Der erste Brief des Paulus an Timotheus / HistorischTheologische Auslegung (HTA), Neues Testament: Herausgegeben:Maier, Gerhard; Riesner, Rainer; Neudorfer, Heinz-Werner, Von Heinz-Werner Neudorfer 9783417297218, 9783765597213, 3417297214

Die Historisch-Theologische Auslegungsreihe des Neuen Testaments ist ein Projekt von Exegeten aus dem evangelikalen Bere

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Der erste Brief des Paulus an Timotheus / HistorischTheologische Auslegung (HTA), Neues Testament: Herausgegeben:Maier, Gerhard; Riesner, Rainer; Neudorfer, Heinz-Werner, Von Heinz-Werner Neudorfer
 9783417297218, 9783765597213, 3417297214

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Der erste Brief des Paulusan Timotheus
INHALT

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Heinz-Werner Neudorfer

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Historisch-Theologische Auslegung Neues Testament Herausgegeben von

Gerhard Maier· Rainer Riesner . Heinz-Werner Neudorfer· Eckhard 1. Schnabel

Der erste Brief des Paulus an Timotheus

Heinz-Werner Neudorfer

SCM R . BROCKHAUS, WIrrEN BRUNNEN VERLAG GIESSEN

seM Stiftung Christliche Medien

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede VeIWendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

2. Auflage 2012 © 2004

SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG

Bodenborn

43 . 58452 Willen

Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: [email protected] Umschlag: www.krausswerbeagentur.de.Herrenberg Satz: Heinz-Werner Neudorfer Druck und Bindung: Finidr s. r. o. Gedruckt in T schechien ISBN 978-3-417-29721-8 (SCM R.Brockhaus)

ISBN 978-3-7655-9721-3 (Brunnen) Bestell-Nr. 229.721

Datenkonvertierung: Stephan Maier, Achern

INHALT Vorwort der Herausgeber

...........................................................................

5

I. Einleitung 7 I. Annäherung .............................................................................................. 14 ..................................................................................................

2. Autor und Adressaten ............................................................................... 15 3. Geschichtliche Situation, Zeit und Ort der Abfassung ............................. 25 4. Aufbau und Struktur ................................................................................. 33 5. Botschaft und theologische Aussage ........................................................ 35 6. Zu Textüberlieferung und Stellung im ntl . Kanon ................................... 36 7. Zur Geschichte der Auslegung ................................................................. 37 II.

Auslegung

1. Teil: Wie Paulus die Gemeinde ordnet (1 Tim 1.1 - 3.16) I. Der Eingangsgruß (I Tim 1,1+2) .............................................................. 40 2. Der Anlass des Briefes (I Tim I,3-7) ....................................................... 54 3. Weisung an Timotheus (I Tim 1,8-20) ..................................................... 67 4. Das Gebet der Gemeinde im Gottesdienst (I Tim 2,1-3,l a) ..................... 99 5. Über die Gemeindeleiter (I Tim 3,lb-7) ................................................. 137 6. Über Diakone und Diakoninnen (I Tim 3,8-13) ..................................... 147 7. Der Zweck des Briefes (I Tim 3,14-16) ................................................. 152 2. Teil: Wie Timotheus die Gemeinde ordnen soll (1 Tim 4.1 - 6.19) 8. Endzeitliche Verirrungen (I Tim 4,1-5) .................................................. 168 9. Weisung an Timotheus (I Tim 4,6-16) ................................................... 176 10. Der Umgang mit Gruppen der Gemeinde (I Tim 5,1-16) ..................... 189 11. Über die Ältesten (I Tim 5,17-21) ........................................................ 199 12. Weisung an Timotheus (I Tim 5,22-25) ............................................... 204 13. Sklaven und Herren in der Gemeinde (I Tim 6,1+2) ............................ 209 14. Der Umgang mit dem Geld (I Tim 6,3-10) .......................................... 213 15. Warnung und Ermutigung an Timotheus (I Tim 6,11-16) ................... 218 16. Mahnung an die Reichen (I Tim 6,17-19) ............................................ 225 17. Briefschluss (I Tim 6,20+21) ............................................................... 227

4

III. Verzeichnisse I. Literaturverzeichnis

Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

230 2. Autorenverzeichnis ( Auswahl) 236 3. Stichwortverzeichnis ( Auswahl) .............................................................238 ................................................................................

................................................................

Vorwort der Herausgeber Die Kommentarreihe ,,Historisch-theologische Auslegung des Neuen Testa­ ments-will mit Mitteln der Wissenschaft die Aussagen der neutestamentlichen Texte in ihrer literarischen Eigenart, im Hinblick auf ihre historische Situation und unter betonter Berücksichtigung ihrer theologischen Anliegen erläutern. Dabei sollen die frühere wie die heutige Diskussion und neben den traditionel­ len auch neuere exegetische Methoden berücksichtigt werden. Die gemeinsame Basis der Autoren der einzelnen Kommentare ist der Glaube, dass die Heilige Schrift von Menschen niedergeschriebenes Gotteswort ist . Der Kanon Alten und Neuen Testaments schließt den Grundgedanken der Einheit der Bibel als Gottes Wort ein. Diese Einheit ist aufgrund des Offenbarungscha­ rakters der Heiligen Schrift vorgegeben und braucht nicht erst hergestellt zu werden . Die Kommentatoren legen deshalb das Neue Testament mit der Über­ zeugung aus, dass die biblischen Schriften vertrauenswürdig sind und eine Sachkritik, die sich eigenmächtig über die biblischen Zeugen erhebt, aus­ schließen. Wo Aussagen der biblischen Verfasser mit außerbiblischen Nach­ richten in Konflikr und Probleme beobachtet werden, sind Klärungsversuche legitim und notwen­ dig . Bei der Behandlung umstrittener Fragen möchten die Autoren vier Regeln folgen: 1. Alternative Auffassungen sollen sachlich, fair und in angemessener Ausführlichkeit dargestellt werden . 2. Hypothesen sind als solche zu kenn­ zeichnen und dürfen auch dann nicht als Tatsachen ausgegeben werden, wenn sie weite Zustimmung gefunden haben . 3. Offene Fragen müssen nicht um jeden Preis entschieden werden. 4. Die Auslegung sollte auch für diejenigen brauchbar sein, die zu einem anderen Ergebnis kommen . Unser Kommentar will keine umfassende Darstellung der Auslegung eines neutestamentlichen Buches in Geschichte und Gegenwart geben . Weder bei der Aufil stung oder der Auseinandersetzung mit Auslegungspositionen wird Vollständigkeit angestrebt . Die einzelnen Autoren haben hier im Rahmen der gemeinsamen Grundsätze die Freiheit, beim Gespräch mit der früheren und aktuellen Exege­ se eigene Akzente zu setzen . Die Kommentarreihe unternimmt den Versuch einer "geistlichen Auslegung-Über die möglichst präzise historisch-philologi­ sche Erklärung hinaus soll die Exegese die Praxis von Verkündigung, Seelsor­ ge sowie Diakonie im Blick behalten und Brücken in die kirchliche Gegenwart

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Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

schlagen . Die Autoren gehören zu verschiedenen Kirchen und Freikirchen der evangelischen Tradition. Unterschiede der Kirchen- oder Gemeindezugehörig­ keit, aber auch unterschiedliche exegetische Meinungen wollen sie weder gewaltsam einebnen noch zum zentralen Thema der Auslegung machen. Die Auslegung folgt einem gemeinsamen Schema, das durch römische Ziffern am Seitemand angezeigt wird . Leserinnen und Leser finden lichst genaue Übersetzung, die nicht vorrangig auf eine eingängige Sprache Wert legt . Unter 11 ist Raum für Bemerkungen zu Kontext, Aufbau, literari­ scher Form oder Gattung sowie zum historischen und theologischen Hinter­ grund des Abschnitts. Unter 111 folgt daun eine Vers für Vers vorgehende Exegese, die von Exkursen im Kleindruck unterbrochen sein karm. Abschlie­ ßend kann unter IV eine Zusammenfassung erfolgen, in der das Ziel des Ab­ schnitts, seine Wirkungsgeschichte und die Bedeutung für die Gegenwart dar­ gestellt werden, soweit das nicht schon im Rahmen der Einzelexegese gesche­ hen ist. Alle Auslegung der Bibel als Heiliger Schrift ist letztlich Dienst in der Ge­ meinde und für die Gemeinde . Auch wenn die ,,Historisch-theologische Aus­ legung-keine ausdrückliche homiletische Ausrichtung hat, weiß sie sich dem Ziel verpflichtet, in der säkularen Modeme Orientierung und Weisung zu geben . Die Herausge­ ber hoffen, dass die Kommentarreihe sowohl das wissenschaftlich-theologi­ sche Gespräch fördert als auch der Gemeinde Jesu Christi über die Konfessi­ onsgrenzen hinaus dient . Im Frühjahr 2004 Bischof Dr . Gerhard Maier, Stuttgart Prof. Dr . Rainer Riesner, Dortmund Prof. Dr . Eckhard J . Schnabel, Deerfei ld/Chicago Dr . Heinz-Wemer Neudorfer, Weil im Schönbuch

1. Einleitung ,Jch möchte noch einmal auf das Grundsätzliche zu sprechen kommen: Lohnt es sich heute noch, Kommentare zu schreiben? Mit Recht ist gefragt worden, ob die herkömmlichen historisch-kritisch ausgerichteten Kommentare, die sich auf spitzfindige Quellenscheidungshypothesen kaprizieren und den Text bis in den letzten Winkel hinein wie mit einer lOOO-Watt-Lampe ausleuchten, ihren Sinn noch erfüllen können. Ich habe den vorliegenden Kommentar vom Anfang bis zum Ende gelesen und mich zum Schluß gefragt: Wer außer einer Handvoll Spezialisten profitiert von diesem Sammelwerk mit historischen, religionsge­ schichtlichen, sprachwissenschaftlichen Informationen und geistreichen Hypo­ thesen über die Entstehungsgeschichte und die literarische Struktur usw. ? Welchen geistlichen und theoretischen Gewinn wirft das alles ab? Damit sind wir beim Thema: Muß der Kommentar der Zukunft nicht ganz anders aussehen als die bisherigen, die mehr oder weniger nach dem gleichen, Strickmuster ' arbeiten? Für mein Empfinden müßte die geistliche Dimension des Wortes Gottes stärker herausgearbeitet werden. Literaturwissenschaftliche Feinarbeit ist gut und wichtig, aber sie ist nur Vorarbeit und Hinfiihrung. Beispielhaft sind nach wie vor die großen Klassiker aus der Väterzeit oder die theologi­ schen Kommentare eines Martin Luther und anderer Reformatoren, die man heute noch mit Gewinn liest. Man könnte hinzufügend hinweisen auf einige moderne Außenseiter, die erkannt haben, worauf es bei der Bibelexegese an­ kommt. "1 Mit vorstehenden Sätzen hatte Jase! Ernst schon 1990 seine Anregungen für den " Kommentar der Zukunft-formuliert. Ihm ist sicher zuzustimmen, wenn es auch leichter ist Kritik zu üben, als einen besseren Kommentar auf den Tisch zu legen . Ob das mit vorliegendem Band gelungen ist, vermag ich nicht zu sagen, jedenfalls war es beabsichtigt. Benutzerinnen und Benutzer mögen sich ihr Urteil selber bilden . In der Tat scheint der Zeitpunkt, gängige Ansichten über die Pastoralbriefe zu überdenken, günstig gewählt . Las sich Walfgang Schenk umfangreicher For­ schungsbericht von 1987 noch wie ein Abgesang auf die Pastoralbriefe als Bestandteil des kirchlichen Kanons/ so sprach Karoline Läger acht Jahre späSo JosefEmst in einer Rezension in ThLZ 1 1 5,1 990,593 Schenk 3428 Anm. 93: "Wenn die Ekklesiologie von Barmen II-IV die Logik des apostolischen Evangeliums zutreffend erfaßt, ist als Konsequenz eine Ent-Kanoni-

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Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

ter bereits von deren "Neuentdeckung...l.u .. nd dachte dabei wohl nicht nur an die zunehmende Beschäftigung mit ihnen, sondern auch an neue Ansätze . Insofern also könnte der hier für I Tim unternommene Versuch einer Neubewertung auf Verständnis, mindestens aber auf Interesse hoffen. Seit rund 200 Jahren gilt es nämlich vor allem in der deutschsprachigen neu­ testamentlichen Wissenschaft als ausgemacht, dass die Briefe an Timotheus und Titus nicht den Apostel Paulus zum Verfasser haben, sondern aus späterer Zeit stammen, und dass sie als ein von Anfang an zusammengehöriges, mit einem bestimmten ,,kirchenpolitischen-Zweck erstelltes Corpus zu behandeln seien .4 Dafür sprechen ernsthafte Gründe, vor allem ilrre konstatierte gegensei­ tige Nähe in sprachlicher, historischer und theologischer Hinsicht bei gleich­ zeitig angenommener Distanz zu Sprache, Theologie und Situation des Apos­ tels . Seit dem frühen 18. Jh. werden sie aufgrund ihres Charakters als ,,Pastoral­ briefe,also als Schreiben, in denen es vor allem um Fragen der Gemeinde­ leitung und Seelsorge geht, bezeichnee Was sie auf den ersten Blick mitei­ nander zu verbinden scheint, ist die Front, gegen die sie kämpfen (nämlich die Irrlehrer), ist die Gemeindeorganisation, sind ähnliche Zustände in den Gemeinden, ist die theologische Begriffs- und Vorstellungswelt und die Sprache . Gerade dies aber macht die Echtheit der Pastoralbriefe zum Prob­ lem. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der Paulus-Verehrer Marcion sie nicht in seinem Kanon hatte,6 dass sie aber seit dem Ende des 2. Jh .s bis in die Neuzeit unwidersprochen als "echt-anerkannt sind. Erst 1804 bestritt sierung der Tritopaulinen unumgänglich.---Und am Ende seines Forschungsüber­ blicks (343 1): "Die Tritopaulinen denken aber christologisch nicht mehr von Os­ tern als universalgeschichtlichem NOVlUll, sondern "Wie Lk von Weilmachten her, wobei die nur 2 Tim 2,8 von Paulus her gelegentlich genannte Auferweckung zur untergeordneten Bestätigung der göttlichen Erscheinung des Erlösers in menschli­ cher Gestalt ( ... ) mnkodiert ist.Läger 3 So formuliert z. B. Trummer 125: "Die Past sind nicht als einzelne pseudepigraphe Briefe entstanden lUld erst nachträglich gesammelt worden oder zusammenge­ wachsen, sondern bereits ursprünglich als pseudepigraphes Corpus pastorale ver­ fasst, ediert und verbreitet worden.--Ähnlich RoloffEKK 43f. Freilich ist nicht zu übersehen, dass auch in den Korintherbriefen Fragen der Ge­ meindestruktur und -leitung eine wichtige Rolle spielen, dass dort auch Gemein­ degruppen in den VordergrlUld zu treten beginnen lUld dass auf seelsorgliche Fra­ gen eingegangen wird! Auch die Korintherbriefe (und nicht nur sie) haben "pasto­ ralen-Charakter wie könnte es auch anders sein! Laut Tertullian (Adversus Marcionem 5.21) kannte er sie, verwarf sie aber.

