ offers a broad range of sources and didactic materials as well as an ample collection of pictures of Anzac soldiers in various situations – on land and at sea, individual and group portraits, in action or during a respite – Anzac military equipment, Australian war memorials, maps of Anzac deployment sites, Anzac nurses and hospitals, Australian women’s contributions on the home front, personal letters and newspaper articles, propaganda leaflets, devastated battlefields, and dozens more.23 Additionally, the binder contains illustrations and testimonia of purposefully highlighted topics, such as Australia’s first naval battle of the war, the story of three brothers who perished together, Australian boy soldiers, the fate of Aboriginals and Torres Strait Islanders during the war, and women replacing men in the workforce or nursing the wounded.24 When sifting through these materials, a special focus on three groups can be identified, be it due to an abundance of sources, specifically dedicated photo galleries, and/or extensive modern descriptions. These are Anzac nurses, of whom two full war diaries have also been digitalised, Aboriginal and Torres Strait Islander soldiers, on whom three historical newspaper articles can also be found, and several Australian relief or-

following analysis, as, at the time of writing, the link to the resource was not functional. https://reconciliationsa.org.au/assets/media/files/Education%20Packs/Updated/forgotten_ heroes_UPDATED_23-1-17.pdf (21. 04. 2022). 22 Department of Education of the State of New South Wales: We Commemorate. Challenge, Create, Contribute. http://www.wecommemorate.nsw.edu.au/challenges.html (21. 04. 2022). 23 Department of Education of the State of New South Wales: Commemorating Anzac through Engaging Learning. Why Commemorate? https://schoolsequella.det.nsw.edu.au/file/e66e0b 2a-66e5-443c-9a9a-6e199af 74bd6/1/14515.zip/index.htm (21. 04. 2022). 24 Department of Education of the State of New South Wales: Commemorating Anzac through Engaging Learning. Experiences. https://schoolsequella.det.nsw.edu.au/file/e66e0b2a-66e5443c-9a9a-6e199af 74bd6/1/14515.zip/14515_02.htm (21. 04. 2022).

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ganisations, about whose work a silent film is available.25 Moreover, a three-step station learning task is provided, focusing on the commemoration of Anzac military involvement in World War I.26 During the first two stages, students learn about the Gallipoli campaign and evaluate the Anzac legend which arose from it.27 The materials provided for this task comprise two short modern documentaries on the military events at Gallipoli and the Anzac legend, a scientific text on the myth, and a 1916 photo of Anzac soldiers marching through Brisbane. Providing a museum description, a political speech, a media broadcast, and a newspaper article, the third stage requires pupils to detect the perspectives, agendas, and usefulness of these texts on the Anzac legend.28 The Bavarian department of education supplies students and teachers with but one comprehensive learning task, which contains seven historical sources and modern learning resources as well as additional instructions for teachers.29 The overall task reads that, based on the assigned materials, study groups are tasked with preparing presentations on soldiers’ experiences of industrial warfare on the Western front.30 This encompasses everyday life and hazards as well as the military result and human cost of the Battle of Verdun.31 The historical sources for the task are a photograph of the Douaumont Ossuary plus an explanatory caption, a letter from a Bavarian university student-turned-soldier concerning his gruesome experience during a recent fight, and three photographs from the trench lines – one of two British machine gunners wearing gas masks, one of a unit of heavily armed German soldiers attacking uphill with flamethrowers and grenades, and one of a German officer in front of a devastated battlefield during a calm moment.32 The secondary materials consist of a map of the frontlines in the Verdun area throughout the course of 1916 and a figure on the losses of men and material during the Battle of Verdun, along with details of the geographic extent of the battle.33 En passant, teachers are instructed to tell pupils in advance about the German strategy of attrition clashing with the French directive of ‘ils ne passeront pas’ at Verdun.34 Obviously, the two collections of 25 Ibid. 26 Department of Education of the State of New South Wales: Commemorating Anzac through Engaging Learning. Secondary History. https://schoolsequella.det.nsw.edu.au/file/e66e0b2a -66e5-443c-9a9a-6e199af 74bd6/1/14515.zip/14515_05.htm (21. 04. 2022). 27 Ibid. 28 Ibid. 29 Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Illustrierende Aufgaben zum LehrplanPLUS. Eine neue Dimension des Kriegs? https://www.lehrplanplus.bayern.de/sixcm s/media.php/72/LA_8.6.5_Erster%20Weltkrieg.pdf (21. 04. 2022). 30 Ibid. 31 Ibid. 32 Ibid. 33 Ibid. 34 Ibid.

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Sebastian Hartung

sources and materials in question differ greatly in terms of quantity, albeit that they also show qualitative similarities focusing primarily on photographs, maps, and personal accounts.

5.

Evaluation of the Sources and Materials

A closer comparison of these sources and materials reveals some striking differences when it comes to the ‘present-day relevance’ of the topic of World War I. Modern history teaching at its very core explores the connection between the past and the present and how this connection is established.35 Concisely put, the goal is for students to recognise history as being the precondition of current situations as well as to reconstruct and apply past experience to today’s world, i. e., to identify causality and to decipher context.36 Students ought to be enabled to discern and evaluate historical relics, such as artifacts and monuments, language elements, and, in particular, public commemoration and/or debates.37 To meet these objectives, it is vital to present historical developments through various lenses as different groups of people have perceived historical events differently on grounds of cultural, religious, geographical, political, economic, social, and gender-related factors.38 Ideally, this ‘multi-perspectivity’ leads to a sense of ‘controversy’, which means that pupils should learn to identify diverging perspectives throughout time and to assess prevalent public notions of history.39 For this to succeed, intensive interaction with the unknown is required, commonly referred to as the ‘experience of the other’.40 By reconstructing past mindsets by deducing their incentives, external influences, and inner logics, the aim is to prevent the imposition of moralist, hindsight-driven standards onto past individuals or groups and instead to create an understanding of the (supposed) historical ‘other’.41 Not only does such an analysis transfer past socio-cultural experience onto the present meaningfully;42 it also introduces somewhat representative yet relatable individuals of certain social groups who ‘personify history’ 35 Michael Sauer: Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik. Seelze: Kallmeyer/Klett, 92010, 95. 36 Klaus Bergmann: Der Gegenwartsbezug im Geschichtsunterricht. Schwalbach: Wochenschau Verlag, 22008, 38–42. 37 Ibid., 35–37. 38 Klaus Bergmann: Multiperspektivität. Geschichte selber denken. Schwalbach: Wochenschau Verlag, 22008, 26–28. 39 Ibid., 40–43. 40 Sauer: Geschichte unterrichten, 76. 41 Andreas Körber: “Geschichte und interkulturelles Lernen. Begriffe und Zugänge”. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 52/5 (2001): 292–304, 295–297. 42 Ibid., 297–298.

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and who make the past accessible.43 In the following one can discover in which ways the two collections of materials and sources in question attempt to fulfill these maxims. On the Western Australian side, the groups at the center of focus are clearly soldiers fighting at Gallipoli, women in their roles as nurses and soldiers’ wives, and Aboriginals and Torres Strait Islanders in civilian capacities. As such, several contemporary stances and voices from various backgrounds are taken into account, for example by means of nurses’ diaries,44 soldiers’ letters,45 or Aboriginal representatives’ media coverage.46 This approach ensures a multifaceted personification of history and, hence, adheres to the principle of multi-perspectivity. At first glance, this also addresses the tenet of controversy due to the profoundly divergent experiences undergone by these three groups throughout the war. In other words, the sources and materials contextualise the prominent public commemoration of World War I in Australia with a wide array of historic angles. The overall focus is nevertheless exclusively Australian, which simultaneously limits the potential of controversy significantly, as no attention is paid to members of other countries. Just to name the most glaring examples, there is hardly any mention of the German troops who fought against the Australian troops in the Pacific colonies, the Ottoman forces who resisted the Anzacs at Gallipoli remain nebulous, and even the Anzac allies are virtually neglected – let alone individuals from these nations.47 Restricting the focus in this way drastically curtails the experience of the other. In fact, one may even argue that there really is no ‘other’ to represent the horizon beyond the omnipresent Australian/ Anzac ‘we’. Considering various nationally defined perspectives yet omitting any stance outside these borders, the public tradition of the inclusive but at the same time exclusive, Anzac legend is continuously being upheld. That is because, year by year, new students are taught about World War I within a decidedly national framework. However, the sources and materials neither depict nor celebrate the Anzac forces or the Australian nation as being victors of the war. A jingoist view is thus strictly avoided. Instead, World War I is reconstructed and portrayed as a rather abstract force heavily impacting all elements of Australian society. Having 43 Sauer: Geschichte unterrichten, 87. 44 Department of Education of the State of New South Wales: Commemorating Anzac through Engaging Learning. Experiences. 45 Department of Education of the State of New South Wales: We Commemorate. Challenge, Create, Contribute. 46 Department of Education of the State of New South Wales: Commemorating Anzac through Engaging Learning. Experiences. 47 Department of Education of the State of New South Wales: Commemorating Anzac through Engaging Learning. Why Commemorate?; Department of Education of the State of New South Wales: We Commemorate. Challenge, Create, Contribute.

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withstood this quasi ‘force of nature’ becomes thus traditionalised as a comprehensively national feat. Hence one can attest to the fact that the agenda in K-10 perpetuates the deeply entrenched public commemoration of the Anzac tradition. What is worth noting is that, through this reflective traditionalisation of World War I, the narrative includes military and civilian perspectives in Australian society during the war to an equal degree. This comprehensive Anzac narrative creates various points of identification for today’s contemporaries, as it clearly exceeds the notion of a combat-focused Anzac forces’ legend. Applying a narrower scope, Bavaria’s Lehrplan PLUS for Gymnasium pursues another strategy in relating current experiences to those during the war. The group in focus regarding the sources and materials comprises solely soldiers on the Western Front during the Battle of Verdun and the Somme Offensive.48 Again, this limits the scale of perspectives and narratives immediately, although in this instance it is through adherence to social rather than national boundaries. Thus, despite the inclusion of personal experiences such as in the aforementioned Bavarian soldier’s letter or in the photographs of soldiers in various situations,49 the personification of history remains similarly restricted and lopsided as in K10. Within the given frame, in contrast to the Western Australian approach, the interaction with the historical ‘other’ is manifold. This is because the historical sources and didactic materials unequivocally include opposing sides, be it through the photographs of German and of British soldiers, the Douaumont Ossuary, which holds the remains of German and French soldiers, or also the letter which is written so apathetically that any soldier from any nation might have written it.50 As the letter does not mention any nationalities, a close reading of it would not even reveal the soldier’s affiliation. This balance of sources and materials in terms of nationalities and war factions guarantees a military-focused yet multi-perspectival presentation of World War I. Students, for their part, can therefore transcend national points of view and gain an understanding of the historical ‘other’ independent of ‘its’ side during the war. Nonetheless, the sources and materials provided for the sequence itself lack a sufficient connection between World War I and today’s world. Overall World War I is presented and traditionalised primarily as a war and as an international disaster.51 Despite this, present-day issues rooted in WW I or perceptions of the war are not awarded adequate time as, for example, the Sykes-Picot Agreement or the studying of local war memorials are buried in the aforementioned crammed 48 Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Illustrierende Aufgaben zum LehrplanPLUS. 49 Ibid. 50 Ibid. 51 Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Sequenzvorschlag zu Lernbereich G 8.6.

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final two lessons of the sequence.52 Even the modern photograph of the Douaumont Ossuary, which could act as a potential source for present-day relevance, is allocated no more significance regarding commemorative analysis.53 The founding of the League of Nations – the precursor to the United Nations and the European Union after all – in the context of the Paris Peace Negotiations is not mentioned at all.54 Instead, the sequence climaxes in the revisited discussions on World War I as the ‘Seminal Catastrophe of the 20th century’ and on war guilt. This may, to an extent, compensate for the lack of sufficient controversy concerning public notions of the war in large parts of today’s German society. Still, the impression created is that the syllabus communicates World War I to its young scholars as simply being one of many wars – albeit gigantic in scale – without establishing any meaningful connection between these events and today’s contemporaries. Students born around and after 2005 are left to wonder what present-day relevance World War I possesses for them. That is to say: a sensible traditionalisation of World War I through LehrplanPLUS hardly occurs.

6.

World War I today: What Will the Young Remember?

As has been demonstrated, the World War I narratives which K-10 and LehrplanPLUS for Gymnasium convey to young generations differ profoundly, as the recent political input into both curricula has resulted in a more national versus global approach to the topic. As such, the sequences into which the complex of World War I is embedded entail essentially different conclusions, i. e., an analysis of national perceptions of World War I at the supposed end of an era according to K-10 as opposed to a debate about the long-term international effects of the conflict at the end of a historical period according to LehrplanPLUS. What becomes conspicuous at first glance is the disparity in the number of historical sources and didactic materials from which to choose, although this does not alter the fact that the various resources recommended by the Western Australian administration are similar in nature to the few supplied by the Bavarian government. In terms of quality, K-10’s resources emphasise a distinctly national focus, which leaves little room for experience of the ‘other’. On the one hand, history is thus personified solely through the Australian prism and the potential for controversy stays within the Anzac confines. Within this framework, on the other hand, several social points of view are considered. Inside the strictly na52 Ibid. 53 Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Illustrierende Aufgaben zum LehrplanPLUS. 54 Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Sequenzvorschlag zu Lernbereich G 8.6.

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tional context, this still meets the requirement of multi-perspectivity. Abiding by the guideline of multi-perspectivity and climaxing in a scrutiny of public commemoration, the sequence receives an unmistakably national yet clearly nonnationalist present-day relevance. Resisting the war – not the enemy – successfully and as one nation is to be traditionalised as a profound deed of Australian society as a whole. If one were to conduct a study of all Australian state curricula, similar results could probably be expected due to K-10’s foundation in F10. The focus solely on soldiers in the sources and materials in LehrplanPLUS, as opposed to the Western Australian idea, restricts multi-perspectivity on social grounds, as merely military personnel are portrayed in the personification of historical experience of World War I. Through paralleling both sides on the Western front in 1916, however, the experience of the ‘other’ is appropriately borne in mind and multi-perspectivity is explored within an international military scope. Then again, although the cruel effects of the conflict on all parties is stressed, an adequate sense of commemoration is lacking. This is because the profound experiences and repercussions of World War I are barely linked to today’s students’ world. By the same token, World War I tends to fall victim to the impression that it should be traditionalised as just another war among countless others of the past. It stands to reason that the public narrative constructed by K-10 is intended to be as it has been laid out. Hardly the same can be claimed about the dubious narrative that is spun by LehrplanPLUS. Once the curriculum is due for revision, one can only hope that this lack of a meaningful connection between the past and the present will be addressed. Considering that in both history syllabi, however, the topic of World War I is covered at the very end of the school year, one wonders how much significance students actually award to the topic of World War I. Despite the intended narrative, placing the topic in the syllabi in this manner will likely weaken the commemorative aspect in both instances. In a way, one could argue that this is a rather minor issue as long as the narrative remains as thin as it is in the current version of LehrplanPLUS. Whether the Australian and/or Western Australian authorities considered this facet when drawing up their curricula is anyone’s guess.

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Christiane Weller (Monash University, Melbourne)

Baumsoldaten. Avenues of Honour als belebter Gedächtnisraum in der australischen Landschaft

Die australische Landschaft ist ein Raum, der von den europäischen Kolonialisten und Siedlern des 19. Jahrhunderts oftmals als bedrohlich, aber auch als extrem monoton und befremdlich wahrgenommen wurde. Schon Claude Lévi-Strauss merkt an, dass „[d]ie völlig unberührte Landschaft […] so eintönig [ist], daß ihre Wildheit jeden signifikanten Wert verloren hat. Sie verschließt sich dem Menschen, vergeht unter seinem Blick, anstatt ihn herauszufordern“.1 Eine solche Frontiererfahrung der australischen Siedler, die die australische Landschaft trotz indigener Bewirtschaftungspraktiken bewusst als weitgehend unberührt wahrnimmt, wird überformt und abgewehrt durch die europäisch-geprägte Anlage der Städte und die versuchte Angleichung der Landschaft an europäische Vorbilder. Der australische Busch weicht zunehmend schottisch anmutenden, weitgehend von Bäumen befreiten Hochebenen, parzellierten Feldern und Wiesen, die wie in England und Irland von Trockensteinmauern umgeben sind, der Anlage von englischen Cottage-Gärten und ausgedehnten Parkanlagen, aber auch den monokulturellen und industriellen Landwirtschaftspraktiken, die durch die Einführung von Huftieren tief in die einheimische Flora eingreifen.2 Der australische Busch aber wird nicht nur durch eine europäisch anmutende Landschaft ersetzt, sondern wird auch vor allem in Victoria und New South Wales in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch den dortigen Goldrausch in eine erodierte Trümmerlandschaft verwandelt. In diesem Landschaftsraum auf der Schwelle von städtischer oder dörflich-agrarischer Struktur und australischem Busch finden wir die sogenannten Ehrenalleen oder Avenues of Honour, die als Gedenkstätten für die Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkriegs angelegt wurden. Ihre Anlage ist ein Phänomen, das zwar nicht auf Australien beschränkt ist, aber hier seine erste 1 Claude Lévi-Strauss: Traurige Tropen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1978, 264. 2 Siehe dazu auch die Arbeit von Matthew Colloff, der die Aneignung der australischen Landschaft durch europäische oder vor allem britische Siedler als den weitgehend misslungenen Versuch ansieht, den ökologischen Gegebenheiten gerecht zu werden (Matthew Colloff: Landscapes of our Hearts. Reconciling People and Environment. Port Melbourne: Thames & Hudson Australia, 2020).

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und entscheidende Ausprägung fand, und dies vor allem im Bundesstaat Victoria und insbesondere in den Goldrausch-Städten nördlich von Melbourne. Diese Avenues of Honour, so mein Vorschlag, können nicht nur im Rahmen eines erinnerungskulturellen und sozialgeschichtlichen Diskurses verstanden werden, sondern bedürfen der Einbettung in raumtheoretische und landschaftsbiographische Fragestellungen, die in einer kolonialen Siedlergesellschaft wie der australischen zunehmend größere Verwerfungen aufscheinen lassen. Seit den 1980er Jahren gibt es eine verstärkt kritische Auseinandersetzung mit der europäischen Umformung und Narrativierung der australischen Landschaft durch Kulturwissenschaftler wie Paul Carter, George Seddon oder David Tacey.3 In den letzten Jahren haben auch indigene Landschaftsauffassungen und Praktiken zunehmend Gehör gefunden, so der vieldiskutierte Beitrag von Bruce Pascoe in Dark Emu und die Fortsetzung der Debatte von Peter Sutton und Keryn Walshe (Farmers or Hunter-Gatherers. The ‚Dark Emu‘ Debate).4 Andererseits ist auch die australische Erinnerungskultur mit ihrem Fokus auf dem Ersten Weltkrieg und dem Anzac-Mythos von HistorikerInnen wie Joy Damousi, Marilyn Lake oder Henry Reynolds immer wieder hinterfragt worden,5 doch ein kritisches Verständnis hat sich im öffentlichen Diskurs bisher nur bedingt durchsetzen können. Am Beispiel der Avenues of Honour wird dies besonders deutlich, zum einen, da sie von der historischen Forschung nur eingeschränkt wahrgenommen werden, zum anderen, da durch landschaftsarchitektonische oder botanische Anliegen eine Gemengelage entstanden ist, die eine kritische Auseinanderset3 Paul Carter: The Road to Botany Bay. An Exploration of Landscape and History. Chicago: University of Minnesota Press, 1987 und ders.: Repressed Spaces. The Poetics of Agoraphobia. London: Reaktion, 2002; George Seddon: Landprints. Reflection on Place and Landscape. Cambridge: Cambridge University Press, 1997; David J. Tacey: Edge of the Sacred. Transformation in Australia. North Blackburn: Harper Collins, 1995. 4 Bruce Pascoe: Dark Emu. Aboriginal Australia and the Birth of Agriculture. Broome: Magabala Books, 2014; Peter Sutton/Keryn Walshe: Farmers or Hunter-Gatherers. The ‚Dark Emu‘ Debate. Melbourne: John Wiley and Sons, 2021. Pascoe vertritt die These, dass die First Nation Peoples Australiens durchaus Land- und Aquawirtschaft betrieben hätten und nicht, wie bisher zumeist angenommen, nomadisch als Jäger und Sammler gelebt hätten. Sutton und Walshe werfen Pascoe vor, die Quellenlage zum Teil falsch gedeutet, zum anderen aber auch die eurozentrische Hierarchisierung von einer sesshaften Gesellschaft gegenüber einer Jäger- und Sammlergesellschaft übernommen zu haben. Interessant an beiden Studien aber ist die konsequente, dekoloniale Neuinterpretation der australischen Gesellschaft vor der europäischen Besiedlung. Eine ebenfalls dekoloniale Aufarbeitung des Landschaftsbezugs der australischen Siedlergesellschaft und einen Entwurf zu einer Neuorientierung liefert die Studie von Matthew Colloff (Colloff, Landscpaes of our Hearts). 5 Marilyn Lake/Henry Reynolds (Hg.): What’s Wrong with Anzac. The Militarisation of Australian History. Sydney: University of New South Wales Press, 2010. Besonders Joy Damousi: „Why do we get so emotional about Anzac?“ In: Marilyn Lake/Henry Reynolds (Hg.): What’s Wrong with Anzac. The Militarisation of Australian History. Sydney: University of New South Wales Press, 2010: 94–109.

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zung mit der ideologischen Funktion der Ehrenalleen verkompliziert. Der Historiker Ken Inglis, der mit seiner breit angelegten Untersuchung der australischen Kriegsdenkmäler Sacred Places. War Memorials in the Australian Landscape dem Feld der Weltkriegsstudien entscheidende Impulse gegeben hat, erwähnt die Avenues of Honour nur angelegentlich als „novelty“, und als „indigenous“,6 hier wohl zu verstehen als spezifisch für Australien. In unserem Zusammenhang interessant ist die Bemerkung, dass der Bundesstaat Victoria das „heartland“ der Avenues of Honour geblieben sei, „perhaps because they had been promoted earliest and hardest there, perhaps also because Victorians were so disposed to think of their country as a cultivated landscape: ‚Garden State‘ for Victoria was familiar by 1914“.7 Das heißt, schon Inglis schlägt vor, dass in Victoria eine Reziprozität zwischen der Wahrnehmung der Landschaft als Garten und der Kultivierung von Ehrenalleen besteht. Im Folgenden möchte ich diese Avenues of Honour also nicht nur im Kontext der Erinnerungskultur des Ersten Weltkriegs verstehen, sondern auch im Sinne einer landschaftsbiographischen Fragestellung. Ich möchte aufzeigen, wie eng diese zwei Perspektiven aufeinander abheben, und, um nochmal an Inglis anzuschließen, inwieweit die jeweils spezifische Landschaftsauffassung oder besser Landschaftsimagination bestimmte Formen und Medien der Erinnerungskultur auszubilden vermag. Im Bundesstaat Victoria, auf den ich mich hier besonders beziehen möchte, werden 318 solcher Avenues of Honour verzeichnet, damit mehr als 50 % der insgesamt für Australien aufgeführten.8 Tatsächlich jedoch bestehen viele dieser Ehrenalleen nur noch dem Namen nach, d. h. der Baumbestand ist entweder völlig verschwunden oder so weit reduziert, dass eine Alleenstruktur nicht mehr erkennbar ist. Andere dagegen sind im Lauf der letzten hundert Jahre sorgfältig gepflegt und mit jedem neuen Krieg oder jedem neuen Jubiläum aufwändig erweitert worden. Der folgende Beitrag wird sich auf einige, signifikante Beispiele beschränken müssen. Die Geschichte der Avenues of Honour in Australien als Gedenkstätte für die Kriegsteilnehmer einschließlich der Krankenschwestern des Ersten Weltkriegs mag man mit einer einzelnen Eiche beginnen lassen, gepflanzt in Adelaide, der Hauptstadt Südaustraliens, als Gedenkbaum für die Opfer des Ersten Weltkriegs. Gedenkbäume hatten schon im Zuge des sogenannten Arbor Day (Tag des 6 Ken S. Inglis: Sacred Places. War Memorials in the Australian Landscape. Melbourne: Melbourne University Press, 2005, 156. Michael J. Taffe nimmt diesen blinden Fleck in der Forschung von Inglis zum Ausgangspunkt seiner umfassenden Untersuchung der Avenues of Honour (Michael Taffe: First World War Avenues of Honour. Social History Through the Landscape. Federation University Australia Ballarat (Diss.), 2018). 7 Inglis: Sacred Places, 156 8 Die umfangreiche Website (https://avenuesofhonour.org) gibt Auskunft über die Lage der Avenues of Honour sowie über historische Eckdaten und botanische Spezifika.

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Baumes), aber auch als Gedenken an den Burenkrieg Verbreitung gefunden. Doch erst mit dem Ersten Weltkrieg kommt es zu der Anlage von ganzen Alleen. Ausgehend von Südaustralien finden diese Anlagen auch verstärkt in anderen Bundesstaaten enthusiastische Unterstützung. Laut George Mosse kann die Entstehung der Avenues of Honour jedoch nicht nur auf die Tradition des Arbor Day, sondern auch auf die deutsche Variante, den sogenannten Heldenhain, zurückgeführt werden.9 Der Berliner Gartenarchitekt Willy Lange hatte ebenfalls zu Beginn des Ersten Weltkriegs, so in seinem Buch Deutsche Heldenhaine10 von 1915, vorgeschlagen, den Gefallenen gewidmete Ehrenhaine anzulegen, eine Idee, die mythologisch-germanisches und völkisch-nationales Gedankengut des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aufgreift. Der für diese Anlagen bevorzugte Baum ist hier die Eiche. Das Preußische Innenministerium empfahl 1915 die landesweite Anlage solcher Ehrenhaine als „angemessene Art der Totenehrung“.11 Doch schnell machten die hohen Verluste die Anlage von Heldenhainen in Deutschland unmöglich. In Australien allerdings hält sich die Tradition der Ehrenallee nicht nur in der Nachfolge des Ersten Weltkriegs, sondern auch der weiteren Kriege, an denen Australien beteiligt war. Eine frühe und zugleich die längste und wohl bekannteste Ehrenallee ist die Avenue of Honour in Ballarat, Vorbild auch für die vielen kleineren Alleen in Victoria. Die erste Pflanzung fand im Juni 1917 statt. Die Initiative geht zurück auf W. D. Thompson, Direktor der ortsansässigen Firma für Weißwäsche, Lucas. 500 Beschäftigte der Firma, die sogenannten Lucas Girls, sammelten Geld und pflanzten selbst die ersten Bäume. In weiteren sieben Phasen wurde dann bis 1919 weitergepflanzt und danach, nochmal ermöglicht durch Geldsammlungen der Lucas-Beschäftigten, die Anlage mit der Errichtung eines Triumphbogens am Anfang der Allee abgeschlossen. Die Allee selbst besteht aus 23 verschiedenen Baumsorten, die in weitgehend einheitlichen Blöcken gesetzt wurden. Hier wurden aus australischer Perspektive exotische Laubbäume gewählt, allerdings nicht in erster Linie, wie man vermuten könnte, weil dies Bezug auf die europäischen Ursprünge der australischen Siedler oder auf die Vegetation der Schlachtfelder nehmen sollte, sondern u. a. da die unbefestigte Straße in der nassen und kalten Jahreszeit bei Überschattung von immergrünen australischen Eukalypten sonst nicht hätte abtrocknen können.

9 George Mosse: Fallen Soldiers. Reshaping the Memory of the World Wars. New York: Oxford University Press, 1990, 87. 10 Willy Lange: Deutsche Heldenhaine, Leipzig: Weber, 1915. 11 Dietrich Nithack: Buch des Monats der Landschaftsbibliothek Aurich. Trend zum MythischGermanischen. „Deutsche Heldenhaine“ von Willy Lange, Leipzig 1915. https://www.ostfriesi schelandschaft.de/fileadmin/user_upload/BIBLIOTHEK/Downloads/Buch_des_Monats/Bu deMo_1409.pdf (26. 07. 2022).

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Abb. 1: Ballarat, östlicher Abschnitt.

Abb. 2: Ballarat, westlicher Abschnitt.

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Die Allee selbst ist 22 km lang und umfasst 3771 Bäume; jeder Baum ist versehen mit dem Namensschild des ihm zugeordneten Kriegsteilnehmers. Die Allee führt aus dem Ort über den Autobahnring und die Bahnlinie hinaus und endet an einer kleinen Landstraße zwischen Feldern. Wer heute von der Autobahn in Richtung Ballarat abfährt, sieht also nur einen Teil der Allee. 2015 wurde die durch den Autobahnring lange unterbrochene Allee durch eine großangelegte Unterführung, die die Baumsymbolik architektonisch noch einmal aufgreift, verbunden.

Abb. 3: Ballarat, Autobahnunterführung.

Der rot eingefärbte Beton ist durch eine Baummaserung und fallende Blätter konturiert. Die Stahlbrüstung der Brücke zeigt ebenfalls ein Blättermuster, wobei die aufgebogenen an Mohnblüten erinnernden Metallscheiben jeweils einen Gefallenen symbolisieren sollen. Teil der Allee sind Bänke und Informationstafeln, die Einzelaspekte des Ersten Weltkriegs nacherzählen, sowie an beiden Enden steinerne Monumente, Skulpturen, Gedenktafeln und Blumenanlagen und besonders eindrucksvoll am Stadtende der große Triumphbogen, der 1917 begonnen und 1920 eingeweiht wurde. Die Bäume, die jeweils einen Kriegsteilnehmer repräsentieren, sind erinnerungstechnisch schon in ihren Ursprüngen in ein größeres, generationsübergreifendes Erinnerungs- und Erziehungsprojekt eingebunden. In dem Artikel Trees As Memorials aus The Australian Forestry Journal vom Juli 1918 heißt es:

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Abb. 4: Ballarat, Wandgestaltung.

„Tens of thousands of homes in Australia are mourning the loss of loved ones, […]. But in the magnitude of a country’s bereavement, there is something, which leads to an almost callous indifference for suffering, and evolves into forgetfulness of those who have done great deeds. It is, perhaps, only natural that it should be so; and indeed, it would not be desirable that keen sorrow should be unending. But there is no reason why there should not be a permanent record of those who have given their lives in the cause of freedom and civilisation – why there should not be something to which future generations may respect and say ‚that is in memory of a man who gave his life in order that we might live in peace and comfort and safety.’ […] Something is needed that will last for all time, and what could be more suitable, more easily within the reach of each bereaved family, than a memorial tree?“12

Die Gleichgültigkeit und das Vergessen werden hier als die natürliche oder verständliche Antwort auf einen massiven, traumatischen Verlust gesehen. Die Pflanzung eines Baums durch oder für die trauernde Familie schafft den Brückenschlag zu den nachfolgenden Generationen, d. h. es ist besonders der Baum als lebende Struktur, der die Langlebigkeit des Gedenkens gewährleistet. Der tote (oder noch kämpfende) Soldat wird imaginär in den lebenden Baum übersetzt und die Hinterbliebenen werden mit der Pflege des Baums zum Erinnern erzogen. Wie sehr die Anlage der Gedenkalleen mit dem Erziehungsauftrag verknüpft ist, lässt sich auch daran ablesen, dass schon 1917 sowohl der Schulinspektor von NSW als auch das viktorianische Erziehungsministerium

12 Moorabool shire Council: Bacchus Marsh Avenue of Honour. Strategic Management Plan (2004). http://bacchusmarsh.avenueofhonour.org.au/AvenueOfHonourStrategicManageme ntPlan.pdf (26. 07. 2022).

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Abb. 5: Bacchus Marsh, Gedenkplakette.

unterstützt durch das Victorian Recruitment Committee zur Pflanzung solcher Ehrenalleen aufgerufen hatte.13 Eine andere bekannte und gut dokumentierte Avenue of Honour ist die viktorianische Baumallee in Bacchus Marsh. Gepflanzt wurden ihre 282 Ulmen (Ulmus X hollandica und Ulmus X hollandica ‚Vegeta‘14) am 10. August 1918 innerhalb von einer halben Stunde, versehen mit Namensschildern und alphabetisch geordnet. Es handelt sich um ein Gemeinschaftsprojekt der Einwohner, die damit nicht nur den Gefallenen ein Denkmal setzen wollten, sondern die auch der (noch) nicht gefallenen Soldaten gedenken. D. h. die Bäume wurden hier nicht nur als Denk- und Grabmal für die Toten verstanden, sondern auch als quasi Wächteroder Schutzbäume. Dieser Aspekt wird im heutigen Erinnerungsdiskurs, der vor allem dem durch den Tod legitimierten ‚Helden‘ gilt, häufig vergessen. Die Zeitung The Bacchus Marsh Express berichtet am 17. August 1918: 13 Michael Taffe: „Australia’s Avenues of Honour. A Neglected Story“. In: The 21st National Street Tree Symposium 2020: 35–41, 39. https://treenet.org/resource/australias-avenues-of-ho nour-a-neglected-story/ (26. 07. 2022). 14 „The avenue was originally planted with elms described at the time as Canadian Elms. It is now recognised that these trees are two clones of Dutch Elm (Ulmus Xhollandica). The larger form is likely to be Huntingdons or Chichester Elms (Ulmus Xhollandica vegeta), the smaller clone has not been identified.“ (Moorabool Shire Council: Bacchus Marsh Avenue of Honour, 34).

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Abb. 6: Bacchus Marsh, Avenue of Honour.

„The movement [die Anlage von Avenues of Honour] was only taken up a few weeks ago and the enthusiasm grew as the people became better acquainted with what was expected of them, so much so that on Saturday a crowd of over 1000 persons assembled to witness and assist in the planting ceremony. […] Each tree stands as a silent sentry representing a gallant soldier, and the length of road so covered gives some faint idea of the district’s magnificent contribution in men (the world’s best soldiers) to the Empire’s Army.“15

Die Bewegung hatte wie in Ballarat auch in Bacchus March bei den Angehörigen der Kriegsteilnehmer schnell großen Anklang gefunden. Man könnte hier fast eine basisdemokratische Erinnerungskultur und -praxis annehmen, in der jeder Bürger direkt und ohne größeren finanziellen Aufwand ein ‚living memorial‘ oder ein ‚lebendes Denkmal‘ unterstützen oder errichten kann. In dieser Weise werden die Bürger eines Orts zu einer (Erinnerungs-)Gemeinschaft zusammengebunden, die auch dazu beiträgt, die Idee der die Kriegsanstrengungen unterstützenden Heimatfront zu festigen. Besonders in Bacchus March haben sich das Engangement und der affektive Bezug auf die Avenue of Honour erhalten können. Straßenerweiterungen und andere Eingriffe, die eine Fällung von Bäumen nötig machen, scheitern zumeist am Widerstand der Bevölkerung, die zum Teil in historischen Kostümen die jeweiligen Jubiläen und Feiertage in der Ave15 The Bacchus Marsh Express, 17. 08. 1918, zit. nach Moorabool Shire Council: Bacchus Marsh Avenue of Honour, 17.

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nue of Honour begeht. 2020 ist, abweichend von der viktorianischen Praxis, einen einzigen Baum zum ‚Baum des Jahres‘ zu erklären, die Avenue of Honour von Bacchus Marsh als Gesamtanlage zum ‚Baum des Jahres‘ ernannt worden. Ein detaillierter ‚Management Plan‘ von 2010, der die verschiedenen Strategien zum Erhalt der Allee untersucht, betont die herausragende kulturelle Signifikanz für die heutige Bevölkerung von Bacchus March. Eine in ihrer Geschlossenheit besonders beeindruckende Allee ist die Avenue of Honour in Woodend von 1918. Die Allee besteht aus 221 Eichen, d. h. aus Englischen Eichen (Quercus robur), Algerischen oder Mirbeck-Eichen (Quercus canariensis) und Hybrideichen (Quercus canariensis x Q. robur) und erstreckt sich über eine Länge von 2,5 km.

Abb. 7: Woodend, nördlicher Abschnitt.

Die noch erhaltenen Namenstafeln sind inzwischen entfernt worden und ersetzt durch einen Gedenkstein, auf dem die Namen der Soldaten den entsprechenden Bäumen zugeordnet sind. Hier in Woodend wird die Straße weitgehend von den massiven Eichen überschattet und dem Betrachter und Besucher des Orts wird der Kriegsverlust dadurch besonders präsent. Außerdem bildet diese geordnete Eichenallee einen auffallenden Kontrast zu der umliegenden Landschaft, die von landwirtschaftlichen Flächen, aber auch australischen Eukalypten geprägt ist. Der britische Künstler Paul Gough hat in seinem Artikel The Avenue at War darauf verwiesen, dass im Arsenal der Weltkriegsdarstellungen die französische und flandrische Landschaft als eine erscheint, die durchzogen war von Alleen,

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auf denen die Heere in endlosen Zweierreihen durch die flache Landschaft marschierten.16 Auch im Management Plan für die Avenue of Honour in Bacchus March wird festgehalten, dass die visuelle Attraktivität der Avenue durch die paarweise in gleichmäßigem Abstand gepflanzten Bäume entsteht, die symbolisch als marschierende Soldaten zu verstehen sind: „The trees are marching in pairs“17. Gough schlägt vor, dass darüber hinaus die französische und flandrische Alleebepflanzung in den Avenues of Honour ihren Widerhall finde, hier mit dem Hinweis, dass die kriegsbedingte Zerstörung der Alleen in Frankreich und Belgien restituiert werde in den geordneten und gepflegten Ehrenalleen der Antipoden. Schaut man sich die Allee von Woodend an, wird dieses schützende Ordnungsprinzip besonders evident.

Abb. 8: Woodend, drei Eichen.

Etwas anders geartet als die bisher erwähnten Alleen ist der sogenannte Anzac Hill mit dem Anzac Circle in der kleinen Goldgräberstadt Maldon, der in seiner Rundform an die deutschen Heldenhaine erinnert. Die einzelnen Soldaten ge16 Paul Gough: „The Avenue at War“. In: Landscape Research 18/2 (1993): 78–90, 78. 17 Moorabool Shire Council: Bacchus Marsh Avenue of Honour, 27.

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widmeten Bäume stehen in Kreisform auf der Kuppe eines Hügels, von dem aus man den Ort und die ehemaligen Goldfelder überblickt. Der Hügel selbst kann über einen gewundenen Weg vom Ort aus erreicht werden, vorbei an einer in Deutschland hergestellten Kanone, die 1915 von den türkischen Truppen in Gallipoli eingesetzt, aber erst 1988 in Maldon installiert wurde und nun in Richtung Ort weist. Alternativ erreicht man den Hügel von der anderen Seite über eine aus Southern Mahogany Gums (Eucalyptus botryoides) und MontereyKiefern (Pinus radiata) bestehende Avenue of Honour, die 1916 gepflanzt wurde. Pinien oder Kiefern schaffen hier sehr ausdrücklich den symbolischen Anschluss an Gallipoli.18

Abb. 9: Maldon, Avenue of Honour.

Von den ursprünglichen Gedenkbäumen des Anzac Circles hat nur noch ein einziger überlebt. Die meisten anderen sind als Baumruine erhalten und durch neue Pflanzungen ergänzt worden. Neben jedem Gedenkbaum findet sich ein Kreuz für den jeweiligen Gefallenen. Die Anlage greift daher auch die Konvention eines Kriegsgräberfelds auf. Die Vegetation und die Exponierung muten mediterran an. Das Nebeneinander von toten und neugepflanzten Bäumen und den

18 Vgl. Judith MacKay/Richard Allom: Lest We Forget. A Guide to the Conservation of War Memorials. Brisbane: RSL, Queensland Branch and the Anzac Day Commemoration Committee, 1984, 20; und John Stephens: „Remembrance and Commemoration through Honour Avenues and Groves in Western Australia“. In: Landscape Research 34/1 (2009): 125–141, 137.

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weißen Kreuzen erzeugt eine Atmosphäre, die den Betrachter in gewisser Weise entrückt.

Abb. 10: Maldon, Anzac Circle.

Die Geschäftigkeit des kleinen Orts in der Distanz ist nur zu erahnen. Diese Anlage ist mit ihren vielen Komponenten und Verweisen zum einen ideologisch besonders aufgeladen,19 zum anderen aber auch uneinheitlicher, ungeordneter und abseitiger. Man könnte sagen, die Idee der heiligen Stätte,20 des Heiligen Hains oder des Wallfahrtsorts, der nach Bruce Skates konstitutiv für die australische Gedächtniskultur ist,21 wird hier trotz der offensichtlichen Paradoxien am ehesten evoziert. Als ein ebenfalls etwas anders gelagertes Beispiel muss hier noch die Avenue of Honour im kleinen Ort Dartmoor im Westen des Bundesstaates Victoria Er19 Vgl. Brian Osborne: „Constructing Landscapes of Power. The George Etienne Cartier Monument Montreal“. In: Journal of Historical Geography 24 (1998): 413–458, 436. 20 Vgl. Inglis: Sacred Sites. 21 Vgl. dazu Bruce Scates: Return to Gallipoli: Walking the Battlefields of the Great War. New York: Cambridge University Press, 2006, 46; und Stephens: Remembrance and Commemoration, 139.

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wähnung finden. Diese ehemals sehr ausgedehnte Ehrenallee, die die zentralen Straßenzüge des Orts umfasste, wurde 1918 gepflanzt. Die Allee bestand aus 60 Exemplaren einer Baumsorte, der sogenannten Atlas-Zeder (Cedrus atlantica), einem Baum, der einen beträchtlichen Umfang erreichen kann. Sie war den 60 Soldaten und Krankenschwestern des Distrikts gewidmet, die am Ersten Weltkrieg teilnahmen. 18 von diesen 60 Kriegsteilnehmern sind gefallen. Noch bestehende Teile der Dartmoor-Allee lassen die wuchtige Präsenz, die die Allee im Ort gehabt haben muss, erahnen.

Abb. 11: Dartmoor, Atlas-Zeder.

Die ehemalige Beschilderung ist inzwischen verschwunden und viele der Bäume mussten in den letzten Jahren aus Sicherheitsgründen entfernt werden. Die Gemeinde wollte jedoch das Baummaterial erhalten und beschloss in Rücksprache mit den Familien ehemaliger Kriegsteilnehmer, einige der Baumstämme als Baumskulpturen an den Ort der ehemaligen Zentralallee zurückzustellen. Diese neun Baumskulpturen umfassen unterschiedliche Kriegsszenarien, ergänzt durch die Skulptur einer Krankenschwester, einer Frau, die den Brief mit der Todesnachricht eines Gefallenen in der Hand hält, und der Skulptur eines Gewehrs mit einem Helm, das gewöhnlich das improvisierte Grab eines Gefallenen markierte. Die Skulpturen sind von dem Künstler Kevin Gilders mit der Kettensäge geformt worden und sind monochrom hellbraun gefasst. Hier repräsentieren die

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Abb. 12: Dartmoor, „The Parting“.

Bäume nicht mehr nur einen Soldaten, sondern jeweils eine bestimmte Gruppe von Dorfbewohnern, die vom Krieg berührt worden war.22 Diese teils recht unterschiedlichen Baumanlagen sollten und sollen allesamt dazu dienen, die Erinnerung an die Kriegsteilnehmer im Bewusstsein einer inzwischen sehr diversen Bevölkerung zu halten. Die australische Erinnerungskultur tendierte bislang dazu, die Differenzierungen in der Bevölkerung nur bedingt zur Kenntnis zu nehmen. Am Anzac Day zeigte man sich immer wieder gern ganz anglo-australisch. Die zunehmende ideologische Aufladung des Anzac-Mythos in den letzten Jahrzehnten, besonders gefördert durch die konservativen Regierungen seit John Howard, hat auch die Avenues of Honour affiziert, d. h. ihr Erhalt oder die diversen Neuanlagen haben sicherlich vom Momentum des nationalen Erinnerungsdiskurses profitiert. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Avenue of Honour in dem kleinen Ort Lyonville; eine 22 Das tote Baummaterial der Allee fand nicht nur in der Wiedergabe von Weltkriegsmotiven Verwendung. Ein Teil, der sich am Ausgang des Orts befindet, ist australischen Naturmotiven und der Grimm’schen Märchenwelt gewidmet. Dies bildet einen interessanten Gegensatz zu den Weltkriegsskulpturen im Ortszentrum.

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Abb. 13: Dartmoor, „A Soldier’s Lot“.

Allee, die noch auf keiner der einschlägigen Websites verzeichnet und erst im Entstehen begriffen ist. Gepflanzt wurde sie wohl im Zuge der Weltkriegsjubiläen. Doch außer dem Schild, das die Pflanzung als Ehrenallee ausweist, sucht man vergeblich nach Informationen, die die Anlage in einen bestimmten historischen oder lokalen Kontext einordnen. Fast scheint es, als wolle der Ort eine Teilnahme am nationalen Gedenken signalisieren, ohne aber einen eventuellen lokalen Bezug preiszugeben, ein in gewisser Weise übergeschichtlicher Ort, an dem die Setzlinge in einer abstrakten Geste an einen entlegenen Krieg erinnern. Wie anfangs angedeutet, lässt sich die Funktion der Avenues of Honour nicht allein in Bezug auf den erinnerungskulturellen Diskurs des Ersten Weltkriegs deuten, sondern auch mit Verweis auf landschaftsbiographische und damit raumtheoretische Überlegungen, wie sie im Rahmen der Spatial Studies entwickelt wurden. Im Folgenden soll daher noch einmal die spezifisch australische Landschaftsimagination, die die Avenues of Honour mitgestaltet, fokussiert werden. Ende der 60er Jahre hatte Michel Foucault den für die Raumimagination so wichtigen Begriff der Heterotopie entwickelt. In diesem Zusammenhang formuliert Foucault den häufig zitierten Satz, dass sich unsere Zeit, d. h. das 20. Jahr-

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Abb. 14: Lyonville, Setzlinge.

hundert, als „Zeitalter des Raumes“23 begreifen lasse. Heterotopie ist nach Foucault zusammen mit der Utopie, diesem Ort ohne realen Ort, ein Gegenentwurf zum real-gesellschaftlichen Raum. Diese mythischen und zugleich realen Orte sind nach Foucault Konstanten jeder Gesellschaft.24 Eine Heterotopie kann verschiedene reale Orte miteinander verbinden, die sich eigentlich gegenseitig ausschließen.25 Außerdem gehen Heterotopien mit zeitlichen Brüchen einher, sogenannten Heterochronien; einer Verbindung von Zeit und Raum also, die in modernen Gesellschaften zunehmend komplexer und differenzierter wird. Der Eintritt in die Heterotopie wiederum unterliegt bestimmten Bedingungen und Gesetzen. Funktional bewegt sich die Heterotopie zwischen den extremen Polen, 23 Michel Foucault: „Von anderen Räumen“. In: Jörg Dünne/Stephan Günzel (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2006: 317–329, 317. 24 Siehe dazu ebd., 320–321. In Bezug auf „primitive Gesellschaften“ spricht er hier von Krisenheterotopien, d. h. „privilegierte[n], heilige[n] oder verbotene[n] Orte[n]“ (ebd., 322), die in modernen Gesellschaften durch Abweichungsheterotopien ersetzt werden. Zu Letzteren gehören nach Foucault z. B. Sanatorien, psychiatrische Anstalten und Gefängnisse, aber auch Altersheime und Friedhöfe. 25 Vgl. ebd., 324.

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entweder einen illusionären Ort zu schaffen, „der den ganzen realen Raum und alle realen Orte […] als noch größere Illusion entlarvt“,26 oder aber einen von Ordnung bestimmten realen Raum, der zur Unordnung des gelebten Raums im Gegensatz steht. Foucault bringt hier mehrere Momente in Anschlag, die für die Avenues of Honour zutreffend sind; sie bringen den realen, australischen Raum in direkte Verbindung mit einem anderen Realraum, dem des europäischen Schlachtfelds, aber auch mit dessen imaginärer, nationaler Überhöhung, d. h. der Vorstellung des Kriegsschauplatzes als ‚Opferaltar‘ einer entstehenden Nation. Der Eintritt in diesen Sakralraum wiederum verlangt nach einer besonderen Haltung, die durch die Trauer um die Kriegsopfer markiert ist. Außerdem wird mit den Avenues of Honour ein Ordnungsprinzip eingeführt, das die Verluste und Verlustängste der australischen Angehörigen von Kriegsteilnehmern an einem real-erlebbaren und gestaltbaren Ort bündelt, wobei die Fronterfahrung auch imaginär in die Erfahrung der Heimatfront übersetzt wird und es so erlaubt, die australische Bevölkerung direkt in das Kriegsgeschehen einzubinden und den daraus resultierenden Affekt für Propagandazwecke zu nutzen. Dies, könnte man sagen, sind die erinnerungskulturellen Effekte der Avenues of Honour zur Zeit ihrer Etablierung. Doch die affektive Besetzung der Ehrenalleen hat in der australischen Gesellschaft bis heute überdauert, d. h. mit der Heterotopie ist auch eine Heterochronie entstanden, in der sich die verschiedenen Orte und Zeiten in ihrer Bedeutung für die jeweilige Gegenwart vermengen und potenzieren. Ein wichtiger Aspekt, der in diesem erinnerungskulturellen Szenario weitgehend unbeachtet bleibt, ist die Überlagerung des als prosaisch oder gar feindlich erlebten australischen Realraums durch einen kolonialen Sakralraum, der eine klare Hierarchisierung von kolonialer ‚Garten-Landschaft‘ zugunsten einer als unproduktiv verstandenen ‚Wildnis‘ einschließt. Verstehen wir das koloniale Subjekt im raumtheoretischen Sinne als Körper-Ich, das sich in Hinblick auf den Raum entwirft und sich affektträchtig in ihm platziert, dann können die einmal etablierten Strukturen, d. h. die auf den Raum hin verhandelte Ichabgrenzung oder Subjektkonzeption Bestand haben. Wird der Raum, und hier meine ich sowohl den australischen Busch als auch die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs, als bedrohlich verstanden, wird die einmal etablierte Ordnung der Landschaft mit ihrem imaginären Versprechen von Sicherheit und Schutz nur gegen massiven Widerstand aufgegeben werden können. Die Avenues of Honour sind daher nicht nur Affektbewältigung durch die Memorialisierung eines furchterregenden Geschehens, sondern sie bedingen auch eine Ordnung der Landschaft, die eine individuelle und gemeinschaftliche oder gesellschaftliche Orientierung ermöglicht. Sie schafft der Siedlergesellschaft einen Rahmen oder ein Narrativ, das ihre eigene, fragile Existenz in diesem vormals fremden Landschaftsraum legitimiert. 26 Ebd., 326.

