Der einsame Zensor: Zur staatlichen Kontrolle des Theaters unter Maria Theresia und Joseph II. 9783990125861

Zur staatlichen Kontrolle des Theaters zur Zeit Maria Theresias und Josephs II. Vorliegender Band befasst sich mit der v

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Der einsame Zensor: Zur staatlichen Kontrolle des Theaters unter Maria Theresia und Joseph II.
 9783990125861

Table of contents :
INHALT
DANK
EINLEITUNG
ZENSUR, GESCHMACK, SITTE
THEATER UND POLIZEYWISSENSCHAFT
DISKURS UND THEATRALITÄT. STRATEGISCHE DRAMATURGIE IM
DAS THEATRALZENSUR-DEKRET DES JAHRES 1770
SONNENFELS’ RASCHER ABGANG. NEUBESETZUNG DER THEATRALZENSUR
DIE ENTBLÖSSUNG DES ZENSORS. FRANZ KARL HÄGELINS „DENKSCHRIFT“ ZUR THEATRALZENSUR
IM SPIEGEL DER ZENSUR. ZUR BEGUTACHTUNGSPRAXIS AM BURGTHEATER IM JAHRE 1779
NEUE VERBOTENE DRAMEN
„ERKÜNSTELT GEFAHR“. ZENSUR IM ÖFFENTLICHEN DISKURS
JOSEPHINISCHE ZENSURREFORM
„MAN SOLL DEN ZENSOR NICHT FURCHTSAM MACHEN“
VOM INDEX AUF DIE BÜHNE.
FIGARO, ODER DAS SPITZENTUCH DER KÖNIGIN
„VERNICHTET SEI DAS GESETZ.“ ZUR ZENSUR DER VESTALISCHEN DRAMEN
ZUSAMMENFASSUNG
PERSONEN
BÜHNENWERKE, ORATORIEN, INSTRUMENTALKOMPOSITION
DRUCKE DES 18. UND FRÜHEN 19. JAHRHUNDERTS OHNE BERÜCKSICHTIGUNG VON SCHAUSPIELUND LIBRETTO-DRUCKEN
UNGEDRUCKTE ZENSURSCHRIFTEN (IN CHRONOLOGISCHER FOLGE)
ORTE UNTER BERÜCKSICHTIGUNG DER ERSCHEINUNGSORTE DER SCHAUSPIELDRUCKE
JANA PERUTKOVÁ AUF DEN SPUREN VON MUSIKER, MUSIKLIEBHABER UND MÄZEN GRAF VON QUESTENBERG

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R ei n h a r d Eisen dle

DON JUAN ARCHIV WIEN SPECUL A SPEC TACUL A

DE R E I N SA M E Z E N S OR

8

Zur sta atl ichen Kontrol le des Theaters unter M a r ia Theresia und Joseph II.

u nter Ma r ia Theresia u nd Joseph II.

Zu r staatlichen Kontrolle des Theaters

DER EINSA M E ZENSOR

Anknüpfend an die bislang einzige Studie über die Wiener Theatralzensur im 18. Jahrhundert, die Publikation von Carl Glossy aus dem Jahr 1897, befasst sich vorliegende Arbeit mit der Entwicklung der Theatralzensur in den k. k. Erbländern in den Jahren von 1760 bis 1790. Die organisatorische Neugestaltung der Theatralzensur in der Residenzstadt Wien im Jahre 1770 wird als komplexes Zusammenspiel zwischen dem staatlichen Wunsch nach Kontrolle und reformorientierten Intellektuellen analysiert, in deren Diskurs das Theater zu einer zentralen Bildungsinstitution avancierte. Der Theaterzensor wird, im Unterschied zur kollegial agierenden Bücherzensurkommission, zum Typus eines ‚einsamen Zensors‘, der zugleich in einem ‚Nebelfeld‘ agiert. Die vorliegende Untersuchung befasst sich in besonderer Weise mit den Friktionen gegen Ende der theresianischen Zeit und den Umbrüchen im josephinischen Jahrzehnt – einem Themenkomplex, der in der Forschung zur Theatralzensur bislang kaum beachtet wurde.

SPECUL A SPEC TACUL A 8

R einh a r d Eisen dle

Reinhard Eisendle arbeitet am Don Juan Archiv Wien über die Geschichte des Theaters vom 17. bis zum 19. Jahrhundert: im Besonderen über das Verhältnis von Theater, Politik und Diplomatie, die Figur des Don Juan auf der internationalen Bühne sowie die Inszenierung des Serails im europäischen Theater. Er ist Mitherausgeber der Reihen Don Juan Studies und Diplomatica, zweier neugegründeter Publikationsserien des Don Juan Archivs Wien. Eisendle kuratierte auch etliche kultur- und theatergeschichtliche Ausstellungen, unter anderem die Ausstellungen Salieri sulle tracce di Mozart 2004 im Mailänder Palazzo Reale anlässlich der Wiedereröff nung des Teatro alla Scala sowie Mozart. Experiment Aufklärung 2006 in der Albertina Wien. Als Dramaturg, vornehmlich des zeitgenössischen Theaters, ist Eisendle auch der theatralen Praxis verbunden – so erstellte er eine dramatische Fassung von Aslı Erdogans Roman Das Haus aus Stein, welche unter dem Titel Nicht einmal das Schweigen im November 2019 in Graz uraufgeführt wurde.

Das Don Juan Archiv Wien ist ein kulturwissenschaftliches Institut, 1987 begründet zur Dokumentation und Erforschung der mehr als vierhundertjährigen Geschichte des Don-Juan-Stoffes. Seit den Anfängen im Spanien des frühen 17. Jahrhunderts (El burlador de Sevilla y combidado de piedra) befasst sich vor allem das Theater in vielen Sprachen und Genres mit den Figuren des Don Juan, seiner Frauen und seines Widerparts, des Steinernen Gastes. Durch das Gastspiel einer spanischen Truppe wird Italien mit dem Sujet bekannt (Neapel 1625); eine italienische Schauspielergesellschaft bringt den Stoff nach Frankreich (Paris 1658), eine andere ins Heilige Römische Reich (Wien 1660). Zum Thema entstehen zahlreiche Bühnenwerke, darunter die Komödien von Molière (Paris 1665) und Goldoni (Venedig 1736) sowie das ballet-pantomime von Angiolini und Gluck (Wien 1761). Alle Autoren sind sich der Tradition bewusst, in der sie stehen; diese erlebt ihren Höhepunkt in der „Oper aller Opern“, dem Don Giovanni von Lorenzo da Ponte und Wolfgang Amadé Mozart (Prag 1787; Wien 1788) – die Liste der Liebsten des Helden wird hier zum B u c h . Von Lissabon aus erreicht Don Juan Südamerika (Rio de Janeiro, um 1776), über das Londoner Theater Nordamerika (Philadelphia 1792; New York 1793); im 19. Jahrhundert folgen Asien, Australien und Afrika. Ausgehend von der vielfältig vernetzten Geschichte des Stoffes – in den frühen spanischen und italienischen Fassungen kommt Don Juan mit dem Osmanischen Reich in Berührung, und der Steinerne Gast ist zu Lebzeiten ein hoher Diplomat – hat das Don Juan Archiv Wien drei Forschungskreise etabliert: BIBLIOGRAPHICA, OTTOMANIA, DIPLOMATICA.

ISSN 2616-9037 ISBN 978-3-99012-585-4

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DON JUAN ARCHIV WIEN SPECUL A SPEC TACUL A 8

Reihe herausgegeben von M ich a el Hü t t le r M at t h i as Joh a n n es Pe r n e r stor fe r H a ns Er nst Wei di nge r

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DER EINSAME ZENSOR Zur sta atl ichen Kontrol le des Theaters unter M a r ia Theresia und Joseph II.

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Publiziert mit freundlicher Unterstützung durch: Don Juan Archiv Wien – Forschungsverein für Theater- und Kulturgeschichte Gefördert von der Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung

Kultur

Reinhard Eisendle: Der einsame Zensor. Zur staatlichen Kontrolle des Theaters unter Maria Theresia und Joseph II. Wien: HOLLITZER Verlag 2020 (= Specula Spectacula 8) Titelbild: Allegorischer Kupferstich aus Bildergalerie weltlicher Misbräuche: ein Gegenstück zur Bildergalerie katholischer und klösterlicher Misbräuche. Von Pater Hilarion, Erzkapuzinern [= Joseph Richter]. Frankfurt und Leipzig [= Wien] 1785, Neunzehntes Kapitel: Uiber öffentliche Schauspiele, S. 248. Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Signatur: 59426-A.3 Marion Linhardt (Lektorat) Gabriel Fischer (Layout) © HOLLITZER Verlag, Wien 2020 HOLLITZER Verlag der HOLLITZER Baustoffwerke Graz GmbH www.hollitzer.at Alle Rechte vorbehalten. ISSN 2616-9037 ISBN 978-3-99012-586-1

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Dem Gedenken an Alison J. Dunlop (1985–2013)

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INHALT

EINLEITUNG 3

Einleitung

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Zum Begriff „Zensur“ Zur Gliederung der Studie Die Formierung der Theatralzensur Instruktionen. Zur paradoxalen Logik von Theatralzensur Kultureller Stau gegen Ende der theresianischen Zeit Theatralzensur unter Joseph II. Die Zensurreform in der frühen theresianischen Zeit 1748–1759

17 17 18 19 21 22

DIE FOR MIERUNG DER THEATRALZENSU R 27

Zensur, Geschmack, Sitte

28

39

Verehrer des guten Geschmacks und der guten Sitten Der gute Geschmack als Verbindung des „Angenehmen“ mit dem „Nützlichen“ Schauspielkunst als Gelehrsamkeit Das Theater als ideales Medium der Sittenlehre Bernardon und die lasterhaften Bürger Soziale und ökonomische Strategien kultureller Diffusion Zur geeigneten Aufsicht über das Theater

43

Theater und Polizeywissenschaft

44

Das gemeinschaftliche Beste Bildung und Wissenschaft In der dunklen Kammer. Religion als gesellschaftliche Steuerungsinstanz Politischer Katechismus Ergötzungen als instrumentalisiertes Medium Das Trauerspiel im Brennspiegel des Kameralismus Abschaffung des extemporierten Spiels Frühkameralistische Betrachtungen zur Funktion des Theaters Zensur der Bücher: eine defensive Strategie Der Kameralist als Objekt der Zensur

30 33 34 35 37

45 46 49 51 52 56 59 60 62

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Diskurs und Theatralität. Strategische Dramaturgie im Mann ohne Vorurteil des Joseph von Sonnenfels

70

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Anstößigkeit der himmlischen Polizey „Leserbriefe“ Adel im Visier Pose der Distanz Ist das Theater als Sittenschule eine Grille? Drei Schritte zurück: die „gesittete“ Schaubühne Zensurale Analyse: vom Zweideutigen zum Eindeutigen Das Eine Wort. Zur Unsittlichkeit der extemporierten Bühne Grande Finale. Theater als Schule der Sitten

107

Das Theatralzensur-Dekret des Jahres 1770

107

Das Theater nächst dem Kärntnerthor als „regelmäßige“ deutsche Bühne Rückkehr des Kurz-Bernardon Wien als „Zufluchtsort der Unanständigkeit“. Zum letzten Kampf gegen das extemporierte Theater Einer Haupt- und Residenzstadt würdige Stücke. Das Dekret Josephs II. Eine mißachtete allerhöchste Weisung? Zwei Schreiben Maria Theresias zur Untersagung der Bernardoniaden Jenseits der Residenz? Scheitern der Ausdehnung des Extemporierverbots Resümee

71 75 82 84 86 88 93

111 115 122 128 135 138 143

Sonnenfels’ rascher Abgang. Neubesetzung der Theatralzensur

143

Der mächtigste Mann im Theaterwesen? Theatralzensor Sonnenfels Abgang im Zeichen struktureller Konflikte Ästhetik des Witwenschleiers Franz Karl Hägelin Agent der Schulreform Der Weg in die Theatralzensur Der einsame Zensor

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INSTRUKTIONEN. ZU R PAR ADOX ALEN LOGIK VON THEATRALZENSUR 181

Die Entblößung des Zensors. Franz Karl Hägelins „Denkschrift“ zur Theatralzensur

183

Die Entstehungsgeschichte von Hägelins Vademecum Das Theater als Schule der Zensur Hauptregel: Theater als Schule der Sitten und des Geschmacks Stoff und Moral Gebrechen des Stoffes in Absicht auf die Sitten Gebrechen des Stoffes in politischer Hinsicht oder wider den Staat Selbstmord auf der Bühne Gebrechen des Stoffes wider die Religion Gebrechen des Dialogs. Zur ,magischen‘ Transponibilität zensurieller L ­ ogik Bemerkungen für die jetzigen Zeitumstände „Epikureismus“ Blumen des Bösen Kurzer Epilog

190 191 193 197 202 211 214 218 225 231 234 238 241

Im Spiegel der Zensur. Zur Begutachtungspraxis am Burgtheater im Jahre 1779

241

Dramatische Censoren Verstöße wider die Sitten Tugendspiegel im Bordell Die bestrafte Brutalität Die abscheulichste Kreatur Empfindsamkeit und Frivolität Illegitime Schwangerschaft Viehische Brunst Verstöße wider den Staat Der weibische König Shakespear’scher Geschmack Nicht mehr als sechs Schüsseln, oder die Welt auf dem Monde Politische Anspielungen Verstöße wider die Religion Die Neuheit des Stoffes

250 250 254 258 259 260 262 263 263 265 267 273 274 276

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KULTU R ELLER STAU GEGEN ENDE DER THERESIANISCHEN ZEIT 281

Neue verbotene Dramen

283

Dramen im Katalog verbotener Bücher: gedruckt vor 1770 Dramen im Katalog verbotener Bücher: 1770–1776 Dramen im Katalog verbotener Bücher: 1777–1780 Eulalia. Märtyrerin am Hofe Düval und Charmille. Tödliche Triangulation Lina von Waller. Virtualität und Ehebruch Jenny. Empfindsamkeit und Destruktion Ottilie. Der zensurierte Zensor? Hofbäcker, Gift überzuckernd. Paul Weidmanns Komödie Der Mißbrauch der Gewalt Obszönität der Unschuld. „Hohes“ Unverständnis gegenüber einem allerhöchsten Verbot Anhang Liste der verbotenen Schauspieldrucke bis 1770 im Catalogus ­librorum a commissione caes. reg. Aulica prohibitorum 1776

284 287 293 298 302 306 310 312 317 321

331

„Erkünstelt Gefahr“. Zensur im öffentlichen Diskurs

331

Ueber den Buchhandel in den kaiserl. königl. Erblanden. Vorschläge zur Reform des Zensursystems „Die höchst nachtheiligen Veranstaltungen der Censur, die gemeiniglich in Schikanen ausarten“ Das Verbot der Allgemeinen deutschen Bibliothek Summarische Antwort. Eine Verteidigung der theresianischen Zensur Ode zum Lobe der Bücherzensur. Enigmatischer Hymnus als öffentlicher Widerstand Streitsache zwischen dem Passauer Ordinariate, und dem Exjesuiten Heinze Der deutsche Satyriker vor der lateinischen Inquisizion. Wenzel Sigmund Heinzes Zensurverhandlung als dramatischer Stoff

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366 370

„Odiosa aus meinem Geblüt und Hertzen wegwaschen“. Ein Brief Hägelins aus dem Jahre 1780 Kurzer Epilog. Hägelin Befürworter der Aufhebung des Verbots der Allgemeinen deutschen Bibliothek zu Beginn der Alleinregierung Josephs II.

THEATR ALZENSU R UNTER JOSEPH II. 373

Josephinische Zensurreform

374

„Grundregeln zur Bestimmung einer ordentlichen zukünftigen ­ Bücher Censur“ Der einsame josephinische Bücherzensor Irritationen. Das Lernen des Zensors Der Fall Stahel. Soziopsychogramm der josephinischen Zensur „Non meretur“. Subtiler Widerstand des Zensurpräses

381 386 390 392

397

„Man soll den Zensor nicht furchtsam machen“

397

Zentralisierung der Theatralzensur? Der entrümpelte Index Hägelin – ein „josephinischer“ Zensor „Etwas von der Zahlenlotterie“. Der erste josephinische Fall von Theatralzensur Der argwöhnische Ehemann. Kritik der Zensur als Lob des Zensors Theater überall. „Censurirte Stücke“ von Baden bis Zistersdorf

403 409 414 423 429

435

Vom Index auf die Bühne. Julius von Tarent am Wiener Nationaltheater

437

Die Zwillinge Herrschaft am Ende „Klosteraufhebung“ im theatralen Raum Paradoxe Transformation archaischer Gewalt Prinz Seiden-Wurm der Reformator oder die Kron-Kompetenten

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465

Figaro, oder das Spitzentuch der Königin

467

Intervention Josephs II. Angebliche Anspielungen auf die französische Königin Die Patin und der Knabe Unfertige Bühnenfassung Der Zensor im Dialog. Szenario Kurzer Epilog. Die Wiener Erstaufführung von Beaumarchais’ Figaro unter Franz II.

469 472 474 476 481

483

„Vernichtet sei das Gesetz.“ Zur Zensur der vestalischen Dramen

485

Die Neuen Vestallinnen. Ein Agitationsstück Julus und Rhea. Geschlechtsakt in göttlicher Wolke Der Frömmler. Sexualität und Andacht Die Nonne, oder der ertappte Mönch. Die Geburt des Papstes als obszöner Traum Meine Grille von den katholischen Vestalinnen. Kritische Gedanken eines Zensuraktuars Der Baum der Diana Heilige Schleier im Staube. Das vestalische Thema auf dem Prager Tanztheater Die Sonnenjungfrau. Szenographie der Revolte

486 488 489 493 497 499 503

ZUSAMMENFASSUNG 521

Zusammenfassung

521

Die Formierung der Theatralzensur Instruktionen. Zur paradoxalen Logik von Theatralzensur Kultureller Stau gegen Ende der theresianischen Zeit Theatralzensur unter Joseph II.

526 530 532

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QUELLEN UND LITER ATURVERZEICHNIS 541

Archivquellen

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Österreichisches Staatsarchiv – Allgemeines Verwaltungsarchiv Österreichisches Staatsarchiv – Haus-, Hof- und Staatsarchiv Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken Wienbibliothek

541 542 542 542 550 555

Dramen des 18. Jahrhunderts (Drucke und Handschriften in chronologischer Folge) Sonstige Druckschriften des 18. und frühen 19. Jahrhunderts (in chronologischer Folge) Forschungsliteratur des 19., 20. und 21. Jahrhunderts

R EGISTER 571 577 583 585 587

Personen Bühnenwerke, Oratorien, Instrumentalkomposition Drucke des 18. und frühen 19. Jahrhunderts ohne Berücksichtigung von Schauspiel- und Libretto-Drucken Ungedruckte Zensurschriften (in chronologischer Folge) Orte unter Berücksichtigung der Erscheinungsorte der Schauspieldrucke

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DANK Die vorliegende Studie über die Theatralzensur zur Zeit Maria Theresias und ­Josephs  II. fand wesentliche Anregung durch die Dissertation von Hans Ernst ­Weidinger: IL DISSOLUTO PUNITO. Untersuchungen zur äußeren und inneren Entstehungs­geschichte von Lorenzo da Pontes & Wolfgang Amadeus Mozarts DON GIOVANNI (Wien 2002). Diese Arbeit, welche die entscheidende Grundlage für eine neue Entstehungsgeschichte von Mozarts und Da Pontes Oper bildet, machte nicht zuletzt klar, dass etliche potentiell zensurrelevante Details dieser Geschichte kaum beantwortbar waren, weil eine systematische Analyse der Theatralzensur unter ­Joseph II. nicht existierte. Aus langjähriger Beschäftigung mit dem Thema erwuchs der Plan einer Dissertation, wofür ich ideale Bedingungen in einem Doktorandenkolleg der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) der Universität Klagenfurt fand, die auch über Standorte in Wien und Graz verfügte. ­Wilhelm Berger und Gabriele Sorgo, Begutachter meiner Dissertation, sowie ­Werner Lenz, Leiter des Dissertantenkollegs, sei für die in hohem Maße ermunternde wie konstruktive Betreuung in allen Phasen meiner Arbeit herzlich gedankt. Besonderer Dank gilt meinen Kollegen vom Don Juan Archiv Wien: Hans Ernst Weidinger, der meine Arbeit von Anbeginn durch zahlreiche Gespräche begleitet hat, sowie ­M ichael Hüttler, ­Tatjana Marković, Marcel L. Molnár, Matthias J. Pernerstorfer und Suna Suner, mit denen ich anregende Diskussionen zu einzelnen Aspekten führen konnte. Das Don Juan Archiv Wien hat es mir ermöglicht, meine Ansätze zur Zensur bei internationalen wissenschaftlichen Tagungen in Europa und Nordamerika zu präsentieren – für die bei diesen Anlässen geführten Gespräche danke ich im Besonderen ­Bruce Alan Brown (Los Angeles), Lisa De Alwis (Colorado), Ted Emery (Columbus/ Ohio), Edmund Goehring (London/Ontario), Beatrix Müller-Kampel (Graz), John A. Rice (Princeton), Tomislav Volek (Prag) und Ian Woodfield (Belfast). Die Dissertation wurde unter dem Titel Zensur und kulturelle Dynamik. Zum Wandel der Theatralzensur unter Maria Theresia und Joseph II. im Jahre 2015 approbiert. Für die Aufnahme in die Reihe SPECULA SPECTACULA des Don Juan Archivs habe ich den Text überarbeitet wie auch einen neuen Titel gewählt, der spezifische Paradoxien der Theatralzensur zur Zeit Maria Theresias und Josephs II. auf den Punkt bringen soll: Der einsame Zensor. Zur staatlichen Kontrolle des Theaters unter Maria Theresia und ­Joseph II. Für die Fertigstellung dieses Bandes gilt mein herzlicher Dank den Reihen­ herausgebern Matthias J. Pernerstorfer und Hans Ernst Weidinger sowie ­M arion Linhardt, die meinen Text mit großer stilistischer Feinfühligkeit und fach­licher ­A kkuratesse lektorierte.

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Dank

Die Arbeit an meiner Dissertation wurde von einem tragischen Ereignis überschattet: Alison J. Dunlop, Kollegin am Don Juan Archiv Wien und großartige Musik­ wissenschaftlerin, die ein Standardwerk über den Komponisten Gottlieb Muffat verfasst hat (The Life and Works of Gottlieb Muffat. Wien: Hollitzer 2013), ist in sehr jungen Jahren tragisch verunglückt. Mein letztes Gespräch mit ihr anlässlich einer Studienreise des Don Juan Archivs nach Brünn – auch über Fragen der Zensur – wird mir unvergessen bleiben. Ihr sei die Arbeit zugeeignet.

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Einleitung

EIN LEITU NG

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Einleitung

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EINLEITUNG Im Kontext des Entstehens neuer sozialer und kultureller Räume in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts weist ein nunmehr kontinuierlich fortlaufender Diskurs dem Theater eine dezidierte Bildungsfunktion zu – als einem Ort, der neben der Kanzel und dem sich schrittweise parallel dazu etablierenden Schulsystem geradezu paradigmatisch geeignet wäre, auf die Sitten wie die Sprachformen einzuwirken. Das Theater wird Gegenstand der Kameralistik bzw. der „Polizeywissenschaft“, wird somit potentiell Gegenstand von politischer Planung und Eingriffen auf einem neuen Niveau, zumindest im Sinne einer gesellschaftlichen Option. Es sind vor allem die aufklärerischen Reformer, die diese Funktion des Theaters betonen – mit der Konsequenz der Forderung einer effektiven Zensur als staatlichem Steuerungsinstrument auf Basis einer textzentrierten Dramenproduktion, welche das extemporierte Theater zum Verschwinden bringen sollte. Zensur als ambivalentes Medium der Steuerung öffentlicher Kommunikation ist zur Zeit Maria Theresias und Josephs II. einem grundlegenden Wandel unterworfen: auf dem radikalen Wege der Eindämmung der von kirchlichen Funktionsträgern ausgeübten Zensur hin zu einer staatlichen Zensurinstitution, welche schließlich im josephinischen Jahrzehnt (1780–1790) die im Kontext der Kirche entstandenen Schriften selbst der Zensur unterwerfen und gegebenenfalls mit Verbot belegen sollte. Zensurpolitik im Sinne erweiterter Zensurreform zählt zu den ersten politischen Agenden Josephs II. nach dem Tode seiner Mutter im November 1780, ermöglicht einen neuen Kommunikationsmarkt und führt u. a. zu einer damals sogenannten „Broschürenflut“. Zensurpolitik im Spannungsfeld von Liberalisierung und Kon­ trolle wird von den „Zensurakteuren“ als Motor einer kulturellen Dynamik begriffen, deren Folgen sie allerdings immer weniger kontrollieren können, was schließlich gegen Ende des Josephinismus zu neuen Verschärfungen führen sollte. Das Thema der Zensur hat im wissenschaftlichen Diskurs der letzten Jahrzehnte unter Heranziehung unterschiedlicher Paradigmen erneutes Interesse gefunden – von der historischen Forschung bis zur Analyse gegenwärtiger Gesellschaften. Dieses Interesse erstreckt sich auch auf das 18.  Jahrhundert, das Zeitalter der „Auf­ klärung“, wobei gerade für die Untersuchung der Dynamik der Zensur neue vielschichtige Analysemodelle gefordert werden, welche eine komplexe theoretische Einbettung des analysierten historischen Materials ermöglichen sollen.1 Was die ­Bücherzensur in den k. k. Erbländern betrifft, liegen mittlerweile einige grund­ 1 Wilhelm Haefs: „Zensur im Alten Reich des 18.  Jahrhunderts. Konzepte, Perspektiven und ­Desiderata der Forschung“. In: Zensur im Jahrhundert der Aufklärung. Geschichte, Theorie, Praxis, hg. von Wilhelm Haefs und York-Gothart Mix. Göttingen 2007 (=  Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa 12), S. 389–422.

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Einleitung

legende Arbeiten vor.2 Die Theatralzensur unter Maria Theresia und Joseph II. – als historisch wie theoretisch äußerst lohnende Aufgabe – ist mit Ausnahme eines Aufsatzes aus dem 19.  Jahrhundert3 und Studien über den sogenannten „Hanswurststreit“ der 1760er Jahre noch keiner systematischen Untersuchung unterzogen worden – eine solche wird im Zentrum meiner Arbeit stehen. Die Analyse speziell der Entwicklung der Wiener Theaterkultur ist auch unter theoretischen Gesichtspunkten besonders vielversprechend, weil hier – bedingt durch im Vergleich mit West­ europa kulturelle und politische „Retardierungen“ – gewisse Prozesse geradezu ­„labormäßig“ ablaufen, wie in der „Inszenierung“ des „Hanswurststreits“ oder im gedrängten Reformprogramm des Josephinismus. Drei Forschungsfragen stehen dabei im Vordergrund: 1. Inwieweit ist Zensur und Zensurpolitik im 18. Jahrhundert ein Instrument gesellschaftlicher Transformation und kultureller Dynamik? 2. Welche Paradoxien, welche gegenläufigen Prozesse lösen Zensurprozesse aus und in welcher Weise werden diese Paradoxien Teil der institutionellen Praxis? 3. Welche spezifischen Steuerungskontexte charakterisieren das Feld der Theaterzensur, wie verschränken sich „politische“ und ästhetische Zensur? Ad 1: Zensurpolitik und Zensurpraxis werden im 18. Jahrhundert zunehmend eingesetzt, um politische, soziale und ökonomische Reformen unter den strukturellen Bedingungen eines „aufgeklärten“ Absolutismus zu unterstützen. Dabei geht es nicht mehr vorrangig um die Aufrechterhaltung spezifischer kultureller Ausdrucksformen, sondern auch um die Etablierung neuer kultureller Modelle, bis hin zur systematischen Destruktion überlieferter Modelle, wie beispielsweise des traditionellen extemporierten Theaters oder bestimmter Formen barocker Volksfrömmigkeit, deren literarische Produkte Eingang in einen liberalisierten Index der verbotenen ­Bücher fanden. Die Zensoren sahen sich selbst als Teil dieser Dynamik und arbeiteten an mehreren Fronten, entlang mehrerer Konfliktlinien. Der Prozess führte dazu, dass sich in zunehmendem Maße das Bewusstsein von der Kontingenz der getroffe2 Adolph Wiesner: Denkwürdigkeiten der Oesterreichischen Zensur vom Zeitalter der Reformazion bis auf die Gegenwart. Stuttgart 1847; Hermann Gnau: Die Zensur unter Joseph II. Straßburg, Leipzig 1911; Grete Klingenstein: Staatsverwaltung und kirchliche Autorität im 18.  Jahrhundert. Das Problem der Zensur in der theresianischen Reform. Wien 1970; Oskar Sashegyi: Zensur und Geistesfreiheit unter ­Joseph II. Beitrag zur Kulturgeschichte der Habsburgischen Länder. Budapest 1958 (= Studia ­H istorica Academiae Scientiarum Hungaricae 16); Jean-Pierre Lavandier: Le Livre au temps de Marie-­T hérèse. Code des lois de censure du livre pour les pays austro-bohémiens (1740–1780). Bern, Wien 1993; Jean-Pierre Lavandier: Le Livre au temps de Joseph II. et de Leopold II. Code des lois de censure du livre pour les pays austro-bohémiens (1780–1792). Bern, Wien 1995. 3 Carl Glossy: „Zur Geschichte der Wiener Theatercensur“. In: Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft 7 (1897), S. 238–340.

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nen Zensurentscheidungen erhöhte, verbunden mit einer Entkriminalisierung des Autors wie des Publikums. Steuerungsobjekt wurde vor allem der Vertrieb, die Zirkulation. Zensurpolitik wurde darüber hinaus auch ein ökonomisches Steuerungsinstrument, da der sich rapide ausbreitende Buchhandel als bedeutender wirtschaft­ licher Faktor begriffen und gefördert wurde: dessen Beschleunigung sollte durch umständliche Zensurmaßnahmen nicht über Gebühr behindert werden, und zwar weder inhaltlich noch organisatorisch. Ad 2: Wie schon die Zeitgenossen registriert haben, erzeugt die Zensur ihre eigenen Paradoxien, gerade auch dort, wo sie zentralisiert erfolgen soll, wobei gerade die Zentralisierung, wie sie der Josephinismus vorangetrieben hat, Ausdruck der Kontingenz der Zensur war, da die alten „Länderkommissionen“ zu sehr unterschiedlichen Zensurpraktiken geführt hatten. Die Zensur musste schließlich auf eine Dynamik reagieren, die sie selbst mitproduziert hatte; dementsprechend konnte sie nur sehr ambivalent und scheinbar uneinheitlich handeln, was der zeitgenössischen Kritik nicht verborgen blieb. So war die Zensur einerseits eine administrative Instanz mit nachvollziehbaren Effekten in der literarischen Produktion und Zirkulation, sie war aber gleichzeitig auch eine symbolische Instanz, die eine Steuerung, eine Kon­ trolle suggerierte und inszenierte, die bei erhöhter Mobilität nicht mehr einzulösen war. Gerade die Zensur, wie liberalisiert auch immer, hatte auch einen regen Untergrundbuchhandel zur Folge und schärfte den Sinn für das „Verbotene“ als exzeptionelles Bildungsmedium. Das Verbotene erhöhte auch am Markt den Wert der Güter, und die Buchhändler und Buchdrucker waren darauf spezialisiert, an der Verbotsgrenze zu agieren bzw. sie zu unterlaufen. Eine besondere Bedingung für viele ambivalente Entscheidungssituationen speziell des Josephinismus ist darin zu sehen, dass der „Markt“ zweigeteilt gesehen wurde: auf der einen Seite der gebildete, aufgeklärte Teil der Leser und Zuschauer, dem man einiges zumuten wollte, auf der anderen Seite der „Pöbel“, der angeleitet und nicht mit Informationen versehen werden sollte, die „falsch“ ausgelegt werden könnten – dies ist auch von zentraler Bedeutung für die Theaterkultur, die sich in bestimmten Segmenten an ein noch nicht alphabetisiertes Publikum wandte. Ad 3: Die konsequente Institutionalisierung einer Theatralzensur war eine zentrale Forderung der österreichischen „bürgerlichen“ Aufklärer der 1760er Jahre, welche an Stelle der extemporierten Komödie ein deutsches „Nationalschauspiel“ etablieren wollten, das als „gereinigtes Theater“ eine zentrale Bildungsfunktion übernehmen sollte. Es ging zunächst weniger darum, das Theater von allem freizuhalten, was Sitte, Religion und Staat gefährden könnte, als um die Durchsetzung bestimmter ästhetischer Konzepte – die ästhetische Konzeption wurde gleichsam zur kulturpolitischen. Davon ausgehend soll untersucht werden, wie sich das Ästhetische und Poli5

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tische gleichsam überkreuzten, aber auch, wie sich ein genuin ästhetisches Feld auszudifferenzieren begann. Als Joseph II., der das alte Burgtheater 1776 nicht zuletzt wegen organisatorischer Zwänge zum „Nationaltheater“ erhoben hatte, zu Beginn seiner Regierungszeit in den Grundregeln zur Bestimmung einer ordentlichen zukünftigen Bücher Censur die Richtlinien für die neue Zensurpolitik festlegte – Zentralisierung, kein Verbot von Büchern und periodischen Zeitschriften wegen einzelner anstößiger Sätze, Revision des Katalogs der verbotenen Bücher, freie kritische Äußerung über Amtsträger bis hin zur kaiserlichen Person –, hielt er auch fest, dass das Theater als besonders wirksames Medium einer Zentralisierung der Zensur bedürfe, ein, wie zu zeigen sein wird, letztlich nicht mit letzter Konsequenz ausgeführtes Vorhaben, welches eine trotz der Einsicht in die hohe Bedeutung des Theaters als Bildungsmedium gespaltene Vorgangsweise gegenüber der Realität des Theaters zum Ausdruck bringt. Das Theater als öffentlich kontrolliertes Medium konnte die Verbote nicht so direkt umgehen wie der Buchhandel – daher stellt sich die Frage, welche spezifischen Ausdrucks- und Darstellungsformen das Theater generierte, um das auf der Bühne nicht Zeig- und Sagbare dennoch auf die Bühne bringen zu können, bzw. wie sich ein Rezeptionsmodus herauskristallisierte, der auf die Dechiffrierung eines mehrdeutigen Sprechens und Agierens hin konzipiert war.

ZUM BEGRIFF „ZENSUR“ Bevor ich zur vielschichtigen Problematik einer Definition von Zensur komme, zum Einstieg zwei nicht unbekannte Bonmots zu Fragen der Zensur aus dem 18. Jahrhundert, die ohne den Anspruch einer „Definition“ eine Gegenläufigkeit der Wirksamkeit von Zensur eindrucksvoll zeigen, was letztlich von erheblicher Relevanz für die Analyse und die Politik der Zensur des 18. Jahrhunderts sein sollte. Zu Beginn des Jahres 1766, kurz nach seiner Wahl zum deutschen Kaiser, äußerte sich Joseph II. in einer „Denkschrift“ auch zu Fragen der Bücherzensur und konstatierte, „daß trotz der Strenge, die man zeigt, kein verbotenes, schlechtes Buch existiert, das es in Wien nicht gibt, und jedermann, noch zusätzlich durch das Verbot angezogen, kann es für den doppelten Preis bekommen und lesen.“4 Und 15 Jahre später, zu Beginn der josephinischen Alleinregierung und der damit sich abzeichnenden Zensurreformen, blickte Friedrich Nicolai, als Herausgeber der renommierten Allgemeinen deutschen 4

Denkschrift Josephs II. vom 2. Januar 1766, zitiert in: Harm Klueting: Der Josephinismus. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der theresianisch-josephinischen Reformen. Darmstadt 1995, S. 102. Dies ist eine Übersetzung des im Original in französischer Sprache geschriebenen Textes (­Alfred von Arneth: Maria Theresia und Joseph  II. Ihre Correspondenz sammet Briefen Joseph’s an seinen Bruder ­L eopold. 3 Bde. Wien 1867–1868, Bd. 3, S. 335–361).

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Bibliothek selbst Zensurgeschädigter und auf den theresianischen Index der verbotenen Bücher gesetzt, auf die vormaligen Praktiken zurück: „Ja endlich gieng es so weit, daß man im Jahre 1777 diesen C a t a l o g u m l i b r o r u m p r o h i b i t o r u m selbst unter die verbotenen Bücher setzte, damit die schlechten Leute nicht die schlechten, und die klugen Leute nicht die klugen Bücher aus demselben möchten kennen lernen, und sich, durch die Bücherschwärzer, besonders die schmutzigen Bücher für zehnfachen Preis möchten kommen lassen.“5 Gemäß dieser markanten Anmerkungen verfehle die „Zensur“ nicht nur ihr Ziel, sondern bewirke geradezu das Gegenteil, indem sie das Interesse gerade auf die verbotenen Objekte lenke, eine Sichtweise, wie sie in deutschen Landen im kritischen öffentlichen Diskurs der 1770er Jahre verstärkt wahrgenommen wurde. Gegenüber der „traditionellen Zensurforschung“, welche im 19. Jahrhundert einsetzte, hat der Begriff der Zensur mittlerweile eine wesentliche Erweiterung erfahren, speziell auch in der im angloamerikanischen Raum geführten Diskussion um die „New Censorship“ im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts. In dem vielbeachteten Band Censorship and Silencing. Practises of Cultural Regulation6 geht ­Frederick Schauer7 auf die Frage nach einer Ontologie der Zensur ein und meint, eine solche heutzutage nicht mehr klar verorten zu können.8 Auf ihn bezugnehmend stellt Stephan Packard fest, dass Zensur immer mehr zu einem pragmatischen Begriff werde, der „mediale Kontrolle“ und die Frage nach ihrer Legitimität zum Gegenstand habe.9 Gemäß der Ausdifferenzierung im wissenschaftlichen Diskurs und in Abhängigkeit von den jeweils damit befassten Disziplinen kann man von einem engen und einem sehr ausgedehnten Begriff von Zensur sprechen. Die im 19. Jahrhundert entstandene Zensurforschung hat sich auf jene Einrichtungen, welche, von staatlichen Autoritäten legitimiert, eine Kommunikationskontrolle vornahmen, sowie auf ­Objekte öffentlicher medialer Vervielfältigung konzentriert. Eine der knappsten Definitionen zieht Edgar Mass10 in einem Beitrag heran, der sehr unterschiedliche Erscheinungsformen von Zensur zu fassen versucht: „La censure est une critique ­officielle des ecrits accompagnées de sanctions materielles.“11 Auch wenn der Begriff 5 Friedrich Nicolai: Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781. Nebst Anmerkungen über die Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten. Vierter Bd. Berlin, Stettin 1784, S. 858. 6 Censorship and Silencing. Practises of Cultural Regulation, hg. von Robert C. Post. Los Angeles 1998. 7 Frederick Schauer: „The Ontology of Censorship“. In: Censorship and Silencing, S. 147–168. 8 Ebenda, S. 164. 9 Stephan Packard: Draußen und Überall. Zwei heuristische Begriffe zur Diskursanalyse medialer K ­ ontrolle, www.medialekontrolle.de (Dezember 2012), S. 8. 10 Edgar Mass: „Kirchliche und weltliche Zensur in Frankreich in der Mitte des 18. Jahrhunderts zur Zeit Benedikt XIV.“. In: Zensur im Jahrhundert der Aufklärung, S. 331–356, hier S. 334. 11 Paul Otlet: Traité de documentation: le livre sur le livre. Théorie et pratique. Bruxelles 1934. Neu hg. von Robert Estival und André Canonne. Bruxelles 1989, S. 256.

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der „ecrits“ mittlerweile zu eng gefasst erscheint, da es sich um öffentliche Äußerungen diverser Art (etwa Theateraufführungen, Schaustellungen, ausgestellte und vervielfältigte Bilder und dergleichen) handelt, so hält er im Hinblick auf die öffentliche Äußerungsform zwei strukturelle Komponenten von „Zensur“ fest: die „offizielle“, somit in staatlichem Auftrag durchgeführte wie legitimierte institutionelle Begutachtung dieser Äußerungen sowie die damit verbundene Sanktionsmacht, solche zu unterbinden oder zu gestatten. Diese Komponenten finden sich in den meisten Begriffsdefinitionen wieder, etwa in Ulla Ottos grundlegendem Werk zur literarischen Zensur als „die autoritäre Kontrolle aller menschlichen Äußerungen, die innerhalb eines bestehenden gesellschaftlichen Systems mit der Bemühung um sprachliche Form geschrieben werden“.12 Oder, um ein weiteres Beispiel zu nennen, bei Armin Biermann:13 Zensur sei „die Gesamtheit institutionell vollzogener und strukturell manifestierter Versuche […], durch legale – oder unrechtmäßige – Anwendung von Zwang oder physischer Gewalt gegen Personen oder Sachen schriftliche Kommunikation zu kontrollieren, zu verhindern oder fremdzubestimmen.“14 Dies wird teilweise ergänzt um die Funktionsbestimmungen, die zensorische Akte als Mittel ­sehen, bestimmte soziokulturelle Verhaltensmuster aufrechtzuerhalten oder neu zu etablieren, „die als anvisiertes oder bereits realisiertes Ziel von konfliktfähigen ‚Trägern der Zensur zum Maßstab‘15 für Text- und Bildzeugnisse und deren Medialisierung oder öffentlicher Rezeption konkretisiert, aber nicht unbedingt präzise definiert worden sind. Zensur dient demnach der Durchsetzung oder dem Schutz religiöser, politischer, sozialer und kultureller Normen.“16 Die „traditionelle“ Zensurforschung befasst sich mit Institutionen, welche „Zensur“, häufig unter ebendieser Bezeichnung, offiziell ausüben. „Zensur“, respektive die ihr zuordenbaren Operationen, ist in diesem Fall auch Teil der „Selbstbeobachtung“ der Gesellschaft. Doch bezeichnet jede abstrakte Definition, welche diesen 12 Ulla Otto: Die literarische Zensur als Problem der Soziologie der Politik. Stuttgart 1968 (= Bonner Beiträge zur Soziologie 3), S. 6. 13 Armin Biermann: „,Gefährliche Literatur‘ – Skizze einer Theorie der literarischen Zensur“. In: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 13 (1988), S.  1–28. Zu Paradigmen der Zensur­forschung siehe weiters: Dieter Breuer: „Stand und Aufgaben der Zensurforschung“. In: „Unmoralisch an sich …“ Zensur im 18. und 19. Jahrhundert, hg. von Herbert G. Göpfert und Erdmann Weyrauch. Wiesbaden 1988, S. 37–60; Reinhard Aulich: „Elemente einer funktionalen Differenzierung der literarischen Zensur. Überlegungen zu Form und Wirksamkeit von Zensur als einer intentional adäquaten Reaktion gegenüber literarischer Kommunikation“. In: „Unmoralisch an sich …“, S. 177–230; Bodo Plachta: Zensur. Stuttgart 2006; Beate Müller: „Zensurforschung, Konzepte, Paradigmen, Theorien“. In: Buchwissenschaft in Deutschland. Ein Handbuch. Bd. 1: Theorie und Forschung, hg. von Ursula Rautenberg. Berlin 2010, S. 321–360. 14 Biermann: „,Gefährliche Literatur‘“, S. 3. 15 Aulich: „Elemente einer funktionalen Differenzierung der literarischen Zensur“, S. 180. 16 York-Gothart Mix: „Zensur im 18. Jahrhundert. Prämissen und Probleme der Forschung“. In: Zensur im Jahrhundert der Aufklärung, S. 11–23, hier S. 14.

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Vorgang zu beschreiben versucht, notwendigerweise mehr, als eine historische Institution jemals wahrzunehmen imstande ist, und eröffnet hiermit auch die Frage, in welcher Weise die allgemein unterstellten Funktionszusammenhänge auch in anderer Form wahrgenommen wurden. Insofern ist es strategisch sinnvoll, zwischen Zensur als grundsätzlichem Phänomen, als Operationsmodus, und den je spezifisch historisch auskristallisierten Institutionalisierungszusammenhängen zu unterscheiden, welche im Hinblick auf den jeweiligen Stand der Formalisierung, der praktischen Ausformung wie Aufgabenzuteilung ständigen Veränderungen unterworfen waren. Das, was einst von verschiedensten Funktionsträgern wahrgenommen wurde, findet gelegentlich eine konzentrierte Institutionalisierung. Dies gilt im besonderen Maße für das Feld der „Theatralzensur“, um die es in dieser Arbeit gehen soll: bevor es gegen Ende der 1760er Jahre in den k. k. Erbländern zu einer ­eigenständigen Institutionalisierung der Theatralzensur kam, wurden zensurielle Operationen von unterschiedlichen Instanzen wahrgenommen, so jenen, welche eine Spielerlaubnis für fahrende Truppen gewähren konnten, so von einer Bücherzensurkommission, welche Drucke inspizierte, was allerdings sehr unsystematisch erfolgte, so von einem „Generalspektakeldirektor“ unter Mitwirkung von Personen des Hofes wie seines ausländischen Agenten, so von beauftragten Schauspielern und Dichtern des Theaters, so von Inspizienten, welche die Vertreter des naturgemäß eine Vorzensur ausschließenden Stegreifspiels observierten und diese bei Bedarf abmahnten, etc. Viele waren mit „Zensur“, mit der Kontrolle des Schauspiels befasst, ohne dass sie den Titel eines „Zensors“ führten. Und auch später, in nunmehr institutionalisierter Form, wird der Zensor oft nur marginale Teile einer potentiellen „zensorischen“ Tätigkeit wahrnehmen. So wird der Theatralausschuss des Wiener Burgtheaters im Jahre 1779 etwa 250 eingereichte Stücke dramaturgisch begutachten, auch unter Berücksichtigung von „zensorischen“ Aspekten im engeren Sinne; lediglich zwei davon wird der offizielle Theatralzensor zu Gesicht bekommen, und er wird ihnen seine Zustimmung nicht verweigern. Der Rest der begutachteten Stücke wird „verworfen“, was allerdings andere „rechtliche“ Konsequenzen hat als die „Verwerfung“ durch den Theatralzensor, und so manche der „verworfenen Stücke“ werden zur Zeit der Alleinregierung Josephs  II. aufgeführt werden. So zählt es zu den grundlegenden Erfahrungen eines Zensors, speziell im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, dass Zensur sowohl in ihrer organisatorischen Gestalt wie in ihrer inhaltlichen Ausrichtung einem ständigen Wandel unterliegt. „Formelle“ zensurielle Akte, von denen bis jetzt die Rede war, unterliegen einer besonders im 18. Jahrhundert vermehrt zu beobachtenden Paradoxie: das mit einem allfälligen Verbot verhängte „Schweigen“ erzeugt notwendigerweise das ­„Sprechen“, welches sich nicht an die Logik des Verbots hält, ja, wie es zensurkritische Schriften des 18. Jahrhunderts als inverse Logik unterstellen, fungiere das Verbot vielmehr als indirekter Wahrheitsbeweis. Und mit einiger Konsequenz wird der Katalog der ver9

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botenen Bücher selbst zu den gefährlichsten Produkten zählen, wie eingangs mit Verweis auf Friedrich Nicolai erwähnt. In zunehmendem Maße wird sich auch die Zensur ihrer paradoxen Entscheidungen bewusst, und speziell zur Zeit der Allein­ regierung Josephs II. hatten etliche zensurielle Maßnahmen die Aufhebung eines beantragten Verbots zum Gegenstand, um durch die Umgehung des Verbots das sicherer zu erreichen, was man ursprünglich mit dem Verbot bewirken wollte. Was die formelle Zensur betrifft, so wird zwischen unterschiedlichen Stufen unterschieden: zwischen der Vorzensur, der Nachzensur und der Rezensur, der neuerlichen Begutachtung schon genehmigter Texte. Für das 18. Jahrhundert gilt weitgehend, dass im Prinzip keine für die Öffentlichkeit bestimmte mediale Äußerung ohne das Durchlaufen eines Zensurprozesses distribuiert werden konnte – die „Zensur“ war integraler Bestandteil des Kommunikationsprozesses; ebenso selbst­ verständlich entwickelten sich vielfältige Strategien, die Zensur zu umgehen, wozu ­gerade auch die offiziellen zensuriellen Institutionen mannigfache Hilfestellungen boten, um ihrerseits gewissen Legitimationsproblemen zu entgehen.17 Die formelle Zensur ist immer ein doppelter Akt: sie genehmigt ein Werk (gegebenenfalls mit der Auflage bestimmter Abänderungen) oder sie verbietet es. Beides sind zensurielle Akte, wenn auch der Großteil der bisherigen Zensurforschung sich auf das Verbot konzentrierte. Beides sind Akte, welche ein zunächst indifferentes Objekt neu bestimmen und klassifizieren, als etwas Zugelassenes oder etwas Verbotenes. Die Re­ striktion auf die Beobachtung des „Verbotenen“ führte – was bislang kaum gesehen wurde – auch zu falschen Vorstellungen von der „Logik“ der Zensur, welche immer vielfältiger und variabler reagierte, als es einzelne Verbote, samt den damit implizit vorgenommenen Generalisierungen, nahelegen. Das „Zugelassene“ als ein zugegebenermaßen unerschöpfliches Gebiet ist noch ein Desiderat der Zensurforschung, und ich werde in dieser Arbeit einige Versuche in dieser Richtung unternehmen. Jedenfalls verändert eine Auseinandersetzung mit dem Zugelassenen auch den Blick auf das Verbotene.

17 Bezogen auf die potentiellen Felder zensurieller Maßnahmen hat Reinhard Aulich drei analytisch relevante Bezugsebenen unterschieden: das Feld der literarischen Produktion, das Feld der Distribution sowie das Feld der Diffusion, wobei der Rezipient der Literatur zum Gegenstand von potentiellen Zensurmaßnahmen wird (Aulich: „Elemente einer funktionalen Differenzierung der literarischen Zensur“, S. 215–218). Zur Zeit der Alleinregierung Josephs II. konzentrierten sich potentielle Sanktionen auf das Feld der Distribution. Und es galt die Straffreiheit des Individuums, dem es auch offenstand, verbotene Bücher einzuführen, sofern nicht der Verdacht bestand, dass diese einer weiteren Distribution zugeführt werden sollten. Dies stellt einen Unterschied zu den „peinlichen Leibesvisiten“ der theresianischen Zeit dar, in welcher dem Einreisenden suspekte Bücher abgenommen wurden, ein Sachverhalt, den auch der junge Joseph II. in oben erwähnter Denkschrift kritisiert hatte.

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Gegenüber dem Begriff einer staatlich respektive kirchlich institutionalisierten Zensur mit ersichtlicher wie im Endeffekt auch immer paradoxer Sanktionsgewalt wurden seit den 1960er Jahren Begriffe von Kontrollmechanismen ausgebildet, in denen das „Subjekt“ eines identifizierbaren „Zensors“ nicht mehr gegenwärtig ist, so bei Michel Foucault, dessen Begriff des „Diskurses“ diesen im Hinblick auf die in ihm enthaltenen Kontrollsysteme und Ordnungsschemata strukturell beschreibt, die ihn möglich machen. Das Unsagbare bestimmt sich nicht durch die Interventionen einer institutionellen Zensur, welche bestimmte Aussagen einem Verbot unterwirft, sondern durch die Operationen des Diskurses selbst, der in distinkter Form seinen Gegenstand konstituiert.18 Für Pierre Bourdieu ist es das „soziale Feld“, welches die möglichen Operationen innerhalb dieses Feldes konstituiert und welches, feldimmanent, über die Form des Sagbaren sowie Unsagbaren „entscheidet“, ohne dass den Akteuren die jeweiligen Selektionsleistungen (voll) bewusst wären: „Jeder Ausdruck stellt einen Kompromiß zwischen einem Ausdrucksinteresse und einer Zensur dar, die in der Struktur des Felds besteht, in dem dieser Ausdruck angeboten wird, und dieser Kompromiß ist das Produkt einer ­Euphemisierungsarbeit, die bis zum Schweigen gehen kann, dem Grenzfall des zensierten Diskurses. Mit dieser Euphemisierungsarbeit wird dann etwas produziert, was eine Kompromißbildung ist, eine Verbindung aus dem, was gesagt werden sollte oder wollte, und dem, was bei einer gegebenen, für ein bestimmtes Feld konstitutiven Struktur gesagt werden konnte. Mit anderen Worten, das in einem bestimmten Feld Sagbare ist das Ergebnis von etwas, was man Formgebung nennen könnte: Sprechen heißt Form geben.“19 Auch die Erforschung der „formellen“ Zensur hat, teilweise in Bezug auf die genannten Ansätze, durch eine Differenzierung des begrifflichen Instrumentariums reagiert und versucht – wenn auch mit unterschiedlicher Perspektivierung – zensurielle Formen zu identifizieren, die als wirkungsvolle Praktiken neben der „formellen“ Zensur bestehen. Ulla Otto hat der formellen Zensur eine informelle Zensur an die Seite gestellt und damit alle über die formelle Zensur hinausgehenden Praktiken gemeint, welche im Hinblick auf bestimmte Gegenstandsbereiche die Wirkung einer Kommunikationskontrolle ausüben: „gewöhnlich solche Zensurmaßnahmen, die nicht auf Grund legaler Mechanismen, sondern mit Hilfe psychologischen, ökono-

18 Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt am Main 1979 (deutsche Übersetzung der Inauguralvorlesung am Collège de France, 2. Dezember 1970). 19 Pierre Bourdieu: „Die Zensur“ (1974). In: Pierre Bourdieu: Soziologische Fragen. Frankfurt am Main 1993, S. 131f. Siehe dazu auch: Pierre Bourdieu: Was heißt sprechen? Die Ökonomie des sprachlichen Tausches. Übersetzt von Hella Beister. Hg. von Georg Kremnitz. Wien 1990.

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mischen, politischen oder sonstigen sozialen Drucks erfolgen“,20 teilweise auch vorgenommen von Gruppen und Institutionen, die einen „unsichtbaren Terror auf die Meinungsbildung der Gesellschaft ausüben“21 – ein problematischer, aber zum Verständnis der kulturellen Dynamik der Zensur sinnvoll weiter zu operationalisierender Begriff. Dazu zählen auch symbolische „Kampfhandlungen“, wie etwa die 1772 vorgenommene Verbrennung der Werke von Christoph Martin Wieland durch die „Göttinger Hainbündler“, die demonstrativ in Szene gesetzte Verbrennung der Werke des Antipoden des „großen“ Mentors, Friedrich Gottlieb Klopstock.22 Dazu zählt, wenn auch nicht so spektakulär, in erster Linie der „ästhetische“ Diskurs samt den in der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts entstehenden vielfältigen Theaterperiodika.23 Dieser ästhetische Diskurs war teilweise wirksamer und nachhaltiger als die formelle Zensur, welche wiederum von diesem Diskurs beeinflusst wurde. Dazu zählt das komplexe institutionelle Umfeld der Zensur, im Falle der Theatralzensur die Theater selbst, die auch Druck auf die formelle Zensur auszuüben versuchten, wie sie auch mit modifizierten Perspektivierungen selbst „Zensur“ ausübten, bis hin zum Publikum, dessen potentielle Erwartungen in theatrale wie theatralzensurielle Entscheidungen miteinflossen – der Theatralzensor war also ein „Knotenpunkt“ in einem vielfältig verwobenen Netz. Eine andere Differenzierung betrifft die Unterscheidung von „regulativer“ und „konstitutiver Zensur“, ein Ansatz, der auch von Foucault geprägt ist, eine Zensur, „die nicht vom Staat generiert“ wird.24 Simone Zurbuchen diskutiert diese Unterscheidung, bei welcher sie sich auf einen Ansatz von Sophia Rosenfeld25 bezieht, anhand der „Philosophes“ des 18. Jahrhunderts, die teilweise die traditionelle formelle Zensur ablehnten, aber die „Freiheit“ ihres Diskurses, der auch ein elitärer Diskurs war, unter bestimmte verbindliche konstitutive Prinzipien stellten, wie sie sich auch einer „Selbstzensur“ verschrieben, die von ihnen erkannten „Wahrheiten“ in wohldosierter Form zu kommunizieren. Laut Zurbuchen geht es hier um neue Normierungen der Öffentlichkeit, welche anstelle der staatlichen Zensur das Verhalten und 20 Otto: Die literarische Zensur, S. 119. 21 Ebenda, S. 120. 22 Siehe dazu Hans-Edwin Friedrich: „,Volksverführer, Franzosennachäffer, Weisheitsgaukler‘ – Zensur als ästhetischer Akt. Wieland und der Göttinger Hain“. In: Zensur im Jahrhundert der Aufklärung, S. 189–202. 23 Siehe dazu Peter Hesselmann: Gereinigtes Theater? Dramaturgie und Schaubühne im Spiegel deutschsprachiger Theaterperiodika des 18. Jahrhunderts (1750–1800). Frankfurt am Main 2002. 24 Simone Zurbuchen: „Aufklärung ,von oben herunter‘ oder ,von unten herauf ‘? Die Berliner Preisfrage über den Volksbetrug (1780)“. In: Zensur im Jahrhundert der Aufklärung, S. 157–188, hier S. 166. 25 Sophia Rosenfeld: „Writing the History of Censorship in the Age of Enlightenment“. In: Postmodernism and the Enlightenment. New Perspectives in Eighteenth Century French Intellectual H ­ istory, hg. von Daniel Gordon. New York, London 2001, S. 117–145.

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Denken regulieren sollten.26 Damit liegt ein Ansatz vor, der von Interesse ist, weil hier die Ersetzung von expliziten regulativen Mechanismen durch internalisierte ­Selektionsleistungen thematisiert wird, was in höchst ambivalenter Form seinen Niederschlag in der Zensurdiskussion des 18. Jahrhunderts findet – ein Ansatz auch, der aus systemtheoretischer Perspektive die Frage nach den „funktionalen Äquivalenten“ regulativer Zensur ermöglicht. Eine weitere, in Anschluss an Foucault und Bourdieu vorgenommene Differenzierung trifft Judith Butler, indem sie zwischen expliziter und impliziter Zensur unterscheidet. Erstere entspricht der formellen Zensur oder ihr vergleichbaren Ausdrucksformen, Zweitere ist Bestandteil jedes Sprechaktes, im Unterschied zur ersten „vorgängig“ und konstitutiver Bestandteil desselben, somit auch Bestandteil der Bildung des „Subjekts“. „The latter [the implicite] censorship refers to implicit operations of power that rule out in unspoken ways what will remain unspeakable. In such cases, no explicit regulation is needed in which to articulate this constraint. The operation of implicit and powerful forms of censorship suggests that the power of the censor is not exhausted by explicit state policy or regulation. Such implicit forms of censorship may be, in fact, more efficacious than explicit forms in enforcing a limit on speakability.“27 Ein weiterer den wissenschaftlichen Diskurs bereichender Ansatz versucht Homologien zwischen Kanon und Zensur herzustellen.28 Die Analogie wird vor allem in den wenn auch in unterschiedlicher Weise vorgenommenen Selektionen, Normierungen und Ausschließungen gesehen. Das Konzept des Kanons ist jedenfalls unter „zensu26 Zurbuchen: „Aufklärung ,von oben herunter‘“, S. 167. 27 Judith Butler: „Implicite Censorship and Discursive Agency“. In: Judith Butler: Exitable Speech. A Politics of the Performative. New York 1997, S. 130f. Im Hinblick auf die oben erwähnte Feststellung von Frederick Schauer, dass eine Ontologie der Zensur sich schwer ausmachen lasse, versucht Kenji Yoshino ein eklektisches Modell der Zensur zu entwickeln. Sie konstruiert eine Phänomenologie der Zensur anhand eines Diagramms, gebildet aus der Achse der „Zensuragenten“: den staatlichen Akteuren, den „privaten“ Akteuren (Institutionen, Organisationen) sowie dem subjektunabhängigen Begriff der Norm, und der Achse der mit Zensur verbundenen Sprechakte: die beiden ersten Kategorien sind der Sprechakttheorie von John Langshaw Austin entnommen, die dritte ist wiederum als Norm klassifiziert: Illocutionary, Perlocutionary, Norm. So gewinnt die Autorin neun Felder, an deren diametralen Enden das klassische Zensurmodell einerseits und das Foucaultsche Modell andererseits stehen. Es handelt sich hier um einen Versuch, differente Ontologien zu gewinnen (Kenji Yoshino: „The Eclectic Model of Censorship“. In: California Law Review 88 [October 2000], S. 1635–1655, hier S. 1654). 28 Aleida Assmann und Jan Assmann: „Kanon und Zensur als kultursoziologische Kategorien“. In: Kanon und Zensur. Archäologie der literarischen Kommunikation II, hg. von Aleida Assmann und Jan Assmann. München 1987, S. 7–27.

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riellen“ Gesichtspunkten auch für das Theater des 18.  Jahrhunderts von Interesse, weil der Bezug auf einen Kanon im weitesten Sinne auch mitdefiniert, was auf der Bühne gesagt oder gezeigt werden konnte, und dies gerade im Hinblick auf Themen, welche sonst tendenziell einer Tabuisierung anheimgefallen wären. In einer programmatischen Schrift zur Erforschung der Theatralzensur nimmt Peter Höyng eine diesbezügliche Erweiterung des Begriffs der „formellen“ Zensur vor.29 Bezugnehmend auf die Schrift von Carl Glossy zur Wiener Theatralzensur im 18. Jahrhundert30 ortet er das Prinzip der „Theatralzensur“ als spezifisches Konzept der „Aufklärung“ und führt damit im theatralen Bereich den Begriff der „subventionierenden Zensur“ ein: „Für die am Reformprojekt eines Nationaltheaters Beteiligten war die Zensur kein repressives sondern ein subventionierendes Mittel, und daher notwendig und auch selbstverständlich.“31 Und zu solchen „subventionierenden“ personellen Faktoren zählen für ihn „u. a. ­Johann Christoph Gottsched, Joseph von Sonnenfels, und Franz [Karl] Hägelin“32. Nach Höyngs Ansicht verweist der Begriff der „subventionierenden Zensur“ auf den ursprünglichen Sinn des Begriffes: „[…] das Zensieren ist ein Vorgang des kritischen Vergleichens, Prüfens, Einschätzens, der ein Be- oder Verurteilen als sanktionierendes Handeln zum Resultat hat. Demnach ist der Begriff der Zensur seiner Qualität nach an den der Kritik gekoppelt. Das aber wiederum bedeutet, daß die Zensur wesentlich zu einem der zentralen Begriffe der Aufklärung gehört. Die subventionierende Zensur ist die Sanktionierung einer rational nachvollzieh­ baren Kritik“33. Damit löst sich allerdings der operative Modus der Theatralzensur in einem Nebelfeld auf, das „rational nachvollziehbare Kritik“ zum Medium der „Zensur“ macht, gebunden an den Begriff der „Sanktionierung“, der operativ gleichfalls unklar bleibt. In weiterer Folge meint Höyng damit den Diskurs um das literarisierte „Nationaltheater“. „Die subventionierende Zensur intendierte mit ihren kritischen Urteilen, 29 Peter Höyng: „Die Geburt der Theaterzensur aus dem Geiste bürgerlicher Moral. Unwillkommene Thesen zur Theaterzensur im 18.  Jahrhundert“. In: Zensur im Jahrhundert der Aufklärung, S. 99–122. 30 Glossy: „Zur Geschichte der Wiener Theatercensur“. 31 Höyng: „Die Geburt der Theaterzensur“, S. 103. 32 Ebenda. 33 Ebenda.

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die vorhandenen Dramen zu bewerten oder aber die Aufführungen zu beurteilen, um auf diese Weise ihre Qualitäten zu verbessern.“34 Und weiter: „Die Zensur als ästhetisch legitimierendes Ausschlußverfahren verhalf dazu, ein literarisches, deutschsprachiges und stehendes Theater als ein nationales, d.  h. kulturpolitisches Projekt für ein politisch entmündigtes Bürgertum zu reklamieren und zu forcieren.“35 Zu den „Textsorten“ der „subventionierenden Zensur“ zählt der Autor allseits bekannte Schriften wie Gottscheds Critische Dichtkunst vor die Deutschen, Sonnenfels’ Schriften zum Theater wie Lessings Hamburgische Dramaturgie, aber auch die vielfältigen kurzlebigen Theaterzeitschriften. Ihre „subventionierende Zensur“ machte Gottsched, Sonnenfels, Lessing und Goethe – so Höyng – zu „Geburtshelfern, um die Nation mit einem deutschsprachigen, literarisch und schauspielerisch wertvollen Theater zu beglücken“. Dieser beglückenden „subventionierenden Zensur“ stellt Höyng die „formell-geregelte oder repressiv intendierte Theaterzensur im Sinne eines Verbots“36 gegenüber, eine Zensur, für deren radikale Verschärfung sich der „subventionierende Zensor“ Sonnenfels sehr massiv eingesetzt hat. So bleibt in hohem Maße unbestimmt, ob die formell geregelte Zensur im unterstellten Paradigma der „repressiv intendierten Theaterzensur“ aktiv war, denn zu den Protagonisten der Theaterzensur, der formellen Zensur, zählten Sonnenfels und Hägelin, nach Höyngs Ansicht exemplarische Repräsentanten einer „subventionierenden Zensur“. Als analytische Hülse bezieht sich der Autor auf eine angebliche Differenz zwischen dieser „formell geregelten Zensur“ und einer „angewandten und ausgeübten Zensur“37, welche davon abgewichen wäre. Diese Differenz besteht allerdings allein in der Vorstellung des Autors, denn die Regelungen der Theatralzensur waren stets in einer solchen Abstraktheit abgefasst, dass sie die konkret zu erfassenden Schritte nicht vorgeben konnten. Um der Höyng’schen Diktion von „Geburt“ und „Beglückung“ zu entgehen, seien jene analytischen Kategorien genannt, die in weiterführender Form seiner programmatischen Schrift zugrunde liegen – dies vor allem auch mit Referenz auf „alte“ Befunde, welche er allerdings nicht systematisch erörtert. Der Diskurs über das Thea­ ter, wie er seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts geführt wurde, gibt entscheidende Maßstäbe für das Denken über die Theatralzensur vor, und dieser Diskurs hatte praktische Macht, wenn auch, wie ich im Rahmen meiner Arbeit darlegen werde, in sehr unterschiedlicher Weise. Eine Erörterung der Theatralzensur kann ohne Berücksichtigung dieses „Diskurses“ nicht geleistet werden, wobei man Discourse nicht mit Histoire gleichsetzen sollte, was gerade in diesem Feld sehr verbreitet ist. 34 Ebenda, S. 104. 35 Ebenda. 36 Ebenda, S. 113. 37 Ebenda.

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Gleichwohl ist die Semantik einer „repressiven“ und „subventionierenden“ Zensur eine naive Semantik des „Nehmens“ und „Gebens“. Der Diskurs um die Reform des deutschen Theaters enthält auch Elemente der Repression und Destruktion, besonders in den „subventionierenden“ Schriften eines Sonnenfels, wo Menschen jenseits des eigenen Lagers nur mehr als „Schweine im Unflathe“ charakterisiert werden. Die sogenannte „subventionierende Zensur“ ist auch eine Kultur, welche im Sinne ihrer Ziele Repression und Vernichtung zum Gegenstand hat; ausgestattet mit der Macht des Diskurses kann sie repressive Funktionen entwickeln, welche die traditionellen zensuriellen Praktiken in dieser Form nie zu entfalten imstande waren. Doch verbergen sich hinter diesen Begriffen auch zentrale Ebenen für eine Analyse der Zensur im 18. Jahrhundert. Denn bei den Kategorien „repressiv/subventionierend“ geht es auch um neue Qualitäten von Zensur, zumindest von deren Imagination. Dem reinen „Verbot“, Indikator der „alten“ Zensur, wird ein „produktives“ Element gegenübergestellt, welches als Anleitung und Beförderung kultureller Produktion imaginiert wird, ein Diskurs, welcher nicht mehr von „staatlichen“ Stellen geführt wird und wohl auch nicht mehr geführt werden kann, auch wenn in ambivalenter Form dem ideal konzipierten Staat – wie in Sonnenfels’ Kameralismus – die zentrale Lenkungsrolle zugesprochen wird und allein der Staat als Garant für das Modell des Theaters als Sittenschule erscheint, welcher die rein subjektiven Interessen und Energien von Zuschauern, Theaterunternehmern und Schauspielern im Sinne des neuen Paradigmas fokussieren könnte. Diese komplexe Konstellation führt mich dazu, den Begriff der „Theatralzensur“ in dem eingeschränkten Sinne der sich institutionalisierenden Zensur zu verwenden, um eine klare Positionierung im sozialen Raum vornehmen und sinnvolle „Subjekt“-Aussagen im Hinblick auf ein komplexes soziales und kulturelles Umfeld treffen zu können. Das heißt aber im Sinne des bislang Explizierten notwendigerweise auch, wahrzunehmen, dass es neben der „Theatralzensur“ viele andere zensurrelevante Instanzen gab, ja mehr noch, dass der Theatralzensor selbst einer vielfachen und oft diffusen Zensur unterlag. Im Begriff der Höyng’schen Theatralzensur ist – um es auf den Punkt zu bringen – das Verbot von Schillers Die Räuber wie von ­Schillers Schriften zum Theater oder eine etwaige Apologetik des genannten Schauspiels in ein- und denselben Begriff der „Theatralzensur“ gefasst. Hier liegt eine vielleicht produktive Paradoxie, aber letztlich ein Begriffs-Amalgam vor, das kaum mehr Aussagen über „die“ Theatralzensur zulässt, denn zwischen der sogenannten „subventionierenden Zensur“ (letztlich Operationen, die sich als ein Teilbereich einer informellen Zensur verstehen lassen) und der formellen Zensur ergaben sich im Verlaufe des 18. Jahrhunderts sehr unterschiedliche Berührungspunkte, teils Synergien, teils gegenläufige Wirkungen. Theatralzensur ist eine der komplexesten Zensurarten, jedenfalls so „geschichtet“, dass sie Staatsrat Hatzfeld, so eine Anekdote aus der Anfangszeit der Allein­ 16

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regierung Josephs II., selbst für 10.000 Gulden nicht hätte ausüben wollen, für die damalige Zeit fast das dreifache Gehalt des Präses der Zensurkommission. Sie baut in einem hohen Maße auf einem „impliziten Wissen“ auf Basis minimal strukturierender, stets auslegungsbedürftiger und immer wieder neu auszulegender Prämissen auf, dabei auf Diskurse wie Praktiken unterschiedlichster Art Bezug nehmend: Bezug zur „Konversation“ und den dort vorfindlichen Sprachformierungen, Bezug zum ästhetischen Diskurs, Bezug zu Formen der Kanonbildung, zur neuen Entwicklung des Theaters, zum Diskurs der innen- wie außenpolitischen Entwicklungen, zur Transformation der kulturellen Codes etc. Der Theaterzensor bewegte sich, um ein Wort von vorhin aufzugreifen, gleichzeitig in vielen Ontologien der Zensur.

ZUR GLIEDERUNG DER STUDIE Die Arbeit gliedert sich in vier Teile.

Die Formierung der Theatralzensur Der erste Teil befasst sich mit der Formierung der Theatralzensur zu Beginn der 1770er Jahre als Ergebnis eines langdauernden und komplexen Prozesses, in welchen vielfältige soziale Akteure verwoben waren. Die Formierung erfolgte im Kontext eines Diskurses um die Reform der deutschen Bühne, welcher die Einführung einer stringenten Theatralzensur als wirkungsvolles Steuerungsmedium ansah, als Garant, unerwünschte Entwicklungen zu unterbinden und wünschenswerte Entwicklungen zu befördern, reformerische Ansätze, die auch stets im Bewusstsein einer qualifizierten Minderheit formuliert wurden. Damit entstanden strategische Planungen, welche sozialen Mechanismen in Gang gesetzt werden müssten, um dem gewünschten Modell im Sinne einer kulturellen Diffusion zum Durchbruch zu verhelfen. In Anknüpfung wie Weiterentwicklung früherer kameralistischer Schriften wird das Thea­ter in Sonnenfels’ Polizeywissenschaft vornehmlich als eine Schule der Sitten und des Geschmacks verstanden und Theaterzensur als eine „produktive“ Form konzipiert, im Unterschied zur „defensiven“ Rolle der Bücherzensur. Die prätendierte Rolle des Theaters wird in dieser Arbeit im Kontext der kameralistisch entworfenen staatlichen Steuerungsoptionen diskutiert und dabei der Frage nachgegangen, welche normpoetischen Konsequenzen der kameralistische Diskurs mit sich brachte. Als „Gegenpol“ zur systematisch kameralistischen Abhandlung wird Sonnenfels’ Rolle als anonymer Wochenschriftsteller diskutiert, welche es ihm ermöglichte, unterschiedliche Identitäten anzunehmen und damit seine Wirkung zu potenzieren, und zwar anhand der verschachtelten, auf Publikumswirkung abzielenden Inszenierung des Diskurses um die Reform des deutschen Theaters in der Wochenschrift Der Mann ohne Vorurtheil. Dies eröffnet neue Perspektiven hinsichtlich der Logik des 17

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­ iskurses, vor allem auch im Hinblick auf die Bedrohungsbilder, die wirkungsvoll D in Szene gesetzt werden sollten. Der nach einer kurzen Reformphase des deutschen Theaters erneut und verschärft aufbrechende Kampf gegen das extemporierte Theater, die „symbolische Kampfkarte“ des Diskurses, hatte ein politisches Dekret zur Folge, welches die Einführung einer eigenständigen Theatralzensur vorsah und Sonnenfels mit der Position eines Theatralzensors versah. Ziel war eine Theatralzensur als Bündelung bisher multipel wahrgenommener Aktivitäten: neben der Begutachtung von nunmehr obligatorisch einzureichenden Schauspieltexten war auch eine Beobachtung der Bühne vorgesehen. Die zensorische Kompetenz erweiterte sich auch auf bestimmte Fragen des „Geschmacks“. Die neue Regelung umfasste somit das definitive Verbot des extemporierten Theaters, allerdings beschränkt auf die Residenzstadt Wien – der von Sonnenfels eingebrachte Vorschlag eines landesweiten Verbots des Extemporierens wurde hingegen zurückgewiesen. In Auseinandersetzung mit den Legenden, welche in diesem Zensur-Dekret die Erfüllung der Sonnenfels’schen Programmatik feiern, wird der Frage nachgegangen, in welcher Weise dieser „politische Entscheid“, Ergebnis komplexer kultureller und sozialer Interaktionen sowie Verknüpfung diverser Diskursebenen, einen spezifischen Kompromiss darstellt, welcher durch den Diskurs erzeugt wurde, aber dennoch auch „jenseits“ der zentralen Diskurslinien angesiedelt war. Daran knüpft auch das abschließende Kapitel des ersten Teils an, in dem es um die rasche Abberufung von Sonnenfels als Theatralzensor und die Installierung von Franz Karl Hägelin als sein Nachfolger geht, eine, wie ich darzulegen versuche, strukturell logische Folge, die sich aus der vorgängigen Diskursdynamik und den dadurch entstandenen persönlichen, sozialen, kulturellen und politischen Reibungsflächen ergab.

Instruktionen. Zur paradoxalen Logik von Theatralzensur Der zweite Teil der Arbeit trägt den Titel: „Instructionen. Zur paradoxalen Logik theatraler Zensur“. Methodisch bedingt wird hier ein Zeitsprung vorgenommen, und zwar zu Hägelins Mitte der 1790er Jahre verfasster Schrift, welche sich mit dem Thema von detaillierten theatralzensuriellen Instruktionen befasst, welche in vergleichbarer Form bislang nicht vorlagen. Diese Schrift ist in gewisser Hinsicht auch Resümee von Hägelins bisheriger Tätigkeit als Theatralzensor, wenn auch in besonderer Form den „jetzigen Zeitumständen“, der Zeit der Französischen Revolution, verpflichtet. Es handelt sich um eine Schrift, welche bereits Carl Glossy, als eine Art Anhang, seiner Arbeit über die Wiener Theatralzensur hinzugefügt hat, allerdings in einer Variante, welche viele Ausführungen dieser Schrift eliminierte. Durch das Auffinden bislang unbekannter Abschriften kann nunmehr die vollständige Schrift studiert werden, eine Schrift, welche in der von Glossy überlieferten Variante auch 18

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das Bild der theresianischen wie josephinischen Zensur, teilweise sehr unkritisch und irreführend, geprägt hat. Damit erklärt sich der erwähnte Zeitsprung, der unumgänglich ist. Es wurde bislang angenommen, dass Hägelins Gutachten im Jahre 1795 verfasst worden sei und dass es ungarischen Theatralzensoren zur Direktive gedient hätte, darüberhinaus, dass es eine allseits rezipierte Schrift gewesen sei, welche sich bis Mitte des 19. Jahrhunderts im Umlauf befunden hätte. Ich werde in meiner Arbeit diese Befunde revidieren. Aufgrund von verstreuten Abschriften der Wienbibliothek konnte ich den Anlass dieser Schrift rekonstruieren; dieser Anlass lag bereits im Jahr 1793 und hatte zur Folge, dass „detaillierte Instruktionen“ eingeholt wurden, um solche im Sinne einer zensuriellen „Einförmigkeit“ nach Ungarn weiterzuleiten. Doch ­Hägelin hielt das Vorhaben einer „detaillierten Instruktion“ für unmöglich und kontraproduktiv. So entstand eine Schrift, die der Zensor, versehen mit Akten der Verweigerung, mit großer Verspätung einreichte. Hägelin hatte diese Schrift nicht verfassen wollen und war der Ansicht, dass es eigentlich unmöglich sei, sie zu schreiben. Diese aufgedrungene „Selbstentblößung“ des Zensors ist eines der bedeutendsten Dokumente zur Theatralzensur des 18.  Jahrhunderts, welches – bislang noch nicht systematisch analysiert – die spezifische Paradoxie theatraler Zensur offenlegt. Das zweite Kapitel des zweiten Teils „Im Spiegel der Zensur“ kehrt zurück zur späten theresianischen Zeit, zu einer anderen „Zensur“ und zu Personen, mit denen Hägelin beruflich vielfach zu tun hatte – zum Gremium der Begutachter des Burgtheaters, das 1776 zur Nationalbühne erhoben wurde, lang erhofftes Ziel eines historischen Kulturprojekts. Mittlerweile waren die Schauspieler zu Garanten des „gereinigten“ Geschmacks und des „regelmäßigen“ Schauspiels geworden. Analysiert wird die Begutachtungspraxis von Dramentexten, welche 1779 von überall her eingereicht wurden: mehr als 250 Stücke, wovon letztlich zwei ausgewählt wurden. Es war also bereits ein sehr selektives Angebot, das das Theater dem Zensor vorlegte. Damit liegt eine wertvolle Quelle zur Rezeption des Verhaltens der Theatralzensur vor, da die Schauspieler, die dramatischen Censoren, bei ihrer Gesamtbeurteilung auch „zensurielle“ Gesichtspunkte einbrachten. Diese Dokumente geben Aufschluss über die Vielfalt von Erwartungen im Hinblick auf das „Aufführbare“ zur damaligen Zeit, nicht nur vonseiten der Schauspieler, sondern auch vonseiten der Schriftsteller. Sie lassen auch erkennen, wie Zensurgesichtspunkte im Kontext einer dramatischen „Zensur“ verwendet wurden, teilweise eingesetzt aus strategischen Gründen. Sie zeigen gleichermaßen Nähe wie Distanz zur Theatralzensur.

Kultureller Stau gegen Ende der theresianischen Zeit Der dritte Teil der Arbeit widmet sich den „Perturbationen“ der Zensur gegen Ende der theresianischen Zeit, dem in aller Eile die Zensurreform Josephs II. folgte, Turbulenzen, die sich auch in vielfältigen Akten des Widerstands manifestierten, Turbu19

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lenzen, von denen auch der Theatralzensor nicht unbehelligt blieb. Das erste Kapitel befasst sich mit den neuen verbotenen Theaterstücken in den letzten vier Jahren der theresianischen Zeit. Eine diesbezügliche Auswertung des Catalogus librorum prohibitorum lässt spezifische Entwicklungstendenzen erkennen. Nicht die „derbe“ Komödie, sondern das deutsche Trauerspiel, vor allem auch die bürgerliche Tragödie, löst Zensurreaktionen aus, welche zum Verbot des Druckes führen, davon betroffen auch zahlreiche Musenalmanache und Poesien. Hier wird deutlich, dass sich offensichtlich neue Unsicherheitsfaktoren im Zuge einer immer schwerer zu kontrollierenden Informationsmenge ergeben haben. Vier der verbotenen Stücke werden näher analysiert, eine lohnenswerte Aufgabe, da diese Stücke kurze Zeit später – im Zuge der Zensurreform Josephs II. – wieder freigegeben wurden; die Gründe für das Verbot wie für das Nicht-Verbot lagen nah beieinander. Ebenso analysiert werden Stücke, welche nach einmaliger Aufführung wieder abgesetzt wurden, in den untersuchten Fällen Indiz für ein nachträglich ausgesprochenes Verbot, gewissermaßen auch eine Zensur des Zensors, der seine Zustimmung zur Aufführung gegeben hatte. Es wird nachvollziehbar, dass solche nachträglichen Eingriffe auch zu einer Verunsicherung der Theatralzensur führten wie zu dezenten Akten des Widerstands der mit der ­Sache befassten Behörde. Das zweite Kapitel des dritten Teils befasst sich mit dem in den 1770er Jahren sich verstärkenden Diskurs um eine Reform der Zensur wie auch mit jenen strategisch geführten Debatten, welche einzelne Zensurmaßnahmen begleiteten – die Verteidigung der von der Zensur Betroffenen wurde in die Öffentlichkeit getragen und auf verschiedene Weise inszeniert. Die Debatten mehrten sich, in denen Kritik an den bestehenden Zensurinstitutionen geübt wurde – vor allem unter zwei Perspektiven: Zensur in der bisher ausgeübten Form sei dysfunktional und erreiche das Gegenteil dessen, was eigentlich erreicht werden soll – durchaus auch im Sinne neuer Dispositive der Macht; und die bestehende Zensur sei ökonomisch destruktiv, indem sie ­einen aufstrebenden Wirtschaftszweig behindere. Eine der einschneidendsten Maßnahmen einer sich verschärfenden Zensur gegen Ende der theresianischen Zeit war das Verbot der von Friedrich Nicolai herausgegebenen Allgemeinen deutschen Bibliothek, anerkanntes Medium für die Präsentation der neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Wissenschaft und Literatur, welches auch zu deutlicher Kritik im Ausland wie zu einer Verteidigungsschrift in Österreich führte, deren Autor Benedikt Dominik Anton Cremeri seine Abhandlung mit einem in Linz publizierten Hymnus an die Zensur beschloss. Dies gibt Gelegenheit, sich mit dem Zensurfall „Wenzel Heinze“, Linzer Gymnasiallehrer und Schrift­steller, zu befassen, dessen Vermischte Schriften verboten wurden und der ­diesen „Hymnus“ als stilistisch raffinierten Protestakt publiziert hat – Ausgangspunkt für eine vielgestaltige ­ ublikation eines anonym herausöffentliche Strategie des Widerstands, darunter die P gegebenen Theaterstückes, welches in aller Detailliertheit die Zensurverhandlung 20

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über Heinzes poetische Schriften zum Gegenstand hat – ein Fall, in den auch Franz Karl Hägelin vielfältig und ambivalent verwoben war.

Theatralzensur unter Joseph II. Der vierte und abschließende Teil der Arbeit befasst sich mit dem Wandel der Thea­ tralzensur im Jahrzehnt der Alleinregierung Josephs II., ein Aspekt, der bislang noch in keiner Weise systematisch untersucht wurde. Einer der Indikatoren des veränderten kulturellen Klimas wird dabei die Freisetzung bisher verbotener theatraler Literatur sein, wenngleich für die Aufführung nach wie vor strengere Verhaltensvorschriften galten. In diesem josephinischen Jahrzehnt wurde die Theaterzensur von einem Zentralisierungsprozess erfasst, allerdings mit Verzögerung und für nur kurze Zeit. Auf vier Theaterthemen werde ich sehr detailliert eingehen, Theaterthemen, welche die spezifische josephinische Paradoxie im Umgang mit der Zensur zum Ausdruck bringen: Dabei handelt es sich erstens um das von der staatlichen Lottopachtung beantragte Verbot eines ländlichen Sittenstückes über die Spielsucht, der erste von ökonomischen Interessen geleitete theatrale Verbotsfall unter der Alleinregierung Josephs II., welcher gleichzeitig mit einer Aufforderung zu gesteigerter Liberalität verbunden war (man soll den Zensor nicht furchtsam machen). Zweitens geht es um ein Stück, welches, in der theresianischen Zeit sogar als Text verboten, nunmehr – in Bearbeitung – auch aufgeführt werden konnte, nämlich um Julius von Tarent von Johann Anton Leisewitz, eines der bedeutendsten Dramen der 1770er Jahre, an dessen Wiener Version die „Wegrationalisierung“ des Religiösen auf der Bühne eindrucksvoll studiert werden kann, nebst einer, ebenfalls dem Thema der Erstgeburt gewidmeten theatralen Satire von Friedrich Maximilian Klinger: Prinz Seiden-Wurm der Reformator, einem der Theatertexte, welche in den josephinischen Index aufgenommen wurden. Drittens wird ein besonderes Augenmerk auf Beaumarchais’ Lustspiel Die Hochzeit des Figaro gerichtet, das trotz Aufführungsverbots in vielfältigen Medien zirkulierte, eine geradezu paradigmatische Erscheinung der josephinischen Ära. Die Zensurgeschichte von Beaumarchais’ Komödie wird anhand bislang unbeachteter Dokumente von neuer Warte aus geschrieben: als nahezu „josephinisch-theatraler Unfall“ und nicht als Inbegriff josephinischer Theatralzensur. Das vierte und letzte Stück ist Die Sonnenjungfrau von August Friedrich Ferdinand von Kotzebue, ein Schauspiel, welches Hägelin in seinen detaillierten Instruktionen als Musterbeispiel eines Stückes genannt hat, dessen Stoff gegen Sitte, Religion und Staat verstoße – ein Verdikt, das allerdings nach weiterer Bearbeitung des Stücks einer Aufführung nicht im Wege stand. Hier liegt ein exemplarischer Zensurfall vor, gleichsam auch eine Ermöglichung des Unmöglichen, der in der Tradition von „vestalischen“ Dramen steht, welche in den 1780er Jahren in einer stark reduzierten Verbotsliste von Dramendrucken nach wie vor aufgeführt waren. 21

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DIE ZENSURREFOR M IN DER FRÜHEN THERESIANISCHEN ZEIT 1748–1759 Als Überleitung zum ersten Teil der Arbeit, der sich der Formierung der Theatralzensur in den 1760er Jahren widmet, sei hier ein knapper Hinweis zur Entwicklung der Zensur in den k. k. Erbländern um die Mitte des 18. Jahrhunderts gegeben. Im Zuge der großen Verwaltungsreform der Jahre 1748/49, die Ausdruck eines neuen Zusammenspiels von außen- wie innenpolitischen Erwägungen war, erfolgte im Jahre 1751 in Wien die Installierung einer Zensurkommission, eingegliedert in den zentralstaatlichen Behördenapparat. Abgelöst wurde dadurch sukzessive die Wahrnehmung der Zensur durch die Universität, welche seit dem 17.  Jahrhundert eine kulturelle Domäne der Jesuiten, der Societas Jesu, gewesen war, die vermittelt über die Universität auch die Jurisdiktion über die Buchhändler und Buchdrucker innehatte sowie selbst über beachtliche Druck- und Handelsprivilegien verfügte. Dieser Prozess hatte allerdings in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sowohl unter Joseph I. wie unter Karl VI. schon einen gewissen Vorlauf gehabt, wobei es u. a. darum gegangen war, „politische“ Schriften durch eine staatliche Kommission beurteilen zu lassen bzw. in solchen Zensurfragen ein Letztbegutachtungsrecht zu behaupten; die Bemühungen wiesen allerdings keine Kontinuität auf. In ihrer bedeutenden Studie Staatsverwaltung und kirchliche Autorität im 18.  Jahrhundert hat Grete Klingenstein gezeigt, dass dieser Prozess der Säkularisierung wie Zentralisierung kein geradliniger Prozess war, sondern dass diese Entwicklung zunächst durch ein Austauschen der kirchlichen „Fronten“ ermöglicht wurde: eine Verlagerung der kirchlichen Einflusssphäre von der Societas Jesu hin zum damals reformorientierten Wiener Episkopat mit dem langfristigen Ziel, nicht nur die Vormachtstellung der Jesuiten zu brechen, sondern deren Einfluss gänzlich zu beseitigen.38 Der Leibarzt Maria Theresias und Präfekt der Hofbibliothek, Gerard van Swieten (1700–1772), nahm von Anbeginn wesentlichen Einfluss auf die Konzeption wie Neuorganisation der Zensur, auch wenn er formal erst im Jahre 1759 den Vorsitz der Bücherzensurkommission übernahm – eine Funktion, welche er bis zu seinem Lebensende (1772) ausübte. Sein schon 1751 bestehender Plan, die Jesuiten hinsichtlich der Wahrnehmung der Zensur völlig auszuschalten, ließ sich allerdings erst allmählich umsetzen. Anstelle der geistlichen Macht der Societas Jesu setzte er auf den Wiener Erzbischof Johann ­Joseph Graf von Trautson (1707–1757, r.  1751–1757) als Koalitionspartner, eine anhaltend zwiespältige Koalition. Der Wiener Erzbischof trat in die Zensurkommission ein, obwohl er dem Konzept van Swietens ablehnend gegenübergestanden war. Dieses sah vor, dass Publikationen der nicht-theologischen Fachbereiche von weltlichen Zensoren begutachtet 38 Klingenstein: Staatsverwaltung und kirchliche Autorität.

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werden sollten. Demgegenüber vertrat Trautson die Ansicht, dass die anstößigen Elemente in philosophischen, juridischen, politischen, historischen, ja selbst medizinischen Schriften nur von einem Theologen adäquat erkannt werden könnten.39 Letztlich setzte sich van Swieten durch, der im Jahre 1751 mit der Zensur der medizinischen und philosophischen Schriften betraut wurde, welche bis dahin von den ­Jesuiten begutachtet wurden. Weiters schlug van Swieten neben den genannten akademischen Disziplinen eine weitere große Restkategorie vor: die Materies mixtae, eben alles, was den akademischen Disziplinen nicht subsumierbar war und was in Zukunft einen großen Teil der Neuerscheinungen ausmachen sollte: „romans, historiettes, farces …“40, eine Kategorie, der er als Wissenschaftler mit großer Skepsis, um nicht zu sagen Abneigung gegenüberstand. In dieses Feld fiel somit auch die Begutachtung der Drucke von Theaterstücken, sofern solche in die Zensurkommission gelangten – von einer systematischen Erfassung aller neu erscheinenden Theaterdrucke dürfen wir allerdings nicht ausgehen. Van Swieten übernahm in eben demselben Jahr 1751 auch die Begutachtung der Materies mixtae; als Kompromisslösung im Hinblick auf die Forderungen der Geistlichkeit sollte ihm dabei ein Jesuit zur Seite gestellt werden, doch letztlich konnte van Swieten durchsetzen, dass er allein, gemeinsam mit Kustoden der ihm unterstellten Hofbibliothek, die Zensur der Materies mixtae übernahm. Aufgrund der anfänglichen Koalition mit einem reformkatholizistisch gesinnten Episkopat gelang es van Swieten, vormals von den Jesuiten verbannte Schriften wie De l’esprit des loix von Montesquieu (1689–1755) vom Verbot zu befreien (1753)41 sowie umgekehrt Schriften von Mitgliedern der Societas Jesu auf den Index der verbotenen Bücher zu setzen (1759).42 Doch diese Koalition war, wie bereits erwähnt, auch brüchig, und van Swieten musste erkennen, dass Erzbischof Trautson in gewissen Angelegenheiten den Jesuiten näherstand, als ihm lieb war. Wie Bruce Alan Brown in einem Vortrag anlässlich der Tagung der American Society for Eighteenth-Century Studies darlegte,43 war auch die Schwester des Erzbischofs, Maria Charlotte Fürstin Trautson (1701–1793), in zensuriellen Belangen aktiv, und zwar auf dem Felde der Zensur des französischen Theaters, welches seit 1752 die dominierende Theaterkultur am Wiener Burgtheater war. Aus dem seit 1759 bestehenden Briefverkehr des Generalspektakeldirektors Graf ­Giacomo Durazzo (1717–1794) mit seinem ihn mit neuesten Produkten des Pariser Kulturlebens versorgenden Theaterdichter Charles-Simon Favart (1710–1792) geht 39 40 41 42 43

Ebenda, S. 170f. Ebenda, S. 164. Ebenda, S. 177. Ebenda, S. 106f. Bruce Alan Brown: „Censoring Opéra-Comique: Outsourcing vs. Local Control in Vienna’s French Theater“. Vortrag, gehalten anlässlich der Tagung der American Society for Eight­eenthCentury Studies, Vancouver, 17–20 March 2011. Mit herzlichem Dank für die Zurverfügungstellung des Textes der Lecture.

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hervor, dass sich der Graf auch um zensurielle Belange kümmerte und sich damit befasste, was in Paris möglich war und in Wien nicht. Aus einer vorangegangenen Korrespondenz mit dem österreichischen Botschafter in Paris Georg Adam Grafen von Starhemberg (1724–1807) aus dem Jahre 1756 geht weiters hervor, dass sich die Fürstin Trautson, Obersthofmeisterin der drei ältesten Erzherzoginnen, in besonderer Weise der sittlichen Zuträglichkeit der in Wien aufgeführten französischen Stücke annahm, wie man ihren diesbezüglich „offiziellen“ Status, dessen Reichweite und Dauer auch immer beschreiben mag: „Malgré tout ce que Mr. Vadé44 a corrigé, il reste encore plusieurs bagatelles que la Princesse Trautson n’admet pas, parceque dit elle on file les idées et par là on instruit“.45 Theatralzensur verlief zum damaligen Zeitpunkt auf multiplen Bahnen, und eine klar definierte organisatorisch gekennzeichnete und behördliche Struktur bildete sich erst zu Beginn der 1770er Jahre aus. Nach dem Tode von Erzbischof Trautson im Jahre 1757 folgte Christoph Bartholomäus Anton Migazzi, Graf zu Wall und Sonnenthurm (1714–1803), in seinen jüngeren Jahren dem Reformkatholizismus nicht abgeneigt. Selbst die Biedermanns-Chronik des Jahres 1784, das Verzeichnis der aufgeklärten und diesbezüglich auch widerstandserprobten Männer, wird den Erzbischof aufnehmen, allerdings den damals noch Amtierenden in das Verzeichnis der „für die gute Sache moralisch verstorbenen Männer“ einreihen und sein Ablebensdatum mit 1765 ansetzen.46 Mit Migazzi konnte Gerard van Swieten anfangs noch das Verbot jesuitischer Schriften durchsetzen sowie die Zulassung von durch die Jesuiten zum Verbot beantragten Büchern be­ wirken. Im Laufe der 1760er Jahre zog sich Migazzi zunehmend in seine episkopale Autonomie zurück und griff die Zensurkommission ob ihrer Entscheidungen mehrmals an, teilweise die Unterstützung Maria Theresias findend. Nach van Swietens Tod im Jahre 1772 nahm Migazzis indirekter Einfluss weiter zu. Während der ­A lleinregierung Josephs II. wurde der Erzbischof, dessen kirchliche Objektivationen nunmehr wie alle anderen auch Gegenstand der staatlichen Zensur wurden, zu ­einem Antipoden der Zensurreformen Josephs II.

44 Jean Joseph Vadé (1719–1757), französischer Komponist und Schriftsteller. 45 Nach Robert Haas: Gluck und Durazzo im Burgtheater (Die Opéra comique in Wien). Zürich, Wien, Leipzig 1925, S. 31. Zitiert von Bruce Alan Brown in seinem genannten Paper. 46 Oesterreichische Biedermanns-Chronik. Erster Theil. Freyheitsburg, im Verlag der Gebrüder Redlich, 1784, S. 257.

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Theater und Polizeywissenschaft

D I E F O R M I E RU N G D E R T H E AT R A L Z E N S U R

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ZENSUR, GESCHMACK, SITTE Im Jahre 1757 erschien im Verlag Johann Leopold von Ghelen, der bis zum Ende der 1760er Jahre die meisten der Wiener theatralischen Schriften verlegte, der erste Thea­teralmanach in deutschsprachigen Ländern, allerdings in französischer Sprache: Repertoire des théâtres de la ville de Vienne. Depuis l’ Année 1752 jusqu’ à l’ Année 1757.1 Dieses Repertoire dokumentiert fünf Jahre des Wiener Theaters, ab dem Zeitpunkt, als das Theater nächst der Burg in eine französische Bühne verwandelt worden war.2 Die Theatralschrift beschreibt Truppe und Repertoire des französischen Theaters wie auch des deutschen Theaters („Théâtre Germanique“), damals positioniert im Theater nächst dem Kärntnerthor. Eingeleitet wird dieser Almanach von einer kleinen Schilderung der Geschichte des Welttheaters – darunter auch eine geraffte Geschichte des deutschen Theaters: von den Barden über die Meistersinger bis hin zu Opitz, Gryphius, Lohenstein und Gottsched. Abschließend folgt eine kurze Beschreibung des deutschen extemporierten Theaters, nicht ganz ohne kritischen Hintersinn, aber doch ohne jede „Aufgeregtheit“, welche die Wiener Diskussion im folgenden Jahrzehnt charakterisieren sollte: „Cette façon de réprésenter donne lieu à la variété du jeu, & une piéce paroit toujours nouvelle lors qu’elle est jouée par differens acteurs, mais il faudroit dans ceux ci beaucoup d’ esprit, & une imagination très fertile pour amuser les Spectateurs éclairés.“3 Es wird des Weiteren die Befürchtung geäußert, dass diese deutschen „piéces à l’impromptu“ die Rezeption jener Stücke erschweren könnten, welche in einem „stile pur, élegant, & sublime“4 verfasst wären. Könnte es sein, dass die Exaktheit der ­Regeln den Zuschauer schon langweile, bzw. wäre das Theater genötigt, sich dem Geschmack des Volkes („peuple“) anzupassen, fragt der unbekannte Verfasser dieser Theatergeschichte, um in der Folge der Frage nachzugehen, warum sich unter den spezifischen Bedingungen der deutschen Bühne keine vergleichbare Rolle des Bühnenautors wie etwa in Frankreich herausgebildet hätte.

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Repertoire des theatres de la ville de Vienne. Depuis l’ Année 1752 jusqu’ à l’ Année 1757. Vienne en Au­ triche. Dans l’imprimerie de Jean Leop. Nob. de Ghelen. M.DCC.LVII. 2 Siehe dazu u. a: Gustav Zechmeister: Die Wiener Theater nächst der Burg und nächst dem Kärntnerthor von 1747 bis 1776. Wien 1971, S. 147f. 3 Repertoire des theatres de la ville, Kap.: Théâtre germanique, ohne Paginierung. 4 Ebenda.

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Der Hauptimpetus dieses Repertoire ist jedoch, die Vielgestaltigkeit und Reichhaltigkeit des Wiener Theaterlebens dieser fünf Jahre zu dokumentieren: französische Tragödien und Komödien – darunter Werke von Pierre und Thomas Corneille, von Racine, Molière und Voltaire –, französische Singspiele sowie – wenngleich in diesen Jahren gegenüber früheren Zeiten wesentlich reduziert – italienische Opern, so Vertonungen von Christoph Willibald Gluck vor seiner sogenannten Wiener „Reformperiode“, weiters deutsche Tragödien und Komödien unter Einschluss von Übersetzungen fremdsprachiger Schauspiele im regelmäßigen Stil sowie vor allem das Theater ex tempore samt den vielfältig verschachtelten Kurz’schen Stücken mit zahlreichen Gesangs- und Tanzeinlagen und vielfältig überlagerten Handlungsebenen. Dazu kommen zahlreiche Ballettaufführungen in beiden Theatern. Das Repertoire enthält auch eine kurze Charakterisierung der Schauspieler des deutschen wie des französischen Theaters, wobei die deutschen Schauspieler weitaus ausführlicher beschrieben werden, darunter Hanswurst Gottfried Prehauser (1699– 1769) und Johann Joseph Felix von Kurz, genannt Bernardon (1717–1784): „Goddefroi Prehauser dit Hannswourst né à Vienne reçu en 1727, succédà en 1728, à feu Mr. Straniski dans les charactéres comiques, qui’il remplit toujours avec beaucoup d’applaudissement. Il excelle par un jeu naif, & naturel.“5 Und zu Kurz: „Joseph Kurtz dit Bernardon, nè à Vienne parut sur ce Théatre la premiere fois en 1737, la seconde en 1744, & après l’absence d’une année en 1754, a beaucoup de feu, & est joujours [sic] aplaudi dans les différents roles Comiques qu’il joue; de même que par ses piéces de Théatre fort frequentées par le public.“6

VEREHRER DES GUTEN GESCHMACKS UND DER GUTEN SITTEN Der hier wegen seiner Popularität so gepriesene Kurz-Bernardon, der in den 1760er Jahren bis zu seiner kurzen und umkämpften Rückkehr im Jahre 1770 die Residenzstadt verlassen sollte, wird der zentrale Angriffspunkt einer 1760 erschienenen, anonym publizierten Schrift: Zufällige Gedanken über die Deutsche Schaubühne zu Wien, von

5 Ebenda, Kap.: Etat present des Comediens Allemands, ohne Paginierung. 6 Ebenda.

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einem Verehrer des guten Geschmacks und guter Sitten7. Diese Abhandlung nimmt Bezug auf die vorgängige langjährige Reformdiskussion in den deutschen Ländern, welche eine „gereinigte“ Bühne zum Ziel hatte; sie ist eine kritische Abrechnung mit der ­Situation des deutschen Theaters in Wien und formuliert einige Grundzüge eines Programms, welches etwa fünf Jahre später publizistisch auch Joseph von Sonnenfels verfolgen sollte, einschließlich der Forderung einer durchgängigen wie erweiterten Theatralzensur. Damit ging weiterhin die Forderung einher, dass nur mehr „regelmäßige“ oder zumindest in textlicher Form vorliegende und von der Zensur approbierte Stücke auf der Bühne gespielt werden dürften. Die Stücke eines Kurz-Bernardon, so der Verfasser der Schrift, wären Ausdruck eines verderbten Geschmacks, wären wider die guten Sitten, erzeugten lasterhafte Bürger und hemmten alle vernünftige Förderung der Sitten.8 Wenn auch die Figur des Bernardon im Zentrum der Analyse steht, so zielt die Kritik doch auf das deutsche extemporierte Theater insgesamt: gleichermaßen träfe auf Bernardon wie Hanswurst zu, dass sie „elende Geschöpfe kleiner Geister [wären], die der menschlichen Vernunft Schande machen“9. Die anonym publizierte Schrift stammt von Josef Heinrich Engelschall (1724– 1776)10, der sich auf dem Frontispiz seiner Publikation als einen „Verehrer des guten Geschmacks und der guten Sitten“ apostrophiert – zwei Begriffe, die in der unterstellten Interdependenz im Reformdiskurs über die Entwicklung des deutschen Schauspiels eine wesentliche Rolle spielen. Engelschalls Schrift fand wie so vieles, das in Wien fortan publizistisch entstehen sollte, bald überregionale Beachtung und gelangte so auch in das kulturelle Kampffeld zwischen Leipziger und Berliner Positionen zur Theaterreform und somit ins Kampffeld zwischen gottschedianischen und anti-gottschedianischen Positionen. Kurz nach ihrem Erscheinen wurde Engelschalls Schrift in der Zeitschrift Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit ( Jg.  10, Mai 1760) wohlwollend aufgenommen und in den Folgenummern zur Gänze in Druck gelegt.11 Eine eher verhaltene Kritik folgte mit einiger Verspätung in den Berliner Briefen, die neueste Litteratur betreffend (200.  Brief, 10.  Dezember 1761), verfasst von Friedrich Nicolai: die Schrift – so Nicolai – wäre zwar wohlgemeint, aber nach überholten Prinzipien verfasst.12 Diese unterschiedliche Rezeption macht nicht ­zuletzt deutlich, dass theatrale Angelegenheiten in zunehmendem Maße keine bloß 7

Zufällige Gedanken über die Deutsche Schaubühne zu Wien, von einem Verehrer des guten Geschmacks und guter Sitten. Wien, gedruckt bey Johann Thomas Trattnern kaiserl. königl. Hof- und N. Oe. Landschaftsbuchdruckern und Buchhändlern, 1760. 8 Vgl. ebenda, S. 24f. 9 Ebenda, S. 11. 10 Engelschall war Hofsekretär und Professor am Theresianum für deutsche Sprache, Stilistik und Kameralistik. Siehe dazu Hilde Haider-Pregler: Des sittlichen Bürgers Abendschule. Bildungsanspruch und Bildungsauftrag des Berufstheaters im 18. Jahrhundert. Wien 1980, S. 314f. 11 Ebenda, S. 322f. 12 Ebenda, S. 323f.

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regionalen mehr waren. Die Positionierung in einem überregionalen Feld samt der diesbezüglichen strategischen Überlegungen werden Teil des kommunikativen Handelns, was später Sonnenfels sehr gezielt einsetzen sollte.13 Gemessen an der sich weiter ausdifferenzierenden dramen-theoretischen Entwicklung ist Engelschalls Schrift analytisch nicht sehr ergiebig, doch verdient diese Schrift, eine der ersten im Wiener Diskurs über die Reform des Theaters14, besondere Aufmerksamkeit, weil sie wesentliche Komponenten enthält, die im Hinblick auf die soziale und kulturelle Dynamik einer Reform des deutschen Theaters sowie der damit verbundenen Frage der Zensur als Steuerungsinstrument von erheblicher Bedeutung waren.

DER GUTE GESCHMACK ALS VERBINDUNG DES „ANGENEHMEN“ MIT DEM „NÜTZLICHEN“ Für Engelschall sind die „Sitten“ zentraler Ansatzpunkt gesellschaftlicher Steuerung – dies betont er gleich im Eingangssatz seiner Schrift, sich dabei auf einen „common sense“ berufend: „Die Nothwendigkeit guter Sitten zu der Beförderung des wahren Glücks aller Staaten wird wohl niemand leicht in Zweifel ziehen“15. Die „guten Sitten“ wären eng mit der Frage des „guten Geschmacks“ verbunden, was sich auch in den Repräsentationspraktiken kulturell distinkter Personen zeige: „Auch höret man unter Leuten von Geist und Einsicht von nichts angelegentlicher sprechen, als von den Vorzügen und von den Vortheilen eines guten Geschmacks an den Künsten und an Wißenschaften. Wer schmeichelt sich nicht diesen zu besitzen?“16 Doch Engelschall zieht in Zweifel, ob diejenigen, welche sich dieses guten Geschmacks rühmen, einen solchen tatsächlich besäßen, ja, er zweifelt, ob die M ­ enschen überhaupt eine klare Vorstellung vom Begriff des „guten Geschmacks“ hätten. Nach

13 Den überregionalen Zusammenhang hat, bezogen auf den sogenannten „Wiener Hanswurststreit“, in exemplarischer Weise Hilde Haider-Pregler herausgearbeitet. Siehe dazu: Des sittlichen Bürgers Abendschule. 14 Im selben Jahr erschien eine weitere Schrift zur Reform des Wiener respektive des deutschen Theaters, und zwar als Vorwort zum Trauerspiel Penelope von Ludwig Jacob Heyden (Penelope. Ein Trauerspiel in Versen von fünf Aufzügen. Wien 1761), vermutlich verfasst von Ernst Gottlieb von Petrasch, in welchem sich der Autor u. a. mit den Hemmnissen der Entwicklung des deutschen Theaters auseinandersetzt. Siehe dazu Haider-Pregler: Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 317f. 15 Zufällige Gedanken über die Deutsche Schaubühne, S. 3. 16 Ebenda, S. 4.

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Engelschall äußert sich der gute Geschmack in jener „vernünftigen Wahl“, welche das „Angenehme“ mit dem „Nützlichen“ verbindet. Nur dort, wo diese Verbindung vorläge, könne vom guten Geschmack gesprochen werden.17 Unter dem „Angenehmen“ versteht Engelschall das, „was äußerlich unsern Sinnen und innerlich unsern Neigungen gemäß ist.“18 Dagegen ziele das „Nützliche“ „in allen Stücken auf die Vollkommenheit des Menschen, das ist, auf die Beförderung alles desjenigen […], was ihn zu dem Endzwecke, zu welchen er erschaffen ist, nämlich beständig glück­ selig zu seyn, führet.“19 Die bloße Ausrichtung auf das „Angenehme“ lasse den Menschen in seiner „Unvollkommenheit“ zurück und könne zu seinem Unglück führen, also zum Gegenteil dessen, was das „Nützliche“ erstrebt. Der „gute Geschmack“ wäre somit „eine Quelle der Vollkommenheit und des Glückes der Menschen“20. ­G eschmack und Sitten wären in enger Weise verknüpft, und „von einem guten Geschmacke [kann] auf gute Sitten, von einem üblen Geschmacke aber auf üble Sitten der richtigste Schluß gefället werden“21. Damit scheint auch impliziert, dass das „Angenehme“ sich unter Leitung des „guten Geschmacks“ als einer kombinatorischen wie den Augenblick transzendierenden Kompetenz in neuer Weise ausdifferenziert, wobei der „gute Geschmack“ offensichtlich in der Lage wäre, all dasjenige von den Sinnen wie den persönlichen Neigungen auszuschließen, was mit der Idee der Vollkommenheit konfligiert. Der gute Geschmack erstrecke sich nicht bloß, wie laut Engelschall von vielen zu Unrecht angenommen, auf materielle Objekte wie Kleider, Möbel, Häuser und Gärten, sondern vor allem auch auf die Gegenstände der Künste und Wissenschaften: „Hierbey aber [bei den materiellen Objekten] bleiben wir gemeiniglich stehen, und fällt es den Wenigsten ein, die so nützliche Untersuchung davon weiter und bis dahin zu erstrecken, daß sie von den körperlichen Gegenständen eines guten oder üblen Geschmacks sich auf jene Begriffe wendeten, welche die vernünftige Seele des Menschen sich von Künsten und Wißenschaften zu machen, und dadurch ihre Achtung einer derselben vor der andern zu bestimmen pfleget. Gleichwohl äußert sich auch hierinnen ein guter und ein übler Geschmack.“22

17 Ebenda, S. 7. Worin sich bei der Assortierung der alltäglichen Gegenstände ein schlechter Geschmack exemplarisch äußere, führt Engelschall allerdings nicht weiter aus. 18 Ebenda. 19 Ebenda. 20 Ebenda. 21 Ebenda, S. 7f. 22 Ebenda, S. 5.

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In Bezug auf die Wissenschaft meint Engelschall: „Wählt nun die vernünftige Seele des Menschen zu folge ihrer vorhergegangenen Urtheile eine Wißenschaft, eine Wahrheit, einen Gedanken vorzüglich vor dem andern; so wird ebenfalls diese Wahl in so fern ein guter oder ein übler Geschmack zu nennen seyn, als dieselbe auf das Nützliche oder Angenehme dabey vorzüglich gesehen haben wird.“23 Engelschall betont, dass diese Überlegungen als „die Quelle aller Betrachtungen“24 anzusehen seien, die er in der Folge über die Schauspielkunst als „einen Theil der sittlichen Gelehrsamkeit“ anstellen würde. Damit präsentiert Engelschall eine gespaltene Welt, eine Welt des guten und eine Welt des üblen respektive verderbten Geschmacks, eine Welt, welche bloß den Sinnen und Neigungen folgt, und eine Welt der Vollkommenheit und des Glücks, dessen Quelle der gute Geschmack sei. Engelschall reflektiert nicht die soziale Relevanz dieser Aussage, er versucht zu abstrahieren. Der „gute Geschmack“, der sich durch eine bestimmte Ökonomie der eingesetzten Mittel auszeichnet, ist nicht mehr bloß Ausdruck standeskonformen Verhaltens, das traditionserprobt und habitualisiert eingesetzt werden kann. Der „gute Geschmack“ ist etwas, was jeder, der sich in einem bestimmten kulturellen Bezugssystem befindet, den ihm entsprechenden Mitteln gemäß zelebrieren könne, wenn er über das nötige „kulturelle Kapital“ verfügt, um hier auf die Bourdieu’sche Terminologie Bezug zu nehmen. Im „literarischen Feld“ wird man „schlechten Geschmack“ auch einem defizient erscheinenden Adel attribuieren und gelegentlich vom „Hofpöbel“ oder vom „Pöbel mit 24 Ahnen“ sprechen.25 Die hier beschriebene „Spaltung“ entlang der aufgestellten Linien von bloßer Annehmlichkeit, und somit auch falscher und betrügerischer Annehmlichkeit, und „Vollkommenheit“, welche den „guten Geschmack“ charakterisiert, nützt Engelschall als Raster einer grundlegenden Distinktion, einer Distinktion, wie sie – wenn auch mit anderen Begriffen – auch dem „Kulturkampfe“ um das deutsche Theater zugrunde liegt, wobei der Terminus des Geschmacks weniger als analytisches denn als performatives Instrument fungiert, welches gewisse Verhaltensweisen sanktioniert und andere verdammt. Der Geschmack wird zu einer kulturellen Waffe, und auch Engelschall setzt diese ein. Nicht zufällig ist die von Engelschall in seiner Schrift angesprochene fiktive Person ein junger Mann aus gutem Hause, wahrscheinlich eher bürgerlicher Herkunft, mit dem Namen „Bav“, eine Person in „gespaltener“ Lage: ein junger Mann, der nach außen das französische Theater als höchste Form des Theatralischen zu preisen vorgibt, der aber von seinen Sinnen und inneren Neigungen her von Bernardon und Hanswurst angezogen wird. Der „gespaltene“ Mensch ist genuiner Adressat von 23 Ebenda, S. 6. 24 Ebenda, S. 8. 25 Siehe dazu das Kapitel „Adel im Visier“ (S. 75–82).

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­ ngelschalls Schrift. Es wird allerdings à la longue das Ziel sein, nicht nur die „Bavs“ E in einer Weise zu formen, dass sie das „Angenehme“ in der gewünschten Weise transponieren, sondern auch die „oberen“ und „unteren“ Eckpfeiler der damaligen theatralen Kultur umzustoßen: das „hohe“ Französische als Konkurrenzform für das „gereinigte“ deutsche Drama26 wie das deutsche extemporierte „Possenspiel“. Es wird ein vielfältiger und ambivalenter Prozess kultureller Transformation sein. Er ist nicht das alleinige Ergebnis der Initiativen von Personen und Gruppen, die sich für das „regelmäßige“ deutsche Drama einsetzen, geschweige denn eines Sonnenfels, aber er ist doch wesentlich beeinflusst dadurch, dass sich der sich nunmehr rapid entfaltenden „Diskursmacht“ des „gereinigten Theaters“27 kaum eine alternative Diskursmacht entgegenstellen kann.

SCHAUSPIELKUNST ALS GELEHRSAMKEIT Engelschalls kritische Einschätzung der deutschen Schaubühne in Wien erfolgt vor dem Hintergrund einer idealisierten Geschichte des griechischen und römischen Theaters sowie der als maßstabsetzend angesehenen französischen Bühne, welche das Ideal des guten Geschmacks und der guten Sitten bereits realisiert hätten. Dieser gleichsam gottschedianische Zug bildet die Folie für die Betrachtung der deutschen Schaubühne, die sich allerdings auf keine dramaturgischen Detailanalysen einlässt. Mit Blick auf den jungen Mann namens Bav versucht der Verfasser darzulegen, ­warum das Theater eine Schule des Geschmacks und der Sitten sein müsse. Dem Bav unterstellten Argument, dass das Theater vor allem ein Ort wäre, wo man herzlich lachen könne, hält Engelschall die antike wie die französische Tradition entgegen. Doch setzt Engelschall das Belehren nicht dichotomisch dem Vergnügen entgegen, sondern zielt auf einen „gesitteten“ wie „vernünftigen“ Begriff des Vergnügens. „Du wirst einsehen, daß auch die Sittenlehre vernünftigen Menschen zum Vergnügen gereichen könne. Ich werde dir den Unterschied zwischen einer vernünftigen Lust, an der sich eine edle Seele ergötzet, und dem Vergnügen des Pöbels, zu dem dein Geist, trotz alle deinem Stolze! gehöret, zeigen, und so bitter auch diese Wahrheit ist; so sollst du doch von ihr überzeuget werden, und voller Beschämung Beyfall geben.“28 Die französische und die deutsche Bühne in Wien wären absolute Gegensätze, man könne nicht die Erstere loben, um als Kenner zu gelten, und sich gleichzeitig in der 26 Dies wird von Engelschall allerdings noch nicht explizit thematisiert. 27 Siehe dazu u. a. Hesselmann: Gereinigtes Theater?. 28 Zufällige Gedanken über die Deutsche Schaubühne, S. 9.

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anderen köstlich amüsieren, denn „das gescheide Frankreich [würdiget] kein Schauspiel seiner Achtung […], in welchem nicht die feinste Sittenlehre angebracht ist, und daß dennoch alle, die diese Stücke verstehen, sie bewundern und sich daran ergötzen“29. Und so wäre die Schauspielkunst ein Teil jener Gelehrsamkeit, die sich mit der Sittenlehre beschäftigt.

DAS THEATER ALS IDEALES MEDIUM DER SITTENLEHRE Gute Sitten bei den Untertanen einzuführen, zähle zu den vornehmsten Bemühungen, „einen Staat glücklich zu machen“.30 Bisher sollte dieser Zweck, so Engelschall, durch drei Mittel erreicht werden: durch „Anlegung guter Schulen; durch Sorgfalt für die reinen Lehren der Religion; und durch die Strenge der Gesetze.“31 Alle diese Wege, so unentbehrlich sie auch seien, wären jedoch unzulänglich. In der Schule, so Engelschall, werde das meiste mit Zwang gelernt, und auf den Predigtstühlen fände man nur selten Redner, welche in der Lage wären, das Herz der Menschen zu rühren. Und schließlich wären die strengsten Gesetze „nur die Beförderer um so gefährlicherer Verbrechen, als sie mit äußerster Behutsamkeit im Verborgenen dennoch begangen werden.“32 Während somit Schule, Predigt und Gesetz wesentlich als „Zwangsmittel“ fungierten, sei das Theater ein Ort, der mit weit subtileren Mitteln auf die Sitten einwirken könnte: „Da hingegen, wenn ich des Menschen Neigungen zu gleicher Zeit schmeicheln, und ihn mit Lachen von sittlichen Wahrheiten überführen kann; wenn ich auch die Stunden seines Vergnügens mir zu nutze machen, und ihm in selbigen angenehmen Unterricht ertheilen kann; warum soll ich solches unterlaßen?“33 Mit dem „Geistreichen“ und „Scharfsinnigen“ als den von ihm so genannten Kennzeichen der französischen Bühne zielt Engelschall auf ein konstitutives Moment von theatralen Bildungsprozessen. Diese bestünden darin,

29 Ebenda, S. 11. 30 Ebenda, S. 18. 31 Ebenda. 32 Ebenda, S. 19. 33 Ebenda, S. 19f. Und Engelschall spricht selbst den „Possenreißern“, wie er die Schauspieler des extemporierten Theaters nennt, die Intention einer Sittenlehre, eines „Ridendo corrigo mores“, nicht ganz ab, doch von einer Realisierung dieses Anspruchs wären jene weit entfernt.

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„daß weise Regenten dieses lehrbegierige Volk durch die rühmlichsten Anstalten von der trockenen Schulgelehrsamkeit auf die Scharfsinnigkeit in sittlichen Betrachtungen und auf die Kenntniß der verschiedenen Charaktere des Menschen gelenket haben. Die so große Menge vortrefflicher Schriftsteller in den schönen Wißenschaften haben bey diesem Volke unter einem einzigen großen Ludewig mehr wahrhaftige Vorzüge ausgebreitet, als durch die weitläufigsten und strengsten Gesetze vielleicht in Jahrhunderten nicht zu erhalten gewesen wären.“34 Dies ist eine bildungsrelevante Überlegung, weil es hier um Transformationen von „Gelehrsamkeit“ in ein spezifisches Medium geht, das von traditioneller Gelehrsamkeit unterscheidbar wäre. Nachdem Engelschall Bav, den jungen Mann aus gutem Hause, dermaßen auf das Theater als Sittenschule eingestimmt hat, stellt er die Frage, ob denn auch das gemeine Volk an regelmäßigen Schauspielen Vergnügen finden könnte. Und er gibt zur Antwort, dass es nur ein Vorurteil wäre, „die Seele eines gemeinen Mannes dem Geiste der Großen so sehr nachsetzen“ und jene „aller edlen Empfindungen berauben“35 zu wollen. „Ich könnte daher schon aus der Erfahrung den sichern Schluß machen, daß auch der Pöbel sich an alle dem, was die Großen ergötzet, allerdings vergnügen könne, so bald er nur, wie jene, eine Sache, die ihm zur Lust gereichen soll, zu verstehen fähig ist.“36

BERNARDON UND DIE LASTERHAFTEN BÜRGER Damit wird ein universeller Bildungsanspruch erhoben, der nicht mehr an Standesschranken gebunden ist. Der Autor geht davon aus, dass durch geeignete Kunst des Bühnenautors die Empfindungen eines jeden Menschen angesprochen werden k­ önnen, ja, dass die Kunst des Schauspiels gleichsam selbstheilend wäre und die Kraft besäße, selbst den schlechtesten Geschmack zu läutern – das Schauspiel selbst wäre das Mittel, das Schauspiel zu heilen. Und der gute Geschmack zeichne sich, wie mehrfach erwähnt, durch die Vermittlung von „Nutzen“ und „Vergnügen“ aus, eine Vermittlung, welcher nach Engelschall die Stücke eines Bernardon völlig ermangelten: „Die Vorstellungen eines Bernardons stiften keinen Nutzen, ob sie schon einige zu vergnügen, vermögend sind: da also nicht der Nutzen und das Vergnügen miteinander verbunden sind, so ist dieses Vergnügen kein vernünftiges, und das Zeichen eines verderbten Geschmackes. Hierzu kömmt noch, 34 Ebenda, S. 38f. 35 Ebenda, S. 21. 36 Ebenda.

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daß alle Zoten und alle vortheilhaften Vorstellungen von Lastern dem Staate so gar wirklich schädlich sein können: Die Zoten eines Bernardons auf unserer Schaubühne sind daher offenbar wider die guten Sitten, machen lasterhafte Bürger, streiten mit einer gesunden Polizey, und hemmen die vernünftige Beförderung der Sitten.“37 Doch, wie auch aus später Expliziertem hervorgehen wird, ist die wiederholte Nennung von „lasterhaften“ Darstellungen auf der Bühne, welche unterstelltermaßen auch „lasterhafte“ Bürger machen würden, weitgehend ein wirksames rhetorisches Zubrot zum Generalvorwurf, dass das deutsche extemporierte Theater per se Zeichen eines verderbten Geschmackes sei. In der Rhetorik des „Kulturkampfes“ – und Sonnenfels wird dies noch weiter strapazieren – wird immer deutlicher und meist ohne große Umwege eine Gleichsetzung von „extemporiert“ und „lasterhaft“ bzw. „sittenwidrig“ vollzogen, zumal in den großen „Pamphleten“, in denen es um alles oder nichts zu gehen scheint, wie gegen Ende der 1760er Jahre, als Kurz-Bernardon nach fast zehnjähriger Abwesenheit auf das deutsche „Modelltheater“ der Residenzstadt zurückkehren sollte. Dass das deutsche Theater in seiner extemporierten Form die Sitten verderbe, daran möchte Engelschall nicht den geringsten Zweifel aufkommen lassen: „Daß dies aber wirklich geschiehet, darf man gar im mindesten nicht zweifeln.“38 Doch wo sich der Autor aufgerufen sieht, jenseits der allgemein unterstellten negativen sittlichen Wirkungen konkrete Gefahren aufzuzeigen, dort reduziert er sein Argument auf die Nachahmung von „lüderlichen Schwänke[n]“39 – ganz im Unterschied etwa zu den späteren Diskursen, allemal nach der Französischen Revolution, wo das Theater als potentielles Instrument der Zersetzung des Staates, der Auflösung der Religion, der Ehe, kurzum als Wegbereiter der „Modephilosophie“ gefürchtet wurde. Zunächst argumentiert der Verfasser „zirkulär“: der Beweis für den schlechten Einfluss des deutschen Theaters bestehe darin, dass eben die schlechtesten Piècen – die „ausgelaßensten Stücke“40 – den größten Zulauf erfahren würden. An zweiter Stelle nennt Engelschall die bereits erwähnte Bereitschaft zu „lüderlichen Schwänke[n]“, die ein jeder „Haußvater oder aufmerksammer Sittenrichter“41 in den täglichen Handlungen von jungen Leuten und Dienstboten aufspüren könne, „die nur gar zu oft die ähnlichsten Nachahmungen desjenigen sind, was sie auf der Schaubühne so lehrreich vorgestellt gesehen haben“.42 Eine nach welchen Kriterien auch 37 Ebenda, S. 24f. 38 Ebenda, S. 37. 39 Ebenda. 40 Ebenda. 41 Ebenda. 42 Ebenda.

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immer konstatierte „Unangepasstheit“ von Jugendlichen oder von Dienstboten wird als unmittelbarer Reflex theatraler Darbietungen begriffen. Worin das „Sittenwidrige“ im Verhalten der jungen Leute und der Dienstboten konkret besteht, die in so manchen Stücken der väterlichen oder hausherrlichen Willkür einen Streich spielen, wird von Engelschall nicht weiter ausgeführt. Als letzten, offensichtlich kräftigsten Beweis für die Sittenschädlichkeit des Thea­ters – und der Verfasser wünscht sich inständigst, „dieß nicht schreiben zu dörfen“43 – führt Engelschall, nunmehr über die Jugend und Dienstboten hinausgreifend, den „geläufigste[n] Witz unserer jungen Herren“44 an, offensichtlich ebenso wie das Verhalten der Jugendlichen und Dienstboten als Nachahmung dessen aufgefasst, was die deutsche Bühne dem Publikum vorführt; ihr mangelte offenbar, was Engelschall als das Scharfsinnige und Geistreiche der Franzosen zu betrachten gewöhnt war. Wie aus einer anderen Stelle hervorgeht, scheint Engelschall mit dem verurteilten Witz der jungen Herren die Nachahmung „der frostigsten Scherzreden, trockenen Wortspiele, seichten Widersprüche, ja wohl gar der unsitthaftesten Zoten der Poßenreißer unserer Schaubühne“45 zu meinen – zumindest ein Indiz, dass auch Teile des Adels speziell den Reizen der Bernardoniade nicht so ganz abgeneigt waren. Mit diesen drei Beispielen erschöpfen sich die sittenbedrohenden Szenarien des deutschen Theaters, und – um es vorwegzunehmen – auch Sonnenfels wird sich schwertun, die „Sittenverderbnis“ durch die deutsche Bühne tatsächlich zu konkretisieren. Das bestehende deutsche Theater wird hinsichtlich der ihm unterstellten negativen Energien nicht so sehr als ein Einflussfaktor für ein wie auch immer zu definierendes „deviantes“ Verhalten betrachtet – auch wenn dies rhetorisch mit zunehmender Schärfe beschworen wird –, die Hauptgefahr scheint vielmehr darin gesehen worden zu sein, dass die Bühne in ihrer bestehenden Form die kulturellen Energien in einer Weise band, dass die als ideal und vernünftig angesehenen Formen, welche mit Vorstellungen eines Theaters der Sittlichkeit und des guten Geschmacks verbunden wurden, nicht realisierbar schienen, sodass sich die Kraft des Theatralischen, worin sie auch immer im Einzelnen bestehen mochte, nur schwer erfüllen konnte.

SOZIALE UND ÖKONOMISCHE STR ATEGIEN KULTURELLER DIFFUSION Wie wären nun die gewünschten Änderungen zu vollziehen, wenn offensichtlich der Großteil des Theaterpublikums seine Annehmlichkeit und Ergötzlichkeit nach wie vor im „verderbten Geschmack“ findet? Diesbezüglich ist Engelschall zuversichtlich 43 Ebenda, S. 38. 44 Ebenda. 45 Ebenda, S. 39.

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– dies durchaus in einem ökonomischen Sinne, denn die „Kassa“ bleibt ein Angelpunkt der weiteren Strategien, und dies unterscheidet die Dynamik des Theatralen von der Dynamik der Kanzel und der Schule. Der Kassa, so ist Engelschall überzeugt, werde eine Änderung der „verderbte[n] Schaubühne der Deutschen“46 nicht zum Nachteil gereichen. Schon jetzt gäbe es genug „vernünftige Männer“, die ihr Geld gerne für eine „vernünftige Schaubühne“ ins Theater tragen würden, angezogen von der „Begierde nach einem edlen Vergnügen“.47 Und diesen „vernünftigen Männern“ würden schließlich nolens volens auch jene folgen, welche nur aus „Nebenabsichten“ ins Theater gingen, die sich aber an die neue Form des Schauspiels ebenso rasch gewöhnen würden wie an die derzeit vorwiegend praktizierte, ja, diese würden vielleicht gar nicht registrieren, dass ihr Geschmack gehoben worden wäre. Aber selbst jene würden folgen, „welche den unversöhnlichsten Haß gegen einen guten Geschmack und vernünftige Stücke hegen“,48 weil sie „zuletzt so weit gebracht werden, daß sie die Menge der Vernünftigen überstimmte, und schamroth machte“.49 Dem, so der Verfasser weiter, entspräche auch die Erfahrung, dass schon jetzt etliche Liebhaber des deutschen extemporierten Theaters sich gezwungen sähen, in der „Konversation“ das französische Schauspiel zu loben, um nicht den Eindruck zu erwecken, diese Kulturform der Privilegierten nicht zu verstehen. Und gerade in den nachfolgenden Diskursen des später sogenannten „Hanswurststreits“ wird ein rhetorisches Arsenal von Schambeschwörungen aufgefahren, welche in zunehmender Weise aggressiver und redundanter werden. Zwischen dem „gesitteten“ Körper des Schauspielers und seinem negativen Gegenbild, den extemporierenden Wanderschauspielern, liegen mehr als Welten – Letztere werden schließlich in der Diktion der „aufgeklärten“ Anhänger des „gesitteten Theaters“ zu „Schweinen im Unflathe“, wie zehn Jahre nach Engelschalls Betrachtungen Sonnenfels schreiben wird. Wie bereits erwähnt, versucht Engelschall in Bezug auf das potentielle Publikum des reformierten Theaters die Grenzen sozialer Distinktion durchlässig zu gestalten, indem er postuliert, dass auch der „gemeine Mann“ für das „sittliche“ Theater ansprechbar und gewinnbar wäre. Dies wird allerdings auch als soziale Drohgebärde gegenüber Bav, dem fiktiven jungen Mann aus gutem Hause, eingesetzt, denn dieser habe angesichts der nun zu erwartenden sozialen und kulturellen Konkurrenz durch die unter ihm stehenden Schichten dafür Sorge zu tragen, nicht hinter einen nunmehr „gehobenen“ Geschmack des „gemeinen Mannes“ zurückzufallen. Bezugnehmend auf das von Engelschall so interpretierte Modell der Antike ist mit dem „guten Geschmack“ ein doppelter Bildungsaspekt impliziert: 46 Ebenda, S. 25. 47 Ebenda, S. 26. 48 Ebenda, S. 27. 49 Ebenda.

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„Worinnen bestand aber nun eben dieser gute Geschmack? Wahrhaftig in nichts anderm, als einer Fertigkeit, ein jedes Schauspiel, so auf der Bühne erschien, nach den Regeln der Kunst zu beurtheilen. Eben diese Regeln aber waren nicht etwa in einem ungefähren Zufalle, oder gar in den verderbten Neigungen eines ausgelaßenen Pöbels; sondern in der treuen Sorgfalt weiser Gesetzgeber gegründet. Man gewöhnte den gemeinen Mann an das Gute; und bey diesem trat es an die Stelle der Natur: denn so geneigt auch immer ein Mensch zu mancherley Bösen seyn mag, so können doch allezeit Erziehung, Unterricht und Gewohnheit die Oberhand gewinnen.“50 In besonderer Weise hebt Engelschall hier den produktiven Rezeptionsprozess des Zuschauers hervor, der mit einem Set an moralischen wie ästhetischen Fertigkeiten die künstlerische Adäquatheit eines Schauspiels prüfen soll und dementsprechend unmittelbar in den Prozess der Normenbildung der Dichtkunst eingebunden ist – in dieser Interaktion wäre das Theatrale ein genuiner Prozess sittlicher Beurteilung und Formung, eine Betrachtungsweise, die weit über Sonnenfels’ spätere Ansätze hinausgeht. Allerdings baut Engelschall, wie aus den bereits erwähnten Ausführungen hervorgeht, nicht allein auf die „Vernunft“, sondern auch auf solche Prozesse, welche er als soziale ,Gewöhnung‘ respektive sozialen ,Zwang‘ kennzeichnet.

ZUR GEEIGNETEN AUFSICHT ÜBER DAS THEATER Um das neue, reformierte Theater einzuführen, bedürfe es allerdings bestimmter administrativer Maßnahmen vonseiten des Staates, und zwar zuallererst einer geeigneten Aufsicht, der Mitwirkung eines gelehrten Mannes, der zwei Grundbedingungen erfüllen müsste: er sollte erfahrener Kenner der schönen Wissenschaften sein und zugleich „bei der großen Welt“ Zutritt haben: „Beyde dieser angeführten Eigenschaften aber muß er haben; jene um die Grundsätze einer regelmäßigen Schaubühne aufs genaueste zu kennen, und alle Bedürfniße dazu richtig zu beurtheilen und erwählen zu können; den Umgang mit der großen Welt aber, um sich von Pedanterey, so nur gar zu oft unsern deutschen Gelehrten aus dem Schulstaube anhängt, in den Charakteren, die er auszuarbeiten und vorstellen zu laßen gedenket, sorgfältigst entfernen zu können.“51

50 Ebenda, S. 35. 51 Ebenda, S. 40f.

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Wenn die Gelehrten auch nach wie vor weitgehend abgeschottet von der „großen Welt“ lebten, so gäbe es doch einige Wissenschaftler, welche in den Salons der Großen so angenehm wie nützlich in Erscheinung treten könnten, „wenn nicht diese das allgemeine Vorurtheil hegeten, ihre Gesellschaften und Tafeln lieber mit bernardonischen Poßen zu schänden, als durch den ­edlen Witz wahrhaftig aufgeweckter Geister zu würzen.“52 Das macht klar, dass der Verfasser mit seiner Schrift an sehr vielen Fronten agiert, auch wenn „Bav“ zu seinen Lieblingsadressaten zählt. Doch Engelschall wendet sich ebenso an die „abgeschotteten“ Segmente, die über Wissen, aber keinen sozialen und kulturellen Umgang in der Welt der Großen verfügen, und er wendet sich an staatliche Organe, die noch keine überzeugenden Initiativen gesetzt hätten und weit hinter dem zurückblieben, was in „Mustergesellschaften“ schon verwirklicht worden sein soll. Er wendet sich auch an den hohen Adel, der über vielfältiges kulturelles Pouvoir verfüge und als wirksamer und vorbildlicher Träger des guten Geschmacks angesprochen wird, der aber auch zum Mitgenießer jener „schändlichen“ und „verderbten“ deutschen theatralen Kultur geworden sei, denn, wie Engelschall schamrot zu schreiben sich gezwungen fühlt, es tummeln sich die Nachahmer des Bernardon nicht nur unter Jugendlichen und Dienstboten, sondern selbst in den Salons der jungen Herrn und – wie man hinzufügen könnte – nicht nur in diesen. Der von Engelschall genannte gelehrte und mit den Usancen der großen Welt vertraute Mann, welchem die Aufsicht des Theaters obliegen sollte, hätte sich vor allem drei Aufgabenbereichen zu widmen: der Zusammenstellung eines Vorrats an guten Stücken, der Rekrutierung einer erweiterten Zahl von Schauspielern sowie der Wirtschaft der Schaubühne. Was den Vorrat an Stücken betrifft, so wäre jener bereits größer, als man derzeit zu glauben geneigt wäre, samt all den deutschen Übersetzungen fremdländischer Theaterstücke. In diesem Zusammenhang kommt Engelschall auch auf die Zensur zu sprechen: „Doch in den gedruckten Stücken wird noch wenigstens von einer löblichen Censur darauf gesehen, daß nichts gegen die Religion und guten Sitten mit unterläuft.“53 Dies gelte allerdings nicht für die extemporierten Stücke: „[…] in diesen hat ein Schauspieler ein weit größeres Recht, als der gelehrteste Mann. Dieser darf kein Werk ohne die schärfste Prüfung einer in allen gesitteten Ländern angestellten Büchercensur zum Druck befördern; da doch oftmals ein solches Werk vielleicht kaum von hunderten in einem Staate ge52 Ebenda, S. 41. 53 Ebenda, S. 45 (versehentlich mit 54 paginiert).

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Zensur, Geschmack, Sitte

lesen wird: Ein Schauspieler aber sagt oft in einem halben Tage nahe bey tausend Bürgern des Staates mehr Unsittliches, als sie in zehn scharf verpönten Büchern nicht finden würden. Was für Widersprüche herrschen nicht in einem solchen Verfahren! und ist es daher nicht offenbar, daß der Mangel anständiger Belohnungen und der herrschende üble Geschmack bisher die Quelle alles dieses Unwesens gewesen sind, das auf unserer Schaubühne obwaltet, und sich von derselben gar weit unter das gemeine Wesen ausbreitet.“54 Aufgrund der Ausbreitung eines wie auch immer zu fassenden „Unwesens“ von der Schaubühne ins „gemeine“ Wesen fordert Engelschall, dass kein Wort mehr auf der Bühne gesprochen werde, das nicht durch eine Zensur kontrolliert worden sei, vorgenommen von dem mit den „schönen Wissenschaften“ und der „großen Welt“ vertrauten Mann. Und dieser solle auch mit einem erweiterten Zensurauftrag versehen werden: er hätte nicht nur die Befugnis, alles zu verwerfen, was wider die Religion, die guten Sitten und den Staat gerichtet sei, sondern er hätte auch die Aufgabe, das „bloße Schlechte“ zu eliminieren, all jenes, was dem „guten Geschmack“ zuwider wäre, ohne welchen es dem Staate an Vollkommenheit mangele. Mit der Berücksichtigung des „guten Geschmacks“ ist das Feld der Zensur erheblich erweitert, wenn sie auch nach Engelschall als institutionelle Form im Theater selbst verbleiben sollte: in der Hand jenes weltgewandten Gelehrten, der als universaler dramatischer Censor und als universaler kultureller Manager gleichzeitig agieren sollte, der aber – auch wenn Engelschall auf den Modus der Selektion nicht näher eingeht – einem öffentlichen Interesse verpflichtet wäre. Diese Erweiterung ist kein Zufall, denn der „gute Geschmack“ ist Brennpunkt der Betrachtungen, und gegen ihn verstößt das deutsche Theater aus der Sicht des Kritikers zuallererst. Zehn Jahre später wird das von Joseph  II. verfügte Dekret zur Reorganisation der Thea­ tralzensur den Aufgabenbereich der Zensur, wenn auch in eingeschränktem Sinne, auf Fragen des „Geschmacks“ ausdehnen, allerdings auf Fragen, welche primär mit der Rolle des Theaters in einer „Residenzstadt“ verbunden sind.

54 Ebenda, S. 45f.

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THEATER UND POLIZEYWISSENSCHAFT Was Engelschall, vornehmlich unter Berufung auf den „guten Geschmack“, als organisatorisches Reformprogramm des Wiener Theaters zu präsentieren versuchte, legte Sonnenfels, seit 31. Oktober 1763 Inhaber des Lehrstuhls für Kameralwissenschaften an der Universität Wien, in systematischer Weise im Rahmen der Polizeywissenschaft dar, welche als erster Band der Sätze aus der Polizey, Handlungs- und ­Finanz-Wissenschaft 1765 erstmals publiziert wurde55 – ein in der Folge einflussreiches Werk, welches im 18. Jahrhundert zu einem der meistverwendeten Lehrbücher der Staatswissenschaft wurde.56 Sonnenfels’ kameralistisches Kompendium, welches sich u. a. auf die Schriften von Johann Heinrich Gottlieb von Justi57 und Jacob Friedrich Bielfeld58 bezieht, wurde auch ins Lateinische, Italienische und Russische übersetzt und erlebte noch 1819 eine achte Wiener Auflage.59

55 Joseph von Sonnenfels: Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft. Zum Leitfaden der akademischen Vorlesungen. Wien, gedruckt bei Johann Thomas Edlen von Trattnern, kaiserl. ­königl. Hofbuchdruckern und Buchhändlern, 1765. Der Name des Autors steht anders als bei den folgenden Ausgaben nicht auf dem Frontispiz, er wird erst am Ende des Vorworts, verfasst „den 20. des Herbstmonats 1765“, genannt. Sonnenfels hat sein kameralistisches Werk mehrmals überarbeitet; neben stilistischen Änderungen hat er zahlreiche Ergänzungen vorgenommen bzw. im Text enthaltene Implikationen weiter ausgeführt. Soferne die Änderungen für die folgende ­A rgumentation von Relevanz sind, werden diese im Einzelnen nachgewiesen. Berücksichtigt wurden die ersten fünf Ausgaben von Sonnenfels’ kameralistischem Werk, welche im Zeitraum von 1765 bis 1787 erschienen sind. Um dem Leser hinsichtlich der Zitationen einen raschen Überblick zu geben, wird auch bei „Ebenda“-Angaben, die sich gelegentlich auf vorangehende Fußnoten beziehen können, immer die Jahreszahl des Druckes beigefügt. 56 Siehe Haider-Pregler: Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 57f. 57 Deutsche Memoires oder Sammlung verschiedener Anmerkungen, die Staatsklugheit, das Kriegswesen, die Justiz, Morale, Oeconomie, Commercium, Cammer- und Policey- und andere merkwürdige Sachen betreffend, welche im menschlichen Leben vorkommen, von einigen Civil- und Militairbedienten, auch von andern gelehrten und erfahrenen Personen angemerket, aufgezeichnet und hinterlassen worden. Wien 1750; Die Grundfeste zu der Macht und Glückseeligkeit der Staaten; oder ausführliche Vorstellung der gesamten Policey-Wissenschaft. 2 Bde. Königsberg, Leipzig 1760. Siehe dazu auch Haider-Pregler: Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 48ff. 58 Jacob Friedrich Bielfeld: Institutions Politiques, Ouvrage où l’on traite de la Société Civile, des Loix, de la Police, des Finances, du Commerce, des forces d’un Etat; & en général de tout ce qui a rapport au ­G ouvernement. A Paris, Chez Duchesne, Libraire, rue S.  Jacques, au dessous de la Fontaine S. ­B enoît, au Temple de Goût. M.DCC.LXI. Avec approbation & privilege du Roi. Siehe dazu auch Haider-­P regler: Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 45–47. 59 Ebenda, S. 57f.

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DAS GEMEINSCHAFTLICHE BESTE Man kann Sonnenfels’ kameralistisches Lehrbuch als ein exemplarisches Werk des aufgeklärten Absolutismus ansehen. Der Fürst wäre der erste Diener des Staates, als solchem obliege es ihm, die Erzielung des allgemeinen Besten zu organisieren, wobei er bestrebt sein solle, eine Balance zwischen Eigenwohl und Gemeinwohl im Auge zu behalten.60 Der Staat wird definiert als eine „Gesellschaft von Bürgern, die sich vereiniget haben, mit vereinbarten Kräften ein gewisses Beste zu erreichen“.61 Sollte der Privatnutzen dem gemeinschaftlichen Besten entgegenstehen oder mit diesem nicht vereinbar sein, so müsse Ersterer Letzterem untergeordnet werden. Dabei geht Sonnenfels zuversichtlich davon aus, dass sich in der Regel keine großen Widersprüche zwischen dem gemeinschaftlichen Besten und dem Privatnutzen auftun: „bey einer genauern Untersuchung wird sich immer zeigen, daß dasjenige, was als ein Privatnutzen angesehen wird, ein solcher zu seyn, gar bald auf­ höret. Die Wohlfahrt der Theile gründet sich auf die Wohlfahrt des Ganzen.“62 In jenen Gesellschaften, welche Sonnenfels die „bürgerlichen“ nennt, sei das gemeinschaftliche Beste als Endzweck „die Sicherheit und Bequemlichkeit des Lebens, welche vereinbart die öffentliche Wohlfahrt ausmachen.“63 Durch vielfältige Beobachtungen und Erfahrungen sei es gelungen, „die verschiedenen Maßregeln, durch welche die allgemeine Wohlfahrt erhalten wird, auf zuverlässige Grundsätze“ zurückzuführen und in die Gestalt einer Wissenschaft zu

60 So heißt es im Vorwort zur zweiten Ausgabe (1768), welche Joseph II. gewidmet ist: „Monarch! Diese Grundsätze, denen Eure Majestät den theuren Namen zum Pfande ihres Schutzes vorzusetzen erlauben, beschäfftigen sich mit derjenigen bürgerlichen Wohlfahrt, die der Gegenstand ihrer menschenfreundlichen Sorgfalt ist. Ihr Leben verheißt der Welt einst lehrreiche Beyspiele, aus welchen die Mängel dieses leichten Umrisses werden berichtiget werden können. Die Vorsicht wache nur über ihren Gesalbten, den sie mit so herrlichen Gaben ausgerüstet hat, damit er die großen Absichten einer Monnarchinn hinausführe, deren erhabnes Herz die Entwürfe zu unsrer Glückseligkeit, über die Gränzen ihres Lebens erweitert. Ich ersterbe mit allertiefester Erniedrigung: Eurer kaiserlichen Majestät allerunterth. allergehorsamster Sonnenfels.“ Joseph von Sonnenfels k. k. Raths, ordentlichen, öffentlichen Lehrers der Polizey, Handlung- und Finanzwissenschaft an der hohen Schule in Wien, wie auch an den beiden adelichen theresianischen und savoyschen Akademien, Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft. Erster Theil, zweyte, verbesserte und vermehrte Auflage. Wien, bey Joseph Kurtzböck, Universitätsbuchdrucker 1768. 61 Sonnenfels: Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 10. 62 Ebenda, 1765, S. 11. 63 Ebenda, 1765, S. 15. Unter „Bequemlichkeit“ versteht Sonnenfels „die Leichtigkeit, sich durch seinen Fleiß Unterhalt zu verschaffen.“ Ebenda, 1765, S. 16.

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bringen, welche Sonnenfels als „Staatswissenschaft im ausgedehntesten Verstande“64 bezeichnet: diese wäre also die „Wissenschaft, die Wohlfahrt eines Staates handzuhaben“65. Dies sei ein sehr weitverzweigtes Feld, sodass sich mittlerweile vier verschiedene Disziplinen herausgebildet hätten. Mit Fragen der äußeren Sicherheit befasse sich die Staatswissenschaft im engeren Sinne („so genannt Staatsklugheit, oder Politik“66). Die Grundsätze, „die innere Sicherheit zu gründen und zu erhalten“67, fallen in den Bereich der Polizeywissenschaft. Die „Vervielfältigung der Nahrungs­ wege“68 sei Gegenstand der Handlungswissenschaft, die vorteilhafteste Gewinnung der Staatseinkünfte Gegenstand der Finanzwissenschaft.69

BILDUNG UND WISSENSCHAFT Zur Polizeywissenschaft gehören nach Sonnenfels auch alle Aspekte der Bildung und Wissenschaft respektive des Theaters, insofern sie Einfluss auf die Sitten bzw. die Wohlfahrt eines Staates haben. Wie schon Hilde Haider-Pregler aufgezeigt hat, ist die kameralistische Verortung der Bühne für die Perzeption des Theaters in der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts70 von eminenter Bedeutung, und dies umso mehr, als die kameralistischen Schriften nicht nur für den engeren Kreis der mit der Leitung des Staates betrauten Funktionäre geschrieben wurden, sondern auch den Charakter eines Studienlehrbuchs hatten. Der Kameralismus Sonnenfels’scher Prägung ist allerdings keine Beschreibung des reell funktionierenden Verwaltungsmechanismus des Staates; es geht vielmehr, wie dargelegt, um die Entfaltung von Grundsätzen, welche dem staatlichen Handeln zugrunde gelegt werden sollen, wie denn auch zum Zeitpunkt des Erstdrucks der Sätze aus der Polizey, Handlungs- und ­Finanz-Wissenschaft die von Sonnenfels verkündeten theatralisch-polizeylichen Grundsätze der aktuellen „Theaterpolitik“ nicht zugrunde gelegt waren. Im Prinzip sei es, so Sonnenfels, ein gemeinschaftliches Recht aller Glieder der Gesellschaft, alle Anstalten und Maßregeln, die das gemeinsame Beste erfordert,

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Ebenda, 1765, S. 17. Ebenda, 1765. Ebenda, 1765, S. 18. Ebenda, 1765. Ebenda, 1765. Diese vier Zweige der Staatswissenschaft bedienten sich, wie Sonnenfels weiter ausführt, unterschiedlicher anderer Wissenschaften sowohl als Grundlage wie als Hilfsmittel: so der Vernunftund Sittenlehre, der Naturlehre, der mathematischen Wissenschaften, der Geschichte, der Rechtswissenschaft und der Wissenschaften der Erdbeschreibung wie der Sprachen. Ebenda, 1765, S. 19. 70 Haider-Pregler: Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 17–19.

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„vorzuschlagen, zu prüfen, entweder gutzuheißen, oder zu verwerfen“71, weil „die Mittel dem Endzwecke zusagen müssen“. Für die „Erklärung des gemeinschaftlichen Willens“72 wären jedoch unterschiedliche Modelle entwickelt worden: die Demokratien, wo die Mehrheit der Stimmen entscheide, die Aristokratien, in welchen die „Edlern“ die Verwaltung des Staates übernehmen, und schließlich die Monarchien, welche nach dem Urbild einer hausväterlichen Regierung „aus Zutrauen zu der Weisheit eines Einzigen, zu seiner Gerechtigkeit und Liebe alles an einen übertrugen, der ihr Vater, ihr Gesetzgeber und Rath, ihr Haupt seyn sollte“73. Abgesehen von der spezifischen Semantik im Hinblick auf die Beschreibung der Monarchie bedient sich Sonnenfels hier einer nahezu modellhaften Beschreibung. In späteren Ausgaben wird er die hier gewählte Anordnung der Reihenfolge der genannten Gesellschaftsmodelle beibehalten, wird sie jedoch nahezu evolutionistisch darstellen, ­wobei die Monarchie als letztgenannte die von Sonnenfels genannten Fehler der vorerwähnten Staatsformen vermeide und demnach implizit die rationalste Form der Herrschaft darstelle.74

IN DER DUNKLEN KAMMER. RELIGION ALS GESELLSCHAFTLICHE STEUERUNGSINSTANZ Dies ist allerdings eine Begründung von Herrschaft jenseits aller theologischen Argumentation – die Religion, welcher Art auch immer, wird als rein funktionaler Bestandteil der Gesellschaft beschrieben, und zwar vor allem im Hinblick auf eine substantielle Fundierung der Sitten. Die auf Basis der Religion wie der Sittenlehre entwickelte Tugend wird dabei von der „politischen Tugend“ unterschieden: „Die politische oder Gesellschaftstugend, ist die Fertigkeit, seine Handlungen mit den Gesetzen der Gesellschaft übereinstimmend einzurichten. Das Triebwerk, wodurch diese Uebereinstimmung erhalten wird, kömmt nicht mit in die Erklärung, da es bey der Tugend einer höhern Ordnung nicht hinwegbleiben darf.“75

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Sonnenfels: Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 12. Ebenda, 1765, S. 12. Ebenda, 1765, S. 14. Joseph von Sonnenfels kaiserl. königl. wirkl. N. Oe. Regierungsraths, ordentlichen, öffentlichen Lehrers der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft: Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft. Erster Theil, Dritte Auflage. Wien, gedruckt bey Johann Thomas Edlen von Trattnern, kaiserl. ­königl. Hofbuchdruckern und Buchhändlern. 1770, S. 22f. 75 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 62.

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Die Religion, „das sanfteste und heiligste Band der Gesellschaften“76, zähle noch vor der Erziehung und Wissenschaft zu den wirksamsten Mitteln zur Bildung der Sitten. Wie schon zuvor erwähnt, wird die Bildung der Sitten von Sonnenfels als genuiner Gegenstandsbereich einer wohlgeordneten „Polizey“ angesehen, welche einerseits bestrebt sein soll, „einen guten sittlichen Zustand, durch die zu diesem Ende gewählten schicklichsten Mittel zu bewirken“77, und die andererseits sich bestrebe, „alles dasjenige abzuschaffen […], was diese Mittel entkräften, und den sittlichen Zustand verderben kann“78. Die Religion sei insbesondere deshalb von so hoher Bedeutung, weil sie, wie Sonnenfels in der zweiten Auflage noch deutlicher explizieren wird, das Mangelhafte der Gesetzgebung auszugleichen vermöge. In der ersten Fassung aus dem Jahr 1765 heißt es: „sie [die Religion] unterrichtet durch ihre verehrungswürdigen Lehren in der Tugend: sie muntert durch Verheißungen zur Ausübung derselben auf: sie schrecket durch Drohungen vom Laster ab, und bewirket durch die Reue, die sie dem Sünder einschärfet, die Besserung der Lasterhaften. Der Regent muß also diesen Leitriemen in seinen Händen nicht vernachlässigen, und seine Sorgfalt muß vorzüglich dahin gerichtet seyn, daß jeder Bürger Religion habe.“79 In der zweiten Auflage wird durch eine Ergänzung zwischen den beiden letzten Sätzen noch klarer, worum es Sonnenfels bei seiner Argumentation geht: „Wo immer das Auge des Gesetzgebers, und eben darum auch die Strafe des Richters, nicht hinreichen kann, ist sie [die Religion] dem Handelnden gegenwärtig, um seinen bösen Unternehmungen durch ihre Drohungen Einhalt zu thun.“80 Diesen Grundsatz verbindet Sonnenfels mit einer dezidierten Ablehnung der „Freygeisterei“: „Woraus denn fließt, daß die Freygeisterey als das Entgegengesetzte der Religion in keinem Staate geduldet werden könne.“81 76 Ebenda, 1765, S. 64. In der zweiten Auflage spricht Sonnenfels nur mehr vom „sanfteste[n] Band“ (Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft, 1768, S. 102). 77 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 63f. 78 Ebenda, 1765, S. 64. 79 Ebenda, 1765, S. 64. 80 Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft, 1768, S. 103. 81 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 64. Unter einem Freygeist versteht Sonnenfels, wie aus der folgenden Fußnote hervorgeht, „einen Mann, dem Religion ein

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In der zweiten Auflage heißt es diesbezüglich noch unmissverständlicher: „Von diesem Gesichtspunkte erscheint die Freygeisterei als ein politisches Verbrechen: weil sie dem Staate gewissermassen die Mittel raubet, seine Bürger auf das vollkommenste zu leiten.82 Aus der Meynung: es sey kein GOtt, fließt unsre Unabhängigkeit, oder unsre Empörung83. Es liegt also der Ruhe und Glückseligkeit des Staates daran, die erklärten Freygeister nicht zu dulden: und der Regent ist allenfalls von dem Bürger ein äußerliches Merkmal der Religion zu fodern berechtiget, zu der sich dieser bekennet.“84 Doch begründet sich dies in der „Polizeywissenschaft“, wie erwähnt, nicht mehr theologisch: es geht nicht um die Frage, ob es Gott tatsächlich gibt, schon gar nicht um die Frage, welches die wahre Religion samt ihrer Offenbarungen ist, es geht um eine funktionalistische Betrachtungsweise, welche zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung respektive zur wirksamen Einhaltung ihrer Gesetze Gott und die Religion gewissermaßen postuliert. Die Funktion der Religion wird bei Sonnenfels mit geradezu psycho- wie soziotechnischer Akribie beschrieben – die „Freygeisterei“ ist ein besonders signifikantes Beispiel: Das dadurch begangene Verbrechen richtet sich in der Argumentation von Sonnenfels nicht gegen Gott, gegen die Religion, gegen die Kirche; es richtet sich gegen den säkular konzipierten Staat, der Spott, und ihre Lehren eine Aergerniß sind: mit einem Worte einen Mann ohne Religion.“ Sonnenfels schließt an: „Es gehöret nicht zu meinem Endzwecke, die Mittel aufzuzeigen, deren sich die weltliche Macht gegen erklärte Freygeister zu gebrauchen haben wird: aber ich glaube, daß ich den Satz, daß man ohne Religion ein rechtschaffener Bürger seyn könne: zu bekämpfen schuldig bin. Es liegt der Tugend, und der Wohlfahrt der Menschen zusehr daran, daß derselbe niemal als richtig angenommen werde.“ Ebenda, 1765, S. 64f. 82 Diesen Satz wird Friedrich Nicolai in der Beschreibung seiner Reise durch Deutschland und die Schweiz, die ihn 1781 auch in das josephinische Wien führte, Sonnenfels besonders ankreiden: „So? Also auch in Dingen, welche auf Ueberzeugung beruhen, soll uns der Staat leiten? Auch in religiösen und in politischen Meinungen […] soll der Staat seine Bürger leiten! Nicht einmal Meinungen sollen frey seyn! Es ist traurig, dergleichen Behauptungen bey einem Schriftsteller zu finden, der sich sonst unter so vielen auszeichnet; und man siehet daraus, wie wenig noch in Oestreich gewisse Begriffe erörtert waren.“ Nicolai: Beschreibung einer Reise durch Deutschland. Vierter Bd., S. 856f. 83 An dieser Stelle verweist Sonnenfels in einer Fußnote auf Montesquieu: „Esprit des Loix XXIV. Ch. II.“ Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft, 1768, S. 104. 84 Ebenda, 1768, S. 103f. In der nun folgenden Anmerkung bringt Sonnenfels auch einige historische Beispiele, wie Religion respektive Religionsausübung vom Regenten eingefordert wurde: „Unter der Regierung der Königinn Elisabeth, wurde gegen diejenigen eine Strafe von 20. Pfunden verhänget, welche durch einen Monat von dem öffentlichen Gottesdienste abwesend seyn würden […]. Eine leopoldinische Verordnung vom 30.  April 1659. und eine andere vom 2.  März 1660. legte die Aufsicht über die Einfoderung der Beichtzeddel um Osternzeit dem Landmarschall auf.“ Ebenda, 1768, S. 104.

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mit der Religion ein besonders geeignetes Steuerungsinstrument verlöre, das offensichtlich nicht so ohne Weiteres durch andere Lenkungsinstrumente ersetzt werden kann, wenn auch – von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen propagiert – Theater und Schule am Horizont der Sittenbildung auftauchen. Aber auch Letztere wird sich als reformierte Volksschule der Religion in besonderer Weise annehmen. Aufgrund der nach Sonnenfels erstrangigen Bedeutung der Religion für die Sittenbildung müsse der Polizey – hier nicht gemeint als Polizei im modernen Sinne einer für spezifische Sicherheitsbelange zuständigen Organisation, sondern als die Gesamtheit an möglichen Maßnahmen zur inneren Steuerung eines Staates – an einem geeigneten Unterricht in Religionssachen gelegen sein, insbesondere auf dem „platten Land“,85 weil – wie Sonnenfels in der zweiten Auflage ergänzt – „dem Land­ volke, die Religion die Stelle der Erziehung und Sitten vertreten muß“.86

POLITISCHER KATECHISMUS Wie die Religionsvorsorge soll auch die „Erziehung“ als ein für die Sitten maßgeblicher Faktor der staatlichen Lenkung unterliegen, und Sonnenfels denkt dabei an staatliche Erziehungspläne, die öffentliche und private Erziehung in programmatischen Bezug setzen, sowie an eigene Erziehungsmagistrate, deren Beamte man „Ephoros der Erziehung“87 nennen könnte. Diese Aufseher der Erziehung hätten darüber zu wachen, dass die Eltern ihrer Pflicht „genau nachleben“: „Die nachlässigen müßten durch Zwangsmittel zur Erfüllung derselben angehalten, lasterhaften aber ihre Kinder gar weggenommen; jedoch ein Theil ihres Vermögens zur Erziehung angesetzet werden, damit nicht das Laster ein Mittel wäre, sich einer mühsamen Pflicht, welcher wohlgesittete Leute unterworfen sind, zu entziehen.“88

85 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 66. 86 Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft, 1768, S. 104. Dementsprechend wäre ­einerseits für die Landpfarrer ein ausreichendes Einkommen sicherzustellen, welches ermögliche, einen von allen geachteten Lebensstil zu pflegen, wie andererseits zu kontrollieren, dass kein ­Widerspruch zwischen den verkündeten Worten und dem praktizierten Lebenswandel der Geistlichen auftrete. „Die so genannte Disciplin der Klerisey ist also ein wesentliches Stück der Religionspolizey.“ Ebenda, 1768, S. 108. Der Frage, wer diese „Religionspolizey“ ausüben solle, geht Sonnenfels allerdings diskret aus dem Weg. 87 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 68. Diesen Begriff wird Sonnenfels ab der zweiten Auflage erweitern: „oder wie bey den Spartanern Pädonomos nennen“. Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft, 1768, S. 110f. 88 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 68.

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Und schließlich die „Wissenschaften“, welche einen wichtigen Teil der Erziehung ausmachten und wozu Sonnenfels auch das öffentliche Schulwesen zählt: Die Schulen müssten auf öffentliche Kosten unterhalten werden und „bey ihrer innern Einrichtung Hauptsächlich darauf gesehen werden, daß die Jugend vorzüglich in dem­ jenigen unterrichtet werde, was zu den Pflichten des bürgerlichen Lebens gehöret, die sie dereinstens auszuüben verbunden seyn werden“.89 Dementsprechend schlägt Sonnenfels als Ergänzung der bisherigen religiösen Unterweisung einen „politischen Katechismus“90 vor, wodurch der Jugend „das, was sie dereinstens als Bürger zu thun hätten, gleich mit den ersten und stets unvergeßlichen Begriffen eingeschärft würde“.91 In der fünften Auflage finden sich folgende bemerkenswerte Ergänzungen zum Themenbereich Wissenschaft und Aufklärung: Von der Bildung, die der Verstand durch die Wissenschaft empfange, hänge „die Richtigkeit der Einsicht ab, welche die Wahl zum guten leiten muß.“92 Dementsprechend beantwortet Sonnenfels die mittlerweile häufig gestellte Akademiefrage, „ob es nützlich sey ein Volk aufzuklären“, mit einem eindeutigen Ja: eine Antwort, die seiner Ansicht nach nie hätte in Zweifel gezogen werden dürfen.93 Ein dummes Volk gehorche, weil es muss, ein unterrichtetes, weil es selbst will. „Eine billige und erleichtete Regierung scheut die Einsicht ihrer Unter­ thanen nicht: sie sollen aufgeklärt seyn! um das Gute zu erkennen, so ihnen erwiesen wird.“94 In diesem Sinne soll „Aufklärung“ auch als großes Internalisierungsprogramm fungieren, das gleichsam die kognitiven Diskrepanzen zwischen dem als ideal vorgestellten Handeln des aufgeklärten Staates und dem Wissen respektive den Motivationen der Bürger aufzuheben imstande wäre.

89 Ebenda, 1765, S. 72. 90 Ebenda, 1765, S. 73. 91 Ebenda, 1765. Weiters schreibt Sonnenfels: „Es ist kein Zweifel, daß eine solche Einrichtung nützliche Folgen haben würde: und ich gestehe es, daß ich schon lange darauf gedenke, mich um die bürgerliche Gesellschaft durch ein solches Werkchen verdient zu machen.“ Ebenda, 1765. 92 Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz, von Sonnenfels. Zu dem Leitfaden des politischen Studiums. Erster Theil. Polizey. Wien bei Joseph Edlen von Kurzbek, k. k. Hofbuchdrucker, 1786, S. 100. 93 Vgl. ebenda, 1786. 94 Ebenda, 1786, S. 101.

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ERGÖTZUNGEN ALS INSTRUMENTALISIERTES MEDIUM Neben diesen Hauptmitteln, auf die Sitten einzuwirken, lenkt Sonnenfels das Augenmerk des Staates noch auf weitere wirkungsvolle Felder, so auch darauf, dass bei der Besetzung von Ämtern stets der „Gutgesittete“ vorgezogen werden solle. Dabei ginge es darum, wie in der zweiten Auflage weiter ausgeführt wird, den „Eigennutz“, diesen „mächtigste[n] Beweggrund“95, zur Förderung der Sitten zu nützen. Dadurch vermeint Sonnenfels, eine Art Wettkampf in Absicht auf die Sitten zu initiieren, ein polizeywissenschaftlicher Grundsatz, der, sofern jemals von Belang, ­sicherlich eines zu perfektionieren half: das, was man mit einem späteren „bürger­ lichen“ Begriff als Doppelmoral bezeichnen wird – die damit verbundene soziale Heuchelei wird auch Thema der Bühne werden. Nun folgen Sonnenfels’ bekannte Ausführungen zu den „Ergötzungen“ des Volkes, insbesondere zum Theater: „Gleich einem geschickten Architekten, der auch die Verzierungen des Gebäudes so anzubringen weis, daß sie zur Stärke beytragen, muß der Gesetzgeber die Ergötzungen des Volkes zu einem wirksamen Mittel, die Sitten zu bilden, zu gebrauchen wissen. Hierunter nun sind die Schauspiele vorzüglich seiner Aufmerksamkeit würdig, welche, woferne sie ihre gehörige Einrichtung empfangen, das Ergötzende mit dem Nutzbaren vereinigen, und wie Freyherr von Bielefeld96 saget, eine Schule der Sitten, der Höflichkeit und Sprache werden können.“97 Sonnenfels fährt in seinen weiteren Ausführungen fort mit der vor ihm und lange nach ihm gebräuchlichen Standardformel der generellen Vorschrift für die Gestaltung der theatralen Realität, die sinngemäß auch von Engelschall verwendet wurde: „Wenn die Schauspiele eine Schule der Sitten werden sollen, so ist darauf zusehen, daß solche Stücke aufgeführt werden, die diesem Endzwecke zusagen. Das Laster muß also in seiner scheuslichen Gestalt und mit der Strafe als einer unabsönderlichen Folge, die Tugend mit allen ihren Reizungen, in

95 Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft, 1768, S. 120. 96 Jacob Friedrich Bielfeld. In seinen Institutions Politiques heißt es diesbezüglich: „Les Spectacles servent encore merveilleusement à polir une Nation. Quand le Théâtre est épuré, comme en France, c’est la meilleure Ecole pour les moeurs, pour le langage, pour la politesse génerale.“ Bd. 1, S. 138. 97 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 76.

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i­hrer liebenswürdigsten Gestalt, und wenigstens am Ende siegend, er­ scheinen.“98

DAS TR AUERSPIEL IM BRENNSPIEGEL DES KAMER ALISMUS Dieser Generalforderung, welche die Modellierung der theatralen Wirklichkeit vorzugeben trachtet, folgt unmittelbar die Kritik einer ganzen Bühnengattung, die zumindest für die „Gebildeten“ zu den Höchstleistungen theatraler Kultur zählte – die Kritik des „Trauerspiels“: „Man kann daher zweifeln, ob die Trauerspiele, wo meistentheils das Gegentheil geschieht, wo die Tugend den Nachstellungen des Lasters unterliegt, in Ansehen der Sitten Vorzug verdienen.“99 In der fünften Auflage erfolgt ein Zusatz, welcher versucht, die belehrende Dimension der Trauerspiele zu charakterisieren: „Ihre einzige aber, erhabene Bestimmung von Seite des Unterrichts ist, daß sie freymüthig zu Königen und Großen sprechen, an die sonst nicht leicht jemand eine Erinnerung oder Vorwurf waget.“100 Das Trauerspiel wäre dieser späteren Formulierung nach ein genuines Mittel zur Kritik am Herrscher respektive an der Herrschaft. Die vielfältigen kritischen Implikationen dieses Gedankengangs, vor allem für den „Unterricht“ des Theaterpublikums, welches in Sonnenfels’ Konzeption vorwiegend ein „bürgerliches“ ist, werden hier – wie auch in anderen theaterbezogenen Schriften von Sonnenfels – nicht weiter entfaltet. Das Beispiel, welches Sonnenfels in diesem Zusammenhang bringt, scheint diesbezüglich ambivalent zu sein – es bezieht sich auf eine Kritik am tänzerischtheatralen Engagement des jungen Königs Ludwig XIV.: „Ludwig den XIV. der sich dem Volke in Balleten so oft zum Schauspiele gab, zoh der Verfasser des B ­ rittanikus101 von dieser Unanständigkeit ab.“102

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Ebenda, 1765, S. 76f. Ebenda, 1765, S. 77. Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz, 1786, S. 110. Britannicus, Tragödie in fünf Akten von Jean Racine, uraufgeführt am 13. Dezember 1669 im Hôtel de Bourgogne in Paris. Gemeint ist damit offensichtlich die Gleichsetzung des im Sinne einer Schaustellung tanzenden französischen Königs mit Nero (in Racines Schauspiel älterer Stiefbruder des Britannicus), der wegen seiner Auftritte als Wagenlenker in der Arena gerügt wird. Siehe dazu auch: Uwe Schultz: Versailles. Die Sonne Frankreichs. München 2002, S. 87f. 102 Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz, 1786, S. 110.

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Für diese spezielle Intervention, wie immer man sie inhaltlich bewerten mag, scheint der Aufwand von Racines Britannicus jedenfalls etwas unverhältnismäßig. Es sind mehrere Aspekte, welche Sonnenfels gegen das Trauerspiel einnehmen – dieses wäre, wie er ein Jahr später im Mann ohne Vorurtheil ausführen wird, zwar nicht per se sittenwidrig, aber teilweise „zweydeutig“. Als Beispiele wählt er dort Joseph ­Addisons Cato103 und Jean Racines Mithridate104. „Um bloß von dem ersten zu reden, wozu nützen alle die schönen Denksprüche der Liebe zur Freyheit, zum Vaterlande, die der Dichter in sein Stück hineinzubringen wußte, und die bey einer Regierungsform, dergleichen die engländische ist, mit vielen Beyfall mußten aufgenommen werden; was nützen alle diese, da durch den Helden des Stückes, durch einen Mann, der das Vorurtheil des Ansehens für sich hat, dessen Handlungen der Welt gleichsam zum Muster aufgestellt sind, durch diesen, der, dem menschlichen Geschlechte schädliche Satz gleichsam eingeschärfet wird: daß es unter gewissen Umständen erlaubt sey, an sich einen Selbstmord zu begehen? Einen solchen Satz in England! ich wundre mich, wenn nicht gleich von der Schaubühne einige Spleenichte hingegangen sind, das Beispiel der großmüthigen Thorheit nachzuahmen, und mit dem Plato in der Hand sich in die Themse zu stürzen, oder über ihre Hausschwelle zu hängen.“105 Sonnenfels setzt fort: „Zu den zweydeutigen Handlungen rechne ich noch alle diejenigen, wo die Tugend vergebens kämpfet, das Laster immer die Oberhand gewinnt; wo wenigstens die Verrätherey der Bosheit nicht offenbar, und mit einer in die Augen fallenden Strenge bestrafet wird. Ich wünsche, daß dem vortrefflichen Trauerspiele Britannikus dieser einzige aber große Flecken könnte ­abgewischt

103 Uraufgeführt am 14. April 1713 in London. 104 Uraufgeführt am 13. Jänner 1673 in Paris, Hôtel de Bourgogne. 105 [Joseph von Sonnenfels]: Der Mann ohne Vorurtheil. Wien, verlegt bei Joh. Thomas Edlen von Trattnern, kaiserl. königl. Hofbuchdruckern und Buchhändlern. 1765, [Bd. II], S. 748f. Wienbibliothek, Sign. 11351 A/2. Dieser Band ist auf dem Frontispiz nicht explizit als zweiter Band ausgewiesen. Er setzt aber offensichtlich, beginnend mit Seite 419, den zuvor erschienenen Band fort, der einschließlich des verwendeten Kupfers dasselbe Frontispiz aufweist, mit der einzigen Ausnahme, dass im zweiten Band anstelle des Untertitels: „Eine Wochenschrift“ ein Gedicht Hallers steht. Das Jahr 1765, das sich auf das allererste Erscheinen der Wochenschrift (ab 23. September 1765 zwei Nummern pro Woche bis Mitte des Jahres 1767) bezieht, ist für den Folgeband völlig missverständlich, da er ausschließlich Nummern inkludiert, welche erst im Jahre 1766 erschienen sind – aber bereits ein Teil der Nummern des vorangegangenen Bandes erschien im Jahr 1766.

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werden. Es ist wahr, wenn man von einem solchen Gesichtspunkte die mehresten, die vortrefflichsten Trauerspiele zu betrachten anfängt; so werden sie uns verdächtig: aber man vergiebt diesen Meisterstücken des menschlichen Witzes die Fehler der Moral. Indessen ist gewiß, das [sic] die Trauerspiele größtentheils nichts anders sind, als der Sieg des Lasters über die Tugend; und das [sic] solche Vorstellungen für den Zuschauer nicht sehr unterrichtend seyn würden, wenn der alszugroße Abstand, der zwischen ihnen, und den handelnden Personen der Trauerspiele ist, nicht das Gefährliche, so daraus folgen könnte, vernichtete.“106 Neben der moralischen „Zweydeutigkeit“ führt Sonnenfels ein weiteres Argument gegen das Trauerspiel an: die Schilderung der Charaktere und Schicksale der tragischen Theatralfiguren – von Königen, Prinzessinnen und dergleichen – böte dem Theaterbesucher aufgrund der großen sozialen Distanz keinerlei Identifikationsmöglichkeiten. Das schränke die Möglichkeit des Trauerspiels als Sittenschule erheblich ein (wie allerdings andererseits das „Zweydeutige“ respektive die moralischen „Fehler“ des Trauerspiels – wie aus vorangehendem Zitat hervorgeht – gerade durch diese Distanz wiederum entschärft würden). Wenn im folgenden Satz das Trauerspiel auch nicht explizit genannt wird, so scheint sich Sonnenfels dabei vor allem gegen diese Gattung zu wenden: „Sollen ferners die Schauspiele auf die Sitten wirken; so kann diese Wirksamkeit nur dann erwartet werden, wenn der Zuschauer ähnliche Fälle besorgen, gleiches Glück hoffen, von der handelnden Person auf sich und die Seinigen eine Anwendung machen kann. Es ist also offenbar, daß Stücke, welche Könige und Helden zu Gegenständen haben, zu dem Endzwecke der Sitten weniger beytragen, als diejenigen, wo die handelnden Personen gleichsam aus der Mitte derer genommen sind, auf die sie wirken sollen.“107 Allerdings berücksichtigt Sonnenfels in der Polizeywissenschaft in keiner Weise die neueren Entwicklungen: die Entstehung der bürgerlichen Tragödie. Dies wird er später in den Briefen über die wienerische Schaubühne tun, um zu konstatieren, dass die bürgerliche Tragödie aufgrund der angebotenen direkten Identifikationsmöglichkeiten in hohem Maße mit dem Ziel einer Sittenschule übereinstimmen würde. Es ist an 106 Ebenda, S. 749. 107 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765. In der fünften Auflage wird dem ersten Satz noch folgender Satzteil hinzugefügt: „wenn man über das Stück setzen kann, was Annibal zu seinen Soldaten bey dem Uebergang über die Alpen sprach: nicht ein Schauspiel nur, sondern gleichsam das Bild eures eigenen Standes.“ Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz, 1786, S. 111.

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dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sich in Sonnenfels’ Publikationen über das Theater durchaus Perspektivenverschiebungen abzeichnen und sich der Verfasser ­kameralistischer Grundsätze zum „dramatischen Censor“ entwickelt, welcher seine dramaturgischen Analysen nicht primär unter dem Aspekt der Optimierung seiner kameralistischen Gesichtspunkte betreibt. Eine seiner letzten Arbeiten über das Thea­ter, verfasst im August des Jahres 1770, bezieht sich auf eine nicht-bürgerliche Tragödie, auf Joachim Wilhelm von Brawes (1738–1758) Brutus108, welche – zwölf Jahre nach ihrer Entstehung – am 20. August 1770 am Wiener Kärntnerthor-Theater uraufgeführt wurde109. Sonnenfels rühmt Brawes Werk als eines der Meisterwerke der deutschen Dichtkunst, das alle Unzulänglichkeiten des Theaters der Franzosen und Engländer vermeide. Es ist jedenfalls bemerkenswert, dass Sonnenfels seine Ausführungen über das Trauerspiel in den Sätzen aus der Polizey, Handlungs- und FinanzWissenschaft, welche die neueren Entwicklungen auf dem Feld der Tragödie nicht explizit reflektieren, bei späteren Auflagen nicht grundlegender modifiziert hat, während er den Briefen über die wienerische Schaubühne bei der Neuauflage in den 1784 erschienenen Gesammelten Schriften, welche die bis zu Beginn des 19.  Jahrhunderts edierten kameralistischen Schriften nicht beinhalten, eine äußerst diffizile Bearbeitung zukommen ließ, sowohl stilistisch als auch inhaltlich.110 Was die Tragödie betrifft, die nach Sonnenfels zwar als Meisterwerk des menschlichen Witzes anzusehen ist, jedoch dem genannten Generalverdacht sittlicher „Zweydeutigkeit“ unterliegt, nimmt der Rektor der kaiserlichen Adelsakademie, Johannes Heinrich von Kerens (1725–1792), von Maria Theresia im Jahre 1767 beauftragt, eine Klassifikation des französischen Repertoires unter zensorischen Gesichtspunkten zu erstellen, eine von Sonnenfels’ kameralistischen Grundsätzen deutlich 108 Joseph von Sonnenfels: „Ueber die Vorstellung des Brutus bei dem Auftritte Hrn. Lang des ­Aeltern. Im Jahre 1770“. In: Sonnenfels gesammelte Schriften. Neunter Band. Wien 1786, S. 69–114. 109 Siehe Zechmeister: Die Wiener Theater, S. 521. Bei der Uraufführung debütierte der von Sonnenfels protegierte Schauspieler Michael Joseph Lange (der ältere) in der Rolle des Marcius. Die ­Titelpartie wurde von Stephanie dem Älteren gespielt. Das anlässlich der Uraufführung gedruckte „Logenmeister-Büchel“ war Fürstin Maria Wilhemine von Auersperg gewidmet (Brutus, ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von Herrn Joachim Wilhelm von Brawe, Aufgeführt im k. k. deutschen priv. Theater. Zu finden beym Logenmeister. Wien, gedruckt bey Johann Thomas Edlen von ­Trattnern, kaiserl. königl. Hofbuchdruckern und Buchhändlern, 1770). Diese Widmung sollte offensichtlich das Manko beheben, dass Brawes Trauerspiel, welches im Lager des Brutus spielt, ausschließlich für Männerrollen geschrieben war: „Brutus ist nicht verwegen genug, auf den Beyfall des Publikums Anspruch zu machen, welches den Abgang der empfehlenden Reize Ihres Geschlechts empfinden würde. Gestatten Sie, Durchlauchtige Fürstin! der deutschen Schaubühne, die Ehre, daß Sie durch Ihren Namen dieses Trauerspiel anziehend machen, und dadurch den Fehler des Dichters auf das vollkommenste verbessern mögen.“ 110 Zu den stilistischen und inhaltlichen Änderungen in der Neuauflage der Briefe über die wienerische Schaubühne in Sonnenfels’ Sämmtlichen Werken siehe Hilde Haider-Pregler: „Nachwort“. In: ­Joseph von Sonnenfels: Briefe über die wienerische Schaubühne, hg. von Hilde Haider-­P regler. Graz 1988 (= Wiener Neudrucke 9), S. 378–396.

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unterschiedene Position ein: für ihn ist die französische Tragödie aufgrund ihrer stilistischen Vollkommenheit geradezu Gegenstand zensorischer Generalabsolution, sodass er seine in drei Klassen vorgenommene Zensural-Klassifikation der theatralen Produkte nur auf die Komödie bezieht.111 Franz Karl Hägelin, der Nachfolger ­Sonnenfels’ als Theaterzensor, wird sich diesbezüglich eher Kerens als Sonnenfels anschließen, ja, über Kerens noch weit hinausgehen, indem er das französische Drama vor der Revolution selbst zu einer Schule der Zensur erheben und anempfehlen wird, dieses als Richtschnur für die zensurielle Praxis genau zu studieren.112

ABSCHAFFUNG DES EXTEMPORIERTEN SPIELS Nach seinen Vorbehalten gegen die hohe Form des Trauerspiels wendet sich Sonnenfels in seinen polizeywissenschaftlichen Grundsätzen dem „niederen Genre“ zu. Ausgehend von dem Grundsatz, dass das Theater eine Schule der Sitten sei, müsse mit allen Mitteln verhindert werden, dass „unflättige Possen, oder anders die Sitten und den Anstand entehrendes Zeug“113 je auf die Bühne gebracht würden. Wie Engelschall fordert Sonnenfels eine umfassende „Theatralcensur“ und ein generelles Extemporierverbot: „Allein es ist in Ansehen der Sitten nicht genug, daß diese Censur die ganz entworfenen und sogenannten studierten Stücke übersehe, sondern es sind einem solchen Endzwecke gemäß keine anderen, als censurirte Stücke aufzuführen. Die ungezwungenste Folge hieraus also ist, die extemporirten Stücke ganz abzuschaffen.“114 In der folgenden Fußnote kommentiert Sonnenfels, dass diese Stücke nicht nur dem Geschmacke, sondern auch den Sitten nachteilig wären, weil man gesehen habe, „daß Schauspieler die schändlichsten Zweydeutigkeiten, Anspielungen, und giftigsten Verleumdungen gewagt“115 hätten. Und er fordert weiters auch ein Verbot der 111 Siehe dazu: Margret Dietrich: „Für Gott oder für die Regenten der Welt erziehen – eine ­A lternative? Wiener Theater und Hanswurst vor hohem Gericht. Eine Denkschrift aus dem Jahre 1767 für Maria Theresia von P. Johannes Heinrich Kerens SJ, Rektor der kaiserl. Adelsakademie in Wien“. In: Theater am Hof und für das Volk. Beiträge zur vergleichenden Theater- und Kulturgeschichte. Festschrift für Otto G. Schindler zum 60.  Geburtstag, hg. von Brigitte ­M arschall. Wien, Köln, Weimar 2002 (= Maske und Kothurn 48. Jg.), S. 303–330. 112 Siehe dazu das Kapitel „Theater als Schule der Zensur“ (S. 190). 113 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 78. 114 Ebenda, 1765, S. 78f. 115 Ebenda, 1765, S. 79. In der dritten Ausgabe, die in dem Jahr erschien, in welchem Sonnenfels als Theatralzensor engagiert wurde, wird dieser Fußnote ein Hinweis auf die Reform der thea­t ralen

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Marionettenspiele – von Sonnenfels „Gliedermännchenspiele“ genannt –, weil diese große Wirkung nicht nur auf die erwachsenen „gemeinen Leute“, sondern vor allem auch auf die Kinder hätten, „deren jedem Eindrucke offenes Gemüth schon so frühe angepestet wird.“116 Sofern diese Gliedermännchenspiele nicht völlig abzuschaffen wären, worauf der Wunsch des Autors zielt, seien sie zumindest der Theatralzensur zu unterwerfen. Die Beförderung der guten Sitten durch das Theater setze jedoch voraus, dass die Schauspieler selbst in ihrem Privatleben von guten Sitten wären: „Das Lob der Keuschheit in dem Munde einer Phryne scheint eine Satire. Daher denn die Sitten der Schauspieler und Schauspielerinnen, (dieses Wort im weitläufigsten Verstande genommen) vorzüglich die Aufsicht der Polizey verdienen. Sind die Sitten der Schauspieler untadelhaft; so steht nichts im Wege, warum dieser nicht sowohl wie jeder andre nützliche Stand auf die allgemeine Achtung Anspruch machen, und jeder rechtschaffene Mann, ohne zu erröthen, die Schaubühne betreten könne.“117 In der fünften Ausgabe, geschrieben zu einem Zeitpunkt, als in Wien ein „Nationaltheater“ bereits installiert war, nimmt Sonnenfels an dieser Stelle eine Änderung vor. Anstelle der potentiellen zukünftigen Verheißung der gesellschaftlichen Achtung des Schauspielerstandes aufgrund einer tadellosen Lebensführung thematisiert Sonnenfels die von ihm ansonsten nicht sehr intensiv diskutierten Vorbehalte der christlichen Kirche gegen das Schauspiel – doch ganz in dem Sinne, eine weitere Unterstützung für die Gültigkeit seiner eigenen Grundsätze zu erhalten. „Wo die Schaubühne gleichsam einen Freybrief ertheilt, Sitten und Anstand öffentlich, ungestraft trotzen zu dürfen, da kann die Strenge des Klerus gegen diejenigen, so sie betreten, selbst noch in dieser Zeit nicht ganz gemidbilliget [sic] werden, da die gereinigten Schauspiele nichts mehr mit den sittenlosen Vorstellungen des Heidenthums gemein haben, gegen welche die Väter der Kirche mit Recht geeifert, und den Neubekehrten bey denselben gegenwärtig zu seyn, unter Sünde und Ausschlüssung von der Gemeinde der Gläubigen verboten haben.“118 Zensur beigefügt: „Ganz Deutschland rühmt die wiederholten Verordnungen, durch welche in diesem Jahre nicht nur den Extemporirten Stücken, sondern überhaupt auch den Frazen und Unanständigkeiten auf der Schaubühne der k. Hauptstadt der Zutritt auf immer verschlossen worden.“ Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft, 1770, S. 110. 116 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 79. 117 Ebenda, 1765, S. 80. 118 Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz, 1786, S. 114.

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Dies ist eine sehr Sonnenfels’sche Satzkonstruktion, in welcher mit dem angebotenen Verständnis für die kirchliche Missbilligung gleichzeitig deren Substanz für die Beurteilung des „wahren“ zeitgenössischen Theaters als gegenstandslos dargestellt wird. Wie die Schaubühne eine Schule der Sitten sei, so sei sie auch in besonderem Maße eine Schule der Höflichkeit und der Sprache, womit die Erwartung verbunden wird, dass das deutsche Theater in besonderer Form als Institution zur Reinigung der Sprache fungiere. Angesichts dieser Endzwecke „leuchte […] von selbst in die Augen: daß zur Vereinigung dieser drey Endzwecke diejenigen Schauspiele vorzüglich der öffentlichen Vorsorge zu würdigen sind, welche in der Landessprache aufgeführet werden“.119 Neben diesen drei genannten Endzwecken vermöge die Schaubühne auch, unerwünschte Verhaltensformen als „herrschende[] Thorheiten, Misbräuche, oder sonst Neigungen, die ihren Absichten im Wege sind, auf eine gelinde Weise abzuschaffen. Man übergebe den Thoren der Schaubühne, sagt Diderot, so darf man ihn nicht in das Tollhaus sperren“120, ein Spruch, den Sonnenfels an wirkungsvoller Stelle auch im Mann ohne Vorurtheil wieder aufgreifen wird. In der zweiten Auflage fügt Sonnenfels hinzu, dass die von ihm dargelegten Grundsätze auch dann Gültigkeit hätten, wenn man das Theater nicht als Sittenschule, sondern bloß als Ort reiner Ergötzlichkeit betrachten würde, denn es gelte generell, daß „die Erholungen der Bürger den guten Sitten nicht nachtheilig seyn sollen.“121 Und er fügt hinzu, dass in jedem Fall die „extemporirten Stücke, deren Anlage Unanständigkeit, deren Ausarbeitung Schmutz und cynische Anspielungen sind“122, von den Schaubühnen „polizirter ­Nationen“ zu verweisen wären. Mit letzterem Satz wird die Gleichsetzung von „extemporiert“ mit Unanständigkeit und Schmutz noch deutlicher als in den vorangegangenen Ausführungen vollzogen. Sonnenfels rühmt sich zu Beginn seiner Darstellung der polizeywissenschaftlichen theatralen Grundsätze, der erste zu sein, der das Theater zum staatswissenschaftlichen Gegenstand erhoben hätte. So schreibt er in einer Fußnote: „Die Schauspiele haben wechselweise den Philosophen und schönen Geist, noch nie aber meines

119 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 80. In der zweiten Ausgabe vom Jahr 1768 fällt in diesem Zusammenhang der Begriff der „Nationalschaubühne“: „Die Schaubühne ist vermögend, dem Umgang einer Nation einen gewissen Anstrich der Artigkeit zu geben, und die Sprache der Gesellschaften zu reinigen. Aber, um diese beiden Endzwecke mit den erstern zu vereinigen, muß die Nationalschaubühne vorzüglich der Gegenstand der öffentlichen Vorsorge werden.“ Grundsätze der Policey, Handlung und Finanzwissenschaft, 1768, S. 127. 120 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 81. 121 Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft, 1768, S. 128. 122 Ebenda, 1768.

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Wissens den Staatsklugen beschäfftiget. Ich habe mir daher einige umständlichere Betrachtung über dieselben erlaubet.“123 Wie bereits Hilde Haider-Pregler herausgestellt hat124, handelt es sich hierbei um eine bewusste Fehlinformation des Lesers, denn in jenen Schriften, welche Sonnenfels seinem Werk zugrunde gelegt hat, wird sehr wohl das Theater unter kameralistischen Gesichtspunkten behandelt. Das „Neue“ an Sonnenfels’ kameralistischer Darlegung ist der Ansatz, das Theater primär als eine Schule der Sitten zu betrachten und zu konzipieren sowie zu diesem Zwecke staatliche Fürsorge vorzusehen. Hier folgt Sonnenfels implizit den Zufälligen Gedanken von Engelschall, der den „schlechten Geschmack“ geradezu durch die Abwesenheit von „Nützlichkeit“ im Sinne einer Vervollkommnung des Menschen definiert.

FRÜHKAMER ALISTISCHE BETR ACHTUNGEN ZUR FUNKTION DES THEATERS Was Sonnenfels gemäß der von ihm vorgenommenen Fokussierung übergeht, sind jene „frühkameralistischen“ Betrachtungen des Theaters, die sich primär mit der „Ergötzlichkeit“ als gesellschaftlich notwendiger und damit zu fördernder Funktion befassen. Demnach sind Ergötzlichkeiten – sofern wohldosiert und nichts den Staat, die Religion und die Sitten Beeinträchtigendes beinhaltend – kein reiner Müßiggang (nach Sonnenfels „die Pflanzschule der Laster“125), sondern dienen der Rekreation der Arbeitskraft, der sozio-psychischen Stabilisierung in Friedens- und Kriegszeiten (so der Aufheiterung, „damit das Volck in betrübten Zeiten einigermassen ausser Schwermuthigkeit gebracht“126 respektive von „bösen Gedancken“ in Friedenszeiten127 abgehalten werde) bzw. ganz generell der sozialen Kontrolle, weil das im Prinzip kontrollierbare Theater von gefährlichen, unkontrollierbaren Ablenkungen abhielte. Und gelegentlich entwirft man auch längere indirekte Folgeketten, um den Nutzen theatraler Ergötzlichkeiten zu erweisen – so schreibt 1698 die Pfalzgräfin Elisabeth Charlotte:

123 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 76. 124 Haider-Pregler: Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 59. 125 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 86. 126 Aus einer Denkschrift des Grafen Franz Anton von Sporck aus dem Jahre 1709, zitiert von Otto G. Schindler: „,Der in der Schule der verkehrten Welt ganz ungeprüfte Hanswurst‘: Deutsche Commedia dell’Arte aus Böhmen“. In: „welt macht theater“. Deutsches Theater im Ausland vom 17.– 20. Jahrhundert. Funktionsweisen und Zielsetzungen, hg. von Horst Fassel und Paul S. Ulrich, Bd. 1. Berlin, Münster 2006 (= Thalia Germanica 4), S. 50–75, hier S. 63. 127 Ebenda.

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„die Komödie [macht] Freude, Freude giebt Gesundheit, Gesundheit Stärke, Stärke macht besser arbeiten, also sollen sie es mehr gebieten als denn verbieten.“128 Theatrale Veranstaltungen bieten aber auch noch andere, ökonomische Vorteile, wie dies etwa Justi129 ausführt: Leute, die sowohl über Geld wie über Zeit verfügten, wären zu ihrer Lebensgestaltung auf Ergötzlichkeiten angewiesen. Fehle ein diesbezügliches attraktives Angebot im eigenen Lande, so würden sie ihr Geld außerhalb des Landes ausgeben oder langfristig überhaupt das Land verlassen. Andererseits ziehen Ergötzlichkeiten die Fremden an, die so Geld ins Land brächten, das sie ansonsten anderswo ausgeben würden. Es scheint nachvollziehbar, dass Sonnenfels im Kontext seiner kameralistischen Positionierung des Theaters als Sittenschule diesen Aspekten nicht nachgehen mochte. Sie werden allerdings auch weiterhin eine Rolle spielen, nicht zuletzt in den Zeiten nach der Französischen Revolution, da so manche wähnten, dass die hohe Zeit des Theaters als Sittenschule bereits der Vergangenheit angehöre und ein erhöhter Bedarf an sozio-psychischer Stabilisierung gegeben wäre. Auch Sonnenfels’ Nachfolger als Theaterzensor, Franz Karl Hägelin, wird in diversen Gutachten aus der Zeit nach 1790 einzelne dieser Aspekte aufnehmen.

ZENSUR DER BÜCHER: EINE DEFENSIVE STR ATEGIE Auf Sonnenfels’ Grundsätze zum Theater als Sittenschule und zur Theatralzensur folgen seine Ausführungen zur Bücherzensur. Diese Abfolge ist durchaus erklärungsbedürftig: sie ergibt sich aus der Logik des Werks vor allem dadurch, dass Sonnenfels seine Ausführungen zum Theater im Lichte einer produktiven Komponente gesehen hatte, als potentielle Maßnahme, die Sitten sowie die Reinheit der Sprache zu fördern. Dagegen betrachtet er die Funktion der Bücherzensur eher defensiv: „Wenn solchergestalt alles vorgekehret worden, was fähig ist, die guten Sitten einzuführen; so muß nun auch dasjenige aus dem Wege geräumt werden, was diese Vorkehrungen entkräften, und die Sitten verderben könnte. Dieses geschieht, wenn den Lastern vorgebogen, mithin dieselben gehindert, und die etwan bereits eingeschlichenen ausgereutet werden. […] Sowohl, in Ansehen der Sitten, als Religion, ist nichts den Lastern zu währen fähiger, als wenn die Freyheit, alles, was der Religion, dem Staate, den Sitten, und einer

128 Zitiert nach Haider-Pregler: Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 37. 129 Deutsche Memoires, II. Band, S. 273 und 278f.

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guten Denkungsart entgegen ist, zu schreiben, auch alle derley Schriften zu lesen begränzet wird. Die Büchercensur ist daher als eine der nothwendigeren Polizeyanstalten anzusehen. […] Die Bestimmung einer solchen Censur ist, die Verbreitung irriger, ärgerlicher und gefährlicher Meynungen zu verhindern“130. In der fünften Ausgabe ist Sonnenfels allerdings bemüht, diesen Grundsatz, welcher – wie er zugestehen muss – auch Gegner habe, zu diskutieren. Und er verweist dabei auf historische Beispiele: so wäre in Holland, wo auch unter wirtschaftlichen Aspekten die „Ungebundenheit der Presse“ eine große Rolle spielte, trotzdem 1769 eine Zensur aufgestellt worden, eben zu jener Zeit, als eine solche in Dänemark aufgehoben wurde. Und es wäre zu berücksichtigen, dass – wie die Geschichte Englands und Frankreichs zeige – aufrührerische Schriften auch Anlass von aufrührerischen Aktionen gewesen wären. „Aber worauf kömmt es bey aller Verschiedenheit der Meinungen an? darauf; ob, um keine aufklärenden, unterrichtenden, Verstand, Herz und Geschmack verfeinernden Schriften auszuschlüssen, man allen irrigen, gefährlichen Meinungen, allen Verstand, Herz und Sitten verderbenden Blättern, allen die Religion und den bürgerlichen Gehorsam untergrabenden Geburten den Eingang gestatten müsse? Die Frage, wie sie liegt, entscheidet sich selbst. Es ist niemanden noch in Sinn gekommen, daß man, um sich keiner Arztney zu berauben, auch den allgemeinen Verkaufs des Gifts erlauben müsse.“131 Schon in der ersten Ausgabe warnt Sonnenfels vor einer übertriebenen Strenge der Zensur als möglichem Hemmschuh der Wissenschaften: „Aber, gleichwie die allzugroße Freyheit der Presse die Mutter des Unglaubens, der Empörung, und der schändlichsten Ausgelassenheit werden kann; eben so fällt eine übertriebene Strenge der Bücheraufsicht dem Wachsthume der Wissenschaften hinderlich.“132 In der fünften Auflage versucht Sonnenfels diesbezüglich eindeutigere Worte zu ­ nden: fi

130 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 81f. 131 Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz, 1786, S. 118f. 132 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 85.

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„[…] eben so steht eine übertriebene Strenge der Bücheraufsicht, die einen Despotismus über den Verstand und die Meinungen ausüben wollte, eine Censur, die eine anständige Freymüthigkeit im Schreiben, mit der Verwegenheit vermengte, und ohne Unterscheidung, allen alles zu lesen untersagte, der Aufklärung eines Volkes im Wege, und setzte dasselbe in Wissenschaften, Kenntnissen und Geschmack um Jahrhunderte zurück.“133 Daher wären den Zensoren, wie Sonnenfels schon in der Erstausgabe schreibt, sichere Regeln als Richtschur ihres Handelns vorzuschreiben, um der Willkür vorzubeugen. Und eine Zensur sollte nicht nur Bücher umfassen, sondern hätte sich auf alle in der Öffentlichkeit wirksamen Kommunikationsmedien zu richten: auf das schon genannte Schauspiel, auf „Lehrsätze, Zeitungen, alle öffentlichen an das Volk gerichteten Reden, Bilder und Kupferstiche, und was sonst immer eine Art von Oeffentlichkeit, wenn man so sagen darf, an sich hat“.134 Dies umreißt durchaus die Vision einer totalen obrigkeitsstaatlichen Kontrolle der öffentlichen Kommunikation, worauf man in den Zeiten unter Franz II. auch ein besonderes Augenmerk richten wird.

DER KAMER ALIST ALS OBJEKT DER ZENSUR Auch wenn Sonnenfels vor den Gefahren einer überstrengen Bücherzensur als potentiellem Hemmschuh für die Entwicklung der Wissenschaft warnt, haben seine sehr dosierend abwägenden Ausführungen zur Bücherzensur einen so allgemeinen Charakter, dass sie kaum Hinweise zu Fragen der aktuellen Zensurpolitik geben – das Bemühen ist durchaus zu erkennen, sich anders als im Fall des Theaters in diesen Fragen nicht zu sehr festzulegen. In dieser Allgemeinheit – die Zensur solle nicht allzu streng und nicht zu freizügig sein – waren Prinzipien der Bücherzensur in verschiedenen Regierungsperioden mit sehr unterschiedlichen politischen Gestaltungs-

133 Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz, 1786, S. 122f. In der fünften Ausgabe äußert sich Sonnenfels auch zum „Fortgang der Künste“. Dieser dürfe nie auf Kosten der öffentlichen Sitten gesucht werden. Diesbezüglich nimmt jedoch der Verfasser eine bemerkenswerte Differenzierung vor: „Ein wollüstiges Gemälde, welches im Kunstsale, in einer öffentlichen Sammlung, in dem Kabinete ein Gegenstand des Studiums der Schüler und der Bewunderung der Kenner ist, wird oft auf dem Markte ein Gegenstand der Verführung, der Leidenschaft, der Ausgelassenheit. Künste und Geschmack verlieren also nichts, wenn Werke von dieser Art frey auszusetzen, nicht erlaubt wird.“ Ebenda, 1786, S. 120. Sonnenfels unterscheidet hier implizit zwischen einem „Kunstraum“ und einem undifferenzierten öffentlichen Raum: Ersterer schaffe gemeinsam mit dem selektiven Betrachter ein gleichsam distanziertes Betrachtungsverhältnis, welches auch den Gegenstand und die von ihm potentiell auszulösenden Verhaltensweisen transformiert. 134 Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft, 1765, S. 82.

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prinzipien verkündbar: zur Zeit Maria Theresias wie auch später zur Zeit Franz II., wo immer wieder betont werden wird, dem Fortschritt der Wissenschaften nicht im Wege stehen zu wollen. Bezogen auf seine diesbezüglichen kameralistischen Ausführungen ist Sonnenfels, was immer er im vertrauten Kreise über die Zensur gesagt haben mag, kein Vordenker der josephinischen Zensurreform der 1780er Jahre. Aufgrund seiner schriftstellerischen Praxis steht Sonnenfels jedenfalls selbst in einem Spannungsfeld: einerseits leidenschaftlicher Befürworter einer Theatralzensur, um letztlich den von ihm präferierten theatralen Modellen zum Durchbruch zu verhelfen, und andererseits Wochenschriftsteller, dessen erfolgreiche Positionierung als „Mann ohne Vorurtheil“ wesentlich davon abhing, sich der Despotie der Meinungen zu entheben. Und wegen einer Kritik an der Despotie der österreichischen Zensur wurde Sonnenfels – und dies nicht das erste Mal in seinem Leben135 – zum Zensurfall. Anlass war diesmal die kleine Schrift: Abhandlung von der Theurung in Hauptstädten und dem Mittel derselben abzuhelfen, welche 1769 in Leipzig gedruckt und mit einem Vorwort des namentlich nicht genannten Herausgebers versehen wurde.136 Auf „Einrathen“ der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei vom 2. September 1769 – also circa ein halbes Jahr, bevor Sonnenfels zum Theatralzensor berufen wurde – sollte dieser Leipziger Druck auf den Index des Catalogus librorum prohibitorum gesetzt werden.137 Auf Intervention von Staatsrat Tobias Philipp Freiherr von Gebler (1720–1786), der Sonnenfels 1770 auch in Theatralzensur-Angelegenheiten unterstützend zur Seite stehen sollte, erfolgte schließlich eine Freigabe des Leipziger Drucks, allerdings unter Auslassung des Vorworts des Verlegers. Worum war es in diesem Fall gegangen? Wie die Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei in genanntem Vortrag vom 2.  September 1769 unter Bezugnahme auf einen zwei Jahre zurückliegenden Vortrag der Kanzlei vom 26. September 1767 festhält, war jene kleine Schrift von Sonnenfels ursprünglich bestimmt gewesen, unter Ehrenschutz Maria Theresias der zweiten Ausgabe der Policey, Handlung und Finanzwissenschaft beigedruckt zu werden. Davon wurde jedoch auf Anraten der Hofkanzlei, welche die Würdigkeit eines solchen Schutzes zu prüfen hatte, abgeraten, und zwar wegen einiger „Ungereimtheiten“:

135 Siehe dazu August Fournier: Gerard van Swieten als Censor. Nach archivalischen Quellen. Wien 1877, S. 44f. 136 Joseph von Sonnenfels: Abhandlung von der Theurung in Hauptstädten und dem Mittel derselben abzuhelfen. Leipzig, bey Christian Gottlob Hilschern, 1769. 137 Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Bücherzensur, 1762–1793, 59480 Ic, f. 42h. Die Abschriften sind nach Blättern („f.“) nummeriert; durch Beifügung der Buchstaben „v“ bzw. „h“ wird indiziert, ob es sich jeweils um die vordere oder hintere Blattseite handelt.

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„Zu diesem Einrathen habe die Kanzlei bewogen der in besagter Abhandlung behauptete ungereimte Satz, daß man den allzugroßen Anwachs der Bevölkerung in den Hauptstädten, durch Entfernung der dahin nicht gehörigen Personen, verhindern, u. hiemit die Wohlfeilheit zu erhalten trachten solle. Wobei zugleich gegen die Wahrheit angeführt worden, daß Unterösterreich mit Böhmen fast die eine gleiche Bevölkerung habe. Hr von Sonnenfels sei auch von dem Drucke abgestanden.“138 Nunmehr wäre, so die Hofkanzlei weiter, jene Schrift in Leipzig erschienen, versehen mit einem Vorwort des Herausgebers, welches folgende Anstößigkeit beinhalte: „Er, der Herausgeber wisse nicht, warum der Druk in Wien Anstand gefunden. Vielleicht habe der Despotismus der Censoren solches verursachet, welche nicht gestatten wollen, eine andere Meinung als die Ihre zu behaupten. Die Kanzlei erachte daher mit der Bücher=Censurcommission, daß das Werk nicht zuzulassen, sondern als Buchführer Gut wiederum außer Land zu schicken sei.“139 Somit erweist sich diese Schrift als besonders delikater Fall, denn ursprünglich war sie nicht verboten, sondern lediglich des allerhöchsten Ehrenschutzes nicht für würdig befunden worden. Insofern trifft der Vorwurf des Despotismus nicht die Zensoren, sondern die zuständigen Stellen der Hofkanzlei. Hier interveniert nun, wie bereits erwähnt, Staatsrat Gebler. Zwar ist er der Auffassung, dass Sonnenfels besser daran getan hätte, diese Schrift zu „suprimieren“, doch könne man ihm in keiner Weise eine sträfliche Handlung vorwerfen, da jenes Werk in Österreich nur des höchsten Schutzes nicht für würdig befunden, jedoch in keiner Weise verboten worden wäre. „An der Leipziger Vorrede versichert er [Sonnenfels] keinen Theil zu ­haben, sondern behauptet, daß solche von dem inzwischen bereits verstorbenen ­Herausgeber, namens Sterk herrühre“140. Angesichts dieser Umstände sei es schwer, das Gegenteil beweisen zu wollen. Und Gebler schließt seine Opinio mit folgenden Sätzen: „Die Abhandlung selbst enthält nichts anstössiges, als nur einen paradoxen Satz, dessen Ungereimtheit allenfalls niemanden andern, als den Verfasser zur Last fällt; den [sic] so weit kann doch nimmermehr die Scrupulosität der Censur getrieben werden, daß man kein anderes Buch zulassen wolle, als, 138 Ebenda, f. 42vf. 139 Ebenda, f. 42h. 140 Ebenda, f. 43v.

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welches lauter sonnenklare Wahrheiten enthält. Ich bin demnach der ohnmaßgeblichen Meinung, daß allenfalls bloß die Vorrede, wegen der anstössigen Stelle, /: wiewohl es derer in den zugelassenen von Justischen Werken, u. in mehreren auswärtigen Büchern viel härtere gegen die hiesige Büchercensur giebt: / hinweggeschnitten, das Werk selbst aber zugelassen werden könne. Ein Buch eines wirklich hier docirenden Professors in den Catalogus libr. prohibitorum zu setzen, wie nach dem Einrathen der Kanzlei geschehen müsse, scheint mir zu hart.“141 Geblers „ohnmaßgebliche“ Meinung setzte sich schließlich durch, und in diesem Sinne fiel auch die allerhöchste Resolution vom 6. Oktober 1769 aus.142 Es ist jedenfalls bemerkenswert, dass hier Staatsrat Gebler, der im folgenden Jahrzehnt neben seiner hohen politischen Funktion eine nicht unbeträchtliche Anzahl theatralischer Werke verfassen wird, in Verteidigung von Sonnenfels im Hinblick auf die Zensur dezidiertere „liberale“ Gedanken äußert als Sonnenfels in den kameralistischen Schriften, denen der Aufsatz über die Teuerung in den Großstädten beigedruckt werden sollte. Vielleicht kommt Sonnenfels’ am eigenen Leibe erfahrenes ambivalentes Verhältnis zur Zensur am klarsten im Mann ohne Vorurtheil zum Ausdruck, wo er das demütigende Joch der Bücherzensur beklagt, um mit dieser Klage gleichzeitig die Einführung einer umfassenden Theatralzensur respektive das Verbot des extemporierten Theaters zu rechtfertigen: „Wie ungerecht verfährt man mit uns armen Schriftstellern! wir setzen uns an unsere Schreibepulte, mit so mancherley vorläufigen Kenntnissen ausgerüstet; wir denken über den Gegenstand, den wir behandeln wollen, nach; wir ordnen den Plan; wir schreiben mit Behutsamkeit nieder, weil wir uns Ehre oder Schande erschreiben können; wir überlesen wohl zehnmal, streichen weg, setzen zu, ändern, bessern, wägen jedes Wort, jeden Ausdruck, wir ziehen sehr oft noch das Urtheil einsichtsvoller Freunde zu Rath: gleichwohl können wir das Joch der Censur nicht von uns werfen, der strengen Censur, die mit unerbittlicher Hand die schönsten Stellen, die kühnsten Ausdrücke ausstreichet, wenn sie durch ihre Freyheit beleidigen, wenn sie zu deutlich auf einen Bürger passen, wenn sie zu schlüpfrig sind. Wodurch ­haben wir diese Demüthigung, wodurch haben wir verdienet, so sehr unter der Scheere gehalten zu werden, da indessen einer andern Gattung Leute, bey denen großen Theils die wissenschaftliche Vorbereitung nicht vorhergegangen, den ersten Einfall, den sie vorher nicht überdacht, den nächsten 141 Ebenda, f. 43vf. 142 Ebenda, f. 43h.

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­ usdruck, der sich ihrem Gedächtnisse nur anbietet, dessen Folgen sie nicht A einsehen (wenn ich von ihrem Herzen gut urtheilen will) der, wenn er einmal dahin geworfen ist, sich nicht mehr zurückrufen läßt, da dieser ohne alle Censur in die Welt zu reden erlaubet ist?“143

143 [Sonnenfels]: Der Mann ohne Vorurtheil, [Bd. II], S. 755f.

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DISKURS UND THEATRALITÄT. STRATEGISCHE DRAMATURGIE IM MANN OHNE VORURTEIL DES JOSEPH VON SONNENFELS Am Beginn der Briefe über die wienerische Schaubühne,144 welche Sonnenfels unter dem literarischen Deckmantel eines sich in Wien aufhaltenden Franzosen herausgibt, steht eine Erzählung über das Verhältnis von Salon und Wissenschaft. Sonnenfels beklagt, dass die Welt der adeligen „Gesellschaften“ und die Welt des Gelehrtentums sich in hiesigen Landen in völlig getrennten Sphären befänden, eine Trennung zum großen Nachteil beider Welten. Dem Salon entgingen dadurch die Beiträge über die neueste Entwicklung der Wissenschaft als Themen der Konversation, und die Gelehrten entbehrten jeder weltgewandten Weitläufigkeit. „Ich habe, wie sie mich kennen, [so schreibt der „Franzose“ Sonnenfels an einen fiktiven Landsmann] mich in allen Gesellschaften nach den Gelehrten dieser Stadt umgesehen; ich fand keinen. Ich erkundigte mich darnach. ­H a b e n S i e d e n n n i c h t e i n i g e M ä n n e r, d i e i n d e m R e i c h e d e r W i s s e n s c h a f t e n b e r ü h m t s i n d? – Wir haben derer welche – I c h v e r m u t h e t e s i e a l s o h i e r, o d e r i n s o l c h e n G e s e l l s c h a f t e n a n z u t r e f fe n – Sie haben geirret: unsre Gelehrten kommen nicht unter uns – Un d d i e Ur s a c h e , w e n n i c h b i t t e n d a r f – ist, weil unsre Kreise für sie ausschlüssend sind – I c h b e g r e i fe d a s n i c h t w o h l: d i e K r e i s e d e s A d e l s w ä r e n f ü r d i e G e l e h r t e n a u s s c h l ü s s e n d? – Ja – S i n d d e n n d i e G e l e h r t e n z u s t o l z , d e n A d e l i h r e s Um g a n g s w e r t h z u h a l t e n? – Man lächelte, und sagte mir mit einer höhnenden Verbeugung: nein! aber wir, wir sind so bescheiden, uns der Ehre ihres Umgangs nicht würdig zu schätzen – Nun verstand ich es. A l s o fuhr ich fort, w ü r d e d e r T h o r s t e h e r, Vo l t ä r e n , i m F a l l e r h i e h e r k ä m e , d i e T h ü r e v e r s a g e n – Um Vergebung, mein Herr! diese Ausschlüssung schränkt sich nur auf die Gelehrten der Nation ein: wir haben einen M e t a s t a s i o nie unsere Thüre verschlossen. – D a s i s t a b e r, verfolgte ich, e i n s i c h e r e s M i t t e l , u n t e r i h r e n G e l e h r t e n n i e e i n e n Vo l t ä r o d e r M e t a s t a s i o z u h a b e n – Das mag sein! versetzte man mit vieler Gleichgültigkeit; aber um einen Vo l t ä r unter uns zu erzielen, dürften wir uns schwerlich entschlüssen, den Brüdern und Oheimen unsrer Dienstleute in unseren Kreisen einen Stuhl setzen zu lassen.“145 144 Sonnenfels / Haider-Pregler: Briefe über die wienerische Schaubühne. 145 Brief: „den 24. Wintermonds 1767“, ediert in: ebenda, S. 4f.