Einleitung

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J.E. C. Schmidt, drei Jahre später auch F.D.E. Schleiermacher die Echtheit des I Tim wegen ihrer Sprache und der biographischen Angaben . 1812 hielt J.G. Eichhorn alle drei Briefe wegen der Sprache für unecht, 1835 sah F.c. Baur Verbindungen zur Gnosis des 2. Jh .s . Heute wird im deutschsprachi­ gen akademischen Raum weitgehend die Unechtheit vertreten, wenn sich auch die Einsicht, sie seien von traditionellen (vielleicht paulinischen?) Fragmenten durchzogen, immer mehr durchzusetzen scheint . Nur selten sind im wissenschaftlichen Bereich Vertreter der Echtheit zu finden, wellll, darm meist in Verbindung mit einer Sekretärshypothese (wie Joachim Jeremias). Der Bogen der Forschungsgeschichte verläuft also von zaghafter Behauptung der Unechtheit, we1chletztere übrigens im katholischen Raum bis weit ins 20. Jh . hinein abgelehnt wurde, bis zu einer beinahe verächtli­ chen Einschätzung aulgrund ihres angeblich epigonenhaften Charakters . In der Gegenwart beobachten wir eine gespaltene Haltung, die von Wolf­ gang Schenks dezent in einer Fußnote versteckter Empfehlung, die Briefe aus dem Kanon zu entfernen,7 bis Hanna Stettler reicht, die den drei kleinen Briefen doch zumindest "Quellen der Christologie-bei Paulus, den synopti­ schen Evangelien, in der Apostelgeschichte und bei Johalllles zugesteht .8 Zu erwälmen sind Versuche, wenigstens einen echt-paulinischen Restbestand in Gestalt einer Fragmentenhypothese (Michel, Schmithals, Harrison) oder durch die Annahme einer Originalbriefe (bald nach deren Abfassung?) er­ weiternden Überarbeitung (zuletzt 1. Howard MarshalI) zu retten. Diese Bemühungen verbindet die gemeinsame Einsicht, dass die drei Briefe von dem "echten-Paulus doch nicht so weit entfernt sind, wie die Vertreter der Pseudepigraphie vermuten. Die Pastoralbriefe standen lange Zeit trotz gelegentlicher gegenteiliger Beteue­ rungen zumindest in der deutschsprachigen Exegese hinsichtlich ihres theolo­ gischen Gewichts in keinem sehr hohen Ansehen. Sie gelten als "pseudopauli­ nisch-und vermögen ob ihres Inhaltes das Interesse der Forscher kaum anzu­ ziehen . Höchstens als Quellen für die spätneutestamentliche Zeit, d .h . etwa für die Periode zwischen 80 und 120 n .Chr., also als Dokumente des (beginnen­ den?) sog. Frühkatholizismus/ erscheinen sie von Wert. Darüber hinaus schätzt man noch die in ihnen konservierten älteren Traditionsstücke . Damit S.o. Anrn. 2.

Stettler geht resümierend sogar noch weiter: "Was Hengel als ,Sinn lllld Inhalt . [der] Sendung' der ersten Auferstehllllgszeugen beschreibt, ist in den Past somit vollständig vorhanden und weitergeführt: Sie sollten ,den gekreuzigten Messias Jesus von Nazareth als den vorn Tode Erweckten lllld zu Gott Erhöhten ansagen . . . '-{344). Berechtigte Bedenken gegenüber diesem Etikett formuliert knapp (mit Blick auf die lukanischen Schriften) Hengel S. 59.

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endete bis vor kurzem bereits ihre Bedeutung für die ntl. Theologie und für christliche Kirchen und Gemeinden heute. Tendenziell und faktisch wurden und werden die Aussagen dieser Briefe aber bei der Erhebung einer Theologie des Paulus weitestgehend ausgeblendet. Wie sieht diese Sicht der Pastoralbriefe in ihrer Konkretion aus? Am Beispiel von Jürgen Raloffs KommentariO soll ein heute von vielen vertretenes Lö­ sungsmodell in seinen Grundzügen kurz dargestellt und knapp kommentiert werden: 1. Raloffgeht von einer Widerspruchlichkeit der vorausgesetzten Briefsitua­ tion als Argument gegen die paulinische Verfasserschaft aus. Er fragt, "wo­ rin die Notwendigkeit für Paulus---bestanden habe, "seinem langjährigen Vertrauten und engsten Mitarbeiter nochmals brieflich all das einzuschär­ fen, was er ihm bereits vorher mündlich aufgetragen hatte ( 1,3) ...- Selbst wenn man diese Ansicht teilt - wobei durchaus Gründe und Motive vor­ stellbar sind, dass Paulus es doch getan haben könnte! -, liegt die Lösung auf der Hand, sofern man die literarische Gattung des I Tim berücksichtigt. Es handelt sich nämlich, wie Michael Walter gezeigt hat, um ein Schreiben, das der literarischen Gattung der mandata principis zuzurechnen ist.II Es sind dies "Instruktionen, die neuernarmten Amtsträgern in den römischen Provinzen der Kaiserzeit für die Versehung ihrer Aufgabe mitgegeben \VUr­ den....ll Sie waren zwar direkt an den Mandatsempfanger gerichtet, waren aber ,,nicht nur für die Lektüre der Adressaten bestimmt ..., sondern [wur­ den] z. T. in Übersetzung publiziert und so in ihrem Wortlaut auch den Pro­ vinzialen [also denen, die von den Anweisungen betroffen waren] zur Kenntnis gebracht�3 Wir haben uns den Vorgang etwa so vorzustellen, dass Timotheus, von Paulus nach Ephesus gesandt, dieses Schreiben zuge­ stellt erhielt (oder vielleicht sogar mitbrachte!) und es der Gemeinde vorge­ lesen wurde, vielleicht bei seiner Einsetzung oder bei einer Gemeindever­ sammlung. Versuchen wir den I Tim zu verstehen, darm haben wir also im­ mer an diese doppelte Adressierung zu denken. So erklärt sich sowohl das Fehlen der von manchen Auslegern eingeforderten Grundaussagen paulini­ scher Theologie - sie waren Timotheus und vielleicht auch den Ephesern gut bekannt - , als auch die Wiederholung der Anweisungen an den Mitar­ beiter, die auf diese Weise der Gemeinde mitgeteilt wurden. Vgl.

zu dieser AusleglUlg die "Beobachtungen zu Jürgen Roloffs Kommentar über 1 . Timotheus-von Ellis unter dem Titel: "Die Pastoralbriefe und Paulus-in ThBeitr 22,1991,208-212! Wolter 164-170; Fuchs 176-189. Auch Johnson 97 sieht diese literarische Gathmg im I Tim. A.a.O. 164 A.a.O. 169

Einleitung

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2. ,,Die Angaben über Schicksal und Weg des Paulus lassen sich nicht in seiner uns bekarmten, aus den sonstigen Briefen wie der Act zu erschließenden Bio­ graphie unterbringen-f4 schreibt Roloff. Beide diskutierten Möglichkeiten, nämlich den Ansatz im Rahmen der sog. 3. Missionsreise Mitte der 50er-Jalrre (etwa bei van Bruggen zwischen Act 19,20 und 19,21) bzw. nach einer ange­ nommenen Freilassung aus der in Act 28 erwälmten römischen Haft (Mitte der 60er-Jahre), lehnt er ab: erstere, weil der Apostel Timotheus nach Act 19,22 nicht nach Ephesus, sondern nach Makedonien geschickt habe/5 letztere, weil eben diese Entlassung des Paulus nicht zu erhärten sei und Lukas doch wohl von seinem Tod in Rom ausgehe.16 Wenn aber die Apostelgeschichte (wie ich glaube) den Abschluss des lukanischen Werks darstellt und auch so konzipiert war, wenn sie zudem eine Funktion im Zusammenhang mit dem Prozess des Paulus hatte, wird dieses Argument durchaus fragwürdig. Denn sollte Lukas vom Tod seines ,,Helden-als Märtyrer ge\VUsst haben, darm ist überhaupt nicht zu erklären, warum er über dessen Martyrium außer gewissen nebulösen Andeutungen kein Wort verliert, wo er doch dem Tod des Stephanus so viel Gewicht gegeben hatte. Für mich ist dies ein sehr starkes Argument für die Datierung der Apostelgeschichte vor der neronischen Verfolgung und also vor dem Martyrium des Paulus. 3. "Sprache und Stil der Past weichen nicht unerheblich von den übrigen Pau­ lusbriefen ab,-schreibt Roioff' und listet die bekannten Befunde auf: den "Sonderwortschatz----von etwa 19% (bezogen auf den Gesamtbestand der Pas­ toralbriefe), die hohe Zahl von Hapaxlegomena, sprachlich-stilistische Abwei­ chungen usw. Die Überlegung von John A. T. Robinson u. a.18, Paulus passe sich hier im Sinne von I Kor 9,20 seinen griechisch-hellenistischen Lesern an, weist Roioffm. E. zu rasch und vor allem unbegründet ab. Zur Sprachstatistik hat Eta Linnemann 1996 noch eimnal die Bedenken und auch die dabei ge­ machten Fehler zur Sprache gebracht. >0 Sprachliche Nähe zu den übrigen Pau­ lusbriefen als "be\VUsste Stilimitation----w erklären, ist zwar eine gern prakti-

RoloffNTD 26 Aa.O. 26f; vgl. Fuchs 2 1 0-226. Aa.O. 27f. Aa.O. 28 Zu Robinson vgl. das Literaturverzeichnis! Aus jüngster Zeit Rüdiger Fuchs, Unerwartete Unterschiede. Müssen wir unsere Ansichten über die Pastoralbriefe revidieren?, WuppertaI 2003, S. 30-44 Eta Linnemann, Echtheitsfragen und Vokabelstatistik, JETh 10,1 996,87-109.

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zierte, letztendlich aber wohl doch auch zu einfache Lösung.2o Wenn Richards mit seinen Aussagen über Sekretär und Verfasser Recht hat (s. u.), müssen Sprach- und Stilargumente ohnehin relativiert werden und tragen für die Echtheitsdebatte nichts oder doch nur wenig aus. 4. Schließlich führt Roloff die ,,Differenz der theologischen Terminologie-flll, die er als "das wohl entscheidende Argument gegen eine paulinische Autor­ schaft---bezeichnet.21 Gemeint ist vor allem das Fehlen zentraler paulinischer Termini und die Einführung "eine[r] Reihe von Paulus fremden hellenistischen Begriffen---in Gotteslehre und Christologie, "vor allem aber in der Beschrei­ bung christlicher Existenz und Lebenshaltung,usw.ll Dies ist in diesem Zu­ sammenhang neben dem Historischen zweifellos das gewichtigste Argument. Denn wenn sich in den Pastoralbriefen tatsächlich eine andere Theologie dar­ stellen würde als in den (übrigen) Paulusbriefen, müsste in der Tat mit Schenk über die Kanonizität dieser Texte nachgedacht werden. Dabei ist allerdings das Gewicht eines argumentum e silentio im Blick auf in den Pastoralbriefen feh­ lende Begriffe oder Themen mit Vorsicht zu betrachten. Fehlt doch etwa das die paulinische Theologie tragende Stichwort 6LKaLOaUV� eEOU außer in Röm und Ir Kor in allen übrigen Paulinen, 01.UUpOt; kommt in Röm und Ir Kor, in I+Ir Thess und Phil nicht vor,23 von ja doch zweifellos für Paulus nicht unwich­ tigen Themen wie dem Abendmahl und der Eschatologie, die nicht nur im Röm vermisst werden, ganz zu schweigen. Damit ist freilich das von Roloff und anderen Gemeinte nicht vom Tisch ge­ wischt. Es bedarf einer Prüfung, ob nicht tatsächlich aus bestimmten Gründen andere Begriffe eingeführt wurden, die aber einen mindestens älmlichen Inhalt transportieren sollen. Die Einzelauslegung muss zeigen, ob I Tim deutlich von der Linie der paulinischen Theologie abweicht oder nicht. Die Hilfshypothese, die sprachlich wie theologisch "typisch paulinisch-wirkenden Stellen seien auf be\VUsste Imitation des Verfassers der Pastoralbriefe zurückzuüf hren, hingegen umgekehrt den Pastoralbriefen verwandte Aussagen in den als "echt­ angesehenen Briefen mit "paulinischen Brieffragmenten und sekundären Inter­ polationen in Röm, Phil und 1 Thess-zu erklären wären,24 erweist sich bei

RoloffEKK 72 Anrn. 92 RoloffNTD 3 1 f. A.a.O. 3 1 Näheres bei Linnemann 88! Vgl. RoloffEKK 72 Anrn. 92; Zitat Schenk 3408f. Anrn. 17

Einleitung

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näherem Hinsehen als wenig tragfähig. Mit solcher Argumentation kann man alles und auch das Gegenteil beweisen. 5. Wie stellt sich für Roloffdie Entstehung des I Tim dar? Klar ist für ihn, dass die Pastoralbriefe aus den genarmten Gründen nicht von Paulus stammen kön­ nen.25 Sie sind vielmehr ,.in einem stark hellenisierten kirchlichen Milieu der dritten Generation....l2. entstanden, konkret in Ephesus27 ,,kaum sehr viel später als um das Jahr IOO-,le Der wirkliche Verfasser wollte den Eindruck der Echt­ heit erwecken29 und (im Stil der Neuplatoniker) in seiner aktuellen Situation die "Gewichtung der Vergangenheit ins Spiel---bringen30 - ein kirchenpoliti­ sches Motiv also. Ephesus war (nach RolofJJ um die Wende zum 2. Jh. "ein Zentrum ungebrochener paulinischer Tradition,-und auch die in den Pastoral­ briefen sich spiegelnde kirchliche Situation entspreche dem, wie er mit aus­ drücklichem Bezug auf Apk 2,1-6 schreibt." Dabei bleibt hier ganz außer Betracht, dass die kleinasiatische Metropole gerade in den 80er/90er-Jahren vor allem auch ein Zentrum der johanneischen Tradition gewesen sein muss, dass möglicherweise der alte Joharmes persönlich noch dort lebte und die Kir­ che leitete. Das Fazit dieses Durchgangs kann angesichts der zu erhebenden Bedenken nur lauten: Es bleiben zu viele Fragen unbefriedigend beantwortet oder gar offen, als dass das von Roloffvorgetragene Modell bedenkenlose Zustimmung finden könnte. Gibt es aber eine Alternative dazu? Wir werden im Zuge der Ausle­ gung versuchen eine zu entwerfen. Dabei orientieren wir uns an vorliegenden Arbeiten der internationalen Forschung. Gerade im angelsächsischen Raum,32

RoloffEKK 32 Aa.O. 41 Aa.O.42 A.a.o. 46. Eine Reihe von Aussagen im I Tim passen m.E. allerdings nicht in diese späte Zeit: Das Gebet für die Obrigkeit (2,2) scheint von systematischer Be­ kämpfimg des Christentums durch den Staat noch nichts zu wissen. Sollte das nach den VerfolglUlgswellen lUlter Nero und Domitian (gerade in Kleinasien in den 90er-Jahren) noch denkbar sein? Auch der demonstrative theologische Schulter­ schluss mit dem Judentum etwa in 2,5 dürfte nach der Exkornrnunizierung der Christen durch die Aufnahme eines entsprechenden Zusatzes in das AchtzelmBitten-Gebet in den 90er-Jahren kamn zu erklären sein. Aa.O. 37 A.a.O. 3 8 Aa.O. 42. Hier sei nur auf die von Donald A. Carson, Douglas J Moa und Leon Morris herausgegebene "Introduction to the New Testament--{Grand Rapids 1992) hin-

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Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

in jüngster Zeit aber auch im deutschsprachigen Bereich gab und gibt es näm­ lich emstzunehmende Stimmen, die wieder stärker an die traditionelle Sicht der Dinge vor Schleiermacher anknüpfen. Diesen Faden werden wir im Fol­ genden aufnehmen und fortzuführen suchen.