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Darüber hinaus ist die animistisch anmutende Sakralisierung der Landschaft als Gedächtnisraum, in dem der Toten oder des Opfers der toten ‚Helden‘ gedacht wird, ein Gegennarrativ zum indigenen Narrativ, das in der australischen Gesellschaft bisher erfolgreich verdrängt werden konnte. Taffe weist sehr richtig darauf hin, dass die Sakralisierung oder mythologische Überhöhung dieser Baumalleen der indigenen Wertschätzung von besonderen Bäumen, z. B. den sogenannten ‚Birthing Trees‘27, nicht unähnlich ist, doch diese Parallelen werden im Siedlerdiskurs bewusst ausgeblendet. Ausgehend vom Konzept des Baums als Sakralobjekt sollte in einer letzten Wendung noch einmal das ‚Material‘ der Ehrenalleen in den Blick genommen werden. Die Avenues of Honour sind Lieux de Memoire in einem besonderen Sinne.28 Sie lokalisieren und konzentrieren Gedenken an einem Ort, der zwar sinnlich, d. h. in seiner Materialität erfahrbar ist, aber vorerst dennoch nur substituieren will, sollte doch der Baum für den ‚Helden‘ stehen, der in entlegenen Ländern den Untergang der australischen Gemeinschaft vermeintlich verhindert hat. Die besondere Materialität oder Medialität dieser Erinnerungsorte, d. h. die lebenden Bäume, verrücken oder verschieben jedoch das Erinnerungsmoment. Die zunehmende affektive Besetzung der Ehrenalleen, wie wir sie in Australien beobachten, scheint sich mehr und mehr an das ‚Ding‘, oder das Objekt ‚Baum‘ zu binden. In diesem Zusammenhang sind die Überlegungen Andreas Huyssens besonders aufschlussreich, der unsere Erinnerungspraxis mit der Thing Theory verbindet: „It is a premise of thing theory and actor-network theory that inanimate objects contribute to constituting human subjectivity in a complex interaction of affective investment on the part of subjects with the very materiality of the objects.“29 Sind hier in erster Linie Museumsexponante gemeint, so mag man auch den Baumalleen zugestehen, die soziale Erinnerungspraxis zu strukturieren. Die Erinnerung und die damit verbundene affektive Besetzung, die vormals einem bestimmten Soldaten galt, wird auf den Baum als schützenswertes Lebewesen verschoben. Man kann hier vielleicht mit Huyssen auch von einer Instabilität und Wandlungsfähigkeit30 des Materials sprechen, d. h. das Subjekt – oder der koloniale Betrachter – bezieht sich verstärkt mehr auf das Ding selbst als auf die dem Ding ursprünglich eingeschriebene Idee der Soldatenrepräsentation. „Both subjects and objects project, and the projection of

27 Taffe: First World War Avenues of Honour, 43. 28 Vgl. zum Begriff des ‚Lieu de Memoire‘ Pierre Nora (Hg.): Les Lieux de Memoire. 7 Bde. Paris: Gallimard, 1984–1992. 29 Andreas Huyssen: „Memory, Things and Their Temporality“. In: Memory Studies 2016. Vol. 9/ 1: 107–110. 30 Vgl. ebd, 108.

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the object into the subject is tied to the object’s very materiality, which in turn allows for the projections generated by the subject […].“31

Abb. 15: Hurstbridge, überalterter Baum.

Das lebende Ding, der Baum, so scheint mir, generiert eine Bezugnahme von seiten des Subjekts, welches sich die Bewahrung des Baums zum besonderen Anliegen gemacht hat. War der tote Soldaten durch den lebenden Baum substituiert worden, so soll jetzt quasi als Reaktionsbildung der alte Baum vor dem endgültigen Verfall bewahrt, bzw. die Allee immer wieder neu belebt werden. Dem Trauma des eventuell erneuten Verlusts wird hier entgegengesteuert. Joy Damousi hat von der Sentimentalisierung der australischen Geschichte gesprochen, wie sie besonders in der Erinnerungskultur bezüglich des Ersten Weltkriegs ihren Ausdruck findet.32 Sentimentalisierung ist hier zu verstehen als die Überblendung von nationalem Erinnerungsdiskurs und eigener Familiengeschichte. Dies wird besonders bei den Gedenkfeiern des Anzac-Tages deutlich, wenn Angehörige mit den Orden ihrer Groß- und Urgroßväter an den Prozessionen teilnehmen oder Jugendliche zum Dawn-Service nach Gallipoli reisen. Die emotionale Bindung an die Baumalleen spiegelt dieses familiale Eingebundensein in das Geschehen des Ersten Weltkriegs wieder. Man könnte diese familiale 31 Ebd., 108. 32 Vgl. Damousi: Why do we get so emotional about Anzac?

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Besetzung auch als ‚Abstandslosigkeit‘ bezeichnen, als eine Weigerung, die historische Distanz zwischen der heutigen Gesellschaft und der Generation des Ersten Weltkriegs wahrzunehmen. Die Avenues of Honour bewahren das Gedenken und projizieren es zugleich in die Zukunft und in den landschaftlichen Raum, und sie tun dies über das handgreifliche Ding ‚Baum‘. So verhindern die Ehrenalleen in Australien zum einen eine ‚Verarbeitung‘ oder einen Abschluss der Kriegsgeschichte, zum andern bestehen sie auf einer botanischen, gartenarchitektonischen und damit auch imaginären Strukturierung des Landschaftsraums, der den kolonialen Machtanspruch der Siedlergesellschaft aufrecht erhält. Die Avenues of Honour behaupten sich somit immer noch gegenüber der Prägung des Landschaftsraums durch die First Nation Peoples und verweigern sich zugleich einem indigenen Geschichtsnarrativ, dessen Ausformulierung und Anerkennung in der heutigen australischen Gesellschaft zunehmend dringlicher wird.33

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Ballarat, östlicher Abschnitt. Copyright: Christiane Weller, 2021. Abb. 2: Ballarat, westlicher Abschnitt. Copyright: Christiane Weller 2021. Abb. 3: Ballarat, Autobahnunterführung. Copyright: Christiane Weller 2021. Abb. 4: Ballarat, Wandgestaltung. Copyright: Christiane Weller 2021. Abb. 5: Bacchus Marsh, Gedenkplakette. Copyright: Christiane Weller 2021. Abb. 6: Bacchus Marsh, Avenue of Honour. Copyright: Christiane Weller 2021. Abb. 7: Woodend, nördlicher Abschnitt. Copyright: Christiane Weller 2021. Abb. 8: Woodend, drei Eichen. Copyright: Christiane Weller 2021. Abb. 9: Maldon, Avenue of Honour. Copyright: Christiane Weller 2021. Abb. 10: Maldon, Anzac Circle. Copyright: Christiane Weller 2021. Abb. 11: Dartmoor, Atlas-Zeder. Copyright: Christiane Weller 2022. Abb. 12: Dartmoor, „The Parting“. Copyright: Christiane Weller 2022. Abb. 13: Dartmoor, „A Soldier’s Lot“. Copyright: Christiane Weller 2022. Abb. 14: Lyonville, Setzlinge. Copyright: Christiane Weller 2021. Abb. 15: Hurstbridge, überalterter Baum. Copyright: Christiane Weller 2021.

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3. Kunst, Literatur und Film

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Martin Bayer (Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Berlin)

Picturing the Great War. The First World War in German Fine Arts

While it was waged, and for many years to come, the First World War was affecting global societies on all levels. It therefore comes as no surprise that artists addressed this truly global armed conflict with its millions of dead, wounded and traumatised. At the beginning, many artists and intellectuals supported the war for its alleged cleansing power, brushing away stagnation and encrusted systems. After costly and bloody years of fighting, the political and societal systems should be wiped away, indeed. But already after the first year of the war, when the artists had experienced the realities of modern combat by themselves, their approach had become different: War had lost its appeal, but had shown its true colours of death and destruction, arguably more obvious to today’s public that has either undergone or learned about two world wars and many more armed conflicts. Back then, the painters and sculptors needed different artistic forms to express their experiences. Both realism and especially expressionism became dominant art forms in Germany. Many artists created impressive works during the war and in the interwar period, but most are forgotten, despite their works’ compelling quality. When people think of German art and the First World War, of course, Otto Dix comes to mind. And surely, he is an important artist, whose body of works is astonishing. For example, his triptych Der Krieg (The War) was completed in 1932.1Developed as an altar piece with three main parts and petrella, it presents a devilish landscape of downfall and destruction, with resurrection as a faint hope and death as salvation. One is reminded of the works of Hieronymus Bosch and his nightmarish creatures. But according to Dix, hell is not happening on the day of judgement, but made by men in present times. Another well-known work is his portfolio Krieg (War), which consists of 50 lithographs, published in 1924.2 They are graphic, indeed, for example Sturm1 Rainer Rother (ed.): Die letzten Tage der Menschheit. Bilder des Ersten Weltkrieges. Berlin: Deutsches Historisches Museum, 1994: 394. For all untranslated texts, translations are provided in parentheses by M. B. 2 Ibid., 386.

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truppe geht unter Gas vor (Storm Troopers Advance Through Gas). It is quite striking that the viewer is directly facing a group of attacking German soldiers. Their eyes are hidden under ghostly gas masks, turning the human faces into frightening monstrosities. For how many soldiers was an image like that the last one they saw, before they were clubbed, stabbed or shot to death? Besides Dix, many people may think of George Grosz who became a chronicler of the dislocations of German post-war society.3 His Kartenspielende Kriegskrüppel (War Cripples Playing Cards) of 1920 presents three horribly disfigured veterans.4 They all have lost limbs and their sensory perception is limited. The pastime of playing cards becomes a challenge and may be the only normality of their post-war lives – and also part of remembering their war experience, as playing cards was a popular pastime to overcome both boredom and anxiety. One must not forget about Käthe Kollwitz, famous for her pacifist works. In autumn 1914, her younger son Peter wanted to volunteer for the German army. His father objected, but his mother supported his wish.5 Only a few weeks later, in the night of 22 to 23 October 1914, Peter Kollwitz was killed in action. Her guilt never left her, and in 1942, her grandson Peter, named after his deceased uncle, was killed close to Rshev during the Second World War. Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden (Seeds Ought Not to Be Milled) from 1942 is one of her many answers to the call to war: The mother – always an image of herself – protecting her children.6 On this work, however, the youngest son is peeking with interest: At the end, you cannot beat human nature. All these works so far, as famous they and their artists are, have been made in post-war Germany, with the terrible and lost war in mind. It is thus necessary to address the artistic approaches during wartime. August 1914: people welcomed the outbreak of war, cheered the troops – at least that is what propaganda wanted us to think, and this propaganda is still shaping contemporary perception.7 Actually, the common people, notably peasants and workers, were not really favouring war, but it was the intellectuals, writers, artists who welcomed war together with the middle classes for its alleged cleansing power, for brushing away stagnation.8 Friedrich August von Kaulbach’s Germania of 1914, for example, was surely not a kind and happy personification 3 Born as Georg Ehrenfried Groß he renamed himself George Grosz to protest against the war and the xenophobia in his war-torn fatherland. 4 Rother: Die letzten Tage der Menschheit, 381. 5 Annegret Jürgens-Kirchhoff: Schreckensbilder. Krieg und Kunst im 20. Jahrhundert. Berlin: Reimer, 1993, 280–281. 6 Ibid., 312. 7 Sabine Schulze/Leonie Beiersdorf/Dennis Conrad (eds.): Krieg & Propaganda 14/18. München: Hirmer, 2014, 63. 8 Bernd Küster (ed.): Der Erste Weltkrieg und die Kunst. Gifkendorf: Merlin, 2008, 10.

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of her country.9 She is rather sternly (if not insanely) staring at the expected enemy, holding her shield with the imperial eagle up, and readying her sword. Bernhard Winter’s Sprung auf, marsch, marsch! (Advance by rushes!) of the same year presents a group of German infantrymen with their officer in the centre.10 They almost seem to hover over the field, with a kitschy sky in the back. Who does not want to join them and win a medal to honour his country? There is a reference to death, but it is only one of the many soldiers advancing, his death has been quick and it surely was honourable. Indeed, in the first years of the war, many artists worked for propaganda publications. This included those artists who later became pacifist icons such as Käthe Kollwitz or Ernst Barlach. Barlach’s sculpture Der Rächer (The Avenger) is an allegory of movement, of swift response to a threat.11 He made this sculpture on the occasion of the British declaration of war on Germany on 4 August 1914. On 29 August 1914, Barlach wrote that “the experience of this whole period since 1 August can only be compared with a great love affair […]. It is a huge feeling of happiness, to be overjoyed and released from oneself”12 (Das Erleben dieser ganzen Zeit seit dem 1. August kann ich nur einem großen Liebesabenteuer vergleichen, so erschüttert und entselbstet es mich. Es ist ein großes Glücksgefühl, außer sich zu sein, erlöst von sich). Similarly strong is his lithograph Der heilige Krieg (The Holy War).13 A warrior is calmly preparing a blow with his sword. He is not wearing a modern uniform, but a rather antique-looking tunic. His face is self-composed, as is his whole posture. The forthcoming fight takes place without aggression; it is rather a necessity, forced by exterior reasons – which was the general feeling in Germany in autumn 1914: that the war was imposed on Germany by the other nations, notably France and Russia, and that Germany thus had to defend herself. Two years later, in 1916, the alleged cleansing powers of war have lost their appeal. The huge battles around Verdun or at the Somme did cost hundreds of thousands of lives, and still there was no end in sight.14 The artists themselves had experienced and endured the horrors of modern war. Their artistic approach has changed, too. Barlach made a similarly composed work, but this time, Aus einem neuzeitlichen Totentanz (From a Modern Danse Macabre) shows no consid9 10 11 12 13

Rother: Die letzten Tage der Menschheit, 454. Ibid., 261. Uwe M. Schneede (ed.): 1914 – Die Avantgarden im Kampf. Köln: Snoek, 2013, 38. Cited in: Rother: Die letzten Tage der Menschheit, 86. Gerhard Schneider/Ralf Gottschlich/Christiane Ladleif (eds.): Der Erste Weltkrieg im Spiegel expressiver Kunst. Kämpfe – Passionen – Totentanz. Reutlingen: Städtisches Kunstmuseum Spendhaus, 2014, 87. 14 Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (eds.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn: Schöningh, ²2009, 851–855; 942–945.

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eration or restraint.15 The warrior wields his heavy hammer with pure rage, crushing what is left of the skeletons on the ground. He does not need an enemy; war as such is enough to fuel his rage. Reconciliation or consolation seem to be impossible: War, indeed, has eaten up reason. Willy Jaeckel’s Der Hass (Hate) is equally rampaging through the dead.16 Indeed, hate, chaos and destruction is all that seems to be left. What should not be forgotten is the change in artistic styles. Theodor Rocholl was a famous painter of 19th century battle scenes, with impressionism being the paramount style of his time.17 Having said that, neither he nor impressionism per se could cope with the chaos and horrors of modern warfare. Even when he painted the wounded and dead as in Vorrücken zur Front (Advance to the Front), the scenes are still covered in beauty, with some sort of heroism not far away. Despite its depiction of wounded soldiers and the action of others trying to move a horse-drawn artillery piece, the scene looks calm, if not static or even peaceful – quite the opposite to the soldiers’ experience at the frontlines. What a difference to expressionism, which most notably developed in Germany. For example, Otto Fischer-Trachau’s tempera painting Überraschender Handgranatenüberfall auf der “Giesslerhöhe” (Surprise Attack With Hand Grenades at “Giessler Height”) from 1916 manages to depict the new levels of destruction (Fig. 1).18 The deadly impact of the weapons can almost be felt, as well as the vulnerability of the soldiers to grenades and shrapnel. Fritz Fuhrken’s Im Granatfeuer IV (In the Shell Fire IV) is an even more abstract approach to this issue.19 On the one hand, it is an image of sheer beauty, but it is exactly this ambivalence that is inherent to war and destruction. In addition, this work equally well addresses the issue of disorientation, with its coloured silhouettes, schemes of humans trying to survive. Also in 1916, Willibald Krain had to publish his both pacifist and impressive portfolio Krieg – 7 Blättern allen Völkern gewidmet (War – 7 Sheets Dedicated to All the Peoples) in Switzerland.20 Gebet um Sieg (Prayer For Victory) connects to religion (Fig. 2): The German uniform’s belt buckle was stamped with Gott mit uns (God With Us); in all the forces, weapons were consecrated; and clerics preached about the godlessness of the respective enemy and the moral superiority of one’s own cause. Here, a group of people is preaching in front of a huge crucifix. But on top, veiled by clouds, it is not suffering Christ, but Satan, rising his hands in triumph. Although made during the First World War, the whole 15 16 17 18 19 20

Schneider/Gottschlich/Ladleif: Der Erste Weltkrieg im Spiegel expressiver Kunst, 195. Küster: Der Erste Weltkrieg und die Kunst, 73. Ibid., 127–129. Schneider/Gottschlich/Ladleif: Der Erste Weltkrieg im Spiegel expressiver Kunst, 123. Ibid., 245. Ibid., 49–50.

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Fig. 1: Otto Fischer-Trachau (1878–1958): Überraschender Handgranatenüberfall auf der “Giesslerhöhe” (1916).

portfolio of six works plus title is a truly timeless approach to war. And, again, this artist had made propagandist works until 1915. Propaganda has already been mentioned, but it is necessary to address this important issue more deeply. Before the First World War, satiric magazines such as Simplicissimus mocked the authorities – including the monarchy – and society’s militarism and bigotry with scathing sarcasm.21 Eduard Thöny’s Zuchtwahl (Selective Breeding) of 1902 presents a picture-book officer with monocle, bursting with self-importance, who has chosen a beautiful wife for his very own dynasty. It is not about love, but about one’s standing in society. With his posture and attire – fully equipped with boots, sabre, cuirass, medals, spiked helmet and monocle – he is a true incarnation of Prussian militarism. But with the outbreak of war, all the satirical magazines in Germany switched to support the cause, the 21 Küster: Der Erste Weltkrieg und die Kunst, 207.

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Fig. 2: Willibald Krain (1886–1945): Gebet um Sieg, from the portfolio Krieg – 7 Blättern allen Völkern gewidmet (1916).

Emperor, the war.22 Olaf Gulbransson’s Deutsche Wacht in Kiautschau (German Guard in Jia¯ozho¯u) was published only weeks before the German colony in China was taken by Japanese and British forces.23 A medieval knight is firmly holding the imperial banner against massive waves. The tide and style refer to woodcuts by Hokusai and other Japanese artists; but it also makes use of racist stereotypes, as the breakers’ foam consists of ape-like faces with ‘chinky eyes’, depicting the Asian enemy. Allied propaganda, however, could be even more vicious. German soldiers were often depicted as monsters and demons, raping and killing women and children. It was primarily through visual forms such as posters and postcards that this atrocity propaganda was conveyed. It worked well, though, especially after

22 Ibid., 205. 23 Ibid., 206.

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the massacres committed by German forces in Belgium and Northern France, in which some 6.500 civilians died.24 Contrary to this sad and true background, the accusations in the propaganda were as hysterical as fake, be it Germans crucifying enemy soldiers, bayoneting babies, raping children, and cutting off the hands and breasts of women. German propaganda did not effectively counter these attacks, as it rather tried to ridicule the enemies or portray them as weaklings. Such depictions, however, became increasingly disregarded by the public: If the enemy is such a big fool, why does the war still go on, year after year, with millions of casualties? An important part of propaganda – and thus a public use of art – was an appeal for supporting the war by buying war bonds. Especially during the early stages of the war, medieval allegories were used: Knights in shiny armour fought against dragons or protected their homeland and families on ironclad horses. Later on, the depiction of the war became more contemporary and realistic.25 The infantryman in Fritz Erler’s Helft uns siegen! (Help Us Win!) wears a M1916 steel helmet with a gas mask around his neck, hand grenades at the side and barbed wire in the background (Fig. 3). His steely eyes gaze through the viewer to the horizon, appealing to his or her support. Images like that were later used by the Nazi propaganda machine to produce their own myth of the German front-line soldier. Germany did not have officially commissioned war artists such as the United Kingdom or Austria-Hungary. Most artists, thus, were primarily soldiers. Their artistic abilities were also used for the war effort outside of propaganda. Artists such as Paul Klee and Franz Marc, who was killed in action, worked as ‘camoufleurs’ to develop and paint camouflage patterns.26 Guns, planes, ships and even individual kit such as the M1916 steel helmet were painted with camouflage patterns to impede detection and identification, made a necessity by modern means of reconnaissance such as planes and photography. Besides official assignments such as propaganda and camouflage, the artists had various themes for their works. One can find numerous self-portraits of artists as soldiers. Ernst Ludwig Kirchner volunteered in 1914 and became a driver at an artillery regiment.27 Quite soon, he suffered psychic breakdowns and became addicted to medication. His distress can already be seen in his 1914 selfportrait, with a cigarette in his mouth, holding his right arm up, with its hand missing. A self-portrait photo in uniform and spiked helmet is also quite fitting: his face is blurred, contrary to the image’s rest, linking to his troubled mind. 24 25 26 27

Hirschfeld/Krumeich/Renz: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, 647. Schulze/Beiersdorf/Conrad: Krieg & Propaganda 14/18, 53. Schneede: 1914 – Die Avantgarden im Kampf, 27. Schneider/Gottschlich/Ladleif: Der Erste Weltkrieg im Spiegel expressiver Kunst, 36.

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Fig. 3: Fritz Erler (1868–1940): Helft uns siegen! (1917).

Unlike many volunteering intellectuals, Max Beckmann was quite critical about the war which he regarded as “largest national disaster” (größte nationale Katastrophe), but “my art will get fed here”28 (Meine Kunst kriegt hier zu fressen!). He could avoid fighting by becoming a medical orderly. “I don’t shoot at the French” (Auf die Franzosen schieße ich nicht), he stated, “I have learned so much from them. I don’t shoot at the Russians either, Dostoyevsky is my friend.”29 (von denen habe ich so viel gelernt. Auf Russen auch nicht, Dostojewskij ist mein Freund). In 1915, he suffered a nervous breakdown, too. His self-portrait in uniform shows him sober and weary.30

28 Cited in: Stephan Brakensiek (ed.): Kriegszeit – Künstlerflugblätter. Kunst im Dienst von Krieg und Propaganda 1914–1916. Norderstedt: Books on Demand, 2014, 24. 29 Cited in: Klaus von Beyme: Das Zeitalter der Avantgarden. Kunst und Gesellschaft 1905–1955. München: Beck, 2005, 577. 30 Schneede: 1914 – Die Avantgarden im Kampf, 195.

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Otto Dix wrote: “War was a terrible thing, but nevertheless something huge. I could not miss that out in any case!”31 (Der Krieg war eine scheußliche Sache, aber trotzdem etwas Gewaltiges. Das durfte ich auf keinen Fall versäumen!). His colourful Selbstportrait als Mars (Self-Portrait as Mars) from 1914 and thus as the Roman god of war is a very different, comparably abstract approach to disturbance, but also to the surrounding conditions of aggression and chaos.32 Dix survived the whole war as soldier from August 1914 until his demobilisation in December 1918.33 In previous times, portraits were usually made of the rulers and leading officers only. The First World War changed this, with countless portraits of common soldiers and civilians. Titled Nordfrankreich, Somme-Schlacht (englischer Soldat) (Northern France, Battle of the Somme (English Soldier)), Max Brüning made an impressive portrait of an English soldier in 1916 (Fig. 4).34 The picture could have been made by a British artist, or the soldier could as well have been a German, but the helmet reminds us that it was a prisoner of war Brüning portrayed. There is no contempt or even hate in this image; but the artist is interested in the human being and his conditions only. Fritz Steisslinger realised his Soldat auf der Lauer (Soldier Lying in Ambush) as an oil painting.35 In fact, Steisslinger is the only known artist who made oil paintings at the front.36 He often used sack cloth or what else was available to him as his canvas. There is even rare photographic proof that he worked in oil at the front and thus under difficult conditions. Scenes from the soldiers’ everyday lives provide for regular subjects. For example, Hugo Krayn’s In der Kantine (In the Mess) pictured soldiers drinking together.37 Of course, many artists made battle scenes. Contrary to 19th century battle paintings, it is less the ‘big picture’ of the whole battle, with the usual focus on the victorious general, but much more the fighting on the individual level that is being pictured. Willy Jaeckel’s Kampf im Schützengraben (Fighting in the Trenches) is a classic example.38 Here, fighting is not a heroic endeavour, but chaotic, deadly and utterly brutal. Works like that are surely unsuitable of encouraging the youth to take part. At first sight, Fritz Fuhrken’s Kanonenschlag (Cannon Shot) of 1918 may be read as beautiful (Fig. 5).39 There are no humans 31 32 33 34 35 36 37 38 39

Cited in: Jürgens-Kirchhoff: Schreckensbilder, 66. Schneede: 1914 – Die Avantgarden im Kampf, 129. Ibid., 99. Schneider/Gottschlich/Ladleif: Der Erste Weltkrieg im Spiegel expressiver Kunst, 140. Ibid., 232. Ibid., 227. Ibid., 163. Ibid., 102. Ibid., 21.

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Fig. 4: Max Brüning (1887–1968): Nordfrankreich, Somme-Schlacht (englischer Soldat) (1916).

left on this battlefield, but field artillery is fighting against one of the new tanks. It is the hell of modern combat, fought on uninhabited battlefields, condensed into a gripping moment of destruction. In 1917, Otto Schubert made a whole series called Das Leiden der Pferde im Kriege (The Horses’ Suffering in War). Millions of horses and other animals perished.40 In Angst (Fear), he captures a frightened horse, running off after its rider has been killed. Another frequent subject is the danse macabre.41 Ludwig Gies, who should later develop the eagle as symbol of today’s German Federal Parliament, made several impressive artistic medals during war time. As early as 1915 he remembered the sinking of the British passenger liner Lusitania not as success but as disaster. In 1917, he made a medal called Totentanz 1914–1917 (Danse Macabre 1914–1917).42 On it, the German troopers are led by death to their doom, with its skeleton considerably larger than the men. The tired soldiers seem to have accepted their ultimate fate, following their ghastly leader. Richard Flockenhaus made his etching Todesmarsch im Schützengraben (Death March in the Trench) around 1918.43 Soldiers on sentry are walking through the trenches, but 40 Küster: Der Erste Weltkrieg und die Kunst, 172. 41 Schneider/Gottschlich/Ladleif: Der Erste Weltkrieg im Spiegel expressiver Kunst, 20. 42 Gold gab ich für Eisen – Der Erste Weltkrieg im Medium der Medaille (Exhibition). BodeMuseum Berlin, 21 March 2014–30. 09. 2015. 43 Schneider/Gottschlich/Ladleif: Der Erste Weltkrieg im Spiegel expressiver Kunst, 240.

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Fig. 5: Fritz Fuhrken (1894–1943): Kanonenschlag (1918).

one of their companions is death, fully equipped with rifle, helmet and trench coat. He has just aligned himself, he is one of them, and the soldiers do not mind. Andreas Gering also covered this subject in his graphical and impressive Die Stafette (The Relay, Fig. 6).44 Death, indeed, seems to be the only option, the only security the soldiers can rely upon, and which will sooner than later be their common fate. There is no angry Germania any longer, who has been challenged by mean enemies, no heroic fight for a higher cause, for country and fatherland, but only death, destruction and downfall. To conclude, German artists covered various subjects during the First World War, ranging from landscapes to portraits, and from aspects of everyday life to battle scenes. Impressionism could not convincingly depict the horrors of modern war, but other styles such as realism and – especially in Germany – expressionism. Today, however, only a few artists and their works are still known, usually from their works in the post-war period. The move from propaganda to pacifism became forgotten, as are most of these artists who developed different approaches to address war.

44 Küster: Der Erste Weltkrieg und die Kunst, 157.

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Fig. 6: Andreas Gering (1892–1957): Die Stafette (1917).

During the First World War, nearly all the German artists experienced war at the front line and as soldiers. Today, most artists addressing war in their works have not experienced war. Instead, their works are usually based on media images. Surely, there is no necessity for an artist to be a soldier or to experience war to artistically deal with it – but one has to remember the difference, as well as today’s dependence on the media as intermediary.

Works cited Beyme, Klaus von: Das Zeitalter der Avantgarden. Kunst und Gesellschaft 1905–1955. München: Beck, 2005. Brakensiek, Stephan (ed.): Kriegszeit – Künstlerflugblätter. Kunst im Dienst von Krieg und Propaganda 1914–1916. Norderstedt: Books on Demand, 2014. Hirschfeld, Gerhard/Gerd Krumeich/Irina Renz (eds.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn: Schöningh, ²2009. Jürgens-Kirchhoff, Annegret: Schreckensbilder. Krieg und Kunst im 20. Jahrhundert. Berlin: Reimer, 1993. Küster, Bernd (ed.): Der Erste Weltkrieg und die Kunst. Gifkendorf: Merlin, 2008. Rother, Rainer (ed.): Die letzten Tage der Menschheit. Bilder des Ersten Weltkrieges. Berlin: Deutsches Historisches Museum, 1994.

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Schneider, Gerhard/Ralf Gottschlich/Christiane Ladleif (eds.): Der Erste Weltkrieg im Spiegel expressiver Kunst. Kämpfe – Passionen – Totentanz. Reutlingen: Städtisches Kunstmuseum Spendhaus, 2014. Schneede, Uwe M. (ed.): 1914 – Die Avantgarden im Kampf. Köln: Snoek, 2013. Schulze, Sabine/Leonie Beiersdorf/Dennis Conrad (eds.): Krieg & Propaganda 14/18. München: Hirmer, 2014.

List of Illustrations Fig. 1: Otto Fischer-Trachau (1878–1958): Überraschender Handgranatenüberfall auf der “Giesslerhöhe” (1916): Collection Gerhard Schneider. Fig. 2: Willibald Krain (1886–1945): Gebet um Sieg, from the portfolio Krieg – 7 Blättern allen Völkern gewidmet (1916): Collection Gerhard Schneider. Fig. 3: Fritz Erler (1868–1940): Helft uns siegen! (1917): US Library of Congress, Prints & Photographs Division, WWI Posters, LC-USZC4-11292. Fig. 4: Max Brüning (1887–1968): Nordfrankreich, Somme-Schlacht (englischer Soldat) (1916): Collection Gerhard Schneider. Fig. 5: Fritz Fuhrken (1894–1943): Kanonenschlag (1918): Collection Gerhard Schneider. Fig. 6: Andreas Gering (1892–1957): Die Stafette (1917): Collection Gerhard Schneider.

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Franz-Josef Deiters (The University of Sydney)

Paneuropa, deutscher Kulturkomplex, österreichische Sendung, Festspiele in Salzburg. Hugo von Hofmannsthals Beitrag zur Gedächtniskultur des Ersten Weltkriegs

I. Wenn Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) in einem am 8. September 1914 in der Neuen Freien Presse publizierten Appell an die oberen Stände ausruft: „Das völlig Unfaßliche ist Ereignis geworden; wir erlebens und fassen es nicht, werden es durchstehen, und es wird gewesen sein, wie ein dunkler Traum“;1 und wenn er sich in einer Wortmeldung für die gleiche Zeitung vom 27. September selbigen Jahrs eindringlich gegen die im nationalen Rausch erhobene Forderung nach einem Boykott der Sprachen der Kriegsgegner mit der Mahnung wendet, dass nichts „[t]örichter“ wäre als „der Boykott der Sprachen“, und einen solchen Bann als „ein Verbrechen an der eigenen Kraft“ geißelt, „dort, wo sie am heiligsten und unantastbarsten sein muß: an der nachwachsenden Generation“,2 dann wird daran zweierlei ersichtlich: Zum einen ist Hofmannsthal nicht zu jener zahlreichen Schar der Kriegsapologeten unter den reichsdeutschen und österreichischen Schriftstellern und Intellektuellen zu rechnen, die den Ausbruch des militärischen Großkonflikts im patriotischen Überschwang begrüßen und feiern. Zum anderen nimmt er im Gedanken an die „nachwachsende[] Generation“ sogleich die Zeit nach dem Ende des Kriegs und seiner absehbar verheerenden Folgen in den Blick. Dank dieser Voraussicht darf Hugo von Hofmannsthal als einer der wenigen Weisen betrachtet werden, die dem Krieg von Beginn an nicht nur skeptisch gegenüberstehen, sondern ihn als dasjenige apostrophieren, als was er sich in seinem Verlauf für alle sichtbar erweisen wird: eine „große[]

1 Hugo von Hofmannsthal: „Appell an die oberen Stände“ [1914]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 347–350, 347. 2 Hugo von Hofmannsthal: „Boykott fremder Sprachen?“ [1914]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 351–355, 352.

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Franz-Josef Deiters

Katastrophe“.3 Entsprechend ist er bemüht, der Erfahrung des „Unfaßliche[n]“ schon während der Kriegshandlungen und verstärkt nach deren Ende eine Perspektive entgegenzusetzen, die den nationalistischen Furor überwindet. Für eine Rede über die Idee Europa notiert er 1917, dass es über die „Empfindung des Nationalen nicht nur als eines Beschränkten, sondern eines Unsittlichen“4 zu sprechen gelte; und: „Der Begriff Europa: Wir sind mit ihm groß geworden. Sein Zusammenbruch [ist] für uns ein erschütterndes Erlebnis“.5 Es nimmt daher kaum wunder, dass er 1926 auf die von der Zeitschrift Paneuropa an ihn gerichtete Frage, ob er die Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa für notwendig“ halte, entschieden antwortet: „Neue übernationale Zusammenhänge herzustellen und die politische Form für sie zu finden, halte ich für das eine Notwendige“.6 Hofmannsthals Nachdenken über den Krieg, seine Ursachen und Konsequenzen, ist indes nicht im engeren Sinne politisch orientiert. Vielmehr verortet er die Gründe für den Weltkrieg sowie die Möglichkeiten zu ihrer Überwindung im darunter liegenden geistig-kulturellen Feld. In diesem Sinne ist er bestrebt, mit den Mitteln der Kunst jene kulturelle Konstellation zu überwinden, die in den Krieg gemündet hat. Hierin – und nicht in einer literarischen Repräsentation des Kriegsgeschehens – ist, wie ich im Folgenden zeigen möchte, der Beitrag des Österreichers zur Herausbildung einer Gedächtniskultur des Ersten Weltkriegs zu sehen.

II. Wie andere auch (der ihm ansonsten so ungleiche Erwin Piscator [1893–1966] beispielsweise7) begreift Hofmannsthal den Krieg nicht als ein „scharf umrissenes einzelnes historisches Ereignis“, sondern „als die Klimax der ihm durch vier

3 Hugo von Hofmannsthal: „Wiener Brief [IV]“ [1923]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 482–491, 486. 4 Hugo von Hofmannsthal: „Die Idee Europa. Notizen zu einer Rede“ [1917]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 43–54, 45. 5 Ebd., 43. 6 Hugo von Hofmannsthal: „[Paneuropa]“ [1926]. In: Reden und Aufsätze III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979, 213; Hervorhebung im Original. 7 Zu Erwin Piscator vgl. Franz-Josef Deiters: „‚Gegossen in den Schmelztiegeln der Großindustrie, gehärtet und geschweißt in der Esse des Krieges‘. Erwin Piscator oder die Geburt der Theateravantgarde in den Gräben des Ersten Weltkriegs“. In: Christian Klein/Franz-Josef Deiters (Hg.): Der Erste Weltkrieg in der Dramatik. Deutsche und australische Perspektiven /

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Hugo von Hofmannsthals Beitrag zur Gedächtniskultur des Ersten Weltkriegs

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oder fünf Jahrzehnte vorausgegangenen materiellen und geistigen Entwicklungen, ja als das Resultat und die symbolische, sozusagen bildhafte Auswirkung des ganzen neunzehnten Jahrhunderts“.8 Hofmannsthals Wortwahl, seine Qualifizierung des Kriegs als „symbolisch[]“ und „bildhaft[]“ für die „materiellen und geistigen Entwicklungen“ eines die letzten fünfzig Jahre vor Ausbruch der Feindseligkeiten überspannenden Zeitraums, zeigt deutlich, dass er dem Weltkrieg eine Wertigkeit zuschreibt, die weit über Fragen eines diplomatischen Versagens der europäischen politischen Eliten hinausweist, als dessen Resultat der Historiker Christopher Clark den Ausbruch des Kriegs begreift.9 Und wenn Hofmannsthal an anderer Stelle davon spricht, dass ein „Ereignis gigantischer Art wie dieser Krieg […] nichts anderes sein [könne] als der Abschluß einer ganzen Epoche, deren tiefste Tendenzen er in sich zusammenfaßt und in einer grandiosen Dissonanz zum Ausdruck bringt“10, dann erweist sich daran, dass er den Krieg in ein Geschichtsnarrativ einträgt, das ihn nicht als die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts und damit als den Auftakt zu allen nachfolgenden Entwicklungen perspektiviert, wie dies der Historiker George F. Kennan tut.11 Vielmehr handelt es sich bei Hofmannsthals Geschichtsnarrativ um ein Endzeitnarrativ, dessen erstes Kapitel er „ebensowohl mit der französischen Revolution […] als mit dem Höhepunkt deutschen Geisteslebens in den Dezennien um 1800“12 beginnen lässt. Zwischen diesem ersten und dem letzten Kapitel des Hofmannsthal’schen Narrativs erstreckt sich die Erzählung von der „Entwicklung, die insbesondere von den vierziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts an im Geistes- und Gemütsleben der Völker immer wichtiger und gewaltiger wurde“,13 derjenigen nämlich des Nationalismus. Als Kronzeugen für die Stichhaltigkeit seiner These ruft er den österreichischen Dramatiker Franz Grillparzer auf, dem zufolge der Weg des 19. Jahrhunderts „[v]on der Humanität – durch Nationalität – zur Bestialität“14 geführt habe. Die Vorgeschichte des Europa verheerenden Kriegs sieht Hofmannsthal also in einer kulturellen Fehlentwicklung gründen, wobei er – das christliche Paradigma der Heilsgeschichte akti-

8 9 10 11 12 13 14

The First World War in Drama. German and Australian Perspectives. Stuttgart: Metzler, 2018: 101–117, v. a. 104. Hofmannsthal: Wiener Brief [IV], 485–486. Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog [engl. 2012]. München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2013. Hugo von Hofmannsthal: „Krieg und Kultur“ [1915]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 417–420, 418. Vgl. George F. Kennan: The Decline of Bismarck’s European Order. Franco-Prussian Relations 1875–1890. Princeton: Princeton University Press, 1979, 3. Hofmannsthal: Krieg und Kultur, 418. Ebd., 418. Ebd., 418. Vgl. Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Ausgewählte Briefe, Gespräche, Berichte. Hg. von Peter Frank und Karl Pörnbacher. 2 Bde. München: Hanser, 1960, Bd. I, 500.

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vierend – der Apokalypse ein Auferstehungsszenario folgen lässt: Der Weltkrieg stellt in Hofmannsthals Perspektive einen kulturellen Umschlagspunkt dar, der – so seine Gewissheit schon während der Kriegshandlungen – in eine Neuformierung Europas münden werde. Der Krieg, formuliert er, sei das Ereignis, auf das „eine neue Orientierung der Geister sowohl hier bei uns als in ganz Europa folgen wird“.15 An anderer Stelle bezeichnet er den Krieg gleichsinnig „als geschichtliche Krise“16; und es ließen sich in Hofmannsthals diskursiven Schriften zahlreiche weitere Reformulierungen dieser symbolischen Aufladung der in den Krieg mündenden politischen Entwicklung anführen. Hofmannsthals Nationalismuskritik ist dabei in eine grundsätzliche Modernekritik eingebettet, welche die Umwälzungsprozesse der Industrialisierung und Urbanisierung und die mit ihnen verbundenen kulturellen Umwertungen aller Werte skeptisch in den Blick nimmt: „Es war eine unerhörte Herrschaft über die Natur. Der alte Kampf mit der Natur schien ausgekämpft. Technisch ausgebeutet als der Sklave lag die Natur da, nicht als Dämon, als geheimnisvoller Lehrer, als gigantischer Feind. Die rasende Hast des Austausches, die praktische Abschaffung der Entfernungen – das Tosen auf London-Bridge – Hotels von [den] Alpen bis Benares – Ozeandampfer, die das Resultat der gesamten Weisheit und Wissenschaft unserer Tage einen Fetzen Stoff über das Meer fahren für den Salon einer Modedame, Berge von überflüssigen Nachrichten in die Welt setzen durch Wunder von Tausendundeiner Nacht. Dies nur als notwendiger Schritt der Weltauswirkung erträglich, aber unheimlich, wenn man den Herrn dieser Maschine sah. Das tausendfache internationale Ich, dieses europäische Wesen, für das diese ganze Maschine lief […]. Diese berauschende Eroberung des Geistes hat sein Leben nach innen umgestaltet mit der Gewalt einer Elementarkatastrophe. Sie hat uns fast mehr zermalmt als vordem unsere Ohnmacht gegen die Natur. Zauberlehrling, den seine Besen bemeistern. Ein unsäglicher Relativismus um ihn als schwindelnde kreisende Atmosphäre: die Sitten von heute und ehedem als relativ enthüllt, alles als im Werden gefaßt, Wissenschaft, Kunst und Sittlichkeit selber in Frage gestellt. Eine verzehrende Ironie über all unser Tun gekommen“.17

Wenn Hofmannsthal den Krieg an anderem Orte einen „dunkle[n] Traum“ nennt, „durch dessen Finsternisse doch Gottes Licht hinzuckte, Gottes Atem hinwehte“,18 dann zeigt sich überdies, dass er für seine Erzählung von der kul15 Ebd., 418. 16 Hofmannsthal: Die Idee Europa, 43. 17 Ebd., 48–49. – Dieses Paradigma einer grundlegenden Modernekritik, welche die moderne Metropole London in den Mittelpunkt rückt und Deutschland als warnendes Exempel einer fatalen Entwicklung vor Augen führt, findet sich erstmals im London überschriebenen zweiten Abschnitt von Heinrich Heines Englischen Fragmenten. Vgl. Heinrich Heine: „Englische Fragmente“ [1821]. In: Sämtliche Schriften 2. Hg. von Klaus Briegleb. München: Hanser, 21985: 531–605, v. a. 538–543. 18 Hofmannsthal: Appell an die oberen Stände, 347.

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Hugo von Hofmannsthals Beitrag zur Gedächtniskultur des Ersten Weltkriegs

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turellen Fehlentwicklung der Moderne nicht nur den formalen Aufbau des Heilsgeschichtsparadigmas entlehnt und aktiviert, sondern dass er sich mit seiner Herleitung der Kriegsursachen aus der europäischen Kulturgeschichte sowie der von ihm in der Idee Europa zusammengefassten Nachkriegsperspektive im Horizont des christlichen Heilsgeschichtsparadigmas bewegt: Der Weltkrieg besitzt für Hofmannsthal die Wertigkeit eines heilsgeschichtlichen Ereignisses. In Die Idee Europa lesen wir: „[F]ür uns ist Europa die Farbe der Sterne, wenn aus entwölktem Himmel wieder Sterne über uns funkeln. Wir, nicht auf errechenbare Macht, nicht auf die Wucht des nationalen Daseins, sondern sehenden Auges auf einen Auftrag vor Gott gestellt, – wie sollten wir leben, wenn wir nicht glauben wollten, und was wäre des Glaubens würdiger als das Hohe, das sich verbirgt, und das Ungreifbare, das sich dem gebundenen Sinn, dem stumpfen Herzen versagt“.19

Lässt Hofmannsthal, wie oben zitiert, besagte kulturelle und, in letzter Instanz, heilsgeschichtliche Fehlentwicklung mit der Französischen Revolution von 1789 beginnen – eingangs seiner Notizen für die Rede heißt es, mit dem Weltkrieg breche „alles in Form des contrat social Erschlichene […] zusammen“20 –, so deutet dies auf eine Ablehnung der modernen Freisetzung des Individuums aus den traditionalen Bezügen hin; „heute liegt eine neue Not auf den Individuen: das Allzuviel von Freiheit“,21 heißt es explizit in seiner [Zürcher Rede auf Beethoven].22 Den eigentlichen und tieferliegenden Grund für die fatale, im Kriegsausbruch von 1914 kulminierende Entwicklung Europas macht Hofmannsthal indes nicht in der französischen als vielmehr im Gang der deutschen Geschichte aus: Weit davon entfernt, die Kriegsschuldbehauptung des Historikers Fritz Fischer vorwegzunehmen23 – die politische Geschichte interessiert Hofmannsthal nur insoweit, als ihr, wie oben angeführt, ein ‚symbolischer‘ Status für die Geistesgeschichte zukommt –, macht er in der Abkehr der deutschen Nation vom Pfad ihrer „Mission“24 den eigentlichen Urgrund des über Europa gekommenen Übels aus. Diese These zeichnet sich deutlich ab, wenn man sich Hofmannsthals Ausführungen zur Verschiedenheit der deutschen Nation von den anderen europäischen Nationen vergegenwärtigt. In „Bibliotheca Mundi“, einem Text aus 19 Hofmannsthal: Die Idee Europa, 54. 20 Ebd., 43. 21 Hugo von Hofmannsthal: „[Zürcher Rede auf Beethoven]“ [1920]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 69–81, 80. 22 In eckige Klammern gestellte Titel stammen nicht von Hofmannsthal, sondern vom Herausgeber der Gesammelten Werke. 23 Vgl. Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. Düsseldorf: Droste, 2013. 24 Hofmannsthal: Krieg und Kultur, 417.

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dem Jahre 1921, schreibt er der deutschen Nation nämlich eine Sonderstellung zu: „Man muß in diesen wie in allen Dingen die eigene Nation so darstellen, wie sie ist: also die deutsche nicht als Originalnation schlechtweg, worin sie den Vergleich mit den Spaniern oder den Engländern, geschweige den Griechen nicht aushält, und doch als Originalnation durch ihre Tiefe und das rastlose Auflösen und Neuverbinden – dann erweist man ihr einen Dienst; die, welche, indem sie diese Grundverhältnisse verrücken, der Nation zu schmeicheln meinen, beleidigen sie eigentlich: sie meinen die Enge ihrer Brust und die Seichtigkeit ihrer Köpfe an Stelle eines unausdeutbaren, kaum zu erahnenden Wesens, wie eine große Nation es ist, setzen zu können, und bringen ins Enge, was immer im Großartigen und Weiten bleiben muß“.25

Die These von der Sonderstellung der deutschen Nation in Europa präzisiert und stützt er unter Berufung auf andere, ähnlich gelagerte Stimmen. So zitiert er in „Europäische Revue“ den Völkerrechtler Heinrich Rogge mit den folgenden Worten: „‚Die deutschen Geistigen, Gelehrten oder Literaten sind geboren dazu, eine Übersetzungs-Weltliteratur zu schaffen und dadurch als Vermittler zu wirken, die den Geist der Völker zum Geist der Menschheit vereinen. Das Ideal der geistigen Universalität, als höchsten Sinn des Weltbürgertums, konnte allein der Deutsche Goethe in Vollkommenheit darstellen‘“.26

In Die Idee Europa benennt er überdies Wilhelm von Humboldt als Kronzeugen, der an „dem deutschen Nationalcharakter […] groß und schön [gefunden habe]: daß er die naturhaften Schranken anderer Nationalcharaktere nicht kenne, sondern reiner und freier zum allgemein Menschlichen sich erhebe“.27 Wie zentral diese These einer die nationalen Grenzen überschreitenden Ausrichtung der deutschen Kultur für das Denken Hofmannsthals ist, wird daran deutlich, dass er den Gedanken immer wieder aufnimmt und variiert. In einem Text von 1922, überschrieben ist er Tschechische und slowakische Volkslieder, reformuliert er ihn unter dem Aspekt der Übersetzung: „Denn wer übersetzt“, lesen wir dort, „der will wohl ein Fremdes dem eigenen Volk heranbringen und die eigenen Landsleute nötigen, das Fremde mit Aufmerksamkeit gewahr zu werden“.28 In diesem Sinne 25 Hugo von Hofmannsthal: „‚Bibliotheca Mundi‘“ [1921]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 132–137, 134. 26 Hugo von Hofmannsthal: „‚Europäische Revue‘. Eine Monatsschrift, herausgegeben von Karl Anton Rohan“ [1926]. In: Reden und Aufsätze III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 78– 83, 81. 27 Hofmannsthal: Die Idee Europa, 45–46. 28 Hugo von Hofmannsthal: „Tschechische und slowakische Volkslieder“ [1922]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 165–168, v. a. 165.