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Nicht zufällig steht gerade dieser Dialog im ersten von Sonnenfels’ Briefen über die wienerische Schaubühne: dies hat thematische Relevanz nicht nur für das Theater, sondern auch für die Selbsteinschätzung von Sonnenfels im Feld sozialer Kommunikation. Was das Theater betrifft, greift Sonnenfels indirekt auf, was schon Engelschall in aller Entschiedenheit geschrieben hatte: die Zukunft des deutschen Theaters bestünde in einer gelungenen Verbindung der „Schönen Wissenschaften“ und der „Großen Welt“, und jene Person, welche als eine Art „dramatischer Censor“ wie als theatraler Organisator die Weichen zu stellen hätte, müsse notwendigerweise in beiden Welten verankert sein – eine dezidierte Absage an akademische „Pedanterey“, welche auch mit kleinstädtischer Beschränktheit gleichgesetzt wird, die sich auch in der theatralen Form spiegle. Und gleichzeitig steht die eröffnende Erzählung für Sonnenfels’ Positionierung im Feld sozialer Kommunikation, dessen Veränderungen er in aller Deutlichkeit erkannt hat. Er versteht es, sich intermedial wie überregional zu vernetzen, und kreiert somit gesteigerte Potentialitäten sozialer Präsenz. So schreibt Sonnenfels in ­unterschiedlichen „Gestalten“ und in unterschiedlichen Medien: als Professor der Kameralistik, als „Mann ohne Vorurtheil“, als Franzose in Wien, er wechselt auch das Geschlecht und schreibt als „Therese und Eleonore“ in der von ihm verfassten gleichnamigen Wochenschrift, welche die Leserinnen im Glauben lässt, eine Zeitschrift von Frauen für Frauen studieren zu können. In diesen Wochenschriften versucht Sonnenfels, eine Art geschliffenen „Salonstil“ zu entwickeln und als relevant erachtete Themen jenseits eines „trockenen“ gelehrten Stils abzuhandeln. Dabei entfaltet er seine eigene Theatralität – in den fiktiven Identitäten wird Sonnenfels gewissermaßen das reelle Kunstprodukt seiner eigenen Imagination. Mittels Kombinatorik unterschiedlicher medialer Formen wie unterschiedlicher Identitäten zeitigt er eine soziale Präsenz und eine damit verbundene soziale Einflusssphäre, die weit über das hinausgeht, was ein feldbezogener Diskurs je vermochte, und er wählt in seinen Wochenschriften präzise die jeweiligen Ansprechpartner seiner Anliegen. Das mag auch einen Hintergrund dafür gebildet haben, dass Friedrich Nicolai Sonnenfels, dem er nicht allzu große Sympathien entgegenbrachte, zu den ersten bedeutenden österreichischen Schriftstellern zählte146 – auf diesbezügliche „internationale“ Referenzen hat Sonnenfels, wie im Rahmen des Theaterdiskurses noch zu zeigen sein wird, gerne zurückgegriffen und solche sehr dezidiert als Teil seiner Kommunikationsstrategien eingesetzt. Der Erfolg der „Kunstfigur“ Sonnenfels zeigt sich in besonderem Maße auch in der historischen Rezeption: letztlich schien das, was als Wiener „Hanswurststreit“ in die Bühnen- respektive Kulturgeschichte eingegangen ist, wesentlich geprägt von seiner „Inszenierung“ und wurde teilweise so dargestellt, als ob mit ihm das „Wiener 146 Vgl. Nicolai: Beschreibung einer Reise durch Deutschland. Vierter Bd., S. 903.

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Theater“ erst begonnen hätte. Und auch Carl Glossy, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts einen Beitrag zur Wiener Theaterzensur verfasste, ist im Banne von Sonnenfels’ „Heldenepos“. Demgemäß interpretiert er die Geschichte der Wiener Theaterzensur in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: zunächst wohltätige Förderin der theatralen Kultur und des guten Geschmacks durch obligatorische Einführung des regelmäßigen Schauspiels (zeitlich angesetzt bis zum Ende des josephinischen Jahrzehnts) und danach, speziell unter Franz II., Hemmschuh der kulturellen Entwicklung.147 Hilde Haider-Pregler hat in ihrer Studie über das Wiener Theater der 1750er und 1760er Jahre148 versucht, ein differenziertes Bild der kulturellen Dispositionen der damaligen Akteure zu entwickeln, vor allem aber dem Vorurteil zu widersprechen, in dieser Wiener Auseinandersetzung sei es um ein übermäßig verspätetes Nachholen einer Diskussion gegangen, die anderswo in deutschen Landen schon längst geführt worden war. Dabei ist – wie schon im ersten Kapitel erwähnt – auch darauf hinzuweisen, dass die diskursive Macht im Wesentlichen von den Gegnern des extemporierten Theaterspiels, den Widersachern der „Fraktion des grünen Hutes“ ausging. Erst als sich das regelmäßige Schauspiel weitgehend etabliert hatte, wird der eine oder andere distinguierte kulturelle Beobachter dem extemporierten Theater nachtrauern, wie der zuvor erwähnte Friedrich Nicolai im schon genannten Bericht über seine Reise durch die Schweiz und die deutschen Lande im Jahre 1781. Im Zusammenhang mit seiner Analyse des damaligen Wiener Vorstadttheaters wird er die Bedeutung des Extemporierens für die Erlernung der Schauspielkunst hervorheben sowie umfassende Überlegungen anstellen, wie die komischen Wiener Volksfiguren wirkungsvoll für ein „aufgeklärtes“ Theater benützt werden könnten.149 Ging es im vorigen Abschnitt um die „Fundierung“ des Theaters im Rahmen der von Sonnenfels dargestellten polizeywissenschaftlichen Systematik, so soll im Folgenden – exemplifiziert an den theaterbezogenen Abschnitten der Wochenschrift Der Mann ohne Vorurtheil – die diskursive Energie analysiert werden, mit welcher sich Sonnenfels an ein anonymes und sozial differenziertes Publikum wandte, um seine Reformabsichten zu verbreiten – was naturgemäß auch weitere diffizile Einsichten in Sonnenfels’ Denken über Theater und Zensur liefert. Es ist äußerst bemerkenswert, welch komplexe Strategie und „theatralische“ Inszenierung Sonnenfels aufbaut, um seine Standpunkte darzulegen, die er – fast könnte man sagen: in Umkehrung des kameralistischen „Satzbaus“ – gleichsam zu verflüssigen versucht, um erst nach labyrinthischen Wanderungen an das Ende zu stellen, womit er in der Polizeywissenschaft als Basis-Satz begonnen hatte: dass das Theater eine Schule der Sitten wäre. 147 Vgl. Glossy: „Zur Geschichte der Wiener Theatercensur“. 148 Haider-Pregler: Des sittlichen Bürgers Abendschule. 149 Vgl. Nicolai: Beschreibung einer Reise durch Deutschland. Vierter Bd., S. 611–619.

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ANSTÖSSIGKEIT DER HIMMLISCHEN POLIZEY Die erste Thematisierung des Theaters im Mann ohne Vorurtheil, welche Sonnenfels später zu Unrecht als das Startsignal des „Kulturkampfes“ bezeichnen wird, differenziert die kameralistischen Prämissen in bemerkenswerter Weise. Sonnenfels’ diesbezügliche Ausführungen beginnen mit den Sätzen: „Mit dem glücklichen Jünglinge Terenzens rufe ich Ihnen zu: o daß Sie mir ja keine vergebene Freude machen! – Im Ernste also? soll der erste glückliche Schritt zur Verbesserung der Schaubühne wirklich gethan seyn? sollen uns die Schafdärme bey dem Todtenmale Don Juans nicht mehr für Nattern und Schlangen, dem Leibessen der Todten, vorgesetzt? soll kein Doktor Faust, kein Doktor Wagner mehr vom Teufel geholet werden? soll die schreckliche Hexe Megära nicht mehr drey ehrliche Männer mißhandeln […]? Nennen Sie mir ihn, den würdigen, den schätzbaren Mann, der dem Reiche der gesunden Vernunft diesen Triumph erstritten hat!“150 In der folgenden Erörterung geht es nicht primär um eine Kritik des extemporierten Theaters; es geht auch nicht – wie schon diese einleitenden Sätze vermuten lassen – um die besonders sittenverderblichen Inhalte, wie man vielleicht vordergründig bei Nennung des Namens Don Juan anzunehmen geneigt wäre: es geht um die Kritik der theatralen Darstellung übernatürlicher Mächte, welche in den genannten Stücken als eine Art „himmlische Polizey“ agieren. Solche Stücke, so Sonnenfels, ­w idersprächen einerseits der Vernunft und förderten den Aberglauben; andererseits – und hier liegt der Fokus von Sonnenfels’ Kritik – würde die Darstellung solch übernatürlicher Mächte auf der Bühne nie ohne die Gefahr der Lächerlichkeit erfolgen können, welche auch die in diesen Mächten inkorporierten polizeylichen Funktionen der Lächerlichkeit preisgeben würde. Damit erfolge, wenn auch gleichsam unbeabsichtigt, ein dreifacher Verstoß: ein Verstoß gegen die Religion, gegen die Sitten und gegen den Staat. Daher die diesen Abschnitt beschließende zensurielle Folgerung: ein Verbot solcher Stücke wäre wohl zu überlegen. Sonnenfels’ erste Ausführungen zum Theater im Mann ohne Vorurtheil stellen somit in spezifischer Weise eine Verbindung von Geschmack und Sitte her, wobei der eingangs als lächerlich dargestellte schlechte Geschmack sich letztlich als höchst bedrohliche Sitten-, Religions- und Staatsgefährdung erweist.

150 [Sonnenfels]: Der Mann ohne Vorurtheil, [Bd. I], Nr. XXV, 1. Quartal, S. 194.

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„LESERBRIEFE“ In den nächsten beiden Quartalen folgt nur jeweils ein kurzer Eintrag zum Theater, teilweise im Format eines Leserbriefs, in welchem Sonnenfels die Zustimmung der „Leserschaft“ als zurückgespiegelt präsentieren kann. Im vierten Quartal – um September 1766 (also etwa ein Jahr nach dem Erscheinen der Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft) – nimmt Sonnenfels den Theatraldiskurs erneut auf, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln rhetorischer Brillanz und „theatralischer“ Inszenierung: es ist nicht der „Mann ohne Vorurtheil“, der den Diskurs neu eröffnet, vielmehr schiebt Sonnenfels einen „Leserbrief “ vor, der das Spiel betreiben soll, die Diskussion um das Theater erneut zu entfachen und den „Mann ohne Vorurtheil“ zu einer Stellungnahme zu „provozieren“. Der „Mann ohne Vorurtheil“ wird sich mit der Antwort Zeit lassen, ja, er wird noch einen weiteren „Leserbrief “ einschieben und somit eine immense Spannung aufbauen, bevor „er“ selbst das Wort ergreift, das ihm die ganze Welt so eindringlich abzufordern scheint. Und so einiges, was bereits in der Polizeywissenschaft ein Jahr zuvor zu Papier gebracht worden war, kann der „Mann ohne Vorurtheil“ nunmehr „objektivieren“, indem er als „zurückgespielt“ ausgeben kann, was er als Kameralist bereits geschrieben hatte. Es ist gewissermaßen sein „Echo“, welches er hier zu Papier bringt, auch wenn dem Leser die persönliche Identität des Wochenschriftstellers noch nicht bekannt ist. Wenn man Sonnenfels’ Schriften zum Theater heranzieht, ist unschwer zu erkennen, dass diese „Leserbriefe“, wiewohl ihnen irgendwelche reelle „Vorlagen“ zugrunde gelegen haben mögen, aus keiner anderen Feder als seiner eigenen stammen – die späteren Briefe über die wienerische Schaubühne scheinen hier schon vorgeformt. Dem, was nun als langanhaltender theatralischer Diskurs folgt, hat Sonnenfels bereits in der vorhergehenden Nummer vorgearbeitet, denn es wird in besonderer Weise auch darum gehen, die Angriffe auf den Adel zu legitimieren, den Sonnenfels als Beförderer der Kultur des deutschen Theaters so eindringlich zu gewinnen ver­ suchen wird: „Aber, wenn Sie Feinde haben, womit mögen sie dieselben gemacht haben? Womit? ich will es bekennen; mit meiner Freymüthigkeit großen theils: man ist an diese Art zu schreiben nicht gewöhnt. Ich getraue mich zu sagen: es giebt Pöbel mit 24 Ahnen: ich getraue mich zu behaupten: mancher hochgelehrte Herr sey sehr unwissend: ich getraue mich öffentlich zu schreiben, daß unsere Schaubühne selten ein edels Vergnügen gewähret: daß oft Anstand und Sitten darauf beleidiget werden. Ich wage es, jede Sache bey ihrem ­Namen zu nennen: ich heiße die Ausschweifung eines Weibes nicht Schwachheit, sondern Ausschweifung: die Verschwendung nicht Prächtigkeit, son71

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dern Verschwendung: ich sage zu dem Hochmüthigen nicht: du fühlest dich: sondern: du überhebest dich: – ‚O da ist es kein Wunder, daß sie Feinde haben, wenn Sie jederman seine Mängel vorhalten.‘ Man sollte mich darum nicht hassen! man sollte sich bessern!“151 Diesem kurzen Verweis auf die Schaubühne folgt in der nächsten Nummer die erneute Eröffnung des theatralischen Diskurses, zunächst – wie bereits gesagt – mittels eines Schreibens an den „Mann ohne Vorurtheil“, welches im Eingangssatz den inszenierten Tadel enthält, dass die Schaubühne in der Wochenschrift schon so lange vernachlässigt worden sei.152 Der „Leserbriefschreiber“ setzt fort: „Wer sich einmal zu einem Richter der Sitten aufwirft, muß am ersten sein Augenmerk auf die öffentlichen Vergnügungen einer Nation richten. Der große Einfluß, den die Schauspiele auf die Sitten eines Volkes haben, ist mehr als zu bekannt, als daß man denjenigen tadeln kann, der sie zu einer Schule des guten Geschmackes, und edler Sitten machen, und von dem alten Wuste der unanständigsten Vorstellungen reinigen will.“153 Sonnenfels’ kameralistische Forderung das Theater als Sittenschule betreffend wird hier von einer fiktiven dritten Person „zurückgespiegelt“ – somit wird auch angedeutet, dass Sonnenfels’ Anschauungen unter verständigen Leuten sich schon in wirkungsvoller Verbreitung befänden. Es ist jedenfalls nicht der „Mann ohne Vor­ urtheil“, der dies hier erst plakativ formulieren müsste. Diese bereits von „außen“ kommende Zuschreibung an die kulturelle Funktion des Theaters kann Sonnenfels in der Folge vielmehr dazu nützen, die hier vertretene Generalthese über die Funktion des Theaters rhetorisch zu verflüssigen, um sie letztendlich zu bestätigen. In gewissem Sinne zeigt sich in diesem „Leserbrief “ auch eine leichte Verschiebung des kritischen Raisonnements: es sind nicht mehr die Burlesken des extemporierten Theaters, welche die größte Gefahr für den guten Geschmack darstellen, sondern diejenigen Stücke, die sich den Anschein eines regelmäßigen Schauspiels geben, aber weit von dem entfernt sind, was sich Sonnenfels unter einem gereinigten Theater vorstellt: „Der Geschmack hat von sichtbar elenden Stücken, von offenbaren Narrheiten weniger zu befürchten, als von den Mitteldingen von Witz und Unsinn, welche durch ein gewisses Außenwerk von Sittlichkeit und Anstand, durch den Namen regelmässiges Stück einen noch nicht ganz gebildeten Zuschauer 151 [Sonnenfels]: Der Mann ohne Vorurtheil, [Bd. II], Nr. VI, 4. Quartal, S. 670f. 152 Vgl. ebenda, Nr. VII, 4. Quartal, S. 675. 153 Ebenda, S. 676.

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betrügen, und seine Einbildung verführen, daß er in Zukunft nie mit Zuversicht zu entscheiden fähig ist. Ein in die Augen fallendes Possenspiel, einer Megära I. Theil154 wird für nichts anders betrachtet, als für was es uns gegeben wird: aber Megärens zweyter Theil155, wo neben dem abgeschmacktesten Einfall ein sich über seine Gesellschaft bewundernder Sittenspruch gelagert ist, wo, wie in dem Gehirne eines Philosophen, der zum Narren geworden, Unsinn und Witz neben einander liegen, ein solches Stück – “.156 Hier bricht der „Briefschreiber“ kurz ab, um eine Wendung vorzunehmen, indem die bereits wirkungsvoll heraufbeschworene Gefahr mit ebenso großem Gestus wieder zurückgezogen wird: „Aber nein! ich habe mich geirret, ein solches Stück kann dem Geschmacke eben so wenig nachtheilig seyn: trotz der von fremder Hand eingeschobenen abgetragenen Denksprüche, bleibt Megära immer Megära, und die oftmalige Wiederholung eines solchen Stückes, immer der Triumph der Dummheit, und das Denkmal des verunstalteten Nationalgeschmackes.“157 Indem er die „Gefahr“ drohend benennt und gleichzeitig marginalisiert, versucht Sonnenfels, den für solche Art Dramen anfälligen Theaterbesucher gewissermaßen in doppelter Weise zu überführen: als jemanden, der etwas schätzt, was zutiefst abzulehnen ist, wie als jemanden, der solches als „legitime Kunst“ – um einen Begriff von Bourdieu zu verwenden – wahrzunehmen bereit ist. Der wahre Kenner jedoch sei nicht zu betrügen und wisse, dass Megära immer das sein wird, was sie jemals gewesen war.158 154 Philipp Hafner: Megära, die förchterliche Hexe, oder das bezauberte Schloß des Herrn von Einhorn. Laut Hilde Haider-Pregler 1762 uraufgeführt – das genaue Datum der Uraufführung ist nicht bekannt. (Anmerkungen zu den von Hilde Haider-Pregler herausgegebenen Briefen über die wienerische Schaubühne, S.  532.) Nachgewiesen ist eine Aufführung am 31.  Mai 1766, bereits genannt von ­Gustav Zechmeister, jedoch von ihm als Uraufführungsdatum angezeigt. Zechmeister: Die ­Wiener Theater, S. 500. 155 Philipp Hafner: Der förchterlichen Hexe Megära zweyter Theil unter dem Titel: die in eine dauerhafte Freundschaft sich verwandelnde Rache. Laut Hilde Haider-Pregler 1764 uraufgeführt. (Anmerkungen zu den von ihr herausgegebenen Briefen über die wienerische Schaubühne, S. 532.) Eine Aufführung dieses zweiten Teils ist am 23.  August 1766 am Kärntnerthor-Theater nachgewiesen, welche Zechmeister, wie im Fall des zuvor genannten ersten Teils, ebenfalls als Uraufführungs­d atum ansetzt. Zechmeister: Die Wiener Theater, S. 500. 156 [Sonnenfels]: Der Mann ohne Vorurtheil, [Bd. II], Nr. VII, 4. Quartal, S. 679. 157 Ebenda, S. 679f. 158 Und auch an die Theatraldichter richtet der Verfasser des Leserbriefes seine Warnung: „Erlauben Sie mir im Vorbeygehen, eine kleine Nebenrede an unsre angehenden Theatraldichter! Meine Herren, wenn euch jemal die Aufnahme eurer Stücke, und ihre öftere Wiederholung über das nothwendige Selbsterkänntniß erheben sollte, so erinnert euch, daß eine Megära 11mal wieder-

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Dieser Brief beinhaltet auch eine Kritik an den kulturellen Usancen des Adels – dies ist allerdings nur ein dezenter Vorbote der Intensivierung der kritischen Betrachtungen in den späteren Nummern der Wochenschrift: „Unser Adel besucht […] die deutsche Schaubühne nicht um der Schauspiele wegen, wovon so selten eines der Aufmerksamkeit eines feineren Menschen würdig ist; er besucht sie, wie einen andern öffentlichen Gesellschaftsort, wie einen Spaziergang, um seine Bekannte, seine Geliebte da zu finden; er kömmt dahin um zu sprechen, nicht um zu hören.“159 Dezidiert schweigt der „Mann ohne Vorurtheil“ zum Theater in den folgenden fünf Nummern. Und wenn dann der theatrale Diskurs erneut aufgegriffen wird, so ist es noch immer nicht der „Mann ohne Vorurtheil“, der sich zu Wort meldet: anstelle der – offensichtlich mit Spannung – erwarteten Antwort folgt der Abdruck eines weiteren „Leserbriefes“, diesmal getaucht in „internationales“ Flair. Der auswärtige – aus irgendwelchem deutschen Lande stammende – Briefschreiber, dessen Name Sonnenfels am Ende des Briefes mit „W**“ angibt, zeigt sich trotz fehlender Lokalkenntnis über die Wiener Situation mindestens so gut informiert wie Sonnenfels. Im doppelt so langen, sich über zwei Nummern hinziehenden Brief geht es strategisch vor allem um zwei Aspekte: um die weitere Positionierung des „Mannes ohne Vorurtheil“ als nicht nur kompetentester, sondern auch berufenster Kunstrichter sowie um die Vereinnahmung des Adels für die Reform des deutschen Theaters, indem diesem, dem Adel, dafür die Hauptverantwortung auferlegt wird. Der mit 22.  September 1766 datierte Brief160 beginnt mit folgenden Worten: „Mein Herr! Ihr Unternehmen ist für die ganze deutsche Nation von Wichtigkeit: Sie haben es unternommen, dem Reiche des Geschmackes eine ganze Provinz zu erobern, und seine Gränzen gegen Morgen ansehnlich zu erweitern – Eben der, welcher (**)161 . . . . . . . . . . . . . . ist auch, wenn der Ruf nicht holet worden, und ihr werdet mit Demüthigung zu euch selbsten wiederkehren –“. Ebenda, S. 680. 159 Ebenda, S. 681. 160 Bevor Sonnenfels den zweiten Brief wiedergibt, fühlt er sich bemüßigt, in einer Fußnote das bisherige – über fünf Nummern anhaltende – Schweigen zu kommentieren: „Es geschiehet auf Verlangen einiger verehrungswürdigen Freunde, daß ich zwischen die Materien immer fremde einschiebe. Sie versicherten mich, die Mannigfältigkeit und der Wechsel in den Materien sey der Wunsch der meisten Leser. Sie erkonnten [sic] gar wohl, daß ein Blatt für manche Materie zu wenig wäre: ich möchte also immer Fortsetzungen machen: nur sollte ich dieselben nicht aufeinander folgen lassen.“ Ebenda, Nr. XIII, 4. Quartal, S. 724. 161 In der entsprechenden Fußnote heißt es: „(**) Diese Worte heißt mich die Bescheidenheit unterdrücken.“ Ebenda.

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betrüget, der Verfasser eines Wochenblattes, welches unter uns mehr aus dem günstigen Urtheile der Bibliothek d. sch. W.162, als durch sich selbst bekannt ist. Indessen ist doch ein Exemplar bis zu uns gekommen, und läuft von Hand zu Hand in einem ziemlich großen Kreise lesender Freunde herum. Ich bin von ihrer Zahl; und wenn ich den Mann o. V. aus seinen Blättern recht kennen gelernet; so wage ich nichts, woferne ich mir die Freyheit nehme, von hier einige Erinnerungen an Sie ergehen zu lassen. Sie haben dem üblen Geschmacke auf der Schaubühne den Krieg angekündiget. Dieser Muth ist rühmlich. Wenn Sie standhaft genug sind, die Anfälle, die man auf Sie machen wird, auszuhalten; so sind Sie ein Held. Der üble Geschmack hat aller Orten eine starke Parthey: Sie haben mit dem stärkesten – nicht eben dem v…igsten Theile der ganzen Nation zu schaffen.“163 Es kann wenig Zweifel bestehen, dass auch dieser in der Einleitung fast schon wie ein Nachruf geschriebene Brief aus Sonnenfels’ eigener Feder stammt – in jeder wört­ lichen Verästelung. Eingangs wird ein kriegsstrategisches Bild verwendet: der Provinzen erobernde, die Grenzen weit verrückende Feldherr, der sich im erfolgreich begonnenen Kampf mit dem größten Teil der Bevölkerung befände und dessen Einsatz Ausdruck eines ungeheuren Heldenmutes wäre. Und diesen Kampf führe der „Mann ohne Vorurtheil“ gleichzeitig für die ganze deutsche Nation, was man auch außerhalb Wiens zu rühmen begänne. Dementsprechend fordert der „Briefschreiber“ den „Mann ohne Vorurtheil“ auf, die Menschen zu überzeugen, zu unterrichten, um schließlich eine „Parthey“ zu bilden, „die der Gegenparthey das Gleich­ gewicht zu halten fähig ist.“164 Diesbezüglich käme dem Adel zentrale strategische Bedeutung zu.

ADEL IM VISIER „Bey dem Adel, glaube ich, muß der Anfang gemacht werden. Welchen Vorzug hat ihr Wien vor allen übrigen Städten Deutschlandes an diesem wohlhabenden, einsichtsvollen, großmüthigen Adel! Die sächsischen und brandeburgischen Schauspielergesellschaften, bestünden sie auch aus lauter Eckhofen, und Schönemanninen, auf welche Zuschauer können sie Statt [sic] machen? auf wenige Offiziere: denn hier haben sie den Vortheil der ­

162 Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaften, hg. von Christian Adolph Klotz (1738–1771) in ­H alle. 163 [Sonnenfels]: Der Mann ohne Vorurtheil, [Bd. II], Nr. XIII, 4. Quartal, S. 724f. 164 Ebenda, S. 725.

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Abonnirung nicht; und das Einlaßgeld täglich zu entrichten, würde für ihren Wirtschaftsétat eine zu starke Ausgaberubrike seyn – dann auf einige Kaufleute, deren tägliche Beschäfftigungen sie an eine gewisse Sparsamkeit gewöhnet hat, welche für die Schaubühne nicht sehr ermunternd ist. Setzen Sie noch, wenn in größeren Städten gespielet wird, einige wenige königlichen Beamte – und nun ist die Zahl voll. In Wien hingegen ist beständig das Auditorium zahlreich, die Logen, die Galerie, das Parterre voll, das Einlaßgeld stark; folglich die Einnahme immer ansehnlich. Erwägen Sie alle die Vor­ theile, die daraus für das Theater entspringen!“165 Der in der Residenzstadt konzentrierte Adel wird als große Verheißung für das neue deutsche Theater beschworen, dieses könne im weitesten Sinne von seiner Wohlhabenheit profitieren – ein Publikum, das jenseits von Offizieren, Kaufleuten und Beamten die große Welt verspricht. Die dem Adel vom Verfasser verliehenen Attribute „einsichtsvoll“ und „großmüthig“ scheinen eine Art Vorschuss auf die an ihn in der Folge herangetragenen Erwartungshaltungen zu sein. Bevor jedoch der „Briefschreiber“ wieder auf den Adel zurückkommt, plädiert er – ähnlich wie schon der „Kameralist“ Sonnenfels – für eine grundlegende Anhebung des gesellschaftlichen Ansehens des Schauspielerstandes. Dies wird verbunden mit der Forderung nach einer Spezialisierung der Schauspielerschaft auf bestimmte Rollentypen: es wäre zu vermeiden, dass Schauspieler, welche ausnehmend in komischen Rollen gefallen, auch in tragischen Stücken auftreten, weil sie durch die beim Zuschauer unwillkürlich auftretende Erinnerung an das komische Spiel die Wirksamkeit des Tragischen mindern würden – dabei geht es aber vor allem um eine Differenzierung in das Hohe und das Niedere. Sonnenfels duldet in der Rolle des Briefschreibers bei aller geforderten Anhebung des Status des Schauspielers keine Vermischung der gesellschaftlichen Sphären in einem Schauspielerkörper: „Aber das Edle, und Pöbelhafte zugleich in gleichem Grade zu besitzen: den Anstand eines Königs, eines Fürsten, eines Mannes aus der artigsten Gesellschaft, und zugleich die Stellung des ungebildeten Bauers u. d. g. nach der Natur zu kopiren, itzt, durch sein Ansehen Ehrfurcht einzuflössen, wieder, durch seine Albernheit Spott zu verdienen: dazu sind beynahe zwo verschiedene Seelen nothwendig; eben wie zwo ganz entgegen gesetzte Denkungs­ arten dazu gehören.“166

165 Ebenda, S. 725f. 166 Ebenda, Nr. XIV, 4. Quartal, S. 733f. In den Gesammelten Schriften hat Sonnenfels das „Pöbelhafte“ durch das „Niedre“ ersetzt. Sonnenfels gesammelte Schriften. Dritter Band. Wien 1783, S. 109.

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Wie sich Sonnenfels in theatralen Angelegenheiten einem naiven Illusionismus anheimgibt und die theatrale Phantasie des Zuschauers auf die Welt zu begrenzen vermeint, die ihn alltäglich umgibt, so geht er hier von einem gleichsam substantiellen Substrat des Schauspielerkörpers aus, der keiner großen Wandlung fähig ist. Die alte Ständeklausel im Hinblick auf die dramatischen Gattungen, die auch Sonnenfels nicht mehr gutheißt, wird auf die Körper der Schauspieler übertragen. Nach den Erörterungen über die Schauspielkunst kommt der fiktive Verfasser des Briefes auf die literarische Produktion zu sprechen und dabei auf die Verantwortung des Adels zurück: „Es käme nun nur noch auf gute Stücke an, über deren Mangel von ihnen so manche Klagen erschallen, dem aber auch nirgend besser als bey ihnen abgeholfen werden kann: und darinnnen eben muß ihr preiswürdiger Adel Ihnen den großen Dienst thun, für welchen ihm nicht nur Oesterreich, sondern ganz Deutschland ewige Verbindlichkeit haben wird. Es ist nicht so wohl der Mangel der guten als der Ueberfluß der schlechten Stücke, dem vor allem anderen abgeholfen werden soll. Ich habe mir von Kennern ihrer Schaubühne sagen lassen, daß Sie damit recht überschwemmet sind. Verhält sich dieses in der That also; so nehmen Sie die Zuflucht zu dem Adel, der in derley Ergötzlichkeiten der ganzen Nation den Ton angeben kann! Ueberzeugen Sie diesen erleuchteten Theil derselben, daß es ihrer Würde unanständig ist, wenn sie ihren Beyfall den Lohn der dümmsten Einfälle seyn lassen! stellen Sie Ihnen vor, daß Sie dadurch die Unwissenheit ermuntern, darnach zu streben! stellen Sie Ihnen vor, daß selbst mancher fähiger Kopf dadurch irre geführt werden kann, lieber Einfällen nachzujagen, als wahren Witz in seine Stücke zu bringen! stellen Sie Ihnen vor, daß es Ihnen nicht eben glorreich ist, eine Grobheit, die der Zehnkreuzerplatz mit freygebigen Händeklatschen empfängt, weil sie, wenn ich so sagen darf, mit ihm homogenisch ist, eine solche Grobheit mit ihrem Lächeln zu begünstigen! – Sie sollen dem Geschmacke nur die einzige Gewogenheit erweisen, und solches Sitten und Anstand entehrendes Zeug mit Schweigen, und wollten sie noch mehr thun, mit einer finstern Mine, dem Merkmale ihres Unwillens, aufnehmen; und in kurzem wird nie wieder eine solche gehört werden: denn, welchem Schriftsteller kann es gleichgültig seyn, von Ihnen verachtet zu werden? und wenn es auch dem Schriftsteller wäre; so wird es wenigstens nicht der Impresa seyn, die in diesem würdigen Theile der Nation ihre mächtigste Unterstützung nicht gerne vor den Kopf stossen wird.“167

167 [Sonnenfels]: Der Mann ohne Vorurtheil, [Bd. II], Nr. XIV, 4. Quartal, S. 734f.

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Ein bemerkenswerter Schachzug des Strategen Sonnenfels: indem die Adeligen hochgelobt werden als „erleuchtete Große“, werden sie gleichzeitig demontiert, um sie mittels dieser Demontage daran zu erinnern, dass es ihre gesellschaftliche Pflicht wäre, kulturelle Vorbildhandlungen zu tätigen, um gleichsam durch ihr Verhalten kulturell „zensierend“ zu wirken. Durch seine „theatrale“ Strategie kann der „Mann ohne Vorurtheil“ all dies verlautbaren, ohne „selbst“ zu Wort kommen zu müssen. Verglichen mit Engelschalls Einsatz ist bei Sonnenfels die Stoßrichtung direkter geworden. Im anschließenden Satz wird die Verantwortlichkeit des Adels für den Zustand des deutschen Schauspiels nochmals auf den Punkt gebracht und radikal zugespitzt – wenn auch a parte geflüstert: „Ja mein Herr! das Misfallen der Großen und des Adels ist allein im Stande, die schändlichen Misgeburten von ihrer Schaubühne zu verdringen (wie vielleicht, doch ihnen nur in das Ohr gesprochen, ihr Wohlgefallen sie ganz allein noch darauf erhalten hat)“.168 Anstatt durch seinen Beifall den schlechten Geschmack zu stützen, wäre es vornehmste Aufgabe des Adels, angesichts noch fehlender kultureller Reservoirs durch seine Vorbildhandlungen „eigne Nationaldichter“ heranzuziehen: „Diese Wohlthat muß abermal aus den Händen des Adels empfangen werden. Fodern Sie keine Goldbörsen, keine Brilliantnen Ringe für ihre Nationaldichter zur Belohnung! das war stets die Entschuldigung des Unverdienstes. Es giebt einige, die nicht so vom Eigennutze ihrer Würde entsetzet, und für Genien reizender, schmeichelhafter sind. Ein einziges Wort zum Lobe des Dichters aus dem Munde eines K*niz [Kaunitz], ein Lächeln der Grazie L*tenstein [Liechtenstein] muß mehr Sporn mehr Belohnung seyn, als alles Geld der Welt.“169 Dabei geht es ganz offensichtlich nicht um ein Mäzenatentum herkömmlicher Prägung, sondern um die Schaffung von fördernden kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen. In diesem Sinn ließe sich große theatrale Kunst – wie der Briefschreiber verlauten lässt – niemals beordern: ein Misanthrope, eine Athalie, eine Zayre können nicht bestellt werden170 (und man könnte in Bezug auf die staatliche Perspektive hinzufügen: nicht durch Administration erzielt werden). Wesentlicher Anreiz für die Schriftsteller wäre, „des Umgangs der Großen werth zu seyn; in ihren Gesellschaften erscheinen zu können, von ihnen selbst das Edle, das Große zu sehen, zu 168 Ebenda, S. 735. 169 Ebenda, S. 736. 170 Vgl. ebenda, S. 737.

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lernen, womit man seine Stücke verschönert.“171 Und im Fehlen eines solchen Umgangs sieht der „Briefschreiber“ die Ursache für die geringe Anzahl guter deutscher Dramen: die meisten Theatraldichter wären Studenten, Magister oder Professoren einer kleinen Universitätsstadt, „die keine andre Sitten, keine andre Welt, keine andre Sprache, als ihrer kleinen Kreise kannten; also auch keine andern Sitten als solche schildern, ihre Zwischenredner keine andre Sprache reden lassen konnten.“172 Sonnenfels entwickelt in den von ihm in vielfältiger Weise beschriebenen Beziehungsverhältnissen von Adel und Theater eine sehr komplexe Konstellation. Vor der weiteren Analyse soll zum besseren Verständnis Sonnenfels’ circa drei Jahre nach den hier erörterten Beiträgen im Mann ohne Vorurtheil geschriebenes Promemoria zur Abschaffung des extemporierten Theaters herangezogen werden – ich werde darauf auch im nächsten Kapitel eingehen. In diesem Promemoria wendet sich Sonnenfels, nunmehr „Fürsprecher“ der Bürger jenseits der Welt des großen Adels, an den Hof und fordert das Recht aller Bürger, insbesondere jener der „mittleren Klassen“, auf eine „gesittete“ Ergötzung. Eine solche bestünde für jene in erster Linie im Besuch des Theaters, während der Adel aufgrund seiner Wohlhabenheit auf eine Vielfalt von Ergötzungsmöglichkeiten zurückgreifen könne. „Ich will meiner Freymüthigkeit ganz keinen Einhalt thun. Ist der Regent, ist der große Adel der einzige Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit? verdient der übrige Theil der Bürger, welcher zu dem allgemeinen Wohl nicht minder das Seinige beyträgt, daß man seiner ganz nicht gedenke? Giebt es nicht mehrere Klassen der Bürger, welchen der Staat, nach durchgearbeitetem Tage, eine Erholung zu verschaffen verpflichtet ist? Wäre es nun aber gleichgültig, diesen Theil der Bürger entweder in eine Gaucklerbude hinzuschicken, wo sie die Albernheit eines Possenspielers und seine Unhöflichkeiten mit Ekel anhören müssen, oder ihnen ein gesittetes Vergnügen zu verschaffen, wo sich ihre Stirne, ohne den Anstand schamroth zu machen, aufheitern kann?“173 Sonnenfels sieht in diesem Promemoria die deutsche Schaubühne als das primäre Medium der Ergötzung der „mittleren Klassen“ an, während der Adel weitgehend dem französischen Theater huldige, welches auch als das repräsentative Theater der Resi171 Ebenda. 172 Ebenda. 173 Zitiert nach Allgemeine Bibliothek für Schauspieler und Schauspielliebhaber. Des I.  Bandes II.  Stück. Frankfurt, Leipzig 1776, S. 7.

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denzstadt angesehen würde. Was will also Sonnenfels vom Adel, der sich nach den vorigen Schilderungen in das deutsche Theater nur aus gesellschaftlichen Gründen begäbe und, wenn er einmal lebhafteres Interesse äußere, dann besonders für jene Stücke, die Sonnenfels von der Bühne verdrängt sehen möchte? Warum soll also der Anfang der Reform der deutschen Schaubühne gerade „dort“ gemacht werden? Diesbezüglich bieten Sonnenfels’ Äußerungen mehrere Antworten. Erstens: das Verhalten des Adels habe aufgrund von dessen gesellschaftlichem Status auch für das deutsche Theater eine kulturelle Leitfunktion, speziell für die (aufstiegsorientierten) mittleren Klassen – die von Sonnenfels immer wieder an­ geprangerte „Titelsucht“ ist eine andere Seite eines solchen Orientierungsprozesses wie auch Ausdruck einer beginnenden sozialen Mobilität. Demgemäß könnte eine demonstrative Unterstützung des Adels für ein reformiertes deutsches Theater eine fördernde Wirkung hinsichtlich der Geschmacksbildung der mittleren Klassen ausüben – ähnliche Hoffnungen hatte schon Engelschall gehegt. Tatsächlich sei jedoch aufgrund dieser unterstellten Vorbildwirkung das Gegenteil der Fall: der Adel, der im deutschen Theater neben dem kultivierten französischem Schauspiel offensichtlich andere Kost sucht, beklatsche die derbsten Zoten und halte damit – und hier wird ihm die Hauptverantwortung aufgebürdet – die laut Sonnenfels zu eliminierenden „Fratzen-Spiele“ aufrecht. Der Adel, so Sonnenfels, solle bei derlei burleskem Unsinn wenigstens schweigen, anstatt seinen Beifall zu äußern; es würde allerdings seiner Würde anstehen, einen für alle ersichtlichen grimmigen Blick auf die Bühne zu werfen. Damit wird der Leser indirekt aufgefordert, das Verhalten der Zuschauer zu beobachten, vor allem auch sich zu beobachten, wie er von anderen beobachtet wird – gewissermaßen eine Anleitung zur Kontrolle der eigenen Geste wie des Verhaltens der anderen. Durch Sonnenfels’ Ausführungen im Mann ohne Vorurtheil wird dem Adel nicht das in Entwicklung begriffene deutsche Theater als Alternative zum französischen Theater schmackhaft gemacht, aber dem Adel wird aufgrund seines Status Verantwortung auferlegt, ganz im Sinne von Sonnenfels’ idealtypischer Konstruktion des Adels, der seine Privilegien nur verdiene, wenn er sich bemühe, die würdige Geschichte seines Geschlechts durch höchste Anstrengung nicht nur tagtäglich neu unter Beweis zu stellen, sondern seine Vorahnen noch zu übertreffen – ansonsten wäre er nur ein „Pöbel mit 24 Ahnen“. Zweitens: Für Sonnenfels’ Konzeption des Theaters ist nicht nur die vorhin genannte strategische Funktion von Belang. Für ihn, der letztlich darauf abzielt, das französische Theater durch ein „gereinigtes“ deutsches Theater zu ersetzen, ist der Adel ein wesentlicher Teil des zukünftigen Theaterpublikums. Dieser verleihe der Bühne seinen Glanz – wenn auch die mittleren Klassen quantitativ der Hauptansprechpartner des deutschen Theaters sind. Ein Theater, dessen Publikum, wie in vielen deutschen Städten, hauptsächlich aus Offizieren, Beamten und Kaufleuten ­besteht, hat für Sonnenfels keinen großen Reiz. Auch pekuniäre Gründe sind von 80

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Belang, weil ein wohlhabendes aristokratisches Theaterpublikum die Optionen ­einer Theatraldirektion und damit die Qualität der theatralen Aufführungen um ein Wesentliches erhöhe, einer der Gründe, warum Sonnenfels gerade das deutsche Thea­ter in Wien – mit dem sich dort zahlreich aufhaltenden Adel – in einer Pionierrolle sieht. Seinen „strategischen“ Kameralismus entfaltet Sonnenfels somit nicht in der Polizeywissenschaft, sondern im Mann ohne Vorurtheil. Drittens: Für Sonnenfels’ Konzeption des deutschen Theaters bleibt der Bezug zur Aristokratie als kulturellem Lernfeld von hoher Relevanz. Dahin zielt auch die eingangs erwähnte Forderung, die adeligen Salons mögen sich sowohl für die deutschen Literaten wie für die deutschen Schauspieler öffnen. Dabei geht es nicht um ein Mäzenatentum herkömmlicher Prägung, sondern oft nur um subtil und beiläufig gesprochene Äußerungen, wie das von Sonnenfels imaginierte Lob eines Kaunitz, welches dieser, leidenschaftlicher und mit allen Mitteln engagierter Beförderer der französischen Bühne, allerdings für einen deutschen Theaterschriftsteller nicht so schnell ausgesprochen haben mag. Es geht vor allem darum, dass Schriftsteller wie Schauspieler sich spezifische kulturelle Umgangsformen der Aristokratie aneignen, um damit ihr je spezifisches Milieu und die damit verbundenen Verhaltensformen zu transzendieren, ein Prozess, in dem „kultivierte“ Umgangsformen über das Medium Theater von oben nach unten diffundieren mögen. Für die Entwicklung einer deutschen Salonsprache entfaltet sich dies zum Kreislauf. Eine solche hätten weder die Schauspieler noch die Schriftsteller in dem damaligen adeligen Salon erlernen können, der noch weitgehend dem Französischen huldigte. Und so mag auch die Vorstellung entstanden sein, dass das Theater eine solche Salonsprache erst erzeuge, die, adaptiert in alltäglicher Kommunikation, wieder auf das Theater einwirken möge – die „Kultiviertheit“ der französischen Bühne hat Sonnenfels jedenfalls in der Interdependenz von Salon und Theater gesehen. Bei diesen hohen Erwartungen an die kulturelle Vorbildfunktion des Adels wird Sonnenfels bald die Geduld verlieren und 1768 in den Briefen über die wienerische Schaubühne eine „Verschwörung“ der mittleren Klassen in Aussicht stellen: diese ­mögen einen deutschen Salonstil aus eigenem Pouvoir heraus entwickeln und einen solchen dem Adel als dominante kulturelle Form aufoktroyieren: „Das würde für angehende Theatraldichter eine nützliche Vorbereitung seyn – nicht sich an Schlegeln zu wagen, welchen sie von ferne folgen, und seine Fußstapfen verehren müssen – aber Uebersetzungen vor die Hand zu nehmen, und daran solange zu putzen, bis sie ihnen den natürlichen Gang der Umgangssprache gegeben haben: die sich aber erst dann veredeln wird, wenn unsre Muttersprache einst auch in den vergoldten Zimmern der Großen den Eintritt erhalten wird, oder wenn die artigen Leute des mitteren [sic] Standes einer Verschwörung fähig seyn werden, sich über den höhern Stand lieber 81

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durch den Adel ihrer Nationalmundart einen wahren Vorzug zu verschaffen, als sich durch elendes Französisch seinen Sticheleyen täglich Preis zu geben.“174 Im erwähnten Promemoria des Jahres 1770 lässt Sonnenfels den Adel vorübergehend links liegen und wird zum „Fürsprecher“ speziell der mittleren Klassen. Er macht die Theaterfrage zu einer sozialen Frage und scheut auch vor einer Attacke auf den Regenten nicht zurück: dieser denke nur an sein eigenes Wohl und an das Wohl des Adels, während sich die anderen Bürger mit einer „Gaucklerbude“, die Ekel errege und Schamesröte ins Gesicht treibe, begnügen müssten. Der „soziale“ Konflikt dürfte sich während Sonnenfels’ kurzer Zensorschaft weiter zugespitzt haben, denn Sonnenfels lässt keinen Zweifel an der Priorität des deutschen Theaters, was die adligen Befürworter eines französischen Theaters in hohem Maße irritiert haben mag. Tatsächlich hält sich ein stehendes französisches Theater in Wien nicht mehr lange – noch vor Ostern 1772 verlässt die französische Schauspieltruppe Wien. Möglicherweise bilden solche Spannungshorizonte auch den wesentlichen Hintergrund für Sonnenfels’ frühzeitige Abberufung, worauf ich im letzten Kapitel des ersten Teils näher eingehen werde. Mit diesem langen, über zwei Nummern sich hinziehenden Brief kann Sonnenfels das Thema „Adel“ abschließen – der „Mann ohne Vorurtheil“ wird dazu nichts mehr sagen müssen. Am Ende des Briefes muss jedoch thematisiert werden, dass nun schon sehr viel gesagt wurde, ohne dass der „Mann ohne Vorurtheil“ gesprochen hätte, und so lässt Sonnenfels das „Schreiben“ in folgender Weise enden: „Aber, nun nehme ich erst wahr, daß ich mich selbst in eine Ausführung einlasse, zu der ich Sie nur ermuntern wollte. Ein Ausländer kann wegen Mangel der Lokalumstände nicht tiefer eindringen. Sehen Sie also meinen Brief nur als einen Anfang an, wozu ihr Wien von Ihnen eine umständliche Abhandlung zu fodern, berechtiget ist. Ich bin u. s. w. W**“.175

POSE DER DISTANZ Derart inszenatorisch erhoben zum international anerkannten Kunstrichter, entlastet durch die Darlegung schon so einiger von „anderen“ getätigten Befunde und mit aller Heftigkeit von der „internationalen Öffentlichkeit“ zu einer Darlegung gedrängt, kann nun der „Mann ohne Vorurtheil“ zur „umständlichen Antwort“ 174 Sonnenfels / Haider-Pregler: Briefe über die wienerische Schaubühne, S. 293f. 175 [Sonnenfels]: Der Mann ohne Vorurtheil, [Bd. II], Nr. XIV, 4. Quartal, S. 738.

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schreiten. Er lässt sich diesmal keine Zeit, sondern beginnt seine diesbezüglichen Ausführungen bereits in der folgenden Ausgabe der Wochenschrift. Und der „Mann ohne Vorurtheil“ kann nunmehr mit großer Gelassenheit, fast schon abstrakt, beginnen, so als wollte er die von den „Briefschreibern“ angesprochenen und drängenden Probleme vom Standpunkt einer unparteiischen und gleichsam enthobenen Distanz aus begutachten. Die meisten der Theaterbesucher, so Sonnenfels, bildeten sich ihr Urteil nur nach den vagen Kategorien des Wohlgefallens und Missfallens, wobei erfahrungsgemäß das Erstere sehr oft auf unwürdige Gegenstände falle. Allerdings hätten nicht viele Gelegenheit, sich anhand von Lehrbüchern mit den Grundsätzen der Dichtkunst auseinanderzusetzen, schon gar nicht der große Haufen „aus gemeineren Bürgern, Leuten, die von den ihrigen keine wissenschaftliche Erziehung erhalten konnten, Leuten, die für den Staat nach ihrem verschiedenen Berufe arbeiten, und dann in der Schaubühne eine Erholung suchen, die sie zu finden würdig sind; aber wozu sie sich durch die Lesung des Aristoteles oder Diderots nicht vorbereiten können.“176 Trotz so mancher nützlicher theoretischer Schriften fehle nach wie vor das Wesentliche: eine Anleitung für den Zuschauer, und dafür wäre eine Wochenschrift besser geeignet als jedes andere Medium; eine solche Anleitung könnte auch mehr zur „Verbesserung und Reinigung eines Nationaltheaters“177 beitragen als jede noch so theoretisch differenzierte Betrachtung, die zu lesen Wenigen vorbehalten sei. Und in seiner Inszenierung der Öffnung geht Sonnenfels noch einen Schritt weiter, indem er vorgibt, sich mit besonderer Bemühung auf die Befindlichkeit des Großteils der Theaterbesucher einstellen zu wollen: „Denn da die Einnahme der Schaubühne nicht auf den kleinen Theil der Kenner, sondern auf den großen Haufen der Zuschauer gegründet ist, so wird jede Unternehmung sich nach seinen Foderungen bequemen müssen, wenn man ihn in den Stand setzet, Foderungen zu machen.“178 Betreffs der angesprochenen „Einführung“ für den großen Teil der Zuschauer greift der „Mann ohne Vorurtheil“ dabei auf eine in dieser Wochenschrift schon eingesetzte poetische Technik zurück: er habe eine solche theatralische Einführung schon für seinen Lehrling Capa-kaum entwickelt, für jene Figur, die als „Wilder“ die Unternehmungen des „Mannes ohne Vorurtheil“ schon zuvor begleitet hatte und anhand derer die selbstverständlichsten sozialen und kulturellen Phänomene ihrer Selbstverständlichkeit entkleidet werden konnten. Somit erzielt Sonnenfels nach den vorangegangenen Briefen zunächst einen gewissen „Verfremdungseffekt“. 176 Ebenda, Nr. XV, 4. Quartal, S. 740. 177 Ebenda. 178 Ebenda.

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„Freund, die Schaubühne ist beynahe bey allen Völkern eine Lieblingsergötzung gewesen. Aber es liegt dir weniger daran zu wissen, was sie war, als was sie ist: sie ist nun auch die unsrige. Sieh da einen andern Gesichtspunkt, von welchem die Schaubühne von dir betrachtet werden muß, als sie Sittenlehrer gemeiniglich zeugen [sic]! sie sehen sie als eine Sittenschule an. Er verdient, untersuchet zu werden, in wie weit sie recht, oder unrecht haben.“179 Gemessen an seinem eigenen in der Polizeywissenschaft ein Jahr zuvor dargelegten Grundsatz des Theaters als Sittenschule, den er als Kameralist so dezidiert wie noch nie zuvor vertreten hatte, tritt nun Sonnenfels als „Mann ohne Vorurtheil“ im öffentlichen Diskurs in eine Distanz und schlägt eine bedächtige Abwägung dessen vor, was er als „Polizeywissenschaftler“ unabdingbar postuliert, offensichtlich ein strategischer Zug des Autors, der dadurch den unentschiedenen Leser für sich einnehmen will.

IST DAS THEATER ALS SITTENSCHULE EINE GRILLE? Wäre es denn eine „Grille“ (für heutige Leser vielleicht als „Spleen“ oder „Flause“ übersetzbar), das Theater als Sittenschule zu betrachten? Sonnenfels versucht, diese Frage zunächst anhand der für das Theater wesentlichen Bezugsgruppen respektive Bezugsfelder zu beantworten: dem Theaterunternehmer, dem Schauspieler, dem Zuschauer und schließlich dem Staat, „dem nichts, was seine Bürger angeht, gleichgültig seyn kann.“180 Im Hinblick auf die drei erstgenannten Bezugsgruppen kommt Sonnenfels – als ob er seinen kameralistischen Grundsatz aus den Angeln heben wollte – zum Schluss, dass sowohl für die Unternehmer und für die Schauspieler wie auch für die Zuschauer das Theater als Sittenschule eine „Grille“ ist, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen: für die Unternehmer, weil ihr Endzweck letztlich Gewinn ist, für die Schauspieler, weil sie ihren Beruf nicht ergriffen haben, um zu „predigen“, sondern um „Brod und Ruhm“ zu erlangen, wenn man von einem nur für die „Schandflecken des Standes“ bestehenden dritten Grund absieht, der „geheim gehalten [wird], so schändlich ist er, so entehrend“181, womit ganz offensichtlich die Unterstellung erotischer und sexueller Willfährigkeit gemeint ist. Und eine „Grille“ ist das Theater als Sittenschule schließlich auch für die Zuschauer, welche in die Schaubühne gehen, „um ergözet [zu] werden: darum einzig und allein: und der ganze Unterschied unter den verschiedenen Gattungen der Zuschauer, beruhet darin179 Ebenda, S. 741f. 180 Ebenda, S. 742. 181 Ebenda, S. 743.

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nen: was eine jede derselben vorzüglich ergötze“182. So sorgt die von Sonnenfels als vierte genannte Kategorie, der Staat, dafür, dass das Fragespiel nicht zu Ende ist – noch lange nicht zu Ende ist. Bevor Sonnenfels die Interessen des Staates weiter expliziert, weist er darauf hin, dass unter dem Staate in keiner Weise die Person des Regenten zu verstehen sei: dieser besuche das Theater aus denselben Gründen wie jeder andere, nämlich um sich zu ergötzen – dadurch ist Sonnenfels’ Sicht auf die Bühne in jeder Weise von der Konzeption eines höfischen Theaters entfernt, in welchem – wie etwa in Pietro Metastasios und Antonio Caldaras La clemenza di Tito – der Herrscher unmittelbarer Adressat des Bühnengeschehens war. „Aber der Staat ist hier die Regierung jedes Landes, welche jede Handlung, jede Anstalt mit ihren daraus abgeleiteten, nutzbaren, oder schädlichen, wirklichen und möglichen Folgen erwäget. Schon als bloße Ergötzlichkeit sind die Schauspiele der Regierung von eben der Wichtigkeit, von welcher ihr öffentliche Spaziergänge, gemeinschaftliche Zusammenkunftörter und dergleichen Anstalten mehr sind, wodurch sie ihren Bürgern die Bequemlichkeit verschaffet, sich von ihren mühsamen Beschäfftigungen zu erholen, und gleichsam ihre Kräfte zu neuer Anstrengung zu schärfen. Wie sie die öffentlichen Lustgänge nicht zu erbaulichen Betrachtungen widmet; so ­fodert sie auch von der Schaubühne keine erbaulichen Vorstellungen. Jedoch, wie sie es nicht zugiebt, daß solche Oerter dem Laster, dem Verderbnisse der Sitten, der Unanständigkeit zu einem freyen Felde dienen möge; so kann sie auch nicht gestatten, daß die Vorstellungen der Schaubühne den öffentlichen Wohlstand, die ehrbaren Sitten, die Tugend beschimpfen, und der Sittlichkeit eine Fehde ankündigen. Es muß ihr Grundsatz bey Veranstaltung aller Ergötzlichkeiten seyn: daß sie den guten Sitten wenigstens nicht hinderlich fallen – Und hier öffnet sich nun für die Schaubühne eine ganz neue Aussicht.“183 Während Sonnenfels hinsichtlich der zuvor genannten Bezugsgruppen zunächst eine deutlich ausgesprochene Bejahung der Frage, ob das Theater als Sittenschule eine Grille sei, vornimmt, gibt er in Bezug auf den Staat keine klare Antwort. Aber der Staat wird für den Kameralisten Sonnenfels, der für die Leser in dieser Funktion nicht identifizierbar ist, zum Umschlagpunkt, in gewisser Weise allerdings zum „rhetorischen“ Umschlagpunkt. Sonnenfels gesteht ein, dass der Staat keine „erbaulichen Schauspiele“ verlange – dass das kameralistische Dogma von Sonnenfels demnach keine Handlungsgrundlage für den Staat sei. Aber anstatt die gestellte Aus182 Ebenda. 183 Ebenda, S. 744f.

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gangsfrage im Hinblick auf den Staat in ebenso plakativer Weise zu beantworten, wie er dies im Hinblick auf die Theaterunternehmer, die Schauspieler und das Publikum getan hatte, nimmt Sonnenfels eine Themenverschiebung vor, indem er die Frage neu stellt: Wäre eine „gesittete Schaubühne“ eine Grille?

DREI SCHRITTE ZURÜCK: DIE „GESITTETE“ SCHAUBÜHNE Mit der Frage: „Wäre eine gesittete Schaubühne eine Grille?“ kann Sonnenfels das Thema neu aufrollen und die Beantwortung ins Gegenteil verkehren. Ob eine gesittete Schaubühne eine Grille wäre, meint lediglich, ob es zulässig wäre, dass in den Ergötzungen etwas den Sitten Nachteiliges enthalten sein dürfe. Aber Sonnenfels weiß natürlich zu gut, dass mit dem Begriff der „gesitteten Schaubühne“, auch wenn er den Fragehorizont gegenüber der Ausgangsfrage wesentlich eingeschränkt hat, alle jene Aspekte konnotiert sind, die mit dem Terminus „Theater als Sittenschule“ verbunden sind – eine „gesittete Schaubühne“ ist in der Konnotation gleichsam mehr als eine „nicht Ungesittete“. Nun kann Sonnenfels, immer mit Blick auf den Staat, sagen: „eine gesittete Schaubühne ist für die Unternehmung keine Grille!“184, und meint damit, dass kein Unternehmer Stücke auf die Bühne bringen dürfte, die ihm auf Kosten der Sittlichkeit Vorteil bringen würden.185 Auch der Schauspieler dürfte sich nie Beifall auf Kosten der Ehrbarkeit erwerben und er dürfte nie „das Publikum, demselbst Regenten mit Ehrfurcht begegnen, geringschätzen, und aufziehen“186, besonders dürfte die „Schauspielerinn […] auf der Bühne keine Stellung annehmen, die eine ehrbare Person übel kleidet!“187 – so wäre eine „gesittete Schaubühne“ auch für 184 Ebenda, S. 745. 185 Dazu zählen für Sonnenfels in besonderer Weise alle theatralischen Aktionen, wo ein Ehemann hinters Licht geführt wird: „Wenn ein verderbtes Volk den feinen Streichen des Lasters, den künstlichen Hinterführungen eines Ehmanns, wie in dem eifersüchtigen Schneider, in dem ­ehmals so genannten musikalischen Hahnrey, in dem unsre ganze Stadt beleidigenden Wienerfrüchtel immer seinen Beifall zuruft: wenn ein schamloses Volk eine Zotte mit rasenden Händeklopfen aufnimmt: wenn ein grobes Volk unflättigen Anspiellungen noch so sehr zulacht: diese schändlichen Stücke dürfen nie wieder zum Vorscheine kommen: es war das erstemal zu viel“. Ebenda, S.  745. Auf den Eifersüchtigen Schneider und den Musikalischen Hahnrey werde ich später eingehen. Bei dem von Sonnenfels genannten Wienerfrüchtel dürfte es sich um die Komödie Das Liederliche Wiener Früchtl gehandelt haben, die nach Gustav Zechmeister am 17.  Juli 1753 am Kärntnerthor-Theater uraufgeführt worden sein soll. Zechmeister: Die Wiener Theater, S. 433. – Ein Autor ist bei der Angabe dieser Aufführung nicht genannt. Doch stellt Zechmeister die Frage, ob dieses Stück identisch wäre mit der Comoedie von Joseph Felix von Kurz, genannt Bernardon, das liederliche Wiener Früchtl (ebenda, S. 140 und S. 440). 186 [Sonnenfels]: Der Mann ohne Vorurtheil, [Bd. II], Nr. XV, 4. Quartal, S. 745. 187 Ebenda.

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die Schauspieler keine Grille. Und schließlich die Zuschauer, denen Sonnenfels im Hinblick auf ihre sittlichen Erwartungshaltungen das Beste zu attestieren versucht, mit dieser „Deskription“ gleichzeitig seine eigenen Erwartungshaltungen äußernd: „Zuschauer, die ihre Ergötzung nicht in der gereinigten Satire der Schauspiele, in witzigem Scherze, in der Vorstellung der gerächten Tugend, des bestraften Lasters zu suchen wissen; Zuschauer, die, wie Schweine Koth brauchen, wenn es ihnen recht wohl seyn soll, solche Zuschauer kenne ich keine. Aber wenn es einige giebt; so mögen sie sich erinnern, daß es nicht erlaubt ist, den öffentlichen Wohlstand auf einem Spaziergange beyseit zusetzen; daß ihnen unter dem Vorwande sich zu ergötzen, nicht gestattet wird, sich in alle Ausschweifungen zu versenken: daß die öffentlichen Ergötzlichkeiten unter dem Auge der Regierung gehalten werden, die es nicht zugeben kann, daß die Sitten darunter leiden! – eine gesittete Schaubühne ist nun für die Zuschauer keine Grille.“188 Dem wird in knappen Worten – als abschließende Sätze der Nummer XV des 4. Quartals – hinzugefügt: „Eine gesittete Schaubühne ist keine Grille für den Staat. Wir wollen sehen, was sich aus diesem Satze folgen läßt.“189 Daraus leitet Sonnenfels zu Beginn der nächsten Nummer die Verpflichtung des Staates ab, „über die Schaubühne die Oberaufsicht zu führen, damit sie gesittet, wenigstens damit sie nicht ungesittet sey!“190 Der Frage, ob die Schaubühne darüber hinausgehend imstande wäre, jemanden zu bessern, werde er später nachgehen191. Im Folgenden gehe es darum, zu untersuchen, in welcher Weise die Schaubühne den Sitten gefährlich werden könne. „Das Uebel dringt sich hier gleichsam auf zween Wegen, des Gehörs und des Gesichtes auf, und wenn die Wahrheit der Handlung durch die Geschicklichkeit der spielenden Personen unterstützet wird; so ist keine Gefahr derjenigen gleich, welche die Sitten von dem Eindrucke der Schaubühne zu besorgen haben. Wenn man der Schaubühne anders nichts vorzuwerfen hätte, als den Tod eines Sokrates192 so würde sie schon darum allein sich bey dem menschlichen Geschlechte rechtfertigen können. Aber die sich selbst gelasse188 Ebenda, S. 746. 189 Ebenda. 190 Ebenda, Nr. XVI, 4. Quartal, S. 747. Dies zeigt auch deutlich, wie bereits zuvor erwähnt, dass für Sonnenfels der Terminus „gesittetes Theater“ eine andere Konnotation aufweist als der Terminus „nicht ungesittet“. 191 „Ich will indessen annehmen; daß die Schaubühne niemanden bessert: ob ich gleich an einem andern Orte diesen Satz vielleicht nicht so allgemein wahr finden werde.“ Ebenda, S. 747. 192 Hier folgt die Fußnote: „Sokrates, der tugendhafteste unter den Menschen ward von einem feilen Komödienschreiber dem Volke zu Athen als ein ruchloser Bösewicht, und Verräther der Götter

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ne Schaubühne hat noch unendliche andre verursachet, und Laster und Ausschweifungen entweder durch die Haupthandlung der Stücke; oder durch einzelne Theile, und Episoden; oder endlich durch die letzte Auszeichnung den Dialog geprediget. Dieses sind die Gegenstände, worauf das Augenmerk des Staates, und folglich der von ihr bestellten Censur gerichtet seyn muß.“193 Die „gesittete Bühne“, wie sie Sonnenfels hier definiert, wird im weiteren Verlauf der Diskussion auch rhetorisch Vorstufe des Theaters als Sittenschule. Den Begriff der „Besserung“ hatte er in expliziter Form in der Polizeywissenschaft nicht verwendet – es ist jedenfalls ein Begriff, den er, wie weiter oben erwähnt, generell seinem Wochenschrift-Stellertum zugrunde legt. Eine wohleingerichtete „Censur“ hätte sicherzustellen, dass die Forderung nach einer gesitteten Bühne, die weder für Unternehmer noch für Schauspieler oder Zuschauer eine Grille sein dürfe, einer wirksamen Realisierung zugeführt werden möge. Und er richtet in weiterer Folge seinen „zensuriellen Blick“ auch auf theatrale Phänomene, die bisher kaum als Problembereiche wahrgenommen wurden.

ZENSUR ALE ANALYSE: VOM ZWEIDEUTIGEN ZUM EINDEUTIGEN Was die formale Struktur der analytischen Vorgangsweise betrifft, wird sie auch, in weiter differenzierter Form, bei Franz Karl Hägelin, Sonnenfels’ Nachfolger als Theaterzensor, aufscheinen: Prüfung der Moral und des Stoffes in seiner Haupt- und Nebenhandlung einerseits und Prüfung des Dialogs andererseits. Was die Ebene des „Stoffes“, wie es Hägelin später bezeichnen wird, betrifft, wählt Sonnenfels in seiner Darstellung eine Abfolge vom weniger Gefährlichen zum Gefährlicheren, vom Zweideutigen zum Eindeutigen. Die Zensur dürfe „kein Stück aufführen lassen, wo die Haupthandlung auf einen Satz hinausläuft, der, ich will itzt erst sagen, zweydeutig ist“194. Damit ist vor allem die Gattung des Trauerspiels gemeint, und Sonnenfels bringt als Beispiel für solche Zweideutigkeiten Addisons Cato und Racines ­Mithridate – auf die diesbezüglichen Anmerkungen Sonnenfels’ zum Trauerspiel bin ich bereits im vorigen Abschnitt eingegangen. Es bleibt hinzuzufügen, dass das hier ausgesprochene Verdikt im Hinblick auf das Trauerspiel bei Weitem dezidierter ausfällt als in der polizeywissenschaftlichen Abhandlung, in welcher Sonnenfels eine allgemeinere und diffusere Kritik am Trauerspiel geäußert hatte und der Frage nachgegangen war, abschildert; wodurch der Grund zu seiner nachherigen Verurtheilung zum Giftbecher gelegt worden.“ Ebenda, S. 747. 193 Ebenda. 194 Ebenda, S. 748.

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ob das Trauerspiel auf der Bühne einen Vorzug erhalten solle. Doch es macht einen Unterschied, ob dem Trauerspiel der Vorzug verweigert wird oder ob einzelne Stücke dieser Gattung verboten respektive von der Zensur beschnitten werden sollen, zumal Sonnenfels, wie bereits im vorigen Kapitel erwähnt, konstatiert, dass der Vorwurf moralischer Zweideutigkeit die meisten Trauerspiele betreffe, was allerdings dadurch gelindert würde, dass die dort gezeigte Welt dem Erfahrungsraum des Großteils der Zuschauer enthoben wäre. Sonnenfels führt im Mann ohne Vorurtheil die in der Polizeywissenschaft in einer Fußnote skizzierten Betrachtungen zu einer möglichen Reform des Trauerspiels weiter: „Warum müssen denn die Heldenstücke eben einen traurigen Ausgang haben? weil es Trauerspiele sind? warum will man uns denn gerade mit den schrecklichen Thaten großer und berühmter Personen unterhalten? Haben sie keine liebenswürdige, keine nachahmungswerthe Seite? oder will man sie verhaßt machen? Wenn dieses ist; so führe man wenigstens nur Eroberer auf die Schaubühne, um ihren Namen in den Herzen der Mächtigen abscheulich, und ihr Andenken bey den Völkern stinkend zu machen; und des [sic] menschliche Geschlecht wird von diesen Vorstellungen Vortheil ziehen. Aber ich weis nicht, warum Heldenstücke eben Trauerstücke seyn sollen? ob Nero der Mörder ein angenehmeres Schauspiel anbiete, als der gütige Titus? und welche von beiden Schlußreden in dem Gemüthe der Zuhörer einen angenehmern Eindruck zurückläßt: das: Plût aux Dieux, que ce fût le dernier de ses crimes! aus dem Britannikus? oder das: Vos vertus des Orphelin de la Chine?195 und welcher von diesen Ausgängen den Regenten in den Augen der Völker mehr zur Ehre gereichet?“196 Man kann zu Recht zweifeln, ob Sonnenfels’ diesbezügliche Überlegungen zum Trauerspiel, das er – fast ist man versucht zu sagen – nach dem bereits auslaufenden Modell der Opera seria Metastasianischer Prägung reformieren möchte, im Felde der Tragödienproduktion, welche gerade in den kommenden 1770er Jahren auch auf der deutschsprachigen Bühne einen zumindest quantitativen Aufschwung erleben wird, von Belang gewesen sind; für die Wiener Aufführungspraxis, für die Auswahl der Stücke sind sie jedenfalls nicht ganz wirkungslos geblieben. Zensurpolitisch finden sich einige der von Sonnenfels genannten Aspekte in den 1790er Jahren wieder, nicht im Hinblick auf die theatrale Form des Tragischen an sich, wohl aber im Hinblick auf Richtlinien für die Darstellung von Herrschern auf der Bühne. Auch dann wird man vor dem Hintergrund geänderter politischer Bedingungen in neuer Weise fra195 Voltaire: L’Orphelin de la Chine, Tragédie. Öffentliche Uraufführung am 20. August 1755 in Paris, Comédie-Française. 196 [Sonnenfels]: Der Mann ohne Vorurtheil, [Bd. II], Nr. XXVI, 4. Quartal, S. 749.

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gen, welche Charakterisierungen und Handlungsverläufe den Regenten zur Ehre gereichen. Nach der Diskussion der Zweideutigkeit, welche vornehmlich das Trauerspiel betrifft, kommt Sonnenfels auf diejenigen theatralischen Produktionen zu sprechen, „wo eine offenbare, eine ganz und gar entschiedene Schändlichkeit aufgeführt wird“197. Würde man dies der Bühne gestatten, so könnte man das Laster und die Ausschweifung ebenso gut vom Predigtstuhle anpreisen, was allerdings ein bei Weitem geringeres Übel wäre, da sich vor der Kanzel nicht so viele Leute versammelten wie im Theater. Aber Sonnenfels ist offenbar bewusst, dass zwischen dem von ihm gemalten Bedrohungsbild und den potentiellen Erfahrungen der Zuschauer eine erhebliche Diskrepanz bestehen könnte, und so fühlt er sich bemüßigt, eine Konkretion anzubieten. „Wann hat man solche Stücke, wo hat man sie ausgeführt? Hier mein Freund und nur erst neulich. Ich will bey dem letzten stehen bleiben, das ich schon ehe genennet habe, damit ich das Papier nicht durch neue besudle. Der neue Titel ist mir entfallen: der ehemalige war der musikalische Hahnrey: ein wahrer Schandflecken für unsre Bühne dem Innhalte nach! ob ich gleich den Schauspielern Gerechtigkeit wiederfahren lassen muß, daß sie das Anstössige dieser Schandgeburt, so sehr es sich thun ließ, milderten. Und mehr als ein würdiger Mann, mehr als ein einsichtvoller Kavalier haben über die Ausgelassenheit des eifersüchtigen Schneiders laut ihren Unwillen bezeuget. Zwar der Pöbel lachet: aber man soll ihn nicht gewöhnen über Schandthaten zu lachen; man soll ihm, sie verabscheuen lernen. Diese abscheuliche Stücke sind gleichwohl nicht die einzigen von einem Innhalte, der den Wohlstand empöret“198. Es lässt sich nicht eindeutig sagen, welche „neuerdings“ aufgeführten Stücke hier gemeint sind. Was das zweite – den Eifersüchtigen Schneider – betrifft, so führt Zechmeister eine deutsche Comoedie mit dem Titel Der eifersüchtige Schneider-Meister in seinem Spielplan des Kärntnerthor-Theaters, datiert „um 1753“ und mit einem Fragezeichen versehen, an.199 Vom erstgenannten Stück, dessen aktueller Titel Sonnenfels nicht mehr einfallen will und das vormals Der musikalische Hahnrey geheißen ­haben soll, fehlt eine klare Spur im Wiener Spielplan. Doch könnte es sich gemäß dem Titel bei diesem „musikalischen Hahnrey“ um eine Adaption des einaktigen Singspiels Harlequin, der ungedultig – hernach aber mit Gewalt gedultig gemachte Hahnrey gehandelt haben, dessen durchgehend in Versform verfasster Text in einem Druck 197 Ebenda, S. 750. 198 Ebenda, S. 750f. 199 Zechmeister: Die Wiener Theater, S. 444.

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des Jahres 1743 überliefert ist.200 In genanntem Singspiel unterhält Harlequins geplagte wie gelangweilte Gattin Columbina amouröse Beziehungen zu – vornehmlich – französischen Soldaten. Es gelingt ihr – mit Unterstützung ihrer Nachbarin –, dem anlässlich eines entsprechenden Herrenbesuchs vom eifersüchtigen Ehemann herbeigerufenen Richter einzureden, dass des Gatten Verdächtigungen gegenstandslos seien. Harlequin sitzt gegen Ende des Stückes mit einem Hirschgeweih in der Stube, umgeben von Kinderwiegen, die er von der Mitte der Bühne mittels Bändern zu wiegen versucht: „Erschröckliche Marter! und grausame Pein! Indem ich dem Weibe nun dienstbar muß seyn, Ich kehre die Stube, ich wasche das Zinn; Weil ich bei dem wiegen gedultig auch bin Ein Hahnrey! ein Hahnrey! Der Rübenzahl hat die Franzosen gebracht, Die mich so tyrannisch zum Hahnrey gemacht. Mein Weib, der Karnickel, bringt mich in das Grab, Weil ich auf dem Haupte die Krone jetzt hab Als Hahnrey! als Hahnrey! ENDE.“201 Worin das Unanständige und Ausschweifende der von Sonnenfels genannten Stücke bestand, kann vermutet werden: dass es in beiden Stücken um das Thema des Ehebruchs von weiblicher Seite geht – um vollzogenen oder auch nur geplanten. Letzteres scheint beim Eifersüchtigen Schneider der Fall zu sein, wofür spricht, dass Sonnenfels bei Erwähnung dieses Stücks eher von Ausgelassenheit spricht denn von Ausschweifung. Wenn sich Sonnenfels auch diesbezüglich nicht näher erklärt, so lässt er bei der Nennung von Schlegels Triumph der guten Frauen202 fast detailliert vernehmen, was am Theater die Grenzen der Darstellung von amourösen „Überschreitungen“ wären. Die in Versuchung geführte Frau weist als tugendhafte Person die Liebes­ erklärung „mit der gehörigen Verachtung“ ab, eine solche erfolgt „in den unanstössigsten und sehr allgemeinen Ausdrücken“, und überdies ist die Verführungssituati-

200 Gedruckt als Nachspiel zur dreiaktigen Komödie: Die Franzosen in Böhmen. S. l. 1743. Der Druck enthält keine Angaben zu den Verfassern der beiden Komödien. 201 Ebenda, S. 120. 202 Johann Elias Schlegel: Der Triumph der guten Frauen, Lustspiel in fünf Aufzügen. Uraufgeführt am 18. Dezember 1747 in Kopenhagen.

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on in genanntem Stück bloß eine fingierte, da von einer als Mann verkleideten Frauensperson vorgenommen, was auch für den Zuschauer klar erkennbar ist. Das Thema des Hahnreis war laut Sonnenfels offensichtlich kein Gegenstand, der auf einer „gesitteten“ Bühne weiterhin gezeigt werden konnte. Hier wird sich ihm auch Franz Karl Hägelin, der Sonnenfels nach einer kurzen Periode im Jahre 1770 als Theatralzensor nachfolgen wird, weitgehend anschließen. Das Recht auf einen „Seitensprung“ war auf der Bühne den Männern vorbehalten, sofern sich die weiblichen Opfer – wie schon Sonnenfels exemplifiziert – tugendhaft dem männlichen Begehren entgegenstellten und dem Zuschauer klar vermittelt wurde, dass die Frauen diese Tugendhaftigkeit in jeder Situation unter Beweis stellen würden. Ebenso wenig wie in der Haupthandlung dürfe in einzelnen Teilen der Handlung, in „Nebenscenen“ oder Episoden, irgendetwas enthalten sein, was den Sitten abträglich sei. Dazu zählen auch jene Handlungsteile, welche der Zuschauer aufgrund der gezeigten Bühnenhandlung imaginieren müsse oder imaginieren könne, um einen dramatischen Sinn herzustellen – und hier mahnt Sonnenfels zu besonderer Behutsamkeit: „[…] ich will Schriftstellern und Censoren die nothwendige Behutsamkeit nur durch ein Beyspiel empfehlen. Der Kaufmann von London203 ist bekannt genug: es ist ein Stück, dessen Moral nützlich, und durch die Anlage der verschiedenen Vorfälle vortrefflich herausgehoben ist: Barnvelt ist ein junger, wohlgesitteter Mensch, der von der Tochter des Hauses, wo er dient, geliebt wird; er geräth mit einer der arglistigsten Gemeindirnen in Bekanntschaft, die ihn, da er einmal das Gift der Wollust verkostet, von Laster zu Laster führet, bis sie ihn endlich dahin bringt, daß er seinen Oheim tödtet. Die Stellungen dieses Stückes sind so rührend, der Innhalt davon überhaupt so lehrreich und anwendbar, daß es aller Orten mit außerordentlichem Beyfalle aufgenommen worden. In diesem so beliebten Stücke ist gleichwohl eine Stelle, die von einer gereinigten Schaubühne durchaus verwiesen werden muß: wenn nämlich Milwoud den widerstrebenden Jüngling durch alle Künste der Verführung in die erstickenden Arme der Wollust locket, und er nun nach einem zu unmächtigen Kampfe von der Bezauberung der Sinnen dahingerissen, am Ende des Aufzugs abgeht, sich zum Schuldigen zu machen. Er tritt im folgenden Aufzuge von Reue gefoltert auf. Da der Zuschauer, um den Faden der Handlung zu folgen, den Zwischenraum der Aufzüge durch seine Einbildung ausfüllen muß, ist die Handlung, die in dieser Zwischenzeit vor

203 George Lillo: The London Merchant, or the History of George Barnwell. Uraufgeführt 1731 im Drury Lane Theatre in London.

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sich gegangen, von der Art, daß sie der Einbildung ehrbarer Mädchen, ehrbarer Frauen, ehrbarer Jünglinge und Männer vorgestellet werden soll?“204 Auch solche Überlegung wird in der Folge in die Zensurpraktiken einfließen – es geht um die imaginativen „Zwischenräume“, die offensichtlich in vermehrter Form auch Gegenstand der Zensur werden sollen. Doch eröffnet sich durch solche Zensurpraktiken auch eine besondere Paradoxie: der Kaufmann von London, der den Fall eines Bürgersohnes durch weibliche Verführung beschreibt, setzt die wie auch immer im Bühnengeschehen vollzogene Verführung als Teil des Verstehensprozesses voraus. Für Sonnenfels ist eine solche Handlung nicht nur zulässig, sondern auch in hohem Maße lehrsam – doch diese kann in der von Sonnenfels intendierten Lehrsamkeit nur wirksam werden, wenn der Zuschauer diese Zwischenräume füllen kann. Sonnenfels will eine eindringliche Warnung vor „sexueller Ausschweifung“ und gleichzeitig, dass dieses Thema den Imaginationshorizont des Zuschauers gar nicht erst erreiche. Das wird jedenfalls, wie im Laufe der weiteren Arbeit noch zu zeigen sein wird, zu einem höchst eigenartigen Verhalten der Theatralzensur führen: zu einem paradoxen Verhältnis von Ausblendung und Vergegenwärtigung, wofür auch spezifische Sprachstrategien eingesetzt werden.205

DAS EINE WORT. ZUR UNSITTLICHKEIT DER EXTEMPORIERTEN BÜHNE Wie auch später in Hägelins Denkschrift folgt bei Sonnenfels als nächste und letzte Analyseebene der Dialog. Doch im Unterschied zu Hägelin geht es Sonnenfels dabei primär um eine Diskussion des extemporierten Theaters. Es ist das Analysefeld, wo er im Zuge seiner nunmehr schon langandauernden Erörterung den Begriff des extemporierten Theaters erst einführt. Und bei dieser Gelegenheit kündigt er volle Offenheit an: er wolle das Thema des extemporierten Theaters von allen Seiten her diskutieren mit allem Für und Wider, und er fordert die Leser am Schluss dieser Nummer der Wochenschrift auf, ihm ihre Meinungen freimütig mitzuteilen: „Ich will alles was zur Vertheidigung des Extemporieren gesagt wird, anführen, damit man mir nicht etwa Schuld gebe, daß ich den Streit zu un204 [Sonnenfels]: Der Mann ohne Vorurtheil, [Bd. II], Nr. XXVI, 4. Quartal, S. 751–753. 205 Bevor Sonnenfels zum nächsten für die Zensur relevanten Analysefeld übergeht, betont er, dass alles, was er über die Sitten gesagt habe, auch auf „gefährliche Meinungen“ und „persönliche Satiren“ zutreffe; es ist allerdings hervorzuheben, dass Sonnenfels hier keinerlei Beispiele bringt, um bestimmte Formen der Bedenklichkeit der deutschen Schaubühne, speziell des extemporierten Theaters, zu entfalten.

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gleich mache. Ich fodere sogar die Vertheidiger desselben auf, mir dasjenige einzusenden, was sie dafür zu sagen wissen, und ich gebe ihnen mein Wort, daß ich, wenn es mit der behörigen Achtung für das Publikum abgefasset ist, es getreulich einrücken – und beantworten werde.“206 Solche „Einsendungen“ werden allerdings in der Folgenummer XVII nicht „eingerückt“. Vielmehr eröffnet diese mit der Fragestellung, warum sich das Extemporieren „noch in dem Staate, für welchen eine gesittete Schaubühne keine Grille ist?“207, erhalte – eine „Fangfrage“ gewissermaßen, denn bei aller angekündigten Offenheit unterstellt Sonnenfels hier, dass sich das extemporierte Spiel und eine „gesittete Schaubühne“ prinzipiell ausschließen. Man kann nun allerdings auch nachvollziehen, warum Sonnenfels so lange gewartet hat, sein „Kampfthema“ einzuführen, und warum er zuvor den Aspekt der „gesitteten Schaubühne“ so breit entfaltet hat. Was das extemporierte Theater betrifft, kündigt er an, die Fragen der Sittenwidrigkeit von den Fragen des guten Geschmacks trennen zu wollen, was er de facto jedoch nicht tun wird. Bevor er auf die konkrete Situation des extemporierten Theaters in Wien eingeht, versucht er rein formal zu argumentieren: es sei prinzipiell nicht zuzugestehen, dass unzensurierte Dialoge auf die Bühne gelangten, während die Schriftsteller, die jedes Wort mehrmals abwägten, der strengen Zensur unterworfen wären.208 Dabei wäre ein Buch bei Weitem ungefährlicher als das Theater, welches „von tausend und mehr Menschen aufgefangen wird“209. Weiters käme besonders erschwerend hinzu, dass unter diesen tausend Zuschauern auch noch „die zartste Jugend beiderley Geschlechts gemischet [sei], bey der oft ein einzig unbehutsames Wort zum Keime der ganzen künftigen Verderbung werden kann.“210 Sonnenfels will – was immer er sonst noch gegen die Geschmacksverwirrung des extemporierten Theaters schreiben wird – dieses an dieser Stelle unwiderruflich zu Fall bringen. Es ist zu bedenken, dass alles, was Sonnenfels bisher über die potentielle Sittenverderbnis durch das Theater geschrieben hatte, sich nicht explizit auf das extemporierte Theater bezog: von keinem einzigen der kritisierten Stücke kann man mit Sicherheit sagen, dass es dem extemporierten Theater angehörte. Es „genügt“ ihm an dieser Stelle der Hinweis auf das „Eine“ Wort, das ausreiche, Hunderte zartbesaitete Kinder ins ewige Verderben zu stürzen – und, so kann man den Gedankengang schon hier antizipieren, keine noch so große Vorsichtsmaßnahme könne je verhindern, dass – vielleicht auch völlig unbeabsichtigt – jenes verderbliche Eine Wort gesprochen würde. 206 Ebenda, S. 753f. 207 Ebenda, Nr. XVII, 4. Quartal, S. 755. 208 Siehe dazu auch die am Ende des vorigen Kapitels zitierte Stelle. 209 Ebenda, S. 756. 210 Ebenda, S. 756f.

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Nach dieser Grundlegung versäumt Sonnenfels es nicht, über die eine oder andere praktische Erfahrung zu berichten, die seine Annahmen voll bestätigen würden. Auch wenn den Schauspielern „unter Bedrohung der empfindlichsten Züchtigung alles Verläumderische, alles Zweydeutige, alles Unflättige untersaget“211 sei, konnte man nicht verhindern, „daß […] zuweilen Anspielungen auf rechtschaffene Bürger das Gelächter des Parterres erregt haben?“ Und er fragt weiter, ob denn sichergestellt werden konnte, „daß nicht zuweilen schmutzige Zweydeutigkeiten angebracht wurden?“212 Und konnte man sicherstellen, „daß nicht zuweilen Unflättige Reden wohlgearteten Zuschauern Ekel und Grauen erwecket haben?“213 Er greift dabei auch das Thema sehr junger Theaterbesucher wieder auf: „und welches in der That sehr wieder das Extemporiren einnehmen muß, hat man mit allen gemachten Vorsehungen es dahin bringen können, daß behutsamere Aeltern ihre Kinder, jemals in dergleichen Stücke schicken wollten?“214 Nun endlich, offensichtlich unter dem Erwartungsdruck der Leserschaft, versucht Sonnenfels ein paar Beispiele für das verderbliche Spiel des extemporierten Theaters zu geben: „Fodert man von mir besondere Beispiele; so komme ich in der That schwer daran, dergleichen anzuführen: aber damit man mir nicht zu Last lege, daß ich unter dem Mantel der Allgemeinheit falsche Beschuldigungen hinschreibe; so will ich von den am wenigstens anstössigen wählen. Im Don Juan, der gleichwohl der Jugend als ein Sittenstück gegeben wird, führt der Bösewicht die Braut beyseite. Ich habe schon erinnert, derley Entfernungen seyn anstössig: aber nun fragt jemand den Diener, wo sein Herr und die Braut wäre? sie sind auf dem Heuboden u. s. w. hieß der vortreffliche Commentarius – In einem andern Stücke soll das Mädchen in ein Kloster gehen: sie weigert sich: gehe sie! wird ihr zugezischt: der junge Herr von Schmalzhafen ist darinnen Priorinn – Und um auch ein Beyspiel von Säuerey zu bringen: ein Mädchen klagt in einem Stücke: es drücke sie auf dem Herzen, und erhält zur sitt­ samen Antwort: es sind nur Winde u. s. w. Die Stadt ist mein Zeuge: diese schönen Züge sind noch in frischem Andenken, der Ekel, den wir darüber empfanden, hat sich noch nicht bey uns gesetzt. Ich frage nun: wenn diese keuschen, reinlichen Stellen in einem Buche vorkämen, würde solch ein Buch nicht verworfen werden? warum soll es denn erlaubt seyn, in einem Schauspiele zu sagen, was man in keinem Buche lesen soll?“215

211 Ebenda, S. 757. 212 Ebenda. 213 Ebenda. 214 Ebenda. 215 Ebenda, S. 757f.

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Sonnenfels weiß, dass er in der für ihn bestmöglichen Form eine Antwort zu geben hat, eine Antwort an die Leser, welche das Theater aus eigener Erfahrung kennen; der Bezug auf den Vorwurf der „Allgemeinheit“ dürfte auch eine Replik auf seine eigenen diesbezüglichen Erfahrungen sein, denn wie aus früheren Nummern des Mann ohne Vorurtheil hervorgeht, scheint sich auch ein Teil des Adels in diesen Schauspielen amüsiert zu haben, ohne angeekelt den Zuschauerraum zu verlassen. Sonnenfels wählt eine ausweichende Strategie, indem er zwar ein paar Karten auf den Tisch legt, aber gleichzeitig andeutet, dass er noch viele treffsicherere Karten in der Hand hätte. Er wolle nur die unanstößigsten Anstößigkeiten referieren, womit er den Eindruck zu erwecken sucht, dass alles noch undenkbar ärger und abstoßender wäre, als das, was im Folgenden vorgetragen werden soll. Nichtsdestoweniger scheinen die Beispiele, die Sonnenfels sicherlich mit Bedacht ausgewählt hat, bei ihm tatsächlich so etwas wie ein Ekelgefühl erzeugt zu haben; zumindest glaubt er jedenfalls, mit diesen Beispielen ein solches in der Imagination des Lesers entstehen lassen zu können bzw. als Norm zu installieren, dass dergleichen Äußerungen, die im Zuge des extemporierten Bühnenspiels erfolgt wären, mit nichts anderem als mit Ekel begegnet werden sollte. Das erste Beispiel bezieht sich auf ein Schauspiel, das Sonnenfels bereits in einer weiter zurückliegenden Nummer der Wochenschrift genannt hatte. Wie weiter oben erwähnt, ging es Sonnenfels dabei nicht um eine Kritik von expliziten sittenwidrigen Inhalten, sondern um eine Kritik der theatralen Darstellung übernatürlicher Mächte. Doch scheint Sonnenfels, wie aus dem vorigen Zitat hervorgeht, die offenbar allgemein herrschende Zuschreibung des Wiener Don Juan als Sittenstück nicht prinzipiell in Frage zu stellen. Dieser Don Juan, der in Wien unter dem Titel Don Juan, oder das steinerne Gastmahl aufgeführt wurde216, war ein extemporiertes Spiel, in welches auch bereits verfertigte Versteile eingebunden waren – diese erschienen 1760 in einem eigenen Wiener Separat-Druck217. Ein weiterer Druck, ohne Angabe des Druckortes und des Erscheinungsjahrs, enthält neben den wortgleichen Versteilen auch ein Szenar, welches zumindest mit der Wiener Aufführungstradition in Zusammenhang gebracht werden kann und welches ermöglicht, die von Sonnenfels genannte anstößige Stelle genauer zu lokalisieren.218 Dieser Don Juan wurde in Wien 216 Laut der Angaben von Johann Gottlieb Stephanie im Vorwort seiner Sämmtlichen Schauspiele ­(Stephanie des Jüngern sämmtliche Schauspiele, Zweyter Band. Wien, in der von Ghelenschen Buchhandlung, 1774, S. XXVI). Zur Geschichte der Wiener Don Juan-Tradition siehe insbesondere H. E. Weidinger: Il Dissoluto punito. Untersuchungen zur äußeren und inneren Entstehungsgeschichte von Lorenzo da Pontes und Mozarts Don Giovanni. Dissertation, Universität Wien 2002, S. 405–532. 217 Arien, Welche in der Comoedie, betitelt: Das steinerne Gastmahl gesungen werden, nebst denen Verzweiflungs-Versen Des Don Juans bey dessen unglückseeligen Lebens-Ende. Wien, Gedruckt mit von Ghelenischen Schriften, 1760. 218 Das steinerne Gastmahl, Oder die redende Statua, samt Arie, Welche Hanns-Wurst singet; Nebst denen Versen Des Eremiten, Und denen Verzweiflungs-Versen Des Don Juans Bey dessen Unglückseeligen LebensEnde. S. l. s. t.

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alljährlich in der Allerseelenoktav aufgeführt – wie lange und wie kontinuierlich, ist umstritten, den ersten eindeutigen Nachweis gibt es in Wien für das Spieljahr 1753/54. Soweit ein paar minimale Vorbemerkungen zur Interpretation der von Sonnenfels herangezogenen Stelle respektive Szene. Es handelt sich um eine Szene im letzten Akt dieser dreiaktigen Comoedie. Knapp vor seinem „Untergang“ versucht Don Juan eine bäuerliche Braut zu verführen, ein Szenenkomplex, der – mit unterschiedlichen Modifikationen – in den meisten Don-Juan-Versionen des 17. und 18.  Jahrhunderts enthalten ist. In fast allen Fassungen kommt Don Juan auch ans Ziel seiner Wünsche, sei’s durch ein falsches Eheversprechen, sei’s durch Entführung. In genanntem Szenar, welches mit der Wiener Aufführungstradition in Verbindung gebracht werden kann, ist jedoch nicht eindeutig angegeben, was mit der Braut geschieht. Hier ist nur zu lesen, dass Don Juan und sein Diener auf der Bauernhochzeit mittanzen: „hernach führet D. Juan die Braut (ab)“. Die zurückbleibenden Bauern verlassen die Bühne im Tumult, offensichtlich, um die Braut zu suchen. Gleich darauf folgt ein Bildwechsel: Don Juan vernimmt auf einem Platz in der Stadt, dass auf ihn ein Kopfgeld wegen Ermordung des Don Pietro, Vater der Donna Anna, ausgesetzt wird; er bedroht seinen Diener, der sich nur zu erkennbar überlegt, seinen Herrn zu verraten, um das Geld zu verdienen. Nach Don Juans neuerlichem Abgang kommen die Bauern, denen die Schwester der Braut verkündet, „daß die Braut schon wieder vorhanden seye“. Weiter heißt es: „andere seynd erfreyet: und nach Scena gehen wieder alle (ab)“. Offensichtlich dient diese kurze Szene der Ankündigung des baldigen Wiederauftauchens der Braut, welche allen älteren überlieferten Don-JuanFassungen des 17. und 18. Jahrhunderts fehlt, dazu, den Handlungskomplex mit der bäuerlichen Braut in Wohlgefallen aufzulösen. Im Unterschied zu den vorangegangenen Fassungen, welche die bäuerliche Szenerie ebenfalls beinhalteten, scheint in der Wiener Version zumindest offener gewesen zu sein, was wirklich „hinter“ der Bühne geschieht. Man kann mit einigem Recht annehmen, dass Sonnenfels eine etwa bei Tirso oder in den italienischen Fassungen des 17. Jahrhunderts vorgesehene Handlungskonstellation nicht goutiert und mit aller Entschiedenheit auf die Sittenwidrigkeit der Handlungsfolge selbst verwiesen hätte, wobei dann zweitrangig wäre, was dazu auch noch gesagt worden wäre. Was Sonnenfels im Hinblick auf die Handlungsfolge kritisiert, ist der Abgang der bäuerlichen Braut mit Don Juan, weil dieser in der Imagination des Zuschauers sexuell konnotiert werde könnte, was bei einer Figur wie Don Juan – selbst in seiner spezifischen Wiener Formung – nicht so abwegig wäre. Den gleichsam expliziten sittenwidrigen Sinnzusammenhang scheinen jedoch erst die Worte von Don Juans Diener, in Wien dargestellt vom Hanswurst Gottfried Prehauser, geschaffen zu ­haben: dessen Antwort auf die bedrängenden Fragen der Bauern, wo denn die Braut sei. Hanswurts Kommentar wird durch den Handlungskontext zum potentiellen Sinnträger für das Geschehen hinter der Bühne. Wahrscheinlich wurde diese Wort97

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meldung des Hanswurst eher genüsslich vorgetragen und erzielte dadurch einen Lacherfolg bei Teilen des Publikums, für Sonnenfels offensichtlich ein Beispiel dafür, dass der „Pöbel“, anstatt das „Laster“ zu verabscheuen, sich angesichts der Bedrängung eines jungen Mädchens seinen sexuellen Phantasien hingäbe, wozu ihn die Worte anleiten würden. Beim zweiten Beispiel, das sich auf ein Kloster zu beziehen scheint, nennt Sonnenfels im Unterschied zum ersten keinen Titel des Stückes. Tatsächlich gehört aber das Stück, von dem Sonnenfels hier spricht und das sich aufgrund der markanten Textpassage identifizieren lässt, gar nicht dem extemporierten Theater an und ist somit gleichsam ein fingiertes Exempel für die „Schändlichkeit“ des Extemporierens. Es handelt sich um die Komödie Der adeliche Kaesstecher, oder die bestraften Ausschweifungen seines liederlichen Sohnes von Sonnenfels’ „Konkurrenten“ Christian Gottlob Klemm, welches wahrscheinlich im Jahr 1765 am Kärntnerthor-Theater uraufgeführt wurde219; in diesem Jahr jedenfalls erschien in Wien ein Druck des Schauspiels220. Gemessen an diesem Textdruck zitiert Sonnenfels jedoch inkorrekt, denn dort lautet der von Sonnenfels beanstandete Satz: „So geh die Jungfer ins Kloster, der Herr Friedrich ist Priorin.“ (I/8) Friedrich ist der Sohn des Herrn von Schmalzhausen (bei Sonnenfels „Schmalzhafen“), einem gewesenen Kässtecher und nunmehrigen Adligen. In diesem Schauspiel geht es jedoch nicht um ein reales Kloster: um das von Friedrich begehrte Mädchen dem väterlichen Haus zu entreißen, wird eine Übersiedelung der Tochter in ein Kloster bloß vorgetäuscht. Das junge Mädchen, in die In­ trige zum Zeitpunkt des genannten Dialogs noch nicht eingeweiht, wird durch den beanstandeten Satz von Friedrichs Diener aufgeklärt: es ginge nicht ins Kloster, sondern zum geliebten Friedrich. Mit der Loslösung vom Handlungskontext erzeugt Sonnenfels, durchaus nicht unbeabsichtigt, eine die Phantasie des Lesers im weitesten Sinne anregende Konnotation, welche die im Grunde „harmlose“ Situationskomik nicht beinhaltet. Auf den Handlungskontext selbst und dessen mögliche Verwerflichkeit geht Sonnenfels nicht ein, doch ist er – wie aus anderen Ausführungen ersichtlich – kein Freund von jenen traditionserprobten Stücken, in denen junge Leute Intrigen gegen die Willkür der väterlichen Autorität schmieden. Inwieweit Sonnenfels in dem beanstandeten Satz nicht nur einen Verstoß gegen die Sitten, sondern auch gegen die Religion gesehen hat, ist aus seinen knappen Aussagen nicht zu entnehmen, und er bringt in der dichten Abfolge der hier besprochenen Nummern des

219 Gustav Zechmeister (Die Wiener Theater, S. 494) ordnet in seinem chronologischen Verzeichnis die Uraufführung dem Jahr 1765 zu, versieht diesen Eintrag jedoch mit einem Fragezeichen. 220 Der adeliche Kaesstecher, oder die bestraften Ausschweifungen seines liederlichen Sohnes. Ein Lustspiel von drey Abhandlungen. Wien, zu finden bey Joseph Kurzböcken, Univers. Buchdruckern auf dem Hofe, 1765.

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Mann ohne Vorurtheil kein einziges Beispiel für einen Verstoß gegen die Religion auf der Bühne. In weiterer Folge jedenfalls zeichnet sich eine durchaus konsequent verfolgte Zensurstrategie ab, alle die christliche Religion betreffenden Konnotationen aus dem theatralen Bereich zu verbannen. Dies wird auch für das josephinische Theater gelten, wo der Begriff des Klosters teilweise förmlich ausradiert und durch neutralere oder abstraktere Ortsbezeichnungen – wie „dunkle Mauern“ – ersetzt wird. Hägelin, Sonnenfels’ Nachfolger, hätte, wenn wir seine Anmerkungen zur Theatralzensur heranziehen, den Satz aus Klemms Stück aufgrund des Bezugs zu einer religiösen Einrichtung wohl kaum durchgehen, die szenische Konstellation aber bestehen lassen und wahrscheinlich vorgeschlagen, die fingierte „Aussiedelung“ nicht in ein Kloster, sondern an einen nicht religiös konnotierten Ort zu verlegen. Wie beim zweiten wird auch beim dritten von Sonnenfels vorgelegten Textbeispiel kein Stücktitel angegeben, sodass nicht zu entscheiden ist, ob es sich überhaupt um ein extemporiertes Stück gehandelt hat. Zum näheren Verständnis der von Sonnenfels genannten „Säuerey“ ist allerdings kein handlungsbezogenes Wissen notwendig. Das offensichtlich Anstößige der genannten Stelle, welche den „Herzensdruck“ mit Vorgängen im Darmbereich gleichsetzt, ist nicht bloß die Gleichsetzung von psychischen/seelischen Vorgängen mit physiologischen, die Säuerei liegt in der Gleichsetzung mit körperlichen Funktionen, deren Existenz in der ‚Konversation‘ ausgegrenzt werden sollen. Ansonsten bedient sich auch Sonnenfels nicht ungern des Funktionsbildes des Körpers, ja, er setzt unter Bezugnahme auf Rousseau ein solches als Motto der Polizeywissenschaft, wobei gesellschaftliche Funktionsträger bestimmten körperlichen Organen korrespondieren, allerdings nicht solchen, die im urinalen/fäkalen oder sexuellen Bereich angesiedelt sind. Verglichen mit dem der „alten“ Stegreifbühne unterstellten Fäkal- und Sexualverbalismus sind dies sehr „kultivierte“ Obszönitäten, teilweise in sprachlich dezenter Verschiebung, jedenfalls kaum ein Grund, um in der „Stegreifbühne“ eine grundlegende Bedrohung der Sitten, der Religion und des Staates zu sehen, wie dies Sonnenfels in der letzten Kampfphase um 1770 in fast schon hysterischer Manier von sich geben wird. Und zumindest eines der drei von Sonnenfels genannten Beispiele entstammt gar nicht dem Feld des extemporierten Theaters, was Sonnenfels mit gutem Grund verschweigt, denn andernfalls wäre seine Argumentation beschädigt, da er damit zugeben müsste, dass auch die von ihm geforderte Zensur der Schauspieltexte nicht vermeiden kann, dass solche „ekelerregenden“ Dinge auf der Bühne statthaben. Jedenfalls scheint Sonnenfels zu erkennen, dass seine als gemeinschaftliche Erfahrung beschworenen Ekel-Bilder mit den theatralen Alltagserfahrungen des Publikums des deutschen Theaters so ohne Weiteres nicht übereinstimmen mochten, und er zieht sich nach dieser bildhaften Beschwörung der Gefahr wieder auf die eingangs vorgetragene Grundposition zurück. 99

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„Es ist nicht nothwendig, daß eben solche Stellen in Extemporirten Stücken vorkommen! ich gestehe es, es ist nicht nothwendig: aber sie sind nun einmal vorgekommen, wer wird dem Staate Bürge, daß sie es nicht wieder werden? und kurz: es muß dafür gesorgt werden, daß [sie] nicht vorkommen können. Denn alle Strafe eines bereits geschehenen Uebels kann es nicht wieder dahin bringen, daß das Uebel ungeschehen ist. Wann die beleidigende Stelle einmal in den Ohren der Jugend ist, bringt sie die strengste Strafe von dannen vielleicht wieder zurücke? – Eine vollkommene Gesetzgebung will nicht das Böse strafen, sie will es verhindern.“221 Und nachdem sich Sonnenfels geschmeichelt hat, die große Gefahr des extemporierten Theaters für Sitten und Wohlstand ans Licht gebracht zu haben, fährt er mit den Gefahren des Stegreiftheaters für den Geschmack fort. Dabei versucht er auch klarzustellen, dass sein Kampf gegen das extemporierte Theater kein Kampf gegen die „lustige Person“ sei, kein Kampf gegen Hanswurst; ein solcher wäre es bloß, wenn Hanswurst vermeinte, nur in extemporierten Stücken auftreten zu können. Da dieses „aber nicht bey den guten Sitten bestehen kann“222, sei wohl klar, wie der Staat sich entscheiden müsse. „Doch nein: das Extemporiren ist kein Wesentliches desselben [Hanswursts].“223 Nachdem Sonnenfels das Extemporieren abgehandelt hat und alles, was zu dessen Vorteil zu sagen wäre, widerlegt zu haben vermeint, kommt er wieder auf die Frage der Zensur (der studierten Stücke) zu sprechen und führt über die bis dato vornehmlich abgehandelten „Sitten“ hinausgehend alle Themenbereiche an, auf welche eine Zensur besondere Aufmerksamkeit zu richten hätte. Es käme darauf an, „daß persöhnliche Satiren, Ausdrücke, die irgend gegen ein Gesetz, die Person des Regenten, oder seiner Minister abzielen, zu freye Ausdrücke von der Religion, in wessen Munde sie auch gelegt seyn mögen, Ausdrücke endlich, die die Sitten, den Wohlstand beleidigen, vermieden, weggestrichen werden“.224 Doch Sonnenfels warnt auch davor, die Behutsamkeit zu weit zu treiben und in jedem Wort eine Zweideutigkeit zu erblicken, da die meisten Zweideutigkeiten nicht vom Autor intendiert, sondern lediglich Produkt der Auslegung wären. Ein sittlicher Mensch werde bei Betrachtung des Bildes eines unbekleideten Heiligen in diesem immer nur den Heiligen und nicht den verführerischen Körper sehen, ein un221 [Sonnenfels]: Der Mann ohne Vorurtheil, [Bd. II], Nr. XVII, 4. Quartal, S. 758f. 222 Ebenda, S. 761. 223 Ebenda. 224 Ebenda, S. 763.

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sittlicher jedoch werde versuchen, selbst einen in langem Gewand dargestellten Heiligen mit seinem Blick zu entkleiden225 – das gelte sinngemäß auch für das Schauspiel: „und welche Wörter werden dann nicht von der Schaubühne verwiesen werden müssen?“226 Sonnenfels scheint allerdings befürchtet zu haben, durch diese Über­ legung die Türen zu weit und möglicherweise in die falsche Richtung geöffnet zu haben; so plädiert er letztlich dafür, eher in der Strenge zu viel zu tun als in der Nachsicht.

GR ANDE FINALE. THEATER ALS SCHULE DER SITTEN In der letzten dem Theater gewidmeten Sequenz der hier behandelten Fortsetzungsfolge des Mann ohne Vorurtheil kommt Sonnenfels auf die Ausgangsfrage zurück: ob das Theater eine Schule der Sitten wäre. Und nun glaubt Sonnenfels, diese Frage bejahen zu können. Das Ergötzliche ließe sich mit dem Nützlichen ohne Weiteres verbinden, sofern man die Augen nicht verschließe. Eine Reduzierung auf den Aspekt des Ergötzlichen vergleicht Sonnenfels mit einer Lustfahrt auf dem Fluss, bei der man, um sich bloß auf das Wasser zu konzentrieren, den Blick von den Reizen der umgebenden Landschaft abziehen würde. Er argumentiert vor allem mit der stets gegebenen immensen medialen Wirksamkeit des Theaters, welches für so manchen von größerem Nutzen sei als ein Buch oder eine Predigt. Schon die Literatur habe in Abscheu vor trockenen Sittenlehren „nachdenkliche Männer“ dazu gebracht, ihre Lehren in Geschichten zu verhüllen, um mittels Erzählung das Interesse der Leser auf sittliche Themen zu lenken. Dabei vergleicht er die Sittenlehre mit einem Hinterhalt, der den „Lesenden überfällt, da er es am wenigsten vermuthet.“227 Dies gelte in noch höherem Maß von Schauspielen, wo man gegenwärtig ist, um die guten und üblen Folgen der Handlungen zu betrachten228. Das Theater wäre nach Pierre Corneille die auffallendste Kunst, aber auch die heilsamste. Sonnenfels bringt einige historische Beispiele, wie dramatische Kunst – im weitesten Sinne – wirkungsvoll für militärisch-politische Zwecke und für die Erziehung der Jugend eingesetzt wurde. Besonders das Abscheuliche des Lasters lasse sich für sinnliche Gemüter nirgends besser darstellen als auf der Schaubühne. Und er betont

225 So – nach einer von Sonnenfels an dieser Stelle wiedergegebenen Erzählung – die Antwort eines Bischofs an die Vorsteherin eines Nonnenklosters, welche alle Bilder mit unbekleideten Heiligen entfernen ließ, um die Nonnen nicht in Versuchung zu führen. Ebenda. 226 Ebenda, S. 764. 227 Ebenda, Nr. XVIII, 4. Quartal, S. 765. 228 Ebenda, S. 767.

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erneut die große Möglichkeit der Entlarvung des Lasters – diesmal, indem er seine Vorurteile über einen ganzen „Berufsstand“, und zwar einen weiblichen, ausspricht: „Wie oft hat man gegen diejenigen Weibspersohnen, die wir Deutsche mit einem zu gelinden Namen Haushälterinnen nennen, geschrieben, geredet, gepredigt? aber alles dieses wird gewiß nicht so viel zur Entlarvung dieser schändlichen Harpyen beytragen, als eine einzige Vorstellung des schönen Lustspiels von Weiße, die Haushälterinn genennet.“229 Thema des fünfaktigen Lustspiels von Christian Felix Weiße (1726–1804)230, verfasst im Jahre 1758, ist allerdings, wie auch ein späterer Titel: Alter hilft vor Thorheit nicht, oder die Haushälterin231 andeutet, nicht so sehr die Haushälterinnenschaft als vielmehr die Vernarrtheit eines alten Mannes in eine jüngere, wenn auch nicht mehr ganz junge Frau. So heißt es in der „Schlußmoral“: „Ein Weib, das in unseren Jahren Liebe für uns heuchelt, kann nichts anders als Eigennutz zur Absicht haben, wenn sie nicht ein Phönix ist.“ Die in diesem Stück auftretende Haushälterin und schließlich betrogene Betrügerin namens „Frau Schlauchin“, welche einen alten Kaufmann durch Vortäuschung von Zärtlichkeit und Versprechen der Ehe um sein Vermögen bringen will, um durch das abgenommene Geld einen etliche Jahre jüngeren Mann amourös an sich zu binden, könnte in der Logik des Stücks auch einen völlig anderen sozialen Status einnehmen. Ganz offensichtlich will hier der „Mann ohne Vorurtheil“ „in sittlicher Deckung“ einen ganzen „Berufsstand“ (sofern wir im strengen Sinne davon sprechen können) diffamieren und dessen vermeintliche „Entlarvung“ als Beweis der sittlichen Wirksamkeit der dramatischen Dichtkunst und als ihren Triumph hinstellen.232 229 Ebenda. 230 Die Haushälterinn: ein Lustspiel in fünf Aufzügen. In: Lustspiele von C. F. Weiße. Erster Theil. Carlsruhe, bey Christian Gottlieb Schmieder. 1778. 231 Alter hilft vor Thorheit nicht, oder die Haushälterin. In fünf Aufzügen. In: Lustspiele von C. F. Weiße, Erster Band. Neu überarbeitet. Leipzig, im Verlage der Dykischen Buchhandlung. 1783. 232 Es hat den Anschein, als ob Sonnenfels’ Ausführungen zu den Haushälterinnen gleichsam die moderne Entsprechung zu dem von ihm unmittelbar zuvor referierten spartanischen Brauch wäre, die Jugend durch drastische Vorführung betrunkener Leibeigener vom Alkoholkonsum abzuschrecken: „Die nüchternen Spartaner, bey denen nichts so sehr zur Schande gereichte, als die Trunkenheit, gaben an den Festtagen den Leibeigenen der Republik, den Heloten, so viel zu trinken, bis sie auf das äußerste berauscht waren. In diesem viehischen Zustande führten sie dieselben auf die öffentlichen Plätze, und liessen Sie da alle im Angesichte der spartanischen Jugend die Abscheulichkeiten ungestöhrt, ausüben, die der Wein begehen macht, wenn er den Menschen überwältiget. Dieses Schauspiel hielten die weisen Lacedämonier für ihre künftigen Bürger für weit unterrichtender, als alle Ermahnungen der Pädonomen. Die reinere Religion, die es nicht erlaubet, den Verstand des einen zu Grund zu richten, um den Verstand des andern zu bessern, erlaubt uns aber das Laster mit seinen Folgen verstellet, auf die Schaubühne zu bringen, und von

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Doch versucht Sonnenfels – und hier geht er über seinen „kameralistischen“ Ansatz hinaus – den Zusammenhang von Theater und Sittenlehre weiters zu differenzieren, indem er zwischen sittlichen und dramatisch-ästhetischen Kriterien unterscheidet (was teilweise schon implizit bei Behandlung des Trauerspiels erfolgte). Es sei keine notwendige Folge, dass die sittlichsten Stücke die Besten wären und die Besten die Sittlichsten. „Die Sittenlehre hat mit den Grundsätzen der dramatischen Dichtkunst keinen solchen Zusammenhang: aber die dramatische Dichtkunst kann ihre Schönheiten zur Einkleidung der Sittenlehre anwenden; und dann sehe ich nicht, warum ein sittliches Stück nicht auch ergötzend seyn könne. Zayre, Alzire, Olynth und Sophronia, so sehr sie von einem moralischen Innhalte sind, erscheinen nie ohne zu Vergnügen, auf der Schaubühne. Nur müssen solche Materien von Voltären und Chronecken bearbeitet werden –“.233 Das Theater als Sittenschule, und somit sein Basissatz des theatralen Kameralismus, wäre, so Sonnenfels weiter, unter den gegenwärtigen theatralen Bedingungen ein noch nicht realisiertes Potential: „Mann verstehe mich recht! ich rede hier nicht von dem was die Schaubühne ist: ich rede, was sie seyn könnte; zu was sie von dem Staate gemacht werden sollte; und ich habe Muth genug, zu sagen, daß sie, ohne ihre Absicht, zu ergötzen, aus den Augen zusetzen, einen wichtigen Theil der Erziehung, der Bildung der Sitten ausmachen könnte; daß sie also ein wichtiger Gegenstand der öffentlichen Aufsicht ist: daß sie geschickt wäre, vieles zu erhalten, was sonst durch die Gesetzgebung erhalten werden muß –“.234 Wenn wir die diesbezüglichen Ausführungen Sonnenfels’ über die Mangelhaftigkeit der Gesetzgebung in der Polizeywissenschaft, wie im vorigen Abschnitt dargestellt, berücksichtigen, so tritt hier das Theater in die Fußstapfen der Religion, der Sonnenfels aufgrund eines internalisierten Verhaltensprogramms in besonderer Weise die Aufgabe zuschrieb, diese Lücke zu füllen, um somit auch die „politische Tugend“ zu fundieren. Dieser Gedankengang ist zwar implizit auch schon in der Polizeywissenschaft enthalten, doch nicht in der begrifflichen Dezidiertheit wie im Mann ohne Vorurtheil. einer lehrenden Täuschung eben dieselben glücklichen Folgen zu erwarten.“ [Sonnenfels]: Der Mann ohne Vorurtheil, [Bd. II], Nr. XVIII, 4. Quartal, S. 766f. 233 Ebenda, S. 767f. 234 Ebenda, S. 769.

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Das Theater könne auf das Verhalten der Menschen in einem umfassenderen Sinne wirken, als dies Gesetze je tun könnten, vor allem in Bereichen, die gesetzlicher ­Regulierung nicht direkt zugänglich sind, und dies sind alle Arten von Unanständigkeiten und Lächerlichkeiten. Mit dieser kritischen Absicht erzeuge das Theater, wie aus seinem folgenden Beispiel hervorgeht, auch gesellschaftliche Widerstände, und Sonnenfels nennt einen berühmten Zensurfall der Theatergeschichte, Molières 1664 uraufgeführten Tartuffe, ohne allerdings auf die Frage der mit dem Theater notwendigerweise verbundenen Widerstände in irgendeiner Weise systematisch einzugehen: „Die Scheinheiligen erregten Himmel und Hölle, um die Vorstellung des Tartufs zu hintertreiben, weil sie durch den Eindruck der Schaubühne ihre Oberherschaft in den Häusern und über die Gemüther der Frauen zu verlieren fürchteten“.235 Und in ähnlicher Weise wünscht sich Sonnenfels, dass „patriotisch“ gesinnte Männer „alles das Lächerliche sammelten, so unsre Häuser verunzieret, unsere Zusammenkünfte geprängreich, unsern Umgang steif, unsre Männer weibisch, unsre Weiber kostbar, unsre Jugend läppisch machet! […] Man übergebe, sagt ein großer Kenner des menschlichen Herzens, man übergebe den Thoren der Schaubühne! so darf man ihn nicht ins Tollhaus sperren.“236 Mit diesem Satz hatte Sonnenfels bereits seinen polizeywissenschaftlichen theatralen Teil geendet. Der Vergleich des Theaters mit dem „Tollhaus“, das es ersetzen könnte, generiert ein höchst ambivalentes Bild, das die Grundlage von Sonnenfels’ rationaler Konstruktion des Theaters und des von ihm vertretenen naiven Illusionismus transzendiert. Wenn von ihm auch politisch systemimmanent gedacht und als Aufgabenfeld des ideal konzipierten Staates gesehen, so beinhaltet Theater in Sonnenfels’ Konzeption durchaus eine „sozialkritische“ Komponente, wie immer man seine zu Tage tretenden Vorstellungen, etwa des zu weibischen Mannes, beurteilen mag: das Theater ist ein Ort, in dem gesellschaftliche Verhaltensweisen analysiert und je nach Wertekontext bloßgestellt werden sollten. Das Theater ist somit eine kulturelle Waffe, sei es gegen die „Haushälterinnenschaft“ oder die „Scheinheiligkeit“, eine Vorgangsweise, welche auch Widerstände hervorruft. Allerdings können sich die „Haushälterinnen“ nicht in demselben Maße wehren wie die von Molière der „Hypocrisie“ Geziehenen, welche auch die Zensur in Gang setzen konnten, um ein solches Stück zu verbieten. Für solche Vorgänge entwickelt der zensurfixierte Sonnenfels wenig Verständnis, vielmehr scheint er zu hof-

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fen, dass das von ihm erstrebte Theater – nach Abschaffung des „schlechten“ – aufblühen würde. Aufschlussreich ist, was Sonnenfels als mögliche Gegenstände einer solchen ­Lächerlichkeits-Analyse nennt: unnötiger Aufwand bei Gesellschaften, gezierter Umgang zwischen den Menschen, Effeminisierung der Männer, Verschwendungssucht der Frauen und eine offensichtlich zu wenig auf die Ernsthaftigkeit des Lebens ausgerichtete Jugend, wenn wir seine Bezeichnung von „läppisch“ so übersetzen können (vielleicht meint er damit Ähnliches wie Engelschall, der Jugend wie Dienstboten kritisiert hatte). Dabei zielt Sonnenfels nicht auf das Verhalten der unteren, sondern vor allem der mittleren Klassen und auf deren Bereitschaft, einen großen Lebensstil zu imitieren. Somit zeichnet er zwischen den Zeilen ein ambivalentes Bild einer „Décadence“: weibische Männer, verschwendungssüchtige Frauen, eine läppische Jugend, indirekt auch das Bild eines dekadenten Adels und vor allem eines jener, die ihn imitieren. Verschwendung ist ein gewichtiges Thema bei Sonnenfels, und er sieht in der zu Verschwendung und Luxus herangezogenen Jugend einen wesent­ lichen Faktor des moralischen Verfalls, der gegebenenfalls bis zur Prostitution führe. Andererseits ist ihm die bürgerliche, sparsame Frau geradezu Empfehlung auch für Messalliancen (zumindest mit dem niederen Adel), da sie aufgrund ihrer Sparsamkeit und ihres unaufwendigeren Lebensstils dem aristokratischen Haushalt ein Mehrfaches erwirtschaften könne als eine zwar mitgiftbedachte, aber in aufwendiger Lebensführung verharrende aristokratische Frau. Die Tugend der Frau, die Sonnenfels in so vielfältiger Weise beschwört und die er speziell auf der Bühne nie verletzt sehen möchte, ist schließlich auch ihr „ökonomisches Kapital“. Tatsächlich finden sich in der späteren Wiener Komödie, etwa bei Paul Weidmann, durchaus Züge, mit denen versucht wird, alle „gezierten“ oder auf Schaustellung hin orientierten Verhaltensformen der Lächerlichkeit preiszugeben, und von solchen Verhaltensmustern kann der distinguierte Adel, der seinen Status nicht erst täglich zu „demonstrieren“ braucht, leichter Abstand nehmen als die „neue“ Aristokratie und jene aufstiegsorientierten Mittelklassen, die sich gewisse Ausdrucksformen erst mühsam und unter erheblichen Kosten angeeignet haben. Doch ist gerade dieses Beziehungsfeld von mittleren und oberen Klassen ein genuines Feld der „Lächerlichkeit“, wie es auch Ausdruck gesellschaftlicher Dynamik ist. Lächerlich ist nicht das „Komische“, lächerlich ist die „Prätention“. „Lächerlichkeit“ ist abhängig vom Beobachterstatus, und als gesellschaftliche Waffe bedeutete Lächerlich-Machen, einer unterstellten Prätention kommunikativ die Grundlage zu entziehen, sodass ein zuvor als erstrebenswert angesehenes Verhalten in seiner kulturellen Interpretation ins Gegenteil umschlägt. In dieser Form ist es eine „zensorische“, das Verhalten steuern wollende Maßnahme. Diesbezüglich kann das Theater, wie Sonnenfels hofft, eine Waffe in Hinblick auf die von ihm verurteilten Verhaltensweisen sein. Eine solche Vorgangsweise kann sich allerdings gegen alles wenden, 105

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in erster Linie aber gegen „hehre“ Intentionen wie Prätentionen – insofern ist dies eine zweischneidige Waffe. Und so ist gerade Sonnenfels mehrmals zum Gegenstand „theatraler Lächerlichkeit“ geworden: im 1767 uraufgeführten Lustspiel Der auf den Parnaß versetzte grüne Hut237 von Christian Gottlob Klemm oder in der im Jahr 1773 uraufgeführten Komödie Der Tadler nach der Mode238 von Johann Gottlieb Stephanie dem Jüngeren. Wenn man den teilweise prätentiösen theatralen Gestus des von Sonnenfels geführten Diskurses, wie er in diesem Kapitel dargestellt wurde, heranzieht, hat er selbst dazu einige brauchbare Grundlagen geliefert.

237 Christian Gottlob Klemm: Der auf den Parnaß versetzte grüne Hut. Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Aufgeführt auf dem k. k. Theater, Wien, im Jahre 1767. Die Uraufführung im Kärntnerthor-Thea­ter erfolgte am 26. Februar 1767. Siehe dazu: Zechmeister: Die Wiener Theater, S. 503. 238 Johann Gottlieb Stephanie der Jüngere: Der Tadler nach der Mode, oder Ich weiß es besser. Ein Lustspiel in 5 Aufzügen von Stephanie dem jüngern, aufgeführt in den kais. kön. privilegirten Theatern. Zu finden bey dem Logenmeister. Wien, 1773.

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DAS THEATRALZENSUR-DEKRET DES JAHRES 1770 Nach dem Mann ohne Vorurtheil trat Sonnenfels erneut in die Rolle des Wochenschriftstellers – und diesmal widmete er sich ausschließlich dem Theater. Ende 1767 eröffnete er, wie bereits erwähnt, die Briefe über die wienerische Schaubühne, welche auch als bemühtes ‚Parallelprojekt‘ zur Hamburgischen Dramaturgie von Lessing angesehen werden. In diesen Briefen über die wienerische Schaubühne versuchte Sonnenfels den Anschein zu erwecken, dass es sich dabei um für eine Publikation von ins Deutsche übersetzten Briefen eines in Wien weilenden Franzosen an einen Freund handelt – die Autorschaft Sonnenfels’ wurde jedoch bald aufgedeckt. Wenn er auch in diesen Briefen seinen Kampf gegen das noch immer neben dem regelmäßigen Theater existierende extemporierte Spiel weiterführt, so tritt dies Engagement deutlich in den Hintergrund gegenüber seiner Strategie als dramatischer Zensor, der versucht, anhand der Analyse der auf der Bühne des Kärntnerthor-Theaters gegebenen regel­ mäßigen Stücke „Wege“ und „Irrwege“ des deutschen Theaters aufzuzeigen – von der Bühnensprache bis zum Mienenspiel. Ganz offensichtlich war Sonnenfels daran gelegen, in den Briefen über die wienerische Schaubühne als „Kunstrichter“ angesehen und anerkannt zu werden.

DAS THEATER NÄCHST DEM KÄRNTNERTHOR ALS „REGELMÄSSIGE“ DEUTSCHE BÜHNE Im Februar 1769 beendet Sonnenfels seine theatrale Briefserie: er beschließt sie mit der Ankündigung des Triumphs seiner langjährigen Bemühungen. Anlass dazu war die Unterverpachtung des Kärntnerthor-Theaters an Freiherrn von Bender239, welcher verkünden ließ, nur mehr regelmäßige Stücke spielen zu wollen. Bender hatte im Jänner 1769 einen Kontrakt mit Giuseppe Affligio (1722–1788), dem Generalpächter der Wiener Theater, geschlossen, der über ein weitgehendes Spielprivileg in Wien verfügte und dem auch die Impresarii der in den Vorstädten spielenden Wandertruppen tributpflichtig waren. Etwa vier Jahre zuvor hatte der Hof entschieden, die damaligen Hoftheater, das Theater nächst der Burg und das Theater nächst dem Kärntnerthor, welches 1763 – neu erbaut nach einem Brand im November des Jahres 1761 – durch entsprechende Abschlagszahlungen an die Stadt Wien zum Hoftheater geworden war, zu verpachten.240 239 Franz Hadamowsky: Wien. Theatergeschichte. Von den Anfängen bis zum Ende des ersten Weltkriegs. Wien, München 1988, S. 225. 240 Ebenda, S. 219f.

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Anlässlich der Verpachtung beider Hoftheater – zunächst an Hilverding van ­Wewen241 – wurden im Hinblick auf die Auswahl und Aufführung der Stücke vonseiten des Hofes bestimmte Erwartungen ausgesprochen: die Theater mögen nur solche Stücke aufführen, welche einer Residenzstadt würdig seien – eine Formulierung, welche im Theatralzensur-Dekret 1770 eine wesentliche Rolle spielen sollte –, sowie Stücke, die weder Sitte noch Anstand verletzten. Die zur Aufführung geplanten Schauspiele sollten zuvor der „ordinari Zensur“, d. h. der Bücherzensurkommission, zur Beurteilung vorgelegt werden242 – möglicherweise betraf dies auch die Szenare der Stücke, welche extemporiert aufgeführt wurden. Eine Kontrolle des gesprochenen Textes im Sinne des Verfahrens einer Vorzensur war bei extemporierten Stücken nicht möglich – was auch Sonnenfels so eindringlich beklagt. Doch darf nicht übersehen werden, dass dem extemporierenden Schauspieler ein hohes Maß an täglicher „Selbstzensur“ auferlegt war. Er musste die Wirkungen seiner Worte abschätzen können, musste wissen und gelegentlich austesten, wie weit er gehen und wen er auf welche Weise attackieren konnte – und nicht wenige der von ihm erzielten Erfolge sind wahrscheinlich in der Grauzone von „Sagbarem“ und „Nicht-Sagbarem“ gelegen. Wenn es auch nicht möglich war, die Rede des extemporierenden Schauspielers im vorhinein zu kontrollieren – von generellen „Erinnerungen“, Abmahnungen und Abstrafungen abgesehen –, so war sein Wirken, speziell in der Residenzstadt, immer unter öffentlicher Kontrolle eines vielfältig zusammengesetzten Publikums, zu dem auch der Adel und gelegentlich der allerhöchste Hof gehörten. Im Falle einer „Übertretung“ hatte er sich gegebenenfalls zu rechtfertigen. Die extemporierenden Spieler waren auf das beständige Wechselspiel von Bühne und Publikum angewiesen. Sie wollten nicht „Ekel“ erregen, wie ihnen Sonnenfels, speziell in der Endphase des „kulturellen“ Kampfes, gerne unterstellt, sondern Beifall – sollten sie Ersteres getan haben, hätten sie in Erwartung eines kontinuierlichen Publikumserfolgs schnell reagiert. Der Ekel, den Sonnenfels empfand, lag vor allem darin, dass das von ihm Verabscheute beim Publikum Zustimmung finden konnte. Das extemporierte Theater war jedoch in der Residenzstadt schon im Rückzug begriffen. Klemms Der auf den Parnaß versetzte grüne Hut, das auch als ein Stück der Konkurrenz der Intellektuellen im „literarischen Feld“ angesehen werden kann, ist keine extemporierte Pièce. Darüber hinaus wird in diesem von einem Anhänger des „gereinigten Theaters“ geschriebenen Stück, der sich ebenso wie Sonnenfels für die Reform des deutschen Theaters einsetzte, die immer wieder beschworene Über­ legenheit des „regelmäßigen“ Schauspiels in keiner Weise in Frage gestellt. Es wird darin vor allem für den Fortbestand der traditionellen „komischen Figur“ plädiert, 241 Ebenda, S. 220. 242 Laut Pachtvertrag vom 31. Dezember 1765. Siehe dazu ebenda.

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und dies mit zwei Begründungen. So könne ein Publikum erreicht werden, das für „höhere“ dramatische Formen nicht ohne Weiteres ansprechbar wäre, womit eine „Selbstpositionierung“ im unteren Spektrum der kulturellen „Pyramide“ vorgenommen wird. Klemm, Vertreter einer gemäßigten Reformlinie, nennt aber in seinem „Hanswurst-Stück“ auch ein zweites Charakteristikum der Figur, ein kritisches: die „Maske“ der komischen Figur erlaube einen erhöhten Grad an Redefreiheit, die man anderen „Figuren“ wie auch den Menschen jenseits des Bühnenraums nie gestatten würde. In welchem Ausmaß und für welche Anliegen der Hanswurst Gottfried Prehauser tatsächlich von dieser „Redefreiheit“ Gebrauch gemacht hat, lässt sich heute schwer sagen – in besagtem Stück wendet sich die kritische Dimension vor allem gegen den theatralen Criticus, Bühnen-Inkarnation von Sonnenfels. Auf den kritischen Aspekt der traditionellen komischen Figur wird sich 14 Jahre später Friedrich Nicolai beziehen, wenn er anlässlich des schon erwähnten Besuchs in Wien im Jahre 1781 auch Überlegungen anstellen wird, wie man die traditionellen Figuren des Wiener Theaters für eine aufgeklärte Bühne nützen könnte.243 Zur Zeit der Übernahme des Kärntnerthor-Theaters durch Baron Bender hatte sich das traditionelle extemporierte Wiener Theater gleichsam in natürlicher Weise „überlebt“. Am 30.  Jänner 1769 war Gottfried Prehauser gestorben – Sonnenfels bricht in nicht sehr pietätvolle Jubelrufe aus244 –, und einen Monat zuvor, am 29. Dezember 1768, war auch Friedrich Wilhelm Weiskern (1711–1768), der die Figur des Odoardo kreiert wie auch gelehrte Bücher geschrieben hatte, gestorben – zwei Säulen des Wiener extemporierten Theaters. In gewisser Weise kann man auch sagen, Baron Bender, so sehr dies auch seinen Intentionen entsprochen haben mag, konnte mit der verbliebenen Schauspieltruppe gar nicht mehr in vergleichbar wirkungsvoller Art auf das extemporierte Schauspiel alten Typs zurückgreifen – was Sonnenfels in seinem „Nachruf “ auf Gottfried Prehauser durchaus erkannt hat. Dafür spricht auch, dass die nach dem baldigen Abgang Benders vom Theater getätigten Versuche, am Kärntnerthor-Theater wieder ein extemporiertes Schauspiel zu reaktivieren, auf äußere Ressourcen zurückgreifen mussten, auf „Ressourcen“, welche nicht mehr ohne Weiteres mit dem Image des deutschen Theaters der „Residenzstadt“ kompatibel schienen. In einer Nachricht der neuen Theaterdirektion an das Publikum, unterfertigt am 25. Februar 1769 und von Sonnenfels wie die Nachricht von Prehausers Tod in die letzte Nummer seiner Briefe über die wienerische Schaubühne aufgenommen, wird eine 243 Vgl. Nicolai: Beschreibung einer Reise durch Deutschland. Vierter Bd., S. 611–619. 244 „Aber er ist gestorben, der grosse Pan: verkündigt es den Inseln ihr Wälder und ihr hallet es dem festen Lande wieder zu! die Stütze der Burleske ist gefallen, ihr Reich ist zerstöhret. Welch ein Vergnügen für mich, da ich mich gewissermassen als den Urheber dieser Resolution an­sehen kann, die auf den Geschmack die glücklichsten Folgen haben muß!“ Sonnenfels / ­H aider-Pregler: Briefe über die wienerische Schaubühne, S. 343.

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wohleingerichtete Schaubühne als das „angenehmste, das lehrreichste, das unschuldigste Vergnügen für die Bürger eines Staates“245 gepriesen. Die herrschenden Laster und Torheiten sollen verächtlich respektive lächerlich gemacht werden, und selbst „der niedrigste Bürger lernt das wahre Gute und Schöne kennen“246; so verbreite sich „der gute Geschmack […] auf die ganze Nation“247. Die Direktion verspricht, das „Nationaltheater“ zur Höhe empor zu heben und „des Sitzes der Kaiser, eines erleuchteten Adels, eines empfindungsvollen Publikums, und der Hauptstadt Deutschlandes würdig zu machen.“248 Ein Spielplan nicht nur für „Gelehrte“ wird verheißen, auch der „geringste Bürger“ möge sein Vergnügen finden. Man werde alle Gattungen vorsehen, von der heroischen Tragödie bis zum Niedrig-Komischen. Insbesondere werden die Schriftsteller aufgerufen, an diesem großen Projekt zu partizipieren und an den nunmehrigen Direktor des deutschen Theaters, Franz Heufeld (1731– 1795), ihre neuen Stücke einzusenden. Eine Belohnung von „hundert und mehr Gulden“249 wird in Aussicht gestellt, sofern ein eingesandtes Stück für eine Aufführung approbiert würde. Die Beurteilung würde „weit entfernt von allem Stolze, von aller Eigenliebe, von aller Partheylichkeit, von allem einseitigen Geschmacke“250 erfolgen. In der neu angekündigten Theaterära wurde kein extemporiertes Theater mehr gegeben, und den neu engagierten Schauspielern wurde vertraglich zugesichert, keine extemporierten Rollen übernehmen zu müssen.251 Sonnenfels versuchte die sich ankündigende Entwicklung als Ergebnis seiner Bemühungen darzustellen – er selbst war jedoch organisatorisch in das Theatralprojekt nicht eingebunden: neben dem bereits genannten Heufeld in der Rolle des Theaterdirektors wirkte Sonnenfels’ Konkurrent Klemm als „Theatersekretär“ mit. Es mag durchaus strategische Gründe gehabt haben, dass sich Sonnenfels nunmehr aus der Öffentlichkeit zurückzog, weil es, wie zu vermuten, ihm offensichtlich schwerfiel, das richtige Verhältnis von Nähe und Distanz zu finden: die neue Theatralära war in seiner Vorstellung „sein“ Projekt, während sie tatsächlich nicht „sein“ Projekt war.

245 Ebenda, S. 344. 246 Ebenda. 247 Ebenda. 248 Ebenda. 249 Ebenda, S. 345. 250 Ebenda, S. 346. 251 Vgl. ebenda, „Nachwort“, S. 409.

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RÜCKKEHR DES KURZ-BERNARDON Die „Ära Bender“ endete bereits nach einem halben Jahr – der Bankier, dessen Erwartungen hinsichtlich der Finanzierung des ambitionierten Spielplans nicht aufgingen, zog sich im September 1769 zurück.252 Der sich in finanzieller Bedrängnis befindende Generalpächter Giuseppe Affligio und seine laut Assoziationsvertrag vom 11. Oktober 1769 neu gewonnenen Teilhaber Christoph Willibald Gluck und Franz Lo Presti253, Sohn des 1752 von der Wiener Theatralimpresa zurückgetretenen Rocco Lo Presti (1704–1770), planten, das extemporierte Spiel wieder in den Spielplan aufzunehmen. Sie konnten diesbezüglich nicht auf die bestehenden personellen Ressourcen des Theaters bauen und planten zunächst die erfolgreich in der Leopoldstadt spielende Truppe Johann Matthias Menningers (1733–1792), die diese Kunst beherrschte, an das Kärntnerthor-Theater zu engagieren.254 Die Schauspieler des Kärntnerthor-Theaters jedoch befleißigten sich der Insubordination und richteten im November 1769 ein Schreiben an den Generalspektakeldirektor, den Grafen Johann Wenzel von Sporck (1724–1804).255 Unterzeichnet ist dieses Promemoria von dem Schauspieler Christian Gottlob Stephanie dem Älteren, der gemeinsam mit seinem erst im selben Jahre an das Kärntnerthor-Theater engagierten jüngeren Bruder in weiterer Folge eine wichtige Rolle im Wiener Theater spielen sollte. Wie Hilde Haider-Pregler256 gezeigt hat, war der Verfasser dieses Promemoria jedoch Sonnenfels. In aller Eindringlichkeit wird vor den per se unanständigen Possenspielen gewarnt, für ein Verbot des extemporierten Theaters plädiert und argumentiert, dass die extemporierten „Possenspiele“ der Kasse weit weniger einträglich seien als von deren Befürwortern vorgetragen. Die „Schauspieler“ sind offensichtlich nicht nur nicht geneigt, wieder zu extemporieren, sie sind auch nicht bereit, ein Stegreifspiel auf der Bühne zu dulden, auf welcher sie in regelmäßigen Stücken auftreten.257 252 Hadamowsky: Wien. Theatergeschichte, S. 225. 253 Ebenda. 254 Ebenda. 255 Vgl. Günter Brosche: Joseph von Sonnenfels und das Wiener Theater. Dissertation, Universität Wien 1962, S. 102. Franz Hadamowsky (Wien. Theatergeschichte, S. 225) gibt als Datum den Dezember 1769 an. Wenn man jedoch die in der nächsten Fußnote folgende Information heranzieht, so muss dieses Promemoria allenfalls in der ersten Novemberhälfte 1769 erfolgt sein. 256 Hilde Haider-Pregler verweist diesbezüglich auf einen Bericht in der Erfurtischen gelehrten Zeitung, 93. St., 20. November 1769 (Haider-Pregler: „Nachwort“. In: Sonnenfels / Haider-Pregler: Briefe über die wienerische Schaubühne, S.  419). Sonnenfels’ Autorschaft wird weiters bestätigt in ­einem Brief von Sonnenfels an Christian Adolph Klotz vom 9.  März 1770; siehe dazu ebenda, S. 410. 257 Text wiedergegeben in: Oskar Teuber: Das k. k. Hofburgtheater seit seiner Begründung. Wien 1896 (= Die Theater Wiens, 2. Bd., 1. Halbbd.), Anhang, Anmerkungen Nr. 19, S. VII.

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Am 16. Dezember 1769 reagiert Affligio auf die Anwürfe258 – er bekennt sich zur Priorität des regelmäßigen Theaters und betont, dass die von ihm geplante Wiedereinführung des extemporierten Spiels nur eine Übergangslösung sei. Diese diene letztlich dazu, das regelmäßige Schauspiel langfristig zu befestigen und Ersteres überflüssig zu machen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch gäbe es noch zu wenige gute und erfolgreiche regelmäßige Stücke (er präsentiert auch eine kleine Statistik), um einen ausschließlich auf regelmäßigem Bühnenspiel beruhenden Theater­ betrieb aufrecht erhalten zu können. Die Aufnahme eines extemporierten Spiels biete darüber hinaus der Theaterleitung eine größere Flexibilität bei der Spielplangestaltung, und die „regelmäßigen“ Schauspieler hätten an den für sie aufgrund des extemporierten Theaters spielfreien Tagen ausreichend Zeit, ihre Rollen zu studieren. ­A ffligio verwahrt sich gegen die Ansicht, dass die extemporierten Stücke per se sittenlos wären; sie würden diesbezüglich den regelmäßigen Stücken bei wohlgeordneter Theaterführung nicht nachstehen. Um dies sicherzustellen, schlägt er vor, ­einen Theatralzensor zu installieren, welcher den Proben der extemporierten Spiele beiwohnen sollte – eine Art „Vorzensur“ des Stegreifspiels. À la longue blieben diese Vorschläge für das deutsche Theater in der Residenzstadt ohne Wirkung, ein erster Hinweis darauf, dass es im Kern nicht um das ging, was Affligio so eindrücklich zu thematisieren versuchte. Am 11.  Jänner 1770 wurde Affligios Gesuch zurückge­ wiesen.259 Zum Zeitpunkt seines Schreibens hat Giuseppe Affligio respektive haben seine neuen Teilhaber Gluck und Lo Presti offensichtlich schon neu disponiert: sie bemühten sich um ein Engagement von Johann Joseph Felix von Kurz-Bernardon, der noch lebenden Leitfigur des „alten“ Wiener Theaters, eine Person, die dereinst bei Maria Theresia in Ungnade gefallen war, die in einem Dekret aus dem Jahre 1752 ausdrücklich alle Stücke des Bernardon in Wien untersagen wollte260, was allerdings trotz seines damaligen kurzfristigen Abgangs aus Wien in der Folge gegenstandslos blieb und seiner weiteren Popularität keinen Abbruch tat. Die Bühnenfigur des Bernardon war damals, wie wir aus Engelschalls Zufälligen Gedanken über die Deutsche Schaubühne erfahren konnten, auch nicht ohne Anreiz für die jungen adeligen Herren gewesen: Höhepunkt der damals vom deutschen Theater ausgehenden Sittenverrohung war für Engelschall die Wirkung, die Bernardon angeblich auf das Verhalten junger Männer aus der besseren Gesellschaft ausübte. 258 „Promemoria des Oberstlieutenant Affligio, überreicht den 16ten Christmonat“. Zitiert nach ­G eschichte und Tagbuch der Wiener Schaubühne. Herausgegeben von Johann Heinrich Friderich Müller, Mitgliede der k.k. National Schauspieler Gesellschaft. Wien gedruckt bey Joh. Thom. Edlen von Trattnern, kaiserl. königl. Hofbuchdruckern und Buchhändlern. 1776, S. 33–47. 259 J. H. F. Müllers Abschied von der k.k. Hof- und National-Schaubühne. Mit einer kurzen Biographie seines Lebens und einer gedrängten Geschichte des hiesigen Hoftheaters. Wien, 1802. Gedruckt bey Joh. Bapt. Wallishausser, S. 70. 260 Siehe dazu das Kapitel „Eine missachtete allerhöchste Weisung?“ (S. 128–135).

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Knapp zwei Wochen nach obgenanntem Schreiben Affligios – am 3. Jänner 1770 – trat Kurz das erste Mal nach zehnjähriger Absenz wieder in Wien auf.261 Die Strategie Affligios und seiner Kompagnions war aus ihrer Sicht durchdacht, wenn sie auch wesentliche Rahmenbedingungen der sozialen und kulturellen Dynamik außer Acht gelassen hatten. Ihnen scheint – unter den Prämissen, welche im Schreiben Affligios vom 17. Dezember 1767 geäußert werden – klar gewesen zu sein, dass eine wie auch immer vorgenommene „Reanimierung“ des extemporierten Theaters nicht mehr aus dem Pouvoir der existierenden Schauspieltruppe des deutschen Theaters erfolgen konnte. Daraus ergab sich die Intention, neue Kräfte zu suchen, die sich in diesem Metier bereits mit Erfolg im Wiener Raum bewährt und ein bestimmtes Image kreiert hatten. Kurz-Bernardon war eine Figur, die auf der Wiener Bühne, wenn auch schon vor geraumer Zeit, außergewöhnliche Erfolge gefeiert hatte. Wenn er in der späteren Rezeption auch als Antipode all dessen präsentiert wurde, was Sonnenfels anstrebte, so zeichnet dies allerdings ein verzerrtes Bild der Person Kurz-Bernardons. Zweifellos war sein einstiger Erfolg in Wien ein wesentlicher Impetus, ihn zu engagieren, verbunden mit der Erwartung, die Theaterkassen zu füllen. Doch pflegte Kurz-Bernardon, der vor seinem neuerlichen Wien-Engagement in bedeutenden deutschen Städten wie München, Nürnberg, Frankfurt, Köln, Mannheim und Mainz als Theaterunternehmer wie Schauspieler wirkte262, neben den „Bernardoniaden“ einen Spielplan, der die neuen Entwicklungen im Schauspiel berücksichtigte und somit auch regelmäßige Stücke beinhaltete. Als Schauspieldirektor hatte er auch unter Anhängern des „gereinigten“ Theaters einen guten Ruf, und manche priesen seine Truppe – auch wenn sie den mitunter gegebenen „Bernardoniaden“ ablehnend gegenüberstanden – als eine der besten in deutschen Landen, so in einem 1768 publizierten Briefwechsel zweier anonym bleibender Freunde: „Aber ich kann und muß zur Ehre des Herrn von Kurz sagen, daß sein Thea­ ter itzt eines der vornehmsten deutschen Theatern ist. Man führet ungemein schöne Stücke auf. Unter andern sind zwee neue (der ehrliche Verbrecher und Eugenie263) beede von geschickten Federn übersetzte rührende Schau261 Hadamowsky: Wien. Theatergeschichte, S. 226. 262 Siehe dazu Ulf Birbaumer: Das Werk des Joseph Felix von Kurz-Bernardon und seine szenische Realisierung. Versuch einer Genealogie und Dramaturgie der Bernardoniade. Wien 1971, S. 17. 263 Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais: Eugenie, Drame en 5 actes. Uraufgeführt am 29. Jänner 1767 in Paris, Comédie-Française, laut Zechmeister in Wien in französischer Fassung in der Zeit 1768/72 erstaufgeführt (Zechmeister: Die Wiener Theater, S. 508). Die deutschsprachige Wiener Erstaufführung erfolgte laut Zechmeister am 9.  Juli 1768 am Kärntnerthor-Theater (ebenda, S.  511). Schon in der Ausgabe vom 10.  Juli 1768 berichtet Sonnenfels sehr ausführlich über das Stück von Beaumarchais, dessen Vorrede zu seinem Drama er ausführlich zitiert: „ich gestehe Ihnen […] daß ich den Verfasser Eugeniens wegen seiner Theorie fast eben so hoch schätze, als wegen seiner glücklichen Ausführung. Auf Zuschauer, denen die Natur nicht alles Gefühl ver­

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spiele, vorgestellet worden. Ein neuer Schauspieler, der zu M . . .264 noch nicht aufgetreten ist, Herr Wahr265 mit Namen, ist die Zierde der Kurzischen Gesellschaft. Ein Mann des schönsten Ansehens, Empfindung, und Natur. Ich nenne ihn eine verbesserte Uebersetzung eines französischen Schauspielers. Dies wird genug seyn, Sie begierig zu machen, ihn zu sehen. Es wäre sehr schade, wenn die Nachricht wahr seyn sollte, daß der Herr von Kurz nicht wieder nach M . . . käme; denn es ist ausser allem Zweifel, daß Sie eine solche Gesellschaft, wie diese nunmehr ist, nie wieder bekommen werden. Ich muß Ihnen gestehen, daß ich sie gar nicht mehr kannte, so ungemein sind die Schauspieler und Schauspielerinnen verbessert, und so schön sind die Stücke, welche sie itzt aufführen. […] Leben Sie wohl. Ich zweifele daran, ob ich sobald diese Gesellschaft wieder sehen werde: und das, was ich sie dießmal gesehen habe, macht mir den Verlust sehr empfindlich. Ich gehe nach W . . . wo ich vieles vom H. w: sehen werde. Ich werde Ihnen aber von Zeit zu Zeit meine kritische Anmerkungen überschicken. Die weitere Entfernung von Ihnen, schätzbarester Freund! soll unsere Vereinigung nicht trennen. Ich werde mich stets nennen Ihren ganz eigenen Freund.“266 Mit „W…“ ist ganz offensichtlich Wien gemeint. Dazu fällt dem anonymen Briefschreiber nach dem Lob des Herrn von Kurz und seines „regelmäßigen“ Schauspiels nur H.  W. (die übliche Abkürzung für „Hanns-Wurst“) ein. Er kommentiert dies nicht weiter, doch nach all dem Gesagten erscheint das „neue Theater“ des KurzBernardon geradezu wie ein Gegenbild, das er auch offensichtlich dort vermissen saget, muß dieses Stück seine Wirkung unfehlbar thun, auch wann es nur erträglich auf das Ganze vorgestellt wird. Ich habe, däucht mich, schon in einem andern Schreiben gegen Sie angemerkt, daß man dem hiesigen Publikum, ich weis nicht aus welchen Ursachen, einen vorzüglichen Hang für das Burleske andichtet: der Augenschein, und die Einnahmregister widerlegen diese Beschuldigung, die vielleicht vor einigen Jahren ihren Grund gehabt haben dürfte.“ Sonnenfels / Haider-Pregler: Briefe über die wienerische Schaubühne, S. 192. 264 Möglicherweise Mainz oder Mannheim, wo Kurz-Bernardon 1767/68 spielte. 265 Karl Wahr, 1745 in Petersburg geboren, debütierte als 19-Jähriger in der Truppe von Johann Joseph Felix von Kurz. 1770 wurde er nach dem Abgang von Kurz aus Wien von dessen Nachfolger Koháry engagiert und war bald darauf auch als Theaterunternehmer tätig, der sich für das regelmäßige Schauspiel einsetzte und ein sehr ambitioniertes Repertoire pflegte, so auch in Salzburg 1775/76, wo auch Mozart mit großer Wahrscheinlichkeit einige der Wahr’schen Aufführungen gesehen hat. Karl Wahr wurde 1783 vom Grafen Nostitz beauftragt, das neu gebaute Nationaltheater in Prag, wo vier Jahre später Da Pontes und Mozarts Don Giovanni uraufgeführt wurde, zu eröffnen. Er musste allerdings nach einem Jahr der Konkurrenz der Schauspieltruppe Pasquale Bondinis weichen. Von 1788 bis 1791 übernahm Wahr erneut das Prager Nationaltheater, wo ihm Pasquale Bondinis ehemaliger Kompagnion, Domenico Guardasoni, nachfolgte. 266 Briefe die Theatralische Gesellschaft des Herrn Joseph von Kurz betreffend. 1768, s.  l., unpaginiert, ­Zehender Brief (ÖNB, Sign. 624184-B).

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würde. Am 12. Februar 1770 wird ein Direktorenvertrag mit Kurz geschlossen, unterzeichnet von Giuseppe Affligio und dessen Gesellschafter Christoph Willibald Gluck,267 der ihn zu einer Kaution von 12.000 Gulden verpflichtete. Bezugnehmend auf eine Quittung vom 30. März 1770, in welcher Kurz bestätigt, Geld für Auslagen für Schauspieler erhalten zu haben, zieht Gustav Zechmeister den Schluss, dass Kurz’ Direktion nicht einmal zwei Monate gedauert hat.268 Am 23.  Februar 1770 schließt Graf Koháry einen Vertrag mit Affligio, gemäß dem jener die Anteile von Affligios Kompagnions übernimmt. Bald darauf verlässt Affligio das Wiener Theater: Ende Mai des Jahres 1770 übernimmt Graf Koháry die Impresa der Wiener Theater – Franz von Häring wird Direktor des deutschen Theaters269. Die kurze Kurz’sche ­Direktion des deutschen Theaters in Wien fällt somit in eine Phase neuer Weichenstellungen.270

WIEN ALS „ZUFLUCHTSORT DER UNANSTÄNDIGKEIT“. ZUM LETZTEN KAMPF GEGEN DAS EXTEMPORIERTE THEATER Doch kommen wir auf die Reaktionen der Gegenseite zurück: Sonnenfels verfasste neben oben genanntem, von den Schauspielern unterzeichneten Promemoria noch eine zweite Schrift: Über die Notwendigkeit, das Extemporiren abzustellen, welche auszugsweise auch in der Brünner Zeitung271 veröffentlicht wurde. Günter Brosche und Hilde Haider-Pregler gehen davon aus, dass letztgenanntes Promemoria „ungefähr zur gleichen Zeit“272 respektive „parallel“273 erfolgt ist – also im November 1769. Diese Datierung ist allerdings nicht sehr plausibel, zumal wenn man die vollständige Fassung heranzieht. Sonnenfels nimmt in dieser Schrift explizit Bezug auf KurzBernardon, dessen erneutes erstes Auftreten in Wien laut Hadamowsky erst am 3. Jänner 1770 erfolgte. Von diesem Promemoria berichtet Sonnenfels auch in einem Brief an Klotz vom 9. März 1770, in dem er die große Wirkung dieser Schrift kundtut: das Extemporieren sei nun „auf ewig“ verboten, und er sei als Gegengewicht zu Kurz-Bernardon, dessen Engagement der Hof aufgrund des Pachtvertrages nicht verhindern konnte, als Theatralzensor eingesetzt.274 Dieses Promemoria ist demzufolge höchstwahrscheinlich im Jänner 1770 geschrieben – als Reaktion auf die mit Kurz-Bernardon verbundenen neuen theatralen Zustände. 267 Siehe dazu Zechmeister: Die Wiener Theater, S. 85ff. 268 Ebenda, S. 90. 269 Hadamowsky: Wien. Theatergeschichte, S. 229. 270 Zechmeister: Die Wiener Theater, S. 85. 271 Vgl. Brosche: Joseph von Sonnenfels und das Wiener Theater, S. 103. 272 Ebenda. 273 Sonnenfels / Haider-Pregler: Briefe über die wienerische Schaubühne, „Nachwort“, S. 410. 274 Ebenda, S. 411, Anmerkung 111.

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In der Eröffnung der Schrift weist Sonnenfels darauf hin, dass „seine“ bisherigen Bemühungen zur Hebung des Geschmacks nunmehr schon die ersten erkennbaren Früchte getragen hätten: „Die wiederholten Vorstellungen, welche ich an das Publikum, über die nothwendige Verbesserung des Nationalschauspiels, gemacht, haben endlich bei einem großen Theile desselben die Würkung hervor gebracht, daß man mit einer Art von Schamröthe in diejenigen Zeiten zurück sieht, wo in der ansehnlichsten Hauptstadt Deutschlandes, in dem Sammelplatze des gewähltesten Adels, in dem Orte, wohin häufige Fremde, nicht mehr durch ihre Geschäfte, als durch den Wunsch gezogen werden, eine Fürstinn zu sehen, welche die Liebe ihres Volkes und die Bewunderung Europens ist, daß man es da als ein Vergnügen ansah, den abgeschmacktesten Fratzen eines Possenreissers, den elendesten Stücken ohne Witz, ohne Zusammenhang, sehr oft ohne Menschenverstand, einige Stunden des Abends zu schenken, zu solchem Unsinn wohl gar mit seinem Beifalle zu ermuntern“.275 Was gewinnen wir daraus an neuen Informationen? Sonnenfels’ Selbstpräsentation als heroische Figur kennen wir mittlerweile schon zur Genüge; neu an seiner Argumentation – etwa gegenüber den im vorigen Unterkapitel zitierten Äußerungen – ist, dass sich seiner Aussage gemäß bereits ein Großteil, jedenfalls eine qualifizierte Minderheit in Sonnenfels’ Lager befände. Dieser Teil sähe nunmehr mit Schames­röte auf die Zeit der „verderbten Schauspiele“ zurück. Der Begriff der Schamesröte, der auch im Diskurs der folgenden Jahre eine Rolle spielen wird, scheint hier, wenn auch nicht expliziert, in doppelter Funktion verwendet worden sein: die Schamesröte, die man angesichts der „defizienten“ kulturellen Geschichte des eigenen Landes zu empfinden hätte, dies tagtäglich gespiegelt in der Verachtung der sich zahlreich in Wien aufhaltenden Fremden, und die Schamesröte, die man persönlich schuldhaft zu empfinden hätte, da man sich noch vor nicht allzu langer Zeit im falschen Lager befunden hätte. Neu ist auch die indirekte Bindung der Schamröte an die Regentin selbst: wie bereits in seiner im vorigen Kapitel analysierten Kritik am Adel verfährt Sonnenfels auch hier zweigleisig, wenn auch dem Range der Angesprochenen gemäß in subtil verschachtelter Form. Als Vermittlungsinstanz für die Kritik fungiert der „Fremde“: dieser käme vor allem nach Wien, um den Glanz Maria Theresias, der Fürstin, zu sehen, welche die Liebe ihres Volkes und die Bewunderung Europas sei. Was der Fremde zu sehen bekäme, sei jedoch das absolute Gegenteil des „Sternenglanzes“: 275 Allgemeine Bibliothek für Schauspieler und Schauspielliebhaber. Des I. Bandes II. Stück. Frankfurt, Leipzig 1776, S. 3.

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Abgeschmacktheit, Vernunftwidrigkeit, Elendigkeit. Der so beschworene Schmutz der Bühne wirft, soweit die implizite Intention Sonnenfels’, seinen ekligen Schatten auf die Herrscherin selbst, die trotz der ihr unterstellten Souveränität bereit wäre, solches zu dulden. Im Zentrum der einleitenden Argumentation steht nicht die ansonsten bemühte Sittenwidrigkeit des Theaters, sondern die diesem unterstellte Geschmacklosigkeit und Vernunftwidrigkeit, präsentiert im Zentrum des Reiches. Sonnenfels geht es in dieser Einleitung nicht um eine Differenzierung, es geht ihm um ein kräftiges Bild. Wenn wir die spätere Reaktion des Hofes in Betracht ziehen, war dieser Satz vielleicht einer der wirksamsten von Sonnenfels’ Promemoria. Trotzdem sich der gute Geschmack, so Sonnenfels weiter, auf dem Vormarsch befände, erfreue sich die „Fratze“ noch immer zahlreicher Anhänger, auch in den obersten Rängen der Gesellschaft: „Die Ausländer würden erstaunen, wenn ihnen die Namen derjenigen bekannt wären, welche uneingedenk ihres Ranges, den sie bekleiden, ganz nicht geheim, sich an die Spitze der Possenreisserrotte stellen, und durch ­ihren Namen, den sie zur Beförderung des Geschmacks herzuleihen, sich nie erbitten ließen, die Parthey der Unsittlichkeit ansehnlich und mächtig machen.“276 Hier nimmt Sonnenfels die Kritik an der „Geschmacksverirrung“ von Teilen des Adels wieder auf, wenn auch nicht so explizit wie im Mann ohne Vorurtheil. Wurde im ersten Absatz das Wort „Sitte“ nicht erwähnt, so wird es in der weiteren Folge als Generalindikator eingeführt: all das, was Sonnenfels eingangs bekämpft hatte, subsumiert er unter den Begriff der Unsittlichkeit. Die „Parthey des grünen Huts“, dessen projektierter „Protagonist“ vor einem Jahr verstorben war, wird zur „Parthey der Unsittlichkeit“. Und mit der „Possenreisserrotte“ sind offensichtlich all jene gemeint, die das Neuengagement Kurz-Bernardons guthießen. Sonnenfels’ Angriffe, die hier auch gezielt auf namentlich nicht genannte Inhaber hoher Ränge gerichtet sind, mögen auch ein Indiz dafür sein, dass Kurz’ Auftritt in Wien nicht auf die einheitliche Ablehnung gestoßen ist, die Sonnenfels für angemessen gehalten hätte. Auf den Adel kommt Sonnenfels auch in weiterer Folge zu sprechen. Es sei für jedermann „etwas Unzusammenhangendes“, wenn sich der Adel so sehr für das französische Schauspiel einsetze, „indessen das Nationalschauspiel gleichsam nur als ein zufälliger Theil angesehen, und sich selbst überlassen ist.“277 Die Sorge um die Theater müsse zumindest in gleichem Maße geteilt sein, „wenn nicht vielmehr das Theater der Nation dieselbe vorzüglich auf sich ziehen muß.“278 Sonnenfels zählt drei 276 Ebenda, S. 4. 277 Ebenda, S. 5. 278 Ebenda.

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Gründe auf, welche seiner Ansicht nach gemeiniglich für die Erhaltung einer französischen Schaubühne angeführt werden: 1. Hof und Adel würden ein ihrem Rang entsprechendes Schauspiel benötigen, 2. den Fremden solle ein attraktiver Spielplan geboten werden, und 3. das französische Theater diene als kulturelles Muster für die deutsche Bühne. Der erstgenannte Grund, der impliziere, dass das deutsche Theater des Adels und des Hofes nicht würdig sei, wäre, so Sonnenfels, gleichzeitig ein Eingeständnis, dass sich beide zu wenig um dieses bekümmert hätten. Frankreich und England hätten alles daran gesetzt, das eigene Nationalschauspiel zu verbessern, anstatt in privilegiertem Rahmen ein fremdes zu fördern. Dahin sollten auch alle Anstrengungen im eigenen Lande gehen, anstatt sich auf dem Gebiete der Verfeinerung des Geschmacks von jeder noch so kleinen deutschen Provinzstadt übertreffen zu lassen. Und wenn Wien schon keine solchen kulturellen Ambitionen entwickelte, solle man wenigstens verhindern, sich die Verachtung aller Fremden zuzuziehen, und der Meinung zu widersprechen versuchen, dass ausgerechnet die Residenzstadt der „Fratze“ und „Unanständigkeit“ einen „Zufluchtsort“ gewähre. „Ich weiß nicht welchen Antheil ein großer Teil meiner Mitbürger an dem Ruhme oder der Schande ihrer Nation nehmen: aber ich fühle, daß mir bei jedem solchen Vorwurfe das Blut an die Stirne tritt; und daß die Begierde, die Nationalschande von uns zu wälzen, mich eben so sehr auf dem Wege meiner Anwendung angespornet habe, als das Vergnügen, so die schönen Wissenschaften gewähren, oder die Ehre, die ihre glücklichern Verehrer einst krönen mag.“279 Die in der Einleitung des Textes formulierte ‚subtile‘ Kritik an der Regentin, die zulasse, dass man in ihrer Residenz das Theater nur mit Schamesröte betreten könne, wird ohne jede weitere explizite Bezugnahme auf ihre Person implizit weitergeführt: fehlendes Engagement für eine Nationalschaubühne, Positionierung von Wien als Zufluchtsort der Unanständigkeit und somit implizit Beförderin der „Nationalschande“ – und es mag durchaus die Intention des Verfassers gewesen sein, dass Maria Theresia beim allfälligen Lesen dieser Zeilen das Blut in die Stirn und die Schamröte ins gesamte Gesicht getrieben würde. Im nächsten Absatz folgt jener Passus, der bereits im vorigen Kapitel zitiert wurde. Hier greift Sonnenfels den Hof nun direkt an und nimmt eine weitere Perspektivierung vor: er transformiert die theatrale Frage in eine soziale Frage. Denke der Regent nur an sich und den Adel, verdienten die anderen Bürger, die zum Wohl des Staates beitragen, nicht derselben Fürsorge. Wäre nicht der Staat verpflichtet, ihnen angemessene Möglichkeiten der Ergötzung zu verschaffen? Müsse sich der Bürger 279 Ebenda, S. 7.

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mit einer „Gaucklerbude“ begnügen, die ihn mit Ekel und Schamesröte erfülle? Sonnenfels fordert das Recht jeden Bürgers – ganz speziell der mittleren Klassen – auf eine „gesittete Bühne“, wie er es versteht. Sonnenfels versucht hier, das ‚objektive Interesse‘ der Bürger zu formulieren, welches auch das objektive Interesse des Staates sei, unabhängig davon, welche subjektiven Vorlieben die Bürger aktuell hegten – und zu diesen zählten viele, die Sonnenfels nicht gutheißen wollte.280 Es ist eine doppelte Verantwortung des Staates, die Sonnenfels postuliert: der Staat habe Sorge zu tragen, dass sich die Bürger in angemessener Weise ergötzen können, darauf hätten sie ein Anrecht (aus kameralistischer Perspektive erhöht dies auch die Arbeitsmotivation etc.). Und der Staat habe Sorge zu tragen, dass diese Ergötzungen in einer Art und Weise geschehen, dass sie dem Bürger nicht zum Schaden gereichen. Die mittleren Klassen, so Sonnenfels, bedürften des Theaters weit dringlicher als der Adel, welchem etliche Ergötzungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden.281 Sonnenfels versucht, wie bereits Engelschall, dem Bild zu widersprechen, dass der „gemeine Mann“ – damit meint er nicht die Bauern oder das „Gesinde“, sondern den Mann aus der mittleren Klasse – für das regelmäßige Spiel nicht zu gewinnen wäre. Dagegen sprächen angeblich die Einnahmeregister. Man dürfe allerdings das regelmäßige Schauspiel nicht mit dem ernsthaften schlechthin verwechseln, wie auch die Nachfrage nach „lustigen Stücken“ nicht mit der Lust an „Fratzen“ gleichzusetzen sei. Das Repertoire an regelmäßigen Schauspielen wäre mittlerweile auch schon breit genug, um ein ausschließlich auf dem regelmäßigen Schauspiel basierendes Theater geben zu können. Doch was immer man gegen Argumente einer Kritik des extemporierten Theaters einzuwenden hätte, „sie können nie so wichtig seyn, daß der Staat denselben, die guten Sitten der Bürger und den Ruhm der Nation aufzuopfern, sollten bewogen werden“282 – eine der fortwährend wiederholten Gleichsetzungen von extemporiertem Schauspiel und Sittenlosigkeit. Wenn er, Sonnenfels, in seinem Promemoria auch darauf verzichte, die in der Polizeywissenschaft dargelegte Prämisse des Theaters als Sittenschule zum Ausgangspunkt seiner nunmehrigen Überlegungen zu machen283, so sei dies kein Grund, dem Theater einen „Freybrief “ zu geben, „die Jugend an 280 „Die Ehrbarkeit seufzet beschämt, wenn sie diejenigen, deren strenger Blick alle Unanständigkeit verscheuen soll, die unverschämte Zote durch einen lauten Beifall selbst ermuntern sieht.“ Ebenda, S. 20. 281 Mit diesem Verweis auf die höhere Bedürftigkeit der mittleren Klassen im Hinblick auf das Thea­ ter endet der Text des Brünner Intelligenzblattes. Alle folgenden Ausführungen sind lediglich in der Allgemeinen Bibliothek für Schauspieler und Schauspielliebhaber enthalten. 282 Ebenda, S. 10. 283 „Ich will die Schaubühne nun nicht von derjenigen Seite betrachten, wo sie der Regierung ein Mittel anbietet, die Denkungsart einer Nation zu bilden, ihre Sprache, ihren Umgang zu ver­ feinern, und bei einer gewissen Klasse von Bürgern die Stelle einer Erziehung zu vertreten“. Ebenda.

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Schmutz, Zoten, Pöbelwitz, und Unanständigkeit zu gewöhnen? denn das sind ­eigentlich die Blümchen, wodurch die Stücke für deren Erhaltung die Parthey des Aftergeschmacks Himmel und Hölle bewegt, aufgeziert werden“284. Versuchte Sonnenfels im Mann ohne Vorurtheil noch eine differenziertere Argumentation und gestand ein, dass Sittenwidrigkeit nicht notwendig zum extemporierten Spiel gehöre, so ist die absolute Gleichsetzung des Stegreiftheaters mit Vernunftwidrigkeit und Sittenwidrigkeit, noch ergänzt um den Terminus der Nationalschande, vollzogen. Zwar kam Sonnenfels auch im Mann ohne Vorurtheil zu dem Schluss, dass sich das extemporierte Theater und eine gesittete Nation ausschließen würden, doch argumentierte er dort nur verhalten mit einer tatsächlich nachweisbaren Sittenwidrigkeit des extemporierten Theaters, vielmehr bezog er sich auf das Argument der unkontrollierbaren, potentiell möglichen Sittenlosigkeit, sei’s auch nur das Eine für die Jugend verderbliche Wort, was allein ausreichen würde, um dem Staat ein generelles Verbot nahezulegen. Der Bruch mit der Geschichte des Wiener Theaters wird nunmehr dezidierter vollzogen als je zuvor. Dies zeigt sich besonders an der Figur des Hanswurst Gottfried Prehauser. Vor dessen Tod war Sonnenfels vorsichtig mit Prehauser umgegangen. Es gibt keine direkten Vorwürfe der Zotenhaftigkeit an seine Person. Und Sonnenfels betonte auch immer wieder, nicht an den schauspielerischen Fähigkeiten von Prehauser zu zweifeln. Sonnenfels hat jedenfalls versucht, den Eindruck zu vermeiden, er wolle die Figur des Hanswurst von der Bühne verbannen – diese könne auch weiterhin bestehen, wenn sie auf das extemporierte Spiel verzichte, welches nicht notwendig zu ihrer Rolle gehöre: für Sonnenfels sicherlich vor allem ein strategischer Zug, um Hanswurst-Liebhaber nicht von den Grundsätzen seiner Reformpläne abzuschrecken. Nunmehr wird Hanswurst – gemeinsam mit ­Bernardon, dem aktuellen Feindbild – mit Begriffen bedacht, die Sonnenfels in ­seiner publizistischen Tätigkeit bisher ausgespart hatte: Gottfried Prehauser wird zum „Gauckler“ und „Gelichter“, der stets Unanständigkeit und Schmutz auf der Bühne verbreitet hat. Sonnenfels bezieht sich dabei auch auf das von ihm so bezeichnete „pöbelhafte Possenspiel“ Der auf den Parnaß versetzte grüne Hut, dessen Autor Klemm er in diesem Zusammenhang nicht namentlich erwähnt. Der dortige thea­trale Versuch, ihn zu widerlegen, sei gescheitert, denn die von ihm verkündete Wahrheit sei unwiderlegbar. Als Beweis für die fehlende Stichhaltigkeit der Argumente seiner Gegner greift Sonnenfels auf das bereits am Ende des zweiten Kapitels gebrachte Zitat über das Extemporieren aus dem Mann ohne Vorurtheil (um das es in diesem Stück nicht explizit geht) zurück, in welchem er die große Ungerechtigkeit beklagt, dass ein das l­ etzte Detail seiner Publikation planender Schriftsteller einer strengen Zensur u ­ nterworfen

284 Ebenda, S. 11.

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sei, während der extemporierende Schauspieler unbeschränkt in der Öffentlichkeit sprechen könne. Sonnenfels nimmt jedoch bei der Wiedergabe des Textes aus dem Jahre 1766 zwei markante Änderungen vor: es ist nun nicht mehr von der „strengen Zensur“ die Rede, welche die „kühnsten und schönsten Einfälle“ der Schriftsteller auslösche, sondern nur noch von der „Zensur“, während er beim Begriff des extemporierenden Schauspielers eine dessen moralische Glaubwürdigkeit weiter mindernde Hinzufügung vornimmt: „ein Mensch, den meistens eine üble Aufführung [ein übles Verhalten] oder der Hunger zu der Schaubühne geführt“.285 In den Worten Hanswursts in Klemms Stück sieht Sonnenfels eine Selbstentblößung wie Verhöhnung des Wiener Geschmacks: Hanswurst habe eingestanden, nur „diejenigen, zu ergötzen, deren Nerven für das Gefühl eines feinen Scherzes zu stumpf sind“.286 Als generelle kulturelle Verunglimpfung sieht Sonnenfels Hanswursts in diesem Stück vorgebrachte Rechtfertigung seiner Existenz, nämlich 43 Jahre die Ehre genossen zu haben, den allerhöchsten Hof, den hiesigen Adel und das Publikum unterhalten zu haben. Dazu Sonnenfels: „könnte sich die Ironie selbst zu Verhönung des hiesigen Geschmacks schimpflichere Ausdrücke wählen?“287 Sonnenfels fordert angesichts der ermunternden Entwicklung des Schauspiels unter Baron Bender den Herrscher auf, alles zu unternehmen, um das extemporierte Schauspiel zu verhindern, welches den sich allmählich entwickelnden guten Geschmack wiederum untergraben würde – er spräche im Namen der Vernunft, den dieses verhöhne, im Namen der Sittlichkeit, die dieses untergrabe, im Namen des guten Geschmacks, den dieses zertrete, sowie im Namen des Ruhmes der Nation. In dieser Phalanx Vernunft, Sitte, Geschmack, Nationalruhm weist er darauf hin, dass zu diesem Zwecke schon bestehende Bestimmungen herangezogen werden können: der schon weiter vorne zitierte Passus im Pachtvertrag, der dem Pächter auferlege, in den beiden ehemaligen Hoftheatern nur einer Residenzstadt würdige Stücke aufzu285 „Warum, frage ich, soll ein Schriftsteller, der sich mit Vorbereitung an sein Pult setzt, der nachdenkt, ehe er niederschreibt, überliest, was er geschrieben, wegstreicht, verbessert, Freunde zu Rathe zieht, vielleicht einen Ruhm daran zu setzen hat, ein Glück erwartet, oder waget, warum muß dieser seine Schrift, ehe sie im Druck erscheint, erst der Censur überreichen? Und ein Mensch, den meistens eine üble Aufführung, oder der Hunger zu der Schaubühne geführt, der keine Vorbereitung mit dahin bringt, dieser soll das erste das beste so ihm in den Mund kommt, öffentlich dahin zu werfen berechtiget seyn?“ Ebenda, S. 12. Zu Sonnenfels’ Ausführungen im Mann ohne Vorurtheil siehe S. 65f. in dieser Arbeit. 286 Ebenda, S. 14. 287 Ebenda. Falls überhaupt, wären Figuren wie Hanswurst und Bernardon auf der Bühne nur in „sub-alternen“ Rollen zu tolerieren: „Wenn sie, wie sie die Natur dazu bestimmt hat, nur als subalterne Geschöpfe auf der Schaubühne zu erscheinen sich begnügten, so möchten sie immer durch gehen, aber sie, die nach Horazens Ausdruck nur den emtorem fricti ciceris nicht den equitem quibus est res zu ergötzen bestimmt sind, sie werfen sich zu Dichtern auf, überschwemmen die Bühne mit ihrem Unsinne, suchen darauf zu herschen, und die bessern Stücke und den feinen Geschmack, dessen Ausbreitung sie natürlich überflüßig macht, zu verdringen.“ Ebenda, S. 17f.

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führen. Weiters weist er auf ein kürzlich erlassenes Extemporierverbot hin, das offensichtlich nicht eingehalten wurde oder über dessen exakte Bestimmungen und Reichweite Unklarheiten vorlagen – möglicherweise handelt es sich dabei um die Antwort des Hofes an Affligios obgenanntes Gesuch vom 11. Jänner 1770. Sonnenfels schlägt für eine Theatralzensur einen wesentlich erweiterten Aufgabenbereich vor: nicht nur gegen die Sitte verstoßende Schauspiele sollten untersagt sein, sondern auch alle Stücke, welche die Vernunft und den Menschenverstand verleugneten. Abschließend bietet er seine weiteren Dienste an, um Reformvorschläge zur Verbesserung der deutschen Schaubühne zu erarbeiten, welche die Ausführungen in diesem Promemoria überschreiten würden.

EINER HAUPT- UND RESIDENZSTADT WÜRDIGE STÜCKE. DAS DEKRET JOSEPHS II. Der Hof reagiert auf das Promemoria – drei Punkte hat Sonnenfels erreicht: die Kontrolle des Extemporierverbots in der Residenzstadt, die Neuformierung der Thea­ tralzensur samt einer Erweiterung der Zensurgesichtspunkte auch auf einzelne Fragen des „Geschmacks“ sowie die Ausweitung der Zensur auf die tägliche Überwachung des Theaters. Sonnenfels wird mit der Reorganisation der Theatralzensur beauftragt – dies alles bezogen auf die Residenzstadt, bezogen auf das deutsche Theater. Sonnenfels wurde noch vor dem 9. März 1770 zum Theatralzensor ernannt, als „Gegengewicht“ zum neuen Direktor des deutschen Theaters Kurz-Bernardon, dessen Bestellung der Hof nicht verhindern konnte. Mittels eines Theatralzensur-Dekrets erfolgt die Institutionalisierung der Theatralzensur, die als eigenes Institut unabhängig von der Bücherzensurkommission agieren soll und mit Kompetenzen versehen wird, die über das hinausgehen, was für Sitte, Religion und Staat als nachteilig angesehen wird. Die diesbezügliche Verfügung entstammt einem von Joseph II. gezeichneten Dekret vom 15.  März 1770 – im Folgenden zitiert nach dem Text des Handbillets des Kaisers an Hofkanzler Rudolph Chotek, aufbewahrt in den Brandakten des Österreichischen Staatsarchivs. Diesem Dekret waren detaillierte Vorschläge Sonnenfels’ zur Reform der Theatralzensur vorausgegangen, auf welche ich im Kontext der Analyse dieses Zensur-Dekrets eingehen werde.

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„An Grafen Rudolph Chotek den 15ten Martii 1770288 Ich habe für gut befunden, dem Sonnenfels die Censur bey dem deutschen Theater, und zwar nicht nur in Ansehung des Inhalts der Stücke selbsten, sondern auch in Ansehung deren Aufführungsart, mit folgenden Beobachtungen aufzutragen Primo: daß derselbe bey der Censur nichts zulassen solle, was die Religion, den Staat oder die guten Sitten im mindesten beleidiget, aber auch offenbarer Unsinn, und Grobheit, folglich des Theaters einer Haupt- und Residenzstadt unwürdig ist. Secondo: sind sothaner Censur nicht nur alle neue hergebende, sondern auch die schon vormals aufgeführte Stücke, sie seyen zum Druck, oder zur blossen Vorstellung bestimmt, ohne Ausnahme zu unterwerfen, weilen, besonders in ältern Zeiten aus Übersehen verschiedenes eingeschlichen, welches mit der fürs künftige ohnveränderlich festgesetzten Regel nicht bestehen kann. Tertio: Hat die Impresa, oder wer sonsten ein Stück auf das Theater geben will, solches jederzeit wenigstens 14 Tage vor deren Druck oder Aufführung dem Censori in duplo zu überreichen, damit dieser es neben seinen übrigen Amtsvorrichtungen mit dem behörigen Fleiß durchgehen, und ein Exemplar davon zu seiner Legitimation für sich behalten, das andere aber mit dem admittitur hinausgehen könne. Quarto: Ist, nachdehme ohnehin schon das Extemporieren verbothen worden, den Schauspielern in der Vorstellung alles geflissentliche Zusetzen, Abändern, oder aus dem Stegreif, ohne vorgängige gleichmässige Billigung der Censur, an das Publicum stellende Anreden, auf das schärfeste, und mit der Bedrohung zu untersagen, dass auf den ersten Übertretungs Fall ein dergleichen Acteur oder Actrice ohne Unterschied, wer es seye, alsogleich nach geendigtem Schauspiel auf 24: Stunden in Arrest gebracht, bey dem zweyten Übertretungs Fall aber, der oder dieselbe ohnnachsichtlich vom Theater abgeschaffet werden solle. Quinto: Wird der Censor insbesonderheit auch entweder selbst, oder durch andere, für die er gut zu stehen hat, auf die Execution der Stücke die genaueste Aufsicht tragen, damit die Sittsamkeit eben so wenig durch Gebehrden, oder Gebrauchung unanständiger in deren zur Censur gegebenen Aufsatz nicht bemerkter sogenannter Requisiten, oder Attributen verlezet werde, als worauf die nemliche Straf, wie auf das extemporiren gesetzt ist.

288 Rudolph Graf Chotek (1706–1771), von 1763 bis 1771 oberster Kanzler der Vereinigten Hof­ kanzlei.

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Sexto: Sind fürohin auch die Anschlagzettel zu censuriren. Septimo: wird der Censor alle bemerkende Übertretungen dem Spork anzeigen, damit sofort in Folge gegenwärtiger Meiner Anordnung die nöthige Abhülfe und Ahndung verfüget werden könne. Alles dieses ist seinem würklichen Innhalt nach sowohl dem Sonnenfels durch ein Hof Decret, als vornehmlich, durch die N. Ö. Regierung der Theatral Impresa zur genauesten Nachachtung und weiterer Anweisung des gesamten Theatral Personalis zu intimiren, auch sothane Intimation um so mehr ganz ohnverzüglich zu erlassen, als in einer Wochen das Theater wiederum eroefnet wird, folglich die vorzustellenden Stücke von nun an in die Censur gegeben werden müssen. Übrigens hat der Sonnenfels bey etwa sich ergebenden wichtigeren neue Berichts Erstattung erfordernden Vorfallenheiten sich an die Kanzley zu wenden, die Mir seine Berichte vorlegen wird. Joseph“289 Dieses kaiserliche Dekret ist eine unmittelbare Reaktion auf ein weiteres Promemoria Sonnenfels’, in welchem er detaillierte Vorschläge zur Handhabung der Theatralzensur unterbreitet290 – mit gewissen Abänderungen hat Joseph II. das meiste von Sonnenfels’ Vorschlägen angenommen. Das Wirkungsfeld des Dekrets und der darin enthaltenen neuen Bestimmungen war jedoch ein eingeschränktes: es ging um „die Censur bey dem deutschen Theater“ in Wien; in seinem vorhin zitierten Promemoria vom Jänner 1770 hatte Sonnenfels umfassendere Vorstellungen. Sein Wirkungsfeld betraf somit zum damaligen Zeitpunkt die Zensur aller Stücke, welche am Kärntnerthor-Theater aufgeführt wurden, welches das „erste“ deutsche Theater der k. k. Erbländer war; es betraf nicht theatrale Aufführungen in den Vorstädten von Wien. In der Einleitung seines diesbezüglichen Promemoria über Grundsätze wie Organisation der Theatralzensur hatte sich Sonnenfels ganz auf die „Sittlichkeit“ und „Anständigkeit“ als Gegenstand der Zensur konzentriert.291 In seiner Resolution ergänz289 Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1331, Zensur Niederösterreich, 1550–1779. 290 Joseph von Sonnenfels: Allerunterthänigstes Pro Memoria Über die Einrichtung der Theatercensur, ­zitiert bei Brosche: Joseph von Sonnenfels und das Wiener Theater, S. 108–110. 291 „Wenn der Unterzeichnete den Auftrag der Theatralcensur als einen schmeichelhaften Beweis anzusehen berechtigt ist, daß seine Grundsätze über die Sittlichkeit der Schaubühne Euer ­M ajestät Allerhöchsten Beyfalls gewürdigt worden, so macht ihm dieser Auftrag es zugleich zur Pflicht, sich von Allerhöchst deroselben diejenige Unterstützung zu erbitten, ohne welche er sich nicht verheißen darf, den Endzweck seines Amtes zu erreichen. Er gelobt seiner Seite den größten möglichen Eifer zu diesem Amte mitzubringen, er schwöret der Sittenlosigkeit und Unanständigkeit denselben unauslöschbaren Haß, durch welchen er sich von jeher in seinen Schriften ausgezeichnet, aber mit dem eifrigsten Vorhaben, gegen diese Schandflecken der Schaubühne und der Natio­ nalsitten unerbittlich zu sein, ist er ganz gewiß unfähig, manche etwa daran gewöhnten Schauspieler in ihren Schranken zu erhalten, da sogar die zwo allerhöchsten Verordnungen gegen das

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te der Kaiser: es ginge darum, nichts zuzulassen, was im mindesten Religion, Staat und Sitte beleidige. Dann folgt die erwähnte Hinzufügung, die in Sonnenfels’ Promemoria in anderem Wortlaut enthalten ist: zu untersagen sei „aber auch offenbarer Unsinn, und Grobheit, folglich des Theaters einer Haupt- und Residenzstadt unwürdig“. Dies ist eine Umformulierung respektive Präzisierung von Sonnenfels’ Forderung, dahingehend, dass sich die Reichweite der zensoralen Aufsicht soweit erstrecken möge, dass sie „nicht nur auf Sitten, sondern auch auf den Anstand zu sehen und was so geradezu allen Menschenverstand beleidigt, zu verwerfen, verbunden sein werde.“292 Gegenüber der Beleidigung des „Anstands“ und „Menschenverstands“ scheinen „Grobheit“ und „offenbarer Unsinn“ eingeschränktere Perspektivierungen. Selbstverständlich lassen auch diese Begriffe des Dekrets einen weiten Spielraum von Interventionsmöglichkeiten zu, wenn man etwa bei „Grobheit“ nicht nur an die vielgerügten Prügelszenen denkt, auf die allerdings selbst das spätere „Nationaltheater“ nicht ganz wird verzichten wollen. Und sind sprechende Statuen, fliegende Geister und Hexen, die sich zuvor auf der Wiener Bühne tummelten, nunmehr „Unsinn“? Nur „Unsinn“ oder bereits „offenbarer Unsinn“, der „abzuschaffen“ wäre? Der genannte Zusatz ist explizit mit der Vorstellung der „Würde einer Haupt- und Residenzstadt“ verbunden, mit der Imagination residentialer Repräsentativität – in diesem Sinne scheint nun auch das deutsche Theater in der Residenzstadt vom Hof wahrgenommen worden zu sein, ein Zeichen, dass es auf dem Wege war, eine kulturell dominante Ausdrucksform zu werden. Für die Schauspieler der „ersten“ deutschen Bühne, welche 1776 zu Akteuren einer nun am Burgtheater angesiedelten „Nationalbühne“ wurden, blieben solche Forderungen auch in Zukunft verbindlich, doch es wird nicht primär das Institut der Thea­tralzensur sein, das dergleichen Fragen prüfen wird, sondern der für die Stückauswahl zuständige Theatralausschuss, dessen Mitglieder diesbezügliche Imperative weitgehend verinnerlicht haben werden. Es ist jedoch fraglich, ob dergleichen erweiterte Bestimmungen im Hinblick auf „offenbaren Unsinn“ und „Grobheit“, dezidiert entworfen für das deutsche Theater „in“ der Residenzstadt, auch bei der späteren Ausweitung des Aktivitätsradius’ der Theatralzensur auf Theater der Wiener Vorstädte wie sonstiger Städte des Reiches in gleichem Maße von praktischer Relevanz waren. Es gibt im Hinblick auf einzelne spätere Zensur-Striche Grenzfälle im Bereich des von Sonnenfels genannten „Anstands“ und den damit zusammenhängenden verbalen Operationen, insbesondere, sofern Fragen der „Sittlichkeit“ thematiExtemporiren noch fruchtlos waren, und gewisse Leute nicht irre gemacht haben, mit sittenlosem Zeuge aus dem Stegreif die ganze Stadt zu ärgern.“ Ebenda, S. 108f. 292 Ebenda, S. 109.

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siert werden. Dennoch entwickelte Sonnenfels’ Nachfolger als Theatralzensor, Franz Karl Hägelin, der noch im Jahre 1770 dieses Amt übernahm, in seinen späteren, in vieler Hinsicht bemerkenswerten „detaillierten Instruktionen“ keinerlei spezielle operative Kategorien jenseits der Verstöße wider Religion, Staat und Sitte, also für „Grobheit“ und „offenbaren Unsinn“ – wenn auch viele der von ihm vorgeschlagenen zensoralen Interventionen, etwa die Umwandlung „problematischer“ Wörter, nahezu dialektische Operationen sind, um den Anstand unter Beibehaltung des inkriminierten Tatbestands zu wahren. Der zweite Punkt der Resolution nimmt den Gedanken der „Revision“ auf und somit eine weitere Forderung Sonnenfels’ – mit dem Verweis, dass bei schon aufgeführten Stücken einiges übersehen wurde, was den neuen „Zensurrichtlinien“ nicht entspräche. Dabei geht es Sonnenfels offensichtlich nicht nur um ein „Übersehen“, sondern auch um eine Überprüfung der Stücke nach neuen Beobachtungsgesichtspunkten, um eine Redefinition des Anstößigen und somit auch um eine Neubewertung theatraler Traditionen. Der Gedanke der Revision wird im 18. Jahrhundert in mehrfacher, auch gegenläufiger Weise aufgegriffen. In der ersten Hälfte der 1780er Jahre, zur Zeit der Alleinregierung Josephs II., wird sie unter „umgekehrten“ Vorzeichen erfolgen: zu dieser Zeit wird geprüft werden, ob ein zuvor verbotenes Buch respektive ein verbotener Schauspieldruck wieder zum Vertrieb zugelassen werden könne, und diese Prüfung wird einen Großteil der in der theresianischen Zeit verbotenen Theaterdrucke vom Bann des Verbots befreien. Bei den großangelegten Revisionen unter Franz II. wird, vor allem unter Beobachtung der „politischen“ Dimensionen, eine wiederum gegenläufige Revision vorgenommen und zuvor zugelassene Drucke auf den Index gesetzt wie zuvor erteilte Aufführungsbewilligungen zurückgezogen werden. Diese multiplen „Revisionserfahrungen“ finden ihren Widerhall auch im Selbstverständnis der Zensoren, welche die Abhängigkeit der Zensur von sich wandelnden politischen Bedingungen in ihrer Praxis reflektieren müssen – ein Sachverhalt, der für Sonnenfels noch keinerlei Rolle spielte. Für ihn war „Revision“ gleichsam Ausdruck eines geradlinigen Prozesses im Kontext einer „allgemeinen Anhebung“ des Geschmacks und der Sitten. Im dritten Punkt der Resolution wird präzisiert, in welchem Zeitraum die Texte der zur Aufführung bestimmten Stücke bei der Theatralzensur eingereicht werden müssen. Die anberaumten 14 Tage sind eine wesentlich kürzere Zeitspanne als die von Sonnenfels geforderte einmonatige Einreichfrist. Das von ihm vorgeschlagene Verbot, Rollentexte an die Schauspieler auszuteilen, „ehe man darauf die Censur erhalten habe“293, wird in das Dekret nicht aufgenommen, wohl aber der Vorschlag, wie bei der Bücherzensur jeweils zwei gleichlautende Abschriften einzureichen, wobei nach erfolgter Zensurierung und Erteilung eines allfälligen Admittitur ein Ex293 Ebenda, S. 110.

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emplar dem Zensor zur etwaigen Kontrolle überlassen werden soll. Inwieweit obgenannte Einreichfrist in den folgenden Jahrzehnten modifiziert wurde bzw. welche Zusatzbedingungen aufgestellt wurden, ist aus den bislang eingesehenen Akten nicht ersichtlich. Jedenfalls hat sich die Situation der Theatralzensur gegenüber den Bedingungen des Dekrets vom März 1770 grundsätzlich geändert. Sonnenfels war als Theatralzensor ausschließlich für das deutsche Theater in Wien zuständig, eine im Hinblick auf die Anzahl der eingereichten Stücke überschaubare Situation, selbst unter den genannten Bedingungen der Revision. Demgegenüber wird sein Nachfolger Hägelin à la longue für alle Wiener Bühnen und später, zumindest für einige Jahre, für alle deutschen Bühnen der k. k. Erbländer zuständig sein. Diese enorme Erweiterung der Aufgabe des Theatralzensors war, soweit aus den erhaltenen Dokumenten ersichtlich, mit keiner personellen Aufstockung verbunden und wurde überdies von einem Theatralzensor versehen, der aus seiner Tätigkeit, welche (wie schon bei Sonnenfels) eine „Nebenbeschäftigung“ war, kein Salär bezog. Diese gegenüber der Ausgangssituation des Jahres 1770 veränderten Bedingungen des Aktionsradius’ des Theatralzensors sind auch für den folgenden Punkt von Bedeutung. In diesem vierten Punkt der Instruktion wird jegliches Extemporieren auf der Bühne des „deutschen Theaters“ in Wien untersagt, oder genauer: es wird mit Nachdruck und in der Folge mit eklatanter Strafandrohung auf die Einhaltung eines ­bereits erlassenen Extemporierverbots hingewiesen. Auch Sonnenfels, der – wie mehrfach dargelegt – in seinen Schriften das Extemporierverbot mit Vehemenz und Beständigkeit gefordert hatte, wies in seinem Anfang März 1770 geschriebenen Promemoria über die Einrichtung der Theaterzensur darauf hin, dass schon Maßnahmen gesetzt worden seien, das Extemporieren zu verbieten, wobei „sogar die zwo allerhöchsten Verordnungen gegen das Extemporiren noch fruchtlos waren“.294 Wann jene genau erlassen wurden bzw. welchen Wortlaut sie hatten, ist nicht eindeutig eruierbar. Allenfalls dürften sie erst nach dem Februar 1769 ausgesprochen worden sein, als Sonnenfels seine Briefe über die wienerische Schaubühne einstellte, denn Sonnenfels hätte es sich keinesfalls entgehen lassen, besonders diesen Triumph seiner Bemühungen mit aller ihm zur Verfügung stehenden Extension zu verkünden. Stattdessen erfolgt, wie bereits erwähnt, die Mitteilung, dass unter der künftigen Direktion des deutschen Theaters das Extemporieren ein Ende finden werde – aufgrund des dezidierten Programms einer „Nationalschaubühne“. Von einer Weisung ist jedenfalls keine Rede. Angesichts des prätentiösen Vorhabens der neuen Direktion, die ihre Absichten auch dementsprechend publizierte und das von Sonnenfels als Schlusspunkt seiner Briefe veröffentlicht wurde, scheint ein diesbezüglicher Erlass während der Ära Bender nicht so ohne Weiteres nachvollziehbar, es sei denn, ein solcher sollte, aus welchen Gründen auch immer, die neue Praxis 294 Ebenda, S. 108.

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legitimieren bzw. ihr allerhöchsten Rückhalt geben. Allerdings ist wesentlich wahrscheinlicher, dass die zwei von Sonnenfels genannten Extemporierverbote in die ‚unsichere‘ Zeit nach der Bender’schen Ära fallen. Eines davon betrifft höchstwahrscheinlich jene bereits erwähnte ablehnende Stellungnahme des Hofes vom 11. Jänner 1770 als Antwort auf ein diesbezügliches Ansuchen Affligios, das andere erfolgte höchstwahrscheinlich als Antwort auf das genannte Promemoria der „Schauspieler“ des deutschen Theaters vom November 1769. Die Instruktion vom März 1770 unterstreicht jedenfalls nochmals das Verbot des Extemporierens in der Residenzstadt. Strafobjekte potentieller Überschreitungen sind die Schauspieler, welche alleinig haftbar gemacht werden: bei einmaliger Übertretung droht eine eine 24-stündige Arreststrafe, bei zweitmaliger Nichtbeachtung als exponentielle Strafsteigerung ein (wie lange auch immer geltendes) „Berufsverbot“ am Wiener Theater. Damit wird eine jahrzehntelang ausgeübte, wenn auch in der kurzen Direktion Bender suspendierte theatrale Praxis kriminalisiert – ein einstmaliges Paradigma der Schauspielkunst wird zum Akt der Überschreitung, das ehemals legitime Spiel zum Regelbruch.

EINE MISSACHTETE ALLERHÖCHSTE WEISUNG? ZWEI SCHREIBEN MARIA THERESIAS ZUR UNTERSAGUNG DER BERNARDONIADEN Wenn auch bezeichnenderweise der zeitgenössische Diskurs der 1760er Jahre davon keinerlei Erwähnung macht, wird in der späteren theaterwissenschaftlichen Literatur davon ausgegangen, dass ein Extemporierverbot bereits von Maria Theresia im Jahre 1752 erlassen worden sei, eine Verfügung, die allerdings – wie allseits gerne festgestellt – bis zu den Instruktionen des Jahres 1770 nie eingehalten worden sei. In der Regel wird dieser angebliche Erlass eines Extemporierverbots in Zusammenhang mit einer neuen Verordnung über die sogenannten „Norma-Tage“ gebracht, jene Tage, an denen aufgrund ihrer religiösen Feierlichkeit oder aufgrund des Gedächtnisses an verstorbene Anverwandte des Herrscherhauses keine Theateraufführungen statthaben durften.295

295 So etwa bei Eduard Wlassack: „Aber auch empfindliche Geld- und Arreststrafen halfen nicht viel. Jean-fesse est mort, vive Jean-fesse! Der Hanswurst war nicht umzubringen und drängte sich selbst in die regelmäßigen Stücke.“ Eduard Wlassack: Chronik des k. k. Hof=Burgtheaters. Wien 1876, S.  14f. So Hilde Haider-Pregler (Des sittlichen Bürgers Abendschule, S.  454, Anmerkung 5): „Am 17. Februar 1752 erließ Maria Theresia ein ‚Norma-Edikt‘, worin es hieß ‚alle hießigen compositionen von Bernardon wären völlig aufzuheben […]‘. Zugleich erhielten die Theater an 50 Norma-Tagen Spielverbot etc.“.

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Doch handelt es sich bei dem Erlass der Norma-Tage und bei dem Schreiben, welches für ein Extemporierverbot gehalten wird, um zwei völlig verschiedene Erlässe, was schon Oskar Teuber im 19. Jahrhundert festgestellt hat.296 Das sogenannte NormaEdikt wurde am 16. Jänner 1752 erlassen.297 Die Normierung galt für alle Erbländer und wurde dementsprechend auch an die diversen Gubernien weitergeleitet. Die drastische Reduzierung der Theatertage, welche die Theater auch ökonomisch traf, wurde auch damit begründet, dass sich auf der Bühne viele Missbräuche eingeschlichen hätten298, womit wohl gemeint war, dass bisherige Verordnungen über spielfreie Tage nicht eingehalten wurden. Auch in der Folge werden diese Bestimmungen nicht eingehalten werden, wie Länderinstruktionen, etwa aus den 1760er Jahren, zeigen, in welchen gemahnt wird, die Norma-Tage einzuhalten. Erst im Februar 1752 folgen dann jene Schreiben Maria Theresias, die in der thea­ terwissenschaftlichen Literatur als Extemporierverbot ausgelegt worden sind, ­Schreiben, welche eine massive Attacke gegen alle Stücke des Bernardon enthalten. Diesbezüglich gibt es zwei unterschiedliche Texte mit unterschiedlichen Datierungen: 11. und 17. Februar 1752. Der erste, in der theaterwissenschaftlichen Literatur immer wieder erwähnte „Erlaß“ – hier zitiert nach Glossy – hat folgenden Inhalt: „Die Comödie solle keine andere Compositionen spillen als die aus dem frantzösisch oder wällisch, oder spanisch theatri herkommen, alle hiesigen compositionen von Bernardon und anderen völlig aufzuheben, wann aber einige gute wären von weiskern, sollten sie ehender genau durchlesen werden und keine equivoques noch schmutzige Worte darinnen gestattet wer296 Teuber: Das k. k. Hofburgtheater, S. 63. 297 Vgl. Wlassack: Chronik des k. k. Hof=Burgtheaters, S. 8. 298 „Nachdem Ihre kaiserl. königl. Majestät in mildester Erwägung, dass bey Haltung der öffentlichen Schauspiele bisher viele Missbräuche eingeschlichen sind, hierinfalls die nöthige Schranken zu setzen nöthig befunden, und zu dem Ende in Ihrer Haupt- und Residenzstadt Wien ­sowohl, wie in allen übrigen Ihren Erblanden allergnädigst zu verordnen geruhet haben: Daß I mo. Die Adventszeit hiedurch vom 12. December inclusive anzufangen. IIdo. Die ganze Fasten. IIItio. Die Betwoche. 4 io. Am Feste der H. H. Dreyfaltigkeit. 5to. Die Fronleichnamsoctav. 6 to. An Frauenfesten sowohl, als an deren Vorabenden wenn auch … kein Festtag von der K ­ irche .. 7to. An den Quatembern. 8 o. Am Festtage aller Heiligen, und deren Vorabende. 9 mo. Aller Seelen. 10 mo. Am Christi Himmelfahrtstage. 11mo. Am Feste der heiligen drey Könige. 12 mo. Den 1. October und 4. November … Geburts- und Namenstagen … weiland … C ­ aroli VI … 13mo. Den 18. Augusti und 19. November … Geburts- und Namenstagen .. weiland … Elis. Christinä .. 14 mo. Den 19. u. 20. October wegen … Jahresgedächtnuß weiland … Caroli VI Keine öffentlichen Schauspiele oder Spektakel angestellet, noch einige musikalische Akademien um das Geld produciret, mithin nach den Weihnachts- Ostern- und Pfingstfeyertagen, jedesmal erst den darauf folgenden Mittwoch und respective nächsten Tag damit angefangen, und solche nicht anderst, als mit Ausschließung obbenannter Festtage gestattet, und dem auf das genauste nachgelebt werden soll.“ Zitiert nach Teuber: Das k. k. Hofburgtheater, S. 63.

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den, auch denen Comedianten ohne straff nicht erlaubt sein, sich selber zu gebrauchen“.299 Bei Zitation dieser Stelle bezieht sich Glossy auf Wlassack – allein, wenn man an angegebener Stelle bei Wlassack300 Nachschau hält, findet man zwar die explizite Bezugnahme auf dieses Thema, aber einen davon abweichenden und partiell erweiterten Text.301 Hier hat Glossy höchstwahrscheinlich Teuber zitiert, auf den er auch an anderer Stelle verweist. Bevor wir näher auf diesen Text eingehen, anbei die bei Teuber angeführte erweiterte Version des Erlasses vom 11. Februar 1752. Teuber benennt vor allem auch den ansonsten ausgesparten Kontext dieser Sätze und bringt die von ihm zitierten Stellen auch als Faksimile, wenn auch ohne Quellennachweis. Der Beginn des Schreibens – wie lang er auch sein mag – ist darin nicht enthalten, wohl können wir aber anhand des Faksimiles ersehen, dass das Schreiben mit obzitierten Worten endet. Obigem Text geht voran: „wan die sache nicht sehr klar ehender ist, das gewis nur opera subsistiren könne, ohne das mindeste mehr beizutragen hätte, ist selbe vor künfftigen Winter lieber noch zu lassen, das teutsche theatrum völlig separirt bleiben von dem anderen, sonsten approbire den Vorschlag. Die comoedie solle keine andere compositionen spillen […]“.302 Indirekt hängt dieses Schreiben mit dem Norma-Edikt zusammen, es geht um Zahlungen der Stadt Wien an den Theater-Generalunternehmer Lo Presti, der vor der Ablösung stand – durch das Norma-Edikt waren massive Einnahmeverluste zu erwarten. Dazu schreibt Teuber: „Die Regierung musste auf eine andere Lösung der Krisis vorbedacht sein, und in ernsten Conferenzen des Directional-Präsidenten mit dem MusikCavalier Grafen von Losymthal und dem Grafen Franz Eszterházy wurde ein neues Arrangement erörtert. Der Ausfall an Einnahmen, den die ,Norma‘ der Kaiserin verursachte, sollte durch die Einnahmen aus dem Lotto di Genova und den Redouten gedeckt, die unter Lo Presti eingegangene Oper wiederhergestellt und Oper und Komödie, Burg- und Stadttheater, unter zwei besonderen, fachkundigen Directoren vereinigt werden. Der Stadt blieb bloss die Ingerenz auf die Stadttheater-Cassa gewahrt. Maria Theresia 299 Zitiert nach Glossy: „Zur Geschichte der Wiener Theatercensur“, S. 248f. 300 Wlassack: Chronik des k. k. Hof=Burgtheaters, S. 14. 301 Hier hat Glossy höchstwahrscheinlich Teuber zitiert, auf den er auch an anderer Stelle verweist. 302 Teuber: Das k. k. Hofburgtheater, S. 64.

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genehmigte das interessante Project mit Vorbehalt ihrer Entschlissung hinsichtlich der kostspieligen Oper und mit neuen Cautelen gegen eine Wiederkehr der Bernardoniaden Wirthschaft unter der geplanten Hof-Direction. Diese Resolution der Kaiserin vom 11. Februar 1752 bleibt denkwürdig für alle Zeiten.“303 Wie aus diesem Passus hervorgeht, erfolgten die diversen Dekrete Maria Theresias im Hinblick auf Änderungen der Organisation des Theaterlebens im Kontext der bevorstehenden Ablöse des Theaterunternehmers Lo Presti – im Hinblick auf die Neuorganisierung der Wiener Theater schrieb Maria Theresia unter einen diesbezüglichen Vortrag: „aber wem recht gescheydten zu setzen, der das aug nicht auf die Cassa so viel, der ein controllor zu stellen, aber das d i e c o m o e d i a n t e n i n O r d n u n g g e h a l t e n w e r d e n und besser auf selbe acht zu haben als jetzt, besonders wegen b e s s e r e r u n d r e i n e r e r Vo r s t e l l u n g e n , besonders in T ä n t z e n .“304 Es ging nicht darum, das Extemporieren, welches in der genannten Zeit einen bedeutenden Teil des deutschen Theatergeschäftes und der von Maria Theresia angesprochenen „Cassa“ ausmachte, generell zu verbieten – dazu findet sich kein Wort. Wenn es darum in erster Linie gegangen wäre, wären dafür – wie in anderen Angelegenheiten auch – klare Worte gefunden worden. Es geht um Zügelung des Extemporierens im Hinblick auf die schwer kontrollierbaren „Equivoques“ und um die Vermeidung „schmutziger Worte“ einerseits und um den Versuch, auf die Stückauswahl Einfluss zu gewinnen, andererseits. Hier ist an Franz Hadamowsky zu erinnern, welcher – wenn man sich auf seinen Zensur-Aufsatz bezieht – der einzige zu sein scheint, der nicht von einem Extemporierverbot ausgeht, wenn er auch lakonisch in einem einzigen Satze meint: „Maria Theresia hatte zwar schon im Jahr 1752 (11.  Februar) ‚equivoques‘ und ‚schmutzige Worte‘ in den extemporierten Stücken verboten, die Stücke selbst aber nicht“305. 303 Ebenda, S. 63f. 304 Ebenda, S. 63. Wie Teuber weiter schreibt, war im April 1751 der „niederösterreichische Repräsentationsrath von Reichmann mit der ,Respicirung beider Wiener Theater‘ beauftragt und ­a ngewiesen, ,dass er auf verdächtige und grobe Redensarten, auch ungeziemende Vorstellungen, besonders in den Balleten Acht haben solle.‘“ Dementsprechend wurde auch den Schauspielern eingeschärft, „sich aller Unanständigkeiten und widersinnigen Ausdrücke zu enthalten, widrigenfalls sie im Wiederholungsfalle in Verhaft, ja beim drittenmale mit lebenslänglichem Festungsarrest bestraft würden.“ Ebenda, S. 60. 305 Franz Hadamowsky: „Ein Jahrhundert Literatur- und Theaterzensur in Österreich (1751–1848)“.

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Damit übergeht er aber auch elegant, welche inhaltlichen Perspektivierungen in ­M aria Theresias Dekreten durchscheinen. Denn nimmt man Maria Theresias Worte ernst, so ging es ihr unter Berücksichtigung gewisser Ausnahmen darum, die „hiesigen“ „Compositiones“ vom Theater weitgehend zu eliminieren. Und diese Ausnahmen wurden bisher in der Literatur so interpretiert, als ob es sich dabei um Stücke Friedrich Wilhelm Weiskerns gehandelt habe – eine der interessantesten Gestalten der damaligen Wiener Theaterszene, welcher die Figur des „Odoardo“ kreiert hatte, gleichzeitig in Kontakt mit Reformern des deutschen Theaters wie Gottsched stand und auch gelehrte Schriften verfasste. Matthias J. Pernerstorfer hat diese so oft ­zitierte Stelle in neuer Weise und, wie ich meine, völlig zutreffend interpretiert. Es ginge nicht darum, dass in Zukunft nur „gute“ deutsche Stücke aus der Feder von Weiskern zugelassen werden sollten, sondern dass Weiskern, gewissermaßen als ­a rtistischer Direktor wie als „Hauszensor“ des deutschen Ensembles, die Aufgabe hätte, sicherzustellen, dass in Frage kommende deutsche Stücke keine schmutzigen Wörter und Equivoques beinhalten: „wenn aber einige gute [deutsche Stücke] w ­ ären, von weiskern sollten sie ehender genau durchlesen werden und keine equivoques noch schmutzige Worte darinnen gestattet werden“.306 Eine Sonderstellung der Weiskern’schen Stücke und Bearbeitungen hätte angesichts der Entwicklung des deutschen Theaters zumindest seit den 1730er Jahren nicht sehr viel Sinn gemacht. Zumindest kurzfristig zeigte Maria Theresia weiter Beharrlichkeit und wiederholte laut Teuber sechs Tage später, am 17. Februar 1752, ihre Vorstellungen gegenüber der Stadt Wien zusammen mit ihren diesbezüglichen Plänen über die Reorganisation des Theaters – wiederum Teuber im Wortlaut: „Am 17. Februar 1752 wurde der Wiener Stadtgemeinde officiell mitgetheilt, die Kaiserin wolle nicht, dass Wien durch die Normatage einen Schaden erleide; damit sie eines solchen durch die Zahlungen für die Gebrüder Lo P ­ resti enthoben werde, sei bereits der Überschuss aus der Redoutencassa angewiesen worden. Ferner habe sich die Kaiserin entschlossen, über alle in Wien producirten Schauspiele, es mögen Comoedieen oder zugleich wälsche Opern bestehen, die Hauptdirection und Oberaufsicht dem wirklichen Kämmerer und Hofrath Franz Grafen von Eszterházy und Galantha zu übertragen, ,diesem einen cavaliere assistente beizugeben und aufzutragen, dass der zeitliche Stadtrichter Leopold van Ghelen als einstweilen erkiester (städtischer) Commissarius nebst seinem Substituto Secretarius Philipp Lambacher In: Die österreichische Literatur. Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (1750–1830), Teil I, hg. von Herbert Zeman. Graz 1979, S. 289–305, hier S. 291. 306 Matthias J. Pernerstorfer: „Editions and Cultural Translations. Der 30-jährige ABC-Schütz in German-speaking Lands“. In: Translatio/n. Narration, Media and the Staging of Differences, hg. von Federico Italiano und Michael Rössner. Bielefeld 2012, S. 121–142, hier S. 127–129.

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in allem und jedem an den Oberdirector unmittelbar angewiesen werde, und zwar so, dass Ersterer (Ghelen) sich in allen Stücken und Vorfällen, sowohl wegen Aufnahme und Abdankung der Theatral-Personen, als auch wegen Producirung der jeweiligen Piècen, Einrichtung der Decorationen, Ballete und des Orchesters, Einführung und Beibehaltung guter Ordnung und Zucht und wirthschaftlicher Beischaffung des Nothwendigen beim Grafen Eszterházy unfehlbar Raths zu erholen habe, da auf dessen Anordnung das Weitere veranlasst und ohne dessen Gutheissung nichts eigenmächtig vorgekehrt, auch nicht die mindeste Neuerung in Theatersachen gestattet werde‘. Ferner wurde der Stadtgemeinde, im Sinne der kaiserlichen Resolution für die deutsche Komödie, das Verbot aller Bernardoniaden ,wie aller anderen dergleichen mehr zur Ärgernuss des Publici als zur Einpflanzung einer guten Moral gereichenden albernen Erfindungen‘ eingeschärft.“307 Um es zusammenzufassen: bei den besagten Erlässen ging es nicht um ein Extemporierverbot, welches angeblich in der Folge nicht eingehalten wurde, was ein sehr bemerkenswerter Umstand wäre. Es geht aber um einen Versuch, in das Repertoire des deutschen Theaters einzugreifen. Johann Joseph Felix von Kurz wird Wien tatsächlich kurzfristig verlassen, um jedoch umso triumphaler wiederzukehren. Dies konnte besagtes Dekret nicht verhindern. Aber selbst wenn man vom nicht aufzuhaltenden Erfolg Bernardons, der 1754 nach Wien zurückkehrte, absieht, so scheint sich dieses Dekret, den Bernardon betreffend, auch nicht unmittelbar in der theatralen Praxis niedergeschlagen zu haben. Gustav Zechmeister führt in seiner Rekon­ struktion des Wiener Spielplans unter dem Datum 9.  April 1752 – also nicht ganz

307 Teuber: Das k. k. Hofburgtheater, S. 64. Wlassack datiert das von ihm wiedergegebene Schreiben ebenfalls mit 17. Februar 1752. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei diesem Text um die von Teuber nur in Auszügen genannte Mitteilung an die Stadt Wien: „Die Kaiserin erließ am 17. Februar 1752 einen ausdrücklichen Befehl, ,daß keine anderen Vorstellungen, als welche entweder aus den französischen, wälischen oder spanischen Theatris herfließen, oder in deutscher Sprache wohl ausgearbeitet befunden werden, auf dem hiesigen Theater zu produciren gestattet seien, folglich alle Compositionen von dem sogenannten Bernardon, wie alle dergleichen, mehr zum Aergerniß des Publici als zur Einpflanzung einer guten Moral gereichenden, albernen Erfindungen durchgehends und für alle Zeit verboten seien; es wäre denn, daß von dem Komiker Weißkern eine oder die andere wohl ausgearbeitete Pièce zum Vorschein käme, welche jedoch eher genau durchgegangen werden soll; überhaupt solle jede équivoque und der Ehrbarkeit zuwiderlaufende, unfläthige Redensart unfehlbar vermieden und den K ­ omödianten, sich deren zu gebrauchen, bei schwerster Bestrafung nachdrucksam verboten werden.‘“ Wlassack: Chronik des k. k. Hof=Burgtheaters, S. 14. Im Vergleich mit dem Brief vom 11. Februar ist allerdings sofort erkennbar, dass es sich dabei nicht um den Originaltext, sondern um eine von Wlassack vorgenommene und unausgewiesene Paraphrasierung, somit auch dementsprechende Sinnverschiebung handelt – der scheinbare „Originaltext“ ist schon Teil des späteren Diskurses.