1.

Annäherung

Ist es möglich, angesichts der immer problematischer werdenden Theorie von der Pseudepigraphie,33 für die u. a. in den frühen christlichen Gemeinden das intellektuelle Milieu fehlte34 und die in der damals herrschenden Situation der Auseinandersetzung zudem kaum vorstellbar ist,35 die "Echtheit-des I Tim zu erweisen? Ist es möglich, die fraglos vorhandenen schwierig im Corpus Paulinum unterzubringenden Aussagen aufgrund des alten Auslegungsgrund­ satzes ,�acra scriptura sui ipsius interpres---"Vom Ganzen der pIs Theologie her einzuordnen und zu beleuchten? Und die Pastoralbriefe dadurch als zusätzliche Urkunden für die paulinische Theologie und die Geschichte des frühen Chris­ tentums (wieder) zu gewinnen? Ist es möglich, durch eine synchrone Betrach­ tung historische Linien zu Schriften zu ziehen, die vermutlich oder möglicher­ weise gleichzeitig entstanden sind, und literarische bzw. theologische Linien, die auf sprachliche sowie theologische Verwandtschaft hinweisen? Könnte

;;

ge-wiesen, außerdem auf die im Literaturverzeichnis aufgeführten Kommentare von Fee, Johnson, Knight, Mounce und Towner. Vgl. hierzu jetzt auch: Armin Daniel Baum, Pseudepigraphie lUld literarische Fälschung im frühen Christentmn, \VUNT II,138, Tübingen 2001; Zusarnrnenfas­ SlUlg S. 193f. Eine knappe Übersicht zur Thematik vorn selben Autor findet sich auch in dem Sammelband: H-W NeudoiferlE.J Schnabel (Hg.), Das Studimn des Neuen Testaments, Bd. 2 Spezialprobleme, Wuppertal/Gießen 2000, S. 179-206. Selbst Roloff, der eine pseudepigraphe Entstehung der Pastoralbriefe vertritt, stellt fest: --f)ie AusklUlft jedenfalls, er [der Verfasser] hätte stillschweigend das Einver­ ständnis der Leser dafür vorausgesetzt, daß die Verfasserangaben nicht wörtlich, sondern im übertragenen Silllle, etwa als Hinweis auf Traditionszusammenhänge, zu verstehen sei, ist eine durch nichts begründete VerhannloslUlg." Stattdessen "kann doch insgesamt kein Zweifel daran sein, dass der Verf. mit alledem den Eindruck der Echtheit seiner Paulusbriefe vermitteln wollte----t S. 37). Die Frage nach der präzisen Absicht der Pseudepigraphie in einer Atmosphäre des gegenseitigen Argwohns müsste beantwortet werden. Oberlinner I 153 schreibt, Zweck der Pseudepigraphie sei es, "das Selbstverständnis der Gemeinden aposto­ lisch zu lUltermauem lUld zugleich die Kontinuität von Paulus zur Kirche mn die Iahrhundertwende als wesentliches Kriterium des rechten Glaubens zu benellllen bzw. angesichts der Glaubenskrisen in den Gemeinden einzufordem.-

Einleitung

15

sich diese Konzeption aufgrund neuerer Forschungen am Ende gar als die einleuchtendere herausstellen? Könnte es sein, dass die Pastoralbriefe die Be­ schreibung einer Theologie des Paulus nicht erschweren, sondern bereichern? Wir wollen die befriedigende Beantwortung dieser Fragen nicht versprechen, aber doch anstreben. Die hier vorgelegte Auslegung geht von drei Vorentscheidungen aus: 1. Wir sehen in den Pastoralbriefen dreijefür sich zu betrachtende Texte. 2. Diese Texte sind (im Rahmen ihrer Gattung) echte Briefe. 3. Sie stammen tatsächlich in dem nachher darzulegenden Sinne von dem im Eingangsteil genannten Verfasser, dem Apostel Paulus.

2.

Autor und Adressaten

2.1 Verfasser und Schreiber

Es ist keine neue Einsicht, dass Verfasser und Schreiber eines antiken Briefs identisch sein konnten, aber nicht mussten, ja wohl in der größeren Zahl der Fälle nicht waren. E.R. Richards hat dies mit seinem Vergleich der Briefe Ciceros mit denen des Paulus erneut ins Be\VUsstsein gerufen und präzisiert. Er geht von einer abgestuften Form der Verfasserschaft aus - vom wörtlichen Diktat bis zur bloß groben Vorgabe des Inhalts durch den Verfasser -, zeigt aber zugleich, dass die verschiedenen Grade der Beteiligung des Verfassers keinen Einfluss auf seine Verfasserschaft hatten.36 Daraus ist der Schluss zu ziehen (und das ist nun neu!), dass eine Unterscheidung zwischen "Echtheit­ in dem Sinne, dass Paulus selbst den Brief geschrieben bzw. diktiert hat, und einer sog. "Sekretärshypothese-nicht mehr angebracht ist, sofern nämlich der Sekretär im Auftrag des Paulus schrieb und dieser den Brief durch seine Un­ terschrift (evt!. auch nach Korrektur oder in Verbindung mit ergänzenden eigenen Bemerkungen37) zu seinem eigenen gemacht hatte.

Randolph Richards, The Secretary in the Letters ofPaul, WUNT II,42, Tübin­ gen 1991, S. 23-56. Zu den Pastoralbriefen: S. 192-194. Zur "Sekretärshypothese­ S. 53: "Even though a secretary is the one actually -writing do-wn the letter, the au­ thor speaks as the -writer, not just the author.So könnte man z. B. II Kor 10ff. erklären: als (vielleicht, aber nicht zwangsläufig eigenhändige) akzentuierende ErgänZlUlgen des Paulus, dem der Entwurf seines Sekretärs bzw. des Mitverfassers Timotheus zu wenig deutlich erschien.

E.

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Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

2.2 Einwände

Was steht der Meinung entgegen, der Apostel Paulus sei tatsächlich in diesem Sinne Verfasser des I Tim gewesen? Sprache und Stil fallen dann weitgehend weg,38 wobei der Text des Briefes ja an etlichen Stellen sogar eine sprachlich­ stilistische Nähe zu anderen Paulusbriefen erkennen lässt, wie die Auslegung zeigen wird.39 Anders ist es mit den verwendeten theologischen Termini, auf die ebenfalls in der Auslegung einzugehen sein wird. Exemplarisch soll aber ein Begriff behandelt werden. EuoeßELa, auch ein Wort, das I Tim mit der Act verbindet, bezeichnet nach Oberlinner "das gottgefallige Verhalten als Charak­ teristikum der Christen..," nach Roloff "die Ehrfurcht vor dem Bereich des Göttlichen, vor den numinosen Kräften und Mächten sowie - darauf folgend die Achtung der von diesen Kräften und Mächten gesetzten Ordnungen, die für das Zusammenleben der Menschen in der Gesellschaft maßgeblich sind.....±l Beide betonen mit einem gewissen Recht die Verwurzelung des Wortes in der hellenistischen Sprache. Anders Stettler: Sie beleuchtet den atl.-jüdischen Hin­ tergrund, wo der Begriff vor allem in I1IUIV Makk als griechisches Äquivalent für ;'�i'. dient. ,,Der Verfasser der Past verwendet statt des für hellenistische Leser mißverständlichen cjJ6ßoC; eEOU ausschließlich das aus dem hellenisti­ schen Judentum übernommene EuoeßELa. 6ßoC; eEOU (und dementsprechend Euoe- ßELa) bedeutet im AT "an einigen markanten Stellen ... einfach Gehor­ sam gegenüber dem göttlichen Willen ... Besonders deutlich zeigt sich in 1 Tim 3,16, dass EuoeßELa kein bloßer Moralbegriff ist ... Hier kann EuoeßELa nur als Synonym für rrLouc; verstanden werden ... Beide Begriffe umfassen für die Past - wie schon ;";" 1l�";1'. in der LXX - die ganze Lebens­ bewegung der Christen. Der Begriff steht also nicht in erster Linie ,für das Verhalten des Christen', so wie vorher für das ,des Griechen', sondern in ers­ ter Linie für dessen Grund, nämlich das neue Gottesverhältnis, mit Paulus So jetzt auch Ellis, Making 326-329 Neben anderen hatte besonders AdolfSchlatter eine umfangreiche Liste von wört­ lichen Berührungen zwischen den Past lUld andern Paulusbriefen erarbeitet in: Die Kirche der Griechen im Urteil des Paulus. Eine Auslegung seiner Briefe an Tirno­ theus lUld Titus, Stuttgart 1936,15. Zudem hatte Paulus seit seinen letzten Briefen viel erlebt, war zwei Jahre in Rom gewesen. Warum sollte das nicht auch seine Sprache verändern? Auch das zunehmende Alter ist fur Sprache lUld Denken ein Faktor, der nicht übersehen werden sollte. Umfassend informiert über Phänomene des Altems das Standardwerk von Ursula Lehr, Psychologie des Altems, UTB 55, Wiebelsheim 92000. Oberlinner I 68 RoloffEKK 1 17

Einleitung

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gesprochen: den Glauben ....B Ähnliches könnte man für weitere Termini zeigen. So unendlich weit von Paulus weg ist die theologische Begrifflichkeit der Pastoralbriefe nicht. Wir haben es nicht mit hellenistischen ,,Paulus­ Plattitüden---w tun. In ihnen wird vielmeln versucht, auch in der Sprache auf die Adressaten einzugehen. Dass Paulus dabei ein weites Herz an den Tag gelegt haben wird, d.h. dass er nicht beckmesserisch auf seiner Terminologie bestanden hat, mag man konzedieren. Bleibt die Theologie selbst, bleiben die theologischen Themen. Nicht umsonst werden die drei Sclrreiben ,,Pastoralbriefe-genannt, befassen sich also in erster Linie mit Fragen der Gemeindeordnung und Seelsorge. Dass es daneben kurze, aber doch wert- und gehaltvolle Texte z.B. zur Clnistologie und GottesIelne gibt, die unser Bild nicht nur der ntl., sondern der paulinischen Theologie präzisieren und ergänzen können, sei nur am Rande erwähnt. Dies gilt etwa von den Aussagen über die "guten Werke, die m. E. mit der paulinischen RechtfertigungsIelne nicht im Widerspruch stehen, sondern von der Seite der Ethik her eine wichtige Ergänzung darstellen.43 Dass der Apostel seinem Schü­ ler nicht wie der ilnn fremden Gemeinde in Rom sein komplettes "Lelrrgebäu­ de-darstellen muss (was er ja bekauntlich selbst dort nicht tut!), ist eine Bin­ senweisheit.44 Es mag deshalb erlaubt sein zu fragen, ob die von Albert Schwei­ tzer in seiner "Geschichte der Leben-Jesu-Forschung-scharfsinnig erhobene Tendenz jeder Epoche, sich den "Jesus----w schaffen, der ihr entsprach, nicht mutatis mutandis auch für Paulus zutreffen könnte. Luke Timothy Johnson jedenfalls stellt Überlegungen darüber an, ob nicht gerade protestantische Ausleger seit der Reformation immer auf der Suche nach einem für ihre Zwe­ cke "brauchbaren-Apostel Paulus sind als nach dem wirklichen ,,histori­ schen--:-"There is an understandable tendency to find a Paul who corresponds to the scholar's sense of what is important or essential to Clrristianity and to reject as unauthentic what does noch meet that measure. Just as critics of the nineteenth century sought a Paul who is free of moralizing and the institu­ tional, so twentieth-century critics desire a Paul who is egalitarian rather than hierarchical. It is not entirely by accident that the Pastorals are also thought to be authentic by scholars who value tradition and ecc1esiastical structure and

Stettler, Christologie 234f.; Zitat im Zitat: Brox, Pastoralbriefe 176. Vgl. dazu Klaus Bergers Aussagen im Art. XaPLC; in EWNT 3,1 098f., der be­ stimmte "Spitzenaussagen-von den übrigen Aussagen lUlterscheidet. Ausführlicher dargestellt werden die Fragen nach der Begrifflichkeit lUld Theolo­ gie der Past bei Fuchs 83ff.

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Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

the divine inspiration of Scripture."45 Ich wage die These, dass unser aller Pau­ lus-Bild weit mehr von seiner Darstellung in der Apostelgeschichte geprägt ist als uns bewusst ist. Und übrigens: Woher wissen wir eigentlich, dass der Rö­ merbrief "echt---ist? Könnte nicht der Ir Tim der einzige im engen Sinne wirk­ lich "echte,--d.h. von Paulus persönlich geschriebene Paulusbrief seinrli Pseudepigraphie im Sinne einer "literarischen Konvention-scheidet ffi. E. als Möglichkeit aus, die Unstimmigkeiten zwischen I Tim und den allgemein für "echt-gehaltenen Paulusbriefen zu erklären. In den christlichen Gemeinden jener Zeit fehlte nach allem, was wir über ihre Zusammensetzung wissen, das (intellektuelle) Milieu und die Muße, in der sie einen Sinn machen würde. Zudem wäre der Brief dann von vorn herein nicht geeignet gewesen, in tat­ sächlich stattfindende Auseinandersetzungen als ,,Kronzeuge-angeführt zu werden. Es wäre ein Brief für private Liebhaber gewesen. I Tim spricht aber in eine Kampfsituation hinein. Handelte es sich bei I Tim dagegen im Süme Roloffs um eine bewusste Fälschung mit dem Ziel einer Einflussnahme auf solche irmergemeindlichen Kämpfe, darm wäre nicht nur die ethische Frage nach der "Wahrheit-der Heiligen Schrift zu stellen, sondern der bzw. die Ver­ fasser wären (wie die Auslegung zeigen wird) an vielen Stellen zu fragen, warum sie ihr Werk nicht besser, klüger durchgeführt haben. Außerdem passt Manches (etwa das undifferenziert und explizit ausnahmslos geforderte Gebet für die Obrigkeit 2,2)" nicht mehr in die Zeit nach 80 n.Chr. Es bleiben also unter dem Strich für uns nur die verschiedenen Modelle, die von einer paulini­ schen Verfasserschaft (im Sinne von E.R. Richards) ausgehen. Zu in einigen Punkten älmlichen Ergebnissen kommt, werm auch insgesamt anders positioniert, die 2002 erschienene, mit Methoden der Briefforschung erarbeitete Untersuchung von William A. Richards: ,,Difference and Distan­ ce in Post-Pauline Christianity. An Epistolary Analysis of the Pastorals-fl" Er betont nämlich die Unterschiede zwischen den drei Pastoralbriefen und kommt schließlich zu dem Resultat, drei verschiedene Autoren hätten die Briefe in drei verschiedenen Jahrzelmten geschrieben.49 I Tim, den er im Anschluss an Martin 1. Stirewalt vom Briefgenre her als "Letter-EssayJohnson 56f. Vgl. dazu Michael Prior, Paul the Letter-Writer and the Second Letter to Timothy, Sheffield 1989 Vgl. dazu Ellis, Making 424 Anm. 88. Erschienen in: Studies in Biblical Literature 44, New York u.a. 2002. Aa.O. 240. WA. Richards unterscheidet bei den drei Autoren den Typ des "Elder­ (-Ältester; an Titus), des "Pastor---tII Tim) und des "Teacher---tI Tim).