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Hugo von Hofmannsthals Beitrag zur Gedächtniskultur des Ersten Weltkriegs

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sei „die deutsche Nation“ durch Aneignung fremder Kulturen in einem stetigen Werden begriffen und besitze „ihre geistigen Güter niemals, sondern sie streb[e] immer wieder, sie zu besitzen“.29 Die Konsequenz dieser Zuschreibung und die aus ihr resultierende „Mission“ liegt nach Hofmannsthal darin, dass er die deutsche Nation nicht als auf eine nationale Selbst(ver)schließung, sondern als auf eine übernationale Ausrichtung angelegt betrachtet. In seiner Anmerkung des Herausgebers zum ersten Heft der Neuen deutschen Beiträge (1922) formuliert er den Gedanken mit Blick auf die wechselvolle deutsche Geschichte und Gegenwart so: „Wir sind nichts als Widerspruch, aber in ihm vielleicht offenbart sich unser Wesen und ein Hohes, das mit uns schaltet“.30 Und abermals, in seiner Münchener Rede Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation (1927), legitimiert er seine These von der auf Übernationalität angelegten Geisteshaltung der Deutschen unter Berufung auf eine Größe der deutschen Geistesgeschichte, wenn er anführt, dass er „kein treffenderes Wort, sie zu bezeichnen“, wisse, als „sie mit dem Worte [zu] nenne[n], mit dem Nietzsche in der ersten ‚Unzeitgemäßen Betrachtung‘ diese deutsche Geisteshaltung bezeichnet hat: daß ich sie Suchende nenne, unter welchem Begriffe er alles Hohe, Heldenhafte und auch ewig Problematische in der deutschen Geistigkeit zusammenfaßte und es gegenüberstellte allem Satten, Schlaffen, Matten, aber in der Schlaffheit Übermütigen und Selbstzufriedenen: dem deutschen Bildungsphilister“.31

Eben diesen „deutschen Bildungsphilister“ scheint Hofmannsthal im Blick zu haben, wenn er 1916, in Österreich im Spiegel seiner Dichtung, dekretiert: „Die harte, grelle Selbstassertion, der überhebliche Versuch, dem ehrwürdigen deutschen Wesen klipp und klar Grenzen zu geben, in Worte zu fassen, was deutsch ist […], ist undeutsch“.32 „[U]ndeutsch“ in Hofmannsthals Weltsicht ist mithin der Versuch einer nationalistischen Verengung des Blicks. „Der Begriff der Nation“ dürfe nämlich, wie er betont, „nicht überanstrengt werden. Wer ihn gebraucht, muß wissen, daß er keine scharfe Grenze der Anwendung hat, ‚sein ins Unendliche sich verlierender Hintergrund muß mitgedacht werden‘“.33 Be29 Hofmannsthal: „‚Bibliotheca Mundi‘“, 133. 30 Hugo von Hofmannsthal: „‚Neue deutsche Beiträge‘. Anmerkung des Herausgebers“ [zu Heft 1] [1922]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 199–200, v. a. 200. 31 Hugo von Hofmannsthal: „Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation. Rede, gehalten im Auditorium Maximum der Universität München am 10. Januar 1927“ [1927]. In: Reden und Aufsätze III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 24–41, v. a. 29–30. 32 Hugo von Hofmannsthal: „Österreich im Spiegel seiner Dichtung“ [1916]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 13–25, v. a. 23. 33 Ebd., 22.

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zeichnend ist in diesem Zusammenhang, wen er sich zum Gewährsmann seiner Warnung erkürt: Er dürfe, merkt der Österreicher an, „keinen Geringeren als Bismarck zum Helfer für die Gewinnung dieser Begriffe herbeirufen, der in seinen ‚Gedanken und Erinnerungen‘ es ausspricht: ‚das spezifische Wesen des deutschen Nationalgefühles äußert sich darin, daß es nur wirksam wird durch das Wesen der besonderen Nationalitäten, die sich bei uns auf der Basis des dynastischen Familienbesitzes gebildet haben‘, und nochmals in den ‚Gedanken und Erinnerungen‘: ‚Das Deutsche Reich beruht auf dem Dualismus der nationalen Motive‘“.34

Mit dem „Dualismus der nationalen Motive“ ist offenbar das Zugehörigkeitsgefühl der Deutschen nicht nur zur deutschen Gesamtnation, sondern immer auch zu einer „besonderen Nationalität[]“ gemeint. In seinen aus dem gleichen Jahr stammenden [Aufzeichnungen zu Reden in Skandinavien] notiert er: „[d]as Homogene des Österreichers […], analog Bayern, Baden“.35 Vielsagend und erhellend ist die Berufung auf Otto von Bismarck natürlich insofern, als es sich bei diesem um denjenigen handelt, der die Gründung des preußisch dominierten Deutschen Reiches von 1871 und damit den entscheidenden Schritt in Richtung auf eine nationale Selbst(ver)schließung der Deutschen hin ins Werk gesetzt hat. Der Gründung des deutschen Nationalstaats gegenüber betont Hofmannsthal „unsere Zugehörigkeit zu Österreich, unsere kulturelle Zugehörigkeit zum deutschen Gesamtwesen“, die „wir uns zu erhalten wissen in der furchtbaren und kritischen kulturellen und politischen Situation, in welcher wir uns befinden“.36 In einer solchen Betonung der Zugehörigkeit Österreichs zur deutschen Gesamtnation, führt er seinen Gedanken fort, sehe er „keine Gefahr [für die österreichische Identität, F.-J. D.], denn das deutsche geistige Wesen, an welchem wir teilhaben, ist in seinem großen Reichtum, in seiner eigentümlich schicksalsvollen Natur auf Dualismen angelegt“.37 Mit seiner Betonung der Zugehörigkeit Österreichs zur deutschen Nation geht es Hofmannsthal mithin, soviel scheint klar zu sein, nicht um die Perspektive eines Beitritts Österreichs zum deutschen Nationalstaat, wie er 1918/19, im Augenblick des Zerfalls der Habsburger-Monarchie, von den Vertretern der Nationalversammlung Deutschösterreichs erklärt und von den Siegermächten in den Verträgen von Versailles und Saint Germain verboten wurde.38 An politischen Fragestellungen ist Hofmannsthal, wie bereits gesagt, nur dort interessiert, wo er in den politischen Formationen Symbole eines tieferen 34 Ebd., 22. 35 Hugo von Hofmannsthal: „[Aufzeichnungen zu Reden in Skandinavien]“ [1916]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 28–42, v. a. 35. 36 Hofmannsthal: Österreich im Spiegel seiner Dichtung, 22. 37 Ebd., 22. 38 Vgl. beispielsweise Walter Goldinger/Dieter A. Binder: Geschichte der Republik Österreich, 1918–1938. Wien: Verlag für Geschichte und Politik, 1992.

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Hugo von Hofmannsthals Beitrag zur Gedächtniskultur des Ersten Weltkriegs

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kultur- und letztendlich heilsgeschichtlichen Geschehens erkennt; das Politische an sich hält er für belanglos. In Österreich im Spiegel seiner Dichtung höhnt er: „Politik! Was ist diese eigentlich?“39 Hofmannsthals Denken ist, im Gegenteil, auf eine Betonung der besonderen und eigenständigen – gegen die Tendenz zu einer nationalen Selbst(ver)schließung der Deutschen gerichteten – „Mission“ Österreichs innerhalb der deutschen und europäischen Geschichte und Gegenwart ausgerichtet,40 die er wie folgt bestimmt: „Wo spiegelt sich am größten die alte Idee deutschen Wesens […], wenn nicht in uns [Österreichern, F.-J. D.]? Hier nahm sie ein für allemal Körper an. Daß wir sind und wie wir sind, was wir beanspruchen dürfen und was wir zu leisten haben, wie wir hier sitzen zwischen fremdsprachigen Völkern, und was wir diesen Völkern schuldig sind, um der Jahrhunderte willen und um des Ranges willen, den wir kraft unserer Sendung unter ihnen behaupten: das ist historisches heiliges deutsches Erbe. In uns wie nirgends in der Welt tritt dem deutschen Volke das Produktive seiner großen Vergangenheit entgegen. Darum haben Schweden und Schweizer ausgesprochen: Wenn wir [Österreicher] neben Deutschland stehen in diesem Kriege und nach diesem Kriege, erst dann sieht die Welt wieder Deutschlands anderes Gesicht“.41

Gleichsinnig heißt es in Wir Österreicher und Deutschland, einem Beitrag für die in Berlin erscheinende Vossische Zeitung vom 10. Januar 1915, „Österreich“ sei die „besondere Aufgabe, die dem deutschen Geist in Europa gestellt wurde“,42 wobei er wohl an die Rolle Österreichs gegenüber dem Deutschen Reich von 1871 denkt, wie er sie 1916 in seinen [Aufzeichnungen zu Reden in Skandinavien] bestimmt. Dort formuliert er den Gedanken vom „Entgegentreten eines älteren Deutschlands“43 in Gestalt Österreichs. Dieses ältere Deutschland ist für Hofmannsthal das Heilige Römische Reich Deutscher Nation als eine nicht dem Nationalstaatsprinzip verpflichtete übernationale Formation. In Die österreichische Idee, einem Beitrag für die Neue Zürcher Zeitung vom 2. Dezember 1917, dessen Erstveröffentlichung in französischer Sprache bereits am 15. November 39 Hofmannsthal: Österreich im Spiegel seiner Dichtung, 24. 40 Nicht unähnlich argumentiert Helmuth Plessner 1934/35, wenn er urteilt: „Wien müßte sein Wesentliches aufgeben, wenn es sich Berlin unterstellte. Die katholische Vormacht und Hüterin des Römischen Reiches deutscher Nation bis 1806, Sitz der apostolischen Majestät und Mittelpunkt eines ausgesprochen übernationalen Völkerverbandes von universaler Prägung kann in einem von protestantischem Geist geformten, auf preußische Überlieferung gegründeten Nationalstaat, der als dieser Staat den Anspruch auf das Reich erhebt, nicht ohne weiteres aufgehen“. Helmuth Plessner: Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes [1935 unter dem Titel: Das Schicksal deutschen Geistes im Ausgang seiner bürgerlichen Epoche]. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1974, 43. 41 Hofmannsthal: Österreich im Spiegel seiner Dichtung, 23. 42 Hugo von Hofmannsthal: „Wir Österreicher und Deutschland“ [1915]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 390–396, v. a. 393. 43 Hofmannsthal: [Aufzeichnungen zu Reden in Skandinavien], 35.

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des gleichen Jahrs erfolgte, spricht er gar von der „primäre[n] und schicksalhafte[n] Anlage [Österreichs] auf Ausgleich mit dem Osten, sagen wir es präzise: auf Ausgleich der alteuropäischen lateinisch-germanischen mit der neu-europäischen Slawenwelt“.44 In dieser Disposition zur Vermittlerrolle erkennt Hofmannsthal gar die „einzige Aufgabe und raision d’être Österreichs“.45 „Während alle Welt sich konsequent dem nationalen Problem“46 gewidmet habe, sei das Übernationale zeitweilig – im Hofmannsthal so verhassten 19. Jahrhundert nämlich – aus dem Blickfeld geraten, derweil Österreich „die Grundlinien zu erfassen“ gehabt habe „einer neuen übernationalen europäischen Politik unter voller Erfassung, Integrierung des nationalen Problems“.47 Diesen Gedanken spinnt er fort, wenn er das „Schicksalhafte“ betont, „welches bei uns [Österreichern] darauf geht, in deutschem Wesen Europäisches zusammenzufassen und dieses nicht mehr scharf-nationale Deutsche mit slawischem Wesen zum Ausgleich zu bringen. Die Idee der Versöhnung, der Synthese, der Überspannung des Auseinanderklaffenden haben ihre eigene fortwirkende Kraft, ihre Spontaneität“.48

Deshalb bedürfe ein „Europa, das sich neu formen will, […] eines Österreich: eines Gebildes von ungekünstelter Elastizität, aber eines Gebildes, eines wahren Organismus, durchströmt von der inneren Religion zu sich selbst, ohne welche keine Bindungen lebender Gewalten möglich sind“.49 Wenn Hofmannsthal in diesem Sinne wiederholt ein „älteres Deutschland“ beruft, das sich in Österreich erhalten habe, dann verweist er damit nicht nur auf eine dem preußisch dominierten Bismarck-Reich von 1871 geschichtlich vorausliegende und von diesem abgelöste politische Formation; mit der Rede vom „ältere[n] Deutschland“ ist bei Hofmannsthal tiefergehend ein auf dem Prinzip der Traditionalität im Unterschied zur Aktualität gegründetes Gemeinwesen bezeichnet. Diese Unterscheidung zwischen einem ‚älteren‘, auf Traditionalität beruhenden, und dem ‚neuen‘, auf Aktualtität basierenden, Deutschland entwirft er im Jahre 1917 in Preuße und Österreicher. Ein Schema. Dort notiert er für das preußische Gemeinwesen, dieses sei „[g]eschaffen, ein künstlicher Bau“, der

44 Hugo von Hofmannsthal: „Die österreichische Idee“ [1917]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 454–458, v. a. 456–457. 45 Ebd., 457. 46 Ebd. 47 Ebd. 48 Ebd. 49 Ebd.

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„alles im Menschen“ verankere und „von Menschen“50 herleite, während es über das österreichische Gemeinwesen heißt, dass es „[g]ewachsen, geschichtliches Gewebe“ sei und „alles von außen her“, als von „Natur und Gott“51 gegeben, auffasse. Auf der Ebene der Mentalitäten setzt er der „[a]ktuelle[n] Gesinnung“ des Preußen „(um 1800 kosmopolitisch, um 1848 liberal, jetzt bismarckisch, fast ohne Gedächtnis für vergangene Phasen)“,52 die „[t]raditionelle Gesinnung“ des Österreichers entgegen, die er als „stabil fast durch Jahrhunderte“53 erachtet. Während Preußen, in Hofmannsthals Narrativ, die Prinzipien einer, wie oben zitiert, die Individuen aus den Traditionszusammenhängen lösenden und sie durch „Staatsgesinnung“54 wieder zusammenführenden Moderne repräsentiert, zeichnet er von Österreich das Bild eines durch Traditionsbezüge und „Heimatliebe“55 verbundenen Gemeinwesens, das, als Erbe des multinationalen Reichsgedankens, dazu prädestiniert sei, ein vom modernen Nationalismus verheertes Europa zusammenzuführen und den Ausgleich zwischen den Nationen und Nationalitäten zu moderieren.56

III. Wenn Hofmannsthal Österreich nach dem Ende des Weltkriegs als für die Rolle des Moderators und Brückenbauers prädestiniert erklärt, dann hat diese Zuschreibung indes eine kultur- und, in letzter Konsequenz, heilsgeschichtliche Dimension und Reichweite. Das wird ersichtlich, wenn er konstatiert, dass der „deutsche[] Österreicher[] […] seit der Gegenreformation die großen deutschen Krisen nicht oder nicht voll mitgemacht ha[be]“;57 an anderer Stelle heißt es in 50 Hugo von Hofmannsthal: „Preuße und Österreicher. Ein Schema“ [1917]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 459–461, v. a. 459. 51 Ebd., 459. 52 Ebd., 460. 53 Ebd. 54 Ebd., 459. 55 Ebd. 56 Eine Engführung der von Österreich verkörperten übernationalen Reichsidee und der Perspektive einer europäischen Einigung findet sich ebenfalls bei Helmuth Plessner: „[D]ie Verteilung deutschen Volkstums quer durch die europäischen Staatsgrenzen stellt eine Tatsache dar, die eine Lösung entweder im Sinne der vornationalen ökumenischen Reichsidee oder im Sinne der nachnationalen Organisation der Vereinigten Staaten von Europa verlangt“. Plessner: Die verspätete Nation, 44. 57 Hugo von Hofmannsthal: „Die Bedeutung unseres Kunstgewerbes für den Wiederaufbau. Ansprache an die Mitglieder des österreichischen Werkbundes“ [1919]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 55–68, v. a. 66–67.

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weiterer Zuspitzung seiner These, dass Österreich – anders als andere Teile „des deutschen Kulturkomplexes“58 – „ohne große geistige Krisen“59 davongekommen sei. Wenn er des Weiteren anführt, dass „[w]as immer sich im Geistesleben vollzogen ha[be], von jener Anfangstat des sechzehnten Jahrhunderts an, jener Setzung des Ethos über den Logos, die wir den Protestantismus nennen“,60 herrühre, dann führt er die deutsche und europäische Geschichte; dann führt er den Weltkrieg, in den die europäische Geschichte gemündet ist, in letzter Instanz auf die Reformation61 und die aus ihr – in Gestalt Preußens – resultierende und durch Individualismus und Nationalismus charakterisierte Moderne zurück: „[M]it dem wissenden Auge, das der heutige Tag uns gibt, sehen wir in der Kette der Geschehnisse nichts als die Vorbereitung dessen, was heute Wirklichkeit wird“,62 lesen wir in Vermächtnis der Antike, einer Rede anlässlich eines Festes der Freunde des humanistischen Gymnasiums, die Hofmannsthal im Jahre 1926 gehalten hat. „Europa als einheitliches Zivilisationsgebiet“,63 das in „der Synthese von abendländischem Christentum und einer ins Blut aufgenommenen Antike“64 gründe, benötige eine Abkehr von der (kapitalistischen65) Moderne und ihrer Freisetzung des Individuums von den Rollenzuweisungen eines auf Tradition basierenden Gemeinwesens zugunsten einer Wiedergewinnung gemeinschafts58 Ebd., 56. 59 Hofmannsthal: [Aufzeichnungen zu Reden in Skandinavien], 35. 60 Hugo von Hofmannsthal: „Vermächtnis der Antike. Rede anlässlich eines Festes der Freunde des Humanistischen Gymnasiums“ [1926]. In: Reden und Aufsätze III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 13–16, v. a. 13. 61 In dieser durchweg negativen Sicht auf die Reformation ist Hofmannsthal nicht allein. So wütet Gottfried Benn in einem an den Kaufmann und Kunstmäzen Friedrich Wilhelm Oelze gerichteten Brief vom 21. 11. 1935: „Luther, wohl einer der grössten Vernichter des besseren Deutschtums, Zerstörer der grossen mittelalterlichen Kultur, dreckiger Niedersachse: Gewissensbisse an Stelle von Formproblemen, moralisches statt konstruktives Denken, tiefstehender Freiheitsbegriff (‚Selbstverantwortung‘ – so ein Blech für diese Schuld-SühneBastarde!) – aber Sie haben Recht: er machte Geschichte“. Gottfried Benn: Briefe an F. W. Oelze 1932–1945. Hg. von Harald Steinhagen und Jürgen Schröder. München: Limes, 1977, 88; Hervorhebung im Original. 62 Hofmannsthal: Vermächtnis der Antike, 13–14. 63 Hofmannsthal: Die Idee Europa, 48. 64 Hugo von Hofmannsthal: „Blick auf den geistigen Zustand Europas“ [1922]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 478–481, v. a. 480. 65 Auch mit seiner Engführung von Protestantismus und kapitalistischer Moderne befindet sich Hofmannsthal zu seiner Zeit in guter Gesellschaft. Zwar geht er nicht explizit darauf ein; es liegt aber nahe, ihm Kenntnis der berühmt gewordenen, in den Jahren 1904 und 1905 erstpublizierten, These Max Webers (1864–1920) zum inneren Zusammenhang von protestantischer Ethik und dem Geist des Kapitalismus zu unterstellen. Vgl. Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus [1904/05]. Hg. von Dirk Kaesler. München: C. H. Beck, 32010.

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bildender Traditionen. In dieser Argumentationslinie formuliert er 1920, in seiner [Zürcher Rede auf Beethoven]: „[H]eute liegt eine neue Not auf den Individuen: das Allzuviel an Freiheit […]. Aber eben in dieser Not liegt eine neue Hoffnung. Eben weil alles überwunden ist, und ein angstvolles Fühlen des Abgrundes, der unter den Dingen ist und unter den Theoremen und unter den Erkenntnissen, uns durchzieht wie ein beständiger Schwindel, eben darum ist allem unserm Tun eine latente Religiosität beigemischt, ein Drang nach dem Form-Gebenden, Leben-Verleihenden, nach dem, was nirgends an der Materie, auch nicht an der geistigen Materie, an der Formel, haftet: nach Gott“.66

Wenn Hofmannsthal Österreich nach dem Krieg eine europäische Rolle und Aufgabe zuweist, dann hat er Österreich als einen „Teil des Heiligen Deutschen Reiches“ im Sinn, genauer: „als de[n]jenige[n] Teil, dessen Hauptstadt zugleich die Residenz des Oberhauptes dieses […] universalen Reiches war“, welchem „ein Etwas vom Mittelalter an[hafte], während sich das Gepräge in dem neuen deutschen Reich schon durch das Überwiegen des Protestantismus verwischt ha[be]“.67 In diesem Sinne sei die „Seele des Österreichers“ bestimmt „durch die Zugehörigkeit zur katholischen Welt“,68 die nach den Verheerungen des „barbarischen und dem Untergang geweihten Nationalismus“69 Europa allein die Richtung zu weisen vermöge: „Wer sagt ‚Österreich‘, der sagt ja: tausendjähriges Ringen um Europa, tausendjährige Sendung durch Europa, tausendjähriger Glaube an Europa“.70 Dass es sich bei Hofmannsthals Rede von der „Sendung“ Österreichs nicht um eine ethische Forderung handelt, wie dieses Österreich, als staatliche Entität, im europäischen Nachkriegskontext agieren möge; dass Hofmannsthal – in Umkehrung der reformatorischen „Setzung des Ethos über den Logos“ – seine Bestimmung der „Sendung“ Österreichs vielmehr aus einer Schau des in der Geschichte verkörperten Logos herleitet, erweist sich, wenn er in der Gegenwart Zeichen für eine Umkehr auszumachen beansprucht. Prophezeit er 1915, in Krieg und Kultur, „daß neue Autorität zu Tage [treten werde], daß diese Autorität sich verkörpere, nicht in amtlichen Formen, sondern in rein geistigen, dem Wiedererwachen des religiösen Geistes“,71 so sieht er diese Erwartung acht Jahre

66 Hofmannsthal: [Zürcher Rede auf Beethoven], 80. 67 Hugo von Hofmannsthal: „Bemerkungen“ [1921]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 473–477, v. a. 473–474. 68 Ebd., 475. 69 Hugo von Hofmannsthal: „An Henri Barbusse, Alexandre Mercereau und ihre Freunde“ [1919]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 462–465, v. a. 463. 70 Hofmannsthal: Die Idee Europa, 54. 71 Hofmannsthal: Krieg und Kultur, 419.

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später erfüllt, wenn er im Wiener Brief [IV] konstatiert, dass die „junge Generation […] sich auf den Trümmern einer Welt [finde]: nicht nur die politische Welt ist ihr ein Trümmerhaufen, sondern auch die geistig-wissenschaftliche“.72 Als diesen „Trümmerhaufen“ macht er den Rationalismus aus: „Der Rationalismus, in welchem das neunzehnte Jahrhundert sein Weltbild unzerstörbar für alle Zeiten organisiert glaubte, ist zusammengefallen“.73 Was Hofmannsthal in der kulturellen Konstellation der Nachkriegszeit erkennen zu können glaubt, ist ein grundsätzlicher Bruch mit der Episteme des Rationalismus zugunsten eines Wiederanschlusses an die Tradition. Entsprechend stellt er fest, „daß die Zahl dieser von einer neuen und nicht dogmatisierten, aber bebenden und pulsierenden Religiosität erfüllten Menschen eine sehr große ist; daß sie alle Schichten der Nation durchsetzen und an allen Punkten der deutschsprechenden Länder sich zu kleinen Konventikeln zusammenschließen. Es ist dies ein Zustand sozusagen vormessianischer Religiosität“.74

Besagte „vormessianische Religiosität“ manifestiere sich, in den deutschsprachigen Ländern, in der Heraufkunft neuer „Führersymbol[e]“75 wie desjenigen des „Dichter[s] Friedrich Hölderlin“,76 von dem „die Generation der Lebenden ihre geheimste Sehnsucht, den Kern ihres religiösen Traumes […] vorgelebt“77 sehe; und, im europäischen Maßstab, erkennt Hofmannsthal ein Zeichen dieser „geheimste[n] Sehnsucht“ in der Verehrung für den russischen Dichter Fjodor Dostojewski, der in seinen Romanen „durch die soziale Schilderung hindurch ins Absolute, ins Religiöse“ stoße, was ihn zum „geistigen Beherrscher“ der gegenwärtigen Epoche mache, da „die jungen Menschen aller Länder […] in seinen Gestalten ihr eigenes Innere zu erkennen“78 glaubten. Schließlich nimmt er als ein solches Zeichen der religiösen Umkehr das gesteigerte Interesse Europas und der Welt an Johann Wolfgang Goethe wahr. Die „Würdigungen und Interpre72 73 74 75 76 77

Hofmannsthal: Wiener Brief [IV], 487. Ebd. Ebd., 488. Ebd., 489. Ebd., 488. Ebd., 490–491. Näherhin führt er aus: Was den „durch den Drang einer ganzen Generation aus dem Grabe Gerufene[n], Wiedergeborene[n]“ zum „Führungssymbol“ qualifiziere, sei der Umstand, dass er „mit einem mythenschaffenden oder religiösen Auge“ „das Griechentum“ ergriffen habe, „aber gerade indem er es ganz ergriff und darin lebte, machte er auch, am Ende seines Lebens, jene Evolution durch, die sich im Griechentum selbst vollzogen hat, wenn wir durch Platon ein Licht durchschimmern sehen, das kein anderes ist als das des Christentums. Diesen jugendlichen und nicht dogmatisierten Geist des Christentums ergriff er, ohne sozusagen den Geist des Christentums [hier sollte es wohl heißen: der Antike, F.-J. D.] ganz zu verlassen: die großen heidnischen Begriffe des Schicksals und der Götter leben in seiner poetischen Welt zusammen mit den christlichen Begriffen und Intuitionen, der Äther und Bacchos mit Christus“ (ebd., 488–490). 78 Hofmannsthal: Blick auf den geistigen Zustand Europas, 479.

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tationen Goethes“, die 1922 anlässlich des neunzigsten Jahrestags seines Tods „aus der Feder von Männern aller Nationen“ erschienen, seien „mehr als ein Zufall“;79 sein „Sich-Entfalten als eine geistige Macht des allerersten Ranges, nicht bloß Künstler, sondern Weiser, Magier, wahrer Führer der Seelen, Stiller auch des religiösen Bedürfnisses“,80 bezeuge den epochalen geistigen Umbruch.

IV. Doch wie lässt sich die behauptete „Sendung“ Österreichs nach dem Ende des Kriegs konkretisieren? Als Beispiel für die ihm zugesprochene vermittelnde Rolle darf die Gastgeberschaft Österreichs für Zusammenkünfte der kulturellen Repräsentanten der europäischen Nationen angeführt werden. Diesen Aspekt formuliert Hofmannsthal 1926 in seiner Rede zur Begrüßung des internationalen Kongresses der Kulturverbände: „Die Zusammenkunft von Männern aus den großen Kulturländern, welche die Sorge um die Idee Europa zusammenführt, kann auf keinem Boden willkommener sein, auf keinem natürlicher erscheinen als auf dem österreichischen“,81 wobei ihm wichtig ist zu betonen, dass es sich bei dieser und anderen ähnlichen Zusammenkünften „nicht um den Ausdruck von Tendenzen oder von Sympathien, noch um den Ausgleich von Interessen, sondern um eine Bemühung von Gedanken [handle]: nicht um Politik und nicht einmal um Nichtpolitik, die später in Politik übergehen will, sondern um ein gemeinsames Gewahrwerden von Wahrheiten, deren Tiefe und Einfachheit sich auch dem schärferen Auge unter der verwirrenden Vielfalt des scheinbar Bedeutungsvollen, des ‚Aktuellen‘ verbirgt“.82

In einer Ansprache aus dem Jahre 1919 wünscht er den von ihm adressierten Mitgliedern des Österreichischen Werkbunds konsequenterweise, „nie im engeren Wortsinne politisch“83 zu werden. Der Begriff Europa bedürfe vielmehr des den Aktualismus der Politik weit übersteigenden „Furchteinflößende[n], aus dem allein die Ehr-furcht entspringt. Er kann dieses nur gewinnen, wenn er einen gewaltigen, furchteinflößenden Begriff unserer Zeit, den der Nation, sich integriert, ihn sich dienstbar macht, ohne ihn zu entadeln“.84 Einen „Europäismus oder darüber hinaus ein[en] Universalismus im Sinne von Goethes letztem Le79 Ebd., 480. 80 Ebd., 479–480. 81 Hugo von Hofmannsthal: „Begrüßung des internationalen Kongresses der Kulturverbände“ [1926]. In: Reden und Aufsätze III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 17–18, v. a. 17. 82 Ebd., 17. 83 Hofmannsthal: Die Bedeutung unseres Kunstgewerbes für den Wiederaufbau, 67. 84 Hofmannsthal: Begrüßung des internationalen Kongresses der Kulturverbände, 17.

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bensdrittel“,85 wie Hofmannsthal ihn 1921 in „Bibliotheca Mundi“ beruft, sieht er sich allein in der Begegnung mit und Aneignung von fremden Kulturen formieren. Deshalb feiert er Übersetzer als Kulturbotschafter, welche die Beschränkungen einer nationalen Selbstverschließung durchbrechen und ihr entgegenarbeiten. Für eine solche interkulturelle Vermittlungsleistung in der Gegenwart preist er den 1915 in Wien verstorbenen Übersetzer Karl Eugen Neumann in den höchsten Tönen und mit ihm die Lebendigkeit der übernationalen Ausrichtung der deutschen Kultur: „Er war ohne jeden Zweifel unter den Lebenden der größte Orientalist der deutschen Nation, und seine Leistung, die rhythmisch und geistig vollkommene Übertragung sämtlicher kanonischer Schriften des Buddhismus, vor allem sämtlicher Reden Buddhas nach der großen, mittleren und kleineren Sammlung des Pakrit-Textes, war ohne jeden Zweifel eine der für die deutsche Nation folgenreichsten kulturellen Taten, die innerhalb unserer Generation getan wurden“.86

Aber nicht nur das zentrale Interesse an Übersetzungen von ausgewählten Werken der Weltliteratur bezeugt für Hofmannsthal die Fortdauer des Europäismus und Universalismus der deutschen Kultur. Im Zentrum steht für ihn eindeutig das Theater, von dem er ein farbenreiches Gemälde des sich über Jahrtausende und Weltregionen hinweg vollziehenden universalen Traditionsgeschehens entwirft, das jeder Selbstverengung auf einen national geschlossenen Kanon widerstreitet und das im österreichischen Theater weiterhin lebendig sei: „Auf der Nilbarke, die von Dorf zu Dorf glitt, erhob sich zu Pharaonenzeiten der Tisch mimender Gaukler; ihm aufs Haar glich das Gerüst, auf dem dreitausend Jahre später Pulcinella und Tabarin hervortraten. Zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts kommen die italienischen ‚Masken‘ über die Alpen, Harlekin ihr Anführer. Nirgends wird ihnen so wohl wie in Wien. Hier wurzeln sie sich ein, und Harlekin aus Bergamo wird Hanswurst aus Salzburg. Aus Gozzis Hand empfing Raimund die burleske Masken- und Märchenwelt und setzte ihr ein wienerisches Herz ein. Unter Nestroys Fingern verändert sie sich; der Märchenhauch geht weg, aber die Gestalten, ob auch ein ätzendes Etwas ihre treuherzigen Mienen verschärft, es sind um so erkennbarer die ewigen Figuren des Mimus, es sind die Tröpfe und die Spötter, die Stupidi und die Derisores der antiken Komödie, es sind die Handwerker wie in Philistions und Theokrits uralten Possen: Kniereim, Leim und Zwirn, und Kilian der Färber, Knöpferl der Pfaidler, Weinberl der Kommis, und Christopherl der Lehrbub, – gewaltige Ahnenreihe, ewiges Leben!“87

85 Hofmannsthal: „‚Bibliotheca Mundi‘“, 133. 86 Hugo von Hofmannsthal: „Wiener Brief [II]“ [1922]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 185–196, v. a. 186–187. 87 Hugo von Hofmannsthal: „Komödie“ [anlässlich einer theatergeschichtlichen Ausstellung] [1922]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden), Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 269–271, v. a. 269.

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Was Hofmannsthal im Sinn hat, wenn er Österreich ein kleines Europa nennt und daraus seine „Sendung“ in der gegenwärtigen Situation nach der Verheerung des Kontinents durch den Nationalismus ableitet, wird an dieser Passage aus einem Komödie überschriebenen und anlässlich einer theatergeschichtlichen Ausstellung verfassten Text vollends deutlich. In der proteischen Gestalt des Theaters, nach Hofmannsthal die „eigentliche[] Stärke des Wiener künstlerischen Lebens“88 und damit die primäre Kunstform Österreichs als der älteren, an der Selbstverschließung der deutschen Nation im Bismarck-Reich nicht teilhabenden Gestalt der deutschen Nation, tritt das auf das Übernationale, tritt das auf das Europäische und in der Tat auf das Universale ausgerichtete Wesen der deutschen Kultur buchstäblich vor Augen. Im österreichischen Theater manifestiert sich das Fortwirken einer ewigen, nicht abreißenden Tradition, die sich national individuiert, die in diesen nationalen Individuationen aber nicht aufgeht. Dieser ewige proteische Kulturtransfer, den Hofmannsthal Tradition nennt, macht dem österreichischen Dichter zufolge die Idee Europa aus, deren Wiedergewinnung und Fortführung er als die Aufgabe und „Sendung“ Österreichs begreift. Als den wirkmächtigen Vertreter dieser Theatertradition in der Gegenwart nennt Hofmannsthal Max Reinhardt. Die „Internationalität des Ruhmes und der Wirkung“ Reinhardts habe, wie er hervorhebt, „ihre Wurzel darin, daß er aus dem österreichisch-deutschen Theaterwesen hervorgegangen ist. Denn dieses ruht auf einer Internationalität, einer allseitigen Empfänglichkeit, welche das direkte Erbe des universal-europäischen Geistes der drei vergangenen Jahrhunderte ist: ich meine des sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten. Das Repertoire der deutschen ernsthaften Bühne – und sowohl der Oper als des Schauspiels – umfaßt nämlich wirklich die dramatische Weltliteratur: die Oper von Gluck oder von Mozart steht als ein lebendiger ständiger Besitz neben der von Wagner, von Verdi oder von Berlioz; ebenso stehen auf der Schauspielbühne Sophokles, Calderon oder Molière – von Shakespeare nicht zu sprechen – im täglichen Repertoire neben Goethe und Schiller, neben Bernhard Shaw, Hauptmann, Ibsen oder Tolstoi. […] Dieses die dramatische Produktion aller Zeiten und Länder umfassende Repertoire ist die Stärke und der Stolz des deutschen Theaters; es erhält sich nun durch weit mehr als ein Jahrhundert und ist im Vermächtnis unserer großen Dichter zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts, vor allem Goethes, und auch der starke Nationalismus in manchen Momenten des neunzehnten, oder im jetzigen Augenblick, haben an dem universellen Geist der deutschen Bühne nicht wesentliches verändert. […] Auf diesen geistigen Tendenzen, die im Laufe von sechs Generationen der Nation in Fleisch und Blut gegangen sind, ruht

88 Hugo von Hofmannsthal: „Wiener Brief [I]“ [1922]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden), Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 272–284, v. a. 272.

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der Stolz der deutschen Bühne und ihr nicht unberechtigter Anspruch, in gewisser Beziehung als die erste in Europa angesehen zu werden“.89

Steht im Zentrum von Hofmannsthals Ausführungen auch hier die Betonung der übernationalen Reichweite der deutschen Bühne, so ist es aus seiner Sicht insbesondere das Theater, das dem Nationalismus des preußisch dominierten Deutschen Kaiserreichs entgegenzuwirken vermag.

V. Keine Überraschung ist es daher, dass Hofmannsthal seinen eigenen Beitrag zur europäischen „Sendung“ Österreichs in der Kunst des Theaters verortet. In einem kurzen, zum Verständnis seiner Position aber durchaus wichtigen, schlicht mit Bemerkungen betitelten Text von 1921 schreibt er sich jene spezifisch österreichische „Geistesart“ zu – eine „eigentümliche Mischung von Selbstgefühl und Bescheidenheit, sicherem Instinkt und gelegentlicher Naivität, natürlicher Balance und geringer dialektischer Fähigkeit“ –, welche seinen „Lustspielversuchen, wie dem ‚Rosenkavalier‘, dem ‚Schwierigen‘“ eigne und „die gar nichts [seien], wenn sie nicht Dokumente der österreichischen Wesensart“90 seien. Als Hofmannsthals gegenüber den Lustspielen noch zentralerer Beitrag zur „Sendung“ Österreichs sind aber wohl, insbesondere angesichts des von ihm aufgespannten heilsgeschichtlichen Horizonts, die Mysterienspiele Das Salzburger Große Welttheater (1922)91 und auch der schon vor dem Kriege entstandene Jedermann (1911)92 zu begreifen. Mit Blick auf das Mysterienspiel entwirft Hofmannsthal in seinen Anmerkungen des Herausgebers zum ersten Heft der Neuen deutschen Beiträge die Bedeutung dieser Werkgruppe für die Fortführung der alten europäischen Theatertradition: 89 Hugo von Hofmannsthal: „Reinhardt bei der Arbeit“ [engl. 1924, dt. 1959]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden), Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 295–309, v. a. 295–296. 90 Hofmannsthal: Bemerkungen, 476. – Alexander Honold sieht Hofmannsthals Lustspiel Der Schwierige in diesem Sinne als durch die Erfahrung des Ersten Weltkriegs motiviert. Vgl. Alexander Honold: „Die Geburt der Ehekomödie aus dem Ernstfall des Krieges. Hofmannsthals ‚Der Schwierige‘“. In: Christian Klein/Franz-Josef Deiters (Hg.): Der Erste Weltkrieg in der Dramatik. Deutsche und australische Perspektiven / The First World War in Drama. German and Australian Perspectives. Stuttgart: Metzler, 2018: 39–57. 91 Vgl. Hugo von Hofmannsthal: „Das Salzburger Große Welttheater“ [1922]. In: Dramen III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden), Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 107–163. 92 Hugo von Hofmannsthal: „Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ [1911]. In: Dramen III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 9–72.

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„Wer in diesem Heft meinen eigenen Beitrag freundlich aufnimmt, empfängt das Zeichen eines alten ungebrochenen Zusammenhanges der süddeutschen Darstellungswelt mit vergangenen Jahrhunderten. Das tragende Gleichnis ist alt, es gehört zu dem Schatz von Mythen und Allegorien, den das dreizehnte und vierzehnte Jahrhundert ausgebildet und der späteren Zeit übermacht haben; in Zeichen und Gestalten erinnert hier vieles an vieles: an Bauwerke, Gemälde, steinerne und hölzerne Bildwerke, an die Bräuche und volkstümlichen theatralischen Darbietungen im südlichen katholischen Deutschland, wo eine unzerspaltene Erinnerung hinfließt bis ans Mittelalter“.93

Im Salzburger Großen Welttheater spricht er eine Warnung vor dem Irrweg der sozialistischen Revolutionsbestrebungen in Europa (vor allem in Deutschland und Russland) aus, welche er als eine Fortsetzung der Katastrophe des Kriegs in Folge des begangenen Traditionsbruchs der Moderne begreift (im Wiener Brief [IV] spricht er gar von der „Katastrophe des Krieges und des den Krieg fortsetzenden Friedens“94): „Ich lasse den enterbten Bettler die Axt erheben gegen das Ganze, das ihm gegenübersteht […]. Und es ist aus der Situation und den vorhergewechselten Reden evident, daß er, wenn er zuschlagen wird, stärker sein wird als sie alle und daß das Gebäude einer tausendjährigen Weltordnung – wirklich genau so alt ist ja die Synthese aus Christentum und halbrömisch halbgermanischer Rechtsordnung, in der wir hausen – unter seinen Axthieben zusammenstürzen wird. Aber im gleichen Augenblick, wo er den Arm mit der Axt hebt, lasse ich die Weisheit – unter deren Maske ich versucht habe, die Andeutungen alles dessen zu vereinigen, was wir an Hohem, Unselbstischem, GottGleichem in uns tragen, sei es nun aus religiöser oder aus profaner Tradition – ihre Hände zum Gebet erheben nicht nur für ihre eigene Rettung, an die sie nicht mehr glaubt, noch für die Rettung der Welt, von deren Würdigkeit gerettet zu werden sie nicht überzeugt ist, sondern für ihn, gerade für ihn, den Zerstörer, und das im gleichen Augenblick, wo er das Werkzeug des Todes direkt über ihrem eigenen Haupt schwingt und im Begriff ist, es niedersausen zu lassen. Was nun in ihm erfolgt, liegt allerdings außerhalb des Gebietes des eigentlich dramatisch Möglichen und konnte nicht in einem gewöhnlichen Theaterstück, sondern nur in einem Mysterium gewagt werden. Es geht etwas in ihm vor, das einem blitzschnellen trance gleicht: eine Wandlung, ein vollkommener Umschwung. Indem sie für ihn betet, läßt er die Axt sinken und fällt auf die Knie“.95

93 Hofmannsthal: „Neue deutsche Beiträge“. Anmerkungen des Herausgebers [zu Heft I], 199– 200. 94 Hofmannsthal: Wiener Brief [IV], 485. 95 Hugo von Hofmannsthal: „Wiener Brief [III]“ [1923]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 285–294, v. a. 288.

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Franz-Josef Deiters

Für seine Selbsteinstellung in die Tradition signifikant ist zudem die Art und Weise, in der Hofmannsthal die eigene Autorschaft96 als ein Tun der Wiedergewinnung und Fortführung der alteuropäischen Tradition entwirft; in einem Kommentartext zu seiner Bearbeitung von Pedro Calderón de la Barcas Mysterienspiel Das große Welttheater (1655) führt er sein Programm der Wiederbelebung des alteuropäischen Traditionsbestands aus, wenn er anmerkt, dass, „[w]er Gedichtetes aufs Theater bring[e], […] sich, er möge wollen oder nicht, in den vollen Strom der Tradition“97 stelle. Gleichsinnig spricht er für seine Bearbeitung des Jedermann davon, „dem deutschen Repertorium nicht so sehr etwas gegeben, als ihm etwas zurückgegeben zu haben“.98 Aber nicht nur in Hinsicht auf die Position des Autors intendiert Hofmannsthal, das im Gestus des Bruchs mit der Tradition sich inszenierende Paradigma der Moderne zu hintergehen und den Wiederanschluss an die Tradition bewusst zu vollziehen. Wichtig ist ihm vor allem der Rahmen der theatralen Darbietungen, der für die Steuerung des Rezeptionsakts entscheidend ist. Auch in dieser Hinsicht versucht er, auf eine Form des Theaters zurückzugreifen, die aus der Tradition herrührt. Bezeichnet er das Theater generell als die „Stärke des Österreichers“99 als des „geselligsten der deutschen Stämme“,100 so begreift er den „Festspielgedanke[n]“ als den „eigentliche[n] Kunstgedanke[n] des bayrischösterreichischen Stammes“101, in dem sich die Kontinuität des älteren katholischen Deutschlands in der Gegenwart manifestiere:

96 Zu Hofmannsthals Autorschaftskonzept vgl. Franz-Josef Deiters: Auf dem Schauplatz des „Volkes“. Strategien der Selbstzuschreibung intellektueller Identität von Herder bis Büchner und darüber hinaus. Freiburg i. Br.: Rombach, 2006: 199–208. 97 Hugo von Hofmannsthal: „Das Salzburger Große Welttheater“ [1925]. In: Dramen III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 170–173, v. a. 170. 98 Hugo von Hofmannsthal: „Das Spiel vor der Menge. Eindruck und Überlegung“ [1911]. In: Dramen III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 103–106, v. a. 104 (Hervorhebungen im Original). 99 Hugo von Hofmannsthal: „Rede auf Grillparzer. Für die deutsche Grillparzer-Gedenkfeier zu Hannover, den 7. Mai 1922“ [1922]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 87–101, v. a. 95. 100 Ebd., 88. 101 Hugo von Hofmannsthal: „Deutsche Festspiele zu Salzburg“ [1919]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 255–257, v. a. 255. – Wenn er vom Kunstgedanken des bayrisch-österreichischen Stamms spricht, bezieht er sich damit auf Josef Nadler: Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften. 4 Bde. Regensburg: Josef Habbel, 1912–1918. Die Hinwendung des von ihm geschätzten Germanisten Nadler zum Nationalsozialismus hat Hofmannsthal nicht mehr erlebt.

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Hugo von Hofmannsthals Beitrag zur Gedächtniskultur des Ersten Weltkriegs

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„In jener älteren Welt, die wir die mittelalterliche nennen, die aber in ihrer verjüngten Form, der des Barock, bis an die Schwelle des neunzehnten Jahrhunderts reichte, ja noch durch dieses hindurch, bis in unsere, der heute Lebenden, eigene Jugend, war alles ein Schauspiel: von der Vermählung des Fürsten bis zur Hinrichtung des Gewalttäters, von der Einholung fremder Gesandten bis zur alljährlich wiederkehrenden Kirchweih im kleinen Dorf. Manches hat sich von diesem Überreichtum an Aufzügen und Zeremonien da und dort in Europa gehalten, in den katholischen Ländern mehr als in den protestantischen. […] Hier in Wien, im Schatten der Kaiserburg und des Stefansdomes, hat sich von diesen Feierlichkeiten am meisten gehalten, und unter einer ganz naiven, auf reiner Festfreude, reinem Theatersinn ruhenden Teilnahme der ganzen Bevölkerung“.102

Um dieses Theaterformat für die Gegenwart fruchtbar zu machen, fasst Hofmannsthal denn auch, in Zusammenarbeit mit dem Theaterkünstler Max Reinhardt und dem Komponisten Richard Strauss, den Plan zur Gründung von Festspielen in Salzburg:103 „Musikalisch theatralische Festspiele in Salzburg zu veranstalten, das heißt: uralt Lebendiges aufs neue lebendig machen; es heißt: an uralter sinnfällig auserlesener Stätte aufs neue tun, was dort allezeit getan wurde“.104 Vergegenwärtigt man sich noch einmal den Umstand, dass Hofmannsthal das Abreißen der übernationalen Tradition Alteuropas zugunsten einer von Individualismus und Nationalismus bestimmten Moderne als die wesentliche Ursache für die Katastrophe des Kriegsausbruchs von 1914 ausmacht, dann stellen sich seine Bemühungen um die Gründung der Salzburger Festspiele zum Zwecke der Wiederanknüpfung an eine aus seiner Sicht in Österreich noch lebendige Tradition als sein und seiner Mitstreiter Versuch dar, jene kulturelle Konstellation zu überwinden, welche in die Katastrophe des Weltkriegs und der ihn fortsetzenden revolutionären Unruhen geführt hat. Mit anderen Worten: Mit den Salzburger Festspielen und seinen in ihrem Rahmen zur Aufführung gelangenden Mysteriendramen intendiert Hofmannsthal die Neustiftung einer auf die Schau des Logos angelegten Theaterkultur – hierin sieht er seinen eigenen Beitrag zur Erfüllung von Österreichs europäischer „Sendung“ in der Nachkriegszeit. 102 Hugo von Hofmannsthal: „Denkmäler des Theaters“ [1924]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 325–328, v. a. 325. 103 Zur in der Begründung und Ausgestaltung der Salzburger Festspiele kulminierenden Zusammenarbeit Hugo von Hofmannsthals und Max Reinhardts vgl. Franz-Josef Deiters: Verweltlichung der Bühne? Zur Mediologie des Theaters der Moderne. Berlin: Erich Schmidt, 2019: 57–101. 104 Hugo von Hofmannsthal: „Festspiele in Salzburg“ [1921]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 264–268, v. a. 264.

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Franz-Josef Deiters

Literaturverzeichnis Benn, Gottfried: Briefe an F. W. Oelze 1932–1945. Hg. von Harald Steinhagen und Jürgen Schröder. München: Limes, 1977. Clark, Christopher: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog [engl. 2012]. München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2013. Deiters, Franz-Josef: Auf dem Schauplatz des „Volkes“. Strategien der Selbstzuschreibung intellektueller Identität von Herder bis Büchner und darüber hinaus. Freiburg i. Br.: Rombach, 2006: 199–208. Deiters, Franz-Josef: „‚Gegossen in den Schmelztiegeln der Großindustrie, gehärtet und geschweißt in der Esse des Krieges‘. Erwin Piscator oder die Geburt der Theateravantgarde in den Gräben des Ersten Weltkriegs“. In: Christian Klein/Franz-Josef Deiters (Hg.): Der Erste Weltkrieg in der Dramatik. Deutsche und australische Perspektiven / The First World War in Drama – German and Australian Perspectives. Stuttgart: Metzler, 2018: 101–117. Deiters, Franz-Josef: Verweltlichung der Bühne? Zur Mediologie des Theaters der Moderne. Berlin: Erich Schmidt, 2019: 57–101. Fischer, Fritz: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. Düsseldorf: Droste, 2013. Goldinger, Walter/Dieter A. Binder: Geschichte der Republik Österreich, 1918–1938. Wien: Verlag für Geschichte und Politik, 1992. Grillparzer, Franz: Sämtliche Werke. Ausgewählte Briefe, Gespräche, Berichte. Hg. von Peter Frank und Karl Pörnbacher. 2 Bde. München: Hanser, 1960, Bd. I. Heinrich Heine: „Englische Fragmente“ [1821]. In: Sämtliche Schriften 2. Hg. von Klaus Briegleb. München: Hanser, 21985: 531–605. Hofmannsthal, Hugo von: „Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ [1911]. In: Dramen III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 9–72. Hofmannsthal, Hugo von: „Das Spiel vor der Menge. Eindruck und Überlegung“ [1911]. In: Dramen III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 103–106. Hofmannsthal, Hugo von: „Appell an die oberen Stände“ [1914]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 347–350. Hofmannsthal, Hugo von: „Boykott fremder Sprachen?“ [1914]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 351–355. Hofmannsthal, Hugo von: „Krieg und Kultur“ [1915]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 417–420. Hofmannsthal, Hugo von: „Wir Österreicher und Deutschland“ [1915]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 390–396.