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zwei Monate nach besagten anti-bernardoniadischen Briefen – folgenden Titel: Bernardon, der rasende Zamor oder Die in einer Person geliebte und gehaste Braut.308 Maria Theresias Worte zum deutschen Theater sind aus vielen Gründen „denkwürdig“, aber sie sind kein Motor hin zur Entwicklung eines deutschen „Nationaltheaters“, wie dies im 19. Jahrhundert Teuber und Wlassack gerne sehen wollten. Sie sind weit entfernt vom Diskurs, wie er in Wien in den 1760er Jahren über die Reform des deutschen Theaters geführt werden wird. Etwa drei Monate nach den besagten Dekreten beginnt am Theater nächst der Burg die Ära des französischen Schauspiels. Die Worte Maria Theresias vom 11. Februar 1752 stützten weder explizit das sich ganz langsam etablierende regelmäßige deutsche Schauspiel noch waren sie eine Antwort auf die sich kontinuierlich entwickelnden und publikumswirksamen Traditionen des Wiener Theaters. Das zumindest wussten die Reformer der 1760er Jahre nur zu gut, dass ein in ihrem Sinne aufgebautes Theater in allererster Linie die konsequente Förderung des Aufbaus der literarischen Ressourcen erforderte, da ansonsten ihre Bemühungen nur auf dem Papier stünden. Dazu bedurfte es einer eigenständigen literarischen, d. h. auch literarisch beflügelten Produktion und eines Publikums, das sich auf diese einließ. Eng mit dem Extemporieren hängt auch der fünfte Punkt des Dekrets aus dem Jahre 1770 zusammen, der den Zensor anweist, über das Studium der Texte hinausgehend die täglichen Aufführungen einer Observation zu unterziehen und dabei insbesondere ein Auge auf die Gebärden wie auf die eingesetzten Requisiten und Kleidungsstücke zu werfen. Auch hier ist Joseph II. den Forderungen Sonnenfels’ entgegengekommen. Für Sonnenfels mag diese Forderung vor allem einen strategischen Stellenwert im bevorstehenden Kampf gegen Kurz-Bernardon gehabt haben. Er mag befürchtet haben, dass er diesen auf der Ebene der sprachlichen Diktion allein nicht kontrollieren konnte und dass durch Intonation und Gestik aus dem Unschuldigsten und Tugendhaftesten leicht das Gegenteil werden konnte, ohne dass am zensurierten Wortlaut etwas geändert würde. Für die nachfolgende Zeit ist davon auszugehen, dass die Kontrolle der Bühne eher zu den potentiellen, gelegentlich in Anspruch genommenen Aufgabenbereichen eines Zensors zählte. In seinen späteren detaillierten Instruktionen berichtet Hägelin nur von einem einzigen Fall, in welchem sein Aufenthalt im Theater zu einem über den Text hinausgehenden Zensureingriff führte, ein zu dürftiger Hinweis, um davon auszugehen, dass auch der künftige Theaterzensor so etwas wie eine Generalverantwortung für jedes Detail einer Aufführung de facto übernommen ­hätte, was in 308 Dies ist eines der drei Stücke des Kärntnerthor-Theaters, welche laut Zechmeister im Jahre 1752 mit einem präzisen Aufführungsdatum versehen werden können. Alle stammen aus dem April dieses Jahres. Dazu zählen weiters das Lustspiel Der Schmähsüchtige nach Destouches’ Le Médisant, übersetzt von Weiskern (5.  April), und die deutsche Tragödie Banise von Friedrich Melchior Grimm (24. April). Zechmeister: Die Wiener Theater, S. 415.

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zunehmendem Ausmaße auch physisch kaum mehr möglich war. H ­ ägelin, der in seinen Gutachten ansonsten sehr detailreich über den organisatorischen ­A rbeitsaufwand schreibt, macht bei seiner „Leistungspräsentation“ keinerlei Erwähnung, dass er etwa Tag für Tag im Theater sitzen musste, um die Aufführungen zu kontrollieren, oder dass es eine diesbezügliche personelle Assistenz gegeben hätte. Vielmehr hielt er, wie im Kapitel „Der Weg in die Theatralzensur“ (S. 166–172) dargelegt wird, seine zensorische Kontrolle mit dem von ihm approbierten Text, objektiviert im „Logenmeister-­Büchel“, für „gedeckt“.

JENSEITS DER RESIDENZ? SCHEITERN DER AUSDEHNUNG DES EXTEMPORIERVERBOTS Das Extemporierverbot war, wie zuvor dargelegt, eine Erscheinung der späteren 1760er Jahre. Im kaiserlichen Dekret vom 15. März 1770 wird es allerdings nur für das deutsche Theater in der Residenzstadt (ohne Berücksichtigung der Wiener Vorstädte) ausgesprochen, mit der massiven Androhung eines Berufsverbots bei zweimaligem Vergehen. Sonnenfels versuchte unmittelbar nach seiner offiziellen Ernennung zum Theatralzensor das Verbot auf alle Erbländer auszudehnen und verfasste zu diesem Zweck ein weiteres Promemoria (um den 16. März). Nun wird, wie in den Schriften des Jahres zuvor, vom schon erwiesenen schädlichen Einfluss des extemporierten Theaters gesprochen, wie es auch die Polizeywissenschaft in aller Deutlichkeit erkannt habe. Dem Kaiser wird – bei aller versuchten Dezenz – implizit vorgeworfen, mit seinem Dekret vom 15. März des Jahres nur einen halben und somit inkonsequenten Schritt getan zu haben: „Die von E. M. in dieser Hauptstadt gemachte Beschränkung der Theatral­ unanständigkeiten, durch Verbot des Extemporirens, ist der Triumpf des Anstandes, und der Vernunft. Gleichwohl kann diese preiswürdigste Entsch. nur als ein Zwischenmittel angesehen, u. die gänzliche Ausrottung des dadurch auf der Schaubühne unterhaltenen Verderbnisses so lange nicht erwartet werden, als noch die herumziehenden u. Provincialschauspielergesellschaften die Freiheit zu extemporiren, behalten. Da die hiesige Schaubühne ihre abziehenden Stellen, durch Verschreibung solcher Schauspieler aus den Provinzen zu ersetzen pflegt, so werden immer Leute, sogar auch hierorts auftreten, welche als Partisane dieses verderblichen Geschmacks, so der Bequemlichkeit der Schauspieler sehr zu statten kömmt, u. ihnen das Auswendiglernen erspart, Anfälle zu seiner Wiedereinführung erregen werden.

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Auf einer Seite wird das Volk in den Provinzen zugleich immer in dem ­pöbelhaften Geschmake des Possensreißens erhalten, von dem es nun als erwiesen angenommen werden mag, daß er auf die Sitten und den Umgang schädlichsten Einfluß habe; auf der anderen Seite ist von den Theatralcensuren daselbst auch diejenige Strenge u. Aufmerksamkeit nicht zu erwarten, welche in der Hauptstadt vorgeschrieben sind, u. die bei extemporirten Stüken immer verdoppelt werden müssen. Endlich sind die Ursachen, welche E. M. bewogen haben, das Extemporiren auf der hiesigen Bühne zu untersagen, für die Provinzialschaubühnen beinahe noch mehr geltend, wo die Hilfsmittel zu Bildung der Sitten ohnehin weniger sind, mithin die Verwüstung der Unanständigkeit desto mehr um sich greift. Ich sehe es daher als meine Pflicht an, E. M. diese Gründe allunterthgst. vorzulegen, ob Sie dadurch bewogen werden könnten, das Extemporiren durch ein Generale in allen k. k. Erbländern sowohl, als dem Königreiche Hungarn, u. in allen Sprachen, worinnen Schauspiele aufgeführet werden, auf ewig zu verbieten, mithin es den auswärtigen Schauspielern zugleich zum Gesetze machen, keine anderen Stüke aufzuführen, als welche entweder hier durch die Censur gelaufen, oder wenigstens in einem hier censurirten Buch enthalten wären.“309 Und Sonnenfels fügt hinzu, dass für die angestrebten Ziele in Kauf zu nehmen wäre, dass dadurch viele Schauspieler und ganze Truppen brotlos würden. Dies wäre ohne Belang für den Staat, da jener „zwischen der Aufrechterhaltung der Sitten, und ­einem Gesinde zu wählen hat, welches, wie Schweine in Unflathe ihre Nahrung zu suchen gewohnt sind.“310 Sonnenfels begnügt sich nicht mit dem Bild der „Schweine in Unflathe“, sondern er versucht auch die wandernden Truppen zu kriminalisieren, indem er diese als „Pflanzschule der Landbetrüger“311 zu klassifizieren versucht: gleichsam die brutale Kehrseite des „Theaters als Sittenschule“ und der Aufwertung ­ erbot der Moralität des Schauspielers. Darüber hinaus fordert Sonnenfels erneut das V der Marionettenspiele, welche das „unflättigste, unanständigste Zeug ohne alle Zurückhaltung“312 von sich geben – zumindest sollen diese Stücke zensuriert w ­ erden. Für den Kaiser ist dies Schreiben, trotz der Fürsprache des Staatsrats Gebler, kein Anlass, weitere politische Verfügungen zu treffen. Er antwortet am 22. März 1770 nur mit einem einzigen Wort: „Reponatur“313. Diese in der theaterwissenschaftli309 Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Varia, 1770–1772, 59479 Jc, f. 11h–12h. 310 Ebenda, f. 13v. 311 Ebenda, f. 13h. 312 Ebenda, f. 13v. 313 Brosche: Joseph von Sonnenfels und das Wiener Theater, S. 120.

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chen Forschung relativ spät gewonnene Erkenntnis ist Günter Brosche zu verdanken, der von diesem „Generalangriff“ auf das Volkstheater berichtet. Somit wird ­Joseph II. auch zum Retter des „Volkstheaters“ erkoren. Wären diese Stimmen gehört worden, wäre es „unwiderruflich zum absoluten Ende des Volkstheaters gekommen“314, meint Günter Brosche. Auch Hilde Haider-Pregler geht in ihrem Nachwort zu den Briefen über die wienerische Schaubühne auf dieses „Reponatur“ ein: es wäre eben ein „Pyrr­hussieg“ des Sonnenfels gewesen, und weiters: „dieser Schritt war theaterhistorisch für die weitere Entwicklung des Altwiener Volkstheaters von entscheidender Bedeutung“315 – ein durchaus ambivalenter theaterhistorischer Kommentar: einerseits spricht man mit der größten Selbstverständlichkeit von völlig unwirksamen Extemporierverboten, andererseits macht man komplexe kulturhistorische Entwicklungen von nicht ausgesprochenen Verboten abhängig, welche jene auch nur bedingt zu beeinflussen imstande gewesen wären. Das Extemporieren hörte auch in den Wiener Vorstädten in den nächsten Jahren nicht auf – so berichtet ein Theatralalmanach des Jahres 1772 von Aufführungen in der Leopoldstadt und schreibt, dass dort vor allem extemporierte Stücke gespielt wurden, ganz offensichtlich mit Wissen und Einverständnis Franz Karl Hägelins, der auch diese Theatralschriften zu zensurieren hatte.316 Wann ein solches Extemporierverbot landesweit exakt erfolgt ist, scheint nach wie vor unklar. Doch können wir aufgrund von Hägelins wie anderer Aussagen davon ausgehen, dass es zumindest ab dem Jahre 1776 wirksam war.317 Und die späteren Ansuchen von Wandertruppen aus den 1780er Jahren, etwa der Wanderbühnen, welche in Städten Niederösterreichs spielten, enthalten immer auch den Passus, dass man „censurirte Stücke“ aufzuführen gedenke.318 Das extemporierte Theater als produktive theatrale Form hörte Hägelin zufolge bis zum Jahre 1776 „nach und nach“ auf. Ob allerdings auch das Extemporieren im nunmehr neuen, eingeschränkten Sinne von Zusätzen zu oder neuen Varianten von vorliegenden Bühnentexten aufhörte, bleibt indes mehr als ungewiss. Es ist auch unklar, ob es trotz des für das deutsche Theater in der Residenzstadt ausgesprochenen Postulats vom März 1770 tatsächlich eine effektive tägliche Kontrolle dafür gab, ob die auf der Bühne gesprochenen Texte dem zensurierten Exemplar entsprachen. Für den Theatralzensor des josephinischen Jahrzehnts war es jedenfalls unmöglich, alle die Theaterstücke, für deren Zensur er zuständig war, zu sehen, geschweige denn zu 314 Ebenda, S. 119. 315 Sonnenfels / Haider-Pregler: Briefe über die wienerische Schaubühne, „Nachwort“, S. 415. 316 Vgl. Genaue Nachrichten von beyden Kaiserlich-Königlichen Schaubühnen und andern öffentlichen Ergötzlichkeiten in Wien. Mit Kupfern. Herausgegeben von Johann Heinrich Friedrich Müller, Mitgliede der kais. kön. Nationalschauspieler-Gesellschaft. Wien, gedruckt mit von Ghelenschen Schriften 1772, S. 110. 317 Siehe dazu das Kapitel „Der Weg in die Theatralzensur“ (S. 166–172). 318 Siehe dazu das Kapitel „Theater überall“ (S. 429–433).

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kontrollieren. Und von adjunktierten Helfern ist bei Hägelin, der stets größten Wert auf organisatorische Details legt, keine Rede. Wir wissen nicht einmal, wer Sonnenfels diesbezüglich zur Seite gestanden ist, der im Unterschied zu Hägelin allerdings nur ein einziges Theater zu kontrollieren hatte. In seinen detaillierten Instruktionen zur Theatralzensur, geschrieben in der Mitte der 1790er Jahre, gibt Hägelin seinen potentiellen Kollegen den Rat, wenn möglich auch ins Theater, zumindest in die erste Vorstellung zu gehen – eine Selbstverständlichkeit war dies offensichtlich nicht. Bei der Fülle der aufgeführten Stücke fällt es schwer, davon auszugehen, dass die Schauspieler, speziell an den Vorstadtbühnen, Tag für Tag den gleichen Text gesprochen haben, wobei nicht die Absicht einer willkürlichen Übertretung unterstellt werden muss. Und bei Stücken wie dem Lustspiel Don Juan, oder der steinerne Gast von Karl Marinelli, das von 1783 bis 1821 in der Leopoldstadt alljährlich im rituellen Kontext der Allerseelenoktav aufgeführt wurde – einmal oder höchstens zweimal im Jahr –, kann nicht davon ausgegangen werden, dass den jeweiligen Aufführungen die Exaktheit des zensurierten Originaltextes zugrunde gelegen ist. Aus ebendemselben Theater, dem Leopoldstädter Theater, ist gegen Ende der 1780er Jahr ein mit Geldstrafe geahndeter Extemporierverstoß bekannt, betreffend das Stück Das listige Stubenmädchen, oder Der Betrug von hinten von Ferdinand Eberl (1762–1805). Doch bedurfte das Feststellen dieses Verstoßes offensichtlich nicht einer Lektüre des Textes, sondern auch jedem Textunkundigen war klar, dass hier ein Verstoß vorlag: „man extemporierte die Bestechung eines Beichtvaters“319 und schuf damit eine Referenz auf einen religiösen Kontext, der gemäß den Zensurrichtlinien niemals Gegenstand einer Bühnendarstellung sein durfte. Dass man sich überhaupt in tabuisierte Bereiche vorwagte, gibt einen Hinweis darauf, dass man in dieser Praxis nicht ungeübt war und sich bestrebte, die Grenzen auszuloten. Jedenfalls war à la longue das wie immer dekretierte Extemporierverbot nicht ausreichend wirksam, sodass es unter Franz II. erneut wird ausgesprochen werden müssen.

RESÜMEE Angesichts der dargestellten Entwicklung stellt sich die Frage, welche theatral-politischen Ziele der Hof verfolgte. Hilde Haider-Pregler geht davon aus, dass mit dem Dekret vom März 1770 alle Forderungen Sonnenfels’, die „er seit jeher für die Einrichtung einer vorbildlichen Schaubühne erhoben hatte, (vorerst) ihre offizielle 319 Jennyfer Grossauer-Zöbinger: „Das Leopoldstädter Theater (1781–1806). Sozialgeschichtliche und soziologische Verortungen eines Erfolgsmodells“. In: Kasperl-La Roche. Seine Kunst, seine ­Komik und das Leopoldstädter Theater (= LiTheS. Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie, Sonderbd. 1 [Juni 2010]), http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html, S. 26f.

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Sanktionierung“320 fanden. Dies muss allerdings bezweifelt respektive in mehrfacher Weise differenziert werden. Einerseits reagierte der Hof in kurzem Abstand auf zwei von Sonnenfels verfasste Promemoriae mit sich überschneidenden Inhalten in absolut entgegengesetzter Weise. Die Argumente, die der Hof im Hinblick auf die Residenzstadt in Erwägung zog, waren – aus welchen Gründen auch immer – ohne handlungsforcierenden Belang für den restlichen Teil der k. k. Erbländer. Das heißt auch, dass viele der von Sonnenfels in seinem Promemoria vom Jänner 1770 vorgebrachten Argumente, etwa von der generellen Sittenverderblichkeit des Extemporierens, nicht wahrgenommen wurden, jedenfalls nicht in einer Weise wahrgenommen wurden, dass sie ein staatliches Handeln zur Folge gehabt hätten. Insofern ist der Hof durchaus „inkonsequent“ vorgegangen, wie dies Sonnenfels in seinem Promemoria zur landesweiten Abschaffung des Extemporierens angedeutet hatte. Doch die hier unterstellte „Inkonsequenz“ ist gleichzeitig eine Imagination von Sonnenfels, der davon ausgegangen zu sein scheint, dass seine im Promemoria vom Jänner 1770 verwendeten Argumentationslinien den politischen Entscheidungen zugrunde lagen. Das war offensichtlich nicht der Fall. Zweitens ist Sonnenfels im neuerlichen Kampf gegen das extemporierte Theater in gestufter Weise vorgegangen: er kämpfte nicht für das „Theater als Sittenschule“, sondern für das demgegenüber reduzierte Konzept einer „gesitteten Schaubühne“, letztlich für eine Schaubühne, die nicht ungesittet wäre. Ersteres klammert er, gewissermaßen auch strategisch, sehr bewusst aus, weil es einen klaren Feind gibt, den es zu treffen gilt. Was er erreichte, war das „definitive“ Verbot des Extemporierens in der Residenzstadt. Das heißt zunächst nur, dass die Bühnenhandlung auf schriftlich fixierter Basis zu erfolgen habe – ob die Texte „regelmäßig“ im Sinne theatral­ ästhetischer Konzepte sind, ist eine andere Sache. Und de facto hatte er auch Texte zu zensieren, die zwar schriftlich fixiert waren, die aber von Kriterien des „regelmäßigen“ Theaters weit entfernt waren. Und er hatte die neue Möglichkeit, dort als Zensor einzuschreiten, wo er entsprechend dem Dekret „Grobheit“ und „groben Unsinn“, einer Residenzstadt unwürdig, auszumachen vermeinte. Und dies „erreichte“ er nur an einem einzigen, wenn auch symbolisch hoch aufgeladenen Ort. Die Zurückweisung von Sonnenfels’ Promemoria im Hinblick auf die Ausweitung des Extemporierens auf alle Theater der Erbländer wie des Königreichs Ungarn gibt einen deutlichen Hinweis, dass die von Sonnenfels wiederholt beschworenen Bedrohungsszenarien nicht ganz ernst genommen wurden. Wäre dies der Fall gewesen, hätte man, auch seiner Argumentation folgend, zuallererst in den „Provinzen“ ansetzen müssen – das Theater der Residenz war allenfalls der am besten kontrollierte Teil wie auch Ergebnis einer jahrzehntelangen Kultivierung. Hier gab es wahrscheinlich das „gesittetste“ extemporierte Theater in allen Erbländern – dass es in 320 Sonnenfels / Haider-Pregler: Briefe über die wienerische Schaubühne, „Nachwort“, S. 415.

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den 1760er Jahren besonders „verroht“ gewesen wäre, dafür gibt es, wie in den vorigen Kapiteln dargelegt, keine Anzeichen. Auf ein derartiges „Lenkungsmittel“ wurde jedenfalls landesweit bewusst verzichtet. Dementsprechend gab es offensichtlich auch keine staatlichen Phantasien, im gesamten Herrschaftsbereich das Theater im neuen Sinn als soziales Lenkungsmittel einzusetzen; diese neuen Phantasien waren offensichtlich jene der „aufgeklärten Reformer“, waren eine Spielkarte im intellektuellen Feld der Macht, und diese Rolle der Bühne als „Bildungstheater“, von Hilde Haider-Pregler auf den pointierten Begriff „Des sittlichen Bürgers Abendschule“ gebracht, wird im 18. Jahrhundert immer ambivalent bleiben. Auch die von Sonnenfels für sich in Anspruch genommene Rolle als Fürsprecher der mittleren Klassen, die am häufigsten zitierte Stelle des ersten Promemoria des Jahres 1770, hat dementsprechend keine Resonanz gefunden. Der Hof und der Adel kannten die Tradition des extemporierten Theaters in Wien, und nicht zufälligerweise attackierte auch Sonnenfels vorzugsweise den Adel wegen dessen Beifall zu solch „unsittlichen“ Spielen, welche dort ebensowenig als großes soziales Bedrohungsbild fungiert haben mögen wie Sonnenfels’ Denunziation des französischen Theaters als zweideutige sittliche Unternehmung. Und noch ein weiteres, gleichsam pragmatisches Motiv lässt sich benennen: wie immer man auch zur potentiellen Geschmacksverderbnis durch das extemporierte Theater stehen mochte, es scheint klar gewesen zu sein, dass ein landesweites Verbot des Extemporierens eine durchaus radikale Zerstörung der theatralen Kultur zur Folge gehabt hätte, letztlich auch jeden Entzug der von Sonnenfels so geforderten „Ergötzlichkeit“ für die Menschen der mittleren und unteren Klassen, zumal selbst in der Residenzstadt noch in keiner Weise absehbar war, wie es mit einem „regelmäßigen“ deutschen Theater weiter­ gehen sollte. So konzentriert sich das Dekret des Jahres 1770 bewusst auf die „Residenz“, ­fokussiert auf den symbolischen Ort, ein gleichsam exemplarisch öffentlicher Raum, auf dessen Terrain gewisse ästhetische Ausdrucksformen ab sofort nicht mehr geduldet werden: all jene Formen, die über diesen symbolischen Bezug jenseits dessen ­lagen, was sich nunmehr als „legitime“ und „literarisierte“ Kultur etablierte. Es war ein offensichtlicher Erfolg des „Diskurses“, mit allen Mitteln seiner Rhetorik bestimmte theatrale Formen im Kontext einer kulturellen Hierarchie auszuschließen, was auch erklärt, warum es nun überflüssig war, nachweisen zu wollen, dass das extemporierte Theater, selbst unter „Vorzensur“ gestellt, den „Sitten“ nicht widerspräche. Diese Zeit des „rationalen“ Diskurses war vorüber. Es war offensichtlich vor allem der erste lange Satz von Sonnenfels’ Promemoria, der den meisten Eindruck machte – die Verbindung der Schauspielerkörper mit dem Körper der Apostolischen Majestät. Das Theatralzensur-Dekret des Jahres 1770 ist gewissermaßen eine „Kompromissbildung“, selbst im Hinblick auf Sonnenfels’ begrenztes Etappenziel der „gesitteten Schaubühne“, eine Kompromissbildung von 140

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‚bürgerlichen‘ Reformvorstellungen und fürstlicher Repräsentation. Das Dekret enthält auch keinerlei Sprachspuren der neuen „kameralistischen“ Bestimmung des Theaters, eine Semantik, welche auch Sonnenfels in der letzten Kampfphase nicht ins Spiel gebracht hatte. Wie der erste Absatz von Sonnenfels’ Promemoria vom Jänner 1770 erkennen lässt, ging es bei aller angedrohten Sittenverderbnis primär um „Geschmacksfragen“, durchaus im hypostasierten Sinne von Engelschall, dass schlechter Geschmack und schlechte Sitten korrelierten. Dem schloss sich nunmehr mit vornehmlichem Blick auf die Residenz auch der Hof an, der 1766, zwei Jahre vor dem Tod des Hanswurst Gottfried Prehauser, noch keine Bedenken hatte, ein extemporiertes Spiel als einer Haupt- und Residenzstadt würdig zu tolerieren – wie es auch im damaligen Pachtvertrag gefordert worden war. Es ist allerdings daran zu erinnern, dass es nicht der Hof war, der dem extemporierten Schauspiel sein erstes Ende bereitete – dieses endigte zunächst in der neuen Spielzeit 1769 mit Übernahme des Kärntnerthor-Theaters durch Baron Bender nach dem Tod Prehausers und Weiskerns. Bei dem neuerlichen Diskurs um das Extemporieren ging es um eine pragmatisch betriebene „Reanimierungsphase“, welche, weiter nicht erstaunlich, die Gegenfront weiter eskalieren ließ, und zu dieser Gegenfront zählten auch Schauspieler des deutschen Theaters. Das neue Theatralzensur-Dekret hat eine neue Form der Organisation der Thea­ tralzensur geschaffen, die mit unterschiedlichen Modifikationen die Grundlage der Theatralzensur bis zum 19. Jahrhundert bildete. Inwiefern sich aufgrund der geänderten Aufgabenstruktur Veränderungen abzeichneten, wurde weiter oben diskutiert. Diese neue Organisation löste die bisherigen multiplen zensuriellen Praktiken ab, über deren genaue Funktions- und Wirkungsweise wir allerdings nach wie vor viel zu wenig Bescheid wissen. Selbstverständlich war auch das Theater vor der In­ stallierung einer eigenen Theatralzensur im Jahre 1770 kein zensurfreier Raum, wenn auch aufgrund des zeitweiligen Extemporierens die später obligatorische Vorzensur nicht möglich war, eine Vorzensur, welche übrigens für das extemporierte Theater erstmalig Affligio im Dezember 1769, wenn auch erfolglos, vorgeschlagen hatte. Die zensuriellen Eingriffe reichten von Mahnungen und Strafandrohungen für ungehörige Reden über Beauftragung von Inspektionen des Theatralbetriebs bis hin zur Beauftragung einzelner Personen, auf die Angemessenheit der aufgeführten Stücke zu achten, ohne dass man diese Personen in einem formalen Sinne als „Zensor“ betrachten könnte. In diesem Sinne können die Worte Maria Theresias im bereits genannten Schreiben aus dem Jahre 1752 aufgefasst werden, Weiskern möge die Stücke inspizieren, wie dies Matthias J. Pernerstorfer in neuer Lesart vorgeschlagen hat. Eine ähnliche Rolle dürfte für das französische Theater die Fürstin Trautson gespielt haben, wie denn auch im Briefverkehr zwischen dem Generalspektakeldirektor ­Durazzo und seinem französischen Agenten in Paris, Favart, Aspekte der spezifischen „Spielbarkeit“ in Wien immer wieder eine Rolle spielten, wie dies Bruce 141

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Alan Brown dargelegt hat.321 Und schließlich ist die Bücherzensur zu nennen, welche zumindest partiell über die theatralen Drucke wachte und auch zunehmend theatralzensurielle Aufgaben übernahm. Mit der Verpachtung der beiden ehemaligen Hoftheater im Jahre 1765 wurde dies auch explizit formuliert. Das Theatralzensur-Dekret des Jahres 1770, Ergebnis eines langen, komplexen Prozesses, war letztlich auch Ergebnis einer spezifischen Interaktion von Staat und einem sich in Konstitution befindlichen intellektuellen Feld, somit ein Bereich, in dem alle möglichen Facetten zusammenspielen: Utopien, Zukunftshoffnungen, Regulierungsphantasien, Pragmatismus, Indifferenz, Repräsentation, Image, Geld, Achtung und Verachtung, Repression, Positionierungen in neuen Konkurrenzfeldern, sozialer Kampf, Neudefinition der „legitimen Kultur“. Das macht es auch schwer, die Entwicklung adäquat zu beschreiben, weil dazu viele „Skripts“ vorliegen, wodurch die Versuchung entsteht, die im Kontext des Diskurses eingesetzten „Waffen“ als analytische Kategorien für die Beschreibung des historischen Prozesses selbst zu nehmen. Ob Joseph II. durch seine Intervention vom März 1770, welche in der Residenzstadt nur mehr ein deutsches, „literarisiertes“ Theater zuließ, das „deutsche Nationaltheater“ vorrangig fördern wollte, ist eine offene Frage, auch wenn diese höfische Entscheidung unabhängig von den Intentionen des Herrschers einen bedeutenden strukturellen Akzent für die weitere Entwicklung setzte, gerade weil sie an dem symbolischen Ort vollzogen wurde.

321 Siehe dazu die Schlussbemerkungen der Einleitung.

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SONNENFELS’ RASCHER ABGANG. NEUBESETZUNG DER THEATRALZENSUR Sonnenfels’ Tätigkeit als Theatralzensor währte nur etwa ein halbes Jahr. Eine gewisse Schadenfreude über seinen Abgang konnten viele nicht verbergen, wie etwa Gotthold Ephraim Lessing322, wenn er sich auch mit vielen von Sonnenfels’ Anliegen identifizieren konnte: er ging sogar soweit, die nunmehrige Tätigkeit von Sonnenfels mit dem zu vergleichen, was er, Lessing, für Hamburg getan hätte, womit er Sonnenfels die Rolle eines „dramatischen Zensors“ zuschreibt (wobei er auch kritisch anmerkt, dass Sonnenfels unnötigerweise zu scharf gegen das Burleske eingenommen wäre).323 Wenn wir die bloßen Bestimmungen des Zensur-Dekrets vom März 1770 heranziehen, so sind dies Erwartungshaltungen, die weit über das hinausgehen, womit Sonnenfels eigentlich beauftragt worden war, wenn er sich auch mit derartigen Zuschreibungen bestens zu identifizieren vermochte.

DER MÄCHTIGSTE MANN IM THEATERWESEN? THEATR ALZENSOR SONNENFELS Laut Hilde Haider-Pregler hatte Sonnenfels mit der Ernennung zum Theatralzensor und der damit verbundenen Reorganisation der Theatralzensur das „einflußreichste Amt“324 im Theaterwesen erhalten und war „zum mächtigsten Mann“325 im Wiener Theater aufgestiegen. Und im Rückblick auf seine diesbezügliche Tätigkeit schreibt Haider-Pregler: „Es war Sonnenfels jedoch nur kurzfristig vergönnt, seine Vorstellungen einer Nationalschaubühne der Verwirklichung entgegenzuführen. Signifikante Resultate einer Erneuerung von Spielplan, Darstellungskunst und Publikums322 So schreibt Lessing an seine Verlobte Eva König am 29. November 1770 aus Wolfenbüttel nach Wien: „Als ich ihren vorletzten Brief erhielt, hatte ich eben in der Erfurter gelehrten Zeitung, welche die Posaune des Herrn von S[onnenfels] ist, eine sehr prächtige Ankündigung gelesen, was man sich unter seiner Aufsicht nunmehr alles für Wunder von dem Wiener Theater zu versprechen habe. Ich weiß nicht, ob ich mehr lachte, oder mich mehr ärgerte, als ich aus ihrem Briefe ersahe, daß seine Aufsicht so geschwind ihre Endschaft erreicht habe.“ Zitiert nach der Briefausgabe von Günther und Ursula Schulz: Meine liebste Madam. Gotthold Ephraim Lessings Briefwechsel mit Eva König 1770–1776. München 1979, S. 38f. 323 „Es soll mich sehr freuen, wenn S[onnenfels] in Wien mehr Gutes stiftet, als mir in Hamburg zu stiften gelingen wollen. Aber ich sorge, ich sorge, es wird dort auch zu nichts kommen. Schon des Herrn von S[onnenfels] allzustrenger Eifer gegen das Burleske ist gar nicht der rechte Weg, das Publikum zu gewinnen.“ Lessing an Eva König, Brief vom 25. Oktober 1770 aus Wolfenbüttel nach Wien, in: ebenda, S. 34–35. 324 Sonnenfels / Haider-Pregler: Briefe über die wienerische Schaubühne, „Nachwort“, S. 411. 325 Ebenda, S. 412.

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verhalten sind (theaterhistorisch) für die wenigen Monate seiner Machtbefugnis daher kaum feststellbar.“326 Hier liegen in der Einschätzung von Sonnenfels’ Auftrag deutliche Unschärfen und Missverständnisse vor. Um nicht das Bild einer „Sonnenfels-Legende“ weiter zu perpetuieren, muss deutlich unterschieden werden zwischen dem ihm übertragenen Aufgabenbereich eines Theatralzensors, wie es durch die im vorigen Kapitel genannten Dokumente geschehen ist, und jenen Aufgaben, welcher sich Sonnenfels darüber hinausgehend zu bemächtigen versuchte. In den daraus entstehenden Spannungen muss ein gewichtiger Hintergrund für seinen baldigen Abgang gesehen werden. Hilde Haider-Pregler lässt den Eindruck entstehen, Sonnenfels, der nunmehr angeblich „mächtigste“ Mann im Wiener Theaterleben, habe eine Art Generalintendanz zur Reform des deutschen Theaters innegehabt. Das mag vielleicht seinem Selbstbild entsprochen haben, und ein diesbezügliches Angebot hatte Sonnenfels auch gegen Ende seines Promemoria vom Jänner 1770 dem Hof angetragen, doch gemäß den Instruktionen Josephs II. hatte er einen klar begrenzten Auftrag erhalten. Dieser beinhaltete keineswegs, dass Sonnenfels für eine Neugestaltung des Spielplans oder gar der Darstellungskunst zuständig gewesen wäre, und sah auch in keiner Weise vor, dass er seine Vorstellungen vom Nationaltheater der Verwirklichung entgegenführen sollte. Sein offizieller Einfluss auf den Spielplan bestand darin, zur Aufführung eingereichte Stücke gemäß den vorgeschriebenen Richtlinien zu beurteilen, sie nötigenfalls abzulehnen oder Abänderungen zu bewirken. Sein Einfluss auf den Darstellungsstil war dahingehend begrenzt, die verwendeten Gebärden zu beanstanden, sofern darin eine „Obszönität“ gesehen werden konnte. Der Radius, Stücke abzulehnen, war – wie bereits dargelegt – jedoch wesentlich erweitert, da er über Verstöße gegen Sitte, Staat und Religion hinaus auch zu befinden hatte, ob ein Stück „Grobheiten“ und „groben Unsinn“ enthielt und dadurch der Residenzstadt unwürdig wäre. Und er hatte zu prüfen, ob das Extemporierverbot eingehalten wurde. Aber er war meilenweit von dem entfernt, was etwa Engelschall zehn Jahre zuvor mit der Position des von ihm geforderten „Generalzensors“ verbunden hatte. Qua Dekret hatte Sonnenfels somit, über den genannten Aktionsbereich hinaus, keinen Einfluss darauf, welche Stücke ausgewählt wurden; es konnten die „schlechtesten“ und „ödesten“ sein, sofern sie nicht gegen die im Dekret genannten Grundsätze verstießen. Diesbezüglich lag die Macht bei der Theatraldirektion, welche sich allerdings darauf einstellen musste, in Sonnenfels ein stets kontrollierendes Gegenüber zu haben, was sich auf das ausgewirkt haben mag, was sie als mögliche Stücke für den Spielplan ins Auge fasste. Aber Sonnenfels war nicht beauftragt, eine allgemeine Reform des deutschen Theaters durchzuführen. Er war nicht beauftragt, die Schauspieler darin zu beraten, wie sie ihr Spiel optimieren könnten, er war nicht beauftragt, 326 Ebenda, S. 420.

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Schauspieler zu engagieren oder zu diesem Beruf zu motivieren, und er war auch nicht beauftragt, die literarische Produktion in eine wie auch immer geartete Richtung zu lenken. Vieles davon scheint Sonnenfels allerdings jenseits der Bestimmung des Dekrets im Auge gehabt zu haben, speziell in der Ära Koháry. Er wurde Mitglied des Theaterbeirats, nahm an den Proben teil und kooperierte mit der Theatraldirektion, indem er publizistisch die Grundzüge der künftigen Aktivitäten des deutschen Theaters zu erläutern und anzupreisen versuchte.327 Ein Schreiben an den Grafen Sporck gegen Ende seiner Zeit als Theatralzensor, in welchem er sich hinsichtlich der Zulassung von Christian Felix Weißes Komödie Die Matrone von Ephesus, oder sind alle Witwen so? zu rechtfertigen suchte, welche auf allerhöchste Weisung mit nachträglichem Verbot belegt wurde, enthält auch ein kleines Panoptikum seines Tätigkeitsfelds, so wie er es verstand bzw. wie er es nach außen hin zu legitimieren versuchte.328 Es handelt sich um einen Verteidigungsbrief in einer speziellen Mischung aus Überheblichkeit, Mitleidheischen und Unterwürfigkeit, die so weit reicht, dass Sonnenfels vorschlägt, in Zweifelsfällen den Rat von „Bischof Stock“,329 einem geistlichen Mitglied der Bücherzensurkommission, einzuholen. Darin versucht sich Sonnenfels als eine Person zu präsentieren, die die Aufgaben einer Theatralzensur so streng und konsequent wahrnimmt wie noch keine vor ihm. Darüber hinaus könne er sich rühmen, die „Reinigung der Sitten auf der Bühne eingeführt“330 zu haben: „und so handle ich noch heute nach eben solchen Grundsätzen, ungeachtet die Censur, welche mich mehr als alles andre beschäfftiget, eine unbelohnte Mühe ist“331. Er nehme an den Proben teil332 und begutachte auch die am Theater einlangenden Stücke333 – allein in der vergangenen Woche hätte er neun verwerfen müssen. Er schreibt dies nicht, ohne sich zu beklagen, dadurch viel Zeit zu verlieren. Dass Sonnenfels an das Theater einlangende Stücke einer Begutachtung unterziehen sollte, war, wie auch die kontinuierlichen Probenbesuche, keineswegs Bestandteil des Theatralzensur-Dekrets vom März 1770 – das waren offensichtlich Aufgabenbereiche, die sich Sonnenfels später anzueignen versuchte. In der Beschrei327 Vgl. Teuber: Das k. k. Hofburgtheater, S. 178. 328 Dieses Schreiben an den Grafen Sporck vom 27. September 1770 ist in Auszügen wiedergegeben bei Brosche: Joseph von Sonnenfels und das Wiener Theater, S. 131. Brosche bezieht sich dabei auf ein Zeitungsfeuilleton von R. Bavarus aus dem Jahre 1903, welcher sich dort auf dieses ansonsten nicht mehr auffindbare Dokument bezieht: „Warum Sonnenfels die Theatercensur verlor. Eine heitere Geschichte, aus vergilbten Papieren mitgetheilt“. In: Die Zeit vom 2. Jänner 1903. 329 Vgl. Brosche: Joseph von Sonnenfels und das Wiener Theater, S. 132. 330 Ebenda, S. 131. 331 Ebenda. 332 „Ich gehe zu den Proben und Balletrepititionen, und ich finde, daß die Reinigkeit der Schaubühne zu erhalten, meine Gegenwart hier nicht überflüssig ist. Nur erst vor wenigen Tagen habe ich eine Figur ändern lassen, welche in der Malerey so ausgeführt war, daß sie auf eine Unanständigkeit gedeutet werden konnte.“ Ebenda, S. 131. 333 Vgl. ebenda.

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bung des Aufgabenfeldes der Begutachtung ist er, nicht ohne Absicht, völlig unscharf. Er stellt diese im Kontext seiner „Zensurtätigkeit“ so dar, als ob die „Verwerflichkeit“ eines Stückes an zensuralen Gebrechen, wie dies Hägelin später formulieren wird, läge, um indirekt seine strenge Richterschaft einmal mehr herauszustreichen. Die „Verwerflichkeit“ eines Stückes war jedoch keine notwendige Ingredienz einer Anstößigkeit im Sinne von Zensurrichtlinien, sondern eine Gesamtbeurteilung eines Stückes im Hinblick auf die zu erwartenden Effekte, die ein solches gemäß der zugrunde gelegten ästhetischen Beurteilungsrichtlinien auf der Bühne machen würde. Wenn man die spätere Begutachtungspraxis des zur „Nationalbühne“ erhobenen Burgtheaters heranzieht, ist es in keiner Weise erstaunlich, dass sich unter neun eingereichten Stücken keines befand, dass einer Aufführung für wert befunden wurde334; es gehörte notwendigerweise zu einem solchen Aufgabenbereich, sehr, sehr viele Stücke zu lesen, um schließlich eines für eine Aufführung zumindest in Erwägung zu ziehen. Die Klage von Sonnenfels entbehrt somit jeder Substanz, ganz abgesehen davon, dass eine solche Begutachtung überhaupt nicht zu seinem Aufgabenfeld als Zensor gehörte. Diesbezüglich muss betont werden, dass Bücher- und Theatralzensor zu der damaligen Zeit kein ,Hauptberuf ‘ war. Wie später Hägelin dürfte auch Sonnenfels kein Salär aus der Tätigkeit als Theatralzensor (wohl aber als Bücherzensor) bezogen haben. Doch über seine sonstigen staatlichen Einkünfte im Hinblick auf seine Lehrtätigkeit bezog Sonnenfels, wie aus diversen Stellungnahmen der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei hervorgeht, ein durchaus stattliches Gehalt von „2.400 Gulden“335 jährlich. Entsprechend wurde von ihm erwartet, seine unterschiedlichen Tätigkeiten in Einklang zu bringen, wie das auch andere an der Universität lehrende Personen, die zusätzliche Funktionen in der Bücherzensur ausübten, taten.336 Dass sich Sonnenfels über die Maßen mit theatralen Aufgaben abgab, was der KaiserinWitwe als Zeitverschwendung erschienen sein mag, war in keiner Weise Gegenstand der Erwartung. So kam es im Jahre 1770 zu konfliktuären Konstellationen, als Sonnenfels mehrfach beantragte, zwecks Arbeitsüberlastung, speziell im Zensurbereich, seine kameralistische Lehrtätigkeit u. a. am Theresianum supplizieren zu lassen.337 Das in diesem Jahr mehrfach gestellte Gesuch wird im November 1770 von der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei als „unstatthaft“ angesehen und dabei auf­ 334 Von den etwa 250 im Jahre 1779 beim Burgtheater eingereichten Stücken (Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Hofarchive, Generalintendanz der Hoftheater, SR 3: Prothocoll der Referate über die eingeschickten Stücke beym Kayserl. Königl. National Theater, 1779) wurden lediglich zwei Dramen in unmittelbarer Folge zur Aufführung gebracht. 335 Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Varia, 1770–1772, 59479 Jc, f. 117. 336 Ebenda, f. 116v. 337 Ebenda, f. 115vf.

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Sonnenfels’ Gehalt verwiesen wie besonders auch darauf, dass er nicht mehr zu tun hätte als etwa der Präses der Bücherzensurkommission, Gerard van Swieten.338 Gegen sein mit kontinuierlicher Beharrlichkeit vorgebrachtes Eigenlob, seine Verdienste auf dem Gebiet der Kameralistik betreffend, wird eingewandt, ein solches sei „übertrieben, und der ganzen Welt bekannt, dass seit 40 Jahren die Cameral Wissenschaften in Frankreich, England und Deutschland durch eigene Lehrer cultivirt worden; wie denn auch allhier der berühmte Professor Justi die Cameral Wissenschaften gelehret, und Bücher davon geschrieben habe, zur Zeit, wo der von Sonnenfels noch nicht einmal zu denken vermochte.“339 In der Kombination all dieser wie auch immer angehäuften Aktivitäten wurde Sonnenfels in Theatralangelegenheiten vielleicht zu einem „mächtigen“ Mann. Mit den Briefen über die wienerische Schaubühne war Sonnenfels zum dramatischen Zensor geworden, und wenn man den in seiner Zeit als Theatralzensor verfassten Bericht über die Uraufführung von Brawes Brutus heranzieht340, kann man ermessen, wo seine Interessen lagen: wahrscheinlich kaum im eingeschränkten Aktionsradius einer Theatralzensur, wie sie im Dekret vom März 1770 umrissen ist. In seinem vielfältigen Aktivitäts- und Machtbereich liegen mit großer Wahrscheinlichkeit die Wurzeln für seinen raschen Abgang. Über den „äußeren“ Anlass liegen verschiedene Vermutungen vor, so „Fehler“ bei der theatralen Zensuranalyse: genannt werden Soliman II., oder die drei Sultaninnen von Charles-Simon Favart,341 welches in französischer Originalsprache bereits 1765 am Burgtheater erstaufgeführt und am 18.  Mai 1765 auch in Laxenburg vor dem Hof gespielt worden war,342 oder Weißes circa zwei Wochen zuvor erstaufgeführte Komödie Die Matrone von Ephesus343 – beide Stücke wurden entgegen Sonnenfels’ ursprünglicher Entscheidung auf Weisung des Hofes mit einem Aufführungsverbot belegt, welches im Falle von Favarts Komödie allerdings spätestens im Dezember 1770 wieder aufgehoben wurde.344

338 339 340 341

Ebenda, f. 116h. Ebenda, f. 116hf. Sonnenfels: „Ueber die Vorstellung des Brutus“. Unterzeichnet mit: Wien, den 22. August 1770. So von Eva König im Brief aus Wien an Lessing in Wolfenbüttel vom 14. Oktober 1770. In: Meine liebste Madam, S. 31. In deutscher Übersetzung wurde Favarts Komödie am 29. September 1770 am Kärntnerthor-Theater erstaufgeführt. Zechmeister: Die Wiener Theater, S. 522. 342 Ebenda, S. 496. 343 Vgl. Brosche: Joseph von Sonnenfels und das Wiener Theater, S. 126–129. Weißes Komödie wurde am 13. September 1770 am Kärntnerthor-Theater erstaufgeführt. Zechmeister: Die Wiener Theater, S. 522. 344 So Eva König aus Wien im Brief an Lessing in Wolfenbüttel vom 19. Dezember 1770. In: Meine liebste Madam, S. 43.

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ABGANG IM ZEICHEN STRUKTURELLER KONFLIKTE Jenseits einer vermuteten Empörung Maria Theresias über eine möglicherweise als anstößig empfundene Verwendung eines Taschentuchs345 (Soliman II.) oder über einen zu früh gelüfteten Witwenschleier (Die Matrone von Ephesus) ist die Frage des Abgangs von Sonnenfels von wesentlicher Bedeutung für die Geschichte der Wiener Theatralzensur. Was sind die strukturellen Konfliktzonen, die hinter Sonnenfels’ früher Abberufung standen? Und warum traf eine solche Abberufung gerade einen Mann, der die neuen theaterzensuriellen Vorgaben selbst vorgeschlagen und ursprünglich noch viel strengere Maßregelungen gefordert hatte? Auch wenn wir eine definitive Beantwortung dieser Fragen nicht leisten können, so bietet das erhaltene Material aus der Zeit von Sonnenfels’ Tätigkeit als Theatralzensor reichlich Anlass, begründete Hypothesen zu bilden. Den ersten wichtigen Anhaltspunkt liefert der schon genannte Brief Eva Königs an Lessing vom 14. Oktober 1770, in welchem sie über die Enthebung von Sonnenfels als Theatralzensor berichtet: „Der Herr von S[onnenfels] hat die Censur verloren, und von der Kaiserin den Befehl erhalten: sich bei Verlust seines Dienstes weiter nicht in Theatralsachen zu mengen. Es soll ihm gesteckt gewesen sein, und er deswegen ein Memorial überreicht haben, worin er gebeten, man möchte ihm die Censur abnehmen. Dieses hat er aber versiegelt zurück erhalten, nebst dem Befehl der Kaiserin. Soliman hat zum Vorwande gedienet. Ob es gleich dreimal aufgeführet worden, so ist es doch nun verboten.“346 Und am 19. Dezember desselben Jahres schreibt Eva König an Lessing, wiederum aus Wien: „Noch eine Neuigkeit von unserer Freundin, die Sie vielleicht nicht wissen? G. hat wegen der Affaire mit St. 1000 Taler Strafe bezahlen müssen. Ich komme nicht leicht in Versuchung, mich über den Schaden meines Nächsten zu freuen; aber hier gewiß. So gewiß, wie sich die ganze Stadt Wien freuet, wenn der Herr von S[onnenfels] gekränkt wird. Sie können nicht glauben, was der Mann für Feinde hat. Eben seine Feinde, und nicht die Roxellane [weibliche Hauptfigur aus Favarts Soliman II.] – haben ihn so herunter gebracht; denn dieses Stück ist seitdem wieder aufgeführt worden.“347

345 Siehe den Brief von Eva König an Lessing vom 14. Oktober 1770, ebenda, S. 31. 346 Ebenda. 347 Ebenda, S. 43.

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In zwei Briefen schreibt Eva König also sinngemäß, dass es nicht eine wie auch immer zu bewertende Fehlentscheidung bei der Zensur war, die Sonnenfels zu Fall gebracht hätte, nicht der in Wiener Kreisen kolportierte Soliman II., sondern dass andere Gründe dafür ausschlaggebend waren. Es ging offensichtlich nicht um Zensur, sondern um Einmischung auf dem Feld des Theaters, und es ging offensichtlich um sehr handfeste Interessen, welche die Anzahl von Sonnenfels’ „Feinden“ vermehrt hatten. Die verhängte Sanktion war sehr tiefgreifend: nicht bloße Entfernung von der ihm verliehenen Position eines Theatralzensors, sondern allerhöchster Befehl, Sonnenfels möge sich bei Verlust seiner sonstigen Positionen nie mehr in theatrale Belange einmengen – eine Art lebenslanges Berufsverbot in Theaterangelegenheiten. Die strenge Untersagung jeglicher Einmengung erstreckte sich offensichtlich bis hin zu dem Verbot, über das Theater zu schreiben, vielleicht darauf ganz besonders. Sonnenfels hat jedenfalls nach diesem Konflikt nichts Kontroversielles mehr über das Theater veröffentlicht. Doch nicht nur dies: nach der kurzen Phase als Theatralzensor endete auch Sonnenfels’ Karriere als Wochenschriftsteller, welche er eindrucksvoll und durchaus einflussreich betrieben hatte. Was das Theater betrifft, wird sich Sonnenfels nach dem Tode Maria Theresias damit begnügen, seine alten Theaterschriften im Rahmen einer Gesamtausgabe seiner Werke neu zu veröffentlichen, und diese mit Liebe zum Detail überarbeiten. Es ist somit nicht nur die Abberufung aus einer Position, es ist eine massive Intervention von allerhöchster Seite. Es ging also vor allem um Einmischungen und nicht um zensorale Fehlentscheidungen. Dies findet Bestätigung auch darin, dass Sonnenfels’ zensorische Qualifikation vom Hof auch nach seiner Entlassung als Thea­tralzensor in keiner Weise angezweifelt wurde: bis zum Oktober 1772 war Sonnenfels als Zensor in der Bücherzensurkommission tätig, zuständig für „politische Bücher“ in deutscher und englischer Sprache. Dazu schreibt Gerard van Swieten, der seit Jänner 1771 wegen seines schlechten Gesundheitszustandes sein Amt als Präses der Bücherzensur nur mehr zeitweilig wahrnehmen konnte, in einer im Februar 1772 verfassten Denkschrift über eine zukünftige Organisation der Bücherzensur – aufbewahrt in den Brandakten des Staatsarchivs: „Le Professeur Sonnenfels chargé de la censure politique, a pris pour sa part tous les livres Allemands, parce qu’il possede cette langue a fond on luij a aussij donné tous les livres Anglois parce qu’il comprend cette langue.“348

348 Handschrift: Gerard van Swieten: Quelques Remarques sur la Censure des Livres, unterzeichnet mit 24. Februar 1772, S. [8] (Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1331, Zensur Niederösterreich, 1550–1779).

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Damit hatte Sonnenfels eine Position inne, die viel Vertrauen und „Fingerspitzengefühl“ voraussetzte, vor allem was die englische Literatur betraf, für die keine vergleichbar strengen zensuriellen Schranken wie in den k. k. Erbländern galten und die für ihre Offenheit bekannt war. Somit sind die Kernkonflikte vor allem in den Einmischungen zu sehen, speziell in jenen Einmischungen, die Sonnenfels jenseits des ihm aufgetragenen Tätigkeitsfelds vornahm. Nach der kurzen Phase des „Duells“ mit Kurz-Bernardon, auf das auch etliche der von Sonnenfels vorgeschlagenen Zensurrichtlinien zugeschnitten scheinen, hat sich der Theatralzensor offensichtlich immer mehr in die Tätigkeitsfelder des deutschen Theaters „integriert“, von Probenbesuchen über Beratungstätigkeiten bis hin zur „Öffentlichkeitsarbeit“ des Theaters. Im strengen Sinne löste sich somit die Distanz erfordernde „Zensor-Rolle“ tendenziell auf. Wie tief diese Involvierung ging, ist nicht näher bekannt, ebenso wenig, ob Sonnenfels’ Wirken im Theater als Bereicherung oder als Stör­faktor angesehen wurde respektive ob es vonseiten der Theatraldirektion eine pragmatische Liaison war, um die „Kontrolle“ ans Haus zu binden. Ebenso wenig kann gesagt werden, welche Konflikte sich durch Sonnenfels’ Engagement im Haus selbst aufbauten. Zumindest einer der damals tätigen Schauspieler, Stephanie der Jüngere, hat ihm einiges nachgetragen und Sonnenfels – wie bereits erwähnt – noch im Jahre 1773 in leicht zu durchschauender Weise zum lächerlichen Gegenstand der Bühne gemacht. Sonnenfels scheint jedoch in seiner neuen „Rollenvielfalt“ auch weiterhin jene „Spiele“ gespielt zu haben, die er als Wochenschriftsteller gewohnt war auszuüben. Dafür mag seine Besprechung des schon genannten Trauerspiels Brutus von Joachim Wilhelm von Brawe ein Indiz sein.349 Es hat den Anschein, als ob Sonnenfels hier eine Beobachterrolle bewusst inszeniert, um damit gleichzeitig seine lenkenden Aktivitäten zu verdecken. Schon das hohe Lob für die Wahl dieses Stückes350, welches er zu den besten deutschen Tragödien zählt und das er Voltaires gleichnamiger Tragédie überlegen sieht, mag ein Hinweis darauf sein, dass Sonnenfels dieses Werk selbst vorgeschlagen hatte – jedenfalls lässt er eine zu große persönliche Identifikation erkennen, zumal bei einer dramatischen Gattung, der er, wie bereits ausgeführt, sehr skeptisch gegenüberstand. Doch was in weit höherem Ausmaß verräterisch erscheint, ist seine volle Identifikation mit den vorgenommenen Strichen. Dabei geht es nicht um Striche unter zensorischen Gesichtspunkten – es geht um die Eliminierung von poetisch als höchst wertvoll eingeschätzten Passagen, die allerdings aus Sonnenfels’ Sicht den Fluss des Dramas aufhalten. Selbstverständlich kann Sonnenfels aus dem Stegreif alle­ 349 Sonnenfels: „Ueber die Vorstellung des Brutus“. Unterzeichnet mit: Wien, den 22. August 1770. 350 Brawes Brutus, die letzte dramatische Dichtung des im Alter von 20 Jahren verstorbenen Literaten, wurde am 20. August 1770 am Kärntnerthor-Theater uraufgeführt. Zechmeister: Die Wiener Theater, S. 521.

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gestrichenen Stellen zitieren: es ist jedenfalls nicht unwahrscheinlich, dass Sonnenfels selbst diese Striche vorgeschlagen hat und sich nun dessen rühmen kann, ohne dies entgegen sonstiger Gewohnheit als sein Verdienst auszugeben. Das wäre allerdings kein Akt großzügiger Abtretung des Verdienstes an andere, das wäre eine subtile Präsentation seiner imaginierten Macht, die gerade auch dort wirkt, wo sie nicht sichtbar ist. Im Großen und Ganzen ist sein Bericht eine wohlwollende Kritik, und wesentliche Motivation war die Hommage an den debütierenden Schauspieler ­M ichael Joseph Lange (den Älteren), den Sonnenfels zum Theaterspiel motiviert hatte. Wenn es im Hinblick auf das Spiel auch kritische Anmerkungen gibt, dann scheint dies auch Indiz dafür zu sein, dass die Schauspieler – aus welchen Gründen auch immer – Sonnenfels’ Ratschlägen noch nicht voll gefolgt sind oder sie noch nicht in der von ihm als optimal gesehenen Form umsetzten. Es wäre jedenfalls schwer nachvollziehbar, wenn Sonnenfels, der nach eigenen Aussagen auch die Proben besuchte, sich angesichts eines von ihm als so bedeutend angesehenen Werkes nicht schon im Entstehungsprozess der theatralen Aufführung in welcher Form auch immer eingebracht hätte, auch wenn er in diesem Bericht ganz bewusst die Rolle des bloßen Beobachters einnimmt – damit allerdings auch eine Rolle, welche durch die vorgespielte Distanz den Erkenntniswert der von ihm getätigten Äußerungen erhöhen soll. Das mag gleichzeitig ein Hinweis auf die Ambivalenz wie Diffusität von Sonnenfels’ Involviertheit in die theatrale Organisation sein. Doch eine solche Involviertheit war offensichtlich gegeben, denn der Theatralzensor betrieb auch die public promotion des deutschen Theaters. Wie aus dem sprachlichen Duktus hervorgeht, verfasste Sonnenfels eine umfängliche Mitteilung an das Publikum (vom 14. August 1770) im Hinblick auf die künftigen Vorhaben der neuen Theatralleitung.351 Sehr ausführlich werden die Grundsätze und Pläne des deutschen Theaters beschrieben und auch der Adel neuerlich umgarnt, indem erneut dafür geworben wird, den deutschen Schauspielern in den aristokratischen Salons als Verhaltensvorbild hilfreich zur Seite zu stehen. Das französische Theater wird jedoch mit äußerster Beiläufigkeit in nur einem einzigen Satz erwähnt: „Das französische Schauspiel soll nicht weniger durch fähige Schauspieler, um die man sich bestreben wird, und durch die Mannigfaltigkeit der Schauspiele anziehend erhalten werden.“352

351 Der Text dieser Mitteilung an das Publikum vom 14. August 1770 ist wiedergegeben in: Geschichte und Tagbuch der Wiener Schaubühne, S. 52–74, wie auch in: J. H. F. Müllers Abschied von der k.k. Hof- und National-Schaubühne, S. 73–89. 352 Ebenda, S. 88.

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Darüber hinaus lässt der Verfasser der Mitteilung wie schon Sonnenfels in seinem Promemoria vom Jänner 1770 explizit erkennen, dass das deutsche Theater vorrangiger Förderung bedürfe. Fürst Kaunitz, zum damaligen Zeitpunkt nicht in Wien, war nach der Lektüre dieser Mitteilung erbost und wusste offensichtlich auch, wer der Urheber dieser Mitteilung war: so empörte er sich am 29. August 1770 in einem Brief aus Austerlitz an Graf Koháry über „la belle pièce d’Éloquence de Mr. de Sonnenfels“.353 Hierin ist ein Grundkonflikt zu sehen, an dem Sonnenfels möglicherweise scheiterte. Der Konflikt liegt nicht nur in der Empörung eines wirklich mächtigen Mannes, der Konflikt liegt vor allem darin, dass sich Sonnenfels mit seiner publikumswirksamen eleganten rhetorischen Übergehung des französischen Theaters in eine Position begab, in welcher er in Widerspruch zu den diesbezüglich ohnehin diffusen Interessen des Hofes geriet. Es scheint naheliegend, dass sich Kaunitz, in ebenso passionierter Weise wie Sonnenfels dem Theater zugetan – allerdings dem französischen Theater, für dessen Förderung er auch seine diplomatische Administration einsetzte –, diesen „Affront“ nicht ohne Weiteres gefallen ließ, vor allem auch deshalb, weil sich Kaunitz als Befürworter des französischen Theaters in einer defensiven Rolle befand. Seit der ­Wiederinstallierung der französischen Bühne in Wien im Jahre 1768 befand sich das französische Theater in einer ständigen Verteidigungsposition.354 Der Vorgänger Kohárys, der Generalpächter Giuseppe Affligio, hatte schon 1768 bei Hof versucht, das französische Theater wieder loszuwerden, und dies, obwohl er seine Stellung im Wesentlichen Kaunitz zu verdanken hatte, der den bei Maria Theresia in schlechtem Rufe stehenden Affligio unterstützt hatte, da er seine Zusicherung gehabt zu haben scheint, wiederum das französische Theater einzuführen.355 Zum Zeitpunkt des Konflikts um die Wiedereinführung des extemporierten Theaters, im Dezember 1769, gab es vor allem auch einen intensiven Kampf um die Weiterführung des französischen Theaters – der sehr intensive Schriftverkehr zu diesem Thema unter ­Federführung von Kaunitz scheint den Hof mehr beschäftigt zu haben als die Frage des extemporierten Theaters – vor allem auch die Drohung Affligios, mit dieser Frage in die Öffentlichkeit zu gehen.356

353 Siehe dazu Franz Kopetzky: Josef und Franz von Sonnenfels. Das Leben und Wirken eines edlen Brüderpaares nach den besten Quellen dargestellt. Wien 1882, S. 105, und Brosche: Joseph von Sonnenfels und das Wiener Theater, S. 124. 354 Siehe dazu Hadamowsky: Wien. Theatergeschichte, S. 224–231, und Elisabeth Grossegger: Gluck und d’Afflisio. Ein Beitrag zur Geschichte der Verpachtung des Burgtheaters (1765/67–1770). Wien 1995, S. 75–110. 355 Hadamowsky: Wien. Theatergeschichte, S. 224. 356 Grossegger: Gluck und d’Afflisio, S. 96–98.

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Auch sein Nachfolger, Graf Koháry, versuchte von Anbeginn, das französische Thea­ ter, zu dessen Aufrechterhaltung er vertraglich verpflichtet war, aufzulösen oder wenigstens partiell in einem gemeinsam geführten Theater einzuschränken, so auch im Jahre 1770, und zwar mit der Argumentation, dass sich die Führung zweier Theater nicht rechne, zumal er verpflichtet wäre, vier Gattungen von Stücken zu geben: ­komische und ernste Oper, Ballett, französisches und deutsches Schauspiel, und die drei erstgenannten Gattungen waren die teuersten. Der Hof zeigte sich diesen Tendenzen zur Auflösung des französischen Theaters gegenüber eher ablehnend und bestand zunächst auf der Einhaltung des Kontrakts.357 Ob aus prinzipiellen Gründen, weil man ein französisches Theater für eine Residenzstadt als wesentlich ansah, oder aus strategischen Gründen den Interessen des Adels und seiner Fürsprecher gegenüber, lässt sich nicht eindeutig sagen. Es ist jedenfalls nicht davon auszugehen, dass Maria Theresia und Joseph II. im Jahre 1770 von der Priorität des deutschen Theaters überzeugt gewesen wären. Sie wollten zum damaligen Zeitpunkt beide theatralen Formen, sie wollten allerdings weder für die eine noch für die andere vonseiten des Hofes Geldmittel zuschießen. Und der Hof scheint keinerlei Interesse daran gehabt zu haben, dass diese höchst labile Situation weiter verschärft wurde. Insofern war Sonnenfels’ Vorgangsweise auch ein Affront gegen die Interessen des Hofes. Dies gilt umso mehr, als sich Maria Theresia nun erneut mit Kaunitz über das Theater unterhalten musste, was sie im Grunde zu vermeiden trachtete. Sie war der Ansicht, dass sich eine Person vom Range eines Kaunitz nicht mit Theaterfragen abgeben sollte, weil dies letztlich die Würde seines Ranges beschmutze – für Maria Theresia gehörten Theatralpersonen nach wie vor zu dem Untersten in der Monarchie, wie sie Kaunitz 1767 wissen ließ.358 Durch Sonnenfels’ Intervention scheint sie in von ihr nicht gesuchte Konstellationen gedrängt worden zu sein, was umso konfliktvoller erfahren worden sein mag, als Sonnenfels nun in einem Feld agierte, auf das er gar nicht berufen worden war. Gleichzeitig war Sonnenfels nicht so ohne Weiteres angreifbar: im expliziten Sinne hatte er nichts geschrieben, was in irgendeiner Form anstößig gewesen wäre; er hätte immer behaupten können, nur die neuen Grundsätze des deutschen Theaters, wie von allerhöchster Stelle dekretiert, verbreitet zu haben, und zwar zum Wohle und Ruhme des Staates, der Residenzstadt und des Herrschers. Auch gegen das französische Theater hatte er nichts explizit Negatives geäußert, und die Ansicht einer besonderen Förderung der deutschen Bühne hatte er schon in seinem ersten Promemoria zur Abschaffung des extemporierten Theaters hervorgehoben, was damals kein Hinderungsgrund gewesen war, Sonnenfels mit der Position eines Thea­ tralzensors zu betrauen. Seine in oben genannter Mittteilung angewandte Taktik 357 Hadamowsky: Wien. Theatergeschichte, S. 231f. 358 Ebenda, S. 223.

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e­iner gleichsam strukturell rhetorischen Auslöschung des französischen Theaters war zwar erkennbar, aber sie war nicht direkt angreifbar. Gegenüber dem Theater konnte Kaunitz nur in der Weise agieren, dass er seine Forderung wissen ließ, in Zukunft über alle Unternehmungen der Theatraldirektion im Voraus informiert zu werden, weil er ansonsten seine Hand vom Theater völlig abziehen würde.359 Die Macht des Diskurses und die Ohnmacht, ihr adäquat zu begegnen, mag damals zumindest von Kaunitz wohl erahnt worden sein. Er konnte dem allerdings nichts Vergleichbares entgegensetzen, denn er agierte mit anderen Mitteln, mit seinem strategischen Apparat und seinem direkten Einfluss, er agierte in Bezug auf das Theater nicht mit den Mitteln medialer Öffentlichkeit. Darum ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Regentin Sonnenfels gerade durch den Entzug der Diskursmacht treffen wollte – sie hat ihn jedenfalls dabei wirksam und nachhaltig getroffen. Die bereits genannten Anlassfälle im zensoralen Bereich mögen weitere Konfliktherde gewesen sein und bei der Kaiserin-Witwe den Eindruck entstehen lassen haben, dass ihr Theatralzensor den ihm zugewiesenen Bereich vernachlässige, während er sich um Dinge kümmere, die ihn aus ihrer Sicht nicht nur nichts angingen, sondern die gegen die Interessen des Hofes gerichtet schienen.

ÄSTHETIK DES WITWENSCHLEIERS Zu diesen möglichen Anlassfällen zählt, wie bereits erwähnt, Favarts Soliman II. ou les Trois sultanes in deutscher Fassung, zunächst mit nachträglichem Verbot belegt, allerdings im Dezember desselben Jahres wieder auf der Bühne zugelassen, ein Stück, das – wie ebenfalls erwähnt – in der französischen Originalfassung bereits 1765 am Burgtheater gespielt und auch am Hof in Laxenburg gegeben wurde. In seiner Arbeit über Sonnenfels und das Wiener Theater präsentierte Günter Brosche einen neuen, wenn auch weiter zurückliegenden Anlassfall: die Aufführungsgenehmigung der Komödie Die Matrone von Ephesus, eines Jugendwerks des von Sonnenfels hochgeschätzten Dichters Christian Felix Weiße (verfasst in den 1740er Jahren), welches etwas mehr als zwei Wochen vor Favarts Lustspiel, am 13. September 1770, in Wien mit dem Beititel oder Sind alle Witwen so? erstaufgeführt worden war.360 Der in Wien verwendete Zusatztitel Sind alle Witwen so? fehlt allerdings in anderen Schauspieldrucken. Brosche bezieht sich bei seiner Argumentation auf einen Zeitungsartikel aus dem frühen 20. Jahrhundert, welcher sich auf heute nicht mehr auffindbare Dokumente beruft, aus denen hervorgeht, dass Weißes Komödie am 16. September 1770 359 Ebenda, S. 230. 360 Die Matrone von Ephesus, oder Sind alle Witwen so? Ein Lustspiel in Versen in einem Aufzuge. Wien, gedruckt bei Johann Thomas Edlen von Trattnern, K. K. Hofbuchdruckern und Buchhändlern. 1770.

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– drei Tage nach der Erstaufführung – auf Intervention Maria Theresias verboten wurde.361 Es gibt allerdings keinen Nachweis, dass diese Intervention unmittelbar auf eine Ablösung Sonnenfels’ abzielte, der sich in dem schon erwähnten Schreiben vom 27. September 1770 zu rechtfertigen versuchte. Die Geschichte geht auf eine der Erzählungen in Titus Petronius Arbiters Satyrikon, höchstwahrscheinlich verfasst während der Regierungszeit des römischen Kaisers Nero (54–68), zurück: Die Klagen einer schönen Witwe, welche den erst kurz zurückliegenden Tod ihres Mannes beweint, locken einen jungen Soldaten in die Grabkammer. Dieser ist beordert, einen in nächster Nähe gehenkten Dieb zu bewachen, um einen zu erwartenden Diebstahl des Leichnams durch dessen Angehörige zu verhindern. Der Soldat entbrennt in Liebe zur schönen Witwe. Während seines Aufenthalts in der Grabkammer wird der Leichnam des Gehenkten gestohlen, was zur Folge hätte, dass der Soldat als verantwortliche Person denselben Tod zu erleiden hätte. Die Witwe, durch den Soldaten wieder ins Leben zurückgekehrt, opfert den Leichnam ihres Mannes, um ihn an der Stelle des gestohlenen Gehenkten am Galgen anbringen zu lassen. Weiße übernimmt diese Handlung in seiner einaktigen, in Versform geschriebenen Komödie, die zur Gänze in der Grabkammer spielt – neben der Witwe Antiphilas und dem Soldaten Karion tritt noch das Kammermädchen der Ersteren auf. Die Witwe ist völlig vom Tod ihres Mannes und von der über den Tod hinausgehenden Treue zum verstorbenen Gatten ergriffen. Sie wird von ihrem Kammermädchen und dem Soldaten, der die in Trauer Fastende mit Wein und Speise versorgt, langsam wieder ins Leben zurückgeholt. Den Liebesbeteuerungen und Annäherungsversuchen des Soldaten widersetzt sich die Witwe mit aller Entschiedenheit. Den definitiven Umschlagpunkt bringt die letzte Szene mit der Nachricht vom Diebstahl des Leichnams und der bevorstehenden Bestrafung des unachtsamen Soldaten. Angesichts der zu erwartenden Hinrichtung Karions entschließt sich Antiphilas, den Toten zu opfern, um den noch Lebenden am Leben zu erhalten: der Leichnam ihres Mannes wird somit zu einer Brücke für ein neues Leben. Der skurril anmutende Akt des Tausches ist ein unverzichtbares Element des Dramas, welches den Einheiten des Ortes, der Zeit und der Handlung in getreuester Weise folgt. Sowohl aufgrund des Themas und der sprachlichen Form wie der klassischen Vorlage scheint Sonnenfels keinen Grund gesehen zu haben, eine Aufführung dieses einaktigen Stückes zu untersagen. Das Thema war per se nicht sittenwidrig, da eine neue eheliche Verbindung nach dem Tod eines Ehepartners gesellschaftlich legitimiert war und, um es nüchtern zu sagen, es durchaus im Sinne des Kameralismus war, die potentiell zeugenden Ressourcen einer Gesellschaft auch weiterhin zu aktivieren. Überdies sind in der Wiener Variante alle auf körperlich erotischen Austausch hinweisende 361 Vgl. Brosche: Joseph von Sonnenfels und das Wiener Theater, S. 129f.

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Verbalisierungen durch neutralere Formulierungen ersetzt: der Kuss wird zum Blick, das Küssen zum Herzen und die Hochzeitsnacht zur zweiten Heirat.362 Der in Wien verwendete Untertitel ist jedoch in hohem Maße erklärungsbedürftig. Das Stück selbst gibt keine Antwort auf die Frage, ob alle Witwen „so“ sind. Der Untertitel hat etwas von einer reißerischen Anzüglichkeit und lässt gleichzeitig erkennen, dass das hier vorgestellte Geschehen als skurril angekündigt werden soll. Die darin zum Ausdruck kommende männliche Angst zeigt sich in einem Druck aus dem Jahre 1764, dessen Untertitel lautet: Oder der von den Weibern leicht vergessene Tod der Männer363, ein Thema, das Weiße nicht beschäftigt hat. Vielleicht will man als Antwort hören – und dafür gäbe es einige ‚empirische Evidenz‘ –, dass doch nicht alle Frauen „so“ sind und die Männer gut schlafen können und nicht befürchten müssen, dereinst als Toter am Galgen baumeln zu müssen. Wahrscheinlich wurde der Titel dieses Stückes als anstößiger empfunden als das Drama selbst, welches als einaktige Komödie zusammen mit einem anderen Theaterstück aufgeführt wurde, dessen Titel allerdings nicht bekannt ist. In ihrem ausgeprägten Witwenkult mag Maria Theresia in erster Linie das Anstößige der Frage gesehen haben, die mit dem Wort „alle“ auch an sie gerichtet ist – vor den Augen all ihrer Untertanen, für die Kaiserin-Witwe höchstwahrscheinlich eine nicht mehr zu überbietende Pietätlosigkeit. Dennoch bleibt die Frage, ob dies Versehen oder diese ‚Fehleinschätzung‘ von Sonnenfels allein ausgereicht hätte, ihn zu suspendieren. Blickt man auf die Geschichte der österreichischen Zensur des 18. Jahrhunderts, so fällt auf, dass die Herrscher sehr vorsichtig mit ihren Zensoren umgehen, weil sie auch wissen, dass dies eine heikle und schwierige Materie ist. Sie schicken, wie vermehrt zur Zeit Kaiser Franz’ II., wiederholte Mahnungen und Aufforderungen, gegebenenfalls Androhungen, aber sie lösen nicht so schnell ihre Zensoren ab, und wenn, dann eher im Zuge allgemeiner Umschichtungen oder wenn es sich beim Zensor um einen Mann aus der zweiten Reihe in einem der Erbländer handelt, wie im Falle der Zeitungszensur, welche auch zur Zeit Josephs II. nicht zentralisiert wurde.364 Weißes Komödie ist in diesem Zusammenhang aber noch von anderem Interesse. Sie steht auch paradigmatisch für die Konstitution eines künstlerischen Feldes, welches die operativen Einheiten, hier explizit bezogen auf einen klassischen Stoff, nach Kriterien vornimmt, welche mit dem Alltagsverständnis des Zulässigen und Unzulässigen nicht ohne Weiteres kompatibel sind. Die Logik des Stückes verlangt eine Abstraktion von der alltäglichen Logik, gerade der Umschlag ins ‚Grauenvolle‘ eröffnet dem Stück erst jenen dramaturgischen Punkt, an dem sich die Handlung ins 362 Siehe dazu: ebenda, S. 126f. 363 Die Matrone von Ephesus, Oder der von den Weibern leicht vergessene Tod der Männer, Ein Nachspiel in einem Aufzuge. 1764, s. l. 364 Siehe zum Beispiel Sashegyi: Zensur und Geistesfreiheit, S. 146.

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Erhabene auflösen kann. Dies war schon für die theatrale Produktion in Wien offensichtlich nicht so ohne Weiteres nachvollziehbar, daher gleichsam der Versuch einer ‚Skandalisierung‘, welche die Logik des Stücks zu den Alltagserfahrungen in Beziehung setzt. Sonnenfels geriet dadurch offensichtlich auch in einen Konflikt im Hinblick auf seine zensorale Tätigkeit: einer seiner Orientierungspunkte war speziell nach seiner Wandlung zum dramatischen Zensor und Kunstrichter ein sich überregional ausdifferenzierendes künstlerisches Feld und dessen Bewertungskriterien. Nicht zufällig sah Lessing Sonnenfels als Zensor in einer Situation, die seiner eigenen als Dramaturg in Hamburg vergleichbar war, eine Rolle, mit welcher sich auch Sonnenfels zu identifizieren begann. Sonnenfels war in seiner Tätigkeit auch von den Erwartungen dieses sich ausdifferenzierenden Feldes abhängig, nicht nur von lokalen Zurufen. Mit einem Verbot des Stückes von Weiße, mit dem Sonnenfels persönlich in Verbindung stand, hätte er sich in der literarischen Szene international lächerlich gemacht. Die Bedeutung, die er mit seiner Rolle als Kunstrichter verband, lässt sich auch an der Subtilität der Überarbeitung seiner Briefe über die wienerische Schaubühne für die Gesamtausgabe seiner Schriften in den 1780er Jahren ermessen; eine ähnliche Zuwendung hatte er dem kurzen theaterbezogenen Teil seiner Policeywissenschaft, die, wie auch seine anderen kameralistischen Schriften, nicht in seine Sämmtlichen Werke aufgenommen wurde, nie zukommen lassen. Dies wirft auch noch eine andere wesentliche Frage auf, jene nach der „Autonomie“ der Kunst. Gemäß seiner allgemeinen Begrifflichkeit in der Policeywissenschaft hatte Sonnenfels der Kunst keinen Sonderstatus eingeräumt: ihre Freiheit ginge so weit wie die allgemeine Freiheit, alles zu tun, was nicht den gesetzlichen Geboten entgegenstünde. Doch wenn wir Sonnenfels’ andere Schriften, speziell auch den Mann ohne Vorurtheil, heranziehen, so sehen wir, dass er gelegentlich auch Bilder einer Kunst entwickelt, die in Abhängigkeit vom ‚Kunstraum‘ distinkten Kriterien unterworfen ist, so – wie bereits erwähnt – in seiner Sichtweise der Tragödie: per se wäre sie in den meisten ihrer literarischen Produkte eine moralisch zweideutige Form, wenngleich auch Meisterleistung des menschlichen „Witzes“. Diesem Auseinanderklaffen von Ästhetischem und Sittlichem begegnet Sonnenfels auf dem Gebiet der Tragödie dadurch, dass er sie insofern für zulässig hält, als ihre von der Alltagserfahrung der meisten Besucher abgehobene Welt mangels direkter Identifikationsmöglichkeiten keinen schädlichen Einfluss auf den Betrachter ausüben könne.365 Sonnenfels bringt, wie ebenfalls bereits erwähnt, auch Beispiele aus der bildenden Kunst, und dies in Zusammenhang mit dem von ihm dargelegten Grundsatz, dass die Aufmerksamkeit der Zensur im Hinblick auf mögliche Zweideutigkeiten der ästhetischen Äußerungen nicht zu weit getrieben werde dürfe. Was im abge365 Siehe dazu das Kapitel „Das Trauerspiel im Brennspiegel des Kameralismus“ (S. 166–172).

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schotteten Kunstraum aus der Perspektive distinguierter Kunstbetrachter zum ästhetischen und auch sittlichen Erleben werde, mag im undifferenzierten öffentlichen Raum als Obszönität wirken und wäre daher dort auch nicht zulässig. Obszönität wäre nicht bloß am Kunstwerk festzumachen, sondern liege im Wesentlichen in den Augen des Betrachters – sein bereits genanntes Beispiel: der gesittete Betrachter nehme im unbekleideten Heiligen immer den Heiligen und nicht dessen sinnlichen Körper samt dem dadurch ausgelösten Begehren wahr, während der Ungesittete selbst noch den mit Kleidern völlig bedeckten Körper im Geiste zu entkleiden versuche, womit Sonnenfels das Thema der Obszönität der ‚Verhüllung‘ anspricht – er gerät jedenfalls in abgründige Dimensionen, und darüber schwindelnd, nimmt er eine schnelle Wende, um zu konstatieren, dass in jedem Falle allzu große Strenge besser wäre als allzu große Nachsicht. Dies ist ein zensurieller Grundsatz, der spätestens in den 1780er Jahren stark ins Wanken gerät, ja geradezu eine Umkehrung erfahren wird. Wie bereits erwähnt, versucht sich Sonnenfels nach dem Verbot von Weißes Die Matrone von Ephesus im genannten Schreiben vom 27. September 1770 an den Grafen Sporck zu rechtfertigen, in einer Mischung aus defensiver und offensiver Manier. Er verweist auf die Klassizität des Stoffes und versucht den Gehalt des Dramas auf ein „Märchen“ zu reduzieren, dem er durch seine zensorischen Eingriffe die letzten Reste des Anstößigen genommen hätte. Er verweist auch darauf, dass der Druck dieses Dramas von der Bücherzensurkommission genehmigt wurde. Als offensichtlicher Versuch einer Reinwaschung startet Sonnenfels zum Abschluss einen Generalangriff auf das französische Theater: besondere Probleme als Zensor würden ihm die Übersetzungen französischer Theaterstücke bereiten, da es insgesamt nicht mehr als zehn französische Komödien gäbe, welche anstandslos aufzuführen wären: „Besonders muß ich behutsam mit denjenigen Stücken seyn, welche aus dem Französischen übersetzt, ehe auf dem Burgtheater gegeben, und nun auch bey den Deutschen aufgeführt werden. Eurer Excellenz ist es, wie mir, bekannt, daß, wenn man die französische Komödie eben so streng, als die deutsche beurtheilte, sie nicht zehn Stücke aufführen dürften. Es ist gar nichts neues, sich da küssen zu sehen: alle ihre Stücke malen die Liebe auf die verführerischste Art; und manche, durch das Spiel unterstützt, sind nicht Zweydeutigkeiten, sondern wahre Schilderungen“.366 Sonnenfels’ polarisierende Strategie lässt sich klar erkennen: während er als bislang strengster Zensor des deutschen Theaters jedes Wort auf die Waagschale legen und dafür auch noch (ungerechtfertigterweise) gerügt und zur Rechenschaft gezogen 366 Zitiert bei Brosche: Joseph von Sonnenfels und das Wiener Theater, S. 131f.

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würde, feiert das, was er am Kärntnerthor-Theater als Unsittlichkeit niemals zulassen würde, auf der französischen Bühne nächst der Burg seine Triumphe, und dies nicht nur verbal. Mit diesem Generalvorwurf einer tendenziellen Sittenwidrigkeit der französischen Komödie eröffnet er, letztlich aus defensiver Position, einen neuen Kampf gegen das französische Theater und verschärft den ohnehin fragilen Status der französischen Bühne in Wien. Strategien wie diese mögen dazu beigetragen ­haben, den Prozess seiner Ablöse zu beschleunigen. Sonnenfels’ Nachfolger Hägelin jedenfalls wird keine Probleme mit dem französischen Theater haben – im Gegenteil, er wird es gleichsam als zensorales Modell anpreisen und jedem Zensor zum Studium anempfehlen. Wenn auch der Theatralzensur entledigt, so war Sonnenfels’ Karriere als Bücher­ zensor noch nicht zu Ende: er übte dieses Amt bis August des Jahres 1772 aus. Seine Abberufung auch in diesem Bereich hat mit seiner weinerlich vorgetragenen ambivalenten Haltung im Hinblick auf das Zensurgeschäft zu tun sowie mit seiner Erwartung zusätzlicher finanzieller Zuwendungen. So beklagt er sich in einem Memorandum an Maria Theresia vom 4. August 1772367 über die immense Arbeit, die er als Zensor zu erledigen habe,368 im Besonderen über die Zensur der Materies mixtae369, sich dabei auf den verstorbenen Gerard van Swieten berufend,370 einer Literatur, die 367 Abgedruckt in Kopetzky: Josef und Franz von Sonnenfels, S. 191–193. Der originale Brief befindet sich im Österreichischen Staatsarchiv in den Brandakten (Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1331, Zensur Niederösterreich, 1550–1779), ist jedoch so stark vergilbt, dass er ohne Kenntnis des obigen Transkriptes nur schwer zu entziffern wäre. 368 „Bereits vor einiger Zeit habe ich Euer kais. königl. apost. Majestät die außerordentliche Beschwerde meines Censurantheiles allerunterthänigst vorgestellet, und wie sehr ich dadurch meiner häuslichen Umstände wegen in die Enge gerathe. Ich unterfange mich, diese Vorstellung auf das ehrerbietigste zu wiederholen, da bei den sich täglich häufenden neuen Büchern meines Faches meine Arbeit von Tag zu Tag zuwächst und mich zwingt, um die Buchhandlung nicht zu hemmen, halbe Nächte zu Hilfe zu rufen, welches meine Augen, wie ich verschiedenemal mit Schrecken empfunden, sehr mitnimmt.“ Ebenda, S. 190. 369 „Bei diesen Büchern nun, deren Lesung an sich äußerst ekelhaft und im geringsten nicht unterrichtend und nutzbringend ist, muss ich eine Zeit hinbringen, die ich sonst angewendet habe, um etwas, so mir, sowohl den Unterhalt meiner Familie erleichterte, zu arbeiten. Der selige Baron van Swieten hat die Beschwerlichkeit dieser Censurclasse vorzüglich angemerkt, und seine Worte dürften für mich kräftig genug sprechen, wenn ich bei Eurer Majestät eine allergnädigste Verbesserung aus diesem Grunde zu erbitten wage.“ Ebenda, S. 191. 370 Gerard van Swieten führte eine sehr ausführliche Klage über die Mühseligkeit der Zensur der Materies mixtae in seiner im Februar 1772 verfassten Schrift: Quelques Remarques sur la Censure des Livres (Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Hofkanzlei, All­ gemeine Reihe, A 1331, Zensur Niederösterreich, 1550–1779). Zu diesem Themenbereich schreibt er unter anderem: „Mais il se trouve une classe dans la censure qui est tres désagréable c’est celle qu’on nomme materies mixta, qui apartient a aucune des quatre Facultes. Elle contient tous les Poesies le Romans, toutes les historiettes, chansons etc. et dans toutes les langues. Celuij qui doit lire tout cela peut guere tirer aucun profit de la lecture. J’ay porté ce fardeau pendant vingt ans, et je connois tout le désagrément.“ Ebenda, f. 7h.

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ihm keinen neuen Erkenntnisgewinn bringen würde. Durch die Arbeit für die Bücherzensur müsse er auf finanziell einträgliche Nebeneinkünfte verzichten. Er lässt durchklingen, dass er von dieser Arbeit am liebsten zurücktreten möchte, bietet aber gleichzeitig an, die englische Literatur weiterhin betreuen zu wollen, weil er zu befürchten vermeint, dass es für ihn keinerlei Ersatz gäbe. Abschließend bittet er die Regentin nach Belieben ihrer Großzügigkeit um Aufstockung der finanziellen Zuschüsse.371 Maria Theresia lässt ihn jedoch wissen, dass sie „gäntzlich“372 auf seine weitere Mitarbeit in der Bücherzensurkommission verzichten wolle – zu den neuen Mitgliedern zählt auch Sonnenfels’ Nachfolger als Theatralzensor: Franz Karl ­Hägelin.

FR ANZ KARL HÄGELIN Franz Karl Hägelin (1735–1809) hatte am 14. Oktober 1770 den nur ein halbes Jahr im Amt befindlichen Theatralzensor Sonnenfels abgelöst. Bezogen auf die Länge seiner Laufbahn war er geradezu das Gegenteil von Sonnenfels – er übte das Amt eines Theatralzensors ohne Unterbrechung bis zum Jahre 1804 aus und wirkte somit unter vier verschiedenen Herrschern: unter Maria Theresia, Joseph II., Leopold II. wie unter Franz II. Anders als Sonnenfels war er zu Beginn seiner Laufbahn als Theaterzensor im öffentlichen Diskurs nicht positioniert und trat nur einmal mit einer Publikation an die Öffentlichkeit; allerdings handelt es sich dabei nicht um ein selbst verfass371 „Meine zu Eurer Majestät Füßen allerunterthänigst niedergelegte Bitte geht demnach dahin, ­A llerhöchst dieselbe geruhen nun mir die Zeit der Gewinnung meines Auskommens zu schenken, mich entweder von der Censurlast allergnädigst freizusprechen, auf welchen Fall ich jedoch die englische, welche sich dazu vielleicht nicht sobald jemand finden dürfte, beizubehalten erbietig bin; oder sollten Eure Majestät mir dieselbe abnehmen zu lassen nicht geneigt sein, so getraue ich mich von Allerhöchstdero Milde sowohl als Gerechtigkeit ehrerbietigst zu gewärtigen, dass Eure Majestät einen Mann, seiner allerschuldigsten Dienste wegen, nicht dem Mangel und zuletzt dem nothwendigen Untergange preisgeben werden. allerunterthänigster allergehorsamster Sonnenfels.“ Kopetzky: Josef und Franz von Sonnenfels, S. 191f. – Graf Blümegen sieht die finanziellen Forderungen Sonnenfels’ ohne jede Berechtigung: „Das letzere Petitum des Supplicanten scheint umsoweniger platzgreifen zu können, als derselbe bereits dreitausend Gulden, mithin nun derselbe mehr Besoldung hat, als verschiedene Professores in der ­juridischen und medicinischen Facultät, auch seinem eigenen Geständnis nach, wo nicht 4 doch 2 Ducaten für einen Bogen seiner Arbeiten gewinnt, wohingegen andere Professores für ihre stattlichen Arbeiten nichts erhalten, mithin derselbe weit besser als diese steht.“ Ebenda, S. 192. 372 Gemäß einem Circulandum der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei vom August 1772. Gleichzeitig mit Sonnenfels wurde auch der Zensor für das französische Fach Gontier entlassen. Während es in der diesbezüglichen Anweisung vom 22.  August 1772 bei Gontier heißt: „in ­Gnaden entlassen“, findet sich bei Sonnenfels die definitive Formulierung „gäntzlich entlassen“ (Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1331 Zensur Niederösterreich, 1550–1779).

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tes Werk, sondern um die Übersetzung eines theologischen Werkes, welches gegen Ende des 17. Jahrhunderts verfasst wurde. Dies vermerkt auch Wurzbach in seinem Biographischen Lexikon des Kaiserthums Oesterreich im kurzen Eintrag über Hägelin: „Von ihm erschien die deutsche Übersetzung des Werkes von Des Mahis: ‚Die aus der h. Schrift erwiesene Wahrheit der katholischen Religion‘.“373 Wie Sonnenfels hatte auch Hägelin universitäre Studien absolviert – seine Studien-Karriere ist allerdings bei Weitem spektakulärer als die seines Vorgängers. Als 13-Jähriger soll er gegen den ausdrücklichen Willen seines Vaters das elterliche Haus verlassen haben, um in Halle Studien bei einem der damals berühmtesten deutschen Philosophen, bei Christian Wolff, aufzunehmen, dem es auch gelungen wäre, im Nachhinein das ­väterliche Einverständnis zu erlangen.374 Über Hägelins Lebenslauf bis zu seiner Ernennung zum Theatralzensor im Jahre 1770 enthält der Nachruf der Wiener Zeitung auf den während der französischen Besetzung von Wien am 18. Juni 1809 Verstorbenen folgende Informationen: „Franz Carl Hägelin ward im Jahre 1735 zu Freyburg im Breisgau geboren, verließ 1748 aus Enthusiasmus für den berühmten Christian v. Wolff plötzlich die hohe Schule und sein Vaterhaus, und kam nach einer beschwerlichen Reise nach Halle, wo er von Wolff, der ihn in sein Haus aufnahm, freundlich empfangen wurde. Nach vollendeten Studien ging Hägelin nach Wien. Seine Fähigkeiten, Verwendung und ausgebreitete Kenntnisse hatte bald die grosse Theresia anerkannt; schon im Jahre 1764 erhielt er an der k. k. niederösterreichischen Landes-Regierung die Stelle eines Supernumerär-Secretärs, und 1765 jene eines Actuars bei dem in dem Ennsisch- und Mannagettaischen Rechnungswesen aufgestellten Judicio delegato. Nachdem Hägelin in der Folge zum wirklichen Regierungs-Secretär ernannt worden war, erhielt er im Jahre 1770 (am 14. April) ein Anstellungs-Decret als Supernumerär Regierungsrath, und in eben diesem Jahre (am 14. Oct.) eines als Theatral-Censor. Groß sind seine Verdienste als wirklicher Regierungsrath, zu dem er bald nachher ernannt wurde, um den Staat und um die gute Sache.“375

373 Constantin von Wurzbach: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, enthaltend die Lebensskizzen der denkwürdigen Personen, welche seit 1750 in den österreichischen Kronländern geboren wurden oder darin gelebt und gewirkt haben. Siebenter Theil. Wien. Aus der kaiserlich-königlichen Hof- und Staatsdruckerei. 1861, S. 174. 374 Glossy: Zur Geschichte der Wiener Theatercensur, Sonderdruck. 375 Wiener Zeitung vom 28. Oktober 1809, Nr. 85. Zitiert in: Friedrich Wilhelm Schembor: Meinungsbeeinflussung durch Zensur und Druckförderung in der Napoleonischen Zeit. Eine Dokumentation auf Grund der Akten der Obersten Polizei- und Zensurhofstelle, Habsburg Digital, Elektronische P ­ ublikationsreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts, Bd. 1. Wien 2010, S. 147.

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Das Studium bei einem renommierten Gelehrten, der gegen Ende seines Lebens fast allen europäischen wissenschaftlichen Akademien angehörte, war sicherlich nicht ohne Relevanz für Hägelins weitere Karriere, die ihn in den 1760er Jahren nach Wien führte. Es war jedenfalls allgemein bekannt, dass er bei Wolff studiert hatte – auch Friedrich Nicolai, der in seiner Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz auch Hägelin erwähnen wird, berichtet von diesem Umstand.

AGENT DER SCHULREFOR M Während Sonnenfels mit dem Projekt der Reorganisation der Wiener Theatralzensur befasst war, wirkte Hägelin an entscheidender Stelle an einem anderen Reformvorhaben mit: an der Reform der österreichischen Volksschule, wo er auch seine Erfahrungen in den deutschen Landen einbringen konnte. Seine Berufung in die zur Einleitung der Reform gegründete Schulkommission im Jahre 1770 lässt auch erkennen, welches Profil Hägelin im Kontext der Beamtenhierarchie aufwies und wer sein Förderer war.376 Am 30. Mai 1769 wurde dem Hofkanzler Rudolph Graf Chotek von Maria ­Theresia ein Promemoria des Fürstbischofs Leopold Ernst zu Passau, aus dem Geschlechte der Firmian (1708–1783, Fürstbischof von Passau seit 1763), übermittelt, in welchem der Bischof ausgehend von eigenen Erfahrungen Vorschläge zu einer nachdrücklichen Beförderung des Schulwesens im Hinblick auf eine bessere Nutzbarkeit der Schulen „für den Staat und die heilige Religion“ unterbreitete.377 Dieses Promemoria wurde an die Niederösterreichiche Landesregierung weitergeleitet mit dem Auftrag, „daß die bei denen allgemeinen Schulen in Oesterreich unterwaltenden Gebrechen mit Vernehmung der geistlichen Behörden untersuchet und, wie diese verbessert auch überhaupt das Schulwesen in eine gute Ordnung gesetzt werden möge“.378 Dazu holte die Niederösterreichische Landesregierung auch Gutachten der geistlichen Behörden ein. Im Februar 1770, kurz vor der Ernennung Sonnenfels’ zum Theatralzensor, kam es zur ersten Verhandlung über diesen Gegenstandsbereich in der Niederösterreichischen Landesregierung. Laut Helfert wurden dabei vonseiten der Landesregierung grundlegende Reformen für nicht notwendig erachtet. Die von kirchlicher Seite vorgetragenen Ungenügsamkeiten – Fehlen eines allgemeinen Katechismus, „kümmerliche Lebensstellung“ und ungenügende Ausbildung des Lehrpersonals, woraus 376 Im Folgenden beziehe ich mich auf die Ausführungen von Joseph Alexander von Helfert: Die österreichische Volksschule: Geschichte, System, Statistik. 1. Die Gründung der österreichischen Volksschule durch Maria Theresia. Prag 1860. 377 Ebenda, S. 122. 378 Ebenda, S. 122f.

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sich die Forderung nach einer „Pflanzschule“ für Lehrpersonen ableitete – wurden in die Zuständigkeit der Pfarren zurückgespielt und dabei auf die reichlichen Fonds der Kirche verwiesen.379 Ende Februar oder Anfang März 1770 wurde der diesbezügliche Bericht der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei übermittelt. Auch dort wurde ein Reformbedarf nicht gesehen: es gäbe keine Missstände, und speziell die Schulen in Wien wären nicht mehr verbesserungsfähig.380 Erst im Staatsrat wurde ein schließlich ausschlaggebender konträrer Standpunkt eingenommen – speziell Staatsrat Gebler, der Sonnenfels auch bei seinen Vorschlägen zur Theatralzensur unterstützt hatte, sprach sich für eine Reform des Schulwesens aus. Besonders erregte er sich über einen Passus im Bericht der Landesregierung, worin Zweifel geäußert wurden, ob es überhaupt sinnvoll wäre, dem gemeinen Mann das Lesen und Schreiben beizubringen: „In Russland, zu Anfang der Regierung Peter I. hätte ich einen dergleichen Zweifel bei einem Popen entschuldigt. Dass man aber solchen in der Hauptstadt Wien bei einer Landesstelle zu jetziger Zeit aufwirft, dazu weiß man in Wahrheit nicht was man sagen soll“.381 Auch Staatsrat Anton Maria Freiherr von Stupan und Ehrenstein äußerte sich gegen die Auffassungen der Landesregierung wie der Hofkanzlei, wobei er die Argumentation eines zu beobachtenden „Sittenverfalls“ ins Spiel brachte, den er mit ungenügender Bildung in Zusammenhang brachte: „Meines wenigen Ortes kann ich der Hoflanzlei Meinung nicht beifallen daß die dermalige allhiesige Einrichtung der Schulen keiner Ausbesserung fähig sei. Zumalen man besonders allhier in Wien die gemeine Jugend in den Kirchen ohne Ehrerbietigkeit und auf den Gassen mit aller Ausgelassenheit täglich antrifft, auch bei den Erwachsenen wenige Zeichen einer wahren Religion verspüret werden, da keine Gelegenheit aus Handen gelassen wird mit Falschheit und Betrug sich einen Nutzen zu verschaffen“.382 Damit nicht alles beim Alten bliebe, schlug Gebler die Errichtung einer Schulkommission aus weltlichen und geistlichen Räten vor, die sich systematisch mit der Reform des Schulwesens befassen sollte. Von der ganzen Niederösterreichischen Regierung, so Gebler, kenne er „nur zwei Subjecta welche die Lust und Tauglichkeit zu dieser so wichtigen und mühsamen Commission besitzen, nämlich die Regierungs379 Vgl. ebenda, S. 124–126. 380 Vgl. ebenda, S. 127. 381 Ebenda, S. 129. 382 Ebenda.

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räthe Gaya[383] und Hägelin, welcher letztere erst ohnlängst wohlverdient von Ihrer Majestät ernannt worden“384. Hägelin wurde in die Schulkommission berufen – das Lob Geblers charakterisiert ihn im Kontext seiner Beamtentätigkeit als jemanden, dem man, wie man heute sagen würde, sowohl von den bisher unter Beweis gestellten Fähigkeiten als auch von den Motivationen her ein reformorientiertes Projektmanagement zutraute. Weiters lässt die hohe Protektion durch Staatsrat Gebler nicht ganz zu Unrecht die weiters nicht belegbare Hypothese zu, dass bei der Nachbesetzung der Theatralzensur Gebler die entscheidenden Weichen gestellt hat. Noch während Sonnenfels als Theatralzensor tätig war, am 14. Juli 1770, trat die niederösterreichische Schulkommission unter Mitwirkung von Joseph Meßmer (1731–1804), welcher Gebler einen Plan zur Reform des Schulwesens vorgelegt hatte, zum ersten Mal zusammen, und man beschloss eine Bestandsaufnahme sowie Maßnahmen im Hinblick auf „Pflanzschulen“ für Lehrer: durch Errichtung einer Normalschule in Wien, welche allen anderen Schulen in der Stadt und auf dem Lande als Muster dienen sollte, Schullehrer in den Schulwissenschaften auszubilden, um einen der „Natur“ und den „menschlichen Seelenkräften“ gemäßen „gleichförmigen Unterricht“ geben zu können. Der Unterricht müsse regelmäßig erteilt werden, Lehrer wie Schüler sollten von einem Schuldirektor zu ihren Pflichten angehalten und am Lehrberuf Interessierte über die Notwendigkeit der Schulverbesserung belehrt werden. Zu diesem Zwecke sollte ein Schulregister geführt werden, welches den regelmäßigen Fortgang des Unterrichts dokumentiere.385 So wurde der „Plan einer in der kais. königl. Residenzstadt Wien zu errichtenden Normalschule“ als Beilage zum Regierungsbericht vom 18. August 1770 erstellt. Die „Seele“ der Schulkommission oder „jedenfalls ihr beredter Mund“386 war nach Helfert Franz Karl Hägelin. Helfert zitiert einen nicht näher bezeichneten Bericht Hägelins, wonach es das Ziel seines Strebens war, „es dahin zu bringen dass die österreichischen Erbunterthanen, durch die höchste Wohlthat aufgeklärt, auf ihre Landesherrschaft, auf ihre Sitten und Kenntnisse stolz, in einen wahren Patriotismus gerathen wodurch sie zu künftigen rühmlichen Thaten für das allgemeine Wohl angefeuert werden“.387 Am 17. August 1770 wurden von der Schulkommission erste Ausarbeitungen der Niederösterreichischen Landesregierung übergeben, und am folgenden Tag präzi-

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Constantin Alexander Philippides von Gaya studierte gemeinsam mit Hägelin bei Wolff in Halle. Ebenda, S. 130. Vgl. ebenda, S. 137–141. Ebenda, S. 141. Ebenda, S. 142.

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sierte Hägelin am Ratstisch die diesbezüglichen Vorstellungen.388 Ausgehend von einer Analyse der Erhebungen zur Schulsituation und ihrer somit beweisbaren misslichen Lage stellte er den Plan einer zu etablierenden Normalschule vor. Die ins Auge gefasste saganische Methode war Hägelin wohl vertraut, aber er kannte sie schon lange, bevor Johann Ignaz Felbiger (1724–1788), Abt von Sagan, sie in seiner Schule eingeführt hatte. Hägelin hatte die Grundprinzipien dieser Methode schon 20 Jahre zuvor in Halle und Berlin erfahren (wo auch der Abt von Sagan die später, eigentlich unverdienterweise, nach ihm benannte Methode kennenlernte). Im Hinblick auf die zu tätigenden Ausgaben wird das vollkommen Neue hervorgehoben: dass die Herrscherin „nicht nur die bürgerliche sondern auch künftig die sittliche Gesetzgeberin ihrer Völker werde, deren Nachkommen, durch die höchste Sorgfalt aufgeklärt, das Andenken dieser Wohlthat durch desto unvergesslichere Denkmäler ihrer Dankbarkeit verewigen werden, je mehr sie, auf die Düsterheit ihres vorigen Zustande zurücksehend, durch die handgreifliche Erfahrung von den überwiegenden Vortheilen einer gesitteten und einsichtigen Nation über eine andere die durch hartnäckige Vorurtheile noch umnebelt wird überzeugt sein werden“.389 Damit zielt in den Augen zumindest seiner Promotoren das Schulprojekt, um mit den Begriffen von Sonnenfels’ Polizeywissenschaft zu sprechen, nicht nur auf die politische, sondern auf die sittliche Tugend, die man gleichsam produktiv herzustellen imaginiert. Das weist direkte Bezüge zur Idee der Sittenbildung durch das Theater auf, die aber da wie dort noch sehr verschwommen erscheinen. Die Eröffnung der Normalschule fand am 2.  Jänner 1771 statt – im Curhause bei St. Stephan390, und zwar zu einem Zeitpunkt, als Hägelin bereits Theaterzensor war. Im September des ersten Jahres konnten die ersten öffentlichen Prüfungen abgehalten werden.391 Und besonders beglückt bei dieser öffentlichen Präsentation schien Regierungsrat Hägelin, der sich laut Helfert in folgender Weise geäußert haben soll: „,Gewöhnliche Regenten‘, sprach er zu ihr [Maria Theresia], ,können durch gute Gesetze, durch Verbesserung der Handelsanstalten, durch Beförderung der Gerechtigkeit das zeitliche Wohl ihrer Unterthanen befördern; aber dieses Wohl durch eine Anstalt wie das verbesserte Schulwesen mit der ewigen 388 389 390 391

Vgl. ebenda, S. 143. Ebenda, S. 143f. Vgl. ebenda, S. 146. Vgl. ebenda, S. 147.

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Glückseligkeit so genau zu verbinden und die oberste Herrschaft so zu sagen mit Gott zu theilen, dieses ist ein Vorrecht welches die Vorsicht nur einer Apostolischen Regierung scheinet vorbehalten zu haben; denn die Beförderung dieser Schulmethode heißt die Menschen zu Geschöpfen bilden die der Menschheit Ehre machen, es heißt den Namen desjenigen verherrlichen dessen Majestätsvertreter die Fürsten hier auf Erden sind. Aber wie die ewige Glückseligkeit, so wird auch das bürgerliche Heil durch die Wohlthaten gewinnen welche dem heranwachsenden Geschlecht durch die verbesserte Schuleinrichtung zugeführt werden; die Industrie wird sich heben, der Handel aufblühen, der Staat an seinem innern Vermögen sich bereichern; die Spitäler werden künftig weniger elende, die Straßen keine Bettler und das gemeine Wesen überhaupt nicht so viel Müßiggänger haben. In dem letzten Jahrhundert hat Frankreich allen andern Staaten es zuvorgethan indem es seine Muttersprache ausgebildet und alle nützlichen Künste in dieser betrieben hat; dadurch ist es gekommen dass die französische Sprache sich bei den höhern Ständen aller Länder hat geltend machen, die Cabinete aller Staaten fast ausschließend beherrschen, dass französischer Geschmack und Sitte sich bei andern Völkern hat einschmeicheln können. Nun aber hat Oesterreich aller Augen auf sich gezogen; alles siehet mit gierigen Blicken auf den kaiserlichen Hof und die ganze deutsche Nationalehre schmeichelt sich von daher ihren Glanz zu erhalten. Nun wird Oesterreich den nämlichen Vorzug, die gleiche Ueberlegenheit über seine Nachbarn, über ganz Deutschland erhalten deren sich andere Völker in ähnlichem Falle erfreut haben. Oesterreich wird seine Herrschaft auch dahin ausbreiten wo die Völker nicht an seinen Scepter gebunden sind, es wird sich fremder Unterthanen Gemüther zinsbar machen, weil es unmöglich ist einem Hofe seine Theilnahme und Neigung zu versagen den man achtungswürdig schätzet, den man bewundert und den man als die Quelle seiner eigenen Nationalehre ansieht.‘“392

DER WEG IN DIE THEATR ALZENSUR Zu dem Zeitpunkt, als Hägelin zum Theatralzensor berufen wurde, war er als Mitglied der Schulkommission voll mit dem Programm der Vorbereitung des exemplarischen Projekts einer „Normalschule“ in Wien befasst. Im Unterschied zu Sonnenfels war er auf dem Gebiet des Theaters bislang in keiner Weise hervorgetreten. Und anders als im Fall von Sonnenfels besitzen wir trotz ausführlicher Zensurdokumente aus späterer Zeit keine klaren Vorstellungen, welche Literatur Hägelin in besonderer 392 Ebenda, S. 148f.

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Weise interessierte. Aus seiner späteren Berufung in die Bücherzensurkommission (im August 1772), wo er für die Belles Lettres in allen Sprachen und die deutsche ­Literatur zuständig war, können wir zumindest auf einen dementsprechenden Bildungshintergrund schließen.393 Doch ist es schwer, von seiner Zensurbeurteilung her auf seine literarischen Vorlieben zu schließen, und auch seine in den berühmten Zensurinstruktionen aus der Mitte der 1790er Jahre getätigten Aussagen im Hinblick auf die Vorbildwirkung des französischen Theaters vor der Revolution lassen nicht ohne Weiteres – wie ich noch darlegen werde – auf eine ästhetische Präferenz schließen. Diesbezüglich haben wir nur sehr allgemeine Aussagen von diversen Bewunderern aus dem literarischen Feld, wie etwa Johann Friedrich Schink (1755–1835), der ihn generell als Förderer der Literatur bezeichnet und dabei feststellt, Wien wisse gar nicht, was man an ihm habe.394 Es ist noch am ehesten zu sagen, dass er, wie viele in Wien, dem „Sturm und Drang“, von Gebler als „Schäckespearische Nachäffungen“ bezeichnet395, skeptisch gegenüberstand und dass die damit verbundene Entwicklung auch zu deutlichen Irritationen bei der Zensur führen wird – gerade gegen Ende der theresianischen Zeit werden sich die Dramenverbote häufen. Doch anders als Sonnenfels zielte Hägelin nicht auf eine Reputation im „literarischen Feld“. Nach den Erfahrungen mit Sonnenfels scheint es auch durchaus erwünscht gewesen zu sein, eine Person zu installieren, die durch keinen Aufgabenüberschuss Irritationen erzeugte. Für Hägelin galt eine Trennung von ästhetischen Geschmacksfragen und von zensuriellen Belangen, wobei es, wie er selbst zugibt, weite Überschneidungsfelder gäbe. Im Unterschied zu Sonnenfels wird er à la longue auch für die sich in der josephinischen Zeit rapide vermehrenden Vorstadtbühnen zuständig sein sowie in 393 Laut einem Circulandum der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei wurde Hägelin am 22. August 1772 zum ordentlichen Bücherzensor „für die belles lettres in allen Sprachen, dann für die Romane, Comoedien, Poesien etc. in teutscher Sprache mit einem Beytrag von jährlich 500 fl“ ernannt (Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1331, Zensur Niederösterreich, 1550–1779). Bereits im Jahr zuvor war er, ohne ordentliches Mitglied der Bücherzensurkommission zu sein, mit der Zensur aller theaterbezogenen Drucke betraut worden. So heißt es im Schreiben Maria Theresias an den Grafen Hatzfeld vom 31. Oktober 1771: „Da dem N. Oe. Regierungs Rath Hegelin von Mir vor einiger Zeit die Theatral Censur aufgetragen worden; so hat derselbe wegen des Zusammenhangs überhaupt alle, sowohl den hiesigen Zeitungen einverleibende Theaterartikeln, als auch sonsten das hiesige Theater, und die auf solchen aufführenden Stücke betrefende hier, oder andernorths herauskommende Schriften, oder einzelne Blätter fürohin zu censuriren. Welches die Kanzley der N.Oe. Regierung, und der Bücher Censurs Commission nachrichtlich zu erinnern hat.“ Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Bücherzensur, 1751–1791, Ib 59480, f. 31. 394 Vgl. Johann Friedrich Schink: Dramaturgische Fragmente. Erster Band. Dem Herrn Professor Engel zu Berlin gewidmet von Johann Friederich Schink. Graz mit v. Widmanstättenschen Schriften. 1781, S. 177f. 395 Aus dem Josephinischen Wien. Geblers und Nicolais Briefwechsel während der Jahre 1771–1786, hg. und erläutert von Richard Maria Werner. Berlin 1888, S. 86.

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den Jahren 1782 bis 1786 eine zentralisierte Position im Hinblick auf die deutschen Bühnen in den k. k. Erbländern einnehmen. In einem Gutachten aus dem Mai des Jahres 1802 zur Frage der Revision bereits aufgeführter Theaterstücke geht Hägelin, wie bei allen seinen theaterbezogenen Gutachten, auch auf die Geschichte der Theatralzensur ein396 und berichtet über die Ausgangslage seiner Theatralzensurtätigkeit. Der Text ist im Original nicht mehr erhalten – bedauerlicherweise gibt Carl Glossys Dokumentensammlung an dieser Stelle nicht den Originaltext wieder, sondern referiert lediglich den Inhalt des Schreibens: „er [Hägelin] bemerkt, daß er das Amt eines Hoftheatralzensors seit 1770, folglich durch 32 Jahre, unentgeltlich und wie er glaube, mit höchster Zufriedenheit verwalte, indes dieses Amt sein Vorgänger Hr. v. Sonnenfels nicht zwei Jahre habe aushalten können. Höchsten Ortes habe er keine bestimmten Direktiveregeln oder Instruktionen erhalten, außer daß es hieß: es sollte auf dem Theater nicht extemporiert und geprügelt, auch keine schmutzigen Possen und Grobheiten zugelassen, sondern der Residenzstadt würdige Stücke aufgeführt werden.“397 Sofern Glossy den Text korrekt referiert, hat sich Hägelin in Bezug auf seinen Vorgänger geirrt; Sonnenfels hatte, wie schon mehrmals erwähnt, das Amt eines Thea­ tralzensors nur ein halbes Jahr inne. Möglicherweise ist Hägelin auch eine Verwechslung mit der Funktionsperiode als Bücherzensor unterlaufen, denn Sonnenfels hatte das Amt eines Bücherzensors etwa zwei Jahre inne und Hägelin ist ihm, wenn auch mit anderen Schwerpunkten der Begutachtung, im Rahmen einer kleinen Personalrochade 1772 als Bücherzensor nachgefolgt. Dieser Verweis auf die unvergleichlich lange Amtsdauer, den er in ähnlicher Form auch in einem Gutachten des Folgejahrs anbringen wird, ist eine der wenigen Erwähnungen von Sonnenfels in den von ­Hägelin überlieferten Äußerungen zu Theaterfragen. Hägelin nimmt in seinen diversen Schriftstücken auch nie Bezug auf die seiner Ernennung zum Theatralzensor vorausgegangene Auseinandersetzung um die Reform des deutschen Theaters oder gar auf irgendeine der zahlreichen Schriften von Sonnenfels zum Theater. Wenn er gelegentlich eine Schrift zum Theater zitiert, wie in seinen berühmten detaillierten Zensurinstruktionen, verfasst in der Mitte der 1790er Jahre, dann die Hamburgische Dramaturgie von Lessing und nicht Texte von Sonnenfels. Hägelin hatte offensichtlich auch keine Bedenken gehabt, das seinen Vorgänger in der Theatralzensur der 396 In Ausschnitten ist der Text dieses Gutachtens publiziert in: Karl Glossy: „Zur Geschichte der Theater Wiens I (1801 bis 1820)“. In: Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft 25 (1915), S. I–XXXV und 1–334, hier S. 11–16. 397 Ebenda, S. 11f.

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Lächerlichkeit preisgebende Stück Der Tadler nach der Mode auf die Bühne bringen zu lassen. Was die von Glossy genannten an Hägelin ergangenen Instruktionen (welche nicht mehr erhalten sind) betrifft, so scheinen sie weitgehend der Instruktion vom März 1770 an Sonnenfels entsprochen zu haben. Hägelin geht es bei seiner von Glossy ­paraphrasierten Darstellung ganz offensichtlich um die Frage detaillierter Anweisung, über das von ihm nicht explizit genannte Gebot, alles zu vermeiden, was Sitte, Staat und Religion beleidige, hinausgehend – also kein Extemporieren als offensichtlich eindeutig detaillierteste Anweisung, dann, schon abstrakter, keine Grobheiten, wozu offensichtlich „Prügelszenen“ gehören, dann „schmutzige Possen“, eine Formulierung, die im Dekret vom März 1770 nicht enthalten war. Es ist das, was Hägelin als mehr oder weniger „detaillierte Instruktion“ in Erinnerung geblieben ist, und er führt dies im Kontext oben erwähnten Gutachtens aus dem Jahre 1802 ausschließlich deshalb an, um zu betonen, auf wie wenig detaillierte Vorgaben er im Hinblick auf die Fülle seiner zensorischen Tätigkeit zurückgreifen konnte. Wie aus den Genauen Nachrichten von beyden Kaiserlich-Königlichen Schaubühnen, 1772 von Johann Heinrich Friedrich Müller herausgegeben, hervorgeht, hatte auch Hägelin wie Sonnenfels zuvor die Revision bereits aufgeführter Stücke oder von der Bücherzensur genehmigter Drucke zu betreiben: „Es darf kein Stück ohne vorhergegangene scharfe Censur gedruckt und vorgestellt werden. Selbst die Stücke, welche bereits anderwärts gedruckt, und von der hiesigen Hauptcensur erlaubt sind, müssen zuvor von der Theatralcensur nochmals übersehen werden.“398 Gemäß den von Glossy referierten Worten ist auch für Hägelin das ihm übermittelte Dekret zunächst ausschließlich auf das deutsche Theater der Residenzstadt bezogen. In einem noch im Original erhaltenen Gutachten aus dem Jahre 1803, in welchem Hägelin aufgefordert ist, über den Plan einer den Kreisämtern übermittelten Liste der zugelassenen Stücke zu befinden, beschreibt Hägelin auch seinen Aufgabenbereich zu Beginn seiner Theatralzeit399: „damals gab es in Wien nur ein deutsches Theater, welches so, wie das wälsche Sing- und französische Schauspiel unter der Oberaufsicht Seiner Exzellenz des Grafen v. Spork stund. Der Unterzeichnete hatte vermöge dieses seines Amts alle deutschen Schauspiele für die Aufführung sowohl als für den 398 Genaue Nachrichten von beyden Kaiserlich-Königlichen Schaubühnen, S. 21. 399 Dieses von Glossy unvollständig publizierte Gutachten („Zur Geschichte der Theater Wiens I“, S. 40–46) ist im Österreichischen Staatsarchiv (Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Polizeihofstelle, Z No. 58 a, ex 1803) aufbewahrt.

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Druck, alle Oratorien, mit einem Worte, nicht nur alles, was auf dem deutschen Theater recitiert wurde, sondern auch alles, was von Theatralpersonen als solchen, wie z. B. die damals gebräuchlichen Neujahrswünsche, dann die Anschlagzettel sowohl von deutschen als andern Spektakeln, nemlich von der ehemaligen Hetze und den Feuerwerken, zu zensurieren und für ihre Zulässigkeit allein zu haften.“400 In Hägelins akkurater und detailgetreuer Darstellung seines Aufgaben- wie Haftungsbereichs bis hin zu den Anschlagszetteln bei der Tierhetze fehlt jede Erwähnung der Observation der Aufführungen selbst, wie dies etwa Sonnenfels im Dekret vom März 1770 aufgetragen worden war. Angesichts des hohen zeitlichen Aufwands, selbst bei möglicher Delegierung von Aufgaben, würde es erstaunen, dass Hägelin dies keiner Erwähnung wert gefunden hätte. Es ist daher, wie bereits im letzten Kapitel angesprochen, höchst fraglich, ob Hägelin, der dazu überdies in entscheidender Position in der Schulkommission saß, diese gleichsam tägliche Observationspflicht, selbst für dieses eine Theater, noch aufgetragen wurde, zumal die Theatraldirektion wie die Schauspieler des Kärntnerthor-Theaters hinter der „Reform“ standen. Die Annahme, dass die tägliche Observation des Zensors als integraler Bestandteil seiner Haftungspflichten unter Hägelin (zumindest langsam) aufhörte, wird auch durch folgende, aus dem vorerwähnten Gutachten Hägelins aus dem Jahre 1803 stammende Aussagen gestützt: „Unter der Regierung der höchstseligen Kaiserin Königin Majst. wurden alle deutschen Schauspiele gedruckt und die Büchel bei der Theatralkasse verkaufft: auf dem Titelblatt wurde jederzeit beygesetzt: Zu finden bey dem Logenmeister, oder aufgeführt auf den K. K. Theatern: durch diese Büchel, wenn die Zensur nichts übersehen hatte, ward die Zensur gedeckt, wenn auch wirklich im Recitieren ein Fehler begangen worden wäre“.401 Die „Deckung“ der Theatralzensur, öffentlich ersichtlich, objektiviert sich gewissermaßen im „Logenmeister-Büchel“, auch exemplarische Version für Aufführungen an anderen Orten. Die möglichen „Fehler“ des Zensors sind an diesem festzumachen, dafür muss er haften. Aber er haftet nicht für Übertretungen während der Aufführungen – sollten solche vorkommen, so wären diese nicht dem Zensor anzulasten, der sich in seiner Verantwortung auf den von ihm legitimierten Text zurückziehen kann. Dies ist, könnte man fast sagen, eine Universalisierung der Observati400 Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Polizeihofstelle, Z No. 58 a, ex 1803: Gutachten von Franz Karl Hägelin zu Fragen der Theatralzensur, [f. 2]. 401 Ebenda, [f. 3].

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on: jeder kann dieses Büchel kaufen und, sofern er sich irritiert fühlt, prüfen, ob die Äußerungen auf der Bühne durch den zensurierten Text legitimiert sind. Hägelin ist nicht der einzige Theatralzensor in der Residenzstadt, es gibt auch einen eigenen Zensor für das französische Theater, der zum selben Zeitpunkt wie Hägelin eingesetzt wurde: Freiherr von Wöber, wie Hägelin Niederösterreichischer Regierungsrat, der laut Hägelins Gutachten aus dem Jahre 1803 für die Zensur der „französischen Schau- und welschen Singspiele“ zuständig war. Im Hinblick auf dieses Zensoren-Duo heißt es in der oben genannten Theatralschrift: „Der gegenwärtige von Ihro kayserl. königl. apostolischen Majestät ernannte deutsche Censor ist: Herr Franz Karl von Hägelin“402. Es folgt die Information, dass Hägelin auch für die Zensur aller sonstigen Theaterschriften wie Almanache etc. zuständig sei, somit auch für jene soeben zitierte Schrift, in der von ihm die Rede ist. Und zum französischen Theater: „Die Censur über die französ. Schaubühne besorget der Freyherr von ­Wöber, kaiserl. kön. N. O. wirkl. Regierungsrath.“403 Die Ära einer stehenden französischen Bühne in Wien ging jedoch noch in diesem Jahr 1772 zu Ende.404 Hägelin, der seine Laufbahn als Theatralzensor des deutschen Theaters in Wien, damals das Kärntnerthor-Theater, begonnen hatte, erfuhr, wie bereits erwähnt, eine laufende Ausweitung seines Tätigkeitsbereichs. Mit dem Abgang der französischen Truppe im Februar 1772 wurden deutsche Schauspiele sowohl am Burgtheater wie am Kärntnerthor-Theater aufgeführt. Allmählich fielen auch die Bühnen in der Vorstadt, die zu Beginn seiner Laufbahn als Theatralzensor noch extemporierte Stücke aufgeführt hatten, in Hägelins Aufgabenbereich – jedenfalls spätestens ab dem Jahre 1776. „Noch unter der Regierung der höchstseeligen Kaiserin Königin Majst. hatte der höchste Hof nach Aufhörung der gräfl. Koharischen Pachtung die Spektakel in seine eigene Verwaltung übernommen, und das K. K. Nationalhoftheater errichtet; damals schon erhielt die badnerische Schauspielertruppe, welche nachher die Marinellische wurde, die Erlaubniß, im Winter in der Leopoldstadt ihre Schauspiele zu geben; diese mußten nicht nur für hier, sondern auch für Baaden censuriert werden.“405 Das ist zumindest ein erster Anhaltspunkt dafür, dass auch die Vorstadtbühne „censurirte Stücke“ aufzuführen und somit, jedenfalls formal, dem Extemporieren zu 402 Genaue Nachrichten von beyden Kaiserlich-Königlichen Schaubühnen, S. 21. 403 Ebenda. 404 Der Abgang der französischen Truppe erfolgte im Februar 1772. Zechmeister: Die Wiener Thea­ ter, S. 371. 405 Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Polizeihofstelle, Z No. 58 a, ex 1803: Gutachten von Franz Karl Hägelin zu Fragen der Theatralzensur, [f. 2h].

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entsagen hatte. Das Jahr 1776, in dem aus ökonomischer Not die „Nationalbühne“ in Wien erstand, dürfte auch für Hägelin ein Umschlagpunkt gewesen sein. Parallel mit der Etablierung des Burgtheaters als Nationalbühne erging der Erlass einer Schauspielfreiheit – das Kärntnerthor-Theater, an dem das deutsche Theater so lange beheimatet war, stand nun (bis zur erneuten Umwandlung in ein Hoftheater im Jahre 1785) Wandertruppen zur Verfügung. Für die Situation der Theatralzensur schuf dies, wie nicht überraschend, eine ambivalente Situation. Im Burgtheater, dessen Leitung einem Theatralausschuss übergeben wurde, einer Art „demokratischer“ Organisation des Theaters, saßen nun Personen, die der Idee des regelmäßigen Schauspiels und des „Nationaltheaters“ in höchstem Maße verbunden waren. Dieser Theatralausschuss übernahm auch per se ‚zensorische‘ Funktionen im Rahmen seiner Analysen der eingereichten Stücke, die er allerdings nicht unter der Perspektive eines „Zensors“, sondern eines dramaturgischen Zensors vornahm – aus dem Jahre 1779 ist die Analyse von etwa 250 eingereichten Stücken überliefert406, eine reichhaltige Quelle in jeder Hinsicht. Ich werde darauf im übernächsten Kapitel detailliert eingehen. Tatsächlich übernahmen die jeweiligen Begutachter auch die Aufgabe, zensurrelevante Aspekte anzusprechen, teilweise aus innerer Überzeugung hinsichtlich der Form des Theaters, teilweise als strategisch zu beachtenden Gesichtspunkt im Hinblick auf die Aufführungsmöglichkeit eines Stückes. Es ist aber unzutreffend, dass das Burgtheater – wie gelegentlich zu lesen – die Theatralzensur über die dort aufgeführten Stücke selbst innehatte. Diese übte, wie aus den genannten Protokollen und allen Gutachten Hägelins hervorgeht, nach wie vor dieser selbst aus. Was Hägelin zu Gesicht bekam, war allerdings ein gleichsam schon zensorisch vorselektiertes Material. Es lässt sich erahnen, dass die Position des Theatralzensors in dieser Konstellation einer Belastungsprobe ausgesetzt war – was auch die Aussagen von Hägelin über sein Verhältnis zur Theatraldirektion, auf die ich gleich eingehen werde, nahelegen. Gleichzeitig erweiterte sich parallel dazu das Aktionsfeld des Theatralzensors, der nun über das neue Hoftheater, welches sich Nationaltheater nannte, hinausgehend auch alle Truppen zu betreuen hatte, die im Namen der „Schauspielfreiheit“ im Kärntnerthor-Theater, der ehemaligen Stätte des „deutschen Theaters“, oder sonstwo spielten; dazu kamen, wie schon erwähnt, die Vorstadttheater. Eine Ausnehmung des „Nationaltheaters“ hätte in empfindlichem Ausmaß die Einheit der Theatralzensur beeinträchtigt. So blieb die Zensur in den Händen Hägelins, und der Theatralausschuss des neuen Nationaltheaters wird bei seiner Begutachtung der eingereichten Stücke dieser Zensur Referenz erweisen. 406 Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Hofarchive, Generalintendanz der Hoftheater, SR 3: Prothocoll der Referate über die eingeschickten Stücke beym Kayserl. Königl. National Theater, 1779.

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DER EINSAME ZENSOR Die Position des Theatralzensors blieb aber, wie auch Hägelin nahezulegen versucht, immer am Rande einer mission impossible. Ohne weitere, auch prinzipiell schwer zu verabreichende detaillierte Instruktion hatte der Zensor seine jeweiligen Entscheidungen zu treffen. Dabei ging es immer auch um die Beobachtung des gesellschaftlichen Feldes, um die Antizipation seiner Reaktionen. In diesem Sinne ist der Zensor immer auch ein ‚Observateur des oberservations‘ – dieses Bild wird sich im josephinischen Jahrzehnt weiter verfestigen, wenn man an Friedrich Nicolais Erzählung denkt, dass sich ein an der neuen Wissenschaft höchst interessierter junger Mann als eine Art Hilfszensor anstellen ließ, der im Namen des überlasteten formellen ­Bücherzensors dessen Gutachten erstellte und dabei nicht von einer eigenen „Opinio“ ausging, sondern rein von der Beobachtung des Feldes, von dem, was aufgrund der Erwartungen anderer sagbar schien.407 In diesem Zwiespalt scheint sich der Zensor in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts befunden haben. Das Urteil des Zensors ist nicht immer die ‚Meinung‘ des Zensors. Wir sehen dies gerade an den Beispielen, wo der Zensor, offensichtlich angezogen von der ästhetischen Kraft eines Werkes, letztlich ein Verbot zu beantragen beschließt, so etwa im Fall von Hägelins Entscheidungen als Bücherzensor bei so berühmten Werken wie Wielands Agathon und Goethes Werther.408 Gerade deren ästhetische Perfektion sei das Gefährliche. So entwickelt Hägelin, bei Weitem deutlicher als Sonnenfels, ein Verständnis für das Auseinanderklaffen von Sittlichem und Ästhetischem, obwohl, wie weiter oben dargelegt, auch Sonnenfels sich jenseits seiner kameralistischen Semantik zunehmend in einem Feld bewegte, in dem sich das Sittliche und das Ästhetische ausdifferenzierte. In seinen Gutachten aus der Zeit Franz’ II. versucht Hägelin auch immer wieder die Fragilität der Theatralzensur darzulegen. Die Position des Theaterzensors, in dieser Form Institut der beginnenden 1770er Jahre, ist in gewisser Weise Vorgriff auf das josephinische Zeitalter. Der Theatralzensor ist der einsame Zensor, der ohne jede kollegiale Rückversicherung seine Entscheidungen fällen muss – in den 1780er Jahren wird sich dies auch auf die Bücherzensoren erstrecken, eine Gepflogenheit, die bis in die 1790er Jahre weiterreicht, was der damalige Referent in Zensurangelegenheiten, Johann Melchior von Birckenstock (1738–1809), in verklärtem Rückblick auf theresianische Gepflogenheiten der Bücherzensur noch unter Franz II. in höchstem Maße bedauern wird.409 Als besonders beschwerlich sieht Hägelin im Rückblick, dass 407 Vgl. Nicolai: Beschreibung einer Reise durch Deutschland. Vierter Bd., S. 904f. Siehe dazu auch ­d as Kapitel „Der Argwöhnische Ehemann“ (S. 423–428). 408 Siehe Hägelins Gutachten zu Wielands Agathon und Goethes Werther, zitiert bei Friedrich ­Walter: „Neue Dokumente theresianisch-josephinischer Zensur“. In: Monatsblatt des Vereines für Geschichte der Stadt Wien 44 (1927), H. 9, S. 203–205, hier S. 204. 409 Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Kabinettsarchiv, Studienrevisions-

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der Zensor nur höchst selten klare und eindeutige Rückmeldungen über seine Entscheidungen erhält – eine allfällige Kritik ist von großer Diffusität umgeben. „Freilich ist es schwer und beinahe unmöglich, außer den allgemein bekannten Zensursregeln bestimmtere, und auf alle in verschiedenen Zeitumständen und Lokalitäten, unter verschiedenen Regenten vorkommen mögende Fälle passende Regeln zu geben, besonders da man in Fällen, wo ein aufgeführtes Stück etwa mißfiel, dem Zensor nicht einmal den wahren individuellen Anstoß zu entdecken pflegte, sondern die Rüge überhaupt nur im allgemeinen machte. Ich war also für alle Fälle meiner eigenen Urteilskraft und Erfahrung überlassen.“410 Der Zensor agiert gewissermaßen in einem dunklen Raum, er muss auf all die an ihn herangetragenen Erwartungen, die gleichwohl unbestimmt bleiben, reagieren und kann dieser Diffusität nur ein Konzept konstruierter innerer Integrität entgegensetzen. Und er ist gleichzeitig in ein von ihm zu interpretierendes Netz von Interessen eingebettet. „So viel mußte ich wahrnehmen, daß die Theatraldirektion jederzeit bemüht war, die Theatralzensur unter ihre Botmäßigkeit zu bringen, damit sie wen hätte, der ihr zu Gefallen alles unterschreibe, was sie wollte, und auch die Gefahr übernähme.“411 Zu seiner potentiellen Absicherung im spannungsreichen Feld der Theatralzensur zählten, wie Hägelin später schrieb, gewisse Formen von Analysen, auf die er sich im Konfliktfalle berufen konnte – eine freiwillig gewählte Form der Absicherung: „Als der Hof nach Erlöschung der Graf Koharischen Impressa das Theater selbst übernommen hatte, war ich beständigen Neckereien von Seite der Theaterdirektion ausgesetzt […]. Um mich sicherzustellen, entschloß ich mich zu der großen Mühe, der höchstseligen Kaiserin von den passierten und korrigierten Stücken Analysen durch den noch lebenden Expräsidenten Grafen v. Lantieri zukommen zu lassen, welche sehr wohl aufgenommen wurden, und anno 1778 mir die beste Schutzmauer in der Seibtischen Angelegen-

Hofkommission 7: Über die Frage: Ob die Censurs Leitung in Zukunft mit der Studien-Ober-Direktion vereinigt, oder davon unter eigenen Praesidio getrennt werden soll?. 410 Zitiert nach Glossy: „Zur Geschichte der Theater Wiens I“, S. 12. 411 Zitiert nach ebenda, S. 13.

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heit gegen die ungünstigen Schilderungen meiner Person von Seite des damaligen Zensurspräsidii abgaben.“412 Hägelin war, wie aus dieser Aussage hervorgeht, nicht nur in einem besonderen Spannungsverhältnis mit der Theatraldirektion des Burgtheaters, sondern auch mit dem damaligen Vorsitzenden der Bücherzensurkommission, Leopold Graf ClaryAldringen (1736–1800). Hägelin hat diesen ,Vereinnahmungen‘, wie wir den Gutachten des Theatralausschusses des Jahres 1779 entnehmen können, durchaus standhalten können. Die Macht der Zensur wird dort ohne Untertöne thematisiert. Gleichwohl blieb das Verhältnis zwischen der Theatraldirektion des Burgtheaters und dem Theatralzensor ein angespanntes, sodass Hägelin auf genannte Strategien im Hinblick auf die Absicherung seiner Entscheidungen zurückgriff. Diese Berichte sind bedauerlicherweise nicht mehr erhalten. Offensichtlich versuchte Hägelin für jedes der von ihm genehmigten Stücke eine Art nachträglicher „Sittenschule“ zu konstruieren und der Kaiserin-Witwe eine Art künstliches Curriculum über die an der Wiener Schaubühne aufgeführten Stücke vorzulegen. Doch war dies Unternehmen, wie Hägelin selbst zugibt, in höchstem Maße strategisch, um gegen potentielle Anfeindungen von vorneherein gewappnet zu sein. Die außergewöhnliche Ausdauer, die Hägelin unentgeltlich der Theatralzensur widmete, war offensichtlich auch immer wieder eine Angelegenheit, die er für sich und andere erklären musste. Davon zeugt eine von ihm zweimal, 1802 und 1803, niedergeschriebene Geschichte, die er wohl auch des öfteren mündlich wiederholte: „Als beim Antritte der Regierung des höchstseligen Kaisers Joseph des 2. Majst. im Staatsrath die Frage entstand, ob dem Unterzeichneten der ganze Betrag, den der Unterzeichnete als Bücherrevisionsmitglied bezog, beyzulassen sey, und Baron Gebler erinnerte, daß der Unterzeichnete die Theatralcensur schon so viele Jahre gratis versehe, so setzte der Staatsminister Graf v. Hatzfeld hinzu, daß daß [sic] er nie vermuthet habe, daß es einen Thoren in Ö: gebe, der dieses thäte, was er für 10 [000 fl.] nicht tun würde. Kaiser resolvierte die Beylassung gegen Beybehaltung der Theatralcensur. Der Unterzeichnete hatte der Erbmonarchie den Eid der Treue abgelegt, wo es erblich privilegirte Stände gibt. Graf Hatzfeld ahnte das Motivum nicht, das den Unterzeichneten beseelte, der das Publikum vorausgesehenermaßen nicht widrig wollte electrifiziren lassen“.413

412 Zitiert nach ebenda, S. 12f. 413 Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Polizeihofstelle, Z No. 58 a, ex 1803: Gutachten von Franz Karl Hägelin zu Fragen der Theatralzensur, [f. 4v].

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Gegen Ende seiner Tätigkeit als Theatralzensor legitimiert Hägelin seinen unentgeltlichen Einsatz mit seiner Liebe zur Erbmonarchie und deren gesellschaftlichen Strukturen. Diese Geschichte hatte er auch schon ein Jahr zuvor im bereits genannten Gutachten zur Revision der Theaterstücke erzählt; im Unterschied zum späteren Schreiben versucht er sich hier als Prophet darzustellen, der aufgrund seiner Gelehrtheit die politischen Entwicklungen vorausgesehen hätte, wofür es jedoch keine Hinweise gibt. „Als der höchstselige Kaiser Joseph II. seine Regierung antrat, kam im Staatsrate die Frage über einen Zensursgegenstand vor, und als Baron Gebler bemerkt hatte, daß die Theatralzensur von mir unentgeltlich durch viele Jahre versehen worden sei, so äußerte sich der damalige Staatsminster Graf v. Hatzfeld in seinem schriftlichen Voto gegen den Monarchen dahin: Er habe nie gewußt, und vermutet, daß es einen Narren in der Monarchie gebe, der eine solche Zensur unentgeltlich versehe, die er um jährliche 10.000 fl. Gehalt nicht übernehmen würde. Das Urteil dieses Ministers hätte seinen guten Grund gehabt, wenn ich nicht einen anderen tieferen patriotischen Grund gehabt hätte, mich dieser Bürde ausdauernd zu unterziehen. Ich hatte einige höhere Studien in Brandenburgischen Staaten vollendet und wußte aus dem Zustande der damaligen deutschen und auch französischen Literatur, die Zeitläufe und das Schicksal oder die Erschütterung voraus, welche dem europäischen Feudalsystem und der positiven Religion bevorstund … [Auslassungszeichen von Glossy]. Ich wußte, daß auch das hiesige Hoftheater zur Elektrisierung des Publikums gebraucht werden würde. Aus Liebe also zur Erbmonarchie des Erzhauses Österreich dauerte ich als Theatralzensor aus, ohne mich einer Torheit verdächtig gemacht zu haben.“414 Aus zwei weiteren Gründen ist diese mit kleinen Varianten erzählte Geschichte bemerkenswert. Die Theatralzensur wurde auch von hoher Seite als ein schwieriges Amt angesehen, dessen freiwillige und unentgeltliche Ausübung Begriffe psychischer Insuffizienz assoziieren ließe. Die in diesem Kontext geäußerten Begriffe wie „Narr“ und „Thor“ scheinen Hägelin kontinuierlich beschäftigt zu haben, gerade gegen Ende seiner Laufbahn als Theatralzensor, als er in seiner Entscheidungskompetenz beschnitten wurde und da er in seiner Laufbahn unzählige, auch gegenläufige Revisionen theatraler Praxis mit zu verantworten hatte: die Revisison nach den Bestimmungen der aus den Diskursen der 1760er Jahre hervorgegangenen Theatralzensur, die Revision der Zensur im Zuge der josephinischen Reformpolitik und die gegenläufigen Revisionen in der Zeit nach der Französischen Revolution. Er kann 414 Zitiert nach Glossy: „Zur Geschichte der Theater Wiens I“, S. 12.

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daher in genanntem Gutachten des Jahres 1803, in dem seine persönliche Geschichte von den dort zu behandelnden Themen wegführt und auch erst nachträglich eingefügt wurde, nicht umhin anzumerken: „[…] ob der Unterzeichnete ins Irrhaus gehörte, wird erst die Nachkommenschaft entscheiden. Er ist mit der jetzigen Versehung indessen zufrieden.“415­­­

415 Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Polizeihofstelle, Z No. 58 a, ex 1803: Gutachten von Franz Karl Hägelin zu Fragen der Theatralzensur, [f. 4v].

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Die Entblössung des Zensors

I N S T RU K T I O N E N Z U R PA R A D OX A L E N L O G I K VO N T H E AT R A L Z E N S U R

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DIE ENTBLÖSSUNG DES ZENSORS. FRANZ KARL HÄGELINS „DENKSCHRIFT“ ZUR THEATRALZENSUR Franz Karl Hägelin ist in die Theatergeschichte vor allem durch seine detaillierten Zensurrichtlinien eingegangen, welche Mitte der 1790er Jahre verfasst wurden. Kaum jemandem ist jedoch bewusst, dass es sich hierbei um eine Schrift handelt, die im Hinblick auf die Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts in jeder Hinsicht ein singuläres und mit nichts zu vergleichendes Dokument darstellt. Verfasst zur Regierungszeit Franz’ II., ist der Text auch eine essentielle Quelle für die Zensur der theresianischen wie der josephinischen Zeit, sofern die besonderen Umstände, unter denen diese Schrift entstanden ist, in entsprechendem Maße berücksichtigt werden. In diesem Sinne müssen wir, gleichsam methodisch bedingt, einen Zeitsprung vornehmen, der umso notwendiger scheint, als unsere Vorstellungen von der theresianischen und der josephinischen Theatralzensur durch diese Schrift wesentlich beeinflusst sind, wobei die Gefahr besteht, unreflektiert die in der Mitte der 1790er Jahre mitgeteilten Prämissen umstandslos auf frühere Zeiten zu übertragen. So bezieht sich etwa Oskar Sashegyi in seinem grundlegenden Werk über die josephinische Bücherzensur1 in seinem Kapitel über das Theater auf diese Schrift, um daraus abzuleiten, dass das Theater gegenüber den von ihm sonst konstatierten Liberalisierungen wesentlich „zurückgeblieben“ sei. Für die vorliegende Arbeit ist dies von erheblichem Belang, weil ich auch der bislang kaum gestellten Frage nachgehe, inwiefern die Theatralzensur in den 1780er Jahren ‚josephinisch‘ gewesen ist, jenseits der bekannten Feststellung, dass das Theater aufgrund der unterstellten medial bedingten hohen Wirksamkeit auf die Sitten unter strengeren Gesichtspunkten beurteilt werden müsse als Druckwerke. Die Schrift Hägelins hat ihre eigene Geschichte im wissenschaftlichen Diskurs, ihre Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte muss erst geschrieben werden, und dazu soll auch diese Arbeit einen Beitrag liefern. Hägelins Zensurinstruktionen traten unter merkwürdigen Umständen in die wissenschaftliche Welt. Publiziert wurden sie mehr als ein Jahrhundert nach ihrer Niederschrift von Carl Glossy im Rahmen seines Beitrages zur Geschichte der Wiener Theaterzensur im 18. Jahrhundert, der ersten Geschichte der Wiener Theatralzensur jener Zeit.2 Sie bilden, kurz eingeleitet, den Abschluss seines Aufsatzes, sind weder Anhang noch integraler Textteil. In den vorangehenden Ausführungen zur Theatralzensur geht Glossy auf dieses ­wesentliche Dokument nicht ein respektive verwendet keine Informationen daraus, 1 Vgl. Sashegyi: Zensur und Geistesfreiheit, S. 206–222. 2 Glossy: „Zur Geschichte der Wiener Theatercensur“, S. 238–340.

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sodass vermutet werden kann, er habe diese Schrift erst gefunden, nachdem er den Aufsatz in einer ursprünglich geplanten Form bereits vollendet hatte. Glossy verfasste einen knappen Übergangsteil, wohl wissend, dass diese Mitte der 1790er Jahre entstandene Schrift das Bild von Franz Karl Hägelin in Zukunft wesentlich bestimmen und auch das von Glossy zuvor transportierte aufklärerische Image des Zensors beschädigen würde. Und so zitiert er zuvor einige Aussagen aus der josephinischen Zeit, welche der Person Hägelins aufgeklärte und liberale Haltungen beilegen3, und lässt auch durchblicken, dass so einiges in dieser Schrift im Hinblick auf die Argumentationslogik zu relativieren sei, vor allem auch betreffend die „besonderen Zeitumstände“. „Diese höchst werthvolle Schrift ist aber, wie wir sehen werden, weniger das Resultat unbefangener kritischer Beobachtung als vielmehr die Summe der Erfahrung, die Hägelin als Censor während 25 Jahren gesammelt hatte. Obschon dieser Leitfaden viele subjective Bemerkungen enthält, so dürfen wir doch nicht einen Augenblick vergessen, daß er im Grunde nur ein Motivenbericht zu jenen Normen ist, welche in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts für die Theatercensur, und zwar für denselben Censor maßgebend waren, der Schiller’s Fiesco 1787 erlaubt und 1793 verboten hatte. Manche Aeußerung darin muß dem amtlichen Erläuterer zugeschrieben werden, der beauftragt war, die Grundsätze der Staatsverwaltung in Hinsicht der Theatercensur mitzutheilen.“4 Die von Glossy wiedergegebene Schrift Hägelins, in Schreibweise und Interpunktion modernisiert und gelegentlich mit Auslassungszeichen versehen, trägt kein Datum. Laut Glossy wurde sie im Jahre 1795 verfasst und sollte ungarischen Theatralzensoren als Leitfaden dienen, und in der Folge wird davon ausgegangen, dass diese Schrift auch ein Leitfaden für die Praxis war, ein bis weit ins 19. Jahrhundert einflussreiches theatralzensorisches Dokument für die ganzen k. k. Erbländer. Auf diesen Leitfaden hat sich Hägelin auch in einem Gutachten aus dem Jahr 1803 bezogen, dessen Text Glossy in seiner später erschienenen Theatergeschichte Wiens, wenn auch nicht vollständig, wiedergegeben hat.5 Das Originaldokument ist im Österreichischen Staatsarchiv erhalten, und so lassen sich auch die Abänderungen und Auslassungen Glossys nachvollziehen. Den folgenden Passus über Hägelins Beauftragung hat Glossy in seiner Wiedergabe ausgelassen:

3 Siehe dazu das Kapitel „Hägelin – ein ,josephinischer‘ Zensor“ (S. 409–414). 4 Glossy: „Zur Geschichte der Wiener Theatercensur“, S. 297. 5 Vgl. Glossy: „Zur Geschichte der Theater Wiens I“, S. 41–46.

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„Um jene Zeit wurde von dem Unterzeichneten auf hohes Ansuchen d. K. K. böhmisch österreichischen Hofkanzley eine Instruction für die Theatralcensur im Königreiche Hungarn anverlangt, um solche der K. Hungarischen Hofkanzley mitzutheilen. Es ward keine geringe Arbeit, indem keine detaillierte Instruction für dieses Fach weder hier noch anderwärts existirte, besonders aber da die politischen Verfassungen von allen Europäischen Ländern so verschieden sind.“6 Der Terminus „um jene Zeit“ bezieht sich auf in den vorigen Absätzen genannte Ereignisse, welche Hägelin mit „[1]793 oder [1]794“7 datiert. Die hier von ihm vorgenommene Datierung, welche den Zeitpunkt des Verfassens seiner Schrift noch vor 1795 ansetzt, findet indirekt Bestätigung durch andere bislang unbekannte Dokumente, auf die ich im folgenden Abschnitt eingehen werde.

DIE ENTSTEHUNGSGESCHICHTE VON HÄGELINS VADEMECUM Hägelin hat in dem zitierten Gutachten aus dem Jahre 1803 den behördlichen Kontext, in dem die Leitlinien zur Theatralzensur entstanden sind, klar genannt: er war von der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei beauftragt worden, solche Zensurinstruktionen zu erstellen, damit diese von dort an die Ungarische Hofkanzlei weitergeleitet werden könnten. Und es war ein ganz besonderer Auftrag: nämlich nicht nur allgemeine Richtlinien weiterzuleiten, sondern „detaillierte Instruktionen“, die es nach Hägelin bis zum damaligen Zeitpunkt in den k. k. Erbländern, oder anderswo in Europa, nicht gegeben hatte. Somit hat diese Schrift einen ganz außergewöhnlichen Status im Vergleich zu dem, was anderweitig an Zensurrichtlinien vorliegt. Hägelin war durch diese Aufforderung gewissermaßen genötigt, seine Praktiken offenzulegen und sie zu begründen, und zwar in einer Art und Weise, dass sie ein mögliches Regelwerk für andere werden könnten. Bis vor kurzer Zeit war Glossys Publikation der einzige Zugang zu diesem Text. Mittlerweile hat Lisa de Alwis in Vorträgen auf zwei Wiener Abschriften des Textes hingewiesen, wohl angefertigt im 19. Jahrhundert, durch deren Studium erst ersichtlich wird, in welch hohem Maße Glossy Textteile der originalen Schrift eliminiert 6 7

Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Polizeihofstelle, Z No. 58 a, ex 1803: Gutachten von Franz Karl Hägelin zu Fragen der Theatralzensur, [f. 3h]. „Es gab beyläufig um das Jahr 793 oder 794 herum eine Zeit, wo es Plan schien, die Schaubühnen in den Landstädten zu vermehren, wie denn zu Neustadt die Errichtung eines beständigen Theaters befördert wurde, auf welchem dermal die Wilhelmische Badnertruppe im Winter spielt.“ Ebenda.

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hat – dabei handelt es sich, wie schon Lisa de Alwis herausgestellt hat, zum überwiegenden Teil um Textpassagen mit sexuell konnotiertem Inhalt. Eine in gebundener Form überlieferte Abschrift befindet sich in der Sammlung von Handschriften und alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek, die mit dem Namen „Högelin“ unterzeichnet und unter dieser Namensgebung auch im Archivverzeichnis auffindbar ist.8 Die zweite Abschrift ist Teil der Bestände der Aktenmaterialien der Generalintendanz der Hoftheater des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien.9 Wie die erste Abschrift ist dieses Dokument undatiert – der handschriftliche Band „Generalintendanz der Hoftheater – Verzeichniss & Index über die Theater-Acten vom Jahre 1792 bis incl. 1805“ versieht diese Abschrift indes mit der Jahreszahl „1795“, ohne Nennung des Verfassers und mit dem etwas missverständlichen Titel „Abschrift die Censur Einführung btffd“.10 Die Texte sind abgesehen von Orthographie und Interpunktion weitgehend identisch – eine kritische Edition des vollständigen Textes liegt bislang nicht vor. Ich werde mich bei der Zitation von Hägelins Schrift in weiterer Folge auf die in der Handschriftensammlung der Österreichischen Natio­ nalbibliothek aufbewahrte Abschrift beziehen, welche nunmehr auch als Digitalisat der Österreichischen Nationalbibliothek verfügbar ist. Dabei ist allerdings keineswegs davon auszugehen, wie meist indirekt unterstellt, dass dieses durchaus „umständliche“ Schreiben genau in dieser Form den Weg in die Ungarische Hofkanzlei gefunden hat, ja, es ist nicht einmal davon auszugehen, dass dieser Text, in welcher Form auch immer, überhaupt an die Ungarische Hofkanzlei weitergeleitet wurde. Hägelin hatte bei allen von ihm geforderten Gutachten auch immer eine kleine Geschichte der jeweils in Frage stehenden Themen beigelegt, nicht nur in Theaterfragen, sondern auch in Schulfragen – so findet sich im Haus-, Hof- und Staatsarchiv auch ein Gutachten über die Zukunft der Wiener Piaristenschule mit einer ausführlichen geschichtlichen Darstellung.11 Dieses historische ‚Ausschweifen‘ bei der Beantwortung einzelner Fragen, speziell in der Zeit Franz’  II., hat eine bestimmte Funktion, und sie betrifft nicht nur Hägelins Vorgangsweise: es gaht darum, angesichts der Involviertheit in so unterschiedliche Zeitverläufe und wechselnde politische Konstellationen so etwas wie eine Logik der Kontinuität des Diskontinuierlichen herzustellen. 8

Franz Karl Högelin [Hägelin]: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Angelegenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 1v. 9 Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Hofarchive, Generalintendanz der Hoftheater: Theaterakten 1792–1805, Karton 2, Nr. 129 ½. 10 Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Hofarchive, Generalintendanz der Hoftheater, Bd. 1: Verzeichnis und Index über die Theaterakten 1792–1805, Nr. 129 ½. 11 Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Kabinettsarchiv, StudienrevisionsHofkommission 7: Franz Karl Hägelin: Piaristen. Gutachten über die wirtschaftliche Lage und ihre Rolle im Erziehungswesen.

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Über die historischen Hintergründe von Hägelins Schrift war bislang nichts bekannt, doch finden sich in den Abschriften der Wienbibliothek verstreute Dokumente, welche eine Verbindung zu Hägelins Beauftragung nachvollziehbar machen. Allerdings eröffnet erst die Neubewertung des Entstehungszeitraumes von Hägelins Schrift die Möglichkeit, eine Verbindung zwischen den genannten Akten und Hägelins Gutachten herzustellen. Die diesbezüglich relevanten Ereignisse liegen schon im Herbst des Jahres 1793. Aus einem „Vortrag“ eines gewissen Grafen Balasha12 bei der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei vom 29. September 1793 geht hervor, dass in Pressburg mit Bewilligung der dortigen Behörde, des „disigen Magistrats“, ein Trauerspiel mit dem Titel Ludwig Kapet, oder die Ermordung des Franken=Königs aufgeführt wurde, „worin zum höchsten Ärgerniß Ludwig Kapet als ehemaliger König von Frankreich, und der Präsident des Nazionalkonvents auftraten“13. Dieser aus Sicht des Grafen in höchstem Maße ärgerliche Fall ist jedoch nicht dessen einzige Sorge – er schlägt eine verstärkte wie ausgeweitete Kontrolle aller öffentlichen Medien vor: er mahnt, mit „Ernst und Schärfe die Zensur auf alle politischen Gegenstände, wohin nicht nur Zeitungs- und fliegende Blätter, sondern vorzüglich auch alle theatralischen Gegenstände, Gassen- und Volkslieder, Bilder und Kupferstiche zu rechnen kommen“14, auszudehnen. Gerade das Theater sei besonders gefährlich, weil dort „oft die schädlichsten Grundsätze beygebracht werden“15 und „folglich selbe mehr Unheil stiften, als alle gelehrten Bücher den anarchischen Freyheitssinn“16 predigen könnten. Der Hof reagiert: es folgt ein allerhöchstes Handbillet an die Ungarische Hofkanzlei, dass „die Aufführung sowohl dieses als ähnlicher Trauerspiele im ganzen Königreich untersagt werden sollen“17, wie sich die ungarische Zensur im Hinblick auf ihre Praktiken an der „hiesigen Zensur“18 zu orientieren hätte. Die diesbezügli12 Wahrscheinlich Franz de Paula, Graf von Balassa. 13 Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Wiener Theater, 1708– 1802, Ia 59478, f. 312v. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich dabei um das bürgerliche Trauerspiel Ludwig Capet, oder Der Königsmord von Ernst Carl Ludwig Ysenburg von Buri (1747– 1806), das 1793 im Druck erschien: Ludwig Capet, oder Der Königsmord. Ein bürgerliches Trauerspiel, in vier Aufzügen, von L. Y. von Buri. Neuwied, bei J. L. Gehra, 1793, Vorwort datiert mit März 1793. Zur Rezeption der Hinrichtung Ludwigs  XVI. auf der deutschen Bühne siehe: Michael Wagner: „Die Rezeption des ,Königsmordes‘ von 1793 als multimediales Ereignis“. In: Kulturtransfer im Epochenumbruch. Frankreich – Deutschland, 1770–1815, hg. von Hans Jürgen Lüsebrink und Rolf Reichardt, Bd. 1. Leipzig 1997 (= Deutsch-französische Kulturbibliothek 9.1), S. 239–258, hier S. 250f. 14 Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Wiener Theater, 1708– 1802, Ia 59478, f. 312h. 15 Ebenda. 16 Ebenda. 17 Ebenda, f. 313v. 18 Ebenda.

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che „Nachlässigkeit“ in Ungarn empört auch Staatsrat Egger – so schreibt er am 5. Oktober 1793 in das Circulandum der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei: „Während man hier in Wien alle auf diese mörderische Geschichte Beziehung habende Gemählde und Kupferstiche mit dem strengsten Verbothe belegt, wird in Hungarn die nämliche Geschichte, die in jedem Betrachte auf die geheiligten Personen der Könige die schrecklichsten Eindrücke zurücklassen kann, dem Publikum zum Spektakel, mithin zu einer angenehmen Erhohlung gegeben, ein Beweis, wie wenig dasselbst eine wohlgeordnete Polizey und Sittenzensur um das Interesse und die Sicherheit des Königs besorgt ist.“19 Am 24. Oktober 1793 nimmt die Ungarische Hofkanzlei zu den Vorwürfen Stellung: Der „[…] Stadt Magistrat bemerket nebst Einsendung des abgeforderten Exemplars, daß, sobald es ihm durch die öffentliche Ankündigung zu Wissen gekommen, daß der disige Theater Unternehmer dieses Trauerspiel aufzuführen gedachte, es den Gehalt dieses Stückes habe untersuchen lassen, weil aber in demselben nichts anstössiges, weder in moralischer, oder politischer Rücksicht widriges enthalten, sondern vielmehr das Spiel so beschaffen befunden worden wäre, daß dadurch mit Haß und Abscheu gegen die lasterhaften Handlungen der französischen Nation erweket wird, die Aufführung dieses Stückes, als selbes hier zu Wien vermuthlich mit Erlaubniß der Censur in Druk erschienen sei, gestattet habe. Für die Zukunft jedoch werde derselbe die diesfalls erhaltene Vorschrift auf das genaueste befolgen, nur seien ihm in Bezug auf die Censur derlei öffentlicher Schauspiele keine bestimmte Directivregeln bisher vorgeschrieben worden.“20 Diese Antwort aus Ungarn ist in vielerlei Hinsicht von Relevanz. Die Verteidigung geht in die Offensive: es wäre keine zensurielle Nachlässigkeit gewesen, dieses Stück zur Aufführung zuzulassen, vielmehr erschien es besonders geeignet, die Zuschauer von solchen Ereignissen abzuschrecken. Und es gab diesbezüglich durchaus zwei Schulen derer, die in den k. k. Erbländern oder anderswo revolutionäre Gesinnungen verhindern wollten. Die eine ging dahin, das Theater gewissermaßen als politische Sittenschule zu aktivieren, indem alle umstürzlerischen oder zur Auflehnung aufmunternden Aktionen auf der Bühne zur Darstellung gelangen, um durch die bühnenwirksame Aburteilung solcher Aktivitäten einen stabilisierenden Effekt zu erzie19 Ebenda, f. 314h. 20 Ebenda, f. 315vf.

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len, so etwa in Benedikt Dominik Anton Cremeris Der Bauernaufstand ob der Enns21. Und dann gab es die andere, sich letztlich weitgehend durchsetzende Argumentationslinie: dass jede Art von Aufruhr und Empörung, wie immer dieses Thema für die Bühne konzipiert sein mochte, unter den gegebenen Zeitumständen nie Gegenstand theatraler Behandlung sein könnte. Vonseiten der Ungarischen Hofkanzlei wurde nicht verabsäumt, festzuhalten, dass Wien selbst inkonsequent vorgehe, wenn ein Textdruck dieses Schauspiels, für dessen Aufführung Pressburg nunmehr gerügt werde, in der Residenzstadt angeblich zugelassen worden wäre, ein Tatbestand, der sich nicht exakt eruieren lässt. Angesichts der offensichtlich mehrfach ungeklärten Situation wird am Ende der ungarischen Argumentation auf fehlende „Directivregeln“ hingewiesen. Dies lässt die Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei aktiv werden: „Die Kanzley legt diese Auskunft mit der Erinnerung vor, daß sie sich gleich nach Erhaltung der vorangeführten alh. Resolution mit dem Directorio in das Einvernehmen gesetzt und dasselbe um die Mittheilung der Directiv Regeln, wonach sich bey der hiesigen Censur in Rücksicht auf derley gedruckte Schriften, Komedien, Bilder, Kupferstiche benommen wird, angegangen habe, um auch in Hungarn gleichmässig das Erforderliche veranlassen zu können.“22 Am 3. November 1793 erfolgt die allerhöchste Resolution: „Diese Auskunft nehme Ich zur Nachricht, und genehmige jenes, daß die Kanzley zu veranlassen geruhet.“23 Ab diesem Moment war die Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei beauftragt, „Directivregeln“ einzuholen. Und das galt dem Anlassfall entsprechend besonders auch für das Theater. Demnach muss Hägelin noch im November desselben Jahres, jedenfalls noch im Jahr 1793, beauftragt worden sein, solche „Directivregeln“ für das Theater vorzulegen, um „in Hungarn gleichmässig das Erforderliche veranlassen zu können“. Gesucht waren offensichtlich klare Direktivregeln, die qua Dekret die Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei an die Ungarische Hofkanzlei weitergeben sollte, damit diese sie an die Theatralzensur weiterleiten konnte. Was den Zeitpunkt betrifft, hat Hägelin, dem dieses Ereignis in höchstem Maße denkwürdig bleiben mochte, eine gute Erinnerung: um das Jahr 1793 oder 1794. Und noch in weiterer Hinsicht können wir Hägelins Denkschrift im Hinblick auf Datie21 Benedikt Dominik Anton Cremeri: Der Bauernaufstand ob der Enns. Ein Schauspiel in vier Aufzügen aus der österreichischen Geschichte. Auf Kosten des Verfassers. Linz, gedruckt mit Pramsteidelischen Schriften, 1792. 22 Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Bücherzensur, 1793–1797, Ic 59480, f. 85hf. 23 Ebenda, f. 86vf.

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rungsfragen „nahtlos“ an die zuvor geschilderten Ereignisse anschließen, und dies dank des ersten Satzes von Hägelins Schrift, welchen Glossy ausgelassen hatte, vielleicht auch, weil er ihn nicht interpretieren konnte oder wollte und die Wiedergabe nicht mit einem unerläuterbaren Satz beginnen mochte. Dieser erste Satz an das „Hochlöbliche Directorium in politicis et cameralibus“ lautet: „Der Unterzeichnete hat einem hochlöblichl. KK. Directorium die seit geraumer Zeit noch rückständige Auskunft über das hierorts beobachtet werdende Benehmen in Theatral=Censurssachen gehorsamst zu überreichen, welches in Folgenden geschieht.“24 Dieser bei Glossy ausgelassene Anfangssatz stellt die direkte Verbindung zu den genannten Ereignissen des Herbstes 1793 her. Hägelin hat sich allerdings mit der Antwort Zeit gelassen, sogar „geraume Zeit“, vielleicht so geraume Zeit, dass die Antwort des offensichtlich im Jahre 1794 verfassten Schreibens gar erst 1795 erfolgt sein könnte, möglicherweise zu einem Zeitpunkt, zu dem man, aus welchen Gründen auch immer, diese Schrift gar nicht mehr erwartete oder ihrer nicht mehr bedurfte, denn wie aus den Schreiben des Jahres 1793 hervorgeht, ging es damals um durchaus drängende Probleme. Was die Funktionsweise der Zensur betrifft, wird sich auch in den kommenden Jahren ein Zwiespalt zwischen den Zensoren und den Erwartungen der Beamten der Hofkanzlei auftun – ein Zwiespalt, für den beispielhaft Johann Melchior von Birckenstock stehen kann, der als „Referent“ in Zensurangelegenheiten unter organisatorisch geänderten Bedingungen eine Art Nachfolge-Position von Gottfried van Swieten, von 1782–1791 als Präses der Studienhofkommission auch mit Zensurangelegenheiten befasst, innehatte. In einem Zensurgutachten aus dem Jahre 1797 gibt Birckenstock seinem Bedauern Ausdruck, dass man an hoher Stelle falsche Vorstellungen habe, wie die Zensur funktioniere, und kritisiert auch heftig, dass im Unterschied zu früheren Zeiten „Geschäftsmänner“ aus der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei mit Entscheidungen in Zensurfragen betraut seien, von welchen sie im Grunde wenig verstehen.25 Die „geraume Zeit“, die zwischen der Beauftragung Hägelins und der definitiven Abgabe des geforderten Gutachtens verstrich, hatte auch von Hägelin klar formulierte Gründe. Der Theaterzensor ließ in der Einleitung seines Gutachtens wissen, 24 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Angelegenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 1v. 25 Johann Melchior Birckenstock: Über die Frage: Ob die Censurs Leitung in Zukunft mit der StudienOber-Direktion vereinigt, oder davon unter eigenen Praesidio getrennt werden soll? (Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Kabinettsarchiv, Studienrevisions-Hofkommission 7-4).

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dass er den an ihn gestellten Auftrag sowohl für unzweckmäßig wie letztlich für unerfüllbar hielt; er äußerte also Bedenken, die er nach eigener Aussage schon in einem vorangegangenen Schreiben formuliert und weitergeleitet hatte. Was Hägelin letztlich zu Papier brachte bzw. bringen musste, war eine „Instruktion“, die er nie schreiben wollte, weil sie nicht geschrieben werden kann – ein Tatbestand, den er in der Textentwicklung in unterschiedlicher Weise zum Ausdruck bringt. „Der Unterzeichnete muß nochmals gehorsamst die Erinnerung wieder­ holen, daß die im Jahre 1770 ihm zugekommene allerhöchste Instruction hinreichend ist, daß ein Censor, der mit den nöthigen Kenntnissen der ­Moral, der politischen Verfassung des Landes wo er censuriert und mit jenen des dramatischen Faches versehen ist, durch seine Beurtheilung, die Anwendung der Hauptregeln auf die besonders vorkommenden Fälle nach den Lokal und Zeitumständen in denen er sich befindet, machen kann, weil er sonst durch den Buchstaben specieller Vorschriften entweder furchtsam gemacht, o., durch eine buchstäbliche Befolgung dieser oder jener gegebenen Weisung sich mit dem Buchstaben gegen Verantwortung decken könnte; da doch in den meisten Fällen es auf eine gute eigene Urtheilskraft ankömmt.“26 Auch acht Jahre später, in einem Gutachten aus dem Jahre 1802 über die Frage der Revision bereits zuvor aufgeführter und bewilligter Theaterstücke, wird Hägelin dieselben Bedenken äußern, wenn er schreibt, dass es „schwer und beinahe unmöglich [sei], außer den allgemein bekannten Zensursregeln bestimmtere, und auf alle in verschiedenen Zeitumständen und Lokalitäten, unter verschiedenen Regenten vorkommen mögende Fälle passende Regeln zu geben.“27 Und so schränkt Hägelin im Gutachten aus dem Jahr 1794 ein, dass er – auf Basis von relevanten Maximen sowie aufgrund seiner langjährigen Erfahrung – allenfalls Winke geben werde, die einem Theatralzensor „einige Anleitung zu seinem Benehmen geben können.“28

26 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Angelegenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 1v. 27 Gutachten von Karl Franz Hägelin, Mai 1802, zitiert nach Glossy: „Zur Geschichte der Theater Wiens I“, S. 12. 28 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Angelegenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 1h.

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THEATER ALS SCHULE DER ZENSUR Bevor er mit seinen detaillierten Ausführungen beginnt, weist er auf das Theater in Frankreich vor der Französischen Revolution hin. Dies Theater wäre als das gereinigtste Europas – Hägelin bringt hier keine substantiellen Einschränkungen – jedem Zensor als Muster seiner Praxis anzuempfehlen, wenn auch unter Berücksichtigung der „Denkensart Sitten und Gewohnheiten des eigenen Landes“29. Dabei geht es nicht um die Frage, inwieweit das französische Theater Vorbild für die Entwicklung des deutschen sein solle, eine spätestens seit den 1760er Jahren obsolete Frage. Vielmehr geht es um das Theater als Maßstab für die Zensur selbst. Es ist ein bemerkenswerter Zug, die Ausführungen nicht mit einem zensuriellen Regelsystem zu beginnen, das dem Theater aufgestülpt wird, sondern das Theater – hier natürlich eine bestimmte Form des Theaters – zu einem generativen Medium für eine potentielle zensurielle Praxis zu bestimmen. Damit ist implizit das Verhältnis von Inhalt und ästhetischer Form angesprochen, die Inhalte gleichsam auch transformiert. Die Bühnenlegitimität eines Stoffes ergibt sich gemäß einer solchen Überlegung aus einer spezifischen „Klassizität“, die ermögliche, Themen zu behandeln, die ansonsten in den Bannkreis der Zensur fallen würden, wie etwa Kerens in seinem Zensurgutachten aus dem Jahre 1767 die französische Tragödie vom Zensurbann ausgenommen hat – und gerade die Tragödie ist ein genuines Feld von Tabu-Überschreitungen. Hinter der vermeintlichen Konservativität und Anhänglichkeit an das französische Theater verbirgt diese Einleitung einiges an Brisanz: Das Theater in seiner „kulturell-zivilisatorischen Höchstform“ definiere selbst, was gute Sitten und Geschmack ­wären – das Theater selbst ist eine Schule der Zensur. Zensur besteht also nicht bloß in der Überstülpung ‚von außen‘ kommender Kriterien an ein theatralisches Kunstprodukt, das Theater mit seinem Fundus an Stoffen und Formen gibt den Rahmen für eine zuverlässige Entscheidung ab. Das Kunstobjekt gibt einen Maßstab, und das darin Thematisierte mag durchaus in Tabuzonen liegen, wie etwa die Mythen auch. Somit hat aber auch ein dadurch zum Ausdruck kommender Kanon sehr unmittelbare zensurielle Gewalt, indem er Gegenstände, Formen und Handlungsoperationen des Darstellbaren mitdefiniert.

29 Ebenda.

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HAUPTREGEL: THEATER ALS SCHULE DER SITTEN UND DES GESCHMACKS Nach der Anweisung, das französische Theater als zensorisches Vorbild zu studieren, kommt Hägelin zur bekannten „Hauptregel“: „Nach der Hauptregel soll das Theater eine Schule der Sitten und des Geschmackes sein“30. Er ist sich jedoch bewusst, dass die Rhetorik der Sitten- und Geschmacksschule von allen im Munde geführt wird, und er wünscht, dass die Verfasser diese „wahre Regel“ auch einhalten mögen, die sie so oft in der Praxis vergäßen. Was diese Hauptregel betrifft, wäre die Zensur allerdings nur für die Sitten, jedoch nicht für den Geschmack zuständig. Der Geschmack würde die Zensur nur insoweit angehen, „als er das Schickliche das Anständige und Vernünftige in Absicht auf die Sitten selbst und das Conventionelle oder auch das natürliche und politische Decorum, welches widersinnige, den Wolstand verletzende Ungereimtheiten verabscheut, angehet“31. Das scheint die Neuformulierung dessen zu sein, was im Erlass des Jahres 1770 als Zusatzpunkte zu den expliziten Verstößen gegen Sitte, Religion und Staat genannt wurde – Hägelin wird diesen Gesichtspunkt im weiteren Verlauf des Textes nicht spezifischer ausführen. Was das Thema des Geschmacks betrifft, tritt bei Hägelin ein deutlicher Unterschied zu Sonnenfels zutage. Letzterer hatte, wie schon Engelschall, nicht den geringsten Zweifel hinsichtlich der Erkennung und Unterscheidung des guten und des schlechten Geschmacks, ja, er sah sich selbst als einen Feldherrn, der dem „guten Geschmack“ täglich neue Gebiete erobere. Hägelin dagegen geht in die Distanz eines fernen wie historistischen Beobachters: der Geschmack wäre zu allen Zeiten verschieden, und es „wäre noch nicht ausgemacht, wo der wahre Geschmack wirklich existiert“32. Und, um ein weiteres Thema von Sonnenfels aufzunehmen, es wäre unklar, ob es in Deutschland überhaupt „einen durchaus guten Conversationston“33 gäbe. Man könne auch den „sogenannten Geschmack nicht bei jedem Publikum fordern“34. Insofern gäbe es hinsichtlich des Hauptsatzes eine Aufgabenteilung: „Die Censur muß überall auf das Sittliche sehen, der Geschmack geht die Kritik an.“35 Dabei thematisiert Hägelin auch das Auseinanderklaffen von Ästhetischem und ­Moralischem (ein Thema, das bei Sonnenfels nur in sehr ambivalenter Weise zum Vorschein kommt): „Es ist bekannt, daß etwas sehr ästhetisch schön sein kann, wenn es gleich sehr unmoralisch ist.“36 30 Ebenda, f. 1h. 31 Ebenda, f. 1hf. 32 Ebenda, f. 2v. 33 Ebenda. 34 Ebenda. 35 Ebenda, f. 2h. 36 Ebenda.

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Hägelin kommt nun zur Unterscheidung der klassischen Dramenformen, des Trauerspiels und der Komödie, bei ihm eine sehr einfache Unterscheidung, die wenig Bezug auf den ästhetisch entfalteten Diskurs nimmt. Diese Unterscheidung hat allerdings zensorische Relevanz. Denn neben der Darstellungsart unterscheidet sich die Gattung des Trauerspiels im Ausmaß des darstellbaren Vergehens von der Komödie: im Trauerspiel würden die Laster des Menschen dargestellt, um jene zu Mustern des Abscheus zu machen (wie auch die Tugend zum Muster der Nachahmung), der ­Komödie gehe es um „Thorheit und Unarten“, um die Menschen durch Spott davon zu heilen. Neben den klassischen Gattungen wären mittlerweile weitere entstanden: das bürgerliche Trauerspiel, das „ernste Drama“37 und auch solche Stücke, die bloß „Schauspiele Familiengemälde“38 genannt werden, wie auch das „Lustspiel“ noch das Possenspiel „unter sich“ habe; schließlich das lyrische Theater, Singspiele und ­Operetten, „welche nicht zu dem wahren Geschmack gerechnet werden wollen.“39 Und er fasst zusammen: „Alle diese verschiedenen Gattungen müssen einen moralischen Zweck ­haben und entweder die Beförderungen der Tugenden, des Willens und auch des Verstandes, d.  i. Schärfung des Witzes oder auch des Verstandes der Klugheit etc zum Zweck haben, wenn sie dem Staate nicht schädlich sein sollen; wenigstens müssen sie zu einer ehrbaren Zerstreuung oder unschädlichen Gemütserholung dienen, wie es gemeiniglich im lyrischen Theater, wo keine große Moral angebracht wird, geschieht. Nie dürfen die guten Sitten Gefahr laufen, durch theatral-Vorstellungen beleidigt werden [sic]. Sie unterliegen daher alle nach ihrem verhältnismäßigen Unterschiede den Censurgesetzen.“40 Aus dem Umstand der besonderen Wirksamkeit der Bühne ergäbe sich weiters die Forderung, dass die Zensur des Theaters strenger sein müsse als die Bücherzensur, weil das Theater auch „Augen und Ohren beschäftiget und sogar in den Geist des Zuschauers treten soll, um die beabsichtigten Gemütsbewegungen hervorzubringen, welches die blose Lectüre nicht leistet.“41 Wenn auch die „Hauptregel“, Produkt der Reformdiskussion des deutschen Theaters seit der Frühaufklärung, als gleichsam zensurieller Generator über der nun folgenden detaillierten Analyse schwebt, so hat sie, wie auch aus den weiteren­

37 Ebenda. 38 Ebenda. 39 Ebenda. 40 Ebenda, f. 2hf. 41 Ebenda, f. 3v.

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Differenzierungen Hägelins und aus all seinen weiteren Beispielen in seiner Schrift hervorgeht, nur eine indirekte regulative Funktion. Ob das Theater wirklich eine Sittenschule wäre, im obgenannten Sinne der „Beförderungen der Tugenden, des Willens und auch des Verstandes, d. i. Schärfung des Witzes oder auch des Verstandes der Klugheit“ diene, unterliegt nicht der expliziten Prüfung des Zensors, der jedoch zumindest sicherstellen soll, dass die Bühne einer „ehrbaren Zerstreuung“ diene, was trotz der Bemühung der Semantik der Hauptregel kein Ausschließungsgrund wäre. Im Wesentlichen beobachtet der Zensor die Bühne auf der Ebene des „gesitteten“ Theaters, eines Theaters, welches wie auch immer definierte Verstöße gegen Religion, Sitte und Staat zu vermeiden hat. Dafür entwickelt Hägelin in der Folge ein Instrumentarium. Das ist Hägelins spezifische Reduktion von Komplexität. Er kann letztlich nur insistieren, dass, was immer im Theater gezeigt wird, nichts Sittenwidriges oder gegen Religion oder Staat Gerichtetes beinhalten möge. Es gibt sowohl in der weiteren Folge des Textes von Hägelins Gutachten wie auch in seinen anderen Schriften oder sonstigen mit seiner Tätigkeit als Theatralzensor zusammenhängenden Dokumenten keinen Hinweis darauf, dass Hägelin ein Stück verboten hätte, weil es trotz Erfüllung der zensuriellen Auflagen im Sinne der Trias von Sitte, Staat und Religion den Nachweis einer „Sittenschule“ nicht erbracht hätte.

STOFF UND MOR AL Im Hinblick auf die detaillierte Zensuranalyse nennt Hägelin drei Stufen, auf die die Zensur bei ihrer Beurteilung zu achten hätte: „erstlich auf den Stoff des Stückes, dann auf die Moral desselben und endlich auf den Dialog“42 – dies sind Analyseschritte, die bereits Sonnenfels sinngemäß im Mann ohne Vorurtheil anzuwenden versucht hatte. Unter Stoff versteht Hägelin „die Fabel“, „die nach der poetischen Kunst bearbeitete wahre oder erdichtete Geschichte oder Handlung.“43 Die „Moral“ des Stücks ist „die Lehre, welche aus dem ganzen Stücke abstrahirt wird, oder abstrahirt werden kann, denn so wie die gemeinen aesopischen Fabeln ihre Moral haben, so hat auch die Fabel des Drama ihre Moral.“44 In diesem Zusammenhang bringt Hägelin den ersten literarischen Verweis, indem er einen Satz aus der Hamburgischen Dramaturgie referiert:

42 Ebenda, f. 3h. 43 Ebenda. 44 Ebenda.

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„Lessing sagt: die Moral ist ein allgemeiner Satz aus den besonderen Umständen der handelnden Personen gezogen; durch seine Allgemeinheit wird er gewissermassen der Sache fremd, er wird eine Ausschweifung, deren Beziehung auf das gegenwärtige von dem weniger aufmerksamen oder weniger scharfsinnigen Zuschauer / : Zuhörer : / nicht bemerkt oder nicht begriffen wird.“45 Lessing führt diese Definition im Rahmen einer Erörterung der Frage ein, inwieweit der Schauspieler durch einen bestimmten Gestus eine moralisierende Aussage unterstützen könne, verbunden mit der Frage der Unterscheidung eines malerischen und pantomimischen Gestus und deren Graduationen, wobei er dem Satz die Anmerkung vorangehen lässt, dass es hierbei vor allem auf einen „individualisierenden Gestus“ ankäme. Der Satz wird in folgender Weise fortgesetzt: „Wenn es daher ein Mittel giebt, diese Beziehung sinnlich zu machen, das Symbolische der Moral wiederum auf das Anschauliche zurückzubringen, und wenn dieses Mittel gewisse Gestus seyn können, so muß sie der Schauspieler ja nicht zu machen versäumen.“46 Hägelin abstrahiert gewissermaßen nochmals Lessings Abstraktion, wie er sie im Kontext seiner Behandlung des Gestus verwendet hatte und durch Beispiele zu illustrieren versucht. Lessing geht es an dieser Stelle um die sinnfällige theatrale Darstellung von „Sentenzen“, die auch unabhängig von der Position des Sprechers im Spiel gesagt werden könnten: das gelungene Spiel bestünde in einem auf die Geschichte der handelnden Person bezogenen individualisierenden Gestus, wodurch erst der Allgemeinheitsgrad einer Sentenz wirksam in Szene gesetzt würde. Hägelin geht es nicht um den individualisierenden Gestus, sondern generell um die Abstraktion einer Moral aus dem Besonderen der Darstellung respektive des Bühnentextes, eine „Abschweifung“, die nicht nur für den weniger aufmerksamen und weniger scharfsinnigen Leser (wie Hägelin schreibt), sondern auch für den Zensor nicht so ohne Weiteres zu tätigen war, wie auch Hägelins in der Folge gebrachte Beispiele zeigen. Gerade die deutschen Dramen, die man im weitesten Sinne im ­Umfeld des Sturm und Drang ansiedeln kann, ließen immer weniger eine deutliche Moral erkennen, wie es andererseits schwerfiel, Dramen der Vergangenheit, wie etwa Shakespeares Dramen, eine eindeutige „Moral“ zugrunde zu legen, was gelegentlich auch Anlass war, sie umzuformen. Hägelin bringt drei Beispiele dafür, was man sich unter 45 Ebenda. 46 Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. Erster Band. Hamburg. In Commission bey J. H. Cramer, in Bremen [1769], Viertes Stück, Den 12ten May 1767, S. 28.

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einer solchen Moral als „Abschweifung“ vorzustellen hätte. Auf die beiden ersten, welche ihm die Wesentlichen sind, möchte ich nun näher eingehen, da sie, ohne dass Hägelin dies explizit reflektieren würde, die Paradoxien entfalten, mit der er sich in der Folge herumplagt und welche genuin theatralzensorale Paradoxien sind. Das erste Beispiel nimmt Shakespeares Tragödie King Lear, welche zur Zeit ­Josephs II. am Burgtheater in einer sehr weitreichenden Bearbeitung erstaufgeführt wurde, zum Gegenstand der Erörterung. Die Bearbeitung sah im Gegensatz zur originalen Konzeption ein versöhnliches Ende vor. Hägelin, auf ebendiese Version ­Bezug nehmend, versucht sie kurz darzustellen: „Der König Lear, ein wohltätiger Vater legt seine Krone bei Lebzeiten in die Hände zweier undankbaren Töchter nieder, welche ihn verstossen und im äußersten Elende schmachten lassen, bis ihm die dritte Tochter Cordelia zu Hilfe kömmt und ihn rettet.“47 Daraus zieht nun Hägelin folgende „Abschweifung“: „Die Moral dieses Stücks ist daß ein Regent bei seinen Lebzeiten die Krone an seine Nachfolger nicht abtreten soll, weil er große Gefahr läuft, für seine Wohlthat mit Undank belohnt und mißhandelt zu werden.“48 Auf die vielschichtige Interpretationsgeschichte des King Lear braucht in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden, um zu erkennen, dass dies wohl kaum die Quintessenz von Shakespeares Tragödie ist. Doch unabhängig davon: an wen im Auditorium sollte sich eine solche „Moral“ richten? Das Publikum, vom Regenten abgesehen, wird sich nie in der Lage finden, vor einer solchen Entscheidung zu stehen; die hier unter den Auspizien des Theaters als Sittenschule verkündete Moral ist für das Publikum belanglos, es sei denn, dass es sich ermuntert fühlte, im Falle einer potentiellen Abtretung der Krone den Herrscher mit mehr oder weniger großem Nachdruck darauf aufmerksam zu machen, dass er in sein Unglück laufe. Es bedarf keiner weiteren Ausführung, um zu verstehen, dass der Zensor bei seinem ersten exemplarischen Versuch, die „Moral“ des Stoffes zu identifizieren, auf ‚Abwege‘ ­gerät. Hägelins zweites Beispiel bezieht sich im Wesentlichen auf die Generalformel, das Laster möge auf der Bühne bestraft werden. Im Unterschied zum ersten Stück fällt Hägelin der Name des Dramas nicht ein – es ist erstaunlich, dass der Zensor angesichts der enormen Fülle an Dramen, mit denen er in seiner langen Tätigkeit als Zensor konfrontiert war, ausgerechnet ein Theaterstück wählt, dessen Titel ihm nicht einfällt. Jedenfalls geht es um ein Trauerspiel, „worin die Hauptperson von einer ausschweifenden Leidenschaft in die andere verfällt, bis sie endlich in die Verzweiflung geräth und sich ermordet“49; daraus „wird die Moral abgezogen, daß, wer

47 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Angelegenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 3h. 48 Ebenda, f. 3hf. 49 Ebenda, f. 4v.

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sich in ein Laster stürzt, Gefahr läuft noch andere zu begehen, die ihn endlich zulezt in den Untergang stürzen.“50 Dabei geht es vor allem um die Frage, welchen operativen Stellenwert eine solche Moralbegutachtung im Rahmen des zensorischen Verfahrens hatte. Es scheint Hägelin hier vor allem um die operativen Aspekte gegangen zu sein, auch um eine Art Autopoiesis der zensuriellen Praxis – ein Verfahren, welches gleichsam das eigene Handeln legitimierte. Ein Stück, dem Hägelin eine negative Moral abgewann – dafür bringt er in diesem Zusammenhang allerdings kein Beispiel – konnte ausgeschieden werden, aber wie wir noch sehen werden, ist die theaterzensurielle Praxis bei Weitem komplizierter. Was war der Fall, wenn sich weder eine positive noch eine negative Moral „abziehen“ ließ? Jedenfalls thematisiert Hägelin dies nicht als Ausschließungsgrund und scheint auch akzeptiert zu haben, dass es Sparten und Stücke gab, bei denen keine große Moral angebracht war. Doch hatte, wie aus einer späteren Stelle hervorgeht, diese „Moral“-Schau für Hägelin auch einen strategischen Stellenwert – zumindest zur Zeit Maria Theresias: Er hatte der Regentin jeweils eine Liste zukommen lassen, in welcher er kurz referierte, welcher moralische oder sonstige Nutzen aus dem Besuch eines bestimmten Schauspieles zu ziehen wäre, für ihn primär eine Legitimation seines eigenen Handelns an höchster Stelle, um bei etwaigen und offensichtlich nicht selten auftauchenden Konflikten eine Art antizipatorischen Schutzwall zu errichten – Dokumente, die bedauerlicherweise nicht mehr vorhanden sind, die aber ähnlich aufgebaut gewesen sein müssen wie die von Hägelin genannten Beispiele, ein strategischer Schachzug im Dschungel von Zensur-Intrigen und ein symbolischer Versuch, das Theater als eine „Schule“ zu positionieren, sowohl für den Herrscher wie für den „Bürger“, der keine Krone zu vergeben hatte, aber sich im Laster und sonstigem verfangen konnte. Es ist jedenfalls augenfällig, dass Hägelin dieser Frage keinen den Bereichen Stoff und Dialog vergleichbaren operativen Stellenwert einräumt, sondern es beim Versuch des exemplarisch Definitorischen belässt, wie er auch darauf verweist, dass die Moral mit der Frage des Stoffes integral verbunden sei, „weil sie gleich beim Stoffe sichtbar ist“.51 Formal hatte Hägelin drei Stufen: Moral, Stoff, Dialog unterschieden, zwei davon versucht er detailliert instruktiv zur Darstellung zu bringen. „Moral“ und „Stoff“ scheinen notwendig eng verbunden, doch verweisen sie gleichzeitig auch auf unterschiedliche operative Zusammenhänge. In der Zulässigkeit des „Stoffs“ sind immer Vorstellungen des Darstellbaren enthalten, in welche die Erfahrungen der vielfältig auf der Bühne entwickelten Usancen inkorporiert sind. So sind auch Stücke von dem Verbot betroffen, aus denen eine höchst „nützliche“ Moral abgeleitet werden könnte, welche aber aufgrund des „Stoffes“ und der damit verbundenen Vor50 Ebenda. 51 Ebenda, f. 5v.

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stellungen des Zuträglichen unaufführbar scheinen, etwa „Sittenstücke“, welche im Kloster oder Bordell spielen; gerade Letztere sind oft sehr rigide Sittenstücke. Die Kategorie des „Stoffes“ beinhaltet den Begriff der „Obszönität“ und die Vorstellungen davon, und jene sind nicht identisch mit einer „Moral“ – auf der Bühne werden Papst und Priester in derselben Weise obszön wie die Mätresse und die Hure, worauf ich in den weiteren Abschnitten noch näher eingehen werde. Ist der „Stoff“ anstößig, so muss das Stück verworfen werden, es sei denn, das darin enthaltene Anstößige wäre eliminierbar respektive transformierbar. In einem weiteren Schritt wird der Dialog im Hinblick auf darin enthaltene Anstößigkeiten im Detail untersucht, und die im Text vorgenommenen Eingriffe, meist Streichungen, sind mit der Unterschrift des Zensors das Ergebnis seiner Zensorentätigkeit. Die Umarbeitung an sich, die je nach der Schwere der Eingriffe auch erfordern konnte, neue Textteile zu entwerfen, war nicht eine Aufgabe des Zensors, der seine ‚Bearbeitung‘, wenn er ein Werk zuließ, mittels Streichungen markierte. Doch hält sich ­Hägelin in seiner Schrift zugute, dass er zum Wohle des Theatralischen selbst Verbesserungen vorgenommen habe, vor allem Vorschläge, wie gewisse als anstößig empfundene Wörter zu substituieren wären – und die hier besprochene Schrift ist voll von Beispielen solcher Ersetzungen, ein bemerkenswerter sprachlicher Formierungsprozess wie gleichzeitig auch ein magischer Akt. Ich werde bei der Beschreibung der einzelnen Zensursegmente noch darauf eingehen.

GEBRECHEN DES STOFFES IN ABSICHT AUF DIE SITTEN Aus Gründen des Anschlusses an das zuvor Explizierte beginne ich mit den „Gebrechen des Stoffes in Absicht auf die Sitten“, die Hägelin nach den „Gebrechen des Stoffes wider die Religion“ und den „Gebrechen des Stoffes in politischer Hinsicht, oder wider den Staat“ abgehandelt hat, gleichzeitig notwendigerweise auch überlappende Themen. Im Hinblick auf die „Gebrechen“ wider die Sitte gibt Hägelin folgende Generalanweisung: „Der Stoff eines Stückes oder der Inhalt einer dargestellten Handlung darf nie eine unsittliche Lehre oder eine wirkliche sittenlose That oder Verbrechen darstellen“52. Der erste Teil des Satzes ist aus der Sicht des Zensors aufgrund des zuvor Gesagten nachvollziehbar. Ganz unabhängig von der Frage, was als „unsittliche Lehre“ zu fassen wäre: offensichtlich meint dies auch, dass „sittenlose Lehren“, auch wenn sie in Gegenrede denunziert würden, kein Thema für die Bühne sein könnten. Zu nennen wäre etwa das auch im Kameralismus von Sonnenfels als beispielhaft sittenlos angesehene Thema der „Freigeisterei“, welches in zahlreichen Stücken abgehandelt wurde. Im zweiten Teil des Satzes, und das ist auch für die wei52 Ebenda, f. 12vf.

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tere ‚Methodik‘ von Interesse, wird von Gegenstandsbereichen gesprochen, die per se kein Bühnenthema sein können: eine „wirkliche sittenlose That oder Verbrechen“. Dies steht im Widerspruch zu Hägelins vorheriger Bestimmung, dass das Laster, und dazu gehören sittenlose Taten und Verbrechen, auf die Bühne gebracht werden könne, um seine schlechten Folgen vorzuführen. Und die Darstellung einer LasterKette samt derer suizidaler Folge war geradezu exemplarisch für die Moral eines Stückes. Im nächsten Satz versucht nun Hägelin eine Klärung vorzunehmen: die „wirklich“ sittenlosen Handlungen und Verbrechen, welche nicht Gegenstand einer Bühnenhandlung sein können, sind solche speziell sexueller Konnotation – „Blutschande Ehebruch, Hurerei können nie den Stoff der dramatischen Handlung ausmachen.“53 Andere Formen von „sittenlosen“ Handlungen vom Betrug bis zum Bruder- und Königsmord konnten somit als nicht „wirklich“ sittenlose Verberechen durchaus Thema einer Bühnenhandlung sein, was unter Hägelins Zensorschaft ja auch vielfach geschehen ist. Bezogen auf die „wirklich“ sittenlosen Taten und Verbrechen öffnet Hägelin in der Folge aber eine theatrale Schleuse, indem er die zuvor aufgestellten Prämissen sukzessive relativiert und teilweise zurücknimmt: davon nicht betroffen wären bloße Versuche und Scheinverbrechen – zu Letzterem könnte man auch sagen „Theater im Theater“. Diese theatrale Schleuse wird nun weitergeführt beim Thema Ehebruch, welcher laut obiger Aussage kein Gegenstand der Bühnenhandlung sein könne. Obwohl dies Wort im folgenden Satz nicht explizit erwähnt wird, so ist doch ganz deutlich auch davon die Rede. „Personen männlichen Geschlechts können der Tugend Schlingen legen, Versuche u. sträfliche Anträge machen; allein ein Frauenzimmer kann nie, wäre es auch nur zum Scheine einwilligen.“54 Hägelin spricht hier von „Personen männlichen Geschlechts“, ob verheiratet oder unverheiratet, welche „sträfliche Anträge“ auf der Bühne vornehmen dürften. So führt er das zunächst von der Bühnenhandlung ausgeschlossene Motiv wieder als bedingt zulässig ein. Allerdings: das Vorrecht, solche Anträge zu machen, und somit auch eines versuchten Ehebruchs ist auf der Bühne ein männliches Vorrecht, sofern die zur Verführung bestimmte Frau in einen solchen Antrag nicht einwilligte, sei’s auch nur zum Scheine. Im nächsten Satz ‚dekonstruiert‘ der Zensor jedoch auch diese soeben noch gültig scheinende Prämisse:

53 Ebenda, f. 12h. 54 Ebenda.

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„Wenn ein Frauenzimmer zum Scheine in den Antrag des Liebhabers einwilliget oder dem sträflichen Liebhaber zum Scheine einen rendezvous gibt um ihn z. B. zu beschämen, so muß es das Publikum wissen und keinen Augenblick wegen der erlaubten Absicht in Zweifel stehen, welches oft dadurch geschieht, daß das Frauenzimmer die Absicht ihrer Verstellung ihren Freundinnen entdeckt.“55 Vom anfänglichen Generalverbot findet so das Thema in spezifischen Inszenierungsritualen nach kurzer Argumentation auf die Bühne zurück. Der Zensor dekonstruiert förmlich seine eigenen Prämissen, die gleichsam auch nachträglich konstruierte sind, um seine Tätigkeit in ein Gesetz zu bringen, das er mittels der vielfältigen Anforderungen der Praxis wiederum differenzieren muss. In ähnlicher Ambivalenz handelt Hägelin das Thema des Ehebruchs auch im späteren Dialog-Teil ab. „Ehebruch“ wäre ein Wort, das auf der Bühne in keinem Falle aussprechbar wäre, aber dennoch: der gemeinte Inhalt könnte in der Bühnensprache bestehen bleiben, wenn das obszöne Wort durch andere Worte ersetzt würde, wie „die Treue brechen“, ein Vorgang, der in Bezug auf den konkreten Fall den obszönen Inhalt referiert, aber durch die gesuchte Abstraktheit einen Bedeutungsinhalt aufweist, der auf begrifflicher Ebene nicht mehr rein sexuell konnotiert ist. Hägelin vollzieht hier eine Art magischen Sprachakt, in dem das Obszöne verschwindet und gleichzeitig ‚aufge­ hoben‘ ist. Von diesen abstrakteren Prinzipien wechselt Hägelin zu Bühnenrollen, welche als zulässig oder unzulässig qualifiziert werden. Auch hier geht es vor allem um die Frage der Übergangsbereiche. Kuppler oder Kupplerinnen „sträflicher Liebesbeziehungen“ könnten nie auf der Bühne erscheinen – aber es gäbe auch Ausnahmen: zwar kupple auch der Kammerherr Marinelli in Lessings Emilia Galotti, „allein er thut es nicht aus Gewerb, sondern als niederträchtiger Höfling.“56 Wohl dürften aber Unterhändler „unsträflicher Liebschaften“ auf der Bühne erscheinen, „sonst müssen oft alle Soubretten oder Bediente dazu gezählt werden“, ein Argument, das nicht bloß moralisch argumentiert, sondern sich auf die bestehende Bühnenpraxis bezieht, aus welcher dergleichen Handlungen nicht zu eliminieren wären. Weiters wären „förmlich unterhaltene Maitressen“57 auf der Bühne nicht zu dulden wie in Kabale und Liebe, sodann keine „bordellmäßigen Auftritte“58 einschließlich jener Szenen, wo mittels Geld die Tugend verführt werden soll. „Leichtsinnige Koketten“59 dagegen wären bei gehörigem Tone zulässig. 55 Ebenda. 56 Ebenda, f. 13v. 57 Ebenda. 58 Ebenda. 59 Ebenda, f. 13h.

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Hägelin erwähnt auch das Trauerspiel Die Kindsmörderin von Heinrich Leopold ­Wagner (1747–1779), ein Stück, das seiner Ansicht nach zwar als moralisches Stück anzusehen ist, weil es die traurigen Folgen einer aufgrund der Nachsicht der Mutter möglich gewordenen Verführung eines Mädchens sehr abschreckend zur Darstellung bringt; „allein die Künste der Verführung werden dabei auch dargestellt, und es kommen bordellmäßige Auftritte vor, wie z. B. sich der Verführer mit der Verführten in die Seitenkammer begibt um das Laster zu vollenden. Das Stück würde also in der Ausführung höchst anstößig sein.“60 Hägelin lehnt dies Stück offensichtlich nicht ab, weil es außerehelichen Geschlechtsverkehr samt den Folgen (eine Schwangerschaft) zum Gegenstand hat, sondern weil es die diesen Zustand bedingende Szene auf die Bühne bringt. Hier zeigt sich letztlich dieselbe Inkonsequenz wie bei Sonnenfels’ Besprechung des Kaufmann von London: ein „lehrreiches“ Stück, das vom „Laster“ wirkungsvoll abhalte, wobei jedoch inakzeptabel ist, dass das zum Verständnis des Stücks vorausgesetzte „Laster“ in irgendeiner Form szenisch, wenn auch nur hinter der Bühne, präsent ist. Doch nicht nur die uneheliche Schwangerschaft, sondern auch die Schwangerschaft an sich wird zum Thema zensurieller Aufmerksamkeit: „Charaktere von schwangeren geschwächten Frauenzimmern“61 können ebensowenig auf die Bühne gebracht werden; eine Ausnahme sei Beaumarchais’ ­Eugenie, wo das Thema mit so viel Delikatesse behandelt worden sei, „daß es vom hundertsten Zuschauer nicht wahrgenommen wird.“62 Der folgende Passus beinhaltet die wegen ihrer absurden Prüderie wahrscheinlich am häufigsten angeführte Stelle: dass zwei verliebte Personen nie gemeinsam und ohne weitere Begleitung von der Bühne abtreten dürften. Doch ging es nicht darum, dass zwei verliebte Personen wo auch immer hin abtreten, sondern, was Glossy eliminiert hat, darum, dass sie sich nicht in einen Raum begäben, welcher die Imagination sexuellen Verkehrs evozieren könnte. „Die Censur hat auch darauf zu sehen, daß nie zwei verliebte Personen miteinander allein vom Theater abtreten, um sich in ein Kabinet oder Haus hineinzubegeben, wodurch der Zuschauer bewogen wird, arges zu vermuthen. In dem Stücke: das Landmädchen wurde den beiden Verliebten, nemlich dem Belville und der Miß Purton, welche sich am Ende des Stückes in ein Haus miteinander begeben um ihre Heirath richtig zu stellen ein Prokurator beigegeben.“63

60 Ebenda, f. 13vf. 61 Ebenda, f. 13h. 62 Ebenda. 63 Ebenda, f. 13hf.

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Hier kommt eine Vorstellung zum Tragen, die schon Sonnenfels entwickelt hatte: die ‚Gefährlichkeit‘ der imaginativen Zwischenräume. Doch hat dieser von Hägelin offensichtlich exemplarisch eingesetzte Passus, der von Glossy genau um die Formulierung jener imaginativen Zwischenräume gekürzt wurde („um sich in ein Kabinet oder Haus hineinzubegeben, wodurch der Zuschauer bewogen wird, arges zu vermuthen“), noch dazu unter Nennung eines „Prokurators“ für abgehende Liebespaare, auch zu einem falschen Eindruck von der theatralen wie zensuriellen Praxis geführt, die letztendlich selten vergleichbare Formalitäten vorsah. Der Abgang des erotisch aufgeheizten Paares Donna Elvira und Leporello (in den Kleidern seines Herrn) zu Beginn des II.  Aktes von Da Pontes und Mozarts Don Giovanni erfolgt ohne Prokurator. Nach Hägelins exemplarischer Figurenliste folgt wiederum ein allgemeiner Hinweis: dass „kein Stoff, der epikureische Grundsätze in Schutz nimmt“, auf ein „gesittetes Theater“ gebracht werden könne. An dieser Stelle bleibt unklar, was ­Hägelin unter epikureischen Prinzipien konkret versteht: wie aus späteren Stellen hervorgeht, macht Hägelin einen sehr spezifischen Gebrauch davon – ich werde in einem eigenen Abschnitt darauf eingehen. Hägelin endet seinen Befund mit dem Hinweis, für das Thema potentieller Sittenwidrigkeit „würde ein dicker Band erforderlich sein, und dennoch nicht alle mögliche Fälle in sich begreifen.“64 Dies ist keine reine Rhetorik, denn aufgrund der genannten, auch Hägelin nicht ungeläufigen Paradoxien des Theaters als Sittenschule läuft das hier Begonnene und schon zu Beginn Differenzierte in weitere Differenzierungen fort, bis hin zum Einzelfall, in dem potentiell möglich ist, was in der Ab­ straktion verboten bleibt. Beziehen wir seine in diesem Kapitel genannten Perspektivierungen des Sittlichen auf die theresianische und josephinische Zeit, so kann im Wesentlichen davon ausgegangen werden, dass sie für Hägelin bereits damals ein Feld zensurieller Aufmerksamkeit waren – ich werde dies im nächsten Kapitel anhand der Begutachtungspraxis der für das Burgtheater 1779 eingereichten Stücke, welche antizipatorisch Reaktionen der Zensur in ihrer Analyse mitberücksichtigte, erläutern. Hägelin schließt an vieles an, was bereits Sonnenfels formuliert hatte und was dieser als mit der Idee eines gesitteten Theaters unvereinbar ansah: so das Thema des weiblichen Ehebruchs, das Thema des Hahnreis, was für ihn zu den ekelhaftesten Gegenständen des Theaters zählte, das Thema der imaginativen theatralen Zwischenräume wie auch das Thema der Darstellung dessen, was Hägelin „sträfliche Liebschaften“ nannte. Doch verglichen mit Hägelin traten bei Sonnenfels weitaus rigidere Vorstellungen zutage. Wesentlich deutlicher als Sonnenfels eröffnet Hägelin das zensurielle Feld der „Fluktuation“ und behandelt in seiner Schrift implizit die Frage, wie gewisse Gegenstände nicht Gegenstand des Theaters sein können und 64 Ebenda, f. 14v.

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dennoch Thema des Theaters sind und unter bestimmten Umständen sein können. Und die theatrale Form ist auch ein Medium, welches mitentscheidet, was gesagt und getan werden darf. Gegen Racines Phèdre, welche in den Österreichischen Niederlanden zu den erlaubten Stücken zählte65, hätte wahrscheinlich auch Hägelin, der das französische Theater zur Zensurschule erhebt, nichts einzuwenden gehabt, obwohl diese Tragédie Themen beinhaltet, welche nunmehr auf der Bühne in einen Raum des Obszönen gestellt werden.

GEBRECHEN DES STOFFES IN POLITISCHER HINSICHT ODER WIDER DEN STAAT Hägelins Ausführungen zu den „Gebrechen des Stoffes in politischer Hinsicht, oder wider den Staat“ bilden sein längstes Stoff-Kapitel, ein Kapitel, das vor allem auch auf die Zeitumstände eingeht, obwohl am Ende seiner Schrift dafür noch ein zusätzliches Kapitel vorgesehen ist, möglicherweise entworfen, weil die vorigen Ausführungen diese Frage, welche ganz offensichtlich dem Auftrag zugrunde gelegen ist, nicht in ausreichender Form beinhaltet haben mögen. In weitaus stärkerem Maße als in den anderen Kapiteln versucht Hägelin diesen politischen Teil zu ‚systematisieren‘. Vergleichen wir diesen Teil mit dem, was Sonnenfels als Gefahr des Theaters be­wegte, so lässt sich die Verschiebung des Interesses der Zensur besonders deutlich ­erkennen. Hägelin beginnt seine Ausführungen mit dem Grundsatz, dass keine Stücke aufgeführt werden dürften, welche die monarchische bzw. die ständische Verfassung herabwürdigen und einer demokratischen Verfassungsform den Vorzug einräumen – auch aus diesem Grunde wäre das französische Theater unter den Königen das beste und reinste Muster.66 Dies schließe allerdings nicht aus, dass auch Politiker und Helden aus Republiken des Altertums auf die Bühne gebracht werden könnten, solange es in diesen Stücken nicht um die Staatsform an sich ginge, sondern um Tugenden wie Vaterlandsliebe. Dass aber Stoffe wie der Tod Cäsars oder die Verjagung des König Tarquinius „dermal“ nicht aufführbar wären, das „versteht sich von selbst.“67 Im zweiten Punkt geht Hägelin speziell auf die österreichische Geschichte ein: es dürften keine Geschehnisse auf die Bühne gebracht werden, die nachteilig für das österreichische Herrscherhaus wären, wie Wilhelm Tell oder die Rebellion der vereinigten Niederlande gegen die Herrschaft des spanisch-österreichischen Hauses. 65 Catalogue des pieces qu’il est permis de représenter sur les théatres de Pays-Bas Autrichiens, Jusqu’à ce jour 12 Avril 1788. Bruxelles M.DCC.LXXXVIII, S. 4. 66 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Angelegenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 8h. 67 Ebenda.

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Die von Hägelin genannten Beispiele verweisen dabei nicht so sehr auf die Nachteiligkeit an sich, wie verlorene Schlachten, Gebietsverluste, Regierungskrisen, sondern kreisen explizit um das Thema Aufruhr, Empörung und Rebellion gegen die österreichische Herrschaft. Der dritte Punkt thematisiert die Darstellung der Herrscherfigur: Regenten, besonders die österreichischen, dürften nicht „in nachtheiligen oder herabwürdigenden Charakteren geschildert werden“68. Als Beispiele nennt Hägelin zwei Stücke von Johann Ritter von Kalchberg (1765–1827), verfasst in den frühen 90er Jahren des 18. Jahrhunderts: Andreas Baumkirchner, „worin Kaiser Friedrich III. als wahrer Lapp erscheint“69, und Die Grafen von Cilli, „worin die Kaiserin Barbara, Gemahlin Kaisers Sigmund als ein geiles und rachsüchtiges Weib geschildert wird, und wo der Charakter durch das ganze Stück verwebt ist“70 – auch eine der vielen Stellen, welche Glossy in seiner Edition eliminierte. Auch der vierte Punkt zielt auf die Herrscherfigur. Hier geht es um die Vermeidung von Stücken, die Situationen aufweisen, welche für „Monarchen nachtheilige Begebenheiten oder herabwürdigende Mißhandlungen“71 zeigen oder den Stoff des Stückes ausmachen: Ermordung und Entthronung von Regenten oder Stücke, wo „ein Regent wie ein Missethäter in einen Kerker gesperret, und über ihn Gericht gehalten“72 wird. Schimpflich sei es aber auch, wenn einem Regenten, „wie im Tankred, welches Stück in den 1770er Jahren in Wien noch ohne Anstand aufgeführt wurde, von einem oder mehreren Vasallen schimpflich begegnet oder getrotzt würde“73 – Voltaires Tragödie wurde allerdings noch während Hägelins Periode als Theatralzensor, im Jahre 1803, in der Fassung Goethes am Wiener Burgtheater wieder aufgeführt.74 Ebenso könnten keine Hinrichtungen von Königen auf die Bühne gebracht werden, wie jene von Karl I., Maria Stuart, von Ludwig XVI. „schon gar nicht“75. Im 68 Ebenda, f. 9v. 69 Ebenda. 70 Ebenda. 71 Ebenda. 72 Ebenda, f. 9h. 73 Ebenda. Tancrède, Tragödie von Voltaire, uraufgeführt in Paris 1760. Erstaufführung am Wiener Burgtheater in französischer Originalsprache am 13. Dezember 1763 (Zechmeister: Die Wiener Theater, S. 488), in deutscher Fassung 1783 auf die Bühne des Wiener Burgtheaters gebracht, übersetzt von Friedrich Ludwig Schröder (1744–1816) (Franz Hadamowsky: Die Wiener Hoftheater (Staatstheater) 1776–1966. Verzeichnis der aufgeführten Stücke mit Bestandsnachweis und täglichem Spielplan. Bd. 1.: Täglicher Spielplan des Burgtheaters (1776 bis Ende 1810) und des Kärntnertortheaters (1785 bis Ende 1810). Wien 1966, S. 121). 74 Ebenda. 75 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Angelegenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 9h.

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Hinblick auf das Thema der Hinrichtungen verweist Hägelin auch auf eine „Hauptregel des gesitteten Theaters“, welches nie mit Blut befleckt werden dürfte und keine wirkliche Hinrichtung auf dem Schafott ertrüge: die schönen Künste duldeten nichts Grässliches und leideten keinen Ekel, ein Punkt, der allerdings in der theatralen wie zensoralen Praxis sehr weit ausgelegt wurde. Hägelin meint aber hier nicht die auf der Bühne üblichen und gängigen Erdolchungen, sondern ganz explizit eine Schafott-Szene, und das Beflecken mit Blut scheint hier sehr wörtlich gemeint zu sein. Im fünften Punkt werden außenpolitische Rücksichten behandelt: auszuschließen sind Stoffe, womit ganze Nationen beleidigt werden, besonders die freundschaftlich Verbundenen. Dies gilt ebenso für einen Tadel, der einen ganzen Stand trifft: „Nie muß der Tadel auf ganze Nationen auf ganze Stände, besonders auf die vornehmen und den obrigkeitlichen Stand überhaupt fallen, überall muß er nur auf das persönliche Laster, Untugend, oder Thorheit gebraucht werden.“76 Letztere Präzisierung schließt somit eine nachteilige Darstellung von Standespersonen, auch unter den „jetzigen Zeitumständen“, nicht aus. Im sechsten Punkt werden bezüglich Standesfragen Ausnahmeregelungen getroffen: Der geistliche Stand darf auf der Bühne überhaupt nicht zur Darstellung gebracht werden. Der Militärstand ist besonders zu schonen: kein Tadel der Verfassung des Militärs, auch keine Kritik am Landesherrn vonseiten der Offiziere, keine Äußerungen und Darstellungen, welche Leute vom Militärdienste abhalten könnten. Und dann, wieder einschränkend: wenn Kritik geübt würde, dann nur, wenn diese auf der Bühne zureichend widerlegt würde. Furchtsame Soldaten wären auf der Bühne nicht anstößig, da nur lächerlich. Ausgelassene Streiche dürften auf der Bühne nur von jüngeren Soldaten, nie jedoch von älteren gesetzten Offizieren ausgeübt werden. Im siebenten Punkt geht es um die Thematisierung von „Vorurteilen“ auf der Bühne, ein genuin aufklärerisches Thema. Wie Hägelin festhält, wären schädliche Vorurteile sowie die Verbannung derselben öfters ein Gegenstand der Bühne. Zu vermeiden wäre jedoch die Darstellung von Vorurteilen, deren Bekämpfung die Ruhe des Landes stören könnte, womit offensichtlich gerade kontroversielle Themen ausgeschlossen werden sollten, eine Haltung, die deutlich im Gegensatz zu den Gepflogenheiten der josephinischen Zensurpolitik zu Beginn der 1780er Jahre steht. Schon gar nicht können religiöse Vorurteile auf der Bühne thematisiert werden. Die Gesetzgebung eines Staates könne „in keinem Stoffe mit Tadel aufgeführt werden“77. Da dem Staate an der „Erhaltung rechtmäßiger Ehen“78 viel gelegen sei, könnten „filosofische Winkelehen“79 (Ehen ohne Trauschein) nie Thema der Bühne 76 Ebenda, f. 10v. 77 Ebenda, f. 11v. 78 Ebenda. 79 Ebenda.