Einleitung

19

identifiziert, 50 bezeichnet er interessanter Weise als "Letter to Timothy the True--;Wissen wir etwas über den faktischen Schreiber des I Tim, also über jene Person, die (auf Diktat oder im Auftrag des Paulus) den Brief formuliert hat? Im Grunde tappen wir völlig im Dunkeln. Ein Name hat allerdings immer wie­ der eine Rolle gespielt: Lukas." Die Gründe liegen auf der Hand: Vor allem sind es die zahlreichen Anklänge an typisch lukanische Sprache und Stil (vgl. die Einzelauslegung), zum andern die Verbundenheit des Arztes aus Antiochia mit Paulus, der diesen ab 16,10 (Troas, 2. Missionsreise) zwar nicht ununter­ brochen, aber doch über weite Strecken bis zur römischen Gefangenschaft begleitet haez Wie wenige andere war er mit dem Denken des Apostels ver­ traut, bewahrte sich aber dennoch eine gewisse Distanz (etwa, indem er seinem ,,Helden-den von diesem so stark reklamierten Aposteltitel vorenthielt) und huldigte keinem unreflektierten ,,Paulinismus� Die Wahrscheinlichkeit für Lukas als Schreiber hängt natürlich von der historischen Situation ab, in der man den I Tim festmacht. 2.3 Der Adressat und die Adressaten

Vordergründig ist der I Tim "an Timotheus, das legitime Kind im Glauben­ gerichtet. Dies zieht sich, was die Anrede angeht, durch den gesamten Brief: A.a.O. 1 80; Martin L. Stirewalt, The Form and Function of the Greek Letter­ Essay, in: K.P. Donfreid (Hg.), The Roman Debate, Minneapolis 1977, S. 175206. Stirewalt resümiert seine ÜberleglUlgen: -bike the Offical letter, the letter­ essay was a publicly recorded statement, a position paper, issued by an authority ... The letter-essay was developed and used in highly literate communities. It was instruction and argument in writing, it was often supplementary to a previously published work. It was a supplement or substitute to other "Wfiting, the official let­ ter and the personal letter were, on the other hand, extensions of oral communica­ tion" (a.a.O. 205). Wenn man nur eins aus Richards' Arbeit entnehmen kann, dann dies, dass die Forschung zu den Pastoralbriefen wieder in Bewegung kommt. Für Lukas als Schreiber bzw. als Verfasser sprachen sich im Gefolge von H. A. Schotts Isagoge Historico-critica in libros Novi Foederis sacros, Jena 1830, 324f, im 20. Ib. u.a. aus: CF.D. Maule, The Problem of the Pastoral Epistles: A Reap­ praisal, BJRL 47,1964/5, 430-452; August Strobel, Schreiben des Lukas? Zum sprachlichen Problem der Pastoralbriefe, NTS 15,1 968/9, 1 9 1 -210; s.G. Wilson, Luke and the Pastoral Epistles, London 1979; dagegen: Norbert Brox, Lukas als Verfasser der Pastoralbriefe? JAC 1970, 62-77. Vgl. hierzu Claus-Jürgen Thomton, Der Zeuge des Zeugen, \VUNT V56, Tübin­ gen 1 9 9 1 , sowie Riesner 285-290. Zu Lukas als Geschichtsschreiber: Martin Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung, Stuttgart 2 1 984, 54-61 .

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Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

Nirgendwo werden andere Personen direkt angesprochen. Wenn es anderer­ seits zutrifft, dass wir es mit einem Exemplar der Gattung mandata principis zu tun haben (wofür viel spricht), wurde der Brief unter der stillschweigenden Übereinkunft geschrieben, dass sein Inhalt den betroffenen Gemeindegliedern zugänglich gemacht werden würde, und zwar um des Dienstes des Timotheus willen ganz offiziell, vermutlich bei seiner Einsetzung in der Gemeindever­ sammlung. So gesehen sind also beide in Betracht zu ziehen: Timotheus und die Gemeinde in Ephesus.

Timotheus stammte aus Lystra (rörn.: Colonia Lustra) in Lykaonien, ca. 30 km südsüdwestlich von Ikonion. Reste des antiken Ortes an der alten via Sebaste findet man auf einem Tell ca. 1,5 km nordwestlich des Dorfes Khatyn Serai. Paulus hatte die Stadt auf der ersten (Act 14,6-20) und zwei­ ten Missionsreise (Act 1 6 , 1 -3 ) besucht, wobei ihn die üblen Erfahrungen des ersten Besuchs (14,19f.) nicht von einer späteren Wiederholung abge­ halten haben. Dort lernte er Timotheus, den Sohn einer jüdischen Frau und ihres griechischen Mannes, kennen und offenbar auch schätzen. Er hätte den jungen Maun, der vielleicht (vgl. Act 16,1 mit I Tim 1 ,2 1 II Tim 1 ,2; s.u. S. 50) durch seine eigene Predigt Christ geworden war, sonst wohl kaum zu seinem Mitarbeiter gemacht, der ihn über weite Strecken seiner zukünftigen Reisen begleitet hat. "Wegen der Juden,d.h. mit dem Ziel einer ungestör­ ten Arbeit auch in judenchristlichem Kontext, ließ sich Timotheus (von Paulus?) beschneiden. Dies wird etwa im Jahr 48/49 gewesen sein. Timo­ theus begleitete Paulus dann auf der 2. Missionsreise bis Beröa, wo er nach der Flucht des Apostels zusammen mit Silas zurück blieb (Act 17,14), si­ cher zur Konsolidierung der entstandenen Gemeinde. Von Makedonien aus reisten diese Beiden darm auf Geheiß des wartenden Paulus direkt nach Ka­ rinth (18,5), wo das Missionarsteam sich längere Zeit aufhielt. Auch auf der 3. Missionsreise befand sich Timotheus unter den Begleitern des Paulus, war also wohl auch in Ephesus, bevor er zusammen mit Erastus von dort nach Makedonien geschickt wurde (Act 19,22), vermutlich um die geplante Ankunft des Apostels dort (19,21) vorzubereiten. Dort trafen der Apostel und sein Schüler wieder zusammen. Wiederum als "Vortrupp-feiste Timo­ theus etwa im Jahr 55 gemeinsam mit einigen anderen durch Makedoruen zurück nach Troas (Act 20,1-5). Als Mitabsender wird Timotheus im II Kor, Phi!, Kol, IIII Thess und Phlm genaunt, als Briefempfanger in IIII Tim. Außerhalb der Paulusbriefe wird in Hebr 13,23 (also in den frühen 60er Jah­ ren?) erwälmt, dass er wieder in Freiheit sei. Insgesamt entsteht das Bild ei­ nes Mannes, der das Vertrauen seines "Chefs-so sehr besaß, dass dieser ihn für Aufgaben einsetzte, bei denen Eigenverantwortung gefragt war (I Kor 4,17; 16,10; Phil 2,19). Seine Arbeitsgemeinschaft und innere Verbunden­ heit lobt Paulus ausdrücklich (phil 2,19-23) - ein Text, aus dem auch schon

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die Enttäuschung eines alternden Marmes spricht, der seine Aufgabe nicht mehr so erfüllen karm, wie er es gern würde.

Ephesus" war eine Stadt in der Landschaft Lydien an der Westküste Klein­ asiens, an der Mündung des Flusses Kaystras, und Hauptstadt der römi­ schen Provinz Asia. Die Reste, die von einer stolzen Geschichte zeugen, be­ finden sich bei dem Dorf Ayasoluk. Bereits im 2. lh. v.Chr. hatte es schät­ zungsweise 300.000 Einwohner gehabt. Zweimal besuchte Paulus die Stadt, zuerst nur kurz auf der Rückreise der 2. Missionsreise, von Karinth kom­ mend, im Jabr 52 (Act 1 8, 1 8f.), auf der 3. Reise darm ausführlich von 52 bis 55. Ein erstes Wirken innerhalb der jüdischen Gemeinde brachte keinen Durchbruch. Daraufhin trennte er sich mit denen, die ihm anhingen, von der Synagoge (Act 19,9) und lehrte darm zwei Jabre lang im Lehrsaal eines ge­ wissen Tyrarmus (Act 19,8-10). In diesen zeitlichen Zusammenhang könnte die von manchen vermutete Haft in Ephesus stattgefunden haben.54 Die Höhepunkte seiner Erlebnisse in der Stadt werden relativ ausführlich in Act 1 8119 geschildert: die "Vorarbeit-des Apollos zusammen mit Aquila und Priska, der letztlich gescheiterte Versuch in der Synagoge Fuß zu fassen, Konflikte mit jüdischen Exorzisten und heidnischer Zauberei, schließlich die Konfrontation mit dem Artemis-Kult und den von ihr abhängigen Kunsthandwerkern, der als "Stellvertreterkrieg---z;wischen heidnischer Reli­ gion und Christentum einzuordnen ist, gipfelnd in einer juristischen Ausein­ andersetzung, bei der die Vertreter des Staates sich wieder inhaltlich neutral verhalten. Trotzdem musste das Missionsteam den Platz räumen (20,1). Ob das Erlebnis, von dem Paulus I Kor 15,32 spricht, in diesen Zusammenhang gehört, ist unklar. Ob hier wirklich ein Tierkampf gemeint ist, ist eher un­ walrrscheinlich.55 In kultureller wie in religiöser Hinsicht war Ephesus ja kein unbeschriebe­ nes Blatt. Seit langer Zeit war der Kult der Magna Mater in Gestalt der ur­ sprünglich phrygischen Göttin Kybele in Ephesus ansässig. Nach Einwande­ rung der Griechen im 1 1 . lh. v.Chr. wurde die Göttin und ihr Kult von ihnen adaptiert, indem man die Göttin mit der griechischen Göttin Artemis identi­ fizierte.56 Dabei wurde die Artemis von Ephesus "the deity of the reproduc-

Zur Geschichte der Stadt in der Antike: Winfried Elliger, Ephesos. Geschichte einer antiken Weltstadt, Stuttgart 1985 Vgl. dazu Thiessen 1 1 1ff. Vgl. dazu Lang 230 z.St. Einzelheiten, auch zur religionsgeschichtlichen Entwicklung, bietet die Monogra­ phie von Sharon Hodgin Gritz, Paul, Women Teachers, and the Mother Goddess at Ephesus. A Study of 1 Timothy 2:9-15 in Light of The Religious and Cultural Mi­ lieu of The First Century, Lanham 1990, Kap. 1 +2. In ähnliche Richtung geht Ste­ ven M Baugh, Eine fremde Welt: Ephesus im 1 . Jahrhundert n.Chr., in: Kösten­ berger 1 1 -68. Auch hierzu interessant und schon erwähnt: Werner Thiessen, Chris-

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Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

tive powers of nature and the source of overflowing life. She possessed the powers of the life-giving earth-,l' Obwohl der Mythos der Kybele ursprüng­ lich mit ausschweifender Sexualität verbunden war, behielt die Artemis in Ephesus doch das Merkmal der Jungfräulichkeit, freilich in dem Sinne, dass sie keinen Ma1lll als ihren Herrn anerkarmte.58 Wie in fast allen Mysteriemeligionen war beim Artemiskult der Zugang für Männer und Frauen in gleicher Weise möglich. Entsprechend gab es eine große Zahl von Priesteri1lllen, sog. [lEALaaaL.59 Umstritten ist, ob es sich bei ihnen um Tem­ pelprostituierte handelte. Verheirateten Frauen war jedenfalls das Betreten des Artemisions bei Todesstrafe verboten.60 Insgesamt bot der Tempel sehr vielen Menschen in Ephesus Arbeit, beherrschte andererseits durch diese Leute die ganze Gegend. Auch der Kaiserkult besaß in der Metropole Kleinasiens ein Zentrum. Als religiöses Gegenüber ernst zu nehmen war für die junge Christengemeinde wohl lediglich das zahlemnäßig stark vertretene Judentum.61 Von Ephesus aus reiste die Gruppe um Paulus nach Act 20,1 Richtung Norden, setzte über nach Europa, bereiste drei Monate lang Makedonien und Griechen­ land und kehrte darm etwa auf demselben Weg zurück, um wieder nach Syrien zu gelangenY Nach seiner fluchtartigen Abreise aus Ephesus (Act 20, 1 ) hat Paulus die Stadt nach den Angaben der Act nicht mehr betreten.o; 1m Gegen­ teil: Auf der Rückreise überging er die Stadt absichtlich bzw. vorsichtshalber, traf sich aber mit den ,,Ältesten der Gemeinde---etwa im Jahr 56 in Milet, wo er mit ihnen über die kommende schwierige Zeit sprach und von ilmen Abschied

ten in Ephesus. Die historische lUld theologische Situation in vorpaulinischer lUld paulinischer Zeit und zur Zeit der Apostelgeschichte lUld der Pastoralbriefe, TANZ 12, TübingenIBasel l995. Gritz 38 A.a.O. 3 8f. A.a.O. 39 Seiterle 6 Gritz 42 Viele Einzelheiten erfahren wir in der Apostelgeschichte leider nicht. Rückschlüs­ se aus den Paulusbriefen ergeben aber, dass etwa Teile der Korrespondenz mit der Gemeinde in Korinth (H Kor) in diese Phase fallen dürfte, also auch Projekte wie die Organisation der für Jerusalem bestimmten Kollekte. Der GrlUld für dieses erstaunliche Verhalten wird teilweise mit der (vennuteten) Haft in Ephesus in Verbindung gebracht. Paulus selbst erwähnt in I Kor 15,32 so­ gar, er habe in Ephesus "mit wilden Tieren gekämpft- was immer damit gemeint sein mag. Aus der Haft kam Paulus (dann ebenfalls vermutlich) auf nicht ganz le­ galem Wege frei, da die politischen Gremien in jenem Zeitraum nach der Ermor­ dung des Statthalters Silanus führungslos waren; vgl. dazu Riesner 194.