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Hugo von Hofmannsthals Beitrag zur Gedächtniskultur des Ersten Weltkriegs

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Hofmannsthal, Hugo von: „Österreich im Spiegel seiner Dichtung“ [1916]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 13–25. Hofmannsthal, Hugo von: „[Aufzeichnungen zu Reden in Skandinavien]“ [1916]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 28–42. Hofmannsthal, Hugo von: „Preuße und Österreicher. Ein Schema“ [1917]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 459–461. Hofmannsthal, Hugo von: „Die österreichische Idee“ [1917]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 454–458. Hofmannsthal, Hugo von: „Die Idee Europa. Notizen zu einer Rede“ [1917]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 43–54. Hofmannsthal, Hugo von: „Deutsche Festspiele zu Salzburg“ [1919]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 255–257. Hofmannsthal, Hugo von: „An Henri Barbusse, Alexandre Mercereau und ihre Freunde“ [1919]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 462– 465. Hofmannsthal, Hugo von: „Die Bedeutung unseres Kunstgewerbes für den Wiederaufbau. Ansprache an die Mitglieder des österreichischen Werkbundes“ [1919]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 55–68. Hofmannsthal, Hugo von: „[Zürcher Rede auf Beethoven]“ [1920]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 69–81. Hofmannsthal, Hugo von: „Bemerkungen“ [1921]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 473–477. Hofmannsthal, Hugo von: „‚Bibliotheca Mundi‘“ [1921]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 132–137. Hofmannsthal, Hugo von: „Festspiele in Salzburg“ [1921]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 264–268. Hofmannsthal, Hugo von: „Rede auf Grillparzer. Für die deutsche Grillparzer-Gedenkfeier zu Hannover, den 7. Mai 1922“ [1922]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 87–101. Hofmannsthal, Hugo von: „Wiener Brief [I]“ [1922]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden), Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 272–284.

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Franz-Josef Deiters

Hofmannsthal, Hugo von: „Wiener Brief [II]“ [1922]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 185–196. Hofmannsthal, Hugo von: „Blick auf den geistigen Zustand Europas“ [1922]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 478–481. Hofmannsthal, Hugo von: „Komödie“ [anlässlich einer theatergeschichtlichen Ausstellung] [1922]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden), Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 269–271. Hofmannsthal, Hugo von: „‚Neue deutsche Beiträge‘. Anmerkung des Herausgebers“ [zu Heft 1] [1922]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 199–200. Hofmannsthal, Hugo von: „Das Salzburger Große Welttheater“ [1922]. In: Dramen III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden), Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 107–163. Hofmannsthal, Hugo von: „Tschechische und slowakische Volkslieder“ [1922]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 165–168. Hofmannsthal, Hugo von: „Wiener Brief [III]“ [1923]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 285–294. Hofmannsthal, Hugo von: „Wiener Brief [IV]“ [1923]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 482–491. Hofmannsthal, Hugo von: „Denkmäler des Theaters“ [1924]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 325–328. Hofmannsthal, Hugo von: „Reinhardt bei der Arbeit“ [engl. 1924, dt. 1959]. In: Reden und Aufsätze II (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden), Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 295–309. Hofmannsthal, Hugo von: „‚Europäische Revue‘. Eine Monatsschrift, herausgegeben von Karl Anton Rohan“ [1926]. In: Reden und Aufsätze III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 78–83. Hofmannsthal, Hugo von: „Vermächtnis der Antike. Rede anlässlich eines Festes der Freunde des Humanistischen Gymnasiums“ [1926]. In: Reden und Aufsätze III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 13–16. Hofmannsthal, Hugo von: „Das Salzburger Große Welttheater“ [1925]. In: Dramen III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 170–173. Hofmannsthal, Hugo von: „[Paneuropa]“ [1926]. In: Reden und Aufsätze III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 213.

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Hugo von Hofmannsthals Beitrag zur Gedächtniskultur des Ersten Weltkriegs

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Hofmannsthal, Hugo von: „Begrüßung des internationalen Kongresses der Kulturverbände“ [1926]. In: Reden und Aufsätze III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 17–18. Hofmannsthal, Hugo von: „Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation. Rede, gehalten im Auditorium Maximum der Universität München am 10. Januar 1927“ [1927]. In: Reden und Aufsätze III (Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden). Hg. von Bernd Schöller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1979: 24–41. Honold, Alexander: „Die Geburt der Ehekomödie aus dem Ernstfall des Krieges. Hofmannsthals ‚Der Schwierige‘“. In: Christian Klein/Franz-Josef Deiters (Hg.): Der Erste Weltkrieg in der Dramatik. Deutsche und australische Perspektiven / The First World War in Drama. German and Australian Perspectives. Stuttgart: Metzler, 2018: 39–57. Kennan, George F.: The Decline of Bismarck’s European Order. Franco-Prussian Relations 1875–1890. Princeton: Princeton University Press, 1979. Nadler, Josef: Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften. 4 Bde. Regensburg: Josef Habbel, 1912–1918. Plessner, Helmuth: Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1974. Weber, Max: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus [1904/05]. Hg. von Dirk Kaesler. München: C. H. Beck, 32010.

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Thomas Petraschka (Universität Regensburg)

„Diggers“, „Anzacs“ und „Frontsoldaten“. Die (De-)Konstruktion nationaler Identität im australischen und deutschen Weltkriegsroman

„Die Neuseeländer, denen wir gegenüberliegen, haben uns gut aufgepulvert, da gibt’s keine Langeweile. Auch sind sie spendabel insofern, als sie unsereinen auch mal zu Schuß kommen lassen. Dafür haben wir uns auch nicht lumpen lassen und uns, mehr als manchem guttat, über Deckung gezeigt.“1 Was Ernst Jünger hier am 31. Juli 1918 per Feldpost aus den Schützengräben des Artois an seinen Bruder Friedrich Georg schreibt, erscheint heute in doppelter Hinsicht befremdlich. Nicht nur, dass der bis dahin schon mehrfach teils auch schwer verwundete Infanterist wenige Wochen vor Kriegsende dem Weltkrieg augenscheinlich immer noch etwas abgewinnen kann, so lange er bloß nicht allzu „langweilig“ wird – in den ihm gegenüberliegenden Truppen des Australian and New Zealand Army Corps (Anzac) scheint er aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz sogar noch Gleichgesinnte gefunden zu haben. Als ob man sich nicht auf den mörderischen Schlachtfeldern der Westfront befände, sondern auf einem Abenteuerspielplatz oder bei einem Freundschaftsspiel, in dessen Rahmen man sich auch einmal darauf einigen kann, es mit der unspektakulären Defensivtaktik nicht allzu genau zu nehmen, zeigen sich die Neuseeländer sogar noch ab und an über Deckung und verleiten mit ihrem lebensmüden Draufgängertum Jünger und seine Kameraden dazu, es ihnen gleichzutun. Kein Wunder, dass Jünger, der in seinen Kriegsschriften ebenso wie in den eben schon zitierten Feldpostbriefen immer wieder versucht, sich als todesverachtender „Teufelskerl“2 zu inszenieren, beeindruckt war. Von Jüngers Darstellung der Anzac-Truppen – hätte er sie denn gekannt – wäre wohl nicht zuletzt auch ein Australier besonders angetan gewesen: Charles W. Bean, Australiens offizieller Weltkriegskorrespondent und nach Kriegsende offizieller Weltkriegshistoriker. Bean hatte vom ersten Kampfeinsatz der australischen und neuseeländischen Kolonialtruppen am 25. April 1915 in Gallipoli 1 Ernst Jünger: Feldpostbriefe an die Familie. Hg. von Heimo Schwilk. Stuttgart: Klett-Cotta, 2014, 120. 2 Ebd., 52.

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Thomas Petraschka

an versucht, diese als Kämpfer einer ganz spezifischen Ausprägung zu inszenieren, die sich in Teilen durchaus mit Jüngers Darstellung deckt: mutige Draufgänger und im Angesicht der Gefahr stets tapfere Männer mit einem gelegentlichen Hang zum etwas ungehobelten, aber nie bösartigen Rowdytum, ausgestattet mit einem unverwechselbaren Galgenhumor, außerdem bedingungslos treue Kameraden und einfache Arbeiter mit einer zutiefst egalitären Weltsicht und einem gesunden Misstrauen gegenüber jeder Form von Anmaßung und Autorität. Die Berichte von Beans englischem Korrespondentenkollegen Ellis Ashmead-Bartlett, die die ersten waren, die die Australier am 8. Mai 1915 in den heimischen Zeitungen über den erstmaligen Kampfeinsatz ihrer Armee lesen konnten, stellen ganz ähnliche Qualitäten heraus und ergänzen eine weitere Dimension, die mich ins Zentrum der folgenden Überlegungen führt: „The Australians rose to the occasion. They did not wait for orders or for the boats to reach the beach, but sprang into the sea, formed a sort of rough line, and rushed the enemy trenches. […] The courage displayed by these wounded Australians will never be forgotten. […] In fact, I have never seen anything like these wounded Australians in war before. […] They were happy because they knew they had been tried for the first time, and had not been found wanting. […] These raw colonial troops in these desperate hours proved worthy to fight side by side with the heroes of Mons, the Aisne, Ypres, and Neuve Chapelle.“3

Nicht nur die rebellische Tapferkeit und das gegenüber den militärstrategischen Überlegungen tendenziell indifferente Draufgängertum der Soldaten, die erst gar nicht auf Befehle gewartet hätten, bevor sie sich Hals über Kopf auf den Feind stürzten, wird von Ashmead-Bartlett herausgestellt, sondern vor allem auch die Idee, dass die Anzac-Truppen im Moment der Landung in Gallipoli erfolgreich eine Art nationaler Feuertaufe absolviert hätten. Die Soldaten werden nicht nur begriffen als Akteure im Rahmen einer militärischen Operation, sondern gleichsam als Vertreter einer adoleszenten Nation in toto. Sie hätten vor den Augen der Welt bewiesen, dass Australien willens war, einen Beitrag für die gute Sache zu leisten, und damit würdig, einen gleichberechtigten Platz unter den auf der Weltbühne bereits etablierten nationalen Akteuren einzunehmen. Die von Bean sorgfältig kuratierte Anzac-Legende transzendiert in diesem Sinn die Charakterisierung von australischen Weltkriegs-Soldaten und erweist sich als Kern eines keineswegs nur individuellen oder gruppenspezifischen, sondern umfassenden nationalen Narrativs – wie die Beiträge zu diesem Band erweisen, steht sie noch heute von politischen Reden und Denkmälern bis hin zu schulischen Lehrplänen bei nachgerade allem, was mit dem Great War zusammenhängt, im Zentrum der australischen Erinnerungskultur. 3 Ellis Ashmead-Bartlett: „Australasians Glorious Entry into War. Historic Charge. Brilliant Feat at Gaba Tepe. Mr. Ashmead Bartlett’s Story“. In: Sydney Morning Herald (08. 05. 1915), 13.

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„Diggers“, „Anzacs“ und „Frontsoldaten“

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In den folgenden Überlegungen möchte ich einen Teil dieses umfassenden Phänomens näher beleuchten. Ich werde versuchen, den Ausprägungen der Anzac-Legende innerhalb der zeitgenössischen literarischen Verarbeitungen des Weltkriegs nachzuspüren – und zwar in einer spezifischen Hinsicht, die sich aus einer kontrastierenden Lektüre australischer und deutscher Kriegsromane ergibt: Im deutschsprachigen Kriegsroman der Weimarer Republik war nämlich insbesondere das Kriterium der Authentizität des Dargestellten von ganz entscheidender Wichtigkeit für die Akzeptanz und den Erfolg eines Kriegsromans.4 Noch die tendenziell kriegsaffirmativen Schriften Jüngers oder die in den grundlegenden Ausführungen Helmuth Kiesels als „[n]ationalistisch-bellizistisch[]“5 kategorisierten Kriegsromane Werner Beumelburgs, Franz Schauweckers oder Hans Zöberleins verweigern sich einer eindimensionalen Heroisierung des deutschen Soldaten gegenüber seinen Kriegsgegnern und versuchen den Krieg so wiederzugeben, wie er sich der Erlebniswelt des kämpfenden Soldaten de facto dargestellt hatte: als Quelle von Leid unvorstellbaren Ausmaßes. Angesichts der authentischen Schilderung der Schrecken, mit denen insbesondere die an der Westfront eingesetzte Infanterie in den Materialschlachten vor Verdun oder an der Somme konfrontiert war, musste jegliche allzu naiv beschönigende nationalistische Heroisierung lächerlich erscheinen und, wie man sagen könnte, buchstäblich zerbersten. Die Frage, die ich diskutieren möchte, ist, wie sich der australische Kriegsroman zu dieser Problemkonstellation verhält. Angesichts einer nationalen australischen Erinnerungskultur, in der erst gegenwärtig eine kritische Überprüfung der Anzac-Legende und ihrer tendenziell nationalistischen Implikationen stattfindet,6 wäre ja zu vermuten, dass auch die fiktionale Verarbeitung des Weltkriegs im Roman eher zur Konstruktion der nationalen australischen Identität aus dem Geiste des Soldatischen beiträgt, als zu ihrer Problematisierung oder Dekonstruktion, die mit einem Anspruch auf die Authentizität der dargestellten Kriegserfahrung eigentlich zwingend einhergehen müsste. 4 Vgl. dazu ausführlich Thomas F. Schneider: „Endlich die ‚Wahrheit‘ über den Krieg. Zu deutscher Kriegsliteratur“. In: Text + Kritik 124 (1994): 38–51. 5 Helmuth Kiesel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1918 bis 1933. München: C. H. Beck, 2017, 792. 6 Noch 1995 weist Joan Beaumont darauf hin, dass die Anzac-Legende die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Australien derart dominiere, dass sie dasjenige sei, was in Australien „most clearly“ am Ersten Weltkrieg erinnert werde – und zwar selbst im Vergleich z. B. mit der mit dem Krieg verbundenen Trauer oder persönlichen Verlusten australischer Familien. Vgl. Joan Beaumont: „The Anzac legend“. In: Joan Beaumont (Hg.): Australia’s War 1914–1918. Sydney: Allen & Unwin, 1995: 149–180, 149. Dass diese Fokussierung auch für den Bereich der Kriegsliteratur maßgeblich ist, erläutert Peter Stanley: „‚He was black, he was a White man, and a dinkum Aussie‘: Race and Empire in revisiting the Anzac legend“. In: Santanu Das (Hg.): Race, Empire and First World War Writing. Cambridge: Cambridge University Press, 2011: 213–230, 217: „Australia’s preoccupation with national identity points to the single most pervasive trope in literature [zum Ersten Weltkrieg; T. P.]“.

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Wie sich zeigen wird, ist diese Vermutung aber nicht zu erhärten. Auf hochinteressante Art und Weise greift auch im australischen Weltkriegsroman – den ich exemplarisch durch eine Analyse von Leonard Manns Flesh in Armour und Frederic Mannings The Middle Parts of Fortune in den Blick nehmen werde – der eben schon angesprochene Mechanismus: Die Protagonisten der Romane werden zwar eingeführt mit Eigenschaften, die nachgerade paradigmatisch für den australischen ‚Digger‘-Soldaten im Sinne der Anzac-Legende sind. Je länger sie allerdings an der Front eingesetzt sind und je schrecklicher die erlebten Verheerungen etwa im Rahmen der Somme-Schlacht oder anderer Kampfhandlungen vor Mons oder St. Quentin werden, desto mehr wird das von Bean inszenierte Bild im Medium der Literatur in verschiedener Hinsicht brüchig. Wie sich diese ‚Brüchigkeit‘ genau offenbart und was von der Anzac-Legende zurückbleibt, nachdem die fiktiven Anzac-Soldaten über Jahre ihre Existenz in den Schützengräben der Westfront fristen mussten, werde ich unten ausführlich entwickeln. Dabei gehe ich vor wie folgt: Ich werde zunächst die Hintergründe der von Bean aus der Taufe gehobenen Anzac-Legende rekonstruieren. Da es eine Reihe von ausgezeichneten Arbeiten gibt, die diese Rekonstruktion in allgemeiner historischer bzw. kulturhistorischer Hinsicht bereits geleistet haben, werde ich mich hier kurz fassen und das Anzac-Narrativ ergänzend zur existierenden Forschung anhand einer beispielhaft konkreten Analyse des von Bean herausgegebenen Anzac Book von 1916 illustrieren. Anschließend werde ich den Niederschlag des Narrativs in einem exemplarischen Blick auf die genannten Romane Manns und Mannings rekonstruieren und erläutern, inwiefern die Konstruktion nationaler australischer Identität, zu deren Zweck die Anzac-Legende ursprünglich dienen sollte, dann doch in deren Relativierung oder sogar Dekonstruktion umschlägt. Wann immer sich interessante Einsichten aus der Kontrastierung mit der zeitgenössischen Erinnerungskultur in Deutschland bzw. mit der komplementären Variation bestimmter Spielarten nationaler soldatischer Identität im deutschen Kriegsroman ergeben, werde ich auch darauf zu sprechen kommen. Unter dem Strich soll sich so ein umfassendes Bild des narrativen Konstrukts von deutschen ‚Frontsoldaten‘ und vor allem von australischen ‚Diggers‘ und ‚Anzacs‘ im Kontext des Weltkriegsromans ergeben.

Das making of der Legende – Diggers und Anzacs Unmittelbar nach dem Kriegseintritt Großbritanniens am 4. August 1914 sagt Australien der britischen Krone militärische Unterstützung in Form eines Kontingents von 20.000 Mann zu. Aus den vorhandenen Streitkräften lässt sich diese Zahl allerdings nicht rekrutieren, sodass ein Aufruf an Kriegsfreiwillige

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ergeht, die sich tatsächlich auch schnell finden. Dieses Spezifikum ist wichtig, um das Selbstverständnis der australischen Truppen nachvollziehen zu können: Obwohl sie dem Oberkommando der britischen Armee unterstellt war, setzte sich die Australian Imperial Force – im Gegensatz zur britischen Armee – bis Kriegsende aus Freiwilligen zusammen.7 Die australischen Soldaten verstanden sich konsequenterweise von Anfang an als freiwillige Helfer eines in Not geratenen alten Freunds – „these became alert as a wild bull who raises his head, nostrils wide, at the first scent of danger“,8 wie Bean dieses Gefühl metaphorisch überhöht zusammenfasst – und nicht als einfach nur ihre Plicht tuende Befehlsempfänger britischer Offiziere. Die australischen Truppen, die am 25. April 1915 schließlich ihren ersten Kampfeinsatz auf Seiten der Entente haben sollten, bezeichneten sich ab 1916 selbst zumeist als „Digger“. Hinsichtlich der Herkunft dieser Begrifflichkeit gibt es mehrere Theorien, die auch zu Kriegszeiten schon zirkulierten: Viele der australischen Soldaten insbesondere im Zweiten Burenkrieg (1899–1902) waren ehemalige Goldgräber und Minenarbeiter, unter den neuseeländischen Soldaten gab es viele als „gum-digger“ bezeichnete Wanderarbeiter, die vormals im Bereich des Abbaus von Kauri-Harz beschäftigt gewesen waren. Ebenfalls treffend bezüglich der einschlägigen Namensgebung, aber dennoch wohl eher von anekdotischer Relevanz, ist der gelegentlich zitierte Hinweis, den der Oberbefehlshaber der Allied Mediterranean Expeditionary Force, General Ian Hamilton, dem Kommandanten der Anzac-Truppen General William Birdwood nach der Landung in Gallipoli brieflich mit auf den Weg gab: „You have got through the difficult business“, war sich Hamilton sicher, „now you only have to dig, dig, dig, until you are safe.“9 Wie es sich auch um die Ursprünge der Begrifflichkeit verhalten mag: Die Qualitäten des prototypischen Diggers gehen zurück auf den populären Mythos vom australischen „bushman“: „Historically, the Australian myth of manhood descends from the popular idea of the bushman: the explorer, the adventurer, independent, egalitarian, anti-authoritarian, a good shot and horseman, full of mateship and courage“.10 Dem typisierten Digger wurden also bereits viele der 7 Vgl. Alistair Thomson: Anzac Memories. Living with the Legend. New Edition. Clayton: Monash University Press, 22013, 31. 8 Charles E. W. Bean: The Story of Anzac from the outbreak of war to the end of the first phase of the Gallipoli Campaign, May 4, 1915. (= The Official History of Australia in the War of 1914– 1918. Volume I). Sydney: Angus & Robertson, 111941, 15. 9 Zitiert nach: Alan Moorehead: Gallipoli. Hertfordshire: Wordsworth, 1997, 130. Ausführlich und detailliert zur Etymologie und kulturgeschichtlichen Hintergründen des Digger-Begriffs vgl. Amanda Laugesen: Furphies and Whizz-bangs. Anzac Slang from the Great War. Oxford: Oxford University Press, 2015, 28–32. 10 Ryszard W. Wolny: „The War Quandry. Some Notes on the Images of the Great War in Pre1939 Australian Literature“. In: Anna Branach-Kallas/Nelly Strehlau (Hg.): Re-Imagining the First World War. New Perspectives in Anglophone Literature and Culture. Newcastle: Cam-

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Charakteristika zugesprochen, die ich einleitend schon als Teil von Beans später erzählter Anzac-Legende ausgemacht hatte. Synonym sind die Bezeichnungen Digger und Anzac jedoch nicht. Alistair Thompson, der eine Reihe von qualitativen Untersuchungen zur Anzac-Legende unter anderem in Form von Interviews mit australischen Weltkriegsveteranen unternommen hat, weist explizit auf die Differenzierung hin: „Most of the men I interviewed referred to themselves as ‚diggers‘ and not ‚Anzacs‘. Though digger culture asserted a common national identity, it was primarily the identity of the Australian other ranks, and it did not necessarily carry the patriotic meanings that informed the language of ‚Anzac‘. The digger culture of the other ranks was defined and reproduced in codes of behaviour about and attitudes to mateship (no true digger would leave his mates), authority (diggers did not salute officers) and life out of the line (diggers were drinkers, gamblers and womanisers).“11

Interessant ist hier nicht nur die Differenzierung zwischen Diggers und Anzacs, sondern die Beobachtung, dass die australischen Soldaten nicht ausschließlich passive Objekte einer ihnen von außen aufoktroyierten Identität waren. Sie gestalteten die spätere Anzac-Legende auch aktiv mit, indem sie sie gewissermaßen zwangen, bestimmte realiter vorhandene Charakteristika der australischen Soldaten zu adressieren und diese gegebenenfalls abzuschwächen oder ins Positive umzudeuten. Der unter dem Strich doch stets liebenswerte Anzac-Rowdy war zu einem Gutteil auch die Weichzeichnung des Diggers, der die britische Armeeleitung durchaus vor ernstzunehmende disziplinarische Probleme stellte: „[A]bsence without leave, drunkenness, and disrespect to officers were common AIF offences, despite repeated attempts by the Australian staff to improve the behaviour and image of their troops. At one point the proportion of Australians in punitive detention was about nine times that of the British army as a whole.“12

Für die letztliche Ausformung der Anzac-Legende, so wie sie auch heute noch in Australien geläufig ist, zeichnete dann Charles W. Bean verantwortlich. Wie der schon zitierte britische Kriegskorrespondent Ashmead-Bartlett war Bean selbst Teil der Landung der australischen Truppen in Gallipoli und begleitete diese auch bridge Scholars Publishing, 2015: 224–233, 229. Analog vgl. Tomasz Gadzina: „The Anzac Legend and Australian National Identity One Hundred Years After the Great War“. In: Anna Branach-Kallas/Nelly Strehlau (Hg.): Re-Imagining the First World War. New Perspectives in Anglophone Literature and Culture. Newcastle: Cambridge Scholars Publishing, 2015: 234– 246, 235: „In 1915, the digger was the figure forged by tough experience of life in the outback and endowed with qualities originally assigned to the bushman: endurance, independence, courage, the spirit of mateship, resourcefulness, larrikin sense of humour, poor discipline, and disrespect for authority and, as such, the digger constituted the core of the Anzac legend.“ 11 Thomson: Anzac Memories, 51. 12 Ebd., 38. Ebd. weiter: „[I]ndeed, official and journalistic writing was often intended to counter troubling aspects of digger culture.“

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in späteren Einsätzen an der Westfront. Auch wenn er nicht direkt in die Kampfhandlungen selbst verwickelt war, sicherte dieses ‚Dabeigewesensein‘ nicht nur Beans Akzeptanz innerhalb der Truppe, sondern vermittelte auch den Lesern seiner Kriegsberichte den Eindruck, dass hier jemand sprach, der wusste, wovon er redet. Die allgemeinen Inhalte der Anzac-Legende und der historische Rahmen ihrer Inauguration sind, wie ich oben schon gesagt hatte, insgesamt zufriedenstellend aufgearbeitet. Exemplarisch sei – als eine konzise Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte unter vielen – noch einmal auf Thomson verwiesen: „The Australian soldier of the legend was enterprising and independent, loyal to his mates and to his country, bold in battle, but cheerfully undisciplined out of the line and contemptuous of military etiquette and the British officer class. The Australian army suited his egalitarian nature: relations between officers and other ranks were friendly and respectful, and any man with ability could gain promotion. According to the legend these qualities, fostered in the Australian bush, discovered and immortalised in war, typified Australians and Australian society, a frontier land of equal opportunity in which enterprising people could make good. This was the nation that ‚came of age‘ at Gallipoli.“13

Aus einem diese allgemeinen statements ergänzenden Blick auf Beans Anzac Book erschließt sich nicht nur in exemplarischer Konkretheit, was sich denn genau hinter den stilisierten Eigenschaften verbarg, sondern wie Bean versuchte, auf ingeniöse Weise ein authentisches Kriegserlebnis narrativ zu überformen, um daraus eine in ihrer Unterkomplexität und ihren Heroisierungstendenzen eingängige nationale Legende zu entwickeln. Dass er dabei wohlgemerkt nicht ausschließlich von propagandistischen Impulsen geleitet war, sondern durchaus auch von einem akribischen historischen Interesse, das ihn unter anderem dazu brachte, ganze 283 Notizbücher mit Aufzeichnungen zum Kriegsverlauf zu füllen, steht außer Frage. Das 1916 publizierte Anzac Book gilt gemeinhin als der Text, der das Bild des Anzacs innerhalb der australischen Erinnerungskultur erstmals etabliert hat, als „the first and classic statement of the Anzac legend“.14 Das Titelblatt des Bands (Abb. 1) ist dominiert von der Illustration eines australischen Soldaten, der, das Gesicht im Wind, vor dem Hintergrund einer zerschlissenen Flagge mit stoisch in die Ferne gerichtetem Blick dem harrt, was da noch kommen mag. Er ist keineswegs unversehrt, ein breiter Kopfverband zeigt ebenso wie die nachlässig getragene Uniform und das mit sicherem Griff vor dem Körper gehaltene Gewehr, auf dem noch das Bajonett aufgepflanzt ist, dass er kampferprobt ist und die in der aufrechten Haltung demonstrativ angezeigte Tapferkeit im Ernstfall 13 Ebd., 31–32. 14 Stanley: ‚He was black, he was a White man, and a dinkum Aussie‘, 214.

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erwiesen hat. Unten auf dem Titelblatt annonciert dann der Hinweis „Written and Illustrated in Gallipoli by the Men of Anzac“, dass hier eine authentische Sammlung von Eindrücken der australischen Truppen im Rahmen der Kampfhandlungen in Gallipoli vorliegen soll. Um diesen Eindruck einer Konfrontation mit ungefilterten Eindrücken aus erster Hand nicht zu trüben, nimmt sich der eigentliche Herausgeber Bean so weit zurück, dass man ihn kaum mehr identifizieren kann. Selbst die den Beiträgen vorangestellte „Editor’s Note“ ist lediglich mit „The Anzac Book Staff“ unterzeichnet, nur im Text des Vorworts selbst findet sich gegen Ende ein unscheinbarer Hinweis auf „C. E. W. Bean, editor“.15

Abb. 1: Titelblatt von Beans The Anzac Book (1916)

Obwohl die „Men of Anzac“ als Autoren angegeben sind, ist dieser ostentative Repräsentationsanspruch de facto problematisch. Die 150 Beiträger, die der Band umfasst, entsprechen nur etwa 0,1 % der 134.722 bis zum Entschluss zur Evakuierung am 16. November 1915 tatsächlich auf der Halbinsel Gallipoli eingesetzten alliierten Truppen. Viele der Beiträger sind zudem Journalisten oder professionelle Kriegsberichterstatter, die, wie Bean selbst, nicht unbedingt als

15 Charles E. W. Bean (Hg.): The Anzac Book. London: Cassell and Company, 1916, xv.

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Anzacs gelten können – schon gar nicht im Sinne des auf dem Titel abgebildeten Infanteristen. Dass sich das Buch aber nicht, wie man ob der pathetischen Titelillustration vermuten könnte, in einer naiven Heroisierung der Anzac-Truppen erschöpft, machen einige andere Illustrationen deutlich.16 Bereits direkt unter dem Vorwort findet sich eine skizzenhafte Gegenüberstellung (Abb. 2), die das Verhältnis der Vermittlung eines Ideals und der Realität aufgreift.

Abb. 2: The Ideal And The Real. Illustration aus Beans The Anzac Book (1916)

Unter der mit „The Ideal“ kommentierten, von der Brust aufwärts gezeichneten Darstellung eines grimmig blickenden Soldaten, der mit aufgepflanztem Bajonett vorwärts stürmt, findet sich die unheroische Abbildung eines schwer beladenen, sich erschöpft ohne erkennbares Ziel vorwärtsschleppenden Soldaten, die der Autor der Zeichnung mit „And the Real“ untertitelt. Derartige Ambivalenzen, die sich immer wieder im Verlauf des Anzac Book finden, weisen Bean als jemanden aus, der nicht nur die dehumanisierenden Grausamkeiten des Kriegs für das Publikum etwas abzumildern versuchte, sondern der konsequent eine editorische Strategie verfolgte: Durch den Verzicht auf allzu simplizistische und 16 Im Unterkapitel „The legend and reality“ ist diese ambivalente Dimension der Arbeit Beans scharfsinnig aufgearbeitet in: Beaumont: The Anzac legend, 157–161.

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beschönigende Heroismen wird eine Authentizität für das im Band bildlich und sprachlich Dargestellte reklamiert. Es wird signalisiert, dass hier keineswegs stilisierte Helden vorgeführt werden, sondern auch die Wirklichkeit: Es geht darum, „the Real“ zu zeigen, den unheroischen Alltag und auch das Leid der Anzacs. Durch dieses inkrementelle Zugeständnis an die Kriegsrealität wird aber kaschiert, dass die eigentliche Kriegsrealität um ein Vielfaches schrecklicher war, als die nur scheinbar authentische Darstellung suggeriert. Infanteristen waren nicht nur auch einmal erschöpft, sondern starben vor Erschöpfung, sie hatten nicht nur ab und an Kopfverbände, sondern schlimmste Verstümmelungen.17 Authentizität in diesem Ausmaß will Bean aber nicht zulassen, diese Dimension des Kriegs wird konsequent verschwiegen. Ein weiteres Beispiel, das diese Strategie entlarven helfen kann, ist die porträthafte Darstellung eines Soldaten auf Seite 23 des Anzac Book.

Abb. 3: David Barker: At The Landing, And Here Ever Since. Bleistiftzeichnung in Beans The Anzac Book (1916)

Die Zeichnung entspricht geradezu paradigmatisch dem Klischee des Diggers. Man hat es wahrlich nicht mit Achill zu tun – hier wird kein Held im traditionellen Sinn über eine idealisierte Körperlichkeit als übermenschlich inszeniert. 17 Thomson konnte auch in empirischen (qualitativen) Studien nachweisen, dass die AnzacLegende und die tatsächlich erlebte Kriegsrealität von australischen Weltkriegsveteranen dementsprechend divergiert. Vgl. exemplarisch Thomson: Anzac Memories, 32: „Yet their [von Thomson befragte australische Weltkriegsveteranen; T. P.] testimony records a war experience that was much more complex and multifaceted than the homogeneous identity of the legend, and which sometimes even contradicts the legend.“

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Stattdessen sieht sich der Leser einem glaubhaften, sympathisch grinsenden good mate von nebenan gegenüber, dessen Nase zu groß ist und dessen Zähne auch schon bessere Tage gesehen haben. Eine abgebrochene, aber immer noch rauchende Zigarette im Mund, die auf ein abgeknicktes Ohr gestülpte, zu groß geratene Mütze und der nachlässig geöffnete Hemdkragen signalisieren die antiautoritäre Lässigkeit eines Typen, auf den man sich verlassen kann, auch wenn er es mit den Regeln nicht allzu genau nehmen mag. „At the Landing, and here ever since“, bestätigt die Bildunterschrift diesen Eindruck. Eine Verletzung weist darauf hin, dass auch dieser Mann im Kampfeinsatz gewesen sein muss. Aber sie suggeriert gleichzeitig, dass alles halb so wild war: Der Soldat hat nicht nur seine gute Laune bewahrt, mehr als ein Sonnenbrand und ein kleines Pflaster an der linken Seite des Kinns sind nicht zurückgeblieben. Dieser Art ist die Darstellung des Kriegs in Beans Anzac Book: kein Zuckerschlecken, aber nichts, was ein echter Digger nicht hinbekommen würde. Zigaretten werden schon einmal abgeknickt, aber sie rauchen trotzdem noch. Beschwernisse gibt es durchaus, grausames Leiden nicht. Natürlich wird man auch als Anzac zwar verletzt, nachhaltig traumatisiert und schwer verstümmelt aber niemals. Und wenn es hart auf hart kommt, kann man sich immer auf die Kameradschaft von Männern wie dem eben beschriebenen verlassen, von der das Anzac Book extensiv Bericht erstattet. In seinen privaten Aufzeichnungen aus Gallipoli gibt Bean dabei durchaus zu, dass er einen Mantel des Schweigens über „the horror and beastliness and cowardice and treachery“ des Krieges geworfen habe. „[E]ven Australian soldiers“ seien regelmäßig desertiert, hätten teils panische Angst vor dem Kampfeinsatz gehabt und sich gelegentlich sogar Finger abgeschossen, um nicht an die Front zu müssen.18 Davon ist im nur oberflächlich authentischen Anzac Book keine Rede und auch in Beans späteren Berichten von der Westfront in Frankreich, wo die erlebten Grausamkeiten im Vergleich mit Gallipoli noch einmal potenziert waren, hört das heimische Publikum davon nichts. Die geschickte Vermischung von fiktionalen und dokumentarischen Inhalten unterstützt die von Bean intendierte Konstruktion von Authentizität zusätzlich. Diverse Fotografien der Kampfplätze oder der Anzacs, die auch auf Fotos so posierten, wie es die Gedichte oder Prosaskizzen im Band beschrieben, erzeugten beim australischen Publikum den Eindruck, insgesamt mit einer Quelle konfrontiert zu sein, der man gerne glauben konnte, dass hier in verschiedenen Medien immer wieder der prototypische Australier und Neuseeländer vorgeführt wurde, wie er sich an der kleinasiatischen Küste der Welt offenbart hatte. Der Anzac-Mythos war geboren. 18 So Bean in einem Tagebucheintrag vom 26. 09. 1915. Zitiert nach: Kevin Fewster (Hg.): Gallipoli Correspondent. The Frontline Diary of C. E. W. Bean. Sydney: Allen & Unwin, 1983, 157.

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„Diggers“ und „Anzacs“ im australischen Weltkriegsroman: Die Beispiele Flesh in Armour und The Middle Parts of Fortune Flesh in Armour, der 1932 publizierte Erstling des 1895 in Melbourne geborenen Leonard Mann, ist eines der bekanntesten Zeugnisse australischer Weltkriegsliteratur. Über weite Strecken entspricht die Darstellung der australischen Soldaten im Buch der Anzac-Legende. Die Protagonisten bilden teilweise geradezu paradigmatisch das von Bean inszenierte Narrativ ab. Bevor sie an die Front transportiert werden, treiben sich die australischen Soldaten in London herum, das ihnen, wie es sich für einen echten Digger gehört, im Vergleich zu ihrer Heimat aber kalt und fremd erscheint: „Since he had been in England, however, the feelings […] of his distinctive Australian nationality were nurtured by his resentment towards this cold alien England.“19 Die Protagonisten verspüren einen „pride of being an Australian“20 und entsprechen der Vorstellung vom Anzac-Australier auch dadurch, dass sie ihre rauen, aber letztlich harmlosen Späße mit der britischen upper class treiben.21 Auch erste Kampfhandlungen ändern nichts an der Einstellung und Lebensart der Australier. Noch während des Exerzierens führt der den Australiern eigene antiautoritäre Affekt einerseits zu slapstickhaften Pennälerstreichen – „Once Darkey Snow tripped himself deliberately and fell flat on his stomach right before the colonel“22 – und andererseits zu einer Verbrüderung zwischen den Mannschaften: Die kampferprobten Aussies betrachten neue Rekruten nämlich nur so lange mit kritischem Blick, bis sie mitbekommen, dass diese von einem Offizier mit sinnlosen Befehlen schikaniert werden. Sofort ändert sich die Szenerie: „The Aussies’ bad temper evaporated, and they began to chaff and even invite the Chums into the holes.“23 Späße der Australier werden auch von anderen Nationalitäten nie übel genommen, britische Soldaten der Artillerie etwa „only grinned good-humouredly at the Aussies’ envy, for it was devoid of malice.“24 Wenn der Erzähler Einblick in die Gedankenwelt der Protagonisten gibt, ist diese ebenfalls immer wieder ein19 Leonard Mann: Flesh in Armour. A Novel. Columbia: University of South Carolina Press, 2008, 15. 20 Mann: Flesh in Armour, 16. 21 Vgl. exemplarisch die Episode, in der die Protagonisten zu Besuch in einer klischeehaft karikierten Londoner Upper-class-Familie sind: „Bill soon flung all verisimilitude aside“, berichtet der Erzähler in diesem Kontext, „and pulled the legs of his listeners to his great, sly enjoyment, with tales just like those they expected, fights with blacks and chases after bushrangers and snake yarn after snake yarn, until at last he became so preposterous that Charl and Frank began to cackle and then roar with laughter, which put an end to the yarning.“ (Ebd., 34). 22 Ebd., 48. 23 Ebd., 89–90. 24 Ebd., 128.

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mal mit Fragen der Nationalität befasst: „The Australians – the Australians. Ah, if the five divisions had been there, company on company. But they were scattered into different corps. They should all be one – one corps, one and indivisible in body as they were in spirit. Were the Tommies afraid of the new nations?“25 Bis ins Detail entsprechen die Charaktere also dem Bild des Anzacs – sie haben sogar eine Vorliebe für Byron’s Don Juan, weil sie sich in den Strophen „The sun set, and up rose the yellow moon. // The devil’s in the moon for mischief“ schmunzelnd selbst erkennen. Eine Episode, die bald ein ganzes Kapitel des Romans umfasst, bringt nahezu alle der genannten Aspekte zugespitzt zur Darstellung. „The Duchess of Stexte, patroness of the hospital“, so heißt es in Kapitel XXVII, „had graciously intimated that on Wednesday she would be glad to receive some of the inmates at the Castle; not more than twenty, and they were to include the Colonial troops.“26 Schon im Ton des Erzählers deutet sich der die versnobte britische Aristokratie karikierende Gestus an, der direkt mit der renitenten Direktheit der Aussies konfrontiert wird: „Oh, we don’t mind going to see the old geezer“,27 antworten diese auf die ihnen erwiesene Ehre. Und der Besuch auf dem Schloss der Herzogin wird dann auch zum amüsant gestalteten Fiasko. Obwohl sie sich einer gewissen Überwältigung durch das altehrwürdige Ambiente nicht entziehen können, und obwohl sie eigentlich Rekonvaleszenten mit teils noch keineswegs ausgeheilten Verwundungen sind, ergehen sich die Anzacs in ständigen infantilen Späßen – „Monty took a two-handed battle-axe off the wall and balanced it in his hands. […] ‚Ow’d you like a knock with that, chum?‘ ‚Wot abaht yerself, digger?‘“28 – und machen sich über den hochnäsigen Duktus ihrer Gastgeberin lustig. Viele der schon bekannten Charakteristika der Anzacs haben wir erneut überdeutlich vorgeführt: Die anti-aristokratische bzw. anti-autoritäre Geisteshaltung, die Tendenz, um eigenen Verletzungen oder erlittenes Leid nicht allzu viel Aufhebens zu machen, den Hang zum Rowdytum, der aber nie ins Bösartige umschlägt, und die unverbrüchliche Kameradschaft untereinander. Frederic Mannings 1929 erstveröffentlichter Roman The Middle Parts of Fortune, dessen äußere Handlung sich im Wesentlichen auf die Ereignisse der Sommeschlacht bezieht, stellt mit Bourne einen Protagonisten ins Zentrum, der an sich durchaus nicht dem Klischee des Diggers entspricht. Bourne ist eher ein 25 Ebd., 134. Für die Sehnsucht, ihre eigene Nationalität auch auszustellen, vgl. zudem ebd., 184: „In the common, blue uniform, the Australians were distinguished only by their hats […] ‚Seven day leave‘ hats they were called, because by the end of that period they would change their colour to a bilious, purply shade. Still, they were better than nothing to men who were anxious when they went abroad to show some sign of their distinctive nationality.“ 26 Ebd., 193. 27 Ebd., 195. 28 Ebd., 197.

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„queer chap“29, der durchgehend „indifferently“ oder „disinterestedly“ über Kriegserlebnisse und seine Beziehung zu Kameraden spricht und sich in diesem Sinne weniger als schulterklopfend jovialer Kumpel und Kamerad und mehr als existentialistischer Solitär erweist – „he liked the solitude and emptiness of the night. One bathed one’s soul in that silence, as in a deep, cold pool“,30 heißt es über ihn. Und doch hat auch The Middle Parts of Fortune „its Australian tinge“,31 wie Niall Ferguson das im Vorwort zu Mannings Roman formuliert. Obwohl der in England aufgewachsene, mit Ezra Pound und Richard Aldington befreundete Manning selbst seine australischen Ursprünge gern verschwieg, sei er, genau wie der autobiographisch inspirierte Protagonist Bourne, „a Digger at heart“32 gewesen. Ferguson hat mit seiner Einschätzung Recht. Nicht nur „Bourne’s repeated sniping at authority“,33 das Ferguson zur Erhärtung seiner These anführt, spielt eine Rolle, auch andere Momente der Anzac-Legende finden sich deutlich erkennbar im Text. Wiederholt wird der Wert der unverbrüchlichen Kameradschaft unter den Truppen betont, die selbst einem Solitär wie Bourne von ganz entscheidender Wichtigkeit ist und die in direktem Widerspruch zur Offiziersschicht steht: „I am only talking about my own experience in the ranks“, erklärt Bourne etwa im Gespräch mit einem Priester und ergänzt: „It is a hard life, but it has its compensations, the other men have been awfully decent to me; as they say, we all muck in together. You know, Padre, I am becoming demoralised. I begin to look on all officers, N. C. O.s, the military police, and brass-hats, as the natural enemies of deserving men like myself.“34 Auch im Detail scheinen immer wieder Anklänge der Anzac-Legende durch. Als sich ein englischer Soldat etwa damit brüstet, dass die Australier eine Menge besonders verwegener Schimpfwörter von den Engländern lernen würden, kann der Anzac Bourne nur lachen und darauf verweisen, dass die Digger anderes gewohnt sind: „‚You’re learnin’ a lot o’ bad words from us ’ns,‘ said Martlow, grinning. ‚Oh, you all swear like so many Eton boys,‘ replied Bourne, indifferently. ‚Have you ever heard an Aussie swear?‘ ‚No, ’n’ I don’t want,‘ said Martlow.“35 Australische Soldaten strahlen außerdem immer wieder die indolente Lässigkeit aus, die integraler Teil des Anzac-Narrativs ist – „On the march to Lou29 Frederic Manning: The Middle Parts of Fortune. Somme and Ancre, 1916. London: Penguin, 2014, 88. 30 Manning: The Middle Parts of Fortune, 97. 31 Niall Ferguson: „Introduction“. In: Frederic Manning: The Middle Parts of Fortune. Somme and Ancre, 1916. London: Penguin, 2014: vii–xviii, x. 32 Ferguson: Introduction, x. 33 Ebd. 34 Manning: The Middle Parts of Fortune, 80. 35 Ebd., 164.

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„Diggers“, „Anzacs“ und „Frontsoldaten“

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vencourt they passed an Australian driving a horse-drawn lorry, with a heavy load whereon he sprawled, smoking a cigarette with an indolence which Bourne envied“.36 Sie werden deshalb aber nie als Faulpelze oder Feiglinge abqualifiziert, sondern als die Art von Soldaten, die zu unerreichter Tapferkeit bereit ist, wenn es denn eben darauf ankommt. Als die Rede im Lauf des Texts erneut auf den australischen Fahrer aus der eben zitierten Passage kommt, weist auch Bourne ärgerlich genau darauf hin: „Trying to make cheerful conversation, Shem inadvertently mentioned […] the Australian driver. ‚You want a few thousand Australians in the British Army,‘ said Bourne angrily. ‚They would put wind up some of these bloody details who think they own the earth.‘“37 Kurzum: In beiden Romanen werden den australischen Soldaten, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß und mit gelegentlichen Relativierungen, jene Eigenschaften zugeschrieben, die laut Beans Legendenbildung den prototypischen Anzac ausmachen sollen. Bevor ich in einem weiteren Abschnitt die Dekonstruktion dieser legendenhaften Eigenschaften im Trommelfeuer der Sommeschlacht und anderer Materialschlachten analysieren werde, bietet sich der einleitend angekündigte komparatistische Seitenblick auf die narrative Konstruktion des deutschen Weltkriegssoldaten an. Er wird erweisen, dass die am Anzac ausgemachten und zur nationalen Identität stilisierten Eigenschaften keineswegs typisch für die Soldaten einer bestimmten Nation waren, sondern unabhängig von nationaler Zugehörigkeit immer wieder als wesentliche Momente des Soldatischen im Ersten Weltkrieg beschrieben wurden. Auch der deutsche ‚Frontsoldat‘ oder ‚Landsknecht‘ ist charakterisiert als hervorragend tapferer Kämpfer, dessen Ärger immer wieder auf die unfähige Generalität bzw. Offiziersschicht gerichtet ist. Trinkerei und Rowdytum ist ihm ebenso wenig fremd wie Galgenhumor und die Kameradschaft ist über alle deutschen Weltkriegsromane hinweg ebenfalls von überragendem Stellenwert für die Protagonisten. Selbst im Positiven – also bevor die Mörser der Materialschlacht die nationalen Identitäten der Charaktere nivellieren – gibt es also kaum Unterschiede zwischen den Nationalitäten der im Feld stehenden Soldaten. Das Anzac-Narrativ, so muss man zugespitzt formulieren, ist kein national australisches Narrativ, sondern ein international soldatisches Narrativ.

36 Ebd., 188. 37 Ebd., 191.

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„Frontsoldaten“ und „Landsknechte“ im deutschen Weltkriegsroman Im Jahr 1929 und den Folgejahren, in denen The Middle Parts of Fortune und Flesh in Armour erscheinen, ist auch in Deutschland die „literarische Wiedergeburt des deutschen Weltkriegs“38 auf ihrem Höhepunkt angekommen. Nach dem Hoch der Weltkriegsliteratur in den unmittelbaren Nachkriegsjahren geht das Interesse daran spürbar zurück, steigt aber gegen Ende der 1920er Jahre wieder deutlich an. 1926 erschienen lediglich 16 Kriegsromane, 1927 dann 25, 1928 deren 30. 1929 erhöhte sich die literarische Produktion sprunghaft auf 82, 1930 erreichte die Zahl der neuen Publikationen mit 115 schließlich ihren Höhepunkt.39 Der Zugang zum Thema Weltkrieg ist dabei durchaus divergent. Helmuth Kiesel hat in seiner ausgezeichneten Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1918 bis 1933 eine thematische Unterscheidung in „kriegskritische“ und „pazifistische“ Romane, wie etwa Ludwig Renns Krieg (1928), Alexander Moritz Freys Die Pflasterkästen (1929) oder Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues (1929), und „nationalistisch-bellizistische“ Romane, wie Franz Schauweckers Aufbruch der Nation (1929), Werner Beumelburgs Die Gruppe Bosemüller (1930), oder Hans Zöberleins Der Glaube an Deutschland (1931), geltend gemacht.40 Unabhängig von dieser Ausrichtung sind in all diesen Texten aus den späten 1920er Jahren – eine Analogie zu den australischen Kriegsromanen – die Protagonisten keine Offiziere, sondern einfache Infanteristen, Pioniere oder Meldeläufer. In Hinblick auf die Darstellung der Schrecken des Kriegs liegen die pazifistischen und die nationalistisch-bellizistischen Romane näher beieinander, als es die kategorische Differenzen insinuierende Betitelung Kiesels nahelegen mag. Beide Spielarten des deutschen Weltkriegsromans verdeutlichen außerdem, und dies ist für den vorliegenden Beitrag natürlich von besonderem Interesse, die australische Illusion, im Anzac-Mythos eine spezifisch nationale Identität entwickelt zu haben. Alles, was für den Digger und Anzac als charakteristisch ausgemacht wird, findet sich in minimaler Variation auch als Zuschreibung an den deutschen Frontsoldaten. Schon bei den eher nebensächlichen Eigenschaften gibt es erkennbare 38 So schon 1931 der im Krieg selbst schwer verwundete Hermann Cysarz: Zur Geistesgeschichte des Weltkriegs. Die dichterischen Wandlungen des deutschen Kriegsbilds 1910–1930. Halle an der Saale: Max Niemeyer, 1931, 124. 39 Vgl. ausführlicher zu diesen Zahlen und ihren Hintergründen Kiesel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur, 770–771. Den in diesem Zusammenhang oft unterschlagenen Überblick über die dramatische Literatur zum Ersten Weltkrieg liefert Andreas Dorrer: „Verzeichnis der Weltkriegsdramen“. In: Christian Klein/Franz-Josef Deiters (Hg.): Der Erste Weltkrieg in der Dramatik. Deutsche und australische Perspektiven. Stuttgart: Metzler, 2018: 237–258. 40 Vgl. Kiesel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur, Kapitel VI.1.3 und VI.1.4.