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sein, besonders wenn sie im Naturrechte approbiert erscheinen – das „besonders“ wirkt wie in vielen anderen Fällen wie eine tendenzielle Einschränkung des allgemeinen Verbots. Duelle, wenn auch gesetzlich verboten, können dramatisch behandelt werden; das existierende Duellverbot darf jedoch nicht kritisiert werden und, wieder einschränkend, wenn doch, muss der diesbezügliche Einspruch ausreichend widerlegt werden. Selbstmorde, häufig Gegenstand des Theaters, wie Hägelin feststellt, wären auf der Bühne zu gestatten, „wenn sie als Folgen und Strafen des Lasters erscheinen, so sind sie belehrend und daher zulässig.“80 Sie dürfen dennoch nie als nachahmenswert gepriesen werden. Auf dieses Thema, welches Hägelin auch an anderer Stelle detaillierter und äußerst widerspruchsvoll abhandelt, werde ich weiter unten gesondert eingehen. Kurz vor Ende seiner Liste hebt Hägelin nochmals hervor, dass Widerstand gegen die obrigkeitliche Gewalt in Theatralhandlungen „nie approbiert“81 werden könne, was ihn – wie noch zu zeigen sein wird – nicht davon abhielt, solchen, mit verbaler Akrobatik versehen, auf der Bühne zu genehmigen. Und abschließend versucht er zu erinnern, dass „unnatürliche und schauderhafte Verbrechen“82 nie auf die Bühne zu bringen sind: dazu zählt er wissentlichen Eltern- und Kindsmord oder „Laster wider die Natur“83. „Schon wirkliche wissentliche und grobe Mißhandlungen der Eltern sind auffallend und nicht leicht zu passiren. Solche Gegenstände sind selbst wider den guten Geschmack des Theaters.“84 Auch hier schließt er eine Darstellung solcher Misshandlungen nicht völlig aus, und es ist bei dieser Gelegenheit daran zu erinnern, dass der Schriftsteller Benedikt Dominik Anton Cremeri, in den 1780er Jahren auch Zensuraktuarius in Linz, um 1787 ein Don-Juan-Stück verfasst hat, in dem er einen brutalen Vatermord vorsah, ein Hinweis, dass die diesbezüglichen Gepflogenheiten unschärfer waren, als dies Hägelins Versuch einer LeitlinienErstellung suggeriert. Was das Thema des Kindsmords betrifft, ist daran zu erinnern, dass Hägelin bei Nennung von Wagners Die Kindsmörderin nicht den Tatbestand des Kindsmordes als anstößig oder unaufführbar bezeichnete, sondern die Verführungsszene im Beisein der betrunkenen Mutter in bordellhaftem Ambiente, auch ein Beispiel dafür, dass der Einzelfall immer andere Perspektivierungen eröffnet. In gewisser Weise ist dieses ausführlichste Kapitel Hägelins eine Art Zusammenfassung, es beinhaltet auch Punkte, die von ihm in derselben Schrift unter anderen Kategorien abgehandelt werden: dies reicht von der Sicherung des monarchischen Systems und der Ständeverfassung, von Religion und Militär bis zu Duell und Ehe, Selbstmord, Eltern- und Kindesmisshandlung bis zu den „Verbrechen wider die 80 Ebenda. 81 Ebenda, f. 11h. 82 Ebenda. 83 Ebenda. 84 Ebenda.

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­ atur“ – alle diese Kategorien sind gleichsam ins ‚Politische‘ transformiert. Es N scheint, als ob Hägelin hier einen spezifischen Schwerpunkt der von ihm erwarteten Tätigkeit gesehen hätte. Es ist alles knapper formuliert, fast schon in Form einer Zusammenfassung, nur der Schlussteil des Kapitels, welcher in einem langen Zitat eines von Hägelin nicht namentlich genannten dramatischen „Kunstrichters“ besteht, scheint im Hinblick auf den Aufbau des Kapitels abweichend, ja geradezu abschweifend, als ob sich Hägelin nach der komprimierten Darstellung etwas Ruhe hätte verschaffen wollen.85 In den ersten vier Punkten geht es um die Sicherung des monarchischen Systems und darum, in welcher Weise Regenten überhaupt noch auf der Bühne erscheinen können – was immer auch gewesen sein mag, nichts Nachteiliges soll auf sie auf der Bühne fallen. Diese ersten Punkte sind zumindest in der Rhetorik ‚postjosephinisch‘ und im Wesentlichen geprägt von den Auswirkungen der Französischen Revolution. In der josephinischen Diktion, zumal in der Aufbruchszeit zu Beginn der 1780er Jahre, findet sich keine vergleichbare Semantik, wenn auch gegen Ende des Jahrzehnts bedrohlichere Bilder auftauchen. Die Figur eines Herrschers war nicht sakrosankt gewesen, zumal in der aufblühenden Broschürenliteratur (wenn auch auf der 85 „Es wird gut sein, hierwegen die Bemerkung eines einsichtigen dramatischen Kunstrichters anzuführen wie folgt: ‚Der Theaterdichter soll nicht bloss gefallen, er soll auch bessern, er soll durch aufgestellte erhabene Handlungen Nacheifer und durch aufgestellte widrige Streiche Abscheu erregen.‘ ‚Der redende Künstler darf von einer Seite eben so wenig Ideale darstellen, als er von der anderen die gewöhnlichen Charaktere die er darstellt, so lassen darf, wie man sie täglich antrifft, denn eben, weil er bessern will, würde er seinen Zweck verfehlen, wenn er den höchsten Grad des Guten oder des Schlechten, wenn er Ideale schildern wollte. Die Beschrenktheit der menschlichen Natur zeigt sich vielleicht nirgends so sichtbar als eben hier, sie erlaubt dem Menschen nicht sich bis zum Engel hinauf zu schwingen, noch bis zum Teufel sich hinabzustürzen, und kann nur eine Vergleichung zwischen sich und Menschen anstellen. Unwesen, wie der ältere Moor in den Räubern von Schiller sieht der Mittelschlag von Menschen mit pharisäischer Gleichgültigkeit an, danket Gott, daß er ihn nicht gemacht hat, wie einen von Diesen und findet keine Anwendung keine Brauchbarkeit auf und für sich darin. Das hier aufgestellte Bild der Habsucht ist zu Ehren der Menschheit so sehr ideal so sehr von der Alltagsstrasse entfernt, daß man es bei der Realisierung durch die Darstellung für ein Wesen anderer Art hält, u. es uns nicht einmal den ganzen Abscheu einflößt, den wir bei näherer Annäherung zur gewöhnlichen menschliche Natur nothwendig davor gehegt haben würden. Das nemliche gilt vor dem Ideale der Tugend. Der Weise, der beim Einsturz des krachenden Weltalls ungerührt u. gleichgültig bliebe, könnte sich auf der Bühne keines sonderlichen Beifalls erfreuen. Leidenschaft des Schauspielers erregt Leidenschaft des Zuschauers, Gleichgültigkeit des Schauspielers läßt auch den Zuschauer gleichgültig.‘“ (f. 11hf.) Diese Collage aus Zitaten stammt aus einem 1794 veröffentlichten Aufsatz von Lazarus Bendavid (1762–1832), der in den 1790er Jahren auch philosophische und ästhetische Vorlesungen auf der Universität Wien gehalten hatte. Lazarus Bendavid: „Ueber Caricatur“. In: Deutsche ­Monatsschrift (1794), Zweyter Bd., S. 297f. Bendavid behandelt hier die Frage des Unterschiedes zwischen theatralen und bildenden Künsten. Er stellt die These auf, dass infolge der unterschiedlichen Aufgaben von Theater und bildender Kunst (das Theater will bessern, die bildende Kunst will gefallen) der „redende Künstler“ ebenso wenig positive oder negative Ideale darstellen soll, wie er andererseits die Charaktere nicht so belassen soll, wie er sie im Alltag antrifft.

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Bühne diesbezüglich Vorsicht geübt wurde) – und die Bereitschaft Josephs II., Kritik hinzunehmen, war auch wesentlich Ausdruck des Gefühls seiner eigenen Souveränität. Der regierende Herrscher selbst war aber nie Gegenstand einer direkten Referenz der Bühnenhandlung, das galt schon für Maria Theresia, und diesbezüglich wurden selbst apologetische Allusionen abgelehnt. Dies scheint so klar gewesen zu sein, dass Hägelin kein Wort darüber verliert. Diese völlige Tabuisierung, welche die Person des Herrschers wie die christliche Religion umfasste, mag sich allerdings erst in der Zeit Maria Theresias herausgebildet haben, als sich das höfische Theater alten Stils aufzulösen begann bzw. sich in neuer Form differenzierte. Noch zur Zeit Karls VI., als das „höfische“ Theater noch im exklusiven Kreis funktionierte, war die Person des Herrschers (bzw. seiner Gattin und seiner Kinder) durch Dedikationen und zeitrituelle Bindungen unmittelbarer Referent des dramatischen Geschehens und gelegentlich auch direkter Ansprechpartner des dramatischen Textes, so in La clemenza di Tito von Pietro Metastasio (1698–1782) und Antonio Caldara (1670–1736), in Wien 1734 zum Namenstag Karls VI. aufgeführt – ein Jahr vor Hägelins Geburt. Anders als in der gleichnamigen Oper Mozarts, für die Metastasios Text von Caterino Mazzolà (1745–1806) einer Bearbeitung unterzogen wurde, enthält Caldaras Oper eine Licenza, in der der Herrscher direkt angesprochen wurde – in La clemenza di Tito in besonders raffinierter Form durch den Poeta Cesareo: Ihr werdet Euch in der dargestellten Figur durchaus erkennen, mein Herrscher, aber es war nicht meine Absicht, Euch darzustellen, es ist nicht meine Schuld, wenn Ihr so seid wie Titus, der Milde, um die Worte Metastasios zu paraphrasieren.86 Selbstverständlich war es die Absicht des Dichters, und das war auch dem Herrscher klar. Und die Absicht des kaiserlichen Hofdichters war nicht so harmlos, mutete er dem Bühnenkaiser doch zu, all jenen zu vergeben, die auf seinen Sturz sannen und nach ­seinem Leben trachteten; er legte seinem Titus Gedanken in den Mund wie die Ermunterung zu offener Kritik und Verkündigung von Nachsicht gegenüber ungerechtfertigten Pamphleten, weil solche sich selbst widerlegen würden – ein fast schon josephinisches Zensurprogramm. Mit der Öffentlichkeit des Hoftheaters, welches als exklusives Ereignis sich an speziellen theatralen Spielstätten konzentrierte, verlor sich offensichtlich jene Referenz, die auf dem öffentlichen Theater nunmehr anstößig wurde, in welcher Form auch immer vorgetragen. Auch die Opera seria, bis zur Zeit Karls VI. in Wien genuin höfische Kunstform, verlor in Wien gegen Ende der 1760er Jahre an Bedeutung – erst Leopold II. versuchte sie neu zu beleben. So verschwand von der Opernbühne 86 La clemenza di Tito. Dramma per musica da rappresentarsi nella Cesareo Corte per il nome gloriosissimo della Sacra Cesarea e Cattolica Real Maestà di Carlo  VI, Imperadore de’ Romani sempre augusto, per ­comando della Sacra Cesarea e Cattolica Real Maestà di Elisabetta Cristina, Imperadrice regnante, l’anno MDCCXXXIV. Vienna d’Austria, appresso Giovanni Pietro van Ghelen, stampatore di corte di sua maestà cesarea e cattolica.

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auch weitgehend die Figur des Herrschers – im josephinischen Jahrzehnt erschien er im musikalischen Theater nur selten: in Il re Teodoro in Venezia87 von Giambattista Casti (1724–1803) und Giovanni Paisiello (1740–1816) und in Axur re d’Ormus von ­L orenzo da Ponte (1749–1838) und Antonio Salieri (1750–1825); beide gehören zu den meistgespielten Stücken der damaligen Zeit. Es handelt sich um bemerkenswerte Werke, weil sie einen ganz bestimmten Blick auf die Figur des Herrschers werfen. Im ersten Fall geht es um den ehemaligen König von Korsika, der, nach Venedig geflüchtet, am Ende der Oper im Schuldturm landet. Axur ist eine auf Wunsch ­Josephs  II. von Da Ponte ins Italienische transponierte Oper, beruhend auf der in Paris im Juni 1787 uraufgeführten französischen Oper Tarare von Beaumarchais und Salieri, der für die Wiener Aufführung eine neue Komposition im italienischen Stil vorlegte – die Wiener Uraufführung (8. Januar 1788) fand anlässlich der Hochzeit des späteren Kaisers Franz  II. (1768–1835) mit Elisabeth von Württemberg (1767–1790) statt.88 Der Protagonist des Stückes, König Axur, wird als Herrscher dargestellt, der seine Macht missbraucht, voll der Eifersucht auf den beim Volk beliebten Feldherrn Atar, dessen Gattin Aspasia er entführen lässt. Um eine neuerliche Wahl von Atar zum Feldherrn zu verhindern, versucht der König in Absprache mit dem Hohepriester Priesterbetrug zu üben und dessen Sohn als Feldherrn ausrufen zu lassen – allein der zum göttlichen Künder bestimmte Knabe widersetzt sich den Anweisungen und ruft Atar zum Feldherrn aus, der vom König festgenommen wird, als er versucht, seine Gattin zu retten. Soldaten erheben sich, um Atar zu befreien. Dieser bewirkt durch seine Autorität, dass ein Aufstand nicht zustande kommt; für Axur ist die Niederwerfung des Aufstands durch Atar allerdings Zeichen, dass er seine Autorität verloren hat – er entleibt sich. Atar wird vom Volk zum neuen Herrscher ausgerufen, doch die Ketten, die ihm Axur anlegen ließ, will der neue König zeit­lebens nicht mehr abnehmen. Er verkündet, sie wären Symbol für die verhasste Tyrannei und Zeichen der Verbundenheit mit dem Volk.89 So viel zu publikumswirksamen Repräsentationen von Regenten in der josephinischen Zeit in Opern, die weitaus öfter auf

87 Il re Teodoro in Venezia. Dramma eroicomico. Da rappresentarsi nel teatro di Corte. L’anno 1784. In Vienna. Presso Giuseppe Nob. de Kurzbek. Stampatore di S. M. I. R. 88 Lorenzo da Ponte: Axur re d’Ormus. Dramma tragicomico in cinque atti. Da rappresentarsi nel teatro della Corte. Per le nozze di Sua Altezza Reale l’Arciduca Francesco d’Austria con la Sua Altezza Serenissima Elisabetta Principessa di Würtemberg. L’anno 1788. In Vienna. Presso Giuseppe Nob. de Kurzbek. Stampatore di S. M. I. R. 89 Il re Teodoro, uraufgeführt am 23. August 1784, wurde bis zum Februar 1791 60-mal gespielt, danach allerdings nicht mehr in den Spielplan aufgenommen. Axur wurde im Zeitraum von 1788 bis 1790 50-mal gespielt. Im Unterschied zum Teodoro wurde aber Da Pontes und Salieris Werk, die einstige Hochzeitsoper des nunmehrigen Kaisers Franz  II., 1793 wieder ins Repertoire aufgenommen und bis 1806 gespielt, und zwar in einer revidierten Fassung (Hadamow ­s ky: Die Wiener Hoftheater. Bd. 1, S. 13 und 103).

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die Bühne gebracht wurden als Schauspiele, welche Regenten zu den Protagonisten ihrer Handlung zählten. Was die Darstellung eines Herrschers betrifft, ist, wie auch den Argumentationen Hägelins zu entnehmen, eine deutliche Verschärfung der Beurteilung gegenüber der josephinischen, aber auch gegenüber der theresianischen Zeit eingetreten, obwohl auch zuvor Darstellungen aus der österreichischen Geschichte einer strengen Begutachtung unterlagen. Zwei Dinge scheinen auch für die theresianische und die josephinische Zeit gegolten zu haben. Erstens gab es immer Bedenken, welche Attribute einem Herrscher zugeordnet werden konnten. Entsprechende Argumente finden sich etwa in der Begutachtung der 1779 eingereichten Stücke für das Wiener Burgtheater. So fand es der Schauspieler Brockmann unzulässig, dass ein Autor einen namentlich nicht genannten englischen Herrscher in einem Stück, das der Begutachter ansonsten durchaus schätzte, als „weibischen König“ bezeichnete – doch trotz dieses Einwandes findet sich dieser Begriff im von der Zensur genehmigten Schauspieldruck des betreffenden Dramas, das in den Spielplan des Burgtheaters aufgenommen wurde.90 Im Hinblick auf die Schilderung von nachteiligen Eigenschaften von Herrschern hält sich Hägelin auch unter den jetzigen Zeitumständen eine Hintertüre offen, denn offensichtlich gelten für Regenten, welche nicht dem Erbhause angehören, etwas mildere Beurteilungsrichtlinien, zumal wenn sie im orientalischen oder exotischen Raum agieren. Der Begriff des „Nachtheiligen“ und „Herabwürdigenden“ lässt einigen Ermessensspielraum zu. Zweitens war die Berücksichtigung von außenpolitischen Belangen auch in der Zensur der theresianischen wie der josephinischen Zeit von erheblicher Relevanz, und zeitweise war dafür eine spezifische Kooperation der Zensurkommission oder eines Bücherzensors mit der zuständigen staatlichen Behörde erforderlich, weil bezweifelt wurde, dass die Zensur über die notwendigen Kenntnisse der aktuellen Entwicklungen verfügte. Was diesen Aspekt betrifft, behielt man sich zu bestimmten Zeiten vor, diesbezügliche Entscheidungen der allerhöchsten Instanzen abzuwarten.91 Für Hägelins Zensurpraxis ist die Differenzierung von Allgemeinem und Besonderem ein wesentlicher operativer Punkt, wobei das „Allgemeine“ vor allem in sprachlichen Äußerungen aufgesucht wird: Die Zuschreibung negativer Eigenschaften sollte nie allgemein auf eine ganze Kategorie: Nation, Stand oder Militär bezogen werden, wobei gleichzeitig die Hierarchie ins Spiel kommt, wonach für ­Aus­sagen

90 Siehe dazu das Kapitel „Der weibische König“ (S. 263–265). 91 Siehe dazu das bereits erwähnte Zensurgutachten von Johann Melchior von Birckenstock aus dem Jahre 1797 (Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Kabinettsarchiv, Studienrevisions-Hofkommission 7-4: Über die Frage: Ob die Censurs Leitung in Zukunft mit der StudienOber-Direktion vereinigt, oder davon unter eigenen Praesidio getrennt werden soll?, Dezember 1797).

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über die unteren sozialen Bereiche eine größere Toleranz vorgesehen ist, etwa für nicht-befreundete Staaten, für niedere Stände, für untere Ränge. Die Regeln der Beurteilung scheinen umso strenger, je allgemeiner die Aussage und je höher das jeweilige Bezugsobjekt in der sozialen Hierarchie oder im politischen Netzwerk positioniert ist, wobei bei der zuvor erwähnten Position des Herrschers als höchster sozialer Kategorie bis zu einem gewissen Grad das Allgemeine mit dem Individuellen zusammenfällt. Das eröffnet der Bühne trotz aller Restriktion einen bemerkenswerten Spielraum, da die Handlung und auch deren allgemeiner Sinngehalt über individuelle Personen vorgenommen wird. Als ein Besonderer kann somit ein Mitglied der vornehmen und obersten Stände durchaus als mit Laster, Untugend oder Torheit Behafteter auf die Bühne gebracht werden, nur bei Herrscherfiguren und militärischen Personen gelten nunmehr, unter den veränderten Zeitumständen, strengere Beurteilungsmuster. Das Allgemeine zielt bei Hägelin fast immer auf im Rahmen der Dialoge getätigte Äußerungen. Doch auch bei solchen Aussagesätzen gibt es, wie Hägelin selbst vorschlägt, Fluktuationsmöglichkeiten, ein Graf „so und so“ kann lasterhaft sein, aber auch manche dürfen lasterhaft geheißen werden, jedoch nicht alle Grafen, was zu streichen oder durch eine entsprechend einschränkende Formulierung zu substituieren wäre. Doch ist die Zensurpraxis davon auch abgewichen, und es finden sich in von der Zensur approbierten Textdrucken auch kritische Aussagesätze mit einem hohen Allgemeinheitsgrad, besonders auch dort, wo die Kritik in Metaphern gehüllt ist. Speziell was den Adel als Gegenstand der Bühne betrifft, galten auch in der theresianischen Zeit besondere Aufmerksamkeitsfelder (dies wird im nächsten Kapitel ausführlich abgehandelt), die allerdings auch damals eine breite Auslegung erfuhren. In josephinischer Zeit dürften sich die Zulässigkeitsgrenzen der Konversation über den Adel verflüssigt haben, auch im Kontext der neuen Diskurse, die nunmehr geführt wurden. In dem bereits erwähnten Gutachten von Birckenstock über die Zensur aus dem Jahre 1797 kennzeichnet der Verfasser die 1780er Jahre als eine Zeit, in welcher die Literatur von Spott sowohl gegenüber dem Adel wie gegenüber der Geistlichkeit durchzogen war. Das mag auch, trotz erhöhter zensurieller StrengeKriterien, ein wichtiges Indiz für theatrale Produktionen sein. Als Zeitzeuge des josephinischen Jahrzehnts kann Johann Pezzl (1756–1823) genannt werden, der in seiner Skizze von Wien schreibt, dass der Adel im Theater einer merklich applaudierten Kritik ausgesetzt war, und dies sogar im „Nationaltheater“, was der Autor allerdings nicht sehr goutierte: „Ein Theil des Parterre hat sich an eine niedrige, tükische Unart gewöhnt, die nahe an Ungezogenheit gränzt. Wenn in einem Stüke Ausfälle auf den Adel geschehen, klatschen die Hohlköpfe ihren plebeischen Beyfall dazu. 210

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Man weiß wohl, daß manches adeliche Geschöpf Thorheiten begeht und an sich hat, aber der ganze Stand ist eine ehrwürdige Sache.“92 Und in seinem Kapitel über das Theater in der Leopoldstadt schreibt Pezzl über die Faszination des Kasperl und hebt dabei zwei für diesen Zusammenhang wichtige Attribute hervor: seinen „Stegreifwiz“ und den Hinweis, dass der Erfolg des Theaters sicher so lange bestehen wird, „als es seinen Theater=Dichtern über Personen handgreiflich zu schimpfen erlaubt seyn wird“93. Weitere Sonderbestimmungen galten, wie erwähnt, für das Militär. Konnte ein Adliger wie etwa Don Juan in Marinellis Vorstadtversion ein gewissenloser und hinterhältiger Mörder sein, ein nicht ablassender Frauenverführer, ein Betrüger, ein zynischer Verhöhner jeder väterlichen Autorität, so galt dies für eine militärische Person, deren Standesehre nicht beschmutzt werden durfte, nur in eingeschränktem Maße. Wie das folgende Kapitel zeigen wird, galt der Darstellung des Militärs auch in den 1770er Jahren eine hohe Aufmerksamkeit, und Stücke wurden wegen ihrer brutalen und zynischen Darstellung des Militärs gerügt und abgelehnt. Aber auch hier zeichnen sich in den Leitlinien des Jahres 1794 deutliche Verschärfungen gegenüber den früheren Zeiten ab. Und das Militär scheint nunmehr dezidiert das Theater beobachtet und so etwas wie ‚geistige Landesverteidigung‘ am Theater betrieben zu haben. In diesem fast schon strategisch gedachten Zusammenhang mögen auch alte beliebte Militärthemen der früheren Zeit obsolet geworden sein, wie das vielfältig behandelte Thema des Deserteurs, der aus einem Rollenkonflikt heraus handelt, oder das Thema der „Insubordination“.

SELBSTMORD AUF DER BÜHNE Im Kapitel „Gebrechen des Stoffes in politischer Hinsicht, oder wider den Staat“ kommt Hägelin auch auf das Thema des Selbstmordes zu sprechen, welches weiters im Kapitel „Reinigkeit des Dialogs in Absicht auf die Religion“ thematisiert wird. Auch hier verweist er zunächst auf die Bühnenpraxis, auf den Tatbestand, dass Selbstmord ein häufiges Thema auf dem Theater sei. Bezieht man alle in seiner Schrift zum Thema Selbstmord formulierten Aussagen ein, so fällt auf, dass er sich bei seiner Argumentation in viele Widersprüche verwickelt. Zunächst hält er, wie bereits erwähnt, dieses Thema auf der Bühne für zulässig, wenn der Selbstmord als Folge von Lastern auftritt – in diesem Falle wäre er belehrend. Dies ist eine höchst 92 Johann Pezzl: Skizze von Wien. Zweytes Heft. Wien und Leipzig. In der Kraussischen Buchhandlung. 1786, S. 244. 93 Johann Pezzl: Skizze von Wien. Fünftes Heft. Wien und Leipzig. In der Kraussischen Buchhandlung. 1788, S. 796 und 799.

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ambivalente Argumentation, weil hier Selbstmord gleichsam als eine ‚legitime‘ Form der (Selbst-)Bestrafung angesehen, per se aber als höchst unmoralisch qualifiziert wird. Diese Doppelfunktion des Selbstmordes auf der Bühne erfordert aus zensurieller Perspektive gleichsam ein förmliches Procedere des ‚unanstößigen‘ Selbstmordes. Grundsätzlich gelte, so Hägelin, dass ein Selbstmord auf der Bühne nie zur Nachahmung anregen oder dort eine Legitimation erfahren dürfe, eine Legitimation, die Hägelin als Theatralzensor allerdings indirekt bereits gegeben hat. Der erstrebenswerte szenische Effekt wäre, „Abscheu“ zu erregen; daher müsse alles vermieden werden, was Mitleid mit dem Selbstmörder erregen könnte: „Noch anstößiger wird die Sache, wenn solche Selbstmörder wie reuige Büßer ordentliche Gebete anstimmen von Gott Barmherzigkeit erflehen und solche sicher hoffen dadurch aber beim Zuschauer Mittleid statt des Abscheus erregen. Wenn ein Selbstmord wirklich geschieht so können andere durch diesen Zufall etwa gerührte Personen nicht sagen, daß sie den Himmel für seine Seelenruhe bitten und um Barmherzigkeit flehen wollen. Dieses kann ohne Anstoß nicht geschehen, wenn nicht ausdrücklich vorkömmt, daß der Entleibte noch einige Minuten gelebt, seinen Fehler eingesehen und bereut habe.“94 Wie es den Selbstmördern verwehrt ist, Gebete anzustimmen, so dürfen sie auch nicht an der Unsterblichkeit der Seele zweifeln, eine argumentative Gratwanderung. Doch diese Art von Selbstmorden, als „Bestrafung“ für ein lasterreiches Leben, wie von Hägelin beim Thema der Moral eines Stückes exemplarisch vorgeführt, nimmt nur einen Teilbereich der Bühnen-Selbstmorde ein. Speziell in der Bühnenliteratur der 1770er Jahre haben wir es mit anderen Konstellationen zu tun, etwa den Selbstmorden aus Liebesqual oder den Selbstmorden von Frauen, welche ihre Tugend gegenüber den Angriffen meist hochrangiger Vertreter der Gesellschaft bewahren wollen. Auf solche ihm als Theaterzensor vertrauten Fälle geht Hägelin kaum ein, wohl aber auf die Selbstmorde „großer Römer und Griechen“, wobei er sich allerdings mit einem lapidaren Satz begnügt: „Von den Selbstmorden großer Römer und Griechen, die die Schande und das Unglück ihres Vaterlandes nicht überleben oder gegen ihr Vaterland nicht streiten wollten ist hier keine Rede.“95 94 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Ange­ legenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 17v. 95 Ebenda, f. 17vf.

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Hier thematisiert er den heroischen Selbstmord, für den offensichtlich nicht die zuvor genannten ‚rituellen‘ Bedingungen gelten und der offensichtlich auch nicht „Abscheu“ erzeugt. An ganz anderer Stelle, an welcher Hägelin über Darstellungsformen der Bestrafung des Lasters schreibt, führt er eine Selbstmordvariante an, bei der höchste Bestrafung und höchster Heroismus zusammenfallen: „Die Bestrafung besteht aber nicht blos in körperlichen Züchtigungen, sondern auch manchmal in dem öffentlichen Hasse oder Verachtung, wie im Fanatismus v. Voltaire. Auf eben diese Art wird Graf Ottomann in der Ottilie von Brandes bestraft. Die betrogene Ottilie ergreift aus Verzweiflung den Dolch, setzt ihn Ottomann an die Brust, mit dem Bedeuten, daß sie ihn in dessen Blut tauchen würde, wenn er nicht zu schlecht wäre, sie ersticht sich daher selbst, und Ottomann steht hier so verächtlich da, daß jedes Frauenzimmer, das nach diesem Spectakel eine Mannsperson träfe, die Ottomann gliche die Lust anwandeln könnte, ihn ins Gesicht zu speien.“96 Hier wird der Selbstmord vom Zensor als äußerst lehrhaftes Muster angepriesen: als ‚legitime‘ Opferhandlung der Frau, um den Mann zu beschämen, als Selbstmord der Frau als Erziehungsmittel für Männer und Frauen. Ob auch für diese Heroine die von Hägelin zuvor aufgestellte Liturgie des Selbstmordes gilt, lässt uns der Zensor nicht wissen. Darüber hinaus irrt Hägelin hier. In Johann Christian Brandes’ fünf­ aktigem Trauerspiel Ottilie97, dem Drama einer ‚wilden Ehe‘, aufgeführt am Wiener Burgtheater im Jahre 178098, verübt die Protagonistin zwar Selbstmord, allerdings erst, nachdem sie zuvor das Messer auch in die Brust des treulosen Geliebten gestoßen hatte.99 Dies ist eine Abänderung gegenüber einer vorherigen Bühnenvariante, in welcher die Protagonistin einen anderen Tod findet: sie trinkt unabsichtlich Gift aus einem Becher, welchen die Freundin einer Rivalin für sie bereitgestellt hatte – in dieser Version bleibt Graf Ottomar, wie der Verführer und Betrüger in oben genanntem Trauerspiel heißt, am Leben. Dieses Stück, vom Zensor zugelassen, enthält einiges, was nach Hägelins späteren Instruktionen nicht auf der Bühne stattfinden sollte: es wurde nach der ersten Vorstellung abgesetzt – ich werde darauf im Kapitel „Ottilie. Zensur des Zensors?“ (S. 310f.) zurückkommen.

96 Ebenda, f. 4vf. 97 Johann Christian Brandes: Ottilie. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Aufgeführt im k. k. Nationaltheater. Wien, zu finden beym Logenmeister, 1780. 98 Hadamowsky: Die Wiener Hoftheater. Bd. 1, S. 95. 99 Johann Christian Brandes: Ottilie. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Verfertiget im Jahre 1779, s. l.

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GEBRECHEN DES STOFFES WIDER DIE RELIGION Einen Grenzfall stellt, wie bereits erwähnt, das Thema der Religion auf der Bühne dar. Im Prinzip galt die Weisung, dass die christliche Religion kein Gegenstand einer Bühnenhandlung sein könne. Die Religion, so Hägelin, wäre zu erhaben, um auf der profanen Bühne, insbesondere dem Feld der Komödie, behandelt zu werden.100 Dieser Grundsatz galt sehr umfassend: es durften keine Redensarten und Gebräuche auf die Bühne gebracht werden, die einem Ritual der christlichen Religion entsprangen oder von denen angenommen wurde, dass sie eine Anspielung auf ein solches sein könnten. Es durften, wie bereits erwähnt, keine Personen auf der Bühne erscheinen, welche die Rolle eines geistlichen Amtes innehatten – vom Papst über den Bischof und Priester hin zu Ordensbrüdern und Ordensschwestern, ja, selbst der Name eines solchen Amtes sollte in der Bühnensprache nicht oder zumindest nur in verschobener Form verwendet werden. Das inkludierte auch eine Abkehr von den barocken Traditionen der kirchlich-szenischen Spiele, die etwa auf dreigeteilter Bühne Hölle, Himmel und Erde in Szene setzten. Die Praxis szenischer Repräsentationen religiöser Themen hatte schon unter Karl VI. am Hof sukzessive ein Ende gefunden, der die Behandlung solcher Themen dem nicht szenisch realisierten Oratorium vorbehielt, welches das ganze 18. Jahrhundert hindurch gepflegt wurde.101 Das Theater wurde auch in der zeitlich-sozialen Ordnung ganz eindeutig den profanen Tagen zugerechnet, und es war – wie bereits erwähnt – untersagt, an den sogenannten Norma-­ Tagen, und das waren nicht wenige, theatrale Veranstaltungen zu geben, was auf Oratorien, später auch auf musikalische Akademien nicht zutraf. Weiters gab es bestimmte Ausnahmen für Stücke, welche den Anschein erwecken konnten, auch an Norma-Tagen nicht unpassend zu sein. Es war eine strukturell-kulturell-temporale Ausdifferenzierung, die neben dem generellen Aufführungsverbot an besagten ­Tagen auch den Modus der Zensur betraf, den Hägelin hier festschreibt. Doch neben der prinzipiellen Erhabenheit der christlichen, speziell der katholischen Religion, welche sie per se als Gegenstand des (profanen) Theaters ausschloss, führt Hägelin eine weitere Argumentation ein und relativ extensiv aus, als wollte er sie zu einer Hauptargumentation machen:

100 „Ueberhaupt können die Religion und religiöse Gegenstände nie ein Stoff theatralischer Vorstellungen werden. Die Religion ist zu erhaben und zu ehrwürdig als daß sie durch das profane besonders das komische Theater abgewürdiget werden dürfte.“ Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Angelegenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 5h. 101 Hadamowsky: Wien. Theatergeschichte, S. 157.

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„Die Religion wirkt vorzüglich durch übernatürliche Mittel, das Theater aber kann die seinige nur aus natürlichen Quellen schöpfen, die in unsern natürlichen Fähigkeiten und Kräften liegen. Das Theater stellt natürliche Menschen aus dem gesellschaftlichen Leben und natürliche durch die Kunst bearbeitete Begebenheiten vor, um […] Tugenden aller Art zu befördern und vom Laster abzuschneiden, wozu die Beweggründe aus dem guten Beispiele der tugendhaften und die Abscheidungsgründe von dem Schandflecke der Lasterhaften an sich selbst und aus der politischen Verfassung hergenommen werden. Die Personen, die auf dem Theater vorgestellt werden, müssen mit ihren Schwachheiten und Thorheiten und mit ihren Tugenden, zu welchen sie sich unter dem Kampfe mit den ersteren emporschwingen, vorgestellt werden, damit der Zuschauer aus den guten und bösen Folgen, die aus ­Tugend oder Laster entstehen sich bessern kann. Wenn Personen auf das Theater gebracht würden, die durch übernatürliche Gnadenmittel gestärkt, keine Fehler oder Schwachheiten begehen möchten, so würden diese die Zuschauer, die sich in dem Falle gedachter Personen nie befinden, nicht interessieren; die Theilname [sic] an dem Schicksale eines anderen fordert, daß wir ähnliche Beschaffenheiten mit den vorgestellten Personen haben, daß wir uns vorstellen können, in ähnliche Umstände derselben verfallen zu können, wo dieses nicht ist, hört alle Theilname [sic], folglich auch der Zweck der dramatischen Vorstellung auf, indem wir uns an dem Vorgestellten nicht spiegeln können, weil es uns nicht rühren noch das Beispiel in unsern Willen treten kann.“102 Dies ist eine im weitesten Sinne bemerkenswerte Argumentation, die von der anfänglichen Begründung der Erhabenheit wegführt. Fast erinnert Hägelins Ausführung an Argumente Sonnenfels’ gegen die Tragödie, der ebenfalls zu argumentieren versucht, dass die abgehobenen Schicksale der Tragödien-Protagonisten beim Zuschauer keine Identifikation zu erzeugen vermögen und daher auch keine Wirkungen auf ihre Handlungen auszuüben imstande wären. Jenseits des Themas der Erhabenheit religiöser Inhalte propagiert Hägelin eine repräsentative Welt auf der Bühne, welche sich nur aus säkular nachvollziehbaren Motivationen und Handlungssequenzen speist. Er bietet – unter dem Aspekt des Schutzes der Religion – eine Begründung für die Unmöglichkeit der Darstellung einer Handlung an, welche durch unnatürliche Mittel bewirkt wird. Doch gleichzeitig verfehlt er mit seiner Argumentation auch die Bühnenwirklichkeit, denn dasjenige, was er in der Folge in seiner 102 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Ange­ legenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 6vf.

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zensuriellen Praxis ausscheiden respektive verbieten wird, sind in der Regel keine Handlungen von Personen, die gestärkt durch übernatürliche Gnadenmittel ihren Weg gehen, es sind ganz natürliche Personen, die etwa eine geistliche Profession gewählt haben, es sind Personen, die als Frömmler ihre Umwelt terrorisieren, es sind Personen, die an den Anforderungen und Zumutungen der religiösen Institutionen zugrunde gehen. Hägelin versucht in weiterer Folge eine Differenzierung vorzunehmen, indem er indirekt zwischen Religion und Historie unterscheidet, was er letztlich weder in dieser Schrift noch in seiner Zensurpraxis durchhält. So wären gemäß seiner Argumentation Bibelstoffe des Alten Testaments aufführbar, sofern sie sich nur auf die politische Geschichte des jüdischen Volkes beziehen. Er nennt hier eines der wenigen geistlichen Damen von Jean Racine: Athalie. Aus der christlichen Geschichte nennt er ein Werk von Pierre Corneille, Polyeucte, ein Märtyrer-Drama, welches in Wien auch in deutscher Übersetzung gespielt wurde: „allein es geht alles natürlich darin zu“103. Doch im Grunde wäre „zu beobachten, daß keine Gegenstände auf das Theater gebracht werden dürfen, die lediglich und unmittelbar die Religion betreffen. Auch keine solche, die auf die christliche, besonders aber die katholische Religion eine Beziehung haben, ihre Gebräuche, Ceremonien, Geheimnisse, Lehren, oder rezipierte Meinungen antasten oder darauf anzielen und ein nachtheiliges Licht darauf werfen könnten.“104 Dann folgt die Verfügung, dass keine Amtsträger einer christlichen Kirche zu den handelnden Personen eines Stückes zählen dürften. Doch könnten Funktionsträger der „türkischen“ und heidnischen Religion auf die Bühne gebracht werden, sofern in der dargestellten Handlung keine Analogien zur christlichen Religion erkennbar wären. Auch sei es gestattet, Mönche auf die Bühne zu bringen, wenn sie nur als solche verkleidet seien, weiters Eremiten und Einsiedler, sofern sie in eine ernsthafte Handlung eingebunden seien und keine identifizierbaren christlichen Gegenstände benutzten oder identifizierbare Ordensgewänder trügen. Dann rekurriert Hägelin auf die christlichen Laien: „Betbrüder oder Betschwestern“105 dürften nie auf der Bühne erscheinen, „überhaupt religiöse Christen können als durchgeführte Haupt-

103 Ebenda, f. 6h. 104 Ebenda. 105 Als Beispiel nennt Hägelin das 1745 im Druck erschienene Lustspiel Die Betschwester von Christian Fürchtegott Gellert (1715–1769), das seiner Aussage nach auch auf keinem protestantischen Theater gespielt werden durfte.

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karactere in keinem Falle aufs Theater gebracht werden“106. Zulässig seien allerdings frömmelnde Tanten, wenn sie keine Betbücher mit sich führten oder sonstige „auffallende Andachtsübungen“107 vollzögen. Weiters könne kein Stück aufgeführt werden, welches die „christliche Toleranz“108 oder „überhaupt die Gleichgültigkeit der verschiedenen Gottesdienste“109 beträfe. Desgleichen gilt für alle Diskussionen über die Rechte des römischen Hofes und der Kirche. Auch Atheisten, Freidenker, Deisten, Ketzer können nicht auf die Bühne gebracht werden, „wenn sie nemlich ihre Meinung zum Gegenstande ihrer Handlungen machen“110. Auch der Tadel „wider die Ausbreitung der christlichen Religion durch Waffen und Verfolgungen“ kann kein Thema der Bühne sein, „daher sind die Stücke die von Kreuzzügen handeln, und diese Tadelsucht enthalten, wol [sic] in Acht zu nehmen.“111 Was die Ausschließung der Religion als Thema betrifft, haben diese Grundprinzipien, soweit wir auch aus anderen Quellen ersehen können, auch in der theresianischen und der josephinischen Zeit gegolten. Aber im Hinblick auf das Thema der „Toleranz“ gab es in Wien zu Beginn der Alleinregierung Josephs II. auch eine Entwicklung, in welcher Hägelin ein Stück am Burgtheater zuließ, welches dieses ­Thema in sehr drastischer und eindringlicher Weise behandelt. Gemeint ist das Eröffnungsstück des Burgtheaters in der neuen josephinischen Ära nach der Trauerzeit anlässlich des Todes von Maria Theresia, welches wahrscheinlich nicht ohne ausdrückliche Zustimmung des Kaisers gespielt wurde: das christliche Trauerspiel Irene von Cornelius von Ayrenhoff (1733–1819)112. Schon die Gattungsbezeichnung „christliches Trauerspiel“ ist im Hinblick auf Hägelins Ausführungen zur Religion irritierend. Das Stück spielt kurz vor der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen. Die christliche Tragik dieses Stückes ergibt sich nicht – wie im Polyeucte von Pierre Corneille – aus einem Märtyrertum, das in Bekenntnis des christlichen Glaubens auf sich genommen wird, die Tragik erwächst vielmehr aus der Intoleranz des christlichen Vaters der Protagonistin.

106 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Ange­ legenheiten der Theaterzensur, ÖNB Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 7h. 107 Ebenda. 108 Ebenda. 109 Ebenda, f. 7hf. 110 Ebenda, f. 8v. 111 Ebenda. 112 Cornelius von Ayrenhoff: Irene. Ein christliches Trauerspiel in drey Aufzügen. Wien: zu finden beym Logenmeister 1781.

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GEBRECHEN DES DIALOGS. ZUR ,MAGISCHEN‘ TR ANSPONIBILITÄT ZENSURIELLER LOGIK In drei eigenen Kapiteln setzt sich Hägelin mit den „Gebrechen“ des Dialogs auseinander. Der Zensor geht dabei nicht nur auf die Frage ein, welche Sprachwendungen auf der Bühne unzulässig sind, sondern er eröffnet auch einen weiten Bereich von sprachlichen Operationen, die ein als ‚obszön‘ eingestuftes Wort durch Substitution und Tansponierung auf der Bühne sagbar machen, eine Operation, durch welche der ‚obszöne Gegenstand‘ auf einer gleichsam abstrakteren Ebene aufgehoben wird. Die üblichen Zweideutigkeiten und Anspielungen befassen Hägelin zwar auch, doch treten sie gegenüber den zuvor genannten Operationen in den Hintergrund. Im Kontext der Religion geht es Hägelin um eine weitgehende Auslöschung aller Spuren, die explizit auf einen christlichen Kontext verweisen; er ist bestrebt, nur solche religiös konnotierten Begriffe zuzulassen, welche keine rein christliche oder gegebenenfalls überhaupt keine eindeutige religiöse Konnotation aufweisen. So dürfe der Dialog keine Ausdrücke, Redensarten oder Wörter beinhalten, die biblischer oder katechetischer Herkunft sind.113 Dazu zählen Worte der Heiligen Schrift und darauf bezogene Gleichnisreden. Im Falle solcher Gleichnisreden bietet Hägelin diverse verbale Substitute an: statt „alt wie Methusalem“114 könne es heißen: „alt wie Nestor“115, statt „weise wie Salomon“116 „weise wie Solon“.117 Statt „Er ist fett wie ein Domprobst“118 könnte man sagen: Er ist fett „wie ein reicher Pächter.“119 Bezogen auf diesen Kontext heißt dies, dass alle aus christlichem Kontext stammenden Bezeichnungen durch Namen aus einem griechisch-antiken Kontext oder durch Worte aus einem jenseits der Religion gelegenen Sinnkontext substituiert werden. Weiters müssten alle Wörter vermieden werden, die auf ein geistliches Amt verweisen: „Papst, Bischof, Probst, Abt, Pfarrer, Pastor, Priester, Prediger“120. Doch räumt Hägelin ein, dass es gelegentlich schwierig sei, auf dergleichen Worte im Kontext der Handlung völlig zu verzichten. In solchen Fällen sollten unverfänglichere Substitute gefunden werden: statt „Pastor“ wäre „Magister“121 zu sagen, was auch bei 113 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Angelegenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 14h. 114 Ebenda. 115 Ebenda. 116 Ebenda. 117 Ebenda. 118 Ebenda. 119 Ebenda. 120 Ebenda. 121 Ebenda.

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den Protestanten, wie er meint, durchaus üblich wäre, jedoch nicht so geistlich klinge, „wenn es durch Küster etwa nicht abgethan werden kann.“122 Statt Abt und Äbtissin könnte man „Stiftvorsteher“123, „Stiftoberin“124 sagen, statt Beichtvater „Ge­ wissensrath“125, statt „Te Deum laudamus singen“126 „Loblieder singen“127. Und ­Hägelin hält sich selbst in dieser Schrift, auch wenn es nicht um Bühnensprache geht, an diese eigene Weisung: so wird er später nicht vom Beichtvater Maria Theresias sprechen, sondern von deren Gewissensrath, vielleicht auch kein Zufall, nimmt er diesen doch vorwiegend negativ in theatralem Kontext wahr. Das Wort „heilig“ sei nur zu dulden, wenn von Pflichten die Rede sei.128 Das Wort „Heiliger“ wäre hingegen völlig zu meiden, könne aber durch „Verklärter“129 ersetzt werden. Das Wort „heilig“ könne auch in „fromm“ verwandelt werden, was aber noch immer problematisch sei, „weil das Wort fromm auch religiös klingt“130, sodass man statt „frommer Person“ eher „Tugendspiegel“131 sagen sollte. Ebensowenig sollte das Wort „Schutzengel“ auf der Bühne Verwendung finden, stattdessen empfiehlt Hägelin das Wort „Schutzgeist“132. Das Wort „Himmel“ ließe sich dagegen nicht ganz vermeiden, da es auch ohne expliziten religiösen Kontext verwendet würde; der Begriff sollte jedoch vermieden werden, wenn von „sinnlichen Freuden“133 die Rede ist, dann könnte man „Himmel“ durch „irdisches Paradies“134 ersetzen. Doch plädiert Hägelin auch bei Stellen für eine Ersetzung bzw. Abänderung, bei denen man nach dem vorher Gesagten annehmen müsste, dass sie auf der Bühne überhaupt nicht gesprochen werden sollten. Er bezieht sich dabei auf theatrale Praktiken, in welchen solche Formulierungen des Öfteren vorkommen und wo er sich offensichtlich auch nicht genötigt sieht, diese völlig zu eliminieren, z. B. jene Stellen, „wo leidende Personen an der Vorsehung oder an der Barmherzigkeit Gottes zweifeln.“135 Diesbezüglich müsste die Zensur die Härte dieser Anklage mildern oder sie von der handelnden Person selbst oder einer anderen wieder zurücknehmen lassen. 122 Ebenda, f. 15v. 123 Ebenda. 124 Ebenda. 125 Ebenda. 126 Ebenda. 127 Ebenda. 128 Ebenda. 129 Ebenda. 130 Ebenda. 131 Ebenda. 132 Ebenda. 133 Ebenda. 134 Ebenda. 135 Ebenda.

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Was die Eheschließung betrifft, so wäre diese bereits auf dem französischen Theater immer nur von Notaren vorgenommen worden, nie sei dort von einer „Copulation“136 oder „priesterlichen Einsegnung“137 die Rede gewesen. Von dieser „Strenge“ wäre jedoch in Deutschland abgegangen worden, da „die meisten und geschicktesten dramat. Geschichtsschreiber und Schriftsteller“138 Protestanten (welche die Ehe nicht für ein Sakrament hielten) seien, dadurch seien auf das Theater Ausdrücke wie „Trauung“139, „Trauen“140, „die Braut zum Altar führen“141 gelangt, die in der Folge auch „ohne Anstoß“ in Theatern in katholischen Gegenden gesprochen worden seien. Doch trotz dieser Infiltrationsprozesse wären Formulierungen wie „priesterliche Einsegnung“ oder „das Band knüpfen durch den Priester“ als nach wie vor unzulässig einzustufen und wären unter seiner Zensorschaft auch nicht „passirt“ worden. Stattdessen könne man sagen: „das unauflösliche Band knüpfen, antrauen, die Trauung vornehmen, gesetzmäßig verbinden“142. Auch das katechetische Wort „Sünde“ könne auf der Bühne „nicht leicht“143 gestattet werden, stattdessen solle man „Missethat, Verbrechen Frevel, Fehler Fehl­ tritt“144 verwenden, es sei denn, es handelte sich um eine allgemein zulässige profane Redewendung wie: „es ist Sünde und Schade, daß etc.“145. Doch dürfe das ebenfalls profane Wort „alter Sündenbock“146, welches per se eklig wäre, nicht verwendet werden; stattdessen wäre zu sagen: „alter Bösewicht, Geck, Wildhopf, Graubart.“147 Es fällt nicht leicht, hier ein Beispiel Hägelins auszusparen, da die spezifische Art der verbalen Transformation nur schwer in vergleichbarem Abstraktheitsgrad dargestellt werden kann. Es ist ein Akt radikaler verbaler ‚Entrümpelung‘ der Sprache vom christlichen Sprachgebrauch, eine Entrümpelung für die profane Bühne, welche die säkularisierte profane Welt repräsentiert, somit gleichsam auch ein Akt funktioneller Ausdifferenzierung der Gesellschaft. Nach Hägelins ausführlicher Liste verbaler Verschiebungen im Religiösen fallen die diesbezüglichen Ausführungen zu den „Gebrechen des Dialogs in Absicht auf den Staat“ sehr knapp aus.

136 Ebenda, f. 16v. 137 Ebenda. 138 Ebenda. 139 Ebenda. 140 Ebenda. 141 Ebenda. 142 Ebenda, f. 16h. 143 Ebenda, f. 17h. 144 Ebenda. 145 Ebenda, f. 18v. 146 Ebenda. 147 Ebenda.

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„Dieser Artikel ist leicht zu beurtheilen, indem man auf nichts zu sehen hat, als daß Regenten, Obrigkeiten, ganze Stände besonders die höhern und bestehende Gesetze durch gemeine Ausfälle nicht angetastet satyrisiert oder lächerlich gemacht werden.“148 Ausdrücke wie Tyrannei, Despotismus, Unterdrückung der Untergebenen müssten auf dem Theater so viel als möglich vermieden werden.149 Und abschließend gibt Hägelin ein Beispiel: „z. B. es kam in einem Stücke vor daß Aberglauben und Despotismus jemanden zu einem Schritte geleitet hätten; dafür wurde gesagt: Irrwahn und willkürliche Gewalt etc. und die Stelle verlor dadurch das Auffallende.“150 Kommen Ausdrücke mit Beziehung auf Stände vor, die Tadel beinhalten, so ist darauf zu achten, „daß der Tadel nicht allgemein sei“151. Dies wäre aber oft durch Milderung zu beheben, wenn anstelle allgemeiner Kritik gesagt würde, daß dieses oder jenes manchmal oder oft von Leuten dieses oder jenes Standes geschehe oder daß einige oder manche dieses oder jenes Vorurteil hätten.152 Für das „unerschöpfliche“ Kapitel „Gebrechen des Dialogs wider die Sitten“ hält Hägelin folgende Grundüberlegung bereit: Der Zensor möge darauf achten, ob das auf der Bühne Gesagte im Hinblick auf eine mögliche Anstößigkeit auch in der „Konversation“ und somit auch im Theater gesagt werden könne: „Was also in einer solchen Gesellschaft ohne Anstoß gesagt werden kann, der Gegenstand sei, welcher er wolle, dieses kann auch auf dem Theater gesagt werden.“153 Dadurch verstünde sich, dass alle schmutzigen Ausdrücke, Zoten und Zweideutigkeiten, „vor denen die Ehrbarkeit erröthen muß“154, vermieden werden müssten – dass ein Zensor jedoch alle Redewendungen und deren Bedeutungen in unterschiedlichen sozialen Kontexten und Milieus kennen könne, davon geht Hägelin nicht aus. „Es ist bekannt, daß man in einer gesitteten Gesellschaft nicht alle Gegenstände, besonders die wollüstigen oder die schmutzigen bei ihrem wahren Namen zu nennen pflegt, sondern die Sache so ausdrückt, daß keusche und gesittete Ohren nicht beleidigt werden.“155 148 Ebenda. 149 Ebenda, f. 18vf. 150 Ebenda, f. 18h. 151 Ebenda, f. 18v. 152 Ebenda. 153 Ebenda, f. 18h. 154 Ebenda. 155 Ebenda, f. 19v.

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Zweideutigkeiten können nicht nur im Text an und für sich liegen, sondern auch in der Ausführung oder, wenn vorgesehen, in der musikalischen Gestaltung – und ­Hägelin bringt hier ein Beispiel aus dem Bereich des deutschen Singspiels. In seinem ausführlichen Text ist es das einzige Beispiel, wo er der Frage nachgeht, wie eine bestimmte Aufführungspraxis Zweideutigkeit herstellen könne; „z. B. in der schönen Schusterin156 heißt es: sie ist so vermeßen und lässt sich die Schuhe anmessen. In der Musik wurden die Worte, und läßt sich und läßt sich wiederholt und erst nach einer Pause folgten die Worte: die Schuhe anmessen. Das Repetiren und die Pause machten also den Text zweideutig“157. Es wäre jedoch ebenso vermessen, von diesem einzigen Beispiel ausgehend anzunehmen, Hägelin hätte bei allen Singspielen eine derartige Analyse vorgenommen oder wäre bei jeder Schauspielaufführung anwesend gewesen. Von einer für den Zensor verpflichtenden Bühnenkontrolle ist auch in der Folge nicht die Rede: „Die Censur kann also nebst dem Wegstreichen in dem Texte der Stücke selbst nichts anderes thun, als der Schauspielergesellschaft den Unfug verbieten und wo sie die Mittel in Handen hat, ihn wenn er geschieht, zu ahnden; besonders wo der Censor selbst im Spectakel oder bei der ersten Vorstellung gegenwärtig sein kann“.158 Und nun bringt Hägelin, wiederum unter Verweis auf die Konversation, einige Beispiele, wie anstößige Gegenstände, vor allem „wollüstige“ und „schmutzige“, in eine Form transponiert werden können, dass auch keusche Ohren sie anhören könnten, ohne beleidigt zu werden. Auch hier beginnt er beim Wort „Ehebruch“: stattdessen könne „eheliche Treulosigkeit, Treubruch, Untreue“159 gesagt werden; grundsätzlich bereite es weniger Probleme, diesen Begriff in der Tragödie zu verwenden. Statt Verwendung der Formulierungen „Hörner tragen, aufsetzen“ könne „den Mann betrügen, die Treue verletzen“160 gesagt werden. „Wollust, Wollüstling, Weichling“ wäre durch Wörter wie „Uepigkeit“161 zu ersetzen. Auch von einer „heimlichen Krankheit“ geschwächter Menschen dürfe nie die Rede sein, dafür müssten gelindere Begriffe gefunden werden. Ebenso seien die Wörter „Begierlichkeit Geilheit, gei156 Die Pücefarbenen Schuhe oder Die schöne Schusterin, Singspiel in zwei Akten. Text: Johann Gottlieb Stephanie der Jüngere, Musik: Ignaz Umlauf. Uraufgeführt am Wiener Burgtheater am 22. Juni 1779. 157 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Ange­ legenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 19v. 158 Ebenda. 159 Ebenda. 160 Ebenda. 161 Ebenda, f. 19h.

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le Begierden“162 verpönt, je nach Umständen könne man stattdessen „sträfliche Wünsche und Absichten“163 setzen. Kastrat könne durch Sopranist, Verschnittener durch Haremswächter ersetzt werden. Statt „Kuppler und Kupplerin“ kann „Zubringer, Zubringerin oder auch Mäckler“164 verwendet werden. Und Hägelin betont nochmals, dass alle Wörter, die sinnliche Laster bezeichnen, in Trauerspielen „nie so auffallen“ wie in Komödien, weil sie in Trägödien wie auch in den Kanzelreden, wo die Laster auch beim Namen genannt werden, stets in einem ernsten Tone gesagt würden. Als Ersatz für die Ausdrücke „Maitresse, Hure“, welche auf der Bühne nie gesagt werden könnten, entwickelt er ein ziemlich großes Arsenal: „Dirne, Buhldirne, Kreatur, feile Kreatur, Geliebte, Favoritin auch Dulcinea amorosa […], je nachdem ob es in einem gehäßigen oder eben ungehäßigen Tone vorgebracht werden soll“.165 Das Wort „probieren“, wenn von der Liebe die Rede ist, sei nicht zu gestatten, „wir wollen es wagen“166 könnte anstelle von „wir wollen es probieren“167 verwendet werden. Was weibliche Reize betrifft, sollen die „geheimen Reitze und der schwellende Busen“168 ausgelassen werden, bei Männern aber sind die „Waden“169, „die breiten Schultern“170 wenn schon nicht zu untersagen, so dennoch „in Acht zu nehmen“171. Ebenso wären alle Ausdrücke aus der Artillerie, Belagerungskunst und Schießkunst in Liebesangelegenheiten einer Untersuchung zu unterziehen, und statt „die Festung belagern bestürmen“172 solle man eher sagen: „das Herz belagern bestürmen“173. Bedenklich seien auch bestimmte Begriffe aus der Jägerei wie: das „zahme Wildpret“174 erlegen, und es sei weiterhin darauf zu achten, dass gewisse Tierbezeichnungen mehrdeutig wären, wie „Vögerl, Luchs“175, wo man stattdessen „Fink, Fuchs“176 ­sagen könnte. Hägelin beklagt, dass eine diesbezügliche Aufzählung ins Unermessliche gehen könnte, und verwendet dafür ein sehr plastisches Bild: ein Zensor wird sich, selbst wenn er „hunderttausend Sottisen“ verhindert hätte, kein Verdienst erwerben, wäh-

162 Ebenda. 163 Ebenda. 164 Ebenda. 165 Ebenda, f. 20v. 166 Ebenda. 167 Ebenda. 168 Ebenda. 169 Ebenda. 170 Ebenda. 171 Ebenda. 172 Ebenda, f. 20h. 173 Ebenda. 174 Ebenda. 175 Ebenda. 176 Ebenda.

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rend ihm „jeder gemißbrauchte Ausdruck Verdruß zuzieht.“177 Im Hinblick auf die auch von ihm konstatierte Zunahme an Zweideutigkeiten bezieht sich Hägelin auf Rousseau: „Es hat schon Rousseau angemerkt, daß je mehr die Verfeinerung der Welt zunimmt, und das Verderbniß der Sitten einreißt, desto mehr die Wörter der Sprache zweideutig werden. Es ist auch ganz natürlich, weil es in solchen Zeiten mehr Menschen mit unmoralischen Erfahrungen und einer verdorbenen Imagination gibt, die Beziehungen auf ihre Erfahrungen machen können, und dazu geneigt sind, als in Zeiten, wo Einfalt der Sitte herrschte. Es giebt schon alte Kirchenlieder, die dermal Zweideutigkeiten enthalten; Für gar Alles kann man selten Bürge sein.“178 Es besteht kein Zweifel, dass Hägelin sein eigenes Zeitalter nicht als eines bezeichnet, in dem Einfalt der Sitten herrsche, ganz im Gegenteil; es ist eines der „Modephilosophie“, welche potentiell die Distinktionen des Moralischen auflöse, und das Theater wäre eines der Hauptvehikel. Doch würde der Zensor, um Hägelin zu paraphrasieren, das Superhirn einer verderbten Natur sein, wenn er jedwede Äußerung in einen potentiell lasziven Zusammenhang bringen würde, eine Vorgangsweise, gegen die Hägelin opponiert, sich auch dagegen wehrend, in jeder Kleinigkeit eine Obszönität zu sehen, wenn auch ein Zensor sich offensichtlich immer wieder vor Angriffen und Unterstellungen, Obszönitäten zugelassen zu haben, schützen muss. Die hier vorgenommenen sprachlichen Steuerungen stehen gewissermaßen im Spannungsverhältnis zwischen einer zunehmend geforderten Affektkontrolle und einer gleichzeitig zunehmenden Sexualisierung. Hägelins Ausführungen zur zensuriellen Kontrolle des Dialogs setzen sinngemäß seine Ausführungen über die Anstößigkeit des Stoffes fort, doch gehen sie insofern noch darüber hinaus, als Hägelin vorführt, wie mittels verbaler Strategien das in den Kapiteln über die Zulässigkeit des Stoffs als auszuschließend Behandelte dennoch auf der Bühne, zumindest in verbaler Form, repräsentiert werden könne. Wenn dort kein Kuppler respektive keine Kupplerin (es sei denn, es wäre ein abgefeimter Hofmann) oder keine Mätresse zu dulden wäre, so können sie zumindest verbal präsent sein, wenn dafür bestimmte sprachliche Operationen vorgenommen werden. Und so sieht er für den Großteil der als unaussprechlich klassifizierten Worte Transformationen vor, die teilweise den genannten Gegenstand auf eine abstraktere Ebene heben, die von dem als anstößig gesehenen Imaginationsgehalt wegführt und das Gemeinte gewissermaßen in einer anderen Semantik aufhebt. Zielt Hägelin bei der 177 Ebenda. 178 Ebenda, f. 20hf.

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Transformation von Wörtern, die Zweideutigkeiten im alten Sinne des Wortes enthalten, auf einen Begriff, der zumindest keine vergleichbare Zweideutigkeit, vor ­a llem keine sexuell konnotierte, aufweist, so kreiert er für auf der Bühne nunmehr als obszön angesehene eindeutige Begriffe, sei es Beichtvater oder Kupplerin, eine Abstraktion, welche in mehrdeutiger Form den so aufgehobenen Gegenstand beinhaltet, ihn aber als abstrakte Operation nicht mehr notwendig bezeichnet – der ursprüngliche Sinn stellt sich je nach Form der sprachlichen Operation gegebenenfalls durch den Kontext der Handlung respektive der Rede her. Hägelin transformiert im Grunde zwei verschiedene Sprachsorten, die auf dem Theater ‚Obszönität‘ kreieren: die in anderen Kontexten geheiligte Sprache der Kirche, welche weitgehend ausgelöscht werden soll, und eine Sprache, welche auf den Bereich sexueller und politischer Konnotationen verweist, welche allerdings, wenn überhaupt, nur partiell aufgehoben werden. Wie auch immer Mätressen, Kupplerinnen, Ehebrecherinnen und gehörnte Männer verbal neu klassifiziert werden, der damit bezeichnete ‚Tatbestand‘ verschwindet nicht durch die verbale Transponierung. Der Zensor reagiert gewissermaßen auf die ‚Realität‘ der Dramenproduktion wie auch auf die ‚Realität‘ des Sprachgebrauchs in der Konversation. Es zählt zu den besonderen Paradoxien, dass gerade aufgrund der zensuriellen Praxis das Theater zu einem prädestinierten Medium der von Hägelin so heftig kritisierten „Modephilosophie“ werden konnte, eine Haltung, die, wie er später darzulegen versucht, auf den Verzicht der „positiven Religion“ hinauslaufe, wie denn Religion auf der Bühne nur aus der Distanz ferner Kulte erscheinen konnte, was es strukturell gesehen ermöglichte, aus der ‚theatralen Entfernung‘ einen ebenso distanzierten Blick auf die eigene Religion zu werfen, durch welchen man die eigene auch zu reflektieren lernte.

BEMERKUNGEN FÜR DIE JETZIGEN ZEITUMSTÄNDE Als letztes Kapitel seiner Schrift folgen die „Bemerkungen für die jetzigen Zeitumstände“:179 dies war, wenn man die Vorgeschichte berücksichtigt, im Zen­ trum von Hägelins Auftrag gestanden. Der Zensor erachtet es als notwendig, nach den vorangegangenen Bemerkungen, die speziell im Kapitel über die „Gebrechen des Stoffes in politischer Hinsicht, oder wider den Staat“ das Wort „dermal“ öfters verwenden, seine Ausführungen im Hinblick auf die „jetzigen Zeitumstände“ weiter zu spezifizieren. Er wird vieles wiederholen wie auch detaillierter ausführen. Erneut verweist Hägelin auf das zu Beginn der Schrift geäußerte Unbehagen über den ­a n

179 Ebenda, f. 21v.

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ihn gerichteten Auftrag der Erstellung detaillierter Instruktionen auf dem Gebiet der Theatralzensur: „Der Unterzeichnete wünscht, daß die bisher angeführten Bemerkungen außer einigen hin und her eingestreuten festen Grundsätzen nur als Fingerzeige und Nachweisungen angesehen werden möchten, welche einem Theatercensor in Ungarn mehr zum Leitfaden als zum unverbrüchlichen Gesetze gemacht würden, damit er nicht auf einer Seite zu furchtsam werde, indem er auf der andern auch gegen Theaterunternehmungen in Passirung unbedenklicher Dinge gerecht sein muß. […] Zeit und Ortsumstände sind überall in Erwägung zu ziehen u. im Ganzen bleibt immer viel der guten Beurtheilung überlassen.“180 Die „festen Grundsätze“ erscheinen am Ende der Schrift nur mehr als „eingestreut“ – und die einem Stück gerecht werdende Individualbegutachtung, welche notfalls die eingestreuten Grundsätze wieder relativieren könnte, wird in markanter Form unterstrichen. Deutlicher als in den vorangehenden Kapiteln steht Hägelins Person als Zensor in direktem argumentativen Zusammenhang, es geht in dieser Schrift auch um seine Kompetenz und seine langjährige Tätigkeit, die, wie er gerne wissen lässt, von „anderen“ gelegentlich in ein schlechtes Licht gerückt wurde. Und Hägelin befindet sich offensichtlich auch in einem sukzessiven Prozess der Umorientierung. Der Zensor eröffnet sein Kapitel über „die jetzigen Zeitumstände“ ziemlich lakonisch: „Wie diese beschaffen sind, ist Jedermann bekannt.“181 Dies muss er auch nicht weiters ausführen, er antwortet auf das ‚Codewort‘, das überall verwendet wird, um besondere Maßnahmen einzufordern. Der Begriff der „jetzigen Zeitumstände“ ist nicht bloß eine Beschreibung, er ist immer auch eine Aufforderung, ein performativer Akt. Gleich im zweiten Satz bringt er den Begriff „französische Revolution“182, eine Formel, die er bisher vermieden hatte, um nun festzustellen: „Seit der französischen Revolution hat sich die Censur zum Gesetz gemacht, keine Begebenheiten, die auf diese Revolution Beziehung haben, zuzulassen.“183 Hägelin spricht hier von dem in Wien geltenden „Zensurgesetz“, was allerdings historisch nicht ganz korrekt ist, denn nach Ausbruch der Revolution war es zunächst sehr

180 Ebenda, f. 25h. Dies wiederholt Hägelin im letzten Kapitel seines Gutachtens mehrmals, so im Zusammenhang mit der Frage der „philosophischen Winkelehen“ („Gewisse Regeln im Detail können nicht gegeben werden“, ebenda, f. 23v) und bei der Frage der unehelichen Geburt („Auch dieser Gegenstand muß der Klugheit des Censors überlassen werden.“ Ebenda, f. 23h). 181 Ebenda, f. 21v. 182 Ebenda. 183 Ebenda.

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wohl zulässig, darüber zu berichten, sofern keine Parteinahme dafür erfolgte. Und was die Theatralzensur betrifft, war andernorts, so in Pressburg, eine solche Thematisierung durchaus möglich, was zur erwähnten heftigen Reaktion des Wiener Hofes und schließlich zur Einforderung der Instruktionen führte. Hägelin bringt ein Beispiel, bei dem er in angeblich vorauseilendem Gehorsam selbst den allerhöchsten Willen abzuändern in der Lage war, nämlich bei der Aufführung eines Lustspiels von August von Kotzebue (1761–1819): Der weibliche Jakobiner= Clubb, welches während der Feierlichkeiten zur Krönung von Leopold II. zum böhmischen König (1791) in Prag auf die Bühne gebracht wurde und welches Hägelins Angaben zufolge auf Wunsch des Kaisers auch in Wien aufgeführt werden sollte. Es handelt sich um eine Komödie, in welcher die Ideale der Französischen Revolution auf ein Damenkränzchen reduziert werden.184 Der Kaiser scheint sich amüsiert zu haben, doch war es – wie Hägelin nachträglich argumentiert – des Zensors Linie, kein Stück mit wie auch immer gearteten inhaltlichen Bezügen zur Französischen Revolution zur Aufführung zuzulassen. Jedenfalls ist es auch eine Art ­rhetorischer Schachzug, eine solche Haltung nicht nur zur behaupten, sondern auch zu demon­ strieren, sie im Widerstand gegen einen uneinsichtigen, mittlerweile verstorbenen Souverän durchgesetzt zu haben. Mit direktem Bezug zu Kotzebues Lustspiel geht Hägelin auf zwei zentrale im Rahmen der Französischen Revolution ­verwendete Begriffe ein, welche er bislang in seiner Schrift noch nicht explizit thema­tisiert ­hatte: „Freiheit und Gleichheit sind Ausdrücke, mit denen nicht zu scherzen ist, und die man einestheils durch Tadel weder verächtlich und anderntheils durch Spott eben so wenig lächerlich machen kann, als die der menschlichen Natur eingeplanzte jugendliche Liebe, denn diese leztere kann nur bei einem Greise lächerlich werden.“185 Dieser Satz ist unmittelbar an die Ausführungen zum Jakobiner=Clubb angeschlossen, als ob Hägelin bei diesem Lustspiel am meisten empört hätte, dass diese für ihn ­hehren Begriffe ins Lächerliche gezogen worden wären. Und in gewisser Weise setzt er diese Begriffe fortan in einem politischen Sinne für die Bühne sakrosankt, indem er konstatiert, daß „die Behandlung der Freiheit im politischen Verstande, wenn es nemlich keine Befreiung von einer Gefangenschaft etc. bedeutet, […] weder im

184 Zu Kotzebues Lustspiel Der weibliche Jakobiner=Clubb siehe auch Angelika Kemper: „Auf, aufgelebt, du alter Adam!“ ‚Schuld‘ in der deutschsprachigen Komödie des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. St. Ingbert 2007 (= Mannheimer Studien zur Literatur- und Kulturwissenschaft 41), S. 120. 185 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Ange­ legenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 21v.

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­ omischen noch im tragischen, weder im Ernste noch im Scherze auf den dem Unk terzeichneten untergebenen Theatern zugelassen worden“186 wäre. Damit schafft Hägelin eine merkwürdig ambivalente Konstellation. Freiheit und Gleichheit sind Begriffe, die er in Relation zu der „der menschlichen Natur eingepflanzten Liebe“ versteht – er macht sie somit nahezu zu ‚göttlichen‘ Kategorien, die er zumindest in politischem Sinne nach der Französischen Revolution der profanen Bühne entziehen möchte. Doch ist damit keineswegs ohne Weiteres klar, ob er durch diese „Direktive“ auch gleichsam ein Verbot über diese Wörter verhängt. Im nächsten Satz wird der Begriff der politischen Freiheit und die Gefahr, die von diesem auf der Bühne ausgeht, deutlicher benannt, wobei Hägelin Gedanken wiederholt, die er schon im Kapitel „Gebrechen des Stoffes in politischer Hinsicht, oder wider den Staat“ formuliert hatte: „Hiebei ist noch zu merken, daß Stücke, welche Aufruhren Empörungen Conspirationen wider die Regenten oder andere rechtmäßige Regierungen enthalten, diese Laster mögen am Ende gestraft werden oder nicht, derzeit nicht aufs Theater zu bringen sein.“187 Doch wird dies auch für die zukünftige Zensurpraxis nicht ganz zutreffen, wie es auch für die vorangegangene Theaterpraxis nicht ganz zutreffend war: „Die Erfahrung hat gelehrt, daß ein Stück ,die traurigen Folgen eines Aufruhrs‘ in einem Vorstadttheater eingestellt werden mußte, weil es eine dem Zweck des Authors entgegengesetzte Wirkung hervorbrachte; welches ganz natürlich ist, weil es Zuschauer von verschiedenen Gesinnungen gibt, die einen applaudieren bei den Stellen wo von der Unterdrückung die Rede wo sich andere darüber ärgern.“188 Dies setzt jedenfalls voraus, dass Hägelin ursprünglich seine Zustimmung zu diesem Schauspiel in der Vorstadt gegeben hatte, andernfalls würde er hervorheben, dass diese Aufführung gegen den Willen der Theatralzensur erfolgt ist. Eine solche Vorgangsweise entspricht auch den unterschiedlichen Konstellationen in der Zeit nach der Französischen Revolution, in der etliche Stücke entstanden, welche in affirmativem Sinne durch eine Thematisierung von Volksempörungen die Unrechtmäßigkeit und Verderblichkeit derartiger Aktionen anprangern wollten – dazu gehören auch, wie bereits erwähnt, einige Stücke des Linzer Zensur-Aktuars und „Popular-­ 186 Ebenda. 187 Ebenda, f. 21vf. 188 Ebenda, f. 21h.

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Aufklärers“ Benedikt Dominik Anton Cremeri. Zu seinen ‚postjosephinischen‘ Dramen zählt u. a. Der Bauernaufstand ob der Enns, gedruckt in Linz 1792189, in dessen Vorwort der Autor in folgender Weise argumentiert: „Herr Professor Hofmann fordert in seiner Wienerzeitschrift Schriftsteller gegen Schriftsteller auf, die philosophischen Volksverführer in Deutschland zu bekämpfen, und unter dem Volke dem sich immer weiter ausbreitenden Revoluzions= und Empörungsgeiste entgegen zu arbeiten. […] Ziehet nun dieses Stük die edlen deutschen Zuschauer nur halb so sehr an den Gehorsam und die Ehrfurcht gegen seine Landesfürsten, reißt es nur halb so stark die Unterthanen zur Liebe und Treu für ihr Vaterland und innere Ruhe hin, wie das Trauerspiel des Hrn. v. Chenier: Karl der IXte die Franzosen zum Gegentheil hingerissen hat, so ist kein Sterblicher glüklicher gewesen, als ich, weil dadurch die Welt auch für die Ruhe und das Glük der Völker einen neuen Beweis bekäme, Aristoteles habe schon vor 3000 Jahren mit Recht behauptet: daß das Schauspiel philosophischer und lehrreicher ist, als die Geschichte, die uns alles nur von weiten zeiget, während uns dieses die Sache selbst sehen läßt, und im Vergnügen dafür hinreißt, ohne daß man es gewahr wird. Linz den 25ten Februar 1792. Benedikt Dominik Ant. Cremeri, k. k. Regierungskonzipist, und Censursaktuar.“190 Dieser Weg, eine der Optionen, wurde in weiterer Folge nicht beschritten; die hier im Paradigma des gereinigten Theaters vorgetragenen Imperative waren offensichtlich viel zu schwankend und jederzeit ins Gegenteil umkehrbar. Weiters, so wiederum Hägelin, wären alle Stücke, „worin von Bedrückung der Unterthanen durch Abgaben oder übertriebene Jagdbeschwerden, Bauernschinderei von Seite ihrer Gutsherrn oder sogar der Beamten die Rede ist“191, bedenklich. Genauso große Bedenken wären nach Hägelin auch angesagt, wenn der Autor dem Regenten Worte in den Mund lege, wonach dieser bekunde, dem Volke alles schuldig zu sein. Solchen Autoren ginge es nur darum, „das Publikum mit den Bedrückungsideen zu familiarisieren d. h. es zu elektrifizieren.“192 In diesem Zusammenhang plädiert er auch für eine 189 Cremeri: Der Bauernaufstand ob der Enns. 190 Ebenda, Vorrede, unpaginiert. 191 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Ange­ legenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 21h. 192 Ebenda, f. 22h.

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Revision der bereits früher zugelassenen Stücke unter Berücksichtigung der „veränderten Zeitumstände“. Angesichts der „jetzigen Zeitumstände“ erfolgt die Wiederholung, dass „Ausfälle“ gegen den alten und neuen Adel vermieden werden sollten, wie auch Anmerkungen zur „Nichtigkeit der Adelsbriefe“193, wiederum mit der schon bekannten Einschränkung, „daß Thoren jeder Art mithin auch Ahnenstolze auf dem Theater erscheinen können, wenn nur der Stand im Ganzen geschont“194 werde. Auch in diesem Zusammenhang sieht er eine Revision ehemals unbedenklich scheinender Stücke als notwendig an, „wo es Kritiken auf diesen oder jenen vom Adel gab.“195 Solche Stellen müssten „gemildert“196 werden. Doch wie Hägelin etwa bei der Behandlung des Themas der „Mißheirathen“ ein expliziter theatralischer Diskurs über die mögliche Gleichheit der Stände auf der Bühne nicht opportun erscheint, so will er auch einen umgekehrten expliziten Diskurs über die „Ungleichheit“ der Stände vermeiden; ja, er schlägt sogar vor, den Begriff „Adel“ im Bühnendialog sukzessive auszulöschen. Statt „Adel“ oder „Kavalier“ sollten unverfänglichere Begriffe wie „von Con­ dition“197, „vom Stande“198, „von guter Herkunft“199 verwendet werden: „dadurch wird verhütet daß das Wort Adel nicht immer in den Ohren der Zuschauer klingt“200. So wird der „Adel“ in zensurieller Weisung leicht wegretuschiert, gewinnt fast einen Hauch des Anstößigen, wie gleichzeitig vermieden werden soll, dass „ein Stand z. B. der bürgerliche und der Bauernstand vergleichungsweise nicht über den vornehmeren wenn dieser auch seine Pflichten erfüllet, auf eine erniedrigende Art erhoben werde“201, eine durchaus „dialektische“ Konstruktion. Von dem Worte „Aufklärung“ sei auf der Bühne „eben so wenig Erwähnung zu machen“202 wie von den Worten „Freiheit“ und „Gleichheit“, „denn die neue Philosofie ist im Stande, wider dasjenige, was obige Wörter bedeuten, sogar zu deklamiren, weil ihr nur daran liegt, die Ohren des Publikums mit denselben zu familiarisiren. In der Sache selbst ist es ihr aber nie ernst.“203 Für Hägelin stellen sich in diesem Zusammenhang offensichtlich zwei „Probleme“. Im Kontext der verpönten und gefürchteten „Modephilosophie“ werden auf die Aufklärung sich berufende Ideen verbreitet und diskutiert, wodurch unter dieser Berufung eine „Familiarisierung“ mit 193 Ebenda, f. 23h. 194 Ebenda. 195 Ebenda. 196 Ebenda. 197 Ebenda. 198 Ebenda. 199 Ebenda. 200 Ebenda, f. 23hf. 201 Ebenda, f. 24v. 202 Ebenda. 203 Ebenda, f. 24vf.

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den Ideen der „Modephilosophie“ erzielt oder zumindest erleichtert würde. „Aufklärung“ ist jedoch ein Wort, auf welches sich einst, und wohl auch noch immer, der philosophisch gebildete Zensor in einem emphatischen Sinne bezogen hatte, der in den 1780er Jahren zu den „stattlichsten Biedermännern“ gezählt wurde – im Jargon der damaligen Zeit Männer, die sich tätig für die Ideen der Aufklärung einsetzten, und dies auch durch ausgewiesene Widerstandsakte.204

„EPIKUREISMUS“ Insofern ist es konsequent, wenn Hägelin im Sinne solch erweiterter zensurieller Dramaturgie auf Phänomene zu sprechen kommt, die auf den ersten Blick einen Schwenk in der bisherigen Argumentation zu signalisieren scheinen. Er kommt auf zwei von ihm schon zuvor genannte, aber nicht weiter ausgeführte Themen zu sprechen: auf den „Epikureismus“ und auf die „Winkelehe“, deren argumentativer Stellenwert nunmehr deutlicher zum Vorschein kommt, wozu auch der vollständige Text beiträgt, den Glossys Auslassungen ziemlich entstellt hatten. Beide Themen sind für Hägelin exemplarische Fälle der „Modephilosophie“, als deren Medium ­Hägelin in zunehmendem Maße das Theater ansieht. „Der Epikureismus“, so schreibt Hägelin, „ist eine Favoritmaterie gewisser Mode­authoren; daher pflegen sie die Freuden der sinnlichen Liebe sehr heiß zu beschreiben“205. Doch geht es in seiner Argumentation nicht so sehr um die sinnliche Liebe an und für sich, wie dieser Einleitungssatz vermuten lässt, es geht ihm eher um den ‚philosophischen‘ Gehalt derselben. Hägelin irritiert besonders, dass die sinnliche Liebe im weitesten Sinne als „göttliche Quelle aller Tugenden“206 beschrieben wird oder, wie er im Hinblick auf die unterstellten Intentionen zusammenfasst: „mit einem Worte, man kanonisiert die Neigung der Natur und die sogenannte Vernunft, um die positive Religion verdächtig und entbehrlich zu machen.“207 Dies äußert sich für ihn u. a. in der Beschreibung der Natur mit „Beiwörter[n] von religiösen Gebrauche“208 wie „heilige Natur“209, „heilige Triebe der Natur“210

204 Siehe dazu das Kapitel „Hägelin – ein ,josephinischer‘ Zensor“ (S. 409–414). 205 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Ange­ legenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 22h. 206 Ebenda. 207 Ebenda. 208 Ebenda. 209 Ebenda. 210 Ebenda.

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oder in der Verwendung des Begriffs „Seligkeiten“211 für „Wonnen der Liebe“212, also in einer Art Profanisierung religiös konnotierter Begriffe, die nach Hägelins Ansicht tendenziell die Fundamente der Religion auflöst, denn: „Vermöge der Religion heiliget die christliche Tugend die Menschen, weil sie durch diese Spiegel der göttl. Vollkommenheiten werden.“213 Hägelin bringt im Kapitel über die jetzigen Zeitumstände noch weitere Beispiele für das, was er als „epikureische“ Unart empfindet: wo „Bilder der Üppigkeit mit malerischen Farben im Dialog geschildert werden, wogegen sich das moralische Gefühl empört“214, wenn es heißt, „er kann sich an ihrer Brust zum Gotte schwelgen“215, „Beide gieren von schwelgenden Vergnügen“216. Weiters bringt der Zensor ein Textbeispiel aus dem historischen Schauspiel Wülfing von Stubenberg von Johann von Kalch­berg: „Er wolle in den Armen der Liebe Nektar schlürfen, käme die Gottheit selbst, mir diese himmlischen Genüße zu entreißen, ich würde ihr entgegenbrüllen: Ich will die Seligkeit der genießenden Liebe schmecken, wenn ich sie besitze, so beneide ich die Engel des Himmels um ihr Glück nicht.“217 Sehr profan bringt Hägelin die Wirkungen solchen Theaters, welches nach einer anderen Zensurbestimmung sich aller christlich-religiösen Inhalte zu entledigen hätte, auf den Punkt: auf diese Art würden Frauen „Sclavinen ihrer bürgerlichen Sinne“218, und „derlei Schilderungen mit empörenden Farben sind nicht zu dulden.“219 Vom „Epikureismus“ leitet Hägelin mit ähnlichen Argumenten direkt auf die Winkelehen über: „Ihn [den Menschen] soll aber dermalen die Natur und ihre Triebe heiligen, mit einem Worte: das Absehen ist die Religion und mit ihr die jetzigen Verfassungen entbehrlich zu machen. Dahin zielen auch die filosofischen Ehen, die ohne gesetzlichen Bund vor sich gehen.“220 Dies markiert ziemlich deutlich die Verbindung zwischen den expliziten politischen Empörungen und den subkutanen Liebesgefühlen, welche Ordnungen zu stürzen fähig wären, ein Konnex, der nach den Erfahrungen der Französischen Revolution ganz offensichtlich in einem neuen Lichte gesehen wurde. In Zusammenhang mit den „Winkelehen“ kommt Hägelin auf ein weiteres Beispiel zu sprechen, welches ebenfalls von Glossy eliminiert wurde:

211 Ebenda. Hier schränkt Hägelin jedenfalls ein, dass man diese „nach Umständen“ auch stehen lassen könnte. 212 Ebenda. 213 Ebenda, f. 23v. 214 Ebenda, f. 24v. 215 Ebenda. 216 Ebenda. 217 Ebenda. 218 Ebenda. 219 Ebenda. 220 Ebenda, f. 23v.

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„Es wird in einem, der Censur vorgekommenen Stücke eine Person aufgeführt, welche, nachdem sie mit einem Verführer verschiedene Jahre in einer filosofischen Liebesverbindung gelebt hat, endlich den Betrug bemerkt, und sich unter einem anderen Namen, als unter dem sie bekannt war, in die Dienste einer Dame begiebt. Sie wird von einem, der sie ohnehin kannte, entdeckt, und von diesem, dem sie ihr Verhältniß mit ihrem ehemaligen Verführer gestehet, gefragt, warum sie mit demselben kein ordentliches Ehebündniß eingegangen habe. Sie führt ihre Entschuldigung an und sagt, daß sie durch folgende Gründe des Liebhabers sei bethört worden. Er habe ihr nemlich den Vorzug einer freien Verbindung vor der ehelichen dadurch eingeräumt, daß er vorschüzte, der Abscheu vor dem Zwange, ein ewiges Opfer zu bleiben, seine Schwüre, die, wie er vorgab, diese neue Verbindung unnöthig machten u. seine Schmeichelei, daß dieser Bund weiter nichts als eine Kette für den Pöbel wäre, da große Seelen durch Sympathie Geisteskraft und Hochachtung ewig und viel angenehmer gefesselt werden, ohne den Schein einer Politik zu haben, eine Demüthigung die wie er sagte, für zärtliche Herzen die erniedrigenste ist. Hierauf erwiderte ihr der Bekannte ganz kalt So geht’s mit der Aufklärung. Eine Schöne Widerlegung!“221 Wie schon in den obigen Beispielen liegt das Hauptaugenmerk auch hier nicht auf der bloßen ‚Unsittlichkeit‘ einer Beziehung, welche ohne gesellschaftlich sanktionierten Bund stattfindet; es ist vor allem die hohe Semantik, welche diese ‚illegitime‘ Form für sich beansprucht und somit andere ‚Episteme‘ untergräbt. Daher auch die Beharrlichkeit, mit welcher Hägelin jene Themen durchgängig fixiert. Umso weniger scheint klar, wie diesem Phänomen zu begegnen wäre, denn gerade die Sinnlichkeit scheint in diesen Fällen in hohem Maße sublimiert, wie auch die „Winkelehe“ nichts mit sexueller Ausschweifung oder Promiskuität zu tun hat, sondern eine Art individueller Substanz beansprucht, welche gesellschaftliche Rituale in vergleichbarer Form nicht für sich beanspruchen können. Insofern hat Hägelin im Laufe seines Textes auch Schwierigkeiten, diese Themen zuzuordnen: zur Religion? zum Staat? zu den Sitten? Auch dies ist also ein Fall, dem man zensorisch nicht mehr so einfach beikommen kann. In gewissem Sinne handelt es sich hier um die Fortführung einer Diskussion, welche zu Beginn des josephinischen Jahrzehnts im Staatsrat ohne weiteren Widerhall geführt wurde, als Staatsrat Hatzfeld, der quasi die Rolle eines Zensurreform-Bremsers spielte, dort einmal anmerkte, es käme eigentlich nicht so sehr darauf an, ob dieser oder jener anstößige Satz in einem Werk enthalten wäre, vielmehr seien die neuen literarischen Formen per se obsolet, weil sie die Menschen dazu

221 Ebenda, f. 24hf.

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brächten, keine Christen mehr zu sein, ohne dass sie dies realisieren würden222 – jenseits des zensorischen Kontextes eine bemerkenswerte ,medientheoretische‘ Erkenntnis. Nur gab es dagegen kein Mittel, das man damals auch nicht suchte. Um die Unordnung, welche ‚illegitime‘ Beziehungen auslösen, kreisen auch weitere Beispiele Hägelins: Eine uneheliche Geburt dürfe auf der Bühne nie einer ehelichen gleichgestellt oder sogar über jene erhoben werden; gleichwohl wäre es ein Vorurteil, jemanden wegen der Geburt zu verachten und ihn einen „Bastard“ zu nennen – in einem solchen Fall wäre der Begriff „Wechselbalg“223 vorzuziehen. Gegen die Darstellung von unstandesgemäßen ehelichen Verbindungen, der sogenannten „Misheirathen“224, auf der Bühne, einem beim Publikum sehr beliebten und vielfach abgehandelten Thema, hat Hägelin keine Einwände: es wären meist Fälle, „wo Tugend und Schönheit […] einen Rang erhält.“225 Doch hält er auch hier an dem Grundsatz fest, „daß die Farben von der Gleichgültigkeit der Geburt nicht zu stark aufgetragen werden, oder statt einer Ausnahme von der Regel ein allgemeiner Grundsatz über die Gleichheit der Stände gemacht wird.“226 Diese Aussagen über ein gängiges Bühnenthema sind primär aus der Perspektive einer Revision zu sehen, wenn auch die diesbezüglichen Ausführungen Hägelins kaum eine Handhabe gegen wie auch immer geartete Mesalliancen geben, eher gegen eine spezifische Wortwahl der Beschreibung oder Legitimation solcher Beziehungen.

BLUMEN DES BÖSEN Gegen Schluss seines letzten Kapitels hebt Hägelin, unter Bezug auf die einst geführte Diskussion über die Schauspielbühne, zu einer großen Rechtfertigung des Theaters an und setzt dabei am Ende seiner Ausführungen einen bemerkenswerten ‚Kontrapunkt‘. Zunächst referiert er, dass insbesondere die französische Kirche gegen das Theater eingenommen gewesen wäre227, aber auch Rousseau hätte prinzipielle Vorbehalte gegen das Theater gehabt und die Ansicht vertreten, dass die Menschen mehr geneigt wären, das Böse als das Gute aus den Bühnenhandlungen abzuziehen, und dass „die witzige Bosheit des Wolfes in der Fabel allzeit mehr gefalle als die unschul-

222 Vgl. Sashegyi: Zensur und Geistesfreiheit, S. 22. 223 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Angelegenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 23h. 224 Ebenda. 225 Ebenda. 226 Ebenda. 227 Ebenda, f. 27v.

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dige Einfallt des Lammes, welchem von dem ersteren, der oben am Bache sich befand der Vorwurf gemacht wurde, daß es das Wasser trüb mache.“228 Hägelin sieht es, in der Folge gleichsam „theologisch“ argumentierend, als eine Irrmeinung an, „daß das Wolgefallen der Menschen an witzigen oder klugen Streichen, wenn sie auch unmoralisch sind, etwas Böses sei, welches aber da es unserer Natur vom Schöpfer eingepflanzt ist, nicht sein kann.“229 Hägelin unterscheidet in weiterer Folge die „Tugenden des Verstandes“230 und die „Tugenden des Willens oder moralische Tugenden“231. Beide zu befördern, sei – wie er schon am Anfang seiner Schrift ausgeführt hatte – das Theater berufen, beide umfassen, was zu einer Schule der Sitten gehöre, und Hägelin nimmt diesbezüglich keine Hierarchisierung vor: „beide müssen uns gefallen weil wir sie beide zu erlangen verbunden sind.“232 Allerdings: „Der Unterschied ist nur, daß die Tugenden des Verstandes sowohl den Guten als den Bösen eigen sein können und sich bei den letzteren meistens in größeren Maße vorfinden, als bei den ersteren. Sie können also an u. für sich nichts Übles sein.“233 Daran unmittelbar anschließend bezieht sich Hägelin auf die Heilige Schrift, indem er sich auf jene Geschichte des Neuen Testamentes beruft, in welcher der „Heiland“ nach Hägelins Interpretation die Klugheit, als eine der Haupttugenden des Verstandes, gerade am Beispiel eines ungerechten Haushälters (Neues Testament, Lukas 16, 01-13) darstellt.234 Bezogen auf das Theater schreibt Hägelin: „Es geschieht daher öfters daß wir eine böse Handlung, wenn sie mit besonderer Klugheit oder Witz ausgeführt wird in der Art der Ausführung bewundern, ohne sie selbst zu billigen, dahingegen dumme Bosheit erbittert.“235 Hägelin zieht daraus, vor allem im Hinblick auf Rousseaus Argumentation, den Schluss: „Es ist also klar, daß das Wolgefallen an Tugenden des Verstandes, die auch schlimme Menschen besitzen nichts übles, mithin der Grund wegen dessen Rousseau das Theater verwirft, falsch sei.“236 Diese Überlegung, welche die Faszination der Klugheit der bösen Tat in den Vordergrund rückt – einer Klugheit, die nach Hägelins voriger Aussage bei den „Bösen“ stärker ausgeprägt sei als bei den „Guten“ –, wirft auch ein Licht auf die von Hägelin ausgeübte Theatralzensur, denn sie beruht auf einer weitgehenden Ausdifferenzierung von Verstand und Moral, wobei Ersterer besonders an der unmoralischen Tat zu schärfen wäre. 228 Ebenda. 229 Ebenda. 230 Ebenda. 231 Ebenda. 232 Ebenda. 233 Ebenda. 234 Ebenda, f. 27vf. 235 Ebenda, f. 27h. 236 Ebenda.

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Mit Vertrauen auf das Bibelwort liebäugelt der Zensor mit einer „Ästhetik des ­Bösen“ als notwendigem und tugendhaftem Instrument der Verstandesschärfung. Doch Hägelin gibt keine konkreten Anweisungen, wie eine Theatralzensur mit diesen „Blumen des Bösen“ umzugehen hätte, war er doch selbst in seiner vorherigen Analyse zu „einförmig“, wenn er etwa für nicht zulässig hielt, dass in Paul Weidmanns (1744–1801) Faust Mephistopheles klüger redete als die Engel, was gemäß der hier durchgeführten Analyse nicht weiter erstaunlich ist. Es gibt jenseits der Berufung auf die Heilige Schrift keine konkrete Antwort des Zensors auf dieses ‚Dilemma‘, am Ende seiner Ausführungen schwenkt er auf eine andere Perspektivierung, so, von den vorigen Überlegungen angeregt, auf das Thema der Zivilisationskritik. Er referiert die These, „daß der große Flor der Künste und Wissenschaften der Vorbothe des Verfalles der Völker sei“237, deren Allgemeingültigkeit er bestreitet. Dies wäre nur dann der Fall, wenn „unter den Künsten und Wissenschaften selbst eine Verwirrung entsteht, und die Rangordnung derselben verrückt wird. Da nemlich der Poet oder der Witzling eben so gut oder noch höher als der Erfinder tiefer Wahrheiten geachtet wird, wenn die schönen Wissenschaften zur Üppigkeit gemißbraucht werden und den Ton geben.“238 Eine „wolgeordnete Aufklärung“ vermöge viele schädliche Vorurteile zu verscheuchen und könne dem Staat von großem Nutzen sein, „solange sie von gründlichen Kenntnißen unterstützt wird; wenn nemlich die strenge Vernunft, die Mutter solider Wissenschaften und der ewigen Dauer beständig das Hausregiment behält, und die Kenntnisse, die von den untern Seelenkräften herstammen, nemlich die Kinder des Witzes des Gedächtniß und der Imagination immer in den Schranken, die dem Hausgesinde vorgeschrieben sind, und im Respect gegen ihre Hausmutter erhalten werden“239 – trotz der „matriarchalen“ Semantik ein autoritär-paternalistisches Bild wie dermals die diesbezüglichen Gesinde-Ausführungen von Sonnenfels in seiner Policeywissenschaft. Und offensichtlich hielt sich Hägelin, der Schüler Wolffs, für so etwas wie eine theatrale Hausmutter, welche die Söhne und Töchter des bösen Witzes, der seiner vorigen Aussage nach zur Schulung der Verstandeskräfte notwendig ist, zu bändigen hätte. Wenn diese Ordnung, diese Anerkennung des Ranges beibehalten werde, so Hägelin in seinem weit ausholenden pathetischen Schlusssatz, „wird Kirche und 237 Ebenda. 238 Ebenda, f. 28v. 239 Ebenda.

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Staat allzeit aufrechtstehen und nie der traurige Fall, der sich beim Untergange der römischen Größe ergab, kommen, wo verderblicher Afterwitz der Lüge fröhnte und die Wahrheit zum Schweigen brachte; wo Witzlinge über Einfälle lachten, darüber eben so viele Provinzen weinten.“240 Das Konzept der Hierarchisierung, die den schönen Wissenschaften einen untergeordneten Platz zuweist, ist dennoch erstaunlich. Nach der zuvor vorgenommenen Ausdifferenzierung von Moral und Verstand, wie sie exemplarisch am Theater zur Aufführung gelangt, setzt Hägelin – gleichsam eine indirekte Antwort auf die vorige Zumutung gebend – als eine Art Generalkoordinator „die strenge Vernunft“ als Mutter aller Wissenschaften, damit auch ein abstraktes Prinzip von Wissensgenerierung, das sich in einer internen und darin stringenten „Logik“ entfaltet. Er setzt an diese koordinierende Stelle nicht den Staat und die Kirche oder Religion, vielmehr macht er deren Gedeih und Verderb von dieser Rangordnung, die mit der je spezifischen Logik des Staates und der Religion nicht deckungsgleich ist, abhängig. Doch das Pathos der Schlussworte, mit denen sich der Zensor als Protektor der „strengen Vernunft“ geriert, lässt unschwer erkennen, dass Hägelin, gerade unter Betrachtung der „jetzigen Zeitumstände“, welche ihn schlussendlich argumentativ zum Untergang des römischen Reiches führen, auf durchaus schwankendem Grund agiert. Hägelin versucht das Theater zu retten, wie er sich andererseits keine Illusionen über dessen Charakter als des „wahren Vehiculum“ der „Modephilosophie“241 macht. Er will dem „Aberwitz“ entgegentreten, fühlt sich aber gleichzeitig genötigt, immer weitere einst hehre Begriffe für den Bühnengebrauch als obszön zu deklarieren. Im selben Jahr 1794, in dem Hägelin seinen Leitfaden verfasste, erschien im ­Allgemeinen europäischen Journal, Dritter Band, ein Prager Artikel, in welchem voll Abscheu und unter verklärendem Rückblick auf die josephinische Zeit das zeitgenössische Wiener Theater (unter der zensuriellen Protektion von Hägelin) als Inbegriff der Geschmacksverderbnis angesehen wurde, von der man nun befürchtete, dass sie auch auf Prag übergreifen würde. Der in Wien herrschende Geschmack lag den Aussagen im Journal zufolge tief unter dem des tschechischen „Volkstheaters“ – auch ein Zeichen von Kämpfen um kulturelle Hegemonie. „Es wäre unbescheiden, über die Beschaffenheit der obengenannten Stücke, wenigstens in Rücksicht auf Sittlichkeit, etwas zu sagen, da sie in der Kaiserstadt unter den Augen einer gewiß nicht gelinder Zensur mit allgemeinem

240 Ebenda, f. 28h. Zu diesem Satz fügt Hägelin noch hinzu: „Hiermit glaubt der Unterzeichnete den hohen Auftrag nach Kräften erfüllet zu haben.“ Ebenda. 241 „Das Theater ist das wahre Vehiculum, wodurch die Modefilosofie ihre Grundsätze in Umlauf zu bringen sucht, denn ihre Absicht: Verminderung der Kirchen und Vermehrung der Theater“. Ebenda, f. 25v.

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Zulauf aufgeführet werden – wenn gleich mancher Redlichgesinnter, dem Moralität und Geschmack noch etwas sind, darüber bedauernd die Achsel zuckt. Es scheint, daß es Grundsatz geworden sey, das Theater zur Schule der Ausgelassenheit und Pöbelhaftigkeit zu machen.“242 Bezogen auf den sich abzeichnenden Erfolg derartiger Stücke auch in Prag heißt es weiter: „,Aber warum nehmt ihr denn mit Beifall auf, wenn ihr daran so viel auszusetzen findet?‘ wird man hier recht wohlbehaglich einwenden. Weil es eine Mode aus der Haupt= und Residenzstadt ist, und weil es immer der unreinen Seelen viel giebt, denen zweideutiger, plumper und schlüpfriger Spas verständlicher und willkommener ist, als Witz und Schönheit! ,Aber warum (kann man auf gleiche Art repliziren) giebt uns denn die Hauptstadt – der Mittelpunkt der Kultur, der Künste und der feinen Sitten – warum giebt sie uns nichts Bessers?‘ So viel ist gewiß, daß sich das Ausland über unsern österreichischen Geschmack genug lustig macht. Dieser falsche Geschmack, man muß den Böhmen Gerechtigkeit widerfahren lassen, fangt an erst seit wenigen Jahren in Prag einzuschleichen – sonst wars anders; Prag war die Prüfungsschule der Schauspieler und Tonkünstler.“243

KURZER EPILOG Was mit Hägelins Gutachten geschehen ist, ist unbekannt. Wie die Analyse gezeigt hat, handelte es sich dabei nicht um ein Dokument, das als eindeutige Instruktion von einer hohen Behörde zur nächsten geschickt werden konnte, um es in einer zensuriellen Praxis umzusetzen und eine „Gleichförmigkeit“ herzustellen, welche Hägelin mit seiner deutlichen Betonung einer der spezifischen Eigenart eines dramatischen Textes angemessenen Analyse nur bedingt stützte. Es kann daher bezweifelt werden, ob diese Schrift je an die Ungarische Hofkanzlei weitergeleitet wurde; dies ist eine Frage, die noch weiterer Nachforschungen bedarf. Bislang finden sich jedenfalls in der Zensurgeschichte keine Spuren, die darauf hindeuten, dass unmittelbar nach Verfassen der Schrift detaillierte Instruktionen im Umlauf gewesen wären, von ­denen Hägelin auch noch 1802 berichten wird, dass sie im Prinzip gar nicht erstellt werden können. 242 Allgemeines europäisches Journal. 1795. Dritter Band, Brünn, gedruckt und im Verlag, bei Joseph ­G eorg Traßler, Buchdrucker, Buch- und Kunsthändler, S. 213. 243 Ebenda, S. 213f.

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Gleichzeitig gibt es im Jahre 1795, am 13. Februar, einen Erlass an alle Länderstellen, in besonderem Maße auf die Theaterzensur zu achten. Und man begnügt sich dabei mit den bekannten Formeln: „soll jenes sorgfältig hindangehalten werden, was die guten Sitten beleidigen, oder sonst gefährliche Grundsätze in Rücksicht auf die gute Ordnung und das Wohl des Staates verbreiten könnte“244 – das Ganze unterstrichen und mit dem Zusatz „bei den gegenwärtigen Zeiten sonderheitlich“ versehen. Ähnliches findet sich im selben Jahr auch in Erlässen für Schaustellerverordnungen, so etwa für das Land Kärnten: „Da in den gegenwärtigen Zeitumständen das Herumziehen mit Bären, ­A ffen, Murmelthieren und dergleichen, in den Erblanden mehr als jemals bedenklich ist; so wird in Folge hohen Direktorial Hofdekret vom 12. Juny dieses Jahres die bestehende Verordnung, daß diese Leute abgeschaft, und über die Gränze verwiesen werden sollen, neuerdings kundgemacht. Jedoch kann bei wirklich besondern, und sehenswürdigen Thieren, welche in Hauptstädten zur Schau ausgestellt werden, nach Umständen eine Ausnahme gemacht werden, wozu aber vorläufig, und vor dem Eintritte in diese Provinz die Erlaubniß von dieser Landesstelle erhalten werden muß. Klagenfurt am 8. des Heumonats 1795 Franz Joseph, Graf v. Wurmbrand“245

244 Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1366: Theater, Tierhetzen, Innerösterreich, 1550–1813. 245 Ebenda.

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IM SPIEGEL DER ZENSUR. ZUR BEGUTACHTUNGSPRAXIS AM BURGTHEATER IM JAHRE 1779 Aus dem Jahre 1779, drei Jahre nach der ‚Erhebung‘ des Burgtheaters zum „Nationaltheater“, ist ein 367 Seiten umfassender handschriftlicher Band überliefert, der die Begutachtung der an das Burgtheater eingesandten Theaterstücke, insgesamt 254 Einträge, beinhaltet246 – wie Hägelins 15 Jahre später verfasste Instruktionen zur Theatralzensur eine außergewöhnliche kulturgeschichtliche Quelle. In den darin enthaltenen Gutachten wird auch auf Belange der Theatralzensur Bezug genommen, sei es, dass die besprochenen Schauspiele von den Gutachtern selbst als anstößig angesehen werden, sei es, dass Reaktionen der Theatralzensur antizipiert werden. Insofern ermöglicht dieses Dokument einen einmaligen Einblick in die Sichtweisen, welche maßgebliche kulturelle Akteure auf die Gepflogenheiten der Zensur hatten.

DR AMATISCHE CENSOREN Für die Funktionäre des Wiener Burgtheaters, seit 1776 wieder Hoftheater und nunmehr zur „Nationalbühne“ erhoben, waren die Inhalte des Dekrets Josephs II. vom März 1770 in besonderer Weise verbindlich – in ihren Augen hatte das Burgtheater, wie aus vielen Gutachten hervorgeht, Modellcharakter für das „gesittete“ und „gereinigte“ Theater. Der Theatralausschuss des Burgtheaters hatte das Dispositiv des gereinigten Theaters voll inkorporiert, er wurde zum „dramatischen Censor“, eine Rolle, die Joseph von Sonnenfels dereinst nur zu gerne innegehabt hätte. Die Begutachter waren – im Unterschied zu heutigen vergleichbaren Gremien – alle aktive Schauspieler, und nicht wenige von ihnen, wie Christian Gottlob Stephanie der Ältere (1734–1798)247, Johann Heinrich Friedrich Müller (1738–1815)248, Johann Gottlieb

246 Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Hofarchive, Generalintendanz der Hoftheater, SR 3: Prothocoll und Referate über die eingeschickten Stücke beym Kayserl. Königl. National Theater, 1779. 247 Seit 1760 Mitglied des deutschen Ensembles des Kärntnerthor-Theaters. Siehe dazu Franz ­H adamowsky: „Leitung, Verwaltung und ausübende Künstler des deutschen und französischen Schauspiels, der italienischen ernsten und heiteren Oper, des Balletts und der musikalischen Akademien am Burgtheater (Französischen Theater) und am Kärntnerthortheater (Deutschen Theater) in Wien 1754–1764“. In: Jahrbuch der Gesellschaft für Wiener Theater-Forschung XII. Wien 1960, S. 113–133, hier S. 132. 248 Seit 1763 Mitglied des deutschen Ensembles des Kärntnerthor-Theaters (ebenda).

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Stephanie der Jüngere (1741–1800)249 und Conrad Steigentesch (1744–1779)250, waren auch Theaterschriftsteller und somit Konkurrenten derjenigen Verfasser, welche ihre Stücke beim Wiener Burgtheater einreichten. Zu den Gutachtern zählten weiterhin die Schauspieler Joseph Lange (1751–1831)251 und Franz Karl Johann Hieronymus Brockmann (1745–1812); der gefeierte Schauspieler wurde 1778 an das Wiener Burgtheater engagiert. Die eingereichten Stücke wurden in der Regel jeweils zwei Begutachtern zugeteilt, einem „Hauptbegutachter“, der ein ausführliches schriftliches, in genanntem Band protokolliertes Gutachten vorlegte, und einem weiteren Begutachter, der unter Berücksichtigung dieses Gutachtens einen wesentlich kürzeren Kommentar abgab, oft nur einen einzigen Satz, in dem die Zustimmung zum vorliegenden Urteil des Kollegen zum Ausdruck gebracht wurde. Gelegentlich wird eine solche Zustimmung durch die Aufzählung weiterer Gesichtspunkte ergänzt, besonders bei problematischen Stücken. Eher selten bekundet der Zweitgutachter eine konträre Meinung, die er in diesem Falle ausführlich begründet. Stücke, welche der Begutachter der Berücksichtigung Wert fand, wurden durch Lesung einer definitiven kollegialen Entscheidung vorgelegt. In eine solche Position gelangten nur wenige der eingereichten Stücke. Von den im Band begutachteten Stücken wurden schließlich nur zwei in den Spielplan des Burgtheaters aufgenommen, zwei Dramen, die heute selbst Theaterexperten weitgehend unbekannt sind: das Schauspiel Edwin und Ema, ver­ fertigt vom Wiener Verleger Franz Anton Schrämbl (1751–1803)252, am 15. Mai 1779 uraufgeführt253, und die Tragödie Hedwigis von Westenwang oder die Belagerung von Wien von Joseph Bernhard Pelzel (1745–1804), uraufgeführt am 9. September 1780254. Andere, 1779 abgelehnte Stücke wurden jedoch später, zur Zeit der Alleinregierung Josephs II., in das Repertoire des Burgtheaters aufgenommen; ich werde darauf noch zurückkommen. In der Regel ist das Hauptgutachten zweigeteilt, wobei nur in den seltensten Fällen der Name des Bühnenautors genannt wird. Zunächst erfolgt eine mehr oder weniger ausführliche „Zergliederung“ der Handlung, gelegentlich unter Heranziehung von Zitationen aus dem Theatertext. Eine solche Zitation hat im Zuge des Begutachtungsverfahrens zweierlei Funktion: sie kann die Qualität des begutachteten 249 Seit 1769 Mitglied des deutschen Ensembles des Kärntnerthor-Theaters. Siehe dazu Zech­m eister: Die Wiener Theater, S. 298. 250 Seit 1769 Mitglied des deutschen Ensembles des Kärntnerthor-Theaters. Siehe dazu: ebenda. 251 Seit 1770 Mitglied des deutschen Ensembles des Kärntnerthor-Theaters. Siehe dazu: ebenda, S. 317f. 252 Zu Franz Anton Schrämbl siehe Ursula Kohlmaier: Der Verlag Franz Anton Schrämbl. Dissertation, Universität Wien 2001. 253 Hadamowsky: Die Wiener Hoftheater. Bd. 1, S. 33. Dieses Schauspiel stand bis 1794 auf dem Spielplan des Wiener Burgtheaters. 254 Ebenda, S. 60. Dieses Stück erlebte nur drei Aufführungen.

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Stückes unterstreichen, oder – und das ist häufiger der Fall – die Textauswahl soll exemplarisch die schlechte Qualität des eingereichten Stückes darlegen, gelegentlich versehen mit dem Hinweis, dass sich eine weitere „Zergliederung“ erübrige. Ein Beispiel für eine solche negative Zitation findet sich etwa im Gutachten über das Originaltrauerspiel Sienkong.255 Brockmann, der dieses Schauspiel zu begutachten hatte, kritisierte insbesondere den Sprachstil, der voll von Tautologien und „unschicklichen“ Wiederholungen sei: der Autor habe versucht, den Stil Lessings nachzuahmen, doch die „Wiederholungen, die bey ihm [Lessing] so schön, so natürlich angebracht sind, die seinen Ausdruck um die Helfte verstärken, sind hier in läppisches Gewäsche ausgeartet“:256 „Er stirbt, er stirbt! er stirbt mein Sohn! mein Sohn! er stirbt! Es ist nicht möglich, ist nicht möglich, möglich! Sie reißen mich von dir ich sehe dich nicht wieder Sie führen dich zum Todt ich sehe dich nicht wieder Ihr sehet euch, ihr sehet euch nicht wieder Du fliehst mich schon ich sehe Dich nicht wieder Wo fliehe, flieh ich hin? wie rette, rett’ ich mich?“257 Der Handlungsanalyse folgt eine explizite Bewertung, deren Quintessenz gelegentlich schon in der „Zergliederung“ enthalten ist. Eine Darstellung der Handlung entfällt, wenn der Begutachter im Zutrauen auf die ihm zugeschriebene Kompetenz eine detaillierte Analyse eines Werkes aufgrund der von ihm konstatierten schlechten Qualität für überflüssig hält. Stoff, Plan, die Erweckung von Interesse, Aufbau, die Adäquatheit der eingesetzten Sprache, die Charakterisierung der Personen, die Gesamtökonomie der Konstellation der verschiedenen Charaktere stehen in der Begutachtungsrhetorik im Vordergrund. In der Folge sei ein kurzes Beispiel für ein solch abschließendes (von Stephanie dem Jüngeren verfasstes) Urteil angeführt, welches sich in diesem Falle gleich auf drei Stücke ein und desselben, namentlich nicht genannten Bühnenautors erstreckt (Demeter und Rosine, ein Originaldrama in fünf Aufzügen, Die Liebhaber nach der Mode, ein Lustspiel in drey Aufzügen, Der brennende Wald, ein Lustspiel in einem Aufzuge): „Alle drey aus einer Feder gefloßen, und eines so unbrauchbar als das andere. Der Verfaßer hat so wenig Anlage, einen Plan machen zu können, und nützliche Charaktere zu schildern, als er Kenntniße der Sprache, worin er schrei255 Österreichisches Staatsarchiv: Prothocoll der Referate über die eingeschickten Stücke beym Kayserl. Königl. National Theater, 1779, S. 102–105. 256 Ebenda, S. 103. 257 Ebenda.

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ben will, besitzt. Worte sind genug vorhanden, aber so wenig Sinn, daß einem ekelt die erbärmliche Schmierung durchzulesen; auch kann er unmöglich den Sinn der Worte, die er hingesetzt, allemal verstanden haben, sonst würde er sie nicht so unschicklich zusammengesetzt haben. Eben so wenig zweckmäßig sind seine Stücke.“258 Oder, um ein weiteres Beispiel zu bringen, ein Auszug aus dem abschließenden ­Gutachten über das Trauerspiel Emilie und Edmund, od. der Familiensturz, referiert von Stephanie dem Älteren. „Daß der Verfasser gute Schauspiele kenne, beweisen ganze Stellen, die daraus wörtlich abgeschrieben sind; Wie wenig er sie studiert habe, beweist sein Stück im ganzen, und im Einzelnen. Weder Anlage, noch Ausbildung taugt im geringsten etwas. Gedanken und Sprache sind von der schlechtesten Art; fast jede Seite liefert Proben davon.“259 Im abschließenden Teil werden bei Bedarf auch zensurielle Aspekte angesprochen. Die „Sittlichkeit“ des Dramas ist vor allem dann ein Thema, wenn Verstöße dagegen wahrgenommen werden. Jedoch fehlt der jeweiligen Darstellung der einzelnen Stücke, sofern nicht ex negativo, jener „abgeleitete Satz“, der nach Hägelin die „Moral“ des Stückes beinhaltet. Die von Hägelin im Wesentlichen als Legitimation zeitgleich an Maria Theresia weitergegebene „curriculare“ Fixierung im Hinblick auf mögliche „Lerneffekte“ wird in den Gutachten nicht als Analyseinstrument wahrgenommen – sie ist kein prinzipielles Entscheidungskriterium in dem Sinne, dass bestimmte Sittenthemen präferiert würden. Vielmehr werden „Sittenstücke“, welche sich aus Sicht der Gutachter bloß aus Sentenzen speisen, ohne sonstige dramatische Qualitäten in nennenswertem Maße zu besitzen, vehement abgelehnt; prätentiöses Moralisieren wird als kleinstädtisch und provinziell angesehen. Als Beispiel sei die Besprechung des Lustspiels Der Husarenraub von Carl Martin Plümicke (1749–1833) genannt.260 Dazu drei Auszüge aus den Gutachten: „Alle darin auftretenden Personen sind nach einem Leisten geformt, und verschiedene nur da, das Stück zur gehörigen Länge auszudehnen. Über-

258 Ebenda, S. 41. Darunter fielen aber durchaus bemerkenswerte Wortschöpfungen: „Nun das geht lustig! England brandmalte mich, Frankreich hieng mich in Effigie, und Teutschland, o du beneidenswürdiger Galgen! du bekommst das Original.“ Aus: Demeter und Rosine, ebenda. 259 Ebenda, S. 72. 260 Henriette, oder der Husarenraub. Ein Schauspiel, in 5 Akten, von C. M. Plümicke. Nach dem Roman gleiches Namens. Berlin, bei Arnold Wever. 1780.

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haupt ist es zu romantisch261; kein Kontrast in den Charakteren, und meines Erachtens für unsere Bühne ganz unbrauchbar.“262 Und im Hinblick auf das konstatierte Moralisieren noch pointierter Steigentesch: „Alles will raisoniren, alles moralisiren, und man findet oft mehr Kapuziner als Soldaten Sprache.“263 Und schließlich noch Brockmann: „Ich habe das Lustspiel der Husarenraub gelesen, und finde nichts, was es der Annahme würdig machen könnte. Höchstlangweilige Tiraden von Tugend und Frömmigkeit“.264 Durch die dramaturgische Analyse ziehen sich bestimmte Feindbilder und Trenn­ linien, darunter die Abgrenzung gegen andere Theater, die aus Sicht der Begutachter nicht dem Anspruch einer „Nationalbühne“ verpflichtet sind respektive sein müssen. Gewisse Stücke weist man, zumindest virtuell, in die Vorstadt, an das Leopoldstädter Theater. Diesbezüglich heißt es in dem von Stephanie dem Jüngeren erstellten Zweitgutachten zum Lustspiel Die heimliche Heyrath: „Die Grundlage dieses Stücks so wohl als Charaktere und Intrigen enthalten so viel abgeschmacktes und elendes, daß es allenfalls für die Leopoldstädter Trupp eine Speise nichts weniger aber für das National Theater sey, ich kann daher meine Stimme nicht zur Vorlesung geben.“265 Dem entspricht eine sehr entschiedene, manchmal geradezu mit Äußerungen des Ekels verbundene Abgrenzung von allem Possenhaften und derb Burlesken, oft versehen mit dem Hinweis auf die vergangenen Zeiten des schlechten Geschmackes. So schreibt Stephanie der Ältere über das Lustspiel Der blinde Nebenbuhler: „eine wahre

261 Gemeint ist damit zu „romanhaft“ („romanenhaft“), ein Vorwurf, der in den Gutachten des Jahres 1779 des Öfteren erhoben wird. Ich werde darauf in der Folge näher eingehen. 262 Österreichisches Staatsarchiv: Prothocoll der Referate über die eingeschickten Stücke beym Kayserl. Königl. National Theater, 1779, S. 32. 263 Ebenda, S. 33. 264 Ebenda, S. 34. 265 Ebenda, S. 116. Um ein weiteres Beispiel dieser Art zu geben: so heißt es in Müllers Gutachten zum dreiaktigen Lustspiel Das stumme Mädchen, oder das beste kömmt zuletzt, welches nach Aus­sage des Gutachters gegen alle „Wahrscheinlichkeit“ und „Natur“ verstoße: „für das Leopoldstädter Theater aber keineswegs für die Hof=Schaubühne annehmbar“. Ebenda, S. 251.

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Burlesque altmodischer Art“,266 Verwicklung und Entwicklung seien gleichermaßen „einfältig“,267 Gedanken und Sprache „größtentheils abgeschmackt“.268 Zum selben Lustspiel noch pointierter Brockmann: „Ein höchst elendes Gewebe von Possen, Zoten, und längst schon belachten, und abgenüzten Späßen, ohne Plan und Verwicklung. Die […] Charaktere könnten eher Erbrechen, als Lachen erregen. […] Der ganze Dialog ist eben so unedel als das Sujet, und die Charaktere, hie und da mit tausend Sakramenten, Hundsföten, und Huren durchspickt.“269 Der Vorwurf des Possenhaften trifft auch das fünfaktige Trauerspiel Hesione, welches gemäß der Aussage des Gutachters auch burleske Elemente enthielt: die Geschichte des trojanischen Königs Laomedon, der das beim Bau der Stadtmauer Apollo und Neptun gegebene Versprechen nicht einhält, worauf sich die Götter rächen und des Königs Tochter „Hesione einem, von Neptun geschickten gräßlichen Seeungeheuer zum Raub überlassen“270. Auch hier findet sich der Verweis auf überwundene thea­ trale Formen: „Haubt- und Staatsactionen sind gegen diese Comisch tragikolische [sic] Farce noch Meisterstücke.“271 Als letztes Beispiel soll ein Singspiel genannt werden, dessen Titel allen SalieriKennern wohl vertraut ist: Der Rauchfangkehrer, oder die unentbehrlichen Verräther ihrer Herrschaften aus Eigennutz. Dazu Müller: „Eine wahre, höchst unnatürliche Farce, die wirklich der Annahme für die Nationalbühne unwürdig ist. Ewig Schade, daß der Herr Compositor über ein so erbärmliches höchstelendes Sujet gerathen ist. Jeder Liebhaber der gereinigten Bühne, wird wenn, woran ich nicht zweifle, die Musick noch so vortreflich ist, mit Wiederwillen dieses Unding ansehen. Kein richtiger Plan, keine natürliche Verbindung der Scenen, keine reine Sprache, höchstalltägliche Charaktere, eine erbärmliche Versifikation in den Gesängen, viel Pöbelwitz, eine Menge grober und schmutziger Ausdrücke – kurz vom Anfang bis zum Ende ist diese Oper voller Mängel. Ich kann nicht zur Annahme rathen.“272

266 Ebenda, S. 29. 267 Ebenda. 268 Ebenda. 269 Ebenda, S. 29f. 270 Ebenda, S. 60. 271 Ebenda. 272 Ebenda, S. 115.

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Dieser Stellungnahme stimmten sämtliche Begutachter zu, die, was ungewöhnlich ist, das Stück alle gelesen hatten – ein Hinweis darauf, dass es sich dabei um einen besonders heiklen Fall handelte, bei welchem man nach außen wohlüberlegt seine Begründung abgeben wollte. Es ist im Hinblick auf das unzweifelhafte Lob für den namentlich nicht genannten Komponisten sehr wahrscheinlich, dass es sich bei dem geschätzten Komponisten um Antonio Salieri gehandelt hat, dessen deutsches Singspiel mit dem erwähnten Titel erst am 30. April 1781 am Wiener Burgtheater uraufgeführt wurde.273 Dementsprechend wäre Salieris Singspiel bereits wesentlich früher komponiert worden als bisher angenommen.274 Es ist jedenfalls eher unwahrscheinlich, dass der Text zu diesem Singspiel ursprünglich von einem anderen, derzeit unbekannten Komponisten vertont wurde und Salieri mehr als ein Jahr später auf die Idee gekommen ist, ein Werk nochmals zu komponieren, dessen Text am Burgtheater verworfen wurde. Dementsprechend könnte Salieri das Werk schon um 1779 komponiert haben, eine Aufführung jedoch abgelehnt worden sein. Ob der Text für dieses Singspiel, der in seinen Versteilen durchaus ‚dadaistische‘ Elemente enthält, Änderungen unterzogen wurde, lässt sich nicht sagen, doch wird in Salieris Singspiel von einer bewusst burlesk-surrealen Behandlung nicht abgegangen, was den Schluss zulässt, dass nur wenig später modifizierte Bewertungskriterien zugrunde gelegt wurden. Ein weiterer negativ konnotierter Begriff, der sich durch die Gutachten zieht, ist der des „Romanenhaften“ respektive des in diesem Sinne verwendeten „Romantischen“ – er ist uns bereits bei der Besprechung des Lustspiels Der Husarenraub begegnet. Diese Kritik zielt auf das Fehlen einer für das Drama geforderten Ökonomie, welche sich als erweiterte Forderung aus der Vorschrift der Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung ergäbe. In der Folge seien einige Beispiele für Kritik an einer unterstellten „Romanenhaftigkeit“ angeführt. So schreibt Brockmann zum Trauerspiel Spiele des Schicksaals, oder die unverhofte Vereinigung: „Der Verfasser dieses Versuchs zeigt nicht das mindeste Talent zum Dramatischen Dichter. Sehr vermutlich hat er das langweilige Geschwäze aus einem eben so langweiligen Roman abgeschrieben, und dort und da die Lücken, die bey der Dialogirung nothwendig entstehen mußten, ergänzt, die Verschieden­273 Hadamowsky: Die Wiener Hoftheater. Bd. 1, S. 103. Libretto: Joseph Leopold von Auenbrugger (1722–1809): Der Rauchfangkehrer, oder die unentbehrlichen Verräther ihrer Herrschaften aus Eigennutz. Ein musikalisches Lustspiel in drey Aufzügen. In Musik gesetzt von Herrn Anton Salieri, Compositor in wirklichen Diensten Sr. Majestät des Kaisers und des kaiserl. Hof-National Theaters. Aufgeführt im k. k. Nationaltheater. Wien, zu finden beym Logenmeister. 1781. 274 So schreibt am 31. Oktober 1780 Staatsrat Tobias Gebler aus Wien an Friedrich Nicolai in ­B erlin, dass Salieri, nunmehr zurückgekehrt aus Italien, einen deutschen Text in Musik setze. Aus dem Josephinischen Wien, S. 103.

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heit der Schreibart beweist dies. Aber was man körnichten Ausdruck, gedankenvolle Sprache nennt, davon ist kein Schatten, weder in dem abgeschriebenen, noch selbst gemachten Gesprächen zu entdecken.“275 Während im obigen Beispiel eine konkrete Romanbearbeitung unterstellt wird, wofür der Begutachter allerdings nur einen indirekten Hinweis liefern kann, wird im folgenden das „Romanhafte“ zur Charakterisierung des Werkes selbst herangezogen. So schreibt Stephanie der Ältere in Bezug auf das Trauerspiel Graf von Clarmont: „Erfindung und Ausarbeitung hat völlig das Gepräge von einem Roman“276, und meint damit, dass „Natur, Moral, Wahrheit“277 dem „abentheuerlichsten Phantaseykram durchgängig nachstehen muß.“278 Zum Abschluss dieses ‚Romansegments‘ sei noch ein im Hinblick auf die Handlung kurz beschriebenes Beispiel herangezogen, welches Referent Müller mit dem Begriff des „Romans“ bedenkt: es handelt sich wiederum um ein Trauerspiel, diesmal um Der bestrafte Vater. Protagonist dieses „unnatürlichen“ Stücks279 ist Timur, Sohn eines wegen seiner großen Nachsicht und Liebe letztlich bestraften Vaters, ein als liederlich, ausschweifend und mädchenschänderisch beschriebener „Bube“,280 der von einem „noch strafbareren, kaltblütigen Bösewicht einen gewissen Baron Steinheim, von Laster zu Laster verführt und fortgerissen wird“281. Dem liebevollen Vater flucht Timur „in den schauervollsten Ausdrücken“.282 Er „entführt eine tugendhafte Unschuld ihren redlichen Eltern, und läßt sie nach dem Genuße, mit einem Kinde in der bittersten Armut und im äußersten Elende darben“.283 Schließlich fälscht Timur auch noch Wechsel, um seine Schulden zu bezahlen; „und, da er endlich in die Hände der Gerechtigkeit fallen soll, löset er Gift in einer Limonade auf, wodurch er der öffentlichen Strafe zu entgehen denkt.“284 Doch plötzlich entschließt er sich, vor dem Leeren des bereits angefüllten Bechers einen Freund zu ermorden, da er ihn für einen Nebenbuhler hält. In der Zwischenzeit trifft der Vater in der Wohnstätte seines Sohnes ein und trinkt versehentlich die vergiftete Limonade, „wird also für seine nachsichtsvolle Liebe bestraft“.285 Dazu knapp und abschließend Müller: „Dieses Stück 275 Österreichisches Staatsarchiv: Prothocoll der Referate über die eingeschickten Stücke beym Kayserl. Königl. National Theater, 1779, S. 71. 276 Ebenda, S. 81. 277 Ebenda. 278 Ebenda, S. 81f. 279 Ebenda, S. 285 (versehentlich mit „185“ paginiert). 280 Ebenda. 281 Ebenda. 282 Ebenda. 283 Ebenda. 284 Ebenda. 285 Ebenda.

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scheint aus einem Roman entlehnt zu seyn, ist zu schwarz, und hat also nichts Empfehlendes für unsere Bühne.“286 In noch schärferem Ton schreibt Stephanie der Ältere über dieses Trauerspiel, das seiner Ansicht nach selbst auf Provinztheatern missfallen würde: „Ein gräuliches, unnatürliches, aus lauter Romanzügen zusammengestoppeltes Ding“.287 Wenn man den vom Gutachter referierten Inhalt des Stückes liest, denkt man an Hägelins Musterbeispiel für die Extraktion einer „Moral“ aus einem Drama: an die Geschichte jenes jungen Mannes, der, von Laster zu Laster getrieben, schlussendlich im Selbstmord endet, woraus nach Hägelin die „Moral“ zu ziehen wäre, dass, wer einmal dem Laster sich ergibt, notwendig in immer größere gerate, bis ihn die gerechte Strafe ereile. Das hier genannte Trauerspiel zeigt insofern eine weitere Steigerung, als eine der postulierten Ursachen des Lasters, der allzu nachsichtige Vater, als „Haupttäter“ sozusagen gleich mitgestraft wird, wie im Titel des Dramas angedeutet. Es bleibt indes unklar, was die beiden Begutachter in diesem Zusammenhang unter dem Begriff der „Natürlichkeit“ und „Unnatürlichkeit“ verstehen. Im Hinblick auf die speziellen Umstände des Limonadetrinkens etwa scheint dies auf die Wahrscheinlichkeit der Handlungsentwicklung bezogen zu sein, doch trifft der Vorwurf des „Unnatürlichen“ das ganze Stück und meint darüber hinaus, dass viele der hier gezeigten Verhaltensformen moralisch als „unnatürlich“ einzustufen wären, sei es in einer ganz spezifischen Konstellation, sei es in ihrer Häufung respektive in ihrem seriellen Auftreten. Dies sei hier erwähnt, weil sich ähnliche Argumentationen auch in anderen Begutachtungen vorfinden, in denen bestimmte Darstellungsformen von Brutalität respektive sozialer Satire als „unnatürlich“ bezeichnet werden, das heißt, als von einem Ideal des Natürlichen abweichend. Ein Bruch mit dieser erfahrbaren Einheit des „Natürlichen“ wird in den Protokollen auch als Desillusionierungseffekt beschrieben, welcher die Wirkung eines Dramas auf den Zuschauer gleichsam auflöse, so in Analysen, in welchen inkonsistent scheinende Übergänge von einem Bild zum anderen kritisiert werden: dadurch merke der Zuschauer, dass er sich im Theater befände. Das Konzept der dramaturgischen Ökonomie geht von der Vorstellung aus, dass das Theater durch das Theater zum Verschwinden zu bringen wäre. Dies entwickelt eine eigene Dialektik, denn letztlich muss das Kunstdrama durch seine innere Logik das in einen stringenten Kunstgriff überführen, was im ‚Leben‘ disparat, in Zeitabständen und zufällig geschieht, ein Kunstgriff, der potentiell auch immer seine eigene Unwahrscheinlichkeit erzeugt. Die Kunst des Dramas läge darin, das Unwahrscheinliche in Wahrscheinlichkeit und Stringenz zu überführen.

286 Ebenda. 287 Ebenda.

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VERSTÖSSE WIDER DIE SITTEN Doch kommen wir jetzt zu den „zensuriellen“ Aspekten und zu den spezifischen Bedingungen, unter denen sie thematisiert werden. Zur Systematisierung folge ich dabei den auch von Hägelin benutzten Kriterien: Verstöße gegen die Sitte, den Staat und die Religion, sowohl im Hinblick auf den Stoff wie auch im Hinblick auf die Dialogführung.

Tugendspiegel im Bordell Zunächst soll es hier um Themenbereiche gehen, die Hägelin im Kapitel „Gebrechen des Stoffes in Absicht auf die Sitten“ abhandelt. Beispielhaft kann hier der Fall der Komödie Caroline, oder So wahr ich bin ein freyer Mann288 stehen, die Stephanie der Ältere in seiner Begutachtung mit negativen Superlativen versieht: „in allem Verstande, das verächtlichste unsinnigste Ding von der Welt.“289 In dem Stück erfährt die Tugend eines Mädchens nach ungewöhnlichen Ereignissen an ungewöhnlichem Ort ihren Lohn. Der für die Handlung konstitutive Ort ist eine Pension, welche als „kleines Bordell“290 fungiert, das von Frau Flackin, dem „pöbelhafteste[n] liederlichste[n] Weib“,291 geführt wird, und zwar „unter dem Vorwand, Zimmer zu vermieten“292. Wenn man die noch darzulegenden Schlussfolgerungen des Begutachters in Erwägung zieht, hätte dieser Tatbestand ausgereicht, um jede weitere Zergliederung unnötig zu machen. Allerdings übte dieses Stück ganz offensichtlich auch eine gewisse Faszination aus, sodass wir durch die Ausführungen Stephanies des Älteren in den Stand versetzt sind, die Grundzüge der Handlung dieses verpönten Stückes kennenzulernen. Caroline, die Protagonistin des Dramas, ist Ziehkind eines Ministers, dessen leiblicher Sohn, ein junger Hofrat, seine Stiefschwester gegen den Willen des Vaters „aufs heftigste“293 liebt. Das junge Mädchen, das sich durch diese familiäre Konstellation unter Druck gesetzt fühlt, verlässt heimlich das Haus der Pflegeeltern und mietet sich in völliger Ahnungslosigkeit in besagter Pension der Frau Flackin ein. Dies ist die Vorgeschichte. Die Pensionsinhaberin ist bestrebt, die schöne und tugendhafte Untermieterin für ihre Geschäfte auszunützen: „Diese möchte sie [Caroline] gern verkuppeln, da wo sie den besten Vortheil finden könnte.“294 Indessen hat sich der junge Hofrat auf den Weg gemacht, um seine Geliebte zu suchen, und der 288 Ebenda, S. 44f. 289 Ebenda, S. 45. 290 Ebenda, S. 44. 291 Ebenda. 292 Ebenda. 293 Ebenda. 294 Ebenda.

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Zufall führt ihn in das betreffende „feine Haus“,295 doch nicht nur ihn, sondern auch den Minister, der wiederum seinem Sohn nachforscht, und schließlich auch einen „reichen Engländer“,296 der es sich zum Ziel gesetzt hat, „unglückliche Mädchen aus liederlichen Häusern zur Tugendbahn [zu] führen.“297 Caroline stellt in diesem besonderen Haus ihre Tugend unter Beweis, und so willigt der Minister am Ende in eine Heirat seiner „Kinder“ ein, „damit ihre [der Pflegetochter] Tugend belohnt, und seines Sohnes Liebe beglückt werde.“ Dazu schreibt Stephanie der Ältere: „Beym ersten flüchtigen Anblick fällt schon das Anstößige dieses Stückes, so sehr in die Augen, daß es unbegreiflich ist, wie der Verfaßer nur einen Augenblick glauben könne, so was wär für irgend ein Theater; da nicht allein der Stof, sondern auch die Behandlung davon, voll Schmutz und Pöbelwitz; […] doch kann ein Autor so dreist sein, dasselbe für das k. k. Nationaltheater als ein Preisstück einzusenden.“298 Der Zweitbegutachter Brockmann schließt sich diesem Urteil an, mit dem Hinweis versehen, dass ein solches Stück durch keinerlei Bearbeitung für eine „gereinigte“ Schaubühne brauchbar gemacht werden könne. Er kritisiert an der Durchführung, dass das Ganze „ein wenig zu sehr nach Taback und Brantwein riecht“299, doch unabhängig davon „wäre doch […] der Erweis der ganz Censurwidrigen Handlung, zur Abfertigung des Verfassers schon hinreichend.“300 Wer war der – wie in nahezu allen Begutachtungsfällen nicht genannte – Verfasser dieses „verächtlichsten und unsinnigsten Dings der Welt“, der darüber hinaus wagte, eine solche Pièce beim „Nationaltheater“ einzureichen? Der Autor lässt sich in diesem Falle eindeutig identifizieren: im Folgejahr 1780 erschien in Leipzig ein Textdruck unter dem genannten Titel, dessen Inhalt zu obiger Schilderung passt. Als Autor der Komödie ist „Anton Wall“ genannt und das ganze Werk einem Herrn August Moßdorf zugeeignet.301 „Anton Wall“ ist das Pseudonym für Christian Leberecht Heyne (1751–1821). Der zum Zeitpunkt der Einreichung 28-jährige Bühnenautor hatte zuvor in Leipzig Jura studiert und wohl auch sein Bühnenwerk von dort aus eingesandt – mit den Wiener Zensurpraktiken war er offensichtlich nicht näher vertraut. 295 Ebenda. 296 Ebenda, S. 44f. 297 Ebenda, S. 45. 298 Ebenda. 299 Ebenda. 300 Ebenda. 301 Caroline, oder So wahr ich bin ein freyer Mann. Ein Lustspiel in fünf Akten von Anton Wall. Herrn August Moßdorf gewidmet. Leipzig, im Verlage der Dykischen Buchhandlung. 1780.

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Wie wir dem Vorwort des erwähnten Drucks entnehmen können, handelt es sich bei der publizierten Fassung bereits um eine revidierte Version, welche nach den Angaben des Autors aufgrund vorgebrachter Bedenken der Anstößigkeit erstellt wurde; der exakte Wortlaut der Wiener Fassung ist nicht bekannt. Möglicherweise handelt es sich bei den beiden namentlich nicht genannten „große[n] Kenner[n] der Bühne“, deren Urteil dem jungen Autor Anlass zu einer Überarbeitung gegeben hat, um Stephanie den Älteren und Brockmann. „Der Gedanke, daß sich durch Zufälle ein sehr guter Mensch in sehr schlechter Gesellschaft befinden könne, war die Veranlassung dieses Stücks. Eine schlechte Gesellschaft gehörte also in den Plan, und der Verfasser, dem es leichter ward, zehn gute Charaktere durchzudenken, als Einen schlechten, reducirte sie auf eine einzige Person. Aber noch diese machte seiner Geduld viel zu schaffen, theils weil der Charakter wahr seyn sollte, theils weil er sich diejenigen, denen er denselben ausstellte, als edle Menschen dachte. Das Stück war fertig: zwey große Kenner der Bühne urtheilten, daß es noch anstößig seyn könnte. Der Verfasser, der ihnen hier öffentlich für ihre Erinnerung dankt, überarbeitete das Stück noch einmal, warf weg, sezte hinzu, und gab ihm die Gestalt, in der es izt vor der Welt erscheint. Denn Wahrheit des Gemäldes ist gut, aber Moralität ist besser.“302 Der im Vorwort angeführte Grundgedanke, das Verhalten von Menschen beschreiben zu wollen, die unter radikal geänderten moralischen Milieus agieren müssen, scheint auch der Hauptimpetus des Autors gewesen zu sein, dieses Stück nach Wien einzuschicken, versehen mit der Hoffnung, durch ein solches Konzept Interesse zu erwecken, was nur der Fall ist, wenn ein drastischer Kontrast herbeigeführt wird. Das „Bordell“ findet in diesem Drama allerdings nur in den Köpfen statt, und zwar lediglich in der Hinsicht, dass aufgrund des spezifischen Ortes die Protagonistin mit entsprechenden Verhaltenserwartungen versehen wird. In besagter Pension der Frau Flackin halten sich jedoch während des ganzen Stückes keine Personen auf, die als Bordelldamen oder Bordellkunden fungieren. Die einzige ‚obszöne‘ Person ist die Frau Flackin: eine getarnte Kupplerin und Geschäftsfrau, welche die Pensionsgäste nach Strich und Faden betrügt, ihr als tugendhaftes, unschuldiges Landmädchen geschildertes Kammermädchen drangsaliert und sich überdies in dem Glauben wähnt, etwas Besseres zu sein, dabei auf die unter ihr Stehenden als Pöbel herabblickend. Und wenn es sich um adelige Herren handelt, so sieht sie in ihnen lediglich Narren, die man um ihr Geld betrügen kann. Ansonsten überbietet sie sich gegen jedermann

302 Ebenda, Vorwort.

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in Prätention ihrer Ehrhaftigkeit. Ihr obszönster Satz, zumindest in der überlieferten Druckvariante, mag sein, dass es wohl an die 20 Männer gäbe, die gerne in ihr Haus kämen, um Schokolade zu trinken. Nach dem mehr oder weniger zufälligen Eintreffen des Hofrates und des Ministers samt ihren Bedienten gibt es kaum eine nennenswerte Handlungsentwicklung. Diese beruht einzig auf einer scheinbaren Bordell-Szene, die sich sofort ins Gegenteil auflöst: Lord Queenborough, der von Stephanie dem Älteren erwähnte reiche Engländer, bietet Frau Flackin Geld, damit sie eine vertraute Unterredung mit Caroline herbeiführe, wozu die Pensionsbesitzerin nur zu gerne bereit ist. Sie nötigt Caroline, die wie ihr Ziehvater adeliger Herkunft ist, zu dieser Unterredung, indem sie ihr droht, Carolines Aufenthalt in der Pension der Polizei zu melden, falls sie sich einem „ehrbaren“ Gespräch verweigere. Das „Gewerbe“ findet somit in den Köpfen statt, im Kopf der Kupplerin, im Kopf Carolines, die in das Gespräch mit großem Argwohn geht, und im Kopf des Lords, der die in der Pension wohnende junge Frau für eine Liebesdienerin ansieht. Doch klärt sich die Situation rasch auf: wie erwähnt, gibt sich der Lord als jemand zu erkennen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, gefallene Mädchen mittels finanzieller Unterstützung wieder auf den Weg der Ehrbarkeit zurückzuführen. Er bietet der ob solcher Zuschreibung höchst erstaunten Caroline eine großzügige monatliche Rente an – ohne jede Gegenleistung, sie würde ihn nach einer solchen Vereinbarung nie wieder sehen. Caroline weist dies Angebot ab, weil die vom Lord imaginierten Bedingungen gar nicht zutreffen, ohne sich allerdings darüber zu erklären. Der Lord lässt sich jedoch nicht abweisen und fordert ein Gegengeschäft, das paradoxerweise auf der absoluten Aufhebung des Tauschprinzips beruht. In diesem Zusammenhang fällt auch jener Satz, der den Untertitel des Dramas bildet: „So wahr ich bin ein freyer Mann! Entweder Sie eine Rente, und ich nichts, oder ich einen Kuß, und Sie nichts“ – einer der wenigen zweideutigen Sätze des Stücks. Caroline weigert sich, sich auf eine solche Entscheidung einzulassen. Als der Lord sie dennoch küssen will, schreit sie um Hilfe. Der Hofrat stürzt ins Zimmer, sie flieht. Zwar erkennt ihr Geliebter sie nicht, erfährt aber wenig später, dass sie es war, die sich mit dem Lord in dem Zimmer aufgehalten hat. Er hegt die schlimmsten Befürchtungen und beginnt zu kränkeln. Aber schließlich löst sich alles in Wohlgefallen auf, und die Tugend Carolines wird von allen erkannt und gepriesen. Das imaginative Bordell ist gewissermaßen ein Katalysator, der eine wenn auch nicht ohne Weiteres nachvollziehbare Wendung herbeiführt – in dieser gleichsam naiv-provokanten Form hatte der Autor sein Drama als Sittenbild aufgebaut – das ominöse Wort fällt das erste Mal in der 6. Szene des II. Aktes, in der der Minister erstmalig auftritt und sein Diener die Vermutung äußert, dass man sich in einem Bordell befinden könnte. Dies bekümmere ihn jedoch nicht, lässt der Diener vernehmen, und der Minister will wissen, wie das gemeint sei (II/6): 253

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„Daß die Häuser sind, wozu sie die Leute machen, und daß der Eine in einem Bordell seyn kann, wie in einer Kapelle, und der Andere in einer Kapelle, wie in einem Bordell.“303 Ob dieser Worte lobt der Minister seinen Diener, als ob sich der Dichter selbst ob seiner Idee preisen wollte: „Du bist mir noch einmal so lieb, daß Du solche nachdenkliche Reden an Dir hast.“ Die Wiener Begutachter ließen sich von dieser Nachdenklichkeit nicht beeindrucken – das Bordell war auf der Bühne ebensowenig ­darstell- und aussprechbar wie das Wort Kapelle. Im Grunde hatte Sonnenfels mit anderer Begrifflichkeit zuvor durchaus Vergleichbares geschrieben: dass der Tugendhafte im Bildnis des nackten Körpers des Heiligen immer den Heiligen sehen werde, während der Tugendlose selbst den verhüllten Körper mit seinen inneren Blicken zu entkleiden versuche. Es ging angesichts der mit den ablehnendsten Begriffen versehenen Gutachten auch darum, zu untersuchen, warum ein junger Autor ein derartiges Stück mit einigen Hoffnungen nach Wien gesandt hatte – ganz unabhängig davon, dass es in keiner Weise gelungen ist. Der massive sittliche Vorbehalt betraf nicht die wie auch immer ableitbare „Moral“, die im Stück selbst bis zum Überdruss praktiziert wird, sondern den spezifischen Bühnenort samt den damit verbundenen Imaginationen und sozialen Praktiken, die unabhängig von der sittlichen Botschaft nicht darstellbar waren. Der Leipziger Druck wurde jedenfalls von Hägelin, der auch für die theatralischen Druckwerke zuständig war, nicht verboten. Er ist – falls überhaupt nach Wien gelangt – mit großer Wahrscheinlichkeit erst zu Beginn der Alleinregierung Josephs II. zur Beurteilung gekommen, und gerade im Hinblick auf die Theaterdrucke ist hier – wie im nächsten Kapitel zu zeigen sein wird – viel in Bewegung geraten.

bestrafte Brutalität Auch das im Folgenden behandelte Theaterstück, Die bestrafte Brutalität, ein Lustspiel in 5 Abtheilungen, wird in jeder Beziehung als – wie es gleich im Anfangssatz des Gutachtens heißt – „unter aller Kritik“ eingestuft: es sei ein Stück voller Zoten, Schmutz und Zweideutigkeiten. Im Unterschied zur Begutachtung von Heynes Lustspiel erfolgt die vehemente Ablehnung hier noch vor jeder Darstellung des Stücks. Nach der einleitenden vernichtenden Äußerung fährt Müller fort: „Der Verfasser hat gar keine Kenntniß von den Regeln der dramatischen Dichtkunst. Sein Dialog ist höchst fehlerhaft, voller Unsinn und Zoten. Er jagt nach Schmuz und Zweydeutigkeit. Sicher ist es daß dieses Stück auf keiner gesitteten Bühne Deutschlands aufgeführt werden kann. Überhaupt hat 303 Ebenda, S. 53.

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es gar keinen durchgedachten Plan, nicht das mindeste Interesse. Die Charaktere haben alle einerley Tinte“.304 Obwohl es nun eigentlich nichts mehr zu sagen gäbe, als die bedingungslose „Verwerflichkeit“ des Textes zu unterstreichen, setzt Müller mit einer außergewöhnlich langen Analyse des Stückes fort; dabei geht es ihm weniger um eine Darstellung des Handlungsverlaufs als um eine dichte Zitation einzelner Sätze oder Handlungssegmente samt Unterstreichung der anstößigen Worte. So werden im I. Aufzug unter anderem folgende Sätze beanstandet: „Du würdest mir ein Kreutz in Hintern beißen.“305 oder: „Fräulein von Saten schlug hinten und vorn aus, als sie der General halsen wollte.“306 Dabei geht es nicht bloß um „anstößige“ Formulierungen, sondern vor allem auch darum, dass Frau von Saten, des Bürgermeisters Frau, „ihrem Mann untreu sey; und einen sehr zweydeutigen Carackter habe“.307 So lässt am Ende der „ersten Abtheilung“, wie in diesem Stück die Aufzüge genannt werden, Frau von Saten „durch ihr Stubenmädchen den Haubtmann zu sich bestellen, der bey ihr einquartiert ist“. Er möge allerdings erst kommen, nachdem ihr Mann ausgegangen und sie alleine sei. Grundlage des Stücks ist also eine Einquartierung militärischen Personals in einer nicht näher genannten (Klein-)Stadt, welche Anlass zu einer kritischen Schilderung des Verhaltens des ­M ilitärs wie der zur Einquartierung genötigten Bürger, die auch ihre Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, bietet: „Um Sophie die Tochter des Saten für den Nachstellungen der Offiziere /: die überhaubt im ganzen Stück mit beleidigenden Farben geschildert sind: / sicher zu stellen wird sie auf das Schloß zu ihrer Tante gebracht. Rosel [die Kammerzofe], die den Haubtmann auf Befehl ihrer Frau in der Abwesenheit ihres Mannes zum Frühstück einladen muß, sagt in einem Monologe: ,Der Haubtmann machte ein paar Augen, als er hörte, daß Sophie nicht mehr im Hause ist! Ja, Ja, Ja /: sie lacht: / jezt muß er mit der gestrengen Frau Vorlieb nehmen, und die wird ihm schon zu zähe seyn, denn die Herrn Offiziere schmazzen gern die Leckerbissen zusammen.‘“308

304 Österreichisches Staatsarchiv: Prothocoll der Referate über die eingeschickten Stücke beym Kayserl. Königl. National Theater, 1779, S. 57. 305 Ebenda. 306 Ebenda. 307 Ebenda. 308 Ebenda.

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Ebenso erbost es Müller, mit welcher „Unartigkeit“ die Frau des Bürgermeisters über die Welt redet – hier ist im Unterschied zu den sonstigen Zitaten nichts speziell unterstrichen – und deftige Klagen über die Dienstboten und das Militär führt: „Unglücklicher kann kein Mensch sein als ich! mit seinen Dienstboten, ein Stubenmädl, das so dumm ist als ein Paruquenstock. Einen Bedienten, der seine Nase in allen hinten und vorn haben muß, und der meinen Mann stets Flöh in die Ohren setzt. Eine Köchin, die nicht eher einen Kochlöffel in die Hand nimmt, als bis sie blitz blatz stern voll ist, und mit dem muß ich mich schon so lange herumbalgen. ibid: Es hat Noth, da man das Hemd gar vom Leib abzieht, und es den Herrn Offizieren an Hals wirft! O Tempora! O Mores! Die Winterquartier werden mir nicht so bald aus dem Kopf ­ kommen.“309 Gemäß dem Titel des Stückes nehmen Dialog wie Handlungsverlauf brutalere Form an: Der General ist verärgert, dass die Tochter des Bürgermeisters entfernt wurde, und stellt dessen Gattin unter Drohgesten zur Rede: „Keine Umstände Frau Bürgermeisterinn, ich verstehe jezt keinen Scherz, sagen sie gleich den Augenblick, wo Sophie ist, sonst laß ich ihnen auf der Stelle den Rock über den Kopf zusammenbinden, und sie so lange in […] kaltes Wasser sezen, bis sie es entdecken. Sie müssen Wasser saufen bis es ihnen zum Kragen herausläuft, und sollten sie ein Brett vor den Hintern haben.“310 Des Weiteren heißt es, dass eine alte Tischlerwitwe von zwei bei ihr einquartierten Soldaten „gehobelt worden“311 wäre. Die Soldaten zogen die Witwe im Nachthemd aus dem Bette, trugen sie zur Hobelbank hin und „hobelten“ sie ab, was immer das im Einzelnen genau heißen mag. Auf diesen Bericht folgt auch ein Kommentar: „Für eine so alte Wittwe wäre ja wahrhaft ein Soldat genug“312. Wie und in welcher Form dieses Stück endet bzw. worin die Bestrafung der Brutalität besteht, wird nicht mehr berichtet. 309 Ebenda, S. 58. 310 Ebenda. 311 Ebenda, S. 59. 312 Ebenda. Laut Roland Girtler (Rotwelsch. Die alte Sprache der Dirnen, Gauner, und Vagabunden. Wien, Köln, Weimar 2010, S.  195) wurde in bestimmten Segmenten der Umgangssprache das Wort ­„hobeln“, wie etwa auch das Wort „schuastern“, als Synonym für die Ausführung vaginalen Geschlechtsverkehrs verwendet. Ob dies auch schon auf den Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts zutrifft, ist indes unklar.

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„Sie werden aus diesen herausgezogenen Stellen [wovon ich nur einen Teil aus Müllers akribischer Auswahl angeführt habe] schon ersehen, wie elend das ganze Gedicht ist. […] Der Censor muß es schlechterdings als eine Beleidigung ansehen, wenn man ihm eine solche Geburt zum Durchlesen über­ gäbe. Es ist weder der Vorlesung noch weniger der Aufführung würdig.“313 Im Unterschied zu vorigem Lustspiel lässt sich weder der Verfasser noch ein Text eruieren, sodass wir keine Information über die dramatische Gesamtkonzeption haben. Der Titel lässt jedenfalls vermuten, dass der Autor einige kritische Intentionen gehabt und nicht einfach eine teilweise ‚sexistisch‘ anmutende Posse eingeschickt hat. Die ungewöhnlich lange Sammlung anstößiger Reden mag ein Indiz sein, dass die Anlage dieses Stückes eine gewisse Irritation erregt hat, wie manche der zeitgleich erschienenen neuen Dramen, die nicht so leicht einzuschätzen waren. Für den Begutachter war „das ganze Stück in pöbelhafter Tour“ geschrieben und somit schon dadurch für die „Nationalbühne“ nicht geeignet. Ganz offensichtlich stand aber im Zentrum des Dramas die Präpotenz des Militärs. Hier ging es nicht um mehr oder weniger verliebte Streiche, die Hägelins späteren Ausführungen zufolge auf der Bühne nur von jungen Soldaten und unteren Rängen vorgenommen werden sollen, hier ging es, daran lässt weder der Titel noch die Sprache des Dramas Zweifel, um brutale Übergriffe – und es ging offensichtlich auch darum, dafür einen spezifischen Sprachduktus zu finden, der ein anderer sein musste als etwa im Grafen von Waltron von Heinrich Ferdinand Möller (1745–1798), dem Psychodrama eines sich mit den Normen des Militärs überidentifzierenden Adeligen, der sich wider Willen affektgeladen in die „Insubordination“ treiben lässt. Auch die Kritik des Begutachters zielt darauf, dass das Militär in „beleidigenden Farben“ geschildert wäre. Und es sind die sittlichen Verstöße, die in verschiedenen Varianten vorgeführt werden, unter Verwendung aller möglichen Zweideutigkeiten. So charakterisiert eine weibliche Figur – um noch ein letztes Beispiel zu nennen – einen Oberleutnant: „Der Herr Oberlieutnant gefällt mir gar nicht, er kömt mir vor wie ein junger Stier, der alles auf die Hörner nimmt, und wegschleudert, oder alles mit Gewalt durchborrt wo er ansezt“.314 Der Begutachter fügt unterstreichend hinzu: dies „im Munde eines Mädchens“.315 Kritisch gesehen wurde auch die Rolle der ehebrechenden Frau, welche – mit bestimmten Ausnahmen – ganz offensichtlich im letzten Dezennium der theresianischen Zeit kein Gegenstand der Bühne mehr sein konnte – zumindest seit Sonnenfels, der das Hahnrei-Thema ins Zentrum des Obszönen stellte. 313 Österreichisches Staatsarchiv: Prothocoll der Referate über die eingeschickten Stücke beym Kayserl. ­Königl. National Theater, 1779, S. 59. 314 Ebenda, S. 58f. 315 Ebenda, S. 59.

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Die abscheulichste Kreatur Das in der Komödie Die bestrafte Brutalität beanstandete Thema der „untreuen“ Ehefrau taucht als Objekt der Kritik in mehreren Gutachten und in unterschiedlichen Dosierungen auf, gelegentlich auch unter Verweis auf unterschiedliche Landessitten. So merkt Brockmann bei der Begutachtung des Lustspiels Der Triumph der ehelichen Treue, „aus dem Italienischen des Hrn. Goldoni“, an: wenn Goldoni auch zweifellos ein fruchtbarer Schriftsteller sei, so wären seine Dramen nicht ohne Bearbeitung aufzuführen, denn seine Personen handelten nicht immer so, „wie sie in den Umständen, worin er [Goldoni] sie versetzt, handeln würden, oder sollten“316 – ein gleichsam normatives Konzept von Situationsadäquatheit unter Bezugnahme auf Modelle der Wahrscheinlichkeit wie der moralischen Angemessenheit. Demgemäß gäbe es bei Goldoni „nicht wahrscheinliche Sprünge“317 wie auch „häufige Beleidigungen der Delicatesse“318. Die begutachtete deutsche Übersetzung sei letztlich nicht gelungen, da „Sitten und Charakter […] noch immer stark wälsch geblieben“319 seien, denn wo gäbe es in Wien „eine Dame von unzweydeutigen Rufe“,320 die in der Nacht in Abwesenheit ihres Mannes Visite von zwei Herren entgegennähme?321 Ging es in diesem Lustspiel im Hinblick auf weibliches Verhalten primär um „Delicatesse“, werden bei den nun folgenden Stücken ‚handfestere‘ Argumente vorgebracht, so etwa im Fall des Trauerspiels Das Schnupftuch, welches von Stephanie dem Älteren und Lange gelesen wurde. Die Gattin des Herzogs Theodor ist wie auch ihre Kammerfrau in einen jungen Grafen, welcher am herzoglichen Hofe dient, verliebt. Ein Schnupftuch verhüllt in diesem Drama das Porträt der Herzogin, welches auf einem diskreten Botengang dem jungen Grafen überbracht werden soll, was die eifersüchtige Kammerfrau jedoch nicht davon abhält, dieses Porträt dem Kammerdiener der Herzogin abzunehmen. Die Herzogin gesteht der Kammerfrau ihre „strafbare Liebe“,322 aber auch, dass noch nichts „Böses“ geschehen sei. Der junge Graf verabschiedet sich von der Herzogin in einer „freundschaftlichen“323 und „ver316 Ebenda, S. 4. 317 Ebenda. 318 Ebenda. 319 Ebenda, S. 5. 320 Ebenda. 321 Die Forderung einer grundlegenden Neubearbeitung betrifft nicht nur das Werk Goldonis, sondern auch das Werk seines Kontrahenten Carlo Gozzi. So schreibt Brockmann in seiner Begutachtung des Lustspiels Das öffentliche Geheimniß von Friedrich Wilhelm Gotter nach Gozzis Il pubblico secreto: „Es ist keineswegs zu läugnen, daß in diesem Stücke, so wie in allen Gozzischen unend­liche Schönheiten liegen, daß diese Schönheiten aber auch mit so viel abgeschmackten Unsinn verwebt sind. […] Bloße Übersetzung also, Weglassung dieser oder jener Scene, Veränderung der Nahmen allein, ist nicht hinreichend Gozzis Schauspiele für das deutsche Theater brauchbar zu machen.“ Ebenda, S. 75. 322 Ebenda, S. 121. Trauerspiel von Gottlob von Hacke auf Bilzingsleben, Erstdruck Hamburg 1780. 323 Österreichisches Staatsarchiv: Prothocoll der Referate über die eingeschickten Stücke beym Kayserl. ­Königl. National Theater, 1779, S. 121.

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traulichen Szene“,324 dabei gewinnt „die sinnliche Begierde die Oberhand“,325 „doch aber ruft die Herzogin Karl lassen sie mich!“326 Der Herzog beobachtet diese Szene – mit all den tragischen Konsequenzen, auf die ich hier nicht mehr eingehen muss. Als Begutachter fungierte diesmal der Schauspieler Joseph Lange, und er fällte ein Urteil, das in der spezifischen Angelegenheit nicht so weit vom Urteil seines einstigen Gönners Sonnenfels abwich. Für ihn ist eine verheiratete Frau, welche einen anderen Mann liebt, die „abscheülichste Kreatur“, die selbst bei den frechsten Menschen Ekel hervorrufen müsse. „Schon die sträfliche Liebe der Herzogin und Karls, die bis zur größten Sinnlichkeit geht, die die Herzogin zur abscheülichsten Kreatur macht, würde nicht nur die Censur nicht passieren, sondern müßte den frechesten Menschen eckeln; außerdem hat das Stück keinen Zweck, keine Lehre in keinem Verstand und [ist] wieder [sic] alle Sittenlehre, und doch soll jedes Stück Sittenlehre enthalten entweder durch Moral oder Satire“.327 Mit ähnlichen Argumenten wird auch die Komödie Der Scheue zurückgewiesen, ­deren Grundkonzept Stephanie der Jüngere als „ekelhaft anstößig“328 einstuft. Ein Graf ist überzeugt, dass er wie alle seine Vorfahren ein „Hanrey“ gewesen sei, sodass er seinem Sohn den Eid abnimmt, sich niemals zu vermählen. Abgesehen vom unzulässigen Thema sei der Dialog, so der Begutachter, übersättigt mit der Sprache des „Kraftgenies“.

Empfindsamkeit und Frivolität Desgleichen sind auch Frauencharaktere, die einen moralisch lockeren Lebenswandel führen, für eine gesittete Bühne suspekt, so im Schauspiel Die Rückkehr, oder Liebe läßt von Liebe nicht, welches wiederum von Stephanie dem Jüngeren begutachtet wurde. „Graf Friedrich Serwald ein junger aufbrausender Mann liebt Henriette von Freyenfels mit aller Empfindsamkeit deren ein Wertherianer nur fähig seyn kann.“329 Auch Henriette empfindet Zuneigung, welche sie allerdings vor ihm verbirgt, um ihn „als seufzenden Liebhaber zu erhalten“330. Seinem Rivalen, Graf Theodor von Braun, „ein Stutzer nach der Mode, viel Wind, wenig im Beutel, noch weniger in Kopfe“,331 gelingt es durch eine Intrige, Graf Serwalds Eifersucht zu erwecken und ihn anstelle 324 Ebenda. 325 Ebenda. 326 Ebenda. 327 Ebenda, S. 122. 328 Ebenda, S. 265. 329 Ebenda, S. 23. 330 Ebenda. 331 Ebenda.

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der denunzierten Geliebten mit einem Mädchen namens Therese zu verbinden, die ihm vom Grafen Theodor als tugendhaft beschrieben wird, welche aber, wie der Begutachter feststellt, eine „Kuppelschwester“ ist, die ihr Spiel so perfekt beherrscht, dass ihr Serwald sogar die Ehe anbietet. Am Ende löst sich alles in Wohlgefallen auf, und der wertherianische Graf Serwald und Frau von Freyenthal finden zueinander. Der Begutachter lobt die Charakterzeichnung der Liebenden und auch die Sprache des Stückes. Aber ihm fehlt das „Anziehende“, und die Intrigantenfigur des Theodor sei schon ziemlich abgenützt; am Ende seiner Stellungnahme bringt er auch die Zensur ins Spiel: „Wie es da liegt würde es nur wenig Würckung machen, hiezu kommt noch daß die Censur wegen dem Carackter der Therese wohl gar Anstand nehmen dürfte es zu erlauben, oder ihn doch sehr schwächen, und daher dem Stück das wenige interessante vollends nehmen würde; ich schlage es also nicht erst zur Vorlesung vor.“332 Hier wird die Zensur vonseiten des Begutachters als retardierender Faktor angesehen, der dem Werk das potentiell „Interessanteste“ rauben würde. Der Begutachter geht somit in Distanz zur Zensur, und hier zeigen sich in nuce auch die möglichen Reibungsflächen zwischen der Theatralzensur und dem Burgtheater.

Illegitime Schwangerschaft Auch die uneheliche Schwangerschaft, die in einigen Schauspielen Thema der Handlung ist, ist Gegenstand des Anstoßes, wie etwa in dem Drama Die Geretteten Unglücklichen. Ein Mann entführt die von ihm geschwängerte Frau und entweicht mit ihr über die Grenze. Stephanie der Jüngere kann diesem Drama in der vorliegenden Form nicht zustimmen, es müsste auf einen Akt konzentriert werden, in welchem Handlung und Situationen besser „verwebt“333 wären, und „über dieß die Anstößigkeit der Schwangerschaft durch eine legale Verbindung gehoben“334 werden. In noch stärkerem Maß tritt der Tatbestand der „illegitimen“ Schwangerschaft im Trauerspiel Bulla zutage, in welchem ein als ausschweifend beschriebener junger Mann die Ziehtochter seiner Mutter geschwängert hat. Er hat das Mädchen „mittels eines berauschenden Getränks zu seinem Willen gebracht“ und bürdet überdies seine „Schandthat“ einem anderen, „redlichen“ Manne auf, wodurch sich die weitere ­tragische Entwicklung ergibt. Brockmann fasst sein Urteil in folgendem Satz zu­ sammen: 332 Ebenda, S. 24. 333 Ebenda, S. 2. 334 Ebenda.

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„Wenn dieses Stück auch alle übrigen guten Eigenschaften hätte, die ihm mangeln, so könnte es schon seines Süjets wegen hier nicht aufs Theater gebracht werden.“335 Auch hier liegt eine eher distanzierte Beobachtung vor, welche kein Einverständnis des Begutachters mit den praktizierten zensorischen Usancen vorweg postuliert. Eine „illegitime Schwangerschaft“ gibt es auch in dem Trauerspiel Miss Fanny Steelney, worüber Müller ausführlich referiert. Ich übergehe die Einzelheiten und bringe den abschließenden Teil des Gutachtens, welcher detailliert genug ausgefallen ist. „Aus diesem getreuen Auszuge werden Sie sehen M[eine] H[erren]! ob man sich Wirkung von diesem Stücke versprechen könne. Der Plan hat keine gehörige Ordnung. Steelney und Pristley sind schwankende Caracktere, die keine männliche Festigkeit haben. Pristleys Großmuth, seine Geliebte so glücklich als nur möglich in den Armen eines Herzogs zu sehen, revoltirt, wenn man bedenkt das Fanny von ihm schwanger ist, und macht ihn verdächtig, daß er die Kuh mit dem Kalbe loß zu werden suche. Hin und wieder ist die Sprache körnigt und gut, allein im ganzen genommen sich nicht gleich. Zuweilen überspannt und voller Metapher, zuweilen sinkt sie herab zur Sprache des gemeinen Mannes. Ich bin nicht für die Annahme.“336 Bemerkenswert an diesem Gutachten ist, dass sich der dramatische Zensor nicht prinzipiell an der Tatsache einer unehelichen Schwangerschaft stößt und auch keine diesbezüglichen Verweise an die „Censur“ vornimmt; er hat vielmehr, ausgehend von einer Normativität der Charakterzeichnung, Bedenken gegenüber dem Charakter der männlichen Hauptpersonen („keine männliche Festigkeit“) und der Lauterkeit der Motive des Kindsvaters, für seine schwangere Geliebte eine attraktive Liaison herbeizuführen. Diesbezüglich gab es, wie auch die je spezifische Rhetorik der Gutachten enthüllt, offensichtlich doch eine größere Bandbreite der Beurteilung unter den Schauspielern, wohl auch dadurch bedingt, dass vergleichbare Themen in verstärktem Maße von Bühnenautoren aufgegriffen wurden. Wie im vorigen Kapitel erläutert, war auch Hägelins Haltung diesbezüglich ambivalent. An Wagners Kindsmörderin hatte er nicht die uneheliche Schwangerschaft an sich kritisiert, sondern den Tatbestand, dass die Verführung der Protagonistin, noch dazu in bordellmäßigem Ambiente, so breit ausgemalt würde. Und an Beaumarchais’ Eugenie, auch in Wien auf die Bühne gebracht, hatte Hägelin gelobt, dass der Tat­

335 Ebenda, S. 26. 336 Ebenda, S. 282.

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bestand der Schwangerschaft so dezent dargestellt wäre, dass er kaum von jedem Hundertsten entdeckt würde. Galt die Untreue verheirateter Frauen nunmehr tendenziell als ein für die Bühne unzulässiges Thema, so hatten die Bühnenmänner – was auch in Hägelins Schrift reflektiert wird – einen durchaus großen Aktionsraum, so auch in der Komödie Die Liebhaber nach der Mode, welche in einem kleinen englischen Städtchen spielt. Diverse Männer der Londoner Aristokratie machen sich dorthin auf, um junge und schöne Bürgerinnen zu verführen, welche in Erwartung eines gesellschaftlichen Aufstiegs ihren bürgerlichen Liebhabern den Abschied geben, um schließlich zu realisieren, dass sie von den „Londner Herren hintergangen“337 wurden. In ihrer Empörung sind sie bereit, zur Lynchjustiz zu schreiten, sehen aber schließlich von ihrem Vorhaben ab und kehren zu den bürgerlichen Liebhabern zurück wie die adeligen Herren nach London. Der Gutachter findet keine schmeichelnden Worte für dieses Stück und plädiert für eine „Verwerfung“, aber es fehlt jeglicher Hinweis, dass er das Thema für die Bühne für unzulässig gehalten hätte.338

Viehische Brunst Um Anstoß zu erregen, bedurfte es einer besonders auffälligen Charakterisierung oder eines besonders auffälligen Verhaltens der männlichen Person, wie etwa im Trauerspiel Lionel, nach dem Urteil Brockmanns „ganz in der altäglichen Art geschrieben, wodurch unsere jungen Leutchen, viel Papier besudeln […] mit einem Wort Rauch ohne Feuer.“339 Lionel liebt Louise, die Tochter von Lord Kingsley, der sie jedoch einem andern Mann zur Frau gibt. Der Titelheld ermordet daraufhin den Vater der von ihm begehrten Frau, gerät ins Gefängnis, kommt aber durch Fürbitte von Louises Gatten frei. „Sobald er in Freyheit ist, macht er Anschläge auf die ­Tugend der Gemalin seines Befreyers, und da diese nicht einstimmen will, zieht er einen Dolch auf sie. Sie schreyt und er läßt das Mordeisen sinken. Die beleidigte Louise klagt diesen Vorgang ihrem Gemahl, der Lionel herausfordert, und ihn ersticht.“340 Diese Handlung weist im Grunde nichts auf, was nach den bekannten Beurteilungsgewohnheiten nicht aufführbar gewesen wäre. Wenn Brockmann in seiner Stellungnahme die Zensur ins Spiel bringt, so nicht wegen der Handlung, sondern wegen der spezifischen Charakterisierung Lionels:

337 Ebenda, S. 42. 338 Ebenda. 339 Ebenda, S. 40. 340 Ebenda.

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„Wenn dieses Stück auch alle Schönheiten hätte, die ihm mangeln, so wäre doch schon der Charakter Lionels, seiner viehischen Brunst wegen, zu anstößig, als daß ihn die Censur passieren lassen könnte.“341

VERSTÖSSE WIDER DEN STAAT Kommen wir nun zu jenen Themenbereichen, die Hägelin in seiner Denkschrift unter den Verstößen gegen den Staat zusammengefasst hatte, ein Kapitel, das 1794 eine sehr deutliche Antwort auf die „jetzigen Zeitumstände“ war. Demgemäß wurde 1779 die Darstellung der Figur des Herrschers auf der Bühne noch kaum unter dem Gesichtspunkt gesehen, ob eine solche das monarchische Prinzip in Umsturz bringen könne, wohl aber gab es gewisse, wenn auch fluktuierende Schranken der Darstellung eines Herrschers und staatlicher Funktionsträger, durchaus auch in ambivalenter Form. Wie aus den Gutachten hervorgeht, galt es jedenfalls als völlig unstatthaft, den Landesfürsten, wenn auch nur in Form einer beziehungsreichen Anspielung, zum Gegenstand der Bühnenkonversation zu machen – auch nicht in der lobendsten Absicht.342 So schreibt Müller über das Originalschauspiel Tugend adelt von selbst: „Die Stellen wo von der Königinn gesprochen wird sind zu beziehend auf unsere Monarchinn, und schon deswegen würde das Stück nicht können aufgeführt werden.“343

Der weibische König Was die Darstellung der Figur eines Herrschers auf der Bühne angeht oder zumindest die Art und Weise, wie über ihn geredet wird, gab es von der Seite der Begutachter bestimmte, wenn auch letztlich nicht eindeutig zu bestimmende Grenzen. So kritisiert Brockmann in Bezug auf das bereits genannte Originalschauspiel Edwin und Ema, dass der Verfasser dieses Stückes im Verlauf des Dialogs das „Beywort weibischer König, ungerechter König“344 verwende: „Das Recht hat meines Erachtens ein Dichter nicht, ein Europäisches gekröntes Haupt […] mit so verächtlichen Zügen zu schildern.“345 Möglicherweise hat sich der Begutachter vom Begriff „weibisch“ stärker betroffen gefühlt als von dem Wort „ungerecht“. Doch offensichtlich galten in 341 Ebenda. 342 Diesen Themenbereich hatte Hägelin, wie im vorigen Unterkapitel erwähnt, in seiner Schrift ausgeklammert. 343 Österreichisches Staatsarchiv: Prothocoll der Referate über die eingeschickten Stücke beym Kayserl. Königl. National Theater, 1779, S. 56. So heißen die Schlussworte des Schauspiels: „Dank dem Schöpfer der die Tugend so schön belohnt! Heil den Eltern die mit unauslöschlichen Zügen Tugend in die jungen Hertzen ihrer Kinder graben, und Segen unserer erhabnen Königinn, die die Wahrheit so gläntzend bestättigt Tugend adelt von selbst!“ Ebenda, S. 55. 344 Ebenda, S. 14. 345 Ebenda.

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der Herrscherdarstellung auch gravierende Unterschiede, ob ein „Europäisches gekröntes Haupt“ auf die Bühne gebracht wurde oder ob es sich um einen Herrscher außerhalb Europas, zumal nur in fiktiver Gestalt, handelte. Im Falle des genannten Schauspiels war jedoch der Begutachter trotz Aufzählung weiterer kritischer Gesichtspunkte (zu viele und schlecht eingesetzte Monologe, Ausdehnung der Einheit der Zeit zwischen den Akten und eine überflüssige Szene, welche überdies Ähnlichkeit mit der Szene eines anderen Trauerspiel aufweise) dem Stück gegenüber äußerst positiv eingestellt und schlug eine Lesung vor. Diese war letztendlich erfolgreich, denn dieses Schauspiel von Franz Anton Schrämbl wurde, wie bereits erwähnt, noch im selben Jahr am Burgtheater uraufgeführt, und der Text erschien auch als Logenmeister-Büchel.346 Ema ist die Ziehtochter eines ehemaligen englischen Kanzlers, der durch Intervention der Gattin des namentlich nicht genannten Königs sein Amt verloren hat. Graf Dubarn, ein Sohn des Monarchen, beabsichtigt, Ema zu ehelichen, die jedoch ihrerseits Edwin, den Neffen des Ex-Kanzlers, liebt. Der Ex-Kanzler wiederum ist in höchstem Maße auf seinen Neffen eifersüchtig, da auch er Ema zur Frau begehrt. Der stets machtstrategisch denkende Ex-Kanzler, der mit dem Begriff der Tugend als handlungsleitender Instanz nicht viel anzufangen weiß, ist der Intrigant des Dramas. Ema widersetzt sich dem Ansinnen des Königssohnes mit Stolz und Selbstbewusstsein auch eingedenk seiner früheren unsittlichen Angebote: „Sie sind die Schande Ihres Geschlechts, und mir der erste Beweis, daß es Menschen giebt, die man gerne noch etwas mehr, als verabscheuen möchte.“ (II/7) Unterdessen plant der Ex-Kanzler sein mörderisches Intrigenspiel, in welches er unter massivem Zwang etliche Personen seines Umfeldes einbezieht. Er lässt bei der von ihm selbst inszenierten Flucht des jungen Liebespaares, von welcher er Graf Dubarn in Kenntnis setzt, den Königssohn hinterrücks ermorden, auch eine Rache für die einstige politische Demütigung, und versteht es exzellent, diesen Mord seinem Neffen und Liebesrivalen in die S­ chuhe zu schieben. Des Ex-Kanzlers ganze Verachtung gilt jedoch dem in Passivität verharrenden englischen Herrscher, den er einen „weibischen König“ (III/5) nennt. Dieser von Brockmann so heftig kritisierte Begriff wurde jedoch letztlich nicht eliminiert: er ist im Logenmeister-Büchel enthalten, welches nach Hägelin die von der Zensur approbierte Fassung nach außen dokumentierte und durch welches der Zensor, wie es Hägelin formulierte, „gedeckt“ war, wenn auch auf der Bühne anderes gesprochen worden wäre. Somit hat dieser vom Begutachter beanstandete Begriff Theater und Zensur „passirt“, wie auch weitere zur Charakterisierung des Königs verwendete Begriffe, so „Weichling“ und „Weiberknecht“ (beide: III/5). Auch die sonstigen staatlichen Funktionsträger wie Repräsentanten der Hocharistokratie, der 346 Franz Anton Schrämbl: Edwin und Ema. Ein Schauspiel in fünf Aufzügen. Aufgeführet im k. k. ­Nationaltheater. Wien, zu finden beym Logenmeister. 1779.

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ehemalige Kanzler des Königreiches wie der Sohn des Königs stehen in keinem guten Lichte da und treten die Prinzipien von Tugend und Gerechtigkeit mit Füßen, während der – im Stück nicht auftretende – König entscheidungsschwach vor sich hinkränkelt. Eine solche Charakterisierung stand offensichtlich einer Preiswürdigung wie Aufführung nicht im Weg – weder vonseiten des Theaters noch der Theatralzensur. Im Trauerspiel Graf von Berchenthein, das Stephanie dem Jüngeren aus Prag zugesandt wurde, ist es die Charakterisierung eines Ministers, welche diesmal, im Unterschied zum vorher genannten Fall, Anstoß erregte. „Nie dürfte man einen Minister so geschildert aufs Theater bringen und könnte wohl irgendwo ein Minister so was thun alß er in diesem Stücke that?“,347 meint Stephanie der Ältere als Zweitbegutachter. Der jüngere Bruder jedoch, der das Hauptgutachten schreibt, übt an der Charakterisierung des Ministers keine Kritik. Ihm missfällt vielmehr die „zweydeutige“ Darstellung der weiblichen Hauptfigur, wenn er dafür auch keine ‚zensorischen‘ Gesichtspunkte einbringt: „Mit Amalien soll man Mitleiden haben, aber wer kann das? Sie liebt den jungen Berchenthein, doch hat sie sich mit dem Minister verbunden; sie rühmt sich, die Pflichten einer tugendhaften Gattin auszuüben, und doch seufzt sie für ihren ersten Liebhaber, wer kann ihr eines oder das andere glauben? wer kann sie beklagen da sie sich bloß überreden laßen ihre Hand zu vergeben? Sie ist zu zweydeutig geschildert um eines Intereße zu erwecken.“348 Zumindest aus der Sicht Stephanies des Jüngeren handelt es sich um keine anstößige Dreiecksbeziehung, da offensichtlich das Seufzen für den ersten Liebhaber sich in keinen nennenswerten Handlungen äußert. Stephanie fehlt hier offensichtlich die klare Dispositionierung der weiblichen Protagonistin, wie sie in Edwin und Ema vorgenommen wurde. Sein älterer Bruder spricht dem Stück indes „Tragisches Intereß“349 nicht ab, wenn es ihm auch an „Theaternatur“350 gebräche, und Steigentesch schlägt gar eine öffentliche Lesung vor.351

Shakespear’scher Geschmack Die Kritik an Themen, welche Herrscher, zumal der eigenen „National“-Geschichte, in sehr „ungünstigen“ Positionen zeigen, hat aber auch gelegentlich die Funktion 347 Österreichisches Staatsarchiv: Prothocoll der Referate über die eingeschickten Stücke beym Kayserl. ­Königl. National Theater, 1779, S. 19. 348 Ebenda. 349 Ebenda. 350 Ebenda. 351 Ebenda, S. 20.

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eines Vorwandes, um allein mit einem solchen Hinweis Stücke, welche man aus ästhetischen Gründen ablehnt, ohne Widerspruch zu Fall zu bringen, wie im Gutachten von Stephanie dem Jüngeren über das fünfaktige Trauerspiel Karl der 3te genannt: der Dicke. „Die Sucht, Begebenheiten aus der teutschen Geschichte, nach Shakespeares Manier, für das Theater zu bearbeiten, verursacht seit einigen Jahren, die Armuth guter brauchbarer Originale. Diese Manier ist freylich die leichteste sich zum Dichter zu machen, aber zugleich die nachtheiligste für den Geschmack. Man sieht zur Genüge, daß hierdurch der Werth guter regelmäßiger Stücke, immer mehr und mehr fällt, und besser wär es für das Theater gewesen, man hätte diese ungeheure Manier, unter ihrem Moose ruhen lassen. Ich habe aus obiger Ursache, nie für die Shakespearschen Stücke gestimmt, um so weniger kann ich es bey schwache Nachahmungen, wie dieses Stück Karl 3te ist, thun. Ich finde es erstens unanständig für einen Dichter, Begebenheiten aus den rohesten Zeiten seiner Nation, die selbst dazumal der Nation, zur Unehre gereichten, auf das Theater zu bringen, das heißt seiner Gebrechen sich rühmen, und wenn es ein alter angenommener richtiger Satz ist, daß nur das Schöne und Edle Stof für die Schaubühne sind: so ist der Grundstoff dieses Stückes, worin eine Kaiser-Entsetzung vorkommt, meines Erachtens, wahrhaftig kein Stof für ein gutes teutsches Theater. Zweytens ist die Bearbeitung, wenn auch dieser erste Grund zur Verwerfung nicht hinlänglich seyn sollte, so abgenützt, schaal und gedehnt, daß es nur eine abgeschmackte, aufgewärmte Speise ist. […] Das Manuscript ist 181 Seiten lang, und ob ich gleich nicht in Abrede bin, daß einige Stellen darin gefallen würden so glaube ich doch nimmermehr, daß es im Ganzen nur eine mittelmäßige Aufnahme finden kann. Und am Ende hätte man doch nur einen gewäßerten König Lear gesehen. Ich sehe auch nicht ein, wie dieses Stück, durch Abänderungen brauchbar zu machen wäre, denn der Stoff bleibt immer bedenklich, und die Manier, dem Geschmack nachtheilig; ich kann es daher nur verwerfen.“352 Wie jenes sind die Gutachten Stephanies des Jüngeren gelegentlich ‚demagogische‘ Texte – das beanstandete Stück wird von Anbeginn als Prototyp eines verwerflichen Geschmacks klassifiziert, und dies von einem Autor, der sich sieben Jahre zuvor selbst den „Shakespearschen Geschmack“ zu eigen machen wollte und den Macbeth als Macbeth, oder Das neue steinerne Gastmahl für die Bühne bearbeitete – ein Stück, das

352 Ebenda, S. 233f.

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auch in Stephanies Fassung nichts Schmeichelhaftes für die dargestellten Figuren des Herrscherpaares enthält, ein Stück, welches er allerdings nach 1776 mit „Scham“ wieder von der Bühne zurückgezogen hatte.353 Eine durchaus auch ‚demagogische‘ Analyse wird Stephanie der Jüngere bei dem nun folgenden Stück vornehmen.

Nicht mehr als sechs Schüsseln, oder die Welt auf dem Monde Kommen wir nun zum Themenbereich der Darstellung der Stände, die in Hägelins Leitlinien des Jahres 1794 einen breiten Raum einnahm. Ein Stück, welches diesbezüglich bei der Begutachtung im Jahr 1779 außergewöhnlichen Unmut erweckte, war das Familiengemälde in fünf Aufzügen Nicht mehr als sechs Schüsseln von Gustav Friedrich Großmann (1746–1796) – eines der wenigen begutachteten Dramen, denen auch der Name des Verfassers beigesetzt war.354 Es handelte sich hier um ein Stück, welches, wie im Bericht angegeben, zuvor schon an anderem Orte gespielt worden war355 und später, in den 1780er Jahren, auf vielen deutschen Theatern, auch auf jenen der k. k. Erbländer, mit Erfolg aufgeführt wurde. Nach dem Urteil Stephanies des Jüngeren seien die Meinungen derer, die es bereits gelesen hätten, einstimmig, „daß dieses Stück wie es da liege nicht auf unser Theater könne gebracht werden“356. Somit wird – wie im zuvor genannten Fall – schon im ersten Satz, noch vor jeder Argumentation, ein Urteil gefällt. Der Begutachter ist weiters der Ansicht, dass dieses Stück für eine allfällige Aufführung am Theater nicht nur einer Modifikation unterzogen werden müsste, sondern dass „ein ganz neues Stück“357 daraus zu machen wäre: „Dieses enthält nicht Satyre, sondern die Größten Beleidigungen für den Adel, und aus der Überschrift ‚Ein Familien Gemählde‘ läßt sich fast schließen, daß es vielleicht gar Beziehung auf irgend ein Hauß haben dürfte“.358 Letzteres ist allerdings nur eine Vermutung des Begutachters, für welche er keine konkreten Argumente beibringen kann. In einem solchen Falle wäre eine Aufführung schon deshalb zu untersagen, weil es sich um ein „Pasquill“359 handelt. Des Weiteren lässt er für seine Argumentation einen solchen Vorwurf beiseite, um mit erstgenanntem Argument fortzufahren: 353 Siehe dazu Weidinger: Il Dissoluto punito, Bd. II, S. 170. 354 Österreichisches Staatsarchiv: Prothocoll der Referate über die eingeschickten Stücke beym Kayserl. Königl. National Theater, 1779, S. 30–32. 355 Ebenda, S. 30. 356 Ebenda. 357 Ebenda. 358 Ebenda, S. 30f. 359 Ebenda, S. 31.

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„Unmöglich kann es natürlich scheinen, daß eine Dame so niederträchtig handeln, so pöbelhaft sich betragen könne, wie Frau von Schmerling, die noch dazu so großen Einfluß in die Hof Cabale hat“.360 Sodann würde ein „in Dienst stehender Obrister“ auf die Bühne gebracht, der trotz seines militärischen Ranges nicht einmal genug zu essen hätte und sich in der Familie durchbetteln müsse. Dann: ein Kammerherr, der die Gunst des Fürsten besäße, müsse trotz seiner großen Macht über den Fürsten den Plan entwerfen, sich durch die Verheiratung mit der bürgerlichen Tochter eines Hofrates zu sanieren, und mache überdies „gar einen niederträchtigen Kuppler vom Fürsten, und wird dem ohngeachtet sogleich schimpflich verstoßen“.361 „Alles das kreuzt so durcheinander, und wiederspricht der Wahrheit und ­Natur, daß einen von Scene zu Scene einfällt, daß Stück gehöre eher für Monden, als Erden Bürger. […] Der Sohn des Hofraths gehört ins Zuchthaus, aber nicht aufs Theater, die Scene zwischen ihm und seinem Vater ist ganz und gar nicht vorstellbar. […] So wie nun der Adel aufs gröbste beschimpft wird, geschiehts auch mit dem Militairstande; der General macht wegen einen Wagen einen Zuchthausmäßigen Buben zum Fändrich, und der Obrister hat nichts zu fressen, bettelt der Uniform zu Schande sich bey seiner Familie durch. Es ist dem Verfasser ferner nicht genug ganze Stände aufs unerlaubteste anzugreifen, auch ganze Reiche müssen seine spitzige Feder empfinden“.362 Daher müsse das Stück dem Verfasser zu einer Umarbeitung zurückgegeben werden, damit er „diese widrige Zeichnungen in honette Satyre“363 verwandle und „der Gang, die Geschichte, und das Interesse schicklicher gebraucht würde“.364 Doch diesbezüglich ist der Begutachter nicht sehr zuversichtlich, denn des Autors „Feder in Gift und Boßheit getunkt bringt uns so noch bald keine Stücke aufs Theater, es übernähmen denn auswärtige das Amt ihn einigemal seiner frechen Schreibart wegen in die Schule zu schicken, daß er Gesitteter und Gesellschaftlicher schreibe.“365

360 Ebenda. 361 Ebenda. 362 Ebenda. 363 Ebenda. 364 Ebenda. 365 Ebenda.

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Stephanies Gutachten zu Großmanns Nicht mehr als sechs Schüsseln ist in einer spezifischen Diktion geschrieben. Sie lässt bei aller Kritik die implizite Bewunderung für den Autor nicht verkennen, der in gewisser Weise auch als ein Kristall betrachtet wird, der im Hinblick auf seine „Gesittetheit“ und „Gesellschaftlichkeit“ erst zu schleifen wäre. Dennoch scheint Stephanies Text durchaus bestimmt von einer sehr persönlichen Polemik, welche es ihm in besonderer Weise erschwert, die Vorzüge dieses Schauspiels adäquat einzuschätzen. Noch dazu missversteht er, vielleicht absichtlich, den Begriff des „Familiengemäldes“, indem er neben der Beleidigung des Adels und Militärs auch noch irgendeine Pasquille vermutet. Er kritisiert en passant die Entwicklung der Hauptfiguren, welche sich aus dem Gang der Handlung gut nachvollziehen lässt, und versäumt nicht anzumerken, dass der Autor durch französische Anklänge offensichtlich zeigen wollte, dass er Französisch schreiben könne, eine Vorgangsweise, die vom Bühnenautor sehr gezielt eingesetzt wird. In gewissem Sinne muss gerade bei Stephanie dem Jüngeren in Erwägung gezogen werden, dass er immer auch über „Konkurrenten“ zu urteilen hatte; insofern ist sein Hauptargument, dieses Stück sei keine Satire (also gewissermaßen in seinem Verständnis zulässige Gesellschaftskritik) oder, wie er später schreibt, keine honette Satire, auch vor diesem Hintergrund zu sehen.366 Eine „honette“ Satire ist Großmanns „Familiengemälde“ tatsächlich nicht, eine solche wollte der Autor offensichtlich auch nicht schreiben. Es ist eine sehr gezielte Sozialkritik, die Großmann in äußerst flüssiger Form bringt. Sowohl inhaltlich wie stilistisch zählt sein Drama, soweit dies aus den referierten Inhalten hervorgeht, zu den bemerkenswertesten der am Burgtheater 1779 eingereichten Stücke; es befand sich in der Folge im Repertoire vieler deutscher Bühnen und wurde schließlich drei Jahre später, am 6. Mai 1782, auch am Wiener Burgtheater aufgeführt.367 Wenn seine adeligen Figuren auch nicht in einer bis zum Meuchelmord gehenden dramatischen Pose dargestellt werden wie in dem letztlich preiswürdigen Schauspiel Edwin und Ema, so trifft Großmanns Familiengemälde viel tiefer, so tief, dass Stephanie meint, diese Geschichte spiele auf dem Mond. Wie in Edwin und Ema steht im Hintergrund des Spiels eine schwache Herrscherpersönlichkeit. Und wie in Edwin und Ema ver­ anlasst diese Herrscherpersönlichkeit aufgrund der sie umgebenden Sphäre der Höflinge die Enthebung einer der Hauptpersonen des Stückes von einem einflussreichen 366 Eine weitaus differenziertere Begutachtung nimmt Brockmann vor, der meint: „so wie das Stück gegenwärtig da liegt, wäre es für jedes andere als unser Theater, ein sehr brauchbares Produkt“; ebenda, S. 164. Die Vorbehalte Brockmanns gegenüber einer Aufführung am Burgtheater beziehen sich vor allem auf die Darstellung des Adels, der einen relevanten Teil des dortigen Publikums ausmachte: „vor so vielem Adel ein Stück zu geben, in dem dieser so lächerlich wo nicht gar verächtlich gemacht wird.“ Ebenda. Vor seiner definitiven Stimmabgabe möchte Brockmann noch eine für ihn relevante Stellungnahme von hochadeliger Seite ab­warten. 367 Hadamowsky: Die Wiener Hoftheater. Bd. 1, S. 91.

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Amt, in Edwin und Ema bereits in der Vorgeschichte, in Nicht mehr als sechs Schüsseln im Laufe der Handlung. Doch sind die beiden davon betroffenen Protagonisten entgegengesetzter Prägung: in Edwin und Ema eine genau kalkulierende, immer auf den eigenen Vorteil bedachte hochadelige Person, in Nicht mehr als sechs Schüsseln ein Bürgerlicher, der in bewusster Abgrenzung vom Adel Wert auf einen bürgerlichen Lebensstil legt und der entlassen wird, weil er sich vom Fürsten nicht dazu nötigen lassen wollte, eine von diesem gewünschte Entscheidung zugunsten seiner Günstlinge und gegen das Recht zu treffen, ein grundsätzlicher Konflikt, den Stephanie bemerkenswerterweise übergeht, wohingegen er sich andererseits so sorgt, dass in diesem Stück ein „Obrister“ gezeigt werde, der nichts zu essen habe und sich in der Familie durchbetteln müsse.368 Stephanie nennt allerdings nicht die Gründe für dessen bedrängte Lebenssituation: dass jener „Obrister“, der Oberst von Altdorf, wirklich nicht weiß, was er des Abends essen wird, liegt nicht daran, dass er über kein ausreichendes, standesgemäßes Einkommen als Militär verfügen würde, sondern daran, dass er aufgrund der Ausgabenpolitik seiner Schwester, der bereits genannten Frau von Schmerling, so verschuldet ist, dass er sein Gehalt im Vorhinein für zwei Jahre verpfänden musste. Der Titel Nicht mehr als sechs Schüsseln (das bedeutet: nicht mehr als sechs Gänge) ist ein ‚kulinarischer‘ politischer Kampfbegriff, gleichsam bürgerliche politische ­Küche. Er ist das Motto des Protagonisten des Stückes, des Hofrats und Justizdirektors Reinhard, jenem bereits erwähnten Bürgerlichen, der in schweren Konflikt mit dem Fürsten gerät. Hofrat Reinhard ist ein sehr vermögender, aber bewusst ohne übertriebenen Aufwand lebender Bürgerlicher, der sich in zweiter Ehe mit einer Adeligen verbunden hat, deren Familie er durch eine großzügige Schenkung entschuldet hatte. Zu dieser Familie zählen Frau von Schmerling und genannter Oberst von Altdorf, Tante und Onkel Madame Reinhards. Der Hofrat, welcher – finanziell unabhängig – das Amt eines Justizdirektors ausübt, hat aus erster Ehe zwei bürgerliche Kinder, eine Tochter und einen Sohn. Die Tante Madame Reinhards, Frau von Schmerling, tätigt große repräsentative Ausgaben, die sie aus eigenen Mitteln nicht bestreiten kann und deren Begleichung sie sich stets vom bürgerlichen Mann ihrer Nichte erwartet. Trotz der hohen Zuwendungen seitens des Hofrats fühlt sich Frau 368 Die Schilderung des Militärstandes betraf sehr unterschiedliche Problemzonen von der Schilderung des Militärs als brutale Institution in Die bestrafte Brutalität bis hin zur Darstellung von ­höheren militärischen Funktionsträgern in einer sozial prekären Situation, wie der Schilderung des Obristen in Nicht mehr als sechs Schüsseln. Doch scheinen generelle Raisonnements über den Krieg, anders als im Jahre 1794, durchaus als zulässiges Bühnenthema gegolten zu haben. So schreibt Stephanie der Jüngere im Hinblick auf das einaktige Lustspiel Wer wird sie kriegen: „könnte es durch einige kleine Änderungen noch Interessanter werden, Z. B. das Raisonment über den Krieg ist gar zu kraftlos, auch zu lang.“ Österreichiches Staatsarchiv: Prothocoll der Referate über die eingeschickten Stücke beym Kayserl. Königl. National Theater, 1779, S. 65.

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von Schmerling als Adelige über den Hofrat weit erhaben und sich ob der „Miss­ heirat“ auch zu keinerlei Dank verpflichtet, wie sie denn auch aufgrund ihres Standes meint, einen Sattler, der einen kostspieligen Wagen für sie anfertigen musste, mit Noblesse hintergehen und betrügen zu können – zunächst in ähnlicher Form, wie Molières Don Juan seinen Gläubiger Dimanche abzufertigen versucht. Aber in diesem Drama funktioniert dieses aristokratische Spiel nur eine kurze Szene lang. Der Sattler ist im weiteren Verlaufe des Dramas bereit, das Gericht zu bemühen und den mehr als spärlichen Besitz der Frau von Schmerling pfänden zu lassen. Die in diesem Drama vorgeführte Aristokratie hat völlig abgewirtschaftet und lebt nur mehr von der Illusion einstiger Größe und vom Geld der Bürgerlichen. Dies trifft auch auf den Kammerherrn von Wilsdorf zu, der völlig von der Gunst des Fürsten, den er mit falschen Informationen versorgt, abhängig ist und der – wie Hofrat Reinhard meint – außer „Hofieren“ nichts gelernt hat. Aber selbst die fürstliche Gunst reicht nicht aus, um dem Spieler ein ausreichendes Einkommen zu sichern. Großmanns Familiengemälde entwickelt sich entlang einer raffiniert und konsequent verschachtelten, doch stets flüssigen Dramaturgie, die um einen „Mittagstisch“ kreist, der zwei Akte lang vorbereitet und drei Akte lang durchgeführt wird – allerdings nur hinter der Szene. In diesen ‚Zwischenräumen‘ entwickelt sich das Drama. Wie in Edwin und Ema soll auch hier ein junges Mädchen, in diesem Fall die bürgerliche Tochter des Hofrats, einen Höfling, den Kammerherrn von Wilsdorf zum Mann nehmen, der diese Beziehung nur eingehen möchte, um sich der ansehnlichen Mitgift zu versichern. Die Initiative für diese Verbindung geht jedoch nicht vom Hofrat aus, sondern von Frau von Schmerling, welche in Erwartung zusätzlicher Gunst bei Hof ihrer Nichte, Madame Reinhard, einzureden versucht, dass ihr der glänzende Aufstieg der bloß bürgerlichen Stieftochter in die hohe Welt der Aristokratie zu verdanken wäre. Wilhelmine, die Tochter des Hofrats, hat jedoch keinerlei Interesse an dieser Verbindung; sie liebt den Neffen ihres Großonkels, den adeligen, aber völlig mittellosen Leutnant von Altdorf, der sich in holländischen Diensten befindet, was Gelegenheit zu jenen Gesprächen gibt, die Stephanie als gegen einen anderen Staat gerichtet ansieht. Hofrat Reinhard, der die Interventionen Frau von Schmerlings ablehnt, schlägt wie die Tochter eine Heirat mit dem Kammerherrn aus und willigt gegen Ende des Schauspiels in eine Hochzeit seiner Tochter mit dem mittellosen holländischen Leutnant ein. Am Mittagstisch versammeln sich alle, der Kammerherr, Frau von Schmerling, der Obrist nebst einem Major und Kirchenrat sowie des Hofrats Gattin und deren Stiefkinder. Frau von Schmerling hatte im Zuge der Vorbereitung dieses Tisches mit größter Herablassung den Hofrat kritisiert, dass er es wage, bei einer Tafel, die hohe adelige Personen versammle, bloß sechs Schüsseln zu servieren, wo mindestens 18 notwendig wären. Und sie hatte ohne jede Befugnis Order an die Küche gegeben, solche vorzubereiten, was der Hofrat sofort unterbunden hatte – sie darauf hin­ 271

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weisend, dass jene 18 Schüsseln, die vielleicht die adelige Dame in ihrem heruntergekommenen Haus servieren lassen würde, letztlich er zu zahlen hätte. Am Rande des Mahls kommt es auch zu einer Unterredung zwischen dem Kammerherrn und dem Hofrat. Ersterer verkündet den Willen des Fürsten, dass zwei unter Vorsitz Reinhards zu fällende Gerichtsurteile zugunsten der Parteien zu entscheiden wären, denen der Fürst wohlgesonnen ist. Justizdirektor Reinhard weigert sich in aller Entschiedenheit, diesem Wunsch nachzukommen: er werde aufgrund der eindeutigen Rechtslage ein dem Willen des Fürsten entgegenstehendes Urteil fällen. Auf die Vorhaltung des Kammerherrn, ob er sich bewusst sei, dass er damit dem Willen des Fürsten trotze, antwortet Reinhard: hier gehe es um Recht und Gesetz, hier habe der Fürst keinen Willen, dies möge der Kammerherr dem Fürsten übermitteln. Wenn der Fürst dies berücksichtige, sei er ein guter Fürst, wenn nicht, öffne er jedem Laster Tür und Tor. Der Fürst reagiert und enthebt den Hofrat seines Amtes, was diesen allerdings nicht weiter berührt, da er von höfischen Zuwendungen unabhängig ist. Zuvor war es auch zu einem heftigen Gespräch zwischen dem Hofrat und seinem Sohn Fritz gekommen. Der Vater verweigert dem Sohn, die über seine adelige Großtante vermittelte Position eines Fähnrichs anzunehmen. Dies würde ihm nur ermöglichen, sein ausschweifendes Leben fortzuführen; er möge etwas Nützliches tun, möge in den Staatsdienst gehen und die Stellung beim Militär denjenigen Adeligen überlassen, die ansonsten nichts anderes zu tun imstande wären. Der Sohn widersetzt sich dem Wunsch des Vaters und vermittelt ihm sehr eindeutig, dass der Vater keinerlei Autorität über ihn besitze; der Sohn sei dem Vater auch zu keinerlei Dank verpflichtet, da es das Geld seiner verstorbenen Mutter sei, mit welchem er finanziert worden wäre – dies ist jenes Gespräch, das von Stephanie dem Jüngeren als „gar nicht vorstellbar“ angesehen wurde. Der Vater lässt den Sohn von seinen Bediensteten im eigenen Hause arretieren und fängt einen Brief ab, den dieser aus seinem häuslichen Gefängnis an den Kammerherrn gesandt hat. Daraus geht hervor, dass der Sohn bereit ist, seine eigene Schwester dem Kammerherrn auszuliefern, und sie an einen Ort außerhalb der Stadt zu bringen gedenkt, wo sie der unmittelbaren Gewalt des Höflings ausgesetzt wäre. Der Hofrat vermutet noch Schlimmeres, möglicherweise wolle der Kammerherr gar als Kuppler für den Fürsten agieren. So fasst er den Plan, die Tochter möge sich zum Schein an diesen Ort begeben, begleitet und beschützt von ihrem Geliebten und dessen Soldaten. Dies wird auch durchgeführt, und der Kammerherr muss erkennen, dass sein Plan, an dem auch Frau von Schmerling nicht ganz unbeteiligt ist, nicht aufgeht. Nicht zuletzt aufgrund der Intervention eines Freundes des Hofrats, des ebenfalls zum Essen geladenen Majors, wendet sich das Blatt vollends. Der Kammerherr wird entlassen und Hofrat Reinhard wieder in Amt und Würden eingesetzt. Gelobt sei der Fürst, der seine Fehler einsieht. Oberst von Altdorf hatte sich schon 272

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zuvor von seiner Schwester losgesagt und zieht in das Haus des Hofrats, der es übernimmt, die Schulden des Obristen zu begleichen. Der Sohn kann zum Militär gehen, allerdings nicht in der privilegierten Position eines Fähnrich, sondern als gemeiner Soldat, der sich von der Pieke auf den Anforderungen des Militärs zu unterwerfen hat, für den „Hausvater“ ein Mittel der Disziplinierung, mit dem eine mögliche Besserung erreicht werden kann. Frau von Schmerling erhält eine letzte Zuwendung, um den Sattler zu bezahlen, und ein Verbot, das Haus des Hofrats jemals wieder zu betreten. Soweit „die Welt auf dem Monde“, wie dies Stephanie der Jüngere sehen wollte. Eine solche stellt sich vielleicht erst am Ende des Stückes ein, wenn sich alles in patriarchalisch-bürgerlichem Wohlgefallen auflöst. Ebenso wird das Lustspiel Die Mißheyrath, in welchem sich eine adelige Familie durch Verbindung mit einer reichen Kaufmannsfamilie entschulden möchte, beanstandet, weil die Schilderung der Charaktere hier „viel beleidigendes für den alten Adel“369 beinhalte; darüber hinaus würde auch „das Militär in einem sehr unvor­ theilhaften Licht gezeigt“;370 Stephanie der Ältere vermochte an diesem Stück nur einzelne Stellen zu loben, „welche des Verfassers Anlage zum komischen Dichter wahrnehmen lassen.“371 Offensichtlich blieb die Kritik am Adel im Trauerspiel oder im „Schauspiel“ unbeanstandeter als in der Komödie, wenn sich auch in Wien, besonders in den Komödien Paul Weidmanns, durchaus der Typus einer spezifischen Wiener ,politischen‘ Komödie entwickelt zu haben scheint, die nicht so sehr auf die Widerstände des Theaters und der Zensur stieß, sondern möglicherweise auf den ­Widerstand des „Hofes“, wie im Falle der Komödie Der Mißbrauch der Gewalt, die nach der Genehmigung durch die Zensur bereits nach der ersten Aufführung abgesetzt wurde. Ich werde darauf im nächsten Kapitel eingehen.

Politische Anspielungen Ein weiterer Bereich, der zu Beanstandungen vonseiten der Begutachter führt, sind erkennbare ,politische‘ Anspielungen, wie im schon genannten Lustspiel Der Husarenraub.372 So schreibt Stephanie der Jüngere: „Handlung und Caracktere haben mehr das Gepräge des Chimärisirenden Philosophen als der Wahrheit und der Natur an sich, daher kann dieses Stück bei seiner sonst guten Sprache schwerlich Wirkung hervorbringen. Überdieß ist es zu beziehend auf die vorjährigen politischen Händel373, als daß die 369 Ebenda, S. 307. 370 Ebenda. 371 Ebenda. 372 Ebenda, S. 32. 373 Hier handelt es sich offensichtlich um Anspielungen auf den Bayerisch-Österreichischen Erbfolgekrieg (1778/79).

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­ ensur nicht Augen darüber machen und manches gute noch wegstreichen C müßte.“374 In diesem Sinn wird im Trauerspiel Erkundige Dich, oder die wahren Gesätze der Republikaner der erkennbare Bezug zur Republik Venedig kritisiert. So schreibt Stephanie der Ältere: „Auch kann ich nicht unangemerkt seyn lassen, daß es äußerst unschicklich sey, das Verfahren einer hinsichtlich zu errathenden Republik, so gräßlich angeschildert, aufs Theater bringen zu wollen; es geziemt sich nicht einmal, daß einzelne Glied eines ansehnlichen Gerichtes, schandbar handelnd öfentlich darzustellen.“375

VERSTÖSSE WIDER DIE RELIGION Verstöße gegen die Religion werden demgegenüber nicht in gleichem Ausmaß beanstandet, was ausschließlich daran liegt, dass die (christliche) Religion kaum Gegenstand der eingeschickten Dramen ist. Doch scheint es tendenziell gefordert gewesen zu sein, konkrete szenische Bezüge samt möglichen Anspielungen auf die christliche Religion zu vermeiden. So kritisiert Stephanie der Ältere bei seiner Besprechung des Trauerspiels Octaviano, König von Iberien, dass in diesem Stück ein Premierminister „als ein verkappter Beichtvater geschildert“376 würde. Die insgesamt „jämmerli­ che[n]“377 Verse wären überdies „mit allerley anstößigen und abgeschmackten Ausdrücken verwebt“378 wie zum Beispiel „geile Lust, Üppigkeit, Brunst“.379 Dementsprechend schließt Stephanie der Ältere sein Gutachten mit antizipierten Reaktionen der anderen Begutachter: „Sollte dieses Stück wohl eines weitern Lesens noch bedürfen? Allgemeine Antwort hierauf: Nein!“380

374 Ebenda. 375 Ebenda, S. 7. 376 Ebenda, S. 46. 377 Ebenda. Als Beispiel führt Stephanie der Ältere die von einem Hofrat gesprochenen, moralisierenden Schlussworte an: „Die so in allen sich der Tugend hat ergeben / Wie die Königin, fängt an im Streben nachzuleben; / Doch wer das Laster sich zur Führerin erwählt, / Der hat wie wir gesehn, die Hölle auf der Welt.“ Ebenda. 378 Ebenda, S. 47. 379 Ebenda. 380 Ebenda.

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Im Rahmen der Begutachtung von Großmanns Familiengemälde Nicht mehr als sechs Schüsseln hat Stephanie der Jüngere auch den Charakter eines „Kirchenraths“381 kritisiert, „der gar nicht hereingehört ausgenommen der Verfasser hätte durchaus den Gliedern der Kirche Sotissen zu sagen“.382 Indes bleibt unklar, ob Stephanie im Sinne von Hägelins späterer Zensurschrift kritisiert, dass ein kirchlicher Würdenträger auf der Bühne gezeigt wird, oder ob er die Ausführung seiner Rolle kritisiert – so wie es seine Formulierung nahelegt. Der Kirchenrat wird in Großmanns Familiengemälde noch vor seinem ersten Auftreten als trinkfeste Person geschildert. So äußert sich der Diener von Hofrat Reinhard, nachdem er während des Mittagstisches das Schellen der Dienstglocke vernommen hat: „Oho! Der Kirchenrath wird mit der zwölften Boutteille fertig seyn.“ (III/1) Ansonsten wird die Figur des Kirchenrats als eine Person charakterisiert, die sich in geschraubten und metaphernreichen frommen Reden ergeht, so wenn er bei seinem ersten Auftritt vom Zorn als der Trunkenheit der Seele spricht, was ein ebenfalls geladener Major, der sehr handfeste Begriffe von der Welt hat, nicht zu verstehen vermeint. Die Figur des Kirchenrats wurde in der Wiener Fassung des Jahres 1782 eliminiert und einzelne der auf ihn bezogenen oder von ihm gesprochenen Worte anderen Personen zugeteilt. Nunmehr ist es nicht mehr der Kirchenrat, der angeblich schon die zwölfte Bouteille getrunken hat, sondern der zuvor erwähnte Major, um dessen Wohlergehen sich der Diener mit den genannten Worten „Sorgen“ macht.383 Ein Thema, welches ebenfalls zu den problematischen Gegenständen einer Bühnenhandlung zählte, war das der Toleranz. So schreibt Müller zu dem einaktigen Lustspiel Gelobt sey der! Der Toleranz gebot! / Gelobt der! Welcher sie ausübt!, dass Toleranz „geprediget wird, ist ganz gut, aber sie paßt nicht auf das Theater. Ich bin daher nicht für die Annahme.“384 Das berühmteste Toleranzstück der Zeit, Lessings Nathan der Weise, 1779 im Druck erschienen und 1783 in Berlin uraufgeführt, wurde von Hägelin 1780 auf die Liste der verbotenen Bücher gesetzt. Dieses Druckverbot wurde zur Zeit der Alleinregierung von Joseph II., in welcher sowohl das Für als auch das Wider der Toleranz öffentlich diskutiert werden konnte, wieder aufgehoben, das Stück wurde jedoch nicht auf die Wiener Bühne gebracht, wie es insgesamt auf

381 Ebenda, S. 31. Dieser Kirchenrat ist – wie bereits zuvor erwähnt – Gast der Mittagsrunde von Hofrat Reinhard. 382 Ebenda. 383 Bemerkenswerterweise machen im Falle der schon erwähnten Komödie Der Husarenraub, die ­einen Pastor samt Gattin als Protagonisten der Handlung hat, alle vier Gutachter in ihrer ablehnenden Haltung keinerlei Erwähnung davon, dass die Figur eines Pastors auf der Bühne nicht zulässig wäre. 384 Ebenda, S. 272.

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deutschsprachigen Bühnen nur wenige Aufführungen erlebte. Allerdings wurde ­etwas mehr als ein Jahr nach dem genannten Gutachten das Wiener Burgtheater nach der Trauerzeit für die verstorbene Kaiserin Maria Theresia mit einem Stück eröffnet, welches, wenn auch in anderer Form als Lessings Nathan, den Toleranzgedanken ­thematisierte: das christliche Trauerspiel Irene von Cornelius Hermann von Ayrenhoff, ein Stück, das im Hinblick auf den religionsbezogenen Aspekt des Themas ­offensichtlich auch von zuvor geübten Prinzipien abwich.

DIE NEUHEIT DES STOFFES Wie der Begutachtung der 1779 eingereichten Stücke zu entnehmen ist, wird die „Neuheit“ eines Dramas als ein wesentliches Kriterium seiner Qualität angesehen – oder jedenfalls mangelnde Neuheit negativ beurteilt. So schreibt Stephanie der Jüngere im Hinblick auf das Originaldrama Belton: „Der Stoff hat zu wenig Neuheit, ist auch nicht interessant genug bearbeitet.“385 Und über das Lustspiel Die Prüfung, oder der kranke Hund schreibt der ältere Bruder: „Das allgemein bekante, schon oft und gewiß besser als hier bearbeitete Histörchen, vom reich zurückgekommenen Verwandten, der sich für arm ausgiebt, um die Seimigen zu prüfen, hat hier nochmals zur Grundlage dienen müßen, ein sehr alltägliches Stück hervorzubringen.“386 Beim Trauerspiel Etelgirn wird ebenfalls der Begriff der Alltäglichkeit eingeführt, um die Neuheit zu bestreiten. In diesem Stück geht es um die offensichtlich misslingende Rache eines „niederträchtigen rachsüchtigen Hofmann“ an einem „rechtschaffenen Minister“. Die Moral, dass es giftige Leute bei Hofe gäbe, wäre bereits kräftiger bewiesen worden, so der Kommentar. Weiters schreibt Stephanie der Jüngere: „Obgleich dieses Stück nicht unter aller Kritik ist, so sind doch die Vorfälle, die Geschichte darinn ganz alltäglich, so daß es den Reitz der Neuheit ganz verliert.“387 Beim folgenden Beispiel, dem bereits genannten Trauerspiel Hedwigis von Westenwang oder die Belagerung von Wien, verfasst von Joseph Bernhard Pelzel und in der Folge in das Programm des Burgtheaters, wenn auch ohne nachhaltigen Erfolg, aufgenommen, handelt es sich nach Meinung des Begutachters dagegen um eine gelungene Transformation eines als „abgenutzt“ angesehenen Stoffes. So schreibt Brockmann: „Der Cid des Peter Corneille hat den Stof zu diesem Trauerspiel hergegeben, und der 385 Ebenda, S. 17. 386 Ebenda, S. 47. 387 Ebenda, S. 49.