Einleitung

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nahm.M Man darf feststellen: Lukas deutet in Act 20 einen späteren Besuch des Paulus in Ephesus nicht an. Ist I Tim wirklich an Timotheus (und als m andata-principis-Schreiben damit auch an die Gemeinde in Ephesus) gerichtet, stammt er wirklich aus der Zeit nach einer ersten Gefangenschaft in Rom, so darf nach Verbindungslinien sowohl zum nach Kleinasien gerichteten Epheserbrief (57-59 aus Caesarea oder um 60 aus Rom), als auch zum Bericht über seine Erlebnisse dort in der Apostelgeschichte (Act 1 8 , 1 9-21; 1 9 , 1 -20, 1 ; 20,17-38), als auch nach späteren Spiegelungen in der Johaunes-Offenbarung (Apk 2,1-7) gefragt werden: Liebe65 Umkehr/Sendung Gebet Frauen & Männer Alkoholgenuss Generationenfrage Sklaven und Herren

[ Tim 1 ,5 ! Tim 1 , 1 2-17 [ Tim 2,1-10 ! Tim 2,8-15 [ Tim 3,3; 5,23 ! Tim 5 , 1 -8 ! Tim 6, l f.

Eph 1 ,6; 4, 15; 6,23f. u.Ö. Apk2,4 Eph 2,1-7/3,5-10 Apk 2,5 Eph 6,1 8-20 Eph 5,22-33 (Apk 2,6?) Eph 5 , 1 8 Eph 6,1-4 Eph 6,5-9

Wie orientiert der Apostel seine Gemeinden in diesen Fragen im Eph und im [ Tim? Und: gibt es Brücken zum Sendschreiben nach Ephesus (Apk 2,1-7)? Einige knappe Gedanken: Liebe: Auf die gewichtige Rolle, die das Stichwort "Liebe-im Eph spielt, war oben bereits hingewiesen worden. Dem entspricht, dass im Zentrum des Sendschreibens nach Ephesus (Apk 2,4) das Verlassen der "ersten Liebe­ als der Hauptvorwurf an die dortige Gemeinde auftaucht. Ganz offensicht­ lich war dies dort ein wichtiges Problem, wie auch der Epheserbrief in sei­ nem ethischen Teil zeigt (4,2.1 5;5,1 .ff.25ff.6,23). Für Pau1us beginnt die Liebe Gottes bereits in der Erwäh1ungs1ehre (Eph 1 ,4) und strahlt aus bis in

RudolfFesch, Die Apostelgeschichte (Apg 13-28), EKK V/2, 198, geht dsvon aus, "dass Lukas eine vorgegebene Rede bearbeitet hat-p-ass die Abschiedsrede also nicht etwa eine Erfindung des Lukas darstellt. Er schreibt später (207): "Die Rede scheint also in dieselbe Tradition zu gehören, in der auch die Pastoralbriefe ent­ standen sind, von denen 2Tim ja auch in die Testamentsform gegossen ist. Sie dürfte eine vorluk. Erweitenmg des Reiseberichts bzw. dessen Edition aufgrund der Reisenotizen des Paulusbegleiters sein. -Fesch listet dann eine Reihe von inte­ ressanten, freilich in verschiedene Richtungen interpretierbaren Ähnlichkeiten zwischen den Past und der Abschiedsrede in Milet auf. Kein Brief im corpus Paulinum redet quantitativ so häufig von ayaEll/ayuEUv usw. wie Eph (Hinweis von R. Fuchs).

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Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

die "Niederungen-des Verhaltens der Christen im Alltag (Eph 4 , 1 -6) als "bedeutendste Wirkung des Geistes�6 Umkehr und Sendung: In I Tim 1 , 1 2-17 nimmt er sich selbst und seinen Le­ bensweg als Beispiel für Gottes Barmherzigkeit (I Tim 1 , 1 3.16), die auch in Eph 2,4 eine Rolle spielt. In diesem Zusammenhang spricht er jeweils von dem aus christlicher Sicht abwegigen Vorleben bei ihm (I Tim 1 , 1 3 ) wie bei den Ephesern (Eph 2 , 1 -3), das von Sünden gekennzeichnet war (Eph 2, l f.), aus denen Christus gerettet hat (I Tim 1 , 1 5 ). Er greift das Thema in abge­ wandelter Form in Eph 3,5-10 noch einmal auf, indem er (nun noch deutli­ cher im Sinne von I Tim 1 , 1 2- 1 7 ) über seine eigene Wandlung und Sendung spricht, durch die er zu einem Vorzeigeobjekt der Gnade Gottes geworden ist (I Tim 1 , 1 4/Eph 3,7f.). In Apk 2,5 wird der Gemeinde Umkehr als (ein­ ziger) Ausweg aus der Distanzierung von Gott empfohlen. Die "ersten Werke-könnten an das ihrer Sendung entsprechende Verhalten in der Früh­ zeit ihrer Geschichte erinnern. Gebet: In I Tim 2,1-10 wie in Eph 6,1 8-20 verwendet Paulus eine differen­ zierte Terminologie für das Gebet, das an beiden Stellen auch auf die Erfül­ lung seines Auftrags bezogen ist (I Tim 2,6f.1Eph 6,1 9f.). Sprachlich auWU­ lig ist die Häufung von Formen des Wortes J1aC; in beiden Texten. Frauen und Männer: In I Tim 2,8-15 sind Märmer und Frauen je für sich ein Thema, und zwar mit Blick auf ihr Beten, während Eph 5,22-33 die Hausta­ fel den Rahmen bildet. Die "Ordnung des Hauses Gottes--{Wagener) und damit die Vorstellung des OLKOC; spielt auch im Eph eine Rolle. Trotz unter­ schiedlicher Zielrichtung (I Tim: das Gebet - Eph: das Verhältnis zueinan­ der) stimmen beide Texte darin überein, dass die "Unterordnung-der Frau betont wird (UJ101CWOELV - UJ10TaY�). In Apk 2,6 werden die "Nikolaiten....,­ eine frühchristliche Sekte, erwähnt. Nach altkirchlichen Nachrichten war das Verhältnis von Mann und Frau zueinander in ihr ein Streitpunkt mit den "orthodoxen-Gemeinden.67 Alkoholgenuss: Hier bietet sich die Eph-Parallele (allerdings mit anderer Terminologie) geradezu als Verständnishilfe an. Paulus spricht dort aus, was er für den Alkoholabhängigen befürchtet, nämlich "Liederlichkeit­ (lwenLa). Dass er dabei durchaus differenzieren kann, zeigt des Apostels Ermunterung an Timotheus 5,23. Es geht um guten Gebrauch und die Ver­ meidung von Missbrauch. Generationenfrage: Zweifellos sprechen die beiden Texte unterschiedliche Aspekte des Generationenkonflikts an, I Tim das Verhalten des Timotheus gegenüber Alten und Jungen sowie die FÜfsorgepflicht der Kinder gegen­ über der älteren Generation, Eph die Beziehung zwischen Vätern und ihren Eberhard Hahn, Der Brief des Paulus an die Epheser, WStB (Ergänzungsfolge), Wupperta1 1996,97 Mehr dazu in meiner Dissertation "Der Stephanuskreis in der Geschichte der ForschlUlg seit F. Chr. Baur--,--Gießen 1983,132-144.

Einleitung

25

Kindern. Eph 6,2f. wird das 4. Gebot explizit zitiert, I Tim 5,4.8 steht es nur implizit im Hintergrund. Sklaven und Herren: In I Tim 6, H. geht es um das Verhalten christlicher Sklaven gegenüber ihren (heidnischen oder christlichen) Herren, während Eph 6,5-9 mehr den Gehorsam der Sklaven und den menschenwürdigen Umgang der Herren mit ihnen im Blick haben. Insofern könnte I Tim eine spätere Situation reflektieren. War Eph wenn auch nicht ausschließlich an die dortige Gemeinde gerichtet, so doch mindestens als Rundbrief an kleinasiatische Gemeinden Mitte der 60er­ Jahre in der Provinzmetropole bekarmt, dann wird noch leichter verständlich, warum Paulus in I Tim auf grundlegende theologische Aussagen verzichten konnte.

3.

Geschichtliche Situation, Zeit und Ort der Abfassung

Was gibt I Tim selber zur Frage seiner Datierung her? Es sind eigentlich recht wenige konkrete Angaben: 1 ,3f.

1 ,7 1 ,20 3,14 4,12

Timotheus blieb in Ephesus zurück, während Paulus nach Makedoruen reiste. Er sollte dort nämlich die Auseinander­ setzungen mit Irrlehrern weiterführen, von denen sich einige selbst als Lehrer des jü­ dischen Gesetzes verstanden. Zwei werden namentlich erwähnt: Hymenaios und Alexan­ der. Paulus will bald zu Timotheus (nach Ephesus?) kommen, doch könnte sich sein Kommen auch verzögern. Timotheus ist noch relativ jung.

Soviel ist außerdem erkennbar: Hinter I Tim steht eine ausgesprochene Kampfsituation.68 Der Brief wurde nicht vom Schreibtisch für den Schreibtisch entworfen. Zur Diskussion stehende Fragen sind die nach der Ordnung im Gottesdienst, nach einer angemessenen Gemeindestruktur, damit in Zusam­ menhang die Frage der Gemeindeleitung und der Ä mter sowie allen voran die Abwehr einer wohl von innen her kommenden Bedrohung der Gemeinde.

Schlatter 5

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Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

Nimmt man von der oben dargestellten Möglichkeit Abstand, I Tim sei erst nach dem Tode des Paulus entstanden, so bleiben am Ende zwei oder drei ernsthaft zu prüfende Lösungen im Blick auf die geschichtliche Situation sei­ ner Entstehung: 3.1 Eine Rundreise während der 3. Missionsreise

Unter Hinweis auf eine Reihe von Vorgängern entwickelt Jacob van Bruggen das Modell einer Datierung des I Tim im Zusammenhang der 3. Missionsrei­ se.69 Sein Ausgangspunkt ist erstens die Armahme, Paulus müsse seinen insge­ samt drei Jahre (Act 20,3 1 )" dauernden Arbeitsaufenthalt in Ephesus unterbro­ chen haben. Darauf weist nach van Bruggen die Tatsache, "dass Lukas diese drei Jahre nicht als eine ununterbrochene Periode schildert. Er teilt sie in zwei Abschnitte ein...1l, nämlich in drei Monate (Act 19,8) und zwei Jahre (19,10) einerseits und ein drittes, von Lukas nicht näher dargestelltes Jahr (1 9,22) andererseits, das nach van Bruggen von dieser ersten Zeit zu unterscheiden ist, weil es durch allgemein zusammenfassende Bemerkungen (19,10-1 2.20) da­ von getrennt wird. Möchte man so argumentieren, dann müsste man allerdings 19,1 0f. als Abschluss der 2 Y, Jahre annehmen, während die in 19,1 2ff. ge­ schilderten Auseinandersetzungen mit Okkultisten bereits in die nächste Perio­ de fallen würden. 19,20 ist ein abschließendes Summarium, 19,21 öffnet sich darm die Tür für einen weiteren Zeitabschnitt, dessen Schwerpunkt und er­ zwungenen Abschluss der Demetrius-Aufruhr bildete.72 Ausdrücklich wird letzterer "um diese Zeit----Ka1:a 1:()V KaLpov tKEL- vov datiert. Die Frage ist also, ob über die 2 Yt Jahre hinaus tatsächlich noch eine längere Zeit (ein Drei­ vierteljahr) für die von van Brnggen angenommene ,,Rundreise-zur Verfü-

van Bruggen 22ff. ; im Ganzen ähnlich Fuchs. Diese --drei Jahre" einerseits lUld die in Act 19,8.10 erwähnten drei Monate bzw. 2 Jahre sind wohl der eigentliche Punkt in van Bruggens Argumentation, denn -was tat Paulus in dem von Lukas nicht näher beschriebenen Dreivierteljahr? Zweifellos kann man so rechnen, sollte dabei allerdings nicht außer acht lassen, dass nach ori­ entalischer Zeitrechnung (von den "drei Jahren-spricht der Orientale Paulus in 20,3 1 !) angefangene Zeiträume als ganze gerechnet werden, also 2 + y:; 3 Jahre! Zu fragen ist auch, ob das OUK EUUOOllllV nicht gerade doch eine lUllUlterbrochene Bemühung beschreiben "Will. Zur Dauer des Aufenthalts in Ephesus vgl. auch Riesner 189-194.285. A.a.O. 23 Zu der politisch instabilen Zeit von Herbst 54 (EnnordlUlg des Statthalters Silanus auf Befehl der Nero-Mutter Agrippina) nach dem Tod des Kaisers Claudius bis weit in das Jahr 55 hinein vgl. Riesner 193f. =

Einleitung gung stand.

Zweitens

27

spricht für sein Modell, "daß Paulus auf jeden Fall von

Ephesus aus Korinth besucht hat....3.,z und zwar nach

I Kor und vor Ir Kor.74 Und

später: ,,Paulus unterbrach seine Arbeit in Ephesus mindestens für einen Be­ such in Korinth, und diese Unterbrechung muß zwischen Ac!. 1 9,20 und 2 1 eingeordnet werden. ...11 Dieser von anderen F orschem als ,,zwischenbesuch­ bezeichnete Ausflug war nach

van Bruggen

in Wirklichkeit "eine Rundreise

durch das gesamte Terrain der zweiten Reise (Mazedonien und Achaja)...1& wie er aufgrund von

I

Kor 1 6,5f. annimmt. Die hier gemeinte Reise ist nicht mit

Act 19,21; 20,1 zu identifizieren, obwohl beide ihn von Ephesus nach Korinth führen. Eine Reise nach Jerusalem weist Paulus nämlich in

I

Kor 1 6,4f. noch

von sich, in Act 19,21 ist sie dagegen fest geplant, woraus

van Bruggen

schließt, dass Act 19,21 eine spätere Situation beschreiben muss. Außerdem befmden sich Aquila und Priska zmn

I

Ephesus, während sie Karinth geschriebenen

Kor 1 6 , 1 9 noch in

Zeitpunkt der Abfassung des wahrscheinlich in

Röm (1 6,3-5) schon seit längerer Zeit in Rom sind. Dies alles fließt zusammen in dem Modell der Rundreise durch Makedonien und Achaj a, von der aus Paulus (vermutlich bald nach seiner Abreise von Korinth) an Timotheus schrieb.77 Dieser sollte den Apostel während dessen überschaubarer Abwesen­ heit in Ephesus vertreten, wofür

I Tim Anweisungen enthielt.