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„Diggers“, „Anzacs“ und „Frontsoldaten“

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Analogien: Nicht nur die Anzacs lassen eine deutliche Tendenz zum larrikinism erkennen, auch die deutschen Soldaten werden oft genug als rauen Witzen und rowdyhaftem Benehmen nicht abgeneigt gezeichnet. Ernst Jünger berichtet schon 1924 in den Stahlgewittern von obligatorischen Trinkgelagen und gelegentlich einmal stattfindenden, wenig distinguierten Wettessen – „Wir machten Preisessen und stritten uns darüber, in welcher Lage man am meisten verdrücken könne. Ich war für die stehende“41 – und auch z. B. in Zöberleins Der Glaube an Deutschland nehmen sich die vor Verdun liegenden Frontsoldaten mit derbem Galgenhumor in einer Weise gegenseitig auf den Arm, die vergleichbar mit der oben zitierten Herzoginnenbesuchspassage aus Flesh in Armour ist. In Hinblick auf die Kerneigenschaften des Anzac-Mythos sind die Parallelen sogar noch augenfälliger. In so gut wie jedem deutschen Weltkriegsroman der späten 1920er Jahre finden sich die vermeintlich Anzac-typischen Vorbehalte gegen Autoritäten ausgestellt, unabhängig davon, ob die entsprechenden Texte insgesamt eher in die pazifistische oder die nationalistisch-bellizistische Richtung tendieren. Ludwig Renns gleichnamiger Protagonist aus Krieg berichtet, dass „die Fliegerleute“ von ihm und seinen Infanteriekameraden „wegen ihres anmaßenden Wesens“42 nicht geliebt wurden, und weitet derartige Vorbehalte später auch ins Allgemeine aus, wenn er sich mit seinen Frontkameraden über eine direkte „Feindschaft zwischen der Front und hinten“43 auslässt. Remarques Darstellung des unmenschlichen Unteroffiziers Himmelstoß, der den Mannschaften das Leben zur Hölle macht, ist ohnehin sprichwörtlich geworden. In bellizistischen Romanen finden sich zuhauf analoge Passagen. Werner Beumelburgs Gruppe Bosemüller verwendet einen ganzen Abschnitt auf die Schilderung des Frontbesuchs zweier ahnungsloser „Generalstäbler“, die, ausgestattet mit goldenen Zigarettenetuis und „schönen Uniformen“, in die vordersten Linien vor Verdun geführt werden und überhaupt nicht wissen, wie ihnen geschieht. Vollkommen unfähig, das während der Beschießung des Grabens erlebte Grauen zu verarbeiten, torkeln sie ziellos umher, während die erfahrenen Frontsoldaten nur stumm vor sich hin „arbeiten“ und „von den Generalstäblern keine Notiz“ nehmen. In der fast überpointiert negativen Darstellung der Generalstabsoffiziere wird deutlich gemacht, dass diese mit den tatsächlichen Frontsoldaten und der Art des Kriegs, den sie kämpfen müssen, schlicht nichts mehr zu tun haben. Sie sind unfähig, zu erkennen, dass man „den Krieg vor Verdun nicht mit den anderswo bräuchlichen Grundsätzen messen“44 41 Ernst Jünger: „In Stahlgewittern“ [1924]. In: Helmuth Kiesel (Hg.): Historisch-kritische Ausgabe I. Die gedruckten Fassungen unter Berücksichtigung der Korrekturbücher. Stuttgart: Klett-Cotta, 2013, 41. 42 Ludwig Renn: Krieg. Berlin: aufbau, 2014, 170. 43 Renn: Krieg, 254. 44 Werner Beumelburg: Die Gruppe Bosemüller. Der Roman des Frontsoldaten. Oldenburg: Gerhard Stalling, 1939, 122–125.

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kann. Erneut vergleichbar zu den australischen Anzacs ist dabei die Eigenart der Frontsoldaten, nicht groß Aufhebens um die schier übermenschliche Anstrengung zu machen, die ihnen abverlangt wird. Heroische Gebärden und exaltiertes Großsprechertum sind in der entsprechenden Literatur weder Sache der australischen Anzacs noch der deutschen Frontsoldaten. So ist wenig überraschend, dass gerade der Soldat, der sich in der Gruppe Bosemüller am Vorabend eines geplanten Angriffs angetrunken besonders martialisch gebärdet und „mit rollendem Baß ein altes Landsknechtslied“45 anstimmt, schließlich auch der ist, der Darmprobleme vorschützt, sobald das Regiment in die vorderste Linie rücken soll. Die bescheidene Tapferkeit und die kaum verhohlene Abneigung gegenüber insbesondere militärischen Autoritäten, die die deutschen Frontsoldaten mit den australischen Diggers teilen, werden in beiden Fällen ergänzt durch eine Apotheose der Kameradschaft unter den kämpfenden Truppen. Wie oben schon erläutert hatte Bean diese zum Kern der Anzac-Legende stilisiert und noch in seiner Official History of Australia in the War of 1914–1918 apodiktisch erklärt: „[A] man should at all times and at any cost stand by his mate. This was the one law which the good Australian must never break.“46 Dieser exorbitant hohe Stellenwert der Kameradschaft ist gespiegelt in allen deutschen Kriegsromanen, ob pazifistisch oder bellizistisch-nationalistisch. Die zentrale Differenz zwischen diesen beiden Stoßrichtungen liegt am Ende in der aus den Schrecken und Leiden des Kriegs und der Kameradschaft der Soldaten abgeleiteten Sinngebung, die im Fall bellizistischnationalistischer Romane vorhanden ist und im Fall der pazifistischen Romane fehlt.47 Die Schrecken und Leiden des Kriegs als solche sind in beiden Romantypen gleichermaßen dargestellt. Auch nationalistisch-bellizistische Romane beschönigen das Kriegserlebnis keineswegs, ihre Protagonisten werden reihenweise grauenvoll verstümmelt und getötet.48 In der Konfrontation mit all diesen schrecklichen

45 Ebd., 94. 46 Bean: Story of Anzac, 6. 47 Vgl. analog Kiesel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur, 794: „In dieser nationalen Sinngebung liegt, […] eine wichtige Differenz zwischen nationalistischen und pazifistischen Kriegsromanen; letzteren fehlte in der Regel eine gemeinschaftsstiftende Vision oder Utopie, was ihre Wirkungskraft vermutlich schmälerte.“ Tendenziell kritisch gegenüber dieser Konklusion ist Jörg Friedrich Vollmer: Imaginäre Schlachtfelder. Kriegsliteratur in der Weimarer Republik [Dissertation]. Berlin: Freie Universität Berlin, 2003, 59: „Zumeist wird aber übersehen, daß die Unterschiede in Texten ‚rechter‘ oder ‚linker‘ Provenienz in Bezug auf die Konturierung von ‚Frontkollektiven‘ von lediglich gradueller Natur sind.“ 48 Auch Traumata bzw. Psychopathologien im weitesten Sinn werden dabei nicht verschwiegen. Vgl. exemplarisch Beumelburg: Gruppe Bosemüller, 72: „‚Hüten Sie sich vor Verdun‘, sagt der Leutnant, als spräche er vor sich hin. […] ‚Nun, es ist schwer zu beschreiben. Es ist etwas Besonderes, Abseitiges. Denken Sie nicht, ich sei ein Philosoph, es ist alles ganz nüchterne Wirklichkeit, was ich sage. Man kann dies alles auf die Dauer nicht ertragen, wenn sich die Natur nicht anpaßt. Ich möchte sagen, wer hier gewesen ist, dem ist etwas zerbrochen. Er

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„Diggers“, „Anzacs“ und „Frontsoldaten“

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Erlebnissen bleibt den fiktiven Frontsoldaten nur die Kameradschaft untereinander, die, wie Kiesel zu Recht festhält, im bellizistisch-nationalistischen Roman „eine noch größere Bedeutung als bei Remarque und anderen erhält. Sie ist der Rest einer Nation, die vor dem Krieg nur aus Parteien bestand und sich gegen Ende des Kriegs wieder in Parteien zerlegt, und sie ist zugleich die Keimzelle einer neuen Nation“.49 Der aus dem kameradschaftlichen Fronterlebnis resultierende nationale Gedanke ist dabei scharf unterschieden von bloß abstraktem Patriotismus. Der junge Erich Siewers, eine der Hauptfiguren aus Beumelburgs Gruppe Bosemüller, schreibt schwer verwundet aus dem Lazarett an seinen Freund Wammsch, dass ihm vor Kriegsbeginn „das Vaterland nur als Vorwand gedient hatte für meinen Ehrgeiz und die Sucht, es anderen vorauszutun“. Jetzt aber, nach dem Durchleiden der Hölle vor Verdun, so heißt es paradigmatisch weiter, sei ihm „ein Neues aufgegangen, ein hundertmal Größeres, ein Ungeahntes.“ Dieses Größere seien seine Kameraden: „Das seid Ihr, Du und Bosemüller und Schwarzkopf und die anderen.“ Und aus diesem individuellen und unmittelbaren Erlebnis der Kameradschaft unter schwersten Bedingungen, nicht aus einer bloß abstrakt patriotischen Idee, kann sich dann eine neue nationale Identität entwickeln. Die Analogien zur Konstruktion einer nationalen Identität aus dem Geiste der Anzac-Legende in Australien liegen offen zu Tage. „Vielleicht ist die Kameradschaft“, so formuliert Siewers diesen Gedanken, „nur der kleine, sichtbare, für uns faßbare Teil des Ganzen. […] So ist es wohl, wir müssen von vorn anfangen, vom kleinen Kreis, von Mensch zu Mensch, damit wir nachher das Ganze begreifen können, den großen Kreis.“50 Weil der Krieg bei allem Schrecken damit wenigstens in einer zentralen Hinsicht als sinnvoll verstanden werden kann, sind die entsprechenden Romane mit Recht als bellizistisch rubriziert. Und weil diese Sinnhaftigkeit in der Etablierung einer nationalen Idee besteht – obwohl die Kriegsgegner anderer Nationalitäten dabei typischerweise nicht abwertend dargestellt werden51 –, sind sie auch nationalistisch. Oft hat es dabei allerdings den Anschein, als wäre die nationalistische Dimension in einer bestimmten Hinsicht paradoxerweise geradezu internationalistisch. Die durch das Erleiden des Fronterlebnisses erzeugte Gemeinschaft ist nämlich dergestalt, dass sie eher geeignet ist, eine Nation von kämpwandelt noch unter den anderen, man merkt ihm noch nichts an. Es ist aber doch ein Sprung in ihm, ein Riß. Das Gefäß gibt keinen reinen Ton mehr von sich.‘“ 49 Kiesel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur, 794. 50 Beumelburg: Gruppe Bosemüller, 261. 51 Auch in den nationalistisch-bellizistischen Romanen werden die Kriegsgegner fast ausnahmslos respektvoll und menschlich dargestellt, wie sich exemplarisch an einer Passage ablesen lässt, in der deutsche Frontsoldaten während eines Angriffs auf die französische Stellung einen Kameraden bergen wollen, was die verteidigenden Franzosen gerne gewähren: „‚Scherchong blessee!‘ ruft Wammsch lauf und bleibt stehen. […] Einer der Franzosen steht ebenfalls auf und hebt den Arm hoch. ‚Voila …‘ ruft er. Dann sieht man, daß die Franzosen miteinander sprechen. Dann gehen sie langsam zurück in andere Trichter.“ (Ebd., 189).

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fenden Frontsoldaten zu etablieren als eine Nation von Deutschen. Noch in dem arg primitiv nationalistisch betitelten Der Glaube an Deutschland Zöberleins ist es so, dass die kämpfende Truppe keinerlei Verständnis für die müßigen Debatten über Kriegsziele, Bedingungen des Friedensschlusses etc. hat, die die deutschen Landsmänner und -frauen in der Heimat führen. Obwohl diese natürlich auch Deutsche sind, verbindet sie nichts mit den Frontsoldaten. Eher empfinden diese eine Art wortloser Übereinkunft mit den Frontsoldaten anderer Nationalitäten, mit denen sie eben das Erlebnis teilen, aus dem sie selbst einen nationalen Gedanken entwickeln konnten. Wenn sich – und dies scheint mir ein wichtiger letzter Gedanke zum nationalistisch-bellizistischen Kriegsroman im Deutschland der späten 1920er Jahre, der uns auch zurück zum Nationalismus der Anzac-Legende im australischen Kriegsroman bringt – in entsprechenden deutschen Texten ein wahrhaft dumpfer und kriegsaffirmativer Nationalismus findet, dann liegt das in der Hauptsache daran, dass die individuelle Dimension des Kriegserlebnisses ausgeblendet wird. Dass Beumelburgs Sperrfeuer um Deutschland tatsächlich ein nationalistisches Machwerk unterster Schublade ist, liegt darin begründet, dass es sich eben nicht auf die individuelle Perspektive des Kriegserlebnisses einlässt, sondern metonymisch im Stile einer pseudo-historischen Abhandlung über ehrenhafte Handlungsmotivationen „Deutschlands“ doziert (dabei zum Teil auch historische Fakten missverständlich oder schlicht falsch wiedergebend52), „[d]ie Russen“ generell als an Kampfeskraft unterlegen und „[s]tumpfsinnig“53 beschreibt, oder einen allgemeinen „Vernichtungswille[n] der Gegner“54 Deutschlands herbeiphantasiert.55 Derartig pauschaler Unsinn hat immer dann, wenn das individuelle 52 So ist z. B. Beumelburgs Darstellung des „Vertrags zwischen dem Deutschen Reich und dem Vereinigten Königreich über die Kolonien und Helgoland“ vom 01. Juli 1890 irreführend bzw. sachlich falsch. Beumelburg schreibt dazu: „Nur zögernd und mit unsicher tastenden Schritten betrat Deutschland den Weg der Kolonialpolitik, der ihm durch seine Industrialisierung und seine Entwicklung zum Welthandelsvolk vorgeschrieben war. Als Bestreben galt, niemanden zu reizen und niemandes Groll zu erregen. Kennzeichnend für Deutschlands Zurückhaltung und für die Hauptbewertung unserer Stellung auf dem Festlande ist der unter Caprivis Kanzlerschaft abgeschlossene Vertrag, der die Insel Sansibar in Ostafrika gegen das kleine Felseneiland Helgoland in der Nordsee eintauschte.“ (Werner Beumelburg: Sperrfeuer um Deutschland. Oldenburg: Gerhard Stalling, 1929, 15). Irreführend bzw. falsch ist diese Darstellung insofern, als Sansibar nie im Besitz des Deutschen Reichs, sondern zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein freies Sultanat war. Ein „Tausch“ im eigentlichen Sinn, zumal einer, der von Beumelburg tendenziell so gezeichnet wird, als sei das Deutsche Reich über den Tisch gezogen worden, weil es nur ein „kleine[s] Felseneiland“ erhalten habe, fand also gar nicht statt. Das Deutsche Reich verzichtete lediglich abstrakt auf die Geltendmachung von Besitzansprüchen in den entsprechenden ostafrikanischen Gebieten. 53 Beumelburg: Sperrfeuer um Deutschland, 51. 54 Ebd., 286. 55 Derselbe Mechanismus scheint mir in nuce schon in den Kriegsschriften Jüngers beobachtbar zu sein. Dessen Versuche einer philosophischen Validierung des Kriegs z. B. im Kampf als

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„Diggers“, „Anzacs“ und „Frontsoldaten“

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Erleben der Frontsoldaten authentisch geschildert werden soll, schlicht keinen Raum. Eben deshalb, und dies wird der letzte Abschnitt noch offenzulegen versuchen, muss auch die bis heute politisch und soziologisch so robuste AnzacLegende im australischen Kriegsroman schließlich ihrer Dekonstruktion anheimfallen.

„Neither Fritz, nor Tommy, nor Poilu, nor Digger, nothing but a string of bones.“ – Die Dekonstruktion nationaler Identität im australischen Kriegsroman Die für diesen Abschnitt titelgebende Stelle aus Flesh in Armour ist in Hinblick auf die Dekonstruktion nationaler Identität im australischen Kriegsroman geradezu paradigmatisch. In einem umkämpften Grabenabschnitt sind die australischen Truppen bei Aufräumarbeiten mit dem Anblick des aus dem Boden ragenden Arms eines Soldaten konfrontiert: „Sticking out of the earth where the frames had been blown off was a forearm and a hand, an arm on which hung some dirty shreds, and the skeleton of a hand, thin, white bones stuck together by withered sinews and mud. Neither Fritz, nor Tommy, nor Poilu, nor Digger, nothing but a string of bones.“56

In diesem symbolischen Moment, in dem den Australiern die Sterblichkeit und Verletzlichkeit des menschlichen Körpers noch einmal direkt und unmittelbar vor Augen geführt wird, lösen sich Fritz-Tommy-Poilu-Digger-Nationalismen in der Erkenntnis einer allen kämpfenden Soldaten gemeinsamen Kreatürlichkeit auf. Es ist kein Deutscher, kein Engländer, kein Franzose und kein Australier, sondern schlicht ein Mensch, dessen Körper hier verwest. Die Szene macht einen Mechanismus greifbar, der an verschiedenen Stellen der australischen Kriegsromane beobachtbar ist: Je direkter die Konfrontation mit den Schrecken des Kriegs ist, desto nachhaltiger werden die narrativen Konstruktionen abstrakter inneres Erlebnis gehen nämlich ebenfalls einher mit dem Verzicht auf die individuelle Perspektive des den Krieg erlebenden Soldaten. So philosophiert Jünger etwa über den Landsknecht: „[D]er Landsknecht. In ihm schlugen die Wellen der Zeit ohne Mißklang zusammen, Krieg war sein ureigenstes Element. Er trug den Krieg im Blute, wie ihn römische Legionäre oder mittelalterliche Landsknechte im Blut trugen. […] Scharf, wie von einer anderen Rasse, hob er sich ab von den in Waffen gesteckten Spießbürgern, dem in den Volksheeren, diesem militärischen Ausdruck der Demokratie, zuletzt überwiegenden Typ.“ (Ernst Jünger: „Der Kampf als inneres Erlebnis“ [1922]. In: Essays I. Betrachtungen zur Zeit (Sämtliche Werke 7). Stuttgart: Klett-Cotta, 1980: 9–103, 56). Derartige heroische Idealisierungen sind nur über einen abstrakten „Landsknecht“ zu treffen, im individuellen Erleben sind sie auch bei Jünger – etwa in den Stahlgewittern – nicht haltbar. 56 Mann: Flesh in Armour, 168.

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nationaler soldatischer Identität dekonstruiert. Oder, wie man diese Erkenntnis auch formulieren könnte: Im direkten Angesicht des Grauens und Todes wird in der Kriegsliteratur jener verhüllende Schleier, jener Mantel des Schweigens, den Bean im Rahmen der selektiven Konstruktion der Anzac-Legende über „horror and beastliness and cowardice and treachery“57 des Kriegs werfen wollte, weggerissen und ein unverstellter Blick auf das freigegeben, was sich abseits von der nationalen Legendenbildung im Krieg ereignen musste. Sowohl Flesh in Armour als auch The Middle Parts of Fortune scheuen sich nicht, selbst noch den Kern des Anzac-Mythos als idealisierte Illusion zu erweisen. Zwei Beispiele helfen diese These zu illustrieren: Sowohl die ideologisch gelassene Haltung des Diggers, der nur ein einfacher Mann ist und abseits der Verbissenheit alter europäischer Erbfeindschaften lediglich einem in Not geratenen Freund beisteht, als auch der Kern der Legende selbst, die sagenumwobene australische Kameradschaft, zerfallen in den Romanen. In beiden Texten gibt es eine fast analoge Passage, in denen die Anzacs nach heftigen Kämpfen von Wut und Haß und Blutdurst übermannt werden und sogar sich ergebende und wehrlose Gefangene erschießen. In Flesh in Armour heißt es: „The Germans, about fifty yards away – seven or eight of them – jumped up and put their hands over their heads. […] Johnny Wright […] ran right up to an officer and shot him, and then the man beside him. The remaining Fritzs cried out. Jack Skipton shot one of the men at the gun with his pistol. The Australians crowded around the group of prisoners, and Dopey Kendall punched one, who seemed to say something nasty, in the mouth.“58

Die entsprechende Passage in The Middle Parts of Fortune ist sogar noch schockierender in ihrer Explizitheit: „[T]hree men ran towards them, holding their hands up and screaming; and he [der Protagonist Bourne] lifted his rifle to his shoulder and fired; and the ache in him became a consuming hate that filled him with exultant cruelty, and he fired again, and again. […] ‚Kill the buggers! Kill the bloody fucking swine! Kill them!‘“59

Offensichtlich ist es kaum vorstellbar, dass der good mate von nebenan, den Bean in seinem Anzac Book als Illustration des australischen Soldaten vor Augen geführt hatte, zu solchen Taten fähig sein könnte. Die Realität des Kriegs offenbart das Gegenteil. Und sie offenbart weiter, dass auch das eherne Gesetz der unverbrüchlichen australischen Kameradschaft, jenes eine Gesetz „which the good Australian must never break“,60 schließlich doch in die Brüche gehen muss. Das Ende von Flesh in Armour ist in dieser Hinsicht eindeutig: Die Protagonisten 57 58 59 60

Bean: Frontline Diary, zitiert nach: Fewster: Gallipoli Correspondant, 157–158. Mann: Flesh in Armour, 293. Manning: The Middle Parts of Fortune, 217. Bean: Story of Anzac, 6.

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„Diggers“, „Anzacs“ und „Frontsoldaten“

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Charl und Frank gehen mit wütenden Faustschlägen aufeinander los und die anderen Kameraden ihres Regiments sind mittlerweile zu abgestumpft, um etwas dagegen zu unternehmen („It was beastly, but the others would do nothing to stop it.“61). Frank erleidet kurz darauf einen Nervenzusammenbruch, wird katatonisch („he sank back into the trench, his nerves and muscles helpless“62) und lässt Jim beim Angriff auf einen deutschen Graben im Stich, weswegen dieser stirbt. Daraufhin sprengt sich Frank mit einer Handgranate selbst in die Luft, was von den Überlebenden nur noch mehr oder weniger emotionslos zur Kenntnis genommen wird („‚One more of us gone, sir‘“63). Die individuelle Katastrophe des Weltkriegs ist so nachhaltig, dass ein allgemeines Narrativ des Anzacs als Typus bedeutungslos werden muss. Was sich oben anhand der nationalistischen Kriegsromane in Deutschland beobachten ließ, findet auch im australischen Kriegsroman seine Entsprechung: Ein allgemein nationales Narrativ wie das des Anzacs kann nur in seiner Allgemeinheit bestehen bleiben. Im exemplarischen Bezug auf die individuelle Lebenswelt der Protagonisten in den Romanen Manns und Mannings wird es brüchig und hohl. Deshalb ist es eine fast zwingende Konsequenz, dass auch Flesh in Armour in überindividuelle Betrachtungen ausweicht, nachdem der nationale Anzac-Mythos im konkreten Erleben der einzelnen Protagonisten kollabieren musste: „They were a people. The war had shown that. The A. I. F. – was it not the first sign that they were, the first manifestation that a spirit had begun to work in the material mass?“64 Die euphemistisch esoterische Metaphorik von einem Geist, der in der Materie wirksam geworden sei, muss ohne den Blick auf die Schicksale der einzelnen Protagonisten auskommen, deren Leben, und hier sind die abschließenden Überlegungen des Erzählers bezeichnend, vollkommen am Ende ist, ob sie den Krieg überlebten oder nicht: „[T]he life of this generation was finished. They were the dung for the new flowering and fruit of the future.“65 Auch in dieser impliziten Betonung des Opfers einer Generation zum Zwecke des Düngens nationaler „Früchte der Zukunft“ ähneln sich der australische und der deutsche Kriegsroman insbesondere nationalistisch-bellizistischen Zuschnitts. Mit der abstrakten Glorifizierung des Sakrifiziellen wird eine Dimension aufgegriffen, die im Deutschland der Weimarer Republik und auch im Deutschland des Dritten Reichs durchaus Anklang fand. In Beans Wohlfühl-Erzählung vom Anzac, der trotz allem immer noch der good mate geblieben sei, der der Australier an sich nun einmal ist, fehlt sie weitgehend. Mit einem nur scheinbar harmlos-lapidaren Zusatz entlarvt der letzte Satz von Manns Flesh in Armour 61 62 63 64 65

Mann: Flesh in Armour, 328. Ebd., 339. Ebd., 344. Ebd., 347. Ebd.

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dieses Bean’sche Wunschdenken als illusionär: „And so the infantry of the A. I. F. laid aside their armour and became, what remains of them, just the sort of fellow you know – or so they seem.“66 Or so they seem … Bei genauem Hinsehen – und dieses genaue Hinsehen ist nicht zuletzt das, was die Kriegsliteratur als Korrektiv des gesellschaftlich nach wie vor weithin anerkannten Legendennarrativs so interessant und wertvoll macht – erweist sich die Legende vom Anzac als etwas zu großen Teilen nur Scheinhaftes und Oberflächliches. Sie schreibt den australischen Truppen eine Identität zu, die vor dem in der Literatur greifbar gemachten, individuellen Schicksal hinfällig wird und die damit die Gräuel jenes Kriegs zu Unrecht idealisiert, der eine ganze Generation von Australiern und Deutschen gleichermaßen zerstören musste.

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66 Ebd., 349.

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„Diggers“, „Anzacs“ und „Frontsoldaten“

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Titelblatt von Beans The Anzac Book (1916), in: Bean, Charles E. W. (Hg.): The Anzac Book. London, New York: Cassell and Company, 1916. Abb. 2: The Ideal And The Real. Illustration, in: Bean, Charles E. W. (Hg.): The Anzac Book. London, New York: Cassell and Company, 1916, xv. Abb. 3: David Barker: At The Landing, And Here Ever Since. Bleistiftzeichnung, in: Bean, Charles E. W. (Hg.): The Anzac Book. London, New York: Cassell and Company, 1916, 23.

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Martin Gabriel (Universität Klagenfurt)

„To build mistake upon mistake“. Krieg, Identität und der Anzac-Mythos in der australischen Miniserie Gallipoli

1.

Der Gallipoli-Feldzug und die kollektive Erinnerung

Der Erste Weltkrieg stellte für Australien zweifellos eine Art von historischer Zäsur dar, da in diesem Konflikt eine Massenmobilisierung der Bevölkerung stattfand, die in vorhergegangenen militärischen Auseinandersetzungen nicht zu beobachten und nicht nötig gewesen war. Im Rückblick wurde die Phase zwischen 1914 und 1918 als die einer „Geburt“ der australischen Nation mythologisiert, wobei insbesondere die Truppen des Australian and New Zealand Army Corps (Anzac) in den Vordergrund rückten. „In a famously secular nation, many commentators have noted how the Anzac legend has become the new secular state religion“.1 Ob die Anfänge des Gedenkens tatsächlich säkular geprägt waren, erscheint jedoch fraglich.2 In jedem Fall trug die Presse ihren Teil zur raschen Verbreitung des Mythos bei; so verkündete der Daily Herald (Adelaide) bereits 1917: „Never nation plunged more deeply into the fires of agony than did Australia in that birth of a great name. And never nation emerged from a trial with a better claim to finer or more brilliant traditions.“3 In den Worten von Premierminister Billy Hughes wurde die australische Nation während des Kriegs gar an einem bestimmten Ort geboren: Gelibolu (Gallipoli), jener Halbinsel, die das Marmarameer und die Meerenge der Dardanellen von der Ägäis trennt.4 Die „Gedächtnisarbeit“ begann zeitnah, als die Taten der australischen Truppen mit großen historischen Erzählungen wie jenen über das nahe gelegene Troja ver-

1 Daniel Reynaud: „National Versions of the Great War. Modern Australian Anzac Cinema“. In: Martin Löschnigg/Marzena Sokołowska-Paryz˙ (Hg.): The Great War in Post-Memory Literature and Film. Berlin: De Gruyter, 2014: 289–304, 302. 2 John A. Moses: „Anglicanism and Anzac Observance. The Essential Contribution of Canon David John Garland“. In: Pacifica 19 (2006): 58–77. 3 N. N.: „Another Anzac Day“. In: Daily Herald (Adelaide), 25. 04. 1917, 7. 4 Joan Beaumont: „‚Unitedly we have fought‘. Imperial Loyalty and the Australian War Effort“. In: International Affairs 90/2 (2014): 397–412, 398–399.

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Martin Gabriel

knüpft wurden.5 Bis heute bildet die Anzac-Legende einen zentralen Aspekt im Selbstverständnis Australiens, auch wenn es etwa während der 1990er Jahre unter Premierminister Paul Keating Anstrengungen gab, Schauplätze des Zweiten Weltkriegs (v. a. Kokoda auf Neuguinea) oder das Schicksal von Kriegsgefangenen im heutigen Myanmar und Thailand stärker im öffentlichen Bewusstsein zu verankern.6 In der Wahrnehmung des „Großen Kriegs“ von 1914 bis 1918 nimmt Gallipoli nach wie vor einen zentraleren Raum ein als andere Feldzüge; in 42 Kampftagen an der Somme erlitt die Australian Imperial Force (AIF) 1916 mit rund 23.000 Mann in etwa so hohe Verluste wie in acht Monaten an den Dardanellen.7 Der in der Miniserie Gallipoli, die im Zentrum dieses Beitrags stehen wird, ebenfalls auftretende Korrespondent (und spätere offizielle Kriegshistoriker) Charles Bean bezeichnete das während der Somme-Schlacht schwer umkämpfte Gebiet um Pozières als „more densely sown with Australian sacrifice than any other place on earth“.8 Dennoch ist der Wiedererkennungswert von Ortsbezeichnungen wie Gallipoli oder Anzac Cove in Australien immer noch unvergleichlich hoch, und auf der Website des Australian War Memorial London wird der Abschnitt zu Gallipoli mit „Geburt einer Nation“9 übertitelt. Auf osmanischer bzw. türkischer Seite nimmt der Feldzug ebenfalls eine herausragende Stellung ein, da er – in einem letztlich verlorenen Krieg – die erfolgreiche Verteidigung des eigenen Territoriums verkörpert und im Rückblick als Beginn des Aufstiegs von Mustafa Kemal zum „Vater der Türken“ konstruiert werden konnte. Gallipoli „signified an honoured ground that had given the Turkish nation its ultimate leader.“10 Die bis heute emotional aufgeladene Erinnerungskultur zeigte sich etwa 2005 in der Frage neuer Straßenbauten; ein Reizthema war auch die angebliche Entfernung einer berühmten Inschrift in Ari Burnu 2017.11 Paul Gough spricht gar von einer seit 1916 ununterbrochen an-

5 Bruce Scates: „Memorialising Gallipoli. Manufacturing Memory at Anzac“. In: Public History Review 15 (2008): 47–59, 50. 6 Hank Nelson: „Kokoda. And Two National Histories“. In: The Journal of Pacific History 42/1 (2007): 73–88, 76–77. 7 Beaumont: Imperial Loyalty, 403. 8 C. E. W. Bean: Anzac to Amiens. A Shorter History of the Australian Fighting Services in the First World War. Canberra: Australian War Memorial, 1946, 264. 9 Australian War Memorial London: Gallipoli. The Birth of a Nation. https://www.awmlon don.gov.au/battles/gallipoli (04. 01. 2022); Elizabeth Rechniewski: „Quand l’Australie invente et réinvente une tradition. L’exemple du débarquement de Gallipoli (avril 1915)“. In: Vingtième Siècle. Revue d’histoire 101 (2009): 123–132, 124. 10 A. Candan Kiris¸ci: „The Face of the ‚Enemy‘. The Image of the Adversary in Turkish Literary Works about Gallipoli“. In: Journal of New Zealand Literature 33/2 (2015): 160–181, 170. 11 Paul Daley: „Turkish Islamist push may be to blame for removal of Atatürk inscription at Anzac Cove“. In: The Guardian (16. 06. 2017). https://www.theguardian.com/world/2017/jun /16/turkish-islamist-push-may-be-to-blame-for-removal-of-ataturk-inscription-at-anzac-co

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dauernden „Schlacht“ um die monumentalarchitektonische Deutungshoheit, verkörpert nicht zuletzt durch sich in nächster Nähe gegenüberstehende Denkmäler.12 Der alliierte Invasionsversuch begann als Kampagne gegen eine Macht, die von weiten Teilen der westlichen Öffentlichkeit als zurückgeblieben angesehen wurde, und kann in seinen Ursprüngen durchaus als eines der letzten Beispiele der „Kanonenbootdiplomatie“ des 19. Jahrhunderts charakterisiert werden.13 Die Wurzeln der Unternehmung lagen dabei im Interesse des britischen Ersten Seelords, Winston Churchill, der die Royal Navy einzusetzen gedachte, um entscheidend in einen vorwiegend zu Land ausgetragenen Konflikt einzugreifen.14 Der Feldzug entstand aus dem Vorhaben, einen Marineverband in die Dardanellen einlaufen zu lassen, durch Schiffsartillerie die Festungen entlang der Wasserstraße auszuschalten, und in weiterer Folge Konstantinopel zu bedrohen. Die folgenden Operationen zu Lande, die wesentlich für die Entstehung des Anzac-Mythos werden sollten, ergaben sich letztlich aus der mangelnden Effektivität der Schiffsartillerie, der massiven Bedrohung durch Minenfelder und dem Vorhandensein mobiler Geschützbatterien entlang der Dardanellen.15 Am 25. April 1915 begann die Landung von britischen und Commonwealth-Truppen an mehreren Punkten im Westen und Süden der Gallipoli-Halbinsel, während französische Einheiten auf der kleinasiatischen Seite der Einfahrt in die Dardanellen angelandet wurden. Schon einen Monat zuvor hatte General HunterWeston, Kommandeur der britischen 29. Division (die bei Kap Helles landen würde), korrekt vorhergesagt, dass eine amphibische Operation mit rund 50.000 Mann, die nicht über das Überraschungselement und nur wenig Artillerie verfügten, in einem Stellungskrieg und letztlich einem Misserfolg enden würde.16

12 13 14 15 16

ve (02. 01. 2022); Bart Ziino: „Who Owns Gallipoli? Australia’s Gallipoli Anxieties 1915–2005“. In: Journal of Australian Studies 30/88 (2006): 1–12, 5–6. Paul Gough: „‚Planting‘ Memory. The Challenge of Remembering the Past on the Somme, Gallipoli and in Melbourne“. In: Garden History 42, Supplement 1 (2014): 3–17, 10. David French: „The Origins of the Dardanelles Campaign Reconsidered“. In: History 68/223 (1983): 210–224, 214. Robin Prior: The Strategy behind Gallipoli. Strategic Decision-Making in the Dardanelles and Gallipoli (ASPI Strategic Insights 15). Barton: Australian Strategic Policy Institute, 2005, 1. Peter Doyle/Matthew R. Bennett: „Military Geography. The Influence of Terrain in the Outcome of the Gallipoli Campaign, 1915“. In: The Geographical Journal 165/1 (1999): 12–36, 12. T. H. E. Travers: „Command and Leadership Styles in the British Army. The 1915 Gallipoli Model“. In: Journal of Contemporary History 29/3 (1994): 403–442, 411.

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2.

Martin Gabriel

Die Miniserie Gallipoli im Kontext australischer Identität

Mit der Landung am 25. April 1915 beginnt auch die australische Miniserie Gallipoli,17 die, als Adaption von Les Carlyons gleichnamigem Buch (2001), von Endemol Australia produziert und Anfang 2015 erstmals ausgestrahlt wurde. In sieben Episoden wird die Zeit von der Invasion an den Dardanellen bis zum Abzug der alliierten Verbände im Winter 1915/16 behandelt. Im Fokus stehen vier junge Soldaten des 4th Australian Infantry Battalion aus New South Wales; diese Männer – das Brüderpaar Tolly und Bevan Johnson (Kodi Smit-McPhee bzw. Harry Greenwood) sowie Dave Klein (Sam Parsonson) und Cliffy Sutton (Tom Budge) – und ihre Erlebnisse bilden zweifellos den emotionalen Kern der Miniserie. Ein weiterer Handlungsstrang beschäftigt sich mit den Vorgängen innerhalb der britisch dominierten Kommandostrukturen und spielt über weite Strecken an Bord von Kriegsschiffen, auf denen sich höhere Offiziere wie der Befehlshaber der Operation, Sir Ian Hamilton (John Bach), eingerichtet haben. In einem dritten Ansatz verfolgt Gallipoli auch die Arbeit von Journalisten, allen voran von Ellis Ashmead-Bartlett (James Callis), wobei dieser im Verlauf der Serie immer stärker in einem Spannungsfeld von Loyalität, Berufsethik, militärischer Zensur und Sympathie für die einfachen Soldaten gefangen erscheint. Die Miniserie wurde als Highlight des Fernseh( jubiläums)jahrs 2015 angekündigt, doch die Einschaltquoten machten sie, in den Worten des Unterhaltungschefs des verantwortlichen Senders Nine Entertainment, David Gyngell, zum „biggest disappointment“.18 Nach einem Auftakt mit mehr als einer Million Zuschauerinnen und Zuschauern bei der Ausstrahlung der ersten Episode brachen die Zuschauerzahlen rasch um die Hälfte und danach weiter auf schließlich nur noch 350.000 Personen ein und führten sogar zu Programmumstellungen, um die Bilanz des Senders nicht zu gefährden.19 Dieser Misserfolg war wohl aus zwei Gründen besonders überraschend: Erstens existiert eine jahrzehntelange Tradition der (auch kommerziell erfolgreichen) Darstellung von Australiens Beteiligung am Ersten Weltkrieg – erwähnenswert wären hier v. a. Peter Weirs 17 Der Autor bedankt sich bei Dr. Stefan Rabitsch (Oslo), dessen Hinweis auf Gallipoli letztlich zur Entstehung dieses Beitrags geführt hat. 18 Louise Rugendyke: „It was supposed to be the ‚biggest show on television‘. What went wrong?“ In: Sydney Morning Herald (14. 04. 2021). https://www.smh.com.au/culture/tv-and -radio/it-tanked-in-the-ratings-but-gallipoli-the-tv-series-is-worth-another-watch-20210413 -p57iqf.html (02. 01. 2022). 19 Australian Television Information Archive: „Gallipoli. Episode Guide, Part 7“. http://www.aus traliantelevision.net/gallipoli/107.html (31. 12. 2021); Jeff Whalley: „Nine Entertainment chief David Gyngell vows to shake up network programming schedule“. In: Herald Sun (26. 2. 2015). https://www.heraldsun.com.au/business/nine-entertainment-chief-david-gyngell-vows-to-s hake-up-network-programming-schedule/news-story/98c3bbd9b52597f9651ab4a09e98679f (02. 01. 2022).

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weltweit bekannt gewordenes Filmdrama Gallipoli von 1981 mit Mel Gibson in einer der beiden Hauptrollen, die 1985 veröffentlichte Miniserie Anzacs sowie der Film The Lighthorsemen (1987), der sich mit dem Palästina-Feldzug befasst.20 Diese Produktionen entstanden allesamt in einer Phase, in der eine Revision australischer Nationalmythen vorgenommen wurde, wobei diese v. a. darin bestand, potentiell „negative“ Elemente zu entfernen und eine gesäuberte Erzählung von idealtypischen Pionieren und bushmen zu schaffen.21 Zweitens nahm die Beteiligung der australischen Bevölkerung an den Feiern zum Anzac Day am 25. April zwischen den 1970er und den 2010er Jahren beständig zu, nachdem zuvor u. a. die Beteiligung australischer Kampftruppen am Vietnamkrieg ein Erstarken der Friedensbewegung und Kritik an den existenten Formen der militärischen Heldenverehrung befördert hatte; 1984 beteiligten sich schätzungsweise 50.000 Menschen an allen Veranstaltungen in Australien, 2014 wurde diese Zahl schon bei der Gedenkzeremonie an einem einzelnen Veranstaltungsort, dem Shrine of Remembrance in Melbourne, übertroffen.22 „Many scholars and political commentators have remarked on the populist resurgence of the Anzac myth, and some have not so subtly hinted that this could be attributed to a concerted effort to dust off the romanticised Australian military identity in recent times“.23 Während Studien zum Geschichtsunterricht in Australien gezeigt haben, dass Militärgeschichte im frühen 21. Jahrhundert wieder stärker in den Vordergrund gerückt wurde, und australische Schülerinnen und Schüler die Geschichte von Anzac beständig als interessantestes Themenfeld historischer Schulbildung bezeichneten,24 erwies sich Gallipoli 2015 aber als kommerzieller Flop. Inwieweit Australiens veränderte Demographie und die Tatsache, dass der 20 Alistair Thomson: „Anzac Memories. Putting Popular Memory Theory into Practice in Australia“. In: Oral History 18/1 (1990): 25–31, 25. In der jüngeren Filmgeschichte Australiens wird der Erste Weltkrieg etwa in Beneath Hill 60 (2010) thematisiert, der vom Einsatz der 1st Australian Tunnelling Company im Minenkrieg bei Ypern handelt. The Water Diviner (2014) erzählt von der Suche eines Vaters nach seinen bei Gallipoli vermissten Söhnen, war kommerziell erfolgreich, wurde jedoch für den Mangel an historischem Kontext und die ausgerechnet am armenischen Völkermordgedenktag angesetzte Veröffentlichung in den USA scharf kritisiert. 21 Theodore F. Sheckels: „‚New Wave‘ Cinema’s Redefinition of Australian Heroism“. In: Antipodes 12/1 (1998): 29–36, 30. 22 Anna Clark: „The Place of Anzac in Australian Historical Consciousness“. In: Australian Historical Studies 48/1 (2017): 19–34, 19; Malcolm Saunders: „Opposition to the Vietnam War in South Australia, 1965–1973“. In: Journal of the Historical Society of South Australia 10 (1982): 61–71. 23 Kasun Ubayasiri: „The Anzac Myth and the Shaping of Contemporary Australian War Reportage“. In: Media, War & Conflict 8/2 (2015): 213–228, 214. 24 Anna Clark: History’s Children. History Wars in the Classroom. Sydney: University of New South Wales Press, 2008, 44–49. Verwiesen sei hier auch auf die zahlreichen Kinder- und Jugendbücher zur Anzac-Thematik wie Gallipoli von Kerry Greenwood und Annie White (Zielgruppe 5 bis 10 Jahre) oder Belinda Landsberrys Anzac Ted (Zielgruppe 3 bis 8 Jahre).

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Anzac-Mythos Personen mit rezentem Migrationshintergrund – z. B. aus Ostasien – weitgehend ausschließt,25 eine Rolle für das Desinteresse spielten, muss hier offenbleiben. Betrachtet man die Miniserie unter dem Aspekt bestehender populärkultureller Überlieferung zu Australien im Ersten Weltkrieg, so steht Gallipoli wohl über weite Strecken in der Tradition der Anzac-Legende. Im Rahmen dieses Mythos wurde und wird immer wieder betont, dass sich die australischen Soldaten – „diggers“ – durch Individualität, etwas rüde Umgangsformen, wenig Respekt vor Autoritäten, dabei aber durch starke Bindungen untereinander auszeichneten. Begriffe wie „larrikin“ (rowdyhaft, aber gutmütig) oder „mate“ (was durch Termini wie „Kamerad“ oder „Freund“ m. E. nicht zur Gänze zutreffend übersetzt werden kann) tauchen in den entsprechenden Überlieferungen wieder und wieder auf, ebenso die Konstruktion des australischen Soldaten als abgehärteter bushman, Minenarbeiter oder talentierter Sportler.26 Der AnzacSoldat wurde imaginiert als „tough and inventive, loyal to […] mates beyond the call of duty, a bit undisciplined (but only in non-essentials), chivalrous, gallant, sardonic“.27 Lässt man Peter Weirs Film Gallipoli oder Maurice Shadbolts Stück Once on Chunuk Bair von 1982, das sich mit dem Einsatz neuseeländischer Truppen an der Gallipoli-Front befasst, Revue passieren, wird auch klar, dass z. B. noch während der 1980er Jahre, die eine ganze Reihe von Werken zum Thema Gallipoli mit sich brachten, ein heroisch-maskulines Bild von wesentlicher Bedeutung war.28 Ein weiterer zentraler Aspekt des Mythos ist die Idee von der Unfähigkeit der kommandierenden britischen Offiziere, einen modernen Massenkrieg zu führen; häufig wird hier von einer auf Gegenseitigkeit beruhenden Abneigung zwischen „Gentleman-Offizieren“ und einfachen „diggers“ in den Schützengräben ausgegangen. Dieses Bild wurde etwa von Weirs Verfilmung massiv befördert, die bei Kritik wie Publikum erfolgreich war und gar als die herausragendste Darstellung australischer Identität im frühen 20. Jahrhundert bezeichnet wurde.29 In den Worten von Peter Hoffenberg trugen die Erlebnisse des Ersten Weltkriegs wesentlich dazu bei, eine grundlegende politische Veränderung in Australien auszulösen, die die (europäisch-stämmigen) Bewohner des Lands von Untertanen in der Diaspora zu vollwertigen einheimischen Bürgern 25 Eleanor Hancock: „‚They also served‘. Exaggerating Women’s Role in Australia’s Wars“. In: Craig Stockings (Hg.): Anzac’s Dirty Dozen. Twelve Myths and Misconceptions of Australian Military History. Kensington: NewSouth, 2012: 100–111, 100. 26 Reynaud: National Versions, 289; Thomson: Anzac Memories, 25. 27 W. F. Mandle: Going It Alone. Australia’s National Identity in the Twentieth Century. Ringwood: Penguin, 1978, 4. 28 Janet Wilson: „‚Colonize, pioneer, bash and slash‘. Once on Chunuk Bair and the Anzac Myth“. In: Journal of New Zealand Literature 34/1 (2016): 27–53, 29. 29 David Stratton: The Avocado Plantation. Boom and Bust in the Australian Film Industry. Sydney: Macmillan, 1990, 22.

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einer australischen Nation transformierte.30 Allerdings erscheint es m. E. fragwürdig, diese Transformation bereits in den Schützengräben bei Gallipoli oder an der Somme zu verorten und die Wahrnehmung der Beziehungen zwischen Australien und dem Empire als monolithischen Block zu deuten. Zu erwähnen wäre hier etwa die Haltung der Australian Labor Party oder der Arbeiterbewegung insgesamt; im April 1916 nahmen führende Vertreter an den Feierlichkeiten zum ersten Jahrestag der Landung teil, schon ein Jahr später wurde jedoch deutlich zwischen der Bezeugung von Respekt für die Opfer und der kritisch betrachteten Deutung des Feldzugs als „Geburtsstunde“ einer Nation unterschieden.31 Vonseiten der Arbeiterschaft wurde, teils auch während des Kriegs, nicht so sehr der Einsatz der Anzac-Truppen als identitätsstiftend angesehen, sondern etwa die Bergarbeiterrevolte von Eureka (1854), während konservative Kreise Anzac favorisierten, um die Idee einer nationalen Gemeinschaft in Australien zu propagieren.32 Auch war fast jeder fünfte Angehörige der Expeditionstruppen nicht in Australien, sondern in Großbritannien geboren worden.33 Schließlich zieht sich auch noch das Motiv der journalistischen Tätigkeit am Kriegsschauplatz durch die Miniserie; eine Thematik, die meist nicht unmittelbar in den Anzac-Mythos integriert, für dessen Verständnis jedoch von höchster Bedeutung ist. Die ersten idealtypischen Beschreibungen der australischen Soldaten als rau und hart, dabei aber gutherzig und heldenhaft stammten von Journalisten, die über die alliierten Operationen an der Gallipoli-Front berichteten: dem Briten Ellis Ashmead-Bartlett und dem Australier Charles Bean. Wer von beiden als „Vater“ des Anzac-Mythos bezeichnet werden sollte, ist kaum feststellbar; beide veröffentlichten Publikationen, die auf großes Interesse stießen und zentral für die weitere Wahrnehmung der Ereignisse bei Gallipoli wurden. Bean publizierte im Jahr 1916 ein Sammelwerk unter dem Titel The Anzac Book, während Ashmead-Bartletts Berichte schon kurz nach der Landung in verschiedenen Zeitungen erschienen und in großem Ausmaß rezipiert wurden.34 Der Sydney Morning Herald berichtete am 8. Mai 1915 über die Landung unter der Überschrift „Glorious entry into war“ und nahm direkten Bezug auf Ashmead-Bartlett und seine (angeblich) neutrale Haltung gegenüber Australien. Wenn der Brite, so die Zeitung, davon sprach, dass die bei Gallipoli gelandeten Anzac-Truppen nunmehr in einem Atemzug „with the heroes of Mons, the 30 Peter H. Hoffenberg: „Landscape, Memory and the Australian War Experience, 1915–18“. In: Journal of Contemporary History 36/1 (2001): 111–131, 115. 31 Mark Cryle: „‚Natural Enemies‘? Anzac and the Left to 1919“. In: Labour History 106 (2014): 143–162, 143. 32 Nick Dyrenfurth: „Labor and the Anzac Legend, 1915–45“. In: Labour History 106 (2014): 163–188, 167. 33 Beaumont: Imperial Loyalty, 401. 34 Ubayasiri: Anzac Myth, 215–217.

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Aisne, Ypres, and Neuve Chapelle“35 genannt werden könnten, sei dies ein unzweifelhafter Beweis für den Ruhm und die Tapferkeit der australischen Soldaten. Bean konnte mit seinen umfangreichen Veröffentlichungen also auf eine bereits vorhandene, emotionsgeladene Basis aufbauen und die Anzac-Legende weiter fördern.36 In seinen persönlichen Aufzeichnungen notierte Bean, dass es natürlich Soldaten gab, die nicht „heldenhaft“ kämpften, sondern flohen – veröffentlicht wurden aber die Geschichten über militärische Pflichterfüllung. „Charles Bean helped Australians understand the Great War through his work as a war correspondent, historian, and editor of The Anzac Book. Much of what has passed into historical parlance as the ‚Anzac Legend‘ is owed to him“.37

3.