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Hr. Verfaßer hat diesem Stoffe, die erste Belagerung Wiens, unter Soliman dem 2ten eingewebt.“388 Somit hätte er „dieses schon so sehr abgenutzte Stück seinen Landsleuten unter dieser neuen Gestalt der Bühne wiedergegeben“.389 Dieser hoch bewertete Aspekt der Neuheit, als Gegenbegriff des Abgenutzten, markiert durchaus einen strukturellen Konfliktpunkt zwischen den „dramatischen Censoren“ des Nationaltheaters und der Institution der Theatralzensur. Bei den in den Gutachten thematisierten ‚zensuriellen‘ Aspekten kann eine Differenzierung vorgenommen werden, welche es ermöglicht, die spezifischen Spannungsfelder zwischen Theater und Theaterzensur wahrzunehmen, gerade auch dort, wo die relevanten sozialen Akteure die auf dem Dispositiv des gereinigten Theaters beruhenden Imperative in hohem Maße inkorporiert hatten. Wie wir gesehen ­haben, sind in vielen Fällen bestimmte Imperative gleichsam internalisiert, und die Akteure handeln von sich aus unter Perspektiven einer Theatralzensur. Wenn etwa Brockmann meint, kein Schriftsteller habe das Recht, ein europäisch gekröntes Haupt „weibisch“ zu nennen, so benötigt er keinen expliziten Verweis auf die Zensur. Doch wie gerade dieser Fall zeigt, fällt gelegentlich die praktische Entscheidung bei Weitem differenzierter aus, als es das habituelle Verhalten vermuten lassen würde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei Verweisen auf die Zensur fallweise auch um strategisch eingesetzte Rhetorik handelt, versehen mit einer beachtlichen Variabilität der Beurteilung. Dies muss auch hervorgehoben werden, weil Verweise auf einzelne Aussagen ohne Kontextualisierung im Rahmen vielfältiger Strategien zu irreführenden Einschätzungen der vorgenommenen Praktiken führen. Auch die dramatischen Censoren handeln bei den zensuriellen Aufmerksamkeitsfeldern entlang von Fluktuationslinien, in deren Spannungsraum das ‚Zulässige‘ mit einem gewissen Flexibilitätsgrad positioniert ist. Was macht etwa den Unterschied zwischen der offensichtlich legitimen „Satire“ und einer „groben Beleidigung“ aus? Der zensurielle ‚Blick‘, der von den Gutachtern ins Spiel gebracht wird, ist aber auch ein strategisch beobachtender, der nicht auf Internalisierung beruht. Manchmal lässt der dramatische Censor deutlich erkennen, dass die Theatralzensur gerade das „Interessanteste“ streichen würde: „Hätte das Stück alle Schönheiten, die ihm fehlen, wäre es allein schon wegen der Zensur nicht aufführbar“, ist sinngemäß eine gern gebrauchte Redewendung, doch kein Gutachter nennt je ein Stück, das alle derartigen poetischen Schönheiten aufweisen würde und das nur wegen der Zensur nicht aufführbar wäre. War der Theaterzensor schärfer als der dramatische Censor des Burgtheaters, wobei beide mit strukturell unterschiedlichen Perspektiven im Dispositiv des „gereinigten Theaters“ agierten? Was für die Gutachter als Grund für die „Verwerfung“ eines Stückes galt, war für den Theatralzensor nur in einem einge388 Ebenda, S. 89. 389 Ebenda.

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schränkten Sinne maßgebend. Dieser hatte viele Stücke zuzulassen, die für das Burgtheater inakzeptabel waren, eben etwa auch jene Stücke, welche aufgrund der kon­ statierten mangelnden Qualitäten an die Vorstadt ‚verwiesen‘ wurden, wie andererseits von der umfangreichen Begutachtungstätigkeit nur ein minimaler Teil vor das Auge des Theatralzensors trat. Was aus der Perspektive des Burgtheaters, welches sich in Konkurrenz zu anderen Bühnen um ein zahlendes Publikum zu bemühen hatte, ein potentielles Konfliktfeld darstellte – und die Verbotspraxis gegen Ende der theresianischen Zeit mag ein Indiz dafür sein –, ist die vielfältige Entwicklung des deutschen Schauspiels in den 1770er Jahren, welche sowohl Theater wie Zensur vor neue Bewertungsaufgaben stellte. Und wenn man auch dem Wiener Burgtheater im Hinblick auf die Stücke des „Sturm und Drang“ einen gewissen Konservativismus nicht ganz zu Unrecht nachsagt, so muss dennoch aufgrund der Bewertung der eingeschickten Stücke festgestellt werden, dass der Begriff „neu“, wenn auch in ambivalenter Weise, positiv besetzt war. Aber das Neue erschließt sich im Wesentlichen in Verschiebungen des theatralen Stoffes, in ,Überschreitungen‘, in der Neuformulierung dessen, was man semantisch hochbesetzt „Interesse“ nannte – einer der zentralen Begriffe in den Gutachten: eine Bereitschaft, dem zu folgen, was auf der Bühne offeriert wird, somit auch ein Begriff, der sich im Spannungsfeld von Erwartungserfüllung und Erwartungsbruch konstituiert. Und diesbezüglich mag das „Interesse“ besonders dort entstehen, wo die potentiellen Bruchlinien zu dem liegen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt als Verstoß wider die Sitten, den Staat und die Religion angesehen wurde. Das sind auch die möglichen Bruchlinien, wo die Referenten ihre distanzierten Zensur-Beobachtungen einführten. Doch auch der Zensor ist ein Beobachter, der wie das Theater die möglichen Wirkungen seiner Entscheidungen antizipiert und dem immer gegenwärtig sein muss, dass seine eigenen Entscheidungen von höherer Stelle kritisiert und wider­ rufen werden können. Die vorgenommenen Beobachtungen führen zu weiteren, ­gegebenenfalls neuen Entscheidungen, und eine revidierte Theatralpraxis führt ­w iederum zu Veränderungen bisheriger Wahrnehmungsmuster. Das bedingt auch das Eingehen eines gewissen Risikos – wie im Fall der Zwillinge von Klinger, einem Stück, das mit Genehmigung der Zensur gespielt und nach der erfolgten ersten Vorstellung durch Verbot abgesetzt wurde. Es gibt weitere Fälle, wo Stücke nach der ersten Vorstellung, und somit genehmigt durch die Theatralzensur, abgesetzt wurden, Stücke, deren Absetzung ‚höhere‘ Interventionen nahelegt. Die Konfliktzonen waren jedenfalls vielschichtig, zumal gegen Ende der theresianischen Zeit, mit deren Perturbationen sich der folgende Teil der Arbeit befassen wird.

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NEUE VERBOTENE DRAMEN Nachdem wir uns im vorigen Kapitel mit der Begutachtungspraxis des Theatralausschusses des Wiener Burgtheaters im Jahre 1779 befasst haben, die in unterschiedlicher Perspektivierung auch ‚zensorische‘ Aspekte beinhaltete, wollen wir uns nun näher mit den Praktiken des Theatralzensors gegen Ende der theresianischen Zeit beschäftigen. Über die realen Eingriffe in die Bühnenpraxis liegen nur wenige Zeugnisse vor. Eines der berühmtesten Verbote betrifft Klingers Tragödie Die Zwillinge1, ein Verbot, das jedoch nicht vom Theaterzensor ausgesprochen, sondern das vonseiten Josephs II. nach der ersten Vorstellung verfügt wurde.2 Der Zensor Hägelin hatte demgemäß gegen eine Aufführung dieses in Hamburg preisgekrönten Dramas keine Einwendungen geäußert.3 Carl Glossy zufolge war es der Verstoß gegen das vierte Gebot, das Kaiser Joseph  II. von weiteren Aufführungen Abstand nehmen ließ4 – gemeint ist wahrscheinlich das durchaus gewalttätige Verhalten des ‚jüngeren‘ Zwillingsbruders, des angeblichen Zweitgeborenen, seiner Mutter gegenüber. Wie bereits erwähnt, gibt es jedoch deutliche Hinweise, dass Klingers Die Zwillinge – wie in diesem Kapitel zu zeigen sein wird – kein Sonderfall war, was die nachträgliche Aufhebung von Entscheidungen der Theatralzensur betrifft. Der Ausgang der theresianischen Zeit scheint im Hinblick auf die Beurteilungspraxis der Zensur von großen Verunsicherungen geprägt gewesen zu sein, auf dem Gebiet der Theatralzensur vor allem auch von Verunsicherungen, welche die neuere dramatische Entwicklung mit sich brachte, eine Irritation, die noch kaum gefestigte theatralästhetische Prinzipien ins Wanken gebracht zu haben scheint, und zwar auch unter den Schriftstellern, wenn man etwa an den langjährigen Briefverkehr des Staatsrats und Bühnenautors Tobias Philipp Freiherr von Gebler mit Friedrich Nicolai denkt, in welchem Ersterer den neuen Entwicklungen am Theater sehr skeptisch gegenübersteht und das Verbot von Klingers Schauspiel in einem Brief vom 2. Juli 1777 mit großer Genugtuung aufnimmt: „Vielleicht ist es Euer Hochedelgebohr., als einem Eiferer für den guten ­G eschmack, nicht unangenehm zu hören, daß Se. Majestät der Kaiser die Zwillinge Klingers gleich nach der ersten Vorstellung, und überhaupt alle dergleichen gräßliche, undeutsche, und unsinnvolle Schäkespearische Nachäffungen verboten haben. Ich hoffe von diesen neumodischen Tragödien1 2 3 4

Siehe dazu Glossy: „Zur Geschichte der Wiener Theatercensur“, S. 282. Hadamowsky: Die Wiener Hoftheater. Bd. 1, S. 146. Siehe dazu auch das Kapitel „Die Zwillinge“ (S. 437f.). Glossy: „Zur Geschichte der Wiener Theatercensur“, S. 282.

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schreibern in kurzen auch Menschenfresser, und ihre Gefangenen scalpierende Jerkesen auf die Bühne gebracht zu sehen.“5 Die Angst, die hier zum Ausdruck kommt, scheint auch geprägt von Imaginationen eines Rückfalls der dramatischen Kunst in überwunden geglaubte Zeiten. Dies zeigte sich auch kurz darauf, wie im vorangegangenen Kapitel dargelegt, in den Gut­ achten der Schauspieler des Burgtheaters. Vor allem Stephanie der Jüngere tritt als vehementer Kritiker des „Shakespear’schen Geschmacks“ auf. Von dem von Gebler kolportierten „Verbot“ der „Schäkespearische[n] Nachäffungen“ – ein höchst unpräziser wie unpraktikabler operativer Terminus – ist indes in den genannten Gutachten des Burgtheaters keine Rede. Gegen Ende der theresianischen Zeit werden die österreichischen Zensurgepflogenheiten auch zunehmend Thema ausländischer Kritik6 – und dies zu einem Zeitpunkt, als die Grundlagen der Zensurpolitik zunehmend an Boden verloren und auch in Publikationen verstärkt diskutiert wurde, inwieweit die gepflogene Praxis der Zensur kontraproduktiv sei. Ich werde darauf im nächsten Kapitel näher eingehen. Für diese krisenhafte Konstellation gibt es zwei aussagekräftige Indizien: das Verbot der von Friedrich Nicolai in Berlin herausgegebenen Allgemeinen deutschen Bibliothek, welches die k. k. Erbländer von einem wichtigen Medium in Hinblick auf Wissenschaft wie Literatur abschnitt, und das Verbot etlicher Musenalmanache und Poesien7, was eine gesteigerte Angst vor der ‚schönen Literatur‘ zum Ausdruck bringt. Dies indiziert eine deutliche Verschiebung des Zensurdiskurses gegenüber der Zeit des sogenannten Hanswurststreites. Die Kritik galt nun nicht dem „pöbelhaften Unflat“, wie im vorangegangenen Jahrzehnt strategisch auf dem Gebiet des Theaters so medienwirksam vertreten, sondern jener Literatur, die man zuvor durch Verdrängung des Ersteren zu befördern gedachte. Als Indikator für diese Verschiebungen werde ich das Verbot von Dramendrucken heranziehen; bei der detaillierten Analyse werde ich mich auf Dramen der letzten drei Jahre der Regierungszeit Maria Theresias konzentrieren. Dem vorausgeschickt sei ein kurzer Überblick über die Verbote bis 1770, der Jahre 1770 bis 1776 und abschließend der Jahre 1777 bis 1780.

5 6

Aus dem Josephinischen Wien, S. 86. Vgl. Friedrich Nicolai: Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781. Nebst Anmerkungen über die Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten. Zweyter Bd. Berlin, S­ tettin 1783, S. 532–534. 7 Siehe Catalogus librorum a commissione caes. reg. Aulica prohibitorum. Editio nova. Cum Privilegio S.C.R Apost. Majestatis. Viennae Austriae, Typis Geroldianis. 1776. Wienbibliothek, A 105475, S. 211.

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DR AMEN IM KATALOG VERBOTENER BÜCHER: GEDRUCKT VOR 1770 Für solche Verschiebungen bietet der Catalogus librorum prohibitorum8, der auch eine Reihe von Schauspieldrucken beinhaltet, wichtige Anhaltspunkte. Ein solcher Eintrag ist gleichzeitig auch Ausdruck für ein verschärftes Verbot, da ein Aufführungsverbot nicht notwendigerweise ein Druckverbot mit sich brachte – so wurde auch der Druck von Klingers Tragödie Die Zwillinge nach dem Aufführungsverbot nicht auf den Index gesetzt und war als Lektüre nach wie vor zugänglich. Ein Druckverbot war somit in der Regel ein Indiz für ein verstärktes Verbot, da das Lesen eines Textes als weniger gefährlich angesehen wurde als eine Aufführung. Der Catalogus librorum prohibitorum ist aber nicht nur ein wichtiger Indikator für die kulturelle ­Situation gegen Ende der theresianischen Zeit, er wird auch zu einem wesentlichen Indikator für die kulturellen Veränderungen in den folgenden 1780er Jahren sein, in denen mehr als 90 % der in der theresianischen Zeit und zuvor verbotenen Dramendrucke zur Lektüre zugelassen werden, und dies unter Auspiz ein und desselben Theatralzensors, der in den 1790er Jahren wiederum eine Kehrtwendung würde vornehmen müssen. Zunächst zu den Verboten von vor 1770 erschienenen Theatraldrucken; die diesbezügliche Liste befindet sich im Anhang dieses Kapitels (S. 321–329). Der Catalogus 1776 enthält insgesamt 53 Einträge von verbotenen Schauspieldrucken (darunter auch Sammelbände), die vor dem Jahre 1770 erschienen sind. Den größten Raum (22) nehmen dabei Drucke von englischen Schauspielen ein, sowohl in Originalfassung wie in deutscher Übersetzung. Hierbei handelt es sich hauptsächlich um Werke des Typus der englischen Restaurationskomödie. 15 Verbote betreffen französische Schauspiele, nahezu ausschließlich Komödien. Werke der in Wien ­gespielten französischen Autoren befinden sich nicht darunter. Das Verbot eines Druckes von Voltaires Olimpie galt nicht – wie im Catalogus explizit erwähnt – der Tragödie des französischen Autors, sondern dem im Druck enthaltenen Nachwort: die Bedenken dürften vor allem den liberalen Aussagen zum Thema Selbstmord gegolten haben.9 Zu den französischen Stücken zählen die Comédie Le Bordel ou le JeanFoutre puni von Anne-Claude-Philippe de Caylus (1692–1765), welche 1747 in Paris 8

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Catalogus librorum a commissione caes. reg. Aulica prohibitorum. Editio nova. Cum Privilegio S.C.R Apost. Majestatis. Viennae Austriae, Typis Geroldianis. 1776. Wienbibliothek, A 105475, samt Supplementen: Supplementum ad Catalogum librorum a commissione caes. reg. Aulica prohibitorum. Editio nova. Cum Privilegio S.C.R Apost. Majestatis. Viennae Austriae, Typis Geroldianis. 1777; Supplementum II ad Catalogum librorum a commissione caes. reg. Aulica prohibitorum. Editio nova. Cum Privilegio S.C.R Apost. Majestatis. Viennae Austriae, Typis Geroldianis. 1778; Supplementum III ad Catalogum librorum a commissione caes. reg. Aulica prohibitorum. Editio nova. Cum Privilegio S.C.R Apost. Majestatis. Viennae Austriae, Typis Geroldianis. 1780. Olimpie. Tragedie nouvelle de Mr. de Voltaire. Suivie de Remarques Historiques. Francfort & Leipsic. MDCCLXIII.

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gedruckt wurde, und L’Eunuque, ou la Fidelle infidelité, Parade en vaudevilles, melée de prose et de vers von Charles François Racot de Grandval (1710–1784), gedruckt 1750, zwei Dramendrucke, welche im josephinischen Catalogue verbleiben werden. Fünf Einträge betrafen italienische Schauspiele; dabei handelt es sich nahezu ausschließlich um Komödien des 16. Jahrhunderts, etwa Komödien von Pietro Aretino (1492– 1556), Girolamo Parabosco (1524–1557) und Lodovico Dolce (1508/10–1568). Lediglich acht Einträge betreffen den Druck deutscher Dramen, darunter Die Weiber-Probe oder die Untreue der Ehefrauen aus dem Jahre 1725 von Christian Friedrich Henrici (1700–1764), das Lustspiel Die Geistlichen auf dem Lande (1743) von Johann Christian Krueger (1723–1750) und Die Weiberstipendien, oder die wohlfeile Miethe der Studenten (1751) von Heinrich August Ossenfelder (1725–1801), Stücke, die schon durch den Titel erkennen lassen, was der mögliche Grund des Anstoßes war. Zu den betroffenen Autoren deutschsprachiger Literatur zählt auch ein Tragödiendichter: Johann Jakob Bodmer (1698–1783). Bei den verbotenen Tragödien Bodmers handelt es sich um die einzigen dramatischen Drucke, welche in den 1760er Jahren erschienen sind. Gemessen an der großen Zahl der Schauspieldrucke ist die Zahl der verbotenen Drucke relativ gering – und man kann davon ausgehen, dass sich die Bücherzensurkommission unter Gerard van Swieten nur sporadisch und beliebig mit Schauspieldrucken auseinandergesetzt hat. Auch Bruce Alan Brown, der sich mit der Zensur der Opéra Comique in Wien in den 1750er und 1760er Jahren beschäftigt hat, geht davon aus, dass die Begutachtung von Textdrucken nur eingeschränkt über die Zensurkommission lief.10 Von den hier genannten Drucken bis 1770 sind nur drei im josephinischen Catalogue verblieben.

DR AMEN IM KATALOG VERBOTENER BÜCHER: 1770 –1776 Von den zwischen 1770 und 1776 gedruckten Dramentexten wurden acht Drucke mit einem Verbot belegt. Dies fällt schon in die Zeit, in welcher Hägelin als Thea­ tralzensor tätig war, ab 1772 auch Mitglied der Bücherzensurkommission und schon zuvor, 1771, mit der Zensur von theatralen Drucken befasst. Bis auf eine Ausnahme, eine aus dem Englischen übersetzte Tragödie von Nicholas Rowe (1674–1718), handelt es sich um deutsche Werke, darunter auch ein Sammelband mit einer französischen Übersetzung von Werken Lessings und Gellerts. Warum dieser Band auf den Index gesetzt wurde, ist rätselhaft: jedenfalls ist keines der darin genannten Werke indiziert.

10 Brown: „Censoring Opéra-Comique“.

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Unter den übrigen in deutscher Sprache erschienenen Drucken befindet sich eine Tragödie: Masuren oder der junge Werther, ein Trauerspiel aus dem Illyrischen von ­August Friedrich Siegfried Goue (1743–1789), erschienen in Frankfurt 1775.11 Dabei handelt es sich zwar um ein von Goethes Werther inspiriertes Werk, das Drama ist jedoch keine Dramatisierung von Goethes Briefroman, der 1774 von Hägelin verboten worden war. Es bleibt unklar, ob dieser Werther-Bezug ein Hauptgrund für das Verbot war. Wahrscheinlicher ist, dass der Stein des Anstoßes in den Klosterszenen lag, in welchen junge Nonnen russischen Magnaten für Liebesdienste offeriert werden, um großzügige Subventionen für die Klosterkasse zu bewirken. Es ist das einzige der hier genannten Stücke, das auch im josephinischen Index aufscheint. Von den sechs genannten Komödiendrucken ragen zwei hervor: der Druck zweier Lustspiele von Lessing, Damon und die Die alte Jungfer.12 Hier verfügen wir über Hägelins Verbotsbegründung, aufgefunden kurz nach dem Brand des Justiz­ palastes und mitgeteilt von Friedrich Walter in einem kurzen Aufsatz aus dem Jahre 1927. Demzufolge galt das Verbot der Komödie Die alte Jungfer, verhängt am 1. September 1775. Während das erste Schauspiel nichts Bedenkliches enthielte, wäre, so Hägelin, Die alte Jungfer „in diesem für sich ganz unwerthen, und unschmakhaften Geschmier [verfasst] nebstbey sehr schlipfrige Zweydeutigkeiten, und ungesittete Ausdrücke zum öftern vorkommen, deren Lesung der Jugend, die gemeiniglich derley Stücke zu ihrer Unterhaltung eifrig suchet, gefährlich seyn würde“13. Es fällt beim Studium von Lessings Komödie nicht leicht, solch anstößige Stellen klar zu identifizieren. In diesem Stück geht es um ein Intrigenspiel, welches die Heiratspläne einer „alten Jungfer“ zum Gegenstand hat. Es scheint vor allem die Begehrlichkeit des alternden weiblichen Körpers zu sein, die sich in diversen dezenten Formulierungen und Kommentaren äußert. Und – eigentlich schon über die Komödienform hinausgehend: Der Hofmeister oder Vortheile der Privaterziehung von Jakob Michael Reinhold Lenz, 1774 gedruckt. Der möglichen Gründe für potentielle Anstößigkeiten gibt es hier viele, ganz unabhängig von der neuartigen Dramaturgie dieses Werks. Um zwei zu nennen: die (außereheliche) Beziehung eines Privatlehrers zu seiner Schülerin sowie die Selbstkastration des Protagonisten gegen Ende des Stückes.

11 Masuren oder der junge Werther. Ein Trauerspiel aus dem Illyrischen. Frankfurth und Leipzig 1775. 12 Gotthold Ephraim Lessings zwey Lustspiele: 1. Damon 2. Die alte Jung fer. Frankfurt und Leipzig, bey Johann Georg Fleischer, 1775. 13 Zitiert nach: Walter: „Neue Dokumente theresianisch-josephinischer Zensur“, S. 204.

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Schauspieldrucke im Catalogus librorum a commissione caes. reg. Aulica prohibitorum. Editio nova. Cum Privilegio S.C.R Apost. Majestatis. Viennae Austriae, Typis Geroldianis. 177614 Verbotene Schauspieldrucke zwischen 1770 und 1776 Das mit Lug und Trug vermischte Heiratsgut „Heurathgut (das mit Lug und Trug vermischte) ein Schäferspiel. 1770. in 8.“ (S. 133) Anonym Das mit Lug und Trug vermischte Heiratsgut Ein Schäferspiel von 3 Schäfern vorgestellet. Langensalza 1770 Der listige und unerschrockene Husar „Husar (der listige, und unerschrockene) ein Lustspiel in 5. Aufzügen 1770. in 8.“ (S. 148) Gleditsch (Vorname nicht eindeutig eruierbar) Der listige und unerschrockene Hussar Ein Lustspiel in 5 Aufzügen 1770 Kalliste „Kalliste, ein Trauerspiel in 5. Aufzügen von Nikolao Rowe. Frankf. und Leipzig 1770. in 8.“ (S. 161) Nicholas Rowe (1674–1718) Kalliste Ein Trauerspiel in 5 Aufzügen Frankfurt und Leipzig 1770 Théatre Allemand, ou Recueil des meilleures pieces dramatiques „Theatre allemand ou recueil de meillieurs Pieces dramatiques & c. Tome Ier a Paris 1772. in 8.“ (S. 314) Théatre Alleman, ou Recueil de meilleures pieces dramatiques traduit par Junker et Libault Beinhaltet: von Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781): Les Juifs, Miss Sara Sampson, L’esprit fort, Le trésor; von Karl Christian Gaertner (1712–1791): La fidélité éprouvée; von Christian Fürchtegott Gellert (1715–1769): Le billet de loterie. Paris 1772 Zwo komische Operetten „Operetten (zwo komische) von G. Chemnitz 1773. in 8.“ (S. 230) Anonym Zwo komische Operetten von G., nebst anderen Gedichten zum Anh. Chemnitz 1773

14 Signatur: Wienbibliothek, A 105475. In der Folge werden zunächst die Angaben im Catalogus (meist ohne Angabe des Autors) angeführt, anschließend wird der genannte Druck identifiziert, und zwar, soweit möglich, mit Angabe des Autors.

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Der Hofmeister oder Vortheile der Privaterziehung „Hofmeister(der) oder Vortheile der Privaterziehung. Eine Komödie. Leipzig 1774. in 8.“ (S. 144) Jacob Michael Reinhold Lenz (1751–1792) Der Hofmeister oder Vortheile der Privaterziehung Eine Komödie Leipzig 1774 Damon / Die alte Jung fer „Leßings (Gotth. Ephraim) zwey Lustspiele, Frankf. und Leipzig 1775. in 8.“ (S. 174) Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) 2 Lustspiele 1. Damon 2. Die alte Jung fer Frankfurt und Leipzig 1775 Masuren oder der junge Werther „Masuren, oder der junge Werther. Ein Trauerspiel. Aus dem Illyrischen. Frankf. und Leipzig in 8. 1775.“ (S. 195) August Friedrich Siegfried Goue (1743–1789) Masuren oder der junge Werther ein Trauerspiel aus dem Illyrischen Frankfurth und Leipzig 1775

DR AMEN IM KATALOG VERBOTENER BÜCHER: 1777–1780 Im Zeitraum von 1777 bis 1780 haben sich die Verbote merklich vermehrt. 29 Dramentexte wurden auf den Index gesetzt. Mit Ausnahme von zwei Drucken handelt es sich dabei ausschließlich um deutsche Dramentexte, davon drei Texte, denen die Übertragung eines anderssprachigen Originaltextes zugrunde lag. Der überwiegende Teil der Verbote betraf somit die neueste Dramenproduktion in deutschen Ländern, deren Autoren ihre Werke außerhalb der k. k. Erbländer verfasst hatten. Und nahezu die Hälfte der diesbezüglichen Verbote entfiel auf die Gattung des Trauerspiels, circa ein Viertel auf die weite Gattung des „Schauspiels“, nur ein Viertel auf die Komödie. Das Druckverbot betraf somit in erster Linie das ‚ernste‘ Drama im weitesten Sinne. Es sei vorweggenommen, dass mehr als 90 % der in diesen Jahren ausgesprochenen Dramenverbote im folgenden Jahrzehnt, zur Zeit der Alleinregierung Josephs II., aus dem Catalogus eliminiert werden. Unter den Autoren der verbotenen Werke befinden sich prominente Namen: Friedrich Maximilian Klinger, Johann Anton Leisewitz, Jakob Michael Reinhold Lenz, Christiane Caroline Schlegel, Johann Friedrich Schink und Gotthold Ephraim Lessing. Vor dem weiteren Kommentar ein Blick auf die Liste, geordnet nach den Supplementbänden 1777, 1778 und 1780.

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Schauspieldrucke in den Supplementa des Catalogus librorum a commissione caes. reg. Aulica prohibitorum. Editio nova. Cum Privilegio S.C.R Apost. Majestatis. Viennae Austriae, Typis Geroldianis 1776 – Supplementa 1777, 1778, 1780 Supplementum ad Catalogum librorum a commissione caes. reg. Aulica prohibitorum. Editio nova. Cum Privilegio S.C.R Apost. Majestatis. Viennae Austriae, Typis Geroldianis. 1777 Der Aufruhr zu Pisa „Aufruhr (der) zu Pisa ein Trauerspiel in 5. Aufzügen. Ulm 1776. in 8.“ (S. 4) Ludwig Philipp Hahn (1746–1814) Der Aufruhr zu Pisa Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen Ulm 1776 Simsone Grisaldo „Grisaldo (Simsone) ein Schauspiel in 5 Akten. Berlin. 1776. in 8.“ (S. 9) Friedrich Maximilian Klinger (1752–1832) Simsone Grisaldo Ein Schauspiel in fünf Akten Berlin 1776 Julius von Tarent „Julius von Tarent ein Trauerspiel, Leipzig. 1776. in 8.“ (S. 10) Johann Anton Leisewitz (1752–1806) Julius von Tarent Ein Trauerspiel Leipzig 1776

Supplementum II ad Catalogum librorum a commissione caes. reg. Aulica prohibitorum. Editio nova. Cum Privilegio S.C.R Apost. Majestatis. Viennae Austriae, Typis Geroldianis. 1778 Amalia unglücklich durch ihre Stiefmutter „Amalia, unglücklich durch ihre Stiefmutter, ein Trauerspiel in 5 Aufzügen, Frankf. und Berlin, 1777. in 8.“ (S. 4) Anonym Amalia unglücklich durch ihre Stiefmutter Ein Trauerspiel in 5 Aufzügen Berlin 1777

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Der Engländer „Engländer (der) eine dramatische Phantasey, Leipzig. 1777, in 8.“ (S. 9) Jakob Michael Reinhold Lenz (1751–1792) Der Engländer Eine dramatische Phantasey Leipzig 1777 Eulalia „Eulalia, ein Trauerspiel in 5 Aufzügen. Leipzig. 1777, in 8.“ (S. 10) Anton Mathias Sprickmann (1749–1833) Eulalia Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen Leipzig 1777 Der Herzog von Danzig oder die Rache für einen Vater „Herzog (der) von Danzig, oder die Rache vor einem Vater, ein Trauerspiel aus dem Englischen. Frankf. am Mayn. 1776, in 8.“ (S. 12) Anonym Der Herzog von Danzig oder die Rache für einen Vater Ein Trauerspiel Frankfurt am Mayn 1776 So prellt man alte Füchse oder Wurst wider Wurst „So prellt man alte Füchse, oder Wurst wieder Wurst. Posse mit Gesängen und Balleten von W. C. M**s und d’Arien. Halle 1777. in 8.“ (S. 19) Wilhelm Christhelf Sigmund Mylius (1753–1827) So prelt man alte Füchse oder Wurst wider Wurst Posse mit Gesängen und Balletten Halle 1777 Die Neuen Vestallinnen „Vestallinen (die neuen) ein Schauspiel in trochaischer Versart. 1777. in 8.“ (S. 21) Johann Nepomuk Lengenfelder (1753–1783) Die Neuen Vestallinnen Ein Schauspiel in trochaischer Versart s. l. 1777 Werther „Werther, ein bürgerliches Trauerspiel in Prosa und 3. Akten. Frankf. und Leipzig, 1778. in 8.“ (S. 21) Willer (Vorname nicht eruierbar) Werther Ein bürgerliches Trauerspiel in Prosa und drey Acten Frankfurt und Leipzig 1778

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Supplementum III ad Catalogum librorum a commissione caes. reg. Aulica prohibitorum. Editio nova. Cum Privilegio S.C.R Apost. Majestatis. Viennae Austriae, Typis Geroldianis. 1780 Adelheid oder die unwahrscheinliche Liebe „Adelheid, oder die unwahrscheinliche Liebe, ein Schauspiel in 3 Aufzügen. Leipzig 1779. – 8.“ (S. 4) Friedrich Theophil Thilo (1749–1825) Adelheid oder die unwahrscheinliche Liebe Ein Schauspiel in drey Aufzügen Leipzig 1779 L’Amour Quêteur „Amour (l’) queteur. Comedie en deux Actes et en Vers, melée d’Ariettes et de Vaudevilles. par Mr. Maillé de Marencour. Rouen. 1778. – 8.“ (S. 4) Maillé de Marencour L’Amour Quêteur Comédie en deux actes, et en vers, mêlée d’Ariettes et de Vaudevilles Rouen 1778 Die Aussteuer „Aussteuer (die) ein Nachspiel in einem Aufzuge, nach dem Französischen einer noch ungedruckten Operette, Mannheim. 1778. – 8.“ (S. 5) Christian Friedrich Schwan (1733–1815) Die Aussteuer Ein Nachspiel in einem Aufzuge. Nach dem Französischen einer noch ungedruckten Operette Mannheim 1778 Les Calas / Les Salver ou la faute réparée „Drames nouveaux. Les Calas en 3 Actes et en Prose. Les Salver ou la faute reparée en 3 Actes et en Vers. Par Mr. de Brumore, à Berlin 1778. – 8.“ (S. 10) Abbé de Brumore (Pseudonym von Louis Joseph Bernard Philibert Guyton de Morveau, 1738-1786) Drames nouveaux. Les Calas en 3 Actes et en Prose. Les Salver ou la faute réparée en 3 Actes et en Vers Berlin 1778. Duval und Charmille „Duval und Charmille, ein bürgerliches Trauerspiel in 5. Aufzügen, von einem Frauenzimmer. Leipzig 1778. – 8.“ (S. 10) Christiane Caroline Schlegel (1739–1833) Düval und Charmille Ein Bürgerlich Trauerspiel in fünf Aufzügen Von einem Frauenzimmer Leipzig 1778

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Die gute Ehefrau „Ehefrau (die gute) ein Lustspiel in fünf Aufzügen. Erfurt 1779. – 8.“ (S. 10) Christian Friedrich Timme (1752–1788) Die gute Ehefrau Ein Lustspiel in fünf Aufzügen Erfurt 1779 Ernest, oder die unglücklichen Folgen der Liebe „Ernest, oder die unglücklichen Folgen der Liebe, ein Drama in 3 Aufzügen nach den Leiden des jungen Werthers gearbeitet. Berlin. 1776. – 8.“ (S. 11) Christian Friedrich von Bonin (1755–1813) Ernest, oder die unglücklichen Folgen der Liebe Ein Drama in drei Aufzügen In einer freien Übersetzung aus dem Französischen nach den Leiden des jungen Werthers gearbeitet Berlin 1776 Der Freymaurer im Gefängniße „Freymaurer (der) im Gefängnisse, ein Originalschauspiel in 3 Aufzügen, von Eckhoff. Hamburg, 1778 – 8.“ (S. 12) Hans Karl Freiherr von Ecker und Eckhoff (1754–1809) Der Freymaurer im Gefängnisse Ein Original-Schauspiel in dreyen Aufzügen Hamburg 1778 Golderich und Tasso „Golderich und Tasso, ein Trauerspiel in 5 Aufzügen, Flensburg und Leipzig. 1778. – 8.“ (S. 14) Christian Friedrich Sander (1756–1819) Golderich und Tasso Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen Flensburg und Leipzig 1778 Von Helm, Der Freygeist ein Heuchler „Helm (von) der Freygeist ein Heuchler, ein Trauerspiel, in 5 Aufzügen. Von J. A. Weiß. Mannheim. 1779. – 8.“ (S. 15) Johann Adam Weiss (1751–1802) Von Helm, Der Freygeist ein Heuchler Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen Mannheim 1779 Robert von Hohenecken „Hoheneken (Robert von) ein Trauerspiel, von Hahn. – Leipzig. 1778. – 8.“ (S. 15) Ludwig Philipp Hahn (1746–1787) Robert von Hohenecken Ein Trauerspiel Leipzig 1778

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Jenny „Jenny, ein bürgerliches Trauerspiel in 5 Aufzügen, Frankfurt und Leipzig. 1778. – 8.“ (S. 16) Anonym Jenny Ein bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen Frankfurt etc. 1778 Nathan der Weise „Nathan, der Weise, ein dramatisches Gedicht in 5 Aufzügen, von G. E. Lessing. 1779. – 8.“ (S. 20) Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) Nathan der Weise Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen s. l. 1779 Rose die Nonne wider ihren Willen „Rose, die Nonne wider ihren Willen, ein Trauerspiel in 5. Aufzügen. 1te Auflage, München. 1778. – 8.“ (S. 23) Johann Adam Weiß (1751–1802) Rose die Nonne wider ihren Willen Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen München 1778 Comisches Theater der Franzosen. Für die Deutschen „Theater (komisches) der Franzosen für die Deutschen, herausgegeben von Dyk. 5ter Theil Leipzig. 1779. – 8.“ (S. 26) Johann Gottfried Dyk (Hg.) (1750–1813) Comisches Theater der Franzosen. Für die Deutschen hrsg. von G. F. Dyk Leipzig 1777–1786 Der Ton der grossen Welt „Ton (der) der grossen Welt, ein Lustspiel in 2 Akten aus dem Englischen des Colmann, von C. G. von H. Altenburg 1778. – 8.“ (S. 26) George Colman (1732–1794) und David Garrick (1717–1779) Der Ton der grossen Welt Ein Lustspiel in zwey Akten Aus dem Englischen des Colman von C. G. v. H. Altenburg 1778 Die verkannte Unschuld oder der verrätherische Sohn „Unschuld (die verkante) oder der verrätherische Sohn, ein Trauerspiel in 5 Aufzügen. Frankfurt und Leipzig 1778. – 8:“ (S. 27) Anonym Die Verkannte Unschuld oder der Verrätherische Sohn Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen Frankfurt und Leipzig 1778

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Lina von Waller „Waller (Lina von) ein Trauerspiel in 3. Aufzügen von Schink. Berlin, 1778. – 8.“ (S. 28) Johann Friedrich Schink (1755–1835) Lina von Waller Ein Trauerspiel in drei Aufzügen Berlin 1778

Von den genannten verbotenen Stücken der letzten Jahre der theresianischen Zeit möchte ich auf vier näher eingehen, allesamt Trauerspiele. Drei davon wurden erst 1780 in den Catalogus gesetzt, eines wurde schon 1778 aufgenommen. Alle vier ­Drucke werden in den 1780er Jahren aus dem Catalogus librorum prohibitorum entfernt werden.

EULALIA. MÄRTYRERIN AM HOFE Das erste Trauerspiel, Eulalia, ein Trauerspiel in fünf Akten von Anton Mathias Sprickmann15, 1778 in den Catalogus aufgenommen, spielt im höfischen Kontext und macht diesen explizit zum Thema. Das Drama beginnt am Morgen im Schlafzimmer der bereits auf das Desinteresse des Fürsten gestoßenen Mätresse und endet im ehelichen Schlafzimmer der Titelheldin, welche der Fürst eines nicht näher genannten deutschen Herzogtums mittels übelster Erpressung zu seiner neuen Mätresse machen möchte. Die Personenkonstellation wie auch einzelne Aspekte der Handlungsentwicklung lassen unschwer den Einfluss von Lessings Emilia Galotti erkennen, welche in Wien nicht nur im Druck zugelassen war, sondern auch auf die Bühne gebracht wurde.16 Bevor wir auf die möglichen Verbotsgründe – auch im Hinblick auf die zum Druck wie zur Aufführung zugelassene Tragödie Lessings – eingehen, hier eine kurze Charakterisierung von Sprickmanns Trauerspiel. Es spielt am Hof eines Fürsten, der nach einjährigem Aufenthalt in Paris ‚sittenverderbt‘ zurückgekehrt ist. Die schmutzige Arbeit für den Fürsten erledigt der „Marquis“, förmlicher Ehemann der fürstlichen Mätresse. Mit Wissen des Fürsten hat er die Ermordung des ersten Mannes seiner jetzigen Frau, der „Marquise“ angeordnet; er ist der Motor der Intrigenmaschinerie des Hofes. Das einzige, was ihn an seine Frau, des Fürsten Mätresse, bindet und sie an ihn, ist das raffinierte Spiel der Politik. Der Marquis hasst den Fürsten, wie der Fürst ihn zutiefst verachtet, doch beide bedürfen einander, und der Marquis versucht ständig Bedingungen zu schaffen, damit der Fürst seiner auch in 15 Eulalia. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Leipzig in der Weygandschen Buchhandlung. 1777. 16 Emilia Galotti wurde am 4. Juli 1772 am Kärntnerthor-Theater erstaufgeführt. Zechmeister: Die Wiener Theater, S. 535.

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Zukunft bedürfe. Im Unterschied zu ihrem Mann, der als Person ohne jeglichen Skrupel und ohne Ambivalenz gezeichnet ist, wird die Marquise, die den Fürsten leidenschaftlich liebt, als gespaltene Person charakterisiert. Sie wirkt zwar am Intrigenspiel mit, jedoch ohne die Intrigen noch durchschauen zu können, vor allem aber aus persönlicher Leidenschaft für den Fürsten. Sie ist der Inbegriff einer ehemals ­tugendhaften Frau: Es war ihre frühere Tugendhaftigkeit, die den Fürsten reizte; eingebunden in die Abläufe des Hofes sind ihr jedoch mittlerweile keine Laster mehr fremd, und inzwischen hat der Fürst das Interesse an ihr verloren. Der Marquise steht Eulalia gegenüber: keine Bürgerliche wie Emilia Galotti, sondern Tochter des langjährigen Kanzlers, einer schwachen Vaterfigur, der seine Strategien dem Willen des Fürsten völlig unterordnet. Eulalia ist mit dem Grafen Brünov verehelicht, einem Freund der Gemahlin des Fürsten, welche, der Eskapaden ihres Mannes überdrüssig, vorhat, den Hof zu verlassen, um zu ihrem Vater zurückzukehren. Eulalia versucht die Initiative zu ergreifen, um den Hof von aller „französisch-verderbten“ Kultur zu reinigen: so will sie auch das Mätressenwesen abschaffen. Es war ihr bereits gelungen, den Fürsten zu bewegen, von seiner Mätresse abzulassen. Doch diese einflussreiche Stellung hat sie nur inne, weil der Fürst die tugendhafte Eulalia als seine zukünftige Mätresse sieht. Der Triumph Eulalias angesichts der Verbannung der Mätresse hält nicht lange an, da sie erfährt, dass sie von der Fürstin verdächtigt wird, die neue Geliebte des Fürsten zu sein. Als dem Marquis ein Schreiben von Eulalias Gatten an die Fürstin in die Hände fällt, entwickelt er seinen Intrigenplan, um dem Fürsten, auch zur ­Sicherstellung seines eigenen Einflusses, Eulalia zuzuführen: Eulalias Gatte soll des ­Hochverrats angeklagt und zum Tode verurteilt werden – davor könne ihn, wie der Marquis Eulalia zu verstehen gibt, nur ihre Gunstbezeugung gegenüber dem Fürsten retten. Für Eulalia ist eine solche Option zunächst unvorstellbar. Doch dann ersinnt sie einen neuen Plan: Sie will zum Schein in das Angebot einwilligen, um in dem Moment, in welchem sich der Fürst am Ziel seiner Wünsche wähnt, Selbstmord zu begehen – so hofft sie, das Leben ihres Mannes zu retten, da nach ihrem Tod seine Hinrichtung keinen Zweck mehr erfüllen würde. Eulalia gibt ihre Einwilligung auch schriftlich, mit der Bedingung, ihren Gatten noch einmal sehen zu dürfen. Der Marquis spielt den Brief dem in Haft befindlichen Brünov zu, der die ihn im Gefängnis aufsuchende Gattin als Hure beschimpft und von sich stößt. In ihrem Schlafzimmer, dem Zimmer der „keuschen Vereinigung“ mit ihrem Gatten, erwartet Eulalia den Fürsten. Sie zögert zunächst, das Gift zu nehmen, und fleht den Fürsten an, von der Erfüllung seines Begehrens abzusehen. Erst als dieser dazu keinerlei Bereitschaft zeigt, nimmt sie das Gift und setzt den Fürsten von ihrer Tat in Kenntnis. Dieser bricht nunmehr in Verzweiflung aus und befiehlt, den Marquis in Haft zu nehmen und unter größter Folter zu Tode zu bringen. Der Gatte, mittlerweile aus dem Gefängnis entflohen, kommt hinzu. Er hat die 294

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Absicht, sich am Fürsten zu rächen, doch Eulalia setzt vor ihrem Tode zur großen Versöhnung an: sie fordert von beiden Männern, dass sie Freunde werden, und nimmt dem Fürsten, als Gegengabe für ihr Opfer, das Versprechen ab, in Zukunft auf dem Weg der Tugend zu wandeln. Was war nun das „Anstößige“ dieses Stücks, das in einer Tugendorgie endet und das eine sittenverderbte (französische) Gesellschaft in eine tugendhafte überführen möchte? Offensichtlich war es nicht, wenn wir an Emilia Galotti denken, der dramatische Kern des Stückes – der Übergriff eines Fürsten, der seine Macht missbraucht und vor Mord und Freiheitsberaubung nicht zurückschreckt. Dies Thema war mit Emilia Galotti auf der Bühne gleichsam approbiert, approbiert in Gestalt der Tragödie, der immer schon ein höheres Maß an ‚Tabuüberschreitung‘ zugestanden wurde. Die Figur des (höfischen) Intriganten ermöglicht den an der Intrige mitwirkenden Fürsten je nach Fasson des Stückes, sich immer auch etwas ambivalent zeigen zu ­können, ermöglicht es, eine Differenzierung von Herrscherfigur und Apparat einzuführen, um letztlich den „Intriganten“ zum Strafobjekt zu machen – eine auch in Eulalia geübte Praxis. In Eulalia ist die „Schuldzuweisung“ sehr eindeutig: der einst so tugendhafte Prinz wird in Frankreich in seinen Sitten verdorben und in Deutschland von einem französischen Intriganten getrieben. Eulalia ist die reinigende (deutsche) Kraft – was ihr im Leben nicht gelingt, gelingt ihr durch ihren Opfertod. Der Name der Titelheldin scheint sehr bewusst gewählt. Er bezieht sich offensichtlich auf die christliche Märtyrerin Eulalia. Dazu heißt es in Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexicon: „S. Eulalia, eine Jungfrau und Märtyrin, war zu Merida in Spanien gebohren, und hatte stets eine große Begierde nach dem Märtyrer-Tode, daher auch ihre Mutter sie eine Zeit verstecket hielt. Sie entkam aber deren Aufsicht, gab sich bey dem heydnischen Land-Pfleger als eine Christin an, verachtete dessen Schmeicheleyen, spie ihm noch darzu ins Angesicht, und wurde deßwegen mit Nägeln zerkratzet, und mit Feuer gequälet, biß ihr ihre Seele in Gestallt einer Taube zum Munde heraus fuhr. Dieses geschahe unter Maximiano an. 290.“17 Letztlich stirbt die Titelheldin von Sprickmanns Tragödie einen Märtyrertod, ihr Selbstmord fungiert als heiliger Akt, als Zeichen göttlicher Freiheit und höchster Aufopferung. Diese Konzeption findet sich in sich steigernder Form in allen sprachlichen Verästelungen der Tragödie, so gegen Ende des IV. Aktes, wo Eulalias Selbstmord- und Opferpläne erstmals offenbar werden (IV/7): 17 Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Halle, Leipzig: Selbstverlag 1731–1754, Bd. VIII, Sp. 2132f.

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„Gott gab – ( feyerlich langsam, nachsinnend) dem leidenden Edlen – darf ich’s nennen? Freyheit! Freyheit! eine Hand wider sich selbst, zu können, und Muth zu wollen, warum denn nicht auch Recht zu dürfen? zu dürfen, gegen Gewalt, die ihn zwingen will zu dem, was er nicht darf? und das werden sie? – sie werden machen wollen aus mir, was nicht seyn darf! – also! – ich kann, ich will, ich darf!“18 Und im letzten Akt kurz vor dem Auftritt des Herzogs und nachdem sie von ihrem getäuschten Gatten gedemütigt worden war (V/6): „Hienieden soll nichts ohne Bitterkeit seyn, auch die süsse, süsse Schaale des Todes nicht! Ich murre nicht, Allgütiger, der du mich so unsanft rufst! Aber doch diesen Abschied, dieses lezte Ausweinen all meines Gefühls in seinem Schoose, hättest du es mir geben wollen – doch was wär auch dann dieses Opfer gewesen? Schmerzlich, schmerzlich, sollt es seyn, und ich nehm’ es an, wie du es mir darreichst! (sie zieht eine Flasche mit Gift hervor.)“19 Der Herzog ruft, zum Marquis gewandt, den er angesichts des nahenden Todes von Eulalia verdammt (V/8): „[…] der Teufel hatte dir das Gift in der Hölle gekocht! Verläumder! da liegt sie nun, die mich liebte, und stirbt den heiligen Selbstmord zur Rettung! – Gott! – Gott!“20 Und zur Sterbenden (V/11): „Und du Theure, Arme, wie soll ich dich nennen, Märtyrerin! […] Heilige!“21 Diese Konstellation, welche nicht nur den Selbstmord legitimiert, sondern ihn als höchsten Akt des Märtyrertums darstellt, gerät mit mehreren der schon dargestellten Prämissen des Zensors in Widerspruch, wenn auch Hägelin für den Selbstmord, zumal den „Heroischen“, kein klares und allenfalls ein höchst widerspruchsvolles Konzept entwickelte. Im Grunde hat Hägelin den Selbstmord als Strafgericht für ein verderbliches Leben angepriesen, samt allen dafür notwendigen zensoral-liturgischen Maßnahmen. Der gänzlich anders geartete, meist männlich-heroenhafte Selbstmord wird von Hägelin fast beiläufig als Ausnahme genannt, ohne anzugeben, 18 19 20 21

Eulalia, S. 86. Ebenda, S. 100. Ebenda, S. 105. Ebenda, S. 109f.

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ob in einem solchen Falle andere Prozeduren zutreffen. In Emilia Galotti stirbt die Protagonistin, trotz anfänglicher Selbstmordgedanken, nicht durch eigene Hand, sondern – in verschobener Form und auf ihr Geheiß – durch die Hand des Vaters. Bei aller Widersprüchlichkeit zieht sich als ein Hauptargument bei Hägelin durch, dass Selbstmord auf der Bühne nie explizit befürwortet geschweige denn gar „theologisch“ begründet werden dürfe. Wie in vielen Dramen der Zeit werden auch in diesem Stück immer wiederkehrend „Himmel und Hölle“ beschworen. In diesem Trauerspiel werden gelegentlich Kontrastebenen gewählt, wo das Heilige unmittelbar in das Verwerfliche übergeht (III/4): „Neben Uns? Uiber Uns? Ha Weib, wie komm ich mit dir in die Verbindung? Ha ha ha! Ja nun möcht’ ich selbst lachen! Doch lustig wie ich dem Himmel so dankte für den Engel, den er mir in die Arme gäbe, und wie mich nun der Engel da hinunterbringt, in die Gemeinschaft mit dem feilen abgefeimten Lustweibe! Ha ha ha! mit der Hure! Ha ha ha!“22 Auch die Charakterisierung des geistlichen Standes mag auf keine große Zustimmung des Zensors gestoßen sein, wenn auch nicht beabsichtigt war, Folgendes auf der Bühne zu sprechen (I/5): „Oder ist’s Ihnen vielleicht um Pfaffen und Zeitungsschreiber und Dichter, und wie das Lumpengesindel weiter heißt? Nur einen Griff in Ihren Beutel, gnädiger Herr, und die Kerls sind Ihnen alle feil!“23 Die dramatische Sprache ist voll von Begriffen, welche Hägelin in ihrer Eindeutigkeit zu vermeiden trachtete – von Ehebruch, Wollüstling, geiler Blick, Kuppler bis über „die Stirn weghuren“. Viel direkter als in Emilia Galotti und für die Handlung konstitutiv ist das Mä­ tressenwesen charakterisiert, vom Autor per se denunziert und als primär französische Verderbnis angesehen, dem die deutsche Keuschheit und die Keuschheit des Ehebetts gegenübergestellt wird. Und die Marquise ist nicht nur Mätresse, sie ist auch Ehebrecherin. Dies wiegt, wie wir gesehen haben, für die Zensur sehr schwer. Und dieser Ehebruch erfolgt überdies in Form eines Einverständnisses mit dem Ehemann, der somit zum Kuppler der eigenen Frau wird, wobei Hägelin, wie bereits erwähnt, einen „niederträchtigen Höfling“ als Kuppler in speziellen Fällen auch auf

22 Ebenda, S. 52. 23 Ebenda, S. 18.

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der Bühne durchaus zuließ (zumal in der Tragödie), während er das gewerbsmäßige Kupplerwesen von der Bühne ausschließen wollte. Inwieweit auch die Zuschreibung des Französischen als Ursprung für die Sittenverderbnis dem Zensor ins Auge stach, lässt sich angesichts der Vielfalt von potentiellen Anstößigkeiten schwer sagen, doch im Hinblick auf die politischen Verbindungen zu Frankreich und angesichts dessen, dass über Marie Antoinette, französische Königin und Tochter Maria Theresias, diverse einschlägige Gerüchte im Umlauf waren, könnte ein solcher Beanstandungsgrund durchaus gegeben gewesen sein.

DÜVAL UND CHAR MILLE. TÖDLICHE TRIANGULATION Die drei Trauerspiele, die in der Folge diskutiert werden, sind alle im letzten Regierungsjahr Maria Theresias in den Catalogus librorum prohibitorum gesetzt worden. Zwei davon tragen die Gattungsbezeichnung „bürgerliches Trauerspiel“. Das erste dieser Trauerspiele verdient auch deshalb besonderes Interesse, weil es von einer Frau geschrieben wurde – von Christiane Caroline Schlegel, geb. Lucius: Düval und ­Charmille. Der Leipziger Druck des Jahres 1778 erschien zwar anonym, jedoch versehen mit dem Hinweis: „Von einem Frauenzimmer“.24 Im Vorwort des Herausgebers ist zu lesen, dass es sich um das Werk eines „verheuratheten jungen Frauenzimmers“ handelt und dem Drama eine wahre Geschichte zugrunde liegt. Die Autorin, so der Verfasser des Vorwortes weiter, hätte das Drama allein zu ihrem Zeitvertreib verfasst, und der Herausgeber sieht sich keineswegs in einer unschuldigen Rolle, dieses Werk nunmehr der Öffentlichkeit vorzustellen. „Was den moralischen Innhalt des Stücks betrifft, so könnte die schöne Abhandlung der Miß Hanna Moore25 über die Gefahr der empfindsamen Verbindungen junger Frauenzimmer, die in unsern Tagen so Mode sind, eine herrliche Einleitung zu diesem Trauerspiele abgeben.“26 In diesem Drama, so der Herausgeber weiter, gehe es um den „empfindsamen Manne dieser, dem schönen Geschlechte so fürchterlichen Gattung“27. Der empfindsame Mann ist in Caroline Schlegels Trauerspiel Baron Heinrich Düval, „Hauptmann und 24 Düval und Charmille. Ein bürgerlich Trauerspiel in fünf Aufzügen. Von einem Frauenzimmer. Leipzig bei Weidmanns Erben und Reich. 1778. 25 Hanna Moore (1745–1833) verfasste Gedichte und Theaterstücke sowie zahlreiche Schriften über Religion und Philanthropismus. Unter anderem galt ihr Kampf jeder Form von Sklaverei. 26 Düval und Charmille, Vorbericht, S. 5. 27 Ebenda.

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Kammerjunker des Prinzen**“, dessen Name offensichtlich nicht genannt werden soll, verheiratet mit Marianne und Vater eines dieser Ehe entsprossenen zwölfjährigen Sohnes. Die weibliche Protagonistin des Stückes ist Amalie von Charmille, „Kammerfräulein der Prinzessin***“ und Stieftochter der Frau von Doenberg. Mit Düvals Freund, dem Grafen von Sternfeld, Hofmarschall, formt die Personnage dieses bürgerlichen Trauerspiels eine aristokratische Konstellation, die auch in die Welt des nicht konkret bezeichneten Hofes integriert ist. Dieses „bürgerliche Trauerspiel“ spielt nicht wie Eulalia bei Hofe, sondern ausschließlich in den privaten Räumen von Düvals Haus; der Fürst agiert nur hinter der Szene und ist anders als in Sprickmanns Trauerspiel von den tragischen Ereignissen nicht direkt betroffen. Düval, der während der Ehe seinen außerehelichen Neigungen in vielfacher Form nachgegangen ist, ist nunmehr mit großer Leidenschaft und „Empfindsamkeit“ Amalie von Charmille ergeben, die ihn ebenfalls liebt, sich aber gleichzeitig auch freundschaftlich mit seiner Frau verbunden fühlt. Diese weiß ihrerseits von der Leidenschaft ihres Mannes für Amalie. So sehr diese Beziehung sie auch schmerzt, so missbilligt Marianne sie doch nicht, ebenso wenig wie das Verhalten von Amalie, welche sie ebenfalls als ihre Freundin betrachtet. Düval fordert von beiden Frauen, dass sie mit dieser Konstellation leben müssen, und weist seine Gattin darauf hin, dass er durch die Liebe zu Amalie viel ausgeglichener sei, was letztlich auch ihr wie dem Sohn zugutekäme. Doch hat diese Dreiecksbeziehung auch eine Bedingung: Düval musste Amalie geloben, von sexuellem Verkehr Abstand zu nehmen, woran er sich bis zuletzt gebunden fühlt (V/3): „Ich habe Dir gelobt, Deine Tugend unverletzt und heilig zu bewahren. Sieh! Ich habe das Gelübde gehalten!“28 Doch entgegen der Behauptung seiner Ausgeglichenheit ist Düval in hohem Maße gereizt und nervös. Ein Grund für seine ständige Unruhe wird bald klar: Graf von Sternheim eröffnet ihm, dass der Prinz ein sofortiges Ende der Liaison mit Amalie erwarte, ansonsten habe Düval den Dienst zu quittieren. Nach dieser Eröffnung fasst Düval Misstrauen gegenüber dem Freund. Er befürchtet, dass der Hofmarschall, unter Zutun von Amalies Stiefmutter, eine Intrige gesponnen hat, um die Beziehung zwischen ihm und Amalie zu stören und Amalie für sich selbst zu gewinnen. Frau von Doenberg, ihrer Stieftochter aus Eifersucht wegen deren Ansehen bei der Prinzessin äußerst missgesonnen, will Amalie ins Kloster schicken. Düvals Frau verteidigt jedoch Amalie gegen ihre Stiefmutter: das Mädchen sei „nur bestrickt, noch nicht in’s Verderben gerissen“ (II/1),29 ja, unschuldig. 28 Ebenda, S. 115. 29 Ebenda, S. 38.

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Aber letztlich unterstützt auch Marianne den Klosterplan, weniger, um eine R ­ ivalin loszuwerden, denn aus Sorge um Amalie. Was ihren Mann betrifft, den sie immer noch liebt, ist sie illusionslos – er werde eine andere Mätresse finden, die aber ihr gegenüber nicht so verständnis- und liebevoll sein werde wie „Mally“, sondern „boshaft, ruchlos, unverschämt“ (II/1)30. Wenn sie nunmehr ruhigere und fried­vollere Tage verlebe als früher, dann hätte sie dies Amalie zu verdanken. Die Stiefmutter lässt durchblicken, dass statt des Klosters auch eine Verheiratung mit einem anderen Mann das Problem lösen könnte. Doch handelt Frau von Doenberg nicht aus Sorge um das Wohl ihrer Stieftochter – sie hat nur eine Intention: mit der Stieftochter eine Konkurrentin am Hof, die ihr gegenüber Vortritt genießt und stets wohlwollende Aufmerksamkeit erregt, aus dem Weg zu schaffen. Dahin zielen ihre Intrigen, und sie streut bei Hofe das Gerücht, dass ihre Stieftochter schwanger sei. Doch damit begnügt sie sich nicht: sie sucht Düval auf und täuscht Verständnis für dessen Beziehung zu Amalie vor. Sie benachrichtigt ihn „vertraulich“, dass ­A malie noch diesen Abend ins Kloster gebracht würde, und rät zu einer Entführung der Stieftochter. Doch Düval ist überzeugt, dass Frau von Doenberg ihn durch diese Empfehlung nur bei Hofe diskreditieren will. Seinem Freund gegenüber steigert er sich in wilde Eifersuchtsphantasien hinein und sendet ihm eine briefliche Aufforderung zum Duell. Der Brief gelangt in die Hände des Fürsten, und Düval, über den Amalies Stiefmutter mittlerweile auch Entführungsgerüchte in Umlauf gesetzt hat, wird auf Order des Hofes in seinem Haus unter Beobachtung gesetzt. Der Geliebten, die soeben von einer Gesellschaft zurückgekehrt ist, eröffnet ­Düval, dass er vorhabe, noch an diesem Abend sein Leben zu beenden, da er keinerlei Hoffnung mehr sähe: die Flucht sei vereitelt, Amalie würde in Kürze ins Kloster gebracht werden, und Düval befürchtet, dass dann andere sich um sie bemühen würden, ein Gedanke, der ihm unerträglich ist. So fordert er sie auf, gemeinsam mit ihm zu sterben. Amalie ist höchst verwirrt, und da sie nicht sofort zustimmt, wirft Düval der Geliebten Lieblosigkeit vor. Mit immer neuen rhetorischen Wendungen versucht er sie in den Tod zu locken. Doch Amalie fühlt sich unsicher und schwach, was ­Düval erneut an ihrer Liebe zweifeln lässt und ihn zu dem Entschluss bringt, nachzuhelfen. Er zieht sie in sein Kabinett, redet immer lauter auf sie ein und stößt ihr ein Stilett ins Herz; sie flieht aus der Kammer und stirbt vor den Augen Mariannes. In der Kammer ertönt ein Schuss – Düval hat seine Pistole gegen sich selbst gerichtet. Der Hauptmann, der den Auftrag hatte, Düvals Haus zu observieren, kommentiert (V/9):

30 Ebenda, S. 41.

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„Schreckliche, entsetzliche Folge eines gesetz- und sittenlosen Lebens! O Düval! in welchen schauervollen Abgrund hast du dich mit deiner armen Geliebten gestürzt!“31 Wie Eulalia endet auch dieses Trauerspiel mit einer großen Selbstmordszene. Doch gibt es hier keinen „heiligen“ Selbstmord, sondern einen sehr nüchtern und brutal durchgeführten Selbstmord-Überredungsversuch mit anschließendem Mord und Selbstmord. Die hypostasierte Ausweglosigkeit ist eine männliche Phantasie: die weibliche Hauptfigur hat sich trotz aller Umstände gelassen und heiter gezeigt, sie wird mit der Szenerie einer unterstellten Ausweglosigkeit brutal konfrontiert, und sie verweigert sich dem Selbstmord-Szenario bis zum Schluss. Die Rhetorik der ewigen Liebe und ewigen Vereinigung wird in ihrer Schalheit gezeigt, sie fußt bei Düval letztlich auf dem obsessiven Gedanken, dass Amalie eines Tages sich einem anderen zuwenden könnte. Die Obsession wird gespeist aus männlichen erotischen Phantasien, dass die Geliebte erleben könnte, was Düval ihr einst geloben musste, nie zu tun – sexuellen Verkehr. Ein ‚Werther-Effekt‘ war hier jedenfalls nicht zu befürchten, vielmehr ist das ganze Drama als ein ‚Anti-Werther‘ anzusehen. Für Hägelin scheint entsprechend seiner Ansichten über die Darstellbarkeit des Ehebruchs der Hauptgrund für das Verbot in der „Amoralität“ der Protagonistin gelegen zu haben. Dem Mann wurde zugestanden, außereheliche Verhältnisse zu pflegen. Die Frau konnte darauf nur zum Schein eingehen – zumindest versucht dies Hägelin so zu rationalisieren, denn die realen Bühnenfälle sind komplizierter. Die Titelheldin ergibt sich völlig der Liebessemantik und „Empfindsamkeit“, verweigert aber, ob der Delikatesse der Konstellation, den sexuellen Körper. So scheint dieses Stück in der spezifischen Dreieckskonstellation, verstärkt durch den Unschuldsgestus der weiblichen Hauptfigur, eine große Verunsicherung erzeugt zu haben. Die Heldin ist eine Ehebrecherin und doch keine Ehebrecherin, sie ist Familienbeglückerin und -zerstörerin, ihr Fehler ist ihre naive Liebe und Hingebung an einen Mann, für den Liebe mit dem Grad der in den Weg gelegten Behinderungen zu einem selbstbezogenen obsessiven Gegenstand wird. Eine besondere Beunruhigung mag zusätzlich dadurch entstanden sein, dass das fragile Gleichgewicht dieser Dreiecks­ beziehung nicht verdeckt geführt und nur durch Interventionen von außen aufgebrochen wird – gemäß der gezeigten psychischen Disposition der Figuren hat dieses Gleichgewicht keine von innen abgeleiteten Fluchtpunkte.

31 Ebenda, S. 139f.

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LINA VON WALLER. VIRTUALITÄT UND EHEBRUCH Ebenfalls um eine Dreiecksbeziehung, wenn auch in anderem Sinne, geht es in ­Johann Friedrich Schinks Lina von Waller, einem Trauerspiel in drei Aufzügen.32 Es ist im Wesentlichen ein Drei-Personen-Stück, welches sich gegen Ende des Dramas um einen wichtigen Fremden erweitert. Mit Baron Sievers, seinem Freund Graf Waldek und Lina von Waller liegt eine rein aristokratische Personnage vor. Im Unterschied zu den beiden zuvor genannten Dramen fehlen jedoch hier jegliche höfische Interventionen. Das Stück spielt in Wien, aber es enthält keinerlei Lokalkolorit, es könnte genauso gut in einer anderen (deutschen) Stadt spielen; Wien figuriert in diesem Stück eher als Name einer Residenzstadt, in welcher es nicht völlig unwahrscheinlich ist, dass sich die Lebenswege von Personen kreuzen, die ihr vorheriges Leben in unterschiedlichen Teilen der Welt verbracht haben. Lina von Waller erzählt die Geschichte einer verheirateten Frau, welche sich in einen Dichter verliebt und ihn zu dieser Liebe ermuntert. Geplagt von Schuldgefühlen, versucht sie diese Beziehung zu beenden, was der Dichter nicht verkraftet – er verfällt in Wahnsinn. Doch Lina von Waller befindet sich in einer besonderen Situation: sie lebt allein, ihr Mann, der sie stets mit anderen Frauen betrogen hat, hat sie längst verlassen, und sie weiß gar nicht, wo er sich befindet. Dem Liebhaber jedoch hat sie erzählt, dass sie Witwe sei; an dem Tag, an dem das Stück spielt, wird der Ehemann jedoch unerwartet zurückkehren. Auch Lina von Waller ist im Grunde ein Anti-Werther-Stück; das um sich greifende ‚Werther-Fieber‘ wird explizit erwähnt. Der Dichter und männliche Protagonist dieses Stückes ist Baron Sievers, der mit morgendlichen Liebesgefühlen, für die er keine Worte findet, das Stück eröffnet (I/1): „So schön der Morgen – und kann ihn nicht singen. […] dann liebt man am stärksten, wenn selbst die Liebe keinen Ausdrukk mehr für die Liebe hat.“33 Dem soeben von einer längeren Reise zurückgekehrten Freund, im Unterschied zu Sievers ein „flügellahmer Prosaist“, gesteht er seine neue große Liebe, in eine Semantik des ‚Göttlichen‘ getaucht, wofür, wie bereits erwähnt, Hägelin nur mäßiges Verständnis hatte (II/2):

32 Lina von Waller. Ein Trauerspiel in drei Aufzügen von Schink. Berlin, 1778. Bei Christian Friedrich Himburg. 33 Ebenda, S. 1f.

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„Ich lebe so ganz in dem heiligen, göttlichen Odem der Liebe; seh alles um mich strahlen im ewigen Glanz – möchte die ganze Welt in mein Herz schließen voll Liebe – auffliegen über die Sonne“.34 Auch Graf Waldek gesteht, dass er einst eine große Empfindung für eine – verheiratete – Frau hatte, welche von ihrem damaligen Mann betrogen und gedemütigt worden war. Es stellt sich heraus, dass es sich um ebenjene Lina von Waller handelt, von welcher der Freund so überschwenglich schwärmt. Von Sievers erhält Waldek die unzutreffende Information, dass Lina mittlerweile Witwe sei. Sievers bekennt seinem Freund, dass er sich Linas Liebe in höchstem Maße unsicher ist, da sie sich stets zurückzieht, wenn er von Ehe zu sprechen beginnt. Waldek kann das aus seiner prosaischen Perspektive heraus durchaus verstehen (I/2): „Die Ehe, mein Bester! ist das Grab der Liebe. Ein Todtenlied sollte man den Brautleuten an ihrem Ehrentage singen, denn Zärtlichkeit und Liebe gehn mit der ersten Nacht auf ewig schlafen.“35 Doch Sievers lässt sich in keiner Weise beirren und fährt nach Waldeks Abgang in seiner ‚Theologie der Liebe‘ fort (I/3): „Liebe gibt der Seele Unsterblichkeitsschwingen, ohne sie wäre kein Himmel, ohne sie kein Leben nach dem Tode. Sie ist der Funken, der in uns fortdauert, ist unsre Seele! (sieht das Bild wieder an.) Ja Seligkeit du bist, Himmel du bist.“36 Lina gesteht Waldek, der sie noch ein letztes Mal sehen möchte, ihre große Liebe zu Sievers, die sich entwickelte, noch bevor sie ihn gesehen hatte: eben zu jenem Zeitpunkt, als sie eines seiner Gedichte hörte.37 Nicht nur aus Gewissensqual eröffnet Lina nunmehr ihrem Geliebten, dass sie beide ihrer Liebe entsagen müssten. Der poe­ tischen, heftigen Schwärmerei könne ihre reale Liebe nie entsprechen, doch gäbe es noch einen gewichtigeren Grund: ihr Mann sei nicht gestorben, wie sie behauptet 34 35 36 37

Ebenda, S. 6. Ebenda, S. 19. Ebenda, S. 22. Auch Lina von Waller bedient sich einer ähnlichen Terminologie, indem sie als Urquell der Liebe die „schaffende Gottheit“ ansieht: „O, wenn er mir er mir so in melankolischen Stunden die Thränen vom Aug’ küßt; mich umfaßt, und mein Busen gewalt’ger klopft; ich in seinen Armen vor Liebe und Entzücken zittre; die Welt um mich schwindet, Himmel in mein Herz sinkt; Natur und Liebe mein ganzer Gedanken ist, Liebe und Entzükken meine ganze Empfindung – Waldek, Waldek, die Liebe ist göttlichen Ursprungs, ihr Urquell ist Gottheit, schaffende Gottheit, und ihre Werke sind Seeligkeit ohne Namen – […].“ (I/5) Ebenda, S. 30.

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­ atte. Sie bittet Sievers um Verzeihung, dass sie ihm im Wissen darum ihre Liebe h zugesichert habe. Doch für Sievers ist dieses Argument gegenstandslos (II/6): „Was für Rechte hat er noch? Und wer vermag sonst uns zu trennen? Die Gesezze unsrer Kirche? Bey allen Heiligen! das können sie nicht! Was sind Gesezze der Kirche, gegen Gesezze der Liebe? Jene sind Menschenerfindung, diese von Gottes Finger in’s Buch der Natur geschrieben! Wer vermag die auszulöschen? Welch geschafnes Wesen kann das? […] Und käm’ ein Engel vom Himmel, hübe seine Hand auf zum Eid, und sagte: Lina gehört einem andern – ich wollt’ ihm in’s Gesicht schreien: Du leugst! Sie ist mein!“38 Lina entzieht sich ihm, und Sievers wendet sich entrüstet gen Himmel (II/7): „Ich muß sie haben, muß sie besizzen. Ich hab’ einen Geist, eine Seele, Vater der Geister, Du schufst sie – schufst sie unsterblich – aber ich fluche der Unsterblichkeit, hasse Deinen Himmel, kann ich sie, kann ich ihn nicht theilen mit ihr! Ihre Liebe, Gott und Schöpfer! oder Vernichtung!“39 Lina tritt erneut auf, um Sievers mitzuteilen, dass sie soeben einen Brief ihres Mannes erhalten habe, der seine unmittelbar bevorstehende Rückkehr ankündigt. Sievers gerät außer sich. Er versucht Gift bei einem verarmten Arzt zu besorgen, welcher trotz eines verlockenden Angebots ihm dieses aus ärztlichen Skrupeln verweigert. Nebenbei stellt er auch seine Diagnose (III/3): „Dies blasse Gesicht, dieses starre, hole Auge, diese gräslichzitternden Wimpern, dies Hüpfen des Bluts durch Deine Adern, alles Symptomen der Modekrankheit, Wertherfieber. Herr, Ihre Krankheit sizt im Kopf, wütet im Geist. Ich hab’ keine Arzney dafür.“40 Sievers sucht Linas Mann, der reuig zurückgekehrt ist, im Gasthof auf, um ihn zu seiner Gattin zu bringen. Diese vergibt dem untreuen Gatten. Sievers jedoch gerät zunehmend in „düstern Wahnsinn“ (III/Letzter Auftritt) und sinkt „in starrer Betäubung zu Boden“ (ebenda). Lina beugt sich verzweifelt über ihn (ebenda): „Sievers, mein Sievers hin, hin durch mich! O daß der Welten- und Menschenschöpfer uns ein Herz gab! Macht es nicht unser Unglück?“41 38 39 40 41

Ebenda, S. 61f. Ebenda, S. 63f. Ebenda, S. 76f. Ebenda, S. 98.

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Auch dieses im nachfolgenden Jahrzehnt zum Lesen wieder freigegebene Trauerspiel ist unter zensoralen Gesichtspunkten voller Ambivalenzen. Goethes Werther, noch bis 1786 offiziell verboten, wenn auch auf dem Theater in unterschiedlicher Form aufgeführt, wird in diesem Drama aus bewusster Distanz behandelt. Der männliche Protagonist hat zwar Selbstmordpläne, geht aber letztlich am „Wahnsinn“ zugrunde, wenn er auch physisch zu überleben scheint. Die in Werther vorfindliche Grundkonstellation – die Liebe eines Mannes zu einer gebundenen Frau – ist hier durch die besondere Konstellation abgeschwächt. Der Liebhaber weiß von keinem (lebenden) Ehemann, und zumindest am Ende des Stückes bezweifeln weder Lina noch Sievers die Rechtmäßigkeit dieser Ehebeziehung, vielmehr bringt Sievers in masochistischer Manier den Gatten selbst zur Gattin. Es bleibt daher fraglich, ob die dezent dargestellte und unter Berücksichtigung der Lebensumstände nachvollziehbare Entflammung einer verlassenen und betrogenen Ehefrau für einen anderen Mann den Hauptausschlag für ein Verbot des Textes gegeben hat – es war jedenfalls ein zensurieller Grenzfall. Dieser fiel – so kann man einigermaßen berechtigt annehmen – umso mehr ins Gewicht, als vom Protagonistenpaar, zumindest in der ersten Hälfte des Dramas, eine Theologie der Liebe betrieben wird, in welcher die Liebe als natürliche Macht gleichsam alle Religiosität fundiert und über alle gesetzlichen Bestimmungen wie Kirchenrecht etc. als bloß irdische, akzidentelle Phänomene erhaben ist. In diesem Sinne wäre Lina von Waller zumindest in der ersten Hälfte des Trauerspiels ein sehr treffendes Beispiel für das, was Hägelin in seinen späteren Instruktionen unter dem Begriff der „Modephilosophie“ und des „Epikureismus“ abhandeln wird. Doch letztlich erweist sich in diesem Stück die ‚Liebe‘, die von den ‚lautersten‘ Motiven geprägt ist und die, im Duktus der Protagonisten, Unsterblichkeit wie Himmel erst fundieren würde, als eine fatale Fehlkonstruktion der Schöpfung – wie es die Titelheldin am Ende des Dramas vor dem zusammengebrochenen Körper ihres Geliebten verkündet. Letztlich fügt sich Lina in das Ehebündnis und vergibt ihrem Gatten, der sie betrogen und verlassen hatte – angesichts des wahnsinnig gewordenen Geliebten erweist sich diese Versöhnlichkeit allerdings als Illusion. Doch sollte man nicht verkennen, dass die Tatsache ihres formalen Ehebündnisses sowie die Rückkehr ihres Ehemannes für Lina ein wesentlicher Grund ist, die Liebesbeziehung zu Sievers zu beenden. In noch höherem Maße fürchtet sie jedoch, dass die Liebesbeziehung zum Dichter gar nicht lebbar wäre, wie es denn von Anbeginn eine ‚virtuelle Liebe‘ war, welche sich auf der Basis eines Studiums der Literatur entzündet hatte. Dies führt die Titelfigur in die Ambivalenz, sich ganz dieser Semantik, als Grundlage der Beziehung, zu bedienen. Doch Lina versucht diesen Kreislauf zu durchbrechen, noch bevor ihr Gatte physisch wieder in Erscheinung tritt.

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Das Thema der ‚ehebrechenden‘ Gattin, tendenziell per se tabuisiert, wird relativ bald unter anderen Vorzeichen auf die Wiener Bühne kommen: in Erwine von Steinheim von Aloys Blumauer,42 der ab 1782 auch als Bücherzensor tätig sein wird. Doch im Unterschied zu Lina von Waller sind die Bedingungen des ‚Ehebruchs‘ in diesem Kreuzritter-Drama ohne jede Ambivalenz: Erwine wähnt ihren Gatten in einer Schlacht gefallen, und alle Anzeichen sprechen dafür. Sie selbst hat keinerlei ­Interesse, eine neue eheliche Verbindung einzugehen, wird jedoch von ihren Anverwandten aus politischen Gründen genötigt, eine solche in Erwägung zu ziehen. Der unverhofft zurückkehrende Gatte, der von der Unauflösbarkeit der Ehe auch über den Tod hinaus ausgeht und nunmehr angesichts der Heiratspläne seine Gattin zutiefst verachtet, löst die tragische Entwicklung aus. In dieser Form war das Thema des weiblichen Ehebruchs offensichtlich ohne jede Schwierigkeit nicht nur publizierbar, sondern auch aufführbar. Ein solches Konzept hat Schink ganz offensichtlich abgelehnt, es wäre mit ein paar ‚kosmetischen‘ Abänderungen in sein Drama mühelos integrierbar gewesen. Schink benötigte aber diese ‚kleine‘ Überschreitung vonseiten der weiblichen Protagonistin, wodurch die äußeren Umstände zu Katalysatoren innerer Prozesse werden.

JENNY. EMPFINDSAMKEIT UND DESTRUKTION Das letzte der hier zu behandelnden Dramen, Jenny, 1778 in Frankfurt und Leipzig anonym im Druck erschienen43, nennt sich ein bürgerliches Trauerspiel. Schauplatz dieses Dramas ist Genua. Erzählt wird von Antonio del Bassanio, der Jenny, die Tochter des reichen Kaufmannes Montroso, liebt, der sie allerdings mit Campo, dem Sohn eines reichen Sizilianers, zu verehelichen beabsichtigt – eine auf dem Theater vor allem im Gebiet der Komödie unzählige Male umgesetzte Handlungskonstellation. Im Unterschied zu den vorigen, in der Welt der Aristokratie angesiedelten Trauerspielen wird hier die bürgerliche Welt der Kaufmannschaft auf die Bühne gebracht, der als Herausforderer ein junger Adeliger gegenübersteht. Die Ablehnung einer Beziehung zwischen Antonio und Jenny durch Jennys Vater ist darin gegründet, dass Antonios Vater, ein Genueser Richter, in einer Erbschaftsangelegenheit ­zuungunsten Montrosos entschieden hatte. Neben dem Vermögen des von ihm auserwählten sizilianischen Schwiegersohns schätzt Montroso auch dessen Naturell, welches von keiner Empfindsamkeit „angekränkelt“ sei: Campo rede nicht wie die 42 Erwine von Steinheim. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Aufgeführt im k. k. Nationaltheater. Wien, zu finden beym Logenmeister. 1780. Uraufgeführt am Wiener Burgtheater am 18. November 1780 (Hadamowsky: Die Wiener Hoftheater. Bd. 1, S. 40). 43 Jenny, ein bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen. Frankfurt, Leipzig 1778.

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„empfindsamen winselnden Stadtherrchen“ „von schwärmerischen Träumen, von rasenden Unsinn, und Vergessen seiner selbst“ (I/3),44 sondern von Vernunft ohne Leidenschaft. Jenny, die Antonio del Bassanio ebenfalls liebt, versucht auf Anraten Antonios den Vater zu überreden, die für den folgenden Tag angesetzte Trauung zu verschieben. Dies misslingt, und so planen die Liebenden die Flucht, welche, vom Vater vereitelt, für die Tochter wie für ihren Liebhaber tödlich endet. Was war das derart Anstößige dieses Stückes, dessen Konstellation hundertfach in meist komödienhaften Varianten gegeben war, dass der Druck in den Catalogus librorum prohibitorum gesetzt wurde? Neben ein paar ‚losen‘ Reden über die Liebe wie etwa den Worten Campos über den Nutzen der käuflichen Liebe als Ausflucht aus dem Ehealltag45 gibt es nur wenige Punkte, die das Verbot des Stücks herbeigeführt haben können, so vor allem Antonios Worte der ‚Empfindsamkeit‘ angesichts der nicht zu verhindernden Heirat seiner Geliebten mit einem anderen Mann. Mit der Semantik der Liebesverzweiflung hebt er die ganze Welt aus den Angeln, hebt alle Gesetze auf (IV/1): „O schwarzer trüber Tag! der du die schreckliche Stunde meines Unglücks gebärst! verlöscht, verflucht, sey du aus aller Zeit. – Es schlaffe, es sterbe alle Gerechtigkeit, alle Güte, alle Barmherzigkeit, Mitleiden, Freundschaft, alle Treue, Freude, kindliche, und väterliche, Liebe an diesen Tag! […] Dem Manne werde an diesen Tag sein sonst stets getreues Weib ungetreu! – Dem Jüngling werde seine einzig Geliebte der letzte Trost, und Nahrung seines Lebens durch schändliche Gewalt entrissen! – Den Vater würge der Sohn! – Die Mutter durchbohre die Tochter! […] O Hölle! – tiefe schwarze Verzweiflung in den Gedanken.“46 Und Antonio wendet sich gegen alle Vernunft als dem „König, der allen Gesetze gibt, und selbst keines kennt“ (IV/2).47 Liebe ist hier ein großes emotionales Reservoir für Vernichtung und Tod, Vernichtung der Eltern, für Vergewaltigung der Töchter, für Promiskuität der Frauen. Dies ist gleichsam die ‚schwarze‘ Kehrseite der Liebessemantik. Und gegen Ende des Dramas wird – wie in Lina von Waller – die Liebe zur konstituierenden Basis aller Tugend und Frömmigkeit. So sagt Jenny, sich auf der Flucht befindend: „ich könnte ohne dich nicht Glücklich, nicht tugendhaft 44 Ebenda, S. 19f. 45 Campo zeigt sich, was seine zukünftige Ehe betrifft, auch zuversichtlich im Hinblick auf die Zeit nach dem Abflauen seines erotischen Interesses an der Gemahlin: „so giebt es ja noch Köche, die für bare Münze Gerichte bereiten können, die den stumpfen Gaum aufs neue reizen, und kützeln.“ (III/7) Ebenda, S. 55. 46 Ebenda, S. 62f. 47 Ebenda, S. 70.

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– nicht fromm seyn.“ (V/4)48 Sie führt einen dem Vater entrissenen Dolch mit sich, mit dem Hintergedanken, im Falle des Scheiterns ihrer Fluchtpläne Selbstmord zu verüben, und wie Eulalia kleidet auch sie dieses Tun in die Terminologie der Heiligkeit: „Ja – den heiligen Selbstmord zur Rettung eines qualvollen lasterhaften ­L ebens“ (V/4),49 wobei sich die Lasterhaftigkeit lediglich auf den Widerstand gegenüber den Heiratsplänen ihres Vaters bezieht. Durch einen Freund müssen Jenny und Antonio erfahren, dass ihre Flucht entdeckt ist und dass Jennys Vater in einem Anfall von Zorn ihre Zofe erstochen hat, was Jenny zu einer leidenschaftlichen Aufforderung zum universellen „Vatermord“ hinreißt (V/5). „O spalte Erde, falle Himmel, wütet ihr Elemente, brauset Orkane, wütet, raset, verheeret, vertilget, tödtet alles, was einem Vater ähnlich ist, und laßt die Welt keinen Schauplatz mehr seyn, wo grausame Väter herrschen.“50 In Erwartung des rasenden Vaters ergreift Jenny die Hand Antonios, entreißt ihm den Dolch und stößt sich die Waffe in die Brust: „Ha! – geschehen, geschehen, deine Gnade Barmherzigster!“ (V/5),51 eine Anrufung, welche nach Hägelins späteren In­ ­ ntonio struktionen nur Selbstmördern zukam, welche ihre Tat zuvor bereut hatten. A will ihr folgen, aber er wirft den Dolch mit den Worten von sich: „Fort Gedanke! fort! fort aus meiner Seele! in dir steckt ein Verbrechen, das keine Reue mehr zuläßt!“ (V/5)52 Hier finden sich Selbstmord, Selbstmordrechtfertigung und Selbstmordverurteilung knapp hintereinander im dramatischen Text, als wolle der Autor Jennys Selbstmord wieder reinwaschen. Der nun auftretende Montroso sieht den Leichnam seiner Tochter und tötet Antonio, den er für ihren Mörder hält. Dieser klärt ihn noch vor seinem Tod über den wahren Hergang auf. Der Vater verzweifelt – Antonios Freund spricht die Schlussworte (V/6): „O Gott! wie schön, wie angenehm, wie bezaubernd ist es ein Vater zu seyn, und wie schändlich, häßlich, verdammt, teuflisch ist es die Gewalt eines ­Vaters zu misbrauchen.“53 Das ist ein explizites Plädoyer für das Selbstbestimmungsrecht der Kinder, zumindest in Heirats- und Liebesangelegenheiten. Darin liegt der kritische Impetus dieses ansonsten sehr konventionellen Werkes. In gewisser Weise ist es ein Gegenstück zu 48 Ebenda, S. 98. 49 Ebenda. 50 Ebenda, S. 101. 51 Ebenda, S. 105. 52 Ebenda, S. 106. 53 Ebenda, S. 107.

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den Hausväter-Dramen, welche letztlich die patriarchale Entscheidungsstruktur in Szene setzen, versehen mit Aspekten des Verständnisses und der Vernunft oder Einsicht aufseiten der väterlichen Handlungen. Auch das in so vielerlei Hinsicht sozialkritische Familiengemälde Großmanns (Nicht mehr als sechs Schüsseln) hatte an der Macht des ‚Hausvaters‘ in keiner Weise gerüttelt, vielmehr macht es den bürger­ lichen Hausvater, versehen mit den damit verbundenen Handlungsoptionen, zum zentralen, die glückliche Wendung herbeiführenden Akteur. Mit Absicht wurden die vier ausgewählten Dramen, die vom intrigenreichen ­L eben am Hof bis in die bürgerliche Welt führen, ausführlicher beschrieben, weil so nachvollzogen werden kann, warum sie in den Index der verbotenen Bücher aufgenommen und nach verhältnismäßig kurzer Frist dieses Verbots wieder entledigt wurden – dies unter Auspiz ein und desselben Zensors. Wenn wir auch im Unterschied zu Lessings Alter Jungfer bei den hier genannten Dramen die expliziten Verbotsgründe nicht kennen, so ließ sich aufgrund der Kenntnisse der damaligen zensuriellen Aufmerksamkeitsfelder ein breites thematisches Spektrum an potentiellen Anstößigkeiten der „Stoffe“ erschließen: vom Mätressenwesen und Ehebruch der Frau in unterschiedlichen Konstellationen über Dreiecksfigurationen und Selbstmordlegitimationen bis hin zur Phantasie der Destruktion der paternalistisch-autoritären Ordnung, und dies alles versehen mit einer forcierten wie sich brechenden Semantik der „Empfindsamkeit“, gleichzeitig eine Semantik, welche Liebe als Quelle des Glaubens wie der Moral postuliert, eine Perspektivierung, der Hägelin im Jahre 1794 unter dem Aspekt des „Epikureismus“ sehr skeptisch gegenüberstehen wird. Was ist also geschehen, dass in bemerkenswert kurzer Frist diese Dramen zumindest als Lesestoff freigegeben wurden und somit das zuvor ausgesprochene Verbot als gegenstandslos angesehen wurde? Was die ‚moralisch operative Logik‘ betrifft, kann man von keinem der vier Dramen behaupten, dass es auf eine Zerstörung der sittlichen oder der gesellschaftlichen Ordnung hinauslaufe. Eulalia endet in der Wiederherstellung einer verloren gegangenen Tugendordnung, und Düval und Charmille wie Lina von Waller sind keine Ermutigungen zu wie auch immer figurierten Dreiecksbeziehungen, sie sind vielschichtige Reflexionen darüber mit einer letztlich tragischen Konsequenz, beide auch Anti-Werther-Dramen. Und auch im letztbeschriebenen Vater-Drama ist es trotz aller verbalen emotionalen Vernichtungsstürme der Vater, der letztlich überbleibt und sich besinnen muss. Es wird ein operatives Prinzip josephinischer Zensurpolitik sein, Werke, deren Nutzen man nicht prinzipiell anzweifelte oder denen man keine Verderblichkeit per se unterstellte, wegen einzelner ­A nstößigkeiten nicht zu verbieten. So kann auch davon ausgegangen werden, dass Hägelin bei seiner damaligen Urteilsbegründung kein absolutes sittliches Verdikt über diese Dramen ausgesprochen hat. Was die Freigabe verbotener Dramen aus früheren Jahrhunderten betrifft (wie etwa die Komödien der italienischen Renaissance oder der englischen Restaurations309

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zeit), wird man mit der historischen Distanz argumentieren und dem Leser zumuten, bestimmte vom jeweiligen Zeitgeist abweichende Moralvorstellungen wie Verhaltensformen als historische Phänomene zu interpretieren. Über die gleichsam formale historische Operation hinausgehend bedeutet dies aber auch einen größeren Spielraum für literarische Ausdrucksformen. Doch trotz der zuvor beschriebenen Ver­ bote befand man sich auch schon in der theresianischen Zeit auf ‚experimentellen‘ Gleisen, in Grenzzonen, welche unter Umständen auch eine Gegenreaktion hervorriefen. Ich werde in der Folge auf zwei Einstudierungen eingehen, welche mit Zustimmung der Theatralzensur stattfanden und nach der ersten Vorstellung wieder abgesetzt wurden. Die Konstruktion der betreffenden Dramen, die durchaus ein Publikumsinteresse gefunden haben mögen, legt den Schluss nahe, dass sie auf hohe oder höchste Intervention hin von der Bühne verschwanden.

OTTILIE. DER ZENSIERTE ZENSOR? Das Trauerspiel Ottilie, verfasst von Johann Christian Brandes (1735–1799) 54 im Jahre 1779, wurde am 27. März 1780 am Wiener Burgtheater aufgeführt und verschwand, wie bereits erwähnt, unmittelbar danach vom Spielplan. Es handelt sich um ein Stück, welches Hägelin auch in seinen Instruktionen, allerdings mit etwas irreführenden Angaben, nannte. Doch erinnert sich der Zensor an den männlichen Protagonisten, Graf Ottomar von Wanfried, den „Unhold“ des Stückes. Graf Ottomar, von Hägelin „Ottomann“ genannt, ist ein Verführer, ein Betrüger, ein Spieler und ein Verschwender. Von diesem Mann wurde Ottilie verführt und geschwängert. Seit zehn Jahren lebt sie in ‚wilder‘ Ehe mit ihm und hat entsprechend eine uneheliche Tochter in diesem Alter, welche mehrmals im Stück auftritt. Damit liegt ein Themenbereich vor, der in den Aufmerksamkeitsbereich der Zensur fiel und laut ­Hägelins Denkschrift aus dem Jahr 1794 auf der Bühne eigentlich nicht statthaben sollte. Doch zumindest in der Aufführung vom 27. März 1780 wurde dieses Thema auf der Wiener Bühne in Szene gesetzt. Graf Ottomar hat Ottilie – gemäß ihrem innigsten Wunsch – immer wieder versprochen, sie zu ehelichen, dies Versprechen jedoch nie eingelöst. Nunmehr wartet der durch das Spiel Hochverschuldete auf eine reiche Erbschaft, welche allerdings von einer standesgemäßen Verbindung abhängt. Er hat überdies bereits ein Auge auf

54 Ottilie. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von Johann Christian Brandes. Aufgeführt im k. k. Nationaltheater. Wien, zu finden beym Logenmeister, 1780. Zu den Aufführungsdaten siehe Hadamowsky: Die Wiener Hoftheater. Bd. 1, S. 95.

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die Tochter eines Obristen, genannt Therese, geworfen, welche jung, hübsch und reich ist, aber vom Vater bereits einem ebenso reichen Gutsbesitzer versprochen wurde. Seines schlechten Gewissens gegenüber Ottilie versucht sich Graf Ottomar zu entledigen, indem er seine langjährige Geliebte zu Unrecht der Untreue verdächtigt, zu welcher er sie auch auf intrigante Weise animieren möchte. So erhält Ottilie einen Brief von einem Herrn, welcher ihr Geld gegen amouröse Gefälligkeiten anbietet – wie sich herausstellt, hat Graf Ottomar, als er wieder einmal alles verspielt hatte, seinem Gläubiger empfohlen, derartige Anliegen an seine Geliebte heranzutragen. Ottilie entdeckt die Beziehung zwischen Ottomar und Therese, welche schließlich vom Grafen mit ihrem Einverständnis entführt wird. Ottilie und Thereses Vater sind beiden auf der Fährte. Die letzte Szene spielt in einem Wirtshaus, wo Ottilie das Paar entdeckt. Für den Schluss gibt es zwei Varianten. In der einen Variante55 fasst eine Freundin von Therese den Plan, die Verfolgerin zu vergiften, rückt schlussendlich zwar von ihrem Vorhaben ab, lässt aber das bereits vergiftete Wasser in der Wirtsstube stehen. Ottilie leert versehentlich den Becher und stirbt. Graf O ­ ttomar bereut nun sein verfehltes Leben, will sich zunächst selbst richten, nimmt aber letztlich die Strafe des Leidens auf Erden an. In der Wiener Variante ersticht Ottilie Graf Ottomar sowie sich selbst. Therese wird von ihrem Vater beauftragt, sich um die verwaiste Tochter der beiden zu kümmern. Mit Ottilie wird unter Zustimmung der Zensur ein Thema abgehandelt, welches nach Hägelins späteren Leitlinien auf der Bühne eigentlich nicht gezeigt werden kann: die ‚wilde‘ Ehe, die allerdings in diesem Drama nicht als normatives Gegenkonzept zur traditionellen Institution der Ehe fungiert. Vielmehr leidet die Titelheldin in hohem Maße an dieser Situation, was letztlich zu dem tragischen Ausgang führt. Ottilie ist somit auch ein Beispiel dafür, dass Hägelin neben den Verbotsstrategien der oben beschriebenen Art auch neue Themen zuließ, die aufgrund ihrer ­Konstellation in einen besonderen Aufmerksamkeitsbereich zensurieller Aktivitäten fielen. Und es sei überdies erwähnt, dass in diesem Stück, wenn auch nur über einen Brief vermittelt, ein auch ansonsten unstatthaftes Thema auf die Bühne gebracht wurde, das Angebot von Geld und Apanage für Liebesdienste, was nach Hägelins späteren Aussagen ebenfalls nicht Gegenstand von Bühnenhandlungen sein könnte. Dass Stück erzeugt mit teilweise durchaus ‚reißerischen‘, hier nicht näher beschriebenen Verwicklungen einige Bühnenaufmerksamkeit, sodass die Annahme gerechtfertigt erscheint, dass es nicht wegen mangelnden Publikumsinteresses, sondern ­aufgrund einer Intervention wegen des als anstößig angesehenen Stoffes abgesetzt wurde.

55 Ottilie. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Verfertiget im Jahre 1779. S. l.

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HOFBÄCKER, GIFT ÜBERZUCKERND. PAUL WEIDMANNS KOMÖDIE DER MISSBR AUCH DER GEWALT Und noch ein anderes, höchst bemerkenswertes Stück wurde am Wiener Burgtheater nach der ersten Vorstellung, welche am 26. Dezember 1778 stattfand, abgesetzt: die Komödie Der Mißbrauch der Gewalt von Paul Weidmann,56 dessen Schöne Wienerin 1776 zu den großen Erfolgsstücken des Burgtheaters zählte. Es handelt sich hier um ein sehr wirkungsvolles Stück, welches das politische Thema des Missbrauchs herrschaftlicher Gewalt in eine Komödie gießt. Auch in diesem Fall ist davon auszugehen, dass die Absetzung aufgrund einer Weisung erfolgte, zumal das höfische Leben hier in äußerst sarkastischer Weise und mit schneidend prägnanten Worten geschildert wird. Das ‚Höfische‘ war auch nicht in die Form der Tragödie oder zumindest eines ernsten Dramas gekleidet, sondern wurde mit den Mitteln der Komödie gestaltet – und dies unter Verwendung eines Titels, der nicht per se mit einem Lustspiel assoziiert wird. Das Stück spielt in der Provinz eines nicht näher genannten Königreiches. „Gubernator“ dieser Provinz ist Graf Diestelthal, der das Land mit allen Mitteln ausbeutet und darüber hinaus versucht, jede freie Meinungsäußerung zu unterdrücken. Ihm zur Seite stehen drei „Hofschranzen“ und „Schleimbeutel“: die Räthe Baron Winkelmann, Baron Windspiel und Herr von Westhorn. Des Gubernators „Tischrath“, der die Rolle eines intellektuellen Hofnarren spielt, ist der jüngere Bruder des Grafen Waller – unter dem Namen Kautz lebt er am Hof in einer Art intellektuellen Deckung, wobei es ihm gelegentlich gelingt, so manche Ungerechtigkeit zu lindern. Doch insgeheim agiert er auch sehr direkt: in anonymen Schreiben lässt er dem König regelmäßig Informationen über die Missbräuche des Gouverneurs zukommen. Das Stück eröffnet mit den Ausfällen des Gouverneurs gegen Herrn von Trenschin, einen alten Rat und aufgeklärten, freimütigen „Biedermann“, der wegen seiner regierungskritischen Reden in Haft genommen werden soll. Der Gouverneur verurteilt jedes aufklärerische Denken (I/1): „Unsere Witzlinge greifen itzt alles an – Mit der verwünschten Aufklärung! – Schöne Wissenschaften – Grübeleyen – Tand! – Spinnengewebe – Wind!“57

56 Der Mißbrauch der Gewalt. Ein Originallustspiel von fünf Aufzügen. Les Grands sont odieux aux petits par le mal, qu’ils leur font, & par tout le bien, qu’ils ne leur font pas. De la Bryer. Aufgeführt im k. k. Nationaltheater. Zu finden beym Logenmeister. Wien gedruckt mit Jahnischen Schriften, 1778. Zum Aufführungsdatum siehe Hadamowsky: Die Wiener Hoftheater. Bd. 1, S. 85. 57 Der Mißbrauch der Gewalt, S. 4.

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Der „Hofnarr“ Kautz kommentiert das selbstherrliche Getue: „Mit Großen ist nicht gut Kirschen essen, sie werfen einem die Stengel ins Gesicht –“ (I/1)58, und auf des Rates Winkelmann Kommentar zur angeblich hohen Bedeutung der Räte für die Politik: „Die Räthe sind Brillen eines Fürsten“, erwidert er: „Besser ists, wenn man ohne Brillen sieht.“ (I/1)59 In einer der weiteren Szenen des I. Aktes kritisiert Kautz auch den scheinhaften Charakter so manchen Hofgetues (I/5): „Das Glück der Hofleute macht ein politischer Sturmwind. Bey den Großen muß man nie bis auf den Ursprung gehn. Wer in einer Küche die Zubereitungen der Speisen sieht bekömmt Eckel; wer in einem Schauplatz die hölzernen Maschinen sieht, erkennt das Nichts, das in [sic] geblendet hat.“60 Dieses Bild spitzt Kautz später weiter zu (IV/2): „Am Hofe sind lauter Handwerksleute – Färber, die der Sache falsche Farben anstreichen – Zuckerbäcker, die das Gift überzuckern – Kesselschmiede, die leeres Geräusche machen – Hechelkrämer, die Mausfallen bauen –“.61 Ein unbekannter Mann erscheint bei Hof und möchte den Gouverneur sprechen, wird aber abgewiesen, da dieser alle Außenkontakte scheut. Der Fremde trifft auf Kautz, welcher in ihm seinen älteren und totgeglaubten Bruder Graf Waller von Goldenstern erkennt. Dieser berichtet Kautz, dass er nunmehr in des Königs Diensten stehe; der König sei über die politischen Missstände in der Provinz informiert und habe den Gouverneur bereits abgesetzt sowie ihn, Goldenstern, zu dessen Nachfolger bestimmt. Seine Identität werde er aber erst am Morgen des nächsten Tages enthüllen, denn er sei bestrebt, die Funktionsweise des derzeitigen Machtsystems noch genauer zu inspizieren. Die Machenschaften des Gouverneurs gehen indessen weiter; seine Politik der Be­reicherung erzeugt enorme Lebensmittelknappheit wie Hungersnot im Land. Die Geschäfte des Gouverneurs betreibt der Jude Ephraim, der stellvertretend für den Gouverneur den Zorn des Volkes über sich ergehen lassen muss, da die ökonomischen Strategien für das Volk nicht zu durchschauen sind. Ihm eröffnet der Gouverneur seinen neuen Plan (II/1):

58 Ebenda, S. 6. 59 Ebenda. 60 Ebenda, S. 16. 61 Ebenda, S. 72.

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„Diestelthal: Ephraim: Diestelthal: Ephraim:

[…] ich habe noch einen Meisterstreich im Werke – Ich will die Kommerzialstrasse auf meine Güter verlegen – Es macht freilich etliche tausend Bettler – Aber der Vortheil Eurer Excellenz ist ungemein – Mir liegt dabey bloß das Wohl des Staates am Herzen – Eine neue Probe ihrer patriotischen Gesinnungen –“.62

Graf Goldenstern, nach wie vor unerkannt, wird schließlich zum Gouverneur vorgelassen und unterbreitet ihm ein ökonomisches Reformprogramm, um die Nöte des Volkes zu lindern. Der Gouverneur ist von der Kühnheit des Fremden überrascht. Weiters fordert der Graf den Gouverneur auf, davon abzusehen, die Bibliothek, vom König als Lesebibliothek für das Volk gestiftet, zu veräußern, und betont deren hohen Wert für die Aufklärung des Volkes (II/5): „Goldenstern: Die Aufklärung des Verstandes ist ein Gegenstand – Diestelthal: Mit ihrer Aufklärung! Gift saugt man aus den Büchern; da laufen die Menschen in diese Büchersäle, sammeln falsche Grundsätze; wir sehen täglich die Folgen – Mit ihren Wissenschaften und Künsten –“.63 Mit den politischen Umtrieben sind auch vielfältige amouröse Fäden verwoben. Emilie, die Tochter des Herrn von Trenschin, erkennt in Goldenstern den totgeglaubten Geliebten wieder. In der Zwischenzeit hat sie auch das erotische Begehren des Gouverneurs geweckt. Auch Graf Winkelmann, eine der Hofschranzen, hegt amouröse Interessen gegenüber Emilie, was dem eifersüchtigen Gouverneur nicht verborgen bleibt. Winkelmann spricht bei Emilie vor und hält um ihre Hand an, doch das Mädchen verweist ihn taktisch klug an ihren Vater und erkundigt sich dabei auch nach dem Befinden des mittlerweile in Haft befindlichen alten Mannes, der wegen seiner Wahrheitsliebe in den Kerker geworfen wurde (III/6): „[…] aber mein Fräulein, die Großen hören nicht gerne die Wahrheit. Es scheint ein allgemeiner Fehler aller Menschen zu seyn. Was wird aus der Gesellschaft werden, wenn wir einander stündlich alle Fehler dreist ins Gesicht sagen; Nachsicht ist die Seele des Umgangs.“64

62 Ebenda, S. 29. 63 Ebenda, S. 35. 64 Ebenda, S. 63.

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Die Nachricht von der Inhaftierung des alten Trenschin verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der Stadt. Das Volk versammelt sich vor dem Gefängnis und greift alle Hofleute auf der Straße an, so auch den Baron Windspiel, wovon jener zu berichten weiß (III/7): „[…] umsonst schrie ich – ich bin Rath, ich bin ein Staatsmitglied; niemand weicht – Die Vermessenen höhnten und lachten noch – Aber Mord und Tod! – Ich war in Gefahr zu ersticken – Koth warf man mir ins Gesicht – Mit Mühe bin ich dem Muthwillen entwischet –“65 Schließlich erstürmt das Volk das Gefängnis, Trenschin mahnt jedoch die Aufrührerischen zur Besinnung und schickt sie wieder nach Hause. Baron Winkelmann erfährt, dass der Gouverneur noch diesen Abend beabsichtige, Emilie aufzusuchen, um ihr ein kostbares Juwelengeschmeide zu überreichen, welches aber in Wirklichkeit nur aus gefälschten Steinen bestehen wird. Er will dem Rivalen einen Denkzettel verpassen und engagiert einen Trupp, welcher den Gouverneur verprügeln soll, sobald er die Klingel des Hauses betätigt, was auf offener Bühne sehr eindrücklich geschieht. Darüber hinaus wird der Gouverneur auch noch von einem Straßenräuber überfallen, welcher ihm Geld und die (falschen) Juwelen abnimmt – der Herr möge Nachsicht haben, meint der Straßenräuber, allein die jetzigen ökonomischen Umstände ließen ihm keine andere Wahl. Aber der Räuber ist so charmant und verrät das Räuber-Losungswort, auf dass der Herr nicht ein zweites Mal – und dann vergeblich – ausgeraubt werde. In der Zwischenzeit ist der neue Tag angebrochen – mit ihm auch die Kunde, dass ein neuer Gouverneur eintreffen werde. Die Hofleute verlassen das sinkende Schiff und bereiten sich auf den neuen Machthaber vor. Großes Trompetengetöse draußen, viel Lärm, aufgeregtes Warten auf die Ankunft des Unbekannten – der neue Gouverneur befindet sich jedoch bereits im Saal, doch niemand kennt seine Identität, und so wird er auch immer wieder zur Seite gedrängt. Schließlich kommt ein Sekretär mit Kutsche vorgefahren, den alle für den Gouverneur halten, bis sie schließlich erkennen müssen, dass der mittlerweile allen bekannte Fremde in mittleren Jahren der neue Gouverneur ist. So findet das Geschehen ein sehr komödiantisches Ende. Der alte Gouverneur wird auch nicht verhaftet, sondern ihm wird ­nahegelegt, falls er je wieder in ein Amt träte, zu erkennen, dass er Mensch unter Menschen sei. Die alten Hofschranzen können vorerst ihre Position behalten: sie ­mögen doch einmal zeigen, was sie im Dienste der Menschheit zu leisten imstande wären.

65 Ebenda, S. 65.

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Der Mißbrauch ist ein sehr wirkungsvolles, stets in Bewegung bleibendes Stück, das trotz des hehren Themas des „buon governo“, des Machtmissbrauchs, der Unterdrückung der Meinungsfreiheit etc. die Komödienform nicht aufgibt. Die raffinierte Konstruktion hält auch ‚jenseits der Bühne‘ ein vielschichtiges Spiel in Gang. Der Zuschauer ist von Anfang an eingeweiht in das Spiel wie der Protagonist der Komödie, das ‚gute‘ Ende ist vorprogrammiert. Und – gleichsam auch ein zensurstrategischer Zug – es spielen sich alle Umwälzungen in der „Provinz“ unter den Augen des königlichen Hofes ab, der seinen Abgesandten abgeschickt hat, um die Ordnung wieder herzustellen. Die Kritik findet hiermit gleichsam eine Legitimation von oben; aber auch die ungeplanten Aktionen wie die Erstürmung des Gefängnisses durch das Volk werden auf der Bühne voll ausgespielt, wenn auch die Aufständischen vom weisen Rath wieder nach Hause geschickt werden. Und schließlich wird all diese in schneidende Worte gefasste Hofkritik auf der „Hofbühne“ aufgeführt, als würde sich die Dramaturgie des Stückes auch noch in dieser Weise vervielfachen. Die Theatralzensur hat dieses Stück in der dargestellten Form „passirt“. Die vordem zitierten Passagen stammen aus dem Logenmeister-Büchel, dem, wie bereits erwähnt, gleichsam auch nach außen hin sanktionierten Zensurtext. Ob der Text darüber hinaus Passagen aufwies, welche die Zensur gestrichen hat, ist nicht bekannt. So zeigt dies Stück auch, was selbst am Ende der theresianischen Zeit von der Theatralzensur her möglich war, und Weidmann hat die Grenzen gut ausgelotet. Das Drama wies keine Verstöße gegen die Religion auf, auch das ‚Sittenthema‘ im engeren Sinne gab keinen Grund zum Anstoß, das Hauptfeld ist das politische, welches aber in dieser Form zugelassen wurde. Der Zensor hatte offensichtlich auch keine Probleme, allgemeine Diskreditierungen der Hofleute wie der „Großen“ auf der Bühne sprechen zu lassen. Das störte Hägelin anscheinend nicht, auch wenn er in seinen späteren Instruktionen solche kritischen Aussagen nur zuließ, wenn man sie im Hinblick auf eine ganz bestimmte einzelne Person aussprach oder wenn man die allgemeine Aussage wenigstens durch Wörter wie „manche“, „einige“ etc. einschränkte. Solche Einschränkungen sind in diesem Text nicht enthalten. Das Stück hat – so kann man annehmen – bei der Uraufführung durchaus seine Wirkung getan, durch seine komödiantische Form mag es auch jene erreicht haben, die an den zentralen Themen nur mäßiges Interesse hatten. Vielleicht war gerade ein Zuspruch vonseiten des Publikums das Bedrohliche für einzelne Personen des Hofes, die zu erkennen glaubten, dass die in diesem Stück beschworene „Provinz“ so ferne nicht wäre. Umso bedauerlicher ist es, dass wir die diesbezügliche ‚didaktische Expertise‘ von Hägelin, welche er für Maria Theresia erstellte, nicht mehr studieren können; der Zensor hat sich gewiss gut abgesichert. Doch ist es Hägelin höchstwahrscheinlich nicht schwergefallen, sich mit der letztlich vom ‚fernen‘ König sanktionierten neuen Form der Regierung im Sinne eines aufgeklärten Absolutismus samt des proklamierten Bildungsprogramms zu 316

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identifizieren. Auch die beharrlich geäußerte Kritik an der Hofmaschinerie mochte ihm so unvertraut nicht sein, denn einer solchen saß er gewissermaßen gegenüber, immer auch unerwartbaren Reaktionen ausgesetzt, auch der Tatsache ausgesetzt, wie irgendwelche „Hofleute“, die im Stück so genannten „Brillen“ des Fürsten, der Herrscherin etwas einflüsterten, sie mit geschickt ausgewählten Textpassagen versorgten und gelegentlich auf diese Art und Weise eine allerhöchste Intervention ­erzielten, wie möglicherweise auch in diesem Falle. Ein von einem Hofmann oder ­einer Hofdame der Regentin pointiert vorgetragener Satz wie: „Am Hofe sind lauter Handwerksleute – Färber, die der Sache falsche Farben anstreichen – Zuckerbäcker, die das Gift überzuckern – Kesselschmiede, die leeres Geräusche machen – Hechelkrämer, die Mausfallen bauen“ mag den Humor einiger überstrapaziert haben. Das war jedenfalls auch das nach dem Tode Maria Theresias verbreitete Bild von der diffusen Funktionsweise der zensuriellen Praxis, wenn wir etwa an Friedrich Nicolai denken, und auch Hägelin schreibt sogar in seinem offiziellen Gutachten des Jahres 1794 von solchen Einflüsterungen. Hägelins ‚didaktischer Apparat‘, mit welchem er aus eigener Initiative die Herrscherin kontinuierlich versorgte, war auch ein Versuch, eine Art Sicherheitsbrücke im ‚Hofnetz‘ zu bauen.

OBSZÖNITÄT DER UNSCHULD. „HOHES“ UNVERSTÄNDNIS GEGENÜBER EINEM ALLERHÖCHSTEN VERBOT Die von der Theatralzensur genehmigten und auf Intervention wiederum untersagten Stücke sind ein dezenter Hinweis auf ‚Perturbationen‘ gegen Ende der theresianischen Zeit. Dafür bietet auch der wahrscheinlich letzte Fall von Theatralzensur unter der Regentschaft Maria Theresias einen Anhaltspunkt, der in den Brandakten des Staatsarchivs zumindest partiell überliefert ist: das Verbot des französischen Singspiels Annette et Lubin, eines Stücks, welches allerdings bereits in den 1760er ­Jahren auf der Wiener Bühne zur Aufführung gelangt war. Bei diesem Zensurfall, in welchen Maria Theresia offensichtlich unmittelbar eingegriffen hat, werden von­ seiten der für die Durchführung dieses Falles zuständigen Personen subtile Widerstände gegen die allerhöchste Verfügung erkennbar. Das entsprechende theatralzensurale Dokument ist in den Pergen-Akten enthalten, und wenn das Schreiben auch keine Unterschrift trägt, so ist es doch über die im Staatsarchiv vorgenommene Aktenzuteilung im Sammelakt sehr plausibel, dass die darin enthaltene Antwort auf die allerhöchste Verfügung von Johann Anton Graf von Pergen (1725–1814) stammt. Der Fall betrifft das in ganz Europa populäre französische Singspiel Annette et Lubin. Davon berichtet en passant bereits Otto Gugler in seiner Arbeit über die Zensur des späten Josephinismus. Er geht jedoch in keiner Weise auf die Frage der Datie317

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rung des Verbots dieses Stückes oder auf das Singspiel selbst näher ein, vor allem gibt er den Inhalt des nur bruchstückhaft übermittelten Schreibens nicht nur missverständlich, sondern in jeder Beziehung grundlegend falsch wieder.66 Was die Datierung betrifft, die Gugler ohne jede Prüfung der Zeit der josephinischen Alleinregierung zuordnet, ist davon auszugehen, dass dieses Schreiben noch zur Regierungszeit ­M aria Theresias verfasst wurde. Die „Allerunterthänigste Nota“ weist zwar kein Datum auf, enthält aber einen später mit Bleistift hinzugefügten Vermerk: „X 1780“. Dieses nachgetragene Datum kann durch Kontextinformationen zu diesem Dokument bestätigt werden – ich werde darauf noch eingehen. Gemäß dieser Nota wurde das Singspiel Annette et Lubin67, welches auf einem nicht näher genannten Theater bereits aufgeführt worden war, aufgrund allerhöchster Weisung mit einem Aufführungsverbot belegt. So schreibt der Verfasser des Schreibens, wie erwähnt höchstwahrscheinlich Graf von Pergen, seit 1775 Landesmarschall von Niederösterreich (später, ab 1782, auch Präsident der Niederösterreichischen Landesregierung), auf dieses Verbot Bezug nehmend: „Euer Kaiserlich Königlich Apostolische Majestät haben mir allerhöchst anzubefehlen gewähnt, daß die Vorstellung des französischen Singspiels Anette und Lubin, weil selbi[ges]68 einige anzügliche und anstößige Stellen enthalten solle, auf hiesigen Theater[n] nicht zu gestatten, son[dern]69 einzustellen sey“.70 66 Otto Gugler: Zensur und Repression: Literatur und Gesellschaftsbild im Zeitalter des Spätjosephinismus. Dissertation, Wien 1995, S. 250f. 67 Annette et Lubin basiert auf einer Erzählung von Jean-François Marmontel: Conte d’Annette et Lubin, geschrieben 1761, welche auf eine wahre Begebenheit im berühmten Kurort Spa zurückgeht. Gegenstand von Marmontels Dichtung ist die aufkeimende Liebe zwischen Cousin und Cousine, beide im Alter von 14 Jahren verwaist.. Durch die in mehrere Sprachen übersetzte Erzählung wurde dieses Paar in Europa „populär“, in der Wahrnehmung ihrer Geschichte ­m ischen sich Realität und Fiktion. Marmontels Dichtung war die Grundlage für zahlreiche theatralische Fassungen: Singspiele und Ballette. Den Anfang machte das genannte französische Singspiel, uraufgeführt am 15.  Februar 1762 in Paris (Comédie Italienne). Der Text dieser Comédie mêlée d’ ariettes et de vaudevilles stammt zumindest teilweise von Marie Justine Benoîte Favart (1727– 1772). Als mögliche Co-Autoren werden Jean-Baptiste Lourdet de Santerre (1732–1815) und Claude-­Henri de Fusée, Abbé de Voisenon (1708–1775) genannt. In einem Textdruck des Ur­ aufführungsjahres werden „Madame Favart und MR.***“ genannt: Annette et Lubin. Comédie en un acte et en vers; Mêlée d’ Ariettes & de Vaudevilles. Par Madame Favart, et MR.***. Représentée pour la premiere fois par les Comédiens Italiens Ordinaires du Roi, le 15 Février 1762. A Paris. Chez Duchesne, Libraire, rue Saint-Jaques, au-dessous de la Fontaine St. Benoit, au Temple du Goût. Avec Approbation & Privilége du. Roi. M.DCC. LXII. 68 Wahrscheinliche Ergänzung eines durch Brand vernichteten Wortteils. 69 Siehe vorige Fußnote. 70 Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Polizei, Pergen Akten A. 15/1: Zensurangelegenheiten über Theaterstücke.

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Der folgende Teil enthält, aufgrund des Brands nur bruchstückhaft überliefert, offensichtlich eine Aussage, der zufolge der Verfasser bekräftigt, unverzüglich die erforderlichen Schritte zu setzen. Dann folgen Bemerkungen über die Vorgeschichte dieses Singspiels in Wien. Es sei schon 1768 aufgeführt worden, nicht nach „dem französischen Original, sondern nach dem hiesigen Abdruck vom Jahre 1768, welcher schon dermal die Zensur allhier ausgestanden hat“.71 Und dieser Druck sei bei einer zeitlich nicht näher bestimmten Neuauflage „auch dermalen neuerdings durch den Freyherrn v. Wöber als französischen Theatralzensor verbeßert worden“72, wobei „viele Stellen und Ausdrücke, die dem Zensor noch bedenklich zu seyn geschienen haben, neuerdings ausgestrichen worden sind.“73 Der Verfasser dieses Schreibens hat seinen Worten zufolge ein Exemplar letztgenannten Druckes auch an „Ihre Majestät“ weitergeleitet.74 Das französische Singspiel Annette et Lubin wurde laut Zechmeister im Jahr 1768 am Wiener Burgtheater aufgeführt – in der neuen Ära des französischen Theaters in Wien, welche 1772 wieder ein Ende finden sollte; exakte Aufführungsdaten sind allerdings nicht überliefert. In diesem Aufführungsjahr erschien auch, wie im Schreiben genannt, ein Druck bei Ghelen.75 Ein späterer Wiener Druck ist allerdings bislang nicht nachweisbar. Die neuerliche zensurielle Überarbeitung des Textes erfolgte erst nach Oktober 1770, denn erst ab diesem Zeitpunkt versah Freiherr von Wöber die Zensur des französischen Theaters. Nach dem Ende der stehenden französischen Bühne im Jahre 1772 gab es in der Folgezeit diverse Gastspiele französischer Truppen, so etwa kurz vor der ‚Erhebung‘ des Burgtheaters zum Nationaltheater gegen Ende des Spieljahres 1775/76, wo die Truppe des „Mr. Hamom“ französische Opern gab – am 19. Februar 1776 endeten ihre Vorstellungen.76 In relativ kurzer Zeit standen 25 Stücke auf dem Programm des Burgtheaters, Annette et Lubin findet sich nicht 71 Ebenda. 72 Ebenda. 73 Ebenda. 74 Favarts Singspiel ist ein Vierpersonenstück: der Graf und sein Vogt sowie das jugendliche verwaiste Paar Annette und Lubin, die beide – Cousin und Cousine – in pastoraler Bedürfnislosigkeit gemeinsam in einer Hütte leben und sich in größter Zuneigung ergeben sind, ohne einen klaren Begriff von Liebe und Sexualität zu haben. Dies Verhältnis jugendlicher Unschuld erregt die erotischen Phantasien des Vogts, der Annette zur Frau begehrt. Seine Intervention führt zur Verunsicherung der beiden Jugendlichen im Hinblick auf ihre Beziehung und zur Erfahrung des Unterschieds von Freundschaft und Liebe. Der Graf, ebenfalls Annette begehrend, gibt schlussendlich seine Zustimmung zur ehelichen Verbindung des jungen Paares. Die Welt von Annette und Lubin wird geschildert als Welt vollkommener Glückseligkeit; gegen diese Schäfer-Idylle wäre die Welt der Stadt wie die des Adels nur die gemalte armselige Welt der Reichen. ­Potentielle „Anstößigkeiten“ ergeben sich vor allem durch die Projektionen der Erwachsenen, speziell des Vogts, auf das Bild und Verhalten jugendlicher „Unschuld“. 75 Zechmeister: Die Wiener Theater, S. 506. 76 Ebenda, S. 359.

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unter den genannten, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses ansonsten vielgespielte Stück auch einen Teil des damaligen Repertoires bildete. Damit endete die Zeit der Franzosen am Burgtheater. Doch gab es später weitere Gastspiele französischer Truppen am Kärntnerthor-Theater, über die wir aufgrund des Fehlens eines systematisch erstellten Repertoires in der Zeit von 1776 bis 1785 (bis zur neuerlichen Übernahme des Kärntnerthor-Theaters als Hoftheater) nur sporadisch unterrichtet sind. Jedenfalls gastierte im Jahr 1781 eine französische Truppe am KärntnerthorTheater, worüber Friedrich Nicolai berichtet77, und – wie angenommen werden muss – auch im Jahr zuvor. In der genannten Nota ist auch von einem anderen Theaterstück die Rede: vom Schauspiel Betrug für Betrug, in welchem nach allerhöchstem Dafürhalten auch „Unanständiges“ vorgekommen sein soll. Das Lustspiel Betrug für Betrug, oder Wer hat nun die Wette gewonnen?, verfasst von Salomon Friedrich Schletter (1739–1801), wurde am 30. September 1780 am Burgtheater erstaufgeführt78; der Text ist auch als „Logenmeister-Büchel“ im Druck erschienen.79 Weitere Aufführungen in diesem Jahr fanden am 1. und 7. Oktober sowie am 16. November statt.80 Insofern ist die auf dem Manuskript mit Bleistift nachgetragene Datierung „X  1780“ sehr plausibel. Die höchste Kritik entzündete sich ganz offensichtlich an einem neuen Stück und seinen ersten Aufführungen, andernfalls hätte der Verfasser oben genannter Nota mit allem Nachdruck darauf verwiesen, dass dieses Lustspiel schon zu Zeiten der „höchstseeligen Apostolischen Majestät“ aufgeführt worden sei. Stattdessen erfolgt die erstaunlich klare Antwort, dass das Stück auf der in der hohen Weisung angegebenen Seite des Textdruckes, wie auch sonst irgendwo, „gar nichts, was im mindesten unanständig oder zweydeutig wäre“, enthalten würde. Implizit war diese allerhöchste Weisung auch eine Kritik an der Arbeit der Theatralzensur. Doch wie es scheint, fanden der Niederösterreichische Landesrat Hägelin wie auch der Niederösterreichische Landesrat Wöber in dieser Nota eine sehr massive Rückendeckung. Diese ist mit großer Wahrscheinlichkeit nicht ohne Rücksprache erfolgt, wie die fundierte Stellungnahme beweist. Bei aller „unterthänigsten“ Beflissenheit wird im Fall des Singspiels Annette et Lubin Unverständnis signalisiert, warum ein bereits zweimal genehmigtes und zensuriertes und zumal ein schon auf die Bühne gebrachtes Werk nunmehr mit einem Verbot belegt werden sollte, und im Fall des genannten deutschen Lustspiels wird die inhaltliche Grundlage der Beeinspruchung völlig entzogen. Hier handelt es sich um einen deutlichen Hinweis darauf, dass die Interventionen des Hofes bei relevanten politischen Funktionären 77 Vgl. Nicolai: Beschreibung einer Reise durch Deutschland. Vierter Bd., S. 537. 78 Hadamowsky: Die Wiener Hoftheater. Bd. 1, S. 17. 79 Betrug für Betrug, oder Wer hat nun die Wette gewonnen? Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Aufgeführt im k. k. Nationaltheater. Wien, zu finden beym Logenmeister, 1780. 80 Hadamowsky: Die Wiener Hoftheater. Bd. 1, S. 17.

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mittlerweile auf einiges Unverständnis stießen, das transponiert in die Höflichkeitsform einer „allerunterthänigsten Nota“ seinen beredten Ausdruck fand.

ANHANG Liste der verbotenen Schauspieldrucke bis 1770 im Catalogus librorum a commissione caes. reg. Aulica prohibitorum. Editio nova. Cum Privilegio S.C.R Apost. Majestatis. Viennae Austriae, Typis Geroldianis. 1776, in der alphabetischen Reihenfolge des Katalogs81 Aretino – quattro comedie „Aretino (Pietro) quattro comedie, cioé il Marescalco, la Cortegina, la Talanta, l’Hypocrito, 1588. in 8.“ (S. 19) Pietro Aretino (1492–1556) Quattro comedie | Il marescalco, La talanta, La cortegiana, L’ hipocrito s.l. 1588 Der Arglistige „Arglistige (der) ein Lustspiel des Hrn. Wilhelm Congreve, in 5. Aufzügen, Kopenhagen 1763. In 8.“ (S. 20) William Congreve (1670–1729) Der Arglistige Ein Lustspiel in 5 Aufzügen Copenhagen 1763 The beggar’s opera „Beggar’s (Tho. [sic]) opera written by Mr. Gay. London in 8.“ (S. 31) John Gay (1685–1732) The beggar’s opera London 1754

81 Signatur: Wienbibliothek, A 105475. In der Folge zunächst die Angaben im Catalogus (meist ohne Angabe des Autors), anschließend Identifikation des dort genannten Druckes, soweit möglich, mit Angabe des Autors.

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Bibliotheque du Theatre françois „Bibliotheque du Theatre françois depuis son origine à Dresde 1748 [1768?]. in 8 Tomes. Tome troisieme Seulement.“ (S. 39) François Louis Claude Marin (1721–1809) / Louis-César de La Baume Le Blanc Duc de La Vallière (1708–1780) (Hg.) Bibliotheque du Théâtre François, depuis son Origine; contenant un Extrait de tous les Ouvrages composés pour ce Théâtre, depuis les Mystères jusqu’aux Pieces de Pierre Corneille; une Liste Chronologique de celles composées depuis cette derniere époque jusqu’à présent; avec deux Tables alphabétiques, l’une des Auteurs & l’autre des Pieces. Dresde 1768 Le Bordel ou le Jean-Foutre puni „Bordel ou le jean foutre punì. Comedie in 8.“ (S. 43) Anne-Claude-Philippe de Caylus (1692–1765) Le Bordel ou le Jean-Foutre puni Comédie Ancone 1747 Calliope „Calliope, von Bodmern, erster Band. 1767. in 8. wegen Heinrich des Vierten.“ (S. 51) Johann Jakob Bodmer (1698–1783) Calliope Erster Band Zürich 1767 (weder der erste noch der zweite Band der Züricher Ausgabe 1767 enthält „Heinrich den Vierten“) Comedie di Girolamo Parabosco „Comedie di Mr. Girolamo Parabosco. cioè la Notte, il viluppo, i contenti, l’hermafrodito, il pellegrino, il marinajo. Vinegia 1560. in 12.“ (S. 61) Girolamo Parabosco (1524–1557) Comedia cioè La Notte, Il viluppo, I Contenti, L’hermafrodito, Il Pellegrino, Il Marinaio, di nuovo ricorrete e ristampate. Vinegia 1560 La Comédie de proverbes „Comedie (la) des proverbes. Piece comique à la Haye 1654. in 12.“ (S. 61) Adrien de Monluc (1571–1646) La Comédie de proverbes Pièce comique La Haye 1654 Les Comedies facecieuses „Comedies facecieuses de Pierre de l’Arivey Champenois. Rouen 1601, in 12.“ (S. 62) Pierre de Larivey (1541–1619) Les Comedies facecieuse A l’imitation des anciens Grecs, Latins, & modernes Italiens 2. ed. Rouen 1601

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Neue verbotene Dramen

The Plain Dealer „Dealer (the plain) a Comedy. in 8.“ (S. 73) William Wycherley (1640–1716) The plain dealer A Comedy London 1677, 1694, 1709, 1713, 1727, Dublin 1766 Eunuque ou la fidele infidelité „Eunuque ou la fidele infidelité, Parade en Vaudevilles par * * à Montmatre 1750. in 8.“ (S. 98) Charles François Racot de Grandval (1710–1784) L’Eunuque, ou la Fidelle infidelité Parade en vaudevilles, melée de prose et de vers Montmartre 1750, Reimpression Die Frauenlist „Frauenlist, ein Lustspiel von einer Handlung in Versen, im Jahr 1754. in 8.“ (S. 108) Anonym Die Frauenlist Ein Lustspiel, von einer Handlung in Versen s. l. 1754 Les fri-maçons „Free màson (the) Hyperdrame. Lond. 1741.“ (S. 109) Pierre Clement (1707–1767) Les fri-maçons Hyperdrame Londres 1741 Die Freundschaft nach der Mode „Freundschaft (die) nach der Mode, ein Lustspiel in 5. Aufzügen; aus dem Englischen. Koppenhagen und Leipzig 1767. in 8.“ (S. 109) Thomas Otway (1652–1685) Die Freundschaft nach der Mode Ein Lustspiel in fünf Aufzügen Aus dem Englischen Kopenhagen und Leipzig 1767 Friendship in Fashion „Friendship in Fashion, a Comedy. London 1733. in 8.“ (S. 110) Thomas Otway (1652–1685) Friendship in Fashion A Comedy London 1733 The She-Gallants „Gallants (the She) a Comedy by his Majesty’s servants. London 1713. in 8.“ (S. 112) George Granville Lansdowne (1667–1735) The she-gallants A comedy London 1713

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Kultureller Stau gegen Ende der theresianischen Zeit

Die Geistlichen auf dem Lande „Geistlichen (die) auf dem Lande, ein Lustspiel in 3. Handlungen. Frankf. und Leipzig 1743. in 8.“ (S. 116) Johann Christian Krueger (1723–1750) Die Geistlichen auf dem Lande Ein Lustspiel in drei Handlungen Frankfurth und Leipzig 1743 Der Hochzeitstag „Hochzeitstag (der) ein Lustspiel, und Eurydice ein Nachspiel, aus dem Englischen des Hrn. Henry Fielding übersetzt. Koppenhagen 1759. in 8.“ (S. 144) Henry Fielding (1707–1754) Der Hochzeitstag, ein Lustspiel, Eurydice, ein Nachspiel Kopenhagen 1759 Lettre sur le theatre Anglois „Lettres sur le theatre Anglois, avec une traduction de quelques Pieces. 2. Tomes 1752. in 8.“ (S. 174) Pierre-Joseph Fiquet du Boccage (1700–1767) Lettre sur le theatre anglois Avec une traduction de l’Avare, Comédie de M. Shadwell (Thomas, 1642–1692), et de la Femme de Campagne, Comédie de M. Wicherley (William, 1640–1715) s.l. 1752 Liebe für Liebe „Liebe für Liebe, ein Lustspiel in 5. Aufzügen, aus dem Englischen des Hrn. William Congreve. Leipzig 1766. in 8. Vide Love.“ (S. 182) William Congreve (1670–1729) Liebe für Liebe Ein Lustspiel in 5 Aufzügen Leipzig 1766 Die weiblichen Liebhaber „Liebhaber (die weiblichen) ein Lustspiel in 5. Aufzügen. Aus dem Englischen. Herrnhut 1751. in 8.“ (S. 182) George Granville Lansdowne (1666–1735) Die weiblichen Liebhaber Ein Lustspiel in 5 Aufzügen Herrnhut 1751 Love for love „Love for Love a Comedy. in 8. Deutsch. Sieh Liebe für Liebe.“ (S. 186) William Congreve (1670–1729) Love for love A Comedy Edinburgh 1755

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Neue verbotene Dramen

Drey Lustspiele aus dem Englischen „Lustspi[e]le (drey) aus dem Englischen des Ritters Vanbrugh, samt einem Nachspiel. Basel und Frankfort. 1764. Wegen des Stückes: das gereizte Weib. Sieh Wife (the provoked“ (S. 188) John Vanbrugh (1664–1726) Drey Lustspiele aus dem Englischen, samt einem Nachspiel Basel und Frankfurt 1764 Malagrida „Malagrida tragedie en trois actes, à Lisbonne 1763. in 8.“ (S. 191) Pierre Charpentier de Longchamps (1740–1812) Malagrida Tragédie en trois actes Traduite du portogais Lisbonne 1763 Der beste Mann „Mann (der beste) ein Lustspiel in 5. Aufzügen von Beaumont und Fletcher. Frankf. und Leipzig 1769. in 8.“ (S. 192) Francis Beaumont (1584–1616) / John Fletcher (1579–1625) Der beste Mann Ein Lustspiel in 5 Aufzügen Leipzig 1778 Le Maréchal de Luxemburg au lit de la mort „Maréchal de Luxemburg au Lit de la mort Tragi Comedie. Cologne 1695. in 12.“ (S. 193) Anonym Le maréchal de Luxemburg au lit de la mort Tragi-comedie Cologne 1695 Il marinaio „Marinajo (il) Comedia. In 12.“ (S. 194) Girolamo Parabosco (1524–1557) Il Marinaio Comedia nova Venezia 1550 Il matrimonio di Fra Giovanni „Matrimonio (il) di Fra Giovanni. Comedia in 8.“ (S. 195) Carlo Antonio Pilati ? (1733–1802) Il Matrimonio di Fra Giovanni Comedia Venezia s. a. La Nouvelle Messaline „Messaline (la nouvelle) Tragedie en un Acte in 12.“ (S. 204) Pyron dit Prepucius (Charles François Racot de Grandval, 1710–1784) La nouvelle Messaline Tragédie en un acte Ancone – chez Clitoris 1752

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The Minor „Minor (the) a Comedy written by Mr. Foote. London 1764. in 8.“ (S. 206) Samuel Foote (1720–1777) The Minor A Comedy London 1764 La notte „Notte (la) Comedia di M. Girolamo Parabosco. Venezia 1546. in 8.“ (S. 220) Girolamo Parabosco (1524–1577) La notte Comedia nuova Venetia 1546 The Recruiting Officer „Officer (the recruiting) a Comedy in 8.“ (S. 229) George Farquhar (1677–1707) The Recruiting Officer A comedy London 1706, 1720, 1728, Dublin 1732 Olimpie „Olimpie Tragedie par M. de Voltaire. Wegen der Anmerkungen, so derselben nachfolgen. Frankf. und Leipzig 1763. in 8. Vide Remarques.“ (S. 229) Voltaire (1684–1778) Olimpie Tragédie nouvelle Francfort & Leipsic 1763 Picanders Teutsche Schauspiele „Picanders deutsche Schauspiele in dem akademischen Schlendrian, und Weiberprobe, &. Frankf. und Hamburg 1726. in 8.“ (S. 241) Christian Friedrich Henrici (1700–1764) Picanders Teutsche Schauspiele bestehend in dem Academischen Schlendrian, Ertzt-Säufer und der Weiber-Probe, zur Erbauung und Ergötzung des Gemüths entworfen Berlin, Franckfurt, Hamburg 1725 The Relapse, or, Virtue in Danger „Relapse (the) a Comedie. In 8.“ (S. 267) John Vanbrugh (1664–1726) The relapse, or, virtue in danger – being the sequel of The fool in fashion A Comedy London 1718

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Remarques qui suivent la Piece Olympie „Remarques qui suivent la Piece Olympie. Tragedie par Mr. de Voltaire. Francf. & Leipsic 1763 in 8.“ (S. 270, siehe Olimpie) Der Rückfall oder die Tugend in Gefahr „Rückfall (der) oder die Tugend in Gefahr. ein Lustspiel des Hrn. Vanbrugh, aus dem Englischen. Göttingen 1750 – in 8. sieh Relapse.“ (S. 279) John Vanbrugh (1664–1726) Der Rückfall oder die Tugend in Gefahr Komödie Göttingen 1750 Il ruffiano „Ruffiano (il) Comedia. In 12.“ (S. 279) Lodovico Dolce (1508/10–1568) Il Ruffiano Comedia, Tratta dal Rudente di Plauto. Di nuovo ricorretta e ristampata Venezia 1587 Die Dänische Schaubühne „Schaubühne (die dänische) geschrieben von dem Freyherrn Ludwig von Hollberg, und nun ins Deutsche übersetzt. Erster Band neue verbesserte Auflage. Koppenhagen und Leipzig 1771. in 8.“ (S. 285) Ludvig Holberg (1684–1754) Die Dänische Schaubühne geschrieben von dem Freiherr von Hollberg Kopenhagen 1752 Tansai & Neadarne „Tansai & Neadarne, Tragi-Comedie en un acte & en vers, à la Haye 1768. in 8.“ (S. 311) Tragi-Comedie nach einer japanischen Erzählung Crébillons, Druck nicht verifiziert Theatre des boulevards ou recueil des parades „Theatre des Boulevards, ou Recueil des Parades 3. Tomes. à Mahon 1756. in 8.“ (S. 314) Anonym (Hg.) Theatre des boulevards ou recueil des parades, Vol. 1–3 Mahon 1756 Théâtre de société „Theatre de societé, ou recueil de differentes Piéces tant en prose qu’en vers 2. Tomes. a la Haye 1764 & 1768. in 8.“ (S. 314) Anonym Théâtre de société, ou Recueil de différentes pièces, tant en vers qu’en prose, qui peuvent se jouer sur un Théâtre de société A La Haye; Et se trouve A Paris, 1768

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Englisches Theater „Theater (englisches) 2ter Theil von Christian Heinrich Schmid. Frankf. und Leipzig 1769. in 8.“ (S. 314) „Theater (englisches) 3ter Theil von Christian Heinr. Schmid. Leipz. 1770. in 8.“ (S. 314) „Theater (engl.) 4ter Theil von C. H. Schmid. Leipzig 1771. in 8. NB. Wegen des Lustspiels der leichtsinnige Ehemann.“ (S. 315) Christian Heinrich Schmid Englisches Theater 5 Teile Danzig 1772 The History of Timon of Athens: the Man-Hater „Timon of Atheus [sic] or the Man-Hater a Comedy. In 8.“ (S. 319) Thomas Shadwell (1642–1692) The History of Timon of Athens: the Man Hater Made into a Play London 1688, 1696, 1703 The Best Tragedies and Comedies „Tragedies (the best) and Comedies. 4 Tomes. printed for a Company of Booksellers. 1762. in 8. 5. Volumes.“ (S. 322) Anonym (Hg.) The Best Tragedies and Comedies – in four volumes Selected from the works of Addison ( Joseph, 1672–1719), Banks ( John, 1650–1706), Shakespeare (William, 1564–1616), Philips (Ambrose, 1674–1749), Rowe (Nicholas, 1674–1718), Thomson ( James, 1700–1748), Howard (Robert, 1626–1698), Farquhar (George, 1677–1707) London 1765 Johanna Gray / Friedrich von Tokenburg / Oedipus „Trauerspiele (drey neue) nämlich Johanna Gray &. Zürich 1761. in 8.“ (S. 323) Johann Jakob Bodmer (1698–1783) Drey neue Trauerspiele nämlich: Johanna Gray. Friedrich von Tokenburg. Oedipus Zürich 1761 Le Triomphe de l’amour, ou Don Pedro de Castille „Triomphe de l’amour, ou Don Pedro de Castille, Comedie par Mr. le Roux avec plusiers pieces poetiques. Paris 1722. in 8.“ (S. 325) Le Roux Le Triomphe de l’amour, ou Don Pedro de Castille Comédie mise en vers Paris 1722 Die Weiberprobe oder die Untreue der Frauen „Weiber-Probe (die) oder die Untreue der Ehefrauen in einem Schauspiel von Pikandern 1725. in 8.“ (S. 347) Christian Friedrich Henrici (1700–1764) Die Weiber-Probe oder die Untreue der Ehefrauen in einem Schauspiele vorgestellt von Picandern Berlin, Franckfurth, Hamburg 1725

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Die Weiberstipendien, oder die wohlfeile Miethe der Studenten „Weiber-Stipendiaten, oder die wohlfeile Miethe der Studenten, ein Lustspiel. Frankf. und Leipz. 1751. in 8.“ (S, 347) Heinrich August Ossenfelder (1725–1801) Die Weiberstipendien, oder die wohlfeile Miethe der Studenten Frankfurt und Leipzig 1751 Der vierte Heinrich Kaiser „Werke (neue theatralische) von Herrn Bodmer. Erster Band. Lindau 1768. in 8. wegen des ersten Stückes, der vierte Heinrich Kaiser.“ (S. 349) Johann Jakob Bodmer (1698–1783) Neue theatralische Werke Lindau 1768 The Provok’d Wife „Wife (the provoked) a Comedy by Sir John Vanbrough. London 1753. in 8. Deutsch sieh Lustspiele.“ (S. 351) John Vanbrugh (1664–1726) The Provok’d Wife A Comedy London 1753 Der Zwang zum Klosterleben „Zwang (der) zum Klosterleben, ein Schauspiel in sechs Abhandlungen von 1759. in 8.“ (S. 360) Anonym Der Zwang zum Klosterleben Ein Schauspiel in sechs Abhandlungen [Zürich] 1759

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„ERKÜNSTELT GEFAHR“. ZENSUR IM ÖFFENTLICHEN DISKURS In den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts wird die Zensur in verstärktem Maß zum Thema eines kritischen öffentlichen Diskurses. Sonnenfels, der dem ‚Problem‘ der Zensur in seiner Polizeywissenschaft ein paar Gedanken widmete, hat die mit der Zensur verbundenen negativen Auswirkungen respektive Paradoxien weder in seiner Polizeywissenschaft noch in seinen Wochenschriften, mit Ausnahme einiger flüchtig hingeworfener Sätze, systematisch thematisiert, obwohl er selbst mehrmals Gegenstand zensurieller Obsorge war. Er begnügte sich im Wesentlichen damit, darauf hinzuweisen, die Zensur möge nicht zu streng sein und dem Fortschritt der Wissenschaften nicht im Wege stehen – erst nach der Implementierung der josephinischen Zensurreform in den 1780er Jahren hat er bei weiteren Neuauflagen seiner kameralistischen Schriften schärfere Worte gefunden, die allerdings zum damaligen Zeitpunkt bereits Teil des gängigen öffentlichen Vokabulars waren. Im Grunde war für ihn Zensur ein höchst positiv bewerteter Faktor gesellschaftlicher Regulierung und im Falle der Bühne auch ein Mittel, um bestimmte theatrale Ausdrucksformen zu verbannen. Anders als die Bücherzensur, die er wesentlich als eindämmenden Faktor ansah, war für ihn die Theatralzensur ein Gestaltungsfaktor.

UEBER DEN BUCHHANDEL IN DEN KAISERL. KÖNIGL. ERBLANDEN. VORSCHLÄGE ZUR REFOR M DES ZENSURSYSTEMS Auf Sonnenfels nahm auch ein anonymer Autor Bezug, welcher nach längerem ­Zögern 1774 eine Schrift Ueber den Buchhandel in den kaiserl. königl. Erblanden82 herausbrachte. Ein solches Werk, so der Verfasser, hätte eigentlich von Männern wie Joseph von Sonnenfels oder Friedrich Nicolai geschrieben werden sollen. Die Schrift wurde, zumindest der Angabe auf dem Frontispiz gemäß, in Berlin und Leipzig gedruckt. Sie ist von besonderem Interesse, da sie einige Reformaspekte der josephinischen Zensurpolitik vorwegnimmt, aber auch viele, meist sehr disparate Reformvorschläge enthält, welche in dieser Form nicht verwirklicht worden sind. Anlässlich eines Nachdrucks dieser anonym erschienenen Schrift wurden von Reinhard Wittmann alternativ der Prager Buchdrucker Wolfgang Gerle und Johann Melchior von Birckenstock als mögliche Autoren genannt.83 In jüngerer Zeit wurde 82 Ueber den Buchhandel in den kaiserl. königl. Erblanden. Berlin und Leipzig 1774. 83 Der Buchmarkt in der Habsburger Monarchie, hg. von Reinhard Wittmann. München 1981 (= Quellen zur Geschichte des Buchwesens 5), S. 1–120.

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mehrfach Letzterer als wahrscheinlicher Autor dieser Schrift in Anschlag gebracht, so von Otto Gugler84, Hubert Weitenfelder85 und, ihm folgend, Norbert Bachleitner86. Bei Gugler, der Birckenstock in seiner Arbeit über die Zensurpolitik Josephs II. ein eigenes Unterkapitel widmet, wird allerdings die Autorschaft in keiner Weise diskutiert, vielmehr wird mittels bibliographischer Angabe beim Leser der Eindruck erweckt, dass Birckenstock, den etwa auch die Wienbliothek als Autor führt, im Druck als Verfasser genannt wäre. Vor allem fehlt der Hinweis, dass Birckenstock zum Zeitpunkt der Herausgabe dieser Schrift, also im Jahre 1774, bereits zwei Jahre als Zensor in der Wiener Bücherzensurkommission tätig war.87 Das ist allerdings ein zentraler Sachverhalt, denn hätte Birckenstock diese Schrift tatsächlich verfasst, wäre das für einen Zensor der theresianischen Zeit, der öffentlich, wenn auch anonym eine völlige Neuorientierung der Zensur fordert, geradezu sensationell. Zwar haben etliche Zensoren in vielerlei Hinsicht Kritik an bestehenden Zensureinrichtungen geübt, nicht zuletzt auch Birckenstock im genannten ausführlichen Gutachten über Perspektiven der weiteren Entwicklung der Zensur im Jahre 1797, doch ist es ein bedeutender Schritt, wenn eine als Zensor tätige Person mit ihrer Kritik an der bestehenden Einrichtung an die Öffentlichkeit geht, wenn auch anonym. Eine Analyse der Publikation zeigt jedoch, dass diese Schrift wohl kaum von Birckenstock verfasst worden sein dürfte, besonders, wenn man das Gutachten aus dem Jahre 1797 heranzieht. Abgesehen von den vielfältigen und grundsätzlichen inhaltlichen Differenzen zu Birckenstocks späterer Positionierung in Zensurangelegenheiten, die man hypothetisch der bedeutenden zeitlichen Differenz wie der damit verbundenen unterschiedlichen politischen Situation zuordnen könnte, sind es vor allem einzelne Aussagen in besagtem Druck über den österreichischen Buchhandel, die erkennen lassen, dass der Verfasser dieser Schrift über die damalige organisatorische Struktur der Zensur nicht wohl informiert war, also kein Mitglied der Zensurkommission gewesen sein kann. So spricht der anonyme Autor sich dagegen aus, dass ein einzelner Zensor ein Werk verbieten könne, und schlägt, neben gütlichen Gesprächen mit den Autoren, vor, dass anstelle des Einzelzensors die gesamte Kommission über ein Verbot entscheiden solle. Doch war, wie auch Birckenstock in seiner 84 Gugler: Zensur und Repression, S 193f. 85 Hubert Weitenfelder: Studium und Staat. Heinrich Graf Rottenhan und Johann Melchior von Birckenstock als Repräsentanten der österreichischen Bildungspolitik um 1800. Wien 1996, S. 37. 86 Norbert Bachleitner / Franz M. Eybel / Ernst Fischer: Geschichte des Buchhandels in Österreich. Wiesbaden 2000, S. 370. 87 Siehe dazu die handschriftlich überlieferten Ausführungen von Johann Melchior Birckenstock: Über die Frage: Ob die Censurs Leitung in Zukunft mit der Studien-Ober-Direktion vereinigt, oder davon unter eigenen Praesidio getrennt werden soll?, Dezember 1797 (Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Kabinettsarchiv, Studienrevisions-Hofkommission 7-4).

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historischen Rückschau im Gutachten aus dem Jahre 1797 festhält, ein Verbot – im Unterschied zu einer in der Kompetenz des einzelnen Bücherzensors liegenden Zulassung eines Werkes – sehr wohl von einer kollegialen Zustimmung abhängig; das Verbot wurde gemäß Vorschlag des kollegialen Ratschlusses der Regentin zur Entscheidung vorgelegt, die es – auch unter Bezugnahme auf allfällige Minderheitsvota – bestätigte oder ablehnte. Jedenfalls lag das Problem nicht in der Tatsache begründet, dass ein einzelner Zensor mit all seinen von Zufällen, persönlichen Vorurteilen und Vorlieben behafteten Beurteilungskriterien ein Werk verboten hätte. Nach ­außen hin mag jedoch nicht so klar gewesen sein, wie die Entscheidungsabläufe in zensuriellen Angelegenheiten beschaffen waren. Wie auch immer, Birckenstock, ein intimer Kenner der organisatorischen Strukturen der Zensur, kann als Autor dieser Schrift nicht in Anspruch genommen werden. Wer auch immer der Autor gewesen sein mag, er hatte primär ein Gedeihen des Buchhandels im Auge – aus dieser Perspektive heraus entwickelt er neue Kriterien für die Handhabung der Zensur. Sein Hauptcredo besteht in dem Grundsatz, dass aus der Freiheit des Buchdrucks der Gesellschaft nie in dem Maße Schaden erwachsen könne wie durch das Verbot von Büchern – ein ähnliches Credo wird auch der Zensurreform der 1780er Jahre zugrunde liegen. Gleichwohl versucht der Verfasser eine Trennlinie zwischen dem unter neuen Gesichtspunkten vielfältig Erlaubten und dem, was nach wie vor als gefährlich anzusehen wäre, zu ziehen: „Denn wofern es Wahrheiten sind, so kann der Welt nie Schaden daraus zuwachsen, und sind es im Gegentheil nur betrügerische Blendwerke; so wird es der freygelassenen Macht der Wahrheit immer leicht seyn solche zu entkräften. Ueber jene Gegenstände aber, die blos zur Verderbniß der Sitten, zu Ausbreitung schwärmerischer oder abergläubischer Begriffe, abziehlen, über diese kann, und darf sich die oben gewünschte Freyheit nicht ausdehnen. Das allgemeine Beste der menschlichen Gesellschaft erfordert sogar hierüber mit der äussersten Strenge zu wachen“.88 Im Hinblick auf dieses der „Freyheit“ entzogene Potential des Sittenverderblichen und Abergläubischen, um zwei Schwerpunkte der Argumentation zu nennen, fordert der Autor indes eine weitere Differenzierung – vor allem im Hinblick auf die schöne Literatur: „[…] meine Meinung geht jedoch nicht dahin, jene Arbeiten, Erfindungen, oder Bemühungen des Wizes, die durch Vorstellung reizender Bilder einer edlen Wohllust, Liebe, und anderer ähnlichen Gegenstände, in gleichem 88 Ueber den Buchhandel in den kaiserl. königl. Erblanden, S. 9.

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Maße unser Gefühl zu verfeinern, und die ernstern Sorgen des Lebens angenehm zu zerstreuen dienen, durch eine übertriebene Strenge zu unterdrüken; so sehr ich im Gegentheil die Ausartungen von dieser Seite mit mehrerer Schärfe verhindert zu sehen wünschete.“89 Damit zielt der Autor auch auf Werke, die von der theresianischen Zensur zum damaligen Zeitpunkt verboten waren, wie etwa Wielands Agathon. Diesbezüglich geht der Verfasser sehr konsequent vor und bezichtigt diejenigen, die solche dichterischen Werke verurteilen, schlechthin der „Dumheit, Misgunst, oder Heuchelei“90, „da ­jeder Liebhaber des Schönen, jeder Mann von Empfindung die leztern [Werke von Wieland, Weiße, Jacobi] als Meisterstüke einer begeisterten und empfindungsvollen Phantasie betrachten muß, […].“91 Dies ist auch eine deutliche Kritik an Entscheidungen der Wiener Zensurkommission, welche, wie zuvor erwähnt, Wielands ­Agathon anlässlich der zweiten Ausgabe erneut auf die Liste der verbotenen Bücher gesetzt hat.92 Der unbekannte Verfasser plädiert für eine neue Differenzierung im Hinblick auf die Kategorie des Anstößigen in der Literatur, was sich in nennenswertem Maß im josephinischen Jahrzehnt durchsetzen wird. Wie später im Kontext der Zensur­ reform Josephs II. wird hier versucht, den Kern des Anstößigen konkreter zu fassen: „[…] daß eine Büchercensur oder ähnliche Anstalten, in einem Staate allenfalls nur in so weit nöthig seyn können; als dadurch die Verderbniß der Sitten durch ärgerliche Zotten, u. s. w. oder die Verfinsterung vernünftiger Begriffe, durch abgeschmakte, abergläubische, oder schwärmerische Possen verhütet werden müssen: nicht aber um alle Früchte des menschlichen Verstandes ohne Unterschied, dem willkührlichen Urtheil eines einzigen, oft partheilichen, oft unwissenden Richters zu unterwerfen.“93 Die Begründung für eine weitgehende „Preßfreiheit“ erfolgt nicht nur vor dem Hintergrund eines Rechtes der freien Meinungsäußerung, sondern wird primär unter funktionalistischen Gesichtspunkten getätigt. Eine strenge Zensur zeitige für die Gesellschaft und den Staat, respektive das kameralistische Ideal des „Allgemeinen Besten“, mit dem sich Herrschaft zu legitimieren versucht, in jeder Hinsicht nur ­negative Effekte; eine freizügige Handhabung könne hingegen nie so viel Schaden

89 Ebenda, S. 10. 90 Ebenda, S. 14. 91 Ebenda. 92 Vgl. Walter: „Neue Dokumente theresianisch-josephinischer Zensur“, S. 204. 93 Ueber den Buchhandel in den kaiserl. königl. Erblanden, S. 19.

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anrichten wie eine rigorose Zensur – die diesbezügliche Argumentationsweise möchte ich in drei Punkten zusammenfassen: 1. Im Hinblick auf das Ziel, die den jeweils verdammten Büchern unterstellten „Schädlichkeiten“ für Sitte, Religion und Staat zu unterbinden, würde durch das verhängte Verbot genau das Gegenteil der ursprünglichen Intention erreicht, da das Verbot das Interesse geradezu auf die verbotenen Bücher lenke und teilweise erst eine Nachfrage generiere, die ansonsten gar nicht bestanden hätte.94 Darüber hinaus eröffne sich durch den offiziellen Ausschluss solcher Bücher aus dem Diskurs keinerlei Möglichkeit, sich offen und kritisch mit den in diesen Büchern propagierten Ideen auseinanderzusetzen, um deren mögliche Irrtümer zu korrigieren. 2. Es wäre ein großer Irrtum, zu glauben, dass kritische Schriften gegen den Staat und gegen dessen Funktionsträger die gesellschaftliche Ordnung unterminieren würden und dass eine Unterdrückung solcher Schriften eine Gefährdung der gesellschaftlichen Ordnung unterbinden könnte. Vielmehr wäre es für den Fürsten wie den Staat von Vorteil, wenn sich Kritik auch öffentlich äußerte. So erhielte der Herrscher eine Rückmeldung über die Stimmung in seinem Lande und könnte dementsprechend frühzeitig reagieren. Wäre die Kritik zutreffend, könnte er mit verbesserten politischen Maßnahmen antworten, wäre sie unzutreffend oder vor dem Hintergrund „politischer Machenschaften“ angezettelt, so wäre er darüber informiert und könnte durch geeignete Schritte die Bevölkerung davon überzeugen, dass solche Angriffe ungerechtfertigt wären. In jedem Falle werde sich jedoch, so der Verfasser, die Wahrheit durchsetzen. 3. Aus der Perspektive der Ökonomie, oder, wie es in dieser Schrift heißt, aus ­„politischem“ Betreff unterbinde eine strenge Zensur den Buchhandel als einen aufstrebenden Zweig der heimischen Wirtschaft und erhöhe somit die Chancen derjenigen Länder, welche den Buchhandel unter gemäßigteren zensuriellen Bedingungen betreiben. Überdies zeitige eine strenge Zensur kulturelle Abwanderungs- oder gar Destruierungseffekte: „aufkeimende Genies“ würden abgeschreckt, zu schreiben, und bereits hinlänglich arrivierte Personen würden es sich überlegen, in einem Land mit strenger Zensur zur Feder zu greifen: sie würden ihre Arbeit unterlassen oder ihre Werke in einem anderen Land veröffent­ lichen. Folge wären also Zerstörung oder Abwanderung des kulturellen Kapitals, letztlich Verlust „allen Nationalgenies“, denn Wissen wäre auf Freiheit gegründet.

94 Ebenda, S. 23.

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Der Verfasser entwickelt verschiedene Vorschläge zu einem verbesserten Modus der Zensurpraxis, denn seine Kritik zielt, wie aus den bisherigen Ausführungen hervorgeht, nicht auf eine völlige Aufhebung der Zensur, sondern auf eine grundlegend modifizierte Praxis, wobei die getätigten Vorschläge allerdings auch neue Problemfelder schaffen bzw., wie der Verfasser nicht prinzipiell in Abrede stellt, noch unausgegoren sind. Der Autor vertritt die Ansicht, dass jeder Verleger das Recht haben sollte, ein Buch zu drucken, auch wenn noch kein Zensurbescheid vorliege95; damit nimmt er eine Reformmaßnahme Josephs II. vorweg, welche dieser allerdings erst 1787 – nach anhaltendem Widerstand der Hofkanzlei – einleiten und noch vor seinem Tode wieder zurücknehmen wird. Ebenso wenig dürfte ein verbotenes Buch je „vertilgt“ werden, wie es auch kein „verbotenes“ Buch an und für sich gäbe; ein Verbot erhalte immer nur einen Sinn mit Bezug auf bestimmte Personen und Personengruppen. Im Hinblick auf die importierten Bücher entwickelt der Verfasser ein taxen­ bezogenes Diffusionsmodell, ausgehend von der Annahme, dass die Einfuhr verbotener Bücher grundsätzlich nicht zu verhindern sei: Zweck könne nur sein, „das h­ ieraus zu befürchtende Uebel so viel es angeht durch unnachtheilige Mittel zuvermindern.“96 Er schlägt vor, eine vom Grad der Anstößigkeit abhängige ­abgestufte Taxe einzuführen.97 In gewisser Weise geht es um eine Art Legalisierung des ohnehin nur bedingt zu kontrollierenden Handels mit verbotener Ware, welche durch Einhebung einer Taxe nunmehr sowohl dem Buchhandel als auch dem Staat zugutekommen soll: aus dieser Taxe könnte man die Zensureinrichtungen finanzieren. Dabei weist der Autor darauf hin, dass die Aristokratie aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten und ihrer ausgedehnten Reisetätigkeit schon immer die Möglichkeit hatte, verbotene Bücher im Ausland zu erwerben oder sich solche auf geheimen Wegen zukommen zu lassen: letztlich wären dies Ausgaben, welche dem heimischen Buchhandel entzogen würden. Die erwähnte Taxe könnte entweder von jedem, der einige oder alle Gattungen verbotener Bücher „zu lesen Erlaubniß haben wollte, überhaupt, oder auch von jedem Buch nach Verhältniß der Klasse einzeln genommen werden. Daß aber Gelehrte, Studierende, oder andere unvermögende Liebhaber der Wissenschaften und Gelehrsamkeit von dieser Geldtaxe befreyt bleiben, und die nöthige Erlaubniß ohnentgeltlich erhalten müßten, brauch ich wohl nicht erst zu erinnern.“98

95 96 97 98

Vgl. ebenda, S. 29. Ebenda, S. 35. Vgl. ebenda, S. 35f. Ebenda, S. 36.

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Die Höhe der Taxe ergäbe sich aus der „Klaßifikation aller verbothnen Bücher“99, wobei der Verfasser in abgestufter Form vier Gruppen bildet: Zur ersten, der verworfensten Kategorie, zählen alle „Atheistische oder so genannte Freygeisterische Schriften“100, die nur Gelehrten und „gesetzten“ Männern anvertraut werden dürften, weil es diese Werke sind, „die geradezu alle Beweggründe von Tugend und Sittlichkeit, alle Grundsäze jeder auch der natürlichen Religion übern Hauffen zu werfen, oder lächerlich zu machen suchen“.101 Dazu gehören auch alle Schriften, „die bloß zu sinnlichen Ausschweifungen verführen können“102. Zu Autoren dieser ersten, verpöntesten Kategorie zählen „Hobbes, Spinosa, la Metrie, Machiavel, Naudé, d’O. le Balay, l’Aretin“ – einiges davon wird sich auch im umfassend reformierten Catalogue des livres défendus Josephs II. finden. Zu den besonderen „Schandschriften“ zählt der Autor „Therese philos[ophe]“103 und „la Pucel. d’O.“104 – auch diese beiden Werke werden unter Joseph II. verboten bleiben. Wiederum betont der Verfasser, dass zu dieser Kategorie selbstverständlich kein Wieland und „ähnliche Lieblingsdichter der Nation“ zu rechnen wären. Dieses ­Modell der Taxation ist von Interesse, da im Laufe der umfassenden Revision des Catalogus librorum prohibitorum in den ersten Jahren des folgenden Jahrzehnts ähnliche Klassifikationsmuster gebildet wurden, um ein Sieb zu konstruieren, mit welchem die Bücher festgelegt werden könnten, die im Catalogus zu verbleiben hätten. Wir finden im neuen Catalogus durchaus Namen, die hier genannt sind, wenngleich sich der Begriff des „Freygeisterischen“ zu differenzieren begann. Ein paar Seiten später nennt der Verfasser eine weitere Art von Büchern, die in die Klasse der anstößigsten Werke gehören: alle „unsinnigen Träumereyen für den Pöbel“105; darunter mag der Autor Ähnliches verstanden haben wie später Joseph II. unter all dem, „was ungereumte Zoten enthält, aus welchen keine Gelehrsamkeit, keine Aufklärung jemals entstehen kann.“106 Zur zweiten Klasse der anstößigen Bücher zählen Werke, die „aufrührische Grundsäze gegen den Staat, Pasquillen auf einzelne Mitglieder desselben, unbescheidnen Tadel gegen die Geseze“107 enthalten, eine Kategorie allerdings, wie der 99 Ebenda. 100 Ebenda, S. 37. 101 Ebenda. 102 Ebenda. 103 Ebenda: Jean Baptiste de Boyer: Thérèse philosophe, ou mémoires pour servir à l’histoire du Père ­D irrag et de Mademoiselle Éradice. La Haye 1748. 104 Ebenda: Voltaire: La Pucelle d’Orléans. Genf 1752. 105 Ueber den Buchhandel in den kaiserl. königl. Erblanden, S. 40. 106 Joseph II.: Grundregeln zur Bestimmung einer ordentlichen zukünftigen Bücher Censur. Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Staatskanzlei, Notenwechsel Polizeihofstelle 58-10, Bücherzensur-Hofkommission, 1753–1792. 107 Ueber den Buchhandel in den kaiserl. königl. Erblanden, S. 38.

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Verfasser nicht ausführt, die mit einem großen Unbestimmtheitsgrad verbunden ist: was ist „unbescheidener“ und was „bescheidener“ Tadel, was ist eine Pasquille und was ist berechtigte Kritik? Letztere wollte der Verfasser, wie aus dem Duktus der gesamten Schrift hervorgeht, in keiner Weise unter Verbot stellen: „Bücher aus dieser Klasse würden gänzlich zu untersagen seyn, wenn nicht gut gesinnte und fähige Patrioten, solche entweder zur öffentlichen Widerlegung, oder zu eigner Entkräftung haben müßten; woraus also auch zu bestimmen ist, wer hiezu Erlaubniß erhalten kann.“108 Die josephinische Zensur wird jedenfalls in dieser Hinsicht – wenn auch nicht ohne große Ambivalenzen – etwas liberaler sein als der Verfasser dieser Schrift. In den 1790er Jahren wird sich allerdings die Klassifikation oder zumindest die Anordnung der Schädlichkeitszonen verschieben – hier wird, sofern wir dies im Sinne einer abgestuften Klassifikation überhaupt vergleichen können, die zweite Klasse zur ersten oder mindestens ihr ebenbürtig. Während der Verfasser für die erste Gruppe neben der zu errichtenden Höchsttaxe auch noch rezipientenbezogene Barrieren vorgeschlagen hat, werden solche bei zweiterer Kategorie nicht mehr thematisiert. Die dritte und die vierte Klasse enthalten, im Unterschied zu den vorangegangenen, keine bestimmten Gegenstandsbereiche, sondern indizieren eher einen gegenüber den beiden ersten Klassen verminderten Grad an Gefährlichkeit. Dazu gehören etwa Werke, die zwar „verfängliche Säze zum Gegenstand haben“, aber „doch philosophische Untersuchungen“109 sind. Solche Werke wären für alle Gelehrten keine Gefahr, wohl aber für die Ungelehrten. In die dritte Klasse fallen „Werke eines Rousseau, d’Argens, verschiedene von Voltaire, Loke, Schaftsbury, Bolinbroke“110. Zur vierten Klasse zählen alle Werke, die „nur hie und da einiges eben so gefährliches enthalten“, wie Rousseaus Emile und Die neue Heloise sowie Werke eines noch „etwas zu muthwilligen Genies“111. Doch in keine dieser Klassen würden Autoren wie Mendelssohn, Montesquieu, Mercier und Iselin (Isaak Iselin, 1728–1782) fallen. Genauere „Gefährlichkeitskriterien“, welche seiner weiteren Abstufung zugrunde liegen, legt der Autor allerdings nicht fest. Des Verfassers Skala ist eine eigenartige Mischung aus dem alten System „erga schedam“, welches bestimmte Personen oder Personengruppen berechtigt, Bücher zu lesen, die für den Rest der Bevölkerung verboten sind, und einem marktorientierten Taxensystem, welches das Verbotene offiziell käuflich macht: der Zugang wird über den Preis und die damit verbundenen sozialen und ökonomischen Barrieren bestimmt. Diese Taxen-Steuerung wurde im folgenden Jahrzehnt nicht aufgenommen, wohl aber wurde gegen Ende der Regierungszeit Josephs  II. eine die Druckware verteuernde Stempelgebühr eingeführt: 108 Vgl. ebenda. 109 Ebenda. 110 Ebenda. 111 Ebenda, S. 39.

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nicht für verbotene, aber für als nicht so relevant angesehene Ware und – wie aus den Argumenten der damaligen Zensurkommission hervorgeht – auch mit dem erhofften Nebeneffekt, den Zugang zu bestimmten Produkten zu limitieren. Die operativen Überlegungen scheinen primär aus der Perspektive des Buchhandels angestellt, mit dem Ziel einer deutlichen Erhöhung des Umsatzes: eine „rationalisierte“ Zensur möge dafür Sorge tragen, dass sich durch liberalere Handhabung die Anzahl der verbotenen Bücher wesentlich reduziere und dass durch ein Klassifikationssystem mit für den Staat bestimmten Taxen der Handel mit der verbotenen Ware im Lande bleibe und legalisiert werde. Unklar bleibt, welche Steuerungsfunktion der Taxe zukommen sollte. Denn nach den Angaben des Autors ist die Taxe kein voller Ersatz für jene sozialen Selektionen, die schon bisher erga schedam, eruditis und continuantibus vorgenommen wurden. Allemal, zumindest in der ersten Kategorie, wäre gemäß der Argumentation des Verfassers die Zulassung zum Bücherkauf von Ämtern abhängig, die eine Bewertung vornehmen, ob der Antragsteller aufgrund ausgeübter Profession oder besonderer persönlicher Eigenschaften „gesetzt“ genug wäre, ein solches Werk zu lesen. Ausgenommen von der Taxe wären überdies Gelehrte und Studierende und „andere unvermögende Liebhaber der Wissenschaften und Gelehrsamkeit“ – wer entschiede, wer ein „Liebhaber“ und wer noch dazu „unvermögend“ ist? In diesem Spiel können jedenfalls nur bestimmte Gruppen in der Gesellschaft mitspielen, jene, die es sich leisten können zu zahlen, und jene, die es sich leisten wollen, sich persönlich zu deklarieren. Ein wesentlicher Aspekt scheint dabei die ohne jede Verzögerung kursierende Bewegung der Bücherware sowie die Sicherstellung auch der „verbotenen“ Bücher für den Bücherhandel gewesen zu sein, die nun in keinem Fall mehr „vertilgt“ werden dürften, sondern den Buchhändlern übergeben werden sollten, wobei davon ausgegangen wird, „daß es im eigentlichen Verstand gar kein Buch giebt, welches durchgängig verbothen seyn kann“112.

„DIE HÖCHST NACHTHEILIGEN VER ANSTALTUNGEN DER CENSUR, DIE GEMEINIGLICH IN SCHIKANEN AUSARTEN“ Ein Jahr darauf, 1775, erschien in Frankfurt und Leipzig eine weitere anonyme Schrift, die sich mit Fragen der Zensur und des Bücherhandels auseinandersetzte und im Unterschied zur zuvor behandelten schon im Titel eine Kernaussage enthielt: Der Censor, oder: Beweis, daß die Büchercensur und alle Einschränkungen des Büchergewerbes, nicht nur der menschlichen Erkenntniß, sondern dem gemeinen Besten überhaupt, höchst nach­

112 Ebenda, S. 41.

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theilige Veranstaltungen sind, und gemeiniglich in Schikanen ausarten.113 Noch pointierter als in erstgenannter Schrift wird hier versucht, darzulegen, dass die Zensur eine Weiterentwicklung von Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft behindere. Verglichen mit der Schrift Ueber den Buchhandel in den kaiserl. königl. Erblanden, welche die Entscheidungen der bestehenden Zensurkommissionen nie direkt angreift, ist diese Schrift wesentlich offensiver und polemischer wie auch im Hinblick auf die Forderung nach einem weitgehend unbeschränkten Zugang zu Büchern bei Weitem ­radikaler. „Was sind denn aber unsere Büchercensuren, und Einschränkungen des ­Büchergewerbes überhaupt, anders, als solche Veranstaltungen, wodurch gar sehr viel Gutes verhindert, und ungemein viel Böses, nicht nur zufälliger Weise wirklich veranlasset, sondern auf das Nachdrücklichste unterstützet und erhalten wird?“114 Ausgehend von einer Kritik der Zensur unter der Aufsicht katholischer Geistlicher, welche zur Aufrechterhaltung der Unwissenheit beigetragen hätten115, stellt der Verfasser die Frage, ob auch die radikale Kritik, ja, die Verspottung der Religion zuzulassen wäre: „Die Antwort ist leicht. Alle diese Dinge sind der christlichen Religion nicht nachtheilig. Denn, ist diese ein vor alle mal wahr und göttlich, so wird sie dieses in Ewigkeit bleiben, man mag auch noch so viel zweifeln, spotten, lästern. Zweifeln wir an ausgemachten Vernunftwahrheiten, die gar keines Zweifels fähig sind, so verrathen wir entweder die Schwäche unserer Vernunft, oder deren gänzlichen Mangel. Diejenigen aber, welche wider die christliche Religion reden und schreiben, wollen aber für starke Geister angesehen seyn. Mithin thut man ja am besten, wenn man sie immer schreyen läßt; weil sie anders nichts, als ihre eigene Unehre dadurch gewinnen.“116 Und weiter: „Was kann bey solchen Vorfällen der gemeine Mann anders denken, als daß es um seine Religion doch so gar sicher und gewiß nicht stehen müsse, weil 113 Der Censor, oder: Beweis, daß die Büchercensur und alle Einschränkungen des Büchergewerbes, nicht nur der menschlichen Erkenntniß, sondern dem gemeinen Besten überhaupt, höchst nachtheilige Veranstaltungen sind, und gemeiniglich in Schikanen ausarten. Frankfurt und Leipzig 1775 (Wienbibliothek, 110710 A). 114 Ebenda, S. 15. 115 Ebenda, S. 22f. 116 Ebenda, S. 23f.

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man sich gar zu sehr für den Gegnern fürchtet: denn wäre dieses nicht, so würde man unfehlbar mehrern Muth und Unerschrockenheit zeigen.“117 Und eben so wenig lässt der Verfasser die Kritik gelten, dass religionskritisch-philosophische Schriften den Ungelehrten in Verwirrnis bringen: solche Sorgen wären unnötig, da die Ungelehrten wie Einfältigen durch keinen Bayle oder Voltaire zu Deisten werden würden.118 Das sind gegenüber der vorigen Schrift verschärfte Argumente: die Verteidigung der „Wahrheit“ könne nicht durch zensurielle Akte erfolgen, sondern müsse von denen vorgenommen werden, die sie verkünden. Wenn sie eine solche besäßen, würden sie sich auch durchsetzen können. Ein sich merklich aufbauender Schutzwall führe hingegen zur Vermutung, dass die postulierte „Wahrheit“ sich ohne massive Intervention nicht aufrechterhalten ließe. Im Hinblick auf die katholische Religion wird dies etwa zwei Jahrzehnte später Birckenstock von anderer Warte im schon erwähnten Zensurgutachten des Jahres 1797 nüchtern auf den Punkt bringen: dass „die katholische Religion ihrer Natur nach mit dergleichen unbeschränkter Freyheit [der Presse] unverträglich [sei], wenigstens würde sie dadurch einen heftigen Stoß bey dem minder gelehrten großen Haufen über kurz oder lang leiden; […]“119. Der offenbar protestantische Verfasser der Schrift von 1775 ist jedenfalls zuversichtlich, dass sich die Wahrheit der Religion bei völlig freier Meinungsäußerung durchsetzen werde, und daher tritt er jeder Beschränkung religionskritischer Schriften, welcher Art auch immer, entgegen, auch mit dem nicht unüblichen Verweis, dass solche Schriften nur von bestimmten Personengruppen gelesen würden. Wie viele andere argumentiert auch der Autor dieser Schrift, dass das Verbot auf die Menschen eine Sogwirkung ausübe – ja mehr noch, die Tatsache des Verbots würde wie ein indirekter Wahrheitsbeweis wirken: „Denn man kann sich gewiß darzu verlassen, daß kein Buch oder Schrift mehr Käufer anloket, als wenn es, in den öffentlichen Blättern, bey einer ansehnlichen Geldstrafe zu verkaufen, verbothen wird: denn man argwöhnet gleich, da muß die Wahrheit stehen, sonst hätte man nicht confiscirt. Daher erboth sich ein gewisser Bücherhändler vor wenigen Jahren, daß er dem Bücherfiscal gern ein Geschenk von einem halben Duzend Dukaten machen wollte, wenn er ihm ein gewisses Werk, mit dessen Abgange er nicht zufrie-

117 Ebenda, S. 24f. 118 Vgl. ebenda, S. 25. 119 Über die Frage: Ob die Censurs Leitung in Zukunft mit der Studien-Ober-Direktion vereinigt, oder davon unter eigenen Praesidio getrennt werden soll? (Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staats­ archiv, Kabinettsarchiv, Studienrevisions-Hofkommission 7-4, S. 6).

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den war, confisciren würde; weil er sich bey einem nicht lange vorhin confiscirten, so gut gestanden hatte.“120 Deutlicher noch als die im vorigen Abschnitt behandelte Schrift spricht der Verfasser hier der Zensur die Fähigkeit zu einem Wahrheitsdiskurs völlig ab: „Das allergrösseste Unglück aber, welches die Büchercensur anrichtet, bestehet darinnen, daß sie mit der Wahrheit eben so wenig bestehen kann, als das Licht mit der Finsterniß“121. Und man könne nicht davon ausgehen, dass der Zensor die Wahrheit nicht unterdrücken wolle, wie denn „die Menschen überhaupt das Licht der Wahrheit nicht viel ärger hasseten, als den Teufel.“122 Und bezogen auf den Katholizismus heißt es: „Wie ist es möglich zu gedenken, daß in der catholischen Kirche die Censur aus Liebe zur Wahrheit eingeführet worden sey, da Arglist und Blin[d]heit die vornehmsten Stützen sind, auf welchen wenigstens das catholische Kirchenregiment beruhet?“123 Und ähnlich wie in der vorigen Schrift wird hier ins Spiel gebracht, dass die Zensur zu einer Unterdrückung öffentlicher Kritik und somit zu einem Stau führe, der sich gewaltsam entlädt oder entladen kann. Wenn es keine Zensur gegeben hätte, dann, so der Autor, hätten sich Kirche und Päpste selbst reformiert, kein Luther wäre notwendig gewesen und keine Religionskriege. Vom ‚Wahrheitsdiskurs‘ wird sich die Zensur langsam dispensieren – wie schon Staatsrat Gebler 1769 im Zusammenhang mit Sonnenfels’ Schrift über die Teuerung in den Großstädten schrieb, dass für die Wahrheit seiner Sätze der Autor und niemand sonst einstehen könne. Derartigen Vorschlägen stand die Zensurpolitik am Ende der theresianischen Zeit jedoch offensichtlich reserviert gegenüber; sie begegnete den neuen Entwicklungen am Buchmarkt mit einiger „Hilflosigkeit“, ohne wenig neue Impulse setzen zu können. Gelegentlich kam es auch zu Minderheitsvoten in strittigen und zweifelhaften Fällen. In einem ‚verdüsterten‘ Lichte sahen diese Zeit auch die meisten Beobachter, die das neue josephinische Jahrzehnt zu beschreiben begannen und diejenigen „Biedermänner“ lobten, die im Hinblick auf die kulturelle Situation auch gelegentlich Widerstand leisteten, den sie dem Druck vonseiten der Kirche oder dem allgemeinen Zensurdruck entgegensetzten. Auch Hägelin wird in dieses ‚BiedermännerFeld‘ eingeordnet werden.124

120 Der Censor, oder: Beweis, S. 26. 121 Ebenda, S. 29. 122 Ebenda, S. 30. 123 Ebenda. 124 Siehe dazu das Kapitel „Hägelin – ein ‚josephinischer‘ Zensor“ (S. 409–414).

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DAS VERBOT DER ALLGEMEINEN DEUTSCHEN BIBLIOTHEK Den Druck, den die späte theresianische Zensur erzeugte, spürte auch Joseph II., gehörte doch die Neuordnung der Zensur zu den ersten Aktivitäten nach dem Tode seiner Mutter. Österreich befand sich damals auf dem besten Wege, sich in eine Art kultureller Isolation zu begeben, dies zeigt die im vorigen Kapitel behandelte Verbotspraxis im Bereich aktueller dramatischer Arbeiten, die anderswo mehr oder ­weniger ungehindert gedruckt und aufgeführt werden konnten, wie auch das Verbot zahlreicher Musenalmanche, vor allem aber das sich über mehrere Jahre hinziehende generelle Verbot der Allgemeinen deutschen Bibliothek, die mit ihren vielfältigen Rezensionen von auf dem internationalen Markt neu erschienenen Werken in unterschiedlichen Sprachen und Disziplinen zu den angesehensten und bedeutendsten Zeitschriften zählte. Mit dem Herausgeber der Zeitschrift Friedrich Nicolai stand auch Staatsrat Gebler in langjährigem Briefkontakt und bemühte sich um seine Gunst im Hinblick auf sein eigenes literarisches Schaffen.125 Nach einem vorangegangenen Verbot einzelner Nummern wurde die Allgemeine deutsche Bibliothek 1778 generell verboten. Von dem bevorstehenden Verbot und den Gründen für dieses Verbot wurde Nicolai vertraulich von Gebler informiert, der ihm am 9. Februar 1778 schrieb, dass die Allgemeine deutsche Bibliothek wegen „Bestreitungen des Canons überhaupt, und der Offenbarung Johannis insbesondere, ingleichen der ewigen Gottheit Christi, oder des sogenannten Athanasianischen Lehrbegrifs [sic]“126 zunächst für ein ganzes Jahr verboten werden würde. Dies führte zu einem Protest Nicolais, der im Rahmen seiner Zeitschrift die österreichische Zensur kritisierte, ihr vorwarf, dass sie einen Großteil der in Deutschland gelesenen großen Werke den Lesern vorenthalte und dass sich die Zensoren, die auch Gelehrte waren, um ihren Ruf Sorgen machen sollten. Darüber schreibt er auch in seiner Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781, worin er der österreichischen Zensur ein ausführliches Kapitel widmet und dabei auch kritisch auf deren Geschichte in der theresianischen Zeit wie auf das Verbot der Allgemeinen deutschen Bibliothek eingeht: „Die allgemeine deutsche Bibliothek war vielleicht zufälligerweise durch ­einen Nebenumstand, vom Anfang an, von dieser strengen Censur noch immer erlaubt worden. Erst beym achtzehnten Bande und zwar bey der Recension von Lessings Berengarius Turonensis bekam, sollte man es denken? ein medicinischer Censurrath Gewissensbisse über dasjenige, was Lessing und der Recensent über Ketzer und Koncilien gesagt hatte, und zeigte die 125 Aus dem Josephinischen Wien. 126 Ebenda, S. 91.

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A. D. B. einem Theologen an. Dieser […] gab sehr vielfältig nachher sein theologisches Bedenken über dieses Werk. Indessen waren im Kollegium noch verschiedene Männer, welche weniger Theologie und mehr Philosophie und gesunde Vernunft in den Köpfen hatten, die einen größern positiven Nutzen wichtiger hielten, als ein geringes genommenes Aergerniß, und nicht zugeben wolten, daß man verbieten sollte, was man acht Jahre lang für erlaubt gehalten hatte. Die entgegengesetzte christkatholisch-orthodoxe Partie fuhr aber beständig fort dagegen zu arbeiten, bis es ihr endlich im Jahre 1778 gelang, es dahin zu bringen, daß nicht allein alle bis dahin gedruckten Bände, sondern auch alle künftigen (deren Inhalt man doch unmöglich wissen konnte) aufs schärfste verboten wurden.“127 Nach Nicolai war die Ursache für die sukzessive Verdammung der Allgemeinen deutschen Bibliothek eine Rezension der Passionspredigten von Gottfried Less (1736–1797) im Band XXXIII, wo über den Bewusstseinszustand von Jesus kurz vor seinem Tod am Kreuze diskutiert wird und der Rezensent die Ansicht äußert, dass Jesus angesichts der vielfältigen Erschöpfung, die er als Mensch durchleben musste, zu keiner großen Reflexion mehr fähig war. Dazu schreibt Nicolai: „Es ist wohl offenbar, daß diese Stelle ganz unschuldig ist. […] Gleichwohl wurde diese Stelle, wie ich von sehr guter Hand in Wien vernahm, von den Leuten, die schon lange auf die A. D. B. lauerten, ergriffen, und der höchstsel. Kaiserinn Königinn so vorgebracht, als ob darinn gesagt würde: Jesus sey vor seinem Tode unsinnig geworden, und dieß ward für eine Gotteslästerung ausgegeben. Da die fromme Kaiserinn gotteslästerliche Bücher freilich in ihrem Staate nicht leiden wolte, so wurde Ihr auf diese Art das scharfe Verbot abgelockt.“128 Ob die von Friedrich Nicolai genannte Stelle der tatsächliche Anlass für das sukzessive Verbot der Allgemeinen deutschen Bibliothek war, ist unklar. Jedenfalls scheint Nicolai über die Vorgänge in der Kommission samt den Neben- oder Hauptschauplätzen gut informiert gewesen zu sein, so auch über das Abstimmungsverhalten einzelner, namentlich nicht genannter Personen, die er gleichsam Fraktionen zuordnete. Möglicherweise erhielt er erst bei seinem Wien-Aufenthalt im Jahre 1781 näheren Aufschluss über die Hintergründe, über die man nun leichter offen reden konnte. Über das Verbot der Allgemeinen deutschen Bibliothek wurde, wie bereits erwähnt, auch im Briefwechsel zwischen Gebler und Nicolai gesprochen. Der Staatsrat bedauerte 127 Nicolai: Beschreibung einer Reise durch Deutschland. Vierter Bd., S. 860f. 128 Ebenda, S. 862f.

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das Verbot wie auch den Umstand, dass er sich die Allgemeine deutsche Bibliothek nunmehr über Umwege beschaffen müsste. Und er bedauerte auch, dass er in dieser Angelegenheit nichts für Nicolai unternehmen könnte.129

SUMMARISCHE ANTWORT. EINE VERTEIDIGUNG DER THERESIANISCHEN ZENSUR Das viel beachtete Verbot der Allgemeinen deutschen Bibliothek hatte ein bemerkenswertes publizistisches Nachspiel, welches, wenn auch vom Verfasser unbeabsichtigt, zum genuinen Exempel der ‚Perturbationen‘ gegen Ende der theresianischen Zeit wurde. Im Jahre 1780 erschien – vermutlich in Linz – eine Schrift mit dem Titel Summarische Antwort des B. D. A. Cremeri auf die Anfrage des Friedrich Nikolai wegen dem Oesterreichischen Verbote der allgemeinen deutschen Bibliothek.130 Der Autor dieser Schrift war Benedikt Dominik Anton Cremeri (1752–1795), eine vielseitig aktive Persönlichkeit. Geboren in Wien, schrieb er seit den späten 1770er Jahren Theaterstücke (darunter auch eine Version des Don Juan) und verfasste in den 1780er Jahren zahlreiche Broschüren zu unterschiedlichen Themen, die ihm den Ruf eines „Popularaufklärers“ eintrugen. Seit 1778 war er Aktuarius bei der Linzer Zensur. Im Kontext dieser Tätigkeit verfasste er wohl die genannte Schrift, die eine Apologetik der damals praktizierten Zensur darstellt. Cremeri, der sich in dieser Schrift zum großen Verteidiger der Religion aufschwingt, war im Verlaufe der 1780er Jahre selbst in diverse Polemiken verwickelt, wo er heftigen Angriffen wegen Religionsverunglimpfung ausgesetzt war und zu den „Glaubensfegern“ gezählt wurde, welche die ‚anti-aufklärerischen‘ Strömungen in der katholischen Kirche bekämpften. Nach der josephinischen Zeit schrieb er Theaterstücke, welche Empörungen gegen landes­ hoheitliche Organe geiselten, wie im bereits genannten Stück Der Bauernaufstand ob der Enns. Dies sei vorausgeschickt, um zu verdeutlichen, dass Cremeri eine bei Weitem vielseitigere Figur war, als die im Folgenden analysierte Broschüre vermuten lassen würde.131 Gemessen an den genannten Schriften wirkt diese Apologetik der Zensur, zu der sich Cremeri aus welchen Gründen auch immer bemüßigt fühlte, eher ‚provinziell‘. 129 Vgl. Aus dem Josephinischen Wien, S. 95. 130 Summarische Antwort des B. D. A. Cremeri auf die Anfrage des Friedrich Nikolai wegen dem Oesterreichischen Verbote der allgemeine[n] deutschen Bibliothek. S. l. 1780. 131 Zu Cremeri siehe Manfred Brandl: „Benedikt Dominik Anton Cremeri (1752–1795). Zensuraktuar, Theatermann und Populäraufklärer in Linz“. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz. Linz 1978, S. 147–174. Zu Cremeris Don-Juan-Version siehe Reinhard Eisendle: „Göttlicher Giubetta. Don Juan als Kassastück“. In: Mozart. Experiment Aufklärung im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Essayband, hg. von Herbert Lachmayer. Ostfildern 2006, S. 681–692.

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Trotz ihrer 30 Seiten enthält sie wenig argumentative Komponenten, sie bedient sich vorzugsweise einer ‚Rhetorik‘, die noch heute vielen Leitartikeln sogenannter Boulevardblätter zugrunde liegt, speziell dann, wenn ‚man‘ sich, vom ‚Ausland‘ völlig zu Unrecht angegriffen, gezwungen fühlt, in einem solidaritätsheischenden Anflug zurückzuschlagen. Cremeri antwortet auf die Kritik Nicolais an der österreichischen Zensur, indem er die österreichischen Zensurmaßnahmen als nicht nur in jeder Hinsicht gerechtfertigt, sondern als europaweit vorbildhaft darstellt. Auf die Gründe für das Verbot der Allgemeinen deutschen Bibliothek sowie auf die Berechtigung dieser Gründe geht er in seiner Schrift in nur zwei Sätzen ein: es wären Verstöße gegen die Religion, die zum Verbot geführt hätten, und zwar durch die Verbreitung der Lehre des Sozinianismus.132 Somit wäre auch die christliche Religion in ihren Grundfesten erschüttert. Ansonsten fällt kein weiteres Wort darüber, was das Bedrohliche und Zersetzende des Sozinianismus sein soll. Dabei bleibt indes unklar, ob Cremeri selbst wirklich so genau wusste, was Sozinianismus ist bzw. wie er begründet und gegründet wurde; auch kann er vom Leser, dem solche Informationen offensichtlich gerade vorenthalten werden sollen, nicht erwarten, dass dieser ein klares Bild davon hat. Hier reicht offenbar die Verbindung zwischen einem als obskur dargestellten Phänomen und der Drohung der totalen Untergrabung jeder religiösen Ordnung. Es sei vorweggenommen, dass sozinianische Schriften, sofern sie im gelehrten Stil verfasst waren, im Laufe des folgenden Jahrzehnts von Joseph II. zugelassen wurden.133 Nicolai, der laut Cremeri in der Allgemeinen deutschen Bibliothek ob des Verbots der Zeitschrift in Österreich kritisiert hatte, dass mehr als die Hälfte der wirklich guten Bücher in Österreich nicht zugänglich seien, wird der Informationsverfälschung bezichtigt. Es sei eine Verfälschung, so Cremeri, wenn Nicolai schreibe, dass die Allgemeine deutsche Bibliothek in Österreich verboten sei, denn schließlich wären vom Verbot nur alle Bände ab Ende des Jahres 1778 und einige der Jahre 1773, 1774, 1775 und 1776 betroffen. Österreich sei ein Land der Freiheit des Gedankens – dies unter dem Schutz Ihrer Majestät, die durch ihr Amt verpflichtet sei, alles hintanzuhalten, was die katholische Religion und die Sitten angreife. Der Verfasser des Pamphlets gegen Österreich müsse doch wissen, dass im Grunde alle aufgeklärten Leute in Österreich die Allgemeine deutsche Bibliothek überaus schätzen und lieben. Im Hinblick auf Nicolais Behauptung, dass in Österreich mehr als die Hälfte der guten deutschen Schriften nicht gelesen werden dürften, meint Cremeri in folgender Weise korrigierend einwirken zu können: 132 Summarische Antwort des B. D. A. Cremeri, S. 14. 133 So gemäß Hofdekret vom 11. August 1785, wonach socinianische Schriften toleriert wurden, sofern sie in gelehrtem Ton abgefasst wären (Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Bücherzensur, 1751–1791, Ib 59480, f. 375).

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„Hätte man Ihnen gesagt: In Oesterreich darf die größere Hälfte der schätzbarsten Schriften nicht von Jedermann gelesen werden, so wäre es die Wahrheit, wie Nothwendigkeit. Denn nicht jede schätzbare Schrift ist auch zugleich ein nützliches Buch für jeden Leser. Und wohl den Staaten, in denen, bey den allgemein verfallenen Sitten unter uns Deutschen, noch diese Unterscheidung ihr Bürgerrecht hat.“134 Cremeri wiederholt, dass man in Österreich alle Gedankenfreiheit habe, nur alles Schädliche müsse ausgeschieden werden, alles, was Religion und Sitten angreift: „Die Schlüpfrigkeit oder Schmähsucht auf die Religion ist allzeit ein Beweis eines schamlosen Herzens, und eines engen Verstandes bey dem Verfasser, ist Gift in bürgerlichen Gesellschaften, und muß also vertilget werden.“135 Doch folgt keinerlei Argument, worin das „Schlüpfrige“ und „Schmähsüchtige“ in den als anstößig gesehenen Artikeln bestanden hat. Doch bringt Cremeri ein klares Bild, warum für ihn, der die Gedankenfreiheit in Österreich so preist, ein kritischer Umgang mit religiösem Denken nicht zulässig ist: ohne „Gängelband“ sei Religion nicht denkbar: „Ewig wird und muß es [Deutschland], wie die ganze übrige Welt, im Gängelbande gehen, wenn von der Aufsicht über die Religion die Rede ist. Denn die erhält sich nirgend unter den Sterblichen, wenn selbe nicht unaufhörlich geleitet werden. Und dieß, weil in der ganzen Welt der Unwissenden mehr, wie der Klugen sind, die jeder glänzende Gedanke verwirren kann, und jede Lücke in die Moral zur schnellen Nachfolge reizet, weil ihnen ihre Tage desto angenehmer scheinen, je thierischer sie diese verbringen können.“136 Und auf die Frage, warum gar so viele deutsche Bücher auf dem Index stehen: „Denn der zur Wollust einladende, ärgerliche, die Jugend verderbende, Irrlehren verbreitende Deutsche verdient eben so, wie der Franzose oder ein anderer Landesmann, in selben zu stehen, und muß, wie Jeder von denen, nothwendig selben einverleibet, den Schwachen entrissen, und aus dem Kreislaufe gebracht werden, wenn der Regent nicht strafbar seiner Pflicht zuwider handeln will.“137 134 135 136 137

Summarische Antwort des B. D. A. Cremeri, S. 8f. Ebenda, S. 10. Ebenda, S. 19. Ebenda, S. 22.

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Deshalb sei die österreichische Zensur und die Folgerichtigkeit ihrer Beurteilungen zu preisen: „Doch, Dank sey es der ewigen Weisheit! Oesterreich hat seine wirksame Schutzwehr wider solch ein Verderben! indem alles, was der wahren Moral, und folglich den Sitten zuwider ist, so viel nur möglich, in selben aus dem Kreislaufe gebracht wird. Hier sind also auch die vorausgesetzten wenigen Axiomen der Wiener Censoren, die längst für wahre Axiomen erklärt worden, und aus denen also alle Schlüsse und Folgerungen richtig seyn müßen.“138 Und noch einmal dankt Cremeri dafür, in solch einem weitsichtig regierten Lande wohnen zu dürfen, und schließt seine Ausführungen mit einem „Hymnus“ an die hiesige Bücherzensur, als dessen Autor er Wenzel Heinze nennt: „Du, des reifern Verstands verklärter Erstling; Werk des Meistergenies; der Thaten Ausbund, Die noch Sterbliche dachten; Staatenbeglückerinn, hohe Censur! Dir, o Vaterland! wacht mit tausend Augen Die erlauchte Censur. Sie dräut, Gefahr! dir. Unerschütterlich stehen Sittlichkeit, Tugend, und Religion.“139

ODE ZUM LOBE DER BÜCHERZENSUR. ENIGMATISCHER HYMNUS ALS ÖFFENTLICHER WIDERSTAND Cremeri, der sich im nachfolgenden Jahrzehnt als großer Lobredner der josephinischen Politik betätigen wird, hat – wie wahrscheinlich viele andere – zu diesem Zeitpunkt nicht geahnt, dass sich die „Axiome“ der Zensurpolitik bald ändern werden. Mit dem von ihm als ‚Finale‘ hingeworfenen Hymnus hat er, wenn auch völlig unbeabsichtigt, die ‚richtige‘ Wahl getroffen, denn dieser „Hymnus“ samt der ihn umgebenden vielfältigen, spannungsreichen wie paradoxen Geschichte markiert einen 138 Ebenda, S. 24. 139 Ebenda, S. 29. Nach der Wiedergabe dieses Hymnus fügt Cremeri noch zwei Sätze an, geschrieben im pathetischen Gestus der Versöhnung: „Finden Sie noch, daß Sie Ursache und Recht hatten, einen ganzen Staat samt seiner erlauchten Regierung öffentlich zu beleidigen? – Nein, Sie sind ein denkender Mann, und, ich hoffe, itzt ausgesöhnt, daß Sie die Ihnen vorgeblendeten Gespenster, als Schutzengeln, näher kennen lernten.“ Ebenda, S. 30.

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symbolischen Wendepunkt. Die von Cremeri wiedergegebene Dichtung erschien in Linz in Druck, in einem nur ein paar Seiten umfassenden Einzeldruck mit dem Titel Ode zum Lobe der Bücherzensur.140 Die von Cremeri zitierten Strophen folgen im Gedicht jedoch nicht unmittelbar aufeinander, sondern bilden den Anfangs- und den Schlusspunkt der Ode. Dazwischen liegen weit enigmatischere Passagen, welche gleichwohl formal die feierlich bewegte und schwungvolle Form einer Ode nie verlassen. Schon die von Cremeri ausgewählten Textstellen lassen – ohne Kenntnis der gesamten Dichtung wie auch ohne Kenntnis der Hintergründe ihrer Entstehung – ­erkennen, dass hier, wenn auch sehr raffiniert konzipiert, eine deutliche Differenz zwischen Form und Inhalt, zwischen poetischer Bewegung und behandeltem Gegenstand herrscht: während der Begriff „Staatenbeglückerinn“ in dieser scheinbar apologetischen Ode noch nicht unbedingt ein irritierender Ausdruck ist, weisen „verklärter Erstling“, „Meistergenie“, „der Thaten Ausbund“, „Die noch Sterbliche dachten“ in das Feld der Parodie. Der Dichter wollte dies aber anscheinend ganz bewusst in der Schwebe halten, und bei Cremeri, der allerdings alle ‚unverständlichen‘ Stellen übersprungen hat, ist ihm das offensichtlich gelungen. Dies ist Heinze auch bei der Linzer Zensurkommission geglückt, welche den Druck gebilligt hat. Tatsächlich ist diese Ode ein Racheakt des Dichters an der Zensur, zu deren ­Opfer er geworden war. Es ist nicht der einzige, wenn auch der dezenteste Widerstandsakt: zwei weitere werden folgen, eine anonym veröffentlichte Schrift über seinen Zensurfall und ein kleiner Text, in dem eine Zensurverhandlung zum Thema einer dramatischen Handlung gemacht wird und der primär als Lesedrama konzipiert ist. Darin wird der Dichter persönlich auftreten, wie auch seine Zensoren: so Dr. Holkopfius und Dr. Leerhirnius als geistliche Zensoren nebst sonstigem Zensurpersonal. Bevor wir jedoch zu diesem spannenden und turbulenten Fall gegen Ende der theresianischen Zeit kommen, sei dem Leser die Ode Wenzel Heinzes vollständig mitgeteilt: „Ode zum Lobe der Bücherzensur. Du, des reifern Verstands verklärter Erstling; Werk des Meistergenies; der Thaten Ausbund, Die noch Sterbliche dachten; Staatenbeglückerinn; hohe Zensur! 140 Ode zum Lobe der Bücherzensur. Von Wenzel Sigmund Heinze. Mit Erlaubniß der k. k. Bücherrevision im Lande ob der Enns. Linz, in der Frennerischen k.k. akademischen Buchhandlung, [1780] (Wienbibliothek, 16.300).

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Vorne schimmert dein Nam, vor Myriaden Namen göttlichen Werths, im großen Buche Der Unsterblichkeit; tiefer Mit unauslöschlichem Golde geätzt. Nicht Athen, weder Rom, der Wissenschaften, Jeder feineren Kunst Erzeugerinnen, Keine rühmt in des Glückes Ueberfluß deinen neidwürdigen Schutz. Beyder rastloser Geist erschöpft vergeblich Des weitspähenden Blicks versuchte Kräfte; Der Beschützerin Antlitz Barg sich, in dichtere Wolken gehüllt. Aehnlich Rom und Athen, der stolzen Zeder Gleich, erheben ihr Haupt gepriesne Reiche, Wo der Känntnisse Menge Holder, als Blumen im Ennathal, blüht: Doch im Keime verwest erstickter Hofnung Nie zukommender Trost, die edle Wohlthat Ihrer Gegenwart, ihre Feindebezwingende Hülfe zu sehn. Auf den mächtigen Wink des ewigstarken Weltenschöpfers entfuhr’n gedankenschneller Ozeane dem öden Nichts, in verwüstungsbedrohendem Sturz. Noch ein Wink: und es hat vertobt. Verbrausend Fleucht es stille zurück; geebnet, ruhig Liegt in engern Gestaden Das Element von verschlingender Wuth. Ungestümmer erboßt als wilde Meere, Wagt die Denkungsgewalt, (verliehn dem Menschen Zu bezähmen verderbter Strebsamkeit unheilbeladnen Tumult)

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Wagt die Denkungsgewalt an jedem Tage Alle Dämme hinweg sich zu ergießen. Tollkühn sitzt auf der ersten Woge, unmännlich sich brüstender Witz. Zwar erkünstelt sein Aug Gefahr. Gefahr nur Für den Unbedacht, für den blöden Leichtsinn; Nicht für tugendgenährte, Denkende Männer; fürs Vaterland nicht. Dir, o Vaterland! wacht mit tausend Augen Die erlauchte Zensur. Sie dräut, Gefahr! dir, Unerschütterlich stehen Sittlichkeit, Tugend, und Religion.“141 Es handelt sich hier um eine durchaus gelungene Sprachkomposition. Auf eine Detailanalyse dieser Ode, so lohnend sie wäre, werde ich allerdings verzichten, da der Kontext, in dem sie geschrieben wurde, durch die in der Folge näher zu analysierenden Drucke hinlänglich explizierbar wird. Doch möchte ich dieser Dichtung noch etwas hinzufügen: Der in der Wienbibliothek aufbewahrte Textdruck enthält auf der letzten, unbedruckten Seite einen handschriftlichen und offensichtlich zeitgenössischen Eintrag, der in dichterischer Form den Eindruck zu beschreiben versucht, den diese Ode auf den Leser gemacht hat – hier die letzten acht Zeilen: „Ich faß mich sie zu lesen wieder Ich warf sie weg, und nahm sie wieder Deutsch ist zwar alles, was sie spricht Deutsch ist sie aber dennoch nicht. Indessen muß ich doch bekennen Die Ode darf sich glücklich nennen Ihr dräuet kein Censursgericht Denn die Censur versteht sie nicht.“142 Das Verbot betraf den ersten Band von Heinzes Vermischten Schriften143, welcher 1780 in den Index des Catalogus librorum prohibitorum aufgenommen wurde. Wenzel Sigmund Heinze (1737–1830) zählt zu den herausragenden Figuren der Linzer Aufklä141 Ebenda. 142 Handschriftlicher Eintrag in dem in der Wienbibliothek aufbewahrten Druck von Heinzes Ode. 143 Wenzel Sigmund Heinzens Vermischter Schriften erstes Bändchen. Den Oberösterreichern gewidmet. Linz in der Frennerischen K. K. Akademischen Buchhandlung. 1780.

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rung, der in den 1780er Jahren wie Cremeri auch als sogenannter „Glaubensfeger“ in heftig ausgetragene Kontroversen mit Vertretern eines konservativen kirchlichen Kurses geriet.144 Wie Aloys Blumauer war Heinze Exjesuit; er war nach der Auflösung des Jesuitenordens Professor für Rhetorik und Dichtkunst am Lyzeum zu Linz, verfasste neben diversen poetischen Schriften auch Übersetzungen145 und schrieb eine Abhandlung über die Schauspielkunst, in welcher er sich in aphorismenhafter Form mit allen Varianten einer Normästhetik kritisch auseinandersetzte.146 Heinze war auch Gegenstand der anonymen Schrift Streitsache zwischen dem Passauer Ordinariate, und dem Exjesuiten Heinze, Professor in Linz147, die Heinzes Zensurfall, der auch ein kirchliches ‚Nachspiel‘ hatte, darstellt; es kann wenig Zweifel bestehen, dass er diese Schrift selber verfasst hat. 1786 verließ Wenzel Sigmund Heinze Linz und übernahm die „wohldotierte Pfarre“148 in Altenfelden.

STREITSACHE ZWISCHEN DEM PASSAUER ORDINARIATE, UND DEM EXJESUITEN HEINZE Die Schrift Streitsache zwischen dem Passauer Ordinariate, und dem Exjesuiten Heinze ist 1781 – also bereits zur Zeit der Alleinregierung Josephs II. – als letzte der drei genannten Heinze’schen ‚Zensurschriften‘ erschienen. Wie schon der Titel andeutet, hatte Heinze nicht nur einen Konfliktfall mit der Bücherzensur, sondern dadurch bedingt auch mit seiner vorgesetzten kirchlichen Stelle, dem Passauer Ordinariat. Daher lässt sich der Fall Heinze – unter Berücksichtigung der damit verbundenen Selbstdarstellung und Selbstverteidigung in der Öffentlichkeit – einigermaßen rekonstruieren. Ausgangspunkt der Argumentation dieser Schrift ist die vom Passauer Bischof verhängte Kirchenstrafe – eine Folge der Veröffentlichung des oben genannten ersten Bandes von Heinzes Vermischten Schriften, welcher, wenn auch die Aufschrift „Linz 1780“ enthaltend, bereits 1779 erschienen war: „H. Wenzel Sigmund Heinze, Exjesuitenpriester, und Kaiserl. Königl. Lehrer der Aesthetik am Lyzeum zu Linz, wurde voriges Jahr unverdienterweise mit einer öffentlichen schweren Kirchenstrafe 144 Zu Wenzel Sigmund Heinze siehe Manfred Brandl / Willibald Katzinger: „Wenzel Siegmund Heinze (1737–1830). Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung in Linz“. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz. Linz 1977, S. 149–208. 145 So übersetzte er eine Schrift Fénelons: Abhandlungen über die Freyheiten der Französischen Kirche. Linz 1781. 146 Wenzel Sigismund Heinze: Von der Schauspielkunst. Wien, bey Joseph Edlen von Kurzbek. 1780. 147 Streitsache zwischen dem Passauer Ordinariate, und dem Exjesuiten Heinze, Professor in Linz. In den Jahren 1779. und 1780. 1781. s. l. 148 Brandl / Katzinger: „Wenzel Siegmund Heinze“, S. 190.

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belegt.“149 Nach Angaben des „anonymen“ Autors der Schrift über den Fall „Wenzel Heinze“ sei das Buch ohne Wissen des Dichters von der Frennerischen Buchhandlung herausgegeben worden, und zwar gedruckt im Ausland; nur der Druck des ­Titelblattes, welches die Aufschrift „Linz 1780“ trägt, sei in Linz erfolgt. Hier handelt es sich offensichtlich um eine parodistische Umkehrung des nicht zuletzt auch von der Zensur gegebenen Ratschlags, ein im Inland gedrucktes Werk im Zweifelsfalle mit einem fingierten ausländischen Druckort zu versehen, um den Vertrieb ­eines Werkes zu ermöglichen – eine Praxis, die auch in der josephinischen Zeit betrieben wurde. Der erste Band von Heinzes Vermischten Schriften passierte offensichtlich die Linzer Zensurkommission. Das Buch wurde jedoch in der Folge von der Wiener Zensur verboten. Darüber findet sich in der Schrift zur „Streitsache Heinze“ nichts weiter; es gibt auch keine Erwähnung von ansonsten in dieser Schrift so gerne genannten zeitlichen Details. Wenn wir die Angaben von Heinzes dramatischer Dichtung Der deutsche Satyriker vor der lateinischen Inquisizion, welche eine Zensurverhandlung in eine dramatische Dichtung transponiert, zu Rate ziehen, hat die betreffende Wiener Verhandlung am 7. Oktober 1779 stattgefunden150, was sich zeitlich gut in den Rahmen der folgenden Ereignisse einfügt. Wenn wir die ‚Dramaturgie‘ des Deutschen Satyrikers heranziehen, dürfte es in Wien einen „Ankläger“ gegeben haben, der das Erscheinen in Linz nicht goutiert hatte – die Linzer Kommission (als „ProvinzialKommission“ bezeichnet) wird im Deutschen Satyriker implizit erwähnt: manchmal wäre man in der Provinz weiter als in der Residenz. Gemäß der Schrift über die „Streitsache Heinze – Passauer Diözese“ folgte auf das Verdikt der Wiener Zensur die Ode zum Lobe der Bücherzensur, was in einer Fußnote erwähnt wird: „Gleich nach diesem Verbote ließ H. eine Ode zum Lobe der Büchercensur einzeln abdrucken. Dieses nennt man in der artigen wohlgesitteten Welt: höhere, obschon empfindliche Urtheilssprüche mit geziemender Gelassenheit annehmen, in der Fassung bleiben, und in widrigen Zufällen sogar einen guten Humor zeigen.“151 Bald danach erfolgte eine Anzeige beim Passauer Ordinariat, welches sich für Heinze in seiner Funktion als Exjesuit und Weltpriester zuständig fühlte. Die Anzeige erfolgte dort gemäß dieser Schrift vom Dechanten in Linz, über den es in einer weiteren Fußnote heißt: 149 Streitsache, S. 4. 150 Der deutsche Satyriker vor der lateinischen Inquisizion. Ein dramatischer Roman. Aufgeführt in Wien, den 7. Oktober 1779. Freyenthal, 1780. 151 Streitsache, S. 9, Fußnote c.

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„Der Haß dieses Dechants gegen die Exjesuiten, besonders gegen die Geschicktern, ist zwar groß, und allgemein bekannt. Aber durch erwähnte Anzeige wollte er sich bloß nothwendig machen, um ein Mitglied der Kaiserl. Königl. Oberenserschen Zensur zu werden; vermuthlich wegen weitaussehenden Absichten. – Es schlug fehl.“152 Am 22. November 1779 erging nach dieser Schrift von Passau ein Decretum an Heinze, in welchem es geheißen haben soll, dass er sich im beanstandeten Werk „mehrere anstößige, und zu freye Ausdrücke“ erlaubt habe: „Diese so eigenmächtig, als kün [sic] genommene Freyheit wird dahero dem angeführten Verfaßer als einem in dem Paßauischen Kirchen-Bezirke stehenden Priester andurch geziemend verwiesen, und ihme zugleich die gemessenste Auflage ertheilet, künftighin zur schuldigsten Folge der sowohl allgemeinen Kirchen- als Dioecesansatzungen keine Schrift bekannt zu ­m achen, ohne daß er vorhin die geziemende Ordinariats Genehmigung angesuchet, und erhalten habe.“153 Doch Heinze ließ sich gemäß der Schrift über den Streitfall durch dieses Schreiben nicht beirren und gab unter seinem Namen eine weitere Publikation heraus: „Zur nämlichen Zeit hatte die Frennersche Buchhandlung Heinzens ersten Theil Lyrischer Gedichte mit Genehmhaltung der K. K. Zensur unter der Presse. Sie kamen heraus, und wurden öffentlich an jedermann verkauft.“154 Dies hätte ein zweites Decretum aus Passau zur Folge gehabt, datiert mit 19. März 1780, doch anders als im Fall des ersten hätte sich Heinze nunmehr geweigert, dieses zu öffnen. „Er gab es unerbrochen zurück, mit der höflichsten Bitte: Man möchte ihm selbes durch die hohe Landesstelle, durch die K. K. Studien- und Zensurskommission zustellen lassen.“155 Doch zuvor, zwischen November 1779 und März 1780, war eine andere Schrift anonym erschienen mit dem Titel Der deutsche Satyriker vor der lateinischen Inquisizion: 152 153 154 155

Ebenda, S. 10, Fußnote d. Ebenda, S. 11f. Ebenda, S. 14. Ebenda, S. 14f.

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„In der Zwischenzeit vom ersten zum zweyten Dekrete kam eine gedruckte Schrift, der Deutsche Satyriker vor der Lateinischen Inquisizion, zum Vorscheine. Es ist eine Vertheidigungsschrift des Heinzeischen ersten Bändchens vermischter Schriften. Er sagte oft: Es thäte ihm leid, daß sie existire. Unterdessen verschafte jede Apologie dem Angeklagten und Verurtheilten den Vortheil, daß er, solange jene nicht gründlich widerlegt wird, vor einem unpartheiischen Publikum Recht; der Kläger hingegen, oder der Richter Unrecht habe.“156 Am 21. April 1780 soll Heinze gemäß der Schrift über den Streitfall ein weiteres ­Dekret aus Passau erhalten haben: „Ein Kaplan des Dechants mit erwähntem Dekrete in der Hand, in Begleitung zweener Laien, eines Faßbinders und eines Winkelbierwirthes trat in Heinzens Zimmer ein, und fragte ihn im Namen seines Pfarrers: Ob er das Dekret aus diesen Händen annehmen wolle, oder nicht?“157 Doch Heinze lehnt erneut ab, besteht darauf, nur eine Anweisung der Bücherzensurkommission entgegenzunehmen. Darauf verfügte der Kaplan im Namen des „Fürst Bischofs“ ein Verbot des „Meßlesen[s] in der ganzen Passauischen Diözes“158, eine Kirchenstrafe, deren Kunde sich wie ein Lauffeuer verbreitete: „In einer Stunde wußte es die ganze Stadt, und in einem Tage das halbe Land. Das Volk kennet hier beinahe nur einerlei Verbrechen der Weltpriester, das ich nicht nennen will. Und diese schwere Strafe ist ungewöhnlich.“159 Der ‚Verfasser‘ der Schrift malt nun in bunten Farben aus, welch vernichtender Schlag eine derartige Kirchenstrafe für einen so unbescholtenen, nur dem Studium und der Lehre ergebenen Mann an einem Orte bedeutete, an dem jeder jeden kennt. Umso mehr hebt er die stoische Gelassenheit des so Abgeurteilten hervor: „Man sage mir aber auch, ob nicht, um mit heitrer unbefangenen Miene vor aller Angesicht zu erscheinen, wie H. erschien, nebst dem Bewußtseyn der guten Sache, eine erhabne, starke, und standhafte Seele nöthig war?“160

156 157 158 159 160

Ebenda, S. 15f. Ebenda, S. 17. Ebenda, S. 17f. Ebenda, S. 19. Ebenda, S. 21f.