Aus diesen und einigen anderen, hier nicht darzustellenden Gründen entsteht für

van Bruggen

folgendes Bild der historischen Einordnung von

Bevor Paulus nach Act 20 von

Ephesus

I Tim:

(und dem gesamten Gebiet seiner

3. Reise) Abschied nahm, hat er eine Rundreise durch Makedanien und Achaja unternommen (Act 19,21), von der aus er theus nach

Ephesus

I

Tim an seinen Stellvertreter Timo­

schrieb. Dies war nötig, weil Timotheus, selbst vorher

unabhängig unterwegs, erst kurz vor der Abreise des Apostels wieder in Ephe­

sus eingetroffen war. Nach diesem Modell hätte der Apostel dann Act 20,1-3 erneut eine Reise mit ähnlichem Streckenverlauf gemacht. Das ist natürlich nicht auszuschließen. Allerdings spricht manches dafür, dass 19,21 lediglich der Entschluss zu einer Reise nach Makedonien, Achaj a und dann Jerusalem und Rom berichtet wird,

van Bruggen 24; vgl. I Kor 16,5[f. II Kor 12,14;13,1f. Ob es zum angekündigten dritten Besuch tatsächlich gekom­ men ist, wissen wir aber nicht mit letzter Sicherheit. Aa.O. 25 Ebd. Aa.O. 34f.

28

Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

dem erst nach der schwieriger gewordenen Entwicklung der Demetrius­ Unruhen in 20,1 die Ausführung folgte.n Davon, dass Paulus 19,21 tatsächlich eine Reise angetreten hätte, sagt der Text allerdings explizit nichts. 3.2 Vor der Gefangenschaft in Caesarea

Mit diesem eben in groben Zügen dargestellten Modell verbindet das zweite das Bemühen, den historischen Hintergrund von I Tim in einer in der Apostel­ geschichte berichteten und in den Paulusbriefen sich spiegelnden Situation zu suchen. Unter Berufung auf Ba Reicke79 hat Robinson vor allem anhand der in den verschiedenen (Gefangenschafts-)Briefen erwälmten Personen Tit ins Frühjahr 57 und II Tim in den Sommer 58 datiert.eo Für I Tim kommt er zu folgendem Zusammenhang: 8 1 Act 20,1 kÖllllte nach Robinson das in I Tim 1 ,3 erwähnte Ereignis gewesen sein. Dafür spricht nach seiner Meinung u. a. der Gebrauch des Verbs JTapaKaAELv an beiden Stellen.82 Auch das Verhältnis des Apostels zu seinem Mitarbeiter Timotheus bzw. dessen Stellung lässt sich nach Robinson eher in der Mitte der 50er-Jahre, also in die Zeit der Korintherbriefe, einordnen (vgl. I Tim 4 , 1 1 - 1 5 mit I Kor 16,1 0f.). I Tim datiert er in den Herbst des Jahres 55. Bo Reicke selber hat sich in einer kurz vor seinem Tod im Jahr 1987 verfass­ ten, 2001 postum veröffentlichten Vorlesungsreihe unter dem Titel "Re­ examining Paul' s Letters. The History of the Pauline Correspondence...1l erneut mit dem I Tim befasst. Er vertritt hier die Auffassung, die relevanten Aussagen

So auch Pesch 185. Viel hängt davon ab, "Wie man Act 19,21 versteht: 'Oe; OE br:"Allpc.0811 l"alJ""m , e8El"O 6 TIauAoe; ev l"CP Jt"VEU!--I,UU OLEA8cbv l"�V Mm: EOOVLav Kat 'Axatav Jt"opEuw8m Eie; 'IEpoa6Aulla EiJt"cbv . . . . Bei den Verb­ formen br:"AllpW811 und e8El"O handelt es sich um BildlUlgen des Aorists, d.h. sie liegen auf einer gemeinsamen Zeitebene. Das bedeutet: Als sich die zuvor geschil­ derten Ereignisse vollzogen, fasste Paulus den Entschluss nach Jerusalem zu rei­ sen. Die Frage ist nlUl: Wie ist OLEA8cbv zu verstehen? Im Sinne van Bruggens müsste man übersetzen können: " . . . nahm sich Paulus, während er Makedonien lUld Achaja durchzog, im Geist vor nach Jerusalem zu reisen . . . --Naheliegender er­ scheint es m. E. aber, das Partizip auf den beabsichtigten Reiseweg nach Jerusalem zu beziehen: " ... nahm sich Paulus im Geist vor, Makedonien lUld Achaja durchziehend nach Jerusalem zu reisen . . . --Genau so hat es sich dann auch abgespielt. Reicke, Chronologie; weitere Literaturangaben bei Robinson 61 Anm. 1 0 1 . Aa.O. 73-84 A.a.O. 82-84. Jeweils durch Lukas?? Erschienen in Harrisburg,PA 2001, herausgegeben von David P. Moessner und

Ingalisa Reicke.

Einleitung

29

I Tim, Act, I und Ir Kor bestätigten die Annahme, der Brief sei im Sommer oder Herbst 56 geschrieben worden, und zwar - in Ephesus: ,,First Timothy was therefore \Vfitten while both Paul and Timothy were still in Ephesus, and the epistle can be understood to correspond to the public fareweH speech that Luke aHudes to in connection with Paul's departure for Macedonia (...).--" Der Zweck des Briefs ist demnach ganz im (hier auf die Spitze getriebenen) Sinn der ,,A1andata-principis-Briefe" zu sehen, nämlich in der Unterweisung und Unterstützung des Angeschriebenen im Blick auf dessen anzutretendes Amt. Entsprechend sei I Tim im Grund an die ganze Gemeinde in Ephesus, ja auch an "outsiders-gerichtet.85 Beide Versuche gehen von den in nd. Sclrriften greifbaren Fakten und Daten aus und gelangen dabei zu einer Datierung innerhalb der Lebenszeit des Pau­ lus. Reickes Modell kommt zudem unserer Gattungsbestimmung des I Tim sehr nahe. 3.3 Nach Ende des lukanischen Berichts in Act 28

Bot der Versuch, I Tim in die uns aus der Act bekannte Biographie des Paulus einzuordnen, das Problem, die vielen chronologisch-biographischen Detailan­ gaben aus der Act wie aus den Paulusbriefen zu einem schlüssigen Modell vereinen zu müssen, so trägt die Armahme, I Tim falle erst in den uns sonst nicht näher bekannten letzten Lebensabschnitt des Apostels, den Vorteil und das Stigma, solche Angaben weder berücksichtigen zu müssen noch zu kön­ nen, eben weil es sie nicht gibt. Wer I Tim (und die Pastoralbriefe überhaupt) jenseits von Act 28 entstanden sieht, muss immer wieder vor dem Hintergrund schweigender Quellen argumentieren. Denn zwischen den Berichten der Act und den außerntl. Dokumenten der 90er-Jahre klafft eine große Lücke. Schär­ fer und mit Worten von Reicke ausgedrückt: solche Versuche "are based on pure speculation...1.& Dass dieser zugespitzte Satz nicht völlig zutreffen kann, zeigt schon die lange Reihe und zeigen die Namen der seriösen Ausleger, die trotz mancher Beden­ ken diesen Weg gewählt haben. Sie können sich zunächst auf sehr alte, noch A.a.O. 56. Auf S. 57 lesen wir dann: -t:onsequently, 1 Timothy can be classified as a public address delivered in Ephesus after Tirnothy hat taken 1 Corinthians to Greece and retumed to Ephesus in the summer or fall of the year 56. In part, 1 Timothy was intended as a letter of introduction for _t:re young man' who was to serve as leader ofthe Ephesian church in Paul's absence." Ebd. A.a.O. 52

30

Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

ins 1 . Jh. reichende Informationen über eine Spanienreise des Paulus nach seiner Freilassung aus der ersten Haft in Rom berufen: auf den Mitte der 90er­ Jahren in Rom entstandenen I Clem (5,5-7), d.h. nur rund 30 Jahre nach der vermuteten Abfassung des I Tim, darm im späten 2. Jh. auf den Canon Muratori (35-39), die Petrusakten (1-2) und die Paulusakten (9- l l ).e, Die An­ nahme, diese Notizen basierten lediglich auf der Vennutung, die Pläne des Paulus in Röm 1 5,23-25.28 müssten doch wohl zur Ausführung gelangt sein, lässt sich weder unabweisbar belegen noch bestreiten, 88 rein methodisch also letztlich überhaupt nicht klären.eo Der letzte Bedeutende unter den deutschsprachigen Vertretern der "Spanien­ Hypothese----'War kein Geringerer als Joachim Jeremias. Nach seiner Meinung fügen sich die Situationsangaben der Pastoralbriefe nicht in den uns aus der Act bekannten Ablauf ein.90 Andererseits wisse kerne alte Quelle von einer Himichtung des Paulus schon nach der (ersten) römischen Haft," dafür aber von dessen Spaniemeise.92 Gegen den damals bekarmten tatsächlichen Ablauf der Ereignisse hätte kein Fälscher die Pastoralbriefe schreiben können.93 Das einzige ernsthafte Problem stellt für ihn die Ankündigung des Paulus dar, die Epheser würden ihn nicht mehr zu sehen bekommen. Allerdings ist auch Act 2 1 , 1 1 .1 3 so nicht in Erfüllung gegangen," wie auch andere Ankündigungen hinweisen dürfen, die sich nicht erfüllt haben und die die Gemeinden in Rom (Röm 1 ,9f. 1 3 ) und Korinth (Il Kor 1 , 1 6-23) verunsicherten.

Zum Charakter lUld zur Relevanz dieser Quellen vgl. Ellis, Making 278-284 mit weiteren Literaturhinweisen. Zur Diskussion vgl. jetzt Schnabel 1 2 14ff. Nicht von der Hand zu weisen ist dabei die Beobachtung, wie wenig lokale bzw. gar keine Erinnerungen es (angeblich) in Spanien an eine Tätigkeit des Paulus dort gibt (so Juan Maria Laboa, Art. "Spanien,TRE 3 1 , 610). Sicher könnten viele archäologischen Belege durch die islamische Herrschaft beseitigt worden sein. Nach Schnabel gibt es auch für die Anwesenheit von Juden erst im 3 .14. Ib. Bele­ ge. Dass es sie schon im 1. Ib. dort gab, darauf weisen einige literarische Zeugen (Schnabel 1219) lUld die Tatsache der Existenz jüdischer Gemeinde rlUld mn das Mittelmeer. Ebenso könnte Jakobus als Landesheiliger die ErinnerlUlg an Paulus verdrängt haben. Beides sind aber Spekulationen. Jeremias NTD 2 Ebd. Das Fehlen jedes Hinweises auf das Martyrium des Paulus in Rom ist m. E. ein nicht leicht zu übergehendes Argmnent für die Abfassung der Act (und des Lk) vor dem Tod des Apostels. Zur FreilasslUlg aus der ersten Haft, Spanienreise usw. jetzt Schnabel 1 2 1 0- 1 225. A.a.O. 3 Ebd.

Einleitung

31

In dieselbe Richtung geht einer der jüngsten englischsprachigen Kommentare zu den Pastoralbriefen von William D. Mounce. Er zeichnet folgendes Bild: Timotheus war während der (ersten) römischen Haft bei Paulus.95 Vor oder nach dem Prozess wurde er zur Bekämpfung der dortigen Irrlehre nach Ephe­ sus gesandt.96 Freigekommen, missionierte Paulus in Spanien97 und auf Kreta, wollte dann in den Osten (Ephesus) gehen. Während er schließlich nach Ma­ kedonien reiste, traf er Timotheus, der (aus Ephesus kommend?) daraufhin mit dem Brief nach Ephesus zurück kehrte. I Tim sollte diesen Mitarbeiter für seinen Dienst dort instruieren und ermutigen. 98 3.4 Die Datierung des I Tim Stärkstes Argument für eine Ansetzung vor Act 20 ist, dass Paulus in 3,14 von seiner baldigen Ankunft in Ephesus spricht, nachdem er sich in Act 20 doch in Milet ausführlich und demonstrativ von den dortigen Ältesten verabschiedet hatte. Andererseits haben sich auch sonst nicht alle vorausplanenden Ankündi­ gungen des Apostels erfüllt (s.o.). Wurde die Act wirklich weitgehend wäh­ rend der ersten römischen Haft geschrieben und fertiggestellt, dann konnte Lukas nichts von dem bevorstehenden erneuten Kontakt mit der Gemeinde in der Hauptstadt der Provinz Asia almen. Die ,,Frühdatierung-mit van Bruggen, Reicke, Robinson u. a. hat den Vorteil, dass sie den I Tim der uns bekarmten Paulusbiographie einpassen lässt, allerdings ohne explizit in ihr vorzukommen. Es kommt hinzu, dass im I Tim die Gemeinde noch im Aufbau begriffen scheint und dass sich an einigen Stellen sprachliche und andere Parallelen zu Briefen aus demselben Zeitraum Mitte der SOer-Jahre (VII Kor; Röm) zeigen lassen. Auch die dort gerade akuten Probleme berühren sich teilweise mit denen in Ephesus des I Tim. Auf der anderen Seite ist aus dem Text des Briefes der aktuelle Entwicklungs­ stand der Gemeinde kaum präzis zu erheben. Offene, sogar umstrittene Fragen im Blick auf die Gemeinde- und Gottesdienstordnung gab es in anderen Ge-

Schnabel datiert die erste Haft in die Jahre 60-62, rechnet dann 63/4 mit einer Spanienmission, 64/5 mit einer Mission auf Kreta, 66 mit der zweiten Verhaftung des Apostels in Ephesus oder Rom lUld im Oktober 67 mit seinem Martyrium dort. Mounce lvi Der Zeitfaktor sollte kein Argument gegen die Möglichkeit einer Mission in Spa­ nien sein. Nach Schnabel 1223 konnte man sogar Gades, das heutige Cadiz, nord­ westlich der Meerenge von Gibraltar von Rom aus lUlter optimalen BedinglUlgen in sieben Tagen erreichen! Mounce lvif.

32

Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

meinden (etwa in Korinth) bei deren Gründung, aber auch Jahre später, ebenso Klärungsbedarf in grundlegenden geistlich-theologischen und ethischen Fra­ gen - ein Faktum, das den Apostel ja schier verzweifeln lassen konnte. Robin­ son legt dagegen (und das ist kein Widerspruch, sondern entspricht geschicht­ lich-empirischer Realität) Wert auf die Feststellung, dass sich Entwicklungen in der frühen Christenheit auch sehr rasch vollziehen konnten99 - eine Be­ obachtung, die aus der Entstehungszeit älmlicher anderer Bewegungen (etwa der Reformationszeit oder dem frühen Pietismus, aber auch der französischen oder russischen Revolution) eine Bestätigung finden. Eine soziologische Ord­ nung innerhalb der Gemeinde, ja sogar ein "Witwenproblem,gab es offen­ sichtlich schon in Jerusalem nur kurze Zeit nach Pfingsten (Act 6,1). Auch eine Form der Amtseinsetzung, die mindestens eine Vorform von "Ordination­ dargestellt haben dürfte, kennt die Act für diese frühe Zeit (Act 6,6). Das (scheinbare oder tatsächliche) Abrücken von Naherwartung (4,1 ; 6,14f.) passt sicher eher in die Mitte der 60er- als der 50er-Jahre, ist aber auch dort nicht undenkbar. Geht man dagegen von der Abfassung des Briefes nach einer Freilassung aus der römischen Gefangenschaft aus, so wird I Tim am wahrscheinlichsten mit Ellis in das Jahr 64 n.ehr. zu datieren sein, denn die Aufforderung zum Gebet für die Obrigkeit (I Tim 2,2) dürfte nach Ausbruch der neronischen Verfol­ gung im Frühjahr 65 so undifferenziert kaum noch denkbar sein. 1 OO Ellis ver­ mutet das Jahr 63 als Termin der Freilassung, nimmt darm eventuell eine Reise in die Ägäis und schließlich eine Reise nach Spanien an. Unmittelbar nach der Rückkehr von der (kurzen) Tätigkeit dort wäre I Tim geschrieben. Weil der Apostel jetzt nicht mehr die Zeit hatte, Briefe an die einzelnen Gemeinden zu schreiben, wählte er den Weg über zwei Schreiben an die Mitarbeiter Timo­ theus und Titus, die den Inhalt darm verbreiten würden. 101 Um es kurz zu machen: Alle drei unter a) bis c) dargestellten Hypothesen scheinen mir grundsätzlich möglich zu sein. Am wahrscheinlichsten ist m. E. eine Abfassung nach der Freilassung aus der 1 . römischen Haft. In diese Rich­ tung weisen 1 . Aussagen (vgl. die Einzelauslegung!), die eher auf einen älteren

Robinson 84f. Ellis, Making 424 Anrn. 88. Seine AuffasslUlg zu den Pastoralbriefen in Kürze in: ders., Art. "Pastoral Letters--,-in: Gerald F. Hawthome u.a., Dictionary ofPaul and his Letters. A Cornpendimn of Conternporary Biblical Scholarship, Dm.vners Grove/Leicester 1 993,658-666. Ebd.