„Mateship“

Die vier jungen Männer, deren Schicksal im Rahmen der Miniserie Gallipoli dargestellt wird, sind – wenig überraschend – durchwegs als recht sympathische Charaktere angelegt. Ungewöhnlicher erscheint, dass der abgehärtete, individualistische „digger“ und „larrikin“, der vor dem Krieg im Busch gelebt oder in Goldminen gearbeitet hatte, als Typus nicht auftritt. Tolly und Bevan Johnson sind wohl als Angehörige der unteren Mittelschicht zu charakterisieren, Dave Klein studierte vor seinem Militärdienst (auch wenn er damit offenbar nicht glücklich war), Cliffy Sutton wird als einziger der vier Männer als ungebildet dargestellt, wobei er aber (ebenso wenig wie seine Kameraden) als Verkörperung von Hypermaskulinität zu sehen ist. Tolly Johnson, der auch als Ich-Erzähler auftritt, meint über sich und die drei anderen Männer: „What did I know about war? I was 17 years old. I joined up for the same reason as everyone else. For the King and the Empire […]. My brother Bevan and I signed up to fight Germans. But here I was in a little boat about to invade a country I’d never heard of. Now, at dawn on that first day, the King, the Empire and doing the right thing seemed a long way off. […] Me and Cliffy were mates. He was a simple bloke and some of the others made fun of him, but he always looked out for me. Dave came to the war from university, he knew a lot of stuff I didn’t. He was a smart bloke, so I tried hard to believe him.“38

In diesen Worten Tollys in der Frühphase des Feldzugs kommt Australien also nicht vor, König und Empire dagegen sehr wohl; wie Stephen Garton ausgeführt 35 N. N.: „Mr. Ashmead Bartlett’s Story“. In: Sydney Morning Herald, 08. 05. 1915, 13. 36 Hoffenberg: Landscape, 113. 37 D. A. Kent: „The Anzac Book and the Anzac Legend. C. E. W. Bean as Editor and ImageMaker“. In: Historical Studies 21/84 (1985): 376–390, 377. 38 Gallipoli, Part 1: „The First Day“, Endemol Australia, dir. Glendyn Ivin (2015), 00:25 bzw. 36:35.

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hat, behielt die Idee einer spezifischen australischen Identität zumeist tatsächlich auch den Aspekt der Loyalität zu London im Auge, „pledging loyalty to Empire and stressing the importance of strenghtening the links back to Britain, King and country – the latter term always left ambiguous as to whether it meant Australia or Britain or both.“39 Tolly, Bevan, Dave und Cliffy sind allesamt Kriegsfreiwillige, was im australischen Kontext aber nichts Außergewöhnliches, sondern die Norm darstellt: Australien setzte während des gesamten Kriegs auf eine Freiwilligenarmee, zwei Referenden über die Einführung der Wehrpflicht endeten mit deren Ablehnung.40 Grundsätzliche Überlegungen zu Politik oder Fragen der sozialen Gerechtigkeit spielen keine bedeutende Rolle. Auch ist unter den Soldaten kein Einfluss sozialistischer Ideen zu bemerken, die in der historischen Realität durchaus bedeutsam waren, nicht zuletzt, da im „Großen Krieg“ rund 75 Prozent der australischen Soldaten aus der Arbeiterklasse stammten.41 Dies bedeutet, dass – trotz der Unterschiede zwischen den vier Kameraden – grundsätzlich von einer wenig politischen und recht homogenen Einstellung zum Militärdienst auszugehen ist. Spannungen mit soziopolitischem Hintergrund sind nicht vorhanden, der Mythos von einer gemeinschaftlichen Anstrengung aller Australier wird also definitiv unterstützt. Natürlich erscheinen Lebensgefahr und Tod in Gallipoli als ständige Begleiter, wobei der Tod aber kaum jemals heldenhaft anmutet. Schon zu Beginn der Kampfhandlungen sticht Tolly Johnson einen jungen türkischen Soldaten nieder; die Verzweiflung des Sterbenden ist augenscheinlich.42 Bei den Kämpfen an der Suvla-Bucht setzt britische Artillerie das ausgetrocknete Unterholz in Brand, wobei zahllose Soldaten auf beiden Seiten umkommen.43 Die Tötung kapitulationsbereiter Gegner wird schon in der ersten Folge sowohl von den osmanischen wie auch den australischen Truppen praktiziert; Bevan Johnson kommentiert das Erschießen von türkischen Soldaten, die nach der Erstürmung ihrer Stellungen mit erhobenen Händen am Boden knien, ohne wirkliche Wut mit den Worten, die „Bastarde“ hätten zuvor dasselbe getan.44 Da dieser Vorfall, ebenso wie die vorhergehende Tötung sich ergebender Australier, aber quasi in der „Hitze des Gefechts“ geschieht, haftet ihm nicht unbedingt das Stigma eines Kriegsverbrechens an. Dies steht ebenfalls in der Tradition u. a. der Berichterstattung Charles 39 Stephen Garton: „Demobilization and Empire. Empire Nationalism and Soldier Citizenship in Australia after the First World War – in Dominion Context“. In: Journal of Contemporary History 50/1 (2015): 124–143, 128. 40 Beaumont: Imperial Loyalty, 404–405. 41 Nathan Wise: „‚In military parlance I suppose we were mutineers‘. Industrial Relations in the Australian Imperial Force during World War I“. In: Labour History 101 (2011): 161–176, 163. 42 Gallipoli, Part 1, 04:55. 43 Gallipoli, Part 6: „If only …“, Endemol Australia, dir. Glendyn Ivin (2015), 02:43. 44 Gallipoli, Part 1, 33:17.

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Beans, der solche Handlungen nur sehr beiläufig erwähnte.45 Nicht nur der osmanische Gegner wird in der Serie als feindlich dargestellt, ebenso die Natur auf der Gallipoli-Halbinsel. Hitze und Trockenheit im Sommer, eisige Kälte und Schneefall im Winter stellen ebenso ein Problem dar wie die allgegenwärtigen Läuse oder die Fliegen, die angesichts der vielen Gefallenen nicht nur zur Plage, sondern zur veritablen Gesundheitsgefährdung werden.46 Dass logistisches Versagen der alliierten Führung dazu beitrug, durch schlechte Wasserversorgung eine Problematik wie Trockenheit noch zu verschärfen, spielt hingegen keine Rolle. In der Realität war Wassermangel, so ein Sanitätsoffizier der 2nd Australian Division, aber ein wesentlicher Faktor für den mangelhaften Gesundheitszustand der Truppen und direkt oder indirekt für viele Erkrankungen an der GallipoliFront verantwortlich.47 Die gesamte Miniserie hindurch ist die Kameradschaft unter den australischen Truppen ein zentrales Motiv, ohne dabei aber in eine kitschige Darstellung abzugleiten; dass ein Brüderpaar mit im Fokus steht, bedingt zweifellos eine besondere Dynamik. In jedem Fall wird dem Publikum vermittelt, dass bei aller Rauheit des Zusammenlebens unter schwierigen Bedingungen letzten Endes nur eines den Zusammenhalt wird zerstören können, nämlich der Tod, der zwei der Protagonisten tatsächlich erwartet. Einen „heldenhaften“ Tod, der sich für große Erzählungen von Patriotismus und Mut geeignet hätte, stirbt keiner von ihnen.48 Die Thematik der für den Anzac-Mythos so bedeutsamen „mateship“ zeigt sich am Beispiel des Aufeinandertreffens zwischen den vier Infanteristen und Angehörigen der 3rd Light Horse Brigade; anfängliche Feindseligkeit – Faustkampf inklusive – wandelt sich in Wertschätzung, allerdings sterben die Lighthorsemen wenig später in der berüchtigten „Battle of the Nek“ Anfang August 1915. Das Ende der entsprechenden Szene, in der zwei Soldaten wie Sprinter auf die osmanischen Gräben zulaufen, erinnert dabei frappierend an das Finale von Peter Weirs Verfilmung.49

45 Ubayasiri: Anzac Myth, 217. 46 Gallipoli, Part 2: „My Friend, the Enemy“, Endemol Australia, dir. Glendyn Ivin (2015), 27:18; Gallipoli, Part 4: „The Deeper Scar“, Endemol Australia, dir. Glendyn Ivin (2015), 06:30; Gallipoli, Part 7: „The Earth Abides“, Endemol Australia, dir. Glendyn Ivin (2015), 11:08. 47 Alison Wishart: „‚As fit as Fiddles‘ and ‚as weak as Kittens‘. The Importance of Food, Water and Diet to the Anzac Campaign at Gallipoli“. In: First World War Studies 7/2 (2016): 131–164, 146. 48 Gallipoli, Part 4, 26:40; Gallipoli, Part 7, 19:30. 49 Gallipoli, Part 5: „The Breakout“, Endemol Australia, dir. Glendyn Ivin (2015), 33:30; Gallipoli, Roadshow Film Distributors, dir. Peter Weir (1981), 1:47:30.

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4.

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Diggers vs. Gentlemen?

Gerade die Angriffe auf „The Nek“ werden häufig als Beispiel für die angebliche Menschenverachtung der britischen Generalität (und ihre Geringschätzung für die colonials) herangezogen. Ob anders vorgegangen worden wäre, hätten Soldaten aus dem Mutterland die Attacke durchführen müssen, erscheint fraglich; auch war ein australischer Heeresoffizier dafür hauptverantwortlich, dass noch Angriffswellen gegen die osmanischen Positionen vorgeschickt wurden, als ein Scheitern bereits offensichtlich war. In der Miniserie tritt der entsprechende Offizier zwar auf, seine Nationalität wird jedoch nur äußerst dezent (über den australischen Akzent) definiert: Antill: „I’m ordering you to continue the attack, Colonel.“ Brazier: „Sir, they’re not getting ten yards.“ Antill: „I have a report that says a marker flag has been seen in the Turkish trenches.“ Brazier: „Impossible. There’s no such flag. […]“ Antill: „Push on, Colonel. Push on!“ Brazier: „Don’t forget; I told you.“50

Die britische Generalität erscheint über weite Strecken als entweder überfordert oder mit Intrigen beschäftigt, gibt also definitiv kein positives Bild ab und wird eher als Hindernis für die alliierten Kriegsanstrengungen dargestellt. Damit steht Gallipoli recht eindeutig in der Tradition der australischen Populärkultur, die den britischen Kommandeuren ein schlechtes Zeugnis ausstellte. In der Geschichtswissenschaft wird dieser Zugang in den letzten Jahrzehnten vermehrt hinterfragt und Forschungen „question the polarised British / Anzac view in which blame is apportioned to the British military leadership“.51 Ian Hamilton als Oberbefehlshaber der Operation gibt eher das Bild eines dem modernen Krieg nicht gewachsenen Relikts als eines brutalen Kommandeurs ab. Als er an Bord seines Flaggschiffs in Anwesenheit seines Stabs den Gegner mit einem Phantom vergleicht und das 1899 von William Hughes Mearns verfasste Gedicht Antigonish zitiert („As I was going up the stair // I met a man who wasn’t there. // He wasn’t there again today. // Oh, how I wish he’d go away.“), wird damit implizit auch eine Botschaft an das Publikum gesendet, wonach dieser Mann wohl nicht der ideale Befehlshaber in einem Stellungskrieg des 20. Jahrhunderts ist.52 Dass hohe Offiziere an Bord eines Schlachtschiffs im Galaanzug dinieren, mag befremdlich erscheinen, umso mehr, als die australischen Soldaten durch Artille50 Gallipoli, Part 5, 29:05. Für den Hinweis zum australischen Akzent Colonel Antills bedanke ich mich bei Andreas Dorrer. 51 Wilson: Colonize, 31. 52 Gallipoli, Part 1, 44:05. Die erste Zeile des Originals unterscheidet sich leicht von der in der Serie zitierten.

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riebeschuss bei ihren ohnedies kargen Mahlzeiten gestört werden.53 Jedoch wurden aufwendige Diners auch dort praktiziert, wo Truppen des Empire kompetent geführt wurden und siegreich agierten. Letztlich dienen solche Bilder dazu, die Spaltung zwischen dem „ehrlichen“ und leidenden Australier und dem verknöcherten Briten zu demonstrieren, was wiederum in der Dichotomie des populären Anzac-Mythos verankert ist. Räumliche Distanz zwischen Oberkommando und Truppe erscheint in der Miniserie auch als einer der Gründe für die Verwirrung und schlechte Kommunikation. Allerdings stand Hamilton mit seinem „hands-off approach“ in der anerkannten Tradition der britischen Armee, deren Stabs- und Kommandoausbildung davon ausging, dass ein Oberkommando eine Schlacht vorbereiten, sie aber nicht selbst ausführen sollte, sprich: den untergeordneten Offizieren diese Verantwortung oblag.54 Die Figur des Generals Stopford (Shane Briant), der wegen eines geschwollenen Knies die Operationen nicht vom Brückenkopf aus leiten will, erscheint als einer der deutlichsten Hinweise auf inakzeptables Verhalten der Briten. Dass sich Stopford, der sich immerhin in einem weitaus komfortableren Umfeld befindet als die kämpfende Truppe, über die Hitze beschwert, macht ihn (wohl bewusst) nur noch abgehobener und unsympathischer.55 Die implizite Annahme, die ständige Anwesenheit Hamiltons an Land hätte insgesamt die Kommunikation definitiv verbessert, erscheint fragwürdig. Während der Landung bei Suvla war Hamilton als Oberbefehlshaber selbst vor Ort; an der Konfusion änderte dies nichts: „The landing was, unfortunately, mis-managed such that troops from different commands became hopelessly mixed, and no decisive military action was taken that day.“56 Zu bemerken ist jedoch, dass Hamiltons Flaggschiff HMS Queen Elizabeth für die Koordinierung einer amphibischen Operation nicht ausgerüstet war und auch sein Stab nie angemessen untergebracht werden konnte.57 In der zweiten Episode von Gallipoli, als Tolly und andere Angehörige seiner Einheit gemeinsam mit osmanischen Soldaten während eines lokalen Waffenstillstands Gefallene begraben, wird der Eindruck erweckt, zwischen diesen Männern aus unterschiedlichen Kulturen, die sich kaum verständigen können, herrsche mehr Sympathie als zwischen den alliierten Generälen und ihren Truppen. Es kommt sogar zu einer absurd komischen Szene zwischen einem türkischen Soldaten und Bevan Johnson:

53 Ebd., 57:05; Gallipoli, Part 3: „A Man Alone“, Endemol Australia, dir. Glendyn Ivin (2015), 21:06. 54 Travers: Command, 414. 55 Gallipoli, Part 5, 02:34. 56 Doyle/Bennett: Military Geography, 30. 57 Raymond Adams: „The Gallipoli Campaign. Learning from a Mismatch of Strategic Ends and Means“. In: Joint Force Quarterly 79/4 (2015): 96–101, 99.

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Türkischer Soldat: „I make English. English. English, yeah?“ Bevan: „Yeah, bully for you? Ah.“ Türkischer Soldat: „We attack. We attack: Allah, Allah, Allah!“ Bevan: „Ah? Yeah, yeah, we bloody heard.“ Türkischer Soldat: „You? You attack: Bastards, bastards! Bastard your God?“ Bevan: „Yeah. Yeah, man, he’s our God.“58

Dass die v. a. von britischen Offizieren geleisteten strategischen Planungen für die Gallipoli-Operation wohl bereits riesige Probleme in sich bargen, ist kaum bestreitbar. Hamilton hatte als einziger beteiligter General ernsthaft eine Landung bei Suvla schon in der ersten Phase der Unternehmung erwogen; dort war das Gelände günstig und die osmanische Position nur mäßig verteidigt.59 Die im April 1915 ausgeführten Landeoperationen im Süden und Westen der Halbinsel (Kap Helles, Anzac Cove, Gaba Tepe) brachten von Beginn an Probleme wie die bereits erwähnte Trinkwasserversorgung mit sich. Auch erfolgten die Landungen an schmalen Strandstreifen, die rasch in tief eingeschnittene Abhänge übergingen, wie auch die Miniserie überzeugend abbildet. „It was in the hills beyond the beach where it began. This was bastard country. Not the sort of place an army would invade on purpose.“60 Das Wissen über den Kriegsschauplatz war erschreckend gering, dazu kam, dass der Rat erfahrener Armeeangehöriger teils vollkommen ignoriert wurde. Ein Offizier mit jahrelanger nachrichtendienstlicher Erfahrung hinterfragte die optimistische Einschätzung hinsichtlich der osmanischen Kampfkraft und wurde von Hamiltons Stabschef Braithwaite (der in der Miniserie als intrigante und eiskalte Persönlichkeit charakterisiert wird) auf den Posten eines Pressezensors versetzt, wo sein Wissen de facto verschwendet wurde.61 Auf osmanischer Seite tritt der junge Offizier Mustafa Kemal (Yalin Ozucelik) quasi als Gegenpol zu den britischen Kommandeuren auf: Er verkörpert die vollkommene Entschlossenheit, Gallipoli zu verteidigen, koste es, was es wolle. Auch seine später bekannt gewordenen Befehle an das 57. Regiment vom Vormittag des 25. April, die Höhen rund um Anzac Cove um jeden Preis zu halten, werden wiedergegeben: „I’m not commanding you to attack, I’m commanding you to die. Between now and the time we die, other forces and commanders may come and replace us.“62 Während der Balkankriege hatte Kemal bereits bei Gallipoli gedient, war also mit dem Terrain vertraut; auch hatte er Erfahrungen in Syrien und Tripolitanien gemacht, die den militärischen Wert der Ausnutzung des Geländes gezeigt hatten; anders als der deutsche Befehlshaber 58 59 60 61 62

Gallipoli, Part 2, 35:27. Doyle/Bennett: Military Geography, 14. Gallipoli, Part 1, 04:17. French: Dardanelles Campaign, 223. Gallipoli, Part 1, 44:55. Die Rede Mustafa Kemals wird auf Türkisch vorgetragen und in englischer Sprache untertitelt.

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der osmanischen 5. Armee, Otto Liman von Sanders, war Kemal zu Recht auch von einer alliierten Landung bei Gaba Tepe und Kap Helles ausgegangen.63 Die Tatsache, dass Mustafa Kemal, damals Oberstleutnant, als einziger höherer osmanischer Offizier tatsächlich eine größere Rolle in Gallipoli spielt, wirkt insofern irritierend, als er natürlich von der Front aus führen musste; viele alliierte Offiziere werden dagegen ständig nur in holzgetäfelten Salons auf Schiffen vor der Küste oder abseits des Kampfgebiets auf der Insel Imbros gezeigt. Osmanische Offiziere, die im Rang mit den Generälen Hamilton, Stopford oder Birdwood (Kommandeur der Anzac-Truppen) vergleichbar wären, zeigt die Serie de facto nicht. Erwähnenswert ist hier auch, dass die zeitnahe osmanische Gedenkkultur zu Gallipoli kaum auf die Schlachten an Land Bezug nahm, sondern die Abwehr des Durchbruchsversuchs alliierter Kriegsschiffe am 18. März 1915 im Zentrum stand.64 Die Rolle der alliierten Marinestreitkräfte in Gallipoli erscheint dagegen marginal. Schiffe werden weitgehend als sicherer Rückzugsort der Generalität dargestellt. Ausnahme ist die Versenkung der HMS Majestic im Mai 1915; aber auch hier wird die Ernsthaftigkeit durch eine quasi-komische Szene untergraben, als der Journalist Ashmead-Bartlett (nach dem Untergang in Matrosenuniform eingekleidet) ein Gespräch mit Admiral John de Robeck führt: Ashmead-Bartlett: „And we were picked up by some French warship. As you can see, they were most accomodating.“ de Robeck: „I’ll have my valet fit you out. Although I don’t see why. Just – add a hat. […]“ Ashmead-Bartlett: „Of course, this would never have happened if I’d been allowed the yacht that I’d requested.“65

5.

Journalismus und Anzac-Mythos

Die historische Figur des Ellis Ashmead-Bartlett ist zentral für das Motiv der journalistischen Arbeit in Gallipoli. Der Brite war, wie erwähnt, neben Charles Bean eine jener Persönlichkeiten, die für die Schöpfung des Anzac-Mythos von zentraler Bedeutung waren.66 In der Miniserie spielt er unzweifelhaft eine wesentlich größere Rolle als Bean – möglicherweise auch deshalb, weil dieser erst 63 Sean P. Piccirilli: Mustafa Kemal at Gallipoli. A Leadership Analysis and Terrain Walk. MA Thesis, United States Air Force Air Command and Staff College/Air University, Maxwell AFB, Ala. 2016, 11–12. 64 Mesut Uyar: „Remembering the Gallipoli Campaign. Turkish Official Military Historiography, War Memorials and Contested Ground“. In: First World War Studies 7/2 (2016): 165–191, 167. 65 Gallipoli, Part 3, 19:39. 66 Ashmead-Bartlett und Bean sind auch zwei Hauptprotagonisten des ebenfalls 2015 veröffentlichten Fernsehzweiteilers Deadline Gallipoli.

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mit einiger Verspätung, speziell in seiner Rolle als Kriegshistoriker, wesentlich für die Ausformung der australischen Erinnerungskultur mitverantwortlich war.67 Seitens des War Office hatten Ashmead-Bartlett und Lester Lawrence den Auftrag erhalten, über die Gallipoli-Unternehmung zu berichten. Angeblich entschied ein Münzwurf, dass Lawrence die Landung bei Kap Helles dokumentieren sollte, während Ashmead-Bartlett über die australischen und neuseeländischen Einheiten berichtete.68 In den frühen Berichten Ashmead-Bartletts über die Anzac-Truppen bei Gallipoli finden sich Phrasen wie „Australian heroes“ und „epic of heroism“.69 Über die Tatsache, dass die Verbände nicht am eigentlich vorgesehenen Strandabschnitt gelandet worden waren, schrieb er: „[…] a landing had been affected rather further down north of Gaba Tepe than had originally been intended, and at a point where the cliffs rise very sheer. The error was a blessing in disguise […] and the broken ground afforded good cover“.70 In der ersten Folge von Gallipoli wird dies nicht erwähnt. Dagegen kommt es am Strand zu folgender Unterhaltung zwischen einem Offizier und dem Journalisten: Offizier: „We were told to see you earlier.“ Ashmead-Bartlett: „Yeah. I’ve been busy watching from offshore. Not as busy as you lot, actually. […]“ Offizier: „Now I have the press corps tents down there.“ Ashmead-Bartlett: „No, no, no, it won’t be necessary. I’m just here for a first look and then back off to the ship.“71

Kombiniert mit der fehlenden Erwähnung von Ashmead-Bartletts heroisierenden Berichten minimiert dieser Verweis auf die räumliche Distanz zu den Militäroperationen von Beginn an die Bedeutung des britischen Journalisten für die später folgende Entstehung des Anzac-Mythos. Tatsächlich wurde bereits im Mai 1915 vom New South Wales Department of Public Instruction ein 32 Seiten umfassendes Büchlein (Australians in Action. The Story of Gallipoli) veröffentlicht, das in öffentlichen Schulen zur Verteilung kam; die Berichte Ashmead-Bartletts nahmen darin einen zentralen Platz ein.72 Der im Juli 1915 erschienene erste Film über die Kämpfe bei Gallipoli – The Hero of the Dardanelles – war ebenfalls von

67 Heather Sharp: „Representing Australia’s Involvement in the First World War. Discrepancies between Public Discourses and School History Textbooks from 1916 to 1936“. In: Journal of Educational Media, Memory & Society 6/1 (2014): 1–23, 12. 68 Ubayasiri: Anzac Myth, 216. 69 Sharp: Australia’s Involvement, 12. 70 Sydney Morning Herald, 08. 05. 1915, 13. 71 Gallipoli, Part 1, 1:01:03. 72 Melanie Oppenheimer: „Shaping the Legend. The Role of the Australian Red Cross and Anzac“. In: Labour History 106 (2014): 123–142, 123.

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den Berichten des Reporters inspiriert und zielte v. a. auf die Rekrutierung neuer Soldaten ab.73 In der Miniserie hingegen wird von Beginn an klar, dass Ashmead-Bartlett, verglichen mit den anderen Berichterstattern, eine äußerst kritische Haltung zur gesamten Operation einnimmt. Er führt nach seinem ersten Besuch am Stand eine kurze Unterhaltung mit einem hochrangigen Marineoffizier: Thursby: „How are things for the Anzacs at Gaba Tepe?“ Ashmead-Bartlett: „Well, I’m not privy to the details. But …“ Thursby: „Yes?“ Ashmead-Bartlett: „Well, if you’re asking me: preparation time, troop numbers, Hamilton needs more of both if this is going to be a success.“ Thursby: „A general, Bartlett, he’s like a tenant farmer. He works with what he’s been given.“74

Tatsächlich hatte Hamilton Kriegsminister Kitchener das Versprechen gegeben, nicht auf Kosten anderer Schauplätze eine Bevorzugung der Gallipoli-Front anzuregen und auch nicht öffentlich nach weiteren Truppen zu verlangen.75 Ashmead-Bartlett hinterfragt in der Serie also schon früh die militärische Gesamtplanung. Bereits in Episode 2 fasst er dies in folgendem Zitat zusammen: „The landing was a mistake, simple as that, miscalculation. But to build mistake upon mistake like these fools are doing … unforgivable.“76 In Folge 3 reist der Journalist nach London, wo er den Kriegsminister trifft und eine veränderte Angriffsplanung vorschlägt; im Verlauf der Unterhaltung wird klar, dass Kitchener von weitaus größeren Geländegewinnen der Anzac-Truppen ausgegangen war, als sie tatsächlich gelungen waren – ein Irrtum, den Ashmead-Bartlett (auf Kosten der britischen Generalität) nun korrigiert.77 Nach seiner Rückkehr auf den Kriegsschauplatz bringt Ashmead-Bartlett in der Serie einen Kinematographen an die Front – damit die Öffentlichkeit Krieg sehen kann „as it really is“.78 Schließlich führen seine Aktivitäten, unterstützt vom australischen Journalisten Keith Murdoch (dem Vater des späteren Medienmoguls Rupert Murdoch), zur Ablösung Hamiltons als Befehlshaber.79 In einem Interview im Januar 1916 sollte Ashmead-Bartlett den Plan und die Durchführung der Kampagne massiv kritisieren und die Annahme eines „almost“ erfolgreichen Feldzugs als

73 74 75 76 77 78 79

Reynaud: National Versions, 289. Gallipoli, Part 1, 1:03:21. Travers: Command, 409. Gallipoli, Part 2, 23:08. Gallipoli, Part 3, 25:30. Gallipoli, Part 4, 08:38. Gallipoli, Part 7, 01:55.

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„sheer nonsense“80 verwerfen. Während er und Bean tatsächlich eine wichtige Rolle dabei spielten, Premierminister Asquith und Kitchener vom Fehlschlag an den Dardanellen zu überzeugen, werden andere Faktoren in der Serie ignoriert: etwa die Wortmeldungen General Stopfords (der nach dem Scheitern der SuvlaOperation im August 1915 abgelöst worden war) oder ein Bericht des Regierungsbeamten Maurice Hankey, der Gallipoli besucht hatte.81 Bald darauf folgt „in stages from December 1915 to January 1916“ der Abzug der Alliierten, „the most successful part of the campaign, a secret evacuation that resulted in little loss of life“.82 Verluste entstanden v. a. in der Landungszone bei Kap Helles, die zuletzt evakuiert wurde, und teils starkem osmanischem Artilleriefeuer ausgesetzt war.83 Tolly Johnson gehört in der Serie zu den letzten australischen Soldaten, die, angesichts der Gefahr, in der finalen Phase der Evakuierung von Anzac Cove überrannt zu werden, an der Front ausharren. Als Ich-Erzähler meint er dazu: „On that last night, the last Anzacs were just 1.500 blokes scattered along the front lines […]. We all knew if the Turks realised what was happening, Gallipoli would end in a massacre.“84 Auch dies gleitet dabei aber nicht unbedingt in Pathos ab, das freiwillige Zurückbleiben Tollys bis zum Ende der Evakuierung wird nicht als Heldentum dargestellt, sondern ist ein „job that had to be done“85 und auch Ergebnis eines Traumas.

6.

Conclusio

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Gallipoli nicht wirklich mit den Traditionen australischer Populärkultur in Bezug auf den Anzac-Mythos bricht, sondern diesen in Teilaspekten ausdifferenzierter wiedergibt. Die Darstellung von Protagonisten als „Australian bushman Anzac“,86 wie sie über weite Strecken des 20. Jahrhunderts in Film und Fernsehen dominiert hatte, fehlt im Grunde völlig, ebenso Männlichkeitsideale á la Peter Weirs Gallipoli. Hier geht die Miniserie andere Wege, indem etwa permanent in Rückblenden auf die Beziehung Tollys zur Verlobten seines Bruders Bezug genommen oder die Haltung dem möglichen eigenen Tod gegenüber nicht durch Heldenmut, sondern eher durch 80 N. N.: „Ashmead Bartlett’s Why’s“. In: Port Pirie Recorder and North Western Mail, 14. 01. 1916, 3. 81 Carl Bridge: „Australia’s Gallipoli, 1915. Myths and Realities“. In: The Historian 125 (2015): 34–37, 36–37. 82 Samir S. Patel: „Anzac’s Next Chapter“. In: Archaeology 66/3 (2013): 53–58, 56. 83 John Graham Gillam: Gallipoli Diary. London: George Allen & Unwin, 1918, 319. 84 Gallipoli, Part 7, 29:53. 85 Janet S. K. Watson: Fighting Different Wars. Experience, Memory, and the First World War in Britain. Cambridge: Cambridge University Press, 2004, 5. 86 Reynaud: National Versions, 291.

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Fatalismus bestimmt wird. Am Ende von Episode 5 berichtet der Ich-Erzähler mit geradezu monotoner Stimme: „The Nek was a paddock of slaughter and a tragedy. Lone Pine was a rabbit warren and a mass grave. […] [B]ut down in those covered trenches of Lone Pine we had won. If this was a victory … I’d hate to see defeat.“87 Dennoch wird der Mythos in anderen Bereichen sehr wohl gestützt. „Mateship“ und Kameraderie der australischen Truppen stehen eindeutig in der altbekannten Tradition der Popularisierung von Anzac; daran ändert auch nichts, dass sie in etwas anderer Form dargestellt werden als z. B. in Peter Weirs Gallipoli, wo Kampfhandlungen nur einen kleinen Teil der Handlung bilden: „[M]ateship is dominant in the film and it does provide a strong idealistic counterpoint to the outside world“.88 Die Thematik wird in der Miniserie weniger dramatisiert, ist aber dennoch permanent präsent, während etwa inneraustralische Konflikte weitgehend fehlen. Hier war z. B. die siebenteilige Serie 1915 von 1982 einen anderen Weg gegangen, die Kriegsgefangenschaft und grundlegende Konflikte innerhalb der Anzac-Truppen gezeigt, dabei hingegen weitgehend auf anti-britische Rhetorik verzichtet hatte.89 Die Tatsache, dass Krankheiten weitaus mehr Verluste bedingten als im Gefecht erlittene Verwundungen, spielt in der Serie eine absolut untergeordnete Rolle. Im Herbst 1915 stellte ein Sanitätsoffizier fest, dass die Evakuierungsraten wegen Erkrankungen bei Anzac Cove deutlich über jenen bei Suvla und Kap Helles lagen; im Vergleich zu letzterem Gebiet betrugen sie rund das Vierfache.90 Tollys Krankenhausaufenthalt in Kairo präsentiert die veränderte Umgebung zwar in einer Szene als fremd und exotisch: als Tolly und sein Kamerad „Two-Bob“, der die zumeist marginalisierten indigenen Soldaten Australiens repräsentiert, vom Dach des Hospitals die Stadt überblicken und dem Klang der Echos ihrer Stimmen in der Nacht lauschen.91 Von bis dahin in der jüngeren Geschichte Ägyptens unbekannten Interaktionen zwischen Menschen aus Indien, Ägypten und Australasien ist jedoch nichts zu bemerken.92 Auch wird in der Miniserie ausschließlich die Rolle britischer, australischer und neuseeländischer Truppen behandelt; die Präsenz französischer Verbände bleibt eine Fußnote, ebenso jene von Truppen aus Indien. Kameradschaft ist ein Phänomen, das sich zwischen australischen Protagonisten manifestiert; nicht einmal für die neuseeländischen 87 Gallipoli, Part 5, 38:48. 88 Theodore F. Sheckels: „Fear in Peter Weir’s Australian Films. A Matter of Control“. In: Antipodes 23/1 (2009): 75–80, 78. 89 Reynaud: National Versions, 295. 90 Wishart: Food, Water and Diet, 153. 91 Gallipoli, Part 4, 14:36; Philippa Scarlett: „Aboriginal Service in the First World War. Identity, Recognition and the Problem of Mateship“. In: Aboriginal History 39 (2015): 163–181, 164. 92 Mario M. Ruiz: „Manly Spectacles and Imperial Soldiers in Wartime Egypt, 1914–19“. In: Middle Eastern Studies 45/3 (2009): 351–371, 352.

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Truppen, die, abgesehen vom Bataillonskommandeur William Malone, anonym bleiben,93 ist etwas Ähnliches feststellbar. Die von Mark Cryle als „a unique blend of nationalism and militarism“94 charakterisierte Anzac-Legende wird in ihrer australischen Deutung durch diese Kameradschaft tradiert, zugleich allerdings, das muss der Miniserie Gallipoli zugestanden werden, durch Thematiken wie Traumatisierung zumindest teilweise verändert; Militarismus und Männlichkeit, zwei klassische Ingredienzien des Mythos,95 treten gegenüber einer schlicht als notwendig angesehenen Opferbereitschaft in den Hintergrund; demgegenüber bleiben die im Vergleich mit anderen anglophonen Truppen übermäßig häufigen disziplinarischen Probleme unter australischen Soldaten ausgespart.96 Bei aller Fragwürdigkeit der Darstellung der Tätigkeit des Journalisten Ashmead-Bartlett, dessen Rolle bei der Entstehung des Anzac-Mythos verschwiegen wird, muss die Beschäftigung mit der schwierigen Pressearbeit unter Kriegsbedingungen hervorgehoben werden. Der z. B. in Bezug auf das Gedenken am „Anzac Day“ durchaus berechtigte Vorwurf, wonach die Erinnerung an Krieg leicht zu dessen Glorifizierung führen kann,97 erscheint im Fall von Gallipoli kaum angebracht; sehr wohl ähnelt die individuelle Entwicklung des Hauptprotagonisten aber der Erzählung von „a nation’s innocence lost as it made the ultimate sacrifice to preserve its key values“.98 Wie alle visuellen Medien konstituiert Gallipoli einen Bezugsrahmen, „innerhalb dessen Menschen Geschichte wahrnehmen und sozialen Sinn konstruieren“;99 mit dem fast ausschließlichen Fokus auf Fronterfahrung im Jahr 1915 bleiben weite Teile des australischen Kriegserlebnisses ausgespart und der Kern der Anzac-Erzählung intakt.

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93 Gallipoli, Part 5, 12:15; Philippa Mein Smith: „The ‚NZ‘ in Anzac. Different Remembrance and Meaning“. In: First World War Studies 7/2 (2016): 193–211, 200. 94 Cryle: Natural Enemies, 143. 95 Matt McDonald: „Remembering Gallipoli. Anzac, the Great War and Australian Memory Politics“. In: Australian Journal of Politics and History 63/3 (2017): 406–418, 406. 96 Wise: Industrial Relations, 163. 97 Alan W. Black: „The Sociology of Religion in Australia“. In: Sociological Analysis 51 (1990): 27–41, 35. 98 McDonald: Remembering Gallipoli, 410. 99 Gerhard Paul: Visual History. Ein Studienbuch. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006, 19.

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Helmuth Kiesel (Universität Heidelberg)

Umstrittene Heldenbücher. Zur Rezeption deutscher Weltkriegsbücher

„Habent sua fata libelli“ lautet eine vielberufene Sentenz des römischen Grammatikers Terentianus Maurus, der allerdings die in der Regel nicht mitzitierte nähere Bestimmung „pro captu lectoris“ vorangestellt ist: Bücher haben ihre Schicksale oder Wirkungen je nach Auffassungsvermögen des Lesers oder der Leserschaft. Dieses ist in der Regel allerdings in einem mehr oder minder hohen Grad von allgemeineren mentalen Dispositionen beeinflusst, also von der historisch-politischen Großwetterlage mit wechselnden ideologischen Dominanten und epochal unterschiedlichen literarästhetischen oder geschmacklichen Präferenzen, was nicht weiter ausgeführt werden muss. Auf die Rezeption deutscher Bücher über den Ersten Weltkrieg wirkten sich solche mentalen Prädispositionen in besonders hohem Maß aus. Die Kriegsschulddebatte und der Pazifismus der 1920er Jahre, die Remilitarisierung der NS-Zeit, die ‚Nie wieder Krieg‘-Stimmung nach dem Zweiten Weltkrieg, die erneute Kriegsschulddebatte der 1960er Jahre (‚Fischer-Kontroverse‘) und die gleichzeitig einsetzende Debatte über die mögliche Mitschuld der Kriegsbücher und ihrer Verfasser am Nationalsozialismus hatten erheblichen Einfluss auf die Verbreitung und wertende Rezeption von Kriegs- und Antikriegsbüchern, wie ich am Beispiel von Ernst Jüngers In Stahlgewittern (1920) und mit vergleichenden Blicken auf einige andere Titel zeigen möchte. Jüngers Stahlgewitter bieten sich dafür in besonderer Weise an, weil sie über nunmehr hundert Jahre hinweg Gegenstand kontroverser Einschätzungen sind und weil ihre Rezeption besonders gut dokumentiert und analysiert ist.1 Ernst Jüngers erstes und berühmtestes Kriegsbuch In Stahlgewittern erschien im Herbst 1920 mit dem Untertitel „Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers“ in 1 Alle Ausführungen über die Stahlgewitter beziehen sich auf die folgende Ausgabe: Ernst Jünger: In Stahlgewittern. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Helmuth Kiesel. Bd. 1: Die gedruckten Fassungen unter Berücksichtigung der Korrekturbücher. Bd. 2: Variantenverzeichnis und Materialien. Stuttgart: Klett-Cotta, 2013. – Grundlegend wichtig auch: Eva Dempewolf: Blut und Tinte. Eine Interpretation der verschiedenen Fassungen von Ernst Jüngers Kriegstagebüchern vor dem Hintergrund der Jahre 1920 bis 1980. Würzburg: Königshausen & Neumann, 1992.

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Helmuth Kiesel

einer Auflage von 2.000 Exemplaren im ‚Selbstverlag des Verfassers‘, anderthalb Jahre später, im März 1922, in zweiter, leicht überarbeiteter ‚Fassung‘ (wie Jünger gerne sagte) im Berliner Militaria-Verlag E. S. Mittler & Sohn in einer Auflage von 5.000 Exemplaren, 1924 in dritter, stärker bearbeiteter Fassung, die mehrfach aufgelegt wurde, und 1934 in dritter, noch einmal veränderter Fassung. Die dritte Fassung von 1924 entstand während des Krisenjahrs 1923, in dem das ‚Deutsche Reich‘, wie die ‚Weimarer Republik‘ offiziell hieß, durch die französisch-belgische Besetzung des Ruhrgebiets und den damit verbundenen rheinischen Separatismus, die Hyperinflation, das daraus resultierende Massenelend und die drei Putschversuche im Herbst (Schwarze Reichswehr in Küstrin, ‚Roter Oktober‘ in Hamburg, Hitler-Putsch in München) in eine äußerst labile Lage geraten war. Hätte sich das Rheinland separiert, wäre es möglicherweise auch zu einer Abspaltung Bayerns zugunsten einer Donauföderation gekommen, und das ‚Reich‘ wäre zerbrochen. Wären der Aufstand der Hamburger Kommunisten oder der Putschversuch Hitlers erfolgreich gewesen, hätte dies vermutlich zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen wie nach dem Kapp-Putsch 1920 im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland geführt. Unter dem Eindruck dieser Gefährdungen für das ‚Reich‘ fügte Jünger, der damals anfing, sich für die Politik zu interessieren und – beispielsweise – in München eine Hitler-Rede anhörte, dem Text der Stahlgewitter ein Vorwort2 und einige letzte Abschnitte3 hinzu, worin er behauptete, im Krieg einen Begriff von Vaterland und Nation gewonnen zu haben: „Nun sah ich zurück. […] Und aus allen Opfern war, fast ohne daß ich es gemerkt, die Idee des Vaterlandes immer reiner und glänzender herausgeschmolzen. Das war der bleibende Gewinn des Spiels, das so oft um den vollen Einsatz gegangen war: die Nation war für mich nicht mehr ein leerer, von Symbolen verschleierter Begriff – wie hätte es auch anders sein können, wo ich so viele dafür hatte sterben sehen und selbst dazu geschult war, zu jeder Minute, Tag und Nacht, ohne Besinnen das Leben in die Schanze zu schlagen für ihren Bestand. So nahm ich, so seltsam es auch klingen möge, gerade aus dieser vierjährigen Schule der Gewalt, aus allen Rasereien der Materialschlacht die Erkenntnis mit, daß das Leben nur durch den Einsatz für eine Idee seinen tieferen Sinn erhält, und daß es Ideale gibt, denen gegenüber das Leben des Einzelnen und selbst des Volkes keine Rolle spielt. Und wenn das Ziel, für das ich als Einzelner, als Atom im Körper des Heeres gefochten hatte, auch nicht erreicht werden sollte, wenn scheinbar die Materie uns doch zu Boden schlug – nun gut, wir hatten immerhin gelernt, für eine Sache zu stehen und, wenn es sein mußte, zu fallen, wie es Männern geziemt.“4

2 Jünger: In Stahlgewittern, Bd. 1, 23–24. 3 Ebd., 642–646. 4 Ebd., 642.

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Der vorausgehende Text der Stahlgewitter lässt von einer solchen Erfahrung der „Idee des Vaterlandes“5 im Krieg nichts erkennen, und ebensowenig ist sie aus dem fortlaufend geführten Kriegstagebuch,6 das den Stahlgewittern zugrunde liegt, zu ersehen. Es handelt sich um eine nachträgliche, durch die politische Situation des Jahrs 1923 veranlasste patriotische Aufladung eines zunächst völlig unpolitischen Kriegsberichts aus der Feder eines noch jungen Mannes, der im Herbst 1914 keineswegs für „Volk und Vaterland“ in den Krieg gezogen war, sondern weil er – wie schon 1913 beim Gang in die Fremdenlegion – das große Abenteuer suchte. Gewiss hat diese Aufladung, die durch die Wunschformel „Deutschland lebt und Deutschland soll nicht untergehen!“7 abgeschlossen wird, einen nationalistischen Zug; aber wenn man sie als ‚nationalistisch‘ bezeichnet, ist zu beachten, dass Jünger weit davon entfernt war, die deutsche Nation über alle anderen zu stellen. In einer früheren Passage merkte er anlässlich einer geradezu kameradschaftlichen Begegnung mit einem englischen Offizier an, man dürfe sich bei der Einschätzung der Gegner „nicht durch übertriebenes Nationalgefühl blenden“ lassen, „wie es bei einem großen Teil der Franzosen und Deutschen der Fall ist. Das Bewußtsein der Bedeutung der eigenen Nation sollte jeder ebenso selbstverständlich und unaufdringlich in sich tragen wie der Gentleman das Bewußtsein der unbedingten Ehrbarkeit. Nur so bleibt auch zur Anerkennung anderer Platz.“8 Aber gleich, ob diese Aufladung als ‚patriotisch‘, ‚national‘ oder ‚nationalistisch‘ zu qualifizieren ist – bei der nächsten Überarbeitung, die Jünger unter dem Eindruck der beginnenden NS-Herrschaft vornahm und die 1934 als 14. Auflage (oder vierte Fassung) erschien, nahm Jünger alle diese An- und Einfügungen wieder heraus. Bei Jüngers entschiedener Distanz gegenüber dem Nationalsozialismus ist zu vermuten, dass er die Stahlgewitter dem Gebrauch durch die Nationalsozialisten möglichst weit entziehen wollte und deswegen die Deutschland-Passagen tilgte; möglicherweise war dies aber auch durch die Absicht motiviert, die nachträgliche und eigentlich verfälschende Politisierung des Kriegseinsatzes zugunsten der authentischeren Darstellung des ‚Kriegserlebnisses‘ eines gänzlich unpolitischen jungen Mannes zurückzunehmen. Für die Rezeption der Stahlgewitter in den Jahren zwischen 1924 und 1934 und darüber hinaus dürften die Deutschland-Passagen aber von einiger Bedeutung gewesen sein. Die Neufassung von 1924 wurde mit einer Auflage von 3.000 Exemplaren gedruckt. Weitere Auflagen von je 2.000 Exemplaren folgten 1925 und 1926. Die nächste Auflage von 1927 hatte 3.000 Exemplare, die aber bis 1929 reichten. Das Interesse an dem Buch bewegte sich also auf einem gleich5 6 7 8

Ebd., 24; 642. Ernst Jünger: Kriegstagebuch 1914–1918. Hg. von Helmuth Kiesel. Stuttgart: Klett-Cotta, 2010. Jünger: In Stahlgewittern, Bd. 1, 646. Ebd., 134–136.

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bleibenden Niveau, das nicht allzu hoch war; bis Anfang des Jahrs 1929, in welchem mit dem Erscheinen von Erich Maria Remarques Roman Im Westen nichts Neues das Interesse am Thema Krieg schlagartig emporschoss, waren 25.000 Exemplare verkauft worden, was als respektabler Erfolg zu werten ist, aber auch als Indiz dafür, dass das Interesse an den Stahlgewittern trotz der enormen politisch-publizistischen Aktivitäten, die Jünger in diesen Jahren entfaltete,9 sehr begrenzt blieb. Die ersten bis heute bekannten Rezeptionsdokumente erschienen in schweizerischen und deutschen Militärblättern und zeigen, dass sich die Rezeption zunächst auf militärische Kreise beschränkte und das Buch vor allem als militärisch aufschlussreiche Darstellung des Geschehens an der Front wahrgenommen wurde.10 Die Rezeption in Deutschland wurde zunächst durch eine große Zahl von Offiziers- und Generalsmemoiren überlagert und litt dann wohl auch unter dem Überdruss an Kriegsliteratur, der um 1925 zu beobachten war.11 Allerdings begann um 1925 eine verstärkte Rezeption in nationalistischen Kreisen.12 Sie zeigt sich in Artikeln von Franz Schauwecker, der durch sein 1919 publiziertes Buch Im Todesrachen. Die deutsche Seele im Weltkriege bekannt geworden war, und Albrecht Erich Günther, einem Hauptvertreter der sogenannten Konservativen Revolution und Redakteur der Monatsschrift Deutsches Volkstum. Für Günther, der von 1924 bis 1926 drei Artikel über die Stahlgewitter schrieb, war Jünger der Repräsentant eines neuen, durch den Krieg gestählten Geschlechts, das dazu berufen schien, die Zukunft Deutschlands zu gestalten – ein Anspruch, den Jünger selbst in seinen politischen Artikeln als ‚Sprecher der Frontsoldaten‘ mehrfach erhob. Die Stahlgewitter haben, so Günther in seinem ausführlichen Artikel vom Mai 1926, den Rang von Henri Barbusses großem pazifistischem Roman Das Feuer, doch sei Jünger der deutsche Anti-Barbusse: Wo Barbusse von individueller Freiheit und Auflehnung gegen das Machtprinzip rede, spreche Jünger von „Bindung“ und von der „Herrschaft der Kämpfer“,13 die allem Liberalismus entgegenstehe, und zeige sich als entschiedener Nationalist, was Günther freilich nur sagen kann, indem er – stillschweigend – Jüngers publizistische Bekenntnisse aus den Jahren 1925/26 auf die Stahlgewitter projiziert. Günthers Artikel dokumentiert aber nicht nur das große Ansehen, das Jünger um 1926 in nationalistischen Kreisen gewann; er zeigt auch, indem Günther einen Artikel aus der Welt am Montag zitiert, dass Jünger zum Gegenstand einer durch 9 Vgl. Helmuth Kiesel: Ernst Jünger. Die Biographie. München: Siedler, 2007, 266–317 und Ernst Jünger: Politische Publizistik 1919 bis 1933. Hg. von Sven Olaf Berggötz. Stuttgart: Klett-Cotta, 2001. 10 Vgl. den Rezeptionsbericht in Jünger: In Stahlgewittern, Bd. 2, 452–459. 11 Vgl. Helmuth Kiesel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1918–1933. München: C. H. Beck, 2017, 498–499. 12 Zum Folgenden siehe Jünger: In Stahlgewittern, Bd. 2, 460–469. 13 Ebd., 464–468 (Auszüge). Original in: Deutsches Volkstum 8/5 (1926): 335–340.