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Am 21. April 1780 schreibt Heinze gemäß den Angaben der Streitschrift an den ­Bischof von Passau, wobei er sein Unverständnis über die verhängte Kirchenstrafe äußert und um Erklärung bittet, welches Verbrechen es sei, eine Weisung von der dafür zuständigen kaiserlich königlichen Kommission zu erwarten. Zwei Tage später, am 23. April, macht Heinze auch eine schriftliche Vorstellung bei der Monarchin. Auf die eigentlichen Gründe für die Anstößigkeit oder gar auf Fragen der ­Wiener Zensur geht er nicht ein, sondern betont vielmehr, dass die beanstandete Schrift ohne sein Wissen gedruckt worden sei und möglicherweise noch so manches Jugendgedicht beinhaltet haben mochte – eine sehr taktische Argumentation. Im Deutschen Satyriker argumentiert der Schriftsteller sehr wohl, warum keines der inkriminierten Gedichte für anstößig zu halten wäre, aber an allerhöchster Stelle geht Heinze einer solchen Argumentation geschickt aus dem Wege und konzentriert sich auf das formale Procedere, um die Unrechtmäßigkeit der Passauer Seite herauszuarbeiten. Erstens wäre das Verfahren des Verhängens einer Kirchenstrafe formal unkorrekt und unzulässig; Heinze führt dies formaljuristisch aus. Zweitens bezieht er sich auf ein Circular des Dechants von Linz an die Exjesuiten vom 27.  März 1775 (welches auch in dieser Schrift abgedruckt ist): demzufolge wären die Exjesuiten aufgefordert worden, sich zum damaligen Zeitpunkt zu ihrem bestehenden DiözesanStatus zu äußern, um daraus die jeweiligen Rechte und Pflichten abzuleiten. Er, Heinze, aus der Diözese Breslau stammend, hätte sich der Passauer Diözese einverleiben lassen wollen, habe aber auf sein Schreiben in den letzten fünf Jahren nie eine Antwort erhalten, somit wären für ihn die einzig relevante Autorität die Kaiserlich Königliche Apostolische Majestät und deren Gremien. Und er setzt noch nach: „Daß ich aber der Passauischen Zensur meine Schriften nicht unterziehen könne, verbeut mir die K. K. Zensursverfassung.“161 Er schlägt zur Untersuchung seines Falles eine Kommission mit erlauchten Linzer Bürgern vor. Bereits zwei Wochen später, so besagte Streitschrift, habe Heinze als Antwort aus Wien erhalten, dass ein Billet aus dem Kabinette an den Bischof von Passau unterwegs sei, in welchem die verhängte Kirchenstrafe als widerrechtlich ­angesehen werde.162 Am 8. Mai 1780 schließlich sei ein Brief des Fürsterzbischofs eingetroffen, in welchem dieser die Kirchenstrafe aufgehoben, aber dafür eine Art Generalerklärung verlangt haben soll: Ungehorsam und Einhalten der Pflichten ­betreffend. Heinze gibt gemäß der Darstellung in der Schrift über den „Streitfall ­Heinze“ eine taktische Antwort, indem er vom vermeintlichen Ungehorsam spricht,

161 Ebenda, S. 34. 162 Vgl. ebenda, S. 49.

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den er nie vorhatte zu begehen. Im Juli erfolgt ein Wiener Reskript an das Passauer Ordinariat: „Daß selbes sich in die Oesterreichischen Zensursachen nicht einzumengen habe; und daß Professor Heinze seine Schriften unter der Aufsicht der K. K. Zensur zum Drucke befördern solle.“163

DER DEUTSCHE SATYRIKER VOR DER LATEINISCHEN INQUISIZION. WENZEL SIGMUND HEINZES ZENSURVERHANDLUNG ALS DR AMATISCHER STOFF Dies ist eine bemerkenswert vielseitige Strategie sowohl im Hinblick auf den Umgang mit den Institutionen als auch im Hinblick auf die ‚Öffentlichkeitsarbeit‘. Doch kommen wir nun zum Ausgangspunkt des „Falles“ Heinze zurück, auf das Verbot des ersten Bandes der Vermischten Schriften, welche 1779 erschienen sind, und in diesem Zusammenhang auf jene Schrift, die Heinze angeblich so bedauert haben soll: auf den Deutschen Satyriker vor der lateinischen Inquisizion. Es handelt sich um einen dramatischen Text, der eine Zensurverhandlung zum Gegenstand hat – meines Wissens der erste derartige Text in den k. k. Erbländern. Weiters betrifft er poetische Texte in diversen Musenalmanachen, welche gerade in den letzten Jahren der theresianischen Zeit durch die Zensur beanstandet wurden – es ging offensichtlich gerade von der Poesie eine gewisse Bedrohung aus. Um welche Werke aus den verbotenen Musenalmanachen es sich handelte und was der Grund des Anstoßes war, wissen wir nicht – hier haben wir nun eine Möglichkeit, dies in poetischer Fiktionalität zu studieren und die Verteidigung des Zensurierten in Szene gesetzt zu sehen. Der deutsche Satyriker vor der lateinischen Inquisizion ist, wie bereits erwähnt, anonym erschienen. Als Erscheinungsort fungiert nicht Linz wie bei den anderen genannten Schriften, sondern das fiktive, aber im Hinblick auf das Thema der „Inquisizion“ bewusst gewählte „Freyenstadt“, das gleichzeitig den Standpunkt dieses „dramatischen Romans“ ankündigt. Die Gattungsbezeichnung „dramatischer Roman“ ist zugleich ein Spiel mit dem Begriff des Dramas, das nun folgen wird. Der Form nach handelt es sich um eine einaktige Komödie mit einem einheitlichen Schauplatz. Der Begriff „Roman“ soll hier offensichtlich darauf hinweisen, dass es sich bei diesem nie aufgeführten Stück um Realität und Fiktion gleichermaßen handelt: „Aufgeführt in Wien, den 7. Oktober 1779“. Das Stück beansprucht somit einen ‚dokumentarischen‘ Wert, wie es gleichzeitig die formale Fiktionalität nicht in Frage 163 Ebenda, S. 60.

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stellen will. In ähnlicher Weise spielt der Autor mit dem Schauplatz des Stückes: gemäß dem Titel ist es ein Ort, der eine „lateinische Inquisizion“ beherbergt. Im Dramentext ist als Ort nur „ein groß Zimmer auf die Gasse, nebst einem Nebenzimmerchen“ angegeben. Wien erscheint auf dem Frontispiz in Zusammenhang mit dem „Aufführungsdatum“, nicht als Ort der Handlung – es ist klar, was gemeint ist: dies Stück spielt nicht nur in Wien, es wurde dort auch an einem bestimmten Tag „aufgeführt“, wobei die Differenz von Aufführung und Realität tendenziell verschwindet. Dies Spiel setzt sich bei der erstgenannten Person fort: „Präsident ----- Vacat“ – Existenz und Nicht-Existenz in einem. Ohne Präsidenten treten vier Zensoren auf: zwei geistliche im theologischen Fache, Doktor Holkopfius Senior und Doktor Leerhirnius, sowie zwei weltliche, Doktor Hinkus Subsenior für das medizinische und philosophische Fach, Doktor Klinkus für das Juridische. Ihnen zur Seite stehen ein Sekretarius und ein Amtsdiener und schließlich die „Parteien“: der Kläger und der „Delinquent“. Die ‚Zensurhandlung‘ wird in eine Art Gerichtsverhandlung transponiert, der Autor als Delinquent steht somit körperlich für das Werk. Der Kläger wird vom Amtsdiener im ersten Auftritt als „kleiner fremder Abbe mit einem Hanswurstengesichte“ beschrieben, ein Kläger, dem nach eigenen Worten nur daran liegt, dass „patriotisch“164 gedacht wird. Dieser übergibt nochmals den Gegenstand der Anklage (7. Auftritt): „Da ist ein Werkchen (giebt jedem einen Abdruck) worüber Zensor H – n seine Meinung geäussert hat, wie Herr Sekretär, wenn es zu vernehmen beliebig ist, lesen wird.“165 Der Sekretär hierauf: „Ad damnandum, weil der Name einer inländischen Stadt darauf steht; sonst wäre es nur ad remittendum.“166 Es kann wenig Zweifel bestehen, dass es sich bei dem genannten, das Werk begutachtenden Zensor „H … n“ um Franz Karl Hägelin gehandelt hat, zu dessen Aufgabenbereich die Zensur deutscher Literatur gehörte. Auf sein Gutachten wird allerdings im weiteren Verlauf dieses „dramatischen Romans“ nicht mehr eingegangen werden; Hägelin wird aber, wie später dargestellt wird, in einem bislang unbekannten Brief auf Heinzes Vermischte Schriften Bezug nehmen.

164 Der deutsche Satyriker vor der lateinischen Inquisizion, 3. Auftritt, S. 5. 165 Ebenda, S. 9. 166 Ebenda, S. 10.

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Doktor Holkopfius meint, die provinziale Zensur zur Verantwortung ziehen zu müssen, da sie den beanstandeten Druck zugelassen hat. Doktor Hinkus wendet ein: „Wie aber, wenn der dortige Zensor behauptete, wie die Kleinstädter manchmal stolz und von sich selbst eingenommen sind, daß er gescheuter sey, als der unsrige?“, worauf Doktor Holkopfius antwortet: „Gescheuter kann er unmöglich seyn, so ­wenig, als ein Provinznest mehr ist, als die Hauptstadt des Reiches.“167 Bevor der Delinquent auftritt, versucht sich das Kollegium seiner eigenen unerschütterlichen Haltung zu versichern (9. Auftritt): „Holk. Hink. Klink. Leerh.

Meine Herren! unerschüttert, unerbittlich. Ich möchte diesen Morgen ohnedem nichts, als schröpfen und aderlassen. Ich nichts, als henken, köpfen, rädern, und verbrennen. Und ich nichts, als verkätzern, exkommuniziren, und Teufel austreiben.“168

In der Folge erscheint der „Delinquent“, der mit seinem Werk konfrontiert wird (10. Auftritt): „Holk. (zum Delinq.) (zeigt ihm das Titelblatt) Kennt er diesen Namen, und dieses saubre Werk? Delinq. (gelassen) Es ist mein Namen, und mein Werk. Ich hätte es ganz leicht ohne Namen zum Drucke befördern können. Holk. Wie es verdächtige Skribler zu thun pflegen. Delinq. Eben der Beydruck meines Namens ist ein Beweis, daß ich mir getraue für jedes Wort Rechenschaft zu geben. Wenigstens ­enthält die Schrift nichts wider Religion, Staat, und gute Sitten. Vielleicht habe ich die Wahrheit zu laut geredt. Fehlerhafte Menschen sind wir alle. Er war es, leider! zu viel, und wird es büßen. Wir möchten Holk. doch um des Himmels willen wissen, wozu dergleichen Zeug geschmieret wird? Ich schrieb es, um die Leser durch die darinn enthaltenen Delinq. ­Stücke, die größtentheils moralisch und satyrisch sind, zu belehren, und zu belustigen.“169

167 Ebenda. 168 Ebenda, S. 13. 169 Ebenda, S. 13f.

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Und nun folgt eine ‚Exegese‘ derjenigen Stellen, welche offensichtlich die Zensur bewogen haben, das Werk zu verbieten. Die in diesem „dramatischen Roman“ in der Folge zitierten Texte sind alle im ersten Band der Vermischten Schriften Heinzes ­enthalten. Zunächst: Der bescheidene Ehemann – der betreffende Text wird, wie die anderen beanstandeten Texte auch, im „dramatischen Roman“ zur Gänze wieder­ gegeben: „Mein Herzchen, du beschimpfest dich und mich, sprach Buhler Pinzikus gelassen Zu seiner Frau, die ihm an Sitten glich, Und es auf öffentlichen Gassen Mit andern hielt; du mußt dich künftighin Ganz anderst als bisher betragen. – Sie warf den zorngeschwollnen Blick auf ihn, Wie? Nichtiger! du darfst es wagen, Du einen Vorwurf mir, Du, dessen Räuberklauen Nicht eine unter allen hübschen Frauen, Kein hübsches Mädchen je entkommen, dir, Dir selber gieb die schönen Lehren, Dich selber mußt Du erst bekehren, Dann predige auch mir von Pflicht. Sie stampfte, tobt’, erblasst’, und schäumte. – Gelaßner noch, als Anfangs, säumte Der Mann mit der bescheidnen Antwort nicht: Nur sachte, Kind, und höre, Was ich von Dir begehre: Ich wünsche lediglich, Daß du es heimlich thust, wie ich.“170 Der „Delinquent“ wird gefragt, wie er diese „Moral“ rechtfertige: „Dieser Aufsatz ist eine wahrhafte, und in unsern Städtchen nicht ganz unbekannte Geschichte. Wird nicht eine feyerliche Bekanntmachung derselben, doch auf eine bescheidne Art ohne Namen der Schuldigen, beyde Eheleute beschämen, ­lächerlich, folglich behutsam machen, künftig nicht allein nichts dergleichen mehr zu thun, sondern auch nur im Scherze zu reden? Wenn ein Ehepaar so durch die Hechel gezogen wird, so wird sich jeder170 Ebenda, S. 15f.

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mann von solchen ärgerlichen Ausdrücken e­ nthalten, und eben der Ausdruck des Gatten ist es, was ich hier, als Satyriker, verwerfe. Die Satyre, die Ironie, gewisse ­Figuren sind von dieser Natur, daß sie oft eben dazumal etwas aufs schärfeste und eindringendste verbiethen und abstellen, wann sie es anzurathen, oder zu gebieten scheinen. So rufen z. B. die ­Prediger täglich dergleichen den Eheleuten zu: ‚Fahret nur fort in eurer Untreue, suchet heimliche Schlupfwinkel, ­verbergert euch vor den Augen eures Ehegenossen und der ­ganzen Welt&.‚ Ich rede in meiner Schrift meistentheils die S­ prache des ­Satyrikers; niemand, der sich die Mühe geben will, sie vollends zu durchlesen, wird dieses verkennen. Meine G ­ esinnungen und Absichten, so viel mir bewußt ist, sind r­edlich. Deswegen steht mein Name voraus. Mit einem Worte: Mein Mund ist keineswegs das Sprachrohr, wodurch dieser ­Ehemann eine verführerische Lehre vortragen könnte; sondern der Ehrvergessene muß mir, als S­ atyrist, eben seine Zunge, die gesün­d iget hat, leihen, um derselben gottlose Antwort zu bestrafen. Oder soll die Satyre solche Verbrecher nicht wund peitschen? (Sehen einander an, und geben Beyfall.)“171 Als nächste inkriminierte Stelle folgt die Geschichte des Kardinals von Bernis, verlesen vom Sekretär: „Der Kardinal von Bernis wurde von einer schönen und verdienstvollen Dame gefragt: Wa s L i e b e s e y? Seine Definizion war diese: Sie ist ein Kind, und doch mein Meister, Und hat den König, wie den Hirten unter sich. Sie ist gebildt wie Sie, und denkt wie Ich. Allein sie ist vielleicht ein wenig dreister.“172 Die kirchlichen Zensoren sind empört, so Doktor Leerkopfius: „Das ist nicht erlaubt, einem so würdigen Prälaten so was über die Lippen entfahren zu lassen. Nein, das ist unverantwortlich.“ Der Delinquent erwidert: „Man nennt dieses in den Schulen: ein poetisches Spiel, oder tändelnden Witz, ohne böse Folge.“ Und Doktor Hinkius en réponse: „Ich finde so viel nicht daran auszusetzen, als daß sie nicht nach den Regeln der Dialektik abgefaßt ist.“ Darauf weiß Doktor Klinkius zu erwidern: „Was scheert sich Amor um eine logikalische Definizion? So wenig als ihr Aerzte.“ Dem folgt „Getös und Dudelsackmusik auf der Gasse.“ Doktor Leerkopfius wendet sich empört an die weltlichen Zensoren: „Schier würde ich glauben, Sie treiben Gespötte mit der 171 Ebenda, S. 16–18. 172 Ebenda, S. 19.

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Geistlichkeit.“ Darauf Doktor Hinkius: „Gott bewahre mich vor diesem Sakrilegium! Wir wissen doch, daß der Herr Kardinal von unbescholtenem Lebenswandel, und zugleich ein überaus artiger Mann, und Gelehrter sey. Solche Männer sagen manchmal in der guten Laune ein Wörtchen, das nicht aus ihrem Herzen, sondern, wie Delinquent sagte, aus ihrem Witze fließt.“173 Doktor Klinkius versucht nun eine Interpretation anzubieten, eine operative Strategie Heinzes, mit welcher er auch mögliche abweichende Gesichtspunkte zumal der weltlichen Zensoren zum Ausdruck bringt, welche in diesem Falle die Verteidigung übernehmen: „Ich würde es so auslegen: Die Liebe ist ein Kind; ein allgemeines Sprüchelchen. Und doch mein Meister; ein abstechender Gegensatz, der entweder ein kurzweiliges Kompliment, meinetwegen eine gefällige Schmeicheley, oder, was wahrscheinlicher ist, die richtige Lehre enthält, daß die Liebe der ­stärkste und angemessenste Trieb sey, den der Schöpfer in die Natur gelegt hat, vom Hirten angefangen bis zum Könige.“174 Doktor Hinkius fährt fort: „Gesetzt auch, was nicht unmöglich wäre, eine verdienstvolle und schöne Dame flößte einem Keuschheitsritter nebst den Gesinnungen der Hochachtung, auch eine zärtliche Empfindung ein? Gesetzt, er entdeckte sogar, was er fühlt?“175 Zum Schluss folgt das Urteil des Dr. Klinkius: „Die Empfindungen und Leidenschaften sind in sich selbst gut; und ihrer gewahr werden, ist noch keine Todsünde. Amors Meisterschaft bedeutet hier nichts mehr, als ein unschuldiges Gefühl. So würde es der Autor selbst erklären. Und wers bekennt, hätte nichts anders gethan, als der heilige Paulus, wo er ein Geständniß von seiner Versuchung ablegt. […] Dieses [„und denkt wie ich“] und die darauf folgende Zeile heißen zusammen: Spüre ich gleich Neigung gegen Sie, so besitze ich doch die Frechheit nicht, mich in Liebeshändel wider meinen Stand einzulassen. Wäre das nicht eine vortrefliche Moral für, mit Dero Erlaubniß“176

173 174 175 176

Ebenda, S. 20. Ebenda, S. 20f. Ebenda, S. 21. Ebenda, S. 21f.

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Der geistliche Zensor Doktor Leerkopfius fällt ihm ins Wort: „Die Juristen wollen stets Recht haben.“, und geht ohne weiteres Argument zum Fenster – damit ist dieser Fall abgeschlossen. Nun folgt der nächste Punkt: die Bibel, worüber der angeklagte Autor schrieb, sie sei „ein Buch, das bey uns die Layen nicht lesen, und die Priester nicht verstehen dürfen.“177 Der Delinquent rechtfertigt sich folgendermaßen: „Das nehme ich so: Unsre Geistlichkeit, anstatt den Layen das Lesen der Bibel anzurathen, damit sie diese nach und nach verstehen lerneten, widerräth ihnen noch immer derselben Lesung, unter dem Vorwande: weil sie selbe nicht verstehen. Jedermann weiß, daß man bey uns die Göttlichen Bücher bey den allerwenigsten, und fast in keinem Hause antrift. Die Geistlichen, wie auch jedermann weiß, sind nicht gehörigermaßen verhalten, die Grundsprachen zu erlernen. Nach der bescheidensten Berechnung möchte unter vierhundert Einer seyn, der einer solchen Sprache kundig ist. Ist man nicht verpflichtet wenigstens eine Grundsprache zu erlernen, so kann man auch nicht verbunden werden, die heilige Schrift zu lesen, zu studiren, zu begreifen, und zu ergründen, wie sichs für Priester gebühret. Jedermann weiß überdieß, daß man ohne dieses Studium zu hohen Würden in der Seelsorge, und selbst zu Theologischen Lehrämtern könne befördert werden. Ich sage noch nebenhin, daß unsre Prediger die Schriftstellen nicht selten unschicklich anführen, und falsch auslegen. Niemand verweist es ihnen. Ein Zeichen, daß man die Schriftgelehrtheit von ihnen nicht fordert.“178 Der Sekretär der Zensurkommission geht sofort zum nächsten beanstandeten Fall über, der Bezeichnung „Hanswurst“ für Prediger, eine Bezeichnung, die der Autor dieses dramatischen Romans auch für die Beschreibung des „Klägers“ in Anspruch genommen hatte. Die betreffende Stelle wird verlesen: „H a n s w u r s t, ein poßierliches Geschöpf mit einem grünen gespitzten Hute, langen buntgefleckten Beinkleidern, einer gleichartigen Jacke, wovon die itzt regierenden Schackettel ihren Ursprung haben. Der Name Hanswurst wird uns ewig verehrungswürdig seyn, obgleich seine Rolle auf dem Theater abgekommen ist, und sich blos noch im Possenspiele, und hie und da auf dem Predigstuhle erhält.“179

177 Ebenda, S. 23. 178 Ebenda, S. 23f. 179 Ebenda, S. 24.

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Der Delinquent verteidigt sich damit, dass dieser Gedanke dem Gelehrten Oesterreich entlehnt wäre. Der Sekretär ist verwirrt, während Doktor Holkopfius wissen möchte, ob man nun bald zum Mittagsmahle gehe – der Sekretär vertröstet ihn damit, dass man beim letzten Punkte angelangt sei: ein Gedicht auf Gerard van Swieten: „Die Kaiserinn setzt ihm gar eine Statue? Was hat er denn fürs Vaterland gethan, Der fremde übergroße Wundermann? – Ein bißchen mehr, als ein Paar Wälsche Heilige.“180 Die geistlichen Zensoren sind empört, doch einer der weltlichen Zensoren, Doktor Hinkius, lenkt ein: „Van Swieten war ein außerordentlicher Mann. Ganz Europa weiß, was er gethan hat. Er verdient die Statue, die ihm die Monarchinn hat setzen lassen ….“. Doktor Holkopfius ist aber nach wie vor nicht überzeugt: „Allerdings. Ihn aber mit Heiligen vergleichen, ihn sogar Heiligen vorziehen!“ Hier versucht der zweite weltliche Zensor, Doktor Klinkius, weiter zu differenzieren: „Die Frage ist nur: Wer mehr während [d]em Lebenslauf für unser Vaterland gearbeitet hat, van Swieten, oder gewisse Heilige, die ihr ganzes Leben verflogen, oder verbettelt haben, ohne vielleicht zu wissen, daß es ein Vaterland giebt; und denen wir zu Ehren nicht allein Statuen, sondern Altäre und Kirchen errichten.“181 Unter Unmutsäußerungen der geistlichen Zensoren rechtfertigt sich der Delinquent: „Wenn man sich versichern wollte, daß van Swieten im Himmel ist, wie ich es meines Theils fest glaube; so würden gewiß wir alle, und nicht allein Ein Paar, sondern Tausend Paare von Heiligen mit uns eingestehen, daß er bey Lebzeiten mehr, als sie, fürs Vaterland gethan habe. Doch diese Anmerkung soll mich nicht retten. Wie? wenn ich unter dem Paare Wälscher Heiligen, ein noch lebendes Paar Wälscher Scheinheiligen verstanden hätte, die auf hohen Absätzen stehen? – – Was man nicht mit Namen nennen will, legt man dem Publikum als ein Räthsel vor.“182 Es herrscht Verwirrung unter den Zensoren, die alle bald zum Mittagsmahle schreiten wollen. Der „Kläger“ entrüstet sich (Letzter Auftritt):

180 Ebenda, S. 28. 181 Ebenda, S. 26. 182 Ebenda, S. 27.

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„Man muß ihm keinen Glauben beymessen. Er weiß allenthalben eine vor­ theilhafte Seite für sich zu finden. Der bloße Titel, Hanswurst, verdienet schon, daß das Buch ad Catalogum librorum prohibitorum gesetzt werde, wie es Herr Zensor gar weislich eingesehen hat. Ohne zu melden, daß in diesem ärgerlichen Ausdrucke auf mich und auf einen armen Bärtler, als die besten Prediger im Lande, gestochen wird, und daß ich mir bereits die Mühe genommen habe, von Haus zu Haus, von Familie zu Familie zu rennen, den Leuten die anstößigen Stellen, und den Namen des sträflichen Verfassers vorzulesen, und ihnen seine Verdammung als gewiß und unterschrieben zu prophezeien. Auf dem Scheiterhaufen sollte man den Verfasser verbrennen, und jenen mit seinem Buche anzünden.“183 Darüber wundert sich selbst der geistliche Zensor Doktor Holkopfius: „Auf solche Weise hätten Sie das zu verbietende Buch selbst überall bekannt gemacht. Wissen Sie denn nicht, daß hier Orts die verbotenen Werke am begierigsten aufgekaufet werden, weil doch die Leute immer glauben, es müsse was Gutes darinn stehen? Gefehlt, gefehlt, Monsieur l’ Abbé“184. Selbst Doktor Holkopfius kommt nicht herum, einzuräumen, dass sich der Delinquent gut verantwortet hätte, aber: „Was liegt denn endlich mir daran, ob der Kerl im Catalogo steht, oder nicht.“185 Die geistlichen Herren tauschen sich noch über ihre „Bestallung“ vonseiten ihres Stiftes aus, welches offensichtlich nicht unmaßgeblich für ihre Entscheidung ist. Der Kläger setzt noch nach: „Hören Sie doch, was er noch begangen hat. Als ich ihm jüngst sagte: Er dürfte in den Catalogus kommen; erwiederte er kaltblütig: So wird mein Urtheil denn gefällt Im besten Buche von der Welt. Nun bin ich erst ein Held. Nun geh’ ich gern ins Feld.“186 Mit den Worten: „Ad damnandum! ad damnandum!“ gehen alle zum Essen ab. Es ist eine bemerkenswerte und vielfältige Strategie, welche hier von Heinze in Szene gesetzt wird, um ein Urteil der Zensurkommission samt den sich daraus ergebenden kirchlichen Folgen abzuwehren. Bereits die Stellungnahme zum Verbot des Singspiels Annette et Lubin kündigt einen von hoher administrativer Ebene ge­tragenen 183 184 185 186

Ebenda, S. 28f. Ebenda, S. 29. Ebenda, S. 30. Ebenda, S. 31.

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Widerstand gegen kaum mehr durchschaubare Zensurmaßnahmen an. Doch Heinze, von Cremeri missverständlich als Hymniker der Zensur gepriesen, lässt die Zensur in einem wohlkalkulierten Spiel gewissermaßen in Perturbation geraten. Jesuitisch machtstrategisch ausgebildet, versteht er es partiell, durch gezielte Selektion der Informationen die unterschiedlichsten hierarchischen Stellen im Sinne seiner Strategie zu unterwandern – samt der Zensur, die Gefahr „erkünstelt“, um einen wohlüberlegten Terminus aus Heinzes Ode zum Lobe der Bücherzensur zu verwenden.

„ODIOSA AUS MEINEM GEBLÜT UND HERTZEN WEGWASCHEN“. EIN BRIEF HÄGELINS AUS DEM JAHRE 1780 Wie der Fall Heinze, in dem es vor allem um den Vorwurf des Verstoßes gegen die Religion gegangen ist, an die Wiener Zensurkommission gelangt ist, bleibt unklar. Bezugnehmend auf die Figur des „Klägers“, der in Heinzes dramatischem Roman als ehemaliger Freund des „Delinquenten“ beschrieben wird, kann eher davon ausgegangen werden, dass das Buch nicht im Zuge der „ordinairen“ Bücherrevision zur Begutachtung an die Zensur gelangt ist, sondern aufgrund einer beanstandeten Zulassung in Linz an die Wiener Kommission weitergespielt wurde, unter Angabe der als anstößig empfundenen Teile. Als „Begutachter“ wird, wie bereits erwähnt, in Heinzes dramatischer Version „H … n“ genannt. Man darf wohl davon ausgehen, dass damit Franz Karl Hägelin gemeint ist, den Heinze im Unterschied zu den sonstigen Zensoren nicht mit einem Kunstnamen versieht, den er aber auch nicht auf­ treten lässt. Gemäß der Angabe auf dem Frontispiz hat die Sitzung der Zensurkommission, in welcher das Verbot beantragt wurde, am 7. Oktober 1779 stattgefunden. Soweit ich dies überblicken kann, sind die betreffenden Akte in den Wiener Archiven nicht mehr erhalten. Was jedoch erhalten blieb, eingestreut in andere Zensur­a kte des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, ist ein Brief Hägelins vom Juni 1780, in welchem er auch Bezug auf die Heinze’schen Vermischten Schriften nimmt – ein in jeder Hinsicht bemerkenswerter Brief. Der Adressat des Schreibens ist nicht zu eruieren, angesprochen wird er mit „Wohlgebohrner Hochzuehrender Herr!“ Diesen Herrn zieht Hägelin in Zensur­ sachen ins Vertrauen – und wie aus dem ersten Satze hervorgeht, nicht zum ersten Mal. Es ist offensichtlich, dass Hägelin in Zensurangelegenheiten belastende Probleme bereitet werden: „Schon einmal war ich so frey Euer Wohlgebohren mit meinem Censurs­ referat zu plagen; Ich wage es noch einmal, weil mir Dero Güte und Freundschaft gegen meine wenigkeit bekannt ist, und die noth es erfordert, jeman366

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den damit zu belästigen; indem ich ex juhre medici die badkur gebrauchen muß, um verschiedene odiosa aus meinem Geblüt und Hertzen wegzu­ waschen.“187 Bedauerlicherweise erfahren wir nichts Näheres über den Fall, der Hägelin bedrückt, und darüber, was genau sich Hägelin von seinem Briefpartner erwartet: einen guten, kompetenten Rat oder eine Intervention. Diese Angelegenheit wird in einem dem Brief beigelegten Akt beschrieben, welcher jedoch im genannten Bestand des Haus-, Hof- und Staatsarchivs nicht verfügbar ist. Doch beinhaltet dieser Brief die wichtige Information, dass in die genannte Affäre an der Seite Hägelins noch eine andere Person involviert ist, die im Juni 1780 keine offizielle Rolle im Bereich der Bücherzensur spielte, im kommenden Jahrzehnt jedoch im Kontext der josephinischen Zensur­ reform von maßgeblicher Bedeutung sein wird: Franz von Paula Rosalino (1736– 1793), gemeinsam mit Aloys Blumauer 1782 von Joseph  II. zum Bücherzensor ernannt. Rosalino wird als für das theologische Fach zuständiger Zensor so manches Gefecht mit dem Wiener Kardinal Erzbischof Migazzi führen. Er war in den 1770er Jahren vielfältig als Publizist engagiert, sodass wir nicht davon ausgehen können, dass es sich bei besagtem Zensurproblem um ein im weitesten Sinne „theologisch“ relevantes Thema gehandelt haben muss. Hägelin kündigt im besagten Brief an, dass Rosalino, sein „alter Bekannter“188, den Adressaten des Briefes in genannter Angelegenheit aufsuchen werde. Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass Hägelin jenseits der offiziellen Kompetenzen mit Rosalino in Zensurangelegenheiten kooperiert hat. Dieser wäre demnach Hägelins ‚Schattenzensor‘ gewesen, um dem Phänomen einen Namen zu geben, ein Tatbestand, der spätestens aufgrund eines ‚Fehlers‘ des Bücherzensors Joseph Friedrich Freiherr von Retzer (1754–1824) im Jahre 1811 ans Tageslicht kam: dass die offiziellen Zensoren seit Gerard van Swieten Personen zur Seite hatten, die in ihrem Auftrag zensurielle Begutachtungen vornahmen, welche die offiziellen Zensoren in ihrem eigenen Namen weiterleiteten. Freiherr von Retzer, der in genanntem Jahr eines solchen Tatbestands aufgrund seiner Unachtsamkeit überführt wurde, versuchte sich damit zu rechtfertigen, dass die ihm vorgeworfene Praxis schon seit Jahrzehnten geübt worden wäre. Er nennt auch Namen – allerdings nur von zum damaligen Zeitpunkt bereits verstorbenen Personen, so auch Hägelin, der sich gemäß seiner Angabe von Rosalino hatte substituieren lassen. Rosalinos weiterer Aussage zufolge wäre Gerard van Swieten dessen älterer wie jüngerer Sohn, dessen Frau und Tochter sowie Ranieri de’ Calzabigi (1714–1795) – Textdichter von Glucks Wiener Reform­ 187 Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Staatskanzlei, Notenwechsel Polizeihofstelle 58-10, Bücherzensur-Hofkommission, 1753–1792. 188 „Ich habe auch Herrn abbate Rosalino meines alten bekannten, der Ihnen aufwarten wird, informiert, um etwa auch nöthige mündliche Auskunft zu ertheilen.“ Ebenda.

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opern – in Zensurangelegenheiten zur Seite gestanden. Er selbst hätte den Zensoren Johann Melchior von Birckenstock und Aloys Emmerich von Locella (1733–1800) assistiert.189 Mit Hägelins Brief haben wir einen zeitlich datierbaren Hinweis für eine solche Praxis und darüber hinaus den bemerkenswerten Hinweis, dass Rosalino, eine der zentralen Figuren der josephinischen Zensurpolitik, welcher Gottfried van Swieten bei der großen Revision des theresianischen Catalogus librorum prohibitorum zur Seite stehen wird, über Hägelins Vermittlung ins Zensurfach gekommen war. In weiterer Folge nennt Hägelin im Brief vom Juni 1780 noch zwei andere Zensurangelegenheiten, denen jeweils Hofdekrete zugrunde gelegen sind. So geht er am Schluss des Briefes auf ein Dekret ein, welches offensichtlich zum Gegenstand hatte, eine eigene Zensur in Görz zu installieren, eine Maßnahme, welche Hägelin allerdings für überflüssig hält, da: „zu Görtz nur die wälsche Sprache in Sensu litterario verstanden und geredet wird; wälschland ist katholisch, gränzt an, und hat censuren, zu Görtz einen kleineren unbemittelten ort kann nicht viel litteratur seyn. Von Deutschland können keine schlechten Bücher dahin langen, ohne die Erblande zu paßieren, ergo verlohnt sich der Mühe nicht, kostbare Anstalt zu machen, wo weder eine Noth noch Nutzen vorausgesehen wird.“190 Das andere Dekret betraf „Linzer Protokolle“, offensichtlich Protokolle der Linzer Zensurkommission: es scheint dabei um unterschiedlich gehandhabte Zensurpraktiken gegangen zu sein. In diesem Zusammenhang nimmt Hägelin auch Bezug auf Heinzes verbotenes Werk: „Was die Heinzische gedichte betrifft, so wird es beym verboth derselben verbleiben, und dem Buchführer mitzugeben seyn, künftig auf keine Bücher den Verlagsort Linz zu setzen, oder der Censur halber sicher zu seyn.“191 Aus welcher Perspektive schreibt Hägelin hier, der, wie es den Anschein hat, mit welchen Motivationen auch immer im Vorjahr ein Verbot vorgeschlagen hat oder sich mehr oder weniger genötigt fühlte, ein solches zu beantragen? Der erste Teil des Satzes lässt zunächst keine klare persönliche Involvierung erkennen: „Was die Heinzische gedichte betrifft, so wird es beym verboth derselben verbleiben“. Doch macht diese Nachricht nur einen Sinn, wenn man davon ausgeht, dass es einen Versuch gegeben hat, eine Aufhebung des im Vorjahr ausgesprochenen Verbotes zu bewirken: 189 Vgl. Schembor: Meinungsbeeinflussung durch Zensur und Druckförderung, S. 172–174. 190 Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Staatskanzlei, Notenwechsel Polizeihofstelle 58, Bücherzensur-Hofkommission, 1753–1792. 191 Ebenda.

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sei es, dass die Kommission respektive einzelne Personen den Fall neu aufgerollt haben, um eine Aufhebung des Verbots zu bewirken, was aber letztlich abgelehnt worden wäre, sei es, dass man ablehnte, dies neu zu verhandeln. Unklar bleibt, welche Rolle Hägelin in dem Procedere gespielt hat. Der zweite Teil des Satzes lässt jedenfalls erkennen, dass Hägelin gegen die Heinze’sche Schrift und deren potentielle Verbreitung am Buchmarkt nichts einzuwenden hatte, denn er rät geradezu zur Beachtung von „Formalia“, die eine Genehmigung sicherstellen oder zumindest erleichtern: dem Buchhändler sei mitzuteilen, bei in Linz gedruckten Büchern einen fingierten Druckort anzugeben, zumindest dann, wenn er sich nicht sicher sein könne, dass das Buch die Zensur passiert – in dem Sinne, dass man bei aus dem Ausland kommenden Büchern großzügiger in der Bewertung sein könne, da die Zensur die Verantwortung für den Text nicht übernehmen müsse. Demgemäß scheint Hägelin der Meinung gewesen zu sein, dass Heinzes Schrift etwa mit dem gern verwendeten Aufdruck „Leipzig und Frankfurt“ sich des Verbotes hätte entledigen können. Mit dieser Argumentation spielt auch Heinze in seinem Bericht über den „Passauer Streit“, wenn er fast schon hämisch und in parodistischer Umkehrung anmerkt, seine Vermischten Schriften seien im Ausland gedruckt worden, nur der Druck des Titelblatts mit der Aufschrift „Linz“ sei in Linz erfolgt. Einer Verbreitung an und für sich stellt Hägelin somit nichts in den Weg, er sieht offensichtlich auch keine gravierenden Gefahren, falls dieses Werk kursieren würde. Und er fühlt sich, wie erwähnt, bemüßigt, den Linzer Buchhändler zu instruieren, wie man durch Fingierung des Druckortes ansonsten Verbotenes im Lande kursieren lassen könne. Aber in welcher Rolle spricht hier der „Zensor“? Als ‚subversiver‘ Freund der Literatur, der, ‚unter der Hand‘ gesprochen, Informationen erteilt, wie man die Zensur umgehen könne? Oder in der Funktion des Zensors, gleichsam offiziell? Es gehört zu den Paradoxien der damaligen Zensur, dass dies oft nur schwer zu unterscheiden ist, denn die Zensur wollte in gewisser Weise auch ‚hintergangen‘ werden, um Legitimationsproblemen auszuweichen – eine Strategie, welche sich auch im kommenden Jahrzehnt fortsetzen wird, wo man gewissermaßen schon systematisch geschult sein wird, mit der Zensur als paradoxem Phänomen umzugehen. Es wird gerade auch der Herrscher selbst sein, der die Zensurkommission überraschen wird, indem er die nun auf liberalerer Basis gefällten und gegenüber der vorangegangenen Ära quantitativ bedeutend reduzierten Anträge zum Verbot eines Werkes gelegentlich selbst verwerfen wird. Das beanstandete Werk Heinzes jedenfalls wird im kommenden Jahrzehnt aus dem Catalogus librorum prohibitorum gestrichen werden und kann auch unter der Linzer Adresse angeboten werden. Wie wir Heinze durch seine Schriften kennenlernen konnten, hätte er sich mit Sicherheit geweigert, dem Werk einen anderen Druckort als Linz aufzusetzen – er, der sein Werk nicht ganz ohne Provokation den „Oberösterreichern“ gewidmet hatte, hätte es ohne Zweifel auf einen Konflikt ankommen lassen. 369

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KURZER EPILOG. HÄGELIN BEFÜRWORTER DER AUFHEBUNG DES VERBOTS DER ALLGEMEINEN DEUTSCHEN BIBLIOTHEK ZU BEGINN DER ALLEINREGIERUNG JOSEPHS II. Doch kommen wir zum Abschluss dieses Kapitels wie auch als Überleitung zum letzten Teil der Arbeit auf den Anlassfall zurück, in den Heinzes Ode zum Lobe der Bücherzensur in schwer überbietbarer Paradoxie eingebunden war: auf das Verbot der Allgemeinen deutschen Bibliothek. Zu Beginn der Regierungszeit Josephs II. genoss dieses Thema eine Vorrangstellung, und Joseph II. wollte – noch vor einer detaillierten Klärung der Revision des Catalogus – eine schnelle Lösung in dieser Angelegenheit. Im Juni 1781 war dies Thema der Zensurkommission, und die einzelnen Kommissionsmitglieder waren zu einer Stellungnahme aufgefordert. Die Mehrheit der Mitglieder sprach sich für eine Aufhebung des Verbots aus, so auch Hägelin. Zum Abschluss sei ein Auszug aus dem bislang unbekannten Statement Hägelins in dieser Angelegenheit zitiert, in dem die Ansicht geäußert wurde, dass das „verhängte Verboth unbedenklich aufgehoben werden könne“, ein Verbot, das Hägelin – wie dem ersten Satz entnommen werden kann – dereinst offensichtlich mitgetragen hatte: „Nach der ehemaligen Veranlaßung mußte die Sache dahin kommen, wohin sie in Ansehung der Berliner Bibliothek geschehen ist. Nachdem aber dermal andere Grundregeln vorhanden sind, und dem Verstande in Absicht auch des gemeinen Wohl, und der damit verknüpften Aufklärung, mehr Freyheit eingeräumet ist, so gewinnt die Frage, ob die Berliner Bibliothek zuzulassen sey, einen ganz anderen Gesichtspunkt. Da es gewiß ist, daß sie als ein kritisches periodisches grosses theures Werk weit mehr nutzen als schaden kann, indem die meisten leser sich nicht partiel um das theologische bekümmern, und es zum theil auch nicht verstehen, die Theologen selbst aber, welche sich auf die lecture legen, folglich sich zu unterrichten gut wollen, haben gar vieles zur eigenen Aufklärung lernen können“.192

192 Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Staatskanzlei, Notenwechsel Polizeihofstelle 58-11, Zensur: Vota über einzelne Schriften, 1776–1781.

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JOSEPHINISCHE ZENSURREFORM „Bekanntlich war eines der ersten Geschäfte, womit dieser Souverain seine von den vorigen sehr verschiedene Regierungsgrundsätze zu erkennen gab, die von Höchstdemselben selbst entworfene und gleich in den ersten Tagen der Thronbesteigung öffentlich bekannt gemachte neue Instruktion für die Censur.“1 Mit diesen Worten eröffnet Johann Melchior von Birckenstock seine Ausführungen zur josephinischen Zensurpolitik, niedergeschrieben 1797, sieben Jahre nach dem Tode Josephs II. in dem bereits erwähnten Gutachten, in welcher der Autor die unterschiedlichen Regierungsstile Maria Theresias, Josephs  II. und Leopolds  II. im Hinblick auf das Zensurwesen analysiert, um aus der Summe der daraus gewonnenen Erfahrungen Richtlinien für eine künftige Zensurpolitik abzuleiten. Dieser einleitende Satz veranschaulicht nicht nur die Bedeutung, die Joseph  II. der Zensur­ politik beimaß, sondern auch den hohen symbolischen Wert, mit welchem der Kaiser die Neuorientierung der Zensur versah. Tatsächlich hat Joseph II. unmittelbar nach dem Tod seiner Mutter (29. November 1780) Weisung an seine Behörden gegeben, diesbezügliche Überlegungen auszuarbeiten – zunächst im Hinblick auf die Frage der „Einförmigkeit“, der Zentralisierung der Zensur. Bereits gegen Ende des Jahres lagen die Gutachten der Mitglieder der Zensurkommission vor, unter anderem auch ein bislang unbekanntes Gutachten Franz Karl Hägelins.2 Selbst gegen Ende des josephinischen Jahrzehnts, als sich die Zensur wieder einer schärferen Gangart bediente und in Einzelfällen scharfe Strafen verhängte, wollte Joseph II. in keiner Weise den Eindruck erwecken, vom substantiellen Gehalt der zu Beginn seiner Alleinherrschaft in die Wege geleiteten Zensurreform abzuweichen. Und wie Birckenstock in der erwähnten, bislang kaum rezipierten Schrift eindrucksvoll beschreibt, galten trotz grundsätzlich veränderter politischer Bedingungen und deutlich verschärfter Zensurpraktiken auch in den ersten Jahren der Regierungszeit Franz’ II. in formalem Sinne noch immer josephinische Regelungen, was seiner Meinung nach zu einer massiven Verunsicherung der Zensoren beitrage, die nicht mehr in der Lage seien, ein richtiges Maß zu finden.

1

2

Johann Melchior Birckenstock: Über die Frage: Ob die Censurs Leitung in Zukunft mit der StudienOber-Direktion vereinigt, oder davon unter eigenen Praesidio getrennt werden soll?, Dezember 1797, S. 14 (Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Kabinettsarchiv, StudienrevisionsHofkommission 7-4). Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1332, Zensur Niederösterreich, 1780–1789.

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„GRUNDREGELN ZUR BESTIMMUNG EINER ORDENTLICHEN ZUKÜNFTIGEN BÜCHER CENSUR“ In der Schrift aus dem Jahr 1797 nimmt Birckenstock folgende Charakterisierung der josephinischen Zensurpolitik vor: „Allgemeine fast unbeschränkte Preßfreyheit, selbst und nahmentlich mit Gleichgültigkeit gegen öffentlichen Tadel der eigenen allerhöchsten Person und religiöser Gegenstände, Einflößung allgemeiner Leselust, allgemeine und schnelle Aufklärung bis in die niedrigsten Volksklassen und Erschaffung eines ganz neuen National-Geistes, war der Grund, die Absicht und der Haupt-Inhalt derselben.“3 Von der Warte der 1790er Jahre aus musste das, was Joseph II. in die Wege geleitet hatte, beinahe als „unbeschränkte Preßfreiheit“ erscheinen, und in mehreren Schüben wird man später daran gehen, den unter Joseph II. radikal revidierten Catalogus librorum prohibitorum4 erneut zu revidieren, und zwar unter entgegengesetzten Vorzeichen: anders als zur Zeit der Alleinregierung Josephs  II. wird es nicht darum ­gehen, den Catalogus zu durchforsten, um nach neuen Leitlinien bislang verbotene Bücher dem Leser zugänglich zu machen, es wird vielmehr darum gehen, zuvor erlaubte Bücher unter Berücksichtigung der „jetzigen Zeitumstände“ wieder auf den Index zu setzen. Eine solche Revision wird somit im Wesentlichen die Arbeit der josephinischen Zensur betreffen, und es werden auch Werke ehemaliger josephinischer Zensoren verboten werden, wie die Travestie der Aeneis von Aloys Blumauer, der 1782 zum Bücherzensor ernannt wurde.5 In diesem Werk hatte Blumauer auch die Figur des alten, überholten Zensors gezeichnet, dem der Held der Travestie in der Unterwelt begegnet, den jesuitischen Zensor, der nunmehr als Lohn für alle kulturellen Verstümmelungen, die er zeitlebens ausgeübt, unter höchsten Qualen in der Unterwelt körperlich verstümmelt wird: „Ich bin ein Jesuit, sprach er Der Klassiker edirte, Doch jeden dieser Herr’n vorher Mit frommer Hand kastrirte;

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Birckenstock: Über die Frage: Ob die Censurs Leitung in Zukunft mit der Studien-Ober-­D irektion vereinigt, oder davon unter eigenen Praesidio getrennt werden soll?, S. 14f. 4 Vgl. Sashegyi: Zensur und Geistesfreiheit, S. 111–116. 5 Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Bücherzensur, 1791–1802, Ib 59480, Hofdekret vom 22. Juli 1794, f. 281.

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Und wie ich den Ovidius Der Welt gab, so verstümmelt muß Ich hier mich produzieren.“6 Die im Josephinismus gewährte „Preßfreiheit“ war keine unbeschränkte, sie war, wie es auch im Jargon der Zeit hieß, eine „erweiterte Preßfreiheit“, deren Prinzipien in den berühmten Grundregeln zur Bestimmung einer ordentlichen zukünftigen Bücher Censur7 festgelegt waren, welche der Kaiser selbst verfasst hatte. Es ging dabei auch um ein neues Dispositiv der Macht, anschließend an manche kritische Erwägungen, wie sie im vorigen Kapitel dargestellt wurden, denen vor allem an einer funktionalen Analyse der Zensur lag wie an dem Nachweis, dass die Zensur, wie sie bisher ausgeübt wurde, der Weiterentwicklung des kulturellen Lebens wie des Handels im Wege stehe und somit Ressourcen zerstöre, deren sich der aufgeklärte Staat in einem produktiven Sinne zu bedienen hätte. Und so schreibt Joseph  II. als Grundüberlegung seiner zensuriellen Verfügungen: „Entsteht die Vorfrage: ob man mehr irre gehe, wenn sich Bücher einschleichen, die zu verbieten wären, als wenn man mit der äussersten Strenge viele gute hintanhält und unangenehme Zwangsmittel anwendet, ja einen wesentlichen Handlungszweig sich selbst sperret?“8 Ersteres hält Joseph II. für weniger schädlich, und so verfügt er, dass man „gegen alles, was ungereumte Zotten enthält, aus welchen keine Gelehrsamkeit, keine Aufklärung jemals entstehen kann“,9 streng vorgehen solle, „gegen alle übrige aber, wo Gelehrsamkeit, Kenntnisse und ordentliche Sätze sich vorfinden“,10 nachsichtig sein solle. Letztere würden überdies nur von „schon bereiteten Gemüthern und in ihren Sätzen standhaften Seelen“11 studiert werden, während die erstgenannte Literatursorte „vom großen Haufen und von schwachen Seelen“12 gelesen würde. Dieses Bild 6 Aloys Blumauer: Virgils Aeneis travestirt von Blumauer, Zweyter Band. Wien, bei Rudolph Gräffer. 1785, S. 135f. 7 Handschriftliche Versionen der Grundregeln unter anderem im Österreichischen Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1331, Zensur Niederösterreich, 1550–1779; wie im Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Staatskanzlei, Notenwechsel Polizeihofstelle 58-10, Zensur: Bücherzensur-Hofkommission, 1753–1792. Der Text ist, wenn auch unvollständig, abgedruckt in Klueting: Der Josephinismus, S. 215–218. 8 Joseph II.: Grundregeln, Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Staatskanzlei, Notenwechsel Polizeihofstelle 58-10, Zensur: Bücherzensur-Hofkommission, 1753–1792. 9 Ebenda. 10 Ebenda. 11 Ebenda. 12 Ebenda.

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eines potentiell zweigeteilten Marktes, der auch in den Schriften zur Zensurreform thematisiert wird, wird auch ein Agens für eine widersprüchliche Zensurpraxis sein. Ein wesentlicher, auch von Birckenstock hervorgehobener Punkt der Zensur­ reform war die Zulassung von öffentlicher Kritik an Funktionsträgern der Gesellschaft, auch am Landesherrn selbst, sofern bestimmte Bedingungen eingehalten wurden – was in der Folge, nicht überraschend, zu etlichen zensuriellen Gratwanderungen führen sollte. Der Autor der 1774 veröffentlichten Schrift Ueber den Buch­ handel in den kaiserl. königl. Erblanden, der Pseudo-Birckenstock, vergaß nicht, diesbezüglich anzufügen, welche Vorteile für den Herrscher eine solche Strategie mit sich bringen würde, der erst unter solchen „freien“ Bedingungen, welche eine den Sachlagen adäquate Information produzieren würden, die richtigen Schritte rechtzeitig setzen könnte. Eine solche Sichtweise war allerdings in den 1790er Jahren nur mehr sehr bedingt gegeben; daher erwähnt Birckenstock, der sich des Duktus einer „wohlgeordneten Zensur“ bedient und einen Mittelweg zwischen zu streng und zu nachsichtig anbietet, als skandalöses Vorkommnis des josephinischen Jahrzehnts nicht zufällig den „Fall Szekely“, neben dem „Fall Zahlheim“ einer der meist beachteten Kriminalfälle der josephinischen Zeit. Er war Thema von Zeitungen und Broschüren, verbunden mit einer radikalen Kritik der Person Josephs II., bis hin zur Anklage, dass der Kaiser ein Tyrann wäre – diese Schriften fanden, von Ausnahmen abgesehen, auch das Placet der Zensur.13 Gleichwohl hielt auch Joseph II. am Grundprinzip der Zensur fest: alle Bücher und Theaterstücke, Zeitungen oder sonstige im Umlauf befindliche Publikationen wären danach zu untersuchen, ob sie gegen Staat, Sitte und Religion Anstößiges beinhalteten, wenn sich mittlerweile auch die Beurteilungskriterien, was gegen Staat, Sitte und Religion gerichtet sei, modifiziert und differenziert hatten. Was die Religion betraf, hielt Joseph II. in den Grundregeln fest, dass „Werke, die sistematisch die katholische, ja öfters gar die christliche Religion angreifen“14, in keiner Weise geduldet werden könnten, ebenso wie jene Bücher, „welche diese unsere Religion öffentlich zum Spott und lächerlich machten“15. Dies schloss jedoch nicht aus, dass die religiösen Institutionen, deren Amtsträger und Gebräuche für etliche Kommentatoren die eigentlichen Verunstalter der wahren Religion waren, in zunehmendem Maße, und auch unter dem Schutz der Zensur, zum Gegenstand öffentlicher Kritik wurden – bis hin zu publizierten „Predigtkritiken“, auch ein Instrument der staatlichen Kontrolle kirchlicher Praxis. Eines der zentralen neuen Zensurprinzipien war, dass Bücher und Buchserien respektive periodische Schriften nicht mehr wegen einzelner anstößiger Stellen ver13 Toshiro Uemura: Die Öffentlichkeit anhand der Wiener Broschüren zur Zeit Josephs II. Dissertation, Universität Wien 2011, S. 151–185. 14 Joseph II.: Grundregeln. 15 Ebenda.

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boten werden sollten, wenn das Werk an sich nützliche und der Aufklärung dienliche Informationen enthielte – auch das führte in der Praxis zu Gratwanderungen sowohl im Hinblick auf die inhaltliche Zulässigkeit wie auch im Hinblick auf die Einschätzung der Dosierung. Die Beförderung eines frei flottierenden Wissens war einer der Hauptimpulse der Zensurreform, und der dynamische Impetus, mit dem Joseph II. gerade die Zensurpolitik zu einer ‚symbolischen‘ Politik machte, war auch von dem merkbaren Stau gegen Ende der theresianischen Zeit geprägt, wodurch – wie im Falle der Allgemeinen deutschen Bibliothek – das Publikum von der internationalen Entwicklung abgeschnitten wurde, in kultureller wie in wissenschaftlicher, letztlich auch ökonomischer Hinsicht. Die Wissenschaft selbst sollte sich möglichst frei entwickeln: das juridische, medizinische und militärische Fach wären von jeder Zensur auszunehmen, Schriften jedoch, welche Fragen des geistlichen Rechtes sowie des allgemeinen und deutschen Staatsrechtes behandelten, wären einer Zensur zu unterwerfen. Die neu erscheinenden wissenschaftlichen Publikationen wurden auch zum größten Teil auf der Universität selbst zensuriert: In seinem Schreiben anlässlich der Aufhebung der alten Zensurkommission im Jahre 1782 und der Überantwortung der Zensur an die Studienhofkommission, welche für das Schul- wie Universitätswesen zuständig war, sah Joseph II. die Prüfung der wissenschaftlichen Neuerscheinungen nicht so sehr unter dem Gesichtspunkt der Zensur als unter dem Gesichtspunkt der Information der Gelehrten über die neuesten Entwicklungen in der Wissenschaft.16 Problematisch und zensurrelevant blieben alle Disziplinen, die sich mit der Gesellschaft und dem Staat befassten, wie Philosophie und Geschichte, vor allem Staatstheorie und Staatsrecht – und nicht zufälligerweise kam aufgrund permanenter Einwände ein Werk über das ungarische Staatsrecht, ein politisch besonders heikles Gebiet, vor dem Tode ­Josephs II. trotz vielerlei Bemühungen nicht mehr zustande.17 Bezogen auf die Neuorientierung der Zensurrichtlinien sollte vor allem auch der alte Catalogus librorum prohibitorum durchforstet werden, um all jene Bücher daraus zu entfernen, deren bisheriges Verbot den neuen Richtlinien nicht mehr entsprach. Ein weiterer Aspekt, in dem sich die kulturelle Veränderung manifestierte, war die ‚Entkriminalisierung‘ des Lesers. Die Maßnahmen der josephinischen Zensur richteten sich primär auf den Vertrieb und auf jene Institutionen, die ihm gewidmet waren – ein Gegenbild zu den oft kolportierten „Leibesvisitationen“ der theresianischen Zeit. Tatsächlich entstanden ein neuer Markt und ein neues Lesepublikum wie auch neue Ausdrucksformen, die jenseits der Tradition gelehrter Werke standen, was damals teilweise auch mit Enttäuschung wahrgenommen wurde, und zwar in Gestalt 16 Vgl. Handbillet Josephs II. an den Hofkanzler Heinrich Kajetan Graf von Blümegen vom 8. April 1782 (Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1331, Zensur Niederösterreich, 1550–1779). 17 Vgl. Sashegyi: Zensur und Geistesfreiheit, S. 170f.

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der Broschüren. Die „Broschürenflut“ war selbst früh ein Thema,18 und die Klage über die angebliche qualitative Minderwertigkeit der Broschüren hat sich bis in die jüngere wissenschaftliche Diskussion gehalten, wobei mittlerweile vermehrt Versuche existieren, die kulturelle und politische Vielfältigkeit dieser neu entstehenden Kommunikationsform zu untersuchen.19 Der Broschürenmarkt war natürlich auch ein Geschäftszweig, und vielen der neuen Autoren, die jenseits der bisherigen kulturellen Hierarchien zu schreiben begannen, wurden vor allem pekuniäre Motive unterstellt, wobei sich allerdings der Typus eines von seiner Tätigkeit lebenden Schriftstellers erst langsam auszubilden begann und der Großteil der Personen, die für den Buchmarkt produzierten, nicht hauptsächlich von diesem Geschäft lebten. Jedenfalls entstanden ein neues Image für schreibende Menschen, neue Attraktionsfelder, neue Reibungen gegenüber traditionellen Wissensträgern oder gegenüber der Elite der Kultur der „Philosophes“, wie Darnton es nennt, der in Bezug auf die französische Situation gewisse literarische Radikalismen auch im Kontext der Positionskämpfe im literarischen Feld erklärt.20 In Wien allerdings hatte sich ein solches Feld noch nicht klar herausgebildet.21 Die Wiener Epoche der Broschürenliteratur hinterließ jedenfalls bei Birckenstock einen bitteren Nachgeschmack: „Die Zahl der Buchdrucker und Buchhändler, der Schreiber und Skribler, der Trödler, Hausierer und der sogenannten Ständl wuchs von Tag zu Tag an, die Gewinnsucht brachte theils die abgeschmacktesten, theils die bedenklichsten Schriften zum Vorschein und Verkauf, das Broschürengewerb nahm überhand, gründliche, nützliche, gelehrte Werke erschienen höchst selten, wurden für Buchhändler unbrauchbare Waare und eigentliche Gelehr­samkeit

18 Aloys Blumauer: Lob- und Ehrengedicht auf die sämmtlichen neuen schreibseligen Wienerautoren. Wien: Sebastian Härtel 1781; Aloys Blumauer: Beobachtungen über Österreichs Aufklärung und ­Literatur. Wien 1782. 19 So heißt es in der vieldiskutierten Zeitschrift Das graue Ungeheur: „Warum klagt man also über die Broschüren? Ihnen sind wir die Revolution schuldig, die sich in unsern Begrifen und in unsern Sitten ereignet hat. Die Folianten bilden Gelehrte, die Broschüren aber Menschen.“ Und weiters: „Es mus Bücher geben: und es mus Viel geben, weil jedermann das Recht hat, seinen Geist zu unterhalten. Wären keine andern Bücher auf der Welt, als die Schriften Aristotel’s, Montesquieu’s, Leibnizens, die Apokalypse: so würden wir vermutlich noch Vieh sein.“ Das graue Ungeheur von Wekhrlin. Erster Band. 1784, S. 10. 20 Robert Darnton: Literaten im Untergrund. Lesen, Schreiben und Publizieren im vorrevolutionären Frankreich. Aus dem Amerikan. von Henning Ritter. Frankfurt am Main 1988. 21 Norbert Christian Wolf: „Von ,eingeschränkt und erzbigott‘ bis ,ziemlich inquisitionsmäßig‘: Die Rolle der Zensur im Wiener literarischen Feld des 18. Jahrhunderts“. In: Zensur im Jahrhundert der Aufklärung, S. 305–330.

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verschwand fast gänzlich. Jung und alt, höhere Klassen, Bürger und Bauer lasen ohne Unterschied und verschlangen gleichsam Wiener Broschüren.“22 Und über deren besonderen Charakter schreibt Birckenstock: „Über das Schlüpferische ging man mit Scherz weit leichter als normal hinaus; in ernsthaften Gegenständen nahmen die Schriftsteller einen theils spielenden oder poßenhaften, theils einen höchst suffisanten und entschiedenen Ton an, der nichts so sehr als ihre Einbildung, daß sie von nun die ganze österreichische Welt zu mustern und umzuformen berufen wären, oft auf sehr lächerliche Weise an Tag legte.“23 Das Buch als ökonomischer Faktor war, wie auch in den Grundregeln impliziert, ein wesentlicher Aspekt der josephinischen Reformbemühungen auf dem Gebiet der Zensur. Vermehrung der Produktion heißt auch Beschleunigung, vor allem auch Beschleunigung der administrativen Prozesse. Der „Buchführer“ wird primär als homo oeconomicus angesehen, und eine ihm unterstellte etwaige Gefährlichkeit bestand aus damaliger Sicht nicht so sehr darin, dass er aus programmatischen Intentionen gefährliche Bücher auf den Markt brächte oder solche in Druck gäbe, sondern darin, dass er aus Gewinnsucht bedenkliche Bücher anböte, von denen er sich hohe Nachfrage wie hohen Gewinn erwarten könnte – und einen solchen erzielten in besonderer Weise verbotene Bücher, eben Bücher, die im weitesten Sinne Informationen enthielten, die über den regulären, wenn auch nunmehr erweiterten Kommunikationsmarkt nicht zugänglich waren. Aus merkantilistischer Perspektive wurde vieles unternommen, den Druck im Inland zu befördern, samt der damals bestehenden Möglichkeit des Nachdrucks von im Ausland gedruckten Büchern und Zeitungen, ohne irgendwelche Rechte dafür einholen oder finanzielle Entschädigungen dafür zahlen zu müssen. Gegen die Praxis des Nachdrucks begann sich im Sinne des Schutzes der Autorenrechte Widerstand zu organisieren, zunächst speziell der inländischen Autoren, die verhindern wollten, dass ihre Werke im Inland nachgedruckt wurden. Ein prominentes Beispiel ist der Literat, Bücherzensor und später auch als Buchhändler tätige Aloys Blumauer, der sein entsprechendes Interesse sehr wirkungsvoll bei seiner Fassung der Aeneis ins Spiel brachte und der auch andauernd Beschwerden wegen des Nachdrucks seiner Werke einbrachte.24

22 Birckenstock: Über die Frage: Ob die Censurs Leitung in Zukunft mit der Studien-Ober-­D irektion vereinigt, oder davon unter eigenen Praesidio getrennt werden soll?, S. 16. 23 Ebenda. 24 Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Bücherzensur, 1751–1791, Jb 59480, f. 579 und 582.

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Eine wesentliche, gegen Ende des josephinischen Jahrzehnts wieder zurückgenommene Regelung betraf die Erlaubnis, ein Buch noch vor der Zensurierung in Druck zu geben. Dies geschah 1787 auf Initiative Gottfried van Swietens, des Präses der Studienhofkommission, nach lang anhaltendem Widerstand vonseiten der Böhmisch-­ Österreichischen Hofkanzlei. Es war nicht so sehr ein lange geplanter Reformschritt, der nunmehr verspätet ausgeführt wurde, sondern es war ein von van Swieten beharrlich betriebener Plan, der von einem besonderen Anlassfall ausging.25 Diese Regelung bedeutete eine weitere Beschleunigung, da ein Buch produziert werden konnte, ohne dass auf die Entscheidung der Zensur gewartet werden musste; dies bedeutete auch für die Arbeit des Zensors eine Beschleunigung, da er nicht mehr gezwungen war, sich durch Hunderte und Tausende Manuskriptseiten durchzumühen. Für Joseph II. war dies primär eine Frage der Ökonomie im weitesten Sinne und nicht unbedingt eine Frage eines weiteren Liberalisierungssprungs. Und er scheint dabei auch den Buchhändler als homo oeconomicus im Blick gehabt zu haben, der angesichts eines möglichen Verlustes eines ganzen Drucksatzes durch die nachträgliche Zensur bedachtvoll und kalkulierend ans Werk gehen werde. 1789 wurde diese Regelung wieder aufgehoben – infolge des sogenannten Falles „Wucherer“, bei dem etliche verbotene Bücher gefunden wurden. Wucherer wurde zu einer hohen Geldstrafe verurteilt und des Landes verwiesen.26 Liberalisierung in verschiedener Hinsicht ist die eine Seite der josephinischen Zensurpolitik, Zentralisierung die andere. Mit der Feststellung, dass es nicht sinnvoll sein kann, mehrere Zensurkommissionen in den k. k. Erbländern zu haben, die nach unterschiedlichen Kriterien unterschiedliche Entscheidungen treffen, beginnt der Text der Grundregeln.27 Dies hat die Auflösung der Zensurkommissionen in den Erbländern zur Folge bzw. eine Beschränkung der länderspezifischen Revisionsämter auf bestimmte Publikationssorten wie Zeitungen, Anschlagblätter und dergleichen, wobei diese Revisionsämter eine wesentliche organisatorische Stütze dafür waren, dass Zensur überhaupt durchgeführt werden konnte. So wird also nicht alles dem Zentralisierungswillen in gleichem Maße unterworfen: Die als wesentlich und relevant angesehene Literatur fällt in den Zuständigkeitsbereich der Wiener Kommission, die nunmehr einzige entscheidungsbefugte Kommission; reine Tagesprodukte wie Zeitungen, Flugblätter, Ankündigungstafeln etc. sollten von den Länderstellen inspiziert werden.

25 Vgl. Sashegyi: Zensur und Geistesfreiheit, S. 118–122. 26 Vgl. ebenda, S. 124f. 27 Joseph II.: Grundregeln.

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DER EINSAME JOSEPHINISCHE BÜCHERZENSOR Die Neuorientierung der Zensur zu Beginn der josephinischen Zeit hatte auch personelle Konsequenzen. Joseph  II. entließ den alten Präses der Zensurkommission, Leopold Graf Clary-Aldringen, der offensichtlich auch Hägelin das Leben in der späten theresianischen Zeit schwer gemacht hatte, und ernannte für dieses Amt zunächst Johann Rudolph Graf Chotek von Chotkow und Wognin (1748–1824).28 Als dieser 1782 in die Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei wechselte, löste Joseph II., unter Beibehaltung der Zensoren in ihrem Amt, die alte Zensurkommission auf und übertrug deren Kompetenzen an die Studienhofkommission, die für das Schul- und Studienwesen zuständig war. Er verfasste am 8. April 1782 ein diesbezügliches Hand­ billet an den Hofkanzler Heinrich Kajetan Graf von Blümegen (1715–1788), aufbewahrt in den Brandakten des Staatsarchivs: „Lieber Graf Blümegen! Nachdem durch die Übersetzung des Grafen Chotek zur Hofkammer die Praeses Stelle bey der Censurs Commission erlediget wird, so will Ich folgende Maasnehmungen hierfüro darüber treffen, nämlich die Censur völlig der Studien Hof Kommission dergestalten untergeben, daß die angestellten Censores nach ihrer Pflicht und Instruction nach durchgelesenen Büchern und Manuscripten selben das admittitur oder imprimatur gestatten sollen, wo es um wichtigere Werke zu thun ist, und in jenen Stellen, wo ein Censor einen besonderen Anstand fände, oder auch in jenen Fällen, wo einige Klagen oder Beschwerden, seye es wegen der Zu- oder Nicht-Zulaßung entstünden, alsdann hätte über diese die Studien Hof Commission versammelt zu erkennen; über die einkommende Bücher und Manuscripten ist von jedem Censor ein kurzes Protokoll zu halten, mit dem Zusatz kurz warum er es verworfen oder unanstößig zugelassen habe: dieses wird jeder wöchentlich dem Studien Commissions Präses Baron Swieten einschicken, welcher nach Umständen selbiges entweder blos zur Nachricht zu nehmen hat, oder auch bei versammelter Studien Commission das Protocoll vorlesen laßen wird.

28 Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Staatskanzlei, Notenwechsel ­Polizeihofstelle 58-10, Zensur: Bücherzensur-Hofkommission, 1753–1792, Josephs II. Resolution zur Neubesetzung der Zensurkommission respektive des Präses-Amtes: „zugleich weise ich auch dem Praesidi Gr: Chotek bey der Kammer die für einen Hofrath angemessenen 4000 f Gehalt an, und da Gr. Clary selbst bey Ihro höchstsel. Majst. die Dispensirung von der Censur schriftlich angesucht; so werden Sie ihn zu wissen machen, daß ich hiermit ihm selbe ver­w illige.“

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Der Hofkanzley werden keine weiteren Censurs Protocolle mehr hinaufzugeben seyn; sondern nur zu dem Studien Commissions Protocoll beyzufügen seyn, daß nicht[s] in Censurs Sachen vorgekommen, oder dieses oder jenes. Was die Medicinischen, Chemischen, Bottanischen Werke anbelangt, diese werden wiederum dem Baron Störck zuzuschicken seyn, welcher selbe den Professoren von einer jeden Materie zu lesen geben wird. Da selten in dergleichen Werken was Censursmäßiges ist; so dient diese Lesung der medicinischen Facultät zur Käntniß der neu ausgehenden Werke und zur Vermehrung der Gelehrsamkeit. In dieser Gemäßheit werden Sie das Nöthige an den Baron Swieten ­erlaßen. Wien den 8. April 1782 Joseph“29 Somit wurde Gottfried van Swieten (1733–1803), Sohn von Gerard van Swieten, auch zum Präses im Zensurfach, und die neue Kommission führte den Titel „Kaiserlich= Königliche Studienhof und Büchercensurskommission“. Im Unterschied zu seinem Vater, der, wie bereits erwähnt, eine große Abneigung den Materies mixtae gegenüber hatte, war Gottfried van Swieten, selbst auch Komponist wie Förderer der Musik,30 der ‚Literatur‘ gegenüber sehr aufgeschlossen. Eine seiner Haupt­a ktivitäten war die Revision des alten Catalogus librorum prohibitorum, der von etwa 5.000 Einträgen auf 900 reduziert wurde.31 Doch änderte sich damit auch Wesentliches in der Organisation der Zensur. Die substantiellen Transformationen nach Übertragung der Zensuragenda auf die Studienhofkommission 1782 sind aufgrund von Birckenstocks Schrift aus dem Jahre 1797 erkennbar: 29 Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1332, Zensur Niederösterreich, 1780–1789. 30 Gottfried van Swieten ist mit den Namen der Komponisten der „Wiener Klassik“ eng verbunden. Er beauftragte Mozart mit der Bearbeitung verschiedener Kompositionen von Georg Friedrich Händel: der Oper Acis and Galatea, des Oratoriums Der Messias und der Ode Alexanderfest. Er unterhielt einen musikalischen Salon, in dem sonntags speziell Werke von Bach und Händel aufgeführt wurden, die sogenannten Sonntagskonzerte, an denen auch Wolfgang Amadeus Mozart und Antonio Salieri teilnahmen. Für Mozart war es eine besondere Herausforderung, sich mit dem Werk Bachs auseinanderzusetzen, was sich auch in seinem kompositorischen Stil bemerkbar machte. Für ­Joseph Haydn schrieb Gottfried van Swieten die Texte für dessen Oratorien Die Schöpfung und Die Jahreszeiten. Ludwig van Beethoven widmete Gottfried van Swieten seine erste Sinfonie. Zu Gottfried van Swietens Einfluss auf das Wiener Musikleben siehe Otto Biba: „Gottfried van Swieten“. In: Europas Musikgeschichte. Grenzen und Öffnungen, hg. von Ulrich Prinz. ­K assel [u. a.] 1997, S. 120–137. 31 Vgl. Sashegyi: Zensur und Geistesfreiheit, S. 114.

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„Von nun an hörten die eigene Kommission und die kollegialische Versammlungen der Censoren auf. Diese lasen in ihren Zimmern, ließen das ungleich mehreste in folge der neuen Instruction zu, schickten nur weniges mit dem neu entstandenen Voto: Exhibeatur Präsidio ein; das Präsidium ließ aus eigener ihm ertheilter Auktorität und Gewalt vieles sogleich zu, ein und andres ward nach geendigter Studien Kommission als ein Anhang, bey dieser vom Hofrathe von Schmidt vorgetragen, wovon und ebenso vom Deciso und dessen Beweggründen die Censoren nichts weiter hörten oder erfuhren; die Zahl dieser Stücke belief sich etwa im ganzen Jahre auf 60; und da immer der Hauptzweck war, Lektüre und Denkkraft auf alle Art und Weise zu verbreiten, so kam auf die Stimme der Studien Kommissionsräthe auch wenig an, sondern es wurde fast alles nur aus dem Munde oder durch die Feder des Präsidii entschieden.“32 Im Grunde agierten nun alle Zensoren, zumindest offiziell, einzeln, so, wie man fast sagen könnte, wie Hägelin als Theaterzensor, der seit 1772 auch der Bücherzensurkommission angehörte. Der josephinische Zensor war somit ein „einsamer Zensor“, und Hägelin als Theatralzensor, der keinen kollegialen Rückhalt hatte, ist in gewisser Hinsicht der Prototyp dafür. Birckenstock war in der Ära Gottfried van Swieten als Mitglied der Studienhofkommission tätig, der auch sein Schwager Sonnenfels angehörte, der aufgrund dieser Funktion nun indirekt wieder mit Zensurangelegenheiten zu tun hatte. Birckenstock versucht sich in seiner Darstellung eines sachlichen Duktus’ zu bedienen, aber die Distanz zu Gottfried van Swieten ist deutlich spürbar, vor allem, wenn man Birckenstocks emphatische und beschönigende Darstellung der Kommissionstätigkeit in der theresianischen Zeit liest, zumindest was die organisatorischen Imperative betrifft. In jener Zeit hätte sich, so Birckenstock, durch das ständige ‚Beobachten‘ der Argumente, deren Verschiebungen, deren Veränderungen in der Kommission so etwas wie ein „Esprit der Zensur“ herausgebildet, gewissermaßen ein kollegialer Identitätsbildungsprozess, in den vor allem auch die neuen Zensoren miteinbezogen waren. In einen solchen Prozess waren die „Censores“ unter Gottfried van Swieten, in ihrer Anzahl gegenüber der theresianischen Kommission noch weiter dezimiert, nicht einbezogen, ja, sie erfuhren gar nicht offiziell das Deciso der Kommission, die, so Birckenstock, in Zensurangelegenheiten im Wesentlichen von Gottfried van Swieten gesteuert war. Die Entscheidung über die Freigabe eines Buches war allerdings schon im vorangegangenen Dezennium ein Einzelakt des Zensors gewesen, der diese Entscheidung, sofern er sich seines Urteils sicher war, allein treffen 32 Birckenstock: Über die Frage: Ob die Censurs Leitung in Zukunft mit der Studien-Ober-­D irektion vereinigt, oder davon unter eigenen Praesidio getrennt werden soll?, S. 15.

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konnte und dafür auch verantwortlich war. Nur über „zweifelhafte“ oder zum Verbot angetragene Bücher wurde in der Kommission diskutiert, abgestimmt und über die Beweggründe eines Verbotes gesprochen, welches von allerhöchster Stelle ausgesprochen oder bei Bedenken abgelehnt wurde. Durch die organisatorische Neustrukturierung des Jahres 1782 waren die Zensoren, welche an den Sitzungen der Studienhofkommission nicht teilnahmen, nur mit ihren eigenen Verbotsanträgen befasst und erfuhren, zumindest offiziell, nichts über die Verbotsanträge anderer Zensoren, ja, wenn man Birckenstock glauben kann, wurden sie nicht einmal über das Deciso, das letztlich der Präses im Beisein der Kommission aussprach, verständigt, es sei denn in informellen Gesprächen und Rückmeldungen. Die Zensoren bildeten keine Kommission, und Hauptgegenstand der eigentlichen Kommission, der Studienhofkommission, der die Zensoren nicht angehörten, waren Schul- und Studienangelegenheiten. Zensurfragen waren gewissermaßen ‚Anhang‘ nach den Studiensitzungen, eine Art ‚Allfälliges‘. Wenn man die Zahlenangaben von Birckenstock heranzieht, der von ca. 60 im Jahr zum Verbot angetragenen oder zumindest zweifelhaften Büchern spricht, so fallen im Schnitt ca. fünf Bücher im Monat an, über die nach der Sitzung gesprochen wird. Gegenüber der theresianischen Kommission ist dies Zeichen einer kollegialen ‚Marginalisierung‘ der Zensur. Dieses System wurde unter Leopold II. weitergeführt: „Die gedachte vom höchstseligen Vorfahren entworfene Instruktion und Vorschrift ward nicht zurückgenommen, noch die oberwähnten neuen Formeln aufgehoben, und die Studien-Hofkommission, mit der Censur vereinigt, und das Präsidium mußten daher um so mehr in dem bisherigen Gleise fortgehen.“33 Nach der Abberufung von Gottfried van Swieten als Präses der Studienhofkommission gegen Ende des Jahres 179134 wurde die Zensur der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei unterstellt, Birckenstock wurde „Referent“, der Begutachtungsprozess vonseiten der Bücherzensoren erfolgte nach wie vor nach josephinischen Prinzipien, nunmehr verschärft dadurch, dass sich der „Referent“ ständig mit Leuten auseinanderzusetzen hatte, an denen er jede Kompetenz zur Beurteilung von Zensurfragen vermisste: 33 Ebenda, S. 17. 34 Am 5. Dezember 1791 schreibt Leopold II. an Kaunitz: „Lieber Fürst Kaunitz Ich habe für gut befunden mit der Oberen Leitung des Studienwesens eine andersweite Einrichtung zu treffen, und aus dieser Rücksicht den Freyherrn van Swieten eines bey der Studien Hofkommission aufgehabten Präsidio in Gnaden zu entheben […] so will ich zum Merkmal meiner diesfälligen Anerkenntnis demselben die wirkliche geheime Rathswürde ohnentgeltlich verleihen“ (Acta commissionis aulicae ad dirigendas res studiorum et censurae librorum a. 1783–1791. Vol. III., ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. 9719 Han, f. 316).

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„Dabey blieben die Censoren von Collegial-Versammlung, von Erörterung ihrer Meinungen, von eigentlichem Stimmrecht und von Kenntniß dessen, was, und den Ursachen, warum mit einem Buche so und nicht anders verfügt wurde, von neuem ausgeschloßen. Der Referent kam in einen Kreis von Geschäftsmännern, deren Gegenstand, Studium und Beschäftigung, Gelehrsamkeit und Litteratur nicht war noch seyn konnte, und fand in allerley Hinsicht Schwierigkeiten in vernünftiger Erfüllung des höchsten Willens.“35 Die hier genannten „Geschäftsmänner“ waren Beamte der Hofkanzlei, und Birckenstock scheint in ihnen keine der jeweiligen Materie angemessenen Gesprächspartner gefunden zu haben. Nach seinen Angaben in der Zensurschrift des Jahres 1797 hat er die eingegangenen Dokumente zu den von den Zensoren beurteilten Büchern in der Nacht zuvor durchgesehen und sich dabei auf sein „Referat“ für den nächsten Tag vorbereitet, „wo dann die Majora der Kanzley oder Direktorial Hofräthe über ein Referat, das mit ihren Geschäften gar keinen Zusammenhang hat und sie daher weit weniger interessiert und das zugleich bey der Menge der Exhibitorien und dem Mangel der Zeit, die oft keine halbe Stunde dazu gestattet, nothwendig überschnellt werden muß, entschieden“36. Nach Ansicht des damaligen „Referenten“, der Birckenstock auch noch zur Zeit der Abfassung oben genannter Schrift war, erzeugten die formale Beibehaltung der josephinischen Richtlinien einerseits und die Berücksichtigung der „Zeitumstände“, verbunden mit diversen diesbezüglichen kaiserlichen Resolutionen, andererseits eine beträchtliche Irritation unter den Zensoren, wie aus dem abschließenden Resümee über die leopoldinische Zeit hervorgeht: „obwohl Weiland Kaiser Leopold Majestät die Josephinische Instruktion nicht zurückgenommen, und durch eine andere nicht ersetzt haben, auch solche dermal noch wirklich besteht, doch theils Referent schon in obenangeführten von ihm im Jänner 1792 verfaßten Instruktion auf die veränderten Umstände, so viel er vermochte Bedacht genommen, theils der ganze Esprit der Censur nach dem in einzelnen Fällen von Zeit zu Zeit herabgelangten höchsten Resolutionen dermal eine ganz andere Gestalt gewonnen hat, welche einerseits manche Censoren fast zu allzugroßer Ängstlichkeit hinzuziehen scheint, und andererseits diejenigen, welche sich auf ersterwähnte noch nicht förmlich aufgehobene General-Instruktion stützen zu können glauben,

35 Birckenstock: Über die Frage: Ob die Censurs Leitung in Zukunft mit der Studien-Ober-­D irektion vereinigt, oder davon unter eigenen Praesidio getrennt werden soll?, S. 18. 36 Ebenda, S. 19. Die Unterstreichungen stammen jeweils von Birckenstock.

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in einer Art von Dunkelheit und Verwirrung läßt aus der sie sich nicht zu helfen wissen.“37 Birckenstock malt in diesem Gutachten das Bild einer Zensur, welche der Paralyse nahe ist und hinter Strenge Zuflucht sucht. Der von Birckenstock getroffene Befund lässt sich auch in der Vorgangsweise der Studienhofkommission in der leopoldinischen Zeit erkennen, so in den noch erhaltenen Akten bzw. in den diesbezüglichen Abschriften der Wienbibliothek, wo in widersprüchlicher Weise auf josephinische Prinzipien wie auf die „Zeitumstände“ Bezug genommen und somit auch das erwartbare Verhalten des Lesepublikums in einem neuen oder zumindest in einem grelleren Lichte gesehen wird.

IRRITATIONEN. DAS LERNEN DES ZENSORS Der zu Beginn der 1780er Jahre mit Rasanz umgesetzte Reformprozess auf dem Gebiete der Zensurpolitik mit neuen Grundsätzen, die nur in abstrakter Form vermittelt werden konnten, erzeugte aller Orten auch Irritationen: bei den Zensoren, die zum Großteil noch die alten waren und nun neue Prinzipien anwenden mussten, bei der Hofkanzlei und auch im Staatsrat, in welchem unterschiedliche Meinungen und Stile aufeinandertrafen, in kirchlichen Institutionen, in Klöstern, deren Vorsteher nun nicht mehr offiziell das Recht hatten, ihnen unbotmäßig scheinende Bücher zu konfiszieren. Aus den in der Wienbibliothek aufbewahrten Abschriften der Circulanda der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei aus den frühen Tagen der josephinischen Reform lassen sich diese Irritationen erkennen: durch die an die Hofkanzlei übermittelten Protokolle der Zensurkommission (damals noch kollegial geführt) im Hinblick auf die Beantragung der zu verbietenden Bücher, kommentiert von der Hofkanzlei sowie vom Staatsrat, samt folgender allerhöchster Entschließung. Dabei ging es um Anträge sehr verschiedener Art. So heißt es im Vortrag der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei vom 8. Oktober 1781, betreffend das „Protokoll der allhier in Bücher Censurs Sachen aufgestellten Kommission“ vom 14. August 1781, dass gemäß der Begutachtung der Zensurkommission dem von einem Franziskaner aus der Provinz Krain „in einer alten ekelhaften scholastischen Schreibart“38 verfassten Compendium evangelicum die ­ 37 Ebenda, S. 20. 38 Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Bücherzensur, 1762–1793, Ic 59480, f. 93vf.

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Druckerlaubnis erteilt werden solle, „in der Rücksicht, daß hierin des Verfassers guter ­Wille hervorleuchte und wenigstens seine Ordensbrüder, worin der größte Theil keine andere als eben diese scholastische Sprache verstehe, einigermassen aufklären könnte“.39 Offensichtlich antwortete die Bücherzensurkommission auf eine Anfrage der Hofkanzlei, denn der Autor dieser Schrift wollte diese dem Kaiser zueignen. Von einer solchen Widmung rät die Zensurkommission jedoch ab. Die Hofkanzlei findet, dass neben der „fehlerhaften scholastischen Methode“ in diesem Werk, das die geistliche und weltliche Macht „in ihren wechselseitigen Rechten“40 behandelt, auch „das Materiale schwach in Beweisen, und Quellen“ sei, und so scheine es der Kanzlei nützlicher, dem Verfasser das Manuskript mit der Bemerkung zurückzustellen, dass keine Dedikation von Seiner Majestät angenommen werde, und wenn er schon meine, sich mit solchen Gegenständen befassen zu müssen, solle er die „ekelhafte scholastische Schreibart“41 zu vermeiden trachten und „derley wichtige Materien aber mit stärkern Gründen und Beweisen“42 unterstützen. Staatsrat Gebler hingegen schließt sich der Meinung der Kommission an und unterstützt die Erlaubnis zum Druck, wobei er noch schmeichelnde Worte findet: der ­Autor wage genug, zumal in Laibach, wo noch Finsternis herrsche, allerdings wäre die Dedikation zu eliminieren.43 In diesem Sinne fällt auch die allerhöchste Resolution vom 13. Oktober 1781 aus.44 Ein weiterer Punkt derselben Kommissionssitzung betrifft das Manuskript einer Schrift, die aus Prag an die Kommission geschickt wurde und über deren Zulassung, wie aus dem Protokoll hervorgeht, schon im Vorfeld massive Bedenken des böhmischen Guberniums geäußert wurden. Es handelt sich um eine Schrift mit dem Titel Über die Unnütz- und Schädlichkeit der Juden in dem Königreiche Böhheim, und Mähren, eine schon im Titel eindeutig antisemitische Schrift. Trotz dieses Titels hält die Kommission dafür, dass nach Berücksichtigung der vom Zensor „roth durchstrichenen Stellen“45 das Imprimatur nicht versagt werden dürfe, „da auch Schriften für die Juden seit kurzem in grosser Anzahl in Druck erschienen“,46 „für die Wahrheit der vermuthlich aus böhm. Chroniken gezogenen Begebenheiten, müsse jedoch der Verfasser stehen“. Und weiters heißt es:

39 Ebenda, f. 93h. 40 Ebenda, f. 96v. 41 Ebenda, f. 96h. 42 Ebenda. 43 Ebenda, f. 97h. 44 Ebenda, f. 98h. 45 Ebenda, f. 93h. 46 Ebenda, f. 94v.

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„die vom Gubernio geäusserte Besorglichkeit hingegen, daß durch Verbreitung dieser Schrift in Böhmen die Gährungen zunehmen dürften, und deren Innhalt der Absicht des höchsten Hofdecrets vom 16. May […] entgegen zu arbeiten scheine, müsse die Ko[mmissi]on lediglich einer höheren Beurtheilung unterziehen.“47 Die Hofkanzlei erklärt sich mit der Druckgenehmigung der Zensurkommission einverstanden „und glaubet, daß die besorgte Gährung ohne Grund sey, da auch andere Stände, oder Gemeinden von Menschen bisher eben so scharf und noch bitterer, ohne alle weitere Folge in solchen Brochuren hergenommen werden.“48 Bedauerlicherweise enthält die Abschrift keine weiteren Stellungnahmen, auch nicht die höchste Resolution. Das böhmische Gubernium war jedenfalls der Meinung, dass dies Werk dem Geiste der allerhöchsten Entschließungen entgegenstünde und dass darüber hinaus, wenn schon nicht Unruhen, dann zumindest Gärungen zu erwarten seien. Die Kommission, der diese Bedenken vertraut gewesen sein müssen, gibt diese Frage weiter und fühlt sich außerstande, auf sie zu antworten. Und sie zieht sich, nach Eliminierung der von ihr erkannten anstößigen Teile, auf einen formalen Standpunkt zurück: wo Schriften für Juden erscheinen, können auch Schriften gegen Juden erscheinen, also auf das formale Zulassen eines Pro und Contra und darauf, dass sie, die Kommission, über die Qualität der aus angeblichen Chroniken gewonnenen Sachen nichts aussagen könne und wolle. Auf der anderen Seite war es eine Errungenschaft des Josephinismus, dass unter bestimmten Umständen ein Pro und Contra gestattet war, auch wenn das Contra gegen Prinzipien der Politik Josephs II. gerichtet war. So entschied Joseph II. im Falle des Themas der Toleranz, dass sowohl Schriften für als auch wider die Toleranz zuzulassen seien. Auch insofern ist die Stellungnahme der Hofkanzlei bemerkenswert, da sie im Hinblick auf die von anderen Behörden befürchteten Gärungen völlig abwiegelt und darauf verweist, dass der Broschürenmarkt eine Art soziale und kulturelle Kampfarena geworden sei und dass es nunmehr bereits etliche Schriften gäbe, in denen Stände und Gemeinden angegriffen worden seien, ohne dass es zu „Gährungen“ gekommen sei. Oben genannte Schrift, die einem gewissen Ignatz Klinger zugeschrieben wird, ist im Folgejahr 1782 in Prag im Druck erschienen.49 In einer Rezension der Allgemeinen deutschen Bibliothek wird angesichts des gehässigen, vorurteilsbelade-

47 Ebenda. 48 Ebenda, f. 96hf. 49 Über die Unnütz- und Schädlichkeit der Juden in dem Königreiche Böhheim, und Mähren. Mit Bewilligung der k. k. Censur. Prag, 1782.

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nen Charakters dieser Schrift große Verwunderung geäußert, dass eine solche von der Bücherzensur zugelassen wurde.50 Die hier genannten Beispiele stammen aus einem Vortrag der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei vom 8.  Oktober 1781, welcher sich auf ein Protokoll vom 14. August desselben Jahres bezieht. Für Staatsrat Gebler ist das Grund für die Rüge, dass der Geist der neuen Zeit noch nicht begriffen worden sei: „Die Kanzley hätte aber das schon unterm 14. August abgehaltene Protokoll früher herauf geben sollen, welches um so mehr von ihr zu beobachten wäre, das [sic] durch spätere Entscheidung der Buchhandel gehemmet wird.“51 Im Hinblick auf ein von der Kommission zum Verbot beantragtes Buch erteilt er die Rüge, dass sich während der vorübergehenden Abwesenheit des neuen Zensurpräses, des Grafen Chotek, „alte Censurprincipia wieder einschleichen“.52 So verwerfe Hofrat Birckenstock das für die französische Geschichte sehr nützliche Buch mit dem Titel Memoires de l’Abbé Terrai „bloß einer schmutzigen Anspielung auf die Benennung Croupe und Croupie, welche die Teilnehmer der Finanzpachtungen, worunter öfters auch Damen sind, gegeben zu werden pflegte“.53 Er billige keineswegs den schmutzigen Scherz: allein die allerhöchste Resolution bringe nachdrücklich mit sich, wegen einzelner anstößiger Stellen kein solches Buch zu verwerfen. Diese Vorschrift sei allen Zensoren einzuprägen und folglich das Buch zuzulassen, schreibt Gebler am 12. Oktober 1781.54 Was die Langsamkeit der behördlichen Vorgangsweise betrifft, ist Gebler auch in der Folge nicht zufrieden. So wiederholt er am 17. Oktober desselben Jahres im Hinblick auf die verlangsamte Weiterleitung des Protokolls: „Es wäre zu wünschen gewesen, daß auch dieses vom 5. September datierte Protokoll nicht erst am 6.  Oktober von der B.  Ö. Kanzley heraufbegleitet worden seyn möchte, wo inzwischen die Leipziger Michaelismesse erschienen ist, und die Prager Buchhändler in ihrem Verkehr eine fortdauernde Hemmung erlitten haben. Die Kanzley hätte demnach künftighin die Censursprotokollen ohne Aufhalt hinauf zu geben.“55

50 Allgemeine deutsche Bibliothek, Des 54. Bandes erstes Stück. Berlin, Stettin, verlegts Friedrich Nicolai, 1783, S. 186. 51 Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Bücherzensur, 1762–1793, Ic. 59480, f. 97hf. 52 Ebenda, f. 98v. 53 Ebenda. 54 Ebenda, f. 98vf. 55 Ebenda, f. 112vf.

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DER FALL STAHEL. SOZIOPSYCHOGR AMM DER JOSEPHINISCHEN ZENSUR Graf Chotek wurde, wie bereits erwähnt, 1782 von Gottfried van Swieten abgelöst, welcher als Präses der „Kaiserlich=Königlichen Studienhof und Büchercensurskommission“ bis zur Zeit Leopolds II., bis Dezember 1791, im Amt blieb. Trotz etlicher Konflikte mit der Hofkanzlei genoss er das Vertrauen des Kaisers, wenn er auch gegen die Vorstellungen Josephs  II. mit entsprechender Vorsicht gelegentlich opponierte, verstärkt gegen Ende des josephinischen Jahrzehnts, als verschärfte Vorstellungen über die Zensur in Umlauf gekommen zu sein scheinen. Der Fall Stahel ereignete sich im Sommer 1786, eben zu jener Zeit, als – angeregt von van Swieten – Überlegungen im Gange waren, die Vorzensur zu modifizieren und generell zu erlauben, Bücher noch vor der Zensur zum Druck geben zu können. In den Zensurakten der Wienbibliothek findet sich die Abschrift eines Briefes von Gottfried van Swieten an Joseph II. vom 26. August 1786 samt folgender Resolution des Kaisers. Man kann mit einigem Recht sagen, dieser Brief samt ­Josephs Antwort sei ein ‚Kabinettsstück‘ josephinischer Zensur. Der aus einer Buchhändlerfamilie stammende Veit Joseph Stahel (1762–1832) – sein Vater war Buchhändler in Würzburg – hatte, wie man den entsprechenden Drucken seiner Buchhandlung ent­nehmen kann, seinen Laden auf der Wollzeile, im damaligen Gräfl. Pergenschen Hause.56 Ausgangspunkt des Falls war der Vertrieb einer dem Titel nach nicht näher bekannten Schrift über das Theater oder, genauer gesagt, über Schauspieler des Wiener Theaters – wohl des Burgtheaters –, welche gemäß dem oben genannten Schreiben van Swietens wegen ihres pasquillenartigen Tons, wahrscheinlich auf Intervention betroffener Schauspieler, verboten wurde. Jedenfalls handelte es sich nicht um eine Schrift, welche verdächtigt wurde, die Grundfesten von Sitte, Religion und Staat zu untergraben. Wegen Verkaufs dieser verbotenen Schrift wurde der Buchhändler zu einer Geldstrafe von 100 Dukaten sowie zu einer Arreststrafe von acht Tagen verurteilt. Der so Verurteilte findet einen leidenschaftlichen Fürsprecher im Zensurpräses, der in besagtem Schreiben Joseph II. in respektvollen Worten, aber nicht ohne große Selbstsicherheit, kaiserliche Milde anempfiehlt und ihm nahelegt, Geld- wie Arreststrafe in eine bloße Verwarnung umzuwandeln.

56 Bei Stahel verlegte vier Jahre später, 1790, der Bücherzensor Joseph Friedrich Freiherr von ­R etzer: Nachrichten von dem Leben und den Schriften des ehemaligen Bischofs von Gurk Hieronymus ­B albi. Zu weiteren Verlagsprodukten aus dem Wiener Hause Stahel zählen: Handbuch der deutschen Literatur, von Gottfried Brun. Wien 1788. Goethe’s Schriften. Wien und Leipzig 1788. Bemerkungen über die französische Revolution und das Betragen einiger Gesellschaften in London bey diesen Ereignissen, von Edmund Burke. Wien 1791. Beyträge zur Schulpädagogik, von Johann Genersich. Wien 1792.

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Gleich zu Beginn der „Allerunterthänigsten Note“ weist van Swieten darauf hin, dass der Buchhändler Stahel „nicht verdient habe, die ganze Strenge des Gesetzes zu empfinden.“ Und der Präses der „Kaiserlich=Königlichen Studienhof und Büchercensurskommission“ fährt fort: „Was ihm zur Last fällt, daß er vier und zwanzig Exemplare einer Broschüre zum Verkauf übernahm, ohne von deren Zulassung versichert zu seyn. Da­ rinn liegt seine Schuld, die aber nicht aus bösem Willen, sondern aus Unvorsichtigkeit entstand; denn Erstens war der Druckort Wien auf dem Titelblatt gesetzt, und dieses konnte den Buchhändler wegen der Zensur um so mehr beruhigen, als der Inhalt, welcher die hiesigen Schauspieler betrifft, nicht so beschaffen war, um hierüber ein Bedenken bei ihm zu erregen. Von dieser Art erhielten schon mehrere Broschüren den freyen Lauf, und die gegenwärtige wurde im Manuskript nur darum verworfen, weil sie das Maaß der zu duldenden Satyre überschritten hatte, in dessen genauer Bestimmung doch ein Buchhändler wohl irren mochte. Zweitens hat Stahel, obschon nicht zu rechter Zeit, gleichwohl ein Exemplar in das Revisionsamt gebracht, und nur von ihm selbst hat man erfahren, daß er deren mehrere schon verbreitet hatte.“57 Van Swieten lobt den Buchhändler wegen dessen qualitätsvollen Sortiments zu „leidlichem“ Preise. Für einen solchen Mann mit gutem Ruf wäre „der persönliche Arrest äußerst kränkend“,58 ja auch sinnlos, weil es hier keinen bösen Willen gäbe, der zu züchtigen wäre. Was die Geldbuße beträfe, so könne er ihn, da eine Übertretung vorliege, als „Vorsteher der Zensur“ nicht lossprechen, doch sei es ihm „als Privatmann erlaubet, an dem Unglück eines redlichen Bürgers Theil zu nehmen, und der allerhöchsten Milde eine lindernde Betrachtung zu entwickeln.“59 Die Geldstrafe wäre gegen die Gewinnsucht gerichtet, welche man dem Buchhändler Stahel nicht unterstellen könnte, und van Swieten bittet, indem er sich in seiner Argumentation wiederholt, die „Geldbuße“ zu erlassen und es bei einer bloßen Verwarnung zu belassen. Er endigt sein Schreiben mit den Worten: „Die Gnade, welche Euere Majestät, wie ich hoffe, geneigt seyn werden, in gegenwärtigem Falle zu erweisen, gründet sich auf bewährte Redlichkeit

57 Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Bücherzensur, 1751–1791, Ib 59480, f. 495h–497v. 58 Ebenda, f. 498v. 59 Ebenda, f. 498h.

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e­ ines rechtschaffenen Bürgers, und eben diese wird für das Künftige gewiß zeigen, daß jene nicht einem Unwürdigen zu Theil wurde.“60 Doch Joseph II. lässt sich durch diesen Brief und die wiederholte Betonung der Unschuld und Redlichkeit des verurteilten Buchhändlers nicht beeindrucken und keine „Gnade“ abgewinnen. Scheint van Swieten mit seinem argumentativen Aufbau, auch unter Einbringung seiner Sicht als „Privatmann“, mit einer völligen Erlassung der Strafe, die, wie er unmissverständlich andeutet, der Milde des Kaisers so gut anstehen würde, gerechnet zu haben, so weicht Joseph II. in seiner nüchternen Antwort in keiner Weise von der verordneten Strafe ab. Dabei spielt der nach van Swieten ohnehin völlig zu vernachlässigende anstößige Inhalt nicht die mindeste Rolle, ebensowenig die mehrfach gepriesene Unbescholtenheit und Redlichkeit des Mannes samt dessen Bedeutung für den Wiener Buchhandel. Joseph  II. geht es um die formale Einhaltung von Vertriebsregeln, zumal die Vorbereitung für eine weitere Liberalisierung des Buchhandels („Druck vor der Zensur“) gerade in der Diskussion sei; eine solche erfordere in besonderem Maß eine exakte Befolgung bestehender Regeln. „Sie haben selbst mit Wohlbedacht gegen diejenige Buchhändler, die ohne Erlaubniß der Censur Exemplarien verkaufen, auf 50 Ducaten Strafe für jedes Exemplar, das im publico erscheint, angetragen, welches auch das beste und sicherste Mittel ist. So hätten diese 24 Exemplarien 1200 Dukaten ausgetragen; Nun aber, da man dieses für zu viel hielth, reducierte man es auf 100 Ducaten Strafe und einen 8 tägigen Arrest; welches Ich auch für so billiger halte, weil, wenn man auf einer Seite mit der Erlaubniss des Druckes, vor also die Stücke noch censurirt sind, vorgehen will, man auf der anderen seite auch desto strenger seyn – und ohne in die Ursachen eines mehr oder weniger Interesse, oder in der Gattung des Handels einzugehen, jeden, den es betrift, bestrafen muß. In dieser Gemäsheit hat es also bey der ganzen Strafe sein Bewenden.“61

„NON MERETUR“ SUBTILER WIDERSTAND DES ZENSURPR ÄSES Während der Alleinregierung Josephs II. wird man im Hinblick auf die Zensurfälle weitere Differenzierungen einführen, welche die nunmehr unter liberaleren Bedingungen zugelassenen Bücher gegebenenfalls auch mit einschränkenden Klassifikati60 Ebenda, f. 500hf. 61 Ebenda, f. 501v–502h.

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onen versehen, von denen man sich eine indirekte Steuerung des Verbreitungsstroms erhoffte: Toleratur, Permittitur und Transeat. Von diesen Unterscheidungen berichtet auch Birckenstock in seinem Gutachten aus dem Jahre 1797. „Durch ersteres ward bezeichnet, daß ein Buch zwar zugelaßen und frey verkauft aber doch nicht nachgedruckt werden dürfe. Durch das zweyte, daß eine Handschrift zwar in den Erblanden gedruckt, aber kein erbländischer Druckort beygesetzt werden dürfe. Durch das dritte, daß ein Werk zwar bedenklich, gleichwohl, um den Catalogum prohibitorum nicht immens zu vergrössern, verkauft werden dürfe, jedoch ohne weder es anzukünden noch öffentlich am Laden auszuhängen“62. Doch hatte nach Birckenstocks Einschätzung diese Maßnahme, welche für mit „Transeat“ bezeichnete Bücher die schärfste Restriktion vorsah, die gegenteilige Wirkung zur Folge: „Es ist sich leicht vorzustellen, daß nach diesen mit Transeat hinausgegebenen Büchern in Buchläden am meisten nachgefragt wurde.“63 Aufgrund von Enttäuschungen über die Qualität des zunächst rasant ansteigenden Marktes der Broschürenliteratur wurde eine weitere Differenzierung eingeführt, die ein Verbot zur Folge haben sollte. Dabei ging es nicht um Verstöße gegen Staat, Sitte oder Religion, sondern darum, dass ein Werk aufgrund seines sprachlichen Stils und seines „unsinnigen“ Inhalts für nicht wert befunden wurde, publiziert zu werden: eben „Non meretur“, eine Kategorie, welche Birckenstock allerdings nicht erwähnt. Und es kann tatsächlich bezweifelt werden, ob diese Kategorie in relevantem Maße in die Zensurpraxis einfloss. In den bereits erwähnten Akten der Studienhofkommission der Österreichischen Nationalbibliothek befindet sich ein bemerkenswertes Dokument zur Widersprüchlichkeit eines ‚Non meretur-Falls‘ gegen Ende der josephinischen Zeit. In einem Handbillet vom 5.  Juni 1789 schreibt der Kaiser an den Präses der „Kaiserlich= Königlichen Studienhof und Büchercensurskommission“ aus Laxenburg: „Lieber Baron Svieten! Die hier angeschlossene Broschüre, welche nur Albernheiten, Unsinn und Ungezogenheiten enthält, hätte Meiner Erachtung bey der Zensur billig mit dem tipum non meretur abgewiesen werden sollen, um so mehr als der Verfasser ein kayserlicher Cadet ist, selbe dem Prinz de Ligne dedicirt, und zur Schande gewidmet.“64 62 Birckenstock: Über die Frage: Ob die Censurs Leitung in Zukunft mit der Studien-Ober-­D irektion vereinigt, oder davon unter eigenen Praesidio getrennt werden soll?, S. 16. 63 Ebenda. 64 Acta commissionis aulicae ad dirigendas res studiorum et censurae librorum a. 1783–1791. Vol. III., ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. 9719 Han, f. 443.

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Die zur Rüge werdende Erregung des Kaisers richtet sich offensichtlich nicht nur gegen die enthaltenen „Albernheiten“ und „Ungezogenheiten“, sie bezieht sich vor allem auf den Status des Autors wie auf die von ihm vorgenommene Dedizierung – die Schande des Werks falle somit auch auf den kaiserlichen Militärstand und den Fürsten von Ligne, der als General der Artillerie der kaiserlichen Armee dieser Widmung, wie anzunehmen, zugestimmt hat. Eine solche falle aber auch – wie implizit angesprochen – auf die „Kaiserlich=Königliche Studienhof und Büchercensurskommission“ und somit wiederum auf den Kaiser selbst. Der Autor des so beanstandeten Werkes ist, wie aus dem dem Akt beigelegten Exemplar hervorgeht, ein gewisser „Charles de Crampagna, Cadet au Regiment de Francois Kinsky, Infanterie, au Service de S. M. I. R.“; sein Werk führt den Titel Les Passe-tems d’un cadet en semestre.65 Van Swieten antwortet gleich am nächsten Tag, am 6. Juni, und wahrscheinlich unmittelbar, nachdem er das kaiserliche Billet erhalten hat: „Auf die Erinnerung Eurer Majestät kann ich unterthänigst nichts erwidern als daß in der That les passetemps d’ un cadet en Semestre in jeder Beziehung des Drucks unwürdig sind, ich aber doch eine gnädigste Nachsicht hoffe, wenn Allerhöchstderselben zu erwägen geruhen, daß die schlechten Schriften alle selbst zu beurtheilen, mir an Zeit und jedermann, wie ich glaube, an Muth gebrechen müßte.“66 Er werde indessen den Zensoren eine „verdoppelte Aufmerksamkeit“67 empfehlen und, soweit es seine ausgedehnten Geschäfte zuließen, zu verhüten trachten, dass „dergleichen Mißgeburten“68 der Eintritt in die Welt geöffnet würde. Erhalten ist in den Akten der Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek auch der erste Entwurf von van Swietens Antwort, der die Vorlage für die Reinschrift an den Kaiser darstellte. Er zeigt drei signifikante Abweichungen. Anstelle des Wortes „Beziehung“ im ersten Satz („Auf die Erinnerung Eurer Majestät kann ich unterthänigst nichts erwidern als daß in der That les passetemps d’ un cadet en Semestre in jeder Beziehung des Drucks unwürdig sind“) stand im ersten Entwurf das Wort „Rücksicht“.69 Van Swieten hat dies, so könnte man annehmen, mit dem formaleren Begriff Beziehung überschrieben, da das Wort „Rücksicht“ zu direkt mit der Tätigkeit des Zensors konnotiert wäre, dem es daran gemangelt hätte: 65 Les Passe-tems d’un cadet en semestre. Dédié à S. A. Mgr. Le Prince de Ligne, General d’ artillerie des ­armées de l’Empéreur. Par Charles de Crampagna, Cadet au Regiment de Francois Kinsky, Infanterie, au Service de S. M. I. R. A Paris, pas loin du pont-neuf, / L’an dix-sept cent quatre-vingt neuf. 66 Acta commissionis aulicae ad dirigendas res studiorum et censurae librorum a. 1783–1791. Vol. II, f. 445. 67 Ebenda. 68 Ebenda. 69 Ebenda, f. 446.

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so wird van Swietens Aussage mehr eine Aussage über das Werk als über dessen ­Beurteilung. Die zweite und die dritte Änderung befinden sich am Ende des ersten Satzes. Hier hieß es ursprünglich: „ich aber doch eine gnädigste Nachsicht hoffe, wenn Allerhöchstderselben zu erwägen geruhen, daß die schlechten Schriften alle selbst zu lesen, mir an Zeit und jedermann, wie ich glaube, an Muth gebrechen würde.“70 Hier „verschärft“ van Swieten den Text: das ursprüngliche Wort „lesen“ ersetzt er durch die berufsbezogene Tätigkeit „beurtheilen“, und das „würde“ am Ende des Satzes mit der Zwangsläufigkeit des „müßte“. Dieser erste lange Satz ist auch insofern bemerkenswert, als van Swieten das zu Recht als Vorwurf verstandene Handbillet des Kaisers ganz bewusst auf sich persönlich bezieht und dadurch der Antwort einen doppelbödigen Sinn verleiht. Auf der einen Ebene fällt die Antwort in amtlich höflichem Sinne aus: Eure Majestät haben recht, das Werk ist ohne jeden Wert. In Zukunft soll so etwas vermieden werden. Doch unterschwellig enthält das Scheiben, auch unter Berücksichtigung der vorgenommenen Änderungen, eine Art Generalverweigerung, die nur in der höflichen, doch letztlich unverbindlichen Schlussfloskel aufgehoben wird. Der Kaiser hatte in keiner Weise van Swieten persönlich vorgeworfen, diese Schrift nicht gelesen zu haben, was ja nicht die Aufgabe des Präses ist, sondern ihn als Präses angesprochen, dass im Rahmen der Ausübung der Zensur etwas geschehen wäre, was seinem Dafürhalten nach nicht hätte geschehen sollen. Van Swieten antwortet jedoch in einer Art und Weise, als ob er der für diese Schrift zuständige Zensor gewesen wäre, als ob ihm vorgeworfen worden wäre, diese Schrift nicht gelesen bzw. richtig beurteilt zu ­haben: solche Schriften gemäß den von Joseph II. genannten Kriterien des „Non meretur“ zu beurteilen, fehle es ihm an Zeit und wohl „jedermann“ an „Muth“. Diese doch nicht so uneindeutigen Worte beziehen sich auf die Sinnhaftigkeit der Kategorie eines „Non meretur“. Der Zensor muss alle ihm zugeteilten Schriften lesen und beurteilen; ob es „schlechte“ sind, kann er ohnehin erst im Nachhinein feststellen. Insofern zielt die indirekte Botschaft nicht darauf, keine „schlechten Schriften“ mehr zu lesen, weil dazu die Zeit fehle. Die indirekte Botschaft zielt dahin – und hier ist „ich“ und „jedermann“ ein deutliches Signal –, dass eine zensurielle Vorgangsweise, bei der auch noch zu beurteilen wäre, ob eine Schrift überhaupt des Druckes würdig ist, schwer durchführbar sei. Dies würde auch die Arbeit des Zensors beträchtlich vermehren, da die Fälle in der Regel nicht so klar sind und für eine Beurteilung auch klare Richtlinien fehlen. Im genannten Fall waren der militärische Status des Verfassers und seine Zueignung offensichtlich ausschlaggebend. Die inkriminierte Schrift ist eine Art Gedichtband zu allen möglichen Themen – mit bemühtem Witz und Wortspielen, Poesie eines ‚Dilettanten‘ eben, derer es viele gab, vielleicht „ungezogen“, wie der Kaiser schreibt, aber sicher nicht ungezogener als 70 Ebenda.

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etwa Blumauers Ode an den Leibstuhl. Möglicherweise hat van Swieten den poetischen Wert der Schrift ähnlich gesehen wie Joseph II., was sein „in jeder Beziehung“ zu suggerieren scheint. Aber es war nicht im Sinne des Präses, sich auf eine detaillierte Diskussion über ein Werk einzulassen, das er höchstwahrscheinlich nur kurz überflogen hat. Im Zentrum seiner Antwort standen unterschwellig das „Non meretur“ und der Zweifel an dessen zensurieller Praktikabilität.

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„MAN SOLL DEN ZENSOR NICHT FURCHTSAM MACHEN“ Eine Geschichte der Theatralzensur im Josephinismus existiert bis jetzt nicht. Dies hat viele Gründe. Vieles an Unterlagen zur Theatralzensur ist durch den Brand des Justizpalastes zerstört worden, viele Quellen waren schon zuvor nicht mehr vorhanden. Und das vorhandene Material ist weit verstreut. Andererseits scheint die Person des Theaterzensors Hägelin und seine erstaunliche Kontinuität der Amtsführung den Aspekt einer Differentia specifica unterbelichtet zu lassen, wie dies auch in Glossys Beitrag zur Wiener Theatergeschichte, welcher nicht auf die Zensurreformen ­Josephs II. eingeht, bemerkbar wird. Weiters wirft eine unkritische Rezeption von Hägelins berühmter „nachjosephinischer“ Denkschrift aus dem Jahre 1794 ein verzerrendes Licht auf die josephinische Zeit. Zugleich wird vieles, was auf dem Theater geschah, unreflektiert Imperativen einer „Theatralzensur“ zugeordnet, so wie etwa im Fall der Wiener ShakespeareBearbeitungen, als wären diese ausschließlich den Imperativen der „Zensur“ gefolgt. Gewiss hat der Zensor, sofern dies nicht schon vom Theater aus geschehen war, in bestimmte Dialogfolgen eingegriffen, wie etwa vermutlich bei Othello im Hinblick auf die dort häufig vorkommenden sexuellen Anspielungen71 im Sinne der sprachlichen Operationen, welche im ersten Kapitel des zweiten Teils dieser Arbeit beschrieben wurden. Doch gibt es keinen Hinweis darauf, dass der Theaterzensor in die gesamte Dramaturgie eingegriffen und z. B. ein versöhnliches Ende des König Lear gefordert hätte, um das Werk zur Aufführung freigeben zu können, oder dem Macbeth von Stephanie die ihm spezifische Form aufgenötigt hätte. Die „Zensur“ wird so immer auch zu einem Projektionsfeld für alle möglichen Entwicklungen und für alle möglichen Vorfälle. Der „Imperial Censor“ ist allgegenwärtig.

ZENTR ALISIERUNG DER THEATR ALZENSUR? Doch welche Auswirkungen hatte die josephinische Zensurreform auf die Theatralzensur? Ihr sind in den Grundregeln zur Bestimmung einer ordentlichen zukünftigen Bücher Censur folgende Überlegungen gewidmet:

71 Vgl. Renate Häublein: Die Entdeckung Shakespeares auf der deutschen Bühne des 18.  Jahrhunderts. ­Tübingen 2005, S. 150.

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„Was aber Comoedien angeht, da selbe so sehr auf die Sitten einen Einfluß haben, so werden in den Provinzen keine auf den regelmäßigen Theatern aufgeführet werden, welche nicht allhier zu Wien von der Censur entweder in der Stadt oder in den Vorstädten gestattet worden sind, wozu also der Catalogus noch einmal zu durchgehen und nachher in alle Provinzen zu überschicken seyn wird; neue innländische oder ausländische werden alle vor ihrer Aufführung zur hiesigen Censur einzuschicken seyn“.72 Eine Zentralisierung der Theatralzensur ließ im Unterschied zur Bücherzensur allerdings noch länger auf sich warten. Die Frage der „Einförmigkeit“ der Zensur gehörte, wie bereits erwähnt, zu den ersten Agenden von Joseph II. nach dem Tode seiner Mutter. Auch Hägelin äußerte sich dazu in einem Gutachten vom 31.  Dezember 1780, wie aus einem Dokument in den Brandakten des Staatsarchivs hervorgeht.73 Was die Theater betrifft, war Hägelin für eine „Einförmigkeit“ nicht gestimmt – Theaterstücke wie Zeitungen respektive die sogenannten Intelligenzblätter sollten laut seinen Vorschlägen von den landesgubernialen Institutionen inspiziert werden. Die Frage der Zentralisierung der Theatralzensur war auch im Folgejahr Thema einer Sitzung der Zensurkommission, die eine Anfrage aus Böhmen zu beantworten hatte, wie in Zukunft die Theatralzensur geregelt sein solle. So heißt es im Circulandum, betreffend den Vortrag der Böhmisch-Österreichischen Hofkanzlei vom 6. Oktober 1781, das Protokoll „der allhier in Bücher Censurs Sachen aufgestellten Kommission“ betreffend: „Getraue sich die Kommission nicht, auf die von dem Prager Theatral Unternehmer angesuchte Gestattung, die neuen Stücke in Prag censuriren lassen zu dürfen, bey dem diesfalls in den vorgeschriebenen Grundregeln deutlich enthaltenen Ausmaaße, einzurathen; doch würden zu mehrern Behufe alle jene neu vorkommende auch für Schaubühne zuläßigen Theatral Stücke, in den nach Prag alle 14 Tage mittheilenden Consignation der neu vorgekommenen Bücher, mit dem Beysatze admittitur per scene eingeschaltet werden.“74

72 Joseph II.: Grundregeln. 73 Gutachten Franz Karl Hägelins zur Frage der Einförmigkeit der Zensur vom 31. Dezember 1780. Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1332, Zensur Niederösterreich, 1780–1789. 74 Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Bücherzensur, 1762–1793, Ic 59480, f. 109hf.

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Zu dieser Frage lautet die allerhöchste Resolution vom 19. Oktober 1781: „In Böhmen allein ist wegen dem wichtigen Bücherhandel und Tausch in der Nähe von Leiptzig ein Unterschied zu machen, da können zum Theil die angetragenen Vorsichten gebraucht werden; was Theaterstücke anbelangt, da deren Wichtigkeit nicht so groß ist, so können selbe gantz wohl auch in Prag censuriret werden ohne sie auf Wien zu schicken. Überhaupt müssen die principia directive so der hiesigen einzigen u allein zu bestehen habenden Censurscom gegeben worden sind, wohl denen landesstellen begreiflich gemacht werden, damit nicht jede niederen seinerseits eine neue Erfindung auf die Welt bringen.“75 Diese Resolution vom Oktober 1781 weicht somit vom Zentralisierungsprinzip der Grundregeln ab. Darin zeigt sich die hohe Ambivalenz, die dem Theatralen anhaftete. Es war einerseits Gegenstand einer „Hochsemantik“, „Schule der Sitten und des Geschmacks“, wie es auch in der Kameralistik gelehrt wurde, ideales Bildungsmedium oder zumindest, wie es in den Grundregeln heißt, maßgeblicher Faktor des Einflusses auf den Zustand der Sitten, andererseits, wie dem Circulandum zu entnehmen, ein Gegenstand, dessen Bedeutung doch nicht so groß wäre, letztlich tendenziell etwas Kurzlebiges wie Zeitungen, welche in den Ländern zensuriert werden sollten. Wie wir wissen, hat sich Joseph II. für das Theater sehr interessiert und im Hinblick auf die dem Hof unterstehenden Theater auch auf sehr praktische Angelegenheiten wie etwa das Engagement von Sängern und Schauspielern Einfluss genommen. Bei seinen Reisen besuchte er stets auch die Theater und brachte gelegentlich sein Wohlwollen zum Ausdruck wie gegebenenfalls auch seine Missbilligung. Doch gab es auch eine Kehrseite, die sich nicht so sehr gegen das Theater als gegen den Vertrieb von „Komödienbüchl“ richtete und erst gegen Ende des josephinischen Jahrzehnts ( Jänner 1789) aufkam, die sogenannte „Stempelgebühr“. Dabei handelte es sich primär um eine weitere Einnahmequelle des Staates, die Publikationen wie etwa Zeitungen, mit Ausnahme der Wiener Zeitung, betraf, alles, was man nicht besonders förderungswürdig fand, und dazu gehörten auch Komödienbüchl.76 Und davon war, wie aus einem bislang unbekannten Akt der Wienbibliothek hervorgeht, auch Lorenzo da Ponte betroffen, seit 1783 vom Kaiser zum „Poeta de’ teatri imperiali“ berufen, der, wie aus der Abschrift der Wienbibliothek hervorgeht, nach dem Tode Josephs II. Beschwerde gegen die Stempelgebühr einlegte, sich dabei auf seinen Vertrag berufend. Laut diesem wäre ihm der Verkauf von Textbüchern als Teil seiner

75 Ebenda, f. 113h. 76 Vgl. Sashegyi: Zensur und Geistesfreiheit, S. 230.

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Besoldung zugestanden worden, für ihn nunmehr ein tendenzielles Verlustgeschäft, da der Verkauf aufgrund der durch die Stempelgebühr bedingten Verteuerung rückläufig wäre. Seinem Antrag auf Befreiung von der Stempelgebühr wurde letztlich stattgegeben, auch mit dem Hinweis darauf, dass geplant sei, Textprodukte des Burgtheaters von dieser Gebühr auszunehmen.77 Die Zentralisierung der Theatralzensur setzte erst verspätet ein, mit Dekret vom 26. April 1782, welches veranlasste, dass alle in den k. k. Erbländern zur Aufführung geplanten Stücke in Wien zu zensurieren seien.78 Es ist nicht eindeutig, was letztlich die Gründe dafür waren, von oben genannter Resolution des Vorjahres abzugehen. In seinem bereits genannten Gutachten aus dem Jahre 1803 beschreibt Franz Karl Hägelin den Vorgang folgendermaßen, wobei er aus damaliger Erinnerung das Jahr 1783 anführt: „Im Jahre 783 [1783] wurde durch eine Allerhöchste Verordnung Kaiser J­ osephs des 2ten Majst befohlen, daß alle Theaterstücke in deutschen Erbländern hierorts zensuriret werden sollten. Es wurden also von Prag, von Olmütz, von Brünn, von Grätz und Linz durch geraume Zeit alle aufzuführenden Stücke eingeschickt, und von dem Unterzeichneten censurirt. Es klecken nicht 200 Theaterstücke, die der Unterzeichnete dem damaligen Impresar zu Brünn Bergopzoomer, bis zur erfolgten Einäscherung des dortigen Theaters zensurirte. Nach und nach kam es von dieser Ausbreitung der Theatralzensur für andere Provinzen ab. […] Grätz schickte die dort aufzuführenden Theaterstücke am längsten hieher zur Zensur; und da manche lange Zeit durch den Canal des hiesigen Bücherrevisionsamts an den Unterzeichneten 77 „Circulandum: Vortrag der Studienhofcom. vom 18. Aug. 1790: Ueber das Gesuch des Abbe Da Ponte um Befreyung der wälschen Opernbüchel von der Stemplung: Zur Unterstützung seines Gesuches führt der Bittsteller an: 1.) daß der Druck dieser Büchel für die Sänger und Musiker, und selbst für das Publikum, da die Opern in einer fremden Sprache gegeben werden, nothwendig seye. 2.) daß man ihm von Seite der Theaterdirezion den Verschleiß der Opernbüchl als einen Theil seiner Besoldung überlassen habe, wobey er nun statt zu gewinnen, offenbar verlieren müsse; indem wegen des durch die Stempelung erhöhten Preises nicht einmal so viele ­Bücheln verkauft würden, daß davon die Druckkosten hereingebracht werden könnten. 3.) weil er immer einen Vorrath von solchen gestempelten Bücheln haben und auf den Fall, daß sie keinen Absatz hätten, auch noch den Stempelbetrag verlieren müsse. Die Hofkommission erinnert: sie wäre schon vorhin […] der Meinung gewesen, daß die Bücheln derjenigen Schauspiele, die hier aufgeführt werden, nicht wohl mit einem Stempel belegt werden sollten; die vom Bittsteller angeführten Gründe seyen immer einiger Betrachtung würdig, und daher glaubt sie, Kommission, daß in derer Rücksicht den gegenwärtigen Gesuch willfahrt werden dürfte.“ (Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Wiener Theater, 1708–1802, Ia 59478, f. 261f.) Dem Ansuchen wurde von allerhöchster Seite laut Circulandum am 14. September 1790 stattgegeben (ebenda, f. 262v). 78 Vgl. Glossy: „Zur Geschichte der Wiener Theatercensur“, S. 275f.

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gelangten, so hat er Verdacht, daß vielleicht einige daselbst, die nur für die Lektüre paßiert wurden, auch aufgeführt worden seyn möchten, welches er jedoch nicht gewiß weiß.“79 Aus zeitlicher Distanz beschreibt Hägelin den Vorgang der Zentralisierung in der Rückschau aus dem Jahre 1803 nicht sehr präzise, wie denn aufgrund seiner Darstellung auch der Verdacht bestehen muss, dass eine wirksame Kontrolle der zentralistischen Verfügungen wohl kaum in Kraft war, wie Hägelin anhand des Grazer ­Beispiels auch zugeben muss. So wurden offensichtlich nicht nur Stücke aufgeführt, welche nur im Druck zugelassen waren, sondern es wurden auch, zumindest partiell, die von der Wiener Zensur geforderten textlichen Abänderungen bei Aufführungen nicht berücksichtigt – dafür bringt Hägelin in ebendemselben Gutachten ein weiteres Beispiel aus Graz, betreffend Kotzebues Schauspiel Die Sonnenjungfrau, auf welches ich im letzten Kapitel des vierten Teils ausführlich eingehen werde: „[Das Kotzebuesche Stück: ‚Die Sonnenjungfrau‘ ist nach dem gedruckten Texte sehr anstößig. Die hiesige Theatraldirektion hat vor mehreren Jahren das Stück durch den ehemaligen gelehrten Theatralsekretär Jünger so reinigen lassen, daß es zulässig wurde;] die Correcturen und sonstigen Änderungen betrugen 4 geschriebene Bogen. […] In Grätz erhielt man den Anschlag Zettel dieses hier aufgeführten Stückes, und ohne zu bedenken, daß das Stück hierorts zensurirt und corrigirt worden seyn müsse, wurde gedachtes Stück nach dem Kozebueschen Texte auf die anstößigste Art aufgeführt.“80 Davon hat Hägelin eher zufällig erfahren81, und hier stellt sich die Frage, wie eine Zentralisierung der Theatralzensur erfolgt ist und ob sie nennenswerte Auswirkungen auf die theatrale Praxis gehabt hat – ein spannendes weiteres Forschungsthema, dem ich im Rahmen dieser Arbeit nicht systematisch nachgehen kann und welches eine detaillierte Analyse der jeweiligen regionalen Befunde erfordert. Dies gilt in gleicher Weise für die Expansion des Theatralen in viele kleine Städte und Ortschaften des Landes, über deren zensurielle Kontrolle wir bislang keine systematischen Informationen besitzen (siehe dazu auch den letzten Abschnitt dieses Kapitels), außer, dass eben „censurirte Stücke“ gegeben werden sollten. Hägelins Ausführungen samt den gegebenen Beispielen, welche sich auf größere Städte fokussieren, geben 79 Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Polizeihofstelle, Z No. 58 a, ex 1803: Gutachten von Franz Karl Hägelin zu Fragen der Theatralzensur, [f. 2hf.]. 80 Ebenda, [f. 6v]. Der in eckige Klammer gesetzte Teil ist im originalen Gutachten, Teil der Brandakten, nicht mehr durchgängig identifizierbar – hier wurde auf Glossys Edition zurückgegriffen (Glossy: „Zur Geschichte der Theater Wiens I“, S. 45f.). 81 Vgl. ebenda.

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keinerlei Hinweis, wie die Theatralzensur in all den kleinen Ortschaften des Landes funktioniert hat. Und anders als im Fall der „eingeschickten“ Stücke aus Graz, Prag oder Brünn ist es wohl eher unwahrscheinlich, auch aus Gründen der Arbeitsökonomie, dass Hägelin „eingeschickte“ Stücke aus Fischamend, Hütteldorf und Zistersdorf zensuriert hätte. Laut Hägelins Aussage aus dem Jahre 1803 hörte diese Praxis der „Zentralisierung“ „nach und nach“ auf, wobei, aus welchen Gründen auch immer, Graz am längsten an dieser Gepflogenheit festhielt (wohl nicht zuletzt deswegen, weil man aus der Sicht des Theaters eine ferne zentrale Zensur als weit angenehmer empfinden konnte als einen möglicherweise bornierten regionalen Zensor, und Graz ist offensichtlich auch gegenüber Wien einige ‚Sonderwege‘ gegangen). Jedenfalls gibt es keine sehr präzisen Angaben im Hinblick auf die Bedingungen des Abbruchs der Zen­ tralisierung. Doch enthalten die Brandakten des Österreichischen Staatsarchivs ein Dekret, welches das Ende der Zentralisierung dokumentiert, ein Dekret, gezeichnet am 27. März 1786, ausgesandt an alle Länderstellen mit Ausnahme der Niederösterreichischen Landesregierung, für deren regionale zensurielle Belange Hägelin wohl auch weiter zuständig war: „denselben wird überlassen, die Theaterstücke künftig selbst zu censurieren, und sey nur darauf zu sehen, daß derley Stücke nicht den gesunden Menschenverstand, die Religion und Sitten beleidigen“.82 Zwar wäre zuvor festgesetzt worden, „daß in den Provinzen auf dem regelmäßigen Theater keine anderen Stücke aufgeführt werden sollen, als welche bereits von der hiesigen Theatralcensur gestattet worden sind“,83 aber angesichts der „nunmehr von der Schaubühne ganz verbannten Unsittlichkeit“84 könne man sich „auf die Einsicht, und Aufmerksamkeit der Landesstellen verlassen“,85 womit dem Gubernium „von nun an die Befugniß ertheilt [wird], die vorkommenden Theaterstücke unmittelbar selbst zu censurieren, und die Aufführung denjenigen, welche den gesunden Menschenverstand, die Religion, und die Sitten nicht beleidigen, zu erlauben“.86

82 Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1332, Zensur Niederösterreich, 1780–1789. 83 Ebenda. 84 Ebenda. 85 Ebenda. 86 Ebenda.

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DER ENTRÜMPELTE INDEX Doch kommen wir auf die im ersten Kapitel des dritten Teils bereits behandelte Frage zurück, welche Indikatoren es gibt, einen Wandel in der Beurteilung des Theatralischen unter Zensurgesichtspunkten zu beschreiben. Das ist kein leichtes Vorhaben, da sich eine solche Vorgangsweise auf den Gesamtprozess der theatralischen Ereignisse und deren Rezeption zu erstrecken hätte. Dabei ist etwa die Frage, was verboten ist bzw. welche Passagen eines Werkes dem Strich anheimfallen, nur ein Aspekt; viel entscheidender ist, was nun möglich ist, was sich verändert hat an theatralischen Ausdrucksmitteln, was andererseits vielleicht nur marginal mit veränderten Bedingungen wie Praxismustern einer Theaterzensur zu tun hat. Es gibt jedoch einen ‚indirekten‘ Weg, das Ausmaß der Veränderung zu bestimmen: anhand des Vergleichs der theresianischen Verbotslisten zu Drucken von Theaterstücken mit den entsprechenden Verbotslisten der 1780er Jahre. Auch wenn das noch lange nicht bedeutet, dass die nunmehr freigegebenen Stücke auch alle spielbar gewesen wären, so zeigt ein solcher Vergleich doch deutlich die Verschiebung der kulturellen Wahrnehmungsmuster, welche auch für die theatralzensurielle Praxis von Belang waren. Solche Veränderungen schaffen zumindest neue kulturelle ‚Übergänge‘, und gerade die josephinische Kultur ist von solchen ‚Übergängen‘ gekennzeichnet. War etwa Beaumarchais’ Figaro als Schauspiel verboten, so konnte der Stoff, gegossen in die Form einer Commedia per musica, als Gala-Ereignis für des Kaisers Nichte, noch dazu einer jungen Braut, dienen, ganz abgesehen davon, dass der Text des auf der Bühne verbotenen Schauspiels in vielerlei Textvarianten mit Genehmigung der Zensur allseits zugänglich war. Das Ergebnis des Vergleichs ist durchaus beeindruckend. Von den im ersten Kapitel des dritten Teils genannten verbotenen Stücken sind nur sieben im josephinischen Katalog verblieben.87

87 Catalogue des livres défendus par la commission impériale et royale. Jusqu’à l’année 1786. Bruxelles M.DCC. LXXXVIII. ÖNB, Sign. 421647 – B Alt Mag.

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Schauspieldrucke des Catalogue des livres défendus par la commission impériale et royale. Jusqu’à l’année 1786. Bruxelles M.DCC.LXXXVIII., die bereits vor der Alleinregierung Josephs II. in den k.k. Erbländern auf den Index gesetzt worden waren: Le Bordel ou le Jean-Foutre puni „Bordel (le) ou le jean-foutre puni, comédie in 8.“ (S. 12) Anne-Claude-Philippe de Caylus (1692–1765) Le Bordel ou le Jean-Foutre puni Comédie Ancone 1747 Ernest, oder die unglücklichen Folgen der Liebe „Ernest, oder die unglücklichen Folgen der Liebe, ein Drama in 3 Aufzügen. Berlin 1776, in 8.“ (S. 25) Christian Friedrich von Bonin (1755–1813) Ernest oder die unglücklichen Folgen der Liebe Ein Drama in drei Aufzügen, in einer freien Übersetzung aus dem Französischen nach den Leiden des jungen Werthers Berlin 1776 L’Eunuque, ou la Fidelle infidélité „Eunuque (l’), ou la fidelle infidélité, parade en vaudevilles par **, Montmartre. 1750. in – 8.“ (S. 27) Charles François Racot de Grandval (1710–1784) L’Eunuque, ou la Fidelle infidélité Parade en vaudevilles, melée de prose et de vers Montmartre 1750, Reimpression Masuren oder der junge Werther „Masuren (oder der junge Werther), ein Trauerspiel aus dem illirischen. Franckfurt und Leipzig, 1768 [sic]. in – 8.“ (S. 54) August Friedrich Siegfried Goue (1743–1789) Masuren oder der junge Werther Ein Trauerspiel aus dem Illyrischen Frankfurth und Leipzig 1775 Le Triomphe de l’amour, ou Don Pedro de Castille „Triomphe (le) de l’amour, ou dom Pedro de Castille, Comédie, par Mr. Leroux, Paris. 1722. in-8.“ (S. 82) Le Roux Le Triomphe de l’amour, ou Don Pedro de Castille Comédie mise en vers Paris 1722 Die neuen Vestallinnen „Vestalinen (die neuen) Schauspiel, in trochäischer Versart. 1777. in-8.“ (S. 84) Johann Nepomuk Lengenfelder (1753–1783) Die Neuen Vestallinnen Ein Schauspiel in trochaischer Versart o. O. 1777

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Die Weiberstipendien, oder die wohlfeile Miethe der Studenten „Weiber Stipendiaten, oder die wohlfeile Miethe der Studenten; ein Lustspiel. Franckfurt und Leipzig. 1757. in – 8.“ (S. 88) Heinrich August Ossenfelder (1725–1801) Die Weiberstipendien, oder die wohlfeile Miethe der Studenten Frankfurt und Leipzig 1751

Von den vor 1770 erschienenen Theatraldrucken sind nur vier in den neuen Index übernommen, von den Stücken, die zwischen 1770 und 1780 verboten wurden, scheinen noch drei im Catalogue auf: zwei Werther-Stücke (wobei, wie bereits erwähnt, Masuren oder der junge Werther keine unmittelbare Dramatisierung von Goethes Briefroman ist, welcher erst 1786 freigegeben wurde) sowie Johann Nepomuk Lengenfelders Die Neuen Vestallinnen, worauf ich im letzten Kapitel in Zusammenhang mit der Stofftradition der „vestalischen“ Dramen, zu denen auch die im vorangegangenen Abschnitt genannte Sonnenjungfrau zählt, detailliert eingehen werde. Catalogue des livres défendus par la commission impériale et royale. Jusqu’à l’année 1786. Bruxelles M.DCC.LXXXVIII. Verbote von theatralen Drucken während der Alleinregierung Josephs II.: 1781 bis 1786 Der Frömmler „Froemmler (der) ein Lustspiel in 5 Aufzügen. 1782. in – 8.“ (S. 31) Anonym Der Frömmler Ein Lustspiel in fünf Aufzügen o. O. 1782 Herr und Frau von Holtz „Herr und Frau von Holtz, in 3 Aufzügen… in – folio.“ (S. 38) Kein Druck respektive kein Manuskript identifizierbar Julus und Rhea „Julus und Rhea, ein Musikalisches Drama, in einem Aufzuge. Strasburg. 1779, in-8.“ (S. 44) Johann Gabriel Bernhard Büschel (1758–1813) Julus und Rhea Ein Musikalisches Drama in einem Aufzuge Strasburg 1779 Die Nonne oder der ertappte Mönch „Nonne (die) oder der ertappte Moench; Lustspiel in 3 aufzügen. Leipzig, 1782, in – 8.“ (S. 59) Henry Fielding (1707–1754) Die Nonne, oder der ertappte Mönch Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Aus dem Englischen des Fieldings übersetzet. Leipzig 1782

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Kaiser Otto III. „Otto III. (Keiser), Trauerspiel. Goettingen, 1783, in – 8.“ (S. 62) Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr (1757–1822) Kaiser Otto der Dritte Ein Trauerspiel Göttingen 1783 Die Räuber „Raüber [sic] (die) ein Schauspiel. Franckfurt und Leipzig, 1781.“ (S. 68) Johann Christoph Friedrich von Schiller (1759–1805) Die Räuber Ein Schauspiel Franckfurt und Leipzig 1781 Prinz Seidenwurm der Reformator „Seidenwurm (der Printz) der Reformator, ein Moralisches Drama, aus dem 5ten theil des Orpheus. Genf, 1780, in-8.“ (S. 75) Friedrich Maximilian Klinger (1752–1832) Prinz Seiden-Wurm der Reformator oder die Kron-Kompetenten Ein moralisches Drama aus dem 5. Theil des Orpheus Genf 1780

Auf die möglichen Gründe für die Freigabe von mehr als 90 % der in der theresianischen Zeit und davor verbotenen theatralen Drucke bin ich schon im ersten Kapitel des dritten Teils meiner Arbeit eingegangen. Gottfried van Swieten, der sich anders als sein Vater für die ‚Literatur‘ interessierte, sah sich auch wie die zuvor genannten Kritiker der Zensur als Schutzherr der Literatur und meinte diesbezüglich ironisch, dass unter seinem Vater die Schriften der Schönen Wissenschaften und Miscellaneen am stärksten geprüft wurden und fast schon aufgrund dieses Tatbestands ein Verbot auf sich gezogen hätten. Die Klage des Vaters über die Materies mixtae ist jedenfalls bekannt, eine Klage, der sich bald darauf nicht ohne berechnenden Gestus Sonnenfels anschloss. Für Gottfried van Swieten waren es zwei miteinander verbundene Perspektiven, die den Zugang zur ‚Literatur‘ markierten. Einerseits ging es um die Zulassung von historischen, gewissermaßen klassischen Schriften, zu denen man nicht nur die Schriften der Griechen und Römer zählte, sondern auch die jener Schriftsteller, „welche gleich bey der wiederauflebenden Literatur und auch in neueren Zeiten sich durch die Zierlichkeit der Sprache und lebhaften Erfindungs-Geist ausgezeichnet haben, und zur Aufklärungs-Geschichte einer jeden Nation als Urkunden dienen“88. Dazu zählten auch die Dramen der Renaissance wie die englischen Dramen der Restaurationszeit. Solche Werke seien kulturelle Dokumente der jeweiligen Zeiten und

88 Zitiert nach Sashegyi: Zensur und Geistesfreiheit, S. 112.

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als solche äußerst nützlich, und sie seien auch nicht als anstößig zu klassifizieren, da ihnen andere moralische Bewertungsschemata zugrunde lägen.89 Doch wie die Liste zeigt, ist vor allem die neuere und neueste Literatur im Hinblick auf mögliche Verbotsgründe neu bewertet worden. In Paraphrasierung von Gottfried van Swietens Worten im Hinblick auf die große Revision des Catalogus schreibt Sashegyi: „Wollte man Dichter und Romane allein nach dem Eindruck, den sie bei leicht entflammbaren Temperamenten erwecken könnten, beurteilen, dann würden wenig Bücher, und besonders keine Art des Schauspiels, dem Verbote entgehen. Die Sorge der Zensur sollte aber nicht die eines Hausvaters sein und ihre Ängstlichkeit nicht zu weit treiben.“90 Von den vielen Werken der 1770er Jahre, die von Hägelin als Bücherzensor begutachtet wurden, blieben nur drei auf der Verbotsliste – zwei Werther-Dramen und Die Neuen Vestallinnen. Das Verbot der Ersteren ist nicht unabhängig vom nach wie vor aufrecht erhaltenen Verbot von Goethes Briefroman zu sehen, der erst durch eine Resolution des Kaisers vom 13.  März 1786 freigegeben wurde.91 Anlass für diese Neubewertung war die Beurteilung einer französischen Nachahmung des Werther: auf Anraten des Zensors Athanasius Szekeres (1741–1794) schlug die Kommission vor, nicht nur diese zuzulassen, sondern „auch das ohnehin von jedermann gelesene deutsche Original“ aus dem Verzeichnis der verbotenen Bücher zu streichen. Dieser Vorschlag fand in der Hofkanzlei keine Zustimmung. Es wurde geargwöhnt, dass dieses „höchst schwärmerisch und hinreißend geschriebene Werk“92 eine üble Wirkung gezeitigt hätte, „indem seit der Zeit, als es in Druck erschien und von mehreren gelesen worden, Schwärmerei, Hang zum Selbstmord gewiß nicht abgenommen“93 hätten. Eine Verteidigung der Aufhebung des Verbots erfolgte im Staatsrat: die Selbstmorde der letzten Zeit hätten keine Liebesschwärmerei zur Ursache, daher wäre das Werk aus dem Catalogus zu streichen, „sonst müßte man mit noch weit angemessenerer Behutsamkeit den Gebrauch von Pistolen, Degen und Messern verbieten“.94 Der Kaiser unterschrieb am 13. März 1786 die Resolution, die also lautete: „Kann diese Piece so wie das Original selbst, allerdings erlaubet werden“.95 Wie bereits erwähnt, war das zweite der nach wie vor verbotenen Werther-Stücke, Masuren oder der junge Werther, keine unmittelbare Dramatisierung von Goethes

89 Vgl. ebenda, S. 112f. 90 Ebenda, S. 113. 91 Resolution Josephs II. zur Genehmigung des Werther vom 13.  März 1786, zitiert in: ebenda, S. 208. 92 Zitiert nach ebenda, S. 207. 93 Zitiert nach ebenda. 94 Zitiert nach ebenda, S. 208. 95 Zitiert nach ebenda.

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Briefroman – ausschlaggebend für die Aufrechterhaltung des Verbots dürften jene Szenen gewesen sein, in denen junge Nonnen von ihrer Äbtissin an reiche Männer verkuppelt werden, um die Klosterkasse aufzufüllen. Doch wie schon die Zensoren und Staatsräte wussten, war der verbotene Werther ein allseits bekanntes Werk, offensichtlich ohnehin allgemein gelesen. Davon zeugen auch etliche andere Adaptionen. So berichtet Friedrich Nicolai von der Aufführung eines tragischen Balletts ­genannt Der junge Werther in Linz, aufgeführt am 31. Mai 1781,96 wie von einem großen Feuerwerk in Wien, welches den Titel Werthers Zusammenkunft mit Lotte im Elysium trug.97 Die Aufrechterhaltung des Verbots des Dramas Die Neuen Vestallinnen werde ich gemeinsam mit den in den 1780er Jahren neu verbotenen Stücken Julus und Rhea, Der Frömmler und Die Nonne, oder der ertappte Mönch im letzten Kapitel diskutieren. Eines der ersten Verbote, welche Hägelin im Bezug auf den Druck theatraler Werke vornahm, betraf ein ebenso prominentes und weit rezipiertes Werk wie Goethes Werther: das Schauspiel Die Räuber von Friedrich Schiller im ersten Druck des Jahres 1781. Dank des kurzen, schon zitierten Aufsatzes von Friedrich Walter, dem nach dem Justizpalastbrand ein schmales Aktenbündel in die Hände gefallen ist, sind einige originale Aussagen von Hägelin zu diesem 1781 ausgesprochenen Verbot erhalten.98 Demgemäß wäre der Stoff an sich nicht anstößig, wohl aber einzelne Stellen, die ein Verbot des ganzen Druckes rechtfertigen würden. „Obwohl nun zwar der Stof dieses Stücks überhaupt betrachtet, nichts Anstössiges in sich fasset, so ist doch dessen Einkleidung um so reichhaltiger an Stellen, die sogar alle natürlichen Gesetze und ­Morale übern Haufen werfen.“99 In besonderer Weise bezieht sich Hägelin auf den Monolog des Franz Moor in der 1. Szene des I. Aktes, in welcher dieser „seine höchst ärgerlichen Ansichten über Eltern- und Geschwisterliebe“100 kundtut. Laut Walter trifft Hägelin folgendes abschließendes Urteil: „Man glaube durch diese einzige angeführte Stelle zu dem vom Referenten angetragenen Verbot dieses Schauspiels hinlänglichen Grund angegeben zu haben, ohne daß noch deshalb die übrigen ärgerlichen Stellen auszuziehen nöthig zu sein scheine, in welchem die Räuber freylich nur nach ihrer Art, als Bösewichte, dennoch aber eine gar zu anstößige Sprache führen“101.

96 Vgl. Friedrich Nicolai: Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781. Nebst Anmerkungen über die Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten. Erster und zweyter Bd. Berlin, Stettin 1783, S. 531f. 97 Vgl. ebenda, S. 532. 98 Walter: „Neue Dokumente theresianisch-josephinischer Zensur“. 99 Ebenda, S. 205. 100 Ebenda. 101 Ebenda.

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Diese Argumentation erinnert an die zu Beginn der Alleinregierung Josephs II. und vor der großen Revision des Catalogus teilweise noch aus theresianischer Zeit übernommenen Gebräuche. Doch werden diesem Verbot eines Dramendrucks nicht mehr allzu viele folgen. Vor allem ist es der einzige Druck von Schillers Schauspiel, der verboten wurde; die weiteren Drucke mit modifiziertem Text waren in Wien in der Folge vom Verbot nicht betroffen. Ja mehr noch, Hägelin erteilte die Erlaubnis, Die Räuber in Wien in wie auch immer modifizierter Fassung auch auf die Bühne zu bringen. Es war allerdings nicht das „Nationaltheater“, welches Schillers Drama aufführte, sondern das Kärntnerthor-Theater, und zwar 1783, im Jahr nach der Mannheimer Uraufführung. Die Truppe von Barbara Fuhrmann gab dieses Schauspiel am 20. Oktober 1783 das erste Mal, aber es ist nicht auszuschließen, dass es bereits zuvor gegeben wurde.102 Etwa drei Jahre später, im ersten Halbjahr 1786, wurden die R ­ äuber von der Gesellschaft junger Schauspieler des Felix Berner in der Komödienhütte am Neuen Markt aufgeführt.103 Weitere Aufführungen der Räuber sind im Folgejahr, im Juli 1787, nachgewiesen, und zwar in einer vor dem Burgtor gelegenen Schindelhütte sowie im Theater zum weißen Fasan auf dem Neustift.104

HÄGELIN – EIN „JOSEPHINISCHER“ ZENSOR Im letzten Kapitel des ersten Teils wurde versucht, ein Profil Franz Karl Hägelins zu Beginn des letzten Jahrzehnts der theresianischen Regierung zu erstellen. Welches ‚Image‘, sofern wir zeitgenössische Einschätzungen heranziehen, hatte Hägelin, nunmehr einer der altgedienten Zensoren, zu Beginn der Alleinregierung J­ osephs II.? Zitiert sei zunächst Friedrich Nicolai, der in seiner ausführlichen Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781 auch über Hägelin schreibt, allerdings nicht in seinen Berichten über das Wiener Theater oder über die österreichische Zensur, sondern in einem Kapitel, in welchem er die in Wien niedergelassenen Körperschaften und somit auch die Niederösterreichische Landesregierung beschreibt: „Herr Franz Karl von Hägelin. Er ist aus dem Reiche gebürtig, und in Halle ein Zuhörer Wolfs gewesen. Er hat als Mitglied der Censur, und als TheaterCensor sehr oft Gelegenheit gehabt, die ehemalige harte Unterdrückung guter Schriften und freymüthiger Denkungsart, so weit es die damalige kritische Lage der Sache erlaubte, zu mildern. Er ward schon vor ziemlicher Zeit 102 Franz Hadamowsky: Schiller auf der Wiener Bühne 1783–1959. Wien 1959, S. 34. 103 Ebenda. 104 Ebenda.

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bei der Errichtung der Normalschulen zu Rathe gezogen; darinn ist Er immer für die gute Sache der Aufklärung gewesen, und es war nicht seine Schuld, daß nützliche Rathschläge dabey nicht befolgt wurden.“105 Friedrich Nicolai hat bei seinem Wien-Aufenthalt im Jahre 1781, angetan von der politischen Entwicklung, eine große Anzahl von Personen kennengelernt bzw. wiedergetroffen. Hägelin selbst dürfte, soweit man seine vielfältigen Angaben berücksichtigt, nicht dazugezählt haben. Doch scheint Nicolai über Hägelins Aktivitäten wie soziale Kanäle recht gut informiert gewesen zu sein, sowohl über seine Tätigkeit als Zensor wie auch über seine Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Schulreform. Eine der Informationsquellen mag Staatsrat Gebler gewesen sein, der Hägelin dereinst in die neue Schulkommission empfahl und, wie man zu Recht annehmen kann, wohl auch als Nachfolger Sonnenfels’ für die Theatralzensur. Für Friedrich Nicolai zählt Hägelin zu jenen Personen, die ihre Potentiale in der theresianischen Zeit nicht ausschöpfen konnten und die nun unter veränderten politischen Bedingungen und in einem offeneren Klima die Chance gewinnen könnten, ihre vielfältigen Ideen in die Tat umzusetzen. Hägelin wird gewissermaßen als ‚Gefangener‘ der theresianischen Politik dargestellt, der trotzdem bemüht war, dort mildernd zu wirken, wo es ihm möglich war: ein Ruf, der Hägelin auch unter völlig geänderten Bedingungen er­ halten geblieben ist – auch nach seinem Tod während der französischen Besetzung in Wien 1809. So enthielt der in der Wiener Zeitung erschienene Nekrolog folgende S­ ätze: „Ihm verdankt man, daß Wielands deutscher Mercur, das deutsche Musäum und die Schriften eines Archenholz u. a., allgemein erlaubt wurden; ihm gelang es, mit dem Staatsrathe Freyherrn v. Gebler, für die Aufnahme des umgestalteten, und zu einem Tempel des reinen Geschmackes trotz mächtiger Hindernisse erhobenen deutschen Theaters, kraftvoll zu wirken, und dem Neide, der Unwissenheit und Cabale Schranken zu setzen.“106 Bemerkenswerterweise übergeht Nicolai, der sich in seiner Reisebeschreibung auch ausführlich und kritisch mit der österreichischen Zensur befasst, Hägelins Funktion als Theaterzensor, ein Faktum, das ihm nicht unbekannt gewesen sein kann. Im Unterschied zur theresianischen Zensur schien ihm – um es mit Vorsicht zu sagen – die

105 Friedrich Nicolai: Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781. Nebst Anmerkungen über die Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten. Dritter Bd. Berlin, Stettin 1784, S. 353. 106 Wiener Zeitung, Nr. 91, vom 18. November 1809, ein Nachtrag zum Nekrolog, veröffentlicht in der Ausgabe vom 28. Oktober 1809.

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aktuelle Theatralzensur nicht in einem Maße ‚auffällig‘, um eigens über sie zu berichten. Ein weiteres Zeugnis über Hägelin aus der frühen josephinischen Zeit stammt vom Dramaturgen und Schriftsteller Johann Friedrich Schink, dessen Tragödie Lina von Waller in der theresianischen Zeit – wie ausführlich beschrieben – auf den Index des Catalogus librorum prohibitorum gesetzt worden war, und erschien in Schinks Dramaturgischen Fragmenten. In diesem Periodikum fällt der Name Hägelin in einem Beitrag über eine Wiener Aufführung von Friedrich Wilhelm Gotters (1746–1797) Lustspiel Der argwöhnische Ehemann, eine Bearbeitung von Benjamin Hoadlys (1706–1757) englischer Komödie The Suspicious Husband,107 welche am 26.  Mai 1781 am Wiener Burgtheater108 erstaufgeführt wurde: „Ich kann diese Gelegenheit nicht vorbei lassen, hier öffentlich diesem würdigen Manne meine Achtung zu bezeugen. Wien scheint nicht zu fülen, was es an ihm hat, scheint ihn nicht zu kennen, wie ich ihn kenne; als den freimütigsten Mann für Warheit und Recht, den eifrigsten Aufhelfer der Litteratur, den mächtigsten Verteidiger der Freiheit zu denken und zu schreiben, hellen Kopfes, frei vom Vorurteil und gerade im Denken und Handeln; dem nur leider zu oft Dumheit und Kabbale die Hände gebunden haben, und noch binden und manches Gute hindern, das durch ihn geschehen könnte und würde.“109 Eine Würdigung als aufgeklärter, freimütiger Denker, ja als Kämpfer für die Aufklärung wurde Hägelin auch drei Jahre später in der Biedermanns-Chronik zuteil, welche 1784 im fiktiven Ort „Freyheitsburg“ erschienen war, mit in alphabetischer Reihenfolge angeordneten kurzen Beschreibungen besonders aufgeklärter Männer. Diese anonym erschienene Schrift, als deren Autor mittlerweile Johann Rautenstrauch angesehen wird, wurde 1784 verboten,110 im Folgejahr jedoch von der Zensur zugelassen.111 Sie enthält einen relativ langen Eintrag zu Hägelin:

107 Uraufgeführt in London, Covent Garden, am 12. Februar 1747. 108 Weitere Aufführungen in diesem Jahr erfolgten am 27. Mai, 21. Juni und 20. August. Das Werk blieb im Repertoire und wurde auch in den Jahren 1782, 1783, 1784 und 1788 auf die Bühne gebracht (Hadamowsky: Die Wiener Hoftheater. Bd. 1, S. 10f.). 109 Schink: Dramaturgische Fragmente, S. 177f. Besonderes Augenmerk verdient der Kontext, in welchem Hägelin bei Schink als Theatralzensor eingeführt wird – ich werde darauf im fünften Abschnitt zurückkommen. 110 Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Bücherzensur, 1751–1791, Ib 59480, f. 317. 111 Ebenda, f. 374.

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„K. K. wirklicher N. O. Regierungsrath, Theatral- und Büchercensor. Einer der stattlichsten Biedermänner Wiens; ein gelehrter, fähiger, arbeitsamer, wahrheitliebender und freymüthiger Patriot, der so viele den Staat, die Religion und die Aufklärung betreffende Geschäfte unter Händen hat, und die damit verbundene Gelegenheit, Gutes zu stiften, sorgfältig nützt. Er war Seibts vorzüglichster Retter. Sein Referat in dieser, bey der damaligen Verfassung, sehr kützlichen Sache, war siebenzig Bogen stark, und ein Meisterstück in seiner Art. Es war allerdings Muth und Entschlossenheit erforderlich, jene mächtige Kabale, die von so viel grossen Andächtlern gegen jenen würdigen Mann angesponnen war, zu bekämpfen und – zu besiegen. Er sagte öffentlich dem Chef jener Kommission: vor keinem Präsidenten, selbst vor der Kaiserinn nicht, werde ich mich scheuen, eine erkannte Wahrheit zu behaupten. – Er ist der Hochschätzung und Verehrung aller Edeldenkenden und Rechtschaffenen würdig, und alle, die ihn kennen, lieben ihn.“112 Gemäß der Vorrede war es Ziel der Biedermanns-Chronik, jene Männer zu würdigen, „die sowohl unter Theresiens als Josephs Regierung mittelbar oder unmittelbar an Vertilgung der Vorurtheile, der Misbräuche und des Aberglaubens Theil genommen, mithin die gute Sache eifrig unterstützt und befördert haben“.113 Wenn auch der Verfasser des Vorwortes zugeben muss, dass die Liste der angeführten „Biedermänner“ nicht vollständig sein könne, weil es viele gäbe, über deren fruchtbare Tätigkeit dem Verfasser noch nichts bekannt sei, so erhebt sie in gewisser Hinsicht in Bezug auf die bekannten Persönlichkeiten doch einen Vollständigkeitsanspruch: „Nur bitten wir unsere Leser, jene, die wir mit Vorbedacht in dieser Sammlung übergangen, nicht mit jenen, die wir aus Mangel an Kenntniß, hier nicht einschalten konnten, zu verwechseln.“114 Hier wird die Leerstelle zur vielsagenden Information. Daher ist von Interesse, in welchem Umfang neben Hägelin andere Zensoren in diese Biedermänner-Gesellschaft aufgenommen wurden. Und es sind tatsächlich viele der tätigen Bücherzensoren enthalten, darunter die Vorsitzenden der josephinischen Zensurkommission ­Johann Rudolph Chotek und Gottfried van Swieten sowie die Bücherzensoren Aloys

112 Oesterreichische Biedermanns-Chronik, S. 89f. 113 Ebenda, Vorrede. 114 Ebenda, Vorrede.

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Blumauer,115 Franz Rosalino,116 Joseph Edler von Retzer117 und Franz Konstantin von Kautz.118 Selbstverständlich sind die entsprechenden Charakterisierungen, die in einer Rezension der Allgemeinen deutschen Bibliothek nicht frei von betulicher Lobhudelei gesehen wurden, im Wesentlichen dazu geeignet, zu bestimmen, in welches Diskursfeld die einzelnen Personen eingeordnet wurden, welche sozialen und kulturellen Bruchlinien hier symbolisch markiert wurden und wer aus diesem Spiel ausgeschlossen war. Jedenfalls reihen die hier gemachten Aussagen Hägelin öffentlichkeitswirk115 „Blumauer, (Aloys) K. K. Censor. Ein Dichtergenie der ersten Grösse, und eine Geisel der Möncherey. Wer seine gesammelten Gedichte und den ersten Band von Virgils Aeneis, den er so unvergleichlich travestirte, gelesen hat, wird dieses Urtheil sicher bestättigen. Sein vortreflicher Prolog, auf die Ankunft Pius des Sechsten, und sein noch herrlicherer Epilog auf dessen Abreise – sind Meisterstücke. Nicht nur Oestereich, sein Vaterland, sondern ganz Deutschland darf auf ihn stolz seyn.“ Ebenda, S. 35. 116 „Rosalino, (Franz) Weltpriester und k. k. Censor in Wien. War ehedem Lehrer der Mathematik und Physik bey dem damaligen Büchercensor und jetzigen Beichtvater der Königinn von Neapel, dem Bischof Gürtler, durch vier Jahre substituirt. Besitzt in der Philosophie und Litteratur tiefe und weitausgebreitete Kenntnisse, ist von den beßten Grundsätzen erfüllt, und hätte vorlängst verdient, in einen Stand gesetzt zu werden, seinem Vaterlande, nach seinen besondern Fähigkeiten, nützen zu können. Der Kardinal Erzbischof von Wien war von jeher nichts weniger, als sein Gönner, welches er öfters sehr empfindlich fühlen mußte. Wegen Zulassung des Werkes: l’Autorité du Clergé wurde er von ihm der Freygeisterey beschuldigt und mit den bittersten Vorwürfen überhäuft. – Er hat mancherley gute Schriften geliefert und durch die verbesserte Ausgabe der deutschen Bibel sich wesentliche Verdienste erworben. Die Patrioten sind davon überzeugt und schätzen ihn.“ Ebenda, S. 201f. 117 „Retzer, ( Joseph, Edler von) K. K. Hofkonzipist der vereinigten böhmisch-österreichischen Hofkanzley und Censor zu Wien. Litterator und Dichter, der wegen seiner gründlichen Kenntniß vieler Sprachen, seiner ausserordentlich weitschichtigen Belesenheit, seinem unablässigen Studium, seinen Fähigkeiten, sowohl im Fache der Wissenschaften als in Geschäften, seinem Eifer für Lektüre und Aufklärung, deren Verbreitung er nun als Censor nach Möglichkeit befördern hilft, sich um sein Vaterland viele Verdienste erworben, und von den schätzbarsten Gelehrten Deutschlands öffentliche Beweise ihrer Verehrung bereits in Menge erhalten hat. Schon bey seinem im Jahr 1774 erfolgten Austritt aus dem k. k. Theresianum legte er durch seine zum Druck beförderten Gedichte eine Probe seiner Talente ab, deren Wachsthum seine von Zeit zu Zeit in mehrern Journalen und poetischen Sammlungen erschienene Gedichte, sowohl als andere gute prosaische Schriften, bestättigten. Erst unlängst erwarb er sich um die Verbreitung der englischen Litteratur in den österreichischen Staaten durch seine Auswahl englischer Gedichte, die er im Sonnleithnerischen Verlag zu Wien herausgab, ein neues Verdienst. Die österreichische Litteratur gewinnt dabey, daß Retzer zu einem Censor ernannt wurde, und er behauptet, mit Recht, Sitz und Stimme in der Wiener Gelehrtenrepublik.“ Ebenda, S. 185f. 118 „Kauz, (Franz Konstantin von) K. K. Rath und Büchercensor in Wien. Ein gelehrter, fähiger, arbeitsamer, für die Wissenschaften unermüdeter Mann, und ein Mitglied der von dem ehemaligen Vorderöstereichischen Regierungsrath und Professor von Riegger, in Wien vorlängst errichteten gelehrten Gesellschaft, welcher Spielmann, Sonnenfels und andere einverleibt waren. Durch den schon in seinen Jünglingsjahren geschriebenen Versuch einer Geschichte der österreichischen Gelehrten hat er sich um die vaterländische Litterärgeschichte, und durch sein bekanntes Werk de cultibus magicis um das Beßte der Menschheit überhaupt Verdienste erworben.“ Ebenda, S. 113f.

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sam in den Kontext jener Männer ein, die als Protagonisten der Aufklärung in den k. k. Erbländern verstanden wurden, und dies auch unter Verwendung des Begriffs des Widerstandes, den sie zu leisten hatten in Zeiten unter politisch restriktiven Bedingungen: bei Hägelin ist es der Einsatz für den des Atheismus beschuldigten Prager Philosophie-Professor Karl Heinrich Seibt (1735–1806). Wie aus dem Vorwort der Biedermanns-Chronik hervorgeht, handelte es sich nicht nur um eine Aufzählung und Belobigung von Männern, welche die Bezeichnung eines „Biedermannes“ verdienen (dazu zählen Personen des hohen Adels wie des Bürgertums, vor ­a llem des Beamtentums oder der Universität), sondern es soll auch implizit darüber informiert werden, wer kein Biedermann ist. Und dies mag jenseits der noch unbekannten, im Stillen wirkenden und sich heranbildenden ‚neuen‘ Biedermänner auf alle zutreffen, die mehr oder weniger im öffentlichen Leben standen oder bekanntermaßen für den Staat wichtige Funktionen ausübten.119 In durchaus polemischer Absicht wurden auch Personen aufgenommen, welche in früheren Zeiten der Statur eines „Biedermanns“ entsprochen, jedoch im späteren Leben die ‚Seite‘ gewechselt hätten. Dazu gibt es – wie bereits in der Einleitung erwähnt – auch einen sehr prominenten Eintrag: den Wiener Erzbischof Migazzi, der sich im josephinischen Jahrzehnt permanent im Konflikt mit der Zensurkommission befand.

„ETWAS VON DER ZAHLENLOTTERIE“. DER ERSTE JOSEPHINISCHE FALL VON THEATR ALZENSUR „Kaiser Joseph II. sah das Beschwerliche der Theatralzensur ein, und die allererste Resolution bei seinem Regierungsantritte ging in betreff eines linzerischen Theaterstückes, wo etwas von der Zahlenlotterie vorkam, dahin, daß man den Zensor nicht furchtsam machen solle. Mir bedeuteten Seine Majestät mündlich, daß ich nie ungnädige Ausstellungen, wie vormals, zu befahren haben würde. Wenn Seiner Majestät ein Stück mißfiel, so ließen Sie es, wenn Sie es einmal gesehen hätten, einstellen.“120 In dieser Form beschreibt Hägelin in einem Gutachten aus dem Jahre 1802 das neue kulturelle Klima, das zu Beginn des josephinischen Jahrzehnts in Bezug auf die Zen119 Von den im Hof- und Staatsschematismus genannten „Censores“ des Jahres 1784 wurden allerdings vier nicht in die Biedermanns-Chronik aufgenommen: Aloysius Freiherr von Locella, Johann Melchior Edler von Birckenstock, Athanasius Szekeres und Joachim Bernhard Wilkowitz. Hofund Staatsschematismus der röm. kais. auch kais. königlich- und erzherzoglichen Haupt- und Residenzstadt Wien. […] 1784. Mit allergnädigster kais. Freyheit. gedruckt und zu finden bey Joseph Gerold, kais. Reichs-Hofbuchdrucker und Buchhändler auf dem Dominikanerplatz 721., S. 27. 120 Gutachten von Franz Karl Hägelin zur Theatralzensur, Mai 1802, in: Glossy: „Zur Geschichte der Theater Wiens I“, S. 13.

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sur wirksam wurde. Was auch immer die Verbotskriterien waren, die in merklich gehäufter Weise gegen Ende der theresianischen Regierung für Bühnenstücke angewandt wurden, der erste Verbotsfall in der Zeit der Alleinregierung Josephs II. betraf ein Stück, auf das keines dieser Argumente anwendbar scheint. Hägelin nennt diesen Zensurfall in einem außergewöhnlichen Zusammenhang, gleichsam als Gegenbild zur Imagination des Verbots: man solle den Zensor nicht furchtsam machen. Hägelin erwähnt dies denkwürdige Ereignis in Erinnerung der Konstellationen der theresianischen Zeit, in welcher er sich als Spielball unterschiedlicher Interessen gesehen hatte. Das Stück, welches zu Beginn der Alleinregierung Josephs II. von dem Verbot betroffen war, führt den Titel Das Lotto oder der redliche Schulze. Hägelin nennt den Titel in seinem Gutachten aus dem Jahre 1802 nicht exakt, dennoch steht, auch nach den betreffenden Dokumenten in den Brandakten des Österreichischen Staat­sarchivs, außer Zweifel, dass es sich um ebenjenes Stück gehandelt hat.121 Die Bücherzensurkommission befasste sich damit in der Sitzung vom 5. Jänner 1781,122 und dies sehr ausführlich, ja, sie widmet sich zu einem überwiegenden Teil dieser Frage, der auch die stichpunktartige Zusammenfassung des Protokollinhalts gilt. Der Text selbst ist nur teilweise erhalten bzw. die jeweiligen Blätter sind teils schwer beschädigt. Allerdings existiert die Behandlung dieses Gegenstands in zweifacher Form, einmal als Protokollgegenstand für die Hofkanzlei und einmal als Gegenstand des Votums der Hofkanzlei, sodass Inhalte, die in dem einen Dokument völlig zerstört oder nur fragmentarisch erhalten sind, im anderen zumindest ansatzweise enthalten sind. Laut Protokollbericht der Bücherzensurkommission wird der „Censor Regierungsrath Hägelin“ aufgrund eines ihm übermittelten Exemplars des Textdruckes zu einer Stellungnahme aufgefordert. Aus dem Protokoll geht hervor, dass eine Beschwerde von der Lotto-Pachtung eingebracht worden war, und es wird auch der Hauptgrund für die Beschwerde genannt: in diesem Theaterstücke würde „die Lotterie als schädlich dargestellt“,123 was in der Folge dazu führen könnte, dass die Menschen „von dem Einlegen abgehalten“124 werden. Bei der Beurteilung dieses Stückes – darauf hat Hägelin in der Sitzung mit Nachdruck hingewiesen – müsse ein „empfindlicher Unterschied“125 dahingehend gemacht werden, ob das Stück bloß als Lesestoff diene oder ob es auf der Schaubühne aufgeführt würde, wobei Letzteres strengeren Beurteilungskriterien unterläge. Da121 Vgl. Johann Ludwig Huber: Das Lotto oder der redliche Schulze. Ein Nachspiel, in einem Aufzug. Für das Landvolk. Frankfurt, Leipzig 1779. 122 Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1332, Zensur Niederösterreich, 1780–1789. 123 Ebenda. 124 Ebenda. 125 Ebenda.

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bei sei in erster Linie zu berücksichtigen, dass das Lotto „als ein K. K. PachtungGefäll authorisiert ist“,126 sodass „diese Production auf dem Theater über dabey unterläufende Mißbräuche nicht gestattet werden sollte, noch weiters zuzugeben seye.“127 In weiteren Textpassagen wird auf das Stück eingegangen, doch sind dabei nur Fragmente entzifferbar – Worte wie „Mißbrauch“, „Aberglauben“, „gemeine Verbrechen, welche tagtäglich erfahren werden“.128 Wie aus der Zusammenfassung des Protokolls hervorgeht, läuft die Beschlussfassung der Kommission darauf hinaus, das Stück zwar zum Lesen zuzulassen, eine Aufführung jedoch zu verbieten. Dies ist das einzige erhaltene Protokoll, in welchem im Rahmen der Tätigkeit der Bücherzensurkommission auf ein konkretes theatrales Ereignis eingegangen wurde, vielleicht wegen des besonderen Falls und der besonderen Kläger bzw. weil es nicht nur darum ging, über ein Theatralverbot zu entscheiden, sondern auch über den der Kommission übermittelten Druck. Dieses erste Zeugnis der Theatralzensur aus der Zeit der Alleinregierung Josephs  II. ist bis dato das einzige Kommissions­ dokument, in welchem, wenn wir von Hägelins post-josephinischen Gutachten absehen, auf die sowohl früher als auch später geübte Differenzierung der Theatralzensur explizit eingegangen wird. Dabei handelt es sich letztlich um Differenzierungen, mit denen bestimmte Dilemmata der Zensurpolitik gelöst werden sollen. Dass dieses Lotto-Stück gegen Sitten oder Religion verstoße, wird keineswegs behauptet, auch nicht, dass es prinzipiell gegen den Staat gerichtet sei. Hauptkritikpunkt ist, dass auf der Bühne eine Praxis als schädlich dargestellt wird, die staatlich autorisiert erfolgt, verbunden mit der Befürchtung, dass dieses Schauspiel den Geschäftsgang dieser staatlich autorisierten Anstalt mindern könnte. Gleichzeitig wird, wie den Dokumentfragmenten zu entnehmen ist, versucht, den Eindruck zu entkräften, dass man nicht wahrhaben wolle, dass es auf dem Feld der Lotterie Missbräuche geben könne, mit denen sich die Menschen auseinandersetzen sollten bzw. deren Abschaffung auch für den Staat nützlich wäre. Dies führt schließlich zu besagter Doppelstrategie, weitere Aufführungen dieses ursprünglich in Linz zugelassenen Stückes zu verbieten, jedoch das Stück als Lesestoff freizugeben. Dieses Schauspiel erschien, wie bereits erwähnt, in Frankfurt und Leipzig 1779 im Druck, unter dem Titel Das Lotto oder der redliche Schulze. Ein Nachspiel, in einem Aufzug. Für das Landvolk. Es hat ein klares Ziel: das Volk, insbesondere das Landvolk, von jedwedem Glücksspiel abzuhalten, welches nicht nur als für den Einzelnen schädlich dargestellt wird, sondern welches, wie im Stück drastisch exemplifiziert, auch alle sozialen Beziehungen und letztlich die sozialen Institutionen zerstöre. Der Autor der Stücks, der im Druck nicht namentlich genannt wird, war Johann Ludwig Huber (1723–1800), Sohn eines Geistlichen und selbst als „redlicher Mann“ gerühmt. 126 Ebenda. 127 Ebenda. 128 Ebenda.

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Das Stück spielt im Rathaus eines nicht näher bezeichneten Dorfes, zugleich Wohnstätte des Dorfschulzen. Aus dem Dialog geht hervor, dass es sich um ein protestantisches Land handelt – es ist also kein Stück, das explizit gegen die in den k. k. Erbländern praktizierte Lotterie geschrieben worden wäre. Vorangestellt ist ein Prolog in Versen, in dem das Spiel als Werk des Teufels dargestellt wird. Protagonist des Stückes ist der Dorfschulze mit dem Namen „Biedermann“, ein Attribut, das – wie zuvor erwähnt – den Protagonisten des Kampfes um die Aufklärung vorbehalten sein sollte. Er ist Vetter des Bürgermeisters „Ehrlich“ – wie schon der Name deutlich macht, ein ebenfalls durch und durch „redlicher“ Mann. Während jedoch Biedermann als von anderen Meinungen unbeeindruckbar dargestellt wird, ist der Bürgermeister ein sehr vorsichtiger, ängstlicher Mann, der stets die gesellschaftlichen Gepflogenheiten und die öffentliche Meinung in sein Handeln mit einbezieht. Ihnen zur Seite steht der „Schüz Jacob“, ehemaliger Deserteur und Spieler, der aus Spielsucht sogar die ihm anvertraute Regimentskasse veruntreut hatte. Mittlerweile ist er, versehen mit dem Wohlwollen des Herrn Biedermann, vom Spiel geheilt und leidenschaftlicher wie grausamer Aktivist gegen jede Form des Spiels – und gemäß seiner soldatischen Vorbildung auch stets der Meinung, dass eine Tracht Prügel die wirksamste Kommunikationsform darstelle; dergleichen autoritäre ‚Aufklärungsmethoden‘ charakterisieren jedoch auch den „redlichen Schulzen“. Das Stück beginnt mit der Bilanzierung der Gemeindekasse durch Biedermann, der feststellen muss, dass gegenüber dem Vorjahr die Einnahmen erheblich zurückgegangen sind. Schuld daran, so seine Schlussfolgerung, ist die Lottospielerei, welche die Gemeinde wie die Menschen in den Ruin treibe. Die Frau des Schulzen tritt auf: sie verwirrt ihren Mann, indem sie zu erkennen gibt, dass sie alle Lottofachbegriffe vortrefflich beherrscht, um sich endlich als leidenschaftliche Lottospielerin zu entpuppen. Ihr Bekenntnis erfolgt jedoch mit Berechnung: sie glaubt, ihren Mann vom Segen des Lottospiels überzeugen zu können, indem sie ihm einen stattlichen Gewinn präsentiert, den sie vor kurzer Zeit beim Lottospiel gemacht hat. Doch damit zieht sie nur den stärksten Abscheu des Gatten auf sich (Dritter Auftritt): „Biedermann.

Gewinn soll das seyn? – Das ist Blutgeld. Wie viel Schweiß des verführten Armen, wie viel Groschen von Ehehalten, die sie ihren Herrschaften abgezwakt, wie viel Betrug, wie viel Diebstal mag da drunter seyn?“129

Der Schulze greift hart durch und lässt seine Frau ins Zuchthaus sperren, und dies ohne jede rechtliche Grundlage, denn das Lotteriespiel ist im Land nicht verboten und mehr als die Hälfte der Dorfbewohner, ja, mehr als die Hälfte aller Landes­ 129 Huber: Das Lotto, S. 19.

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bewohner – wie dem Dialog zu entnehmen ist – geht diesem Spiel nach. Der Bürgermeister tritt auf und berichtet, dass er Kenntnis von einem Brief erhalten habe, der an das Landesgubernium gerichtet sei und mit starken Worten das Lotteriespiel verurteile. Biedermann bittet Ehrlich, den Brief vorzulesen (Dritter Auftritt): „Ehrlich.

[…] Aber, es ist die Lotterie, die, mit Respekt, ein ­Teufel erfunden hat, die macht all dis Unglük im Dorf, den Unfleiß in Geschäften, Köpf, die nicht mehr am rechten Ort sizen, Schelmereyen unter dem Gesind, unter den Kindern, unter den Eheleuten, und oben drein den barbarischen Steuer-Ausstand von drey tausend Thaler, den unsere Kinds-Kinder nicht bezahlen ­können. Ich denke, das alles weißt [sic] unser lieber Landsherr (beide ziehen ihre Mützen ab) nicht.“130

Biedermann gesteht, den Brief selbst verfasst zu haben, den Ehrlich für amtliche Gepflogenheiten für viel zu grob hält und von dem er Verdruss mit den Obrigkeiten befürchtet. Nach diesem Bekenntnis holt Biedermann zu einer weiteren Abrechnung mit dem Lotteriespiel aus, dabei trachtend, den Bürgermeister als Mitstreiter zu gewinnen (Fünfter Auftritt): „Biedermann.

Geld kann wieder gewonnen werden durch Arbeit und Fleiß. – Aber das ist Elend: Der Fleiß ist fort und das halbe Dorf ist zu Narren und Schelmen worden. Ihr ganzes Tichten und Trachten sind Auszug, Amben, ­Ternen und Quaternen, welsche Namen, die kein Mensch versteht, und davon sie schwindlicht werden, wie vom Schwindel-Haber. Sie träumen am lieben ­hellen Tag. Sie lauffen zusammen, erzählen einander ihre Träum, schwäzen von Gewinnsten, die nie gezogen worden sind und nie gezogen werden. Da werden sie Diebe, sie bestehlen sich selbst, sie bestehlen einander, der Mann das Weib, das Weib den Mann, die Kinder die Eltern, das Gesind die Herrschaft. Sie borgen, wo sie Credit finden, und wer ihnen leyht, ist betrogen. Sie brauchen aberglaubische, teufelische Mittel, Seegensprechereyen, Christophs-Gebethe, um eine glükliche

130 Ebenda, S. 23.

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Zahl zu finden. Sie scheuen sich nicht, Gott selbst um gutes Lotterie-Glük zu bitten. Ein teufelischer Mißbrauch des Namen Gottes, just so gottlos, als wenn der Dieb um Gottes Beystand zu stehlen betet.“131 Der Schulze präsentiert dem Bürgermeister eine von ihm erstellte Liste mit den ­ amen aller Lotteriespieler des Dorfes, unter Beifügung all ihrer „Thorheiten und N Schelmen-Streiche“132. Wie sich im Laufe des Stückes herausstellt, sind es besonders die Frauen, die dem Spiel verfallen sind; dazu zählt nicht nur die soeben inhaftierte Frau des Schulzen, sondern auch die Frau des Bürgermeisters und die des Schützen Jacob. Um zum Spielgeld zu gelangen, setzen die Frauen diverse Betrügereien in Gang: entweder sie stehlen den Männern das Geld, oder sie ersinnen ausgefeilte ­Listen. So etwa forderte die Frau des Bürgermeisters von ihrem Mann Geld für ein neues Ehebett; als solches präsentierte sie schließlich das alte, was ihr gelang, da der Bürgermeister gar nicht weiß, wie das Bett aussieht, in dem er täglich neben seiner Frau schläft. Erst der Schütz öffnet ihm die Augen – immerhin ein passendes Beispiel, zeigt es doch, was eine der triebökonomischen Grundlagen des Spiels ist. Der Bürgermeister, vom Schulzen zum Mitstreiter aufgerufen, ist allerdings verängstigt, weil er zu Recht befürchtet, in der Frage des Lottospiels die Mehrheit des Dorfes gegen sich zu haben. Der Schulze beginnt mittlerweile mit der Idee zu liebäugeln, sich von seinem Amt zurückzuziehen. Aber an diesem Tag setzt er alles auf eine Karte: er lässt eine Versammlung aller Richter des Dorfes einberufen. Die Dorfrichter jedoch nehmen mit unterschiedlichen Argumenten Stellung für das Lotteriespiel, welches gesetzlich nicht verboten sei und der freien Entscheidung wie dem Risiko des Einzelnen obliegen solle. Als letzter Dorfrichter spricht der Lehrer, Karikatur eines Schulmeisters. Er plädiert für das Lotteriespiel, weil er durch seine Berechnungskünste wie auch seine Kunst des Traumdeutens zusätzliche Einnahmen bezöge, auch eine willkommene Ablenkung von der Ödnis der dörflichen Schulmeisterei. Der Schulze, der dieses Versammlungsspiel verloren hat, greift nun zum Mittel einer eigenmächtigen Disziplinierungs- und Bestrafungsaktion: er lässt alle Lotteriespieler, die er auf seiner Liste aufgezeichnet hat, vorführen und über ihr Lotteriespiel berichten. Mit dem solchen Disziplinierungsmaßnahmen stets aufgeschlossenen Schützen Jacob hat er zuvor die Codes abgesprochen, welche das jeweilige Strafmaß ­bestimmen sollen – Codes, die der Lotteriesprache entnommen sind: „Auszug“ heißt Einweisung ins Narrenhaus, „Ambe“ bedeutet zwanzig Prügel, Terne dreißig Prügel etc. Das Verhör und die Verprügelung der Dorfbewohner führen zu einem Volksauf131 Ebenda, S. 40f. 132 Ebenda, S. 41.

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stand. In dieser für den Schulzen wie den Bürgermeister bedrängenden Situation erscheint der Secretarius des Landesfürsten, welcher angesichts der sozialen Unruhe mit nachdenklicher Miene den Schauplatz betritt. Doch plötzlich hellt sich die Miene des Gesandten auf, und er verkündet, der Landesfürst habe ihn gesandt, um die Botschaft zu überbringen, dass jener, aufgerüttelt vom schriftlichen Zeugnis des Schulzen, beschlossen habe, das Lotteriespiel zu verbieten. Höchste Rührung unter den Anti-Lotterie-Aktivisten. Das ‚Volk‘ ist in diese Szene nicht einbezogen, es findet auch keine Besserung der ehemaligen Spieler statt. Allein das verfügte Verbot scheint das Glück des ländlichen Lebens wieder herzustellen. Das Stück wurde relativ detailliert vorgestellt, weil es eine Dramaturgie der ‚Sozialdisziplinierung‘ zum Vorschein bringt, wobei die Darstellung der so verfügten Maßnahmen, mit dem Landesfürsten als Deus ex machina, offensichtlich zu einer Verinnerlichung des Lottoverdikts hätten führen sollen. Eine Identifikation mit der Figur eines bekehrten Spielers erfolgt jedoch nicht. Der Biedermann dieses Stückes ist gleichsam die autoritäre Seite der eleganten aristokratischen und bürgerlichen „Biedermänner“ aus der zuvor erwähnten Biedermanns-Chronik, der auch einige Züge dieser Biedermänner in sich trägt: die ‚Aufklärung‘ der Mitbürger über ihr schädigendes Verhalten, ihre Zerstörung des Sozialen, über ihren Aberglauben, der ihr Verhalten begleitet, wie auch die Bereitschaft zum Widerstand, gegen die Erwartungen der anderen, selbst gegen oberste Behörden, die sich schließlich doch aufklären ließen, vorzugehen. Der Biedermann dieses Stückes verfügt auch über operative Techniken: so über die Tabellarisierung, welche es ihm ermöglicht, das Verhalten der Dorfbewohner zu registrieren und aufzuzeichnen. Dieses „Lehrstück“ war somit eine spezielle Herausforderung für die Zensur; dabei handelt es sich lediglich um ein „Nachspiel“, das ohne den Einspruch der ­L otterie-Pachtung wahrscheinlich kein Aufsehen bei der zuständigen Kommission erregt hätte. Dies law-and-order-Spiel für Landbewohner wäre für das Wiener ­Publikum kaum attraktiv gewesen, nicht für die Vorstadt und schon gar nicht fürs Burgtheater oder Kärntnerthor-Theater. Die Spieler sind letztlich nur psychologische Staffage, der Schulze birst vor autoritärer Redlichkeit, und ‚komisch‘ ist das Ganze kaum, es sei denn, man freut sich, dass ,Spieler‘ massenweise verprügelt ­werden. Wie wäre Sonnenfels mit diesem Stück verfahren? Es stellt in fast idealtypischer Manier jenes Ritual auf die Bühne, das sich Sonnenfels im Mann ohne Vorurtheil als Urbild der Komödienidee imaginiert hat: den spartanischen Brauch, an einem bestimmten Tag des Jahres die Dienerschaft betrunken zu machen, um deren daraus folgendes abstoßendes Gebaren der Jugend als abschreckendes Beispiel vorzuführen. In dieser Manier werden auch die Lotteriespieler vorgeführt, in den Verhörszenen am Ende des Stückes als irre Personen, vor allem irre Frauen, ein Bild der Anomalie, das durch die imaginierte Prügelorgie noch verstärkt wird. 420

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Dies Stück verstößt im Sinne der Zensur nicht gegen ‚sittliche‘ Werte, vielmehr werden in plakativer Weise jene Werte beschworen, die auch Sonnenfels in seiner Policeywissenschaft für die bürgerlichen und unteren Schichten hervorstreicht – Arbeitswilligkeit und Arbeitsethos. Weiters wendet sich das Stück gegen alle Formen von Aberglauben, welche mit dem Spiel verbunden sind, gegen alle Formen von Gebetszauber, die auch auf der Liste der josephinischen Zensur standen. Es ist gewissermaßen ein hardcore-„Sittenstück“, das vom Aufführungsverbot betroffen ist. Dies scheint auch die Zensur vor besondere Probleme gestellt zu haben. Einerseits werden Schädlichkeiten des Spiels, insbesondere des Lottospiels, zur Diskussion gestellt, die durchaus einer allgemein geübten Kritik der schädlichen Nebenwirkungen des Spiels entsprechen. Dies scheint auch die Kommission nicht in Zweifel gezogen zu haben, wofür ihr Plädoyer spricht, dieses Stück als Lesestoff zuzulassen. Stein des Anstoßes war, dass die gezeigte Form des Spiels von staatlich autorisierten Stellen betrieben wurde, dass das Stück somit als Kritik an der staatlichen Politik gelesen werden konnte und in sehr handfester Weise als ökonomische Schädigung. In dieser Hinsicht vertraten die Lotto-Pachtung und der Staatsrat wie auch die Kommission eher die Position der Dorfrichter des Stückes, die es der Entscheidung des Einzelnen überlassen wollten, in welcher Form sie vom Glücksspiel Gebrauch machen – kein Nachteil, wenn es Möglichkeiten gibt, über die damit verbundenen Risiken nachlesen zu können. Doch ist dieses Drama nicht nur ein Stück über die wenn auch äußerst plakative Analyse von Spielernaturen und die mit dem Spiel verbundenen Risiken, es ist sehr direkt ein ‚politisches‘ Stück, das alle dramaturgischen Mittel einsetzt, um ein politisches Ziel zu erreichen, indem es die Zuschauer für dieses Ziel zu instrumentalisieren versucht – eine Sachlage, die in den Argumenten der Kommission allerdings nicht angesprochen wird. Im Grunde ist mit dem „redlichen“ Schulzen eine Figur dargestellt, welche durch ihre eigenmächtige Vorgangsweise landesherrliches Verhalten gleichsam autoritativ vorwegnimmt. Der Landesfürst steht im Zentrum der Lösung, wie er gleichzeitig bloße Staffage ist. Er ist im Stück wie über das Stück aufgerufen, zu antworten und zu handeln – und es bleibt ihm im Stück nichts anderes übrig, als den Intentionen des Autors gemäß zu handeln. Das ehrfurchtsvolle Verneigen bei jeder Nennung des Landesfürsten auf der Bühne wird zur theatralischen Beschwörung dieser Phantasie. Der Fürst hat am Ende alles wohl erkannt, was gemäß den Intentionen des Autors zu erkennen ist – doch wehe dem Fürsten, der dies nicht erkennt. Dies Schauspiel ist auch ein Stück gegen die ‚Träumerei‘, gegen das ‚zweite Leben‘, welches die Lotterie verkörpert. Und so wendet es sich auch gegen alle Traumdeuterei, welche die Lotteriespieler für ihre Ziele einsetzen. Besonderer Exponent der Traumbekämpfung ist der ehemalige Soldat und nunmehrige Schütze Jacob, für den alle Träume Ausdruck einer kranken Psyche sind, und so fordert er im Gespräch 421

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mit dem Schulmeister von den Mitmenschen: „Daß sie nicht träumen sollen.“ Lakonisch fragt der Schulmeister: „Also auch nicht schlafen?“133 Doch kehren wir nochmals zu Hägelins das Lotteriespiel betreffenden Ausgangssatz zurück: „Kaiser Joseph II. sah das Beschwerliche der Theatralzensur ein, und die allererste Resolution bei seinem Regierungsantritte ging in betreff eines linzerischen Theaterstückes, wo etwas von der Zahlenlotterie vorkam, dahin, daß man den Zensor nicht furchtsam machen solle.“134 Hägelin bezieht sich auf die offensichtlich erste theaterzensurielle Resolution ­Josephs II. in der Zeit seiner Alleinherrschaft nicht wegen der darin enthaltenen restriktiven Bestimmungen, sondern ausschließlich in Bezug auf die mit diesem Verbot transportierte Botschaft, den Zensor nicht furchtsam zu machen. So ist in diesem Akt der Theatralzensur eine gewisse Unaufgeregtheit und Nüchternheit zu erkennen, welche letztlich in der ‚salomonischen‘ Lösung: „lesen ja, aufführen nein“ ihren Ausdruck finden. Damit wird auch impliziert, dass Theatralzensur eben eine Gratwanderung ist. Und dies heißt auch, die Entscheidung hätte, leicht verschoben, genauso gut anders ausfallen können – vom totalen Verbot bis zur totalen Zulassung. Die unterschiedlichen Principia für das Lesen und für das Aufführen sind nicht so klar, wie dies Hägelin in der entsprechenden Sitzung darzustellen versuchte, um letztlich diese Entscheidung zu sanktionieren. Die unterschiedlichen Principia signalisieren vielmehr einen Modus fließender Übergänge. Die von Hägelin gebrauchte Formulierung, „man solle den Zensor nicht furchtsam machen“, findet eine sinngemäße Entsprechung in dem, was vom letzten Satz der allerhöchsten Resolution erhalten geblieben ist: das unter den genannten spezifischen Umständen zustande gekommene Verbot als Anlass zu nehmen, der Praxis des Verbots gegenzusteuern, mit Worten wie „die Censores [in über]triebene Furcht versetzen“135 und „unnütze Anstände der an sich nützlichen Werken die Verbreitung verhindern“.136

133 Ebenda, S. 52. 134 Gutachten von Franz Karl Hägelin zur Theatralzensur, Mai 1802, in: Glossy: „Zur Geschichte der Theater Wiens I“, S. 13. 135 Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1332, Zensur Niederösterreich, 1780–1789. 136 Ebenda.

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DER ARGWÖHNISCHE EHEMANN. KRITIK DER ZENSUR ALS LOB DES ZENSORS Wie bereits angekündigt, möchte ich nochmals auf den Beitrag von Schink zurückkommen, in welchem Hägelin in außerordentlicher Weise gewürdigt wurde. In dieser Schrift fällt der Name Hägelin in einem kritischen Aufsatz über die Wiener Bühnenfassung von Friedrich Wilhelm Gotters Lustspiel Der argwöhnische Ehemann, einer Bearbeitung von Benjamin Hoadlys englischer Komödie The Suspicious Husband, welche am 26. Mai 1781 am Wiener Burgtheater erstaufgeführt wurde. Paradoxerweise führt Schinks kritische Beurteilung der Wiener Aufführung samt der dort vermuteten zensuriellen Eingriffe zu jenen Lobesworten, welche im dritten Abschnitt zitiert wurden: Hägelin erscheint als Förderer der Literatur, als Mann ohne Vorurteil, Verteidiger der Freiheit des Denkens in Wort und Tat. Im Hinblick auf die Wiener Aufführung137 des Argwöhnischen Ehemanns kritisiert Schink einleitend, dass die ohnehin schon gemilderte deutsche Versions Gotters, welche in vielen deutschen Städten mit außerordentlichem Beifall gespielt wurde138, auf der Wiener Bühne einer weiteren Glättung und Verharmlosung unterzogen wurde. Doch weist er auch darauf hin, dass dieses Stück an Orten, wo eine strengere Zensur herrsche, als zu anstößig den Zuschauern überhaupt vorenthalten werde: „Schade ist es um dieses unterhaltende Lustspiel, daß es – so viel auch Herr Gotter gegen das Original gerechnet, gemildert hat – noch immer zu viel starke, und brittische Züge hat, und besonders durch den Lizenziat Frank für Oerter, wo eine strengere Zensur herscht, ein Stein des Anstosses wird, durch den es für alle diese Publikums verloren bleibt. An eine beständige Strenge des Ausdruks auf der Büne gewönt, sogar von den unschuldigsten, unsündlichsten Freiheiten, als Hände drükken und küssen gänzlich entfremdet, würde Lizenziat Frank in solchen Oertern für eine gewisse Klasse keuscher alter Damen und Herren – bei denen freilich ihre Ohren das keuscheste sind; – ein wahrer Höllenbrand scheinen, des Staupbesens wert; und mit einem heiligen Eifer würden sie in allen Gesellschaften über den Autor, der so ein 137 Der argwöhnische Ehemann. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. Aufgeführt auf dem kais. kön. Nat.Hofthea­ter. Wien, zu finden beym Logenmeister, 1781. 138 „Der allgemeine Beifall, den dies Lustspiel in allen berümten Städten Teutschlands gefunden hat, ist ein Beweis, wie ungemein es unterhalten, wie ungemein es die Aufmerksamkeit der Zuschauer an sich ziehen mus. Auch kann es bei der ausserordentlichen Mannigfaltigkeit von Karakteren, bei dem Reichtum von komischen Situazionen, bei der immer fortdauernden Handlung und Regsamkeit der spielenden Personen nicht anders als schreiend gefallen, und es mus äuserst erbärmlich gespielt worden sein, wenn es an irgend einem Ort diesen ausserordentlichen Beifall nicht findet.“ Schink: Dramaturgische Fragmente, S. 176.

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abscheuliches Stük machen, und über den Zensor, der so ein Teufelsprodukt zur Auffürung lassen konnte, Gift und Galle speien“.139 Protagonist dieser Komödie ist Herr Bruno, ein bürgerlicher, nicht unvermögender Ehemann, der auf die kapriziöse, adelige Freundin seiner Gattin eifersüchtig ist – in diffuser Weise hegt er die Befürchtung, dass sich hinter der intensiven Beziehung der beiden Frauen das Geheimnis amouröser Affären zu anderen Männern verberge. Herr Bruno hat auch ein Mündel, dem er die Ehe mit dem von ihr geliebten Mann verweigert, was zur Folge hat, dass die Ziehtocher mit dem Einverständnis von Brunos Ehefrau die Flucht aus dem elterlichen Haus plant. Das Arrangement der Flucht führt zu einem dichten Netz turbulenter Verwicklungen und zu zahlreichen Missverständnissen, welche den Hausherrn von der befürchteten Treulosigkeit seiner Frau überzeugen – unbekannte Herrenhüte im Damenschlafzimmer, abgefangene Liebesbriefe und dergleichen. Herr Bruno verstößt seine Frau, erkennt jedoch schlussendlich die Gegenstandslosigkeit seiner Anschuldigungen. Das potentiell Anstoßerregende dieser Komödie war, wie Schink geschrieben hatte, die Figur des „Lizenziaten Frank“, des Neffen von Madame Brunos Freundin, der als Ausgleich für seine juridische Profession einen ausschweifenden Lebenswandel führt: Spielhöllen, Alkoholkonsum und andauernde amouröse Abenteuer ohne jegliche Bindungsabsicht. Und er spricht abwertend von der „philistermäßige[n] Ehe“140. Das Stück enthält auch eine für die Handlungsentwicklung konstitutive „Einsteigszene“ Franks in das Haus Brunos über die zur Flucht der Tochter ausgehängte Strickleiter, ein Einstieg, welcher durch diffuse amouröse Erwartungen motiviert ist. Frank gelangt zunächst in das Schlafzimmer der sich gerade zur Nachtruhe begebenden Ehegattin, welche sich der von Frank aufgedrungenen Galanterien zu erwehren sucht; als plötzlich ihr Mann zurückkehrt, fordert sie den unbekannten Eindringling auf, sich im Nebenzimmer zu verstecken, weil sie zu Recht befürchtet, ihrem argwöhnischen Gatten die Situation nicht erklären zu können. Der weitere Weg führt den Lizenziaten ins Schlafzimmer der Tochter, deren Flucht der Ziehvater mittlerweile vereitelt hatte. Auch sie versucht Frank mit Liebesbeschwörungen zu bedrängen, bis er in ihr die Geliebte seines Freundes erkennt. Um sie mit seinem Freund zu vereinigen, bringt er sie zum ursprünglich vorgesehenen Fluchtort. Soweit die notwendigen Grundinformationen, um die Argumentation Schinks nachvollziehen zu können. Bezugnehmend auf die Figur des Lizenziaten Frank und dessen Wahrnehmung durch die „keuschen Ohren“, welche gegen Autor wie Zensor Gift und Galle speien würden, schreibt Schink über die Wiener Aufführung:

139 Ebenda, S. 176f. 140 Der argwöhnische Ehemann, S. 11.

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„das allein war auch vermutlich die Ursach, warum der hiesige würdige Tea­ tralzensor der Herr Regimentsrat Hägelin den ehrlichen Frank, in der Gestalt, wie ihn Gotter aufgestellt hat, nicht coram populo sehen lassen wollte.“141 Schink spricht hier vom „ehrlichen Frank“ und verweist damit auf eine andere Seite der Figur: bei allem Hang zu ausschweifenden Aktivitäten ist Frank als sympathische, stets eloquente Figur dargestellt, wie seine Eloquenz auch ein primäres Medium seiner Verführung ist. Und er wird auch als ‚ehrlicher‘ Mann präsentiert, der Brunos Tochter trotz eigener amouröser Absichten seinem Freund zuführt und am Ende des Stückes Herrn Bruno den unbefugten Einstieg in dessen Haus gesteht, um die Gattin vollends zu entlasten. Frank kann auch das Schlusswort sprechen, aber es gibt keinerlei Indiz, dass er vorhat, sein Leben in irgendeiner Weise zu ändern. Das Drama hält ‚Gericht‘ über den argwöhnischen Ehemann, aber nicht über den Lizenziaten – insofern mag das Stück aus zensorischer Perspektive etwas irritierend gewesen sein. Während die Wiener Variante des Jahres 1781 ansonsten ziemlich unverändert den Text Gotters übernimmt, greift sie besonders deutlich in die Figur des Lizenziaten Frank ein – Schinks Ansicht nach eine von der Theatralzensur gesteuerte Vorgangsweise. Es lässt sich allerdings nicht erkennen, inwiefern die Änderungen der am Burgtheater gegebenen Textvariante schon vorweg von ‚zensurerprobten‘ Leuten aus dem Theater vorgenommen wurden. So werden etliche Textteile von Franks Rolle eliminiert, etwa seine Rede von der „philisterhaften Ehe“. Die Szenen, in denen Frank nächtens Damen in ihrem Schlafzimmer aufsucht, werden beibehalten, jedoch der Einstieg des Lizenziaten anders motiviert: er benützt die ausgehängte Leiter nicht, um amourösen Abenteuern nachzugehen, sondern um angesichts der ausgehängten Leiter die Bewohner des ihm unbekannten Hauses vor etwaigen Dieben zu schützen. Die Begegnung zwischen Frank und Brunos Gattin ist weit dezenter gehalten. Im Wiener Textbuch heißt es etwa, nachdem der Lizenziat die im Raum befindliche Frau gewahr wird: „Frank peinlich berührt“. Davon ist bei Gotter keine Rede, hier ist Frank sehr draufgängerisch gestimmt und fragt die Dame des Hauses, ob er beim Auskleiden behilflich sein könne, ein Angebot, das in der Wiener Fassung unterbleibt. „Um also kein keusches Ohr zu ärgern, durfte Lizenziat Frank nicht sein, was er ist. Sein Karakter muste verstuzt, seine Weinlaune bemäntelt, und seine ganze Freidenkerei mit ein wenig Menschenliebe, und moralischen Sentimentskram enveloppirt werden. Die Züge von Grundehrlichkeit und 141 Schink: Dramaturgische Fragmente, S. 177.

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biedern Herzen, die Gotter nur im Dunkeln gelassen, musten hier Faustdik aufgetragen werden, um den züchtigen Damen und Herren sein ins Fenster Hineinsteigen und seine nächtlichen Visiten bei zwei Damen ehrlich zu machen. Frank muste nicht auf Amors Nekkereien und Amorn zu Liebe die Strikleiter besteigen: Diebsgesindel zu verjagen, einem ehrlichen Manne vieleicht das Leben zu retten, und ein paar Spizbuben am Galgen zu bringen, durfte und muste die einzige Ursache seiner Abenteuer-Laune sein, was denn auch geschah. Ein junger Mann unterzog sich einer solchen Umwandlung des Franks, und durch ihn bekam das Stük die Gestalt, in der es auf dem hiesigem Nazionalteater gespielt wird“.142 Dies ist eine deutliche Missbilligung der Wiener Aufführung, welche eine Transponierung der Figur des Lizenziaten Frank vornahm, ganz offensichtlich unterstrichen durch das Spiel des jungen Schauspielers, dessen Namen Schink nicht nennt. Umso bemerkenswerter ist es, dass Schink bei diesen ‚zensuriellen‘ Transaktionen die Figur des Theatralzensors geradezu ‚enthebt‘. Der Akt der Zensur scheint nach Schinks Auffassung einzig und allein bedingt durch jene „keuschen Ohren“, die Zeter und Mordio schreien würden, wenn das Stück in der Originalversion aufgeführt würde. Somit wird eine bewusste Differenzierung zwischen der Haltung des Zensors und wie auch immer gearteten Außenerwartungen vorgenommen, eine Differenzierung, die in dieser Zeit auch in anderen Zusammenhängen auftritt. Und mittels dieser Differenzierung schreitet Schink nun zum großen Hägelin-Lob, welches ich nach der Analyse der vorangegangenen Textteile gerne wiederhole. „Ich kann diese Gelegenheit nicht vorbeilassen, hier öffentlich diesem würdigen Manne meine Achtung zu bezeugen. Wien scheint nicht zu fülen, was es an ihm hat, scheint ihn nicht zu kennen, wie ich ihn kenne; als den frei­ mütigsten Mann für Warheit und Recht, den eifrigsten Aufhelfer der Litteratur, den mächtigsten Verteidiger der Freiheit zu denken und zu schreiben, hellen Kopfes, frei vom Vorurteil und gerade im Denken und Handeln; dem nur leider zu oft Dumheit und Kabbale die Hände gebunden haben, und noch binden und manches Gute hindern, das durch ihn geschehen könnte und würde.“143 Ob Schinks dramaturgische Kritik auch von Hägelin nachvollzogen wurde, lässt sich schwer sagen. Ob Hägelin die originäre Einsteigszene samt ihrer Motivation persönlich goutiert oder gar komisch gefunden hat, wissen wir nicht, in Kenntnis 142 Ebenda, S. 178. 143 Ebenda, S. 177f.

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seiner sonstigen Schriften wäre hier eher Zweifel angebracht, doch sind seine Schriften, wenn wir von den wenigen, bislang unbekannten Briefen absehen, immer offizielle zensurielle Schriften, die – auch unter Berücksichtigung seiner Praktiken – ein großes Feld von Ambivalenzen zu Tage treten lassen. Im Hinblick auf die Wiener Aufführung von Der argwöhnische Ehemann muss überdies festgestellt werden, dass zwei ‚Schlafzimmerszenen‘ gezeigt wurden, davon eine mit einer verheirateten Frau, welche im letzten Dezennium der theresianischen Zeit wahrscheinlich nicht so ohne Weiteres auf die Bühne zu bringen gewesen wären, Szenen, deren potentielle Anstößigkeit dadurch gemildert wurde, dass der eindeutige erotische Impetus in diesen Szenen transponiert wurde bzw. dass, wie schon in Gotters Version, die betroffenen Frauen in keiner Weise ‚mitspielen‘. War beim ausgiebig über die Facetten des Wiener Theaters räsonierenden Friedrich Nicolai im Hinblick auf die Darstellung der gegenwärtigen Theatralzensur eine auffallende Leere eingetreten, obwohl er den Namen Hägelins im Kontext von Bücherzensur und Schulpolitik lobend erwähnt, so wird in der Besprechung von Schink der Theaterzensor, mit vergleichbaren Attributen wie bei Nicolai beschrieben, in eine ‚distante‘ Position erhoben, versetzt nahezu in die Stellung eines ‚Beobachters‘, der auf die Anforderungen seiner Umwelt reagieren muss und dessen Handlungsradius von diversen Kabalen eingeengt ist. Der Status eingeschränkter Handlungsfähigkeit, wie vom Text Nicolais über Hägelin zum Ausdruck gebracht, wird bei Schink unter geänderten Bedingungen in die Zeit der 1780er Jahre prolongiert. Während bei Nicolai der politische Macht­ apparat als einschränkendes Medium ins Spiel gebracht wird, ist es bei Schink „eine gewisse Klasse keuscher alter Damen und Herren – bei denen freilich ihre Ohren das keuscheste sind“.144 Das betrifft nicht nur die persönliche Situation Hägelins, es betrifft auch die Zensur im Allgemeinen, die sich gerade am Ende der theresianischen wie dann auch in der josephinischen Zeit in einem ständigen Zustand der ‚Vibration‘ befunden hat. Der Zensor beurteilt in verstärktem Maße nicht nur das ihm zugeteilte Werk nach verschiedenen Maßstäben, er muss in vermehrtem Maße die Reaktionen auf seine Entscheidung, und dies in unterschiedlichen Feldern, berücksichtigen und seine eigene Sichtweise dazu in Beziehung setzen. Die Trennung von Person und Funktion wird anschaulich in einer kurzen Geschichte von Friedrich Nicolai dargestellt, in welcher er von einem wissbegierigen jungen Mann berichtet, der zu wenig vermögend war, um all die neuen Bücher zu kaufen, die ihn interessierten, und der deswegen die Bekanntschaft eines Zensors suchte.

144 Ebenda, S. 177.

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„Es war sonst in Wien sehr gewöhnlich, daß die Officianten, die gut bezahlt wurden, ihre Arbeit durch andere verrichten ließen. Das Amt eines Censors war (und ist noch) eine einträgliche Bedienung; also hatte der größte Theil der Censoren eben nicht Lust, die weitläuftige und langwierige Arbeit, so viele neue Bücher durchzulesen, selbst zu verrichten, sondern sie bezahlten andere dafür. An einen solchen war mein Freund gerathen. ,Ich habe, sagte er mir, davon ein, obgleich geringes Einkommen, ich kann ungestört eine Menge Bücher kennen lernen, die ich sonst nicht würde zu sehen bekommen. Ich weiß denn wohl, was man hier für Ketzerey ausgiebt, ob ich es gleich selbst nicht dafür halte.‘ Er studierte also die Bücher zu seinen eigenen Nutzen, und hatte dabey weiter nichts zu thun, als daß er, wenn er etwas nach landüblichen Vorurtheilen bedenkliches fand, einen Kniff ins Buch und einen kurzen Bericht machte, den der Censurrath nicht ermangelte, als seine eigene Bemerkung dem Kollegium vorzutragen.“145 Dieser ‚Schattenzensor‘, wie ich bereits zuvor eine solche Position begriffsmäßig zu bestimmen versucht habe, nennt als eine Hauptmotivation den kostenlosen Zugang zu den neuesten Entwicklungen von Wissenschaft und Literatur, ein Beweggrund, den auch noch Birckenstock in seiner Zensurschrift des Jahres 1797 anführen wird.146 Diese Erzählung bringt paradigmatisch das genannte Spannungsfeld zum Ausdruck: das zu fällende Urteil, in diesem Fall Gegenleistung für den Zugang zu den neuesten Informationen, kann nur mehr vor einem imaginierten Szenario von Erwartungshaltungen stattfinden. Der Zensor befindet sich gewissermaßen in der Rolle, die Rolle des Zensors zu spielen.

145 Nicolai: Beschreibung einer Reise durch Deutschland. Vierter Bd., S. 904f. 146 „Wenn man die Eigenschaften der Censoren nach der Besoldung, die ihnen der Staat anweist, ausmessen wollte, so würde wenig Kenntniß und Wissenschaft zu diesem Amte gehören. Allein das kann nicht Maßstab sein, denn erstens sieht es der Staat mit Recht für ein wichtiges Amt an; zweytens gibt er es gemeiniglich solchen Personen, die schon ein anderes, womit bessere Besoldung verknüpft ist, bekleiden, und daher doch einigermaßen bestehen können; drittens hat das Amt für Leute, die Liebe zu Wissenschaften haben, dadurch einen gewißen Reitz, weil es ihnen viele der neuesten Werke, jedem in dem ihn angewiesenen Fache, ohne Kosten und Auslage, obwohl nicht zum Eigenthum doch zum Lesen in die Hand liefert. Zwar ist unter diesen Novitäten oft der ungleich grössere Theil eine unfruchtbare, ja oft für einen Mann von gesunden Grundsätzen und Geschmack eine ermüdende Lektüre und ein wahrhaft saures Tagwerk. Indessen trifft der Censor unter der Menge auch verschiedenes Gutes und Nützliches an, welches seine Kenntnisse zu erweitern dient, und ihn der Auslage für Kauf nach dem Titel wohl überhebt; oft mag er bedauren, daß er wegen überhäufter Menge und aus Mangel der Zeit allzu geschwind lesen muß, und daher nur wenigen Nutzen auch von dem Brauchbarsten ziehen kann.“ Birckenstock: Über die Frage: Ob die Censurs Leitung in Zukunft mit der Studien-Ober-Direktion vereinigt, oder davon unter eigenen Praesidio getrennt werden soll?, S. 8.

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THEATER ÜBER ALL. „CENSURIRTE STÜCKE“ VON BADEN BIS ZISTERSDORF Das im vierten Abschnitt genannte Stück Das Lotto oder der redliche Schulze führt, wie erwähnt, den Beititel: Für das Landvolk. Und gerade in der josephinischen Zeit findet eine bemerkenswerte Ausweitung der Theaterkultur statt, jenseits der Bühnen der Hauptstädte und ihrer Vororte, ein Zusammenhang, der bislang nicht systematisch untersucht wurde. Das ist auch für die Frage der Zensur von zentralem Interesse, und die Wandertruppen, die um Aufführungsgenehmigungen in diversen ­Städten und Ortschaften ansuchten, gaben in der Regel auch immer an, dass sie „censurierte Stücke“ spielen würden. Von der Ausdehnung des Theaterspiels im Wiener Raum, auch verbunden mit erweiterten zensorischen Aufgaben, berichtet Hägelin im bereits genannten Gutachten aus dem Jahre 1803: „Noch unter der Regierung der höchstseeligen Kaiserin Königin Majst. hatte der höchste Hof nach Aufhörung der gräfl. Koharischen Pachtung die Spektakel in seine eigene Verwaltung übernommen, und das K. K. Nationalhoftheater errichtet; damals schon erhielt die badnerische Schauspielertruppe, welche nachher die Marinellische wurde, die Erlaubniß, im Winter in der Leopoldstadt ihre Schauspiele zu geben; diese mußten nicht nur für hier, sondern auch für Baaden censurirt werden. Späterhin wurde das hiesige Kärntnerthortheater verschiedenen Truppen, als der Mollischen, Stumpfischen und Schikanederischen überlassen, die Marinellische etablierte sich für beständig in der Leopoldstadt; auch im fürstlichen v. Auerspergischen Gartengebäude in der Josefstadt wurde deutsches Schauspiel gegeben; nach dem kam die Friedlische, sohin die Bauernfeldische Gesellschaft, und führte Schauspiele auf der Wieden auf; auf der Landstraße war die Seippische, und nachher die Kettnerische, auf der Wiesen die Scherzerische; die Wilhelmische; die Bernerische spielte auf dem neuen Markte mit jungen Kindern in einer großen Hütte. Alle diese Theatertruppen mussten von dem Unterzeichneten mit der Zensur versorgt werden, ohne andere, die jetzt nicht gleich beyfallen, zu nennen; denn das Extemporiren war nun allgemein v­erbothen, und jeder solchen Unternehmung, die um die Befugniß bey der ­Landesstelle anlangte, Schauspiele aufzuführen, der Auftrag gemacht, nur zensurirte Stücke zu geben. Dieser Auftrag vertrieb nach und nach die extemporirenden Markt=Spektakel.“147 147 Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Polizeihofstelle, Z No. 58 a, ex 1803: Gutachten von Franz Karl Hägelin zu Fragen der Theatralzensur, [f. 2hf.].