Einleitung

33

Absender schließen lassen, der sein Lebenswerk sichern möchte, weiter 2. Sätze, die ein Abrücken von der früheren Naherwartung signalisieren, 3. die doch relativ fortgeschrittene Entwicklung der Gemeindestrnktur sowie 4. Stel­ len, die m.E. in der Zeit um 100 wenig Sinn machen wOrden (z.B. 2,2). Dieses Modell c) legen wir bei der Auslegung zugrunde, werden aber auch auf Beobachtungen hinweisen, die für a) oder b) sprechen. 3.5 Der Ort der Abfassung

Der Brief selbst gibt keine Hinweise auf den Ort seiner Abfassung außer dem im Verständnis umstrittenen, dass Paulus unterwegs ist nach Makedonien. Vermutlich hat er dazu denselben Weg gewählt wie schon früher, nämlich von Ephesus aus Richtung Norden, dann von der Nordwestspitze Kleinasiens hin­ über nach Europa und westwärts nach Makedonien. In den subscriptiones, die einigen Abschriften des I Tim beigefügt wurden, finden wir den Hinweis, der Brief sei von Laodicaea oder von Nikopolis geschrieben worden.102 Laodicaea liegt ziemlich genau östlich von Ephesus etwa 150 km entfernt im Lykostal. Paulus hatte die Stadt nach dem Bericht der Act nicht besucht, der dortigen Gemeinde aber einen (uns wohl nicht erhaltenen) Brief geschrieben (Kol 2 , 1 ; 4,16). Nehmen wir an, er sei von Ephesus tatsächlich nach Makedonien ge­ reist, dann bietet sich eindeutig das auf der Route liegende Nikopolis als Ort der Abfassung des I Tim an. Sehen wir in dem Schreiben allerdings eine Auto­ risierungsurkunde nach Art der mandata princpis, i dann wäre es möglich, dass es noch in Ephesus verfasst und dem Timotheus dort übergeben wurde - dafür spräche auch das Fehlen eines Postscripts mit Grußliste.

4. Aufbau und Struktur Rüdiger Fuchs hat sich unlängst ausführlich mit Strnkturfragen zum I Tim befasst. 103 An älmliche Beobachtungen anderer Autoren anknüpfend macht er den Vorschlag, I Tim als ,,Ringkomposition----Lu verstehen: "Wichtige Themen und Stichworte von Kap. 1 werden in Kap.6 wieder aufgenommen.--.lQ4 Konkret

Man vgl. die textkritischen Apparate! Fuchs 45-71

A.a.O. 45. Ähnliche Beobachtungen hat Jukka Thuren bereits 1970 in seinem Aufsatz über --f)ie Struktur der Schlußparänese 1 . Tim. 6,3-21" gemacht (in: ThZ 26,1970,241-253; hier bes. 242f). Er argmnentiert gegen die Behauptung, dieser

34

Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

nennt er neben vielen anderen den KupLot;-Titel, der nur in 1,2. 12.14 und 6,3. 15 . 1 6, also je dreimal, verwendet wird, weiter "verwandte Doxologien-in 1 , 1 7 und 6,1 5f. sowie die Bezeichnung lloKapLoc; für Gott in 1 , 1 1 und 6,15, die Erwähnung des ersten Kümmens Jesu in 1 , 1 5 und seines zweiten Kom­ mens in 6,14ff. USW. 105 Außerdem weist er auf parallele Strukturen in Kap. 1 /6106 und auf die Tatsache hin, dass dieser Rahmen "Verhaltensregeln und Lehrhilfen für Timotheus-bringe. '" Der Briefrahmen hat dann folgende Grob­ struktur: 108 1,3-7 BriefanIass 1,3-10: Hauptthema von Kap. 1 6,3-10: Hauptthema von Kap. 6 1 , 1 1 -17: Paulus und Doxologie 6,1 1 -16: Timotheus und Doxologie 1,1 8-20: Hauptthema von Kap .1 6,17-19: Hauptthema von Kap. 6 6,20-21 : BriefanIass Das zweite Augemnerk gilt der Briefmitte (3,14-4,16 (bzw. 5,2).>00 Als Thema des Briefes hatte Fuchs die Abwehr von Irrlehre bzw. Abfall erhoben. Dies taucht als thematische inclusio in 1,8ff.; 3,1 6-5,2; 6,3ff. auf, Abschnitte, die auch durch andere Stichwortbrücken verbunden sind. 110 Zudem wird hier das negative Stichwort aOEßELC; in 3,1 6ff. und 6,3ff. antithetisch mit EuoeßELo aufgenommen und die Beziehung zwischen Paulus und Timotheus wird in 1,2.7.1 8-20; 3,14f.; 4,1 2f; 6,13.20 klärend beschrieben.''' Eine Reihe ergän­ zender Beobachtungen kommen hinzu, z.B. die einer chiastischen Struktur in 3,14f.112 Zu dieser Analyse des "Skeletts-kommt die Zweiteilung des I Tim in Kap. 1 -3 und 4_6.113 Mit Hinweis auf Lohfink!I4 konstatiert Fuchs, dass Kap. 1-3 Anwei­ sungen des Apostels für die ganze Gemeinde im ,Jch-ordne-an-Stil enthält,

'" m '"

Teil des Briefes sei -ttneinheitlich" (241) im Sinne von unspezifisch und allgemein und zieht zur UnterstütZlUlg die Beobachtung chiastisch geordneter, auch inhaltlich verwandter Elemente heran (242f.). Fuchs 45 A.a.O. 47 A.a.O. 49 A.a.O. 48 A.a.O. 49-54 A.a.O. 49f. A.a.O. 50 A.a.O. 53 A.a.O. 54-58 Norbert Lohfink, Paulinische Theologie in der Rezeption der Pastoralbriefe, in: K. Kertelge (Hg.), Paulus in den neutestamentlichen Spätschriften, Freiburg 1 9 8 1 , 701 2 1 (Bezug auf l 06f.)

Einleitung

35

während 4-6 darm der "Ordne-du-an-Stil vorherrscht. 11 5 Beide großen Blöcke sind nach Fuchs ebenfalls parallel gestaltet (vg!. unten S. 176).''' Diese Erwägungen bieten, wenn man sich ihnen auch nicht bis ins Detail an­ schließen muss, doch eine tragfähige Basis für die Auslegung des Briefes. Das fehlende Postskript ließe sich nach Fuchs evt!. damit begründen, dass Paulus den Brief vor dem Eintreffen des Timotheus verfasst und ihn diesem darm persönlich übergeben haben könnte.117 Eine andere denkbare Erklärung wäre anzunehmen, dass I Tim sehr bald nach der Abreise des Apostels geschrieben wurde, sodass sich Grüße etc. erübrigten. Das sind aber nur Spekulationen.

5.

Botschaft und theologische Aussage

Trifft es zu, dass I Tim 3,14-16 (bzw. 3,14-4,5) das Zentrum des Briefes bil­ den, und dass Eingangs- und Schlussteil sowie das eigentliche Textcorpus von da her gestaltet sind, so können wir die Absicht, die der Apostel mit I Tim verfolgte, so festhalten: Paulus möchte durch seinen Mitarbeiter Timotheus das Verhalten bzw. die Verhältnisse in den Gemeinden ordnen und zugleich dafür sorgen, dass der Kern christlichen Glaubens, die Christologie, für alle Gemeindeglieder klar umrissen ist und unzweifelhaft fest steht. Indem er dies klärt, bekämpft er Irrlehrer, die Ordnung und Theologie der Gemeinde zu ändern suchen. Von diesem Grundsatz her werden Gotteslehre und Christologie in impliziter Auseinandersetzung mit den Gegnern entfaltet, wird auch die Bedeutung der (Jesus-)Tradition festgeschrieben, wird der Gottesdienst und das Gebet geord­ net, werden Fragen der Gemeindeleitung und -ordnung entschieden und wird über allem die christliche Liebe als Ziel vor Augen gestellt. Mit welcher letzten Intention wurde I Tim also geschrieben? Sicher gilt aufs Ganze gesehen, was Frances Young über das "ultimate goal-tler Pastoralbriefe insgesamt schreibt: "The Pastorals would look to eternal life as the outcome. Salvation, ... , is about the gift and attainment of that perfection which is God's Fuchs 55; ausführliche BegründlUlg 54-58. A.a.O. 60-62 Aa.O. 7 1 mit Hinweis auf Heinrich Zimmermann, Neutestamentliche Methoden­ lehre, Stuttgart 1 974, 141. Dies sehe ich wegen 1,3 etwas anders. Die Überlegung, 1,3 könnte sich gar nicht auf die bei AbfasslUlg des Briefes aktuelle Situation be­ ziehen, sondern auf eine frühere, ist interessant lUld \VÜfde Ort, Zeit lUld Situation der AbfasslUlg in ein neues Licht tauchen.

36

Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

will for humanity, which will inherit eternal life, receive the cro\Vll of right­ eousness and share in eternal glory. This hope is perhaps the final challenge of these epistles to an age which dare not hope beyond the present order." 118 Ne­ ben diesem geistlichen Generalziel verfolgt Paulus aber eine Reihe von kon­ kreten Absichten, die sich auf Lehre (und Irrlehre) und Leben in der Gemeinde in Ephesus beziehen. Ganz zweifellos will er beides an den Grundsätzen der Lehrüberlieferung und Kirchenordnung orientieren, die in jener Zeit in den von ihm gegründeten Gemeinden galten - übrigens ganz im Sinne von I Kor 1 1 ,16. 11 9 Dem entspricht formal die Verwendung von relativ viel damals schon tradiertem Material. Neben dem theologischen und dem pädagogischen Ziel verfolgt er auch seelsorgliche Absichten im Blick auf Timotheus. Seine Stel­ lung als Gemeindeleiter und damit auch sein Selbstbewusstsein soll gestärkt werden bis hinein in sehr persönliche Bereiche (etwa 5,23).

6.

Zu Textüberlieferung und Stellung im ntl. Kanon

In der ältesten Handschrift, die die Paulusbriefe enthält (p46 um 200), bricht der Text ab. Es fehlen die Pastoralbriefe, ebenso I Thess und Phlm. Die ältes­ ten erhaltenen Textzeugen für I Tim stammen aus dem 4. (Codex Sinaiticus) und 5. Jh. (Codex Alexandrinus). Von dieser Zeit an gibt es eine kontinuierli­ che Linie von Belegen. Andererseits finden sich schon vom 2. Jh. an auf der altlateinischen Übersetzung basierende Zitate aus den Pastoralbriefen, auch aus I Tim in den Kirchenvätern (Polykarp, Tertullian, Cyprian), was darauf schlie­ ßen lässt, dass der Brief von ihnen für authentisch gehalten wurde. Mit Phlm stehen die Pastoralbriefe (unterschiedlich angeordnet) als an Einzelpersonen gerichtet innerhalb der Paulusbriefsammlungjeweils am Ende. David Trobisch geht in seiner Heidelberger Dissertation von 1987 über ,,Die Entstehungsgeschichte der Paulusbriefsammlung-davon aus, dass in Ephesus (!) am Anfang des 2. lh.s eine S arumlung vorhandener Paulusbriefe hergestellt wurde. Dabei wurden um eine "Ursammlung--{Röm, IIII Kor, Gal) herum einige Briefe an Gemeinden (Eph, Phil, Kol, Thess) gruppiert. Um Phlm kris-

Young 161 Lang spricht in seiner Auslegung zu I Kor 1 1, 1 6 sogar von "der ganzen Christen­ heit-+

Einleitung

37

tallisierten sich Briefe an Einzelpersonen (Tim, Tit). 120 Die Pastoralbriefe seien bis dahin unbekannt gewesen. Gerade sie aber hätten die Unterstützung der kleinasiatischen Bischöfe gefunden. Polycarp von Smyrna habe für die Ver­ breitung gesorgt. 121 So unkonventionell diese These auch sein mag, für uns interessant ist die Datierung jener ersten umfangreicheren Sammlung auf den Beginn des 2. lh.s, denn damit ist die Entstehung der Pastoralbriefe um 100 n.Chr. kaum zu vereinbaren. Untermauert würde dadurch aber die Meinung, (nur) durch die Pastoralbriefe habe die paulinische Theologie Eingang ins 2. Jh. gefunden. 122

7.

Zur Geschichte der Auslegung

7.1 An ausführlichen Darstellungen der Auslegungsgeschichte der Pastoral­ briefe und damit auch des I Tim mangelt es nicht. Zu nennen ist im deutsch­ sprachigen Raum für die Zeit von 1945 bis 1985 besonders die schon erwähnte umfangreiche, m.E. freilich teilweise interessegeleitete und deshalb nicht im­ mer ausgewogene Darstellung von Wolfgang Schenk in ANRW. 123 Für den angelsächsischen Bereich ist jetzt auf Mark Hardings Arbeit "What are they saying about the Pastoral Epistles?--hinzuweisen.l24 7.2 Um mit den historisch-literarischen Fragen einzusetzen: Die Tendenz der deutschsprachigen'" akademischen Auslegung des I Tim ist (auch bei katholi-

Trobisch denkt an den ephesinischen Bischof Onesimus als Veranlasser der Sammlung! Trobisch 13 8f. Mit den Worten des Klappentexts eines amerikanischen Buchs: Sie "mediated Paul to the Patristic church, and then provided scriptural material for debate about church order and ministry from the Reformation to the present---{Frances Young, The Theology of the Pastoral Letters, in: New Testament Theology, Cambridge 1 994). Wolfgang Schenk, Die Briefe an Timotheus I lUld II und an Titus (pastoralbriefe) in derneueren Forschung (1945-1985), ANRW 2,25/4, 3404-3438, hg. v. W Haa­ se, BerliruNewYork 1987 Mark Harding, \Vhat are they saying about the Pastoral Epistles? New York Mahwah N.J. 2000 Im englischsprachigen Raum sieht es etwas anders aus. Dort gibt es neben emst­ zunehmenden (auch konservativen) Exegeten, die sich (wie MarshalT) für Pseudepigraphie aussprechen, doch auch in jüngster Zeit eine Reihe von Kommen­ tatoren, die (me Knight und Johnson) im Rahmen verschiedener Szenarien für paulinische Verfasserschaft votieren.