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ihn selbst befeuerten Kontroverse zwischen Nationalisten und ihren pazifistischen Gegnern wurde. Günther: „Er [= Jünger] bezeichnet sich als Nationalisten, um durch dieses verhaßte Wort den Trennungsstrich zwischen sich und allem liberalen Denken zu ziehen. Und er darf die Genugtuung haben, daß die Gegner ihn erkannt und begriffen haben, welch gefährlicher Kraftüberschuß dem nationalen Willen inne wohnt, wenn er sich nicht mehr damit aufhält, sich vor dem Urteil der liberalen öffentlichen Meinung zu rechtfertigen. ‚So also wird der Geist von 1914 weitergezüchtet! Es hat dies alles gegeben und gibt es noch, die Vertiertheit, das Unmaß an Raserei, den besinnungslosen Mord, als die deutschen Heere im ersten Ansturm Frankreich überfluteten. Schadet dieses Buch nicht dem deutschen Ansehen (von Locarno aus gesehen)? Ist das kein Hochverrat? Herr Staatsanwalt, warum verbieten Sie es nicht?‘ – so begrüßte die wohlbekannte ‚Welt am Montag‘ das Buch, welches wir hier empfehlen.“14

Hinter der in der Welt am Montag angemeldeten Verbotsforderung stehen offensichtlich zwei in diesen Jahren starke mentale Wirkungskräfte. Die eine bestand in der pazifistischen Perhorreszierung des Kriegs, die sich besonders eindringlich in den schockierenden Bildern und Texten von Ernst Friedrichs Ausstellung und Ausstellungsbuch Krieg dem Kriege (1924) äußerte, ebenso in pazifistischen Antikriegsbüchern wie beispielsweise Bruno Vogels Skizzensammlung Es lebe der Krieg (1924 mit Vordatierung auf 1925), die ebenfalls die bestialischen Seiten des soldatischen Handelns in den Vordergrund stellte.15 Die andere gegen die Stahlgewitter einnehmende Wirkungskraft resultierte aus den im Oktober 1925 in Locarno ausgehandelten Verträge mit den westlichen Nachbarn, die eine Versöhnung mit Frankreich und eine friedliche Zukunft in Aussicht stellten; ein Kriegsbuch, das man, wenn man unbedingt wollte, als revanchistisch lesen konnte, schien hier zu stören. Dies wurde allerdings durch die bald erscheinenden Übersetzungen ins Englische (1929) und Französische (1930) widerlegt. Beide Übersetzungen erschienen mit Vorworten der Herausgeber und Übersetzer, die nicht nur von Anerkennung für die kämpferische und schriftstellerische Leistung Jüngers getragen waren, sondern auch von Versöhnungsbereitschaft.16 Das Vorwort zur englischen Ausgabe schrieb der Romancier Ralph H. Mottram, der durch einen in Flandern spielenden dreiteiligen Kriegsroman (The Spanish Farm, 1924–26, deutsch 1929 als Der „Spanische Pachthof“) bekannt geworden war. Er betonte, dass die Übersetzung gerade zur rechten Zeit erscheine, weil nichts besser geeignet sei, den aktuellen Versuch, „den Gott des Krieges auferstehen zu lassen“,17 zu diskreditieren. Die von Günther zitierte Welt 14 Ebd. 466 bzw. 338. 15 Weitere Hinweise in Kiesel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1918 bis 1933, 513– 537. 16 Siehe Jünger: In Stahlgewittern, Bd. 2, 527–540. 17 Ebd., 528.

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am Montag konnte nicht ausfindig gemacht werden, doch muß die Authentizität des Zitats nicht bezweifelt werden. Ein Artikel des Publizisten Axel Eggebrecht, der um die Mitte des Jahres 1926 in der Literarischen Welt erschien, bestätigt sowohl das Anwachsen der Aufmerksamkeit, die Jünger erfuhr, als auch die sich herausbildende Gegnerschaft. Eggebrecht hatte sich 1917 mit knapp achtzehn Jahren zum Kriegsdienst gemeldet und war Anfang 1918 schwer verwundet worden. Um die Mitte der Zwanzigerjahre schrieb er vorzugsweise für linksliberale Blätter. Unter dem Eindruck seiner Stahlgewitter-Lektüre stellte Eggebrecht fest: „Das Schicksal dieses Buches ist typisch für das Schicksal deutscher geistiger Leistungen überhaupt. Diese Kriegsschilderungen eines Infanterieoffiziers sind ebenbürtig Barbusses „Feuer“. Aber niemand kennt sie außerhalb des Kreises früherer Offiziere und strammer Reaktionäre, zu denen der Verfasser gehört. Man muss sich daran gewöhnen, Erlebnisse und erschütternde Gestaltungen zur Kenntnis zu nehmen und anzuerkennen, auch dann, wenn der Verfasser zufällig Gegner ist. Und „zufällig“ ist dieser Kerl unser Gegner – aber einer, auf den man wirklich, im Nietzschesinne, stolz sein kann. Kein Femejüngelchen, kein Fürstenknecht, kein deutscher Oberlehrer: Ein zu spät geborener Landsknecht, ein prachtvoller Bursche. Salz einer rebellierenden Masse – allzu spärlich unter unseren deutschen Revolutionären.“18

Jünger galt, so zeigt Eggebrechts Artikel, um die Mitte des Jahres 1926 auf linksliberaler Seite als ‚Gegner‘. Dies wirkte sich selbstverständlich auch auf die weitere Rezeption der Stahlgewitter aus. Von linker Seite aus wurden sie meist ohne genauere Erörterung von Inhalt und Darstellungsweise als kriegstreiberische Literatur abgetan,19 doch gibt es erstaunliche Ausnahmen. 1927/28 begann mit Romanen wie Arnold Zweigs Der Streit um den Sergeanten Grischa (1927), Georg von der Vrings Soldat Suhren (1927) und Ludwig Renns Krieg (1928) die „Wiedergeburt“ oder „Wiederkehr des Weltkrieges in der Literatur“,20 wie die Literaturwissenschaftler Herbert Cysarz und Ernst Jirgal 1931 in zwei Abhandlungen feststellten. Sie hatte zwei Spielarten, eine nationalistisch-bellizistische und eine pazifistische. Repräsentativ für die nationalistisch-bellizistische Spielart sind Romane wie Werner Beumelburgs Gruppe Bosemüller (1930), Franz Schauweckers Aufbruch der Nation (1930) und Hans Zöberleins Der Glaube an Deutschland (1931), ebenso Jüngers essayistische Buch Das Abenteuerliche Herz 18 Zit. nach Kirsten Braselmann: Der „Landsknecht avec phrase“: Reaktionen von Linksintellektuellen und Republikanern zu Zeiten der Weimarer Republik auf Ernst Jüngers Frühwerk. Berlin: wvb, 2013, 53 (Original in: Die literarische Welt 20 (1926), 6). 19 Siehe dazu Braselmann: Der Landsknecht, 51–72. 20 Herbert Cysarz: Zur Geistesgeschichte des Weltkrieges. Die dichterischen Wandlungen des deutschen Kriegsbilds 1910–1930. Halle an der Saale: Max Niemeyer, 1931; Ernst Jirgal: Die Wiederkehr des Weltkrieges in der Literatur. Wien/Leipzig: Reinhold, 1931. Weitere Hinweise in Kiesel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1918 bis 1933, 770–807.

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(1929), das zwar kein Kriegsbuch ist, aber doch dem ‚Kriegserlebnis‘ einen ganz außerordentlichen Wert zuschreibt, indem es vom Krieg als der „unvergleichlichen Schule des Lebens“ redet und ihn zu den „vorzüglichen Eingangspforten in entscheidende Abschnitte des Seelentums“21 rechnet. Für die pazifistische Spielart der „Wiederkehr des Weltkrieges in der Literatur“ sind außer den oben genannten Romanen von Zweig, Vring und Renn vor allem Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues (1928/29) und Edlef Köppens Heeresbericht (1930) als repräsentativ genannt worden. Diese Linie wurde dominant, sowohl in der publizistischen Bewertung als auch im Absatz. Remarques Im Westen nichts Neues erreichte binnen eines Jahrs einen Absatz von fast einer Million, und auch Renns Krieg wurde von 1928 bis 1931 über 150.000 Mal verkauft, während die Stahlgewitter in dieser Zeit etwa 20.000 Mal abgesetzt wurden. Die Frontstellung zwischen beiden Richtungen fand ihren Ausdruck in scharfen Polemiken und skandalösen Aktionen, so einerseits in Kurt Tucholskys simplifizierendem und ehrenrührigem Diktum „Soldaten sind Mörder“22 und andererseits in der Sprengung der Berliner Premiere der Remarque-Verfilmung am 4. Dezember 1930 durch Goebbels und Gefolgsleute, zu denen damals auch Arnolt Bronnen und seine Verlobte Olga Schkarena gehörten.23 Trotz der klaren und meist schroff ausformulierten Frontstellung zwischen Pazifisten und Bellizisten kam es um 1930 zu überraschenden und geradezu paradoxen Bewertungen sowohl von Jüngers Stahlgewittern als auch von Remarques Im Westen nichts Neues. Einerseits wurde nämlich den Stahlgewittern von pazifistisch eingestellten Autoren explizit oder implizit eine pazifistische Wirkung bescheinigt. Remarque sagte im Herbst 1929 in einem Interview mit der französischen Zeitschrift Revue d’ Allemagne, er finde, dass Bücher wie Renns Krieg und Jüngers Stahlgewitter „einen pazifistischeren Einfluß als alle anderen ausübten“.24 Der SPD-Reichstagsabgeordnete Paul Levi befand 1930 in einer Besprechung mehrerer Kriegsbücher, die im linksliberalen Tage-Buch erschien: „Den Schrecken des ganzen Erlebens hat vielleicht keiner so geschildert, kaum ist eine furchtbarere Anklage gegen den Krieg geschrieben als dieses Buch eines Mannes, der zum Kriege ‚positiv‘ eingestellt ist.“25 Der jüdische Schriftsteller Hans Sochaczewer, der zur Vorbereitung eines Romans über die Nachkriegszeit die Kriegs- und Antikriegsbücher jener Zeit studiert hatte, schrieb in einer Rezension von Remarques zweitem Roman: „Ich habe gefunden, daß die Werke des begabten Nationalsozialisten [was Jünger 21 Ernst Jünger: „Das Abenteuerliche Herz. Erste Fassung“ [1929]. In: Essay III. Das Abenteuerliche Herz (Sämtliche Werke 9). Stuttgart: Klett-Cotta, 1979: 31–176, 98; 144. 22 Kurt Tucholsky: „Der bewachte Kriegsschauplatz“ [1931]. In: Gesammelte Werke 9. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1975: 253–254, 253 (Original in: Die Weltbühne vom 04. 08. 1931). 23 Siehe dazu Kiesel: Ernst Jünger, 337–338. 24 Ausführlich in Jünger: In Stahlgewittern, Bd. 2, 471–472. 25 Ebd., 484.

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bekanntlich nicht war: HK] am meisten pazifistisch wirken. […] Den Wunsch ‚Nie wieder Krieg!‘ können gerade die Erzählungen des Ernst Jünger und seiner Kameraden eingeben.“26 Ähnlich äußerte sich ein junger Arbeiter, der im Rahmen einer in Leipzig durchgeführten Leserforschung etwa hundert Kriegsromane gelesen hatte und in einer abschließenden Stellungnahme betonte, dass gerade die nationalistisch-bellizistischen Bücher den Krieg in einer abschreckenden Weise vor Augen führten.27 Und andererseits machten linke Autoren darauf aufmerksam, dass auch pazifistisch gemeinte Kriegsromane für den Krieg begeistern könnten. Im März 1929 schrieb der Publizist und Romancier Hans Natonek in der Neuen Leipziger Zeitung, in Remarques Roman mit seinen packenden Schilderungen von Abenteuern und Untergängen sei „das süße Rauschgift des Krieges“.28 Wenige Tage später, am 2. April 1929, erschien in der Weltbühne ein sechsseitiger Artikel, in dem sich der Journalist Karl Hugo Sclutius kritisch mit Remarques Roman auseinandersetzte und zu dem Befund kam, es handle sich dabei um „pazifistische Kriegspropaganda“, die um so wirkungsvoller sei, als sie über die Schrecken des Kriegs nicht hinwegtäusche: „[…], die Kriegsliteratur erobert das Herz des Volkes. Nicht mit dem Roten Kampfflieger [Manfred von Richthofen] ist das zu machen, das Kriegsbuch trägt kein eisernes Kreuz am Deckel, es lügt nicht über Blut und Tod hinweg – auch das ist versucht worden, aber es war ein untaugliches Mittel –, nein mit dem Schrecken und Grauen der Wahrheit werden die Menschen, die jungen vor allem, für den Krieg erobert. […] Die Pazifisten liegen schief, wenn sie die Schrecken des Schützengrabens sprechen lassen. Was war mit Lederstrumpf ? Was mit Winnetou und Old Shatterhand? Was mit Robinson? Gefahr schreckt nicht, Gefahr reizt. ‚Im Westen nichts Neues‘ wird auf keinem Weihnachtstisch pfadfindender Knaben fehlen. Sie werden nächstes Jahr, wenn nicht zum Stahlhelm, doch zu Reichsbanner oder Rot-Front gehen.“29

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung änderte sich die Rezeptionssituation grundlegend. Die pazifistische Literatur wurde aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt und für den Buchhandel verboten. Bei den Bücherverbrennungen um den 10. Mai 1933 wurden unter der Devise „Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkrieges“30 Remarques Romane auf den Scheiterhaufen geworfen. Ein Teil der Autoren mußte, um dem Terror der SA zu entgehen, Deutschland verlassen, wurde ausgebürgert und nachträglich noch beschimpft. 26 Ebd., 489. 27 Ebd., 490–491. 28 Zit. nach Hans Natonek: Im Geräusch der Zeit. Gesammelte Publizistik 1914–1933. Hrsg. von Steffi Böttger. Leipzig: Lehmstedt, 2006, 244. 29 Karl Hugo Sclutius: „Pazifistische Kriegspropaganda“. In: Die Weltbühne 25/1. Halbjahr (02. 04. 1929): 517–522, 518; 522. 30 Friedemann Berger u. a. (Hg.): In jenen Tagen …: Schriftsteller zwischen Reichstagsbrand und Bücherverbrennung. Eine Dokumentation. Leipzig/Weimar: Kiepenheuer, 1983, 286.

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Nachdem im Reichsanzeiger die Ausbürgerung Arnold Zweigs mitgeteilt worden war, stand im Mannheimer Hakenkreuzbanner vom 5. März 1936 über Zweigs Streit um den Sergeanten Grischa zu lesen, es habe „kein zweites Buch in deutscher Sprache je gegeben, das auf verruchtere und perfidere Art den deutschen Soldaten verächtlich gemacht und den Frontkämpfer zur rasenden Bestie, zum ‚boche‘ umgefälscht“ habe: „Hier finden wir den blutrünstigen General – ein offenkundiges Teufelszerrbild Ludendorffs –, der nach Erschießungen giert, genau so wie den servil-sadistischen Unteroffizier, die erotisch-pervertierte deutsche Krankenschwester und was dergleichen Ausgeburten jüdisch-pazifistisch-kommunistischer Höllenphantasie mehr sind.“31 Gefördert wurden hingegen die Bücher von Beumelburg, Schauwecker und Zöberlein, die nun zu Hunderttausenden abgesetzt werden konnten. Auch Jünger profitierte von der neuen Konjunktur der nationalistisch-bellizistischen Kriegsliteratur: Während von den Stahlgewittern zwischen 1920 und 1934 ungefähr 50.000 Exemplare verkauft worden waren, konnten von 1934 bis 1945 zwischen 160.000 und 180.000 Exemplare abgesetzt werden.32 Ein Teil davon, das 110.–125. Tausend der 16. Auflage von 1935, hatte einen für Jüngers Bücher untypischen, aber zeitgemäß martialischen Umschlag, der einen stilisieren Soldatenkopf mit Stahlhelm zeigte.33Mit der Niederwerfung des ‚Dritten Reichs‘ ging diese Konjunktur der nationalistisch-bellizistischen Kriegsbücher zu Ende. Nach 1945 verschwanden die Bücher der nationalistischbellizistischen Autoren vom Markt. Auch die Stahlgewitter wurden nicht mehr gedruckt, bis sich Jünger und sein neuer Verleger Ernst Klett entschlossen, mit ihnen die zehnbändige Werkausgabe der Jahre 1960–64 zu eröffnen – ein durchaus riskantes Unternehmen, das der Verlag denn auch mit einem besonderen Informationsblatt begleitete;34 zudem legte man den Band 1 erst 1961 nach drei vorausgehenden Bänden mit Reisetagebüchern, Betrachtungen zur Zeit und Erzählungen vor, offensichtlich, um die Stahlgewitter nicht als Jüngers bleibendes Hauptwerk erscheinen zu lassen. Die Resonanz fiel verhalten positiv aus. Die Stahlgewitter wurden als dauerhaft wichtiges Dokument des Ersten Weltkriegs eingeschätzt, der Verlag wurde für die neue Präsentation gelobt.35 Bei all dem ist der Ton aber immer etwas apologetisch; das Eintreten für die Stahlgewitter und ihren ‚umstrittenen‘ Autor ist nicht selbstverständlich, sondern muss begründet werden. Der Umstand, dass auch die Neuauflage von 1960 von Jünger noch einmal gründlich überarbeitet wurde, wird von Jüngers ‚Sekretären‘ Armin Mohler und Heinz Ludwig Arnold thematisiert und kontrovers eingeschätzt.36 Während 31 32 33 34 35 36

Ebd., 245. Genauere Berechnung in Jünger: In Stahlgewittern, Bd. 2, 450. Abbildung ebd., 524. Vgl. ebd., 525–526. Vgl. ebd., 492–500. Vgl. ebd., 500–505.

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Mohler in den Veränderungen eine problematische Sinn- oder Akzentveränderung sah, sprach Arnold von einer letztlich begrüßenswerten Verdeutlichung eines zuvor nur „im Verborgenen blühenden Humanismus“.37 Eine ausführliche und außerordentlich scharfe Kritik an den Stahlgewittern, die im Februar 1963 in der linken Zeitschrift Alternative erschien, ist besonders bemerkenswert, weil sie in hohem Maß symptomatisch ist für die damals einsetzende Tribunalisierung der ‚faschistischen Vätergeneration‘ durch die geschichtlich ‚sensibilisierten Nachgeborenen‘. Der Verfasser dieser Rezension, der 1931 geborene Alternative-Herausgeber Reimar Lenz, war der Sohn des Anthropologen und Eugenikers Fritz Lenz, der schon in den Jahren der Weimarer Republik mit drastischen eugenischen Forderungen hervorgetreten war und in der NS-Zeit an Sterilisierungs- und Euthanasieplanungen beteiligt war. Reimar Lenz, der einen guten Teil seiner Arbeitskraft auf die Aufarbeitung von NS-Vergehen verwendete und sich in der Anti-Atom-Tod-Bewegung engagierte, reagierte nun auf das Wiedererscheinen der Stahlgewitter, die er aber in der 24. Auflage von 1941 las, äußerst allergisch: Er fand in Jünger „den Urvater des literarischen Landser-Jargons“38 und in den Stahlgewittern ein „Schlächter-Epos“, das er nur als Dokument einer sowohl individuellen als auch kollektiven „Verrohung“39 werten konnte. Von einer Vorläuferschaft für die Verbrechen des Nationalsozialismus ist nicht ausdrücklich die Rede; aber ein allgemeiner Zusammenhang wird unterstellt: „Das Kriegstagebuch Jüngers ist, aufs Ganze gesehen, nur ein kleines, wenngleich bezeichnendes Beweisstück aus den Strafakten des europäischen Geistes.“40Die weitere Rezeption der Stahlgewitter und Jüngers überhaupt geschah im Kontext der Anklage der ‚faschistischen Vätergeneration‘ und der von dem Historiker Fritz Fischer 1961 erneuerten Debatte über die Verantwortung für den Ersten Weltkrieg, die Fischer im deutschen „Griff nach der Weltmacht“41 sah. Unter diesem Aspekt konnten die Stahlgewitter, wie schon in der Rezension von Reimar Lenz zu sehen ist, nur als Werk des deutschen Imperialismus wahrgenommen werden. Hinzu kam, dass Klaus Theweleit, der in seiner 1977/78 publizierten, vielbeachteten und wirkungsreichen Dissertation Männerphantasien auf der Basis von Freikorpsromanen ein Psychogramm des angsterfüllten und zugleich aggressiven, gepanzerten und frauenfeindlichen faschistischen Mannes entwarf, an vielen Stellen auch die Stahlgewitter als Belegmaterial verwendete.42 Die Stahlgewitter wurden damit zu 37 38 39 40 41 42

Ebd., 504. Ebd., 508. Ebd., 511 Ebd., 512. Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Düsseldorf: Droste, 1961. Vgl. Klaus Theweleit: Männerphantasien. 2 Bde. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1980, Bd.1, 46–50 (hier mit dem Porträtbild aus den Stahlgewittern); 71; 249; 410; 415 sowie Bd. 2, 90–91; 98; 158; 174–175; 183; 206; 346; 393 (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).

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einer prominenten Manifestation faschistischer Männlichkeit und wurden als solche in einer Vielzahl von literatur-, kultur- und genderwissenschaftlichen Studien angeführt und immer wieder aufs Neue analysiert. Der einfache Umstand, dass zwischen dem Kriegsbericht Jüngers und den autobiographischen Romanen und Berichten von Freikorpsmitgliedern, die an ganz anderen – nämlich bürgerkriegsähnlichen – Aktionen mit spezifischen Formationen Gewalttaten – von ‚Säuberungen‘ bis zu Fememorden – beteiligt waren, ein Unterschied besteht, wurde übersehen. Auf Jüngers ‚Image‘ in der Öffentlichkeit wirkte sich dies negativ aus, wie sich regelmäßig zeigte, wenn ein runder Geburtstag zu kommentieren war, eine Preisverleihung anstand oder Jünger aus historisch-politischen Anlässen in der Öffentlichkeit erschien.43Das Bild Jüngers und der Stahlgewitter blieb jedoch nicht monochrom. Gleichzeitig mit Theweleits Männerphantasien erschien 1978 Karl Heinz Bohrers Habilitationsschrift Die Ästhetik des Schreckens,44 die Jüngers Frühwerk – bis zum Abenteuerlichen Herzen – in die Tradition der schwarzen Romantik und in den Kontext des Surrealismus stellte und die außerordentliche Sensibilität und Prägnanz seiner ästhetizistischen Darstellungsweise rühmte. Der Ästhetizismus, der Jünger oft zum Vorwurf gemacht wurde und gemacht wird, erschien bei Bohrer als Voraussetzung einer Darstellungsleistung, die, indem sie Vernunft und Ethik zurückstellte, besonders eindringliche und aufschlussreiche Bilder der modernen Schreckenswelt schuf, auch der faschistischen.45 In eine ähnliche Richtung ging Helmut Lethen mit seinem 1994 publizierten Buch Verhaltenslehren der Kälte: Lebensversuche zwischen den Kriegen. Jünger ist dort – neben Carl Schmitt – ein Exponent jener habituellen Kälte, die in den 1920er-Jahren unter dem Druck der politischen, sozialen und kulturellen Verwerfungen von vielen Zeitgenossen gepflegt wurde und einerseits als Fehlhaltung zu werten ist, andererseits aber auch als Begünstigung besonders scharfer Einsichten in die prekäre Verfassung der Epoche.46 Jünger wurde dadurch nicht der Kritik entzogen; er blieb der ‚umstrittene‘ Autor. Aber die Bereitschaft, seine literarische Leistung anzuerkennen, wuchs; dass er der „Urvater des literarischen Landser-Jargons“ sei, las man nicht mehr. Eine neue Phase der Auseinandersetzung mit den Stahlgewittern begann nach dem Erscheinen des originalen Kriegstagebuchs 1914–1918 (2010) und der historisch-kritischen Ausgabe der Stahlgewitter (2013). Im Vergleich von Kriegstagebuch und Stahlgewittern 43 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung von Niels Penke: Jünger und die Folgen. Stuttgart: Metzler, 2018: 81–163: „Verkörperung des Jahrhunderts“. 44 Karl Heinz Bohrer: Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk. München: Hanser, 1978. 45 Vgl. Bohrers Interpretation des Traumnotats „In der Klosterkirche“ aus dem Abenteuerlichen Herzen in Bohrer: Die Ästhetik des Schreckens, 233–238. 46 Vgl. Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1994, 187–202.

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wurde, wie der Historiker Benjamin Ziemann gezeigt hat, der literarische, das eigentliche ‚Kriegserlebnis‘ überformende Charakter der Stahlgewitter deutlich,47 und die synoptische Wiedergabe der sieben Fassungen der Stahlgewitter ließ nicht nur erkennbar werden, in welchem Maß sich Jünger von 1922 bis 1960 um eine Schärfung der Darstellung bemühte, sondern auch, in welchem Maß die geschichtliche Entwicklung den Blick des Verfassers auf den Ersten Weltkrieg veränderte. Einige Einfügungen in die sechste Fassung von 1960 resultieren aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, so etwa ein kleiner Abschnitt, in dem die „planmäßige Zerstörung“ der Somme-Gegend beim Rückzug im März 1917 im Licht späterer Erfahrungen beurteilt wird,48 und das erstmalige Bekenntnis zur Trauer um die getöteten Soldaten.49 Letzteres ist umso bemerkenswerter, als dieses Bekenntnis zur Trauer einige Jahre vor dem Erscheinen jenes epochal bedeutsamen Buches liegt, mit dem Alexander und Margarete Mitscherlich 1967 die Deutschen der „Unfähigkeit zu trauern“ 50 bezichtigten und damit die Trauer für die nicht-deutschen Opfer der deutschen Gewaltgeschichte ins Zentrum der politischen Kultur der Bundesrepublik rückten. Habent sua fata libelli: Das Schicksal, das Ernst Jüngers Kriegsbuch In Stahlgewittern seit seinem Erscheinen vor hundert Jahren erfuhr, war durchaus wechselhaft und unterlag in besonderer Weise dem Wandel der politischen Einstellungen der Leserschaft oder, wie man vielleicht besser sagen sollte, der Leserschaften. In den Zwanzigerjahren bildeten sich zwei Gruppen heraus: einerseits die nationalistisch-bellizistische, die das Buch als zukunftsweisendes Heldenbuch las, und andererseits die internationalistisch-pazifistische, die in diesem Buch eine eigentlich gerichtlich zu verbietende Dokumentation eines inhumanen und friedengefährdenden Militarismus sah. Von beiden Parteien wurde das Buch einseitig verstanden und genutzt, um einerseits gegen einen ‚wohlfeilen‘ Pazifismus und andererseits gegen einen ‚verantwortungslosen‘ Bellizismus zu polemisieren. Dass dieses Buch, das den Krieg als Entfaltung von individuellem und kollektivem Heldentum schildert und feiert, zugleich ein Buch ist, das die Brutalität des Kriegs in einer bestürzenden Weise zeigt, wurde um 1930 während der Hochkonjunktur der Kriegsbücher von einigen besonders wahrnehmungsfähigen Zeitgenossen gesehen und gesagt, bestimmte aber nicht die breitere und weitere Rezeption. Es wurde primär als bellizistisches Buch gelesen, was durch ausdrücklich kriegsbejahende Stellen gedeckt ist, aber das kriegskritische Potential der harten Schilderungen von Leid und Tod übersieht. Der primär bellizistischen 47 Vgl. Benjamin Ziemann: Gewalt im Ersten Weltkrieg. Töten – Überleben – Verweigern. Essen: Klartext, 2013, 63–90. 48 Vgl. Jünger: In Stahlgewittern, Bd. 1, 297. 49 Vgl. ebd., Bd 1, 543, und Bd. 2, 105–107; 518–519. 50 Alexander Mitscherlich/Margarete Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern. München: Piper, 1967.

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Lesart entspricht, dass der Absatz der Stahlgewitter nach dem Beginn der NSHerrschaft im Zuge der Aufrüstung und Re-Militarisierung der Gesellschaft eine kräftige Steigerung erfuhr. Wurden bis 1934 jährlich zunächst zwei-, dann fünftausend Exemplare gedruckt (insgesamt 51.000), so gab es zwischen 1934 und 1943 jährlich Auflagen von zunächst fünf-, dann zehn-, fünfzehn- oder zwanzigtausend Exemplaren (insgesamt 160.000, möglicherweise sogar 180.000). Die letzte Auflage erschien 1943. Danach wurde das Buch siebzehn Jahre lang nicht wieder gedruckt. Bis 1949 hatte Jünger Publikationsverbot, danach wollte er seinen schriftstellerischen Ruf mit neuen Werken neu begründen. Ein Neudruck der Stahlgewitter hätte in den fünfziger Jahren befremdend gewirkt und wäre im Hinblick auf die angestrebte Akzeptanz als Autor kontraproduktiv gewesen; zudem wäre er ein verlegerisches Risiko gewesen und hätte vermutlich zu einem finanziellen Verlust geführt. Auch der überarbeitete Neudruck im Rahmen der Werkausgabe von 1960–64 war ein mutiger Schritt, der die Gefahr einer kritischen Reaktion durchaus mit sich brachte. Eine solche setzte in den Sechzigerjahren im Zuge der Tribunalisierung der (prä)faschistischen Vätergeneration ein und bestimmte das Bild Jüngers in der Öffentlichkeit und in der literaturwissenschaftlichen Wahrnehmung in hohem Maß. Die Studien von Karl Heinz Bohrer (1978) und Helmut Lethen (1994) lenkten den Blick auf die außerordentliche Darstellungsleistung von Jüngers Frühwerk und eröffneten damit eine neue Rezeptionsphase, in der weniger nach den historisch-politischen ‚Verstrickungen‘ als vielmehr nach der vielfältigen Symptomatik des Werks unter anthropologischen, psychologischen, gendermäßigen, imagologischen und weiteren Aspekten gefragt wird. Bohrer und Lethen führten Jüngers Darstellungsleistung auf seinen kalten Ästhetizismus oder seine dandyhafte und ästhetizistische Kälte zurück. Beide Vokabeln werden seitdem unablässig zur Charakterisierung der Stahlgewitter verwendet. Ob sie diesem Werk gerecht werden, ist eine andere Frage. Der Neurologe Veit Becker stellte neuerdings in einem Aufsatz über Jüngers präzise Destruktionsschilderungen fest: „Mit Kälte oder Empfindungslosigkeit hat dies alles nichts zu tun. Es handelt sich vielmehr um eine überdrehte, gewendete Empfindsamkeit, die auch noch angesichts des Furchtbaren offengehalten wird. Der ästhetisierende Blick auf das Schreckliche, das stets weit geöffnete Auge ist die Antwort auf die existenzielle Bedrohung, die auf verletzbare Substanz trifft.“51 Diese „überdrehte Empfindsamkeit“ ist in den Stahlgewittern auf Schritt und Tritt zu spüren. Sie sind kein kaltes Buch, sondern ein glühendes.

51 Veit Becker: „Das Schreiben in die Welt hinein. Essayistische Anmerkungen zur anästhesierenden Ästhetik Ernst Jüngers“. In: Jünger-Debatte 4 (2021): 61–87, 64–65.

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Silvan Kufner (Universität Regensburg)

Das gepanzerte Trauma als psychoanalytische Konstruktion. Überlegungen über psychologische Interpretationsverfahren von Ernst Jüngers In Stahlgewittern

Im Vorwort von In Stahlgewittern beschreibt Ernst Jünger die Materialschlacht des Ersten Weltkriegs, als deren Charakteristikum der Untergang des Individuums, im Sinne eines moralischen Subjekts, verstanden werden kann. Ethik war insofern außer Kraft gesetzt, als der Mensch – mit Kant gesprochen – nicht nur als Mittel zum Zweck degradiert, sondern über die kantische Befürchtung hinaus überhaupt mit der Materie gleichgesetzt, somit verdinglicht wurde: „Eins hebt sich immer klarer aus der Flut der Erscheinungen: Die überragende Bedeutung der Materie. Der Krieg gipfelte in der Materialschlacht; Maschinen, Eisen und Sprengstoff waren seine Faktoren. Selbst der Mensch wurde als Material gewertet. […] Das Bild des Krieges war nüchtern, grau und rot seine Farben; das Schlachtfeld eine Wüste des Irrsinns“.1 Mit der Negation der Ethik durch den Krieg selbst, der sich wie ein Naturereignis dem moralischen Zugriff entzöge,2 ist gleichzeitig die Frage nach ihr auf der Ebene der Beobachtung erneut gestellt: Ist es ethisch verwerflich, dass Jünger auf moralisierende Kommentierung der Kriegserlebnisse verzichtet? Die Enthaltung davon scheint zumindest dezidierte Intention des Autors und einer der Gründe zu sein, warum der Text im Laufe seiner Rezeptionsgeschichte diametral entgegengesetzt als bellizistisch und pazifistisch wirkend eingeschätzt wurde:3 „Der Zweck dieses Buches“ – so schreibt Jünger – sei es, „dem Leser sachlich zu schildern, was ein Infanterist eines berühmten Regiments erlebt, und was er sich

1 Ernst Jünger: In Stahlgewittern. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Helmuth Kiesel. 2. Bde. Stuttgart: Klett-Cotta, 2013, Bd. 1, 18. 2 Vgl. etwa Jünger: In Stahlgewittern, Bd. 1, 20. Ausführlicher zur Kriegsethik vgl. Ursula Regener: „Authentizität als Streitwert. In Stahlgewittern gegen Im Westen nichts Neues. Zur Frage nach der Ethik der Ästhetik von Kriegsliteratur“. In: Romanische Studien Beihefte 9 (2019): 189–213, 200. 3 Zum Grund für die oppositionelle Einschätzung vgl. Helmuth Kiesel: „In Stahlgewittern (1920) und Kriegstagebücher“. In: Matthias Schöning (Hg.): Ernst Jünger-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart: Metzler, 2014: 41–59, 50. Vgl. auch Heimo Schwilk: Ernst Jünger – Ein Jahrhundertleben. Stuttgart: Klett-Cotta, 2014, 15–21.

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dabei gedacht hat.“4 Es handelt sich also um ein Egodokument und insofern um ein mutiges Unterfangen, als Jünger den Leser schonungslos an seinen eigenen moralischen Tiefpunkten teilhaben lässt und ihn an Denkprozesse heranführt, die ein ‚Krieger‘ in verantwortlicher Position durchlief. Von vornherein ist die Doppelgesichtigkeit erklärtes Ziel: „Der Krieg setzt sich wie alle menschlichen Handlungen aus Gut und Böse zusammen. Nur treten hier, wo sich die Kraft von Völkern aufs Höchste steigert, die Gegensätze noch greller hervor als sonst. Neben gipfelnden Werten gähnen dunkelste Abgründe.“5 Einerseits will Jünger das Andenken an die Soldaten hochhalten: „Möge dieses Buch dazu beitragen, eine Ahnung zu geben von dem, was ihr geleistet“.6 Andererseits spricht er sich gegen „Idealisierung“ und gegen „Vertuschung des Hässlichen, Kleinlichen und Alltäglichen“ aus, er will „keine Heldenkollektion“ vorlegen und „nicht beschreiben, wie es hätte sein können, sondern wie es war.“7 Die Beantwortung der noch immer kontrovers diskutierten Frage der Wirkung des Buchs als pazifistisch oder bellizistisch soll in vorliegendem Aufsatz dezidiert nicht Untersuchungsziel sein. Vielmehr zielt die Fragestellung erstens darauf ab, ob die Stahlgewitter als Trauma-Bericht gelesen werden können, inwiefern sie also Aufschluss über die Psyche der Soldaten geben, die sich in dieser „Wüste des Irrsinns“8 – einer Wüste der Moral wiederfanden; zweitens darauf, zu klären, welche Deutungsoptionen das Interpretationsverfahren der psychoanalytischen Literaturtheorie in dieser Hinsicht an die Hand gibt. Dabei muss kritisch reflektiert werden, auf welchem Wege das psychoanalytische Interpretationsverfahren zum Ergebnis kommt. Ohne die Frage der Wirkung des Buchs im Rahmen dieses Aufsatzes beantworten zu können, ist sie deshalb relevant, weil der Mehrheit der psychoanalytischen Deutungen die Positionierung inhärent ist, dass die Stahlgewitter kriegsverherrlichenden Charakter hätten, da die Person Jünger selbst durch ein Trauma oder die Abwehr desselben zu einer inhumanen Gesinnung getrieben worden sei. Für die Frage nach der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg erscheinen mir der Untersuchungsgegenstand und das Untersuchungsziel aus drei Gründen interessant zu sein: Erstens betonen selbst Kritikerinnen wie Iris Radisch, die Jünger einer breiteren Öffentlichkeit als moralisch zweifelhafte Person und sein Werk als ästhe4 5 6 7

Jünger: In Stahlgewittern, Bd. 1, 20. Ebd., 20. Ebd., 21. Ebd., 20. Kiesel konstatiert, dass Jünger trotz dieser Erklärung „zwischen dem Bekenntnis zur Sachlichkeit und der Hingabe an einen Helden- und Opferpathos, das nicht nur nach heroischem, sondern auch nach sakralem Vokabular greifen lässt“, hin und her pendelt (Kiesel: In Stahlgewittern (1920) und Kriegstagebücher, 49). 8 Jünger: In Stahlgewittern, Bd. 1, 20.

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tisch beschränkt vorstellte, die Bedeutung Jüngers als historische Quelle: „Wichtig bleibt er ganz bestimmt als intellektueller Zeitzeuge, als reflektierender Zeitgenosse, weil dieses Tagebuchwerk, das er hinterlassen hat, sucht […] seinesgleichen.“9 Gerade im Hinblick auf die Frage nach der Traumatisierung ehemaliger Weltkriegssoldaten könnten sich die Stahlgewitter als eine wichtige Quelle herausstellen. Jünger wird am 30. Dezember 1914 an die Front ins Dorf Orainville geschickt. In den knapp vier Jahren, in denen er im Krieg aktiv ist, wird er insgesamt siebenmal verwundet, wobei die letzte Verwundung, ein Lungendurchschuss, das Ende seiner Kriegsbeteiligung bedeutet. Seine Kriegs-‚Impressionen‘ bringt er in insgesamt 15 Heften, den Kriegstagebüchern, zu Papier; „aus dem in Form gebrachten Inhalt“10 derselben entstand ab 1918 der Text In Stahlgewittern, der 1920 veröffentlicht wird. Die Lebenskrise und Melancholie, die ihn dabei zu begleiten scheinen, kann er durchs Schreiben offenbar temporär stillen.11 Wegen des Aspekts der Ego-Erzählung und des Zeugenberichts, aber besonders aufgrund der Überarbeitungsdauer der Stahlgewitter, die fast 60 Jahre und 7 Fassungen umspannt, eignet sich der Text potentiell, um auch längerfristige Spuren eines Traumas identifizieren zu können. Die teilweise erheblichen Umarbeitungen und Streichungen in den Stahlgewittern stehen dem Gebot der Unmittelbarkeit der Kriegstagebücher gegenüber. Jünger versucht, seine Erinnerungen in den Kriegstagebüchern auch unter widrigsten Umständen „möglichst unmittelbar“ niederzuschreiben, weil er „merkte, wie rasch sich die Eindrücke verwischen und wie sie schon nach wenigen Tagen eine andere Färbung annahmen.“12 Die Parallelität von Unmittelbarkeit und jahrelanger Reflexion ist für die Trauma-Analyse vielversprechend. Zweitens ist vorliegende Untersuchung von der Überzeugung geleitet, dass die Literaturwissenschaft in einer thematisch aufs Trauma fokussierten Interpretation literarischer Texte Wesentliches zur Erinnerungskultur an den Ersten Weltkrieg beitragen kann, insofern die Texte Kriegsgräuel in ihrer psychologischen Dimension auf ästhetische Weise aufarbeiten. In der Forschung wurde die Frage nach Jüngers Traumatisierung und deren Niederschlag im Werk haupt9 Interview mit Iris Radisch in Falko Korth (Regie): In den Gräben der Geschichte. Der Schriftsteller Ernst Jünger. ARTE, 2019, (mündliche Aussage transkribiert von S. K.). 10 Jünger: In Stahlgewittern, Bd. 1, 20. 11 Vgl. Helmuth Kiesel: Ernst Jünger. Die Biographie. München: Siedler, 2007, 140. 12 Jünger: In Stahlgewittern, Bd. 1, 20. Den Einwand, durch die zahlreichen Änderungen habe Jünger Unangebrachtes verwischen wollen, konterte er mit dem Argument, dass sämtliche Ausgaben noch immer vorlägen, vgl. Kiesel: In Stahlgewittern (1920) und Kriegstagebücher, 53. Das ist deshalb wichtig zu erwähnen, weil derselbe Einwand auch in Bezug auf die Unmittelbarkeit der Erinnerung gebracht werden könnte. Aber auch hier dürfte der Jünger’sche Konter gelten, umso mehr als seit dem Erscheinen der historisch-kritischen Ausgabe sämtliche Fassungen komparativ gelesen werden können.

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sächlich von der psychoanalytischen Literaturwissenschaft gestellt. Sie darf als die Disziplin gelten, die mit dem Anspruch antritt, aus Literarischem Spuren eines Traumas diagnostizieren zu können. Dabei muss in Bezug auf Jünger berücksichtigt werden, dass die psychoanalytische Literaturwissenschaft selbst Teil der Rezeptionsgeschichte der Stahlgewitter ist und neben ihrem Fokus auf das Trauma dem Werk – ich wiederhole mich – zumeist eine bellizistische Intention unterstellte, wodurch gleichzeitig die Kategorie der Ethik angespielt wird. Drittens ist eine solche Intention nicht unkontrovers. Das wird verständlich, wenn man auf die Rezeptionsgeschichte des Werks blickt. Im Jünger-Handbuch unterteilt Helmuth Kiesel dieselbe in sechs Phasen, in denen sich politische Vereinnahmung sowie die Einschätzung des Werks als kriegsverherrlichend und inhuman oder aber als pazifistisch wirkend (so etwa das Urteil Remarques) abwechselten.13 Ich möchte die Einteilung um eine Binnendifferenzierung erweitern: Laut Kiesel habe sich in den 60er-Jahren die Tendenz durchgesetzt, dass die Stahlgewitter ein „verwerfliches oder schwer zu rettendes Buch“14 seien. Erst mit Karl Heinz Bohrers Studie Ästhetik des Schreckens (1978) habe sich die Verbannung des Werks wieder gelockert und eine ernsthafte ästhetische Auseinandersetzung mit den Stahlgewittern begonnen. Etwa zeitgleich setzte – so meine Binnendifferenzierung – eine psychologisierende/psychoanalytische Lesart mit Klaus Theweleits Männerphantasien (1977) ein, die sich u. a. damit beschäftigt, wie die unterstellte Kriegslust Jüngers tiefenpsychologisch zu erklären ist. Nunmehr laufen zwei Rezeptionsströme parallel, die sich in Teilen überschneiden, nämlich die psychologische/psychoanalytische und die historisch-philologische Lesart.15 Letztere, u. a. repräsentiert durch Helmuth Kiesel, 13 Vgl. Kiesel: In Stahlgewittern (1920) und Kriegstagebücher, 57–58. Am Anfang standen „kurze Hinweise“ (ebd. 57) in militärischen Blättern wie dem Militär-Wochenblatt, die den Wert des Buchs für Soldaten betonten. Darauf folgte eine Phase, in der sich Jünger konservativ-nationalistischen Kreisen annäherte, die ihrerseits in den Stahlgewittern einen antiparlamentarischen und bellizistischen Geist identifizierten. Die dritte Phase setzte ein, als der Weltkrieg erneut literarisch aufgearbeitet wurde und sich u. a. Remarque für die Stahlgewitter interessierte, der ihnen „ausdrücklich eine pazifistische Wirkung“ (ebd. 58) zusprach. Eine weitere Phase stellte die Vereinnahmung des Werks durch die Nationalsozialisten dar. In den 50er und 60er Jahren setzten sich erneut Lesarten durch, die den bellizistischen und inhumanen Charakter des Werks betonten. Das Werk galt nunmehr als „‚umstritten‘“ (ebd.). Erst mit Bohrer habe sich das „Anathema, das in den 1960er Jahren […] verhängt worden war“ (ebd.), wieder gelockert. Schwilk nimmt dazu im Vorwort zur Neuauflage seiner JüngerBiographie Stellung: „Ernst Jünger stand von Anfang an im Kreuzfeuer polarisierender Einschätzungen und Wertungen.“ Dabei zeichnete sich ein „Hin und Her zwischen ästhetischer Zustimmung und moralischer Ablehnung, zwischen Bewunderung und Erschrecken“ ab (Schwilk: Ernst Jünger, 16–17). 14 Kiesel: In Stahlgewittern (1920) und Kriegstagebücher, 58. 15 Theweleits Argumentationen sind in Teilen psychoanalytischer Art. Bei Karl Heinz Bohrer finden sich neben ästhetischen Überlegungen auch psychoanalytische Tendenzen (zu Freud, vgl. Karl Heinz Bohrer: Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst

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kann aufgrund der Detailliertheit und präzisen Kontextualisierung in der Entscheidung, ob die Stahlgewitter nun kriegsverherrlichend oder pazifistisch zu deuten sind, die besten und differenziertesten Argumente vorlegen.16 Obwohl dieser Lesart wohl kaum mehr etwas hinzuzufügen ist, sehe ich trotz der zum Teil weit vom Text abweichenden Deutung der psychoanalytischen Strömung Interpretationspotential. Zunächst lässt eine Analyse und Kritik des Interpretationsverfahrens der Psychoanalyse erkennen, wodurch die Einschätzung, dass mit den Stahlgewittern eine bellizistische Schrift vorläge, zustande kam und warum sie – zumindest auf dem Wege dieser Beweisführung – voreilig ist. Darüber hinaus sollte deutlich werden, warum die Schwerpunktsetzung auf das Trauma – auch wenn die wirkmächtigen psychoanalytischen Deutungen methodische Mängel aufweisen – gewinnbringend sein kann. Die changierende Einschätzung der Stahlgewitter in ihrer Rezeptionsgeschichte zeigt, wie wichtig die Reflexion über das Interpretationsverfahren ist. Denn letztlich ist durch dasselbe vorgegeben, wie ein Gegenstand in der Erinnerungskultur aufgehoben wird.

I Im Folgenden werde ich exemplarisch einige Thesen aus dem Feld der psychoanalytischen Deutungstradition anführen, um sie einer vorläufigen Kritik unterziehen zu können. Eine sehr wirkmächtige und frühe psychoanalytische Lesart Jüngers liefert Theweleit in seinem ersten Band der Männerphantasien. In einer Linie, die er verfolgt, stützt sich Theweleit auf die Schrift Symbiose und Individuation der Kinderanalytikerin Margaret Mahler, die annimmt, dass für die Stabilität des Ichs die ‚symbiotische Phase‘ zwischen Mutter und Kind entscheidend sei.17 „Im primären Kontakt des Säuglings mit der Mutter müssen einerseits die oralen Nahrungsbedürfnisse durch die Brustfütterung, andererseits die Entspannungs- und Entladungsbedürfnisse durch Hautkontakt und Akzeptanz des Ausscheidungsverhaltens des Säuglings (Niesen, Husten, Rülpsen, Abgang von Winden, Urinieren, Stuhlabgang) von der Mutter akzeptiert werden.“18 Theweleit versucht, auf verästeltem Wege nachzuweisen, dass die Jüngers Frühwerk. München/Wien: Hanser, 1978: 92–93; zu Jung, vgl. ebd. 207). Wenn Kiesel psychologisch-diagnostisch (nicht psychoanalytisch) argumentiert, dann ist die Argumentation stets in die historische Kontextualisierung eingebunden (vgl. Kiesel: Ernst Jünger, 235). 16 Vgl. Kiesel: In Stahlgewittern (1920) und Kriegstagebücher, 46; 52. Schwilk etwa kommt zu dem differenzierten Urteil, dass Jünger „nicht durchweg im Zerrbild des ‚Bellizisten‘ aufgeht.“ (Schwilk: Ernst Jünger, 19). 17 Vgl. Klaus Theweleit: Männerphantasien. Frauen, Fluten, Körper, Geschichte (Bd. 1). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1989, 212. 18 So eine prägnante Zusammenfassung Theweleits bei Martin Konitzer: Ernst Jünger. Frankfurt a. M.: Campus, 1993, 29.

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Befriedigung dieser Bedürfnisse in der wilhelminischen Zeit Einschränkungen unterworfen war:19 Die sogenannten ‚eisernen Mütter‘ etwa hätten keine Nähe zugelassen20 oder die restriktiven Hygienevorstellungen, die zur Wahrnehmung des Körpers als Schmutz geführt hätten, seien dafür verantwortlich gewesen, dass sich das Kind „als angefüllt mit ‚bösen‘ Flüssen und ohne Gefühl seiner eigenen Grenzen“ erlebt habe, „wenn es gewaltsam aus dieser Symbiose gerissen“21 wurde. Schließlich läuft die Argumentation auf den Punkt zu, der für die JüngerInterpretation das Schlagwort der ‚Panzerung‘ lieferte: „Die ungenügende Erotisierung der Körperoberfläche durch mangelnde Zuwendung zum Kleinkind – und sie scheint gegen Ende des 19. Jahrhunderts fast zur allgemeinen Regel geworden zu sein – bezeichnet eine neue Phase in dem Prozeß der ‚Panzerung‘ des Körpers“.22

Mit Theweleit war der Grundstein der psychoanalytischen Lesart Jüngers gelegt. Auch innerhalb des eigenen Felds entstand bald die Kritik, dass sich Theweleits Interpretation sehr weit vom Text entferne und sie konstruiert wirke (abgesehen davon, dass es natürlich unsinnig ist, das Entstehen des Kriegs auf strenge Mütter abwälzen zu wollen und die hochkomplexen politischen Gegebenheiten zu ignorieren). Martin Konitzer greift zwar die Lesart auf, scheint aber nach einer Paraphrase zum Schluss zu kommen, dass Theweleit doch über das Ziel hinausgeschossen sei.23 Seiner Ansicht nach habe sich in den Stahlgewittern ein Phänomen angekündigt, dass C. G. Jung in Bezug auf die Naziherrschaft beschrieben hat.24 Der noch immer im kollektiven Unbewussten der Deutschen schlummernde germanische Wotan sei im Krieg wieder erwacht und zur Realität durchgebrochen.25 Die Deutschen seien in eine „massenhafte psychotische Regression“26 geraten, indem sie von der Zivilisation ins germanische Wüten zurückgefallen seien. Völlig abwegig wird die Interpretation, wenn Konitzer Metaphern wie ein Stahlgewitter mit einem aus dem Unbewussten sprechenden Donnergott, für den 19 Laut Konitzer, der ebenfalls psychoanalytisch argumentiert, sei Theweleit der Nachweis davon, „daß in der wilhelminischen Gesellschaft diese Funktionen – gerade bei männlichen Säuglingen – vielen Restriktionen ausgesetzt waren“, gelungen (Konitzer: Ernst Jünger, 29). 20 Theweleit: Männerphantasien (Bd. 1), 113. 21 Ebd., 428. 22 Ebd., 435. 23 „Jünger war eben kein Freikorps-Totschläger, in dieser Hinsicht ist Vorsicht gegenüber den Textmontagen Theweleits geboten.“ (Konitzer: Ernst Jünger, 30). 24 Vgl. Konitzer: Ernst Jünger, 30–32. 25 Vgl. Carl Gustav Jung: „Wotan“ [1936]. In: Zivilisation im Übergang (Gesammelte Werke 10). Olten: Walter, 1974: 203–218. Jung hatte seinen Text ursprünglich auf die Naziherrschaft bezogen. Darin wird versucht, den germanischen Gott Wotan etymologisch mit einem ursprünglichen Wüten in Verbindung zu bringen. 26 Konitzer: Ernst Jünger, 31.