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Die oft beschworene Theatromanie des 18. Jahrhunderts erfasste nicht nur die Residenzstadt und die Hauptstädte der k. k. Erbländer, sondern auch die kleineren Städte und Orte, die von Wandertruppen zu gewissen Zeiten des Jahres bereist wurden, teilweise auch in Verbindung mit Märkten. Über diese Provinzialbühnen und ihr Repertoire ist relativ wenig bekannt. Einen wenn auch nicht vollständigen Eindruck geben die in der Wienbibliothek aufbewahrten Abschriften von Theatralakten, ­welche Ansuchen von Theatralunternehmern und sonstigen Schauspielern dokumentieren.148 Um ein Beispiel für jene Ansuchen zu geben, sei zunächst exemplarisch das Jahr 1784 herausgegriffen, das erste Jahr, das in den Akten dokumentiert ist. Darin werden Ansuchen für folgende Städte respektive Orte genannt: Bruck an der Leitha, Herzogenburg, Laxenburg, Krems, Melk, Scheibs, St.  Pölten, Stockerau, Wiener Neustadt und Ybbs. Für Wiener Neustadt stellte 1784 Barbara Fuhrmann, „privilegierte Unternehmerin der deutschen Schauspiele im Kärntnerthortheater“, ein Ansuchen, in „Wienerisch Neustadt censurierte Schauspiele aufführen zu dürfen“,149 ebenso Emanuel Schikaneder.150 Weiters bat ein gewisser Joseph Marquis, seine chinesischen Schattenspiele ebendort aufführen zu dürfen.151 Für Laxenburg beantragte Jacob Embacher, „Unternehmer einer deutschen Schauspielergesellschaft“, „Singund Schauspiele“ aufführen zu dürfen.152 Für St. Pölten liegt laut eines Kreisamtsberichts vom 24. Juli 1784 ein entsprechendes Gesuch des Schauspielers Joh. Friedrich Zöllner vor, der dort neben Schauspielen auch Opern aufführen wollte, wie auch ein Gesuch des Gottlieb Partl zur Aufführung deutscher Schauspiele.153 Für Krems stellte Gallus Böckl ein Ansuchen, Komödien während des Jacobi-Marktes aufführen zu dürfen,154 ebenso der schon genannte Gottlieb Partl.155 Für Ybbs, Mölk (Melk), Neulengbach, Herzogenburg und Scheibs liegt ein Ansuchen des Schauspielers Josef Georg Bauernschober156 vor. Franz Scherzer, „deutscher Schauspielergesellschafts-Unternehmer“, beantragte, „censurirte Stücke“ in Stockerau während des Marktes

148 Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Wiener Theater, 1708– 1802, Ia 59478. Die Akten der Ansuchen sind nicht wiedergegeben, wohl aber eine kurze Beschreibung des jeweiligen Inhalts unter Nennung des Datums des Ansuchens und, wenn auch nicht durchgehend dokumentiert, unter Nennung der Erledigung des Ansuchens. 149 Ebenda, f. 50. 150 Ebenda, f. 87. 151 Ebenda, f. 44. 152 Ebenda, f. 57. 153 Ebenda, f. 81. 154 Ebenda, f. 62. 155 Ebenda, f. 78. 156 Ebenda, f. 48 und 79.

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aufführen zu dürfen.157 Für Prugg (Bruck) an der Leitha ist laut den Abschriften der Wienbibliothek ein Gesuch des Lambert Prochart erhalten, der dort ebenfalls beabsichtigte, „censurierte Schauspiele“ aufzuführen.158 In Stockerau wollte der „Chinesische Schattenspieler“ Andreas Schifenholzer seine Schattenspiele „produciren.“159 Weitere Anträge des Jahres 1784 betreffen Orte in der näheren Umgebung Wiens. Der erwähnte Josef Georg Bauernschober wollte seine Schauspiele auch in OberDöbling produzieren,160 Cornelius Gerdek bat um „gnädige Erlaubnis“, Schauspiele in Döbling aufführen zu dürfen.161 Der Schauspieler Georg Wilhelm beantragte, „censurirte Stücke“ am „Spitelberg“ in einer Hütte vorstellen zu dürfen.162 Die Schauspielerin Maria Anna Daunnerin stellte ein Gesuch, „um außer den Linien regelmäßige Schau- und Singspiele“ zu produzieren.163 Und für Hiedeldorf (Hütteldorf ) liegt ein diesbezüglicher Antrag Jacob Embachers, „Unternehmer einer deutschen Schauspieler Gesellschaft“, vor.164 In den folgenden Jahren kamen weitere Orte hinzu, wobei in zunehmendem Maß um Schauspielgenehmigungen nicht mehr nur für einen bestimmten Ort ­angesucht wurde, sondern für das ganze Land Niederösterreich oder im Falle von Schaustellern für die ganzen k. k. Erbländer. Solche Ansuchen wurden auch für das Jahr 1784 gestellt, sodass die oben genannten Orte – ganz abgesehen von der Frage der Vollständigkeit der genannten Einträge – keine erschöpfende Auf­listung sein können. Zu den neu genannten Orten der Folgezeit bis 1788 ­ zählen ­Baden,165 Fischamend,166 Horn,167 Korneuburg,168 Nussdorf,169 Penzing,170

157 158 159 160 161 162 163 164 165

Ebenda, f. 68. Ebenda, f. 43. Ebenda, f. 45. Ebenda, f. 63. Ebenda, f. 52. Ebenda, f. 64. Ebenda, f. 56. Ebenda, f. 60. Im Jahr 1786: Josef Leopold Probst sucht an, Schauspiele in Mödling, Baden und Prugg a. d. Leitha aufführen zu dürfen (ebenda, f. 138). 166 Im Jahr 1786: Franz Wimmer beantragt, Lust- und Singspiele in Fischamend aufführen zu dürfen (ebenda, f. 133). 167 Im Jahr 1786: Josef Perchel bittet zu Horn eine Schaubühne errichten zu dürfen (ebenda, f. 139). 168 Im Jahr 1785: Wenzel Saroba sucht an, einige Wochen in Korneuburg Schauspiele aufführen zu dürfen (ebenda, f. 101). 169 Im Jahr 1786: Josef Walter bittet in „Nusdorf “ Schauspiele geben zu dürfen (ebenda, f. 147). 170 Im Jahr 1788: Josef Hörcher sucht um Erlaubnis an, zu Penzing Schauspiele aufführen zu dürfen (ebenda, f. 227).

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Retz,171 ­Schwechat,172 Simmering,173 Stockerau,174 Böhmisch Waidhofen175 und Zistersdorf.176 Die Gesuche betrafen nicht nur Schau- und Singspiele respektive Schattenspiele, zu den Anträgen zählten auch solche für unterschiedlichste Formen von Darbietungen und Schaustellungen: für Marionettenspiele, Taschenspiele, Kunststücke auf dem Seil, musikalische Kunststücke, Feuerwerk, Illuminationskünste, Vorführungen von Experimenten, Maschinenkünste, Tiervorführungen177 bis hin zu Anträgen, eine Statue zeigen zu dürfen, wie im Falle eines gewissen Josef Riemel, der 1787 das Ansuchen stellte, „eine Statue des verstorbenen Preussenkönigs ausstellen zu dürfen“.178 Auf gewisse Zusatzangebote griffen gelegentlich auch theatralische Unternehmungen zurück: so liegt ein Ansuchen von Ernst Kühne, Direktor der „Fuhrmannischen deutschen Schauspieler“ in Wiener Neustadt, vor, „allda an Sonn, Feier und Werktagen nach geendigten Gottesdienst Luftspringereyen in einem Garten producieren zu dürfen“.179 Nicht immer zogen die Schausteller mit einer amtlichen Genehmigung durchs Land, sie bedienten sich gelegentlich auch gefälschter Dokumente, wie 1785/86 der Marionettenspieler Johann Schmid, der des Besitzes eines gefälschten Passes überführt wurde.180 Einen der hier genannten Akte der diversen Ansuchen um Schauspiel- und Schaustellgenehmigungen betrifft auch ein allerhöchstes Schreiben vom Juli 1785: in einer Nota resolvierte der Kaiser, daß der Schiffmeister zu Laufen im Salzburgischen Joh. Georg Wimmer mit der angesuchten Erlaubnis auf dem nächst dem Augarten befindlichen Donauarme Aufführungen geben zu dürfen, abzuweisen sei.181 Um welche Art von Schaustellung es sich hier handelte und was der Grund für die Ablehnung war, geht aus den Notizen der Wienbibliothek nicht hervor. Möglicherweise hat es sich um eine Art Illuminationsspiel gehandelt. Ein Ansuchen um 171 Im Jahr 1786: Franz Scherzer bittet einige Wochen zu Korneuburg, Retz und Böhmisch Waidhofen Schauspiele aufführen zu dürfen (ebenda, f. 149). 172 Im Jahr 1788: „Ein Ungenannter zeiget an, daß [Cornelius] Gerdek seine Schauspiele zu Schwechat in der Fastenzeit fortfahre“ (ebenda, f. 225). 173 Im Jahr 1788: Johann Berner bittet um Erlaubnis, zu Simmering den Grafen von Waltron aufführen zu dürfen (ebenda, f. 236). 174 Im Jahr 1785: Cornelius Gerdecke sucht an, zu Stockerau von Weihnachten bis Aschermittwoch Schauspiele aufführen zu dürfen (ebenda, f. 114). 175 Siehe dazu Fußnote 171. 176 Im Jahr 1785: Wenzel Saroba bittet Schauspiele in Zistersdorf geben zu dürfen (ebenda, f. 112). 177 Gelegentlich handelt es sich dabei auch nur um zwei Tiere, die gezeigt werden sollen: So bittet Christian Slawick im Jahre 1786, ein Pferd und ein Kalb von außergewöhnlicher Gestalt sehen lassen zu dürfen (ebenda, f. 172). 178 Ebenda, f. 193. 179 Ebenda, f. 76. 180 Ebenda, f. 170. 181 Ebenda, f. 103.

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Wasserilluminationen im Prater hat ein Jahr später Johann Peter Haydvogel gestellt. Laut einer in den Akten der Wienbibliothek genannten „Polizei Oberdirections Schrift“ wurde eine weitere Vernehmung des Antragstellers über seine geplanten Wasserilluminationen durchgeführt.182 Die Entwicklung des Theaterlebens über die Residenzstadt, die Hauptstädte respektive größeren Städte hinausgehend ist ein Desiderat der theatergeschichtlichen Forschung, sowohl im Hinblick auf die gewählten dramatischen Sujets wie auch im Hinblick auf die theatrale Umsetzung. Auch die zensurielle Perspektive, unter der diese vielfältigen Aufführungen stattfanden, bedarf weiterer Klärung, welche im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann und welche weitere Recherchen in den regionalen Archiven erfordert. Wenn wir Hägelins entsprechende Aussagen berücksichtigen, der mit der dramatischen Produktion der Theater Wiens samt Vorstädten sowie im Zeitraum der Zentralisierung mit den Theatern von Prag, Brünn, Graz konfrontiert war, gibt es keinerlei Hinweise, dass er unmittelbar mit der Produktion aus St. Pölten, Ybbs, Korneuburg oder Zistersdorf zu tun gehabt hätte. Wie die Ansuchen nahelegen, reichten die in den vielen Städten und Ortschaften des Landes spielenden Truppen ihre Stücke samt Textvorlagen nicht direkt bei der Theatralzensur ein, sie scheinen sich vielmehr auf ein Verzeichnis bereits in Wien zensurierter Stücke berufen zu haben. Desgleichen bleibt völlig unbestimmt, was sie wirklich gespielt haben, und zwar sowohl im Hinblick auf die genaue, in Wien zensurierte Textgestalt wie auch im Hinblick auf den Stoff des Stückes, unter dessen Titel im Prinzip auch anderes aufgeführt werden konnte. Es bleibt ein spannendes Thema weiterer Forschungen zur Zensur, die regionale Funktionsweise der Zensur, die laut Hägelins Aussagen etwa in Graz nur eingeschränkt funktioniert hatte, zu unter­ suchen.

182 Ebenda, f. 161.

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VOM INDEX AUF DIE BÜHNE. JULIUS VON TARENT AM WIENER NATIONALTHEATER Leisewitz’ Trauerspiel Julius von Tarent zählte, wie schon im ersten Kapitel des dritten Teils erwähnt, in der theresianischen Zeit zu den auch im Druck verbotenen Dramen. Im josephinischen Jahrzehnt war der Druck dieses Dramas, wie die meisten der in den letzten Jahren unter Maria Theresia verbotenen Dramendrucke, wieder zugelassen. Und Leisewitz’ Drama erhielt auch die Zulassung zur Bühnenaufführung: es wurde am Wiener Burgtheater erstmals am 19.  November 1785 auf die Bühne gebracht. In der Folge blieb dieses Werk bis zum Jahr 1791 im Repertoire des Burgtheaters.183 Da wir über kein vollständiges Repertoire aller in Wien in den 1780er Jahren spielenden Bühnen verfügen, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob es sich bei der Aufführung am Wiener Burgtheater um die erste Aufführung des Julius von Tarent in Wien gehandelt hat. Nach 1791 verschwand das Stück wieder aus dem Repertoire des Burgtheaters, und eine geplante Wiederaufführung im Jahre 1804, noch zu Hägelins Zeiten als Theatralzensor, kam „vermöge hoher Weisung“ nicht mehr zustande.184 Von der Wiener Aufführung des Jahres 1785 ist – wie bereits angemerkt – das „Logenmeister-Büchel“ erhalten, nach Hägelins Angaben das Prädikat eines zensurkonform publizierten Textes, anhand dessen sich feststellen lässt, welche Änderungen für die Wiener Aufführung vorgenommen wurden. Fast alle Abweichungen vom ersten Textdruck aus dem Jahre 1776185 lassen sich unter Gesichtspunkten der ‚Zensur‘ betrachten, wobei allerdings nicht zu entscheiden ist, ob diese Abänderungen bereits vom Theater selbst vorgenommen wurden oder ob die eine oder die andere Änderung auf einen unmittelbaren zensuriellen Eingriff Hägelins zurückgeht. Doch wie auch immer, sie sind zum überwiegenden Teil zweifelsfrei unter zensuriellen Gesichtspunkten erfolgt, Julius von Tarent ist daher ein besonders ergiebiges Beispiel. Die Abänderungen sind vielfältiger Natur, bemerkenswert bleibt jedoch, wie nah am Originaltext gearbeitet und wie versucht wird, jeden Gedanken des originalen Textes zu ‚retten‘, selbst wenn der Text aufgrund der erfolgten Eingriffe in einen abweichenden szenischen Zusammenhang gestellt wird. 183 Hadamowsky: Die Wiener Hoftheater. Bd. 1, S. 71. Weitere Aufführungen: 1785: 20. und 26. XI., 13. XII.; 1786: 23. III.; 1787: 25. I.; 26. VI.; 1789: 22. I.; 1791: 29. VI. (ebenda). Wiener Druck: Julius von Tarent. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Für das kaiserl. königl. National-Hoftheater. Wien, 1785. Zu finden bey Fried. Aug. Hartmann, und beim Logenmeister beider k. k. Theater. 184 Zensurbuch in der Sammlung des Wiener Theatermuseums auf Textbasis des in der vorigen Anmerkung genannten Wiener Drucks aus dem Jahr 1785 (847. 726 A. Th): „Ist vermöge hoher Weisung nicht aufführbar befunden worden, 9. Juny 804, Hägelin“. 185 Julius von Tarent. Ein Trauerspiel. Leipzig in der Weygandschen Buchhandlung 1776.

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Für die Zensur war Julius von Tarent ein besonders heikler Fall, da zu den Personen dieser Tragödie Charaktere zählen, welche nach zensuriellen Gesichtspunkten nicht auf der Bühne erscheinen durften: ein Erzbischof sowie Nonnen samt ihrer Äbtissin. Entsprechend spielt das Drama auch an Orten, welche zu verbotenen Bühnenorten gehörten, so die Welt des Klosters. Es ist faszinierend, in welcher Weise die ‚Zensur‘ oder die auf sie abgestimmten Maßnahmen eine Art bühnenbezogener ‚Klosteraufhebung‘ betreiben, ohne die ursprünglich im Kontext des Klosters angesiedelten Szenen zu eliminieren. Auffallend ist darüber hinaus, dass die verschiedenen „Freiheitsdiskurse“ von der Zensur unbehelligt auf der Bühne erscheinen können, fast eine Art ‚Regie-Theater‘, in welchem der ursprüngliche szenische Kontext in einen anderen Bedeutungszusammenhang verschoben wird. Die Tragödie von Johann Anton Leisewitz (1752–1806) zählt zu den bemerkenswertesten Stücken des Sturm und Drang, wenngleich angesichts des durchaus klassizistischen Dramenaufbaus fraglich scheint, inwieweit diese Tragödie, verfasst im Jahre 1774, tatsächlich dem Sturm und Drang zuzurechnen ist. Im Jahre 1775 reichte Leisewitz Julius von Tarent bei einem von Sophie Charlotte Ackermann und Friedrich Ludwig Schröder, den Prinzipalen der in Hamburg spielenden Ackermann’schen Gesellschaft, ausgeschriebenen Wettbewerb ein. Das Drama erzielte hohe Beachtung und Wertschätzung, der Preis wurde jedoch Friedrich Maximilian Klingers Schauspiel Die Zwillinge zuerkannt, welches sich auf die gleiche literarische Vorlage wie Julius von Tarent bezieht und ebenfalls einen Brudermord zum Thema hat.186 Im Unterschied zu Leisewitz’ Tragödie war der Druck von Klingers Die Zwillinge in Wien nicht verboten, ja, das Stück wurde von Hägelin zur Aufführung zugelassen, welche am 11. Jänner 1777 am Burgtheater erfolgte;187 zu einer weiteren Aufführung kam es jedoch nicht mehr, da eine solche auf allerhöchste Weisung untersagt wurde.188 Das Verbot von Klingers Tragödie gehört zu den bekannten, auch im Ausland registrierten Verbotsfällen des letzten Dezenniums der theresianischen Regierung und gilt als Beispiel für die Ablehnung des Sturm und Drang in Wien, und es war ein Verbot, welches nicht auf Weisung der Theatralzensur zustande kam. Quelle von Leisewitz’ wie von Klingers Drama ist eine kolportierte Geschichte vom Tod zweier Söhne von Herzog Cosimo I. de’ Medici (1519–1574, r. 1537–1574), welche sich im Jahre 1562 ereignet haben soll, dargelegt in der Histoire universelle des Jacques-Auguste de Thou und weiters beschrieben im vierten Band von René-Aubert de Vertots Histoire des chevaliers hospitaliers, erschienen 1726.189 Leisewitz und Klinger gehen im Hinblick auf die Schilderung des Brudermords sehr unterschiedli186 Max Rieger: Klinger in der Sturm- und Drangperiode. Darmstadt 1880, S. 86. 187 Hadamowsky: Die Wiener Hoftheater. Bd. 1, S. 146. Siehe dazu S. 281f. 188 Siehe dazu: Aus dem Josephinischen Wien, S. 86. 189 Rieger: Klinger in der Sturm- und Drangperiode, S. 87–89.

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che Wege, beiden gemeinsam ist jedoch die Aufnahme des Motivs einer rivalisierenden Liebe, die den Konflikt zwischen den Brüdern fokussiert.

DIE ZWILLINGE Aufgrund der Konstellation der Brüder als Zwillingspaar ist Klingers Stück spektakulärer und die Rivalität unter den beiden Söhnen des Herzogs Guelfo, des als Erstgeborenen vom Vater anerkannten und geliebten Ferdinando und des als Zweitgeborenen angesehenen Guelfo, umso ausgeprägter, da für den ‚jüngeren‘ Bruder unklar bleibt, wer tatsächlich als Erster von beiden zur Welt gekommen ist: an diesem Zufall hängt alles, Macht, Herrschaft, Reichtum, Liebe – sowohl die Liebe des Vaters wie die Liebe einer Frau. Der Arzt, der bei der Geburt anwesend war, muss dem angeblichen Zweitgeborenen bestätigen, dass über die Geburtsfolge keine klare Aus­ sage gemacht werden könne. Diese Unklarheit wie die Zuweisung der Rolle des ständig Zweiten verstärken auch den Vater-Sohn-Konflikt. Der junge Guelfo fühlt sich bei Weitem besser geeignet, das Herzogtum zu übernehmen, als sein Bruder Ferdinando, dessen Hochzeit mit der auch von Guelfo geliebten Gräfin Kamilla in Vorbereitung ist. In zunehmendem Maße wird der ‚jüngere‘ Bruder aufgrund seines Verhaltens als Kranker wahrgenommen. So bedrängt er seine Mutter körperlich, um sie zu zwingen, die Wahrheit über die Erstgeburt zu entdecken. Die Mutter muss schließlich gestehen, dass sie nicht bezeugen könne, wer der Erstgeborene sei. Auf einem Ausritt erschlägt Guelfo seinen Bruder. Nach der Rückkehr blickt er in den Spiegel und zertrümmert diesen aus Schrecken vor seinem eigenen Angesicht. Nach anfänglichem Leugnen gesteht Guelfo den Mord. Der Herzog tötet seinen Sohn mit einem Dolch als Rache für den ermordeten Ferdinando und um den Sohn vor weiterer Schande zu bewahren. Hägelin hatte als Bücherzensor keine Bedenken, dieses Stück zum Druck freizugeben, welches 1776, im Jahr der Hamburger Uraufführung, erstmals im Druck erschienen war, und ebensowenig hatte er als Theaterzensor Bedenken, das Stück zur Aufführung zuzulassen.190 Soweit wir Gebler in seinem Briefverkehr mit Nicolai folgen können, richtete sich das nach der ersten Aufführung ausgesprochene Verbot weniger gegen nachträglich konstatierte Verstöße gegen Sitte, Religion und Staat, sondern war auf der Ebene des ‚Geschmacks‘ angesiedelt, gegen die vermeintliche Nachäffung des Shakespeare’schen Stils, von der man befürchtete, dass der Prozess einer Kultivierung des Theaterbesuchers im Sinne dessen, was man unter gereinigtem Theater verstand, dadurch wieder rückgängig gemacht werden könnte.191 190 Friedrich Maximilian Klinger: Die Zwillinge. Ein Trauerspiel, in fünf Aufzügen. Aufgeführt in dem kais. kön. Nationaltheater. Wien, zu finden bey dem Logenmeister. 1776. 191 Siehe dazu S. 281f.

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Auch in Hamburg, wo das Stück am 23. Februar 1776 zum ersten Male gegeben wurde192, hatte die Aufführung des Stücks zu geteilten Reaktionen geführt. Die ‚überdimensionierten‘ Affekte wurden teilweise als Angriff auf die schwachen Nerven der Zuschauer gesehen. Im literarischen Feld hat dieses Werk durchaus einiges Ansehen erhalten, gerade wegen seiner überschäumenden Kraft. Die weitere Rezeption in der Literaturgeschichte, und das sei hier nur kurz erwähnt, führte zu unterschiedlichen Interpretationen des Werkes, wobei einerseits die Schilderung des „Kraft-Kerls“ des Sturm und Drang, der sich gegen ungerechte und zerstörerische feudale Regelungen auflehnt, im Vordergrund stand, andererseits die Schilderung eines psychopathologischen Prozesses eines seit Geburt unterdrückten und als zweitklassig behandelten Menschen. Die Dramaturgie dieses Werkes kennt, in noch stärkerem Maß als diejenige von Julius von Tarent, keinen ‚Fluchtpunkt‘, zumal der ‚jüngere‘ Zwilling in ebenso obsessiver Form wie die übrigen Mitglieder der herzoglichen Familie am Recht der Erstgeburt festhält. Demgegenüber ist Julius von Tarent, der ältere der beiden Söhne des Fürsten von Tarent, bereit, zugunsten der ‚Liebe‘ seine Herrschaftsansprüche aufzugeben und sein Heimatland zu verlassen; hier führt allerdings der – in den Zwillingen fehlende – Fluchtplan zum unausweichlich tragischen Ende und bildet gewissermaßen die Peripetie des Stückes. Klingers Zwillinge, wie auch Leisewitz’ in der Folge noch detailliert zu analysierender Julius von Tarent, bieten von der Dramaturgie des Werkes her ein durchaus ambivalentes, ja polyvalentes Bild möglicher Identifikationen mit den Protagonisten. Wenn in Klingers Schauspiel Guelfo gleichsam als Protagonist konzipiert ist oder zumindest die meiste Aufmerksamkeit erregt, so verschließt er sich dennoch, strukturell betrachtet, einer eindeutigen Identifikation. Der Akt der ‚Befreiung‘ ist zugleich ein Akt der Selbstdestruktion. Und ebensowenig bietet sich der ältere Bruder oder sonst irgendeine Person als Identifikationsfigur an. Insofern entwickelt der Autor eine Art Doppelspiel, das sich gesteigerter Affekte in außergewöhnlichem Maße bedient. Nichtsdestoweniger bot dieses Stück auf Umwegen eine Identifikationsmöglichkeit für all diejenigen, die glaubten, im Leben unverschuldet zu kurz gekommen und unterdrückt zu sein: ein solcher Bezug zu Klingers Schauspiel wird im autobiographischen Roman Anton Reiser von Karl Philipp Moritz (1756–1793) hergestellt.193

192 Rieger: Klinger in der Sturm- und Drangperiode, S. 104. 193 Siehe dazu ebenda, S. 101–102, und Sven Aage Jørgensen / Klaus Bohnen / Per Øhrgaard: Aufklärung, Sturm und Drang, Frühe Klassik 1740–1789. München 1999 (=  Geschichte der deutschen ­Literatur VI), S. 487.

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HERRSCHAFT AM ENDE Julius von Tarent ist ein von Klingers Schauspiel sehr verschiedenes Werk. Während Die Zwillinge trotz der Verortung am Herzogshof zu einem ‚Familiendrama‘ tendieren, das über die erzeugten psychischen Dispositionen seinem unausweichlichen tragischen Ende zustrebt, ist Julius von Tarent mit seiner spezifischen Personenkonstellation in viel höherem Maß auf die Frage von Herrschaft und ihren strukturellen ­Bedingungen bezogen, ist einem Königsdrama näher als einem düsteren Familien­ gemälde. Dies äußert sich auch am Schluss des Stückes: wie in den Zwillingen steht der Vater, hier der Fürst von Tarent, einsam da, nachdem beide Söhne tot sind, der eine von der Hand des Bruders, der andere von der Richterhand des Vaters. Doch mit diesem Ende wird auch das Ende der Herrschaft verkündet – der Fürst wird sich in ein Kloster zurückziehen und die Herrschaft über sein Land an das Königreich Neapel abtreten. Und in dieses Spiel vom Brudermord werden auch kirchliche Amtsträger einbezogen, so der „Erzbischof von Tarent“ und die „Äbtissin des JulianenKlosters“, was zur Folge hat, dass Religion und kirchliche Institutionen zum Thema der Dialoge werden: das Drama wird auch zur heftigen Anklage gegen den Unterdrückungsapparat der Institution des Klosters, welches in diesem Drama vom Herrscher gezielt als Instrument seiner Politik eingesetzt wird. Die feindlichen Brüder in Leisewitz’ Tragödie, welche keine Zwillinge sind, heißen Julius (der Erstgeborene) und Guido (der Zweitgeborene), Söhne von Constantin, dem Fürsten von Tarent. Beide werden, noch prägnanter als in Klingers Werk, als Antipoden charakterisiert: der eher räsonierende und philosophierende, den Gefühlen der ‚Empfindsamkeit‘ zugeneigte Julius und der als ‚Tatmensch‘ jeder übermäßigen Grübelei und jedem Sentimentalismus abholde Guido, welcher sich aufgrund dieser Disposition als weit geeigneter für die Weiterführung der Dynastie sieht – der älterere Bruder scheint ihm durch seine übersteigerte Empfindsamkeit eher als Weib denn als Mann. Wie in Klingers Die Zwillinge begehren beide Brüder auch hier diesselbe Frau: Blanka. Da der Fürst wahrnimmt, dass Blanka – eine seiner Ansicht nach ohnehin unstandesgemäße Liaison – die schon bestehenden Rivalitäten zwischen den Söhnen noch weiter verstärkt, zwingt er sie, ins Kloster zu gehen und der Welt zu entsagen. In unterschiedlicher Weise wird Blanka, die Julius, nicht jedoch Guido liebt, für die Fürstensöhne ein Objekt ihrer Projektionen. Für Julius ist Blanka, die nunmehr unerreichbar Scheinende, Knotenpunkt seiner verworrenen Empfindungen, die ganz von diesem Liebesobjekt aufgesaugt werden. Für Guido ist sie einfach zentrales Kampfobjekt im Bruderzwist, wobei für ihn belanglos ist, ob Blanka ihn liebt – für ihn ist die Frau eine Beute, die dem siegreichen Krieger zufällt. Leisewitz schafft in seinem Drama eine Distanz, die in spezifischer Weise dazu herausfordert, das Spiel aus dieser Distanz wahrzunehmen, vor allem mittels einer gegenüber Klingers 439

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­ willingen sehr ausgefeilten Dramaturgie des Wortes, welche die Emotionen und AfZ fekte gleichsam unter Glas stellt. Julius’ Liebe hat etwas Künstliches; und Guido löst sich ganz in der Inszenierung des ‚Tatmenschen‘ auf. Seine Triebquelle ist der „Ruhm“, wie er selbst dem Bruder eingesteht, welcher als seine Triebquelle die „Liebe“ zu Blanka imaginiert – wobei er sich letztlich mit einer Maschine vergleicht, die von jenem Motor in ihrer Funktion aufrecht erhalten wird. Demgemäß funktionieren die beiden Brüder, auch ihrer eigenen Vorstellung nach, als unterschiedliche maschinelle Triebwerke. Das Drama spielt am Tag der Feier des 76. Geburtstags des Fürsten, der mit dem Gedanken spielt, die Herrschaft an seinen erstgeborenen Sohn zu übergeben. Seine ‚Politik‘ der Wegsperrung Blankas in ein Kloster, durchgeführt in Abstimmung mit seinem Bruder, dem Erzbischof von Tarent, hat das Gegenteil dessen ausgelöst, was er zu bewirken hoffte. Die in die Ferne entrückte Blanka vermehrt die Intensität, mit welcher sich beide Söhne dieser Angelegenheit annehmen. Auch der vom Fürsten erdachte Parallelplan einer Verehelichung von Julius mit seiner Nichte Caecilia scheitert an beiderseitigem Desinteresse. Caecilia hat einen Lebensentwurf gewählt, in welchem eine Ehe – für sie Ausdruck von Sklaverei und völliger Unterwerfung der Frau – keinen Platz hat; und für Julius bleibt Caecilia eine unnahbare, rätselhafte Person, weder Mann noch Frau, daher weder Freund(in) noch Geliebte. An diesem Geburtstag seines Vaters entschließt sich Julius zur Tat. Er sucht Blanka im Nonnenkloster auf. Diese hat bereits begonnen, das aufgedrungene Gelübde zu internalisieren, und wird durch die neuerliche Begegnung mit Julius und die dadurch ausgelösten Empfindungen in den Zustand einer voranschreitenden Paralyse getrieben. Sie entzieht sich dem Geliebten mit Verweis auf ihren göttlichen Bräutigam. Doch Julius will trotz aller fürstlichen und kirchlichen Verbote nicht von ihr lassen und erwägt, Blanka nach dem Tod seines Vaters zu seiner Frau zu nehmen. Somit wird ihm zunehmend bewusst, dass sein Liebesbegehren unabdingbar an den Wunsch gekoppelt ist, sein Vater möge tot sein; ebenso erkennt er, dass sein Bruder eine solche Verbindung mit allen Mitteln verhindern würde. Er entschließt sich daher, Blanka noch am Geburtstag seines Vaters aus dem Kloster zu entführen, mit ihr seine Heimat zu verlassen und auf alle Herrschaftsansprüche zu verzichten. Bei dem Versuch der Ausführung dieses Plans wird er von seinem Bruder getötet. Blanka verfällt am Leichnam des Geliebten vollends dem Wahnsinn, ein Prozess, der sich schon zuvor abgezeichnet hat. Der Vater richtet den jüngeren Sohn im Namen des Gesetzes für diese Tat, indem er ihm als Richter einen Dolch in die Brust stößt und ihn gleichzeitig als Vater mit der anderen Hand umarmt. Wie bereits erwähnt, verkündet der Fürst am Ende des Stückes, sich in ein Kloster zurückzuziehen und die Herrschaft an Neapel abzugeben. Wenn die Tragödie von Leisewitz auch nach dem älteren Sohn benannt ist, der mittels seines Entschlusses zur Tat die tragische Entwicklung in Gang setzt, so profi440

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liert sich dennoch gegen Ende des Stückes der alte Fürst als eine Art Hauptfigur: seine Verfügung hatte den Grundstein für die tragische Entwicklung gelegt. Die Taten der Söhne sind eine Folge der Tat des Vaters. Zwar wird der Fürst als durchaus ehrenwerte, um das Wohl des Volkes besorgte Person dargestellt, ausgestattet mit Gerechtigkeitssinn, aber im Gespräch mit seinem Bruder, dem Erzbischof, stellt sich zunehmend heraus, dass sein Leben gescheitert ist, da er keines seiner Projekte realisieren konnte. Oder wie es sein Bruder formuliert: es gibt keine einzige Szene im Leben des Fürsten, die man malen könnte, höchstens sein Leben. Auch die Geburtstagsfestszene, in welcher das Volk zur Feier erscheint und die zunächst den Eindruck einer sehr biederen Darstellung solcher Huldigungsakte erweckt, ist im Grunde Ausdruck einer ernüchternden Bilanz. Dem Herrscher als dem „Vater aller“ wird von Bauern ein Blumenkranz als Geschenk überreicht, und die Überbringer des Geschenkes kommentieren, dass diese Blumen, einfache Feldblumen, das Einzige seien, was sie in ihrer Armut überreichen könnten. Sie preisen den Herrscher, weil sein Vorfahr grausam war und nicht einmal das nackte Überleben garantieren konnte. Der Jubilar scheint gerührt und nur wenig von dem zu verstehen, was die Erzählung der Menschen beinhaltet. Diese unscheinbar wirkende Szene wirft ein Licht auf die emphatischen Schilderungen des Fürsten vom Ruhme der Dynastie, über den er im IV. Akt mit seinem älteren Sohn spricht. Der Fürst preist den Glanz des Vorbilds, welcher sich in den Nachfahren potenziere. Der so beschworene Glanz zerbirst in diesem Drama zweimal, in den verhaltenen Huldigungsszenen wie – mit tragischer Wucht – im Ende der dynastischen Herrschaft. Es ist letztlich eine unbedeutende Herrschaft, etwas, was man nicht malen kann. In diesem Sinne sind die antipodischen Brüder Gegenentwürfe zur Realität: Kreation großer Bilder der Liebe und des Ruhms. Die vom Fürsten beschworene kontinuierliche Steigerung des Glanzes der Dynastie findet keinerlei Anhaltspunkte in der Realität. Auch das von Julius imaginierte AlternativProjekt hat keine Verankerung in der Realität: seine Flucht, der Verzicht auf die Herrschaft aus Liebe zu Blanka samt geplantem Aufbruch nach Deutschland, „dem Lande der Liebe“, vorgetragen im Gestus großer Entsagung, dürfte nicht weiter als zum Wiener Narrenturm geführt haben.

„KLOSTER AUFHEBUNG“ IM THEATR ALEN R AUM Wie gingen nun die Wiener Bearbeiter mit dieser Tragödie um, die, wie schon anhand der bisherigen Darstellung nachvollziehbar, hinsichtlich so mancher ‚Aufmerksamkeitsfelder‘ mit Zensurprinzipien in Konflikt geraten sein dürfte? Was die „Verstöße wider die Sitten“ betraf, so war das Motiv des Brudermordes, welches im ­Prinzip auch in der theresianischen Zeit zugelassen war, kein Anlass für zensurielle 441

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Eingriffe in die Bühnenfassung.194 Doch finden wir einen ‚Strich‘ im Stück, der das von Hägelin mit einiger Ausführlichkeit behandelte Thema des weiblichen Ehebruchs auf der Bühne betrifft. In der Leipziger Druckfassung des Jahres 1776 findet das Wort „Ehebrecherin“ Erwähnung in der 2. Szene des V. Akts, in welcher der ob des Mordes an seinem älteren Sohn verzweifelte Fürst von der Vorstellung übermannt wird, dass der jüngere Sohn, der Brudermörder, gar nicht sein Kind sein könnte, und so beschuldigt er seine verstorbene Frau des Ehebruchs (V/2): „Fürst.

Dein Mörder ist mein Sohn nicht, mein Weib war eine ­Ehebrecherin, und sein Vater ein Bube.“195

Dieser vorübergehende Anfall des Fürsten, der im weiteren Verlauf des Stückes auch nicht mehr aufgenommen wird, ist in der Wiener Fassung gestrichen. Es entspricht der Diktion des späteren Hägelin’schen Leitfadens, dass das Wort Ehebruch, wenn schon auf der Bühne verwendet, zumindest transponiert werden müsse. Hier jedenfalls entschied man sich für den Strich, weil der Satz, um seine Wirkung zu tun, wohl nicht umschreibbar ist. Dies muss hervorgehoben werden, weil bei der Bearbeitung des Textes mit großer Akribie vorgegangen und der Versuch unternommen wurde, jedes Wort zu retten, zu verschieben und zu transformieren, wenn es möglich war. So enthält die Wiener Fassung auch keinen einzigen Strich im Sinne einer Kürzung des Textes, wie sie in der damaligen Zeit nicht unüblich war. Kein Problem für die Zensur stellte jedenfalls die Rede der Caecilia (in Wien Cäcilia) gegen die Institution der Ehe dar; diese wurde im vollen Wortlaut über­ nommen (II/6): „Cäcilia.

Ich habe der Liebe ewig entsagt, frey gebohren, will ich auch frey sterben, ich kann den Gedanken nicht ausstehn, die ­Sklavin eines Mannes zu werden, das Wort Heurath klingt

194 Demgegenüber lag die Darstellung des Vatermordes bereits in einer Tabuzone, wenngleich auch ein solcher in Bühnenstücken, zumindest für den Druck, nicht ausgespart wurde, ja, selbst Zensoren respektive Zensuraktuare schrieben Stücke, welche einen Vatermord, sogar einen höchst brutalen Vatermord, beinhalteten, so Benedikt Dominik Anton Cremeri in seinem Don Juan oder der steinerne Gast, geschrieben um das Jahr 1787. „Leipzig und Frankfurt“ sind als Orte des Druckes angegeben, gedruckt wurde dieses „Kassastück“, welches sich auf die Allerseelentradition des Don-Juan-Stoffes bezieht, höchstwahrscheinlich in Linz. In diesem Stück tötet Don Juan nicht nur den Komtur, die Vaterfigur sozusagen, sondern, erstmalig in der Geschichte des Stoffes, auch seinen leiblichen Vater: er sticht auf brutalste Weise mehrmals auf ihn ein, weil dieser ihm Vorhaltungen über seinen Lebenswandel macht und weil Don Juan sich dadurch gehindert sieht, zum nächsten erotischen Abenteuer zu schreiten (Don Juan oder der steinerne Gast. Ein Kassastück in fünf Aufzügen. Frankfurt, Leipzig 1788. In: Anton Cremeri: Sämmtliche Lustspiele. Frankfurt, Leipzig 1787). 195 Julius von Tarent (1776), S. 96.

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mir wie ein Gerassel von Ketten, und der Brautkranz kömmt mir vor, wie der Kranz der Opferthiere.“196 Der weitaus größte Teil der Eingriffe betraf „Verstöße wider die Religion“. Wie schon ausgeführt, ging es dabei nicht vorrangig um die Religion herabsetzende, beleidigende oder bloß kritisierende Stellen, sondern es ging bei diesem Punkt darum, dass jede Nennung der christlichen Religion, jede Darstellung ihrer Funktionsträger, jede Darstellung zeremonieller Szenen und jede Repräsentation von Objekten, welche aus dem christlich-rituellen Zusammenhang stammen, auf der Bühne verboten waren – im ‚profanen‘ Bereich der Schaubühne wurde die christliche Religion per se anstößig. In der originalen Fassung wäre das Stück gemäß der oben genannten Prämissen unaufführbar gewesen, und es ist äußerst spannend zu sehen, mit welch spezifischen Transformationen alle Szenen des Stückes ‚gerettet‘ wurden, welche im Original in einem explizit christlich-religiösen Kontext angesiedelt sind. Ein Großteil davon betrifft Klosterszenen, dazu zählt aber auch die bloße Erwähnung des Begriffs „Kloster“ in den übrigen Szenen des Stücks. Die Wiener Fassung stellt somit eine ‚Klosteraufhebung‘ ganz eigener Art dar, eine ‚Klosteraufhebung‘ übrigens, welche mittels des erlaubten Drucks der originalen Vorlage vom informierten Zuschauer im Detail mitvollzogen werden konnte; eine solche ‚Klosteraufhebung‘ wäre in der theresianischen Zeit nicht so leicht denkbar gewesen. So galt es zunächst, die Rollen jener Personen abzuwandeln, welche als kirchliche Würdenträger deklariert waren: das betraf den „Erzbischof von Tarent“, die „Äbtissin des Justinenklosters“, dies betraf die Rolle der Blanka, die uns in jeder Szene als Nonne in entsprechendem Habit entgegentritt, sowie alle weiteren Nonnen, die in diesem Stück, wenn auch nur kurz oder als stumme Rollen, auftreten. Dies bereitete beim Erzbischof von Tarent, dem Bruder des Fürsten, keine großen Schwierigkeiten, zumal er in seiner Rolle als Bruder, als Gesprächspartner des Fürsten seine Funktion als Erzbischof wie Priester nur begrenzt thematisiert und auch keine Szenen vorgesehen sind, welche den Erzbischof in einem unmittelbaren kirchlichen Funktionszusammenhang zeigen: aus ihm wurde einfach „Massoleni“, der Bruder des Fürsten, ein Name, der bei Leisewitz nicht vorkommt. Eine grundsätzliche Transformation musste bei den Klosterszenen vorgenommen werden. Der Wiener Fassung zufolge wird Blanka nicht in einem Kloster „verwahrt“, sondern sie wird auf Geheiß des Fürsten an einen streng bewachten Ort gebracht; anstelle des Klostergelübdes und der damit verbundenen Entsagung und Keuschheit tritt ein ebenso erzwungenes Gelübde gegenüber dem Fürsten, auf jede Beziehung zu seinen Söhnen, ja zur Welt zu verzichten und sich auf den einge196 Julius von Tarent (1785), S. 44f.

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schränkten und bewachten Lebensraum zurückzuziehen, eine Art weltliches Gefängnis. Blanka an die Seite wie zur Überwachung wird ihre Mutter L ­ aurana gegeben, die somit Part wie Text der Äbtissin übernimmt; auch die Ansprache der Nonne gegenüber der Äbtissin: „Mutter“ kann beibehalten bzw. deren Ansprache „Schwester“ in „Tochter“ abgeändert werden. Aus den Klosterräumen wird einfach ein Vorsaal oder das Zimmer der Blanka, die stumme Nonne zu Beginn der ersten Klosterszene verschwindet, und die kurze Sprechrolle einer Nonne im V. Akt, welche die zum Leichnam des Geliebten geflohene Blanka zurückholen will, wird durch eine Freundin Caecilias ersetzt. Soweit zur dramaturgischen Konstellation, welche es in erstaunlich hohem Maße ermöglicht, den originalen Text zu ver­wenden. Weiters wurden, wie bereits erwähnt, alle Stellen in den Szenen geändert, in denen ein Bezug zum Kloster bzw. zu Blanka in ihrer Rolle als Nonne hergestellt wird. Und dies ist in dieser Tragödie, welche auf die abgeschiedene, weggesperrte Frau und die damit verbundenen Projektionen fokussiert, sehr oft der Fall, jedenfalls so oft, dass man zweimal vergessen hat, das Wort Kloster zu ersetzen.197 Eine solche Abänderung findet sich gleich in der 1. Szene des I. Aktes, in welcher Julius seinem Freund von einem Traum erzählt. In der Druckfassung des Jahres 1776 heißt es: „Julius.

Einmal hatte ich schon das Kloster erbrochen, und führte sie in meine Kammer – wie ich schon an das Brautbette trat, sah mein Vater mit der Mine der väterlichen Wehmuth herein – sogleich ließ ich ihre Hand fahren.“198

In der Wiener Fassung bleibt der Text in dieser Form bestehen, nur die Worte „das Kloster“ werden durch „ihren einsamen Aufenthalt“ substituiert. In der 2. Szene des I. Aktes spricht des Fürsten Bruder zu seinem älteren Neffen, ihn an die Unabänderlichkeit der Sachlage gemahnend: „Blanka ist für euch beide todt“ – anstatt „Blanka ist eine Nonne.“ Und in ähnlicher Weise ziehen sich die Substitutionen für das „Kloster“ durch: „einsame Verwahrung“ (I/2), „düstere Mauern“ (III/5) etc. Dementsprechend sind auch Textteile eliminiert, welche Blankas Nonnenleben beschreiben oder bewerten (I/1): „Julius.

[…] Und die heilige Mine ihres jezigen Standes! – sonst kann er ihr nichts geben. Die Flamme der Religion hat schon ihr ­ganzes Wesen geläutert. Und wir kommen hier nur bis auf ­einen ­gewissen Strich, – jenseits desselben werden Menschen Schwärmer, aber nicht Engel.“199

197 Ebenda, I/6 und III/5. 198 Julius von Tarent (1776), S. 7. 199 Ebenda, S. 7f.

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Der nun folgende Satz wird in der Wiener Fassung zwar aufgenommen, aber in ­einem entscheidenden Wort abgeändert – Julius zu seinem Freund: „Aspermonte, denken Sie sich einmal die betende Blanka.“200 Die „betende Blanka“ wird in die „fromme Blanka“ abgewandelt, eine Substitution, welche eine religiöse Konnotation zwar nach wie vor beinhaltet, jedoch das Bild des religiösen Vollzugs ausblendet. Gemäß dem Leitfaden des Jahres 1794 war selbst die Verwendung des Wortes „fromm“ für die profane Bühne ein nicht unproblematischer Begriff. Ebenso müssen alle religiösen Utensilien verschwinden, seien es bloß im Dialog erwähnte bzw. imaginierte Objekte oder seien es reale Bühnenutensilien, so in Julius’ Erzählung gegenüber seinem Freund Aspermonte (I/1): „Julius.

Sie wissen das ärgste noch nicht; – ich sah schon einmal auf ihr Bildnis, und dachte, was sie in dieser Nacht mache. Wie sie ­v ielleicht über meine Untreue weinte, und der Mond durch ihr kleines Fenster auf ihr Crucifix und Brevarium schien, ein Stral fiel etwa auf mein Bildnis, und anstatt daß ich auf dem ihrigen Thränen sah, sähe sie auf dem meinigen spöttisches Lachen. Die Hölle käm’ ihrer Einbildung zu ­Hülfe, und das Gewölbe des Kreuzgangs schallte von höllischen Hohngelächter wieder.“201

In dieser Passage, wo sich das unerfüllte Begehren von Julius in vielschichtiger ­Weise im klösterlichen Zimmer spiegelt und sich Himmel und Hölle, Tränen und Lachen in beständiger Umkehrung befinden, werden zwei Textteile gestrichen: in der Wiener Fassung scheint der Mond nur durch das kleine Fenster und nicht auf das Crucifix und Brevarium; im letzten Satz durfte zwar das Höllengelächter unwidersprochen widerschallen, aber nicht im „Gewölbe des Kreuzgangs“, sondern im „Gewölbe ihres düstern Aufenthalts“. Dies erscheint beinahe wie ein indirekter Kommentar des ‚Zensors‘, wer immer es gewesen sein mag, dazu, wofür er einen Kreuzgang in e­ inem Kloster hielt: für einen Ort des düsteren Aufenthalts – Begriffe, wie sie in den jo­ sephinischen Broschüren über das Kloster nicht unüblich waren. Der Auftritt des Erzbischofs, in Wien bloß der Bruder Massoleni (Guido Massoleni), enthält etliche Passagen, welche religiös konnotiert sind. So spricht Guido in einem Dialog mit seinem Onkel in abschätziger Weise über seinen Bruder (I/4): dieser „sagte mir brennende Beleidigungen mit einem so einfältigen Gesicht, als wenn er auch für die Erbsünde zu dumm wäre.“202 In Wien endet dieser Satz mit den 200 Ebenda, S. 8. 201 Ebenda. 202 Ebenda, S. 18.

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„brennenden Beleidigungen.“ Nicht gestrichen hingegen ist jene Passage über die Unsterblichkeit in der Rede von Guido, in welcher er sich über die Räsonierer und Philosophen abschätzig äußert (I/4): „Da schwazen sie von Unsterblichkeit, und Freyheit und von dem höchsten Gute“203. Gestrichen wurde aber später in der Rede „das Te Deum singen“.204 Deutlich abgeändert wurde der Schluss des Dialogs, in welchem sich der Bruder des Fürsten in Reaktion auf Guidos Verlangen nach Blanka auf seine erzbischöfliche Autorität beruft (I/4): „Erzbischoff. Bedenke, was Du schwazest, Blanka steht unter der Gewalt und dem Schuz der Kirche. Guido. Ich weis, was Sie sagen; ich weis, eine Schlacht ist gegen ­einen Streit mit der Kirche nur eine Fechtübung gegen eine Schlacht, aber – Erzbischoff. Halt Guido, ich habe schon vieles gehört, was der Oheim nicht hören sollte. Du willst jezt etwas sagen, was der B ­ ischoff nicht hören darf. (ab)“205 In der Wiener Fassung fehlt neben dem Bezug zur erzbischöflichen Autorität auch Guidos Bewertung, was es in militärischen Begriffen heißt, einen Streit mit der Kirche auszufechten. Doch kommen wir nun zu den eigentlichen Klosterszenen am Beginn des II. Akts sowie am Ende des III. Akts. Laut Textdruck des Jahres 1776 eröffnet der II. Akt mit dem „Sprachzimmer im Kloster der heiligen Justine“, im Wiener Textdruck geändert zu einem „Vorsaal“. In der Fassung des Jahres 1776 sehen wir bei Aktbeginn Julius mit einer Nonne auf der Bühne, welche, ohne ein Wort von sich zu geben, noch vor dem Auftritt der Äbtissin abgeht. Mit hastigen Worten und ohne weitere Erklärungen verlangt Julius von der Äbtissin, Blanka zu sprechen, nachdem er schon zuvor monologisierend bekundet hatte, sich durch nichts von seinem Vorhaben abhalten lassen zu wollen (II/1): „Julius.

Ich muß sie sehn, und wenn ein Engel mit einem feurigen Schwerdte vor ihrer Zelle stünde (Aebtissin tritt auf ) – – ich will die Schwester Blanka sprechen.“206

203 Ebenda. 204 „Da siz’ ich nun, und muß mir die Zähne stöhren, wenn ich die Nachrichten hör, daß meine Freunde berühmt werden und (stampft mit dem Fusse) das Te Deum singen, wenn Schlachten ohne mich gewonnen werden.“ (I/4) Ebenda, S. 19. 205 Ebenda, S. 20f. 206 Ebenda, S. 31.

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In der Wiener Fassung wird der diesem Text entsprechende Inhalt an die nunmehr neue Adressatin, die Mutter Blankas, gerichtet, die sich allerdings hier im Unterschied zur Druckversion von Anbeginn an auf der Bühne befindet; dementsprechend ist der „a-parte“ gesprochene Satz in eine direkte Rede umgeformt, somit kann der letzte Satzteil entfallen. Beibehalten wird jedoch „der Engel mit einem feurigen Schwerdte“, was mittels direkter Rede die Angriffigkeit erhöht. Aus der „Zelle“, vor dem der Engel mit feurigem Schwerte steht, wird eine „Pforte“. Die Formulierung vom Engel mit dem feurigen Schwerte wird jedoch belassen, obwohl dieser Passus religiös eindeutig konnotiert ist und auf die Cherubim wie das lodernde Flammenschwert verweist, welche nach dem Sündenfall den Eingang ins Paradies und zum Baum des Lebens bewachen (II/1).207 „Julius.

Ich muß ihre Tochter sehn, und wenn ein Engel mit einem feurigen Schwerdte vor ihrer Pforte stünde.“208

Die nächste Änderung erfolgte offensichtlich nicht wegen der Anstößigkeit des Satzes an sich, sondern in Rücksicht auf die geänderte Dramaturgie. Die Äbtissin verweigert dem Prinzen, Blanka zu sehen, und unterstreicht die Unerschütterlichkeit ihres Verhaltens auch diplomatisch (II/1). „Aebtissin.

Ich verstehe Sie – alsdenn weis ich meine Pflichten, und werde Ihrem Sohne unter ähnlichen Umständen dasselbe antworten.“209

Dies macht im Munde der Mutter wenig Sinn, insofern wurde folgende Abänderung vorgenommen, der allerdings der rhetorische Schliff der in kirchlich-institutionellen Zusammenhängen erfahrenen Äbtissin fehlt (II/1). „Laurana.

Ich verstehe Sie – alsdenn weiß ich meine Pflichten, und ich werde nie der Pflicht untreu seyn.“210

Der Fürstensohn wird nun heftiger in seinem Verlangen: seine entsprechenden Ausführungen werden mit markanten Strichen versehen. Von der nun folgenden Rede wurde nur der erste Satzteil: „Sie sollen mir für sie haften“ übernommen, der Rest 207 „Er vertrieb den Menschen und stellte östlich des Gartens von Eden die Cherubim auf und das lodernde Flammenschwert damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten“ (1. Buch ­Moses 3, 24). 208 Julius von Tarent (1785), S. 27. 209 Julius von Tarent (1776), S. 31. 210 Julius von Tarent (1785), S. 27.

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hätte in der Wiener Dramaturgie ohne grundlegende verbale Transformationen auch keinen Sinn mehr gehabt (II/1). „Julius.

Sie sollen mir für sie haften – Nonne oder Nicht-Nonne! – Was ist älter die Regel der Natur, oder die Regel des ­Augustins? – in meine Kammer will ich sie führen, und wenn sie eine Heilige geworden wär, und einen Nimbus statt des Brautkranzes hineinbrächte, und wenn der Priester, statt des Segens, den Bannfluch über uns bis ins tausendste Glied ausspräche. In diesem Saal will ich ihren Schleyer zerreissen, das schwör ich Ihnen bei meiner fürstlichen Ehre.“211

Auf Julius’ Worte antwortet in beiden Versionen die Äbtissin bzw. die Mutter mit demselben Satz: „Ich darf nichts, als Sie bedauern“, worauf der Fürstensohn seine Drohungen weiter verschärft (II/1). „Julius.

Wie ich sage, Sie sollen mir haften. Und find’ ich zu der Zeit, die sie wissen, daß der Verdrus nur einen ihrer Züge tiefer gemacht hat – ich werde schon unterscheiden, was die Traurigkeit gethan hat, – so zerstör ich – merken Sie sich das, Frau Aebtissin! – so zerstör’ ich Ihr Kloster bis auf den Altar, und Ihre Schutzheilige wird dazu lächeln, wenn sie eine ­Heilige ist.“212

Bis zur Androhung der Zerstörung übernimmt die Wiener Fassung den Text vollständig, aber anstelle der nun folgenden, direkt an die Äbtissin gerichteten Drohung der Zerstörung des Klosters samt des antizipierten Lächelns der Schutzheiligen folgt in der Wiener Fassung von 1785 die Formulierung: „so zerstör ich diese Mauern, strafe jeden Fühllosen, dem unsere Trennung ein Spiel war.“ (II/1)213 Diese textliche Neuformulierung verfehlt, jenseits der Transformation des Ortes und der dadurch eliminierten Teile, den geschliffenen Duktus des Leisewitz’schen Dialogs, indem sie sich eher eines wehleidigen Sentimentalismus bedient. Dies zeigt sich auch in der folgenden Passage. Nach der mit scheinbarer Gelassenheit gegebenen Antwort der Äbtissin (II/1): „Gnädiger Herr, wir sind nur Schaafe, aber wir haben einen Hirten“,214 welche erwartungsgemäß in der Wiener Fassung von 1785 fehlt, spricht nun Julius die Äbtissin nach einer merkbaren Pause, die durch 211 212 213 214

Julius von Tarent (1776), S. 31f. Ebenda, S. 32. Julius von Tarent (1785), S. 27. Julius von Tarent (1776), S. 32.

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sein Hin- und Hergehen und ein offensichtlich damit verbundenes Nachdenken ausgefüllt ist, plötzlich sehr direkt an (II/1). „Julius. (geht einigemal auf und ab) Wie lange sind Sie im Kloster? Aebtissin. Neunzehn Jahr. Julius. Was schied Sie von der Welt – die Andacht oder diese ­M auren? Haben Sie nie geliebt? Waren sie [sic] eher Nonne als Weib? Aebtissin. Ach Prinz, lassen Sie mich. (Sie weint) Neunzehn Jahr hab’ ich geweint und noch Thränen! Julius. Nicht wahr, an diesem Gitter hat er geweint, und er ist todt! nicht? Aebtissin. Ach mein Ricardo! – (Nach einer Pause.) Sie sollen Blanka ­sehen. (Verschliesst die äusere Thür und geht ab.)“215 Dieser die 1. Szene beschließende Teil, in welchem die Äbtissin ihren anfangs so beharrlich geäußerten Widerstand aufgibt, ist von Leisewitz äußerst knapp gehalten; das plötzlich hervorbrechende Leid der Äbtissin manifestiert sich eher nonverbal als verbal. Auf die verborgene Sehnsucht zielt offensichtlich die Berechnung des Prinzen, die Berechnung, dass Klostermauern gefrorene Leidenskörper konservieren und dass hinter jedem Klosterschicksal Gitter der Trennung und des Todes stehen – so bringt er die Äbtissin zu Fall, mit knappen Worten. Dies Motiv der Wende, gebunden an die Zwangsgewalt der Klostermauern, kann die Wiener Fassung von 1785 gemäß ihrer Dramaturgie nicht direkt übernehmen, doch sie entnimmt dem Text so viel an Worten wie sie vermag: das Motiv der unerfüllten Liebe, das nun sehr verallgemeinert erscheint und nicht mehr an die „Mauern“ des Geschehens gebunden ist. Diesmal muss der Text völlig neu gefasst werden, um einen nachvollziehbaren Sinnbezug herzustellen (II/1). „Laurana.

Julius. Laurana.

Sie vergessen, Prinz! daß der Befehl des Fürsten Ihres Vaters, meine Tochter an diesen Ort lebenslang fesselt. Blanka mußte feyerlich ihr Gelübde beschwören: zu keiner Zeit seine ­Prinzen wieder zu sehen, aller Liebe zu entsagen, selbst das Andenken davon, aus ihrem Gedächtniße zu bannen. Und Sie glauben diesem Schwur? – o so kennen Sie die Liebe nicht! Ach daß ich sie nie gekannt hätte! – Auf kurze Wonnetage folgte vieljährige Seelenpein. Dennoch – darf ich es ohne

215 Ebenda, S. 32f.

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Scham sagen? – entzückt mich immer das Andenken dieser zu schnell entflohenen Wonnezeit! – Ach mein Ricardo! (Nach einer Pause.) Sie sollen meine Tochter sehen. – (geht ab.)“216 Was bei Leisewitz gerade in seiner textlichen Knappheit, nach der verbalen Zerstörungslust des Prinzen, einen an den Ort gebundenen Umschlagspunkt zur Darstellung bringen konnte, wird in der adaptierten Fassung in ein eher triviales Spiel verwandelt, in welchem nur das Wort Liebe fallen muss, um eine Umkehr der so angesprochenen Person zu bewirken. Nun folgt die Szene zwischen Blanka und Julius (II/2). In der Fassung von 1776 tritt Blanka mit den abweisenden Worten „Keinen Kirchenraub, Prinz!“217 auf, welche in der späteren Fassung in den allgemeineren Begriff „Keine Gewalt“ übersetzt werden. Und erwartungsgemäß entfällt alles, was direkt auf ihr klösterliches Leben Bezug nimmt; bemerkenswert ist jedoch der Versuch, wiederum jeden Gedanken aufzunehmen, der kloster- und religionsfrei zu übersetzen ist, was aufgrund des bis jetzt Gesagten hier nicht mehr in vergleichbarer Detailliertheit dargestellt werden muss. Angeführt sei nur ein kurzes Beispiel, betreffend Blankas beginnende ‚Verwandlung‘ zur Nonne samt den damit verbundenen widersprüchlichen Prozessen der Internalisierung der neuen Rolle; in Wien wird Blankas Wandlungsprozess mit der Formel „Vertilgung der Liebe“ umschrieben (II/2). „Julius. Blanka.

Mädchen, Mädchen, dein ganzes Wesen war ja Liebe für mich! Es war es, aber ich habe dies Wesen in Gebeten und Seufzern ausgehaucht – izt hab’ ich ein andres Wesen. (zieht Julius ­Bildnis hervor) – Da nehmen Sie ihr Bildniß zurück – es ist das einzige, was mir von unsrer Liebe noch übrig ist – Nehmen Sie, ich darf das Bildnis eines Mannes nicht haben.“218

In der Wiener Fassung 1785 lautet die Antwort (II/2): „Blanka.

216 217 218 219

Es war es, aber ich habe diese Liebe vertilgt – (zieht Julius Bildniß hervor) – Da nehmen Sie Ihr Bildniß zurük – es ist das einzige, was mir von unsrer Liebe noch übrig ist – Nehmen Sie, ich darf ihr [sic] Bildniß nicht haben.“219

Julius von Tarent (1785), S. 27f. Julius von Tarent (1776), S. 34. Ebenda, S. 35. Julius von Tarent (1785), S. 30.

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Nachdem Blanka dem Prinzen zu vermitteln versuchte, dass ihr Leben nun ein anderes und ihre Liebe hoffnungslos wäre, folgt noch eine weitere Szene im Kloster: ein Gespräch zwischen Blanka und der Äbtissin respektive ihrer Mutter (II/3). Blanka, die sich dem Drängen des Prinzen verweigert hat, sieht sich nach dieser Begegnung in neue Verwirrung gestürzt, da trotz qualvoll erworbener Rollenidentität die mühsam abgetöteten Gefühle neu aufkeimen. Auf diese Szene möchte ich nicht näher eingehen, da sich die Argumente ähneln. Doch werde ich die letzte Klosterszene analysieren, welche den III. Akt beschließt, angesiedelt nach der Peripetie des Stückes, nach jener Szene, in welcher sich Julius zur Tat entschlossen hat, zur Entführung Blankas aus dem Kloster und zur gemeinsamen Flucht nach Deutschland. Diese Szene zwischen Blanka und der Äbtissin spielt in der Klosterzelle der Nonne bzw. in der Wiener Fassung in Blankas Zimmer.220 Als Gegenzug zu ihren intensiven Gefühlen für Julius setzt sich in dieser Szene eine extreme Internalisierung der aufgezwungenen Nonnenrolle fort – im Sinne eines Wechselspiels von libidinöser Besetzung und Todeswunsch. Auch hier lässt sich der Versuch beobachten, den genuin mit dem religiösen Ort verbundenen Konflikt der weiblichen Hauptfigur in abstraktere ‚bürgerlichere‘ Gefilde umzuleiten, in eine Art psychische Entrückung aufgrund der zwanghaften Isolierung. Auch in der Wiener Fassung bildet das Gelübde den Knotenpunkt, allerdings das vom Herrscher direkt aufgezwungene Gelübde. Blanka fragt, ob Tränen wider das Gelübde wären. Dabei kommt in der Fassung von Leisewitz die Rede auch auf die Heiligen, ein Gedanke, den Blanka in selbstquälerischer Steigerung am Ende der Szene weiterführen wird (III/7). „Blanka.

Gut, ich bin ein Weib, und bin ich nicht das, was ich seyn soll? ich beneide keine Heilige, gönn’ ihr ihren Weihrauch, ihren Glanz, und ihre Palmen, ihr Bild unter Engeln stehe immer auf Altären, werde in Prozessionen getragen, ihre Wunder mögen Bücher anfüllen; – Seyn Sie versichert, ­Aebtissin, keine von diesen Weibern hat wie ich geliebt. Sonst hätten wir von ihr nur eine Legende; – sie starb vor Qualen der Liebe.

220 Der letzten Szene des III. Aktes geht ein Monolog Blankas voraus (III/6): Blanka versucht sich durch Lesen abzulenken, allein, es gelingt ihr nicht. „Ich kan nicht weiter, meine Andacht ist Sünde“ heißt es in der Fassung des Jahres 1776 ( Julius von Tarent [1776], S. 73), dagegen in Wien bloß: „Ich kann nicht weiter lesen“ (III/6). Gestrichen ist weiters in der Wiener Fassung: „Und dieser Wechsel von Metten und Vespern, von Begierden und Reue, das ist es, was sie das Leben nennen, und Jugend, der Frühling des Lebens?“ (ebenda) wie auch: „Ach ich habe ja schon ­einmal das Entzücken der Andacht gefühlt; sie ist mit der Liebe die erste Empfindung unsrer Natur. Und sind sie nicht verwandt, verschiedne Gesänge auf eine Melodie?“ (ebenda, S. 74).

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Aebtissin. Blanka.

Du hast Recht, eine Heilige ist bloß eine schöne Verirrung der Natur. Ich darf also weinen?“221

Dieser Dialog ist in der Wiener Fassung auf den ersten und letzten Satz reduziert. Nun folgt gewissermaßen in einer Art Weiterführung der „Verirrung der Natur“ Blankas Todeswunsch gepaart mit der Imagination extremen klösterlichen Lebens, eine Steigerung allen Märtyrertums – so heißt es im Druck 1776 (III/7): „Blanka.

Ich will mit dem Tod einen Bund machen. Martern für mich ersinnen! – solche Seufzer sollen diese Mauren nie gehört haben, Augustin soll gestehn, seine Regel sey Weichlichkeit, Heilige, durch mich mit der Liebe versöhnt, sollen für ­M itleiden, und Märtyrer für Beschämung das Gesicht v­erwenden.“222

Die ersten drei Sätze übernimmt auch die Wiener Fassung und streicht erwartungsgemäß den letzten, explizit klosterbezogenen Satz. Wie in der Fassung von 1776 antwortet die Mutter Laurana: „Tochter, Deine Phantasie wird wild.“ Getragen von diesen „wilden Phantasien“ schwingt sich Blanka am Ende des III. Aktes zu einem Höhenflug, der gleichsam ein metaphorischer Todesflug ist, auf (III/7): „Blanka.

Ha! wenn nun die freye Seele zum erstenmal über dem hohen Dome flattert. – Jahrhunderte werd’ ich brauchen, ehe ich wieder Freuden fühlen kan, zumahl unendliche ­Freuden – und, Aebtissin, wenn Du denn meinem Gebeine das versprochne Opfer bringst, und Du hörst ein sanftes ­Lispeln, so denke das heisst auf irdisch, Schwester bald Rosen bald Thränen für dich.“223

Das Bild des Höhen- wie Todesfluges übernimmt auch die Blanka der Wiener Fassung, und mit Ausnahme des gestrichenen „Domes“ und der dadurch notwendigen Adaptierung des Wortes „flattern“ auch den Wortlaut der ersten beiden Sätze. Doch dann folgt ein Abschluss, der völlig neu geschrieben wurde und einen neuen Sinn­ zusammenhang einführt (III/7).

221 Ebenda, S. 74f. 222 Ebenda, S. 76. 223 Ebenda, S. 76f.

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Vom Index auf die Bühne.

„Blanka.

Ha! wenn nun die freye Seele zum erstenmal empor flattert. – Jahrhunderte werd’ ich brauchen, ehe ich wieder Freuden fühlen kann, zumahl unendliche Freuden. – Meine Seelenpein verfolgt mich in die Ewigkeit. Ach! mußte Blanka dazu gebohren werden! – Oeffne dich Schoos der Erde – verschlinge dein Opfer! (eilt ganz verwirrt ab).“224

Die neu hinzugekommenen Textteile sind in ihrer Diktion auch anderen Dramen der Zeit, die im weitesten Sinne dem entsprechen, was man „Sturm und Drang“ nennen wird, nicht ganz fremd: allgemeine Verzweiflungsmetaphorik, die allen ausweglosen oder ausweglos scheinenden Situationen zugeordnet werden kann. Doch gleichzeitig erinnern sie, mit Nuancen stilistischer Verschiebungen, an den Topos der Verzweiflungsverse, wie wir sie etwa aus der Wiener Don-Juan-Tradition kennen. Vergleichbare Worte spricht Don Juan am Ende des in Wien bis 1768 in der ­A llerseelen-Oktav aufgeführten Schauspiels, indem er sich, stoffgeschichtlich neu, in Selbstverdammung den Furien der Hölle überantwortet. Die Vision der freien, der befreiten Seele, die emporflattert, kehrt sich ins Gegenteil, in den Höllensturz. Ein wenn auch anders strukturiertes ‚Flugbild‘ hatte auch Don Juan in besagtem Wiener Allerseelen-Spiel entwickelt. „Die Seele ringt in mir, sie will sich aufwärts schwingen, Doch kann durch meine Schuld der Flug ihr nicht gelingen, Das Herze schlägt nur halb, die Kräfte nehmen ab, Dem Cörper gönnet man sogar kein kühles Grab Es muß nach den Verdienst, so Leib, als Seel verderben, Hab ich nicht gut gelebt, will ich auch elend sterben. Nemmt mich zum Eigentum, macht mich den Furien gleich, Zerreisset diesen Leib! bringt mich ins Höllenreich.“225 Hatte Blanka in der Version von Leisewitz noch von Jahrhunderten gesprochen, die benötigt würden, um wieder Freuden zu erlangen, so formuliert der neue Text Bilder ewiger Seelenpein und damit einhergehend die Verfluchung der eigenen Geburt – auch ein Topos der Don-Juan-Tradition, welchen wir erstmals in den italienischen Fassungen des 17. Jahrhunderts in der das Werk beschließenden Szene in der Hölle, wo Don Juan nunmehr ewigen Qualen ausgeliefert ist, nachweisen können. Auch die oben genannte, dramaturgisch anders geartete deutsche Version nimmt diesen Topos auf, als ob die ‚weltliche‘ Blanka die ‚geistliche‘ Blanka in ihren wilden Phantasien 224 Julius von Tarent (1785), S. 66f. 225 Arien, Welche in der Comödie, betitelt: Das steinerne Gastmahl gesungen werden, S. [23]f.

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noch weit übertreffen wollte. Doch scheint die räsonierende Verzweiflung des Protagonisten in Form eines moralisierenden Schreckensspiegels226 nunmehr in die profane Welt des Wahnsinns überführt. Das Bild des Höhen- wie Todesflugs kommentiert die Äbtissin am Ende der Szene und tritt mit diesen Worten aus dem Drama ab (III/7): „Ach solche Klagen hörte dies Gewölbe seit Jahrhunderten.“227 Dagegen kann Blankas Mutter in der Wiener Fassung am Ende dieser Szene nur ihr Kind und sich bedauern (III/7): „Kind des Jammers! – Du zermalmest das Herz deiner Mutter!“228

PAR ADOXE TR ANSFOR MATION ARCHAISCHER GEWALT Nach den Verstößen gegen die Religion kommen wir nun zu potentiellen Verstößen wider den Staat. Zu einer markanten szenischen Umdeutung kommt es gegen Ende des Stückes, allerdings mit einer weit knapperen Ökonomie der Transformation als in den diesbezüglich aufwendigeren klösterlichen Szenen. Dies inkludiert auch eine knappe Texterweiterung, welche darauf hinweist, dass in der Schlussszene Komponenten enthalten waren, welche sich mit josephinischen Vorstellungen von Herrschaft und Gesetz nicht vertrugen. Es ist jedoch fraglich, ob diese Änderungen einem ‚zensorischen Imperativ‘ folgten oder ob sie lediglich versuchten, den Text an josephinische Gepflogenheiten anzupassen, ihn quasi zu ‚modernisieren‘. Stein des ‚Anstoßes‘ war die direkte Hinrichtung des mörderischen Sohnes durch die Hand des Herrschers und Vaters. Vor dieser Tat hatte der Fürst – die Waffe, mit welcher Guido Julius gemordet, in der Hand haltend – mit dem Gedanken gespielt, sich das Leben zu nehmen, ein Gedanke, den er sofort wieder verwarf, eingedenk dessen, dass Selbstmord Sünde ist. Doch wird die bei Leisewitz vom Vater verworfene Idee des Selbstmordes in der Wiener Fassung auf den jüngeren Sohn transponiert, womit die Hinrichtung durch die Hand des Vaters entfällt. Dieser Selbstmord wird auf offener Bühne vollzogen, wofür nur geringfügige Verschiebungen gegenüber der ursprünglichen Bühnenanweisung notwendig sind. In der Fassung von Leisewitz sticht der Fürst mit dem Dolch auf den jüngeren Sohn ein; auch in der Wiener Fassung stirbt Guido durch die Hand des Vaters, doch es ist der Sohn, der des Vaters Hand mit dem Dolch ergreift und sie gegen die eigene Brust führt. 226 Weidinger: Il Dissoluto punito, Bd. II, S. 442–447. 227 Julius von Tarent (1776), S. 77. 228 Julius von Tarent (1785), S. 67.

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Die unterschiedliche Tat erfolgt mit unterschiedlichen Begründungen. In der Fassung des Jahres 1776 heißt es (V/6): „Fürst:

Du solst sterben – als der Vater meiner Unterthanen darf ich es nicht leiden, daß unschuldig Blut auf dem Lande klebe, und Krieg und Pest und alle Landplagen herbey rufe – Von meinen Händen, als ein Fürst, solst du sterben. Daß aber das nicht unbereitet geschehe, wartet im Nebenzimmer ein Pater auf Dich.“229

Dagegen heißt es in der Wiener Fassung des Jahres 1785 (V/7): „Fürst:

Du sollst sterben – als der Vater meiner Unterthanen darf ich es nicht leiden, daß unschuldig Blut auf dem Lande klebe, und Krieg und Pest und alle Landplagen herbey rufe – Von meinen Händen stirbst du nicht – auch nicht von deiner Hand. Das Gesetz soll dein Richter seyn – ihm überliefre ich den Brudermörder.“230

Die Darstellung des Fürsten als unmittelbarem Vollstrecker des Todesurteils wird hier abgeändert, weil sie offensichtlich mit den Handlungen eines Souveräns, zumal im aufgeklärten Absolutismus, nicht vereinbar schien: Richten könne man nur nach dem Gesetz, und an jene dafür zuständigen Institutionen ist der Fürst bereit seinen Sohn auszuliefern. Es stellt sich allerdings in diesem Zusammenhang die Frage, ob diese Abänderung ‚zensurbedingt‘ war, woran ich eher zweifeln würde. Aber auch in der Wiener Fassung wird Guido schließlich nicht dem Gesetz überliefert, sondern er begeht auf die oben beschriebene Weise Selbstmord als offensichtlich weniger anstößige Variante, die der Fürst zwar verurteilt und seinem Sohn zu untersagen versucht, welche aber durch die ‚dramatischen Censoren‘ schlussendlich auf die Bühne gebracht wurde. Auch die finale Szene zwischen dem Fürsten und seinem Bruder bleibt nicht ohne Eingriffe. Der eröffnende Satz, gesprochen vom Bruder des Fürsten, bleibt gleich (Leipzig 1776 V/9, Wien 1785 V/8): „Bruder, was hast Du gemacht!“, auch wenn er sich auf jeweils unterschiedliche Tatbestände bezieht. In der Fassung von 1776 antwortet der Fürst (V/9): „Mein oberrichterliches Amt zum leztenmale verwaltet“,231 davon abweichend in der Wiener Fassung (V/8): „Gemordet ohne morden zu wollen – des Jünglings rasche Hand überwältigte den kraftlosen Arm des Greises – Weh 229 Julius von Tarent (1776), S. 106. 230 Julius von Tarent (1785), S. 94. 231 Julius von Tarent (1776), S. 109.

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mir!“232 Diese Abänderung ist durch die vorangegangene Handlungsmodifikation nachvollziehbar. Doch ersetzt dieser Satz nicht nur die Mitteilung über die Ausübung des oberrichterlichen Amts, sondern auch den daran anschließenden Satz (V/9): „Jezt gieb den Carthäusern Befehl, daß sie mich bey sich aufnehmen, übernimm so lange die Regierung, und laß dem König von Neapel wissen, daß er mein Fürstenthum in Besiz nehme.“233 Von der Abtretung der Herrschaft an Neapel ist in der Wiener Fassung ebensowenig die Rede wie von des Fürsten Plänen, in einen strengen christlichen Orden einzutreten. Dementsprechend unterschiedlich fällt auch die Antwort des Bruders aus. Im Leipziger Druck 1776 heißt es (V/9): „Bedenke Dein Alter, und was ein Carthäuser ist!“234 Demgegenüber in der Wiener Version (V/8): „Ehrsucht und Liebe mordete deine Söhne – Lebe du noch lange als deines Volkes Vater!“235 In der Fassung von 1776 antwortet der Fürst: „Mein Haus ist gefallen, die jungen Orangenbäume mit Blüthe und Frucht sind umgehauen, es wär ein schändlicher Anblick, wenn ich alter verdorrter Stamm allein da stünde. Auch hat mich der Schmerz schon zu einem Carthäuser geweiht. Memento mori.“236 Trotz der in Wien hinzugefügten versöhnlich-aufmunternden Worte des Bruders folgt auch in der Wiener Fassung kein neuer Text, welcher das Angebot des Bruders aufgenommen hätte. Nur der letzte Satz wird abgewandelt, indem die Karthäuser eliminiert werden (V/8): „Auch hat mich der Schmerz schon halb getödtet – Memento mori!“ Darauf antwortet der Bruder im Leipziger Druck, den Fürsten an seine Pflichten als Herrscher gemahnend (V/9): „Ich beschwöre Dich, bedenke, was Du deinem Lande schuldig bist, und die harte neapolitanische Regierung!“237 In der Wiener Fassung wird „die harte neapolitanische Regierung“ gestrichen, eine Formulierung, die aufgrund der vorigen Eliminierung auch unmotiviert gewesen wäre. Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob ein solcher Satz in dieser Form, noch dazu markant am Ende des Stückes, unter zensuriellen Gesichtspunkten hätte gesagt werden können, angesichts der eigenen Geschichte und angesichts der aktuellen Verbindungen zum Königreich Neapel. Die jeweiligen Schlussworte der beiden Brüder sind in beiden Versionen identisch. Der Fürst wiederholt: „Memento mori“, der Erzbischof bzw. Massoleni hat mit: „Bruder, Bruder“ das letzte Wort. In Nuancen unterscheiden sich die Szenen­ anweisungen der beiden Fassungen: in der Fassung 1776 umarmt der Erzbischof bei seinen letzten brüderlichen Worten den Fürsten von Tarent, in der Wiener Fassung

232 Julius von Tarent (1785), S. 95. 233 Julius von Tarent (1776), S. 109. 234 Ebenda. 235 Julius von Tarent (1785), S. 95. 236 Julius von Tarent (1776), S. 109. 237 Ebenda.

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wirft sich der Fürst bei seinen letzten Worten: „Memento mori“ auf den Leichnam des Sohnes und wird von seinem Bruder wieder aufgerichtet. In der Wiener Fassung wurde somit die Herrscherfigur am Ende des Dramas in zweifacher Weise modifiziert. Einerseits wurde sie des archaischen Gestus der direkten tötenden Gewalt enthoben und im Hinblick auf die Akte der richterlichen Gewalt ‚modernisiert‘ – der tragische Gestus kann trotzdem bestehen bleiben, da der Tötungsakt in der gleichen Weise fungiert. In gewisser Weise wird der Herrscher entlastet, indem dem Sohn neben dem Brudermord nun auch noch ein zweites Vergehen angelastet wird, der Selbstmord, der gleichzeitig in aller Deutlichkeit auf der Bühne verurteilt wird. Andererseits finden wir Veränderungen in der Finalszene: zwar ist die Eliminierung des Karthäuserklosters wie möglicherweise auch die des Hinweises auf die grausame Herrschaft Neapels zensurbedingt, doch muss bezweifelt werden, ob der in Nuancen versöhnlichere Schluss, welcher sich in der Eliminierung der expliziten Abgabe der Herrschaft wie im Aufrichten des gefallenen Körpers ­m anifestiert, ein zensurieller Akt war. Der Bearbeiter greift nicht in den Text des Fürsten ein und versucht in keiner Weise, die in der Wiener Fassung ausgesprochene Erwartung des Bruders, dass der Herrscher dem Fürstentum erhalten bliebe, durch eine jenseits des Textes von Leisewitz gelegene verbale Bestätigung des Fürsten zu unterstützen. Bei allem Modifizierungswillen ist also gegenüber dem Original eine größere Dezenz festzustellen – letztlich bleibt auch der Akt des Emporhebens eine Geste des Bruders und nicht des Fürsten. Es handelt sich hier um eine insgesamt sehr josephinische Inszenierung eines Dramas, das zur Zeit Maria Theresias nicht nur auf der Bühne verboten war, sondern das auch der interessierte Leser nicht studieren sollte. Gleichwohl war das Werk über die Berichterstattung diverser Theateralmanache allseits bekannt. Wenn wir auch nicht über Dokumente der Verbotsmotive verfügen, so können wir annehmen, dass die religionskritischen Stellen des Stückes den Ausschlag für das Verbot gegeben ­haben dürften. Nunmehr durfte das Stück gelesen werden, doch auf der Bühne war gemäß des theatralzensuralen Imperativs die christliche Religion tabuisiert und ­gewissermaßen anstößig. Der Diskurs, der in der Tragödie von Leisewitz geführt wurde und der auf der Bühne in expliziter Form dem Zuschauer entzogen war, war jedoch in anderen Medien, zumal in den josephinischen Broschüren, voll entbrannt – ich werde darauf auch noch im letzten Kapitel eingehen. In paradoxer Weise erscheint die ‚Aufhebung des Klosters‘ in der Wiener Fassung des Julius von Tarent wie eine ‚Modernisierung‘: vorgenommen wird die Eliminierung eines Ortes, der in der realen Gesellschaft nur mehr in eingeschränkter Form zur Verfügung stand, ein zunehmend obsoleter Rückzugsort.

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PRINZ SEIDEN-WUR M DER REFOR MATOR ODER DIE KRON-KOMPETENTEN Zum Abschluss dieses Kapitels komme ich auf Friedrich Maximilian Klinger zurück. Etwa vier Jahre nach der Uraufführung des Schauspiels Die Zwillinge hat sich Klinger in dramatischer und diesmal höchst satirischer Form mit dem Thema der Erstgeburt befasst: 1780 erschien das moralische Drama Prinz Seiden-Wurm der Reformator oder die Kron-Kompetenten. Wenn auch in separatem Druck publiziert, so ist dieses Drama Teil des umfassenden Romanwerkes Orpheus, und zwar des 1780 ver­ öffentlichten fünften Teils,238 somit als Lesedrama konzipiert und nicht direkt für das Theater geschrieben. Dieses Stück ist von besonderem Interesse, da es zu den wenigen Dramentexten der 1780er Jahre zählt, deren Druck mit einem Verbot belegt wurde.239 Es handelt sich um ein Drama, das im genannten Roman am Hofe des „großen Königs“ aufgeführt wird, welcher der Vorstellung von seiner Loge aus beiwohnt und sie kommentiert. Was in den Zwillingen und in Julius von Tarent zur Katastrophe führte – das Institut der Erstgeburt –, wird in Klingers Komödie satirisch aufgelöst und als politischer Mythos denunziert: am Ende des Dramas steht, in drastischer Komik in Szene gesetzt, der Untergang des Instituts der Erstgeburt und der Erbmonarchie. Wie bereits erwähnt, ist Klingers „moralisches Drama“ als Theater auf dem Thea­ter konzipiert. Von einer Loge aus beobachtet der „große König“ das Bühnengeschehen, welches sich in der Hauptstadt des Königreiches Trilinik ereignet. Der I. Akt führt in nächtliche königliche Grüfte, wo der erst kürzlich verstorbene Herrscher, König Caromasko, als Totengerippe erscheint. Die Toten leben, allerdings nur in der Nacht und in den schmalen Räumen, welche die Lebenden für sie vorgesehen haben. Das königliche Gerippe räsoniert über die Welt und das Königtum, vor allem über seinen erstgeborenen Sohn und Nachfolger, Prinz Seiden-Wurm, den Protagonisten des Stückes, den er für dümmer als eine Auster hält. Etliche Vorfahren erscheinen und stellen die Frage, ob man sich ihrer noch erinnere – wenig spricht dafür. Gegen Schluss des I. Aktes erhebt Caromasko nochmals die Stimme, doch kann er seine Ausführungen nicht mehr zu Ende bringen: bei Nennung des „Instituts der Erstgeburth“240 kräht der Hahn, und alles verschwindet. Der „große König“ als theatraler Beobachter kommentiert das Geschehen nach dem Ende des I. Aktes aus seiner Loge:

238 Prinz Seiden-Wurm der Reformator oder die Kron-Kompetenten, ein moralisches Drama aus dem fünften Theil des Orpheus. Genf bey J. H. Legrand 1780. 239 Catalogue des livres défendus par la commission impériale et royale. Jusqu’à l’année 1786, S. 75. 240 Prinz Seiden-Wurm, S. 23.

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„Ali, entweder ist das Ding erschreklich dumm; oder so gescheidt, daß ich’s nicht versteh. Wer nicht hier in der Loge sässe, könnte ein Grausen empfinden, so lumpicht und ekelhaft sehen die Majestäten von Trilinik. Der Kerl aber machte es gut, und hatte viel Bauch für die Rolle.“241 Nun meldet sich ein weiterer Begleiter des „großen Königs“ zu Wort, dessen Vorschlag von allen aufgegriffen wird: „Aber der Hahn hat vortreflich gekreht, tout naturellement. Man sollte fuori rufen. Auf einmal rief alles: Fuori der Hahn! Der Hahn aber kam heraus und krehte. Alles klatschte, und es gefiel seiner Majestät“.242 Nach diesem Spiel mit alten barocken Motiven tritt der Drahtzieher des Stückes auf (II/1): Harlequin, Kammerheizer des verstorbenen Königs Caromasko243, der wie die ­Totengerippe ebenfalls räsoniert, jedoch als Lebender über die Zukunft. Er hat Großes vor und will Großes werden, jedenfalls möchte er Pedrilla, die Tochter seiner Gattin Colombine, zur Königin machen. Pedrilla ist nicht Harlequins leibliche Tochter, sondern aus einer Mesalliance zwischen Colombine und König Caromasko hervorgegangen. Colombine erscheint und hält eine Rede auf Hanswurst (II/2): „Mein erster Mann war Hans-Wurst. Mein Vater auch. Meine Mutter hieß Kretel. Als die deutsche Nation noch gern lachte, und lachen durfte. Die Fürsten noch zwölf Monate im Jahr gelten liessen, und nicht vier und zwanzig der Steuren wegen schufen; kurz da wir noch keine griesgramigte, ernsthafte Gesichter, keine geschundne Rüken, keine tiefgebeugte Naken sahen, da galt Hans-Wurst was Rechts. […] Lies alle großen Staats-Actionen, Tragödien und Schwenke, wirst immer finden, daß Hans-Wurst der einzige Mann ist, der die Welt erleuchtete und amüssirte – Hm – Ja freilich, man hat das Ding veredlen wollen und Harlequin, einen politischen, cultivirten Kopf draus gemacht, wie du zu meinem Ekel einer bist! Aber kannst du Lachen machen du rafinirter Bengel! Darfst du unter der Maske der Dummheit solche Streiche spielen, die dir große Summen eintragen, und dir doch aus der Patsche geholfen wird. Es ist ja zum Gähnen, wenn man dich anhört, so vernünftig bist du! Eil dich, daß du zu etwas kommst, sie werden alle Tage ernsthafter die Mukser, sie küssen Ketten, und du wirst verbannt. Mach dei241 Ebenda. 242 Ebenda, S. 24. 243 Harlequin war bereits im Prolog „mit einer Spiz-Geige“ aufgetreten: „Ihr Ochsen und Rinder: / Macht wakere Kinder! / Saufet den Wein! / Altäre sind Stein / Und Jupiter lacht! / Dum! du! / Di! di! / Du! du!“, ebenda, o. P.

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nen Coup in Trilinik, geh nach Teutschland und werd denn ein Critikus. Sind Leute, die jezt etwas gelten, ob sie gleich meinen seeligen Mann ermordet haben.“244 Nach ihrem Abgang erläutert Harlequin, der „politische, cultivirte Kopf “, seine philosophischen Grundsätze (II/3): „Die moralische Grundsäze hab ich durchs Hofleben so ziemlich ausgeschwizt. Scrupel macht mir demnach auch nichts, wie eine Sache geschähe, wenn sie nur geschieht.“245 Harlequin beschließt, seine Tochter an Seiden-Wurms jüngeren Bruder, den Prinzen Zed, zu verheiraten und den zweitgeborenen Prinzen zum König, somit seine Tochter zur Königin zu machen. Er nimmt den philosophisch gewandten Bettler Gleba in seine Dienste: dieser soll eine von ihm geschriebene Rede an das Volk halten. Auf dem Markt der Hauptstadt von Trilinik tritt der von Harlequin angeworbene Gleba als von Zeus erleuchteter und gesandter „Wundermann von Rotonier“ in Erscheinung und erzählt die Geschichte des Königtums. Die Triliniker seien einst ein Volk von Freien gewesen, die sich in Krisenzeiten entschlossen hätten, einen König zu wählen, wenn sie auch von einem weisen Mann gewarnt wurden (III/4): „Meine Kinder, seht was Ihr thut. Ihr macht einen zum Herrn, der wird Eure Töchter beschlafen, Euch Eure Weiber nehmen, Eure Güter an sich ziehen und sich von Eurem Schweiß nähren.“246 Doch die Triliniker hätten sich nicht beirren lassen und – so erzählt der „Wundermann von Rotonier“ – den Stärksten, Kühnsten und Gerechtesten gewählt, einen einfachen Mann aus dem Volke mit dem Namen Zed, der sich im Krieg und bei der Schlichtung von Streitereien hervorgetan hätte. In weiterer Folge hätten die Triliniker stets einen König gewählt, bis es einem der Könige gelang, die Krone an seine Familie zu bringen, und so wäre der Brauch aufgekommen, die jeweils erstgeborenen Söhne zum König zu machen. Doch plötzlich hätten sich die Könige nicht mehr um das Volk gekümmert. Er wolle in keiner Weise gegen das Königshaus hetzen, beteuert der „Wundermann von Rotonier“, er wolle nur kundtun, was ihm Zeus aufgetragen. Aber, so fährt der „Wundermann von Rotonier“ in der Argumentation unbeirrt fort, die Könige hätten zu ihrer Machterhaltung alle Mittel eingesetzt: 244 Ebenda, S. 28–30. 245 Ebenda, S. 35f. 246 Ebenda, S. 57f.

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Vom Index auf die Bühne.

„Man darf nur sinnen, und Euch schmeichlen, so gelangt man zu seinem Zweck, und gehts so nicht, so tyrannisirt man.“247 Das Volk will die Rede weiter hören und bekräftigt: „wir sind ein freyes Volk, und wollen es seyn!“248 „So ward die Erbfolge zum unglücklichsten Institut für das Reich Trilinik“249, fasst der Wundermann seine Rede zusammen. Das Volk ist erbost, es will neuerlich wählen: so mögen sich am Nachmittag alle „Competenten“ am Marktplatze einfinden, um sich zur Wahl zu stellen. Und der „Wundermann von Rotonier“, der durch seine Darstellung des Ursprungs des Königtums dem Volk den Namen „Zed“, den von Harlequin auserdachten neuen König, einprägen sollte, ist nunmehr auch in eigener Sache unterwegs: das Volk möge bei der Wahl auch einen gewissen Gleba berücksichtigen: „Jupiter liebt ihn. Ruft ihn auf!“250 Erst in der Mitte des Stücks (III/5) tritt Prinz Seiden-Wurm auf: er lässt sich von seinem Minister und amtsführenden Kanzler Bim die Tugenden eines Königs aufzählen, um sich auf eine besondere zu spezialisieren (III/6). Aber alle von Bim genannten Tugenden missfallen ihm: Tapferkeit sei zu gefährlich, Weisheit und Gerechtigkeit zu langweilig. Was ihn jedoch reizen würde, wäre zu „brilliren“, und er hat dazu eine eigene Idee: „Wir wollen reformiren, die Menschen bessern.“251 Und in skurriler Weise beginnt er nun die Menschen, die in der Antichambre auf Audienz warten, zu „reformieren“. Dem reimleimenden Poeten gibt er auf, zu arbeiten, den General, der die Gesellschaft aufgrund der Aufklärung in Zerfall sieht, lässt er in seinem Eifer fortfahren, damit sich sein Geifer erschöpfe, und den Philosophen, der eine neue Zeit anbrechen sieht, lässt er ein Insel-Projekt entwerfen.252 In der Zwischenzeit ist ein Tumult in der Stadt ausgebrochen. Doch SeidenWurm, sich seiner Privilegien sicher dünkend, spielt alles herunter (III/10). Die Schuld wird schließlich Harlequin zugewiesen: er soll hängen. Draußen schreit das Volk: „Wir wählen den Stärksten, Würdigsten, Gerechtesten. Wer’s glaubt zu seyn, komm auf den Markt vor uns.“253 Seiden-Wurm ist aufgrund seiner „Erstgeburt“ nach wie vor nicht irritiert.

247 Ebenda, S. 61. 248 Ebenda. 249 Ebenda, S. 62. 250 Ebenda, S. 67. 251 Ebenda, S. 74. 252 Minister Bim nach dem Abgang des Philosophen: „Sperr die Kerls zusammen und laß sie mit ­einander disputiren. Soll der erste aufhören zu reimen, so gieb ihm Brod. Soll der zweyte aufhören zu schimpfen, so gieb ihm Wagen und Pferd, daß er daherfahre wie wir, und gieb ihm Zulage. Soll der dritte sehen wo’s fehlt, so mach ihn zum Schulmeister.“ Und Prinz Seiden-Wurm: „So wär die Welt nun reformirt.“ (III/8), ebenda, S. 84. 253 Ebenda, S. 91.

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Gleba eröffnet Harlequin, dass er sich selbst als neuer König ins Spiel bringen werde, Anlass für ein Arrangement zwischen beiden (IV/1). Harlequin wird festgenommen, und Gleba lässt den Minister des Königs im Glauben, Harlequin habe die aufrührerische Rede in Verkleidung gehalten. Mittlerweile treibt sich der „Wundermann von Rotinier“ erneut am Markt herum (IV/4). Der General bittet ihn um Unterstützung bei der Wahl, welche ihm dieser zusagt, sofern dem Volk eingeredet würde, dass er, der Wundermann von Rotinier, ein großer Kriegsheld sei (IV/6). Desgleichen bittet ihn ein Bauer um Support; wiederum wird ein Deal geschlossen: der Wundermann müsse als Erfinder des Ackerbaus gepriesen werden und vor allem dafür, dass in seinem Land alle nur tanzen und nicht arbeiten müssen (IV/7). Auch der Philosoph tritt mit dem Ansuchen um Unterstützung an Gleba heran: als Gegenleistung wird verlangt, dass genealogisch nachgewiesen werde, dass der „Wundermann“ ein Sohn ­Jupiters sei (IV/8). Vom Gefängnisturm meldet sich Harlequin und hetzt das Volk auf – er wird befreit (IV/9). Dem Volk gegenüber versucht Harlequin den Wundermann zu entlarven und ihn als bloßes Werkzeug auszugeben – nur er, Harlequin, sei von Jupiter beauftragt (IV/10). Das Volk kann sich nicht entscheiden, wem es glauben soll, und fordert einen Zweikampf als Gottesgericht. Einem solchen wollen jedoch beide ausweichen und arrangieren sich, indem sie vorgeben, im anderen ein Zeichen Jupiters zu erkennen (IV/11). Schließlich tritt ein mit kriegerischem Ruhm versehener Prinz namens Aster auf, der aus dynastisch-strategischen Gründen Purpurine, SeidenWurms Schwester, ehelichen möchte; auch er will sich der Wahl stellen (IV/13). In der einzigen Szene des letzten Aktes stellen sich die „Kron-Kompetenten“ der Wahl: Als Erster meldet sich Prinz Seiden-Wurm, von ihm will jedoch niemand mehr etwas wissen. Doch sein Bruder Zed findet Gefallen, vor allem, weil er kein Erstgeborener ist. Auch Prinz Aster, der Kriegsheld, beeindruckt das Volk. Aber auch Harlequin überzeugt: er versucht, das Volk glauben zu machen, dass er sich immer schon für dessen gerechte Anliegen eingesetzt habe. Schließlich bewirbt sich auch Gleba: er beruft sich auf alle die „Kompetenten“, welche ihm versprochen hatten, seine Kompetenz zu bescheinigen. Doch diese wollen nun nichts mehr davon wissen und selbst im „Kompetenz“-Streit mitmischen, wenn auch erfolglos. Der General wird als zu alt angesehen, der Poet wird gleich weggeschickt, desgleichen der Bauer, der „brüder­l iches Regieren“ als Programm verheißt, was beim Volk nicht ankommt. Teilweises Gefallen findet der Philosoph, der verspricht, Trilinik in eine glückliche Insel zu verwandeln und Gemeinschaft der Güter einzuführen. Dieses Programm provoziert jedoch einen Streit zwischen den Reichen und dem Lumpengesindel, welcher auch etliche Todesopfer fordert. So bleiben schließlich drei Favoriten übrig: Zed, Aster und Harlequin. Das Volk kann sich nicht einigen, so werden alle drei zu neuen Königen gewählt. Nun schaltet sich das Publikum „jenseits der Bühne“ ein und bringt auch den „großen König“ ins 462

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Spiel – dieser nimmt gerne an. So gibt es denn vier Könige in Trilinik: den großen König, Zed, zweitgeborener Königssohn, Aster, ruhmreicher Held, und Harlequin, der philosophische Kammer-Jäger. Das Spiel um die Macht wird jedoch weitergehen, wie das für den nächsten Tag angekündigte Schauspiel verheißt: „Morgen also wird vorgestellt: Die Regenten von Trilinik samt allen Con­ spirationen, oder der philosophische Kammer-Jäger, ein König […] eine Tragödia in fünf Acten“.254 Prinz Seiden-Wurm ist eine höchst bemerkenswerte ‚Haupt- und Staats-Aktion‘, deren Intrigen von den Hauptkennern dieses Metiers, Harlequin und Colombine, Frau wie Tochter des Hanswurst, vorangetrieben werden: ein anti-illusionistisches Theater ohne Psychologisierung, unter kunstvoller Adaptierung alter Typenformen, ein analytisches Stück über die Macht, das jede Möglichkeit einer Identifizierung verweigert. Das Resultat des Spiels ist lediglich zufälliges Ergebnis von vielen möglichen Spielen. In Klingers Prinz Seiden-Wurm geht es um die Decouvrierung der Topoi der Legitimation von Macht, wobei selbst die Inszenierung der Decouvrierung als Topos der Legitimation von Macht eingesetzt wird. Der Hahn, der nur kräht, allerdings an entscheidender Stelle, ist die einzige ‚metaphysische Figur‘ dieses Stückes. Gleichzeitig ist dieser dramatische Text eine subtile Kritik am „vernünftigen“ Zeitalter – vorgetragen von der Figur der Colombine, ehemalige Gattin wie Tochter des ‚ermordeten‘ Hanswurst. Allerdings liegt hier nicht eine Wiederbelebung einer alten Schauspieltradition vor, sondern der Versuch, sich alter Typen und Formen in einem artifiziellen Sinne zu bedienen, um dadurch neue Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, welche das illusionistische Theater transzendieren. Klingers Stück wurde noch vor der Alleinregierung Josephs II. geschrieben – es hätte allerdings auch gegen Ende von dessen Regierungszeit geschrieben werden können, als sich Teile der Intellektuellen, enttäuscht von der Reformpolitik, neuer literarischer Darstellungsweisen bedienten. Auch wenn Klingers „moralisches Drama“ keinen direkten Bezug zu Joseph  II. aufweist, so ist es trotzdem mit einiger Wahrscheinlichkeit als bittere Satire auf die Regierung Josephs II., auf den großen Reformator, gelesen worden, eine Satire, welche nicht bestimmte Reformen angriff, wie dies am Broschürenmarkt durchaus üblich war, sondern eine Satire, welche den Kaiser zwar nicht in identifizierbarer Form persönlich angriff, aber die Erbmonarchie und den (aufgeklärten) Absolutismus denunzierte und damit gewissermaßen die Grundpfeiler der in kurzer Zeit umgesetzten Reformen Josephs II.

254 Ebenda, S. 131.

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FIGARO, ODER DAS SPITZENTUCH DER KÖNIGIN Das Verbot der Aufführung von Beaumarchais’ Comédie La Folle Journée, ou le ­Mariage de Figaro, welche in deutscher Bearbeitung am Kärntnerthor-Theater 1785 ihre Wiener Erstaufführung erleben sollte, zählt zu den bekanntesten Theatralverboten des josephinischen Jahrzehnts, und dies vor allem, weil Lorenzo da Ponte und Wolfgang Amadeus Mozart diesen für die Bühne verbotenen Stoff als Grundlage für eine Oper, die Commedia per musica Le nozze di Figaro, heranzogen, welche zu den wenigen Werken des Wiener Theaters jener Zeit gehört, die heute als ‚Höhepunkte‘ des Musiktheaters des 18. Jahrhunderts integraler Bestandteil des Repertoires sind. Das Verbot ist, nicht zuletzt vermittelt über unzählige Programmheftbeiträge, auch einem heutigen Publikum bekannt. Darüber hinaus zählt das Lustspiel von Beaumarchais zu den skandalträchtigsten Theaterstücken der damaligen Zeit, welches nach langer zensurieller Vorlaufzeit eine der Sensationen des Pariser Theatraljahres 1784 war, neben Salieris Oper Les Danaïdes, die der in Wien lebende Komponist als Auftragswerk für Paris geschrieben hatte.255 Doch wie bislang nicht berücksichtigte Dokumente zeigen, ist die Sachlage des Wiener Verbots weit komplexer als angenommen. So ermöglicht dieser Fall weitere differenzierte Hypothesen zur Arbeits- wie Wirkungsweise der Theatralzensur unter Joseph II. Jedenfalls ist der Figaro ein exemplarisches Beispiel für ‚fluktuierende‘ Zensurmaßnahmen im Hinblick auf unterschiedliche mediale Formen wie unterschiedliche Praktiken in unterschiedlichen Ländern des Habsburgerreiches: als Schauspiel wurde Figaro auf der Bühne verboten, der Druck jedoch wurde sowohl in der französischen Originalversion als auch in diversen deutschen Übersetzungen zugelassen. Als Commedia per musica, mit dem Text von Lorenzo da Ponte, dem ­„Poeta de’ teatri imperiali“, wurde Figaro auf der ersten Bühne der Residenz aufgeführt. Und in Prag, der Hauptstadt Böhmens, fungierte dieses musikdramatische Spiel trotz einiger lokaler Einwände als Gala-Ereignis anlässlich des Aufenthalts der Nichte des Kaisers, der Erzherzogin Maria Theresia, die sich auf der Reise zu ihrem Bräutigam, dem Bruder des sächsischen Kurfürsten, befand.256 Doch unabhängig 255 Siehe dazu Salieri sulle tracce di Mozart, hg. von Herbert Lachmayer, Reinhard Eisendle und ­Theresa Haigermoser. Kassel [u. a.] 2004, S. 331f., Nr. 246. 256 Dem wäre noch hinzuzufügen, dass anlässlich dieses Gala-Ereignisses ursprünglich Don Giovanni zur Uraufführung gelangen sollte, was allerdings um 14 Tage verschoben wurde, und dass gegen die von Mozart initiierte Wahl des „Ersatzstückes“ Figaro sich – wenn man Mozarts Briefen glauben kann – einige Widerstände regten, welche zu einem offensichtlich von der Landesbehörde ausgesprochenen Verbot für jenen speziellen „Galatag“ führte, welches von J­oseph II., sozusagen als Deus ex machina, im letzten Moment wieder aufgehoben wurde. So schreibt es jedenfalls Mozart. Siehe dazu Weidinger: Il Dissoluto punito, Bd. IV, S. 816–818.

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vom ausgesprochenen Verbot wurde das Schauspiel zuvor auch auf die Prager Bühne gebracht, wie schon Oskar Teuber in seiner Geschichte des Prager Theaters mitgeteilt hat.257 Und, bislang unbekannt: in den Österreichischen Niederlanden zählte Beaumarchais’ Comédie zu den für die Bühne zugelassenen Stücken.258 Was die Pariser Uraufführung betrifft, so hatte Beaumarchais’ La Folle Journée, ou le Mariage de Figaro eine mehrjährige Vorlaufzeit, bis das Stück gegen Widerstände vonseiten des Hofes im Jahre 1784 öffentlich uraufgeführt werden konnte. „C’est détestable, cela ne sera jamais joué: il faudrait détruire la Bastille pour que la représentation de cette pièce ne fut pas une inconséquence dangereuse.“259 Diese Äußerung soll gemäß späterer Schilderung der ersten Kammerfrau Marie Antoinettes Ludwig XVI. getätigt haben, nachdem Beaumarchais’ Figaro in Versailles in einer Lesung vorgetragen wurde, ein Stück, das viele politische Anspielungen enthielt und die feudalen Vorrechte attackierte, wie im berühmten Monolog des ­Figaro im V.  Akt, wo Verdienst und Fähigkeit gegen die auf Geburt basierenden Rechte ins Spiel gebracht werden. Die ursprünglichen Vorbehalte des Königs konnten à la longue eine Aufführung jedoch nicht verhindern. Le Mariage de Figaro, im Wesentlichen schon 1781 fertiggestellt, wurde schließlich am 27.  April 1784 von der Comédie-Française urauf­ geführt.260 Die Widerstände gegen diese Komödie befestigten den Ruf des Stückes schon lange vor der öffentlichen Uraufführung. Trotz aller offiziellen Einwände kursierte der dramatische Text in den Pariser Salons, vor allem auch in hocharistokratischen Kreisen. Eine für Juni 1783 vorgesehene Aufführung im Theatersaal des „Hôtel des Menus Plaisirs“ wurde im letzten Moment untersagt, was in der Öffentlichkeit als Affront wahrgenommen wurde. Im September desselben Jahres 1783 kam es zur ersten, wenn auch privaten Aufführung auf dem Schloss Gennevilliers durch die ­Comédiens français in einem exklusiven aristokratischen Rahmen. Interventionen hochadliger Unterstützer und die letztendlich erteilte Zustimmung des Königs

257 Siehe dazu Oscar Teuber: Geschichte des Prager Theaters von den Anfängen des Schauspielwesens bis auf die neueste Zeit, Bd. II. Prag 1885, S. 142. 258 Vgl. Catalogue de pieces qu’il est permis de représenter sur les théatres des Pay-Bas Autrichiens, S. 8. 259 Jeanne Louise Henriette Campan: Mémoires sur la vie privée de Marie-Antoinette, Reine de France et de Navarre; suivis de souvenirs et anecdotes historiques sur les régnes de Louis XIV, de Louis XV et de Louis XVI. Par Mme Campan, lectrice de mesdames, et premiere femme de chambre de la reine. Paris 1822, S. 278. Siehe dazu auch Rudolph Angermüller: Figaro. Mit einem Beitrag von W. Pütz. R. Spängler zum 80. Geburtstag zugeeignet. Salzburg 1986, S. 43. 260 Ebenda, S. 44.

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e­rmöglichten schließlich die erste öffentliche Aufführung durch die Comédie-­ Française.261

INTERVENTION JOSEPHS II. Das in Paris so erfolgreiche Stück kursierte schnell – bereits neun Monate nach der Uraufführung sollte Beaumarchais’ Comédie ihre Wiener Erstaufführung erleben, am Kärntnerthor-Theater durch die Gesellschaft von Schikaneder und Kumpf in einer deutschen Übersetzung von Johann Rautenstrauch (1746–1801). Doch trotz aller Vorbereitungen kam es nicht dazu. Als Grund dafür wird eine Intervention des Kaisers angesehen. In einem am 31. Jänner 1785 unterzeichneten Handbillet Josephs II. an Graf Johann Anton von Pergen, welcher der Niederösterreichischen Landesregierung vorstand, heißt es: „Ich vernehme, daß die bekannte Komedie le Mariage de Figaro in einer deutschen Übersetzung für das Kärntnerthortheater angetragen seyn solle: da nun dieses Stück viel Anstößiges enthält: so versehe Ich mich, daß der Censor solches entweder ganz verwerfen, oder doch solche Veränderungen darin veranlassen werde, daß er für die Vorstellung dieser Piece und den Eindruck, den sie machen dürfte, haften werde können.“262 Zwei Tage später, am 2. Februar 1785, kündigt das Wienerblättchen an: „Herr Rautenstrauch hat das in Paris mit so ausserordentlichem Beyfall aufgenommene Lustspiel les Noces de Figaro kürzlich ins Deutsche übersetzt. Morgen wird selbiges von der Gesellschaft des Herrn Schikaneder und Kumpf zum erstenmal aufgeführt werden, wobey der von dem hiesigen Publico immer mit Vergnügen gesehene Schauspieler Herr Kronstein in der Rolle des Figaro erscheinen wird. Man erräth leicht, wie neugierig ein grosser Theil unserer Theaterfreunde seyn müsse, zu sehen, ob dieses Stück auch auf deutschem Grund und Boden ein so entschiedenes Glück, wie in Frankreich, machen werde.“263 261 Ebenda. 262 Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv: Protokolle der Kabinettskanzlei 36, S. 84. Zitiert nach dem Katalog zur Ausstellung Mozart – Experiment Aufklärung im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts, hg. von Herbert Lachmayer. Ostfildern 2006, S. 286f., Nr. 402. 263 Das Wienerblättchen. Mittwochs den 2. Jäner [recte: Februar] 1785, S. 15f. Was den in dieser Nummer angegebenen Monat des Erscheinens betrifft, liegt, wie auch aus den dort in der Folge genannten Daten hervorgeht, ein Irrtum vor. Der 2. Jänner 1785 war ein Sonntag.

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Die im Handbillet vom 31. Jänner 1785 enthaltene Weisung war kein Verbot, sondern ein überdeutlicher Wink, in diesem Fall besondere zensurielle Vorkehrungen zu treffen – versehen mit dem unmissverständlichen Hinweis, dass der Zensor im Falle einer etwaigen Zulassung zu „haften“ habe. Das Handbillet lässt die Entscheidung formal offen, doch enthält es über den allgemeinen Wink hinausgehend auch eine dem Zensor vorgreifende Begutachtung, indem das Stück als viele Anstößigkeiten beinhaltend klassifiziert wird. Allerdings fehlt dabei jeder konkrete Hinweis – und man darf nicht davon ausgehen, dass der Kaiser diese Komödie, die erst nach Jänner 1785 im Druck erschien, überhaupt gelesen hatte oder lesen konnte. Doch unabhängig davon hatte das Werk seinen Ruf, speziell in der aristokratischen Kommunikation. Es bleibt unklar, was der Anlass für ein solches Schreiben war. Misstraute der Kaiser dem seit 14 Jahren sein Amt ausübenden Zensor, das Stück adäquat zu berurteilen? War es eine Anweisung, diesmal strenger als sonst vorzugehen? Oder hatte der Kaiser durch bestimmte Indizien registriert, dass die Entscheidung schon zugunsten einer Aufführung gefallen war, und wollte nun eine Mahnung aussprechen, die Sache noch einmal gründlich zu überdenken? Der Adressat von Josephs II. Handbillet, Graf Pergen, war als Präsident der Niederösterreichischen Landesregierung und Landmarschall auch unmittelbarer Vorgesetzter von Franz Karl Hägelin in seiner Funktion als Niederösterreichischer Regierungsrat wie als Theatralzensor. Es ist davon auszugehen, dass Pergen die Nachricht sehr rasch weitergeleitet hat: mit welchem Inhalt genau und mit welch zusätzlichen Informationen versehen, ist unbekannt. Angesichts des angesetzten Aufführungstermins am 3.  Februar 1785 hatte ­Hägelin, wie immer er in dieser Sache schon entschieden hatte, schnell zu reagieren. Letztlich wurde von den im Handbillet genannten Alternativen das Verbot gewählt, und wenn man Hägelins spätere knappe Darstellung dieses Falles heranzieht,264 war er es, der das Verbot verhängt hat. Am 4. Februar 1785 berichtete das Wienerblättchen: „Das von H. Schikaneder verheißene Lustspiel: Die Hochzeit des Figaro, ist gestern nicht aufgeführt worden und hat selbiges, nach der dem Publiko in dem gestrigen Anschlagzettel mitgetheilten Nachricht, die Censur, zwar zum Drucke aber nicht zur Vorstellung erhalten.“265 Diese Nachricht wird, wie wir noch sehen werden, einige Rätsel aufgeben. Doch zunächst zu weiteren Fragen: Wurde das Verbot im allerletzten Moment ausgespro264 Gutachten von Franz Karl Hägelin, Mai 1802, in Auszügen ediert in Glossy: „Zur Geschichte der Theater Wiens I“, S. 13. 265 Das Wienerblättchen. Freytags den 4. Februar 1785, S. 34f.

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chen, nachdem das Wienerblättchen noch am 2. Februar die Wiener Erstaufführung in Aussicht gestellt hatte? Hat die Truppe Schikaneder und Kumpf das Stück wie angekündigt einstudiert, ohne dass ein entsprechender Zensurentscheid vorlag? Verließ sie sich darauf, dass ein Stück, das in Paris gegeben werden konnte, auch in Wien spielbar war – notfalls mit Abänderungen? Oder waren schon zustimmende Signale von der Theatralzensur eingelangt? Hatte Hägelin gar schon eine Aufführungs­ bewilligung erteilt und sie nach erfolgter allerhöchster Intervention im letzten ­Moment widerrufen? Bezüglich der Rücknahme einer schon erteilten offiziellen Aufführungsbewilligung fehlt allerdings jeglicher Hinweis, und es ist im Hinblick auf das damalige Klima nicht wahrscheinlich, dass eine solche Doppelstrategie öffentlich unkommentiert geblieben wäre.

ANGEBLICHE ANSPIELUNGEN AUF DIE FR ANZÖSISCHE KÖNIGIN Doch kommen wir zunächst zu den inhaltlichen Gründen für das Verbot des Figaro, dessen kolportierte Anstößigkeiten zur Geschichte des Stücks notwendigerweise gehören. Generell wird angenommen, dass der Figaro wegen seiner Kritik an feudalen Privilegien respektive wegen des dadurch vermittelten sozialkritischen Gehalts oder wegen bestimmter lasziver Elemente, verkörpert in der knabenhaften Figur des Cherubino, einem Verbot zum Opfer fiel. Achtzehn Jahre nach der verhinderten Wiener Aufführung wird der für das Verbot zuständige Theatralzensor Hägelin, wenn auch nur in einem (bislang unbeachteten) Satz, auf den Figaro zu sprechen kommen und einen unerwarteten Grund für das Verbot nennen. Dieser Satz steht am Ende eines Absatzes und führt, wenn auch in gebrochener Form, zuvor eingeführte Motive weiter. Er sei hier zur Gänze wiedergegeben, auch wenn der dem FigaroPassus vorangehende Teil schon an anderer Stelle zitiert wurde. „So viel mußte ich wahrnehmen, daß die Theatraldirektion jederzeit bemüht war, die Theatralzensur unter ihre Botmäßigkeit zu bringen, damit sie wen hätte, der ihr zu Gefallen alles unterschreibe, was sie wollte, und auch die Gefahr übernähme. Kaiser Joseph II. sah das Beschwerliche der Theatralzensur ein, und die allererste Resolution bei seinem Regierungsantritte ging in betreff eines linzerischen Theaterstückes, wo etwas von der Zahlenlotterie vorkam, dahin, daß man den Zensor nicht furchtsam machen solle. Mir bedeuteten Seine Majestät mündlich, daß ich nie ungnädige Ausstellungen, wie vormals, zu befahren haben würde. Wenn Seiner Majestät ein Stück mißfiel, so ließen Sie es, wenn Sie es einmal gesehen hätten, einstellen. Doch waren Se. M. nachher wohl zufrieden, daß ich die Hochzeit des Figaro aus dem 469

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Französischen, worin Anspielungen auf die damalige Königin von Frankreich gewesen sein sollen, nicht zuließ.“266 Hägelin beschreibt, wie bereits dargelegt, den Übergang zum josephinischen Zeitalter als eine Art Befreiung, Lösung von der Furcht vor ständigen Rechtfertigungen, Befreiung von einer Situation, in der er mühsam Schutzschilde aufbauen musste. Und sollte der Zensor eine Entscheidung treffen, die dem Kaiser im Nachhinein missfiel, so würde – um Hägelin zu paraphrasieren – eben eine „Nachkorrektur“ vorgenommen werden, welche aber nicht mit dem vollen Gewicht eines Fehlentscheids dem Zensor angelastet würde. Die Möglichkeit dieser Nachkorrektur sollte gleichsam den Spielraum des Zensors erhöhen. Angesichts der Semantik einer potentiellen Liberalisierung wäre jetzt ein entsprechendes Beispiel zu erwarten gewesen. Mit dem den letzten Satz einleitenden Wort „doch“ wird allerdings ein Umschwung in der bis jetzt aufsteigenden Linie signalisiert, ein kaum wahrnehmbarer Widerspruch, der sich nur aus der ‚verborgenen‘ Geschichte erschließt. Im Sinne des zuvor eingesetzten Liberalisierungsgestus beansprucht der ‚Erzähler‘ hier einen Aktionsradius, den er in diesem Fall offensichtlich nicht gehabt hatte. Kein Wort fällt über die durchaus ungewöhnliche und dezidierte Weisung Josephs II. in diesem Fall, deren Procedere wie Wortlaut gleichwohl in der Lage waren, die ‚vertriebene‘ Furcht wiedererstehen zu lassen. Und entgegen dem kolportierten Aktionsradius, welcher vom Kaiser im Prinzip wohl geschätzt worden sein mag, lässt Hägelin hier implizit erkennen, dass er ein Verbot ausgesprochen hatte, ohne einen von ihm rational argumentierbaren Grund angeben zu können. Als alleinigen Grund für das Verbot führt Hägelin Anspielungen auf die französische Königin, des Kaisers Schwester, an. Allerdings: er hat das Stück laut eigener Aussage nicht verboten, weil es Anspielungen auf die französische Königin enthalten hat (was zu eliminieren oder abzuändern gewesen wäre), sondern weil das Stück Anspielungen auf die französische Königin enthalten haben soll. In seinem Urteil rekurriert der Zensor auf ein diffuses Urteil anderer, welches er offensichtlich nicht in der Lage war zu verifizieren. Hägelin führt hier einen Punkt an, der nicht jenen entspricht, in denen man bisher das vermeintlich Anstößige des Stückes gesehen hat. Nicht Kritik am Adel oder erotische Laszivitäten werden als Gründe angegeben, nicht Verstöße wider Sitten, Staat oder Religion, sondern der Vorwurf einer „Pasquille“, allerdings gegenüber einer allerhöchsten Repräsentantin, noch dazu des Kaisers Schwester. Bemerkenswert ist dies auch vor dem Hintergrund der Argumentation des genannten Gutachtens aus dem Jahr 1802, in welchem sich Hägelin seines Eintretens für die Erbmonar266 Gutachten von Franz Karl Hägelin, Mai 1802, in Auszügen ediert in Glossy: „Zur Geschichte der Theater Wiens I“, S. 13.

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chie zu rühmen versucht. Von hier aus gesehen wäre es ein höchst willkommener Anlass gewesen, auf ein nachträglich geradezu ‚prophetisches Verbot‘ hinzuweisen. Doch darüber fällt kein Wort, angeführt wird als Begründung lediglich, dass Beaumarchais’ Comédie Anspielungen auf die französische Königin beinhaltet haben soll. Woher Hägelin diese Informationen bezogen hat, ist unbekannt. Man kann jedenfalls davon ausgehen, dass der Theatralzensor nach Erhalt der Botschaft von Graf Pergen daran gegangen ist, zu überlegen, welche Anstößigkeiten der Kaiser wohl insbesondere meine: ein Hägelins Laufbahn als Zensor begleitendes Phänomen war, dass er permanent mit Rückmeldungen konfrontiert war, die so abstrakt waren, dass er nur selten wusste, worin eine ablehnende Reaktion im Einzelnen begründet war.267 Vielleicht suchte er Informanten in seinem Umkreis, welche die kaiserliche Intervention zu deuten vermochten, und kam zu dem Schluss, dass der Kaiser diesem Stück vor allem so kritisch gegenüberstand, weil es Anspielungen auf die französische Königin enthielt – was seine höchstpersönliche, ungewöhnliche Intervention in diesem Theatralfall wohl auch nachvollziehbar gemacht hätte. Und möglicherweise hat Hägelin eine solche Information von dem als leutselig beschriebenen Landmarschall Pergen erhalten, der aufgrund der Tätigkeit des Polizeiapparats auch ausführliche Informationen über Gerüchte besaß. Oder hat Hägelin in diesem heiklen Fall etwas missverstanden? Tatsächlich war der Name Beaumarchais nicht gut angeschrieben beim Kaiser, der sich dabei an eine Affäre erinnert haben mag, welche sich noch zu Lebzeiten Maria Theresias ereignet hatte, eine Affäre, welche die Königin von Frankreich betraf, zu einem Zeitpunkt, als Beaumarchais wegen diverser Prozesse seiner Bürgerrechte verlustig gegangen war und als Geheimagent des französischen Hofes arbeitete. Er erschien im Jahr 1774 am Wiener Hof, wo er aufgrund der Brisanz der Angelegenheit von Maria Theresia selbst empfangen wurde: er berichtete, dass er in London versucht hatte, eine Schrift gegen Marie Antoinette aus dem Verkehr zu ziehen; dies wäre ihm zunächst gelungen, jedoch sei ihm in Deutschland ein Exemplar dieses Druckes wieder entrissen worden. Er präsentierte diverse körperliche Verletzungen, die er den Rangeleien um diese Schrift zuordnete. Er bot sich an, auch dieses eine Exemplar aus dem Verkehr zu ziehen. Dabei waren vor allem finanzielle Erwägungen im Spiel. Auch Sonnenfels wurde einbezogen, um Beaumarchais zu vernehmen, denn am Wiener Hof war man sehr skeptisch gegenüber dem Wahrheitsgehalt von dessen Informationen. Man­

267 „Freilich ist es schwer und beinahe unmöglich, außer den allgemein bekannten Zensursregeln bestimmtere, und auf alle in verschiedenen Zeitumständen und Lokalitäten, unter verschiedenen Regenten vorkommen mögende Fälle passende Regeln zu geben, besonders da man in Fällen, wo ein aufgeführtes Stück etwa mißfiel, dem Zensor nicht einmal den wahren individuellen Anstoß zu entdecken pflegte, sondern die Rüge überhaupt nur im allgemeinen machte. Ich war also für alle Fälle meiner eigenen Urteilskraft und Erfahrung überlassen.“ Zitiert nach ebenda, S. 12.

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vermutete sogar, Beaumarchais habe diese Schrift selbst verfasst. Er wurde in Verwahrung genommen; aufgrund einer französischen Intervention musste man Beaumarchais jedoch wieder nach Frankreich ziehen lassen, wo man den Fall nicht weiter untersuchen wollte, da aufgrund von Beaumarchais’ geheimdienstlichen Aktivitäten auch hohe französische Persönlichkeiten im Spiel waren, die kein übermäßiges Interesse an einer Aufklärung hatten.268 Wie wir aus späteren Dokumenten wissen, hat Joseph II. alle mit seiner Schwester zusammenhängenden kritischen Schriften ziemlich unnachsichtig behandelt.269 Das waren vor allem Schriften, deren Direktheit kaum mehr als Anspielung bezeichnet werden kann. Anspielungen können im Fall von Bühnenstücken und Aufführungen sehr unterschiedlich geartet sein: sie können in der Handlungsstruktur eines Stückes liegen, wie im Fall des Dramma giocoso L’arbore di Diana von Da Ponte, sie können die Schilderung einzelner Personen betreffen, es können aber auch nur einzelne Szenenteile, Textpassagen, oft nur der Einsatz einzelner Wörter oder Gegenstände als Zeichenträger sein. Beschränken sie sich auf einzelne identifizierbare Textsegmente, so hätten sie aufgrund der damals üblichen Bearbeitungspraxis, wie in Julius von Tarent, sehr wohl eliminiert werden können. Doch offensichtlich war es schwierig, ein Stück von vermeintlichen Anspielungen zu befreien, deren Charakter man nicht kannte.

DIE PATIN UND DER KNABE In expliziter Form wird eine Königin in Beaumarchais’ Lustspiel nur einmal genannt: in jenem Ständchen, das Cherubin in der 4. Szene des II. Aktes der Gräfin in deren Schlafgemach vorträgt, im Beisein Suzannes. Diese Romance greift in selbstbezogener Weise die Liebesqual eines hübschen Pagen auf, die im Laufe des Liedes in subtiler Weise auf eine Königin bezogen wird. Diese verheißt dem schönen, leidenden Knaben als zukünftige Frau Hélène, eines der schönsten Mädchen, was die Qual des Pagen nicht besänftigt.270 Dies Lied enthält nichts Direktes, was als anstößig zu qualifizieren wäre. Eine indirekte Anspielung könnte allerdings in der theatralen ­Situation in der Parallelsetzung der Konstellation Gräfin–Page mit der Konstellation

268 Siehe dazu Alfred Ritter von Arneth: Beaumarchais und Sonnenfels. Wien 1868. 269 Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Inneres, Polizei, Pergen Akten 15: Zensur Angelegenheiten über Theaterstücke, und Schreiben Josephs II. vom 19. Juli 1789, betreffend das Buch „Memoires justicatifs de la Comtesse de Valois de la Motte ecrite par elle meme imprimé a Londres 1789“. 270 Vgl. La Folle Journée, ou Le Mariage de Figaro, Comédie en cinq actes, en prose. Par M. de Beaumarchais. Paris 1785, S. 49–51.

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des Liedes: Königin–Page gesehen werden – sowohl die Gräfin als auch die Königin fungieren als „Patin“. In selbstbezogener Manier singt Cherubin über die quälende, unerfüllte Liebe eines jungen Pagen zu seiner Patin – Spiegelung der diffus-erotischen knabenhaften Sehnsüchte gegenüber der Gräfin, der Patin Cherubins – mit den in der 4. Verszeile jeder Strophe wiederholten Klageworten: „Que mon cœur, mon cœur a de peine!“271 In der Erzählung des Liedes trifft das Königspaar mit Gefolgschaft auf den klagenden Jüngling – die Königin möchte die Ursache seines Leides wissen. Der Page deutet die unglückliche Liebe zu seiner Patin an, die er immer schon verehrt hätte. Wenn er eine Patin suche, könne sie dienen, antwortet die Königin. Und eines Tages könne er die junge Hélène ehelichen; doch der Page will sich aus seinen „Ketten“ nicht ­lösen, will lieber vor Schmerz sterben. Die Königin, die die Klage des Pagen versteht, ohne dass er darüber ausführliche Worte verloren hätte, reagiert mit dem Angebot von gleichsam zwei Ersatzobjekten für die unerfüllte Liebe: die Rolle der „Patin“ könne sie übernehmen, als „Liebesobjekt“ könne die junge Hélène dienen. Natürlich könnte man in diese bewusst naiv gehaltene Romance eine verdeckte erotische Ambition der Königin hineininterpretieren, wie denn das Dechiffrieren von Anspielungen in solchen „Aufdeckungen“ beruhen konnte, das erotische Begehren der Königin auf eine andere Person abzuspalten bzw. die Königin als neues Objekt der Untröstlichkeit des Pagen zu sehen, der nunmehr neuen „Patin“. Wenn auch am Schluss alles gleichgeblieben zu sein scheint, hat sich im Fluss der Romance dennoch etwas geändert, was auch die poetische Struktur transportiert. Eine besondere Anspielung könnte in der szenischen Konstellation gesehen werden, in welcher diese Romance vorgetragen wird, im Schlafgemach der Gräfin, samt den möglichen Zuschreibungen: Page–Patin. In diesem Sinne könnte das Schlafzimmer der Gräfin zum Bild des Schlafzimmers der Königin werden, samt der Imagination entsprechend verfänglicher Situationen mit hübschen Knaben. Ob solche Anspielungen, wie immer auch die Intentionen des Autors gewesen sein mögen, in Wien funktioniert hätten, ist höchst ungewiss. Im deutschen Wiener Textdruck desselben Jahres, in der Übersetzung von Rautenstrauch, ist jedenfalls an diese Stelle ein anderer und wesentlich kürzerer Text gesetzt (II/4), der nur das Motiv der Liebesklage aufnimmt: mit der Königin entschwinden auch die „Patin“ und der „Page“ aus dem Gedicht, die Rede ist nur mehr von einem „jungen Wicht“ und „seiner Göttin“, von der er keinen Blick erhaschen konnte. Es bleibt indes unklar, ob der Autor diese Änderungen wegen Vermeidung möglicher Anspielungen vorgenommen hat – jedenfalls entfällt auch in Da Pontes Version dieser Szene die Königin.

271 Ebenda.

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Wenn die Anspielung primär in dieser Romance gesehen worden wäre (und es hätte sich dabei um eine sehr verschachtelte Form gehandelt, welche nur den intertextuellen Bezügen zu entnehmen gewesen wäre), so wäre einer Ersetzung nichts im Weg gestanden, wie – aus welchen Gründen auch immer – bei Rautenstrauch oder Da Ponte geschehen. Doch offensichtlich konnte Hägelin hier keine klare Entscheidung treffen. Wie auch immer: Hägelins Worte über das Motiv des Verbots lassen sich unterschiedlich interpretieren. Wenn er als einzigen Verbotsgrund angebliche Anspielungen auf die französische Königin, die er ganz offensichtlich nicht selbst eruieren konnte, angab, dann kann daraus der Schluss gezogen werden, dass Hägelin keine sonstigen gewichtigen Gründe für ein Verbot dieses Stückes gesehen hatte. Die Kritik am Adel, Laszivität samt der Kritik an unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Zuständen, nicht zuletzt auch an der Zensur, waren für ihn offensichtlich kein Anlass, das Stück zu verbieten. Und der Topos des „ausschweifenden Ehemanns“ wich nicht von den Vorstellungen ab, welche Hägelin später, in den In­ struktionen des Jahres 1794, modellhaft der Behandlung männlicher Ehebruchsversuche zugrunde legte.

UNFERTIGE BÜHNENFASSUNG Doch kommen wir auf den zeitlichen Ablauf des Verfahrens zurück. Gemäß den bereits erwähnten Angaben des Wienerblättchen, welches seine Informationen wohl direkt vom Theater empfing, scheint der Bescheid eines Verbots der Aufführung des Figaro sehr spät eingegangen zu sein – eine Dramaturgie des letzten Moments, möglicherweise auch eine vom Theater inszenierte Dramaturgie. Ein neues Licht auf den zeitlichen Hergang wirft die Vorrede Johann Rautenstrauchs für den 1785 herausgegebenen deutschen Druck des Figaro,272 der auf dem Frontispiz ein Zitat aus der 3. Szene des V. Aktes bringt: „Gedruckte Dummheiten haben nur da einen Werth, wo man ihren freyen Umlauf hindert.“273 Im Inneren des Textdrucks findet sich auch eine Widmung. Deren Träger ist das Andenken an die Geldsumme, die Rautenstrauch durch das Verbot der Aufführung verloren zu haben glaubt: „Dem Andenken von zweyhundert Dukaten gewidmet.“ In der Vorrede geht Rautenstrauch auch auf das Verbot des Figaro ein: „Ich bescheide mich, daß es in seiner eigenthümlichen Gestalt, gewisser schlüpfriger Stellen und räthselhafter Auftritte wegen, in Wien nicht wohl vorgestellt werden konnte; aber daß es in jener Gestalt, die ich ihm, ohne 272 Der närrische Tag, oder die Hochzeit des Figaro; ein Lustspiel in fünf Aufzügen, aus dem Französischen des Herrn Caron von Beaumarchais. Wien 1785. 273 Ebenda, Titelblatt.

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wesentliche Verletzung des Ganzen, geben wollte und schon durch vier Aufzüge gegeben hatte, allenthalben ohne Anstand hätte aufgeführt werden können; dies behaupte ich.“274 Wie die knappe Äußerung Hägelins aus dem Jahre 1802 wirft diese Darstellung ein völlig neues Licht auf die Zensurgeschichte des Figaro in Wien. Gemäß Rautenstrauchs Aussage war zum Zeitpunkt des Verbots die deutsche Bühnenversion des Figaro noch gar nicht fertiggestellt. Im Hinblick auf die im Wienerblättchen vom 4. Februar mitgeteilte Nachricht, dass eine Aufführung des Stückes verboten, der Druck jedoch zugelassen wäre, stellt sich die Frage, auf welcher textlichen Basis Hägelin seine definitive Entscheidung gefällt hatte – wie konnte er die Aufführung eines Werkes verbieten, dessen Text noch nicht fertiggestellt war, und wie konnte er gleichzeitig das noch nicht vollendete Werk für den Druck zulassen? Und wie sollte die Erstaufführung eines Stückes stattfinden, dessen Text noch nicht vollendet war? Zunächst ist Rautenstrauchs Aussage ein Indiz dafür, dass die geplante FigaroAufführung am 3.  Februar 1785 unter beachtlichem Zeitdruck vorbereitet wurde und man offensichtlich bestrebt war, dieses in Paris so überaus erfolgreiche Stück in Wien noch in der Karneval-Saison herauszubringen, bevor dies andere Theater tun würden. Am 6. Februar hat die Truppe Kumpf/Schikaneder das letzte Mal gespielt: eine deutsche Singspiel-Fassung von Il re Teodoro in Venezia von Giambattista Casti und Giovanni Paisiello.275 Zum Zeitpunkt der geplanten Erstaufführung des Figaro, am 3. Februar 1785 (vielleicht war das schon ein aufgeschobener Termin), war jedenfalls laut Rautenstrauch die Übersetzung noch nicht fertiggestellt: lediglich vier Akte waren komplettiert. Rautenstrauch bringt die nicht erfolgte Fertigstellung mit der Zensur in Zusammenhang. Ein Stück, schon so weit gediehen und in einer Weise bearbeitet, dass keine oder zumindest keine großen Anstände zu erwarten gewesen wären, musste zum Zeitpunkt des Zensurbescheids nicht mehr vollendet werden. Wie häufig zu lesen, so auch bei Eva Gesine Baur, wurde das Verbot am Tag der geplanten Aufführung, am 3. Februar, verhängt. Das klingt sehr spektakulär, ist aber angesichts von Rautenstrauchs Darstellung unwahrscheinlich. Denn zumindest am Tag der Erstaufführung hätten alle Akte vorliegen müssen. Demnach muss die Nachricht über ein Verbot zu einem Zeitpunkt ergangen sein, zu dem Rautenstrauch noch meinte, den ausständigen Akt übersetzen respektive komplettieren zu können, ganz abgesehen davon, dass die Schauspieler den Text noch einstudieren mussten. So lässt sich eher annehmen, dass das Aufführungsverbot relativ rasch nach der kaiserlichen Weisung ausgesprochen wurde. Aus der Perspektive der Theaterunternehmung mag es nicht unverständlich scheinen, das ausgespro274 Ebenda, Vorrede. 275 Eva Gesine Baur: Emanuel Schikaneder. Der Mann für Mozart. München 2012, S. 128.

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chene Verbot publikumswirksam einzusetzen; dazu gehört die Ankündigung der Erstaufführung in der Zeitung (2. Februar), welche wahrscheinlich trotz schon erfolgten Verbots aufrechterhalten blieb oder zumindest nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte, insbesonders aber die effektvolle Erklärung am geplanten Aufführungstag sowie ein wirksamer Bericht in der Presse über das Verbot, so am 4. Februar, welcher sicherlich das Interesse am angekündigten zugelassenen Druck nicht unwesentlich erhöht hat.

DER ZENSOR IM DIALOG. SZENARIO Was aber hatte Hägelin gelesen, der schließlich eine doppelte Entscheidung fällte? Vor dem Jahr 1785 gab es noch keinen Druck von Beaumarchais’ Comédie, 1785 jedoch wird ein europaweites Jahr des Figaro. Es erscheinen zahlreiche Drucke der französischen Originalfassung, nicht nur in Frankreich, sondern auch in Amsterdam, Dresden, Nürnberg, Stockholm und auch an einem offensichtlich fingierten Druckort: „A Seville“ – unter der Angabe dieses Ortes ist zu lesen, dass die Ausgabe in der Druckerei des Grafen Almaviva entstanden sei. Und 1785 ist auch das Jahr vieler Übersetzungen, teilweise herausgegeben in Zusammenhang mit Aufführungen in diversen europäischen Städten, so in London in englischer Fassung. Auch zahlreiche deutsche Drucke erschienen – Druckorte waren: Kehl, Dessau und Leipzig, Berlin, München (dort wurde Figaro auf dem Kurfürstlichen Theater aufgeführt), sodann erschienen ein Druck ohne Angabe des Ortes sowie der Wiener Druck. Zur Zeit der Vorbereitungen in Wien allerdings waren noch keine Drucke des Figaro verfügbar; solche sind erst ab Februar 1785 nachweisbar.276 Rautenstrauch hat demzufolge seine Übersetzung anhand eines wie immer nach Wien gelangten Manuskripts vorgenommen. Doch was ist Hägelin vorgelegen? Bestenfalls eine unvollständige Übersetzung oder als zur Verfügung gestellter „Informationshintergrund“ das französische Manuskript, welches auch Rautenstrauch benutzte? Jedenfalls traf Hägelin seine zensurielle Entscheidung – Verbot der Aufführung und Zulassung des Drucks – auf Basis unvollständiger Information. Und er fällte eine Entscheidung, die er formal nicht hätte fällen müssen, da dem Zensor angesichts des Fehlens einer vollständigen Unterlage keine Entscheidung abgefordert hätte werden können. Gemäß den Bestimmungen des Theatralzensur-Dekrets des Jahres 1770 musste der Text für eine Aufführung spätestens 14 Tage vor der Auffüh276 Siehe dazu Gregory Brown: A Field of Honor. Writers, Court Culture and Public Theatre in French Literary Life from Racine to the Revolution. New York 2005, S. 296f. Zur Bibliographie von Beaumarchais’ Le Mariage de Figaro siehe: Henri Cordier: Bibliographie des œuvres de Beaumarchais. Paris 1883; Slatkin Reprints. Genf 1967, S. 32–61.

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rung eingereicht werden, und Hägelin befand sich zur damaligen Zeit in einer Situation, in welcher die Theatralzensur zentralisiert war. Dies legt den Schluss nahe, dass es einen informellen Deal zwischen dem Autor und dem Zensor im Hinblick auf die Verfahrensweise gegeben hat: beide, Rautenstrauch wie Hägelin, fanden sich im Vorjahr vereinigt als die stattlichsten Biedermänner der Erbländer in der in „Freyheitsburg“ gedruckten Biedermanns-Chronik, welche 1784 verboten277 und erst am 27. Juli des Jahres 1785 freigegeben wurde.278 Möglicherweise handelte es sich in diesem Falle um einen Deal, der sich darauf bezog, dass der Übersetzer sein Stück nach und nach einreichen konnte, angesichts des Zeitdrucks, der eine termingerechte Einreichung des gesamten Werkes nicht möglich machte. Und wahrscheinlich hat Rautenstrauch Hägelin auseinandergesetzt, wie er vorgehen würde, um das potentiell Anstößige zu vermeiden, wie er in seinem Vorwort betont. Und Hägelin hat möglicherweise eine vorsichtige Rückmeldung gegeben, dass er im Prinzip nichts gegen den Stoff einzuwenden hätte, hat also grünes Licht gegeben, sodass Rautenstrauch weiterarbeiten konnte und auch die Schauspieler beginnen konnten, die Texte einzustudieren. Die Vorbereitungen zu dieser Produktion scheinen langsam Form angenommen zu haben, sodass auch der Kaiser davon in Kenntnis gesetzt wurde. Und, so kann man weiters annehmen, wenn nicht des Kaisers Handbillet und über Umwege die „französische Königin“ ins Spiel gebracht worden wären, hätte das Stück mit bestimmten Kürzungen und Abänderungen, die Rautenstrauch für die Bühnenvariante auch vorgesehen hatte, aufgeführt werden können, wie es in den Österreichischen Niederlanden der Fall gewesen ist. Es wäre die erste Aufführung des Figaro in deutscher Sprache gewesen. Mit dem kaiserlichen Handbillet vom 31. Jänner 1785 stand jedoch für Hägelin einiges auf dem Spiel, und der Verdacht einer möglichen Beleidigung der Schwester des Kaisers, den zu entkräften er sich offensichtlich nicht imstande sah, mag den Ausschlag gegeben haben, das begonnene ‚Spiel‘ rasch abzubrechen. Rautenstrauch gegenüber musste er nun einen gegenteiligen Standpunkt einnehmen, der das Ende des Theaterprojekts bedeutete und seine Wertschätzung als einer der „stattlichsten Biedermänner“ erheblich angekratzt hätte. Und so erwog Hägelin, wie man weiters annehmen darf, eine Lösung wie im Falle des Lotto-Stücks 1781 – Aufführung: nein; Zulassung des Drucks: ja. Und die Zustimmung zum Druck gab Hägelin, obwohl der Text noch nicht fertiggestellt war. Damit hätte Hägelin ein Signal gesetzt und das von ihm zu verhängende Verbot gewissermaßen abgemildert – denn er hatte, um es zu wiederholen, überhaupt keine Veranlassung, kurz vor der Premiere über den Druck eines Werkes zu entscheiden, 277 Wienbibliothek, Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern: Bücherzensur, 1751–1791, Ib 59480, f. 317. 278 Ebenda, f. 368. Johann Rautenstrauch galt einigen Kritikern als der eigentliche Verfasser der ­a nonym in „Freyheitsburg“ erschienenen Schrift.

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dessen Text ihm nicht vollständig vorlag. Umso bemerkenswerter, ja nahezu erstaunlich, ist die Entscheidung zur Freigabe des Lesetexts, die er in diesem Zusammenhang wohl nicht ganz ohne Risiko auf sich nahm. Wie das Vorwort zum späteren Textdruck nahelegt, ist der letztlich darin wiedergegebene Text nicht identisch mit der geplanten Bühnenfassung, die wir somit nicht kennen. In seiner Druckfassung folgt Rautenstrauch nicht in allen Verästelungen Beaumarchais’ Dialogen, er fordert jedoch den Leser auf, seine Fassung mit dem französischen Original zu vergleichen, welches mittlerweile auch in Wien erhältlich war. Doch von den spitzen Dialogen, die Figaro mit seinem Herrn und anderen führt, ist in der deutschen Übertragung viel erhalten: Angriffe auf die Welt der Großen und des Adels, das Justizsystem, auf den Triumph der Inkompetenz und auch auf die Zensur – ein adaptierter Satz aus jenem Bereich fand, wie bereits erwähnt, seinen Weg auf das Frontispiz. Auch ‚frivole‘ Anspielungen, die unter dem Aspekt der Sitte in den besonderen Aufmerksamkeitsbereich des Zensors fielen, wie das Thema des weiblichen Ehebruchs, fanden Eingang in den deutschen Text: Auf die Frage des Richters, wann sie sich zuletzt gesehen hätten, antwortet Figaro, einstiger Diener der Richtersgattin (III/10): „Etwas weniger als ein Jahr vor der Geburt Ihres jüngsten Sohnes, der ein sehr schönes Kind ist. Ich bin stolz darauf.“279 Und der Richter, der in der Wiener Fassung den Namen Gelbschnabel führt, kommentiert: „E – Es ist das schönste meiner übrigen Kinder.“280 Auch die dezente Neigung der Gräfin für den jungen hübschen Pagen, laut Beaumarchais kein Kind mehr, aber auch noch kein Mann, wird in der deutschen Übertragung beibehalten.281 Eliminiert wurden vor allem Stellen, die sich auf den Hof, auf Politik und Diplomatie bezogen, so zwei Szenenteile Graf–Figaro aus der 5. Szene des III. Aktes. „Le Comte. Figaro.

Avec du caractère et de l’esprit, tu pourrais un jour t’avancer dans les bureaux. De l’esprit pour s’avancer? Monseigneur se rit du mien. ­Médiocre et rampant; et l’ou arrive à tout.“282

Aus derselben Szene wurde Figaros Replik auf das Angebot des Grafen gestrichen, sich unter seiner Leitung durch ernste Studien mit der Politik zu beschäftigen:

279 Der närrische Tag, oder die Hochzeit des Figaro, S. 84f. 280 Ebenda, S. 85. 281 Vgl. II/14. Wie schon erwähnt, wird die Romanze des Pagen durch einen neuen Text ersetzt, der das Motiv der Königin und der Patin eliminiert. Der Übersetzer kommentiert diese Stelle sogar in einer Anmerkung: „Die Ariette des Originals würde vermuthlich im Deutschen wenig gewirkt haben.“ (II/4, ebenda, S. 42). 282 La Folle Journée, S. 99.

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„Figaro.

Mais feindre d’ignorer ce qu’on sait, de savoir tout ce qu’on ignore; d’entendre ce qu’on ne comprend pas, de ne point ouïr ce qu’on entend; surtout de pouvoir au-delà de ses forces; avoir souvent pour grand secret de cacher qu’il n’y en a point; s’enfermer pour tailler des plumes, et paraître profond quand on n’est, comme on dit, que vide et creux; jouer bien ou mal un personnage; répandre des espions et pensionner des traîtres; amollir des cachets; intercepter des lettres; et tâcher d’anoblir la pauvreté des moyens par l’importance des objets: voilà toute la politique, ou je meure!“283

Möglicherweise spielten bei diesen Streichungen Rücksichten auf die Zensur oder gar direkte Zensureingriffe eine Rolle, da in diesen Zusammenhängen allgemein von ‚der‘ Politik und ‚der‘ Diplomatie die Rede ist und hier die gesellschaftliche Ebene der Kritik, die weitgehend geübt wird, explizit auf die politische Ebene überspringt, die auf einer allgemeinen Ebene durch Hohlheit und Täuschung bestimmt wäre. Enthalten ist jedoch der Monolog des Figaro im V. Akt in leicht modifizierter Form – hier die berühmte Stelle über den Adel (V/3): „Figaro.

Weil Sie ein grosser Herr sind, glauben Sie auch ein grosses Genie zu seyn? Name, Rang, Würden und Ehren­ stellen ­m achen Sie so stolz! Was haben Sie denn zu allen ­d iesen ­Gütern beygetragen? Sie haben sich die Mühe ­gegeben, auf die Welt zu kommen, und das ist alles. ­Uebrigens ein sehr gewöhnlicher Mensch, indeß ich, beym Teufel, in der Dunkelheit unbemerkt, blos um zu leben, mehr Wissenschaften, Rechnungen und Intriguen auskramen muß, als man in hundert Jahren brauchte, um alle dreyzehn Königreiche zu regieren.“284

Ebenso aufgenommen ist jener Teil des langen Monologes, in welchem vom Zensursystem die Rede ist. Bezugnehmend auf das Verbot seiner theatralen Version des Mahomet erzählt Figaro weiter (V/3): „Figaro.

Man warf mich ins Gefängniß! So rächt man sich an dem Wiz, den man nicht abwürdigen kann. – (scheint nachzudenken, und fährt sodann mit Lebhaftigkeit fort) Daß ich doch

283 Ebenda, S. 100. 284 Der närrische Tag, oder die Hochzeit des Figaro, S. 131.

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einen dieser Mächtigen nur vier Tage in meiner Gewalt hätte, die so leichtsinnig bey dem Uebel sind, das sie anstellen, wenn irgend ein Zorn ihren Stolz reizt. Ich würde ihm sagen, daß gedruckte Dummheiten nur da ihren Werth erhalten, wo man ihren freyen Umlauf hindert; daß ohne die Freyheit, zu tadeln, kein verdientes Lob gegeben werden kann; und daß nur die kleinsten Geister sich vor kleinen Schriften fürchten. Müde, einen finstern Kostgänger länger zu er­ nähren, ließ man mich wieder in die freye Luft; und da man ­unumgänglich zu Mittag essen muß, obschon man nicht mehr im Gefängniß sizt: so spizte ich meine Feder von neuem, und erkundigte mich allenthalben um einen gangbaren Stof. Man sagte mir, daß während meiner oekonomischen Einsamkeit in Madrid ein System von Freyheit festgesezt worden, wegen dem Verlauf gedrukter Schriften, und daß, wenn ich ja nichts schreibe von der Regierung, vom Gottesdienst, von der Moral, von der Politik, noch von Männern in Aemtern, noch von Gesellschaften die im öffentlichen ­K redit stehen, wie zum Beyspiel die Operisten und Schauspieler, noch von sonst einer Person, die in gewissen Ver­ bindungen steht, ich alles frey drucken lassen dürfte, unter der Aufsicht etlicher Censoren. Diese Freyheit zu nüzen, kündigte ich eine periodische Schrift an, und da ich keinen Menschen dadurch zu nahe tretten wollte, gab ich ihr die Aufschrift: unnüzes Journal. Sogleich kamen tausend arme Teufel, die sich beklagten, daß ich sie an den Bettelstab ­brächte. Man unterdrückte mich, und nun war ich wieder ohne Amt. Die Verzweiflung ergrif mich beynahe. Man trachtete, mir irgend eine Bedienung zu verschaffen, aber zum Unglück war ich tauglich. Man brauchte einen ­Rechnungsführer und ein Tänzer bekam die Stelle.“285 Bei allen hier wiedergegebenen Textausschnitten ist allerdings zu bedenken, dass es sich dabei nicht um die für die Bühne bearbeitete Version handelt, die nur zu vier Akten fertiggestellt war und welche wir nicht kennen. Seine im josephinischen Jahrzehnt legitime Bühnenversion fand der Figaro in Da Pontes und Mozarts Commedia per musica Le nozze di Figaro, uraufgeführt am 1. Mai 1786 am Wiener Burgtheater. Da Ponte zufolge handelte es sich bei der Wahl des 285 Ebenda, S. 133f.

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Figaro um einen Vorschlag Mozarts – Joseph  II. erteilte schließlich die Genehmigung, den als Schauspiel verbotenen Stoff in Form einer italienischen Oper auf die Bühne zu bringen.286 Dazu existiert eine Fülle an Literatur und Analysen, sodass ich darauf nicht weiters eingehen werde. Wie der Figaro in Paris hat gerade Mozarts Oper zu vielen Geschichten und Legenden angeregt, darunter auch zu der immer wieder vor­gebrachten Vermutung, dass Mozart mit seinem Figaro gleichsam radikal mit der Wiener Gesellschaft gebrochen hätte – wofür es allerdings keinerlei Anzeichen gibt.

KURZER EPILOG. DIE WIENER ERSTAUFFÜHRUNG VON BEAUMARCHAIS’ FIGARO UNTER FR ANZ II. Siebzehn Jahre nach dem Verbot des Figaro wird sich Hägelin erneut mit einem Aufführungsgesuch für Beaumarchais’ Comédie befassen: in ebendem Jahr 1802, in dem er im eingangs zitierten Gutachten die geplante Wiener Erstaufführung erwähnte. Dem erhaltenen Zensurbuch ist zu entnehmen, dass der Zensor diesmal eine Aufführungsgenehmigung erteilt hat:287 die erste Aufführung fand am 14. September 1802 am Wiener Burgtheater statt.288 Es handelt sich dabei um eine sehr weitreichende Bearbeitung von Johann Friedrich Jünger (1759–1797), die so gut wie keine zensuriellen Eingriffe erforderte. Wann der zur Zeit der Erstaufführung bereits seit fünf Jahren verstorbene Jünger diese Bearbeitung vorgenommen hat, ist unbekannt: alle zuvor zitierten Teile aus der Fassung Rautenstrauchs fehlen, so der Monolog-Teil Figaros aus dem V. Akt über den Adel und die Zensur. Aber immerhin, Figaro wurde 286 Es gibt bis jetzt keinen klaren Hinweis, wer Da Pontes Bühnenwerke zensurierte. Hägelin als Zensor des deutschen Theaters kam dafür nicht in Frage, ein Theatralzensor für Bühnenwerke italienischer Sprache ist zur Zeit der Alleinregierung Josephs II. nicht nachgewiesen, diesbezüglich fehlen auch jegliche Angaben Hägelins, der ansonsten hinsichtlich organisatorischer Fragen sehr präzise war. Es spricht einiges dafür, dass Da Ponte, als „Poeta de’ teatri imperiali“ unmittelbar vom Kaiser berufen, selbst für die Zensur der italienischen Bühne zuständig war, was auch der Ökonomie der österreichischen Zensur entsprochen hätte. Im Rahmen dieser Arbeit kann ich auf diesen Aspekt nicht näher eingehen und verweise auf einen Aufsatz, den ich gemeinsam mit H. E. Weidinger zu diesem Thema plane. 287 Der tolle Tag oder die Hochzeit des Figaro. Ein Lustspiel in 5 Aufzügen frey nach Beaumarchais. Von J. F. Jünger für das k. k. National Hoftheater. 1802 [Handschrift, Zensurbuch, Österreichisches Theatermuseum, Signatur: 186 Ser. Nov. 5195]. 288 Vgl. Chronologisches Verzeichniß aller Schauspiele, deutschen und italienischen Opern, Pantomimen und Ballette, welche seit dem Monath April 1794 bis wieder dahin 1807, nämlich durch volle 13 Jahre sowohl in den k. k. Hoftheatern als auch in den k. k. privil. Schauspielhäusern, vormahls auf der Wieden, nun an der Wien und in der Leopoldstadt aufgeführet worden sind. Wien 1807. Auf Kosten und im Verlage bey Johann Baptist Wallishausser, S. 35.

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unter Franz II. in Wien aufgeführt, was zu der Überlegung zurückführt, dass Beaumarchais’ Figaro, in textlich gegenüber der Fassung von 1802 weitaus schärferer Version, wohl auch in den 1780er Jahren in Wien hätte aufgeführt werden können.

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„VERNICHTET SEI DAS GESETZ.“ ZUR ZENSUR DER VESTALISCHEN DRAMEN „Hier strömt das Blut am Tabernackel / Das die Verzweiflung hingesprizt“:289 nach der Aufdeckung ihrer Vergehen zertrümmert die Äbtissin eines deutschen Klosters ihren Schädel an der marmornen Säule des Altars. Mit diesem Akt der Selbstvernichtung wie der damit implizierten Zerstörung einer Institution endet das Drama Die Neuen Vestallinnen von Johann Nepomuk Lengenfelder (1753–1783), gedruckt 1777 ohne Angabe des Ortes. Der Druck dieses Dramas „in trochaischer Versart“ war in der theresianischen Zeit in den Catalogus librorum prohibitorum gesetzt worden – er zählt auch zu den wenigen Schauspieldrucken, die in der josephinischen Zeit im ­Catalogue verblieben.290 In diesem Stück geht es explizit um die Aufhebung der klösterlichen Ordnung und um die Freiheit der in dieser Ordnung befangenen Personen. Zu diesem Drama gesellten sich in den 1780er Jahren auf der Verbotsliste noch weitere Drucke mit ähnlicher Themenstellung: das Duodrama für Musik Julus und Rhea von Johann Gabriel Bernhard Büschel (1758–1813),291 eine „Klosteraufhebung“ im antiken Gewand, das anonyme Lustspiel Der Frömmler292 (hier geht es um die Ent­ larvung devotionsorientierter Versammlungen) sowie die Übersetzung eines schon älteren Dramas: Die Nonne, oder der ertappte Mönch,293 eine Übertragung von Henry Fieldings The Old Debauchees aus dem Jahre 1732.294 Diese Verbote ermöglichen e­ inen Einblick in die Widersprüchlichkeit der josephinischen Theatralzensur, weil die von ihnen betroffenen Stücke Themen behandelten, welche im Feld eines nunmehr erweiterten Diskurses Gegenstand öffentlicher Erörterung wurden. Und sie sind insofern von besonderem Interesse, als Hägelin in seinen detaillierten Instruktionen des Jahres 1794 eines der erfolgreichsten vestalischen Dramen der 1790er Jahre, Kotze­ 289 Die Neuen Vestallinnen, ein Schauspiel in trochaischer Versart. S. l. 1777, Epilog, S. 10. 290 Vgl. Catalogue des livres défendus par la commission imperiale et royale. Jusqu’à l’année 1786, ÖNB, Sign. 421647-B Alt Mag, S. 84. – Dieses Drama fiel auch der bayerischen Zensurkommission in die Augen: „Das Bücherzensurkollegium befaßte sich in den ersten zehn Jahren seiner Tätigkeit so gut wie gar nicht mit Theaterstücken. Die Bücherzensurprotokolle (1770–1780) geben einen einzigen Hinweis. 1777 wird die Frage aufgeworfen, ob das Schauspiel in trochaischer Versart Die neuen Vestallinnen – um dessen Abschaffung der Kardinal Fürstbischof von Passau ersucht hatte – passieren könne. Nach einem Referat des Kanonikus Kohlmann wurde die Verbietung dieses Trauerspiels beschlossen“. Hermann Friess: Theaterzensur, Theaterpolizei und Kampf um das Volksspiel in Bayern zur Zeit der Aufklärung. Dissertation, München 1934, Druck Regensburg 1937, S. 69. 291 Vgl. Catalogue des livres défendus par la commission imperiale et royale. Jusqu’à l’année 1786, S. 44. 292 Vgl. ebenda, S. 31. 293 Die Nonne, oder der ertappte Mönch. Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Aus dem Englischen des Fieldings übersetzet. Leipzig, 1782. 294 The Old Debauchees. A Comedy. As it is acted at the Theatre Royal in Drury Lane. London. Printed for J. W. And Sold by J. Roberts in Warwick Lane. M DCC XXXII.

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bues Die Sonnenjungfrau, zum exemplarischen Fall dessen erklärte, was er als Verstoß eines Stoffes gegen Sitte, Staat und Religion ansah: „Wenn der Stoff eines Stücks oder die Moral desselben wider die Religion, wider die Staatsverfassung oder wider die Sitten sich verstößt, mithin im Grunde fehlerhaft ist, so kann es für die Aufführung nicht zugelassen, sondern es muß verworfen werden; z. B. in der Sonnenjungfrau von Kotzebue waren zwei Hauptfehler der erste daß Cora die Sonnenjungfrau eine Art Vestalinn von ihrem Liebhaber schwanger war, und 2. daß der König das Gelübde der Keuschheit durch den Unfall der Cora und andere Umstände bewogen ganz aufhob, mithin sich die Moral daraus ergab, daß das Gelübde verwerflich ist, welches in einem katholischen Staate auf einem Theater nicht gelehrt werden kann.“295 Auf dieses Stück, dem durch intensive Bearbeitung der Weg auf die Bühne schließlich geöffnet und welches an allen Theatern mit Erfolg gespielt wurde, werde ich am Ende dieses Kapitels detailliert eingehen. Vorweggenommen sei, dass der hier von Hägelin postulierte wie praktizierte Grundsatz, dass auf der Bühne nicht die „Verwerflichkeit“ des Gelübdes gezeigt werden dürfte, in der josephinischen Zeit keine Gültigkeit hatte, zumal auf dem Feld der Oper und des Balletts, ganz zu schweigen von den vielfältigen Diskursen, die um dieses Thema kreisten. Was eine potentielle Aufführungsbewilligung betrifft, ist zu berücksichtigen, dass es zwei Formen von vestalischen Dramen gab: jene, welche das vestalische ­Thema in einem heidnischen Kontext ansiedelten, wie etwa Die Sonnenjungfrau, und die im Prinzip aufführbar waren, sowie Dramen, welche die entsprechende Handlung im christlichen Kloster spielen ließen. Für die josephinische Zeit galt, dass alle Klosterdramen dieser Art nicht auf die Bühne gebracht werden konnten. Die Drucke allerdings unterlagen nunmehr einer differenzierten Bewertung. So wurde etwa das in der theresianischen Zeit als Druck verbotene Schauspiel Rose die Nonne wider ­Willen, eine Klostertragödie, zur Lektüre freigegeben, wie auch andere Dramen, welche Klosterszenen beinhalteten – so auch das Trauerspiel Julius von Tarent.

295 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Angelegenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 4h.

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DIE NEUEN VESTALLINNEN. EIN AGITATIONSSTÜCK Lengenfelders Drama Die Neuen Vestallinnen, welches auch in der josephinischen Zeit nicht aus dem Catalogue des livres défendus entfernt wurde, hat durchaus den Charakter eines Agitationsstückes. So heißt es im Vorbericht zum Drama: „So auffallend der Inhalt dieses Stückes scheinet, so wenig ausserordentliches würden wir darinn finden, wenn wir die Decken von diesen Freystädten der Unschuld wegheben, und das, was der Unwissende Geistesruh, und eine fast unmittelbare Vereinigung mit Gott nennet, als die elendeste Verstellung, verbißnen Gram, und maschinmäßige Abwechslung des Gesanges, und des Gebethes fände.“296 Und im „Prolog an die Schönen“ heißt es: „Und wenn Euch ein erkaufter Pater Mit weitgesuchten Zweifeln plagt, So gebt dem Gecken recht, und sagt: Daß Hymen Euer Ordensvater, Und Amor Euer Schutzpatron.“297 Das Stück spielt in einem deutschen Nonnenkloster der Gegenwart und zeigt in schaurigen Bildern den Unterdrückungsapparat einer klösterlichen Gemeinschaft. Eine der Protagonistinnen ist die Nonne Marie, die wegen ihrer Liebe zu einem jungen Mann versucht, dem klösterlichen Gefängnis zu entfliehen, allerdings vergebens. Auf der Gegenseite stehen die selbst vor Mordplänen nicht zurückschreckende Äbtissin und der Beichtvater Franz, der seinen Vertrauensstatus ausnützt, um sich den Novizinnen mit sexuellen Absichten zu nähern. Ihren klösterlichen Wider­ sachern hält die junge Marie trotz ihrer misslichen Lage selbstbewusst entgegen (III/1): „Eigennutz, und Tyranneyen, Aberglaube, Unterdrückung, Götzendienst, und Simonien, Ausstudirte Mördereyen, Menschenhaß, Betrug, Verstellung, 296 Die Neuen Vestallinnen, o. P. 297 Ebenda, S. 9.

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Menschenhandel, stumme Geilheit, Sind die kleinsten Eurer Laster.“298 Die Unausweichlichkeit ihrer Lage löst sich durch die Intervention des Bischofs, eines Musterbildes eines aufgeklärten Souveräns, der von der Äbtissin und Pater Franz als „Freygeist“ und Ketzer verteufelt wird. Sein Credo lautet (V/4): „Gott, Natur, Fürst, und Gesellschaft Sind die Herren unsers Lebens! Diesen nur sind wir unsre Kräften, Alle Fähigkeiten schuldig. Wenn der Fürst, wenn die Gesellschaft Unsre Gegenwart erfordern, Müßen wir die heil’gen Kerzen Auf die Stufen des Altares Niederlegen, und dem Machtwort Des gemeinen Wesens folgen.“299 In der Schlussszene des Stückes werden die Nonnen durch den Bischof von ihrem Gelübde entbunden. Die Äbtissin, welche – wie sich im Laufe des Stückes herausstellt – trotz des Gelübdes ein Kind empfangen sowie Gelder des Klosters veruntreut hatte, wird ihres Amtes enthoben und findet, wie eingangs erwähnt, ein schreckliches Ende. Auf die widersprüchlichen Gründe für die Aufrechterhaltung des Verbots dieses Stückes werde ich in weiterer Folge eingehen.

JULUS UND R HEA. GESCHLECHTSAKT IN GÖTTLICHER WOLKE Das zweite verbotene vestalische Stück, Büschels Duodrama mit Musik Julus und Rhea, erstmals gedruckt in Straßburg 1779,300 spielt nicht in der Gegenwart, sondern vor einem mythologischen Hintergrund. Die Vestalin Rhea, welche ihrem ‚Kloster‘ bereits entflohen ist, trifft auf Julus, der, wie Rhea sexuell unerfahren, ihre Sehnsüchte stillt. Ort der Handlung ist eine anmutige Gegend mit Wasserfall und Grotte, in welcher zu Beginn des Dramas Rhea einsam liegt. Im Eingangsmonolog äußert sie ihren Widerstand gegen die erfahrene Unterdrückung körperlicher Lust: 298 Ebenda, S. 56. 299 Ebenda, S. 112. 300 Im folgenden wird der Druck aus dem Jahre 1784 herangezogen: Julus und Rhea, ein Duodrama mit Musik. Paphos. In Amors Druckerey. 1784.

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„[…] ja! – der Gedanke Wollust – ich trinke aus dem Becher der Freude – er erhebt mich zum Olymp – Wohin? – wohin? Rhea – sind meine Sinne berauscht? – küzlende – schwärmerische Trunkenheit – O! daß ihre Gränze Ewigkeit wäre – daß ich nie wieder ich selbst würde – Umsonst! – […] grausame Westa! – hab ich dir nicht genug gedienet? – – dein hartes Gesetz erfüllt? – entlaß mich nun – gieb mich der Natur zurück – ihr Befehl ist heilig – ihren Trieben will ich folgen – […] mein Blut fließt schnell jede Ader hindurch – meine Glieder zittern – die ganze Kraft meiner Seele drängt sich zur Quelle des Lebens – […] sende einen Jüngling – kraftvoll und schön, der mich dieser schweren Bürde entledige – die Pforte öfne – die meine Begierden zu zersprengen drohn – die Wuth stille, die in meinem Innersten glüht.“301 Höhepunkt des Duodramas ist der Vollzug der geschlechtlichen Vereinigung, die allerdings nicht sicht-, sondern nur hörbar ist, da sich der körperliche Akt in einer Wolke vollzieht, welche die Götter auf die Erde gesandt haben, um ihr allerhöchstes Wohlwollen zu bekunden. Aus dieser ‚Wolkenszene‘ ein kleiner Ausschnitt: „Rhea.

Ach! – – – welch grau – – samer Schmerz – – – halt ein – – – halt ein – – – er tödtet mich – – – scho – – ne – – schone ­Barbar – – deine Wuth – – […] doch – – – doch – – – welch – – himm – – lische Wollust! – – – noch län – – ger – – e – – wig, e – – wig – – – daure dieß – – Gefühl – – – Mehr – – noch mehr – – al – – les – – ach! – ach seeliges ­Entzücken – – – berauscht – – mich – – ich – – ich – – sterbe – – –“.302

Durch diesen „göttlichen Akt“ werden Julus und Rhea in den Stand der Unsterblichkeit erhoben. Am Schluss des Duodramas folgt der Gesang „einer Genie“ samt Schlusschor der Grazien, Genien und Nymphen. „Ein Genie. Für Stunden, die so schnell verflossen, Erwartet euch die Ewigkeit – Für Freuden, die so schön genossen, ist euer Lohn Unsterblichkeit. –

301 Ebenda, S. 6–8. (ohne Szenengliederung). 302 Ebenda, S. 19.

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Chor.

O wie ist die Liebe so mächtig Sie fesselt alles was lebt – Sie ists, die uns aus dem Staube Zum größten der Wesen erhebt. –“303

DER FRÖMMLER. SEXUALITÄT UND ANDACHT Gegenstand der beiden genannten im Druck verbotenen Dramen ist der radikale Bruch mit einer Ordnung und ihren vermeintlichen Tugenden, welche sich schließlich als unterdrückende Agenda erweisen – die Lösung des dramatischen Konflikts besteht in der Zerstörung der alten Ordnung und in der Lobpreisung derjenigen Verhaltensweisen, welche zu ebendiesem Bruch geführt haben. Von der Umwertung der Tugenden in Laster handelt auch die 1782 anonym und ohne Angabe eines Ortes gedruckte Komödie Der Frömmler, welche massive Kritik an den äußerlichen Formen von Religiosität und den damit verbundenen rigiden sozialen Einrichtungen übt.304 Der Protagonist dieses Konversationsstückes namens Brink tyrannisiert seine Anverwandten wie die Dienerschaft mit seiner Frömmelei: er schwärmt von seinem regelmäßigen Besuch der Andachtsgesellschaften, von seinem Verzicht auf weibliche Reize wie auf alle profanen Vergnügungen und gibt vor, ein ausschließlich auf das Jenseits ausgerichtetes Leben zu führen. Sein eigener Sohn hält ihm vor (I/4): „Wie ihr Frömmler euren Handlungen, wenn sie auch noch so böß sind, einen Schein von Tugend geben könnt –“.305 Der junge Brink, die freigeistigste der handelnden Personen, thematisiert auch die Zusammenhänge von erotischem Begehren und Frömmelei (II/3): „Die Seufzer der Frömmeley und Liebe sind beinah die gleichen.“306 Auch das Theater als weltliches Vergnügen ist für Herrn Brink ein „Sündenpfuhl“ (IV/3): „Brink. Brink jgr.

[…] – ach wie viele sehe ich in die Komödie gehen und ihrem ewigen Verderben zurennen. Wollte der Himmel, ihr gienget statt ins Stündchen [in die Andacht] in die Komödie – würdet gewiß besser für eure Seele sorgen.

303 Ebenda, S. 29f. 304 Der Frömmler. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. 1782. 305 Ebenda, S. 10. 306 Ebenda, S. 37.

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Brink.

Lästerung! – welche Gnade, daß euch Gott nicht auf der ­Stelle mit seinem Blitz zerschmettert –“.307

Kranz, ein Freund des jungen Brink, der dessen Schwester Charlotte in die Komödie führen will, hält eine große Verteidigungsrede auf das Theater, ganz im Sinne von Sonnenfels, als einer Schule der Tugend, wenn es auch früher eine Stätte von Possen gewesen wäre (IV/4): „Kranz.

Brink jgr.

[…] aber itzt ist sie eine Schule der Tugend, welche in ihrer wahren Gestalt vorgestellt, und zugleich auf eine faßliche und einnehmende Weise edlen Herzen eingepflanzt wird – sie braucht keine Drohung, keine Verdammungen – zu Beweggründen, sondern zeigt nur ihre göttlichen Werthe, ihre Erhabenheit durch Beyspiele und Charaktere von ­Tugendhaften – wider das Laster unsrer Zeiten, und die ­k leine Fehler der Ethikette warnt sie durch eine beissende Satyre, zeigt Verachtung bey andern Tugendhaften, und Verspottung bey der grossen Welt. Hat man nicht eine Betschwester, die so vortreflich ist?“308

Doch auch beim frömmelnden Herrn Brink beginnen sich Liebesgefühle zu entfalten. Dies kann er allerdings nicht mehr realisieren – er wird gegen Ende des Stückes als sexueller Missetäter überführt und ins Gefängnis überliefert.

DIE NONNE, ODER DER ERTAPPTE MÖNCH. DIE GEBURT DES PAPSTES ALS OBSZÖNER TR AUM Auch in dem 1782 in Leipzig erschienenen Druck Die Nonne, oder der ertappte Mönch geht es um die Heuchelei frommer Gebärden. Doch was in der Komödie Der Frömmler in dezenter Form und gleichsam ‚hinter‘ der Bühne stattfindet, wird in der aus dem Englischen des Henry Fielding (1707–1754) übertragenen Komödie in aller ­Direktheit und mit dezidiert antiklerikalem Ton vorgeführt. Es ist das älteste der verbotenen vestalischen Dramen, das offensichtlich aufgrund seiner potentiellen ­A ktualität in deutscher Übersetzung neu herausgegeben wurde. Fieldings Drama wurde 1732 in London unter dem Titel The Old Debauchees auf die Bühne gebracht.

307 Ebenda, S. 88f. 308 Ebenda, S. 91.

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Der deutsche Titel gibt den Inhalt dieses Stückes in knappsten Worten wieder. Pater Martin, Ordensgeistlicher eines nicht näher genannten kirchlichen Instituts, versucht die schöne Isabella mit allen Mitteln zu nötigen, ins Kloster zu gehen, um sie fern allen weltlichen Zugriffs sexuell missbrauchen zu können. Dazu nutzt er auch die Beichte ihres Vaters, der sich, in jüngeren Jahren vielpraktizierender Sünder, nunmehr dem erhofften Segen der Kirche übergibt; ihm versucht der Geistliche einzureden, dass er als Buße seine Tochter zur Nonne weihen lassen müsse. In klaren Worten bringt Pater Martin, den „Aberglauben“ seines Beichtopfers ausnützend, die dadurch entstehende Machtposition der Kirche zum Ausdruck (I/11): „P. M.

[…] von solchen armen Sündern hängt unsre Gewalt ab. Der Aberglaube, der Dein Eingeweide zerfleischt, füttert das unsrige. Ein Nonnenkloster ist doch ein Meisterstück der Erfindung! Wenn ich nur einmal meine theure, liebe Isabelle zwischen vier Mauren eingesperrt, den Anblick eines jeden verschlossen habe, o! denn wird ihr warmes Blut bald mein mächtiger Freund seyn. Wie weit bringt mich die ­Verzweiflung dieses alten Narren vom Rande der Verzweiflung weg! Aberglaube, du bist meine Gottheit, ich bethe Dich an, du Handhabe, wodurch Priesterlist den armen ­Weltlichen in Fesseln führt.“309

Isabella und ihr Geliebter, der junge Larron, durchschauen das Spiel des Paters und überführen ihn am Ende der Komödie vor vielfältiger Zeugenschaft; begehrlich versucht sich der Pater dem Körper des jungen Larron zu nähern, der sich in intrigenhafter Absicht mit Isabellas Kleidern angetan hatte. Die erotische Komponente der Beichte wird im Laufe dieser Komödie voll ausgespielt, auch in den Worten des ­Paters, der eine Analogie von Beichtstuhl und Ehebett herstellt (I/5). „P. M.

Die Schamhaftigkeit schickt sich eben so wenig in die Beichte, als im Bette. Du mußt deinem Beichtvater deine Seele so nackend zeigen, wie deine Person deinem Manne.“310

Isabella inszeniert jedoch in diesen Beichtszenarien ein Spiel mit dem durchschaubaren Begehren des Paters, der auch in ihre Träume eindringen möchte. So fingiert sie einen Traum, der den Pater in große Erregung versetzt und ihn annehmen lässt, dass er der Erfüllung seiner sexuellen Wünsche sehr nahe ist (II/4): 309 Die Nonne, oder der ertappte Mönch, S. 26f. 310 Ebenda, S. 11.

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„Isab. P. M. Isab. P. M.

Isab. P. M.

Isab. P. M.

Ich träumte – ich träumte – ich träumte – O Macht der Sünde! Ich träumte, daß ich einen Pabst zur Welt gebracht hätte. Grade die Glückseligkeit, die ich dir zugedacht habe. Laß dich küssen meine liebe, theure Tochter: von nun an darfst du dem Fegefeuer trotzen – die Mutter des Pabstes kam nie dahin. Wie aber kann das geschehen, wenn ich eine Nonne werden soll? Ueberlasse mir die Mittel. Lerne nur dich leidend zu ver­ halten, die Kirche wird das Uebrige wirken. Der Pabst ist allezeit der Sohn von einer Nonne. Geh, begib dich in dein Zimmer, wasche dich, bethe andächtig, verschliesse jedem Lichtstrahl den Zugang, laß die Thüre offen, und erwarte die Folgen. Ehrwürdiger Herr, ich gehorche. ( für sich) O der Schelm! Sey leidend und sey glücklich.“311

Gegenüber der Dezenz der Komödie Der Frömmler wie auch gegenüber der heftigen Dramaturgie der Neuen Vestallinnen, die sich letztlich unter den Schutzmantel der aufgeklärten Religion begibt, musste dieses ‚alte‘ Drama aus englischer Feder geradezu blasphemisch und religionsverspottend wirken, in vielleicht noch stärkerem Maße pornographisch als das Duodrama Julus und Rhea, welches einen Geschlechtsakt in Szene setzte. Mit welchen Argumenten der auch für die Drucke zuständige Theaterzensor Franz Karl Hägelin das Verbot der Neuen Vestallinnen, von Julus und Rhea sowie der Komödien Der Frömmler und Die Nonne, oder der ertappte Mönch befürwortet hat, ist aufgrund der Vernichtung von Dokumenten beim Justizpalastbrand nicht bekannt. Aus den Abschriften der Wienbibliothek wissen wir zumindest, dass Der Frömmler am 15. Juni 1782 verboten wurde. Das Verbot von Julus und Rhea dürfte in die Frühzeit des josephinischen Jahrzehnts gefallen sein, da dies Werk im Supplement des Jahres 1780 zum Catalogus librorum prohibitorum nicht aufscheint. Das Drama Die ­Neuen Vestallinnen wurde, wie erwähnt, gemäß dem Supplement des Jahres 1778 schon zur Zeit Maria Theresias verboten. Angesichts der äußerst knappen und gegenüber den theresianischen Katalogen deutlich reduzierten josephinischen Liste der verbotenen Theaterdrucke ist es wohl als sehr bewusste Entscheidung anzusehen, dass letztgenanntes Stück nicht aus dem revidierten Catalogue gestrichen wurde und die anderen genannten Dramen neu aufgenommen wurden. 311 Ebenda, S. 39.

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Das Thema der Frömmelei war – wenn wir Johann Pezzl und seiner Skizze von Wien (1786–1790) glauben dürfen – in Wien durchaus aktuell: mehrmals geißelt er den Wiener Hang zur Andächtelei und zu äußerlichen Formen der Devotion.312 Das Verbot der Konversationskomödie Der Frömmler, die sich auch auf Molières Tartuffe als wahrhafte Schilderung von „Heucheley“, „Andächtelei“ und „falscher Frömmigkeit“ beruft, bleibt im josephinischen Kontext von hoher Ambivalenz. Ganz offensichtlich werden von den ‚aufgeklärten‘ Akteuren Grundsätze die Religion wie das Theater betreffend angeführt, die dem öffentlich geführten Diskurs nicht fremd ­waren, samt der auch von Pezzl formulierten Kritik am Hang zur Frömmelei unter den Wienern. Kranz, der tugendhafte aufklärerische Protagonist des Stückes, trägt seine Ansichten durchaus im Sinne josephinischer Prinzipien vor, wenn er z. B. meint, der Mensch gehöre nicht sich allein und seinen Andächteleien, er sei auch Teil der Gesellschaft, somit auch der Vergnügungen. Das skandalöseste an dieser Konversation über Frömmelei, wie sie in keiner wie auch immer gearteten Bearbeitung je hätte auf der Bühne erscheinen können, war offensichtlich, auch im bloßen Druck, die dramatische Form: Komödie und Diskurs über Religion scheinen sich nach ­Hägelin ausgeschlossen zu haben, nicht nur auf der Bühne, sondern auch als Text. Und hier störten höchstwahrscheinlich in besonderer Weise die frechen Repliken des jungen Brink, welche in ihrer Durchgängigkeit die Würze dieser Konversationskomödie ausmachen. Damit scheint für Hägelin – auch im Hinblick auf Reaktionen einer potentiellen Leserschaft – nicht nur kritisierenswerte Frömmelei, sondern auch Frömmigkeit per se ins Lächerliche gezogen worden zu sein, und wie aus seinem Leitfaden ersichtlich, war der Begriff der Frömmigkeit auf dem Theater in jedem Fall problematisch. Und in diesem Stück mag sich wesentlich mehr ereignet haben als das, was Hägelin später – 1794 – als „frömmelnde Tanten“ gerade noch für die Darstellung als zulässig angesehen haben mag. Als gravierend mag weiterhin der hier dargestellte Konnex von übertriebener Frömmigkeit und sexueller Ausschweifung wahrgenommen worden sein: die Andachtsstunden, vom Filius nicht von ungefähr „Stündchen“ genannt, dienen in diesem Drama offensichtlich auch als einschlägige Kontaktbörsen. Unter zensuriellen Gesichtspunkten mag Der Frömmler als bei Weitem obszöner angesehen worden sein als die Neuen Vestallinnen; dieses Stück greift zwar ebenfalls das Thema der vorgetäuschten Frömmigkeit und sexuellen Ausschweifung auf, aber in keiner Zeile des in trochäischen Versen abgefassten Dramas ist auch nur ein Funken Komik enthalten. Es kann wenig Zweifel daran bestehen, dass Hägelin seine im Zensur-Leitfaden verkündeten Prämissen betreffend den Gegenstand der Religion, von spezifischen Konstellationen abgesehen, auch in der josephinischen Zeit angewandt hat. Gemäß 312 Johann Pezzl: Skizze von Wien. Drittes Heft. Wien und Leipzig. In der Kraussischen Buchhandlung. 1787, S. 366–374.

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dem Grundsatz, dass die christliche Religion kein Gegenstand theatraler Darstellung sein darf, sind also sowohl die Neuen Vestallinnen als auch Der Frömmler unaufführbar, ganz unabhängig von ihren spezifischen inhaltlichen Aussagen. Bei Julus und Rhea scheint die verbale Präsentation eines Geschlechtsaktes als Höhepunkt des Dramas der Grund gewesen zu sein, dieses Stück für die Bühne zu verbieten wie auch den Druck zu untersagen – es war sozusagen ein Stück pornographischer Literatur, welche auch einen nicht unerheblichen Teil des josephinischen Catalogue füllte. Demgegenüber ist das Druckverbot für die Neuen Vestallinnen im revidierten ­josephinischen Catalogue weiter erklärungsbedürftig: wie Der Frömmler bewegt sich dieses Drama durchaus in josephinisch-aufgeklärten Bahnen – es greift die (christliche) Religion nicht als solche an, sondern plädiert für aufgeklärte, äußerlichen Formen abholde Tugenden. Was – so ist zu fragen – richtet sich in diesem Stück gegen den Staat, gegen die Religion, gegen die Sitten, wie sie im josephinischen Wandel praktiziert worden sind? Diese Frage stellt sich umso mehr, als die in diesem Stück angesprochenen Themen in der weitverbreiteten Broschürenliteratur der 1780er Jahre beachtlichen Raum einnahmen. Von den vielen Schriften möchte ich eine herausgreifen, die besonderes Interesse verdient, da sie von einem Autor stammt, der selbst in Zensurangelegenheiten tätig war: Meine Grille von den katholischen Vestalinnen von dem bereits genannten Benedikt Dominik Anton Cremeri, den wir nach seiner Apologetik der theresianischen Zensur nunmehr von einer anderen Seite kennen­lernen.

MEINE GRILLE VON DEN KATHOLISCHEN VESTALINNEN. KRITISCHE GEDANKEN EINES ZENSUR AKTUARS Cremeris Schrift mit dem Titel Meine Grille von den katholischen Vestalinnen erschien 1781 ohne Angabe eines Ortes.313 Die hier geäußerte radikale Kritik am Kloster wurde noch vor der ersten Phase der josephinischen Klosteraufhebungen (1782/83) geschrieben. Als Leitspruch auf dem Frontispiz dient provokativ ein Zitat aus V ­ oltaires La Pucelle d’Orléans, einem Werk, das zum Zeitpunkt des Drucks 1781 verboten war und das auch der 1788 gedruckte Catalogue enthalten wird. Ein Jahr nach seiner apologetischen Schrift für die österreichische Zensur scheint Cremeri nicht mehr so viel von ihrer ‚Schutzengel-Funktion‘ gehalten zu haben. Die politischen Bedingungen haben sich geändert, der neue Herrscher, der programmatische ­Reformherrscher, bleibt in Cremeris klosterkritischer Schrift eine sowohl in der Eröffnung wie am Schluss rhetorisch wirksam angerufene Appellationsinstanz.

313 Meine Grille von den katholischen Vestalinnen. S. l. 1781.

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„Ja ich hoffe zu beweisen, daß die dermalige Verfassung der Frauenklöster dem Staate, der wahren Kirche, dem Willen Gottes, und dem ewigen Seelenheil der Nonnen zuwider ist. Hiebey würde sich das heilige Arsenal* (*Das Buch der Inquisition.) rütteln, wenn ich nicht unter einer so erlauchten ­Regierung lebte, die beynahe alle Tyranney der verderbten, oder After-­ Religion aus ihren Staaten verbannet hat. Dies wäre der Ort, wo ich mich an meinen erhabenen Kaiser, den Nationen bewundern und lieben, wenden könnte, um I h n anzuflehen: sich auf für [sic] diese verlassenen Mädchen zu verwenden.“314 Cremeri verwendet in seiner Schrift viele Begriffe und Stimmungsbilder, die auch vier Jahre zuvor in den Neuen Vestallinnen bemüht worden waren: „Jedem, der es wissen will, ist bekannt, daß unsere dermalige Frauenklöster, ich mache die Sache mit gutem Vorbedacht allgemein, denn die Ausnahmen werden in der Schrift selbst vorkommen, Oerter der Unlust, Unzufriedenheit, Sehnsucht, des Schmerzens, Jammers, Grams, Elends, Fluchs, und der Verzweiflung für ihre meiste Bewohner sind!“315 Für Cremeri sind die Klöster „heilige Gefängnisse“316 und „wahre Werbplätze des Satans“317. Um diese „satanischen“ Orte umzuwandeln, plädiert Cremeri unter Berufung auf historische Beispiele für eine Aufhebung des Gelübdes: „Schnell würden sich Freude, Liebe, Zufriedenheit, Heiterkeit, Andacht und Seeligkeit in den Klöstern einfinden. Gitter, Rigeln, Schlösser, und hohe Mauren würden als überflüßig verschwinden“.318 Zwei Jahre später erscheint eine weitere klosterkritische Schrift Cremeris, diesmal auf das Männerkloster bezogen: Die Mama will: ich soll ins Closter geh’n. Diese Schrift ist als Abfolge von Briefen verfasst, die Cremeri als „wohlmeinender Freund“ an einen jungen Mann richtet, der beabsichtigt, auf Wunsch der Eltern ins Kloster zu gehen. Obwohl diese Schrift in der Diktion gemäßigter als die vorhin genannte gehalten ist, scheint sie noch radikaler. Die Brief-Dramaturgie hat einen ganz nebensächlich scheinenden agitatorischen Aspekt – es geht letztlich nicht nur darum, einen jungen Mann davon abzuhalten, ins Kloster zu gehen, sondern auch darum, ihm 314 Ebenda, S. 5f. 315 Ebenda, S. 11f. 316 Ebenda, S. 38. 317 Ebenda. 318 Ebenda, S. 43.

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auszureden, Priester zu werden. Für die „Kirche Gottes“319 sei das Mönchstums nicht nur überflüssig, es verunstalte sogar die Religion, indem „jedwede besondere Mönchreligion ihre besondere Andächteley hat, wodurch die Andacht der allgemeinen Religion verdrungen wird“.320 Ebenso widersinnig sei es zu glauben, in der klösterlichen Einsamkeit den gefährlichen Fängen der Welt entzogen zu sein – was Cremeris jungem Brieffreund ein gewisser Pater Ludwig einzureden versuchte: „Hierauf frage ihn und deine guten Eltern warum denn Pater Ludwig und alle seine Herren Collegen so gern in dieser gefährlichen Welt herum laufen, und Vermögen, Essen, Trinken, alle Geheimniße, ja den ganzen Zusammenhang der weltlichen Geschäfte aufzuschnappen bemühet sind, statt in ihren Zellen zu bleiben, um sich heilig und stinkend zu beten? […] Frag ihn sodann, warum er also von dir fordere, daß du die Welt fliehen und die Zeit in der Einsamkeit verbeten sollst, da doch jeder Mensch erschaffen ist, sein Brod im Schweiß seines Angesichts zu seinen und seiner Nebenmenschen Wohl zu genüssen, nicht aber, um wie eine Eule den Tag über voll Ernst in Trägheit im Loche zu sitzen, und des Nachts über den verfaulenzten Tag zu schreyen, und so in Nichts thun und Finsterniß sein Leben zu verbringen.“321 Der Briefschreiber Cremeri wendet sich weiters gegen jede Abwertung des Ehestands und lässt durchblicken, dass gemäß den Prinzipien der Menschlichkeit und der Vernunft die Aufhebung des ehelosen Standes der katholischen Geistlichkeit anzustreben wäre. Die Worte des „wohlmeinenden Freundes“ bleiben nicht ohne Wirkung auf den jungen Mann, sodass er sich als Kompromiss zunächst dazu entschließt, auf den Eintritt ins Kloster zu verzichten und „Weltpriester“ zu werden. Doch auch damit ist der ratgebende Freund nicht einverstanden: während letztlich jeder beliebige Mann Mönch werden könne, weil ein Mönch keine besondere Verantwortung zu tragen hätte, könne nur ein Mann von Vollkommenheit und Berufung Weltpriester werden, wenn auch tatsächlich nur allzu oft das Gegenteil der Fall sei. Eine solche Berufung sei keine Entscheidung der Eltern oder sonstiger Personen, sondern hänge allein vom Willen Gottes ab, der Priester sei ein Vermittler zwischen Gott und den Gläubigen. Die Priester müssten heilig sein, voll Glaube, Gnade und Weisheit, und schon Größere hätten getrachtet, „sich mit so vieler Mühe diesem heiligen und fürchterlichen Dienste“322 zu entziehen. Damit versetzt Cremeri das Priesteramt für den jungen Mann ins Unerreichbare wie auch in eine Region des heiligen Grauens. Dazu käme noch die geforderte Ehelosigkeit der Priester; nicht jeder könne „sein 319 Die Mama will: ich soll ins Closter geh’n. Eine Reihe Antwortschreiben. S. l. 1783, S. 16. 320 Ebenda, S. 20. 321 Ebenda, S. 22f. 322 Ebenda, S. 39.

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freyes Leben mit solcher Strenge vergessen machen“323 wie etwa der heilige Augustinus und Hieronymus, dem „die römischen Mädchen noch im Herzen gestekt, da schon seine kalte Brust mit Steinen zerschlagen war“.324 Daher der Rat: „Prüfe dich nun, wo du die Stärke hernehmen wirst. Mitten unter tausend Einladungen die Reinigkeit des Cölibats zu erhalten? da du noch dazu in Jahren, wo das kleinste Fünkchen die Leidenschaften in reissende Flammen sezet, in den Beichtstuhl in die schlüpfrichste Vertraulichkeit mit schönen Sünderinen gerathen mußt […]. Endlich sage mir, ob es dich nicht schauert, wenn du bedenkst, welche Reinigkeit erforderet wird“.325 Das Amt des Priesters sei es, den Leib Jesu Christi zu wandeln und ihn Gott zu opfern, darum müsse der Priester, ehe er „diese schrökliche Gewalt empfängt“,326 ­seinen Geist und seinen Willen Jesu Christo zum Opfer bringen, „ja sich selbst absterben“,327 „damit in ihm Jesus Christus allein lebe“.328 Diesen hohen Anforderungen stehe aber die Realität des Priesterberufs entgegen: „Priester wird alles, um die Rotte der Kirchendiebe, der Benefizienräuber, der Schaafstallplünderer zu ver­mehren.“329 Diese Worte verfehlen nicht ihre Wirkung, und der junge Mann sieht, wie eingangs erwähnt, von allen kirchlichen Ambitionen ab. Und Cremeri kann zu­ sammenfassen: einzig die verblendeten Eltern hätten den jungen Mann zu seinem Entschluss bestimmt, der es notwendigerweise auch mit sich gebracht hätte, der Geliebten zu entsagen. Mit ihr könne er nun als „guter Weltmann, und zärtlicher Vater“330 glücklich werden, und auch von der Kirche sei großer Schaden abgewendet, da gegenwärtig nur einer von achtzig für das Amt taugen würde. Diese Schrift Cremeris ist auch eine radikale Kritik der Institution des Klosters, nunmehr getätigt nach den ersten Klosteraufhebungen Josephs II. – insbesondere eine radikale Warnung an die Jugend, voreilig und gar auf Wunsch der Eltern den Beruf eines Weltpriesters ergreifen zu wollen, wozu diese Schrift keine Ermunterung bietet. Angesichts dieser im josephinischen Jahrzehnt gebräuchlichen, anhand der Schriften einer im Rahmen der Zensur tätigen Person erläuterten Diskursform stellt sich erneut die Frage, was die Gründe für das Verbot der Neuen Vestallinnen waren. War es schlichtweg die Theatralisierung eines ansonsten ‚legitimen‘ Diskurses? War 323 Ebenda, S. 43. 324 Ebenda, S. 44. 325 Ebenda. 326 Ebenda, S. 45. 327 Ebenda. 328 Ebenda. 329 Ebenda, S. 47. 330 Ebenda, S. 53.

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es der im dramatischen Text notwendigerweise fehlende „Vorbedacht“, den etwa Cremeri zu bemühen versucht? Ist es die zupackende dramatische Sprache respektive der in eindringliche Bilder übertragene Konnex von Sexualität und christlicher Religion? Einiges scheint dafür zu sprechen. Doch mag als struktureller Verstärker noch ein anderer Aspekt von Bedeutung gewesen sein. Durch dieses Stück scheinen, wie durch andere vestalische Dramen auch, generelle Prinzipien der Theaterzensur in Unordnung geraten zu sein. Der Zensor ist unmittelbar mit der eindringlichen Dualität von Tugend und Laster konfrontiert und dadurch notwendigerweise auch mit den Bedingungen und Vorausannahmen zensurieller Praxis. Konfrontiert mit dem ständig wiederholten Satz, dass auf der Bühne die Tugend in ihrem Glanz gezeigt werden müsse und das Laster in seinem Schrecken, erweist sich, dass die Dramenkonstruktion gerade auf der De­ struktion bestimmter institutionell verfügter Tugenden basiert, die sich nunmehr als Quelle allen Lasters herauskristallisieren. Es scheint somit auch die theatrale Vermittlungsform im Hinblick auf den heiklen und politisch vielfach verwobenen Diskurs ein Problem gewesen zu sein: die aus der Sicht einer geheiligten Institution höchst gravierende Normverletzung, auf welcher alle Konflikte im Drama basieren, wird letztlich behoben, indem die bislang gültigen Normen nicht nur aufgehoben werden, sondern die den Konflikt konstituierende Normverletzung letztlich als Triumph der wahren Tugend und Natur zelebriert wird. Sinngemäß klingt dies später, nach dem Tod Josephs II., in Hägelins Begründung seiner Ablehnung von Kotzebues Die Sonnenjungfrau durch, wenn er schreibt, dass in einem katholischen Staate eine Institution wie das „Gelübde“ nicht auf der Bühne aufgehoben und der trotz Normbruch versöhnliche Schluss nur als besonderer Einzelfall dargestellt werden ­könne.331

DER BAUM DER DIANA Doch kam in Wien das vestalische Thema mit äußerst großem Erfolg auf die Bühne, allerdings in pastoraler, mythologischer ‚Verschiebung‘ – und wie schon beim Figaro war es das Musiktheater, das sich eines für das Schauspieltheater problematischen Falls annahm: am 1. Oktober 1787 wurde das von Lorenzo da Ponte parallel zu Don Giovanni und Axur re d’Ormus verfasste Dramma giocoso L’arbore di Diana am Wiener Burgtheater uraufgeführt.332 Es war in den Jahren bis 1792 nach Axur – Da Pontes und Salieris italienischer Neukonzeption des Tarare von Beaumarchais für Paris – das 331 Siehe dazu das Kapitel „Die Sonnenjung frau“ (S. 503–517). 332 L’arbore di Diana. Dramma giocoso in due atti. Da rappresentarsi per l’arrivo di Sua Altezza Reale Maria Teresa Arciduchessa d’Austria: Sposa del Principe Antonio di Sassonia. In Vienna. Presso Giuseppe Nob. de Kurzbek. Stampatore di S.M.I.R.

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meistgespielte Stück des Hauses;333 adaptiert als deutsches Singspiel feierte Der Baum der Diana auch in der Vorstadt, am 1781 gegründeten Leopoldstädter Theater, große Erfolge. Der Dichter bezieht dieses Werk in seinen Memorie explizit auf die von ihm gepriesene Aufhebung der „barbara istituzione monacale“334 durch den Kaiser, seinen Dienstherrn. Die Uraufführung erfolgte anlässlich des Aufenthalts der Erzherzogin Maria Theresia, Nichte Josephs  II. und älteste Tochter des späteren Kaisers Leopold II. (reg. 1790–1792), in Wien. Seinen Memorie zufolge hielt Da Ponte L’arbore di Diana für eine seiner besten Arbeiten – es gibt keine Dichtung, die er so ausführlich beschreibt. Und wenn er sein Werk als „voluttuoso senza esser lascivo“335 bezeichnet, so benennt er damit zugleich die Gratwanderungen, die er unternommen hat – Gratwanderungen, die zu durchaus unterschiedlicher Interpretation Anlass gaben: ein anonymer Wiener Premierenbesucher bemerkte in einem Brief an seinen Prager Freund, das ganze Werk sei äußerst unsittlich und offensichtlich in einem Bordell verfasst worden, und der bekannte Graf Karl von Zinzendorf (1739–1813) hielt es, wie auch den Figaro in Prag, für völlig ungeeignet, einer hohen Braut vorgeführt zu werden.336 Wenn wir Da Ponte Glauben schenken, so dürften jedoch sowohl Joseph II. als auch der für das Theater zuständige Oberstkämmerer Wolf Fürst Rosenberg (1723– 1796) das Werk goutiert haben. Mit L’arbore di Diana entwickelt Da Ponte in der oftmals behandelten Geschichte von Diana und Endymion ein völlig neues Motiv, ­dessen Bedeutung sich für ihn – wie er in den Memorie schreibt – erst allmählich ­herauskristallisierte und womit er einen Nerv der Zeit getroffen zu haben scheint. Der Baum der Gottheit symbolisiert nicht nur eine Institution, eine Ordnung, er ist gewissermaßen auch ein ‚Zensor‘, der belobigt und sanktioniert, gleichsam wie ein Detektor wirkend. Die am Ende ausgerufene „Reggia d’amore“ bedarf dieses Zensor-­Baumes nicht mehr. Auf einer abstrakten Ebene ist dies Stück radikaler und ­‚lasziver‘ als alle zuvor besprochenen verbotenen vestalischen Werke. Doch in den ­hügeligen Welten der Verschiebungen und Gratwanderungen – Welten, die auch der josephinische Zensor durchwanderte – konnte das vestalische Thema bestens reüssieren. Es ist wie schon der Figaro und der etwa drei Monate später aufgeführte

333 Siehe dazu Hadamowsky: Die Wiener Hoftheater. Bd. 1, S. 10. 334 Memorie di Lorenzo da Ponte, da Ceneda in tre Volumi. Scritte da Esso, Seconda Edizione Corretta, Ampliata F. Ac. Cresciuta d’ un intero Volume. E di Alcune Note. Pubblicate dall’ Autore, I. Volume, Parte II. Nuova Jorca: Gray & Bunce 1829, S. 102. 335 Ebenda. 336 Siehe dazu Otto Michtner: Das alte Burgtheater als Opernbühne. Von der Einführung des deutschen Singspiels (1778) bis zum Tod Kaiser Leopolds II. (1792). Wien 1970, S. 435, und Otto Erich Deutsch: Mozart. Die Dokumente seines Lebens. Addenda und Corrigenda. Kassel [u. a.] 1978, S. 54.

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Axur ein genuines ‚Produkt‘ der josephinischen Theaterkultur und ihrer zensuriellen ­Praxis.337

HEILIGE SCHLEIER IM STAUBE. DAS VESTALISCHE THEMA AUF DEM PR AGER TANZTHEATER Was die Bearbeitung des vestalischen Themas für die Bühne betrifft, fußten viele der europaweit gespielten Bühnenfassungen, speziell des Musiktheaters, auf einer Erzählung Jean-François Marmontels (1723–1799), die erstmals 1777 in Paris erschienen war,338 so auch Kotzebues Sonnenjungfrau, welche wie Da Pontes L’arbore di Diana im Unterschied zu den christlichen Klosterstücken auf der Bühne aufgeführt werden konnte, weil die Handlung in einen heidnischen Kontext versetzt war. Die auf Marmontel fußenden Stücke spielen im Reiche der Inkas: Cora, eine Sonnenjungfrau, bricht wegen ihrer Liebe zu einem jungen Spanier ihr Gelübde. Der Bruch des Gelübdes wird entdeckt, Cora wird zum Tode verurteilt, doch kurz vor der Vollstreckung des Urteils wird sie vom König begnadigt und ihres Gelübdes entbunden. In Prag finden wir eine äußerst bemerkenswerte Variante dieses Stoffes noch zur Zeit Josephs II. – eine Bühnenversion, in welcher sich Pantomime, Tanz und Melodrama in neuer Form verbinden und welche eindeutig die aufklärerischen Intentionen erkennen lässt: Cora und Alonzo, 1788 aufgeführt am Prager Nationaltheater.339 In aller körperlichen Eindringlichkeit wird die von Hägelin später beanstandete „Verwerflichkeit“ des „Gelübdes“ in Szene gesetzt. Choreograph dieser theatralen Fassung war Albonico Rolland, der ab März 1788 am Prager Nationaltheater verpflichtet war.340 Cora und Alonzo wurde zuvor schon in Regensburg aufgeführt (1781), wo337 Wie schon im vorigen Kapitel erwähnt, ist auch in diesem Falle davon auszugehen, dass Da Ponte diese Balancen in eigener zensurieller Verantwortung vorzunehmen hatte. 338 Jean François Marmontel: Les Incas, ou la destruction de l’empire du Pérou. Par M. Marmontel, Historiographe de France, l’un des Quarante de l’Académie Françoise. Paris, Chez Lacombe, Libraire, rue de Tournon, près de Luxembourg. M.DCC.LXXVII. Avec Approbation, et Privilege du Roi. Siehe dazu: Karl-Ludwig Löhndorf: Marmontel als intermediale Quelle. Neues zur Rezeptions­geschichte von Jean-François Marmontels „Bestsellerroman“ Les Incas, ou la destruction de l’empire du Pérou. Frankfurt am Main 2009. 339 Cora und Alonzo. Ein karakteristisch pantomimisches Ballet in vier Aufzügen, von Albonico Rolland, mit einem von Prof. Babo verbundenen Melodram. Aufgeführet im königl. altstädter Nationaltheater 1788. Prag, Gedrukt bei Joseph Emanuel Diesbach auf den kleinen Platz No 225, unpaginiert. 340 Rolland war Ballettmeister der Schauspieltruppe von Andreas Schopf, der das Direktoriat der Hochfürstlichen Thurn- und Taxis’schen Schaubühne in der Zeit von 1778 bis 1784 innehatte. Anschließend spielte die Schopfsche Gesellschaft in Augsburg, Donaueschingen und Nürnberg. Rolland choreographierte sowohl eigenständige Ballette als Nachspiele wie auch Ballette, die eine integrale Einheit mit diversen Melodramen bildeten, eine Art Regensburger Spezialität des musikalischen Theaters. Zu Albonico Rolland siehe Alena Jakubcová: „,Ihr Geschmak, soll die

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bei das 1780 in München uraufgeführte zweiaktige Melodram von Joseph Marius von Babo (1756–1822) mit der Musik von Peter von Winter (1754–1824) in eine vieraktige, mit Pantomime und Tänzen versehene Form umgewandelt wurde.341 Das ursprüngliche Melodram nahm dabei den mittleren Teil ein, die Musik des neu hinzugekommenen I. wie IV. Akts wurde von Paul Kürzinger (1724–1797), Orchesterdirektor der Thurn- und Taxis’schen Schaubühne, komponiert.342 Der anlässlich der Prager Aufführung von Cora und Alonzo 1788 erschienene Druck enthält eine Vorrede, eine Zusammenfassung der Handlung sowie eine eindrückliche und detaillierte Schilderung des pantomimischen Geschehens samt den Texten von Babo. Gelegentlich werden dabei auch die Wirkungen beschrieben, die dieses Ballettmelodram beim Zuschauer auslösen sollte.343 Cora und Alonzo ist, wie aus den Texten hervorgeht, engagiertes aufklärerisches Theater – ein Stück gegen herrschende Vorurteile und despotischen Aberglauben, Begriffe, die im Text immer wieder verwendet werden. So heißt es bereits in der kurzen Zusammenfassung der Handlung: „Cora schwört Gelübde, deren schrekliche Folgen sie nicht versteht; wird das Opfer herrschender Vorurtheile; liegt in den unauflösbaren Fesseln des despotischen Aberglaubens. Mittler Weile, da diese betrogene Schöne lange im heiligen Gefängnisse schmachtete, traf einer ihrer raschen Blicke im Tempel einen gewissen Alonzo“344. Dabei ist erstaunlich, wie mittels Schilderung von Bewegungen eine Art Text­ choreographie erzeugt wird, die mit großer Beharrlichkeit immer wieder die Beschreibung der Körperzustände mit der aufklärerischen Botschaft der Bekämpfung des Aberglaubens, des Vorurteils, der Freiheitsberaubung, der Unterdrückung von

Richtschnur des Meiningen seyn…‘ Albonico Rollands Ballett-Inszenierungen von Regensburg und Prag (1781–89)“. In: „welt macht theater“, S. 40–49. 341 Vgl. ebenda, S. 43. 342 Ebenda. 343 „Das Melodram Kora und Alonzo, hat in den Augen jedes denkend empfindsamen Kenners, so viele Reize so viel Anzügliches für das Herz, daß ich mich dadurch veranlaßet sahe selbes mit karakteristischen der Handlung angemessenen Tänzen zu vereinigen. Meine Absicht war: das erhaben Schaudervolle welches erschüttert und dem Auge Thränen des teilnehmenden Schmerzens entlokt – so wie das, in reinen Empfindungen, sanft hin schmelzende Gefühl der wonnevollsten Freude mit Pantomime und Tänzen auszudrücken. Ob mir dieser Versuch einigermassen gelungen, darüber E r l a u c h t – u n d Ve r e h r u n g s w ü r d i g e ! erwarte ich mit bescheidener Ehrfurcht D e r o Urtheil. Ihr Geschmak, soll die Richtschnur des Meinigen – I h r gnädig und gütiger Beifall, die süßeste Belohnung der Kunst – die Triebfeder meiner künftigen Unternehmungen seyn.“ Cora und Alonzo, Vorrede. 344 Ebenda, Inhaltsangabe.

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Körperlichkeit verknüpft. Dieser choreographische Text ist weit radikaler als die eingefügten Sprech- bzw. Gesangstexte Babos. Der I. Akt zeigt die Weihung Coras als Sonnenjungfrau, ein fast ausschließlich pantomimisch-tänzerischer Teil, der verbale Sprache nur sehr selten und gezielt einsetzt. Dieser I.  Akt ist nicht bloß tänzerische, weihevolle Einstimmung; vielmehr wird bereits die Weihung zur Sonnenjungfrau als Akt der Unterdrückung in Szene gesetzt: „Cora, mit den eisernen Banden ewiger Gelübde gefesselt, schon mit dem Kleid der frommen Tirannei beschwert – die nicht mehr freie, nicht mehr sich selbst überlassene Cora – nun eine leidende Sklavin aufgebürdeter Gesetze, läßt ihre sehnenden Augen umher irren, den Gegenstand ihres getäuschten Herzens, den ihr wie im Traum vorschwebenden Alonzo aufzuhaschen. Das Buch *** Gesetze liegt am Altar, Cora kniet am Fuße desselben, nun bald das unschuldige Schlachtopfer des Aberglaubens und schwarzer Vorurtheile.“345 Nachdem Cora Alonzo gesehen hat, ertönt das erste Mal die menschliche Stimme in diesem Stück, als Frage des Oberpriesters und Aufforderung des Vaters, dem Priester das Gelübde zu leisten: „Und sie spricht mit zitternden Lippen aus das entsezliche Ja! – indem sie noch einen raschen Blik auf Alonzo warf. Die Oberpriesterin und Ataliba [der König] bestättigen dieses Ja, welches die Natur in Aufruhr brachte, und Coras und Alonzos bangen Busen erschütterte!“346 Zu den ersten gesprochenen Worten zählt somit das in das Medium der Schrift übersetzte Gelübde, das hier in einen Sprechakt überführt wird. Sprache und Schrift werden bewusst in Distanz zum Körper eingesetzt. Die Erregung, die dieses „Ja“ im ‚choreographischen Textkörper‘ erzeugt, findet ihren körperlichen Ausdruck in dem nahezu verschwindenden „Ja“ der Cora.347 Der I. Akt schließt mit den Worten:

345 Ebenda, I. Akt. 346 Ebenda. 347 Mit dem Erscheinen der Sonne erfolgt der erste längere Text, die andächtige Rede des Ataliba: „Sieh also den Tribut, den ich dir itzt bringe, nur als ein feierliches Zeichen, der Dankbarkeit und Liebe an; – für mich ist es eine Verbindung zur Pflicht; für die Unglüklichen ist es ein Anspruch – und die unverbrüchlichste Bürgschaft der Rechte – die sie auf meine Wohltaten haben.“ Ebenda.

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„Cora sinkt gebeugt zur Erde: Folternder Zwang drükt an ihren jungfräulichen Busen, ihr gepreßtes Herz schlägt nach einen angenehmern Ort, und in dieser Lage fällt der Vorhang zu.“348 Auch hier wird eine spezifische Text-Wort-Choreographie gewählt, welche Körperhaltungen und Stimmungen inszeniert, die jeweils im Kontext der aufklärerischen Gesamtchoreographie verortet werden. Während des Monologs der Cora im II. Akt über die Grausamkeit des Gelübdes setzt ein Blitz den Tempel in Flammen, Alonzo führt die verwirrte Cora aus der „Höhle des Todes“. Auf der Flucht wird die Sonnenjungfrau, die sich ob der Verletzung der heiligen Gesetze als Verbrecherin fühlt, gemeinsam mit Alonzo festgenommen. Coras Vater, den als „Erzeuger“ der verbrecherischen Tochter ebenfalls die Todesstrafe erwartet, plagen nun große Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ordnung. Cora wird zur Hinrichtung geführt, gemeinsam mit ihrem Vater wie auch ihren Brüdern (III/4): „Ach! – da ist der Tod in seiner gräßlichen Gestalt! – warum ihr Götter, warum so grausam gegen mich! – was that ich euch? […] mein Herz hat mich zu diesem Fehltritt verleitet, den ihr so unbarmherzig straft, und dieses Herz erhielt ich von euch – Unseliges Gefühl, das mich in diesen Abgrund stürzte! – Hier nagt der Gedanke von Vatermord! – O du mein Vater! O meine Brüder! ich lieb euch mit heisser unbegränzter Liebe, und das Gesetz macht mich zu eurer Mörderin.“ Ihre Schuld thematisiert Cora auch im Gespräch mit ihrem Vater (III/5): „Aber sag mir Vater, ist denn mein Verbrechen wohl so groß, daß es diese harte Strafe verdienet hat?“ Der Vater gibt eine indirekte Antwort: „Das dörfen wir nicht untersuchen, Cora! unsre Ehrfurcht gegen die Gesetze soll so groß, so unbedingt sein, als der Gehorsam, den wir der Gottheit schuldig sind, zu deiner Beruhigung, mein Kind höre eine Wahrheit von mir“. Und er nimmt in der Folge alle Schuld auf sich und sieht seine Bestrafung als exemplarisch an, als Strafe dafür, seine Tochter gedrängt zu haben, in den heiligen Dienst zu treten: „Es ist eine Warnung für jeden Vater, […] Der Vater verdient den Tod, mehr als den Tod, der seine Tochter – – – genug!“ Angesichts des bereits entzündeten Scheiterhaufens hebt Alonzo vor dem König zu einer großen Verteidigungsrede an (III/7). „O König, höre was die Natur zu diesem Urtheil spricht! […] ist diese reine Liebe ein Verbrechen? Nein! nein! nur eure Gesetze machen sie dazu. […] O glaube mir, ihr verkehret den Willen der Gottheit, eure Vorurtheile betäu348 Ebenda.