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Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

schen Kommentaren) ein klares Votum für eine pseudepigraphe Verfasser­ schaft in Verbindung mit einer relativ späten Datierung, nämlich in die Zeit um 100 n.ehr. Allerdings werden dabei verschiedene Vorstellungen bezüglich des Hintergrunds bzw. der Motivation bei Abfassung der Briefe deutlich.Während etwa Roloff von einer Täuschungsabsicht ausgeht und eine sog. literarische Konvention als "eine durch nichts begründete Verharmlosung-abweist, lU lösen sich andere Autoren von der Vorstellung, hier habe jemand (bzw. eine "Schule--+-) bewusst versucht, unter dem Namen des geschätzten Apostels die nach seiner Meinung nötige und legitime Aktualisierung von dessen Botschaft vorzunehmen und sie gezielt in den Auseinandersetzungen seiner Gegenwart einzusetzen. Das Modell einer "literarischen Konvention-verliert also Anhä­ nger. Dagegen wird (auch angesichts der unabgeschlossenen Debatte um das Phänomen ,,Pseudepigraphie-)immer häufiger auf eine präzise Nachfrage nach den (Hinter-)GrOnden der Verfasserschaft verzichtet: "Auch wenn uns Kriterien zur angemessenen Beurteilung des Phänomens der Pseudepigraphie noch nicht zur Verfügung stehen, müssen wir doch erkennen, dass auch das Urchristentum in der zweiten und dritten Generation sich dieses Stilmittels bedient hat ... ln der Zeit nach dem Tode der Apostel war offensichtlich ein Autoritätsvakuum eingetreten, das den Rückgriff auf die großen Glaubenszeu­ gen des Anfangs besonders dringlich machte. Die entscheidende Frage, ... , dürfte doch die sein, ob der Rückbezug auf Paulus sachlich zu Recht behauptet wird.-llJ Merkel bejaht die von ihm gestellte Frage später mit geringen Abstri­ chen und endet interessanter Weise mit der Frage: "Und warm wäre ein so tiefer und spannungsreicher Theologe Me Paulus ohne Abstriche rezipiert worden?...li.8 Hier kommt deutlich Bewegung in das bisher so klar ausgemachte Spiel. Dem entspricht das in neueren Kommentaren m.E. zu beobachtende Bemühen, behutsamer als früher mit den Pastoralbriefe umzugehen. 129

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" . . . kann doch insgesamt kein Zweifel daran sein, dass der Verf. mit alledem den Eindruck der Echtheit seiner Paulusbriefe vermitteln wollte ----tRoloff EKK 37). Merke! 9f. Zur Beurteihmg der Pseudepigraphie äußert sich (gut 50 Jahre nach Torm lUld Meyer) Roloff(EKK 37) ähnlich: " . . . ein sehr vielschichtiges Phänomen, dessen Erforschung erst in den Anfangen steckt. Wir verfugen deshalb noch nicht über alle Kriterien, die zu einern differenzierteren Urteil erforderlich wären.---Brox 62f. hebt mehr auf inhaltliche Bestimmtheit der hier angewandten Pseudepigraphie ab. Die Untersuchung von Baum, die in eine andere Richtung weist, ist somit als durchaus weiterfuhrend anzusehen. A.a.O. 1 6 So las man 1 9 3 1 bei Martin Dibe!ius: "Es handelt sich mn ein Christentum der rechten Lehre und der guten Werke; eine als Gemeindebesitz vorausgesetzte

Einleitung

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Nicht zu verkennen ist der Akzent auf der inzwischen für eine kirchlich einge­ bundene Theologie als bedeutungsvoll erkannten Wirkungsgeschichte. Was I Tim angeht, ist hier sonderlich auf das beginnende Kirchemecht (Kirchenver­ ständnis; I Tim als früheste Kirchenordnung; Verständnis der Ordination; Ämter) sowie auf die Beteiligung von Frauen an Gottesdienst, Verkündigung und Gemeindeleben hinzuweisen. Gerade im 2.13. lh. haben die Pastoralbriefe sehr intensiv nachgewirkt und (wie manche meinen) das Paulusbild nachhaltig geprägt: "Neither the gnostic Paul nor the apocalyptic Paul nor the ascetic Paul was canonised, but the Paul of the Pastorals. It ist fascinating that modern scholarship has skirmished over the same ground, with Bultmarm emphasising the gnostic, Käsemann and Becker the apocalyptic features ofPaul's thought, schreibt Young und fahrt fort: -'Fhe Pastorals spelt out in practical terms the consequences for everyday life ofbecoming a Pauline Christian . " 130 Von religionsgeschichtlichem Interesse ist die inzwischen besonders von Exe­ getinnen, aber nicht nur von ihnen, voran getriebene Analyse des religiösen Hintergrunds des I Tim. Allerdings schwankt das Bild stark (vgl. etwa Gritz, Clark Kroeger, Kästenberger u.a.) zwischen griechisch-hellenistischen Myste­ rienkulten in Verbindung mit uralten (kleinasiatischen) Magna-Mater-Kulten einerseits, gnostisierenden Strömungen und weiteren Optionen andererseits. Feministische Überzeichnungen scheinen im Rückzug begriffen. Die Aussagen zur ,,Frauenfrage--(I Tim 2,9- 15) werden in der deutschsprachigen Forschung weitestgehend einheitlich, nämlich relativierend behandelt. Daneben gibt es nicht nur von konservativ-evangelikaler Seite grundsätzliche Anfragen, ob es adäquat sei, "die Pastoralbriefe-als Einheit zu behandeln. Stettler hat hier behutsame Schritte gemacht, andere (z.B. Fuchs) gehen in dieselbe Richtung. Gleichzeitig werden die Pastoralbriefe theologisch wieder näher an die Theo­ logie des Paulus heran gerückt (Stettler, Läger, Fuchs). Besonders ihre Chris­ tologie war zuletzt Gegenstand eingehender Untersuchungen (s.u. S. l 80ff.).

Dogmatik und eine bürgerliche Ethik verbinden sich zu einern durchaus statischen Christentum, in dem von der dynamischen Gespanntheit des eschatologischen Evangelimns des Paulus nichts zu finden ist. ... ----tS . 3). Young 143

H . Auslegung 1 . Teil: Wie Paulus die Gemeinde ordnet 1. Der Eingangsgruß (1 Tim 1. 1 + 2) I

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I Paulus, Apostel [des] Christus Jesus gemäß der Anordnung Gottes, unseres Retters und des Christus Jesus, unserer Hoffizung, 2 dem Timotheus, dem legitimen Kind im Glauben: Gnade, Erbarmen, Friede von Gott, dem Vater, und Christus Jesus, unserem Herrn.

[superscriptio] [intitulatio] [intitulatio] [intitulatio] [adscriptio] [intitulatio] [salutatio] [salutatio]

Um die Verbindung mit den von ibm gegründeten Gemeinden zu halten, be­ diente sich der Apostel Paulus, wenn er nicht persönlich himeisen konnte (sog. ,,zwischenbesuch----in Korinth!) zweier Methoden: Entweder verkehrte er mit ihnen über zuverlässige Boten, die er (wie im zeitgenössischen Judentum üb­ lich) gelegentlich auch mit Handlungsvollmacht ausstattete. So könnte etwa Titus nach Ir Kor 7f. in seinem Auftrag tätig gewesen sein. Oder er benutzte das Medium ,,Brief,das damals schon eine lange Geschichte hinter sich und eine sehr differenzierte Form angenommen hatte. Der antike Brief spiegelt in seiner Form noch mehr oder weniger stark die Gesprächssituation wider und gibt sich dadurch selbst als "Notlösung,d.h. als Ersatz für das eigentlich zu bevorzugende persönliche Gespräch zu erkennen. 131 Für uns Spätere sind die antiken Briefe dagegen ein Glücksfall, können wir doch mit ihrer Hilfe die Situationen und Themen etwa im Gespräch zwischen Paulus und seinen Ge­ meinden wenigstens teilweise rekonstruieren. Untersuchen wir seine Briefe hinsichtlich ihrer Struktur und der in ilmen be­ gegnenden Formen z. B. im Vergleich mit anderen antiken Briefen, so zeigt

Zum Thema "Brief-vgl. auch: Hermann Probst, Paulus und der Brief. Die Rheto­ rik des antiken Briefes als Form der paulinischen Korintherkorrespondenz (1 Kor 8-10), WUNT IV45, Tübingen 1 9 9 1 .

Der Eingangsgruß (1 Tim 1,1 +2)

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sich in Übereinstimmung und Abweichung, wo der Apostel die Gewohnheiten seiner Zeit übernahm bzw. wo er eigene Wege gegangen ist, die sich ihm unter Umständen von den spezifischen Bedürfnissen seiner Korrespondenz her nahe legten. m Das gilt sogleich für den Briefeingang. Vergleichen wir I Tim I, l f. mit den Briefeingängen der übrigen, besonders aber der ,;unbestritten echten---131. Paulusbriefe, so fällt er trotz geringerer Abweichungen keineswegs aus dem Rahmen. Paulus bedient sich in allen Briefen der sog. "orientalischen,..-d.h. aus zwei Nominalsätzen bestehenden Präskriptform, die er auf verschiedene Weise variiert. Auf die Namensnennung des Absenders (superscriptio134) folgt eine inhaltliche Bestimmung seiner Tätigkeit oder Eigenschaft (intitulatio), die in der Regel mit einem Genitiv-Attribut versehen ist und gelegentlich mit einer ihren Ursprung präzisierenden Angabe verbunden sein kann. Daran schließt sich unmittelbar die Nennung des Empfangers an (adscriptio), die wiederum durch eine zusätzliche Angabe (intitulatio) inhaltlich näher be­ stimmt ist. Es fällt auf, wie knapp dieser Zusatz in den Pastoralbriefen im Vergleich mit den meisten übrigen Paulinen ausfällt. Hätte tatsächlich ein späterer Schreiber Timotheus und Titus als besonders respektable Paulus­ mitarbeiter apostrophieren wollen, so wäre dies doch wohl der Platz dafür gewesen! Freilich - dies ist ein aus dem Schweigen unserer Quelle er­ schlossenes Argument, das wir aus methodischen Gründen nur mit Vorsicht einsetzen dürfen. Dem ersten Nominalsatz folgt der Eingangsgrußwunsch (salutatio) in Gestalt eines zweiten Nominalsatzes (V. 2b) An dieser Stelle weichen die Pastoralbriefe am auffälligsten von den übrigen Paulinen ab, indem hier die stereotype Formel XaPLC; U�LV Kat dp�v� KTA. nur abgewandelt vorkommt (vgl. aber auch die Kurzform in I Thess). 1 Paulus ist der einzige genannte Absender und Autor (� Verfasser) des I Tim. Damit ist - wie Richards gezeigt hatl35 - noch nichts über den Schrei-

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Mit Recht weist Taatz 1 1Of., darauf hin, dass die Paulus-Briefe in der ForschlUlg seither meist (aus naheliegenden GrÜllden) vor dem Hintergrund der griechisch­ hellenistischen Briefliteratur untersucht worden sind. Sie analysiert die (sog. "ech­ ten-+ Paulus-Briefe daneben im Vergleich mit offiziellen gemeindeleitenden Brie­ fen des Frühjudenturns. Nämlich Gal, 1 Thess, IIII Kor, Phil, Röm, Phlm. Damit ist noch nichts über lUlsere eigene Beurteilung der übrigen Briefe gesagt. Wir lehnen lUlS hier an die von Schnider/Stenger verwendeten Termini an, die teilweise von der Terminologie in Rollers älterem Standardwerk abweichen. E.R. Richards 1 5-67

III

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Der erste Briefdes Paulus an Timotheus

ber des Briefes gesagt, den der Verfasser durch seinen Namenszug am Ende des Briefes autorisierte. Wir haben in der Einleitung gesagt, dass, warum und in welchem Sinn wir von der paulinischen Verfasserschaft in Gestalt einer "Sekretärshypothese-ausgehen. Das ermöglicht uns u.a., die "paulinische Theologie-auf eine breitere Basis zu stellen und damit insgesamt ein abgerundeteres Bild von ihr zu skizzieren, aber auch, unseren Informations­ stand bezüglich der urchristlichen (Sozial-) Geschichte zu erweitern. Denn nur ein Maximum an Quellen erlaubt zuverlässige Aussagen über diese durchaus komplexen Themen. Paulus bezeichnet sich eingangs - wie auch in den meisten anderen seiner Briefe - in einer "betont würdevollen und autoritativen Selbstvorstellung----fils 1m60WAOC; und "umschreibt mit dem Wort seine Aufgabe der Evangeliums­ verkündigung: er ist autorisiert, als Bote und Repräsentant des gekreuzigten und auferstandenen Herrn den heidenchristlichen Gemeinden das Evangelium zu bringen----:-l36 Der Wortstamm liegt als Verb und Substantiv schon in der Iesustradition auch im technischen Sinn vor (Mt 10,5; :Mk 6,7; Lk 9,2; Mt 10,2; Mk 3,14(!); Lk 6,13), und zwar als Verb in einer solchen Fülle, dass die nt! Briefe dagegen zahlenmäßig kaum ins Gewicht fallen. An mindestens drei Stellen besteht eine direkte Verbindung zum atl. Sprachgebrauch: Mk 1,2 stellt der Evangelist die Sendung des Täufers unter die Weissagung aus Mal 3,1; in Verbindung damit steht Mt 1 1 ,IOpar die Antwort Jesu auf die Anfrage des Täufers nach seiner Messianität; schließlich Lk 4,18, ebenfalls im Zusammen­ hang mit der Messiasfrage, wo Jesus Jes 6 1,l f. als programmatisch für seinen Auftrag zitiert und auslegt. Das hebr. Äquivalent ist jeweils die Wurzel n�t?', deren Bedeutung via LXX auch das ntl. Verständnis von "senden-im Sinne von "sich repräsentieren lassen-bestimmt137• Indem Jesus denselben Begrif� der für seine eigene Sendung konstitutiv war, auch für die Sendung seiner Jünger verwandte, stellte er ihren Auftrag als von vergleichbarer Qualität dar.138 Die Bindung des Apostels an den Herrn, der ihn sendet, ist demnach von nicht zu vernachlässigender Wichtigkeit. Dem entspricht ganz die im Früh­ judentum schon vorntl. bestehende Eimichtung des n'�t?', dessen wesentliche Merkmale die strenge Bindung des Boten an den Auftrag des Sendenden (bei Paulus: "das 80..'T][la, die ihn von aussen bestimmende Willensäusserung Got-

Jan-AdalfBühner, Art.