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Wotan auch herhalten muss (ursprünglich eigentlich Thor), erklärt und dies vom Zweiten auf den Ersten Weltkrieg rückbezieht.27 Bernhard Wutkas und Peter Riedessers Lesart der Stahlgewitter ist demgegenüber konkreter. Sie begreifen Jüngers Schreibprozess als „Methode der Traumatherapie“ bzw. als „traumakompensatorische[] Strategie“.28 Dies ist insofern plausibel, als Jünger im Jahre 1919 Phasen einer depressiven Verstimmung zeigt, aus der er sich durch seine Arbeit an den Stahlgewittern tatsächlich herauszuschreiben scheint.29 Schließlich versucht Dieter Nietzgen, mit einer reduzierteren psychoanalytischen Interpretation Jüngers Schreibprozess durch hirnphysiologische Veränderungen, die ein Trauma bewirken kann, zu erklären.30 Auch wenn man den Ausführungen Nietzgens folgt, dass eine Traumatisierung physiologisch messbare Spuren im Gehirn hinterlässt, scheint es mir unmöglich zu sein, Jüngers literarischer Ästhetik dadurch kausal auf den Grund gehen zu können. Anhand dieser kurzen Exempel psychoanalytischer Lesarten lässt sich bereits eine vorläufige Kritik formulieren: Allen ist gemeinsam, dass sie erstens davon ausgehen, mit ihrem Interpretationsverfahren zu einem ‚tieferen Blick‘ in die Textbedeutung zu gelangen, die sich gewissermaßen ‚unter‘ der Textoberfläche verbirgt. Dies geschieht zweitens dadurch, dass man sich z. T. weit vom Text entfernt und kollagenartig mit Zitaten ohne Kontextualisierung verfährt, die die eigene Hypothese stützen. Drittens ist die Hypothese dabei selbst sehr weit gefasst, sodass es kaum möglich ist, sie zu widerlegen. Wer könnte beispielsweise Theweleits These nicht zustimmen, dass eine allzu strenge körperfeindliche Erziehung negative Folgen haben könnte? Der Nachweis der Behauptung bleibt allerdings vage und versteckt sich hinter psychoanalytischen Theoremen. Viertens unterstellen psychoanalytische Lesarten den Stahlgewittern meist einen inhumanen Charakter, den sie auf die seelisch beschädigte Person Jüngers zurückführen. Beides mag diskutiert werden. Sicher scheint mir jedoch, dass sich das mit den dargereichten Mitteln nicht nachweisen lässt. Dennoch berühren die psychoanalytischen Lesarten Fragen von höchster Relevanz für die Erinnerungskultur an den Ersten Weltkrieg, weshalb es sich lohnt, die Thesenentwicklung genauer zu untersuchen und in Jüngers Text zu 27 Vgl. Konitzer: Ernst Jünger, 32. 28 Bernhard Wutka/Peter Riedesser: „Ernst Jünger. Heroisierung und Traumasucht“. In: Wolfgang Mauser/Carl Pietzcker (Hg.): Trauma (Freiburger literaturpsychologische Gespräche 19). Würzburg: Könighausen und Neumann, 2000: 151–162, 158–159. 29 Vgl. Kiesel: Ernst Jünger, 140. 30 Dieter Nietzgen: „Erwartungsangst und Schmerzgewissheit. Traumatische Aspekte im Werk von E. Jünger“. In: Günter H. Seidler/Wolfgang U. Eckart (Hg.): Verletzte Seelen. Möglichkeiten und Perspektiven einer historischen Traumforschung. Gießen: Psychosozial-Verlag, 2005: 107–124, 119–120.

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blicken, um der Auswirkung eines möglichen Traumas auf die Stahlgewitter vielleicht doch auf die Spur zu kommen.

II Analysen, die sich mit Jüngers Kriegstrauma auseinandersetzen, stehen vor mehreren Problemen. Das offensichtlichste ist, dass er, „wie es scheint, seelisch unversehrt ins Zivilleben zurück[kehrte]“.31 Es traten bei Jünger weder das bekannteste Symptom traumatisierter Kriegsheimkehrer, das Kriegszittern (hysterischer Schütteltremor), noch andere typische Symptome wie Gehstörungen, Lähmungen, Muskelkrämpfe, Sprachstörungen, Hörstörungen, Abmagerung, Schluckstörungen oder hystero-somnambule Anfälle etc. auf.32 Daher bescheinigte ihm die Forschung entweder eine äußerst robuste Psyche33 oder arbeitete gar mit der Prämisse, dass grundsätzlich jeder Soldat – ob nun symptomatisch oder nicht – traumatisiert sein musste, um so die scheinbare Unversehrtheit Jüngers umgehen zu können. So schreibt etwa Wolfgang Schmidbauer: „Unterworfen sind in der Realität alle; kein Soldat, der längere Zeit in den modernen Schlachten steckte, blieb unverändert, ungeschädigt.“34 Auch Wutka und Riedesser werfen Fragen auf, die implizieren, dass sich das Trauma auf subtilere Weise zeige: „Was war mit Menschen wie Jünger, die ihre Kriegserlebnisse in Büchern darstellten, die sich bisweilen wie Abenteuerromane lesen? Waren sie die Normalen, von denen die Neuropsychiater sprachen und von denen sie die Psychopathen und Kriegsneurotiker abgrenzten? Ist es normal, […] daß man gezwungen ist, Menschen zu verwunden oder zu töten, und danach zur Tagesordnung übergeht […]? Haben diese Menschen nicht auch psychische Wunden davongetragen?“35

Es mag durchaus sein, dass das Trauma bei Jünger mehr im Verborgenen wirkte. Im Vorwort der Stahlgewitter deutet Jünger die Versehrtheit der heimgekehrten Infanteristen bereits an: 31 Wutka/Riedesser: Ernst Jünger. Heroisierung und Traumasucht, 152. 32 Vgl. zur Auflistung und Erklärung der Symptome: Wolfgang U. Eckart: „Kriegsgewalt und Psychotrauma im ersten Weltkrieg“. In: Günter H. Seidler/Wolfgang U. Eckart (Hg.): Verletzte Seelen. Möglichkeiten und Perspektiven einer historischen Traumforschung. Gießen: Psychosozial-Verlag, 2005: 85–106, 93–94. 33 Vgl. etwa Kiesel: In Stahlgewittern (1920) und Kriegstagebücher, 45. Kiesel konstatiert ferner: „Daß Jünger bei all dem nicht nur sein Leben behielt, sondern auch unverstümmelt und unentstellt nach Hause kam, grenzt an ein Wunder. Und hochgradig erstaunlich ist, daß er dies alles ohne manifeste psychische Verstörung überstand.“ (Kiesel: Ernst Jünger, 131). 34 Wolfgang Schmidbauer: „Ich wusste nie, was mit Vater ist“. Das Trauma des Krieges. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1998, 146–148. 35 Wutka/Riedesser: Ernst Jünger. Heroisierung und Traumasucht, 153.

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„Manchmal kamen sie zurück, standen verträumt auf den Asphaltmeeren der Städte und schauten ungläubig auf das Leben, das strudelnd in seinen gewohnten Bahnen floß. Dann stürzten sie sich hinein, um keine Minute der kurzen Tage ungenützt verfließen zu lassen, tranken und küssten. Mit der ihnen Lebensform gewordenen Rücksichtslosigkeit schwangen sie in tollen Nächten den Becher, bis ihnen die Welt versank.“36

Blickt man genauer auf die Forschungsgeschichte, erhärtet sich zunehmend der Verdacht, dass das Trauma – zumindest in der Form, wie man es innerhalb der psychoanalytischen Interpretationslinie nachzuweisen versuchte – ein Konstrukt ist. Diese Konstruktion führt neben dem ersten Problem, dass Jünger symptomlos aus dem Krieg heimkehrte, zu einem zweiten grundsätzlichen Problem: Jünger verschließt in den Stahlgewittern eben nicht die Augen vor potentiell traumatisierendem Anschauungsmaterial, was typisch wäre für eine Seele, die mit den Ereignissen überfordert wäre: „Die Straße war von großen Blutlachen gerötet; durchlöcherte Helme und Koppel lagen umher. Die schwere Eisentür des Portals war zerfetzt und von Sprengstücken durchsiebt, der Prellstein mit Blut bespritzt. Ich fühlte meine Augen wie Magneten an diesen Anblick geheftet, gleichzeitig ging eine tiefe Veränderung in mir vor.“37

Wieder könnte man immunisierend argumentieren, dass sich im AngeheftetSein des Blicks ans grausame Anschauungsmaterial das Pathologische zeige. Plausibler könnte man argumentieren, dass die Passage Jüngers Hingabe ans genaue Hinsehen und Beschreiben – ein Zug, der im Werkkontext typisch ist – ausdrücke. Darüber hinaus spricht sich darin auch ein Bewusstsein für die eigenen inneren seelischen Vorgänge aus. Kurz: Jünger verdrängt und vermeidet gerade nicht, sondern ist sich voll bewusst darüber, was um ihn und in ihm vorgeht. Um also diesen zwei offensichtlichen Problemen zu entkommen, wurde Jüngers Trauma umgedeutet: Er sei mit dem Krieg verschmolzen, wodurch er als unterworfener Soldat seine Macht zurückgewinnen habe können, was nicht von der Hand zu weisen ist. So schreibt Schmidbauer: „Jünger idealisiert den Krieg, den Kampf, den Tod; hier siegt das neue, kriegerische Ich über die Kreatur“.38 Hinter der Idealisierung aber verberge sich Jüngers eigentliche Beschädigung, die ihn nicht erkennen lasse, dass er Opfer des Krieges geblieben sei: „Er ist Opfer der Kriegsmaschinerie und, indem er mit ihr verschmilzt, auch ihr Herr. Sie verdeutlicht, mit welchem Kunstgriff sich das bedrohte Ich rettet, mit welcher Scheinlösung der Konflikt zwischen der neuen kriegerischen und der alten, am Leben hängenden Identität zugedeckt wird. Jünger fühlt sich nicht mehr als ohnmächtiges 36 Jünger: In Stahlgewittern, 19. 37 Ebd., 32–33. 38 Schmidbauer: „Ich wusste nie, was mit Vater ist“, 145.

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Rädchen der Kriegsmaschinerie, sondern deutet die Situation um: Er wird ein Teil von ihr, ihre Macht ist auch seine Macht. Die Grandiosität der ‚Stahlgewitter‘ macht ihn zu einem kleinen Donnergott.“39

Dadurch habe er einen anderen Weg gehen müssen als Remarque und Graves, weil sich Jünger vom Geschehen gerade nicht distanzieren habe können.40 Die Notwendigkeit der Idealisierung, die die Existenz habe retten können, und das damit verbundene enge Verhältnis werde in Der Kampf als inneres Erlebnis sogar ins Familiäre gesteigert, wenn Jünger schreibt: „Nicht nur unser Vater ist der Krieg, auch unser Sohn.“41 Es finden sich bei Jünger Passagen, die den Krieg als Erlebnis bejahen: „Aber wer in diesem Kriege nur die Verneinung, nur das eigene Leiden und nicht die Bejahung, die höhere Bewegung empfand, der hat ihn als Sklave erlebt. Der hat kein inneres, sondern nur ein äußeres Erlebnis gehabt“.42 In dieser Bejahung sieht die psychoanalytische Interpretationsschule das verborgene Trauma. Schmidbauer argumentiert, dass erst in der Umkehrung von Jüngers Worten klar werde, wie ein gesunder Umgang mit den Kriegserlebnissen hätte aussehen können und vice versa wie der Krieg Jünger versklavt habe: „Der Soldat, der sein Erlebnis abschütteln und einen Neubeginn wagen kann, ist nicht Sklave, sondern frei. Und der Soldat, der an sein Erlebnis gefesselt bleibt und gezwungen ist, es in immer tönenderen Vokabeln zu preisen, ist Sklave des Krieges geblieben; er trägt ihn, wie Jünger richtig gesagt hat, in sich und mit sich. […] Aber während sich viele von diesem Erleben distanzierten und versuchten, es zu vergessen, geht Jünger einen anderen Weg. Er idealisiert das Geschehene. Wo bei anderen die Zentralisation allmählich rückgängig gemacht wird und die abgestorbenen Provinzen des Erlebens wieder neu belebt und bevölkert werden, kommt es in diesem Fall dazu, daß die Beschädigung als höhere Lebensform ausgegeben wird. […] Ruhelosigkeit, Wunsch nach Betäubung, Größenanspruch und andere Folgen der Idealisierung eigener Beschädigung können dann nicht mehr in kritische Distanz gerückt werden. Dann sind die Opfer des Krieges wirklich gefährlich, für sich wie für andere.“43

Wie der letzte Satz anzeigt, seien die Konsequenzen der Idealisierung fatal. Jünger habe den „Konflikt der Kriegsneurotiker“ verkannt und durch das

39 Ebd., 146. 40 Vgl. ebd., 145. Dass sich Remarque tatsächlich vom Geschehen hat lösen können, bleibt natürlich eine gewagte These. Vieles spricht dagegen, vgl. Regener: Authentizität als Streitwert, 198–199. 41 Ernst Jünger: „Der Kampf als inneres Erlebnis“ [1922]. In: Essays I. Betrachtungen zur Zeit (Sämtliche Werke 7). Stuttgart: Klett-Cotta, 1980: 9–103, 12. Vgl. Schmidbauer: „Ich wusste nie, was mit Vater ist“, 145. 42 Jünger: Der Kampf als inneres Erlebnis, 102. Vgl. Schmidbauer: „Ich wusste nie, was mit Vater ist“, 148. 43 Schmidbauer: „Ich wusste nie, was mit Vater ist“, 149.

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Das gepanzerte Trauma als psychoanalytische Konstruktion

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„zweckfreie Heldentum“44 sei ihm sowohl soziale Erkenntnis als auch Selbstreflexion verwehrt geblieben, mit der Folge „der Idealisierung der eigenen Beschädigung“ und ihrer Stilisierung als „höhere Lebensform“.45 Es begegnet uns also die bereits angesprochene Annahme des inhumanen Charakters von Text und Person, für den die psychoanalytische Theorie die Erklärung liefere. Neben der Idealbildung stellt Schmidbauer die Diagnose des Narzissmus, der eine Aufwertung des Selbst und eine Selbstinszenierung fordere.46 Interessant ist dennoch, dass die unbewusste Idealisierung des Kriegs (die zwar nicht durchgängig ist und unabhängig von der Frage nach der Beschädigung als Ursache zweifelsohne vorliegt) der bereits vorgestellten Intention, in den Stahlgewittern den Krieg möglichst sachlich ohne „Idealisierung“47 darzustellen, entgegenläuft – ein Zusammenhang, der wohl auch durch die psychoanalytische Interpretation decouvriert wurde.

III Psychologische Interpretationen der Art, wie ich sie vorstellte, hatten in der Folge wirkmächtige Konsequenzen für die ästhetische Deutung der Stahlgewitter. Ausgehend von der Annahme, dass Jünger traumatisiert sein musste, deutete man Jüngers Krieger-Fassade als psychischen Schutzmechanismus, der den Blick aufs Kriegsgeschehen verenge. Man gab diesem Phänomen den Namen der Panzerung Jüngers. Als Grundgedanke dürften zum einen Theweleits Überlegung, dass die Verwehrung der Mutter gegenüber dem Säugling eine Panzerung des Körpers zur Folge habe,48 zum anderen Bohrers Feststellung, dass Jünger Schutz in der „Panzerung des absoluten Subjektverzichts“49 gesucht habe, entscheidend gewesen seien. Ist bei Bohrer der Hang zur Negativität in eine ästhetische Kontextualisierung eingebunden, schließt Schmidbauer an die psychoanalytische Argumentation an und spricht von einer Verengung der Wahrnehmung, die sich aus der Panzerung ergebe. Implizit wertet er Jüngers „Weg“ – wie er schreibt – dadurch in ästhetischer Hinsicht gegenüber Remarque ab: „Jüngers Schilderungen hingegen enthalten soviel Abwehr seiner eigenen traumatischen Neurosen, daß seine Wahrnehmung eingeengt ist wie die aus dem Sehschlitz eines Panzers.“50 44 45 46 47 48 49 50

Ebd., 147. Ebd., 149. Ebd., 123. Jünger: In Stahlgewittern, 20. Theweleit: Männerphantasien (Bd. 1), 435. Bohrer: Ästhetik des Schreckens, 469. Schmidbauer: „Ich wusste nie, was mit Vater ist“, 150.

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Helmut Lethen erweitert das Motiv der Panzerung um den Begriff der Kälte. Die Verhaltenslehre, die Jünger in Über den Schmerz entwickelt habe, sei, sich die „Kälte des Blicks […], die die Nebelbänke der Moral durchdringt“51, anzueignen. „Erst die Panzerung des Blicks ermöglicht den Anspruch des wahrgenommenen Objekts, durch die Uniform gegen den Schmerz gepanzert zu sein. Es wird nicht überraschen, daß Jüngers Zeitdiagnose von der Verhaltenslehre der kalten persona gesteuert wird.“52 Diese Vorüberlegungen umspannen wohl auch Helmut Lethens Hypothese, dass Jüngers Ästhetik auf den Sehsinn gerichtet sei. Denn ein Panzerschlitz oder auch das Auge selbst könnte verschlossen werden, wenn die Einwirkungen der Außenwelt übermächtig werden. Jünger hätte sich so in einen Kokon einschließen können. Im Gegensatz dazu ist der Gehörsinn der Geräuschkulisse des Kriegs schutzlos ausgeliefert. Und so folgert Lethen: „Das Ohr ist in Jüngers […] Verhaltenslehre zur Vermeidung traumatisierender Erfahrungen beinahe ausgeschaltet: Es ist abwesend als Organ der Besonnenheit und Selbstreflexion der Leibgebundenheit. Als Einbruchsstelle des gestaltlos Realen existiert es nicht.“53 Ernst Niekisch geht zwar differenzierter vor, indem er Jünger attestiert, sich erst nach den Stahlgewittern aufgrund seiner Traumaverarbeitung von den anderen Sinnen abgewendet zu haben. Dennoch prägte er die Prädikation, Jünger sei ein „Augenmensch“54 gewesen. Die Widerlegung dieser ästhetischen Konsequenz psychoanalytischer Deutung erfolgte einerseits durch Verboven, der in den Stahlgewittern über 50 akustische Referenzen nachweisen konnte, und andererseits durch Daiber, der die Stahlgewitter im Zusammenhang mit Lärm und Trauma las.55 Mit Daiber muss man zum Schluss kommen, dass Lethens Hypothese, nach der der Gehörsinn bei Jünger keine Rolle spiele, schlicht falsch ist.

51 Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1994, 199. 52 Ebd., 198–199. 53 Helmut Lethen: „‚Knall an sich‘: Das Ohr als Einbruchstelle des Traumas“. In: Inka MülderBach (Hg.): Modernität und Trauma. Beiträge zum Zeitenbruch des Ersten Weltkrieges. Wien: facultas, 2000: 192–210, 198. 54 Ernst Niekisch: „Die Gestalt des Arbeiters“. In: Hubert Arbogast (Hg.): Über Ernst Jünger. Stuttgart: Klett-Cotta, 1995: 79–86, 80. 55 Vgl. Hans Verboven: Die Metapher als Ideologie. Eine kognitiv-semantische Analyse der Kriegsmetaphorik im Frühwerk Ernst Jüngers. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2003, 81–83. Jürgen Daibers Untersuchung konzentriert sich spezieller auf die Bedeutung des Lärms in den Stahlgewittern, vgl. Jürgen Daiber: Franz Kafka und der Lärm. Klanglandschaften der frühen Moderne. Münster: Mentis, 2015, darin das Kapitel: Kafkas Zeitgenossen II: „Das verweigerte Trauma“. Ernst Jünger: In Stahlgewittern: 79–104. Kiesel identifiziert ein Metaphernsystem, dass „den Krieg als Spektakel akustischer und visueller Art“ zeige (vgl. Kiesel: Ernst Jünger, 181). Zum Zusammenhang von Geräusch und Schrecken, vgl. Bohrer: Ästhetik des Schreckens, 171.

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Bereits die ersten Zeilen der Stahlgewitter belegen eindrücklich, wie gerade das Kriegsgeräusch ästhetisch dargestellt wird: „Der Zug hielt in Bazancourt, einem Städtchen der Champagne. Wir stiegen aus. Mit ungläubiger Ehrfurcht lauschten wir den langsamen Takten des Walzwerkes der Front, einer Melodie, die uns in langen Jahren Gewohnheit werden sollte. Ganz weit zerfloß der weiße Ball eines Schrapnells im grauen Dezemberhimmel. Der Atem des Kampfes wehte herüber und ließ uns seltsam erschauern. Ahnten wir, daß fast alle von uns verschlungen werden sollten an Tagen, in denen das dunkle Murren dahinten aufbrandete zu unaufhörlichem Donner – der eine früher, der andere später?“56

Die Panzerungshypothese ist also in ihrer Verengung auf den Sehsinn nicht haltbar, weil sich Jünger den anderen Sinnen eben nicht verschließt. In einer zweiten Hinsicht wird sie sich ebenfalls als schwach erweisen: Gerade weil sich Jünger eben nicht durchgängig der Selbstreflexion verwehrt und seine Empfindungsfähigkeit abtötet, wird der Panzer an vielen Stellen brüchig. Damit sind die Passagen in den Stahlgewittern gemeint, in denen eine Traumatisierung offen angesprochen wird – und die die psychoanalytische Strömung überraschend wenig in den Blick nahm. Dies ist wohl dadurch zu erklären, dass die Konzentration aufs Verborgene dazu verleitete, das Offensichtliche zu übersehen.

IV Zunächst spricht für die Panzerungshypothese, dass sich der junge Soldat Jünger auch in seinen Kriegstagebüchern als jemand beschreibt, der den Gefahren des Kriegs mit Neugier entgegenfiebert und sich als psychisch gerüstet präsentiert. Ein Eintrag vom 4. Januar 1915 klingt fast so, als ob Jünger im Nachhinein gar vom Schrapnellbeschuss enttäuscht gewesen wäre:57 „Ich bin sehr neugierig, wie sich eine Shrapnellbeschießung ausmacht. Im allgemeinen ist mir der Krieg schrecklicher vorgekommen, wie er wirklich ist. Der Anblick der von Granaten zerrissenen hat mich völlig kalt gelassen, ebenso die ganze Knallerei, trotz dem ich einige Male die Kugeln sehr nah habe singen hören.“58

56 Jünger: In Stahlgewittern, 27. 57 Kiesel wies darauf hin, dass derartige Formulierungen durchaus zeittypisch waren (vgl. Kiesel: Ernst Jünger, 235), am Bsp. von Hesses Demian: „Im Anfang war ich, trotz der Sensationen der Schießerei, von allem enttäuscht. […] Die Urgefühle, auch die wildesten, galten nicht dem Feinde, ihr blutiges Werk war nur Ausstrahlung des Innern, der in sich zerspaltenen Seele, welche rasen und töten, vernichten und sterben wollte, um neu geboren werden zu können.“ (Hermann Hesse: Demian. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1974, 190). 58 Ernst Jünger: Kriegstagebuch 1914–1918. Hg. von Helmuth Kiesel. Stuttgart: Klett-Cotta, 2019. 14. 01. 1915, Heft 1, 9–10.

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Dass Jünger der Anblickt verstümmelter Leichen kalt gelassen habe, untermauert zwar die These vom kalten beschreibenden Blick, dem jede menschliche Wärme fehle. Jedoch – und darauf hat Daiber hingewiesen – handelt es sich bei solchen Einträgen, auch wenn die Kriegstagebücher zunächst nicht für ein größeres Publikum gedacht waren, um eine Selbstinszenierung.59 Neben den Einträgen finden sich auch Zeichnungen, in denen sich Jünger beispielsweise als Pfeife rauchenden Totenkopf mit Zylinder darstellt.60 Die Zeichnung lässt sich deuten als Abbildung eines dandyhaften Charakters, der den Tod bringt, oder eines Soldaten, den die Kriegswirren innerlich töteten. Dazu passt seine Überlegung, die „Finger- und Mittelhandknochen [eines erschossenen Engländers, Anm. S. K.] zu einer Zigarrenspitze umarbeiten zu lassen“61 – eine Überlegung, die er aber verwarf. Durch moralische Entgleisungen dieser Art lässt sich der Verdacht der Psychoanalyse nicht ganz von der Hand weisen, dass Jünger seelisch versehrt sei oder die Kriegserlebnisse in einer Art Autosuggestion, die sich bspw. in Der Kampf als inneres Erlebnis oder Über den Schmerz zeigen könnte, abgewehrt wurden. Das Problem dieser Diagnose ist jedoch, dass Jünger diese Art der Selbstinszenierung oder Autosuggestion, ein unerschütterlicher Krieger zu sein, in den Stahlgewittern nicht durchgängig aufrechterhalten kann. Auf die Doppelgesichtigkeit Jüngers in dieser Hinsicht hat Kiesel mehrfach hingewiesen: Bei Jünger handele es sich um einen „zwar unerschrockenen und psychisch hochgradig belastbaren, dabei aber extrem wahrnehmungs- und empfindungsfähigen jungen Mann“.62 Und in Umkehrung von Lethens Duktus kommt Kiesel zu dem Schluss, dass die inhumanen Passagen in den Stahlgewittern und den Kriegstagebüchern „inselhaften Charakter“63 hätten. Die psychoanalytischen Deutungen – und somit komme ich zum Kernaspekt meiner Abhandlung – sind gerade darauf angewiesen, dass die Panzerung stabil bleibt, um plausibel zu sein. Wie auch für Freud unverhüllte Angstträume zum Problem wurden, sind die Passagen in den Stahlgewittern und Kriegstagebüchern für die psychoanalytischen Interpretationen problematisch, die offen von Angst und Nervenzusammenbrüchen, anders gesagt, von der brüchigen Panzerung zeugen und die – wie bereits angedeutet – von der psychoanalytischen Deutungstradition kaum untersucht wurden.64

59 60 61 62 63 64

Vgl. Daiber: Franz Kafka und der Lärm, 80. Vgl. Jünger: Kriegstagebuch, Juni 1916, Heft 5, 117. Jünger: Kriegstagebuch, 17. 10. 1915, Heft 3, 51. Kiesel: In Stahlgewittern (1920) und Kriegstagebücher, 45–46. Ebd., 46. Jünger habe „auf die meist gefährlichen oder destruktiven Vorgänge“ im Krieg „auf sehr differenzierte Weise reagiert und selbstverständlich auch ethische Bedenken, Angstzustände

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Einen ersten Nervenzusammenbruch und seine erste Verwundung erleidet Jünger bei der Schlacht von Esparges. In der ersten Fassung findet sich die wohl direkteste Beschreibung des Zusammenbruchs, die Jünger bereits in der dritten Fassung von 1924 abänderte: „Ich will offen gestehen, daß mich meine Nerven restlos im Stich ließen. Nun fort, weiter, weiter! Rücksichtslos rannte ich alles über den Haufen. Ich bin kein Freund des Euphemismus: Nervenzusammenbruch. Ich hatte ganz einfach Angst, blasse, sinnlose Angst. Ich habe später noch oft kopfschüttelnd an jene Momente zurückgedacht.“65

Das Ideal eines unerschütterlichen und gepanzerten Kriegers ist hier völlig abwesend. Offen spricht Jünger von blanker Angst, die nicht mehr zu beherrschen ist und zu sinnlosem Handeln antreibt, Angst, die den Soldaten Jünger in Schwäche und psychischer Anfälligkeit präsentiert. Kiesel kommentiert differenzierend, dass in den Stahlgewittern eben nicht nur vom unverwüstlichen Krieger die Rede sei, sondern auch von jemandem, „der permanent mit Ängsten zu kämpfen hat, Verstörungen erleidet und Nervenzusammenbrüche erlebt.“66 Zweideutig bleibt Jüngers Kopfschütteln als Ausdruck der Scham über seine Schwäche und sein unüberlegtes Handeln oder der Verwunderung über die „Wüste des Irrsinns“.67 Die Schilderung der Szenen, die den Zusammenbruch auslösen, ist voller traumatisierender Eindrücke. Interessant ist, dass Jünger auch hier in die erste Fassung eingreift und in der vierten von 1934 einen Satz einfügt, der mit der gewohnten Metaphorik der Stahlgewitter bricht: „Ich warf meinen Tornister fort und rannte dem Graben zu, aus dem wir gekommen waren. Von allen Seiten strebten Verwundete aus dem beschossenen Gehölz strahlenförmig darauf zu. Der Durchgang war entsetzlich, von Schwerverwundeten und Sterbenden versperrt. Eine bis zum Gürtel entblößte Gestalt mit aufgerissenem Rücken lehnte an der Grabenwand. Ein anderer, dem ein dreieckiger Lappen vom Hinterschädel herabhing, stieß fortwährend schrille, erschütternde Schreie aus. [Hier herrschte der große Schmerz, und zum ersten Male blickte ich wie durch einen dämonischen Spalt in die Tiefe seines Bereichs.] Und immer neue Einschläge.“68

Jüngers Intention, die Geschehnisse in nüchterner Form so darzustellen, wie sie passiert sind, stößt offenbar in einer Passage, die an den äußersten Schmerz heranführen will, an ihre Grenzen. Jünger eröffnet eine Szenerie, in der Panik und Chaos herrscht. Er berichtet von lebensgefährlichen Verletzungen und

65 66 67 68

und Nervenzusammenbrüche“ gekannt. (Kiesel: In Stahlgewittern (1920) und Kriegstagebücher, 46). Jünger: In Stahlgewittern, 82 (1924 umformuliert). Kiesel: Ernst Jünger, 197. Jünger: In Stahlgewittern, 18. Ebd., 81. Die Einfügung von 1934 ist im Text mit eckigen Klammern markiert.

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Verstümmelungen von Soldaten, bei der die Akustik ein wesentliches Element des Erlebens bildet. Im Moment der Schmerz-Klimax wechselt die nüchterne Sprache, die hier offenbar nicht mehr ausreicht, hin zur metaphorisch-dämonischen;69 die Rede ist von einem Grad des Schmerzes, der die Realität aufreißt und in eine Art Höllentiefe blicken lässt. Der Panzer ist an dieser Stelle restlos gebrochen. Im Gegensatz zur Panzerungshypothese ist Schmidbauers Überlegung über die Verschmelzung von Jüngers Person mit dem Krieg tragfähiger: Denn er panzert sich gerade nicht, sondern öffnet sich dem Ereignis und kann in einer Art Identifikation mit dem Krieg die Schrecken desselben abwehren.70 Dies zeigt sich auch an der ‚morituri‘-Stimmung – wie sie Kiesel nannte –, die die Stahlgewitter durchzieht.71 Sie schlägt sich bereits deutlich im 11. Heft der Kriegstagebücher aus dem Jahre 1917 nieder, das unter das Motto Mors certa, hora incerta gestellt und mit dem Ariost-Zitat: „Ein großes Herz fühlt vor dem Tod kein Grauen, | Wann er auch kommt, wenn er nur rühmlich ist“72 eingeleitet ist.73 Mit dem Eintrag vom 19. Juni spielt Jünger auf die Todesgewissheit der Horaz-Sentenz in psychologischer Hinsicht an: „Der Tod hielt eine Hetzjagd ab. Das Unterbewusstsein war in stetiger Erwartung eines Treffers.“74 Im Vorwort der Stahlgewitter stilisiert Jünger die Kämpfer als diejenigen, die sich des Todes bewusst waren und die Todesangst überwanden: „Sie waren Überwinder der Furcht“.75 Gerade die bereits erwähnte Zeichnung des Pfeife rauchenden Totenkopfs mit Zylinder bringt die Verschmelzung Jüngers mit dem Tod zum Ausdruck.76 Die Beschreibungen des Nervenzusammenbruchs, aus denen die blanke Angst spricht, scheint Jünger durch Identifikation nachträglich gebannt zu haben. Dies gilt auch für die Passagen in den Stahlgewittern, in denen sich ein antihumaner Geist ausspricht: „In einer Mischung von Gefühlen, hervorgerufen durch Blutdurst, Wut und Alkoholgenuß gingen wir im Schritt auf die feindlichen Linien los. Daneben schlug das Heroische – Göttliches und Tierisches unentwirrbar vermischt. […] Ich kochte vor einem mir jetzt unbegreiflichen Grimm. Der übermächtige Wunsch zu töten, beflügelte meine Schritte. Die Wut entpreßte mir bittere Tränen. Der ungeheure Vernichtungswille, der über der Walstatt lastete, konzentrierte sich in den Gehirnen. So mögen die Männer der Renaissance von ihren Leidenschaften gepackt

69 70 71 72 73 74 75 76

Vgl. Kiesel: Ernst Jünger, 183. Vgl. Schmidbauer: „Ich wusste nie, was mit Vater ist“, 145–146. Vgl. Kiesel: Ernst Jünger, 173. Vgl. Jünger: Kriegstagebuch, Mai 1917, Heft 11, 254. Vgl. Kiesel: Ernst Jünger, 130. Vgl. Jünger: Kriegstagebuch, 19. 06. 1917, Heft 11, 269–270. Jünger: In Stahlgewittern, 19. Vgl. Jünger: Kriegstagebuch, Juni 1916, Heft 5, 117.

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sein, so mag ein Cellini gerast haben, Werwölfe, die heulend durch die Nacht hetzen, um Blut zu trinken.“77

Prädikationen wie ‚übermächtig‘ und ‚ungeheuer‘ verweisen auf Gefühle, die sich der Steuerung entzogen haben. Die Männer seien „von ihren Leidenschaften gepackt“ worden und hätten nicht mehr anders handeln können als getriebene „Werwölfe“, die nur noch darauf abzielen, ihren „Blutdurst“ zu stillen. Die Verwandlung folgt dabei offenbar notwendigen chemischen Gesetzen, wenn sich der „Vernichtungswille“ einmal in den Gehirnen konzentriert hat. Das Mythologem ist insofern kunstvoll gewählt, als es eine Metamorphose, genauer, eine Deszension vom Menschen hin zum Tier ins Bild setzt – ein Bild, in dem das Humane nicht mehr existiert. Auf die Notwendigkeit, die im Abfallen des Soldaten aus dem Begriff des Menschen endet, reagiert Jünger offenbar erneut mit Identifikation. Er identifiziert sich mit der Bestie selbst. An einer Stelle reflektiert Jünger genau über diesen Zusammenhang von Menschlichkeit und Soldatentum. Er ist sich also dieses Abfallens voll bewusst, indem die Humanität dem Zweck des Krieges unterstellt wird: „Bis zur Siegfriedstellung war jedes Dorf ein Trümmerhaufen, jeder Baum gefällt, […] kurz, das Land, das den vordringenden Gegner erwartete, war in ödeste Wüste verwandelt. Die moralische Bewertung dieser Zerstörung ist viel umstritten, doch scheint mir das chauvinistische Wutgeheul diesmal verständlicher als der befriedigte Beifall der Heimkrieger und Zeitungsschreiber. Wo tausende friedlicher Menschen ihrer Heimat beraubt werden, muß das selbstgefällige Machtgefühl schweigen. Über die Notwendigkeit der Tat bin ich als preußischer Offizier natürlich keinen Augenblick im Zweifel. Kriegführen heißt, den Gegner durch rücksichtslose Kraftentfaltung zu vernichten suchen. Der Krieg ist der Handwerke härtestes, seine Meister dürfen der Menschlichkeit nur so lange das Herz öffnen, als sie nicht schaden kann.“78

Die Argumentation läuft darauf hinaus, dass die Unterdrückung der Humanität Teil der Natur des Kriegs sei und deshalb sei er das härteste Handwerk. „Der übermächtige Wunsch zu töten“79, der Wille zu rücksichtloser Kraftentfaltung und Vernichtung seien notwendige Bestandteile des Kriegs. Die Logik: Wer diesen Willen nicht aufbringen will, wird besiegt. Doch auch sie wird sub specie mortis brüchig:

77 Jünger: In Stahlgewittern, 518–520; 1934 gestrichen. Dafür findet sich in der Fassung von 1934 ein Absatz, der von einer Kriegerehre berichtet: „Ich war im Kriege immer bestrebt, den Gegner ohne Haß zu betrachten und ihn als Mann seinem Mute entsprechend zu schätzen. Ich bemühte mich, ihn im Kampf aufzusuchen, um ihn zu töten, und erwartete von ihm nichts anderes. Niemals aber habe ich niedrig von ihm gedacht.“ (Ebd. 137). 78 Ebd., 296; 1934 gestrichen. 79 Jünger: In Stahlgewittern, 519.

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„Davor lag mein Engländer, ein blutjunges Kerlchen, dem das Geschoß quer durch den Schädel gefahren war. Es lag da mit entspanntem Gesicht. Ich zwang mich, ihn zu betrachten, ihm ins Auge zu sehen. Nun hieß es nicht mehr: ‚Du oder ich‘. Oft habe ich später an ihn zurückgedacht, und mit den Jahren häufiger. Der Staat, der uns die Verantwortung abnimmt, kann uns nicht von der Trauer befreien; wir müssen sie austragen. Sie reicht tief in die Träume hinab.“80

Mag die Identifikation mit Krieg, Tod und Bestie zur psychischen Stabilität beigetragen haben, scheint ihre Suggestionskraft allmählich angesichts des Eindrucks des Todes und der Trauer versiegt zu sein, denn Jünger fügt seine Überlegungen über die Verarbeitung des Tötens erst 1961 in die Stahlgewitter ein.81 Ein Hinweis, dass ihn der persönliche Akt des Tötens über 40 Jahre verfolgte. Dass sie auch „tief in die Träume“ hinabreicht, ist wohl einer der deutlichsten Belege einer Traumatisierung im Text, bei deren Verarbeitung sich Jünger allein gelassen fühlt. Die Reflexion über die Kriegslogik selbst mag bereits Ausdruck einer Ernüchterung und Rechtfertigung gewesen sein, denn dem Krieg begegnete Jünger in den Anfangstagen noch mit Euphorie: „Aufgewachsen in einem Zeitalter der Sicherheit, fühlten wir alle die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, nach der großen Gefahr. Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch. In einem Regen von Blumen waren wir hinausgezogen, in einer trunkenen Stimmung von Rosen und Blut.“82 Natürlich wäre auch hier schon klar gewesen, dass der Rausch mit Leben erkauft wird – ein Handel, dessen Vollzug unabsehbare psychische Konsequenzen nach sich zieht. Nicht wenig später lesen wir: „Der Krieg hatte seine Krallen gezeigt und die gemütliche Maske abgeworfen. Das war so rätselhaft, so unpersönlich.“83 Die Aussage bezieht sich auf Geschehnisse, deren Zeuge Jünger nach einer Granatexplosion wurde. Wie bereits angemerkt beobachtet Jünger die Vorgänge seines Seelenlebens nach diesem Ereignis genau („eine tiefe Veränderung [ging] in mir vor“84). Der Vorfall, der „manchem die Kriegsbegeisterung bereits sehr gedämpft“ habe, ist der zweite deutliche Hinweis auf eine langanhaltende Traumatisierung: „Daß er auch auf mich stark gewirkt hatte, beweisen zahlreiche Gehörtäuschungen, die mir das Rollen jedes vorüberfahrenden Wagens in das fatale Flattern der Unglücksgranate verwandelten. 80 Ebd., 541–543. 81 Die Formulierung in der Erstausgabe lautet lediglich: „Davor lag mein Engländer, ein blutjunges Kerlchen, den mein Schuß quer durch den Schädel getroffen hatte.“ Der Kommentar: „Ein merkwürdiges Gefühl, einem Menschen ins Auge zu sehen, den man selbst getötet.“ (Ebd., 540). 82 Jünger: In Stahlgewittern, 27. 83 Ebd., 31. 84 Ebd., 33; vgl. dazu Daiber: Franz Kafka und der Lärm, 101.

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Das sollte uns übrigens durch den ganzen Krieg begleiten, dieses Zusammenfahren bei jedem plötzlichen und unerwarteten Geräusch. Ob ein Zug vorüberrasselte, ein Buch zu Boden fiel, ein nächtlicher Schrei erscholl – immer stockte der Herzschlag für einen Augenblick unter dem Gefühl einer großen und unbekannten Gefahr. Es war ein Zeichen dafür, daß man vier Jahre lang im Schlagschatten des Todes stand. So tief wirkte das Erlebnis in dem dunklen Land, das hinter dem Bewußtsein liegt, daß bei jeder Störung des Gewöhnlichen der Tod als mahnender Pförtner in die Tore sprang wie bei jenen Uhren, über deren Zifferblatt er zu jeder Stunde mit Sandglas und Hippe erscheint.“85

Jünger beschreibt Symptome einer Traumatisierung, die aus aktueller diagnostischer Sicht interessant sind: Laut ICD-10 sind typische Merkmale der PTBS „das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks)“, ferner trete „ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf“86. In den Kriegstagebüchern existiert ein Eintrag vom 28. Dezember 1915, erneut ausgelöst von einer Granatexplosion, die Jüngers Nebenmann den Arm abriss. Dem ansonsten detailliert beschreibenden Jünger versagten offenbar, als es daran ging, das Ereignis zu Papier zu bringen, zum ersten und einzigen Mal in Teilen die Worte.87 Er kommentiert nur kurz, als er bereits über die nächste Explosion schreibt: „von diesem Schrecken noch zitternd“.88 In einer Art hysterischem Anflug schraffiert Jünger zwei Seiten der Hefte. Daneben einmal ein Kreuz und ein Totenkopf mit der Unterschrift: memento.89 Es bleibt letztlich zweideutig, ob es sich dabei um ein traumatisierendes Ereignis handelte oder ob Jünger der Ansicht war, dass sich das Erlebte nicht in angemessener Weise in Worte fassen lässt. Schließen möchte ich mit der Passage in den Stahlgewittern, in der Jünger seinen zweiten Nervenzusammenbruch schildert, den er 1918 während der Frühjahrsoffensive erlebte. Zu diesem Zeitpunkt zeugen bereits einige Einträge in den Kriegstagebüchern von mehreren Phasen der Kriegsmüdigkeit, von denen eine in der Frage gipfelt: „Wann hat dieser Scheiß Krieg ein Ende?“90 Die Frühjahrsoffensive beschreibt Jünger als furchteinflößend. Nur das Gefühl der Ver85 Jünger: In Stahlgewittern, 33. Erst in der dritten Fassung von 1924 eingefügt. 86 ICD-10-GM. Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme. 10. Revision. Köln: DIMDI, 2020, F 43.1. 87 Kiesel: In Stahlgewittern (1920) und Kriegstagebücher, 43–44. 88 Jünger: Kriegstagebuch, 71. Jünger schreibt: „Die schwere Granate, deren Splitter bis zu mir flogen[,] ist in den Abschnitt des II. Zuges gekommen. Sie hat einem Manne des 2. Zuges den der 2. Comp. [den, gestrichen] einen Arm abgerissen.“ (Jünger, Kriegstagebuch, 70). Weiter geht Jünger auf das Ereignis nicht ein. 89 Ebd., 71. 90 Ebd., 258. Eintrag vom 24. 05. 1917.

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antwortung für seine Männer habe ihn, nachdem er „wie alle anderen, nach einem Augenblick starren Entsetzens aufsprang und planlos in die Nacht rannte“, dazu gebracht, sich wieder „an den schrecklichen Ort zurückzuzwingen“.91 Doch der Moment der Kontrolle hielt offenbar nur kurz: „Einer meiner liebsten Rekruten, dem ein Splitter den Schenkel zerknickt hatte, klammerte sich an meinen Beinen fest. Meinem Unvermögen zu helfen, fluchend, klopfte ich ihm ratlos auf die Schulter. Solche Augenblicke vergißt man nie. Ich mußte die Unglücklichen dem einzig überlebenden Krankenträger überlassen, um das Häuflein Getreuer, das sich um mich gesammelt hatte, aus dem gefährdeten Bereich zu führen. Vor einer halben Stunde noch an der Spitze einer kriegsstarken Kompanie, irrte ich nun mit wenigen, seelisch vollkommen deprimierten Leuten durch das Grabengewirre. Ein blutjunges Milchgesicht, das vor einigen Tagen noch, von seinen Kameraden verspottet, beim Exerzieren der schweren Munitionskästen wegen geweint hatte, schleppte nun die Last, die er aus dem furchtbaren Auftritt gerettet hatte, getreulich auf unserem mühsamen Wege mit. Diese Beobachtung gab mir den Rest. Ich warf mich zu Boden und brach in ein krampfhaftes Schluchzen aus, während die Leute düster um mich herumstanden. Nachdem wir einige Stunden lang erfolglos, oft von einschlagenden Granaten bedroht, durch Gräben gehastet waren, in denen Schlamm und Wasser fußhoch standen, legten wir uns, zu Tode erschöpft, in einige in die Wände eingebaute Munitionsnischen. Mein Bursche breitete seine Decke über mich; trotzdem konnte ich infolge der furchtbaren Nervenerregung kein Auge schließen und erwartete, Zigarren rauchend, die Dämmerung.“92

In diesem Passus kommen wiederum Elemente zur Sprache, die laut ICD-10 eine Traumatisierung diagnostizieren lassen: Die depressive Verstimmung, die Schlafstörung aufgrund der Nervenerregung als „protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.“93 Bezeichnend ist jedoch der Auslöser des Zusammenbruchs. Dass dies ausgerechnet der Anblick des ‚Milchgesichts‘ war, das zuvor noch aufgrund seiner Weinerlichkeit verspottet und nunmehr durch die Schlacht zum Krieger gestählt wurde, hätte ja gerade dem unterstellten Kriegerideal Jüngers entsprochen. Ob nun bewusst intendiert oder nicht, der Text verkündet mit dem zweiten Nervenzusammenbruch ebenso den Zusammenbruch des Kriegerideals. Hatte Jünger das ‚Milchgesicht‘ daran erinnert, wie auch er mit der Realität des Kriegs konfrontiert, sich von der anfänglichen Euphorie ernüchtern musste oder ein

91 Jünger: In Stahlgewittern, 505. 92 Ebd., 506. Der Wortlaut der letzten Fassung: „Solche Augenblicke graben sich ein.“ (Ebd., 507). 93 ICD-10-GM, F 43.1.

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Ideal schuf, um dem Trauma Herr zu werden, das aber im entscheidenden Moment zerbrach? Öffnete der Anblick erneut die Tore zu dämonischen Tiefen oder zum „dunklen Land, das hinter dem Bewußtsein liegt“?94

V Summa summarum lässt sich festhalten, dass die Stahlgewitter als Trauma-Bericht gelesen werden können. Entgegen einer wirkmächtigen Lesart der psychoanalytischen Deutungstradition scheitert die Hypothese der Panzerung, weil sie in ästhetischer Hinsicht nicht haltbar ist und sich Jünger mit Beschreibungen, in denen das Trauma offen zum Vorschein kommt, nicht in einen gepanzerten Kokon zurückzieht. Im Gegenteil öffnet sich Jünger in der Situation der Bedrohung, um mit ihr zu verschmelzen. Dies zeigt sich im Krieg selbst, in seiner morituri-Haltung und in einer Situation, in der die Humanität selbst aufs äußerste bedrängt ist und sich Jünger mit der Bestie, dem Werwolf identifiziert. Auf diese Weise kann er sich erneut selbst ermächtigen, während die Abwehr der Spuren des Traumas im Laufe der Jahre nicht mehr zu gelingen scheint, wenn Jünger davon berichtet, dass die Trauer um die Getöteten ihren Weg in seine Träume fand. In dieser Hinsicht liegt mit den Stahlgewittern, gerade weil sich die Überarbeitungszeit über fast 60 Jahre erstreckt, für eine Erinnerungskultur, die sich mit den damit verbundenen Traumaerfahrungen auseinandersetzen will, ein bedeutendes Dokument der Trauma-Aufarbeitung eines Soldaten des Ersten Weltkriegs vor. Auf einer Metaebene offenbart die Rezeptionsgeschichte der Stahlgewitter die Schwierigkeiten, die mit der Beurteilung des Werks einhergehen. Die Einschätzungen sind zum Teil mit einer ideologischen oder politischen Vereinnahmung verbunden und polarisieren sich an den Extremen: Die Stahlgewitter seien eine kriegsverherrlichende Schrift mit inhumanem Charakter oder ein pazifistischer Text. Die psychoanalytische Deutungstradition, die selbst Teil der Rezeptionsgeschichte ist, tendiert überwiegend zur ersten Einschätzung mit der Diagnose, dass Jünger als versehrte Seele zum Inhumanen getrieben worden sei. Mit der neueren historisch-philologischen Lesart, vertreten durch bspw. Helmuth Kiesel, kann eine solche Wertung zu einer ausgewogeneren Lesart korrigiert werden, indem der Doppelaspekt des Werks betont wird. Die Rezeptionsgeschichte zeigt außerdem – und das ist ebenfalls relevant für die Erinnerungskultur –, dass die Quellen selbst schweigen und Interpretationsverfahren darüber entscheiden, wie sie bewertet werden und letztlich wie der verhandelte Gegenstand erinnert wird.

94 Jünger: In Stahlgewittern, 33.

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