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ben die Vernunft gegen den lauten Ruf der Natur, durch welche die Gottheit spricht! wollt ihr dem barbarischen Gebrauche, dem Vorurtheil ein Blutopfer bringen, so tödtet mich! ich bin der Verbrecher euerer Gesetze!“ Der König ist von dieser Rede bewegt und bekennt nun, den Willen der Gottheit missverstanden zu haben. So hebt er das Urteil gegen Cora und ihre Familie auf und entbindet Cora von ihrem Gelübde. Er stellt aber auch allen anderen Sonnenjungfrauen frei, ihren wie auch immer zustande gekommenen Entschluss neu zu überdenken. Die Reaktion auf dies Angebot des Königs wird in ein einfaches, aber eindrucksvolles pantomimisches Bild übersetzt: Alle Sonnenjungfrauen, mit Ausnahme der Oberpriesterin, werfen ihren Schleier vom Haupt als wirkungsvolles Zeichen ihrer künftigen Freiheit. Der Text des „Szenars“ endet mit den Worten: „So wurden doch endlich nach vielen Trübsalen einer leidenden Liebe das schwarze Vorurtheil und der schändliche Aberglaube diese Pest menschlicher Vernunft überwunden, und die Menschheit siegte in ihrer wahren Würde, im Triumfe“.349 Auf der Prager Bühne des Jahres 1788 wird mit aller Deutlichkeit vollzogen, was Hägelin, seit 1786 nicht mehr für das Prager Theater zuständig, 1791 – nach dem Tode Josephs II. – glaubte auf der Bühne nicht mehr zulassen zu können: die Inszenierung der „Verwerflichkeit“ des Gelübdes, in der Pantomime durch bloße Gestik in wirkungsvollere Bilder gesetzt als es vielleicht in verbaler Form möglich gewesen wäre. Es gibt keinerlei Hinweise, dass dieses Werk, schon zuvor in Regensburg aufgeführt, in Konflikt mit der damaligen Zensur geraten wäre. Das Stück zeigt, in welcher Vielfältigkeit und in welchem Nuancenreichtum ein Thema, das besondere zensorische Aufmerksamkeit erregte, auf die Bühne gebracht wurde. Das zentrale Motto, welches später, im Stück von Kotzebue, dem Strich des Zensors anheimfällt, ist in dieser Version nicht außer Kraft gesetzt: „Vernichtet sei das Gesetz“.

DIE SONNENJUNGFR AU. SZENOGR APHIE DER REVOLTE August von Kotzebues Die Sonnenjungfrau, Hägelins Paradebeispiel für den Verstoß eines Stoffes gegen Sitte, Religion und Staat,350 nimmt in der Handlungskonstruktion einige deutliche Zuspitzungen vor. So führt der Dichter eine Sonnenjungfrau vor, die 349 Ebenda, IV. Akt. 350 Kotzebues Schauspiel wurde noch zu Lebzeiten Josephs II. aufgeführt, allerdings außerhalb der k. k. Erbländer in Reval, im Dezember des Jahres 1789. Ein Leipziger Druck des Jahres 1791 erschien auch in Wien als eines von drei Dramen des 15. Bandes der Theatralischen Sammlung (Theatralische Sammlung. Fünfzehnter Band: Die Sonnen-Jung frau; Das Kind der Liebe; Der gereiste Bräutigam. Wien, verlegt und zu finden bei Johann Jos. Jahn, im Gundelhofe Nro. 534, 1791). Dieser Band

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bereits schwanger ist und die sich trotz einiger Zweifel ohne Schuld sieht – Kotzebues Protagonistin hat ein naives Selbstvertrauen, dass das, was sie aus Liebe getan hat, nicht schuldhaft sein könne. Es ist ihr Geliebter Alonzo, der – im Wissen um die fatalen sozialen Konsequenzen dieser Schwangerschaft – von der Situation in hohem Maße beunruhigt ist. Und weit stärker als in der pantomimischen Version des Stoffes wird in Kotzebues Stück die Frage von Macht und Herrschaft zum Gegenstand der Handlung gemacht. Das auch bei Kotzebue vorgesehene versöhnliche Ende wird nicht allein durch die Einsicht des Herrschers hergestellt, sondern ein Aufruhr wirkt als Katalysator für den glücklichen Ausgang: die Sanktionierung der Verbindung von Cora und Alonzo wie die Aufhebung der Institution des Kultes der Sonnenjungfrauen samt des damit verbundenen Gelübdes der Keuschheit, welches gegen Ende des Dramas selbst vom Oberpriester als nunmehr dysfunktionale Ordnung deklariert wird. Hägelin hat – wie bereits erwähnt – zwei Punkte bezeichnet, welche einer Aufführung dieses Dramas im Wege standen, zwei „Fehler“, wie er es nennt, die er im „Stoff“ gegeben sieht: die Schwangerschaft der Sonnenjungfrau sowie vor allem die Lehre von der Verwerflichkeit des Gelübdes. Dabei ist höchst erstaunlich, dass Hägelin, der in seiner Zensurschrift des Jahres 1794 so ausführlich auf die „jetzigen Zeitumstände“ eingeht, mit keinem Wort erwähnt, dass zu den stofflichen Konstituenten des Dramas ein Aufruhr gegen den König zählt, eine Konstellation, die Hägelins weiteren Ausführungen zufolge „dermal“ niemals Gegenstand eines Bühnengeschehens sein könnte, noch dazu ein Aufruhr, der dramaturgisch als wichtiger Katalysator fungiert. Man sollte meinen, dass Hägelin dies angesichts der „jetzigen Zeitumstände“ an erster Stelle hätte nennen müssen. Es ist ebenso bemerkenswert, dass Hägelins Musterbeispiel für die Anstößigkeit eines theatralen Stoffes letztlich nicht nur in Wien, sondern überall in den ­Erbländern mit Erfolg gegeben wurde. Die Aufführung wurde durch eine Vielzahl von Abänderungen ermöglicht, welche den Anschein erwecken sollten, dass zumindest diese ‚zwei Hauptfehler‘ behoben worden seien. Darauf geht Hägelin auch in seiner Schrift von 1794 ein. „Als man es [das Schauspiel Die Sonnenjungfrau] in Wien aufführen wollte, so mußte der Theaterdichter [Johann Friedrich] Jünger das Stück beinahe umschmelzen, die Schwangerschaft der Cora und die Aufhebung des gesetzlichen Gelübdes wegschaffen, welches letztere dadurch geschah, daß statt der Aufhebung des Gesetzes in diesem besonderen Falle davon nur davon dispensirt wurde.“351 enthält den Text von: Die Sonnen-Jung frau. Ein Schauspiel in fünf Aufzügen. Von August von Kotzebue. Leipzig 1791. 351 Franz Karl Hägelin: Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Angelegen-

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Es ist weiters bemerkenswert, dass Hägelin als Musterbeispiel nicht eines der zuvor besprochenen Stücke nannte, die aufgrund ihrer Konstruktion ein deutliches Verbot nach sich zogen, wie etwa Die Neuen Vestallinnen oder Der Frömmler, sondern ein Stück, das letztlich trotz grundlegender Einwände doch aufführbar war. Die Fassung der Wiener Erstaufführung vom 5. Jänner 1791 am Burgtheater352 ist in handschriftlicher Form als Zensurexemplar überliefert – von der Forschung bislang unberücksichtigt.353 Das im Wiener Theatermuseum aufbewahrte Exemplar, welches im Handzettelkatalog nicht aufgeführt ist, trägt die Unterschrift Hägelins: „Kann mit correcturen gedruckt und aufgeführt werden. Hägelin“,354 versehen mit dem Kommentar: „Die mit Röthel, bleystift oder tinte durchstrichenen Stellen sind auszulassen, und die aufgelegten Blätter und Abänderungen wohl zu beobachten“.355 Der handschriftliche Text basiert auf der Originalfassung von Kotzebue. Damit wird die massive Umarbeitung nachvollziehbar. Offensichtlich handelt es sich dabei um jene von Hägelin genannte Umschmelzung von dritter Hand, die ihm zur definitiven Genehmigung vorgelegt wurde. Der so „umgeschmolzene“ Text findet sich in nahezu identischer Form wieder in einem Wiener Textdruck des Jahres 1801, ausgewiesen als Fassung des k. k. Hoftheaters.356 In Kotzebues Schauspiel erfährt das Motiv der abtrünnigen Sonnenjungfrau eine weitere, die Energie der Handlungsentwicklung bestimmende Duplizierung: der Feldherr namens Rolla, der am Ende des Dramas die Revolte zur Befreiung der zum Tode verurteilten Cora anführt und der sie ohne Gegenliebe liebt, ist der Sohn einer wegen eines vergleichbaren Fehltritts hingerichteten Sonnenjungfrau. Sein rebellischer Akt ist somit auch Rache für die aufgrund grausamer Gesetze getötete Mutter. Kotzebues Gestalten sind in diesem, fast könnte man sagen, filmisch ausgefeilten Schauspiel mit Dialogen unterschiedlichster Qualität und Präzision versehen, nicht ohne Perfidie, gepaart mit der Schilderung edler und hehrer Charaktere. Der Feldherr Rolla übt trotz seiner großen Leidenschaft für Cora Verzicht und trägt ihr brüderliche Liebe an – doch hinter diesen hehren Gesinnungen verbirgt sich bei ihm ein Bündel unkontrollierter Energie und Destruktion. Eine zentrale Figur ist sodann der heiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 4h. 352 Weitere Aufführungen im selben Jahr: 7., 11., 13., 19. und 25. Jänner, 2., 16. und 28.  Februar, 15. März, 5. und 11. April, 13. Juni, 31. August sowie 4. und 13. Dezember; die beiden letztgenannten Aufführungen fanden am Kärntnerthor-Theater statt (Hadamowsky: Die Wiener Hoftheater. Bd. 1, S. 117). 353 Die Sonnenjung frau. Ein Schauspiel in 5 Aufzügen von Kotzebu, für das k. k. Hoftheater, Zensur-­ Manuskript, Österreichisches Theatermuseum, 58 Ser. Nov. 4941. 354 Ebenda, f. 97h. 355 Ebenda. 356 Die Sonnenjung frau. Ein Schauspiel in fünf Aufzügen von August von Kotzebue. Für das k. k. Hoftheater. Wien, auf Kosten und im Verlag bey Joh[.] Baptist Wallishausser, 1801.

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Oberpriester, Rollas Oheim, der den ideologischen Machtapparat nur mehr unwillig trägt und sich von der Verurteilung Coras dispensieren lässt; am Ende des Stückes, kurz vor dem lieto fine, agiert er als Aufklärer, der die geheiligte Institution des ­Kultes der Sonnenjungfrauen gleichsam ‚historisch-materialistisch‘ zu analysieren versucht. Ataliba, der König, verfügt nur noch über eine ausgehöhlte Macht und trägt die ihm von Tradition und Gesetzen aufgenötigten Entscheidungen nur noch widerwillig. Die Sonnenjungfrau Cora, die bereits bei ihrem ersten Auftritt keine Jungfrau mehr ist, wird im Gestus unschuldsvoller Rebellion gezeigt, auch wenn sich gegen Ende des Stückes angesichts der drohenden schweren Sanktionen diverse Schuld­ gefühle bei ihr einstellen. Kotzebues Protagonistin erscheint stets geleitet von der Authentizität ihrer Gefühle, und sie ist sich bis zur Aufdeckung ihres Vergehens keinerlei Schuld bewusst, im Unterschied zu ihrem Geliebten Alonzo, der an den unausweichlichen Folgen seiner Handlungen leidet und sich auf Zureden seines Freundes Don Juan, eines sehr ‚realen Politikers‘, bereits überlegt hatte, diese Beziehung aufzugeben. Dementsprechend ist die Enthüllung der Schwangerschaft, einhergehend mit der damit zur Schau getragenen Naivität Coras, für ihn in höchstem Maße bedrohlich. Die Schwangerschaft Coras wurde in der Zensurfassung restlos aus dem Text eliminiert – wahrscheinlich war sie dennoch in der Vorstellung der Zuschauer vorhanden, die im Prinzip die Möglichkeit hatten, den ungekürzten Text zu lesen. Dementsprechend musste vor allem jene Szene abgeändert werden, in welcher Cora ihrem Geliebten freudevoll von der Schwangerschaft berichtet. Ebenso eliminiert wurden alle Erwähnungen von Rollas Mutter in ihrer Rolle als gefallene Sonnenjungfrau. In der Folge werde ich detailliert auf die Schlussszenen des Dramas eingehen, die eine gleichsam paradoxe Szenographie des Aufruhrs zeigen. Aus zensurieller Per­ spektive ist in besonderer Weise faszinierend: wie wird ein, zumindest laut den Richtlinien des Zensors aus dem Jahre 1794, unaufführbares Thema dennoch auf die Bühne gebracht? Die Schlussszene des V. Aktes enthält sowohl den von Hägelin beanstandeten Fehler der Lehre von der Verwerflichkeit des Gelübdes wie vor allem auch den Aspekt sozialer Empörung. Dieser letzte, von Hägelin bei seiner Fehleranalyse nicht genannte Aspekt war jedenfalls ein gewichtiger Punkt der bearbeitenden Eingriffe – man kann durchaus sagen, dass auf der operativen Seite gerade in diesem Feld die massivsten Eingriffe getätigt wurden. Die Rebellion am Ende des Stückes hat dramaturgisch eine katalysatorische Funktion, sie erst ermöglicht eine glückliche Lösung, die sich trotz aller Ambivalenzen der Funktionsträger von ‚Krone‘ wie ‚Kirche‘ andernfalls nicht hätte ereignen können. Und diese Rebellion findet trotz aller Zensureingriffe auf der Bühne statt. In welcher Weise versucht nun der unter zensurieller Perspektive tätige Bearbeiter 506

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oder der Zensor selbst, diese zu kanalisieren? Zunächst geschieht dies schon im Vorfeld der Rebellion, wo in allen Szenen, in denen von möglichen Widerstandsakten die Rede ist, jene Worte eliminiert werden, die auf „Aufruhr“ und „Umsturz“ hindeuten, ebenso jene Teile, wo es um die Rechtfertigung des Widerstandes geht, so in der 5.  Szene des IV.  Akts in einem Dialog zwischen Rolla und Juan, dem Freund Alonzos. Die Streichungen durch zensuriell bedingte Eingriffe sind als solche markiert. „Rolla. […] welches Verbrechen ist größer: ein unmenschliches ­G esetz geben, oder es auf heben? Juan. Das letztere ist eine Tugend. Rolla. Die wir üben wollen. Juan. Wir? – Haben wir Recht dazu? Diese Tugend zu üben steht nur in der Macht des Königs. Rolla. Wir wollen dem Könige rathen. Juan. Das wollen wir. Rolla. Mit gewafneter Hand. Juan. So ein Rath wäre Aufruhr. Rolla. Was liegt am Namen? Wenn nur was Gutes bewirkt wird.“357 In diesem Teil des Dialogs sind nur Rollas unbedenkliche Worte: „Wir wollen dem König rathen.“ und Don Juans Replik: „Das wollen wir.“ stehen geblieben. Somit wird die Vorbereitung des Widerstands, bei dem Alonzos Freund Don Juan eher bremsend wirkt, lediglich angedeutet, im Sinne des „Rathens“, welches Rolla in der originalen Fassung allerdings auch als potentiellen Gewaltakt auffasst. Dennoch: der Aufruhr findet auf der Bühne statt, wenn auch alles versucht wird, dieses Wort sprachmagisch zu eliminieren, so in der Erzählung des Kämmerlings (V/5), der dem König von den aufrührerischen Ereignissen berichtet: das Heer sei bereits zu des Königs Widersachern übergelaufen. Dies wird auch in der Zensurfassung beibehalten. Lediglich der eingangs erwähnte zusammenfassende Satz „Die Flamme des Aufruhrs wütet“ ist eliminiert, und das Volk „tobt“ nicht auf den Straßen, sondern „läuft“ dort auf und nieder. „Kämmerling. Vergieb mir, Puca, ich bringe schlimme Bothschaft. Die Flamme des Aufruhrs wütet. Das Volk tobt [überschrieben mit „läuft“] die Straßen auf und nieder. Mit Kriegsgeschrey sammelt sich das Heer von allen Seiten, Trommeln und 357 Die Sonnenjung frau, Zensur-Manuskript, f. 68vf.

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­ örner tönen, Waffen klirren, ein Wald von Lanzen zieht H herauf. Alles läuft und schreyt durcheinander: keine Antwort auf tausend Fragen; nur den Namen Rolla tragen zehn­ tausend Stimmen gen Himmel! Der Fremdling Velasquez mit seiner Schaar hielt seitwärts auf der Wiese, ich sah ihn, wie er von einem zum andern lief, aus seinen Geberden schloß ich, daß er bat und drohte, um das Häufchen zusammen zu halten, aber vergebens! Einer nach dem andern gieng zu Rolla über. / : die ganze Versammlung, den König aus­genommen, zeigt Bestürzung und Unruhe : /“.358 Es ist erstaunlich, wie nah der Bearbeiter in diesem Fall am Originaltext bleibt. Aufruhr, Flamme, Toben scheinen die zentralen angstauslösenden Worte zu sein, und dies im Kontext der Erwähnung des Wortes „Volk“. Aber in der Folge wird nicht verschwiegen, dass das Volk auf den Straßen ist und zu Zehntausenden dem Feldherrn Rolla zuruft – wollte man den Inhalt des auf der Bühne gesprochenen Textes in kurzen Worten zusammenfassen, käme man auf die Worte, die eliminiert wurden. Auch in der Replik des Königs, welcher der Einzige ist, der in dieser Situation die Contenance zu bewahren versucht, wird die Benennung des „Aufruhrs“ gestrichen – was allerdings konsequent ist, da durch die entsprechende Eliminierung im Bericht des Kämmerers dies Wort kein Bezugspunkt für die Replik des Königs sein kann. „Ataliba.

Was ist das? – weiß mir niemand zu sagen, was das bedeutet? / : Alles schweigt : / zum Kämmerling : / Rolla sagst du an der Spitze des Heeres? Das kann nicht Aufruhr seyn. ­Rolla und Aufruhr! nein, Du irrst. Hast Du ihn selbst gesehn!“359

Der Kämmerling fährt fort mit der Beschreibung der Bewegungen, die Gewalt verheißen, mit den Leidenschaften, die ihn umgaben, ohne allerdings das Wort „Aufruhr“ erneut zu verwenden – diese Fortsetzung der Schilderung wird ohne jeden Strich übernommen. Rolla stürzt herein, „ein entblößtes Schwerth zu seiner Rechten, einen Wurfspiess in seiner Linken“, begleitet von mehreren Anführern seiner Truppen (V/6). Dem Vorwurf des Priesters Xairas („Entweihung des Tempels!“), der anstelle des sich selbst dispensierenden Oberpriesters die Untersuchungen gegen Cora geleitet 358 Ebenda, f. 89vf. 359 Ebenda, f. 89h.

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hatte, hält Rolla kämpferisch entgegen: „Den habt ihr durch Bluturtheil entweiht“. Diese unmittelbare theatralische Bewegung der Empörung wird ohne Streichungen im Dialog wie in den Bühnenanweisungen übernommen. Nun tritt der König in Aktion, und Kotzebue zeigt ihn als einen in der Psychodynamik der Macht geschulten Herrscher. Er befiehlt dem Priester, der noch weitere aufgeregte Worte von sich gibt, zu schweigen. Er wendet sich an Rolla, indem er ihm signalisiert, sich nicht an ihn, sondern an einen unbekannten Mann zu wenden, und fordert Auskunft, wer er sei. So versucht der König durch seine Autorität die Situation neu zu definieren, indem er gleichzeitig die bedrängte Situation überspielt, in der er sich befindet. Auf Rollas Replik, ob der König ihn nicht erkenne, erwidert Ataliba in scheinbarer Gelassenheit: „Ich hatte einst einen Feldherrn, der Dir ähnlich sah. Er hieß Rolla, und war ein edler Mann. Aber wer bist Du?“ (V/6) Diese Ab­ erkennung der Identität dem konkreten Mann gegenüber wie die positive Zu­ erkennung gegenüber der Identität des Namens der ihn bedrohenden Person ist gleichzeitig die einzige Möglichkeit für den König, sich mit Würde auf eine Gesprächssituation einzulassen, ein für alle durchschaubares Spiel – Reales und Fiktives gehen so eine spezifische Verbindung ein. Das Kalkül des Königs geht zunächst auf. Rolla besteht auf der Realität seiner Person, indem er das Spiel mit seiner Identität als Spott zurückweist, aber diese Zurückweisung ist mehr eine Bitte, der König möge auf Spott in dieser Situation verzichten: „Keinen Spott, Puca! um Gotteswillen keinen Spott!“ (V/6) Rolla geht auf die vom König ins Spiel gebrachte ‚Spaltung‘ ein und begibt sich somit in eine defensive Position: er gesteht, sich nicht mehr zu kennen und von einem Sturm fortgerissen zu sein, und bekräftigt dem Herrscher gegenüber Liebe und Hochachtung. Ein weiterer Zensureingriff in dieser Szene findet sich in der folgenden Replik des Königs. Wiederum kreisen die Striche um das Wort „Aufruhr“, diesmal in Zusammenhang mit den Provinzen eines Landes. „Rolla dacht ich immer, mein Vetter Rolla – so lange ich den noch habe, mag der Beherrscher von Cusko toben, mögen aufrührerische Provinzen freveln; sein Heldenmuth ist ein Baum, in dessen Schatten ich ruhig schlummre.“360 Dies vom König angebotene Bild des Friedens samt seiner suggestiven Kraft versucht nun Rolla, wiederum in die Offensive gehend, zu konterkarieren mit einem Bild des Wirbelwindes. Der König greift diese Rede auf, indem er erstmalig die Gesprächssituation explizit thematisiert und weiter zu legitimieren versucht, warum er sich auf eine solche einlässt. Er erteilt die Erlaubnis, zu reden, und versucht diese 360 Ebenda, f. 91v.

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Erlaubnis in dieser außergewöhnlichen Situation als einen Tauschakt darzustellen: als nachträgliche Belohnung für einst nicht entlohnte Heldentaten, ein Tausch, der gleichzeitig eine Rückbindung des abtrünnigen Feldherrn samt seiner Bataillone an den Herrscher zum Ziel hat. Nun folgt eine sehr eigenartige, teilweise sentimentalisch anmutende Rechtfertigungsrede von Rolla, fast schon wie eine Bekenntnisrede in einer gruppentherapeutischen Sitzung anmutend. Der Feldherr versucht in spezifischer Begrifflichkeit die psychische Energie für seine Handlungsmotivationen ins Spiel zu bringen und diese auch noch entwicklungspsychologisch zu verorten. Der Feldherr mutiert gewissermaßen zu einem pubertierenden Jüngling und agiert somit wiederum aus der Situation der Defensive heraus, als ob er eine unmittelbare Antwort auf das Tauschangebot des Königs geben wollte. Er war gekommen, zu fordern („heute gehört mir die Welt“), hatte den Aufruhr organisiert samt den dafür notwendigen aggressiven Energien und befindet sich nun in einer Situation, wo er Rede und Antwort stehen muss und wo er am Ende seiner Rede vor dem König niederkniet, um für das Leben Coras zu flehen. Er sagt aber nicht knapp und einfach, was er fordert, sondern er beginnt, sein Leben zu erzählen. Gerade diese so psychologisch anmutende, die Defensivposition Rollas ausbauende Szene ist der Kürzung fast zur Gänze zum Opfer gefallen. Man würde zunächst denken, dass gerade diese Ebene, welche das Machtspiel zumindest kurzfristig in ein Psychodrama verwandelt, möglicherweise weniger mit Zensurerfordernissen zu tun hätte, sondern eher einer szenischen Ökonomie zuordenbar sei. Doch wenn man sieht, durch welche Sätze diese Rede des Rolla ersetzt wurde, und wenn man an die strukturellen Aspekte seiner Argumentation im Hinblick auf die „jetzigen Zeitumstände“ denkt, ist gut nachvollziehbar, dass auch dieser Strich, wie alle übrigen, von Zensurimperativen bestimmt war. „Rolla.

Ich habe nur ein Wort zu meiner [überschrieben mit „ihrer“] Vertheidigung. Laß es gelten, Puca, wenn Du mehr Mensch als Göttersohn bist! Ich liebe! Als ich noch ein Knabe war, schlich sich das schon in mein Herz, so freundlich, so behaglich, so ohne alle ­Unruh, daß ichs mit Wohlgefallen hegte und pf legte. Damals war die Liebe ein heiterer Tag in meiner Seele, bis das Jünglingssalter dazwischen stürmte. Da sollte alles biegen oder brechen. Da sollte alles nach meinem brausenden Kopf gehn. Liebe war da mein ganzes Streben, und Gegenliebe, und süße Trunkenheit und Schwelgerey in Cora’s Armen, ohne Gedanken an Vaterland und Ehre, an den edlen Stamm der Puca’s, von dem auch ich ein Zweig bin. Mein guter

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Oheim wollte den Strom dämmen, oder in ein anderes Bett leiten, da sandt er mich in den Krieg, da sollt ich austoben, auf der Leiter der Ehre emporklimmen, und auf die Liebe herunterblicken. Vergebens! die Liebe wars, die mit mir emporklimmte; die Liebe wars, die mir Heldenmuth gab! Alles Große und Gute, was ich für Dich gethan haben mag, das hat durch mich die Liebe gethan. Sie war meine Gefährtin auf jedem Schlachtfelde. Wenn hier und da und dort, der Tod mir die Zähne wies, ach! ich dachte nie an Dich, Puca, nie Deinen Thron, nie die Wohlfahrt des Vaterlandes, ich dachte nur Cora! Cora sollte mich bewundern! Mir bist Du nichts, alles der Liebe für Cora schuldig. Und dieser ­L iebe sollst Du heute verzeihen. Sieh, ich bin ein Mann ­geworden, aber in meinem Herzen ist noch Alles wie es war: der Sturm der Jünglings-Jahre, der schöne Traum des Knabenalters! und so ist das ein Baum geworden, dessen Wurzeln so innig mit meinem Leben verwachsen sind, daß Du ihn nicht ausreißen kannst, ohne mich zu vernichten.“361 Diese lange Rede in der langen 6. Szene des V. Aktes ist durch folgenden kurzen Teil ersetzt, der einen deutlich abweichenden Inhalt bringt: „Rolla.

Ich habe nur ein Wort zu ihrer Vertheidigung. Cora ist unschuldig. Ich bin strafbar! Ich wars, der ihr zur Flucht rieth. Ich verbarg sie in meiner Höhle. Strafe mich, und laß sie frey!“362

Bevor ich auf diese Texte weiter eingehe, sei der beibehaltene Schluss von Rollas Rede zitiert. „Rolla.

[…] Sei gnädig, Puca! Sei menschlich! Ich bitte knieend um ihr Leben! / : er kniet nieder : / Seit Cora den verlaßnen ­Rolla Bruder nannte, ist Rolla stolz geworden; aber doch bitt ich knieend um meiner Schwester Leben!“363

361 Ebenda, f. 91h–92h. 362 Ebenda, f. 91h. 363 Ebenda, f. 92h.

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Wäre die oben angeführte lange Rede des Feldherrn Rolla bloß gestrichen worden, wäre weit weniger augenfällig, inwiefern sich die Zensur gerade für diese Stelle, den längsten Strich in der Aufruhrszene, in besonderer Weise interessiert hat. Der Ersatz für Kotzebues Text lässt die Dynamiken der Transposition erkennen. Daher möchte ich zunächst auf den kurzen Textersatz eingehen. Vom ursprünglichen Text wird nur der erste Satz übernommen, dieser jedoch durch Austausch eines einzigen Wortes völlig ummodelliert. „Ich habe nur ein Wort zu ihrer Verteidigung“: aus der Verteidigung Rollas wird die Verteidigung Coras. Von einer solchen ist im ursprünglichen Text keine Rede. Es geht dort ausschließlich um die Verteidigung des Feldherrn. Auch ist in Rollas Text keine Rede vom Eingeständnis einer Schuld oder gar von einer Aufforderung zur Bestrafung wegen einer angeblichen Mitschuld. Die an dieser Stelle radikal abgeänderte Rolle des Rolla, der sich nicht einmal mehr verteidigt, verdeutlicht, dass die von ihm in Szene gesetzte Verteidigung nicht so gerne gesehen wurde, eine Verteidigung, die auch den König nicht ungerührt lässt. Was jedoch besonders ins Gewicht fällt, ist, dass dieser Text bei allem scheinbaren psychodramatischen Wust eine strenge innere Logik zeigt. Was Rolla hier mit „Liebe“ auf dem politischen Machtparkett beschreibt, ist ja nicht schlicht die nunmehr „brüderliche“ Liebe zu Cora, die ihn jetzt zum Aufruhr treibt. Was er in seiner Verteidigung zu beschreiben versucht, sind die dahinterstehenden Energien, die teilweise schwer zu kanalisieren sind, Energien, die lebensgeschichtlich verwurzelt sind, Energien, die allerdings auch auf andere Felder lenkbar sind und eine Befriedigung verheißen, die nicht der Logik dieser Felder entspringt. Letztlich ist die Liebe zu Cora nur eine Metapher für diese Energien. Die Heldentaten des Feldherrn für den König werden gewissermaßen entblößt, der Kriegsruhm und die Verdienste um das Königshaus verblassen. Der Rebell und der ehemalige Kämpfer des Königs ist von derselben Energie getrieben. Der Held und sein Kampf fürs Vaterland, sein Kampf gegen den Feind wird einer Demaskierung unterzogen, der öffentliche Raum wird ein Abstractum und ist nicht mehr mit unmittelbaren Tugenden gefüllt, schon gar nicht zum Zwecke der Rekrutierung. Die Liebe, wenn auch in emphatischer Semantik gehalten, kann der Gesellschaft gegenüber destruktiv wirken (wie schon in den verbotenen Tragödien der 1770er Jahre), sie kann Vaterlandsliebe und Heldenmut generieren wie auch Aufruhr. Oder wie es Alonzos Freund Don Juan formuliert: „Wohl dem Könige von Quito, daß dieser Mann verliebt ist. Lieben oder ihn vom Throne stürzen ist die Bestimmung dieses Helden.“ Vielleicht ist diese sentimentalisch anmutende Rede ‚gefährlicher‘ als der donnernde Aufmarsch aufrührerischer Truppen und ihrer Kommandeure. In dieses energetische Geflecht von Verschiebungen und Transpositionen führt Rolla eine subtile Tauschökonomie ein und antwortet somit auf die vom König angebotene Tauschökonomie in präziser Weise, allerdings auf der Ebene eines verschobenen Diskursfeldes. Sein unbelohnter oder zumindest nach den Worten des Königs 512

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ungenügend gewürdigter Heldenmut verdanke sich jener Quelle, die es nun zu retten gelte. Cora ist der Lohn im unmittelbaren Sinne der Ökonomie, Cora ist die Quelle der Siege. Gemäß dieser Analyse scheint einsichtig, dass die Streichung dieser Rede verhindern sollte, dass das militärische Image und die damit proklamierten Tugenden angekratzt wurden. Solche Aspekte gewinnen in der Zensur nach dem Tode Josephs II. zunehmend an Bedeutung. Wenigstens Rollas Verdienste für den König und für das Vaterland sollten in diesem Stück, an dessen Ende keinerlei Bestrafung für was auch immer vorgesehen ist, nicht in Frage gestellt werden; er sollte als der großmütige Feldherr präsentiert werden, der alle Schuld auf sich nimmt, um seine geliebte „Schwester“ zu retten. Ataliba ist von beiden Reden in gleichem Maße gerührt, und es kostet ihn einige Mühe, seine Rührung zu verbergen. Auf Rollas neuerliche Bitte um Begnadigung Coras fordert ihn der König auf, die Waffen zu des Herrschers Füßen zu legen, das kampfbereite Heer aufzulösen und das königliche Urteil abzuwarten. Doch Rolla weigert sich, dies zu tun, bevor das Urteil über Cora aufgehoben ist. Somit ist die Auseinandersetzung in eine neue Phase getreten, in welcher die diversen Gesprächsangebote nichts mehr nützen und die auch dem König eine andere Taktik abverlangt, um noch rollengemäß agieren zu können. Rolla fordert Ataliba erneut auf, Cora „von dem verhaßten Gelübde“ zu befreien, erst dann lägen seine Waffen und sein Leben zu des Königs Füßen. Dieser weigert sich unter solchen Bedingungen zu handeln und erneuert seine Aufforderung, welche eine weitere Weigerung Rollas zur Folge hat. Die sich steigernde Auseinandersetzung zwischen dem König und dem aufrührerischen Feldherrn wird ohne Striche in die Wiener Theaterfassung übernommen. Der König wechselt nun den Gesprächspartner – mit großer Geste („mit Pathos“) wendet er sich an die im Tempel Versammelten und hält eine große Rede: er zählt seine Verdienste auf und preist sein ständiges Wirken für das Wohl des Volkes. Am Schluss seiner Ansprache wirft er alles in die Waagschale. Er stellt die Versammelten (somit im Wesentlichen die Militärs) vor die Wahl: entweder sie nehmen Rolla gefangen, oder er, der König, werde sein Amt zur Verfügung stellen. Mit drei markanten Streichungen wird auch diese Rede übernommen. Eliminiert ist wiederum das Wort „Aufrührer“ am Beginn der Rede sowie der anschließende erste Satzteil. Gestrichen ist aber vor allem der Schluss der Rede: des Königs Ankündigung, das Szepter niederzulegen, falls niemand bereit wäre, den Aufrührer zu ergreifen. „König.

Aufrührer! Thu, was Dir gefällt, und die Götter gestatten; aber wisse, daß Ataliba nicht eher ein Urtheil spricht, bis er knieend und unbewaffnet Dich zu seinen Füßen sieht. Du sollst nicht sagen, Du habest dem Könige seine Gnade abgetrotzt. / : mit Pathos : / Ihr Völker von Quito! Hört 513

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­ ures Herrschers Stimme! Hört sie vielleicht zum letzten­ E male! Denn in diesem Augenblick leg ich den Scepter nieder, und mein Vater mög euch richten! – Seit sieben Jahren war ich euer König – ich stehe hier im Tempel; mich sieht Gott! – Wer mag mich einer wissentlichen Ungerechtigkeit zeihen? der trete auf! – Wer gieng hülflos von meinem Throne, wo ich helfen konnte? – der trete auf! – Ich habe Länder erobert und Könige besiegt! Doch das ist wenig – ich habe meine gefüllten Scheuren geöfnet, als vor wenig Jahren der Zorn der Götter das Land mit Unfruchtbarkeit schlug; ich habe den Hungrigen gespeist, und den Kranken erquickt; manche Nacht mich schlummerlos auf meinem Lager gewälzt, weil euer Elend an meinem Herzen nagte, und ich nicht allen ­helfen konnte. Ihr Völker von Quito! Ich habe das nicht um Euch verdient. – Greift ihn! Fesselt ihn! Oder ich lege den Scepter nieder.“364 Aber dem Befehl des Königs, den aufrührerischen Feldherrn in Fesseln zu legen, kommt niemand nach, es herrscht nur verwirrtes Gemurmel. Und Rolla, möglichen Überläufern zuvorkommend, wendet sich nun ebenfalls an die Versammelten, in ­erster Linie an die Obersten des Heeres. Er versteht sie mit größerem rhetorischem Geschick anzusprechen als der König, und zwar mit Verweis auf höchstpersönliche Verdienste. Diese Rede Rollas, impliziter Aufruf zur Befehlsverweigerung, ist zur Gänze gestrichen. „Rolla.

/ : sich zu den Seinigen wendend : / Ihr mich greifen? Ihr mich fesseln? Welcher unter Euch? Ha Du vielleicht? mein alter Kriegsgefährte, mit dem ich einst meinen letzten Bissen theilte, als uns Alles mangelte. – Oder Du, dem ich in der Schlacht von Tumibamba das Leben rettete? Oder Du, dessen Sohn ich befreite, als eben die Feinde ihn ­n iederhauen wollten? Welcher unter Euch will mich greifen? Sprecht!“365

In dieser Situation, in welcher niemand dem Befehl des Königs nachkommt, an den seine weitere Regentschaft geknüpft ist, versucht der Oberpriester, Rollas Oheim, „mit Wehmuth“ zu vermitteln. Doch auch diese Fürsprache zeigt keine Wirkung. 364 Ebenda, f. 93v–94v. 365 Ebenda, f. 94v.

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Jetzt, da dem König keine Optionen mehr bleiben, meldet sich erstmals in dieser schon lang dauernden Aufruhr-Szene Cora zu Wort und fordert Rolla auf, das zu tun, was der König vergeblich von ihm gefordert hatte: die Waffen niederzulegen. Sie habe ein Verbrechen begangen und sei nun bereit, gemeinsam mit Alonzo zu sterben. Es sei angemerkt, dass diese Rede Coras im Hinblick auf das von ihr begangene „Verbrechen“ auch einen möglicherweise rhetorisch bedingten Schwenk in der Beurteilung ihrer eigenen Handlungen bedeutet, da sie in den vorangegangenen Akten stets von der Tugendhaftigkeit ihrer Handlungen und ihrer Liebe ausgegangen war. Ihre Worte zeitigen jedenfalls Wirkung: gegen sie ist auch der Feldherr machtlos, und so legt er die Waffen zu Füßen des Königs nieder, der die Fortdauer seines Königtums letzten Endes den Worten der Sonnenjungfrau verdankt. In Erwartung der weiteren Verfügungen des Königs meldet sich der Oberpriester, gleichsam aufgeklärter oberster Kirchenmann, zu Wort und versucht, den König gütig zu stimmen, einschließlich der Bitte, der Vernunft ein Opfer zu bringen. Dieser Aufforderung lässt der Oberpriester eine nahezu religionssoziologische Analyse vorangehen, welche in der Wiener Theaterversion gestrichen ist (V/6): „Oberpr.

Jene Zeiten als Dein erlauchter Ahnherr den Dienst der Sonne stiftete, jene rohe Zeiten sind nicht mehr. Unbe­ kleidet, gleich den Thieren des Waldes, wohnten einst die ­Menschen unter dem Dach des Himmels. Ihre Weiber ­b ehandelten sie, wie die Frucht der Palme, die jeder brechen durfte, und so lebte das wilde Volk immer nur den heutigen Tag, ohne Religion, ohne Eigenthum und Gesetz. Da erschien Manco Capac, mit allen Gaben eines Göttersohnes ausgerüstet. Was er sagte, was er that, ist in unsre Herzen geschrieben. Er baute der Sonne einen Tempel, und weihte Jungfrauen ihrem Dienst. Er schuf das Gesetz der Keuschheit, denn damals, da nur noch Sinnlichkeit herrschte, und die Vernunft ein Kind war, wäre ohne dieses Gesetz der Tempel an festlichen Tagen ein Tummelplatz der Wollüste geworden. So zwang ihn die Noth, der Natur in ihr großes Rad zu greifen. Aber eine lange lange Reihe von Jahren hat das Gesetz des Schicklichen in das Gefühl des Schick­ lichen verwandelt. Wo dieses herrscht, ist jenes nicht mehr nöthig.“366

366 Ebenda, f. 96hf.

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Der oberste Repräsentant der religiösen Institution bietet hier seine eigene religionshistorische Interpretation, welche das „Gelübde“ zivilisationstheoretisch als überholt ansieht, ein Gelübde, das die davon Betroffenen als Barbarei beschreiben. Die darin gesehenen Bezüge zur christlichen Religion, die darin thematisierte Ersetzung von religiösen Riten durch neue soziale und kulturelle Praktiken mögen ausschlaggebend dafür gewesen sein, die Geschichte des Sonnenkults der Welt des Theaters zu entziehen, gemäß den Grundsätzen der Theatralzensur, dass Darstellungen, die in irgendeiner Weise Analogien zur christlichen Religion nahelegen, kein Thema des Theaters sein können. Und mehr als alles andere scheint diese Stelle die Verwerflichkeit des Gelübdes bestätigt zu haben. Der König beschließt, die Institution des ‚Sonnenklosters‘ samt dem damit verbundenen Gelübde, somit auch den Schuldspruch über Cora, aufzuheben. Des Königs Verkündigung des Endes der Institution in seinen letzten Worten fällt dem Strich zum Opfer: „Vernichtet sey das Gesetz!“ Stehen geblieben sind die beiden nachfolgenden Worte: „Cora frey!“367 Die Bearbeitung versucht das Thema des Aufruhrs durch den Strich aller jener Wörter, welche die aufrührerischen Prozesse auf der Bühne explizit in verbale Präsenz holen, zu kanalisieren. Nichtsdestoweniger findet der Aufruhr, der laut Hägelins Zensurgutachten aus den Jahren 1794 und 1795 in den „jetzigen Zeitumständen“ niemals auf die Bühne gebracht werden dürfe, statt – noch dazu ein Aufruhr, mit dem sich über die Protagonistin des Dramas eine Identifikation vonseiten der Zuschauer anbot. Die bedrohliche, die Autorität des Königs untergrabende Situation kann die Zensur partiell kanalisieren, indem der letzte taktische Zug, wie die Androhung der Abgabe der Herrschaft, nicht ausgespielt respektive zumindest nicht voll ausgespielt wird und indem die offensive Vorgangsweise des Aufrührers partiell zurückgenommen wird. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der König in der langen Auseinandersetzung keine Position gewinnt, von der aus er aufgrund seiner Souveränität das Spiel maßgeblich hätte bestimmen können. Es ist Cora, das ‚Opfer‘, welche das Spiel der Männer aufbricht, zu einem Zeitpunkt, da dem König keine Optionen mehr bleiben. Das hat auch die Zensurfassung nicht geändert, und sie hat auch keine neue szenische Disposition entwickelt, welche es dem König erlaubt hätte, mittels seiner Souveränität wie Autorität das Spiel für sich zu entscheiden. Der auf Coras Intervention folgende Unterwerfungsakt bleibt somit zwiespältig. Am faszinierenden Thema der vestalischen Ordnungen und ihrer Auflösungen scheinen sich für Hägelin zensorische Fragen in besonderer Weise herauskristallisiert zu haben, gewissermaßen auch symbolisch aufgeladen, wie denn andererseits ‚Klosteraufhebungen‘ im Sinne einer ästhetischen Praxis sehr konsequent auf der Bühne betrieben wurden, wie an Julius von Tarent dargelegt. Betrachtet man die Bühnen­ 367 Ebenda, f. 97h.

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geschichte der Sonnenjungfrau, so zeigt sich ein bemerkenswertes Auseinanderklaffen der Macht des theatralen Mediums und der Macht der höchst ambivalent agierenden Zensur. Inwieweit diese Diskrepanz dem Zensor klar war, lässt sich Hägelins Schriften nicht ohne Weiteres entnehmen. Die Wirksamkeit des theatralen Mediums vermittelt sich nicht primär über einzelne von der Zensur operativ zu entfernende Aussagen wie in einem Buch, sondern über die mittels der Bühnenfiguren und ihrer vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten dargestellten Handlungen, die auch intertextuell in einen allgemeinen Erfahrungshorizont integriert werden können. Vielleicht ist das „Cora frey!“ wirkungsmächtiger als der abstrakte Satz „Vernichtet sey das Gesetz!“, der auch durch seine zensurielle Aufhebung rezeptionsgeschichtlich nicht so leicht aufgehoben werden konnte. Die Eliminierung einzelner kritischer Sätze und Wörter kann ein Werk nicht gänzlich ‚umdefinieren‘. Paradoxerweise ist diese Geschichte auch die Geschichte der Hoffnungen des Theaters, über den ästhetischen Prozess wirksamer zu sein als das Gesetz.

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Z U S A M M E N FA S S U N G

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ZUSAMMENFASSUNG Die vorliegende Arbeit ist im Sinne einer vielschichtigen ‚Dramaturgie‘ aufgebaut, wie jedes gute Drama ausgehend von bestimmten Prämissen, die sich im Laufe der Beschäftigung mit dem Thema ausdifferenzieren. Gemäß dem Ausgangsthema der Arbeit habe ich die Zensur aus einer Perspektive gefasst, die mit Zensur nicht selbstverständlich verbunden ist, nämlich jener eines Zusammenhangs von Zensur und kultureller Dynamik. Es geht nicht nur um die Frage, wie Zensur einer gesellschaftlichen und kulturellen Dynamik als bremsender Faktor gegenübersteht, sondern auch darum, wie Zensur unter spezifischen politischen und kulturellen Gegebenheiten selbst als dynamisierender Faktor gesehen werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Theatralzensur im Kontext eines beginnenden kameralistischen Diskures als „produktiver“ Faktor angesehen wird: als Gewährleistung, dass das Theater als eine „Schule der Sitten“ fungiere. Der Diskurs über Zensur wird somit in höchst ambivalenter Form Teil des Diskurses der „Aufklärung“: Steuerungsmedium gewünschter Reformprojekte wie Faktor, der die kulturelle und ökonomische Entwicklung nicht nur entscheidend hemmt, sondern letztlich als dysfunktionaler Faktor wirkt. Dabei geht es auch um ein neues Dispositiv der Macht.

DIE FOR MIERUNG DER THEATR ALZENSUR Im März des Jahres 1770 wurde in Wien das Institut einer Theatralzensur eingerichtet, welches vorangehende Formen multipler Kontrolle des Theaterlebens ablöste. Diese neu etablierte Theaterzensur, zunächst ausschließlich bezogen auf das deutsche Theater in Wien, hatte zu prüfen, ob und mit welchen Abänderungen die bei ihr obligatorisch einzureichenden Theaterstücke zur Aufführung gelangen konnten. Die Entscheidung über einen etwaigen Druck der Theatertexte oblag nach wie vor der Bücherzensurkommission; ab 1772 sollte der damalige Theaterzensor, Franz Karl Hägelin, in seiner Funktion als Mitglied dieser Kommission auch mit der Zensur von deutschsprachigen Theaterdrucken befasst sein. Voraussetzung dieser Kontrolle in Form einer Vorzensur war das Verbot des extemporierten Theaters. Ein Extemporierverbot wird in den meisten Darstellungen zur Wiener Theatergeschichte schon für das Jahr 1752 postuliert, verfügt von Maria Theresia, welches aber angeblich nicht eingehalten wurde. Wie in der vorliegenden Studie nachgewiesen wird, beruht die Annahme eines so alten Extemporierverbots jedoch auf Missverständnissen. Gemäß Theatralzensur-Dekret vom März 1770 war der Zensor nicht nur angehalten, nichts zuzulassen, „was die Religion, den Staat oder die guten Sitten im mindesten beleidiget“, sondern er hatte auch offenbaren 521

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Unsinn und Grobheit, „folglich des Theaters einer Haupt- und Residenzstadt unwürdig“, zu unterbinden. Darüberhinaus erstreckte sich die zensorische Kompetenz auch auf die Kontrolle des Bühnenspiels. Die Formierung einer Theatralzensur in den k. k. Erbländern zu Beginn der 1770er Jahre ist das ambivalente Resultat eines mit vielfältigen Mitteln geführten Diskurses um die Reform des deutschen Theaters. Der Reformdiskurs zielte darauf ab, bestehende theatrale Traditionen wie das extemporierte Theater auszu­löschen, die als wesentliche Faktoren der Behinderung der Entwicklung des Theaters im Sinne der gewünschten „regelmäßigen und gesitteten Nationalbühne“ angesehen wurden. Die Ausdehnung der Kontrollpraxis war allerdings kein unmittelbarer Ausdruck dessen, dass die theatrale Praxis in den geübten zensuriellen Beobachtungsdimensionen von Sitte, Religion und Staat ein besonders bedrohliches Potential entwickelt hätte. Das genuin Bedrohliche, transponiert in die Kategorie des Geschmacks als eines nunmehr zentralen sozialen Distinktionsmediums, lag vor allem in der Wahrnehmung einer antizipierten Verhinderung von zukünftigen kulturellen Optionen. Demgegenüber ist der Vorwurf der „Unsittlichkeit“ bloß vorgeschoben, und die Warnungen vor sittlichem Verfall werden als Waffe im Kulturkampf, bekannt unter dem Namen „Hanswurststreit“, eingesetzt. Der Diskursmacht der Befürworter eines „gereinigten, regelmäßigen“ Theaters – von kameralistischen Lehrbüchern bis hin zu Wochenschriften – konnten die Befürworter des extemporierten Theaters nur wenig entgegensetzen. Letztendlich wird eine „polizeywissenschaftliche“ Gleichsetzung von extemporiertem Theater mit „Sittenlosigkeit und Schmutz“ rhetorisch durchgeführt – und die Anhänger dieses Theaters werden zur „Parthey der Unsittlichkeit“. An Sonnenfels ließ sich exemplarisch der strategische Diskurs studieren, in welchem die Installierung des neuen kulturellen Feldes situiert ist. Als zukünftige Rezipienten des Theaters hat er vor allem die mittleren Klassen im Auge. Doch bleibt der Adel in mehrfacher Hinsicht ein wichtiger strategischer Bezugspunkt von Sonnenfels’ Reformideen. Der Adel sei es, welcher durch seine Vorbildfunktion in kulturellen Fragen dem ersehnten deutschen Nationaltheater erst zum Durchbruch verhelfen könnte. Diesbezüglich sieht Sonnenfels gerade die Residenzstadt Wien mit dem überproportional vertretenen hohen Adel als genuinen Ort einer Reform des Theaters. Und hier setzt auch seine nachhaltige Kritik ein: letztlich sei es der Adel, welcher die als unwürdig beschriebene Funktion des Theaters aufrechterhielte, indem er durch vielfältige Akklamation den niederen Possen Legitimität verleihe. Sonnenfels baut jedoch darauf, dass in Zukunft der vornehmlich am französischen Theater orientierte hohe Adel einer reformierten deutschen Bühne durch seine Präsenz Faszination wie auch ökonomische Potenz verleihen möge. Das Schreckensbild von Kultur stellte für Sonnenfels das Theater einer deutschen Kleinstadt dar, in dem nur Beamte, Offiziere, Kaufleute und Studenten vorzufinden wären – ein Theater, welches sich 522

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bloß in der kulturell engen bürgerlichen Welt seiner Zuschauer bewegen würde. Demgegenüber sah Sonnenfels die Welt des Adels als Sphäre kulturellen Lernens für das Theater und trat dafür ein, den deutschen Schauspielern Zugang zu den adeligen Salons zu gewähren. Doch je nach strategischem Kontext verlor Sonnenfels auch hier gelegentlich die Geduld und drohte eine „Verschwörung“ der bürgerlichen Klassen an, um die deutsche Sprache als kulturell dominante Form durchzusetzen, oder inszenierte sich als Fürsprecher der mittleren und unteren Klassen, denen der Staat das nicht verwehren könne, was er für eine „gereinigte“ und „gesittete“ Bühne angemessen fand. Für Sonnenfels war das von Joseph II. unterzeichnete Zensur-Dekret, welches sich nur auf die Residenzstadt bezog, ein letztlich inkonsequenter Schritt, und er forderte eine Ausdehnung des Extemporierverbots und der zensuralen Kontrolle auf die gesamten Erbländer. Sein diesbezügliches Memorandum wurde jedoch vom Kaiser abgewiesen, was ein bezeichnendes Licht auf die Interessen wie Einschätzungen des Hofes wirft. Doch wäre die von Sonnenfels ins Spiel gebrachte Inkonsequenz nur gegeben gewesen, wollte man unterstellen, dass die Konzepte der Regulierung und Formierung des Theaters, wie sie Sonnenfels ins Auge fasste, auch dem staatlichen Handeln zugrunde lagen, wie denn auch gelegentlich behauptet wird, Sonnenfels hätte durch dieses Dekret all seine Pläne realisiert, hätte dadurch das Theater als ­Bildungsmedium sanktioniert, wofür es wenig Anhaltspunkte gibt. Ob für die Abweisung des genannten Memorandums prinzipielle oder pragmatische Gründe ausschlaggebend waren, ist nicht zu entscheiden. Trotz Sonnenfels’ massiv inszenierter Bedrohungsbilder von Sittenverfall, um sich greifender Unvernunft und drohender Nationalschande erkannte der Hof jenseits des repräsentativen Areals der Residenzstadt keine Notwendigkeit des Handelns. So spricht einiges dafür, dass von den vielen Argumenten, die Sonnenfels in seinen diesbezüglichen Memoranden vorgebracht hatte, vor allem eines gezählt hat: die Funktion des Theaters als Medium kultureller Repräsentation in der Residenzstadt, eine Argumentation, welche Sonnenfels mit großem rhetorischen Pathos verfolgt hatte. Somit ging es im politischen Dekret vom März 1770 nicht um das Modell einer allgemeinen Verhaltensregulierung, wie es den Reformern vorgeschwebt haben mochte, sondern vor allem um die Frage des symbolischen Zentrums – darin bestand gewissermaßen der Kompromiss. Hier setzten sich die Reformer durch: nur das ­„regelmäßige“ Schauspiel, das „literarische“ Theater solle als Repräsentantion der „legitimen Kultur“, um einen Begriff Pierre Bourdieus zu verwenden, fungieren. Eine alte Tradition, an welcher auch Hof wie Adel dereinst teilgenommen hatten, war nun ausgelöscht, wie auch deren große Repräsentanten auf der Bühne mittlerweile verstorben waren. Dem Stegreiftheater haftete nunmehr das Stigma eines überwundenen Zeitalters des verderbten Geschmacks und der schlechten Sitten an, es musste sich spätestens ab 1776 der ‚Literarisierung‘ anpassen. Das Dekret vom 523

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März 1770, offensichtlich in Eile verfasst, enthält somit jenseits der konkreten Intentionen strukturelle Weichenstellungen. Mit dem Zensur-Dekret veränderte sich allerdings auch die Bedeutung des Extemporierens. Dieses wurde ab jetzt, zunächst zumindest in der Residenzstadt, nicht mehr als legitime improvisierte Textgenese auf Basis eines Szenars definiert, sondern als wie auch immer gearteter Zusatz, der über einen von der Zensur genehmigten Text hinausgeht. Doch schon vor dem Verbot war die Rolle des extemporierten Theaters in Wien im Niedergang begriffen – der populäre Hanswurst Gottfried Prehauser war zu Beginn des Jahres 1769 verstorben, die neue, nur kurzlebige Theaterdirektion des Baron Bender im selben Jahr verzichtete auf jegliches extemporierte Spiel, die Schauspieler des deutschen Theaters identifizierten sich mit dem regelmäßigen Theater, und auch die nach dem Abgang Benders vom Generalpächter Affligio eingereichte Beantragung zur Wiedereinführung extemporierter Spiele betonte die Priorität des regelmäßigen Theaters und sah eine Weiterführung des extemporierten Theaters nur als eine Übergangslösung an. Laut genanntem Dekret vom März 1770 zählte es zu den neuen Aufgaben des Zensors respektive der ihn unterstützenden Personen, eine Kontrolle durchzuführen, ob die im Theater gesprochenen Texte dem zensuriell genehmigten Text entsprachen, weiters eine Kontrolle der Gesten, Rhetorik, Kleidung, Körperpositionen, welche Anlass geben könnten, über die gesprochenen Worte hinaus Anstoß zu erregen. Hier handelte es sich um ein umfassendes und neuartiges Kontrollsystem, auch bedingt durch den besonderen Konfliktpartner Kurz-Bernardon, dem man zugetraut haben mag, die harmlosesten und ‚sittlichsten‘ Worte in ihr Gegenteil zu verkehren. Doch fehlt jeglicher Hinweis, dass ein solches Kontrollsystem durchgängig praktiziert wurde, schon gar unter den späteren, josephinischen Bedingungen mit einer deutlichen Expansion der Theater in den Wiener Vorstädten und sonstigen Provinzstädten. Franz Karl Hägelin, der Nachfolger von Sonnenfels als Theatralzensor, der in seinen diversen Gutachten konzise seinen Aufgabenbereich beschreibt, erwähnt, abgesehen vom wünschenswerten Besuch gelegentlicher Aufführungen, keine solchen Verpflichtungen, wozu es eines großen Stabs von Mitarbeitern bedurft hätte; vielmehr scheint seine zensurielle Arbeit mit der textlichen Durchsicht „gedeckt“ gewesen zu sein. Es stellt sich daher die Frage, ob das im Zensur-Dekret von 1770 indizierte „Panoptikum“ der Kontrolle vonseiten der zensuriellen Instanz in den folgenden Jahrzehnten überhaupt durchgeführt wurde. Dafür gibt es jedenfalls keine nennenswerten Indizien – und somit auch keine klaren Indizien dafür, dass das Extemporieren im neu definierten Sinne als Zusatz oder Abänderung eines approbierten Textes in der Folgezeit von der Bühne konsequent verbannt gewesen wäre. Zeitgenössische Beschreibungen legen es eher nahe, dass es, zumal auf der Vorstadtbühne, zumindest gelegentlich ausgeübt wurde. Wie der Buchmarkt auf vielfältige Weise verbotene Ware einschleuste, mag auch weiterhin das Extemporieren als eine 524

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spezifische Möglichkeit des Theaters eingesetzt worden sein, Zensurgebote tendenziell zu unterlaufen. Desgleichen erscheint es ebenso notwendig, im Hinblick auf die im Zensur-­ Dekret von 1770 erweiterte Kompetenz der Zensur Differenzierungen vorzunehmen. Die Forderung, dass über die zensurrelevanten Faktoren von Sitte, Staat und Religion hinausgehend die Zensur dafür Sorge zu tragen hätte, dass auf der Bühne „Grobheit“ und „Unsinn“ (was einer Residenzstadt nicht würdig sei) nicht statthaben solle, wurde von den Schauspielern des deutschen Theaters der Residenzstadt weitgehend internalisiert wie auch das Paradigma des „gereinigten“ Theaters. Doch gibt es keine Hinweise dafür, dass solche Kategorien später für die Zensur des Schauspiels, auch in anderen Regionen der k. k. Erbländer, universalisiert worden wären. Hägelin jedenfalls legt in seinen 1794 verfassten detaillierten Instruktionen zur Thea­tralzensur keinerlei operative Strategien für solche Kategorien vor. Sonnenfels, der im Jänner 1770 ein Memorandum zur Abschaffung des Extemporierens sowie Vorschläge zur Reorganisation der Theaterzensur vorgelegt hatte, wurde im März 1770 zum Theatralzensor ernannt, doch konnte er diese Funktion nur ein halbes Jahr lang ausüben. Doch ist daran zu zweifeln, ob konstatierte Fehlentscheidungen bei der Zensur von Theaterstücken zu Sonnenfels’ Ablöse führten. Vielmehr hat Sonnenfels’ früher Abgang strukturelle Gründe. Ganz offensichtlich begnügte sich Sonnenfels gemäß seiner vorangehenden vielfältigen publizistischen Tätigkeit als Kameralist und Wochenschriftsteller, zuletzt in der Funktion des Kunstrichters und dramatischen Zensors, nicht mit den zwar bedeutend erweiterten, aber doch begrenzten Aufgaben eines Theatralzensors, sondern versuchte, durch Übernahme von Zusatzfunktionen eine Art imaginäre Generalintendanz zur Reform des deutschen Theaters zu kreieren, was ihn notwendigerweise in viele Rollenkonflikte brachte. Der Hauptgegner war wohl Kaunitz, der in defensiver Weise um den Bestand des französischen Theaters kämpfte, welches Sonnenfels – zum Missfallen Kaunitz’ – in einer ausführlichen Schrift zum Programm des deutschen Theaters nur mit einem Satz beiläufig erwähnte. Der Ablösungsgrund waren, wie zeitgenössische Dokumente nahelegen, „Einmischungen“ und nicht Fehlurteile, und Sonnenfels übte seine Funktion als Bücherzensor auch noch weiterhin aus. Sein Engagement für die deutsche Bühne und die damit verbundenen Kämpfe brachten ihn in eine konfliktuöse Lage gegenüber dem Hof, der bemüht war, das fragile Equilibrium zwischen deutschem und französischem Theater ohne irgendwelche finanziellen Subventionen weiter aufrechtzuerhalten. Demgegenüber war der Nachfolger Sonnenfels’, Franz Karl Hägelin, in keiner Weise im theatralen Kulturkampf in Erscheinung getreten, und er sollte sich auch im Laufe seiner ungewöhnlich langen Tätigkeit als Theatralzensor (von 1770 bis 1804) in keiner Weise publizistisch zu theatralen Fragen äußern. Doch galt Hägelin, der schon im Alter von 13 Jahren Studien bei Christian Wolff in Halle aufgenommen hatte, 525

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zum Zeitpunkt seiner Ernennung als reformbewusster Beamter, der wesentliche Agenden im Rahmen der Schulreform-Kommission ausübte. Gemäß seiner diversen Gutachten zu Fragen der Theatralzensur legte Hägelin Wert auf die Unterscheidung zwischen Zensur im Hinblick auf sittliche, religiöse und politische Aspekte und der ästhetischen Kritik, wenngleich er einräumte, dass es in diesem Feld immer wieder zu Überschneidungen komme.

INSTRUKTIONEN. ZUR PAR ADOXALEN LOGIK VON THEATR ALZENSUR Zu Hägelins in der theaterwissenschaftlichen Literatur meistrezipierten Schriften zählen die detaillierten Instruktionen zur Theatralzensur, geschrieben in der Mitte der 1790er Jahre, welche in unvollständiger Form gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Carl Glossy publiziert wurden. Durch das Auffinden zweier vollständiger Abschriften bieten sich neue Analysemöglichkeiten eines Textes, der bislang noch nicht im Hinblick auf seine spezifische Logik untersucht wurde. Diese Schrift ist für die vorliegende Arbeit von großer Bedeutung, weil Hägelin sich dabei auch auf seine zensorale Tätigkeit unter Maria Theresia und Joseph II. bezieht und wir wesentliche Einsichten in die Praxis der Theatralzensur dieser Zeit seiner umfassenden Abhandlung verdanken. Meist wird im Anschluss an Glossy davon ausgegangen, dass diese Schrift 1795 von Hägelin für die ungarische Theatralzensur verfasst wurde, dass sie auch tatsächlich im Umlauf war und bis weit ins 19. Jahrhundert einen direkten Einfluss auf die zensurielle Praxis ausübte. Diese Sichtweise muss modifiziert werden. Aufgrund von Abschriften der Wienbibliothek konnte im Rahmen der vorliegenden Studie der Anlassfall für Hägelins Schrift eruiert werden. Dieser liegt bereits im Jahre 1793: die von der Pressburger Zensur in diesem Jahr gestattete Aufführung eines Trauerspiels über die Hinrichtung des französischen Königs Ludwig XVI. erregte in Wien Empörung auf allerhöchster Ebene. Die Pressburger Behörde rechtfertigte sich damit, dass besagtes Stück über Ludwig XVI. zur Unterstützung des monarchischen Prinzips geschrieben worden sei, die Wiener Seite argumentierte, dass ein derartiges Thema, wie auch immer abgehandelt, überhaupt nicht auf die Bühne gehöre – diese Richtung wird sich in der Folge durchsetzen. Kaiser Franz II. verfügte ein Verbot dieses Stücks und ordnete des Weiteren an, dass alle mit der Zensur befassten Wiener Behörden ihre aktuell gehandhabten Zensurpraktiken offenlegen sollten, damit sie als Imperativ im Sinne der „Einförmigkeit“ der Zensur nach Ungarn weitergeleitet werden könnten. Dieser Umstand verdeutlicht auch die besondere Position der Theaterzensur: die übergeordnete Stelle, die Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei, muss um Einblick bitten, nach welchen Kriterien Zensur überhaupt ausgeübt wird, um diese dann ge526

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gebenenfalls an eine andere Hofkanzlei weiterzuleiten. Soweit wir aus etlichen ­Dokumenten, von der Installierung der Theatralzensur im Jahre 1770 bis hin zum Jahr 1795, wissen, bestand die Vorgabe an die Theatralzensur lediglich darin, dass Vorsorge zu treffen sei, dass die Theaterstücke nichts Anstößiges im Hinblick auf die Sitten, die Religion und den Staat beinhalten – im Jahre 1770, bezogen auf die Residenzstadt, erweitert um den Zusatz, dass auch Grobheit und Unsinn zu beanstanden wären. Auch Hägelin bestätigt, dass er nicht mehr Vorgaben erhalten hat. In seinen Zensurinstruktionen berichtet Hägelin, dass er im Hinblick auf die Frage, ob die Französische Revolution auf der Bühne thematisiert werden könnte, selbst erfolgreich gegen Kaiser Leopold opponiert hätte, der Kotzebues Der weibliche Jakobiner= Clubb in Wien auf der Bühne sehen wollte. Dies zeigt, dass im obersten Behörden­ apparat kein Grundkonsens über solche Fragen gegeben war, ja, dass man sich mit solchen Fragen erst auseinandersetzte, sobald einzelne Reaktionen der ­Empörung vorlagen. Hägelins Schrift ist aus zwei Gründen ein einmaliges kulturhistorisches Dokument. Es ist der erste Versuch einer Abhandlung über detaillierte Zensurinstruktionen vonseiten eines Praktikers der Theatralzensur. Es ist darüber hinaus eine Schrift, welche Hägelin zunächst verweigerte. Nach nochmaliger Aufforderung überreichte er sie – wie dem nunmehr vollständig vorhandenen Transkript zu entnehmen ist – erst nach geraumer Zeit dem Directorium in politicis et cameralibus. Hägelin begründet seine Weigerung damit, dass es weder möglich noch notwendig sei, detaillierte Instruktionen zu erstellen. Mehrmals betont er in der Schrift, dass er nur Winke für die Zensoren in Ungarn geben könne. Bislang hat sich kein Nachweis gefunden, dass diese Schrift je an die ungarischen oder sonstige Zensoren versandt worden und als Regulativ wirksam gewesen wäre. Somit ist diese Schrift gleichsam eine Selbstentblößung des Zensors, der gezwungen ist, die Regulative seiner eigenen zensuralen Praxis offenzulegen. Die spezifischen Inkonsistenzen machen multiple Logiken sichtbar, die sich aus der bloßen Kenntnis von Verboten oder von gestrichenen Textteilen nicht ohne Weiteres erschließen bzw. die aufgrund naheliegender Universalisierungen zu falschen Vorstellungen von der Zensurpraxis führen. Das Anstößige ist nach Hägelin vielschichtig und variabel, nicht zuletzt auch abhängig von der theatralen Form. In bemerkenswerter Weise eröffnet Hägelin seinen Versuch einer detaillierten Instruktion mit der Aufforderung, das französische Theater – unter den Königen – als gleichsam gereinigtste Form zu studieren. Es geht hier nicht um den längst überholten Modellcharakter des französischen Theaters für die deutsche Bühne, es geht um ein Modell zensuriellen Verhaltens: das Theater in seiner, wie Hägelin unterstellt, zivilisiertesten und gereinigtsten Form wäre gleichsam auch ein Modell für die Zensur. Was möglich ist, ist nicht bloß eine Frage von externen Kriterien, es ist auch eine Frage der theatralen Form. 527

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Wie Hägelins Text offenbart, steht die Theatralzensur vor einem prinzipiellen Pro­ blem: einerseits ist es Aufgabe der Theaterzensur, sittlich, religiös und staatlich ­A nstößiges auf dem Theater zu vermeiden, andererseits ist das Theater ein Ort, an ­welchem Verletzungen sozialer, religiöser und staatlicher Normen und die damit verbundenen Konflikte in Szene gesetzt werden. Der Sieg der Tugend und die Bestrafung des Lasters ist ohne Thematisierung solcher Transgressionen nicht darstellbar. In Hägelins Schrift wird der Begriff des „Anstößigen“ in operativ unterschiedlicher Form gebraucht. Zunächst das Anstößige eines „Stoffes“: wenn Hägelin schreibt, ein Stoff sei an und für sich nicht anstößig, so meint er nicht notwendigerweise, dass sich dabei keine höchst anstößigen Vorfälle ereignen oder thematisiert werden, sondern dass das Stück eine Logik aufweist, welche sich in eine positive Moral transformieren lässt. Und andererseits gibt es Themenbereiche, Handlungs­ situationen wie auch soziale Figuren, welche per se, unabhängig von der Handlungslogik, nicht auf der Bühne vorkommen dürfen, Themen, die gleichsam auf der ­Bühne tabuisiert werden sollen, wie Blutschande und Ehebruch oder Figuren wie Mätressen oder Kupplerinnen. Doch nicht nur sittlich „anrüchige“ Themen und Personen, sondern auch die christliche Religion samt ihrem Personal und ihren Gebräuchen könne kein Gegenstand des Theaters sein: auf der Bühne wird sie gleichsam zur „Anstößigkeit“ – was als Nebeneffekt eine weitgehend säkularisierte Welt auf die Bühne bringt und repräsentiert. Doch auf die Dynamik des theatralen Lebens reagierend, kann Hägelin in der Schrift wie in der zensuriellen Praxis solche allgemeinen Bestimmungen nicht durchhalten. Er entwickelt fließende Übergänge, indem er im Text sukzessive zuvor behauptete Prämissen aufhebt, gewissermaßen dekonstruiert. So kann das zunächst tabuisierte Thema des Ehebruchs unter bestimmten Umständen doch zum Thema der Bühnenhandlung werden, was ja auch vielfach geschehen ist. Allerdings entfaltet sich im Zuge des „gereinigten“ Theaters aus zensurieller Perspektive eine deutliche Geschlechterdifferenz: nur der Mann darf als ehebruchsbereiter Agent auf die Bühne gestellt werden, nicht jedoch die willentlich ehebrechende Frau. Zu solchen fließenden Übergängen zählt auch die Kunst des Theaters, sich immanent als Theater zu gerieren: wenn etwa ein Mönch, als christlicher Funktionsträger auf der Bühne verboten, kein „echter“ Mönch, sondern nur ein „verkleideter“ Mönch ist, so wäre dies zulässig. Und weitere Fluktuationen beruhen auf rein sprachlichen Operationen: auch wenn den Ehebruch einleitende Handlungen auf die Bühne gestellt werden oder ein solcher zumindest in der Bühnenkonversation thematisiert wird, soll das Wort „Ehebruch“ nie fallen, sondern ein abstrakter Begriff verwendet werden, der jenen einschließt, aber nicht notwendig beinhaltet, wie: Treue brechen. Der obszöne Gegenstand kehrt so in mehrfacher Weise auf die Bühne zurück, und der Zensor, der einst in besonderer Weise die „zweideutigen“ Anspielungen im Auge hatte, wird selbst zum Schöpfer oder zumindest Anreger der Mehrdeutigkeit. Der Theatralzen528

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sor reagiert mit seinem multiplen Verhalten auf Fluktuationen im kulturellen Feld, wo es keinen so klaren Codex gab, den er eindeutig als Grundlage des Darstellbaren hätte heranziehen können. Eine weitere Fluktuation, vor allem im Umgang mit gesellschaftskritischen ­Themen, ermöglichte die Differenz von Allgemeinem und Besonderem. Dabei ging es etwa um Aussagen über die höheren Stände. Auf der Bühne tummelten sich eine Menge missliebiger adeliger Personen, vom hochadeligen Königsmörder bis zum Frauenverführer. Im Prinzip sei, so der Theatralzensor, gegen solche Darstellungen „individueller“ Schicksale nichts einzuwenden, wohl aber gegen in der Bühnenkonversation getätigte Aussagen, welche kritische Behauptungen über Stände, besonders die höheren, beinhalten. In solchen Fällen müsste die Aussage transformiert werden, etwa von „alle“ zu „einige“, „manche“ usw. Auch hier setzte die Zensur eine Art Sprachmagie ein: der gesellschaftskritische Aspekt einer Handlung wird wesentlich durch den Gang des Dramas vermittelt und nicht spezifisch über einzelne verallgemeinernde Sätze – das „Besondere“ jedenfalls bot hier einen weiten Spielraum. Hägelin eröffnet seine detaillierten Ausführungen über die Richtlinien der ­Theatralzensur mit dem bekannten „Hauptsatz“, dass das Theater eine „Schule der Sitten und des Geschmacks“ sei, der großen Losung zu dem Zeitpunkt, als er sein Amt antrat. Doch die Reichweite eines solchen Satzes ist, wie Hägelin erkennen lässt, unter Zensurgesichtspunkten eine begrenzte. Die Zensur kann letztlich nicht einfordern, dass das Theater tatsächlich eine Schule der Sitten ist, und die „Beförderungen der Tugenden, des Willens und auch des Verstandes“ bewirkt. In seiner konkreten Argumentation wie Praxis konzentriert er sich auf die Abwehr des Anstößigen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Theatralzensur ein Stück abgewiesen hätte, weil es den Nachweis einer „Sittenschule“ nicht erbracht hätte, soferne nicht der Stoff als anstößig klassifiziert wurde. Die Analyse der Gutachten des Theatralausschusses des Burgtheaters des Jahres 1779 vermittelt einen Eindruck von der Vielfalt von Bewertungskriterien, bei denen auch „zensurielle“ Gesichtspunkte eine Rolle spielten. Sie geben einen Einblick in die zahlreichen Erwartungen, die Autoren, welche die Einsendung ihrer Stücke mit der Hoffnung auf eine Aufführung verbanden, in Bezug auf das Theater hegten. Sie geben auch Anhaltspunkte hinsichtlich der spezifischen Logik der „dramaturgischen Zensur“. Das Theater als Schule der Sitten fungiert dabei als relevanter Beobachtungsfaktor, aber dies organisiert nicht die Beurteilung in einem curricularen Sinn, vielmehr werden Stücke, die bloße „Sittenpredigten“ sind, ohne eine künstlerisch überzeugende dramatische Form aufzuweisen, als provinziell abgelehnt. Klar werden die Grenzen des „Geschmacks“ gezogen, nach unten gegenüber allen Stücken, welche an den alten verderbten possenhaften Geschmack erinnern und in die Vorstadt verwiesen werden, und gegen vieles, was zu „schwarz“ ist, etwa im „neuen“ Shakespeare’schen Geschmack geschrieben. 529

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Zensurielle Gesichtspunkte spielen in etlichen Fällen eine Rolle, sei es, dass sie den jeweiligen Beurteilungskriterien inhärent sind, sei es, dass bewusst auf die Theatralzensur als Außeninstanz verwiesen wird. Solche zensuriellen Argumente werden von den Begutachtern auch vielfältig strategisch eingesetzt, etwa, um eine als inadäquat beurteilte poetische Form durch zensurielle Argumente definitiv zu demontieren. Solche kritischen Argumente werden nicht ins Spiel gebracht, wenn man sich von der Dramaturgie eines Stückes einen Erfolg versprach. So wurde Großmanns Nicht mehr als sechs Schüsseln wegen einer das Maß der „Satire“ überschreitenden und daher beleidigenden Kritik des Adels abgelehnt. Demgegenüber zählte das Trauerspiel Edwin und Ema zu den wenigen preisgekrönten und letztlich aufgeführten Stücken: ein Drama, in welchem ein entlassener Premierminister sein mörderisches Intrigenspiel beginnt und der Sohn des englischen Königs als moralisches Ungeheuer charakterisiert wird. Ein Großteil der zensuriellen Aufmerksamkeitsfelder war im Sinne des „gereinigten Theaters“ bei den Begutachtern verinnerlicht. Doch lässt eine genaue Analyse der Begutachtungsverfahren auch die potentiellen Konfliktpunkte gegenüber der behördlichen Theatralzensur erkennen, zumal an jenen Stellen, wo die Begutachter fürchten, dass durch die Zensur gerade die interessantesten Stellen beanstandet würden. Ein zentrales Qualitätskriterium bei der Begutachtung von Stücken ist die Neuheit des Stoffes – doch notwendigerweise ereignet sich das „Neue“ meist durch eine Themenerweiterung und somit auch durch eine Erweiterung hin zu bislang als „anstößig“ angesehenen Darstellungsformen.

KULTURELLER STAU GEGEN ENDE DER THERESIANISCHEN ZEIT Gegen Ende der theresianischen Zeit, in welcher auch die zuvor genannten Begutachtungen vorgenommen wurden, gerät die Bücherzensur wie auch die Theatralzensur in einige Unruhe, nicht zuletzt bedingt durch einen sich rasant ausbreitenden Buchmarkt und die ständige Befürchtung einer illegalen Büchereinfuhr. Auch auf dem Gebiet der Theatralzensur war einige Unsicherheit eingetreten, wie nachträgliche Aufhebungen von Stückgenehmigungen der Theatralzensur bezeugen. Vor allem zeigt sich eine Verschiebung der Wahrnehmung von Problemzonen gegenüber der erhitzten Diskussion der 1760er Jahre, welche als symbolisches Feindbild die „niedere Posse“ ins Visier genommen hatte. Als Indikator für den Wandel in der Wahrnehmung der Problemzonen wurden in der vorliegenden Arbeit die Druckverbote von Theatertexten herangezogen. Hier zeigt sich eine deutliche Erhöhung der ausgesprochenen Verbote wie eine deutliche Verlagerung des Verbots auf die Tragödienproduktion des deutschen Theaters – auch auf Dramen, deren „Moral“ sich nicht ohne Weiteres auf einen klaren Satz reduzieren ließ. Einer der letzten Zensurfälle der 530

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theresianischen Zeit – ein von höchster Stelle gegen die offensichtliche Bewilligung durch die Theatralzensur verfügtes Verbot des französischen Singspiels Annette et Lubin, bereits in den 1760er Jahren in Wien gespielt – zeitigt vorsichtige Widerstandsakte der damit befassten Behörde, welche ein merkbares Unverständnis über die allerhöchste Verfügung ausspricht. In den 1770er Jahren verstärkt sich die Diskussion um die Sinnhaftigkeit der Zensur, vor allem auch im Hinblick auf potentielle Beeinträchtigungen eines expandierenden Buchmarktes durch Maßnahmen der Zensur, welcher als maßgeblicher ökonomischer Faktor selbst die Regulative einer den ökonomischen Verkehr nicht unwesentlich beeinträchtigenden Zensur vorzugeben bemüht war. In den diesbezüglichen Diskursen wird vor allem versucht, die Dysfunktionalität der herrschenden Zensur, auch im Sinne ihrer eigenen Prämissen, darzulegen – etliche Gedanken dieses Diskurses werden in der nachfolgenden Zensurreform des josephinischen Jahrzehnts ihre Berücksichtigung finden. Vergleichbare Überlegungen fanden keinen nennenswerten Widerhall in der Bücherzensur gegen Ende der theresianischen Zeit, welche durch ihre Maßnahmen Schritte setzte, die k. k. Erbländer von der internationalen kulturellen Kommunikation abzuschneiden. Zentraler Indikator dafür ist das Verbot der Allgemeinen deutschen Bibliothek, eines wesentlichen Kommunikationsforums der wissenschaftlichen wie literarischen Entwicklung nicht nur im deutschen Sprachraum, ein Verbot, das in eigenartiger Weise in den öffentlichen Diskurs Eingang fand. Die öffentliche Kritik an der Verbotsmaßnahme im Ausland fand ihre Entsprechung in einer Apologie der österreichischen Zensur im Inland, welche mit zwei Strophen eines Hymnus auf die Zensur – verfasst von Wenzel Heinze und in einem Separatdruck erschienen – ihre Ausführungen beschloss. Doch dies vermeintliche Lob in Form einer Ode ist einer der bemerkenswertesten Widerstandsakte gegen die damalige Zensur, verursacht durch das Verbot einer poetischen Schriftensammlung des Autors. Heinze trägt seine Kritik in vielfältigen Schriften in die Öffentlichkeit, darunter eine als dramatischer Text angelegte Schrift, welche die Zensurverhandlung über die verbotene Poesie zum Gegenstand hat, in welcher der Dichter alle gegen sein Werk vorgebrachten zensuriellen Einwände in multiplem Spiel entkräften lässt – ein wichtiges Dokument auch für die damals sich verschärfende Zensur der poetischen Schriften. Für ihn ist es auch ein Kampf gegen die kirchliche Zensur seiner Diözese, die es dem ehemaligen Jesuiten als Strafe für die unzulässige Schrift untersagte, Predigten zu halten. Der Autor entwickelt somit eine umfassende Strategie des Widerstandes, die auch den Wiener Hof einbezog. Im Hinblick auf seine kirchlichen Widersacher hatte Heinze Erfolg; im Zuge der josephinischen Zensurreform wurde seine verbotene Schrift wieder zugelassen, wie es auch zu einer der ersten Zensuragenden gehörte, die Allgemeine deutsche Bibliothek wieder zugänglich zu machen.

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THEATR ALZENSUR UNTER JOSEPH II. Der Einfluss der josephinischen Zensurreform, eine der ersten in die Wege geleiteten Maßnahmen bei Regierungsantritt Josephs II., auf das Theater ist bislang nicht systematisch untersucht worden. Wo er thematisiert wird, wird aufgrund der Kenntnis der 1794 verfassten detaillierten Instruktionen Hägelins eher von einer anhaltenden Rückständigkeit ausgegangen. Auch wenn viele Dokumente nicht mehr zugänglich sind, so lässt sich doch auf mehreren Ebenen ein Gesinnungswandel erkennen, der auch die Theatralzensur nicht unberührt ließ. Als ein nicht unerheblicher Indikator wurde die Indizierung der Dramendrucke herangezogen: die josephinische Revision des Catalogus librorum prohibitorum führte zu einer weitreichenden Freigabe der dramatischen Literatur. Bis auf wenige Werke wurden die unter Maria Theresia verbotenen Drucke, die bis zur italienischen Renaissancekomödie reichten, freigegeben. Wenn dies auch nicht ausreichend war für eine Aufführungsbewilligung, über die davon unabhängig entschieden wurde, so zeugt diese Revision doch von einem Wandel der Einstellung zur Literatur. So wurden auch die meisten gegen Ende der theresianischen Zeit verbotenen Dramen, wie bereits erwähnt vornehmlich deutsche Tragödien, freigegeben. Als Eröffnungsstück des Burgtheaters nach der Trauerzeit für Maria Theresia wird eine „christliche Tragödie“ gegeben: Irene, ein Stück über Toleranz und religiösen Fanatismus. Die Titelheldin geht letztlich am Fanatismus ihres christlichen Vaters zugrunde, ein Thema, das nach Hägelins späteren Ausführungen über die Verstöße gegen die Religion in einem Bereich lag, der für die Bühne nicht zuträglich schien, wie denn überhaupt im Burgtheater unter Maria Theresia eher die Auffassung herrschte, dass Toleranz kein geeignetes Thema für die Bühne sei. So ist der erste Akt der Theaterzensur im josephinischen Jahrzehnt eine paradoxe Maßnahme, welche auch die Bücherzensurkommission inkludierte. Sie betrifft ein literarisch eher belangloses Sittenstück, welches mit rüden Mitteln die Verderbnis der Sitten durch das Lottospiel auf die Bühne stellt – in besonderer Weise verfasst für die Landbevölkerung. Beantragt wurde das Verbot von der staatlichen Lotto-Pachtung, welche durch dergleichen Stücke ihre Gewinne gefährdet sah. Man fand für dieses Stück, das in Wien offensichtlich gar nicht für eine Aufführung vorgesehen war, eine ‚diplomatische‘ Lösung: Aufführungsverbot, aber Zulassung des Drucks. Doch darin erschöpft sich nicht die Paradoxie, welche in erster Linie darin besteht, dass für Hägelin dieses Verbot und die daran geknüpften Gespräche mit dem Kaiser als eine Art Freibrief galten – in diesem Zusammenhang soll laut Hägelin der Satz des Kaisers gefallen sein, man möge den Zensor nicht furchtsam machen. Und auch die behördlichen Akte der Bücherzensurkommission, welche diesen spezifischen Fall behandelte, schließen, soweit dem durch den Justizpalastbrand beschädigten Dokument zu entnehmen, mit der Ermunterung des Kaisers zu einer liberaleren Handhabung der Zensur. 532

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Hägelin, zur Zeit des Regierungsantritts von Joseph II. schon an die zehn Jahre als Theatralzensor im Amt, konnte, was sein Image betraf, gut als josephinischer Beamter fungieren. Wie er zu vielen Bereichen der josephinischen Reformpolitik stand, ist im Einzelnen nicht bekannt. Er hatte aber einen bemerkenswerten Ruf als „Biedermann“, und als solcher ist er in der zunächst von der Zensur verbotenen Biedermanns-Chronik vertreten, die nicht nur die Beiträge zur Aufklärung preist, welche die genannten Personen erbracht haben, sondern auch deren Widerstandsakte, welche die in dieser Schrift Gepriesenen in den letzten Jahren der theresianischen Zeit geleistet hatten. Ein Großteil der mit der Handhabung der Zensur befassten Personen war in diese Biedermann-Liste aufgenommen, ein nicht unbedeutender Hinweis auf das Image der Zensurbeamten jener Zeit. Die für die Bücherzensur ins Auge gefasste Zentralisierung fand auch im thea­ tralen Bereich statt, doch mit Verzögerung und mit eingeschränkter Dauer. Sie setzte 1782 ein und dauerte nur bis 1786. In einem Gutachten zu Beginn der Regierung Josephs II. hatte Hägelin angeraten, die Theaterzensur den Länderbehörden zu belassen. Joseph II. hatte jedoch in den Grundregeln zur Bestimmung einer ordentlichen zukünftigen Bücher Censur eine Zentralisierung der Theatralzensur vorgesehen, wobei die Wiener Aufführungspraxis als Richtschnur für die ganzen Erbländer gelten sollte. Dennoch beschied der Kaiser 1781 anlässlich einer diesbezüglichen Anfrage aus Prag zunächst, davon Abstand zu nehmen, da das Theater doch nicht so wichtig wäre. Dies ist auch Ausdruck der Bewertungsspanne, welcher das Theater jenseits der früheren theologischen Querelen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unterlag, von der „Schule der Sitten und des Geschmacks“ wie dem „Nationaltheater“, für welches Joseph II. sich höchstpersönlich einsetzte, bis hin zu einer unwesentlichen Sache, speziell in dörflichen Gegenden, wo das Theater teilweise eher als Störfaktor angesehen wurde. Dem entsprach auch die Praxis gegen Ende der josephinischen Zeit, als man „Komödienbüchl“ eine „Stempelgebühr“ aufbürdete, was die Ware verteuerte und womit man Publikationen versah, die man für nicht so wichtig hielt – Lorenzo da Ponte hat sich nach dem Tode Josephs II. dagegen erfolgreich zur Wehr gesetzt. Im josephinischen Jahrzehnt kam es, wie bereits erwähnt, zu Aufführungen von Theaterstücken, welche in der theresianischen Zeit (selbst als Druck) verboten waren. Eines davon ist Julius von Tarent von Johann Anton Leisewitz, welches 1778 auf den Index gesetzt wurde, vor allem, wie anzunehmen, wegen der klösterlichen Szenen und der darin enthaltenen radikalen Kritik an der Institution des Klosters. Die Kritik an den Klöstern war nicht zuletzt auch im Zuge der josephinischen Politik der Klosteraufhebung Thema zahlreicher Broschüren, doch auf dem Theater waren solche christlich-religiösen Orte samt dem damit verbundenen Personal und den damit verbundenen Gebräuchen verboten. Dementsprechend kam eine bereinigte Fassung auf die Bühne, sei’s als ‚zensurieller‘ Lerneffekt des Burgtheaters, welches die zensu533

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rielle Praxis gut kannte, sei’s auch unter nachträglicher Mitwirkung des Theatralzensors. In diesem Falle ist besonders bemerkenswert, wie eng sich die zensurierte Fassung an das Original anzulehnen sucht und dass keine einzige der Personen eliminiert wird. Aus den kirchlichen Personen wie Orten werden weltliche, und es fällt fast alles dem Strich zum Opfer, was an religiöse Reden erinnert; sofern die auf Religion bezogenen Worte abstrakt genug sind, können sie stehen bleiben. Aus der aufgrund eines königlichen Befehls ins Kloster genötigten Nonne wird eine weggesperrte Frau, aus der Mutter Oberin einfach die Mutter, aus dem Erzbischof einfach der Bruder des Königs mit geändertem Namen. Hier wurde eine radikale Säkularisierung vorgenommen, und aus solchen ‚Säkularisierungen‘ mag wohl, sofern nicht bereits am Theater durchgeführt, ein nicht unwesentlicher Teil der theatral-zensuriellen Routine bestanden haben: Leisewitz’ transformierter Text ist somit eine faszinierende Studie über ‚Klosteraufhebung‘ auf dem Theater. Die im selben Jahr wie Leisewitz’ Tragödie zur Wiener Erstaufführung bestimmte Komödie Die Hochzeit des Figaro von Beaumarchais (in deutscher Übersetzung) zählt zu den bekanntesten Fällen der Theaterzensur des josephinischen Jahrzehnts. Doch bedarf auch dieser Fall einer Neubewertung im Hinblick auf das zensurielle Vorgehen. Dabei scheint es sich eher um einen komplexen Betriebsunfall gehandelt zu haben als um ein schlüssiges Verbot eines Stückes, welches mit den zensuriellen Bestimmungen nicht harmonierte. Es spricht vieles dafür, dass Hägelin einer wie auch immer bearbeiteten Variante durchaus seine Zustimmung geben wollte. Er nannte in einer späteren Schrift aus dem Jahre 1802 nicht die häufig vermutete Sozialkritik oder bestimmte Laszivitäten als Grund für das Verbot, sondern angebliche Anspielungen auf die französische Königin, des Kaisers Schwester, Anspielungen, die er aber offensichtlich nicht selbst identifizieren konnte. Entscheidend war die keineswegs alltägliche Intervention des Kaisers, welche dem Zensor zwar die Entscheidung anheimstellte, ihm aber gleichzeitig androhte, dass er im Falle einer Fehlentscheidung haften müsse. Hägelin verfügte relativ knapp vor der Erstaufführung ein Verbot, erlaubte aber den Druck, eine ebenso rätselhafte Entscheidung, denn laut Aussage des Übersetzers Johann Rautenstrauch waren erst vier Fünftel des Textes fertig, womit sich die Frage nach der textlichen Grundlage sowohl für Verbot wie für Druckgenehmigung stellt. Das Schreiben des Kaisers im Fall von Figaro markiert aber auch in gewissem Sinne einen Wendepunkt, weil es die Aufhebung des Versprechens der Furchtlosigkeit war, welches Hägelin zuvor gegeben wurde. Beaumarchais’ Figaro wurde schließlich 17 Jahre später (1802) in Wien dennoch auf die Bühne gebracht, wenn auch in einer einschneidenden Bearbeitung, allerdings unter Kaiser Franz II., wohl auch ein Hinweis, dass ein wie immer bearbeiteter Figaro als Schauspiel auch unter Joseph II. möglich gewesen wäre. Figaro ist auch exemplarisch für die bemerkenswerte mediale Differenzierung der josephinischen Kultur. Obwohl es ein Aufführungsverbot gab, war der Figaro als 534

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Schauspiel nicht völlig von der Bühne verbannt; soweit bekannt, gab es Aufführungen des Figaro in Prag 1787 durch die Schauspieltruppe Pasquale Bondinis – eine entsprechende Anfrage wurde erst mit erheblicher Verspätung nach den Aufführungen abschlägig beschieden. Und, was kaum bekannt ist, in den Österreichischen Niederlanden gehörte Beaumarchais’ Komödie – in französischer Originalsprache – zu den erlaubten Stücken. Bemerkenswert ist die mediale Differenzierung: als Schauspiel war der Figaro verboten, wenn, wie erwähnt, auch gelegentlich gespielt, als italienische Oper in der Textversion von Lorenzo da Ponte mit der Musik Wolfgang ­A madeus Mozarts war der Figaro auf der Bühne zugelassen (und wurde sogar bei einer höfischen Galaveranstaltung gespielt), als Druck war der Figaro sowohl in der französischen Originalversion wie in deutscher Übersetzung zugänglich. Somit entwickelte sich eine mediale Differenzierung im Hinblick auf das Verbotene, wobei allerdings die potentielle Nutzung der jeweiligen Varianten vom kulturellen wie ökonomischen Kapital abhängig war. In seinen 1794 verfassten Instruktionen für die Theatralzensur, die ursprünglich bestimmt waren, an die Ungarische Hofkanzlei weitergeleitet zu werden, verweist Hägelin als exemplarisches Stück für die Anstößigkeit des „Stoffes“ auf Kotzebues Drama Die Sonnenjungfrau, welches aber letztlich in bearbeiteter Form auf allen Bühnen der k. k. Erbländer mit großem Erfolg gespielt wurde. Dieses Schauspiel wurde erst nach Josephs II. Tod in Wien erstaufgeführt, doch es weist einen Bezug zu bestimmten Formen von Dramen auf, welche trotz aller Liberalisierung auch in der josephinischen Zeit auf den Index gesetzt wurden: „vestalische Dramen“, in denen gottgeweihte Jungfrauen gegen die ihnen aufoktroyierte lebenslange Ordnung – letztlich erfolgreich – rebellieren. Zu den verbotenen Dramen zählten unter anderen Die Neuen Vestallinnen, ein Schauspiel, welches den Kampf einer ins Kloster gezwungenen jungen Frau zeigt – letztlich wird sie durch den aufgeklärten Kirchenfürsten, als deus ex machina, welcher alle Nonnen des Gelübdes entbindet, ihrem Lose entrissen. Angesichts der heftig geführten Diskussionen über Klöster in der josephinischen Zeit ist dies Druckverbot erklärungsbedürftig, plädiert dies Stück doch für eine aufgeklärte Religion. Für die Aufrechterhaltung des Verbots mag die Darstellung des Konnexes von klösterlichem Leben und versuchtem sexuellem Mißbrauch einer der Gründe gewesen sein, wie der komplexe Zuammenhang von Moral und Gelübdebruch. Die dramatische Lösung für den ‚sündigen‘ Bruch des Gesetzes besteht letzlich in der Aufhebung der Gesetzesordnung. Das war offensichtlich auch für Hägelin ein Hauptargument, gerade Die Sonnenjungfrau als exemplarischen Verstoß eines Stoffes gegen Sitte, Moral und Staat zu nennen. Auf der Bühne waren Stücke, die in Klöstern spielten – unabhängig von der Frage einer möglichen Lektüre – tabuisiert. Doch entfaltete sich ein vielfältiges Bühnenleben im heidnischen Gewande, auch mit Genehmigung der Zensur, vor allem in Oper und Ballett, und die Beschreibung entsprechender Ballette lässt wenig Zweifel, dass dabei nicht an einen historischen Stoff 535

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aus fernen Ländern gedacht wurde. Auch Lorenzo da Ponte verstand sein erfolgreich gespieltes Dramma giocoso L’arbore di Diana als Anspielung auf die Klosterpolitik Josephs II. Auch das exemplarische Verbotsstück Hägelins, Die Sonnenjungfrau, wurde in einer bereinigten Fassung mit nachhaltigem Erfolg auf die Bühne gebracht. Ein Haupteinwand gegen dieses Srück vonseiten Hägelins war die vom Inka-König verfügte Aufhebung des Kultes der Sonnenjungfrauen, welche ein Gelübde lebenslanger Keuschheit abzulegen hatten. Daraus ergab sich für den Zensor die Moral, „daß das Gelübde verwerflich ist, welches in einem katholischen Staate auf einem Theater nicht gelehrt werden kann“. Hier stellt sich die Frage, ob der Zensor während der Alleinregierung von Joseph II. auch so argumentiert hätte. Jedenfalls gab es zu dieser Zeit Aufführungen vestalischer Dramen, welche die Aufhebung der durch den jeweiligen Kult bedingten Keuschheitsgelübde wirkungsvoll in Szene setzten – in Wien mit Da Pontes und Martín y Solers L’arbore di Diana im Beisein Josephs II. und des Hofes anlässlich einer Galavorstellung für des Kaisers Nichte (1. Oktober 1787). Doch wie Hägelin in einem Gutachten über die Zukunft der Piaristenschule aus dem Jahre 1799 bekannte, wäre er „überhaupt kein Gönner von aller Art von Aufhebungen in Erbmonarchien“. Die auf Einspruch Hägelins von Jünger bereinigte Wiener Fassung versuchte, den Akt der Aufhebung der Institution in einen singulären Akt umzuwandeln – doch stellt sich die Frage, ob die Zuschauer des Dramas, welches sich über Einzelschicksale vermittelt, nicht auch ohne die gestrichenen verbalen Hilfen das Stück im Sinne des Autors verstanden haben, zumal der Text des originalen Schauspiels in Wien erhältlich war. Erheblicher Aufwand an Eingriffen wurde am Schluss des Dramas betrieben, welcher eine Revolte gegen den König beinhaltet, angezettelt vom Feldherrn des Königs, um die zum Tode verurteilte Sonnenjungfrau mit Gewalt zu befreien. Dies ist umso bemerkenswerter, als eine Revolte gegen den Herrscher laut Hägelins 1794 geschriebenen und die „jetzigen Zeitumstände“ berücksichtigenden Zensurinstruktionen auf der Bühne nicht gezeigt werden durfte. Jene Teile, in welchen die Souveränität des Königs zu stark beeinträchtigt schien, wurden gestrichen. Vor allem aber wurde eine Art Sprachmagie eingesetzt: während auf der Bühne für jeden ersichtlich die bewaffnete Revolte wütet, werden aus dem Text alle Wörter entfernt, die explizit benennen, was auf der Bühne geschieht. So wird eine Art Zeremoniell der Revolte in Szene gesetzt, eine Revolte, welche letztlich Katalysator für das glückliche Ende ist. Die zensurielle Technik erreicht insofern eine besondere Paradoxie, als etwa die durchgängige Streichung des Wortes „Aufruhr“ geradezu die Funktion hat, ihn auf der Bühne zu ermöglichen. Bei all diesen Zensurhandlungen ist, wie Hägelin mehrfach in seinen Schriften durchblicken lässt, zu bedenken, dass der Zensor, und besonders der Theatralzensor, bis zu einem gewissen Grad in einer ‚black box‘ agiert, mit vielschichtigen und auch 536

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für ihn nicht immer dechiffrierbaren Interaktionen – dafür ist der Figaro ein besonders gutes Beispiel. Aus den Rückmeldungen konnte Hägelin, wie er schreibt, nicht klar entnehmen, was im Falle einer Kritik an seiner Vorgangsweise der eigentliche Grund für die Beanstandung gewesen war, wie denn auch in keiner Weise davon auszugehen ist, dass über jeweils sich ändernde Grundlinien hinaus eine detaillierte Akkordanz zwischen Zensur und vorgesetzten Behörden bestand und zu erwarten war. Das galt in besonderer Weise für die Theatralzensur, und nicht zufällig erzählt der alte Hägelin die Geschichte, dass sich Staatsrat Hatzfeld zu Beginn der josephinischen Alleinregierung gewundert hatte, dass es einen Narren gäbe, der ohne Honorar ein Amt versehe, das er für 10000 Gulden nicht ausüben wollte. Hägelin verkörpert gewissermaßen den Typus eines ‚einsamen Zensors‘, der zur Institution wurde, der sich zumindest als Bücherzensor auch gelegentlich einen ‚Schattenzensor‘ hielt. Hägelins detaillierte Instruktionen mit der ursprünglichen Weigerung, solche zu verfassen, sind Ausdruck davon. Der Theatralzensor, hervorgegangen aus den auf das deutsche Theater bezogenen Reformbestrebungen, nimmt die ‚einsamen Bücherzensoren‘ der josephinischen Zeit vorweg, in der nach der Übertragung der Zensuragenden an die Studienhofkommission die kollegialen Sitzungen der Bücherzensoren aufhörten und jeder für sich allein agierte. Unter den neuen politischen wie behördlichen Bedingungen der 1790er Jahre, in denen die Zensuragenden direkt der Hofkanzlei unterstellt waren, führte dies zu jener Kon­ stellation, die der damalige Referent Johann Melchior von Birckenstock 1797 in einem Gutachten über die zukünftige Zensur nahezu als paralytischen Zustand schilderte, als den Zustand „einer Art von Dunkelheit und Verwirrung […] aus der sie [die Zensoren] sich nicht zu helfen wissen.“

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ARCHIVQUELLEN

Österreichisches Staatsarchiv – Allgemeines Verwaltungsarchiv Inneres, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1331, Zensur Niederösterreich, 1550–1779, Sign.: AT-OeStA/AVA Inneres HK Allgemein A 1331. Inneres, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1332, Zensur Niederösterreich, 1780– 1789, Sign.: AT-OeStA/AVA Inneres HK Allgemein A 1332. Inneres, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1333, Zensur Niederösterreich, 1790–1799, Sign.: AT-OeStA/AVA Inneres HK Allgemein A 1333. Inneres, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1365, Theater, Tierhetzen, Böhmen, ­Dalmatien, 1550–1848, Sign.: AT-OeStA/AVA Inneres HK Allgemein A 1365. Inneres, Hofkanzlei, Allgemeine Reihe, A 1366, Theater, Tierhetzen, Innerösterreich, 1550–1813, Sign.: AT-OeStA/AVA Inneres HK Allgemein A 1366. Inneres, Polizei, Pergen Akten 15/1: Zensur Angelegenheiten über Theaterstücke, Sign.: AT-OeStA/AVA Inneres Pol. Pergen A. 15/1. Inneres, Polizeihofstelle, Z No. 58 a, ex 1803: Gutachten von Franz Karl Hägelin zu Fragen der Theatralzensur, Sign.: AT-OeStA/AVA Inneres PHSt. Z 58 a.

Österreichisches Staatsarchiv – Haus-, Hof- und Staatsarchiv Hofarchive, General­intendanz der Hoftheater, SR 3: Prothocoll der Referate über die eingeschickten Stücke beym Kayserl. Königl. National Theater, 1779, Sign.: AT-OeStA/HHStA HA GIdHTh SR 3. Hofarchive, General­intendanz der Hoftheater, Verzeichnis und Index über die Thea­ terakten 1792–1805, Sign.: AT-OeStA/HHStA HA GIdHTh Band 1. Hofarchive, General­intendanz der Hoftheater, Theaterakten 1792–1805, Karton 2, Sign.: AT-OeStA/HHStA HA GIdHTh Karton 2. Staatskanzlei, Notenwechsel Polizeihofstelle 58-10, Zensur: Bücherzensur-Hofkommission, 1753–1792, Sign.: AT-OeStA/HHStA StK Notenwechsel Polizeihofstelle 58-10. Staatskanzlei, Notenwechsel Polizeihofstelle 58-11, Zensur: Vota über einzelne Schriften, 1776–1781, Sign.: AT-OeStA/HHStA StK Notenwechsel Polizeihofstelle 58-11.

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Quellen und L ­ iteraturverzeichnis

Kabinettsarchiv, Studienrevisions-Hofkommission 7: Über die Frage: Ob die Censurs Leitung in ­Zukunft mit der Studien-Ober-Direktion vereinigt, oder davon unter eigenen Praesidio getrennt werden soll?, Dezember 1797, Sign.: AT-OeSTA/HHStA KA Studienrevisionshofkommission 7-4. Österreichische Staatskanzlei, Notenwechsel Ungarische und Siebenbürgische Hofkanzlei 4, 1792–1797, Sign.: AT-OeStA/HHStA StK Notenwechsel Ungarische und Siebenbürgische Hofkanzlei 4.

Österreichische Nationalbibliothek Sammlung von Handschriften und alten Drucken Acta commissionis aulicae ad dirigendas res studiorum et censurae librorum a. 1783–1791. Vol. I. Cod. 9717 Han Vol. II. Cod. 9718 Han Vol. III. Cod. 9719 Han Franz Karl Högelin [Hägelin]: Gutachten für das ‚Directorium in politicis et cameralibus‘ über Angelegenheiten der Theaterzensur, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken Cod. Ser. n. 4012 Han

Wienbibliothek Abschriften nach Akten des Ministeriums des Innern Wiener Theater, 1708–1802, Ia 59478. Varia, 1770–1772, Ic 59479. Bücherzensur, 1751–1791, Ib 59480. Bücherzensur, 1762–1793, Ic 59480. Bücherzensur, 1791–1802, Ib 59480. Bücherzensur, 1793–1797, Ic 59480. Bücherzensur, 1797–1815, Ic 59480. Bücherzensur, 1802–1815, Ib 59480.

DR AMEN DES 18. JAHRHUNDERTS (DRUCKE UND HANDSCHRIFTEN IN CHRONOLOGISCHER FOLGE)

1721–1730 Denzio, Antonio: La pravità castigata. Rappresentazione morale per musica da ­rappresentarsi nel Teatro di Sua Eccellenza il Signor Francesco Antonio del S.R.I. Conte di Sporck l’anno 1730, Praga, Mattia Adam Hoeger. 542

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Archivquellen / Dramen

1731–1740 Fielding, Henry: The Old Debauchees. A Comedy. As it is acted at the Theatre Royal in Drury Lane. London. Printed for J. W. And Sold by J. Roberts in Warwick Lane. M DCC XXXII. Metastasio, Pietro: La clemenza di Tito. Dramma per musica da rappresentarsi nella cesarea corte per il nome gloriosissimo della sacra cesarea e cattolica real maestà di Carlo VI, imperadore de’ Romani sempre augusto, per comando della sacra cesarea e cattolica real maestà di Elisabetta Cristina, imperadrice regnante, l’anno MDCCXXXIV. Vienna d’Austria, appresso Giovanni Pietro van Ghelen, stampatore di corte di sua maestà cesarea e cattolica.

1741–1750 Kurtz, Joseph Felix von: Bernardon, der ruchlose Juan del Sole. In: Teutsche Arien, Welche auf dem Kayserlich=privilegirten Wienerischen Theatro in unterschiedlich producirten Comoedien, deren Titul hier jedesmahl beygerucket, gesungen worden [ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Bd. III, Cod. ms. 12.708, S. 126–146]. Anonym: Harlequin, der ungedultig – hernach aber mit Gewalt gedultig gemachte Hahnrey. Gedruckt als Nachspiel zur dreiaktigen Komödie: Die Franzosen in Böhmen. 1743. S. l. Caylus, Anne Claude Philippe de: Le Bordel ou le Jean-Foutre puni. Comédie a laquelle on a joint un Balet en trois Scénes. A Ancone. Che Jean Chouard, à l’ Enseigne du Morpion couronnè M.DCC.XL.VII.

1751–1760 Corneille, Thomas: Le Festin de pierre. Comédie en cinq actes. Vienne en Autriche, Chez Jean Pierre van Ghelen, Imprimeur de la Cour de sa Majesté Impériale & Royale. MDCCLII. Poquelin, Jean Baptiste, genannt Molière: Dom Juan, oder der steinerne Gast. Ein Lustspiel. In: Des Herrn Moliere sämmtliche Lustspiele. Nach einer freyen und sorgfältigen Übersetzung. Zweyter Theil. Mit Königl. Poln. und Churfürstl. Sächsischer allergnädigster Freyheit. Hamburg, bey Christian Herold. 1752. Anonym: Arien, Welche in der Comoedie, betitelt: Das steinerne Gastmahl gesungen werden, nebst denen Verzweiflungs-Versen Des Don Juans bey dessen unglückseeligen Lebens-­ Ende. Wien, Gedruckt mit von Ghelenischen Schriften, 1760.

1761–1770 Anonym: Das steinerne Gastmahl, Oder die redende Statua, samt Arie, Welche Hanns=Wurst singet; Nebst denen Versen Des Eremiten, Und denen Verzweiflungs=Versen Des Don Juans Bey dessen Unglückseeligen Lebens=Ende. S. l. s. a. Angiolini, Gasparo: Le Festin de pierre. Ballet Pantomime. Composé par Mr. Angiolini maitre des ballets du Theatre près de la Cour a Vienne, et representé pour la premiere fois 543

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Quellen und L ­ iteraturverzeichnis

sur ce Theatre le Octobre 1761. A Vienne, chez Jean Thomas Trattner Libraire et Imprimeur de la Cour. M.DCC.LXI. Favart, Marie / MR.***: Annette et Lubin. Comédie en un acte at en vers; Melée d’ Ariettes & de Vaudevilles. Par Madame Favart et MR.*** Représentée pour la premiere fois par les Comédiens Italiens Ordinaires du Roi, le 15 Février 1762. A Paris. Chez Duchesne, Libraire, rue Saint-Jaques, au-dessous de la Fontaine St. Benoit au Temple du Goût. Avec Approbation & Privilège du Roi. M.DCC. LXII. Voltaire: Olimpie. Tragédie nouvelle de Mr. de Voltaire. Suivie de Remarques Historiques. Francfort & Leipsic. MDCCLXIII. Weisse, Christian Felix: Die Matrone von Ephesus, Oder der von den Weibern leicht vergessene Tod der Männer, Ein Nachspiel in einem Aufzuge. 1764, s. l. Klemm, Christian Gottlob: Der adeliche Kaesstecher, oder die bestraften Ausschweifungen seines liederlichen Sohnes. Ein Lustspiel von drey Abhandlungen. Wien, zu finden bey Joseph Kurzböcken, Univers. Buchdruckern auf dem Hofe, 1765. Klemm, Christian Gottlob: Der auf den Parnaß versetzte grüne Hut, Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Aufgeführt auf dem k. k. privileg. Theater, Wien, im Jahre 1767. Zu finden bey dem Logenmeister. Brawe, Joachim Wilhelm von: Brutus, ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von Herrn ­Joachim Wilhelm von Brawe, Aufgeführt im k. k. deutschen priv. Theater. Zu finden beym ­L ogenmeister.Wien, gedruckt bey Johann Thomas Edlen von Trattnern, kaiserl. königl. Hofbuchdruckern und Buchhändlern, 1770. Gleditsch: Der listige und unerschrockene Hussar. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. 1770. S. l. Weisse, Christian Felix: Die Matrone von Ephesus, ein Lustspiel in einem Akte. Leipzig, in der Dykischen Buchhandlung. 1770. Weisse, Christian Felix: Die Matrone von Ephesus, oder Sind alle Witwen so? Ein Lustspiel in Versen in einem Aufzuge. Wien, gedruckt bei Johann Thomas Edlen von Trattnern, K. K. Hofbuchdruckern und Buchhändlern. 1770.

1771–1780 Anonym: Zwo komische Operetten von G**., nebst anderen Gedichten zum Anhange. Chemnitz, bey Joh. Dav. Stößels Erben und Putscher. 1773. Stephanie der Jüngere, Johann Gottlieb: Der Tadler nach der Mode, oder Ich weiß es besser. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen, von Stephanie dem jüngern, aufgeführt in den kais. kön. privilegirten Theatern. Mit römisch kayserl. allergn. Freyheit. Zu finden bey dem Logenmeister. Wien, 1773. Lenz, Jacob Michael Reinhold: Der Hofmeister oder Vortheile der Privaterziehung. Eine Komödie. Leipzig, in der Weygandschen Buchhandlung. 1774. Stephanie der Jüngere, Johann Gottlieb: Stephanie des Jüngern sämmtliche Schauspiele, Zweyter Band. Wien, in der von Ghelenschen Buchhandlung, 1774. 544

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Dramen

Goue, August Friedrich Siegfried: Masuren oder der junge Werther. Ein Trauerspiel aus dem Illyrischen. Frankfurth und Leipzig 1775. Lessing, Gotthold Ephraim: Gotthold Ephraim Lessings zwey Lustspiele: 1. Damon 2. Die alte Jungfer. Frankfurt und Leipzig, bey Johann Georg Fleischer, 1775. Anonym: Der Herzog von Danzig oder die Rache für einen Vater. Ein Trauerspiel. Frankfurt am Mayn bei den Eichenbergischen Erben 1776. Bonin, Christian Friedrich von: Ernest, oder die unglücklichen Folgen der Liebe. Ein Drama in drey Aufzügen in einer freien Übersetzung aus dem Französischen nach den Leiden des jungen Werthers gearbeitet. Berlin, 1776. Klinger, Friedrich Maximilian: Simsone Grisaldo. Ein Schauspiel in fünf Akten. Berlin, bey August Mylius, 1776. Klinger, Friedrich Maximilian: Die Zwillinge. Ein Trauerspiel, in fünf Aufzügen. Aufgeführt in dem kais. kön. Nationaltheater. Wien, zu finden bey dem Logenmeister. 1776. Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Ein Trauerspiel. Leipzig in der Weygandschen Buchhandlung 1776. Möller, Heinrich Friedrich: Der Graf von Walltron, oder die Subordination. Ein Originaltrauerspiel in fünf Aufzügen, von Heinrich Ferdinand Möller, Mitgliede der von Brunianschen Gesellschaft. Zum erstenmal in Prag aufgeführt den 25. Jänner 1776. Mit Bestättigung der K. K. Censur. Frankfurt und Leipzig, 1776. Weidmann, Paul: Die schöne Wienerinn, ein Originallustspiel von fünf Aufzügen. Aufgeführt auf der kais. kön. Nationalschaubühne 1776. Zu finden bey dem Logenmeister. Wien, gedruckt bey Johann Joseph Hahn. Lengenfelder, Johann Nepomuk: Die Neuen Vestallinnen, ein Schauspiel in trochaischer Versart. S. l. 1777. Lenz, Jacob Michael Reinhold: Der Engländer. Eine dramatische Phantasey. Leipzig, bei Weidmanns Erben und Reich. 1777. Mylius, Wilhelm Christhelf Sigmund: So prelt man alte Füchse oder Wurst wider Wurst. Posse mit Gesängen und Balletten von M. C. S. M***s. und B. C. d’Arien. Halle, verlegts J. C. Hendel. 1777. Sprickmann, Anton Mathias: Eulalia. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Leipzig in der Weygandschen Buchhandlung. 1777. Anonym: Jenny, ein bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen. Frankfurt, Leipzig 1778. Anonym: Die Verkannte Unschuld oder der Verrätherische Sohn. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Frankfurt und Leipzig, 1778. Ecker von Eckhoff, Hans Karl Freiherr von: Der Freymaurer im Gefängnisse. Ein Originalschauspiel in dreyen Aufzügen von Hans Karl Freiherr von Ecker und Eckhoff. Hamburg, in der Heroldischen Buchhandlung. 1778. Hahn, Ludwig Philipp: Robert von Hohenecken. Ein Trauerspiel. Leipzig in der Weygandschen Buchhandlung. 1778. 545

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Quellen und L ­ iteraturverzeichnis

Sander, Christian Friedrich: Golderich und Tasso. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Flensburg und Leipzig, in der Kortenschen Buchhandlung. 1778. Schink, Johann Friedrich: Lina von Waller. Ein Trauerspiel in drei Aufzügen von Schink. Berlin, 1778. Bei Christian Friedrich Himburg. Schlegel, Christiane Caroline: Düval und Charmille. Ein bürgerlich Trauerspiel in fünf Aufzügen. Von einem Frauenzimmer. Leipzig bei Weidmanns Erben und Reich. 1778. Weidmann, Paul: Der Mißbrauch der Gewalt. Ein Originallustspiel von fünf Aufzügen. Les Grands sont odieux aus petits par le mal, qu’ils leur font, & par tout le bien, qu’ils ne leur font pas. De la Bryer. Aufgeführt im k. k. Nationaltheater. Zu finden beym Logenmeister. Wien gedruckt mit Jahnischen Schriften, 1778. Weiss, Johann Adam: Rose. Die Nonne wider ihren Willen Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Erste Auflage. München, 1778. Weisse, Christian Felix: Die Haushälterinn: ein Lustspiel in fünf Aufzügen. In: Lustspiele von C. F. Weiße. Erster Theil. Carlsruhe, bey Christian Gottlieb Schmieder. 1778. Brandes, Johann Christian: Ottilie. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Verfertiget im Jahre 1779, s. l. Huber, Johann Ludwig: Das Lotto oder der redliche Schulze. Ein Nachspiel, in einem Aufzug. Für das Landvolk. Frankfurt, Leipzig 1779. Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht, in fünf Aufzügen. Von Gotthold Ephraim Lessing. Mit Churfürstl. Sächsischen Privilegio. Berlin, bei Christian Friedr. Voß und Sohn, 1779. Schrämbl, Franz Anton: Edwin und Ema. Ein Schauspiel in fünf Aufzügen. Aufgeführet im k. k. Nationaltheater. Wien, zu finden beym Logenmeister. 1779. Thilo, Friedrich Theophil: Adelheid oder die unwahrscheinliche Liebe, ein Schauspiel in drey Aufzügen. Leipzig, bey Carl Friederich Schneidern. 1779. Timme, Christian Friedrich: Die gute Ehefrau. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. Erfurt, bey Georg Adam Keyser. 1779. Weiss, Johann Adam: Von Helm, Der Freygeist ein Heuchler. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Von Johann Adam Weiß, Dem Verfasser von Rose, Nonne wider ihren Willen. Mannheim, bei Tobias Löffler. 1779. Blumauer, Aloys: Erwine von Steinheim. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Aufgeführt im k. k. Nationaltheater. Wien, zu finden beym Logenmeister. 1780. Brandes, Johann Christian: Ottilie. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von Johann Christian Brandes. Aufgeführt im k. k. Nationaltheater. Wien, zu finden beym Logenmeister, 1780. Hacke auf Bilzingsleben, Gottlob von: Das Schnupftuch. Ein Trauerspiel in drey Aufzügen. Hamburg, verlegt von Christian Herold, 1780. Heinze, Wenzel Sigmund: Der deutsche Satyriker vor der lateinischen Inquisizion. Ein dramatischer Roman. Aufgeführt in Wien, den 7. Oktober 1779. Freyenthal, 1780. 546

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Dramen

Heyne, Christian Leberecht: Caroline, oder So wahr ich bin ein freyer Mann. Ein Lustspiel in fünf Akten von Anton Wall. Herrn August Moßdorf gewidmet. Leipzig, im Verlage der Dykischen Buchhandlung. 1780. Klinger, Friedrich Maximilian: Prinz Seiden-Wurm der Reformator oder die Kron-Kompetenten, ein moralisches Drama aus dem fünften Theil des Orpheus. Genf bey J. H. Legrand 1780. Pelzel, Joseph Bernhard: Hedwigis von Westenwang oder die Belagerung von Wien. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Aufgeführt im k.k. Nationaltheater. Wien, zu finden beym Logenmeister, 1780. Plümecke, Carl Martin: Henriette, oder der Husarenraub. Ein Schauspiel, in 5 Akten, von C. M. Plümicke. Nach dem Roman gleiches Namens. Berlin, bei Arnold Wever. 1780. Schletter, Friedrich Salomon: Betrug für Betrug, oder Wer hat nun die Wette gewonnen? Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Aufgeführt im k. k. Nationaltheater. Wien, zu finden beym Logenmeister, 1780.

1781–1790 [Auenbrugger, Joseph Leopold von]: Der Rauchfangkehrer, oder die unentbehrlichen Verräther ihrer Herrschaften aus Eigennutz. Ein musikalisches Lustspiel in drey Aufzügen. In Musik gesetzt von Herrn Anton Salieri, Compositor in wirklichen Diensten Sr. Majestät des Kaisers und des kaiserl. Hof-National Theaters. Aufgeführt im k. k. Nationaltheater. Wien, zu finden beym Logenmeister. 1781. Ayrenhoff, Cornelius von: Irene. Ein christliches Trauerspiel in drey Aufzügen. Wien: zu finden beym Logenmeister 1781. Gotter, Friedrich Wilhelm: Der argwöhnische Ehemann. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. Aufgeführt auf dem kais. kön. Nat.Hoftheater. Wien, zu finden beym Logenmeister, 1781. Anonym: Der Frömmler. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. 1782. S. l. Fielding, Henry: Die Nonne oder der ertappte Mönch. Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Aus dem Englischen des Fieldings übersetzet. Leipzig, 1782. Marinelli, Karl: Dom Juan oder der steinerne Gast. Lustspiel in vier Aufzügen nach Molieren, und dem spanischen des Tirso de Molina „el Combidado de piedra“ für dies Theater bearbeitet von Kaspars Lustbarkeit. [Manuskript, Sammlung Fritz Bruckner, Wienbibliothek, Ja 149.445]. Weisse, Christian Felix: Alter hilft vor Thorheit nicht, oder die Haushälterin. In fünf Aufzügen. In: Lustspiele von C. F. Weiße, Erster Band. Neu überarbeitet. Leipzig, im Verlage der Dykischen Buchhandlung. 1783. Büschel, Johann Gabriel Bernhard: Julus und Rhea, ein Duodrama mit Musik. Paphos. In Amors Druckerei. 1784.

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Quellen und L ­ iteraturverzeichnis

Casti, Giambattista: Il re Teodoro in Venezia. Dramma eroicomico. Da rappresentarsi nel teatro di Corte. L’anno 1784. In Vienna. Presso Giuseppe Nob. de Kurzbek. Stampatore di S. M. I. R. Beaumarchais, Pierre Augustin Caron de: La Folle Journée, ou Le Mariage de Figaro, Comédie en cinq Actes, en Prose, par M. d. Beaumarchais, Au Palais Royal, Chez ­Ruault, M.DCC.LXXXV. Beaumarchais, Pierre Augustin Caron de: Der närrische Tag, oder die Hochzeit des Figaro; ein Lustspiel in fünf Aufzügen, aus dem Französischen des Herrn Caron von Beaumarchais, Wien 1785. [Übersetzt und bearbeitet von Johann Rautenstrauch.] Gotter, Friedrich Wilhelm: Der argwöhnische Ehemann. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen, von Legations-Secretair Gotter. Hamburg, 1785. Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Für das kaiserl. königl. National-Hoftheater. Wien, 1785. Zu finden bey Fried. Aug. Hartmann, und beim Logenmeister beider k. k. Theater. Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Für das kaiserl. königl. National-Hoftheater. Wien, 1785. Zu finden bey Fried. Aug. Hartmann, und beim Logenmeister beider k. k. Theater. [Druck mit Eintragungen des Zensors Franz Karl Hägelin, Österreichisches Theatermuseum, 847.726 – A. Th]. Cremeri, Benedikt Dominik Anton: Don Juan oder der steinerne Gast. Ein Kassastück in fünf Aufzügen. Frankfurt, Leipzig 1788. In: Anton Cremeri: Sämmtliche Lustspiele. Frankfurt, Leipzig 1787. Da Ponte, Lorenzo: L’arbore di Diana. Dramma giocoso in due atti. Da rappresentarsi per l’arrivo di Sua Altezza Reale Maria Teresa Arciduchessa d’Austria: Sposa del Principe Antonio di Sassonia. In Vienna. Presso Giuseppe Nob. de Kurzbek. Stampatore di S.M.I.R. Da Ponte, Lorenzo: Il Dissoluto punito. O sia Il D. Giovanni. Dramma giocoso in due atti. Da rappresentarsi nel Teatro di Praga per l’Arrivo di Sua Altezza Reale Maria Teresa Arciduchessa d’Austria: Sposa del Ser. Principe Antonio di Sassonia. L’Anno 1787. In Vienna. Da Ponte, Lorenzo: Il Dissoluto punito. O sia Il D. Giovanni. Dramma giocoso in due atti. Da rappresentarsi nel Teatro di Praga l’Anno 1787. In Praga. di Schoenfeld. Da Ponte, Lorenzo: Axur re d’Ormus. Dramma tragicomico in cinque atti. Da rappresentarsi nel teatro della Corte. Per le nozze di Sua Altezza reale l’Arciduca Francesco d’Austria con la Sua Altezza serenissima Elisabetta Principessa di Würtemberg. L’anno 1788. In Vienna. Presso Giuseppe Nob. de Kurzbek stampatore di S. M. I. R. Da Ponte, Lorenzo: Il Dissoluto punito. O sia Il D. Giovanni. Dramma giocoso in due atti. Da rappresentarsi nel Teatro di Corte l’Anno 1788. In Vienna, nella Imp. stamperia dei Sordi e Muti.

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Dramen

Rolland, Albonico: Cora und Alonzo. Ein karakteristisch pantomimisches Ballet in vier Aufzügen, von Albonico Rolland, mit einem von Prof. Babo verbundenen Melodram. Aufgeführet im königl. Altstädter Nationaltheater 1788. Prag. Gedrukt bei Joseph ­Emanuel Diesbach auf den kleinen Platz No 225.

1791–1800 Kotzebue, August von: Die Sonnen-Jungfrau. Ein Schauspiel in fünf Aufzügen. Von ­August von Kotzebue. Leipzig, 1791. Kotzebue, August von: Die Sonnenjungfrau. Ein Schauspiel in 5 Aufzügen von Kotzebu. Für das k. k. Hoftheater. [Handschrift mit Zensureintragungen, Österreichisches Theatermuseum, Sign.: 58 Ser. Nov. 4941]. Cremeri, Benedikt Dominik Anton: Der Bauernaufstand ob der Enns. Ein Schauspiel in vier Aufzügen aus der österreichischen Geschichte. Auf Kosten des Verfassers. Linz, gedruckt mit Pramsteidelischen Schriften, 1792. Schikaneder, Emanuel: Der redliche Landmann. Ein ländliches Familien Gemälde in fünf Aufzügen von Emanuel Schikaneder. königl. privil. Schauspiel=Unternehmer in Wien. Mit von Steinsbergischen Schriften 1792. Ysenburg von Buri, Ernst Carl Ludwig: Ludwig Capet, oder Der Königsmord. Ein bürgerliches Trauerspiel, in vier Aufzügen, von L. Y. von Buri. Neuwied, bei J. L. Gehra, 1793.

1801–1810 Kotzebue, August von: Die Sonnenjungfrau. Ein Schauspiel in fünf Aufzügen von August von Kotzebue. Für das k. k. Hoftheater. Wien, auf Kosten und im Verlag bey Joh[.] Baptist Wallishausser, 1801. Beaumarchais, Pierre Augustin Caron de: Der tolle Tag oder die Hochzeit des Figaro. Ein Lustspiel in 5 Aufzügen frey nach Beaumarchais. Von J. F. Jünger für das k. k. National Hoftheater. 1802 [Handschrift, Zensurbuch, Österreichisches Theatermuseum, Sign.: 186 Ser. Nov. 5195].

1811–1820 Anonym: Der Donn Joann. Ein Schauspill in 4. Aufzigen. Verfast von herrn appen Beter Metastasia. K. K. Hoboeten. […] Durch mich abgeschrieben Franz Kastner 1811. Laufen a. d. Salzach ms, 1811. Herausgegeben von Richard Maria Werner: Der Laufner Don Juan. Ein Beitrag zur Geschichte des Volksschauspiels. Hamburg, Leipzig 1891 (= Theatergeschichtliche Forschungen 3).

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Quellen und L ­ iteraturverzeichnis

SONSTIGE DRUCKSCHRIFTEN DES 18. UND FRÜHEN 19. JAHRHUNDERTS (IN CHRONOLOGISCHER FOLGE)

1721–1730 Wolff, Christian: Vernünfftige Gedancken Von dem Gesellschafftlichen Leben der Menschen Und insonderheit Dem gemeinen Wesen Zu Beförderung der Glückseeligkeit des menschlichen Geschlechtes, Den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet. Halle 1721.

1731–1750 Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Halle, Leipzig: Selbstverlag 1731–1754. Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Deutsche Memoires oder Sammlung verschiedener Anmerkungen, die Staatsklugheit, das Kriegswesen, die Justiz, Morale, Oeconomie Commercium, Cammer- und Polizey- auch andere merkwürdige Sachen betreffend, welche im menschlichen Leben vorkommen, von einigen Civil- und Militairbedienten, auch von andern gelehrten und erfahrenen Personen angemerket, aufgezeichnet und hinterlassen worden. 3 Bde. Wien 1750.

1751–1760 Anonym: Freye Gedanken über die herausgekommenen Staats-Schriften des gegenwärtigen Kriegs benebst einem Bericht, was von einer Bücher-Censur zu halten. Rostock 1752. [Engelschall, Joseph Heinrich]: Zufällige Gedanken über die Deutsche Schaubühne zu Wien, von einem Verehrer des guten Geschmacks und guter Sitten. Wien, gedruckt bey Johann Thomas Trattnern kaiserl. königl. Hof- und N. Oe. Landschaftsbuchdruckern und Buchhändlern, 1760. Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Die Grundfeste zu der Macht und Glückseeligkeit der Staaten; oder ausführliche Vorstellung der gesamten Policey-Wissenschaft. 2 Bde. ­Königsberg, Leipzig 1760.

1761–1770 Bielfeld, Jacob Friedrich: Institutions Politiques, Ouvrage où l’on traite de la Socièté Civile, des Loix, de la Police, des Finances, du Commerce, des forces d’un Etat; & en général de tout ce qui a rapport au Gouvernement. A Paris, Chez Duchesne, Libraire, rue S. Jaques, au dessous de la Fontaine S. Benoît, au Temple de Goût. M.DCC.LXI. Avec approbation & privilege du Roi. 4 Bde. Sonnenfels, Joseph von: Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft. Zum Leitfaden der akademischen Vorlesungen. Wien, gedruckt bei Johann Thomas Edlen von Trattnern, kaiserl. königl. Hofbuchdruckern und Buchhändlern, 1765.

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Schriften

[Sonnenfels, Joseph von]: Der Mann ohne Vorurtheil. Wien, verlegt bei Joh. Thomas Edlen von Trattnern, kaiserl. königl. Hofbuchdruckern und Buchhändlern. 1765 [Wienbibliothek, Sign.: 11351 A /1]. [Sonnenfels, Joseph von]: Der Mann ohne Vorurtheil. Wien, verlegt bei Joh. Thomas Edlen von Trattnern, kaiserl. königl. Hofbuchdruckern und Buchhändlern. 1765, [Bd. II] [Wienbibliothek, Sign.: 11351 A/2]. B[ob], F. J.: Von den Kunstrichtern. Wien 1767. Sonnenfels, Joseph von: Briefe über die wienerische Schaubühne [Wien 1767-1769], hg. von Hilde Haider-Pregler, versehen mit einem Nachwort. Graz 1988 (= Wiener Neudrucke 9). Anonym: Briefe die Theatralische Gesellschaft des Herrn Joseph von Kurz betreffend. 1768, s. l. Klemm, Christian Gottlob (Hg.): Wienerische Dramaturgie. Erstes Vierteljahr. Wien, Gedruckt bey Maria Theresia Schulzin, Wittib, Universitätsbuchdruckerin in der Römerstraße. 1768. Sonnenfels, Joseph von: Joseph von Sonnenfels k. k. Raths, ordentlichen, öffentlichen Lehrers der Polizey, Handlung- und Finanzwissenschaft an der hohen Schule in Wien, wie auch an den beiden adelichen theresianischen und savoyschen Akademien, Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft. Erster Theil, zweyte, verbesserte und vermehrte Auflage. Wien, bey Joseph Kurtzböck, Universitätsbuchdrucker 1768. Klemm, Christian Gottlob, und Franz von Heufeld (Hg.): Dramaturgie, Litteratur und Sitten [Wochenschrift]. Wien 1769. Lessing, Gotthold Ephraim: Hamburgische Dramaturgie. Erster Band. Hamburg. In Commission bey J. H. Cramer, in Bremen. [1769]. Lessing, Gotthold Ephraim: Hamburgische Dramaturgie. Zweyter Band. Hamburg. In Commission bey J. H. Cramer, in Bremen. [1769]. Sonnenfels, Joseph von: Abhandlung von der Theurung in Hauptstädten und dem Mittel derselben abzuhelfen. Leipzig, bey Christian Gottlob Hilschern, 1769. Sonnenfels, Joseph von: Joseph von Sonnenfels kaiserl. königl. wirkl. N. Oe. Regierungsraths, ordentlichen, öffentlichen Lehrers der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft: Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft. Erster Theil, Dritte Auflage. Wien, gedruckt bey Johann Thomas Edlen von Trattnern, kaiserl. königl. Hofbuchdruckern und Buchhändlern. 1770.

1771–1780 Müller, Johann Heinrich Friedrich: Genaue Nachrichten von beyden Kaiserlich-Königlichen Schaubühnen und andern öffentlichen Ergötzlichkeiten in Wien. Mit Kupfern. Herausgegeben von Johann Heinrich Friedrich Müller, Mitgliede der kais. kön. Nationalschauspieler-Gesellschaft. Wien, gedruckt mit von Ghelenschen Schriften 1772.

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Quellen und L ­ iteraturverzeichnis

Anonym: Ueber den Buchhandel in den kaiserl. königl. Erblanden. Berlin und Leipzig, 1774. Bertuch, Friedrich Johann Justin: Gedanken über den Buchhandel. Frankfurt am Main 1774. Anonym: Der Censor, oder: Beweis, daß die Büchercensur und alle Einschränkungen des Büchergewerbes, nicht nur der menschlichen Erkenntniß, sondern dem gemeinen Besten überhaupt, höchst nachtheilige Veranstaltungen sind, und gemeiniglich in Schikanen ausarten. Frankfurt und Leipzig 1775 [Wienbibliothek, 110710 A]. [Schmid, Christian Heinrich (Hg.)]: Chronologie des deutschen Theaters. S. l. 1775. Bertram, Christian August (Hg.): Allgemeine Bibliothek für Schauspieler und Schauspielliebhaber. Des I. Bandes II. Stück. Frankfurt und Leipzig 1776. Catalogus librorum a commissione caes. reg. Aulica prohibitorum. Editio nova. Cum Privilegio S.C.R Apost. Majestatis. Viennae Austriae, Typis Geroldianis. 1776 [Wienbibliothek, A 105475]. Luca, Ignaz de: Das gelehrte Österreich oder: Verzeichnis aller jetzt lebenden österreichischen Schriftsteller und Künstler. Ein Versuch. Bd. 1, 1. u. 2. Stück. Wien, Linz 1776/78. Müller, Johann Heinrich Friedrich: Geschichte und Tagbuch Der Wiener Schaubühne. Herausgegeben von Johann Heinrich Friderich Müller, Mitgliede der k.k. National Schauspieler Gesellschaft. Wien, gedruckt bey Joh. Thom. Edlen von Trattnern, kaiserl. königl. Hofbuchdruckern und Buchhändlern. 1776. Marmontel, Jean François: Les Incas, ou la destruction de l’empire du Pérou. Par M. Marmontel, Historiographe de France, l’un de Quarante de l’Académie Françoise. Paris, Chez Lacombe, Libraire, rue de Tournon, près de Luxembourg. M.DCC.LXXVII. Avec Approbation, et Privilege du Roi. Supplementum ad Catalogum librorum a commissione caes. reg. Aulica prohibitorum. Editio nova. Cum Privilegio S.C.R Apost. Majestatis. Viennae Austriae, Typis Geroldianis. 1777. Wochenblatt für die österreichische Jugend. 1. Jahrgang. 1. Quartal. Wien, bey Joseph ­A nton Edlen von Trattnern, 1777. Supplementum II ad Catalogum librorum a commissione caes. reg. Aulica prohibitorum. Editio nova. Cum Privilegio S.C.R Apost. Majestatis. Viennae Austriae, Typis Geroldianis. 1778. [Cremeri, Benedikt Dominik Anton]: Eine Bille an Joseph den II. Aus der Herzkammer eines ehrlichen Mannes. Frankfurt und Leipzig 1780. [Heinze, Wenzel Sigmund]: Der deutsche Satyriker vor der lateinischen Inquisizion. Ein dramatischer Roman. Aufgeführt in Wien, den 7. Oktober 1779. Freyenthal, 1780. [Heinze, Wenzel Sigmund]: Ode zum Lobe der Bücherzensur. Mit Erlaubniß der k. k. Bücherrevision im Lande ob der Enns. Linz, in der Frennerischen k.k. akademischen Buchhandlung, [1780].

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Schriften

[Cremeri, Benedikt Dominik Anton]: Summarische Antwort des B. D. A. Cremeri auf die Anfrage des Friedrich Nikolai wegen dem Oesterreichischen Verbote der allgemeine[n] deutschen Bibliothek. S. l. 1780. Heinze, Wenzel Sigismund: Von der Schauspielkunst. Wien, bey Joseph Edlen von Kurzbek. 1780. Heinze, Wenzel Sigmund: Wenzel Sigmunds Heinzens Vermischter Schriften erstes Bändchen. Den Oberösterreichern gewidmet. Linz. In der Frennerischen K. K. Akademischen Buchhandlung. 1780. Supplementum III ad Catalogum librorum a commissione caes. reg. Aulica prohibitorum. ­Editio nova. Cum Privilegio S.C.R Apost. Majestatis. Viennae Austriae, Typis ­G eroldianis. 1780.

1781–1790 Blumauer, Aloys: Lob- und Ehrengedicht auf die sämmtlichen neuen schreibseligen Wienerautoren. Wien: Sebastian Härtel 1781. [Cremeri, Benedikt Dominik Anton]: Meine Grille von den katholischen Vestalinnen. S. l. 1781. [Cremeri, Benedikt Dominik Anton]: Ein Paket für Fürsten, sonst nützt’s nichts. Wien 1781. [Heinze, Wenzel Sigmund]: Streitsache zwischen dem Passauer Ordinariate, und dem Exjesuiten Heinze, Professor in Linz. In den Jahren 1779. Und 1780. 1781. s. l. Schink, Johann Friedrich: Dramaturgische Fragmente. Erster Band. Dem Herrn Professor Engel zu Berlin gewidmet von Johann Friederich Schink. Graz mit v. Widmanstättenschen Schriften. 1781. Blumauer, Aloys: Beobachtungen über Österreichs Aufklärung und Litteratur. Wien 1782. [Klinger, Ignatz]: Über die Unnütz- und Schädlichkeit der Juden in dem Königreiche Böhheim, und Mähren. Mit Bewilligung der k. k. Censur. Prag, 1782. Cremeri, [Benedikt Dominik] Anton: Franz Steininger dermalen Pfarrer und Nonnenbeichtvater zu Windhaag als Pasquillant dem Volke dargestellt. S. l. 1783. [Cremeri, Benedikt Dominik Anton]: Die Mama will: ich soll ins Closter geh’n. Eine Reihe Antwortschreiben. S. l. 1783. Nicolai, Friedrich: Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781. Nebst Anmerkungen über die Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten. 4 Bde. Berlin und Stettin 1783/84. Sonnenfels, Joseph von: Gesammelte Schriften. 10 Bde. Wien: mit von Baumeisterischen Schriften 1783/87. Hof- und Staatsschematismus der röm. kais. auch kais. königlich- und erzherzoglichen Hauptund Residenzstadt Wien. […] 1784. Mit allergnädigster kais. Freyheit. gedruckt und zu finden bey Joseph Gerold, kais. Reichs-Hofbuchdrucker und Buchhändler auf dem Dominikanerplatz 721. 553

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Quellen und L ­ iteraturverzeichnis

Oesterreichische Biedermanns-Chronik. Erster Theil. Freyheitsburg, im Verlag der Gebrüder Redlich, 1784. [Wekhrlin, Wilhelm Ludwig]: Das graue Ungeheuer von Wekhrlin. Erster Band. 1784. Anonym: Reise des Figaro durch Spanien. Frankfurt und Leipzig 1785. Blumauer, Aloys: Virgils Aeneis travestirt von Blumauer, Zweyter Band. Wien, bei ­Rudolph Gräffer. 1785. Cremeri, Benedikt Dominik Anton: Cremeris beste und biedermännische Schriften. Erstes Bändchen. Wien, bei Joseph Edlen von Kurzbek, k. k. Hochbuchdrucker, Groß- und Buchhändler. 1785. Cremeri, [Benedikt Dominik] Anton: Fromme Wünsche eine ächte Schaubühne und würdige Schauspieler für dieselbe zu bekommen. Linz: Suara 1785. [Cremeri, Benedikt Dominik Anton]: Ein gottloses Büchlein für Gute Fürsten: die Plane der Böswichte zu vereiteln. S. l. 1785. Pezzl, Johann: Skizze von Wien. 6 Hefte. Wien und Leipzig. In der Kraussischen Buchhandlung. 1786–1790. Sonnenfels, Joseph von: Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz, von Sonnenfels. Zu dem Leitfaden des politischen Studiums. Erster Theil. Polizey. Wien bei Joseph ­Edlen von Kurzbek, k. k. Hofbuchdrucker, 1786. Sonnenfels, Joseph von: „Ueber die Vorstellung des Brutus bei dem Auftritte Hrn. Lang des Aeltern. Im Jahre 1770“. In: Sonnenfels gesammelte Schriften. Neunter Band. Wien 1786, S. 69–114. Catalogue des livres défendus par la commission impériale et royale. Jusqu’á l’année 1786. Bruxelles M.DCC.LXXXVIII. Crampagna, Charles de: Les Passe-tems d’un cadet en semestre. Dédié à S. A. Mgr. Le Prince de Ligne, General d’ artillerie des armées de l’Empéreur. Par Charles de Crampagna, Cadet au Regiment de Francois Kinsky, Infanterie, au Service de S. M. I. R. A Paris, pas loin du pont-neuf, / L’an dix-sept cent quatre-vingt neuf.

1791–1800 Bendavid, Lazarus: „Ueber Caricatur“. In: Deutsche Monatsschrift (1794), Zweyter Bd. Allgemeines europäisches Journal. 1795. Dritter Band, Brünn, gedruckt und im Verlag bei Joseph Georg Traßler, Buchdrucker, Buch- und Kunsthändler.

1801–1810 Chronologisches Verzeichniß aller Schauspiele, deutschen und italienischen Opern, Pantomimen und Ballette, welche seit dem Monath April 1794 bis wieder dahin 1807, nämlich durch volle 13 Jahre sowohl in den k. k. Hoftheatern als auch in den k. k. privil. Schauspiel­ häusern, vormahls auf der Wieden, nun an der Wien und in der Leopoldstadt aufgeführet worden sind. Wien 1807. Auf Kosten und im Verlage bey Johann Baptist Wallishausser. 554

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1821–1830 Da Ponte, Lorenzo: Memorie di Lorenzo da Ponte, da Ceneda in tre Volumi. Scritte da Esso. Seconda Edizione Corretta, Ampliata E Accresciuta d’un intero Volume. E di Alcune Note. Pubblicate dall’Autore. I. Volume, Parte 1ma, I. Volume, Parte II., II. Volume, Parte Ima, Nuova Jorca: Gray & Bunce 1829; II. Volume, Parte II, Gray & Bunce 1830; III. Volume, Parte Ima, II. Parte del III Volume, Saggi Poetici di Lorenzo da Ponte. Libera Traduzione della Profezia di Dante. Di Lord Byron. Terza Editione, con Note Pe’ Miei Allievi, Nuova Jorca: John H. Turney 1830. Engel, Johann Jakob: Ideen zu einer Mimik. 2 Bde. Berlin 1785/86.

FORSCHUNGSLITER ATUR DES 19., 20. UND 21. JAHRHUNDERTS Agazzi, Elena: „Literatur und Zensur zwischen dem ‚Jenaer Kreis‘ und der ‚Heidelberger Romantik‘“. In: Zensur im Jahrhundert der Aufklärung. Geschichte, Theorie, Praxis, hg. von Wilhelm Haefs und York-Gothart Mix. Göttingen 2007 (= Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa 12), S. 243–262. Andreasen, Øjvind (Hg.): Aus den Tagebüchern Friedrich Münters. Kopenhagen, Leipzig 1937. Angelike, Karin: Louis-François Mettra. Ein französischer Zeitungsverleger in Köln (1770– 1800). Köln, Weimar, Wien 2002. Angelike, Karin: „Presse, nouvelles à la main und geheime Korrespondenz: Ein französischer Journalist im Rheinland und sein Umgang mit der Zensur“. In: Zensur im Jahrhundert der Aufklärung. Geschichte, Theorie, Praxis, hg. von Wilhelm Haefs und York-Gothart Mix. Göttingen 2007 (= Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa 12), S. 225–242. Angermüller, Rudolph: Figaro. Mit einem Beitrag von W. Pütz. R. Spängler zum 80. Geburtstag zugeeignet. Salzburg 1986. Angermüller, Rudolph: Mozart 1485/86 bis 2003. Daten zu Leben, Werk und Rezeptionsgeschichte der Mozarts. Tutzing 2004. Arneth, Alfred Ritter von: Beaumarchais und Sonnenfels. Wien 1868. Asper, Helmut G.: Hanswurst. Studien zum Lustigmacher auf der Berufsschauspielerbühne in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert. Emsdetten 1980. Assmann, Aleida, und Jan Assmann (Hg.): Kanon und Zensur. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation II. München 1987. Aulich, Reinhard: „Elemente einer funktionalen Differenzierung der literarischen Zensur. Überlegungen zu Form und Wirksamkeit von Zensur als einer intentional adäquaten Reaktion gegenüber literarischer Kommunikation“. In: „Unmora-

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Quellen und L ­ iteraturverzeichnis

lisch an sich …“ Zensur im 18. und 19. Jahrhundert, hg. von Herbert G. Göpfert und Erdmann Weyrauch. Wiesbaden 1988, S. 177–230. Bachleitner, Norbert: „‚der so nachtheiligen Romanen-Lektüre ein Ende machen.‘ Der historische Roman und die österreichische Zensur im Vormärz, am Beispiel von Walter Scotts ‚Woodstock‘“. In: Sprachkunst 22 (1991), 1. Halbbd., S. 35–48. Bachleitner, Norbert (Hg.): Quellen zur Rezeption des englischen und französischen Romans in Deutschland und Österreich im 19. Jahrhundert. Tübingen 1990 (=  Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 31). Bachleitner, Norbert, Franz M. Eybl und Ernst Fischer: Geschichte des Buchhandels in Österreich. Wiesbaden 2000. Bachleitner, Norbert: „Lesen wie ein Zensor. Zur österreichischen Zensur englischer und französischer Erzählliteratur im Vormärz“. In: Zensur und Selbstzensur in der Literatur, hg. von Peter Brockmeier. Würzburg 1996, S. 107–126. Bachleitner, Norbert: „Die Theaterzensur in der Habsburgermonarchie im 19. Jahrhundert“. In: Habitus III, hg. von Beatrix Müller-Kampel und Helmut Kuzmics (= LiTheS. Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie, Nr. 5, 2010) (http:// lithes.uni-graz.at/lithes/beitraege10_05/heft_5_ bachleitner.pdf ). Bachleitner, Norbert: Geschichte der literarischen Zensur (http://complit.univie.ac.at/ skripten/geschichte-der-literarischen-zensur/). Balmas, Enea: Il mito di Don Giovanni nel seicento Francese. Rom 1986. Baur, Eva Gesine: Emanuel Schikaneder. Der Mann für Mozart. München 2012. Beales, Derek: Joseph II. 1. In the shadow of Maria Theresia: 1741–1780. Cambridge 1987. Beales, Derek: Joseph II. 2. Against the world: 1780–1790. Cambridge 2009. Bévotte, Georges Gendarme de: Le Festin de Pierre avant Molière. Paris 1907. Biba, Otto: „Gottfried van Swieten“. In: Europas Musikgeschichte. Grenzen und Öffnungen, hg. von Ulrich Prinz. Kassel [u. a.] 1997, S. 120–137. Biermann, Armin: „‚Gefährliche Literatur‘ – Skizze einer Theorie der literarischen Zensur“. In: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 13 (1988), S. 1–28. Biermann, Armin: „Zur sozialen Konstruktion der Gefährlichkeit von Literatur. Beispiele aus der französischen Aufklärung und dem Premier Empire“. In: Kanon und Zensur. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation II, hg. von Aleida Assmann und Jan Assmann. München 1987, S, 212–226. Binal, Wolfgang: Deutschsprachiges Theater in Budapest von den Anfängen bis zum Brand des Theaters in der Wollgasse (1889). Wien 1972 (= Theatergeschichte Österreichs 10. Donaumonarchie 1). Birbaumer, Ulf: Das Werk des Joseph Felix von Kurz-Bernardon und seine szenische Realisierung. Versuch einer Genealogie und Dramaturgie der Bernardoniade. Wien 1971. Blümml, Emil Karl, und Gustav Gugitz: Alt=Wiener Thespiskarren. Die Frühzeit der Wiener Vorstadtbühnen. Wien 1925.

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Forschungsliteratur

Bodi, Lesli: Tauwetter in Wien. Zur Prosa der österreichischen Aufklärung 1781–1795. Frankfurt am Main 1977, 1995. Bohnen, Klaus: „Grenzsetzungen. Zensur-Kritik und Selbstzensur bei G. E. Lessing“. In: Zensur im Jahrhundert der Aufklärung. Geschichte, Theorie, Praxis, hg. von Wilhelm Haefs und York-Gothart Mix. Göttingen 2007 (= Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa 12), S. 133–144. Bourdieu, Pierre: Titel und Stelle. Über die Reproduktion sozialer Macht. Übersetzt von Helmut Köhler. Frankfurt am Main 1981. Bourdieu, Pierre: Zur Soziologie der symbolischen Formen. Frankfurt am Main 1974. Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Übersetzt von Bernd Schwibs und Achim Rousser. Frankfurt am Main 1982. Bourdieu, Pierre: „Die Zensur“. In: Pierre Bourdieu: Soziologische Fragen. Frankfurt am Main 1993, S. 131–135. Bourdieu, Pierre: Was heißt sprechen? Die Ökonomie des sprachlichen Tausches. Übersetzt von Hella Beister. Hg. von Georg Kremnitz. Wien 1990. Bourdieu, Pierre: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt am Main 1999. Brandl, Manfred, und Willibald Katzinger: „Wenzel Siegmund Heinze (1737– 1830). Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung in Linz“. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz. Linz 1977, S. 149–208. Brandl, Manfred: „Benedikt Dominik Anton Cremeri (1752–1795). Zensuraktuar, Theatermann und Populäraufklärer in Linz“. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz. Linz 1978, S. 147–174. Breuer, Dieter: Geschichte der literarischen Zensur in Deutschland. Heidelberg 1982. Breuer, Dieter: „Stand und Aufgaben der Zensurforschung“. In: „Unmoralisch an sich …“ Zensur im 18. und 19. Jahrhundert, hg. von Herbert G. Göpfert und Erdmann Weyrauch. Wiesbaden 1988, S. 37–60. Brockmeier, Peter (Hg.): Zensur und Selbstzensur in der Literatur. Würzburg 1996. Brosche, Günter: Joseph von Sonnenfels und das Wiener Theater. Dissertation, Universität Wien 1962. Brown, Bruce Alan: „Censoring Opéra-Comique: Outsourcing vs. Local Control in Vienna’s French Theater“. Vortrag, gehalten auf der Tagung der American Society for Eighteenth-Century Studies, Vancouver, 17–20 March 2011. Brown, Gregory: A Field of Honor. Writers, Court Culture and Public Theatre in French Literary Life from Racine to the Revolution. New York 2005. Brunner, Sebastian: Die Mysterien der Aufklärung in Österreich. Mainz 1869. Butler, Judith: Excitable speech. A Politics of the Performative. New York 1997. Butler, Judith: „Ruled Out: Vocabularies of the Censor“. In: Censorship and Silenc­ ing. Practises of Cultural Regulation, hg. von Robert C. Post. Los Angeles 1998, S. 247–259. 557

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Quellen und L ­ iteraturverzeichnis

Campan, Jeanne Louise Henriette: Mémoires sur la vie privée de Marie-Antoinette, Reine de France et de Navarre; suivis de souvenirs et anecdotes historiques sur les régnes de Louis XIV, de Louis XV et de Louis XVI. Par Mme Campan, lectrice de mesdames, et premiere femme de chambre de la reine. Paris 1822. Cordier, Henri: Bibliographie des œuvres de Beaumarchais. Paris 1883; Slatkin Reprints. Genf 1967. Darnton, Robert: Literaten im Untergrund. Lesen, Schreiben und Publizieren im vorrevolutionären Frankreich. Aus dem Amerikan. von Henning Ritter. Frankfurt am Main 1988. Darnton, Robert: The Forbidden Best-Sellers of Pre-Revolutionary France. New York, London 1995. Deutsch, Otto Erich, und Joseph Heinz Eibl (Hg): Mozart. Die Dokumente seines Lebens. Kassel [u. a.] 1991. Devrient, Hans: Johann Friedrich Schönemann und seine Schauspielergesellschaft. Ein Beitrag zur Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts. Hamburg, Leipzig 1895. Dieckmann, Friedrich: Die Geschichte Don Giovannis. Werdegang eines erotischen Anarchisten. Frankfurt am Main, Leipzig 1991. Dietrich, Margret: „Für Gott oder für die Regenten der Welt erziehen – eine Alternative? Wiener Theater und Hanswurst vor hohem Gericht. Eine Denkschrift aus dem Jahre 1767 für Maria Theresia von P. Johannes Heinrich Kerens SJ, ­Rektor der kaiserl. Adelsakademie in Wien“. In: Theater am Hof und für das Volk. Beiträge zur vergleichenden Theater- und Kulturgeschichte. Festschrift für Otto G. Schindler zum 60. Geburtstag, hg. von Brigitte Marschall. Wien, Köln, Weimar 2002 (= Maske und Kothurn 48. Jg.), S. 303–330. Eisendle, Reinhard: „Il Dissoluto punito. Riflessioni dentro la stanza degli specchi“. In: Lorenzo da Ponte. Atti del Convegno internazionale di Studio – Vittorio Veneto Novembre 2002, hg. von Aldo Toffoli und Giampaolo Zagonel. Treviso 2004, S. 39–57. Eisendle, Reinhard, und Theresa Haigermoser: „Il fratello perduto. Salieri nelle Memorie di Lorenzo da Ponte“. In: Salieri sulle tracce di Mozart, hg. von Herbert Lachmayer, Reinhard Eisendle und Theresa Haigermoser. Kassel [u. a.] 2004, S. 115–122. Eisendle, Reinhard, und Herbert Lachmayer: Opera and Enlightenment in late 18th century. Kassel [u. a.] 2005. Eisendle, Reinhard: „Göttlicher Giubetta. Don Juan als Kassastück“. In: Mozart. Experiment Aufklärung im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Essayband, hg. von Herbert Lachmayer. Ostfildern 2006, S. 681–692. Eisendle, Reinhard: „Il poeta bizzarro. Da Ponte’s Memorie beyond fiction and facticity“. In: Lorenzo da Ponte, hg. von Michael Hüttler. Wien, Köln, Weimar 2006 (= Maske und Kothurn, 52. Jg., H. 4), S. 157–171. 558

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Forschungsliteratur

Eisendle, Reinhard: „Don Giovanni in Böhmen. Die Prager Don Juan-Opern vor Mozart im Kontext der europäischen Sujetgeschichte“. In: Böhmische Aspekte des Lebens und des Werkes von W. A. Mozart. Bericht über die Prager internationale Konferenz 27.–28. Oktober 2006, hg. von Milada Jonásová und Tomislav Volek. Prag 2011, S. 153–164. Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. 2 Bde. Basel 1939. Ernst, Eva Maria: Zwischen Lustigmacher und Spielmacher. Die komische Zentralfigur auf dem Wiener Volkstheater im 18. Jahrhundert. Köln 2002. Fischer, Ernst: „‚Immer schon die vollständigste Preßfreiheit?‘ Beobachtungen zum Verhältnis von Zensur und Buchhandel im 18. Jahrhundert“. In: Zensur im Jahrhundert der Aufklärung. Geschichte, Theorie, Praxis, hg. von Wilhelm Haefs und York-Gothart Mix. Göttingen 2007 (= Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa 12), S. 61–78. Fischer-Lichte, Erika, und Jörg Schönert (Hg.): Theater im Kulturwandel des 18. Jahrhunderts. Inszenierung und Wahrnehmung von Körper – Musik – Sprache. Göttingen 1999 (= Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa 5). Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt am Main 1979. Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Frankfurt am Main 1974. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Frankfurt am Main 1977. Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Frankfurt am Main 1983. Foucault, Michel: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit 2. Frankfurt am Main 1989. Foucault, Michel: Die Sorge um sich. Sexualität und Wahrheit 3. Frankfurt am Main 1989. Foucault, Michel: In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am Collège de France. Frankfurt am Main 1999. Foucault, Michel: Die Anormalen. Vorlesungen am Collège de France. Frankfurt am Main 2003. Fournier, August: Gerard van Swieten als Censor. Nach archivalischen Quellen. Wien 1877. Freeman, Daniel E.: The Opera Theater of Count Franz von Sporck in Prague. New York 1992. Friedrich, Hans-Edwin: „‚Volksverführer, Franzosennachäffer, Weisheitsgaukler‘ – Zensur als ästhetischer Akt. Wieland und der Göttinger Hain“. In: Zensur im Jahrhundert der Aufklärung. Geschichte, Theorie, Praxis, hg. von Wilhelm Haefs und York-Gothart Mix. Göttingen 2007 (= Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa 12), S. 189–202.

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Quellen und L ­ iteraturverzeichnis

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Personen

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Register

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PERSONEN A Ackermann, Sophie Charlotte | 436 Addison, Joseph | 53, 88, 328 Affligio, Giuseppe | 107, 111–113, 115, 122, 128, 141, 152, 524 Archenholz, Johann Wilhelm von | 410 Aretino, Pietro | 284, 321, 337 Aristoteles | 83, 229, 378 Auersperg, Familie | 429 Auersperg, Maria Wilhelmine von | 55 Aulich, Reinhard | 10 Austin, John Langshaw | 13 Ayrenhoff, Cornelius Hermann von | 217, 276 B Babo, Joseph Marius von | 500, 501 Bach, Johann Sebastian | 382 Bachleitner, Norbert | 332 Balassa, Franz de Paul, Graf von | 185 Banks, John | 328 Barbara, geb. von Cilli, Kaiserin | 203 Bauernfeld, Theatertruppe | 429 Bauernschober, Josef Georg | 430, 431 Baur, Eva Gesine | 475 Bavarus, R. | 145 Bayle, Pierre | 341 Beaumarchais, Pierre-Augustin Caron de | 21, 113, 200, 208, 261, 403, 465–467, 471, 472, 476, 478, 481, 482, 497, 534, 535 Beaumont, Francis | 325 Beethoven, Ludwig van | 382 Bendavid, Lazarus | 206 Bender, Freiherr von | 107, 109, 111, 121, 127, 128, 141, 524 Bergopzoomer, Johann Baptist | 400 Berner, Felix | 409 Berner, Johann | 432 Berner, Theatertruppe | 429 Bielfeld, Jacob Friedrich | 43, 51 Biermann, Armin | 8 Birckenstock, Johann Melchior von | 173, 188, 209, 210, 331–333, 341, 368, 373, 374, 376, 378, 379, 382–386, 389, 393, 414, 428, 537 Blumauer, Aloys | 306, 352, 367, 374, 379, 396, 413 Blümegen, Heinrich Kajetan Graf von | 160, 377, 381

Böckl, Gallus | 430 Bodmer, Johann Jakob | 284, 322, 328, 329 Bondini, Pasquale | 114, 535 Bonin, Christian Friedrich von | 291, 404 Bourdieu, Pierre | 11, 13, 32, 73, 523 Boyer, Jean-Baptiste de, Marquis D’Argens | 337, 338 Brandes, Christian | 213, 310 Brawe, Joachim Wilhelm von | 55, 147, 150 Brockmann, Franz Karl Johann Hieronymus | 209, 242, 243, 245–247, 251, 252, 258, 260, 262–264, 269, 276, 277 Brosche, Günter | 115, 136, 137, 145, 154 Brown, Bruce Alan | 23, 24, 141, 142, 284 Brumore, Abbé de (eigtl. Louis Joseph Bernard Philibert Guyton de Morveau) | 290 Büschel, Johann Gabriel Bernhard | 405, 483, 486 Butler, Judith | 13 C Caldara, Antonio | 85, 207 Calzabigi, Ranieri de’ | 367 Casti, Giambattista | 208, 475 Caylus, Anne-Claude-Philippe de | 283, 322, 404 Chénier, Marie-Joseph Blaise de | 229 Chotek von Chotkow und Wognin, Johann Rudolph Graf | 381, 389, 390, 412 Chotek von Chotkow und Wognin, Rudolph Graf | 122, 123, 162 Clary-Aldringen, Leopold Graf | 175, 381 Clement, Pierre | 323 Colman, George | 292 Congreve, William | 321, 324 Corneille, Pierre | 28, 101, 216, 217, 276, 322 Corneille, Thomas | 28 Cosimo I. de’ Medici | 436 Crampagna, Charles de | 394 Crébillon, Prosper Jolyot | 327 Cremeri, Benedikt Dominik Anton | 20, 187, 205, 229, 345–349, 352, 366, 442, 493–497 Cronegk, Johann Friedrich von | 103 D Da Ponte, Lorenzo | 114, 201, 208, 299, 400, 465, 472–474, 480, 481, 497–499, 533, 535, 536 Darnton, Robert | 378 Daunnerin, Maria Anna | 431

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Register

De Alwis, Lisa | 183, 184 Destouches, Philippe Néricault | 134 Diderot, Denis | 58, 83 Dolce, Lodovico | 284, 327 Durazzo, Giacomo | 23, 141 Dyk, Johann Gottfried | 292 E Eberl, Ferdinand | 138 Ecker und Eckhoff, Hans Karl Freiherr von | 291 Egger, Friedrich Edler von | 186 Ekhof, Conrad | 75 Elisabeth Charlotte, Prinzessin von der Pfalz | 59 Elisabeth von Württemberg, Erzherzogin von Österreich | 208 Elizabeth I., Königin von England | 48 Embacher, Jacob | 430, 431 Engelschall, Josef Heinrich | 29–41, 43, 51, 56, 59, 68, 78, 80, 105, 112, 119, 141, 144, 191 Eszterházy, Franz Graf | 130, 132, 133 F Farquhar, George | 326, 328 Favart, Charles-Simon | 24, 141, 147, 148, 154, 319 Favart, Marie Justine Benoîte | 318 Felbinger, Johann Ignaz, Abt von Sagan | 165 Fénelon, François de Salignac de La Mothe | 352 Fielding, Henry | 324, 405, 483, 489 Fiquet du Boccage, Pierre-Joseph | 324 Firmian, Leopold Ernst, Graf von | 162, 352, 356, 483 Fletcher, John | 325 Foote, Samuel | 326 Foucault, Michel | 11–13 Franz II., Kaiser | 62, 63, 69, 126, 138, 156, 160, 173, 181, 184, 208, 373, 481, 482, 526, 534 Friedl, Theatertruppe | 429 Friedrich III., Kaiser | 203 Fuhrmann, Barbara | 409, 430 Fuhrmann, Theatertruppe | 432 Fusée, Claude-Henri de, Abbé de Voisenon | 318 G Gay, John | 321 Gaya, Constantin Alexander Philippides von | 164 Gaertner, Karl Christian | 286 Gebler, Tobias Philipp Freiherr von | 63–65, 136, 163, 164, 167, 175, 176, 247, 281, 282, 342– 344, 387, 389, 410, 437

Gellert, Christian Fürchtegott | 216, 284, 286 Gerdek (Gerdecke), Cornelius | 431, 432 Gerle, Wolfgang | 331 Ghelen, Johann Leopold von | 27, 132, 133, 319 Gleditsch | 286 Glossy, Carl (Karl) | 14, 18, 69, 129, 130, 168, 169, 176, 181–183, 188, 200–203, 231, 232, 281, 397, 401, 526 Gluck, Christoph Willibald | 28, 111, 112, 115 Goethe, Johann Wolfgang von | 15, 173, 203, 285, 305, 405, 407, 408 Goldoni, Carlo | 258 Gontier, Johann Theodor von | 160 Gotter, Friedrich Wilhelm | 411, 423, 425–427 Gottsched, Johann Christoph | 14, 15, 27, 29, 33, 132 Goue, August Friedrich Siegfried | 285, 287, 404 Gozzi, Carlo | 258 Grimm, Friedrich Melchior | 134 Großmann, Gustav Friedrich | 267, 269, 272, 275, 309, 530 Grostête des Mahis, Marin | 161 Gryphius, Andreas | 27 Guardasoni, Domenico | 114 Gugler, Otto | 317, 318, 332 Gürtler, Anton Bernhard | 413 H Hacke auf Bilzingsleben, Gottlob Freiherr von | 258 Hadamowsky, Franz | 111, 115, 131 Hägelin, Franz Karl | passim Hahn, Ludwig Philipp | 288, 291 Haider-Pregler, Hilde | 30, 45, 59, 69, 73, 111, 115, 128, 137, 138, 140, 143, 144 Haller, Albrecht von | 53 Hamom, Opernimpresario | 319 Händel, Georg Friedrich | 382 Häring, Franz von | 115 Hatzfeld, Karl Friedrich Anton Graf von | 16, 167, 175, 176, 233, 537 Haydn, Joseph | 382 Haydvogel, Johann Peter | 433 Heinze, Wenzel Sigmund | 20, 21, 348, 349, 351– 358, 360, 362, 365, 366, 368–370, 531 Helfert, Alexander von | 162, 164, 165 Henrici, Christian Friedrich | 284, 326, 328 Heufeld, Franz (von) | 110 Heyden, Ludwig Jacob | 30 Heyne, Christian Leberecht | 251, 254

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Personen

Hilverding van Wewen, Franz Anton Christoph | 108 Hoadly, Benjamin | 411, 423 Hobbes, Thomas | 337 Hoffmann, Leopold Alois | 229 Holberg, Ludvig | 327 Horaz | 121 Hörcher, Josef | 431 Howard, Robert | 328 Höyng, Peter | 14–16 Huber, Johann Ludwig | 416 I Iselin, Isaak | 338 J Jacobi, Friedrich Heinrich | 334 Joseph II., Kaiser | 3, 4, 6, 9, 10, 17, 19–21, 24, 41, 44, 122, 124, 126, 134, 137, 142, 144, 153, 156, 160, 176, 195, 207, 208, 217, 241, 242, 254, 275, 281, 287, 332, 334, 336–338, 343, 346, 352, 367, 370, 373–377, 380, 381, 388, 390, 392, 395–400, 404, 405, 407, 409, 412, 414– 416, 422, 463, 465, 467–470, 472, 481, 496– 499, 503, 513, 523, 526, 532–536 Jünger, Johann Friedrich | 401, 481, 504, 536 Junker, Georges Adam | 286 Justi, Johann Heinrich Gottlieb von | 43, 60, 65, 147 K Kalchberg, Johann Ritter von | 203, 232 Karl (Charles) I., König von England, Schottland und Irland | 203 Karl VI., Kaiser | 22, 207, 214 Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton von, Fürst | 78, 81, 152–154, 384, 525 Kauz, Franz Konstantin von | 413 Kerens, Johannes Heinrich von | 55, 56, 190 Kettner, Theatertruppe | 429 Kinsky, Franz de Paula III., Fürst | 394 Klemm, Christian Gottlob | 98, 99, 106, 108–110, 120, 121 Klingenstein, Grete | 22 Klinger, Friedrich Maximilian | 21, 278, 281, 283, 287, 288, 406, 436–439, 458, 463 Klinger, Ignatz | 388 Klopstock, Friedrich Gottlieb | 12 Klotz, Christian Adolph | 111, 115

Koháry, Johann Nepomuk | 114, 115, 145, 152, 153, 171, 174, 429 Kohlmann, Kanonikus | 483 König, Eva | 143, 147–149 Kotzebue, August Friedrich Ferdinand von | 21, 227, 401, 484, 497, 499, 503–506, 509, 512, 527, 535 Kronstein, Schauspieler | 467 Krueger, Johann Christian | 284, 324 Kühne, Ernst | 432 Kumpf, Theaterunternehmer | 467, 469, 475 Kurz, Johann Joseph Felix von | 28, 29, 35, 36, 40, 86, 111–115, 117, 122, 128, 129, 133, 134, 150, 524 Kürzinger, Paul | 500 L Lambacher, Philipp | 132 Lange, Joseph | 242, 258, 259 Lange, Michael Joseph | 55, 151 Lansdowne, George Granville | 323, 324 Lanthieri, Johann Kaspar Graf | 174 Larivey, Pierre de | 322 Le Balay, O. | 337 Le Roux | 328, 404 Leisewitz, Johann Anton | 21, 287, 288, 435, 436, 438–440, 443, 448–451, 453, 454, 457, 533, 534 Lengenfelder, Johann Nepomuk | 289, 404, 405, 483, 485 Lenz, Jakob Michael Reinhold | 285, 287, 289 Leopold II., Kaiser | 48, 160, 207, 227, 373, 384– 386, 390, 498, 527 Less, Gottfried | 344 Lessing, Gotthold Ephraim | 15, 107, 143, 147, 148, 157, 168, 194, 199, 243, 275, 276, 284– 287, 292, 293, 309, 343 Libault | 286 Liechtenstein, Marie Eleonore, Fürstin | 78 Ligne, Charles Joseph de, Fürst | 393, 394 Locella, Aloys Emmerich Freiherr von | 368, 414 Locke, John | 338 Lohenstein, Daniel Casper von | 27 Longchamps, Pierre Charpentier de | 325 Lo Presti, Franz | 111, 112 Lo Presti, Rocco | 111, 130–132 Losy von Losinthal, Adam Philipp | 130 Lourdet de Santerre, Jean-Baptiste | 318 Ludwig XIV., König von Frankreich | 52 Ludwig XVI., König von Frankreich | 185, 203, 466, 526

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Register

M Machiavelli, Niccolò | 337 Maillé de Marencour | 290 Maria Stuart, Königin von Schottland | 203 Maria Theresia von Österreich | 3, 4, 22, 24, 55, 56, 63, 112, 116, 118, 128–134, 141, 146, 148, 149, 152–156, 159, 160, 162, 165, 167, 170, 171, 174, 175, 196, 207, 217, 219, 244, 276, 282, 298, 316–318, 333, 344, 364, 373, 412, 429, 435, 457, 471, 491, 521, 526, 532 Maria Theresia, Erzherzogin | 465, 498 Marie Antoinette, Königin von Frankreich | 298, 466, 470, 471 Marin, François Louis Claude | 322 Marinelli, Karl | 138, 171, 211, 429 Marmontel, Jean-François | 318, 499 Marquis, Joseph | 430 Martín y Soler, Vicente | 536 Mass, Edgar | 7 Mazzolà, Caterino | 207 Mendelssohn, Moses | 338 Menninger, Johann Matthias | 111 Mercier, Louis-Sébastien | 338 Meßmer, Joseph | 164 Metastasio, Pietro | 85, 89, 207 Migazzi, Christoph Bartholomäus Anton, Graf zu Wall und Sonnenthurm | 24, 367, 413, 414 Molière (eigtl. Jean-Baptiste Poquelin) | 28, 104, 271, 492 Möller, Heinrich Ferdinand | 257 Molli, Theatertruppe | 429 Monluc, Adrien de | 322 Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de | 23, 338, 378 Moore, Hanna | 298 Moritz, Karl Philipp | 438 Moßdorf, August | 251 Mozart, Wolfgang Amadeus | 114, 201, 207, 382, 465, 480, 481, 535 Müller, Johann Heinrich Friedrich | 169, 241, 245, 246, 248, 254–257, 261, 263, 265 Mylius, Wilhelm Christhelf Sigmund | 289 N Naudé, Gabriel | 337 Nero, Kaiser des Römischen Reiches | 52, 89, 155 Nicolai, Friedrich | 6, 10, 20, 29, 48, 68, 69, 109, 162, 173, 247, 281, 282, 317, 320, 331, 343– 346, 408–410, 427, 437 Nostitz-Rieneck, Franz Anton Graf von | 114

O Offray de la Mettrie, Julien | 337 Opitz, Martin | 27 Orsini und Rosenberg, Franz Xaver Wolf, Fürst | 498 Ossenfelder, Heinrich August | 284, 329, 405 Otto, Ulla | 8, 11 Otway, Thomas | 323 Ovid | 375 P Packard, Stephan | 7 Paisiello, Giovanni | 208, 475 Parabosco, Girolamo | 284, 322, 325, 326 Partl, Gottlieb | 430 Pelzel, Joseph Bernhard | 242, 276 Perchel, Josef | 431 Pergen, Johann Anton Graf von | 317, 318, 390, 467, 468, 471 Pernerstorfer, Matthias Johannes | 132, 141 Peter I., der Große, Zar | 163 Petrasch, Ernst Gottlieb von | 30 Pezzl, Johann | 210, 211, 492 Philips, Ambrose | 328 Pilati, Carlo Antonio | 325 Pius VI., Papst | 413 Platon | 53 Plümicke, Carl Martin | 244 Prehauser, Gottfried | 28, 97, 109, 120, 141, 524 Probst, Josef Leopold | 431 Prochart, Lambert | 431 R Racine, Jean | 28, 52, 53, 88, 202, 216 Racot de Grandval, Charles François (auch Pyron dit Prepucius) | 284, 323, 325, 404 Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von | 406 Rautenstrauch, Johann | 467, 473–478, 481, 534 Reichmann, von, Repräsentationsrat | 131 Retzer, Joseph Friedrich Freiherr von | 367, 413 Riegger, Paul Joseph von | 413 Riemel, Josef | 432 Rolland, Albonico | 499, 500 Rosalino, Franz von/de Paula | 367, 368, 413 Rosenfeld, Sophia | 12 Rousseau, Jean-Jacques | 99, 224, 234, 235, 338 Rowe, Nicholas | 284, 286, 328

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Personen

S Salieri, Antonio | 208, 246, 247, 382, 465, 497 Sander, Christian Friedrich | 291 Saroba, Wenzel | 431, 432 Sashegyi, Oskar | 181, 407 Schauer, Frederick | 7, 13 Scherzer, Franz | 430, 432 Scherzer, Theatertruppe | 429 Schifenholzer, Andreas | 431 Schikaneder, Emanuel | 429, 430, 467–469, 475 Schiller, Friedrich von | 16, 182, 206, 406, 408, 409 Schink, Johann Friedrich | 167, 287, 293, 302, 306, 411, 423–427 Schlegel, Christiane Caroline | 287, 290, 298 Schlegel, Johann Elias | 81, 91 Schletter, Salomon Friedrich | 320 Schmid, Christian Heinrich | 328 Schmid, Johann | 432 Schmidt, Michael Ignaz | 383 Schönemann, Johann Friedrich | 75 Schopf, Andreas | 499 Schrämbl, Franz Anton | 242, 264 Schröder, Friedrich Ludwig | 203, 436 Schwan, Christian Friedrich | 290 Seibt, Karl Heinrich | 174, 412, 414 Seipp, Theatertruppe | 429 Shadwell, Thomas | 324, 328 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, 3. Earl of | 338 Shakespeare, William | 194, 195, 265, 266, 281, 282, 328, 397, 437, 529 Sigismund von Luxemburg, Kaiser | 203 Slawick, Christian | 432 Sokrates | 87 Sonnenfels, Joseph von | passim Spielmann, Anton Freiherr von | 413 Spinoza, Baruch de | 337 Sporck, Franz Anton von | 59 Sporck, Johann Wenzel von | 111, 124, 145, 158, 169 Sprickmann, Anton Mathias | 289, 293, 295, 299 St. John, Henry, 1. Viscount Bolingbroke | 338 Stahel, Veit Joseph | 390, 391 Starhemberg, Georg Adam Graf von | 24 Steigentesch, Conrad | 242, 245, 265 Stephanie, Christian Gottlob (der Ältere) | 55, 111, 241, 244, 245, 248–253, 258, 265, 273, 274 Stephanie, Johann Gottlieb (der Jüngere) | 96, 106, 150, 222, 241–243, 245, 259, 260, 265– 267, 269–273, 275, 276, 282, 397

Sterk | 64 Stock, Simon Ambros Edler von | 145 Störck, Anton Freiherr von | 382 Stranitzky, Joseph Anton | 28 Stumpf, Theatertruppe | 429 Stupan und Ehrenstein, Anton Maria Freiherr von | 163 Swieten, Gerard van | 22–24, 147, 149, 159, 284, 364, 367, 382 Swieten, Gilbert van | 367 Swieten, Gottfried van | 188, 367, 368, 381–384, 390–396, 406, 407, 412 Swieten, Maria Lambertina Elisabeth Theresa, ter Beek van Coesfelt | 367 Swieten, Tochter | 367 Szekeres, Athanasius | 407, 414 T Terenz | 70 Teuber, Oskar | 129–134, 466 Thilo, Friedrich Theophil | 490 Thomson, James | 328 Thou, Jacques-Auguste de | 436 Timme, Christian Friedrich | 291 Tirso de Molina | 94 Titus, römischer Kaiser | 89, 207 Titus Petronius Arbiter | 155 Trautson, Johann Joseph Graf von | 22–24 Trautson, Maria Charlotte, Fürstin | 23, 24, 141 U Umlauf, Ignaz | 222 V Vadé, Jean Joseph | 24 La Vallière, Louis-César de La Baume Le Blanc Duc de | 322 Vanbrugh, John | 325–327, 329 Vergil | 413 Vertot, René-Aubert de | 436 Voltaire (eigtl. François-Marie Arouet) | 28, 103, 150, 203, 213, 283, 326, 327, 338, 341, 493 W Wagner, Heinrich Leopold | 200, 205, 261 Wahr, Karl | 114 Walter, Friedrich | 285, 408 Walter, Josef | 431 Weidmann, Paul | 105, 236, 273, 312, 316

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Weiskern, Friedrich Wilhelm | 109, 129, 132–134, 141 Weiss, Johann Adam | 291, 292 Weiße, Christian Felix | 102, 145, 147, 154–158, 334 Weitenfelder, Hubert | 332 Wieland, Christoph Martin | 12, 173, 334, 337, 410 Wilhelm, Georg | 431 Wilhelmi, Theatertruppe | 183, 429 Wilkowitz, Joachim Bernhard | 414 Willer | 289 Wimmer, Franz | 431 Wimmer, Johann Georg | 432 Winter, Peter von | 500 Wittmann, Reinhard | 331 Wlassack, Eduard | 128, 130, 133, 134 Wöber, Freiherr von | 171, 319, 320 Wolff, Christian | 161, 162, 164, 236, 525 Wucherer, Georg Philipp | 380 Wurmbrand, Franz Joseph Graf von | 239 Wurzbach, Constantin von | 161 Wycherley, William | 323 Y Yoshino, Kenji | 13 Ysenburg von Buri, Ernst Carl Ludwig | 185 Z Zechmeister, Gustav | 73, 86, 90, 98, 113, 115, 133, 134, 319 Zedler, Johann Heinrich | 295 Zinzendorf, Karl Johann Christian von | 498 Zöllner, Johann Friedrich | 430 Zurbuchen, Simone | 12

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BÜHNENWERKE, ORATORIEN, INSTRUMENTALKOMPOSITION A Acis and Galatea (Libretto: John Gay; Musik: ­G eorg Friedrich Händel) | 382 Adelheid oder die unwahrscheinliche Liebe (Friedrich Theophil Thilo) | 290 Der adeliche Kaesstecher, oder die bestraften Ausschweifungen seines liederlichen Sohnes (Christian Gottlob Klemm) | 98 Alexander’s Feast; or, the Power of Music (Libretto: Newburgh Hamilton; Musik: Georg Friedrich Händel) | 382 Die alte Jung fer (Gotthold Ephraim Lessing) | 285, 287, 309 Alter hilft vor Thorheit nicht, oder die Haushälterin → Die Haushälterinn Alzire (Voltaire) | 103 Amalia unglücklich durch ihre Stiefmutter (anonym) | 288 L’Amour Quêteur (Maillé de Marencour) | 290 Andreas Baumkirchner ( Johann von Kalchberg) | 203 Annette et Lubin (Libretto: Justine Favart und Claude Henri de Fusée de Voisenon; Musik: Adolphe Blaise) | 317–320, 365, 531 L’arbore di Diana (Libretto: Lorenzo da Ponte; Musik: Vicente Martín y Soler) | 472, 497– 499, 536 Der Arglistige → The Double Dealer Der argwöhnische Ehemann (Friedrich Wilhelm Gotter nach Benjamin Hoadly) | 411, 423, 427 Der Aufruhr zu Pisa (Ludwig Philipp Hahn) | 288 Die Aussteuer (Christian Friedrich Schwan nach Joseph Fiévée) | 290 Axur re d’Ormus (Libretto: Lorenzo da Ponte; Musik: Antonio Salieri; nach Tarare von Salieri und Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais) | 208, 497, 498 Athalie ( Jean Racine) | 78, 216 Der auf den Parnaß versetzte grüne Hut (Christian Gottlob Klemm) | 106, 108, 120

B Banise (Friedrich Melchior Grimm) | 134 Der Bauernaufstand ob der Enns (Benedikt Dominik Anton Cremeri) | 187, 229, 345 Der Baum der Diana (Ferdinand Eberl nach L’arbore di Diana von Lorenzo da Ponte) | 497, 498 The Beggar’s Opera (Libretto: John Gay; Musik: Johann Christoph Pepusch) | 321 Belton (Autor nicht überliefert) | 276 Bernardon, das liederliche Wiener Früchtl ( Johann Joseph Felix von Kurz) | 86 Bernardon, der rasende Zamor oder Die in einer Person geliebte und gehaste Braut ( Johann Joseph Felix von Kurz) | 134 Der beste Mann → Rule a Wife and Have a Wife Die bestrafte Brutalität (Autor nicht überliefert) | 254, 258, 270 Der bestrafte Vater (Autor nicht überliefert) | 248 Betrug für Betrug, oder Wer hat nun die Wette gewonnen? (Salomon Friedrich Schletter) | 320 Die Betschwester (Christian Fürchtegott Gellert) | 216 Der blinde Nebenbuhler (Autor nicht überliefert) | 245 Bon Ton; or, High Life Above Stairs (George Colman und David Garrick) | 292 Le Bordel ou le Jean-Foutre puni (Anne-ClaudePhilippe de Caylus) | 283, 322, 404 Der brennende Wald (Autor nicht überliefert) | 243 Britannicus ( Jean Racine) | 52, 53, 89 Brutus ( Joachim Wilhelm von Brawe) | 55, 147, 150 Brutus (Voltaire) | 150 Bulla (Autor nicht überliefert) | 260 C Les Calas (Abbé de Brumore) | 290 Calliope ( Johann Jakob Bodmer) | 322 Caroline, oder So wahr ich bin ein freyer Mann (Christian Leberecht Heyne) | 250 Cato ( Joseph Addison) | 53, 88 Charles IX ou La Saint-Barthélemy (Marie-Joseph Chénier) | 229

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Le Cid (Pierre Corneille) | 276 La clemenza di Tito (Libretto: Pietro Metastasio; Musik: Antonio Caldara) | 85, 207 La Comédie de proverbes (Adrien de Monluc) | 322 I contenti (Girolamo Parabosco) | 322 Cora und Alonzo (Choreographie: Albonico Rolland; Melodram: Joseph Marius von Babo; Musik: Peter von Winter) | 499, 500 La cortigiana (Pietro Aretino) | 321 The Country Wife (William Wycherley) | 324 D Damon (Gotthold Ephraim Lessing) | 285, 287 Les Danaïdes (Libretto: François-Louis Gand Le Bland Du Roullet und Louis-Théodore de Tschudi nach Ranieri de’ Calzabigi; Musik: Antonio Salieri) | 465 Demeter und Rosine (Autor nicht überliefert) | 243 Dom Juan ou Le Festin de pierre (Molière) | 271 Don Giovanni (Libretto: Lorenzo da Ponte; Musik: Wolfgang Amadeus Mozart) | 114, 201, 465, 497 Don Juan, oder der steinerne Gast (Karl Marinelli) | 138, 211 The Double Dealer (William Congreve) | 321 Düval und Charmille (Christiane Caroline Schlegel) | 290, 298, 309 E Edwin und Ema (Franz Anton Schrämbl) | 242, 263, 265, 269–271, 530 Der ehrliche Verbrecher → L’Honnête criminel, ou l’Amour filial Der eifersüchtige Schneider-Meister (Autor nicht überliefert) | 90 Emilia Galotti (Gotthold Ephraim Lessing) | 199, 293–295, 297 Emilie und Edmund, od. der Familiensturz (Autor nicht überliefert) | 244 Der Engländer ( Jakob Michael Reinhold Lenz) | 289 Erkundige Dich, oder die wahren Gesätze der Republikaner (Autor nicht überliefert) | 274 Ernest, oder die unglücklichen Folgen der Liebe (Christian Friedrich von Bonin) | 291, 404 Erwine von Steinheim (Aloys Blumauer) | 306 Etelgirn (Autor nicht überliefert) | 276 Eugenie (Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais) | 113, 200, 261

Eulalia (Anton Mathias Sprickmann) | 289, 293, 295, 299, 301, 309 L’Eunuque, ou la Fidelle infidelité (Charles François Racot de Grandval) | 284, 323, 404 Eurydice (Henry Fielding) | 324 F The Fair Penitent (Nicholas Rowe) | 286 Faust (Paul Weidmann) | 236 La Femme de Campagne → The Country Wife La Folle journée, ou le Mariage de Figaro (PierreAugustin Caron de Beaumarchais) | 21, 403, 465–469, 474–482, 497, 534, 535, 537 Der förchterlichen Hexe Megära zweyter Theil unter dem Titel: die in eine dauerhafte Freundschaft sich verwandelnde Rache (Philipp Hafner) | 73 Die Franzosen in Böhmen (anonym) | 91 Die Frauenlist (anonym) | 323 Der Freigeist (Gotthold Ephraim Lessing) | 286 Die Freundschaft nach der Mode → Friendship in Fashion Der Freymaurer im Gefängnisse (Hans Karl von Ecker und Eckhoff ) | 291 Friedrich von Tokenburg ( Johann Jakob Bodmer) | 328 Friendship in Fashion (Thomas Otway) | 323 Les fri-maçons (Pierre Clement) | 323 Der Frömmler (anonym) | 405, 408, 483, 488, 489, 491–493, 505 G Die Geistlichen auf dem Lande ( Johann Christian Krueger) | 284, 324 Gelobt sey der! Der Toleranz gebot! / Gelobt der! Welcher sie ausübt! (Autor nicht überliefert) | 275 Die geprüfte Treue (Karl Christian Gaertner) | 286 Das gereizte Weib → The Provok’d Wife Die Geretteten Unglücklichen (Autor nicht überliefert) | 260 Golderich und Tasso (Christian Friedrich Sander) | 291 Die Grafen von Cilli ( Johann von Kalchberg) | 203 Graf von Berchenthein (Autor nicht überliefert) | 265 Graf von Clarmont (Autor nicht überliefert) | 248 Der Graf von Waltron, oder die Subordination (Heinrich Ferdinand Möller) | 257, 432 Die gute Ehefrau (Christian Friedrich Timme) | 291

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Bühnenwerke, Oratorien, Instrumentalkomposition

H Harlequin, der ungedultig – hernach aber mit Gewalt gedultig gemachte Hahnrey (anonym) | 90 Die Haushälterinn (Christian Felix Weiße) | 102 Hedwigis von Westenwang oder die Belagerung von Wien ( Joseph Bernhard Pelzel) | 242, 276 Die heimliche Heyrath (Autor nicht überliefert) | 245 L’hermafrodito (Girolamo Parabosco) | 322 Herr und Frau von Holtz (Autor nicht überliefert) | 405 Der Herzog von Danzig oder die Rache für einen V ­ ater (anonym) | 289 Hesione (Autor nicht überliefert) | 246 The History of Timon of Athens: the Man Hater (Thomas Shadwell) | 328 Der Hochzeitstag → The Wedding-Day Der Hofmeister oder Vortheile der Privaterziehung ( Jakob Michael Reinhold Lenz) | 285, 287 L’Honnête criminel, ou l’Amour filial (Charles-Georges Fenouillot de Falbaire de Quingey) | 113 Der Husarenraub (Henriette, oder der Husarenraub) (Carl Martin Plümicke) | 244, 245, 247, 273, 275 I Lo ipocrito (Pietro Aretino) | 321 Irene (Cornelius Hermann von Ayrenhoff ) | 217, 276, 532 J Die Jahreszeiten ( Joseph Haydn) | 382 Jenny (anonym) | 292, 306 Johanna Gray ( Johann Jakob Bodmer) | 328 Die Juden (Gotthold Ephraim Lessing) | 286 Julius von Tarent ( Johann Anton Leisewitz) | 21, 288, 435, 436, 438, 439, 442–444, 447, 448, 450, 451, 453–458, 472, 484, 516, 533 Julus und Rhea ( Johann Gabriel Bernhard Büschel) | 405, 408, 483, 486, 491, 493 Der junge Werther (Ballett) | 408 K Kabale und Liebe (Friedrich Schiller) | 199 Kaiser Otto der Dritte (Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr) | 406 Kalliste → The Fair Penitent Karl der IXte → Charles IX ou La Saint-Barthélemy Karl der 3te genannt: der Dicke (Autor nicht überliefert) | 266

Der Kaufmann von London → The London Merchant or The History of George Barnwell Die Kindsmörderin (Heinrich Leopold Wagner) | 200, 205, 261 King Lear (William Shakespeare) | 195, 266, 397 L Liebe für Liebe → Love for Love Die Liebhaber nach der Mode (Autor nicht überliefert) | 243, 262 Das Liederliche Wiener Früchtl → Bernardon, das liederliche Wiener Früchtl Lina von Waller ( Johann Friedrich Schink) | 293, 302, 305–307, 309, 411 Lionel (Autor nicht überliefert) | 262 Das listige Stubenmädchen, oder Der Betrug von hinten (Ferdinand Eberl) | 138 Der listige und unerschrockene Hussar (Gleditsch) | 286 The London Merchant or The History of George Barn­well (George Lillo) | 92, 93, 200 Das Los in der Lotterie (Christian Fürchtegott ­G ellert) | 286 Das Lotto oder der redliche Schulze ( Johann Ludwig Huber) | 415, 416, 429 Love for Love (William Congreve) | 324 Ludwig Kapet, oder die Ermordung des Franken= Königs (möglicherweise identisch mit Ludwig Capet, oder Der Königsmord von Ludwig Ysenburg von Buri) | 185 M Macbeth (William Shakespeare) | 266, 397 Macbeth, oder Das neue steinerne Gastmahl ( Johann Gottlieb Stephanie) | 266, 397 Malagrida (Pierre Charpentier de Longchamps) | 325 Le Maréchal du Luxemburg au lit de la mort (anonym) | 325 Il marescalco (Pietro Aretino) | 321 Il marinaio (Girolamo Parabosco) | 322, 325 Masuren oder der junge Werther (August Friedrich Siegfried Goue) | 285, 287, 404, 405, 407 Il matrimonio di Fra Giovanni (Carlo Antonio Pilati?) | 325 Die Matrone von Ephesus, oder sind alle Witwen so? (Christian Felix Weiße) | 145, 147, 148, 154, 156, 158 Le Médisant (Philippe Néricault Destouches) | 134

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Megära, die förchterliche Hexe, oder das bezauberte Schloß des Herrn von Einhorn (Philipp Hafner) | 70, 73 Messiah (Text: Charles Jennens; Musik: Georg Friedrich Händel) | 382 The Minor (Samuel Foote) | 326 Le Misanthrope (Molière) | 78 The Miser (Thomas Shadwell nach L’Avare von Molière) | 324 Der Mißbrauch der Gewalt (Paul Weidmann) | 273, 312 Miss Fanny Steelney (Autor nicht überliefert) | 251 Miss Sara Sampson (Gotthold Ephraim Lessing) | 286 Die Mißheyrath (Autor nicht überliefert) | 273 Mithridate ( Jean Racine) | 53, 88 Das mit Lug und Trug vermischte Heiratsgut (anonym) | 286 N Nathan der Weise (Gotthold Ephraim Lessing) | 275, 276, 292 Die Neuen Vestallinnen ( Johann Nepomuk Lengenfelder) | 289, 404, 405, 407, 408, 483, 485, 491–494, 496, 505, 535 Nicht mehr als sechs Schüsseln (Gustav Friedrich Großmann) | 267, 269, 270, 275, 309, 530 Die Nonne oder der ertappte Mönch → The Old Debauchees / The Debauchees; or, The Jesuit Caught La notte (Girolamo Parabosco) | 322, 326 La Nouvelle Messaline (Charles François Racot de Grandval) | 325 Le nozze di Figaro (Libretto: Lorenzo da Ponte; Musik: Wolfgang Amadeus Mozart) | 465, 480, 481, 497, 498, 535 O Octaviano, König von Iberien (Autor nicht überliefert) | 274 Oedipus ( Johann Jakob Bodmer) | 328 Das öffentliche Geheimniß (Friedrich Wilhelm Gotter nach Il pubblico secreto von Carlo Gozzi) | 258 The Old Debauchees / The Debauchees; or, The ­Jesuit Caught (Henry Fielding) | 405, 408, 483, 489–491 Olimpie (Voltaire) | 283, 326, 327 Olint und Sophronia ( Johann Friedrich von Cronegk) | 103

L’Orphelin de la Chine (Voltaire) | 89 Othello (William Shakespeare) | 397 Ottilie ( Johann Christian Brandes) | 213, 310, 311 P Il pellegrino (Girolamo Parabosco) | 322 Penelope (Ludwig Jacob Heyden) | 30 Phèdre ( Jean Racine) | 202 The Plain Dealer (William Wycherley) | 323 Polyeucte (Pierre Corneille) | 216, 217 Prinz Seiden-Wurm der Reformator oder die KronKompetenten (Friedrich Maximilian ­K linger) | 21, 406, 458, 463 The Provok’d Wife ( John Vanbrugh) | 325, 329 Die Prüfung, oder der kranke Hund (Autor nicht überliefert) | 276 Il pubblico secreto (Carlo Gozzi) | 258 Die Pücefarbenen Schuhe oder Die schöne Schusterin (Libretto: Johann Gottlieb Stephanie; Musik: Ignaz Umlauf ) | 222 R Die Räuber (Friedrich Schiller) | 16, 406, 408, 409 Der Rauchfangkehrer, oder die unentbehrlichen Verräther ihrer Herrschaften aus Eigennutz (Libretto: Joseph Leopold von Auenbrugger; Musik: Antonio Salieri) | 246 Il re Teodoro in Venezia (Libretto: Giambattista Casti; Musik: Giovanni Paisiello) | 208, 475 The Recruiting Officer (George Farquhar) | 326 The Relapse, or, Virtue in Danger – Being the Sequel of The Fool in Fashion ( John Vanbrugh) | 326, 327 Robert von Hohenecken (Ludwig Philipp Hahn) | 291 Rose die Nonne wider ihren Willen ( Johann Adam Weiß) | 292, 484 Der Rückfall oder die Tugend in Gefahr → The Relapse, or, Virtue in Danger Die Rückkehr, oder Liebe läßt von Liebe nicht (Autor nicht überliefert) | 259 Il ruffiano (Lodovico Dolce) | 327 Rule a Wife and Have a Wife (Francis Beaumont und John Fletcher) | 325 S Les Salver ou la faute réparée (Abbé de Brumore) | 290 Der Schatz (Gotthold Ephraim Lessing) | 286 Der Scheue (Autor nicht überliefert) | 259

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Bühnenwerke, Oratorien, Instrumentalkomposition

Der Schmähsüchtige (Friedrich Wilhelm Weiskern nach Le Médisant von Destouches) | 134 Das Schnupftuch (Gottlob von Hacke auf Bilzingsleben) | 258 Die schöne Wienerin (Paul Weidmann) | 312 Die Schöpfung ( Joseph Haydn) | 382 The She-Gallants (George Granville Lansdowne) | 323, 324 Sienkong (Autor nicht überliefert) | 243 Simsone Grisaldo (Friedrich Maximilian Klinger) | 288 1. Sinfonie in C-Dur op. 21 (Ludwig van Beethoven) | 382 So prelt man alte Füchse oder Wurst wider Wurst (Wilhelm Christhelf Sigmund Mylius) | 289 Soliman II., oder die drei Sultaninnen (Soliman II. ou les Trois sultanes) (Charles-Simon Favart) | 147–149, 154 Die Sonnenjung frau (August von Kotzebue) | 21, 401, 405, 484, 497, 499, 503, 504, 517, 535, 536 Spiele des Schicksaals, oder die unverhofte Vereinigung (Autor nicht überliefert) | 247 Das stumme Mädchen, oder das beste kömmt zuletzt (Autor nicht überliefert) | 245 The Suspicious Husband (Benjamin Hoadly) | 411, 423 T Der Tadler nach der Mode ( Johann Gottlieb Stephanie) | 106, 169 La talanta (Pietro Aretino) | 321 Tancrède (Voltaire) | 203 Tansai & Neadarne (Autor nicht überliefert) | 327 Tarare (Libretto: Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais; Musik: Antonio Salieri) | 208, 497 Tartuffe (Molière) | 104, 492 Der Ton der grossen Welt → Bon Ton; or, High Life Above Stairs Le Triomphe de l’amour, ou Don Pedro de Castille (Le Roux) | 328, 404 Der Triumph der ehelichen Treue (nach Carlo Goldoni) | 258 Der Triumph der guten Frauen ( Johann Elias Schlegel) | 91 Tugend adelt von selbst (Autor nicht überliefert) | 263

V Die verkannte Unschuld oder der verrätherische Sohn (anonym) | 292 Die Verschwörung des Fiesco zu Genua (Friedrich Schiller) | 182 Der vierte Heinrich, Kaiser ( Johann Jakob Bodmer) | 329 Il viluppo (Girolamo Parabosco) | 322 Von Helm, Der Freygeist ein Heuchler ( Johann Adam Weiss) | 291 W The Wedding-Day (Henry Fielding) | 324 Die Weiber-Probe oder die Untreue der Ehefrauen (Christian Friedrich Henrici) | 284, 326, 328 Die Weiberstipendien, oder die wohlfeile Miethe der Studenten (Heinrich August Ossenfelder) | 284, 329, 405 Der weibliche Jakobiner=Clubb (August von Kotzebue) | 227, 527 Die weiblichen Liebhaber → The She-Gallants Wer wird sie kriegen (Autor nicht überliefert) | 270 Werther (Willer) | 289 Werthers Zusammenkunft mit Lotte im Elysium (Feuerwerk) | 408 Wülfing von Stubenberg ( Johann von Kalchberg) | 232 Z Zayre (Voltaire) | 78, 103 Der Zwang zum Klosterleben (anonym) | 329 Die Zwillinge (Friedrich Maximilian Klinger) | 278, 281, 283, 436–440, 458

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DRUCKE DES 18. UND FRÜHEN 19. JAHRHUNDERTS OHNE BERÜCKSICHTIGUNG VON SCHAUSPIEL- UND LIBRETTO-DRUCKEN A Abhandlung von der Theurung in Hauptstädten und dem Mittel derselben abzuhelfen ( Joseph von Sonnenfels) | 63 Allgemeine deutsche Bibliothek (hg. von Friedrich Nicolai) | 6, 7, 20, 282, 343–346, 370, 377, 388, 413, 531 Allgemeines europäisches Journal | 237 Annette et Lubin ( Jean-François Marmontel) | 318 Anton Reiser (Karl Philipp Moritz) | 438 B Berengarius Turonensis: oder Ankündigung eines wichtigen Werkes desselben, wovon in der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel ein Manuscript befindlich, welches bisher völlig unbekannt geblieben (Gotthold Ephraim Lessing) | 343 Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781. Nebst Anmerkungen über die Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten (Friedrich Nicolai) | 162, 409 Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, enthaltend die Lebensskizzen der denkwürdigen Personen, welche seit 1750 in den österreichischen Kronländern geboren wurden oder darin gelebt und gewirkt haben (Constantin von Wurzbach) | 161 Briefe, die neueste Litteratur betreffend (Friedrich Nicolai, Moses Mendelssohn, Gotthold Ephraim Lessing u. a.) | 29 Briefe die Theatralische Gesellschaft des Herrn Joseph von Kurz betreffend (anonym) | 113 Briefe über die wienerische Schaubühne ( Joseph von Sonnenfels) | 54, 55, 67, 71, 73, 81, 107, 109, 127, 137, 147, 157 C Catalogue des livres défendus | 21, 284, 285, 337, 403–405, 483, 485, 491, 493, 535 Catalogus librorum prohibitorum | 7, 20, 63, 65, 282– 284, 286–288, 290, 293, 298, 307, 321, 337, 347, 351, 365, 368–370, 374, 377, 382, 393, 398, 407, 409, 411, 483, 491, 532, 533 Der Censor, oder: Beweis, daß die Büchercensur und

alle Einschränkungen des Büchergewerbes, nicht nur der menschlichen Erkenntniß, sondern dem gemeinen Besten überhaupt, höchst nachtheilige Veranstaltungen sind, und gemeiniglich in Schikanen ausarten (anonym) | 339 Compendium evangelicum | 386 Critische Dichtkunst vor die Deutschen ( Johann Christoph Gottsched) | 15 D De l’autorité du clergé, et du pouvoir du magistrat politique (François Richer) | 413 De cultibus magicis eorumque perpetuo ad ecclesiam et rempublicam habitu (Franz Konstantin von Kauz) | 413 De l’esprit des loix (Charles de Secondat de Montesquieu) | 23, 48 Der deutsche Satyriker vor der lateinischen Inquisizion (Wenzel Sigmund Heinze) | 353–357 Deutsches Museum | 410 Dramaturgische Fragmente ( Johann Friedrich Schink) | 411 E Émile ou De l’éducation ( Jean-Jacques Rousseau) | 338 G Genaue Nachrichten von beyden Kaiserlich-Königlichen Schaubühnen und andern öffentlichen Ergötzlichkeiten in Wien ( Johann Heinrich Friedrich Müller) | 169 Geschichte des Agathon (Christoph Martin Wieland) | 173, 334 Das graue Ungeheur (Wilhelm Ludwig Wekhrlin) | 378 Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft ( Joseph von Sonnenfels, 1768) | 44, 47, 49, 51 Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft ( Joseph von Sonnenfels, 1770) | 57 Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz ( Joseph von Sonnenfels, 1786) | 50, 52, 54, 57, 58, 61, 62

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Register

H Hamburgische Dramaturgie (Gotthold Ephraim Lessing) | 15, 107, 168, 193, 194 Histoire des chevaliers hospitaliers de Saint Jean de ­Jerusalem (René-Aubert de Vertot) | 436 Histoire universelle ( Jacques-Auguste de Thou) | 436 J Julie ou la Nouvelle Héloïse ( Jean-Jacques Rousseau) | 338 L Die Leiden des jungen Werthers ( Johann Wolfgang von Goethe) | 173, 285, 305, 405, 407, 408 M Die Mama will: ich soll ins Closter geh’n (Benedikt Dominik Anton Cremeri) | 494 Der Mann ohne Vorurtheil (Joseph von Sonnenfels) | 17, 53, 58, 65, 66, 68–72, 74, 75, 77, 79–84, 89, 96, 99, 101–103, 107, 117, 120, 121, 157, 193, 420 Meine Grille von den katholischen Vestalinnen (Benedikt Dominik Anton Cremeri) | 493 Memoires de l’Abbé Terrai ( Jean-Baptiste Louis Coquereau) | 389 Memorie (Lorenzo da Ponte) | 498 N Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit (hg. von Johann Christoph Gottsched) | 29 O Ode an den Leibstuhl (Aloys Blumauer) | 396 Oesterreichische Biedermanns-Chronik (Johann Rau­ tenstrauch) | 24, 411, 412, 414, 420, 477, 533 Orpheus (Friedrich Maximilian Klinger) | 406, 458 P Les Passe-tems d’un cadet en semestre (Charles de Crampagna) | 397 La Pucelle d’Orléans (Voltaire) | 337, 493

S Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft ( Joseph von Sonnenfels, 1765) | 43– 47, 49–52, 55–59, 61, 62, 71 Satyrikon (Titus Petronius Arbiter) | 165 Skizze von Wien ( Johann Pezzl) | 210, 492 Streitsache zwischen dem Passauer Ordinariate, und dem Exjesuiten Heinze, Professor in Linz | 352– 356 Summarische Antwort des B. D. A. Cremeri auf die Anfrage des Friedrich Nikolai wegen dem Oesterreichischen Verbote der allgemeinen deutschen Bibliothek | 345 T Der Teutsche Merkur (Christoph Martin Wieland) | 410 Thérèse philosophe, ou mémoires pour servir à l’histoire du Père Dirrag et de Mademoiselle Éradice ( Jean-Baptiste Boyer d’Argens zugeschrieben) | 337 U Über die Notwendigkeit, das Extemporiren abzustellen ( Joseph von Sonnenfels) | 115 Über die Unnütz- und Schädlichkeit der Juden in dem Königreiche Böhheim, und Mähren (Ignatz Klinger) | 387 Ueber den Buchhandel in den kaiserl. königl. Erblanden (anonym) | 331, 340, 376 V Vermischte Schriften (Wenzel Heinze) | 20, 351– 353, 355, 357, 358, 360, 366, 369 Virgils Aeneis travestirt (Aloys Blumauer) | 413 Z Zufällige Gedanken über die Deutsche Schaubühne zu Wien, von einem Verehrer des guten Geschmacks und guter Sitten ( Josef Heinrich Engelschall) | 28, 29, 59, 112

R Repertoire des théâtres de la ville de Vienne. Depuis l’ Année 1752 jusqu’ à l’Année 1757 | 27

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UNGEDRUCKTE ZENSURSCHRIFTEN (IN CHRONOLOGISCHER FOLGE) Dekret Maria Theresias an den Wiener Magis­ trat: Verbot der Bernardoniaden beinhaltend die Weisung, „schmutzige Wörter“ und „equivoques“ am Theater zu vermeiden (11. Februar 1752) | 112, 128, 129, 133, 141, 521 Dekret Maria Theresias an den Wiener Magis­ trat: Beauftragung der Oberaufsicht der Wiener Theater durch Grafen Esterházy, erneutes Verbot der Bernardoniaden wie aller ärgerlichen Stücke | 133 Promemoria Joseph von Sonnenfels’ zur Einrichtung einer Theatralzensur (Februar/ März 1770) | 122, 124–127 Dekret Josephs II. zur Installierung einer Thea­ tralzensur (15. März 1770) | 18, 41, 107, 108, 122–128, 134, 135, 138, 140, 142, 143, 145, 147, 169, 170, 191, 241, 476, 521, 523–525 Quelques Remarques sur la Censure des Livres (Gerard van Swieten, 24. Februar 1772) | 149, 159 Gutachten zur Zentralisierung der Theater- und Bücherzensur (Franz Karl Hägelin, Dezember 1780) | 373 Grundregeln zur Bestimmung einer ordentlichen zukünftigen Bücher Censur ( Joseph II., Jänner 1781) | 6, 337, 374, 375, 379–386, 397, 399, 533 Gutachten für das ,Directorium in politicis et cameralibus‘ über Angelegenheiten der Theaterzensur (Franz Karl Hägelin, 1794) | 18, 19, 21, 93, 126, 134, 138, 167, 168, 181–238, 241, 263, 267, 308–311, 316, 317, 397, 442, 445, 474, 483, 492, 504, 506, 525–527, 529, 532, 535–537 Über die Frage: Ob die Censurs Leitung in Zukunft mit der Studien-Ober-Direktion vereinigt, oder davon unter eigenen Praesidio getrennt werden soll? ( Johann Melchior von Birckenstock, Dezember 1797) | 173, 188, 209, 210, 332, 333, 341, 373, 374, 379, 382, 384, 385, 393, 428, 537

Gutachten zu Fragen der Theatralzensur (Franz Karl Hägelin, Mai 1802) | 168, 169, 174–176, 189, 414, 415, 470, 481, 534 Gutachten zu Fragen der Theatralzensur (Franz Karl Hägelin, 1803) | 169–171, 175, 177, 182, 183, 400–402, 429

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ORTE UNTER BERÜCKSICHTIGUNG DER ERSCHEINUNGSORTE DER SCHAUSPIELDRUCKE A Altenburg | 292 Altenfelden | 352 Amsterdam | 476 Ancona | 322, 325, 404 Augsburg | 499 B Baden | 429, 431 Basel | 325 Berlin | 29, 165, 244, 247, 275, 282, 288, 290, 291, 293, 302, 326, 328, 331, 370, 404, 476 Böhmisch Waidhofen | 432 Breslau | 356 Bruck an der Leitha | 430, 431 Brünn | 400, 402, 433 Bruxelles | 404, 405 C Chemnitz | 286 D Danzig | 328 Den Haag (La Haye) | 322, 327 Dessau | 476 Döbling | 431 Donaueschingen | 499 Dresden | 322, 476 Dublin | 323, 326 E Edinburgh | 324 Erfurt | 291 F Fischamend | 402, 431 Flensburg | 291 Frankfurt am Main | 113, 283, 285–287, 289, 292, 306, 324–326, 329, 339, 369, 404, 405, 415, 416, 442 Freiburg im Breisgau | 161 Freyenthal | 353

G Genf | 406, 458 Görz | 368 Göttingen | 327, 406 Graz | 400–402, 433 H Halle/Saale | 75, 161, 164, 165, 289, 409, 525 Hamburg | 143, 157, 258, 281, 291, 326, 328, 436– 438 Herrnhut | 324 Herzogenburg | 430 Horn | 431 Hütteldorf | 402, 431 K Karlsruhe | 102 Kehl | 476 Klagenfurt | 239 Köln | 113, 325 Konstantinopel | 217 Kopenhagen | 91, 321, 323, 324, 327 Korneuburg | 431–433 Krems | 430 L Laibach | 387 Langensalza | 286 Laufen | 432 Laxenburg | 147, 154, 393, 430 Leipzig | 29, 63, 64, 102, 251, 254, 283, 285–293, 298, 306, 323–329, 331, 339, 369, 389, 404– 406, 415, 416, 435, 442, 454, 456, 476, 483, 489, 503, 504 Lindau | 329 Linz | 20, 187, 205, 228, 229, 345, 349, 351–353, 356, 357, 366, 368, 369, 400, 408, 414, 416, 422, 442, 469 Lisboa | 325 London | 53, 92, 321, 323, 326, 328, 329, 411, 471, 472, 476, 483, 489

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Register

M Mahon | 327 Mainz | 113, 114 Mannheim | 113, 114, 290, 291, 409 Melk | 430 Montmartre | 323, 404 München | 113, 292, 476, 500 N Neulengbach | 430 Neuwied | 185 Nürnberg | 113, 476 Nussdorf | 431 O Olmütz | 400 P Paphos | 486 Paris | 23, 24, 52, 53, 89, 113, 141, 203, 208, 284, 286, 293, 318, 327, 328, 404, 465–467, 469, 472, 475, 481, 497, 499 Passau | 162, 352–357, 359, 483 Penzing | 431 Prag | 114, 227, 237, 238, 265, 331, 387–389 , 398– 400, 402, 414, 433, 465, 466, 498–500, 503, 533, 535 Pressburg | 185, 187, 227, 526

U Ulm | 288 V Venedig | 208, 274, 322, 325–327 Versailles | 466 W Wien | passim Wiener Neustadt | 430, 432 Wolfenbüttel | 143, 147 Würzburg | 390 Y Ybbs | 430, 433 Z Zistersdorf | 402, 429, 432, 433 Zürich | 222, 328, 329

R Regensburg | 499, 503 Retz | 432 Reval | 503 Rouen | 290, 322 S Sagan | 165 Salzburg | 114, 432 Scheibs | 430 Schwechat | 432 Simmering | 432 Spittelberg | 431 Stockerau | 430–432 Stockholm | 476 St. Pölten | 430, 433 Straßburg | 405, 486

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JANA PERUTKOVÁ AUF DEN SPUREN VON MUSIKER, MUSIKLIEBHABER UND MÄZEN GRAF VON QUESTENBERG Johann Adam Graf von Questenberg (1678–1752) machte aus seinem Schloss im mährischen Städtchen Jaroměřice ein kulturelles Zentrum Mitteleuropas. Im Austausch mit renommierten ­Librettisten, Komponisten und Bühnenbildnern verwirklichte er mit seinem ­Ensemble aus Untertanen und Bediensteten beinahe 200 Aufführungen ­musik­dramatischer Werke. Perutková erar­beitet umfassend archivalische Quellen und erweitert die Kenntnis der Questen­bergschen Musikaliensammlung.

Jana Perutková (* 1968) ist seit 1996 am Institut für Musikwissenschaft der Philo­sophischen Fakultät der ­M asaryk-Universität (Brünn) tätig, seit 2013 als Dozentin. Perutková ­organisiert internationale musikwissenschaftliche und interdisziplinäre ­Konferenzen und Workshops, auch in Zusammenarbeit mit dem Don Juan ­A rchiv Wien.

Jana Perutková Der glorreiche Nahmen Adami. Johann Adam Graf von Questenberg (1678–1752) als Förderer der italienischen Oper in Mähren 2015 | Specula Spectacula 4 ISBN 978-3-99012-199-3 (WG 1586) 784 Seiten | 17,5 × 24,5 cm Hardcover mit Schutzumschlag € 89,90 (A/D) | CHF 95,00

auch als E-Book erhältlich € 79,99 (A/D) | CHF 84,00

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Ja na Peru t ková

DER GLORREICHE N A H M E N A DA M I Joha nn Ada m Gra f von Questenberg (16 78–1752) a l s F ö rd e re r d e r it a l i e n i s c h e n O p e r i n M ä h re n

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